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German Pages 654 Year 2017
Lars Christian Heinemann Sinn – Geist – Symbol
Tillich Research
Tillich-Forschungen Recherches sur Tillich Edited by Christian Danz, Marc Dumas, Werner Schüßler, Mary Ann Stenger and Erdmann Sturm
Volume 10
Lars Christian Heinemann
Sinn – Geist – Symbol
Eine systematisch-genetische Rekonstruktion der frühen Symboltheorie Paul Tillichs
ISBN 978-3-11-048141-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-048484-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-048421-2 ISSN 2192-1938 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
berlin und frankfurt. der familie.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 von der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation angenommen. Sie wurde für den Druck durchgesehen, geringfügig überarbeitet sowie um Zeittafel und Register ergänzt. Herr Prof. Dr. Ulrich Barth hat die Arbeit angeregt und mit der ihm eigenen Energie, Leidenschaft und umfassenden Sachkompetenz betreut, und schließlich das Erstgutachten angefertigt. Das Doktorandenkolleg in der Wittekindstraße mochte es in Sachen Müßiggang nur bedingt mit der Südsee aufnehmen, Auseinandersetzungen gehörten dazu – doch sollte ich Lesen gelernt haben, dann hier. Meine Dankbarkeit dafür ist groß. Das Promovieren im Kolleg war zudem kein zu einsames Geschäft: Den Kolleginnen und Kollegen danke ich entsprechend für Rückmeldungen, konstruktive Kritik und schlicht für das Teilen des Weges. Das Zweitgutachten hat – kurzfristig – Herr PD Dr. Christian Senkel übernommen. Das Evangelische Studienwerk e. V. Villigst hat die Entstehung der Arbeit durch ein Promotionsstipendium gefördert. Zudem hat die Hessische Lutherstiftung der EKHN Anfangs- und Brückenzeit zum Vikariat hin finanziell unterstützt. Den Herausgebern, und insbesondere Herrn Prof. Dr. Christian Danz, danke ich für die Aufnahme in die Reihe Tillich Research, dem Verlag Walter de Gruyter in Person der Herren Stefan Selbmann und Johannes Parche für verlegerische Betreuung und Geduld. Ein Projekt von solcher Dauer kennt viele Begleiterinnen und Begleiter. Der erste Dank gilt meinen Eltern, Hans-Martin Heinemann und Renate Menning, zudem der Frau meines Vaters, Edeltraud Glänzer, schon für die finanzielle, nicht zuletzt aber auch die emotionale Unterstützung durch die Jahre hindurch. Gerade für letztere weiß ich mich meiner Schwester, Britta Heinemann, sowie Dr. Philipp Kratz und Dr. Til Elbe-Seiffart, den alten Freunden, tief verbunden. Meine Mutter hat die Arbeit überdies gleich zweimal unter erheblichem Aufwand Korrektur gelesen. Besonderer Dank geht weiterhin an Prof. Dr. Roderich Barth, Prof. Dr. Andreas Kubik, PD Dr. Georg Neugebauer und Prof. Dr. Christopher Zarnow, die die Schlussphase der Arbeit und des Verfahrens auf die eine oder andere Weise inhaltlich begleitet haben. Schließlich gilt mit Blick auf die vielen anderweitigen Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter, die schon beinahe vergessenen und die sehr aktuellen, die engen und die entfernten Freundinnen und Freunde – die Familie ist groß. Frankfurt am Main, 31. Oktober 2017 Lars Heinemann
Inhalt Einleitung 1 a) Ästhetische und religionstheoretische Präzisierung des Symbolgedankens bei Immanuel Kant 5 b) Kulturphilosophische Weite des Symbolgedankens bei Ernst Cassirer 14 c) Tillichs Theorie des religiösen Symbols – Rezeptionslinien in der Praktischen und Systematischen Theologie 31 d) Forschungslage und Aufbau der Arbeit 53 I Der Weg zum System 65 I. Frühe Wegmarken 67 67 a) Erste Weichenstellungen (Briefe 1907 – 1909) b) Die ‚Monismusschrift‘ (1908) 77 c) ‚Schellingerlebnis‘ und philosophische Dissertation 86 (1909/10) d) Die ‚Kasseler Thesenreihe‘ (1911) 97 e) Ertrag und Ausblick 108 110 I. Die Systematische Theologie von 1913 a) Das Prinzipiengefüge von ‚Wahrheit‘ und ‚Denken‘ 117 b) Das Wahrheitsbewusstsein in der Spannung von ‚Intuition‘ und ‚Reflexion‘ 126 136 c) Der Paradoxgedanke als theologisches Prinzip d) Problemgeschichtliche Hintergründe des Paradoxgedankens 153 e) Ertrag und Ausblick 170 II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie 173 II. Reorientierung der Leitbegriffe im Hirsch-Briefwechsel 173 (1917/18) a) Die Frage der Gestalt religiöser Objektivierung 179 b) Intentionalitätstheoretische Motive im Übergang vom Frühwerk 193 c) Erste Sinnskizze 199 d) Ertrag und Ausblick 213
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Inhalt
Die Theorie des Sinns 216 220 Kulturtheologische Ansätze (1919/20) a) Religion als Erfahrung unbedingten Sinns 223 b) Autonomie, Heteronomie und Theonomie 240 c) Die erste Fassung des ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schemas 250 262 d) Ertrag und Ausblick Systematische Ausarbeitung (1920 – 1923) 264 266 a) Die Religion und Kultur-Vorlesung (1920) b) Die Religionsphilosophie-Vorlesung (1920) 273 c) Die ausgereifte Sinnkonzeption (1923) 287 310 d) Problemgeschichtliche Hintergründe der Sinntheorie e) Ertrag und Ausblick 323 Die Theorie des Geistes 325 Ausformung der Theorie des intentionalen Bewusstseins 327 (1919 – 1923) a) Verabschiedung des vermögenspsychologischen Schemas 327 (1919/20) b) Grundzüge der frühen Husserl-Rezeption 335 c) Bewusstseinskonzeption in der Polarität von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ (1920 – 1923) 348 366 d) Ertrag und Ausblick Ausgestaltung des Geistgedankens (1923 – 1927/28) 368 a) ‚Konstitutionstheorie‘ des Geistes (1923) 371 377 b) ‚Strukturtheorie‘ des Geistes (1923) c) Das Unbedingte als Letzt-Gemeintes (1927/28) 390 d) Ertrag und Ausblick 408
III Die Symboltheorie 410 III. Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs 413 a) Der Befund in den Veröffentlichungen um 1920 415 b) Anfängliche Reserve und vorsichtige Etablierung (1908 – 1920) 419 c) Die Auseinandersetzung mit Karl Barth und Friedrich Gogarten (1923/24) 437 d) Ertrag und Ausblick 453 455 III. Grundaspekte des Symbolgedankens a) ‚Sachbezogenheit‘ und ‚Anschaulichkeit‘ des Ausdrucks 458 b) Die semantische Struktur der Ausdruckskategorie 466 c) Symbol und Zeichen 479 d) Ertrag und Ausblick 499
Inhalt
III.
Der Transzendierungscharakter des Symbolischen 501 508 a) Uneigentlichkeit und Indirektheit b) Religiöses Symbolisieren und der Gedanke unbedingter Transzendenz 518 c) Kriterien religiösen Symbolisierens 534 548 d) Ertrag und Ausblick
Abschließende Reflexionsgänge Anhang Zeittafel
550
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Quellen- und Literaturverzeichnis 585 Siglen Quellen 585 Sekundärliteratur 589 Personenregister
613
Schriftenregister
617
Sachregister
623
585
XI
Einleitung Kein Zung kann je erreichen / die ewig Schönheit groß; / man kann’s mit nichts vergleichen, / die Wort sind viel zu bloß. / Drum müssen wir solchs sparen / bis an den Jüngsten Tag; / dann wollen wir erfahren, / was Gott ist und vermag.¹
Was Johann Walter (1496 – 1570), Freund Martin Luthers und gleichsam ‚Urkantor‘ der evangelischen Kirche, hier in Worte kleidet, bezeichnet wohl – abseits seiner dann doch sehr spezifisch christlichen eschatologischen ‚Auflösung‘ – ein Grunddatum jeder entwickelteren Religion. Der religiöse Mensch weiß, ahnt sich zumindest im prinzipiellen Abstand zur Sphäre des Göttlichen, sodass jede sprachliche Äußerung, überhaupt jede Vorstellung im Letzten zu kurz greifen muss – ‚die Wort sind viel zu bloß‘. Zumal dem Christlichen ist das Bewusstsein einer tiefen Uneigentlichkeit der eigenen Sprach- und Vorstellungswelten von Anbeginn an eingeschrieben: der Ewige „wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann, den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann“ (1. Tim 6,16), und also „sehen wir jetzt durch einen Spiegel“ (1. Kor 13,12), haben wir den Schatz „in irdenen Gefäßen“ (2. Kor 4,7) etc.² Die von Walter formulierte Konsequenz ‚Drum müssen wir solchs‘ – der Worte – ‚sparen / bis an den Jüngsten Tag‘ mag allerdings als lediglich zweitbeste Lösung im Umgang mit jener Problemanzeige ihrer ‚Bloßheit‘ durchgehen. Denn schon der ‚Lehrer des Evangelii‘ wählte bekanntlich einen anderen Weg: Er suchte der Unfasslichkeit Gottes mindestens nicht primär durch Schweigen, sondern vielmehr durch die Wahl einer spezifischen Ausdrucksform Rechnung zu tragen – von der gegenwärtigen wie künftigen Gottesherrschaft lässt sich allein in Gleichnissen bzw. Parabeln sprechen. Die entsprechende Grundfrage – „Womit wollen wir das Reich Gottes vergleichen, und durch welches Gleichnis wollen wir es abbilden?“ (Mk 4,30) – fand so ihre Antwort in einer Vielzahl von Bildwelten, die je und je zwar dem Alltag der Hörenden entstammten, die aber offenkundig eben in einem anderen als ihrem alltäglichen Sinn verstanden sein wollten.³ Tatsächlich ist das Christentum dem durch Jesu gleichnishafte Rede vom Reich Gottes vorgezeichneten Paradigma weithin gefolgt. Die methodische Klä-
Herzlich tut mich erfreuen (EG 148,2). Die Stellen ließen sich leicht vermehren, vgl. nur Joh 1,18; 1. Kor 2,9 u. ö. Die grundlegende religiöse Einsicht „Gott ist im Himmel und du auf Erden“ (Pred 5,1) ist dabei freilich schon im Judentum gewonnen, in dessen Traditionen das Christentum eintritt. Zu Jesu Gleichnisgebrauch und der Geschichte seiner neuzeitlichen Interpretation vgl. Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1996), 285 – 310. DOI 10.1515/9783110484847-001
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Einleitung
rung einer kontrollierbaren Zuordnung von eigentlichem und uneigentlichem Sinn sprachlicher Ausdrücke bzw. mentaler Vorstellungen und Bilder wurde zu einer Aufgabe, die in seiner philosophischen und theologischen Selbstreflexion von Anbeginn an mitlief und mitläuft. Zu denken ist zunächst vor allem an die Allegorese, die, in Aufnahme und Weiterbildung von Traditionen der stoischen Mytheninterpretation wie Methoden des hellenistischen Judentums, ihre klassische altkirchliche Gestalt bei Origenes fand.⁴ Mit der Wiederaneignung der antiken Rhetorik traten später die Figur der ‚figürlichen Rede‘ und schließlich die der Metapher in den Vordergrund.⁵ Im 20. Jahrhundert sollte die Theologie evangelischer- wie katholischerseits eben zumal in der Letzteren oder aber im Gleichnis bzw. der Parabel die adäquate Theoriegestalt erblicken, um jene eigentümliche Grundspannung der Religion auf den Begriff zu bringen.⁶ Die Stellung des Symbolgedankens in diesem Ensemble kann durch die Jahrhunderte hindurch kaum konsistent bestimmt werden: Mal steht er in Konkurrenz, mal verbindet er sich mit einzelnen seiner gedanklichen Alternativen, mal tritt er mehr in den Hintergrund – mit den Worten Friedrich Theodor Vischers: „Der Begriff ist schwierig, ein gestaltwechselnder Proteus, schwer zu packen und zu bannen.“⁷ Nun stimmt dieses Diktum im Grunde auf jeden wirkmächtigeren Begriff der Philosophie- und Theologiegeschichte. Gleichwohl verkomplizieren sich die Dinge im Falle des Symbolgedankens noch einmal in spezifischer Weise. Denn der Symbolbegriff (σύμβολον, symbolum) kann von alters her nicht allein für eine – wie auch immer näherhin zu bestimmende – Zuordnung von eigentlichem und uneigentlichem Sinn sprachlicher Ausdrücke bzw. mentaler Vorstellungen stehen. Daneben lässt sich bis zu Aristoteles eine zweite, gleichrangige Traditionslinie
Vgl. Fritz Stolz u. a., „Allegorie/Allegorese“, RGG4 1 (1998), 303 – 310; Anselm Haverkamp/ Bettina Menke, „Allegorie“, ÄGB 1 (2000), 49 – 104, bes. 49 – 62. Vgl. Gerhard Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 52004); Eckard Rolf, Metaphertheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2005). Vgl. exemplarisch Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus (Tübingen: J. C. B. Mohr, 1977); Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen (Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht, 1978); Ingolf Ulrich Dalferth, Religiöse Rede von Gott. Eine Untersuchung zu Problemen einer Theorie religiöser Rede und zur Behauptungsstruktur christlicher Rede von Gott im Anschluss an Fragestellungen der Analytischen Philosophie (Kaiser, 1981); Johannes Hartl, Metaphorische Theologie. Grammatik, Pragmatik und Wahrheitsgehalt religiöser Sprache (Berlin Münster: Lit, 2008), bes. 145 – 158.385 ff.; zur neueren Rezeption der Metapher in der Theologie s.u. unter c). Friedrich Theodor Vischer, „Das Symbol“, in: ders., Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet (Leipzig: Fues’s Verlag, 1887), 151– 193, 154.
Einleitung
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zurückverfolgen, in der er zu dem des allgemeinen Zeichens (σημεῖον, signum) synonym verstanden wird. Ihr zufolge ist das Symbol nicht durch eine über den eigentlichen Sinn hinausweisende Bedeutung, sondern im Gegenteil gerade durch die Konventionalität seiner Zeichenrelationen gekennzeichnet.⁸ Insbesondere auf den Feldern der Logik, der Erkenntnistheorie und der allgemeinen Semiotik war es dieser Symbolbegriff, der weithin reüssieren sollte: Zu denken wäre etwa an die Zeichentheorie des Halle’schen Schulphilosophen Georg Friedrich Meier, oder mehr noch an dessen berühmtes Vorbild Gottfried Wilhelm Leibniz, bei denen der Symbolbegriff dem des Zeichens subsumiert wird.⁹ Auch in gegenwärtigen Lehrbüchern der Semiotik dominiert der mehr formale Symbolgedanke.¹⁰ So stehen sich durch die Geistesgeschichte hindurch bei Lichte besehen zwei diametral entgegengesetzte Fassungen des Symbols gegenüber: nämlich auf der einen Seite die als eines beliebigen sprachlichen Zeichens, dessen Zeichenrelation allein durch Konvention festgelegt wird, und auf der anderen die als eines spezifischen, ‚allegorischen‘ Zeichens, dem eine überschießende Bedeutung eignet, die sich nicht willkürlich ändern lässt. Da beide Fassungen ihrerseits wiederum eine erhebliche Spannbreite aufweisen, potenziert sich der von Vischer konstatierte proteische Charakter des Begriffs nochmals.¹¹
Zum aristotelischen Symbolbegriff vgl. Tzvetan Todorov, Symboltheorien (Tübingen: Niemeyer, 1995), bes. 5 – 51; Markus Tomberg, Studien zur Bedeutung des Symbolbegriffs. Platon, Aristoteles, Kant, Schelling, Cassirer, Mead, Ricœur (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2001), 27– 33; Eckard Rolf, Symboltheorien. Der Symbolbegriff im Theoriekontext (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2006), 11– 15. Zur Zeichentheorie der Halle’schen Schulphilosophie vgl. Andreas Kubik, Die Symboltheorie bei Novalis. Eine ideengeschichtliche Studie in ästhetischer und theologischer Absicht (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 25 – 51; zu Leibniz’ Semiotik vgl. Hans Burkhardt, Logik und Semiotik in der Philosophie von Leibniz (München: Philosophia, 1980), bes. 147– 378. Vgl. exemplarisch die entsprechenden Bände der Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft: Semiotik/Semiotics. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur/A Handbook on the Sign-Theoretic Foundations of Nature and Culture (HSK 13), 3 Bde. (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 1997– 2003); vgl. auch Oliver R. Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung (Frankfurt/Main: Klostermann, 22004), 102– 136. Vgl. die Problemanzeige bei Karl Bühler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache (Jena: Fischer, 1934), 185: „Der Symbolbegriff der Wissenschaften hat eine lange Vergangenheit und doch keine ordentlich thematische Geschichte.“; zur geistesgeschichtlichen Bedeutungsbreite des Symbolbegriffs vgl. die ausgezeichneten Übersichtsartikel im Handwörterbuch der Philosophie – Stefan Meier-Oeser, „Symbol I. Antike, Mittelalter, Neuzeit“, HWPh 10 (1998), 710 – 723; Oliver R. Scholz, „Symbol II. 19. und 20. Jh.“, ebd., 723 – 738 – sowie im Historischen Wörterbuch Ästhetische Grundbegriffe; Heinz Hamm, „Symbol“, ÄGB 5 (2005), 805 – 839.
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Einleitung
Tritt man einen Schritt zurück, dann scheint ebenjene Unterscheidung einer weiten, dem allgemeinen Zeichenbegriff zugeordneten, und einer engen, um die spezifische Bedeutsamkeit des Symbolischen ringenden Fassung gleichwohl geeignet, ein in systematischer Hinsicht weiterführendes Sortierungskriterium an die Hand zu geben. Schon Karl Bühler konnte in seiner Sprachtheorie den Gegensatz zwischen dem „bedeutungsschwangeren ‚Bild und Gleichnis‘“ der „Romantiker“ einerseits und dem Drang zur „Abmagerung und Formalisierung des Begriffs-Inhaltes“ bei den „Logikern“ andererseits aufmachen und dementsprechend nachgerade von „zwei Symbolbegriffen“ sprechen.¹² Und obgleich Bühler ausdrücklich den ‚Logikern‘ zuneigt, gibt er doch den perspektivisch interessanten Hinweis, dass es in der Konkurrenz beider Fassungen letztlich weniger um ein Entweder-oder, als vielmehr um den konsistenten theoretischen Ausweis der jeweiligen Begriffsfassung zu tun sein kann. Oliver R. Scholz hat die von Bühler vorgeschlagene Differenzierung im Fazit seines großen Artikels im Handwörterbuch der Philosophie aufnehmen und – wenn auch in Form der Anzeige eines „Dilemmas“ – als systematische Grundalternative in Sachen Symboltheorie adeln können: Entweder der Begriff wird im Sinne von ‚konventionelles Zeichen‘ verwendet, dann gewinnt er eine klare Bedeutung, ist aber – da durch eindeutigere Begriffe ersetzbar – entbehrlich; oder er wird für eine spezifische Form von motivierter Bedeutungsbildung reserviert, dann ist zu konstatieren, daß es – trotz vielversprechender Ansätze – bisher nicht gelungen ist, diese Form in klarer und konsensfähiger Weise zu explizieren.¹³
Allen offenen Detailfragen zum Trotz soll die Alternative von engem und weitem Symbolbegriff den folgenden einleitenden Überlegungen als roter Faden dienen. Näherhin wollen wir zunächst der Stärken und Schwächen beider Fassungen anhand zweier ausgewählter Beispiele ansichtig werden, um dann in einem ersten Zugriff Tillichs Symbolgedanken in das so eröffnete Feld einzuzeichnen. Im Lichte wesentlicher Rezeptionslinien des Symbolthemas im Allgemeinen wie des Tillich’schen Symbolbegriffs im Besonderen in den praktisch- und systematischtheologischen Debatten der vergangenen Jahrzehnte sowie mit Blick auf die Forschungslage werden sich schließlich Ort und Aufbau der vorliegenden Arbeit bestimmen lassen.¹⁴
Bühler, Sprachtheorie, 186. Scholz, „Symbol“, 735. Mit dem Folgenden ist mithin ein doppelter Zugang gewählt: Der erste Zugang erfolgt ganz über das Sachthema des Symbolischen, und hier anhand zweier exemplarischer Beispiele in der skizzierten systematischen Alternative von enger und weiter Fassung des Symbolbegriffs. Der zweite Zugang hat diese Alternative zwar im Rücken, fokussiert aber mit Blick auf Tillichs Sym-
Einleitung
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a) Ästhetische und religionstheoretische Präzisierung des Symbolgedankens bei Immanuel Kant Bedenken wir vor dem Hintergrund der skizzierten systematischen Alternative zunächst die enge, um die spezifische Bedeutsamkeit des Symbolischen ringende Fassung des Symbolbegriffs, dann ist er der eingangs benannten Reihe Allegorie – Gleichnis/Parabel – Metapher zuzuordnen. Dabei stand das Symbol über weite Strecken der abendländischen Geistesgeschichte eher im Schatten seiner gedanklichen Alternativen. Dieses Bild sollte sich nun um 1800 grundlegend ändern: Mit Macht rückt der Symbolgedanke in den Fokus des künstlerischen, primär literarischen Schaffens wie der ästhetischen Reflexion jener Epoche, die wir heute als Frühromantik bezeichnen. Johann Gottfried Herder, die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel, Friedrich Hardenberg, genannt Novalis – um nur einige herauszugreifen – werten den Symbolbegriff dergestalt auf, dass er geradezu als Schwerpunkt ihrer Arbeit gelten kann. Das viel zitierte Diktum „alle Kunst ist symbolisch“ wird so gewissermaßen zur Erkennungsmelodie einer ganzen Generation.¹⁵ Im Symbol bündeln sich die neuen ästhetischen Leitgedanken, die sich mit Tzvetan Todorovs großer Studie zum Thema als Abkehr vom traditionellen Mimesis-Prinzip zugunsten der Betonung des Produktionscharakters von Kunst, als Behauptung der „Intransitivität“, also der Bedeutsamkeit alleine nach Maßgabe der internen Stimmigkeit des Kunstwerks, und schließlich als „Synthetismus“ kennzeichnen lassen.¹⁶ Entscheidend für diese Synthesisfunktion ist nicht
bolgedanken die theologische Diskussion bzw. – in nochmaliger Zuspitzung – den Stand der Tillich-Forschung zum Thema. Das Diktum findet sich bei Solger wie beim jüngeren Schlegel; vgl. Karl Wilhelm Friedrich Solger, Erwin. Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1907 zusammen mit Solgers Rezension von A. W. Schlegels ‚Vorlesungen ü ber dramatische Kunst und Literatur‘, hg. v. Wolfhart Henckmann (München: Fink 1971), 219; Friedrich Schlegel, Philosophie des Lebens. In 15 Vorlesungen gehalten zu Wien im Jahre 1827 und Philosophische Vorlesungen insbesondere über Philosophie der Sprache und des Wortes. Geschrieben und vorgetragen zu Dresden im Dezember 1828 und in den ersten Tagen des Januars 1829, Bd. 10, Abt. 1, Kritische Ausgabe (Paderborn u. a.: Schöningh, 1969), 232. Vgl. das entsprechende Urteil Todorovs: „Wenn man die romantische Ästhetik in einem einzigen Wort zusammenfassen müsste, dann käme man nicht um den Begriff herum, den A. W. Schlegel hier [in einer berühmten Passage der Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst von 1801; L H.] einführt: Symbol.“ (Todorov, Symboltheorien, 196; kursiv i. O.); klassisch findet sich die These formuliert bei Bengt Algot Sörensen, Symbol und Symbolismus in den ästhetischen Theorien des 18. Jahrhunderts und der deutschen Romantik (Kopenhagen: Munksgaard, 1963). Vgl. das große sechste Kapitel von Todorovs Symboltheorien, das mit ‚Die romantische Krise‘ überschrieben ist, genauer aber eben die Krise der überkommenen rhetorischen Prägung des Symbolgedankens im Zuge seiner romantischen Neufassung beschreibt; vgl. Todorov, Symbol-
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zuletzt die spezifische Zuordnung von Besonderem und Allgemeinem, die eben das Symbol ermöglichen soll. Im symbolisch gedeuteten Kunstwerk wird indirekt – über die interne Kohärenz des Besonderen – das Allgemeine, Übergreifende geschaut. Das Allgemeine ist, obgleich nicht selbst intendiert, im symbolisch aufgefassten Individuellen präsent.¹⁷ Das Symbol lässt sich mithin nunmehr als motiviertes Zeichen verstehen, das unvertretbar für eine vermittels seiner allenfalls indirekt anvisierten, aber nichtsdestoweniger gegenwärtigen Bedeutung steht – der Abstand zum weiten, ‚aristotelischen‘ Verständnis im Sinne eines in seiner Bedeutung beliebig festsetzbaren, konventionellen Zeichens ist kaum größer zu denken. Die Konsequenzen dieser ersten Blüte des Symbolgedankens im Umkreis von Spätaufklärung und Frühromantik zumal für den ästhetischen Diskurs waren nicht weniger als grundstürzend, man denke alleine an Gestalt und Wirkungsgeschichte Johann Wolfgang von Goethes. Im gegenwärtigen Zusammenhang wollen wir jedoch historisch noch einen Schritt zurücktreten und einen anderen Autor des ausgehenden 18. Jahrhunderts in den Blick nehmen. Dessen Bedeutung können wir uns über ein Zitat des älteren Schlegel annähern. In seinen Vorlesungen über schöne Litteratur und Kunst von 1801 notiert August Wilhelm Schlegel: „Das Schöne ist eine symbolische Darstellung des Unendlichen; weil alsdann zugleich klar wird, wie das Unendliche im Endlichen zur Erscheinung kommen kann. […] Wie kann nun das Unendliche auf die Oberfläche, zur Erscheinung
theorien, 143 – 219. Zur ästhetischen Neuausrichtung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vgl. auch Kubik, Novalis, 229 – 274. Vgl. Johann Wolfgang Goethes berühmte späte Unterscheidung von Symbol und Allegorie aus dem Jahr 1824: „Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht, oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie; sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken, oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät.“ (Johann Wolfgang Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, Maximen und Reflexionen, Bd. 17, Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens [München Wien: Hanser, 1991], 767). Goethes wirkmächtige Gegenüberstellung von Symbol und Allegorie – bei gleichzeitiger Aufwertung des Ersteren und Abwertung der Letzteren – datiert bekanntlich bis ins Jahr 1797 zurück. Bei näherem Zusehen erweist sie sich mindestens bei den Frühromantikern als weniger eindeutig, als die Wirkungsgeschichte erwarten ließe: Symbol und Allegorie konnten hier noch immer synonym verstanden werden, wie es bis ins 18. Jahrhundert hinein üblich war; vgl. Ernst Behler, „Symbol und Allegorie in der frühromantischen Theorie“, in: ders., Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie, Bd. 2 (Paderborn u. a.: Schöningh, 1993), 249 – 263; zum Verhältnis von Symbol und Allegorie, insbesondere bei Goethe, vgl. weiterhin Todorov, Symboltheorien, 195 – 204; Scholz, „Symbol“, 724– 727; Hamm, „Symbol“, 814– 817.
Einleitung
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gebracht werden? Nur symbolisch, in Bildern und Zeichen. […] Dichten ist nichts anderes als ein ewiges Symbolisieren.“¹⁸ Das Zitat ist gleich mehrfach interessant. Erstens macht es darauf aufmerksam, dass mit dem von Todorov geprägten Begriff der ‚Intransitivität‘ das Bedeuten der symbolischen Bilder und Zeichen noch nicht recht erfasst ist: Zwar kann die Bedeutung der symbolisch verstandenen Sinnträger gemäß der Abkehr vom klassischen Prinzip der Nachahmung nicht mehr im Außenbezug liegen, sodass sie schlicht mimetisch nachgebildet würde. Doch liegt sie eben auch nicht einfach im Symbolträger selbst. Vielmehr vergegenwärtigt sich an diesem ein anderes, ‚das Schöne‘, bzw. – angesichts dessen sukzessiver Relativierung im weiteren Gang der ästhetischen Debatte – vor allem ‚das Unendliche‘.¹⁹ Damit aber gewinnt der Symbolgedanke über das Ästhetische hinaus eine religionstheoretische Valenz: Das Unendliche, traditionelle religiöse Zentralidee, lässt sich überhaupt ‚nur symbolisch‘ darstellen. Zweitens gerät das Symbolisieren selbst zu einem gewissermaßen ‚ewigen‘ Vollzug. Zwischen den symbolisch verstandenen Bildern und Zeichen und der vermittels ihrer bezeichneten Idee des Unendlichen verbleibt offenkundig eine unauflösliche Spannung: Das Unendliche kann allein symbolisch zur Darstellung gebracht werden, gleichwohl erschöpft es sich in keinem Symbol exklusiv. Die betreffende Spannung setzt einen seinerseits potenziell unendlichen Symbolisierungsprozess in Gang. Und schließlich erinnert der Eingang des Zitates – ‚das Schöne ist eine symbolische Darstellung des Unendlichen‘ – nicht von ungefähr an jenes berühmte Diktum, das Immanuel Kant ziemlich genau ein Jahrzehnt vor Schlegel in seiner Kritik der Urteilskraft formuliert hatte: „[D]as Schöne ist das Symbol des Sittlichguten.“²⁰ Zwar leitet Schlegel die obige Passage mit einem Hinweis auf Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, bzw. näherhin auf dessen 1800 erschienenes System des transzendentalen Idealismus, ein. Doch steht das von Schelling dort entworfene ästhetische Programm seinerseits in einer mit den Überlegungen des Königsberger Philosophen anhebenden Reflexionslinie. Tatsächlich ist gerade Kants Fassung des Symbolbegriffs von kaum zu überschätzender Bedeutung für dessen nachfolgendes Reüssieren bei den Frühromantikern im Umkreis der Brüder Schlegel bis hin zu Goethe auf der einen, wie den symboltheoretischen Erwägungen im nachkantischen Idealismus, insbesondere bei Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel, auf der anderen Seite. Obgleich er seine Reflexionen zum Zit. nach Todorov, Symboltheorien, 195. Vgl. auch die entsprechenden Rückfragen an Todorovs (Über‐)Betonung der Intransitivität des Symbolischen bei Kubik, Novalis, 270 – 274. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Bd. 10, Werkausgabe (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1974), 297 (B 259).
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Einleitung
Thema nicht eigens monographisch ausgearbeitet, sondern diesbezüglich auf die Notwendigkeit einer „tiefere[n] Untersuchung“ verwiesen hat,²¹ ist Kants ideenund problemgeschichtlicher Stellenwert hier einmal mehr unbestritten.²² Für unsere Zusammenhänge ist sein Symbolgedanke darüber hinaus vor allem deshalb von besonderem Interesse, weil er – wie wir sehen werden – neben ästhetischen auch religionstheoretische Gesichtspunkte fest in den symboltheoretischen Debatten verankern sollte. Nimmt man die von Kant an unterschiedlichen Orten vorgelegten symboltheoretischen Reflexionen nun im Ganzen in den Blick, dann kristallisieren sich zunächst zwei einander ergänzende Anfahrtswege heraus: Einmal kann Kant im Rahmen seiner Anthropologie an die seinerzeit einschlägige Semiotik der Hallenser Schulphilosophie korrigierend anknüpfen und also das ‚symbolum‘ vor dem Hintergrund der zeichenhaften, ‚characteristischen‘ Darstellungs- bzw. Erkenntnisart thematisieren.²³ Anfänglich noch zurückhaltend formulierte Anfragen gegenüber der etablierten zeichentheoretischen Sortierung wachsen sich im Folgenden jedoch zu einer prinzipiellen Kritik der überkommenen, bereits von Leibniz herrührenden Kontrastierung der ‚symbolischen‘ zur ‚intuitiven‘ Darstellungsweise aus. Jene wird schließlich vielmehr dieser zugeschlagen, wobei das Symbol insofern vom Zeichen im Sinne der „bloßen Charactere“ abgehoben wird, als ihm eine – freilich vorerst nicht wirklich befriedigend ausgewiesene – „Aehnlichkeit mit der Sache selbst“ eignen soll.²⁴ Hinzu tritt im Falle sprachlicher Symbole eine Indirektheit, da die Ähnlichkeit hier nochmals durch die reflektierende Tätigkeit der Urteilskraft vorstellungsvermittelt ist.²⁵ Die Ausführungen scheinen für sich genommen von begrenzter, nämlich allein die Semiotik betreffender Reichweite. Symboltheoretische Implikationen der Kant’schen Theoriebildung als solcher werden mit dem zweiten Anfahrtsweg sichtbar. Dabei erweisen sich erkenntnistheoretische Motive als eigentlicher systematischer Horizont seines Symbolver Kant, Urteilskraft, 296 (B 257). Vgl. allein die jeweils einleitenden bzw. resümierenden Einschätzungen bei Scholz, „Symbol“, 723 f. und Hamm, „Symbol“, 812– 814; zu Kants Symbolkonzeption vgl. weiterhin Tomberg, Studien, 33 – 69; Rolf, Symboltheorien, 46 – 51. Der systematische Ort ist hier mithin die traditionell-schulphilosophische Frage der ‚facultas characteristica‘ bzw. ‚signatrix‘, also der des ‚Bezeichenbar-Machens‘. Vgl. Immanuel Kant, Vorlesungen über Anthropologie, Bd. 25, Abt. 4/2, Erste Hälfte, Kant’s gesammelte Schriften (Berlin: Walter de Gruyter, 1997), 536. Die betreffende Vorlesung datiert auf die Mitte der 1770er Jahre. Vgl. zum fraglichen Prozess die präzise Rekonstruktion bei Kubik, Novalis, 53 – 57. Vgl. Kubik, Novalis, 54 f.
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ständnisses. Bereits die Kritik der reinen Vernunft legt im Kontext der berühmten ‚transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe‘ dar, dass den Kategorien als reinen Verstandesbegriffen ob ihres transzendentalen Status nicht einfach die ‚passenden‘ Anschauungen in der sinnlichen Wahrnehmung gegeben sein können, wie dies bei empirischen Begriffen der Fall ist. Vielmehr können ihnen nur ‚Schemata‘, also gleichsam ‚generalisierte Bilder‘, untergeschoben werden.²⁶ Schon die Schematisierung reiner Verstandesbegriffe ist somit ein komplexes Verfahren, das in einer prinzipiellen Inadäquatheit von Begriff und Anschauung seine Ursache hat (Schematismus-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft). Potenziert stellt sich das Versinnlichungsproblem nun im Falle der Vernunftbegriffe, der Ideen. Gemäß der ersten Vernunftkritik handelt es sich bei Letzteren um notwendige Abschlussgedanken des menschlichen Geistes – deren Versinnlichung jedoch fundamentale Fragen aufwirft (Schlusskapitel der Prolegomena). Nochmals anders gelagert ist der systematische Einstiegspunkt der 1790 im Rahmen der Kritik der Urteilskraft formulierten, symboltheoretisch wohl bedeutendsten Reflexionen Kants, die dann auch auf das obige berühmte Diktum vom ‚Schönen als Symbol des Sittlichguten‘ führen. Hier bricht die Frage des Symbols an einem ästhetischen Problem, nämlich dem der ästhetischen Versinnlichung der moralischen Idee des Guten, auf. Genauer ist es der dortige § 59, der das zuvor entwickelte schematische unvermittelt um ein symbolisches Darstellungsverfahren ergänzt, wobei Kant mit dem Begriff der Hypotypose Bezug auf die Tradition der Rhetorik²⁷ nimmt: Alle Hypotypose (Darstellung, subiectio sub adspectum), als Versinnlichung, ist zwiefach: entweder schematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßt, die korrespondierende Anschauung a priori gegeben wird; oder symbolisch, da einem Begriffe, den nur die Vernunft denken, und dem keine sinnliche Anschauung angemessen sein kann, eine solche untergelegt wird, mit welcher das Verfahren der Urteilskraft demjenigen, was sie im Schematisieren beobachtet, bloß analogisch, d. i. mit ihm bloß der Regel dieses Verfahrens, nicht der Anschauung selbst, mithin bloß der Form der Reflexion, nicht dem Inhalte nach, übereinkommt.²⁸
Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Hamburg: Meiner, 31990), 196 – 205, bes. 200 f. (A 137– 147, bes. 142|B 176 – 187, bes. 181); vgl. Kubik, Novalis, 61– 64. Vgl. Thomas Sören Hoffmann, „‚Darstellung des Begriffs‘. Zu einem Grundmotiv neueren Philosophierens im Ausgang von Kant“, in: Hubertus Busche/Anton Schmitt (Hg.), Kant als Bezugspunkt philosophischen Denkens. Festschrift für Peter Baumanns zum 75. Geburtstag (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2010), 101– 118, bes. 106 f. Kant, Urteilskraft, 295 (B 256); kursiv i. O.
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Bereits der Ausgangspunkt des ästhetischen Symbolbegriffs impliziert die These einer radikalen Inkommensurabilität der sinnlichen Vorstellungen einerseits und der in der Sinnlichkeit darzustellenden Vernunftideen andererseits. Die Unumgänglichkeit des symbolischen Darstellungsverfahrens für die Versinnlichung der moralischen Ideen gründet in der strukturell ausdifferenzierten Verfasstheit des menschlichen Geistes selbst: Zwar müssen Ideen als letzte Einheitsbegriffe sowohl im Fall der theoretischen wie der praktischen Vernunft notwendig gedacht werden, doch lassen sich ihnen weder einfach passende Vorstellungen in der Wahrnehmung zuweisen noch lassen sich adäquate generalisierte Bilder, Schemate für sie bilden, wie im Falle der Versinnlichung der reinen Verstandesbegriffe. So bleibt nach Kant im Fall der Vernunftideen nur der Notbehelf eines zum Schematisieren funktional äquivalenten Verfahrens. Resultat des Letzteren sind bekanntlich als Analogien verstandene Bilder. Entscheidend ist nun, dass die funktional äquivalent zur Anwendung gelangende Form der Verbildlichung nicht auf die ‚Anschauung selbst‘, den ‚Inhalt‘ derselben, sondern bloß auf die ‚Regel des Verfahrens‘, die ‚Form der Reflexion‘, zielt. Damit eröffnet sich eine sachliche Nähe zwischen der ästhetischen Problematik von § 59 der Kritik der Urteilskraft und der religionsphilosophischen Problematik von § 57 der Prolegomena. Der Verweis ist insofern einschlägig, als Kant den dem Symbolbegriff zugrunde liegenden Analogiegedanken hier unmissverständlich charakterisiert. Mit der einschlägigen Formulierung eben aus § 57 der schon 1783 veröffentlichten Prolegomena handelt es sich um keine „unvollkommene Ähnlichkeit zweener Dinge“, sondern um eine „vollkommene Ähnlichkeit zweener Verhältnisses zwischen ganz unähnlichen Dingen“.²⁹ Im Zentrum der Symbolkonzeption steht mithin die Theoriefigur einer reinen Proportionsanalogie (analogia proportionalitatis). Anders als im Falle einer Attributionsanalogie (analogia attributionis) gibt es keinen gemeinsamen Oberbegriff, unter den sich die analog gesetzten Merkmale des symbolischen Ausdrucks subsumieren ließen (par rationis).³⁰ Vielmehr wird das Verhältnis zweier endlicher Größen dazu verwendet, es gemäß der Formel a:b wie Immanuel Kant, „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können“, in: ders., Schriften zur Metaphysik und Logik 1, Bd. 5, Werkausgabe (Frankfurt/ Main: Suhrkamp, 1977), 109 – 264, 233 (A 176); kursiv L. H. Insofern der Analogiegedanke die systematische Struktur des Symbolgedankens bezeichnet, ist dieser in den 1783 erschienenen Prolegomena der Sache nach präsent, auch wenn Kant den fraglichen Brückenschlag von Analogie und Symbol ausdrücklich erst ab Mitte der 1780er Jahre mit den Anthropologie-Vorlesungen und eben der Kritik der Urteilskraft vollziehen wird. Vgl. zu den unterschiedlichen Fassungen des Analogiegedankens Jüngel, Geheimnis, 357– 383, zur Darstellung und Kritik Kants bes. ebd., 358– 363.379 – 381. Inwiefern Jüngels konstruktive Ausführungen ihrerseits dem mit Kant angezeigten erkenntniskritischen Problembewusstsein hinsichtlich des Gottesgedankens gerecht werden, mag dahingestellt sein.
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c:x auf das Verhältnis einer dritten Größe c zur an sich selbst schlechthin unerkennbaren Vernunftidee x zu übertragen. An die Stelle der früheren These einer ‚Aehnlichkeit mit der Sache selbst‘ ist somit eine gestufte Reflexionsanweisung getreten, der zufolge der menschliche Geist im Zuge eines Symbolisierungsvorgangs unweigerlich ein „doppeltes Geschäft“ zu verrichten hat: „erstlich den Begriff auf den Gegenstand einer sinnlichen Anschauung, und dann zweitens die bloße Regel der Reflexion über jene Anschauung auf einen ganz andern Gegenstand, von dem der erstere nur das Symbol ist, anzuwenden“.³¹ Folglich handelt es sich bei Symbolen um prinzipiell „indirekte Darstellungen“, da sie eben niemals die Sache selbst, sondern allein eine ‚Regel der Reflexion‘ über dieselbe zum Ausdruck bringen. ³² Sinnliche Vorstellungen, die als Symbole fungieren, illustrieren also nicht im Modus einer unmittelbaren Referenz, was sie symbolisieren. Vielmehr fungieren sie als Aufhänger für Reflexionsbewegungen. Der betreffende Prozess ist dabei ob der Inkommensurabilität der zu versinnlichenden Idee im Prinzip unabschließbar – genau hierauf stimmt jenes Wort Schlegels vom ‚ewigen Symbolisieren‘. Der in der dritten Kritik skizzierte Symbolgedanke ist vorderhand rein ästhetischer Natur. Als solcher hat er die künstlerisch-ästhetische Blüte des Symbolbegriffs im Kontext der Frühromantiker maßgeblich mitbefördert. Nichtsdestoweniger wird man kaum zu weit gehen, Kant bei der Ausbildung seines Symbolkonzepts eine allerdings nur bedingt ausdrückliche religionstheoretische Motivation zu attestieren. Diese nicht eben selbstverständliche These – die Zahl der Studien, die die religionstheoretische Valenz seiner Symbolkonzeption würdigen, hält sich in überschaubaren Grenzen³³ – lässt sich schon mit § 59 der Kritik der Urteilskraft erhärten. Dort kommt Kant im Anschluss an die skizzierten Ausführungen noch einmal auf den zugrunde liegenden Analogiebegriff zurück, im Sinne des zuvor Entfalteten als „Übertragung der Reflexion über einen Gegenstand der Anschauung auf einen ganz anderen Begriff, dem vielleicht nie eine Anschauung
Kant, Urteilskraft, 296 (B 256); kursiv L. H. Als Illustration folgt das berühmte ‚Handmühlen‘Beispiel, für das eben gilt: „[Z]wischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren.“ (ebd.). Ebd. Claus Dierksmeier, Das Noumenon Religion. Eine Untersuchung zur Stellung der Religion im System der praktischen Philosophie Kants (Berlin New York:Walter de Gruyter, 1998), 85 – 96; Kubik, Novalis, 71– 80; Sebastian Maly, Kant über die symbolische Erkenntnis Gottes (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2012).
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direkt korrespondieren kann“.³⁴ Man wird das ‚vielleicht‘ im letzten Halbsatz als vornehme Untertreibung interpretieren dürfen, stellt doch – wie gesehen – die These der schlechthinnigen Inkommensurabilität der Vernunftbegriffe respektive Ideen für die sinnliche Anschauung ja gerade das systematische Initial der gesamten Symbol- und Analogiekonzeption dar. Tatsächlich spielt der Folgesatz ebendiesen erkenntniskritischen Ausgangspunkt ein und präzisiert ihn in religionsphilosophischer Weise: „Wenn man eine bloße Vorstellungsart schon Erkenntnis nennen darf (welches, wenn sie ein Prinzip nicht der theoretischen Bestimmung des Gegenstandes ist […], sondern der praktischen […], wohl erlaubt ist): so ist alle unsere Erkenntnis von Gott nur symbolisch.“³⁵ Gemäß den kritischen Restriktionen der Kritik der reinen Vernunft kann im Hinblick auf die kognitive Bezugnahme auf das Unbedingte bzw. den Gottesgedanken lediglich im uneigentlichen Sinne von einer Erkenntnis die Rede sein – bei Lichte betrachtet lässt dieser sich allein denken, um ihm dann in analogischer Weise sinnliche Vorstellungen unterzuschieben. Der im Gedankengang von KdU § 59 selbst unvorbereitete Rückgriff auf den Gottesgedanken zur Illustration des allgemeineren Sachverhaltes der analogischen Vorstellung ist so keinesfalls dem Zufall geschuldet, gehört er doch jenen drei Ideen – Gott, Welt, Seele – zu, an deren Versinnlichung sich das Symbolproblem allererst entzündete. Diesbezüglich weiterführend sind – wie bereits angedeutet – Kants Ausführungen im Rahmen der Prolegomena, und dort nochmals im § 57. Die Ideen werden hier als Grenzbegriffe bestimmt, die die Vernunft zwar notwendig bilden muss, deren Extension aber nicht ausweisbar ist. Im Gegensatz zum Gedanken der „Schranke“ ist der der „Grenze“ jedoch nicht rein negativer Natur, liegt in ihm doch „eine wirkliche Verknüpfung des Bekannten mit einem völlig Unbekannten (was es auch jederzeit bleiben wird)“.³⁶ Möglich ist die betreffende Verknüpfung freilich „nur gerade auf der Grenze alles erlaubten Vernunftgebrauchs“³⁷ – wobei als Exempel eines solchen Grenzganges eben wiederum der Anthropomorphismus, und zwar näherhin der „symbolische[ ] Anthropomorphism“, fungiert. Für ihn ist charakteristisch, dass alle vermeintlich der Gottesidee selbst beigelegten Eigenschaften in Wahrheit allein „dem Verhältnisse de[r]selben zur Welt“ gelten.³⁸
Kant, Urteilskraft, 296 (B 257). Ebd. Kant, „Prolegomena“, 229 (A 170). Die Klammerbemerkung unterstreicht noch einmal die schlechthinnige Uneinholbarkeit der betreffenden Ideen für die Erkenntnis. Ebd., 232 (A 175). Ebd., 233 (A 175). Als schlechtes Gegenstück zum ‚symbolischen‘ Anthropomorphismus fungiert hier der „dogmatische[ ]“, der dem höchsten Wesen ungeachtet jener Grenze Eigenschaften an sich selbst beilegt.
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Bezeichnend ist, dass auch die folgenden Beispiele, anders als das ‚Handmühlen‘Beispiel der Kritik der Urteilskraft, dem Bereich der Religion entnommen sind. Das recht verstandene religiöse Symbolisieren, der ‚symbolische Anthropomorphismus‘, der gleichermaßen jene erkenntniskritische Inkommensurabilität achtet, wie er die dadurch nötige eigene Übertragungstätigkeit als eine solche durchschaut, darf mithin geradezu als Muster gelingender Analogiebildungen im Sinne der Analogia proportionalitatis interpretiert werden. Ob des Wissens um jene Inkommensurabilität eignet dem Symbolisieren, und also hier dem religiösen Symbolisieren, zugleich eine Erhabenheitsdimension. Im religiösen Symbol treffen sich so gleichsam die erkenntniskritisch-restriktive Generalthese der schlechthinnigen Nichterkennbarkeit der Ideen, die These der gleichzeitigen vernunfttheoretischen Notwendigkeit ihrer Bildung sowie die der ästhetischen Einfärbung der religiösen Bilder im Sinne des Erhabenheitsgedankens. Die paradigmatisch enge Fassung von Kants Symbolbegriff ergibt sich aus dessen theoretischem Ort an der Schnittstelle von kritischer Erkenntnistheorie, kritischer Ästhetik und kritischer Religionsphilosophie. Deswegen ist es durchaus sachgemäß, in Kant den „eigentliche[n] Schöpfer einer religionstheoretischen Symboltheorie“ zu erblicken.³⁹ Vor allem die im Analogiegedanken verschlüsselte systematische Problematik bleibt mit Kant jeder nachfolgenden Symbolkonzeption aufgegeben – jenseits der Frage, ob sie sich des Analogiebegriffs eigens bedient oder nicht. So reizvoll es nun wäre, den von Kants ästhetischer und religionstheoretischer Präzisierung des Symbolgedankens unmittelbar wie mittelbar ausgehenden Wirkungslinien im Kontext des anhebenden 19. Jahrhunderts – und also, um nur einige zu nennen, eben bei den Brüdern Schlegel, bei Herder, Novalis und Goethe, aber auch bei Johann Gottlieb Fichte, bei Schelling und Hegel, bis hin zu Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher – weiter nachzugehen, so wenig kann dies Gegenstand einleitender Überlegungen sein.⁴⁰ Kant soll hier vielmehr als ein Beispiel für
Kubik, Novalis, 77. Für die ‚deutsche Romantik‘ insgesamt vgl. Todorov, Symboltheorien, 143 ff.; für Novalis vgl. Kubik, Novalis, bes. 185 ff.293 ff.377 ff.; für Schelling vgl. Tomberg, Studien, 69 – 88; Rolf, Symboltheorien, 105 – 108; für Hegel vgl. Jeong-Im Kwon, „Die Metamorphosen der ‚symbolischen Kunstform‘. Zur Rehabilitierung der ästhetischen Argumente Hegels“, in: Annemarie GethmannSiefert (Hg.), Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst (Bonn: Bouvier, 1992), 41– 89; Rolf, Symboltheorien, 109 – 116; für Schleiermacher vgl. Martina Kumlehn, Symbolisierendes Handeln. Schleiermachers Theorie religiöser Kommunikation und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Religionspädagogik (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1999); Philipp Stoellger, „Der Symbolbegriff Schleiermachers“, in: Andreas Arndt/Ulrich Barth/Wilhelm Gräb
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die Stärken einer engen – in dem Fall ästhetischen und religionstheoretischen – Fassung des Symbolgedankens stehen: Zwar verkleinert sich der Bereich dessen, was unter dem Titel des ‚Symbols‘ verhandelt werden kann, unweigerlich entsprechend. Der Blick wird gewissermaßen enger. Für den betreffenden Teilbereich erweist sich eine enge Fassung allerdings als umso ergiebiger, da dem Symbolbegriff eine hohe Präzision, eine eben diesem Bereich gemäße spezifische Adäquatheit eignet. Von theologischer Warte ist insbesondere die religionstheoretische Erschließungskraft kaum hoch genug zu schätzen – wir werden darauf insofern zurückkommen, als Paul Tillich seine Symboltheorie bekanntlich näherhin als eine Theorie des religiösen Symbols entwerfen sollte. Zuvor wollen wir uns jedoch die Stärke wie die Grenzen einer demgegenüber weiten Fassung des Symbolbegriffs an einem prominenten Beispiel aus dem 20. Jahrhundert vergegenwärtigen: Ernst Cassirer (1874– 1945) hält über den ‚Marburger Neukantianismus‘ die mittelbare geistesgeschichtliche Verbindung zum Werke Kants. Zudem – und: vor allem – kann er als Zeitgenosse Tillichs als einer der profiliertesten und fachübergreifend wirkmächtigsten Vertreter eines weiten, semiotisch ausweisbaren Symbolbegriffs gelten. Cassirer wie Tillich stehen so für elaborierte Symbolverständnisse, anhand derer sich zugleich noch einmal die systematische Grundalternative von engem und weitem Symbolbegriff paradigmatisch bedenken lässt.
b) Kulturphilosophische Weite des Symbolgedankens bei Ernst Cassirer Denkt man an Ernst Cassirers Symbolbegriff, so hat man selbstredend zuerst den mit der dreibändigen Philosophie der symbolischen Formen (1923 – 29) etablierten Begriff der „symbolischen Form“ vor Augen. Tatsächlich ist der Symbolgedanke in seiner paradigmatischen kulturphilosophischen Weite zumal in jenem Opus magnum entwickelt. Zugleich weisen Eigenheiten der später entfalteten Konzeption zurück in das ersichtlich naturwissenschaftlich-mathematisch geprägte Frühwerk. Nachfolgend soll zunächst Ersteres in den Blick genommen werden, um dann von hier aus den Bogen zur ausgereiften Symboltheorie der 1920er Jahre zu schlagen. Dieserart können wir sowohl deren offenkundigem Spezifikum – nämlich eben der paradigmatischen Weite des dortigen Symbolgedankens – wie auch einer mehr impliziten theoretischen Grundentscheidung ansichtig werden, die noch jenem weiten Symbolbegriff eine eigentümliche Vorprägung gibt.
(Hg.), Christentum – Staat – Kultur. Akten des Kongresses der Internationalen SchleiermacherGesellschaft in Berlin, März 2006 (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2008), 109 – 145.
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Obgleich die jüngere Forschung sukzessive die Eigenständigkeit seines Denkens herausgearbeitet hat, bleibt Cassirers Prägung durch den ‚Marburger Neukantianismus‘ – und hier insbesondere durch dessen Schulhaupt Hermann Cohen – unverkennbar.⁴¹ Ein exponiertes Interessengebiet der ‚Marburger‘ bezeichnete die Frage des Wissenschaftscharakters der Geistes- bzw. Kulturwissenschaften, den es in Anbetracht des umfassenden „Funktions- und Strukturwandels von Wissenschaft“ (Herbert Schnädelbach) in dem auf Hegels Tod folgenden Jahrhundert⁴² neu zu durchdenken und auf eine tragfähige theoretische Grundlage zu stellen galt. Dabei waren es, in Aufnahme und Umbildung von Einsichten zumal der Kant’schen Kritik der reinen Vernunft, insbesondere die Naturwissenschaften und die Mathematik, die als Paradigmen der wissenschaftstheoretischen Besinnung fungierten.⁴³ Beide Aspekte des „wissenschaftstheoretischen Idealismus“ (Hans Zu Person und Werk Hermann Cohens vgl. Helmut Holzhey, „Die Marburger Schule“, in: ders./ Wolfgang Röd (Hg.), Die Philosophie des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Bd. 2: Neukantianismus, Idealismus, Realismus, Phänomenologie (München: Beck, 2004), 42– 64; Ulrich Sieg, Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus. Die Geschichte einer philosophischen Schulgemeinschaft (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1994), bes. 125 ff. Zur ‚Marburger Schule‘ insgesamt vgl. Hans-Ludwig Ollig, Der Neukantianismus (Stuttgart: Metzler, 1979), 29 – 53; Helmut Holzhey, Cohen und Natorp, Bd. 1: Ursprung und Einheit. Die Geschichte der ‚Marburger Schule‘ als Auseinandersetzung um die Logik des Denkens (Basel Stuttgart: Schwabe, 1986); Holzhey/Röd (Hg.), Philosophie, 42– 88. Vgl. Herbert Schnädelbach, Philosophie in Deutschland 1831 – 1933 (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1983), bes. 88 – 117. Schnädelbach fasst die betreffende Entwicklung wesentlich mit den Stichworten der „interne[n] Diversifikation der Wissenschaften“, einer übergreifenden „Empirisierung“ und schließlich einem Verständnis von Wissenschaft als „Forschungswissenschaft, d. h. als Erfahrungswissenschaft“ (ebd., 96.108 ff.118). Die Richtung gab Hermann Cohen vor, beginnend mit der 1885 erschienenen Zweitauflage von Kants Theorie der Erfahrung. Als wissenschaftstheoretisches Paradigma fungiert die Mathematik, die Existenz der Naturwissenschaften wird als Faktum vorausgesetzt. Aufgabe der Philosophie ist nun die Klärung der Geltungsbedingungen der gesetzten Wissenschaften im Sinne einer – so der Titel des Hauptwerkes – Logik der reinen Erkenntnis; vgl. Hermann Cohen, System der Philosophie, Bd. 1: Logik der reinen Erkenntnis (Berlin: Cassirer, 1902); vgl. hierzu bes. Wolfgang Marx, Transzendentale Logik als Wissenschaftstheorie. Systematisch-kritische Untersuchungen zur philosophischen Grundlegungsproblematik in Cohens ‚Logik der reinen Erkenntnis‘ (Frankfurt/Main: Klostermann, 1977). Die Philosophie erbringt ihre fundamentale Leistung, indem sie die wissenschaftlichen ‚Gegenstände‘ auf die Gesetze ihrer Erzeugung aus dem Ursprung des reinen Denkens hin kritisch durchmustert. Dieserart rücken bei Cohen die Wissenschaften, und zwar eben näherhin die Naturwissenschaften, selbst an die systematische Position der Kant’schen ‚Anschauung‘ bzw. des in der sinnlichen Anschauung ‚Gegebenen‘: Der Erfahrungsbezug der Philosophie läuft ausschließlich in Vermittlung über die Wissenschaften. Mit Cohens paradigmatischem Beispiel: Nicht am Himmel sind uns die Sterne gegeben, sondern nur in der Wissenschaft der Astronomie. Der Fokussierung auf die Erkenntniskritik entspricht freilich auf der Rückseite ein gänzliches Abblenden des ebenfalls genuin kantischen konstruktiven Anliegens, auf
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Ludwig Ollig) des Neukantianismus Marburger Spielart werden noch bis in die Philosophie der symbolischen Formen hinein fortwirken – und so auch die dortige Fassung des Symbolgedankens nicht unmaßgeblich mitbestimmen. Ersichtlicher ist die unmittelbare Prägung in Cassirers frühen Schriften, der vorerst zweibändigen Geschichte des Erkenntnisproblems (1906/07) und der Studie Substanzbegriff und Funktionsbegriff (1910).⁴⁴ Von Cohen ist die prinzipielle Orientierung am mathematisch-naturwissenschaftlichen Paradigma, die Fokussierung auf den erkenntniskritischen Aspekt des Kant’schen Denkens sowie die systematische Vorordnung der das Gegebene allererst konstituierenden ‚Denkfunktion‘ übernommen. In dem damit abgesteckten Feld – programmatisch formuliert mit dem Schlusssatz des zweiten Bandes des Erkenntnisproblems: „Die Auflösung des ‚Gegebenen‘ in die reinen Funktionen der Erkenntnis bildet das endgültige Ziel und den Ertrag der kritischen Lehre.“⁴⁵ – wird Cassirer in der Folge sukzessive die eigenen Überlegungen entwickeln. Die letztere Studie von 1910, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, bewegt sich entsprechend in genau diesem Feld. Cassirer wählt hier die ‚Begriffsfunktion selbst‘ zum Thema und zeichnet am Beispiel der Mathematik und der Naturwissenschaften die Verschiebung im zugrunde liegenden Begriffsverständnis nach, weg von einer substanziellen Auffassung im Sinne von Dingbegriffen, hin zur funktionalen Bestimmung im Sinne von Relationsbegriffen. Dabei – und das ist für unseren Zusammenhang entscheidend – scheint Cassirer nun auch der Symbolbegriff geeignet, die eigenen Überlegungen zu präzisieren. So bezeichnet er zunächst ein Gegenüber zum „rohe[n] Faktum“, kritischer Grundlage eine entsprechende Metaphysik zu begründen. Der Neukantianismus Marburger Prägung repräsentiert so gewissermaßen allein ‚den halben Kant‘. Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, 2 Bde. (Berlin: Cassirer, 1906/07); ders., Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik (Berlin: Cassirer, 1910). Die Literatur zu Ernst Cassirer ist ob der unwahrscheinlichen Renaissance in den vergangenen drei Jahrzehnten alleine im deutschsprachigen Raum schlicht unüberschaubar, verwiesen sei diesbezüglich auf die kommentierte Bibliographie bei Birgit Recki, Cassirer (Stuttgart: Reclam, 2013), 103 – 112. Wir nennen im Folgenden nur ausgewählte, jeweils thematisch gebundene Titel etwa zur Kulturphilosophie oder zur Religionstheorie. Ernst Cassirer, Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. 2, Bd. 3, Gesammelte Werke (Hamburg: Meiner, 1999), 638. Zum Verhältnis Cassirer-Cohen vgl. Dietrich Korsch, „Religion und Kultur bei Hermann Cohen und Ernst Cassirer“, in: ders./Enno Rudolph (Hg.), Die Prägnanz der Religion in der Kultur. Ernst Cassirer und die Theologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 162– 178; Hermann Deuser/Michael Moxter (Hg.), Rationalität der Religion und Kritik der Kultur. Hermann Cohen und Ernst Cassirer (Würzburg: Echter, 2002); Thomas Meyer, Kulturphilosophie in gefährlicher Zeit. Zum Werk Ernst Cassirers (Hamburg Münster: Lit, 2007), 19 – 58.
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welches in der Dimension der „konkreten sinnlichen Empfindungen und Wahrnehmungen“, und also noch diesseits der gewussten Inhalte, seinen Ort hat.⁴⁶ Demgegenüber bilden die mathematischen und naturwissenschaftlichen Symbole, die Cassirer im Rahmen der Aufgabenstellung jener Studie allein im Blick hat, einen eigenen Zusammenhang. Dieser Konnex hält zwar einen Bezug zu den Phänomenen der Wahrnehmung, die er ‚verwandelt‘ beziehungsweise ‚überträgt‘.⁴⁷ Er baut sich aber vor allem nach eigenen, eben nicht mehr der Wahrnehmung zu entnehmenden Gesetzen auf: „Die physikalische Zerlegung des Gegenstandes in die Gesamtheit seiner numerischen Konstanten ist somit keineswegs gleichbedeutend mit der Zerfällung eines sinnlichen Dinges in die Schar seiner sinnlichen Merkmale: sondern es sind neue und eigenartige Kategorien der Beurteilung, die hinzugebracht werden müssen, um diese Gliederung zu vollziehen.“⁴⁸ Neben die Sphäre der Sinnlichkeit bzw. der Wahrnehmung tritt so eine zweite Sphäre der mathematischen und naturwissenschaftlichen Symbole: „Aus einer Summe von Eigenschaften wird das ‚Ding‘ jetzt zu einem mathematischen Inbegriff von Werten […] Man begreift erst in diesem logischen Zusammenhang den ‚objektiven‘ Wert, der der Umbildung des Eindrucks in das mathematische ‚Symbol‘ zukommt.“⁴⁹ Die entscheidende Korrelation besteht dabei nicht zwischen Einzelmomenten des wahrgenommenen ‚Dinges‘ einerseits und dem einzelnen Symbol andererseits, sondern zwischen den beide übergreifenden Zusammenhängen, die zueinander ins Verhältnis gesetzt werden: „In der symbolischen Bezeichnung ist freilich die besondere Beschaffenheit des sinnlichen Eindrucks abgestreift; aber es Cassirer, Substanzbegriff, 195 bzw. ebd., 245. Vgl. jeweils ebd. Ebd., 197. Ebd.; zum Aspekt der Eigenständigkeit der Symbolsphäre im Gegenüber zur ‚Wirklichkeit‘ der Wahrnehmung vgl. etwa zudem ebd., 155: „Auch diejenige Form der Erkenntnis, der die Aufgabe zufällt, das Wirkliche zu beschreiben und bis in seine feinsten Fasern bloßzulegen, beginnt mit einer Abkehr von eben dieser Wirklichkeit und ihrem Ersatz durch die Symbole des Zahl- und Größengebiets.“; ebd., 195: „Erst wenn das rohe Faktum durch ein mathematisches Symbol dargestellt und ersetzt ist, beginnt die intellektuelle Arbeit des Begreifens […] [S]o bleibt nichtsdestoweniger eine Paradoxie zurück. Wozu dient alle Begriffsarbeit der Physik, wenn wir zuletzt erkennen müssen, daß alle Komplikation der Untersuchungsmethoden uns von dem konkreten Faktum der Anschauung in seiner sinnlichen Lebendigkeit nur mehr und mehr entfernt? Verlohnt dieser ganze Aufwand wissenschaftlicher Mittel, wenn das endgültige Ziel kein anderes ist und sein kann, als Tatsachen in Symbole zu verwandeln?“ Der Fokus liegt insgesamt weniger auf dem näheren ‚Wie‘ jener ‚Verwandlung‘ bzw. ‚Übertragung‘ – obige Formulierung, der zufolge das ‚rohe Faktum durch ein mathematisches Symbol dargestellt und ersetzt‘ wird, ist diesbezüglich noch die präziseste – als vielmehr auf dem ‚Dass‘ der internen Eigengesetzlichkeit der Symbolsphäre.
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ist alles dasjenige festgehalten und für sich herausgehoben, was ihn als Systemglied kennzeichnet. Das Symbol besitzt sein vollgültiges Korrelat nicht in irgendwelchen Bestandteilen der Wahrnehmung selbst, wohl aber in dem gesetzlichen Zusammenhang, der zwischen ihren einzelnen Gliedern besteht.“⁵⁰ In der Sphäre des Symbolischen baut sich dieserart ein Gesamtzusammenhang auf, dessen interne Relationen als Ganze der Komplexität der sinnlichen Wahrnehmung äquivalent sind, ohne dass an eine schlichte Abbildung zu denken wäre. Somit ist deutlich, dass Cassirer das Symbol nicht im Sinne eines Abbildes der ‚Wirklichkeit‘ aufgefasst wissen will.Vielmehr ist seine Konstitution von Grund auf konzeptioneller Natur⁵¹ – ein Aspekt, der auch für das spätere Symbolverständnis der Philosophie der symbolischen Formen schlechterdings grundlegend sein wird. Ihren näheren ‚Ort‘ haben die betreffenden Symbole in der „Zeichensprache unseres inneren gedanklichen Bildes“,⁵² und also in der Dimension des Mentalen. Das letztere Zitat gibt zugleich eine weitere Eigenheit des Cassirer’schen Symbolgedankens zu erkennen: Cassirer differenziert nicht zwischen Symbol- und Zeichenbegriff, sondern versteht beide als synonym – hier wird die Philosophie der symbolischen Formen wiederum anknüpfen können. Und schließlich lässt sich dem Umkreis des Zitates eine zentrale Referenz für Cassirers Symbolverständnis entnehmen. Wie später in den einschlägigen Texten der reifen Konzeption gilt ihm nämlich ausdrücklich Heinrich Hertz’ Buch Die Prinzipien der Mechanik von 1894 als erster Gewährsmann.⁵³ Damit ist nochmals der ersichtlich mathematischnaturwissenschaftliche Hintergrund von Cassirers frühesten symboltheoretischen Überlegungen unterstrichen. Die wesentliche und für Cassirer signifikante Um- und Weiterbildung der von Cohen und Natorp ererbten neukantianischen Grundanlage sollte dann bekanntlich in den 1920er Jahren mit dem Opus magnum der Philosophie der symbolischen Formen erfolgen.⁵⁴ Schon die ersten Sätze des Vorwortes schlagen explizit die Brücke zur früheren Studie, wie sie andersherum den entscheidenden Kerngedanken des nunmehr anvisierten Programms anzeigen: „Bei dem Bemühen, das Ergebnis dieser Untersuchungen [Substanzbegriff und Funktionsbegriff; L. H.], die sich im wesentlichen auf die Struktur des mathematischen und naturwissenschaftlichen Denkens bezogen, für die Behandlung geisteswissenschaftlicher Probleme fruchtbar zu machen, stellte sich mir immer deutlicher
Ebd., 197 f. Vgl. ebd., 224. Ebd., 245. Vgl. ebd., 244 ff. Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde. (Berlin: Cassirer, 1923 – 1929).
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heraus, daß die allgemeine Erkenntnistheorie in ihrer herkömmlichen Auffassung und Begrenzung für die methodische Grundlegung der Geisteswissenschaften nicht ausreicht.“⁵⁵ Die Philosophie der symbolischen Formen nimmt so noch einmal ihren Ausgang von einschlägigen Aufgabenstellungen der klassischen Erkenntnistheorie, erweitert deren Einsichten jedoch zum Behuf einer Grundlegung der Geisteswissenschaften überhaupt. In der Cassirer eigenen Anschaulichkeit und Leichtigkeit der Diktion zeichnet die ausführliche ‚Einleitung und Problemstellung‘ des ersten Bandes dementsprechend einen erkenntnistheoretischen Bogen von den Vorsokratikern über Platon bis hin zum Idealismus und den Hertz’schen Prinzipien der Mechanik. Die Stoßrichtung der betreffenden Entwicklung bündelt sich in der These, dass die „Grundbegriffe jeder Wissenschaft […] nicht mehr als passive Abbilder eines gegebenen Seins, sondern als selbstgeschaffene intellektuelle Symbole“ zu deuten sind.⁵⁶ An die Stelle der Annahme eines plan ‚Gegebenen‘ tritt so die Einsicht in die Spontaneität der die Position des ‚Seins‘ allererst formierenden Erkenntnisfunktionen. Der Symbolbegriff wird dabei in terminologischer Anlehnung an Hertz vorerst nur verwendet, nicht aber näher erläutert. Der entscheidende Überschritt hin zum eigenen Programm einer übergreifenden Philosophie symbolischer Formen verdankt sich nun der These, dass sich die Erkenntnisfunktion bei näherem Zusehen ihrerseits als „nur eine einzelne Art der Formgebung“ neben anderen erweise.⁵⁷ Von den damit behaupteten gleichrangigen Formgebungsarten – Cassirer nennt in diesem Zusammenhang Kunst, Mythos und Religion – soll gelten: Jede echte geistige Grundfunktion hat mit der Erkenntnis den einen entscheidenden Zug gemeinsam, daß ihr eine ursprünglich-bildende, nicht bloß nachbildende Kraft innewohnt. Sie drückt nicht bloß passiv ein Vorhandenes aus, sondern sie schließt eine selbstständige Energie des Geistes in sich, durch die das schlichte Dasein der Erscheinung eine bestimmte ‚Bedeutung‘, einen eigentümlichen ideellen Gehalt empfängt.⁵⁸
Stellen wir die Stichworte des ‚Ursprünglich-Bildenden‘ bzw. der ‚Energien des Geistes‘ zurück, dann sollen der Grundintention nach die unterschiedlichen ‚symbolischen Formen‘ – neben den Genannten wird Cassirer im Rahmen der Philosophie der symbolischen Formen die der Sprache und der (Natur)Wissen-
Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 1: Die Sprache (Darmstadt: WBG, 1997), V. Ebd., 5; kursiv L. H. Ebd., 8. Ebd., 9; kursiv L. H.
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schaften mit eigenen Bänden bedenken⁵⁹ – eben als gleichursprüngliche geistige Formierungsprinzipien in den Blick kommen. Dem Erkennen kommt mindestens dem Anspruch nach keine paradigmatische oder gar fundierende Funktion zu.⁶⁰ Somit ist jene grundstürzende Erweiterung der vom Marburger Neukantianismus ererbten Anlage vorbereitet, die Cassirer zugleich ausdrücklich als konsequente Fortschreibung der Kant’schen Erkenntniskritik selbst verstanden wissen will: „Die Kritik der Vernunft“ – so das berühmte Diktum – „wird damit zur Kritik der Kultur.“⁶¹ Mit den Begriffen des ‚Symbols‘, des ‚Geistes‘ bzw. der ‚geistigen Funktion‘ oder ‚Form‘ sowie dem der ‚Bedeutung‘ oder des ‚Sinns‘ sind die wesentlichen Leitbegriffe der anvisierten Philosophie der symbolischen Formen benannt. Gleichzeitig gehört es bekanntlich zur Eigenart des Cassirer’schen Denkens, dass er auf Begriffsdefinitionen im eigentlichen Sinne meinte weithin verzichten zu können – und zwar selbst noch für die das System tragenden Begriffe.⁶² An ihre Stelle treten ausgreifende Beschreibungen der einzelnen symbolischen Formen, näherhin der Sprache, des Mythos und des (mathematisch-naturwissenschaftlichen) Erken-
Der Kreis der von Cassirer als solche gedachten symbolischen Formen lässt sich kaum klar begrenzen. Im Rahmen der Philosophie der symbolischen Formen sind eben Sprache – Cassirer, Philosophie 1–, Mythos, Religion und Kunst – Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 2: Das mythische Denken (Darmstadt: WBG, 91997) – sowie der Erkenntnis(theorie) – Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, Bd. 3: Phänomenologie der Erkenntnis (Darmstadt: WBG, 101997) – eigene Bände gewidmet. Darüber hinaus kann Oswald Schwemmer etwa die symbolischen Formen der Technik, der Sittlichkeit und des Rechts nennen, John Michael Krois beispielsweise auch Historie und Wirtschaft als solche ausmachen; vgl. Oswald Schwemmer, Ernst Cassirer. Ein Philosoph der europäischen Moderne (Berlin: Akademie Verlag, 1997), 61 u. ö.; John Michael Krois, „Problematik, Eigenart und Aktualität der Cassirerschen Philosophie der symbolischen Formen“, in: Hans-Jürg Braun/Helmut Holzhey/Ernst Wolfgang Orth (Hg.), Über Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1988), 15 – 44, 19; vgl. zudem Michael Moxter, „Recht als symbolische Form?“, in: Birgit Recki (Hg.), Philosophie der Kultur – Kultur des Philosophierens. Ernst Cassirer im 20. und 21. Jahrhundert (Hamburg: Meiner, 2012), 623 – 645. Vgl. Cassirer, Philosophie 1, 9: „Und so schafft auch jede von ihnen [hier exemplarisch: Kunst, Mythos, Religion; L. H.] sich eigene symbolische Gestaltungen, die den intellektuellen Symbolen [der Erkenntnisfunktion; L. H.], wenn nicht gleichartig so doch ihrem geistigen Ursprung nach ebenbürtig sind. Keine dieser Gestaltungen geht schlechthin in der anderen auf oder läßt sich aus der anderen ableiten.“ Ebd., 11. Zum diesbezüglichen Überschritt Cassirers über Cohen vgl.Wolfgang Marx, „Cassirers Philosophie – ein Abschied von kantianisierender Letztbegründung?“, in: Braun/Holzhey/Orth (Hg.), Cassirers Philosophie, 75 – 88. Vgl. daher etwa Christian Möckel, „Geist, Leben und Symbol. Ein Klärungsversuch“, in: ders., Das Urphänomen des Lebens. Ernst Cassirers Lebensbegriff (Hamburg: Meiner, 2005), 242– 252.
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nens: Cassirer durchmustert die Bestände der gewissermaßen historisch abgelagerten, ‚kulturellen‘ Symbolformationen hinsichtlich des jeweils in den Blick genommenen Formprinzips und verknüpft hierfür genetische und systematische Aspekte aufs Engste. Die Durchführung unterstreicht so die Tragfähigkeit der zugrunde liegenden Begriffe, und dies eben in primär kulturtheoretischer bzw. kulturhermeneutischer Hinsicht. Der Symbolbegriff wird dabei zweisinnig. Er bezeichnet nicht nur die den Kulturgestalten gleichsam im Rücken liegende, formierende ‚symbolische Form‘, sondern darüber hinaus auch die Konstrukte des Formierungsprozesses, und also die materialen kulturellen Formationen selbst. Denn Cassirer kann nicht allein das „Grundprinzip des kritischen Denkens“, das des „‚Primats‘ der Funktion vo[r] dem Gegenstand“, selbstverständlich für sich reklamieren, demzufolge der Symbolbegriff ebenjene symbolisierenden ‚Energien des Geistes‘ bezeichnet.⁶³ Daneben soll zugleich die Komplementärthese gelten: „Der Gehalt des Geistes erschließt sich nur in seiner Äußerung: die ideelle Form wird erkannt nur an und in dem Inbegriff der sinnlichen Zeichen, deren sie sich zu ihrem Ausdruck bedient.“⁶⁴ ‚Funktion‘ und ‚Gegenstand‘, bzw. genauer ‚ideelle Form‘ und ‚sinnlicher Ausdruck‘, erhellen sich dem Grundgedanken nach wechselseitig und lassen sich ausschließlich im wechselseitigen Aufeinander-Beziehen wirklich begreifen. Angesichts dieser Grundanlage ist freilich nicht recht zu erkennen, ob mit dem Begriff der ‚symbolischen Form‘ bezüglich der materialen symbolischen Sedimente primär eine Konstitutionsfunktion oder eine hermeneutische Erschließungsfunktion bezeichnet sein soll – beziehungsweise, falls beides, wie wiederum deren Verhältnis zueinander zu denken ist. Jedenfalls kommt dem Symbol bzw. ‚Zeichen‘ – Cassirer verwendet beide Begriffe wie gesehen synonym – offenkundig eine umfassende systematische Schlüsselfunktion zu: In der Rekonstruktion des ‚Gesamts‘ der Kultur, und zwar sowohl bezüglich deren interner Aufbauprinzipien wie der hermeneutischen Erschließung ihrer konkreten Gestalten, erweist sich dieserart die große Stärke des ausdrücklich „in seiner weitesten Bedeutung“ genommenen Symbolgedankens.⁶⁵ Dabei entsprechen Symbol- und Kulturbegriff sich nicht zuletzt in ihrer programmatischen Weite: Kultur, so lässt sich der Grundgedanke auf eine einfache Formel bringen, ist als symbolische Formung begriffen⁶⁶ bzw. wird als symboli-
Cassirer, Philosophie 1, 11. Ebd., 18 f.; kursiv L. H. Ernst Cassirer, „Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften“, in: ders., Wesen und Wirkung des Symbolbegriffs (Darmstadt: WBG, 81997), 169 – 200, 174. Vgl. etwa Ernst Wolfgang Orth, Von der Erkenntnistheorie zur Kulturphilosophie. Studien zu Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen (Würzburg: Königshausen & Neumann,
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sche Formung der philosophischen Rekonstruktion zugänglich.⁶⁷ Damit näherte Cassirer sich in gewisser Weise der anderen großen Schule des Neukantianismus an, hatte sich der Südwestdeutsche Neukantianismus im Gegensatz zum Marburger doch ausdrücklich als Philosophie der Kultur verstanden. Das Reüssieren der Philosophie der symbolischen Formen im vergangenen Vierteljahrhundert, ihre geradezu stürmische Wiederentdeckung im deutschsprachigen Raum seit den 1990er Jahren, wäre ohne Cassirers symboltheoretisch grundgelegten weiten „allgemeinen Kulturbegriff“⁶⁸ wohl kaum denkbar gewesen. So lässt sich Ernst Cassirers Philosophie im Ganzen primär als Kulturphilosophie interpretieren, weshalb er, wie etwa Georg Simmel, als einer der Klassiker des Faches zu gelten hat.⁶⁹
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2004), 24: „Symbolische Formen sind bei Cassirer nichts anderes als typische Manifestationen menschlichen Weltverständnisses, Kulturdimensionen.“ Der Philosophie als (Geistes)Wissenschaft soll ausdrücklich kein Ort „jenseits“ der Formen zukommen, wie Cassirer im Zuge seiner Kritik eines traditionell-metaphysischen Philosophieverständnisses festhält (Cassirer, Philosophie 1, 14). Vielmehr nimmt sie als eher analytisch-rekonstruktive diesen Ort „über“ (ebd.), bzw. vielleicht präziser – einem Interpretationsvorschlag Oswald Schemmers folgend – „zwischen“ den symbolischen Formen wie „innerhalb ihrer“: nämlich eben in der Rekonstruktion der jeweiligen Form mit Blick auf deren Gesamt; vgl. Schwemmer, Cassirer, 62– 68. Die oben vermerkte – von Cassirer selbst intendierte, jedenfalls nicht eigens problematisierte – Offenheit des Kreises der symbolischen Formen wächst sich hier freilich zu einem echten systematischen Problem aus: Soll die Philosophie gerade im Beziehen der einzelnen Formen auf ihr Gesamt beide Bezugsgrößen vollgültig rekonstruieren und nur darüber ihren eigenen Ort bestimmen können, bedürfte es klarerer Kriterien, um die Bezugsgrößen als solche allererst zu bestimmen. Ansonsten drohen die einzelnen symbolischen Formen selbst, ihr Gesamt wie die Philosophie gleichsam unbegriffen im Ungefähren zu schweben. Die betreffende Problemanzeige kann, wie auch die der nicht abschließend zu klärenden Frage, ob die symbolischen Formen tatsächlich als gleichursprüngliche und mithin gleichwertige oder aber als vom Mythos zur Kunst/Naturwissenschaft aufsteigend gestufte zu verstehen sind (s.u.), als Klassiker der Cassirer-Interpretation gelten; vgl. etwa die Beobachtungen bei Krois, „Problematik“, 18 – 21; Orth, Erkenntnistheorie, 95 – 99. Cassirer, Philosophie 1, 11. Nicht umsonst führt das jüngste Handbuch Kulturphilosophie in gleich drei Artikeln zu deren ‚Gründungsphase (1900 – 1945)‘ Cassirers Namen im Titel; vgl. Ralf Konersmann (Hg.), Handbuch Kulturphilosophie (Stuttgart Weimar: Metzler, 2012), 114 ff. Entsprechend ausufernd ist die Literatur zur kulturtheoretischen Dimension seiner Philosophie, vgl. nur John Michael Krois, Cassirer. Symbolic Forms and History (New Haven London:Yale University Press, 1987); Thomas Knoppe, Die theoretische Philosophie Ernst Cassirers. Zu den Grundlagen transzendentaler Wissenschafts- und Kulturtheorie (Hamburg: Meiner, 1992); Enno Rudolph/Bernd-Olaf Küppers (Hg.), Kulturkritik nach Ernst Cassirer (Hamburg: Meiner, 1995); Orth, Erkenntnistheorie; Oswald Schwemmer, Die kulturelle Existenz des Menschen (Berlin: Akademie Verlag, 1997); ders., Cassirer; Michael Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), bes. 102– 173; Enno Rudolph, Ernst Cassirer im Kontext. Kulturphilosophie zwischen Metaphysik und
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Ist Cassirers Symbolverständnis somit in ersten Umrissen aus der Grundanlage und den weitläufigen Beschreibungen der Philosophie der symbolischen Formen selbst, und weniger aus eigentlichen begrifflichen Definitionen erhoben, so ermöglichen zwei einschlägige Passagen doch eine nähere Bestimmung. Die eine entstammt dem schon 1921/22 im Kontext der Bibliothek Warburg entstandenen Aufsatz Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften, die andere dem dritten Band der Philosophie der symbolischen Formen, und also dem Jahr 1929. Dort, im früheren Aufsatz, kreist Cassirer das ihn leitende Symbolverständnis zunächst ein. So nennt er einmal die Auffassung des Symbolischen im Sinne des Metaphorischen, bei dem ein ‚eigentlicher‘ Wort- bzw. Sprachsinn entgegengestellt werde.⁷⁰ Sodann verweist er auf den geschichtlich ursprünglich religiösen Ort des Symbolischen, das sich erst über Goethe, Schelling und Hegel zum Ästhetischen hin geöffnet habe.⁷¹ Beidem gegenüber will Cassirer den Symbolbegriff jedoch ausdrücklich anders, nämlich eben „in seiner weitesten Bedeutung“ genommen wissen. Was damit gemeint ist, präzisiert Cassirer zum Abschluss der kurzen historischen Skizze mit der folgenden berühmten Definition: Unter einer ‚symbolischen Form‘ soll jede Energie des Geistes verstanden werden, durch welche ein geistiger Bedeutungsgehalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird […] [I]n ihnen allen [den symbolischen Formen, genannt sind erneut Sprache, Mythos/Religion und Kunst; L. H.] prägt sich das Grundphänomen aus, daß unser Bewußtsein sich nicht damit begnügt, den Eindruck des Äußeren zu empfangen, sondern daß es jeden Eindruck mit einer freien Tätigkeit des Ausdrucks verknüpft und durchdringt.⁷²
Historismus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003); Hans Jörg Sandkühler/Detlev Pätzold (Hg.), Kultur und Symbol. Ein Handbuch zur Philosophie Ernst Cassirers (Stuttgart Weimar: Metzler, 2003); Michael Bösch, Das Netz der Kultur. Der Systembegriff in der Kulturphilosophie Ernst Cassirers (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2004); Tobias Bevc, Kulturgenese als Dialektik von Mythos und Vernunft. Ernst Cassirer und die kritische Theorie (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005); John Michael Krois/Norbert Meuter (Hg.), Kulturelle Existenz und symbolische Form. Philosophische Essays zu Kultur und Medien (Berlin: Parerga, 2006), bes. die Beiträge des ersten, mit „Kultur“ überschriebenen Teils, vgl. ebd, 15 – 140; Recki (Hg.), Philosophie. Die Liste ließe sich leicht verlängern, wenngleich es so scheint, als schwäche sich die nachgerade stürmische Rezeption Cassirers als Kulturphilosoph nach der Hochphase zwischen 1990 und 2010 zuletzt etwas ab. Vgl. Cassirer, „Begriff“, 174. Vgl. ebd., 174 f. Ebd., 175.
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Erkennbar ist die erneute Rückbindung des Symbolbegriffs an den des Geistes, der näherhin verwendete Terminus der ‚Energien des Geistes‘ bleibt allerdings wiederum unscharf – der Energiebegriff mag die Aktivität bzw. Spontaneität des formenden Bewusstseins unterstreichen, der Plural der Energien auf das gleichberechtigte Nebeneinander der verschiedenen symbolischen Formen verweisen. Weiterhin besteht der eigentliche Symbolisierungsprozess aus der Verknüpfung und ‚Zueignung‘ von geistigem Bedeutungsgehalt und konkretem sinnlichem Zeichen. Der menschliche Geist stiftet mithin Beziehungen zwischen Sinnformen und konkret sinnlich gegebenen Phänomenen, worüber Letztere zu Bedeutungsträgern werden. Der Terminus des ‚Zueignens‘ spricht dafür, dass Cassirer für die betreffenden Verknüpfungen eine gewisse Stabilität annimmt, die Bedeutung von Zeichen und Symbolen also bei aller Spontaneität nicht einfach willkürlich veränderlich ist. Der gedankliche Fluchtpunkt der Gesamtpassage liegt jedenfalls einmal mehr beim Freiheitsaspekt der Formung, nicht beim Aspekt der konkreten Gestalt der Bedeutungsrelation.⁷³ Die zweite Passage ist nicht minder einschlägig. Sie findet sich im dritten Band der Philosophie der symbolischen Formen, und dort in den Gedanken zur „symbolischen Prägnanz“. Der Symbolbegriff selbst ist wiederum eher implizit, in der Korrelation von Erlebnis, Sinngehalt und der zwischen beiden etablierten Darstellungsrelation präsent, soll doch unter jener ‚symbolischen Prägnanz‘ die „Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis, als ‚sinnliches‘ Erlebnis, zugleich einen bestimmten nicht-anschaulichen ‚Sinn‘ in sich faßt und ihn zur unmittelbar konkreten Darstellung bringt“.⁷⁴ Wie schon die frühere Definition der ‚symbolischen Form‘ modifiziert auch diese Bestimmung bei näherem Zusehen die Überlegungen von Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Der Symbolbegriff umfasst gerade Sinnlich-Anschauliches und Geistig-Bedeutungshaftes in einem – eben symbolischen – Darstellungsverhältnis, und bleibt somit nicht wie noch 1910 der Sphäre des Mentalen im Gegenüber zu der der sinnlichen Wahrnehmung vorbehalten. Hier artikuliert sich nicht zuletzt die im Rahmen der Philosophie der Vgl. ebd., 175 f.: „Eine Welt selbstgeschaffener Zeichen und Bilder tritt dem, was wir die objektive Wirklichkeit der Dinge nennen, gegenüber und behauptet sich gegen sie in selbständiger Fülle und ursprünglicher Kraft.“ Die Passage im Ganzen belässt freilich einmal mehr vieles im Vagen. Unklar bleibt etwa, ob sich die die Sinn/Sinnlichkeit-Verknüpfung konstituierenden symbolischen Formen ihrerseits der spontanen Aktivität des Geistes verdanken, oder ob dieser jene gewissermaßen im Symbolisierungsprozess als gleichsam ‚gegebene‘ vorfindet. Weiterhin bleibt offen, wie sich das Verhältnis von formender Verknüpfung und Zueignung, für die der Symbolbegriff einstehen soll, einerseits und den gleichfalls als Symbolen begriffenen zeichenhaften Bedeutungsträgern andererseits gestaltet, und welche Konsequenzen die betreffende terminologische Doppelung für den Symbolgedanken insgesamt hat. Cassirer, Philosophie 3, 235.
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symbolischen Formen vielfach hervorgehobene Einsicht, dass bereits der sinnlichen Wahrnehmung, und nicht erst dem Geistigen, eine formierende Strukturierungskraft eignet. Zusammenfassend umspannt der Symbolgedanke in seiner ganzen von Cassirer anvisierten Weite nicht allein erstens das Gesamt der unterschiedlichen symbolischen Formen sowie zweitens die eigentliche Symbolisierungstätigkeit wie deren Produkte, die schließlichen Zeichenträger (bis hinauf zu den kulturellen, sich historisch ablagernden Komplexionen), sondern darüber hinaus drittens die nur scheinbar gegensätzlichen Momente des Sinnlichen und des Geistig-Bedeutungshaften. In dieser Weite avanciert der Symbolbegriff zum gedanklichen Schlüssel des Gesamtsystems. Mit dem Vorstehenden ist Cassirers primäre Fassung des Symbolgedankens umrissen, mit dem seine Philosophie der symbolischen Formen weithin Schule machen und eine enorme Wirkungsgeschichte entfalten sollte. Sie ist – wie gesehen – in mehrfacher Hinsicht so weit als möglich gehalten. Daneben kennt Cassirer allerdings eine zweite, engere Fassung des Symbolbegriffs. Obgleich im Werk vorderhand deutlich weniger präsent, ist sie ihrerseits geeignet, die primäre, weite Fassung weiter zu erhellen. Näherhin wirft sie ein Licht auf eine klassische Problemanzeige der Cassirer-Forschung, nämlich auf die Frage, ob die symbolischen Formen als gleichursprüngliche wie gleichwertige Formen des menschlichen Geistes tatsächlich einander nebenzuordnen sind, oder ob Cassirer nicht doch insofern eine Hierarchie innerhalb ihrer etabliert, als er eine Stufenfolge postuliert. Gerade in religionstheoretischer bzw. theologischer Perspektive ist diese Frage interessant, da die symbolische Form der Religion bekanntlich nur sehr am Rande im Schlusskapitel des zweiten Bandes der Philosophie der symbolischen Formen bedacht ist. Sie tritt also nicht allein etwa gegenüber den Formen der Sprache und der Erkenntnis, denen je ein eigener Band gewidmet ist, in den Hintergrund. Überdies erscheint sie auch als Durchgangsstation hin zu den symbolischen Formen der Kunst und der Erkenntnis.⁷⁵ Die zweite, enge Fassung Dieser Umstand lässt sich auch an der Forschungsliteratur ablesen: Obgleich sie zum Themenkreis Cassirer und Religion seit Mitte der 1990er Jahre sichtlich angewachsen ist, nimmt sie sich – vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich kaum mehr zu überblickenden Flut an Literatur zu seiner Philosophie der symbolischen Formen insgesamt – noch immer vergleichsweise überschaubar aus. Hervorzuheben sind sicherlich die frühen, mehr mit dem Mythos befassten Beiträge von Helmut Holzhey, „Cassirers Kritik des mythischen Bewußtseins“, in: Braun/Holzhey/Orth (Hg.), Cassirers Philosophie, 191– 205; Hans-Jürg Braun, „Mircea Eliades Interpretation des Mythos im Blickfeld der Philosophie der symbolischen Formen“, in: ebd., 206 – 219; Dominic Kaegi, „Ernst Cassirer. Über Mythos und symbolische Form“, in: Enno Rudolph (Hg.), Mythos zwischen Philosophie und Theologie (Darmstadt: WBG, 1994), 167– 199; sodann die Monographien bzw. Aufsatzbände von Thomas Heinrich Stark, Symbol, Bedeutung, Transzendenz. Der Religionsbegriff in
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des Symbolbegriffs macht es nun wahrscheinlich, dass es sich keineswegs um einen Zufall handelt, sondern dass sich vielmehr in der vergleichsweise schmalen Betrachtung der symbolischen Form der Religion systematische Grundentscheidungen widerspiegeln.⁷⁶ Schon im programmatischen Aufsatz Der Begriff der symbolischen Form im Aufbau der Geisteswissenschaften benennt Cassirer erstmals einen „dreifachen Stufengang“, der sich für jede symbolische Form aufweisen lasse.⁷⁷ Demgemäß wird für die Sprache, die „ästhetische[ ] Formwelt“, die Erkenntnis und schließlich die Einzelwissenschaften ein Prozess skizziert, der von der Stufe des „mimischen“ Ausdrucks über die des „analogischen“ bis hin zum eigentlich „symbolischen“ reicht.⁷⁸ Am Beispiel der Sprache resümiert Cassirer: „Jetzt erst hat sie statt des mimischen oder analogischen Ausdrucks die Stufe des symbolischen Ausdrucks erreicht, der, indem er sich von jeder Ähnlichkeit mit dem Gegenständlichen abscheidet, nun gerade in dieser Entfernung und Abkehr einen neuen geistigen Gehalt gewinnt.“⁷⁹ Wie schon die Benennungen ‚mimisch‘ und ‚analo-
der Kulturphilosophie Ernst Cassirers (Würzburg: Echter, 1997), bes. 423 ff.;Thomas Vogl, Die Geburt der Humanität. Zur Kulturbedeutung der Religion bei Ernst Cassirer (Hamburg: Meiner, 1999), bes. 134 ff.; Michael Bongardt, Die Fraglichkeit der Offenbarung. Ernst Cassirers Philosophie als Orientierung im Dialog der Religionen (Regensburg: Pustet, 2000); Moxter, Lebenswelt, 102– 173; Rudolph, Cassirer im Kontext, bes. 71– 95; Cornelia Richter, Die Religion in der Sprache der Kultur. Schleiermacher und Cassirer – Kulturphilosophische Symmetrien und Divergenzen (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), bes. 19 ff.191 ff.; Markus Höfner, Sinn, Symbol, Religion. Theorie des Zeichens und Phänomenologie der Religion bei Ernst Cassirer und Martin Heidegger (Tübingen: Mohr Siebeck, 2008), bes. 108 ff.; Thomas Wabel, Die nahe ferne Kirche. Studien zu einer protestantischen Ekklesiologie in kulturhermeneutischer Perspektive (Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), bes. 138 ff.; schließlich die Sammelbände von Korsch/Rudolph (Hg.), Prägnanz; Deuser/Moxter (Hg.), Rationalität, u. a. mit Beiträgen von Schwemmer, Stark, Bongardt und Heinz Paetzold. Allen Genannten ist ein signifikanter Gesichtspunkt gemeinsam – die Religion kommt beinahe durchgängig in der Perspektive der Kultur, mindestens aber mit Bezug auf diese in den Blick: Cassirers Religionsbegriff erhält seine Prägung ersichtlich vor dem Hintergrund seiner Kulturkonzeption. Mit einem Stichwort Cornelia Richters ließe er sich mithin als „kulturalistisch“ bezeichnen; vgl. die Ausführungen unter der entsprechenden Überschrift ‚Cassirers kulturalistische Religionstheorie‘; vgl. Richter, Religion, 19 ff. Mit Cassirers zweiter, enger Fassung bildet sich die systematische Grundalternative von engem und weitem Symbolbegriff gleichsam nochmals am Orte der Alternativen selbst ab. Wie wir im Zuge der vorliegenden Arbeit sehen werden, gilt das spiegelbildlich in gewisser Weise auch für Tillichs Symbolbegriff. Dieser ist zwar als religionstheoretischer prinzipiell eng angelegt. Tillich wird jedoch seinerseits neben der engen Fassung eine erweiterte des ‚Symbols überhaupt‘ – und also des kulturellen Symbols – entwickeln. Cassirer, „Begriff“, 178. Vgl. ebd., 178 – 187. Ebd., 182; kursiv L. H.
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gisch‘ signalisieren, besteht der Fortschritt – und als solchen will Cassirer den fraglichen Prozess offenkundig verstanden wissen – hin zur dritten, ‚symbolischen‘ Stufe mithin erstens in einer sukzessiven Abkehr vom Ähnlichkeitsprinzip. Während auf den ersten beiden Stufen geistiger Bedeutungsgehalt und sinnlicher Ausdruck noch gar nicht recht auseinandertreten (mimisch) bzw. noch immer nach Ähnlichkeitsaspekten einander zugeordnet werden (analogisch), tritt hier die „Funktion der Bedeutung in reiner Selbständigkeit hervor.“⁸⁰ Der Gedanke einer wie auch immer gearteten Inhaltsgebundenheit von Bedeutung wird auf das Moment reiner Relationalität hin korrigiert, das seinerseits Gehaltlichkeit ‚neu‘ stiftet. Somit wird zweitens der Geist allererst auf dieser dritten Stufe der gänzlichen Freiheit und Spontaneität seiner Symbolisierungstätigkeit im Sinne unserer obigen Rekonstruktion inne. Der Vollbegriff des Symbolischen, wie er vor dem Hintergrund des Marburger Neukantianismus seit der frühen Studie Substanzbegriff und Funktionsbegriff angelegt war, kommt bei Lichte besehen erst mit der abschließenden dritten Stufe zum Ziel – deren nochmalige Bezeichnung ‚symbolisch‘ ist also folgerichtig: Der engere Begriff fungiert für den weiteren als Paradigma, und mithin als eigentlicher Normbegriff des Symbolischen. Die Frage ist, ob letzterer Normbegriff aus dem Stufenschema heraus auf jenen dem Anspruch nach weitestmöglich gefassten Allgemeinbegriff der ‚symbolischen Form‘ insofern ausstrahlt, als er für dessen Struktur als – verstecktes – Vorbild fungiert. Tatsächlich weisen die Indizien in diese Richtung. Das betreffende Drei-Stufen-Schema findet sich nämlich wiederholt in der Philosophie der symbolischen Formen selbst, zumal in den ersten beiden Bänden.⁸¹ Aufschlussreich ist schon seine unterschiedliche Handhabung in der Verschränkung mit den jeweils thematischen symbolischen Formen, der Sprache einerseits (Band 1) und des Mythos, der Religion bzw. Kunst andererseits (Band 2). Der erste Band kennt einen entsprechenden Unterabschnitt ‚Mimischer, analogischer und symbolischer Ausdruck‘, zudem steuert das Schema den Gang der beschließenden Überlegungen.⁸² Materialreich kann Cassirer so die Evolution der Sprache im Ganzen, von der mimischen Stufe, für die vor allem die onomatopoetische Lautbildung einsteht, bis hin zur ‚rein symbolischen‘ Stufe der reinen Relationsbegriffe, verständlich machen. Sie ist dabei ersichtlich als Fortschritt Ebd. Im dritten Band begegnet das frühere Drei-Stufen-Schema dann indirekt wieder, da die dortige Dreigliederung nach Ausdrucks-, Repräsentations- und Bedeutungsfunktion als systematisches Äquivalent gelten kann. Vgl. Cassirer, Philosophie 1, 134– 148 bzw. ebd., 270 ff.
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von der „untersten Stufe der geistigen Skala“ hin zum „letzten ideellen Ziele der Sprachbildung“ begriffen:⁸³ Erst mit diesem „tritt die Sprache gleichsam aus den sinnlichen Hüllen […] heraus: der mimische oder analogische Ausdruck weicht dem rein symbolischen, der gerade in seiner Andersheit und kraft derselben zum Träger eines neuen und tieferen geistigen Gehaltes wird“.⁸⁴ Ziel der Entwicklung sind jener „reine[ ] Beziehungsausdruck“, jene „reine Kategorie der Relation“, jene „Freiheit des beziehentlichen Denkens und des rein beziehentlichen Ausdrucks“,⁸⁵ die eben bereits der frühen, ganz an neueren mathematisch-naturwissenschaftlichen Begriffstheorien orientierten Studie Substanzbegriff und Funktionsbegriff als Paradigma galten. Mag Cassirer auch abschließend die durchgängige „Wechselbestimmung“ von Sinnlichem und Geistigem, das „[Z]ugleich“ der „sinnliche[n] und intellektuelle[n] Ausdrucksform“ beteuern⁸⁶ – eigentlicher Fortschrittsmotor ist die der Sprache inhärente „Tendenz und die Kraft zum Logisch-Allgemeinen“.⁸⁷ Der programmatischen Kehre zur ‚Kritik der Kultur‘ zum Trotz ist es somit noch immer das an Mathematik und Naturwissenschaften ausgerichtete Theoriedesign des Marburger Neukantianismus, das den engeren Begriff des Symbolischen im Sinne der dritten Stufe bestimmt. Vor diesem Hintergrund, und zumal angesichts der materialreichen Darstellung des Fortschritts durch die mimische und analogische Stufe hindurch bis hin zum eigentlichen Symbolbegriff am Beispiel der Sprache wie der Erkenntnis,⁸⁸ drängt sich allerdings die Frage auf, wie im Falle des Mythos eine rein relationale Bedeutungsstiftung und die bewusste Einsicht in die schlechthinnige Spontaneität der eigenen Symbolisierungstätigkeit gedacht werden sollen. Nun findet das Drei-Stufen-Schema, und mit ihm der engere Symbolgedanke, gleichfalls im zweiten Band der Philosophie der symbolischen Formen Verwendung. War es im frühen Aufsatz jedoch als gewissermaßen quer zum Ensemble der symbolischen Formen liegendes Stufenschema eingeführt und im ersten Band dementsprechend mit Blick auf das Gesamt der Sprache zur Anwendung gekommen,⁸⁹ so handhabt Cassirer es im zweiten Band auf andere Weise: Sowohl in den betreffenden Passagen der ‚Einleitung‘ als auch im beschließenden Abschnitt ,Die Dialektik des mythischen Bewusstseins‘⁹⁰ – jenen beiden Teile also, in denen die symbolische
Ebd., 270 bzw. ebd., 293. Ebd., 148. Ebd., 286, ebd., 291 bzw. ebd., 292. Ebd., 299 f. Ebd., 279. Für Letztere vgl. Cassirer, Philosophie 3, 329 ff. Vgl. Cassirer, Philosophie 1, 134.139 u. ö. Vgl. Cassirer, Philosophie 2, 25 – 35 bzw. ebd., 281– 311.
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Form der Religion überhaupt thematisch wird – sind die Formen des Mythos, der Religion und der Kunst nämlich bei Lichte besehen auf die drei Stufen des mimischen, des analogischen und des symbolischen Ausdrucks verteilt: Cum grano salis wird der Mythos der mimischen, die Religion der analogischen und die Kunst der symbolischen Stufe zugeordnet. Damit aber genügt allein die Kunst den – wie gesehen letztlich an der modernen mathematischen und naturwissenschaftlichen Begriffstheorie gewonnenen – Kriterien des Symbolischen im eigentlichen Sinne. Mythos und Religion müssen demgegenüber, obzwar dem Grundanspruch der Philosophie der symbolischen Formen nach gleichursprünglich und gleichwertig, als defizitäre Formen erscheinen: So stellt sich im Verhältnis des Mythos, der Sprache und der Kunst, so sehr ihre Gestaltungen in den konkreten geschichtlichen Erscheinungen unmittelbar ineinandergreifen, doch ein bestimmter systematischer Stufengang, ein ideeller Fortschritt dar, als dessen Ziel es sich bezeichnen läßt, daß der Geist in seinen eigenen Bildungen, in seinen selbstgeschaffenen Symbolen nicht nur ist und lebt, sondern daß er sie als das, was sie sind, begreift.⁹¹
Die angezeigte Richtung unterstreichen zwei im unmittelbaren Kontext des letzteren Zitates gegebenen Hinweise, einmal auf Hegels Phänomenologie des Geistes, dann auf die nochmalige Überlegenheit der „Wissenschaft“, die „die Symbole, die sie gebraucht, anders und tiefer als jene [Mythos, Religion und Kunst; L. H.] es vermögen, als solche weiß und begreift“.⁹² Denn tatsächlich scheint der Hegel’sche Dreischritt von Unmittelbarkeit, Differenz und Vermittlung im Hintergrund der Cassirer’schen Zuordnung von Mythos, Religion und Kunst zu stehen: Wie Ersterer im Wesentlichen durch das noch ungeschiedene Ineins von sinnlichem Träger und Bedeutung gekennzeichnet ist, so soll für die Religion gerade eine „innere Spannung“, ein konstitutives „Ineinander und Gegeneinander von ‚Sinn‘ und ‚Bild‘“ signifikant sein – wohingegen die Kunst ebendiesen Gegensatz schließlich im Sinne einer rein immanenten Bedeutsamkeit der Bilder wieder „beruhigt und beschwichtigt“.⁹³ Von der Warte der Hegel’sch inspirierten Fortschrittslogik aus muss die mithin durch ‚Differenz‘ bestimmte symbolische Form der Religion keineswegs als gleichwertig, sondern eben vielmehr als vorläufig gegenüber der Zielstufe von Kunst und (Natur)Wissenschaft gelten. Und der ab-
Ebd., 34; kursiv L. H. Ebd. Ebd., 311; zum Übergang vom Mythos zur Religion vgl. auch ebd., 286: „Die Religion vollzieht den Schnitt, der dem Mythos als solchem fremd ist […]“. Für den Hegel’schen Dreischritt von Unmittelbarkeit, Differenz und Vermittlung vgl. etwa die §§ 5 – 7 der Rechtsphilosophie; Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, Bd. 7, Werke (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1986), 49 – 57.
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schließende Verweis auf die ‚Wissenschaft‘ – gedacht ist mit der ‚Logik der reinen Erkenntnis‘ wiederum an Mathematik und Naturwissenschaften im Sinne des Marburger Neukantianismus – belegt ein letztes Mal, dass es deren Begriffstheorie ist, die für die höchste, eigentlich symbolische Stufe das Muster abgibt. Blickt man zusammenfassend auf Cassirers Symboltheorie im Ganzen, dann liegt eine unbestreitbare Stärke zumindest seines weiten, dem Werk sein unverwechselbares Gesicht gebenden Symbolbegriffs der ‚symbolischen Form‘ darin, immense Materialbestände erfassen und im Lichte des eigenen Theoriedesigns durchdenken zu können. Gegenüber der naturwissenschaftlichen und mathematischen Fokussierung des Neukantianismus Marburger Prägung ist zunächst einmal eine erhebliche Entschränkung der Perspektive erreicht. Das kulturphilosophische Potenzial des Symbolgedankens ist in paradigmatischer Weise zum Klingen gebracht.⁹⁴ Und noch die Orientierung an modernen mathematischen und naturwissenschaftlichen Begriffstheorien, die den zweiten, engeren Symbolbegriff im Sinne der Stufe des ‚Symbolischen‘ im Gegenüber zum ‚Mimischen‘ und ‚Analogischen‘ bestimmt, birgt einen fraglosen Vorteil: Da die rein formale Binnenstruktur der Relationsbegriffe Pate stand und das engere Symbolverständnis als Ideal letztlich das weitere der ‚symbolischen Formen‘ als solcher steuert, ermöglicht der mit den Letzteren etablierte Symbolbegriff eine hohe Ausweisbarkeit gemäß der zeichentheoretischen Standards des späten 20. und anhebenden 21. Jahrhunderts. Auch von hierher dürfte die beachtliche semiotische Rezeption rühren, die seine Symbolkonzeption seit Mitte der 1990er Jahre erfahren hat. Freilich ist es genau diese Ausrichtung auf einen rein formalen Zeichenbegriff, die zugleich die Grenzen von Cassirers Symbolbegriff bedingt. Denn die symbolischen Formen des Mythos und der Religion müssen gegenüber dem so konzipierten Ideal zurückbleiben. Und mit Blick auf die überschaubaren, überwiegend im Modus des Referates verbleibenden Ausführungen zur Letzteren im zweiten Band der Philosophie der symbolischen Formen wird man wohl auch konstatieren müssen, dass das von anderwärts her gewonnene Symbolverständnis die Binnenperspektive des religiösen Bewusstseins kaum adäquat zu erhellen vermag – zu dominant wirkt die Zielperspektive der symbolischen Form der Kunst in jene Ausführungen zurück. So erscheint die Religion einerseits als Appendix zum
Insofern ist es alles andere als verwunderlich, dass Cassirers Philosophie der symbolischen Formen im Werk und vor allem in den ihrerseits nunmehr klassischen kulturtheoretischen Symbolkonzeptionen etwa Susanne K. Langers (Philosophy in a New Key. A Study in the Symbolism of Reason, Rite, and Art, 1942), Nelson Goodmans (Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, 1968) und Clifford Geertz’ (Interpretation of Culture. Selected Essays, 1973) fortwirkte und bis heute fortwirkt.
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mythischen Bewusstsein, andererseits als reine Durchgangsstation zur Kunst.⁹⁵ Diese Grenze bleibt für jede religionstheoretische wie theologische Rezeption zu bedenken. Mehr noch: Die sich damit artikulierende Problematik der Ausrichtung auf den formalen Zeichenbegriff betrifft keineswegs alleine die Religion. Denn während Cassirer für die Sprache wie für die Erkenntnis bzw. Wissenschaft deren Evolution hin zur Gestalt der dritten, im engeren Sinne symbolischen Stufe am Material aufzeigen kann, fallen die Reflexionen zur Kunst wiederum ausgesprochen knapp aus. So bleibt es letztlich den Assoziationen des Lesers vorbehalten, zu entschlüsseln, woran bei der ihr attestierten „rein immanente[n] Bedeutsamkeit“, der „rein immanente[n] Geltung und Wahrheit“ ihrer Bilder zu denken ist.⁹⁶ Gerade im Gegenüber zum kleinteiligen Aufweis für Sprache und Erkenntnis fällt dieses Defizit ins Auge – während dort die Genese zur eigentlich symbolischen Stufe tatsächlich gezeigt wird, ist sie im Falle des Kunst bei Lichte besehen lediglich mit Hilfe weniger Stichworte behauptet. In der Konsequenz drohen die den Kant’schen Symbolbegriff auszeichnende spezifische Präzision und Ergiebigkeit in Sachen Religionstheorie und Ästhetik bei Cassirer verloren zu gehen. Den genuinen Stärken seiner programmatisch weit gehaltenen Symbolkonzeption, ihrer Erschließungskraft hinsichtlich der Bandbreite der Kultur wie ihrer semiotischen Ausweisbarkeit, korrespondieren so Schwächen, die zumal in religionstheoretischer und theologischer Perspektive ins Gewicht fallen – wenn es hier eben der dem religiösen Ausdruck eigentümliche Bedeutungsüberschuss, dessen charakteristische Zuordnung von eigentlichem und uneigentlichem Sinn sein soll, zu deren Klärung der Symbolgedanke Verwendung findet.
c) Tillichs Theorie des religiösen Symbols – Rezeptionslinien in der Praktischen und Systematischen Theologie Im Gegenüber zur programmatischen Weite des Cassirer’schen Symbolgedankens zählt Paul Tillich wiederum zu den Vertretern einer engen Fassung: Wie bereits sein berühmtes Diktum – „Das Symbol ist die Sprache der Religion“⁹⁷ – signalisiert, ist seine Konzeption näherhin von spezifisch religionstheoretischem Zuschnitt. Ob der skizzierten gegenläufigen Schwerpunktsetzungen Cassirers legt er sich schon vorderhand als Komplementär, wenn nicht gar – eben in religi-
Vgl. auch Kubik, Novalis, 10 – 12. Cassirer, Philosophie 2, 311 bzw. ebd., 34. GW V, 237.
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onstheoretisch und theologischer Rezeption – als substanzielle Alternative zu dessen Konzeption nahe. Jedenfalls bietet sich Tillich, sowohl was die gedankliche Ausarbeitung der Symbolkonzeption als auch was ihren Stellenwert im Gesamt der Theoriebildung angeht, nachgerade als theologisches Pendant zu Cassirers Kulturphilosophie an. Dabei lassen sich in einem ersten Zugriff neben Divergenzen einige Konvergenzen zwischen den beiden festhalten.⁹⁸ So hat der ein gutes Jahrzehnt jüngere Tillich (1886 – 1965) seine philosophische Grundprägung ebenfalls im Spannungsfeld von Neukantianismus und Neo-Idealismus erhalten, das für die geisteswissenschaftliche Landschaft des ausgehenden Kaiserreiches und der Weimarer Republik kennzeichnend war. Mögen die primär durch den Hallenser Lehrer Fritz Medicus vermittelten Einflüsse Fichtes und Schellings im Vordergrund gestanden haben, so ist Tillich doch ersichtlich gleichfalls durch jene wissenschaftstheoretischen Fragen nach dem Status und dem inneren Aufbauprinzip der (Geistes)Wissenschaften bewegt, die wir für Cassirer an dessen Herkunft aus dem Marburger Neukantianismus festgemacht hatten. Bei Tillich treten an dessen Stelle, neben den notierten neoidealistischen Momenten, stärker die Fragestellungen der Südwestdeutschen Schule – deren kulturphilosophischem Schwerpunkt sich Cassirer wiederum spätestens mit der Philosophie der symbolischen Formen annähern sollte. Bezüglich der intellektuellen Vorprägung, des Interesses an Grundlegungsfragen der Wissenschaft und insbesondere des zentralen Stellenwertes der Kulturthematik lassen sich also prinzipielle Konvergenzen festhalten. Bei aller Nähe ist allerdings die Blickrichtung eine gegenläufige. Tillich wird zwar in die wissenschaftstheoretischen und kulturtheoretischen Fragen der Zeit einstimmen, hier jedoch im Unterschied zu Cassirer eine dezidiert theologische Position beziehen. Seine Kulturtheorie gewinnt so als Kulturtheologie eine spezifische Note. Unbenommen bleibt das grundsätzliche, gleichsam kulturalistische Selbstverständnis, das auch Cassirers Werk der 1920er Jahre so eindrücklich prägte: Tillichs Kulturtheologie lässt sich nicht nur als Erfassung der Kultur vom normativen theologischen Standpunkt aus interpretieren, sondern ebenso andersherum als Ausdruck eines zutiefst kulturalen Theologieverständnisses. Ist zumal mit der kulturalen Grundanlage eine prinzipielle Konvergenz gegeben, so lassen sich die Divergenzen noch spezifizieren. Tillichs neoidealistische
Das Folgende dient als eine erste Skizze, um Tillichs Option vor dem Hintergrund der eröffneten systematischen Alternative von engem und weitem Symbolbegriff im Verhältnis zu Cassirers Option einführend zu charakterisieren und um eine Grundorientierung für die nachfolgende Darstellung der Rezeptionslinien zu gewinnen. Die eigentliche Vertiefung und Präzisierung der für Tillich angezeigten Aspekte ist Sache der Arbeit selbst – auch auf Querverweise in die entsprechenden Unterkapitel ist im Sinne des Einführungscharakters noch verzichtet.
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Prägung artikuliert sich nicht zuletzt darin, dass die Theoriebildung im Ganzen auf einer Theorie des Absoluten bzw. Unbedingten fußt. Die Frage der epistemischen Zugänglichkeit sowie des begrifflichen Status der betreffenden Idee dominieren bereits im Frühwerk. Auf jene Frage kann, wie dann die Schriften der 1920er Jahre zeigen, seine enge Fassung des Symbolbegriffs aufbauen. Es ist so das Zugleich von Unbedingtheitstheorie und Erkenntniskritik, in dem der Symbolgedanke seinen genuinen Ort gewinnt. Weiterhin lässt sich der theologische Einfluss weiter präzisieren. Erneut reichen die Wurzeln zurück bis in die Studien- und Promotionszeit vor dem Ersten Weltkrieg: Es war der Paradoxbegriff, in dem sich die Einsicht verdichtet, dass der christliche Gottesgedanke in sich zutiefst antinomisch verfasst ist. Stehen für die neoidealistische Prägung die Namen Medicus, Fichte und Schelling, so ist hier – zumindest vorderhand – an die KierkegaardRezeption der Studienzeit zu denken. In den 1920er Jahren wird Tillich so nicht nur in der berühmten Debatte mit Friedrich Gogarten und Karl Barth um das Verständnis des Paradoxgedankens auf frühere Überlegungen zurückgreifen können. Vor allem präfiguriert jene Einsicht in die paradoxale Struktur des Gottesgedankens wiederum den Symbolgedanken. In der seinerzeit durch die sogenannte ‚Dialektische Theologie‘ vorangetriebenen Diskussion, wie von Gott zu reden sei, konnte Tillichs Theorieangebot mithin auf den Symbolbegriff lauten. In einem ersten, noch hinführenden Zugriff können wir festhalten, dass Tillichs enge Fassung des Symbolgedankens gewissermaßen auf drei Beinen zu stehen kommt: neben das kulturtheoretische Interesse treten ein unbedingtheitstheoretisches und ein theologisches. Zumal das Letztere – aber bei Lichte besehen auch das absolutheits- bzw. unbedingtheitstheoretische, fokussiert sich in ihm doch die religionsphilosophische Anlage des Symbolbegriffs – würde nun eine starke Rezeption und eine entsprechend dominante Stellung des Tillich’schen Symbolgedankens in der Theologie vermuten lassen. Diese Vermutung trifft jedoch nur begrenzt zu: Seine Symbolkonzeption hat sich vielmehr unterschiedlicher Konjunkturen erfreut, wobei sich zwischen Systematischer und Praktischer Theologie nochmals fachspezifische Unterschiede beobachten lassen. Die Frage der Wirkungsgeschichte von Tillichs Symbolkonzeption verbindet sich dabei mit der allgemeineren Frage seiner Rezeption in der deutschsprachigen Theologie nach 1945 insgesamt. Anders nämlich als in den Vereinigten Staaten, in denen Tillich noch im Laufe der 1950er Jahre geradezu zu einer Gestalt öffentlichen Interesses avancierte,⁹⁹ gestaltete sich die Rezeptionsgeschichte in
Vgl. die Übersicht bei Werner Schüßler/Erdmann Sturm, Paul Tillich. Leben – Werk – Wirkung (Darmstadt: WBG, 2007), 235 – 238.
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Deutschland verwickelter. Wolfgang Trillhaas hat gar ein „wirkungsgeschichtliches Drama“¹⁰⁰ in Sachen Tillich-Rezeption konstatieren können: Zwar hielt der Exilierte Gastvorlesungen, wurden ihm Ehrungen und Preisverleihungen bis hin zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zuteil, erschienen ab 1959 seine Schriften in den von Renate Albrecht vorangetriebenen Gesammelten Werken. ¹⁰¹ Gleichwohl sollte Tillich vorerst weithin im Schatten der beiden die seinerzeitigen Debatten der evangelischen Theologie prägenden Köpfe Karl Barth und Rudolf Bultmann stehen. Während die ‚Wort-Gottes‘-Theologie des Ersteren auch ob der resoluten Verabschiedung des Religionsbegriffs einen offensichtlichen Gegenentwurf zu Tillichs eben primär religionstheoretisch motivierter Symbolkonzeption darstellte,¹⁰² mag man im hermeneutischen Programm einer ‚existentialen Interpretation‘ des Letzteren zumindest eine Rechiffrierung symboltheoretischer Grundfragen erblicken.¹⁰³ In jedem Fall war eine mit Bultmann oder gar Barth vergleichbare akademische Breitenwirkung zunächst nicht auszumachen.¹⁰⁴
Wolfgang Trillhaas, „Paul Tillich im Lichte seiner Wirkungsgeschichte“, ZThK 75 (1978), 82– 98, 83. Vgl. Schüßler/Sturm, Tillich, 219 – 221. Angesichts der prinzipiell symbolkritischen Haltung der sog. ‚Dialektischen Theologie‘ ist es allerdings bemerkenswert, dass mit Emil Brunner einer ihrer Protagonisten eine frühe Studie ganz dem Symbolbegriff widmen und hier im Letzten zu einem durchaus positiven Urteil kommen konnte: „So muß ich das Un-endliche durch das Endliche ausdrücken. Ich kann dies auf zweierlei Art tun: Entweder durch den Begriff oder durch das Symbol. […] Darum bediene ich mich als Wissenschaftler des Begriffs […]; als religiöser Mensch aber, dem alles auf das Leben, auf das konkrete Einzelne ankommt, des Symbols.“ (Emil Brunner, Das Symbolische in der religiösen Erkenntnis. Beiträge zu einer Theorie des religiösen Erkennens [Tübingen: J. C. B. Mohr, 1914], 131); vgl. auch Erwin Reisner, Kennen, Erkennen, Anerkennen. Eine Untersuchung über die Bedeutung von Intuition und Symbol in der dialektischen Theologie (München: Kaiser, 1932). Vgl. Jörg Dierken, „Die Logik der Entmythologisierung. Rudolf Bultmanns existentiale Interpretation als rationale Grundlegung mythischen Redens“, in: Enno Rudolph (Hg.), Mythos zwischen Philosophie und Theologie (Darmstadt: WBG, 1994), 48 – 76. Diesen Sachverhalt veranschaulicht exemplarisch der große Forschungsüberblick von 1982/ 83: Wilfried Härle/Eilert Herms, „Deutschsprachige protestantische Dogmatik nach 1945“, VF 27/ 28 (1982/1983). Einmal nimmt die Darstellung Tillichs hier gegenüber der ‚Dogmatik im Gefolge Karl Barths‘ und der durch Bultmanns Fragestellungen geprägten ‚Hermeneutischen Theologie‘ deutlich weniger Raum ein: Den guten 70 Seiten, die der Barth’schen Schule von Heinrich Vogel, Otto Weber und Hermann Diem bis hin zu Heinrich Ott eingeräumt werden – vgl. Härle/Herms, „Dogmatik I“, VF 27 (1982), 27– 100 – sowie den immerhin noch 30 Seiten der ‚Hermeneutischen Schule‘ – vgl. Härle/Herms, „Dogmatik II“, VF 28 (1983), 1– 29 –, stehen für Tillich gerade einmal deren fünf gegenüber; vgl. Härle/Herms, „Dogmatik I“, VF 27 (1982), 22– 27. Darüber hinaus ist in wirkungsgeschichtlicher Hinsicht ein zweiter Aspekt signifikant: Während Barth und Bultmann eben in Gestalt von Schülergenerationen präsent sind, ist es im Falle Tillichs dieser selbst bzw. näherhin dessen dreibändiges spätes Hauptwerk der Systematischen Theologie, dem der Eintrag
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Dieser Befund lässt sich mit Hilfe einer Beobachtung weiter differenzieren, die Peter Schwanz in einem Bericht zur Tillich-Literatur der 1970er Jahre notiert hat. Einerseits „wucher[e]“ – Stand 1979 – die Zahl der Veröffentlichungen „ins kaum noch Überschaubare“,¹⁰⁵ was für sich genommen als Indiz einer anhebenden bzw. sich merklich verbreiternden Rezeption gelten könnte. Zugleich will Schwanz diesen Sachverhalt aber weitestgehend auf Qualifikationsarbeiten eingeschränkt wissen, wohingegen „die etablierte Wissenschaft Tillich […] in erstaunlichem Maße unberücksichtigt lässt“.¹⁰⁶ Mit Blick auf Tillichs Wirkungsgeschichte wäre folglich genauer eine eigentümliche Gegenläufigkeit festzuhalten: Zwar rief sein Werk noch in den 1970er Jahren sukzessive eine Vielzahl innerhalb der Tillich-Forschung perspektivisch bedeutsamer Einzelstudien auf den Plan – stellvertretend wäre etwa an die Arbeiten von Thomas Ulrich, Eberhard Amelung, Joachim Track und Reinhold Mokrosch zu denken.¹⁰⁷ Doch entstand darüber keine Schule im eigentlichen Sinne, sodass sein Ansatz auf Grundlage jener Studien in die Breite der systematisch-theologischen Debatten hinein gewirkt hätte. Hier mag – neben der erdrückenden Dominanz der Barth- und BultmannSchulen – eine weitere, bemerkenswerte Eigenart der Tillich-Rezeption selbst eine Rolle gespielt haben. Noch bei den Systematikern, die ebendiese in Deutschland eigentlich trugen, ist gegenüber seinen Symbolgedanken, aber auch generell der Theoriefähigkeit Tillichs überhaupt, eine gewisse Zurückhaltung auszumachen. Um es exemplarisch an Wolfgang Trillhaas und Carl Heinz Ratschow zu illustrieren: Ersterer hatte, nicht zuletzt über stetige Rezensionen im Rahmen der Theologischen Literaturzeitung, wesentlichen Anteil an der Wahrnehmung Tillichs von Härle und Herms gilt. Während Tillich in den Vereinigten Staaten über eine direkte Schülerschaft wirken sollte, schien diese im deutschsprachigen Raum schlicht vernachlässigbar. Peter Schwanz, „Zur neueren deutschsprachigen Literatur über Paul Tillich“, VF 24 (1979), 55 – 86, 56. Ebd., 57. Mutatis mutandis gilt dieses Doppelurteil – folgt man der Einschätzung Christoph Schwöbels in seinem 1986 erschienenen Forschungsüberblick – noch mindestens für die erste Hälfte der 1980er Jahre: „Zwar hat Tillich in der deutschsprachigen Theologie nie die epochale Bedeutung erlangt wie in den Vereinigten Staaten, doch sind wahrscheinlich über keinen Theologen des 20. Jh.s mehr wissenschaftliche Untersuchungen publiziert worden.“ (Christoph Schwöbel, „Tendenzen der Tillich-Forschung [1967– 1983]“, ThR 51 [1986], 166 – 223, 167). Thomas Ulrich, Ontologie, Theologie, gesellschaftliche Praxis. Studien zum religiösen Sozialismus Paul Tillichs und Carl Mennickes (Zürich: Theologischer Verlag, 1971); Eberhard Amelung, Die Gestalt der Liebe. Paul Tillichs Theologie der Kultur (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1972); Joachim Track, Der theologische Ansatz Paul Tillichs. Eine wissenschaftstheoretische Untersuchung seiner ‚Systematischen Theologie‘ (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1975); Reinhold Mokrosch, Theologische Freiheitsphilosophie. Metaphysik, Freiheit und Ethik in der philosophischen Entwicklung Schellings und in den Anfängen Tillichs (Frankfurt/Main: Klostermann, 1976).
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in der deutschsprachigen Theologie. Im Nachruf nach dem Tode Tillichs vermerkte er bei aller Würdigung gleichwohl eine „gewisse Unpräzisheit seines Denkens und seiner Ausdrucksweise“ und nannte als „zentral wichtiges Beispiel“ just den Symbolgedanken.¹⁰⁸ Im Sinne dieses andernorts wiederholten Urteils¹⁰⁹ spielt der Symbolbegriff in Trillhaas’ beiden größeren Lehrbüchern, der Dogmatik von 1962 und der Religionsphilosophie von 1972, nur eine marginale Rolle.¹¹⁰ Ratschow wiederum machte sich nicht zuletzt als Herausgeber der ab 1987 erschienenen kritischen Werkausgabe Main Works verdient. Sein besonderer Stellenwert im Kontext der seinerzeitigen Tillich-Forschung lässt sich schon daran ablesen, dass er den ersten Band der 1980 herausgegebenen Tillich-Auswahl, die dessen Texte einem breiteren Publikum zugänglich machen sollte, mit einer ausführlichen ‚Einführung‘ eröffnete.¹¹¹ Dabei fehlt freilich jeder Hinweis auf den Symbolbegriff – was sich insofern ins Bild fügt, als er in Ratschows größeren Publikationen gleichfalls keine Rolle spielte. Besagte ‚Einführung‘ bietet darüber hinaus ein aufschlussreiches Beispiel jener mindestens eigenwilligen Art der anfänglichen Tillich-Rezeption. Bei Ratschow heißt es nämlich: Manche Freunde Tillichs möchten aus seinen Schriften probate Sachantworten auf dies oder das erheben. Sie denken, man könnte mit Tillichs Schriften sachliche Probleme entwirren oder lösen. […] Tillich war nie Theoretiker, der eine ‚Sache‘ um ihrer selbst willen behandelte.
Wolfgang Trillhaas, „Die Grenze und das Ganze. Zum Gedenken an Paul Tillich“, ThLZ 91 (1966), 561– 568, 565. So etwa auch in dem bereits benannten Aufsatz Paul Tillich im Lichte seiner Wirkungsgeschichte von 1978: „Vielmehr sind diese Wirkungen [Tillichs; L. H.] bis heute noch undefiniert, vielfach von offenkundigen Schwächen und Ungenauigkeiten der Anstöße zu diesen Wirkungen belastet – wie das bezüglich des Symbolbegriffs immer wieder und sicher zu Recht hervorgehoben worden ist.“ (Trillhaas, „Wirkungsgeschichte“, 92). Wolfgang Trillhaas, Dogmatik (Berlin: Töpelmann, 1962); ders., Religionsphilosophie (Berlin: Walter de Gruyter, 1972). Zumal in der Letzteren widmet Trillhaas dem Thema ‚Die Sprache der Religion‘ ein eigenes Kapitel und spezifiziert es in einer durchaus an Tillich erinnernden Weise; vgl. exemplarisch ebd., 227. Gleichwohl bezeichnet der Symbolbegriff selbst hier nur einen systematisch eng umgrenzten Unterfall im Gegenüber zum Paradigma der Sprache. Tillichs Symbolkonzeption wird – neben ihrem vermeintlich a-theoretischen Charakter – auch ob der vorgeblichen Unschärfe des zugrunde liegenden Symbolbegriffs Gegenstand der Kritik: „Tillich verwendet den Symbolbegriff unablässig, aber er hat eigentlich keine echte Lehre vom Symbol gegeben. […] Jede traditionelle Lehre kann für Tillich zum Symbol werden. Aber damit ist die Kontur des Symbolbegriffs verwischt.“ (ebd., 237). Carl Heinz Ratschow, „Paul Tillich. Ein biographisches Bild seiner Gedanken“, in: Manfred Baumotte (Hg.), Tillich-Auswahl, Bd. 1: Das Neue Sein (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1980), 11– 104.
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[…] Die Schriften Paul Tillichs sind also unmittelbar Ausdruck seiner Person. Keine seiner Schriften bietet eine Theorie über dies oder das.¹¹²
Tillich erscheint hier – wohlgemerkt im Urteil eines späteren Mitherausgebers der kritischen Werkausgabe – mehr als interessante Persönlichkeit denn als in Sachen Theorie ernst zu nehmender Denker. Wie kontraproduktiv eine solche Interpretationsperspektive aus dem überschaubaren Kreis derer heraus, die im akademischen Kontext überhaupt auf eine breitere Rezeption drangen, in intellektueller Hinsicht gewirkt haben muss, kann man sich leicht vorstellen.¹¹³ Zwischen der Fundamentalkritik im Gefolge Barths und Bultmanns einerseits und einer wohlwollenden, nichtsdestoweniger aber kritischen, wenn nicht gar theoretisch desinteressierten Rezeption andererseits musste Tillichs Symboltheorie gleichsam in den toten Winkel der systematisch-theologischen Öffentlichkeit abgedrängt werden. ¹¹⁴ Und tatsächlich lässt sich die oben für das Gesamt der Tillich-Forschung notierte eigentümliche Gegenläufigkeit auf die Rezeption des Symbolgedankens abbilden. So sind zwar für den bislang betrachteten Zeitraum bis ca. 1980, neben kürzeren Darstellungen im Rahmen thematisch anderweitig gelagerter Monographien, gleich zwei größere Einzelstudien zu nennen, die sich ganz Tillichs Symbolbegriff widmen: Einmal Klaus-Dieter Nörenbergs bei Helmut Thielicke geschriebene Dissertation Analogia Imaginis, erschienen 1966, dann Matthias von Kriegsteins Doktorarbeit von 1975, Paul Tillichs Methode der Korrelation und
Ebd., 21 f.24. Im Grunde wäre der vorherige Satz, ob der gleich mehrfachen Unfassbarkeit seines Inhaltes, mit einem Ausrufezeichen zu versehen. Ein derart dezidiert theologischer Kopf und systematischer Denker, wie Tillich es zweifelsohne war, reduziert auf Facetten seiner Persönlichkeit – und dies nicht etwa von einem Gegenspieler, sondern von einem der Protagonisten der Tillich-Rezeption in Deutschland: Beinahe legt sich das Stichwort des ‚Bärendienstes‘ nahe.Wenn schon die direkten und indirekten Schüler Tillich nicht für theoriefähig hielten – warum hätten es dann die konkurrierenden theologischen Schulen tun sollen? Sogar noch mit Blick auf Heinz Zahrnts seinerzeit überaus populäres Einführungsbuch Die Sache mit Gott – mit dem Zahrnt die jüngere Theologiegeschichte bekanntlich just auf Tillich als einen „dritten Weg“ und also als eine gegenüber Barth und Bultmann zeitgemäßere Form evangelischer Theologie zulaufen ließ – bleibt eine gewisse Ambivalenz, was die mittelfristige Wirkung angeht. So mag es sein, dass Tillich dieserart zwar einer breiteren kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, zugleich aber der universitären Systematischen Theologie als Gegenstand der theologischen Reflexion perspektivisch nochmals verstellt wurde; vgl. Heinz Zahrnt, Die Sache mit Gott. Die protestantische Theologie im 20. Jahrhundert (München: Piper, 1966).
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Symbolbegriff. ¹¹⁵ Hinzu kam 1979 die Dissertation Subjekt und Sein von Gunther Wenz, die, im durch Wolfhart Pannenberg bestimmten Kontext der Münchener Theologischen Fakultät entstanden, die Tillich-Interpretation insgesamt, wie das Urteil bezüglich des Symbolgedankens, auf Jahrzehnte hin wesentlich prägen sollte.¹¹⁶ Doch entfalteten diese Studien nur eine überschaubare Wirkung in die Breite der akademischen Debatten hinein, eine sachbezogene kontroverse Diskussion – oder auch allein eine Verständigung darüber, welche Aspekte der Symbolkonzeption einer weiteren Diskussion würdig wären – kam nicht in Gang.¹¹⁷ Ein übergreifender systematisch-theologischer Entwurf, der mit Tillichs religionstheoretischer Grundeinsicht – ‚Das Symbol ist die Sprache der Religion‘ – Ernst gemacht und sie in ein materialdogmatisches Programm umgesetzt hätte, blieb Desiderat. Vor dem Hintergrund der skizzierten Situation innerhalb der Systematischen Theologie bis weit in die 1980er Jahre hinein ist es nun umso erstaunlicher, dass
Klaus-Dieter Nörenberg, Analogia Imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul Tillichs (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1966); Matthias von Kriegstein, Paul Tillichs Methode der Korrelation und Symbolbegriff (Hildesheim: Gerstenberg, 1975); zum Ertrag beider Studien s.u. unter d). Hinzuweisen ist darüber hinaus auf eine bereits 1955 im Rahmen der ‚Kantstudien‘ erschienene Darstellung zur Symbolthematik von Hans Looff, die Tillich ein eigenes Kapitel widmet; vgl. Hans Looff, Der Symbolbegriff in der neueren Religionsphilosophie und Theologie (Köln: KUV, 1955), 52– 64; vgl. zudem die außerhalb des eigentlichen Tillich-Kapitels wiederholt hergestellten wirkungsgeschichtlichen und systematischen Bezüge; vgl. ebd., 65 ff. 77 ff. 99 ff. 153 ff. u. ö. Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979); zum Symbolgedanken vgl. ebd., 161– 190. Das daraus für die Tillich-Forschung selbst erwachsende Problem lässt sich exemplarisch an dem von Hermann Fischer herausgegebenen Sammelband Studien zu einer Theologie der Moderne ablesen. Noch in diesem Band, der auf eine Hamburger Ringvorlesung anlässlich des 100. Geburtstages Tillichs 1986 zurückging und entsprechend die führenden Stimmen der seinerzeitigen Tillich-Interpretation versammelte, ist die Symboltheorie mehr am Rande mitbehandelt: Mal würdigend, jedoch mehr im Modus des Referates; vgl.Traugott Koch, „Gott: Die Macht des Seins im Mut zum Sein. Tillichs Gottesverständnis in seiner ‚Systematischen Theologie‘“, in: Hermann Fischer (Hg.), Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 169 – 206, 192– 194. Mal mehr vorsichtig, mal emphatisch zustimmend; vgl. Trutz Rendtorff, „In Richtung auf das Unbedingte. Religionsphilosophie der Postmoderne“, in: ebd., 335 – 356, 349 f. bzw. Dorothee Sölle „Der Beitrag Paul Tillichs zu einer Theologie der Befreiung innerhalb der Ersten Welt“, in: ebd., 281– 300, 283 – 287. Mal prinzipiell kritisch; vgl. Joachim Ringleben, „Der Geist und die Geschichte (Systematische Theologie Bd. III)“, in: ebd., 230 – 255, 240 – 242. Ein eigener Beitrag zur Symbolkonzeption, mit dem sie allererst rekonstruiert würde, und auf den sich jene Urteile also mit Gründen beziehen ließen, findet sich nicht – ein echter Dialog, eine konstruktive Sachdebatte konnte sich so selbst innerhalb der Tillich-Forschung nicht entwickeln.
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Tillich außerhalb des Faches, dem sein wissenschaftliches Werk galt, reüssieren und eine markante Wirkungsgeschichte entfalten sollte – nämlich in der Praktischen Theologie. Seine Rezeption war dabei aufs Engste mit der (Wieder‐)Entdeckung des Sachthemas des Symbolischen durch die Praktische Theologie verbunden. Über dieses konnte Tillichs genuiner Beitrag zur Sache in den Blick kommen. Wir orientieren das Folgende entsprechend zunächst primär an der Aufnahme des Symbolthemas selbst, um hier anschließend die Rolle von Tillichs Symbolkonzeption einzuzeichnen. Jene Wiederentdeckung nahm um 1980 herum einen doppelten Ausgang, einmal im Kontext liturgischer, dann in dem religionspädagogischer Überlegungen. Den Anfang machte Werner Jetters 1978 erschienene Studie Symbol und Ritual. ¹¹⁸ Die Beschäftigung mit dem Symbol antwortet dort ersichtlich auf einen eminenten Leidensdruck an der kirchlichen Praxis.¹¹⁹ Näherhin kann Jetter eine doppelte Motivation der Beschäftigung mit dem Symbolgedanken markieren, eine lebensweltlich-kommunikative und eine wissenschaftstheoretisch-interdisziplinäre: Was den Begriff des Symbolischen für die theologische Reflexion heute so diskussionswürdig und -dringlich macht, scheint mir einerseits die unbestreitbare Verständigungsschwierigkeit zu sein, die derzeit die Kommunikation im Gottesdienst, in und zwischen den Kirchen und im wissenschaftlichen Gespräch der Theologie beschattet. Andererseits stecken jene unabweisbaren Einsichten dahinter, die den Symbolbegriff jetzt auf den verschiedensten Feldern als einen Schlüsselbegriff zur umfassenderen Erkenntnis der Humanität und der Sozialität erscheinen lassen.¹²⁰
Nicht allein die Möglichkeit, die überkommene kirchliche Sprach- und Glaubenswelt mit den soziokulturellen Alltagswelten der Gegenwart in einen fruchtbaren Dialog zu bringen, sondern ebenso die potenzielle Brückenfunktion des Symbolbegriffs zu den anderen Human- und Sozialwissenschaften – Jetter ver-
Werner Jetter, Symbol und Ritual. Anthropologische Elemente im Gottesdienst (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1978). Laut Vorwort der Erstauflage waren es die ernüchternden Ergebnisse der seinerzeitigen Gottesdienstumfrage der VELKD und dabei in Sonderheit die Diagnose einer mangelnden ‚kommunikativen Kompetenz‘ der Kirchen, die Jetter das fragliche Themenfeld aufgreifen ließen; vgl. ebd., 5.7. In diese Richtung weist zudem der Titel des ersten Kapitels: ‚Ritualismus im Christentum. Empirische Anfragen und Beobachtungen zur volkskirchlichen Religionsausübung‘. Ebd., 63 f.
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weist auf Semiotik, Psychologie, Soziologie, Sprachtheorie und Kunst – qualifizieren ihn demnach geradezu zum theologischen ‚Schlüsselbegriff‘.¹²¹ Interessant ist in diesem Zusammenhang nicht zuletzt der systematische Einsatzpunkt der fraglichen interdisziplinären Beobachtungen: Hier wählt Jetter einen Ansatz beim Religionsbegriff, sei die Religion doch „schon immer die älteste Interessentin an allem Symbolischen gewesen“.¹²² Das Fazit der Überlegungen unterstreicht noch einmal den konstatierten engen Konnex von Symbol, Religion und Theologie: „[W]o immer Symbole religiösem Verhalten und religiöser Erfahrung und Vorstellung Gestalt verleihen, erhebt sich die Frage, wie es um ihre interpretative, theologische und philosophische Leistungsfähigkeit […] bestellt ist.“¹²³ Wie der Symbolbegriff scheint der Religionsbegriff in besonderer Weise geeignet, die diagnostizierten alltagskommunikativen wie wissenschaftstheoretischen Verständigungsschwierigkeiten der Theologie zu heben. Nicht nur dieser selbst, sondern auch ein entschieden religionstheoretischer Zugriff sollten so gleichsam durch die Hintertür praktisch-theologischer Problemstellungen wieder in die theologischen Debatten eingebracht werden.¹²⁴ Für den Bereich der Religionspädagogik hat Peter Biehl das angezeigte Sachproblem einer die zeitgenössische Religionskultur verfehlenden kirchlichen Praxis und theologischen Reflexion beinahe zeitgleich zu Jetters Studie zum Thema machen können. So markiert im großen Aufsatz Erfahrungsbezug und Symbolverständnis von 1980 – dem „Gründungstext“ der späteren Symboldidaktik¹²⁵ – die Vermittlung von theologischen Inhalten einerseits und Lebenssituationen der Schülerinnen und Schüler andererseits das Ausgangsproblem, auf das hin wiederum der Symbolgedanke eingeführt wird.¹²⁶ Erneut ist dabei neben der
Zur betreffenden doppelten Qualifikation des Symbolbegriffs vgl. auch ebd., 18 f.; als Referenzen gelten Jetter diesbezüglich u. a. die Symbolkonzeptionen Susanne Langers, Paul Ricœurs, Ernst Cassirers, Immanuel Kants sowie Thomas Luckmanns; vgl. ebd., 27 ff. Die Motivation einer interdisziplinären Brückenfunktion spricht sich gleichfalls im Titel des zweiten Kapitels aus: ‚„Symbolisierung“ – anthropologische Informationen‘. Ebd., 30. Ebd., 32. Die enge Verbindung von Symbol- und Religionsbegriff stellt, wie skizziert, eben auch ein Signum von Tillichs Symbolkonzeption dar. Im Kontext der Systematischen Theologie wäre hinsichtlich der Wiederentdeckung des Religionsbegriffs überdies vor allem an die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts anhebende Rezeption Schleiermachers und Ernst Troeltschs zu denken. So Biel selbst im Rückblick; vgl. Peter Biehl, „Symboldidaktik“, LexRP 2 (2001), 2074– 2079, 2074. Vgl. Peter Biehl, „Erfahrungsbezug und Symbolverständnis. Überlegungen zum Vermittlungsproblem in der Religionspädagogik“, in: ders./Georg Baudler (Hg.), Erfahrung – Symbol –
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Schnittstelle von christlicher Tradition und gegenwärtigem Alltagserleben die Brückenfunktion zu den benachbarten Humanwissenschaften im Blick, hier der Wissenssoziologie, der Psychoanalyse und der Philosophie in Gestalt der Hermeneutik Paul Ricœurs.¹²⁷ Der Rückgriff auf den Symbolbegriff soll so, wie schon bei Jetter, eine doppelte Anschlussfähigkeit garantieren. Etwas zurück tritt demgegenüber – zumindest vordergründig – die Koppelung mit dem Religionsbegriff. Jedoch etabliert Biehl mit dem im Aufsatz zentralen Erfahrungsbegriff sowie dem der hermeneutischen Diskussion entnommenen Deutungsbegriff zwei Termini, die einer religionstheoretischen Interpretation zumindest offenstehen. Dass tatsächlich eine innere Affinität zum Religionsbegriff vorliegt, zeigen die Überlegungen im gut ein Jahrzehnt später erschienenen Hauptwerk Symbole geben zu lernen – etwa wenn als gemeinsames Kennzeichen von ästhetischer und religiöser Erfahrung gleich zum Auftakt des ersten Bandes ihre „Kompetenz für symbolische Deutung“ herausgestellt ist.¹²⁸ Eine entsprechende Offenheit, ja sogar programmatische Nähe der Symboldidaktik bzw. ‚kritischen Symbolkunde‘ zur Religionstheorie artikuliert sich im Werk des katholischen Pendants zu Biehl, Hubertus Halbfas, zumal der Religionsbegriff hier von Anbeginn an explizit eine tragende Rolle spielt.¹²⁹ So lässt sich bezüglich der Wiederentdeckung der Symbolthematik in der Praktischen Theologie zusammenfassend festhalten, dass eine wesentliche Motivation in der Sorge um die Vermittelbarkeit des Christlichen mit den Erfahrungswelten der Gegenwart bestand. Dabei war nicht allein das Alltagserleben, sondern zudem von Anfang an der wissenschaftliche Diskurs im Blick: Der Symbolgedanke versprach eine Anschlussfähigkeit, die einer etwa am ‚Evangelium‘, am ‚Glauben‘ oder schlicht am ‚Wort‘ orientierten theologischen Binnensemantik abging.¹³⁰ Gerade hinsichtlich ihrer Brückenfunktion konnten sich
Glaube. Grundfragen des Religionsunterrichts (Frankfurt/Main: Haag + Herchen, 1980), 37– 121, 38.40 u.ö. Vgl. ebd., 40.53 – 55.72– 75. Peter Biehl, Symbole geben zu lernen. Einführung in die Symboldidaktik anhand der Symbole Hand, Haus und Weg (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1989); ders., Symbole geben zu lernen II. Zum Beispiel: Brot, Wasser und Kreuz. Beiträge zur Symbol- und Sakramentendidaktik (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1993); vgl. Biehl, Symbole I, 12 ff., bes. 16 ff.21. Vgl. Hubertus Halbfas, Der Religionsunterricht. Didaktische und psychologische Konturen (Düsseldorf: Patmos-Verlag, 1965); ders., Fundamentalkatechetik. Sprache und Erfahrung im Religionsunterricht (Düsseldorf: Patmos-Verlag, 1968). Vgl. exemplarisch Peter Biehl, „Symbol und Metapher. Auf dem Weg zu einer religionspädagogischen Theorie religiöser Sprache“, JRP 1 (1984), 29 – 64, 29: „Die Religionspädagogik (= RP) kann sich nicht mit der Lehre vom Wort Gottes begnügen, sondern sie muß – will sie die Alltagserfahrungen im Blick behalten – eine Theorie religiöser Sprache entwickeln, die sich
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symboltheoretische und religionstheoretische Reflexion so aufs Engste miteinander verbinden. Lassen sich die um 1980 entstandenen Arbeiten von Jetter, Biehl und Halbfas als Pionierarbeiten verstehen, so hat sich der Symbolbegriff in der Praktischen Theologie seither auf breiter Front etablieren können. In der Religionspädagogik ist eben an die Fortschreibungen auf dem Feld der Symboldidaktik bzw. der ‚kritischen Symbolkunde‘ zu denken, zuletzt durch Klaus Schilling und Burkhard Möring-Plath.¹³¹ Im Bereich der Poimenik hatte Joachim Scharfenberg den Begriff fast zeitgleich zu Jetter und Biehl in die Diskussion einbringen können.¹³² Neben der Therapeutischen Seelsorge ist die Symbol- und Zeichenthematik – wenn auch mehr implizit – für die Hermeneutische Seelsorge beispielsweise Albrecht Grözingers von Bedeutung. Gleiches gilt auf dem Gebiet der Homiletik und Liturgik für jene Ansätze, denen eine prinzipielle Aufwertung des Ästhetischen gemeinsam ist, also etwa den Beiträgen Marcel Martins, Karl-Heinrich Bieritz’ und wiederum Grözingers.¹³³ Schließlich hat Wilhelm Gräb dem Symbolbegriff im Rahmen seines seit den späten 1990er Jahren sukzessive entwickelten Programms einer ‚kulturhermeneutischen Religionstheologie‘ eine schlechterdings zentrale Rolle zudenken können: Die Trias ‚Religion, Sinn, Symbol‘ markiert den gedanklichen Kern, von dem aus Gräb über die klassischen Felder der Praktischen Theologie hinaus zum
kritisch auf die Alltagssprache beziehen lässt. Vom Symbol und von der Metapher her sind in jüngster Zeit in der Theologie und in der RP die Wege zu einer solchen Theorie gesucht worden. Hinter ihnen stehen bestimmte theologische Interessen und unterschiedliche interdisziplinäre Forschungszusammenhänge.“ Klaus Schilling, Symbole erleben (Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 1998); Burkhard MöringPlath, Das Symbol und die unterrichtete Religion. Eine Grundlegung für ein religionspädagogisches Symbolkonzept (Münster u. a.: Lit, 2001). Einen guten Überblick über den seinerzeitigen Stand der Debatte vermittelt das Themenheft ‚Symboldidaktik‘ des Evangelischen Erziehers: EvErz 46 (1994), 1– 90; zur religionspädagogischen wie interdisziplinären Valenz des Symbolbegriffs vgl. zudem die Beiträge in Jürgen Oelkers/Klaus Wegenast (Hg.), Das Symbol – Brücke des Verstehens (Stuttgart Berlin Köln: Kohlhammer, 1991). Joachim Scharfenberg/Horst Kämpfer (Hg.), Mit Symbolen leben. Soziologische, psychologische und religiöse Konfliktbearbeitung (Olten Freiburg: Walter, 1980); ders., Einführung in die Pastoralpsychologie (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1985). Vgl. stellvertretend Marcel Martin, „Predigt als ‚offenes Kunstwerk‘? Zum Dialog zwischen Homiletik und Rezeptionsästhetik“, EvTh 44 (1984), 46 – 58; Karl-Heinrich Bieritz, „Gottesdienst als ‚offenes Kunstwerk‘? Zur Dramaturgie des Gottesdienstes“, PTh 75 (1986), 358 – 373; Albrecht Grözinger, „Der Gottesdienst als Kunstwerk“, PTh 81 (1992), 443 – 453.
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Beispiel die Medienthematik neu durchmustern konnte.¹³⁴ Durchgängig leitend ist die Generalthese: „[A]lle religiöse Kommunikation ist symbolisch.“¹³⁵ Ist bereits damit einmal mehr der genuine Konnex von Religionstheorie und Symboltheorie vorausgesetzt, so hat Gräb diese These in der Folge nochmals stärker formuliert. Religion, religiöse Erfahrung ist demnach diesseits ihrer symbolischen Ausprägung überhaupt nicht erschwinglich: „Die symbolische Formung ist sowohl die Artikulation wie die Prägung der religiösen Erfahrung“¹³⁶ – Letztere ist, so ließe sich paraphrasieren, in sich selbst symbolisch verfasst. Nicht mehr alleine der religiöse Ausdruck, sondern schon die transzendentale Formung ist symbolischer Natur. Den hierfür veranschlagten Religionsbegriff wird man im Vergleich zu den entsprechenden Überlegungen etwa von Jetter oder Halbfas sicherlich als kategorial elaborierter bezeichnen können. Religion gilt Gräb nämlich als „Deutung und Symbolisierung von Erfahrung im Lichte der Unterscheidung von Unendlichem und Endlichem, Unbedingtem und Bedingtem“.¹³⁷ Dabei bleibt der Symbolbegriff gerade nicht dem Bereich der positiven Religion exklusiv vorbehalten. Er fungiert vielmehr wiederum als Brücke zur Alltagskultur wie auch zur Welt der modernen Massenmedien, die ihrerseits als an sich selbst symbolisch strukturiert gedacht werden: „Alle Kultur bewegt sich in symbolischen Formen.“¹³⁸ Der Anklang an Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen ist durchaus gewünscht, stellt diese doch neben Niklas Luhmann und Schleiermacher eine der
Für die klassischen Felder der Liturgik und Homiletik, der Poimenik, der Bildungsthematik etc. vgl. Wilhelm Gräb, Lebensgeschichten – Lebensentwürfe – Sinndeutungen. Eine praktische Theologie gelebter Religion (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1998), 119 ff.; ders., Sinn fürs Unendliche. Religion in der Mediengesellschaft (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 2002), 243 ff.; ders., Religion als Deutung des Lebens. Perspektiven einer Praktischen Theologie gelebter Religion (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 2006), 65 ff. Mit Blick auf das Themenfeld Religion und Massenmedien vgl. exemplarisch ders., Sinn, 133 ff.; ders., Sinnfragen. Transformationen des Religiösen in der modernen Kultur (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 2006), 181 ff. Gräb, Sinn, 13. Gräb, Sinnfragen, 30. Ebd.; vgl. auch ebd., 37. Der fundamentale Stellenwert der religionstheoretischen Reflexion für Gräbs Programm einer ‚kulturhermeneutischen Religionstheologie‘ lässt sich überdies etwa an der frühen Monographie Lebensgeschichten – Lebensentwürfe – Sinndeutungen ablesen. Der dort im ersten Teil ‚Religion als lebensgeschichtliche Sinndeutung‘ herausgearbeitete Religionsbegriff fungiert für alle nachfolgenden Überlegungen als Grundlage; vgl. Gräb, Lebensgeschichten, 37 ff. Gräb, Sinnfragen, 33; vgl. darüber hinaus exemplarisch bezüglich der Alltagskultur ders., Lebensgeschichten, 48 ff.; ders., Religion, 29 ff. bzw. bezüglich der Medienthematik ders., Sinn, 133 ff.; ders., Sinnfragen, 183 ff.
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Hauptreferenzen der eigenen sinntheoretischen Symbol- und Religionskonzeption dar.¹³⁹ Der Symbolbegriff gewinnt damit bei Gräb eine programmatische Reichweite für das Ganze der Praktischen Theologie, wie sie anderweitig – dort in Auseinandersetzung mit psychoanalytischen Ansätzen – etwa Heribert Wahl mit seiner Studie Glaube und symbolische Erfahrung plausibel machen konnte.¹⁴⁰ So hat die Praktische Theologie in den vergangenen vier Jahrzehnten das Symbolthema peu à peu als Sachthema wiedergewinnen können. Es versprach gleichermaßen einen Brückenschlag zu den umliegenden Geistes- bzw. Kulturwissenschaften, wie einen Ausweg aus der lebensweltlichen Sprachlosigkeit, in die der schroffe Offenbarungsbegriff wie die Abstraktheit hermeneutisch-theologischer Fragestellungen hatten führen können. Gewissermaßen als sachliches Pendant wurde der Religionsbegriff in jenem Prozess sukzessive wiederentdeckt. Nun war es nicht zuletzt Tillichs Symbolkonzeption, die – eingedenk der engen Verschränkung von Symbol- und Religionsthematik wenig erstaunlich – der Wiederentdeckung des Symbolischen von Anbeginn an gleichsam als Anker dienen konnte. Sie passte zudem auf weitere Motive der skizzierten Renaissance wie dem der interdisziplinären Anschlussfähigkeit oder der alltagsreligiösen Valenz. Entsprechend galt Tillich etwa Peter Biehl im frühen Programmaufsatz Erfahrungsbezug und Symbolverständnis als erster Gewährsmann eines leistungsfähigen Symbolbegriffs,¹⁴¹ die Tillich-Rezeption zieht sich nachfolgend wie ein roter Faden durch dessen gesamtes symboldidaktisches Werk.¹⁴² Die Rückbindung Für die Verknüpfung der symboltheoretischen Einsichten gerade Schleiermachers und Cassirers vgl. Gräb, Sinn, 55 ff.; ders., Sinnfragen, 29 ff.; für den Rückbezug auf Luhmann ebd., 21 ff. Daneben rekurriert Gräb beispielsweise einmal mehr auf Luckmann/Berger, auf Clifford Geertz oder auch Susanne K. Langer; vgl. etwa ders., Lebensgeschichten, 55 ff.; ders., Sinn, 53 ff.; ders., Religion, 39 ff. Zur Bedeutung Schleiermachers vgl. bereits Wilhelm Gräb, Predigt als Mitteilung des Glaubens. Studien zu einer prinzipiellen Homiletik in praktischer Absicht (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1988). Heribert Wahl, Glaube und symbolische Erfahrung. Eine praktisch-theologische Symboltheorie (Freiburg Basel Wien: Herder, 1994). Vgl. gleich die einleitende Würdigung: „Tillich hat das Verdienst, den Symbolbegriff in die neuere theologische Diskussion eingeführt zu haben.“ (Biehl, „Erfahrungsbezug“, 56); vgl. weiterhin die nachfolgende ausführliche Darstellung; ebd., 56 – 70. Dabei überwiegt weithin die Zustimmung, selbst kritische Invektiven lassen sich noch als produktive Reformulierungen des beim Vorbild Angelegten interpretieren. Neben der theoretischen Durchdringung des Symbolgedankens sind es primär zwei Motive, die Biehls Rückgriff auf Tillich bedingen. Einmal deren mit Sicht auf die Tradition ‚befreiende Intention‘: „Grundworte des Glaubens und dogmatische Begriffe müssen nicht wörtlich verstanden werden.“ (ebd., 56). Die zunächst binnenreligiöse Einsicht eröffnet dann Dialogperspektiven mit dem religiösen Erleben
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ist so dominant, dass seine Symbolkonzeption gar im Ganzen als direkte Fortschreibung von Tillichs Programm interpretiert werden kann.¹⁴³ Bei Wilhelm Gräb verlaufen die Bezüge indirekter. Der Symbolbegriff empfängt seine erste Prägung hier erkennbar von der frühen Beschäftigung mit Schleiermacher, dessen Einflüsse im späteren Programm einer ‚kulturhermeneutischen Religionstheologie‘ sichtbar bleiben. Daneben scheint vorderhand der Rekurs auf Cassirers Philosophie der symbolischen Formen gegenüber dem auf Tillichs Symbolkonzeption vorherrschend. Gleichwohl ist es zumal die Option für einen differenzierten, auch kulturtheoretisch fruchtbaren Religionsbegriff, die Gräb auf Tillich zurückgreifen lässt: Die bereits zitierte Religionsdefinition im Rahmen der Sinnfragen – Religion als „Deutung und Symbolisierung von Erfahrung im Lichte der Unterscheidung von Unendlichem und Endlichem, Unbedingtem und Bedingtem“¹⁴⁴ – atmet in ihrer Orientierung am Kategorienpaar bedingt/unbedingt, dem Deutungs-, Erfahrungs- sowie eben dem Symbolbegriff ersichtlich Tillich’schen Geist.¹⁴⁵ Und während um die Jahrhundertwende beispielsweise in der Einleitung zu Sinn fürs Unendliche kritische Untertöne herauszuhören waren, hat Gräb das eigene Programm jüngst mit dem Namen Tillichs verknüpft wissen wollen.¹⁴⁶
der Zeitgenossen – und also die Hebung jenes fundamentalen ‚Vermittlungsproblems‘ von christlicher Tradition und gegenwärtiger Religiosität, die den Einsatzpunkt des symboldidaktischen Interesses bezeichnet; vgl. ebd., 57 f. Biehls Kritik bleibt demgegenüber punktuell, etwa wenn er dem vorgeblich ‚ontologischen Lösungsansatz‘ Tillichs einen ‚christologischen‘ als bessere Alternative zur Seite stellt; vgl. exemplarisch Biehl, „Symbol“, 32 f. Vgl. Johannes Kubik, Paul Tillich und die Religionspädagogik. Religion, Korrelation, Symbol und Protestantisches Prinzip (Göttingen: V & R unipress, 2011), 147– 197; bes. den dortigen Ertrag: „Niemand in der Religionspädagogik hat sich so intensiv mit Tillich beschäftigt wie Biehl […] Die Untersuchung hat die fundamentale Bedeutung von Tillichs Symboltheorie für die Entwicklung der Symboldidaktik Biehls gezeigt. Die Biehlsche Gestalt der Symboldidaktik wäre ohne Tillich nicht denkbar gewesen, […] denn Biehls Theorie der Symboldidaktik fußt […] in allen wesentlichen Punkten auf der Symboltheorie Tillichs.“ (ebd., 195; kursiv i. O.). Gräb, Sinnfragen, 30. Wie wir sehen werden, ist es just diese Terminologie, in der Tillich in den 1920er Jahren seine Religionstheorie entwerfen sollte. Vgl.Wilhelm Gräb, „Die Lehre der Kirche und die Symbolsprachen der gelebten Religion“, in: Ulrich Barth/Christian Danz/ders./Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2013), 137– 154. Tillich erscheint hier durchgängig als Überschritt über Troeltsch und – vor dem Hintergrund von Gräbs Werk insgesamt durchaus überraschend – sogar über Schleiermacher; vgl. jetzt auch Gräbs Beitrag „Religion im Exil“ in dem von Christian Danz und Werner Schüßler herausgegebenen, im Erscheinen begriffenen Tagungsband Paul Tillich im Exil (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2017) – zumindest der Vortrag im Oktober 2015 zeichnete eine deutliche Option für Tillich.
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Die Wiedergewinnung der Symbolthematik in der evangelischen Theologie verbindet sich dieserart aufs Engste mit der Rezeption von Tillichs Symbolkonzeption. Noch dort, wo das Symbolparadigma seinerseits kritisch hinterfragt wurde – stellvertretend sei auf Michael Meyer-Blancks Forderung einer ‚semiotischen Revision der Symboldidaktik‘ verwiesen¹⁴⁷ –, nahm die Auseinandersetzung auf Tillichs Symbolbegriff Bezug. Im Rahmen der Praktischen Theologie entfaltete dieser so seit den 1980er Jahren jene Wirkungsgeschichte, die ihm ob der skizzierten Konstellationen auf dem Feld der Systematischen Theologie verwehrt geblieben war. Hier wiederum haben die Impulse der Praktischen Theologie in Sachen Symbol – der sich aufs Ganze gesehen merklich intensivierenden Tillich-Rezeption der vergangenen Jahrzehnte zum Trotz – freilich einmal mehr ein nur überschaubares Echo gefunden. Ein Äquivalent zur Symboldidaktik, also eine Schulrichtung, die ihr Interesse gezielt auf die gedankliche Ausarbeitung und Anwendung des Symbolbegriffs gerichtet hätte, hat sich in der Systematischen Theologie nicht formiert. Tritt man einen Schritt zurück, dann scheint es, als hätten sich die mit dem Sachthema des Symbolischen verbundenen Fragestellungen eher in anderweitige Theoriekonstellationen eingelagert – mit den diesen eigenen Stärken, aber
Vgl. exemplarisch den Untertitel bei Michael Meyer-Blanck, „Vom Symbol zum Zeichen. Plädoyer für eine semiotische Revision der Symboldidaktik“, in: Bernhard Dressler/ders. (Hg.), Religion zeigen. Religionspädagogik und Semiotik (Münster: Lit, 1998), 10 – 26, 10; vgl. dazu ausführlich ders., Vom Symbol zum Zeichen. Symboldidaktik und Semiotik (Hannover: LVH, 1995). Meyer-Blanck plädiert für eine generelle Verabschiedung des Symbol- zugunsten des Zeichenbegriffs. Im Kern zielt die Kritik auf eine mit dem Symbolgedanken vorgeblich notwendig verbundene „Tendenz zur Ontologisierung überhaupt“, bedingt durch die symboltheoretisch unumgänglich zentrale „Teilhabemetapher“ (Meyer-Blanck, „Symbol“, 13 bzw. ebd., 19). Über die den Symbolen vermeintlich gleichsam an sich inhärierende Mächtigkeit gerate der fundamentale Rezipienten- bzw. Interpretantenbezug aus dem Blick: „Die Gefahr der Teilhabemetapher liegt darin, die Subjektgebundenheit der Zeichen zu ignorieren und stattdessen eine ‚Bedeutung‘ als Entität zu postulieren, die nur mit Hilfe hermeneutischer Bemühungen zu erschließen ist.“ (ebd., 19 f.). Inwiefern diese Kritik die in den 1920er Jahren von Tillich entworfene Symbolkonzeption trifft – oder eben nicht –, wird deren Rekonstruktion zeigen. Zur Semiotik-Rezeption in der Praktischen Theologie vgl. weiterhin Rainer Volp (Hg.), Zeichen. Semiotik in Theologie und Gottesdienst (München: Kaiser/Mainz: Grünewald, 1982); ders., Liturgik, 2 Bde. (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1992/94); ders./Wilfried Engemann (Hg.), Gib mir ein Zeichen. Zur Bedeutung der Semiotik für theologische Praxis- und Denkmodelle (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1992); Wilfried Engemann, Semiotische Homiletik. Prämissen – Analysen – Konsequenzen (Tübingen Basel: Francke, 1993). Einen ersten Überblick verschafft Michael Meyer-Blanck, „Der Ertrag semiotischer Theorien für die praktische Theologie“, in: Dressler/ders. (Hg.), Religion, 241– 277.
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auch entsprechenden Desideraten. So hat zunächst die anhaltende Dominanz des Paradigmas der Metapher eine Rezeption des Symbolgedankens eher verstellt. Späterhin trat der Zeichenbegriff in den Fokus der systematisch-theologischen Debatten. Den Einsatzpunkt der Rezeption der Metapher markierte dabei, noch im – unmittelbaren – zeitlichen Vorfeld jener Studie von Jetter, mit der die Renaissance des Symbolbegriffs in der Praktischen Theologie anheben sollte, Eberhard Jüngels 1974 erschienener Text Metaphorische Wahrheit. ¹⁴⁸ Jüngel konnte Einsichten der neueren Metaphernforschung nach Ivor Armstrong Richards aufnehmen, die die Metapher von einem sprachlichen Grenzphänomen nachgerade zu einem „Grundvorgang der Sprache“ aufgewertet sehen wollte,¹⁴⁹ und zugleich mit Paul Ricœur und Hans Blumenberg zwei bedeutende zeitgenössische Denker in die theologische Diskussion einbringen. Nicht zuletzt jedoch war es so vor allem möglich, die von Karl Barth ererbten Frage- und Frontstellungen, etwa gegenüber dem Religionsbegriff, im zeitgemäßen Theoriegewand zu erneuern.¹⁵⁰ Die von Jüngel angestoßene Metapherndebatte bewegt sich, in der Fluchtlinie einer ‚Theologie des Wortes Gottes‘, ganz im Paradigma der Sprache. Erweitert wurde dieser sprachphilosophische Ansatz durch Ingolf Ulrich Dalferth, der – weit über seinen Lehrer Jüngel hinausgehend – die Erträge der Analytischen Philosophie angelsächsischer Provenienz für die deutschsprachige Theologie fruchtbar gemacht hat: Beginnend mit der 1981 erschienenen Qualifikationsschrift Religiöse Rede von Gott erscheint das Metaphorische hier nurmehr als ein Teilaspekt neben
Eberhard Jüngel, „Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie“, in: Paul Ricœur/ders. (Hg.), Metapher. Zur Hermeneutik der religiösen Sprache (München: Kaiser, 1974), 71– 122; vgl. auch ders., Geheimnis, 396 – 400. Jüngel, „Wahrheit“, 76 f.; zur Metapher als dem ‚allgegenwärtigen Prinzip der Sprache‘ vgl. Ivor Armstrong Richards, „Die Metapher“, in: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher (Darmstadt: WBG, ²1996), 31– 52, 33. Bei dem betreffenden Text von Richards handelt es sich um eine Kompilation und Übersetzung mehrerer Ausschnitte aus dessen Philosophy of Rhetoric von 1936; weitere einschlägige Beiträge zur Revision der aristotelischen Metapherntheorie im 20. Jahrhundert von Richardson über Max Black bis hin zu Hans Blumenberg und Harald Weinrich finden sich in ebenjener Quellensammlung; vgl. Haverkamp, Theorie; zum demgegenüber klassischen, auf die aristotelische Rhetorik zurückgehenden Verständnis der Metapher im Sinne einer auf einem Ähnlichkeitsverhältnis basierenden sprachlichen Übertragung vgl. die ausführliche Darstellung bei Jüngel, „Wahrheit“, 74– 76.86 – 99. Zur Metaphernthematik insgesamt vgl. weiterhin Kurz, Metapher, bes. 7– 22; Rolf, Metaphertheorien; zur literaturtheoretischen Debatte vgl. die Quellensammlung von Klaus Müller-Richter/Arturo Larcati (Hg.), Der Streit um die Metapher. Poetologische Texte von Nietzsche bis Handke (Darmstadt: WBG, 1998). Vgl. nur die wiederkehrende Entgegensetzung von „christlichem Glauben“ und „religiöser Rede“; vgl. Jüngel, „Wahrheit“, 71.118.120 – 122 u. ö.
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anderen,¹⁵¹ wobei die Motive der ‚Dialektischen Theologie‘ ersichtlich weiter fortwirken. In der jüngeren Vergangenheit hat schließlich eine nochmals verstärkte Rezeption der Metapherntheorie Blumenbergs der theologischen Diskussion neue Impulse verleihen können. Exemplarisch sind die, in der Stoßrichtung merklich divergierenden, Untersuchungen von Markus Buntfuß und Philipp Stoellger hervorzuheben.¹⁵² Tritt man einen Schritt zurück, dann bleibt bei aller gedanklichen Schärfe des neueren metapherntheoretischen Diskurses doch zu fragen, ob nicht noch Buntfuß’ und Stoellgers Überlegungen im – mit Martin Laube zu sprechen – „Bann der Sprache“ verbleiben.¹⁵³ Im Hintergrund steht die übergreifende Frage der Reichweite des Sprachparadigmas überhaupt, zumal in religionstheoretischer Perspektive: Reicht es hin, um Religion adäquat zu erfassen, oder erweist sich das Paradigma des Bewusstseins- bzw. Geistbegriffs als angemessener?¹⁵⁴ Zudem hat etwa schon Jan Rohls mit Blick auf Dalferths Ansatz auf die Kernproblematik einer verjüngten, in der Sache gleichwohl den Abgrenzungen der „Offenbarungstheo-
Dalferth, Rede, 218 ff. Der Abschnitt zur ‚Metaphorischen Rede‘ umfasst kaum mehr 20 Seiten – von über 700 Seiten insgesamt. Markus Buntfuß, Tradition und Innovation. Die Funktion der Metapher in der theologischen Theoriesprache (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1997); Philipp Stoellger, Metapher und Lebenswelt. Hans Blumenbergs Metaphorologie als Lebenswelthermeneutik und ihr religionsphänomenologischer Hintergrund (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000); vgl. darüber hinaus die metapherntheoretischen Überlegungen bei Dietrich Ritschl, Bildersprache und Argumente. Theologische Aufsätze (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2008); vgl. auch Reinhold Bernhardt/ Ulrike Link-Wieczorek (Hg.), Metapher und Wirklichkeit. Die Logik der Bildhaftigkeit im Reden von Gott, Mensch und Natur (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999); zur theologischen Metaphernrezeption vgl. weiterhin Jean-Pierre von Noppen (Hg.), Erinnern, um Neues zu sagen. Die Bedeutung der Metapher für die religiöse Sprache (Frankfurt/Main: Athenäum, 1988); Christian Strub, Kalkulierte Absurditäten. Versuch einer historisch reflektierten sprachanalytischen Metaphorologie (Freiburg München: Alber, 1991); Anselm Haverkamp (Hg.), Die paradoxe Metapher (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1998); Hartl, Theologie; Anselm Haverkamp/Dirk Mende (Hg.), Metaphorologie. Zur Praxis von Theorie (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2009); vgl. auch die Übersicht bei Bernhardt/Link-Wieczorek (Hg.), Metapher, 10 – 19. Martin Laube, Im Bann der Sprache. Die analytische Religionsphilosophie im 20. Jahrhundert (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1999); zu Dalferth vgl. ebd., 212 ff.466 – 468. Buntfuß wie Stoellger rekurrieren mit Blick auf die der Sprache bezüglich der Religionsthematik inhärenten Grenzen primär auf Blumenbergs cusanische Motive aufnehmenden Figur der „Sprengmetaphorik“, vgl. etwa Stoellgers wiederkehrendes Stichwort einer ‚Sprengmetaphorik paradoxaler Theologie‘; Stoellger, Metapher, bes. 181– 187.264 ff.; vgl. zudem Buntfuß, Tradition, 101 ff.139 ff. Diese Frage wird mit Tillichs Symboltheorie insofern aktuell, als sie – wie wir sehen werden – eben im kategorialen Rahmen einer Geisttheorie konzipiert ist. Zur Frage der Reichweite von Sprach- und Geistparadigma vgl. den klassischen Beitrag von John R. Searle, Intentionality. An Essay in the Philosophy of Mind (Cambridge: Cambridge University Press, 1983).
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logie“ verpflichteten Theologie hingewiesen: Zwar leistet sie fraglos eine überzeugende Rekonstruktion der Binnenperspektive des christlichen Glaubens. Sie bleibt aber zugleich deren – engen – Grenzen verhaftet.¹⁵⁵ Mit der interdisziplinären Anschlussfähigkeit wie der Offenheit gegenüber einer religiösen Alltagskommunikation, die sich nicht primär an überkommenen dogmatischen Gehalten orientiert, drohen so gleich zwei zentrale Motive symboltheoretischer Reflexion in den Hintergrund gedrängt zu werden. Neben dem Begriff der Metapher war es dann der Zeichenbegriff, der – wie im Bereich der Praktischen Theologie – in den vergangenen beiden Jahrzehnten eine geradezu stürmische Rezeption erlebte. Als wesentliche Referenz fungierten Charles Sanders Peirce sowie Ernst Cassirer in einer semiotisch akzentuierten Lesart. Als Initiator kann Hermann Deuser gelten, der 1993 mit dem Aufsatzband Gott, Geist und Natur eine umfassende Rekonstruktion der Systematischen Theologie in semiotischer Perspektive vorlegte.¹⁵⁶ Schon ausweislich der Einleitung war es nicht zuletzt die Symbolkonzeption Tillichs, der dabei mit Hilfe von Peirce’ Programm einer „kategorialen Semiotik“ der Abschied gegeben werden sollte: Gegenüber der – vermeintlichen – ontologischen Verankerung des Symbolgedankens, die der Etablierung ‚supranaturalistischer Sonderwelten‘ Vorschub leiste,¹⁵⁷ entfaltete Deuser in der Logik der Peirce’schen Unterscheidung von
Vgl. Jan Rohls, „Sprachanalyse und Theologie bei I. U. Dalferth“, ThR 55 (1990), 200 – 217, bes. 215 ff. Hermann Deuser, Gott: Geist und Natur. Theologische Konsequenzen aus Charles S. Peirce’ Religionsphilosophie (Berlin New York:Walter de Gruyter, 1993). Die einzelnen Aufsätze des Bandes datieren überwiegend aus den 1980er Jahren. Deusers Themenspektrum reicht dabei von der Gotteslehre, Kosmologie und Schöpfungslehre über die Ethik bis hin zu kategorialen zeichentheoretischen Grundlegungsfragen, die wiederum trinitätstheologisch und sakramentstheoretisch fruchtbar gemacht werden. Der so entfaltete Gesamtentwurf steht dann im Hintergrund des späteren Einführungsbandes in die Systematische Theologie; ders., Kleine Einführung in die systematische Theologie (Stuttgart: Reclam, 1999). Deuser, Gott, 16 f.; vgl. auch ebd., 140: „Solange im Rahmen traditioneller Ontologie gedacht wird (wie das bei Paul Tillichs Symbollehre noch der Fall war), besteht auch weiterhin der Anlaß zu dem Mißverständnis, eigentliche und uneigentliche Wirklichkeit lägen sozusagen hintereinander.“ Zum Vorwurf einer „vorgeschalteten Ontologie“, die in der Symbolkonzeption selbst dann wiederkehre, vgl. ders., „Zeichenkonzeptionen in der Religion vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart“, HSK 13.2 (1998), 1743 – 1760, bes. 1751– 1753; der Anhang besagten Artikels bietet eine gute Übersicht über die einschlägige Literatur zum Thema Theologie und Semiotik. Zur Kritik an Tillichs Symbolbegriff vgl. zudem ders., „Gottes Poesie oder Anschauung des Unbedingten? Semiotische Religionstheorie bei C. S. Peirce und P. Tillich“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/ Erdmann Sturm (Hg.), Das Symbol als Sprache der Religion (Wien Berlin Münster: Lit, 2007), 117– 134.
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„Icon“, „Index“ und „Symbol“ einen semiotisch grundierten Symbolbegriff.¹⁵⁸ Das hier abgesteckte Programm hat Martin Vetter dann Ende der 1990er Jahre mit einer auf der Grenze von Systematischer und Praktischer Theologie angesiedelten Arbeit exemplarisch auf die Sakramentsthematik hin fokussieren können.¹⁵⁹ Während bei Deuser die Absatzbewegung von Tillichs Symbolverständnis zwar den Ausgangspunkt der Überlegungen markiert, dieses im weiteren Verlauf jedoch zugunsten der positiven Entfaltung der Peirce’schen Konzeption in den Hintergrund tritt, fungiert es bei Vetter nachgerade als Negativfolie der Gesamtdarstellung. Die Kritik fokussiert sich auf Tillichs Unterscheidung von Symbol und Zeichen, der wiederum eine ontologische Absicherung unterstellt wird.¹⁶⁰ Seither hat sich ein zeichentheoretischer Zugang zur Systematischen Theologie sukzessive etablieren können. Dabei war es mindestens seit der Jahrhundertwende aufs Ganze gesehen weniger das Werk von Peirce, das im Mittelpunkt stand, als vielmehr das Cassirers. War Deusers Rückgriff auf Peirce nicht zuletzt durch ein naturphilosophisches Interesse bzw. näherhin durch ein solches an der Verhältnisbestimmung von Geist- und Naturbegriff motiviert, so rückten nun mit Cassirer verstärkt kulturtheoretische Fragen in den Fokus. Tatsächlich konnte die um die Jahrtausendwende anhebende theologische Cassirer-Rezeption ihrerseits an Arbeiten anschließen, die zuvor auf philosophischer Seite das Verhältnis von Religion und Kultur bei Cassirer – zumeist im Ausgang von der symbolischen Form des ‚Mythos‘ – zum Thema gemacht hatten.¹⁶¹ Neben dem von Dietrich Korsch und Enno Rudolph herausgegebenen Sammelband Die Prägnanz der Religion in
Vgl. vor allem das Kapitel zu ‚Semiotik und Sakrament‘, das schon der Aufbaulogik nach den eigentlichen Fluchtpunkt des Buches darstellt; vgl. Deuser, Gott, 174 ff. Martin Vetter, Zeichen deuten auf Gott. Der zeichentheoretische Beitrag von Charles S. Peirce zur Theologie der Sakramente (Marburg: Elwert, 1999). Vgl. exemplarisch ebd., 249 f.: „Tillichs Symbolbegriff […] kann nicht schlüssig vom antagonistischen Begriff des Zeichens unterschieden werden. Es zeigt sich vielmehr, daß das ontologisch positiv bestimmte Moment des Symbolischen, die Selbstmächtigkeit, jenseits der unmittelbaren Erlebnisebene nicht zu vermitteln ist.“; vgl. auch ebd., 196 u. ö. Zur entsprechenden Literatur s.o. unter b). In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus auf die doppelte Pionierrolle Enno Rudolphs als Herausgeber und Verfasser eigener Beiträge hinzuweisen; vgl. Enno Rudolph, Theologie – diesseits des Dogmas. Studien zur systematischen Theologie, Religionsphilosophie und Ethik (Tübingen: J. C. B. Mohr, 1994), bes. 1– 13; ders. (Hg.), Mythos; ders., „Sprache zwischen Mythos und Erkenntnis. Zu Cassirers Diagnose der Tragik sprachlichen Fortschritts“, in: ders./Heinz Wismann (Hg.), Sagen, was die Zeit ist. Analysen zur Zeitlichkeit der Sprache (Stuttgart: Metzler, 1992), 79 – 92; ders., „Religion als Kulturkritik“, IZPh 1 (1996), 74– 88; ders., „Die sprachliche Kohärenz des symbolischen Universums. Der Weg zur ungeschriebenen Religionsphilosophie Ernst Cassirers“, in: Korsch/ders. (Hg.), Prägnanz, 76 – 90; ders., „Von der Heteronomie der religiösen zur Autonomie der ästhetischen Existenz“, in: ders., Cassirer im Kontext, 85 – 95.
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der Kultur ¹⁶² sind insbesondere die Beiträge Michael Moxters hervorzuheben, zumal Moxter wiederholt einen direkten Quervergleich zwischen Cassirers und Tillichs Fassung des Symbolgedankens gezogen hat.¹⁶³ Wollten Deuser und Vetter einen semiotisch gewendeten Symbolbegriff gegen die bei Tillich vermutete vorkritische Ontologie in Stellung gebracht wissen, so begegnet die betreffende Kritik bei Moxter in Gestalt des Vorwurfs eines „naiven Realismus“ wieder.¹⁶⁴ Ihm wird ein ersichtlich in semiotischer Perspektive gelesener Cassirer als leistungsfähigere Alternative in Sachen Symbol entgegengestellt.¹⁶⁵ Damit ist freilich nicht nur die Rückfrage provoziert, ob Cassirer hier nicht allein als gewissermaßen ‚Halber‘, eben seiner gleichfalls unübersehbaren geistphilosophischen Elemente Entkleideter, in den Blick kommt.¹⁶⁶ Vor allem haben die Erträge der Cassirer-Rezeption in der Theologie insgesamt die Zweifel an der religionstheoretischen und theologischen Leistungskraft seines Denkens nicht wirklich verstummen lassen¹⁶⁷ – Zweifel, die umgehend auf den Symbolbegriff durchschlagen. Auch bezüglich Moxters Darstellung bleibt eine gewisse Undeutlichkeit, inwiefern es Cassirers zeichentheoretisch interpretierter Symbolgedanke sowie dessen Religionskonzeption sind, die die theologische Schlussreflexion argumentativ tragen, oder ob nicht anderweitige Motive die Gedankenführung stärker bestimmen.¹⁶⁸ So haben in der Systematischen Theologie zunächst die Metaphernthematik, später dann die Zeichenkonzeptionen von Peirce und zumal Cassirer Tillichs Symboltheorie den Rang abgelaufen. Schon hinsichtlich der religionstheoretischen Aspekte mag man jedoch fragen, ob nicht eher eine Verdrängung denn eine inhaltliche Aufarbeitung der für Letzteren leitenden Fragestellungen zu konstatieren ist. Um es an einem Doppelbefund zu illustrieren: In der großen Übersichtsstudie Symboltheorien von Eckard Rolf aus dem Jahr 2006 ist der Symbolbegriff vom sprachtheoretischen über den erkenntnistheoretischen und kunsttheoretischen Korsch/Rudolph (Hg.), Prägnanz. Moxter, Lebenswelt; vgl. auch ders., „Die Frage als Symbol, das Symbol als Frage. Ein Vorschlag zur Tillich-Interpretation“, in: Danz/Schüßler/Sturm (Hg.), Symbol als Sprache, 31– 45. Wir kommen auf Moxters Kritik noch zurück; s.u. unter d). Vgl. etwa Moxter, Lebenswelt, 168 u. ö. Erinnert sei alleine an den symboltheoretisch zentralen, wenngleich unscharfen Begriff der ‚geistigen Energien‘; s.o. unter b); vgl. auch die Kritik bei Kubik, Novalis, 9. Vgl. Höfner, Sinn, 170 ff.; Richter, Religion, 262 f.272– 281; die abschließenden Überlegungen zur möglichen positiven Relevanz Cassirers für die Theologie bleiben hier, gerade in dogmatischer Hinsicht, vage; vgl. ebd., 294– 297. Vgl. Moxter, Lebenswelt, 382– 409.
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bis hin zum gesellschaftstheoretischen Kontext in vielfache interdisziplinäre Bezüge eingestellt – eine religionsphilosophische oder theologische Perspektive sucht man hingegen vergeblich.¹⁶⁹ Bedenkt man die lange problemgeschichtliche Tradition des Begriffs gerade in Religionsphilosophie und Theologie und nimmt man den Umstand hinzu, dass die Renaissance des Symbolgedankens in der Praktischen Theologie nicht zuletzt durch die Anschlussfähigkeit an die lebendigen interdisziplinären Debatten motiviert war, dann muss jenes Fehlen aus theologischer Perspektive doppelt schmerzen. Der genuine Beitrag des eigenen Faches zum Thema wird dieserart in der öffentlichen Diskussion gleichsam unsichtbar. Im beinahe zeitgleich erschienenen Kompendium Religionstheorie wiederum erhalten auch nicht ursächlich theologische Positionen zur Religionsthematik – von Sigmund Freud und Aby Warburg bis hin zu Umberto Eco und Michael Walzer – breiten Raum.¹⁷⁰ So begrüßenswert die damit gegebene gedankliche Weite ist, so sehr irritiert das Fehlen profilierter religionstheoretischer Entwürfe theologischer Provenienz. Zwar finden sich mit Schleiermacher, Adolf von Harnack, Ernst Troeltsch und Rudolf Bultmann einige der klassisch zu nennenden Namen – neben Karl Barths und Emanuel Hirschs sucht man aber auch den Tillichs vergeblich.¹⁷¹ Der Traditionsvergessenheit der außertheologischen Diskurse Rolf, Symboltheorien. Allein im Rahmen der ‚Einleitung‘ wird eine entsprechende Perspektive – im Übrigen unter explizitem Hinweis auf Tillich – mit einem Halbsatz erwähnt, jedoch ob vorgeblich mangelnder Theoriefähigkeit des religionsphilosophischen bzw. theologischen Zugriffs als solchem umgehend wieder abgeblendet; vgl. ebd., 4. Volker Drehsen/Wilhelm Gräb/Birgit Weyel (Hg.), Kompendium Religionstheorie (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2005). Zu Karl Barth als Religionstheoretiker vgl. Trutz Rendtorff (Hg.), Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1975); ders., Theologie in der Moderne. Über Religion im Prozess der Aufklärung (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1991), 111– 198; Dietrich Korsch, Dialektische Theologie nach Karl Barth (Tübingen: Mohr Siebeck, 1996); Jörg Dierken, „Gerechtfertigte Religion. Karl Barths Religionskritik im Kontext klassisch-moderner Religionskritik“, in: ders., Selbstbewußtsein individueller Freiheit. Religionstheoretische Erkundungen in protestantischer Perspektive (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 91– 110; Stefan Holtmann, Karl Barth als Theologe der Neuzeit. Studien zur kritischen Deutung seiner Theologie (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007); zu Emanuel Hirsch vgl. Joachim Ringleben (Hg.), Christentumsgeschichte und Wahrheitsbewußtsein. Studien zur Theologie Emanuel Hirschs (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1991); Arnulf von Scheliha, Emanuel Hirsch als Dogmatiker. Zum Programm der ‚christlichen Rechenschaft‘ im ‚Leitfaden zur christlichen Lehre‘ (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1991); Ulrich Barth, Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problemgeschichtliche Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoretischen Grundlagen (Berlin New York:Walter de Gruyter, 1992); Matthias Lobe, Die Prinzipien der Ethik Emanuel Hirschs (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1996); Martin Zerrath, Vollendung und Neuzeit. Transformation der Eschatologie bei Blumenberg und Hirsch (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2011).
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in Sachen Symbol scheint eine solche der innertheologischen Debatten in Sachen Religion zu korrespondieren. Angesichts dieses punktuellen, nichtsdestoweniger jedoch exemplarischen Doppelbefundes ist es an der Zeit, beides – Tillichs Symboltheorie wie seine Religionstheorie – noch einmal neu in die Diskussion einzubringen. Die Schnittstelle markiert eben seine Theorie des religiösen Symbols.
d) Forschungslage und Aufbau der Arbeit Aufs Ganze gesehen blieb die Wirkung der von Tillich entworfenen Symboltheorie in der Systematischen Theologie von überschaubarer Reichweite. Zugleich ist – in vermerkter eigentümlicher Gegenläufigkeit – die thematische Forschungsliteratur in Aufsätzen, Sammelbänden und Monographien Legion. Ein Forschungsüberblick mag abseits theologiepolitischer Großwetterlagen nochmals mögliche Gründe für diesen gegenläufigen Befund erwägen und in eins den Ort der vorliegenden Arbeit bestimmen. Dabei ergibt sich der systematisierend-schematische Charakter des Folgenden schon aus der schieren Fülle der Forschungsliteratur. Die auch hinsichtlich der Rezeption der Symboltheorie ausgesprochen wirkmächtige Studie von Gunther Wenz aus dem Jahr 1979, Subjekt und Sein,¹⁷² markiert in gewisser Weise einen ersten Einschnitt. Ihre Stärke lag in dem Anspruch, Tillichs Symbolbegriff vor dem Hintergrund der einschlägigen Theorieformationen der 1920er Jahre – etwa der Religions- und Sinntheorie, der Kulturtheologie und der Wissenschaftstheorie – zu interpretieren.¹⁷³ Dieser gleichermaßen werkgenetische wie systematische Zugriff darf als echter Überschritt über die vorangegangenen Beiträge und also ebenfalls über die oben genannten größeren Studien von Looff, Nörenberg und von Kriegstein gelten.¹⁷⁴ Letztere beide hatten den Symbolbegriff primär auf den werkgeschichtlich merklich späteren Korrelationsgedanken bezogen, entsprechend wenig reflektiert werden frühe und späte symboltheoretische Überlegungen Tillichs hier miteinander verbunden.¹⁷⁵ Freilich sollte Wenz den prinzipiell werkgenetischen Ansatz in der Rekonstruktion der Symboltheorie selbst wiederum nur sehr bedingt durchhalten.¹⁷⁶
Wenz, Subjekt. Ebd., 111 ff. Looff, Symbolbegriff; Nörenberg, Analogia; Kriegstein, Methode. Vgl. Nörenberg, Analogia, 69 ff.82 ff bzw. Kriegstein, Methode, 22 ff.72 ff. Vgl. Wenz, Subjekt, 161 ff.
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Zudem kehrt bei ihm, obgleich abgemildert, eine weitere Schwäche der früheren Studien wieder: Schon Looff hatte seine Darstellung ganz wesentlich an den vier „Merkmalen“ des Symbols orientiert, die Tillich in seinem ersten eigens dem Thema gewidmeten Aufsatz, Das religiöse Symbol von 1928, benannt hatte.¹⁷⁷ Nicht nur bedingt eine derart enge darstellungslogische Rückbindung den Umstand, dass die Rekonstruktion – wie bei Looff, so eben bei Nörenberg und von Kriegstein – mehr den Charakter der Paraphrase annehmen kann. Vor allem fand sich bereits bei jenem eine perspektivisch wirkungsvolle gedankliche Verkürzung: Looff fokussierte näherhin zwei der von Tillich formulierten vier Merkmale und prägte dieserart den Terminus einer für dessen Symbolgedanken signifikanten „Symboldialektik“.¹⁷⁸ Ebendiese Fokussierung wurde in der Folge nicht selten als Reduktion wirksam.¹⁷⁹ Demgegenüber ist zwar auch für Wenz jene Zentralfigur einer „Symboldialektik“ von fundamentaler Bedeutung.¹⁸⁰ Bei ihm bleibt sie jedoch im Rahmen der systematisch breiter angelegten Rekonstruktion lediglich ein – wenngleich zentrales – Moment der Gesamtkonzeption neben anderen. Damit kommt er Tillichs Intention nahe, ohne ihn schon vom Ansatz her unzulässig zu verkürzen. Wenz’ Darstellung der Symboltheorie Tillichs gibt sich nun im Kern als deren Kritik. Der Vorwurf, der – als ein Exempel seiner Wirkmächtigkeit – beispielsweise noch der Wertung im Symbolartikel der Theologischen Realenzyklopädie als Grundlage dienen sollte, lautet dabei auf einen „univoken Symbolismus“.¹⁸¹ Er gilt
Vgl. Looff, Symbolbegriff, 53 f. Ebd., 58. Looff bezieht sich, wie das Gros der ihm hier Folgenden, auf die beiden Merkmale der „Selbstmächtigkeit“ und der „Uneigentlichkeit“. Vgl. exemplarisch Nörenberg, Analogia, 87: „Die Wesensmerkmale des Symbols lassen sich auf die beiden grundlegenden Merkmale der Uneigentlichkeit und Selbstmächtigkeit reduzieren.“; vgl. weiterhin etwa Otto Schnübbe, Paul Tillich und seine Bedeutung für den Protestantismus heute. Das Prinzip der Rechtfertigung im theologischen, philosophischen und politischen Denken Paul Tillichs (Hannover: Lutherhaus-Verlag, 1985), 31; Werner Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933). Darstellung und Interpretation seiner Gedanken und Quellen (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1986), 105. Die betreffende Gefahr einer gedanklichen Verkürzung findet sich freilich auch bei anderweitigen, gleichfalls einseitigen Schwerpunktsetzungen, vgl. z. B. Michael Korthaus, ‚Was uns unbedingt angeht‘ – der Glaubensbegriff in der Theologie Paul Tillichs (Stuttgart Berlin Köln: Kohlhammer, 1999), 116 (Merkmal der „Anerkanntheit“) oder Vetter, Zeichen, 190 (Merkmale der „Selbstmächtigkeit“ und „Anerkanntheit“). Das systematische Grundproblem liegt hier wie dort in der zu starken darstellungslogischen Rückbindung an und der Fokussierung auf die von Tillich in jenem Symbolaufsatz gegebenen ‚Merkmale‘ des Symbolischen. Vgl. Wenz, Subjekt, 163 – 165. Ebd., 177; vgl. Werner Brändle, „Symbol III. Systematisch-theologisch“, TRE 32 (2001), 487– 491, 489 f.
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gleichermaßen der Anlage wie den Konsequenzen der Symbolkonzeption. Wir können seine Prüfung der Untersuchung selbst überlassen, einleitend seien jedoch zwei Rückfragen an Wenz’ Rekonstruktion adressiert. So hat Wenz bekanntlich den Anspruch erhoben, im Zuge seiner Arbeit das eine Strukturprinzip von Tillichs Denken herausgearbeitet zu haben, verdichtet in der Formel der „Identität von Identität und Differenz“.¹⁸² Sachlich ist zu fragen, ob die betreffende Formel Grundmotive Tillich’scher Theologie überhaupt erfasst: Verfolgte, so lässt sich formulieren, Tillich tatsächlich das mit jener Formel insinuierte Programm einer umfassenden und vollständigen Vermittlung aller Gegensätze? Diese inhaltliche Rückfrage betrifft insofern direkt die Interpretation der Symboltheorie, als Wenz ihr unterstellt, die eigenen Intentionen – nämlich eben „die Identität des Nichtidentischen, die das Symbol realisieren sollte“ – nicht einzuholen.¹⁸³ Es bleibt zu klären, ob damit die Problemstellung, auf die hin Tillich seinen Symbolgedanken konzipierte, wirklich getroffen ist. Nochmals weiter reicht die methodische Rückfrage, inwiefern eine solche Reduktion auf eine vermeintliche Grundformel dem Ganzen der Theologie Tillichs eigentlich gerecht werden kann.¹⁸⁴ Die Frage schlägt wiederum auf Wenz’ Rekonstruktion der Symboltheorie durch, da die Übertragung jenes zuvor anderwärts gewonnenen Strukturprinzips diese ausdrücklich steuert.¹⁸⁵ Der Stellenwert der Arbeit von Wenz, zumal in wirkungsgeschichtlicher Hinsicht, ist damit keineswegs relativiert. Gleichwohl weisen beide Rückfragen in die Richtung, den dort eingeschlagenen Weg einer umfassenden systematischen Einbindung der Symbolkonzeption in das Gesamt der thematisch einschlägigen Theoriemomente in Verschränkung mit einem werkgenetischen Vorgehen entschiedener zu verfolgen, als dies bei Wenz in der Durchführung de facto der Fall war – um eben Tillichs eigene Motive für die Ausbildung seiner Symboltheorie allererst in den Blick zu bekommen. Allein eine solche Herangehensweise, die die Erhebung der intentio auctoris als ersten Schritt vor den notwendigen zweiten der Sachkritik stellt, genügt dem Prinzip hermeneutischer Billigkeit.
Vgl. Wenz, Subjekt, 103 u. ö. Ebd., 177. So etwa schon Schwöbel, demzufolge die Arbeit von Wenz bei aller Würdigung „allerdings auch die Frage nach Leistungsfähigkeit solcher reduktiver Analysen auf[wirft]. Erstens stellt sich die Frage, ob eine solche konsequent durchgeführte Reduktion nicht mit einem Strukturprinzip von so abstrakter Allgemeinheit arbeiten muß, daß es in bezug auf die faktisch vorliegenden Argumentationen Tillichs wenig Spezifisches erschließt.“ (Schwöbel, „Tendenzen“, 180). Vgl. Wenz, Subjekt, 160 f.179.
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Das betreffende Desiderat – eine konsequente Verbindung von systematischer und werkgenetischer Perspektive, die sich zunächst einmal zum Anwalt von Tillichs eigenem Anliegen macht – lässt sich im Grunde auch allen nachfolgenden Untersuchungen gegenüber kritisch anfragen. Es trifft mithin nicht nur jene Studien, die ganz auf die späte Symbolkonzeption der US-amerikanischen Zeit abzielen und also der genuinen Motive ihrer Formierung in den 1920er Jahren schon der Anlage nach schwerlich ansichtig werden können. Zu denken wäre hier etwa an Werner Schüßlers Monographie Jenseits von Religion und Nicht-Religion oder aber an das Gros der englischsprachigen Literatur.¹⁸⁶ Noch die instruktiven Beiträge von Joachim Ringleben und Michael Moxter leiden darunter, dass ihre – im Kern wiederum kritischen – Überlegungen je und je die Rückfrage evozieren müssen, inwiefern Tillichs Symboltheorie in ihren eigenen systematischen und problemgeschichtlichen Bezügen eigentlich recht erfasst ist. Ringlebens Aufsatz Symbol und göttliches Sein von 1989¹⁸⁷ stützt sich zwar auf die symboltheoretisch bedeutsamen Texte der 1920er Jahre und erweitert, wie
Werner Schüßler, Jenseits von Religion und Nicht-Religion. Der Religionsbegriff im Werk Paul Tillichs (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 155 – 177. Schüßlers Studie ist insofern paradigmatisch, als sie gleichermaßen durch die souveräne Kenntnis der symboltheoretisch einschlägigen Quellen der US-amerikanischen Zeit wie durch das Fehlen eines kritisch-genetischen Zugriffs gekennzeichnet ist. Die englischsprachige, zumal US-amerikanische Literatur zum Thema ist ein Feld für sich. Stellvertretend verwiesen sei auf Lewis S. Ford, „The Three Strands of Tillich’s Theory of Religious Symbols“, JR 46 (1966), 104– 130; William L. Rowe, Religious Symbols and God. A Philosophical Study of Tillich’s Theology (Chicago: University of Chicago Press, 1968); Michael F. Palmer, Paul Tillich’s Philosophy of Art (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1984), 144– 157.193 – 198; Richard Grigg, Symbol and Empowerment. Paul Tillich’s Post-Theistic System (Macon/Ga.: Mercer University Press, 1985); Warren A. Kay, Paul Tillich’s Hermeneutic of religious Symbols. A Theological-Philosophical Investigation (Diss., Zürich, 1992); Donald F. Dreisbach, Symbols and Salvation. Paul Tillichs Doctrine of Religious Symbols and his Interpretation of the Symbols of the Christian Tradition (London: University Press of America, 1993); Robison B. James, Tillich and World Religions. Encountering Other Faiths Today (Macon/Ga.: Mercer University Press, 2003); vgl. zudem die Literatur bei Frederick J. Parrella, „Tillich’s Understanding of Symbol and Contemporary Catholic Sacramentality“, in: Danz/Schüßler/Sturm (Hg.), Symbol als Sprache, 101– 116, 101 Anm. 2. Joachim Ringleben, „Symbol und göttliches Sein“, in: Gert Hummel (Hg.), God and Being. The Problem of Ontology in the Philosophical Theology of Paul Tillich (Contributions made to the II. International Paul Tillich Symposium held in Frankfurt 1988)/Gott und Sein. Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs (Beiträge des II. Internationalen Paul-TillichSymposions in Frankfurt/Main 1988) (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1989), 165 – 181; unveränderter Wiederabdruck als: „Symbol und göttliches Sein (I)“, in: Joachim Ringleben, Gott denken. Studien zur Theologie Paul Tillichs (Münster: Lit, 2003), 87– 101. Die entsprechenden Seitenangaben beziehen sich nachfolgend auf den Wiederabdruck. In letzterem Band findet sich
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zuvor Wenz, das Blickfeld über den Symbolaufsatz von 1928 hinaus vor allem um die beiden großen systematischen Entwürfe jener Jahre, das System der Wissenschaften und die Religionsphilosophie. Entsprechend nehmen seine Überlegungen etwa mit dem ‚Form/Gehalt‘-Schema Bezug auf Tillichs Sinntheorie und stellen den Symbolgedanken dieserart in einen der entscheidenden Theoriekontexte ein. Zudem nutzt er die von Tillich in jenem Symbolaufsatz benannten ‚Merkmale‘ des Symbolischen für eine Re-Lecture, die die tatsächlich zentralen Momente der „Selbsttranszendenz“, der „Dialektik“ sowie der unbedingtheitstheoretischen Rückbindung des religiösen Symbols kritisch hinterfragt.¹⁸⁸ So anregend und in der Sache weiterführend Ringlebens Ausführungen sind, so wenig kann man sich des Eindrucks erwehren, dass hinsichtlich zentraler Kritikpunkte – wie etwa dem einer „festgehaltene[n] Endlichkeit, zu deren religiöser Überwindung eben der Symbolbegriff eingeführt worden ist“¹⁸⁹ – im Hintergrund mehr ein Denken Hegel’scher Provenienz die Regie führt. Demgegenüber wäre Tillichs Symbolkonzeption zunächst an den systematischen Intentionen zu messen, die sich für ihn selbst in Anbetracht der maßgeblichen ideen- und problemgeschichtlichen Konstellationen als entscheidend darstellten. Erst auf dieser Grundlage ließe sich die Kritik Ringlebens, wie schon die von Wenz, mit Gründen beurteilen. Moxters Studie Kultur als Lebenswelt hat Tillichs Symbolgedanken wiederum im Kontext von dessen Kulturtheologie verortet.¹⁹⁰ Demzufolge kommt Tillichs „naiver Realismus“ im Symbolbegriff gesondert zum Austrag: Neben Unmittelbarkeitsprätentionen bezüglich des religiösen Erlebens ist es vor allem die vorgeblich ontologisch abgesicherte Unterscheidung von Symbol und Zeichen, die Moxter in semiotischer Perspektive hinterfragt.¹⁹¹ Zumal die letztere Frage der Tragfähigkeit von Tillichs strikter Abgrenzung des Symbols vom Zeichenbegriff wie auch die damit verbundene Forderung eines stärkeren Einbezuges der pragmatischen Dimension der Symbolverwendung führen sachlich weiter¹⁹² – wobei zu fragen bleibt, ob es günstig ist, diese gegen die für Tillichs Symbolgedanken ersichtlich konstitutive semantische Dimension auszuspielen. Erneut entsteht der Eindruck, dass Tillichs Symbolkonzeption letztlich an Kriterien gemessen wird, die anderwärts her – hier vornehmlich an einer bestimmten Lesart des Cassirer’schen und Peirce’schen Symbolbegriffs – gewonnen sind, ohne dass jene
überdies ein zweiter, zuvor unveröffentlichter Aufsatz zum Thema, der sich jedoch ganz auf die späte Symbolkonzeption konzentriert; ders., „Tillichs Symboltheorie (II)“, in: ebd., 139 – 164. Vgl. Ringleben, „Symbol (I)“, 89 ff.97 ff.93 ff. Ebd., 92. Moxter, Lebenswelt. Vgl. ebd., 33 ff. Vgl. ebd., 24.34– 36.84 f.91 u. ö.; ders., „Symbol“, 35 – 38.
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allererst in ihrer systematischen Gestalt wirklich rekonstruiert wäre. Das wird exemplarisch dort deutlich, wo Moxter mit Edmund Husserls Figur des ‚Meinens‘ eine vermeintliche Alternative zu Tillichs vorgeblichem naiven Realismus ins Gespräch bringt,¹⁹³ die sich für dessen Bewusstseins- und Geisttheorie der 1920er Jahre im Zuge unserer Rekonstruktion jedoch ihrerseits als konstitutiv erweisen wird. Einmal mehr: Alleine das kontrollierte werkgenetische Vorgehen bewahrt vor Fehlurteilen. Blickt man auf die Literatur zu Tillichs Symboltheorie im Ganzen, so ist ersichtlich, dass eine Rekonstruktion derselben, die sie gleichermaßen in ihre werkgenetischen, systematischen und problemgeschichtlichen Bezüge einstellt, bislang aussteht.¹⁹⁴ Allein eine solche kann jedoch als Grundlage dienen, auf der die Rückfragen an Tillichs Fassung des Symbolgedankens sich sachgemäß diskutieren lassen – wie sich überhaupt die Leistungskraft seiner Symbolkonzeption dieserart erst wirklich beurteilen lässt. Eine entsprechende Rekonstruktion wird zahlreiche Anregungen aus der Fülle der Literatur aufnehmen können, neben den notierten Bezügen zur Sinntheorie¹⁹⁵ und zur Kulturtheologie ist vor allem an den von Christian Danz vermerkten Konnex von Paradox- und Symbolgedanken zu
Vgl. Moxter, Lebenswelt, 38 ff.; ders., „Symbol“, 41 f. Dies gilt auch für die neuere Literatur zum Thema,vgl. etwa – mit Ausnahme der Beiträge von Christian Danz und Folkart Wittekind – den Band Danz/Schüßler/Sturm (Hg.), Symbol als Sprache; Birgit Luscher, Arbeit am Symbol. Bausteine zu einer Theorie religiöser Erkenntnis im Anschluss an Paul Tillich und Ernst Cassirer (Berlin Münster: Lit, 2008), 19 – 95; Martin Harant, Religion – Kultur – Theologie. Eine Untersuchung zu ihrer Verhältnisbestimmung im Werke Ernst Troeltschs und Paul Tillichs im Vergleich (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 2009), 187 ff.; Paul Galles, Situation und Botschaft. Die soteriologische Vermittlung von Anthropologie und Christologie in den offenen Denkformen von Paul Tillich und Walter Kasper (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2012), 152 ff.; Karsten Schneider, Vom mystischen Schweigen zum Reden aus Gewissheit. Wittgensteins Sprachparadigmen theologisch gedeutet – mit einer Anwendung auf Tillichs Symboltheorie (Frankfurt/ Main: Peter Lang, 2013), 271 ff. Erste Ansätze zu einer Rekonstruktion finden sich bei Christian Danz, „Symbolische Form und die Erfassung des Geistes im Gottesverhältnis. Anmerkungen zur Genese des Symbolbegriffs von Paul Tillich“, in: ders./Schüßler/Sturm (Hg.), Symbol als Sprache, 59 – 75; Folkart Wittekind, „Gottesdienst als Handlungsraum. Zur symboltheoretischen Konstruktion des Kultes in Tillichs Religionsphilosophie“, in: ebd., 77– 100; Lars Heinemann, „Symboltheoretische Anfänge. Paul Tillichs frühe Privatdozentenjahre in Berlin (1919/1920)“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 233 – 257. Vgl. neben Ringleben v. a. die Beiträge von Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2000), 341– 347; ders., „Der Begriff des Symbols bei Paul Tillich und Ernst Cassirer“, in: Korsch/Rudolph (Hg.), Prägnanz, 201– 228.
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denken.¹⁹⁶ Die religionstheoretische Rückbindung ergibt sich angesichts des bis hierhin Skizzierten gewissermaßen von selbst. Neben der Sinntheorie ist dabei primär die zweite ‚Großtheorie‘ der 1920er Jahre anzuvisieren: nämlich die Theorie des Geistes. In ihrer beider Verbindung ist, so die These, der kategoriale Rahmen erfasst, in dem Tillich seine Theorie des Symbols entworfen hat.¹⁹⁷ Zumal die Berechtigung der in der Forschung wiederkehrenden Kritik einer vorgeblich ‚vorkritischen Ontologie‘ bzw. eines ‚naiven Realismus‘ im Hintergrund des Tillich’schen Symbolgedankens lässt sich allererst vor diesem sinn- und geisttheoretischen Setting bedenken. Der dezidiert werkgenetische Zugriff verbürgt, dass die systematischen Bezüge tatsächlich richtig eingeordnet werden.¹⁹⁸ Hinsichtlich der um 1919/1920 anhebenden Überlegungen Tillichs zum Symbolbegriff bedarf es so des Rückgangs bis in das Frühwerk der Studien- und Promotionszeit, um der gedanklichen Problemkonstellation ansichtig zu werden, auf die hin das Symbol dann die Antwort darstellen wird. Die Konzentration auf den ‚frühen‘ Tillich der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und den ‚mittleren‘ der Weimarer Zeit trifft sich nun gleichermaßen mit editorischen Tendenzen wie mit solchen innerhalb der deutschsprachigen Tillich-Forschung der letzten beiden Jahrzehnte. Seit 1998 noch unter Federführung von Gert Hummel der neunte Band der Ergänzungs- und Nachlassbände zu den Gesammelten Schriften (EW) erschienen ist, der unter dem Titel ‚Frühe Werke‘ neben der philosophischen Dissertation und der theologischen Habilitation vor allem den über die zuvor bekannten Thesen weit hinausreichenden eigentlichen Textbestand der Systematischen Theologie von 1913 versammelte, sind unter der kaum genug zu würdigenden editorischen Arbeit zumal Erdmann Sturms zahllose unveröffentlichte Texte aus der fraglichen Zeit erschienen: Zu denken ist für unseren Untersuchungszeitraum an die Skizzen und Fragmente zum Themenkreis ‚Religion, Kultur, Gesellschaft‘ (EW X und XI) und die Vorlesungen der Berliner und Marburger-Leipziger-Dresdner Jahre (EW XII – XIV).¹⁹⁹ Die beiden hierunter be-
Vgl. Danz, „Symbolische Form“, 61– 64. Entsprechende Andeutungen finden sich bei Danz, „Symbolische Form“, 60, und Wittekind, „Gottesdienst“, 77 Anm. 2, ohne dass sie hier bereits ausgearbeitet wären. Vgl. auch Danz, „Symbolische Form“, 60: „Tillichs Symboltheorie ist nur auf dem Hintergrund der angedeuteten werkgeschichtlichen Entwicklung angemessen zu beurteilen.“, in Verbindung mit der zugehörigen Anm. 7: „Die Versuche, Tillichs Symbolverständnis im Ausgang von den späten Schriften zu würdigen, scheinen mir diese geistphilosophische Perspektive nicht angemessen zu berücksichtigen und zu einem verfehlten, referenztheoretischen Symbolverständnis Tillichs zu führen“ (ebd.). Zudem sind in den vergangenen Jahren über die Edition von Vorlesungen mit der ‚Frankfurter Zeit‘ Tillichs letzte Jahre in Deutschland (EW XV und XVIII) sowie die frühe US-amerikanische Zeit (EW XVII und XIX) noch einmal neu zugänglich gemacht worden.
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griffenen größeren, ausgereiften Entwürfe der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – die vormalig als ‚Marburger‘ bekannte Dresdner Dogmatik-Vorlesung der Jahre 1925 bis 1927 sowie das Systemfragment Das System der religiösen Erkenntnis von 1927/28 – sind von besonderem Wert. Die Quellenlage zum ‚frühen‘ und ‚mittleren‘ Tillich hat sich so binnen kurzer Zeit nicht weniger als grundstürzend verändert bzw. verbreitert. Eine Rekonstruktion der Symboltheorie aus deren werkgenetischen, problemgeschichtlichen und systematischen Bezügen heraus scheint vor diesem Hintergrund überhaupt erst wirklich möglich. Die Forschung hat ihrerseits, der editorischen Erschließung der frühen und frühesten Quellen folgend, den Fokus zunehmend auf Aspekte des frühen und mittleren Werkes verlagert: Neben den Studien etwa von Tom Kleffmann zur Nietzsche-Rezeption, von Doris Lax, von Georg Neugebauer zur Christologie, von Martin Harant zur Kulturtheologie, von Stefan Dienstbeck zum Systemgedanken und – zumindest der Intention nach – der Moxters,²⁰⁰ sind die Einzelbeiträge insbesondere Ulrich Barths, Christian Danz’, Jörg Dierkens und Folkart Wittekinds zu nennen.²⁰¹ Zudem haben nicht zuletzt die zahlreichen Tagungen nebst ent-
Tom Kleffmann, Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie. Eine Interpretation Nietzsches und Untersuchung zu seiner Rezeption bei Schweitzer, Tillich und Barth (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003); Doris Lax, Rechtfertigung des Denkens. Grundzüge der Genese von Paul Tillichs Denken dargestellt und erläutert an vier frühen Schriften aus den Jahren 1911 – 1913 (Göttingen:V & R unipress, 2006); Georg Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2007); Harant, Religion; Stefan Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs (Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht, 2011); vgl. weiterhin Katja Bruns, Anthropologie zwischen Theologie und Naturwissenschaft bei Paul Tillich und Kurt Goldstein. Historische Grundlagen und systematische Perspektiven (Göttingen: Edition Ruprecht, 2011). Zu Moxter vgl. die Überschrift des betreffenden Tillich-Kapitels in Kultur als Lebenswelt ‚Vom Sein zum Sinn. Zur Kritik von Tillichs Kulturtheologie‘ sowie die zugehörige methodische Maxime: „In der Regel wird die Entwicklung Tillichs hin zu einer Ontologie unter der Überschrift ‚Vom Sinn zum Sein‘ gewürdigt. Wir versuchen in diesem Kapitel einmal die Umkehrung.“ (Moxter, Lebenswelt, 23 Anm. 51). Ulrich Barth, „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 89 – 123; ders., „Religion und Sinn“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft, 197– 213; ders., „Protestantismus und Kultur. Systematische und werkbiographische Erwägungen zum Denken Paul Tillichs“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 13 – 37; Christian Danz, „Theologie als normative Religionsphilosophie. Voraussetzungen und Implikationen des Theologiebegriffs Paul Tillichs“, in: ders. (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (Wien: Lit, 2004), 73 – 106; ders., „Glaube und Autonomie. Zur Deutung der Rechtfertigungslehre bei Karl Holl und Paul Tillich“, in: ders./Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.),
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sprechender Tagungsbände, die – unter der Herausgeberschaft zumal von Danz, Schüßler und wiederum Sturm – primär dem ‚frühen‘ und ‚mittleren‘ Tillich als Schwerpunkt galten oder ihn zumindest prominent mitbedachten, die Forschung erheblich vorangebracht.²⁰² Die vorliegende Arbeit soll das dieserart entstandene Panorama eben um die Theorie des religiösen Symbols ergänzen.²⁰³ Damit verbindet sich zugleich die Hoffnung, das Sachthema des Symbolischen anhand einer ihrer profiliertesten und ausgereiftesten Theoriegestalten der jüngeren Theologiegeschichte noch einmal neu in die systematisch-theolo-
Wie viel Vernunft braucht der Glaube? (Wien Münster: Lit, 2005), 159 – 174; ders., „Symbolische Form“; ders., „‚Alle Linien gipfeln in der Religion des Paradox‘. Tillichs religionsgeschichtliche Konstruktion der Religionsphilosophie“, in: ders./Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft, 215 – 231; ders., „Die Religion in der Kultur. Karl Barth und Paul Tillich über die Grundlagen einer Theologie der Kultur“, in: ders./Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur, 211– 227; ders., „Die politische Macht des mythischen Denkens, Paul Tillich und Ernst Cassirer über die Ambivalenz des Mythos“, in: ders./Werner Schüßler (Hg.), Die Macht des Mythos. Das Mythosverständnis Paul Tillichs im Kontext (Berlin München Boston: Walter de Gruyter, 2015), 119 – 142; Jörg Dierken, „Zweifel und Gewißheit. Zur religiösen Bedeutung skeptischer Reflexion bei Paul Tillich“, in: ders., Selbstbewußtsein individueller Freiheit. Religionstheoretische Erkundungen in protestantischer Perspektive (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 299 – 323; Folkart Wittekind, „‚Sinndeutung der Geschichte‘. Zur Entwicklung und Bedeutung von Tillichs Geschichtsphilosophie“, in: Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie, 135– 172; ders., „Gottesdienst“. Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie; Danz/Schüßler/Sturm (Hg.), Symbol als Sprache; Christian Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Tillich und Nietzsche (Wien Berlin Münster: Lit, 2008); Danz/Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft; Danz/Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur; Barth/Danz/Gräb/Graf (Hg.), Aufgeklärte Religion. Die genannten Bände sind seit 2004 und also binnen eines guten Jahrzehnts erschienen. Mit dem gewählten Themenkreis ‚Sinn – Geist – Symbol‘ ist unübersehbar in eins eine Gesamtdeutung des frühen und – vor dem Hintergrund dessen, dass dieses meiner Einschätzung nach nicht bis zur US-amerikanischen Zeit reicht, sondern bereits mit der eben auf die Jahre 1927/ 28 zu datierenden „ontologischen“, den Seinsgedanken ins Zentrum stellenden theoretischen Reorientierung Tillichs endet – mittleren Werkes anvisiert. Hier sind Schwerpunktsetzungen unumgänglich. Genauer sollen die im eminenten Sinne religionsphilosophisch-systematischen Aspekte von Tillichs Theoriebildung ganz im Vordergrund stehen. Interpretationen, die für den fraglichen Zeitraum stärker religionsgeschichtlich-geschichtsphilosophische Gesichtspunkte hervorheben – womit naheliegenderweise umgehend Tillichs Schelling-Rezeption an Gewicht gewinnt –, sind zuletzt etwa von Neugebauer und vor allem Danz vorgelegt worden, das Forschungsdesiderat ist entsprechend kleiner. Auch theologische und materialdogmatische Perspektiven sind mehr am Rande mitbedacht. Sie fließen exemplarisch in die Überlegungen ein, wo sie die systematische Fragestellung stützen oder punktuell die dogmatischen Konsequenzen der religionsphilosophischen Grundkonstruktion illustrieren. Die Idee einer eigenen, echten materialdogmatischen Erprobung von Tillichs Symboltheorie steht im Raum. Der vorliegenden Arbeit geht es demgegenüber darum, mit der Rekonstruktion der Struktur des religiösen Symbols hierfür allererst die gedankliche Voraussetzung zu schaffen.
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gischen Debatten einzubringen. Eine wirkungsgeschichtliche Schwierigkeit der Tillich’schen Symbolkonzeption mag – jenseits der über weite Strecken ungünstigen theologiepolitischen Großwetterlagen – darin begründet gewesen sein, dass oftmals nur deren gedanklich verkürzte Version zur Diskussion stand. Die primär repetierende Paraphrase einerseits und die vorauseilende, zumeist aus schlicht externer Perspektive formulierte Kritik andererseits dominierten die Wahrnehmung. Eine Versachlichung des Diskurses wäre fraglos ein Gewinn. Der Forschungsüberblick hat gezeigt, dass sich Tillichs Symboltheorie nicht isoliert für sich genommen rekonstruieren lässt. Ein kontrollierter Zugang ist vielmehr nur vor dem Hintergrund von und im Verbund mit den gedanklichen Elementen und Theorieformationen möglich, die ihre Gestalt wesentlich mitprägen. Entsprechend werden wir uns in einem ersten Kapitel (I) jener frühen und frühesten Theoriekonstellationen annehmen, die den Rahmen der späteren Symbolkonzeption präfigurierten. Den Zielpunkt markiert der Paradoxgedanke, auf den die Forschung vielfach als Vorläuferfigur des Symbolgedankens verwiesen hat. Freilich lässt er sich wiederum alleine im Kontext von Tillichs erstem eigenständigen Systementwurf, der Systematischen Theologie von 1913, recht erfassen, für die er als ‚theologisches Prinzip‘ fungierte (I.2). Der Paradoxgedanke, der dort im Verbund mit dem ‚Denken‘ als oberstes Systemprinzip entfaltete Wahrheitsgedanke wie der Systemgedanke selbst haben dabei eine Vorgeschichte. Diese dokumentiert sich in frühen Briefen, dann vor allem mit der Examensarbeit, der sogenannten Kasseler Thesenreihe, sowie den Schelling-Dissertationen (I.1.). Das zweite Kapitel (II) gilt der Rekonstruktion der eigentlichen kategorialen Grundlagen der Symboltheorie, also der Sinntheorie (II.2) und der Geisttheorie (II.3). Mit der Umstellung vom Wahrheitsbegriff auf den Sinnbegriff und der anhebenden bewusstseinstheoretischen Revision des Geistbegriffs kommt dem Briefwechsel mit dem Studienfreund Emanuel Hirsch hier eine besondere Bedeutung zu. Zugleich markiert der Hirsch-Briefwechsel den Übergang vom Frühwerk in das mittlere Werk der 1920er Jahre, in dem Tillich sukzessive seine Theorie des Symbols entwickeln wird. Ob des so gleich in mehrfacher Hinsicht gesonderten Stellenwertes des Briefwechsels gilt ihm ein eigenes Unterkapitel (II.1). Sowohl für die Sinntheorie als auch für die Geisttheorie lassen sich nun noch einmal Stadien ihrer systematischen Ausgestaltung unterscheiden. Die Ausarbeitung der Sinnkonzeption, zumal des zentralen ‚Form/Gehalt‘-Schemas, beginnt mit dem programmatischen Aufsatz von 1919, Über die Idee einer Theologie der Kultur (II.2.1). Ihre weitere Entwicklung gestaltet sich dann über die Vorlesungen der Berliner Privatdozentenzeit bis hin zur ausgereiften Gestalt im ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie komplex (II.2.2). Für die Geisttheorie stellt Tillichs Rezeption und spezifische Umformung der
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Husserl’schen Intentionalitätskonzeption eine markante Reorientierung gegenüber dem Frühwerk dar.Vor ihrem Hintergrund ist die eigene Bewusstseinstheorie in der Spannung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ entworfen (II.3.1). Während der Überschritt vom Bewusstseins- zum Geistbegriff sich gleichfalls in jenem ‚Doppelwerk‘ der Berliner Zeit greifen lässt, bedeutet das seinerzeit unveröffentlichte System der religiösen Erkenntnis von 1927/28 nochmals eine merkliche gedankliche Klärung. Seine Interpretation markiert den Zielpunkt der geisttheoretischen Darstellung (II.3.2). Mit der Sinn- und Geisttheorie ist der Symboltheorie nicht alleine systematisch der Boden bereitet. Auch werkgeschichtlich stehen wir mit dem letzteren System der religiösen Erkenntnis im unmittelbaren Vorfeld des einschlägigen Aufsatzes Das religiöse Symbol, mit dem Tillich 1928 bekanntlich seine frühen symboltheoretischen Reflexionen konzentriert darlegen wird. Demgemäß kann sich nun ein drittes Kapitel (III) dieser selbst annehmen. Gleichwohl soll der Blick zunächst nochmals zurückgehen, um der Genese des Symbolgedankens selbst ansichtig zu werden (III.1). Mit der Ausdruckskategorie rekonstruieren wir nachfolgend die für den Symbolbegriff im Verbund mit Tillichs Zeichenbegriff gemeinsame theoretische Basis zum Zwecke semiotischer Klärung. Zudem lässt sich dieserart das Merkmal der ‚Selbstmächtigkeit‘ vor einem erweiterten Horizont bedenken (III.2). Das Zentrum von Tillichs Theorie religiösen Symbolisierens bezeichnet jedoch der über das Merkmal der ‚Uneigentlichkeit‘ anzuvisierende Transzendenzgedanke. Hier liegt der Fluchtpunkt der symboltheoretischen Rekonstruktion (III.3). Neben der systematischen und der werkgenetischen Perspektive ist es die problemgeschichtliche Perspektive, die der vorliegenden Arbeit gleichsam als roter Faden dient. Dabei sind es nicht die Bezüge zu Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, auf denen – seiner unbestreitbar überragenden Bedeutung für Tillichs Denken zum Trotz – das Augenmerk liegen wird. Der Grund ist ein doppelter. Einmal ist der Einfluss Schellings auf Tillich, von der Studie Reinhold Mokroschs bis hin zu denen von Danz und Georg Neugebauer, aufs Ganze gesehen sehr gut erschlossen²⁰⁴ – ungleich besser jedenfalls als jeder anderweitige ideen- und geistesgeschichtliche Bezug. So ist das Forschungsdesiderat hinsichtlich der Letzteren merklich größer. Entsprechend sollen für den Paradoxgedanken, die Wahrheits-, Sinn-, Bewusstseins- und Geisttheorie die systematischen Querbezüge etwa zu Fritz Medicus und Johann Gottlieb Fichte, aber auch zu Wilhelm Lütgert,
Vgl. Mokrosch, Freiheitsphilosophie; Danz, Freiheitsbewußtsein; Neugebauer, Christologie; vgl. weiterhin Wenz, Subjekt, 58 – 110. Die Literatur ließe sich leicht vermehren, die Erforschung der Bezüge Tillich/Schelling stellt ein eigenes Feld der Tillich-Forschung dar.
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Sören Kierkegaard und Karl Heim oder zu Wilhelm Windelband und Edmund Husserl verstärkt in den Vordergrund rücken. Für die Symboltheorie selbst signalisieren darüber hinaus alleine die werkgenetischen Eckdaten, dass Schellingrezeption und erste Ausbildung des Symbolgedankens nicht in direkter Relation zueinander standen: Der Symbolbegriff wird erst nach dem Ersten Weltkrieg in Tillichs Fokus rücken, das sogenannte ‚Schellingerlebnis‘ datiert hingegen bereits auf das Jahr 1909. In Sachen Symbol stellte Schelling für Tillich keine Referenz dar, er kann also für dessen Rekonstruktion ganz in den Hintergrund treten. Formal ist die Arbeit um Zugänglichkeit bemüht: Als Textbasis für Tillich dienen weithin die Ausgaben der Gesammelten Werke sowie der Ergänzungs- und Nachlassbände, da diese zumal privat deutlich weiter verbreitet sein dürften als die Ausgabe der Main Works. Letztere ist dort hinzugezogen, wo ihre kritische Edition entscheidend über die unkritische der Gesammelten Werke hinausreicht. Kursivierungen und anderweitige Hervorhebungen sind im Zitat prinzipiell getilgt, wo sie hingegen aus dem Druckbild übernommen wurden, ist das eigens vermerkt. Mit jedem neuen Unterkapitel ist die Literatur bei Erstnennung noch einmal vollständig angeführt. Zudem verweisen zahlreiche Querbezüge auf zugehörige Überlegungen bzw. Ergebnisse an anderer Stelle der Arbeit. Die Unterkapitel sollen so je für sich lesbar, ein Einstieg an beliebiger Stelle zumindest grundsätzlich möglich sein. Personen- und Sachregister sind um ein Schriftenregister ergänzt, um das gezielte Lesen zu erleichtern. Auch die angehängte Zeittafel soll die teils kleinschrittigen Theorieentwicklungen und nicht immer leicht zu greifenden Rezeptionsbezüge „auf einen Blick“ zugänglich machen und so zur vertiefenden Lektüre anregen. Damit sucht die vorliegende Arbeit eine Entwicklung aufzunehmen, die die Tillich-Forschung in den vergangenen beiden Jahrzehnten insgesamt verstärkt genommen hat, sei es hinsichtlich der dramatisch verbesserten Quellenlage, sei es im methodischen Zugriff und den gewählten Themenstellungen: Es scheint, als rücke an die Stelle der „Persönlichkeit Tillich“ zunehmend „die Sache“. Ich halte diese Entwicklung vorbehaltlos für richtig. Soll eine der gedanklich faszinierendsten und progressivsten Theoriegestalten protestantischer Theologie des 20. Jahrhunderts von mehr als musealer Bedeutung sein – und sei es im vorderhand positiven Sinne ihrer Verquickung mit einer in ihren Ambivalenzen interessanten und für die bewegten Zeitläufte des Jahrhunderts exemplarischen Biographie –, dann bedarf es der begrifflich-systematischen Arbeit an Sachfragen. Leistet die Untersuchung dazu einen Beitrag, war sie Mühe und Lebenszeit allerletzten Endes wert.
I Der Weg zum System In diesem Moment erinnere ich mich an den Sommer 1905, wo ich Student in Tübingen war, […] und die Welt vor mir lag, und der Gedanke, die Welt durch ein System des Denkens zu erobern, schon in mir war. Daß ich es je im Ernst versuchen würde,war damals nur ein Traum. Aber dann versuche ich langsam, den Traum zu verwirklichen.¹
Mit dieser Erinnerung, formuliert 1963, und also dem zeitlichen Abstand von beinahe sechs Jahrzehnten, summiert Tillich prägnant ein wesentliches Motiv seines Denkens als solchem: Der ‚Wille zum System‘ – etwa noch von Friedrich Nietzsche hart kritisiert – charakterisiert sein Lebenswerk im Ganzen. Man mag zuerst an das späte dreibändige Hauptwerk der Systematic Theology (1951– 1963; Systematische Theologie, 1955 – 1966) denken. Doch bereits zuvor hatte Tillich sich gleich mehrfach an größeren Systementwürfen versucht: Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden von 1923 markiert, im Verbund mit der Religionsphilosophie, die Summe der Berliner Privatdozentenjahre, die sich insgesamt als formative Phase verstehen lassen.² Daneben treten alleine für die 1920er Jahre die seinerzeit unveröffentlichten Systementwürfe der Dresdner Dogmatik-Vorlesung (1925 – 1927) und des Systems der religiösen Erkenntnis (1927/ 28).³ Konnte Trutz Rendtorff die religionstheoretische Ausrichtung auf den Begriff des Unbedingten nachgerade als „Erkennungsmelodie“ von Tillichs Denken bezeichnen,⁴ so wird man dieser die Orientierung am Systemgedanken wie eine Kompositionslehre zur Seite stellen können.⁵ Tatsächlich reicht die entsprechende Orientierung – ganz im Sinne des Eingangszitates – nochmals weiter zurück, bis in die Anfänge der intellektuellen Entwicklung hinein: Schon 1913/14 sollte der gerade einmal 27-jährige Tillich, die beiden Dissertationen zu Schelling im Rücken,⁶
Zit. nach Renate Albrecht/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillich. Sein Werk (Düsseldorf: PatmosVerlag, 1986), 14 f. GW I, 109 – 293 bzw. ebd., 295 – 364; zur Bedeutung des ‚Doppelwerkes‘ von System der Wissenschaften und der Religionsphilosophie sowie der ‚Berliner Jahre‘ insgesamt vgl. unten die Einleitung zu II.2 sowie II.2.2 c). EW XIV bzw. EW XI, 76 – 174. Trutz Rendtorff, „In Richtung auf das Unbedingte. Religionsphilosophie der Postmoderne“, in: Hermann Fischer (Hg.), Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 335 – 356, 335 Zu Tillichs werkumspannendem Interesse am Systemgedanken vgl. zuletzt auch Stefan Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011). Die philosophische Dissertation von 1910 trug den Titel Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (EW IX, 154– 272), die DOI 10.1515/9783110484847-002
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I Der Weg zum System
ein erstes System entwerfen: Die Systematische Theologie von 1913. ⁷ Und geht man werkgeschichtlich einen Halbschritt weiter in die Vergangenheit, dann ist sogar die Examensarbeit von 1908, die sogenannte Monismusschrift,⁸ durch ein stark systematisierendes Interesse geprägt. Insofern ist es plausibel, wenn Tillich seinen Systemwillen bis in die Tübinger Studienzeit zurückdatiert, um ihn von hier an zum genuinen Motiv seiner lebenslangen intellektuellen Arbeit zu stilisieren. Ist mit der Orientierung am Systemgedanken ein werkumspannender Aspekt benannt, so ist mit der einleitend zitierten Erinnerung zudem ein zweiter Gesichtspunkt berührt, der in gesonderter Weise die Anfänge charakterisiert. Selbstredend weisen auch die späteren Systementwürfe Tillich als einen theologischen Denker im Wortsinne aus. Jedoch kann die Systematische Theologie von 1913 als „System des Denkens“ im eminenten Sinne gelten. Nicht alleine eignet dem Begriff des ‚Denkens‘ hier im Verbund mit dem Wahrheitsbegriff eine systemtragende Prinzipienfunktion⁹ – dies würde, in allerdings signifikant abgewandelter Form, gleichfalls auf das ein Jahrzehnt später in der konstitutiven Spannung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ entworfene System der Wissenschaften zutreffen.¹⁰ Vielmehr ist dem ‚Denken‘ im theoretisch-intellektuellen, wenn nicht gar spekulativen Sinne im frühesten Entwurf eine besondere, nämlich geradezu konstitutive, systembegründende wie systemregierende Kraft zugesprochen. So gewinnen die Systematische Theologie von 1913 insgesamt sowie der den Systemaufbau als ‚theologisches Prinzip‘ vorantreibende Paradoxgedanke eine spezifische Theoriegestalt.¹¹ Wenig überraschend sind die betreffenden Theorieentscheidungen wiederum im Vorfeld vorbereitet. Das Projekt einer ‚denkenden‘ Eroberung von Welt hob in der Tat schon mit Tillichs Studienzeit an. Wir wollen uns nachfolgend zunächst wesentliche Etappen jenes Weges hin zum ersten Systementwurf vergegenwärtigen (I.1). Dabei kommt den beiden Schelling-Dissertationen und der 1911 entstandenen sogenannten Kasseler The-
theologische Lizentiaten-Dissertation von 1911/12 den Titel Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung (GW I, 11– 108). EW IX, 273 – 434. Wie die Dresdner Dogmatik-Vorlesung und das System der religiösen Erkenntnis sollte jenes erste System erst posthum der Öffentlichkeit zugänglich werden – nämlich eben mit den Editionen im Rahmen der Ergänzungs- und Nachlassbände der vergangenen beiden Jahrzehnte. Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (ebd., 24– 153). Vgl. unten I.2 a). Vgl. unten II.3.1 c). Vgl. unten I.2 c) und d).
I.1 Frühe Wegmarken
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senreihe ¹² eine gesonderte Bedeutung zu, da prinzipielle Richtungsentscheidungen jetzt naturgemäß deutlichere Konturen gewinnen als zu Studienzeiten.¹³ Gleichwohl wollen wir mit Hilfe früher Briefe und der bereits genannten Monismusschrift noch hinter jenes ‚Schellingerlebnis‘ zurückgreifen, das dem Frühwerk dann im Ganzen sein typisches Gepräge geben sollte. Dieserart werden die durch die Schellingrezeption begründeten Theorieverschiebungen ihrerseits deutlicher. Genauer sollen die frühesten Texte bis hin zu den akademischen Qualifikationsschriften gezielt auf die Motive hin befragt werden, die späterhin im ersten Systementwurf zum Austrag kamen. So werden zumal die Verschränkung von Philosophie und Theologie, die starke Gewichtung erkenntnistheoretisch-methodologischer Aspekte und die Frage prinzipientheoretischer Grundentscheidungen im Fokus stehen. Hinzu kommen Erwägungen zu theologiegeschichtlichen Konstellationen und problemgeschichtlichen Bezügen, die Tillich prägten. Der Zielpunkt des Kapitels liegt jedoch bei der Rekonstruktion der Systematischen Theologie von 1913 selbst (I.2). Anhand des grundlegenden ersten Systemteils, also der §§ 1– 28, sollen das systemkonstituierende Prinzipiengefüge von ‚Wahrheit‘ und ‚Denken‘, die Gestalt des Wahrheitsbewusstseins in der Spannung von ‚Intuition‘ und ‚Reflexion‘ sowie systematischer Ort und gedankliche Struktur des ‚Paradox‘ als des ‚theologischen Prinzips‘ rekonstruiert werden. Insofern der Paradoxgedanke eine Vorläuferfigur des Symbolgedankens darstellt, liegt auf seiner Interpretation besonderes Gewicht. Problemgeschichtliche Hintergründe konturieren abschließend noch einmal Tillichs frühe Theorieentscheidungen.
I.1 Frühe Wegmarken a) Erste Weichenstellungen (Briefe 1907 – 1909) Wir können die Darstellung der frühen Weichenstellungen mit einigen mehr privaten Texten aus Tillichs Feder beginnen lassen. Die Quellen, vier Briefe aus den Jahren 1907 bis 1909, gewähren einen vergleichsweise unverstellten Einblick in die ihn seinerzeit umtreibenden Fragestellungen. Sie haben überdies den Vorteil, dass allein der letzte, im Spätsommer oder Frühherbst 1909 an seinen
Die im Umkreis der Thesenreihe entstandenen Materialien sind von den Herausgebern des betreffenden Ergänzungs- und Nachlassbandes insgesamt unter die Überschrift Die christliche Gewißheit und der historische Jesus gestellt (EW VI, 28 – 74). Während der philosophischen Schelling-Dissertation und der Kasseler Thesenreihe jeweils eigene Unterabschnitte gewidmet sind, werden einzelne Überlegungen der theologischen Lizentiaten-Dissertation lediglich nach systematischen Gesichtspunkten hinzugezogen.
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I Der Weg zum System
späteren Schwager Alfred Fritz geschriebene Brief das ‚Schellingerlebnis‘ bereits im Rücken hat – jene Tillich ebenso tief beeindruckende wie prägende ‚Entdeckung‘ des Werkes Friedrich Wilhelm Joseph Schellings zu Pfingsten jenes Jahres.¹⁴ Dessen überragende Bedeutung für die intellektuelle Biographie lässt sich schon an den Dissertationen ablesen, die bekanntlich beide der religionsphilosophischen bzw. näherhin religionsgeschichtlich-philosophischen Konstruktion Schellings verpflichtet waren.¹⁵ Darüber hinaus hat Tillich sich bis ins Spätwerk hinein immer wieder auf diesen beziehen können, um Grundzüge des eigenen Denkens zu charakterisieren.¹⁶ Mit der Edition zuvor unveröffentlichter Texte sind jedoch seit den späten 1990er Jahren noch einmal verstärkt die vor jenem Erlebnis liegenden Anfänge in den Fokus gerückt – und mit ihnen die Einsicht, dass Tillichs Schellingrezeption ihrerseits eine eingehende Beschäftigung mit dem Werk Johann Gottlieb Fichtes im Rücken hatte. Ein beredtes Zeugnis dieser vorgängigen Fichterezeption bieten nun auch jene vier Briefe, einer an den erwähnten Alfred Fritz, zwei weitere an Friedrich Büchsel, die Tillich beide aus dem Hallenser Wingolf kannte, sowie ein Brief Büchsels an Tillich.¹⁷ Im Anschluss an die dortigen Studienjahre entstanden, bieten sie nicht nur ein erstes Tableau jener systematischen Fragen, die dann über die Schelling-Rezeption zum Systementwurf von 1913 hinführen sollten. Sie vermitteln zudem einen ersten Eindruck der persönlichen Kontakte wie der problemgeschichtlichen Bezüge, die für die Gedankenentwicklung der Frühzeit maßgeblich sein sollten. Die weitreichendsten Einblicke gewährt dabei Tillichs auf den 28. Dezember 1907 datierende Replik auf einen Brief Büchsels vom Oktober selbigen Jahres.¹⁸ In der Zusammenschau geben beide Briefe sowohl die von beiden geteilten Grundentscheidungen als auch Tillichs eigene Schwerpunktsetzungen wieder. Unübersehbar ist zunächst der Fritz Medicus bzw. – wie Büchsel mehrfach formuliert – „Medicus-Fichte“ eingeräumte Stellenwert: Während dieser ihn als „Konsequenz aller Gegner“ in Erwägung zieht, gedenkt Tillich die anstehende Examensarbeit
Vgl. EW VI, 76; zu den näheren Umständen jenes ‚Schellingerlebnisses‘ vgl. unten I.1 c). Ablesbar alleine an den Titeln Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910) bzw. Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung (1911/12). Vgl. nur exemplarisch den Aufsatz Schelling und die Anfänge des existentialistischen Protestes aus dem Jahr 1955 (GW IV, 133 – 144). Zur Person von Alfred Fritz vgl. EW VI, 75 f., zu der Friedrich Büchsels ebd., 11– 13. Ebd., 20 – 24 bzw. 14– 20. Den Wechsel beschließt ein im Oktober 1908 geschriebener Brief Tillichs (ebd., 24– 27).
I.1 Frühe Wegmarken
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ganz auf „die entscheidende Debatte mit Medicus“ zuzuspitzen.¹⁹ Hieran lässt sich bereits erahnen, wie stark Tillichs Fichteverständnis durch die Interpretation des Hallenser Privatdozenten Fritz Medicus präfiguriert war.²⁰ In den meistenteils eher andeutenden und anspielenden Ausführungen der Briefpartner kristallisieren sich zwei Hauptkritikpunkte am geschätzten Lehrer heraus. Erstens der von Büchsel auf Kant zurückgeführte ‚Grundgedanke‘, dass „[a]lles kategoriale Denken […] an eine erschöpfende Darstellung des religiösen Erlebnisses nicht heran [reicht]“.²¹ Er gilt ihm als Ausdruck eines der Religion wesensmäßig innewohnenden Moments der Irrationalität, das er gegen die bei Medicus vermutete Überbewertung von deren Rationalität in Anschlag bringen möchte. Tillich stimmt dem Freund umstandslos zu.²² In diesem Zusammenhang meint Büchsel zweitens, bei Medicus präziser den Gedanken der „Autonomie“ als Zentrum der Theoriebildung ausmachen zu können, weswegen Letzterer den Gottesgedanken auf das schlechthin autonome ‚Ich‘ der denkenden Subjektivität gründe: „‚Medicus‘, vom Ich ausgehend, macht Gott zum Korrelat des Ichs.“²³ Tillich stimmt wiederum zu.²⁴ Unbeschadet der Frage, ob Medicus’ Fichtedeutung mit jenen Charakterisierungen zutreffend beschrieben ist – seine Hallenser Fichte-Vorlesungen ²⁵ mahnen zumindest insofern zur Vorsicht, als er dem Autonomiegedanken zwar in der Tat einen hohen Stellenwert zubilligt, er jedoch gleichzeitig eine Option für die späteren, bekanntlich stärker an der Idee des Absoluten denn am Ichgedanken gebildeten Fassungen der Wissenschaftslehre nimmt –, ist hier eine erste, freilich noch recht allgemeine religionstheoretische Tendenz auszumachen: Bei aller Wertschätzung des Autonomiegedankens optieren die Briefpartner für eine prinzipielle Orientierung an der, wie es bei Tillich heißt, ‚Norm des lebendigen
Ebd., 15 bzw. ebd., 26. Zum Verhältnis Tillich – Medicus vgl. Friedrich Wilhelm Graf/Alf Christophersen, „Neukantianismus, Fichte- und Schellingrenaissance. Paul Tillich und sein philosophischer Lehrer Fritz Medicus“, ZNThG 11 (2004), 52– 78; zur perspektivischen Bedeutung von Medicus für Tillich vgl. unten II.2.1 b) und II.2.2 d). EW VI, 14. Vgl. ebd., 14 f. (Büchsel) bzw. ebd., 20 f.22 f. (Tillich). Ebd., 15. Vgl. ebd., 23. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Tillich in seinem Antwortbrief Büchsels Verwendung des Korrelatbegriffs explizit aufnimmt: Bekanntlich wird der Begriff bei ihm im Verlauf der 1920er Jahre, spätestens aber mit dem Spätwerk zu einem der Leitbegriffe schlechthin avancieren. Seine frühe, an Büchsel angelehnte Verwendung zeigt an, dass der Begriff bereits in Hallenser Kontexten zirkulierte, noch bevor Tillich ihm dann nach dem Ersten Weltkrieg im Zuge seiner Neukantianismus- und Husserl-Rezeption wiederbegegnen sollte. Fritz Medicus, J. G. Fichte. Dreizehn Vorlesungen, gehalten an der Universität Halle (Berlin: Reuther & Reichard, 1905).
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I Der Weg zum System
Gottesgedankens‘. Mit dessen, an Fichte’sche Diktion anschließenden Worten bedeutet diese Umkehr der Blickrichtung: „Ich setze mich als von Gott gesetzt oder: Gott setzt mich für ihn.“²⁶ Mit den Andeutungen des angedachten positiven Gegenentwurfs trennen sich nun die Wege. Büchsel plädiert für eine Fassung des Gottesgedankens nach Maßgabe des Persönlichkeitsgedankens, methodisch denkt er an eine Interpretation der Fichte’schen ‚Intellektuellen Anschauung‘ im Sinne einer „Selbsterfahrung“.²⁷ Tillich stellt demgegenüber die Frage in den Raum, ob jener lebendige Gottesgedanke nicht vielmehr ‚geschichtlich‘ zu explizieren sei – damit deutet sich von Ferne jene religionsgeschichtlich-philosophische Lösung an, für die nach 1909 die Chiffre ‚Schelling‘ stehen wird. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist jedoch eine Differenz zwischen beiden Freunden, die an anderer Stelle aufbricht. Büchsel intendiert mit seiner Kritik eines rationalistischen Religionsverständnisses zugleich eine Relativierung der Grundlegungsfunktion der Erkenntnistheorie: „Die Wissenschaftslehre ist erkenntnistheoretische Logik. Soll die Lehre vom Erkennen die Grundlage der Theologie abgeben? Ich meine, es findet eine Verflachung statt, wenn man, wie es ja seit Kant Brauch ist, die Methodologie des Erkennens zur führenden Wissenschaft macht.“²⁸ An diesem Punkt widerspricht Tillich entschieden: „Nicht verstanden habe ich dagegen Deine Kritik an der fundamentalen Notwendigkeit einer erkenntnistheoretischen methodologischen Grundlegung überhaupt; es soll sich doch um Wissenschaft handeln; wie kann da die Frage nach ihren Erkenntnismitteln außer Acht gelassen werden?“²⁹ Hier artikuliert sich der Stellenwert, den Tillich dem Verständnis der Theologie als Wissenschaft sensu stricto beimisst. Ebendieser Wissenschaftscharakter macht sich aber für ihn an ihrer wissenschaftstheoretisch-erkennnistheoretischen Verankerung fest: In der von Büchsel kritisierten Tradition Kants wie des nachkantischen Idealismus ist die fundamentale Bedeutung der Erkenntniskritik auch für die Religion bzw. Theologie formuliert. In der Tat wird Tillich auf diese Frage, wie auf die eng mit ihr zusammenhängende, im betreffenden Brief nur ange-
EW VI, 23. Ebd., 16. Zu Büchsels Kontrastierung seines eigenen Programms, bei dem der Persönlichkeitsgedanke ganz im Zentrum stehen soll, zu der für Medicus behaupteten Anlage vgl. ebd., 15: „Dir ist bekannt, daß es sich zwischen ‚Medicus‘ und mir um das Persönliche in der Religion handelt […] Seine Religion ist orientiert am Seinsbegriff, meine am Persönlichkeitsbegriff.“ bzw. ebd., 17: „Wir stellen uns also das Gottesverhältnis analog vor unserem Verhältnis zu dem einzigen, das uns seine Existenz kundgibt, zu den Persönlichkeiten. Unsern Gottesbegriff gewinnen wir also entweder durch Kategorien der Immanenz oder aus der Analogie zur Persönlichkeit.“ Ebd., 17. Ebd., 21.
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deutete Frage einer für die Theologie adäquaten wissenschaftlichen Methode, in der Folgezeit erheblichen Arbeitsaufwand verwenden. Daneben kommt mit der Christologie nur einem weiteren (materialdogmatischen) Themenfeld vergleichbare Bedeutung zu: „[U]nd wenn diese Frage [der erkenntnistheoretischen Grundlegung; L. H.] wirklich auf Dauer von untergeordneter Bedeutung wäre, jetzt steht sie zweifellos an der Spitze; denn nicht die Soteriologie und nicht die Pneumatologie steht im Vordergrund der Debatte, sondern die Christologie und Pisteologie“.³⁰ Tatsächlich wird die Christologie, neben Erkenntnistheorie bzw. Methodologie und Geschichtsphilosophie, den dritten signifikanten Schwerpunkt der folgenden Jahre darstellen. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Tillich bereits Ende 1907 einen konstitutiven Zusammenhang zwischen der vermeintlich rein formalen Methode einerseits und der materialen Dogmatik andererseits notieren kann. Er bescheinigt nämlich den seinerzeit konkurrierenden „Theologenschulen“ einen erstaunlichen Gleichklang zwischen methodischen und materialdogmatischen Differenzen, weswegen er zwischen beiden Aspekten eine „Wechselwirkung“ vermutet: „[D]ie Verschiedenheit der Methode [erzeugt] im Grunde die Gegensätze in den Resultaten“ wie andersherum eine „Abhängigkeit […], in der die Methode schließlich doch vor [sic] dogmatischen Stellungen steht“, zu konstatieren sei.³¹ Auch diese Einsicht eines Wechselverhältnisses von Methode und Materialdogmatik wird sich im Aufbau der Systematischen Theologie von 1913 niederschlagen, wobei eben christologische Figuren eine besondere Stellung einnehmen werden. Schließlich sei neben genannten Aspekten noch ein letzter Gesichtspunkt vermerkt. In besagtem Brief ist an zwei Stellen die sich in jenen Jahren herauskristallisierende fundamentale Bedeutung des Wahrheitsgedankens angedeutet: Einmal, wenn Tillich sich die Frage des Verhältnisses der Wahrheit „einerseits zur Vernunft, andererseits zu Gott“ vorlegt.³² Dann, wenn er das „religiöse[ ] Erkennen“ auf ein „Wahrheitsbewußtsein“ bezogen wissen will, das sich in wahrheitswertdifferenten Urteilen artikuliert.³³ An beiden Stellen spricht sich die prinzipientheoretische Orientierung am Wahrheitsgedanken aus, die späterhin bekanntlich die gesamte Frühzeit bis 1917/18 prägen sollte. Wie die Fragen einer wissenschaftstheoretisch-erkenntniskritischen Grundlegung der Theologie und einer methodologischen Fruchtbarmachung der Christologie, so wird auch die der
Ebd. Die Pisteologie will Tillich dabei, wie die Folgejahre zeigen, wiederum im engen Zusammenhang mit Fragen der Erkenntnistheorie verhandelt wissen. Ebd. Ebd., 23. Ebd., 21.
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I Der Weg zum System
Verhältnisbestimmung von Wahrheitsgedanke, Gottesgedanke und Vernunft im Systementwurf von 1913/14 zu einer ersten Klärung gelangen. Ist somit ein erster Überblick über die thematischen Schwerpunkte gewonnen, gewähren jene Briefe zugleich Einsicht in die Tillich in frühen Jahren prägenden persönlichen Bezüge. Mit Büchsel (1883 – 1945) und Fritz (1886 – 1963) sind zwei der zahlreichen über die Studentenverbindung Wingolf geknüpften Freundschaften genannt. Darüber hinaus ist in erster Linie an Hermann Schafft (1883 – 1959), Richard Wegener (1883 – 1967) sowie Emanuel Hirsch (1888 – 1972) zu denken.³⁴ Mit allen Genannten sollte Tillich über Jahrzehnte in Kontakt bleiben, wobei er insbesondere mit Büchsel und Hirsch durchaus konkurrierend-kontrovers über religionsphilosophische und theologische Fragen diskutieren konnte – bekannteste Beispiele sind die Debatte mit Büchsel im Kontext der Kasseler Pfingstkonferenz von 1911, im Falle Hirschs erlangte neben dem frühen Briefwechsel von 1917/18 vor allem die öffentliche Auseinandersetzung von 1933/34 eine gewisse Berühmtheit.³⁵ So wird man dem Wingolf, und gerade seinem Hallenser Ableger, eine erhebliche Bedeutung für Tillichs intellektuelle Entwicklung zuschreiben dürfen.³⁶
Zu deren Biographien vgl. ebd., 219 – 225; GW XIII, 27– 33 (Schafft), EW VI, 87– 89 (Wegener) bzw. ebd., 95 – 97.137– 141 (Hirsch). Vgl. ebd., 28 – 74; ebd., 95 – 136 bzw. ebd., 137– 218. Wir werden auf die ersteren beiden Briefwechsel noch ausführlich zurückkommen; vgl. unten I.1 d) bzw. II.1. Vgl. Tillichs bekanntes Selbstzeugnis gegenüber Thomas Mann in einem Brief vom 23.4.43: „Vielleicht mag es für Ihre Darstellung von Interesse sein, daß ich der christlichen StudentenVerbindung ‚Wingolf‘ angehörte und daß der Sommer 1907, wo ich ‚1er Chargierter‘ dieser etwa 70 Mann starken Verbindung war, mir bis heute als der größte Abschnitt meines Lebens erscheint. Was ich theologisch, philosophisch und menschlich geworden bin, verdanke ich nur zum Teil den Professoren, in überragendem Maße dagegen der Verbindung, wo die theologischen und philosophischen Debatten nach Mitternacht und die persönlichen Gespräche vor Sonnenaufgang für das ganze Leben entscheidend blieben.“ (GW XIII, 26). Zu Tillichs v. a. Hallenser Wingolf-Zeit vgl. weiterhin EW V, 27– 35.39 – 48; GW XIII, 28 f.; Renate Albrecht/Werner Schüßler, Paul Tillich. Sein Leben (Frankfurt/Main: Peter Lang, 1993), 22– 28. Die Bekanntschaften datieren teilweise bereits aus dem Berliner (Schafft) bzw. Tübinger Wingolf (Fritz), zu Freundschaften vertiefen sie sich jedoch erst in Halle. Hirsch lernte Tillich erst in seiner zweiten, auf Halle folgenden Berliner Studienzeit kennen; vgl. James A. Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich. Theologie und Politik in einer Zeit der Krise, übers. v. Doris Lax (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1995), 3 f. Zum Wingolf allgemein vgl. Ingo Zocher, Der Wingolfsbund im Spannungsfeld von Theologie und Politik 1918 – 1935. Eine Theologenverbindung zwischen nationaler Identität und christlichem Prinzip (Vierow: SHVerlag, 1996); eine eigene Darstellung der Prägung Tillichs durch die frühen Wingolfjahre steht aus, zu Grundlinien vgl. Georg Neugebauer, „Δι᾽ ἑνὸϛ πάντα – Tillich im Wingolf“, IYTR 11 (2016), 149 – 174.
I.1 Frühe Wegmarken
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Der Stellenwert des Wingolf wird nochmals deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass die prägenden akademischen Lehrer in der Theologie ebenfalls Wingolfiten waren. Neben Ferdinand Kattenbusch (1851– 1935), bei dem Tillich allerdings nur eine Veranstaltung zur Symbolik besuchte, sind Martin Kähler (1835 – 1912) und Wilhelm Lütgert (1867– 1938) gesondert hervorzuheben.³⁷ Das Gewicht Kählers ist in der Forschung, zumal durch Gunther Wenz, wiederholt betont worden – mit Verweis auf Tillichs eigene, freilich mit dem zeitlichen Abstand mehrerer Jahrzehnte formulierte Rückschau auf die Hallenser Jahre.³⁸ Ausweislich des der Hallenser Promotionsakte beigegebenen Belegungsbogens hat Tillich jedoch überhaupt nur drei Vorlesungen bei Kähler gehört – ‚Dogmatik I (Apologetik)‘, ‚Geschichte der Dogmatik im 19. Jahrhundert‘ und ‚Ethik‘ – und dies dem dortigen Zeugnis zufolge „gern“, aber doch „nicht mit dem genügenden Verständnis“.³⁹ Die zeitnah entstandenen Texte sprechen denn auch eine andere Sprache als die Jahrzehnte später verfassten Rückblicke: Zwar kann Tillich auf Kähler Bezug nehmen, gleichwohl erfolgt diese Anknüpfung überwiegend im Interesse einer kritischen Distanzierung.⁴⁰ So scheint in den Hallenser Jahren, neben dem bereits angezeigten Privatdozenten der Philosophie Fritz Medicus (1876 – 1956), vielmehr ein anderes Mitglied der Theologischen Fakultät prägend gewesen zu sein: Wilhelm Lütgert, zunächst Professor für Neues Testament, nach Kählers Tod 1912 dann Nachfolger auf dessen Lehrstuhl für Systematische Theologie.⁴¹ Bei Lütgert besuchte Tillich tatsächlich das Gros seiner Veranstaltungen an der Hallenser Fakultät, über
Zudem war auch der Praktische Theologe Karl Bornhäuser (1868 – 1947), bei dem Tillich einige Veranstaltungen besuchte, Mitglied des Hallenser Wingolf. Zu Tillichs Belegungsbögen in Halle vgl. Georg Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2007), 407 f. Vgl. Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979), 24– 28; ders., „Die reformatorische Perspektive. Der Einfluß Martin Kählers auf Tillich“, in: ders., Tillich im Kontext. Theologiegeschichtliche Perspektiven (Münster: Lit, 2000), 207– 228. Die rückblickenden Stilisierungen Tillichs, auf die Wenz sich bezieht, datieren auf die Jahre 1936 bzw. 1943; vgl. GW XII, 31 f. bzw. GW XIII, 24. Zit. nach Neugebauer, Christologie, 402: „Gern, wenn auch noch nicht mit dem genügenden Verständnis, hörte ich die systematischen Vorlesungen von Prof. D. Kähler“. Vor allem die programmatische Gründung des Systems auf die Idee des Absoluten erfolgt unter expliziter Abgrenzung von Kähler; vgl. stellvertretend die diesbezüglichen Formulierungen der Monismusschrift von 1908; vgl. EW IX, 31|101.Wir werden auf Tillichs gebrochene Kähler-Rezeption an anderer Stelle zurückkommen; vgl. unten I.1 b), die Einleitung zu I.2 sowie I.2 d). Zu Wilhelm Lütgert vgl. Peter Müller, Alle Gotteserkenntnis entsteht aus Vernunft und Offenbarung. Wilhelm Lütgerts Beitrag zur theologischen Erkenntnistheorie (Wien Berlin Münster: Lit, 2012), bes. 78 – 84.
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neutestamentliche etwa zum Matthäusevangelium und zum Römerbrief hinaus mehrfach das ‚Systematische Seminar‘ sowie ‚Dogmatik II‘ und ‚Ethik‘.⁴² Hinzu kam eine persönliche Freundschaft, die sich auf beide Familien erstreckt zu haben scheint.⁴³ Tillich wie Büchsel belegten Lütgert privat sogar mit einem eigenen Namen, ‚Schmuhl‘. Als solcher ist er in jenen Briefen der Jahre 1907 bis 1909 neben Medicus die zumal von Tillichs Seite meistbemühte Referenz.⁴⁴ Wie eng die Verbindung war, lässt sich abschließend an zwei Details ablesen. Zum einen vermerkt Tillich in dem 1911 entstandenen Lebenslauf zur Lizentiaten-Dissertation, dass er Lütgert nachgerade die „Grundlagen meiner theologischen Bildung“ verdanke.⁴⁵ Und zum anderen sollte Lütgert nicht nur für ebendiese Promotion das (wohlwollende) Erstreferat übernehmen, sondern gleichfalls im Zuge des Habilitationsverfahrens mit seinem Drittgutachten wesentlich zur Annahme der Habilitation durch die Hallenser Fakultät beitragen.⁴⁶ Vergegenwärtigt man sich den kombinierten Einfluss von Kähler, Lütgert und Medicus, dann erklärt sich in eins Tillichs mit jenen Jahren ins Grundsätzliche gewendete Affinität zum kantisch-nachkantischen Idealismus.⁴⁷ Neben Medicus,
Vgl. Neugebauer, Christologie, 402: „Ich hörte bei Prof. D. Lütgert neben einer exegetischen Vorlesung Dogmatik II und nahm an dem systematischen Seminar über Versöhnungslehre theil; namentlich in diesem habe ich viele Anregungen empfangen. Im Laufe der vier Semester die ich in Halle blieb, hörte ich u. a. noch Ethik, Hebräerbrief, eine Seminarübung über den Geist, Römerbrief bei Prof. Lütgert und verdanke diesen Vorlesungen, namentlich aber auch dem persönlichen Verkehr, die Grundlagen meiner theologischen Bildung.“; vgl. auch die Belegungsbögen ebd., 407 f. Vgl. neben jener Notiz eines „persönlichen Verkehr[s]“ im Lebenslauf der Promotionsakte (ebd., 402) die Schilderung eines gemeinsamen Aufenthalts der Familien Lütgert und Tillich in Misdroy, die gleichfalls eine Freundschaft zwischen Lütgert und Tillichs Vater Johannes erahnen lässt; vgl. EW V, 42 f. Vgl. EW VI, 25.76 f.; EW V, 41– 43. Zit. nach Neugebauer, Christologie, 402. Vgl. ebd., 411– 413 bzw. Graf/Christophersen, „Neukantianismus“, 55 – 58. Im Falle der Lizentiaten-Dissertation plädierte Lütgerts Erstgutachten für die Note ‚magna cum laude‘, der sich – gegen das mit ‚cum laude‘ wertende Zweitgutachten Kattenbuschs – die Fakultätskollegen anschließen sollten; vgl. zum Ganzen Neugebauer, Christologie, 411– 415. Im Falle der Habilitation war es dann Friedrich Loofs, der mit seinem Zweitgutachten Zweifel an der Eignung der Arbeit anmelden sollte. Wiederum war es Lütgert, der im Anschluss an das Erstgutachten Kattenbuschs die Arbeit zur Annahme empfahl und so die Dinge zu Tillichs Gunsten wendete. Späteren Selbstzeugnissen zufolge soll Tillichs Bekanntschaft mit Kant und dem nachkantischen Idealismus speziell eines Fichte sogar bis in seine Schulzeit zurückreichen; vgl. GW XII 65. Auch in dem anlässlich der theologischen Promotion einzureichenden Lebenslauf – und also bereits 1911 – kann Tillich auf eine schon die letzten Schuljahre bestimmende „spekulative Neigung“ sowie ein Interesse an „philosophische[n] Probleme[n]“ verweisen (Neugebauer, Christologie, 402).
I.1 Frühe Wegmarken
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einer der treibenden Kräfte der Fichte-Renaissance zu Beginn des 20. Jahrhunderts,⁴⁸ galt auch Lütgerts wenngleich kritisches, so doch primäres Interesse der Religionsphilosophie der klassischen deutschen Philosophie – abzulesen etwa schon am Titel seines vierteiligen Opus Magnum Die Religion des deutschen Idealismus und ihr Ende. ⁴⁹ Nicht ohne Grund wird Tillich im Zuge seiner SchellingLektüre diesen als eigentliche „philosophische Voraussetzung“ Lütgerts vermuten können.⁵⁰ Selbiges ließe sich ebenso mit Blick auf Kähler konstatieren, dessen wissenschaftliche Anfänge bei aller späteren Distanzierung gleichfalls stark durch Schelling geprägt waren.⁵¹ Seine entscheidenden Studienjahre verlebte Tillich also in einem zumal der Religionsphilosophie des nachkantischen Idealismus in besonderer Weise aufgeschlossenem Umfeld. In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Name zu nennen, der nur selten mit dem Tillichs in Verbindung gebracht worden ist: Auch Karl Heim (1874– 1958) – seit 1903 Inspektor des Schlesischen Konvikts in Halle, ab 1907 Privatdozent für Systematische Theologie – wusste sich der kantisch-nachkantischen Philosophie verpflichtet, wobei sein Schwerpunkt auf deren Rezeption durch Schleiermacher lag.⁵² Bemerkenswert ist nun eine Einschätzung Tillichs in dem im Herbst 1907,
Medicus hielt und veröffentlichte nicht nur den erwähnten Vorlesungszyklus zu Fichte – Medicus, Fichte, 1905 –, sondern gab zudem ab 1908 bei Meiner eine sechsbändige Werkausgabe zentraler Schriften Fichtes heraus. Wilhelm Lütgert, Die Religion des deutschen Idealismus und ihr Ende, 3 Bde. (Gütersloh: C. Bertelsmann, 1923 – 1930). Vgl. EW VI, 76 f. So hat etwa Hans-Georg Link auch vor dem Hintergrund brieflicher Zeugnisse für Kählers Frühzeit geradezu eine „unmittelbare Nähe zur Religionsphilosophie Schellings“ festhalten können (Hans Georg Link, Geschichte Jesu und Bild Christi. Die Entwicklung der Christologie Martin Kählers in Auseinandersetzung mit der Leben-Jesu-Theologie und der Ritschl-Schule [NeukirchenVluyn: Neukirchener Verlag, 1975], 55; zu Kählers entsprechendem geistes- und theologiegeschichtlichen Hintergrund insgesamt vgl. ebd., 53 – 56). Zu Kähler vgl. weiterhin Heinrich Leipold, Offenbarung und Geschichte als Problem des Verstehens. Zur Theologie Martin Kählers (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1962); Christoph Seiler, Die theologische Entwicklung Martin Kählers bis 1869 (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1966); Martin Mencke, Erfahrung und Gewißheit des Glaubens. Das Gewißheitsproblem im theologischen Denken Martin Kählers (Stuttgart Berlin Köln: Kohlhammer, 2001); einen ersten Überblick verschafft Jan Rohls, Protestantische Theologie der Neuzeit. Bd. 1: Die Voraussetzungen und das 19. Jahrhundert (Tübingen: Mohr Siebeck, 1997), 847– 851; Bd. 2: Das 20. Jahrhundert, (Tübingen: Mohr Siebeck, 1997), 93 – 96. Die zentrale Bedeutung, die zumal der frühe Heim beimaß, lässt sich schon daran ersehen, dass er seine erste große Studie geradewegs auf diesen hin zulaufen ließ; vgl. Karl Heim, Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher (Leipzig: Hinrichs, 1911), 345 – 377. Zu Heim vgl. Hermann Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims (Witten Berlin: Eckart-Verlag, 1968); Elisabeth Gräb-Schmidt, Erkenntnistheorie und Glaube. Karl
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und also im unmittelbaren Anschluss an die Hallenser Studienjahre, an Fritz geschriebenen Brief. Dort heißt es: „Was das Denken betrifft, so bin ich gespannt, ob das Schmuhlsche [Lütgert’sche; L. H.] Denkideal im ‚Lehnstuhl hinterm Ofen‘ wirklich fruchtbarer ist als das Heimsche des Denkens aus Not. Bis jetzt neige ich letzterem zu.“⁵³ Eingedenk des skizzierten Stellenwertes Lütgerts muss diese Selbstpositionierung erstaunen, nimmt Tillich mit ihr doch gegen ihn eine Option zugunsten Heims. Tatsächlich wird dieser, nimmt man die in jenen Jahren entstandenen, aber unveröffentlicht gebliebenen Texte zur Grundlage, bis in die 1920er Jahre hinein als virtueller Gesprächspartner fungieren.⁵⁴ Da er in der Folge völlig zurücktreten sollte, und da sich jene Auseinandersetzungen allein in seinerzeit nicht publizierten Texten finden, ist ein möglicher Einfluss Heims auf Tillich in der Forschung bislang praktisch nicht bedacht worden.⁵⁵ Wir werden in den entsprechenden Zusammenhängen je und je auf die fraglichen Querverbindungen zurückkommen und können es daher jetzt bei der Andeutung belassen, dass etwa Tillichs Verwendung des Paradoxbegriffs durch Heim mitbeeinflusst sein dürfte.⁵⁶ Vorerst können wir ihn aufgrund der zitierten Briefstelle und wiederholter Bezugnahmen im Frühwerk in den – allerdings erweiterten – Kreis der prägenden Hallenser Lehrer aufnehmen. Zusammenfassend sind mit dem ‚Willen zum System‘, der Präferenz für einen ‚denkenden‘, erkenntnistheoretisch-methodologischen Zugang zur Theologie, der Zentralstellung des Wahrheitsgedankens sowie der christologischen und geschichtstheologischen Schwerpunktsetzung erste Eckdaten der frühen Theoriebildung benannt. Als ideengeschichtlicher Bezugspunkt ist der kantisch-nachkantische Idealismus festgehalten, als prägender Diskussionszusammenhang die Hallenser, ihrerseits durch den Wingolf bestimmte Fakultät ausgemacht. Wir wollen dieses Tableau im Folgenden anhand der ersten größeren Arbeiten – der sogenannten Monismusschrift, den beiden Schelling-Dissertationen und der
Heims Theorie der Glaubensgewissheit vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem philosophischen Ansatz Edmund Husserls (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1994). EW V, 43. So vor allem in der Systematischen Theologie von 1913 – vgl. EW IX, 321– sowie dem uns in zwei Versionen vorliegenden Entwurf Rechtfertigung und Zweifel von 1919; vgl. EW X, 145|201.151| 206.166|217 (die Seitenzahlen beziehen sich jeweils auf die parallelen Passagen der beiden Versionen). Vgl. allein Folkart Wittekind, „Von der Bewusstseinsphilosophie zur Christologie. Theologie und Moderne bei Karl Heim, Paul Tillich und Hans Joachim Iwand“, in: Gerard den Hertog/ Eberhard Lempp (Hg.), Der „frühe Iwand“ (1923 – 1933) (Waltrop: Spenner, 2008), 59 – 114, bes. 63 – 77. Vgl. unten I.2 c) und d).
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Kasseler Thesenreihe – im chronologischen Gang durch das Frühwerk um weitere einschlägige Aspekte ergänzen.
b) Die ‚Monismusschrift‘ (1908) Die Arbeit zum Ersten Theologischen Examen, Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion?, steht naturgemäß im Schatten der beiden Qualifikationsarbeiten. Im Sommer bis Herbst 1908 entstanden, liegt uns die sogenannte Monismusschrift heute in zwei Versionen vor, wobei wohl keine von beiden, weder die ‚Urfassung‘ noch die ‚Schönschrift‘, mit der seinerzeit beim Berliner Konsistorium eingereichten Textfassung identisch ist.⁵⁷ Die ‚Schönschrift‘ ist gegenüber der ‚Urfassung‘ vielfach leicht gekürzt, zudem ist sie mit zahlreichen Kommentaren versehen – ganz überwiegend von der Hand jenes verehrten Privatdozenten Fritz Medicus, mit dem Tillich im Rahmen seiner Examensarbeit eben die thematisch eigentlich „entscheidende Debatte“ zu führen gedachte.⁵⁸ Im Rückbezug auf das Bisherige vergegenwärtigen wir uns zunächst anhand der ‚Einleitung‘ zwei gedankliche Grundentscheidung jener Jahre, bedenken dann die wesentlichen Aspekte der mit dem Titel angezeigten Themenstellung im Spannungsfeld von ‚Monismus‘ und ‚Dualismus‘ und nehmen schließlich einen Ausschnitt der christologischen Überlegungen in den Blick, auf die Tillich seine Examensarbeit zulaufen lassen sollte. Dort nämlich findet der Paradoxbegriff erstmals Verwendung. Gleich mit dem ersten Absatz der ‚Einleitung‘ erklärt Tillich entschieden jene Option für den nachkantischen Idealismus, die uns bereits aus den Briefen vertraut ist. Das zwischenzeitliche Zurücktreten der idealistischen Systembildungen in den philosophischen Debatten wird als „Flucht“, nicht als Zeichen einer „wirklichen Überwindung“ interpretiert: „Darum mußte er [der Idealismus;
Vgl. EW IX, 24– 93 bzw. ebd., 94– 153. Die beiden Bezeichnungen ‚Urfassung‘ und ‚Schönschrift‘ stammen nicht von Tillich selbst, sondern von den Herausgebern von EW IX, zur Textgeschichte vgl. ebd., 20 – 23. Der Text der Examensarbeit – bzw. näherhin der der jetzt als ‚Schönschrift‘ betitelten Version – wurde erst 1982 erstmals veröffentlicht; vgl. Anton BernetStrahm, Die Vermittlung des Christlichen. Eine theologiegeschichtliche Untersuchung zu Paul Tillichs Anfängen des Theologisierens und seiner christologischen Auseinandersetzung mit philosophischen Einsichten des deutschen Idealismus. Mit Erstpublikation dreier früher Werke des jungen Paul Tillich (Bern Frankfurt/Main: Peter Lang, 1982), 4* – 45*. EW VI, 26; vgl. oben I.1 a).
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L. H.] wiederkommen, und seine Renaissance ist keine in sich unmögliche Repristination.“⁵⁹ Und: Wie schon in den Briefen setzt Tillich diesbezüglich in erster Linie auf Fichte, wenn er beispielsweise – aller Wahrscheinlichkeit nach in direkter Aufnahme und Ergänzung eines Diktums Wilhelm Windelbands – gleichfalls einleitend vermerkt: „Die Notwendigkeit, über Kant hinauszugehen, […] zeigt sich schließlich als eine Notwendigkeit, in der Richtung auf Fichte hinzugehen.“⁶⁰ Gerade die ‚Urfassung‘ hebt diese exponierte Bedeutung Fichtes wiederholt hervor.⁶¹ Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass mit jener Renaissance des idealistischen Denkens in der Philosophie zugleich eine Renaissance der „spekulativ[en]“ Theologie erwartet wird.⁶² Damit ist eine Richtung angezeigt, die mit der Monismusschrift selbst noch zögerlich, in der Folge dann aber zunehmend entschieden eingeschlagen ist: Bis hin zur Systematischen Theologie von 1913 wird Tillich eine starke Affinität zum spekulativen Denken, mithin zur ‚Spekulativen Theologie‘ ausbilden.⁶³ Erste Implikationen dieser Option formuliert schon die Examensarbeit, etwa wenn in ausdrücklicher Abgrenzung von Albrecht Ritschl und Wilhelm Herrmann eine entschiedene Lanze für das Zusammen von Theologie und Metaphysik gebrochen wird – freilich eben in Form einer nachkantisch-kritischen, idealistischen Metaphysik.⁶⁴ In diesem Zuge artikuliert Tillich auch die uns bereits aus den Briefen bekannte Überzeugung, dass sich Erkenntnistheorie und Metaphysik nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern dass sie vielmehr aufs Engste zusammengehören. Im Anschluss an diese eher großflächige Charakterisierung der eigenen Position wendet sich die ‚Einleitung‘ der Frage zu, wie die Aufgabe der Theologie näherhin zu bestimmen sei. An der hierzu vorgenommenen Ausdiffe-
EW IX, 28|98. Ebd., 98. Windelband hatte das ‚Vorwort‘ seiner zweibändigen Präludien mit der Rezeptionsmaxime beschlossen: „Kant verstehen, heißt über Kant hinausgehen.“ (Wilhelm Windelband, Präludien. Aufsätze und Reden zur Einführung in die Philosophie, Bd. 1 [Tübingen Leipzig: J. C. B. Mohr, ²1903], IV). Im Rahmen seines Breslauer Promotionsvortrages Die Freiheit als philosophisches Prinzip bei Fichte sollte Tillich 1910 nochmals auf jenes Diktum Bezug nehmen und jetzt ausdrücklich den Bezug zu Windelband herstellen; vgl. EW X, 55. Zur Bedeutung Windelbands – und zumal von dessen Präludien – für Tillich vgl. unten II.3.1 a). Vgl. etwa EW IX, 60: „Fichte, den wir der ganzen folgenden Debatte zugrunde legen, […].“ Die Auskunft ist an der parallelen Stelle der ‚Schönschrift‘ getilgt, wie hier insgesamt die ausdrücklichen Verweise seltener sind – möglicherweise wollte Tillich den Eindruck einer zu starken Abhängigkeit von Fichte vermeiden. EW IX 28|98. Vgl. unten I.1 c). Vgl. ebd., 28 – 30|98 – 100.
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renzierung von Christentum bzw. Religion einerseits und Theologie andererseits ist mindestens zweierlei signifikant. Einmal fasst Tillich schon hier eine religionstheoretische Grundentscheidung, die sein gesamtes Lebenswerk durchziehen wird. Er will Religion als einen alle Geistesvermögen gleichermaßen betreffenden Sachverhalt verstanden wissen: „Das Christentum ist eine Religion, die den ganzen Menschen in Anspruch nimmt. Alle Versuche einseitiger Formulierungen sind fehlgeschlagen. Der Glaube ist ein Überzeugtwerden des Intellekts, ein Überwältigtwerden des Gefühls, eine Tat des Willens.“⁶⁵ Tillich nimmt die im Gefolge von Johannes Nikolaus Tetens etablierte Auffassung des menschlichen Geistes als einer nach drei Vermögen – dem theoretischen, dem praktischen und dem affektiv-emotionalen – zu differenzierenden Größe in Anspruch, um andersherum die Religion allen drei Vermögen gleichermaßen zuzuordnen.⁶⁶ Letztere ist, mindestens ihrer christlichen Gestalt nach, als in gleicher Weise auf Denken, Wollen und Fühlen, und also auf theoretisches, praktisches und ästhetisches Geistesvermögen bezogen aufgefasst. Die Theologie will Tillich demgegenüber als exklusiv intellektuelles Geschäft verstanden wissen. So heißt es wiederum in der ‚Einleitung‘: „Dem Denken fällt dann weiter die Aufgabe zu, sich über Inhalt,Voraussetzungen und Konsequenzen dieser seiner grundlegenden Bestimmtheit klar zu werden. Diese gnosis en teleiois ist die theologische Aufgabe.“⁶⁷ Hier macht sich erneut jene exponierte Stellung des ‚Denkens‘ bemerkbar, die wir einleitend als typisch für Tillichs Frühwerk insgesamt vermerkt hatten: So untersucht die Examensarbeit zwar ausdrücklich die Bedeutung von Monismus bzw. Dualismus für die ‚christliche Religion‘, und nicht etwa ‚nur‘ für die christliche Theologie, und so werden zwar beide Disser-
Ebd., 30. So wortwörtlich auch in der ‚Schönschrift‘, wobei der mittlere, abgrenzende Satz ausgelassen ist; vgl. ebd., 100. Die betreffende, einschlägige Ausdifferenzierung dürfte Tillich allerdings eher aus kantischneukantianischen Diskussionszusammenhängen vertraut gewesen sein. Zumindest findet sich bei ihm an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass er mit Tetens’ Schriften selbst vertraut gewesen wäre; zum näheren Hintergrund vgl. unten II.3.1 a). Tillichs gewissermaßen integratives Religionsverständnis lässt sich sogar noch weiter ins Frühwerk hinein zurückverfolgen: Bereits in der 1906 verfertigten Seminararbeit Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium findet sich die Überlegung, dass die Religion „den ganzen Menschen nach allen seinen Seiten seines Wesens unter Gott stellt“ (EW IX, 18). In letzter Konsequenz sei das freilich erst im Christentum gesehen, da hier „Gott alles vom Menschen fordert, sein Denken, Fühlen und Wollen“ (ebd.). In der frühen Seminararbeit verknüpft Tillich jene umfassende Bestimmung von Religion bzw. des Christentums mit der Kritik einer „intellektualistischen Weltanschauung“, für die 1906 überraschenderweise der Name Fichtes – und nicht wie später der Hegels – einstehen muss. Ebd., 30|100; kursiv i. O.
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tationen primär die Schelling’sche Religionsphilosophie bzw. dessen religionsgeschichtliche Konstruktion in den Blick nehmen – doch ist der Fluchtpunkt der frühen Arbeiten im Letzten ein theologischer: Nicht zufällig wird der erste große eigenständige Entwurf von 1913/14 eben eine ‚Systematische Theologie‘ sein. Und nicht umsonst wird der Paradoxgedanke dort als ‚theologisches‘ und nicht etwa als ‚religiöses Prinzip‘ im Mittelpunkt stehen. Die Theologie, das ‚Denken‘, die theoretische Bestimmung der geisttheoretisch weiter gefassten Religion stellt den eigentlichen gedanklichen Fluchtpunkt jener frühen Jahren dar. ⁶⁸ Gleichzeitig bahnt die skizzierte Zuspitzung auf die denkende, theologische Aufgabe hin einer weiteren Entscheidung den Weg, die vor dem Hintergrund der Briefe wenig überraschend ist – der Option für eine grundlegende Orientierung am Wahrheitsgedanken: „Die Theologie ist diejenige Seite der religiösen Aufgabe überhaupt, in der der Glaubensinhalt unter dem Gesichtspunkt der Wahrheit Gegenstand der Gnosis wird.“⁶⁹ Die Fokussierung auf die Aufgabe der ‚Gnosis‘ bzw. des Wissens, des Erkennens einerseits, und die Orientierung am Wahrheitsgedanken andererseits fordern sich nach Tillichs Auffassung wechselseitig. Ebenfalls noch im Rahmen der ‚Einleitung‘ wird eine zweite Grundentscheidung thematisch, die – wie schon das umfassende, sie keinem Geistesvermögen exklusiv zuordnende Verständnis von Religion – für Tillichs Gesamtwerk einschlägig sein wird. Als eine erste Konsequenz seines Plädoyers für das prinzipielle Zusammen von Theologie und Metaphysik optiert er für eine Zentralstellung des Begriffs des Absoluten in der Theologie. Ihm eignet die notwendige Funktion einer „Brücke“ zwischen dem „‚Gott-Herr-und-Vater‘ der Religion“ und dem „letzte[n] Welterklärungsprinzip der Philosophie“.⁷⁰ Der Gedanke des Absoluten zielt also, so lässt Tillich sich verstehen, gleichermaßen auf das Zentrum der Religion, den Gottesgedanken, wie auf die genuine Aufgabe der Philosophie, die Erklärung der Welt als solcher. Tatsächlich kann die durchgängige Orientierung am Gedanken des Absoluten bzw. dann, nach 1918, an dem des Unbedingten als eines der Kennzeichen seines Denkens gelten: Tillich war gewissermaßen Absolutheitsbzw. Unbedingtheitstheoretiker ‚durch und durch‘.⁷¹ Der idealistische Hintergrund
Auch diese Prävalenz der Theologie lässt sich an der Examensarbeit im Kleinen bereits ablesen, läuft sie doch in ihrem abschließenden ‚dritten Abschnitt‘ auf theologische Überlegungen zur ‚Person Christi‘ zu. Ebd., 101; vgl. ebd., 31. Vgl. ebd. Nicht von ungefähr wurde Tillich bereits zu Hallenser Wingolfzeiten von den Kommilitonen scherzhaft „das Absolute“ gerufen; vgl. EW V, 40. Entsprechend konnte etwa Trutz Rendtorff für
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dieser Grundsatzentscheidung ist unverkennbar, womit zugleich angedeutet ist, dass die für ihn zentralen Fragen der Metaphysik und der Erkenntnistheorie ihrerseits umgehend in eine absolutheitstheoretische Perspektive eingestellt werden. Die Monismusschrift verknüpft jene Option darüber hinaus mit einer Abgrenzung, die wiederum genaueren Aufschluss über theologiegeschichtliche Bezüge gibt. Neben Ritschl ist es nun nämlich Martin Kähler, dessen Absage an den Begriff des Absoluten im Rahmen der Theologie – „Das Absolute ist ein Götze“⁷² – Tillich seinerseits als unangemessen zurückweist.⁷³ Diese Distanzierung an einem für die Gesamtkonzeption derart entscheidenden Punkt ist insofern bemerkenswert, als Kähler wie notiert in der Forschung – infolge Jahrzehnte später getätigter Äußerungen Tillichs – als einer der wichtigsten Gewährsmänner seines frühen Denkens behauptet werden konnte. Namentlich Gunther Wenz hat dieser These zu einer gewissen Prominenz verholfen.⁷⁴ Wie auch immer anderweitige Übereinstimmungen zwischen Tillichs und Kählers Denken zu beurteilen sind, in einer mindestens für Ersteren schlechthin fundamentalen Hinsicht herrscht ausweislich der Monismusschrift offenkundiger Dissens: Während die Idee des Absoluten für Tillich von schlichtweg konstitutiver Bedeutung ist,wollte Kähler sie ganz aus dem Gesichtskreis der Theologie getilgt wissen.⁷⁵ Entsprechende Distanz gilt im Übrigen gleichfalls mit Blick auf die Frage des Wissenschaftscharakters der Theologie, einem weiteren für Tillichs Anfänge zentralen Aspekt. So führt die Systematische Theologie von 1913 die ‚Enzyklopädie‘ aus Kählers Wissenschaft der christlichen Lehre stellvertretend für jenen Typ einer „unwissenschaftlichen Einleitung“, dem der frühe Systementwurf gerade korrigierend entgegentreten soll.⁷⁶
sein Werk im Ganzen just „Denken und Reden ‚in Richtung auf das Unbedingte‘“ als unverwechselbares, sich durchhaltendes Motiv identifizieren (Rendtorff, „Richtung“, 335). Vgl. etwa Martin Kähler, Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt (Leipzig: Deichert, ³1905), 166.241 u. ö. Vgl. EW IX, 31|101. Vgl. Wenz, Subjekt, 24– 28; ders., „Perspektive“; vgl. auch oben I.1 a). Die spätere ausdrückliche Zustimmung Tillichs zu Kählers Diktum „Das Absolute ist ein Götze“ im Briefwechsel mit Emanuel Hirsch von 1917/18 – vgl. EW VI, 99 – ist demgegenüber Ausdruck einer gedanklichen Reorientierung. Sie lässt sich also nicht einfach auf die Frühzeit rückprojizieren, sondern unterstreicht vielmehr andersherum nochmals die ursprüngliche intellektuelle Distanz zu Kähler; vgl. auch unten II.1 a). Wenn überhaupt, wird man Kähler am ehesten als eine Referenz – neben anderen – im Zuge von Tillichs ‚Entdeckung‘ der Rechtfertigungsthematik reklamieren können. Auch hier ist freilich die umgehende Umformung und vor allem systematische Entschränkung des Rechtfertigungsgedankens festzuhalten, die wiederum nur sehr bedingt dem Einfluss Kählers zugerechnet werden kann; vgl. unten I.2 c) und d). EW IX, 430; vgl. unten die Einleitung zu I.2.
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Das Urteil von Wenz ist somit revisionsbedürftig: Zwar mag Tillich mit großem zeitlichen Abstand Kähler als wichtigen Lehrer bezeichnet haben – die Frühschriften selbst verweisen jedoch gleich an mehreren zentralen Punkten auf diametral gegenläufige Theorieentscheidungen. Hier erscheint Kähler in Wirklichkeit eher als Negativfolie denn als Vorbild der ersten eigenständigen Überlegungen. Waren bislang mehr allgemeine Entscheidungen zur Grundanlage von Tillichs Denken festgehalten, so kann der Fokus nachfolgend ganz der Monismusschrift selbst gelten. Tillich visierte mit ihr eine prinzipientheoretische Klärung vermittels der titelgebenden Stichworte des ‚Monismus‘ und des ‚Dualismus‘ an. Zugleich will er die prinzipientheoretischen Fragen aufs Engste mit christentumstheoretischen Fragen verschränkt wissen. Im Kontext christologischer Überlegungen ist dabei schließlich erstmals der Paradoxbegriff verwendet. Wir orientieren unsere Darstellung an diesen systematischen Aspekten. Als Ausgangspunkt kann erneut die ‚Einleitung‘ dienen, wenn dort jener Gegensatz, dessen Bearbeitung sich die Examensarbeit laut Titel insgesamt zum Thema gesetzt hat – der Gegensatz von ‚monistischer und dualistischer Weltanschauung‘ oder allgemeiner: das Gegeneinander von „Monismus“ und „Dualismus“ –, erstmals charakterisiert wird. Tillichs Interesse gilt dabei, dem vorderhand historischen Aufbau der Arbeit zum Trotz,⁷⁷ im Grunde einer systematischen Fragestellung. Das zeigen nicht nur die zumal in der ‚Urfassung‘ eher bemühten Versuche, ‚Monismus‘ und ‚Dualismus‘ in realen philosophiegeschichtlichen Konstellationen zu verorten.⁷⁸ Auch die dann in der ‚Schönschrift‘ gewählten Begriffsbestimmungen entbehren nicht einer gewissen Unschärfe, gedacht ist augenscheinlich an eine noch mehr allgemeine Zugangsdefinition, die dem systematischen Denken allererst das Feld öffnen soll: „Der Monismus behauptet ein Welterklärungsprinzip, der Dualismus zwei selbständige.“⁷⁹ Diese Zugangsbestimmung ist mit der auf die ‚Geschichtliche Vorbereitung‘ folgenden eigentlichen „Definition“ in einem ersten Schritt weiter präzisiert: Der Monismus ist also diejenige metaphysische Betrachtungsweise, die als letzten Erklärungsgrund der Wirklichkeit nur ein selbständiges Prinzip annimmt, sei es, daß er dazu eins der in der Wirklichkeit gegebenen stempelt, sei es, daß er ein der gegebenen Wirklichkeit
Auf eine ‚Geschichtliche Vorbereitung‘ des Themas folgt zunächst die Rekonstruktion einer ‚physisch-ontologischen Stufe‘ des Monismus, dann dessen ‚geistig-teleologischer Stufe‘, wobei eben Fichte den Übergang beider Stufen markieren soll. Vgl. ebd., 32. Ebd., 102; vgl. ebd., 32.
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transzendentes postuliert. Der Dualismus dagegen sucht den in der Wirklichkeit beobachteten Gegensatz zweier großer Prinzipien metaphysisch zu hypostasieren.⁸⁰
Mit der Kennzeichnung des fraglichen Erklärungsgrundes als eines ‚letzten‘ scheint wiederum die für Tillich selbstverständliche gedankliche Verbindung von ‚Metaphysik‘ und Letztbegründungsdenken durch. Somit legt er sich mit der Examensarbeit im Grunde die Frage vor, welche Wege absolutheitstheoretisches Denken nehmen kann, und zwar eben in monistischer bzw. dualistischer Ausprägung.⁸¹ Beziehungsweise präziser: Wie verhält sich ein konsequenter „Monismus des Geistes“, der als Leistung dem nachkantischen Idealismus bzw. genauer Fichte zugeschrieben wird, zu seiner – Tillich zufolge notwendigen – dualistischen Kritik? Denn dass sich der Dualismus zum Monismus wie die Kritik zur allerdings notwendigen Basis des Denkens verhält, ist die zweite Präzisierung, die die ‚Definition‘ bietet: „Der Monismus ist immer das Ziel der Gedankenentwicklung, während der Dualismus gewissermaßen den Kritiker spielt.“⁸² Der Monismus entspricht also der internen Logik des Denkens selbst: Dieses geht auf ein letztes Prinzip. Die Notwendigkeit der dualistischen Kritik ist demgegenüber nach Tillich dreifach begründet. Erstens ist es dem ersten Zitat zufolge die ‚Wirklichkeit‘, die sich der rein monistischen Betrachtungsweise nicht recht fügen will – deswegen der Kunstgriff des Monismus, eines der mit der Wirklichkeit gegebenen Momente auszuwählen, um es zum alleinigen letzten Prinzip zu erheben, oder ein solches im Gegenüber zur Wirklichkeit zu setzen. Der Dualismus hypostasiert gleichfalls, kann sich dabei jedoch auf einen in der Wirklichkeit ‚beobachteten‘ Gegensatz berufen. Letztlich muss der konsequente Monismus den Anspruch erheben, „jedes Einzelgeschehen als notwendig aus dem obersten Prinzip ab[zu]leiten“.⁸³ Genau das mag der Eigenlogik des Denkens entsprechen, es steht allerdings, so Tillichs mehr implizite Annahme, quer zur Wirklichkeitserfahrung, die in sich gegenläufig bzw. gar gegensätzlich verfasst ist. Als Zweites kommt hinzu, dass auch der nachkantische Idealismus als ausgereifte Form eines „teleologischen Monismus“ in Einzelmotiven über seine eigene monistische Grundanlage hinausweise. Gerade der Monismus in seiner gedanklich klarsten und konsequentesten Ausprägung, so die These, trägt die Ansätze seiner Überwindung in sich
Ebd., 108; vgl. ebd., 44 f. Vgl. ebd., 44: „Für unsere Aufgabe bleibt jedoch die metaphysische Betrachtung die entscheidende […] Damit ist das genus gefunden, von dem der Begriff des Monismus und Dualismus eine species ist.“ Ebd., 108. Ebd., 46|109.
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selbst.⁸⁴ Drittens – und das ist die eigentliche Zielperspektive der Examensarbeit – ist es eben die Religion bzw. näherhin das Christentum, dem zwar ein Monismus idealistischer Prägung zum Ausgangspunkt empfohlen wird, das diesen aber zugleich im Kern sprengt. Genauer visiert bereits die Monismusschrift eine christologische Aufhebung jener inneren Spannungsmomente an, die dem Monismus idealistischer Spielart innewohnen. Die ‚Person Christi‘ bzw. ‚Person Jesu‘ steht schon ausweislich der Überschrift des letzten ‚Abschnittes‘ der Arbeit für die Möglichkeit einer Synthese von Monismus erster und zweiter Stufe, die in eins deren dualistische Kritik integriert.⁸⁵ Die Examensarbeit liest sich so im Ganzen wie eine – so Medicus in einer Anmerkung – „Verteidigung, bzw. Weiterführung“ des „Nachkantischen Idealismus“,⁸⁶ und das,wie wir ergänzen können, mit dem gedanklichen Fluchtpunkt der christlichen Theologie. ‚Verteidigung‘, weil der teleologische Monismus zumal Fichte’scher Provenienz der Theologie nachdrücklich als die der christlichen Religion gemäße philosophische, also erkenntnistheoretisch-metaphysische Position ans Herz gelegt wird. ‚Weiterführung‘, weil die im Idealismus selbst aufbrechende dualistische (Selbst)Kritik verstärkt und auf christologische Lösungsfiguren hin gelesen wird. Oder, mit Tillichs eigenen, abschließenden Worten: Der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung hat für die christliche Religion die Bedeutung, daß er sie vor die Aufgabe stellt, den Monismus als die entsprechende philosophische Position sich anzueignen, aber so, daß jede monistische Position durch die dualistische Kritik so lange auf eine höhere Stufe getrieben wird, bis das der Person Jesu entsprechende und dem christlichen Heilsbesitz völlig gerecht werdende philosophische Weltbild erreicht ist.⁸⁷
Ein gleichsam dualistisch veredelter Prinzipienmonismus – das ist es, was Tillich 1908 im Rahmen seiner Examensarbeit als Zielpunkt der Verschränkung von philosophischer Prinzipienklärung und theologischer Reflexion vorschwebt. Im Zusammenhang jener die Monismusschrift beschließenden Überlegungen zur ‚Person Christi‘ bzw. ‚Jesu‘ findet nun der Paradoxbegriff eine erste Verwendung,
Vgl. ebd., 67 ff.|127 ff. Dabei sind es mit der bereits grundsätzlich willenstheoretisch reformulierten Sündenthematik, dem Gottesgedanken bzw. näherhin der Frage der ‚Persönlichkeit Gottes‘ etc. primär ethisch-religiöse Motive des nachkantischen Idealismus, die Tillich namhaft machen kann. Vgl. ebd., 26|96: „Die vollendete Synthese von ontologischem und teleologischem Monismus in der Person Christi.“ Vgl. ebd., 142 Anm. 90. Ebd., 152 f.; vgl. ebd., 91.
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wobei die christologische Reflexion noch keineswegs primär auf ihn fokussiert ist. Im Zentrum steht vielmehr die Figur des „absoluten Trägers der Norm“, die auf Jesus als den Christus abgebildet wird.⁸⁸ Während der Paradoxausdruck in der ‚Urfassung‘ ganz fehlt, fällt er in der ‚Schönschrift‘ an einer Stelle: „Die Paradoxie der Sündenvergebung ist identisch mit der Paradoxie der Sendung Jesu.“⁸⁹ Die ‚Paradoxie der Sündenvergebung‘ soll dabei – zieht man den Kontext des für sich genommen eher kryptischen Zitates hinzu – an folgender Gegenläufigkeit aufbrechen: Was Tillich am nachkantischen Idealismus als Kennzeichen eines Monismus höherer Stufe festhält, ist die konsequente Orientierung am Freiheitsgedanken, dem Gedanken also der freien willentlichen Selbstsetzung und Selbsterfassung. Der idealistische Grundgedanke ist in diesem Zusammenhang mit dem Autonomiebegriff belegt.⁹⁰ Der „Autonomismus des Idealismus“⁹¹ gebricht jedoch daran, dass andersherum das Gottesverhältnis nach christlichem Verständnis als durch den Christus vermittelt zu denken ist. Hier gilt es, so in unmittelbarer Vorbereitung der Formulierung, in der der Paradoxbegriff Verwendung findet, „in Jesus die ausschließliche Aktivität Gottes anzuerkennen“.⁹² In der dieserart nicht nur „deklaratorisch[]“ behaupteten, sondern – wie Tillich wiederholt hervorhebt – „realen“⁹³ Veränderung des Gottesverhältnisses muss sich der idealistische Autonomiegedanke grundlegend modifizieren: Die konsequent monistische Autonomie ergibt sich gewissermaßen in ein Anderes ihrer selbst. An dieser Stelle scheint, gleichfalls mehr am Rande, der in der Theoriebildung der 1920er Jahre dann so prominente Zielgedanke einer „Theonomie“ auf.⁹⁴ Die ‚Paradoxie der Sündenvergebung‘ besteht also darin, dass die beiden unvereinbaren Gedanken der autonomen Freiheit einerseits und der schlechthinnigen Passivität im Gottesverhältnis andererseits zusammengedacht werden sollen. Dies geschieht in der Examensarbeit am Leitfaden des Gnadengedankens bzw. – ausweislich der Überschrift der betreffenden Überlegungen – dem der „Rechtfertigung“. Im Zusammenhang: Vgl. ebd., 85|147, 88|149 u. ö. Ebd., 151; zum Fehlen an der Parallelstelle der ‚Urfassung‘ vgl. ebd., 90. Vgl. ebd., 70|130.85|147. Ebd., 85|147. Ebd., 90|151. So hervorgehoben etwa ebd., 85|147.89|150 in der abschließenden Zusammenfassung ebd., 91| 153. Vgl. ebd., 70|130: „Die Theonomie ist Synthese von Heteronomie und Autonomie.“ Medicus’ Einspruch – „Nein, die Theonomie ist vielmehr die Vollendung der Autonomie.“ (ebd., 130 Anm. 62) – lässt bereits erahnen, dass Tillich die fragliche Begrifflichkeit in Auseinandersetzung mit dem Hallenser Lehrer ausbilden sollte; vgl. unten II.2.1 b).
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Nur weil in ihm [Christus; L. H.] erschienen ist (und zwar in höchstem Maße in seinem Kreuzesgehorsam) die Fülle der Gottheit, kann Gott die tatsächliche Entwicklung der Menschheit überwinden durch die Gnade und den darauf gerichteten Glauben, der in Jesus die ausschließliche Aktivität anerkennt […]: Die Paradoxie der Sündenvergebung ist identisch mit der Paradoxie der Sendung Jesu.⁹⁵
Während sich der paradoxe Charakter der ‚Sündenvergebung‘ bzw. ‚Rechtfertigung‘ mithin aus der Argumentation der Monismusschrift gut erklären lässt, verhält es sich mit der zweiten, hier parallelisierten Paradoxie anders. Was Tillich unter der ‚Paradoxie der Sendung Jesu‘ verstanden wissen will, lässt sich aus der Arbeit alleine schwerlich ersehen. Erst aus der rückblickenden Sicht der weiteren frühen Schriften wird wahrscheinlich, dass damit die dem Inkarnationsgedanken innewohnende Paradoxie gemeint sein dürfte. Somit visiert die Examensarbeit zwar mit der Christologie – und genauer eben mit dem Inkarnations- und dem Rechtfertigungsthema, für das das Kreuz exemplarisch steht – in materialdogmatischer Hinsicht den Kontext an, in dem der Paradoxgedanke künftig systematisch zu stehen kommen wird. Eine echte Entfaltung des Gedankens, eine Theorie des Paradox findet sich aber ebenso wenig wie seine spätere Einbettung in eine umfassende Wahrheitstheorie.
c) ‚Schellingerlebnis‘ und philosophische Dissertation (1909/10) Nachdem er das Erste Examen im Februar 1909 abgeschlossen hatte, nahm Tillich die Arbeit an einer theologischen Dissertation auf. Durch äußere Umstände – die Stadt Berlin lobte ein ‚evangelisches Säkularstipendium‘ aus, das jedoch den Doktor der Philosophie zur Voraussetzung hatte – erstand aus dieser Arbeit zunächst die philosophische Dissertation Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien im Sommer 1910,⁹⁶ dann erst die theologische Lizentiaten-Dissertation Mystik und Schuldbewußstein in Schellings philosophischer Entwicklung im Winter 1911/Frühjahr 1912.⁹⁷ Gemeinsam ist beiden Dissertationen der Bezug auf die Religionsphilosophie und die religionsgeschichtliche Konstruktion Friedrich Joseph Wilhelm Schellings, der nun als der „anerkannte Hauptträger der idealistischen Entwicklung“ behauptet werden kann.⁹⁸ Der Fokus verschiebt sich also von Fichte weg hin zu Schelling.⁹⁹
Ebd., 151. Ebd., 154– 272. GW I, 11– 108. EW IX, 158.
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Der genaue Zeitpunkt der eigentlichen ‚Entdeckung‘ des Letzteren sowie deren Auslöser lassen sich dabei nicht mit letzter Sicherheit bestimmen. Aus einem Brief an Alfred Fritz aus dem Jahr 1909 lässt sich immerhin ersehen, dass das ‚Schellingerlebnis‘ im engeren Sinne – also die Initialzündung jener täglichen Lektüre „eine[s] Kubikmeter[s] Schelling“,¹⁰⁰ an die Maria Klein sich noch Jahrzehnte später erinnern sollte – um Pfingsten jenes Jahres herum erfolgt sein muss.¹⁰¹ Woher Tillich die Anregung empfing, sich dem Werk Schellings zuzuwenden, ist schwerer zu greifen. So wurde beispielsweise gemutmaßt, dass es Wilhelm Lütgert gewesen sein könnte, der spätere Betreuer der Lizentiaten-Dissertation, der ihn auf diese Fährte setzte.¹⁰² Der Duktus des genannten Briefes an Fritz weist jedoch eher nicht in die Richtung einer direkt durch Lütgert initiierten Beschäftigung: Tillich zeigt sich nach eigener Auskunft „völlig überrascht“ von den ihm ins Auge springenden Abhängigkeiten des Hallenser Lehrers von Schelling, die er gegenüber dem Briefpartner mit dem Gestus nunmehr wissender Überlegenheit eher gegen Lütgert verwendet.¹⁰³ Wäre der Anstoß zu einer Lektüre Schellings tatsächlich von Lütgert ausgegangen, dann hätte dieser Tillich wohl in irgendeiner Form auf die Querverbindungen zum eigenen Denken aufmerksam gemacht. Tillich selbst sollte – allerdings mit dem zeitlichen Abstand mehrerer Jahrzehnte – in den bekannten biographischen Erinnerungen Auf der Grenze den „Zufall eines Gelegenheitskaufes“ als Hintergrund seiner initialen Schellinglektüre anführen.¹⁰⁴ Dieser Auskunft mag, bei aller Vorsicht im Umgang mit Tillichs rückblickenden Selbststilisierungen, ein Wahrheitsmoment eignen. In jedem Fall – und insofern stimmt jedenfalls der zweite Teil jenes Rückblicks, der eine „innere Affinität zu Schelling“ erinnert¹⁰⁵ – fügt sich die Entdeckung Schellings
Diese Bewegung spiegelt sich etwa auch im Breslauer Promotionsvortrag Die Freiheit als philosophisches Prinzip bei Fichte von 1910 wider (EW X, 55 – 62). EW V, 53. Vgl. EW VI, 76: „[…] das war richtig bis Pfingsten. Seitdem war der Grund [von Tillichs ‚brieflichem Schweigen‘; L. H.] ein anderer: […] Wie Du weißt, lese ich seitdem Schelling, den ich mir angeschafft habe. Er drückt mich also völlig nieder.“ So René Tautmann, Mitherausgeber des sechsten Bandes der Ergänzungs- und Nachlassbände, eben mit Bezug auf den betreffenden ‚Pfingst-Brief‘ an Alfred Fritz; vgl. ebd., 78 Anm. 2. Vgl. ebd., 76 f.: „Auf jeder Seite entdecke ich einen neuen Grundpfeiler Schmuhlschen [Lütgert’schen; L. H.] Denkens bis in die einzelnsten Psychologumena: Ich bin völlig überrascht, daß wir uns hier wiederfinden. Die Idee einer ‚freien Theologie‘ wird damit zur Illusion, soweit Schlatter – Schmuhl sie verwirklichen wollen.“ GW XII, 31. Das englische Original der autobiographischen Erinnerungen erschien 1936 unter dem Titel On the Boundary. Vgl. ebd.: „Ich selbst wurde teils durch den Zufall eines Gelegenheitskaufs, teils durch innere Affinität zu Schelling geführt […].“
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gut in die bislang skizzierte Vorgeschichte: Schon in den anfänglichen, ganz auf Fichte abstellenden Arbeiten finden sich am Rande wiederholte Hinweise auf Schelling. Nun kann Tillich zumal in dessen Spätphilosophie den Schlüssel zu den zuvor formulierten Fragestellungen, etwa der der prinzipientheoretischen Zuordnung von Monismus und Dualismus, erblicken.¹⁰⁶ Den betreffenden Überschritt von Fichte zu Schelling kann Tillich – und damit ist in eins eine der wesentlichen Forschungsleistungen seiner Qualifikationsarbeiten benannt – gleichermaßen als interne, folgerichtige Entwicklungsgeschichte des Schelling’schen Denkens plausibel machen. Entgegen der seinerzeit üblichen Annahme einer Vielzahl untereinander unverbundener Phasen postuliert er deren zwei: Auf den wesentlich fichtesch geprägten ‚Schelling I‘ folgte das Spätwerk von ‚Schelling II‘, wobei die Freiheitsschrift von 1809 den Übergang markiert.¹⁰⁷ Tillich legt das Hauptaugenmerk nun, vor dem Hintergrund des Bisherigen wenig überraschend, zum einen auf die erkenntnistheoretischen und metaphysischen Prinzipien des Schelling’schen Systems, die er im Wesentlichen gleich mit dem ‚Ersten Abschnitt‘ der philosophischen Dissertation erarbeitet.¹⁰⁸ Und zum anderen zielen beide Arbeiten letztlich auf die Darstellung der – wie es dort in der Überschrift des abschließenden ‚Dritten Abschnitts‘ heißt – ‚reli-
Möglicherweise könnten beim Überschritt von Fichte zu Schelling auch psychologische Momente eine gewisse Rolle gespielt haben. Denn Tillich mag in der seines Erachtens gedanklich nur konsequenten Überbietung Fichtes durch die Spätphilosophie Schellings das Muster seiner eigenen Ablösung von dem die religionsphilosophischen Anfänge noch ganz beherrschenden Fritz Medicus erblickt haben: Wie Schelling auf der Grundlage Fichtes diesen schließlich überbot, so wollte er auf der Grundlage seines Hallenser Lehrers Medicus diesen zugleich überbieten. Die fragliche Periodisierung von ‚Schelling I‘ und ‚Schelling II‘ ist so zwar erst in der Theologischen Lizentiaten-Dissertation formuliert – vgl. GW I, 15 u. ö. –, die Einsicht gehörte jedoch noch im Sommer 1909 zu Tillichs ersten Früchten seiner Beschäftigung mit Schelling; vgl. EW V, 76. So kann er schon in der 1910 entstandenen Vorarbeit zur philosophischen Dissertation, Gott und das Absolute bei Schelling, festhalten: „Für gewöhnlich unterscheidet man fünf oder sechs Perioden. Im Sinne einer Gleichordnung ist das aber falsch. In diesem Sinne gibt es nur zwei Hauptabschnitte, die durch die Freiheitslehre von 1809 getrennt sind.“ (EW X, 12). Die von Tillich vorgeschlagene Periodisierung sowie die These einer gedanklich folgerichtigen Entwicklung der Schelling’schen Philosophie hin zum Spätwerk dürften heute weithin Konsens sein. Als solche liegen sie etwa dem Standardwerk von Walter Schulz, Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings (Pfullingen: Neske, ²1975), zugrunde. Zur sog. ‚Freiheitsschrift‘ vgl. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände. Mit einem Essay von Walter Schulz: „Freiheit und Geschichte in Schellings Philosophie“ (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1975). EW IX, 160 – 196. Der Abschnitt trägt denn auch die Überschrift ‚Die erkenntnistheoretischen und metaphysischen Ausgangspunkte der Geschichtskonstruktion‘; vgl. ebd., 156.
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gions- und geschichtsphilosophischen Prinzipien der religionsgeschichtlichen Konstruktion‘.¹⁰⁹ Vor der Folie des dieserart also schon 1910 Gewonnenen kann sich die Lizentiaten-Dissertation von 1911/12 dann ganz auf die religionsphilosophische Frage des Verhältnisses von ‚Mystik und Schuldbewusstsein‘ konzentrieren. Während bei ‚Schelling I‘ die identitätsphilosophische Position (‚Mystik‘) einerseits und die dem Differenzmoment Rechnung tragende Position (‚Schuldbewußtsein‘) andererseits noch unvermittelt nebeneinanderstehen, bedeutet ‚Schelling II‘ deren Synthese. Tritt man einen Schritt zurück, so wird deutlich: Tillich bündelt in den Qualifikationsschriften die eigenen erkenntnistheoretischen wie metaphysischen, an der Verhältnisbestimmung von Identität und Differenz orientierten Fragestellungen und erprobt deren religionstheoretische Konsequenzen am Beispiel eines vorderhand fremden Systems, eben dem Schelling’schen. Neben den genannten Qualifikationsschriften wird nachfolgend die 1910 entstandene Vorarbeit zur philosophischen Dissertation Gott und das Absolute bei Schelling hinzugezogen. Bereits die frühen Briefe hatten Tillichs Interesse an erkenntnistheoretischen und metaphysischen Fragestellungen dokumentiert. Hier liegt entsprechend ein wesentlicher Fokus seiner Schelling-Rezeption. Das zeigt nicht allein der Ort ihrer Darstellung, eben gleich zu Beginn der philosophischen Dissertation. Ihre dortige Kennzeichnung als ‚Ausgangspunkte der Geschichtskonstruktion‘ ist, wie ein Seitenblick auf die Vorarbeit Gott und das Absolute bei Schelling verrät, darüber hinaus fast zu niedrig gegriffen. Dort vermerkt Tillich im Zusammenhang der Periodisierungsfrage des Schelling’schen Werkes: „Schelling ist, wie Fichte, von Kant ausgegangen. […] Die Fragestellung bleibt von Anfang bis zu [sic] Ende kritisch: Wie muß das Objekt beschaffen sein, damit es Gegenstand des Wissens werden kann? Alle Behauptungen Schellings sind Antworten auf diese Frage […]; auf erkenntnistheoretischer Basis erwächst Schelling auch das Gottesproblem, und das ist das Eigenartige und Bedeutende allen früheren Versuchen gegenüber.“¹¹⁰ Deutlich ist, im Umweg über den gemeinsamen Bezugspunkt Kant, noch einmal der mit dem Namen Schellings verbundene Überbietungsanspruch gegenüber Fichte ausgesprochen. Gemeinsam ist Fichte wie Schelling gleichwohl, dass sie Kants erkenntniskritische Fragestellung fortschreiben. Tillichs ausdrückliche
Vgl. ebd., 157. Tillichs Kerninteressen sowie deren interne Zuordnung lassen sich gleichfalls leicht am äußeren Aufbau der Vorarbeit Gott und das Absolute bei Schelling greifen: Hier folgt auf eine kurze Einleitung die ‚Erkenntnistheoretische Grundlegung‘ (EW X, 13 – 25), dann die ‚Metaphysische Durchführung‘ (ebd., 25 – 44) und schließlich eine Darstellung der ‚Religiösen Konsequenzen‘ (ebd., 44– 54). EW X, 12; kursiv L. H.
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Hervorhebung des kritischen Momentes zeigt an, dass er Schellings Spätphilosophie keineswegs als rein spekulativen Rückfall hinter Kant’sche Grundeinsichten interpretiert wissen will. Erkenntnistheorie meint im Prinzip Erkenntniskritik im Gefolge Kants. Die metaphysischen wie religiösen Ausführungen sollen die als kritisch präzisierte erkenntnistheoretische ‚Basis‘ nicht unterlaufen, sondern auf ihr aufruhen. Die Erkenntnistheorie stellt also nicht etwa nur – so ließe sich jene Überschrift des ‚Ersten Abschnitts‘ der philosophischen Dissertation durchaus verstehen – einen präliminaren, in der Folge hinter sich zu lassenden ‚Ausgangspunkt‘ dar. Vielmehr erblickt Tillich in ihr, wie es im unmittelbaren Fortgang des Zitates aus der Vorarbeit heißt, für Schellings Denken geradezu die „Wurzel aller Lösungen“.¹¹¹ In der Sache bedeutet das, dass der Stellenwert der Schelling’schen ‚allgemeinen Prinzipienlehre‘ – im Kern seiner berühmten ‚Potenzenlehre‘ – in der philosophischen Dissertation auf wenigen Seiten skizziert, für Tillich kaum hoch genug angesetzt werden kann: Ihre Interpretation stellt insofern die gedankliche Brücke zwischen der vorangegangenen Monismusschrift und der späteren Systematischen Theologie von 1913 dar, als sie die dortige Zuordnung von Monismus und Dualismus, Identität und Differenz weiter klärt und so die schließliche eigene Lösung von 1913/14 entscheidend präfiguriert. Auf wenigen Seiten dicht gedrängt stellt Tillich hier also, in Gestalt einer Rekonstruktion Schellings, wesentliche Weichen für das eigene Denken. Der Zugriff auf die ohnehin sehr komprimierte Darstellung wird dadurch weiter erschwert, dass die eigentliche systematische Fragestellung und werkgenetische Gesichtspunkte eng miteinander verwoben sind: Tillich verfolgt die erkenntnistheoretischen und metaphysischen Grundlagen eben in ihren Kontinuitäten wie Wandlungen durch ‚Schelling I‘ und ‚Schelling II‘ hindurch, wobei Ersterer nochmals in mehrere Unterphasen ausdifferenziert wird. Wir beschränken uns nachfolgend ganz auf einige ausgewählte, für unsere Zwecke einschlägige Aspekte. Zudem ziehen wir die zwar stark schematisierende, andersherum aber merklich gereifte Darstellung der theologischen LizentiatenDissertation punktuell hinzu.¹¹² Tillich rekonstruiert einmal die identitätstheoretische Fassung des letzten Prinzips als eine der sich durchhaltenden Einsichten Schellings. Das „Prinzip der Identität“ bestimmt also nicht allein die frühen, durch Fichte geprägten Anfänge, sondern es Vgl. ebd.: „[D]er erste Teil wird also die erkenntnistheoretische Wurzel aller Lösungen zum Gegenstand haben müssen […].“ Die nachfolgende Gliederung passt nicht nur auf die Vorarbeit selbst, sondern auch auf den ‚Ersten Abschnitt‘ der philosophischen Dissertation. Zur Lizentiaten-Dissertation, die wir nur angelegentlich hinzuziehen werden,vgl. ausführlich Bernet-Strahm, Vermittlung, 115 – 133; Neugebauer, Christologie, 227– 252.
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trägt durch den gesamten ‚Schelling I‘ hindurch, bis es in der im engeren Sinne identitätsphilosophischen Unterphase ganz ins Zentrum tritt.¹¹³ Und selbst in der Spätphilosophie bleibt es prinzipiell in Geltung – wenn auch freilich in entscheidend modifizierter Weise.¹¹⁴ Auf ebendieser Modifikation des Identitätsprinzips im Übergang von ‚Schelling I‘ zu ‚Schelling II‘ liegt Tillichs Augenmerk. In der theologischen Lizentiaten-Dissertation ist die systematische Folgerichtigkeit jener Modifikation anhand zweier Anfragen an die frühe, im engeren Sinne identitätsphilosophische Fassung plausibilisiert. Erstens postuliere Schelling zwar im Rahmen der identitätsphilosophischen Phase, dass Identität „nicht gleich Einerleiheit“ sei. Doch, so wendet Tillich ein, wäre genau diese Gleichsetzung unter strikt identitätstheoretischen Prämissen vom absoluten Wahrheitsgedanken her letztlich konsequent.¹¹⁵ Hier müssen demnach Schelling selbst noch verborgene Zusatzannahmen im Spiel sein. Zweitens lasse sich eine quantitative Differenzierung sub specie des absoluten Identitätsgedankens im Grunde nicht denken.¹¹⁶ Genau der Beschreibung einer solchen quantitativen Abstufung, von „Stufen des Übergewichts“ der reellen oder ideellen Tätigkeit, dient aber, wie schon die philosophische Dissertation herausgearbeitet hatte, eben Schellings Potenzenlehre.¹¹⁷ Die gedanklich konsequente Antwort auf beide Anfragen habe Schelling sich selbst gegeben: Es ist das Identitätsprinzip selbst, das einer weiteren, nun entscheidenden Modifikation bedarf: „In der Indifferenz liegt ein Prinzip der Differenz, des Abfalls von sich selbst, ein Irrationales.“¹¹⁸ An dieser Einsicht – das Absolute identitätstheoretisch zu fassen und ihm zugleich ein Prinzip der Differenz einzudenken – macht Tillich den eigentlichen Überschritt Schellings über Fichte fest. Die „Ur-Identität [ist] zugleich Ur-Antinomie“,¹¹⁹ die Fassung des „Wahrheitsgedanke[ns] in seiner höchsten Form“ lautet „Identität des Widerspruchs“¹²⁰ – auf diese im Grunde bereits paradoxen Formulierungen kann Tillich jene Einsicht seinerseits hin verdichten. Nichtsdestoweniger spielt der Paradoxbegriff selbst in den beiden Schelling-Dissertationen weiterhin keine gesonderte Rolle.
Vgl. GW I, 36.42.58. Vgl. EW IX, 173. Vgl. GW I, 59 f. Vgl. ebd., 60. EW IX, 164; für einen ersten Überblick über Schellings Potenzenlehre vgl. Wolfgang Förster, „Potenz, Potenzen“, HWPh 7 (1989), 1167– 1169. EW IX, 165. GW I, 87. Ebd., 97.
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Werkgeschichtlich ist es die sogenannte Freiheitslehre von 1809, die den skizzierten Einschnitt markiert. Hier tritt mit dem Freiheitsgedanken ein Gedanke ins Zentrum, der Tillich zufolge bereits die Fichte’schen Anfänge Schellings bestimmt hatte. Zugleich meldet sich mit ihm eine weitere Thematik der Frühzeit, deren zuvor nicht ausgeschöpftes Potenzial sich Schelling jetzt zu eigen macht: Schon früh hatte er, ganz in Aufnahme Fichtes, den „Willen“ als oberstes erkenntnistheoretisches Prinzip identifizieren können. Der absolute Freiheitsakt des Wollens ist es demnach, der das Bewusstsein konstituiert, und der mithin als Möglichkeitsbedingung von Selbstbewusstsein fungiert.¹²¹ Stand seinerzeit der damit formulierte Gedanke der „Autonomie des menschlichen Geistes“ im Vordergrund,¹²² so fokussiert die Freiheitslehre, und in der Folge die gesamte Spätphilosophie Schellings, einen anderen Aspekt: Den „amphibolische[n] Charakter des Willens“, also gewissermaßen seine ursprüngliche Zweisinnigkeit.¹²³ Es ist das Wesen des Willens, mit sich selbst in Widerspruch treten, sich schlechthin frei als das andere seiner selbst bestimmen zu können.¹²⁴ „Andererseits“ – und darin liegt das Identitätsmoment noch im Widerspruch, der Differenz zu sich selbst – „hört der Wille dadurch, daß er sich widerspricht, nicht auf, sein Wesen als Wille zu behalten.“¹²⁵ Insofern eignet dem Willen gleichursprünglich beides, Identität wie Differenz mit sich selbst. Der Gedanke einer Einzeichnung des Differenzmomentes in das Absolute selbst und die willenstheoretische Fassung von Identität und Differenz erweisen sich so als zwei Seiten derselben Medaille. Vor allem ersterer Gedanke wird für Tillich späterhin von großer Bedeutung sein. ¹²⁶
Vgl. EW IX, 161. Schon damit ist deutlich, dass Tillich mit Schelling den Willen selbstredend nicht als „psychologische[s] Phänomen“, sondern als transzendentale Struktur in den Blick nimmt. Vgl. ebd., 162. Ebd., 166; vgl. GW I, 78. Vgl. EW IX, 166: „Zugleich aber gab der amphibolische Charakter des Willens die Lösung an die Hand: Im Willen selber liegt ein irrationales Moment, eine ‚Potenz‘ des Widerspruchs mit sich selbst“. GW I, 78. Die willenstheoretischen Motive sind bei näherem Zusehen nicht erst an Schelling gewonnen. Schon in der Monismusschrift spielt der ‚Wille‘, hier noch ganz in Orientierung an seiner Fichte’schen Fassung, immer wieder eine hervorgehobene Rolle. Mit der Schelling-Rezeption verschiebt sich der Fokus aber eben hin zum amphibolischen Charakter des Willens. Die Motive werden dann in der Folge eher untergründig weiterwirken – die Systematische Theologie von 1913 wird den Willen selbstverständlich thematisieren, er rückt dort jedoch nicht in eine zentrale systematische Stellung ein.Von weiterführendem Interesse wäre nicht zuletzt der Zusammenhang von Willens- und Machtthematik, der in den entsprechenden Passagen der philosophischen Dissertation mit Händen zu greifen ist; vgl. EW IX, 166 ff.
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Im Rahmen der philosophischen Dissertationen ist es dabei primär die Potenzenlehre der ‚positiven Philosophie‘, die er mit Schelling als Schlüssel zur internen Struktur des Identitätsprinzips respektive des Absoluten selbst interpretiert.¹²⁷ Die entsprechenden modallogischen Überlegungen zum Verhältnis der drei Potenzen untereinander können wir dahingestellt sein lassen.¹²⁸ Lediglich ein Moment sei hervorgehoben, da es perspektivisch von Bedeutung sein wird: Mit der Freiheits- und Willensthematik tritt der Geistbegriff ersichtlich in den Vordergrund. Er kommt nun jedoch nicht mehr, wie noch in der Fichte’schen Frühphase, in erster Linie unter dem Aspekt eines gleichsam planen Sich-Setzens in den Blick, für den der Autonomiebegriff einsteht. Vielmehr stellt Tillich, im Anschluss an den späten Schelling, seinen Charakter als einer „mittelbare[n] (durch einen Gegensatz hindurchgegangene[n]) Selbsterfassung“ heraus.¹²⁹ Auch im Geistbegriff schlägt sich folglich das verstärkte Abheben auf das Moment des Gegensatzes bzw. der Differenz im Gegenüber zu einem abstrakten Identitätsprinzip nieder. Das Eigentümliche des Geistes als einer eigenständigen dritten Potenz liegt gerade darin, dass er beides, Identität und Gegensatz, in sich vereint.¹³⁰ Mit dem Vorstehenden sind somit die erkenntnistheoretischen Weichenstellungen benannt, an denen entlang Tillich nach 1909 über die Rezeption Schellings sein Denken nochmals präzisieren und klarer konturieren sollte. Tritt man einen Schritt zurück, so fällt darüber hinaus ein Grundzug der beiden Schelling-Dissertationen auf, der zuvor angelegte Motive verstärkt – und der dann auch die Anlage des Systementwurfs von 1913/14 wesentlich prägen wird. Tillich mag, wie einleitend gesehen, prinzipiell den durchgängig erkenntniskritischen Charakter der Schelling’schen Philosophie hervorgehoben haben. Gleichwohl macht er sich in der Durchführung deren im Kern spekulatives Interesse zu eigen, dass zumal in der hochgeschätzten ‚positiven Philosophie‘ des Spätwerkes zum Austrag kommt: Dieserart verschränken sich erkenntniskritisches und spekulatives Interesse aufs Engste. Abschließend sei dies anhand zweier Themenkreise exemplarisch demonstriert. Erstens an dem von ‚Gott, Welt und Mensch‘, der im unmittelbaren Anschluss an die Potenzenlehre ebenfalls noch im ‚Ersten Abschnitt‘ der philosophischen Dissertation entfaltet wird.¹³¹ Legte jene die erkenntnistheoretischen Grundlagen, so benennt dieser jetzt die metaphysischen Ausgangspunkte. Und zweitens weisen die dort im letzten, ‚dritten Abschnitt‘
Vgl. ebd., 173. Vgl. ebd., 168 – 172. Ebd., 167. Vgl. ebd., 167 f. Ebd., 173 – 185.
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entwickelten Überlegungen zur Gewinnung des Religionsbegriffs deutlich in eine spekulative Richtung – gerade, wenn man sie in einem vorgreifenden Seitenblick mit den entsprechenden Überlegungen der 1920er Jahre vergleicht. Nehmen wir als erstes die metaphysischen Überlegungen in den Blick, so lassen sich gemäß Tillich bei Schelling werkgeschichtlich drei Schritte der Verhältnisbestimmung von Absolutem, Gottesbegriff und Weltbegriff ausmachen. Im Rahmen der Identitätsphilosophie werden demnach der Gedanke des Absoluten und der Gottesgedanke identifiziert, wodurch Letzterer auch vom Weltgedanken nur schwer abgrenzbar sei.¹³² Mit der entscheidenden Einsicht der Freiheitslehre, dass dem Absoluten selbst ein Differenzmoment eingedacht werden muss, geht im zweiten Schritt eine Unterscheidung im Gottesgedanken einher: Schelling differenziert nun zwischen dem „göttlichen Selbst“ und der „Natur in Gott“.¹³³ In der Spannung beider vollzieht sich der „Prozeß der Personalisierung Gottes“ – der hier aber noch ganz mit dem „Weltprozeß“ identisch gedacht werde.¹³⁴ Die Frage einer Freiheit Gottes vom Weltprozess bricht erst in der Folge auf. Tillichs ausdrückliche Kennzeichnung dieser Frage als „Aufgabe“ signalisiert, dass er selbst an dem Gedanken der „Geistigkeit“ und „Freiheit“ Gottes von der Welt interessiert ist.¹³⁵ Die Lösung sieht er im dritten Schritt mit der ‚positiven Philosophie‘ formuliert. Mit ihr werden die zuvor erkenntnistheoretisch herausgearbeiteten Potenzen zum Konstruktionsprinzip der immanenten Struktur des Gottesgedankens. Die nachfolgende Darstellung des Gottesbegriffs in der ‚positiven Philosophie‘ zielt dann auf den Trinitätsgedanken, der im weiteren Verlauf im Sinne einer „frei gesetzten innergöttlichen Liebesgemeinschaft“ präzisiert wird.¹³⁶ Die gestellte Aufgabe wird also im Sinne einer innertrinitarischen und offenbarungsgeschichtlichen Spekulation gelöst. Mit Schelling erscheinen so etwa die theologischen Topoi der ‚Schöpfung‘ oder des ‚Falls‘ nur konsequent als „übergeschichtliche Fakta“, die diesseits jedes Weltprozesses bzw. jeder Welt- oder Menschheitsgeschichte verortet werden.¹³⁷ Der spekulative Charakter der Überlegungen Schellings, die Tillich sich in der Darstellung selbst wie im abschließenden Urteil sichtlich zu eigen macht, ist unübersehbar.¹³⁸
Vgl. ebd., 173. Demnach fallen Gottes- und Weltbegriff hier aber auch nicht einfach in eins, was sich an Schellings ambivalenter Stellung zur Pantheismusfrage ablesen lasse. Ebd., 174. Ebd., 176. Ebd. Vgl. ebd., 182 f. bzw. ebd., 189. Vgl. ebd., 185 ff. bzw. ebd., 193 ff. Vgl. auch EW X, 37– 39.
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Wie sehr das spekulative Interesse nunmehr an Gewicht gewonnen hat, mag ein nochmaliger Seitenblick auf die Monismusschrift verdeutlichen. Bereits dort konnte Tillich zwar wie gesehen einleitend seine prinzipielle Sympathie für eine ‚Spekulative Theologie‘ artikulieren.¹³⁹ Auch räumte er entsprechend „Spekulationen trinitarischer Art“, allen damit verbundenen Schwierigkeiten für das kategoriale Denken zum Trotz, generell einen religiösen Eigenwert ein.¹⁴⁰ Gleichwohl hatte die Examensarbeit es diesbezüglich bei Andeutungen belassen. Zudem stand ihr fest, dass weder der „Hegelsche[] Panlogismus“ noch – und das ist im gegenwärtigen Zusammenhang entscheidend – der „Irrationalismus des späteren Schelling“ trinitätstheologisch den Maßstab abgeben könne.¹⁴¹ Demnach sei selbst Augustins Trinitätsspekulation der Schellings vorzuziehen, da sie „weniger irrationalistisch“ sei.¹⁴² Schellings irrationalistische, hochspekulative Trinitätskonzeption erschien Tillich also noch 1908 ungeeignet, um das eigene Denken an ihr zu orientieren. Dieses Bild ändert sich, wie skizziert, mit den Schelling-Dissertationen grundlegend. Jetzt erhält Schellings spekulative Trinitätslehre den Zuschlag, womit das merklich zurückhaltendere Urteil der Monismusschrift überholt ist. Die sich darin aussprechende Aufwertung des Spekulativen ist offenkundig. Diese Verschiebung lässt sich zweitens am Beispiel des Religionsbegriffs illustrieren. Bereits die ‚Einleitung‘ der philosophischen Dissertation gibt eine Hochschätzung des Schelling’schen Gedankens einer „philosophischen Religion“ zu erkennen.¹⁴³ In ihr komme beides, der ‚wissenschaftlich-philosophische‘ wie der ‚christlich-religiöse‘ Anspruch des nachkantischen Idealismus, in gesonderter Weise zum Ausdruck. Damit ist angezeigt, dass Philosophie und Religion für Tillich nun nochmals enger zusammenrücken als schon in der Monismusschrift. Tatsächlich markiert jener Gedanke einer ‚philosophischen Religion‘ im Folgenden das Ziel der religionsgeschichtlichen Betrachtung¹⁴⁴ sowie den Ausgangspunkt zur Gewinnung des Religionsbegriffs: „Auf dem Boden der philosophischen Religion ist der Religionsbegriff gebildet und bei ihr endet die Geschichtskonstruktion.“¹⁴⁵ In welchem Sinne das ‚Philosophische‘ des betreffenden Religionstypus dabei verstanden sein will, präzisiert die Methode, nach der ebenjener
Vgl. EW IX, 28|98; vgl. oben I.1 b). Vgl. ebd., 150: „Weitere Spekulationen trinitarischer Art haben ihren Wert und ihr Recht in der religiösen Betrachtungsweise.“; vgl. ebd., 89. Ebd., 81. Ebd., 144. Ebd., 159. Vgl. ebd., 229 – 231. Ebd., 236.
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Religionsbegriff gewonnen werden soll.¹⁴⁶ Bei Schelling selbst finden sich hierzu keine eigenen Ausführungen – Tillichs Überlegungen sind also stark interpretativrekonstruierend, in ihnen verdichtet sich nicht zuletzt das eigene Erkenntnisinteresse. Zu diesem Zweck arbeitet er zunächst drei Abgrenzungen heraus. Schellings Methode könne jedenfalls weder eine „theologische“ noch eine „empiristische“ sein.¹⁴⁷ Und auch die „dialektische[ ]“, mit dem Namen Kant verbundene Methode bedarf einer Weiterentwicklung – eben hin zur „spekulativ[en] Methode“.¹⁴⁸ Die einmal als solche identifizierte und benannte Methode setzt Tillich dann mit den zuvor im Rahmen der Dissertation herausgearbeiteten Elementen der Spätphilosophie Schellings in Verbindung. Ohne auf Einzelheiten einzugehen – die systematischen Querbezüge sind anderwärts detailliert herausgearbeitet worden¹⁴⁹ – seien die spekulativen Konsequenzen an einem Zitat illustriert: „Das religiöse Verhältnis in seiner Wesentlichkeit“, so folgert Tillich, „ist ein innergöttliches Verhältnis zu sich als Natur.“¹⁵⁰ Der Religionsbegriff gehorcht mithin den Denkfiguren der innertrinitarischen Spekulation. Wie groß die Distanz zum Späteren ist, mag ein vorausgreifender Seitenblick auf die entsprechende Methodenreflexion der Religionsphilosophie der 1920er Jahre anzeigen. Das dort erwogene Methodenensemble zeigt im Ganzen nämlich durchaus Nähe zu dem der philosophischen Dissertation.¹⁵¹ Neben der „seinswissenschaftliche[n]“ Methode, die an die ‚empiristische‘ erinnert, unterliegt auch hier die „theologische Methode“ der Kritik. Weiterhin kommt der „kritisch-dialektischen“ Methode, wie schon 1910 der ‚dialektischen‘, eine Überführungsfunktion zu der nun bevorzugten „metalogischen Methode“ zu. Allerdings: Die in den 1920er Jahren wiederum diskutierte „spekulative Methode“ ist jetzt ausdrücklich verworfen. Die Kritik entzündet sich an der Vorstellung, dass „das religiöse Objekt außerhalb religiöser Akte festgestellt werden könne.“¹⁵² Während Tillich im Rahmen der Qualifikationsschriften im Gefolge Schellings noch meinte, dass gar ‚innergöttliche Verhältnisse‘, also reine Binnenstrukturen innerhalb des ‚religiösen Objektes‘ für den Religionsbegriff konstitutiv seien, wird in den 1920ern allein die Behauptung der Möglichkeit eines solchen ‚Außerhalb‘
Vgl. zum Folgenden ebd., 231 ff. Ebd., 232. Die nähere Charakterisierung dieser wie der weiteren Methoden sei hier dahingestellt, zumal ihre Titel in gewisser Weise für sich sprechen. Für eine ausführliche Darstellung vgl. Neugebauer, Christologie, 169 – 175. EW IX, 232 bzw. ebd., 234. Vgl. Neugebauer, Christologie, 169 – 175. EW IX, 239; kursiv L. H. Zum Folgenden vgl. GW I, 304– 317. Ebd., 306.
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der religiösen Subjektivität verworfen. Gemäß der dann in der Tat konsequent kritischen Rückbindung des religionsphilosophischen Programms an die intentionalen Akte des Subjekts fallen innertrinitarische Spekulationen zur Bestimmung religiöser Gehaltlichkeit ganz aus. Vor dem Hintergrund dieser Umstellung tritt der mit den Schelling-Dissertationen forcierte spekulative Zuschnitt des Tillich’schen Frühwerks nochmals deutlich hervor.
d) Die ‚Kasseler Thesenreihe‘ (1911) Zu Pfingsten 1911 trifft Tillich sich mit einer Gruppe von Freunden aus ehemaligen Studien- und Wingolfzeiten, unter ihnen etwa Hermann Schafft und Friedrich Büchsel,¹⁵³ zu einem selbstorganisierten Kolloquium in Kassel. Er selbst steuerte unter dem Titel Die christliche Gewißheit und der historische Jesus einen Vortrag nebst Thesenreihe zu diesem Treffen bei.¹⁵⁴ Der Beitrag muss seinerzeit kontrovers, ja ausgesprochen kritisch diskutiert worden sein. Von dieser Kritik zeugt der anschließende Briefwechsel mit Büchsel, in dem dieser seine Anfragen schriftlich wiederholt.¹⁵⁵ Gleichwohl sollte die sogenannte Kasseler Thesenreihe für Tillich zeitlebens einen hohen Stellenwert behalten. So wird er bekanntlich noch 1936, und also mehr als zwei Jahrzehnte später, im Rahmen seiner über den Tag hinausweisenden autobiographischen Skizze On the Boundary (deutsch, 1962: Auf der Grenze) in ihr ein für seine Entwicklung „maßgebendes Dokument“ erblicken können.¹⁵⁶ Diese exponierte Bedeutung dürfte ihren Grund vor allem darin haben, dass Tillich mit der Thesenreihe eine christologische Grundfrage für sich prinzipiell klären konnte: Zwar plädierte er – entgegen einer verbreiteten Ansicht – keineswegs für eine völlige Ausklammerung des ‚historischen Jesus‘ aus der christologischen Reflexion, wie sie später im Gefolge Rudolf Bultmanns die evangelische Theologie für beinahe ein halbes Jahrhundert weithin bestimmen sollte.¹⁵⁷ Jedoch Zur vollständigen Liste der Teilnehmer vgl. EW VI, 29. Ebd., 50 – 61 bzw. ebd., 31– 46. Ebd., 62– 69 (Büchsel an Tillich, September 1911) bzw. ebd., 69 – 74 (Tillichs Replik). GW XII, 32. Einen ersten, instruktiven Überblick über die christologischen Entwicklungen des vergangenen Jahrhunderts vermittelt Ulrich Barth, Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problemgeschichtliche Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoretischen Grundlagen (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1992), 4– 7; vgl. weiterhin Gerd Theißen/Annette Merz, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch (Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht, 1996), 21– 33, bes. 25 ff.; Christian Danz, Grundprobleme der Christologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), bes. 13 – 54.143 – 192.
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kann ihm, so die bleibende Einsicht, weder für den christlichen Glauben noch für die christologische Lehrbildung eine konstitutive Rolle zukommen. Das diesbezügliche Fazit von Auf der Grenze, dort eben zumal im Rückblick auf die Thesenreihe formuliert, wird etwa noch der späten Christologie der US-amerikanischen Systematischen Theologie die Richtung vorgeben: „Nicht der historische Jesus, sondern das biblische Christusbild ist das Fundament des Glaubens.“¹⁵⁸ So weisen die Kasseler Überlegungen, entstanden vor dem Hintergrund der seinerzeitigen exegetischen, systematisch-theologischen wie allgemein-kulturellen Diskussionen rund um Historizität und Person Jesu, weit über den Debattenstand um 1900 hinaus.¹⁵⁹ Gleichzeitig, und damit ist der Bogen zu den systematischen Beobachtungen der vorangegangenen Unterabschnitte geschlagen, ist die Kasseler Thesenreihe thematisch erheblich weiter angelegt, als dass hier ‚nur‘ die christologische Problematik des ‚historischen Jesus‘ bedacht würde. Neben der schon mit dem Titel angezeigten Gewissheitsthematik nimmt sie übergreifende geschichtsphilosophische und historisch-methodologische Fragen in den Blick und bietet darüber hinaus geisttheoretische und schließlich materialdogmatische Ansätze. In einer ersten Übersicht: Zwar nimmt Tillich seinen Ausgang von der vorderhand allein einen Ausschnitt der Christologie betreffenden Frage, wie mit dem historischen Urteil „Jesus, der Christus, hat existiert“ umzugehen sei (Th. 1– 8).¹⁶⁰ Doch entschränkt er diese Ausgangsfrage im Durchgang durch eine ‚Kritik des historischen‘ wie des ‚dogmatischen Beweises‘ (Th. 9 – 28 bzw. 29 – 80)¹⁶¹ auf ihre geschichtsphilosophischen und erkenntnistheoretisch-metaphysischen Voraussetzungen hin. Geschichtsphilosophisch fällt die Historizitätsfrage unter das GW XII, 33. Die theologischen wie religionsgeschichtlichen Diskussionen der Zeit waren wesentlich durch die beiden 1892 erschienenen Beiträge von Johannes Weiß, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, und Martin Kähler, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus, bestimmt. Bei seiner Kritik an einer christologischen Überbewertung des ‚historischen Jesus‘ dürfte Tillich gleichwohl nicht zuletzt Wilhelm Herrmann vor Augen gehabt haben; vgl. Neugebauer, Christologie, 198 – 208. Zur Entstehungszeit der Kasseler Thesenreihe hatten die Debatten rund um die Bedeutung des ‚historischen Jesu‘ den akademischen Rahmen längst gesprengt, die nochmals verschärfte Frage nach der Historizität Jesu scheint durchaus gesellschaftlich-kulturelle Wellen geschlagen zu haben. Vor allem Arthur Drews’ Die Christusmythe von 1909 befeuerte die außerakademischen Diskussionen; vgl. EW VI, 30. Tillich dürfte auch diese Dimension des Themas vor Augen gehabt haben. Einen instruktiven Überblick über den Diskussionsstand im anhebenden 21. Jahrhundert vermitteln Danz, Grundprobleme; ders./Michael Murrmann-Kahl (Hg.), Zwischen historischem Jesus und dogmatischem Christus. Zum Stand der Christologie im 21. Jahrhundert (Tübingen: Mohr Siebeck, ²2011). EW VI, 31 f. Ebd., 32– 34 bzw. ebd., 34– 40.
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kategoriale Problem der Verhältnisbestimmung von Allgemeinem und Individuellem (Th. 92– 101).¹⁶² Im Zentrum der erkenntnistheoretischen Ausführungen steht das uns bereits aus dem Bisherigen vertraute Identitätsprinzip, das jetzt als ‚Prinzip der Gewißheit‘ firmiert. In diesem Zusammenhang finden sich zudem erste, über die Nennung des Begriffes hinausgehende Reflexionen zum Wahrheitsgedanken (Th. 81– 91).¹⁶³ Schlussendlich deutet Tillich materialdogmatische Konsequenzen der erkenntnistheoretischen und geschichtsphilosophischen Überlegungen an. Dabei kommt dem Autonomiegedanken als dem ‚dogmatischen Formal- und Materialprinzip‘ zentrale Bedeutung zu (Th. 102– 128).¹⁶⁴ Wir konzentrieren uns nachfolgend primär auf die erkenntnistheoretischmetaphysische Grundlegung und zeichnen die Thesenreihe darüber in die bisherige Gedankenentwicklung ein. Gemäß Tillichs Überzeugung, dass erkenntnistheoretische und metaphysische Argumentation sich nicht voneinander abtrennen lassen, sondern aufs Engste miteinander verwoben sind, sind beide Argumentationsreihen unmittelbar miteinander verschränkt. Es ist nicht zuletzt dieser Aspekt der umstandslosen Verschränkung, der die Thesenreihe der Interpretation nicht eben zugänglicher macht – eine Kritik, die im Übrigen schon Büchel formulieren konnte.¹⁶⁵ Die Schwierigkeit verschärft sich noch dadurch, dass die erkenntnistheoretische und die metaphysische Reihe, wie wir sehen werden, bis zu einem gewissen Maß unterschiedlichen argumentativen Fluchtlinien folgen und sich hierfür unterschiedlicher, in Teilen durchaus konträrer Leitgedanken bedienen. Sowohl die Thesen selbst als auch der Fragment gebliebene Vortrag zeigen deutlich, dass Tillich allein einen erkenntnistheoretischen Zugriff für die Bearbeitung der Gewissheitsthematik als adäquat erachtet. So behauptet gleich die erste diesbezügliche These: „Die Grundlage jeder kritischen Untersuchung der Gewißheitsfrage bildet die Aufstellung des erkenntnistheoretischen Prinzips.“
Ebd., 42 f. Zu dieser geschichtsphilosophischen Dimension der Thesenreihe vgl. Neugebauer, Christologie, 211– 216.225 – 227. Im Hintergrund der kategorialen Überlegungen Tillichs dürfte einmal mehr nicht zuletzt seine Auseinandersetzung mit Ernst Troeltschs Absolutheitsschrift stehen. Letzterer hatten bereits die entsprechenden Überlegungen der philosophischen Dissertation gegolten; vgl. ebd., 158 – 161. EW VI, 41 f. Ebd., 43 – 46. Bernet-Strahm, Vermittlung, 142, kann in der materialdogmatischen Skizze gar das eigentliche Zentrum der Kasseler Thesenreihe erblicken: „Tillich geht es nämlich in dieser Thesenreihe vor allem darum, zu zeigen, wie eine neue, mit autonomen personalen Kategorien arbeitende Dogmatik aussehen könnte, die imstande wäre, zu einer christlichen Gewissheit hinzuführen.“ Vgl. EW VI, 64.
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(Th. 82).¹⁶⁶ Die Frage der christlichen Glaubensgewissheit bildet hier keine Ausnahme. Sie muss ihre Möglichkeit gleichfalls nach allgemeinen erkenntnistheoretischen Standards ausweisen können, kann sich also nicht auf ein wie immer geartetes ‚sturmfreies Gebiet‘ zurückziehen. Als gesuchtes allgemeingültiges erkenntnistheoretisches Grundprinzip wird dann eben das der „Identität“ bzw. der „Autonomie“ fungieren (vgl. Th. 102).¹⁶⁷ Der erkenntnistheoretischen Anfahrt ist nun umgehend eine metaphysische Konstruktion zur Seite gestellt, in deren Zentrum jedoch nicht der Identitätsbegriff, sondern das an Schelling gewonnene Begriffspaar „Wesen und Widerspruch“ steht.¹⁶⁸ Als gemeinsamer Bezugspunkt beider Argumentationsreihen dient der „Wahrheitsgedanke selbst“. Dabei lassen sich mit Büchsel die Thesen 82 bis 84 sowie 86 als im engeren Sinne erkenntnistheoretisch, die Thesen 85 und 87 als metaphysisch interpretieren.¹⁶⁹ Eine erste Schwierigkeit besteht darin, dass schon die erkenntnistheoretische Argumentation für sich betrachtet nicht so einlinig verläuft, wie es vorderhand scheinen kann. Zunächst entwickelt Tillich seine Argumentation nicht einfach vom ‚Wahrheitsgedanken selbst‘ aus, sondern ergänzt diesen umgehend um die „Tat“, also den geistigen Akt der „Bejahung des Wahrheitsgedankens“ (Th. 83). Der Wahrheitsgedanke kommt mithin nicht unter Absehung auf ihn bezogener geistiger Akte in den Blick – damit holt Tillich den mit These 82 formulierten ‚kritischen‘ Anspruch seiner Ausführungen ein. Der Terminus der ‚Bejahung‘ zeigt weiterhin an, dass ein ‚vorgängiges Vorhandensein‘ des in einem zweiten Schritt ‚nachgängig‘ zu Bejahenden vorausgesetzt wird.¹⁷⁰ Die allein mit These 83 formulierte erkenntnistheoretische Anlage lässt sich wie folgt näher bestimmen: Tillich differenziert den geistigen Bezug auf den Wahrheitsgedanken unausgesprochen hinsichtlich zweier zu unterscheidender Akte aus. Der eine geistige Akt ist der der Setzung des Wahrheitsgedankens, der zweite der der nachgängigen Bejahung des zuvor Gesetzten. Hier verschränken sich konstitutionsidealistische und absolutheitstheoretische Überlegungen: Die Wahrheit wird allererst im geistigen Akt gesetzt, sie bedarf jedoch dann einer Bejahung ihres absoluten
Ebd., 41. Der Vortrag setzt dementsprechend mit einem Abschnitt zu den ‚logisch-erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des Problems‘ (der Gewissheit bezüglich des historischen Jesus) ein; vgl. ebd., 50. Beide Begriffe sind in der Thesenreihe im Grunde synonym verwendet, da sich in ihnen dieselbe Grundeinsicht artikuliert. Insbesondere der theologischen Lizentiaten-Dissertation wird dieses Begriffspaar dann geradezu als Schlüssel zur Schelling’schen Theoriebildung dienen. Ebd., 63. Tillichs Antwortbrief legt gegen diese Zuordnung jedenfalls keinen Einspruch ein. Die Interpretationsbegriffe ‚vorgängig‘ und ‚nachgängig‘ sind hier freilich logisch, nicht zeitlich zu verstehen.
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Status. Da Tillich weiterhin den Akt der Setzung des Wahrheitsgedankens in eins als unableitbare „Tat der geistigen Selbstsetzung“ versteht (Th. 84), fungiert diese geistige Selbstsetzung für die Interdependenz von Setzung und Bejahung nochmals als Bedingung. Somit ist die konstitutive Bedeutung des Wahrheitsgedankens nun nicht nur für die Gewissheitsthematik, sondern ebenfalls für die Geisttheorie insgesamt behauptet. Da Geist per definitionem auf Wahrheit bezogen ist, muss sich dieser Wahrheitsbezug in allen geistigen Akten ausweisen lassen. Zugleich ist der Geistbegriff ob der entsprechenden Anfahrt gewissermaßen erkenntnistheoretisch imprägniert. Im Folgenden ist das skizzierte Grundverhältnis von geistigem Akt und Wahrheitsgedanken weiter auseinandergelegt. Jenes Grundverhältnis impliziert nach Tillich zweierlei: die „Einheit der Wahrheit“ sowie die „Identität von Subjekt und Objekt im Erkenntnisakt“ (Th. 84). Damit ist zum einen die wesentliche Näherbestimmung des Wahrheitsgedankens selbst gegeben, zum anderen mit dem Identitätsbegriff das Ziel der erkenntnistheoretischen Argumentation benannt. Zum Verständnis der einheitstheoretischen Bestimmung des Wahrheitsgedankens ist es hilfreich, sich die Abgrenzung zu vergegenwärtigen, die Tillich mit ihr vollzogen wissen will. Sie artikuliert sich in der zugehörigen These 85. Demnach soll die einheitstheoretische Fassung der absoluten Wahrheit einen „Individualismus, der das Einzelne zum metaphysischen Prinzip macht,“ verhindern.¹⁷¹ Damit ist auf den Historismus wie die Theologie einer liberalen Jesusfrömmigkeit angespielt. Zumal Ersterem unterstellt Tillich, mit seiner Erhebung des Individualitätsgedankens zum Prinzip ein echtes Verstehen der Geschichte zu verstellen, da er dieserart auf den Wahrheitsgedanken ‚verzichte‘.¹⁷² Das ‚Einzelne‘ darf insofern nicht als metaphysisches Prinzip angesetzt werden, als es nicht als eigenständiges Prinzip neben den Einheitsgedanken treten darf. Ebendiese Eigenständigkeit würde, so lässt sich Tillich verstehen, die Bestimmung des Absoluten als Einheit konterkarieren. Die einheitstheoretische Näherbestimmung der absoluten Wahrheit soll sicherstellen, dass das Einzelne nicht als solches, sondern allein in seinem Verhältnis zur übergeordneten Einheit kategorial bedacht wird. Gleichzeitig ist die diesbezügliche Spitzenaussage im Vortrag zur Thesenreihe – „[V]on Einzelwesen gibt es keine Gewißheit“¹⁷³ – keineswegs so zu interpretieren, als sei ‚das Einzelne‘ in wahrheitstheoretischer Hinsicht gänzlich zu vernachlässigen. Denn mit der Frage nach dem ‚historischen Jesus‘ ist es gerade die Frage nach der Bedeutung eines solchen ‚Einzelnen‘, die die Theoriean-
Ebd., 41. Vgl. ebd., 42.53 f. Vgl. ebd., 52.
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strengungen der Thesenreihe allererst motivieren. Somit handelt es sich bei den betreffenden Bemerkungen primär um polemische Spitzen, die Tillichs eigene Position bei näherem Zusehen gar überspannen. Letztlich kann diese nicht auf eine wahrheitstheoretische Ausklammerung des ‚Einzelnen‘ abzielen, sondern nur auf dessen adäquate erkenntnis- und geschichtstheoretische Gewichtung im Verhältnis zur ‚Einheit‘. Das Verhältnis des Identitätsgedankens, zuvor eingeführt als ‚Identität von Subjekt und Objekt im Erkenntnisakt‘ (Th. 84), zur einheitstheoretischen Fassung des Wahrheitsgedankens, und also die erkenntnis- und gewissheitstheoretische Funktion des Identitätsprinzips, wird deutlicher, wenn man die erläuternde These 86 hinzuzieht. Ihr zufolge soll die „aktuelle Wahrheit als Akt der Synthesis des Mannigfaltigen in der Einheit des Bewußtseins“ verstanden werden.¹⁷⁴ Mit der an Kants Kritik der reinen Vernunft erinnernden Formel wird der Objektspol der anvisierten Identität durch das ‚Mannigfaltige‘ bzw. das zur Synthesis gebrachte Mannigfaltige besetzt.¹⁷⁵ Als ‚Subjekt‘ fungiert, wiederum gut kantisch, das Bewusstsein, bzw. genauer: die „Identität des Selbstbewußtseins“ (Th. 102), als Ermöglichungsgrund der synthetisierenden Leistung des Objektbewusstseins.¹⁷⁶ Die absolute Wahrheit, der Wahrheitsgedanke selbst hat demgegenüber für den Erkenntnisakt insgesamt – nimmt man die primäre Bestimmung des Selbstbewusstseins sowie die Kennzeichnung des Erkenntnisaktes als ‚aktuelle Wahrheit‘ hinzu – den Status einer Voraussetzung: Im Akt der Erkenntnis bringt das Selbstbewusstsein Einheit in das Mannigfaltige, in dieser einheitsstiftenden Funktion ist es aber seinerseits von der vorausgesetzten Einheit der Wahrheit abhängig. Die fragliche Synthesis ist mithin nicht konstitutionstheoretisch, sondern erkenntnistheoretisch im Kant’schen Sinne gemeint. Mittelbar fungiert die
Ebd., 41. In der Lizentiaten-Dissertation kann Tillich in diesem Zusammenhang explizit auf Kants Kritik der reinen Vernunft verweisen; vgl. GW I, 24 f. Die Literatur zu Kants Verhältnisbestimmung von Selbstbewusstsein und Objektbewusstsein im Rahmen der Kritik der reinen Vernunft ist Legion; vgl. exemplarisch Manfred Baum, Deduktion und Beweis in Kants Transzendentalphilosophie. Untersuchungen zur „Kritik der reinen Vernunft“ (Königstein: Hain/Athenäum, 1986); Konrad Cramer, „‚Gegeben‘ und ‚Gemacht‘.Vorüberlegungen zur Funktion des Begriffs ‚Handlung‘ in Kants Theorie der Erkenntnis von Objekten“, in: Gerold Prauss (Hg.), Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie (Frankfurt/Main: Klostermann, 1986), 41– 81; Roderich Barth, Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 138 – 173; Ulrich Barth, „Objektbewußtsein und Selbstbewußtsein. Kants erkenntnistheoretischer Zugang zum Ich-Gedanken“, in: ders., Gott als Projekt der Vernunft (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 195 – 234.
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absolute Wahrheit dieserart als Hintergrund der Einzelerkenntnis, die dadurch ihrerseits die Gestalt aktueller Wahrheit gewinnt. Zusammenfassend wird das ‚Einzelne‘ bzw. die Mannigfaltigkeit dadurch erkannt, dass es in die Einheit des Selbstbewusstseins aufgenommen wird. Zugleich wird die Identität des Selbstbewusstseins ebenfalls durch jene Einheit der absoluten Wahrheit garantiert. Ebendiese einheitstheoretische Bestimmung der absoluten Wahrheit ermöglicht somit beides, die Identität des Selbstbewusstseins in seinen unterschiedlichen Erkenntnisvollzügen, wie auch den Akt der Erkenntnis des Einzelnen qua dessen Aufnahme in die Synthesis des Selbstbewusstseins. Der das gesuchte Prinzip der Gewissheit bezeichnende Identitätsgedanke ist damit zur ‚Identität des Selbstbewusstseins‘ präzisiert, die ihrerseits die Einheit der absoluten Wahrheit voraussetzt wie im Erkenntnisvollzug aktualisiert. Tillich kann sie gleich mehrfach auf die offensichtlich auf Fichtes ‚Ersten Grundsatz‘ der Wissenschaftslehre anspielende Formel „Ich bin Ich“ (Th. 88), „Ich gleich Ich“ (Th. 102) oder „Ich = Ich“ (Th. 106) bringen. So begegnet sie auch in der die vorangegangenen Thesen zusammenfassenden These 88: „Rational ist das Einzelne nur insofern und insoweit, als es zur Einheit gebracht, d. h. in die Synthesis des Bewußtseins aufgenommen ist. Gewußt wird nur, was die Gewißheit ‚Ich bin Ich‘ hat.“¹⁷⁷ Diese Summe fasst die kritische Funktion zusammen, die dem Identitätsgedanken als Gewissheitsprinzip zukommt. In eins wird deutlich, dass Tillich vermittels seiner lediglich eine gewissheits- und erkenntnistheoretische Minimalbedingung formulieren kann: Bedingung der Erkenntnis des Einzelnen ist die Möglichkeit seiner Aufnahme in das Selbstbewusstsein. Das theologische Interesse an der Formulierung einer erkenntniskritischen Minimalbedingung liegt auf der Hand, wollte er in der Thesenreihe doch in erster Linie die Gründung der religiösen Gewissheit auf ein ‚Einzelnes‘, eben den ‚historischen Jesus‘ problematisieren. Allerdings ist mit der Formulierung dieser Minimalbedingung die eigentliche Kernfrage noch nicht beantwortet. Welche Gewissheit nämlich kann dem Einzelnen zukommen, – mit These 88 – ‚insofern und insoweit‘ es in die Einheit des Selbstbewusstseins aufgenommen und also erkannt ist und gewusst wird? Die Behauptung, dem Einzelnen komme schlechterdings keine Gewissheit zu, kann diesbezüglich wie notiert lediglich als polemische Zuspitzung gelten. Tatsächlich stehen in der Kasseler Thesenreihe bei näherem Zusehen genau in jener Kernfrage zwei Aussagereihen unvermittelt nebeneinander: Neben die Zuspitzung ‚Von Einzelwesen gibt es keine Gewissheit‘ tritt eine zweite Reihe, die eine differenziertere Auskunft gibt. Die differenzierende Ausbuchstabierung des ‚insofern und
EW VI, 41.
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insoweit‘ hat jedoch nicht mehr die Form eines primär erkenntniskritischen Ausweises, sondern ist stärker spekulativ gehalten. Genau an diesem Punkt kommt die metaphysisch-geschichtsphilosophische Argumentation zum Tragen. Mit ihr tritt der Identitätsbegriff ersichtlich zugunsten des Begriffspaares ‚Wesen und Widerspruch‘ zurück, vermittels dessen Tillich dem dialektischen Verhältnis des Einzelnen zur absoluten Wahrheit Ausdruck zu verleihen sucht. Die Pointe besteht hier in der Unterscheidung zweier Hinsichten, in denen das Einzelne zur Wahrheit stehe: „Jedes Einzelne verhält sich dialektisch zur Wahrheit, insofern es als Reales teilhat am Wesen, als Individuelles unter der Bestimmung des Widerspruchs zur Wahrheit steht.“ (Th. 89).¹⁷⁸ Der Identitätsgedanke bezeichnet demzufolge mit der ‚Teilhabe‘ des Einzelnen an der Wahrheit nur einen Aspekt dieses dialektischen Verhältnisses.¹⁷⁹ Das individuelle Moment des Einzelnen, das, worin es sich von anderem Einzelnen gerade unterscheidbar macht, steht im Widerspruch zum ‚Wesen‘ bzw. zur Wahrheit. Dementsprechend ist Gewissheit allein in ersterer Hinsicht möglich (vgl. Th. 90). Dieses zunächst spröde anmutende metaphysische Schema gewinnt an Plastizität, wo Tillich es in der Thesenreihe selbst und insbesondere im zugehörigen Vortrag geschichtsphilosophisch fruchtbar macht.¹⁸⁰ Die Thesenreihe unterstreicht nochmals, dass beide Aspekte am Einzelnen unlöslich miteinander verbunden sind (vgl. Th. 92) und dass Tillich ausdrücklich ein „dialektische[s] Verhältnis“ vor Augen hat (vgl. Th. 99). Der Vortrag fasst die beiden Aspekte mit der terminologischen Unterscheidung von „geistige[m] Gehalt“ einerseits und „Einzelwesen“ andererseits.¹⁸¹ Individuell und mithin nie mehr als – im besten Falle: höchst – wahrscheinlich sind „sämtliche[ ] historische[ ] Daten, Zusammenhänge, Beurteilungen“.¹⁸² Den Begriff des ‚geistigen Gehaltes‘, in der Thesenreihe kaum weiter erläutert, entfaltet der Vortrag demgegenüber mit Hilfe des Wertbegriffs.¹⁸³ ‚Werte‘ werden dabei im Sinne ‚geistiger Erträge‘ bzw. ‚Produktionen‘ auf den Gebieten der Religion, der Geschichte, der Kunst oder der Ethik eingeführt. Als solche scheinen sie dem
Ebd. Vgl. ebd., 52: „Nur insofern ist Identität da, als sie [die Einzelwesen; L. H.] gemeinsam im Absoluten ihr Wesen haben.“ Zum Folgenden vgl. neben den Thesen 91– 101– vgl. ebd., 41 f. – auch die gedanklich parallele Passage des Vortrages; vgl. ebd., 52– 55. Ebd., 52 u.ö. Schon hier begegnet also der Begriff des ‚Gehaltes‘, der dann für die Sinnkonzeption der 1920er Jahre von zentraler Bedeutung sein wird; vgl. unten II.2. Ebd., 53. Vgl. zum Folgenden vor allem ebd., 53 f.
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Selbstbewusstsein vorderhand gleichsam von außen als objektive Größen entgegenzutreten. Gleichzeitig führt Tillich an ihrem Beispiel aus, wie das Identitätsprinzip ebenfalls für die historische Erkenntnis in Anschlag gebracht werden soll. Den geistigen Werten kommt demnach Gewissheit zu, weil sie „in meinen Geist eingehen und so das Gesetz der Identität erfüllen“ können.¹⁸⁴ Damit kommt es im Fall des Wertbewusstseins zu der Subjekt-Objekt-Identität, die für alle Akte der Erkenntnis als konstitutiv festgehalten worden war. Der gedankliche Zugewinn der Ausweitung der Subjekt-Objekt-Identität auf das geschichtsbezogene Wertbewusstsein liegt darin, dass nun auch die Erkenntnis der Geschichte in die Identität des Geistes eingebunden werden kann – aber eben allein hinsichtlich ihrer ideellen, werthaften Seite. Zugleich zeigen die geschichtstheoretischen Ausführungen die Grenze des Identitätsprinzips an. Denn Gegenstand der historischen Anschauung können die geistigen Werte ja nicht losgelöst von ihren individuellen Kennzeichen sein, da beide Aspekte am Einzelnen unscheidbar ineinanderliegen.¹⁸⁵ Für das historische Erkennen ist daher der Gedanke einer ‚Wechselwirkung‘ leitend: „Wenn also die Anschauung geschichtlicher Werte stattfindet, so ist dies nicht möglich ohne Umgestaltung. Diese Umgestaltung geschieht aber im Allgemeinen nicht durch Reflexion, sondern schon von vorneherein bei der Anschauung einer geschichtlichen Persönlichkeit […] Die Wirkung, die eine Persönlichkeit auf mich ausübt, ist schon das Resultat einer Wechselwirkung zwischen ihr und meinem geistigen Besitz.“¹⁸⁶ Wie die Umgestaltung des Angeschauten durch die historische Anschauung demnach keine Sache nachgängiger Reflexion ist, ist das Produkt der Wechselwirkung zwischen Anschauendem und Angeschautem ein Bild und kein Begriff (vgl. Th. 21). Hier tritt der im Ganzen rationale Zuschnitt der Thesenreihe zurück. Weiterhin soll die historische Anschauung auch nicht etwa in einem ‚einfachen‘ Erfassen des geistigen Wertes aufgehen. Sie ist keinesfalls als rein rezeptiver Vorgang zu verstehen, sondern enthält ebenso produktive, umgestaltende Momente. Die Wechselwirkung von anschauendem Bewusstsein und Angeschautem ist also als eine ‚echte Wechselwirkung‘ zu interpretieren. Leider bleiben die betreffenden Überlegungen eher angedeutet, als dass Tillich sie ausführen würde. Gleichwohl ist der letztlich geistphilosophische Hintergrund der Thesenreihe in den geschichtsphilosophischen Ausführungen am ehesten zu fassen. Der Rückgriff auf das Identitätsprinzip macht es möglich, die gegenüber dem individuellen Geist mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit
Ebd., 53. Vgl. ebd.: „Das Individuelle und das Allgemeingültige sind niemals räumlich zu scheiden.“ Ebd.
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auftretenden Werte als Größen zu begreifen, die sich ihrerseits allererst der geistigen Produktivität in der Geschichte verdanken. Zudem treten die entsprechenden Produkte dem individuellen Geist nicht als gewissermaßen fixierte, unveränderliche Größen entgegen, sondern unterliegen schon im Akt ihrer mentalen Erfassung einer Umformung. Das Identitätsprinzip zeigt seine Leistungskraft hier in erster Linie im Abweis von Autoritätsansprüchen, die einer geschichtlichen Größe als gleichsam ihr selbst innewohnend, in ihr selbst begründet beigelegt werden könnten. So kann Tillich auch und gerade angesichts der benannten Grenze des Identitätsprinzips mit ihm sein polemisches Interesse gegen eine Verabsolutierung des ‚historischen Jesus‘ umsetzen, das ein Hauptmotiv bei der Abfassung der Thesenreihe darstellte (vgl. Th. 104; 111 ff.). Blickt man auf die Kasseler Thesenreihe im Ganzen, so wird man den Versuch, das Identitätsprinzip als erkenntnis- und gewissheitstheoretisches Generalprinzip zu etablieren, differenziert bewerten müssen. Einerseits kann Tillich mit ihm tatsächlich eine Minimalbedingung für jede kritische Untersuchung der Gewissheitsthematik formulieren: An der Einheit des Selbstbewusstseins vorbei kann es weder Erkenntnis noch Gewissheit geben. Weiterhin ist es geeignet, die konstitutive Verbundenheit des individuellen Geistes mit den in der Geschichte des überindividuellen Geistes geschaffenen geistigen Werten herauszustellen. Der Aspekt einer notwendigen ‚Wechselwirkung‘ zwischen individuellem Geist und überindividuellem Wert in der Aneignung des Letzteren relativiert zudem mögliche Autoritätsansprüche. Und doch bleibt andererseits die Leistungskraft des Identitätsprinzips, vor allem aber des Identitätsbegriffs, in erkenntnistheoretischer Hinsicht begrenzt. Der Begriff der Identität vermag nämlich die Differenz der in ihm identisch gesetzten Relate schwerlich zu artikulieren. Um es an der von der Thesenreihe wiederholt bemühten Formel ‚Ich = Ich‘ zu illustrieren: Das ‚Ich‘ auf der linken Seite des Gleichheitszeichens ist gerade nicht einfach mit dem ‚Ich‘ auf der rechten Seite identisch – ein Missverständnis, das der Identitätsterminus jedoch befördert. Dieser Mangel eines nicht dialektisch verstandenen – bzw.vorsichtiger: zumindest nicht deutlich als eines solchen gekennzeichneten – Identitätsprinzips betrifft unmittelbar die Form der Erkenntnis des ‚Einzelnen‘. Diese Erkenntnis nimmt genau solche Elemente in Anspruch, die sich nicht auf Wesensaussagen und damit auf ein reines Identitätsprinzip zurückführen lassen. Dass dem Einzelnen individuelle Momente eignen, die ebenfalls erkennbar sein müssen, kann vermittels eines reinen Identitätsgedankens im Sinne eines ‚Ich = Ich‘ nicht recht erfasst werden. Bezüglich der Erkennbarkeit des Einzelnen würde die Konstitution des Geistes nach dem Prinzip einer letztlich abstrakten Identität also eine systematische Verkürzung bedeuten. Auf ebendieser Verkürzung beruht aber etwa Tillichs
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polemische Spitzenaussage, der zufolge es vom Einzelnen keine Gewissheit geben könne. Zusammenfassend scheint der Identitätsbegriff – wie Tillichs eigene Ausführungen belegen – zumal dann, wenn er in eine alleinige Prinzipienfunktion einrückt, nicht geeignet, um die Alternative einer abstrakten und einer dialektischen Fassung des Identitätsgedankens hinreichend zu artikulieren. Genau hier konnte im Übrigen bereits Friedrich Büchsel 1911 kritisch einwenden: Der synthetische Charakter aller Gewißheit wird von Dir verdunkelt, da Du die analytische Formel: Ich = Ich zum Prinzip der Gewißheit machst. Du redest viel von der Identität als dem Prinzip der Erkenntnis. Du verstehst darunter meist, das Ich = Ich. Die Identität ist aber Einheit des Entgegengesetzten […] Ich leugne nicht, daß Deine Identität auch Einheit des Entgegengesetzten sein soll und ist […], aber Du bringst das nicht hinreichend zur Geltung.¹⁸⁷
Dass Tillich selbst die beschränkte Leistungsfähigkeit des Identitätsgedankens als eines alleinigen Prinzips umgehend gesehen hat, dokumentieren zwei Äußerungen aus dem unmittelbaren Kontext der Thesenreihe. Die erste findet sich im Antwortbrief an Büchsel, wenn er zu dessen Kritik an der in Kassel vertretenen erkenntnistheoretischen Position vermerkt: „Zugestanden ‚Ich = Ich‘ ist ungeschickt formuliert. Identität ist Einheit des Entgegengesetzten.“¹⁸⁸ Das dem Erkennen konstitutiv innewohnende Moment der Differenz kann Tillich also leichthin zugeben – was vor dem Hintergrund der philosophischen Dissertation, die ja gerade in Schellings nicht einsinniger Verhältnisbestimmung von Identität und Differenz dessen große gedankliche Leistung erblickt hatte, im Grunde nicht erstaunt.¹⁸⁹ So scheint aufs Ganze gesehen das starke Abstellen auf den Identitätsbegriff primär dem polemischen Interesse der Thesenreihe geschuldet.¹⁹⁰ In der Antwort an Büchsel kann Tillich denn auch zweitens die an Schelling gewonnene Formel ‚Wesen und Widerspruch‘, die in den Thesen selbst im Schatten des Identitätsprinzips stand, ganz in den Vordergrund stellen.¹⁹¹ In gleicher Weise wird dann die theologische Lizentiaten-Dissertation die Spannung innerhalb des Identitätsgedankens hervorheben und demgemäß nicht mehr die Identität im Sinne eines ‚Ich = Ich‘, sondern die „Identität von Wesen und Widerspruch“ als
Ebd., 64; vgl. auch den Vorwurf einer ‚autonomistischen Starrheit‘; vgl. ebd., 68. Ebd., 69. Vgl. oben I.1 c). Die die Thesenreihe im Ganzen bestimmende polemische Stoßrichtung lässt sich exemplarisch noch einmal an einer der späteren Thesen ablesen, der zufolge „die Aufrichtung des Glaubens an den historischen Jesus mit unvermeidlicher Konsequenz zum Papst zurückführt.“ (Th. 117; EW VI, 45). Vgl. ebd., 70.
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I Der Weg zum System
„höchste[s] erkenntnistheoretische[s] Prinzip“ behaupten.¹⁹² Stellt man in Rechnung, dass Tillich das dem Erkennen notwendig innewohnende Differenzmoment gesehen hat, ja sogar in seiner Integration in den Identitätsgedanken das eigentliche Verdienst des späten Schelling erblicken konnte, so ist deutlich, dass der Identitätsbegriff perspektivisch nicht als zentraler Leitbegriff in Frage kommen konnte. Konsequenterweise wird er jetzt, mindestens in seiner Funktion als alleiniges Prinzip, zurücktreten. Um das durch den Identitätsgedanken nahegelegte Missverständnis zu vermeiden, braucht es vielmehr ein Prinzip, das das dialektische Verhältnis des Einzelnen zur absoluten Einheit bzw.Wahrheit benennt. Noch 1911 scheint Tillich hier der entsprechende Terminus gefehlt zu haben, um das dialektische Verhältnis von Identität und Differenz auf den Begriff zu bringen. Dies wird sich nachfolgend mit der systematischen Aufwertung des Paradoxgedankens – nebst zugehörigem Terminus – ändern.
e) Ertrag und Ausblick Der herausragende Stellenwert des nachkantischen Idealismus und zumal die Bedeutung der Schelling’schen Spätphilosophie für Tillichs frühe intellektuelle Entwicklung ist seit Langem bekannt. Im Vorfeld des auf Frühjahr/Sommer 1909 datierenden sogenannten ‚Schellingerlebnisses‘ waren Tillichs Studienjahre wiederum durch den Neo-Idealismus und insbesondere die Fichte-Rezeption des Hallenser Privatdozenten Fritz Medicus geprägt. Während der vermeintliche Einfluss Martin Kählers angesichts der frühen Quellen deutlich zu relativieren ist, ist Wilhelm Lütgert, der auch im Rahmen des Promotions- wie des Habilitationsverfahrens als entscheidender Fürsprecher an der Hallenser Fakultät auftreten sollte, als theologischer Lehrer hervorzuheben. In der Sache lässt sich schon früh Tillichs Fokussierung auf erkenntnistheoretisch-methodologische Fragen einerseits sowie christologische und geschichtstheologische Aspekte andererseits feststellen. Im Rahmen der Examensarbeit, der sogenannten Monismusschrift von 1908, gilt ihm ein vermittels dualistischer Kritik angereicherter, gleichsam ‚höherer‘ Prinzipienmonismus als Zielpunkt der Verschränkung von nachkantischer Philosophie und theologischer Reflexion. Mit der philosophischen Dissertation
Vgl. GW I, 78.87 u. ö. mit ebd., 79. Damit ist sprachlich zum Ausdruck gebracht, was gedanklich für Tillich spätestens mit der intensiven Schelling-Rezeption vor Augen gestanden haben dürfte. Denn hinsichtlich des Identitätsgedankens muss, mit einem prägnanten Zitat Hans Wagners, eben gelten: „Alle prinzipientheoretisch, spekulativ relevante Identität ist Identität von Unterschiedenem: […] Sie ist spekulative oder synthetische Identität.“ (Hans Wagner, Philosophie und Reflexion [München Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 21967], 100).
I.1 Frühe Wegmarken
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aus dem Jahr 1910 tritt dann Schelling ganz in den Vordergrund. In Aufnahme von dessen – die Spätphilosophie wesentlich bestimmender – spekulativer Einsicht, der zufolge dem Absoluten selbst ein gleichursprüngliches Differenzmoment einzudenken ist, wird das mit der Examensarbeit Angedachte nun auf neuer Grundlage weitergeführt und entfaltet. In diesem Zuge verstärken sich die zuvor angelegten spekulativen Motive nochmals merklich. Im Rahmen der Kasseler Thesenreihe bündelt Tillich die gedanklichen Linien der Studien- und Promotionszeit 1911 erstmals in Form eines knappen systematischen Entwurfes. Auf engstem Raum verbinden sich so erkenntnistheoretische, methodologische, metaphysische, geschichtsphilosophische und geisttheoretische Reflexionen im Hinblick auf das materiale Thema der Bedeutung des ‚historischen Jesus‘ für die christliche Glaubensgewissheit. Dabei spitzt sich die Argumentation – zumindest an der begrifflichen Oberfläche – stark auf das Identitätsprinzip als erkenntnistheoretischem Grundprinzip zu, während das die metaphysisch-geschichtsphilosophische Gedankenlinie mitbestimmende Differenzmoment in den Hintergrund tritt: Die im Kontext der Thesenreihe wiederholt zur Kennzeichnung des tragenden Identitätsprinzips verwendete Formel des „Ich = Ich“ lässt für sich genommen im Unklaren, ob der anvisierte Identitätsgedanke abstrakt oder dialektisch gefasst ist. Auf die entsprechende Kritik hin rückt mit der theologischen Lizentiaten-Dissertation von 1911/12 die an Schelling gebildete Figur der „Identität von Wesen und Widerspruch“ an die Stelle des planen Identitätsbegriffs in die Prinzipienfunktion ein. Damit ist der spätere systematische Ort des Paradoxgedankens präzise vorgezeichnet, ohne dass dem Paradoxbegriff bis hierhin prinzipientheoretisches Gewicht beigemessen wäre.
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I.2 Die Systematische Theologie von 1913 Im April 1912 endete Tillichs theologisches Promotionsverfahren mit der Disputation seiner Thesen, aller Wahrscheinlichkeit nach gleich im Mai legte er das Zweite Theologische Examen vor dem Berliner Konsistorium ab. Zwischen Sommer 1912 und Herbst 1914 folgten diverse Predigtvertretungsstellen im Großraum der Hauptstadt, bevor er dann zu Kriegsbeginn im Oktober 1914 als Militärseelsorger an die Westfront geschickt werden sollte.¹ Die beiden Zwischenjahre gestalteten sich auch abseits der Vertretungstätigkeiten nicht eben ereignisarm.² So organisierte Tillich im Winter 1912/13 zusammen mit Richard Wegener eine Vortragsreihe in Privathäusern, die primär die kirchenfernen Gebildeten jedweder Couleur – unter anderem „Künstler und Künstlerinnen, […] Kaufleute, Damen aus der großen Gesellschaft, Studentinnen, Philosophen, Juristen, […] Katholiken und Juden, […] Theosophen, […] Offiziere“³ – in den Blick nahm. Dem unmittelbar an Schleiermachers Reden und die gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstehende Berliner Salonkultur erinnernden Konzept entsprach zudem der Titel der Reihe: „Vernunft-Abende[ ]“.⁴ Hier artikuliert sich ein apologetisches Interesse, das bei Tillich in jenen Jahren erkennbar in den Vordergrund rückt. Folgerichtig heißt ein kurzer, die Anlage der ‚Vernunftabende‘ im Ganzen reflektierender Text schlicht Kirchliche Apologetik. ⁵ Er bedenkt nicht nur etwa den Begriff, Ziele, Methoden und den möglichen Stoff einer zeitgemäßen Apologetik, sondern verständigt sich ebenso über die Grenzen dieses Geschäfts wie die Person des Apologeten selbst.
Vgl. EW V, 51. Zu strittigen Einzeldatierungen nebst weiteren Literaturhinweisen vgl. Georg Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2007), 252. In den fraglichen Zeitraum fällt mit dem Sommer 1913 auch der Beginn der – aufs Ganze gesehen bekanntlich wenig glücklichen – Beziehung zu Greti Wever. Die Ende September 1914 geschlossene Ehe wird im November 1921 wieder geschieden, dazwischen liegen unruhige Zeiten; vgl. EW V, 64 ff.126 ff. GW XIII, 59. So in der offiziellen ‚Einladung‘; ebd., 61. Dass es sich dabei um eine – so die Herausgeber von GW XIII – „scherzhaft[e]“ Selbstbezeichnung durch Tillich und Wegener handeln soll (ebd., 34), macht der offizielle Charakter der Einladung nicht eben wahrscheinlich. Ebd., 34– 63|MW 6, 39 – 61. Ein unausgesprochenes Vorbild der sich dieserart apologetisch verstehenden, an das gebildete Bürgertum gerichteten Abende mag sicherlich Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers Schrift Über die Religion gewesen sein – deren Untertitel Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern trifft zumindest ziemlich genau die Intention Tillichs und Wegeners. Zwischenzeitlich sind zwei der materialen Vorträge Tillichs – Die Grundlage des gegenwärtigen Denkens sowie Das Problem der Geschichte – gleichfalls zugänglich; vgl. EW X, 75 – 84 bzw. ebd., 85 – 100.
I.2 Die Systematische Theologie von 1913
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Dieses grundlegend apologetische Interesse spiegelt sich gleichfalls in jener Arbeit wider, die als Hauptwerk der Frühzeit insgesamt gelten kann. Sicherlich: Die beiden Schelling-Dissertationen, zumal die philosophische, stellen durchaus beachtliche Beiträge zum seinerzeitigen Forschungsstand dar. Die Kasseler Thesenreihe weist, wie gesehen, in ihren Grundeinsichten weit über die Frühzeit hinaus ins Spätwerk. Auch die im Sommer 1913 in Angriff genommene Habilitation über den Begriff des Übernatürlichen ist, mindestens ihrem äußeren Umfang nach, kein Leichtgewicht.⁶ Und doch fertigt Tillich aller Wahrscheinlichkeit nach in der Kürze der zweiten Jahreshälfte desselben Jahres ein Werk, das an gedanklicher Reichweite wie Tiefe die Genannten merklich übertrifft: In 72 Paragraphen entfaltet die Systematische Theologie von 1913 von einem einheitlichen Prinzip, dem Paradoxgedanken, aus eine umfassende ‚Dogmatik‘ (§§ 29 – 49) und ‚Ethik‘ (§§ 50 – 72). Zuvor wird dieses theologische Prinzip auf dem am Idealismus speziell Schelling’scher Prägung gewonnenen Stand allererst allgemein wissenschaftstheoretisch und erkenntnistheoretisch begründet – ein Unterfangen, das Tillich eben wiederum unter den Titel der ‚Apologetik‘ stellen kann (§§ 1– 28). Dieserart bündelt die Systematische Theologie von 1913 die vorangegangene theologische wie (religions)philosophische Denkbewegung und macht sie zugleich für ein umfassendes theologisches System fruchtbar. Sie ist der erste große systematische Wurf des damals gerade einmal 27-jährigen Tillich. Der Zugang zu diesem frühen Hauptwerk gestaltet sich dabei alles andere als leicht. Das beginnt mit dem ganz äußerlichen Umstand, dass der eigentliche Text der Systematischen Theologie noch nicht lange allgemein zugänglich ist. Tillich hatte sein frühes System seinerzeit nicht selbst veröffentlicht und ihm auch im Folgenden – anders etwa als der Thesenreihe oder der in den ersten Band der Gesammelten Werke aufgenommenen theologischen Lizentiaten-Dissertation – keine größere Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Er bewahrte den handschriftlichen Entwurf zwar zeitlebens auf, nahm aber öffentlich keinen Bezug auf ihn. Die Gegenläufigkeit, dass wir mit der Systematischen Theologie von 1913 vor dem Hauptwerk der Frühzeit stehen, Tillich allerdings diesem besonderen Status kaum Rechnung tragen sollte und sie somit im Gesamt des Werkes beinahe un-
Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher. Die schließlich im Sommer 1915 in Halle eingereichte Habilitation ist jetzt in EW IX, 435 – 592, erstmals im Ganzen zugänglich. Sie trägt formaliter wie mit Blick auf ihr systematisches Gewicht ersichtlich den Entstehungsumständen zu Kriegszeiten Rechnung; vgl. ebd., 435 – 438; vgl. auch Gunther Wenz, „Tillichs Kritik am Supranaturalismus“, in: ders., Tillich im Kontext. Theologiegeschichtliche Perspektiven (Münster: Lit, 2000), 183 – 204.
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I Der Weg zum System
beachtet blieb, muss geradezu als „Rätsel“ erscheinen.⁷ Wir werden auf den mutmaßlichen Grund nach der Rekonstruktion der wesentlichen Züge des frühesten Systems zurückkommen.⁸ Der Forschung länger, nämlich immerhin seit den frühen 1980er Jahren, bekannt waren ‚72 Thesen‘, eine von Wegener unter Tillichs Mitwirkung im Herbst 1914 verfertigte ‚Abschrift‘ wesentlicher Leitsätze des Systems.⁹ Die Existenz eines darüber hinaus gehenden, in Handschrift vorliegenden Systems wurde bereits von den Herausgebern der Main Works zu Beginn der 1990er Jahre vermerkt, als solche wurde die Systematische Theologie von 1913 dann aber erst 1998 in den Ergänzungs- und Nachlassbänden veröffentlicht.¹⁰ Schon, dass der materiale Text der Paragraphen wohl in der zweiten Jahreshälfte 1913 entstanden ist, die Paragraphengliederung in der abgedruckten Form jedoch im Herbst 1914 nachträglich über den bestehenden Text gelegt wurde, mag erste Klippen der Interpretation signalisieren: Der in den Ergänzungsbänden gedruckte Text ist weit weniger einheitlich, als es auf den ersten Blick scheinen mag.¹¹ Und
So Erdmann Sturm im Rahmen der ‚Historischen Einleitung‘ zu EW XIV: „Weshalb Tillich sein erstes System nie erwähnte, geschweige denn veröffentlichte, bleibt ein Rätsel.“ (EW XIV, XXI). Vgl. unten I.2 e). John Powell Clayton, The Concept of Correlation. Paul Tillich and the Possibility of a Mediating Theology (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1980), 253 – 268; Manfred Baumotte (Hg.), TillichAuswahl, Bd. 1: Das Neue Sein (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1980), 105 – 119; Anton Bernet-Strahm, Die Vermittlung des Christlichen. Eine theologiegeschichtliche Untersuchung zu Paul Tillichs Anfängen des Theologisierens und seiner christologischen Auseinandersetzung mit philosophischen Einsichten des deutschen Idealismus. Mit Erstpublikation dreier früher Werke des jungen Paul Tillich (Bern Frankfurt/Main: Peter Lang, 1982), 62* – 76*. EW IX, 273 – 434. Zur verwickelten Textgeschichte vgl. neben ebd., 273 – 277 und MW 6, 63 – 65 auch Gert Hummel, „Das früheste System Paul Tillichs. ‚Die Systematische Theologie von 1913‘“, NZSTh 35 (1993), 115 – 131, 115 ff. Zum irreführenden Eindruck einer vermeintlichen Einheitlichkeit trägt etwa auch bei, dass die ergänzenden Zusätze, die Tillich selbst in einem Extraheft vermerkte, in EW IX unkommentiert den ursprünglichen Paragraphentexten angehängt werden. Am Beispiel des für uns einschlägigen § 22: Der eigentliche Text endet auf EW IX, 316 Mitte, die nachfolgenden Ausführungen, die mit dem Aspekt des Theologischen noch einmal einen neuen Gesichtspunkt einspielen, sind einem Ergänzungsheft entnommen – ein Umstand, der nur mit einer Fußnote notiert wird. Hier wäre, insbesondere in den Fällen, in denen wie z. B. in § 10 Tillichs nachträglicher Zusatz die ursprüngliche Argumentation doch merklich korrigiert – vgl. ebd., 291 ff. mit ebd., 290 f. –, eine deutlichere Abgrenzung wünschenswert gewesen. Weit schwerer wiegt freilich eine andere Entscheidung der Herausgeber des betreffenden Ergänzungsbandes: Wie schon im Falle der philosophischen Dissertation sind die Korrekturen, Streichungen etc., die Tillich im handschriftlichen Text selbst vornahm, im Druck nicht vermerkt. Im Falle der Dissertation bedeutete dies, dass beispielsweise die Auseinandersetzung mit Ernst Troeltsch, die das Werden der Arbeit maßgeblich motiviert und vorangetrieben haben dürfte – vgl. Neugebauer, Christologie, 158 – 161 –, in der Edition von EW IX gänzlich unsichtbar wird. Im Falle der Systematischen Theologie von 1913 gehen
I.2 Die Systematische Theologie von 1913
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obwohl mit den Beiträgen von Christian Danz, Georg Neugebauer und Stefan Dienstbeck erste wertvolle Gesamtdeutungen vorliegen,¹² befindet sich die Forschung zum ersten Systementwurf insgesamt im Anfangsstadium. Selbst hinsichtlich so grundlegender Fragen wie der der Interpretation der ersten drei Paragraphen oder auch der der internen Aufbaulogik des ‚Ersten Teils‘, also der §§ 1– 28, ist noch keine wirkliche Verständigung erreicht.¹³ Wir setzen – noch einleitend – entsprechend mit einer ersten Verständigung über die Architektonik der Systematischen Theologie von 1913 ein. Im Anschluss wird die Wahrheitstheorie des frühen Systems im Fokus stehen, und hier näherhin zunächst der Gehalt der ersten drei Paragraphen. Von dieser wahrheitstheoretischen Grundlage aus können dann ‚Intuition‘ und ‚Reflexion‘ in ihrem Spannungsverhältnis und also die §§ 1– 21 insgesamt in den Blick kommen. Bis hierhin wird der Paradoxgedanke zwar gelegentlich am Rande thematisch, sein syste-
so ebenfalls wertvolle Querbezüge verloren – wie wir am Beispiel der Frage nach den Hintergründen von Tillichs Paradoxbegriff sehen werden; vgl. unten I.2 c) und d). Vgl. Christian Danz, „Theologie als normative Religionsphilosophie. Voraussetzungen und Implikationen des Theologiebegriffs Paul Tillichs“, in: ders. (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (Wien: Lit, 2004), 73 – 106, bes. 74– 80; Neugebauer, Christologie, 252– 289; Stefan Dienstbeck, Transzendentale Strukturtheorie. Stadien der Systembildung Paul Tillichs (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011), 37– 234. Vgl. zudem die Hinweise bei Folkart Wittekind, „‚Sinndeutung der Geschichte‘. Zur Entwicklung und Bedeutung von Tillichs Geschichtsphilosophie“, in: Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie, 135– 172, bes. 143 – 147; Ulrich Barth, „Protestantismus und Kultur. Systematische und werkbiographische Erwägungen zum Denken Paul Tillichs“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 13 – 37, bes. 17– 20. Wie wichtig alleine die Letztere wäre, illustrieren exemplarisch die missverständlichen Schlüsse, die ein so erfahrener Interpret wie Hermann Fischer mit Blick auf den frühesten Systementwurf für Tillichs Mystik-Verständnis ziehen konnte; vgl. Hermann Fischer, „Sinn und Funktion des Begriffes Mystik in Tillichs frühen Schriften“, in: Gert Hummel/Doris Lax (Hg.), Mystisches Erbe in Tillichs philosophischer Theologie (Beiträge des VIII. Internationalen Paul-TillichSymposiums Frankfurt/Main 2000)/Mystical Heritage in Tillich’s Philosophical Theology (Proceedings of the VIII. International Paul-Tillich-Symposium Frankfurt/Main 2000) (Münster Hamburg London: Lit, 2000), 33 – 50. Fischer vermerkt für die §§ 1– 28 insgesamt eine „negativ-kritische Einschätzung der Mystik“ (ebd., 45), der erst im dritten Systemteil, also der ‚Ethik‘, deren positive Wertung gegenübergestellt werde; vgl. ebd., 47. Diese Interpretation lebt davon, Tillichs Begriffe der „absoluten“ und der „abstrakten“ Mystik miteinander zu identifizieren (vgl. ebd., 46.49) – was insofern problematisch ist, als beide innerhalb des ersten Systemteils noch einmal auf unterschiedlichen Ebenen zu stehen kommen, und dementsprechend unterschiedlich konnotiert sind. Um Tillichs differenziertere Verwendung des Mystikbegriffs in den §§ 1– 28 in den Blick zu bekommen, bedarf es eben einer vorgängigen Rekonstruktion der internen Aufbaulogik des ersten Systemteils.
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matischer Ort und seine interne Struktur sollen aber eigens ausführlich rekonstruiert werden. Für alle drei Schritte – Darstellung der wahrheitstheoretischen Systemgrundlage, des Wahrheitsbewusstseins in der Spannung von Intuition und Reflexion sowie des Paradoxgedankens selbst – konzentrieren wir uns ganz auf den ersten Teil der Systematischen Theologie, die ‚Apologetik‘. Abschließend lässt sich Tillichs Fassung des Paradoxgedankens kontextualisieren, indem er vor allem auf die Überlegungen Sören Kierkegaards und Karl Heims bezogen wird. Schon ob ihres Werkstattcharakters lassen sich schwerlich alle Momente der Systematischen Theologie von 1913 in eine einzige, kohärente Interpretationsperspektive einstellen. Der Text ist sichtlich nicht nochmals auf eine Veröffentlichung hin überarbeitet. Auch wenn der Wurf als Ganzes an einigen wenigen Leitprinzipien orientiert ist, und also Tillichs stark systematisierender Zugriff eine grundsätzliche Kohärenz verbürgt, können im Einzelnen unterschiedliche Intentionen recht unvermittelt nebeneinander stehen. So besteht etwa zwischen den ‚Leitsätzen‘ der einzelnen Paragraphen, mithin dem Wortlaut der von Wegener verfertigten ‚Abschrift‘ auf der einen und den jeweils zugehörigen Ausführungen Tillichs auf der anderen Seite, nicht selten eine merkliche Differenz in der Stoßrichtung – insbesondere in den für das Gesamtsystem grundlegenden Eingangsparagraphen. Zudem fügt sich die Gliederung der ‚Skizze‘ nicht bruchlos zu dem Text, über den sie mit dem Abstand eines knappen Jahres gelegt wurde. In Anbetracht des strengen Systemanspruchs ist aber gerade der gedankliche Aufbau von Gewicht, dessen letzte Fassung genau mit jener Gliederung festgehalten ist. Spannungen zwischen ‚Skizze‘ und Fließtext können somit nicht einfach zugunsten des Letzteren aufgelöst werden, zumal Erstere ebenfalls von Tillich selbst stammt.¹⁴ Vergegenwärtigen wir uns vor diesem Hintergrund grundlegende Linien des Entwurfs, um einen ersten Interpretationsrahmen zu gewinnen. Nicht nur das Gesamtsystem, sondern auch der begründende ‚Erste Teil‘ (§§ 1– 28) ist seinerseits dreigeteilt. Der ‚Skizze‘ zufolge soll der Teil insgesamt eine ‚Begründung des theologischen Prinzips in dem wissenschaftlichen Prinzip überhaupt‘ leisten, die Unterteile tragen die Überschriften ‚Der absolute Stand-
Insofern leuchtet die von Dienstbeck gewählte Orientierung an der – von der durchlaufenden Zählung der ‚Skizze‘ abweichenden – Paragraphenzählung des Fließtextes nicht ein; vgl. Dienstbeck, Strukturtheorie, 38 Anm. 3. Immerhin war es Tillich selbst, der vermittels der ‚Skizze‘ die Architektonik seines frühesten Systems in die ihm vorschwebende Form brachte. Fortlaufender Text und Gliederung qua ‚Skizze‘ lassen sich also nicht gegeneinander ausspielen, vielmehr sind unterschiedliche Sinnrichtungen im Einzelfall zu bedenken.Wir orientieren uns nachfolgend ganz weitestgehend an der durchlaufenden Paragraphenzählung der ‚Skizze‘ – eben weil sich in ihr die Systematik abbildet, die Tillich für seinen ersten Systementwurf schlussendlich vorsah.
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punkt: Intuition‘ (§§ 1– 15), ‚Der relative Standpunkt: Reflexion‘ (§§ 16 – 21) sowie ‚Der theologische Standpunkt: Das Paradox‘ (§§ 22– 28).¹⁵ Die mit der Gesamtüberschrift artikulierte Intention fügt sich bruchlos in die im vorangegangenen Unterkapitel skizzierte Vorgeschichte des Systems. Wie gesehen, hatte die betreffende Frage Tillich schon zu Studienzeiten umgetrieben, wenn er etwa gegenüber Friedrich Büchsel mit Blick auf die Theologie die „fundamentale[ ] Notwendigkeit einer erkenntnistheoretischen methodologischen Grundlegung überhaupt“ anmahnen konnte.¹⁶ Ebendiese Thematik bestimmt gleichfalls die allerdings Fragment gebliebenen Überlegungen zu einer möglichen ‚Einleitung‘ des Systems. Wiederum ist zunächst die prinzipielle ‚Forderung einer wissenschaftlichen systematischen Theologie‘ festgehalten, die dann – im Anschluss an Friedrich Schleiermachers Kurze Darstellung und gleichzeitiger Abgrenzung von Martin Kählers Wissenschaft der christlichen Lehre – wie folgt präzisiert wird: „Der wissenschaftliche Charakter der systematischen Theologie ist begründet in der Entwicklung des theologischen Prinzips aus dem wissenschaftlichen Prinzip überhaupt.“¹⁷ Insofern lässt sich die im Ganzen wissenschaftstheoretische Anlage der Systematischen Theologie von 1913 festhalten. Mit ihr kommt Tillichs mehrjährige Beschäftigung mit der Frage der Anschlussrationalität der Theologie im Kreise der Wissenschaften zu einem ersten Abschluss.¹⁸ Die positive Beantwortung dieser Frage ist für ihn von hohem apologetischen Wert – von hierher erklärt sich unter anderem die Kennzeichnung des gesamten ersten Hauptteils als einer ‚Apologetik‘.¹⁹ Für das gesuchte theologische Prinzip steht dabei ersichtlich der Paradoxgedanke. Eingeführt in § 22, nach seinen Aufbaumomenten in den §§ 23 – 28 bedacht, soll er ausweislich der ‚Skizze‘ einmal die Entfaltung einer Dogmatik im
Vgl. EW IX, 426 f. EW VI, 21; vgl. oben I.1 a). EW IX, 430. Dass Tillich bei ‚Schleiermachers Lehrsätzen‘ wohl dessen Kurze Darstellung des theologischen Studiums vor Augen hat, macht ihre Aufführung im Literaturverzeichnis wahrscheinlich; vgl. ebd., 432. Dass Tillich diese Frage mit dem ersten Systementwurf nicht als endgültig beantwortet betrachtet hat, belegt alleine die Existenz des Systems der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden von 1923. Vgl. auch die entsprechende Aufgabenbestimmung gleich zu Beginn der Kirchlichen Apologetik: „Die wissenschaftliche Apologetik hat die Aufgabe, das theologische System in das System der Wissenschaften überhaupt methodisch und inhaltlich einzuordnen und dadurch das wissenschaftliche Recht der Theologie zu begründen.“ (GW XIII, 34).
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Sinne eines ‚Systems der religiösen Erkenntnis‘ gewährleisten (§§ 29 – 49).²⁰ Zudem soll aus dessen ‚Anwendung‘ auf das ‚Geistesleben der Menschheit‘ eine ‚theologische Ethik‘ erwachsen (§§ 50 – 72).²¹ Identifiziert Tillich den Paradoxgedanken ausdrücklich mit dem theologischen Prinzip, so fehlt eine analoge explizite Kennzeichnung des ‚wissenschaftlichen Prinzips überhaupt‘. Jedoch verdeutlicht die Diktion der ersten drei Paragraphen wie die von § 7 als eigentlichem wissenschaftssystematischen Einsatzpunkt, dass es seinen Ort in der mit jenen Anfangsparagraphen gegebenen Verhältnisbestimmung von ‚Denken‘ und ‚Wahrheit‘ haben muss.²² So notiert der Leitsatz von § 7: „Das System der Wissenschaften ist der Inbegriff aller möglichen Stellungen des Denkens zur Wahrheit.“²³ Wie auch immer die Relation von Denken und Wahrheit näherhin zu fassen ist, das ‚wissenschaftliche Prinzip überhaupt‘ wird jedenfalls hier zu suchen sein. Dem erklärten Anliegen des ersten Hauptteils der Systematischen Theologie zufolge muss sich also der Paradoxgedanke als theologisches Prinzip auf das einleitend am Verhältnis von Wahrheit und Denken entwickelte wissenschaftliche Generalprinzip beziehen lassen. Genauer: Aus der noch darzustellenden, in den ersten drei Paragraphen angelegten Relation von Denken und Wahrheit soll sich der in § 22 eingeführte Paradoxgedanke – so der Anspruch gemäß der ‚Skizze‘ bzw. ‚Einleitung‘ – ‚begründen‘ bzw. ‚entwickeln‘ lassen. Allerdings wird im fraglichen § 22 selbst zumindest keine unmittelbare Beziehung zum Verhältnis von Denken und Wahrheit hergestellt. Als Bezugsgrößen fungieren dort vielmehr ein ‚absoluter‘ und ein ‚relativer Standpunkt‘ bzw. ‚Intuition‘ und ‚Reflexion‘.²⁴ Die Gliederung der ‚Skizze‘ unterstreicht dies. Hier ist der dritte, mit dem Paradox als theologischem Prinzip befasste Standpunkt (§§ 22– 28) der Systemlogik nach auf den ‚absoluten Standpunkt: Intuition‘ (§§ 1– 15) und den ‚relativen Standpunkt: Reflexion‘ (§§ 16 – 21) bezogen. Der Bezug auf die erkenntnistheoretischen Termini der ‚Intuition‘ und der ‚Reflexion‘ verdeutlicht den entsprechenden Charakter des Paradoxgedankens. Genauer verbinden sich bei Tillich, wie schon an anderer Stelle gesehen, wissenschafts Vgl. EW IX, 427. Schon diese Bestimmung der Dogmatik – eben als eines Systems der religiösen Erkenntnis – signalisiert einen näherhin erkenntnistheoretischen Zuschnitt des Paradoxgedankens. Vgl. ebd., 428. Der Terminus des „wissenschaftlichen Prinzip[s] überhaupt“ begegnet im Rahmen des ersten Systemteils überhaupt nur zweimal: Einmal in § 2 und einmal im Leitsatz zu § 11 (ebd., 280 bzw. ebd., 294). Im zweiten Fall zeigt er die Rückbindung des in § 11 entfalteten „religionsphilosophischen Prinzips“ an jenes Prinzip an – was wiederum impliziert, dass es seinerseits bereits im Vorfeld entfaltet worden sein muss. Ebd., 286. Vgl. ebd., 314 f., bes. den Leitsatz von § 22.
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theoretische und erkenntnistheoretische Fragen aufs Engste: Sein Wissenschaftsverständnis ist zutiefst erkenntnistheoretisch bestimmt, was eben in der Anlage des Paradoxgedankens zum Ausdruck kommt. Tillich führt das Paradox ausweislich des in der Systematischen Theologie von 1913 gewählten Anfahrtsweges mithin unzweifelhaft als eine erkenntnistheoretische Figur ein. Schwerer auszumachen ist, wie sich der Paradoxgedanke angesichts seiner Einführung im Verhältnis zu Intuition und Reflexion nun zu der Relation von Denken und Wahrheit verhält. Der Anspruch einer entsprechenden ‚Begründung‘ besteht ja weiterhin. Damit rückt die Frage der Zuordnung der beiden Begriffspaare Intuition und Reflexion einerseits und Denken und Wahrheit andererseits in den Blick. Es legt sich prima facie nahe, Intuition und Reflexion als zwei Formen der denkenden Bezugnahme auf Wahrheit zu verstehen – eine Annahme, die sich im weiteren Verlauf bewähren wird. Die bisherigen, noch ganz am äußeren Aufbau orientierten Beobachtungen bedeuten für die vorliegende Systemgestalt jedenfalls Folgendes: Das System entfaltet sich in mehreren Schritten, wobei den §§ 1– 3 (und in gewisser Weise den nachfolgenden §§ 4– 6) eine Mehrfachfunktion zukommt. Sie gehören einmal allein dem Intuitionsstandpunkt zu, der mit § 15 zu einem ersten Abschluss kommt. Zugleich beziehen sich die ersten drei Paragraphen mit ihrer grundlegenden Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Denken aber auch auf den ersten, apologetischen Teil insgesamt – und über den Paradoxgedanken vermittelt dann auf das Ganze des Systems in seinen drei Teilen. Spätestens hier wird insofern eine gewisse Spannung sichtbar, als undeutlich ist, wie sich diese Stufung intern vermittelt: Inwiefern kann das in den §§ 1– 3 Dargelegte gleichermaßen den Intuitionsstandpunkt wie den ersten Teil insgesamt begründen, wenn Letzterer gerade durch die klare Unterscheidung von Intuition und Reflexion gekennzeichnet sein soll? Ob sich in dieser Architektonik eine gedankliche Pointe verbirgt, oder ob schlicht der Werkstattcharakter des Systems in Rechnung zu stellen ist, wird sich zeigen.
a) Das Prinzipiengefüge von ‚Wahrheit‘ und ‚Denken‘ Die §§ 1– 3 formulieren mit ihrer Verhältnisbestimmung von ‚Wahrheit‘ und ‚Denken‘ ein ‚wissenschaftliches Prinzip überhaupt‘, in dem das System als Ganzes gründen soll. Bereits die ersten Beobachtungen zur ‚Skizze‘ hatten gezeigt, dass das gesuchte Prinzip näherhin erkenntnistheoretischen Zuschnitts ist. Von hierher ist die Orientierung am fraglichen Begriffspaar, vor allem am Wahrheitsbegriff, naheliegend. Denn der Wahrheitsgedanke bezeichnet traditionell einen prominenten, wenn nicht gar den erkenntnistheoretischen Zentralgedanken
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schlechthin. Insofern konnte sich Tillich mit der wahrheitstheoretischen Grundlegung seines Systementwurfs der philosophischen Tradition verbunden wissen, in seinem Fall zumal dem nachkantischen Idealismus und den Erkenntnistheorien seiner Zeit.²⁵ Weiterhin schließt das System von 1913 diesbezüglich an eigene Vorüberlegungen an. Schon die Kasseler Thesenreihe konnte, wie gesehen, den Wahrheitsgedanken ins Zentrum der erkenntnistheoretischen Reflexion rücken.²⁶ Neben der absolutheitstheoretischen Fassung legte Tillich den Akzent dort auf den einheitstheoretischen Aspekt der Wahrheit im Gegenüber zur Mannigfaltigkeit des Einzelnen. In der theologischen Lizentiaten-Dissertation Mystik und Schuldbewußtsein von 1911/12 spielt der Wahrheitsbegriff für die einleitende Exposition der systematischen Fragestellung eine wichtige Rolle.²⁷ Dem Pol der „Mystik“ zugeordnet wird wiederum – wie bereits in der Thesenreihe – die „Identität als Prinzip Die exponierte Bedeutung des Wahrheitsgedankens gilt – um nur einige, Tillich mutmaßlich vor Augen stehende Etappen der Problemgeschichte zu benennen – von den ersten Anfängen klassischer Philosophie bei Parmenides über Kant, den späten Fichte und Hegel bis hin etwa zu Hermann Lotze, dem Südwestdeutschen Neukantianismus eines Windelband oder Rickert, oder auch den Logischen Untersuchungen Edmund Husserls; zu den klassischen Wahrheitskonzeptionen der Antike vgl. Margot Fleischer, Wahrheit und Wahrheitsgrund. Zum Wahrheitsproblem und zu seiner Geschichte (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1984), 4– 28; Ulrich Barth, „Absolute Wahrheit oder absolute Einheit. Letztbegründungsdenken bei Parmenides, Platon und Augustin“, in: ders., Gott als Projekt der Vernunft (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 87– 106; zum Wahrheitsbegriff Kants und des nachkantischen Idealismus vgl. Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft (Berlin: Walter de Gruyter, 1970), 214 f.297 f.378 – 382.400 – 417; Gerold Prauss, „Zum Wahrheitsproblem bei Kant“, in: ders. (Hg.), Kant. Zur Deutung seiner Theorie von Erkennen und Handeln (Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1973), 73 – 89; Manfred Baum, „Wahrheit bei Kant und Hegel“, in: Dieter Henrich (Hg.), Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie, Stuttgarter Hegel-Kongress 1981 (Stuttgart: Klett-Cotta, 1983), 230 – 249; Fleischer, Wahrheit und Wahrheitsgrund, 86 – 132; Ulrich Barth, „Gott – Die Wahrheit? Problemgeschichtliche und systematische Anmerkungen zum Verhältnis Hirsch/Schleiermacher“, in: Joachim Ringleben (Hg.), Christentumsgeschichte und Wahrheitsbewußtsein. Studien zur Theologie Emanuel Hirschs (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1991), 98 – 157, 117 ff.; Reinhard Hiltscher, Wahrheit und Reflexion. Eine transzendentalphilosophische Studie zum Wahrheitsbegriff bei Kant, dem frühen Fichte und Hegel (Bonn: Bouvier, 1998); Roderich Barth, Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 107 ff.257 ff.; zum Südwestdeutschen Neukantianismus vgl. Thomas Kubalica, Wahrheit, Geltung und Wert. Die Wahrheitstheorie der Badischen Schule des Neukantianismus (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011); zur Wahrheitstheorie Edmund Husserls vgl. Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger (Berlin: Walter de Gruyter, 1967), 13 – 255; vgl. weiterhin Lorenz Bruno Puntel, Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie (Darmstadt: WBG, ³1993). Vgl. EW VI, 41; vgl. oben I.1 d). Vgl. GW I, 17– 34.
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der Wahrheit“ behauptet.²⁸ Tillich unterscheidet dabei zwei Identitätsbegriffe, einmal einen der griechischen Antike bis hin zu Plotin zugeordneten der „Identität des Allgemeinen mit dem Besonderen“, einmal einen augustinischen der „Identität von Subjekt und Objekt“, den er noch bei Descartes meint identifizieren zu können. Als Synthesegestalten gelten ihm Spinoza und Leibniz. Soweit erhellen die eher schematischen philosophiegeschichtlichen Zuschreibungen der Dissertation mehr den Hintergrund der von Tillich selbst in der Thesenreihe vorgelegten Synthese beider Traditionen. Interessant ist allerdings, dass er die im engeren Sinne philosophischen Überlegungen zum Wahrheitsgedanken direkt für eine religionstheoretische Fragestellung – eben die nach dem Verhältnis von ‚Mystik‘ und ‚Schuldbewusstsein‘ – fruchtbar machen kann.²⁹ Tatsächlich tritt neben die am Identitätsprinzip orientierte, im Kern erkenntnistheoretische Einführung recht unvermittelt die religionsphilosophische Feststellung „Gott ist die Wahrheit“.³⁰ So scheint der erkenntnistheoretische Zugriff im Letzten auf einen theologischen Wahrheitsgedanken zu zielen. Aufschlussreich sind weiterhin zwei Anmerkungen im Zuge der gleichfalls einleitenden Auseinandersetzung mit dem Kant’schen Wahrheitsverständnis. Tillich konstatiert hier lapidar: „[E]s liegt im Wesen der Wahrheit, Geltung zu haben. Was aber Geltung hat, ist in sich selbst universell.“³¹ Der nicht weiter ausgeführte Kommentar zeigt an, dass ein traditioneller wahrheitstheoretischer Aspekt – der der Gültigkeit von Wahrheit – zumindest im Hintergrund präsent ist. Der absolutheitstheoretischen Fassung des Wahrheitsgedankens entspricht dabei die Universalität seiner Geltung. Zudem vermerkt Tillich wiederum mehr en passant eine „Nötigung durch die Wahrheit“,³² womit der Gesichtspunkt der Normativität des Geltens berührt ist. Auch wenn Mystik und Schuldbewußtsein keine ausgeführte Wahrheitstheorie vorlegt, weisen die Nennung des Gültigkeitsaspektes sowie die angedeutete Verschränkung von philosophisch-erkenntnistheoretischem und theologischem Wahrheitsgedanken über die Thesenreihe hinaus. In der Kirchlichen Apologetik trägt der Wahrheitsbegriff dann die gesamte Argumentation. Das reicht von der in der ‚Einladung‘ ausgesprochenen Aufgabenstellung der ‚Vernunft-Abende‘, „Erkenntnis der Wahrheit wollen wir suchen
Ebd., 18; zum Folgenden vgl. ebd., 18 – 20. Zu Tillichs mehrstufig dialektischer Verhältnisbestimmung des fraglichen Begriffspaares in der theologischen Dissertation vgl. Neugebauer, Christologie, 240 ff.251 f. GW I, 20. Ebd., 28. Ebd., 30.
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in gemeinsamer Arbeit“,³³ bis hin zur wiederholten Identifikation des Gottesgedankens mit dem Wahrheitsgedanken.³⁴ Doch einzelnen wahrheitstheoretischen Figuren zum Trotz – Tillich streift etwa den Gedanken der Allgemeingültigkeit der Wahrheit oder den ihrer Suisuffizienz³⁵ – bleiben die Überlegungen unausgeführt. Die Apologetik hegt ersichtlich nicht den Anspruch einer durchgeführten Wahrheitstheorie, auch wenn die Idee eines „System[s] der Wahrheit“ bereits am Horizont aufscheint.³⁶ Die Systematische Theologie von 1913 bietet nun genau dieses ‚System der Wahrheit‘, mit dem Tillich die vorangegangenen punktuellen Überlegungen zum Wahrheitsbegriff theoretisch verdichtet. Dabei setzen die erläuternden Ausführungen zu den §§ 1– 3 gegenüber den entsprechenden Leitsätzen noch einmal eigene inhaltliche Akzente. Die Leitsätze – „Prinzip der Wahrheit ist die Wahrheit selbst.“ (§ 1), „In der absoluten Wahrheit sind die Gegensätze ideell und reell, abstrakt und konkret, formal und material aufgehoben.“ (§ 2), „Dem absoluten Wahrheitsgedanken steht gegenüber die absolute Identität von Denken und Wahrheit als Prinzip des Denkens.“ (§ 3) – fokussieren ganz den absolutheitstheoretischen Charakter der vorgelegten Wahrheitstheorie.³⁷ Weiterhin behauptet der zweite Leitsatz die gewissermaßen interne vollkommene Gegensatzfreiheit der absoluten Wahrheit: An und für sich selbst betrachtet eignen ihr keinerlei Gegensätze. Inwiefern die absolute Wahrheit als reine Differenzlosigkeit gefasst ist, oder ob in ihr alle denkbaren Gegensätze integriert sein sollen, lässt der gewählte Terminus des ‚Aufgehobenseins‘ vorerst in der Schwebe. Ein Vermerk im Erläuterungstext zu § 3, demzufolge es das „Wesen“ der absoluten Wahrheit ist, „den Gegensatz auszuschließen“, deutet eher in Richtung des Ersteren.³⁸ Weiterhin unterstreicht die Erläuterung zum zweiten Leitsatz einen Aspekt, der im betreffenden Leitsatz mehr implizit vorausgesetzt ist: Der Abweis einer jeden „Zweiheit“ des absoluten „Anfang[s]“ des Denkens bzw. des Systems³⁹ weist auf den Ein-
GW XIII, 61. Vgl. ebd., 47: „Weil Gott die Wahrheit ist, ist in allem so viel Göttliches, wie es Wahrheit hat. Und durch die Wahrheit gibt es einen direkten Weg von allem Wirklichen zu Gott.“; vgl. auch ebd., 62: „Religion ist das vollkommene, lebendige, persönliche Einswerden mit der Wahrheit.“ Vgl. ebd., 61 f.: „Das letzte Jahrhundert mit seinem gewaltigen Ringen um neuen Inhalt und neue Tiefe – es war zugleich ein Jahrhundert […] des Verzichts auf Wahrheit […] Es ist dem freien Denken nicht gelungen, Allgemeingültiges zu schaffen.“; bzw. ebd., 40: „Die Wahrheit ruht auf sich selbst und der ihr innewohnenden Evidenz.“ Ebd., 41. EW IX, 278.279.281. Ebd., 281. Ebd., 280.
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heitscharakter der absoluten Wahrheit zurück. Wie schon in der Kasseler Thesenreihe ist sie im strengen Sinne als eine, mithin henologisch bestimmt. Die eine, differenzlose, absolute Wahrheit steht also am Anfang des Systems – das ist der Gehalt der ersten beiden Leitsätze. Mit dem dritten Leitsatz wird dem damit bezeichneten ‚Prinzip der Wahrheit‘ recht unvermittelt ein zweites Prinzip zur Seite gestellt, eben das ‚Prinzip des Denkens‘. Als Bindeglied beider Prinzipien fungiert der an Schellings Spätphilosophie gewonnene Identitätsgedanke. Jene „absolute Identität von Denken und Wahrheit“ ist somit nicht als abstrakte Identität zu denken, sie behauptet vielmehr eine konstitutive Differenz ihrer Glieder. Dementsprechend ist sie im zugehörigen Erläuterungstext – anders als noch im Rahmen der Kasseler Thesenreihe – auch ausdrücklich als „absolute Einheit des absoluten Widerspruchs“ bestimmt.⁴⁰ Tillich kann hierfür direkt auf die gegenüber der philosophischen Dissertation und der Thesenreihe merklich gereiften Gedankengänge der theologischen Lizentiaten-Dissertation zurückgreifen.⁴¹ Nimmt man alleine die Leitsätze zum Maßstab, so muss die mit den ersten drei Paragraphen vorgelegte Wahrheitstheorie gleichwohl spröde anmuten. Mehr als die thetische Setzung einer absoluten Wahrheit und die Behauptung einer dialektischen Identität des Denkens mit ihr ist ihnen kaum zu entnehmen.⁴² Besonders das mit § 1 formulierte ‚Prinzip der Wahrheit‘ ist im Grunde eine „bloße Tautologie“ – wie Tillich selbst im Erläuterungstext zu § 2 vermerkt: „Soll der Satz: Prinzip der Wahrheit ist die Wahrheit selbst, mehr sein als eine bloße Tautologie, so muß er gedeutet werden nach dem anderen Satz: Prinzip der Wahrheitserkenntnis ist der Begriff der Wahrheit.“⁴³ Die Erläuterung verdeutlicht hingegen, im Überschritt über die Leitsätze, zweierlei. Zum einen klingt hier eine grundsätzliche Orientierung des ersten Systementwurfs am „Begriff“ an, die werkgeschichtlich eine Ausnahme darstellt. Das ihn dabei leitende Begriffsverständnis wird Tillich in den §§ 5 und 6 entfalten.⁴⁴ Zum anderen – und vor allem – ist die mit den ersten
Ebd., 281. Vgl. GW I, 97: „Der Wahrheitsgedanke in seiner höchsten Form: Identität des Widerspruchs“; zur mindestens missverständlichen Fassung des Identitätsgedankens im Umfeld der Thesenreihe vgl. oben I.1 d). Vgl. exemplarisch die diesbezügliche ‚Auslegung‘ bei Bernet-Strahm, Vermittlung, 162: „‚Prinzip der Wahrheit ist die Wahrheit selber‘ (§ 1). Prinzip des Denkens ist daher ‚die absolute Identität von Denken und Wahrheit‘ (§ 3), diese absolute Identität ist aber die Wahrheitserkenntnis.“ Tatsächlich machen die Bernet-Strahm seinerzeit zugänglichen Leitsätze der ‚Abschrift‘ für sich genommen kaum mehr als eine entsprechende Paraphrase möglich. EW IX, 279. Vgl. ebd., 283 – 286. Den dortigen Anmerkungen zufolge erblickt Tillich den eigentlichen Ort der Überlegungen zum Begriff in der ‚Einleitung‘ – was nochmals ihre übergreifende Bedeutung
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drei Leitsätzen formulierte Theorie der Wahrheit demnach im Grunde eine Theorie der Wahrheitserkenntnis. Das entspricht nicht nur der skizzierten erkenntnistheoretischen Gesamtanlage des Systems. Tillich kann den ‚Gehalt der drei ersten Paragraphen‘ überdies an späterer Stelle ausdrücklich als „Selbstbesinnung des Denkens auf seine absoluten Voraussetzungen“ kennzeichnen.⁴⁵ Damit kehrt sich die methodische Anfahrt in gewisser Weise um: Könnten die Leitsätze der ersten drei Paragraphen rein für sich genommen noch die deduktive Entfaltung einer Theorie der absoluten Wahrheit erwarten lassen, so erweisen sie sich bei näherem Zusehen als ihrerseits in einer Bewegung des erkennenden Denkens gewonnen: Dem systematischen Primat der absoluten Wahrheit entspricht das methodische Primat einer Besinnung des Denkens auf den eigenen Erkenntnisvollzug. Ablesen lässt sich diese Umkehrung der Blickrichtung zudem an den den ersten drei Leitsätzen beigegebenen erläuternden Ausführungen, wie sich an drei Beispielen zeigen lässt. So sind – erstens – gleich die initialen erklärenden Sätze zu jenem ‚bloß tautologischen‘ Leitsatz von § 1 aus der Perspektive des erkennenden Denkens formuliert: „Alles Denken, auch das zweifelnde, hat das Ziel, Wahrheit zu erkennen, und die Voraussetzung, daß das Denken Wahrheit erkennen könne. Es ist dem Denken nicht möglich, diese Voraussetzung zu verleugnen; denn jede denkende Bestreitung der Wahrheit will selbst Wahrheit sein. Sogar der Zweifel setzt also den Wahrheitsgedanken voraus“.⁴⁶ Tillich holt seinen grundlegenden apologetischen Anspruch hier dergestalt ein, dass er selbst noch dem zweifelnden Denken eine Wahrheitsintention unterstellt. Deren Bestreitung stellt insofern einen performativen Selbstwiderspruch dar, als sie ihrerseits einen Wahrheitsanspruch erheben muss – „der prinzipielle Zweifel in all seinen Formen hebt sich selbst auf“.⁴⁷ Somit kommt dem Wahrheitsgedanken ein doppelter Voraussetzungsstatus zu. Einmal fungiert er als konstitutive Voraussetzung des Denkens: Kein Denken ohne Wahrheitsbezug. Und zum anderen soll er die Erfüllbarkeit der Wahrheitsintention des Denkens garantieren: Das Denken steht unter der Voraussetzung, dass es die seinem Vollzug vorausgesetzte Wahrheit tatsächlich erkennen kann. Gewonnen ist dieser doppelte Voraussetzungsstatus der Wahrheit aber – zweitens – aus der Perspektive des Denkens, und also eben aus seiner ‚Selbstbesinnung‘. Die Erläuterungen zum Leitsatz von § 2 unterstreichen – drittens – ebenfalls die konstitutive Bedeutung der Wahrheitserkenntnis unterstreicht; zur näheren Fassung des ‚Begriffs‘ im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 vgl. unten I.2 b). Ebd., 295. Ebd., 278. Ebd.
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für jede Theorie der Wahrheit: „Darum ist es unrichtig zu sagen: Die Wahrheit ist irgendwo als eine objektive Realität, als ein Seiendes oder das Sein selbst, und dann zu fragen: wie man zu ihrer Erkenntnis kommen könnte. Die Wahrheit ist nicht abgesehen von der Erkenntnis der Wahrheit.“⁴⁸ Vor diesem Hintergrund verbietet sich eine Wahrheitstheorie, die ihr System gleichsam aus dem absoluten Wahrheitsgedanken selbst deduziert. Tillich zufolge ist Wahrheit allein im Akt der Wahrheitserkenntnis selbst zugänglich, auch wenn sie sich in dessen Vollzug andersherum als seine Voraussetzung erweist. Mit § 3 rückt das Denken schließlich ganz in den Fokus. Schon der Leitsatz zeigt an, dass hier mit dem zugehörigen ‚Prinzip des Denkens‘ ein zweites Prinzip eingeführt wird. Es besagt die ‚absolute Identität‘, und also ‚die absolute Einheit des absoluten Widerspruchs‘ von Denken und Wahrheit.⁴⁹ Der These eines notwendigen Wahrheitsbezuges, einer notwendigen Wahrheitsintention des Denkens ist so mit dem Widerspruchsmoment die These einer Uneinholbarkeit der absoluten Wahrheit durch das Denken zur Seite gestellt. Beider Aspekte wird das erkennende Denken ausweislich der erläuternden Ausführungen wiederum in der Besinnung auf den eigenen Vollzug gewahr: „Das Denken findet in sich den Gegensatz und die Einheit von Denken und Wahrheit.“⁵⁰ Aus dem in sich gegenläufigen Verhältnis des Denkens zur absoluten Wahrheit zieht Tillich nun eine weitreichende Folgerung: Das Denken ist „zugleich wahr und unwahr“.⁵¹ Seine Wahrheit gründet im konstitutiven Bezug auf den Wahrheitsgedanken, den § 1 als grundlegend herausgestellt hatte. Seine Unwahrheit ist ausdrücklich nicht mit dem „Irrtum“ zu verwechseln, der auf einer systemlogisch nachgeordneten Ebene verortet wird. Obwohl Tillich die entsprechende Erläuterung schuldig bleiben wird, ist die Stoßrichtung dieser Unterscheidung deutlich: Die Unwahrheit des Denkens liegt ersichtlich nicht auf der logischen Ebene etwa einzelner unwahrer Urteile, für die der Begriff des Irrtums oder der Falschheit zutreffend wäre. Gemeint ist vielmehr die grundlegende Gebrochenheit seines Wahrheitsbezuges: Das Denken bleibt notwendig in Distanz zu seiner eigenen absoluten Voraussetzung. Die nähere Ausführung dieses Grundgedankens bleibt den Überlegungen zum Begriff (§§ 5 f.) bzw. denen zum Verhältnis von Intuition und Reflexion vorbehalten. Auch die ‚Lösung‘ wird erst mit den §§ 22 ff., also dem Paradoxgedanken,
Ebd., 279. Tatsächlich schließen die ersten beiden erläuternden Absätze zum Leitsatz von § 2 fast besser an den Leitsatz von § 1 als an jenen an. Vgl. ebd., 281. Ebd.; kursiv L. H. Ebd., 282; vgl. ebd., 283: „Das Denken steht im Gegensatz zur Wahrheit und in Identität mit der Wahrheit; es ist unwahr und wahr zugleich.“
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entwickelt.⁵² Gleichwohl ist der leitende Grundgedanke bereits mit § 3 anvisiert: „Erst in seiner Selbstaufhebung ist es [das Denken; L. H.] absolut wahr.“⁵³ Der Gedanke einer Selbstaufhebung bzw. „Selbstüberwindung“⁵⁴ des Denkens markiert, wie wir sehen werden, das eigentliche Ziel des gesamten ‚Ersten Teils‘. Die Grundspannung von Denken und Wahrheit, aus der Tillich seinen Systementwurf entwickelt, lässt sich dabei zwar gleichermaßen aus der Perspektive beider Glieder des „Urverhältnisses“ von Denken und Wahrheit gewinnen. Jedoch betont er: „Von fundamentaler Wichtigkeit ist die Einsicht, daß das Prinzip des Denkens vom Denken, nicht von der Wahrheit gesetzt ist. Von der Wahrheit zum Denken der Wahrheit gibt es keinen Weg; hier ist ein Abbrechen und ein Neuanfang.“⁵⁵ Tatsächlich ist alles Nachfolgende, etwa die Einführung des Begriffs als des Mediums aller Wahrheitserkenntnis oder auch die Organisation des Wissenschaftssystems nach Natur- und Geisteswissenschaften, von der Warte des Denkens aus formuliert.⁵⁶ Als systembegründendes Prinzip fungiert mithin bei näherem Zusehen nicht schon das mit § 1 aufgestellte ‚Prinzip der Wahrheit‘, sondern das in § 3 entwickelte ‚Prinzip des Denkens‘. Die mit Letzterem formulierte unauflöslich dialektische Verhältnisbestimmung von Denken und Wahrheit bezeichnet somit das nicht ausdrücklich als solches gekennzeichnete ‚wissenschaftliche Prinzip überhaupt‘, das seinerseits das ‚theologische Prinzip‘ begründen soll. Die These, der zufolge § 3 das Prinzip der Konstitution und Entwicklung des Systems darstellt, bedarf allerdings der Präzisierung. Mit ihr klärt sich zugleich ein scheinbarer Widerspruch zu Tillichs Ausführungen – wie auch eine gewisse Unklarheit innerhalb dieser selbst. Wie gesehen etabliert Tillich nämlich in den ersten drei Paragraphen mit dem ‚Prinzip der Wahrheit‘ (§ 1) und dem ‚Prinzip des Denkens‘ (§ 3) zwei Prinzipien. Gleichzeitig widerspricht eine solche ‚Zweiheit‘ aber ausdrücklich der Logik des Prinzipiengedankens selbst: „Es kann nur einen Anfang des Denkens, nur einen tragenden Grund des Systems geben.“⁵⁷ Die beiden Charakteristika ‚Anfang‘ und ‚tragender Grund‘ weisen dabei eindeutig auf den in
Vgl. unten I.2 c). Ebd., 282. Ebd., 316.322. Ebd. Vgl. zur Einführung des Begriffs ebd., 283: „Das Denken steht im Gegensatz zur Wahrheit und in Identität mit der Wahrheit […]“; bzw. zur Systematik des Wissenschaftssystems ebd., 286: „Das System der Wissenschaften ist der Inbegriff aller möglichen Stellungen des Denkens zur Wahrheit […].“ In beiden Fällen nimmt das Denken wie selbstverständlich die Subjektstelle ein. Ebd., 280; kursiv i. O.
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§ 1 thetisch als ‚Prinzip der Wahrheit‘ gesetzten ‚Wahrheitsgedanken selbst‘.⁵⁸ Der betreffende Einsatz, ‚Prinzip der Wahrheit ist die Wahrheit selbst‘, wird jedoch wie gesehen von Tillich selbst als ‚bloße Tautologie‘ gekennzeichnet – aus der, so lässt sich ergänzen, für sich genommen nichts folgen kann. Insofern kann jenes ‚Prinzip der Wahrheit‘ für sich betrachtet nicht als Grundlage der Systementfaltung dienen. Genau diesem Umstand scheint Tillich in Form der Etablierung eines zweiten Prinzips Rechnung zu tragen. Die skizzierte Unklarheit lässt sich auflösen, wenn man das mit den §§ 1 – 3 dargestellte Verhältnis von Wahrheit und Denken als systemkonstituierendes Prinzipiengefüge begreift, dessen Momente mit jenen beiden Prinzipien bezeichnet sind.⁵⁹ Das in den ersten drei Paragraphen der frühen Systematischen Theologie entwickelte Prinzipiengefüge erinnert damit strukturell etwa an das Verhältnis der drei ‚Grundsätze‘ in Johann Gottlieb Fichtes erster Wissenschaftslehre von 1794/95, auf die Tillich in diesem Zusammenhang auch explizit Bezug nimmt.⁶⁰ In der Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre ist es ebenfalls erst das Gesamt der drei Sätze, das das System fundiert. Denn dort fungiert gleichfalls nicht der erste, berühmte ‚Grundsatz‘ – „Das Ich sezt ursprünglich schlechthin sein eigenes Seyn“ – als ausdifferenzierungsfähiges Prinzip des nachfolgenden Systems, sondern der dritte Grundsatz „Ich setze im Ich dem theilbaren Ich ein theilbares Nicht-Ich entgegen“.⁶¹ Die absolutheitstheoretische Thesis reicht rein für sich genommen hier wie dort nicht hin zur Entwicklung eines Systems. Fichtes Wissenschaftslehre gilt Tillich vor allem als Kronzeuge der Einsicht, dass das Denken erst in seiner Selbstaufhebung ‚absolut wahr‘ ist – ein Fingerzeig darauf, woher der Gedanke problemgeschichtlich gewonnen sein mag. Die Glieder des Prinzipiengefüges, Wahrheit und Denken, sind dabei einerseits streng korrelativ verstanden, sodass keines auf das andere zurückgeführt werden kann. Diesem korrelativen Charakter trägt Tillichs Begriff eines „Urver-
Vgl. ebd., 278: „Anfang und tragender Grund (Prinzip) der Wahrheitserkenntnis kann aber nichts anderes sein als der Wahrheitsgedanke selbst.“ So auch Danz, „Theologie“, 75 f.; Barth, „Protestantismus“, 18; Neugebauer, Christologie, 257. Vgl. EW IX, 282. Vgl. Ulrich Barth, „Der Weg zur absoluten Reflexion im nachkantischen Idealismus. Fichte – Schelling – Hegel“, in: ders., Gott als Projekt der Vernunft (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 309 – 336, 310 – 312; zur Grundlegung von Fichtes erster Wissenschaftslehre vgl. weiterhin Peter Baumanns, Fichtes Wissenschaftslehre. Probleme ihres Anfangs (Bonn: Bouvier, 1974); Franz Bader, „Die Mehrdeutigkeit der drei Grundsätze in Fichtes ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ von 1794/95“, in: Klaus Hammacher/Albert Mues (Hg.), Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag (Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1979), 11– 41; Jürgen Stolzenberg, „Fichtes Satz ‚Ich bin‘“, Fichte-Studien 6 (1994), 1– 34.
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hältnis[ses]“ der beiden Glieder Rechnung, das eben deren nicht aufhebbaren Gegensatz voraussetzt.⁶² Dementsprechend darf der in diesem Zusammenhang angeführte Identitätsgedanke nicht im Sinne einer abstrakten Identität A = A aufgefasst werden, wie etwa die Thesenreihe noch missverständlicher Weise insinuieren konnte.⁶³ Vielmehr ist er jetzt ersichtlich als „absolute Identität“ im Sinne einer synthetischen, spekulativen Identität konstruiert.⁶⁴ Andererseits ist jene Korrelativität nicht im Sinne einer Gleichwertigkeit von Wahrheit und Denken zu interpretieren. Innerhalb des Prinzipiengefüges herrscht ein deutliches Gefälle: Die absolute Wahrheit fungiert wie gesehen als Voraussetzung, während das Denken wesentlich als „Gegensatz“ bzw. „Widerspruch“ charakterisiert wird.⁶⁵ Die beiden Glieder verhalten sich gewissermaßen wie Position und Negation zueinander. Tatsächlich ist der Negationsgedanke im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 von erheblichem systematischen Gewicht, wie wir am Beispiel von Tillichs Begriffsverständnis, seiner Fassung der ‚Reflexion‘ und der Struktur des Paradoxgedankens selbst sehen werden.
b) Das Wahrheitsbewusstsein in der Spannung von ‚Intuition‘ und ‚Reflexion‘ Mit den ersten drei Paragraphen ist das Prinzipiengefüge gewonnen, auf dem das System von 1913 im Ganzen aufruht. Dessen eigentliche Entwicklung vollzieht sich in zwei Schritten: Die erkenntnistheoretisch imprägnierte wissenschaftstheoretische Grundlegung wird im eingangs skizzierten Dreischritt von ‚Intuition‘, ‚Reflexion‘ und ‚Paradox‘ entfaltet und reicht bis § 28. Mit § 29 beginnen die materialen, dogmatischen und ethischen Ausführungen unter der Regie des Paradoxgedankens. Innerhalb des Grundlegungsteils stellt nun überdies § 7 insofern einen Einschnitt dar, als erst hier anhand der beiden prinzipiell möglichen Zuordnungen von ‚Denken‘ und ‚Wahrheit‘ die systemlogische Unterscheidung von Geistes- und Naturwissenschaften erfolgt.⁶⁶ Das gesamte nachfolgende System
EW IX, 281. Vgl. oben I.1 d). Vgl. Hans Wagner, Philosophie und Reflexion (München Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 21967), 100: „Alle prinzipientheoretisch, spekulativ relevante Identität ist Identität von Unterschiedenem: […] Sie ist spekulative oder synthetische Identität.“ Vgl. die wiederkehrende Formulierung, wonach die „Voraussetzung allen Denkens der Widerspruch ist“ (EW IX, 281.287). Vgl. den entsprechenden Leitsatz von § 7: „Das System der Wissenschaften ist der Inbegriff aller möglichen Stellungen des Denkens zur Wahrheit; seine Organisation ist gegeben durch die beiden möglichen Grundverhältnisse des Denkens zur Wahrheit: Natur und Geist.“ (ebd., 286).
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gehört dabei sowohl der Grundlegung wie der materialen Entfaltung nach offensichtlich in den Bereich der Geisteswissenschaften, während weder der Begriff der Natur noch der der Naturwissenschaften im weiteren Verlauf der Systematischen Theologie von 1913 von größerer Bedeutung sind.⁶⁷ Die §§ 4– 6 nehmen so eine Zwischenstellung zwischen dem fundierenden Prinzipiengefüge und der eben mit § 7 eröffneten Entfaltung des Systems ein. Neben einer grundsätzlichen Besinnung auf das Verhältnis von Prinzip und System, das auf den Gedanken ihrer ‚Lebendigkeit‘ abstellt (§ 4), skizzieren sie vor allem Tillichs Verständnis des Begriffs als des Mediums der Systementwicklung (§§ 5 f.). Ihrer Knappheit zum Trotz – ursprünglich war wohl eine ausführlichere Darstellung im Rahmen einer dem System vorgeschalteten ‚Einleitung‘ angedacht⁶⁸ – sind die betreffenden begriffstheoretischen Überlegungen somit von weitreichender Bedeutung. Sie bestimmen nicht nur den Status alles im System selbst Verhandelten als im präzisen Sinne begrifflicher Natur, sondern fassen auch nochmals die im Verhältnis von Denken und Wahrheit aufbrechende Grundaporie genauer, die im Letzten den Paradoxgedanken als ‚Lösung‘ vorbereitet. Zudem greifen Tillichs – in Anbetracht der Anlage des Grundlegungsteils erstaunlich knapp gehaltenen – explizit erkenntnistheoretischen Reflexionen direkt auf das in diesen beiden Paragraphen Ausgeführte zurück. Wir skizzieren entsprechend zunächst die Gedankenentwicklung der §§ 5 und 6 und zeichnen dann das Verhältnis von Intuition und Reflexion dort ein. Der Leitsatz des schlicht mit ‚Der Begriff‘ überschriebenen § 5 liefert eine erste Zugangsdefinition desselben: „Die lebendige Einheit einer bestimmten Mannigfaltigkeit ist der Begriff.“⁶⁹ Die zugehörige Erläuterung knüpft direkt an die mit § 3 begründete These einer doppelten Stellung des Denkens zur Wahrheit an, Tillichs frühes Begriffsverständnis ist mithin ein Explikat seiner Fassung des Denkens als ‚wahr und unwahr zugleich‘. Er zieht aus ihr die Folgerung: „Das
Seinem systemgrundlegenden Anspruch nach müsste sich aus dem Prinzipiengefüge der §§ 1– 3 freilich auch eine gleichrangige Theorie der Naturwissenschaften entwickeln lassen. Hier liegt allerdings 1913 schlicht nicht Tillichs Fokus. Insofern lässt sich schwer einschätzen, ob in der merklichen Vernachlässigung des Naturbegriffs zugunsten des Geistbegriffs eine systematische Abwertung des Ersteren zum Ausdruck kommt – vgl. Dienstbeck, Strukturtheorie, 48.58 f. –, oder ob diese nicht allein rein darstellungspragmatischen Interessen geschuldet ist. Mit dem System der Wissenschaften wird Tillich die betreffende Lücke jedenfalls in den 1920er Jahren schließen; vgl. GW I, 124– 165 bzw. ebd., 124– 170, je nachdem, ob die Psychologie zum Kreis der Naturwissenschaften gezählt wird. Vgl. EW IX, 283. Ebd.
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Denken setzt also die Wahrheit als eine bestimmte.“⁷⁰ ‚Denken‘ bezeichnet demnach in der Systematischen Theologie von 1913 einmal ein ‚Setzen‘. Im Hintergrund dürfen wir erneut Fichtes erste Wissenschaftslehre vermuten, bzw. näherhin den dort in den ‚Grundsätzen‘ entwickelten Begriff des ‚Sezens‘ im Sinne einer rein spontanen ‚Thathandlung‘.⁷¹ Tillichs Kennzeichnung dieses initialen Akts des Setzens als eines „absolute[n] Akt[es]“⁷² unterstreicht die konstitutionsidealistischen Motive. Steht hier mit dem Produktionsmoment des freien Hervorbringens die praktische Dimension des Denkens im Vordergrund, so ist mit dem zweiten in jener Definition benannten Element, dem Bestimmungscharakter, eine theoretische Dimension angezeigt. Eine Randbemerkung Tillichs verweist auf die grundlegende Bedeutung, die in diesem Zusammenhang der Negation zukommt: Das Denken setzt die Wahrheit qua Negation als eine bestimmte.⁷³ Dementsprechend erfolgt die Wahrheitserkenntnis „durch Ja und Nein hindurch“.⁷⁴ Damit ist schon mit § 5 der negative Charakter des Denkens angelegt, der dann mit der Reflexion (§§ 16 ff.) ins Zentrum treten wird. Die Programmformel des ‚Ja und Nein‘ deutet überdies die Brücke zum Paradoxgedanken an.⁷⁵ Mit dem spontanen Setzen der Negation tritt das Denken in einen weitergehenden Bestimmungsprozess der Wahrheit ein: Es muss den gesetzten Inhalt immer weiter fortbestimmen, bis es ihn vollständig und somit eindeutig als ein Einzelnes bestimmt hat. Das Denken ‚begründet‘ so allererst die Kategorie der „Einzelheit“ und die „Mannigfaltigkeit“ – erneut ein Fingerzeig auf den Konstitutionscharakter des Denkens.⁷⁶ Diese Bewegung hin zum vollständig bestimmten Einzelnen ist dabei nur die eine Seite des Bestimmungsprozesses. Auf der ande Ebd. Vgl. Barth, „Weg“, 310 f. EW IX, 307 Anm. 78. Vgl. ebd., 283 Anm. 18: „Was aber zugleich unwahr und wahr ist, das ist Wahrheit mit einer Negation oder Einschränkung, es ist bestimmte Wahrheit.“ Ebd., 284. Vgl. unten I.2 c). Vgl. ebd., 283 f.: „So begründet das Denken die Mannigfaltigkeit und Einzelheit.“ Hier wird die Differenz zur Kant’schen Wahrheits- und Erkenntnistheorie besonders deutlich.Während jener die Sinnlichkeit zu einem zweiten, vom Verstand unabhängigen Erkenntnisstamm aufwertet, sodass geradezu von einer „Zweiquellentheorie der Wahrheit“ gesprochen werden kann (Barth, „Gott“, 119), kommt ihr bei Tillich keine Eigenständigkeit im Gegenüber zum erkennenden Denken zu. Während also bei Ersterem das Mannigfaltige der Sinnlichkeit dem erkennenden Bewusstsein lediglich in den Formen der Anschauung gegeben ist, ist es bei Letzterem das intuitive Denken, das das Mannigfaltige nicht nur – wie der Verstand nach Kant – bestimmt, sondern allererst begründet. Die betreffende Differenz lässt sich auch daran ablesen, dass der Terminus der ‚Sinnlichkeit‘ im Rahmen der §§ 1– 28 und also im Rahmen der frühen Wahrheitskonzeption kein einziges Mal Verwendung findet.
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ren muss das Denken jenes Einzelne auf dem Weg zunehmender Kontextualisierung wieder in die Einheit der absoluten Wahrheit aufnehmen, sodass ein „Kreislauf“ des Bestimmens entsteht.⁷⁷ Als „lebendige Form“ und also als Medium dieses zirkulären Bestimmungsprozesses führt Tillich nun den ‚Begriff‘ ein. Die ausdrückliche Kennzeichnung des Bestimmungsvorganges als eines begrifflichen „Prozesses“ trägt dem Umstand Rechnung, dass jede begriffliche Bestimmung eines Gegenstandes immer nur Merkmalsaspekte desselben erfassen kann. Das intendierte Ziel einer vollständigen und darin ‚wahren‘ Bestimmung des Gegenstandes wäre lediglich im Zuge einer Erfassung aller Merkmalsaspekte zu erreichen. Eine dieserart erschöpfende Bestimmung allein eines einzelnen Gegenstandes würde aber insofern einen universalen Begriffszusammenhang erfordern, als ausschließlich so gewährleistet wäre, dass kein Merkmalsaspekt des ja prinzipiell in einem unendlichen Verweisungszusammenhang stehenden Gegenstandes ausgeblendet bleibt. Tillich zufolge ist dem Denken ein derartig einheitlicher, universaler und organischer Begriffszusammenhang als „absolute[s] System“ prinzipiell möglich – bzw. genauer: Er scheint der Intuition als einer der beiden Formen des Denkens erschwinglich,⁷⁸ während es der Reflexion eigen ist, den beschriebenen Bestimmungskreislauf gerade stillzulegen. Allerdings changieren Tillichs Einschätzungen der Leistungskraft der Intuition bei näherem Zusehen. Einerseits visiert der Intuitionsstandpunkt mit jenem „absoluten System“ in der Tat an, „in allem Bestimmten und über allem Bestimmten[ ] eins zu sein mit der absoluten Wahrheit“.⁷⁹ Der entsprechende, mit § 15 formulierte Gedanke einer „absolute[n] Mystik“ weist mithin in Richtung einer differenzlosen Identität von Denken und Wahrheit. Dieser Gedanke steht jedoch quer zu der These eines konstitutiven Zugleich von Wahrheit und Unwahrheit des Denkens, von dem die betreffenden Überlegungen in § 5 ihren Ausgang genommen hatten. Tatsächlich trägt Tillich jenem Zugleich auch in der Fassung des ‚Begriffs‘ in grundsätzlicher Weise Rechnung. Er wird mit § 6 als das „Unbegreifliche“, und zwar als das nicht zufällig, sondern „wesentlich Unbegreifliche[ ]“ gekennzeichnet.⁸⁰ Die eigene Struktur, Einheit einer bestimmten Mannigfaltigkeit zu sein, ist dem ‚Begriff‘ nämlich schlechterdings uneinholbar vorausgesetzt. So bricht „[m]itten im Denken selbst“, im Begreifen bzw. Erkennen eine Grenze auf, die für das Denken unhintergehbar ist: „An sich selbst hat das Denken seine
EW IX, 284. Der entsprechende § 15 „Das absolute System und die Mystik“ markiert den Zielpunkt des Intuitionsstandpunktes; vgl. ebd., 305 f. Ebd., 306. Ebd., 285.
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Grenze, weil es sich selbst allezeit zur Voraussetzung hat.“⁸¹ Genauer wird das Denken im Erkennen seiner Differenz zum absoluten Wahrheitsgedanken und also dessen doppeltem Voraussetzungscharakter für den eigenen Vollzug gewahr. Das Erkennen, der Bestimmungsprozess selbst verweist das Denken auf die Möglichkeitsbedingung dieses Prozesses und somit auf den konstitutiven Bezug wie die Distanz zur absoluten Wahrheit. Insofern kann die mit § 15 formulierte Idee eines ‚absoluten Systems‘ bzw. einer ‚absoluten Mystik‘ auch für die Intuition lediglich einen Grenzbegriff formulieren. Mit dem Vorstehenden ist schon der nächste Schritt, die Einzeichnung des Begriffspaares Intuition und Reflexion in das Bisherige, angebahnt. In der Tat macht Tillich deren Verhältnis primär an der unterschiedlichen Stellung zum Begriff bzw. zum skizzierten Bestimmungsprozess des Begrifflichen fest. Neben dieser im engeren Sinne erkenntnistheoretischen Dimension kann die Systematische Theologie von 1913 das Prinzipiengefüge von Wahrheit und Denken darüber hinaus allein im Grundlegungsteil für eine Vielzahl anderweitiger Theoriedimensionen fruchtbar machen: Neben erste Ansätze einer Wissenschaftssystematik (§ 7) und einer Philosophie des Geistes (§ 9) tritt der Umriss einer Religionstheorie (§§ 10 f.13 – 15.20), wobei bereits der dann in den 1920er Jahren bestimmende Querbezug von Religions- und Kulturtheorie thematisch werden kann (§§ 12.19).⁸² Wir konzentrieren uns im Sinne der eingangs dargestellten Grundanlage des ersten Hauptteils und der entsprechenden Einführung des Paradoxgedankens nachfolgend nichtsdestoweniger in erster Linie auf jene erkenntnistheoretische Dimension.⁸³ Für sie steht eben das Begriffspaar von „Intuition“ und „Reflexion“ bzw. „Vernunft“ und „Verstand“.⁸⁴ Eine erste Annäherung kann über die noch ganz formal-systemlogische Rückbindung von Intuition und Reflexion an das Prinzipiengefüge der §§ 1– 3 erfolgen. Dass eine solche besteht, verdeutlicht der den Reflexionsstandpunkt
Ebd., 286. Vgl. auch die Hinweise bei Neugebauer, Christologie, 254 f.; Erdmann Sturm, „Die Genese von Tillichs Kulturtheologie in seinen frühesten Texten“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur, 64– 93, 79 f. Allerdings wird man hinsichtlich der Überlegungen zum Verhältnis von Religions- und Kulturbegriff – bei aller terminologischen Nähe zu dem dann in den 1920er Jahren Entwickelten – doch die systematischen Differenzen zum Späteren nicht unterbelichten dürfen; vgl. unten II.2.1 a). Zu den in der Systematischen Theologie von 1913 bereits gleichfalls anklingenden intentionalitäts- und sinntheoretischen Motiven vgl. unten II.1 b). Zur Gleichsetzung von ‚Intuition‘ und ‚Reflexion‘ einerseits und ‚Vernunft‘ und ‚Verstand‘ andererseits vgl. EW IX, 315. In der Darstellung verwendet Tillich ganz überwiegend das erste Begriffspaar.
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eröffnende § 16 umgehend. Das im Verhältnis von Denken und Wahrheit angelegte Widerspruchsmoment wird hier geradezu zum Definitionsmerkmal der Reflexion erhoben, wenn der Leitsatz des Paragraphen notiert: „Dem absoluten Standpunkt steht gegenüber der Standpunkt der Relativität oder Reflexion, d. h. derjenige Standpunkt, für den die Einheit des absoluten Systems aufgehoben ist und der Widerspruch herrscht.“⁸⁵ Allein dass sich die etwas ungelenke Formulierung ‚steht gegenüber‘ genau in dieser Form ebenfalls im Leitsatz von § 3 zur Beschreibung des Spannungsverhältnisses von Wahrheit und Denken findet, zeigt an, dass Tillich eine ganz schematische Entsprechung vor Augen hat: Wie sich das Denken insgesamt zur absoluten Wahrheit verhält, so verhält sich die Reflexion zur Intuition. Der Reflexionsstandpunkt wird damit konstitutiv auf den der Intuition als seine Voraussetzung bezogen, ohne dass er diese seine Voraussetzung einholen könnte. In diesem Gefälle wird auch ihr Verhältnis als unauflöslich dialektisches bestimmt. Dabei unterstreicht Tillich in Abgrenzung von einem Idealismus Hegel’scher Prägung ausdrücklich die ‚dauernde‘ Eigenständigkeit der Reflexion.⁸⁶ Insofern Intuition und Reflexion, Vernunft und Verstand die beiden Elemente bezeichnen, die das Wahrheitsbewusstsein in ihrem Mit- und Gegeneinander konstituieren, präsentiert sich die mit der Systematischen Theologie formulierte Bewusstseinstheorie als eine ‚Elemententheorie‘: Tillich denkt offenkundig nicht an eine Abfolge von Intuition und Reflexion, wie sie für eine ‚Typentheorie‘ des (Selbst)Bewusstseins – etwa im Sinne der Hegel’schen Phänomenologie – kennzeichnend wäre, sondern eben an ihr unauflösliches Zugleich.⁸⁷ Dabei ist die Eigenständigkeit der Reflexion allerdings rein negativer Natur: Sie „widerspricht“ der Intuition, sie „zerstört“ bzw. „zerbricht“ das Ideal eines Ebd., 307. Vgl. ebd., 309: „Es war der Grundmangel dieses Idealismus, […] daß er den Standpunkt der Reflexion für etwas ausschließlich Überwundenes, im absoluten System Aufgehobenes erklärte, anstatt das dialektische Verhältnis zu durchschauen, in dem der Reflexionsstandpunkt dauernd zu dem absoluten Standpunkt sich befindet […] Der vielgenannte Zusammenbruch der Hegelschen Philosophie hat wesentlich darin seine Ursache.“ Zur Unterscheidung von Elementen- und Typentheorie des (Selbst)Bewusstseins vgl. Ulrich Barth, Christentum und Selbstbewußtsein. Versuch einer rationalen Rekonstruktion des systematischen Zusammenhanges von Schleiermachers subjektivitätstheoretischer Deutung der christlichen Religion (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983), 42 ff.; Zu Hegels Phänomenologie des Geistes vgl. Hans Friedrich Fulda/Dieter Henrich (Hg.), Materialien zu Hegels ‚Phänomenologie des Geistes‘ (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1973); Konrad Cramer, „Bemerkungen zu Hegels Begriff von Bewußtsein in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes“, in: Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1978), 360 – 393; Jindrich Karasek/Jan Kunes/Ivan Landa (Hg.), Hegels Einleitung in die ‚Phänomenologie des Geistes‘ (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006), darin bes.: Ulrich Schlösser, „Bewußtseinsbegriff und Beweisstruktur in Hegels ‚Einleitung‘ zur Phänomenologie des Geistes“, in: ebd., 181– 191.
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absoluten Systems, sie ist reine „Antithese“.⁸⁸ Tatsächlich kreist Tillich in den Ausführungen zum Reflexionsstandpunkt schon terminologisch um den Gedanken der Negation.⁸⁹ So erscheint er in einer Vielzahl von Hinsichten – wissenschaftstheoretisch, gegenwartsdiagnostisch, geisttheoretisch, religions- und kulturtheoretisch – als Negativ zu der im Rahmen des Intuitionsstandpunktes entfalteten Position.⁹⁰ Damit ist das im Verhältnis von Wahrheit und Denken angelegte Moment des Gegensatzes zur Geltung gebracht: „der Widerspruch herrscht“. Die angezeigte Verschärfung unterstreicht – bei aller schematischen Parallelisierung von Wahrheit und Denken einerseits und Intuition und Reflexion andererseits – zugleich den in sich gestuften Charakter ihres Entsprechungsverhältnisses, auf den Tillich zudem ausdrücklich hinweisen kann.⁹¹ Diese Stufung ist erkenntnistheoretisch relevant: Als eine der beiden Bewusstseinsformen des Denkens steht die Intuition demzufolge im Verbund mit der Reflexion der absoluten Wahrheit gegenüber. Die deutliche Abgrenzung von Intuition und Reflexion darf also nicht dazu führen, jene im Gegenüber zu dieser auf die Seite der Wahrheit zu ziehen – auch die Intuition vermag sich nicht ungebrochen auf die absolute Wahrheit zu beziehen. Anders formuliert: Der Definition der Reflexion über ihren Negativitätscharakter korrespondiert keinesfalls im Umkehrschluss die These der Möglichkeit eines unmittelbaren, widerspruchsfreien Intuierens der Wahrheit. Gemäß der erkenntnistheoretischen Überlegungen im engeren Sinne verhalten sich Intuition und Reflexion nun unterschiedlich zum ‚Begriff‘ als dem Medium des Erkennens. Insofern das Denken den lebendigen Begriff setzt, ist es wie gesehen Intuition.⁹² Legt es die skizzierte Begriffsbewegung still und trennt so den Begriff und das vermittels seiner begriffene Einzelne, ist es Reflexion:
So allein die entsprechenden Formulierungen des Erläuterungstextes von § 16; vgl. EW IX, 307 f. Vgl. das Wortfeld ‚Negation‘/‚negieren‘ und ‚Negativität‘/‚negativ‘ in den §§ 18 – 21; vgl. ebd., 308 ff. Freilich ist dabei nicht an eine ausgearbeitete und ausdifferenzierte Theorie der Negation zu denken, wie sie sich im Falle Hegels rekonstruieren lässt; vgl. Dieter Henrich, „Formen der Negation in Hegels Logik“, in: Wilhelm R. Beyer (Hg.), Hegel-Jahrbuch 1974 (Köln: Pahl-Rugenstein, 1975), 245 – 256. In dieser Weite des hier anhand der Spannung von Intuition und Reflexion, Vernunft und Verstand entfalteten Themenfeldes mag man wiederum eine gewisse Nähe zu Hegel erblicken; zu dessen entsprechendem Anliegen vgl. Barth, „Weg“, 331 f. Vgl. EW IX, 307: „Der Standpunkt der Relativität […] ist nur möglich aufgrund dessen, dem er widerspricht; er hat also zum absoluten System genau das gleiche Verhältnis, das das Denken zur Wahrheit hat, das dialektische, und ist nur die vollendete Verwirklichung dieses Verhältnisses (vergl. § 3).“; kursiv L. H. Vgl. auch die Ergänzung des Leitsatzes von § 5 in der ‚Abschrift‘: „Insofern das Denken den lebendigen Begriff setzt, ist es Intuition“ (ebd., 283 Anm. 17).
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„Während die Intuition das Abstrakte und Konkrete, den Begriff und das einzelne in lebendiger Einheit schaut, gibt die Reflexion den Begriffen eine abstrakte Selbständigkeit und den Einzeldingen eine abstrakte Begriffsfremdheit.“⁹³ Auch die Reflexion bedient sich mithin des Begriffs als Erkenntnismedium. Im Gegensatz zur Intuition kann sie das Einzelne jedoch nicht vollständig begrifflich bestimmen – wohl, weil sie das notwendige Wechselspiel zwischen Einzelbegriff und universalem Begriffszusammenhang ausblendet.⁹⁴ An die Stelle einer lebendigen und darin konkreten Einheit von Begriff und Einzelnem tritt ihre abstrakte Unterscheidung. So aktualisiert sich erneut die bereits im Prinzipiengefüge angelegte Spannung von Denken und Wahrheit, wenn Tillich folgert: „Dadurch“ – also durch die zuvor skizzierte Trennung von Begriff und Einzelding – „kommt aber eine Unwahrheit in das Denken, die es hindert, sein Ziel zu erreichen.“⁹⁵ Die dem Denken auf transzendentaler Ebene im Gegenüber zur absoluten Wahrheit eingeschriebene Unwahrheit konkretisiert sich im Erkennen als Nichtübereinstimmen von Ding und Begriff, während deren Übereinstimmen ‚in lebendiger Einheit‘ das Erkenntnisziel markiert. Hier klingt von Ferne ein korrespondenztheoretisches Wahrheitsmodell an, dessen klassische Gestalt durch die von Thomas von Aquin etablierte Formel einer ‚adaequatio intellectus et rei‘ repräsentiert wird.⁹⁶ Entscheidend ist dabei, dass das wahrheitstheoretische Problem der Übereinstimmung von Begriff und Sache ob der unauflöslichen Dialektik von Intuition und Reflexion dem Wahrheitsbewusstsein notwendig entsteht. Die in den §§ 1 – 3 grundgelegte Dialektik von Denken und Wahrheit mündet so in die These einer prinzipiellen Gebrochenheit des Wahrheitsbewusstseins, dem jedes unmittelbare Intuieren, sei es der Übereinstimmung von Begriff und Einzelding, sei es der absoluten Wahrheit, verstellt ist. Die absolute Wahrheit nämlich liegt, nimmt man den absoluten und den relativen Standpunkt der Systematischen Theologie von 1913, also die §§ 1– 21 als Ganzes zusammen, jenseits des wahrheitstheoretisch Bestimmbaren: Zwar fundiert und koordiniert sie als Voraussetzung und Ziel diesen Bereich. In ihrer Einstelligkeit – zum Ausdruck gebracht in jenem rein tautologischen Satz, nach dem das Prinzip
Ebd., 308. Tillich belässt es hier bei Andeutungen, wenn er hinsichtlich des Reflexionsstandpunktes notiert: „Es ist der Standpunkt des Denkens, das sich nicht hineinstellt in den lebendigen Fluß der Begriffe, sondern bei einem bestimmten Begriff, einem einzelnen, stehen bleibt und von ihm aus und nur in Beziehung auf ihn denkt.“ (ebd.); vgl. auch ebd., 311: „Die theoretische Reflexion fixiert die Begriffe.“ Ebd., 308. Vgl. Roderich Barth, Absolute Wahrheit, 61 ff.
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der Wahrheit die Wahrheit selbst ist (§ 1) – entzieht sie sich aber zugleich dem zweiwertig verfassten Wahrheitsbewusstsein. Sie begründet, das verdeutlicht die Passage, in der im Übergang vom Prinzip der Wahrheit zu dem des Denkens die Bivalenz des Denkens hergeleitet wird, gleichermaßen das wahre wie das falsche Denken (§ 3). Aufgrund ihrer Einstelligkeit verhält sie sich zu der zweistelligen, vom Denken bestimmten Wahrheit invariant. Daher ist die bestimmte Wahrheit diesseits der Frage ihres konkreten Wahrheitswertes prinzipiell in eins wahr und unwahr. Mit seiner Fassung einer absoluten Wahrheit stellt Tillich sich so in eine von Parmenides und Augustin begründete Tradition ein, die sich mit dem Terminus eines „theologische[n] Wahrheitsbegriff[s]“ kennzeichnen lässt.⁹⁷ Dieser Tradition, die im nachkantischen Idealismus vor allem im Werk Hegels noch einmal eine Renaissance erleben sollte, steht etwa das kantische Programm einer konsequenten bewusstseinstheoretischen Verendlichung der Wahrheit entgegen.⁹⁸ Es macht den Reiz wie die gedankliche Herausforderung der Systematischen Theologie von 1913 aus, beide Positionen – die einer theologischen absoluten Wahrheit und die einer prinzipiellen Gebrochenheit des Wahrheitsbewusstseins – miteinander vermitteln zu wollen. Dabei ist bis hierhin unklar, wie der absolute Wahrheitsgedanke dem dialektisch verfassten Bewusstsein als seine Voraussetzung und Grenze – jenseits der verstellten Option eines unmittelbaren Intuierens – erschwinglich sein soll. Lediglich ein erster Fingerzeig war, wie gesehen, gleich im Anschluss an die Herleitung der Bivalenz des Denkens notiert: „Erst in seiner Selbstaufhebung“, hieß es dort in § 3, ist dieses „absolut wahr“.⁹⁹ Hier tritt also neben das korrespondenztheoretische Kriterium einer Übereinstimmung von Begriff und Einzelnem ein zweites, ‚absolutes‘ Wahrheitskriterium. Es weist – ist doch eine Selbstaufhebung des Denkens anvisiert – in die Richtung einer kohärenztheoretischen
Zum Terminus des „theologische[n] Wahrheitsbegriff[s]“ in Unterscheidung von einem „logischen Wahrheitsbegriff“ vgl. Ulrich Barth, „Gott“, 113. Zu den Wahrheitstheorien Parmenides’ und Augustins vgl. ebd., 102 ff., sowie ders., „Wahrheit“, 87 ff. So lässt sich Kants ‚Zweiquellentheorie der Wahrheit‘ geradezu als „Ende der traditionellen Fassungen des theologischen Wahrheitsbegriffs“ verstehen (Barth, „Gott“, 121). Zum Vergleich Kant/Hegel vgl. v. a. Baum, „Wahrheit“; zur Wahrheitskonzeption Hegels vgl. neben der bereits genannten Literatur zum Wahrheitsgedanken insbesondere Michael Theunissen, „Begriff und Realität. Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs“, in: Horstmann (Hg.), Dialektik, 324– 359; Ludovicus de Vos, „Die Wahrheit der Idee“, in: Anton Friedrich Koch/Alexander Oberauer/Konrad Utz (Hg.), Der Begriff als die Wahrheit. Zum Anspruch der Hegelschen ‚Subjektiven Logik‘ (Paderborn u. a.: Schöningh, 2003), 153 – 169. EW IX, 282.
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Umformung der Wahrheitstheorie. Im Zentrum dieser Umformung steht der Paradoxgedanke.¹⁰⁰ Treten wir im Vorfeld von dessen Rekonstruktion einen Schritt zurück und fragen angesichts des Bisherigen nach problemgeschichtlichen Vorbildern der prinzipientheoretischen Anlage der Systematischen Theologie von 1913, so ergibt sich kein eindeutiges Bild. Der Gedanke einer ‚absoluten Identität des absoluten Gegensatzes‘, mit der in § 3 die Struktur des Prinzipiengefüges von Denken und Wahrheit bestimmt ist, ist ersichtlich der intensiven Beschäftigung mit Schelling nach 1909 geschuldet.¹⁰¹ Die Andeutung des Gedankens einer ‚Selbstaufhebung‘ des Denkens als anvisierter Vermittlungsfigur im selben Paragraphen erfolgte unter explizitem Verweis auf Fichtes frühe Wissenschaftslehre und weist also in eine frühere werkbiographische Phase Tillichs zurück.¹⁰² Die mit den §§ 5 und 6 begründete prominente Stellung des ‚Begriffs‘, die in einem auffälligen Kontrast zu allen werkgeschichtlich späteren Überlegungen steht, weist eher in Richtung eines Hegel’schen Einflusses. Die genannten problemgeschichtlichen Bezüge lassen sich schwerlich gegeneinander ausspielen. Vielmehr wird man wohl von einem unbestimmt-‚gemeinidealistischen‘ Hintergrund des ersten Systementwurfs ausgehen müssen, in dem sich die früheste Beschäftigung mit ‚Medicus-Fichte‘, die grundprägende Entdeckung Schellings und eine augenscheinliche Lektüre Hegels miteinander verbinden, ohne dass die im Einzelnen durchaus divergierenden – und ihrerseits nochmals nach Werkphasen zu differenzierenden – gedanklichen Stoßrichtungen der idealistischen Vorbilder miteinander abgeglichen wären.¹⁰³ Zu diesem eher unscharfen Befund stimmt auch, dass Tillich weder im Rahmen der Systematischen Theologie selbst noch vermittels des beigegebenen Literaturverzeichnisses die Quellen der jeweiligen Theorieelemente wirklich präzise be-
Vgl. unten I.2 c). Vgl. oben I.1 c). Vgl. oben I.1 a) und b). Entsprechend der These eines mehr synchronen Nebeneinanders der Verarbeitung der Einflüsse des nachkantischen Idealismus scheint uns mithin auch die Annahme einer explizit ‚Hegel’schen Phase‘ des Tillich’schen Denkens, der dann zumal die Systematische Theologie von 1913 zuzuordnen wäre, wenig wahrscheinlich. Tillich selbst hat mit einer brieflichen Äußerung gegenüber Emanuel Hirsch aus dem Jahr 1918, der zufolge ihn seine gedankliche Entwicklung von Schelling über Hegel zu Nietzsche geführt habe, eine solche Phase insinuieren können; vgl. EW VI, 114. Wie wenig trennscharf die Entwicklung tatsächlich verlaufen sein dürfte, zeigt beispielsweise der nochmals deutlich Schelling’sche Zuschnitt der nach dem frühesten Systementwurf verfertigten Habilitation – deren zögerliche Annahme durch die Fakultät etwa mit der Bitte verbunden wurde, ebendiesen unübersehbaren Zuschnitt ausdrücklich kenntlich zu machen; vgl. EW IX, 436 f.
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nannt hat.¹⁰⁴ Insofern bündeln sich in der prinzipientheoretischen Anlage des ersten Systems die idealistischen Einflüsse der Frühzeit, ohne dass sie sich im Einzelnen gegeneinander ausspielen ließen. Der eklektische und freie, wenn nicht kreative Umgang Tillichs mit problemgeschichtlichen Konstellationen und ideengeschichtlichen Vorlagen im Sinne der eigenen Fragestellungen kann geradezu als lebenslanges Signum seines Denkens gelten.¹⁰⁵
c) Der Paradoxgedanke als theologisches Prinzip Mit § 22 führt Tillich – so die gleichlautende Paragraphenüberschrift – ‚das Paradox‘ ein, um es im darauffolgenden Paragraphen mit dem ‚theologischen Prinzip‘ zu identifizieren. Mit dem Paradoxgedanken gewinnt so eine Figur prinzipiellen Status, die zuvor eher angelegentlich mitbedacht war.¹⁰⁶ Erstmals begegnete sie 1908 im Rahmen der Monismusschrift, wenn Tillich dort im Kontext der Rechtfertigungsthematik die „Paradoxie der Sündenvergebung“ mit der „Paradoxie der Sendung Jesu“ identifizieren konnte.¹⁰⁷ Das Augenmerk liegt dabei mehr auf der Gleichsetzung bzw. genauer der Parallelität der – eben paradoxen – Beim genannten Gedanken der Selbstaufhebung ließe sich beispielsweise fragen, inwiefern er von Fichte nicht eher in den späteren Fassungen seiner Wissenschaftslehre systematisch ausgearbeitet wurde denn in deren erster von 1794/95, auf die Tillich Bezug nimmt. Zu Hegel nennt die Literaturliste dessen Religionsphilosophie, aber keine der Schriften, in denen sich im eigentlichen Sinne begriffslogische Ausführungen finden, wie etwa die Wissenschaft der Logik; vgl. ebd., 431. Zur entsprechend freien Rezeption etwa Edmund Husserls vgl. unten II.3.1 b). Zum Paradoxgedanken in der Theologie vgl. Klaas Schilder, Zur Begrifflichkeit des ‚Paradoxon‘. Mit besonderer Berücksichtigung Calvins und des nach-kierkegaardschen ‚Paradoxon‘ (Kampen: Verlag J. H. Kok, 1933); Henning Schröer, Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem. Eine Untersuchung zu Kierkegaard und der neueren Theologie als Beitrag zur theologischen Logik (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1960); Wilfried Joest, „Zur Frage des Paradoxon in der Theologie“, in: ders./Wolfhart Pannenberg (Hg.), Dogma und Denkstrukturen (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1963), 116 – 151; Henning Schröer, „Das Paradox als universale Kategorie systematischer Theologie“, in: Paul Geyer/Roland Hagenbüchle (Hg.), Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens (Tübingen: Stauffenburg-Verlag, 1992), 61– 70; Heinrich Kraft, „Die Paradoxie in der Bibel und bei den Griechen als Voraussetzung für die Entfaltung der Glaubenslehren“, in: ebd., 247– 272; Theo Kobusch, „Paradoxon und religiöse Existenz“, in: ebd., 455 – 480; zu Tillichs Paradoxbegriff vgl. insbesondere die Beiträge in Gert Hummel (Hg.), The Theological Paradox. Interdisciplinary Reflections on the Centre of Paul Tillich’s Thought (Proceedings of the V. International Paul Tillich Symposium, held in Frankfurt/Main 1994)/Das theologische Paradox. Interdisziplinäre Reflexionen zur Mitte von Paul Tillichs Denken (Beiträge des V. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/Main 1994) (Berlin New York: Walter des Gruyter, 1995). EW IX, 151; vgl. oben I.1 b).
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Struktur beider Theologumena, als dass die betreffende Paradoxie weiter ausgeführt wäre. Mit der Rechtfertigungsthematik und der Christologie kristallisieren sich allerdings zwei materiale Themenkreise heraus, in deren Zusammenhang der Paradoxbegriff auch in der Folge zu stehen kommen wird. In der philosophischen Dissertation von 1910 fällt der Begriff zwei Mal im Zuge der Schelling-Rekonstruktion. Die „absolute Paradoxie des Kreuzes Christi“ besteht demnach darin, dass Gott im Kreuz einen unendlichen, jeder Form widersprechenden Inhalt in der endlichsten Form dargestellt habe.¹⁰⁸ Der Paradoxbegriff behält seine christologische Konnotation, der Fokus verschiebt sich jedoch vom Inkarnationsgedanken zur Kreuzestheologie. Daneben paraphrasiert Tillich das Schelling’sche Offenbarungsverständnis, und hier näherhin den Gesichtspunkt der Übervernünftigkeit der Offenbarung, mit der Formel einer ‚göttlichen Paradoxie‘.Während im ersten Fall eine Formulierung Schellings aufgegriffen ist, und also Tillich den Paradoxausdruck direkt von diesem übernimmt, dient er ihm im zweiten Fall als Interpretament für Schellings Begriff des ‚absolut Erstaunenswerten‘.¹⁰⁹ Im eng umgrenzten Rahmen zeichnet sich somit eine eigenständige Verwendung ab. In der Kasseler Thesenreihe von 1911 sind wiederum Paradoxfigur und Rechtfertigungsthematik miteinander verknüpft, wenn dort der Verweis auf die „Paradoxie der Rechtfertigungslehre“ einem Missverstehen der göttlichen Versöhnungstat in Christus im Sinne eines Versöhnungsmechanismus wehren soll.¹¹⁰ Der Paradoxausdruck erscheint dabei als Zuspitzung jener dialektischen Strukturen, die als Kennzeichen der Stellvertretungs- und Versöhnungsthematik ausgemacht werden. Der theologischen Lizentiaten-Dissertation von 1912 dient der Paradoxbegriff der Abgrenzung von einer Verhältnisbestimmung von Religion und Sittlichkeit, die Tillich in Immanuel Kants ‚Religionsschrift‘ Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft auszumachen meint: Durch dessen Bestimmung drohe mit der „Paradoxie des Glaubens“ in eins „das eigentlich Religiöse“ verloren zu gehen.¹¹¹ Der Paradoxgedanke markiert hier also das Zentrum der Religion.Wenn im weiteren Verlauf der Dissertation das gegenläufige Verhältnis der Sünde zu Zorn und Gnade Gottes als paradox verstanden wird, ist erneut die rechtfertigungstheologische Valenz des Begriffs aufgerufen.¹¹² Schließlich tritt der Paradoxbegriff mit der Kirchlichen Apologetik merklich stärker ins Zentrum. Das „absolute[ ] Paradox“ bezeichnet jetzt nachgerade das „Wesen
Ebd., 187. Vgl. ebd., 253 Anm. 389; vgl. ebd., 252. EW VI, 39. GW I, 32. Vgl. ebd., 96 Anm. 34.
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des Christentums“.¹¹³ Dem tritt die These zur Seite, dass das allgemein-humane Denken „in seiner Tiefe“ auf „dem gleichen Paradox“ aufruht.¹¹⁴ Damit rückt der Paradoxgedanke in eine Scharnierfunktion zwischen Denken und Christentum bzw. Theologie ein und trägt so ganz wesentlich die apologetische Argumentation. Der Spitzenthese zufolge kann die Apologetik demnach „den, der den Entschluß gefaßt hat, […] konsequent zu denken, zu der Erkenntnis führen, daß die Paradoxie des Christentums identisch ist mit der Paradoxie des Denkens“.¹¹⁵ Der Gedanke einer Strukturisomorphie von allgemein-humanem Denken einerseits und Christentum andererseits präfiguriert sichtlich das dann mit dem ersten Hauptteil der Systematischen Theologie von 1913 Entfaltete. Auch deren methodischer Weg einer ‚Selbstbesinnung des Denkens‘ ist angedeutet. Die Kirchliche Apologetik bereitet so das frühe System unmittelbar vor, ohne freilich, wie schon im Falle des Wahrheitsgedankens, eine ausgearbeitete Theorie – nun des Paradox – zu bieten. Überblickt man die Überlegungen zur Paradoxthematik im Vorfeld der frühen Systematischen Theologie, dann fällt auf, wie sporadisch der Begriff anfangs zum Einsatz kommt: Die Belege lassen sich im Grunde an einer Hand abzählen. Zwar verwendet Tillich die Paradoxfigur von der Examensarbeit an kontinuierlich, im Vergleich zu ihrer beherrschenden Stellung im Rahmen des frühen Systems steht sie vorerst aber eben noch mehr am Rande. Zudem ist der Begriff vorerst nicht gedanklich entfaltet, sondern fungiert eher als Statthalter im Zusammenhang ausgewählter Themenkreise – die allerdings mit der Christologie, der Rechtfertigungslehre und dem Glaubensbegriff denkbar prominent ausfallen. Mit dem Paradoxausdruck markiert Tillich also eine religionstheoretische Einsicht, die augenscheinlich auf das Zentrum des Christentums zielt, dabei jedoch erst einmal nicht wirklich expliziert ist. Eine Übergangsstellung nimmt die Kirchliche Apologetik ein, mit der der Gedanke in den Fokus des Interesses rückt. Hier ist auch erstmals die Brücke geschlagen zwischen der früheren, christentums- bzw. religionstheoretischen Verwendung einerseits und der erkenntnistheoretischen Schlüsselfunktion andererseits, die für die Systematische Theologie von 1913 signifikant sein wird. Erst mit dem System ist der Paradoxgedanke in dem Sinne etabliert, dass er seiner systematischen Struktur nach durchdacht wird und dieserart geklärt in eine Prinzipienfunktion einrückt. Die mit dem frühen System vollzogene Umstellung lässt sich überdies an einer terminologischen Verschiebung aufzeigen.Während Tillich bis zur Systematischen
GW XIII, 46. Ebd. Ebd.; kursiv L. H.
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Theologie im Zusammenhang der Paradoxthematik den Terminus der ‚Paradoxie‘ bevorzugt, stellt er mit ihr weithin auf den des ‚Paradox‘ um.¹¹⁶ Dabei blieb in ersterem Fall die nähere gedanklich-systematische Verortung undeutlich: Handelt es sich in der Thesenreihe mit ihrem Verweis auf die Rechtfertigungslehre um eine Paradoxie auf Ebene der Theoriebildung, so visiert die Lizentiaten-Dissertation mit der Paradoxie des Glaubens die Ebene der Religion im lebensweltlichen Sinne an. Das betreffende Changieren findet in der gleichfalls dort verwendeten Formel einer auf beiden Ebenen spielenden ‚Paradoxie des Christentums‘ ihren adäquaten Ausdruck. Mit der Systematischen Theologie von 1913 ist diese Undeutlichkeit gehoben. Das Paradox ist eindeutig als eine der Theorieebene zugehörige Figur verstanden, wie bereits seine Einführung als eines theologischen – und eben nicht: religiösen – Prinzips signalisiert. Tillich kann so auch abkürzend vom „theologischen Paradox“ sprechen, während die analoge Formulierung einer „religiösen Paradoxie“ fast gänzlich ausfällt.¹¹⁷ Nun ist die Zuordnung des Paradoxbegriffs zur Theologie und mithin zur Theorieebene ausweislich des Erläuterungstextes von § 22 nicht so zu verstehen, als erzeuge die theologische Reflexion allererst die dem Christentum eigene Paradoxie. Es ist nämlich zunächst durchaus das „Heilige“ einer bestimmten Religion, das die „Sphäre“ bzw. den „Ort“ des Paradox bezeichnet.¹¹⁸ Doch wird diese Verortung noch im weiteren Gang des Paragraphen überstiegen: „Der Standpunkt des Paradox ist der theologische; ‚Theologie‘ enthält schon dem Begriff nach etwas Paradoxes in sich: […] das, was Objekt des Glaubens ist, soll Objekt des Wissens werden, ohne daß der Glaube als solcher verneint wird.“¹¹⁹ Die christlichen Gehalte haben demzufolge im Rahmen der Theologie nicht mehr alleine eine der mentalen Einstellung des ‚Glaubens‘ gemäße Form, sondern eine solche, in der ‚Glauben‘ und ‚Wissen‘ synthetisiert werden. Indem die Theologie die Gehalte der Religion auf den Begriff bringt, transformiert sie diese zugleich.¹²⁰ Prinzip der
Der Kirchlichen Apologetik kommt wiederum insofern eine Übergangsstellung zu, als hier beide Begriffe mehr oder minder synonym verwendet werden; vgl. exemplarisch ebd., 46. Vgl. lediglich EW IX, 365; auch die verwandte Rede von einem „Paradox des Glaubens“ begegnet nur ganz am Rande (ebd., 385.412). Ebd., 315 f. Ebd., 316. Es handelt sich um einen Zusatz aus dem Ergänzungsheft I, mit dem Tillich ersichtlich die ursprünglich erst mit § 23 vollzogene Identifikation von Paradox und theologischem Prinzip vorzieht. Der Paradoxgedanke wird so bereits mit seiner Einführung in § 22 der Theologie zugeordnet, die vorangegangene religionstheoretische Verortung erscheint nurmehr als vorbereitendes Sprungbrett. Das hier anvisierte theologische Programm erinnert von Ferne an Schellings Überlegungen zu einer ‚philosophischen Religion‘, auf die Tillich – wie gesehen – vor allem im Rahmen seiner philosophischen Dissertation zustimmend Bezug nehmen konnte. Tillichs Paraphrase zufolge
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Transformation ist der Paradoxgedanke als theologisches Prinzip – die von Wegener für § 23 vorgeschlagene Überschrift, „Theologisch begreifen heißt durch das Paradox begreifen“, bringt diese Stoßrichtung auf den Punkt.¹²¹ Die Systematische Theologie von 1913 hat zwar auch die Paradoxie des Religiösen im Blick, ihr Interesse gilt jedoch der theologischen Rekonstruktion der christlichen Gehalte im Medium des Begriffs. In einem ersten Zugriff lässt sich so die theoretischkonstruktive Anlage des von Tillich im frühen System entwickelten Paradoxgedankens festhalten.¹²²
kann die „philosophische Religion […] inhaltlich keine anderen Elemente haben als Mythologie und Offenbarung; aber sie hat diese Elemente als begriffne“ (EW X, 24; vgl. EW IX, 231 und ebd., 236 Anm. 335). Letzterer Zusatz weist direkt auf das dann in der Systematischen Theologie vermittels des Paradoxgedankens realisierte Programm eines im Wortsinne begrifflichen Begreifens der religiösen Gehalte. Ebd., 317 Anm. 111. Wir heben im Folgenden, nicht zuletzt in Anbetracht der wissenschaftstheoretisch-erkenntnistheoretischen Anlage des ersten Hauptteils der Systematischen Theologie von 1913, auf den theologischen Charakter des Paradoxgedankens ab. Demgegenüber treten die zumindest im Kontext der unmittelbaren Einführung des Gedankens in § 22 durchaus vorhandenen religionstheoretischen Aspekte – eben die Kennzeichnung der Religion als der ‚Sphäre‘ bzw. als des ‚Ortes‘ des Paradox – in den Hintergrund. Für eine primär religionstheoretische Interpretation des Paradoxgedankens, die dementsprechend verstärkt dessen Rückbindung an die in den §§ 9 – 14 skizzierte Religionsphilosophie berücksichtigt, vgl. Neugebauer, Christologie, 266 – 271. Beide Interpretationen schließen einander nicht aus, sondern betonen mögliche unterschiedliche Interpretationsbezüge innerhalb des frühen Systems – ermöglicht durch dessen von uns eingangs dargelegten Werkstattcharakter: Während bei Neugebauer der Rückbezug auf die im Rahmen des Intuitionsstandpunktes entwickelte Religionsphilosophie im Vordergrund steht, ist es hier die im Dreischritt Intuition-Reflexion-Paradox entfaltete Theorie des Wahrheitsbewusstseins. Mit dieser theoretisch-konstruktiven Fassung rückt das Paradox ersichtlich in die Nähe der Antinomie. Damit ist etwa die von Emanuel Hirsch vorgeschlagene systematische Unterscheidung beider unterlaufen: Hirsch wollte den Antinomiebegriff für die Ebene streng begrifflich-dialektischen Denkens reserviert wissen, in der das Paradox als das dem Denken Erstaunliche seine Klärung erfahre; vgl. Emanuel Hirsch, Schöpfung und Sünde in der natürlich-geschichtlichen Wirklichkeit des Menschen. Versuch einer Grundlegung christlicher Lebensweisung (Tübingen: J. C. B. Mohr, 1931), 91 Anm. 11. Der Vorschlag, einer entsprechenden Ebenenunterscheidung terminologisch Ausdruck zu verleihen, findet sich gleichfalls etwa bei Roland Hagenbüchle. Demnach soll der Paradoxbegriff dem ‚Sprachlich-Symbolischen‘ vorbehalten bleiben, wohingegen der der Paradoxie der ‚Sphäre des Lebendigen‘ zugeordnet wird; vgl. Roland Hagenbüchle, „Was heißt ‚paradox‘? Eine Standortbestimmung“, in: Geyer/ders. (Hg.), Paradox, 27– 43, 28 f. Auch dieser Vorschlag lässt sich insofern nicht auf die Systematische Theologie von 1913 abbilden, als Tillich hier ‚Paradox‘ und ‚Paradoxie‘ – wo letzterer Begriff überhaupt Verwendung findet – synonym verwendet; vgl. die Rede von einer „theologischen Paradoxie“ (EW IX, 361.425).
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Erst mit der Systematischen Theologie ist also der Anspruch erhoben, die zuvor punktuell herangezogene Paradoxfigur tatsächlich als theologisches Prinzip „in seiner Reinheit“¹²³ zu begreifen und zu entfalten. Dabei verdeutlicht bereits die Zugangsdefinition im Rahmen des Leitsatzes von § 22, dass er einmal direkt in die zuvor entfaltete dialektische Gestalt des Wahrheitsbewusstseins eingezeichnet wird: „Die Intuition muß in die Sphäre der Reflexion […] eingehen, um die Reflexion durch sich selbst über sich selbst hinauszuführen. Dieses Verhältnis aber ist das Paradox.“¹²⁴ Der Paradoxgedanke steht demnach prinzipiell für ein noch näher zu bezifferndes Transzendierungsverhältnis in der Spannung von intuitiver Vernunft und diskursivem Verstand. Handelt es sich dem Anfahrtsweg nach – erstens – um eine erkenntnistheoretische Figur, holen die folgenden Ausführungen die weiteren Dimensionen des Gedankens ein: Zunächst identifiziert § 23 ihn – zweitens – mit dem gesuchten ‚theologischen Prinzip‘ und spielt damit die von uns eingangs skizzierte übergreifende Fragestellung des ersten Hauptteils insgesamt ein. Die somit geleistete wissenschaftstheoretische ‚Begründung‘ des theologischen Standpunktes kann rückblickend einmal mehr zur eigentlichen und sogar exklusiven ‚Aufgabe‘ des betreffenden Teils im Ganzen erklärt werden.¹²⁵ Die §§ 24– 27 stellen den Paradoxgedanken schließlich – drittens – in vorderhand materialdogmatische Bezüge ein, wobei die schon im Vorfeld des Systems beobachteten Themenkreise wiederkehren: So sind es eben Rechtfertigung und Prädestination (§ 24), Christologie und Historie (§§ 25 – 27) sowie – bislang unbedacht – die Eschatologie (§ 28), anhand derer die Strukturelemente des Paradoxgedankens entwickelt werden. Wenn man die genannten drei Dimension zusammenschaut, wird deutlich, dass der Paradoxgedanke in der Systematischen Theologie von 1913 die Schnittstelle von erkenntnistheoretisch-wissenschaftstheoretischer und theologischer Prinzipienreflexion markiert: Das Paradox leistet die Koordination von allgemeindenkendem einerseits und spezifisch theologischem Erkennen andererseits. Der Paradoxgedanke bezeichnet dieserart nicht allein – gemäß der apologetischen Ausgangsfrage ihrer wissenschaftstheoretischen Anschlussrationalität – das Spezifikationskriterium der Theologie im Kreise der Wissenschaften. Vermittels seiner bearbeitet die theologische Reflexion überdies die im System zuvor entfaltete Antinomie des Wahrheitsbewusstseins. Dabei ist offenkundig mehr als eine reine Koordination zweier gleichwertiger Größen anvisiert: Da der Paradoxgedanke die Vermittlung der zuvor unterstrichenen dialektischen Spannung von Ebd., 325.326 u. ö. Ebd., 315. Vgl. ebd., 327: „Die Apologetik hat nur die Aufgabe, den theologischen Standpunkt an und für sich zu begründen.“
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Intuition und Reflexion leisten soll, überbietet das theologische Erkennen zugleich das ihm koordinierte allgemein-humane Erkennen. Tillich betont dementsprechend wiederholt die dem Denken in seinem gebrochenen Wahrheitsbezug entstehende „Not des Reflexionsstandpunktes“ und erblickt im Paradox nachgerade dessen „Erlösung“.¹²⁶ Mit diesem Zugleich von Koordination und Überbietung ist der genaue systematische Ort des Paradoxgedankens bestimmt. Entsprechend der erkenntnistheoretischen Anfahrt setzt der Leitsatz von § 22 noch einmal mit dem oben skizzierten Spannungsverhältnis von Intuition und Reflexion ein: „Der absolute und der relative Standpunkt stehen einander so gegenüber, daß der relative von dem absoluten zugleich getragen und zerstört wird.“¹²⁷ Demgegenüber visiert der Paradoxgedanke – ganz formal gesprochen – die „Synthesis des absoluten und relativen Momentes“ bzw. die „Einheit des Absoluten mit einem bestimmten Relativen“ an.¹²⁸ Blieb die Analyse des Wahrheitsbewusstseins bei der unauflöslichen internen Spannung seiner Elemente stehen, so ist das Paradox als vermittelnde Einheitsfigur gedacht. Die an die Verhältnisbestimmung von Intuition und Reflexion anschließenden, im engeren Sinne erkenntnistheoretischen Überlegungen der §§ 22 und 23 halten sich nun allerdings vergleichsweise bedeckt, was die nähere Explikation der durch den Paradoxgedanken zu leistenden Synthese angeht. Auch die bereits erwähnte Selbsttranszendierungsfigur, die Tillich umgehend mit der eigentlichen Einführung des Paradoxbegriffs verbindet – die Reflexion werde hier „durch sich selbst über sich selbst hinaus[ge]führ[t]“ –, ist erst im Rahmen der materialdogmatisch eingefärbten Ausführungen der §§ 24 ff. mit dem dort benannten „Prinzip der Selbstüberwindung“ wieder aufgenommen.¹²⁹ Die erkenntnistheoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Intuition, Reflexion und Paradox sind dabei in § 22 durch ein gewisses Changieren gekennzeichnet, das seinerseits nochmals geeignet ist, die im Hintergrund liegende Wahrheitstheorie zu erhellen. Denn auf der einen Seite kann die anvisierte Synthese von Intuition und Reflexion, absolutem und relativem Standpunkt als Leistung des Ersteren erscheinen. Demgemäß „erheb[t]“ das intuitive Denken das
Ebd., 315.424 u. ö. Ebd., 314. Ebd., 317. Ebd., 315 bzw. ebd., 322. Während es § 22 bei dem Hinweis belässt, dass das fragliche Prinzip am Orte der ‚konkreten Religion‘ zu suchen sei, bietet erst § 25 die darauf passenden, ins Prinzipielle gewendeten christologischen Überlegungen; vgl. ebd., 316 mit ebd., 322. Dass Letztere dieserart selbstverständlich eine Weite gewinnen, die über ihren ursprünglichen materialdogmatischen Ort hinausweisen, zeigt Neugebauer, Christologie, 271 ff., bes. 289 – 292.
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reflexive „zu sich“ und nimmt es „positiv in sich auf[ ]“.¹³⁰ Auf der anderen Seite setzt Tillich schon mit den hinführenden etymologischen Überlegungen zum Paradoxbegriff einen anderen Akzent. Demnach bezeichnet das Paradox – in ursprünglich explizitem, dann aber gestrichenem Rekurs auf Sören Kierkegaard¹³¹ – „etwas Übernatürliches, etwas das ‚höher ist, denn alle Vernunft‘“.¹³² Die paradoxe, eben gleichsam übervernünftige Einheit mit dem diskursiven Verstand ist demnach wohl kaum von der intuitiven Vernunft selbst zu leisten. Und tatsächlich legt Tillich sich im direkten Anschluss in diese Richtung fest. So betont er, dass es „der Zweck dieser ganzen Apologetik [ist], zu zeigen, daß das Paradox in diesem Sinne, wenn auch weder von der Intuition (Vernunft) noch von der Reflexion (Verstand) gesetzt, so doch von beiden gefordert und für beide gesetzt ist. Es stammt nicht aus der Vernunft und nicht aus dem Verstand.“¹³³ Damit ist zum einen unterstrichen, dass die mit dem Paradoxgedanken bezeichnete Synthesis in der Tat ein genuin Drittes zu Intuition und Reflexion darstellt. Der ihm zugewiesene theologische Standpunkt bedeutet auch gegenüber dem absoluten Standpunkt noch einmal etwas Neues. Weiterhin wird deutlich, dass die wiederholt begegnende Rede von einer mit dem Paradox zu hebenden „Not der Reflexion“¹³⁴ im Grunde missverständlich ist: Die Pointe der mit der Systematischen Theologie vorgelegten Wahrheitstheorie besteht ja gerade darin, dass neben jener ‚Not der Reflexion‘ eine – um in der Metapher zu bleiben – nicht minder schwere ‚Not der Intuition‘ zu diagnostizieren wäre. Der Unmöglichkeit eines unmittelbaren Intuierens der Wahrheit entspricht die Notwendigkeit, den mit dem Paradoxgedanken bezeichneten theologischen Standpunkt den zuvor entfalteten Standpunkten gleichermaßen bei- wie überzuordnen. Das ‚übervernünftige‘ Paradox hebt bei Lichte besehen eine ‚Not des Denkens‘ überhaupt. Freilich ist dabei die ‚Übervernünftigkeit‘ des Paradox, seine „Unbegreiflichkeit“¹³⁵ für das Denken nicht als etwaige Unbegrifflichkeit zu interpretieren.¹³⁶ Dagegen spricht schon, dass den §§ 5 f. zufolge jedes Denken und also jeder Gedanke seiner Form nach begrifflich verfasst ist. Vielmehr muss sich jene ‚Über-
EW IX, 314 f. Vgl. unten I.2 d). Ebd., 315. Ebd.; kursiv L. H. Ebd., 318; vgl. die entsprechende Wendung einer „Not des Reflexionsstandpunktes“ (ebd., 321). Ebd., 350. Die These seiner Nichtbegrifflichkeit würde zudem die Zuordnung des theologischen Denkens zum allgemein-humanen Denken überhaupt gefährden, auf der mit dem Dreischritt Intuition-Reflexion-Paradox der Aufbau des ersten Teiles insgesamt ruht.
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vernünftigkeit‘ an seiner begrifflichen Struktur selbst festmachen lassen. Die nähere Artikulation des betreffenden ‚Prinzips der Selbstüberwindung‘ des Denkens ist dann aber eben Sache einer insofern im engeren Sinne theologischen Reflexion, als diese ihren Ausgang vom bereits umrissenen, vorderhand materialen Themenkreis nimmt. Die mit § 23 einsetzende begriffliche Konstruktion des Paradoxgedankens ist wiederum am Verhältnis von Absolutem und Relativem orientiert. Die vom Denken geforderte „Einheit des Absoluten mit einem bestimmten Relativen“¹³⁷ lässt sich theologisch demnach einmal abstrakt-allgemein fassen – hierfür reklamiert Tillich den Rechtfertigungsgedanken. Dann kann jene Einheit unter dem Gesichtspunkt ihrer individuellen Konkretheit betrachtet werden – hierfür steht die Christologie. Die Spannungseinheit von Absolutem und Relativem, die sich im Rahmen der allgemeinen Erkenntnistheorie in ein unvermittelbares Gegenüber von Intuition und Reflexion übersetzte, kehrt somit in zwei unterschiedlichen, ihrerseits dialektisch aufeinander bezogenen Fassungen des einen Paradoxgedankens wieder. Die mehrfache Hervorhebung des ‚antinomischen‘¹³⁸ Verhältnisses beider Momente des theologischen Prinzips verdeutlicht, dass auch die Paradoxfigur die in ihr synthetisierten Elemente in Spannung hält: In der dialektischen Einheit des Paradox sind die in ihn eingehenden, einander widersprüchlichen Momente nicht plan aufgehoben, sondern in einer Widerspruchseinheit erfasst. Das in den §§ 16 – 21 entfaltete Widerspruchsmoment des Relativen ist also im Paradoxgedanken keineswegs nivelliert.¹³⁹ Seine dauernde dialektische Eigenständigkeit erzwingt nun eben vielmehr die Duplizität einer allgemeinen und einer individuellen Fassung des Paradox. Gleichzeitig dringt der Gegensatz der beiden Fassungen seinerseits auf eine Aufhebung – hierfür bringt Tillich den Gedankenkreis der Eschatologie in Anschlag. Da sich jene Antinomie jedoch nicht vollständig vermitteln lässt, ist diese Aufhebung „nicht als vollendete, sondern als geschehende zu fassen“.¹⁴⁰ Das eschatologische Moment steht mithin für den Prozesscharakter der mit dem Paradoxgedanken anvisierten Synthese, in der der Gegensatz von Intuition und Reflexion „als aufgehoben gesetzt“ wird.¹⁴¹
Ebd., 317. Vgl. den Hinweis auf die „innere[ ] Antinomie des theologischen Prinzips“ (ebd., 323; vgl. ebd., 324). Aufs Ganze gesehen spielt der Antinomiebegriff in der Systematischen Theologie im Vergleich zu dem des Paradoxes jedoch eine untergeordnete Rolle. Diesen Aspekt unterstreichen ebenfalls Danz, „Theologie“, 80; Barth, „Protestantismus“, 18 f. EW IX, 317. Ebd.
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Bei Lichte besehen liegen im Paradoxgedanken also zwei ihrerseits gestufte Aufhebungsstrukturen vor: Der theologische Standpunkt bietet mit ihm dem allgemeinen Denken eine Synthesisfigur der dort auseinander bleibenden gegenläufigen Elemente. Allerdings artikuliert sich diese Aufhebungsleistung im Rahmen der Theologie wiederum in zwei Gestalten, einer rechtfertigungstheologischen und einer christologischen. Daher drängt der theologische Standpunkt nochmals auf eine virtuelle Aufhebung der ihm eigenen Spannung beider Fassungen in Gestalt der Eschatologie. Bemerkenswert ist, dass Tillich in diesem Zusammenhang eine gewissermaßen innere „Unendlichkeit“¹⁴² des Paradoxgedankens vermerkt. Damit ist eine Figur vorbereitet, die dann in den 1920er Jahren erheblich an systematischem Gewicht gewinnen wird.¹⁴³ § 24 vertieft zunächst das am Rechtfertigungsgedanken orientierte abstrakt-allgemeine Moment des Paradoxgedankens. Dem im Leitsatz formulierten Kerngedanken zufolge besteht die fragliche Rechtfertigung darin, dass „ein bestimmter Einzelstandpunkt zugleich absolut verneint und absolut bejaht wird“.¹⁴⁴ Tillich visiert offenkundig eine prinzipielle Entschränkung des Rechtfertigungsgedankens an, und wendet dafür dessen in sich gegenläufige Struktur ins Grundsätzliche: Entscheidend sind das dem Gedanken eigene Absolutheitsmoment sowie eben das Zugleich von Negation und Position in absolutheitstheoretischer Zuspitzung.¹⁴⁵ Das Absolutheitsmoment plausibilisiert Tillich im Verweis auf den im
Ebd., 318. Vgl. unten II.2.2 c) und II.3.2 b). Ebd. Vgl. auch Tillichs Charakterisierung der von ihm vorgelegten Fassung des Rechtfertigungsgedankens als „universaler, prinzipieller und theoretischer“ bzw. „weiter als die gewöhnliche, die sich mit der Gleichung Rechtfertigung = Vergebung der Sünden begnügt“ (ebd., 320). Die Systematische Theologie von 1913 vollzieht so die für das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts auf breiter Front zu beobachtende Aufwertung der Rechtfertigungslehre mit – stellvertretend sei verwiesen auf Albrecht Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 3. Bde. (Berlin: Verlag Adolph Marcus, 1870 – 1874); Martin Kähler, Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt (Leipzig: Deichert, ³1905; EA 1883) sowie auf den kurzen, aber wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Aufsatz von Karl Holl, Was hat die Rechtfertigungslehre dem modernen Menschen zu sagen? (Tübingen: J. C. B. Mohr, 1907). Zugleich formuliert Tillich mit der These einer notwendigen Entschränkung freilich noch einmal einen über die Genannten hinausgehenden, nicht unerheblichen Überbietungsanspruch. Zur Thematik vgl. auch Christian Danz, „Glaube und Autonomie. Zur Deutung der Rechtfertigungslehre bei Karl Holl und Paul Tillich“, in: ders./Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Wie viel Vernunft braucht der Glaube? (Wien Münster: Lit, 2005), 159 – 174; Folkart Wittekind, „‚Allein durch Glauben‘. Tillichs sinntheoretische Umformulierung des Rechtfertigungsverständnisses 1919“, in: Christian Danz/ Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte
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Namen der Rechtfertigung geführten, augenscheinlich als genuin protestantisch verstandenen „Kampf“ gegen jedwede Relativität im Gottesverhältnis.¹⁴⁶ Bildet man den entsprechenden Hinweis auf die zuvor konstatierte ‚Not des Denkens‘ ab – der betreffende Gedankengang spiegelt übergangslos erkenntnistheoretische, religionstheoretische und theologische Überlegungen ineinander –, so soll der Rechtfertigungsgedanke dieserart die Relativität des denkenden Wahrheitsbezuges, sein Schweben zwischen Wahrheit und Unwahrheit, aufheben. Auf das Grundproblem einer notwendigen Relativität des denkenden Wahrheitsbezuges übertragen, führt der theologische Rechtfertigungsgedanke darauf, gleichwohl die absolute Wahrheit als Voraussetzung wie Ziel des Erkennens in Anschlag zu bringen: Trotz der Gebrochenheit des endlichen Wahrheitsbewusstseins kann dieses aufgrund der Rechtfertigung seines Stehens in der Wahrheit gewiss sein. Die Strukturisomorphie zum Paradoxgedanken besteht dabei im Zugleich von Negation und Position. So entscheidend der Aspekt des paradoxen Zugleich ist, so wenig gibt Tillich hier eine präzise Regel an die Hand, wie es genau zu denken sein soll.¹⁴⁷ Wir nähern uns daher über Einzelbeobachtungen an, vorrangig solchen werkgeschichtlicher Natur. Bereits die philosophische Schellingdissertation konnte den Paradoxieausdruck mit Reflexionen auf das Verhältnis von Position und Negation verbinden, ohne diese Überlegungen allerdings in eine feststehende Formel zu gießen.¹⁴⁸ Dies ändert sich mit der theologischen Lizentiaten-Dissertation. Tillich etabliert dort nicht nur die die Arbeit insgesamt durchziehende Formulierung einer „Einheit von Ja und Nein“. Er kann sie zudem, noch mehr en passant, schon auf den Paradoxausdruck beziehen.¹⁴⁹ Schließlich scheint er indirekt sogar einen Hinweis auf den Hintergrund jener Formel zu geben, wenn er in einem Kontext, in dem der Paradoxgedanke Verwendung findet, auf Wilhelm Lütgerts Gottes Sohn und Gottes Geist zu sprechen kommt.¹⁵⁰ Tillich führt Lütgert im betreffenden Zusammenhang als Vertreter einer am Identitätsprinzip orientierten Fassung des Geistbegriffs ein, die es im Gegensatz zum kantischen Religionsbegriff erlaube, die „Paradoxie des Glaubens“ zu artikulieren.¹⁵¹ Am Beispiel (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 39 – 65, 40 ff.; Arnulf von Scheliha, „Die Rechtfertigungslehre bei Paul Tillich und Emanuel Hirsch. Problemgeschichtliche Perspektiven und systematische Entscheidungen“, in: ebd., 67– 84. Vgl. EW IX, 319: „Paulus’ und Luthers Kampf für die Rechtfertigung war ein Kampf gegen die Relativitäten des Reflexionsstandpunktes, der die Religion verderbte und die Erlösung hinderte.“ Zum Folgenden vgl. auch Barth, „Protestantismus“, 15 f. Vgl. EW IX, 187.253. Vgl. exemplarisch GW I, 95 f., zum Paradoxausdruck vgl. ebd., 96 Anm. 34. Wilhelm Lütgert, Gottes Sohn und Gottes Geist. Vorträge zur Christologie und zur Lehre vom Geiste Gottes (Leipzig: Deichert, 1905). Vgl. GW I, 31 f.
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des Gebetsverständnisses illustriert er Lütgerts Unterscheidung der menschlichen, lediglich ahnenden Gotteserkenntnis und einer vom göttlichen Geist geleiteten Gottesbeziehung mit folgenden Zitaten aus Gottes Sohn und Gottes Geist: „Unsere Gotteserkenntnis erhebt sich […] nicht über die Vermutung, sie ist Ahnung […] Das Ja und Nein halten sich die Waage […] Der Sieg des Ja über das Nein ist das Merkmal des Geistes […] Wer beten kann, hat Geist.“¹⁵² Tatsächlich legen das auffällige Kürzel ‚Ja/Nein‘, die Zustimmung zum primär identitätslogischen Geist- und Religionsbegriff in Abgrenzung vom vorgeblich rein dualistischen Kants sowie die abschließende Zuspitzung auf den Paradoxausdruck nahe, dass im Hintergrund der in der Folge formelhaft fixierten rechtfertigungstheologischen Rede vom ‚Nein und Ja‘ nicht zuletzt Lütgert stehen dürfte – zumal wenn man sich dessen generelle Bedeutung für Tillichs frühe Entwicklung noch einmal in Erinnerung ruft.¹⁵³ Und doch bleiben zwei Einschränkungen zu bedenken. Zum einen stand Lütgert selbst, nimmt man die zitierte Passage aus Gottes Sohn und Gottes Geist zum Maßstab, mehr ein Abfolgeverhältnis von ‚Nein und Ja‘ vor Augen,¹⁵⁴ und nicht deren paradoxes Zugleich, auf das Tillich dann den Ton legen wird. Bei aller terminologischen Anlehnung modifiziert Tillich die Formel also in gedanklicher Hinsicht nicht unerheblich. Und zum anderen schlägt Lütgert im Kontext des von Tillich Zitierten keinen Bogen zur Rechtfertigungsthematik. In den Ausführungen zu ebendiesem Thema in Gottes Sohn und Gottes Geist – Lütgert widmet der ‚Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben‘ hier einen eigenen Aufsatz – fehlt der Paradoxausdruck wiederum völlig.¹⁵⁵ Die Kombination von Rechtfertigungthematik, Paradoxgedanken und dem Kürzel ‚Ja/ Nein‘ war mithin, möglicherweise angeregt durch die Auseinandersetzung mit Wilhelm Lütgert, Tillichs eigene Leistung. In der dann für die Systematische Theologie einschlägigen Form begegnet jene Zusammenstellung erstmals in der Kirchlichen Apologetik, wenn Tillich vom
Ebd., 31 Anm. 20. Die in ebendieser Anmerkung vollzogene Abgrenzung Tillichs gegenüber dem Gebetsverständnis Wilhelm Herrmanns wird für uns noch in einem anderen Kontext von Bedeutung sein. Herrmann konnte das Gebet nämlich als „stete Richtung des Herzens auf Gott“ charakterisieren (ebd.; kursiv i. O.) – an dem mit der betreffenden Figur vorausgesetzten Gegensatzmoment macht sich hier Tillichs Kritik fest. Damit artikuliert sich für das Jahr 1911/12 zugleich eine gewisse Distanz gegenüber einer religionstheoretischen Verwendung des Richtungsbegriffs, jenes Begriffs also, der dann mit den 1920er Jahren in Gestalt der Theorie des intentionalen Bewusstseins geradezu die Mitte der Religionstheorie markieren wird; vgl. unten II.1 b), II.3.1 b) und II.3.2 c). Vgl. oben I.1 a). Vgl. Lütgert, Gottes Sohn, 78 f. Vgl. ebd., 50 ff.
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„Nein und Ja des Rechtfertigungsglaubens“ spricht.¹⁵⁶ Bedenkenswert scheint der Tausch der beiden Glieder der paradoxen Relation: Während noch in der Lizentiaten-Dissertation dem Ja ein Prius zukam, wird jetzt die Negation vorangestellt. Möglicherweise waren für diese perspektivisch in Geltung bleibende – die Systematische Theologie wird beide Glieder eben in dieser Abfolge einander zuordnen – Umstellung neben den rechtfertigungstheologischen auch apologetische Motive ausschlaggebend. Im Anschluss an die Charakterisierung der „Gedankenarbeit des Apologeten“ als „immer negativ und positiv zugleich“ kann Tillich nämlich präzisieren: „Aus der Negation entsteht dann durch die innere Bewegung des Gedankens die Position.“¹⁵⁷ Hinter der damit anvisierten Bewegung ‚vom Nein zum Ja‘ steht die Einsicht, dass der spekulativen Entfaltung des absoluten Wahrheitsgedankens eine dialektische, an der Denkbewegung selbst orientierte Überführung zur Wahrheit entsprechen muss. Überdies ist mit dieser Abfolge die fundamentale Bedeutung der Negation unterstrichen, der die Systematische Theologie auf den unterschiedlichen Systemebenen gleichfalls Rechnung tragen wird. In jedem Fall ist mit der Kirchlichen Apologetik die Formel gefunden, die mit dem frühen System prinzipiellen Status gewinnt. Undeutlich bleibt freilich erneut, inwiefern genau das „absolute[ ] Nein […] aber eben deswegen auch zugleich ein absolutes Ja“ beinhalten soll.¹⁵⁸ Tillich belässt es hier – wie vermerkt – letztlich beim Hinweis auf die Strukturisomorphie zum Paradoxgedanken, ohne eine belastbare Regel für den logischen Umschlag von absoluter Negation und absoluter Position an die Hand zu geben. So bleibt es dabei, dass er das dem traditionellen Rechtfertigungsgedanken eingestiftete Verhältnis von Gericht und Gnade, einmal – mutmaßlich in produktiver Weiterbildung eines Lütgert’schen Gedankens – auf eine griffige Formel bringen konnte, um es dann, zweitens, auf das Verhältnis von absoluter Wahrheit und endlichem Wahrheitsbewusstsein zu übertragen. Der Rechtfertigungsgedanke benennt mit dem logischen Prius der Negation, dem Zugleich von absoluter Negation und Position, und eben der absolutheitstheoretischen Valenz jenes Zugleich allerdings nur die allgemeine Struktur des als theologisches Prinzip fungierenden Paradoxgedankens. Tillich dringt unmittelbar auf dessen Konkretisierung – hier setzen die christologischen Überlegungen der §§ 25 und 26 an. Dabei steht das prinzipielle Verhältnis von Glaubensurteil und Geschichtsurteil zur Diskussion, das bereits Thema der Kasseler Thesenreihe war. Tillich schließt entsprechend ganz überwiegend direkt an das dort Ausgeführte
GW XIII, 42. Ebd., 40. EW IX, 319; kursiv L. H.
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an,¹⁵⁹ bringt aber mit Karl Heim noch einmal eine neue Position ins Gespräch. Gegenüber der schlechten Alternative einer reinen Orientierung am ‚historischen Jesus‘ einerseits und der vollkommenen Trennung von historischer und dogmatischer Frage andererseits erscheint dessen Vorschlag gar als „genialste[r] Versuch“ eines Ausweges aus dem gegebenen Dilemma – der nichtsdestoweniger der prinzipiellen Kritik verfällt.¹⁶⁰ Sie begründet sich damit, dass bei Heim die beiden Elemente der von ihm ebenfalls als Paradox gedachten Lösung einander falsch zugeordnet seien: Die paradoxe Synthese von Absolutem und einem bestimmten Relativen wird von der Gestalt Jesu Christi als dem ‚absoluten Konkretum‘ aus gesucht, die geschichtsphilosophisch-kategoriale Zuordnung von Allgemeinem und Besonderem – in der Diktion der Thesenreihe: von ‚Einheit‘ und ‚Einzelnem‘ – somit gewissermaßen in sich verkehrt. Demgegenüber unterstreicht Tillich ausdrücklich die systematische Vorordnung des absoluten bzw. allgemeinen Momentes. Wie auf der Ebene des Gesamtsystems die Intuition der Reflexion formal übergeordnet ist, so im Paradoxgedanken das Moment der Rechtfertigung dem der Christologie: „Auch das christologische Urteil steht unter dem Rechtfertigungsgedanken.“¹⁶¹ Während Letzterer die allgemeine Struktur des Paradoxgedankens als einer Spannungseinheit von Negation und Position formuliert, steht die Christologie für deren „konkrete Realisierung“,¹⁶² und also für das Moment der Konkretion jenes für sich rein formalen Gedankens. Ist damit die prinzipielle Zuordnung der ersten beiden Momente des Paradox als eine komplementäre und in ihrem Wechselverhältnis wiederum asymmetrische bestimmt, so scheint an den Ausführungen der §§ 25 und 26 im Einzelnen vor allem Dreierlei bemerkenswert. Erstens, in unmittelbarer Anknüpfung an ebenjene Zuordnung der ersten beiden Momente des Paradoxgedankens, und noch einmal ganz in der gedanklichen Fluchtlinie der Thesenreihe, kann es nicht die historische Gestalt des Jesus von Nazareth sein, die Tillichs systematische Argumentation trägt. Dies gilt bei näherem Zusehen nicht nur für den Paradoxgedanken im Ganzen, sondern sogar für dessen konkretes und also christologisches Moment. Die „konkrete Realisierung“ des theologischen Prinzips ist mitnichten auf den ‚historischen Jesus‘, mithin Leben und Lehre Jesu, beschränkt. Vielmehr wird sie ausdrücklich auf die „ganze Breite der Beziehungen“, gleichsam in der Horizontalen der Gesamtkultur eines Zeitalters wie der Vertikalen des „Geschichtsverlauf[s]“ im Ganzen, bezogen.¹⁶³ Es liegt nahe, die dieserart aus
Vgl. Neugebauer, Christologie, 273 – 275, bes. 273 Anm. 544. EW IX, 321; vgl. auch unten I.2 d). Ebd., 322. Ebd., 323.324. Ebd., 322.324.
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gesprochen weit gefasste Anlage als Konsequenz von Tillichs lebenslanger Hochschätzung der Logos-Christologie zu verstehen, die bei ihm einen universalgeschichtlichen bzw. geschichtsmethodologischen Zuschnitt erfahren hat.¹⁶⁴ Als eigentliches „Prinzip der Selbstüberwindung“ – und somit als das bei Vorstellung des Paradoxgedankens in § 22 gesuchte Prinzip, das das Christentum als „Ort des Paradox“ qualifiziert – fungiert folgerichtig nicht das christologische Moment, sondern eben der ihm gegenüber formal nochmals weiter angelegte Rechtfertigungsgedanke.¹⁶⁵ Damit ist zweitens die historische Gestalt des Jesus von Nazareth allerdings keineswegs gänzlich ausgeklammert. Vielmehr bricht an ihr die „Problematik des Konkreten“,¹⁶⁶ die Spannung von historischem Urteil und Glaubensurteil, immer wieder neu auf, wenn diese Gestalt auf jenen allgemeinen Rechtfertigungsgedanken bezogen werden soll. Das ‚Prinzip der Selbstüberwindung‘, das den Generalschlüssel zur Hebung der paradoxalen Strukturen auf den unterschiedlichen Systemebenen an die Hand geben soll – erinnert sei an den Vorverweis in § 3, mit dem bereits für das in der Spannung von Wahrheit und Denken entworfene Prinzipiengefüge notiert war, dass das Denken alleine „in seiner Selbstaufhebung“ als absolut wahr gelten könne¹⁶⁷ –, muss in der Geschichte Jesu einen Ankerpunkt finden. Diesen erblickt Tillich unmissverständlich im „Kreuz“ Jesu als des Christus, hier tritt also die theologia crucis der Logoschristologie als integrales christologisches Motiv zur Seite.¹⁶⁸ Die entsprechenden Überlegungen sind gleich in doppelter Weise bemerkenswert. Einmal ist offenkundig schon 1913 der Kern der christologischen Reflexion gebildet, der ein halbes Jahrhundert später mit der dreibändigen Systematischen Theologie noch das späte Hauptwerk prägen wird. Demnach „bedeutet [das Kreuz; L. H.], daß sich der Christus über sich selbst und seine Individualität, seine Bestimmtheit und seine Kultursphäre hinaushebt, indem er in das Kreuz einwilligt. […] Am Kreuz stirbt alles Konkrete, das sich verabsolutieren will, auch die Konkretheit des Erlösers.“¹⁶⁹ Genau diese Erwägungen zu einer „Selbstaufhebung als Individuum am Kreuz“¹⁷⁰, die Jesus von
Vgl. die Schlussbetrachtung bei Neugebauer, Christologie, 377– 391. Vgl. ebd., 322 mit ebd., 316. Der Rechtfertigungsgedanke stellt somit auch insofern die systematische Vorläuferfigur des späteren ‚protestantischen Prinzips‘ dar, als dieses wiederum als auf das Gesamt der Kultur in Raum und Zeit beziehbar gedacht werden wird; zur Bedeutung des Paradoxgedankens für Tillichs Protestantismustheorie vgl. insgesamt Barth, „Protestantismus“. EW IX, 322. Ebd., 282; vgl. oben I.2 a) und b). Ebd., 322; vgl. auch Barth, „Protestantismus“, 20. EW IX, 322. Ebd., 325.
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Nazareth allererst zum Christus qualifiziert, finden sich – bis in die Terminologie hinein – dann in der späten Systematischen Theologie wieder.¹⁷¹ Entscheidend ist dabei, dass Tillich hier wie dort nicht an eine vollständige Selbstnegation denkt, sondern an eine solche, bei der die konkreten, endlichen Momente zugunsten des Absoluten negiert werden. Der rein negative Akt der „Selbstvernichtung“ geht in den zugleich positiven einer „Selbstaufhebung“ über.¹⁷² Neben den bis ins Spätwerk hinein reichenden Kontinuitätslinien ist drittens ein Aspekt bemerkenswert, der in die Theoriebildung der 1920er Jahre vorverweist. Im Sinne der Thesenreihe kann natürlich weder die historische Gestalt des Jesus von Nazareth noch das ‚Kreuz‘ als Einzelnes bzw. als Konkretum die eigentliche Argumentation tragen. Da das christologische Moment aber andersherum für das Moment der Konkretion einstehen soll, wäre eine rein gedanklich-begriffliche Entfaltung wie im Falle des Rechtfertigungsgedankens gleichermaßen inadäquat. In der Folge ringt Tillich unübersehbar um eine angemessene Explikationsform,¹⁷³ wobei die entsprechende Passage sich einer – liest man sie im Wissen um die spätere Theoriebildung – auffällig semantischen Terminologie bedient: „[D]as Kreuz bedeutet ja die Aufhebung des Reflexionsstandpunktes auch für den Christus. Es bedeutet, daß sich der Christus über sich selbst […] hinaushebt, indem er in das Kreuz einwilligt. Eben dadurch vollzieht er im Konkreten, was das Wesen des theologischen Prinzips ist, die Selbsthinauslegung des Konkreten zum Ab-
Man vergleiche allein das obige Zitat aus der Systematischen Theologie von 1913 mit einer einschlägigen Passage aus dem ersten Band der späten Systematischen Theologie, in der der Offenbarungsbegriff christologisch, und zwar eben näherhin vermittels einer theologia crucis, verankert wird: „Eine Offenbarung ist letztgültig und normgebend, wenn sie die Macht hat, sich selbst zu verneinen, ohne sich selbst zu verlieren. […] Die Frage nach der letztgültigen Offenbarung ist die Frage nach einem Medium der Offenbarung, das seine eigenen endlichen Bedingungen überwindet, indem es sie und sich selbst mit ihnen opfert. Der Träger der letztgültigen Offenbarung muß seine Endlichkeit aufgeben – nicht nur sein Leben, sondern auch seine endliche Macht, seine Erkenntnis und Vollkommenheit. […] Im Bilde Jesus als des Christus sehen wir das Bild eines Menschen, der diese Eigenschaften besitzt […] Durch sein Kreuz opferte Jesus sich selbst als Medium der Offenbarung […] Das sind die Paradoxien, in denen das Kriterium der letztgültigen Offenbarung manifest wird.“ (ST I, 159 – 161). GW I, 97; die terminologische Differenzierung ist noch einmal der theologischen LizentiatenDissertation entnommen. Die entsprechenden Ausführungen der Systematischen Theologie von 1913 haben diese ersichtlich im Rücken – spricht Tillich doch beinahe durchgängig von einer ‚Selbstaufhebung‘ qua Paradox; zur symboltheoretischen Bedeutung des Gedankens vgl. unten v. a. III.3 b) und c). Vgl. auch den unvermittelten Verweis auf die „Predigt vom Kreuz“ (EW IX, 325; kursiv L. H.), über die das christologische Moment im Gegenüber zu dem des Rechtfertigungsgedankens eigentlich eingeführt wird – ein Verweis, der der im Ganzen am ‚Begriff‘ orientierten Systematischen Theologie von 1913 äußerlich bleibt.
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soluten.“¹⁷⁴ Ohne dass damit eine Theorie des Sinns formuliert oder auch nur angedacht wäre – ein solches Abheben auf die Bedeutungsdimension findet sich weder an anderer Stelle im Systementwurf noch ist es hier in seinen systematischen Konsequenzen wirklich durchdacht –, scheint Tillich doch bereits 1913 die betreffende Option zumindest in vorerst unbestimmter Form vor Augen gestanden zu haben.¹⁷⁵ Mit der Dimension der Bedeutung scheint gleichsam eine mittlere Ebene zwischen historischer Faktizität und begrifflicher Konstruktion auf, die bekanntlich späterhin ganz ins Zentrum der Theoriebildung rücken wird. Letzterer Gesichtspunkt leitet zum dritten, ‚eschatologischen‘ Moment des Paradoxgedankens über. Mit dem Paradox und also der vermittels seiner möglichen Selbstaufhebung des Denkens ist kein ‚mystisches‘ Einswerden mit der absoluten Wahrheit anvisiert. Die bleibende Spannung zwischen Wahrheit und Denken, Intuition und Reflexion sowie eben Rechtfertigungs- und christologischem Moment des Paradox reformuliert Tillich gewissheitstheoretisch: Der „Glaubensgewißheit“ eignet nicht die absolute Gewissheit der Intuition, vielmehr ist sie als ein beständiges „Hinübergehen aus der Reflexion in die Intuition“ charakterisiert.¹⁷⁶ Entsprechend ihrem changierenden Charakter ist sie als „lebendige, im Kampf sich behauptende Gewißheit“ zu verstehen.¹⁷⁷ Noch mit dem Paradoxgedanken ist somit das mit § 3 benannte Ziel eines in seiner ‚Selbstaufhebung‘ „absolut“ wahren Denkens¹⁷⁸ nicht plan eingeholt. Genau dieser Aspekt des Paradoxgedankens, die in der Spannung von Denken und Wahrheit, Intuition und Reflexion beschriebene erkenntnistheoretische Antinomie nicht zu heben, sondern sie als theologisches Prinzip zu reformulieren, sie so gewissermaßen auf den Begriff zu bringen – und in der Folge auf nachgeordneter Systemebene zu reetablieren –, ist mit dem dritten, dem ‚eschatologischen‘ Moment des Paradoxgedankens unterstrichen.¹⁷⁹ Angesichts jener unauflöslichen Spannung von Intuition und Reflexion ist die Selbstaufhebung des Denkens qua Paradox demnach
Ebd., 322. Vgl. unten II.1 c). Ebd., 322 f. Ebd., 323. Vgl. ebd., 282. Wie schon im Falle des Rechtfertigungsgedankens und der Christologie trägt Tillich mit dieser Betitelung der seinerzeitigen Debattenlage innerhalb der Theologie Rechnung: Die Aufwertung des traditionellen Lehrstückes der Eschatologie, die dann mit der Erstauflage von Karl Barths Römerbrief noch einmal erheblich an Fahrt gewinnen sollte, war spätestens seit Johannes Weiß’ 1892 erschienenem Buch Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes ersichtlich im Schwange.
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„nicht als vollendete, sondern als geschehende“,¹⁸⁰ und also aktual zu fassen. Gemäß der entsprechenden inneren „Unendlichkeit“ des Paradoxgedankens ist er geeignet, das System in Gestalt der ‚Dogmatik‘ (§§ 29 – 49) und ‚Ethik‘ (§§ 50 – 72) aus sich heraus zu setzen. Auch für dieses gilt freilich, dass es die Grundspannung seiner Anlage reproduziert und mithin keineswegs mit dem im Rahmen der Intuition als Ideal anvisierten ‚absoluten System‘ identifiziert werden darf.¹⁸¹ Demgegenüber muss es, als seinerseits ‚lebendiges‘, wiederum mit dem abschließenden § 72 selbst als Ganzes „unter das Paradox [treten]“.¹⁸² Damit bestätigt sich nochmals die Spannung des Denkens, die schon Tillichs frühesten Systementwurf insgesamt kennzeichnet. In gewisser Weise gewinnt die Systematische Theologie von 1913 so Züge eines offenen Systemgedankens – der dynamische Charakter des obersten Prinzipiengefüges übersetzt sich über die spezifische Fassung des Paradoxgedankens bis in den Aufbau und das Selbstverständnis des ausformulierten Systems.
d) Problemgeschichtliche Hintergründe des Paradoxgedankens Sind somit der systematische Ort, die Funktion und die Struktur des im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 entworfenen Paradoxgedankens rekonstruiert, so können wir abschließend mögliche Rezeptionshintergründe bedenken. Die mehr werk- und problemgeschichtlichen Einsichten werden ihrerseits helfen, die gedankliche Gestalt von Tillichs Paradoxbegriff weiter zu klären. Gemeinhin gelten zwei Vordenker als einschlägig, auf die Tillich sich für die Genese seines Paradoxbegriffs auch ausdrücklich berufen konnte: Martin Kähler und Sören Kierkegaard. Jedoch gilt diesbezüglich, was bereits in anderen Zusammenhängen mehrfach vermerkt war.¹⁸³ Die betreffenden Hinweise Tillichs sind nämlich mit erheblichem zeitlichen Abstand formuliert, im Falle Kählers 1936, im Falle Kierkegaards gar erst 1943.¹⁸⁴ In der Tat lässt sich zumindest der Bezug auf
Ebd., 317; vgl. auch ebd., 327: „Insofern jedoch der theologische Standpunkt dem absoluten gegenübersteht, ist das absolute Moment nicht als realisiert gesetzt, sondern als im Begriff, realisiert zu werden.“ Vgl. ebd., 305 f.; vgl. oben I.2 b). Ebd., 424. Vgl. bezüglich Kähler oben I.1 a) und b). Der Hinweis auf Kähler findet sich einmal mehr in Auf der Grenze; vgl. GW XII, 31 f. Auf Kierkegaard verweist Tillich erstmals im berühmten Brief an Thomas Mann aus dem Jahr 1943, nochmals später dann 1960 im Nachruf auf Hermann Schafft; vgl. GW XIII, 24 bzw. ebd., 29.
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Kähler erneut nicht an zeitnahen Quellen nachvollziehen,¹⁸⁵ da frühe Verweise auf ihn im Kontext der Paradoxthematik gänzlich fehlen. Hinzu kommt, dass der Paradoxbegriff in dessen Hauptwerk, der Wissenschaft der christlichen Lehre, keine Rolle spielt.¹⁸⁶ Insofern muss offen bleiben, ob Tillich hinsichtlich des Paradoxgedankens von Kähler selbst beeinflusst worden ist, oder ob dieser ihm nicht vielmehr den zentralen Stellenwert der Rechtfertigungsthematik vor Augen führte – die Tillich seinerseits schon früh mit jenem Gedanken kombinieren konnte.¹⁸⁷ Erst mit einem zeitlichen Abstand von gut zwei Jahrzehnten hätte Tillich ihm dann rückblickend nicht allein seine ‚Entdeckung‘ des zentralen Stellenwertes der Rechtfertigungsthematik, sondern in eins auch die des Paradoxbegriffs zugerechnet – zwei Motivstränge, die sich ihm zwar in der Folge aufs Engste verbinden sollten, die aber ursprünglich durchaus unterschiedlicher Herkunft waren. Mit Blick auf Kierkegaard liegen die Dinge hingegen ersichtlich anders.¹⁸⁸ Denn hier gibt es Indizien dafür, dass der gegenüber Thomas Mann 1943 beschriebene Lesekreis in der Hallenser Studienzeit tatsächlich existiert¹⁸⁹ und dass Tillich von ihm her Anregungen empfangen hat. So führt er Kierkegaards Krankheit zum Tode nicht nur 1908 im Literaturverzeichnis seiner Examensarbeit an,¹⁹⁰ sondern räumt
Zum zeitlichen und inhaltlichen Dissens zwischen späteren Selbststilisierungen Tillichs und zeitnahen Quellen – nebst entsprechender Überinterpretationen des Kähler’schen Einflusses in der Forschung, zumal durch Gunther Wenz – vgl. oben I.1 a) und b) sowie die Einleitung zu I.2. Vgl. Barth, „Protestantismus“, 15. Vgl. oben I.2 c). Zum Verhältnis Tillich-Kierkegaard vgl. vor allem Hermann Fischer, „Die Christologie als Mitte des Systems“, in: ders. (Hg.), Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne (Frankfurt/ Main: Athenäum, 1989), 207– 229, bes. 214– 217; Joachim Ringleben, „Paul Tillich als Denker des Seins – zwischen Hegel und Kierkegaard. Eine philosophische Perspektive“, in: Danz/Schüßler/ Sturm (Hg.), Vernunft, 101– 118, bes. 110 ff. In Publikationen des Hallenser Wingolfs ist für die Jahre 1907 bzw. 1911 die Existenz eines „philosophische[n] Kränzchen[s]“ respektive eines expliziten „Kierkegaardkränzchen[s]“ vermerkt; vgl. Georg Neugebauer, „Δι᾽ ἑνὸϛ πάντα – Tillich im Wingolf“, IYTR 11 (2016), 149 – 174, 157 Anm. 35. Vgl. EW IX, 93. Die dortige, von den Herausgebern des Bandes vorgenommene Identifikation mit einer angeblich 1850 von Hermann Gottsched vorgenommenen Übersetzung ist allerdings falsch: Gottsched sollte die Krankheit erst 1911 im Rahmen einer ersten, von Christoph Schrempf besorgten deutschen Kierkegaard-Gesamtausgabe übersetzen. Zuvor hatte er, beginnend 1869, die Schriften Kierkegaards im dänischen Original herausgegeben. Die Angabe der Herausgeber des Ergänzungsbandes bezieht sich so mutmaßlich auf die 1850 erstmals in Dänemark erschienenen Af Søren Kierkegaards efterladte papirer, deren Neuauflage Gottsched wiederum 1880/81 besorgen sollte. Die einzige zum Zeitpunkt der Anfertigung von Tillichs Examensarbeit vorliegende Über-
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dem dort vom Dänen entworfenen Sündenverständnis im Rahmen seiner theologischen Dissertation von 1911/12 auch maßgebliches systematisches Gewicht ein, wenn er es als Leitfaden der einleitenden Explikation des Begriffs des ‚Schuldbewusstseins‘ verwendet.¹⁹¹ Die Systematische Theologie von 1913 zieht dann Kierkegaards Begriff der „ästhetischen Lebensanschauung“ illustrierend heran.¹⁹² Anders als im Falle Kählers – bei dem, wie wir gesehen haben, bei den frühen Bezugnahmen ohnehin das Moment der Abgrenzung überwog¹⁹³ – sind die frühen Bezüge auf Kierkegaard also weithin positiv. Gleichwohl ist auffällig, dass es wiederum nicht der Paradoxbegriff selbst ist, der Tillich zum Anlass der Referenzen an Kierkegaard dient. Die einzige Ausnahme findet sich im System von 1913. Allerdings lässt sich ihre Bedeutung nicht eindeutig bestimmen. Im Einzelnen: Ursprünglich hatte Tillich im Rahmen der etymologischen Herleitung des Paradoxbegriffs in § 22 explizit darauf verwiesen, dass dessen Verständnis als eines ‚Übernatürlichen‘ bzw. ‚Übervernünftigen‘ „namentlich seit Kierkegaard“ bestehe.¹⁹⁴ Der explizite und sachlich stimmige Hinweis ist jedoch gestrichen und durch ein unbestimmtes „dann auch“ ersetzt.¹⁹⁵ Diese Streichung lässt mehrere
setzung der Krankheit stammt von Albert Bärthold aus dem Jahr 1881: Sören Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode. Eine christliche psychologische Entwicklung zur Erbauung und Erweckung, übers.v. Albert Bärthold (Halle: Fricke, 1881); vgl. auch die entsprechende Übersicht von Schrempf im Vorwort zu Harald Höffding, Sören Kierkegaard als Philosoph (Stuttgart: Frommann, 1896),VIIIIX; sowie jetzt die detaillierte Aufstellung der frühen deutschsprachigen Übersetzungs- und Rezeptionsgeschichte bei Gerhard Thonhauser, Ein rätselhaftes Zeichen. Zum Verhältnis von Martin Heidegger und Søren Kierkegaard (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2016), 490 – 501, bes. 491– 494. Die Übersetzung von Bärthold aus dem Jahr 1881 kann also allein diejenige sein, auf die Tillich 1908 im Literaturverzeichnis der Monismusschrift Bezug nahm. Vgl. GW I, 20 – 23. Zur Krankheit zum Tode vgl. Emanuel Hirsch, Kierkegaard-Studien, Bd. 2/ H. 3: Der Denker (Gütersloh: C. Bertelsmann, 1933), 307– 321; ders., Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens, Bd. V (Gütersloh: C. Bertelsmann, 1954), 468 – 477; Joachim Ringleben, Die Krankheit zum Tode von Sören Kierkegaard. Erklärung und Kommentar (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1995). Vgl. EW IX, 290. Hinzu kommen weitere, allerdings unspezifische Bezugnahmen auf Kierkegaard, einmal im Rahmen der Kirchlichen Apologetik, dann in einem wohl auf den Herbst 1910 weisenden Tagebucheintrag; vgl. GW XIII, 48 bzw. EW V, 72. Vgl. oben I.1 a) und b) sowie die Einleitung zu I.2. Erdmann Sturm, „Das absolute Paradox als Prinzip der Theologie und Kultur in Paul Tillichs ‚Rechtfertigung und Zweifel‘ von 1919“, in: Hummel (Hg.), Paradox, 32– 45, 33 Anm. 3. Die betreffende Passage mit entsprechender Streichung liegt mir in einem Abzug aus dem Paul-Tillich Archive der Andover-Harvard Theological Library vor. Vgl. EW IX, 315: „Das Paradox, ursprünglich das, was dem Meinen widerspricht, aber dem Erkennen offenbar ist, wird dann auch [statt gestrichen: ‚namentlich seit Kierkegaard‘; L. H.] für das verwandt, was dem gewöhnlichen Erkennen, der Meinung des natürlichen Denkens wider-
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Deutungen zu. Denkbar wäre, dass Tillich die Spuren der Genese des eigenen Paradoxbegriffs unkenntlich machen wollte. Freilich bliebe der Sinn eines solchen Unkenntlichmachens unklar, da die Systematische Theologie von 1913 vornehmlich der Selbstverständigung gedient haben dürfte, ohne je für eine Veröffentlichung bestimmt gewesen zu sein. Denkbar wäre daher ebenso, dass Tillich im Verlauf der Arbeit an dem Systementwurf inhaltlicher Differenzen zum Paradoxgedanken Kierkegaards gewahr wurde, die ihm eine direkte Rückführung auf diesen als zu stark erschienen ließen. Von dieser zweiten Möglichkeit unberührt bleibt der Umstand, dass das Paradox fraglos ein Zentrum des Kierkegaard’schen Denkens bezeichnete¹⁹⁶ – schon insofern dürfte Tillich sich im Kontext der Paradoxthematik intensiv mit ihm auseinandergesetzt haben. Dabei ist sachlich primär an die ‚Paradoxchristologie‘ zu denken, die Kierkegaard erstmals 1844 in den Philosophischen Brocken entfaltet hatte.¹⁹⁷ Doch auch in der Krankheit, der einzigen Schrift, für die sich eben anhand der Monismusschrift und der Lizentiaten-Dissertation eine frühe Rezeption Tillichs sicher rekonstruieren lässt, ist der Paradoxgedanke von tragender Bedeutung. Um Übereinstimmungen und Differenzen in der Fassung des Paradoxgedankens herauszuarbeiten, und damit also der Frage nachzugehen, inwieweit Tillichs Paradoxbegriff positiv durch den Dänen geprägt ist, konzentrieren
spricht und etwas Übernatürliches, etwas, das ‚höher ist, denn alle Vernunft‘ enthält.“ In diesem Zusammenhang ist die von uns einleitend notierte Problematik, dass die Ausgabe von EW IX im Grunde keine kritische ist, in der etwa Tillichs Streichungen im Apparat angegeben würden, besonders deutlich zu greifen – ist doch der ursprüngliche Verweis auf Kierkegaard im Druckbild in keiner Weise mehr ersichtlich. Bezüglich der theologischen Debattenzusammenhänge kann das Diktum Emanuel Hirschs gelten: „Der Begriff des Paradoxes ist durch Kierkegaard in den religiösen und theologischen Sprachgebrauch eingeführt worden.“ (Hirsch, Geschichte V, 456). Der enge Konnex der beiden ‚Themenkreise‘ Kierkegaard und Paradox gilt tatsächlich auch in umgekehrter Blickrichtung – ablesbar etwa am Untertitel der großen Begriffsstudie von Schilder: Zur Begriffsgeschichte des ‚Paradoxon‘. Mit besonderer Berücksichtigung Calvins und des nach-kierkegaardschen ‚Paradoxon‘. Der Name Kierkegaards war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenso eng mit dem Begriff des Paradoxes verknüpft, wie andersherum dieser mit jenem. Zu Genese und Gestalt der Kierkegaard’schen Paradoxchristologie vgl. Hajo Gerdes, Das Christusbild Sören Kierkegaards. Verglichen mit der Christologie Hegels und Schleiermachers (Düsseldorf Köln: Diederichs, 1960); ders., Das Christusverständnis des jungen Kierkegaard. Ein Beitrag zur Erläuterung des Paradox-Gedankens (Itzehoe: Verlag Die Spur, 1962); Hermann Fischer, Die Christologie des Paradoxes. Zur Herkunft und Bedeutung des Christusverständnisses Sören Kierkegaards (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1970).
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wir uns nachfolgend ganz auf mögliche Querbezüge zu dieser Schrift Kierkegaards.¹⁹⁸ Die 1849 pseudonym erschienene Krankheit zum Tode entfaltet in zwei Schritten das Phänomen der Verzweiflung.¹⁹⁹ In einem ersten Abschnitt – ‚Die Krankheit zum Tode ist die Verzweiflung‘ – entwickelt Kierkegaard ein Tableau der psychologischen Formen der Verzweiflung, in denen der menschliche Geist sich notwendig bewegt.²⁰⁰ Im zweiten Abschnitt – ‚Die Verzweiflung als Sünde‘ – vertieft er das Phänomen der Verzweiflung, indem er aufzeigt, inwiefern die bisher dargestellten Formen des defizitären Selbstverhältnisses ihrerseits in einem verfehlten Gottesverhältnis gründen.²⁰¹ Da die psychologische Auffächerung der Verzweiflung auf ihre Vertiefung im Lichte des Christentums zielt, lässt sich die Krankheit insgesamt als eine „Exposition des christlichen Begriffs der Sünde“
Freilich lässt sich eine über die Krankheit hinausgehende Lektüre, sei es im Hallenser Lesekreis, sei es privatim, mit letzter Sicherheit weder be- noch widerlegen. Doch ist in dieser Frage mindestens Folgendes zu bedenken: Einmal lagen im fraglichen Zeitraum, also zunächst dem der Hallenser Studienjahre zwischen Winter 1905 und Sommer 1907, bei Weitem nicht alle Schriften Kierkegaards in deutscher Übersetzung vor; vgl. wiederum die Übersicht bei Höffding, Kierkegaard,VIII-IX.Von den zur Verfügung stehenden übersetzten Texten dürfte sich die Krankheit dem Lesekreis ob ihrer methodischen wie inhaltlichen Nähe zum nachkantischen Idealismus tatsächlich in besonderer Weise angeboten haben. Vor allem aber lassen sich die genannten Themenkreise, in deren Zusammenhang Tillich bis 1913/14 ausdrücklich auf Kierkegaard zu sprechen kommt – der des Sündenverständnisses bzw. des Schuldbewusstseins, der einer ‚ästhetischen Lebensanschauung‘ und schließlich mit der angezeigten Einschränkung der des Paradoxgedankens –, insofern auf eine alleinige Rezeption der Krankheit zurückführen, als sie hier allesamt prominent präsent sind. Die Krankheit ist im Folgenden nach der einzigen Tillich bereits zu Hallenser Studienzeiten zugänglichen (s.o.) Ausgabe von Bärthold zitiert. Bei Ausarbeitung der Systematischen Theologie lag zwar – seit 1911 – eine erneuerte Übersetzung von Hermann Gottsched vor, die dieser im Rahmen der zusammen mit Christoph Schrempf herausgegebenen Gesammelten Werke besorgt hatte. Jedoch lässt der frühe Systementwurf aufs Ganze gesehen keine vertiefte, über die mutmaßliche Lektüre des Studiums hinausgehende Auseinandersetzung mit Kierkegaard erkennen. Zudem hielt Gottsched sich ohnehin eng an Bärtholds Vorgabe. Wegen der leichteren Zugänglichkeit ist darüber hinaus nachfolgend in Klammern jeweils die Stellenangabe nach der dann in den 1950er Jahren von Hirsch besorgten Ausgabe ergänzt; vgl. Sören Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode. Der Hohepriester – der Zöllner – die Sünderin, Abt. 24 u. 25, Gesammelte Werke, übers. v. Emanuel Hirsch u. a. (Düsseldorf: Diederichs, 1954). Kierkegaard, Krankheit, 9 – 78. Das Tableau reicht von der „ästhetischen Unmittelbarkeit“, die um ihr eigenes Verzweifeltsein nicht einmal weiß, bis hin zur höchsten Form der um sich selbst wissenden und sich gleichwohl wollenden Verzweiflung, dem „Trotz“. Ebd., 81– 151.
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interpretieren.²⁰² Allerdings will Kierkegaard, obwohl er den Begriff der Verzweiflung sukzessive dialektisch anreichert und ihn auf diesem Wege mit dem christlichen Sündenverständnis koordiniert, gerade keine umfassende Sündenlehre im Sinne des klassischen dogmatischen Lehrstücks geben. Dementsprechend lehnt er eine begriffliche Erfassung der Sünde ausdrücklich ab.²⁰³ Der Paradoxbegriff hat nun seinen Ort fast ausschließlich im zweiten Teil, also im Rahmen der vertiefenden Betrachtung der Verzweiflung als Sünde. Dabei findet sich auch in der Krankheit zum einen die Kierkegaard’sche Grundverwendung des Paradoxbegriffs: Das „Paradox in Christus“²⁰⁴ besteht demnach in der Menschwerdung Gottes – in dem Sinne, dass sich diese Menschwerdung in einen einzelnen, geringen Menschen hinein vollzieht, dass aber zugleich die unendliche Wesensverschiedenheit zwischen Gott und Mensch bestehen bleibt. ‚Christus‘ und ‚Paradox‘ können so geradezu als Wechselbegriffe erscheinen.²⁰⁵ Das Paradox rückt darüber in die Nähe des „Absurden“ und gibt die Möglichkeit des „Ärgernis [ses]“ – so sein Gehalt, die Menschwerdung Gottes, nicht geglaubt wird. Kierkegaard kann in dieser Trias von Paradox, Absurdem und Ärgernis sogar die „entscheidenden Kennzeichen des Christlichen“ erblicken.²⁰⁶ Mit dem (christologischen) Paradox ist somit das Zentrum des Christentums bezeichnet. Bis hierhin bewegt sich die Verwendung des Paradoxbegriffs in der Krankheit ganz im Rahmen der bekannten, zuvor schon in den Philosophischen Brocken breit entfalteten Paradoxchristologie, wobei das Paradox der ‚Menschwerdung Gottes‘ im Vergleich zu seiner massiven Präsenz in den Brocken mehr in den Hintergrund tritt.Während dort etwa die geschichtsphilosophische Dimension der Paradoxie des Gott-Menschen fein auseinandergelegt wird,²⁰⁷ ist sie hier als Vorausgesetzte lediglich angedeutet. Analog gilt für den Paradoxbegriff selbst, dass er – im Vergleich zu den Brocken – in der Krankheit aufs Ganze gesehen eher unauffällig bleibt. Obwohl mit ihm erneut das Zentrum des Christlichen markiert
Ringleben, Krankheit, 209. Vgl. Kierkegaard, Krankheit, 106 ff. Kierkegaard ist mithin genauer an einer phänomenalpsychologischen Aufhellung des christlichen Sündenverständnisses gelegen und nicht an dessen lehrhafter Fixierung. Ebd., 151 (133). Vgl. ebd., 146 f.148.150 (129 f.131.133). Daneben findet sich die übertragene Verwendung, nach der nicht nur die Inkarnation selbst, sondern auch deren lehrmäßige Fassung ein Paradox darstellt; vgl. ebd., 143 f. (127 f.). Zum Verhältnis der beiden Verwendungsweisen des Paradoxbegriffs – also einmal seiner existenziell religiösen, einmal seiner dogmatisch-theologischen Verwendung – vgl. Hirsch, Geschichte V, 456 – 460. Kierkegaard, Krankheit, 89 (82). Vgl. Fischer, Christologie, 48 ff.
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ist, bleibt sein Gebrauch punktuell.²⁰⁸ Neben der skizzierten engen christologischen Verwendung ist es dabei zum anderen und vor allem ein weiterer Themenkreis, in dessen Kontext er begegnet: Am „Paradox in Christus“ hängen Kierkegaard zufolge weitere Paradoxien des Christlichen, und zwar genauer die von Sünde und Vergebung bzw. die der lehrmäßigen Erfassung beider.²⁰⁹ Sieht man von der nur sporadischen Verwendung des Paradoxbegriffs ab, liegen die Parallelen zu Tillichs Gebrauch in der Systematischen Theologie von 1913 auf der Hand. Auch in der Systematischen Theologie hat der Paradoxgedanke wie gesehen seinen originären Ort im Kontext der Sündenvergebungsthematik und der Christologie, im Falle der Letzteren sogar eben wie bei Kierkegaard präziser am Orte des Inkarnationsgedankens. Soweit bestätigt sich die These eines direkten Einflusses der Kierkegaard’schen Krankheit auf die Ausformung des Paradoxbegriffs bei Tillich. Jedoch zeigen sich bei näherem Zusehen gleichfalls Differenzen, die wiederum die Streichung des ausdrücklichen Verweises in § 22 der Systematischen Theologie aus inhaltlichen Gründen durchaus plausibel machen. Exemplarisch lassen sich die Unterschiede am unterschiedlichen Sündenverständnis verdeutlichen. Wie vermerkt lehnt die Krankheit eine Sündenlehre im eigentlichen Sinne ab. Kierkegaard begründet die Ablehnung einer begrifflichen Erfassung der Sünde nun gerade mit dem Verweis auf den paradoxen, nach seinem Verständnis also gleichsam „absurden“ Charakter der christlichen Stellung zur Sünde: „Ich halte beständig bloß fest an dem Christlichen; daß die Sünde eine Position ist – doch nicht als könnte es begriffen werden, sondern als ein Paradox, das geglaubt werden muß.“²¹⁰ Glaube und Begreifen sind demnach als strikte Gegenbegriffe verstanden, wobei der Paradoxbegriff der Sicherung der ‚Unbegreiflichkeit‘ der Sünde dient. In der Systematischen Theologie von 1913 liegen die Dinge dagegen komplizierter. Einerseits gilt auch Tillich die Sünde ihrem Wesen nach als „das sich der Ableitung Entziehende“.²¹¹ Scheint damit eine prinzipielle Grenze des Begreifens angezeigt,
Der Begriff begegnet in der Krankheit – im Gegensatz zu seiner geradezu inflationären Verwendung in den Brocken – überhaupt nur gute zehn Mal. Vgl. Kierkegaard, Krankheit, 151.102.109.111 (133.93.98.100). Kierkegaard kann folgerichtig auch von Paradoxen im Plural sprechen; vgl. ebd., 111 (100). Ebd., 108 f. (98); zu Kierkegaards strikter Ablehnung eines ‚Begreifens‘ der Sünde vgl. auch ebd., 109 (98): „Ich kann gut begreifen […] daß Einer, der nun einmal begreifen muß, und nur von dem etwas hält, was begreifbar ist, dies sehr ärmlich findet. Aber wenn das ganze Christentum daran hängt, daß es soll geglaubt werden und nicht begriffen werden; daß man entweder es glauben oder daran sich ärgern soll: ist dann so verdienstlich es begreifen zu wollen?“ EW IX, 338.
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so kann er sich dann andererseits im Rahmen der materialdogmatischen christologischen Ausführungen doch an ihrer begrifflichen Erfassung versuchen – und exakt zu diesem Zweck den Paradoxgedanken heranziehen: „Am Kreuz ist die Sünde theologisch, d. h. durch das Paradox begriffen, Gott erkannt und der Standpunkt der Sündhaftigkeit prinzipiell aufgehoben.“²¹² Im Hintergrund steht die gegenüber Kierkegaard merklich veränderte Zuordnung von Glaube und Begreifen: Während es sich für jenen um diametrale Gegenbegriffe handelte, visiert Tillich mit der Systematischen Theologie eine Überführung der Glaubensgehalte in die Form des Begriffs an.²¹³ Die hier stellvertretend am Konnex von Christologie und Hamartiologie illustrierte Leistung des Paradoxgedankens besteht eben darin, ein ‚theologisches‘ Begreifen zu ermöglichen. Tatsächlich erweisen sich der als ‚theologisches Prinzip‘ etablierte Paradoxgedanke und die Form des Systems bei Tillich als zwei Seiten derselben Medaille: Begreiflich wird die Sünde ihm zufolge erst, sofern sie über das Prinzip ins Gesamt des Systems eingeordnet wird, „unbegreiflich“ bleibt sie hingegen, sofern sie „abstrakt, ohne Beziehung auf das ganze dogmatische System begriffen werden soll“.²¹⁴ Genau diese für Tillich fundamentale Orientierung am Systemgedanken lehnt Kierkegaard jedoch ab, und zwar eben mit dem Verweis auf das Paradox. Es dient ihm vielmehr der Abwehr von „System“ und „Spekulation“. Letzterer gegenüber müsse „die Kluft der Wesensverschiedenheit zwischen Gott und Mensch befestigt bleibe[n], welche sich im Paradox und im Glauben ausdrückt, damit Gott und der Mensch nicht noch fürchterlicher als jemals im Heidentum auf Eins hinauslaufen – im System.“²¹⁵ Fungiert der Paradoxgedanke für Tillich als systemsteuerndes Prinzip, so steht er mithin in der ‚Krankheit‘ gerade für das jedes System sprengende Moment des Christlichen. Zumal sich die Belege für die antispekulative Stoßrichtung des Paradox im Rahmen der Krankheit leicht vermehren lassen: Das Paradox, das Absurde und die Möglichkeit des Ärgernisses als die „entscheidenden Kennzeichen des Christlichen“ stellen demnach die „Schutzabwehr des Christentums gegen alle Speculation“ dar.²¹⁶ Sie bilden „das sicherste Bollwerk gegen alle heidnische Weisheit“, und also gegenüber einer „spekulative[n] Dogmatik, die sich in bedenklicher Weise mit der Philosophie einläßt“ und darüber „die Paradoxe wegschwatzt“.²¹⁷ Bedenkt man die theoretisch-konstruktive, systembegründende Anlage von Tillichs Fassung des Paradoxgedankens,
Ebd., 356. Vgl. oben I.2 c). Vgl. ebd., 339. Kierkegaard, Krankheit, 110 (99). Ebd., 89 (82). Ebd., 106 (96) bzw. 111 (100).
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dann ist die Differenz zu der Kierkegaards offensichtlich – eine Differenz, die sich mit Blick auf die in Teilen „hochspekulativen“²¹⁸ materialdogmatischen Ausführungen der §§ 29 – 49 der Systematischen Theologie nochmals vergrößert.²¹⁹ Zugespitzt lässt sich somit für Tillichs Paradoxgedanken eine intellektualistische, wenn nicht gar spekulative Schlagseite festhalten, wohingegen das Paradox bei Kierkegaard geradezu als antispekulativer Kampfbegriff angelegt war. Mit diesem Befund ist die zuvor notierte sachliche Nähe, zumal hinsichtlich des jeweilig engen systematischen Zusammenhangs von Paradoxgedanke und Christologie, keineswegs hinfällig. Gleichwohl spricht die im Einzelnen doch deutlich divergierende gedankliche Ausgestaltung gegen eine allzu einlinige Rückführung auf Kierkegaard und für ein differenzierteres Urteil. So wird Tillich am Beispiel des Dänen die mögliche systematische Tragweite des Paradoxbegriffs aufgegangen sein, die eben darin gründet, dass der Begriff der dem Christentum im Kern eingeschriebenen Grundspannung Ausdruck zu verleihen vermag: Die mit der Christologie, und hier näherhin mit dem Inkarnationsgedanken, formulierte Widerspruchseinheit von Gott und Mensch bzw. – in Tillichs Kategorien – Absolutem und Relativem ist mit dem Paradoxgedanken präzise gefasst. Im Ausgang von dieser ‚christologischen Keimzelle‘ ließ der Gedanke sich, die begriffliche Erfassung seiner Strukturelemente vorausgesetzt, als theologisches Prinzip verstehen und dieserart für das Ganze des dogmatischen Systems fruchtbar machen. Beides, sein originärer Ort im Rahmen der Christologie wie seine Leistungskraft als potenziell systemtragender Zentralgedanke, dürfte Tillich nicht zuletzt in Folge seiner Beschäftigung mit der Krankheit aufgegangen sein. In der Ausgestaltung sollte er dann jedoch – wie gesehen – deutlich eigene Wege gehen. Auf das mögliche systematische Gewicht des Paradoxgedankens konnte Tillich zudem bereits um 1910 in anderen, wiederum von Kierkegaard angeregten Debattenzusammenhängen in Philosophie und Theologie aufmerksam werden. Die Rezeption des Dänen und insbesondere seiner Paradoxchristologie hob nicht erst mit der Zwischenkriegstheologie der Weimarer Republik an, als deren wirkmächtigster Ausdruck die 1922 erschienene Zweitauflage von Karl Barths Römerbrief gelten kann.²²⁰ Vielmehr lässt sich schon für das ganz frühe 20. Jahrhundert eine erste theologische Beschäftigung mit Werk und Person Kierkegaards feststellen – wozu eben gleichfalls Tillichs Systematische Theologie von 1913 zu zählen ist. Mit Cremer, Medicus und vor allem Heim seien drei mögliche Bezugspunkte Neugebauer, Christologie, 279 u. ö. Zu Tillichs materialdogmatischen Ausführungen im Einzelnen vgl. ebd., 275 – 283; Dienstbeck, Strukturtheorie, 124– 234. Karl Barth, Der Römerbrief (München: Kaiser, 21922).
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genannt, um in der Frage des problemgeschichtlichen Hintergrundes ein differenzierteres Bild zu gewinnen. Denn bei aller positionellen Distanz zu August Hermann Cremer (1834– 1903) scheint Tillich des konservativ-biblizistischen ‚Hauptes der Greifswalder Schule‘ – seines Zeichens immerhin Freund Kählers und Lehrer Lütgerts – gewahr gewesen zu sein, führt er doch zumindest dessen Wesen des Christentums im Literaturverzeichnis der Systematischen Theologie an.²²¹ Cremers Theologie kann nun ihrerseits als „Paradoxtheologie“²²² gekennzeichnet werden – auch bei ihm prägt der Gedanke das Ganze des Denkens wie der Dogmatik. Insofern mag Tillich von hier Anregungen erfahren haben, wenigstens für eine mögliche systematische Zentralstellung des Paradoxgedankens. Eine deutlich größere sachliche Nähe bestand zum Hallenser Lehrer Fritz Medicus.²²³ Zwar spielt der Paradoxbegriff etwa in den Fichte-Vorlesungen, die Tillich anderwärts gerade hinsichtlich seiner Terminologie prägen sollten, im Grunde keine Rolle.²²⁴ Doch zeigt eine Anmerkung Medicus’ zur Monismusschrift, dass er die religiöse Valenz des Gedankens durchaus im Blick hatte. Zu Tillichs einleitenden Überlegungen zum Verhältnis von Glauben und Wissen im Rahmen seiner Examensarbeit vermerkt er: „[A]lles Reden vom Übersinnlichen bedarf der Aufstellung widersprechender Thesen (was bes. Hegel gut gesehen hat). Religion ist für den Intellekt nie ohne Paradoxie.“²²⁵ Die Bemerkung zeigt, dass Tillich auch im Zuge seines Studiums des nachkantischen Idealismus bei Medicus auf den zentralen Stellenwert des Paradoxgedankens, zumal im Kontext prinzipieller religionsphilosophischer Erwägungen, aufmerksam werden konnte. Obwohl der Ausdruck selbst für Medicus aufs Ganze gesehen von eher nachgeordneter Bedeutung gewesen sein mag, beschreibt er in ebenjener Anmerkung die Grundspannung des Religiösen der Sache nach in Richtung auf deren spätere Fassung in der Systematischen Theologie von 1913 – und dies im ausdrücklichen Rekurs auf den Terminus der ‚Paradoxie‘. Die Beispiele Cremers wie Medicus’ verdeutlichen mithin, dass sich Tillichs Lektüre der Krankheit bezüglich der potenziellen Be-
Vgl. EW IX, 433. Vgl. Wilhelm Koepp, „Die antithetische Paradoxtheologie des späten A. H. Cremer“, ZSTh 24 (1955), 291– 341, bes. 313 – 315 zum Verhältnis Kierkegaard-Cremer; zu Person und Werk Cremers vgl. Friedrich Wilhelm Graf, „Cremer, August Hermann“, RGG4 2 (1999), 492– 494. Vgl. oben I.1 a). Fritz Medicus, J. G. Fichte. Dreizehn Vorlesungen, gehalten an der Universität Halle (Berlin: Reuther & Reichard, 1905). Die wenigen Nennungen des Paradoxausdrucks sind unspezifisch, vgl. etwa ebd., 191; zur Bedeutung der Fichte-Vorlesungen bis in Tillichs eigene Terminologie hinein vgl. unten II.2.1 b) und II.2.2 d). EW IX, 102 Anm. 7; kursiv i. O.
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deutung des Paradoxgedankens leicht mit anderen Entdeckungskontexten verbinden konnte. Dies gilt noch einmal in besonderer Weise für einen dritten möglichen Bezugspunkt in Person und Frühwerk Karl Heims (1874– 1958). Die These einer möglichen Querverbindung zu Heim mag insofern erstaunen, als jener in Tillichs Werk vorderhand keine Rolle spielt. Tatsächlich geben die ab den 1920er Jahren veröffentlichten Texte keinen Fingerzeig auf eine Rezeption Heims. Anders stellt sich dies im mit den Ergänzungsbänden erst seit einigen Jahren zugänglichen Frühwerk dar – wobei von vornherein wahrscheinlich ist, dass Tillichs Beschäftigung mit Heim darüber hinaus einen persönlichen Kontakt miteinschloss: In den Hallenser Studienjahren war Letzterer Inspektor des Schlesischen Konvikts, bevor er 1907 Privatdozent für Systematische Theologie wurde. Da Tillich Fakultät und Institut schon im Rahmen seiner theologischen Dissertation auch über das Examen hinaus verbunden blieb, bestand weiterhin die Möglichkeit eines gelegentlichen Austauschs. Dass er an einem solchen Austausch interessiert gewesen sein dürfte, bzw. dass ein solcher mutmaßlich in der Tat stattfand, zeigt eine frühe briefliche Äußerung gegenüber dem Studienfreund Alfred Fritz aus dem Jahr 1907. Tillich konnte hier eine prinzipielle Affinität zum „Heimsche[n] […] Denken[ ] aus Not“ bekunden, das er gar über den Lütgert’schen Denkstil gestellt wissen wollte²²⁶ – eingedenk der großen Bedeutung Lütgerts ein erstaunliches Indiz intellektueller Verbundenheit. Fast folgerichtig findet sich Heims frühe, mehr populärwissenschaftliche Schrift Das Weltbild der Zukunft dann im Literaturverzeichnis der Monismusschrift. ²²⁷ Vor allem aber wird Tillich sich der Sache nach in zwei frühen Texten mit Heim auseinandersetzen, und dies bei allen kritischen Anfragen aufs Ganze gesehen durchaus würdigend. Erstens in Rechtfertigung und Zweifel, dem Text also, mit dem er sich 1919 im Zuge seiner Umhabilitation nach Berlin der dortigen Theologischen Fakultät vorstellen sollte. Hier ist die ausführliche Darstellung und Kritik von Heims Gewissheitskonzeption zu nennen, die Tillich noch gegenüber der Fichtes, Schleiermachers oder Hegels als den „letzte[n] und genialste[n] Versuch“ einer Auseinandersetzung mit der die Neuzeit prägenden Zweifelsthematik würdigen kann.²²⁸ Aufmerken lässt zumal die abschließende Kurzcharak-
EW V, 43; vgl. oben I.1 a). Vgl. EW IX, 93; Karl Heim, Das Weltbild der Zukunft. Eine Auseinandersetzung zwischen Philosophie, Naturwissenschaft und Theologie (Berlin: C. A. Schwetschke, 1904). EW X, 217; vgl. ebd., 166. Der Text Rechtfertigung und Zweifel liegt in zwei Versionen vor, die Seitenzahlen beziehen sich im Folgenden jeweils auf die parallelen Passagen der beiden Versionen.
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terisierung jenes Programms. Tillich kann es auf den Begriff eines „System[s] einer Theologie des konkreten Paradox“ bringen – um von dort aus den Bogen zu dem von ihm anvisierten „System einer Theologie des absoluten Paradox“ zu schlagen.²²⁹ Der Paradoxgedanke erscheint so nicht nur nachgerade als Definiens der Heim’schen Position, er bezeichnet überdies – ungeachtet aller Differenzen in der weiteren gedanklichen Durchführung – den Berührungspunkt zur eigenen Konzeption. Ebenso kommt Tillich zweitens im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 auf Heim zu sprechen, und zwar just in jenen §§ 22– 28, in denen er seinen Paradoxgedanken entwickelt. Heims namentliche Nennung ist schon insofern auffällig, als Tillich sich in diesem Kontext ansonsten expliziter Bezüge weitestgehend enthält. § 25 knüpft unter der Überschrift ‚Glaube und Geschichte‘ im Grunde unmittelbar an die Ausführungen der Kasseler Thesenreihe an. Über jene hinaus rekurriert Tillich nun jedoch, obgleich weniger ausführlich als dann 1919, auf Heims Verhältnisbestimmung von Glaubensurteil und historischem Urteil, die ihm zudem bereits jetzt als „genialster Versuch“ einer Lösung des aufgerufenen Problems gilt.²³⁰ Folgerichtig kann er von Heims Überlegungen – bei aller sachlichen Kritik – unmittelbar den Bogen zur Paradoxthematik schlagen, wenn er ihm unterstellt, „das Problem des konkreten Paradox ohne Rücksichtnahme auf das abstrakte Paradox lösen“ zu wollen.²³¹ Somit fungiert Heim im Frühwerk im Kontext der Paradoxthematik gleich zwei Mal – und einmal sogar eben in der Systematischen Theologie von 1913 selbst – als prominente Bezugsgröße, von der die eigene Konzeption zugleich kritisch abgesetzt wird.²³² Die hier sichtbar werdende gedankliche Nähe lässt sich abschließend anhand von Texten Karl Heims plausibilisieren. Dabei erweist sich eine präzise Bestimmung der von Tillich rezipierten Schriften im Einzelnen einmal mehr als schwierig. Wir skizzieren am Beispiel des in der Examensarbeit angeführten Weltbildes der Zukunft, der 1911 in erster Auflage erschienenen großen Studie Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie sowie des 1912 gleichfalls in erster Auflage Ebd., 166|217; zum betreffenden Argumentationsgang insgesamt vgl. ebd., 159 – 167|212– 217; weitere Bezugnahmen auf Heim finden sich ebd., 145|201.151|206. EW IX, 321; vgl. auch oben I.2 c). Ebd. Noch etwa in dem systematischen Aufriss einer Übung, die Tillich im Sommersemester 1925 in Marburg geben sollte, kann Heims Name in Verbindung mit dem Themenkreis „Natur und Offenbarung“ exemplarisch für einen wesentlichen Aspekt der Dogmatik einstehen; vgl. EW XIV, XXVIII. Tillichs Heim-Rezeption ist bislang insgesamt kaum erforscht; vgl. allein Folkart Wittekind, „Von der Bewusstseinsphilosophie zur Christologie. Theologie und Moderne bei Karl Heim, Paul Tillich und Hans Joachim Iwand“, in: Gerard den Hertog/Eberhard Lempp (Hg.), Der „frühe Iwand“ (1923 – 1933) (Waltrop: Spenner, 2008), 59 – 114, bes. 63 – 77.
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publizierten Leitfadens der Dogmatik ²³³ exemplarische Aspekte des Heim’schen Denkens, an die Tillich anknüpfen konnte. Generell richtete Heim, vor allem in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Naturwissenschaft, sein Augenmerk gerade in den frühen Schriften auf methodologische Grundlegungsfragen der Theologie als Wissenschaft.²³⁴ Schon das Weltbild lässt keinen Zweifel daran, dass die Frage des Wissenschaftscharakters der Theologie weiterhin auf erkenntnistheoretischem Boden entschieden wird, wobei letzten Endes die Eigentümlichkeit des religiösen Denkens und Erkennens ihrerseits dem allgemeinen Erkennen als Maßstab dienen.²³⁵ Beide Anliegen sollten, wie wir vielfach gesehen haben, auch Tillichs Denken von Studienzeiten an bestimmen. Damit zeigen sich erste grundsätzliche Affinitäten. In seiner umfassenden Studie zum Gewissheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher hat Heim das mit dem Weltbild vorgezeichnete Programm dann 1911 am historischen Stoff durchgeführt. Im ‚Vorwort‘ ist dabei die im Hintergrund stehende These formuliert: Um ihrem eigentümlichen Gegenstand gerecht zu werden, bedarf die systematische Theologie einer von der „strengen logisch-mathematischen Methode“ der übrigen Wissenschaften „spezifisch verschieden[en]“ Methode.²³⁶ Diese soll nun aber keineswegs an der logisch-mathematischen Methode vorbei gewonnen werden.Vielmehr will Heim die „logisch-mathematische Methode auf diesen Gegenstand [der Theologie; L. H.] so lange bis zur äußersten Konsequenz an[]wenden, bis diese Methode an ihm zerbricht und ihm gegenüber zur Kapitulation gezwungen wird“.²³⁷ Dieserart soll – und hier werden die methodischen wie terminologischen Parallelen zum Programm der Systematischen Theologie von 1913 offensichtlich – die logische Methode ihrer „Selbstaufhebung“ entgegengeführt werden.²³⁸ Auch das anvisierte Ergebnis eines solchen methodischen Vorgehens weist auf Tillich voraus: Heim
Karl Heim, Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher (Leipzig: Hinrichs, 1911); ders., Leitfaden der Dogmatik. Zum Gebrauch bei akademischen Vorlesungen, 2 Bde. (Halle: Niemeyer, 1912). Zu Heims Stellung in der Spannung von Theologie und Naturwissenschaft vgl. v. a. Hermann Timm, Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims (Witten Berlin: Eckart-Verlag, 1968); Elisabeth Gräb-Schmidt, Erkenntnistheorie und Glaube. Karl Heims Theorie der Glaubensgewissheit vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit dem philosophischen Ansatz Edmund Husserls (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1994); Helmut Krause, Theologie, Physik und Philosophie im Weltbild Karl Heims. Das Absolute in Physik und Philosophie in theologischer Interpretation (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 1995). Vgl. Heim, Weltbild, 249.258 ff. Heim, Gewißheitsproblem, 2. Ebd., 5. Ebd., 6.
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schwebt ein System theologischer Sätze vor, dessen Fundament aus auf jenem Wege „dialektisch herausgearbeiteten Denknotwendigkeiten“ besteht und dessen einzelne Elemente sich geregelt auf dieses Fundament beziehen lassen.²³⁹ Das skizzierte Vorgehen soll garantieren, dass sich zwar jeder theologische Satz „in das System des allgemeinen, logisch-mathematischen Denkens einfügt“, dass dieses allerdings zugleich seinerseits noch einmal vom spezifisch theologischen Gegenstand aus auf eine neue Grundlage gestellt wird.²⁴⁰ Letzteren Anspruch wird im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 die anknüpfende wie überbietende Zuordnung des theologischen Prinzips der §§ 22– 28 zur zuvor entwickelten Theorie des allgemein-humanen Wahrheitsbewusstseins der §§ 1– 27 einholen, ersteren die eigentliche Entfaltung des materialen Systems der §§ 29 – 72 im Ausgang von jenem Prinzip.²⁴¹ Insofern lässt sich Tillichs Systementwurf als Fortschreibung der Heim’schen Überlegungen verstehen. Die Durchführung am historischen Material orientiert Heim wiederum an der Unterscheidung einer gewissermaßen augustinisch-neuplatonischen „einlinigen“ und einer aristotelischen „zweilinigen Denkweise“.²⁴² Beide Denkweisen stehen in einem polaren Spannungsverhältnis zueinander, und zwar „derart, daß das einlinige Denken sich immer in einer logisch unfaßbaren Weise in eine Zweiheit entfalten muß, das zweilinige Denken aber stets einen einlinigen Indifferenzpunkt zur Voraussetzung hat“.²⁴³ Im Rückgriff auf die Kant’sche ‚Antinomie der reinen Vernunft‘ präzisiert Heim schließlich: „Die einlinige Denkweise bezieht sich auf die logisch unfaßbare Einheit der beiden in der Vernunftantinomie sich widerstreitenden Gedankenreihen, die zweilinige auf den Widerstreit selbst. Die einlinige Denkweise beruht also auf der in der unmittelbaren Erfahrung sozusagen intuitiv oder mystisch gegebenen Einheit der beiden in der Reflexion divergierenden Reihen“.²⁴⁴ Entspricht bereits die Grundkonstruktion einer notwendigen
Ebd. Ebd., 5. Vgl. oben I.2 c). Wir konzentrieren uns nachfolgend wiederum ganz auf die hinsichtlich der Systematischen Theologie interessanten Aspekte. Einen guten Überblick über die Grundanlage des Gewißheitsproblems vermitteln die zeitgenössischen Rezensionen – die zugleich verdeutlichen, wie groß die Resonanz war, die Heims Ansatz seinerzeit in der theologischen Landschaft auslöste; vgl. Hans Emil Weber, „Heim, K., Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher“, ThLBl 33 (1912), 131– 136; Otto Ritschl, „Das Gewißheitsproblem in der Geschichte der Theologie“, ThStKr 86 (1913), 466 – 481; Kurt Leese, „Vom Weltbild zur Dogmatik“, ZThK 24 (1914), 96 – 128; Friedrich Traub, „Über Karl Heims Art der Glaubensbegründung“, ThStK 90 (1917), 168 – 197. Heim, Gewißheitsproblem, 224. Ebd., 227.
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Spannungseinheit zweier nicht aufeinander rückführbarer Reihen der Anlage der Systematischen Theologie, so wird diese Nähe durch die Terminologie noch verstärkt: Auch Tillich wird die beiden irreduzibel aufeinander bezogenen wie gegeneinander stehenden Standpunkte – wie gesehen – eben mit den Begriffen der ‚Intuition‘ bzw. ‚Mystik‘ einerseits und der ‚Reflexion‘ andererseits belegen.²⁴⁵ Heim bezieht diese Grundkonstruktion nun umgehend auf Luther, der beide Denkweisen bis aufs Äußerste gesteigert habe – bis hin zu einer „unheimlichparadox[en] Synthese“, in der sie „als die Tag- und Nachtseite eines und desselben Gottesverhältnisses identifiziert sind“.²⁴⁶ Der recht umstandslose wechselseitige Transfer erkenntnistheoretischer und religionstheoretischer Fragen ist dabei eines der erklärten Anliegen Heims.²⁴⁷ Erinnert schon dies an das Vorgehen der Systematischen Theologie, so lässt vor allem die Verwendung des Paradoxbegriffs an dieser Stelle aufmerken: Er bezeichnet just die Synthese der beiden gegenläufigen Denkweisen und steht damit systemlogisch an der Stelle, an der auch Tillich ihn verorten wird. Und mag der Begriff im Gewißheitsproblem insgesamt mehr am Rande begegnen, so dient er Heim im knappen ‚Schluß‘ wiederum zur Kennzeichnung der „paradoxe[n] reformatorische[n] Position“, in der „die Ineinssetzung und Entgegensetzung des letzten erkenntnistheoretischen Gegensatzes in paradoxer Weise zusammengeschaut wird“.²⁴⁸ Der Begriff – bzw. genauer: das Adjektiv ‚paradox‘ – charakterisiert somit die typisch reformatorische ‚Lösung‘ des systematischen Grundproblems eines Zusammenbestehens von einliniger ‚intuitiver‘ und zweiliniger ‚reflexiver‘ Denk- und Erkenntnisweise. In genau dieser Funktion wird Tillich ihn dann mit Verweis auf den reformatorischen Rechtfertigungsgedanken in der Systematischen Theologie etablieren. Angesichts der aufs Ganze gesehen deutlichen Nähe in der systematischen Verortung des Paradoxbegriffs wie der darüber hinaus gehenden, die gedankliche Gesamtanlage betreffenden terminologischen Überschneidungen liegt eine direkte Beeinflussung Tillichs durch Heim nahe.
Vgl. oben I.2 b). Ebd., 256; kursiv L. H. Auf den Abschnitt ‚Das Neue in Luthers Gesamtauffassung‘ folgt unmittelbar ‚Die Anwendung der neuen Intuition auf das Gewißheitsproblem‘; vgl. ebd., 234 ff. bzw. ebd., 252 ff. Ebd., 378 f.; vgl. auch den zusammenfassenden Rückblick im Übergang zur Position Schleiermachers: „Die Versuche, diesen kontingenten Inhalt [des christlichen Glaubens; L. H.] axiomatisch gewiß zu machen, die zunächst zur schroffen Entgegensetzung von logischer und überlogischer Gewißheit, dann zur paradoxen Ineinssetzung beider geführt hatten, sind wieder aufgegeben.“ (ebd., 345; kursiv L. H.). Diesseits des ‚Schlusses‘ spielt der Paradoxbegriff zwar keine systematisch herausgehobene Rolle, er findet gleichwohl mit einer gewissen Regelmäßigkeit Verwendung; vgl. ebd., 234.240.256.259.345.351.355 u. ö.
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Schließlich kann Heims Dogmatikgrundriss, der 1912 in erster Auflage erschienene Leitfaden der Dogmatik, auf das Bisherige aufbauen. So dient im Grunde der gesamte ‚Erste Teil‘ über die eigentliche, einleitende Darlegung des ‚Wesens und der Aufgabe der Dogmatik‘ hinaus dem Aufweis ihres spezifischen Wissenschaftscharakters – und auch der materiale ‚Zweite Teil‘ setzt noch einmal mit methodischen Fragen ein.²⁴⁹ Hier ist die These wiederholt, der zufolge die allgemeinen Denkkategorien bis zu ihrer „Selbstaufhebung“ zurückverfolgt werden müssen, um die „spezifisch dogmatische Methode“ zu gewinnen.²⁵⁰ Als entsprechender „archimedischer Punkt“ gilt Heim eben Jesus Christus, bzw. genauer das mit diesem gegebene „absolute Konkrete“.²⁵¹ Der Paradoxbegriff steht bei der Ausarbeitung des damit abgesteckten Programms mehr im Hintergrund. Er begegnet, soweit ich sehe, nur einmal im Rahmen der ‚Einleitung‘ des ersten Teils zur Paraphrase des Kähler’schen Begriffs des ‚Übergeschichtlichen‘: „Es bleibt [bei Kähler; L. H.] also bei dem Paradoxon eines empirischen Datums, das als empirisches souverän über alle Empirie hinausgreift.“²⁵² Erst die 1916 erschienene, überarbeitete zweite Auflage des Leitfadens wird den Begriff für das eigene Programm systematisch fruchtbar machen – dann allerdings in weitreichender Weise. Dort schließt die Darstellung des ‚Wesens der Religion‘, die nun als methodische Grundlegung fungiert, mit grundsätzlichen Überlegungen zur Problematik einer jeden Gotteserkenntnis. Aus der Problemanzeige, dass das menschliche Denken noch dort an die eigenen Erfahrungs- und Ausdrucksformen gebunden ist, wo es das diese prinzipiell Übersteigende zum Gegenstand hat, folgert Heim: Wenn wir somit das Ewige in der Form der Zeitlichkeit ausdrücken wollen, so kann dies nur in einer Aussage geschehen, die einen Widerspruch enthält. Das bedeutet aber nicht, daß der Ewige selbst in sich widerspruchsvoll sei […] Das Widerspruchslose muß aber in einer widerspruchsvollen Darstellungsform selbst die Form eines Widerspruchs annehmen. So entsteht die Form, die alle Aussagen über ewige Wirklichkeiten in der menschlichen Sprache haben, nämlich die Form des Paradoxons. ²⁵³
Vgl. Heim, Leitfaden I [= Erster Teil] bzw. ders., Leitfaden II [= Zweiter Teil], 1– 9. Heim, Leitfaden II, 7. Vgl. ebd., 61 ff. mit Heim, Leitfaden I, 32 ff. Heim, Leitfaden I, 4. Karl Heim, Leitfaden der Dogmatik. Zum Gebrauch bei akademischen Vorlesungen. Erster Teil, zweite veränderte Auflage (Halle: Niemeyer, ²1916), 34; kursiv i.O. Die vorangehende Problemanzeige erinnert dabei unmittelbar an die Überlegungen, mit denen Tillich 1915 im Rahmen seiner Habilitation die für Letztere schlechterdings zentrale ‚Dialektik des Supra‘ vorbereitet; vgl. EW IX, 463 f.
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Dementsprechend findet der Begriff jetzt vermehrte Verwendung.²⁵⁴ Obgleich die Zweitauflage später als die Systematische Theologie von 1913 erschienen ist und somit als direkte Quelle für diese ausfällt, verdeutlicht sie doch den zentralen dogmatischen Stellenwert, den Heim dem Paradoxgedanken zumessen konnte. Wie in jener bezeichnet der Gedanke hier die notwendige Form aller dogmatischen Aussagen. Da diese These in der Konsequenz des im Gewißheitsproblems wie der Erstauflage des Leitfadens entworfenen Programms liegt, könnte Tillich sogar der möglichen dogmatischen Valenz des Paradoxbegriffs im Kontakt mit Heim gewahr geworden sein – zumal sich mit der skizzierten wissenschaftstheoretischerkenntnistheoretischen Anlage, dem grundlegend apologetischen Interesse sowie der These einer die dogmatische Arbeit im Letzten motivierenden menschlichen ‚Not‘ ohnehin Berührungspunkte ausmachen lassen.²⁵⁵ Treten wir abschließend einen Schritt zurück, so ist die Frage der problemgeschichtlichen Kontexte und konkreten Rezeptionsbezüge für den von Tillich in der Systematischen Theologie von 1913 entworfenen Paradoxgedanken differenziert zu beantworten: Die frühe ‚Entdeckung‘ des Paradoxbegriffs dürfte durch die entsprechenden Überlegungen Sören Kierkegaards, und hier näherhin durch die Lektüre von dessen Krankheit zum Tode, wesentlich mitbestimmt gewesen sein. Direkt an Kierkegaard wird Tillich in erster Linie die gesonderte Eignung des Begriffs aufgegangen sein, die dem Christentum eigene Grundspannung zu bezeichnen und deren enge Verknüpfung mit dem Inkarnationsgedanken zum Ausdruck zu bringen. Von dort aus konnte sich, zumal für einen systematisch so beschlagenen Kopf wie den jungen Tillich, die Aufwertung des Paradoxgedankens zu einem das Ganze der Theologie bestimmenden Prinzip nahelegen. Gleichzeitig sind aber auch die Grenzen des Kierkegaard’schen Einflusses festzuhalten. In der Krankheit fungiert das Paradox als antispekulative, jedwedes System sprengende Figur. Die Systematische Theologie verkehrt diese Stoßrichtung geradezu in ihr Gegenteil, wenn der Paradoxgedanke als systemkonstituierendes Prinzip etabliert wird. Nimmt man die in den materialen Ausführungen ersichtlich spekulative,
Vgl. Heim, Leitfaden, zweite veränderte Auflage, 35.52.55 u. ö. Will Tillich den Grundlegungsteil der Systematischen Theologie – wie gesehen – im Ganzen als ‚Apologetik‘ verstanden wissen, so widmet bereits der ‚Erste Teil‘ des Leitfadens einen eigenen ‚apologetischen Teil‘ der Auseinandersetzung mit entscheidenden Einwänden gegen den christlichen Glauben; vgl. Heim, Leitfaden I, 55 ff. Sein großes Interesse an einer ‚neuen Apologetik‘ hatte Heim schon früh artikulieren können, vgl. Karl Heim, „Eine neue Apologetik“, Die Reformation 5 (1906), 386 ff.; zur Figur der ‚Not der Reflexion‘ im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 vgl. oben I.2 c), zu Tillichs brieflicher Würdigung des ‚Heimschen Denkens aus Not‘ s. o. sowie oben I.1 a).
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mehr am nachkantischen Idealismus geschulte Handhabung des Gedankens hinzu, so lässt sich seine eigentliche Ausgestaltung schwerlich auf Kierkegaard zurückführen. Hier hilft eine doppelte Beobachtung, die gängige These einer einsinnigen Vorprägung des Tillich’schen Paradoxgedankens durch den Dänen auszudifferenzieren. Einmal hatte der Paradoxbegriff bereits vor dem Ersten Weltkrieg in den theologischen und philosophischen Debatten einen gewissen Verbreitungsgrad erlangt – durch Kierkegaard angeregt, aber gleichwohl, wie etwa im Fall Cremers, eigene gedankliche Wege gehend. Tillich wird der anhebenden geistesgeschichtlichen Bedeutung des Paradoxgedankens angesichts der potenziellen systematischen Leistungsfähigkeit sicherlich gewahr geworden sein. Seine fundamentale religionsphilosophische Erschließungskraft, insbesondere im Rahmen eines neuidealistischen Denkens, kann ihm weiterhin in der intellektuellen Auseinandersetzung mit zwei seiner Hallenser Lehrer, Medicus und Heim, aufgegangen sein. Vor allem mit Blick auf Letzteren ist die inhaltliche Nähe nachgerade frappierend. Von der Grundanlage des Systemdenkens in der Spannung von Intuition und Reflexion, als deren Lösung das Paradox dann auftreten kann, über die enge Verknüpfung von allgemein-erkenntnistheoretischer und spezifisch reformatorisch-christlicher Perspektive, an deren Schnittstelle der Paradoxgedanke zu stehen kommt, bis hin zur Etablierung des Gedankens als des materialdogmatischen Grundprinzips in der zweiten Auflage von Heims Leitfaden:Wo Kierkegaards Verständnis des Paradoxes in systematischer Hinsicht keinen Anknüpfungspunkt mehr bieten konnte, ließ sich das an ihm Gewonnene gedanklich in die durch Heim gewiesene Richtung vorantreiben. Die nähere Ausgestaltung des Paradoxgedankens, gerade mit Bezug auf den ins Prinzipielle entschränkten Rechtfertigungsgedanken, stellt eine genuine Leistung des jungen Tillich dar.
e) Ertrag und Ausblick Mit der Systematischen Theologie von 1913 entwirft der 27-jährige Tillich mit am nachkantischen Idealismus geschulter spekulativer Kraft ein erstes eigenständiges System. Orientiert man sich primär am eigentlichen Textbestand und weniger an den beigegebenen Leitsätzen, dann lässt sich der die ersten 28 Paragraphen umfassende grundlegende Systemteil im Ganzen als eine Theorie des Wahrheitsbewusstseins in dezidiert theologischer Perspektive rekonstruieren. Die ersten drei Paragraphen entwickeln in diesem Rahmen wiederum das systemkonstituierende Prinzipiengefüge, wobei dieses nicht schon mit der in § 1 eingeführten Idee der absoluten Wahrheit, sondern erst mit der in § 3 erreichten spekulativen Widerspruchseinheit von ‚Wahrheit‘ und ‚Denken‘ bezeichnet ist. Die
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damit grundgelegte Bivalenz des Denkens in Relation zur einen Wahrheit zerlegt sich im weiteren Gang des Systems in die Spannung von ‚Intuition‘ und ‚Reflexion‘ als den beiden Elementen des Wahrheitsbewusstseins. Gemäß der dem Bewusstsein eingezeichneten Spannung seiner beiden Elemente ist ein reines Intuieren der absoluten Wahrheit unmöglich. Insofern artikuliert sich mit der Systematischen Theologie die These einer prinzipiellen antinomischen Gebrochenheit des Wahrheitsbewusstseins. Als dessen genuines Medium bestimmt Tillich – in werkgeschichtlich einmaliger Wertschätzung – den ‚Begriff‘. In der Kombination von Fichte’schen, Schelling’schen und Hegel’schen Motiven lässt sich der Zuschnitt des frühesten Systems dabei insgesamt als ‚gemeinidealistisch‘ im unspezifischen Sinne kennzeichnen. Auf jene antinomische Verfasstheit des Wahrheitsbewusstseins hin ist nun der Paradoxgedanke als die systematische Figur konzipiert, die dem allgemeinen Denken das gesuchte Prinzip einer ‚Selbstaufhebung‘ an die Hand geben soll. Er ist im Rahmen des frühesten Systementwurfs mit den §§ 22– 28 als pointiert theologisches Prinzip eingeführt. Das theologische Erkennen per Paradox steht somit zum allgemein-humanen Erkennen in einem Doppelverhältnis von Koordination und gleichzeitiger Überbietung. Demnach bringt der Paradoxgedanke in der Widerspruchseinheit seiner drei Momente, die Tillich anhand des Rechtfertigungsgedankens, der Christologie und der Eschatologie reformuliert, die Spannung des Wahrheitsbewusstseins gewissermaßen auf den Begriff und führt Letzteres dieserart über sich selbst hinaus. Für die Entfaltung des materialen Systems der §§ 29 – 72 fungiert das Paradox als konstruktiv-spekulatives Prinzip. Mit Blick auf die problemgeschichtlichen Hintergründe von Tillichs Paradoxgedanken ist diesbezüglich eine merkliche Distanz zum Paradoxbegriff Sören Kierkegaards festzuhalten, der das Paradox gerade als antispekulativen Kampfbegriff verstanden wissen wollte: Obgleich anderweitig durch Kierkegaards Paradoxbegriff beeinflusst, liegt Tillichs Fassung sowohl was den systematischen Ort des Paradoxgedankens an der Schnittstelle von allgemeiner Erkenntnistheorie und christlicher Theologie als auch was seine Etablierung als eines konstruktiven materialdogmatischen Prinzips angeht näher am Paradoxverständnis Karl Heims. Tritt man einen Schritt zurück und legt sich vor dem Hintergrund der Anlage der Systematischen Theologie von 1913 im Ganzen wie des Zuschnitts des Paradoxgedankens als des sie regierenden theologischen Prinzips das von Erdmann Sturm notierte ‚Rätsel‘ vor, warum Tillich späterhin nicht mehr auf den frühesten Systementwurf zurückkommen sollte, dann dürfte die Antwort genau in jenem entschieden spekulativen Charakter begründet liegen.Während er etwa bei allen Modifikationen im Einzelnen der prinzipiellen christologischen Stoßrichtung der Kasseler Thesenreihe auf Grundlage der späteren Theoriebildung verbunden bleiben konnte, stellt sich dies hier anders dar: Mit dem Einschnitt hin-
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I Der Weg zum System
sichtlich der kategorialen Grundlagen, aber auch bezüglich der generellen Ausrichtung des eigenen Denkens, den der Hirsch-Briefwechsel von 1917/18 markieren wird, musste die Systematische Theologie, aller imposanten gedanklichen Leistung zum Trotz, Tillich selbst als Relikt seiner spekulativen Anfänge erscheinen. In der historischen Rückschau, im Wissen um die kommenden Um- und Abbrüche, bedeutet sie so nicht nur den ersten eigenständigen Entwurf – sondern in eins den Höhe- wie Schlusspunkt der frühen, unmittelbar aus der Schelling-Rezeption erwachsenen Theoriebildung.
II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie II.1 Reorientierung der Leitbegriffe im Hirsch-Briefwechsel (1917/18) Nach seiner freiwilligen Meldung wurde Tillich Anfang Oktober 1914 als Feldgeistlicher an die Westfront nach Frankreich geschickt. Mag das erste Kriegsjahr für ihn vergleichsweise ruhig verlaufen sein, so änderte sich dies 1915/16: Zunächst in der Schlacht bei Tahure Ende Oktober 1915, daraufhin im Stellungskrieg bei Verdun im Sommer 1916 erlebte auch Tillich die Schrecken des Ersten Weltkrieges.¹ Wie stark ihn diese Erlebnisse prägen sollten, lassen eindrückliche Briefe an Familie und Freunde erahnen.² Neben diesem Strang existenziellen Er- und Überlebens läuft ein zweiter Strang parallel mit, der zumindest vorderhand die biographische Kontinuität zum Vorangegangenen wahrt: So gut es die Umstände zulassen, treibt Tillich die eigene akademische Karriere weiter voran. Im Sommer 1915 reicht er eine erste Fassung seiner Habilitation zum Begriff des Übernatürlichen im älteren Supranaturalismus ein, die an der Hallenser Fakultät allerdings ob ihres – so Wilhelm Lütgert in einer brieflichen Reaktion – „rein formal logischdialektisch[en]“ und zu wenig historischen Charakters sehr zurückhaltend aufgenommen wird.³ Nach der notwendigen Überarbeitung kann noch Ende 1915 gleichwohl ein erster Teil unter dem endgültigen Titel Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität – dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher gedruckt werden. In unmit-
Vgl. die ‚Zeittafel‘ in EW V, 75 – 77; dort findet sich eine Zusammenstellung von Dokumenten der Kriegsjahre 1914 bis 1918,wobei es sich in erster Linie um Briefe Tillichs handelt; vgl. ebd., 80 – 123; vgl. zudem GW XIII, 69 – 82; einen ersten Überblick vermitteln überdies Wilhelm Pauck/Marion Pauck, Paul Tillich. Sein Leben und Denken, Bd. 1: Leben (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk; Frankfurt/Main: Lembeck, 1978), 53 – 67; Renate Albrecht/Werner Schüßler, Paul Tillich. Sein Leben (Frankfurt/Main: Peter Lang, 1993), 37– 47; zuletzt die knappe Übersicht bei Werner Schüßler/ Erdmann Sturm, Paul Tillich. Leben – Werk – Wirkung (Darmstadt: WBG, 2007), 8 f. Tillichs innere Einstellung zum Kriegsgeschehen ist in der Forschung umstritten. Er selbst hat im Rahmen autobiographischer Betrachtungen ein frühes Abklingen der anfänglichen Kriegsbegeisterung behaupten können; vgl. GW XII, 67. Die ältere Forschung ist ihm hierin weitestgehend gefolgt. Mit Blick auf die von ihm in den Ergänzungs- und Nachlassbänden editierten Frühen Predigten Tillichs (EW VII) hat Erdmann Sturm allerdings für die Jahre 1914 bis 1918 aufs Ganze gesehen keine große Distanz zum ‚Mainstream‘ der seinerzeitigen national-konservativen Kriegstheologie ausmachen können; vgl. Erdmann Sturm, „‚Holy Love Claims Life and Limb‘. Paul Tillich’s War Theology (1914– 1918)“, ZNThG 2 (1995), 60 – 84. Vgl. EW V, 91 ff., bes. 93 – 95.100 f.119; vgl. auch Pauck/Pauck, Tillich, 61. EW V, 102. DOI 10.1515/9783110484847-004
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telbarer zeitlicher Nähe zu den Erlebnissen von Verdun hält Tillich im Juli 1916 erst die nicht öffentliche Probevorlesung im Rahmen seines Habilitationsverfahrens, dann die öffentliche Antrittsvorlesung.⁴ Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, welche nervliche Belastung dieses Parallelszenario bedeutet haben muss. Beinahe folgerichtig signalisieren die brieflichen Selbstzeugnisse jener Jahre auch eine gewisse Distanz zum fortgesetzten universitären Weg. So wird Tillich im August 1917 gleich mehrfach das Ende eines zweijährigen „völligen Ruhens“ in Sachen Intellektualität konstatieren – was eben bedeuten würde, dass das gesamte Habilitationsverfahren in diese geistige Zwangspause zu rechnen wäre.⁵ Und wenn er selbst seine Habilitationsschrift gegenüber Emanuel Hirsch als „formell so schlecht gelungen“ charakterisieren wird, dürfte das in Anbetracht ihrer tatsächlichen Schwächen kein Kokettieren sein.⁶ Im März 1918 wird Tillich schlussendlich einen Nervenzusammenbruch erleiden, zum August erfolgt die Rückversetzung nach Berlin-Spandau. Den äußeren Umständen nach war der Krieg für ihn damit zu Ende, dass das Erlebte aber über den Tag hinaus das Denken bis in die Theoriebildung hinein umformen sollte, scheint von vornherein wahrscheinlich.⁷ Vor allem jener August 1917 scheint in der Tat einen Neueinstieg bedeutet zu haben. In einem Rundschreiben an die alten Wingolf-Freunde zeigt Tillich nicht nur die für das Wintersemester geplanten Lehrveranstaltungen an, sondern beweist auch einen klaren Blick für die eigene berufliche Situation.⁸ Insbesondere
Vgl. EW IX, 436 f. EW VI, 98; vgl. ebenso EW V, 103. EW VI, 116. Zu den formalen wie inhaltlichen Schwierigkeiten der Arbeit vgl. Gunther Wenz, „Tillichs Kritik des Supranaturalismus“, in: ders., Tillich im Kontext. Theologiegeschichtliche Perspektiven (Münster 2000: Lit), 183 – 204. So stellt beispielsweise die nun anhebende, cum grano salis sozialistische Option in der politischen Orientierung eine augenscheinliche Verschiebung dar. Sie artikuliert sich etwa in Der Sozialismus als Kirchenfrage, einer in Thesenform verfassten Antwort Tillichs und Richard Wegeners auf eine Anfrage des Evangelischen Konsistoriums Berlin hin; vgl. MW 3, 31– 42. Stein des Anstoßes war der Vortrag Christentum und Sozialismus, gehalten im Mai 1919 vor einer Ortsgruppe der USPD; vgl. zudem den Entwurf Sozialismus und Christentum (EW X, 231 f.). Die entsprechenden sozialethisch-politischen Schriften Tillichs finden sich in GW II bzw. MW 3, für eine erste Einschätzung vgl. die dortige ‚Einleitung in Paul Tillichs sozialphilosophische und ethische Schriften‘ von Erdmann Sturm; vgl. MW 3, 1– 15; ders., „Tillichs religiöser Sozialismus im Rahmen seines theologischen und philosophischen Denkens“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/ders. (Hg.), Religion und Politik (Wien Berlin Münster: Lit, 2009), 15 – 34 (weitere Literatur ebd., 15 Anm. 1); vgl. auch unten die Einleitung zu II.2. Vgl. EW V, 104: „Es sind die Jahre, die über Sein und Nichtsein meines Berufes entscheiden. Bin ich jetzt dauernd draußen, so kann ich die Dozentur an den Nagel hängen.“ Zu den geplanten Lehrveranstaltungen vgl. ebd., 103 f.; EW VI, 99.
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verweist er neben der wiedererwachten „Lust am Spekulieren“ auf einen „ganzen Koffer voller Logiken“,⁹ dem momentan sein Interesse gelte – oder, wie er Hirsch gegenüber brieflich präzisieren wird: „Husserl, Lotze, Sigwart, Windelband, Lask“.¹⁰ Obgleich derlei Angaben bei Tillich mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind, illustriert die fast schon euphorische Aufzählung im betreffenden Hirsch-Brief vom Dezember 1917 – zu den Genannten kommen noch „die von Husserl begründete phänomenologische Schule, die in Scheler einen katholischen und scholastisierenden Anhänger gefunden hat“, „Simmel […], Rickert in seinem ‚Gegenstand der Erkenntnis‘, die ‚Ästhetik‘ […] in dicken Bänden von Hartmann, Lipps etc.“ und schließlich die „1600seitige Psychologie von Ebbinghaus“ – die intellektuelle Aufbruchsstimmung, die ihn gegen Ende des Ersten Weltkrieges erfasst haben muss und die eben jenem zweijährigen geistigen ‚Ruhen‘ nun ein endgültiges Ende setzte.¹¹ Greifen lässt sich dieser Neueinstieg an einem Thema, das sich Ende 1917 mit Macht in den Vordergrund drängt: Es ist, so in besagtem Wingolf-Rundbrief, der „Begriff ‚Gott des Gottlosen‘“, der Tillich nunmehr als Konsequenz des „Paradoxes der ‚Rechtfertigung‘“ erscheint.¹² Oder, so gleich im ersten der in den Ergänzungsbänden abgedruckten Briefe an Hirsch aus dem November, die „Paradoxie des ‚Glaubens ohne Gott‘“, zu der ihn seine Fassung des Rechtfertigungsgedankens geradezu „getrieben“ habe.¹³ Im Dezember selben Jahres skizziert Tillich die Umrisse der neuen Einsicht gegenüber Maria Klein, mit der er die gesamte Kriegszeit über brieflichen Kontakt gehalten hatte: „Ich bin durch konsequentes Durchdenken des Rechtfertigungsgedankens schon lange zu der Paradoxie des ‚Glaubens ohne Gott‘ gekommen, dessen nähere Bestimmung und EW V, 103 bzw. ebd., 104. EW VI, 99; vgl. auch die Notiz in einem Brief an Maria Klein aus dem Oktober selben Jahres: „Ich arbeite sehr viel Philosophie – die ganzen modernen Schulen.“ (EW V, 120). EW VI, 99; dementsprechend fällt Tillichs Fazit aus: „Ich bin also seit August wieder ‚gelehrter‘ geworden und habe mich innerlich weitgehend gegen den Krieg abgeschlossen.“ EW V, 107. EW VI, 97. Der Brief findet sich nicht in dem Erstabdruck des Briefwechsels mit Hirsch bei Hans-Walter Schütte (Hg.), Emanuel Hirsch – Paul Tillich, Briefwechsel 1917 – 1918 (Berlin: Verlag Die Spur, 1973).Wir orientieren uns nachfolgend am Druck der Ergänzungsbände, und also auch an der dortigen Zählung: Als ersten Brief bezeichnen wir eben den aus dem November 1917 (EW VI, 97 f.), als zweiten den aus dem Dezember (ebd., 98 – 104), der dritte stammt aus dem Februar 1918 (ebd., 114– 123) und der abschließende vierte aus dem Mai 1918 (ebd., 123 – 127). In den Ergänzungsbänden sind darüber hinaus drei Briefe von Hirsch abgedruckt, auf die wir allerdings nur am Rande eingehen werden (ebd., 105 – 114.127– 134.135 f.); zum Gehalt der letzteren Briefe vgl. Ulrich Barth, Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problemgeschichtliche Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoretischen Grundlagen (Berlin New York: Walter de Gruyter 1992), 369 – 378.
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Entfaltung den Inhalt meines gegenwärtigen religionsphilosophischen Denkens bildet.“¹⁴ Demnach bezeichnet die fragliche Paradoxie eines gottlosen Glaubens spätestens um die Jahreswende 1917/18 das Zentrum der Theoriebemühungen.¹⁵ Tatsächlich lässt sich die „große religionsphilosophische Debatte“,¹⁶ die er sich zwischen November 1917 und Juli 1918 mit dem Studienfreund Emanuel Hirsch in Briefform liefern sollte, von Seiten Tillichs insgesamt als (Selbst)Verständigung über die damit gegebene Problemstellung verstehen. Da der Hirsch-Briefwechsel den bei Weitem besten Einblick in die Neuformierung seines Denkens hin zu den dann 1919 mit dem Kulturtheologie-Aufsatz einsetzenden Veröffentlichungen der Weimarer Republik gewährt, wollen wir uns an ihm orientieren.¹⁷ Hierbei gilt
EW V, 121. Maria Klein war die ältere Tochter jenes Pfarrers, den Tillich nach seinem Ersten Examen 1909 als ‚Pfarrverweser‘ in Lichtenrade vertreten hatte. Sie scheint zwischen 1914 und 1918 eine der wichtigeren Kontaktpersonen für ihn gewesen zu sein; vgl. die ‚Kriegsbriefe an eine Studentin‘; ebd., 111– 123. Leider lässt sich das gegenüber Klein vermerkte ‚schon lange‘ nicht genau beziffern. Im Wingolf-Rundbrief verweist Tillich im Zusammenhang der fraglichen Paradoxie auf Erwägungen aus einem ‚vorletzten Brief‘ – in diesem ließen sich möglicherweise weitere Hinweise finden. Die genannten Indizien lassen jedenfalls eher den Sommer 1917 als den Herbst jenes Jahres als Zeitraum der gedanklichen Verdichtung vermuten. So die Überschrift, unter der Hirsch den Briefwechsel für sich archivieren sollte; vgl. EW VI, 95 mit ebd., 96 Anm. 1. Wie das gesamte Frühwerk, so rückt auch der Hirsch-Briefwechsel in den zurückliegenden Jahren sukzessive in den Fokus der Forschung. Grundlegend ist noch immer die zuletzt wieder abgedruckte Einführung von Hans-Walter Schütte, „Subjektivität und System. Zum Briefwechsel Emanuel Hirsch (1888 – 1972) und Paul Tillich (1886 – 1965)“, in: Christian Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (Wien: Lit, 2004), 3 – 22; vgl. darüber hinaus Martin Repp, Die Transzendierung des Theismus in der Religionsphilosophie Paul Tillichs (Frankfurt/Main Bern New York: Peter Lang, 1986), 17– 30; James A. Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich. Theologie und Politik in einer Zeit der Krise, übers. v. Doris Lax (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1995), 45 – 52; Ulrich Barth, „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 89 – 123, 90 – 93; Tom Kleffmann, Nietzsches Begriff des Lebens und die evangelische Theologie. Eine Interpretation Nietzsches und Untersuchung zu seiner Rezeption bei Schweitzer, Tillich und Barth (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 411– 423; Folkart Wittekind, „‚Sinndeutung der Geschichte‘. Zur Entwicklung und Bedeutung von Tillichs Geschichtsphilosophie“, in: Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie, 135 – 172, 148 – 152; Christian Danz, „Theologie als normative Religionsphilosophie. Voraussetzungen und Implikationen des Theologiebegriffs Paul Tillichs“, in: ebd., 73 – 106, 80 – 86; Jörg Dierken, „Zweifel und Gewißheit. Zur religiösen Bedeutung skeptischer Reflexion bei Paul Tillich“, in: ders., Selbstbewußtsein individueller Freiheit. Religionstheoretische Erkundungen in protestantischer Perspektive (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 299 – 323, bes. 304 ff.; Georg Raatz, „Kulturwissenschaft oder Sinnlehre? Zur Genese von Paul Tillichs wissenschaftssystematischem Begriff der Theologie zwischen 1917 und 1923“, in: Christian
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erneut, was wir bereits hinsichtlich der frühen Systematischen Theologie festgehalten hatten: Alleine die Gattung des Briefes bedingt, dass das Formulierte mehr Versuchs- und Entwurfscharakter hat. Dementsprechend variieren die gegebenen Näherbestimmungen jener zentralen Figur eines gottlosen Glaubens untereinander bis hin zu vereinzelten Gegenläufigkeiten. Schon einleitend sei zudem eine Fragestellung angedacht, die mit Blick auf den nachfolgend thematischen Zeitraum – also den Übergang zwischen der der Frühzeit zugehörigen Systematischen Theologie von 1913 und den ab 1919 veröffentlichten Schriften, mit denen Tillich ins Licht der Öffentlichkeit treten sollte – geradezu als eine klassische der Tillich-Forschung gelten kann. Mit ihr stellt sich nicht nur die Frage nach der werkgeschichtlichen Einordung des Hirsch-Briefwechsels, sondern auch die nach Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten seines Denkens insgesamt: Wir hatten wiederholt von einem ‚Neueinstieg‘ bzw. einer ‚Neuformierung‘ gesprochen, die spätestens für das Jahr 1917 anzunehmen ist. In der Tat zeigt bereits die scharfe Selbstkritik im zweiten Brief an Hirsch, dass Tillich mit Vehemenz eine Modifikation der eigenen Theoriebildung reklamieren konnte.¹⁸ Ausmaß und nähere Gestalt jener Reorientierung sind freilich in der Forschung umstritten. Einmal mehr haben dabei die autobiographischen Erinnerungen Auf der Grenze die Interpretation nicht unwesentlich bestimmt. Tillichs dortige Auskunft – „Der Weltkrieg bedeutete für mein Erlebnis [sic] die Katastrophe des idealistischen Denkens überhaupt“¹⁹ – diente der vor allem von Gunther Wenz wirkmächtig formulierten These einer seinerzeitigen „Abkehr vom Idealismus“ zur Grundlage.²⁰ Angesichts des immensen Stellenwertes des nachkantischen Idealismus im Frühwerk würde eine solche Abkehr nicht weniger als einen Bruch mit dem Vorangegangenen bedeuten. Andersherum konnte – etwa unter Bezug auf den kaum geminderten, werkumfassenden Einfluss zumal der Schelling’schen Spätphilosophie – eine Kontinuität bis ins Spätwerk der großen
Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Tillich und Nietzsche (Wien Berlin Münster: Lit, 2008), 141– 173, 142– 145; Claas Cordemann, „Religion und Kultur. Paul Tillichs religionsphilosophische Grundlegung einer Theologie der Kultur“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 94– 127, 97– 100. Vgl. EW VI, 99 f.Wir werden auf den Gehalt jener Selbstkritik ausführlich zurückkommen; vgl. unten II.1 a). GW XII, 34. Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979), 24.28 u.ö.
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dreibändigen Systematischen Theologie hinein behauptet werden.²¹ Es bleibt die Frage, wie tief die gedankliche Neuorientierung jener Jahre reicht und ob sie das neoidealistische Fundament von Tillichs Denken als solches betrifft. Nun wird ein begründetes Urteil erst nach dem Durchgang durch die Schriften der 1920er Jahre möglich sein. Gleichwohl erlaubt jene den Übergang beherrschende Formel einer „Paradoxie des ‚Glaubens ohne Gott‘“ bereits an dieser Stelle eine erste Einschätzung. So weisen einerseits die fortgesetzte Zentralstellung des Paradoxgedankens wie dessen unmittelbare Rückbindung an den Rechtfertigungsgedanken merklich ins Frühwerk bzw. genauer in Richtung der Systematischen Theologie von 1913 zurück.²² Die gegenüber Maria Klein gegebene Auskunft, die neue Einsicht verdanke sich einem ‚konsequenten Durchdenken‘ der Rechtfertigungsfigur, unterstreicht dieses Kontinuitätsmoment noch. Andererseits signalisiert das zweite Glied der Formel – also das des ‚Glaubens ohne Gott‘ – eine markante Verschiebung: In der Frühzeit hatte für Tillich die zentrale religiöse Bedeutung des Gottesgedankens festgestanden, exemplarisch ablesbar an der ersten Promotionsthese seiner Lizentiaten-Dissertation: „Der Religionsbegriff muß aus dem Gottesbegriff abgeleitet werden, nicht umgekehrt.“²³ Seine grundlegende Problematisierung begründet demgegenüber jetzt die veränderte Aufgabenstellung, um die dann die Lösungsversuche des Hirsch-Briefwechsels im Ganzen kreisen werden. Neben Momente gedanklicher Kontinuität treten mithin fraglos solche der Diskontinuität. Das Zugleich beider Momente spricht prima facie gegen die These eines harten Bruches. Und auch inwiefern die Stellung zum nachkantischen Idealismus als solche berührt ist, ist mit jener Problematisierung noch nicht ausgemacht – erinnert sei alleine an das Stichwort des Fichte’schen ‚Atheismusstreits‘, das bereits anzeigt, dass eine idealistische Grundposition bezüglich der näheren Fassung des Gottesgedankens weit mehr als nur eine Option kannte.²⁴ Die These einer definitiven ‚Abkehr‘ vom Idealismus und also eines tatsächlichen
So etwa Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2000), bes. 134 ff.152 ff.; Georg Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2007), 348 ff., bes. 362 ff. Vgl. oben I.2 c). Zit. nach Hermann Brandt, „Konstanz und Wandel in der Theologie Paul Tillichs, im Lichte der wiedergefundenen Thesen zu seiner Lizentiaten-Dissertation“, ZThK 75 (1978), 361– 374, 362. Vgl. stellvertretend Ulrich Barth, „Von der Ethikotheologie zum System religiöser Deutungswelten. Pantheismusstreit, Atheismusstreit und Fichtes Konsequenzen“, in: ders., Religion, 285 – 311, bes. 292 ff.; Jörg Dierken, „Freiheit, Ich und Gott. Der Atheismusstreit und Fichtes spätere Religionsphilosophie“, in: ders., Selbstbewußtsein, 221– 242.
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Bruches mit den Fundamenten seines früheren Denkens wäre jedenfalls allererst an den Quellen zu belegen. Nachfolgend soll neben der systematischen Frage nach der näheren Fassung jenes ‚gottlosen Glaubens‘ entsprechend die werkgeschichtliche Frage mitgeführt werden, inwieweit die mit dieser Formel angezeigte Neuformierung, und somit die Denkbewegung des Briefwechsels als solche, den Stellenwert neoidealistischen Denkens für Tillich insgesamt im Kern relativierte.²⁵
a) Die Frage der Gestalt religiöser Objektivierung Den Auftakt des Briefwechsels markiert ein erster, kurz gehaltener Brief vom 12. November 1917.²⁶ Tillich benennt gegenüber dem Studienfreund mit ebenjener „Paradoxie des ‚Glaubens ohne Gott‘“ die ihn umtreibende religionsphilosophische Figur, präzisiert diese leicht und gibt erste Fingerzeige auf den ihm vorschwebenden Lösungsweg. So zielt die Problematisierung des Gottesgedankens genauer darauf, dass „Gott als irgendwie seiend gedacht“, und dieserart zum „Werk“ – hier liegt offenkundig der negative Anknüpfungspunkt zum Rechtfertigungsgedanken – eines „gegenständlichen Denkens“ werde. Die mentale Operation der Vergegenständlichung einerseits (‚als irgendwie seiend gedacht‘) und die Orientierung an der Seinskategorie auf Objektseite andererseits (‚als irgendwie seiend gedacht‘) erscheinen so als zwei Seiten derselben Medaille. Die betreffende Kritik ist gleichwohl im ersten Brief noch ganz religiös motiviert, eben unter der Alternative ‚Rechtfertigung versus Werk‘. Die demgegenüber angedachte Lösung ist mehr tastend formuliert – Tillich spricht von „einer Ordnung oder Realität oder Tiefe“, die das problematisierte „Sein Gottes“ gewissermaßen übersteigen soll. Zugleich findet sich neben diesen eher suchenden Formulierungen schon jene Kategorie, die ihm perspektivisch als Schlüssel zur Beantwortung des aufgeworfenen Fragezusammenhanges dienen wird: Das Stichwort des ‚Sinns‘ fällt, ohne dass es freilich weiter entfaltet wäre.²⁷ Für das Folgende ergibt sich ein Darstellungsproblem, das uns durch das gesamte zweite Kapitel hindurch begleiten wird: In Tillichs Lösungsvorschlägen für die aufgeworfene religionsphilosophische Problemstellung verbinden sich die sinntheoretischen und die geisttheoretischen Überlegungen aufs Engste. Wir suchen diese in der Rekonstruktion zu trennen, was gewisse Doppelungen unumgänglich machen wird. Mit Blick auf den Briefwechsel beginnen wir mit den geistphilosophischen Ausführungen und lassen die Sinntheorie folgen, für die Texte der 1920er Jahre wird sich die Reihenfolge umkehren. Die Gründe für die jeweilige Anordnung erklären sich im Zuge der Darstellung. Vgl. zum Folgenden EW VI, 97. Vgl. ebd.: „Jene ‚Ordnung‘ ist natürlich nicht als ein Sein zu denken, was ein Circulus wäre, sondern als ‚Tiefe‘ oder ‚Sinn‘ etc.“
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So lässt der erste Brief vor allem erkennen, dass die Programmformel eines paradoxen ‚Glaubens ohne Gott‘ nicht auf ein naheliegendes Missverständnis führen darf. Tillich schwebt nämlich keineswegs eine prinzipielle Verabschiedung des Gottesgedankens bzw. des objektiven Elementes von Religion vor. Vielmehr ist es mit der vergegenständlichenden allein eine bestimmte Form der Objektivierung, an der sich seine Kritik festmacht. Eine plane Kritik jedweder Objektivationsform wäre denn auch schwerlich geeignet, auf eine dem Paradoxgedanken gemäße Antwort des aufgeworfenen Objektivierungsproblems zu führen – insinuiert der Paradoxbegriff doch eine interne Spannung und keine einfache Verneinung eines, in dem Falle eben des objektiven, Momentes der Religion. Demgegenüber ist eine in sich gestufte Lösung angedeutet, wenn die anvisierte ‚Tiefe‘, der anvisierte ‚Sinn‘ als „noch über dem steh[end]“ bezeichnet wird, was als ‚Sein Gottes‘ problematisiert wird. Festzuhalten bleibt neben dem ausdrücklichen Hinweis auf Georg Simmels Rembrandt-Buch²⁸ die prominente Rolle, die in diesem Zusammenhang für den Transzendierungsgedanken aufscheint. Der zweite Brief aus dem Dezember 1917 statuiert eine erkenntnistheoretische Valenz der zuvor allein religiös eingeführten Problematik: „Wie ist mit dem theoretischen Zweifel diejenige Gewißheit vereinbar, die das Wesen des Glaubens ausmacht? Oder: Wie können die aus dem Denken erwachsenden Hemmnisse der
Georg Simmel, Rembrandt. Ein kunstphilosophischer Versuch (Leipzig: Wolff, 1916). Zu Tillichs Simmel-Rezeption vgl. Werner Schüßler, Jenseits von Religion und Nicht-Religion. Der Religionsbegriff im Werk Paul Tillichs (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 108 – 116; Erdmann Sturm, „Selbstbewußtsein zwischen Dynamik und Selbst-Transzendenz des Lebens und unbedingter Realitätserfassung. Paul Tillichs kritische Rezeption der Religions- und Lebensphilosophie Georg Simmels“, in: Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie, 23 – 47, bes. 26 – 33; Ulrich Barth, „Religion und Sinn“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 197– 213, 203 – 206; zu Simmels Rembrandt vgl. Alois Kölbl, Das Leben der Form. Georg Simmels kunstphilosophischer Versuch über Rembrandt (Wien Köln Weimar: Böhlau, 1998); Annette Wauschkuhn, Georg Simmels Rembrandt-Bild. Ein lebensphilosophischer Beitrag zur Rembrandtrezeption im 20. Jahrhundert (Worms: Werner Verlag, 2002); zur Religionstheorie Simmels vgl. Volkhard Krech, Georg Simmels Religionstheorie (Tübingen: Mohr Siebeck, 1998); Markus Schröder, „Immanente Transzendenz. Die Religionstheorie Georg Simmels“, in: Jörg Herrmann/Andreas Mertin/ Eveline Valtink (Hg.), Die Gegenwart der Kunst. Ästhetische und religiöse Erfahrung heute (München: Fink, 1998), 233 – 249; Friedemann Voigt, „Die Tragödie des Reiches Gottes“? Ernst Troeltsch als Leser Georg Simmels (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1998), 147– 160; Luise Schramm, Das Verhältnis von Religion und Individualität bei Georg Simmel (Leipzig Berlin: Edition Kirchhof & Franke, 2006), 40 ff.; Christine Pflüger, Georg Simmels Religionstheorie in ihren werkund theologiegeschichtlichen Bezügen (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 2007).
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religiösen Funktion überwunden werden?“²⁹ – so formuliert Tillich die Fragestellung, die er geradezu als „Zentralproblem meines Denkens“ verstanden wissen will. Die umstandslose Zusammenstellung von ‚theoretischem Zweifel‘ und ‚religiöser Funktion‘, bzw. näherhin die dabei vorausgesetzte These eines engen Konnexes beider, der die beklagten ‚Hemmnisse‘ ja allererst ermöglicht, ist durchaus erklärungsbedürftig. Im Hintergrund dürfte Tillichs bereits aus dem Frühwerk vertraute Überzeugung stehen, dass Religion gleichermaßen „Intellekt, Gefühl und Willen“, also theoretisches, emotives und praktisches Vermögen umfasst.³⁰ Nur aufgrund dieses irreduzibel komplexen Charakters³¹ ist einsichtig, inwiefern der theoretische Zweifel direkte religiöse Konsequenzen nach sich ziehen soll, bzw. inwiefern sich religiöse Problemstellungen – als solche war die kritische Thematisierung des Gottesgedankens eben im ersten Brief eingeführt worden – generell mit im Letzten erkenntnistheoretischen Fragestellungen kombinieren lassen.³² Die Zentralformel eines paradoxen ‚Glaubens ohne Gott‘ markiert so die Schnittstelle einer religiösen wie einer erkenntnistheoretischen Problemstellung. Diskutiert wird diese Problemstellung nun in zwei Anläufen. In einem ersten Anlauf setzt Tillich sich kritisch mit drei Lösungsstrategien auseinander, die ihm zufolge allesamt zu kurz greifen: Während der Abweis eines unter dem Stichwort der „Mystik“ subsummierten Lösungsweges – gedacht ist an den einfachen Einzug der Differenz von subjektivem und objektivem Moment, womit die Infragestellung des Letzteren durch den theoretischen Zweifel vermieden werden soll – sehr knapp ausfällt, da er sich hier mit Hirsch einer (kritischen) Meinung weiß,³³ fällt die Kritik der beiden anderen Lösungswege weit ausführlicher aus. Ihr systematisches Gewicht bezieht die betreffende, zunächst rein negative Argumentation aus dem Umstand, dass Tillich die diskutierten Lösungsstrategien – und also die entsprechende Kritik an ihnen – als nachgerade paradigmatische religionsphilosophische Positionen begreifen kann. Der erste der beiden ausführlichen kri-
EW VI, 99. So schon in der Examensarbeit, vgl. EW IX, 30|100; vgl. oben I.1 b) und unten II.3.1 a). Nur insofern die ‚religiöse Funktion‘ für Tillich dem Theoretischen gegenüber keine – in Anknüpfung an Schleiermachers Reden – ‚eigene Provinz im Gemüte‘ darstellt, sondern eben als in sich komplexe gedacht ist, die gleichermaßen notwendig theoretische Momente enthält, kann sie vom theoretischen Zweifel unmittelbar betroffen sein. Der umstandslosen Zusammenstellung von generell-erkenntnistheoretischen und religiöstheologischen Überlegungen verdankte – wie gesehen – bereits die Systematische Theologie von 1913 ihre Grundanlage, dort in der Konstellation von Intuition und Reflexion einerseits, und dem Paradoxgedanken andererseits; vgl. oben I.2 c). Vgl. EW VI, 99: „Ich sehe in der Lösung von einer den Gegensatz Subjekt-Objekt und damit den Zweifel aufhebenden Mystik ab. Sie […] ist vielfach kritisierbar, was Dir gegenüber nicht nötig ist.“
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tischen Gänge gilt dabei der früheren eigenen, zumal mit der Systematischen Theologie von 1913 ausgearbeiteten Position, während sich der zweite mit der für den Gesprächspartner Emanuel Hirsch vermuteten Option auseinandersetzt. Erst vor dem Hintergrund dieser ausführlichen Abgrenzung nach zwei Richtungen hin skizziert Tillich dann im zweiten Anlauf einen ersten positiven Versuch, in Ansehung des einleitend aufgeworfenen Zentralproblems dem „subjektiv-objektiven Charakter des Geistes“³⁴ gerecht zu werden. Die eigene Vorkriegsposition wird rückblickend als paradigmatischer Versuch einer „intellektuelle[n] Überwindung [des Zweifels; L. H.] durch den ‚wissenschaftlichen Gottesbegriff‘“ eingeordnet.³⁵ Als Signum einer solchen intellektualistischen Lösung gilt Tillich der Versuch, die ‚religiöse Funktion‘ in der spekulativen „Vollendung des theoretischen Gottesbegriffs“ zu gründen. In diesem Zusammenhang kann er jetzt – in diametralem Gegensatz zur früheren Position – dem Kähler’schen Diktum zustimmen, demzufolge die Idee des Absoluten ein Götze sei.³⁶ Den Haupteinwand gegen die frühere Position liefert der bereits im ersten Brief angedeutete Hinweis auf den gedanklichen ‚Werk‘charakter der spekulativen Gottesidee: „Es widerspricht dem Centrum des religiösen Lebens, daß das Recht zum Glauben abhängig wird von einem intellektuellen Werk.“³⁷ Mit Blick auf den von Tillich selbst reklamierten Status der betreffenden Überlegungen als einer „Selbstkritik“ des Früheren gilt also: Gegenüber allem Aufwand einer intellektuellen Begründung des Religionsbegriffs, für die die im frühen System entworfene, in Teilen hochspekulative Theorie des Absoluten hier stellvertretend einsteht, ist der gewissermaßen schlichte Zweifel religiös wie theoretisch im Recht. Die in der Systematischen Theologie noch punktuell auftretenden Rückfragen gegenüber einem cum grano salis Hegel’schen Zugang zur Religionsthematik sind dementsprechend zu einer prinzipiellen Kritik des „Hegelianismus“ erweitert. Dieser gilt Tillich nun nachgerade als „intellektueller Pharisäismus“.³⁸ Ebd., 103. Ebd., 99; vgl. zum Folgenden ebd., 99 f. Vgl. ebd., 99: „Ich akzeptiere den Kählerschen Satz: ‚das Absolute ist ein Götze‘, dann nämlich, wenn die religiöse Funktion auf die Vollendung des theoretischen Gottesbegriffs fundiert werden soll.“ An der veränderten Stellung zu jenem Diktum lässt sich paradigmatisch das Ausmaß der mit jenen Jahren erfolgenden Selbstkorrektur ablesen; zur früheren erklärten gedanklichen Distanz zu Kähler vgl. oben I.1 a) und b) sowie die Einleitung zu I.2. Ebd., 100. Der Einwand verdeutlicht noch einmal, dass die im ersten Brief artikulierte religiöse Problematisierung des Gottesgedankens im zweiten Brief nicht einfach einer erkenntnistheoretischen weicht, sondern sich mit dieser verbindet. Ebd.
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Die darauffolgende Abgrenzung gegen die für Hirsch vermutete Position – Tillich charakterisiert sie als die einer gleichfalls paradigmatischen Forderung einer Überwindung des Zweifels sub specie eines „sittlich-religiösen Realitätserlebnis[ses]“³⁹ – erfolgt in zweifacher Weise. Einmal verkennt eine solche Forderung den unumgänglich theoretischen Status des Gottesgedankens,⁴⁰ die geforderte sittliche Bejahung setzt ihrerseits das im Zentrum der Kritik stehende intellektuelle ‚Werk‘ stillschweigend voraus. Im Hintergrund steht erneut die eigene, komplexe Fassung des Religionsbegriffs. Nimmt man hinzu, dass der Akt der sittlichen Bejahung selbst willkürlich ist und mithin als ‚Werk‘ interpretiert werden kann, droht der für Hirsch angesetzte Weg sogar den Werkcharakter des Glaubens zu verdoppeln, statt ihn zu lösen. Die stillschweigende Unterschlagung des problematischen theoretischen Momentes kann zweitens über die These einer vermeintlich möglichen unmittelbaren Gotteserfahrung erfolgen. Das sittlich-religiöse Erlebnis würde demnach seine Evidenz als Gotteserlebnis gegenüber dem Zweifel unvermittelt statuieren. Wiederum besteht Tillich auf der Unumgänglichkeit theoretischer Einschübe, wenn er andersherum hervorhebt: „Jedes Erlebnis, das sich als Gotteserlebnis gibt, bedarf ja der Deutung. Diese Deutung ist Theorie.“⁴¹ Die beiden Einwände gegenüber Hirsch und damit gegenüber einer jeden Position, die dem Zweifel über ein religiös imprägniertes Sittlichkeitserlebnis beizukommen sucht, treffen sich darin, dass Tillich die Notwendigkeit theoretisch-gegenständlicher Momente des Gottesbegriffs unterstreicht. Während also der Novemberbrief noch primär auf die Problematisierung der Gegenstandskategorie hinsichtlich des Gottesgedankens zielte, ist nun – bei aller Problematik – deren Unverzichtbarkeit festgehalten: Zwar heften sich an das „gegenständliche Moment in der Religion“ notwendig religiöse wie erkenntnistheoretische Zweifel. Gleichwohl bedarf das objektive Moment der Religion ebenso notwendig auch gegenständlicher Aspekte. Infrage steht somit näherhin das Verhältnis der gegenständlichen und der nicht gegenständlichen Momente von Religion bzw. genauer ihrer Objektivation. Um die damit aufgeworfene Frage des komplexen Verhältnisses von subjektivem und objektivem Moment, von gegenständlichem und nicht gegenständlichem Aspekt der religiösen Objektivierung unter den veränderten Denkbedingungen des Jahres 1917 positiv zu fassen, formuliert der Dezemberbrief im Anschluss einen Vgl. ebd.; zum Folgenden vgl. ebd., 100 – 102. Vgl. ebd., 100: „Und theoretisch ist der Gottesgedanke selbst dann, wenn er aus lediglich praktischen Motiven hervorgeht; denn er ist ein Begriff und […] fällt also als Begriff […] unter die Formen des Gegenständlichen überhaupt.“ Ebd., 101.
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ersten Lösungsversuch.⁴² Tillich unterscheidet hierfür prinzipiell zwischen einem „subjektive[n] urständliche[n] Moment der Religion“ einerseits und der „objektive[n] Religion“ andererseits. Der gedankliche Fokus liegt dabei klar auf Ersterem: Auf das ‚subjektive Moment‘ soll sich jetzt die religiöse Gewissheit gründen, seine Beschreibung gilt geradezu als „wichtigste Aufgabe der Religionswissenschaft und Theologie“. Gleichwohl sind die Näherbestimmungen noch immer tastend: Gedacht ist an eine – so wiederholt – „reine Zuständlichkeit“ vor jedem bestimmten Objektbewusstsein. Diese Grundbestimmung des ‚subjektiv-urständlichen Momentes‘ erinnert, zumal in ihrer Gegenüberstellung zu einem Modus mentaler Selbstrepräsentation, der bereits den Überschritt in Objektivationen bedeutet, an jenes Zuständlichkeitsbewusstsein der Schleiermacher’schen Glaubenslehre, das dieser im dortigen § 3 unter dem berühmten Titel des „unmittelbaren Selbstbewußtseins“ entwickelt hatte:⁴³ Zu denken ist an ein Bewusstsein, dass jeder reflexiv-vergegenständlichen Selbsterfassung vorausgeht, und dieserart mehr als ein mentales Vorstelligwerden von Selbstzuständen zu verstehen ist.⁴⁴ Der Sache nach an Schleiermacher anknüpfend, vermeidet Tillich allerdings den bei jenem im betreffenden systematischen Kontext prominent eingeführten Gefühlsbegriff – aus ersichtlichen Gründen, da seine gerade auf die Komplexion von theoretischem, praktischem und emotivem Vermögen abhebende Geisttheorie dem Letzteren keine exponierte Bedeutung zubilligen kann.⁴⁵ Demgegenüber greift er in diesem Zusammenhang auf den Begriff des „Erleben[s]“ zurück: Das reine Zuständlichkeitsbewusstsein soll selbst ausdrücklich „kein Erlebnis“ sein, seinerseits aber einem jeden Erlebnis „eine Färbung, einen Klang, eine Richtung, eine Form, einen Ausdruck, eine Seele“ geben. Tatsächlich tritt das entsprechende semantische Feld mit dem Briefwechsel in den Vordergrund, um dann in den
Zum Folgenden vgl. ebd., 102– 104. Vgl. Friedrich D. E. Schleiermacher, Der christliche Glaube. Nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2. Auflage, Bd. 1 (Berlin: Walter de Gruyter, 1960), 14 ff. Zur Diskussion um die nähere Gestalt jenes ‚unmittelbaren Selbstbewusstseins‘ vgl. Konrad Cramer, „Die subjektivitätstheoretischen Prämissen von Schleiermachers Bestimmung des religiösen Bewußtseins“, in: Dietz Lange (Hg.), Friedrich Schleiermacher 1768 – 1834. Theologe – Philosoph – Pädagoge (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1985), 129 – 162; Ulrich Barth, „Die subjektivitätstheoretischen Prämissen der ‚Glaubenslehre‘. Eine Replik auf K. Cramers Schleiermacher-Studie“, in: ders., Aufgeklärter Protestantismus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 329 – 351, bes. 332.335.342 ff. Vgl. EW VI, 102: „[I]n ihr [sic; eigentlich ‚ihm‘, da dem Kontext nach das ‚subjektiv urständliche Moment der Religion‘ gemeint ist; L. H.] [wird] nichts Objektives bewußt, sondern das [ist] nur die Beschreibung einer reinen Zuständlichkeit“. Zu Schleiermachers Vorbehalten gegenüber einem hinsichtlich des Religionsbegriffs dieserart komplex gehaltenen Geistbegriffs vgl. Schleiermacher, Glaube, 22 f.
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frühen 1920er Jahren eine Schlüsselrolle einzunehmen.⁴⁶ Dem fraglichen ‚Erleben‘ bzw. ‚reinen Zuständlichkeitsbewusstsein‘ eignet, wie schon der sachliche Querbezug zum Gefühlsbegriff der Schleiermacher’schen Glaubenslehre verdeutlicht, transzendentaler Status. Weiterhin ist es als Absolutheitsbewusstsein konzipiert. Tillich hält die Reihe möglicher Näherbestimmungen zwar bewusst offen – genannt sind „Unendlichkeitsbewußtsein, Eigenwertbewußtsein, Bewußtsein einer Wertordnung, Abhängigkeits- und Freiheitsbewußtsein, Totalitätsbewußtsein etc.“ –, markiert jedoch mit Nachdruck den sie verbindenden Absolutheitscharakter, wenn er schließt: „[…] alles unter dem Exponenten ‚absolut‘.“⁴⁷ Der absolutheitstheoretische Anspruch der frühen Theoriebildung soll also keineswegs aufgegeben, sondern vielmehr in die Form einer transzendentalen Theorie des Erlebens überführt werden. Neben das so umrissene subjektiv-urständliche Moment der Religion tritt nun die eigentlich problematische ‚objektive Religion‘. Wiederum greift Tillich zu mehr tastenden Metaphern, um das Verhältnis beider zu beschreiben: Letztere „erhebt sich“ auf dem Boden der Ersteren, bzw. – so in einem Brief an Maria Klein, ebenfalls im Dezember 1917 – sie „baut sich auf“ jener auf.⁴⁸ Erkennbar ist jedenfalls, dass an ein Fundierungsverhältnis zu denken ist: Das Urständlichkeitsbewusstsein gilt Tillich als das gleichsam Erste, die konkreten Objektivationen dieses Bewusstseins in ihren unterschiedlichen Stufen – genannt werden
Man vergleiche nur die einschlägige Definition des Religionsbegriffs im Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur von 1919, die den entsprechenden Überlegungen der 1920er Jahren zum Ausgangspunkt dienen wird: „Religion ist Erfahrung des Unbedingten“ (GW IX, 18). Zum Verhältnis des im Briefwechsel favorisierten Erlebnisbegriffs zu dem der Erfahrung vgl. unten II.2.1 a); auch die im Briefwechsel noch changierende Rede vom ‚religiösen Erleben‘ einerseits und vom ‚religiösen Erlebnis‘ andererseits wird sich dort mit Blick auf die Texte der 1920er präzisieren lassen. Die genauen problemgeschichtlichen Hintergründe von Tillichs Adaption des Begriffs des ‚Erlebens‘ bzw. des ‚Erlebnisses‘ lassen sich dabei kaum mit Sicherheit bestimmen. Zu denken wäre beispielsweise an Rudolf Ottos Buch Das Heilige, das dann mit dem vierten Brief ganz ins Zentrum rücken wird; vgl. EW VI, 123 ff., bes. 124, wo der Erlebnisbegriff unmittelbar mit dem Namen Ottos in Verbindung gebracht ist („Aus all dem ziehe ich nun […]“). Allerdings rezipierte Tillich Otto wohl erst im unmittelbaren Vorfeld des vierten Briefes im April/Mai 1918 – und also ein halbes Jahr nach dem zweiten Brief; vgl. unten II.1 c). Als Hintergrund denkbar wären gleichfalls etwa Edmund Husserls Logische Untersuchungen, in denen dem Begriff eine wichtige systematische Bedeutung zukommt; zu Husserls Erlebnis-Begriff vgl. Konrad Cramer, „‚Erlebnis‘. Thesen zu Hegels Theorie des Selbstbewußtseins mit Rücksicht auf die Aporien eines Grundbegriffs nachhegelscher Philosophie“, in: Hans-Georg Gadamer (Hg.), Stuttgarter Hegel-Tage 1970. Vorträge und Kolloquien des Internationalen Hegel-Jubiläumskongresses (Bonn: Bouvier, 1974), 537– 603, 569 – 590; zu Tillichs früher Husserl-Rezeption vgl. unten II.3.1 b). EW VI, 102. Ebd. bzw. EW V, 121.
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„Mythos, Dogma, Philosophie, Selbstbetrachtung“⁴⁹ – ist als gewissermaßen Zweites davon abhängig. Wie dieser Prozess der Objektivierung näherhin zu denken ist, werden dann der dritte und vierte Brief weiter präzisieren. Bemerkenswert ist hier gleichwohl, dass Tillich ihn im zweiten Brief unmittelbar mit dem Begriff der ‚Deutung‘ verbinden kann: „Deutung ist aber Objektivierung. Und das Erlebnis tritt vermutlich nie ohne diese Deutung oder Objektivierung auf.“⁵⁰ Der Objektivationsprozess des rein subjektiv-urständlichen religiösen Bewusstseins ist somit explizit als ein Deutungsvorgang verstanden: In der Objektivierung seiner selbst legt sich das religiöse Erleben aus. ⁵¹ Tritt man einen Schritt zurück, so lässt sich das Verhältnis von subjektivem und objektivem Moment der Religion mit dem zweiten Brief entsprechend prinzipiell als Wechselverhältnis von Erleben und Deuten fassen.⁵² Dabei betont Tillich zwar durchgängig den höheren Stellenwert des Ersteren, hebt jedoch zugleich die Notwendigkeit der Selbst-Objektivierung des religiösen Zuständlichkeitsbewusstseins bzw. Erlebens hervor: „Über die Objektivation ließen sich viele Bücher schreiben. Ihre Notwendigkeit ist in dem subjektiv-objektiven Charakter des Geistes überhaupt begründet. Er ist nur, indem er sich objektiviert.“⁵³ Mit dem Letzteren ist bei Lichte besehen die systematische Grundannahme formuliert, die sowohl im Hintergrund der seinerzeitigen Programmformel eines in sich paradoxen ‚Glaubens ohne Gott‘ wie des Hirsch-Briefwechsels insgesamt steht: Das Primat des subjektiven Momentes der Religion steht für Tillich wie gesehen fest. Religion kann aber, so die wiederkehrende Beteuerung, in diesem subjektiven Moment nicht aufgehen, da sie notwendig der Objektivierung bedarf. Grund hierfür ist letztlich eine übergreifende geisttheoretische These, der zufolge Geist nicht in reiner Subjektivität verbleiben kann, sondern konstitutiv ‚subjektiv-
EW VI, 102. Ebd. Das ‚vermutlich‘ mag signalisieren, dass Tillich sich diesbezüglich selbst noch in einem Klärungsprozess befindet. Dazu passend wird er im dritten, auf den Februar 1918 datierenden Brief im fraglichen Kontext anmerken, dass er sich „in den letzten Wochen“ intensiver mit dem Thema beschäftigt habe (ebd., 118). Vgl. etwa ebd., 118. Dieses Verständnis des Objektivationsprozesses weist wiederum voraus auf das, was die beiden folgenden Briefe als genuines Medium dieses Prozesses identifizieren werden – nämlich eben die Kategorie des Sinns bzw. Wertes. Zum sachlichen Konnex von Deutungsbegriff und Sinnbegriff vgl. Ulrich Barth, „Theoriedimensionen des Religionsbegriffs. Die Binnenrelevanz der sogenannten Außenperspektiven“, in: ders., Religion, 29 – 87, 35 u.ö. Zu einem Religionsverständnis in der Korrelation von ‚Erleben‘ und ‚Deuten‘ vgl. exemplarisch wiederum Ulrich Barth, „Was ist Religion? Sinndeutung zwischen Erfahrung und Letztbegründung“, in: ders., Religion, 3 – 27, 9 ff.; ders., „Theoriedimensionen“, bes. 36 – 50. EW VI, 103; kursiv L. H.
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objektiven‘ Charakters ist. Religion hat als Dimension des Geistigen an dessen Objektivierungsnotwendigkeit teil – und das bei und trotz aller diesbezüglichen Problematik. Tillichs Leitfrage im Briefwechsel erweist sich somit genauer als Frage nach einem tragfähigen Theorierahmen, in dem sich das objektive Moment der Religion zumal angesichts seiner fundamentalen Problematisierung ausweisen und gedanklich entfalten lässt. Die mit dem ausführlichen Lösungsvorschlag des zweiten Briefes gegebene Antwort weist unübersehbar in Richtung einer Theorie des Geistes. Damit ist die engere, erkenntnis- bzw. gewissheitstheoretische Fragestellung, über die Tillich in diesem Brief eingestiegen war,⁵⁴ schon mit dessen argumentativem Zielpunkt merklich erweitert: Mit dem Geistbegriff ist nunmehr ein denkbar weit gefasster Interpretationsrahmen anvisiert, in dem die gewissheitstheoretische Frage nur noch einen Teilaspekt darstellt. Zugleich ist Tillichs wiederkehrende Rede von einem ‚objektiven Moment‘ der Religion potenziell irreführend, kann sie doch dessen einfaches Vorliegen oder Gegebensein insinuieren. Das Objektivationsmoment bezeichnet allerdings gemäß den ersten geisttheoretischen Umrissen keine feststehende, ‚in sich‘ stabile Größe, sondern eben gerade das gesuchte, weil prinzipiell problematische Moment von Religion.⁵⁵ Nimmt man in einem Vorgriff auf das Folgende⁵⁶ zudem die näherhin bewusstseinstheoretische Gestalt von Tillichs betreffenden Überlegungen hinzu, dann lässt sich die Leitfrage des Hirsch-Briefwechsels zu der Frage präzisieren, inwiefern sich die religiösen Objektivierungen, aller angezeigten Problematik zum Trotz, als notwendiges Moment des religiösen Bewusstseins verstehen und ausweisen lassen. ⁵⁷ Der Geistbegriff, die Dualität von Erleben und Deuten sowie der Sinn- bzw.
Vgl. noch einmal Tillichs entsprechende gewissheitstheoretische ‚Formulierung meines Zentralproblems‘; ebd., 99; s. o. Sturms These, der zufolge es sich beim Hirsch-Briefwechsel um eine „religionsphilosophische Debatte um den Gottesbegriff“ (Sturm, „Selbstbewußtsein“, 26) handle, ist demgegenüber zu eng – am Anfang der Tillich’schen Denkbewegung steht ja gerade die fundamentale Infragestellung des Gottesgedankens selbst. Die Figur des ‚objektiven Momentes‘, die Kernfrage der Objektivation von Religion ist demgegenüber deutlich weiter und grundsätzlicher gefasst. Vgl. unten II.1 b). Genau hier liegt die Differenz zu dem im Ganzen durchaus geschätzten Simmel; vgl. Barth, „Religion und Sinn“, 205 f. Mit Blick auf die von Simmel im Rembrandt herausgearbeiteten drei Typen von Religiosität steht Tillich somit dem zweiten Typus am nächsten: Gegenüber dem Ideal eines reinen ‚Bei-sich-selbst-Seins‘ der Seele, das für den dritten Typus der ‚Rembrandt-Frömmigkeit‘ kennzeichnend ist, insistiert er auf einer für Religion konstitutiven Bedeutung der Objektivationen – gleichsam der Notwendigkeit des ‚Umweges‘ über die ‚Gegenstände‘ der Religion. Dabei haben diese nichtsdestoweniger, das steht für Tillich mit dem zweiten Hirsch-Brief fest, ihrerseits als nachgängiger Ausdruck eines subjektiven Urständlichkeitsbewusstseins zu gelten.
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Wertbegriff markieren dabei die bereits mit dem zweiten Brief aufgezeigten Eckpunkte des angedachten Theorieprogramms. Der dritte Brief vom 20. Februar 1918 bietet im Rahmen des Hirsch-Briefwechsels die ausführlichsten Überlegungen zum näheren Modus der Objektivierung. Tillich entwickelt sie entlang einer „Polarität im Geistesleben“, die er zwischen dem „Wertbewußtsein“ auf der einen und dem „Unendlichkeitsbewußtsein“ auf der anderen Seite konstatiert.⁵⁸ Im Vorfeld der eigentlichen gedanklichen Entfaltung ist einleitend nochmals der prinzipielle Zugang über den Geistbegriff unterstrichen und im Gegenüber zu dessen von Hirsch vorgeschlagener Fassung präzisiert.⁵⁹ Für die eigene Argumentation greift Tillich dabei unter dem Stichwort einer „Dialektik des Supra“ auf einen Grundgedanken seiner Habilitation zurück.⁶⁰ Der jener ‚Dialektik‘ entsprechende Ausgangspunkt lautet: „Das ‚Gedachtsein‘ ist das ‚monistische Land‘“,⁶¹ den Zielpunkt markiert die These: „In den Geist kann nichts hinein, was nicht aus ihm kommt, denn er ist niemals leere Form, sondern immer lebendige Aktualität. Er ist in sich unendlich und zieht alles in sich hinein.“⁶² Damit ist gleichsam ein ‚Monismus des Geistes‘ zur Basis der eigenen Überlegungen gewählt. Das religiöse Erleben lässt sich folglich nicht von einem wie auch immer näher bestimmten, dem Geist vollkommen „Fremden“ oder „andern“⁶³ her verständlich machen, da es ein solches ‚extra‘ des Geistes für diesen selbst nicht geben kann. Vielmehr will Tillich das religiöse Erleben als – so der Abschluss des Gedankengangs – „Ausdruck einer Polarität im Geiste selbst“⁶⁴ verstanden wissen. In der betreffenden Polarität von ‚Unendlichkeitsbewusstsein‘ und ‚Wertbewusstsein‘ wird nun zunächst Ersterem die Sphäre des Gegenständlichen zuge Vgl. EW VI, 119 ff. Tillich unterstellt näherhin seinerseits Hirsch eine subtile Form des Supranaturalismus, für die bei diesem das Insistieren auf einem vorgeblich vorbegrifflichen ‚Innewerden‘ des ‚Andern‘, des ‚Fremden‘ als des Göttlichen einstehe; vgl. ebd., 116 – 119. Die Überlegungen zur ‚Dialektik des Supra‘ im Rahmen der Habilitation laufen auf die These hinaus, dass sich vom ‚Übernatürlichen‘ kein positiver Begriff bilden lässt. Vielmehr bleibe sein noch so emphatisch behauptetes ‚Über‘ immer dem ‚Natürlichen‘ als begrifflicher Definitionsbasis verpflichtet. In der Folge ‚schwebe‘ das Übernatürliche immer dazwischen, ‚Vernichtung oder Duplikat‘ des Natürlichen zu sein; vgl. EW IX, 463 f. Aller eingangs genannter Selbstkritik am ‚formell so schlecht gelungenen‘ Charakter der eigenen Habilitationsschrift zum Trotz hält er den entsprechenden Gedanken für systematisch unvermindert tragfähig. EW VI, 115. Ebd., 116. So Tillich in Aufnahme der entsprechenden, oben zitierten Hirsch’schen Formulierungen; vgl. ebd., 116 f. mit ebd., 106 u. ö. Hirsch hat den Supranaturalismus-Vorwurf umgehend zurückgewiesen und ihn seinerseits an Tillich zurückgegeben; vgl. ebd., 128 ff. Ebd., 117; kursiv L. H.
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ordnet. Genauer ist diese Sphäre – wie schon gemäß der ersten beiden Briefe – als die des Vergegenständlichten zu bestimmen, setzt doch das Bewusstsein vermittels des Begriffs bzw. des Existenzialurteils allererst seine Objekte als gegenständliche. Gleichzeitig transzendiert das Unendlichkeitsbewusstsein den von ihm gesetzten konkreten Gegenstand umgehend: Es ist „dem Geist immanent im Verhältnis zu allem Gegenständlichen, nichts ist seine Grenze, über alles geht er hinaus […] in immer tiefere Tiefen der Dinge.“⁶⁵ Die Metapher ‚tiefere Tiefen der Dinge‘ signalisiert bereits, dass der Geist im Modus des Unendlichkeitsbewusstseins die Sphäre des Gegenständlichen selbst nicht übersteigt. Folgerichtig denkt Tillich in diesem Zusammenhang an eine „relative[ ] Transzendenz“ des Unendlichkeitsbewusstseins,⁶⁶ bzw. – wie wir sub specie der für den Gedankengang zentralen Aktuosität des Bewusstseins ergänzen können – an ein ‚relatives Transzendieren‘ desselben. Dem Bewusstsein eignet so gewissermaßen die ‚innere Unendlichkeit‘ der eigenen Transzendierungsbewegung, die aber nicht bis zum „wahrhaft Transzendente[n]“⁶⁷ hinreicht. Da der Fokus dabei einmal mehr auf der Aktuosität des Transzendierens im Gegenüber zur objektivierten Gestalt liegt, in der sich jene Geistesaktivität Ausdruck verleiht, stellt Letztere, ganz auf der Linie der Fragestellung des Briefwechsels, eine problematische Größe dar. Griffig ist dieser Gedanke in einem Brief an Maria Klein aus dem Dezember 1917 formuliert: „Das ‚Leben‘ als Begriff, die ‚Unendlichkeit‘ als Gegenstand sind philosophische, problematische Gottesbegriffe; sondern es handelt sich um die innere Unendlichkeit des Lebens als Aktus, […] das Transzendieren über jeden Gegenstand und alles Gegenständliche.“⁶⁸ Das Bewusstsein vermag zwar, so wieder im Brief an Hirsch, die eigene Transzendierungsbewegung unter dem „Bilde der quantitativen und qualitativen Unendlichkeit“⁶⁹ zu schematisieren, jedoch bleiben diese Schematisierungen gegenüber jener Bewegung sekundär. Zusammenfassend changiert der Geist im Modus des ‚Unendlichkeitsbewusstseins‘ zwischen Vergegenständlichen und Transzendieren, was dementsprechend auch die zuge-
Ebd., 119. Ebd. Ebd., 120. EW V, 121; kursiv L. H. Die Hinzusetzung des ‚nicht‘ durch die Herausgeber des Bandes im ersten Satz des Zitates konterkariert dessen Aussageintention. Tillich zielt ja gerade auf eine Problematisierung der aus der unendlichen Transzendierungsbewegung des Geistes gewonnenen, gleichsam begrifflich geronnenen Objektivationen. EW VI, 119.
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hörigen Objektivierungen zwischen Gegenstands- und Transzendenzcharakter schillern lässt.⁷⁰ In die damit gegebene „Dialektik“ zeichnet Tillich den Kulturbegriff ein, wodurch Unendlichkeitsbewusstsein und die Sphäre der Kultur als Korrelate erscheinen. Die in der so gefassten Kultursphäre unendlich dialektische Bewusstseinsaktivität zwischen dem Setzen einer bestimmten Gegenständlichkeit und dessen Überschreiten produziert also einerseits die materiale Fülle wissenschaftlicher Begriffe, künstlerischer Anschauungen etc. Andererseits führt die unendliche Iterierbarkeit von Setzen und Aufheben zu einer „Leere des reinen Unendlichkeitsbewusstseins“:⁷¹ Das Unendlichkeitsbewusstsein kommt aus dem Kreislauf der eigenen Tätigkeit nicht heraus. In diesen Kreislauf soll nun mit dem Wertbewusstsein „etwas völlig Neues“ eintreten, ein gegenüber jenem relativen Transzendieren eben „wahrhaft Transzendentes“.⁷² Tillich verknüpft diesen Überschritt hier mit dem Gedanken der „Persönlichkeit“ bzw. genauer mit dem ihres „absoluten Wertes“. Da die Orientierung am Persönlichkeitsgedanken zu der von ihm ansonsten verfolgten Lösungsstrategie quer steht, können wir ihre Einzelheiten auf sich beruhen lassen.⁷³ Jedenfalls soll sich die fragliche ‚wahrhafte‘ bzw. „absolute Transzendenz“ ausdrücklich allein am ‚daß‘ des reinen Geltens der Werte festmachen, diesseits jeder konkreten Ausformung derselben: „Die Trägerin der Transzendenz ist die Geltung der Werte, nur ihre Geltung, ihr ‚daß‘, nicht ihr ‚was‘, denn das System der Werte ist intuitives Geistesprodukt, ist ‚Schöpfung‘ und steht unter der Rechtfertigung“.⁷⁴ Während also jede konkrete Objektivierung des Wertbewusstseins wiederum unter die ‚Dialektik des Supra‘ fällt, ist es ausschließlich die Unumgäng Im Sinne einer solchen Dialektik dürften die etwas kryptischen, die Einführung des Unendlichkeitsbewusstseins abschließenden Hinweise zu verstehen sein, wonach der Geist einerseits „Transzendentes als gegenständlich voraus[setzt]“ und andererseits „etwas Endliches transzendent [setzt]“ (ebd.). Ebd., 120. Ebd. Vgl. im Einzelnen Dierken, „Zweifel“, 307 f. Die starke Orientierung am Persönlichkeitsgedanken mag hier dem Gegenüber geschuldet sein, insofern er für Emanuel Hirschs Religionstheorie schlechterdings zentral ist. Zumindest sucht Tillich schon gleich zu Beginn des betreffenden dritten Briefes in diesem Punkt die grundsätzliche Verständigung, wenn er Hirsch an seinen ‚Fund‘ der Persönlichkeit im Zuge des Kriegserlebens erinnert; vgl. EW VI, 115. In der schließlich im Hirsch-Briefwechsel bevorzugten ‚Lösung‘ der Objektivationsfrage stehen sich der zweite und der vierte Brief systematisch näher, während die im dritten Brief entworfene positive Fassung des Wertbewusstseins – also ebd., 120 f. – noch einmal eine eigene, abweichende Position bezieht. Ebd., 121; demgegenüber gilt hinsichtlich jedweder konkreten Ausformung der Werte: „alle Normen stammen aus dem Geist“ (ebd., 122).
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lichkeit – das ‚dass‘ –, überhaupt bestimmte Werte als absolut und somit als für sich schlechthin geltend zu setzen, die Tillich als Anzeige der absoluten Transzendenzdimension des Geistes gilt. Die näheren Ausführungen zur inhaltlichen Gestaltung des Gottesgedankens verbinden umgehend die beiden Pole, Unendlichkeits- und Wertbewusstsein, miteinander. Damit ist bereits deutlich, dass jene Gestaltung kein exklusives Geschäft der Religion ist, sondern dass sich hier stets kulturelle und religiöse Momente miteinander verschränken. Dabei erzeugt das Unendlichkeitsbewusstsein in der beschriebenen Dialektik gewissermaßen die ‚Breite‘ der möglichen ‚gegenständlichen‘ – in einem weiten Sinne, hierunter zählen für Tillich eben auch die konkreten Werte – Objektivierungen, von denen einzelne dann per Wertbewusstsein als absolut geltend und insofern als wahrhaft transzendent gesetzt werden: „So verbindet sich im Gottesgedanken die ontologische Objektivierung des Unendlichkeitsbewußtseins mit der axiologischen des Wertbewußtseins.“⁷⁵ Der Ton liegt weiterhin auf der Aktuosität des Bewusstseins, dessen Bewegung zwischen beiden Polen nun mit dem Fichte’schen Terminus des „Schweben[s]“⁷⁶ belegt werden kann: Das religiöse Bewusstsein ‚schwebt‘ so zwischen der Fülle seiner gegenständlich-anschaulichen Objektivationen einerseits und deren schroffer Negation andererseits – eine Negation, die sich dem Bezug auf das reine, absolut transzendente Gelten verdankt. Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang zweierlei: Zum einen ist der bereits gegenüber Maria Klein klar ausformulierte und dann im Kontext der Überlegungen zum ‚Unendlichkeitsbewusstsein‘ aufgegriffene Gedanke, dem zufolge selbst die Idee der Unendlichkeit noch als Produkt der schematisierenden Tätigkeit des Geistes zu gelten hat, mit der den dritten Brief beschließenden Verschränkung des Unendlichkeitsbewusstseins mit dem Wertbewusstsein durchgehalten und verstärkt: Etwa der Begriff der „Totalität“, vor allem aber der des „Absolute[n]“ sind als logisch nachgängige Objektivationen einer entsprechenden Bewusstseinsaktivität verstanden: „Eine genaue Analyse aller Begriffe, wie Absolutes, […] Kosmos, Totalität usw. zeigen [sic] deutlich, daß Wert- und Unendlichkeitsbewußtsein in
Ebd., 120 f. Ebd., 121; zum Fichte-Hintergrund der den Briefwechsel tragenden Gedanken vgl. auch den expliziten Hinweis gegen Briefende: „Zuletzt liegt all meinen Ausführungen der Gedanke des Fichteschen Atheismusstreites zu Grunde, daß es logisch wie religiös unmöglich ist, Gott unter die Gegenstände einzureihen.“ (ebd., 122). Die offensichtlichen und sogar ausdrücklichen Bezugnahmen auf Fichte im dritten Brief sprechen klar gegen die Wenz’sche These von Tillichs ‚Abkehr vom Idealismus‘ vor dem Hintergrund seiner Kriegserlebnisse – wir werden darauf nochmals anlässlich des vierten Briefes zurückkommen; vgl. unten II.1 c).
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ihnen objektiviert sind.“⁷⁷ Somit ist die Denkbewegung der Frühzeit endgültig umgekehrt: An die Stelle einer spekulativen Theorie des Absoluten tritt ein bewusstseinstheoretischer, prinzipiell erkenntniskritischer Ansatz. Der Fokus liegt dabei freilich schon ob des leitenden religionstheoretischen Interesses weiterhin auf den absolutheits- bzw. unbedingtheitstheoretischen Momenten des Bewusstseinsbegriffs. Zum anderen weisen Terminologie und Gedankenführung des dritten Briefes aufs Ganze gesehen merklich auf die spätere Theoriebildung voraus. Zu denken wäre beispielsweise an die stärkere Präsenz der Figur der ‚Schöpfung‘ bzw. des ‚Schöpferischen‘,⁷⁸ die entschiedene Orientierung an der Dualität von ‚Religion‘ und ‚Kultur‘⁷⁹ sowie die systematische Aufwertung des Transzendenz- bzw. Transzendierungsgedankens.⁸⁰ Daneben rückt mit dem Briefschluss gar von Ferne die Begriffstrias ‚Gehalt/Form/Inhalt‘ in den Blick. Demzufolge bezieht sich der notwendige Zweifel genauer auf die „Objektivationsform“, während der eigentliche „Gehalt“ der Objektivierungen – gemeint ist ihr jeweiliges transzendentes Gelten im Sinne der zuvor skizzierten Überlegungen – jenseits derselben verortet wird.⁸¹ Die in diesem Spannungsfeld erstehenden Objektivationen machen demgegenüber den „Inhalt unserer Religiosität“ aus.⁸² Das hier grundsätzlich an ein komplexes Verhältnis dreier irreduzibel aufeinander bezogener Begriffsgrößen gedacht ist, signalisiert der wiederholte Protest gegen den bei Hirsch vermuteten Gedanken einer bloßen, gleichsam ‚leeren‘ Form diesseits jeder Inhalt- bzw. Gehaltlichkeit.⁸³ Genau in der damit antizipierten Grundspannung von ‚Gehalt‘, ‚Form‘ und ‚Inhalt‘ wird Tillich dann bekanntlich seine Sinnkonzeption der 1920er
Ebd. Vgl. ebd., 120 f.; zur Bedeutung der Kategorie des ‚Schöpferischen‘ für die ausgereifte Theorie des Geistes vgl. unten II.3.2 b). Die Systematische Theologie von 1913 kannte demgegenüber noch die ‚Sittlichkeit‘ als gleichrangigen dritten Begriff, der mit denen der ‚Religion‘ und ‚Kultur‘ an entsprechender Stelle ins Verhältnis gesetzt wurde; vgl. EW IX, 296 – 300. Hinsichtlich der alleinigen Orientierung an letzteren beiden Begriffen verweist der Hirsch-Briefwechsel mithin vor auf den Programmaufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur aus dem Jahr 1919; vgl. unten II.2.1 a). Zur Bedeutung für die ausgereifte Geisttheorie sowie die Symbolkonzeption vgl. unten II.3.2 c) bzw. III.3 b). Vgl. ebd.: „So kann man sagen: An Gott zu zweifeln ist unmöglich und an Gott nicht zu zweifeln ist unmöglich. Das erste bezieht sich auf den Gehalt, das zweite auf die Objektivationsform.“ Ebd., 121. Vgl.Tillichs Verweis darauf, dass der Geist „niemals leere Form“ sei (ebd., 116) oder seine Kritik an Hirschs These, der zufolge sein Immanenzbegriff „‚nur‘ formal“ sei (ebd., 118); vgl. auch ebd., 124.
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Jahre entwickeln⁸⁴ – wir werden auf diese Beobachtung entsprechend im Zuge unserer Darstellung der sinntheoretischen Erwägungen des abschließenden vierten Briefes nochmals zurückkommen.
b) Intentionalitätstheoretische Motive im Übergang vom Frühwerk Die mit dem vierten Brief vom 5. Mai 1918 anvisierte ‚Lösung‘ des im Briefwechsel bearbeiteten Objektivationsproblems wird mit dem Sinnbegriff jene Kategorie ganz ins Zentrum rücken, die in Verbindung mit dem Geistbegriff das Fundament der Theoriebildung in der Zwischenkriegszeit bilden wird.Wir werden ihr ob ihres systematischen wie werkgeschichtlichen Gewichtes im folgenden Unterabschnitt eigens nachgehen.⁸⁵ Im gegebenen Zusammenhang wollen wir demgegenüber zunächst einen Gedankengang weiterverfolgen, der mit den vorstehenden Beobachtungen eröffnet ist. Mit ihm ist nämlich die Frage nach Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten zwischen dem Frühwerk und der Theoriebildung der 1920er Jahre aufgegriffen, die wir einleitend mehr allgemein beantwortet hatten: die Terminologie des Briefwechsels, bis hin zu der späterhin so zentralen Begriffstrias ‚Gehalt/Form/Inhalt‘, weist demnach voraus auf das Kommende, die systematische Umstellung von einer Theorie des Absoluten hin zu einer Theorie des religiösen Bewusstseins markiert einen merklichen Abstand zum Früheren. Diese Frage, nicht nur hinsichtlich jener Kontinuität bzw. Diskontinuität, sondern auch bezüglich der Stellung des Briefwechsels im fraglichen Prozess, lässt sich eben am Beispiel der Geisttheorie noch weiter vertiefen. Erfolgen kann dies anhand eines Terminus bzw. des mit diesem aufgerufenen Theoriefeldes, das in den 1920er Jahren in eine schlechterdings zentrale Funktion einrücken wird, dem aber, wie wir sehen werden, schon im Frühwerk eine gewisse Präsenz eignete: gemeint ist der Begriff der ‚Richtung‘ bzw. die mit ihm verknüpfte Intentionalitätstheorie. Wir rekonstruieren seine bzw. ihre Verwendung im Briefwechsel und werfen dann von hier aus einen Blick zurück in die früheren Überlegungen, um die Verschiebungen in der Geisttheorie näher zu fassen.
Vgl. unten v. a. II.2.1 c) und II.2.2 c). Sogar die noch in den späteren Schriften unscharf bleibende Abgrenzung von ‚Form‘ und ‚Inhalt‘ deutet sich bereits an, wenn Tillich abschließend konstatiert, dass das Bewusstsein im Sinne seiner Überlegungen über „jede besondere Form des Gottesgedankens und Erlebens hinaus[geht]“ (EW VI, 122; kursiv i.O.). Bei näherem Zusehen bezeichnet der Formbegriff hier – im Sinne der ausgereiften Sinntheorie – eben nicht den Formaspekt, sondern den Aspekt des konkreten ‚Inhalts‘. Vgl. unten II.1 c).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Einschlägig ist hierfür noch einmal der zweite Brief aus dem Dezember 1917. Zunächst findet sich der Richtungsbegriff, neben etwa den Termini der ‚Färbung‘ oder des ‚Klangs‘, in den mehr metaphorischen Umschreibungen des subjektivurständlichen Momentes der Religion.⁸⁶ Mag die Passage in systematischer Hinsicht wenig aussagekräftig sein, so signalisiert sie doch eine prinzipielle religionstheoretische Valenz des Richtungsbegriffs für Tillich. Systematisch ertragreicher ist die Schlusspassage jenes Briefes, mit der eine dreistufige Skala des „geistigen Lebens“ skizziert ist.⁸⁷ Charakteristikum der ersten Stufe des allgemein Humanen soll demnach eine „Wertbezogenheit überhaupt“ sein, den Übergang zur zweiten Stufe des „Geistigen“ im engeren Sinne markiert demnach ein „Gerichtetsein auf die Werte“. Der Überschritt hängt offenkundig am Aspekt der intentionalen Ausrichtung auf eine Wertsphäre, deren generelles ‚daß‘ – erinnert sei an die entsprechende Differenzierung des dritten Briefes – zwar auf der ersten Stufe bereits unthematisch präsent ist, jetzt aber ins Bewusstsein gehoben wird. Die dritte Stufe ist ganz am Ideal der Persönlichkeit orientiert. Tillich kann sie als „bewußte Hinwendung auf die absolute Wertsphäre und die Innerlichkeit des Religiösen“ fassen. Schon hier lässt sich somit eine Doppelung im Begriff der ‚Richtung‘ bzw. des ‚Gerichtetseins‘, der ‚Hinwendung‘ festhalten. Einmal steht er – gemäß der zweiten Stufe – für das Gesamt des Geistigen ein, das dadurch insgesamt durch Intentionalität bestimmt ist. Darüber hinaus bezeichnet er ein Differenzmerkmal der Religion, wenn auf der dritten Stufe die ‚absolute Wertsphäre‘ als Korrelat jener intentionalen Ausrichtung fungiert. Die gedankliche Komplexität des Tillich vor Augen Stehenden wird nochmals dadurch gesteigert, dass er alle drei Stufen – und also auch die ersten beiden, die diesseits einer Intention auf eine Sphäre des Absoluten verortet sind – ausdrücklich als religiöse verstanden wissen will.⁸⁸ So sind mit der Schlusspassage des zweiten Briefes bei näherem Zusehen zwei zu unterscheidende Religionsbegriffe angelegt, einmal Religion in einem weiten Sinne, für die Intentionalität nicht unbedingt charakteristisch sein muss,⁸⁹ und einmal Religion im engeren Sinne, Vgl. EW VI, 102: „So ist die skepsisfreie Religion eine reine Zuständlichkeit […] eine Färbung, ein Klang, eine Richtung, eine Form, ein Ausdruck, eine Seele jedes Erlebnisses (der Idee nach)“; kursiv L. H. Vgl. zum Folgenden ebd., 103 f. Vgl. ebd., 104: „Auf allen drei Stufen aber ist ‚Religion‘ im urständlichen Sinn und in irgend einer Form der Objektivation.“ Die Leitfrage des Briefwechsels nach dem Verhältnis von subjektivurständlichem und objektivem Moment der Religion liegt zu den abschließend skizzierten drei Stufen des ‚geistigen Lebens‘ mithin quer; vgl. auch ausdrücklich ebd.: „Mit diesen drei Stufen haben aber die Objektivationsstufen [Mythos, Dogma, Philosophie etc.; L. H.] gar nichts zu tun.“ Die erste Stufe war ja noch diesseits des für die zweite Stufe entscheidenden ‚Gerichtetseins auf die Werte‘ durch eine plane ‚Wertbezogenheit überhaupt‘ definiert.
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die demgegenüber nicht alleine durch eine intentionale Ausrichtung überhaupt, sondern näherhin durch eine solche auf die Absolutheitssphäre definiert ist.⁹⁰ Mit Blick auf die vermittels des Intentionalitätsgedankens zum Ausdruck gebrachte Differenz ließe sich vielleicht von einer unbewussten, impliziten Gestalt von Religion und ihrer bewussten, expliziten Gestalt sprechen. Dazu quer liegt überdies eine doppelte Inanspruchnahme des Richtungsgedankens, einmal als Definiens des Geistigen überhaupt, einmal als Definiens der Religion im engeren Sinne, unterschieden durch ihr spezifisches Korrelat. Tatsächlich wird sich die Religionstheorie der 1920er Jahre in genau diesem Spannungsfeld bewegen.⁹¹ Insofern können die Schlussüberlegungen des Briefes an Hirsch vom Dezember 1917 als Vorform des Kommenden gelten. Dies gilt im Übrigen gleichfalls in einer Hinsicht, die jetzt mehr selbstverständlich mitlief – die vorstehenden Überlegungen, und hier zumal die Präzisierung des Geistbegriffs mit Hilfe des Intentionalitätsgedankens, unterstreichen noch einmal, dass Tillich ab dem Hirsch-Briefwechsel sukzessive an einer bewusstseinstheoretischen Fassung von Geist gelegen war.⁹² Ist somit eine systematische Kontinuität zum Kommenden hin angezeigt, kann ein Blick zurück in das Frühwerk entsprechende Diskontinuitäten sichtbar machen. Schon dort konnte Tillich nämlich zwar angelegentlich auf den Terminus der ‚Richtung‘ zurückgreifen. Gleichwohl fand er in einer vom Späteren spezifisch unterschiedenen Form Verwendung. Einschlägig sind zwei Passagen, einmal ein mehr indirekter Hinweis im Rahmen der Lizentiaten-Dissertation, einmal die ausführlicheren Überlegungen zum Verhältnis von ‚Religion, Kultur und Sittlichkeit‘ in § 12 der Systematischen Theologie von 1913. In der Lizentiaten-Dissertation Mystik und Schuldbewußtsein konnte Tillich für die Zusammenstellung von Rechtfertigungs- und Paradoxgedanken, wie gesehen, in produktiver Fortschreibung an Wilhelm Lütgert anknüpfen.⁹³ Lütgert fungierte dabei als Gewährsmann gegenüber dem Religionsverständnis Immanuel Kants, von dessen Religionsschrift sich Tillich dort deutlich abgrenzte.⁹⁴ Näherhin war es
Der Charakter der entsprechenden Stufe als einer explizit religiösen wird nochmals dadurch unterstrichen, dass Tillich in der für sie spezifischen ‚bewussten Hinwendung auf die absolute Wertsphäre‘ das systematische Analogon zum traditionellen Gedanken der „Bekehrung“ erblickt (ebd.). Vgl. unten II.2.1 b) und c). Im Hintergrund der damit anhebenden Orientierung an der Intentionalität des religiösen Bewusstseins steht, wie die neuere Forschung vielfach vermerkt hat, nicht zuletzt die Intentionalitätstheorie Edmund Husserls; vgl. unten II.3.1 b). Vgl. oben I.2 c). Vgl. GW I, 31 f.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
das ganz am Identitätsmoment gehaltene Verständnis von Gebet und Geist, dem er entschieden zustimmte, wohingegen ein cum grano salis Kant’sches Gebetsverständnis, das das bleibende Differenzmoment noch im Gebet festhält, der Kritik verfiel. Für das Letztere stand exemplarisch Wilhelm Herrmanns Der Verkehr des Christen mit Gott ein,⁹⁵ belegt – und das ist im gegenwärtigen Zusammenhang entscheidend – mit dem Zitat: „Gebet ist der Glaube selbst als die stete Richtung des Herzens auf Gott.“⁹⁶ Der Richtungsbegriff galt Tillich mithin geradezu als Signum eines Religions- und Gebetsverständnisses, das – im Gegenüber zu der seinerzeit favorisierten Fassung im Sinne Lütgerts – „durch ‚Gegensatz‘ bestimmt“ ist.⁹⁷ Mit der Lizentiaten-Dissertation scheint dieserart mehr am Rande auf, dass die frühe, primär am Identitätsprinzip orientierte Theoriebildung schwerlich mit dem Richtungsbegriff bzw. einer am Gedanken der Intention auf Gott hin und also eine bleibende Differenz voraussetzenden Religionstheorie vereinbar war.⁹⁸ In den eigentlichen religionstheoretischen Überlegungen der Qualifikationsschriften fand der Terminus in der Konsequenz keine systematische Beachtung, anders als dann eben im Hirsch-Briefwechsel bzw. der nachfolgenden Theoriebildung der 1920er Jahre. Diese Beobachtung gilt es in Bezug auf eine Passage des Frühwerkes festzuhalten, die sie vorderhand zu widerlegen scheint. Im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 entfaltet Tillich in § 12 ausführlich das Verhältnis von ‚Religion, Kultur und Sittlichkeit‘ – und die dortigen Ausführungen zeigen bemerkenswerte Parallelen zu dem, was nach dem Ersten Weltkrieg den Kern der Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur darstellen wird: Im dialektischen Spannungsverhältnis von Religion und Kultur soll sich dem frühen System zufolge eine „religiöse Kultur“ aufbauen, in der sich die „Religion als Prinzip“ mit den „psychischen Funktione[n]“ Denken, Fühlen und Handeln so verbindet, dass daraus eben religiöse „Kultursphären“ entstehen.⁹⁹ Für unseren Zusammenhang ist nun
Wilhelm Herrmann, Der Verkehr des Christen mit Gott. Im Anschluss an Luther dargestellt (Stuttgart Berlin: Cotta, 51908). GW I, 31 f. Anm. 20; kursiv L. H. Ebd.: „Dort [bei Lütgert; L. H.] eine Lehre vom Gebet, die durch ‚Identität‘, hier eine solche, die durch ‚Gegensatz‘ bestimmt ist.“ Vgl. auch die entsprechenden Überlegungen der Monismusschrift zum Glaubensbegriff: „Das Charakteristische des gläubigen Verhaltens besteht nun darin, die Überwindung einer Spannung darzustellen […] Offenbar liegt in diesem Verhalten das Bewußtsein der Verschiedenheit von dem Objekt des Glaubens, aber zugleich als Resultat des gelingenden Glaubensaktes das Bewußtsein der aufgehobenen Geschiedenheit.“ (EW IX, 138; kursiv L. H.). Ebd., 297 f. bzw. ebd., 299 f.; zur Interpretation von § 12 des frühen Systems vgl. Folkart Wittekind, „‚Allein durch Glauben‘. Tillichs sinntheoretische Umformung des Rechtfertigungsverständnisses 1919“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft, 39 – 65, 42; Erdmann
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entscheidend, dass auch der Richtungsbegriff in jenen Überlegungen mehrfach Verwendung findet. So kann Tillich die betreffende Synthese von Religion und Kultur in der Erstfassung des Paragraphen¹⁰⁰ als „Religion als Aktualität“ (im Gegenüber zur ‚Religion als Prinzip‘) verstehen und sie als ein „Denken, Fühlen und Handeln, das sich auf Gott richtet“, definieren.¹⁰¹ In der Zweitfassung des Paragraphen begegnet der Richtungsbegriff gleich dreimal, zweimal in der Definition der Kultur als „Inbegriff aller auf das Gegebene gerichteten Geistesfunktionen“,¹⁰² einmal mit Blick auf das „Geistesleben“ als Ganzes: Dieses „richtet sich unmittelbar auf die Natur.“¹⁰³ Entsprechend konnte § 12 der Systematischen Theologie insgesamt als „erster Ansatz“ der nach dem Ersten Weltkrieg dann etablierten Intentionalitätstheorie bezeichnet werden.¹⁰⁴ Bei näherem Zusehen scheint uns dieses Urteil jedoch einer Differenzierung bedürftig. Sicherlich weisen die Überlegungen auf das Spätere voraus, und zwar auch hinsichtlich der Verwendung des Richtungsbegriffs. Insofern mag man tatsächlich von einem ersten Anklingen intentionalitätstheoretischer Figuren sprechen. Dabei ist aber ein entscheidendes Detail zu beachten, das in der Fluchtlinie des bereits für die Lizentiaten-Dissertation Festgehaltenen liegt: Während der Richtungsbegriff in der Erstfassung von § 12 noch für den Religionsbegriff in Anschlag gebracht ist, wählt Tillich für Letzteren in der Zweitfassung die unspezifischere Formulierung eines „[Z]ugleich [von] Prinzip und Wirken“.¹⁰⁵ In ebendieser Zweitfassung des Paragraphen ist es – gleich zweimal – vielmehr der Kulturbegriff, der vermittels des Richtungsbegriffes definiert wird, bzw. der des ‚Geisteslebens‘ überhaupt. Es scheint mithin, als habe Tillich den Richtungsgedanken als Definiens letztlich doch dem Kultur- bzw. Geistesbegriff vorbehalten, wohingegen die Definition des Religionsbegriffs auf ihn verzichtet. So fehlt der
Sturm, „Die Genese von Tillichs Kulturtheologie in seinen frühesten Texten“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur, 64– 93, 79 f. Im Verhältnis zu den Texten der Nachkriegszeit sind es vor allem die Parallelen zum Programmaufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur von 1919 (GW IX, 13 – 31), die ins Auge springen; zu den betreffenden Querverbindungen vgl. Neugebauer, Christologie, 253 – 255. Tillich hat mit der fraglichen Verhältnisbestimmung von ‚Religion, Kultur und Sittlichkeit‘ offenkundig so stark gerungen, dass er ihr in zwei Anläufen jeweils in sich stimmige Überlegungen zukommen ließ, die in den Ergänzungs- und Nachlassbänden hintereinander abgedruckt sind (zur ersten vgl. EW IX, 296 – 298, zur zweiten ebd., 298 – 300). Ebd., 297. Ebd., 299; so auch die wortgleiche Definition im Leitsatz der ‚Abschrift‘; vgl. ebd., 296 Anm. 57. Ebd., 299 bzw. ebd., 300. Neugebauer, Christologie, 268. EW IX, 299.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Terminus nicht nur – in dessen zweiter Fassung – im betreffenden Paragraphen selbst in sämtlichen Überlegungen zur ‚Religion als Prinzip‘ wie zur ‚Religion als Aktualität‘. Er findet zudem in den religionstheoretischen Ausführungen zur ‚konkreten Religion‘ bzw. zum „Glauben“ im darauffolgenden Paragraphen § 13 keine Verwendung, obwohl dies in der Konsequenz der Definition der Erstfassung von § 12 genau der systematische Ort seiner Entfaltung hätte sein müssen.¹⁰⁶ Aufs Ganze gesehen scheint Tillich also den Richtungsgedanken in der Systematischen Theologie von 1913 mehr für den Kulturbegriff bzw. einen allgemeinen Geistbegriff zu reservieren – was insoweit systematisch stimmig ist, als sich die in Mystik und Schuldbewußtsein mit Blick auf den Religionsbegriff problematisierte Gefahr einer Überbetonung des Differenzmomentes bezüglich des Kulturbegriffs nicht stellte: Im Gegenüber zur Religion legte sich ein den Gegensatz zum Absoluten betonendes Verständnis der Kultur für Tillich geradezu von selbst nahe. Zusammenfassend ist der Richtungsbegriff in den Überlegungen zum Konnex von ‚Religion, Kultur und Sittlichkeit‘ im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 fraglos merklich präsenter als im sonstigen Frühwerk. Mit einer Ausnahme fungiert er allerdings als Definiens des Kulturbegriffs und eben gerade nicht des Religionsbegriffs. Die frühen Erwägungen der Systematischen Theologie signalisieren so eher eine prinzipielle systematische Offenheit für den Intentionalitätsgedanken, als dass bereits von einer theoretischen Ausarbeitung die Rede sein könnte. Vor allem eine religionstheoretische Valenz ist hier noch nicht im Blick. Systematisch ist das insofern folgerichtig, als die frühe Religionstheorie mehr am Moment der Identität als dem der Differenz orientiert war, die Intentionalitätsfigur jedoch ihrerseits Letztere voraussetzt – ja sogar nochmals unterstreicht und gewissermaßen gedanklich stabilisiert: Allein unter den Bedingungen einer konstitutiven Differenz ist eine ‚Ausrichtung auf‘ überhaupt sinnvoll zu denken. Somit lässt sich die bewusstseinstheoretische Reorientierung des Geistbegriffs, die sich just im Gedanken einer der Religion eigenen ‚Richtung auf‘ (das Absolute bzw. Unbedingte) exemplarisch artikuliert, tatsächlich als ‚Entdeckung‘ im Zuge des Hirsch-Briefwechsels festhalten. Dies stimmt werkgenetisch mit der Lektüre Edmund Husserls zusammen, von der Tillich Hirsch zumal im zweiten Brief aus dem Dezember 1917 so eindrücklich berichten konnte.¹⁰⁷
In § 13 erhalten zum Zwecke der Religionsdefinition der – immerhin noch von Ferne an den Richtungsgedanken erinnernde – Begriff der „Beziehung“,vor allem aber der deutlich unschärfere Terminus der „Anwendung“ den Vorzug vor dem Richtungsbegriff (ebd., 302). Vgl. auch unten II.3.1 b).
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c) Erste Sinnskizze Ist mit der bewusstseinstheoretisch gefassten Geisttheorie der Interpretationsrahmen abgesteckt, in dem Tillich die Frage der religiösen Objektivierung fortan verhandelt wissen will, so ist die Sinntheorie als kategoriale ‚Antwort‘ auf die mit der Problematisierung des Gegenständlichkeitsmomentes der Religion aufgeworfene Frage bis hierhin nur von Ferne angedeutet. Das entspricht insofern der gedanklichen Entwicklung des Hirsch-Briefwechsels selbst, als sich der Sinnbegriff noch im dritten Brief mehr am Rande mitbehandelt findet.¹⁰⁸ Jene alles beherrschende Stellung, die ihm schließlich mit dem vierten Brief vom 9. Mai 1918 zukommen wird, ließe sich anhand des vorangehenden Austauschs der Briefpartner schwerlich erahnen. Kehrt man hingegen die Blickrichtung um und schaut vom vierten Brief aus zurück, dann lassen sich – über die schlichte, wenig spezifische Nennung des Terminus im ersten Brief hinaus¹⁰⁹ – vor allem zwei Zusammenhänge ausmachen, in denen die dortige sinntheoretische ‚Lösung‘ bereits mit den vorangehenden Briefen vorbereitet war: Zum einen hatte Tillich im Zuge der Darlegung der Relation von ‚Erleben‘ und ‚Deuten‘ im dritten Brief gleich doppelt auf den Sinnbegriff zurückgegriffen.¹¹⁰ Tatsächlich lässt sich zumal im Zusammenspiel mit dem Deutungsbegriff ein Entdeckungskontext des Sinngedankens vermuten, eignet beiden doch eine systematische Nähe.¹¹¹ Und zum anderen wird Tillich im letzten Brief die wiederum im vorherigen angeklungene Synonymie von Wertbegriff und Sinnbegriff nochmals unterstreichen.¹¹² Diese Einschätzung lässt die zahlreichen, insbesondere den dritten Brief dominierenden werttheoretischen Ausführungen rückwirkend als ihrerseits sinntheoretisch imprägniert erscheinen. So erweist sich das – rein der Terminologie nach – vorderhand erst mit dem vierten Brief betretene sinntheoretische ‚Neuland‘ als im Vorfeld gedanklich vorbereitet. Mehr noch: Von hierher dürfte sich Tillichs nachgerade enthusiastische Rezeption
Im Rahmen der Verhältnisbestimmung von ‚subjektivem‘ und ‚objektivem‘ Moment der Religion im zweiten Brief fehlt der Sinnbegriff gar völlig, spielt also für die dort skizzierte Problemlösung – zumindest explizit – noch keine Rolle. Vgl. EW VI, 97. Vgl. ebd., 118: „Wir erleben Sinn- und Wertbelastetes. Sinn und Wert sind aber Schöpfungen des Geistes. So ist auch Dein zweites Erlebnis [des ‚Anderen‘ des Geistes als des Göttlichen; L. H.] Deutung.“ Vgl. oben II.1 a). Vgl. ebd., 125: „‚Sinn‘ und ‚Wert‘ ergeben sich bei tieferer Analyse als identische Begriffe.“ Die betreffende Identifikation beider Begriffe ist mit der ausgereiften Theoriebildung der 1920er Jahre insofern zurückgenommen, als der Sinnbegriff dann als Oberbegriff zu dem des Wertes fungieren wird; vgl. unten II.2.1 a) und II.2.2 a).
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des Sinnbegriffs im Sommer 1918 überhaupt erst begreiflich machen lassen – der Begriff ‚stimmte‘ gewissermaßen auf Problemkonstellationen, die ihm schon länger vor Augen standen. Um dieser ansichtig zu werden, nehmen wir nachfolgend unseren Ausgang erneut beim Konnex von Erleben, Deuten und Sinnbegriff. Von dort aus lassen sich bis ins Frühwerk zurückreichende sinntheoretische Linien nachzeichnen – womit wir wiederum die übergreifende Frage der Bedeutung des Hirsch-Briefwechsels im Übergang von der Frühzeit in die ausgereifte Theoriebildung der 1920er Jahre vertiefen können. Abschließend soll dann die sinntheoretische Konstruktion des vierten Briefes selbst im Fokus stehen. Auf das Verhältnis von ‚Erleben‘ und ‚Deuten‘ kommt Tillich im Briefwechsel an zwei Stellen zu sprechen. Ausgangspunkt ist dabei jeweils die Kritik an Hirschs Postulat der Möglichkeit eines unmittelbaren Gotterlebens.¹¹³ Zwar gesteht Tillich dem religiösen Erleben das „Gefühl der Gegenwart und Realität Gottes“ durchaus zu – dieses muss sich seine Überzeugungskraft aber eben von der Voraussetzung jenes Gottesgedankens leihen, dessen prinzipielle Infragestellung gerade den Ausgangspunkt seiner Überlegungen markierte.¹¹⁴ Das religiöse Erleben wie jedes Erleben überhaupt trägt seinen Sinn nicht in sich, sondern – so lässt sich Tillichs Einwand im zweiten Brief verstehen – dieser Sinn baut sich im Spannungsfeld von Erlebnis und Deutung allererst auf. Man wird diesen Einwand, aller (Selbst)Kritik an einer Überstrapazierung des Theoretischen im betreffenden Brief zum Trotz, auch als Warnung verstehen dürfen, Letzterem im Feld der Religion andersherum eine zu geringe Bedeutung beizumessen: Gegenüber einem jeden Rückzug auf die vermeintliche Selbstevidenz religiöser Erlebnisse bzw. Gewissheiten verweist Tillich auf die unumgänglich zu leistende Deutungsarbeit, damit ein Erlebnis überhaupt als religiös valent identifiziert werden kann. Der Hirsch-Briefwechsel spricht also mit seiner Aufwertung des Erlebnisbegriffs nicht einer allzu schlichten ‚Theologie der Erfahrung‘ das Wort,¹¹⁵ sondern will das Moment des Erlebens immer um das cum grano salis theoretische Moment der Deutung ergänzt wissen. Vgl. die diesbezüglichen Spitzenaussagen in Hirschs erstem Brief an Tillich: „Ich werde von Gott in metaphysischer Unmittelbarkeit berührt. Das alleine ist das aus dem religiösen Erleben abzuleitende Prinzip.“ (ebd., 107). Freilich sind bei Hirsch zudem das Unmittelbarkeitspostulat ergänzende Vermittlungsstrukturen im Blick, da jenes eben einer ‚Ableitung‘ bedarf, um überhaupt als Prinzip des religiösen Erlebens gefasst werden zu können. Vgl. ebd., 101: „Aber die Frage ist ja die, was wird, wenn die Skepsis dieses […] Überzeugungsgefühl [der ‚Gegenwart und Realität Gottes‘; L. H.] in Illusionen aufzulösen versucht hat?“ Vgl. auch die entsprechende ‚Kritik der Erfahrungstheologie‘ im 1919 entstandenen Entwurf Rechtfertigung und Zweifel; vgl. EW X, 208 f. Dem Entwurf eignet schon thematisch eine große Nähe zum Hirsch-Briefwechsel, viele der hier erstmals angedeuteten Gedanken sind dann dort aufgenommen und ausgeführt.
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Unmittelbarkeitsprätentionen jedweder Art wird eben deren Behauptungscharakter entgegengehalten: „Noch weniger sehe ich, welcher Art die unmittelbare Evidenz sein sollte. […] Jedes Erlebnis, das sich als Gotteserlebnis gibt, bedarf ja der Deutung.“¹¹⁶ Erleben und Deuten bleiben stets korrelativ aufeinander bezogen, wobei der zweite Brief primär die Deutungsangewiesenheit des Erlebens unterstreicht. Im dritten Brief ist dies dahingehend präzisiert, dass die fragliche Deutung nun als ‚begriffliche‘ verstanden wird.¹¹⁷ Erst das begriffliche Auseinanderlegen bestimmt den eigentümlichen ‚Charakter‘ des jeweiligen Erlebnisses, sortiert – so lässt sich interpretieren – die für sich unspezifischen, vorbegrifflichen Bewusstseinsdata so, dass sie überhaupt als ‚Er-leben‘ eines bestimmten Etwas gefasst werden können.¹¹⁸ Gleichzeitig zieht Tillich jetzt die Konsequenzen aus dem streng korrelativen Charakter von Erleben und Deuten, wenn er auch umgekehrt konstatiert: „[S]chon das Erleben selbst,vom sinnlichen Eindruck anfangend, ist nicht mehr unmittelbar, sondern hat, insofern es ins Licht des Bewußtseins tritt, seiner selbst Deutung in sich. Wir erleben Sinn- und Wertbelastetes.“¹¹⁹ Wie die Deutungsaktivität allererst das Erleben als spezifisches zu sich selbst bringt, baut sich die Deutung vom Erleben her auf – das Erleben selbst ist, so ließe sich formulieren, seinerseits nicht frei von Sinn, sondern gleichsam ‚bedeutungsimprägniert‘. Das Deuten steht also zum Erleben in Kontinuität und tritt nicht als ein ihm Fremdes hinzu. Der abschließende Vermerk, „Sinn und Wert sind aber Schöpfungen des Geistes“,¹²⁰ unterstreicht nochmals den insgesamt freiheitlich-schöpferischen Charakter des Objektivierungsprozesses. Weder determiniert das Erleben einfach seine Ausdeutung – die zuvor formulierte These, nach der das Erleben seine Deutung ‚in sich‘ trage, darf diesbezüglich nicht überakzentuiert werden – noch treten andersherum die sinn- bzw. werthaften Objektivierungen dem Geist als diesseits jenes Prozesses in sich stabile Größen gegenüber. Bedeutung konstituiert sich vielmehr in einem schöpferischen Prozess, in dem sich Erleben und Deuten miteinander verschränken. Erst mit dieser doppelten Richtung ist das Wechselverhältnis von Erleben und Deuten vollständig erfasst.
EW VI, 101. Vgl. ebd., 118. Vgl. ebd., 116. Wiederum finden sich in Rechtfertigung und Zweifel analoge, dort allerdings nicht auf den ‚Begriff‘, sondern das ‚Urteilen‘ bezogene Überlegungen: „Evident ist […] das schlechthin Unmittelbare, insofern es nichts ist als vorbegriffliches Bewußtseinsdatum. Jedes Urteil führt schon über diese Unmittelbarkeit hinaus und ist problematisch.“ (EW X, 205; vgl. ebd., 149). EW VI, 118; kursiv i. O. Ebd.
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Signalisiert die Wahl des allerdings sichtlich vom Wertgedanken her verstandenen Sinnbegriffs einen gewissen, über eine reine Reorientierung hinaus gehenden Einschnitt gegenüber dem Frühwerk – war dieses doch kategorial weithin nicht am Sinngedanken, sondern an dem der Wahrheit orientiert¹²¹ –, so lassen sich gleichwohl einige der mit dem Vorstehenden angezeigten Motive in die Frühzeit zurückverfolgen. Zu denken ist an erster Stelle an die Überlegungen zum Verhältnis von ‚Faktum‘ und ‚Deutung‘ im Umfeld der Kasseler Thesenreihe. Bereits 1911 konnte Tillich seine Anfragen an die vermeintliche Möglichkeit eines rein historischen Zugriffs auf Jesus als den Christus gegenüber Friedrich Büchsel im Nachgang zur Kasseler Tagung eben auch mit Hilfe jenes Begriffspaares formulieren: „Aber vielleicht kommen wir dem Ursprung noch näher, wenn wir unterscheiden zwischen Faktum und Deutung. Irgendeine Tatsache wird mit Gott in Verbindung gesetzt. Eine Kombination wird vollzogen, und diese Tat ist das Schöpferische.“¹²² Wird der Deutungsgedanke im Briefwechsel als Korrektiv gegenüber den Unmittelbarkeitsansprüchen eines überzogenen Erlebnisbegriffs dienen, so war er dort als Gegengewicht zu einem allzu umstandslosen Rekurs auf ‚Fakten‘ bzw. ‚Tatsachen‘ eingeführt. Erst in der schöpferischen ‚Kombination‘ von Tatsächlichem und Interpretativem rückt das vermeintlich deutungsunabhängige Faktum recht in den Blick – ohne dass der nähere Modus jener Kombination, über das mit dem Terminus des ‚Schöpferischen‘ angezeigte freiheitlich-kreative Moment hinaus, im Kontext der Thesenreihe aufgeschlüsselt würde. Im Vortrag zur Thesenreihe hatte Tillich die werttheoretischen Konsequenzen des betreffenden Gedankens jedoch zumindest andeuten können.¹²³ Demnach treten die „geistigen Werte“ dem individuellen Geist einmal als geschichtlich Gewordene ‚von außen‘ gegenüber. Ihre Aufnahme ist nun aber nicht rein passiv zu denken, vielmehr gehen in sie aktive Elemente ein: „Wenn also die Aneignung geschichtlicher Werte stattfindet, so ist dies nicht möglich ohne Umgestaltung.“¹²⁴ Da die geistige Tätigkeit dabei ausdrücklich bei der „Erfassung“ der Werte einsetzt,¹²⁵ stellt der Begriff eines rein für sich vorliegenden ‚Vernunftwertes‘ im Grunde eine Unmöglichkeit dar: Dem Grundgedanken der Kasseler Thesenreihe nach kommen
Vgl. oben I.1 d) und I.2 a). Die vielfach vorgeschlagene schematische Periodisierung des Gesamtwerkes nach den Leitbegriffen der ‚Wahrheit‘, des ‚Sinnes‘ und des ‚Seins‘ dürfte zwischenzeitlich zum Common Sense der Tillich-Forschung zählen; vgl. exemplarisch Barth, „Grundlagen“, 90. EW VI, 73. Zum Folgenden vgl. ebd., 53; vgl. auch oben I.1 d). Ebd. Vgl. ebd., 55: „[Z]umal wir zur Erfassung dieser Werte [der geschichtlich gewordenen ‚Vernunftwerte‘; L. H.] selbst tätig sein müssen, und dabei die Werte verändern.“
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Werte ausschließlich als immer schon qua Deutung geistig überformte in den Blick. Vor dem Hintergrund einer Theorie des Geistes denkt Tillich mithin bereits 1911 das Verhältnis von Faktum und Wert so, dass sie alleine in einem schöpferischen Akt der Deutung in eine „Wechselwirkung“¹²⁶ mit dem individuellen menschlichen Geist treten können. Damit ist nicht nur die Geisttheorie als prinzipieller Rahmen abgesteckt, sondern zudem – für den gegenwärtigen Zusammenhang entscheidend – über den Wertgedanken eine erste Anlage zur späteren Sinntheorie gegeben, die auf die entsprechenden Überlegungen des HirschBriefwechsels vorverweist. Im an die Thesenreihe anknüpfenden brieflichen Austausch mit Büchsel begegnet weiterhin von Ferne eine zweite für Tillichs späteres Verständnis der Sinnkategorie einschlägige Abgrenzung. Auch Büchsel hatte – wie später im Briefwechsel dann Hirsch – gleich mehrfach seine Wertschätzung des Unmittelbarkeitsgedankens hervorheben können.¹²⁷ Tillich schwebte hingegen schon seinerzeit ein grundsätzlich anders gewichtetes Theoriemodell vor,¹²⁸ folgerichtig verhält er sich zum fraglichen Unmittelbarkeitstheorem merklich spröder. Sein Einwand ist dabei wiederum geisttheoretischer Natur, wenn er konstatiert: „[D]amit fängt der Geist an, daß er sich in einem einzigen Akt […] von seiner Unmittelbarkeit losreißt und allem Unmittelbaren sein prinzipielles Nein entgegensetzt.“¹²⁹ Geist zeichnet sich per definitionem durch Mittelbarkeit aus, eine Bestimmung, die sich etwa im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 an prominenter Stelle wiederfindet.¹³⁰
Vgl. ebd., 53. Vgl. etwa ebd., 65: „Es gibt eine Gewißheit um das Einzelne, nicht nur, sofern es unter Allgemein-Begriffen gedacht wird, sondern auch, insofern es einzeln ist. Das ist eine unmittelbare Gewißheit.“ Vgl. weiterhin ebd., 63.65.67.68. Vgl. oben I.1 d). Ebd., 71 f. Entsprechend geht Tillich auf das gleich mehrfache Angebot Büchsels, dass zwischen ihnen doch bezüglich der Hochschätzung des Unmittelbarkeitsgedankens eine prinzipielle Gemeinsamkeit bei unterschiedlicher theoretischer Ausformung im Einzelnen bestehe – vgl. ebd., 62.68 –, in seinem Antwortbrief gar nicht erst ein. Schon die Hochschätzung der Negation zumal in der Systematischen Theologie von 1913 legt nahe, dass Tillichs Geistverständnis tatsächlich im Kern jeder Überstrapazierung des Unmittelbarkeitsgedankens widerspricht. Diese Vermutung bestätigt nicht nur die dortige ausdrückliche Gleichsetzung von „Mittelbarkeit“ und „Geist“ bei dessen Einführung im Gegenüber zur „Natur“, die als „Unmittelbarkeit“ gefasst wird (EW IX, 286). Auch die wiederkehrende Kritik an Unmittelbarkeitsprätentionen jedweder Art, etwa der vorgeblichen des Hegel’schen Systems gegen die negative Macht der Reflexion, unterstreicht die betreffenden Vorbehalte; vgl. ebd., 309 u. ö. Freilich ist die Kennzeichnung gerade Hegels als eines vermeintlich am Unmittelbarkeitsideal orientierten Denkers alles andere als überzeugend.
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Die im Ganzen leitende systematische Einsicht war nun bereits 1910 im Vortrag zur philosophischen Dissertation Die Freiheit als philosophisches Prinzip bei Fichte exemplarisch formuliert.¹³¹ Tillich hatte dort – unter anderem in Auseinandersetzung mit Wilhelm Windelband¹³² – vor dem Hintergrund des Kant’schen Freiheitsverständnisses dessen jeweilige Besonderheiten bei Fichte und Schelling herausgearbeitet. Gegen Windelbands These einer „‚unmittelbaren Evidenz‘ der Vernunftwerte“¹³³ führte er nun Fichtes Freiheitsbegriff ins Feld: „[W]as heißt ‚unmittelbare Evidenz‘ gegenüber der Fülle dessen, was als evident gegolten hat? Gerade das Merkmal des Unmittelbaren charakterisiert nach Fichte das Unfreie. Freiheit von dem Gegebenen wird nur erreicht, wo die Unmittelbarkeit zerstört ist durch das Nein der Antithese.“¹³⁴ Hier zeichnet sich mit dem Einspruch gegen ein vermeintlich unmittelbares Einleuchten der Vernunftwerte und der positiven Wertung der Negation die im darauffolgenden Jahr im Kontext der Kasseler Thesenreihe entfaltete Lösung ab. Tillich kann so zwar durchaus positiv an Windelband anknüpfen.¹³⁵ Umso eindeutiger fällt allerdings schon damals die Absage an den Unmittelbarkeitsgedanken aus. Diesbezüglich nimmt Tillich eine deutliche Option für Fichte bzw. genauer für die als fichtesch gekennzeichnete, im Grunde jedoch gemeinidealistische „dialektische[] Methode“ und deren Dreischritt von „These-Antithese-Synthese, Unmittelbarkeit, Widerspruch, Mittelbarkeit“.¹³⁶ Der späterhin im Austausch mit Büchsel wie im Hirsch-Briefwechsel beobachtete Vorbehalt gegenüber einer Überbewertung des Unmittelbarkeitsgedankens ist mithin systematisch verankert: Begründet ist er in Tillichs Bestimmung des
EW X, 55 – 62. Tillichs Ausgang vom Windelband’schen Diktum „Kant verstehen, heißt über Kant hinausgehen“ (ebd., 55) dokumentiert zum einen das eigene Interesse an einer konstruktiven Weiterentwicklung der Kant’schen Einsichten. Zum anderen signalisiert bereits jener Einstieg, dass in der seinerzeitigen philosophischen Debattenlage eben Wilhelm Windelband für Tillich als einer der ersten Gesprächspartner fungierte. Ebd., 58. Ebd., 59. Tillichs in jenen Jahren sukzessive hervortretendes kulturphilosophisches Interesse dürfte nicht zuletzt der Beschäftigung mit dessen Präludien geschuldet sein, wie etwa die Übernahme des Begriffs des ‚Kulturwertes‘ anzeigt – überhaupt ist die Bedeutung des südwestdeutschen Neukantianismus für Tillichs frühe und mittlere Theoriebildung nicht zu unterschätzen; vgl. zumal für die Sinntheorie Barth, „Grundlagen“; für Tillichs Verhältnis zum ‚Marburger‘ Neukantianismus vgl. Michael Moxter, „Kritischer Intuitionismus. Tillichs frühe Religionsphilosophie zwischen Neukantianismus und Phänomenologie“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft, 173 – 195, 176 ff.; zu Tillichs Windelband-Rezeption vgl. weiterhin unten II.3.1 a). EW X, 59.
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Geistbegriffs als wesentlicher Mittelbarkeit.¹³⁷ Insofern nun der Sinngedanke bzw. näherhin der zugehörige Deutungsbegriff im Briefwechsel nicht zuletzt gegen Hirschs Wertschätzung des Unmittelbarkeitstheorems in Anschlag gebracht werden wird, kann er als systematisches Äquivalent eines Geistgedanken gelten, dessen Anlage seinerseits bis in die Frühzeit zurückreicht: Die Kategorie des Sinns ‚stimmt‘ gewissermaßen auf die mit dem Frühwerk gelegten geisttheoretischen Grundlagen – unbeschadet der Modifikationen, die die bewusstseinstheoretische Reformulierung des Geistgedankens 1917/18 mit sich bringt. Lassen sich mit dem notwendigen Zusammen von ‚Faktum‘ und ‚Deutung‘ sowie dem geisttheoretisch begründeten Vorbehalt gegenüber dem Unmittelbarkeitsgedanken in Sachen Sinntheorie hinsichtlich zweier Eckpunkte Verbindungslinien vom Frühwerk zum Hirsch-Briefwechsel ziehen, so hatte der Sinnbegriff selbst dort noch keine gesonderte Rolle gespielt. Allerdings finden sich erste terminologische Anklänge, und zwar im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 an prominenter Stelle. Die dortigen Ausführungen zum konkreten Moment des Paradoxgedankens in § 25 kulminierten, wie gesehen, in kreuzestheologischen Überlegungen.¹³⁸ Diese signalisieren nicht nur den Stellenwert, den Tillich der theologia crucis zeitlebens beimessen wird.¹³⁹ Auffällig sind vor allem die näheren Formulierungen, wenn es heißt: „[D]as Kreuz bedeutet ja die Aufhebung des Reflexionsstandpunktes auch für den Christus. Es bedeutet, daß sich der Christus über sich selbst […] hinaushebt, indem er in das Kreuz einwilligt. Eben dadurch vollzieht er im Konkreten, was das Wesen des theologischen Prinzips ist, die Selbsthinauslegung des Konkreten zum Absoluten.“¹⁴⁰ Der unvermittelte Wechsel
Dieser Sachverhalt einer systematisch begründeten Reserve gegenüber einer Überreizung des Unmittelbarkeitsgedankens ist insofern gesondert festzuhalten, als Tillich seinerseits in der Forschung vielfach einer solchen bezichtigt werden konnte. Die skizzierten Linien, angefangen vom Promotionsvortrag aus dem Jahr 1910 bis hin zum Hirsch-Briefwechsel der Jahre 1917/18, weisen demgegenüber in eine andere Richtung. Wir werden entsprechend auf die Frage des Stellenwertes des Unmittelbarkeitsgedankens im Laufe der Arbeit wiederholt zurückkommen; vgl. unten II.2.2 a) und III.3 a). Vgl. oben I.2 c). Vgl. das Urteil Ulrich Barths, der im Ausgang von besagter Passage der frühen Systematischen Theologie folgert: „Man verkürzt darum Tillichs reife Christologie, wenn man sie primär vom Logosgedanken, vom offenbarungstheologischen Geschichtsbegriff oder von der Kategorie des Neuen Seins her versteht. Die theologia crucis bildet vielmehr einen integralen Bestandteil von Tillichs Jesus-Bild.“ (Ulrich Barth, „Protestantismus und Kultur. Systematische und werkbiographische Erwägungen zum Denken Paul Tillichs“, in: Danz/Schüßler [Hg.], Theologie der Kultur, 13 – 37, 20). EW IX, 322; kursiv L. H.
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weg von den begriffslogischen Strukturbeschreibungen, die den frühesten Systementwurf im Ganzen prägen, hin zu einer Semantik des ‚Bedeutens‘ muss ins Auge fallen.¹⁴¹ Es scheint, als habe Tillich an diesem zentralen christologischen Punkt gleichsam instinktiv zu einer anderen, auf Sicht tragfähigeren Kategorie – eben der des Bedeutens bzw. des Sinnes – gegriffen, um zu beschreiben, inwiefern Jesus als der Christus das konkrete Moment seines theologischen Prinzips bezeichnet.¹⁴² Dass die Tragweite des damit angedeuteten Wechsels der Leitkategorie in der frühen Systematischen Theologie jedoch noch nicht recht begriffen ist, verdeutlicht der singuläre Charakter ebenjener Bedeutungssemantik. Gleichwohl finden sich – zusammenfassend – mit den Überlegungen zur Korrelativität von Faktum und Deutung, den Vorbehalten gegenüber einer Überbelastung des Unmittelbarkeitsgedankens sowie den Anklängen einer Bedeutungssemantik im Kontext der Kreuzesthematik im Frühwerk durchaus Theorieelemente, mit denen sich die spätere Sinntheorie von Ferne abzeichnet. Genauer: Hier waren gedankliche Anknüpfungspunkte gelegt, die dann – unter veränderten theoretischen Rahmenbedingungen, verdichtet in jener prinzipiellen Problematisierung des Objektivationsmomentes der Religion¹⁴³ – aktuell werden konnten. Vor dem Hintergrund der – wie skizziert – bis ins Frühwerk zurückreichenden sinntheoretischen Linien können wir uns nun wiederum des Hirsch-Briefwechsels selbst annehmen: Mit dem vierten Brief aus dem Mai 1918 nimmt Tillich vielfach die Grundkonzeption des zweiten und dritten Briefes auf, rückt aber gleichzeitig den Sinnbegriff entschieden ins Zentrum seiner Ausführungen. Den Anstoß hierfür scheint vorderhand Rudolf Ottos Das Heilige gegeben zu haben,von dessen Lektüre Tillich Hirsch zu Briefbeginn begeistert berichtet.¹⁴⁴ Die
Vgl. oben I.2 a) und c). Im Hintergrund mag man die Überlegungen zum Verhältnis von ‚Faktum‘ und ‚Deutung‘ im Umkreis der Kasseler Thesenreihe vermuten, zumal hier gleichfalls die christologische Deutung des Kreuzes zur Illustration herangezogen war; vgl. den unmittelbaren Fortgang des obigen Zitates nach EW VI, 73: „Aber vielleicht kommen wir dem Ursprung noch näher, wenn wir unterscheiden zwischen Faktum und Deutung. […] Eine Kombination wird vollzogen, und diese Tat ist das Schöpferische. So würde ich sagen, daß die Kombination von Kreuz und Messianismus (Auferstehung) die Tat Jesu war. […] Ebenso ist es in der Gemeinde, die in der Anschauung des Kreuzes diese Tat als Buße immer vollziehen muß und als Glaube immer vollziehen kann.“ Vgl. oben II.1 a). Rudolf Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (München: Beck, 2004). Tillichs Erstlektüre des Heiligen lässt sich mithin vergleichsweise genau datieren – nämlich eben auf Ende April/Anfang Mai 1918; vgl. EW VI, 123: „Vor etwa acht Tagen bekam ich das Buch von Otto.“ Die spätere, 1925 gegebene Auskunft im Rahmen des Kurzporträts Der Religionsphilosoph Rudolf Otto, der zufolge Tillich Das Heilige bereits „im
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prinzipiellen gedanklichen Anknüpfungsmöglichkeiten an Otto sind dabei einleitend klar markiert: Einerseits kann Tillich ihn zumal hinsichtlich der Anlage des Grundbegriffs des Heiligen, des „Numinösen“, als „bewußte[n] Antisupranaturalist[en]“ würdigen,¹⁴⁵ und also als Gewährsmann für die eigene, betont antisupranaturalistische Stoßrichtung des Briefwechsels in Anspruch nehmen: Das ‚Numinöse‘ liegt diesseits jeder Objektivierung und kann entsprechend keinesfalls ein ‚Supra‘ gegenständlicher Entitäten darstellen. Otto steht so auf dem Boden jenes ‚Monismus des Geistes‘, den der dritte Brief zur alleinigen Basis jeder religionsphilosophischen Reflexion ausgerufen hatte.¹⁴⁶ Andererseits ist vermittels jenes ‚Numinösen‘, bzw. vermittels des ihm korrelierten „Erlebnis[ses]“¹⁴⁷, zugleich die von Tillich anvisierte „Quarte“¹⁴⁸ ins Geistesleben geschlagen. Mit den Überlegungen des vierten Briefes: Religion wird als auf die anderen Kategorien des Geistigen ebenso bezogen wie deren Verbund prinzipiell entzogen gedacht. Im Rekurs auf Otto konstatiert Tillich ein „Doppelverhältnis des Gegensatzes und der Einheit“: Die Immanenz der Religion soll sich in Relation zu den logischen, ethischen und ästhetischen Kategorien gerade als deren „Widerspruch und […] Voraussetzung zugleich“ darstellen.¹⁴⁹ Diesbezüglich sieht Tillich bei Otto, neben jenem in gewisser Weise nüchternen Moment des Antisupranaturalismus, auch das Moment des „Irrationale[n]“, des „Paradoxe[n]“ als das Gegenmoment, das jeder Religionsphilosophie notwendig eignen muss, gegeben.¹⁵⁰ Auf der Basis der behaupteten gemeinsamen Grundanlage liest Tillich Otto nun konsequent auf die eigene Fragstellung des Hirsch-Briefwechsels hin. Genauer: Er nutzt eine entsprechende Re-Lecture seiner Fragestellung im Lichte der Otto’schen Terminologie gewissermaßen als Sprungbrett, um von hier aus die Herbst 1917“ erhalten – und gelesen – haben will (GW XII, 179), ist dementsprechend zu korrigieren; zu Tillichs Otto-Rezeption vgl. Wenz, Subjekt, 53 – 57; Werner Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933). Darstellung und Interpretation seiner Gedanken und Quellen (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1986), 175 – 194; ders., „Gott erfahren – Gott denken. Paul Tillich im Anschluss an Rudolf Otto“, in: Jörg Lauster/Peter Schüz/Roderich Barth/Christian Danz (Hg.), Rudolf Otto. Theologie – Religionsphilosophie – Religionsgeschichte (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2014), 347– 359; Christian Danz, „Zwischen Transzendentalphilosophie und Phänomenologie. Die methodischen Grundlagen der Religionstheorien bei Otto und Tillich“, in: ebd., 335 – 345; Jan Rohls, „Das Heilige und die Kunst. Rudolf Otto und die theologische Ästhetik der zwanziger Jahre“, in: ebd., 463 – 475, bes. 471 ff.; zu Otto vgl. jetzt insgesamt die Beiträge in Lauster/Schüz/Barth/Danz (Hg.), Otto. EW VI, 124. Vgl. ebd., 115; vgl. oben II.1 a). Ebd., 124. So im letzten Satz des dritten Briefes; vgl. ebd., 123. Ebd., 125 bzw. ebd., 127. Ebd., 123.
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eigenen Gedanken nochmals neu zu sortieren.¹⁵¹ Das ‚Numinöse‘, bzw. das ihm zugeordnete ‚Erlebnis‘, fungiert dabei als systematisches Äquivalent zum Zuständlichkeitsbewusstsein des zweiten Briefes. Die dort skizzierte Kernproblematik – das ‚subjektiv-urständliche‘ Moment der Religion dringt notwendig auf Objektivierung und in diesem Zuge auf Vergegenständlichung, auf die sich wiederum notwendig der Zweifel richtet¹⁵² – wird in Analogie auf das fremde Theoriedesgin projiziert: „Und Otto muß sagen: ‚das Numinöse ist‘, eben damit ist es aber ein Moment der Sphäre des Seienden […] Der Vergegenständlichung durch das Existentialurteil entgeht nichts!“¹⁵³ In der Folge sinke das Erlebnis des Numinösen entweder entgegen der ursprünglichen Intention zu einem „natürlichpsychologische[n] Vorgang“ herab,¹⁵⁴ der, so lässt sich ergänzen, leichthin der Skepsis anheimfällt. Oder – und an dieser Stelle erfolgt der entscheidende gedankliche Überschritt im Rückgriff auf den Sinnbegriff – „es handelt sich überhaupt nicht um einen besonderen Gegenstand, sondern um einen besonderen Sinn, den Sinn des Gegenstandes ‚Welt‘. Eben dieses ist nun meine Meinung.“¹⁵⁵ In einem ersten Zugriff fungiert der Sinnbegriff mithin als kategoriale Klammer, um dem problematischen, aber Tillich zufolge nichtsdestoweniger unumgänglichen Gegenständlichkeitsaspekt der religiösen Objektivationen Rechnung zu tragen, ohne einer planen Vergegenständlichung das Wort zu reden: Der Fokus richtet sich vom ‚Gegenstand ‚Welt‘‘ weg zum ‚Sinn des Gegenstandes ‚Welt‘‘, womit jener weiterhin präsent ist, allerdings nurmehr in indirekter Weise. Dieserart eignet sich der Sinnbegriff, um das Gegenstandsmoment zwar mitzuführen, zugleich jedoch dessen sekundärer Bedeutung für die komplexen Gebilde religiöser Objektivation Ausdruck zu verleihen. Demgemäß wird Tillich nachfolgend auch deren eigentliches Spezifikum vermittels der Sinnkategorie fassen – als, so die berühmte Formulierung des Hirsch-Briefwechsels, „andere[n] Sinn“.¹⁵⁶ An die Stelle ‚höherer Gegenstände‘, an die sich Supranaturalismus-Vorwurf und neuzeitlicher Zweifel notwendig heften müssen, tritt so eine bedeutungstheoretische Differenzierung. Inwieweit die mit dem vierten Hirsch-Brief entschieden verfolgte und nach unterschiedlichen Hinsichten bedachte Fokussierung auf den Sinngedanken tat-
Im eigentlich argumentativen Teil des Briefes – „Aus all dem ziehe ich nun den Schluß […]“ (ebd., 124) bis zum Briefende (ebd., 127) – begegnet Otto nurmehr im Terminus des ‚Numinösen‘, allein an einer Stelle ist nochmals ausdrücklich auf ihn rekurriert; vgl. ebd., 126: „Das meint wohl Otto damit […].“ Der Gedankengang selbst ist im Grunde originär Tillich’scher Prägung. Vgl. ebd., 102 f.; vgl. oben II.1 a). Ebd., 124. Ebd. Ebd., 125; kursiv i. O. Ebd., 126; kursiv L. H.
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sächlich der Lektüre des Heiligen geschuldet war, lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Zwar konnte Otto den Sinnbegriff hier verwenden, er begegnet aber nur ganz am Rande.¹⁵⁷ Zumal in den grundlegenden Überlegungen zum Verhältnis von ‚rational und irrational‘, oder denen unter die Überschrift ‚Das Numinose‘ gestellten, spielt er hingegen schlechterdings keine Rolle.¹⁵⁸ Insofern bleibt im Letzten undeutlich, woher genau Tillich die Anregung empfangen hat, den Sinngedanken auf die ihn umtreibenden Fragestellungen abzubilden.¹⁵⁹ Die im Mai 1918 entworfene sinntheoretische Skizze ist nun einmal durch die Weite des mit ihr angedachten Sinnbegriffs gekennzeichnet. Tillich identifiziert ihn rückblickend mit dem Wertbegriff des dritten Briefes, um in Korrektur des Dortigen zu folgern: „Wertbewußtsein betrifft also die ganze geistige Sphäre.“¹⁶⁰ Entsprechend erscheinen Geist und Sinn jetzt explizit als wechselseitige Implikate: Der Geistgedanke definiert sich über seinen Bezug zum Sinn, wie andersherum der Sinngedanke durch seinen medialen Charakter für jedweden geistigen Vollzug bestimmt ist. Mit der bekannten Formel des vierten Briefes: „Geistiges Leben ist Leben im Sinn oder unablässige schöpferische Sinngebung.“¹⁶¹ Insofern Religion ein Moment des Geistes bezeichnet, stellt der Umgang mit ‚Sinn‘ als dessen genuinem Medium ein Gemeinsames mit den klassischen Kulturfeldern bzw. Kulturfunktionen¹⁶² dar: „So geben wir der Welt einen logischen – ethischen – ästhetischen, so auch einen religiösen Sinn.“¹⁶³ Hinsichtlich des generellen, Geist als solchen kennzeichnenden Aspekts der ‚Sinnverleihung‘ hat Tillich offenkundig eine Analogie von Religion und Kultur vor Augen. Jene beiden Passagen, mit
Vgl. Otto, Heilige, 53.126.176.177.180.197. Vgl. ebd., 1– 7. In jener Formulierung eines ‚anderen Sinns‘ mag man freilich einen Reflex auf Ottos Charakterisierung des numinosen Objektes als des ‚Ganz Anderen‘ erblicken; vgl. ebd., 28 ff. Ebenso gut könnte sie jedoch auch Hirschs entsprechende Terminologie aufnehmen; vgl. allein die Charakterisierung des ‚Göttlichen‘ als „des ‚Andern‘“ gleich zu Beginn von Hirschs erstem Brief an Tillich im Rahmen des Briefwechsels (EW VI, 106). Ebd., 125. Ebd. Die Universalität der damit behaupteten Korrelation von Geist und Sinn ist insofern zu unterstreichen, als Tillich sie mit dem Kulturtheologie-Aufsatz von 1919 in gewisser Weise zurücknehmen wird, um sie erst im Verlauf der sinntheoretischen Überlegungen der frühen 1920er Jahre bis zur ausgereiften Sinnkonzeption des Jahres 1923 peu à peu wieder einzuholen; vgl. unten II.2.1 a) und c), sowie II.2.2 b) und c). Der Funktionsbegriff findet im vierten Hirsch-Brief selbst keine Verwendung – vom im Folgejahr erschienenen Kulturtheologie-Aufsatz her ist jedoch ersichtlich, dass Tillich hier genau die dann dort mit ihm bezeichneten mentalen Aktivitäten vor Augen hat; vgl. unten II.2.1 b). Ebd., 125; kursiv L. H.
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denen die fragliche ‚Sinnverleihung‘ näher bedacht ist,¹⁶⁴ zeigen dabei in eins, inwiefern Religion – unter dem kategorialen ‚Dach‘ des übergreifenden Sinngedankens – gleichwohl von Kultur abgesetzt sein soll. In einem ersten Anlauf unterscheidet Tillich „drei Sphären“: „die des Tatsächlichen, die des Sinnes oder Wertes und die des Religiösen oder Unendlichen oder Numinösen“.¹⁶⁵ Die schon mit der Einführung des Sinngedankens – ‚es handelt sich […] nicht um einen besonderen Gegenstand, sondern um […] den Sinn des Gegenstandes ‚Welt‘‘ – aufscheinende Pointe besteht nun darin, die betreffenden ‚Sphären‘ genauer als „Charakter[e]“ je desselben ‚Seins‘ zu verstehen.¹⁶⁶ Dieses ‚Seins‘ wird mithin in logischer, ethischer, ästhetischer oder eben religiöser Perspektive gewissermaßen sinngeformt, in eine Bedeutungshinsicht eingestellt: in die des „rein“ Gegenständlichen, die des – wie sich ergänzen lässt: logisch, ethisch etc. – „Sinn- und Wertvolle[n]“ – oder eben die des ‚Numinösen‘. In jeder geistigen Objektivation verbinden sich dieserart ein – in einem weiten Sinne – ‚gegenständliches‘ Moment und eine sinnüberformende Deutung dieses Moments. Unter erkenntniskritischen Bedingungen stellt sich dabei auch die erstere Sphäre der vermeintlich ‚rein‘ gegebenen Gegenständlichkeit als Produkt einer solchen Sinndeutung dar, wie Tillich im zweiten Anlauf nochmals eigens hervorheben wird.¹⁶⁷ Bedeutet jene Komplexion von ‚Sein‘ und sinnhafter Ausdeutung derselben den Regelfall geistiger Objektivation, dann fügt sich die Religion diesbezüglich ganz in das Gesamt des Geistes ein: Das Numinöse bezeichnet gleichfalls eine – spezifische – Sinnhinsicht und keine neue, supranaturale Gegenständlichkeit.¹⁶⁸ Damit ist vermittels der Sinnkategorie freilich nur erst ein Aspekt der Beziehung der Religion zu den anderen Geistesfunktionen aufgezeigt, nämlich der ihrer Einheit. Anvisiert war, gemäß des irrationalen Moments der Religion, jedoch ein paradoxes „Doppelverhältnis des Gegensatzes und der Einheit“.¹⁶⁹ Dieses irrationale Moment führt Tillich nun im Übergang zwischen den beiden Passagen, mit denen der nähere Modus jener ‚schöpferischen Sinngebung‘ bedacht ist, ein. Eine doppelte Annahme ist dafür entscheidend. Einmal inter-
Vgl. ebd. („Es wären demnach […] Offenbarung des Seins.“) bzw. ebd., 126 f. („Um das zu verstehen […] das Sein und das Übersein!“). Ebd., 125. Ebd.: „Es handelt sich immer um dasselbe Sein, aber jedesmal mit einem anderen Charakter.“ Ebd., 126: „Auch das Sein, das rein ‚Tatsächliche‘ ist ja ein Begriff, ist also gesetzt vom logischen Sinnzusammenhang, ist Sinn- oder Wertprodukt.“ Vgl. ebd., 125. Ebd.; s. o.
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pretiert Tillich das Verhältnis der ‚drei Sphären‘ untereinander als das einer aufsteigenden Stufung: „Nun kann die höhere Stufe niemals von der niedrigeren aus erfaßt werden, der Wert ist der Tatsächlichkeit ebenso unfaßbar, wie das Numen dem Wert.“¹⁷⁰ Obwohl der Begriff selbst hier nicht fällt, lässt es sich mit dem dritten Brief als Transzendierungsverhältnis verstehen: wie der Wert oder Sinn das ‚rein‘ Gegenständliche transzendiert, übersteigt das Numinose die Wertsphäre.¹⁷¹ Zweitens will Tillich diese Transzendierungsbewegung ob der Unmöglichkeit,von der je niedrigeren die je höhere Stufe gleichsam abzuleiten, als „irrational“ verstanden wissen: „[D]er Wert [ist] vom Standpunkt des Faktischen genau so irrational […] wie das Numen vom Standpunkt des Wertes.“¹⁷² Mit dieser Doppelthese eines Stufungsverhältnisses zwischen den drei behaupteten Bedeutungshinsichten (des Tatsächlichen, des Wertes bzw. Sinnes im ethischen, ästhetischen etc., mithin kulturellen Sinne, sowie des Numinösen) und der Irrationalität des Übergangs zwischen ihnen ist die Systematik bereitgestellt, um im zweiten Anlauf den Gegensatz der Religion gegen die anderen Kategorien des Geistigen sinntheoretisch zu explizieren. Hierfür verschränkt Tillich die gemäß der Transzendierungslogik beim ‚rein Tatsächlichen‘ ihren Ausgang nehmende Stufung der drei Sphären wiederum mit der erkenntniskritischen These, der zufolge schon die vermeintlich schlicht gegebene Tatsächlichkeit sich bei näherem Zusehen einer Sinndeutung, und somit einer ‚schöpferischen Sinngebung‘ verdankt: „Auch das Sein, das rein ‚Tatsächliche‘ ist ja ein Begriff, ist also gesetzt vom logischen Sinnzusammenhang, ist also Sinn- oder Wertprodukt. Der Sinn setzt das Sein als sein ‚anderes‘, an dem er sich realisiert.“¹⁷³ Das betreffende Argument war, in Abgrenzung gegenüber den Hirsch unterstellten Unmittelbarkeitsprätentionen, bereits im zweiten und dritten Brief formuliert.¹⁷⁴ Es stellt in Tillichs immer wieder neu ansetzenden Reflexionen des Hirsch-Briefwechsels einen gedanklichen Fixpunkt dar. Im Zuge jener Verschränkung dient es jetzt im vierten Brief dazu, den ‚Ort‘ des geistigen Subjekts nicht auf der ersten Stufe des Tatsächlichen, sondern vielmehr auf der zweiten des Wertes bzw. Sinnes zu behaupten. Damit rückt diese zweite Stufe an die logisch erste Position, von der aus die beiden anderen Sphären allererst in den Blick
Ebd. Die Überlegungen des dritten Briefes sind mit ebd., 125, auch für den vierten Brief aufgerufen. Der hier nur angedeutete Gedanke wird ein Jahrzehnt später im Rahmen des Systems der religiösen Erkenntnis ausformuliert werden – vgl. EW XI, 125.128 – und als solcher dann eine entscheidende Funktion für die ausgereifte Symbolkonzeption erfüllen; vgl. unten III.3 b) und c). EW VI, 126. Ebd. Vgl. ebd., 101.118; vgl. oben II.1 a).
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kommen. Entsprechend kann Tillich, nunmehr hinsichtlich der anderen Richtung der Stufung, an das obige Zitat unmittelbar anschließen: „Ebenso setzt der Sinn das Göttliche als sein ‚anderes‘, von dem er sich realisiert weiß. So begrenzt sich der Sinn durch das Sein und das Überseiende! […] Ich lehre also einen Monismus des Sinnes, der sich nach zwei Seiten den Widersinn, das Irrationale entgegensetzt, das Sein und das Übersein.“¹⁷⁵ Die Sinnkategorie ermöglicht dieserart beides: Sie genügt dem antisupranaturalistischen, monistischen Grundanliegen, insofern sie noch das Numinöse als das schlechthin ‚Andere‘, das ‚Fremde‘ als Sinn-Setzung zu denken erlaubt. Zugleich ist der Irrationalität seiner Setzung vermittels der Unableitbarkeit der Transzendierungsstufen des Sinnes Rechnung getragen, sodass es von der mittleren als der kulturellen Sphäre aus als ebendieses schlechthin ‚Andere‘ ihrer selbst gelten muss: „Das Göttliche ist Sinn, nicht Sein, und es ist ‚anderer Sinn‘.“¹⁷⁶ Mit dem Skizzierten dokumentiert der vierte Hirsch-Brief Tillichs entschiedene Option für die Sinnkategorie als künftige Zentralkategorie der eigenen Theoriebildung. Nicht allein erscheint sie ihm bezüglich der mit dem Briefwechsel insgesamt aufgeworfenen Frage eines neuzeitgemäßen Verständnisses der religiösen Objektivationen tragfähiger als die Kategorie des Seins. Sie scheint überdies geeignet, im Verbund mit dem Geistgedanken gleichermaßen den Konnex von Kultur und Religion zu explizieren, wie die Eigenständigkeit und prinzipielle Differenz der Letzteren im Gegenüber zur Ersteren auszuweisen. Eine wirkliche theoretische Ausformulierung und Plausibilisierung des eher thetisch Entworfenen findet sich im Mai 1918 noch nicht. So ist – um nur zwei Beispiele zu nennen – die ‚Andersheit‘ des Göttlichen vorerst nicht näher sinntheoretisch bestimmt.¹⁷⁷ Auch ist im Rahmen des vierten Briefes lediglich behauptet, nicht aber gezeigt, dass und inwiefern das Numinöse als das Überseiende „für den Sinn zugleich Erfüllung und Widersinn ist“.¹⁷⁸ Tritt man einen Schritt zurück, dann mag man allerdings etwa in den drei ‚Sphären‘ in Kombination mit der These, dass deren mittlere Stufe den eigentlichen Ausgangspunkt der ‚Sinngebung‘, und also allen geistigen Umgangs mit Sinn darstellt, einen ersten systematischen Vorläufer der in der Folge den Sinngedanken strukturierenden Begriffstrias erblicken. Schematisch und sachlich
Ebd., 126 f. Ebd., 126. Mit der ausgereiften Sinnkonzeption: Die fragliche ‚Andersheit‘ ließe sich gleichermaßen auf den Gedanken der ‚unbedingten Form‘ wie auf den des ‚unbedingten Gehalts‘ beziehen. Beide bezeichnen für die Sinnform im starken Sinne ein ‚Anderes ihrer selbst‘; vgl. unten II.2.2 b) und c). Ebd., 127; dies wird dann wiederum tatsächlich erst Sache der ausgereiften Sinnkonzeption des Systems der Wissenschaften und vor allem der Religionsphilosophie sein; vgl. unten II.2.2 c).
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korrespondiert nämlich der Sphäre des – immer schon sinngeformten – ‚Gegenständlichen‘ der spätere Inhaltsbegriff, der Sinn- bzw. Wertsphäre als dem ‚Eigensten‘ des Geistes der Formbegriff sowie dem Numinösen, dem ‚anderen Sinn‘, der Gehaltsbegriff. Nimmt man die entsprechenden terminologischen Anklänge an das künftige ‚Form/Gehalt/Inhalt‘-Schema im Rahmen des dritten Briefs hinzu,¹⁷⁹ so bestätigt sich einmal mehr der Vorverweischarakter des Hirsch-Briefwechsels für die Theoriebildung der 1920er Jahre. Gleichzeitig – und damit können wir abschließend nochmals auf die einleitend aufgeworfene Frage der werkgeschichtlichen Bedeutung des Briefwechsels eingehen, zumal mit Blick auf die von Wenz wirkmächtig formulierte These einer ‚Abkehr‘ Tillichs vom (Neo)Idealismus mit dem Ersten Weltkrieg – sind noch im vierten Brief die Rückbezüge auf idealistische Theoriefiguren und Grundeinsichten unverkennbar. Gerade für die religionstheoretische Zuspitzung der sinntheoretischen Erwägungen ist ausdrücklich auf Schelling und Fichte Bezug genommen.¹⁸⁰ Hier konnten genuin idealistische, in die Frühzeit zurück datierende religionsphilosophische Grundüberzeugungen mit den neuen, erst im Umfeld des Briefwechsels rezipierten Autoren und Problemstellungen offenkundig eine fruchtbare Synthese eingehen. Insofern sich genau diese Synthese ebenfalls für den dritten Brief konstatieren lässt,¹⁸¹ markiert der briefliche Austausch mit Hirsch der Jahre 1917/18 im Ganzen mitnichten eine schlichte ‚Abkehr‘ vom Idealismus. Vielmehr wird man von einer konstruktiven Reorientierung und Umformung überkommener Theoriefiguren auf der Höhe der seinerzeitigen (religions)philosophischen Debattenlagen sprechen können – gewissermaßen im bleibenden Spannungsfeld von Fichte, Hegel, Schelling einerseits und Nietzsche, Simmel, Husserl, Otto andererseits.
d) Ertrag und Ausblick Dem Briefwechsel mit Emanuel Hirsch, entstanden zwischen November 1917 und Mai 1918, kommt eine Scharnierfunktion im Übergang vom Frühwerk zur Theoriebildung der 1920er Jahre zu. Vor dem Hintergrund der Rezeption etwa Friedrich Nietzsches, Georg Simmels, Edmund Husserls und Rudolf Ottos reorientiert Tillich ersichtlich das eigene Denken. Ihren stärksten Niederschlag findet diese Reori Vgl. ebd., 121 f.; vgl. oben II.1 a). Vgl. ebd., 126: „[…] vor allem auch in Ausdrücken wie Fichte: Gott ‚ist‘ nicht, Schelling: Gott ist der Überseiende.“ Vgl. allein ebd., 122, wo Tillich die eigene Position sowohl mit dem Namen Nietzsches wie mit dem Fichtes unmittelbar verbinden kann.
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entierung in der prinzipiellen Problematisierung des ‚objektiven Momentes‘ der Religion, nebst entsprechender Selbstkritik bezüglich der früheren Überlegungen. Tatsächlich markiert die Leitfrage des Hirsch-Briefwechsels nach einem tragfähigen Theorierahmen, in dem das grundlegend problematisierte, nichtsdestoweniger aber als notwendig festgehaltene Objektivationsmoment der Religion ausgewiesen und gedanklich entfaltet werden kann, den deutlichsten Abstand zu jener spekulativen Entfaltung der Idee des Absoluten, für die die Systematische Theologie von 1913 einstehen kann. Gleichwohl: Die in der Forschung beliebte These einer schlichten ‚Abkehr‘ Tillichs vom Früheren, insbesondere vom nachkantischen Idealismus, greift zu kurz. Vielmehr bleiben die konstruktiven Lösungsstrategien nach wie vor Problemstellungen und Argumenten idealistischer Religionsphilosophie verbunden. Weiterhin lassen sich hinsichtlich zentraler geist- und sinntheoretischer Motive durchaus Kontinuitätslinien ins Frühwerk ziehen. Der Hirsch-Briefwechsel bedeutet insofern nicht einfach einen kategorischen Bruch mit der Frühzeit. Wohl aber markiert der Briefwechsel einen merklichen Einschnitt. Der mit ihm gegebene Neueinsatz zeigt sich schon darin, dass die systematischen Vorverweise auf das Kommende aufs Ganze gesehen stärker ausfallen als die Rückverweise auf das Frühere. Offensichtlich ist dies im Falle der Sinnkategorie, die mit dem vierten Brief, und also im Mai 1918, als zentrale Kategorie des Geistigen angedacht wird. Obgleich vieles noch eher angedeutet bleibt – etwa die Frage der Zu- und Gegenordnung von kultureller und religiöser ‚Sinngebung‘, oder die Spezifizierung der ‚Andersheit‘ des Göttlichen als des ‚‚anderen‘ Sinns‘ –, zeichnet sich beispielsweise das spätere ‚Form/Gehalt/Inhalt‘-Schema bereits von Ferne ab. Auch in Sachen Geisttheorie ist die Umstellung in Richtung einer transzendentalen Bewusstseinstheorie unverkennbar. Dabei lässt sich, wiederum mehr am Rande, eine erste religionstheoretische Adaption des Intentionalitätsgedankens greifen.Vorerst orientiert Tillich sich jedoch primär am Begriff des ‚Erlebens‘ bzw. des ‚Erlebnisses‘, um das subjektive Moment der Religion zu benennen. Im Sinne eines reinen Zuständlichkeitsbewusstseins ist es dem problematischen Objektivationsmoment konstitutionslogisch vorgelagert. Der Verhältnisbestimmung beider Momente, bzw. genauer der gegenständlichen und nicht gegenständlichen Aspekte der religiösen Objektivation in Relation zum originären Zuständlichkeitsbewusstsein, dienen die Skizzen des zweiten bis vierten Briefes. Hervorzuheben ist hier der Stellenwert des Deutungsgedankens, des Transzendierungsgedankens sowie – natürlich – der Sinnkategorie. Wie stark gerade die in Erprobung des Sinnbegriffs formulierten Überlegungen des vierten Briefes das Folgende vorzeichnen, mag ein Zitat verdeutlichen, das auf den Jahresbeginn 1920 datiert. Im Rahmen der dann in Berlin gehaltenen Vorlesung Encyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft wird Tillich re-
II.1 Reorientierung der Leitbegriffe im Hirsch-Briefwechsel (1917/18)
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sümieren: „Das [religionsphilosophische; L. H.] Hauptproblem der Gegenwart: Der subjektive Ausgangspunkt steht fest.Von da weiterzudringen zu dem Sinn des Objektiven, der ‚Realisierung‘.“¹⁸² Dieses Zitat, mit dem der selbstverständliche Ansatz beim subjektiven Moment der Religion, das Ringen um die adäquate Gestalt seiner Objektivierung wie auch der Sinngedanke als integraler Bestandteil der anvisierten Lösung festgehalten sind, könnte nicht nur als Überschrift über Tillichs religionstheoretischen Reflexionen der 1920er Jahre insgesamt stehen. Es passt ebenso schon exakt auf die Suchbewegungen des Hirsch-Briefwechsels – mit ihm hebt die Denkbewegung des Kommenden, zumal in sinntheoretischer und geist- bzw. bewusstseinstheoretischer Hinsicht, unübersehbar an.
EW XII, 290; kursiv i. O.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
II.2 Die Theorie des Sinns Der den Hirsch-Briefwechsel von Seiten Tillichs beschließende Brief, der mit der Etablierung des Sinnbegriffs noch einmal den merklichen Neueinsatz gegenüber dem Frühwerk zum Ausdruck gebracht hatte, datiert auf den Mai 1918. Im November selben Jahres sollten ‚Novemberrevolution‘ und Waffenstillstand das Ende des Krieges bringen. Tillich erlebte es als Garnisonspfarrer in Spandau, neben anderem erneut mit der Vorbereitung von Lehrveranstaltungen an der Hallenser Theologischen Fakultät befasst – zu denen es allerdings wiederum, wie schon im vorangegangenen Wintersemester 1917/18, nicht kommen sollte. Mitte 1919 habilitiert er sich nach Berlin um, um dort zum Sommersemester unter dem Titel Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart als mittlerweile knapp 33-jähriger seine erste Vorlesung zu halten.¹ Es folgen zunächst zahlreiche weitere Lehrveranstaltungen in Berlin, bevor Tillich zum Sommer 1924 als außerordentlicher Professor für Systematische Theologie nach Marburg wechselt.² Mit dem Sommer 1925 beginnt dann die ungeliebte „Doppelexistenz Dresden-Marburg“³, abgelöst durch ein kaum weniger aufreibendes Wirken zwischen der Technischen Hochschule in Dresden und der Leipziger Theologischen Fakultät.⁴ Erst der Wechsel an den Frankfurter Lehrstuhl für Philosophie und Soziologie einschließlich Sozialpädagogik im Jahr 1929 bringt zwischenzeitliche Ruhe⁵ – zwischenzeitlich deshalb, weil Tillich bekanntlich zu jenen Hochschullehrern zählen wird, die vermittels des am 7. April 1933 erlassenen sogenannten ‚Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘ umgehend ihres Lehrstuhls enthoben werden sollten. Grund der Beurlaubung war sein langjähriges Engagement für einen ‚religiösen Sozialismus‘, Anlass die im Dezember 1932 erschienene Schrift Die sozialistische Entscheidung. ⁶ Dem Zugriff der Nationalsozialisten entzog
EW XII, 27– 213. Vgl. Erdmann Sturms ‚Historische Einleitung‘ in EW XIV, XXI-XLIV.XXIIIff. Ebd., XXVII. Vgl. ebd., XXVIff. Zu Tillichs ‚Frankfurter Jahren‘ vgl. Gerhard Schreiber/Heiko Schulz (Hg.), Kritische Theologie. Paul Tillich in Frankfurt (1929 – 1933) (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2015). Zu Tillichs politischer Option für einen Sozialismus christlicher Prägung vgl. Matthias Kroeger, „Paul Tillich als religiöser Sozialist“, in: Hermann Fischer (Hg.), Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 93 – 137; James A. Reimer, Emanuel Hirsch und Paul Tillich. Theologie und Politik in einer Zeit der Krise, übers. v. Doris Lax (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1995), 37– 44.216 – 264.298 – 382; Werner Schüßler/Erdmann Sturm, Paul Tillich. Leben – Werk – Wirkung (Darmstadt: WBG, 2007), 95 – 113; Christian Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Religion und Politik (Wien Berlin Münster: Lit, 2009); darin bes. Erdmann Sturm, „Tillichs religiöser Sozialismus im Rahmen seines theologischen und philoso-
II.2 Die Theorie des Sinns
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Tillich sich im November 1933 mit seiner Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach seiner Ankunft in New York musste er, im Alter von nun fast 50 Jahren, am dortigen Union Theological Seminary zunächst nochmals beinahe bei null beginnen. Die spätere Präsenz in der US-amerikanischen Öffentlichkeit, weit über den Kreis der evangelischen Theologie hinaus, war zu diesem Zeitpunkt nicht von Ferne abzusehen.⁷ Doch zurück zu den mit der Umhabilitation 1919 beginnenden ‚Berliner Jahren‘. Der Antritt der Privatdozentur verbindet sich mit ersten Publikationen, zunächst in Form von Aufsätzen: Der Ende 1919 erschienene Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur,⁸ die 1922 publizierten Texte Kairos und Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie ⁹ sowie Rechtfertigung und Zweifel von 1924¹⁰ sollten für eine gewisse Bekanntheit im Kreise der Theologie sorgen. Die Auseinandersetzung mit Friedrich Gogarten und Karl Barth in den
phischen Denkens“, in: ebd., 15 – 34 (weitere Literatur ebd., 15 Anm. 1); zu der für die frühen 1920er Jahre zu beobachtenden Verschränkung von Geschichts- und Kulturtheorie einerseits und politischer Option andererseits vgl. Thomas Ulrich, Ontologie, Theologie, gesellschaftliche Praxis. Studien zum religiösen Sozialismus Paul Tillichs und Carl Mennickes (Zürich: Theologischer Verlag, 1971); Georg Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2007), 295 – 306; zur Kritik an Tillichs Option vgl. Michael Murrmann-Kahl, „Theologisches Prinzip und Modernitätserfahrung in Paul Tillichs ‚Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart‘ (1919)“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 137– 154; Friedrich Wilhelm Graf, „‚Old Harmony‘? Über einige Kontinuitätselemente in ‚Paulus‘ Tillichs Theologie der ‚Allversöhnung‘“, in: ders., Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik (Tübingen: Mohr Siebeck, 2011), 343 – 380; zum Schillern von Tillichs hochschulpolitischem Agieren vgl. „‚Vielleicht kommen wir nun doch zu einer gemeinsamen Arbeit in Berlin.‘ Paul Tillichs Briefe an Reinhold und Erich Seeberg (1924– 1935)“, hg.v. Erdmann Sturm, in: Christian Danz u. a. (Hg.), Theology and Natural Science (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2012), 211– 253; zum Spannungsverhältnis von evangelischer Theologie und Weimarer Republik insgesamt vgl. Kurt Nowak, Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ²1988); Klaus Tanner, Die fromme Verstaatlichung des Gewissens. Zur Auseinandersetzung um die Legitimität der Weimarer Reichsverfassung in Staatsrechtswissenschaft und Theologie der zwanziger Jahre (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1989). Zu Werk und Wirkung der US-amerikanischen Zeit vgl. Wilhelm Pauck/Marion Pauck, Paul Tillich. Sein Leben und Denken, Bd. 1: Leben (Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk; Frankfurt/ Main: Lembeck, 1978), 147– 294; Schüßler/Sturm, Tillich, 16 – 25.235 – 238; Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillich im Exil (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2017). GW IX, 13 – 31. GW VI, 9 – 28 bzw. GW I, 367– 388. GW VIII, 85 – 100.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Theologischen Blättern, geführt um den Jahreswechsel 1923/24, dürfte Tillichs Bekanntheitsgrad seinerzeit merklich erhöht haben.¹¹ Hinzu kommen zahlreiche, vielfach kürzere Beiträge im Rahmen der Blätter für Religiösen Sozialismus, in denen sich die politische Option jener Jahre artikuliert.¹² Gegenüber der durchaus beachtlichen Zahl kleinerer Publikationen fällt das Fehlen größerer Schriften auf. Rein dem Erscheinungsjahr nach wäre hier alleine an das weit ausgreifende, wohl im Frühjahr 1923 vollendete und umgehend in den Druck gegebene System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden zu denken.¹³ Hinzu tritt bei näherem Zusehen ein zweiter Text: Die Religionsphilosophie. ¹⁴ Veröffentlicht wird sie zwar erst 1925, und also nach den ‚Berliner Jahren‘, in dem von Max Dessoir herausgegebenen zweibändigen Lehrbuch der Philosophie. Nach Tillichs Auskunft lag sie allerdings bereits im Oktober 1923 druckfertig vor,¹⁵ eine Angabe, die sich mit einer Anmerkung Dessoirs im ‚Vorwort‘ jenes Lehrbuchs deckt.¹⁶ Ob der großen systematischen Nähe und ihres gleichermaßen hochtheoretischen Charakters lässt sich somit für das System der Wissenschaften und die Religionsphilosophie geradezu von einem eben auf das Jahr 1923 zu datierenden ‚Doppelwerk‘ sprechen. Mit ihm stehen wir unbestreitbar vor der intellektuellen Summe von Tillichs ‚Berliner Jahren‘.¹⁷ Zumal hinsichtlich der Sinntheorie stellt es zudem einen gewissen Abschluss dar. Insofern zielt deren nachfolgende Rekonstruktion auf jenes ‚Doppelwerk‘ als gleichsam logischen Schlusspunkt. Die Rede von – und überhaupt die Suche nach – einem Schlusspunkt impliziert zugleich die Annahme einer inneren Entwicklung jener Sinntheorie, die mit dem vierten Hirsch-Brief ihren Auftakt genommen hatte. Tatsächlich ist es von vornherein unwahrscheinlich, dass eine Theorie im Ganzen mit den ersten,
GW VII, 216 – 246; vgl. auch unten III.1 c). Zu denken ist hier etwa an die programmatische Skizze Grundlinien des Religiösen Sozialismus. Ein systematischer Entwurf aus dem Jahr 1923. Als Mitherausgeber prägte Tillich den Kurs der Blätter im Ganzen wesentlich mit. GW I, 109 – 293; zur Datierung auf das Frühjahr 1923 vgl. neben Tillichs Angabe „Ostern 1923“ im ‚Vorwort‘ des Systems der Wissenschaften (ebd., 112) auch den entsprechenden Hinweis seiner späteren Ehefrau Hannah Gottschow; vgl. Renate Albrecht/Werner Schüßler, Paul Tillich. Sein Leben (Frankfurt/Main: Peter Lang, 1993), 63. GW I, 295 – 364. Vgl. Tillichs „Antwort“, BRS 5 (Nr. 5/6, Mai/Juni 1924), 18 – 22, 18: „[…] vor allem aber meine Religionsphilosophie, die seit Oktober [1923; L. H.] bei Ullstein liegt und des Druckes harrt […].“ Vgl. Max Dessoir (Hg.), Lehrbuch der Philosophie, Bd. 1. Die Geschichte der Philosophie (Berlin: Ullstein, 1925), Vorwort: „Der Plan dieses Lehrbuches reicht schon geraume Zeit zurück; auch die Ausführung war schon im Herbst 1923 nahezu abgeschlossen.“ Vgl. auch unten II.2.2 c).
II.2 Die Theorie des Sinns
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wenngleich markanten, Überlegungen vollständig ausformuliert vorliegt.¹⁸ Jedoch überrascht – dem Folgenden vorgreifend –, dass Tillich den Sinnbegriff nach seinem extensiven Gebrauch im Mai 1918 erst einmal vergleichsweise sparsam verwenden wird. In den umfangreicheren Texten des Jahres 1919 – dem Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur, der eingangs genannten ersten Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart sowie dem seinerzeit unveröffentlichten Text Rechtfertigung und Zweifel,¹⁹ mit dem Tillich sich der Berliner Theologischen Fakultät vorstellte – begegnet der Begriff zwar zweifelsohne in systematisch zentralen Zusammenhängen. Aufs Ganze gesehen bleibt seine Verwendung gleichwohl punktuell. Ab dem Jahr 1920 wird er dann sukzessive in jene beherrschende Stellung einrücken, die der letzte Hirsch-Brief schon zuvor hätte erwarten lassen. Vor allem aber werden, wie wir sehen werden, wichtige Theorieelemente überhaupt erst ab 1920 bedacht und entwickelt. Die damit angezeigte Periodisierung der sinntheoretischen Entwicklung gibt auch unserer Darstellung die Gliederung vor: Wir setzen mit einer Rekonstruktion der ersten kulturtheologischen Gestalt ein (II.2.1), um von hier die Entwicklungslinien hin zur ausgereiften Form des Systems der Wissenschaften und der Religionsphilosophie zu ziehen (II.2.2). Im Kern wird es um die konsequente gedankliche Entfaltung der frühen Verhältnisbestimmung von ‚Form‘, ‚Gehalt‘ und ‚Inhalt‘ hin zu einer so großräumig konzipierten wie detailliert ausgearbeiteten, in der Spannung von ‚unbedingter Sinnform‘ und ‚unbedingtem Sinngehalt‘ grundgelegten Theorie des Sinns gehen. Während nun für die ausgereifte Gestalt ebenjenes ‚Doppelwerk‘ als Rekonstruktionsbasis fungieren wird, ist die Quellenlage hinsichtlich der vorgängigen Entwicklung weniger selbstverständlich: Sicherlich markiert wiederum der Kulturtheologie-Aufsatz den logischen Ausgangspunkt. Doch in Ermangelung weiterer einschlägiger kleinerer oder größerer Schriften für die Jahre 1919/20 sind wir darüber hinaus erneut – wie schon für weite Strecken des Frühwerkes – an seinerzeit unveröffentlichte Texte gewiesen: Zu denken ist in erster Linie an die frühen Berliner Vorlesungen, die in der jüngeren Vergangenheit einmal mehr von Erdmann Sturm im Rahmen der Ergänzungs- und Nachlassbände ediert und in zwei voluminösen Bänden herausgegeben wurden.²⁰ Besonderes Gewicht wird
Auch die Wahrheitstheorie, die mit der Systematischen Theologie von 1913 ihre ausgereifte Form finden sollte, hatte – wie gesehen – im Frühwerk zahlreiche Vorformen; vgl. oben I.1. Im Gegensatz zur Sinntheorie war ihre Entwicklung jedoch ‚unsichtbarer‘ verlaufen, da ein zum Hirsch-Brief vom Mai 1918 vergleichbar markanter Auftakt in Sachen Wahrheitsbegriff dort fehlte. EW X, 127– 230. Vgl. EW XII und XIII. Den inneren Zusammenhang zwischen seiner umfangreichen Vorlesungstätigkeit und dem Fehlen zumal größerer Schriften hat Tillich selbst vermerkt. Anlässlich
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
dabei der Vorlesung Religion und Kultur ²¹ aus dem Wintersemester 1920 sowie der großen Religionsphilosophie-Vorlesung ²² aus dem Sommersemester selben Jahres zukommen. Zudem werden wir punktuell auf die meist Fragment gebliebenen Skizzen zurückgreifen, die gleichfalls unter Sturms Federführung in den Ergänzungsbänden erschienen sind.²³ Zu denken ist hier vor allem an den Vorstellungstext Rechtfertigung und Zweifel. Den Ausgang nehmen wir jedoch mit jenem Text, der in vielfacher Hinsicht als Programmaufsatz des dann in den 1920er Jahren Entfalteten gelten kann: Über die Idee einer Theologie der Kultur, als Vortrag im April 1919 gehalten, als Aufsatz im November jenes Jahres veröffentlicht. Er steht ganz im Zentrum des folgenden Unterkapitels.
II.2.1 Kulturtheologische Ansätze (1919/20) Im Frühjahr 1919 trug der der akademischen Öffentlichkeit zuvor mehr oder minder unbekannte Privatdozent Paul Tillich im Rahmen der Berliner Kant-Gesellschaft seine Überlegungen Über die Idee einer Theologie der Kultur vor. Inwieweit ihm dieser Vortrag tatsächlich schlagartig zu einem höheren Bekanntheitsgrad verhalf, lässt sich nicht zuverlässig rekonstruieren. In jedem Fall erlangte der zugehörige, Ende 1919 erschienene Aufsatz schon seinerzeit eine gewisse Bedeutung für die theologische Landschaft, wie sie ihm auch im Kontext gegenwärtiger Debatten noch zukommt. Seinerzeit, weil der Kulturtheologie-Aufsatz die Wahrnehmung Tillichs auf Jahre nachhaltig mitprägen sollte: Er galt in der Weimarer Republik vielfach als Kulturtheologe par excellence, was ihm nicht nur – verstärkt durch die 1923/24
seines Ersuchens um die Einrichtung eines festen Lehrstuhls fasste er im Sommer 1921 seine bisherige Zeit als Privatdozent an der Berliner Theologischen Fakultät gegenüber dem Preußischen Ministerium wie folgt zusammen: „Es handelt sich für mich darum, die Gebiete des Kulturlebens auf ihren religiösen Gehalt hin zu analysieren, um aus diesen Analysen Bausteine für einen systematischen Aufbau einer Religionsphilosophie zu gewinnen, die zugleich ein umfassendes System der Kulturphilosophie sein kann. In dieser Richtung hat sich denn auch meine Arbeit, die wesentlich in der Vorbereitung neuer Kollegs bestand, bewegt. […] Nach Abschluß dieser Vorlesungen […] will ich zu größeren litterarischen Arbeiten übergehen, die aber wegen der Notwendigkeit erstmaliger Durcharbeitung des Stoffes unter den neuen Gesichtspunkten unmöglich war.“ (EW XIII, XXXVII). Mit den Stichworten der ‚Religionsphilosophie‘ und des ‚umfassenden Systems der Kulturphilosophie‘ zeichnet sich das spätere ‚Doppelwerk‘ von 1923 bereits am Horizont ab. EW XII, 297– 332. Ebd., 333 – 565. EW X und XI.
II.2 Die Theorie des Sinns
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öffentlich geführte Auseinandersetzung mit Friedrich Gogarten und Karl Barth – von Seiten der reüssierenden sogenannten Dialektischen Theologie Kritik einbrachte, sondern ebenso von der konservativer Theologen.²⁴ Der KulturtheologieAufsatz galt hier als bündige Zusammenfassung von Tillichs Position insgesamt. Diese Verkürzung konnte und kann rezeptionsgeschichtlich dazu führen, dass die durchaus vorhandene Distanz zu klassisch kulturprotestantischen Theoriegestalten wie der eines Albrecht Ritschl oder Adolf von Harnack abgeblendet und Tillich allzu schnell dem Lager einer ‚Liberalen‘, einseitig um den Kulturbegriff kreisenden Theologie zugeschlagen wird. Gegenwärtig eignet dem Aufsatz eine gesonderte Bedeutung, weil sich für die evangelische Theologie nach Jahrzehnten der Distanz seit den 1990er Jahren eine Wiederentdeckung des Kulturthemas konstatieren lässt – wobei Tillich erneut als zentrale Referenz fungieren kann: Zu denken wäre beispielsweise im Bereich der Praktischen Theologie an die theologische Kulturhermeneutik eines Wilhelm Gräb,²⁵ in der Systematischen Theologie – bei aller kritischen Distanz – an die Arbeiten Michael Moxters und Christoph Schwöbels,²⁶ im kirchlichen Kontext an die EKD-Denkschrift Gestaltung und Kritik. ²⁷ Hinzu kommen die Beiträge aus der eigentlichen Tillich-Forschung, zuletzt etwa der von Christian Danz und Werner Schüßler herausgegebene Tagungsband Paul Tillichs Theologie der Kultur. ²⁸ Mit der Wiederkehr des Kulturbe-
Vgl. stellvertretend die Rezension von Tillichs Sammelband Religiöse Verwirklichung durch den Neulutheraner Martin Doerne aus dem Jahr 1930. Doerne hebt zwar die „Zeitgemäßheit“ und „Gegenwärtigkeit“ von Tillichs Denken insgesamt, und nicht zuletzt seiner „Kulturphilosophie“, würdigend hervor. Nichtsdestoweniger mündet seine Besprechung abschließend in eine „Bestreitung des genuin evangelischen Charakters von T.s Grundposition“ ein (Martin Doerne, „Die Idee des Protestantismus bei Tillich“, ZThK 11 [1930], 206 – 225, 221 f.225); zur Auseinandersetzung mit Gogarten und Barth vgl. unten III.1 c). Exemplarisch Wilhelm Gräb, Sinn fürs Unendliche. Religion in der Mediengesellschaft (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 2002), bes. 27– 33; zu Tillichs Bedeutung für Gräbs, aber auch für Hans-Günter Heimbrocks und Albrecht Grözingers kulturhermeneutisches Programm vgl. Andreas Kubik, „Zur Tillich-Rezeption in der praktisch-theologischen ‚Kulturhermeneutik‘“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 372– 402. Michael Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 13 – 101; Christoph Schwöbel, „Glaube und Kultur. Gedanken zu einer Theologie der Kultur“, in: ders., Christlicher Glaube im Pluralismus. Studien zu einer Theologie der Kultur (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 245 – 276. „Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert“, EKD-Texte 64 (1999). Danz/Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur; vgl. zudem etwa Peter Haigis, Im Horizont der Zeit. Paul Tillichs Projekt einer Theologie der Kultur (Marburg: Elwert, 1998); Martin Harant, Religion – Kultur – Theologie. Eine Untersuchung zu ihrer Verhältnisbestimmung im Werke Ernst Troeltschs und
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
griffs rücken Tillichs entsprechende Überlegungen, und dabei eben nicht zuletzt besagter Aufsatz, verstärkt in den Fokus. Tatsächlich bietet der Kulturtheologie-Aufsatz einen instruktiven ersten Überblick über jene Themen, die dann in den 1920er Jahren im Zentrum der Theoriebildung stehen werden. Zu denken ist neben dem kulturtheologischen Grundgerüst – also etwa der prinzipiellen Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur, ausformuliert unter anderem anhand der Begriffstrias von ‚Autonomie‘, ‚Heteronomie‘ und ‚Theonomie‘ oder den exemplarischen kulturtheologischen Analysen²⁹ – an die erste Neufassung der Wissenschaftssystematik,³⁰ die Formulierung der eigenen politischen Option nebst den daraus gezogenen praktischen Schlüssen,³¹ die nunmehr am Begriff des Unbedingten orientierten religionsphilosophischen Überlegungen im engeren Sinne³² sowie Einzelüberlegungen zu in der Folge zentralen Begriffen wie denen des ‚Schöpferischen‘ (hier: der „Schöpfung“) oder des „Heiligen“.³³ Insofern eignet dem Aufsatz zweifelsohne ein programmatischer Charakter.³⁴ Wir konzentrieren uns nachfolgend primär auf zwei Themenkreise: Die grundlegende Zuordnung von Kultur und Religion, die im Aufsatz in eine für jene Jahre einschlägige Definition des Religionsbegriffs mündet. Und die im weiteren Verlauf des Aufsatzes gegebene erste definitorische Verhältnisbestimmung von ‚Gehalt‘, ‚Form‘ und ‚Inhalt‘ – mithin die erste Gestalt des für die kommende Sinntheorie so einschlägigen ‚Form/Gehalt/Inhalt‘-Schemas.
Paul Tillichs im Vergleich (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 2009) sowie die entsprechenden Beiträge in Ulrich Barth/Christian Danz/Wilhelm Gräb/Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2013). Vgl. GW IX, 17– 19 bzw. ebd., 22– 27. Vgl. ebd., 13 – 17. Vgl. ebd., 30 f. Vgl. ebd., 16 f.18. Ebd., 13 f. bzw. ebd., 27 f. Der Kulturtheologie-Aufsatz ist ob seines programmatischen Charakters und der Vielzahl der in ihm verhandelten Themen und Motive oftmals bedacht worden; vgl. den Forschungsüberblick bei Haigis, Horizont, 19 – 55. Nochmals hervorgehoben seien Eberhard Amelung, Die Gestalt der Liebe. Paul Tillichs Theologie der Kultur (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1972), bes. 44– 59; Haigis, Horizont, 57 ff.127 ff.; Harant, Religion, 127– 132; Claas Cordemann, „Religion und Kultur. Paul Tillichs religionsphilosophische Grundlegung einer Theologie der Kultur“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur, 94– 127, 100 – 109.
II.2 Die Theorie des Sinns
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a) Religion als Erfahrung unbedingten Sinns Schon die Überschrift des zweiten Abschnitts des Kulturtheologie-Aufsatzes – „Kultur und Religion“³⁵ – signalisiert den exponierten Stellenwert, der dem Begriffspaar in der Folge, und also für die Theoriebildung der 1920er Jahre insgesamt, zukommen wird. Dabei tritt der Kulturbegriff 1919 keineswegs zum ersten Mal in Tillichs Gesichtsfeld. Erinnert sei etwa an die betreffenden Erwägungen der Systematischen Theologie von 1913 oder des Hirsch-Briefwechsels. Gleichwohl lässt sich eine Entwicklung feststellen. In der frühen Systematischen Theologie war dem Religions- und dem Kulturbegriff im einschlägigen § 12 als Drittes der Begriff der „Sittlichkeit“ zur Seite gestellt. Näherhin schien der Letztere dem Kulturbegriff sogar gedanklich vorgeordnet.³⁶ Weder fungiert der Kulturbegriff als alleiniges Pendant zum Religionsbegriff noch kommt dem Begriffspaar die spätere Grundlegungsfunktion zu. Im Briefwechsel deutete sich dann die Aufwertung des Kulturbegriffs zu dem Pendant des Religionsbegriffs im zweiten Brief an, vollzogen ist sie allerdings erst mit den letzten beiden Briefen.³⁷ Hier kann der Kulturtheologie-Aufsatz anknüpfen, wenn er ‚Religion‘ und ‚Kultur‘ als die grundlegenden begrifflichen Größen der folgenden Überlegungen voraussetzt: Tillich nimmt den Weg über eine prinzipiell geisttheoretische Bestimmung der Religion³⁸ und spricht sich gegen jede vorgeblich einseitige vermögenstheoretische Zuordnung zum Theoretischen, Praktischen oder Emotiven aus. Alternativ plädiert er für ein „komplexe[s]“ Religionsverständnis, in dem alle drei Vermögen als aufeinander bezogen gedacht werden. Der Kulturbegriff ist lediglich an den beiden Hinsichten des „Theoretischen“ und des „Praktischen“ orientiert, denen zwei entsprechende „Kulturfunktionen“ zugeordnet werden. Die nähere bewusstseinstheoretische Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur ist in der an Max Scheler erinnernden, cum grano salis aristotelisch-scholastisierenden Unterscheidung von „Potenz“ und „Akt“, ‚Potenzialität‘ und „Aktualität“ formuliert.³⁹ Aus der Verbindung der gewissermaßen reinen „religiösen Potenz“ und der jeweiligen Kul-
GW IX, 15. Vgl. EW IX, 296 – 300; vgl. zudem auch die systematische Vorrangstellung des Begriffs der „Freiheit“ gegenüber dem der Kultur im dortigen § 9; vgl. ebd., 288 – 290. Vgl. EW VI, 119 ff.124 ff.; vgl. oben II.1 a). Trotz aller – zumal terminologischen – Kontinuitäten zum Frühwerk scheint es mithin angeraten, in systematischer Hinsicht mit durchaus merklichen Verschiebungen zu rechnen: Obgleich die frühe Systematische Theologie bereits erste Umrisse einer Kulturtheorie kennt, lässt sich diese nicht umstandslos mit den Ausführungen nach dem Ersten Weltkrieg kurzschließen. Zum Folgenden vgl. GW IX, 16 – 18. Wir können es im gegenwärtigen Zusammenhang bei einer ersten Zusammenfassung belassen, da wir im Rahmen der Rekonstruktion der Geisttheorie noch ausführlich auf die betreffende Passage zurückkommen werden; vgl. unten II.3.1 a). Zu Tillichs Scheler-Rezeption vgl. unten II.3.1 b).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
turfunktion erwachsen „religiöse Akte“, die ihrerseits „spezifisch religiöse Kultursphären“ konstituieren. Ohne im gegenwärtigen Zusammenhang auf die Einzelheiten dieser geisttheoretischen Grundkonstruktion einzugehen, lässt sich doch festhalten, dass mit ihr – wie schon in der frühen Systematischen Theologie und dem Briefwechsel – eine doppelte Fassung des Religionsbegriffs angelegt ist: Einmal hebt Tillich ausdrücklich den „Absolutheitscharakter jedes religiösen Bewußtseins“ hervor, wonach Religion im engeren Sinne über eine Absolutheits- oder Unbedingtheitsdimension bestimmt ist. Insofern die ‚religiöse Potenz‘ genau durch das Moment der Absolutheit charakterisiert sein soll, bezeichnet sie einen ersten Religionsbegriff. Gleichzeitig unterstreicht Tillich, dass sich diese Potenz „nur“ – und also ausschließlich – in Verbindung mit den kulturellen Akten aktualisiert und somit realisiert.⁴⁰ Dementsprechend gelten seine eigentlichen Ausführungen nicht jener ‚religiösen Potenz‘ für sich genommen, sondern deren Konkretisierung im spezifisch bestimmten ‚religiösen Akt‘ bzw. in einer spezifischen ‚religiösen Kultursphäre‘. Diese konkrete Synthese von religiöser Potenzialität und kultureller Aktivität ist nun aber eben gleichfalls mit dem Religionsbegriff belegt, jetzt freilich in einem weiten Sinne. Einem wesentlich absolutheitstheoretisch definierten Religionsbegriff steht so ein zweiter zur Seite, der gerade die Verbindung von absolutheitstheoretischem und konkretem Moment im religiösen Akt bzw. in der religiösen Kultursphäre zum Thema hat. Das Verhältnis beider Religionsbegriffe zueinander ist durch eine Grundspannung gekennzeichnet: Religion drängt, so ließe sich paraphrasieren, einerseits auf kulturelle Konkretion in einer für sie spezifischen Ausdrucksform – im Aufsatz genannt werden etwa ‚Kirche‘ im Gegenüber zum ‚Staat‘, ‚Kultusform‘ im Gegenüber zur ‚Kunst‘, ‚Dogma‘ im Gegenüber zur ‚Wissenschaft‘ etc. Andererseits drängt ebenjener ‚Absolutheitscharakter‘ auf eine ‚Durchbrechung‘⁴¹ jeder Konkretion, weil er sie als unzulässige Fixierung begreifen muss. Die Spannung manifestiert sich in den „großen kulturellen Konflikte [n]“ zwischen den spezifisch religiösen Kultursphären und den gleichsam ‚reinkulturellen‘ Sphären.⁴² Angesichts ihrer stellt Tillich die Frage nach der Berechtigung der Ersteren – und kommt hier zu durchaus changierenden Antworten.⁴³
Vgl. ebd., 17: „In solchen Formen ist Religion aktuell, nur in Verbindung mit außerreligiösen Kulturfunktionen hat das religiöse Prinzip Existenz.“; kursiv L. H. Tillich verwendet in diesem Zusammenhang das später dann terminologisch für den Offenbarungsgedanken reservierte Verb „durchbrechen“ (ebd., 17), während jener Gedanke im Kulturtheologie-Aufsatz noch als „Zerbrechen“ gefasst ist (ebd., 19); vgl. unten II.2.1 c). Ebd., 17. Vgl. die anfängliche These einer „prinzipielle[n]“ bzw. „grundsätzliche[n]“ Aufhebung der spezifisch religiösen Kultursphären (ebd., 18 f.) einerseits, mit deren abschließender, gewisser-
II.2 Die Theorie des Sinns
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Soweit der mit dem geisttheoretischen Rahmen angelegte doppelte Religionsbegriff des Kulturtheologie-Aufsatzes. An ebenjene Diagnose einer für die Neuzeit signifikanten Konfliktsituation knüpft die folgende, eigentliche Definition des Religionsbegriffs unmittelbar an: „Religion ist Erfahrung des Unbedingten und das heißt Erfahrung schlechthinniger Realität auf Grund der Erfahrung schlechthinniger Nichtigkeit.“⁴⁴ Die zugehörige Erläuterung ist nochmals zweigeteilt. Zunächst ist der Doppelcharakter der religiösen Erfahrung – als einer Nichtigkeits- und Realitätserfahrung – weiter paraphrasiert. Schließlich ist jene ‚Realität‘ selbst näher bestimmt, die als Korrelat der betreffenden Erfahrung in Anschlag gebracht wird, wobei der Sinnbegriff im Kulturtheologie-Aufsatz erstmalige Verwendung findet.⁴⁵ Zu jedem der drei Bestandteile – Definition als ‚Erfahrung des Unbedingten‘, Explikation des Doppelcharakters, Näherbestimmung des Relates des religiösen Erlebens – finden sich analoge Überlegungen in der Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart sowie in Rechtfertigung und Zweifel. Im Verbund sind sie geeignet, den religionsphilosophischen Zentralgedanken zu erhellen, der für die Religionstheorie der 1920er Jahre von bleibender Bedeutung ist. Zudem verdeutlichen sie die ursprüngliche, zunächst eng umgrenzte Funktion des Sinnbegriffs in ebendiesem Kontext, bevor der Begriff dann in der Folgezeit sukzessive auf das Ganze der Theoriebildung ausgreifen wird. Wir interpretieren die entsprechende Passage des Kulturtheologie-Aufsatzes daher im steten Abgleich mit den Parallelüberlegungen jener beiden Texte. Eine erste Interpretationsbedürftigkeit der Glieder der eigentlichen Definition – ‚Religion ist Erfahrung des Unbedingten‘ – wird deutlich, wenn man sie neben die parallele Formulierung der Christentums-Vorlesung legt. Dort heißt es: „In jedem religiösen Erlebnis ist enthalten das Bewußtsein um etwas Absolutes.“⁴⁶ Während Tillich also im Kulturtheologie-Aufsatz die Begriffe der ‚Erfahrung‘ und des ‚Unbedingten‘ wählt, um den Religionsbegriff zu definieren, sind es in der Vorlesung die des ‚Erlebnisses‘ und des ‚Absoluten‘. Obgleich wir es offenkundig mit verwandten Begriffen zu tun haben, lässt sich fragen, ob die leichten terminologischen Verschiebungen gedankliche Pointen implizieren. Die betreffenden
maßen pragmatischen Ehrenrettung zum Zwecke der ‚Sammlung‘ und ‚Konzentration‘ des Religiösen im Sinne der Kultur selbst andererseits; vgl. ebd., 27 ff., bes. ebd., 30. Ebd., 18. Vgl. ebd.: „[…] sondern um eine Sinnwirklichkeit handelt, und zwar um die letzte, tiefste, alles erschütternde und alles neu bauende Sinnwirklichkeit.“ EW XII, 43.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Formulierungen des dritten Textes, Rechtfertigung und Zweifel, zeigen an, welche Schwerpunkte Tillich hier perspektivisch setzen wird: Dort ist, wie in der Vorlesung, durchgängig vom religiösen „Erlebnis“ die Rede, dem andersherum, wie im Aufsatz, die Idee des „Unbedingten“ zur Seite gestellt wird.⁴⁷ Tatsächlich erweist sich die Wahl des Erfahrungsbegriffs im KulturtheologieAufsatz, mindestens im Kontext der Definition des Religionsbegriffs, als singulär. In der Folge dominiert weithin der Erlebnisbegriff, der zudem wie gesehen schon im Vorfeld, nämlich im Hirsch-Briefwechsel, in die religionsphilosophischen Erwägungen eingerückt war. Beziehungsweise genauer: Im Briefwechsel ließ sich diesbezüglich noch ein gewisses Changieren ausmachen. Dort konnte Tillich vor allem im zweiten Brief von einem religiösen Erleben sprechen und dieses ausdrücklich von der systematischen Ebene einzelner Erlebnisse abheben.⁴⁸ Demgegenüber fasste der abschließende vierte Brief das Erlebnis des Numinosen, aller Abhebung von der Ebene der kulturellen Erlebnisse zum Trotz, dann doch wieder als Erlebnis. Eben diese letztere Lesart stützen nun die Christentums-Vorlesung und Rechtfertigung und Zweifel: Hier ist durchgängig von einem „religiösen Erlebnis“, einem „Positivitäts-“ bzw. „Negativitätserlebnis“, einem „Realitätserlebnis“, einem „Unbedingtheitserlebnis“ und schließlich einem „absoluten Sinnerlebnis“ die Rede.⁴⁹ Dieses unterscheidet sich von den kulturellen Erlebnissen ob seines zu spezifizierenden Unbedingtheitscharakters, es verdichtet sich jedoch prinzipiell wie diese in einem einzelnen Erlebnis. Das religiöse Erlebnis zeichnet sich so durch eine eigentümliche Bewusstseinsqualität aus, fällt formal aber nicht aus dem Bewusstseinsleben heraus. Gleichwohl bleibt bemerkenswert, dass Tillich jenseits des Kulturtheologie-Aufsatzes nicht auf den Erfahrungsbegriff zurückgreifen sollte. Dieser scheint im Grunde besonders geeignet, dem bereits ausweislich des Briefwechsels vor Augen stehenden engen Konnex von religiösem Erleben und Deuten Ausdruck zu verleihen: Während der Erlebnisbegriff das Missverständnis eines planen Erlebens nahelegen kann, weist der Erfahrungsbegriff in Richtung der dort hervorgehobenen notwendigen Deutungsimprägniertheit der Erlebnisse selbst.⁵⁰ Da sich die näheren Erläuterungen der Definition des Religionsbegriffs in der Christentums-Vorlesung sowie in Rechtfertigung und Zweifel nicht substanziell von der des Kulturtheologie-Aufsatzes unterscheiden, scheint Tillich allerdings des spezifischen Potenzials des Erfahrungsbegriffs nicht recht ansichtig geworden zu sein und ihn vielmehr als einfachen Wechselbegriff Vgl. EW X, 167– 173|217– 221; entsprechend prägt Tillich hier den Terminus „Unbedingtheitserlebnis“ (ebd., 170|219). Vgl. EW VI, 102; vgl. oben II.1 a). EW XII, 43 – 47 bzw. EW X, 170 f.|219 f. Vgl. EW VI, 117 f.; vgl. oben II.1 c).
II.2 Die Theorie des Sinns
227
zu dem des Erlebens verstanden zu haben. Der Wahl des Erfahrungsbegriffs im Kulturtheologie-Aufsatz eignet mithin keine gedankliche Pointe.⁵¹ Etwas anders verhält es sich mit dem Begriff des Unbedingten. Bislang hatte Tillich sich primär am Begriff des Absoluten orientiert, wie vor allem die Systematische Theologie von 1913 zeigt. Von 1919 an tritt jedoch, beginnend mit dem Aufsatz und Rechtfertigung und Zweifel, ganz weitestgehend der des Unbedingten an seine Stelle. Freilich handelt es sich bei beiden Begriffen nicht um Alternativen im scharfen Sinne. Das belegt allein der Umstand, dass der Absolutheitsbegriff weiterhin Verwendung finden kann – etwa auch im Kulturtheologie-Aufsatz selbst, wie der oben notierte Verweis auf den ‚Absolutheitscharakter jedes religiösen Bewusstseins‘ zeigt, oder in den analogen Überlegungen der Christentums-Vorlesung –, wie andersherum der des Unbedingten schon vor 1919 punktuell auftrat.⁵² Überdies kann Tillich beide Begriffe ausdrücklich als Wechselbegriffe behandeln.⁵³ Und doch ist auffällig, dass alle einschlägigen Definitionen des Religionsbegriffs ab den 1920er Jahren eben explizit auf die Idee des Unbedingten Bezug nehmen – erinnert sei nur an die als ‚Erfahrung‘ bzw. ‚Erlebnis des Unbedingten‘, die der ‚Richtung auf das Unbedingte‘,⁵⁴ die des ‚Unbedingt-Transzendenten‘ und schließlich des ‚Unbedingt-Angehenden‘⁵⁵ –, während der Begriff des Absoluten hier, anders als in der Frühzeit, keine Verwendung mehr findet. Die systematische Ausrichtung auf den Begriff des Unbedingten ist so eindrücklich, dass sie nachgerade als „Erkennungsmelodie“ von Tillichs Theoriebildung insgesamt gelten kann.⁵⁶ Die betreffende Umstellung lässt sich einmal als ein Versuch verstehen, der mit dem Hirsch-Briefwechsel eingeläuteten verstärkten Zuwendung zur damaligen Gegenwartsphilosophie sprachlichen Ausdruck zu verleihen: Während der
Mit der zweiten Auflage des Kulturtheologie-Aufsatzes wird 1921 dann der Begriff der ‚Richtung‘ an die Stelle des Erfahrungsbegriffs treten; vgl. unten II.3.1 b). So etwa vereinzelt im Rahmen der philosophischen Dissertation, vgl. EW IX, 230 f.234 Anm. 334.236 Anm. 337. Vgl. exemplarisch EW XII, 309 – wobei Tillich in der weiteren Darstellung auch hier dem Begriff des Unbedingten den Vorzug gibt. So ab Herbst 1920, zunächst in unveröffentlichten Texten; vgl. unten II.3.1 b); prominent wird diese Definition dann v. a. über die 1925 erschienene Religionsphilosophie; vgl. GW I, 320. So in der zweiten Hälfte des 1920er Jahre, etwa im Rahmen der Dresdner Dogmatik-Vorlesung, des Systems der religiösen Erkenntnis sowie des einschlägigen Symbolaufsatzes Das religiöse Symbol; vgl. unten II.3.2 c) und III.3 b). Trutz Rendtorff, „In Richtung auf das Unbedingte. Religionsphilosophie der Postmoderne“, in: Fischer, Tillich, 335 – 356, 335. Ein werkgeschichtlicher Überblick über Tillichs Verwendung des Begriffs des Unbedingten findet sich bei Michael Korthaus, ‚Was uns unbedingt angeht‘ – der Glaubensbegriff in der Theologie Paul Tillichs (Stuttgart Berlin Köln: Kohlhammer, 1999), 42 ff.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Absolutheitsbegriff für eine Orientierung am nachkantischen Idealismus steht, lässt sich der des Unbedingten stärker einer kantisch-neukantianischen Traditionslinie zuordnen⁵⁷ – ohne dass eine strenge Abgrenzung möglich wäre. Über diesen mehr allgemein-begriffsgeschichtlichen Aspekt hinaus lassen sich die systematischen Implikationen jener Umstellung anhand der – ein letztes Mal auf den Begriff des Absoluten abstellenden – Einführung des Religionsbegriffs im Rahmen der Christentums-Vorlesung illustrieren, wenn man sie mit späteren, geradezu konträren Überlegungen gegenliest. Die dortige Grundbestimmung, der zufolge „[i]n jedem religiösen Erlebnis […] das Bewußtsein um etwas Absolutes [enthalten]“ sein soll, ist umgehend wie folgt präzisiert: „[…] um etwas, das jeder Bedingtheit, jeder Begründung, jeder Einschränkung enthoben ist […] Eben wegen dieser Losgelöstheit von allen Beziehungen, Abhängigkeiten, Begrenztheiten nennen wir es Absolutes.“⁵⁸ Die betonte Abständigkeit des Absoluten ist im Folgenden etwa noch durch den Hinweis darauf verstärkt, dass es jedem kategorialen Zugriff prinzipiell verschlossen bleibe.⁵⁹ Was hier als genuine Stärke der Idee des Absoluten erscheint – ihre schroffe Abhebung gegen die Sphäre des Relativen samt dessen Beziehungen, wechselseitigen Abhängigkeiten etc. –, erweist sich jedoch auf den zweiten Blick als gegenläufig zu der von Tillich seit 1917/18 anvisierten religionstheoretischen Lösung. Tatsächlich wird beispielsweise die große Religionsphilosophie-Vorlesung aus dem Sommer 1920 dann genau umgekehrt argumentieren, dass nämlich zumal seine Hypostasierung zu einer vorgeblich relationslosen Größe in die „Gefahr der Verdinglichung des Absoluten“ umzuschlagen drohe.⁶⁰ Im obigen Zitat aus der Christentums-Vorlesung artikuliert sich diese Gefahr in den unreflektierten, eben verdinglichenden Formulierungen ‚um etwas Absolutes, um etwas, das jeder Bedingtheit […] enthoben ist‘. Einer solchen planen Vergegenständlichung des Relates des religiösen Erlebens zu wehren, war aber just die Pointe der mit dem Hirsch-Briefwechsel begonnenen Suchbewegung. Diesbezüglich erweist sich die Idee des Unbedingten insofern als geeignet, als sie den konstitutiven Bezug auf ihr gedankliches Gegenüber, das Bedingte, gewissermaßen in sich selbst miteinschließt: Mag auch ein scharfes Begründungsgefälle zwischen dem ‚Unbedingten‘
Vgl. Ernst Otto Onnasch, „Unbedingte, das“, HWPh 11 (2001), 108 – 112. EW XII, 43; kursiv L. H. Vgl. ebd., 46. Ebd., 385; vgl. auch seine entsprechende Etikettierung als eines „gegenständlich Absolute[n]“ (ebd., 387); zur Argumentation vgl. ebd., 384– 388.
II.2 Die Theorie des Sinns
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und dem ‚Bedingten‘ statuiert werden, so ist doch der relationale Bezug bei näherem Zusehen qua Begriff gegeben.⁶¹ Zusammenfassend liegt die Stärke des Unbedingtheitsbegriffs gerade darin, die kategoriale Differenz zu seinem Relat, dem Begriff des Bedingten, zu wahren und gleichzeitig auf eine Näherbestimmung der fraglichen Relation zu drängen. Er qualifiziert sich dadurch in gesonderter Weise für die relationale Gesamtanlage des Tillich’schen Denkens der 1920er Jahre. Insofern artikuliert sich in der Umstellung auf den Begriff des Unbedingten eine systematische Pointe – die zwar im Gegenüber zu dem des Absoluten nicht überakzentuiert werden darf, die aber doch als Indikator der religionsphilosophischen Reorientierung gewertet werden kann. Zurück zur Religionsdefinition des Kulturtheologie-Aufsatzes bzw. jetzt zur Explikation der eigentlichen Definition. Die Näherbestimmung der für das religiöse Erlebnis spezifischen Unbedingtheitserfahrung als einer schlechthinnigen Nichtigkeits- und Realitätserfahrung liest sich dort wie folgt: „[D]as heißt Erfahrung schlechthinniger Realität auf Grund der Erfahrung schlechthinniger Nichtigkeit; es wird erfahren die Nichtigkeit des Seienden, die Nichtigkeit der Werte, die Nichtigkeit des persönlichen Lebens; wo diese Erfahrung zum absoluten, radikalen Nein geführt hat, da schlägt sie um in eine ebenso absolute Erfahrung der Realität, in ein radikales Ja.“⁶² Im Hintergrund ist unschwer der aus dem Frühwerk bekannte Paradoxgedanke auszumachen, namentlich das Kürzel ‚Ja/Nein‘ ist wörtlich aufgegriffen.⁶³ Tatsächlich ist im weiteren Verlauf ausdrücklich von einer „paradoxen religiösen Grunderfahrung“ die Rede,⁶⁴ wie auch die ChristentumsVorlesung sowie Rechtfertigung und Zweifel wiederholt auf den Paradoxbegriff rekurrieren.⁶⁵ Wie in der Frühzeit gibt Tillich dabei keine belastbare Regel an die Hand, wie der notierte ‚Umschlag‘ näherhin zu fassen ist. Die Christentums-Vorlesung belässt es diesbezüglich wie der Kulturtheologie-Aufsatz bei Metaphern, etwa der eines ‚Eingeschlossenseins‘ des Negativitätserlebnisses in das Positivitätserlebnis oder der einer „negativen Kehrseite zu einem Positiven“.⁶⁶
Die berühmte Kritik Falk Wagners am Begriff des Unbedingten, demzufolge dieser eben gegen die eigene Intention stets durch das Bedingte rückbedingt und also keineswegs un-bedingt sei, setzt genau diese Relationalität voraus. GW IX, 18. Vgl. oben I.2 c). Ebd. Vgl. etwa EW XII, 47; EW X, 170|219. Auch die Formel ‚Ja/Nein‘ findet sich hier wiederholt. Vgl. EW XII, 45 bzw. ebd., 44.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Ersichtlich ist im Aufsatz allerdings ein Doppeltes: Einmal die Vorgängigkeit des Negativitätsmomentes. Sie artikuliert sich in jenem Bild des ‚Umschlages‘ und der wiederum mehr metaphorischen Formulierung ‚auf Grund der‘. Zudem unterstreicht die Darstellungsreihenfolge im Rahmen der Christentums-Vorlesung die Vorordnung des Nichtigkeitsaspektes.⁶⁷ Systematisch gewichtiger – und bemerkenswerter – ist ein zweiter Punkt. Prima facie legt es sich nahe, das positive Realitätserlebnis ‚stärker‘ als das Nichtigkeitserlebnis zu denken. Etwa die Metapher des ‚Umschlagens‘ lässt einen Wechsel hin zu einem ausschließlichen Positivitätserlebnis erwarten. Mit der Formel ‚Ja/Nein‘: Das ‚Ja‘ ersetzt das ‚Nein‘ im religiösen Erlebnis gleichsam vollständig. Bei näherem Zusehen wird jedoch deutlich, dass Tillich hier an eine andere Zuordnung denkt. So signalisiert bereits das ‚ebenso‘ im letzten Halbsatz der Näherbestimmung des Kulturtheologie-Aufsatzes, dass beide Momente als prinzipiell gleichwertig betrachtet werden: ‚Nein‘ und ‚Ja‘ sind als gleichermaßen unbedingt zu verstehen. Und auch die ChristentumsVorlesung kann dem Negativitätserlebnis explizit die „gleiche[ ] Bedeutung und Kraft“ wie dem Positivitätserlebnis zuschreiben.⁶⁸ In der Tat ist es gerade ihr mögliches Zusammenbestehen in dem einen religiösen Erlebnis, das dessen Paradoxcharakter ausmacht. Dieser Umstand wird in den anderen Texten nochmals deutlicher als im Kulturtheologie-Aufsatz, da dort der Paradoxbegriff selbst präsenter ist. So hebt die Christentums-Vorlesung ausdrücklich die „paradoxe Einheit des negativen und positiven Momentes im religiösen Erlebnis“ hervor,⁶⁹ wie Rechtfertigung und Zweifel unterstreicht, dass dieses „ein unbedingtes Ja und ein unbedingtes Nein gleichzeitig […] bedeutet“: „Das Unbedingte kann nie anders als in der Doppelrichtung des Ja und Nein über dem Glaubenden erfaßt werden. […] Das Unbedingtheitserlebnis hat notwendig paradoxen Charakter.“⁷⁰ Insofern hebt Letzteres zwar mit einem Nichtigkeitserlebnis an, entgegen der Metapher eines ‚Umschlagens‘ ist aber wohl weniger an dessen einfache Ersetzung durch das Positivitätserlebnis zu denken als eben an ein paradoxes ‚Zugleich‘. Über das paradoxe Zugleich von Nichtigkeits- und Realitätserfahrung hinaus sind zwei weitere Aspekte der im Kulturtheologie-Aufsatz vorgenommenen Näherbestimmung der religiösen Unbedingtheitserfahrung festzuhalten. Der erste ist die
Vgl. ebd., 43 – 45. Ebd., 45. Ebd., 47. EW X, 219 f.; kursiv L. H.; das ‚gleichzeitig‘ ist hier offenkundig nicht temporal, sondern im Sinne des Paradoxgedankens eben logisch als ‚zugleich‘ gemeint; vgl. ebd., 170.
II.2 Die Theorie des Sinns
231
Wahl des Schlechthinnigkeitsbegriffs an derart prominenter Stelle.⁷¹ Tatsächlich rückt der Terminus der ‚Schlechthinnigkeit‘ 1919/20 zumal im Umfeld der Definition des Religionsbegriffs für kurze Zeit ersichtlich in den Fokus, so in der Christentums-Vorlesung, der Vorlesung Religion und Kultur sowie schließlich der großen Religionsphilosophie-Vorlesung. ⁷² Vor allem Letztere verdeutlicht Tillichs Wertschätzung der antispekulativen Stoßrichtung, die dem Begriff seines Erachtens im Gegenüber zu dem des – in der Frühzeit präferierten – Absoluten eignet: „Mit dem ‚schlechthinnig‘ ist […] zum ersten Male ausgesprochen in kritischer Form, was in der idealistischen Spekulation immer in der dogmatischen Form einer Beziehung auf das gegenständlich Absolute erschienen ist.“⁷³ Mit der kritisierten ‚idealistischen Spekulation‘ ist in diesem Zusammenhang – vor dem Hintergrund des Frühwerkes bemerkenswert – neben G.W. F. Hegel auch der späte Schelling gemeint.⁷⁴ Der Schlechthinnigkeitsbegriff gilt Tillich demgegenüber, wie schon der des Unbedingten, mit dem eigenen, seit dem Hirsch-Briefwechsel sukzessive verfolgten religionstheoretischen Programm vereinbar. Sein kurzzeitiges Reüssieren unterstreicht somit gleichermaßen die 1917/18 einsetzende Modifikation der religionsphilosophischen Rahmentheorie wie den allerdings mehr hintergründigen Einfluss Schleiermachers auf diese Verschiebung.⁷⁵ Das dahinter stehende Sachanliegen wird Tillich perspektivisch gleichwohl vermittels des Begriffs des Unbedingten zum Ausdruck bringen, sodass der der Schlechthinnigkeit in der Folge wieder zurücktreten wird. Der zweite Aspekt ist systematisch weitreichender, da er die Gesamtanlage als solche betrifft. Tillich benennt im Kulturtheologie-Aufsatz drei Sphären, auf die das religiöse Erlebnis bezogen ist: Die des ‚Seienden‘, die der ‚Werte‘ und die des ‚persönlichen Lebens‘.⁷⁶ Auch die Christentums-Vorlesung kennt ganz analog drei Bereiche, anhand derer zunächst das Nichtigkeitserlebnis und dann das Realitätserlebnis illustriert werden.⁷⁷ Schließlich unterscheidet Rechtfertigung und Zweifel drei Hinsichten, nach denen sich das „reale Sein“ – wir können paraphrasieren: die Welt des Existierenden, wobei der Seins- bzw. Existenzbegriff so ‚[…] das heißt Erfahrung schlechthinniger Realität auf Grund der Erfahrung schlechthinniger Nichtigkeit‘; vgl. GW IX, 18. Vgl. EW XII, 46; ebd., 309 bzw. ebd., 387 f. Ebd., 387. Vgl. ebd.; vgl. auch unten II.2.2 b). Positive Bezugnahmen auf Schleiermacher finden sich um 1919/20 wiederholt; vgl. etwa ebd., 43.291.293, bes. ebd., 294. Einer entsprechenden Bedeutung Schleiermachers waren wir bereits im Hirsch-Briefwechsel ansichtig geworden; vgl. oben II.1 a). ‚[…] es wird erfahren die Nichtigkeit des Seienden, die Nichtigkeit der Werte, die Nichtigkeit des persönlichen Lebens‘; vgl. GW IX, 18. Vgl. ebd., 44 bzw. ebd., 47.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
weit zu fassen ist, dass Werte und der Persönlichkeitsgedanke ebenfalls darunter fallen – einteilen lässt: „das ontologische Sein, das Wertsein und das Ichsein“.⁷⁸ Das Dreier-Schema ist mithin 1919 als solches sichtlich etabliert, ohne dass Tillich das interne Verhältnis der drei Sphären untereinander weiter aufschlüsseln würde. Anders als im Briefwechsel scheint er jedoch weniger an eine Stufung⁷⁹ als vielmehr an ein Nebeneinander zu denken: Der Akzent liegt eindeutig auf der Parallelität bezüglich des für die Religion spezifischen paradoxen Zugleich von Negativität und Positivität, das eben in allen drei Sphären gleichermaßen erfahren werden kann. Das religiöse Erlebnis ist beispielsweise nicht allein dem Werterleben oder dem Bereich der ethischen Persönlichkeitserfahrung vorbehalten, sondern es ist in gleicher Weise in der Welt der Gegenstände möglich. Tillich scheint sich dieserart für eine weite Fassung des Religionsbegriffs auszusprechen, etwa im Gegenüber zu dessen entschieden ethischer Fassung, für die der Name Emanuel Hirschs einstehen kann.⁸⁰ Da die Unterscheidung und nähere Fassung der betreffenden drei Sphären weder religions- und kulturtheoretisch noch geist- oder symboltheoretisch im Einzelnen von Bedeutung sein wird, können wir die Details dahingestellt sein lassen. Entscheidend für das Folgende ist, dass Tillich den Sinnbegriff ab 1919 dem des Wertes systematisch überordnet, statt ihn – wie im Hirsch-Briefwechsel – synonym zu diesem zu verstehen. Der Wertbegriff tritt so ins zweite Glied, um im Verbund mit denen des ‚Seienden‘ und der ‚Persönlichkeit‘ dem Sinnbegriff nachgeordnet zu werden.⁸¹ Die die Religionsdefinition beschließende Näherbestimmung nimmt sich des Begriffs der ‚Realität‘ an, dessen Explikation in zwei Schritten erfolgt. Auf eine negative Bestimmung folgt jeweils qua Abgrenzung eine positive, wobei schlussendlich auch der Sinnbegriff im Kulturtheologie-Aufsatz erstmalige Verwendung findet. Im Hintergrund stehen augenscheinlich die Überlegungen des Briefwechsels. Der erste Schritt reformuliert deren antisupranaturalistische Stoßrichtung: „Nicht um eine neue Realität handelt es sich, neben oder über den Dingen – das wäre ja nur ein Ding höherer Ordnung, das wieder unter das Nein
EW X, 170|220. Vgl. EW VI, 124 ff.; vgl. oben II.1 a) und c). Tillichs Aufwertung des Persönlichkeitsgedankens im Briefwechsel, die jetzt mit den Texten der Nachkriegszeit stillschweigend zurückgenommen wird, dürfte so nicht zuletzt dem seinerzeitigen Gesprächspartner geschuldet gewesen sein. Bedenkt man, dass Tillich seine frühesten sinntheoretischen Überlegungen im Briefwechsel sogar noch über den Wertgedanken eingeführt hatte – vgl. oben II.1 a) und c) –, so ist Letzterer nunmehr gegenüber dem Sinngedanken in systematischer Hinsicht gewissermaßen gleich doppelt degradiert.
II.2 Die Theorie des Sinns
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fiele. Sondern durch die Dinge hindurch zwingt sich uns jene Realität auf, die das Nein und Ja über die Dinge zugleich ist.“⁸² Der Begriff des ‚Dinges‘ umfasst hier erneut gleichermaßen die Sphäre des Seienden, der Werte und der Persönlichkeit, und ist somit weit zu verstehen. Während sich die negative Abgrenzung – nicht ‚neben oder über den Dingen‘ – vor dem Hintergrund des Briefwechsels leicht nachvollziehen lässt, fällt Tillich die positive Fassung ersichtlich schwerer. Rechtfertigung und Zweifel knüpft etwa in einem ersten Zugriff stärker an die gleichfalls aus dem Briefwechsel vertraute Wertschätzung des Immanenzgedankens an, wenn den ‚Dingen‘ – im notierten weiten Sinne des Wortes – attestiert wird, die fragliche Dimension unbedingter Realität „in sich“ zu „tragen“.⁸³ Jedoch ist dieser erste Zugriff dort umgehend zu der eben mit dem Kulturtheologie-Aufsatz geprägten Formel eines ‚durch-hindurch‘ präzisiert.⁸⁴ Der im Hintergrund der Umstellung auf diese Formel stehende Einwand gegen eine einfache Adaption des Immanenzgedankens lässt sich wiederum der Christentums-Vorlesung entnehmen: Eine immanenztheoretische Formulierung mag zwar eher der seinerzeitigen Gegenwartskultur wie der „modernsten Philosophie“ entsprechen.⁸⁵ Ein wörtliches Verständnis des betreffenden ‚in‘ erweist sich aber ob der anvisierten kategorialen Alterität des Unbedingten als „ebenso gut und ebenso schlecht“ wie das supranaturalistische, und also offensichtlich ungeeignete ‚über‘.⁸⁶ Jede räumliche Formulierung muss diesbezüglich missverständlich sein.⁸⁷ So lässt sich festhalten, dass die gesuchte Realität nicht als Hinter- oder Gegenwelt verstanden sein will. Die Formel ‚durch-hindurch‘ zeigt zudem einen wesentlich medialen Charakter der ‚Dinge‘ an. Weiter führt die zweite Näherbestimmung, die die positive Fassung nochmals über eine negative Abgrenzung einführt: [E]s ist nicht ein Seiendes, es ist nicht die Substanz, nicht die Totalität des Seienden; es ist, um eine mystische Formel zu gebrauchen, das Überseiende, was zugleich das Nichts und das Etwas schlechthin ist. Doch auch das Prädikat ‚ist‘ verhüllt schon den Tatbestand, da es sich
GW IX, 18. EW X, 170 f.|220. Vgl. ebd. EW XII, 46. Tillichs Sympathie für den Immanenzgedanken hatte sich im Briefwechsel nicht zuletzt der Diagnose verdankt, dass das „Prinzip der autonomen Lebens-Immanenz“ eben die „moderne Literatur und Dichtung“ im Ganzen dominiere (EW VI, 115). EW XII, 46. Wenn Tillich entsprechend ein „symbolische[s]“ Verständnis der betreffenden Vorstellungen des ‚Über‘ bzw. ‚In‘ anmahnt, liegt hier werkgeschichtlich eine der ersten positiven – obgleich noch unterminologischen – Verwendungen des Symbolbegriffs vor; vgl. unten III.1 b). Gegen diesen Einwand ist freilich auch die im Folgenden von Tillich präferierte Formel des ‚durch-hindurch‘ nicht immun.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
nicht um eine Seins-, sondern um eine Sinnwirklichkeit handelt, und zwar um die letzte, tiefste, alles erschütternde und neu bauende Sinnwirklichkeit.⁸⁸
Im Anschluss an die Überlegungen des Briefwechsels ist die grundsätzliche Alternative von ‚Sein‘ und ‚Sinn‘ hier deutlich formuliert.⁸⁹ Der prinzipielle Einwand richtet sich wiederum gegen jedes gegenständliche Verständnis des Unbedingten, also gegen seine Fassung vermittels der Seinskategorie – in dem weiten Sinne, in dem die Wertsphäre und der Persönlichkeitsgedanke ebenso unter diese fallen. Der Einwand ist weiterhin dahingehend präzisiert, dass nicht nur die Identifikation mit einem einzelnen ‚Seienden‘, sondern gleichfalls eine solche mit der ‚Totalität des Seienden‘ ausdrücklich ausgeschlossen wird. Aus der ChristentumsVorlesung wird ersichtlich, dass Tillich mit der letzteren „Gesamtheit“ bzw. „Totalität der Dinge“ das philosophische Prinzip im Unterschied zum theologischen verstanden wissen will.⁹⁰ Damit dürfte die Differenz von Welt- und Gottesgedanken anvisiert sein, zumal Tillich den Weltbegriff in der Folge sukzessive als systematischen Gegenbegriff zum Gottesbegriff etablieren wird.⁹¹ Die kategoriale Andersheit des Unbedingten, der im religiösen Erlebnis erfahrenen Realität, setzt diese vom Weltgedanken als dem Gesamt des „Seienden überhaupt“⁹² nochmals ab. Weiterhin ist der Substanzbegriff im obigen Zitat gegenständlich verstanden – was insofern eigens hervorzuheben ist, als Tillich im Kulturtheologie-Aufsatz an anderer Stelle positiv auf den Gedanken einer „geistige[n] Substantialität“ bzw. „geistige[n] Substanz“ Bezug nehmen kann.⁹³ Kritisiert wird der Substanzbegriff somit erneut allein in seiner gegenständlichen Fassung vermittels der Seinskategorie.⁹⁴ Unterscheidet Tillich so zwischen seins- und sinnhaftem Verständnis des Substanzgedankens – einschließlich der entsprechenden Wertung –, so gilt dies 1919 bei näherem Zusehen ebenfalls für den Weltgedanken. Während dessen gegenständliche Gestalt im Sinne der ‚Totalität der Dinge‘ als Relat des religiösen Erlebens ausgeschlossen wird, kann seine sinnhafte Gestalt als eines „übergrei-
GW IX, 18. Vgl. oben II.1 c). EW XII, 46. Vgl. unten II.2.2 a) bis c). Ebd. GW IX, 20 bzw. ebd., 29; kursiv L. H. Die einschlägige Referenz im Zusammenhang mit dem Substanzbegriff stellt, wie schon im Frühwerk, der Name Spinozas dar, ohne dass Tillich den Bezug systematisch präzisieren würde; vgl. etwa EW X, 104|110; EW XII, 45.69 f. u. ö.
II.2 Die Theorie des Sinns
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fende[n] Sinnzusammenhang[es], in dem alle Dinge und Wesen stehen“,⁹⁵ religionstheoretisch durchaus positiv erwogen werden. In der betreffenden Passage der Christentums-Vorlesung gilt Tillich dieser ‚übergreifende Sinnzusammenhang‘ so als adäquater Wechselbegriff zu dem des seinerseits religiös valenten Begriffs des „objektiv[en] Geistes“.⁹⁶ Sowohl mit Blick auf den Substanz- als auch auf den Totalitätsgedanken ist für die Frühphase der Formierung der Sinntheorie mithin ein gewisses Changieren zu beobachten. Wo ihr seinshaftes Verständnis jeweils verworfen wird, scheint ihre sinnhafte Auffassung als Korrelat zum religiösen Erlebnis möglich. Hier dokumentiert sich einmal mehr die jetzt beherrschende religionstheoretische Bedeutung der Sinnkategorie. Die nähere positive Bestimmung der gesuchten ‚Realität‘ als der religionsphilosophisch entscheidenden ‚Sinnwirklichkeit‘ ist nun schwerer zu greifen als die negative Abgrenzung gegenüber jeder Fassung vermittels der Seinskategorie. Einen ersten Fingerzeig bietet der Kulturtheologie-Aufsatz selbst, wenn er die fragliche Sinnwirklichkeit näherhin als ‚letzte, tiefste‘ bestimmt: Obwohl metaphorisch, unterstreichen diese Kennzeichnungen noch einmal deren unbedingtheitstheoretischen Status. Das Relat des religiösen Erlebnisses ist also zwar als Sinn, aber – wie Rechtfertigung und Zweifel ausdrücklich vermerkt – „nicht [als] ein einzelner Sinn“ zu fassen.⁹⁷ Während der Kulturtheologie-Aufsatz über die eigentliche Definition hinaus nur wenig an die Hand gibt,⁹⁸ lassen sich in den zeitgleichen Texten drei Argumentationslinien ausmachen. So liest sich die parallele Passage in der Christentums-Vorlesung wie folgt: „Der Gegenstand des religiösen Realitätsgefühls ist überhaupt kein Gegenstand neben oder über anderen, sondern er ist ein Sinn, den die Dinge dem religiösen Bewußtsein offenbaren, der Sinn, daß sie auf Grund ihrer schlechthinnigen Negativität hinführen zu einer schlechthinnigen Realität.“⁹⁹ Mit der Wahl des Gefühlsbegriffs dürfte sich schwerlich eine systematische Pointe artikulieren – man mag ihn als Reminiszenz an die Lektüre von Rudolf Ottos Das Heilige verstehen, in deren unmittelbarer Folge er im vierten Hirsch-Brief punktuell in den Fokus ge-
Ebd., 42. Vgl. ebd., 42 f.; zum Begriff des ‚Sinnzusammenhanges überhaupt‘ vgl. auch EW X, 174|223. Ebd., 169|219. Der Terminus des ‚Überseienden‘ dürfte eine Reminiszenz an die frühe, intensive Beschäftigung mit Schelling darstellen; vgl. etwa EW X, 31.36 f.47; EW IX, 179 (dort das „Überseyende“ im direkten Zitat Schellings); GW I, 85; EW VI, 126 u. ö. EW XII, 46.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
treten war.¹⁰⁰ Alle weiteren diesbezüglichen Ausführungen der ChristentumsVorlesung weisen darauf hin, ihn unspezifisch als Wechselbegriff zu dem des Erlebnisses zu interpretieren. Auch die Formulierung ‚ein Sinn‘ darf nach dem Vorstehenden nicht wörtlich im Sinne eines einzelnen Sinns verstanden werden. Bemerkenswert ist, dass Tillich an dieser Stelle indirekt eine Aufwertung des Mediums der religiösen Erfahrung, der – wiederum im weiten Sinne – ‚Dinge‘, vollzieht, wenn er das religiöse Realitätserlebnis aus deren Perspektive rekonstruiert (‚den die Dinge dem religiösen Bewußtsein offenbaren‘).Während um 1919/ 20 die Definition der Religion ansonsten weithin allein mit Bezug auf die Idee des Unbedingten bzw. auf den unbedingten Sinn erfolgt, setzt die Explikation hier bei den Medien an, die so ihrerseits als Vehikel der für die Religion signifikanten paradoxen Sinnerfahrung in den Blick rücken. Dieser Ansatz führt konsequent auf die Frage, „was das religiöse Paradox für die Sphäre der Dinge, der Werte, der Persönlichkeit zu bedeuten hat“.¹⁰¹ Gewissermaßen an den Dingen selbst wird für das religiöse Bewusstsein eine entsprechende, spezifisch religiöse Bedeutung thematisch – der Gedanke ergänzt den einschlägigen Verweis darauf, dass das Relat des religiösen Erlebens als ‚unbedingter Sinn‘ und nicht als ‚Sein‘ zu fassen ist, um eine erste explikationsfähige Argumentationslinie.¹⁰² Die betreffende Aufwertung des Medialen lässt sich darüber hinaus daran ablesen, dass in diesem Zusammenhang die Terminologie der späteren Symboltheorie unvermittelt aufscheint: Ursprünglich stand im obigen Zitat anstelle des „hinführen“ ein „hinweisen“ – ein Zentralbegriff der in den folgenden Jahren entwickelten Symbolkonzeption.¹⁰³ Zudem stellt die allerdings einmal mehr eher schematische Ausführung dazu, was jenes ‚Hinführen‘ bzw. ‚Hinweisen‘ im Konkreten für die Sphären der Dinge, der Werte und der Persönlichkeit bedeuten kann, dann ganz auf den Gedanken eines ‚Teilhabens‘ bzw. ‚Teilnehmens‘ ab – also einen Zentralgedanken zumal der Symbolkonzeption des Spätwerks.¹⁰⁴ Dieses Aufscheinen symboltheoretisch valenter Terminologie ist schon insofern bemerkenswert, als Tillich 1919/20 – wie wir sehen werden – weithin noch eine ambi Vgl. oben II.1 c). Tatsächlich wird Tillich auch in der Christentums-Vorlesung seinen Studierenden im unmittelbaren Zusammenhang Ottos Das Heilige empfehlen; vgl. ebd., 47. EW XII, 47; kursiv L. H. Vgl. unten III.1 a) und b); eine vergleichbare Aufwertung des Medialitätsmomentes der Religion bedeutet auch die Adaption der Husserl’schen Figur des ‚Meinens‘ um 1919; vgl. unten II.3.1 b). Vgl. ebd., 46 Anm. 16; zur zentralen Bedeutung des Hinweisgedankens für die Symbolkonzeption vgl. unten III.2 b). Vgl. ebd., 47 f. Zur Bedeutung des Teilhabegedankens im Spätwerk vgl. exemplarisch KlausDieter Nörenberg, Analogia Imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul Tillichs (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1966), 161 ff.
II.2 Die Theorie des Sinns
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valente Haltung gegenüber dem Symbolbegriff einnimmt. Es unterstreicht erneut den gesteigerten Wert, den die Christentums-Vorlesung den Medien der religiösen Erfahrung beimisst. Gleichwohl bleibt dieser erste ergänzende Explikationsansatz der Religionsdefinition bei der Bedeutung der ‚Dinge‘ aufs Ganze gesehen vorerst eine Randerscheinung. Rechtfertigung und Zweifel wählt demgegenüber eine zweite Argumentationslinie, die das transzendentalphilosophische Moment nochmals stärker hervorhebt als der Kulturtheologie-Aufsatz. An den Abweis einer Fassung des Unbedingten als eines „Seiende[n]“ bzw. eines „einzelne[n] Sinn[s]“ anschließend heißt es positiv: „Das Unbedingte ist der Sinn schlechthin, der Ausdruck dafür, daß überhaupt ein Sinn ist, die Setzung der Sinnsphäre. […] Ein Zweifel am Sinn schlechthin aber ist nicht möglich, da der Zweifel die Bejahung der Sinnsphäre bereits voraussetzt.“¹⁰⁵ Das Argument ist hier ganz analog zu dem aus der Kasseler Thesenreihe und der Systematischen Theologie von 1913 bezüglich der ‚absoluten Wahrheit‘ vertrauten.¹⁰⁶ Diese bzw. der ‚Sinn schlechthin‘ fungieren ihrerseits als doppelte Voraussetzung: Einmal für die transzendentale Setzung der Wahrheitsbzw. Sinnsphäre überhaupt, dann für die Bejahung derselben als selbst noch das zweifelnde Bewusstsein betreffende. Die Stärke des Gedankens liegt in der Hervorhebung der Begründungsfunktion – die absolute Wahrheit bzw. der unbedingte Sinn konstituieren allererst die Sphäre des Wahrheitswert- bzw. Bedeutungsbetroffenen, ein ‚diesseits ihrer‘ lässt sich gar nicht konsistent denken. Die Kehrseite ist jetzt jedoch nochmals merklicher als im Frühwerk. Dort war die Idee der absoluten Wahrheit zwar durchaus religiös-theologisch imprägniert. Gleichwohl konnte Tillich seine Theorie des Wahrheitsbewusstseins im Vorfeld der eigentlich religiösen bzw. theologischen Reflexion entfalten.¹⁰⁷ Insofern ließ sich auch das allgemein-humane Bewusstsein als Wahrheitsbewusstsein begreifen, obgleich die Hebung seiner Aporien vermittels des Paradoxgedankens exklusiv der Theologie vorbehalten blieb. 1919 verhält es sich bei Lichte besehen anders. Die Erfahrung unbedingten Sinns ist als exklusives Kennzeichen der Religion behauptet, fungiert sie doch gerade als deren Definitionsmerkmal. Die tendenziell hypertrophen Konsequenzen dieses Gedankens liegen auf der Hand: Konstituiert ausweislich der Überlegungen von Rechtfertigung und Zweifel allein das Erlebnis des Unbedingten allererst die Sinnsphäre, und ist dieses Erlebnis in eins als exklusiv religiöses verstanden, dann spielt das kulturelle Erleben im gleichsam sinnfreien Raum: Nicht einmal als sinnlos lässt es sich bezeichnen, da
EW X, 169 f.|219. Vgl. oben I.1 d) bzw. I.2 a). Vgl. oben I.2 b).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
sich die Alternative ‚sinnvoll/sinnlos‘ überhaupt erst sub specie des Sinnbegriffs stellt. Jedes nicht religiöse Erlebnis müsste als bedeutungsfrei verstanden werden – weder lässt sich eine solche These konsistent durchhalten, noch dürfte Tillich ein Interesse an ihr genommen haben. Allerdings deuten sich damit die Schwierigkeiten einer für das Jahr 1919 zu beobachtenden Engführung des Sinnbegriffs – nämlich seiner Reservierung für den Begriff des Unbedingten als des Relates des religiösen Erlebens – im Gegenüber zu dessen programmatischer Weite im Rahmen des vierten Hirsch-Briefes an: Galt dort die Faustformel „Geistiges Leben ist Leben im Sinn“,¹⁰⁸ so droht nun eine gedankliche Fokussierung auf die religionstheoretische Dimension der Sinnkategorie.¹⁰⁹ Die transzendentalphilosophische Argumentation ist dabei in Rechtfertigung und Zweifel umgehend um eine dritte, nochmals das Erlebnismoment ins Zentrum rückende Argumentationslinie ergänzt. Sie ist sinntheoretisch insofern relevant, als hier ein existenzieller Aspekt von Tillichs Sinnbegriff deutlich wird. Dem zuvor formulierten transzendentalen Argument eignete bereits im Frühwerk, seinerzeit mit Blick auf die absolute Wahrheit, ein nicht zuletzt apologetisches Interesse: Dem Bewusstsein sollte die Notwendigkeit der Voraussetzung des Wahrheitsgedankens noch in dessen fundamentaler Bezweiflung andemonstriert werden.¹¹⁰ Ein solches apologetisches Interesse, nun hinsichtlich der Sinnfrage, steht offenkundig gleichfalls im Hintergrund der soeben angezeigten Überlegungen von Rechtfertigung und Zweifel. Tillich präzisiert und ergänzt sie umgehend: „Aber nicht dieser analytisch aus dem Zweifel zu entwickelnde abstrakte Begriff ist es, der die Rechtfertigung trägt, sondern der Sinn, der sich dem erlebenden Ich paradox offenbart, der Sinn, der ein unbedingtes Ja und ein unbedingtes Nein gleichzeitig über den Zweifler bedeutet.“¹¹¹ Dementsprechend lautet die Schlussfolgerung des Gedankengangs: „Also nicht die abstrakte Erwägung, daß im Zweifel überhaupt ein Sinn vorausgesetzt ist, hilft weiter, sondern nur die glaubensvolle Erfassung dieses Sinnes als mich verneinend und bejahend zugleich.“¹¹² Sowohl der paradoxe Charakter des religiösen Erlebnisses als auch der als transzendentale Voraussetzung noch des zweifelnden Bewusstseins gesetzte unbedingte Sinn sind in der von uns rekonstruierten Form vorausgesetzt. Darüber hinaus ist jetzt hervorgehoben, dass die Thesis eines unbedingten Sinns der
EW VI, 125; vgl. oben II.1 c). Vgl. unten II.2.1 c). Vgl. oben I.2 a). EW X, 219; vgl. ebd., 170. Ebd.; vgl. ebd., 219. Die Formulierungen der jeweils alternativen Version weichen leicht vom Zitierten ab. In den gewählten Zitaten kommt die entscheidende Pointe je und je deutlicher zum Ausdruck als an der parallelen Stelle der anderen Fassung.
II.2 Die Theorie des Sinns
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persönlichen Aneignung bedarf: Die im Zitat angedeutete Parallelität zum Rechtfertigungsgedanken, der insgesamt im Hintergrund der Studie Rechtfertigung und Zweifel steht, sowie die Betonung des existenziellen Momentes weisen in Richtung des lutherischen ‚pro me‘-Gedankens. Im Umkreis ist der Charakter des religiösen Erlebnisses als eines persönlichen „Sinnerlebnisses“ wider die Erfahrung des Sinnlosen bzw. Sinnwidrigen, wider die Existenz in einer „Wüste der Sinnlosigkeit“¹¹³ und schließlich die „Verzweiflung am Lebenssinn überhaupt“ ebenfalls herausgestellt.¹¹⁴ Damit ist in Rechtfertigung und Zweifel explizit formuliert, was die entsprechenden Überlegungen im Kulturtheologie-Aufsatz und in der Christentums-Vorlesung mehr implizit voraussetzen: Die grundlegend existenzielle Einfärbung von Tillichs Sinnbegriff und das Verständnis des religiösen Erlebnisses als eines ‚Sinnerlebnisses‘, das Lebenssinn stiftet. Dieser Befund ist insofern bedeutsam, als er anzeigt, dass Tillichs Sinntheorie nicht auf ihre fraglos gleichfalls ursächlichen, im engeren Sinne theoretischen – etwa semantischen – Gesichtspunkte verkürzt werden darf: Die Theorie des Sinns wird zwar nicht zuletzt die semantische Bedeutungsdimension abdecken, wie gerade die dann in den 1920er Jahren sukzessive entfaltete Theorie des ‚Ausdrucks‘ verdeutlichen wird.¹¹⁵ Quer dazu liegt jedoch eine existenzielle Einfärbung des Sinnbegriffs, die sich wiederum als religionstheoretisch motiviert darstellt.¹¹⁶ Zusammenfassend experimentiert Tillich 1919 im Kontext der Definition der Religion gedanklich mit deren einzelnen Elementen, und also auch mit dem Sinnbegriff. Gesetzt ist die aus dem Hirsch-Briefwechsel vertraute Abgrenzung gegenüber einer Fassung des Relates des religiösen Erlebens gemäß der Seinskategorie – hier hat die Sinnkategorie ihren genuinen Ort. Im Umfeld des Kulturtheologie-Aufsatzes etabliert Tillich nun die Idee des Unbedingten als Korrelat des religiösen Erlebnisses, zudem findet die Figur des ‚durch-hindurch‘ erste prominente Verwendung. Hervorzuheben ist weiterhin die Gleichwertigkeit von Positivitäts- und Nichtigkeitsmoment im Erleben des Unbedingten, wobei das aus
Vgl. ebd., 217. Ebd., 175|223; zum Stichwort des ‚Sinnwidrigen‘ vgl. ebd., 168|218.175|223. Darüber hinaus streicht gerade die Hinführung den existenziellen Charakter der anschließend entfalteten sinntheoretischen Überlegungen heraus: „Die Lage, in die der Zweifler […] gebracht ist, bedeutet eine ungeheure, tiefe Not. […] In dem Gefühl, mit der Religion den Sinn des Lebens überhaupt zu verlieren und in einer Wüste der Sinnlosigkeit zu stehen, lebt der Zweifler am Abgrund der Verzweiflung.“ (ebd., 217; vgl. ebd., 167). Vgl. unten III.2 b). Im Hintergrund mag man einmal mehr Tillichs Erlebnisse im Ersten Weltkrieg vermuten, wie etwa auch die wiederkehrende Tod/Sterbensmetaphorik anzeigt; vgl. exemplarisch EW XII, 47 f.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
der Frühzeit vertraute Kürzel ‚Ja/Nein‘ sowie der Paradoxbegriff terminologisch wiederkehren. Der nähere Stellenwert der Medien des religiösen Erlebens – des ‚Seienden‘, der ‚Werte‘, der ‚Persönlichkeit‘ – changiert dabei. Auffällig ist allerdings, dass Tillich, anders als noch im Hirsch-Briefwechsel, jene Medien jedenfalls ihrerseits nicht mehr mit dem Sinnbegriff belegt, sondern diesen vielmehr ganz für das Unbedingte reserviert wissen will. Damit deutet sich eine systematisch nicht unproblematische Engführung des Sinngedankens an.
b) Autonomie, Heteronomie und Theonomie Neben der Definition des Religionsbegriffs begegnet der Sinnbegriff im Kulturtheorie-Aufsatz allein in einem weiteren Kontext, der dafür freilich wiederum von systematisch exponierter Bedeutung ist: Unter der Überschrift des dritten Abschnitts, ‚Kulturtheologie‘, entwickelt Tillich eine erste Gestalt jenes in der Folge so einschlägigen Begriffsschemas, das in der Forschung weithin unter dem Titel ‚Form/Gehalt‘-Schema firmiert,¹¹⁷ und identifiziert dabei den Sinnbegriff mit dem des ‚Gehalts‘. Die Anbindung an die vorangegangenen religionsphilosophischen Überlegungen erfolgt über eine weitere perspektivisch bedeutsame Begriffstrias, nämlich über die Verhältnisbestimmung von ‚Autonomie‘, ‚Heteronomie‘ und ‚Theonomie‘. Letztere Trias soll nachfolgend zunächst im Fokus stehen, bevor wir uns schließlich Tillichs erster Fassung des Verhältnisses von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ annehmen. Jene Begriffstrias erfährt im Kulturtheologie-Aufsatz erstmalig größere Aufmerksamkeit, obwohl ihre Wurzeln, wie wir sehen werden, werkgeschichtlich weit zurückreichen. Wir vergegenwärtigen uns zunächst in aller Kürze ihre im Kulturtheologie-Aufsatz entworfene Gestalt und fragen dann von hier aus über das Frühwerk nach möglichen problemgeschichtlichen Hintergründen zurück. Diese werden sich insofern als bedeutsam erweisen, als sie zugleich einen ersten Fingerzeig in Richtung der Hintergründe des sogenannten ‚Form/Gehalt‘-Schemas geben.¹¹⁸
Zur Literatur bezüglich des ‚Form/Gehalt‘-Schemas vgl. unten II.2.1 c). Der Schwerpunkt des Folgenden liegt mithin auf der Rekonstruktion der Vorgeschichte sowie der problemgeschichtlichen Bezüge von ‚Autonomie‘, ‚Heteronomie‘ und ‚Theonomie‘ und weniger auf Tillichs diesbezüglichen Überlegungen im Rahmen des Aufsatzes selbst. Zum Verhältnis von Autonomie, Heteronomie und Theonomie bei Tillich vgl. Amelung, Gestalt, 68 – 85.94– 98; Falk Wagner, „Absolute Positivität. Das Grundthema der Theologie Paul Tillichs“, NZSTh 15 (1973), 172– 191, 175 – 181; Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979), 131– 133;Werner Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933) (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1986), 64– 68; Hannelore Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik. Die Vermittlung von Gott und Welt im Frühwerk Paul Tillichs (Berlin
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Im Kulturtheologie-Aufsatz ist die Begriffstrias von ‚Autonomie‘, ‚Heteronomie‘ und ‚Theonomie‘ noch im Vorfeld des eigentlichen ‚Kulturtheologie‘-Abschnitts im Zuge der Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur eingeführt, und zwar dort zur Präzisierung des Begriffs der „Kulturfunktionen“.¹¹⁹ Unter Letzteren versteht Tillich offenkundig unterschiedliche geistige Formen des Aufbaus kultureller Wirklichkeit, vornehmlich hinsichtlich der vier Bereiche der ‚Kunst‘, der ‚Wissenschaft‘, der ‚Individual-‘ und ‚Sozialethik‘ sowie des ‚Staates‘.¹²⁰ Für den gegenwärtigen Zusammenhang mag der Hinweis auf eine prinzipielle Nähe zu dem etwa zeitgleich, aber sehr wahrscheinlich ohne wechselseitigen Einfluss von Ernst Cassirer geprägten Begriff der ‚symbolischen Form‘ genügen:¹²¹ Es handelt sich bei den ‚Kulturfunktionen‘ cum grano salis um Modi der kulturellen Weltauffassung und -gestaltung sub specie eines je spezifischen ‚Kulturwertes‘ – so der ‚Schönheit‘, der ‚Wahrheit‘, der ‚Gerechtigkeit‘ bzw. der ‚Liebe‘. Entsprechend orientiert sich zum Beispiel der Geist in seiner ästhetischen Funktion an deren ganz eigenem Kulturwert der Schönheit und bedient sich in der Bestimmung seiner Gegenstände ihm eigentümlicher ästhetischer Formen. Erfolgen Auffassung bzw. Aufbau nun nach der spezifischen Eigengesetzlichkeit der jeweiligen Kulturfunktion, so spricht Tillich von „Autonomie“. Sie gilt ihm im Kulturtheologie-Aufsatz wie im Folgenden als eines der Kennzeichen der Neuzeit schlechthin.¹²² Gemäß der These einer spezifischen Eigengesetzlichkeit der geistigen Vollzüge je nach Kulturfunktion lassen sich Letztere weiterhin nicht einfach aufeinander übertragen: Das künstlerisch-ästhetische Bewusstsein bedient sich anderer Bestimmungsformen als das wissenschaftlich-erkennende oder das ethische. Gleichwohl entsprechen sich die Kulturfunktionen insgesamt hinsichtlich ihrer Eigengesetzlichkeit im Gegenüber zu ‚heteronomen‘ Einsprüchen von Seiten der Religion. Der Begriff der „Heteronomie“ steht mithin für den Versuch, den Kulturfunktionen eine ihnen fremde Gesetzmäßigkeit im Sinne der Religion aufzuzwingen. Insofern dem Kulturtheologie-Aufsatz nicht zuletzt an der neuzeitgemäßen ‚Autonomie‘ der Kulturfunktionen gelegen ist, scheint der Begriff beinahe positiver gewertet als der der ‚Heteronomie‘ – während in der Folgezeit die
New York: Walter de Gruyter, 1989), 107– 131; Haigis, Horizont, 68 – 70.84– 88.134– 138; Cordemann, „Religion“, 103 f. Vgl. GW IX, 17– 19. Vgl. ebd., 17 mit ebd., 22– 27. Zu Cassirers Begriff der ‚symbolischen Form‘ vgl. die Überlegungen nebst angeführter Literatur in der Einleitung der vorliegenden Arbeit. Auf Tillichs Begriff der ‚Kulturfunktion‘ werden wir im Rahmen der Rekonstruktion der Bewusstseins- und Geisttheorie ausführlich eingehen; vgl. unten II.3.1 a). Vgl. ebd., 17.
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Kritik an der vorgeblichen ‚Leere der Autonomie‘ in den Vordergrund rücken wird.¹²³ Als Zielbegriff fungiert freilich schon jetzt das Ideal einer „Theonomie“: Die Kulturfunktionen sollen in ihrer Eigengesetzlichkeit „als Ganze[]“¹²⁴ gleichsam transparent werden für jene Paradoxie, das Zugleich von unbedingter Verneinung und Bejahung, die der Kulturtheologie-Aufsatz als Signum der Religion ausarbeitet. Nimmt man die Hintergründe des dieserart im Kulturtheologie-Aufsatz skizzierten Schemas in den Blick, dann ist bemerkenswert, wie weit die erstmalige Verwendung der Begriffe ‚Autonomie‘ und ‚Theonomie‘ ins Frühwerk zurückdatiert: Sie finden sich bereits in einer Seminararbeit aus dem Jahr 1906 mit dem Titel Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium. In deren Rahmen schlug Tillich einen direkten Bogen von Johann Gottlieb Fichtes Frühschrift Kritik aller Offenbarung zurück zu Kants Verhältnisbestimmung von praktischer Philosophie und Religionsphilosophie, und notierte bezüglich der Letzteren: „Die Religion ist nach ihm [Kant; L. H.] eine rein subjektiv begründete Konsequenz des Sittengesetzes. Es bleibt der Willkür des einzelnen überlassen, ob er seine Pflichterfüllung unter den Gesichtspunkt der Autonomie oder Theonomie stellen will.“¹²⁵ Der Autonomiebegriff lässt sich leichthin als Interpretament der Kant’schen These einer Selbstgesetzgebungsstruktur der praktischen Vernunft verstehen, die im kategorischen Imperativ ihren berühmten Ausdruck findet: Schöpft der Wille seine Motivation, sich an diesem und damit am Sittengesetz zu orientieren, aus gleichfalls rein praktisch-vernünftigen Quellen, dann legt sich der Begriff der Selbstgesetzgebung, also eben der Autonomie, nahe. Die Wahl des Theonomiebegriffs ist demgegenüber schwerer zu erklären.¹²⁶ Der Begriff ist nicht originär kantisch, sondern wohl vielmehr im protestantisch-theologischen Kantianismus des anhebenden 19. Jahrhunderts geprägt.¹²⁷ In der Folge konnte er sowohl als theologisches Äquivalent als auch als Gegenbegriff zu dem der Autonomie fungieren.¹²⁸ Hinsichtlich der Fichte-Seminararbeit können wir zunächst Tillichs werkgeschichtlich sehr frühe Verwendung der Termini ‚Autonomie‘ und
So exemplarisch in der gedruckten Religionsphilosophie; vgl. GW I, 308.312.331 u. ö. So wiederholt auf GW IX, 18. EW IX, 5. Kants Gegenbegriff zur Autonomie wäre, etwa im Rahmen der Kritik der Urteilskraft, nicht der der Theonomie, sondern eben der der Heteronomie; vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, Bd. 10, Werkausgabe (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1974), 339 (B 319). Vgl. Friedrich Wilhelm Graf, Theonomie. Fallstudien zum Integrationsanspruch neuzeitlicher Theologie (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1987), 19. Für eine erste Übersicht vgl. ebd., 11– 38.
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‚Theonomie‘, den offenkundig kantischen Hintergrund des Ersteren sowie ihren – vorerst – nur einmalig-punktuellen Gebrauch im Rahmen jener Arbeit festhalten. Eine wegweisende Erweiterung ist demgegenüber mit der Monismusschrift von 1908 vorgenommen, wenn Tillich auch den Begriff der ‚Heteronomie‘ als Drittes zu ‚Autonomie‘ und ‚Theonomie‘ hinzuzieht. Der systematische Zusammenhang erinnert an den der Seminararbeit von 1906, wobei der dortige, im engeren Sinne praktisch-vernünftige Kontext nunmehr auf den Horizont der Gewissheitsthematik hin aufgebrochen ist – jener Thematik also, die dann mit der Kasseler Thesenreihe in den Vordergrund treten wird. In Vorwegnahme der dortigen gewissheitstheoretischen Kernthese betitelt Tillich den entsprechenden Abschnitt der Monismusschrift ‚Autonomie und Gewißheit‘.¹²⁹ In der ‚Urfassung‘ ist dabei der ursprüngliche Entdeckungszusammenhang, ganz im Sinne der früheren Seminararbeit, noch einmal ausdrücklich benannt: „Das ist der Kantsche Autonomie-Gedanke […] Gewißheit haben nur die praktischen Ideen, die unbedingte Gültigkeit des Sittengesetzes.“¹³⁰ Der Fortgang des Gedankengangs liest sich in beiden Fassungen identisch. Dem wiederum praktisch-vernünftig eingeführten, aber jetzt gewissheitstheoretisch erweiterten Autonomiebegriff wird der für das Christentum konstitutive Bezug auf die Gestalt Jesu entgegengestellt, womit die Frage der Möglichkeit einer Verbindung beider Gedankenreihen aufgeworfen ist. Tillichs Antwort lautet: „Die Theonomie ist Synthese von Heteronomie und Autonomie.“¹³¹ Die mit der Gestalt Jesu gegebene dualistische ‚Störung‘ der rein monistischen Autonomie wird dieserart implizit mit dem Begriff der ‚Heteronomie‘ belegt, ohne dass der direkte Kontext weitere Erläuterungen zu den nun drei Begriffen der Autonomie, der Heteronomie und der Theonomie bieten würde. Deutlich ist allerdings, dass die Theonomie als Zielbegriff einer Verbindung der gewissermaßen idealtypisch vernünftigen Gedankenreihe einerseits und der idealtypisch christlichen Reihe andererseits fungiert. Jene Problemstellung, wie sittliche Autonomie und christliche Bezugnahme auf Jesus Christus zusammenstehen können, ist in der Examensarbeit an späterer Stelle nochmals aufgegriffen. Tillich legt sich erneut die Frage vor, wie der prinzipielle „Autonomismus des Idealismus“ mit dem christlichen Anspruch der schlechthinnigen „Autorität Jesu“, und also dessem Entgegentreten als dem „absolute[n] Träger der Norm“, in Einklang gebracht werden kann.¹³² Als grundlegend hierfür behauptet er eine betreffende ‚Erfahrung‘, von der gelten soll:
Vgl. EW IX, 70|130. Ebd., 70. Ebd., 70|130. Ebd., 85|147.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
„Diese Erfahrung aber ist eine Gewissenserfahrung und darum autonom oder besser: theonom.“¹³³ Der Verzicht auf den Gegenbegriff der Heteronomie sowie der weitere Fortgang der Argumentation lassen den Theonomiegedanken weniger als eine Synthesegestalt von Autonomie und Heteronomie, als vielmehr als eine einlinige Verlängerung des Autonomiegedankens erscheinen. Dass das ursprünglich zweigliedrige Schema gleichwohl perspektivisch um den Begriff der Heteronomie erweitert ist, gibt die Kasseler Thesenreihe von 1911 zu erkennen. Dort fehlt zwar der – der Sache nach mitgedachte – Terminus der Theonomie, dem zum Leitprinzip aufgestiegenen Autonomiegedanken ist jedoch mehrfach der Begriff der Heteronomie entgegengestellt.¹³⁴ Er benennt hier einen autoritären Anspruch historischer Erscheinungen auf Gewissheit, der mit dem erkenntnistheoretischen Grundprinzip der Identität bzw. eben der Autonomie in Konflikt tritt.¹³⁵ Somit zeichnen sich bereits im Vorfeld des ersten größeren Systementwurfs von 1913/14 Grundlinien von Tillichs Verwendung des Dreierschemas Autonomie/ Heteronomie/Theonomie ab, wobei der Autonomiebegriff gedanklich am klarsten umrissen erscheint, wohingegen die letzteren beiden Begriffe ihm in unterschiedlicher Weise zugeordnet werden können. In der Systematischen Theologie von 1913 ist das Schema schließlich in zwei Kontexten verwendet. Dem Stellenwert des Autonomiegedankens ist schon insofern Rechnung getragen, als die betreffenden Ausführungen einmal im grundlegenden ersten Systemteil ihren Ort haben. Hier dient der Autonomiegedanke im Zuge der in § 12 vorgenommenen Verhältnisbestimmung von ‚Religion, Kultur und Sittlichkeit‘ als zentrales Charakteristikum des Geistbegriffs.¹³⁶ Näherhin bezeichnet er das Freiheitsmoment der geistigen Vollzüge, dessen der Geist eben im sittlichen Bewusstsein gewahr wird. In seinem selbstbezüglichen Tätigsein ist er demnach als „reine Autonomie“ zu fassen.¹³⁷ Die Nähe zum Sittlichkeitsgedanken weist einmal mehr zurück auf den ursprünglich praktischphilosophischen Entdeckungszusammenhang des Autonomiebegriffs. Tatsächlich nimmt Tillich in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den „kategorische[n] Imperativ“ Bezug.¹³⁸ Interessanter ist die zweite Verwendung, die sich im dritten Systemteil, der ‚Ethik‘, findet. Dort stellt Tillich dem Autonomiebegriff
Ebd. Vgl. EW VI, 43 f. (Th. 103.104.113.114). Zur Leitfunktion des Autonomiegedankens für die Thesenreihe im Ganzen vgl. oben I.1 d). Neben dem ‚historischen Jesus‘ – als dem systematischen Anstoß der Thesenreihe – hat Tillich hier ausweislich der These 104 etwa den Papst und die Bibel vor Augen; vgl. ebd., 43. Vgl. EW IX, 296 – 300. Ebd., 299. Ebd., 298.
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wieder die der ‚Heteronomie‘ und der ‚Theonomie‘ zur Seite, bestätigt und vertieft somit die Überlegungen der Examensarbeit. Unter der Überschrift des entsprechenden § 57 – ‚Das sittliche Prinzip: Autonomie und Heteronomie‘ – formuliert der zugehörige Leitsatz eine doppelte Abgrenzung: Im Rückgriff auf den Paradoxgedanken sollen eine einseitig „konkret-heteronome[]“ wie eine ebenso einseitig „abstrakt-autonome“ Fassung der Sittlichkeit überboten werden.¹³⁹ Mit Letzterer ist erneut ein Sittlichkeitsverständnis im Gefolge von Kants kategorischem Imperativ im Blick, bei dem der Ton ganz auf der „reinen Form der Unbedingtheit“ der Forderung liegt.¹⁴⁰ Erstere legt den Fokus hingegen ausschließlich auf das Moment der „konkrete[n] Bedingtheit des sittlichen Urteils“,¹⁴¹ den Umstand also, dass immer auch biologische, psychologische und soziale Aspekte in das sittliche Urteil miteinfließen. Heteronom ist sie insoweit, als sie im alleinigen Abstellen auf diese Aspekte die – andersherum gerade im kategorischen Imperativ exemplarisch zum Ausdruck kommende – Eigengesetzlichkeit des Sittlichen zugunsten eines ihr „fremden Gesetz[es]“ abblendet.¹⁴² Autonomie und Heteronomie erscheinen so gleichermaßen als einseitige Verkürzungen, denen nur partielle Wahrheitsmomente eignen. Die vormals ungebrochen positive Wertung des Autonomiegedankens weicht mithin einer vorsichtigeren Beurteilung. Die vermittels des Paradoxgedankens anvisierte Lösung weicht nun vom anderweitig eingeschlagenen Weg ab. Tillich benennt nicht nur eine einzige Synthesegestalt,wie etwa in der Monismusschrift, wo der Theonomiegedanke eben als Verbindung von Autonomie und Heteronomie erschien. Vielmehr gilt ihm die Theonomie alleine als mögliche Konsequenz der Autonomie: „Die Autonomie hat sich vollendet zur Theonomie“¹⁴³ – eine Überlegung, die wie gesehen mit der Kasseler Thesenreihe im Vorfeld angelegt war. Daneben ist hier allerdings eine zweite Vollendungsgestalt etabliert, jetzt mit Blick auf die Heteronomie: „Die Heteronomie ist vollendet zur Christonomie.“¹⁴⁴ Die nähere inhaltliche Füllung des Gedankens mag ob seiner werkgeschichtlichen Singularität dahingestellt bleiben.¹⁴⁵ Festhalten lässt sich hingegen, dass bereits das Frühwerk zwei unter-
Ebd., 391 f. Ebd., 393. Ebd. Ebd., 392. Ebd., 393. Ebd., 394. Tillich denkt offenkundig an eine Gestaltung des – für das sittliche Urteil ja unumgänglichen – heteronomen Momentes im Sinne eines notwendigen Bezuges auf die „Kirche“ bzw. „Gemeinde Christi“. Wie für die zur Theonomie fortgebildete Autonomie der Freiheitsgedanke
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schiedliche systematische Ausgestaltungen des Schemas kennt: In der einen bezeichnet der Theonomiegedanke eine Synthese von Autonomie und Heteronomie, in der anderen steht er für eine Vollendung der Autonomie. Darin artikuliert sich nicht zuletzt eine changierende Wertung des Autonomiegedankens. Der singuläre Gedanke einer ‚Christonomie‘ unterstreicht zudem, dass Tillich mit dem betreffenden Schema experimentierte. Seiner wiederkehrenden Verwendung zum Trotz steht also im Frühwerk eine echte gedankliche Klärung und terminologische Fixierung der Begriffstrias Autonomie/Heteronomie/Theonomie noch aus. Sie wird dann erst mit dem Kulturtheologie-Aufsatz Gestalt annehmen. Ist somit der zwar nicht fixierte, aber über angelegentliche Nennungen merklich hinausgehende Gebrauch der Begriffe Autonomie, Heteronomie und Theonomie im Frühwerk skizziert, können wir abschließend mögliche Rezeptionsbezüge erwägen. Diese sind schon ob der systematischen Nähe der Begriffstrias Autonomie/ Heteronomie/Theonomie zum sogenannten ‚Form/Gehalt‘-Schema von Interesse, gewähren sie doch zugleich einen ersten Vorblick auf dessen Quellen.¹⁴⁶ Deutlich war im Bisherigen jedenfalls die Abkunft des Autonomiegedankens aus der praktischen Philosophie Immanuel Kants. Der Eigentümlichkeit von Tillichs Konzeption, dem Autonomiebegriff von Anfang an den der Theonomie bzw. dann der Heteronomie zur Seite zu stellen, ist damit jedoch noch nicht Rechnung getragen – offensichtlich hat sich der Kant’sche Hintergrund bei ihm mit weiteren Einflüssen verbunden. So wurde etwa eine Rezeption der Kähler’schen Gegenüberstellung von Autonomie und Theonomie, die dieser in seiner Wissenschaft der christlichen Lehre vorgenommen hatte, vermutet.¹⁴⁷ Martin Kähler führt die betreffende Alternative hier in seinen Überlegungen zur ‚sittlichen und religiösen Freiheit und Abhängigkeit‘ ein, seinerseits mit direktem Bezug auf Kants Gedanken der ‚sittlichen Autonomie‘¹⁴⁸ – also genau in jenem Zusammenhang, in dem Tillich das Begriffspaar später diskutieren wird. Insofern ist mindestens eine
einschlägig ist, so für die Christonomie der der Liebe. Theonomie und Christonomie bzw. Freiheit und Liebe stehen so ganz schematisch für das abstrakte und das konkrete Moment des Paradox in der Sphäre des Sittlichen; vgl. ebd. Zu den problemgeschichtlichen Hintergründen des ‚Form/Gehalt‘-Schemas vgl. unten II.2.2 d). Vgl. Ulrich Barth, „Religion und Sinn“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft, 197– 213, 201 f. Vgl. Martin Kähler, Die Wissenschaft der christlichen Lehre von dem evangelischen Grundartikel aus im Abrisse dargestellt (Leipzig: Deichert, 31905), 141 f.; weiterhin wäre etwa an Ernst Troeltschs Verwendung des Begriffspaares ‚Autonomie‘ und ‚Theonomie‘ als einer möglichen Quelle zu denken, wobei dessen eigentümlicher Neologismus ‚Autotheonomie‘ bei Tillich nicht begegnet; zu Troeltschs Verwendung vgl. Graf, Theonomie, 14.
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terminologische Anregung durch Kähler wahrscheinlich. Daneben scheint eine zweite Quelle bedenkenswert: Fritz Medicus, den wir bereits in anderen Zusammenhängen als einflussreichen Lehrer Tillichs kennengelernt hatten.¹⁴⁹ Tillichs frühe Texte bieten tatsächlich gleich zwei starke Hinweise darauf, dass der Hallenser Privatdozent ein bedeutsamer – wenn nicht der entscheidende – Anstoß für Rezeption und Ausbildung einer eigenen Verhältnisbestimmung der Begriffstrias war. Der erste Hinweis bezieht sich auf die erstmalige Verwendung des Begriffspaares Autonomie/Theonomie in der Seminararbeit Fichtes Religionsphilosophie aus Tillichs Hallenser Studienzeiten. Dort war – wie skizziert – in einer referierenden Überleitung von Kants Moralphilosophie zu Fichtes Kritik aller Offenbarung dem Begriff der Autonomie der der Theonomie gegenübergestellt. Selbst wenn man den Charakter des Textes als einer eben frühen Seminararbeit in Rechnung stellt, wird man doch sagen können, dass die Begriffe dort recht unvermittelt eingeführt wirken, wie sie im Folgenden nicht nochmals argumentativ aufgegriffen werden. Legt man nun Tillichs knappe Darstellung des fraglichen Übergangs von Kant zu Fichte neben Medicus’ große, zunächst in Halle gehaltene, später dann gedruckte Fichte-Vorlesungen, so sind die Parallelen evident. Medicus galt Kant – selbstverständlich und also eher en passant notiert – gleichfalls als Denker der Autonomie.¹⁵⁰ Fichtes Kritik aller Offenbarung konnte hier verstärkend anknüpfen,¹⁵¹ beließ es – so Medicus – jedoch nicht bei Kants systematisch unzureichender Anbindung der Religionstheorie an die praktische Philosophie: „Der Glaube an das Dasein Gottes entspringt einem praktischen, einem sittlichen Bedürfnis, aber er ist zur Sittlichkeit selbst nicht notwendig […] Religion ist die Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote – aber ob ich meine Pflichten unter diesem Gesichtspunkt der Theonomie betrachte oder nicht, das ist an sich gleichgültig.“¹⁵² Genau in diesem Zusammenhang der von Medicus bei Kant monierten religiösen ‚Nichtnotwendigkeit‘ bzw. ‚Gleichgültigkeit‘ der Motivation des Ethischen wird Tillich in seiner Seminararbeit eine ‚Willkür des einzelnen‘ bezüglich der ‚Pflichterfüllung‘ attestieren und diese begrifflich auf die Alternative von Autonomie und Theonomie bringen.¹⁵³ Der Theonomiebegriff markiert mithin bei ihm wie zuvor bei Medicus am historischen Übergang von Kant zu Fichte die systematische Alternative zum Autonomiegedanken.
Vgl. oben I.1 a). Vgl. Fritz Medicus, J. G. Fichte. Dreizehn Vorlesungen, gehalten an der Universität Halle (Berlin: Reuther & Reichard, 1905), 57 u. ö. Vgl. ebd., 45. Ebd., 41 f.; kursiv L. H. S.o.
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Nun mag dieser Befund für sich genommen lediglich bedingt aussagekräftig sein, da sowohl die Behauptung eines entsprechenden problemgeschichtlichen Übergangs von Kant zu Fichte als auch dessen begriffliche Fixierung vermittels der Alternative von Autonomie und Theonomie nicht eben originell sind. Hinzu kommen allerdings weitere, formale Indizien. So ist das Begriffspaar nicht nur im Rahmen von Tillichs Seminararbeit weder recht vorbereitet noch nachfolgend aufgegriffen – was durch den Charakter einer kurz gehaltenen Studienarbeit erklärlich wäre –, sondern selbiges gilt ebenso für Medicus’ ausladende FichteVorlesungen. Medicus wird im Folgenden gleichfalls zumal den auffälligen Terminus der Theonomie aussparen, es entsteht derselbe Eindruck des Nichtangebundenseins der fraglichen Passage wie später bei Tillich. Tatsächlich liest sich der betreffende Abschnitt von dessen Seminararbeit insgesamt wie eine Kurzzusammenfassung der diesbezüglichen Ausführungen im Rahmen von Medicus’ ‚Dritter Vorlesung‘, und das über den Terminus der Theonomie hinaus bis in einzelne sprachliche Wendungen sowie ganze Halbsätze und Sätze hinein.¹⁵⁴ Die Parallelen in der Fichte-Deutung, vor allem jedoch die wortwörtlichen Übereinstimmungen bis ins Detail, machen es aufs Ganze gesehen sehr wahrscheinlich, dass Tillich entweder eine Vorlesungsmitschrift oder aber gleich die Druckfassung der Dreizehn Vorlesungen bei der Abfassung seiner Seminararbeit als direkte Vorlage nutzte. So dürfte Tillich den ungewöhnlichen Begriff der Theonomie direkt von seinem Hallenser Lehrer übernommen haben – um ihn dann sukzessive selbst zu füllen. Diesen Befund unterstreicht ein zweiter, ebenfalls sehr früher Hinweis. Tillich hatte seine Examensarbeit von 1908, die Monismusschrift, dem zwar nicht ins Prüfungsgeschehen eingebundenen, aber thematisch bewanderten Privatdozenten zur Begutachtung gegeben.¹⁵⁵ Im Rahmen dieser Arbeit war, wie notiert, das Begriffspaar Autonomie/Theonomie erstmals um den Begriff der Heteronomie erweitert. Tillichs entsprechende These – ‚Die Theonomie ist Synthese von Heteronomie und Autonomie‘ – sollte Medicus nun wie folgt kommentieren: „Nein, die Theonomie ist vielmehr die Vollendung der Autonomie.“¹⁵⁶ Der Einwand ist gleich mehrfach interessant. Einmal belegt er nochmals, dass Medicus sich mit der betreffenden Begrifflichkeit befasste und eine eigene Verhältnisbestimmung zumindest von Autonomie und Theonomie vor Augen hatte. Dabei ist auffällig, dass seine Anmerkung keinen Bezug auf den von Tillich in diesem Zusammenhang verwendeten Begriff der Heteronomie nimmt. Medicus scheint sich demgegenüber Vgl. EW IX, 5 – 7 mit Medicus, Fichte, 37– 48; vgl. zudem etwa EW IX, 4 mit Medicus, Fichte, 14, oder EW IX, 7 mit Medicus, Fichte, 156. Vgl. EW IX, 22 f. Ebd., 130 Anm. 62.
II.2 Die Theorie des Sinns
249
ganz am Begriffspaar Autonomie/Theonomie orientiert zu haben – den Heteronomiegedanken hingegen als Gegenpol zu dem der Autonomie zu etablieren, könnte so auf Tillich selbst zurückgehen. Bei diesem fanden sich, wie gesehen, schon für die Frühzeit zwei unterschiedliche Zuordnungsmodelle von Autonomie, Heteronomie und Theonomie: einmal erschien die Letztere als Synthese der ersteren beiden – so ja auch in der Monismusschrift –, einmal als alleinige Konsequenz der Autonomie. Medicus könnte mit seiner in jener Anmerkung zum Ausdruck kommenden Zuordnung im Hintergrund der einlinigen Verhältnisbestimmung von Autonomie und Heteronomie gestanden haben,¹⁵⁷ wohingegen die ‚zweilinige‘ Herleitung der Theonomie aus Autonomie und Heteronomie genuin auf Tillich selbst zurückgehen dürfte.¹⁵⁸ Zumal in ihrer Kombination lassen die beiden Hinweise es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass Tillich durch Medicus bereits früh – 1906 – auf das Begriffspaar Autonomie und Theonomie aufmerksam wurde, um dieses – ab 1908 – bald dem verehrten Lehrer folgend, bald das Begriffspaar um den Begriff der Heteronomie erweiternd und die Zuordnung im Ganzen modifizierend in die eigenen Überlegungen zu übernehmen. So ist zusammenfassend zwar offensichtlich, dass Tillich der Kant’sche Autonomiebegriff, und hier näherhin dessen Freiheitsverständnis im Kontext des praktischen Vernunftgebrauchs, als erste Vorlage auf dem Weg zur Ausbildung einer eigenen terminologischen Verwendung diente. Die problemgeschichtliche Vermittlung durch Medicus dürfte dabei eine doppelte Eigenheit bedingt haben. Zum einen begegnete Tillich bei diesem einer immensen Wertschätzung des Autonomiegedankens, die zeitweilig – so in der Kasseler Thesenreihe – sogar dessen Erhebung zum erkenntnistheoretischen Prinzip befördern konnte. Damit ist eine gewisse Nähe zu einer neukantianischen Lesart des Autonomiebegriffs angelegt, wie sie etwa im Kulturtheologie-Aufsatz durchscheinen wird. Zum anderen ist mit Medicus die Etablierung eines begrifflichen Widerlagers zum Autonomiegedanken von Anfang an mit im Blick. Hierfür steht bei jenem der Theonomiegedanke, dem Tillich gleich mit den Dreizehn Vorlesungen begegnete. Der kantisch-neukantianische Autonomiebegriff ist umgehend in Richtung auf ein idealistischneuidealistisches Verständnis hin aufgebrochen. Tillich selbst konnte das Be-
Medicus’ Kommentar im Rahmen der Monismusschrift verdeutlicht, dass ihm ganz an der auch bei Tillich in Teilen zu beobachtenden positiven Wertung des Autonomiegedankens gelegen war. Der Sache nach gehört die doppelte Zuordnung des Theonomiebegriffs zu dem der Autonomie – einmal als dessen gedankliche Verlängerung bzw. theologisches Äquivalent, einmal als Gegen- bzw. Synthesebegriff unter Zuhilfenahme des Heteronomiebegriffs – freilich zur Geschichte des Theonomiegedankens selbst; vgl. Graf, Theonomie, 11– 38. Zumindest durch Medicus dürfte Tillich aber eben nur mit ersterer Zuordnung vertraut gewesen sein.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
griffspaar dann mit dem Heteronomiebegriff um ein drittes Glied ergänzen. Für das ‚Form/Gehalt‘-Schema ist dies wiederum insofern von Bedeutung, als es im Kulturtheologie-Aufsatz eben unmittelbar aus den Überlegungen zu Autonomie und Theonomie heraus eingeführt wird. So erscheint beides auch bezüglich Tillichs Verständnis des Begriffspaares Form und Gehalt von Anfang an wahrscheinlich: Dass im Hintergrund Einflüsse durch Medicus zu erwarten sind und dass sich diese Einflüsse nicht zuletzt in einer neoidealistischen Lesart des Begriffspaares niederschlagen werden.
c) Die erste Fassung des ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schemas Die Begriffstrias von ‚Autonomie‘, ‚Heteronomie‘ und ‚Theonomie‘ fungiert im Kulturtheologie-Aufsatz unter der Überschrift ‚Kulturtheologie‘ als gedankliche Brücke zwischen der Einführung des Sinngedankens im Rahmen der Religionsdefinition und dessen Wiederaufnahme und vorsichtiger Entwicklung im Rahmen des sogenannten ‚Form/Gehalt‘-Schemas.¹⁵⁹ So werden die Begriffe der ‚Form‘ und des ‚Gehaltes‘ eben über die der Autonomie und der Theonomie eingeführt: Die „Autonomie der Kulturfunktionen“ ist demnach „begründet […] in ihrer Form, den Gesetzen ihrer Anwendung, die Theonomie aber in ihrem Gehalt, der Realität, die vermittels dieser Gesetze zur Darstellung oder Durchführung kommt“.¹⁶⁰ Der Formbegriff bezeichnet demnach den Aspekt der Eigengesetzlichkeit der Kulturfunktionen und stellt mithin das Äquivalent zum Autonomiebegriff dar. Der Begriff des Gehaltes steht für eine ‚Realität‘, die Tillich als deren systematisches Widerlager verstanden wissen will. Wie dieses Widerlager genauer zu fassen ist, wird im ersten Zugriff noch nicht recht deutlich – wobei mit dem Realitätsbegriff
GW IX, 19 – 22. Entsprechend seiner zentralen Bedeutung für Tillichs Theoriebildung insgesamt ist die Literatur zum sog. ‚Form/Gehalt‘-Schema Legion; eher knapp vgl. Wenz, Subjekt, 120 – 133; sowie Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2000), 308 – 311; ausführlicher vgl. v. a. Ulrich, Ontologie, 23 – 57; Wagner, „Positivität“; John Powell Clayton, The Concept of Correlation. Paul Tillich and the Possibility of a Mediating Theology (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1980), 191– 248; Schüßler, Gottesgedanke, 25 – 49; Peter Haigis, „Kritik und Gestaltung. Tillichs Perspektiven zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur“, in: Hans-Peter Burmeister (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Ein Anstoß für kirchliche Neubesinnung (Rehberg-Loccum: Evangelische Akademie, Protokollstelle, 2000), 15 – 51, bes. 18 – 30. Der ansonsten instruktive Beitrag von Joachim Heinrichs, „Der Ort der Metaphysik im System der Wissenschaften bei Paul Tillich“, ZKTh 92 (1970), 249 – 286, spart leider die ‚Form/Gehalt‘-Thematik gänzlich aus. GW IX, 19.
II.2 Die Theorie des Sinns
251
der Bogen zur Religionsdefinition und damit auch zum Sinngedanken zurückgeschlagen ist. Vorerst konzentriert sich Tillich gleichwohl primär auf das Verhältnis von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘, und weniger auf eine begriffliche Näherbestimmung des Letzteren. So ist zunächst die zuvor insinuierte strikte Wechselbeziehung der Relate explizit herausgestellt: „Eins kann aber nicht sein ohne das andere; eine Form, die nichts formt, ist ebenso unfaßbar wie ein Gehalt, der nicht in der Form steht.“¹⁶¹ Hier ist einmal eine zentrale Einsicht des traditionellen, seit Aristoteles zum festen Themenbestand philosophischer Reflexion gehörigen ‚Form/Materie‘Schemas reformuliert und angeeignet: Wie für den Gedanken des sogenannten ‚Hylemorphismus‘ der Sachverhalt entscheidend ist, dass alleine das Zusammen von Materie- und Formprinzip das körperlich Seiende konstituiert,¹⁶² so unterstreicht auch Tillich das strenge Wechselverhältnis von Form und Gehalt. Das anschließende, zur Erläuterung herangezogene ‚Linien/Pol‘-Bild – „Das Verhältnis von Form und Gehalt muß gedacht werden als eine Linie, deren eines Ende die reine Form, deren anderes der reine Gehalt bedeutet. Auf der Linie selbst aber sind beide immer in Einheit“¹⁶³ – kann insoweit als einschlägig gelten, als Tillich es gerade im Zuge der Etablierung des ‚Form/Gehalt‘-Schemas wiederholt zur Illustration heranziehen wird.¹⁶⁴ Mit ihm ist mehr zum Ausdruck gebracht als nur das reine Wechselverhältnis der beiden Begriffsglieder. Ihm zufolge bilden Form und Gehalt ‚immer‘ schon eine Synthese, der gegenüber die beiden Begriffe des ‚reinen Gehaltes‘ und der ‚reinen Form‘ Produkte einer nachgängigen Reflexion sind. Dieses Verständnis von Form und Gehalt erinnert nun wiederum an Kants Interpretation des ‚Form/Materie‘-Schemas im Rahmen der Kritik der reinen Vernunft: Gemäß dem dortigen ‚Amphibolie‘-Kapitel handelt es sich bei ‚Form‘ und ‚Materie‘ um Reflexionsbegriffe, vermittels derer gegebene Vorstellungen unter
Ebd. Aristoteles verstand Form und Materie bekanntlich als die unselbstständigen, gleichwohl aber konstitutiven Prinzipien der körperlichen, bewegten Substanzen. Dabei waren die beiden Begriffsgrößen am Problem der Bewegung bzw. des Werdens gewonnen: Der Materiebegriff bezeichnet das Moment des Zugrundeliegenden, Beharrenden – der Formbegriff das Moment der Schlussgestalt des entsprechenden Prozesses. Zum sog. Hylemorphismus vgl. C. von Bormann/ W. Franzen/A. Krapiec/L. Oeing-Hanhoff, „Form und Materie (Stoff)“, HWPh 2 (1972), 977– 1030, bes. 977– 985; eine systematisch weiterführende Interpretation des aristotelischen ‚Form/Materie‘Schemas vor dem Hintergrund von Immanuel Kants Theorie der Reflexionsbegriffe bietet Wolfgang Wieland, Die aristotelische Physik. Untersuchungen über die Grundlegung der Naturwissenschaften und der sprachlichen Bedingungen der Prinzipienforschung bei Aristoteles (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, ²1970), 202– 230. GW IX, 19. Vgl. ebd., 21.27.29; EW XII, 72.180 ff.189.211 u. ö.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
verschiedenen Gesichtspunkten verglichen werden können.¹⁶⁵ Der Materiebegriff steht dabei für „das Bestimmbare überhaupt“, während der Formbegriff das Moment der „Bestimmung“ bedeutet.¹⁶⁶ Gegebene Vorstellungen lassen sich demnach ausschließlich nach dem Verhältnis von ‚Form‘ und ‚Materie‘ im Verbund adäquat analysieren, eine Analyse unter einem der beiden Gesichtspunkte bei Abblendung des anderen ist nicht möglich. Insofern handelt es sich bei ‚Form‘ und ‚Materie‘ – bzw. bei Tillichs ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ – als Reflexionsbegriffe um ‚Vergleichungsbegriffe‘, die ein rein logisches Verhältnis zum Ausdruck bringen. Dass Tillich Formbegriff und Gehaltsbegriff grundsätzlich als Reflexionsbegriffe im Kant’schen Sinne verstanden wissen will, bestätigt der unmittelbare Kontext ihrer Einführung. An diese schließen sich nämlich Überlegungen bezüglich Aufgabe und Methodik der anvisierten Kulturtheologie an. Sie hat zum Ziel, dass „die konkreten religiösen Erlebnisse, die in allen großen Kulturerscheinungen eingebettet liegen, herausgestellt und zur Darstellung gebracht werden“.¹⁶⁷ Eine Theologie der Kultur verfolgt demnach ein primär hermeneutisches Ziel, nimmt hierfür geschichtlich gegebene Kulturphänomene zum Ausgangspunkt und prüft sie auf ihre religiöse Valenz.¹⁶⁸ Als methodisches Instrument einer solchen ‚Kul-
Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Hamburg: Meiner, 31990), 309 – 333, bes. 314 f. (A 260 – 292, bes. 266 – 268|B 316 – 349, bes. 322– 324); zu Kants Theorie der Reflexionsbegriffe vgl. Otto Lange, Materie und Form als Reflexionsbegriffe bei Kant (Diss., Göttingen, 1958); Rudolf Malter, „Reflexionsbegriffe. Gedanken zu einer schwierigen Begriffsgattung und zu einem unausgeführten Lehrstück der reinen Vernunft“, PhN 19 (1982), 125 – 150; Peter Reuter, Kants Theorie der Reflexionsbegriffe. Eine Untersuchung zum Amphiboliekapitel der Kritik der reinen Vernunft (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1989), bes. 161 ff. Kant, Kritik, 314 (A 266|B 322). GW IX, 19. Die Aufgabenstellung der Kulturtheologie ist nachfolgend präzisiert, wenn Tillich ihr gemäß der kulturwissenschaftlichen Struktur eine dreifache Aufgabe zuweist: Sie leistet demnach „eine allgemeine religiöse Analyse sämtlicher Kulturschöpfungen, sie gibt eine geschichtsphilosophische und typologische Einordung der großen Kulturschöpfungen unter dem Gesichtspunkt des in ihnen realisierten religiösen Gehaltes, und sie schafft von ihrem konkreten religiösen Standpunkt aus den idealen Entwurf einer religiös erfüllten Kultur“ (ebd., 20). Noch die letzte, normative Aufgabe ist entgegen dem Ersteindruck nicht als konstruierend im starken Sinne zu verstehen – wie die folgenden Ausführungen zeigen, hat Tillich mehr eine kritische Analyse der Gegenwartskultur vor Augen. Demzufolge ist der Kulturtheologe eben ausdrücklich „nicht direkt kulturschöpferisch […] Aber er nimmt den autonomen Produktionen gegenüber auf Grund seines konkreten theologischen Standpunktes eine kritische, verneinende und bejahende Stellung ein; […] er kann auch über das vorhandene Material hinausgehen, aber nur in Forderung, nicht in Erfüllung.“ (ebd., 21). Die konstruktiv-synthetisierende Tätigkeit bleibt hier also aufs Engste an die kulturhermeneutisch-analysierende Tätigkeit zurückgebunden; vgl. auch EW XII, 68 – 71. Den hermeneutischen Charakter des von Tillich in den 1920er Jahren vorgelegten Programms betont
II.2 Die Theorie des Sinns
253
turhermeneutik in religiöser Absicht‘ dient nun eben in erster Linie das ‚Form/ Gehalt‘-Schema. Tillich benennt im Kulturtheologie-Aufsatz drei typologische Szenarien: Die „harmonische und klassische Kulturschöpfung“, in der sich ein Gleichgewicht von Form und Gehalt konstatieren lässt, die „typisch profane und formale Kulturschöpfung“ und schließlich die „typisch religiöse und gehaltsüberwiegende“, der sein eigentliches Interesse gilt.¹⁶⁹ Damit ist zwar eine Zuordnung von Formbegriff und Kulturbegriff auf der einen und von Gehaltsbegriff und Religionsbegriff auf der anderen Seite angedeutet. Allerdings ist diese Zuordnung im Rahmen des zugrunde liegenden Polaritätsverhältnisses zu denken, wie der Terminus des ‚Überwiegens‘ (‚gehaltsüberwiegende‘) nochmals anzeigt.¹⁷⁰ Festzuhalten ist die Rahmenfunktion des Polaritätsgedankens, und also der prinzipiell relationale Charakter von Formbegriff und Gehaltsbegriff, zumal mit Blick auf den in diesem Zusammenhang eingeführten Offenbarungsbegriff. Dessen grundlegende Definition als eines „Zerbrechen[s]“¹⁷¹ der Form könnte vordergründig einem Abblenden des Formaspektes vorarbeiten. Zerbricht die Form, so ließe sich paraphrasieren, dann scheint letztlich doch ein direkter Zugriff auf den ‚reinen Gehalt‘ möglich. Die Sprengung der strikt relationalen Logik der Reflexionsbegriffe Form und Gehalt könnte auf eine Hypostasierung des Gehaltes hinauslaufen – eine Kritik, die wiederholt gegen Tillichs ‚Form/Gehalt‘-Konzeption erhoben wurde und für die der Name Falk Wagners stellvertretend einstehen mag.¹⁷² Zumindest gegen die These einer schon mit der ersten Anlage – die spätere
Heinrichs, „Metaphysik“, bes. 268 ff. Vor diesem Hintergrund kann er Tillichs Sinntheorie gar im Ganzen unter die Überschrift einer ‚universalen Sinnhermeneutik‘ stellen. GW IX, 21. Vgl. auch den Verweis darauf, dass dem Kulturtheologen noch in der anvisierten Einheitskultur die „Bearbeitung der überwiegend religiösen Kulturelemente“ zufallen würde (ebd., 30; kursiv L. H.). Ebd., 19. Der Vorwurf einer unzulässigen Hypostasierung des Gehaltes zählt zu den Klassikern der Kritik an Tillichs Kulturtheologie. Die betreffende, schon in seinem frühen Aufsatz Absolute Positivität formulierte Anfrage hat Falk Wagner in seiner großen Studie zum Religionsbegriff noch ausgebaut und verschärft. Demnach liege in Tillichs Konzeption eine „in der Asymmetrie von Gehalt und Form verankerte momentane ontologische Unabhängigkeit des unbedingten Sinngehaltes von der bedingten Sinnform“ vor (Falk Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart [Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1986], 383). Zum ruinösen Kardinalproblem avanciere diese vorgebliche „ontologisch konzipierte Unabhängigkeit“, da sie „geradewegs als das Zentrum der Tillichschen Religionsphilosophie bezeichnet werden“ müsse (ebd., 384; kursiv L. H.). Wagners Fundamentalkritik an der Anlage des ‚Form/ Gehalt‘-Schemas hat weithin Schule gemacht. Demgegenüber ist die entsprechende These der
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Handhabung durch Tillich lassen wir vorerst dahingestellt, um im gegebenen Kontext darauf zurückzukommen¹⁷³ – des Schemas vorgezeichneten Hypostasierung lassen sich nun mindestens drei Indizien benennen. Einmal stellt der Kulturtheologie-Aufsatz zwar heraus, dass der Kulturtheologe die Kulturphänomene „vom Gehalt her“ anvisieren soll.¹⁷⁴ Zugleich gilt jedoch, dass dabei die ‚Kulturlinie‘, auf der Form und Gehalt immer ineinanderliegen, keineswegs verlassen wird: Stets ist „von dem Polaritätsverhältnis auszugehen, das zwischen dem profanen und dem religiösen Moment der Kulturlinie besteht: Sie sind realiter nirgends auseinander, aber sind in abstracto“ – also nur vermittels der Reflexionsbegriffe – „unterschieden“.¹⁷⁵ Ein Standpunkt dies- oder jenseits der Form ist für Tillich so prinzipiell, und mithin ebenfalls für den Offenbarungsgedanken, ausgeschlossen. Tatsächlich wird er zweitens die Figur eines ‚Zerbrechens‘ der Form in der Folgezeit bekanntlich durch die des ‚Durchbruchs‘ ersetzen. So definiert die Religionsphilosophie: „Der Durchbruch des unbedingten Sinngehaltes durch die Sinnform ist Offenbarung.“¹⁷⁶ Mit dieser Definition, der eine ausdrückliche Kritik des Gedankens eines ‚Zerbrechens‘ der Form folgt,¹⁷⁷ ist ersichtlich ein relationales Verhältnis von Form und Gehalt gedacht bzw. diesem jetzt auch terminologisch Rechnung getragen. Und schließlich deutet bereits der Kulturtheologie-Aufsatz im unmittelbaren Anschluss an jene problematische Figur eines ‚Zerbrechens‘ an, in welche Richtung Tillich die Lösung nachfolgend suchen wird: „Die Offenbarung des überwiegenden Gehalts besteht nun darin, daß die Form immer unzulänglicher wird, daß die Realität in überschäumender Fülle die Form zerbricht, die sie halten soll; und doch ist dieses Überschäumen und Zerbrechen selbst noch Form.“¹⁷⁸ Tillich denkt perspektivisch mitnichten an die Möglichkeit eines direkten Zugriffs auf den Gehalt.Vielmehr kann, um vorgreifend einen ersten Seitenblick auf die Vorlesung Religion und Kultur zu werfen, die „Erhebung des Gehalts aus einem Kulturerlebnis“ lediglich so erfolgen, dass die
ontologisch verankerten Unabhängigkeit des Gehaltes etwa bei Werner Schüßler positiv gewertet; vgl. Schüßler, Gottesgedanke, 33. Vgl. unten II.2.2 b) und c). GW IX, 19. Ebd., 27. GW I, 353. Vgl. ebd., 355. GW IX, 19; kursiv L. H. Der Terminus des ‚Überwiegens‘ unterstreicht überdies einmal mehr die relationale Anlage des ‚Form/Gehalt‘-Schemas. Zur Unverlierbarkeit des Formmomentes vgl. etwa auch die entsprechenden Überlegungen im Rahmen der im Sommer 1920 entstandenen Religionsphilosophie-Vorlesung: „Dieses paradoxe Verhältnis [von Form und Gehalt im religiösen Erlebnis; L. H.] äußert sich nun darin, daß der Gehalt die Form zerbricht, daß aber dieses Zerbrechen selbst noch Form ist und Form schafft.“ (EW XII, 408; kursiv L. H.).
II.2 Die Theorie des Sinns
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„in der Form sich vollziehende Bewegung unter dem Gesichtspunkt des Gehaltes gedeutet wird“.¹⁷⁹ Gleichsam an der Form muss sich jenes Überwiegen des Gehaltaspektes zeigen – zu konstatieren alleine in einem Akt der Deutung, der sich eben die Reflexionsbegriffe Form und Gehalt zu eigen macht. Wie das als prinzipiell relational bestimmte Verhältnis von Form und Gehalt näherhin zu denken ist, präzisiert die diesbezüglich zentrale Passage des Kulturtheologie-Aufsatzes. Mit ihr ist nicht nur die Verbindung zum Sinnbegriff hergestellt, sondern das bislang polare Schema mit Hilfe des Inhaltsbegriffs auch allererst zum eigentlichen ‚Form/Gehalt/Inhalt‘-Schema erweitert. Im Anschluss an die Formulierung der allgemeinen Aufgabe einer Kulturtheologie erläutert Tillich nämlich das methodische Begriffsinstrumentarium, dessen diese sich in ihren drei Aufgabenbereichen – Analyse, geschichtsphilosophische Typologisierung und schließliche normative Systematisierung der Kulturphänomene – bedienen wird. Das Instrumentarium ist demnach durchgängig ein doppeltes: Einmal ist es das im jeweiligen Phänomen zum Ausdruck kommende „Verhältnis des Nein und Ja“, und also der Paradoxgedanke, an dem sich die kulturtheologische Arbeit orientieren soll.¹⁸⁰ Das aus der Frühzeit vertraute Kriterium verliert allerdings in der folgenden Darstellung sukzessive gegenüber einem zweiten an Raum – eben der reflexionstheoretischen Verhältnisbestimmung von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘.¹⁸¹ Noch im Vorfeld der materialen Analysen entwickelt Tillich dieses zweite Begriffsinstrument seiner Kulturtheologie und erweitert es dabei in signifikanter Weise: „Gehalt ist etwas anderes als Inhalt. Unter Inhalt verstehen wir das Gegenständliche in seinem einfachen Sosein, das durch die Form in die geistigkulturelle Sphäre erhoben wird. Unter Gehalt ist aber zu verstehen der Sinn, die geistige Substantialität, die der Form erst ihre Bedeutung gibt.“¹⁸² Mit der Unterscheidung von ‚Gehalt‘ und ‚Inhalt‘ ist eine erhebliche Modifikation des klassischen ‚Form/Materie‘-Schemas gegeben – womit unsere bisherige Interpretation nochmals entsprechend zu vertiefen ist: Bezeichnet der Formbegriff unverändert die autonome Bestimmungstätigkeit, so ist es nunmehr der Inhaltsbegriff, der offenkundig im Sinne der ‚Gegenständlichkeit überhaupt‘ verstanden sein will. In
EW XII, 316; kursiv L. H. GW IX, 20 f. Plastisch lässt sich die Verschiebung des methodischen Schwerpunktes an den nachfolgenden ‚Kulturtheologischen Analysen‘ ablesen; vgl. ebd., 22– 27. Die Überlegungen zum Verhältnis von Form, Gehalt und Inhalt fallen hier durchgängig merklich breiter aus als die zum Verhältnis von ‚Ja‘ und ‚Nein‘. Ebd., 20.
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der skizzierten Logik der Kant’schen Reflexionsbegriffe ist es also er, der für das Bestimmbare überhaupt steht. Dieserart rückt der Inhaltsbegriff an jene systematische Stelle, die wir bislang dem Gehaltsbegriff zugedacht hatten. Bei näherem Zusehen bürdet sich Tillich mit dieser Erweiterung insofern eine logische Schwierigkeit auf, als nun vorderhand sowohl der Begriff des Gehaltes als auch der des Inhaltes im Verhältnis zur Form für die ‚Materie‘ im traditionellen Sinne einstehen müssten: Die Position, die für diese im klassischen Schema bestimmt war, ist gewissermaßen verdoppelt bzw. – genauer – aufgespalten. Als Hintergrund einer derart markanten Modifikation des traditionellen ‚Form/Materie‘-Schemas lassen sich im Grunde allein weitreichende systematische Motive vermuten – somit liegt der Fokus einmal mehr auf dem Gehaltsbegriff, der zum klassischen ‚Form/Inhalt‘-Schema das erklärungsbedürftige Dritte darstellt. Seine jetzt gleichfalls positive Bestimmung – zuvor fungierte er im Wesentlichen als einfacher Gegenbegriff zu dem mit seiner Einführung im Kulturtheologie-Aufsatz umgehend positiv gefüllten Formbegriff – dürfte die fragliche Erweiterung motiviert haben. Bevor wir jener positiven Bestimmung weiter nachgehen, lässt sich festhalten: Präzise stellt der Kulturtheologie-Aufsatz gar kein zweigliedriges ‚Form/ Gehalt‘-Schema, sondern vielmehr ein konstitutiv dreigliedriges ‚Form/Gehalt/Inhalt‘-Schema vor. ¹⁸³ Wo im Folgenden abkürzend vom ‚Form/Gehalt‘-Schema die Rede ist, ist der Inhaltsaspekt als drittes Glied stets mitzudenken. Die positive Bestimmung des Gehaltsgedankens ist dem obigen Zitat zufolge zunächst eine dreifache: Er wird einmal als ‚Sinn‘, sodann als ‚geistige Substantialität‘ bestimmt, der bzw. die drittens mit Bezug auf die Form dieser ‚erst ihre Bedeutung gibt‘. Somit lässt sich konstatieren, dass jener Gedanke offenkundig ein systematisches Äquivalent zur Idee des Unbedingten darstellt, da diese, wie gesehen, im Zuge der eigentlichen Religionsdefinition gleichfalls wesentlich durch den Sinnbegriff gefasst worden war.¹⁸⁴ Der Gehaltsbegriff notiert, mindestens in der ersten Fassung des Schemas, die Position des Unbedingten, im Gegenüber zu Form und Inhalt, denen sich die Position des Bedingten zuweisen lässt.¹⁸⁵ Zugleich ist der Gehaltsbegriff eben kategorial als ‚Sinn‘ bestimmt. Diese
Der oftmals verkürzenden Rezeption des Schemas – eben als eines nur zweigliedrigen ‚Form/ Gehalt‘-Schemas – hat Tillich insofern Vorschub geleistet, als er selbst, etwa im Berliner ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie, weithin allein mit jenem Begriffspaar hantieren sollte; vgl. unten II.2.2 c). Vgl. oben II.2.1 a). Die eindeutige Zuordnung des Formbegriffs zur Position des Bedingten – und mithin die einfache Gegenüberstellung des Kulturtheologie-Aufsatzes – wird sich perspektivisch mit der
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Bestimmung wird weit über den Kulturtheologie-Aufsatz als zentrales Definiens des Gehaltsgedankens fungieren, entsprechend verwendet Tillich ‚Gehalt‘ und ‚Sinn‘ etwa weithin als Wechselbegriffe.¹⁸⁶ Letztere Beobachtung ist doppelt bedeutsam: Einerseits verdeutlicht sie, dass Tillich das traditionelle ‚Form/Materie‘-Schema von vornherein bedeutungstheoretisch interpretiert wissen will. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Form vom Gehalt her ihre ‚Bedeutung‘ erhält. Andererseits bestätigt sie jedoch ob der sinntheoretischen Anbindung allein über den Gehaltsbegriff jene Verengung gegenüber dem Hirsch-Briefwechsel, die wir schon im Zuge der Rekonstruktion des Religionsbegriffs vermerkt hatten: Zumindest vorerst ist der Sinnbegriff dem des Gehaltes exklusiv zugeordnet, während eine Zusammenstellung mit dem Inhalts- bzw. Formbegriff fehlt¹⁸⁷ – eine solche lässt sich lediglich über die ‚Brücke‘ des Gehaltes rekonstruieren. Die mit dem obigen Zitat vorgenommene funktionale Bestimmung unterstreicht diese Verengung noch. Empfängt die Form ihren Sinn, ihre Bedeutung allererst vom Gehalt her, so eignet ihr ‚für sich‘ keine sinntheoretische Valenz. Nimmt man die wiederkehrende Zuordnung von Form- und Kulturbegriff einerseits, von Gehalts- und Religionsbegriff andererseits – Tillich kann im Kulturtheologie-Aufsatz gar abkürzend von einem „religiösen Gehalt“ sprechen¹⁸⁸ – hinzu, dann liegt hier erneut jene sinntheoretische Verengung auf die Religion vor, deren tendenziell hypertrophe Konsequenzen wir bereits an anderer Stelle skizziert hatten.¹⁸⁹ Insofern dürfte die sinntheoretische Interpretation des traditionellen ‚Form/Materie‘-Schemas zumindest in der im Kulturtheologie-Aufsatz gewählten Fassung als zweischneidig zu charakterisieren sein: Zwar bahnt sie dem in der Folge sukzessive ausgebauten, umfassenden sinntheoretischen Verständnis des ‚Form/Gehalt/Inhalt‘-Schemas – und also letztlich der Sinnkonzeption im Ganzen – den Weg. Gleichzeitig ist sie in ihrer Identifikation von Sinn und Gehalt aber Ausdruck einer anfänglichen, keineswegs unproblematischen Verkürzung der Sinnkategorie auf den Religionsbegriff hin.
Etablierung des Gedankens einer ‚unbedingten Form‘ systematisch verschieben; vgl. unten II.2.2 b) und c). Vgl. EW X, 253; EW XII, 267.297.326 u. ö. Der später so einschlägige Begriff der ‚Sinnform‘ fehlt etwa im Kulturtheologie-Aufsatz noch völlig. GW IX, 22 ff. Die systematische Nähe von Form- und Kulturbegriff lässt sich schon daran ablesen, dass Letzterer über das eigentliche Proprium der Kulturfunktionen, also deren Autonomie, eingeführt wurde. Vgl. oben II.2.1 a).
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Die konstitutionstheoretische Fassung des Gehaltsgedankens als eines solchen, durch den die Form allererst Bedeutung erhält, erlaubt im Verbund mit seiner Kennzeichnung als einer ‚geistigen Substantialität‘ darüber hinaus eine weitere positive Bestimmung. Er benennt demnach ein Moment der mit dem Formbegriff bezeichneten autonomen Kulturtätigkeit, das diese erst ermöglicht. Demnach ist der Geistgedanke unter dem Gesichtspunkt einer eigengesetzlichen, sich auf die Sphäre des Gegenständlichen beziehenden kulturellen Bestimmungstätigkeit Tillich zufolge nicht vollständig erfasst. Zugleich muss diese Tätigkeit auf ein anderes ihrer selbst Bezug nehmen, das gerade nicht im Moment der Bestimmbarkeit aufgeht. Hier ist der Autonomie eine prinzipielle Grenze gesetzt, ohne dass diese Grenzziehung freilich heteronom erfolgen dürfte. Um dieser Bedingtheit der Formtätigkeit Ausdruck zu verleihen, erweitert Tillich nun das traditionelle ‚Form/Materie‘-Schema zu einem dreigliedrigen Schema, bei dem die Position der Materie gespalten ist: Der Inhaltsbegriff markiert das Moment der reinen Bestimmbarkeit durch die Form, womit deren Autonomie Rechnung getragen ist. Der Gedanke eines ‚geistigen Gehalts‘ steht hingegen insofern für eine Aufsprengung der reinen Autonomie, als mit ihm für diese ein „Woraus“ ¹⁹⁰ gesetzt wird – wobei diese Voraussetzung aus der Logik der Formtätigkeit selbst heraus erfolgen soll. Die Kennzeichnung der fraglichen, der Formtätigkeit vorausliegenden ‚Substantialität‘ als einer ‚geistigen‘ bedeutet nämlich, dass jenes ‚Woraus‘ mitnichten in einem Jenseits des Geistes zu verorten ist. Vielmehr bleibt es, ganz in der Logik der Reflexionsbegriffe, seinerseits an die geistige Formtätigkeit zurückgebunden.¹⁹¹ Zusammenfassend schafft der menschliche Geist die Kultur zwar nach eigenen Gesetzen, er ist in seiner autonomen Formtätigkeit aber auf eine absolute Voraussetzung verwiesen: Während der Formbegriff das Vollzugsmoment, die Bestimmungstätigkeit des Geistes benennt, steht der Gehaltsbegriff für ein metaphysisches ‚Woraus‘, das dieser Tätigkeit konstitutiv zugrunde liegt. Dabei darf der Substanzbegriff nicht dazu verleiten, den Gehalt zu einer relationslosen, gewissermaßen in sich stabilen Größe zu hypostasieren: Das absolute ‚Woraus‘ ist im Sinne der zuvor skizzierten strikten Polarität der Reflexionsbegriffe allein als
Vgl. Barth, „Sinn“, 202. Das dort an der ausgereiften Fassung der Sinntheorie gewonnene Verständnis des Gehaltes als eines „unbestimmte[n] Woraus […] alles inhaltlich bestimmten Sinns“ (ebd.) ist bereits mit den Überlegungen des Kulturtheologie-Aufsatzes von 1919 angelegt. Gleichzeitig unterstreicht jene Näherbestimmung noch einmal, dass der Gehaltsgedanke nicht im Sinne von Materialität misszuverstehen ist: Kategorial gehört die fragliche ‚Substantialität‘, wie schon der ihr zugeordnete Sinnbegriff nahelegt, gerade nicht der Sphäre des Gegenständlichen zu.
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‚Woraus‘ der formenden Tätigkeit zu greifen – gleichsam diesseits ihrer muss der Gedanke leer bleiben.¹⁹² Über das Bisherige hinaus setzt der Kulturtheologie-Aufsatz die drei Begriffe ‚Form‘, ‚Gehalt‘ und ‚Inhalt‘ nun umgehend näher zueinander ins Verhältnis: „Der Gehalt wird an einem Inhalt mittels der Form ergriffen und zum Ausdruck gebracht. Der Inhalt ist das Zufällige, der Gehalt das Wesentliche, die Form das Vermittelnde.“¹⁹³ An anderer Stelle kann der Inhalt zudem als „konkrete[r] Inhalt“ oder als das „Besondere“ bestimmt werden.¹⁹⁴ Demnach soll dem Kulturphänomen unter dem Aspekt seiner individuellen Konkretheit also lediglich Zufälligkeit und keine Notwendigkeit zukommen. Das konkrete ‚Was‘ einer Kulturerscheinung bleibt stets kontingent. Demgegenüber gründet die Wesentlichkeit des Gehaltsaspektes in dessen Unbedingtheitsdimension, die Tillich wiederum einheitstheoretisch explizieren kann: Wie schon der absolute Wahrheitsgedanke der Frühzeit, so ist auch der unbedingte Sinngehalt als „Einheit“ gefasst.¹⁹⁵ Vor diesem Hintergrund erscheint die Form als das zwischen übergreifender Einheit und individueller Konkretion ‚Vermittelnde‘. Der Formbegriff benennt so das Individuationsprinzip der kulturellen Tätigkeit: Dem Allgemeinheitscharakter der Form
Eine Interpretation des Gehaltsgedankens, die auf jede positive Füllung verzichtet und ihn vielmehr als Anzeige einer positiv nicht bestimmbaren Leerstelle im Tillich’schen System verstanden wissen will, erscheint zumal vor diesem Hintergrund problematisch; vgl. hierfür exemplarisch Peter Steinacker, „Passion und Paradox – Der Expressionismus als Verstehenshintergrund der theologischen Anfänge Paul Tillichs. Ein Versuch“, in: Gert Hummel (Hg.), God and Being. The Problem of Ontology in the Philosophical Theology of Paul Tillich (Contributions made to the II. International Paul Tillich Symposium held in Frankfurt 1988)/Gott und Sein. Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs (Beiträge des II. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/Main 1988) (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1989), 59 – 99, 60 f.96 – 99. In der Logik der sich gerade wechselseitig bestimmenden Reflexionsbegriffe müsste mit dem Verzicht auf eine positive Bestimmung des Gehaltsbegriffs auch jede positive Bestimmung des Formbegriffs unmöglich werden, wodurch das Schema jegliche Aussagekraft verlöre – ganz abgesehen von der Frage,warum Tillich überhaupt um die rekonstruierte positive Bestimmung des Gehaltsgedankens gerungen haben sollte, wenn diese zugunsten jener rein negativen ‚Leerstellenfunktion‘ letztlich doch unwesentlich würde. Bei näherem Zusehen handelt es sich bei jener Interpretation gleichsam um das negative Pendant der ebenso problematischen These einer unzulässigen ontologischen Hypostasierung des Gehaltes bei Tillich – vgl.Wagner, „Positivität“ –, da hier wie dort die notwendige Relation zum Formbegriff gedanklich gekappt ist. GW IX, 20. Ebd., 14 bzw. ebd., 15. Ebd., 22. Dementsprechend verwendet Tillich den Gehaltsbegriff stets im Singular, während der des Inhalts auch im Plural begegnet; zur einheitstheoretischen Fassung der absoluten Wahrheit im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 vgl. oben I.2 a).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
zum Trotz – Tillich spricht an anderer Stelle wiederholt von der „allgemeine[n] Form“ bzw. den „allgemeinen Formen des Geistigen“¹⁹⁶ – individuiert die formale Bestimmungstätigkeit den absoluten Gehalt hin zum konkreten, kontingenten Inhalt der einzelnen Kulturerscheinung. Letzterer geht somit nicht im Moment des rationalen Geformtseins auf, sondern behält ein Moment des irrationalen Überschusses über die reinrationale Form. Da für dieses ‚Überschussmoment‘ der Bezug auf den Gehalt als absolutes ‚Woraus‘ der formalen Kulturtätigkeit einsteht und ebendieser im Gegenüber zum Formbegriff explizit als sinnhaft definiert war, macht sich das individuelle, formal nicht verechenbare Moment der konkreten Kulturphänomene an deren Bedeutung fest: Der Sinn einer Kulturschöpfung ist demnach zwar an sein gegenständlich- wie kulturell-formales Bestimmtsein zurückgebunden, er geht in diesem aber nicht auf. Die Etablierung der Gehaltsdimension als einem Dritten zu Form und Inhalt lässt sich so in eins als Kritik einer – cum grano salis – neukantianischen Interpretation des ‚Form/Materie‘-Schemas verstehen, bei der letztlich alles systematische Gewicht auf die formale Bestimmungstätigkeit gelegt ist. Tatsächlich kann Tillich die betreffende kritische Stoßrichtung vielfach artikulieren, so etwa in der Religion und Kultur-Vorlesung zu Jahresbeginn 1920. Dort heißt es mit Blick auf „Kant und die Kantianer“: Das Formalprincip des Theoretischen, die absolute Synthesis, wird rein für sich betrachtet, ohne Rücksicht auf die einzelnen Inhalte. Sie ist ein rein formales Schema […] Die Philosophie der Kategorie ist typisch profan; sie weiß nichts von den Erschütterungen, die der Gehalt schafft. So ist bei den Neukantianern die gesamte Wirklichkeit ein System der Bestimmbarkeiten […] Eine Realität, auf die sich diese Bestimmungen bezogen, wird ausdrücklich geleugnet. Die Welt ein System logischer Formen.¹⁹⁷
So sehr Tillich insbesondere in jenen Jahren die neukantianische Ausprägung des Form- und Autonomiegedankens „zu höchster Reinheit“ würdigen und positiv an sie anschließen kann,¹⁹⁸ so wenig vollzieht er die diagnostizierte Absolutsetzung des Form- und des Autonomiegedankens mit. Der Erweiterung des ‚Form/ Materie‘-Schemas zu einem dreigliedrigen eignet so auch eine anti-(neu)kantianische Pointe.¹⁹⁹
Ebd., 14. EW XII, 320; vgl. zur entsprechenden Kritik am neukantianischen ‚Formalismus‘ etwa auch ebd., 594. Ebd. Diese anti-(neu)kantianische Motivation wird nochmals deutlicher werden, wenn wir abschließend die wahrscheinlichen Hintergründe von Tillichs Fassung des Schemas in den Blick nehmen; vgl. unten II.2.2 d).
II.2 Die Theorie des Sinns
261
Tillichs Einstiegsthese im Kulturtheologie-Aufsatz – ‚Der Gehalt wird an einem Inhalt mittels der Form ergriffen und zum Ausdruck gebracht‘ – erlaubt es weiterhin, den Stellenwert des Inhaltsgedankens noch einmal näher zu bedenken. Demgemäß muss das Inhaltsmoment als unverzichtbar gelten, da allein vermittels seiner das Gehaltsmoment überhaupt erfasst werden kann. Der Inhaltsaspekt ist für das Schema so in gleicher Weise konstitutiv wie der Gehalts- bzw. der Formaspekt. Dies ist nicht zuletzt deswegen zu unterstreichen, weil Tillichs eigene Ausführungen in der Folge diesbezüglich schillern werden: Auf der einen Seite wird er der in der Forschungsliteratur häufig anzutreffenden Verkürzung des Schemas insofern selbst zuarbeiten, als er dem Inhaltsaspekt zumal im System der Wissenschaften und in der Religionsphilosophie nicht immer den angemessenen Raum zubilligen wird – dort wird weithin nur das Verhältnis von Form und Gehalt bedacht.²⁰⁰ Auch im Kulturtheologie-Aufsatz deutet sich diese Problematik schon an, wenn gerade das typisch religiöse Szenario in der unmittelbaren Entfaltung jener Einstiegsthese wie folgt umschrieben wird: „Das Zerbrechen der Form durch den Gehalt ist identisch mit dem Unwesentlich-Werden des Inhalts. […] Dadurch gewinnt die Form etwas Losgelöstes, Freischwebendes, sie steht in unmittelbarem Bezug auf den Gehalt; […] sie wird Form im paradoxen Sinne.“²⁰¹ Im Hintergrund steht ersichtlich die These, dass prinzipiell Form und Inhalt einander zuzuordnen sind, wohingegen der Gehalt als ihr Gegenüber erscheint.²⁰² Folgerichtig ist für Tillich präzise von einem ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schema zu sprechen. Für die Religion soll dabei eine spezifische Zuordnung kennzeichnend sein. Tatsächlich wird sich der hier nur angedeutete Gedanke einer ‚Form im paradoxen Sinne‘, und also die Applikation des Paradoxgedankens auf den Formbegriff, in den kommenden Jahren als außerordentlich konstruktiv erweisen und eine merkliche Ausdifferenzierung des Letzteren anstoßen.²⁰³ Problematisch erscheinen demgegenüber die Konsequenzen des religiösen Szenarios für den Inhaltsbegriff, eben unter dem Stichwort seines ‚Unwesentlich-Werdens‘. Gegen die Gefahr eines Abblendens des Inhaltsaspektes und somit des Konkret-Individuellen der Kulturphänomene, sei einmal mehr an den Status der fraglichen Begrifflichkeit im Sinne der Kant’schen Reflexionsbegriffe zu erinnern: Handelt es sich bei Form, Gehalt und Inhalt um ‚Vergleichungsbegriffe‘, die alleine im Verbund die
Vgl. unten II.2.2 c); zur Relokalisierung des Inhaltsbegriffs im Rahmen der Geisttheorie vgl. unten II.3.2 c). GW IX, 20; kursiv L. H. Vgl. ebd.: „Die Form muß dem Inhalt angemessen sein, darum bilden nicht etwa Formkultur und Inhaltskultur einen Gegensatz; vielmehr stehen beide an einem Pol, an dem anderen aber steht Gehaltskultur.“ Vgl. unten II.2.2 b).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
unterschiedlichen Aspekte eines Kulturphänomens erhellen, dann ist eine gänzliche Bedeutungslosigkeit des Inhaltsaspektes auch für das religiöse Szenario undenkbar. Insofern – und damit ist die andere Seite von Tillichs Schillern benannt – erscheint eine weitere in diesem Zusammenhang gewählte Formulierung tragfähiger. Wenn er von einem ‚Hinschwinden‘ des Inhaltes ‚vor der überwiegenden Fülle des Gehaltes‘²⁰⁴ spricht, dann ist dem relationalen Moment Rechnung getragen – anders als im Falle eines scheinbar absoluten ‚Zerbrechens‘ bzw. ‚Unwesentlich-Werdens‘. Die Religion und Kultur-Vorlesung wird diesbezüglich insgesamt vorsichtiger als der Kulturtheologie-Aufsatz urteilen. Nicht nur hebt sie gleich mehrfach den Charakter der betreffenden kulturtheologischen Urteile als „Proportional- respektive Beziehungsurteile“ hervor, denen es dementsprechend um eine „Proportionalität von Form, Inhalt und Gehalt“ gehen muss.²⁰⁵ In Abgrenzung von einer als ‚mystisch‘ verstandenen Position, die die Möglichkeit eines direkten Zugriffs auf den Gehalt behauptet, vermerkt Tillich, wie schon in der obigen Einstiegsthese des Kulturtheologie-Aufsatzes, überdies ausdrücklich: „Der reine Gehalt läßt sich nicht fassen, denn allein durch Formen und Inhalte.“²⁰⁶ Von hierher kann jene einleitende Formulierung des Kulturtheologie-Aufsatzes – ‚der Gehalt wird an einem Inhalt mittels der Form ergriffen‘ – nochmals verstärkt werden: Der Gehalt wird ausschließlich an einem Inhalt mittels der Form ergriffen. Die Erweiterung des ‚Form/Gehalt‘-Schemas um den Inhaltsgedanken zum ‚Form/ Inhalt-Gehalt‘-Schema erweist sich so nicht allein als Korrektur gegenüber einem neukantianischen Verständnis der Form/Materie-Relation und deren systematischer Überspannung des Formgedankens. Sie schützt zudem Tillichs eigene, in diesem Punkt changierende Überlegungen vor der Gefahr, für die Religion einen allzu umstandslosen Zugriff auf den absoluten Gehalt zu postulieren.²⁰⁷
d) Ertrag und Ausblick Der Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur aus dem Jahr 1919 kann in vielfacher Hinsicht als Programmaufsatz für das in den 1920er Jahren Entfaltete gelten. Entsprechend ist der Sinnbegriff aufgenommen und bedacht. Vor dem Hintergrund von dessen extensiver Verwendung im Rahmen des vierten HirschBriefes fällt allerdings auf, dass Tillich den Sinngedanken im KulturtheologieAufsatz lediglich für zwei Kontexte reserviert wissen will: Einmal für die Definition
Vgl. ebd.; kursiv L. H. EW XII, 316 bzw. ebd., 320. Ebd., 317. Zur entsprechenden Problematik vgl. Barth, „Sinn“, 210 f.; vgl. unten II.2.2 b).
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des Religionsbegriffs, dann für die Verhältnisbestimmung von ‚Form‘, ‚Gehalt‘ und ‚Inhalt‘. Im ersteren Kontext dient er, in aus dem Hirsch-Briefwechsel vertrauter Kritik an der Seinskategorie, der kategorialen Bestimmung des Unbedingten als des Relates religiösen Erlebens. Wie sich diese ‚letzte Sinnwirklichkeit‘ zur – ihrerseits prima facie nicht unter der Sinnkategorie begriffenen – medialen Sphäre des ‚Seienden‘, der ‚Werte‘ und des ‚persönlichen Lebens‘ näherhin zuordnet, changiert in den Texten der Jahre 1919/20. Als gedankliche Fixpunkte fungieren der aus dem Frühwerk vertraute Paradoxgedanke in Gestalt der Formel ‚Nein/Ja‘ und die nunmehr etablierte Figur eines ‚durch-hindurch‘. Als in sinntheoretischer Perspektive ergiebiger erweist sich demgegenüber der zweite Kontext, also die Verbindung des Sinngedankens mit der Begriffstrias Form, Gehalt und Inhalt. Im Kulturtheologie-Aufsatz über die bis ins Frühwerk zurückreichenden Figuren der ‚Autonomie‘ und der ‚Theonomie‘ eingeführt, lassen sich Form- und Gehaltsbegriff als Reflexionsbegriffe im Kant’schen Sinne interpretieren. Von hierher ist nicht zuletzt ihr strikt relationaler Charakter zu unterstreichen. Mit der Identifikation des Gehaltsbegriffs mit dem Sinnbegriff ist das vorderhand zweigliedrige ‚Form/Gehalt‘-Schema in eins um den Inhaltsbegriff zu einem dreigliedrigen Schema erweitert. In der Schematik des traditionellen ‚Form/Materie‘-Schemas gedacht, spaltet Tillich die logische Position des Materiebegriffs gleichsam in ‚Inhalt‘ und ‚Gehalt‘ auf. Während der Inhaltsbegriff für die durch die autonome Bestimmungstätigkeit der Form bestimmbare ‚Gegenständlichkeit überhaupt‘ im überkommenen Sinne steht, markiert der Gehaltsbegriff in Abgrenzung zu ihm die Pointe der Erweiterung. Im Gegenüber zur autonomen Form bezeichnet er ein gewissermaßen metaphysisches ‚Woraus‘ der Formtätigkeit. Im Hintergrund jener Erweiterung lassen sich in Aufnahme wie Umformung des cum grano salis neukantianischen Formbegriffs (neo)idealistische Motive vermuten. Um der konstitutiven Dreigliedrigkeit, zugleich aber auch der systematischen Zuordnung der Glieder des Schemas terminologischen Ausdruck zu verleihen, bietet es sich an, für Tillich statt von einem ‚Form/Gehalt‘Schema präzise von einem ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schema zu sprechen. Ob der reflexionsbegrifflichen Relationalität der Glieder ist der Inhaltsbegriff genauso wenig verzichtbar wie der der Form oder des Gehaltes. Diese kritische Restriktion gilt es, beispielsweise mit Blick auf den Offenbarungsbegriff oder hinsichtlich der bisweilen insinuierten Möglichkeit eines direkten Zugriffs auf den ‚religiösen‘ Gehalt, – mit Tillich gegen Tillich – festzuhalten. Die bedeutungstheoretische Valenz des Schemas im Ganzen ist vorerst allein über jene Identifikation von ‚Gehalt‘ und ‚Sinn‘ angebahnt, eine eigentliche sinntheoretische Explikation steht hingegen noch aus.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
II.2.2 Systematische Ausarbeitung (1920 – 1923) Mit der zu Jahresbeginn 1920 gehaltenen Vorlesung Religion und Kultur vertieft Tillich jene Thematik, der bereits der Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur gegolten hatte.¹ Ausweislich der einleitenden Problemskizze soll erneut das spannungsreiche Verhältnis der „specifisch religiösen Kultur“ zur allgemeinen Kultur bedacht und im Interesse einer theologischen Kulturhermeneutik nach dem „religiöse[n] Sinn und Gehalt des allgemeinen Kulturlebens“ gefragt werden.² Im Hintergrund steht die Annahme der gleichfalls zuvor mit jenem Aufsatz skizzierten Konfliktsituation der beiden mit dem Vorlesungstitel benannten Begriffsgrößen ‚Religion‘ und ‚Kultur‘, die – als spezifisch neuzeitliche – eine geistesgeschichtliche Entwicklung im Rücken hat. Schon die Formulierung der für die Religion und Kultur-Vorlesung insgesamt geltenden Leitfrage nach dem ‚religiösen Sinn und Gehalt des allgemeinen Kulturlebens‘ bzw. dem „Sinn und Gehalt des Kulturlebens überhaupt“³ lässt anklingen, dass die Sinnthematik nun aufs Ganze gesehen mehr Raum einnehmen wird als noch im Kulturtheologie-Aufsatz oder auch der ersten Berliner Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart. ⁴ Während sie dort im Grunde genommen alleine im Rahmen der Religionsdefinition Anwendung fand,⁵ arbeitet Tillich jetzt im Verlauf der gesamten Vorlesung mit dem Sinnbegriff.⁶ Als besonders interessant erweisen sich die Überlegungen zum Verhältnis von ‚Sinn und Sein‘,⁷ deren sinntheoretische Reflexionen einen merklichen Überschritt über das Bisherige bedeuten. Die Religion und Kultur-Vorlesung stellt dieserart eine entscheidende Station der mit dem Hirsch-Briefwechsel anhebenden, bis zum ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und gedruckter Religionsphilosophie des Jahres 1923 reichenden sinntheoretischen Entwicklung dar. Dieser Befund lässt sich mit Seitenblick auf die zeitgleich zu Jahresbeginn 1920 gehaltene Vorlesung Encyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft nochmals präzisieren,⁸ und zwar hinsichtlich der Frage des gedanklichen Zu Religion und Kultur. Die Stellung der Religion im Geistesleben (EW XII, 297– 332). Ebd., 297. Ebd. Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart (ebd., 27– 213). Vgl. ebd., 46 ff.; darüber hinaus bleibt es bei einzelnen Nennungen; vgl. ebd., 42.82; vgl. auch oben II.2.1 a). Obwohl die Christentums-Vorlesung im Druckbild der Ergänzungs- und Nachlassbände beinahe den sechsfachen Umfang der Religion und Kultur-Vorlesung hat, ist der Sinnbegriff hier um ein Vielfaches häufiger verwendet als dort. Vgl. ebd., 312– 315; vgl. unten II.2.2 a). Encyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft (ebd., 259 – 295).
II.2 Die Theorie des Sinns
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sammenhangs der Sinnkonzeption einerseits und des ‚Form/Gehalt‘-Schemas andererseits. Im Kulturtheologie-Aufsatz stellte, wie gesehen, die Ausformulierung des betreffenden Schemas neben der Definition des Religionsbegriffs den zweiten genuinen Verwendungskontext des Sinnbegriffs dar.⁹ Zusammengenommen mit der nachgerade symbiotischen Verbindung im späteren ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und gedruckter Religionsphilosophie – angezeigt alleine durch die Terminologie, Tillich wird dann etwa durchgängig von „Sinnform(en)“ und „Sinngehalt“ sprechen¹⁰ – muss es so scheinen, als stellten die Ausbildung des Schemas und die Ausformulierung der Sinntheorie zwei Seiten derselben Medaille dar. Die Encyklopädie-Vorlesung zeigt hingegen an, dass sich die Dinge wohl verwickelter gestalteten. Auch in ihr gewinnt der Sinnbegriff ersichtlich an Raum.¹¹ Insofern unterstreicht sie noch einmal die Beobachtung, dass der definitive Aufstieg der Sinnkategorie zur tatsächlich übergreifenden Leitkategorie eben erst auf den Jahresbeginn 1920 und nicht schon auf das Jahr 1919 datiert. Allerdings, und das ist das eigentlich Bemerkenswerte im gegenwärtigen Zusammenhang, verhält es sich mit dem ‚Form/Gehalt‘-Schema anders. Während es in der Religion und Kultur-Vorlesung gleichfalls massiv präsent ist,¹² fehlt es in der EncyklopädieVorlesung praktisch vollständig. Nur an einer einzigen Stelle begegnet hier die aus dem Kulturtheologie-Aufsatz vertraute Identifikation von Gehalt- und Sinnbegriff.¹³ Die Encyklopädie-Vorlesung legt mithin eine gewisse Unabhängigkeit von Sinnthematik einerseits und ‚Form/Gehalt‘-Thematik andererseits nahe. Die These einer gewissen ursprünglichen Eigenständigkeit der beiden späterhin so eng miteinander verbundenen Theorieelemente wird weiterhin durch die Christentums-Vorlesung gestützt.Während sich die sinntheoretischen Überlegungen dort im Grunde ganz auf die Definition des Religionsbegriffs konzentrierten, fanden Form- und Gehaltsbegriff wiederum im gesamten Verlauf der Vorlesung weit häufiger Verwendung.¹⁴ Nimmt man nun den thematischen Kontext hinzu, in dem sich jene singuläre Identifikation im Rahmen der Encyklopädie-Vorlesung findet – der entsprechende Abschnitt ist mit ‚Kulturtheologie‘ überschrieben¹⁵ –, so lässt sich vermuten: Den ursprünglichen systematischen Ort des ‚Form/Gehalt‘-Schemas stellte für Tillich
Vgl. oben II.2.1 c). Vgl. unten II.2.2 c). Vgl. ebd., 265.267.273.290 f.295. Vgl. nur ebd., 315 – 317. Die betreffende Passage war bereits für die Rekonstruktion der entsprechenden Überlegungen im Kulturtheologie-Aufsatz hinzugezogen; vgl. oben II.2.1 c). Vgl. ebd., 267. Vgl. ebd., 59.68.93.126.128.162.188.189.200.221 u. ö. Vgl. ebd., 266.
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sein Programm einer Theologie der Kultur dar – genau für deren Zwecke war jenes Schema als methodisches Instrument 1919 im Kulturtheologie-Aufsatz ja auch eingeführt. Schon dort war seine sinntheoretische Valenz zwar von Anfang an im Blick, die gedankliche Anbindung erfolgte aber – wie gesehen – zunächst allein über die Gleichsetzung des Gehaltsbegriffs mit dem des Sinns.¹⁶ Tatsächlich scheint Tillich also das ‚Form/Gehalt‘-Schema für sich genommen weiterentwickelt zu haben, ohne stets den Bogen zur Sinntheorie zu schlagen – wie andersherum die sinntheoretischen Überlegungen etwa der Encyklopädie-Vorlesung sogar gänzlich ohne Reflexion auf das Verhältnis von Form, Gehalt und Inhalt auskommen. Erst nach 1920 werden die beiden Stränge so miteinander verschränkt, dass sie dann im Wissenschaftssystem und der Religionsphilosophie untrennbar erscheinen. Einen entscheidenden Schritt bedeutet dabei die große Religionsphilosophie-Vorlesung, die Tillich im Sommersemester 1920 hielt.¹⁷ Wir schreiten nachfolgend den damit skizzierten Weg von der Religion und KulturVorlesung über die Religionsphilosophie-Vorlesung bis hin zum gedruckten ‚Doppelwerk‘ von 1923 ab, um auf dieser Grundlage abschließend mögliche problemgeschichtliche Hintergründe der ausgereiften Sinnkonzeption zu bedenken.
a) Die Religion und Kultur-Vorlesung (1920) Die Anfang 1920 gehaltene Religion und Kultur-Vorlesung unterteilt sich in drei Teile, wobei der erste Teil die Genese der einleitend konstatierten Konfliktsituation von Religion und Kultur in der Gegenwart anhand dreier „Stadien“ rekonstruiert.¹⁸ Der zweite Vorlesungsteil entfaltet als eigentliches systematisches Zentrum den Religionsbegriff des dritten ‚Stadiums‘, und also der Gegenwart.¹⁹ Der Fragment gebliebene dritte Teil setzt die allgemeine Frage des Verhältnisses von Religion und Kultur schließlich für die einzelnen Konfliktfelder von Dogma und Wissenschaft, Kultgemeinschaft und Gesellschaft etc. um.²⁰ Obgleich Tillich
Vgl. oben II.2.1 c). Religionsphilosophie (ebd., 333 – 565). Vgl. ebd., 301– 309; zum Vorlesungsaufbau insgesamt vgl. ebd., 297 f. Der ausdrückliche Verweis auf Auguste Comte im Rahmen der Hinführung zum ersten Vorlesungsteil – vgl. ebd., 301– mag ein Hinweis darauf sein, dass dessen sog. ‚Dreistadiengesetz‘ Tillichs Überlegungen mit angeregt hat. In der Durchführung unterscheiden sich beide freilich deutlich. Vgl. ebd., 309 – 317. Vgl. ebd., 317– 332. Ursprünglich als „Hauptinhalt der Vorlesung“ angekündigt (ebd., 298) hat Tillich hier mit ‚Dogmatik und Philosophie‘ (ebd., 319 – 323.327), ‚Frömmigkeit und Individualethik‘ (ebd., 323 – 328) sowie ‚Kultgemeinschaft und Gesellschaft‘ (ebd., 328 – 332) lediglich drei Bereiche thematisiert,wodurch sich der gattungsbedingt ohnehin mehr andeutende Charakter des Textes nochmals verstärkt.
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nun mit der Religion und Kultur-Vorlesung ausdrücklich keine ausgeführte, im engeren Sinne religionsphilosophische „Kategorienlehre des Religiösen“ darzulegen gedenkt²¹ – eine solche wird er im Folgesemester mit der großen Religionsphilosophie-Vorlesung entfalten –, bietet der mittlere Vorlesungsteil eine Religionsdefinition nebst ins Detail gehenden Erläuterungen. Die dortige Zugangsdefinition der Religion als „Beziehung auf ein Unbedingtes“ ist zunächst in mehreren Schritten auf die religionsphilosophische Kardinalthese jener Jahre hin präzisiert: „Es ist die Aufgabe des dritten Stadiums, zu erfassen, daß das Unbedingte überhaupt kein Gegenstand ist, sondern ein Sinn.“²² Darauf folgen eine kurze Überleitung, die die Beziehung jenes unbedingten Sinns hinsichtlich der drei Sphären des „Seienden“, der „Werte[ ]“ und der „Persönlichkeit“ noch eher allgemein charakterisiert,²³ dann der in sinntheoretischer Perspektive wichtigste Abschnitt ‚Sinn und Sein‘,²⁴ bevor abschließend die Themenkreise ‚Die Kultur‘ sowie ‚Form und Gehalt‘ eigens bedacht werden.²⁵ Die Überleitung knüpft dabei eng an entsprechende Erwägungen, etwa aus dem Kulturtheologie-Aufsatz, an,²⁶ setzt jedoch darüber hinaus neue Pointen. Diese können wir uns exemplarisch anhand der Ausführungen zur Wertsphäre verdeutlichen: „In allen Werten ist der Sinn der Unbedingtheit wirksam als Verneinung ihrer konkreten Realisierung und Bejahung derselben durch Beziehung auf einen absoluten Wert. Es gibt aber weder relativen Wert für sich noch einen absoluten. Der Sinn treibt zur Realisierung, aber sie ist durch ihn unmöglich.“²⁷ Im Hintergrund steht einmal mehr der Paradoxgedanke bzw. der Gedanke eines paradoxen ‚Zugleich‘ von Verneinung und Bejahung des Konkreten, der bereits die vorangegangenen Erwägungen strukturierte. Anders als dort schiebt Tillich nun allerdings ein für die jeweilige Sphäre spezifisches systematisches Mittelglied zum unbedingten Sinn ein, das seinerseits wiederum absolutheitstheoretisch bestimmt wird – im Fall der Wertsphäre der „absolute[ ] Wert“.²⁸ Der Gedanke eines zwischen der Sphäre des Bedingten und der Idee des Unbedingten vermittelnden Bindegliedes ist im betreffenden Zusammenhang noch nicht weiter ausgebaut. Er wird
Vgl. ebd., 297. Ebd., 310 bzw. ebd., 312. Ebd., 312. Ebd., 312– 315. Ebd., 315 f. bzw. ebd., 316 f. Vgl. GW IX, 18; vgl. zudem EW X, 219 f.225; EW XII, 43 f.46.47 f.; vgl. oben II.2.1 a). EW XII, 312. Die Charakterisierung der Beziehung des unbedingten Sinns zu den Sphären des ‚Seienden‘ und der ‚Persönlichkeit‘ ist in diesem Zusammenhang ganz parallel formuliert. Für die anderen beiden Sphären entsprechen diesem Gedanken eines ‚absoluten Wertes‘ die eines „absolute[n] Sein[s]“ und einer „absolute[n] Persönlichkeit“.
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gleichwohl, wie wir sehen werden, für die Sinnkonzeption im Folgenden sukzessive an Gewicht gewinnen. ‚Das Unbedingte‘ bzw. – absolut – ‚der Sinn‘ ist wiederum von jenen bereichsspezifischen ‚Absoluta‘ (wie eben dem des ‚absoluten Wertes‘) nochmals zu unterscheiden. Er ist mehr funktional auf die Beziehung von konkretem Wert und absolutem Wert bezogen, soll er doch im paradoxen Zugleich von Verneinung und Bejahung ‚wirksam‘ sein. Genauer erzeugt der unbedingte Sinn eine gewissermaßen hintergründige „Spannung“, in der jedwede konkrete Realisierung, sei es eines Seienden, eines Wertes oder einer Persönlichkeit, „schwebt“.²⁹ Dabei ist es ausdrücklich die sinntheoretische Fassung des Unbedingten, die jene Schwebebewegung zwischen Realisierung und prinzipieller Unmöglichkeit einer definitiven Realisierungsgestalt bedingt.³⁰ Treten wir einen Schritt zurück, dann begründet die Sinnkategorie gleichsam eine Öffnung aufs Unbestimmte hin, der eine Dynamisierung der Gesamtkonzeption entspricht. Eine solche kann Tillich nachfolgend explizit als dem dritten ‚Stadium‘, und somit der Gegenwart gemäß, reklamieren: „An die Stelle der statischen hat die dynamische Weltauffassung zu treten, wie auf allen Gebieten, so auch hier. Das Unbedingtheitsbewußtsein […] muß also dynamisch aufgefaßt werden, nicht als Realität, sondern als Realisierung.“³¹ Der Begriff der ‚Realisierung‘ steht hier wie im Folgenden paradigmatisch für jene Dynamisierung.³² Gemäß der behaupteten Spannung zwischen unbedingtem Sinn, bereichsspezifischem ‚Absoluten‘ und konkreter Realisierung stellt sich die Letztere entsprechend als „unendliche Aufgabe“ dar.³³ Die durch den unbedingten Sinn instantiierte Bewegung, so ließe sich paraphrasieren, lässt sich nicht abschließend sistieren. Dabei impliziert die betreffende Problematik für Tillich keineswegs eine Verabschiedung des objektiven Momentes der Religion, wie wir schon anhand des Hirsch-Briefwechsels gesehen hatten.³⁴ Die mit ihr eröffnete Aufgabe ist vielmehr in der Encyklopädie-Vorlesung prägnant auf den Punkt gebracht: „Das Hauptproblem der Gegenwart: Der subjektive Ausgangspunkt steht fest. Von da
So in der parallelen Formulierung bezüglich der Sphäre des Seienden (ebd.). Vgl. ebd.: „Aber weil er Sinn ist, macht er sie [die Realisierung des Absoluten; L. H.] unmöglich.“; kursiv L. H. Ebd., 314. Vgl. allein EW X, 312 f.315 u. ö. (Die religiöse Erneuerung des Sozialismus); EW XII, 290.290 f.291.293.294.295 (Encyklopädie-Vorlesung); ebd., 312. 314. 315. 320. 321 (Religion und KulturVorlesung); ebd., 415 ff. (Religionsphilosophie-Vorlesung). Die Belege ließen sich leicht vermehren. Ebd., 320. Vgl. oben II.1 a).
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weiterzudringen zu dem Sinn des Objektiven, der ‚Realisierung‘.“³⁵ Mit dem ‚subjektiven Ausgangspunkt‘ ist offensichtlich jenes ‚subjektiv-urständliche Moment der Religion‘ gemeint, das bereits im Briefwechsel als Basis jeder religiösen Objektivierung herauspräpariert worden war.³⁶ Die dort als Objektivierungsproblem bearbeitete Fragestellung hat hier die Form der Realisierungsthematik angenommen. Ihre auf Sicht beherrschende Stellung ist daran ablesbar, dass Tillich sie geradezu zum religionstheoretischen ‚Hauptproblem der Gegenwart‘ stilisiert – jedenfalls ist damit das Hauptproblem benannt, dem die eigenen religionsphilosophischen Denkbemühungen in den kommenden Jahren gelten werden. Vor allem verdeutlicht das Zitat, dass der Sinnbegriff für Tillich bei näherem Zusehen für ein Zweifaches steht: Zum einen für das zuvor skizzierte Dynamisierungsmoment, durch das sich die Religion gleichsam fürs Unbestimmte öffnet. Zum anderen für einen gerade gegenläufigen Aspekt, nämlich für Tillichs Interesse an einer Sicherung des objektiven Momentes – in freilich entsprechend modifizierter Form. Letzteres ist in der Religion und Kultur-Vorlesung wiederum ausdrücklich vermerkt: „Andererseits liegt im Begriff des ‚Sinnes‘ die Beziehung auf das Objektive […] aber ein Objektives, das für das Bewußtsein eben nur ‚Sinn‘ ist“³⁷ – und, so ließe sich ergänzen, nicht ‚Sein‘. Die im Entstehen begriffene Sinntheorie hat so die beiden unterschiedlichen Motivreihen zusammenzuhalten, die sich exemplarisch im Begriff der ‚Realisierung‘ bzw. der zugehörigen Parole „Realisierung statt Realität“³⁸ einerseits und im bleibenden Interesse am ‚Inhalt‘ bzw. ‚Einzelsinn‘ andererseits verdichten. Der Abschnitt ‚Sinn und Sein‘ bietet vor dem Hintergrund dieser Problemkonstellation erstmals Konturen einer ausgearbeiteten Sinnkonzeption. Demnach steht jedes „Ding“ – zu denken ist erneut an den weiten Dingbegriff des Kulturtheologie-Aufsatzes, der nicht nur die extensionale Sphäre, sondern ebenso etwa die der Werte umfasst – prinzipiell in einer „doppelte[n] Sinnbeziehung“.³⁹ Die erste bestimmt Tillich wie folgt: „Jedes Ding hat einen unmittelbaren Sinn, eine Bedeutung im Zusammenhang der Gesamtheit der Dinge.“⁴⁰ Die Näherbestimmung des betreffenden ersten Sinnes als eines ‚unmittelbaren‘ darf nicht so
Ebd., 290; kursiv i. O.; vgl. oben II.1 d). Vgl. oben II.1 a). Ebd., 314; vgl. auch Ulrich Barth, „Religion und Sinn“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 197– 213, 206 f. EW XII, 315. Ebd., 313; zum weiten Gegenstandsbegriff des Kulturtheologie-Aufsatzes vgl. oben II.2.1 a). Ebd., 312.
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missverstanden werden, als eigne dieser den Dingen ‚an sich‘. Vielmehr konstituiert er sich allein kontextuell: Die vermeintlich unmittelbare Bedeutung geht ausdrücklich auf einen übergreifenden Zusammenhang.⁴¹ Dieser Zusammenhang ist wiederum näher bestimmt als ‚Gesamtheit‘, womit offenkundig eine Totalitätskategorie im Blick ist. Tatsächlich hatten wir gesehen, dass die ‚Totalität der Dinge‘ beispielsweise schon in der Christentums-Vorlesung im Sinne des „philosophische[n] Prinzip[s]“ als sinnkonstitutives Prinzip erwogen wurde, dort aber zugunsten einer exklusiven Orientierung am unbedingten Sinn verworfen war.⁴² Die Religion und Kultur-Vorlesung nimmt den fraglichen Gedanken hingegen auf und gibt ihm eine konstruktive Wendung: Demnach bauen sich jene Sinnzusammenhänge durch zunehmende Kontextualisierung bis hin zu einem „Gesamtzusammenhang“ ⁴³ auf. Dabei trägt Tillich stillschweigend ein geisttheoretisches Argument ein: „Es ist nun aber das Wesen des Geistes, sich mit dem unmittelbaren Sinn der Dinge nicht zufrieden zu geben, sondern darüber hinauszutreiben, und da jeder Sinn mit jedem anderen zusammenhängt, über die Dinge hinaus.“⁴⁴ Stellen wir die geisttheoretische Klammer im gegenwärtigen Zusammenhang zurück, dann sind zwei Aspekte entscheidend. Zum einen eben jener sukzessive Aufbau von Sinn, für den hier das Stichwort des ‚Hinaustreibens‘ einsteht.⁴⁵ Er liegt im Charakter des Sinnphänomens selbst begründet: Bedeutung ist für Tillich wesentlich eine Kontextkategorie. Und zum anderen der angedeutete Überschritt noch über die Sinntotalität hinaus (‚über die Dinge hinaus‘), der seinerseits wiederum mit dem Kontextargument begründet wird. Somit ist zugleich die zweite Sinnbeziehung aufgerufen. Sie gilt dem in dieser Logik gewissermaßen jenseits der Gesamtheit anzusetzenden ‚absoluten Sinn‘. Motiviert ist der Überschritt nochmals durch das Kontextargument: „Jedes Ding treibt zu einem anderen, und der Gesamtzusammenhang, wenn er realisiert wäre, würde von neuem vor die Frage stellen: welches ist sein Sinn? Es muß ein absoluter Sinn bejaht werden.“⁴⁶ Andersherum soll jener absolute Sinn seinerseits erst die Sinnhaftigkeit der vorausliegenden Sinnkontexte garantieren: „Die Unendlichkeit des Sinnes ist Sinn-
Insofern artikuliert sich mit dem Aspekt der notwendigen Kontextualität von Sinn im Gegenteil einmal mehr Tillichs Vorbehalt gegen eine Überspannung des Unmittelbarkeitsgedankens, dessen wir bereits in anderen Zusammenhängen ansichtig geworden waren; vgl. oben II.1 c); vgl.weiterhin unten III.3 a). Ebd., 46; vgl. oben II.2.1 a). Ebd., 313; kursiv L. H. Ebd., 312 f.; kursiv L. H. Vgl. auch ebd., 313: „Jedes Ding treibt zu einem anderen […].“ Ebd.
II.2 Die Theorie des Sinns
271
losigkeit, wenn sie nicht bezogen ist auf einen absoluten Sinn.“⁴⁷ Damit ist das Kontextargument ersichtlich um ein zweites, qualitatives Argument ergänzt, ohne dass Letzteres bereits weiter ausformuliert wäre.⁴⁸ Offensichtlich ist, dass sich gegenüber der vorstehenden kurzen Überleitung im Rahmen der Religion und Kultur-Vorlesung die Blickrichtung umgedreht hat: War Tillich dort vom unbedingten Sinn ausgegangen und hatte von hier aus über die systematischen Zwischenglieder des ‚absoluten Seins‘ etc. nach der Möglichkeit einer Realisierung im Einzelsinn gefragt,⁴⁹ so stellt der absolute Sinn nun andersherum einen Abschlussgedanken dar, während der Ausgang beim einzelnen ‚Ding‘ und dessen Sinnbeziehungen gewählt ist. Im Zuge des Überschritts zum absoluten Sinn wird ob dieser Umkehr der Blickrichtung deutlich, dass noch die Sinntotalität den kategorialen Status des Relativen hat: „Nun aber ist jeder einzelne Sinn und die Totalität selbst relativ.“⁵⁰ Die ‚doppelte Sinnbeziehung‘ jedes Dinges kann Tillich demgemäß zusammenfassend einmal als ‚relative‘, einmal als ‚absolute‘ bezeichnen.⁵¹ Der relative Status des Gesamtzusammenhanges dürfte sich darüber begründen, dass er sich als Totalität aus der Menge seiner – relativen – Glieder aufbaut und somit als abschließender Grenzbegriff kategorial auf deren Ebene anzusetzen ist. Schien also in der vorstehenden Überleitung zum Abschnitt ‚Sinn und Sein‘ den systematischen Mittelgliedern ihrerseits ein absolutheitstheoretischer Status zu eignen – eben im Sinne eines ‚absoluten Seins‘ oder ‚absoluten Wertes‘⁵² –, so ist jetzt ausdrücklich ihre Zugehörigkeit zur Sphäre des Relativen vermerkt. Für das Jahr 1920, und mithin den Übergang von der ersten Formierungs- zur Ausformulierungsphase der eigentlichen Sinntheorie, lässt sich entsprechend ein gewisses Changieren in Tillichs Überlegungen festhalten.⁵³
Ebd. Das letztere Argument ist in der Folgezeit mehrfach formuliert – so etwa in dem 1922 entstandenen Entwurf Die Umstellung der Debatte: „[A]ller Sinn kann nur bestehen unter der Voraussetzung eines absoluten Sinnes, bei dem nicht mehr nach dem Sinn gefragt werden kann.“ (EW X, 331) –, bevor es selbst, wie auch sein systematischer Konnex zum Kontextargument, dann mit der Religionsphilosophie auf die endgültige Form gebracht werden; vgl. GW I, 318 f.; vgl. unten II.2.2 c). S.o. EW XII, 313; kursiv L. H. Die betreffende Passage – „In jedem Ding, insofern es ist, liegt die doppelte Sinnbeziehung, absolut und relativ zu sein, bezogen zu sein auf die Totalität […] und bezogen zu sein auf ein absolutes Sein […] als Beziehungspunkt des Sinnes der Absolutheit“ (ebd.) – ist dementsprechend chiastisch gebaut (ebd.). S.o. Alles Nähere können wir hier bis zur Rekonstruktion der letztgültigen Fassung anhand der Religionsphilosophie zurückstellen; vgl. unten II.2.2 c).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Der Gedankengang der Religion und Kultur-Vorlesung hebt im Folgenden noch einmal auf jene Spannung zwischen Realisierungs‚trieb‘ einerseits und der „Unrealisierbarkeit dieses Verlangens“ andererseits ab.⁵⁴ Jede Realisierung des absoluten Sinns muss demnach notwendig „durch relative Sinnformulierungen“ erfolgen, wodurch jener entgegen der Realisierungsintention nicht als absoluter, sondern allein als „Einzelsinn“ zum Ausdruck gebracht werden kann.⁵⁵ Aus der Doppeltheit der Sinnbeziehung gibt es keinen Ausstieg zugunsten einer reinen Realisierung der Absolutheitsdimension. Die daraus gezogene Konsequenz lautet wie folgt: „Dadurch bekommt die Forderung nach dem absoluten Sinn eine ganz andere Wendung: die Absolutheit ist ein den Dingen und ihrer Totalität innewohnender Sinn, der vom Bewußtsein nicht realisiert werden kann und darf.“⁵⁶ Wiederum ist mit dem Bewusstseinsbegriff die bewusstseins- bzw. geisttheoretische Klammer der sinntheoretischen Überlegungen notiert. Das Sinnerlebnis ist, wie Tillich im unmittelbaren Zusammenhang ausdrücklich hervorheben kann, grundsätzlich ein „Bewußtseinsvorgang“, bei dem die – wie gesehen – mit dem Sinnbegriff gleichfalls anvisierte objektive Dimension „für das Bewußtsein eben nur ‚Sinn‘ ist“.⁵⁷ Konzentrieren wir uns vorerst auf die sinntheoretischen Aspekte, dann ist das obige Zitat insofern bemerkenswert, als die Unmöglichkeit der Realisierung jetzt sogar normativ aufgeladen wird – der absolute Sinn lässt sich nicht nur nicht realisieren, eine solche Realisierung scheint auch gar nicht erstrebenswert. Vielmehr soll der absolute Sinn als „Beziehungspunkt“⁵⁸ den Sinnaufbau gleichsam im Hintergrund steuern, ohne jemals selbst realisiert und damit auf die Ebene des relativen Sinns hinabgezogen zu werden. Treten wir abschließend einen Schritt zurück, so lassen sich vier Gesichtspunkte der ersten ausführlicheren Entfaltung des Sinngedankens festhalten. Grundlegend ist für Tillich erstens offensichtlich ein relationales Verständnis von Sinn: Ablesbar schon an der Grundthese einer doppelten Sinnbeziehung jedes ‚Dinges‘, ist dieser relationale Aspekt mit dem argumentativen Stellenwert des Kontextgedankens und schlussendlich der Fassung des unbedingten Sinns als eines fundamentalen ‚Beziehungspunktes‘ des Sinnaufbaus durchgängig präsent und verstärkt. Sinn ist für Tillich wesentlich eine Kontextkategorie.Von diesem ersten Gesichtspunkt lässt sich zweitens der der Aktualität noch einmal unterscheiden. Für diesen aktualen Aspekt stehen der zentrale Begriff der ‚Realisierung‘ und das explizite Votum für
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 314. Ebd., 313.314.
II.2 Die Theorie des Sinns
273
eine dynamische Weltauffassung. Der Sinnbegriff steht für eine gewisse ‚Verflüssigung‘, ohne dass das Moment des Objektiven einfach verabschiedet würde. Vielmehr soll der Sinngedanke gerade helfen, beide Momente miteinander zu verschränken. Drittens ist mit dem ‚absoluten Sein‘, ‚absoluten Wert‘ etc. im Rahmen der Überleitung sowie dann mit einem ‚Gesamtzusammenhang‘ der Sinnkontexte in der eigentlichen Ausführung jeweils ein systematisches Bindeglied zwischen dem absoluten Sinn einerseits und den auf ihn bezogenen relativen Sinnrealisierungen andererseits etabliert. Dabei bleibt bezüglich des kategorialen Status des betreffenden Mittelgliedes eine gedankliche Unschärfe: Zwar kann Tillich ausdrücklich seine Relativität behaupten, die Zusammenstellung mit dem Adjektiv ‚absolut‘ weist allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Hier bleibt ein systematischer Klärungsbedarf.Viertens hatten wir mehrfach die bewusstseinsbzw. geisttheoretische Klammer vermerkt, die auch die sinntheoretischen Überlegungen nochmals rahmt. Ihre nähere Zuordnung werden wir an gegebener Stelle je und je näher präzisieren, der Fokus gilt jedoch weiterhin primär der Sinnkonzeption selbst.
b) Die Religionsphilosophie-Vorlesung (1920) Die im darauffolgenden Sommersemester 1920 gehaltene ReligionsphilosophieVorlesung ⁵⁹ stellt wohl das bedeutendste der seinerzeit unveröffentlichten Dokumente für Tillichs Denkbewegung der Berliner Privatdozentenzeit dar. Im Rahmen des nochmals dreigeteilten ersten Hauptteils ist hier hinsichtlich der Wesensbestimmung der Religion akribisch begründet und durchgeführt, was im Kulturtheologie-Aufsatz und in den vorangegangenen Vorlesungen mehr thetisch gesetzt war: Auf eine der gesamten Vorlesung vorgeschaltete wissenschaftssystematische Prolegomena⁶⁰ folgen an erster Stelle die Entwicklung eines formalen Religionsbegriffs, dann die weit ausholenden religionsgeschichtlich-typologisierenden Exemplifizierungen und schließlich eine kurze Skizze der normativen „Religion des Paradox“. Genauer⁶¹ haben die ersten vier Vorlesungsstunden wissenschaftstheoretische Vorüberlegungen, die 5. bis 15. Stunde die formal-kategoriale Etablierung des Religionsbegriffs,⁶² die 15. bis 27. Stunde die geschichtsphilosophische Typologisierung⁶³ und die Stunden 28 und 29 den
Religionsphilosophie (ebd., 333 – 565). Ebd., 348 – 362. Eine Gliederung der gesamten Vorlesung findet sich ebd., 346 f., eine Gliederung des ersten Hauptteils ebd., 361 f. Ebd., 363 – 440. Ebd., 440 – 519.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Normbegriff der Religion zum Inhalt.⁶⁴ Dabei ist der erkenntniskritische Anspruch der mit dem Hirsch-Briefwechsel eingeleiteten gedanklichen Reorientierung nachdrücklich betont. Im expliziten Rückbezug auf Kant wird Religionsphilosophie als „geltungsphilosophische[ ] Bewußtseinsanalyse“ definiert, die der Religion als „notwendige[r] Funktion des Geistes“ ihren konstitutiven Ort im Bewusstseinsaufbau zuweist.⁶⁵ In gewisser Weise markiert die ReligionsphilosophieVorlesung in ihrer Kombination der Hervorhebung des Kant’schen Erbes, der im Ganzen bewusstseinstheoretischen Diktion und der punktuellen Kritik am „unkritischen Spekulieren“ der vormaligen Überfigur Schelling⁶⁶ einen – frühen – Höhepunkt der neuen Theorieanlage. Der Gewinn an gedanklicher Vertiefung und Weiterentwicklung des Bisherigen ist, nicht zuletzt in sinn- und geisttheoretischer Hinsicht, immens: So werden etwa, um nur einige Aspekte exemplarisch herauszugreifen, das zukünftig für die Geisttheorie zentrale Begriffspaar von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ etabliert sowie die zugehörige Intentionalitätstheorie ausgebaut,⁶⁷ der Symbolbegriff verankert⁶⁸ und – für den gegenwärtigen Zusammenhang entscheidend – das ‚Form/Gehalt‘-Schema noch einmal merklich ausgearbeitet und aufgewertet. Bezüglich ihres systematischen Gewichts übertrifft die Religionsphilosophie-Vorlesung dieserart die nachfolgenden,vom Stoff her umfangreicheren
Ebd., 520 – 533. Der zweite Hauptteil, in dem die ‚spezifisch religiöse Kultur und ihre Kategorien‘ – vgl. ebd., 533 – in den Vorlesungsstunden 30 bis 39 Thema war bzw. gewesen wäre, ist gegenüber dem ersten Hauptteil Fragment geblieben. Dieses umfasst in der vorliegenden Form gerade einmal gute 30 Seiten (ebd., 533 – 565), wohingegen der erste Teil beinahe den sechsfachen Umfang aufweist (ebd., 363 – 532). Selbst die Prolegomena haben denselben Umfang wie jener fragmentarische zweite Hauptteil (ebd., 333 – 362) – insofern wird sich jede Interpretation der Vorlesung insgesamt schon aus formalen Gründen primär auf den ersten Hauptteil stützen müssen. Ebd., 347 bzw. ebd., 345; vgl. die einleitende methodische Selbstverortung: „Sie [die Religionsphilosophie; L. H.] hat die Aufgabe, nachzuweisen, welchen Ort die Religion im Geistesleben einnimmt, welche Funktion sie für den Aufbau des Bewußtseins zu erfüllen hat, inwiefern die Einheit des Bewußtseins durch Religion bedingt ist. Religionsphilosophie treiben heißt: die Religion als notwendige Funktion des Geistes aufweisen, ihre konstitutive Bedeutung für das Bewußtsein zeigen und darlegen, in welchen eingeb[orenen] Kategorien die Religion die Wirklichkeit erfaßt. Religionsphilosophie ist Deduktion der Funktion Religion im Unterschied [von] und in der Einheit mit allen übrigen Funktionen und Aufweisung der Kategorien, in denen diese Funktion sich vollzieht.“ (ebd., 344 f.); vgl. auch ebd., 346: „Der Wahrheitsbeweis der Religion ist der Beweis ihrer Bewußtseinsnotwendigkeit, ihres Geltens im kritischen Sinne.“ Zum Rückbezug auf Kant vgl. ebd., 340.345.381– 383. Ebd., 393; vgl. ebd., 416.427; s.u. Vgl. unten II.3.1 c). Vgl. unten III.1 b).
II.2 Die Theorie des Sinns
275
Berliner Vorlesungen der Jahre 1920 bis 1924 deutlich.⁶⁹ Gleichzeitig arbeitet sie ersichtlich dem späteren ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und gedruckter Religionsphilosophie zu und kann mithin als der entscheidende Zwischenschritt zwischen der Programmskizze des Kulturtheologie-Aufsatzes einerseits und der dortigen endgültigen Ausgestaltung des Programms andererseits gelten.⁷⁰ Wenden wir uns den sinntheoretischen Überlegungen der ReligionsphilosophieVorlesung zu, dann lässt sich jene Aufwertung des ‚Form/Gehalt‘-Schemas schon daran ablesen, dass es nun als das methodische Instrument schlechthin etabliert ist. Schreitet man etwa die wesentlichen Stationen des ersten Hauptteils ab, so kann Tillich Religion zunächst als „reine[s] Gehaltserlebnis durch die Form hindurch“ definieren.⁷¹ Es folgt die typologisierende Durchsicht der Religionsgeschichte, für die wiederum gilt: „Es gibt nur ein Einteilungsprinzip: das ist das Verhältnis von Form und Gehalt.“⁷² Und schließlich ist die „Religion des Paradox“ als Synthesegestalt der zuvor geschichtsphilosophisch extrapolierten Spannung von Form und Gehalt konzipiert.⁷³ Damit ist das Schema seinem ursprünglich engeren kulturtheologischen Rahmen sichtlich entwachsen und fungiert nunmehr als übergreifende Klammer der religionsphilosophischen Reflexion insgesamt.
Zu Letzteren vgl. EW XIII. Bei den betreffenden Vorlesungen der Jahre 1920 bis 1924 handelt es sich nach Tillichs eigener Auskunft eher um Erprobungen des systematischen Instrumentariums am historischen Material, von der griechischen Antike bis hin zur Aufklärung. Eine thematische Erschließung des voluminösen Bandes – er umfasst mehr als 600 Seiten – steht noch aus; für einen ersten Einblick vgl. Stefan Dienstbeck, „Kulturtheologie und hellenistische Philosophie. Zu ihrem Bezug in Paul Tillichs Berliner Vorlesung vom Wintersemester 1920/21“, in: Christian Danz/ Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 251– 278. In gewisser Weise dürfte die pointierte Kürze zumal der gedruckten Religionsphilosophie überhaupt nur vor dem Hintergrund der ausführlichen und intensiven Durchdringung des Themas im Rahmen der gleichnamigen Vorlesung möglich gewesen sein – wie die Vorlesung andersherum einen exzellenten Kommentar zu den oftmals äußerst knappen Darlegungen des nachfolgenden Druckwerkes darstellt. Eine Interpretation von Tillichs Religionstheorie der 1920er Jahre wird so künftig ausschließlich unter detaillierter Berücksichtigung beider Religionsphilosophien, der Vorlesung wie der gedruckten, möglich sein. EW XII, 421; vgl. ebd., 445. Ebd., 452. Der Paradoxgedanke, der im Kulturtheologie-Aufsatz noch als zweites Sortierungsprinzip fungierte – vgl. oben II.2.1 c) –, ist hier ganz in die Verhältnisbestimmung von Formund Gehaltsbegriff eingegangen. Vgl. ebd., 524.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Zugleich vertieft sich jetzt eine terminologische Problematik, die wir schon anlässlich der Darstellung des Kulturtheologie-Aufsatzes vermerkt hatten:⁷⁴ War dort das Schema als dreigliedriges rekonstruiert, wobei dem Inhaltsbegriff eine konstitutive Bedeutung zukam, so verschiebt sich dies mit der Religionsphilosophie-Vorlesung zumindest an der Oberfläche zurück in Richtung eines zweigliedrigen Begriffsschemas – eben dem von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘. Der individuierte Einzelgehalt, vormals mit dem Inhaltsbegriff bezeichnet, ist nun hingegen – wo überhaupt noch eigens bedacht – weithin mit dem Formbegriff belegt: Das unglückliche, weil missverständliche Nebeneinander von ‚Form‘ und ‚Formen‘ (im Sinne von ‚Inhalten‘), das bereits im Kulturtheologie-Aufsatz am Rande begegnen konnte, stellt somit den terminologischen Normalfall dar. Auch im Rahmen der zu Jahresbeginn 1921 in den Blättern für Religiösen Sozialismus erscheinenden Studie Masse und Geist, in der dem Schema wiederum eine exponierte methodische Stellung zukommen wird, ist dieses zu einem vermeintlich zweigliedrigen ‚Form/ Gehalt‘-Schema verkürzt. Der Inhaltsbegriff ist dort durchgängig durch den der „Eigenform der Dinge“ bzw. der „relativen Form“ ersetzt.⁷⁵ Und da schließlich die beiden systematischen Hauptschriften der ersten Hälfte der 1920er Jahre, das System der Wissenschaften und die Religionsphilosophie, den Inhaltsbegriff gleichfalls lediglich am Rande mitführen werden, kann es kaum erstaunen, dass das betreffende Schema weithin nur als zweigliedriges rezipiert wurde. Die entsprechende, in der Forschung bis heute dominante Verkürzung hat Tillich mit der missverständlichen terminologischen Umstellung hin zu einer Aufwertung des Formbegriffs also nicht zuletzt selbst angestoßen. Die Hintergründe jener Umstellung sind dabei nur schwer auszumachen. Möglicherweise hat Tillich im Sinne seines sich zu Beginn der 1920er Jahre nochmals verschärfenden erkenntniskritischen Anspruchs einer Fehldeutung vorbeugen wollen, die der Inhaltsbegriff durchaus nahelegen kann. Gerade wenn der Begriff in Absetzung vom Formbegriff verwendet wird, kann undeutlich werden, dass der jeweilige ‚Inhalt‘ unter kritischen Bedingungen allein als vom Bewusstsein geformter, und also durch die Form hindurchgegangener, thematisch werden kann: Die Annahme eines bar jeder geistigen Formung ‚an sich‘ vorliegenden Inhalts stellt eine positivistische Verkürzung dar – auf diese Problematik hat zumal Heinrich Rickert mit Nachdruck hingewiesen.⁷⁶ Tatsächlich war Tillichs Gebrauch des Inhaltsbegriffs im Kulturtheologie-Aufsatz nicht gänzlich frei von
Vgl. oben II.2.1 c). Vgl. MW 3, 77.80 u. ö. Vgl. Heinrich Rickert, „Zwei Wege der Erkenntnistheorie. Transzendentalpsychologie und Transzendentallogik“, Kant-Studien 14 (1909), 169 – 228, 174 ff.
II.2 Die Theorie des Sinns
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ebenjener Undeutlichkeit.⁷⁷ Die ab 1920 vorgenommene weitestgehende terminologische Subsumtion des Inhaltsaspektes unter den Formbegriff ließe sich – versucht man, ihr einen positiven Sinn abzugewinnen – insofern auch als Anzeige eines geschärften erkenntniskritischen Problembewusstseins interpretieren. Im Übrigen wird Tillich im Folgenden keineswegs auf den Inhaltsbegriff verzichten. Er wandert vielmehr gewissermaßen von der Sinntheorie in die Geisttheorie, wie dann die reifen Ausführungen des 1927/28 entstandenen Systems der religiösen Erkenntnis exemplarisch zeigen.⁷⁸ Wir wollen die anlässlich des Kulturtheologie-Aufsatzes rekonstruierte Bedeutung des Inhaltsaspektes, und also die konstitutive Dreigliedrigkeit des Schemas, im Hintergrund mitführen, uns nachfolgend aber auf eine anderweitige doppelte Differenzierung konzentrieren, die die Religionsphilosophie-Vorlesung hinsichtlich der Sinntheorie bietet. Diese betrifft eben die anderen beiden Glieder des Schemas, und somit einmal den Formbegriff und zum anderen den des Gehaltes. Alle wesentlichen Überlegungen finden sich mit den Vorlesungsstunden zehn bis zwölf in jenen Stunden, in denen Tillich seinen eigenen Religionsbegriff schlussendlich positiv entwickelt.⁷⁹ Sie bilden, mindestens was die transzendentalphilosophische Grundlegung angeht, das religionstheoretische Zentrum der Vorlesung.⁸⁰ Dabei nimmt Tillich in der 10. Vorlesungsstunde den Ausgang von der für ihn seinerzeit einschlägigen Definition der Religion als eines Unbedingtheits- bzw. eines unbedingten Realitätserlebnisses, die hier ihrerseits am Verhältnis des zuvor bereitgestellten Begriffspaares von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ gewonnen ist.⁸¹ In Aufnahme des zu Vorlesungsbeginn formulierten Anspruchs, Religion als eine notwendige Funktion im Bewusstseinsaufbau aufzuweisen,⁸² arbeitet die 10. Stunde nachfolgend die These aus, dass ein a-religiöses Bewusstsein schlechterdings
Vgl. die dortige Rede vom ‚Inhalt‘ als dem „Gegenständliche[n] in seinem einfachen Sosein“ (GW IX, 20). Vgl. die einschlägige intentionalitätstheoretische Definition des religiösen Bewusstseins, der zufolge „die religiösen Inhalte ‚Vertretungen‘ des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten sind“ (EW XI, 131; kursiv L. H.); vgl. unten II.3.2 c). EW XII, 398 – 420.Wir konzentrieren uns entsprechend im Wesentlichen auf diesen Ausschnitt der Religionsphilosophie-Vorlesung. Für eine mehr an der geschichtsphilosophischen Konstruktion orientierte Interpretation der Vorlesung vgl. Christian Danz, „‚Alle Linien gipfeln in der Religion des Paradox‘. Tillichs religionsgeschichtliche Konstruktion der Religionsphilosophie“, in: ders./Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft, 215 – 231. Vgl. EW XII, 399 ff., bes. 401 f.; vgl. unten II.3.1 c). Vgl. ebd., 344 f.354.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
undenkbar ist: Da die Realitätsdimension notwendiger Bestandteil jenes Aufbaus ist, ist Religion im Sinne Tillichs ein konstitutives Moment einer jeden Bewusstseinsgestalt.⁸³ Die 11. Stunde nimmt sich unter anderem einem Einwand an, der sich im Anschluss ergeben muss: Wie lässt sich angesichts der behaupteten konstitutiven Bewusstseinsdimension des Religiösen die Möglichkeit eines – empirisch unleugbar begegnenden – a-religiösen Selbstverständnisses erklären? Übersetzt in die Logik des ‚Form/Gehalt‘-Schemas stellt sich die Frage, wie ob des konstitutiven Bezuges der Form auf den unbedingten Gehalt zu denken ist, dass das formende Bewusstsein dieser seiner Gehaltsbezogenheit nicht gewahr werden kann. In diesem Zusammenhang entwickelt Tillich nun den Gedanken einer „Unbedingtheit der Form“, der eben eine systematisch bedeutsame Ausdifferenzierung des Formbegriffs erlaubt. ⁸⁴ Die 12.Vorlesungsstunde nimmt sich schließlich eigens der Frage der „Realität des religiösen Erlebens“⁸⁵ an und präfiguriert in diesem Zuge eine Ausdifferenzierung des Gehaltsgedankens. Wir nehmen uns zunächst des Gedankens einer ‚unbedingten Form‘ an und gehen dann der angedachten Differenzierung des Gehaltsbegriffs nach. Der Gedanke einer ‚Unbedingtheit der Form‘ ist erstmals 1920 formuliert, er begegnet weder im Hirsch-Briefwechsel noch im Kulturtheologie-Aufsatz. Wir haben es mithin mit einer signifikanten systematischen Weiterentwicklung der ersten sinntheoretischen Anfänge zu tun. Neben der Religionsphilosophie-Vorlesung findet sich der Gedanke ebenfalls in drei weiteren, seinerzeit unveröffentlichten Skizzen: in Religion und Kultur, Religion und Erneuerung sowie Religiöser Sozialismus. ⁸⁶ Genauer scheint Tillich ihn gegen Jahresmitte 1920 gefasst zu haben, wohingegen die endgültige terminologische Fixierung erst gegen Jahresende erfolgt sein dürfte. Erst zum Vorlesungsende hin ist nämlich tatsächlich von einer „unbedingten Form“⁸⁷ die Rede und damit also jener Terminus technicus gefun-
Vgl. das Fazit der betreffenden 10.Vorlesungsstunde: „Es ist also das Lebensgefühl […] immer und notwendig getragen von der Funktion der Unbedingtheit, in der man die funktionelle Grundlegung der religiösen Sphäre erkannt hatte. Und es kann darum gesagt werden: […] es gibt keine A-Religion; denn es gibt keine geistige Existenzmöglichkeit ohne unbedingte Realitätsbeziehung.“ (ebd., 404). Ebd., 405; kursiv L. H. Daneben widmet sich die 11.Vorlesungsstunde der Frage, „[w]ie […] das Unbedingtheitserlebnis innerhalb des Bedingten, das Realitätserlebnis innerhalb der Form zum Ausdruck [kommt]“ (ebd.). In diesem Zusammenhang wird nicht zuletzt der Symbolgedanke thematisch – vgl. ebd., 409 –, der hier eine seiner werkgeschichtlich frühesten positiven Würdigungen erfährt; vgl. unten III.1 b). Ebd., 413. EW X, 275 – 281; ebd., 282– 292; ebd., 303 f. EW XII, 528 (29. Stunde) bzw. ebd., 545.547 (32. Stunde); kursiv L. H.
II.2 Die Theorie des Sinns
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den, den Tillich perspektivisch verwenden wird.⁸⁸ Als solcher begegnet er dann gleich zu Jahresbeginn 1921 in der Veröffentlichung Masse und Religion wieder,⁸⁹ um letztendlich im ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie eine tragende Rolle einzunehmen.⁹⁰ Eingeführt ist jener Gedanke einer Unbedingtheitsdimension der Form hingegen bereits im Sommer 1920, wenn es im Rahmen der ReligionsphilosophieVorlesung zu Beginn der 11. Vorlesungsstunde heißt: „Unter Unbedingtheit der Form ist zu verstehen die unbedingte Gültigkeit der praktischen und theoretischen Werte, also die reine Form des Denkens, deren Symbol der Satz a = a ist, und die reine Form des Handelns, deren Symbol der kategorische Imperativ ist.“⁹¹ Gemäß dieser Zugangsdefinition macht sich die fragliche Unbedingtheit prinzipiell am Aspekt der Gültigkeit bzw. des Geltens der Form fest. Im Hintergrund dieser Zusammenstellung von Form- und Gültigkeitsgedanken mögen entsprechende Überlegungen im südwestdeutschen Neukantianismus stehen, etwa bei Heinrich Rickert oder Emil Lask.⁹² Weiterhin legt jene Zugangsdefinition prima facie nahe,
Da der Terminus technicus der ‚unbedingten Form‘ in den drei genannten Skizzen gleichfalls Verwendung findet – vgl. EW X, 277.280.289.304 –, lassen sich diese im Umkehrschluss sehr wahrscheinlich auf das Jahresende 1920 datieren. Vgl. MW 3, 76. Die erstmals im Januar 1921 in den Blättern für Religiösen Sozialismus erschienene Studie Masse und Religion ging dann in die 1922 veröffentlichte Sammlung Masse und Geist. Studien zur Philosophie der Masse ein. Vgl. unten II.2.2 c). EW XII, 405. Der Symbolbegriff ist hier noch unterminologisch im mehr allgemeinen Sinne von ‚Ausdruck‘ verwendet, ohne dass die späteren, für Tillichs Symbolkonzeption spezifischen Näherbestimmungen mitgeführt wären. Der südwestdeutsche Neukantianismus hat sich bekanntlich in besonderer Weise um die philosophische Explikation des Geltungsgedankens verdient gemacht; vgl. Lutz Herrschaft, Theoretische Geltung. Zur Geschichte eines philosophischen Paradigmas (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1995); Tomasz Kubalica, Wahrheit, Geltung und Wert. Die Wahrheitstheorie der Badischen Schule des Neukantianismus (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2011). Die Rückführung des Geltungsmomentes von Sinn auf dessen Formaspekt ist beispielsweise in Rickerts Aufsatz Über logische und ethische Geltung formuliert: Der Formbegriff bezeichnet demnach das „theoretische Geltungs-Moment […], durch welches der für sich logisch indifferente Inhalt in die logische Sphäre gehoben, also zum logisch gültigen Sinngebilde erst gemacht wird“ (Heinrich Rickert, „Über logische und ethische Geltung“, Kant-Studien 19 (1914), 182– 221, 185). Rickert scheint auf den systematischen Zusammenhang von Form- und Gültigkeitsgedanken seinerseits erst durch Emil Lask aufmerksam geworden zu sein – in dem 1909 erschienenen Aufsatz Zwei Wege der Erkenntnistheorie fehlt die entsprechende Verbindung etwa noch. Lask hatte sie hingegen dann 1911 in der Schrift Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre postuliert: „Nur die Form, nicht aber das ganze Sinngefüge, darf man […] als ein Geltungsartiges ansehen“ (Emil Lask, Die Logik der Philosophie und die Kategorienlehre. Eine Studie über den Herrschaftsbereich der logischen Form [Tübingen: J. C. B. Mohr, 1911], 34). Tillich dürfte die Verbindung von Form- und
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dass Tillich eine werttheoretische Explikation des Geltungsmomentes vorschwebt. Allerdings verzichtet er nachfolgend sowohl im unmittelbaren Kontext als auch in der späteren religionsgeschichtlichen Durchführung ganz weitestgehend auf den Wertbegriff ⁹³ – wodurch sich die Frage alternativer Reformulierungsmöglichkeiten jenes Geltungsmomentes der Form stellt. Hier ist nun der Verweis auf den Charakter der reinen Formalität des logischen und ethischen „Normbewußtsein[s]“ bzw. „Geltungsbewußtsein[s]“ entscheidend.⁹⁴ Damit ist einmal eine strikte Allgemeinheit der Form gemeint: Wo immer Bewusstsein im Theoretischen oder Praktischen tätig ist, fungiert die eigene reine Form als – mit einer Formulierung aus der Skizze Religion und Kultur – „Formprincip“⁹⁵ der betreffenden Tätigkeit. Die Unbedingtheit der Form zeigt sich eben darin, dass sie – wieder mit der Religionsphilosophie-Vorlesung – gänzlich „unabhängig [ist] von jedem Inhalt, von jedem menschlichen Träger und jeder Sache, auf die sie sich beziehen müsste[ ], daß sowohl das logische wie das ethische Normbewußtsein […] gültig sind, auch wenn keine Welt ist, für die sie real gelten. Sie würden dann eben ideal gelten für jede mögliche Welt; denn sie sind die Konstituentien einer Welt.“⁹⁶ Die strikte Allgemeinheit der Form gründet mithin in ihrer Apriorizität. Der normative Charakter im eigentlichen Sinne besteht darin, dass das logische Identitätsprinzip und der kategorische Imperativ nicht nur jeder Bewusstseinstätigkeit als apriorische Prinzipien vorausliegen, sondern dass sie diese zudem als Norm orientieren: „Alle Formen“ – so im Entwurf Religion und Erneuerung – „bewegen sich zu der unbedingten“.⁹⁷ Der Doppelcharakter als Telos wie als normativer Maßstab ist wiederum in der Skizze Religion und Kultur nochmals klarer formuliert: „Jeder kulturelle Akt erstrebt in seiner Sphäre Unbedingtheit der Form, sei es theoretische Wahrheit, sei es praktische Gültigkeit; er
Geltungsgedanken eher über Rickert als über Lask rezipiert haben.Während er nämlich auf Rickert in der Religionsphilosophie-Vorlesung und deren Kontext mehrfach ausdrücklich Bezug nimmt – vgl. EW XII, 261.349.579 –, fehlt jeder Hinweis auf Lask. Dessen frühere Nennung im HirschBriefwechsel ist demgegenüber wenig spezifisch; vgl. EW VI, 99; vgl. zum betreffenden problemgeschichtlichen Konnex auch Ulrich Barth, „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 89 – 123, bes. 110 – 121. Ausnahmen sind der Gedanke einer Zweiwertigkeit der Wertsphäre – vgl. EW XII, 470 f. – sowie die Zusammenfassung zur ‚Religion des Paradox‘, die sich recht frei des Wertbegriffs bedient; vgl. ebd., 524. Zum Begriff des ‚Norm-‘ bzw. ‚Geltungsbewusstseins‘ vgl. ebd., 405 bzw. ebd., 406. EW X, 277. EW XII, 405. EW X, 289.
II.2 Die Theorie des Sinns
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stellt sich unter das Gericht einer absoluten Idee, einer unbedingten Form“.⁹⁸ Hinsichtlich der rein formalen Aspekte der strikten Allgemeinheit und Apriorizität sowie der einhergehenden Normativität sind logisches und ethisches, theoretisches und praktisches Formprinzip strukturanalog – es gibt für das ‚Denken‘ somit im Letzten lediglich „ein unbedingtes Formprincip“,⁹⁹ für das dann ab Jahresende 1920 der Begriff der ‚unbedingten Form‘ einsteht. Diese stellt für das Bewusstsein auch in ihrer Apriorizität und ihrem normativen Charakter keine gleichsam von außen herantretende Größe dar, sondern ist vielmehr eben als „seine Form, Form des Denkens“ verstanden.¹⁰⁰ Treten wir einen Schritt zurück, dann lassen sich mit Blick auf den nunmehr etablierten und perspektivisch zentralen Gedanken einer ‚Unbedingtheit der Form‘ bzw. der ‚unbedingten Form‘ zwei Gesichtspunkte festhalten. Einmal handelt es sich insofern tatsächlich um ein erst 1920 eingeführtes Theorieelement, als gerade der Kulturtheologie-Aufsatz kein ausdrücklich als solches benanntes systematisches Äquivalent kannte. Dort begegnete der Formbegriff noch ohne nähere Spezifikation in Gestalt der ‚Form‘ bzw. ‚Formen‘. Gleichzeitig weisen die beiden zentralen Explikationsfiguren – also das Identitätsprinzip und der kategorische Imperativ – weit ins Frühwerk zurück: Erinnert sei nur an die Kasseler Thesenreihe, in der der Identitätsgedanke als übergreifendes erkenntnistheoretisches Prinzip fungierte, oder die nochmals früher datierende Seminararbeit zu Fichtes Religionsphilosophie, in der der Autonomiegedanke eben am kategorischen Imperativ festgemacht worden war.¹⁰¹ Genau diese Überlegungen hatten wir aber bereits im Hintergrund des im Kulturtheologie-Aufsatz formulierten Formbegriffs ausmachen können. Entsprechend wird man differenzieren müssen: Der Gedanke einer Unbedingtheitsdimension der Form scheint systematisch von langer Hand angelegt, sodass sogar eine untergründige Präsenz bei jener ersten Ausformulierung des ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schemas im Rahmen des Aufsatzes vermutet werden kann. Nichtsdestoweniger gilt: Ausdrückliche thematische Auseinandersetzung, terminologische Fixierung und in der Folge gedankliche Ausarbeitung der Figur einer ‚unbedingten Form‘ setzen erst mit dem Jahr 1920 ein. Diesbezüglich bedeutet die Religionsphilosophie-Vorlesung einen merklichen Überschritt über den Aufsatz und mithin über die Anfänge der Sinntheorie. Dieser Überschritt lässt sich zudem an einem zweiten Gesichtspunkt festmachen. Bereits mit Blick auf die ersten Konturen einer ausgeführten Sinntheorie
Ebd., 277. EW XII, 405. Zum Begriff des ‚Denkens‘ vgl. unten II.3.1 c). Ebd., 406. Vgl. oben I.1 d) und II.2.1 b).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
im Rahmen der Religion und Kultur-Vorlesung hatten wir festgehalten, dass Tillich ein systematisches Bindeglied zwischen dem absoluten Sinngehalt und den bedingten Sinnformungen zu etablieren sucht. Allerdings war dort weder ein fester Terminus für jenes Bindeglied gefunden noch dessen kategorialer Status hinreichend geklärt.¹⁰² In die dort angedachte systematische Zwischenstellung rückt mit der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1920 die ‚unbedingte Form‘ ein. Dabei bleibt zwar deren kategorialer Status vorerst weiter ungeklärt. Einerseits kann Tillich, ganz im Sinne der schon terminologisch offenkundig mit dem Gedanken einer ‚Unbedingtheit der Form‘ verbundenen Ausgangsintention, ausdrücklich konstatieren: „[D]ie Form ist ja in sich selbst unbedingt.“¹⁰³ Andererseits soll aber auch gelten: „[I]m Denken selbst“ – und somit gewissermaßen ‚in‘ der Form¹⁰⁴ – „gibt es nichts Unbedingtes.“¹⁰⁵ Die zuvor beobachtete Gegenläufigkeit ist mit der Religionsphilosophie-Vorlesung also keineswegs gehoben. Gleichwohl ist sie jetzt eben terminologisch fixiert: Fortan kann sich die Frage nach dem kategorialen Status des betreffenden Bindeglieds ganz auf die Frage nach dem Status der ‚unbedingten Form‘ fokussieren. Die fragliche Unbedingtheit lässt sich im Sinne unserer vorangegangenen Überlegungen nun genauer als a priori der Sinnformungsprozesse verstehen. Die Interpretation der Unbedingtheit als Apriorizität der Form hat nicht zuletzt den Vorteil, jene Äquivokation im Unbedingtheitsbegriff zu entschärfen, die mit dem Begriff der ‚unbedingten Form‘ unweigerlich gegeben ist: In der Folge kennt Tillich neben dem für seine religionsphilosophische Theoriebildung gleichsam den Eckstein abgebenden Gedanken des ‚unbedingten Gehalts‘ den einer ‚unbedingten Form‘ – ohne dass vorderhand deutlich wäre, wie die beiden Unbedingtheitsprädikationen einander zuzuordnen sind. Das Motiv jener äquivoken Verwendung des Unbedingtheitsbegriffs ist ersichtlich ein religionstheoretisches. Es wird deutlich, wenn wir zum Formgedanken nun den des Gehaltes hinzunehmen, wie Tillich selbst es im Rahmen der 11. Vorlesungsstunde im nächsten Schritt tut. Genau ob der skizzierten Spannung zwischen unbedingtem und bedingtem Status soll dem unbedingten Formprinzip eine Scharnierfunktion zwischen ‚Denken‘ und ‚Sein‘, formender Bewusstseinstätigkeit und unbedingter Gehaltsdimension ebendieser Tätigkeit zukommen können. Die spätere ‚unbedingte Form‘ ist demnach als ein „Vermittelndes zwischen Sein und
Vgl. oben II.2.2 a). Ebd., 418; vgl. auch die Rede von einer „Unbedingtheit der inneren Form“ (ebd., 406). Der unmittelbare Konnex von ‚Form‘ und ‚Denken‘ steht in der Religionsphilosophie-Vorlesung fest: „Nun ist aber das Denken Form und nichts als Form.“ (ebd., 407) bzw. „Das Denken existiert als Denken in der Form und nur in der Form.“ (ebd., 534). Die Belege ließen sich leicht vermehren. Ebd., 406.
II.2 Die Theorie des Sinns
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Denken“ konzipiert. Sie bezeichnet zwar die „eigne Form des Denkens“, doch so, dass das Denken sie nicht selbst setzt, sondern vielmehr „in, mit und unter ihr gesetzt ist“ – und auf diese Weise an das andere ihrer selbst, das „Fremde, von ihr nicht gesetzte“ verwiesen wird, wofür der Seins- bzw. Gehaltsbegriff einsteht.¹⁰⁶ Der Gedankengang lässt sich wie folgt paraphrasieren: Die ‚Unbedingtheit‘ – besser Apriorizität – ist den formenden Bewusstseinsvollzügen insofern nicht äußerlich, als ausschließlich das formale Prinzip dieser Vollzüge erfasst und im Gedanken einer ‚unbedingten Form‘ verdichtet ist. So steht das Denken in seinem Vollzug formaliter allein unter dem Gesetz der Identität bzw. des kategorischen Imperativs. Diese sind aber jenem Vollzug eben zugleich vorgegeben – für Tillich ein Indikator dafür, dass zum formalen ein materiales Moment tritt. Dieserart wird „[d]urch die Unbedingtheit der inneren Form […] dem Denken seine Verhaftetheit an das Sein, an das ihm Fremde, von ihm nicht Gesetzte, Unbedingte offenbar“.¹⁰⁷ Dass diesem ‚Fremden‘ seinerseits der Status der Unbedingtheit zugesprochen werden muss, ist hier noch mehr thetisch behauptet denn begründet. Der Überschritt scheint gleichwohl just am Unbedingtheitscharakter des Denkens festgemacht – ausformuliert ist das betreffende Argument in der gedruckten Religionsphilosophie, weswegen wir es im gegenwärtigen Zusammenhang zurückstellen können.¹⁰⁸ Festhalten lässt sich, dass der ‚unbedingten Form‘ mit ihrer Etablierung umgehend eine zentrale religionstheoretische Funktion zugedacht ist, nämlich die der Vermittlung zwischen der rein formalen Bewusstseinstätigkeit und deren Inhalts- bzw. Gehaltsbezogenheit. Die Vermittlungs- bzw. Überführungsfunktion dient Tillich nicht zuletzt dazu, eine religiöse Qualität des Formgedankens zu behaupten. So definiert sich mit der ‚ethischen‘ eine der Linien der späteren, auf die Entwicklung des formal-kategorialen Religionsbegriffs folgenden religionsgeschichtlichen Konstruktion darüber, dass in ihrem Fall die Gehaltsbezogenheit als „Unbedingtheit des Geltens der Form“ erlebt werde.¹⁰⁹ Entscheidend ist, dass der Überschritt zum unbedingten Gehalt keineswegs notwendig erfolgt.Vielmehr gilt, jetzt wieder im Gedankengang der 11. Vorlesungsstunde: „Es ist also die religiöse Beziehung hier nicht als religiöse vorhanden. Sie ist eingefaltet, sie kann reflektiert werden, aber sie ist nicht hervorgetreten. Es ist kein unmittelbares religiöses Erlebnis, das da ist. […] Darum ist das Verweilen in dieser formalen Unbedingtheit des Denkens zwar ein unbe-
Ebd. Ebd. Vgl. unten II.2.2 c). Ebd., 522; vgl. auch ebd., 453 f.460.497, sowie den entsprechenden Vorverweis auf ebd., 406; zur Darstellung der ‚ethischen Religion‘ insgesamt vgl. ebd., 461– 478.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
wußtes, aber kein bewußtes Verweilen in der religiösen Sphäre.“¹¹⁰ Demnach kann das Bewusstsein seine Unbedingtheitsdimension in zweifacher Weise auslegen: Es kann bei der rein formalen Unbedingtheit der eigenen Vollzüge stehen bleiben, und also unbewusst religiös bleiben. Oder es kann jene formale Unbedingtheit als Ausdruck einer Beziehung auf den unbedingten Gehalt deuten, und also zur bewussten Religion übergehen.¹¹¹ Diese Differenzierung gibt Tillich nun auch die Antwort auf die Ausgangsfrage an die Hand, wie ob des seiner Grundkonstruktion zufolge konstitutiven Bezuges auf den Gehalt eigentlich ein a-religiöses Selbstverständnis zu erklären ist: Dann, wenn das Denken in der rein formalen Unbedingtheit „sein volles Genüge“ findet.¹¹² Freilich ist diese Lösung nicht ohne Schwierigkeiten. Sie lassen sich am Beispiel der religionsgeschichtlichen Konstruktion aufzeigen: Handelt es sich bei jenem ‚ethischen‘ Religionstyp allein um eine Deutungskategorie des Religionsphilosophen, der einer rein im Medium der Form verbleibenden Bewusstseinsformation vom externen Standpunkt aus eine implizite Religiosität ‚reflektierend‘ zudeutet? Oder entspricht dieser Fremddeutung ein – religiöses – Selbstverständnis der auf jener Linie verorteten Frömmigkeitstypen selbst? Tillichs Position ist hier uneindeutig. So scheint es vorläufig angemessen, vorsichtiger von einer religiösen Valenz eines auf die unbedingte Form bezogenen Sinnaufbaus zu sprechen und die nähere Klärung der Frage bis zur Rekonstruktion der Sinntheorie des Systems der Wissenschaften und der gedruckten Religionsphilosophie zurückzustellen. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist darüber hinaus vor allem eine Ausdifferenzierung im Gehaltsgedanken zu bedenken, die das systematische Pendant jener religionstheoretischen Aufladung des Formbegriffs darstellt. Die Unterscheidung von unbewusster und bewusster Religion lässt sich demnach auch in Gestalt zweier ‚Realisierungsmodi‘ des Gehaltes reformulieren. So konstatiert Tillich im Rahmen der den Gedankenbogen beschließenden 12.Vorlesungsstunde: Es ist ja zweifellos, daß der gesamte Natur- und Geistesproceß den absoluten Gehalt zur Form und damit zur Existenz bringt; in der Natur wie im logischen, ethischen, ästhetischen Be-
Ebd., 406; kursiv i. O. Die Differenzierung nimmt in gewisser Weise eine Unterscheidung aus dem Hirsch-Briefwechsel auf und vertieft sie vermittels des ‚Form/Gehalt‘-Schemas. Schon dort fand sich die These: „Unbewußt ist jeder religiös, bewußt der Fromme“, ohne dass der betreffende Gedanke seinerzeit bereits weiter ausgeführt wäre; vgl. EW VI, 125 mit ebd., 104; vgl. oben II.1 b). EW XII, 431.
II.2 Die Theorie des Sinns
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wußtsein wird fortwährend Gehalt realisiert. […] Aber es ist hier eben so, daß der Gehalt nur in der Form realisiert ist, daß er nicht als solcher, nicht als religiöser zu Bewußtsein kommt.¹¹³
Auch das logische, ethische etc. Bewusstsein realisiert Gehalt in der Form und baut demnach Sinn auf. Dabei liegt der unbedingte Gehalt jedoch dem Sinnaufbau unbewusst, gewissermaßen substanziell zugrunde. Dieses Verständnis des Gehaltsgedankens nimmt insofern das des Kulturtheologie-Aufsatzes auf, als er dort ausdrücklich als „geistige Substantialität“ bzw. „geistige Substanz“ bezeichnet werden konnte.¹¹⁴ Die These einer ‚unbewusst‘ religiösen Realisierung des Gehaltes muss aber, da der Vorgang der Realisierung für sich genommen rein kulturell, nämlich als allein auf die ‚unbedingte Form‘ bezogen bestimmt ist, nun notwendig den unbedingten Gehalt als seinerseits ‚an sich selbst‘ religiös qualifiziert denken, um den betreffenden Sinnaufbau insgesamt dem Typus einer – wenngleich impliziten – Religion zuordnen zu können. Entsprechend kann Tillich tatsächlich wiederholt einen „religiösen Gehalt“ konstatieren und somit den Gehaltsgedanken als solchen religiös konnotieren.¹¹⁵ Im beschriebenen Sinne lässt sich hier ein ‚substantialistischer‘ Gehaltsbegriff festhalten. Andersherum kann Tillich allerdings im Rahmen jener 12. Vorlesungsstunde ebenfalls unterstreichen, dass „der absolute Gehalt nirgends anders zur Existenz kommt als in der religiösen Gehaltserfassung“¹¹⁶ – mithin einer bewussten ‚Erfassung‘ des Gehaltes, die sich selbst als religiöse versteht. Diesseits seiner bewussten Realisierung, also einem bewusst nach Form und Gehalt differenzierenden Sinnaufbau, lässt sich nicht von Religion sprechen. Religions- wie Gehaltsbegriff werden nach diesem Verständnis konstitutiv an eine mentale Einstellung rückgebunden.¹¹⁷ Demgemäß kann von einem ‚bewusstseinstheoretischen‘ Gehaltsbegriff gesprochen werden. Somit liegen bei Tillich bei näherem Zusehen zwei unterschiedliche Modelle für die Fassung des Gehaltsgedankens und damit verbunden zwei unterschiedliche Religionsbegriffe vor: Einmal ein mehr substanzielles, in dem der Gehalt als gleichsam metaphysisches, seinerseits religiöses Substrat der Form gedacht ist. Wir hatten dieses Modell – prominent bereits im Kulturtheologie-Aufsatz formuliert – in die Tradition der Kant’schen Logik der Reflexionsbegriffe eingestellt und jenes metaphysische Substrat im Sinne eines absoluten ‚Woraus‘ der Form interpre-
Ebd., 417. GW IX, 20 bzw. ebd., 29; vgl. oben II.2.1 c). Ebd., 20 u.ö. EW XII, 416; kursiv L. H. Vgl. auch ebd.: „Das Heilige selbst kommt zur Existenz im religiösen Akt und nur in ihm.“; kursiv L. H.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
tiert.¹¹⁸ Obwohl dieserart die Möglichkeit einer kritischen Rückbindung an die Form gewonnen war, bleibt der tendenziell substanzontologische Charakter des Modells bestehen. Daneben etabliert Tillich nun jedoch sukzessive ein zweites Modell, mit dem der Gehalt als mentales Korrelat eines spezifisch religiösen Aktes gefasst wird. Diese Fassung entspricht dem in der Religion und Kultur-Vorlesung beobachteten Interesse an einer prinzipiellen Relationalisierung und Dynamisierung, für die nicht zuletzt die Wahl des Sinnbegriffs als eines systemorganisierenden Leitgedankens einsteht:¹¹⁹ Jenseits seiner ‚Realisierung‘ – so der diesbezüglich in den frühen 1920er Jahren dominierende Terminus technicus –, jenseits seiner mentalen Formung, jenseits seiner Individuation in einem Bewusstseinsinhalt bleibt der Gehaltsgedanke leer. Das substanzielle Verständnis tritt zugunsten eines strikt relationalen zurück.¹²⁰ Das unvermittelte Nebeneinander der beiden gedanklichen Fassungen des Gehalts lässt sich zusammenfassend an der 1922 erschienenen Studie Masse und Geist illustrieren, die mehrere kleinere Texte versammelte. Erneut kann Tillich den Gehaltsgedanken, wenn auch im historischen Referat, als „substantiell“ näher bestimmen.¹²¹ Dieses interessanterweise als cum grano salis „katholisch“¹²² gekennzeichnete Verständnis macht er sich insofern zu eigen, als es gerade die Ausführungen von Masse und Religion untergründig zu bestimmen scheint. In dem ebenfalls in Masse und Geist eingegangen Text Masse und Persönlichkeit heißt es hingegen: „Der Gehalt ist eine letzte Einstellung zur Wirklichkeit, ein unmittelbares Lebens- und Weltgefühl, ein Erfahren des Unbedingt-Wirklichen, das allem Sinn, Grund und Halt ist und selbst […] die Bedeutung, die Substanz, die Kraft jeder Form ist.“¹²³ Nochmals ist der Gehalt als gleichsam metaphysisches Substrat gedacht. Zugleich ist er jedoch ersichtlich zurückgebunden an eine mentale Einstellung – zum Ausdruck gebracht durch die Termini der ‚Einstellung‘, des ‚Gefühls‘ und des ‚Erfahrens‘ – und stellt so ausdrücklich deren Korrelat dar. Beide Fassungen finden sich perspektivisch bei Tillich. Allerdings wird die strikt relationale, ‚bewusstseinstheoretische‘ Fassung des Gehaltsgedankens mit dem Vgl. oben II.2.1 c). Vgl. oben II.2.2 a). In diesem Zusammenhang kann Tillich nun etwa auch gegenüber Schellings spekulativer Konstruktion des religionsgeschichtlichen Prozesses deutliche Kritik artikulieren: „Die Konstruktion ist in dieser Form natürlich rundweg abzulehnen.“ (ebd.). Demgegenüber ist einmal mehr die Notwendigkeit des Realisationsaspektes in Sachen Religion unterstrichen; vgl. ebd., 417. Zur punktuellen Kritik an Schelling im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung vgl. weiterhin ebd., 393.427. MW 3, 76. Ebd. Ebd., 51; kursiv L. H.
II.2 Die Theorie des Sinns
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‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie – und hier wiederum zumal im Rahmen einer systematisch schlechterdings zentralen Passage – merklich in den Vordergrund treten.
c) Die ausgereifte Sinnkonzeption (1923) Lässt sich die Berliner Privatdozentenzeit 1919 bis 1924, beginnend mit dem Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur, als formative Phase von Tillichs Denken insgesamt begreifen, so stellt das ‚Doppelwerk‘ von 1923 in Gestalt des Systems der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden sowie der Religionsphilosophie seinerseits fraglos die intellektuelle Summe jener Phase dar.¹²⁴ Bereits die Zeitgenossen konnten gleichermaßen gedankliche Weite wie intellektuelle Schärfe der beiden Schriften würdigen, nicht ohne auf die daraus erstehenden Interpretationsschwierigkeiten hinzuweisen.¹²⁵ Tillich selbst sollte ihrem gesonderten Stellenwert etwa dadurch Rechnung tragen, dass er – unter dem Titel Frühe Hauptwerke – ihre Aufnahme in den ersten Band seiner Gesammelten Werke energisch betrieb und im dortigen ‚Vorwort‘ ihre bleibende Bedeutung für sein wissenschafts- und religionstheoretisches Denken hervorhob.¹²⁶ Das System der Wissenschaften und die Religionsphilosophie bezeichnen so in eins den Ertrag der vorangegangenen Denkbewegung wie die Basis des Kommenden.¹²⁷ Der be-
GW I, 109 – 293 bzw. ebd., 295 – 364; zur Datierung der erst 1925 im Druck erschienenen Religionsphilosophie auf das Jahr 1923 vgl. oben die Einleitung zu II.2. Vgl. exemplarisch die Eingangsworte Emanuel Hirschs im Rahmen seiner Rezension der Religionsphilosophie in der Theologischen Literaturzeitung: „P. Tillichs ‚System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden‘ […] – eine der reifsten Leistungen neuerer deutscher systematischer Philosophie – ist in unserer Zeitschrift nicht besprochen worden. Ohne meine Schuld – zwei nacheinander von mir betraute Rezensenten sind an der Schwierigkeit der Aufgabe zu schanden geworden. Auch T.s Abriß der Religionsphilosophie ist kein leicht zugängliches Buch. So krystallklar und sauber T.s Gedankenentwicklung ist, sie liegt doch im Elemente allerhöchster Abstraktion“ (Emanuel Hirsch, „Tillich, Prof. D. Dr. Paul: Religionsphilosophie“, ThLZ 51 [1926], 97– 103, 97); vgl. auch Kurt Leese, „Das System der Wissenschaften nach Gegenständen u. Methoden. Ein Entwurf. Von Paul Tillich“, ChW 40 (1926), 317– 325.371– 375, bes. 318. Vgl. das unpaginierte ‚Vorwort‘ in GW I; vgl. zudem den entsprechenden Bericht der Herausgeber in 2GW XIV, 21. Hirsch meint in beiden Schriften gar das „systematische Ergebnis fast zwanzigjähriger Arbeit“ erblicken zu können (Hirsch, „Religionsphilosophie“, 97). Obwohl dies zeitlich sehr weit ausgegriffen scheint, bedeutet das System der Wissenschaften tatsächlich den zweiten Versuch eines wissenschaftstheoretischen Entwurfes nach dem Grundlegungsteil der Systematischen Theologie von 1913. Zumal in dieser Hinsicht markiert das ‚Doppelwerk‘ einen von Tillich nachfolgend nicht mehr überbotenen oder aktualisierten Standard. Angesichts der werkgeschichtlichen Bedeutung des Systems der Wissenschaften nimmt sich die Literatur vergleichsweise über-
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
sondere Stellenwert des ‚Doppelwerkes‘ bestätigt sich auch mit Blick auf die Sinnkonzeption. Schon terminologisch lässt sich deren nochmaliger Ausbau greifen: Aus den vormaligen ‚Kulturfunktionen‘ des Kulturtheologie-Aufsatzes werden jetzt ‚Sinnfunktionen‘, das Begriffspaar ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ bezeichnet die ‚Elemente des Sinnes selbst‘ und wird nunmehr folgerichtig in Gestalt des ‚Sinngehaltes‘ und der ‚Sinnform(en)‘ diskutiert, die Geisteswissenschaften werden formal wie material als Sinnwissenschaften entwickelt – die Liste ließe sich leicht verlängern. Tillich systematisiert somit ersichtlich die vorangegangenen Überlegungen und arbeitet sie zu einer umfassenden Theorie des Sinns aus – das ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie kann so als sinntheoretisches Hauptwerk Tillichs gelten. Aus der thematisch weit ausgreifenden Sinntheorie wie auch dem umfangreichen Textbestand der beiden Schriften sticht eine Passage nochmals heraus: Unter der Überschrift ‚Die Sinnelemente und ihre Relationen‘¹²⁸ entfaltet Tillich das Verhältnis von ‚Sinnform‘, ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Sinngehalt‘ als den das Sinnbewusstsein konstituierenden Elementen. Der Geltungsanspruch des Entworfenen ist von größtmöglicher Reichweite, unterstrichen durch die Stellung im Rahmen der Religionsphilosophie, nämlich zum Eingang und mithin als Grundlegung der Wesensbestimmung der Religion. So gründet beispielsweise die berühmte Definition der Religion als „Richtung auf das Unbedingte“ unmittelbar in den dort vorgenommenen Bestimmungen.¹²⁹ Tatsächlich bezeichnet – so unsere These, die sich in der Darstellung bewähren wird – der auf kaum zwei Druckseiten entworfene Gedankengang ‚Die Sinnelemente und ihre Relationen‘ den höchsten Punkt Tillich’schen Denkens der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Die Passage selbst baut sich so auf,¹³⁰ dass nach einer hinleitenden Vorbemerkung zur engen Verschränkung von Sinn- und Geisttheorie (‚Jeder geistige Akt […]‘) der methodische Status der betreffenden Überlegungen bedacht ist (‚Darum ist die Lehre […]‘). Auf eine kurze, den Inhalt des Kommenden zusammenfassende Skizze (‚In jedem Sinnbewußtsein […]‘) folgt dann die eigentliche Gedankenentwicklung
schaubar aus; vgl. v. a. Paul Ziche, „Orientierungssuche im logischen Raum der Wissenschaften. Paul Tillichs System der Wissenschaften und die Wissenschaftssystematik um 1900“, in: Christian Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (Wien: Lit, 2004), 49 – 68; sowie die Beiträge in Christian Danz u. a. (Hg.), Theology and Natural Science (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2012); bes. Thorsten Moos, „Paul Tillichs Interpretation der Naturwissenschaften im ‚System der Wissenschaften‘ von 1923“, in: ebd., 1– 31. Vgl. GW I, 318 f. Ebd., 320; zu dieser Definition vgl. auch unten II.3.2 c). Vgl. zum Folgenden ebd., 318 f.
II.2 Die Theorie des Sinns
289
in drei Schritten (‚Das erste Sinnelement […]‘; ‚Aber das Weltbewußtsein […]‘; ‚Der Sinngehalt hat für […]‘). Aufgrund ihres exponierten systematischen Wertes soll die gedanklich wie sprachlich aufs Äußerste verdichtete Kernpassage ganz im Mittelpunkt unserer Rekonstruktion stehen. Die Fluchtlinien der ausgereiften Sinnkonzeption wie weitere sinntheoretisch einschlägige Texte kommen von hier aus in den Blick.¹³¹ Dabei orientiert sich unsere Darstellung ganz am Aufbau der Passage. Einleitend sei ein Aspekt hervorgehoben, der bereits aufschien. Schon im Bisherigen waren wir vielfach der konstitutiven Verbindung von Sinn und Geist bei Tillich ansichtig geworden. So war gleich im Zuge seiner ‚Entdeckung‘ des Sinnbegriffs im Hirsch-Briefwechsel just das „geistige[ ] Leben“ als „Leben im Sinn“ charakterisiert.¹³² Auch für die zwischen dem Briefwechsel und dem ‚Doppelwerk‘ liegenden Texte hatten wir wiederholt auf bewusstseins- und geisttheoretische Querbezüge hingewiesen.¹³³ Im System der Wissenschaften ist der Sinnbegriff jetzt folgerichtig primär dem des Geistes und der Geisteswissenschaften zugeordnet.¹³⁴ Neben die nunmehr ausgearbeitete Theorie des Sinns tritt so mit dem ‚Doppelwerk‘ eine solche des Geistes. Genau dieses gedankliche Mit- und Ineinander der beiden zentralen kategorialen Begriffsgrößen liegt unserer Kernpassage im Rücken. Tillich hebt dies noch hinleitend hervor: „Jeder geistige Akt ist ein Sinnakt […] immer ist Geist Sinnvollzug und das im Geist Gemeinte Sinnzusammenhang. Sinn ist das gemeinsame Merkmal und die letzte Einheit von theoretischer und praktischer Geistessphäre […] Die geistige Wirklichkeit, in der die geisttragende Gestalt lebt und schafft, ist Sinnwirklichkeit.“¹³⁵ ‚Sinn‘ und ‚Geist‘ bilden offensichtlich systematische Komplementäre: Sinn ist als umfassendes Medium des
Die Literatur zu Tillichs ausgereifter Sinnkonzeption ist einmal mehr Legion, ein Überblick findet sich bei Barth, „Grundlagen“, 94 Anm. 13; vgl. darüber hinaus v. a. Michael F. Palmer, Paul Tillich’s Philosophy of Art (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1984), 37– 52; Hannelore Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik. Die Vermittlung von Gott und Welt im Frühwerk Paul Tillichs (Berlin New York:Walter de Gruyter, 1989), 166 – 219; Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2000), 300 – 311.328 – 352; Barth, „Sinn“; Georg Raatz, „Kulturwissenschaft oder Sinnlehre? Zur Genese von Paul Tillichs wissenschaftssystematischem Begriff der Theologie zwischen 1917 und 1923“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Tillich und Nietzsche (Wien Berlin Münster: Lit, 2008), 141– 173; Claas Cordemann, „Religion und Kultur. Paul Tillichs religionsphilosophische Grundlegung einer Theologie der Kultur“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur, 94– 127. EW VI, 125; vgl. oben II.1 c). Vgl. oben II.2.1 a), II.2.2 a) und b). Vgl. allein den Aufriss des Wissenschaftssystems; vgl. GW I, 431– 434, bes. 433. Ebd., 318.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Geistes verstanden, wie Geist andersherum gewissermaßen das Subjekt im Umgang mit Sinn bezeichnet. Allein die Begrifflichkeit jener Vorbemerkung – ‚jeder‘, ‚immer‘ sowie der auf Totalität gehende Terminus der ‚Wirklichkeit‘ – indiziert dabei den Geltungsanspruch der nachfolgenden Reflexionen zum Aufbau des Sinnbewusstseins. Zieht man Tillichs Auskunft im Rahmen der Kernpassage selbst hinzu, gemäß der der Sinnbegriff auf keinen höheren Begriff mehr rückführbar sein soll,¹³⁶ dann wird deutlich, dass die Entwicklung der ‚Sinnelemente‘ – und also des Gefüges von Sinnform und Sinngehalt, entworfen in der Klammer des Geistgedankens – den Status einer absoluten Thesis im idealistischen Sinne beansprucht. Sinntheorie einerseits und Geisttheorie andererseits bilden so in der ersten Hälfte der 1920er Jahre nicht nur einen unauflöslichen Theorieverbund, sondern bedeuten zumal in ihrer wechselseitigen Verschränkung das systematische Zentrum und den gedanklich höchsten Punkt von Tillichs Theoriebildung insgesamt. Wenden wir uns vor diesem Hintergrund dem Duktus der Kernpassage zu, dann schließt sich an jene These der Verschränkung von Sinn und Geist der methodische Hinweis an, dass die anvisierte Entfaltung der Sinnelemente als „Analyse des Sinnes selbst“ verstanden sein will. Tillichs Anspruch ist es, die „im Sinne enthaltenen, ihm untergeordneten, immer gegenwärtigen Elemente jedes Sinnvollzuges metalogisch zu entwickeln“.¹³⁷ In einem ersten Zugriff lässt sich festhalten, dass das Nachfolgende eine analytische Aufschlüsselung der den Sinnaufbau konstituierenden Sinnelemente bietet. Dieser Umstand ist insofern hervorzuheben, als die Darstellung der Form der Denkbewegung nach an die klassischen Gottesbeweise erinnert. Tatsächlich sind hinsichtlich der betreffenden Überlegungen, und zwar zumal der Ansetzung eines ‚unbedingten Sinngehaltes‘, in der Forschung wiederholt Parallelen zum kosmologischen und ontologischen Beweis gezogen worden.¹³⁸ Tillich selbst ist hier vorsichtiger. Im System der Wissenschaften konstatiert er diesbezüglich: „Das Unbedingte kann nicht bewiesen, sondern nur aufgewiesen werden als der alle Sinnerfüllung fundierende Sinn.“¹³⁹ Vgl. ebd., 318: „[M]an kann nicht den Zweck verfolgen, den Begriff des Sinnes auf einen höheren Begriff zurückzuführen, da jeder höhere Begriff selbst wieder eine Setzung des Sinnes wäre“; vgl. allerdings die – mit Tillichs Begriff: ‚metalogische‘ – Entwicklung von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ aus der ‚konstitutiven Relation‘ von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ im Rahmen der ‚Allgemeinen Grundlegung‘ des Systems der Wissenschaften: „‚Denken‘ wird gleich ‚Form überhaupt‘ und ‚Sein‘ gleich ‚Gehalt überhaupt‘.“ (ebd., 123); zum Status des Begriffspaares ‚Denken/Sein‘ als einer ‚konstitutiven Relation‘ im Sinne Hans Wagners vgl. unten II.3.1 c). GW I, 318; kursiv L. H. Vgl. exemplarisch Dirk-Martin Grube, Unbegründbarkeit Gottes? Tillichs und Barths Erkenntnistheorien im Horizont der gegenwärtigen Philosophie (Marburg: Elwert, 1998), 26 u. ö. GW I, 253; kursiv L. H.
II.2 Die Theorie des Sinns
291
Ziel ist mithin kein Beweis, sondern lediglich ein Aufweis des unbedingten Sinngehaltes als eines für den Sinnaufbau konstitutiven Sinnelementes. Die Intention lässt sich noch an einer weiteren terminologischen Entscheidung greifen. Mit Blick auf den unbedingten Sinn spricht Tillich im Berliner ‚Doppelwerk‘ durchgängig von einem ‚Erfassen‘ desselben.¹⁴⁰ Gegenüber einem syllogistischen Schluss ist offenkundig an eine logische ‚weichere‘ Form gedacht.¹⁴¹ Freilich zeigt der ausdrückliche Verweis auf den ‚immer gegenwärtigen‘ Charakter der Sinnelemente, dass jener Aufweis bzw. jenes Erfassen andersherum nicht einfach ins Belieben gestellt sind: Die Verhältnisbestimmung von Sinnform, unbedingter Form und unbedingtem Sinngehalt formuliert die transzendentale Bedingung jeden Sinnaufbaus und hat somit den Status einer transzendentalen Systemprämisse. Die Verhältnisbestimmung steht zugleich in einer Klammer, die der erste Halbsatz der anschließenden eigentlichen Ausführungen artikuliert: „In jedem Sinnbewußtsein ist ein Dreifaches enthalten […].“¹⁴² Die Analyse der konstitutiven Elemente des Sinnaufbaus stellt sich demnach näherhin als eine solche des Sinnbewusstseins dar. Damit ist der geisttheoretische Rahmen der sinntheoretischen Bestimmungen klar markiert. Der betreffende Abschnitt visiert entsprechend weder einen Beweis des unbedingten Sinngehaltes noch eine logische Deduktion der Sinnelemente an. Vor allem aber ist – um die andernorts für die Theoriebildung der frühen 1920er Jahre benannte Alternative in Erinnerung zu rufen – hier an systematisch zentraler Stelle eine deutliche Option für die relationale, ‚bewusstseinstheoretische‘ Fassung des ‚Form/Gehalt‘-Schemas im Ganzen und somit in eins des Gehaltsgedankens genommen, wohingegen dessen substantialistisches Verständnis zurücktritt.¹⁴³ Genauer legt Tillich eine Elemententheorie des Sinnbewusstseins vor: Das darzulegende Spannungsverhältnis von Sinnform, unbedingter Form und unbedingtem Sinngehalt präfiguriert jeden mentalen Sinnaufbau, der folgende Dreischritt bezeichnet also nicht etwa eine Abfolge einander ablösender Bewusstseins‚typen‘.¹⁴⁴ Die späterhin explizierten Momente eines jeden Sinnbewusstseins sind dann vorab wie folgt skizziert:
Vgl. ebd., 253.278.320 ff. S.u. Ebd., 318; kursiv L. H. Zur Alternative von strikt relationaler ‚bewusstseinstheoretischer‘ und ‚substantialistischer‘ Fassung des Gehaltsgedankens vgl. oben II.2.2 b). Diesbezüglich knüpft Tillich also an seine frühe, in der Systematischen Theologie von 1913 entwickelte Elemententheorie – dort des Wahrheitsbewusstseins – an; vgl. oben I.2 b). Entscheidend ist diese Beobachtung beispielsweise für die in der Religionsphilosophie folgende Verhältnisbestimmung von Religions- und Kulturbegriff, die unmittelbar in der von Sinnform,
292
II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
[E]rstens, das Bewußtsein des Sinnzusammenhangs, in dem jeder einzelne Sinn steht und ohne den er sinnlos würde; zweitens, das Bewußtsein um die Sinnhaftigkeit des Sinnzusammenhangs und damit jedes einzelnen Sinnes, d. h. das Bewußtsein um einen unbedingten Sinn, der in allem Einzelsinn gegenwärtig ist; drittens, das Bewußtsein um eine Forderung, unter der jeder Einzelsinn steht, den unbedingten Sinn zu erfüllen.¹⁴⁵
Wir rekonstruieren jeden der drei Schritte für sich und nehmen jeweils den Ausgang beim vorstehenden Zitat. Das erste Moment – das ‚Bewusstsein des Sinnzusammenhangs, in dem jeder einzelne Sinn steht und ohne den er sinnlos würde‘ – nimmt ersichtlich das Kontextargument auf, das wir anhand der Religion und Kultur-Vorlesung als grundlegend für Tillichs Sinnkonzeption herausgearbeitet hatten.¹⁴⁶ Der Kontextualitätsgedanke fungiert mithin auch im Rahmen der ausgereiften Sinnkonzeption als wesentliches Grundelement. Besonders prägnant formuliert das der 1924 entstandene Aufsatz Kirche und Kultur: „Der einzelne Sinn, der erfahren und vollzogen wird, steht immer mit anderen in Beziehung; ohne diesen wäre er sinnloser Aphorismus. Sinn ist immer Sinnzusammenhang.“¹⁴⁷ Bedeutung baut sich demnach generell über Bedeutungszusammenhänge auf. Dieser Prozess ist in der Logik des Kontextualitätsgedankens prinzipiell ins Unendliche iterierbar: Jeder größere Sinnzusammenhang lässt sich seinerseits nochmals in einen übergreifenden Kontext einstellen etc. Über seine Kontexte stellt das Sinnbewusstsein also jeden Einzelsinn letztlich in einen unendlichen Verweisungszusammenhang: „dem Sinne nach [hat] jeder Sinnzusammenhang unendliche Beziehungen“.¹⁴⁸ Diese Kontextualisierungsbewegung, die in ihrem regressiven Verfahren an die Reflexionsbewegung des traditionellen kosmologischen Gottesbeweises er-
unbedingter Form und unbedingtem Sinngehalt gründet: religiöse und kulturelle Bewusstseinsform erscheinen so nicht als strikte Alternativen, sondern als Elemente eines jeden Sinnbewusstseins. Zur Unterscheidung von Elementen- und Typentheorie des Bewusstseins vgl. Ulrich Barth, Christentum und Selbstbewußtsein. Versuch einer rationalen Rekonstruktion des systematischen Zusammenhanges von Schleiermachers subjektivitätstheoretischer Deutung der christlichen Religion (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1983), 42 ff. GW I, 318. Vgl. oben II.2.2 a). GW IX, 34; kursiv L. H.; vgl. darüber hinaus im System der Wissenschaften etwa GW I, 244: „Sinn steht mit Sinn in einem Zusammenhang des Sinns.“ GW I, 216.
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innert,¹⁴⁹ führt somit gleichsam aus sich heraus auf einen letzten, „allgemeinen Sinnzusammenhang“. Tatsächlich formuliert die nachfolgende Explikation des ersten Schrittes genau diesen Gedanken und präzisiert ihn zugleich: „Das erste Sinnelement also ist das in jedem Sinnakt gegebene Bewußtsein um einen allgemeinen Sinnzusammenhang, um die Totalität, um die ‚Welt‘.“¹⁵⁰ Der fragliche ‚allgemeine Sinnzusammenhang‘, der seit den anfänglichen sinntheoretischen Überlegungen im Hirsch-Briefwechsel mitgeführte Totalitätsgedanke,¹⁵¹ ist hier mit dem der ‚Welt‘ identifiziert. Gegenüber dem Früheren ist der Status der betreffenden Totalität jetzt geklärt: Es handelt sich keineswegs um eine extensionale Größe, wie etwa noch die Bezeichnung als ‚Gesamtheit der Dinge‘ im Rahmen der Religion und Kultur-Vorlesung nahelegen konnte.¹⁵² Vielmehr wird er nun ausdrücklich der „idealen Sphäre“ zugerechnet.¹⁵³ Genauer hat der allgemeine Sinnzusammenhang erklärtermaßen den Status einer „Idee“, nämlich den der „Idee der Allheit“.¹⁵⁴ Tillich bietet ersichtlich eine sinntheoretische Reformulierung des traditionellen Weltgedankens. Gemäß dem regressiven bzw. – präziser – sukzessive erweiternden Verfahren, vermittels dessen er gewonnen ist, handelt es sich der systematischen Funktion nach um einen Abschlussgedanken: Die regressive Bewegung einer zunehmenden Aufstockung von Bedeutungskontexten lässt sich bei näherem Zusehen genauer als eine peu à peu ausgreifende Perspektivenerweiterung verstehen. Für diesen Prozess fungiert der allgemeine Sinnzusammenhang als Abschlussgedanke. Seiner Bedeutung nach steht er für die Totalität allen Sinns und also die „vollendete Sinneinheit“ bzw. eine „Synthesis der Synthesen“.¹⁵⁵ Gemäß dieser primär einheitstheoretischen Bestimmung befasst der
Wir werden auf die Analogie wie den Unterschied der von Tillich entfalteten Sinnkonzeption im Vergleich zu den klassischen Gottesbeweisen noch im Überschritt zum zweiten Element des Sinnbewusstseins zu sprechen kommen, wenn eben der Gedanke eines ‚unbedingten Sinngehalts‘ in die Argumentation eingeführt wird. Ebd., 318 f. Die Passage „um die Unmöglichkeit eines geforderten Sinnes“ ist ausweislich der GW I anhängenden ‚Berichtigungen‘ ersatzlos zu streichen; vgl. ebd., 459. Vgl. EW VI, 125; vgl. oben II.1 c). Vgl. EW XII, 312 f.; vgl. oben II.2.2 a). Vgl. GW I, 222: „Der Sinnzusammenhang liegt […] in der idealen Sphäre.“ Vgl. ebd., 334: „Die absolute Synthesis ist […] unmittelbar betrachtet Einheit des Bedingten; als Einheit des Bedingten aber ist sie Welt. Die gleiche Idee kann also unmittelbare und symbolische […] Bedeutung haben“ bzw. EW X, 337: „Das centrale Symbol ist in beiden Fällen die Allheit. Denn nur die Idee der Allheit […]“; kursiv L. H. GW I, 334. Bereits im Rahmen der Kernpassage der Religionsphilosophie finden sich die Formulierungen einer „vollendeten Einheit“ bzw. eines „vollendete[n] Zusammenhang[s] alles Sinnes“ (ebd., 319).
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„universale[ ] Sinnzusammenhang“¹⁵⁶ als letzte Synthese alle überschrittenen Sinnkontexte in eins unter sich. Eine wesentliche Funktion jenes universalen Sinnzusammenhangs ist bislang noch nicht berührt. So heißt es an anderer Stelle im System der Wissenschaften: „[E]r hat den Charakter der Geltung […] Etwas einem Sinnzusammenhang einordnen heißt, es der Einheit der unbedingten Form unterwerfen.“¹⁵⁷ Der mit dem Geltungscharakter des universalen Sinnzusammenhangs bzw. der ‚unbedingten Form‘ – beide Termini sind im ‚Doppelwerk‘ mehrfach en passant miteinander identifiziert¹⁵⁸ – verbundene Gedanke einer „Forderung“ ist gleichfalls im weiteren Gedankengang jener zentralen Passage der Religionsphilosophie notiert. Er ist dort allerdings erst im Rahmen des dritten Schrittes formuliert und am Gedanken des ‚unbedingten Sinns‘, nicht dem der unbedingten Form, festgemacht.¹⁵⁹ Die terminologisch marginale Differenz bedeutet systematisch eine erhebliche Verschiebung: Der fragliche ‚unbedingte Sinn‘ ist im zwischengeschalteten zweiten Argumentationsschritt der Passage mit dem ‚unbedingten Sinngehalt‘ identifiziert und damit gerade als Gegenüber zur Form, und also auch zur unbedingten Form, etabliert. Die changierende systematische Verortung des ‚Gegenhaltes‘ der betreffenden Forderung – einmal in Gestalt der unbedingten Form, einmal in Gestalt des unbedingten Gehaltes – indiziert einen Klärungsbedarf in Tillichs Sinnkonzeption. Wir gehen zunächst der These eines Forderungscharakters des universalen Sinnzusammenhangs, und also einer am Formgedanken festgemachten Geltung, nach. Diese bezieht sich genauer auf den Gedanken der „unbedingten Form“, der im System der Wissenschaften und der gedruckten Religionsphilosophie gegenüber den diesbezüglichen Erstüberlegungen der Religionsphilosophie-Vorlesung ¹⁶⁰ merklich an Kontur und Gewicht gewinnt. Der Gültigkeitsaspekt der ‚unbedingten Form‘ lässt sich dabei als Forderung auf Einheit, genauer als „unbedingte[ ] Forderung auf Sinneinheit“ näher bestimmen.¹⁶¹ Der Sinnaufbau geht nicht gleichsam aus sich heraus auf die letzte Einheit eines universalen Sinnzusammenhangs,
Ebd., 319. Ebd., 222 f. Das Zitat entstammt dem Kontext, in dem Tillich die Zugehörigkeit des sinntheoretischen Weltgedankens zur ‚idealen Sphäre‘ konstatiert (s.o.). Vgl. ebd., 319.334 u. ö. Wir werden auf die systematischen Gründe dieser Identifikation zurückkommen. Vgl. ebd., 318: „[D]rittens, das Bewußtsein um eine Forderung, unter der jeder Einzelsinn steht, den unbedingten Sinn zu erfüllen.“; kursiv L. H. Vgl. oben II.2.2 b). Ebd., 320.
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sondern ist am Gedanken der ‚unbedingten Form‘ als seiner unbedingten Norm zu orientieren. Hinzu tritt eine Allgemeinheitsforderung, wie etwa die synonymisierende Reihung „das Allgemeine, das Gültige, die unbedingte Forderung“ im Rahmen des Systems der Wissenschaften signalisiert.¹⁶² Hier ist – indiziert durch das Moment der Unbedingtheit – augenscheinlich an strikte Allgemeinheit im Gegenüber zu nur komparativer Allgemeinheit zu denken.¹⁶³ Die Vollzüge des Sinnbewusstseins stehen mit der Ausrichtung auf Einheit und strikte Allgemeinheit unter einer doppelten Forderung der unbedingten Form. Sinn ist erst dann „gültiger Sinn“, wenn er dieser doppelten formalen Anforderung genügt. Zusammenfassend fungiert die Totalitätsidee ‚Welt‘ als Abschlussgedanke insofern als Prinzip des Sinnaufbaus, als sie diesen auf übergreifende Einheit und strikte Allgemeinheit hin ausrichtet. In diesem Sinne bezeichnet Tillich die unbedingte Form als dessen „geltende[s] Prinzip“ und „kritischen Maßstab“.¹⁶⁴ Die im regressiven bzw. erweiternden Aufbau von Bedeutung gewonnene Totalitätsidee ‚Welt‘ steuert so diesen Aufbau zugleich normativ.¹⁶⁵ Demgemäß kann Tillich wiederum in der Kernpassage der Religionsphilosophie postulieren: „In jedem Sinnbewußtsein ist Weltbewußtsein enthalten.“¹⁶⁶ Der Weltgedanke ist in jedem einzelnen Sinnakt notwendig mitgesetzt. Näherhin orientiert jene Totalitätsidee den Sinnaufbau im Ganzen an der formalen Forderung von Einheit und Allgemeinheit – der Weltgedanke erzeugt mithin hinsichtlich des Sinnaufbaus ein Einheitsgefälle und zieht eine Allgemeinheitsdimension ein. Interpretieren lässt sich der von Tillich unter dem Titel der ‚unbedingten Form‘ geführte Gültigkeitsaspekt des universalen Sinnzusammenhangs, der Totalitätsidee ‚Welt‘ im Sinne einer regulativen Funktion desselben. Treten wir einen Schritt zurück, dann erinnert Tillichs sinntheoretische Fassung des Weltgedankens an dessen Bestimmung im Rahmen von Kants Kritik der reinen Vernunft: Hier wie dort handelt es sich um einen im Ausgang von den Bewusstseinsfunktionen selbst regressiv gewonnenen Abschlussgedanken, der als Totalitätsidee wesentlich einheitstheoretisch gefasst ist und dem andersherum eine
Ebd., 211; zum Allgemeinheitsaspekt des Forderungscharakters vgl. auch ebd., 217 u. ö. Zur Unterscheidung vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Hamburg: Meiner, 31990), 39* – 41* (B 3 – 6). GW I, 223 bzw. ebd., 237. Hier sind somit der im Rahmen der Religion und Kultur-Vorlesung eingeführte Kontextgedanke – vgl. oben II.2.2 a) – und das im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung im Zusammenhang eingeführte Gültigkeitsmoment der unbedingten Form – vgl. oben II.2.2 b) – systematisch miteinander verschränkt. Ebd., 318 f.
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regulative Funktion für die Bewusstseinsprozesse zukommt.¹⁶⁷ Zugleich liegen die Unterschiede auf der Hand. Während der Kant’sche Weltgedanke bestimmungslogisch motiviert ist und vermittels der regressiven Schlusslogik als Vernunftidee konstruiert wird, die als solche eine regulative Funktion für die empirische Verstandeserkenntnis erfüllt, ist die Argumentation bei Tillich durchgängig sinntheoretisch gewendet. An die Stelle aufwendiger, an den unterschiedlichen Formen des Vernunftschlusses orientierter Ausführungen zu Gewinnung und Status jener Totalitätsideen treten dabei vergleichsweise einfache Verweise auf den Kontextualitätscharakter von Sinn sowie die Unabschließbarkeit der Kontextualisierungsbewegung. Das damit einhergehende Fehlen der logischen Strenge Kants ist mindestens als sehend in Kauf genommen, wenn nicht gar als programmatisch einzuschätzen: Tillichs Fassung des Weltgedankens als eines universalen Sinnzusammenhangs soll dem Grundanliegen nach gerade nicht am alleinigen Maßstab der – in seiner Terminologie – ‚logisch-wissenschaftlichen‘ Sinnfunktion und ihrer Kategorien gewonnen sein. Vielmehr muss er sich in gleicher Weise auch auf die Eigenlogik etwa der künstlerisch-ästhetischen oder der gemeinschaftskonstituierenden Sinnfunktion abbilden lassen können.¹⁶⁸ Der Preis der über das Logisch-Erkenntnistheoretische im eigentlichen Sinne hinausweisenden Konzeption ist – mindestens im Quervergleich zur begrifflichen wie gedanklichen Konsistenz der Kant’schen – eine gewisse theoretische Unschärfe.
Vgl. Kant, Kritik, 334– 368 (A 293 – 338|B 349 – 396); vgl. Ulrich Barth, „Gott als Grenzbegriff der Vernunft. Kants Destruktion des vorkritisch-ontologischen Theismus“, in: ders., Gott als Projekt der Vernunft (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 235 – 262, 236 – 243. Entsprechend weist Tillich, im Übrigen in systematischer Nähe zu Grundintentionen Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, wiederholt darauf hin, dass der Sinnbegriff nicht exklusiv auf dem Feld der Erkenntnis beheimatet ist, sondern vielmehr gerade auch der gedanklichen Aufsprengung erkenntnislogischer Engführungen dienen soll. Prägnant ist dieses Interesse im Aufsatz Kirche und Kultur von 1924 formuliert: „Der Begriff des Sinnes könnte intellektuell gedeutet werden und demgemäß der ganzen Darlegung der Vorwurf des Intellektualismus gemacht werden. Demgegenüber ist zu bemerken, daß der Begriff ‚Sinn‘ das Gemeinsame aller Sinnfunktionen ausdrücken soll, also mit gleichem Nachdruck von der praktischen wie von der theoretischen Seite gilt.“ (GW IX, 35). Tillichs Stichwort der ‚Metalogik‘ steht für den Anspruch, die Grundlagen des Systems nicht allein logisch, sondern eben umfassender ‚metalogisch‘ zu entwickeln; so exemplarisch in der Grundlegung des Systems der Wissenschaften: „Der Zugang zum Sein geht ja ebenso wie durch die logische durch die ästhetische, ethische, soziale, religiöse Funktion. Für jede dieser Funktionen ist das Sein etwas anderes, und doch ist in allen dasselbe gemeint, das allen Formen Gehalt gebende Unbedingt-Wirkliche. […] Dadurch bekommen die Begriffe Denken und Sein einen durchaus metalogischen Klang: ‚Denken‘ wird gleich ‚Form überhaupt‘ und ‚Sein‘ gleich ‚Gehalt überhaupt‘.“ (GW I, 122 f.).
II.2 Die Theorie des Sinns
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Der signifikante systematische Unterschied zur Konzeption Kants besteht freilich darin, dass Tillich es beim Weltgedanken als Abschlussfigur und regulativem Prinzip nicht bewenden lässt. Dementsprechend steht der entscheidende Überschritt im Rahmen des Gedankengangs unserer Passage noch aus. Denn erst mit dem zweiten der drei Schritte kommt der unbedingte Sinn in den Blick, dem Tillichs sinntheoretisches Interesse genuin gilt: Aber das Weltbewußtsein ist selbst nicht das Letzte. Auch die Totalität des Sinnes braucht nicht sinnhaft zu sein, sondern könnte wie jeder einzelne Sinn in dem Abgrund der Sinnlosigkeit verschwinden, wenn nicht die Voraussetzung einer unbedingten Sinnhaftigkeit in jedem Sinnakt lebendig wäre. Diese Unbedingtheit des Sinnes ist aber nicht selbst ein Sinn, sondern sie ist der Sinngrund. Wenn wir die Besonderungen des Einzelsinns und aller Sinnzusammenhänge bis hin zum universalen Sinnzusammenhang Sinnformen nennen, so ist im Verhältnis zu ihm der unbedingte Sinn als Sinngehalt zu bezeichnen.¹⁶⁹
Von hierher wird rückblickend deutlich, dass die Argumentation des ersten Schrittes sich noch ganz auf der Formebene bewegte. Deren regulatives Prinzip, der ‚universale Sinnzusammenhang‘ bzw. die ‚unbedingte Form‘, wird nun seinerseits auf einer tieferen Ebene einer Begründung zugeführt: Eine zweite Möglichkeitsbedingung von Sinn, die ‚Voraussetzung einer unbedingten Sinnhaftigkeit‘, fundiert ihn nochmals. Mithin fungiert nicht der Formgedanke für sich, sondern eben die – wie es im Rahmen des Systems der Wissenschaften heißt – „Doppelheit von Sinnform und Sinngehalt“ als „Prinzip des Sinnes selbst“.¹⁷⁰ Während bislang mit der Sinnform lediglich eines der in der Kernpassage gesuchten Sinnelemente thematisch war, tritt jetzt mit dem als ‚Sinngehalt‘ gefassten unbedingten Sinn ein zweites hinzu. Allein in ihrer ‚Doppelheit‘ bilden sie das „universale spannungsreiche Prinzip“ des Sinnaufbaus.¹⁷¹ Als solches haben die Sinnelemente, unseren Eingangsüberlegungen gemäß, transzendentalen Status: Das dialektische Spannungsverhältnis von Sinnform und Sinngehalt liegt allen Sinnvollzügen des Bewusstseins bereits als Möglichkeitsbedingung zugrunde.¹⁷² Somit soll nachfolgend die Frage im Zentrum stehen, wie Tillich das Verhältnis der Sinnelemente mit dem zweiten und dritten Schritt im Rahmen der Kernpassage näherhin denkt. Zu diesem Zweck gilt es jeweils zunächst den Hauptgedanken des betreffenden Schritts von den Nebenüberlegungen zu
Ebd., 319; kursiv i. O. Auch die folgende Einführung des Inhaltsgedankens gehört noch zum zweiten Argumentationsschritt: „Unter Sinngehalt verstehen wir […].“ Ebd., 234; kursiv L. H. Ebd.; kursiv L. H. Vgl. auch ebd.: „[D]ie Elemente des Sinnes […] konstituieren kein Sinngebiet und kein Sinnobjekt, sondern sie konstituieren den Sinn selbst.“
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sondern, die – ob des ohnehin dicht gedrängten Gedankengangs der Passage wenig glücklich – mitgeführt sind. So droht das Ineinander zweier Überlegungen schon mit jenem zitierten zweiten Schritt eine entscheidende Pointe der Verhältnisbestimmung von Sinnform und Sinngehalt zu verdunkeln. Bei Lichte besehen verwendet Tillich hier nämlich zwei Formbegriffe unterschiedlichen Umfangs, von dem jedoch nur einer für die transzendentale Fragestellung von Bedeutung ist. Der erste, weite Formbegriff dient ihm dazu, den kategorialen Schnitt zwischen der Bedingtheit der Formsphäre und der Unbedingtheit des Gehaltes hervorzuheben. Gemäß dieser scharfen Unterscheidung stehen die unter diesen weiten Formbegriff fallenden ‚Sinnformen‘ – also die Sinnfunktionen und Sinnkategorien, die vermittels ihrer gebildeten Sinnkontexte sowie die gleichfalls als ‚Einzelformen‘ bezeichneten einzelnen Sinninhalte¹⁷³ – insgesamt als ‚bedingte‘ dem unbedingten Gehalt gegenüber. Offenkundig sind diese ‚Sinnformen‘ aber keineswegs auf der Ebene der transzendentalen Sinnelemente, sondern im Gegenteil auf der Ebene des durch diese allererst Konstituierten zu verorten. Es kann somit nicht dieser weite Formbegriff sein, den Tillich vor Augen hat, wenn er der Sinnform im spannungsreichen Verbund mit dem Sinngehalt die von uns zu klärende Prinzipienfunktion zuweist. Um das sinnprinzipiierende Gegenüber des Gehaltes zu benennen, verwendet er vielmehr einen zweiten, engeren Formbegriff. So ist es die Sinnform, bzw. genauer – wie auch der Überschritt bei näherem Zusehen anzeigt – allein die ‚unbedingte Form‘, die in Relation zum unbedingten Gehalt als Sinnelement fungiert. ¹⁷⁴ Die Subsumtion des Inhaltsbegriffs unter den der Form ist in den auf das obige Zitat unmittelbar folgenden Sätzen ausdrücklich vermerkt: „Unter Sinngehalt verstehen wir also nicht den Bedeutungsgehalt des einzelnen Sinnvollzuges […] Der Einzelgehalt ist in diesem Zusammenhang identisch mit der Sinnform. Erst in einer späteren […] Betrachtung tritt die Unterscheidung von Einzelform und Einzelgehalt, besser ‚inhalt‘ [sic], in Kraft.“ (ebd., 319). In dem Satz, mit dem Tillich die ‚Doppelheit‘ von Form und Gehalt im Zuge des zweiten Schritts der Kernpassage einführt – ‚Wenn wir die Besonderungen des Einzelsinns […] bis hin zum universalen Sinnzusammenhang Sinnformen nennen, so ist im Verhältnis zu ihm der unbedingte Sinn als Sinngehalt zu bezeichnen‘ – kann sich das ‚zu ihm‘ nicht auf die ‚Sinnformen‘ (im Plural), sondern allein auf den ‚universalen Sinnzusammenhang‘ (im Singular) beziehen. Diesem systematisch entscheidenden Sachverhalt trägt die englische Übersetzung der Religionsphilosophie von James Luther Adams und Charles W. Fox in wünschenswerter Deutlichkeit Rechnung: „If we include in the term „forms of meaning“ all particularities of individual meaning and of all separate connections of meaning and even the universal connection of meaning, then in relation to the universal connection the unconditioned meaning may be designated as the import of meaning.“ (Paul Tillich, What is Religion?, hg. u. übers. v. James Luther Adams [New York London: Harper & Row, 1969], 58; kursiv L. H.). Durch die ausdrückliche nochmalige Aufnahme des Terminus ‚universal connection‘ – also eben des ‚universalen Sinnzusammenhangs‘ bzw. der ‚unbedingten
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Bei Tillich selbst bleibt diese Pointe nicht nur in der betreffenden Passage undeutlich. Er trägt ihr meist lediglich dadurch implizit Rechnung, dass er dem Sinngehalt nie die Sinnformen – im Plural –, sondern stets die Sinnform – im Singular – als Relat zuordnet, wenn er das Prinzip des Sinnes thematisiert. Gleichwohl spricht er noch in diesem konstitutionstheoretischen Kontext zumeist schlicht von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘, ohne die mit Blick auf den Formbegriff entscheidende Spezifikation der Unbedingtheit explizit hinzuzusetzen. An dieser missverständlichen Formulierung hat sich die Tillich-Forschung in der Folge sogar dort orientiert, wo der transzendentale Status der Sinnelemente gesehen war – und entsprechend ‚Sinnform‘ und ‚Sinngehalt‘ im nicht näher spezifizierten Sinne als Elemente des Sinns bedacht.¹⁷⁵ Wir können demgegenüber präzisierend festhalten, dass sich Sinn nach Tillich nicht etwa in der unbestimmten Relation von ‚Sinnform‘ und ‚Sinngehalt‘ konstituiert, sondern dass es genauer das spannungsvolle Verhältnis von ‚unbedingter Sinnform‘ und ‚(unbedingtem) Sinngehalt‘ ist, das bei ihm als Prinzip des Sinnes selbst fungiert.¹⁷⁶ Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen, und also der Differenzierung zwischen den beiden im zweiten Schritt des Gedankengangs miteinander verzahnten Formbegriffe, wird nun allererst Tillichs eigentliche These deutlich. Ihr zufolge fungiert der im ersten Schritt entwickelte Weltgedanke, die ‚unbedingte Form‘, nicht etwa schon für sich, sondern allein in einem spannungsvollen Wechselverhältnis zum ‚unbedingten Gehalt‘ als den Sinnaufbau ermöglichendes Prinzip. Damit ist das im ersten Schritt Entfaltete ersichtlich nochmals in eine veränderte Perspektive eingestellt. Freilich bedarf der fragliche Überschritt der Erläuterung. Denn beispielsweise im Anschluss an Kant lässt sich fragen, warum der Weltgedanke überhaupt noch der Ergänzung durch ein zweites Prinzip bedürfen sollte. Wei-
Form‘ – ist klar ersichtlich, dass die an dieser Stelle eingeführte Begriffsgröße des ‚import of meaning‘ – also des ‚Sinngehalts‘ – alleine auf diesen, und nicht etwa auch auf die zuvor aufgezählten ‚particularities of individual meaning‘ oder die ‚separate connections of meaning‘, zu beziehen ist. Zur alleinigen Orientierung an ‚Sinnform‘ und ‚Sinngehalt‘ im nicht näher spezifizierten Sinne vgl. exemplarisch Danz, Freiheitsbewußtsein, 308 f.; vgl. weiterhin etwa Eberhard Amelung, Die Gestalt der Liebe. Paul Tillichs Theologie der Kultur (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1972), 107 f.; Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979), 121; Peter Haigis, Im Horizont der Zeit. Paul Tillichs Projekt einer Theologie der Kultur (Marburg: Elwert, 1998), 94 – die Liste prominenter Tillich-Interpreten, bei denen diese entscheidende systematische Pointe von Tillichs Sinntheorie nicht gesehen ist, ließe sich leicht verlängern. Diese Präzisierung ist nachfolgend mitzudenken, wenn abkürzend von ‚(Sinn)Form‘ und ‚(Sinn)Gehalt‘ im skizzierten Sinne die Rede ist.
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terhin ist angesichts der bisher dargestellten Leistungsfähigkeit des Kontextargumentes zu klären, wie sich die darüber hinaus gehende Ansetzung eines unbedingten Sinns sinntheoretisch plausibilisieren lässt. Und schließlich blieb bislang unklar, wie die beiden Sinnprinzipien jenseits der These einer konstitutiven ‚Doppelheit‘ einander zuzuordnen sind. Hinsichtlich dieser Fragen ist zunächst deutlich, dass Tillich jedenfalls nicht an einen Beweisschluss auf den unbedingten Sinn denkt. Erinnert sei noch einmal an die schon eingangs herausgestellte These des Systems der Wissenschaften: „Das Unbedingte kann nicht bewiesen, sondern nur aufgewiesen werden als der alle Sinnerfüllung fundierende Sinn.“¹⁷⁷ In dieser Ablehnung eines Beweises im strengen Sinne liegt auch die Differenz zu den klassischen Gottesbeweisen. Denn zwar erinnert die sinntheoretische Argumentation des ersten Schrittes der Gedankenbewegung nach an die des traditionellen kosmologischen Gottesbeweises. Doch während Tillich der betreffenden Gedankenbewegung selbst einen argumentativen Wert zubilligen kann, verfällt der im gegenwärtigen Zusammenhang entscheidende Aspekt – der Überschritt vom Bedingten zum Unbedingten qua logischem Schluss – der Kritik.¹⁷⁸ Dieser Umstand ist insofern hervorzuheben, als sich der Übergang vom ersten zum zweiten Schritt in der Religionsphilosophie durchaus so interpretieren lässt, als werde der unbedingte Sinngehalt argumentativ nochmals über den Kontextgedanken begründet: Wenn Tillich festhält, dass der universale Sinnzusammenhang seinerseits nicht als ‚das Letzte‘ zu verstehen sei, dann liegt es nahe, im umgehend eingeführten unbedingten Gehalt das gesuchte ‚letzte‘ Glied zu vermuten.¹⁷⁹ Angesichts Tillichs vielfach formulierter Vorbehalte zumindest gegenüber dem schließenden Beweischarakter der traditionellen kosmologischen Denkfigur ist allerdings Vorsicht geboten. Die gedankliche Zuordnung von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt muss argumentativ anders gefasst sein. Fällt die Abgrenzung gegenüber jedwedem Beweisschluss klar aus, so hält Tillich sich hinsichtlich positiver Auskünfte – zumindest in jenen Passagen, in denen man eine Antwort vorderhand erwarten würde – erstaunlich bedeckt. Wo
GW I, 253 (s.o.). So etwa exemplarisch im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung: „Es klingt in diesem Gedanken etwas nach von dem alten kosmologischen Gottesbeweis, der […] besagt, daß das Denken sich bei der Reihe des Bedingten nicht beruhigen könnte, es müßte ein Unbedingtes haben, in dem die Reihe des Bedingten verwurzelt ist. Freilich der Beweis in dieser Form ist wertlos. Er geht auf ein Unbedingtes, das existiert, […] und er sucht es zu erreichen in Form einer logischen Schlußkette.“ (EW XII, 402). Vgl. GW I, 319: „Aber das Weltbewußtsein ist selbst nicht das Letzte. Auch die Totalität des Sinnes braucht nicht sinnhaft zu sein […].“
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immer in den zeitnahen Texten das Verhältnis der Sinnelemente im Stile unserer Kernpassage ausdrücklich bedacht ist,¹⁸⁰ begnügt er sich mit der schon dort gewählten Doppelstrategie: Zum einen ist durchgängig der Verweis auf den Notwendigkeitscharakter der „Voraussetzung“ eines unbedingten Sinngehaltes wiederholt.¹⁸¹ Tillich kann dabei auch von einer „Fundierung“ von Sinn sprechen und den unbedingten Sinngehalt in gewisser Weise als Sinngaranten gegenüber einem drohenden umfassenden Sinnverlust in Stellung bringen.¹⁸² Zum anderen formuliert er eine Reihe an Motiven, die jedoch mehr assoziativ-illustrativen Charakters sind: So begegnet die eher metaphorische Beteuerung einer „Gegenwärtigkeit“ bzw. eines ‚Lebendigsein‘ des unbedingten Sinns in den Vollzügen des Sinnbewusstseins in leichter Variation.¹⁸³ Ebenso steht es mit der Figur eines gleichsam metaphysischen „Willen[s]“, eines an Platon erinnernden „Eros“ bzw. einer „Sehnsucht aller bedingten Formen nach dem Unbedingten“.¹⁸⁴ In Kirche und Kultur ist zudem mehrfach vom Unbedingten als dem Objekt eines „schweigenden Glaubens“ die Rede.¹⁸⁵ Angesichts des überschaubaren argumentativen Wertes der positiven Auskünfte gilt es weiter auszuholen, um die systematischen Gründe der von Tillich behaupteten Fundierungsbedürftigkeit des Weltgedankens durch ein zweites Sinnelement in den Blick zu bekommen. Genauer sind es drei über das ‚Doppelwerk‘ von 1923 verteilte Zitate, die in Kombination den zugrunde liegenden Gedanken erschließen. So greift Tillich in der Religionsphilosophie an anderer Stelle zwar zunächst die aus der Kernpassage bekannten, argumentativ bedingt ergiebigen Formulierungen auf, erweitert sie jedoch zugleich um einen weiterführenden Aspekt: „Der Sinngehalt ist der in allen Sinnformen vorausgesetzte Realitätsgrund, auf dessen Immergegenwärtigkeit die letzte Sinnhaftigkeit, Bedeutsamkeit,Wesenhaftigkeit jedes Sinnaktes beruht. Die Formeinheit wie jede Einzelform ist schlechterdings leer ohne die Beziehung auf den Sinngehalt.“¹⁸⁶ Die Plausibili-
Neben den im ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie selbst zu findenden Parallelüberlegungen ist an die beiden unveröffentlichten, mutmaßlich 1922/23 entstandenen Texte Die Umstellung der Debatte (EW X, 328 – 334, bes. 331), sowie Das Unbedingte und die Geschichte (ebd., 335 – 350, bes. 336 – 338) zu denken. Hinzu kommen Passagen des Aufsatzes Kirche und Kultur von 1924 (GW IX, 32– 46, bes. 33 – 36). Vgl. GW I, 253.308.319.328; GW IX, 33; EW X, 331.336. Vgl. GW I, 194.229.253; EW X, 331 bzw. GW I, 319; GW IX, 34; EW X, 336. Vgl. GW I, 308.318; GW IX, 33 bzw. GW I, 319; EW X, 336. GW I, 253.292; ebd., 221.227.292 bzw. ebd., 221. GW IX, 34 f. GW I, 308; kursiv L. H.; vgl. etwa auch den entsprechenden Hinweis im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung: Der ‚Sinn des Seins überhaupt‘ ist demnach „die unbedingte Vor-
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sierung der Ergänzungsbedürftigkeit der universalen Sinnform durch den Hinweis auf ihre ‚Leere‘ findet sich auch im System der Wissenschaften: „In der Spannung von Theonomie und Autonomie kommt die Spannung der Sinnelemente […] zu ihrer grundlegenden Lösung. Denn es wird offenbar, daß nur in der Einheit beider Richtungen alle Sinnerfüllung möglich ist: Autonomie für sich treibt zur leeren gehaltlosen Form, Theonomie für sich zum formlosen Gehalt. Eins aber ist so unwirklich wie das andere.“¹⁸⁷ Um der von Tillich mit dem Stichwort der ‚Sinnerfüllung‘ bezogenen sinntheoretischen Position Kontur zu geben, kann ein letztes, ebenfalls dem Wissenschaftssystem entnommenes Zitat weiterhelfen: „[D]ie Sinnelemente sind das sinngebende und das sinnempfangende Element: […] Form und Gehalt.“¹⁸⁸ Vergegenwärtigen wir uns, inwiefern diese drei Zitate geeignet sind, das Verhältnis von unbedingter Sinnform und unbedingtem Sinngehalt weiter aufzuschließen. Mit dem Begriff der ‚Sinnerfüllung‘ begegnet hier ein Gedanke, der gleich in zwei Kontexten für Tillichs Sinnverständnis schlechterdings grundlegend ist. Wir konzentrieren uns vorerst ganz auf das in Frage stehende Verhältnis von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘ als den beiden sinnkonstituierenden Elementen.¹⁸⁹ Der Erfüllungsbegriff bringt offenkundig zum Ausdruck, dass sie einer wechselseitigen Ergänzung bedürfen, damit es zur Verwirklichung von Sinn kommen kann. Ist soweit lediglich die These der irreduziblen ‚Doppelheit‘ beider Sinnelemente repetiert, verdeutlicht die in den letzten beiden Zitaten formulierte zweifache Abgrenzung die eigentliche Pointe des Gedankens. So lehnt Tillich es zum einen ab, die Sinnkonstitution einseitig als ‚Sinngebung‘ zu interpretieren. Eine derartige, wiederholt als cum grano salis neukantianisch gekennzeichnete Position unterliegt demnach dem Irrtum, dass die autonome Formtätigkeit rein für sich den Aufbau von Sinn zu leisten vermag. Tillich zufolge bleibt die vermeintliche Sinngebung qua Form als eben rein formale ‚leer‘, da ihr die gehaltliche Füllung fehlt.¹⁹⁰ Sinn entsteht, so seine These, nicht durch die autonome, formalkategoriale Bewusstseinstätigkeit alleine. Dieser Gedanke einer ‚Leere‘ der reinen Sinnform ist es offensichtlich, der zum Überschritt über den exklusiv am Formaspekt orientierten ersten Schritt der Kernpassage im Rahmen der Religionsphilosophie hinausdrängte. Zum anderen ist jedoch keineswegs einer Ausblendung
aussetzung dafür, daß überhaupt ein Sinn und nicht nur eine leere Form ist.“ (EW XII, 403; kursiv L. H.). GW I, 272; kursiv L. H. Ebd., 238. Zum Gedanken der Sinnerfüllung im Prozess des ‚wirklichen‘ Sinnaufbaus s.u.; vgl. zudem unten II.3.2 b). Ebd., 308.312.331 u. ö.; vgl. oben II.2.1 b) und c).
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der autonomen Formtätigkeit das Wort geredet. Sinn kann gleichfalls nicht als ‚formlos‘ – also in gewisser Weise an der autonomen Formtätigkeit vorbei – gedacht werden. Gegenüber einem naiven Realismus besteht Tillich mithin darauf, dass sich im Sinn niemals ein Gehalt einfach abbildet. Sinn, so die zweite Abgrenzung, ist stets geformter Sinn, er kommt nicht ohne formende Tätigkeit zur Präsenz. ‚Wirklicher‘ Sinn baut sich demzufolge ausschließlich unter der doppelten Voraussetzung einer schlechthin freien, für sich allerdings gänzlich leeren Formtätigkeit einerseits und eines schlechthin vorgegebenen, für sich aber formlosen absoluten Gehalts andererseits auf. In ihrer Prinzipienfunktion halten sich unbedingte Sinnform und unbedingter Sinngehalt gleichsam die Waage, insofern sie sich wechselseitig gerade in ihrer Unbedingtheit fordern. Fordern sich Tillich zufolge die Unbedingtheit der Form und die des Gehaltes aber wechselseitig, so erweist sich die oben im Übergang vom ersten zum zweiten Schritt aufgeworfene Frage der Plausibilität der Ansetzung eines unbedingten Sinngehaltes als gedanklich unscharf. Mit dem in Analogie zum kosmologischen Gottesbeweises konzipierten Kontextargument alleine ist der Aufbau von Sinn keinesfalls begriffen, wie auch der Überschritt zum unbedingten Gehalt sich dieserart nicht plausibilisieren lässt. Laut Tillich lässt sich das Moment der freien Formtätigkeit vielmehr – anders als es die Darstellungslogik jener Kernpassage prima facie nahezulegen scheint – gar nicht zunächst für sich konsistent entfalten, um auf dieser Grundlage dann nach der Legitimität oder Illegitimität einer absoluten Voraussetzung zu fragen. Ein solches Vorgehen kann seinen einseitigen Ausgangspunkt niemals abstreifen und vermag deshalb den wirklichen Sinnvollzug nicht nach seinen transzendentalen Bedingungen hin zu erhellen. Die systematische Klärung des Verhältnisses der beiden transzendentalen Sinnelemente ist im Gegenteil nur möglich, wenn Form- und Gehaltsaspekt des Sinnaufbaus als gleichursprüngliche in den Blick genommen werden: Die beiden Sinnelemente lassen sich ausschließlich in ihrer doppelten, sich wechselseitig fordernden Unbedingtheit entwickeln. Schematisch lässt sich die auf die Doppelheit von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt führende Argumentation wie folgt skizzieren, wobei nochmals deutlich wird, dass der Inhaltsgedanke – obwohl im Rahmen der Kernpassage nur ganz am Rande thematisch – argumentativ von tragender Bedeutung ist: Form ist per klassischer Definition stets ‚Form von etwas‘ und somit auf ein Relat, einen ‚Inhalt‘, bezogen.¹⁹¹ Zwischen beiden besteht, wie Tillich vielfach herausstellt,
Vgl. etwa EW XII, 398: „Wo aber Form ist, da muß auch Stoff sein, sonst hat der Begriff keinen Sinn.“ Der Stoffbegriff fungiert in den 1920er Jahren als Wechselbegriff zu dem des Inhalts.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
insofern ein strenges Wechselverhältnis, als sich der Inhalt als bestimmter allererst der Formung verdankt, wie andersherum die Form ohne Inhalt leer wäre. Das über die spezifisch sinntheoretische Reformulierung des traditionellen ‚Form/ Materie‘-Schemas eingetragene Kontextargument führt nun notwendig auf die Idee eines letzten, universalen Sinnzusammenhangs.¹⁹² Der gedanklichen Aufstockung auf Seiten der Form muss jedoch eine solche auf Seiten des Inhalts entsprechen, da der universale Sinnzusammenhang, die ‚unbedingte Form‘ andernfalls ohne systematisches Äquivalent und mithin leer bliebe. Folgerichtig weist Tillich der unbedingten Form auf Seiten des Inhalts ein gleichfalls unbedingtheitstheoretisch gefasstes Korrelat zu: Dem Inbegriff des Formens, der ‚unbedingten Form‘, korrespondiert in der Logik des absolutheitstheoretisch gesteigerten ‚Form/Inhalt‘-Schemas der Inbegriff des durch die Form Bestimmten – gewissermaßen der ‚unbedingte Inhalt‘. Allerdings will Tillich dieses Korrelat eben nicht als unbedingten Inhalt, sondern als ‚unbedingten Gehalt‘ verstanden wissen. Der Grund der terminologischen wie gedanklichen Differenzierung liegt auf der Hand: Das Korrelat der unbedingten Form soll – so die Auskunft aller einschlägigen Stellen – seinerseits als deren Voraussetzung fungieren können. Die Inhaltskategorie bezeichnet jedoch qua Definition das allererst durch die Form Bestimmte. Auch ein unbedingter Inhalt müsste dementsprechend noch auf die Konstitutionsleistung der Form zurückgehen, könnte also die gesuchte Voraussetzungsfunktion nicht erfüllen. Daher zwingt der Gedanke einer unbedingten Form auf ‚Inhalts‘seite zum kategorialen Überschritt – an die Stelle des problematischen Gedankens eines ‚unbedingten Inhalts‘ tritt der eines ‚unbedingten Gehaltes‘, der sich nicht mehr der formenden Bestimmungsleistung verdankt, sondern dieser als zweites transzendentales Sinnelement logisch gleichursprünglich entgegensteht. Genauer denkt Tillich an eine nochmalige Begründung des ersten Sinnelements, der unbedingten Form, durch das zweite Sinnelement, den unbedingten Gehalt. In diese Richtung einer zwar strikt relationalen, aber begründungstheoretisch asymmetrischen Zuordnung der Sinnelemente weist die durchgängige Hervorhebung des Voraussetzungs- bzw. Fundierungscharakters des Letzteren für Erstere.¹⁹³ Das mit dem Gedanken einer unbedingten Form bezeichnete regulative Prinzip des Sinnaufbaus bedarf somit Tillich zufolge mit der Position des unbe-
S.o. Die Wechselbedingung und -bestimmung zweier Relate impliziert – gegen Danz, Freiheitsbewußtsein, 308 Anm. 17 – nicht schon per se ein symmetrisches Begründungsverhältnis. Zum Zusammenbestehen eines Wechselverhältnisses der Bedingung einerseits und eines einsinnigen Begründungsverhältnisses andererseits vgl. Hans Wagner, Philosophie und Reflexion (München Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 21967), 112 f.121– 128.
II.2 Die Theorie des Sinns
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dingten Sinns notwendig der Absicherung durch ein zweites, konstitutives Prinzip: Während die ‚unbedingte Form‘ im dargestellten Sinne als regulatives Apriori des Sinnaufbaus fungiert, bezeichnet der ‚unbedingte Gehalt‘ dessen konstitutives Apriori. Das ‚Prinzip des Sinnes selbst‘ lässt sich zusammenfassend als ein in sich nochmals gestuftes Prinzipiengefüge von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘ verstehen. In ihrer Prinzipienfunktion halten sich die beiden Sinnelemente insofern die Waage, als sie sich logisch nicht aufeinander zurückführen lassen. Terminologisch ist diesem Umstand eben mit der wiederkehrenden Formel einer ‚Doppelheit‘ von (unbedingter) Form und unbedingtem Gehalt Rechnung getragen. Damit, und also mit dem systematischen Konnex der ersten beiden Schritte der Kernpassage, ist der gedanklich und systemlogisch höchste Punkt von Tillichs Sinntheorie erreicht. Mit dem dritten Argumentationsschritt des zentralen Abschnitts der Religionsphilosophie ist zunächst das Verhältnis von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘ weiter fortbestimmt.¹⁹⁴ Der unbedingte Sinngehalt fungiert demnach nicht nur als „Grund“ der Sinnform bis hin zum universalen Sinnzusammenhang, wie der zweite Schritt mit Verweis auf seinen notwendigen Voraussetzungscharakter herausgestellt hatte. Er gilt Tillich zugleich als „Abgrund“, und zwar nicht allein der bedingten Formen und Inhalte, sondern ausdrücklich auch der unbedingten Form. Bezeichnet die ‚Doppelheit‘ von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt den prinzipientheoretisch höchsten Punkt von Tillichs Sinnkonzeption, so erweist sich die ‚Grund/Abgrund‘-Figur ihr gegenüber als zweischneidig. In gewisser Weise scheint mit ihr jene doppelte Unbedingtheit, die für das Sinnbewusstsein prinzipientheoretischen Charakter besitzt, nochmals in die Idee des Unbedingten selbst hineinverlegt, da es für jene ‚Doppelheit‘ wiederum als Abgrund und nicht lediglich als Grund fungieren soll: Gleichsam ‚hinter‘ der Zwiefachheit des Sinnprinzips erscheint ein Absolutes – das näherhin ausschließlich für eines der beiden eigentlich strikt relational und gleichursprünglich konzipierten Sinnelemente, nämlich für die ‚unbedingte Form‘, als Abgrund gedacht wird. Damit steht allerdings die ‚Doppelheit‘ im Ganzen in der Gefahr, im – wie schon Emanuel Hirsch in seiner Rezension der Religionsphilosophie kritisch anmerkte – Absoluten als dem „Bodenlosen“¹⁹⁵ seine Prinzipienfunktion zu verlieren. Bei Tillich selbst scheinen sich mit jener Figur spekulative und religiöse Motive zu verbinden: Das Unbedingte soll dieserart gegen jeden Zugriff durch die Form gesichert werden. Tatsächlich dürfte es ratsam sein, die ‚Grund/Abgrund‘-Figur in diesem – im
Vgl. GW I, 319: „Der Sinngehalt hat für die Sinnform […]“. Hirsch, „Religionsphilosophie“, 102.
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Grunde metaphorisch-symbolischen – Sinne zu nehmen, sie jedoch nicht in der von Tillich mit dem dritten Schritt angedachten Weise mit der sinnprinzipiierenden ‚Doppelheit‘ von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘ zu verrechnen.¹⁹⁶ In einer schwachen Lesart kann die Figur als Ausdruck der skizzierten internen Asymmetrie des Prinzipiengefüges interpretiert werden, insofern beide Sinnelemente zwar als streng relational und gleichursprünglich gelten müssen, das Element des unbedingten Sinngehaltes gegenüber dem der unbedingten Sinnform aber nichtsdestoweniger eine Fundierungsfunktion erfüllen soll. Eine Möglichkeit eines in sinntheoretischer Hinsicht fruchtbaren Umgangs mit jener Figur eröffnet sich zudem, wenn sie nicht primär als spekulative Vertiefung des Sinnprinzips verstanden, sondern vielmehr von ihren Konsequenzen für den Sinnaufbau selbst her in den Blick genommen wird. Ersichtlich ist dabei, dass die im Zuge des dritten Schritts formulierte These, der zufolge „die unbedingte Sinnform eine dem Verhältnis von Form und Gehalt widersprechende Idee“ darstellt,¹⁹⁷ jedenfalls nicht zum Anlass genommen wird, den zuvor etablierten Gedanken einer unbedingten Form umgehend wieder zu verabschieden. Bei näherem Zusehen zielt Tillich genauer darauf ab, dass sich die betreffende Idee einer unbedingten Form, eines universalen Sinnzusammenhangs zwar denken, nicht aber realisieren lässt.¹⁹⁸ Die vermittels der Abgrundfigur zum Ausdruck gebrachte interne Asymmetrie des Prinzipiengefüges übersetzt sich nun in eine „Forderung, […] den unbedingten Sinn zu erfüllen“.¹⁹⁹ War das normative Moment des Sinnaufbaus bei Einführung des Gedankens einer Unbedingtheit der Form noch ganz am Formaspekt festgemacht,²⁰⁰ so wird es jetzt wiederum im Spannungsverhältnis von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt verankert: Die mit der Ab-
Zur Problematik der ‚Grund/Abgrund‘-Figur vor dem Hintergrund der ideengeschichtlichen Bezüge von Tillichs Sinnkonzeption vgl. unten II.2.2 d). GW I, 319. Vgl. ebd., 227: „Die unbedingte Form aber existiert nicht.“; kursiv L. H. Im Sinne eines Abschlussgedankens ist der Gedanke der ‚unbedingten‘ Form hingegen – wie gesehen – ein notwendiger. Für das Verständnis von Tillichs Sinnkonzeption ist er, eingedenk der dargestellten Unterscheidung eines engeren, auf der Prinzipienebene zu verortenden Formbegriff – der ‚unbedingten Form‘ – im Unterschied zu einem weiteren, auf nachgeordneter systematischer Ebene anzusetzenden Formbegriff im Sinne der ‚Formen‘, schlechterdings unverzichtbar. So leiden etwa die ansonsten scharfsinnigen Überlegungen Falk Wagners zu Tillichs Sinnkonzeption darunter, dass er den Gedanken der ‚unbedingten Sinnform‘ vollständig ausklammert – eben weil er der Differenzierung zwischen ihrer notwendigen gedanklichen Postulierung einerseits und ihrer unmöglichen Realisierung andererseits nicht Rechnung trägt; vgl. Falk Wagner, „Absolute Positivität. Das Grundthema der Theologie Paul Tillichs“, NZSTh 15 (1973), 172– 189, bes. 174. GW I, 318. S.o.
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grundfunktion angezeigte „Sinnunerschöpflichkeit des Sinngrundes“ übt gewissermaßen einen Druck auf Seiten der Form aus, den Sinnaufbau in Richtung auf die unbedingte Form zu orientieren. Dem konstitutiven Spannungsverhältnis der beiden Sinnelemente auf Prinzipienebene korrespondiert schließlich auf der Ebene des tatsächlichen Sinnaufbaus eine „innere Unendlichkeit des Sinnes“.²⁰¹ Mit diesem Stichwort nimmt Tillich das Moment der Dynamisierung auf, das ausweislich der Überlegungen des Jahres 1920 ein wesentliches Motiv bei der systematischen Ausformulierung der Sinnkonzeption darstellte.²⁰² Entsprechend wird der Ausdruck der „innere[n] Unendlichkeit“ jetzt als fester Terminus technicus etabliert.²⁰³ Zugleich ist damit der Überschritt von der transzendentalen Systemprämisse in die Sphäre des Sinnaufbaus selbst angedeutet. Letztere ist nun nicht mehr genuines Thema des Abschnittes ‚Die Sinnelemente und ihre Relationen‘, auf den sich unsere Rekonstruktion der ausgereiften Sinnkonzeption bis hierhin fokussierte. Wir konzentrieren uns diesbezüglich mit dem Gedanken der ‚Sinnerfüllung‘ ganz auf ein zentrales Theorem.²⁰⁴ Ebendieser Gedanke ist bei Tillich ersichtlich doppelt verwendet. Er bezeichnet einmal, wie gesehen, einen Aspekt der Relation der Sinnelemente der unbedingten Form und des unbedingten Gehaltes. Darüber hinaus findet er sich mehrfach in Passagen des ‚Doppelwerkes‘, in denen erkennbar nicht jene Prinzipienebene thematisch ist, so etwa in folgender These des Systems der Wissenschaften: „Wir haben das Verhältnis von Dingen und Sinnformen bestimmt als Sinnerfüllung. […] Jedes Wirkliche trägt die Intention auf Sinnerfüllung.“²⁰⁵ Das Stichwort des ‚Wirklichen‘ verweist gleichermaßen auf die Sphäre des tatsächlichen Sinnaufbaus und auf die Frage des Verhältnisses von ‚Dingen‘ und ‚Sinnformen‘ – Letztere im Plural und also in Abhebung von der singulären Idee der ‚unbedingten Form‘.
Ebd., 319. Vgl. oben II.2.2 a). Ebd., 319.338 u.ö.; vgl. ebd., 227. Schon im Rahmen der frühen Systematischen Theologie von 1913 hatte Tillich die Figur einer ‚inneren Unendlichkeit‘ am Rande bedenken können, dort als Aufbaumoment des Paradoxgedankens; vgl. oben I.2 c). Systematik und materialer Aufbau der Sinntheorie im Ganzen sind in der Forschung vielfach skizziert, weswegen wir auf eine eigene Darstellung verzichten können; vgl. insbesondere Werner Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933) (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1986), 25 – 49; vgl. weiterhin Amelung, Gestalt, 106 ff.; Haigis, Horizont, 70 ff. GW I, 233; darüber hinaus beziehen wir uns im Folgenden im Wesentlichen auf ebd., 222.229.307 als Textpassagen, in denen der Gedanke der ‚Sinnerfüllung‘ exemplarisch entfaltet ist.
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Näherhin – und hier kommt die von uns wiederholt angedeutete geisttheoretische Klammer der Sinnkonzeption zum Tragen – will Tillich den Gedanken der ‚Sinnerfüllung‘ des ‚Wirklichen‘ an die „geistigen Akt[e]“ der „geisttragenden Gestalt“ rückgebunden wissen: „Der Doppelakt jeder Gestalt, das Aufnehmen der Wirklichkeit in sich und das Sich-hinein-Gestalten in die Wirklichkeit, ist dann geistig, wenn er in beiden Richtungen ein sinnerfüllender Akt ist.“²⁰⁶ Zum letztlichen Verständnis des Gedankens bedarf es mithin einer Rekonstruktion der Geisttheorie.²⁰⁷ Gleichwohl können wir ihn bereits jetzt in zweifacher Hinsicht präzisieren sowie eine interessante Pointe des Gedankens benennen. Einmal denkt Tillich den Aufbau von Sinn mit dem Terminus der ‚Sinnerfüllung‘ offenkundig nicht als eine ‚Sinngebung‘ im starken, etwa konstitutionsidealistischen Sinne. So hat er mit jenen Akten der geisttragenden Gestalt ausdrücklich keine Sinnverleihung im Angesicht einer ‚an sich‘ sinnlosen Wirklichkeit vor Augen: „Die Akte der geisttragenden Gestalt sind sinngebende Akte. Das ist nicht so zu verstehen, als ob eine an sich sinnlose Wirklichkeit durch die Akte der geisttragenden Gestalten sinnvoll würde […] Vielmehr sind die sinngebenden Akte sinnerfüllende Akte.“²⁰⁸ Der Terminus der ‚Sinnerfüllung‘ präzisiert demnach den der ‚Sinngebung‘. Damit unterscheidet sich seine Konzeption beispielsweise von der Konzeption Theodor Lessings der – mit dem Titel eines Buches – Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen. ²⁰⁹ Der Mensch findet sich gemäß Tillich also keineswegs als gänzlich unbestimmtes Wesen vor, das sich in einem apophantischen Akt erst selbst bestimmen müsste. Vielmehr steht er als geistiges Wesen immer schon in einem Bedeutungsnexus und knüpft an diesen in schöpferischer Fortschreibung an.²¹⁰ ‚Sinnerfüllung‘ meint somit einen Prozess der Sinnfortbestimmung. Nochmals genauer – damit rückt als zweiter Aspekt das Verhältnis von ‚Dingen‘ und ‚Sinnformen‘, ‚Sein‘ und ‚Sinn‘ in den Fokus – stellt sich dieser Nexus
Ebd., 229; kursiv L. H. Vgl. unten II.3.2 b). Ebd., 222. Theodor Lessing, Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen (München: Beck, 1919). Ein Hinweis darauf, dass Tillich Lessing zumindest zur Kenntnis genommen hat, findet sich in EW X, 261. Man mag in diesem Zusammenhang zudem an Max Weber als Hintergrundfolie denken; vgl. Cordemann, „Religion“, 125. Vgl. GW I, 217: „Die individuelle Substanz der geisttragenden Gestalt ist kein ungeformtes Chaos, denn die geisttragende Gestalt ist immer auch geistgeformte Gestalt; sie steht in einer historischen Folgereihe.“; ebd., 238: „Die Geschichte ist der Ort der individuell-schöpferischen Sinnerfüllungen, und nur aus der Geschichte kann die neue Schöpfung geboren werden. […] Jede individuelle geisttragende Gestalt […] ist in ihren schöpferischen Möglichkeiten bestimmt durch den geschichtlichen Ort, an dem sie steht.“; vgl. auch Cordemann, „Religion“, 125 f.; zur Kategorie des ‚Schöpferischen‘ als einer zentralen der Geistkonzeption vgl. unten II.3.2 b).
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wie folgt dar: „Die Sinnfunktion ist weder Sinngebung,wie es der Idealismus, noch Sinnerfassung, wie es der Realismus will. […] Der Sinn ist überhaupt nicht gegeben, weder real noch ideal, sondern er ist intendiert, und er kommt im Geist zur Erfüllung. Jedes Wirkliche trägt die Intention auf Sinnerfüllung.“²¹¹ Tillich denkt mithin an ein Erfüllungsverhältnis von ‚Wirklichkeit‘ und Geist, demzufolge die Erstere erst im Letzteren vollständig sinnbestimmt wird. Da die These einer starken Sinngebung ausdrücklich zurückgewiesen ist, kann das ‚Wirkliche‘ jedoch gleichsam diesseits seiner letztlichen Bestimmung im Geist auch nicht gänzlich sinnfrei sein. Entsprechend ist für das in Frage stehende Verhältnis die Formulierung der „Sinnexplikation“ – der mit dem ‚Wirklichen‘ angelegte Sinn kommt vermittels der geistigen Vollzüge zum Ausdruck – bzw. der „Sinnanreicherung“ im Geist vorgeschlagen worden.²¹² Tatsächlich finden sich in dem seinerzeit unveröffentlichten Entwurf Das Unbedingte und die Geschichte, mutmaßlich gleichfalls im Jahr 1923 entstanden, Überlegungen, die diese Interpretation unterstreichen: Jeder geistige Akt ist ein Akt der Sinnerfüllung, d. h. ein Akt, in dem das nicht sinnlose, aber sinnunbestimmte und nach Sinnbestimmung drängende Wirkliche einen Sinn erhält. Das Wirkliche ist also weder sinnlos, so daß die Sinngebung vom Subjekt oder von transcendenten Normen hinzukäme, […] noch ist es sinnbestimmt, sonst würde der Geistproceß zu einer überflüssigen und unbegreiflichen Verdoppelung. […] Sondern der Geist ist Erfüllung des in sich unbestimmten, aber auf Bestimmung gerichteten Wirklichen.²¹³
Noch einmal begegnet hier der aus der prinzipientheoretischen Zuordnung der Sinnelemente vertraute Gedanke einer konstitutiven wechselseitigen Verwiesenheit von – dort – unbedingter Form und unbedingtem Gehalt, dem jetzt auf der Ebene des Sinnaufbaus eine entsprechende Verwiesenheit von ‚Ding‘ und ‚Sinn‘, ‚Sein‘ und ‚Geist‘ korrespondiert. Dabei liegt das Telos nun freilich eindeutig bei dem jeweils Letzteren. In gewisser Weise ließe sich paraphrasieren, dass die Dinge im Zuge der Anreicherung ihrer Bedeutung durch den Geist allererst ‚zu sich selbst‘ kommen, oder – mit einer Formulierung aus der Religionsphilosophie – „daß der Sinn des Seins im sinngeformten Bewußtsein zum Ausdruck kommt.“²¹⁴ Eine letzte Pointe der damit angelegten Fortbestimmung- bzw. Explikationsstruktur findet sich im Rahmen des Systems der Wissenschaften, wenn Tillich sich im dritten Systemteil der Grundlegung der ‚Geisteswissenschaften‘ selbst an-
GW I, 233. Cordemann, „Religion“, 125. EW X, 335; kursiv L. H. GW I, 307; vgl. auch ebd., 222: „Der dem Seienden in allen seinen Formen innewohnende Sinn kommt in den geistigen Akten zu sich selbst, der Sinn der Wirklichkeit verwirklicht sich im Geistigen.“
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nimmt.²¹⁵ Ihnen soll mit der „geisteswissenschaftliche[n] Bewußtheit“ eine ihrem Wissenschaftscharakter gemäße Bewusstheitsform eignen.²¹⁶ Da Tillich diese von der „geistigen Bewußtheit“ ausdrücklich absetzt, ist deutlich, dass zwischen Geisteswissenschaften und Geist nochmals ein Überschritt bestehen muss, wie er zuvor für das Verhältnis von Geist und Sein skizziert war. Näherhin will er den im Rahmen der Geisttheorie etablierten Gedanken einer für den Geist signifikanten Reduplikationsstruktur²¹⁷ wiederum für das Verhältnis von Geisteswissenschaften und Geist angewendet wissen. Findet demzufolge hier eine erneute Anreicherungsbewegung statt, dann kommt der Sinn der ‚Wirklichkeit‘ noch nicht in den geistigen Vollzügen selbst, sondern erst in der geisteswissenschaftlichen Rekonstruktion der Sinnphänomene final zu sich selbst: Erst die methodisch geleitete geisteswissenschaftliche Rekonstruktion – in der Kombination von produktivem, rezeptivem und kritischem „Verstehen“ einerseits und synthetischer bzw. analytischer „Konstruktion“ andererseits²¹⁸ – vermag den Sinn eines Phänomens adäquat zu explizieren. Treten die Geisteswissenschaften dieserart dem Geistprozess gegenüber, so rekonstruieren sie im Letzten ihre eigene Genesis: Sie beschreiben das ‚Zu-sich-selbst-Kommen‘ des Sinns im Geist als dem Ort und Träger von Reflexivität.²¹⁹
d) Problemgeschichtliche Hintergründe der Sinntheorie Steht mit dem ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie die ausgearbeitete Sinntheorie vor Augen, wollen wir abschließend deren problemgeschichtliche Bezüge bedenken. Ihre Erhellung kann andersherum zur systematischen Klärung von Tillichs Sinntheorie beitragen. Entsprechend ist es primär die Struktur des ‚Form/Gehalt‘-Schemas – und dabei wiederum die Verhältnisbestimmung von (unbedingter) Form und (unbedingtem) Gehalt –, auf der im Folgenden der Fokus liegen soll. Als Hintergrundfolie des Schemas ist in der Forschung wiederholt Tillichs nach dem Ersten Weltkrieg unübersehbar er-
Vgl. ebd., 218 – 230. Ebd., 219. Vgl. unten II.3.2 b). Vgl. ebd., 225 f. Vgl. auch Barth, „Sinn“, 201. Die dergestalt geisttheoretische Explikation des Kulturprozesses wäre etwa mit dem von Jan und Aleida Assmann geprägten Begriff des ‚kulturellen Gedächtnisses‘ kompatibel; vgl. Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (München: Beck, 1992).
II.2 Die Theorie des Sinns
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wachendes Interesse an den bildenden Künsten, zumal am Expressionismus,²²⁰ und den ästhetischen Theorien der Zeit vermutet worden.²²¹ Zuletzt hat Werner Schüßler diese These noch einmal pointiert vertreten.²²² Tatsächlich hat das traditionelle ‚Form/Materie‘-Schema im Zusammenhang der seit dem 18. Jahrhundert reüssierenden Ästhetiktheorien eine Fortbildung im Sinne einer Verhältnisbestimmung von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ bzw. ‚Inhalt‘ erfahren.²²³ Weiterhin stellt
Tillichs Interesse an der zeitgenössischen Kunst, und hier speziell am Expressionismus, dürfte wesentlich durch den Kunsthistoriker Eckart von Sydow vermittelt sein; vgl. Tillichs zustimmende Rezension Religiöser Stil und religiöser Stoff in der bildenden Kunst (GW IX, 312– 323) zu der von Sydow’schen Schrift Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei. Ausführlich entfaltet in der einschlägigen Studie von Palmer, Art. Palmer verweist u. a. auf die an Tillichs Offenbarungsbegriff erinnernde Formel eines „Durchbruch[s] des Gehalts in Form und Farbe“ von Franz Marc (ebd., 14). Zur Rezeption von Palmers These vgl. exemplarisch John Powell Clayton, The Concept of Correlation. Paul Tillich and the Possibility of a Mediating Theology (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1980), 193 ff.; Peter Steinacker, „Passion und Paradox – Der Expressionismus als Verstehenshintergrund der theologischen Anfänge Paul Tillichs. Ein Versuch“, in: Gert Hummel (Hg.), God and Being. The Problem of Ontology in the Philosophical Theology of Paul Tillich (Contributions made to the II. International Paul Tillich Symposium held in Frankfurt 1988)/Gott und Sein. Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs (Beiträge des II. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/Main 1988) (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1989), 59 – 99, 85 f.; Peter Haigis, „Kritik und Gestaltung. Tillichs Perspektiven zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur“, in: Hans-Peter Burmeister (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Ein Anstoß für kirchliche Neubesinnung (Rehberg-Loccum: Evangelische Akademie, Protokollstelle, 2000), 15 – 51, 18 f. Weiterhin hat Erdmann Sturm als möglichen Bezugspunkt des Tillich’schen Schemas auf Friedrich Gundolfs Schrift Shakespeare und der deutsche Geist aus dem Jahr 1914 verwiesen, die Tillich nachweislich zur Kenntnis genommen hatte: Gundolf gliedert seine Schrift nach den Gesichtspunkten Stoff, Form und Gehalt; vgl. EW XIII, XLIVf. Ist der Expressionismus als Hintergrund der von Tillich vorgelegten Verhältnisbestimmung von Form und Gehalt einmal behauptet, kann sich die – zumeist abschlägig beschiedene – Frage anschließen, ob seine Fassung des Schemas der expressionistischen bzw. allgemeiner der modernen Kunst als solcher eigentlich gerecht werde. Erneut hat hier das negative Urteil Palmers der nachfolgenden Diskussion den Weg gewiesen; vgl. Palmer, Art, 22– 36 u. ö.; vgl. überdies den kurzen, aber gehaltvollen Artikel von Thomas F. Mathews, „Tillich on Religious Content in Modern Art“, ArtJ(NY) 27 (1967), 15 – 19; Angela Maria Opel, „Kirche und Kunst“, in: Burmeister (Hg.), Theologie, 53 – 80; Russel Re Manning, „‚A kind of metaphysical dizziness.‘ Tillich’s Theology of Culture and the Encounter with ‚non-art‘“, in: Danz/Schüßler (Hg.), Theologie der Kultur, 311– 326; weitere Literatur bei Paul Tillich, Kunst und Gesellschaft. Drei Vorlesungen (1952), übers. u. hg.v. Werner Schüßler (Münster: Lit, 2004), 94– 97. Werner Schüßler, „Die Bedeutung der Kunst, der Kunstgeschichte und der Kunstphilosophie für die Genese des religionsphilosophischen und kulturtheologischen Denkens Paul Tillichs“, in: Tillich, Kunst, 49 – 87, bes. 60 ff. Zum traditionell-aristotelischen Hintergrund des Schemas vgl. oben II.2.1 c); zur Rezeption und Weiterentwicklung im ästhetiktheoretischen Kontext vgl. Reinhold Schwinger, „Form und Inhalt“, HWPh 2 (1972), 975 – 977; Klaus Städtke, „Form“, ÄGB 2 (2001), 462– 494, bes. 470 ff.
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Tillichs Begegnung mit dem Expressionismus fraglos einen gewichtigen Erfahrungskontext für die Formierung seines kulturtheologischen Programms dar, wie schon seine wiederkehrenden Bezugnahmen verdeutlichen. Gleichwohl mahnen zwei – zentrale – systematische Aspekte davor, die künstlerisch-ästhetischen Einflüsse auf dessen Ausbildung überzubewerten. So verweist bereits die Ansetzung eines ‚unbedingten Gehaltes‘ als eines aller formenden Kulturtätigkeit vorauszusetzenden ‚Woraus‘²²⁴ ersichtlich weniger auf einen ästhetischen, als vielmehr auf einen transzendentalphilosophischen Theoriehintergrund. Selbiges gilt für den Gedanken einer ‚unbedingten Form‘, der gerade die Ausgestaltung der reifen Sinntheorie kennzeichnete. Hier ist der Formbegriff der Ästhetik offenkundig gesprengt. Und so wird man, in Modifikation jener einschlägigen These einer Abkunft des Tillich’schen Schemas aus seiner Beschäftigung mit der zeitgenössischen Kunst, mit dem Kulturtheologie-Aufsatz in der „expressionistischen Richtung in der Malerei“ präziser ein „besonders eindrucksvolles Beispiel“ der Anwendung der ‚Form/Gehalt‘-Begrifflichkeit erblicken können.²²⁵ Tillichs Auseinandersetzung mit den kunsttheoretischen Diskursen der Zeit und zumal dem Expressionismus diente mithin der exemplarischen Veranschaulichung eines Begriffsschemas, das – einmal mehr – an transzendentalphilosophischen und idealistischen Einsichten gewonnen und ausgebildet war. Nun hatten wir mit Blick auf die erste Etablierung des ‚Form/Inhalt-Gehalt‘Schemas im Rahmen des Kulturtheologie-Aufsatzes eine Rückbindung des Formbegriffs an Kants Autonomiebegriff vermerkt und für dessen Ergänzung um den Theonomiebegriff auf Fritz Medicus verwiesen.²²⁶ In diesem Zusammenhang hatten wir weiterhin im Sinne des Hallenser Lehrers eine neoidealistische Umprägung der neukantianischen Verhältnisbestimmung von ‚Form‘ und ‚Materie‘ vermutet²²⁷ und dabei speziell dessen Fichte-Vorlesungen von 1905 als Hintergrund
Vgl. oben II.2.1 c). GW IX, 22 f.; kursiv L. H. Auch in der im Oktober 1921 unter dem Titel Masse und Geist erschienenen Sammlung kleinerer Schriften dienen die einleitenden ästhetischen Betrachtungen, gleichfalls am ‚Form/Gehalt‘-Schema orientiert, ausdrücklich allein der exemplarischen Veranschaulichung; vgl. MW 3, 46 – 50. Vgl. oben II.2.1 b). Hinsichtlich des Stellenwertes des ‚Form/Materie‘-Schemas im Neukantianismus denke man nur an Heinrich Rickerts Prinzip der ‚Heterothesis‘; vgl. Christian Krijnen, Nachmetaphysischer Sinn. Eine problemgeschichtliche und systematische Studie zu den Prinzipien der Wertphilosophie Heinrich Rickerts (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2001), 256 – 297. Zum neukantianischen Hintergrund von Tillichs Sinntheorie vgl. etwa Danz, Freiheitsbewußtsein, 307; Barth, „Grundlagen“. Freilich gilt die bei Tillich stets mitlaufende Kritik am Neukantianismus nicht zuletzt eben der Verhältnisbestimmung von Form und Inhalt (bzw. Gehalt), da ein allein an formalen Kategorien orientiertes Denken ihm zufolge einmünde in ein „allgemeines, formales Schema, das
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erwogen. Tatsächlich können wir die Spur jetzt vertiefend aufnehmen und damit Beobachtungen der jüngeren Forschung bestätigen und präzisieren. Namentlich Erdmann Sturm und Ulrich Barth haben gleichfalls auf Medicus als entscheidende Quelle für Tillichs initiale Beschäftigung mit dem Form- und Gehaltsgedanken hingewiesen. So hat insbesondere Barth diesbezüglich eine Scharnierfunktion der Fichte-Vorlesungen vermutet: Mit Bezug auf ein Zitat aus der ‚Neunten Vorlesung‘, in der Medicus vor allem die Wissenschaftslehre von 1801 behandelte, hat er näherhin Fichtes dort entwickelten Begriff des absoluten Wissens als gedankliche Vorlage zu Tillichs ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schema plausibilisieren können.²²⁸ Diese in der Sache überzeugende These lässt sich in gleich mehrfacher Hinsicht ausbauen. Denn Tillichs Auseinandersetzung mit Medicus – dem ja eben eine Brückenfunktion zum Fichte’schen Vorbild zukommen soll – beschränkte sich keineswegs auf die Studienzeit bis hin zur Examensarbeit von 1908.²²⁹ Vielmehr sollten beide noch über Jahrzehnte in freundschaftlichem Austausch
jedem Inhalt angepaßt werden kann. […] Die Philosophie der Kategorie ist typisch profan; sie weiß nichts von den Erschütterungen, die der Gehalt schafft. So ist bei den Neukantianern die gesamte Wirklichkeit ein System von Bestimmbarkeiten nach der Formel Einheit der Mannichfaltigkeit. […] Die Welt ein System logischer Formen.“ (EW XII, 320).Tillich nahm mithin neukantianische Motive auf, überformte sie aber umgehend in neo-idealistischer Perspektive; vgl. oben II.2.1 c). Vgl. Barth, „Sinn“, 209 f.; zu Medicus’ Darstellung von Fichtes Wissenschaftslehre von 1801 vgl. Fritz Medicus, J. G. Fichte. Dreizehn Vorlesungen, gehalten an der Universität Halle (Berlin: Reuther & Reichard, 1905). Um einen möglichen Einwand gegen die behaupteten Querverbindungen vorwegzunehmen: Fichtes Darstellung entfaltet bekanntlich eine Theorie des absoluten Wissens. Während ihm Medicus in seiner Interpretation hierin folgt, verschiebt sich Tillichs Interesse in den 1920er Jahren hingegen weg von erkenntnistheoretischen Fragen in sensu stricto hin zu einem erweiterten, am Sinnbegriff orientierten System; vgl. oben II.2.2 c). Gegenüber dieser thematischen Erweiterung mag es so scheinen, als ziele die von Fichte wie Medicus anvisierte, eben an der inneren Struktur des Wissens gewonnene Konstruktion in eine andere Richtung. Bei näherem Zusehen erweisen sich die beiden Theorieentscheidungen – dort eine Theorie des absoluten Wissens, hier eine solche der unbedingten Bedeutung – jedoch nicht als strenge Alternativen, sondern als in der Sache miteinander verwandt. Auch Tillich kann sein sinntheoretisches Grundschema im Ausgang von der „Idee des Wissens selbst“ (GW I, 117) gewinnen: Gleich zu Beginn des Systems der Wissenschaften werden als deren Elemente ‚Denken‘ und ‚Sein‘ benannt, aus denen dann vermittelt die Sinnelemente Form und Gehalt hervorgehen; vgl. ebd., 122 f. u. ö.; vgl. unten II.3.2 b). Nimmt man die ebenfalls im Rahmen der ‚Allgemeinen Grundlegung‘ des Wissenschaftssystems formulierten expliziten Verweise auf die Wissenschaftslehre bzw. Fichte hinzu – vgl. ebd., 114.120 –, so lässt sich vielmehr schon rein äußerlich eine erste Nähe zwischen Tillichs Systemanlage und der Fichtes notieren. Die darüber hinausgehenden systematischen Querverbindungen sind Sache der folgenden Darstellung. Zur entsprechenden frühen Bedeutung von Medicus für Tillich vgl. oben I.1.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
miteinander stehen.²³⁰ Genauer suchte Tillich zum Jahreswechsel 1920/21, und somit in der unmittelbaren Formierungsphase seiner Sinnkonzeption, brieflich das Gespräch mit dem vormaligen Lehrer.²³¹ Hierbei nimmt er im wörtlichen Zitat auf die Verhältnisbestimmung von Form und Gehalt durch Medicus Bezug, um ihm die eigenen Überlegungen gegenüberzustellen: „Ich würde deswegen auch Ihrer Definition des Religiösen nicht zustimmen können (‚die autonome Kultur (Form und Gehalt) haben als hätte man sie nicht.‘) Gehalt ist für mich eine Fundamentalstellung des Bewußtseins zum Unbedingten, deren Ausdruck die Form ist. […] Weil aber der Gehalt nicht anders existieren kann, als durch die Form, darum ist Kultur schaffen ein ‚heiliges‘ Werk und eine unbedingte, also religiöse Forderung.“²³² Gerade hinsichtlich der Zuordnung von Form und Gehalt erblickte Tillich in Medicus folglich einen langfristigen Gesprächspartner – hier konnte sich ein argumentativer Austausch fortsetzen, der mit dessen Fichte-Vorlesungen ein gutes Jahrzehnt zuvor seinen Anfang genommen hatte. Von entsprechend perspektivischer Bedeutung sollte Medicus’ Fichte-Interpretation zumal der Wissenschaftslehre von 1801, und also die ‚Neunte Vorlesung‘ sein, der wir uns in einem ersten Schritt annehmen wollen. Darüber hinaus können wir in einem zweiten Schritt auf Fichtes Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801 selbst zurückgehen, um der systematischen Ausgangskonstellation ansichtig zu werden, auf die Tillich über Medicus vermittelt rekurrierte. Die nachstehenden Überlegungen bewegen sich so in dem Dreieck von Medicus’ Fichte-Vorlesungen von 1905, Fichtes Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801 und Tillichs prinzipientheoretischer Verhältnisbestimmung von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘. Wenden wir uns den von Medicus gehaltenen Fichte-Vorlesungen zu, so ist zunächst ein Interpretationsgriff desselben zu nennen, der die behauptete Scharnierfunktion hin zu Fichte erst ermöglicht. Medicus rekonstruiert im Rahmen der Vorlesungen das Begriffspaar Form und Gehalt als einen das Fichte’sche Werk im Ganzen strukturierenden begrifflichen Generalschlüssel. Diese werkgeschichtliche Entschränkung des Schemas erhöht nicht nur – eben im Sinne eines systematischen Generalschlüssels – dessen Stellenwert. Es öffnete zudem Fichtes Werk
Vgl. „Die Korrespondenz zwischen Fritz Medicus und Paul Tillich“, hg. v. Friedrich Wilhelm Graf/Alf Christophersen, ZNThG 11 (2004), 126 – 147. Vgl. ebd., 129 – 131. Ebd., 130. Mit der ausdrücklichen Kennzeichnung des Gehaltsgedankens als einer „Fundamentalstellung des Bewußtseins“ ist zudem einmal mehr eine – frühe – Option für dessen ‚bewusstseinstheoretische‘ Fassung im Gegenüber zu einer ‚substantialistischen‘ genommen; zur betreffenden Alternative vgl. oben II.2.2 b) und c).
II.2 Die Theorie des Sinns
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für eine Rezeption sub specie der ‚Form/Gehalt‘-Thematik in die Breite: Dieserart können auch jene Schriften in den Blick rücken, in denen er selbst die ‚Form/ Gehalt‘-Begrifflichkeit nicht verwendet hatte. Genau hier kommt nun die bereits von Barth notierte ‚Neunte Vorlesungsstunde‘ in Gestalt der dort anhand von ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ (bzw. ‚Materie‘) interpretierten Theorie des absoluten Wissens ins Spiel.²³³ Medicus unterstreicht zum Einstieg einmal mehr die Kontinuität von Fichtes Werk insgesamt, und also auch der Wissenschaftslehre von 1801 zu derjenigen von 1794/95: Während vor dem Atheismusstreit primär die Verstandeserkenntnis im Zentrum des Interesses gestanden hätte, habe sich der Fokus zwar danach in Richtung der dem Verstand gerade unzugänglichen „wahrhafte[n] Realität“ verschoben, beide Aspekte seien aber als zwei Seiten derselben Medaille zu verstehen.²³⁴ Entsprechend kann er beide Fassungen der Wissenschaftslehre inhaltlich wie terminologisch direkt ineinanderblenden. So lasse sich für die Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801 das Verstandeswissen der Form nach als ein „ins Unendliche fortzuspinnende[s] In-Beziehung-setzen“ charakterisieren.²³⁵ Medicus unterstreicht die damit benannten systematischen Aspekte der Kontextualität und des Regresses durch wiederholtes Aufgreifen und perspektivisches Ausleuchten.²³⁶ Hinsichtlich dieser beiden Momente gilt ihm das Formale des Verstandes als das Relative, Bedingte.²³⁷ Zugleich eignet der Form des Wissens jedoch eine Absolutheitsdimension, die wie schon 1794/95 an der Spontaneität der Formtätigkeit festgemacht wird: „[D]as Wissen bleibt gegründet auf freies Tun nach wie vor: auch in der WL.von 1801 ist es absolut sein eigener Schöpfer. […] Nur Freiheit gibt Realität, […] nur sie schafft es, daß der ewige Gehalt der Weltwirklichkeit heraustritt in die Sinnenwelt und sich hier darstellt […] in der Form des Wissens.“²³⁸ Die anklingende Unterscheidung zweier Aspekte am Wissen, nämlich dem der Form einerseits und dem des „Gehalt[s]“ bzw. „Sein[s]“ andererseits,²³⁹ ist im Rückgriff auf Fichte dann nochmal wie folgt präzisiert: „Das Wissen schafft absolut sich selbst, aber – wie Fichte hinzufügt – nur der Form nach: die Materie empfängt es durch das absolute
Zum Folgenden vgl. Medicus, Fichte, 169 – 182. Vgl. ebd., 170 f.174. Ebd., 172. Vgl. ebd., 174.179.180 u. ö. Vgl. ebd., 179 u.ö. Ebd., 176 f.; kursiv L. H. Zur Identifikation des von Fichte in der Darstellung bevorzugten Begriffs des ‚absoluten Seyns‘ mit dem des Gehaltes bei Medicus vgl. dessen lapidare Feststellung: „[D]as ‚absolute Sein‘ von 1801 ist der ‚absolute Gehalt‘ von 1794“ (ebd., 175).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Sein.“²⁴⁰ Demnach verdankt sich das Wissen formaliter der Absolutheit der freien Tätigkeit, während es materialiter auf das ‚Sein‘, den ‚Gehalt‘ als das Andere der Formtätigkeit verwiesen ist. Wir haben somit eine terminologisch wie systematisch exakt Tillichs späteres Sinnprinzipiengefüge präfigurierende Konstellation vor uns.Wie bei jenem der Formbegriff zwischen Bedingtheit und Unbedingtheit changieren wird, so schillert er schon bei Medicus zwischen Relativität und Absolutheit. Und wie Tillich die Unbedingtheitsdimension der Form an deren Autonomie festmachen wird, die gleichwohl zur Verwirklichung von Sinn auf den unbedingten Sinngehalt als gewissermaßen ‚zweites Unbedingtes‘ angewiesen ist, so finden sich hier entsprechende Überlegungen hinsichtlich einer auf zwei ‚Absoluta‘ basierenden Konstitution des Wissens. Der Eindruck systematischer Nähe verstärkt sich, wenn man berücksichtigt, dass Medicus im fraglichen Zusammenhang überdies den ‚Gehalt‘ bzw. die ‚Materie‘ wiederholt vermittels des Bedeutungsbegriffs fassen kann: Wenn Ihnen in der WL von 1801 der Ausdruck ‚Materie‘ begegnet, so denken Sie […] an den wesenhaften Inhalt des Wissens und der Wirklichkeit, […] die wahrhafte Substanz des Daseins, ihre Bedeutung für das Ewige […]: diese ist es, die vom absoluten Sein gegeben wird. Die Kategorien des Verstandes […] sagen uns nichts von einer ewigen Bedeutung: sie lassen uns nur die Außenseite erfassen.²⁴¹
Hier scheint sogar die spätere sinntheoretische Wendung des nach Maßgabe der Darstellung von 1801 modellierten ‚Form/Gehalt‘-Schemas bereits beim Hallenser Lehrer von Ferne anzuklingen. Medicus’ Fichte-Vorlesungen und insbesondere deren ‚Neunte Vorlesungsstunde‘ können als initiale Referenz für Tillichs dann in der Spannung von unbedingtem Sinngehalt und unbedingter Sinnform gefasste Sinntheorie gelten – und somit als Ausgangspunkt eines thematischen Gesprächszusammenhanges, der wie notiert mit dem Jahreswechsel 1920/21 bis in die unmittelbare Formierungsphase jener Theorie hinein andauern sollte. Nimmt man vor diesem Hintergrund Fichtes Darstellung selbst in den Blick, so ist zunächst anzumerken, dass sich eine direkte Rezeption Tillichs – anders als im Fall der frühen Wissenschaftslehre von 1794/95²⁴² – nicht mit letzter Sicherheit belegen lässt. Jedoch machen alleine die enge Freundschaft mit den ausgewiesenen Fichte-Spezialisten Friedrich Büchsel, Emanuel Hirsch und eben Fritz
Ebd., 178; kursiv i. O. Ebd.; kursiv L. H. Ein Exzerpt von Fichtes früher Wissenschaftslehre findet sich in PTAH, 107:006.
II.2 Die Theorie des Sinns
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Medicus im Verbund mit der eigenen starken Affinität zum nachkantischen Idealismus es mehr als wahrscheinlich, dass er mit Fichtes Werk jenseits der ersten Fassung der Wissenschaftslehre vertraut war.²⁴³ Diese Vermutung wird durch vereinzelte Hinweise in Tillichs Werk, zum Beispiel in der Einleitung zum System der Wissenschaften, gestützt: Wenn dort das Programm der Wissenschaftslehre unter ausdrücklichem Verweis auf Fichte als das einer „Selbstanschauung des lebendigen Wissens“ charakterisiert ist,²⁴⁴ dann indiziert der Terminus der ‚Selbstanschauung‘ eher eine Bezugnahme auf die späten Fassungen der Wissenschaftslehre denn auf ihren Erstentwurf.²⁴⁵ Mindestens den Grundzügen wie den spezifischen Pointen nach dürfte Tillich das Programm der Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801 gekannt haben. Ebendiese Grundzüge hatte Fichte nun in einem den ersten Teil der Darstellung beschließenden Gedankengang zusammengefasst, auf den auch Medicus seine Interpretation im Rahmen der Vorlesungen wesentlich stützen sollte: Es handelt sich um die §§ 26 – 29 der vom Sohn Immanuel Hermann Fichte besorgten Ausgabe der Sämmtlichen Werke, auf die wir uns im Folgenden primär beziehen wollen.²⁴⁶ Die Konzentration auf die
Hirsch etwa widmete der Darstellung schon im Rahmen seiner 1914 erschienenen LizentiatenDissertation ein eigenes Unterkapitel; vgl. Emanuel Hirsch, Fichtes Religionsphilosophie im Rahmen der philosophischen Gesamtentwicklung Fichtes (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1914), 81– 90. GW I, 120. Zur werkgeschichtlichen Aufwertung des Begriffs der ‚intellektuellen (Selbst)Anschauung‘ bei Fichte vgl. etwa Ulrich Barth, Die Christologie Emanuel Hirschs. Eine systematische und problemgeschichtliche Darstellung ihrer geschichtsmethodologischen, erkenntniskritischen und subjektivitätstheoretischen Grundlagen (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1992), 311. Johann Gottlieb Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre. Aus dem Jahre 1801, Abt. 1, Bd. 2, Johann Gottlieb Fichte’s sämmtliche Werke (Berlin: Veit und Comp., 1845), 3 – 163, bes. 60 – 77 [= Fichte, Darstellung]. Zwischenzeitlich ist eine kritische Ausgabe erschienen: Johann Gottlieb Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre aus den Jahren 1801/1802, Teil 2, Bd. 6, J. G. Fichte – Gesamtausgabe (Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1983), 105 – 324. Wir berücksichtigen Letztere insofern lediglich am Rande, als Tillich selbst natürlich nur jene alte, von I. H. Fichte stark gekürzte Fassung der Darstellung kennen konnte. An Forschungsliteratur zur Wissenschaftslehre von 1801/02 vgl. – neben Hirsch, Fichtes Religionsphilosophie, und Barth, Christologie, 311– 354 – besonders Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft (Berlin: Walter de Gruyter, 1970), 207– 298; Jürgen Stolzenberg, Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung in den Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02 (Stuttgart: Klett-Cotta, 1986), 249 – 376. Zur (Religions)Philosophie Fichtes insgesamt vgl. Dieter Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht (Frankfurt/Main: Klostermann, 1967); Folkart Wittekind, Religiosität als Bewußtseinsform. Fichtes Religionsphilosophie 1795 – 1800 (Gütersloh: Kaiser/Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1993); Christoph Asmuth, Das Begreifen des Unbegreiflichen. Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte 1800 – 1806 (Stuttgart-Bad Cannstatt: Formmann-Holzboog, 1999); Ulrich Schlösser, Das Erfassen des Einleuchtens. Fichtes Wissenschafts-
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
betreffende Passage legt sich schon deshalb nahe, weil Johann Gottlieb Fichte mit ihr nicht nur die wesentlichen Ergebnisse der vorangegangenen Überlegungen extrahiert, sondern diese darüber hinaus auf ihre religionsphilosophischen Pointen hin zuspitzt – abzulesen etwa an der hier vorgenommenen Identifikation des ‚absoluten Seyns‘ mit dem Gottesgedanken.²⁴⁷ In Anbetracht der bei Medicus vollzogenen Identifikation des ‚absoluten Seins‘ mit dem ‚absoluten Gehalt‘ können wir dabei den letzteren Begriff mitführen, obgleich Fichte selbst 1801/02 eben ausschließlich den der ‚Materie‘ verwendete. Fichte meditiert in den entsprechenden Paragraphen das Verhältnis des Begriffs des ‚absoluten Wissens‘, den er zuvor aufwendig entwickelt hatte, zu dem des ‚Seyns schlechthin‘ bzw. des ‚absoluten Seyns‘. Als Ausgangskonstellation notiert § 26: Wir haben also ein Fürsichseyn, Reflexion, des absoluten Wissens, welche in sich selbst die Absolutheit (A) [des ‚Einen Seyns schlechthin‘; L. H.] voraussetzt. Diese [Reflexion des absoluten Wissens; L. H.] richtet sich ohne Zweifel nach ihren eigenen inneren (die Form des Wissens betreffenden) Gesetzen […] A kommt sichtbar doppelt vor: theils als allem Wissen vorausgesetzt, die substantielle Grundlage und das ursprünglich Bindende desselben: theils im freien Wissen (B).²⁴⁸
Hier lassen sich gleich mehrere strukturelle Parallelen zu Tillichs Verhältnisbestimmung der Sinnelemente festhalten: Der Voraussetzungscharakter des absoluten Seins bzw. Gehaltes, die Autonomie der Form – bei Fichte mit dem Hinweis, dass sich die Reflexion des absoluten Wissens ‚nach ihren eigenen inneren Gesetzen‘ richtet, sowie ihrer Kennzeichnung als ‚frei‘ – und die Charakterisierung des Seins bzw. Gehaltes als ‚substantiell‘.Vor allem aber stellt die Behauptung einer doppelten Absolutheit – einmal als absolute Voraussetzung des Wissens, dann als Charakteristikum der selbstgesetzlichen, freien Form des Wissens – eine sehr markante systematisch-konzeptuelle Parallele dar. Dass Fichte in der Tat an eine ‚doppelte Absolutheit‘ und nicht etwa an eine einfache Übertragung von A in B denkt, ist an anderer Stelle mit Nachdruck herausgestellt:
lehre von 1804 als Kritik an der Annahme entzogener Voraussetzungen unseres Wissens und als Philosophie des Gewißseins (Berlin: Philo, 2001); Ulrich Barth, „Von der Ethikotheologie zum System religiöser Deutungswelten. Pantheismusstreit, Atheismusstreit und Fichtes Konsequenzen“, in: ders., Moderne, 285 – 311. Fichte, Darstellung, 61. Zur religionsphilosophischen Dimension des betreffenden Abschnitts vgl. Janke, Fichte, 275 ff.; Barth, Christologie, 351– 354. Fichte, Darstellung, 62.
II.2 Die Theorie des Sinns
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[D]as absolute Seyn […] wird mit absolut formaler Freiheit reflectiert. Mit, habe ich gesagt: sie tritt hinzu, seyn könnend oder auch nicht […] Man bemerke hierbei die absolute Disjunction […]: Das Wissen ist [im absoluten Sein; L. H.] gefesselt; es reisst sich von sich selbst los, um für sich zu seyn, und formiert ein freies Denken. Beides ist einander entgegengesetzt; beides ist aber, wenn ein Wissen seyn soll, gleich ursprünglich und absolut. ²⁴⁹
Somit hebt Fichte die absolute Eigenständigkeit der formalen Freiheit, ihres rein formalen Sich-Setzens-als,²⁵⁰ hervor und kommt darüber auf das Zusammenbestehen zweier gleichursprünglicher ‚Absoluta‘. Diese Konstruktion eines zwiefachen Absoluten entspricht Tillichs ‚Doppelheit‘ zweier ‚Unbedingte‘ mit der ‚unbedingten Form‘ und dem ‚unbedingten Gehalt‘. ²⁵¹ Wie dann bei Tillich bedingen und bestimmen sich Fichtes ‚Absoluta‘ wechselseitig, ohne voneinander ableitbar zu sein: Die Absolutheit des formalen Sich-Setzens-als fordert ein ihr schlechthin vorausgesetztes absolutes Sein, einen – mit Medicus – schlechthin vorausgesetzten absoluten Gehalt, und umgekehrt. Dabei unterstreicht Fichte gegen eine diastatische Bestimmung die strikte Relationalität der beiden ‚Absoluta‘. Denn ohne Bezug auf das absolute Sein als ihre Voraussetzung vermag die formale Freiheit „nur ein freies und zufälliges, überhaupt ein inhalt- und substanzloses Wissen“ zu generieren.²⁵² Sie ist demzufolge um der schlechthinnigen Spontaneität ihres Selbstanfangens, des Instantiierens ihrer Setzungstätigkeit willen absolut, ihr freies Sich-Setzen-als bleibt jedoch für sich inhaltsleer. Dem rein formalen Wissen droht mithin jene inhaltliche Leere, die Tillich dann – übertragen auf seine sinntheoretische Konstrukti-
Ebd., 68 f.; kursiv L. H. Vgl. auch die entsprechende Zusammenfassung des Gedankens bei Hirsch, Fichtes Religionsphilosophie, 89: „Wir haben also zwei Prinzipien, gleich selbständig, gleich ewig […] und ewig disjungiert. Fichte gebraucht in diesem Zusammenhang für sie gern die Termini absolutes Sein und absolute Freiheit. Ebenso wenig wie das Sein aus der Freiheit, stammt die Freiheit aus dem Sein.“ Zum Begriff der formalen Freiheit als eines ‚Sich-Setzens-als‘ vgl. Barth, Christologie, 325 – 327. Der – schon terminologisch problematische – Un-Gedanke zweier ‚Absoluta‘ bzw. ‚Unbedingte‘ erklärt sich mit Hans Wagner aus deren Status πρὸς ἡμᾶς; vgl.Wagner, Philosophie, 126. Das Absolute an ihm selbst muss Eines sein. Es lässt sich als solches von uns alleine gänzlich unbestimmt, da diesseits jeder Bestimmung, denken. Als vollkommen Unbestimmtes kann es aber nicht der absolute Grund aller Bestimmtheit sein: „Nur für uns also kann es, gleichzeitig als Eines gedacht, unbestimmt sein und bleiben: es bleibt uns als das Eine und Absolute unzulänglich und unbestimmbar.“ (ebd.). Zugänglich wird uns das Eine Absolute hingegen ausschließlich in der konstitutiven Relation der beiden absoluten bzw. unbedingten Glieder – bei Tillich der ‚unbedingten Form‘ und des ‚unbedingten Gehaltes‘ – oder, abgekürzt gesprochen: In der Zwiefachheit zweier ‚Absoluta‘ bzw. ‚Unbedingte‘. Fichte, Darstellung, 61.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
on – der der Erfüllung bedürftigen Sinnform attestieren wird. Von der formalen hebt Fichte die ‚materiale Freiheit‘ ab. Das formaliter freie Wissen gewinnt erst in Bindung an das andere seiner selbst, das absolute Sein, einen Inhalt, ein ‚Sosein‘. In Fichtes Worten: „Also das freie Denken ist nur das formale, […] nicht das Erzeugende des Materialen, des Soseyns; dies ist jenem vorauszusetzen […] Wenn die formale Freiheit […] stattfindet; so ist sie schlechthin und durchaus bestimmt durch das absolute Seyn und ist in dieser Verbindung materiale Freiheit. – Hiermit ist denn die Synthesis vollendet“.²⁵³ Mit dem abschließend genannten Ziel einer Synthesis von formaler Freiheit und schlechthin vorausgesetztem Sein ist angezeigt, dass auch die von Tillich anvisierte Lösung bei Fichte vorgezeichnet ist: Wo Tillich eine Einheit der beiden Unbedingtheiten, der autonomen Formtätigkeit und des vorgegebenen Gehaltes, zur Bedingung der Sinnverwirklichung macht, notiert Fichte als Ideal, dass „ein Seyn dastände, das schlechthin in der Freiheit vorkommt, eine Freiheit wäre, die schlechthin aus dem Seyn entspringt […], beide also – und mit ihm das Wissen und das Seyn – vereinigt wäre“.²⁵⁴ Verwirklicht sich Sinn dort allein in der Widerspruchseinheit zweier ‚Unbedingte‘, so konstituiert sich Wissen hier ausschließlich in der Synthese zweier gleichursprünglicher ‚Absoluta‘ – die noch in ihrer Vereinigung ihre Eigenständigkeit behalten: „Im Gegentheile sind beide absolut different, und in ihrem Auseinanderhalten eben, vermittels ihrer Vereinigung in der Absolutheit, besteht das Wissen. Fallen beide zusammen, so ist das Wissen vernichtet.“²⁵⁵ Dementsprechend wird der ‚Sitz des absoluten Wissens‘ gerade in dem „[Z]wischen“ der beiden Absoluta verortet.²⁵⁶ Mit Blick auf die skizzierten systematischen Parallelen bewährt sich die These, dass Fichtes Konzeption des absoluten Wissens im Rahmen der Darstellung von 1801 – in Vermittlung durch den Hallenser Lehrer Fritz Medicus – Tillich als Vorlage der sinntheoretischen Verhältnisbestimmung von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt gedient haben dürfte. Selbst die von Tillich vorgenommene doppelte Abgrenzung gegenüber einseitigen Zuordnungsmodellen von Form und Gehalt findet sich bei Fichte vorgedacht. Zum Abschluss des betrachteten Gedankengangs konturiert dieser nämlich die eigene Position nochmals, indem er ihr zwei mögliche Fehlfassungen des absoluten Wissens entgegenstellt: „Das Wissen macht sich seinem Wesen, seiner Grundmaterie nach: – halber, ungründlicher Idealismus. – Das Seyn, Objective, ist das erste; das Wissen, die Form des Fürsichseyns, folgt aus dem Wesen des Seyns: – leerer, nichts erklärender Vgl. ebd., 67 f. Ebd., 65. Ebd., 66. Vgl. ebd., 62: „Wo ist denn nun der Sitz des absoluten Wissens? Nicht in A; denn dann wäre es kein Wissen: nicht in B; denn dann wäre es kein absolutes Wissen, – sondern zwischen beiden.“
II.2 Die Theorie des Sinns
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Dogmatismus. – Beides ist […] schlechthin zu vermitteln und zu vereinigen, wie es hier geschehen ist: – transcendentaler Idealismus.“²⁵⁷ Die Statuierung zweier nicht ineinander überführbarer ‚Absoluta‘ soll also nicht zuletzt der schlechten Alternative eines einseitigen, den Wissensinhalt aus der Form erklärenden Konstitutionsidealismus wie eines ebenso einseitigen, die Formtätigkeit aus dem Gehalt ableitenden Dogmatismus oder Realismus wehren. Dem damit vorgezeichneten Programm eines ‚dritten Weges‘ zwischen Konstitutionsidealismus und naivem Realismus wird sich Tillichs ein gutes Jahrhundert später entstandene Sinntheorie im Grundsatz noch immer verpflichtet wissen.²⁵⁸ Zusammenfassend verdankt sich die konzeptuelle Doppelheit zweier ‚Absoluta‘ bzw. ‚Unbedingte‘ nicht zuletzt einem von Fichte wie in seiner Nachfolge von Tillich anvisierten Mittelweg zwischen einem reinen Konstitutionsidealismus einerseits und einem naiv-dogmatischen Realismus andererseits. Das gegenüber dem Letzteren kritische Potenzial einer solchen Konzeption ist dabei von Fichte eben dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er den Sitz des absoluten Wissens wie angeführt in einem ‚Zwischen‘ von Freiheit und Sein verortet.²⁵⁹ Bei Tillich ist die
Ebd., 76. Freilich weist die konkrete Durchführung neben der differierenden thematischen Schwerpunktsetzung – Theorie des absoluten Wissens hier, Sinntheorie dort – weitere Unterschiede auf, von denen einige genannt seien. So treten die bei Fichte immer wieder durchscheinenden moralischen Gesichtspunkte der Konstruktion – vgl. Fichte, Darstellung, 64.69 u. ö. –, die auch noch in Medicus’ Paraphrase eine wichtige Rolle spielen sollten, bei Tillich vollständig in den Hintergrund. Systematisch schwerer wiegt, dass Tillich im Gegensatz zu Fichte keinen mentalen Kandidaten für das Präsentwerden der Gebundenheit der formalen Freiheit im absoluten Sein benennt, sich bei ihm also kein Äquivalent zum Fichte’schen, an Schleiermacher erinnernden ‚Gefühl der Abhängigkeit‘ findet; vgl. ebd., 61.64 u. ö.; zu den Kon- und Divergenzen der Fassung des Abhängigkeitsgefühls bei Fichte und Schleiermacher vgl. Janke, Fichte, 176.181– 186. Dieser Verzicht dürfte auch Tillichs Vorbehalten gegenüber ebenjenem Schleiermacher’schen Theorem geschuldet sein; vgl. EW XII, 437. Inwiefern seine Entscheidung glücklich war, es demgegenüber bei der bisweilen schematisch anmutenden Rede eines ‚Durchbruchs‘ des absoluten Gehaltes durch die Form zu belassen, sei dahingestellt. Zumindest dürfte diese Entscheidung eine Mitschuld daran tragen, dass die bei Fichte so klaren kritischen Invektiven der Gesamtkonstruktion bei Tillich bisweilen undeutlich werden – nämlich immer dann, wenn das Verhältnis von Form und Gehalt von einem gleichsam externen Standpunkt aus verhandelt scheint. Die weitestgehende Eliminierung der für Fichtes Werk von 1801 so zentralen Figur der ‚intellektuellen Anschauung‘ weist ebenfalls in diese Richtung einer Abblendung subjektivitätstheoretisch kontrollierbarer Theorieelemente. Zum kritischen Sinn dieser Verortung vgl. etwa Janke, Fichte, 277: „Unmöglich kann der Aufstieg zu den ersten Ursprüngen und Gründen ein Überstieg in das Absolute als das Prinzip sein, von dem aus das Wissen und seine Form, die Ichheit, ableitbar wären. Die Arche-Forschung der
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
damit angelegte kritische Invektive in der Betonung der ‚Doppelheit‘ bzw. des strikten ‚Zugleich‘ von Form und Gehalt konserviert. An seine eigene, wiederkehrende Mahnung „Form und Gehalt gehören zusammen“²⁶⁰ ist – mit Tillich gegen Tillich – entsprechend dort zu erinnern, wo der absolute Gehalt unter Abblendung der Formtätigkeit thematisch zu werden scheint. Problematisch sind in diesem Zusammenhang vor allem die dem Gehalt scheinbar selbst eingeschriebenen materialen Näherbestimmungen, namentlich die des ‚Religiösen‘ oder gar ‚Christlichen‘. Denn der an Fichte anschließenden Konstruktion zufolge verdankt sich jegliche Bestimmung erst der Formtätigkeit, dem Sich-setzen-als der Form. Gleichsam an sich kann der reine Gehalt in seiner Unbedingtheit demnach lediglich die „unendliche Möglichkeit der Formen“ bezeichnen.²⁶¹ Jedwede materiale Fortbestimmung jener Möglichkeit – und eine solche stellt die Charakterisierung des unbedingten Gehaltes als einer religiösen Substanz der Form fraglos dar – ist nach Tillichs eigenen Prämissen bereits verwirklichter Sinn, der sich einer Synthese von unbedingter Formtätigkeit und unbedingtem Gehalt verdankt. Dies gilt – um nochmals auf die im Zuge der Rekonstruktion des ‚dritten Schrittes‘ der ‚Kernpassage‘ der Religionsphilosophie vermerkte Problematik zurückzukommen – noch für die ‚Grund/Abgrund‘-Figur, zumindest dann, wenn sie nicht metaphorisch, sondern tatsächlich als prinzipientheoretische Näherbestimmung der Sinnkonzeption verstanden sein will.²⁶² Auch die Statuierung einer ‚Abgrund‘-Funktion des unbedingten Gehaltes für die unbedingte Form hat deren Bestimmungstätigkeit bereits in Anspruch genommen. Hier steht das kritische, auf dem Spannungsverhältnis zweier ‚Unbedingte‘ basierenden Potenzial der Konzeption in der Gefahr, aufgrund einer religionstheoretisch motivierten einseitigen Abblendung der Form doch in die Bahnen eines naiven Dogmatismus zu geraten. Demgegenüber sei wiederum an Fichtes in der Konsequenz der gemeinsamen Grundkonstruktion liegende Faustregel erinnert: „Nur der Anfang des Wissens ist reines Seyn; wo das Wissen schon ist, ist sein Seyn […] und trägt seine Gesetze“²⁶³ – eben die Gesetze der autonomen Form.
Wissenschaftslehre vollzieht keinen unkritischen Transcensus, so als hätte sie am Ende doch ihre transzendentale Bescheidenheit vergessen.“ GW I, 320; vgl. auch ebd., 315 u. ö. Ebd., 323; kursiv L. H. Vgl. oben II.2.2 c). Fichte, Darstellung, 63; kursiv L. H.; vgl. auch Janke, Fichte, 295.
II.2 Die Theorie des Sinns
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e) Ertrag und Ausblick Die ersten Überlegungen des programmatischen Aufsatzes Über die Idee einer Theologie der Kultur reichert Tillich in den frühen 1920er Jahren sukzessive an, bis im Jahr 1923 mit dem Berliner ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie eine ausgearbeitete Theorie des Sinns vorliegt. Artikuliert die Vorlesung Religion und Kultur dabei den kontextuellen Charakter des Sinngedankens sowie den Aspekt der Dynamik der ‚Realisierung‘ von Sinn, so formuliert die große Religionsphilosophie-Vorlesung in der zweiten Jahreshälfte 1920 mit dem Gedanken einer Unbedingtheitsdimension der Form – verdichtet im Terminus technicus der ‚unbedingten Form‘ – eine systematisch schlechterdings zentrale Figur der im Entstehen begriffenen Sinntheorie. Neben die mehr substantialistische Fassung des Gehaltsbegriffs im Kulturtheologie-Aufsatz tritt zudem eine strikt bewusstseinstheoretische Fassung. Zusammengeführt sind die gedanklichen Fäden dann in der ausgereiften Sinntheorie jenes ‚Doppelwerkes‘, das insgesamt als intellektuelle Summe der mit der Berliner Privatdozentenzeit gegebenen formativen Phase der Jahre 1919 bis 1924 gelten kann. Genauer ist es eine vergleichsweise kurze Passage im Rahmen der Religionsphilosophie, in der Tillich das Verhältnis von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘ im Sinne einer transzendentalen Systemprämisse entfaltet (GW I, 318 f.). Hier ist einmal im Rückgriff auf das Kontextualitätsmoment von Sinn der Weltgedanke als ‚allgemeiner Sinnzusammenhang‘ oder ‚Synthesis der Synthesen‘ in der Funktion eines Abschlussgedankens sinntheoretisch reformuliert. Als Totalitätsidee orientiert die unbedingte Form dieserart den Sinnaufbau auf Einheit und Allgemeinheit hin. Insofern fungiert sie im Kant’schen Sinne als regulative Idee des Sinnaufbaus. Neben dieses regulative Apriori der unbedingten Form soll jedoch – so Tillich im Überschritt über Kant – der unbedingte Gehalt als konstitutives Apriori treten. Für das Verständnis des mit ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘ bezeichneten Prinzipiengefüges der Sinntheorie erwies sich als entscheidend, dass alleine mit ihrer ‚Doppelheit‘ – und nicht schon mit ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ im nicht absolutheitstheoretisch spezifizierten Sinne – die sinnprinzipiierenden Glieder jenes Gefüges benannt sind. Als solche müssen sie nicht nur als strikt relational, sondern ebenfalls als gleichursprünglich gelten: In ihrer Unbedingtheit fordern sich unbedingte Form und unbedingter Gehalt als Glieder des Prinzipiengefüges wechselseitig. Hierfür steht die Figur ihrer wechselseitigen ‚Sinnerfüllung‘ auf Prinzipienebene. Zugleich ist zwischen jenen Gliedern zumal mit der spekulativen ‚Grund/Abgrund‘-Figur eine systematische Asymmetrie behauptet. Im Hintergrund von Tillichs dezidiert absolutheitstheoretischer Verhältnisbestimmung von Form und Gehalt, und also eines gleichsam zwiefachen Unbedingten als Grundlage seiner Sinnkonzeption, lässt sich – vermittelt über Fritz Medicus – Fichtes Konstruktion des ‚absoluten Wissens‘ im Rahmen der
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Darstellung der Wissenschaftslehre von 1801 ausmachen. Auf der Ebene des Sinnaufbaus übersetzt sich die prinzipientheoretische Spannungseinheit von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt in eine Dynamik, für die Tillich den Begriff der ‚inneren Unendlichkeit‘ prägt. Auf dieser nachgeordneten Systemebene kann der Gedanke der ‚Sinnerfüllung‘ – vorbehaltlich seiner weiteren geisttheoretischen Spezifizierung – in einem ersten Zugriff als Anreicherung bzw. Explikation von Sinn verstanden werden.
II.3 Die Theorie des Geistes
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II.3 Die Theorie des Geistes Im Gegensatz zum Sinnbegriff hatte Tillich dem Geistbegriff von den frühesten greifbaren Texten an eine exponierte Bedeutung beigemessen. So lässt sich schon für das Frühwerk ein entsprechender Bogen spannen:Von der Studienzeit, etwa in Gestalt der Fichte-Seminararbeit, der Examenspredigt und der Monismusschrift,¹ über die Promotionszeit, etwa in Form der Kasseler Thesenreihe oder der beiden Dissertationen,² bis hin zur Systematischen Theologie von 1913 – dem Geistgedanken wird durchgängig ein gewisser, zunehmend gewichtiger Stellenwert eingeräumt. Spätestens die Kasseler Thesenreihe von 1911 belegt, dass Tillich um eine eigene Fassung des Gedankens ringt, das frühe System lässt sich dann im Ganzen als ein solches des Geistes verstehen, wie wir den Grundlegungsteil eben als Theorie des Wahrheitsbewusstseins interpretieren konnten.³ Die gesonderte Wertschätzung des Geistgedankens wird nun insofern wenig erstaunen, als ihm in den Systembildungen des nachkantischen Idealismus bekanntlich durchgängig ein nachgerade herausragender Wert zugeschrieben worden war – Tillichs neoidealistische Ausrichtung legte so eine prinzipielle Orientierung am Geistbegriff mindestens nahe. Der Schwerpunkt lag dabei im Frühwerk einmal mehr auf der durch Fritz Medicus vermittelten Fichterezeption sowie den eigenen Studien zu Schelling. Diese grundsätzliche Prägung erfuhr wie gesehen 1917/18 mit dem Hirsch-Briefwechsel eine wiederum weichenstellende Modifikation: Tillich baut, anfangs noch tastend, mit den Termini der „Richtung“ bzw. des „Gerichtetseins“ intentionalitätstheoretisch valente Reflexionsfiguren in seine religionstheoretischen Ausführungen ein.⁴ Die sich damit abzeichnende bewusstseinstheoretische Reorientierung des Geistgedankens ist in der Folgezeit aufgenommen und verstärkt, wobei auch der zunächst nur angedeutete Einfluss der Intentionalitätskonzeption Edmund Husserls deutlicher zutage tritt. Die betreffende Entwicklung schlägt sich, wie bereits im Falle der Sinntheorie, gleichermaßen in den veröffentlichten wie den seinerzeit unveröffentlichten Texten nieder. Wie dort markiert der Kulturtheologie-Aufsatz einen ersten Ein-
Vgl. EW IX, 1– 19, bes. 16 – 18 (Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium); EW X, 1– 8, bes. 5 f.8 (Examenspredigt über 1. Kor. 3, 21 – 23); EW, IX, 20 – 153, bes. 60 ff.| 121 ff. (sog. Monismusschrift); vgl. für Letztere auch oben I.1 b). Für die Kasseler Thesenreihe vgl. alleine den dortigen ‚Zweiten Teil‘ in Form der Thesen 81 bis 128; vgl. EW VI, 41– 46. Für die philosophische Dissertation vgl. nur EW IX, 167 f.169.192.197 ff.235 f. – die Passagen, in denen hier, freilich im Rekurs auf Schelling, der Geistgedanke seinen verschiedenen Hinsichten nach bedacht ist, sind Legion; vgl. auch oben I.1 c) und d). Vgl. oben I.2 b). Vgl. oben II.1 b).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
satzpunkt, wie dort präsentiert das ‚Doppelwerk‘ von 1923, also das System der Wissenschaften im Verbund mit der dann 1925 gedruckten Religionsphilosophie, eine ausgereifte Gestalt der mit dem Briefwechsel eingeleiteten Reflexionen.⁵ Daneben tritt über die für die Sinntheorie relevanten Texte hinaus der 1922 erschienene Aufsatz Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie. ⁶ Bei den nicht veröffentlichten Texten ist wiederum die ReligionsphilosophieVorlesung aus dem Sommersemester 1920 von gesonderter Bedeutung, die erste Formierung der eigenen Intentionalitätskonzeption lässt sich überdies zumal im Entwurf Rechtfertigung und Zweifel von 1919 greifen.⁷ Dementsprechend werden wir unsere Darstellung der ‚bewusstseinstheoretischen Wende‘ sowie der Entwicklung einer eigenen Bewusstseinskonzeption in der Spannung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ (II.3.1) wie auch der schließlichen Integration der intentionalitätstheoretischen Denkfiguren in die ausgereifte Theorie des Geistes im ‚Doppelwerk‘ (II.3.2 a) und b)) nachfolgend eben primär an den genannten Texten orientieren. Allerdings sollte die Geisttheorie, im Unterschied zur Sinntheorie, mit jenem ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie zumindest partiell nur zu einem vorläufigen Abschluss kommen: Mit dem seinerzeit unveröffentlicht gebliebenen System der religiösen Erkenntnis von 1927/28 hat Tillich nämlich noch einmal einen Systementwurf in Angriff genommen, dessen Grundlegungsteil auf einem intentionalitätstheoretisch gefassten Geistbegriff basiert. Dieses System der religiösen Erkenntnis, einmal mehr erst vor einem guten Jahrzehnt von Erdmann Sturm ediert und in den Ergänzungs- und Nachlassbänden herausgegeben,⁸ harrt seiner Erschließung durch die Forschung. Mit dem dort entwickelten Gedanken eines ‚Letzt-Gemeinten‘ kommt Tillichs religionstheoretisch motivierte Rezeption und Umformung der Husserl’schen Theorie der intentionalen Akte zum eigentlichen Abschluss. Anhand jenes Systems soll entsprechend die endgültige Gestalt der mittleren Geisttheorie Tillichs rekonstruiert werden (II.3.2 c)).⁹ Zur Datierung der Religionsphilosophie auf das Jahr 1923 vgl. oben die Einleitung zu II.2. GW I, 365 – 388. EW XII, 333 – 565 (Religionsphilosophie) bzw. EW X, 127– 230 (Rechtfertigung und Zweifel). EW XI, 76 – 174. Mit Blick auf den Geistbegriff der späten Theoriebildung ist dann bekanntlich der dritte Band der großen Systematischen Theologie einschlägig; vgl. hierzu Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979), 235 – 270; Joachim Ringleben, „Der Geist und die Geschichte (Systematische Theologie Bd. III)“, in: Hermann Fischer (Hg.), Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 230 – 255; ders., „Die Macht des Geistes in der Geschichte“, in: ders., Gott denken. Studien zur Theologie Paul Tillichs (Münster: Lit, 2003), 27– 44; Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur
II.3 Die Theorie des Geistes
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Mitgeführt wird im Folgenden die Frage, wie sich Sinn- und Geistkonzeption der 1920er Jahre zueinander verhalten. Einige systematische Querverbindungen waren bereits im Zuge des vorangegangenen Kapitels thematisch, wie etwa die enge Anbindung des sinntheoretischen ‚Form/Gehalt‘-Schemas an sein bewusstseinstheoretisches Pendant, also das Begriffspaar ‚Denken/Sein‘, die mögliche Fassung des Gehaltsgedankens als eines mentalen Korrelates des Sinnbewusstseins, oder generell die enge Verschränkung von Geist und Sinn im ‚Doppelwerk‘ von 1923.¹⁰ Vor allem die bislang nur angedeutete These einer ‚geisttheoretischen Klammer‘ bzw. ‚Rahmung‘ der Sinntheorie soll jetzt an gegebener Stelle erhellt werden.
II.3.1 Ausformung der Theorie des intentionalen Bewusstseins (1919 – 1923) a) Verabschiedung des vermögenspsychologischen Schemas (1919/20) Der gesonderte Stellenwert, den Tillich dem Geistbegriff auch in der mittleren Werkphase beimessen wird, lässt sich exemplarisch einmal mehr anhand des Kulturtheologie-Aufsatzes von 1919 ablesen.Wie im Rahmen der sinntheoretischen Rekonstruktion angezeigt, sind ‚Religion‘ und ‚Kultur‘ dort zu den beiden begrifflichen Grundgrößen erhoben, auf denen alle Folgeüberlegungen aufruhen.¹¹ Sie sind eben geisttheoretisch eingeführt, wenn Tillich konstatiert: Die Religion hat die Eigentümlichkeit, keiner besonderen psychischen Funktion zugeordnet zu sein; weder die Hegelsche Fassung, die die Religion dem Theoretischen, noch die Kantische, die sie dem Praktischen, noch die Schleiermachersche, die sie dem Gefühl zuweist, haben sich halten können. […] Die Religion ist […] ein Verhalten des Geistes, in der [sic] Praktisches, Theoretisches und Gefühlsmäßiges in komplexer Einheit verbunden sind.¹²
Die einleitende, dreifach negative Auskunft darf mithin keineswegs so verstanden werden, als verwehre Tillich sich generell gegen eine geisttheoretische Verortung Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2000), 353 – 412; Christian Henning, Die evangelische Lehre vom Heiligen Geist und seiner Person. Studien zur Architektur protestantischer Pneumatologie im 20. Jahrhundert (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 2000), 101– 144; zu Fragestellungen und Konturen einer zeitgemäßen Pneumatologie insgesamt vgl. Christian Danz/Michael Murrmann-Kahl (Hg.), Zwischen Geistvergessenheit und Geistversessenheit. Perspektiven der Pneumatologie im 21. Jahrhundert (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014). Tillich ist hier wiederholt als Gesprächspartner präsent. Vgl. oben II.2.2 c). Vgl. oben II.2.1 a). GW IX, 16 f.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
des Religionsbegriffs. Vielmehr ist mit ihr die bereits aus dem Frühwerk, und hier näherhin der Monismusschrift aus dem Jahr 1908,vertraute Abgrenzung gegenüber einer einseitigen Zuordnung der Religion zu einem der drei spätestens seit Johannes Nikolaus Tetens klassisch zu nennenden Vermögen wiederholt.¹³ Demgegenüber empfiehlt Tillich nunmehr einen gleichsam ‚komplexen‘ Religionsbegriff, der alle drei Geistesvermögen aufeinander bezogen sein lässt.Was ihm dabei vor Augen steht, ist im Kulturtheologie-Aufsatz nachfolgend umrissen. Bevor wir uns den betreffenden Überlegungen annehmen, sei zunächst die negative Abgrenzung über die Monismusschrift hinaus ins Frühwerk hinein verfolgt. Erstmals hatte Tillich die Kritik an einem einseitigen, alleine „Denken“, „Fühlen“ oder „Wollen“ fokussierenden Religionsverständnis schon 1906 in seiner frühen Seminararbeit Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium, und also noch im Vorfeld der Examensarbeit, formuliert.¹⁴ Sie gehört damit gewissermaßen zum ‚Grundbestand‘ seiner religionstheoretischen Überzeugungen. Die Monismusschrift ergänzt die Kritik um den dann gleichfalls im Kulturtheologie-Aufsatz aufgenommenen Hinweis, dass sich derlei einseitige Religionsbestimmungen geistesgeschichtlich überlebt hätten, ohne jedoch ausdrücklich auf Hegel, Kant und Schleiermacher Bezug zu nehmen.¹⁵ Im Rahmen der theologischen Lizentiaten-Dissertation heißt es 1912 wiederum: „Die Religion ist keine Geistesfunktion neben anderen, noch weniger kann sie als Appendix einer der drei genannten Funktionen [Denken, Handeln, Anschauen; L. H.] aufgefaßt werden.“¹⁶ Demnach ist nicht nur jede exklusive Zuordnung, sondern ebenso eine Nebenordung der Religion neben die klassischen Vermögen abzulehnen. Vielmehr wird ihr eine Fundierungsfunktion zugedacht: „Sie begründet […] die Substanz des Geistes vor aller Funktion.“¹⁷ Bemerkenswert ist, dass der später im Kulturtheologie-Aufsatz in diesem Zusammenhang begegnende Funktionsbegriff bereits hier Verwendung findet. Beides lässt sich ebenfalls mit Blick auf die Systematische Theologie von 1913 festhalten. Erneut ist der Funktionsbegriff, gar der der „Kulturfunktion“ verwendet, und erneut ist eine prinzipiierende Vorordnung der Religion vor die klassischen Vermögen anvisiert, wenn Tillich den Gedankengang im entsprechenden § 12 wie folgt abschließt: „Daraus ergibt sich unmittelbar, daß auch die Religion keine Kulturfunktion neben an-
Vgl. oben I.1 b). Ebd., 18. Vgl. ebd., 30: „Das Christentum ist eine Religion, die den ganzen Menschen in Anspruch nimmt. Alle Versuche einseitiger Formulierungen sind fehlgeschlagen. Der Glaube ist ein Überzeugtwerden des Intellekts, ein Überwältigtwerden des Gefühls, eine Tat des Willens.“ GW I, 101. Ebd.
II.3 Die Theorie des Geistes
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deren ist, sondern das tiefste Prinzip aller Kultur, und [… das] umfassende übergeordnete Prinzip des Geisteslebens.“¹⁸ In der Erstfassung des Paragraphen klingt zudem jene Figur der ‚Richtung auf‘ an, die in den 1920er Jahren einschlägig werden wird: „Religion als Aktualität ergibt eine Bestimmtheit sämtlicher psychischer Funktionen, eben die spezifisch religiöse Bestimmtheit: ein Denken, Fühlen und Handeln, das sich auf Gott richtet.“¹⁹ Stellen wir den aufscheinenden intentionalitätstheoretischen Aspekt vorerst zurück, so verdeutlicht das letztere Zitat einmal mehr, dass das vermögenspsychologische Schema – bei aller durchgängigen Kritik an einem verkürzten, weil einseitig gefassten Religionsverständnis – nichtsdestoweniger wie selbstverständlich als Hintergrundfolie vorausgesetzt ist: Tillichs Kritik gilt eben ausschließlich einer exklusiven Zuordnung, der gegenüber eine alle drei Funktionen gleichermaßen betreffende Religionsdefinition anvisiert wird, nicht dem zugrunde liegenden Schema an sich.²⁰ So massiv also die Ablehnung einer simplen Zuweisung der Religion zu einem der drei ‚klassischen‘ Geistesvermögen bereits im Frühwerk formuliert ist, so selbstverständlich bildet das traditionelle, dreigliedrige Schema von Denken, Handeln und Gefühl den Hintergrund aller diesbezüglichen Überlegungen. Tritt man einen Schritt zurück, dann mag beides, der werkbiographisch sehr frühe Zeitpunkt, zu dem sich jene Kritik erstmals findet, wie der nachgerade apodiktische Ton schon ihrer ersten Formulierungen, ein Fingerzeig darauf sein, dass Tillich seinerseits als junger Student die fragliche These von anderwärts her übernommen haben könnte, um sie umgehend in den Kanon der eigenen religionstheoretischen Überzeugungen aufzunehmen. Wir halten dies mit Blick auf das Frühwerk zunächst als Vermutung fest. Zurück zum Kulturtheologie-Aufsatz von 1919. Auch hier scheint vorderhand das aus dem Frühwerk vertraute Zugleich von Kritik eines einseitigen Religionsverständnisses bei selbstverständlicher Voraussetzung des im Hintergrund stehen-
EW IX, 300. Ebd., 297; kursiv L. H. Ersichtlich ist diese Hintergrundfunktion des Schemas etwa auch im Rahmen der philosophischen Dissertation von 1910, wenn hier ausdrücklich die Frage einer positiven Bedeutung der drei Vernunfttätigkeiten des Gefühls, des Denkens und des Willens für die Bestimmung des Religionsbegriffs aufgeworfen wird – und im Modus der Würdigung vergleichsweise ausführlich beantwortet wird: „Es entsteht nun noch die Frage, welche positive Bedeutung die drei Vernunfttätigkeiten für das religiöse Verhältnis haben. Zwar daß eine von ihnen die spezifisch religiöse ist, ist durch die gesamte Konstruktion ausgeschlossen; […] Aber daß sie alle drei bei jeder wirklichen, aktuellen Religion in eigenartiger, unentbehrlicher Weise tätig sind, ist aus dem allgemeinen Religionsbegriff leicht zu entnehmen“ (ebd., 240); zur entsprechenden Entfaltung bezüglich Gefühl, Denken und Willen vgl. dann ebd., 240 f.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
den Schemas wiederholt. Jedoch signalisiert der unmittelbare Fortgang des Gedankengangs, mit dem jenes ‚komplexe Verhalten‘ des Geistes präzisiert ist, dass Tillich jetzt vielmehr eine grundsätzliche Revision der geisttheoretischen Anlage im Sinn hat: Wenn wir nun – meiner Meinung nach die richtigste Systematisierung – die gesamten Kulturfunktionen scheiden in solche, durch die der Geist den Gegenstand in sich aufnimmt, intellektuelle und ästhetische, zusammengefasst als theoretische […] und solche, durch die der Geist in den Gegenstand eingehen will, ihn nach sich gestalten, individual- und sozialethische […], also praktische, so ergibt sich für die Religion, daß sie Aktualität nur finden kann in Beziehung auf ein theoretisches oder praktisches Verhalten.²¹
An die Stelle der überkommenen Dreiteilung gemäß der drei psychischen Vermögen des Denkens, Wollens und Fühlens tritt mithin die Zweiheit eines ‚theoretischen und praktischen Verhaltens‘ bzw. – da der Verhaltensbegriff in der Folge keine systematische Rolle mehr spielen wird – der theoretischen und praktischen ‚Kulturfunktionen‘. Die Reduktion ist rein schematisch dadurch erreicht, dass das Ästhetisch-„Gefühlsmäßige[ ]“²² nunmehr als Moment dem Theoretischen zugerechnet wird. Die Unterteilung in theoretisches bzw. praktisches Verhalten des Geistes erfolgt dabei gemäß dessen Relation zum ‚Gegenstand‘ – oder, eingedenk der ausgesprochen weiten Fassung des betreffenden Gegenstandsbegriffs²³ – zu seinem kategorial nicht näher spezifizierten Objekt. Damit ist jedoch im Unterschied zum Frühwerk nicht allein die exklusive Zuordnung der Religion zu einem der klassischen Vermögen kritisiert, sondern vielmehr das traditionelle vermögenspsychologische Schema als den Geistbegriff intern organisierende Prinzip als solches verabschiedet. Dass Tillich tatsächlich an einer prinzipiellen Verabschiedung des klassischen Schemas – und somit an einer nicht unerheblichen systematischen Reorganisation der Geisttheorie im Ganzen – gelegen ist, wird etwa die Religionsphilosophie-Vorlesung im darauffolgenden Jahr 1920 noch einmal unmissverständlich unterstreichen: Über die Doppelrichtung des Denkens hinaus, entweder sich bestimmen zu lassen vom Sein oder von sich aus das Sein zu bestimmen, also über den Gegensatz von Theoretisch und Praktisch gibt es kein Drittes, Neues. Man kann auch das Ästhetische nicht so nennen. […] Die übliche Dreiheit von Theoretischem, Praktischem und Ästhetischem löst sich bei näherem
GW IX, 17. Vgl. ebd. Vgl. oben II.2.1 a).
II.3 Die Theorie des Geistes
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Zusehen auf. Ihre stärkste Stütze war die Dreiheit von Denken, Wollen, Fühlen. Nun ist das aber im Geistigen durchaus keine koordinierte Dreiheit […].²⁴
Hier ist zugleich die Grundbegrifflichkeit angezeigt, vermittels derer er in der Folgezeit seine eigene, jetzt am Gegensatz von ‚Theoretischem‘ und ‚Praktischem‘ orientierte Bewusstseins- und Geistkonzeption formulieren wird: Nämlich eben das Begriffspaar ‚Denken/Sein‘ sowie der Terminus der ‚Richtung‘.²⁵ Weiterhin lässt sich der Einwand, dass die überkommene Dreiheit ‚im Geistigen‘ nicht als tragfähiges Schema zu betrachten ist, als implizite antipsychologische Spitze lesen. Tillichs Bewusstseins- und Geistbegriff ist jedenfalls nicht am Paradigma psychologischer Modelle gewonnen, sondern – vor dem Hintergrund der zeitgleich entworfenen, wie gesehen transzendentalen Sinntheorie wenig überraschend – transzendental angelegt: „Psychische Funktionen sind nicht geistige Funktionen“²⁶, wie etwa das System der Wissenschaften im Zuge der Kritik am überkommenen Schema lapidar konstatieren kann. Zumal im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung, mit der Tillich sich auf der Grundlage der mit dem Hirsch-Briefwechsel eingeläuteten systematischen Umstellungen erstmals im großen Stil mit der Religionsthematik befassen sollte, sind die antipsychologischen Abgrenzungen in Sachen Geist und Bewusstsein Legion.²⁷ Er teilt – ganz im Sinne des kantisch-nachkantisch-idealistischen Hintergrundes seines Denkens – einen um die damalige Jahrhundertwende weithin reüssierenden Antipsychologismus, für den mit dem Neukantianismus wie der Phänomenologie die beiden dominierenden philosophischen Schulrichtungen der Zeit gleichermaßen einstehen können.²⁸ Somit mag auch die Problematik seiner psychologistischen EW XII, 421 f. Vgl. unten II.3.1 c) bzw. b). GW I, 229. Vgl. exemplarisch die hier formulierte Faustformel, der zufolge „das Bewußtsein nicht als psychologischer Vorgang, sondern als Princip der Erscheinungswelt“ aufgefasst werden soll (EW XII, 397); vgl. weiterhin etwa ebd., 383.392 f.399.436. Freilich handelt es sich bei näherem Zusehen weder bei ‚dem‘ Neukantianismus noch ‚der‘ Phänomenologie um in sich einheitliche Gebilde, noch stehen sie in einer trennscharfen Alternative zueinander; vgl. Paul Janssen, „Phänomenologie III“, HWPh 7 (1989), 498 – 505, bes. 498 – 502; bzw. Helmut Holzhey, „Neukantianismus“, HWPh 6 (1984), 747– 754.Weiterhin ist auch der je und je formulierte Antipsychologismus von durchaus unterschiedlicher Gestalt – so konnte beispielsweise Edmund Husserl etwa Wilhelm Windelband seinerseits des Psychologismus zeihen. Gemeinsam ist beiden Strömungen jedoch ein sich vom Psychologismus des 19. Jahrhunderts scharf abgrenzender Überbietungsanspruch, der sie zur Konzeption eigener, prinzipiell nicht psychologistischer Bewusstseinsmodelle motivierte; vgl. etwa Paul Janssen, „Psychologismus“, HWPh 7 (1989), 1675 – 1678, 1677 f. In diesem Sinne fügt sich Tillichs eigene Bewusstseins- und Geistkonzeption zwanglos in die philosophische Landschaft der Zeit ein.
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Missverständlichkeit die Verabschiedung des traditionellen vermögenspsychologischen Schemas mitbedingt haben, insofern gerade der nun dem Theoretischen subsumierte Gefühlsbegriff als diesbezüglich notorisch anfällig gelten muss.²⁹ Wollen wir im folgenden Unterabschnitt der damit angezeigten positiven Motivation sowie den problemgeschichtlichen Kontexten der Umstellung auf das nunmehr zweigliedrige Grundmodell der theoretischen und praktischen ‚Richtung auf‘ des Denkens auf das Sein nachgehen, so kann der Blick zuvor noch einmal zurückgehen auf den mutmaßlichen Hintergrund von Tillichs eigentümlicher Handhabung des vermögenspsychologischen Dreierschemas im Frühwerk, die in gleicher Weise durch selbstverständliche Übernahme wie durch frühe religionstheoretische Kritik geprägt war. Ob der Einschlägigkeit des Tetens’schen Schemas scheint es vorderhand schwierig, präzise rezeptionsgeschichtliche Auskünfte zu geben. Im Rahmen des Systems der Wissenschaften rekurriert Tillich beispielsweise eher allgemein auf Kant, dessen drei Kritiken das überkommene Schema ebenso aufgenommen wie transformiert hätten.³⁰ Nimmt man jedoch eine dreifache Beobachtung zusammen, so scheint es möglich, den ursprünglichen Rezeptionszusammenhang doch genauer zu bestimmen. Erstens hatten wir vermutet, dass beides, die werkgeschichtlich frühe Kritik an einer einseitigen Zuordnung des Religionsbegriffs zu einem der drei Vermögen, wie der sehr dezidierte Ton dieser Zuordnung, auf eine Übernahme des Gedankens von anderwärts her hindeuten könnte.³¹ Zweitens ist die frühe Etablierung des Funktionsbegriffs, zumal des spezifischen Terminus der ‚Kulturfunktion‘, im fraglichen Kontext auffällig. Im Rahmen der Theoriebildung der 1920er Jahre wird ihm, wie anhand der Sinntheorie gesehen, schlechterdings zentrale Bedeutung zukommen.³² Tillich konnte ihn aber eben im Zusammenhang der Frage der religionstheoretischen Valenz des vermögenspsychologischen Schemas bereits 1912 in der theologischen Lizentiaten-Dissertation und insbesondere dann in der Systematischen Theologie von 1913 verwenden.³³ Diese zweite Beobachtung führt in der Sache weiter. Denn tatsächlich lässt sich der Terminus der ‚Kulturfunktion‘ etwa bei Wilhelm Windelband greifen, und somit bei einem Autor, den Tillich ausweislich
Besonders deutlich werden die Vorbehalte anhand der entsprechenden Überlegungen des Systems der Wissenschaften; vgl. GW I, 228 f. Tillich selbst zeigt sich im Übrigen von psychologistischen Fehldeutungen des Schleiermacher’schen Gefühlsbegriffs keineswegs frei. Vgl. ebd., 228. Freilich könnte Tillich die fragliche Überzeugung als Student selbst ausgebildet haben, eine Vorlage scheint jedoch schlicht wahrscheinlicher. Vgl. oben v. a. II.2.1 b). Vgl. ebd., 101 bzw. EW IX, 298.300.
II.3 Die Theorie des Geistes
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der Literaturverzeichnisse der Systematischen Theologie und der Monismusschrift früh – aller Wahrscheinlichkeit nach schon zu Studienzeiten – rezipierte:³⁴ Näherhin ist es dessen religionstheoretisch bedeutsamste Abhandlung Das Heilige, auf die die Systematische Theologie von 1913 Bezug nahm, und die zudem noch der Religionsphilosophie-Vorlesung als Referenz dienen wird³⁵ – und in der Windelband eben wiederholt just den Begriff der „Kulturfunktion“ gebrauchte.³⁶ Vor allem findet sich – und das ist die entscheidende Beobachtung – drittens in Windelbands Heiligem exakt jenes Zugleich von grundlegender Orientierung am vermögenspsychologischen Schema und Kritik an jeder exklusiven Zuordnung der Religion, das dann bei Tillich wiederkehren wird. So nimmt Das Heilige seinen Ausgang von der Frage, wie die drei „großen Kulturfunktionen“ mit der Religion ins Verhältnis zu setzen sind,³⁷ um im Anschluss – wie später Tillich – weder einer einseitigen Zuweisung noch einer Nebenordnung das Wort zu reden: Da nun aber mit jener Dreizahl des Logischen, Ethischen und Ästhetischen der Umfang der psychischen Funktionen im Vorstellen,Wollen und Fühlen erschöpft ist, so kann das ‚Heilige‘ nicht inhaltlich in einer besonderen, ihm eigens zugeordneten Sphäre des Seelenlebens gesucht werden: vielmehr muß die Religionsphilosophie ihren Ausgang von dem Grundverhältnis nehmen, welches dem logischen, dem ethischen und dem ästhetischen Bewußtsein gemeinsam ist […].³⁸
Die Religion hat ihren geistigen Ort folglich „über oder hinter“³⁹ den drei Vermögen zu nehmen, wie Windelband nachfolgend ausführlich entfaltet.⁴⁰ Bei Windelband findet sich mithin exakt jene religionstheoretische These formuliert, die Tillich dann – modifizierend – aufnehmen konnte. Mit der Umstellung auf ein zweigliedriges, nunmehr an der Differenz von Theoretischem und Praktischem orientiertes Schema im Rahmen des Kulturtheologie-Aufsatzes bleibt Tillich zwar Windelbands Ablehnung einer einseitigen Zuordnung der Religion, der These einer systematischen Vorordnung der Religion ‚vor‘ die ‚Kulturfunktionen‘ sowie eben dem letzteren Terminus selbst verbunden. Die von Windelband vorausge Vgl. EW IX, 433 bzw. ebd., 92. Vgl. EW XII, 434; vgl. auch ebd., 439. Wilhelm Windelband, „Das Heilige. Skizze zur Religionsphilosophie“, in: ders., Präludien. Aufsätze und Reden zur Einführung in die Philosophie, Bd. 2 (Tübingen Leipzig: J. C. B. Mohr, ²1903), 295 – 332, 297.298; zum Terminus der ‚Kulturfunktion(en)‘ bei Windelband vgl. weiterhin: „Die Erneuerung des Hegelianismus“, in: ders., Präludien, Bd. 1, 273 – 289, 274; „Kulturphilosophie und transzendentaler Idealismus“, in: ders., Präludien, Bd. 2, 279 – 294, 281.292. Windelband, „Heilige“, 297. Ebd., 299. Ebd. Vgl. ebd., 309 – 318 (Logik/Vorstellen).318 – 321 (Ethik/Wollen).306 – 309 (Ästhetik/Fühlen).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
setzte Dreigliedrigkeit des Bewusstseins- und Geistbegriffs gemäß der überkommenen Vermögenspsychologie ist jetzt hingegen zugunsten einer eigenen Systematik aufgegeben. Neben der vermerkten antipsychologischen Stoßrichtung gibt der KulturtheologieAufsatz einen weiteren Aspekt an die Hand, der Tillich zur Umstellung motiviert haben dürfte. Dort ist im weiteren Verlauf unter dem Stichwort der ‚Kulturtheologischen Analysen‘ ein kulturtheoretisches Schema auf den Weg gebracht, dessen Schematik durch die 1920er Jahre hindurch tragen wird: Tillich will Kunst und Wissenschaft einerseits von Individualethik, Sozialethik und einer „Theologie des Staates“ andererseits unterschieden wissen.⁴¹ Die betreffende Systematik wie deren Konstruktionsprinzip werden im System der Wissenschaften nochmals deutlicher. Dort rechnet Tillich Wissenschaft und Kunst einer ‚theoretischen Reihe‘ zu, während Recht und Gemeinschaft unter einer ‚praktischen Reihe‘ subsummiert werden.⁴² Im Gedankengang des Systems der Wissenschaften ist die jeweilige ‚Reihe‘ ausdrücklich im Rekurs auf die ‚theoretischen‘ bzw. ‚praktischen Akte‘ oder ‚Funktionen‘ entfaltet.⁴³ Der der eigentlichen Entfaltung vorgeschaltete Abschnitt, in dem die Aufgliederung begründet wird, bringt denn auch – wiederum in expliziter Ablehnung der vermögenspsychologischen Dreiteilung – ebenjene Grundunterscheidung von theoretischen und praktischen Akten in Stellung: Die Gliederung der Geistesgebiete ist begründet in den Funktionen der geisttragenden Gestalten. […] Das hat zu der Auffassung geführt, als müßte die Gliederung der Geistesgebiete an die der seelischen Vermögen angeschlossen werden, insbesondere also an Denken, Wollen und Fühlen. […] Sie ist jedoch undurchführbar […] Den sinnerfüllenden Akt des Aufnehmens der Wirklichkeit nennen wir theoretisch; den sinnerfüllenden Akt des Sich-hinein-Gestaltens in die Wirklichkeit nennen wir praktisch […] – das ist der grundlegende Doppelakt der geisttragenden Gestalt, auf dem die Einteilung der Geistesgebiete in theoretische und praktische beruht.⁴⁴
In Kombination mit der nachgängigen Unterscheidung von ‚formbestimmt‘ und ‚gehaltsbestimmt‘ ersteht mithin aus der grundlegenden Differenz von ‚theoretisch‘ und ‚praktisch‘ das für Tillichs Theoriebildung der 1920er Jahre typische wissenschaftssystematische Viererschema. Ein Motiv seiner konstruktiven Revision des überkommenen Dreierschemas ist somit kultursystematischer Natur: Die
Vgl. GW IX, 22– 26. Vgl. die Aufteilung im Inhaltsverzeichnis GW I, 433 f. Vgl. ebd., 246 ff. bzw. ebd., 257 ff. Ebd., 228 f.
II.3 Die Theorie des Geistes
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Unterscheidung zweier Akt- bzw. Funktionstypen erschien Tillich nach 1919 als tragfähigeres kulturtheoretisches Grundmodell. ⁴⁵ Die enge Verbindung von Kulturund Geisttheorie bedingt dabei eine entsprechende Grundstrukturierung der Letzteren mit.
b) Grundzüge der frühen Husserl-Rezeption Als ein Motiv der Verabschiedung des vermögenspsychologischen Schemas ließ sich im ersten Zugriff eine antipsychologistische Stoßrichtung vermuten. In diesem Zusammenhang waren wir anhand eines Zitates aus der ReligionsphilosophieVorlesung weiterhin, neben dem perspektivisch schlechterdings konstitutiven Begriffspaar ‚Denken/Sein‘,⁴⁶ auch des Terminus der ‚Richtung‘ als eines für die künftige Bewusstseins- und Geisttheorie zentralen ansichtig geworden.⁴⁷ Dessen Bedeutung wiederum lässt sich allein daran ersehen, dass er als wesentliches Element von Tillichs Religionsdefinition der 1920er Jahre fungieren wird: Den unveröffentlichten Texten zufolge noch im Herbst 1920 zur festen Formel geronnen,⁴⁸ begegnet die Bestimmung der Religion als „Richtung auf das Unbedingte“ erstmals in der 1921 erschienenen Zweitauflage des Aufsatzes Über die Idee einer Theologie der Kultur in Tillichs Veröffentlichungen.⁴⁹ Mit der 1925 publizierten
Vgl. etwa EW XII, 265: „Entwurf eines Systems der Kulturwissenschaften: Einteilung in theoretische und praktische, nach dem Prinzip von Denken und Sein“ (Encyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft-Vorlesung); ebd., 353: „Die Kulturwissenschaften zerfallen nach dem immer wirkenden Princip der Zweiteilung wieder in solche, in denen das Sein das Denken gestaltet, und in solche, in denen das Denken das Sein gestaltet, das heißt in theoretische oder anschauliche und in praktische oder verändernde. Zu den theoretischen gehört das ästhetische und das logische Betrachten der Dinge, zu den praktischen die rechtliche und die ethische Gestaltung der Wirklichkeit.“ (Religionsphilosophie-Vorlesung); die Belege ließen sich leicht vermehren. Vgl. unten II.3.1 c). Vgl. ebd., 421; vgl. oben II.3.1 a). Vgl. EW X, 277.286. Die entsprechenden unveröffentlichten Texte, Religion und Kultur (ebd., 275 – 281) bzw. Religion und Erneuerung (ebd., 282– 292), sind zwar im betreffenden Band EW X vom Herausgeber Erdmann Sturm ohne weitere Näherbestimmung auf das Jahr 1920 datiert. Verschiedene Indizien – unter anderem eben die erstmalige Etablierung der Formel ‚Religion ist Richtung auf das Unbedingte‘, aber etwa auch die terminologische Fixierung des Gedankens der „unbedingten Form“ – sprechen jedoch stark dafür, sie nach der im Sommersemester 1920 entstandenen Religionsphilosophie-Vorlesung anzusetzen; vgl. oben II.2.2 b). In ebendieser Vorlesung findet sich die fragliche Religionsdefinition – als fest geprägte Formel – noch nicht. Der systematische Stellenwert der Modifikation lässt sich schon daraus ersehen, dass Tillich allein diese eine Passage in der Zweitauflage gegenüber der Erstauflage des KulturtheologieAufsatzes abänderte.Während näherhin die zweite Hälfte der Religionsdefinition beiden Auflagen
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Religionsphilosophie markiert sie unübersehbar das Zentrum der Religionstheorie.⁵⁰ Der Gedanke einer für das religiöse Bewusstsein signifikanten ‚Richtung auf‘ das Unbedingte bzw. den unbedingten Sinn bezeichnet somit in jenen Jahren die religionstheoretische Grundfigur schlechthin. Seine systematische Erhellung – sowie die der Derivate des ‚Sich-richtens-auf‘, des ‚Gerichtetseins auf‘ und des ‚Meinens‘ – gibt dementsprechend einen Schlüssel zu Tillichs Geist- und Religionsverständnis der 1920er Jahre an die Hand. Im Hintergrund der fraglichen Figur einer ‚Richtung auf‘ ist nun der Intentionalitätsgedanke Edmund Husserls vermutet worden.⁵¹ Die Intentionalitäts-
ohne jede Veränderung gemeinsam ist, ersetzt Tillich die erste Hälfte der Definition von 1919 – „Religion ist Erfahrung des Unbedingten und das heißt Erfahrung schlechthinniger Realität auf Grund der Erfahrung schlechthinniger Nichtigkeit; es wird erfahren die Nichtigkeit des Seienden, die Nichtigkeit der Werte, die Nichtigkeit des persönlichen Lebens; wo diese Erfahrung zum absoluten, radikalen Nein geführt hat, da schlägt sie um in eine ebenso absolute Erfahrung der Realität, in ein radikales Ja.“ (GW IX, 18) – 1921 durch eine deutlich längere und vor allem im Lichte des Gedanken der ‚Richtung auf‘ modifizierte Version. Da die derart veränderte Fassung von 1921 weder in die Gesammelten Werke noch in die Main Works mitaufgenommen wurde, sei sie vollständig zitiert: „Religion ist Richtung auf das Unbedingte. Durch das Seiende, durch die Werte, durch das Personleben hindurch wird offenbar der Sinn unbedingter Wirklichkeit, vor dem alles Einzelne und die Totalität alles Einzelnen, vor dem jeder Wert und das System der Werte, vor dem Persönlichkeit und Gemeinschaft zerbrechen in ihrem Eigen-Sein und Eigen-Wert. Wo dieses machtvolle, unbedingte Nein vom Unbedingten her über alles Bedingte bejaht wird, da ist Religion. Aber dieses Nein ist nur die Kehrseite des Ja: der unbedingten Gewißheit, der unbedingten Hingabe, der unbedingten Verantwortung gegenüber dem Unbedingten als Realität in allem Seienden, als Notwendigkeit in allen Werten, als Sinn in allem Personleben. Wo die Beziehung zu Welt und Leben in dieser letzten Tiefe wurzelt, da ist Religion.Weil aber kein Bewußtsein möglich ist, ohne in irgendeiner Form und an irgendeinem Punkte auf Unbedingt-Wirklichem zu ruhen, so ist Religion eine notwendige, ja die alles tragende Funktion des Geistes, diejenige, in der der Geist auf das gerichtet ist, was tiefer ist als er selbst, weil es ihm selbst Wurzel und Halt, Sinn und Bestand gibt.“ (Paul Tillich, „Über die Idee einer Theologie der Kultur“, in: Gustav Radbruch/ders. [Hg.], Religionsphilosophie der Kultur. Zwei Entwürfe [Berlin: Reuther & Reichard, ²1921], 35 f.; kursiv L. H.). Vgl. GW I, 320 u. ö. Vgl. Ulrich Barth, „Religion und Sinn“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 197– 213, 207, bes. Anm. 28: „‚Richtung auf‘ bzw. ‚sich richten auf‘ sind Tillichs Verdeutschung von Husserls ‚Intentionalität‘“; Michael Moxter, „Kritischer Intuitionismus. Tillichs frühe Religionsphilosophie zwischen Neukantianismus und Phänomenologie“, in: ebd., 173 – 195, 190 f. Eine eigene Studie zu Tillichs Husserl-Rezeption steht freilich noch aus. Erste Erwägungen zu ihrem Verhältnis finden sich bei Dirk-Martin Grube, Unbegründbarkeit Gottes? Tillichs und Barths Erkenntnistheorien im Horizont der gegenwärtigen Philosophie (Marburg: Elwert, 1998), 63 – 71; Ulrich Barth, „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr
II.3 Die Theorie des Geistes
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thematik könnte dabei insofern ein weiteres Motiv der Umstellung auf das zweigliedrige Schema ‚theoretisch/praktisch‘ bedeutet haben, als sie ihrerseits mit der Zweiheit des theoretischen Intentionalitätsgedankens – eben in seiner Fassung durch Husserl – und seines praktischen Pendants – etwa in der Fassung durch Aristoteles – gleichfalls ebenjene neue Systematik nahelegte. Neben die kultursystematische Motivation tritt mit der Adaption der Intentionalitätsthematik eine im engeren Sinne geisttheoretische Motivation der Orientierung an der Leitdifferenz ‚theoretisch/praktisch‘. Noch recht allgemein lässt sich festhalten, dass die mit dem Husserl’schen Intentionalitätsgedanken formulierte Grundeinsicht – der zufolge Bewusstsein stets als Bewusstsein ‚von etwas‘ verstanden und der Bezug des Bewusstseins auf das andere seiner selbst als das einer intentionalen ‚Ausrichtung auf‘, eines intentionalen ‚Meinens‘ gefasst werden muss⁵² – auch für Tillichs Bewusstseins- und Geistkonzeption der 1920er Jahre fundamental ist. Die nähere Gestalt seiner frühen Rezeption ‚der‘ Phänomenologie wollen wir uns in einem Zweischritt vergegenwärtigen. Zunächst wird es um einen mehr generellen Überblick zu tun sein, der die greifbaren Belege jener Rezeption zusammenstellt, ohne dass bereits systematische Berührungspunkte bedacht würden. In einem zweiten Schritt kann dann anhand von Rechtfertigung und Zweifel eine systematische Fragestellung fokussiert werden, in deren Kontext Tillich auf Husserls Intentionalitätsgedanken rekurrieren sollte. Überblickt man die frühen Belege im Ganzen, so ergibt sich eine gewisse Zweiteilung des Befundes – divergiert dieser doch zwischen den veröffentlichten und den nicht veröffentlichten Texten erheblich. In den bis Mitte der 1920er Jahre im Siebeck, 2003), 89 – 123; Moxter, „Intuitionismus“, 186 – 195; Georg Neugebauer, „Die geistphilosophischen Grundlagen der Kulturtheologie Tillichs vor dem Hintergrund seiner Schelling- und Husserlrezeption“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 38 – 63, 47– 63. Die Stellen in Husserls Schriften, in denen sich jene bekanntlich ihrerseits auf Franz Brentano Bezug nehmende Einsicht artikuliert, sind Legion. Mit einer prägnanten Zusammenfassung Elisabeth Strökers: „Intentionalität ist das Generalthema der Philosophie Edmund Husserls. Wollte man die gleiche Rolle dem Bewußtsein zuschreiben, so wäre dies ebenso zutreffend. Denn für Husserl ist es die Intentionalität, durch welche Bewußtsein im prägnanten Sinne charakterisiert ist. Es ist also […] als Beziehung aufgefaßt dergestalt, daß es nur mittels etwas bestimmt werden kann, das nicht es selbst ist, auf das vielmehr es ‚sich richtet‘ als auf seinen Gegenstand. Dieser ist primär nicht von der Art des Bewußtseins, sondern ihm gegenüber transzendent. Das Prädikat ‚intentional‘ könnte also bloß einen Pleonasmus ergeben, gälte es nicht, die darin ausgedrückte eigentümliche Beziehung des Bewußtseins zu thematisieren und analytisch zu erhellen.“ (Elisabeth Ströker, „Intentionalität und Konstitution.Wandlungen des Intentionalitätskonzepts in der Philosophie Husserls“, in: dies., Phänomenologische Studien [Frankfurt/Main: Klostermann, 1987], 54– 74, 54).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Druck erschienenen Schriften nimmt Tillich meistenteils eher allgemein auf ‚die‘ Phänomenologie Bezug, ohne diese Referenz namentlich näher zu spezifizieren. So fungiert sie beispielsweise in der 1925 veröffentlichten Religionsphilosophie als Korrektiv zum vorgeblich einseitigen Formalismus ‚des‘ Neukantianismus.⁵³ Im System der Wissenschaften fehlt Husserls Name ebenfalls vollständig. Die wenigen Spezifizierungen in Sachen Phänomenologie im Rahmen der Veröffentlichungen jener Jahre weisen vorderhand vielmehr in eine andere Richtung. So rekurriert Tillich in dem im Januar 1922 gehaltenen Vortrag Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie nicht etwa auf Husserl, sondern auf Max Scheler.⁵⁴ Und auch die der Religionsphilosophie beigegebene kurze Literaturliste führt keine Schrift des Ersteren, jedoch Schelers 1921 erschienenen Band Vom Ewigen im Menschen an.⁵⁵ Entsprechend mag man im Hintergrund von Tillichs angelegentlichen Reformulierungen der Religionstheorie in der Begrifflichkeit von „Potenz“ und „Akt“ gleichfalls eine Rezeption Schelers vermuten.⁵⁶ Dieserart
Vgl. etwa GW I, 309: „Stünde die methodische Alternative zwischen kritischer und phänomenologischer Methode, so könnte kein Zweifel sein, daß die Phänomenologie für die Religionsphilosophie vorzuziehen wäre. Sie kommt näher und lebendiger an den Gegenstand heran, als Kritik und Dialektik es vermögen. Sie lebt in der Sache selbst, nicht in der rational-abstrakten Seite der Sache.“ Der vage bleibenden Rede von ‚der‘ Phänomenologie entspricht mithin – nicht nur hier – die ebenso unspezifische Rede von ‚der‘ Kritik bzw. ‚dem‘ Neukantianismus. Dabei attestiert Tillich auch der Phänomenologie umgehend gravierende Einseitigkeiten – vgl. ebd., 309 f. –, weswegen die eigene, „metalogische“ Methode als überbietende Synthese von kritischer und phänomenologischer Methode inszeniert wird; vgl. ebd., 313 f. Tillichs Haltung gegenüber der Phänomenologie ist so schon in der Frühzeit durch das Nebeneinander von Kritik und Rezeption gekennzeichnet. Die anderslautende Einschätzung Dirk-Martin Grubes – Tillich habe in den 1920er Jahren der Phänomenologie Husserls vorwiegend kritisch gegenübergestanden und sie erst in seiner US-amerikanischen Zeit positiv rezipiert – lebt von der Abblendung der bereits für die 1920er Jahre kaum zu übersehenden positiven Bezugnahmen Tillichs auf ‚die‘ Phänomenologie im Allgemeinen und Husserl im Besonderen; vgl. Grube, Unbegründbarkeit, 65 f. Vgl. GW I, 370.375.376. Vgl. MW 4, 169. Die die Religionsphilosophie beschließende Literaturliste, die ebendiese Schrift Schelers – Max Scheler, Vom Ewigen im Menschen. Bd. 1: Religiöse Erneuerung (Leipzig: Verlag Der neue Geist, 1921) – anführt, ist nur in den Main Works, nicht aber in den Gesammelten Werken mitabgedruckt. So etwa im Kulturtheologie-Aufsatz: „Die religiöse Potenz, d. h. eine bestimmte Qualität des Bewußtseins, ist zu unterscheiden von einem religiösen Akt, d. h. einem selbstständigen theoretischen oder praktischen Vorgang, der jene Qualität enthält.“ (GW IX, 17). Aufs Ganze gesehen ist der Potenzbegriff in den 1920er Jahren jedoch von nachgeordneter Bedeutung für Tillich – während der Aktbegriff für sich genommen gleichfalls auf Husserls frühe „Aktphänomenologie“ (Elisabeth Ströker, „Phänomenologische Aktanalyse – Grundzüge und erste Unterscheidungen“, in: dies., Husserls transzendentale Phänomenologie [Frankfurt/Main: Klostermann, 1987], 34– 41,
II.3 Die Theorie des Geistes
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vermitteln die veröffentlichten Texte der frühen 1920er Jahre den Eindruck, als sei Letzterer Tillichs erster und möglicherweise sogar einziger Gewährsmann in Sachen Phänomenologie gewesen. Die nicht veröffentlichten Texte jener Jahre zeichnen demgegenüber jedoch ein anderes Bild. Schon im Briefwechsel mit Hirsch findet sich Ende 1917 ein erster Rekurs auf Scheler und Husserl. Genauer billigt Tillich offenkundig dem Letzteren das Primat zu, wenn er ein besonderes Interesse an der „von Husserl begründete[n] phänomenologische[n] Schule, die in Scheler einen katholischen und scholastisierenden Anhänger gefunden hat“, bekundet.⁵⁷ Die Wertung Schelers als eines gewissermaßen ersten – und seinerseits ‚scholastisierenden‘ – Vertreters einer durch Husserl ins Leben gerufenen Schulrichtung findet sich in den Folgejahren immer wieder. Sie begegnet beispielsweise im Rahmen der 7. Stunde der im Sommer 1920 gehaltenen Religionsphilosophie-Vorlesung, und damit in jener Passage des frühen und mittleren Werkes, die Tillichs ausführlichste Paraphrase der phänomenologischen Methode überhaupt bietet.⁵⁸ Während Husserl hier einmal mehr als deren Begründer eingeführt wird – Tillich verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Logischen Untersuchungen –, verfällt Scheler der Kritik einer bloßen „Synonymik“.⁵⁹ Entsprechend nimmt die Vorlesung, im Gegensatz zur späteren, gedruckten Religionsphilosophie, wiederholt auf Husserl Bezug.⁶⁰ Tatsächlich galt Tillich ausweislich der unveröffentlichten Texte also Husserl, und nicht Scheler, als erste Referenz bezüglich ‚der‘ Phänomenologie. Tritt man einen Schritt zurück und fragt, warum gleichwohl Scheler in den Veröffentlichungen jener Jahre präsenter ist, dann mag dies – zumindest hinsichtlich der Religionsphilosophie – seinen schlichten Grund darin haben, dass von Letzterem mit Vom Ewigen im Menschen eine Schrift vorlag, die die phänomenologische Methode für religionsphilosophische Fragen unmittelbar fruchtbar gemacht hatte und sich folgerichtig für die Nennung in einer Literaturliste anbot.⁶¹ Mit Blick auf Husserl bedurfte es demgegenüber der Transformation, wenn nicht gar der Überblendung der diesen ursprünglich leitenden Fragestellungen durch Tillichs
37) verweist; zum scholastischen Hintergrund des Begriffspaares ‚Akt/Potenz‘ vgl. Dietrich Schlüter, „Akt/Potenz“, HWPh 1 (1971), 134– 142. EW VI, 99. Vgl. EW XII, 379 – 381. Ebd., 379. Vgl. ebd., 373.388.552 und eben ebd., 379 f. Vgl. auch die entsprechende Notiz aus einem späteren unveröffentlichten Entwurf: „Scheler hat zuerst die Anwendung [der phänomenologischen Methode; L. H.] auf die Theologie gemacht.“ (EW XI, 62).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
genuin religionstheoretisches Interesse – hierfür dürften die unveröffentlichten Texte den größeren Spielraum gewährt haben. Einen Fingerzeig auf den näheren Umfang der fraglichen Husserl-Rezeption gibt jene Passage der Religionsphilosophie-Vorlesung, in der Tillich wie notiert vergleichsweise ausführlich auf die phänomenologische Methode eingeht. Ausdrücklich ist hier mit den Logischen Untersuchungen auf dessen 1900/01 erschienenes frühes zweibändiges Hauptwerk verwiesen.⁶² Die eigentliche Erläuterung der phänomenologischen Figur des „Meinen[s]“ – und also jener Figur, die Tillich in seinen religionstheoretisch zentralen Gedanken einer ‚Richtung auf‘ transformieren sollte – erfolgt allerdings im Rekurs auf Husserls Begriffspaar ‚Noesis‘ und ‚Noema‘: „Man kann dabei noch eine Unterscheidung machen, man [wird] aufmerksam auf das Meinen selbst und auf das, was gemeint ist. Husserl unterscheidet es als νóησiς und νóημα, das heißt: den geistigen Akt und den Gegenstand, auf den er sich richtet.“⁶³ Damit aber ist der Bogen zum 1913 erschienenen ersten Band der Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie geschlagen, mit denen Husserl bekanntlich die frühere, an der Relation von ‚Akt‘ und ‚Inhalt‘ bzw. ‚Aktmaterie‘ orientierte Konzeption der Untersuchungen eben vermittels der Korrelation von ‚Noesis‘ und ‚Noema‘ zu präzisieren suchte.⁶⁴ Für seine Zwecke konnte Tillich mithin die Logischen Untersuchungen wie die Ideen, um Detailfragen wie die der internen Entwicklung der Husserl’schen Gedanken unbekümmert,⁶⁵ gleichermaßen in Anspruch nehmen. Die Intensität der tatsächlichen Lektüre lässt sich dabei kaum sicher feststellen. Tillich konnte zwar im August 1917, und also noch im Vorfeld des HirschBriefwechsels, in dem er gleichfalls wie notiert auf Husserl wie Scheler Bezug nehmen sollte, gegenüber Richard Wegener brieflich von einer geradezu atemberaubend intensiven Rezeption berichten: „In diesen drei Wochen habe ich sie [Zeit zu wissenschaftlicher Arbeit; L. H.] gehabt und von früh bis spät ausgenutzt,
Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, 2 Bde. (Halle: Niemeyer, 1900/01). EW XII, 379. Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (Halle: Niemeyer, 1913); ein entsprechender terminologischer Hinweis auf Tillichs Lektüre der Ideen findet sich im Übrigen schon in Rechtfertigung und Zweifel und also bereits für das Jahr 1919; vgl. EW X, 181. Für einen ersten Überblick über diese Entwicklung vgl. Ströker, „Intentionalität“, bes. 54– 60; Christian Bermes, Philosophie der Bedeutung: Bedeutung als Bestimmung und Bestimmbarkeit. Eine Studie zu Frege, Husserl, Cassirer und Hönigswald (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997), 105 – 131; Barth, „Grundlagen“, 97– 104.
II.3 Die Theorie des Geistes
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so daß ich gestern schon mit dem ganzen Husserl fertig wurde!“⁶⁶ Im Verbund mit der Auskunft zum Briefende, der zufolge „de[r] dritte[ ] Band von Husserl sowie seine Phänomenologie“ bestellt seien,⁶⁷ mag man an die Bände I und II.1 der Logischen Untersuchungen denken.⁶⁸ Ob Tillich sich diese – und darüber hinaus wie anvisiert den ersten Band der Ideen – allerdings im Ganzen erschlossen hat, bleibt fraglich. So finden sich im Paul-Tillich Archive der Andover-Harvard Theological Library in der Tat mutmaßlich eben auf das Jahr 1917 zu datierende Notizen zu den Logischen Untersuchungen. ⁶⁹ Jedoch bricht dort das eigentliche Exzerpt bereits nach einer guten Seite ab, um nachfolgend Überlegungen zu bieten, die mehr von Ferne von Husserl angeregt scheinen. Selbst diese enden wiederum nach sieben Seiten, da mit dem Exzerpt von Johann Adam Möhlers Symbolik eine neue Schrift in den Fokus rückt.⁷⁰ In Anbetracht der Ausführlichkeit der Möhler-Abschrift und der weiteren Exzerpte, etwa zu Hermann Lotzes System der Philosophie und Heinrich Rickerts Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, mutet die Unvollständigkeit des Husserl-Exzerpts rätselhaft an. Als Beleg der gegenüber Wegener behaupteten umfassenden wie intensiven Rezeption im Jahr 1917 vermag das betreffende Notizheft jedenfalls nicht zu dienen.⁷¹ Als gesichert kann so lediglich gelten, dass Tillich Husserl vergleichsweise früh wahrnahm und dass er ihm – wie die unveröffentlichten Texte im Gegenüber zu den Veröffentlichungen belegen – umgehend eine erhebliche Bedeutung als geistigem Haupt ‚der‘ Phänomenologie beimessen sollte. Ist ein Überblick über die greifbaren Rezeptionsbezüge gewonnen, können wir Tillichs Husserl-Rezeption im zweiten Schritt auf einen systematischen Aspekt hin EW VI, 90. Ebd., 92. Vgl. Barth, „Grundlagen“, 96 Anm. 16. PTAH, 107:006. Die Überschrift, der zufolge das Exzerpt eben zu Husserls Logischen Untersuchungen I geht, stammt offensichtlich nicht von Tillich selbst. Das Notizheft lässt sich recht sicher auf das Jahr 1917 datieren, weil sich in ihm ebenfalls ein ausführliches Exzerpt von Johann Adam Möhlers Symbolik findet; vgl. dazu auch unten III.1 b). Von dessen Lektüre hatte Tillich Wegener im besagten Brief aus dem August 1917 gleichfalls berichtet, und zwar mit dem Zusatz, dass sie ihn „z. Zt.“ beschäftige (EW VI, 91). Zudem enthält das Heft Überlegungen zum Verhältnis von theologischem Formal- und Realprinzip, die exakt mit denen des Briefes an Wegener übereinstimmen. Johann Adam Möhler, Symbolik, oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften (Regensburg: Manz, 1913 [8. u. 9. Aufl.]). Freilich ist nicht ausgeschlossen, dass Tillich das in jenem Heft abgebrochene Exzerpt an anderer Stelle fortgesetzt hat. Doch findet sich, wie mir Prof. Erdmann Sturm bestätigt hat, zumindest im Paul-Tillich-Archiv in Harvard kein weiteres Heft mit Husserl-Notizen.
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fokussieren. Während der Gedanke einer das Bewusstsein kennzeichnenden ‚Richtung auf‘ in der Erstauflage des Aufsatzes Über die Idee einer Theologie der Kultur keine Rolle spielt, begegnet er in dem ebenfalls 1919 entstandenen Text Rechtfertigung und Zweifel gleich mehrfach. Tillich scheint in dieser nicht zur Publikation vorgesehenen, allein für die Berliner Theologische Fakultät bestimmten Schrift den betreffenden Gedanken allererst zu erproben. Er dient ihm näherhin als Mittel, um eine gewisse Spannung in der eigenen Systematik auszutarieren. Wir können uns die zu hebende Schwierigkeit erneut am Kulturtheologie-Aufsatz verdeutlichen, um sie anschließend in Rechtfertigung und Zweifel zu identifizieren und die dort anvisierte Lösung zu skizzieren. Die religionstheoretische Kernthese des Aufsatzes, der zufolge Religion als Erfahrung des Unbedingten bzw. als Erfahrung ‚schlechthinniger Realität‘ zu verstehen ist, wirft die grundsätzliche Frage auf, wie sich dieses Unbedingtheitserleben zu der Sphäre des Bedingten verhält. In der Terminologie des Aufsatzes: Wie kommen die als eigentliches Relat der Religion bestimmte unbedingte Sinnrealität und die demgegenüber bedingten ‚Gegenstände‘ bzw. ‚Dinge‘ des Bewusstseins zueinander zu stehen?⁷² Eine erste Antwort gibt Tillich im Rahmen des ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schemas, das im Kulturtheologie-Aufsatz, wie gesehen, im Vordergrund steht.⁷³ Doch während die Bestimmung des (bedingten) ‚Inhalts‘ als Individuation des (unbedingten) ‚Gehalts‘ die spätere Sinnkonzeption vorzeichnet, bleiben die Überlegungen in bewusstseinstheoretischer Hinsicht unausgeführt. Tillichs diesbezügliche Auskunft – „durch die Dinge hindurch zwingt sich uns jene Realität auf“⁷⁴ – ist, obgleich sie mit der Figur des ‚durch-hindurch‘ bereits ein zentrales Element der späteren Lösung enthält, noch eher vage. Der Kulturtheologie-Aufsatz lässt mithin die Frage des näheren Verhältnisses von Unbedingtem und Bedingtem ‚im‘ Bewusstsein unbeantwortet. An diesem Punkt kann Rechtfertigung und Zweifel einsetzen, wobei die skizzierte Spannung nun in der Bestimmung des Glaubensbegriffs wiederkehrt. Denn auf der einen Seite besteht seit dem Hirsch-Briefwechsel der einzige Ausweg aus dem für die Neuzeit signifikanten Zweifel an jedweder konkreten religiösen Objektivation, an jedwedem spezifisch religiösen Bewusstseinsinhalt darin, Religion nicht mehr auf ebendiese Objektivationen zu gründen. In Rechtfertigung und Zweifel verbindet Tillich diese Generalthese mit dem Theorem der ‚Richtung auf‘, wenn er schreibt: „Der rettende Ausweg aus der Not des Zweifels ist […] allein der Glaube, […] der nun keinen von den Inhalten mehr haben kann, auf den sich der
Vgl. GW IX, 17 f. Vgl. oben II.2.1 c). Ebd., 18.
II.3 Die Theorie des Geistes
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Zweifel richtet, sondern der über die gesamte Sphäre des Zweifels hinaus sich zu dem erhebt, […] das in jedem Zweifel […] vorausgesetzt ist“⁷⁵ – nämlich eben zur Idee des Unbedingten bzw. zum „Sinn schlechthin“.⁷⁶ Da sich der Zweifel auf jeden möglichen Bewusstseinsinhalt richtet, kann das intentionale Relat der ihn überwindend in sich aufnehmenden Religion allein das – wie es in Rechtfertigung und Zweifel für das Unbedingte bevorzugt heißt – „absolute Paradox“ sein. Folgerichtig gilt Tillichs Kritik am katholischen und pietistischen Glaubensverständnis dem Umstand, dass dort jeweils eine „bedingende Vermittlung“ in den Bezug auf das Unbedingte eingeschoben werde.⁷⁷ Er schließt: „Die direkte persönliche Richtung wäre gestört durch ein bedingtes, unzuverlässiges, Schwankungen ausgesetztes Zwischenglied. […] Glaube ist persönliche, unmittelbar auf Gott gerichtete Bejahung des Paradox.“⁷⁸ Da jedes mögliche Mittelglied, jede mögliche Objektivation des Unbedingtheitserlebens als bedingtes bzw. bedingte dem Zweifel verfällt, muss nach Tillich Glaube als direkte und unmittelbare Ausrichtung auf das Unbedingte bestimmt werden. Der hier reklamierten Unmittelbarkeit und Direktheit der religiösen Beziehung auf das Unbedingte steht freilich auf der anderen Seite ein zweiter, von Tillich ebenfalls mit dem Hirsch-Briefwechsel artikulierter Gedanke entgegen. Bereits dort hatte er konstatiert, dass Religion zugleich auf Objektivation dränge und somit keinesfalls in ihrem urständlichen Moment aufgehe.⁷⁹ In das Setting von Rechtfertigung und Zweifel übersetzt, kann sich Religion also nicht in der direkten Richtung auf das Unbedingte erschöpfen. Tatsächlich greift Tillich den betreffenden Gedanken auf, wenn er zu bedenken gibt: „[D]as Bewußtsein kann nicht umhin, das Unbedingte […] zu hypostasieren. […] Erst recht in dem unmittelbaren religiösen Vorgang der gläubigen Bejahung des absoluten Paradox ist die Notwendigkeit einer anschaulichen Erfüllung des abstrakten Sinnbegriffs gegeben.“⁸⁰ Zwischen beiden Gedankenreihen besteht augenscheinlich eine Spannung: Einerseits behauptet Tillich eine unmittelbar-direkte Ausrichtung des religiösen Bewusstseins auf das Unbedingte, die durch keine bedingten Zwischenglieder gestört werden dürfe. Andererseits besteht er mit Nachdruck auf der Notwendigkeit ebensolcher bedingt-anschaulicher Zwischenglieder „für das Be-
EW X, 218. Ebd., 219. Ebd., 194. Vgl. auch ebd.: „Es bedarf keiner Zwischenglieder, um an Gott heranzukommen. Der Glaube richtet sich unmittelbar auf ihn selbst.“ Vgl. oben II.1 a). Ebd., 221.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
wußtsein“.⁸¹ Virulent wird die offene Frage nach dem Verhältnis von bedingtem Zwischenglied und Unbedingtem ‚im‘ Bewusstsein, wenn man – wie Tillich – den Gedanken einer rein intuitiven Schau des Unbedingten ablehnt. Während ein solcher die Objektivation noch als nachgängiges Produkt eines ursprünglich durch kein Mittelglied ‚verstellten‘ Unbedingtheitserlebens zu plausibilisieren sucht, und so die gleichsame Abfolge zweier Bewusstseinsrelate postulieren könnte, hält Tillich das konstitutive Ineins zweier gegenläufiger Bewegungen fest: „Durch die Erfassung des absoluten Paradox ist die grundlegende Sinnerfassung gegeben, die sich nun auswirkt in der Fülle weiterer Sinnerfassungen. […] Andererseits kann das absolute Paradox nicht anders ins Bewußtsein treten als durch bestimmte Vorstellungen, Willens- und Gefühlsbewegungen. Es ist also in der primären Erfassung des Paradox, in dem absoluten Glaubensakt, schon ein Moment der Relativität enthalten.“⁸² Um die beschriebene Spannung auszugleichen, greift Tillich nun explizit auf ein Theorem der Phänomenologie zurück: „Klärend für dieses Verhalten des Glaubens ist der von der phänomenologischen Schule gebrauchte Begriff des Meinens. Jeder Begriff meint etwas, zielt auf etwas hin, und dieses Gemeinte ist etwas ganz anderes als die Vorstellung, durch die hindurch gemeint wird. So wird das Unbedingte gemeint durch bedingte Vorstellungen hindurch.“⁸³ Dass es sich bei dem hier eingeführten Begriff des ‚Meinens‘ in einem ersten Zugriff um einen Wechselbegriff zu der zuvor bevorzugten Wendung des ‚Sich-richtens-auf‘ handelt, legt schon seine Paraphrase als ‚Hinzielen auf‘ nahe. Wenig später ist der betreffende Gedanke zudem mit der folgenden, offensichtlich parallelen Formulierung wiederholt: „Der Glaube richtet sich durch das Konkrete hindurch auf das Absolute.“⁸⁴ Bedenken wir die Motive für Tillichs Rekurs auf die phänomenologische Figur des intentionalen ‚Meinens‘, dann wird bei näherem Zusehen deutlich, dass er mit ihr den bis dahin in Rechtfertigung und Zweifel favorisierten Gedanken der ‚Richtung auf‘ nicht nur aufgreift, sondern ihn entscheidend aufstockt: An die Stelle der gleichsam ‚einfachen‘, unmittelbaren und direkten Richtung des Glaubens auf das Unbedingte tritt jetzt vermittels der Figur des ‚Meinens‘ eine solche durch das Bedingte hindurch. Folgerichtig avanciert die Figur des ‚durchhindurch‘ nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Charakteristikum seiner Geisttheorie. Das religiöse Bewusstsein hält demnach die bedingten Vorstellungen und
Vgl. die gleich doppelte Verwendung der den betreffenden Sachverhalt explizit herausstellenden Wendung „für das Bewusstsein“ (ebd., 220 f.). Ebd., 225. Ebd.; kursiv L. H. Ebd., 227; vgl. auch die Reihung im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung: „[D]as Meinen, das Gerichtetsein“ (EW XII, 379).
II.3 Die Theorie des Geistes
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die Idee des Unbedingten zugleich in sich und konstituiert zwischen beiden ein Verhältnis des ‚Hindurch‘: Die bedingte Vorstellung wird gewissermaßen zum „Durchgangspunkt“ der intentionalen Ausrichtung auf das Unbedingte.⁸⁵ Dabei will Tillich dieses und jene strikt unterschieden wissen, soll doch das ‚Gemeinte‘ ‚etwas ganz anderes‘ als jene bedingten Vorstellungen bezeichnen, die als Vehikel der Ausrichtung fungieren – offenkundig hat er hier die kategoriale Differenz bedingt/unbedingt im Sinn. Die phänomenologische Figur des ‚Meinens‘ steht für Tillich also nicht alleine für eine komplexe Struktur intentionaler Bezugnahme, sondern ebenso für die strikte Unterscheidung der Glieder jener Struktur. Die Tillich vor Augen stehende Bewusstseinsstruktur wird klarer, wenn wir den vagen Verweis auf die ‚phänomenologische Schule‘ im Sinne des zuvor Skizzierten auf Edmund Husserl hin präzisieren. So ist auffällig, dass Tillich mit einer sprachtheoretischen Überlegung einzusetzen scheint (‚Jeder Begriff meint etwas […]‘), um diese dann auf das vertraute bewusstseinstheoretische Modell umzulegen (‚[…] gemeint durch bedingte Vorstellungen hindurch.‘). Ein ganz vergleichbarer Übergang findet sich nun in Husserls Logischen Untersuchungen II – wobei hier der bei Tillich auf engstem Raum zusammengezogene Überschritt von der Sprach- zur Bewusstseinsphilosophie freilich in aller Ausführlichkeit entwickelt ist.⁸⁶ Husserl führt dort nämlich in der ersten Untersuchung Ausdruck und Bedeutung ⁸⁷ das eigene Programm am Beispiel sprachlicher Ausdrücke ein, übersetzt es aber noch im Rahmen ebenjener Untersuchung in die für ihn typische Gestalt einer Akt- bzw. Intentionalitätstheorie.⁸⁸ Die Tillich mutmaßlich vor Augen stehende – und zugleich im Sinne der eigenen Theorieinteressen erheblich modifizierte – Unterscheidung trifft Husserl dabei schon mit Blick auf den sprachlichen Ausdruck, will er doch bei diesem „zwischen dem, was er bedeutet (dem Sinn, dem ‚Inhalt‘ der nominalen Vorstellung), und dem, was er nennt (dem Ge-
Vgl. EW X, 227. In Tillichs gedrängten Formulierungen spiegelt sich mithin lediglich das Ergebnis der entsprechenden Überlegungen Husserls wider, dessen Gedankenentwicklung wird stillschweigend vorausgesetzt. Vgl. Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, Zweiter Band, I. Teil. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, Bd. 3, Gesammelte Schriften (Hamburg: Meiner, 1992), 30 – 112. Die eigentliche akt- bzw. intentionalitätstheoretische Durchführung des Husserl’schen Programms bietet dann bekanntlich die fünfte Untersuchung Über intentionale Erlebnisse und ihre ‚Inhalte‘; vgl. ebd., 352– 532. Zum Verhältnis von sprachphilosophischer und bewusstseinstheoretischer Argumentation bei Husserl vgl. Bermes, Bedeutung, 89 – 95.105 ff.; Barth, „Grundlagen“, 99 – 102.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
genstand der Vorstellung)“ differenziert wissen.⁸⁹ Husserl unterscheidet also prinzipiell zwischen der Inhalts- und der Gegenstandsdimension eines Ausdrucks. Während die Erstere in die Sphäre des Sinns verweist, stellt die Letztere den Bezug zur Sphäre der realen Gegenständlichkeit her – eine Unterscheidung, die seit den entsprechenden Überlegungen Gottlob Freges zu den Standards der modernen Semantik zählt.⁹⁰ Noch in der ersten Untersuchung vertieft Husserl nun die fragliche Differenz in entscheidender Weise, wenn er den Fokus auf die sinngebenden bzw. sinnerfüllenden Akte lenkt, welche die sprachlichen Ausdrücke erst zu solchen machen: „Vermöge dieser letzteren Akte ist der Ausdruck mehr als ein bloßer Wortlaut. Er meint etwas, und indem er es meint, bezieht er sich auf Gegenständliches.“⁹¹ Nimmt man die beiden Zitate zusammen, wird deutlich, dass Husserl ‚Inhalt‘ und ‚Gegenstand‘ selbstredend nicht einfach trennt, sondern zwischen beiden zugleich ein Verhältnis behauptet: Qua Bewusstseinsakt bezieht sich ein Ausdruck auf Gegenständlichkeit, und dieser Bezug läuft gewissermaßen ‚über‘ den jeweiligen Sinn bzw. Inhalt des Ausdrucks. Dem Inhalt kommt mithin hinsichtlich des Gegenstandsbezuges eine Vermittlungsfunktion zu.⁹² Diese Vermittlungsfunktion ist kurz darauf explizit vermerkt: „Im übrigen ist es klar, daß zwischen den beiden an jedem Ausdruck zu unterscheidenden Seiten ein naher Zusammenhang besteht; nämlich daß ein Ausdruck nur dadurch, daß er bedeutet, auf Gegenständliches Beziehung gewinnt, und daß es also mit Recht heißt, der
Husserl, Untersuchungen, 38. Vgl. die klassische Definition Freges in dem 1892 erschienenen Aufsatz Über Sinn und Bedeutung, die – abgesehen von der eigentümlichen Verwendung des Bedeutungsbegriffs zur Kennzeichnung der gegenständlichen Referenz – Schule gemacht hat: „Ein […] Zeichen […] drückt aus seinen Sinn, bedeutet oder bezeichnet seine Bedeutung. Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm dessen Bedeutung.“ (Gottlob Frege, „Über Sinn und Bedeutung“, in: ders., Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, hg. v. Günther Patzig, [Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1962], 40 – 65, 46); zu der mit dieser Definition formulierten prinzipiellen „semantischen Zweistrahligkeit“ der sprachlichen Ausdrücke vgl. Barth, „Grundlagen“, 104– 110; Roderich Barth, Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 233 ff.; vgl. auch unten III.2 b). Husserl, Untersuchungen, 44; vgl. ebd., 52: „Jeder Ausdruck […] hat nicht nur seine Bedeutung, sondern er bezieht sich auch auf irgendwelche Gegenstände. […] Niemals fällt aber der Gegenstand mit der Bedeutung zusammen. Natürlich gehören beide zum Ausdruck nur vermöge der ihm sinngebenden psychischen Akte; und wenn man in Hinsicht auf diese ‚Vorstellungen‘ zwischen ‚Inhalt‘ und ‚Gegenstand‘ unterscheidet, so ist damit dasselbe gemeint, was hinsichtlich des Ausdrucks als das, was er bedeutet […], und das, worüber er etwas sagt, unterschieden wird.“ Vgl. Barth, „Grundlagen“, 105.
II.3 Die Theorie des Geistes
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Ausdruck bezeichne (nenne) den Gegenstand mittels seiner Bedeutung“.⁹³ Diese Grundkonstruktion ist dann in den Ideen mit Hilfe der Dreiheit von ‚Noesis‘, ‚Noema‘ und ‚Gegenstand‘ nochmals klarer herausgearbeitet. Dort findet sich auch der stärker an Tillichs Terminologie erinnernde Gedanke eines Gegenständlichkeitsbezuges durch den Inhalt bzw. Sinn: „Jedes Noema hat einen ‚Inhalt‘, nämlich seinen ‚Sinn‘ und bezieht sich durch ihn auf ‚seinen‘ Gegenstand.“⁹⁴ Es dürfte diese komplexe Struktur von gleichzeitiger scharfer Unterscheidung wie funktional-vermittelnder Bezugnahme der Glieder des intentionalen Bewusstseins gewesen sein, die Tillich in systematischer Hinsicht an Husserl anknüpfen ließ. Genauer wird man sagen müssen: Tillich überblendete die von Husserl übernommene intentionalitätstheoretische Struktur, der zufolge vermittels des intensionalen Sinns der extensionale Gegenstand gemeint wird, mit der eigenen, religionstheoretisch motivierten absolutheitstheoretischen Fragestellung des Verhältnisses von Bedingtem und Unbedingtem, die als solche den Logischen Untersuchungen selbstredend fremd war. Mit der Adaption des Gedankens einer konstitutiven Vermittlungsfunktion – bei Husserl des ‚Inhalts‘, bei Tillich der ‚bedingten Vorstellungen‘ – ist das einfache, noch in Rechtfertigung und Zweifel anfänglich favorisierte Modell einer unmittelbar-direkten Ausrichtung auf das Unbedingte zumindest im Prinzip verabschiedet.⁹⁵ Zugleich ist es genau der Eintrag der kategorialen Differenz ‚bedingt/unbedingt‘, die die Fremdheit gegenüber Husserls Fassung markiert: dessen Augenmerk lag auf der strikten Unterscheidung von Sinn- und Gegenstandsdimension, eine Re-Interpretation dieser Unterscheidung im Sinne der kategorialen Unterscheidung Tillichs ist hier nicht von Ferne angelegt.⁹⁶ Dessen Paraphrase, nach der das vermittelt Gemeinte als ‚etwas ganz anderes‘ als das Vermittlungsglied verstanden werden müsse, kann
Husserl, Untersuchungen, 54. Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, Bd. 5, Gesammelte Schriften (Hamburg: Meiner, 1992), 316. Der Verhältnisbestimmung liegt wiederum die Unterscheidung von ‚Noema‘ und ‚Gegenstand‘ im Rücken, gilt es Husserl im Rahmen der Ideen doch als eine der ersten Aufgaben der phänomenologischen Reduktion, „den noematischen Sinn im scharfen Unterschied zum Gegenstand schlechthin zu fixieren“ (ebd., 222). An die dieserart komplexe Struktur des religiösen Bewusstseins kann die Symbolkonzeption systematisch anknüpfen; vgl. unten III.2 b); zur Schwierigkeit der missverständlichen, weil wiederum eine plane Ausrichtung auf das Unbedingte suggerierenden berühmten Definition der Religion als „Richtung auf das Unbedingte“, sowie der diese Schwierigkeit endgültig hebenden komplexen Bewusstseinskonzeption des Systems der religiösen Erkenntnis von 1928 vgl. unten II.3.2 c). Zu Tillichs unbedingtheitstheoretischer Umformung der Husserl’schen Intentionalitätstheorie im Sinne der eigenen religionsphilosophischen Fragestellungen vgl. auch unten II.3.2 c).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
sich so zwar auf eine Intention Husserls berufen, überblendet diese aber in einem bei diesem nicht angelegten Sinne. Insofern wird man im Letzten von einer zumindest sehr freien, zudem punktuell-selektiven Rezeption Husserl’scher Überlegungen sprechen müssen, die ganz in den Dienst der eigenen Theorieinteressen gestellt wird.⁹⁷ Nichtsdestoweniger ist die Grundschematik des intentionalen Bewusstseins nach Husserl zweifelsohne getroffen und in konstruktiver Weise für das eigene Theoriedesign fruchtbar gemacht.
c) Bewusstseinskonzeption in der Polarität von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ (1920 – 1923) Den Intentionalitätsgedanken Husserl’scher Prägung macht Tillich nun zu Beginn der 1920er Jahre zum Zentrum einer eigenen Theorie des Bewusstseins, die er – beginnend mit der Religionsphilosophie-Vorlesung im Sommer 1920 – in der Verhältnisbestimmung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ entwirft. Die fundamentale Bedeutung dieser Bewusstseinstheorie lässt sich schon daran ersehen, dass das gesamte System der Wissenschaften von 1923 auf der Relation jener – wie es dort bezeichnenderweise heißt – „Urelemente“ bzw. „Urbegriffe“ aufbaut.⁹⁸ Selbst die basalen Sinnelemente ‚Form‘ und ‚Gehalt‘ werden hier als von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ abgeleitet begriffen.⁹⁹ Bereits ganz äußerliche Anzeichen sprechen mithin dafür, dass wir mit dem Bewusstsein vor einem für Tillich schlechterdings grundle-
Tillichs Husserl-Rezeption ist dabei im Einzelnen keineswegs frei von Verzeichnungen. Exemplarisch lässt sich dies an seiner Charakterisierung der ‚phänomenologischen Methode‘ illustrieren, die ihm systematisch als Gegenmodell zur kantisch-neukantianischen ‚kritischen Methode‘ gilt. Entsprechend kann Tillich beispielsweise im Rahmen der ReligionsphilosophieVorlesung behaupten, dass Husserls Methode prinzipiell „nicht reflektiv, sondern intuitiv“ sei (EW XII, 379). Damit aber unterliegt er offenkundig einer – hinsichtlich der phänomenologischen Methodik verbreiteten – Fehleinschätzung, wenn man etwa nur Husserls eigene Charakterisierung aus der Einleitung zum zweiten Band der Logischen Untersuchungen danebenlegt. Husserl unterstreicht hier nämlich gerade deren Reflexionscharakter: „Die Quelle aller Schwierigkeiten liegt in der widernatürlichen Anschauungs- und Denkrichtung, die in der phänomenologischen Analyse gefordert wird. Anstatt im Vollzuge der mannigfaltig aufeinandergebauten Akte aufzugehen und somit die in ihrem Sinn gemeinten Gegenstände sozusagen naiv als seiend zu setzen […] oder hypothetisch anzusetzen, […] sollen wir vielmehr ‚reflektieren‘, d. h. diese Akte selbst und ihren immanenten Sinngehalt zu Gegenständen machen.“ (Husserl, Untersuchungen, 14); vgl. Husserls Diktum im Rahmen der Ideen: „[D]ie phänomenologische Methode bewegt sich durchaus in Akten der Reflexion.“ (Husserl, Ideen, 177). Vgl. GW I, 117– 123. Vgl. ebd., 123: „‚Denken‘ wird gleich ‚Form überhaupt‘ und ‚Sein‘ gleich ‚Gehalt überhaupt‘.“
II.3 Die Theorie des Geistes
349
genden „Sachverhalt“¹⁰⁰ stehen. Dabei hatte Tillich, noch abseits bewusstseinstheoretischer Überlegungen, eine mögliche Prinzipienfunktion von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ früh erwägen können, beispielsweise in der philosophischen Dissertation oder 1915/16 in Vorbereitung der geplanten Hallenser Probe- bzw. Antrittsvorlesung zum Thema Theodicee. ¹⁰¹ Ausgeführt ist das zuvor Angedachte jedoch einmal mehr erst im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung von 1920. Dort heißt es gleich zu Beginn der 3. Vorlesungsstunde: „Alle Wissenschaft geht aus von dem Verhältnis von Denken und Sein, das den Urtypus des Erkennens darstellt: der Gegensatz und die Einheit des Denkens mit dem Sein […] In der Tiefe dieses Verhältnisses liegen alle erkenntnistheoretischen und metaphysischen Probleme beschlossen.“¹⁰² Folgerichtig wird Tillich die im weiteren Verlauf der Vorlesung diskutierten Sachfragen, etwa auch die der Definition der Religion,¹⁰³ allesamt im Rekurs auf die Relation von Denken und Sein beantworten. Zudem zeigt jenes Zitat über den herausgehobenen formalen Status des Begriffspaares hinaus erste inhaltliche Näherbestimmungen an. Seine Kennzeichnung als ‚Urtypus des Erkennens‘ macht deutlich, dass es sich beim betreffenden Begriffspaar zunächst einmal um ein erkenntnistheoretisches handelt. Sein grundlegend erkenntnistheoretischer Zuschnitt lässt sich etwa auch an der Einführung im System der Wissenschaften ablesen, der zufolge ‚Denken‘ und ‚Sein‘, an der „Idee des Wissens selbst“ gewonnen, als „Urelemente des Wissens“ verstanden sein wollen.¹⁰⁴ Im Hintergrund mag man einen allerdings vergleichsweise unspezifischen Bezug auf Schleiermachers Dialektik oder einmal mehr auf Schelling vermuten, zumal bereits die frühen Überlegungen zum Verhältnis von Obwohl der von Konrad Cramer entliehene Begriff „Sachverhalt ‚Bewußtsein‘“ missverständliche Assoziationen wecken könnte – etwa die, dass es sich beim Bewusstsein gleichsam um eine ‚Sache‘ handle –, charakterisiert er den von Tillich schließlich mit dem System der Wissenschaften entworfenen Bewusstseinsbegriff genau (s.u.); zum Terminus vgl. Konrad Cramer, „‚Erlebnis‘. Thesen zu Hegels Theorie des Selbstbewußtseins mit Rücksicht auf die Aporien eines Grundbegriffs nachhegelscher Philosophie“, in: Hans-Georg Gadamer (Hg.), Stuttgarter HegelTage 1970. Vorträge und Kolloquien des Internationalen Hegel-Jubiläumskongresses (Bonn: Bouvier, 1974), 537– 603, 537. Vgl. EW IX, 168 – 172, bzw. EW X, 106: „[U]nd hier tritt die andere Gedankenreihe ein: die tiefste dialektische Tiefe, die aber, weil sie Voraussetzung aller Dialektik ist, selbst nicht mehr erfaßt werden kann; daß das Denken dem Sein gegenübersteht, kann das Denken nicht erfassen, das ist ihm Tatsache, das ist Princip des Tatsächlichen.“ Der Gedanke ist im weiteren Verlauf der Theodicee-Skizze nicht entfaltet. Vgl. überdies etwa die gleichfalls nur angedeuteten Erwägungen im Rahmen der Anfang 1920 entstandenen Vorlesung Encyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft; vgl. EW XII, 262. EW XII, 349. Vgl. ebd., 399 ff. Vgl. GW I, 117 f.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
‚Denken‘ und ‚Sein‘ im Rahmen der philosophischen Schelling-Dissertation ersichtlich erkenntnistheoretische Züge trugen.¹⁰⁵ Über die erkenntnistheoretischwissenschaftstheoretische Anlage des Begriffspaares hinaus gibt jenes Zitat aus der Religionsphilosophie-Vorlesung weiterhin einen ersten Hinweis zur näheren Relation der beiden Glieder zueinander. Tillich fasst sie hier gemäß der Formel ‚Gegensatz und Einheit des Denkens mit dem Sein‘. Tatsächlich strukturiert das entsprechende „dialektische Doppelverhältnis des Denkens zum Sein“¹⁰⁶ alle weiteren Näherbestimmungen vor. Wie die betreffende Dialektik von Gegensatz und Einheit zu denken ist, führt Tillich im Rahmen der 10. Vorlesungsstunde aus. Der dort vorgeschaltete methodische Hinweis, demzufolge eine „Selbstanalyse des Denkens in seinem ursprünglichen Meinen“¹⁰⁷ anvisiert ist, verdeutlicht zweierlei. Einmal hat die Verhältnisbestimmung von Denken und Sein die methodische Operation einer – wie es später im Wissenschaftssystem heißen wird – „Selbstanschauung des lebendigen Wissens“¹⁰⁸ im Rücken, die ersichtlich dem im nachkantischen Idealismus so prominenten Gedanken der ‚intellektuellen Anschauung‘ nachgebildet ist.¹⁰⁹ Gemäß dem Präfix ‚Selbst-‘ ist die mentale Operation wesentlich reflexiv. Diese Reflexivität sichert nicht zuletzt den kritischen Anspruch der vorgelegten Konzeption: Der Begriff des ‚Seins‘ wird nicht einfach gesetzt, sondern aus der Analyse des ‚Denkens‘ selbst heraus als notwendiger Gegenbegriff entwickelt. Und zweitens ist mit dem Begriff des ‚Meinens‘ bereits die Brücke angedeutet, vermittels derer das ursprünglich erkenntnis- bzw. wissenstheoretische Begriffspaar ‚Denken/Sein‘ nunmehr eben eine bewusstseinstheoretische Anreicherung im
Mit der dortigen Rekonstruktion der Schelling’schen ‚Potenzenlehre‘ anhand des Begriffspaares waren zugleich die erkenntnistheoretischen Prinzipien der Schelling-Rekonstruktion insgesamt gewonnen; vgl. EW IX, 168 ff. Zum generellen Bezug auf Schelling und Schleiermacher vgl. auch den allerdings nicht weiter spezifizierten Hinweis im Rahmen der Encyclopädie-Vorlesung von 1920: „Die Notwendigkeit, von einer letzten Besinnung über das Wesen des Wissens auszugehen. Im Wissen wird unmittelbar erlebt die Beziehung des Denkens auf das Sein. […] In dieser Urform, der Identität des Widerspruchs von Denken und Sein, erfaßt sich das Wissen (Schelling, Schleiermachers Dialektik).“ (EW XII, 262); zur Anlage von Schleiermachers Dialektik vgl. Ulrich Barth, „Der Letztbegründungsgang der ‚Dialektik‘. Schleiermachers Fassung des transzendentalen Gedankens“, in: ders., Aufgeklärter Protestantismus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 353 – 385, 359 – 362. EW XII, 354. Ebd., 399. GW I, 120; vgl. auch ebd., 119. Tatsächlich wird Tillich im System der Wissenschaften in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf Fichtes Wissenschaftslehre als Vorbild verweisen; vgl. ebd., 120 mit ebd., 114.
II.3 Die Theorie des Geistes
351
Sinne des Husserl’schen Intentionalitätsgedankens erfahren wird. Jene anvisierte ‚Selbstanalyse des Denkens‘ präzisiert Tillich nun in jener 10. Vorlesungsstunde wie folgt: Wenn das Denken sich selbst in seiner letzten Einfachheit betrachtet, […] dann erlebt es in sich die Doppelheit eines Aktes und eines Gegenstandes. Dieser Gegenstand aber besteht gerade darin, von dem Akt gemeint, erfaßt, identisch mit ihm selbst gesetzt zu werden, und dieser Akt besteht gerade darin, einen Gegenstand zu meinen, zu erfassen, ihn in sich hereinzuziehen.¹¹⁰
Der Zugang über die Begrifflichkeit von ‚Akt‘ und ‚Gegenstand‘ ist uns aus dem Kulturtheologie-Aufsatz vertraut.¹¹¹ Sie ist jetzt als Resultat der kritischen Selbstanalyse des Denkens ausgewiesen. Mit Blick auf die für das Verhältnis von Denken und Sein konstitutive Dialektik von Gegensatz und Einheit bezeichnet dabei noch ganz allgemein die Doppelheit von ‚Akt‘ und ‚Gegenstand‘ den Aspekt der Differenz, wohingegen das Moment ihres ‚Identisch-Setzens‘ bzw. des ‚In-sich-Hineinziehens‘ des Seins in das Denken den Aspekt ihrer Einheit benennt. Von besonderem Interesse für die weitere Verhältnisbestimmung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ ist näherhin der Dreischritt ‚Meinen‘, ‚Erfassen‘ und ‚Identisch-Setzen‘.¹¹² Es liegt nahe, dass Tillich mit ihm eine erkenntnistheoretische Steigerungsbewegung zum Ausdruck bringt: ‚Meinen‘ bezeichnet demnach die Form der basalen Bezugnahme des Denkens auf Sein. Erkenntnis, ein Wissen um den Gegenstand im eigentlichen Sinne, liegt hingegen erst mit dem dritten Schritt des ‚Identisch-Setzens‘ vor. Diese Ausdifferenzierung entspricht beispielsweise der Husserl’schen Unterscheidung eines lediglich vermeinenden, signifikativen Aktes auf der einen und dessen Erfüllung durch einen davon unabhängigen zweiten, bedeutungserfüllenden Akt auf der anderen Seite: Wie bei Husserl das signifikative Vermeinen eines ‚Etwas als eines Etwas‘ als mentale Grundoperation vom Gegebensein dieses Etwas in der Anschauung, wie es im bedeutungsverleihenden Akt gemeint war, unterschieden werden muss,¹¹³ so unterscheidet Tillich zwischen dem reinen ‚Meinen‘ eines Etwas und seinem ‚Identisch-Setzen‘ in einem davon unabhängigen Schritt. Der Verzicht auf den Terminus der ‚Erfüllung‘, der sich von Husserl her nahelegen würde, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass Tillich den Erfüllungsbegriff seinerseits als sinntheoretischen Begriff verwendet und ihn
EW XII, 399. Vgl. GW IX, 17; vgl. oben II.2.1 a). Die darüber hinausgehenden Überlegungen der Religionsphilosophie-Vorlesung zum Verhältnis von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ – vgl. EW XII, 399 – 402 – werden wir im Rahmen der Rekonstruktion des Systems der Wissenschaften je und je hinzuziehen. Vgl. Husserl, Untersuchungen, 43 – 45.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
also primär für die Sinntheorie reserviert wissen wollte.¹¹⁴ Seine Wahl des Identitätsbegriffs anstelle des Erfüllungsbegriffs erscheint demgegenüber allerdings nur als bedingt glücklich: Vor dem Hintergrund der Husserl’schen Konzeption handelt es sich nämlich vielmehr um ein Kongruent-Setzen von – verkürzt gesprochen – vermeintem und anschaulich gegebenem Gegenstand, und nicht um deren Identisch-Setzen.¹¹⁵ Tillichs Rückgriff auf den Identitätsgedanken dürfte hingegen dem Erbe eines identitätsphilosophischen Wissensbegriffs geschuldet sein, wie er für das Frühwerk bezeichnend war.¹¹⁶ Die terminologische Kontinuität zum Vorkriegswerk steht bei näherem Zusehen jedoch in der Gefahr, an Husserl gewonnene Einsichten zu verstellen. Präziser wäre die Formulierung eines Überschritts vom ‚Meinen‘ zum ‚Kongruent-Setzen‘ im eigentlichen Wissensakt. Die 1920 im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung formulierte erste Zuordung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ ist in der einleitenden ‚Allgemeinen Grundlegung‘ des Systems der Wissenschaften von 1923 dann aufgenommen und zugleich merklich differenziert. Sie dient dort, ausgewiesen eben als Explikation der ‚Idee des Wissens selbst‘,¹¹⁷ der Formulierung eines höchsten Prinzipiengefüges für das nachfolgend entwickelte System. Wir können diese Bestimmung zum Anlass nehmen, die prinzipielle Grundlegung des Systems der Wissenschaften noch mehr allgemein zu der des frühen Systementwurfs ins Verhältnis zu setzen: Während Tillich das höchste Prinzipiengefüge in der Systematischen Theologie von 1913 in der Spannung von ‚Denken‘ und ‚Wahrheit‘ entfaltet wissen wollte,¹¹⁸ tritt jetzt an die Stelle des Wahrheitsbegriffs der des ‚Seins‘. In Anbetracht der 1923 im weiteren Verlauf des Wissenschaftssystems vorgenommenen exklusiven Reservierung des Wahrheitsbegriffs
Ein Nebeneffekt dieser terminologischen Entscheidung besteht darin, dass der Erfüllungsgedanke seinen systematischen Ort bei Tillich nicht mehr primär, wie noch bei Husserl, im einzelnen Erkenntnisakt hat.Vielmehr ist er erheblich großräumiger angelegt, nämlich in erster Linie mit Bezug auf das Verhältnis von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘; vgl. oben II.2.2 c). Diese Theorieentscheidung, die Tillichs gleichsam ‚globalistisch‘-universalem Anspruch Rechnung trägt, bedeutet andersherum einen Verlust gegenüber Husserls eher nüchternen erkenntniskritischen Überlegungen. Erst im Zusammenhang des entwickelten Geistbegriffs kehrt der Erfüllungsgedanke bei Tillich in von Ferne vergleichbarer Funktion wieder; vgl. unten II.3.2 b). Eine kongruenztheoretische Bestimmung der dritten Stufe hätte sich zudem etwa auch von jenen Überlegungen Schleiermachers her nahegelegt, denen zufolge Wissen als Übereinstimmung von Denken und Sein, nicht aber als deren Identisch-Werden zu begreifen ist; vgl. Barth, „Letztbegründungsgang“, 356 – 359. Vgl. oben I.1. Vgl. GW I, 117. Vgl. oben I.2 a).
II.3 Die Theorie des Geistes
353
im Sinne der ‚Geltungswahrheit‘ für die ‚logische‘, also theoretisch-wissenschaftliche Geistesfunktion¹¹⁹ lässt sich mit jener begrifflichen Verschiebung eine systematische Pointe ausmachen: Die sukzessive vorgenommene Umstellung auf den Seinsbegriff als Pendant zu dem des Denkens indiziert, dass Tillich die frühere Orientierung am Wahrheitsbewusstsein rückblickend als gedanklich zu eng ansah. Der schließlich mit dem Sinnbegriff artikulierten kulturtheoretischen Weite entspricht geist- bzw. bewusstseinstheoretisch die gleichfalls im Rahmen der ‚Allgemeinen Grundlegung‘ formulierte Einsicht: „Der Zugang zum Sein [als Relat des Denkens; L. H.] geht ja ebenso wie durch die logische durch die ästhetische, ethische, soziale, religiöse Funktion. Für jede dieser Funktionen ist das Sein etwas anderes, und doch ist in allen dasselbe gemeint.“¹²⁰ An die Stelle der früheren Orientierung am Wahrheitsbewusstsein soll die Orientierung am intentionalen Bewusstsein überhaupt treten. Dessen interne Struktur will Tillich eben primär gemäß der Figur des ‚Meinens‘ bestimmt wissen. Mit dieser Anlage ist einerseits eine Entschränkung des grundlegenden Begriffspaares ‚Denken‘ und ‚Sein‘ anvisiert, insofern Letzteres nicht mehr allein erkenntnistheoretisch, sondern allgemein bewusstseinstheoretisch verstanden sein soll: Nicht jede intentionale Bezugnahme auf Gegenständlichkeit ist theoretisch-erkennender Natur, daneben sollen gleichwertig die ästhetische, ethische etc. Funktion treten. Andererseits nimmt Tillichs Beschreibung des intentionalen Bewusstseins eben doch ihren Ausgang von dessen erkennender Funktion und bleibt diesem Paradigma, wenngleich vermittelt, verpflichtet. Die die Bewusstseinsfunktionen übergreifende Figur des Meinens relativiert so die insgesamt noch immer erkenntnistheoretische Anlage, ohne allerdings den betreffenden Charakter der Verhältnisbestimmung von Denken und Sein ganz zum Verschwinden zu bringen. Die Grundspannung zwischen erkenntnistheoretischer Präfiguration einerseits und erklärter Entschränkung zugunsten nicht gnoseologischer Funktionen der Bezugnahme andererseits durchzieht so Tillichs Bewusstseinstheorie im Ganzen. Der dieserart changierenden Näherbestimmung der Relation von Denken und Sein mit Hilfe der Figur des Meinens gilt nun der innerhalb der ‚Allgemeinen Grundlegung‘ des Systems der Wissenschaften der in prinzipientheoretischer Hinsicht
Zur Differenz von ‚Geltungswahrheit‘ und ‚Ausdruckswahrheit‘ sowie zur Zuweisung der Ersteren zur Geistesfunktion der ‚Wissenschaft‘ vgl. ebd., 249.299 f. mit ebd., 246 – 248. Im Methodischen entspricht jener programmatischen Erweiterung des zunächst erkenntnistheoretischen Begriffspaares ‚Denken‘ und ‚Sein‘ zu einem allen Bewusstseinsfunktionen gemeinsamen Schema der Überschritt von der logischen zur ‚metalogischen‘ Methode; vgl. ebd., 122 f.313 f. Ebd., 122.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
nochmals gesondert zu beachtende Unterabschnitt ‚Das Prinzip des Systems der Wissenschaften‘.¹²¹ Mit der an ebenjener Relation gewonnenen Aufstellung eines höchsten Prinzipiengefüges ist er als exaktes systematisches Äquivalent zu dem in den §§ 1– 3 der Systematischen Theologie von 1913 Entwickelten anzusehen. Der Abschnitt baut sich so auf, dass auf eine allgemeine prinzipientheoretische Hinführung, die im Wesentlichen ein Plädoyer für ein einziges, aus der Idee des Wissens entwickeltes Prinzip darstellt,¹²² die eigentliche Entwicklung des Prinzipiengefüges folgt.¹²³ Diese unterteilt sich ihrerseits in eine einleitende Charakterisierung der Relation von ‚Denken‘ und ‚Sein‘,¹²⁴ die Aufstellung dreier ‚Sätze‘ als Zentrum¹²⁵ und schließlich deren Erläuterung.¹²⁶ Mit der prinzipientheoretischen Hinführung kehrt dabei einmal mehr jenes Changieren zwischen erkenntnistheoretischer und allgemein-intentionalitätstheoretischer Argumentation wieder, vor allem aber ist mit ihr die von Tillich anvisierte Gestalt der fraglichen Relation weiter präzisiert. Im Ausgang von der ‚Idee des Wissens selbst‘ heißt es: In jedem Wissensakt ist ein Doppeltes enthalten, eben der Akt, und das, worauf er sich richtet, das Meinen und das Gemeinte. Wenn wir den Akt, durch den sich das Bewußtsein im Interesse gegenständlicher Erfassung auf irgend etwas richtet, ‚Denken‘ nennen, und das, worauf er sich richtet, ‚Sein‘, so haben wir die beiden im Wissen enthaltenen Grundelemente als Denken und Sein bestimmt.¹²⁷
‚Denken‘ ist hier grundlegend als intentionaler Akt der ‚Richtung auf‘ definiert, ‚Sein‘ als ‚Gemeintes‘, als Korrelat ebendieses Aktes. Die strikte Relationalität beider Glieder bedingt im Verbund mit dem Grundlegungscharakter (‚Grundelemente‘) des Verhältnisses eine entscheidende, von uns einleitend hervorgehobene Pointe, nämlich die schlechthin fundamentale Funktion von Bewusstsein. Entsprechend erklärt das System der Wissenschaften umgehend: „Wir können darum das Denken gar nicht anders bestimmen, als daß wir es als den Akt definieren, der auf das Sein gerichtet ist, und wir können das Sein nicht anders de-
Vgl. ebd., 117– 120. Vgl. ebd., 117. Im Anschluss an die Rekonstruktion der analogen Überlegungen der Systematischen Theologie von 1913 lässt sich festhalten, dass Tillichs Plädoyer für die Aufstellung „ein[es] Prinzip[s]“ (ebd.; kursiv i. O.) wiederum als Plädoyer für ein höchstes Prinzipiengefüge zu interpretieren ist; zu den systematischen Gründen vgl. oben I.2 a). Vgl. ebd., 117 f. Vgl. ebd., 118 f. Vgl. ebd., 119 f. Ebd., 118.
II.3 Die Theorie des Geistes
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finieren, als das vom Denken Gemeinte, das, worauf der Denkakt gerichtet ist. Es ist völlig unmöglich, über diese Wechselbestimmung der Urbegriffe hinauszukommen“.¹²⁸ Mit dem „Urverhältnis“¹²⁹ von Denken und Sein haben wir demnach bei Lichte besehen nicht allein eine strenge, sondern vielmehr eine – mit einem Begriff Hans Wagners – „konstitutive Relation“ vor uns, also ein Wechselbestimmungsverhältnis, das seine Glieder völlig, ausschließlich und allererst bestimmt. ¹³⁰ Ist dem Verhältnis von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ somit eine fundamentale Konstitutionsfunktion zugesprochen, dann ist mit dem in der polaren Spannung beider Elemente beschriebenen Bewusstsein ein schlechterdings grundlegender ‚Sachverhalt‘ bezeichnet – demgegenüber sich etwa der Geistgedanke als nachgängig erweisen wird.¹³¹ Die strikt relationale Fassung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ muss nun aber zumal in ihrer Zweigliedrigkeit die Rückfrage aufwerfen, wie sich die abschließende mentale Operation des mit der Religionsphilosophie-Vorlesung benannten Dreischritts – Meinen, Erfassen, Identisch-Setzen – in dieses Modell einfügen lassen soll. Denn die Operation des Identisch- bzw. Kongruent-Setzens hat ja ihrerseits eine interne Differenziertheit am Orte der logischen Position des ‚Seins‘ zur Voraussetzung: Diesseits einer entsprechenden Ausdifferenzierung, und also gleichsam des Vorliegens zweier unterscheidbarer Größen, ist die Frage ihres Kongruierens bzw. Nicht-Kongruierens gar nicht sinnvoll zu stellen. Diese Schwierigkeit scheint sich Tillich jedoch mit der zweigliedrigen Relation von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ im Sinne eines konstitutiven Wechselbestimmungsverhältnisses – demzufolge ‚Sein‘ alleine als ‚das vom Denken Gemeinte‘ definiert ist – einzuhandeln. Die betreffende systematische Leerstelle mag ein Seitenblick auf Husserl verdeutlichen, der in den Logischen Untersuchungen diesbezüglich eine „fundamentale Unterscheidung“ angemahnt hatte. Er differenziert genauer zwischen der anschauungsleeren, nicht erfüllten Bedeutungsintention einerseits und deren anschaulich erfülltem Pendant andererseits:
Ebd. Vgl. EW XII, 354. Vgl. Hans Wagner, Philosophie und Reflexion (München Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 21967), 124. Die in der betreffenden Grundlegungspassage GW I, 117– 120 aufs Ganze gesehen mehr implizite absolutheitstheoretische Valenz der – dieserart von uns im Sinne Wagners als ‚konstitutiv‘ rekonstruierten – Relation von Denken und Sein spricht sich explizit im Grunde nur in Tillichs Bezeichnung der auf die prinzipientheoretische Hinführung folgenden drei ‚Sätze‘ aus. Die ersten beiden benennt er nämlich als „Satz des absoluten Denkens“ bzw. „Satz des absoluten Seins“ (ebd., 118 f., kursiv L. H.); zum demgegenüber abgeleiteten Status des dritten „Satz[es] des Geistes“ vgl. unten II.3.2 a).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Dieses Gegenständliche kann entweder vermöge begleitender Anschauungen aktuell gegenwärtig oder mindestens vergegenwärtigt erscheinen (z. B. im Phantasiebilde). Wo dies statthat, ist die Beziehung auf Gegenständlichkeit realisiert. Oder dies ist nicht der Fall; […] Die Beziehung des Ausdrucks auf den Gegenstand ist jetzt insofern unrealisiert, als sie in der bloßen Bedeutungsintention beschlossen ist. […] Indem sich die zunächst leere Bedeutungsintention erfüllt, realisiert sich die gegenständliche Beziehung.¹³²
Für die hier formulierte Möglichkeit einer gegenständlich nicht realisierten Bewusstseinsintention scheint bei Tillich kein systematischer Ort, wenn er das Verhältnis von ‚Denken‘ und ‚Sein‘, Intention und Gegenständlichkeit als schlichte wechselseitige Relation konzipiert, ‚Sein‘ also alleine qua Intention immer schon auf Bewusstsein bezogen sein lässt.¹³³ Bewusstseinsintention und gegenständliche Erfüllung scheinen in naiver Weise in eins zu fallen. Die Problemstellung lässt sich auch auf die oben skizzierte, von Tillich mit Rechtfertigung und Zweifel erreichte Erweiterung des intentionalitätstheoretischen Schemas abbilden, die sich in der Figur des ‚durch-hindurch‘ verdichtete: Für diese Figur bedarf es offenkundig wiederum einer internen Differenziertheit der logischen Position des ‚Seins‘, sollen doch – in der Formulierung von Rechtfertigung und Zweifel – sowohl die ‚bedingten Vorstellungen‘ wie, in freilich vermittelter Weise, ‚das Unbedingte‘ an dieser Position zu stehen kommen können.¹³⁴ Die fragliche Differenziertheit der Seinsposition muss in der konstitutiven Relation von ‚Denken‘ und ‚Sein‘, wie sie mit dem System der Wissenschaften als Paradigma des ausgereiften Bewusstseinsbegriffs vorgestellt und entfaltet ist, zumindest angelegt sein.¹³⁵ Die Rekonstruktion von Tillichs Bewusstseinsbegriff wird nun dadurch erschwert, dass dieser sich hinsichtlich der näheren Verhältnisbestimmung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ ganz überwiegend einer eher illustrativ-metaphorischen Sprache bedient.¹³⁶
Husserl, Untersuchungen, 44; vgl. Ernst Tugendhat, Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger (Berlin: Walter de Gruyter, 1967), 46 ff. In der Terminologie der Husserl’schen Ideen: Die Noesis mag sich zwar über den Sinn eines Noemas auf Gegenständlichkeit richten, doch ist damit für sich genommen keineswegs garantiert, dass sich die betreffende Intention auch erfüllt; vgl. zur Differenz von ‚Noema‘ und ‚Gegenstand‘ die pointierten Überlegungen bei Wagner, Philosophie, 29 – 34. Vgl. EW X, 225; vgl. im Einzelnen oben II.3.1 b). Vgl. auch Moxters – im Einzelnen freilich anders gelagerte – Rückfrage bezüglich der Dreistelligkeit von Tillichs Bewusstseinsbegriff: Wenn Bewusstsein „Etwas-als-etwas-Verstehen“ bedeutet, dann muss gelten: „Intentionalität ist nie eine zweistellige Relation.“ (Moxter, „Intuitionismus“, 192). Just diesen Anschein kann das Begriffspaar ‚Denken‘/‚Sein‘ in seiner Funktion als konstitutive Relation jedoch erwecken. Vgl. exemplarisch die mehr lyrischen Ausführungen im Rahmen der ReligionsphilosophieVorlesung: „Das Denken erlebt also das Sein in der Doppelform des Feindlichen, Fremden, Er-
II.3 Die Theorie des Geistes
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Jedoch impliziert die nachgerade mythisierende Darstellungsform keineswegs den Verzicht auf einen theoretisch ausweisbaren Bewusstseinsbegriff.Vielmehr ergeht in den Texten wiederholt die Aufforderung, die hinter der mythisierenden Form liegenden Bewusstseinsstrukturen selbst anzuvisieren.¹³⁷ Als begrifflich belastbar erweisen sich diesbezüglich eben die Reflexionen, die das System der Wissenschaften einleiten. Hier liegt mit drei ‚Sätzen‘ – dem „Satz des absoluten Denkens“, dem „Satz des absoluten Seins“ und dem „Satz des Geistes“ – nebst deren unmittelbar anschließenden Erläuterungen Tillichs Begriff des Bewusstseins, wie auch der Übergang zum Geistbegriff, in konzentrierter Form vor.¹³⁸ Stellen wir den Überschritt zum Geistgedanken vorerst zurück¹³⁹ und nehmen die ersten beiden ‚Sätze‘ und deren Erläuterungen im Ganzen in den Blick, dann ist einmal mehr die notierte Spannung zwischen offensichtlich erkenntnistheoretischer Anlage und allgemein-bewusstseinstheoretischer Abzweckung zu konstatieren: Während die beiden ‚Sätze‘ selbst sowie die Erläuterung des ersten ‚Satzes‘ ihren Ausgang ersichtlich von der Erkenntnistheorie nehmen, unternimmt erst die Erläuterung des zweiten ‚Satzes‘ den Ausgriff auf eine Theorie des intentionalen Bewusstseins überhaupt, ohne dass der betreffende Übergang von Tillich eigens ausgewiesen wäre. Erst mit ebendieser Erläuterung ist aber sein Bewusstseinsbegriff wirklich erreicht. Entsprechend stellt ihre Interpretation den Zielpunkt des Folgenden dar. Wenden wir uns gleichwohl zunächst den beiden ‚Sätzen‘ – „1. Das Sein ist im Denken gesetzt als das Umfaßte, Begriffene, als Denkbestimmung. 2. Das Sein ist vom Denken gesucht als das Fremde, Unfaßbare, dem Denken Widerstrebende […] Die erste Aussage kann lauten: Das Sein ist Denkbestimmung (der Satz des absoluten Denkens). Die zweite Aussage kann lauten: Das Sein ist Widerspruch des Denkens (der Satz des absoluten Seins).“¹⁴⁰ – zu und ziehen die nachfolgende
schreckenden, Grauenvollen, [als] das, was es nicht durchdringen kann, vor dem es hinsinkt, und zugleich, wenn es sich von ihm hat lossagen wollen, wenn es über es hat triumphieren wollen, als das, wonach es sich sehnt, aus dem ihm selbst Sinn, Bedeutung und Gehalt entspringen, das Beseligende, in Einheit mit dem es allein seine Ruhe finden kann.“ (EW XII, 401). Vgl. Tillichs Anmerkung im unmittelbaren Kontext des vorstehenden Zitats: „Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen einen Mythos erzählt; denn ich habe abstracte Begriffe personificiert und mit emotionalen Elementen ausgestattet. [… W]as gemeint ist, sind die intuitiv von jedem unter Ihnen zu erfassenden Grundmotive des Denkens“ (ebd., 400). Vgl. den entsprechenden Hinweis im System der Wissenschaften: „Das klingt fast wie ein Mythos, wie wenn diese Begriffe ‚Denken‘ und ‚Sein‘ zu göttlichen Urwesen erhoben würden, aus deren Titanenkampf die Welt erklärt werden soll. Nichts derartiges ist gemeint. Es handelt sich um den Sinn, den jeder, auch der einfachste Bewußtseinsakt, in sich trägt.“ (GW I, 119). Vgl. ebd., 118 – 120. Vgl. dazu unten II.3.2 a). Ebd., 118 f.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Erläuterung des ersten ‚Satzes‘ noch hinzu. Das bestimmungslogische¹⁴¹ ‚als‘ in beiden ‚Sätzen‘ zeigt an, dass es sich beim Akt des Denkens grundlegend um einen solchen des Bestimmens handelt: Das Sein wird jeweils vom Denken als etwas bestimmt. ‚Denken‘ heißt für Tillich – über den Aspekt seiner reinen Aktuosität hinaus – primär Bestimmen und erzeugt dementsprechend Bestimmtheit. Im Hintergrund lassen sich unschwer die grundlegenden Überlegungen der Systematischen Theologie von 1913 ausmachen, in deren Rahmen Denken gleichfalls als ‚Setzen von Bestimmtheit‘ entfaltet worden war.¹⁴² Während die fragliche Bestimmungstätigkeit dort jedoch dem ‚Begriff‘ vorbehalten blieb, soll sie nunmehr – wie die zugehörige Erläuterung präzisiert – „mit Hilfe von Begriffen, Gesetzen, Zusammenhängen“ erfolgen.¹⁴³ Dürfte Tillich ein kategoriales Bestimmen im weitesten Sinne vor Augen haben,¹⁴⁴ so manifestiert sich im betreffenden Verständnis des ‚Denkens‘ als einer Bestimmungstätigkeit jedenfalls der erkenntnistheoretische Hintergrund seiner bewusstseinstheoretischen Überlegungen.¹⁴⁵ Die Bestimmungsaktivität kennt nun rein aus der eigenen Logik heraus keine innere Grenze. Von der Warte der kategorialen Bestimmungstätigkeit aus erscheint die dieserart allererst gesetzte Gegenständlichkeit somit in letzter Konsequenz als reines Produkt ihrer selbst. Im Modus des Denkens muss ‚Sein‘ folglich ausschließlich als Bestimmtheit, als „Denkbestimmung“ erscheinen: „So löst sich die ganze Wirklichkeit in ein Netz von Denkbestimmungen auf, bis alles Sein übergegangen ist in die Einheit des Denkens und also das Sein selbst aufgelöst ist in das Denken.“¹⁴⁶
Zumindest in einem ersten Zugriff – vor dem Hintergrund des gesamten Gedankengangs, und also der vollständigen Verhältnisbestimmung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘, wird deutlich werden, dass mit jenem doppelten ‚als‘ neben einem bestimmungslogischen Sinn auch die ‚Klammer‘ des Vermeintseins bezeichnet ist. Vgl. EW IX, 283 f.; vgl. oben I.2 b). GW I, 119. Vgl. auch Tillichs Illustration der Bestimmungstätigkeit im Rahmen der ReligionsphilosophieVorlesung: „Es ist aber noch etwas anderes im Denken, […] das […] sagt: Und doch ist all dieses […] ein Gedanke! Es ist in mir, es ist eine Bestimmung, die ich setze, die ich wieder aufhebe. […] Der Stein, dessen Realität ich gesetzt habe, ist ja doch nur ein Knotenpunkt von Kategorien und Anschauungsformen, angewandt auf ein Vorstellungsbündel!“ (EW XII, 400). Obgleich Tillich also gemäß seinem über die eigentliche Erkenntnistheorie hinaus erweiterten Anspruch zeigen müsste, inwiefern beispielsweise ein rein praktischer Bewusstseinsakt sein ‚gegenständliches‘ Relat in spezifischer Weise ‚bestimmt‘, ist das fragliche Setzen von Bestimmtheit allein im Rekurs auf das Erkennen spezifiziert; vgl. etwa die Kennzeichnung der ‚Begriffe, Gesetze und Zusammenhänge‘ als „Schöpfungen des im Erkennen erscheinenden Denkens“ (GW I, 119; kursiv L. H.). Ebd.; vgl. EW XII, 400: „Es ist aber noch etwas anderes im Denken, etwas Sieghaftes, das […] sagt: Und doch ist all dieses, auch die Tatsache des schlechthin Seienden, ein Gedanke! Es ist in
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Demgegenüber unterstreicht der ‚Satz des absoluten Seins‘ mit der ‚Fremdheit‘ des Seins gegenüber dem Denken den gegenläufigen Aspekt: Sein soll nach Tillich nicht einfach in Denkbestimmtheit aufgehen. Im Hintergrund mag man Kants Bestimmung des Erkenntnisobjektes als desjenigen, „was dawider ist“, vermuten.¹⁴⁷ Während der ‚Satz‘ selbst noch einmal ganz dem erkenntnistheoretischen Paradigma folgt, wird dieses mit der zugehörigen Erläuterung aufgebrochen und zugunsten einer allgemein bewusstseinstheoretischen Fassung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ erweitert. Dort heißt es: Aber in jedem Denken ist mehr gemeint als bloßes Denken: Gemeint ist etwas, was jenseits des Denkprozesses liegt, etwas, das an sich, abgesehen von irgendwelchem Bewußtsein ‚ist‘, etwas, vor dem jedes Bewußtsein als vor etwas Unauflöslichem steht, das es ins Unendliche nicht aufnehmen kann, das es einfach anerkennen muß. Das ist die Fremdheit des Seins gegen das Denken, die unendliche Kluft, die zwischen beiden gesetzt ist […].¹⁴⁸
Die theoretische Struktur des nachfolgend wiederum mit eher metaphorischen Formulierungen Umschriebenen¹⁴⁹ lässt sich nun anhand des Eingangssatzes jener Erläuterung – ‚Aber in jedem Denken ist mehr gemeint als bloßes Denken: Gemeint ist etwas, was jenseits des Denkprozesses liegt, etwas, das an sich, abgesehen von irgendwelchem Bewußtsein ‚ist‘ – erheben. Hier liegt mithin – so unsere These – der Schlüssel zu der Frage, inwiefern Tillichs Bewusstseinsbegriff dem vom Husserl’schen Vorbild vorgegebenen Differenziertheitsgrad bezüglich der logischen Position des ‚Seins‘ genügt, oder ob er, in der schlichten zweigliedrigen Relation von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ konstruiert, hinter dieses zurückfällt. Dabei erweist es sich für die Interpretation jenes zentralen Erläuterungssatzes als hilfreich, neben dem Husserl’schen ein weiteres bewusstseinstheoretisches Modell hinzuzuziehen. Näherhin ist es eine von Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der ‚Einleitung‘ seiner 1807 erschienenen Phänomenologie des Geistes formulierte Überlegung, die in der Sache weiterführt.¹⁵⁰ Für unsere Zwecke können wir uns mir, es ist eine Bestimmung, die ich setze, die ich wieder aufhebe. Was kostet es mich, das Sein aufzuheben und zu sagen: Es ist nicht, was kostet es mich, von jedem einzelnen Sein zu sagen: es könnte auch nicht sein, ich kann es aufheben; denn ich setze es.“ Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Hamburg: Meiner, 31990), 152a (A 105). GW I, 119. Vgl. im Zitat eben die Stichworte einer ‚Fremdheit des Seins gegen das Denken‘ oder einer ‚unendlichen Kluft‘ zwischen beiden. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes (Hamburg: Meiner, 1988), 57– 68. Schon Tillich selbst konnte im Übrigen in seinen 1931/32 in Frankfurt gehaltenen Vorlesungen über Hegel mit Bezug auf die Einleitungspassage der Phänomenologie eine Querverbindung zwischen Hegels und Husserls Fassungen des Bewusstseins ziehen, ohne dort freilich den Bogen
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ganz überwiegend an die Beobachtungen halten, die Konrad Cramer für die von ihm als „Hegels Satz des Bewußtseins“ betitelten Passage jener ‚Einleitung‘ notiert hat.¹⁵¹ Hegel konstatiert an der betreffenden Stelle in Anlehnung und gleichzeitiger Kritik an Karl Leonhard Reinholds berühmten ‚Satz des Bewusstseins‘¹⁵² hinsichtlich der Struktur des Bewusstseins: Dieses unterscheidet nämlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht; […] und die bestimmte Seite dieses Beziehens, oder des Seins von etwas für das Bewußtsein ist das Wissen.Von diesem Sein für ein anderes unterscheiden wir aber das an sich Sein; das auf das Wissen Bezogene wird eben so von ihm unterschieden, und gesetzt als seiend auch außer dieser Beziehung; die Seite dieses an sich heißt Wahrheit.¹⁵³
Erwägen wir die in der Unterscheidung von ‚Wissen‘ und ‚Wahrheit‘ herauspräparierten Strukturmerkmale von Bewusstsein Schritt für Schritt, so sensibilisiert bereits das von Hegel eingangs Vermerkte – ‚Dieses unterscheidet nämlich […]‘ – für einen von Tillich mehr implizit in Anspruch genommenen, gleichwohl fundamentalen Aspekt. Wenn gemäß Hegel schon der einfachen wissenden Bezugnahme auf etwas eine Unterscheidungsleistung des Bewusstseins im Rücken liegt – eben das Unterscheiden dieses Etwas von sich –, dann ist eine solche offensichtlich gleichfalls in Tillichs Bewusstseinsbegriff einzutragen: Um den intentionalen Bezug von ‚Denken‘ auf ‚Sein‘ etablieren zu können, müssen beide
zur eigenen, in der Spannung von Denken und Sein gehaltenen Bewusstseinskonzeption zu schlagen; vgl. EW VIII, 429.438 f. Konrad Cramer, „Bemerkungen zu Hegels Begriff des Bewußtseins in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes“, in: Rolf-Peter Horstmann (Hg.), Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1978), 360 – 393.Wo im Folgenden abkürzend von Hegels ‚Satz des Bewusstseins‘ die Rede ist, ist entsprechend ein ‚sog.‘ mitzudenken – stammt die Bezeichnung der betreffenden Überlegungen doch nicht von Hegel selbst, sondern eben von Cramer. Die bleibende Bedeutung von Cramers Beobachtungen lässt sich schon an dem Umstand ersehen, dass sie gleich mehreren Autoren des instruktiven Sammelbandes Hegels Einleitung in die Phänomenologie des Geistes als erster Gesprächspartner in Sachen Hegels Bewusstseinstheorie gelten; vgl. Jindrich Karasek/Jan Kunes/Ivan Lauda (Hg.), Hegels Einleitung in die ‚Phänomenologie des Geistes‘ (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006). „[D]ie Vorstellung [wird] im Bewusstsein durch das Subjekt vom Objekt und Subjekt unterschieden und auf beyde bezogen“ (Karl Leonhard Reinhold, Über das Fundament des philosophischen Wissens. Über die Möglichkeit der Philosophie als strenge Wissenschaft [Hamburg: Meiner, 1978], 78). Zu der Frage, wie sich die von Hegel in der ‚Einleitung‘ der Phänomenologie angestellten Überlegungen zu denen Reinholds näherhin verhalten, vgl. Cramer, „Bemerkungen“, 384– 389; Jindrich Karasek, „Bewußtsein als Subjekt. Zu Hegels Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie in der ‚Einleitung‘ zur Phänomenologie des Geistes“, in: ders./Kunes/Lauda (Hg.), Hegels Einleitung, 141– 154. Hegel, Phänomenologie, 64.
II.3 Die Theorie des Geistes
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zuvor unterschieden werden. Bewusstsein lässt sich folgerichtig sogar – mit Cramer – nachgerade als das „Machen eines Unterschieds“ zwischen Wissen und Wahrheit, Denken und Sein definieren.¹⁵⁴ Bei Tillich ist diesem Sachverhalt mit der Anlage des Bewusstseinsbegriffs in der polaren Spannung von Denken und Sein gewissermaßen stillschweigend Rechnung getragen. Den betreffenden Aspekt gilt es nicht zuletzt deswegen mit Nachdruck festzuhalten, weil das Differenzmoment dieserart nicht alleine seinem Bewusstseinsbegriff, sondern in der Konsequenz auch dem aus Letzterem entwickelten Geistbegriff fundamental eingeschrieben ist¹⁵⁵ – und weil sich an der Unterbelichtung des hier ursächlich verankerten Differenzmomentes weitreichende, nichtdestoweniger aber wirkmächtige Fehldeutungen von Tillichs Denkansatz wie seiner Theoriebildung im Ganzen festmachen konnten.¹⁵⁶ Weiterhin unterstreicht der erste Satz des Hegel-Zitates einen Aspekt, der von Tillich im fraglichen Zusammenhang nicht recht reflektiert wird: Das doppelte ‚sich‘ – ‚Dieses unterscheidet nämlich etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht‘ – zeigt an, dass Hegel Bewusstsein eine prinzipielle Selbstbezüglichkeit beilegt. In der Folge interpretiert Cramer dessen ‚Satz des Bewusstseins‘ dahingehend, dass Bewusstsein, eben um etwas von sich unterscheiden und sich auf dasselbige beziehen zu können, konstitutiv als Bewusstsein seiner selbst verfasst sein muss: „Als das Machen dieses Unterschieds ist Bewußtsein bewußte Beziehung auf sich.“¹⁵⁷ Bei Tillich ist hingegen nicht wirklich zu erkennen, inwiefern Bewusstsein immer in eins als Selbstbewusstsein verstanden sein will. Deutlich ist lediglich, dass die methodische Reflexion auf die Struktur von Bewusstsein ih-
Cramer, „Bemerkungen“, 378. Vgl. ebenfalls das Fazit Ulrich Schlössers, demzufolge Bewusstsein im Sinne Hegels als „Operation des Differenzierens“, als „Grundoperation des Differenzierens zwischen Wissen und Wahrheit“ bestimmt werden kann (Ulrich Schlösser, „Bewußtseinsbegriff und Beweisstruktur in Hegels ‚Einleitung‘ zur Phänomenologie des Geistes“, in: Karasek/Kunes/Lauda [Hg.], Hegels Einleitung, 181– 191, 187). Vgl. unten II.3.2 a). Zu denken ist vor allem an Gunther Wenz’ Tillich-Interpretation, der zufolge das Strukturprinzip von Tillichs Denken als das der „Identität von Identität und Differenz“ zu bestimmen sei (Wenz, Subjekt, 103 u. ö.) – worüber das Differenzmoment de facto zur reinen Durchgangsstation herabsinkt, da die Betonung ganz auf dem der übergreifenden Identität liegt. Entsprechend spitzt Wenz die Interpretation von Tillichs Verhältnisbestimmung von Denken und Sein mit dem ‚Satz des Geistes‘ allein auf die „Identität von Denken und Sein“ zu (ebd., 143) – eine Interpretation, die sowohl sachlich ob der einseitigen Zuspitzung wie methodisch ob des umstandslosen Überblendens von bewusstseins- und geisttheoretischer Argumentation problematisch ist; vgl. auch unten II.3.2 a). Cramer, „Bemerkungen“, 379.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
rerseits notwendigerweise die Möglichkeit des Selbstbezuges voraussetzt.¹⁵⁸ Inwiefern diese Möglichkeit jedoch auf der Ebene des Bewusstseins selbst oder aber auf einer nachgeordneten Ebene – der des Geistes – zu verorten ist, wird mit den das System der Wissenschaften einleitenden prinzipientheoretischen Überlegungen nicht recht klar. Die Orientierung am Husserl’schen Intentionalitätsparadigma¹⁵⁹ wie das Verständnis der die Bewusstseinstheorie tragenden Begriffe ‚Denken/Sein‘ als Glieder einer ‚konstitutiven Relation‘ sprechen eher gegen die Annahme einer dem Bewusstsein eigenen Reflexivität. Jedenfalls lässt sich festhalten, dass Tillich der betreffenden Frage keine gesonderte Aufmerksamkeit hat zukommen lassen – was insofern bemerkenswert ist, als sie mit Cramer als zentrale bewusstseinstheoretische Frage zu veranschlagen ist.¹⁶⁰ Vor allem ist ein Aspekt von Bewusstsein hervorzuheben, dem der letzte Teil des Hegel-Zitates Ausdruck verleiht. Er ist es, der die Entscheidung unserer Leitfrage ermöglicht, inwiefern Tillichs Konzeption von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ dem Vorbild Husserls gerecht zu werden vermag. Wenn hier das ‚an sich Sein‘, die ‚Wahrheit‘ von Hegel als ‚gesetzt als seiend auch außer dieser Beziehung‘ – also der zuvor beschriebenen Beziehung von ‚Wissen‘ und ‚Wahrheit‘ im Bewusstsein – bestimmt wird, dann ist damit ein Interpretationsschlüssel zum Verständnis von Tillichs Verhältnisbestimmung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ an die Hand gegeben: Demzufolge unterscheidet Bewusstsein nicht nur etwas von sich, worauf es sich zugleich bezieht, sondern – und das ist Hegels entscheidende Pointe – es setzt dieses etwas als auch jenseits der eigenen Vollzüge, jenseits der eigenen Unterscheidungs- und Bezugsoperation von ihm Unterschiedenes, als „Gegenstand in sensu stricto“.¹⁶¹ In der Konsequenz wird jenes ‚Etwas‘, auf das Bewusstsein in-
Vgl. etwa den oben notierten, die 10. Vorlesungsstunde der Religionsphilosophie-Vorlesung einleitenden methodischen Hinweis auf die „Selbstanalyse des Denkens in seinem ursprünglichen Meinen“ (EW XII, 399). Cramers Rekonstruktion zufolge setzt sich der mit den Logischen Untersuchungen etablierte Bewusstseinsbegriff gerade hinsichtlich der Frage, inwiefern Selbstbewusstsein durch wissende Selbstbeziehung definiert sein soll, von den klassischen idealistischen Konzeptionen ab; vgl. Cramer, „‚Erlebnis‘“, 538 – 547; zur diesbezüglich scharfen Kritik Cramers an Husserl vgl. ebd., 583.590 u. ö. Vgl. Cramers ausführliche Überlegungen zu der Frage, dass und inwiefern Bewusstsein im Lichte des Hegel’schen ‚Satzes des Bewusstseins‘ konstitutiv als Selbstbewusstsein zu verstehen ist; vgl. Cramer, „Bemerkungen“, 373 – 380. Vgl. ebd., 377: „Erstens charakterisiert Hegel Bewußtsein als Bewußtsein von einem Gegenstand in sensu stricto. Das Bewußtsein setzt in der Beziehung auf das, wovon es Bewußtsein ist, das, wovon es Bewußtsein ist, als ein vom Bewußtsein Unterschiedenes, das heißt als ein solches, das unabhängig davon Bestand hat, daß oder ob Bewußtsein von ihm vorliegt oder nicht.“; vgl. zudem Schlössers Paraphrase des betreffenden Gedankens, der zufolge Bewusstsein
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tentional Bezug nimmt, in gewisser Weise zweisinnig: Es bezeichnet einmal den ‚intentionalen Gegenstand‘, der dem intentionalen Akt gleichsam als Appendix strukturell zugehört. Und es bezeichnet zudem den ‚wirklichen Gegenstand‘, der in jenem Akt als von ihm unabhängig, als an-sich-seiend vermeint wird.¹⁶² Die betreffende Differenzierung eröffnet dem Hegel’schen Modell allererst Raum für die Frage nach der Wahrheit des vom Bewusstsein je und je Gemeinten – dergestalt, dass jetzt gefragt werden kann, ob die An-sich-Vermeinung des jeweiligen intentionalen Gegenstandes zu Recht besteht. Der bei Hegel in der zweigliedrigen Relation von ‚Wissen‘ und ‚Wahrheit‘ konzipierte Bewusstseinsbegriff vermag mithin in Cramers Rekonstruktion der von Husserl angemahnten Möglichkeit einer in der Anschauung gegenständlich unerfüllt bleibenden Intention Rechnung zu tragen. Genau jene mit Cramer für Hegels ‚Satz des Bewusstseins‘ notierte Zweisinnigkeit lässt sich nun – zurück zum System der Wissenschaften – zwanglos auf das von Tillich dort in der Relation von Denken und Sein konzipierte Bewusstseinsmodell abbilden. Denn wenn die Erläuterung zum ‚Satz des absoluten Denkens‘ formuliert – ‚Aber in jedem Denken ist mehr gemeint als bloßes Denken: Gemeint ist etwas, was jenseits des Denkprozesses liegt, etwas, das an sich, abgesehen von irgendwelchem Bewußtsein ‚ist‘‘ –, dann ist jetzt erkennbar, dass Sein hier vom Denken präzise als bewusstseinstranszendent Vermeintes in den Blick genommen ist. Die mit dem Seinsbegriff bezeichnete ‚Gegenständlichkeit‘ ist somit Tillich zufolge dem Bewusstsein weder einfach immanent noch ihm schlichtweg ‚fremd‘ bzw. extern. Vielmehr ist ihr gleichfalls die von Hegel markierte interne Differenzierung zugedacht. Auch nach Tillich ist also im intentionalen Akt zwischen der konkret bestimmten Gegenständlichkeit, dem ‚intentionalen Gegenstand‘ einerseits, und deren An-sich-Vermeintsein als eines ,wirklichen Gegenstandes‘ andererseits zu unterscheiden: Die logische Position des ‚Seins‘ ist, entgegen dem ersten Augenschein, als in sich nochmals differenziert zu denken. Um der betreffenden Binnendifferenzierung des Seinsbegriffs ebenfalls sprachlich Ausdruck zu verleihen, wäre der entscheidende Erläuterungssatz im System der Wissen-
im Anschluss an Hegel „als ein Differenzieren zwischen Wissen und Wahrheit gefaßt werden [muss] – als eben jener Akt des Abhebens des Gegenstandes von seiner Präsenz, den wir vollziehen, wenn wir annehmen, daß der Gegenstand fortdauert, auch wenn ich mich abwende.“ (Schlösser, „Bewußtseinsbegriff“, 186); vgl. auch Wagner, Philosophie, 99 f. Vgl. Elisabeth Ströker, „Die Idee der Phänomenologie als Grundwissenschaft der Philosophie“, in: dies., Phänomenologie, 55 – 63, 60 f. Strökers Darstellung ist die terminologische Unterscheidung von bewusstseinsimmanentem, „intentionale[m] Gegenstand“ einerseits und bewusstseinstranszendentem „wirkliche[m] Gegenstand“ andererseits entnommen (ebd.).
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schaften – ganz im Sinne des Vorstehenden – wie folgt zu modifizieren: ‚Aber in jedem Denken ist mehr gemeint als bloß Gedachtes: Gemeint ist etwas, was jenseits des Denkprozesses liegt, etwas, das an sich, abgesehen von irgendwelchem Bewußtsein ‚ist‘.‘ In derart modifizierter Form wird deutlich, inwiefern Tillichs vorderhand zweigliedriges Modell der von Husserl angemahnten Möglichkeit eines zwar intendierten, aber nicht realisierten Gegenstandbezuges Rechnung tragen kann – kann sich doch das Gedachte als der Vermeinung seines An-sich-Seins inadäquat erweisen. Der Bewusstseinsstruktur in der Dreiheit von intentionalem Akt (Noesis), intentionalem Gegenstand (Noema) und wirklichem Gegenstand bei Husserl entspricht somit bei Tillich die mit der Korrelation von Denken und Sein in der skizzierten Form angelegte Dreiheit von ‚Denken‘, ‚Gedachtem‘ und ‚Sein‘.¹⁶³ Dabei ist hervorzuheben, dass die Differenz von Gedachtem und Sein, ‚intentionalem‘ und ‚wirklichem Gegenstand‘ selbst nicht wieder gegenständlicher Natur ist, obwohl Tillichs weithin am Begriff des Seins bzw. des Gegenstandes orientierte Terminologie dies nahelegen könnte. Vielmehr handelt es sich um eine Unterscheidung im Sinn, wie die mögliche Deckung beider ‚Gegenstände‘ gleichfalls allein im vermeinenden Akt des Bewusstseins statthat. Mit der Erläuterung zum ‚Satz des absoluten Seins‘: „Es handelt sich [bei der Relation von Denken und Sein; L. H.] um den Sinn, den jeder, auch der einfachste Bewußtseinsakt, in sich trägt.“¹⁶⁴ Diesbezüglich genügt Tillichs Bewusstseinstheorie mithin ebenfalls den kritischen, etwa an Hegel und Husserl zu erhebenden Standards.¹⁶⁵ Vor dem Hintergrund der an Hegels ‚Satz des Bewusstseins‘ gewonnenen Präzisierungen können wir uns abschließend noch einmal den beiden im System der Wissenschaften formulierten Sätzen des absoluten Denkens – ‚Das Sein ist im
Insofern ist der von Christian Danz gegebene Hinweis, für Tillich lasse sich der „Übergang vom Bewußtsein zum Selbstbewußtsein als Form des Geistes […] als Übergang von einer zweistelligen zu einer dreistelligen Relation rekonstruieren“ (Danz, Freiheitsbewußtsein, 305), dahingehend zu präzisieren, dass die fragliche Dreistelligkeit bereits mit dessen Bewusstseinsbegriff angelegt ist – wenngleich sie erst im Geist voll zum Austrag kommt; vgl. auch unten II.3.2 b) und c). GW I, 119. Für Husserl vgl. Tugendhat, Wahrheitsbegriff, 38 f. u. ö.; für Hegel vgl. exemplarisch Cramer, „Bemerkungen“, 379: „Die Unterscheidung zwischen dem Beziehen des Gegenstandes und dem Gegenstand als gesetzt auch außer dieser Beziehung […] muß in das Bewußtsein selbst fallen.“ Die Definition des Bewusstseins als des ‚Machens eines Unterschieds‘ kann mithin im Sinne eines „in es selber fallende[n] Unterscheiden[s] zwischen sich und seinem Gegenstand“ präzisiert werden (Konrad Cramer, „Bewußtsein und Selbstbewußtsein. Vorschläge zur Rekonstruktion der systematischen Bedeutung einer Behauptung Hegels im § 424 der Berliner Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften“, in: Dieter Henrich (Hg.), Hegels philosophische Psychologie [Bonn: Bouvier, 1979], 215 – 225, 217).
II.3 Die Theorie des Geistes
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Denken gesetzt als das Umfaßte, Begriffene, als Denkbestimmung‘ – bzw. absoluten Seins – ‚Das Sein ist vom Denken gesucht als das Fremde, Unfaßbare, dem Denken Widerstrebende‘ – zuwenden.¹⁶⁶ Die vom Bewusstsein in der intentionalen Bezugnahme auf ein ‚etwas‘ zugleich vollzogene Unterscheidungsleistung lässt sich zusammenfassend wie folgt differenzieren: Einmal setzt es das von ihm Unterschiedene als Bestimmtes, indem es ihm Denkbestimmungen beilegt. Neben diesen wird dem denkenderweise kategorial Bestimmten, dem Gedachten, zudem Sein, Gegenständlichkeit in einem starken Sinne, zugesprochen: Es wird als auch unabhängig vom Bestimmungsvorgang So(‐wie bestimmt‐)Seiendes gesetzt. Für diesen Differenzierungsschritt stehen bei Tillich die Stichworte des ‚Fremden‘ bzw. ‚Widerstrebenden‘.Vor dem Hintergrund dieser Differenzierung kann der gedachte Gegenstand – mit der Formulierung aus der Religionsphilosophie-Vorlesung – als ‚identisch mit ihm selbst gesetzt‘ und insofern als bewusstseinsunabhängiger, ‚wirklicher‘ Gegenstand in sensu strictu gesetzt werden. Dass bei diesem Alsidentisch-Setzen wiederum die Differenz von gedachtem und wirklichem Gegenstand nicht verloren geht, kommt darin zum Ausdruck, dass das Gedachte genauer vom Bewusstsein als von ihm unabhängig seiend, als ‚wirklich‘ und somit als ihm fremd vermeint wird. Es ist nun – überblickt man Tillichs Ausführungen zum Verhältnis von Denken und Sein im Ganzen – die besondere Stärke der beiden im System der Wissenschaften formulierten ‚Sätze‘, dass die Rückbindung aller Aussagen über die Fremdheit des Seins gegenüber dem Denken an ebenjene ‚Klammer‘ des Vermeintseins mitreflektiert und artikuliert ist: Während anderwärts Denken und Sein als gleichsam ontologische, in sich stabile Größen erscheinen können,¹⁶⁷ wird das Sein explizit als das vom Denken Umfasste bzw. als das ihm Fremde gekennzeichnet.¹⁶⁸ Vergegenwärtigt man sich die skizzierten, bei Tillich selbst eher stillschweigend vorausgesetzten Differenzierungen, dann ist die im Gefolge Husserls charakteristische Bewusstseinsstruktur des Etwas-als-etwas-Vermeinens hier in der Sache adäquat in eine eigene Konzeption übersetzt. Die beiden ‚Sätze‘ des Wissenschaftssystems stellen mithin, zumal im Verbund mit den Erläuterungen zum zweiten ‚Satz‘, die ausgereifte Fassung seines anhand der Begriffe Denken und Sein entfalteten Bewusstseinsbegriffs dar. Insofern mit jenen ‚Sätzen‘
Vgl. GW I, 118. Vgl. schon die den ‚Sätzen‘ unmittelbar beigegebenen Kurzformeln, „Das Sein ist Denkbestimmung“ bzw. „Das Sein ist Widerspruch des Denkens“ (ebd., 118 f., kursiv L. H.), mit denen jene ‚Klammer‘ des Vermeintseins hinter dem schlichten ‚ist‘ zu verschwinden droht. Dieser zweite Sinn des ‚als‘ in den beiden ‚Sätzen‘ tritt somit – vor dem Hintergrund des voll entfalteten Verhältnisses von Denken und Sein – neben dessen ersten, bestimmungslogischen Sinn (s.o.).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
die invarianten Strukturmomente eines jeden Falls von Bewusstsein benannt sind, lässt sich – einmal mehr mit Konrad Cramer – für Tillich tatsächlich von einem transzendentalen „Sachverhalt ‚Bewusstsein‘“ sprechen.¹⁶⁹
d) Ertrag und Ausblick Im Zuge der mit dem Hirsch-Briefwechsel anhebenden Reorientierung der eigenen Theoriebildung modifiziert Tillich auch die Geisttheorie erheblich. Als deren Grundlage dient nun eine – sich ebenfalls im Briefwechsel bereits von Ferne andeutende – Theorie des intentionalen Bewusstseins. Im Hintergrund steht offenkundig die Intentionalitätstheorie Edmund Husserls. Im Zuge der Formierung eines eigenen transzendentalen Bewusstseinsbegriffs verabschiedet Tillich zunächst mit dem Programmaufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur das überkommene vermögenspsychologische Schema im Sinne der Dreiheit von kognitivem, voluntativem und emotionalem Vermögen und orientiert sich an seiner Stelle an der Zweiheit von ‚theoretischen‘ und ‚praktischen Geistesfunktionen‘. Neben antipsychologistischen und kultursystematischen Motiven dürfte zumal die Umstellung auf den Intentionalitätsgedanken ausschlaggebend gewesen sein. Dessen Adaption kommt noch 1919 mit dem unveröffentlichten Entwurf Rechtfertigung und Zweifel systematisch zum Tragen: Tillich formuliert zwar gleichfalls die Figur einer den Glauben kennzeichnenden unmittelbaren Richtung auf Gott. Daneben tritt jetzt aber mit der explizit als phänomenologisch eingeführten Figur des ‚Meinens‘ die komplexere Bewusstseinsgestalt einer mittelbaren Ausrichtung auf das Unbedingte vermittels bedingter Vorstellungen. Als Terminus technicus jener vermittelten Ausrichtung fungiert die Formel eines ‚durch-hindurch‘. Der Grundschematik nach entspricht dieses Modell der von Husserl genauer im Rahmen der Logischen Untersuchungen vorgenommenen funktionalen Hinordnung der Sinnbezugnahme auf die des intentionalen Gegenstandes. Zugleich überblendet Tillich das von Husserl übernommene Grundmodell mit der eigenen, jenem fremden religionsphilosophischen Fragestellung einer intentionalen Ausrichtung auf das Unbedingte. Die ausgereifte Bewusstseinskonzeption entwirft Tillich dann in der polaren Spannung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘. Im System der Wissenschaften ist deren Verhältnis genauer als absolutes Verhältnis im Sinne einer – mit Hans Wagner – ‚konstitutiven Relation‘ gedacht. In Interpretation der entsprechenden ersten beiden prinzipientheoretischen ‚Sätze‘ des Wissenschaftssystems – des ‚Satzes des
S.o. die einleitenden Überlegungen zu II.3.1 c); zu Cramers entsprechenden Erwägungen zum „Sachverhalt ‚Bewusstsein‘“ vgl. Cramer, „‚Erlebnis‘“, 537 f.
II.3 Die Theorie des Geistes
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absoluten Denkens‘ und des ‚Satzes des absoluten Seins‘ – zeigt sich im Seitenblick auf Hegel’sche Überlegungen zum Begriff des Bewusstseins, dass mit der zweigliedrigen konstitutiven Relation von Denken und Sein der Husserl’schen Differenzierung von ‚intentionalem‘ und ‚wirklichem Gegenstand‘ Rechnung getragen ist: Im Rahmen der bewusstseinstheoretischen Klammer des Vermeintseins wird die logische Position des ‚Seins‘ in der Unterscheidung von ‚Gedachtem‘ und ‚Sein‘ in sensu stricto zweisinnig. Die weitere Entwicklung der mit dem transzendentalen „Sachverhalt ‚Bewusstsein‘“ (Konrad Cramer) angelegten differenzierten Struktur ist Sache der eigentlichen Geisttheorie.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
II.3.2 Ausgestaltung des Geistgedankens (1923 – 1927/28) „Geist aber ist nicht Bewußtsein, sondern Geist ist Sinn.“¹ – Von dieser thetischen Formulierung Tillichs, getätigt gegen Ende der Religionsphilosophie-Vorlesung von 1920, können die folgenden Überlegungen ihren Ausgang nehmen. Genauer: Obgleich zwischen Bewusstseins- und Geistgedanken offensichtlich große systematische Nähe besteht – abzulesen an ihrer gemeinsamen, eng miteinander verschränkten Einführung im Rahmen jener prinzipientheoretischen Reflexionen des Systems der Wissenschaften, anhand derer wir den in der konstitutiven Relation von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ entwickelten Bewusstseinsbegriff Tillichs rekonstruiert hatten² – soll Letzterer sich von Ersterem wiederum abheben lassen. Der in der Religionsphilosophie-Vorlesung gegebene Hinweis auf den Sinngedanken taugt freilich, zumindest in der dieserart allgemeinen Form, schwerlich zur Angabe des spezifischen Differenzkriteriums zwischen ‚Bewusstsein‘ und ‚Geist‘: Wie gesehen lässt sich schon Tillichs vollständig entfalteter Begriff des Bewusstseins allein im Rückgriff auf den Sinnbegriff bzw. auf die Unterscheidung von ‚Sinn‘ und ‚Gegenstand‘ verständlich machen.³ So muss der Sinngedanke selbst im Übergang von Bewusstsein zu Geist nochmals in veränderter Weise in den Blick kommen. Ein erster, mehr allgemeiner Fingerzeig zum näheren Verhältnis von Bewusstseins- und Geistbegriff lässt sich nun vergleichsweise einfach dem System der Wissenschaften entnehmen: Während Tillich dem in der Spannung der ‚Urelemente‘ Denken und Sein konzipierten Bewusstsein den Status einer transzendentalen Struktur zuweist, verortet er Geist auf einer nachgeordneten Ebene. So erklärt er etwa gleich zu Beginn des dritten Systemteils ‚Die Geistes- oder Normwissenschaften‘ ausdrücklich: „Der Begriff des Geistes ist nicht so ursprünglich wie die Begriffe Denken und Sein; er ist von ihnen abhängig.“⁴ Demnach handelt es sich in einem ersten Zugriff bei Geist um eine gewissermaßen
EW XII, 554. GW I, 117– 120; vgl. oben II.3.1 c). Vgl. die Kennzeichnung des dialektischen Spannungsverhältnisses von Denken und Sein als des „Sinn[es], den jeder, auch der einfachste Bewußtseinsakt, in sich trägt.“ (ebd., 119). Entsprechend erwies sich die für Tillichs voll entfalteten Bewusstseinsbegriff entscheidende Differenzierung am Orte der logischen Position des ‚Seins‘ eben als eine solche des Sinnes: Die Differenz zwischen ‚intentionalem‘ und ‚wirklichem‘ Gegenstand, zwischen Noema und ‚wirklichem‘ Gegenstand in sensu strictu ist eine Differenz, die ihrerseits unter der Kategorie des Sinnes, nicht unter der des Seins begriffen werden muss; vgl. oben II.3.1 c). Ebd., 210. Der nachgängige Status von Geist klingt bereits bei dessen Einführung im Rahmen der ‚Allgemeinen Grundlegung‘ des Wissenschaftssystems an, wenn Tillich einsetzt: „Es kommt aber noch ein Drittes [zu Denken und Sein; L. H.] hinzu […]“ (ebd., 119; kursiv L. H.).
II.3 Die Theorie des Geistes
369
abgeleitete Größe, die die Charakteristika von Bewusstsein aufnimmt und zugleich – in zu explizierender Weise – modifiziert.⁵ Ist mit dem gegenüber Bewusstsein abgeleiteten Status ein erster Aspekt von Tillichs Geistbegriff berührt, so wird sich zeigen, dass er diesen 1923 näherhin in zwei aufeinander aufbauenden theoretischen Zugriffen entfaltet. Der erste, den wir als ‚Konstitutionstheorie‘ des Geistes bezeichnen können, gilt eben dem Übergang von Bewusstsein zu Geist. Die systematische Nähe der zugehörigen Überlegungen zu denen der Bewusstseinstheorie ist schon daran ersichtlich, dass sie sich nicht im Geistkapitel des Systems der Wissenschaften selbst finden, sondern – noch im Rahmen von dessen ‚Allgemeiner Grundlegung‘ – im unmittelbaren Anschluss an jene.⁶ Dementsprechend tritt die Abhängigkeit des Geistbegriffs von denen des Denkens und Seins in diesem Zusammenhang deutlich hervor. Demgegenüber hat dann der dritte Teil des Wissenschaftssystems, überschrieben ‚Die Geistes- oder Normwissenschaften‘,⁷ die interne Struktur des Geistes selbst zum Thema. Die wesentlichen Kerngedanken finden sich dabei wiederum in der ‚Grundlegung‘ des betreffenden Systemteils.⁸ Zwar kann Tillich auch hier vielfach den Rückbezug zur fundamentalen Verhältnisbestimmung von Denken und Sein herstellen. Gleichwohl steht diese nicht mehr im Zentrum seiner eigentlichen – wie wir sie nennen wollen – ‚Strukturtheorie‘ des Geistes. An ihre Stelle tritt vielmehr der umgehend als „grundlegende Kategorie des Geistigen“ eingeführte Gedanke des „Schöpferische[n]“.⁹ Wie wir sehen werden, expliziert dieser zweite Zugriff vor allem die enge Verschränkung, die Geist und Sinn nach Tillich eingehen.¹⁰ Die beiden Zugriffe bilden im Verbund den Kern von Tillichs Geisttheorie. Wir konzentrieren uns nachfolgend zunächst ganz auf sie, wobei wir
Im Grunde impliziert schon das strenge Wechselbestimmungsverhältnis von ‚Denken‘ und ‚Sein‘, dass es neben ihnen kein drittes Urelement des Wissens geben kann. Dementsprechend überwiegen die Stellen, an denen Tillich den abgeleiteten Status von ‚Geist‘ auch ausdrücklich notiert – vgl. ebd., 117 f.210 u. ö. –, gegenüber denen, an denen dieser als scheinbar gleichrangiges drittes Element des Wissens firmiert; vgl. ebd., 230. Die betreffende systematische Unschärfe einer Nebenordnung von Denken, Sein und Geist ist ungünstigerweise immer wieder in der Forschungsliteratur reproduziert; vgl. exemplarisch Thomas Weiß, Religio vera? Zur religionsphilosophischen Lösung der Wahrheitsproblematik im deutschen Werk Paul Tillichs (Weimar:VDG, 2000), 27.28 u.ö. Vgl. GW I, 118 – 123. Ebd., 210 ff. Vgl. ebd., 210 – 230. Ebd., 211. Der Begriff des Schöpferischen begegnet bereits in der ‚Allgemeinen Grundlegung‘, wird dort jedoch nicht weiter ausgeführt; vgl. ebd., 121. An ihn kann entsprechend etwa die Figur der „geisttragenden Gestalt“ anknüpfen, mit der Tillich zugleich den Bogen zur zeitgenössischen Biologie und Psychologie schlug.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
uns an der skizzierten Abfolge von der systematisch grundlegenden ‚Konstitutionstheorie‘ hin zu der den Geistgedanken eigentlich entfaltenden ‚Strukturtheorie‘ orientieren.¹¹ Den Zielpunkt der geisttheoretischen Überlegungen der 1920er Jahre markieren allerdings nicht die Reflexionen des ‚Doppelwerkes‘ von 1923, sondern die des 1927/28 entstandenen, seinerzeit unveröffentlichten Systems der religiösen Erkenntnis. Mit der dort anhand der Figuren des ‚Meinens‘ und zumal des Unbedingten als des ‚Letzt-Gemeinten‘ entworfenen Gestalt des religiösen Bewusstseins kommt die intentionalitätstheoretisch gefasste Geisttheorie jener Jahre zu einem inneren gedanklichen Abschluss. Entsprechend lassen wir unsere Rekonstruktion auf sie hinauslaufen.
Den Vorteil des damit gewählten, Tillichs Geistkonzeption nach unterschiedlichen theoretischen Zugriffen nochmals gewissermaßen sezierenden Vorgehens verdeutlicht ein Blick in die Forschungsliteratur. Hier ist, da die betreffenden Überlegungen im System der Wissenschaften selbst auf engstem Raum zusammengezogen sind, oftmals erst gar nicht zwischen bewusstseinstheoretischer, geisttheoretischer (im Sinne der anvisierten ‚Konstitutionstheorie‘) und wissenschaftstheoretischer Argumentation unterschieden. Dementsprechend finden zumal die von uns als ‚Konstitutionstheorie‘ des Geistes betitelten Überlegungen – jenseits nur flüchtiger Paraphrasen von GW I, 118 f. – nicht die ihrem systematischen Stellenwert gebührende Aufmerksamkeit; vgl. Eberhard Amelung, Die Gestalt der Liebe. Paul Tillichs Theologie der Kultur (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1972), 87 ff.; Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979), 142– 144; Peter Haigis, Im Horizont der Zeit. Paul Tillichs Projekt einer Theologie der Kultur (Marburg: Elwert, 1998), 70 f.; Weiß, Religio, 26 f. Die problematischen Konsequenzen einer derartigen Unterbelichtung von Tillichs primärem geisttheoretischen Zugriff lassen sich exemplarisch an der von Wenz vorgelegten Interpretation ablesen. Wenz bestimmt Geist, die genannte Passage des Wissenschaftssystems gleichfalls eher paraphrasierend denn systematisch rekonstruierend, als „Identität von Denken und Sein“ und mithin als „Identität von Identität und Nicht-Identität“ (Wenz, Subjekt, 143). Hier fungiert einmal mehr jene – mindestens – missverständliche Formel als Generalschlüssel zum Verständnis des Geistbegriffs, die Wenz seiner Tillich-Interpretation insgesamt zugrunde legt. Um demgegenüber die tatsächliche Gestalt von Tillichs Geistgedanken in den Blick zu bekommen, hätte es einer eingehenden Rekonstruktion von dessen konzentrierten Überlegungen bedurft. Eine solche verdeutlicht nämlich, dass für Geist das Differenzmoment gerade von konstitutiver, bleibender Bedeutung ist und somit nicht einfach zugunsten des Identitätsmomentes abgeblendet werden darf; vgl. unten II.3.2 a) und b). Vergleichbar unergiebig bis missverständlich fallen weithin die wiederum nur flüchtigen Paraphrasen zur Figur des ‚Schöpferischen‘ als dem Zentrum der von uns als ‚Strukturtheorie‘ betitelten eigentlichen Geistkonzeption aus; vgl. Wenz, Subjekt, 144 f.; Haigis, Horizont, 71; Weiß, Religio, 27 f. Christian Danz verzichtet in seiner aufs Ganze gesehen sehr umsichtigen Studie Religion als Freiheitsbewußtsein (Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich [Berlin New York: Walter de Gruyter, 2000]) gar ganz auf eine gesonderte Darstellung des ‚Schöpferischen‘ – und also jener Kategorie, die Tillich selbst als für seinen Geistbegriff schlechterdings zentral hervorgehoben hat.
II.3 Die Theorie des Geistes
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a) ‚Konstitutionstheorie‘ des Geistes (1923) Die ‚Konstitutionstheorie‘ des Geistes entwickelt Tillich wie notiert im unmittelbaren Anschluss an die Verhältnisbestimmung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ im Rahmen der ‚Allgemeinen Grundlegung‘, und also im Vorfeld des materialen Systems. Schon dieser Sachverhalt spiegelt den Grundlegungscharakter der betreffenden Erwägungen wider. Tatsächlich markiert die Genese von Geist im Ausgang vom Bewusstsein Anfang wie Basis der eigentlichen Geisttheorie. Ihr exponierter Status erschwert zugleich insofern die Interpretation der konstitutionstheoretischen Überlegungen, als sich in anderweitigen Schriften jener Jahre keine direkten systematischen Parallelen finden: Weil der Übergang von Bewusstsein zu Geist derart minutiös allein im Rahmen ebenjener ‚Allgemeinen Grundlegung‘ des Wissenschaftssystems aufgeschlüsselt ist, bieten weder dieses selbst, noch die Religionsphilosophie, noch die unveröffentlichten Texte jener Jahre wirklich vergleichbare Überlegungen.¹² Dementsprechend stützt sich die nachfolgende Rekonstruktion der ‚Konstitutionstheorie‘ fast ausschließlich auf den in jener ‚Grundlegung‘ an die ‚Sätze‘ des absoluten Denkens bzw. Seins anknüpfenden „Satz des Geistes“ sowie die ihm beigegebene Erläuterung.¹³ Der ‚Satz des Geistes‘ präzisiert den von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ abgeleiteten ‚Status‘ von Geist, wenn es heißt: „Das Denken ist sich selbst gegenwärtig im Denkakt; es ist auf sich selbst gerichtet und macht sich selbst zu einem Seienden.“¹⁴ Der Definition zufolge ist Geist zunächst durch ein Zweifaches gekennzeichnet, wobei der erste Aspekt ein nachgerade klassisches Motiv nachkantisch-idealistischer Geistkonzeptionen reformuliert, während der zweite origineller, und mithin einer ausführlicheren Erklärung bedürftig ist. Einmal ist Geist – im Gegensatz zu Bewusstsein – prinzipiell reflexiv verfasst, da Denken sich hier auf sich selbst zurückrichtet und sich insofern selbst gegenwärtig ist: Während sich ‚Denken‘ im
Dass sich die Fundamentalüberlegungen zur Genese von Geist auf die Eingangspassage des Systems der Wissenschaften beschränken, mag bei näherem Zusehen kaum erstaunen: Mit einer derartigen Präzision diskutiert Tillich die Grundlagen seines Denkens – und also gleichfalls die Konstitution von Geist – allein ebendort. Alle weiteren Texte des fraglichen Zeitraums verstehen sich demgegenüber als Anwendung des dort Grundgelegten auf ihr jeweiliges Thema; vgl. etwa den Rückverweis auf das System der Wissenschaften zu Beginn der Religionsphilosophie; vgl. GW I, 299 Anm. 1. Die ausgesprochen schmale Quellenbasis sowie die systematische ‚Mittellage‘ zwischen Bewusstseinstheorie einerseits und eigentlicher Geisttheorie andererseits dürften auch ein Grund dafür sein, warum die konstitutionstheoretischen Überlegungen in der Forschungsliteratur als solche kaum Beachtung gefunden haben. Vgl. ebd., 118 – 120; Schon die unmittelbar anschließenden Überlegungen – ebd., 120 – 123 – lassen in die konstitutionstheoretischen Überlegungen solche der ‚Strukturtheorie‘ einfließen. Ebd., 118.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Modus von Bewusstsein – wie gesehen – in intentio recta auf ‚Sein‘ richtet,¹⁵ bezieht es sich nun in intentio obliqua auf sein eigenes Intendieren zurück. Wird die Bewusstsein konstituierende Urrelation dieserart noch einmal für das Denken thematisch, so rückt die intentionale Struktur von Bewusstsein im Geist ihrerseits an die logische Stelle des Noemas. Tatsächlich kann Tillich das fragliche Verhältnis in der Religionsphilosophie-Vorlesung als das einer „Reduplikation“ bezeichnen und als Ergebnis lapidar festhalten: „Das Bewußtsein wird seiner selbst bewußt“.¹⁶ Dem System der Wissenschaften gilt „Bewußtheit“ dann als das Merkmal des Geistigen schlechthin.¹⁷ Die skizzierten Überlegungen lassen sich unschwer als am Intentionalitätsparadigma orientierte Reformulierung der klassisch-idealistischen Fassung von Geist im Sinne von Selbstbewusstsein identifizieren. Wir können so Bewusstheit bzw. Selbstbewusstheit als das Fundamentaldatum von Tillichs Geistgedanken festhalten, das allen weiteren Bestimmungen zugrunde liegt. Gleichwohl lässt schon der ‚Satz des Geistes‘ erahnen, dass es sich bei diesem Datum in der Tat nur um eine erste Grundbestimmung handelt, die der weiteren Anreicherung bedürftig ist. Indem Tillich ihr umgehend den – allerdings erläuterungsbedürftigen – Nachsatz ‚und macht sich selbst zu einem Seienden‘ hinzufügt, verdeutlicht er, dass mit der formalen Figur der Reflexivität bzw. Selbstbewusstheit allein der Geistgedanke noch nicht hinlänglich erfasst ist. Hier mag sich eine gewisse Vorsicht gegenüber einer Überakzentuierung des für Geist basalen, ihn aber keineswegs erschöpfenden Gedankens der Selbstbezüglichkeit artikulieren. Was Tillich unter Geist verstanden wissen will, bedarf demnach der Präzisierung jenseits der wenig spezifischen Feststellung einer konstitutiven Selbstbezüglichkeit und damit einhergehenden Selbstbewusstheit.¹⁸ Insofern dürfen wir vermuten, dass erst ebenjener erklärungsbedürftige Nachsatz auf die eigentlichen Pointen seiner ‚Konstitutionstheorie‘ führt. Jenem Nachsatz – und mit ihm dem zweiten Aspekt der mit dem ‚Satz des Geistes‘ formulierten Definition – gilt nun tatsächlich ganz überwiegend die beigegebene Erläuterung des ‚Satzes‘:
Vgl. oben II.3.1 c). EW XII, 355. Vgl. GW I, 219: „Diese Bewußtheit […] ist das fundamentale Merkmal des Geistigen.“ Der Abwehr eines nur formalistischen Geistverständnisses dürfte auch die auffällige Zurückhaltung geschuldet sein, die Tillich in jenen Jahren aufs Ganze gesehen gegenüber dem traditionellen Terminus des ‚Selbstbewusstseins‘ übt.
II.3 Die Theorie des Geistes
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Es kommt aber noch ein Drittes hinzu, nämlich […] daß das Denken sich nicht nur auf das Sein richtet, sondern auch auf sich selbst, daß es sich gewissermaßen zuschaut, während es denkt. Dadurch macht es sich selbst zu einem Objekt neben anderen Objekten. Das Denken stellt sich unter all die Bedingungen und Bestimmungen, die dem Sein zukommen […] Das Denken wird ein Stück Existenz.¹⁹
Während der erste Satz – ‚Es kommt aber noch ein Drittes hinzu […]‘ – wiederum den skizzierten Aspekt der Reflexivität von Geist im Sinne von Selbstbewusstsein paraphrasiert, sind es die drei darauffolgenden Sätze, die das in Frage stehende ‚Sich selbst zu einem Seienden-Machen‘ aufnehmen und näher bestimmen. Hinsichtlich dieses letzteren Aspekts lassen sich so nochmals drei Schritte unterscheiden. Der erste Satz des betreffenden Dreischritts – ‚Dadurch macht es sich selbst zu einem Objekt neben anderen Objekten‘ – behauptet vermittels des an den Vorsatz anschließenden ‚Dadurch‘ zunächst einen Begründungszusammenhang zwischen dem Moment der Selbstbezüglichkeit und dem des ‚Sich zu einem Objekt-Machens‘: Im Zuge der Reflexion auf sich selbst objektiviert sich das Denken. Tillich dürfte darauf abheben, dass das Denken in der Reflexion auf sich seiner ansichtig wird und sich darüber ‚selbst zu einem Objekt macht‘, sich also als Objekt gleichsam vor sich stellt. Im Modus des Geistes wird das Denken somit im ersten Schritt seiner selbst vorstellig. Der Gedanke, dass sich Geist notwendigerweise objektiviert, ist dabei für sich genommen nicht neu. Erinnert sei stellvertretend an die entsprechenden Überlegungen des Hirsch-Briefwechsels, die ihren Ausgang just von der These des notwendig „subjektiv-objektiven Charakter des Geistes“ genommen hatten.²⁰ Mit den Überlegungen des Systems der Wissenschaften tritt nun jedoch ein Gesichtspunkt hervor, der sich etwa jener Formel vom ‚subjektiv-objektiven Charakter‘ so nicht entnehmen lässt: In der Objektivation in Gestalt des Geistes kehrt der Grundcharakter von Bewusstsein als des „Machens eines Unterschieds“²¹ wieder, und dies sogar in gesteigerter Form.Wenn
Ebd., 119 f. Vgl. EW VI, 103: „Über die Objektivation ließen sich viele Bücher schreiben. Ihre Notwendigkeit ist in dem subjektiv-objektiven Charakter des Geistes überhaupt begründet. Er ist nur, indem er sich objektiviert.“; vgl. oben II.1 a). So Konrad Cramers Grundbestimmung des Bewusstseins, die sich auf Tillichs Bewusstseinsbegriff abbilden lässt (Konrad Cramer, „Bemerkungen zu Hegels Begriff des Bewußtseins in der Einleitung zur Phänomenologie des Geistes“, in: Rolf-Peter Horstmann [Hg.], Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels [Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1978], 360 – 393, 378); vgl. oben II.3.1 c).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
nämlich ‚Denken‘ im Sinne von Setzen als reiner Vollzug bestimmt war,²² es sich im Geist aber im Modus des Sich-vorstellig-Werdens zum Gegenstand wird, dann steht Letzteres offenkundig in Spannung zu seinem ursprünglichen Tätigkeitscharakter. Der Gedanke einer Selbstanschauung des Geistes ist nicht so zu verstehen, als bezeichne er ein differenzloses mystisches Innewerden seiner selbst. Vielmehr ist ‚Geist‘ schon seiner Genese nach ein konstitutives Differenz- und Spannungsmoment eingeschrieben. Die in der Bewusstseinsstruktur angelegte Differenz von Denken und Sein, Intendieren und Intendiertem wird im Geist nicht getilgt, sondern als die von Intention, Intendiertem und gegenständlichem Vorstellig-Werden jener Intention reproduziert. Dieserart legt Tillich in seiner Geisttheorie gewissermaßen von Grund auf ein konstitutives Selbstentfremdungselement an.²³ Mit dem zweiten Schritt zum Vollbegriff des Geistes ist dieses Differenz- bzw. Entfremdungselement noch vertieft. Die fragliche Vertiefung klingt mit dem Hinweis an, dass die Selbstobjektivation des Denkens es zu einem ‚Objekt neben anderen Objekten‘ macht. Der betreffende Gedanke ist im folgenden Satz – ‚Das Denken stellt sich unter all die Bedingungen und Bestimmungen, die dem Sein zukommen‘ – aufgegriffen und präzisiert. Tillich formuliert augenscheinlich die These, dass die primäre Objektivation von Geist unter Seinsbestimmungen erfolgt, das Denken sich also, mit dem ‚Satz des Geistes‘ selbst, zu einem ‚Seienden‘ macht. Die Objektivation im Übergang vom Selbstbewusstsein zum Geist erfolgt demnach gemäß der Seinskategorie. Da Geist sich selbst nach der Weise des gegenständlich Existierenden erfasst, kann Tillich ihn auch als „Sein neben anderem Sein“ bezeichnen.²⁴ Der Gedanke eines mithin gegenständlichen primären Sich-vorstellig-Werdens folgt der Binnenlogik des ‚Satzes des Geistes‘, da jene Objektivation eben in einem Denkvollzug gründet: Ihm zufolge ist es ja explizit das Denken, das sich im Geist zu einem Seienden bzw. zu einem Objekt neben anderen
Vgl. oben II.3.1 c) mit Bezug auf die entsprechende Bestimmung des ‚Denkens‘ im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913. Dieser Aspekt von Tillichs Geistbegriff ist insofern gesondert hervorzuheben, als in dessen Rezeption weithin das Identitätsmoment überstrapaziert werden konnte – um im Modus der Kritik an uneingelösten, vermeintlichen Synthesisansprüchen auf die Geisttheorie zurückzufallen. Exemplarisch wäre nochmals die von Gunther Wenz geprägte, wirkungsgeschichtlich ausgesprochen einflussreiche Formel der „Identität von Identität und Differenz“ zu nennen, die vorgeblich Tillichs gesamtes Denken und also auch seinen Geistbegriff bestimme (Wenz, Subjekt, 103 u. ö.). Entsprechend kann Wenz etwa verkürzend paraphrasieren: „Geist ist aktuelle Identität von Denken und Sein“ (ebd., 143 f.). Mit Tillich wäre demgegenüber festzuhalten, dass sich im Geist die konstitutive Spannung von Denken und Sein redupliziert und darüber gleichsam in verschärfter Form auf Dauer stellt – bis in die Struktur des erscheinenden, dann über den Gedanken des ‚Schöpferischen‘ definierten Vollbegriff des Geistes hinein; vgl. unten II.3.2 b). GW I, 121.
II.3 Die Theorie des Geistes
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Objekten macht. Denken im eigentlichen Sinne aber war unmittelbar zuvor im ‚Satz des Denkens‘ als das Erzeugen von Bestimmtheit, und zwar näherhin der theoretischen Bestimmtheit eines Gedachten, verstanden worden.²⁵ Wenn die Objektivation des Geistes nun als Reflex ebenjenes bestimmungslogischen Denkens auf sich selbst eingeführt wird, ist es gedanklich konsequent, dass sie gleichfalls den gegenständlichen ‚Bestimmungen, die dem Sein zukommen‘ unterliegt: Der Tätigkeitscharakter des Denkens wird abgeblendet,was reiner Vollzug ist, wird nunmehr allein als Produkt desselben aufgefasst. Tritt man zurück und besinnt sich auf Tillichs anderweitige Überlegungen zum Thema, dann muss die These einer kategorialen Gleichartigkeit von geistigen und gegenständlich-mundanen Objektivationen freilich erstaunen. So war etwa die mit dem Hirsch-Briefwechsel einsetzende intensivierte Beschäftigung mit der Objektivationsfrage gerade durch eine Kritik an einem rein gegenständlichen Verständnis geistiger Objektivationen motiviert.²⁶ Im Lichte des die Theoriebildung jener Jahre weithin dominierenden Sinnbegriffs wäre entsprechend zu erwarten, dass – erinnert sei an die einleitend notierte Programmformel aus der Religionsphilosophie-Vorlesung ‚Geist ist Sinn‘²⁷ – die Selbstobjektivation im Zuge der Genese von Geist nach Maßgabe der Sinnkategorie gedacht würde. Ob an diesem Punkt eine gedankliche Inkonsistenz vorliegt oder ob sich hinter der vermeintlichen Gegenläufigkeit nicht vielmehr eine systematische Pointe verbirgt, muss als offene Frage bis zur Darstellung der ‚Strukturtheorie‘ zurückstehen: Während Tillich im Zusammenhang der konstitutionstheoretischen Überlegungen in der Tat weithin auf den Sinnbegriff verzichtet, wird er im weiteren Verlauf der eigentlich geisttheoretischen Ausführungen des Systems der Wissenschaften nachgerade allgegenwärtig sein.²⁸ Bis zur Klärung dieser Frage können wir festhalten, dass sich das Denken im Zuge seiner geistigen Objektivation nach Maßgabe der ihm eigenen Bestimmungslogik verdinglicht, wodurch zumindest das primäre Sich-vorstellig-Werden des Geistes gegenständlicher Natur ist. Mit dem Hinweis auf den bestimmungslogischen Charakter des Geist konstituierenden Denkens ist in gewisser Weise bereits die Brücke zum dritten und abschließenden Schritt geschlagen, den der Satz ‚Das Denken wird ein Stück Existenz‘ formuliert. Denn interpretiert man den Existenzausdruck zunächst ganz weit, dann kann die fragliche Existenz als Folge dessen verstanden werden, dass
Die von uns schlussendlich rekonstruierte, jedoch erst mit der Erläuterung des ‚Satzes des absoluten Seins‘ vorgenommene Erweiterung des Denkbegriffs – vgl. oben II.3.1 c) – ist hier also nicht im Blick. Vgl. oben II.1 a) und c). Vgl. EW XII, 554. Vgl. unten II.3.2 b).
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
sich das Denken seine erste objektive Gestalt eben vermittels theoretischer Existentialurteile verleiht: Mit den jeweiligen prädikativen Bestimmungen legt es dem derart Bestimmten zugleich – wenn auch in einem sehr weiten Sinne – ‚Existenz‘ bei. Insofern wird das Denken über die geistige Selbstobjektivation zum „existierende[n] Denken“.²⁹ Doch dürfte die Wahl der Metapher ‚ein Stück Existenz‘ mehr insinuieren denn nur den Existenzaspekt selbst. So ist die insgesamt wenig glückliche Wendung ‚ein Stück‘³⁰ darüber hinaus geeignet, einem Unterscheidungsmerkmal von Geist und Bewusstsein Ausdruck zu verleihen – nämlich dem, dass mit ‚Geist‘ dem Moment des Partiellen, Konkreten ein ungleich höheres Gewicht zukommt als noch im Rahmen der allgemein-formalen Struktur des „Sachverhalt[s] ‚Bewusstsein‘“³¹: In seiner Selbstobjektivation stellt Geist nurmehr ein Teilstück, einen Ausschnitt aus der Welt der Objektivationen dar. In Anbetracht der Aufwertung des Konkreten kann das System der Wissenschaften gerade die „inhaltsvolle Gebundenheit“,³² und also die konkret-inhaltliche Bestimmtheit, als wesentliches Kennzeichen von Geist bezeichnen.Wir können somit festhalten, dass im Geist dem Konkreten eine unverzichtbare Aufbaufunktion zukommt. Die fragliche Differenz von Geist und Bewusstsein lässt sich in einer weiteren Hinsicht ausführen. So korrespondiert der strengen Allgemeinheit der Bewusst-
GW I, 120. Die analogen Termini des „Denkens als Existierendes“ bzw. der „Existenz des Denkens“ hatte Tillich vor allem im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung verwendet – in einer solchen Präsenz, dass es beinahe so scheinen kann, als erhielten sie hier den Vorzug gegenüber dem Geistbegriff selbst; vgl. EW XII, 354.355.357.392.400.401.405 u. ö. Daneben konnte er in jener Vorlesung auch ohne jede weitere Spezifikation vom ‚Denken‘ sprechen, wenn bei Lichte besehen bereits geisttheoretische Sachverhalte thematisch waren. Insofern muss mit Blick auf die Religionsphilosophie-Vorlesung je und je geprüft werden, ob vom ‚Denken‘ als Gegenüber zum ‚Sein‘, und also vom Bewusstsein, die Rede ist, oder ob es im Sinne des ‚existierenden Denkens‘, und also als Geist, zu verstehen ist. Im System der Wissenschaften mildert sich dieses Problem insofern ab, als der Begriff des ‚existierenden Denkens‘ nun merklich zurücktritt. Er findet zwar noch immer sporadisch Verwendung, wird aber größtenteils durch den Geistbegriff bzw. – jenseits der konstitutionstheoretischen Überlegungen – durch den der „geisttragenden Gestalt“ ersetzt. Die ‚Stück‘-Metapher scheint ob ihrer mehr instrumentellen, gewissermaßen handfesten Semantik mit Blick auf den Geist wenig geglückt. Gleichwohl findet sie sich bei Tillich wiederholt im fraglichen systematischen Zusammenhang; vgl. EW XII, 354; GW I, 120 u. ö. Er betrachtete sie mithin als adäquat, einen Aspekt des Geistgedankens zum Ausdruck zu bringen. Zum entsprechenden Terminus vgl. Konrad Cramer, „‚Erlebnis‘. Thesen zu Hegels Theorie des Selbstbewußtseins mit Rücksicht auf die Aporien eines Grundbegriffs nachhegelscher Philosophie“, in: Hans-Georg Gadamer (Hg.), Stuttgarter Hegel-Tage 1970. Vorträge und Kolloquien des Internationalen Hegel-Jubiläumskongresses (Bonn: Bouvier, 1974), 537– 603, 537; zur Abbildung auf Tillichs Bewusstseinsbegriff vgl. oben II.3.1 c). GW I, 121.
II.3 Die Theorie des Geistes
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seinsstruktur dessen transzendentaler Status.Wenn demgegenüber jene Metapher dem Geist ‚Existenz‘ beilegt, kommt in den Blick, dass dessen Nachgängigkeit zu ‚Denken‘ und ‚Sein‘ nicht nur logischer, sondern zudem ontologischer Natur ist. Tatsächlich wird das ‚existierende Denken‘ in der Religionsphilosophie-Vorlesung explizit in Raum und Zeit verortet³³ und dann im System der Wissenschaften als „Denken als Erscheinung“ gefasst.³⁴ Während Bewusstsein mithin den Status einer transzendentalen Struktur innehat, gehört Geist nach Tillich letztlich der phänomenalen Sphäre zu. Gemäß dem Dreischritt der ‚Konstitutionstheorie‘ geht Bewusstsein näherhin im Zuge der vergegenständlichenden Objektivation seiner selbst von der Ebene des Transzendentalen in die der Erscheinung über, und wird darüber zu inhaltlich bestimmtem Geist. Die These eines Übergangs vom Transzendentalen zur Erscheinungswelt des Wirklichen artikuliert auch die Auskunft des Systems der Wissenschaften, der zufolge Geist als „wirkliche[r] Prozess, in dem das Denken zur bewußten Existenz kommt“, zu verstehen ist.³⁵ Der nunmehr dargestellte erste theoretische Zugriff beschreibt entsprechend primär das ‚Zur bewussten Existenz-Kommen‘ des Denkens, also die transzendentale Genese von Geist, weniger die betreffende Existenz selbst.³⁶ Diese thematisiert Tillich vielmehr vermittels eines weiteren Theoriezugriffs, nämlich eben in Form einer ‚Strukturtheorie‘ des Geistes. Hier ist über die Zuordnung von Intention und Objektivation hinaus das Verhältnis von ‚Sein‘ und ‚Sinn‘ im Geist präzisiert.
b) ‚Strukturtheorie‘ des Geistes (1923) Im Zentrum der ‚Strukturtheorie‘ als dem zweiten Theoriezugriff auf den Geistgedanken im Rahmen des Systems der Wissenschaften steht, wie einleitend vermerkt, nicht mehr das Verhältnis von Denken und Sein, sondern der Begriff des
Vgl. EW XII, 353: „[D]as Denken in seinem Dasein, in seiner raum-zeitlichen Existenz“. GW I, 121. Ebd., 120. Die These, der zufolge die ‚Konstitutionstheorie‘ die transzendentale Genese von Geist beschreibt, stellt dabei keinen Widerspruch zu Tillichs expliziter Auskunft „Es gibt keinen Anfang des Geistes“ dar (ebd., 217). Denn während diese Auskunft mit Blick auf die Geistesgeschichte formuliert ist, sind mit jener Theorie allein transzendental-konstitutionslogische Fragen berührt – während Tillich also die Rückfrage hinter den gleichsam historisch ersten Punkt der Entstehung von Geist im Laufe der Menschheitsgeschichte als unbeantwortbar zurückweist, haben die dargestellten Überlegung zu dessen Genese im Übergang vom Bewusstsein keinerlei historische Valenz.
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‚Schöpferischen‘.³⁷ Gleichwohl ist ob ihres grundlegenden Charakters noch regelmäßig auf jene Relation Bezug genommen. So kann Tillich beispielsweise in der Passage des Wissenschaftssystems, die in der Forschungsliteratur ganz überwiegend zur Diskussion des Schöpferischen herangezogen wird, zwanglos beide Gedankenkreise miteinander verbinden: „In jeder Schöpfung ist ein Doppeltes enthalten: ein Element des Seins […] und ein Element des Denkens […] Weil in jeder Schöpfung Denken und Sein eins sind, darum ist jede Schöpfung zugleich individuell und allgemein. Schöpfung ist individuelle Verwirklichung des Allgemeinen.“³⁸ Jedoch sind gerade die Interpretationen jener Passage geeignet, die Problematik einer zwischen den beiden Gedankenkreisen nicht differenzierenden Herangehensweise zu dokumentieren: Genau weil die Literatur weithin Tillichs eher schematischen Zuordnung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ zum Gedanken des Schöpferischen gefolgt ist, ist sie zumeist über eine Paraphrase der hier formulierten, bei näherem Zusehen wenig überzeugenden Ableitung des Letzteren aus der Verhältnisbestimmung jenes Begriffspaares kaum hinausgekommen.³⁹ Demgegenüber scheint es sachlich ergiebiger, die dort als Ergebnis einer vermeintlichen Herleitung präsentierte Definition – „Schöpfung ist individuelle Verwirklichung des Allgemeinen“⁴⁰ – ihrerseits zum Ausgangspunkt der Überlegungen zu machen und also den Fokus von Anfang an ganz auf die für die Binnenstruktur des eigentlichen Geistgedankens entscheidende Figur des ‚Schöpferischen‘ zu legen. Dabei finden sich weiterführende Reflexionen zur ‚Strukturtheorie‘ des Geistes – anders als im Falle der ‚Konstitutionstheorie‘ – nicht nur im dritten Teil des Wissenschaftssystems, ‚Die Geistes- und Normwissenschaften‘,⁴¹ sondern darüber hinaus punktuell im Rahmen der Religionsphilosophie.
Der Wechsel von der ‚Konstitutionstheorie‘ zur ‚Strukturtheorie‘ des Geistes lässt sich auch am Inhaltsverzeichnis des Systems der Wissenschaften greifen: Der erste Abschnitt des eigentlichen Geistkapitels im Ganzen – ebd., 210 ff. – trägt die Überschrift ‚Geist, Denken und Sein‘ und schlägt also nochmals den Bogen zurück zur konstitutiven Relation von Denken und Sein; vgl. ebd., 210 f. Demgegenüber tritt mit dem zweiten Abschnitt ‚Das Schöpferische‘ der entsprechende Gedanke in den Fokus; vgl. ebd., 212 f. Die folgenden Abschnitte ‚Die geistige Schöpfung‘ – ebd., 213 – 215 – und ‚Die Grenzen des Schöpferischen‘ – ebd., 215 f. – entfalten ihn dann weiter. Ebd., 212; kursiv i. O. Vgl. exemplarisch Wenz, Subjekt, 144 f.; Haigis, Horizont, 71; Weiß, Religio, 27 f. Den Stellenwert der Definition dokumentiert ihre Wiederaufnahme im Rahmen der das System der Wissenschaften beschließenden ‚Schlussbetrachtung‘: „Schöpfung ist Verwirklichung des Allgemeinen im Individuellen.“ (GW I, 284). Die wesentliche Basis der Überlegungen legt Tillich hier freilich schon mit der ‚Grundlegung‘ des dritten Systemteils; vgl. ebd., 210 – 230. Diese unterteilt sich ihrerseits in die Unterabschnitte ‚Der Geist‘ – ebd., 210 – 218 – und ‚Die Geisteswissenschaft‘ – ebd., 218 – 230 –, wobei zwischen
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Einen ersten, ordnenden Überblick über die Charakteristika des ‚Schöpferischen‘ gewährt die werkgeschichtliche Vorgeschichte jener Definition, kann Tillich doch diesbezüglich auf Erwägungen zurückgreifen, die zum Teil bis ins Frühwerk zurückreichen. So begegnet der Terminus bereits angelegentlich in den beiden Schelling-Dissertationen, allerdings zumeist anlässlich naturphilosophischer Erwägungen.⁴² Eine Ausnahme stellt ein Schelling-Zitat in der philosophischen Dissertation von 1910 dar, das den Grundgedanken von Schellings positiver, geschichtlicher Philosophie wiedergeben soll. Wenn Tillich Schellings Auskunft „Dem Rationalismus kann nichts durch eine That, z. B. durch freie Schöpfung, entstehen, er kennt bloß wesentliche Verhältnisse“ als eigene Erläuterung anfügt „Geschichtliche Philosophie ist, wo Freiheit, Wille und Tat herrschen“,⁴³ dann ist mit der voluntaristischen Interpretation des Schöpfungsbegriffs eine geisttheoretische Interpretation von Ferne antizipiert. Seine Verbindung mit dem Gedanken der ‚That‘, von Tillich seinerseits aufgenommen, mag zudem auf die cum grano salis Goethe’sche Idee einer ‚Geschichtsmächtigkeit‘ anspielen: Das Schöpferische ist in diesem Sinne das geschichtlich Wirkmächtige. Ist der Begriff im Umfeld der Kasseler Thesenreihe wiederholt bedacht,⁴⁴ so signalisiert seine lediglich sporadische Verwendung in der Systematischen Theologie von 1913, dass er für Tillich gleichwohl vorerst nur eine nachgeordnete Rolle spielt. Vor allem fehlt er hier mit den Paragraphen, die die Bestimmung des Menschen als eines freien Geistwesens zum Thema haben, genau dort, wo er von seinem späteren Bedeutungsgehalt her zu erwarten wäre.⁴⁵ Die spätere systematische Schlüsselstellung zeichnet sich mit dem HirschBriefwechsel,⁴⁶ zumal aber mit dem Jahr 1919, ab. Jetzt wird das Schöpferische regelmäßig, und zwar an exponierter Stelle im Vorfeld der eigentlichen thematischen Ausführungen, bedacht.⁴⁷ Als Ausgangspunkt dient erneut seine frei-
beiden Abschnitten nochmals ein Begründungsgefälle besteht. Wir konzentrieren uns nachfolgend im Wesentlichen auf den ersteren Unterabschnitt des ‚Geistes‘. Vgl. stellvertretend EW IX, 246; GW I, 43 f. Noch in der Systematischen Theologie von 1913 lässt sich das betreffende naturphilosophische Verständnis des Schöpferischen greifen; vgl. EW IX, 305. Ebd., 261. Vgl. oben II.1 c). Vgl. § 8: ‚Der Mensch oder die Freiheit‘ – ebd., 287 f. – bzw. § 19 ‚Der einzelne oder die Unfreiheit‘; ebd., 310 – 312. Demgegenüber steht der Begriff des Schöpferischen im System von 1913 vor allem für den lebendigen, produktiven Charakter des begrifflichen Denkens; vgl. ebd., 283. 287.290. Vgl. oben II.1 a) und c). So visiert Tillich den Begriff des Schöpferischen beispielsweise in der im Sommer 1919 gehaltenen Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart bereits gegen Ende der 1. Vorlesungsstunde an, um ihn dann in der 2. Stunde noch im Vorfeld des eigentlichen
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heitstheoretische Valenz, die nun jedoch umgehend mit dem Geistbegriff in Verbindung gebracht ist. So kann die Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart mit Blick auf das ‚Schöpferische‘ prägnant formulieren: „Es ist ein Anwendungsfall des Freiheitsbegriffes auf das Gebiet des produktiv-Geistigen.“⁴⁸ Dabei kristallisieren sich die dann im System der Wissenschaften entfalteten entscheidenden Momente heraus, wie wir uns an dem gleichfalls 1919 entstandenen Text Rechtfertigung und Zweifel verdeutlichen können.⁴⁹ Hier konstatiert Tillich einen mit „Schleiermacher, Hegel und der Romantik“ einsetzenden Wandel im Gewissheitsverständnis.⁵⁰ Während noch Fichte davon ausgegangen sei, dass es nur eine, von Individualitätsaspekten ganz abstrahierende Form der Gewissheit bzw. Überzeugung geben könne, habe sich diese überindividuelle Interpretation in der Folge nicht behaupten können: „Überzeugung wird jetzt“ – also mit Schleiermacher etc. – „Selbsterfassung in individueller und doch gültiger Form. Es entsteht der Gedanke des schöpferischen Geistes, der in einer bestimmten konkreten Bestimmtheit doch das Allgemeine, Bedeutungsvolle gibt.“⁵¹ Interessieren soll uns weniger der behauptete Traditionshintergrund des ‚Schöpferischen‘, da Tillich aufs Ganze gesehen kein wirkliches Interesse an einer exakten problemgeschichtlichen Adressierung erkennen lässt.⁵² Entscheidend sind vielmehr erstens die im Vorfeld des Systems der Wissenschaften je und je notierten inhaltlichen Aspekte, die sich auf jetzigem Stand wie folgt zusam-
theologischen Prinzips zu entfalten; vgl. EW XII, 38.40 – 43. Auch der programmatische Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur setzt mit Überlegungen zum Schöpferischen bzw. zum schöpferischen Aspekt der Standpunktgebundenheit der Geistes- und Kulturwissenschaften ein; vgl. GW IX, 13 ff. EW XII, 41. Die handschriftliche Erstversion ist hinsichtlich der Überlegungen zum Schöpferischen ausführlicher als das spätere Typoskript; vgl. EW X, 156 f. mit ebd., 211. Wir konzentrieren uns dementsprechend nachfolgend auf Erstere. Ebd., 156 f. Ebd., 157. Während in der zitierten Passage eben Friedrich D. E. Schleiermacher und Georg W. F. Hegel namentlich genannt werden, weist das Frühwerk – wie gesehen – eher in Richtung Schelling. An anderer Stelle können allein in den Jahren 1919 und 1920 darüber hinaus auch Friedrich Nietzsche – vgl. GW IX, 15 –, Henri Bergson – vgl. EW XII, 41 – oder gleich die (wohlgemerkt explizit nachhegelsche) gesamte „voluntaristische Entwicklung Schelling-Schopenhauer-Nietzsche“ (ebd., 446) als mögliche Kandidaten angeführt werden. Die Spannweite der vermeintlichen Quellen lässt darauf schließen, dass Tillich wohl primär an einer mehr prinzipiellen Selbstverortung in der Fluchtlinie der Letztgenannten denn an einer präzisen begriffsgeschichtlichen Auskunft interessiert war. Weiterhin können wir im Folgenden den offenkundig der Fragestellung von Rechtfertigung und Zweifel geschuldeten gewissheitstheoretischen Rahmen abblenden.
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menfassen lassen: Dem Gedanken eignet ein Moment der geschichtlichen Wirkmächtigkeit, das sich etwa in der philosophischen Dissertation im Schelling’schen, von Tillich übernommenen Terminus der ‚That‘ verdichtete. Dann klingt mit dem Begriff des ‚Bedeutungsvollen‘ im obigen Zitat aus Rechtfertigung und Zweifel von Ferne an, dass dem Gedanken des Schöpferischen eine sinntheoretische Valenz eignet – näherhin liegt eine offenkundige systematische Nähe zu aus sinntheoretischen Zusammenhängen vertrauten Gedanken der ‚Sinngebung‘ vor. Und schließlich hat Tillich die spontane Hervorbringung von Neuem im Blick, mithin eine mit dem Freiheitsmoment gegebene Produktivität des Schöpferischen. Zweitens gibt eben jenes Zitat aus Rechtfertigung und Zweifel die interne Struktur des Gedankens des Schöpferischen zu erkennen: Demnach ist dieses durch das Ineinander von Konkret-Individuellem und Allgemein-Gültigem gekennzeichnet, wobei die betreffende Synthese im Selbstverhältnis des Geistes erfolgt. Dabei eignet jener schöpferischen Synthese eine interne Spannung, die im Zitat durch das doppelte „(und) doch“ angezeigt wird.⁵³ Diese Spannung ist zumal mit der abschließenden,von der Überzeugungsthematik abstrahierenden und also über den eigentlichen Gedankengang von Rechtfertigung und Zweifel hinaus weisenden Bestimmung des Schöpferischen als eines solchen, „das konkret und doch allgemeingültig ist“, zum Ausdruck gebracht.⁵⁴ Damit ist die Grundstruktur des Schöpferischen benannt, die perspektivisch in Kraft bleiben wird. So geht denn die im System der Wissenschaften gegebene Zugangsdefinition – ‚Schöpfung ist individuelle Verwirklichung des Allgemeinen‘⁵⁵ – sichtlich auf die mit Rechtfertigung und Zweifel gewonnene Grundstruktur zurück. Der im Wissenschaftssystem terminologisch verwendete Begriff der ‚Verwirklichung‘ artikuliert dabei das spontane⁵⁶ Moment des Schöpferischen. Mit ihm dürfte jener Terminus der ‚Realisierung‘ aufgenommen und reformuliert sein, der vor allem in den sinntheoretischen Überlegungen des Jahres 1920 eine Schlüsselstellung eingenommen hatte. Letzterer stand dort für das Primat der realisierenden Tätigkeit
‚Überzeugung wird jetzt Selbsterfassung in individueller und doch gültiger Form. Es entsteht der Gedanke des schöpferischen Geistes, der in einer bestimmten konkreten Bestimmtheit doch das Allgemeine, Bedeutungsvolle gibt.‘; kursiv L. H. EW X, 157; kursiv L. H. Vgl. GW I, 212. Der spontane Freiheitscharakter des Schöpferischen ist schon gleich zu Beginn des Geistkapitels festgehalten, wenn es – allerdings noch ganz unspezifisch – heißt: „Voraussetzung des Geistes ist die Freiheit.“ (ebd., 210).
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gegenüber dem aus ihr resultierenden Produkt.⁵⁷ Dementsprechend darf die fragliche ‚Verwirklichung des Allgemeinen‘ keinesfalls als ein einfacher Deduktions- oder Reproduktionsvorgang verstanden werden. Tillich unterstreicht den Spontaneitätscharakter der schöpferischen Verwirklichung, indem er ihr ein Moment nicht ableitbarer ‚Ursprünglichkeit‘ zuspricht.⁵⁸ Der so gefasste Freiheitscharakter der individuell-konkreten Schöpfungen soll freilich andersherum keiner das Allgemeinheitsmoment außer Acht lassenden ‚Willkür‘ das Wort reden.⁵⁹ Wie das individuelle, konkrete Moment und das allgemeine, gültige Moment des Schöpferischen näherhin einander zuzuordnen sind, erhellt eine zweite Definition. Jene Zugangsdefinition präzisierend heißt es: „Die Einheit von Intention auf das Allgemeine und Verwirklichung im Besonderen, dieses und nichts anderes ist Schöpfung und Geist.“⁶⁰ Mit dieser Präzisierung wird deutlich, dass
Erinnert sei an die Faustformel ‚Realisierung statt Realität‘, vermittels derer Tillich 1920 den dynamischen Charakter des Sinnaufbaus prägnant zum Ausdruck bringen konnte; vgl. EW XII, 315 u.ö.; vgl. oben II.2.2 a). Der Terminus der ‚Realisierung‘ tritt in der Folge zwar in den Hintergrund, er verschwindet allerdings nicht ganz aus dem Begriffsarsenal – vgl. exemplarisch seine Verwendung in Rechtfertigung und Zweifel von 1924; vgl. MW 6, 83 – 97, bes. 85 ff. Vgl. GW I, 212: „Schöpfung ist ursprüngliche Setzung. Im Gegensatz zur Schöpfung steht also alle abgeleitete Setzung, alles, was deduziert, erklärt, auf anderes zurückgeführt werden kann.“ Zur ‚Willkür‘ als Gegenbegriff des Schöpferischen vgl. vor allem ebd., 215 – 218. Die Gegenüberstellung zum Begriff des Willkürlichen zeigt an, dass Tillich bei Lichte besehen eine zweifache Verwendung des Begriffs des ‚Schöpferischen‘ kennt. Einmal nämlich ist ihm zufolge „jeder geistige Akt […] schöpferisch“ (ebd., 218; kursiv L. H.), liegt also in jedem geistigen Akt eine Synthese von Individuellem und Allgemeinem vor. In diesem Sinne können Geist und Schöpferisches beinahe als Synonyme fungieren; vgl. die nachfolgend zu diskutierende Definition: „Die Einheit von Intention auf das Allgemeine und Verwirklichung im Besonderen, dieses und nichts anderes ist Schöpfung und Geist.“ (ebd., 214). Die betreffende Identifikation von Geist und Schöpferischem ist jedoch offensichtlich ausgeschlossen, wenn dem ‚Schöpferischen‘ das ‚Willkürliche‘ als Gegenbegriff gegenübergestellt wird. Dann nämlich kommen neben schöpferischen geistigen Akten, die in individueller Form das Allgemeine zu verwirklichen suchen, auch solche in den Blick, die sich in ihrem realisierenden Tun nicht am Allgemeinen, sondern am Individuellen orientieren und mithin willkürlich zu nennen sind; vgl. v. a. ebd., 213 f.215 f. Tillich hat das Verhältnis beider Begriffsverwendungen nicht eigens reflektiert. Systematisch scheint es allerdings angeraten, den Geistbegriff als Oberbegriff zu verstehen und hier noch einmal eine willkürliche von einer schöpferischen Verwirklichung zu unterscheiden – wobei wir im Folgenden ausschließlich dem letzteren, nämlich eben schöpferischen Fall von Geist weiter nachgehen werden. Der Begriff der ‚Willkür‘ findet im Übrigen bereits gelegentlich im Frühwerk Verwendung. So fällt er beispielsweise im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 in jenem § 8, in dem von seinem späteren gedanklichen Gehalt her – s.o. – gleichfalls der Begriff des ‚Schöpferischen‘ zu erwarten wäre; vgl. EW IX, 288. GW I, 214.
II.3 Die Theorie des Geistes
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Tillich die beiden Momente des Schöpferischen ihrerseits nochmals mit bereits im Rahmen der ‚Konstitutionstheorie‘ herausgearbeiteten Grundaspekten verschränkt, um die Struktur von Geist recht zu bestimmen. So wird die dortige, basale Unterscheidung von Intentionalität und Objektivierung jetzt augenscheinlich mit den Aspekten der Konkretheit und Allgemeinheit gewissermaßen gekreuzt: Wir können festhalten, dass – unscharf gesprochen – sich der schöpferische geistige Akt intentional auf ein Allgemeines richtet, dieses aber zugleich im Konkreten verwirklicht. Dabei besteht zwischen der Richtung auf das Allgemeine und dessen Realisierung im Konkreten eine im Folgenden noch näher zu bestimmende „innere Spannung“ – die, da Tillich sie ausdrücklich aus dem polaren Spannungsverhältnis von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ abgeleitet wissen will, einmal mehr den im Bewusstseinsbegriff angelegten Differenzcharakter reproduziert.⁶¹ Jener konstitutiven Spannung misst Tillich eine solche Bedeutung zu, dass er in ihr bzw. in dem aus ihr resultierenden „dynamische[n] Charakter“ des Geistes nachgerade dessen eigentliches „Wesen“ erblicken kann.⁶² Die sich von hierher nahelegende Frage nach dem näheren Verhältnis der konstitutionstheoretischen zur strukturtheoretischen Beschreibung von Geist wollen wir zurückstellen, da ein für Letztere wesentlicher Aspekt bislang nur am Rande berührt war. Einen Fingerzeig hierfür gibt eine im weiteren Verlauf des Systems der Wissenschaften vorgenommene terminologische Präzisierung.War in jenen beiden Definitionen des Schöpferischen von einer nicht weiter spezifizierten ‚Verwirklichung‘ des Allgemeinen die Rede, so wird diese alsbald genauer als „Sinnverwirklichung“ gekennzeichnet.⁶³ Mit der ‚Strukturtheorie‘ des Geistes rückt dieserart schließlich der Sinnbegriff in den Fokus. Damit wird zugleich die übergreifende Frage nach dem systematischen Konnex von Geist- und Sinntheorie aktuell. Deren prinzipielle Nähe, die sich bekanntlich bereits mit den ersten Überlegungen im Hirsch-Briefwechsel abzeichnete, hatte sich in der Folge bis hin zu der oben einleitend zitierten Formel der Religionsphilosophie-Vorlesung, ‚Geist ist Sinn‘, verdichten können. Stellvertretend sei in diesem Zusammenhang nochmals an Tillichs unzweideutige Formulierungen an zentraler Stelle der Re-
Vgl. exemplarisch ebd., 210: „Das Wesen des Geistes, seine innere Spannung, sein dynamischer Charakter, beruht auf dem unendlichen Widerspruch von Denken und Sein“; hier kehrt mit dem Gedanken des Schöpferischen offenkundig der mit dem Bewusstseinsbegriff angelegte – vgl. oben II.3.1 c) – und mit der ‚Konstitutionstheorie‘ für den Geistbegriff aufgenommene und verschärfte – vgl. oben II.3.2 a) – Differenzaspekt für die interne Struktur des Geistigen wieder. Ebd. Ebd., 242; kursiv L. H.; vgl. auch ebd., 225 u. ö. Damit bestätigt sich in eins nochmals die oben vermerkte systematische Nähe der beiden Termini der ‚Realisierung‘ und der ‚Verwirklichung‘.
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ligionsphilosophie erinnert: „Jeder geistige Akt ist ein Sinnakt; […] ganz gleich also, wie das Verhältnis von Subjekt und Objekt im geistigen Akt gedacht ist, immer ist Geist Sinnvollzug und das im Geist Gemeinte Sinnzusammenhang. Sinn ist das gemeinsame Merkmal und die letzte Einheit von theoretischer und praktischer Geistessphäre.“⁶⁴ Was Tillich hier mit Blick auf die Verzahnung von Geist und Sinn näherhin vor Augen hat, können wir uns jetzt anhand weiterer, dem System der Wissenschaften und eben der Religionsphilosophie entnommener Gesichtspunkte vergegenwärtigen. Über den Gedanken der ‚Sinnerfüllung‘ wird sich dabei auch das Verhältnis von ‚Konstitutionstheorie‘ und ‚Strukturtheorie‘ abschließend klären. So führt der Hinweis in jenem Zitat, dass das im Geist Gemeinte stets als ‚Sinnzusammenhang‘ zu begreifen ist, auf eine Kernthese der im System der Wissenschaften und der Religionsphilosophie entwickelten Sinntheorie. Die die schöpferische Sinnverwirklichung steuernde Ausrichtung auf das ‚Allgemeine‘ wird dort nämlich entsprechend als eine solche auf die ‚unbedingte Sinnform‘ präzisiert, wenn es heißt: „Jeder schöpferische Geistesakt ist der Intention nach auf die unbedingte Form gerichtet.“⁶⁵ Das im geistigen Akt Intendierte ist demnach genauer der universale Sinnzusammenhang, die „Synthesis der Synthesen“, als die Tillich – wie gesehen – die ‚unbedingte Form‘ ebenfalls fassen kann.⁶⁶ Vor diesem Hintergrund lässt sich nun die für Geist grundlegende Reflexivität – im Sinne von ‚Bewusstheit‘ bzw. ‚Selbstbewusstheit‘⁶⁷ – spezifizieren: Ob der laut ‚Strukturtheorie‘ für das Schöpferische konstitutiven Richtung auf die ‚unbedingte Form‘ bezieht sich Geist nicht unspezifisch auf sich selbst zurück, sondern vielmehr näherhin auf die ihm eigene Unbedingtheitsdimension – denn genau für diese stand ja der Gedanke der unbedingten Sinnform bei Tillich, und zwar gleichermaßen in seiner Funktion als regulativer Idee des Sinnaufbaus wie als Inbegriff der schlechthin autonomen Formtätigkeit.⁶⁸ Das mit der ‚Konstitutionstheorie‘ als Fundamentaldatum des Geistes festgehaltene Selbstverhältnis wird also vermittels der ‚Strukturtheorie‘ solcherart qualifiziert, dass Geist sich in seinen konkreten Vollzügen zu der ihm eigenen Unbedingtheitsdimension ins Verhältnis setzt. Von hierher erklärt sich zudem der normative Charakter, der dem Schöpferischen nicht nur in Rechtfertigung und Zweifel, sondern dann gleichfalls im System der
Ebd., 318; zum exponierten Stellenwert der betreffenden Passage vgl. oben II.2.2 c). Ebd., 227. Die Identifikation von ‚Allgemeinem‘ und ‚unbedingter Form‘ begegnet zumal im System der Wissenschaften geradezu auf Schritt und Tritt; vgl. auch ebd., 216.217.238.284 u. ö. Zum Bedeutungsspektrum von Tillichs Gedanken der ‚unbedingten Form‘ vgl. die ausführliche Darstellung im Rahmen der sinntheoretischen Rekonstruktion unter II.2.2 b) und c). Vgl. oben II.3.2 a). Vgl. oben II.2.2 b), c) und d).
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Wissenschaften umgehend beigelegt ist.⁶⁹ Die dortige, mehr einleitende Auskunft „Und doch steckt in aller Konkretheit und Besonderheit der geistigen Akte das Allgemeine, das Gültige, die unbedingte Forderung“⁷⁰ wird nachfolgend vermittels der dargestellten strukturtheoretischen Differenzierungen immer weiter verfeinert, bis Tillich resümieren kann: „Alles geistige Formen richtet sich auf die Unbedingtheit der reinen Form […] Der normative Charakter kommt also nicht zu den geistigen Schöpfungen hinzu, sondern er ist ihnen wesentlich; er bezeichnet ihre Art, ihr Dasein als Geist.“⁷¹ Somit gründet das normative Moment des Schöpferischen eben im Selbstverhältnis des Geistes, und zwar genauer in dem dessen interne Strukturverfasstheit kennzeichnenden normativen Gefälle von Unbedingtheitsintention und konkreter Verwirklichung: Das intentionale Bezugnehmen des Geistes auf die Idee der unbedingten Form stiftet den konkreten Sinnverwirklichungen notwendigerweise eine Orientierung am Ideal strikter Allgemeinheit und Einheit ein. Jenes normative Gefälle im Selbstverhältnis des Geistes begründet überdies dessen oben vermerkten ‚dynamischen Charakter‘. Näherhin ist es die schon im Rahmen der sinntheoretischen Rekonstruktion festgehaltene Idealität der ‚unbedingten Form‘, die sie jeder konkreten Verwirklichung zugleich entzogen sein lässt.⁷² Entsprechend ergänzt Tillich die These ‚Jeder schöpferische Geistesakt ist der Intention nach auf die unbedingte Form gerichtet‘ im Rückgriff auf die Terminologie von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ umgehend wie folgt: „Die unbedingte Form aber existiert nicht […] So schafft das Denken endliche Formen in unendlicher Zahl, deren keine das Sein selbst erschöpft, die aber alle unter der unbedingten Forderung stehen, das Sein selbst zu fassen.“⁷³ Letztlich ist es dieserart der in der skizzierten Spannungsstruktur gründende dynamische Charakter des Geistes, der die – wie es anderer Stelle der Religionsphilosophie heißt – „innere Unendlichkeit“⁷⁴ der Sinnaufbauprozesse bedingt: Seine Intention auf Allgemeinheit treibt Geist zu immer neuen Umsetzungen dieser Intention im Konkreten, ohne dass sich das intendierte Allgemeine in seinen
Vgl. ebd., 121. An der betreffenden Stelle der ‚Allgemeinen Grundlegung‘ des Wissenschaftssystems ist der Gedanke des Schöpferischen freilich nur angespielt – gleich mit seiner Aufnahme im Rahmen der eigentlichen Ausführungen zum Geistbegriff im dritten Systemteil ist dann jedoch auch der Hinweis auf den normativen Charakter des Schöpferischen erneut aufgegriffen und expliziert; vgl. ebd., 210. Ebd., 211. Ebd., 221. Vgl. oben II.2.2 c). Ebd., 227; vgl. ebd., 125: „Das Gelten ist eine Urfunktion; sie bedeutet nichts anderes, als daß das Denken die Unbedingtheit seine Form in jedem Seienden zu realisieren sucht, daß aber kein Seiendes sich mit der reinen Form deckt“. Ebd., 319.
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konkreten Sinngestalten je einholen ließe. Die mit der Sinntheorie entfalteten Strukturgesetze des Sinnaufbaus stehen so ihrerseits gewissermaßen nochmals in einer geisttheoretischen ‚Klammer‘. In dieser Perspektive erweist sich der Aufbau von Sinn als an die Kategorien und die interne Struktur von Geist gebunden. Die betreffende Überlegung zeigt mithin exemplarisch einen Theoriekontext an, in dem Tillich den Begriff des Geistes dem des Sinnes vorgeordnet wissen will: Während es im Rahmen der Sinntheorie bisweilen so scheinen kann, als gehe die Dynamik des Sinnaufbaus auf das Spannungsverhältnis von ‚bedingter Sinnform‘, ‚unbedingter Sinnform‘ und ‚unbedingtem Sinngehalt‘ zurück,⁷⁵ wird nunmehr ersichtlich, dass deren eigentliche Ursache in der den Geist kennzeichnenden Spannung von Unbedingtheitsintention und Verwirklichung im Konkreten liegt. Tillich hat dieser geisttheoretischen Vertiefung terminologisch etwa dadurch Ausdruck verliehen, dass die vormaligen ‚Kultur-‘ oder ‚Sinnfunktionen‘ mit der ausgereiften Theoriebildung als ‚Geistesfunktionen‘ bezeichnet werden. Legt man sich anlässlich dieser Beobachtung die Frage einer generellen Primordialität von Geist oder Sinn vor, so wird sich diese gleichwohl nicht eindeutig entscheiden lassen. Denn während sich die Dynamik des Sinnaufbaus bei näherem Zusehen als durch die Geiststruktur bedingt erweist, kann Sinn andersherum auch als dem Geist vorgegebenes Medium erscheinen – erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die entsprechende Formulierung des HirschBriefwechsels, der zufolge Geist als „Leben im Sinn“ verstanden sein soll.⁷⁶ In die Richtung einer systematischen Nachordnung des Geistgedankens weist ebenfalls sein sekundärer, vom Bewusstseinsbegriff abgeleiteter Status. Und obgleich die Sinnelemente der ‚unbedingten Sinnform‘ und des ‚unbedingten Sinngehalts‘ ihrerseits aus dem Prinzipiengefüge von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ hergeleitet werden können, sei doch an ihre Konstitutionsfunktion gemäß der sinntheoretischen Reflexionen erinnert⁷⁷ – eine Konstitutionsfunktion, die Tillich für den Geistge-
So exemplarisch etwa im Rahmen des Systems der Wissenschaften, wenn Tillich eine „Sehnsucht aller bedingten Formen nach dem Unbedingten“ behauptet (ebd., 221; vgl. ebd., 233), oder in den früheren Überlegungen der Religion und Kultur-Vorlesung, wenn es dort heißt: „Der Sinn treibt das Unendliche zur Realisierung des Absoluten. Aber weil er Sinn ist, macht er sie unmöglich.“ (EW XII, 312). Freilich ist auch dort – bei näherem Zusehen – je und je eine geisttheoretische ‚Klammer‘ vermerkt, im ersteren Fall explizit, im letzteren Fall jedoch nur implizit; vgl. oben II.2.2 a). Dieserart changierende Passagen ließen sich für das ‚Doppelwerk‘ von 1923 einige benennen. EW VI, 125; kursiv L. H.; vgl. auch oben II.1 c). Vgl. oben II.2.2 c) mit Bezug auf GW I, 318 f.
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danken an keiner Stelle in vergleichbarer Weise reklamiert. Man wird bezüglich der Frage der Zuordnung von ‚Sinn‘ und ‚Geist‘ zusammenfassend von einem Koordinationsverhältnis auszugehen haben, wobei die nähere Abfolge der Glieder sich je nach näherem Kontext entscheidet. Erweist sich die von Tillich im System der Wissenschaften und der Religionsphilosophie entfaltete Geisttheorie jedenfalls als ‚Klammer‘ der Sinnaufbauprozesse, so können wir vor dem Hintergrund der konstitutions- und strukturtheoretischen Überlegungen abschließend noch einmal den zentralen Gedanken der „Sinnerfüllung“ in den Blick nehmen. Seinen primären systematischen Ort hatte der Erfüllungsgedanke – wie gesehen – auf prinzipientheoretischer Ebene im Spannungsverhältnis von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘.⁷⁸ Allerdings war bereits im Rahmen der sinntheoretischen Rekonstruktion eine zweite Verwendungsweise im Zusammenhang der ‚wirklichen‘ Sinnprozesse festgehalten: hinsichtlich der Frage des konkreten Aufbaus von Sinn hatten wir die Figur der ‚Sinnerfüllung‘ genauer als eine solche der ‚Sinnanreicherung‘ bzw. ‚Sinnexplikation‘ interpretiert.⁷⁹ Auch die geisttheoretische ‚Klammer‘ war schon in jenem Zusammenhang notiert. Ihr – und also der entsprechenden Kernthese: „Im Geist erfüllt sich der Sinn des Seins“⁸⁰ – wollen wir auf jetzigem Stand erneut nachgehen. Unseren Ausgang können wir dabei von der präzisierenden Formel einer „Sinnerfüllung des Seins durch den Geistprozeß“ nehmen.⁸¹ Mit ihr scheint auf, dass es sich bei der fraglichen Sinnerfüllung näherhin um einen ‚Prozess‘ handeln soll. Dessen einzelne Momente sind nun zwar in der betreffenden Passage der Religionsphilosophie nicht benannt.⁸² Auch an den parallelen Stellen des Systems der Wissenschaften ist nicht präzisiert, wie ‚Sein‘ und ‚Sinn‘ einander im Geistprozess zuzuordnen sind.⁸³ Der prozessuale Charakter jener ‚Sinnanreicherung‘ bzw. ‚Sinnexplikation‘ lässt sich jedoch nach seinen einzelnen Stufen auf-
Vgl. oben II.2.2 c). Vgl. oben II.2.2 c). GW I, 222. Ebd., 307; kursiv L. H. Deutlich ist hier der vermittels des Gedankens einer ‚Sinnerfüllung‘ anvisierte Mittelweg zwischen „erkenntnistheoretische[m] Idealismus“ und einem ebensolchen „Realismus“ (ebd.). Deutlich ist weiterhin die Übertragung der am Geistigen gewonnenen Sinnprinzipien – erinnert sei an die Entwicklung der ‚Sinnelemente‘, also von Form, unbedingter Form und unbedingtem Gehalt, als solchen des „Sinnbewusstseins“ im Rahmen der Kernpassage der Religionsphilosophie (ebd., 318 f.; kursiv L. H.) – auf die Sphäre des Seins. Unklar bleibt jedoch, wie fragliche ‚Sinnerfüllung des Seins durch den Geist‘ als Prozess präzise zu denken ist. Vgl. ebd., 229.233
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schlüsseln, wenn wir den Gedanken auf die mehrfach vermerkte Spannung zwischen konstitutions- und strukturtheoretischem Zugriff beziehen: Während der ‚Konstitutionstheorie‘ zufolge die Objektivation, und also das Sich-vorstelligWerden von Geist, erklärtermaßen gegenständlicher Natur sein soll,⁸⁴ betont die ‚Strukturtheorie‘ gerade dessen sinnhaften Charakter. Um diese Spannung für die These einer ‚Sinnerfüllung des Seins durch den Geistprozess‘ fruchtbar zu machen, wollen wir – da Tillich selbst an keiner Stelle eine konzentrierte Klärung vorgenommen hat – nachfolgend mehrere Einzelzitate in systematischer Reflexion bedenken. Im Rahmen seiner Überlegungen zum Verhältnis von Kultus und Mythos konstatiert Tillich gegen Ende der Religionsphilosophie-Vorlesung en passant: „Das Bewußtsein stützt sich zuerst auf das Objekt, muß sich das Objekt schaffen, ehe es in sich Beziehungen irgendwelcher Art feststellen kann.“⁸⁵ Dort als Argument für die logische Vorordnung der mythischen Vorstellungen vor die kultischen Handlungen verwendet, eignet der Bemerkung zugleich Valenz hinsichtlich der allgemeinsten Strukturen des Geistigen. Demzufolge bedarf es notwendig eines Objektes, bevor weitere Beziehungen im Bewusstsein überhaupt statthaben können. Genauer: das Bewusstsein ‚schafft‘ sich jene Objekte allererst, um sich auf ihnen als gewissermaßen erstem Kristallisationspunkt in weiteren Relationen aufzubauen. Trägt man hier die These der ‚Konstitutionstheorie‘ ein, gemäß der die eben mit dem Begriff des ‚Objektes‘ belegte initiale Objektivation des Geistes gegenständlicher Natur ist,⁸⁶ dann lässt sich die erste Stufe der fraglichen ‚Sinnerfüllung des Seins durch den Geistprozess‘ als die der Schaffung eines gegenständlichen Objektes interpretieren. Im Übergang von Bewusstsein zu Geist konstituiert sich jenes ‚Sein‘, das nun in den Prozess der Sinnerfüllung eintritt. Die betreffenden primären ‚Gegenstände‘ sind, da in sie bereits die Bestimmungstätigkeit des Denkens eingegangen ist, keineswegs bestimmungslos. Sie sind jedoch, wie es in dem 1922 entstandenen unveröffentlichten Entwurf Das Unbedingte und die Geschichte prägnant heißt, noch „sinnunbestimmt“.⁸⁷ Auf einer zweiten Stufe kann der Geist diese primären gegenständlichen Objektivationen nun in ‚Beziehungen‘ einstellen. Wiederum interpretativ mag man hier die nach Tillich wesentlichen Sinnbeziehungen der theoretischen und praktischen Geistesfunktionen – also die des Logischen, Ästhetischen etc. – eintragen. Mit einem Zitat aus Die Umstellung der Debatte, einer erneut unveröf
Vgl. oben II.3.2 a). EW XII, 535. Vgl. GW I, 119; vgl. oben II.3.2 a). EW X, 335; kursiv L. H.
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fentlichten Skizze des Jahres 1922: „Jedes Ding kann von seiner theoretischen, ästhetischen, technischen etc. Bedeutung aus betrachtet werden.“⁸⁸ Während jene Erstobjektivationen gegenständlicher bzw. rein bestimmungslogischer⁸⁹ Natur sind, werden sie im theoretischen und praktischen geistigen Akt selbst mit Sinn angereichert. Dabei hat der gesamte Prozess,von der seinshaften Erstobjektivation bis hin zur schließlichen Sinnbestimmung, seinen Ort im Geist – insofern kann tatsächlich gelten: „Im Geist erfüllt sich der Sinn des Seins.“ Dieserart erweist sich die Interpretation des Erfüllungsprozesses als der einer ‚Sinnexplikation‘ einmal mehr als stimmig: Der in der primären geistigen Objektivation angelegte, jedoch noch nicht entfaltete Sinn wird gemäß der jeweiligen Geistesfunktion logisch, ästhetisch etc. in Richtung auf Allgemeinheit fortbestimmt. Ein Gegenstand verdankt ‚seine‘ Bedeutung mithin den spezifischen geistigen Akten, die ihn im Lichte der eigenen Unbedingtheitsdimension jeweils in einen spezifischen Bedeutungskontext stellen. Bei diesen schöpferischen Kontextualisierungen kann man, im Gegenüber zu jener ersten bestimmungslogischen Aktivität des Denkens, von Deutungsoperationen sprechen. Damit ist ein Gedanke aufgenommen, der bei Tillich mit der Kasseler Thesenreihe und vor allem dem Hirsch-Briefwechsel früh angelegt war, den er selbst allerdings nur am Rande weiterverfolgen sollte. Wie gesehen konnte dort das Moment der Objektivation im Ganzen als Deutungsvorgang verstanden werden: „Deutung ist aber Objektivierung. Und das Erlebnis tritt vermutlich nie ohne diese Deutung oder Objektivierung auf.“⁹⁰ In der Folge, und also im Zuge der Ausformulierung seiner eigentlichen Sinntheorie, spielt der Deutungsgedanke zumindest an der Oberfläche nurmehr eine nachgeordnete Rolle. So findet der Deutungsbegriff selbst selten Verwendung, das mit ihm verbundene primär hermeneutische Verständnis der Sinnkategorie tritt hinter die prinzipientheoretischen Aspekte des ‚Form/Gehalt‘Schemas zurück.⁹¹
Ebd., 331. Vgl. zum begrifflich-bestimmungslogischen Charakter der primären Objektivationen – wie zur Notwendigkeit eines ersten gegenständlichen Objektes – etwa auch die von Tillich wiederum nicht ausgeführte Andeutung im Rahmen der Religion und Kultur-Vorlesung: „Nun liegt es aber im Wesen des denkenden Geistes, daß er die Dinge nur erfassen kann durch das Begriffliche hindurch“ (EW XII, 323). EW VI, 102; vgl. oben II.1 a) und c). Der Deutungsbegriff begegnet im Ganzen eher punktuell, ohne dass Tillich ihn je konzentriert nach seinen Momenten hin explizieren würde. Sein Gewicht lässt sich am ehesten noch an GW IV, 102 ablesen: „Alle religiösen Worte sind Deutungen der Spannung zwischen dem Bedingten und dem Unbedingten.“; vgl. darüber hinaus u. a. GW IX, 318.323; EW X, 156 f.239.356; EW XIII, 8; EW XIV, 6. Zum Zurücktreten des hermeneutischen Aspektes von Sinn bei Tillich vgl. Ulrich Barth,
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Dass ein hermeneutisches Sinnverständnis, obwohl nicht im Detail ausgearbeitet, nichtsdestoweniger im Hintergrund des Theorieprogramms als solchem wirksam bleibt, signalisiert Tillichs unvermittelter Gebrauch des Deutungsbegriffs in gleich mehreren Werktiteln jener Jahre: Am prominentesten sicherlich im Untertitel der 1926 erschienenen Schrift Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte. ⁹² Daneben begegnet der Begriff etwa in den Überschriften der einzelnen Unterteile der Dresdner Dogmatik-Vorlesung, wenn diese als ‚Theologische Seins-‘, ‚Geschichts-‘ und schließlich ‚Sinndeutung‘ verstanden werden.⁹³ Sie indizieren, dass Tillich sein Programm zumindest unter kulturhermeneutischen Gesichtspunkten in die betreffende Perspektive eingestellt wissen wollte⁹⁴ – ohne dass dem freilich eine entsprechende theoretische Ausformulierung des Deutungsgedankens entsprochen hätte. Die vorstehenden Reflexionen zum Prozess der Sinnerfüllung im Rahmen der gestuften Geistvollzüge von Bestimmen und Deuten zeigen an, dass darüber hinaus für die Explikation des Geistgedankens von Ferne hermeneutische Aspekte in Anschlag gebracht werden können.⁹⁵
c) Das Unbedingte als Letzt-Gemeintes (1927/28) Mit dem System der Wissenschaften und der Religionsphilosophie liegt Mitte der 1920er Jahre eine erste ausgereifte Gestalt von Tillichs Bewusstseins- und Geisttheorie vor dem Hintergrund seiner Husserl-Rezeption vor. Sie kann, im Verbund mit der Sinnkonzeption jener Jahre, insofern als Summe der Privatdozentenzeit in Berlin gelten, als die Religionsphilosophie zwar erst 1925 in dem von Max Dessoir „Religion und Sinn“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 197– 213, 212. GW VI, 42– 71. Vgl. EW XIV, 123.271.389. Vgl. auch oben II.2.1 c). Insofern mit dem Gedanken der ‚Sinnerfüllung‘ im Rahmen der Geisttheorie hermeneutische Motive der Selbstauslegung verbunden sind, lässt sich von hier der Bogen zu der im ‚Doppelwerk‘ prominenten Figur der „geisttragenden Gestalt“ schlagen; vgl. GW I, 211.228 f.318.322 u.ö. Mit ihr konnte Tillich seine Geistkonzeption mit der seinerzeit reüssierenden Gestaltpsychologie und Gestalttheorie zumal der sog. ‚Berliner Schule‘ um Max Wertheimer und Wolfgang Köhler verschränken. Da die ‚geisttragende Gestalt‘ ihre eigentümliche Gestalt eben in Vollzügen schöpferischer Selbstauslegung im Medium ihrer mentalen Gehalte gewinnt, ließe sie sich auch als ‚geistgeformte Gestalt‘ bezeichnen; zum Begriff der ‚geisttragenden Gestalt‘ vgl. Hannelore Jahr, Theologie als Gestaltmetaphysik. Die Vermittlung von Gott und Welt im Frühwerk Paul Tillichs (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1989); Haigis, Horizont, 47– 55; Georg Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2007), 310 f.; zur Bedeutung Alexander Rüstows für Tillichs ‚Entdeckung‘ des Gestaltbegriffs vgl. Amelung, Gestalt, 215 – 217.
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herausgegebenen Lehrbuch der Philosophie erschien, sie jedoch bereits Ende 1923 dem Verlag druckfertig vorgelegen hatte.⁹⁶ Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens waren jene ‚Berliner Jahre‘ indes Vergangenheit: Zum Mai 1924 hatte Tillich einen Lehrauftrag an der Marburger Theologischen Fakultät angetreten, mit Mai 1925 kam eine Professur für Religionswissenschaft an der Technischen Hochschule Dresden hinzu. Die strapaziöse „Doppelexistenz Dresden-Marburg“ wurde mit dem Wintersemester 1925/26 nahtlos durch die nicht minder Kräfte zehrende „Doppelexistenz Dresden-Leipzig“ abgelöst, ob der ordentlichen Honorarprofessur für Religionsphilosophie und Kulturphilosophie in Leipzig.⁹⁷ Das schon äußerlich bewegte Leben wird erst 1929 mit dem Wechsel nach Frankfurt eine gewisse, wenn auch zeitlich befristete Ruhe finden – bekanntlich sollte Tillich dann im Jahr 1933 zu den ersten Hochschullehrern gehören, die ihres Lehrstuhls enthoben wurden.⁹⁸ In die Zwischenjahre 1924 bis 1929 fallen dabei einmal zwei größere Schriften, die den vormaligen Privatdozenten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machten: Die religiöse Lage der Gegenwart und Das Dämonische, beide im Jahr 1926 erschienen, beide – auf der Grundlage der von uns rekonstruierten Großtheorien des Sinns bzw. Geistes – ersichtlich um eine kulturtheologische Deutung der Gegenwart bemüht.⁹⁹ Daneben nahm naturgemäß die Vorlesungstätigkeit einen breiten Raum ein. Zu denken ist primär an jenen Vorlesungszyklus, der, im Sommersemester 1925 in Marburg und Dresden parallel unter dem Titel ‚Dogmatik I‘ begonnen, sich bis zum Wintersemester 1926/27 erstrecken sollte, jetzt parallel in Dresden und Leipzig gehalten. Im Zuge ihrer Veröffentlichung durch Werner Schüßler in den 1980er Jahren lange Zeit als ‚Marburger Dogmatik‘ geführt, sind die Vorlesungsmanuskripte von Schüßler und Erdmann Sturm unter dem zutreffenderen Titel Dogmatik-Vorlesung (Dresden 1925 – 1927) neu ediert und herausgegeben worden.¹⁰⁰ Im Wintersemester 1927/28 setzte Tillich dann unter
Zur Datierung der Religionsphilosophie vgl. oben die Einleitung zu II.2. Vgl. Erdmann Sturm, „Historische Einleitung“, in: EW XIV, XXI – XLIV.XXXI – XXX; zu Tillichs eigener Bezeichnung der betreffenden ‚Doppelexistenzen‘ vgl. ebd., XXVII bzw. XXIX, zur unsicheren Datierung des Beginns der Lehrtätigkeit in Leipzig vgl. ebd., XXIXf. Vgl. oben die Einleitung zu II.2, dort auch Literatur. Die religiöse Lage der Gegenwart (GW X, 9 – 93) bzw. Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte (GW VI, 42– 71). EW XIV; zur Erstveröffentlichung des Vorlesungszyklus vgl. Paul Tillich, Dogmatik. Marburger Vorlesung von 1925, hg. v. Werner Schüßler (Düsseldorf: Patmos-Verlag, 1986). Tillich selbst scheint eine Veröffentlichung zwar erwogen, schließlich aber doch verworfen zu haben; vgl. EW XIV, XXXf.
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dem Vorlesungstitel ‚Das System der religiösen Erkenntnis‘ noch einmal neu an.¹⁰¹ Dieser Ansatz erweist sich nun für unsere Zusammenhänge gleich mehrfach als interessant. Unter jenem Titel liegt nämlich ebenfalls ein Manuskript in zwei Versionen vor, das offenkundig direkt für eine Veröffentlichung bestimmt war. Dementsprechend ist dieses Manuskript, uns seit seiner Edition im Rahmen von EW XI eben als Das System der religiösen Erkenntnis zugänglich,¹⁰² formal relativ gut ausgearbeitet. Vor allem aber steht hier die Figur des ‚Meinens‘, und somit der Intentionalitätsgedanke im Anschluss an Husserl, ganz im Zentrum der religionstheoretischen Überlegungen: Mit den §§ 2– 10 der Zweitversion entwickelt Tillich das Verhältnis von ‚religiösem Akt‘, den ‚Inhalten‘ des religiösen Bewusstseins sowie des im religiösen Akt ‚Letzt-Gemeinten‘ mit werkgeschichtlich kaum vergleichbarer gedanklicher und terminologischer Präzision.¹⁰³ Der Wert dieser geistphilosophischen Prinzipienklärung in religionstheoretischer Absicht erschließt sich zumal im Hinblick auf Tillichs weiteren Denkweg. Schon der folgende, unter dem Titel ‚Die Gestalt der religiösen Erkenntnis (Dogmatik)‘ für die frühen 1930er Jahre zur Veröffentlichung angezeigte Entwurf sollte von ersichtlich ontologischem Theoriezuschnitt sein. So ist es jetzt, anders als noch im System der religiösen Erkenntnis, die „ontologische[ ] Betrachtung des menschlichen Seins“, auf der der Prolog und also die erkenntnistheoretische Grundlage des gesamten
Vgl. ebd., XXXIf.; im Vorlesungsverzeichnis war die betreffende Vorlesung unter den abweichenden Titeln ‚Die religiöse Erkenntnis‘ (Dresden) bzw. ‚Das religiöse Erlebnis‘ (Leipzig) angekündigt, ausweislich einer Mitschrift hielt Tillich sie dann aber eben unter dem Titel ‚Das System der religiösen Erkenntnis‘; vgl. ebd., XXXI Anm. 29. EW XI, 79 – 116 bzw. ebd., 116 – 174. Entsprechend fokussieren wir uns im Folgenden ganz überwiegend auf die Zweitversion. Neben dem sachlichen Aspekt – eben die entschiedene Konzentration Tillichs auf die Struktur des religiösen ‚Meinens‘ in Relation zum Unbedingten als dem ‚Letzt-Gemeinten‘, während die Erstversion stärker um methodologische Fragen der Zuordnung von religionsgeschichtlichem, philosophischem und theologischem Zugriff kreist; vgl. ebd., 90 – 108 – ist dabei ein formaler ausschlaggebend: So ist die Erstversion, obgleich sie für Tillichs Verhältnisse, insbesondere hinsichtlich des ausführlichen Anmerkungsapparates samt der dortigen Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Literatur, formaliter relativ weit ausgearbeitet ist, aufs Ganze gesehen nochmals deutlich fragmentarischer erhalten als die Zweitversion. Regelmäßig fehlen gerade zu Beginn mindestens einzelne Blätter der Handschrift und darüber etwa die §§ 2– 4 und 10; vgl. die Anmerkungen der Herausgeber ebd., 82 Anm. 1 und 2; ebd., 85 Anm. 17; ebd., 88 Anm. 19 u. ö. Aufbau und Gedankengang von ‚I. Die Aufgabe‘ lassen sich daher im Grunde kaum mehr rekonstruieren. Von bleibendem Interesse ist hingegen die detaillierte Auseinandersetzung der Erstversion mit der sog. ‚dialektischen Theologie‘, die sich zumal in den Ausführungen zum Paradoxbegriff bündelt; vgl. ebd., 106 f.
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materialen Systems erklärtermaßen aufruhen.¹⁰⁴ Verschiebt sich mithin Tillichs theoretischer Fokus nicht erst mit dem US-amerikanischen Exil, sondern bereits Ende der 1920er Jahre, dann kann der mutmaßlich zum Jahresende 1927 fertiggestellte Grundlegungsteil des Systems der religiösen Erkenntnis als ausgereifte Form der intentionalitätstheoretisch gefassten Geisttheorie gelten.¹⁰⁵ Was mit dem Hirsch-Briefwechsel, spätestens aber mit dem Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur anhebt, kommt hier zu seinem inneren Abschluss. Wir können uns der Geistkonzeption des Systems der religiösen Erkenntnis anhand der dem eigentlichen System vorgestellten ‚Einleitung‘ annähern.¹⁰⁶ Tillich grenzt
Vgl. den Wortlaut des Leitsatzes von § 1 des betreffenden Systemaufrisses, den Tillich wohl 1928/29 der Marburger Fakultät im Zuge des Bewerbungsverfahrens zur Nachfolge Rudolf Ottos unter dem Titel Die Gestalt der religiösen Erkenntnis vorlegte, und der mutmaßlich auch dem angekündigten gleichnamigen Druck zur Grundlage dienen sollte: „Aufgabe des Prologs ist es, den Ort zu zeigen, an dem religiöse Erkenntnis entspringt. Er führt in einer ontologischen Betrachtung des menschlichen Seins bis zu dem Punkt, wo die Frage entsteht nach dem Jenseits des Seins und die Antwort auf diese Frage vernommen werden kann.“ (EW XIV, 395); zum Hintergrund des Systemaufrisses vgl. ebd., XIVff.XXXIVff. Der zugehörige Fließtext, der den programmatischen Ansatz noch einmal ausführt, lehnt sich schon terminologisch eng an Martin Heideggers Sein und Zeit an, das 1927 erschienen war. So kann Tillich etwa als Zentralfrage der jetzt anvisierten „ontologische[n] Anthropologie“ formulieren: „Was ist das Sein des Menschen im Hinblick auf das Sein selbst oder (was das gleiche besagt) im Hinblick auf den Sinn des Seins?“ (ebd., 437; kursiv L. H.). Im Hintergrund steht ganz offensichtlich Heideggers Diktum im unpaginierten Vorwort zu Sein und Zeit: „Und so gilt es denn, die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen.“ (Martin Heidegger, Sein und Zeit [Tübingen: Niemeyer, 121972]; kursiv i. O.). Im betreffenden Ergänzungs- und Nachlassband ist das System der religiösen Erkenntnis auf die zweite Jahreshälfte 1927 datiert, wobei einzelne Passagen noch zu Jahresbeginn 1928 entstanden sein können; vgl. EW XI, 77 bzw. 78. Das System im Ganzen ist somit 1927/28 verfertigt, weswegen wir es auch unter dieser Bezeichnung führen. Der für unsere Rekonstruktion entscheidende Grundlegungsteil war hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits zum Jahresende 1927 abgeschlossen – daher die entsprechende Datierung der ausgereiften intentionalitätstheoretisch gefassten Geisttheorie. Die Zweitversion des Systems liegt – wenngleich im Textbestand besser erhalten als die Erstversion – wiederum als Fragment vor. Den Überschriften zufolge hatte Tillich ursprünglich eine Gliederung in zwei Haupt-‚Teilen‘ vor Augen, neben einen ‚Ersten Teil: Grundlegung‘ sollte ein materialer ‚Zweiter Teil: Das System der religiösen Erkenntnis‘ treten; vgl. ebd., 116 bzw. ebd., 174. Vom Letzteren, und also dem eigentlichen materialen System, existiert freilich allein die Überschrift. Entsprechend ist für uns überhaupt nur der ‚Erste Teil‘ greifbar. Glaubt man nun einem von Tillich ausweislich einer Nachschrift im Rahmen der gleichnamigen Vorlesung diktierten ‚Plan‘, dann hatte er im Rahmen dieses ‚Ersten Teils‘, neben einer ‚Philosophischen Vorbetrachtung‘, unter der Überschrift ‚Der Gegenstand der religiösen Erkenntnis‘ nochmals zwei Kapitel anvisiert, zum einen ‚Der religiöse Gegenstand in seinem Wesen (theonomische Gegenstandslehre)‘, zum anderen ‚Der Gegenstand der religiösen Erkenntnis in seinem Gegebenheits-
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den gewählten Titel – eben ‚System der religiösen Erkenntnis‘ – zunächst von denkbaren Alternativen wie beispielsweise denen der ‚Dogmatik‘, der ‚Glaubenslehre‘ oder der ‚Systematischen Theologie‘ ab, um anschließend die einzelnen Aspekte der von ihm gewählten Bezeichnung je für sich zu erläutern.¹⁰⁷ Können wir die Einzelheiten der Abgrenzung bezüglich der Namensgebung sowie die Erläuterung hinsichtlich des ‚System‘-Aspektes und also des offenkundig anvisierten Systemcharakters weitestgehend auf sich beruhen lassen,¹⁰⁸ so führen die Ausführungen zum Aspekt der ‚religiösen Erkenntnis‘ sachlich weiter. Sie verdichten sich in der auf die §§ 2– 10 vorverweisende These: „Es ist ein charakteristisches Erkennen, das in den Worten ‚religiöse Erkenntnis‘ gemeint ist. Das Meinen, das sich den Erkenntnis-Inhalten zuwendet, ist ein religiöses Meinen.“¹⁰⁹ Ein Doppeltes ist hier interessant. Einmal Tillichs Hinweis auf den spezifischen Charakter der ‚religiösen Erkenntnis‘, etwa im Gegenüber zur religionscharakter‘; vgl. EW XIV, XXXXIIf. Dieser ‚Teil‘ blieb allerdings im Ganzen gleichfalls unausgeführt. So ist zwar die ‚Philosophische Vorbetrachtung‘ im System der religiösen Erkenntnis in Gestalt einer ‚Hinleitenden Vorbetrachtung‘ mit den §§ 1– 11 in Leitsätzen und zugehörigem Text tatsächlich vollständig, ihr vorgestellt findet sich zudem eben eine kurze ‚Einleitung‘; vgl. EW XI, 119 – 146 bzw. ebd., 116 – 119. Und auch das erste Kapitel von ‚Der Gegenstand der religiösen Erkenntnis‘ liegt, nunmehr unter der Überschrift ‚Der Gegenstand in seinem Wesen (Theologische Gegenstandslehre)‘, mit den §§ 12– 17 vollständig vor; vgl. ebd., 146 – 165. Jedoch blieb schon das zweite materiale Kapitel ‚Der Gegenstand der religiösen Erkenntnis in seiner Gegebenheit überhaupt‘ weitestgehend Fragment: Die ersten beiden §§ 18 und 19 bieten neben den Leitsätzen noch Erläuterungstext, die restlichen §§ 20 – 27 beschränken sich hingegen allein auf die Leitsätze; vgl. ebd., 166 – 173 bzw. ebd., 173 f. Stellt man in Rechnung, dass überdies der gesamte materiale ‚Zweite Teil‘ als solcher fehlt, dann handelt es sich beim System der religiösen Erkenntnis in der vorhandenen Form letztlich um das Fragment eines Fragments. Die erhaltenen Paragraphen des ursprünglichen ‚Ersten Teils‘ gliedern sich dabei dergestalt, dass die §§ 2– 10 als religionsphilosophische Prolegomena zu verstehen sind, mit denen das ‚System der religiösen Erkenntnis‘ zugleich als Ganzes im Gesamt der (Geistes)Wissenschaften verortet wird. Die eigentlich theologischen Überlegungen setzen mit § 12 ein. Diese kreisen in den §§ 18 – 25 um die Fassung des Offenbarungsbegriffs, während für die abschließenden beiden §§ 26 und 27 ausweislich der Leitsätze augenscheinlich christentumstheoretische Reflexionen angedacht waren. Wir konzentrieren uns nachfolgend ganz überwiegend auf die §§ 2– 10. Vgl. ebd., 116 – 119. Die Ausführungen zum Systemgedanken erinnern der Stoßrichtung wie der Terminologie nach unmittelbar an die entsprechenden Überlegungen im Rahmen des Systems der Wissenschaften; vgl. ebd., 118 f. mit GW I, 113 – 117. Auf Tillichs Vorbehalte gegen den Titel der ‚Glaubenslehre‘ werden wir an gegebener Stelle zurückkommen. Bemerkenswert im Rahmen der Abgrenzung von anderen denkbaren Titeln ist der hier als gleichsam zu formal-technisch abgelehnte Titel einer ‚Systematischen Theologie‘ – jener Bezeichnung, die mit der Systematischen Theologie von 1913 nicht nur der erste Systementwurf getragen hatte, sondern die dann bekanntlich auch das späte dreibändige Hauptwerk tragen wird; vgl. EW XI, 116 f. Ebd., 117.
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psychologischen oder religionsgeschichtlichen: Im Gegensatz zu diesen soll der religiösen „auch keine annähernde Allgemeinheit“ eignen.¹¹⁰ Sie ist demzufolge prinzipiell „besondere“ bzw. „konkrete“ Erkenntnis, zugleich aber von „universale[r]“ Gültigkeit.¹¹¹ Die These einer ob dieser Spannung eigentümlich paradoxen – es dürfte kein Zufall sein, dass Tillich in der Erstversion genau in diesem Zusammenhang die rechte Verwendung des Paradoxbegriffs in Abgrenzung von der sogenannten ‚dialektischen Theologie‘ diskutiert¹¹² – Gestalt der religiösen ‚Erkenntnis-Inhalte‘ wie des entsprechenden ‚Erkennens‘ weist werkgeschichtlich weit zurück.¹¹³ Im Rahmen des Systems der religiösen Erkenntnis greift die Unterscheidung eines der religiösen Erkenntnis koordinierten religiösen Meinens und eines der religionspsychologischen oder religionsgeschichtlichen Erkenntnis koordinierten „theoretische[n] Meinen[s]“¹¹⁴ einer Differenzierung der Idee des Unbedingten vor, die dann für die Abgrenzung von Religionsphilosophie und Theologie, und also im Aufbau des Systems für die Differenz des in den §§ 2– 10 von dem in den §§ 12 ff. Dargelegten einschlägig sein wird: Der notwendigen ‚Besonderheit‘ bzw. ‚Konkretheit‘ des religiösen Meinens und somit der religiösen Erkenntnis entspricht auf Seiten des Unbedingten dessen „Charakter des Unbedingt-Angehenden“ – und mit der Reflexion auf ebendiesen Charakter scheidet sich Tillich zufolge die theologische von der allgemeinen, religionsphilosophischen Betrachtung.¹¹⁵ Die Theologie teilt dieserart das existenzielle¹¹⁶ Gepräge des
Ebd., 118. Ebd., 118 Anm. 8 bzw. 9. Vgl. ebd., 106 f. Die parallele Passage der Zweitversion – „[N]icht die besonderen Wirklichkeiten als Tatsachen sind Gegenstand der systematischen Arbeit, sondern die Wahrheit und Gültigkeit der ihnen entstammenden religiösen Erkenntnisse. Der Stoff entstammt der geschichtlichen Wirklichkeit im Sinne räumlicher und zeitlicher Begrenzung. Aber gemeint ist nicht die geschichtliche Wirklichkeit, sondern die besondere und zugleich gültige Wahrheit.“ (ebd., 118) – stellt im Grunde eine terminologisch überarbeitete Reformulierung der Aufgabenstellung der Kasseler Thesenreihe von 1911 dar; vgl. oben I.1 d). Ebd., 118. Ebd., 124. Diese Charakterisierung ist dann mit den §§ 13 ff. aufgenommen und entfaltet; vgl. ebd., 149 ff. Für die religionsphilosophische Reflexion tritt an die Stelle der Näherbestimmung des Unbedingten vermittels der Figur des ‚Unbedingten Angehens‘ eine solche vermittels des Transzendenzgedankens; vgl. ebd., 125: „Dafür [für bzw. anstelle des Begriffs des ‚Unbedingt-Angehenden; L. H.] ist der Begriff des Unbedingten ergänzt durch den der Seins- und Sinntranscendenz.“; s.u. Vgl. ebd., 119: „[D]as religiöse Meinen, in dem die religiöse Erkenntnis gewonnen wird, ist […] lebendig, bewegt und bestimmt durch das, was ihm gegeben ist.“ In den entsprechenden Überlegungen der Erstversion kann Tillich die „Forderung der ‚Existentialität‘ des theologischen Er-
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Religiösen, hebt es aber in die systematisch-wissenschaftliche Reflexion.¹¹⁷ Dieses Theologieverständnis bestimmt nicht nur den unmittelbar zuvor entstandenen Vorlesungszyklus der Dresdner Dogmatik, sondern wird bekanntlich noch die über zwei Jahrzehnte später verfasste dreibändige Systematische Theologie von Grund auf prägen.¹¹⁸ Die §§ 2– 10, und mithin die Textgrundlage unserer Rekonstruktion, gelten zwar gleichfalls dem ‚religiösen Meinen‘ bzw. der ‚religiösen Erkenntnis‘, halten sich jedoch einmal mehr ganz im Rahmen religionsphilosophischer Prinzipienklärung. Eine zweite, für unsere Zwecke nochmals weitreichendere Beobachtung anhand der ‚Einleitung‘ kann ihren Ausgang von den Korrekturen nehmen, die Tillich an der eingangs zitierten Passage – ‚Es ist ein charakteristisches Erkennen, das in den Worten ‚religiöse Erkenntnis‘ gemeint ist. Das Meinen, das sich den Erkenntnis-Inhalten zuwendet, ist ein religiöses Meinen‘ – selbst vorgenommen hat: Die Wendung ‚charakteristisches Erkennen‘ ersetzte hier die des „qualifizierte[n] Erkenntnisakt[es]“, der Anfang des zweiten Satzes lautete ursprünglich „Der Akt, in dem die Erkenntnisinhalte gewonnen werden, ist ein religiöser Akt […]“, anstelle von ‚Das Meinen, das sich den Erkenntnis-Inhalten zuwendet […]‘.¹¹⁹ In beiden Fällen tilgte Tillich also im Nachgang den Aktbegriff. Da sich die Ersetzung des ‚Akt‘-Terminus durch den des ‚Meinens‘ für die gesamte ‚Einleitung‘ nachvollziehen lässt,¹²⁰ handelte es sich offensichtlich um eine bewusste terminologische Entscheidung. Allerdings findet der Aktbegriff mit § 2 wieder selbstverständliche Verwendung, begegnet er etwa im zentralen Leitsatz von § 5: „Die im religiösen Akt gesetzten und aufgehobenen Gegenstände haben den Charakter von Vertretungen des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten.“¹²¹ Tillich hatte keineswegs eine vollständige Verabschiedung des Aktbegriffs im Sinn. Somit muss seine Streichung bzw. Ersetzung durch den Begriff des Meinens im Rahmen der ‚Einleitung‘ eine gedankliche Präzisierung signalisieren. Diese Präzisierung gewährt
kennens“ als eine der „Haupt-Leistungen der dialektischen Theologie“ würdigen, zugleich allerdings deren Überspannen des existentiellen Momentes kritisieren (ebd., 102). Vgl. ebd., 119: „Theologie ist wissenschaftliche Arbeit an den besonderen Inhalten religiöser Erkenntnis auf Grund des Teilhabens an diesen Inhalten.“ Neben das Stichwort der ‚Teilhabe‘ können auch die des ‚Angegangenseins‘ und des ‚Stehens in‘ treten; vgl. ebd., 124.145 u.ö. Vgl. alleine den Leitsatz von § 1 der Dresdner Dogmatik-Vorlesung: „Dogmatik ist wissenschaftliche Rede von dem,was uns unbedingt angeht.“ (EW XIV, 1). Das hier formulierte Dogmatikbzw. Theologieverständnis kehrt dann in der späten Systematischen Theologie mit der berühmten Bestimmung des Grundkriteriums einer jeden Theologie beinahe wörtlich wieder: „Der Gegenstand der Theologie ist das, was uns unbedingt angeht.“ (ST I, 19 f.). EW XI, 117 Anm. 4 und 5. Vgl. ebd., 117 Anm. 3 und 4; ebd., 118 Anm. 6 und 7; ebd., 119 Anm. 10. Ebd., 129; kursiv L. H.
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nun in der Tat einen ersten Einblick in die mit den §§ 2– 10 insgesamt ausformulierte Theorie des intentionalen religiösen Bewusstseins. Ein entscheidender Hinweis zur Unterscheidung und Verhältnisbestimmung von ‚Akt‘ und ‚Meinen‘ lässt sich dabei der Gliederung entnehmen, die § 1 beschließt. Ungeachtet der Schwierigkeiten, die die nähere Zuordnung der von Tillich genannten drei Hauptgliederungspunkte¹²² zum Aufbau der folgenden Paragraphen verursacht, gibt der erste Gliederungspunkt den Schlüssel zur Ausdifferenzierung des übergeordneten Begriffs der ‚religiösen Erkenntnis‘ an die Hand.¹²³ Unterschieden werden können demnach vier Aspekte: Zuerst das „durch das Wort ‚religiös‘ bezeichnet[e]“ „Gebiet überhaupt“, diesseits der Scheidung von „subjektive[r] und objektive[r] Seite“.¹²⁴ Hierfür steht ersichtlich § 2, in dem der Gedanke des Unbedingten vorgestellt und entfaltet wird. Das Folgende lässt sich leichthin auf die §§ 3 – 5 abbilden: „Dann sind beide Seiten getrennt zu behandeln, zuerst die Akt-Seite, dann die Gegenstandsseite der religiösen Erkenntnis. Endlich ist zu fragen, auf welche Weise sie miteinander verbunden sind.“¹²⁵ Bereits die Gliederung zeigt dieserart an, dass der Aktbegriff der ‚subjektiven Seite‘ vorbehalten sein soll, im Gegenüber zur ‚objektiven‘ ‚Gegenstandsseite‘. Tatsächlich fokussiert § 3 schon ausweislich seines Leitsatzes – „Der religiöse Akt steht nicht neben oder über den anderen geistigen Akten. Er ist vielmehr in ihnen als die sie übersteigende und tragende Durchbrechung ihrer Bedingtheit.“¹²⁶ – entsprechend das als ‚subjektiv‘ gekennzeichnete Moment des Aktes, wohingegen § 4 das als ‚objektiv‘ bezeichnete Gegenstandsmoment in den Blick nimmt.¹²⁷ § 5 hat wiederum den internen systematischen Konnex von ‚Akt‘ und ‚Gegenstand‘ zum Thema, mit ihm ist mithin ein erster Zielpunkt des Gedankengangs der ‚Hinleitenden Vorbetrachtung‘ des Systems erreicht.¹²⁸ Ausweislich dieses Aufbaus benennt der Aktbegriff somit im System von 1927/28 präzise das subjektive Moment des Geistigen.
Vgl. ebd., 121 f.: „Die erste Voraussetzung […]“, „Auf dieser Grundlage kann dann […]“, „Auf die Möglichkeit eines Konfliktes nimmt eine Schlußbetrachtung Rücksicht […]“; kursiv L. H. Vor allem der zweite Punkt, der der „material[en]“ und „formal[en]“ Bestimmung des Systems dienen soll, lässt sich den folgenden Paragraphen nicht recht zuordnen. Das Folgende bezieht sich also auf ebd.: „Die erste Voraussetzung […] wie der Gegenstand dem Akt gegeben ist.“ Ebd. Ebd., 122. Ebd., 125. Vgl. den Leitsatz von § 4: „Der Gegenstand eines religiösen Aktes wird im religiösen Akt selbst seiner Gegenständlichkeit entkleidet.“ (ebd., 127). Entsprechend werden wir auf § 5 eigens zurückkommen; s.u.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Die in § 3 selbst gegebenen Näherbestimmungen verbleiben dabei weithin im Rahmen des seit dem Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur von 1919 Entfalteten. So begegnet einmal mehr Tillichs Standarddefinition der „Richtung auf“.¹²⁹ Weiterhin sind die religiösen Akte nicht als gesonderte Aktklasse „neben oder über“ den ‚theoretischen‘ und ‚praktischen‘ (oder, wie es hier heißt: „handelnden“) Akten zu verstehen, sondern bezeichnen eine „religiöse Qualifizierung“ dieser selbst.¹³⁰ Jene Zuordnung des Aktbegriffs zum ‚Subjektiven‘, wie überhaupt die im System der religiösen Erkenntnis klar markierte Unterscheidung von subjektivem und objektivem Moment der religiösen Erkenntnis, ist nun keineswegs in dem Sinne zu interpretieren, als ließen sich beide Momente voneinander trennen. Vielmehr notiert Tillich in § 3 ausdrücklich die „strenge[] Korrelation von Akt und Gegenstand“.¹³¹ Jeder geistige Akt richtet sich demnach notwendig auf einen,
Vgl. ebd., 126. Ebd.; vgl. auch ebd.: „Es gibt keinen Glauben als besonderen Akt, aber es gibt gläubige theoretische Akte, und es gibt gläubige praktische Akte“; sowie die ursprüngliche Fassung des Leitsatzes von § 3: „Die religiösen Akte stellen keine besondere Klasse von Akten neben den übrigen dar. Sie vollziehen sich vielmehr an den übrigen Akten als ihre transcendente Qualität“ (ebd., 125 Anm. 19). Mit der Unterscheidung von ‚theoretisch‘ und ‚praktisch‘ ist zugleich das ebenfalls bereits mit dem Kulturtheologie-Aufsatz etablierte Zweierschema selbstverständlich vorausgesetzt; vgl. oben II.3.1 a). Auf den spezifisch transzendierenden Charakter der dieserart religiös qualifizierten theoretischen oder praktischen Akte werden wir anderwärts zurückkommen; s.u., vgl. unten III.3 b). Ebd., 125; vgl. ebd., 136: „[R]eligiöse Gegenstände stehen in strenger Korrelation zum religiösen Akt.“ Mit dem Korrelationsbegriff ist wiederum der Bogen zum späten Hauptwerk der Systematischen Theologie und der dortigen, berühmten ‚Methode der Korrelation‘ geschlagen; vgl. v. a. ST I, 73 – 80; ST II, 19 – 22. Die Literatur zur Korrelationsmethode ist Legion, vgl. exemplarisch Josef Schmitz, Die apologetische Theologie Paul Tillichs (Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag, 1966); Martin Repp, „Zum Hintergrund von Paul Tillichs Korrelations-Methode“, NZSTh 24 (1982), 206 – 215; John Powell Clayton, The Concept of Correlation. Paul Tillich and the Possibility of a Mediating Theology (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1980); Joachim Ringleben, „Paul Tillichs Theologie der Methode“, in: ders., Gott denken. Studien zur Theologie Paul Tillichs (Münster: Lit, 2003), 3 – 25; Michael Murrmann-Kahl, „‚Aporiefixierung‘. Zum Methodenproblem von Tillichs Systematischer Theologie“, in: Christian Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (Wien: Lit, 2004), 175 – 195; Robert P. Scharlemann, „Tillich’s Method of Correlation: Two Proposed Revisions“, in: ders., Religion and Reflection. Essays on Paul Tillich’s Theology (Münster: Lit, 2004), 23 – 41. Auch der Begriff der Korrelation ist, wie der des „Unbedingt-Angehenden“, spätestens mit der Dresdner Dogmatik-Vorlesung terminologisch fest etabliert; vgl. bes. den dortigen § 6; EW XIV, 31 ff. Unterminologisch verwendet findet sich der Begriff des ‚Korrelats‘ überdies bereits angelegentlich im Frühwerk, etwa in der philosophischen Dissertation; vgl. EW IX, 235 Anm. 336 bzw. ebd., 250.
II.3 Die Theorie des Geistes
399
genauer: seinen Gegenstand,¹³² wie andersherum der Gegenstandsbegriff überhaupt nur in Relation zu der entsprechenden geistigen Aktivität statthat. Im Hintergrund steht offenkundig jene ‚konstitutive Relation‘ von Denken und Sein, die mit dem System der Wissenschaften als Grundlage des Bewusstseins- und in der Folge auch des Geistbegriffs formuliert und entwickelt worden war.¹³³ Tillich greift also im System der religiösen Erkenntnis mit der Grundanlage einer ‚Korrelation von Akt und Gegenstand‘ im Wesentlichen die bewusstseinstheoretischen Linien des zuvor in den 1920er Jahren Entwickelten auf, präzisiert sie aber mit der Zuweisung des Aktbegriffs zur ‚subjektiven‘ Seite der mentalen Korrelation noch einmal. Diese terminologische Präzisierung artikuliert sich nicht zuletzt in der bewussten Absetzung des Begriffs des ‚Meinens‘ vom Aktbegriff: Im Gegensatz zu diesem steht jener für eine komplexere Struktur. Ablesen lässt sich dies in einem ersten Zugriff nochmals an der Gliederung, die § 1 beschließt. Mit ihr ließen sich die §§ 3 und 4 der subjektiven Akt- bzw. der objektiven Gegenstandsseite zuordnen. Demgegenüber steht die Thematisierung des vierten Aspektes, und also der Frage, „auf welche Weise sie [die beiden Seiten; L. H.] miteinander verbunden sind, wie der Gegenstand dem Akt gegeben ist“, noch aus. Ihr dient nun wie notiert § 5 – mit dem, wiederum bereits im Leitsatz, neben dem Akt- und dem Gegenstandsbegriff eben der des Meinens aufgegriffen ist: „Die im religiösen Akt gesetzten und aufgehobenen Gegenstände haben den Charakter von Vertretungen des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten.“¹³⁴ Zweierlei ist ersichtlich: Vermittels des Begriffs des Meinens sollen ‚Akt‘ und ‚Gegenstand‘ gleichermaßen ‚miteinander verbunden‘
Vgl. auch EW XI, 127 Anm. 21: „Der religiöse Akt ist wie jeder geistige Akt auf einen Gegenstand gerichtet. Diese Gerichtetheit, Objektbezogenheit ist mit dem Wesen des Aktes unlöslich verknüpft.“ In diesem Zusammenhang sind nochmals Tillichs Vorbehalte gegenüber dem traditionellen Vermögen des ‚Gefühls‘ ob dessen fehlender intentionaler Gegenstandsbezogenheit ausdrücklich vermerkt: „Ein reines in sich schwingendes Gefühl ohne gegenständlichen Bezug ist kein religiöser Akt.“ (ebd., 137). Damit artikuliert sich zugleich die aus dem Frühwerk vertraute, mit der Verabschiedung des vermögenspsychologischen Schemas im Zuge der Ausformulierung der eigenen Bewusstseinskonzeption – vgl. oben II.3.1 a) – nach dem Ersten Weltkrieg endgültig verfestigte Abgrenzung gegenüber dem dem Gefühlsbegriff verpflichteten Religionsbegriff Schleiermachers; vgl. ebd., 127 Anm. 21: „Religion als reines Schwingen, als bloßer Rhythmus der Subjektivität gibt es nicht.“ Von hierher dürfte sich im Übrigen ebenfalls die Ablehnung des Titels ‚Glaubenslehre‘ im Rahmen der ‚Einleitung‘ begründen: „Das Wort Glaubenslehre hat den Nachteil, die Aufmerksamkeit auf die subjektive Seite der religiösen Wirklichkeit zu lenken statt auf die im religiösen Meinen gegebenen Gegenstände, auf die es ankommt.“ (ebd., 117). Vgl. oben II.3.1 c) und II.3.2 a). Ebd., 129.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
sein, anvisiert ist in der Tat eine erweiterte, gewissermaßen aufgestockte mentale Struktur. Und, vor allem: Mit der Figur des Meinens rückt über die beiden Genannten hinaus eine dritte begriffliche ‚Größe‘ in den Blick, das ‚Letzt-Gemeinte‘. Somit ist für die ‚objektive‘ Seite, und also am Orte der Objektstelle des mentalen Aktes, gleichsam eine Verdopplung behauptet: Im Falle des religiösen Meinens tritt neben den ‚Gegenstand‘ des Aktes das ‚Letzt-Gemeinte‘. Gegenüber dem Aktbegriff, und der vermittels seiner bezeichneten planen ‚Richtung auf‘, bedeutet die Figur des Meinens eine merklich komplexere Struktur. Werkgeschichtlich war diese komplexe Struktur schon lange angelegt – erinnert sei stellvertretend an die Überlegungen im Rahmen von Rechtfertigung und Zweifel, für die bereits 1919 explizit der Terminus des ‚Meinens‘ den systematischen Anstoß gegeben hatte.¹³⁵ Seinerzeit hatte Tillich jedoch zwischen den Begriffen der ‚Richtung auf‘ und des ‚Meinens‘ noch nicht weiter unterschieden, sondern beide weitestgehend synonym verwendet.¹³⁶ Mit dem System der religiösen Erkenntnis spiegelt sich die Differenziertheit der Bewusstseins- und Geisttheorie nun in terminologischer Präzision wider – bis hin zur gedanklichen Präzisierung der Idee des Unbedingten im Sinne des ‚Letzt-Gemeinten‘. Wie ‚Akt‘, ‚Gegenstand‘ und ‚Letzt-Gemeintes‘ sich in der komplexen Struktur des Meinens näherhin zueinander verhalten, ist die eigentliche Kernfrage der im System von 1927/ 28 entworfenen Konzeption des Geistes. ¹³⁷ Als Hintergrund legt sich unschwer der Husserl’sche Begriff des ‚Vermeinens‘ nahe – womit sich auch für Tillichs Begriff des Meinens eine signifikative Struktur vermuten lässt: ‚Meinen‘ bedeutet nicht nur ein einfaches Bezogensein auf etwas im Sinne des Aktbegriffs, sondern vielmehr ein Bezugnehmen auf etwas als etwas. Mit den §§ 4 und 5 ist zunächst die ‚Gegenstandsseite‘ der fraglichen komplexen Struktur über den Gedanken des grundlegend „dialektischen Charakter[s] der religiösen Gegenstandssetzung“ bzw. die entsprechende Abgrenzung von jedweder „undialektischen Gegenstandssetzung“ weiter aufgeklärt.¹³⁸ Er findet seinen Ausdruck einmal mehr im Leitsatz zu § 5: „Die im religiösen Akt gesetzten und aufgehobenen Gegenstände haben den Charakter von Vertretungen des im reli-
Vgl. EW X, 176|225; vgl. oben II.3.1 b). Vgl. ebd., 225 mit ebd., 227; EW XII, 379 u. ö.; vgl. oben II.3.1 b). Mit dieser Kernfrage treten wir zugleich offensichtlich endgültig in den engeren Bereich symboltheoretischer Fragen ein. Wir fokussieren nachfolgend den geisttheoretischen Aspekt der betreffenden Fragen, zum symboltheoretischen Aspekt vgl. unten III.3. EW XI, 129 bzw. ebd., 128.
II.3 Die Theorie des Geistes
401
giösen Akt Letzt-Gemeinten.“¹³⁹ Ob des ‚dialektischen‘ Charakters der Gegenstandssetzung ist deutlich, dass nicht an eine zeitliche Abfolge zu denken ist, etwa in dem Sinne, dass der gesetzte Gegenstand in einem zweiten Schritt in die anvisierte Vertretungsfunktion aufgehoben wird. Vielmehr sind für das Moment des Setzens logisch zwei Stufen zu unterscheiden. Da jeder mentale Akt qua Definition intentional auf einen Akt-Gegenstand bezogen sein muss, wird auch die Idee des Unbedingten als Relat des religiösen Aktes notwendig objektiviert.¹⁴⁰ Es wird also im religiösen Akt als Objekt, als das Andere des Aktes im Sinne des kantischen „dawider“ gesetzt.¹⁴¹ In einem zweiten Schritt wird das dieserart als ‚Dawider‘ Gesetzte als ein Seiendes der Sphäre des Seins zugeordnet und somit im Wortsinne verdinglicht.¹⁴² Gegen diese zweite Stufe regt sich seit dem Hirsch-Briefwechsel Tillichs „religiös geforderter Atheismus“.¹⁴³ Folglich ist es allein der Aspekt der Verdinglichung, dem die Aufhebung gilt, nicht aber die Objektsetzung als solche.¹⁴⁴ Vor diesem Hintergrund erweist sich Tillichs Wahl des Gegenstandsbegriffs bei Lichte besehen als nur bedingt glücklich. Terminologisch präziser ist im Grunde eine zum Leitsatz parallele Formulierung aus § 5, mit der der Begriff des „Inhalt[s]“ an die systematische Stelle jener dialektisch verfassten ‚Gegenstände‘ des religiösen Bewusstseins rückt.¹⁴⁵ Im Gegenüber zum Gegenstandsbegriff ist der Inhaltsbegriff nämlich geeignet, den mentalen Objektstatus zu benennen, ohne die problematischen gegenständlich-extensionalen Assoziationen des Ersteren mitzuführen. Er bleibt insofern auch dem Husserl’schen Vorbild stärker verbunden, als bei diesem bekanntlich die Frage der reellen gegenständlichen
Ebd., 129; kursiv L. H. Der Leitsatz von § 4 – „Der Gegenstand eines religiösen Aktes wird im religiösen Akt selbst seiner Gegenständlichkeit entkleidet.“ (ebd., 127) – paraphrasiert genau ebenjenen ‚dialektischen Charakter‘ der religiösen Gegenstandssetzung. Vgl. ebd.: „Jeder Akt ist wesensmäßig bezogen auf einen Akt-Gegenstand.“ mit ebd., 128: „Wird das im religiösen Akt Gemeinte nun objektiviert – und es muß ja objektiviert werden, sofern es Gegenstand eines Aktes ist […]“. Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Hamburg: Meiner, 31990), 152a (A 105). Dieses Moment der Objektivierung ist im Wort ‚Gegen-stand‘ noch enthalten. Vgl. EW XI, 128: „[D]as im religiösen Akt Gemeinte [wird] in den Zusammenhang des Seienden eingeordnet und als Seiendes mit besonderer Seinsweise betrachtet.“ Ebd.; vgl. GW I, 334; GW V, 207 u. ö. Vgl. EW XI, 135: „In der Transzendenz liegt das ‚Gegenüber‘. Und dieses Element rechtfertigt […] die religiöse Gegenstandssetzung.“ Wie das Folgende zeigt, ist die Idee des Unbedingten im System der religiösen Erkenntnis wesentlich vermittels des Transzendenzgedankens gefasst. Vgl. ebd., 131: „Wenn wir darum sagen, daß die religiösen Inhalte ‚Vertretungen‘ des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten sind […].“
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
Existenz des Gemeinten als für die Struktur des Meinens selbst sekundär eingeklammert ist.¹⁴⁶ Mit den §§ 5 – 10 hebt nun wiederum ein eigener Gedankengang an. Der bis hierhin mehrfach zitierte Leitsatz von § 5 markiert so nicht allein den Zielpunkt des ersten Klärungsgangs, vermittels dessen sich die Differenzierung von ‚Akt‘ und ‚Meinen‘ rekonstruieren ließ. Zugleich erweist er sich als Zugangsdefinition, die Tillich ihrerseits mit den folgenden Paragraphen weiter anreichert. Dabei treten, festgemacht am Vertretungsgedanken – der Leitsatz bestimmt jene ‚im religiösen Akt gesetzten und aufgehobenen Gegenstände‘ ja näherhin als ‚Vertretungen des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten‘ –, symboltheoretische Erwägungen in den Vordergrund: Neben § 5, mit dem die symboltheoretisch valenten Begriffe des ‚Hinweises‘, des ‚Symbols‘ und des ‚Zeichens‘ sowie schließlich eben der ‚Vertretung‘ gegeneinander abgewogen werden,¹⁴⁷ gelten auch die §§ 6 und 7 mehr dem Symbolgedanken.¹⁴⁸ Den betreffenden Überlegungen werden wir unten am gegebenen Ort nachgehen. Im gegenwärtigen Zusammenhang soll der Fokus demgegenüber weiterhin auf der komplexen Struktur des Meinens liegen. Schon der Leitsatz von § 5 formuliert ersichtlich insofern eine komplexe Struktur, als die ‚Gegenstände‘ – bzw. besser, wie gesehen: die ‚Inhalte‘ – des religiösen Bewusstseins das ‚Letzt-Gemeinte‘ vertreten. Die dort noch eher implizit in Anspruch genommene signifikative, konstitutiv dreistellige Struktur des religiösen Meinens als eines ‚etwas als etwas Vermeinens‘ ist nun nachfolgend bis zu jener Passage des § 8 hin entwickelt, die auf Tillichs Werk der 1920er Jahre im Ganzen gesehen als die präziseste Auskunft in Sachen religiöses Bewusstsein gelten muss. Hier heißt es: „Der letztgemeinte Gegenstand ist das Unbedingte, Sinn- und Seinstranscendente. Der unmittelbare Gegenstand sind die vertretenden Inhalte. Sofern ein religiöser Akt sich auf einen vertretenden Inhalt und durch
Vgl. Ulrich Barth, „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 89 – 123, 101– 103; vgl. auch oben II.3.1 b) und c). Im Seitenblick auf Tillichs ausgereifte Sinnkonzeption und die im entsprechenden Zusammenhang vermerkte, vorderhand erstaunliche Unterbelichtung des Inhaltsbegriffs im Vergleich zur ersten Artikulation seines ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schemas – vgl. oben II.2.1 c) und II.2.2 c) – lässt sich vermuten, dass der Inhaltsbegriff im Rahmen der ausformulierten Theoriebildung der 1920er Jahre eben primär für die systematische Objektstelle des signifikativen Aktes des Vermeinens reserviert wird, und also von der Sinntheorie gewissermaßen in die Bewusstseins- und Geisttheorie abwandert. EW XI, 130 f.; vgl. unten III.2 b) und c) sowie III.3 b). Von besonderer Bedeutung für die Symbolkonzeption ist dabei der in § 6 formulierte Gedanke sich vertretender Transzendierungsverhältnisse; vgl. unten III.3 c).
II.3 Die Theorie des Geistes
403
ihn hindurch auf das Letzt-Gemeinte richtet, ist er religiöse Erkenntnis.“¹⁴⁹ Demnach sind einmal ein ‚unmittelbares‘ und ein mittelbares, ‚letztgemeintes‘ Objekt des Bewusstseinsaktes zu unterscheiden. Um missverständliche Konnotationen im Sinne vermeintlicher Unmittelbarkeitsprätentionen fernzuhalten, dürfte es günstiger sein, die ‚vertretenden Inhalte‘ genauer als direkt Gemeinte im Unterschied vom ‚Letzt-Gemeinten‘ als indirekt Gemeinten zu bezeichnen.¹⁵⁰ Tatsächlich hat Tillich sich im System der religiösen Erkenntnis an einer – allerdings gestrichenen – Stelle selbst des Begriffspaares ‚direkt/indirekt‘ bedienen können, um die fragliche Struktur zu präzisieren.¹⁵¹ Die gleichsame Verdopplung der Objektstelle im Falle des religiösen Meinens ist also im Sinne einer Differenzierung zwischen dem ‚direkten‘ und dem ‚indirekten‘ Objekt gedacht. Die Relation des direkt Intendierten zum indirekt Intendierten ist dabei mit der einschlägigen Figur der 1920er Jahre als die eines ‚durch-hindurch‘ gekennzeichnet. Ihr Verhältnis ist mithin nicht nur als das einer – symboltheoretisch zu explizierenden – ‚Vertretung‘,¹⁵² sondern auch als das der internen ‚Vermittlung‘ zu bestimmen: Mittels der vertretenden Inhalte wird das Unbedingte als ‚Letzt-Gemeintes‘ gemeint. Im Hintergrund steht jene Rezeption Husserl’scher Grundfiguren, die wir bereits anhand von Rechtfertigung und Zweifel für das Jahr 1919 festgehalten hatten – und die wir in diesem Zusammenhang gleichermaßen als Adaption wie als Überblendung von Husserls genuinen Theorieinteressen zugunsten der eigenen, religionstheoretischen Intentionen interpretieren konnten.¹⁵³ Im System der religiösen Erkenntnis artikuliert sich diese Überblendung exemplarisch im Terminus des ‚Letzt-Gemeinten‘, da er offenkundig der unbedingtheitstheoretischen Überformung des Husserl’schen Intentionalitätsgedankens Ausdruck verleiht: das vermittels der vertretenden Inhalte Intendierte firmiert nicht allein als – nicht näher spezifiziert – ‚indirekt‘ Gemeintes, sondern eben als ‚Letzt-Gemeintes‘ im qualifizierten Sinne.¹⁵⁴ Zudem ist der Gedanke des Letzt-Gemeinten in jener zentralen Passage von § 8 umgehend im Sinne des ‚Sinn- und Seinstranscendenten‘ näher bestimmt. Da
Ebd., 136. Vgl. unten III.3 a) Vgl. ebd., 129 Anm. 25: „Dieses Gemeinte [das Unbedingte, Sinn- und Seinstranscendente; L. H.] kann aber niemals direkt gemeint sein; […] Es kann also nur indirekt gemeint sein, durch einen Inhalt hindurch, der für das Gemeinte steht.“; kursiv L. H. Vgl. unten III.2 b) und c) sowie III.3 b). Vgl. oben II.3.1 b). Zur betreffenden Verschränkung von Intentionalitätstheorie und Absolutheitstheorie im Begriff des ‚Letzt-Gemeinten‘ vgl. auch Barth, „Sinn“, 207– 209.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
selbige Näherbestimmung auch gleich mit dem ersten Satz von § 5 vorgenommen ist,¹⁵⁵ kann die Fassung der Idee des Unbedingten vermittels des Transzendenzbegriffs – neben ihrer intentionalitätstheoretischen Reformulierung als des ‚LetztGemeinten‘ – als zweites Spezifikum der religionsphilosophischen Überlegungen des Systems der religiösen Erkenntnis gelten. Hier entfaltet, kann Tillich beide Spezifika dann anderwärts, zumal im ungefähr zeitgleich entstandenen Aufsatz Das religiöse Symbol, als feststehende Termini technici verwenden.¹⁵⁶ Was Tillich mit der Verbindung des Begriffs des Unbedingten mit dem der Transzendenz näherhin vor Augen hat, ist im System an verschiedener Stelle präzisiert. Zugehörige Einzelaspekte sind genauer in den §§ 2, 5 und 9 bedacht. Wir vergegenwärtigen uns den betreffenden Gedanken in einer Zusammenschau der einschlägigen Stellen, um die so gewonnene Fassung des Unbedingten abschließend in die skizzierte Struktur des religiösen Meinens einzuzeichnen. Eingeführt war jene Figur der ‚Seins- und Sinntranscendenz‘ des Unbedingten bereits in § 2. Dort erläutert Tillich zunächst den Doppelcharakter der Figur wie folgt: „Die Doppelheit der Begriffe ist darum notwendig, weil der Sinn schon in sich eine gewisse Transcendenz gegenüber dem Sein hat und infolgedessen die Gefahr besteht, daß man diese bedingte Transcendenz mit der unbedingten, im religiösen Akt gemeinten verwechselt […] Die Seins- und Sinntranscendenz ist unbedingte Transcendenz.“¹⁵⁷ Mit der ausdrücklichen Benennung der Seins- und Sinntranszendenz des Unbedingten ist dem Umstand Rechnung getragen, dass die Sinndimension ihrerseits als in gewisser Weise transzendent gegenüber der der schlichten Existenz verstanden werden muss.¹⁵⁸ Tillich dürfte vor Augen haben, dass die Bedeutung einer Entität nicht einfach mit deren gegenständlicher Basis identisch ist, sondern diese überschreitet und mithin eine gewisse Eigenständigkeit erlangt: Die im Urteil ‚x ist rot‘ einem Gegenstand x zugesprochene Röte oder Rotheit ist dem betreffenden x insofern transzendent, als sie sich auch den Gegenständen y oder z prädizieren ließe. Demgegenüber soll – ausweislich des abschließenden Satzes – die Fassung des Unbedingten als des die Sphären des
EW XI, 129: „Der gemeinte Gegenstand jedes religiösen Aktes ist das Unbedingte, Sinn- und Seinstranscendente.“ Die nachfolgend entwickelte Differenzierung von ‚unmittelbarem‘ und ‚letzt-gemeintem‘ Gegenstand fehlt hier noch. Vgl. exemplarisch GW V, 197, wo beide Näherbestimmungen der Idee des Unbedingten als „des im religiösen Akt Letztgemeinten, des Unbedingt-Transzendenten“ unmittelbar miteinander verbunden sind. EW XI, 125. Vgl. auch oben II.3.2 b) zur entsprechend gestuften Struktur des Sinnerfüllungsprozesses im Geist.
II.3 Die Theorie des Geistes
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Seins wie des Sinns gleichermaßen Übersteigenden gerade den Absolutheitscharakter seiner Transzendenz hervorheben.¹⁵⁹ Eine weitere Präzisierung des vermittels des Gedankens schlechthinniger Transzendenz bestimmten Begriffs des Unbedingten ist ebenfalls noch in § 2 angedeutet. Demzufolge will die schlechthinnige Transzendenz des Unbedingten nicht als „Leere“, sondern vielmehr als „das unbedingt Erfüllte“ verstanden sein.¹⁶⁰ Was damit gemeint ist, verdeutlicht § 5. Demnach „trägt“ das ‚Letzt-Gemeinte‘ als schlechthin Transzendentes „die Inhalte der Sphären, die von ihm transzendiert werden, in sich […] Der Schritt der unbedingten Transzendenz ist kein Schritt ins Leere, sondern er ist der Schritt […] zur unbedingten Fülle.“¹⁶¹ Dem Unbedingten wird somit in eins eine positive Integrationsfunktion bezüglich des Überstiegenen zugeschrieben. Die transzendierten Inhalte werden konserviert und nicht einfach zernichtet.¹⁶² Dementsprechend enthält das Unbedingt-Transzendente als Letztvermeintes die ‚Fülle‘ des Überschrittenen. Nimmt man den Folgesatz – „Die Bestimmung dieser Fülle aber ist gegeben durch das Sein und den Sinn, der überschritten wird“¹⁶³ – hinzu, dann liegt es nahe, in Tillichs Fassung des ‚Unbedingt-Transzendenten‘ eine Reformulierung der Kant’schen Idee der ‚omnitudo realitatis‘ zu erblicken:¹⁶⁴ Gemeinsam ist Tillichs Gedanken des ‚Unbedingt-Transzendenten‘ und jener Idee im Sinne Kants einmal die Rückbindung des betreffenden Abschlussgedankens an die Grundfunktion des Bewusstseins – dort des erkennenden als eines urteilenden, verknüpfenden und schließenden, hier des religiösen als eines transzendierenden. In erster Linie aber ist ihnen gemein, dass sie die Idee des Unbedingten nicht im Sinne des neuplatonischen, gewissermaßen leeren Hen, sondern als Inbegriff von Realität verstanden wissen wollen: Wie dort der bestimmungslogisch eingeführte Gedanke der omnitudo realitatis als ‚transzendentales Substratum‘ „gleichsam den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle möglichen Prädikate der Dinge genommen werden können,
Vgl. ebd.: „Die Transcendenz überschreitet vielmehr das Sein selbst und den Sinn selbst, d. h. aber sie ist unbedingt.“; vgl. ebd., 128: „Eine Deutung der Seinstranscendenz ist auch nicht zulässig durch den ‚Sinn‘-Begriff […] Das im religiösen Akt Gemeinte ist ebenso sinn-transcendent, wie es seins-transcendent ist.“ Die in § 2 in diesem Zusammenhang vermerkte Unterscheidung von unbedingter und „relative[r] Transzendenz“ (ebd., 125) ist dann für die Symbolkonzeption von entscheidender Bedeutung; vgl. unten III.3 b) und c). Ebd., 125. Ebd., 129. Zur symboltheoretischen Valenz dieses Gedankens vgl. unten III.3 b) und c). Ebd. Vgl. zum Folgenden Kant, Kritik, 548 ff. (A 567 ff.|B 595 ff.); Ulrich Barth, „Gott als Grenzbegriff der Vernunft. Kants Destruktion des vorkritisch-ontologischen Theismus“, in: ders., Gott als Projekt der Vernunft (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 235 – 262, 244 ff.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
enthält“,¹⁶⁵ integriert hier die ‚unbedingte Fülle‘ sämtliche Inhalte der überschrittenen Sphären des Seins und des Sinns. Insofern sie zudem wie die Kant’sche Idee den Status einer Voraussetzung hat, kann Tillich das Seins- und Sinntranszendente zugleich als das ‚Sein- und Sinn-Gebende‘ bezeichnen.¹⁶⁶ Mit § 9 ist schließlich unterstrichen, dass das Unbedingte mit dem Gedanken der schlechthinnigen Transzendenz „adäquat“ erfasst ist: „Der Satz bedeutet, daß, wenn wir die Unbedingtheit denken, eben dieses im Gedanken Enthaltene eigentlich gemeint ist. Es ist nicht ein darüber Hinausgehendes gemeint. Nun ist der Inhalt dieses Gedankens gerade das ‚Darüber-Hinausgehen‘. Aber das ist nur möglich, sofern dieser Inhalt, das Transcendieren, nicht selbst wieder transcendiert wird. Das Transcendieren wird adäquat als Transcendieren erfaßt.“¹⁶⁷ Damit ist einmal der kategoriale Status des ‚Unbedingt-Transzendenten‘ als eines ‚Gedanken‘ gleich mehrfach ausdrücklich hervorgehoben. Überdies und vor allem ist der skizzierte Transzendenzgedanke als einzig mögliche Näherbestimmung der Idee des Unbedingten festgehalten: Hinsichtlich ihrer sollen sich Begriffsintension und Begriffsextension allein im Falle des Gedankens unbedingter Transzendenz decken. Festgemacht scheint jener Gedanke näherhin am Aktus des Transzendierens selbst. So ist es bei näherem Zusehen die Transzendierungsbewegung des religiösen Bewusstseins, an der die einzig mögliche gedankliche Bestimmung des Unbedingten gewonnen sein soll.¹⁶⁸ Treten wir abschließend einen Schritt zurück und bilden die gedankliche Fassung des Unbedingten im Sinne seiner unbedingten Transzendenz auf die Funktion als ‚Letzt-Gemeintes‘ des religiösen Bewusstseins ab, dann ist einmal dessen strikte Transzendenz gegenüber jedem möglichen vertretenden Inhalt behauptet. Damit ist, wie sich unschwer erahnen lässt, der systematische Ansatzpunkt für Tillichs Theorie des religiösen Symbols im Rahmen der skizzierten Bewusstseins- und Geistkonzeption markiert. Die schlechthinnige Transzendenz des Letzt-Gemeinten gegenüber den vertretenden Inhalten soll dabei, folgt man Tillich, keinesfalls rein negativer Natur sein. Vielmehr ist in eins eine positive Integrations- und Gründungsfunktion anvisiert. Ob dieser Doppelfunktion erinnert die im Rahmen des Systems der religiösen Erkenntnis mit Blick auf das religiöse Meinen konzipierte
Kant, Kritik, 555 (A 575 f.|B 603 f.). Vgl. die wiederkehrende Titulierung des Unbedingte-Transzendenten als desjenigen, „was dem Sein das Sein und dem Sinn den Sinn gibt“ (EW XI, 125.129 u. ö.). Ebd., 138. Eigentlich zum Austrag kommt die im Hintergrund stehende These, der zufolge das religiöse Bewusstsein im Kern als Transzendierungsbewusstsein begriffen sein will, im Rahmen der Symboltheorie; vgl. unten III.3 b) und c).
II.3 Die Theorie des Geistes
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Fassung des Unbedingten als des schlechthin transzendenten Letzt-Gemeinten an dessen sinntheoretische Konzeption, der zufolge der unbedingte Gehalt zugleich als Sinngrund und Sinnabgrund der bedingten Formen und Inhalte zu denken war.¹⁶⁹ Sie lässt sich mithin als geisttheoretische Reformulierung jener sinntheoretischen Formel verstehen. Genauer wird man sagen können, dass Tillich die im Rahmen der Religionsphilosophie diesbezüglich tatsächlich entwickelte Idee des Unbedingten auf die Geisttheorie überträgt, um ihr mit Hilfe des Transzendenzgedankens eine entsprechende Gestalt in intentionalitätstheoretischer Terminologie zu geben – eine dem betreffenden, argumentativ kleinteiligen und differenzierten Gedankengang der Religionsphilosophie ¹⁷⁰ analoge Entwicklung der Idee des Unbedingten findet sich im System hingegen nicht. Insofern setzt die geisttheoretische Reformulierung jener Doppelfunktion in Form der komplexen Struktur des religiösen Meinens – vermittels eines direkt gemeinten, vertretenden Inhalts wird im religiösen Akt indirekt das Unbedingte als Letzt-Gemeintes gemeint – die sinntheoretische Konzeption systematisch voraus: Alleine dort ist die Idee des Unbedingten im Rahmen von Tillichs Theoriebildung wahrhaft entwickelt. Eingedenk ihrer wird man die oben als definitive Auskunft in Sachen religiöses Bewusstsein festgehaltene Passage des § 8 des Systems der religiösen Erkenntnis sogar noch einmal präzisieren können. Religiöse Erkenntnis liegt dann genau für den Fall vor, dass sich ‚ein religiöser Akt auf einen vertretenden Inhalt und durch ihn hindurch auf das schlechthin transzendente Letzt-Gemeinte als Grund und Abgrund richtet‘.¹⁷¹ Andersherum ist die erst mit dem System der religiösen Erkenntnis vollends geklärte signifikative Struktur des religiösen Meinens, zumal in der terminologischen Abhebung gegenüber der gleichsam planen ‚Richtung auf‘ des religiösen Aktes, geeignet, ein nochmals anderes Licht auf die betreffenden Überlegungen des Systems der Wissenschaften und der Religionsphilosophie zu werfen. Genauer: Es ist gerade die berühmte, vielzitierte Definition der Religion als „Richtung auf das Unbedingte“,¹⁷² die sich von hierher als problematisch, da systematisch zu kurz greifend erweist. In der Tat scheint Tillich selbst sich dieses Umstandes bewusst gewesen zu sein, ist jene Definition doch in der Religionsphilosophie umgehend als lediglich „allgemeinste[ ] und formalste[ ] Bestimmung“¹⁷³ und also
Vgl. oben II.2.2 c). Vgl. GW I, 318; vgl. wiederum oben II.2.2 c). Vgl. EW XI, 136; die auf dem jetzigen Stand der Rekonstruktion erreichte Präzisierung im Lichte der Sinnkonzeption ist kursiv gesetzt. GW I, 320 u.ö. GW I, 320.
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II Kategoriale Grundlagen der Symboltheorie
als Zugangsdefinition gekennzeichnet – entsprechend sollte sie ausschließlich als solche rezipiert werden. Bildet man die terminologischen Differenzierungen des Systems der religiösen Erkenntnis nämlich auf ebenjene Bestimmung der Religion als ‚Richtung auf‘ das Unbedingte ab, dann ist damit allein die ‚subjektive‘ Aktseite, aber nicht die komplexe Struktur des eigentlichen religiösen Meinens im Blick. Dessen konstitutiv dreistellige Grundstruktur scheint nun im Rahmen der Religionsphilosophie immerhin bereits am Rande auf, etwa wenn Tillich ‚Glaube‘ präziser als „Richtung auf das Unbedingte durch Symbole aus dem Bedingten hindurch“ kennzeichnet, oder wenn er abschließend für den ‚Offenbarungsglauben‘ ein „Doppeltes“ festhält: „die Richtung auf den unbedingten Gehalt und die symbolische Form, durch die hindurch das Unbedingte offenbar wird.“¹⁷⁴ Obgleich das dort noch eher von Ferne Anvisierte erst mit dem System der religiösen Erkenntnis von 1927/28 seine ausgereifte terminologische und systematische Gestalt gewinnen wird, signalisieren jene Zitate aus der Religionsphilosophie eines schon vorderhand: Der Überschritt von der Figur einer schlichten ‚Richtung auf‘ zur komplexen, signifikativen Struktur des religiösen Meinens ist offenkundig just durch den Symbolgedanken vermittelt.
d) Ertrag und Ausblick Tillich entwickelt den Geistgedanken im unmittelbaren systematischen Anschluss an die transzendentale, in der polaren Spannung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ gehaltenen Struktur des „Sachverhalts ‚Bewusstsein‘“ (Konrad Cramer). Mit der entsprechenden ‚Konstitutionstheorie‘ reduplizieren sich dessen Strukturmomente in intentio obliqua, neben Intentionalität und dem in sich differenzierten Objektivationsmoment tritt ‚Selbstbewusstheit‘ als Grunddatum von Geist. Das primäre Sich-vorstellig-Werden ist gegenständlich gefasst, zudem ist Geist im Gegenüber zu Bewusstsein durch konkrete Inhaltsbezogenheit bestimmt. Mit der ‚Strukturtheorie‘ wird dann der Geistgedanke eigentlich entfaltet. Im Zentrum steht der Begriff des ‚Schöpferischen‘. Für Geist ist demnach eine konstitutive innere Spannung charakteristisch: In den Vollzügen geistigen Sinnaufbaus wird strikte Allgemeinheit intendiert, diese Intention muss jedoch in konkreten Sinngebilden verwirklicht werden, die ihrerseits nie jene Allgemeinheit erreichen. Die Allgemeinheitsintention ist dabei an dem aus der Sinnkonzeption bekannten Gedanken der ‚unbedingten Form‘ festgemacht. Mit der ‚Strukturtheorie‘ verschränken sich dieserart Geist- und Sinntheorie. Aufgrund jener internen Spannung der Geiststruktur gestaltet sich der Sinnaufbau im Ganzen als dynamischer.
Ebd., 332 bzw. ebd., 355 f.; jeweils kursiv L. H.
II.3 Die Theorie des Geistes
409
Mit Blick auf die bereits im Kontext der Sinntheorie thematische Figur der ‚Sinnerfüllung‘ lässt sich der Sinnanreicherungsprozess im Ausgang von den primären, gegenständlichen Objektivationen des Geistes hin zu deren schöpferischer Fortbestimmung im Medium des Sinns als Deutungsvorgang verständlich machen. Ist damit der im ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie entworfene Geistgedanke rekonstruiert, hat Tillich mit dem seinerzeit unveröffentlichten System der religiösen Erkenntnis von 1927/28 die bewusstseins- und geisttheoretischen Linien der 1920er Jahre nochmals aufgegriffen und die mit dem Hirsch-Briefwechsel begonnene Entwicklung zu einem inneren Abschluss gebracht. Die hier in der Relation von ‚religiösem Akt‘, stellvertretendem ‚Inhalt‘ und ‚letzt-gemeinter‘ Idee des Unbedingten entworfene Theorie des religiösen Vermeinens stellt die ausgereifte Gestalt seiner Theorie des religiösen Bewusstseins dar. Diesem eignet im Sinne eines vermeinenden Bezugnehmens auf ‚etwas als etwas‘ eine signifikative, konstitutiv dreistellige Struktur. Vor dem Hintergrund der gedanklichen wie terminologischen Präzisierungen des Systems der religiösen Erkenntnis muss so etwa die im Rahmen der Religionsphilosophie gegebene berühmte Definition der Religion als ‚Richtung auf das Unbedingte‘ – nur für sich genommen – als missverständlich, weil in der scheinbaren Planheit der intentionalen Ausrichtung unterkomplex gelten. Im Gedanken des ‚Letzt-Gemeinten‘ findet zudem die Verschränkung der intentionalitätstheoretischen Motive im Anschluss an Husserl mit den diesem fremden, religionsphilosophisch begründeten unbedingtheitstheoretischen Motiven ihren prägnanten Ausdruck. Jener Gedanke ist 1927/28 vermittels des Transzendenzbegriffs zugleich als das ‚Unbedingt-Transzendente‘ gefasst. Die schlechthinnige Transzendenz des LetztGemeinten gegenüber jedem vertretenden Inhalt markiert den systematischen Ansatzpunkt für die Theorie des religiösen Symbols.
III Die Symboltheorie Die besondere Bedeutung von Paul Tillichs Symboltheorie ist vielfach hervorgehoben worden: Sei es ihre Schlüsselstellung für sein theologisches System,¹ sei es ihre Scharnierfunktion zwischen theologischer und philosophischer Reflexion,² sei es – in der „Verschränkung von Geistphilosophie und Kulturtheologie, Religionsphilosophie und Wissenschaftstheorie“ – ihre tragende Rolle für die Theoriebildung zumindest der 1920er Jahre insgesamt,³ sei es wirkungsgeschichtlich ihre über die eigentlichen Fachgrenzen weit hinausreichende Applikationsfähigkeit, etwa im Gespräch mit der Psychologie oder für Fragen des interreligiösen Dialogs.⁴ Ihr exponierter Stellenwert für sein Werk kann mithin als Communis opinio der Forschung gelten. Tatsächlich spricht sich ihre Bedeutung schon in der Vielzahl an Veröffentlichungen aus, die Tillich dem Thema zukommen ließ: Das religiöse Symbol (1928), The Nature of Religious Language/Religious Symbols and Our Knowledge of God (1955/1959; deutsch: Das Wesen der religiösen Sprache, 1961), Existential Analyses and Religious Symbols (1956; Existentialanalyse und religiöse Symbole, 1962), The Word of God (1957; Wort Gottes, 1970) sowie The Meaning and Justification of Re-
Vgl. exemplarisch Ulrich Reetz, Das Sakramentale in der Theologie Paul Tillichs (Stuttgart: Calwer Verlag, 1974), 7: „Was die Theologie Tillichs betrifft, so kann mit Recht behauptet werden, daß das Symbolverständnis ein Schlüssel für sein theologisches Denken ist.“ Die Belege ließen sich je und je leicht vermehren. Vgl. stellvertretend das Diktum von Otto Dibelius, demzufolge der Wert von Tillichs Symbolbegriff als „Bindeglied“ zwischen „philosphische[r] Erkenntnis“ und „christliche[r] Offenbarung“ seines Erachtens derart hoch einzuschätzen sei, dass er ihn geradezu mit seiner „ganze[n] philosophische[n] Bibliothek“ aufgewogen wissen wollte (Otto Dibelius, „Laudatio auf Paul Tillich. Ansprache bei der Verleihung des Friedenspreises an Paul Tillich“, in: Friedenspreisträger Paul Tillich. Stimmen zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1962 mit der Laudatio von Bischof Dibelius und der Friedenspreisrede von Paul Tillich [Stuttgart: Evangelisches Verlagswerk, 1963], 11– 16, 14). Ulrich Barth, „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 89 – 123, 93. Vgl. stellvertretend Amaresh Markus Seelig, Das Selbst als Ort der Gotteserfahrung. Ein Vergleich zwischen Carl Gustav Jung und Paul Tillich (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 1995); Terry D. Cooper, Paul Tillich and Psychology. Historic and Contemporary Explorations in Theology, Psychotherapy, and Ethics (Macon/Ga.: Mercer University Press, 2006); Robison B. James, Tillich and World Religions. Encountering Other Faiths Today (Macon/Ga.: Mercer University Press, 2003); zur Rezeption in der Praktischen Theologie vgl. die Einleitung der vorliegenden Arbeit. DOI 10.1515/9783110484847-009
III Die Symboltheorie
411
ligious Symbols (1961; Recht und Bedeutung religiöser Symbole, 1964).⁵ Besondere Beachtung verdient der erstgenannte Aufsatz, der 1940 als The Religious Symbol auch zu den frühesten Wortmeldungen im US-amerikanischen Exil zählte.⁶ Bereits sein Titel verrät den eminent religionstheoretischen Zuschnitt des Symbolgedankens, dessen Gewicht sich dann später in dem berühmten Diktum aus Recht und Bedeutung religiöser Symbole artikulieren sollte: „Das Symbol ist die Sprache der Religion.“⁷ Neben benannte Aufsätze traten zudem symboltheoretische Reflexionen im Rahmen größerer Schriften. Zu denken ist vor allem an Dynamics of Faith (1957; Wesen und Wandel des Glaubens, 1961) und das große Spätwerk, die dreibändigen Systematic Theology (1951– 1963; Systematische Theologie, 1955 – 1966). Letztere ist zumal deswegen interessant, weil der Symbolgedanke über die prinzipiell-grundlegenden Ausführungen hinaus für materialdogmatische Fragen fruchtbar gemacht ist. So sind – um nur einige herauszugreifen – beispielsweise die Gehalte der materialen Gotteslehre, der Schöpfungs- und Sündenlehre sowie der Christologie ausdrücklich als Symbole gekennzeichnet und als solche bedacht.⁸ Der These einer besonderen Bedeutung des Symbolgedankens ist also für den mit besagten Texten abgesteckten Zeitraum vorbehaltlos zuzustimmen: Der Symbolbegriff steht unübersehbar im Zentrum gerade der späten Theoriebildung, namentlich der 1950er und 60er Jahre, auf die das Gros der Veröffentlichungen datiert. Schon für die 1920er Jahre gilt es jenes Urteil einer Zentralstellung des Symbolgedankens indes zu differenzieren. Denn der einschlägige Aufsatz von 1928 bietet
Das Gros der genannten Aufsätze findet sich in GW V bzw. MW 4. Weitere eigens dem Symbolbegriff gewidmete Aufsätze, die aber weder in die Gesammelten Werke noch in die Main Works aufgenommen wurden, sind Theology and Symbolism (1955) sowie Symbols of Eternal Life (1962); vgl. zu beiden Texten ²GW XIV, 41. Der dem Symbolaufsatz Das religiöse Symbol von Tillich selbst beigemessene Stellenwert wird schon daran ersichtlich, dass er ihn 1930 um Anmerkungen ergänzt in den Sammelband Religiöse Verwirklichung aufnahm, wie auch die englischsprachige Fassung nach 1940 weitere Auflagen erleben sollte. Sie provozierte nach ihrem ersten Erscheinen kritische Reaktionen Wilbur M. Urbans und Edwin E. Aubreys, die Tillich seinerseits mit dem kurzen Artikel Symbol and Knowledge beantwortete; vgl. MW 4, 253 – 277. Der Austausch gibt Einblick in Debattenlagen, die noch heute Wahrnehmung wie Bewertung der Symboltheorie Tillichs in den Vereinigten Staaten maßgeblich bestimmen; vgl. auch unten die Einleitung zu III.3. Vgl. GW V, 237: „Das Symbol ist die Sprache der Religion. Es ist die einzige Sprache, in der sich die Religion direkt ausdrücken kann.“ Eine eigene Untersuchung und Würdigung von Tillichs materialdogmatischer Anwendung des Symbolgedankens vor dem Hintergrund von dessen umfänglicher Rekonstruktion steht freilich noch aus.
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III Die Symboltheorie
zwar eine ausgeführte Symboltheorie, diese steht somit gegen Ende des Jahrzehnts in ihren wesentlichen Zügen als solche da.⁹ Doch hatten zuvor weder das System der Wissenschaften noch die Religionsphilosophie, beide 1923 gewissermaßen als ‚Doppelwerk‘ entstanden,¹⁰ eine Theorie des Symbols im engeren Sinne entwickelt: Die gegebenen Definitionen, die je für sich bedachten Theorieelemente sind hier nicht systematisiert und zu einem übergreifenden Zusammenhang gefügt. So eignet dem Symbolbegriff augenscheinlich ein merkliches Gewicht, von einer entfalteten Symbolkonzeption lässt sich hingegen noch nicht sprechen. Das Bild verändert sich wiederum, wenn wir weiter hinter jenes ‚Doppelwerk‘ zurückgehen. Etwa der frühe Programmaufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur aus dem Jahr 1919 verzichtete ganz auf den Symbolbegriff. Sein Fehlen ist umso bemerkenswerter, als der Aufsatz – wie im Verlauf der vorliegenden Arbeit vielfach gesehen – die Terminologie der in den Folgejahren entfalteten sinn-, geist- und religionstheoretischen Einsichten bereits weitestgehend fixierte: Der vorerst ausgesparte Symbolbegriff wird später nachgerade als deren Integral fungieren. Angesichts des skizzierten Befundes beleuchten wir zunächst die Genese des Symbolgedankens, von dessen Vorformen im Frühwerk bis hin zur berühmten Auseinandersetzung Tillichs mit Karl Barth und Friedrich Gogarten zum Jahreswechsel 1923/24 (III.1). Verbinden sich zu diesem Zweck einmal mehr werkgenetische und systematische Fragen, so rücken Letztere mit den folgenden Unterkapiteln verstärkt in den Mittelpunkt. Vor allem im Rückgriff auf die ersten ergiebigeren symboltheoretischen Erwägungen des ‚Doppelwerkes‘ von 1923, des seinerzeit unveröffentlichten Entwurfes System der religiösen Erkenntnis von 1927/ 28 und schließlich des einschlägigen Aufsatzes Das religiöse Symbol gilt es zunächst, die für Tillich zentrale Kategorie des ‚Ausdrucks‘ sowie die darauf aufbauende semiotische Grundunterscheidung von Symbol und Zeichen zu rekonstruieren. Hierfür werden wiederholte Ausgriffe auf die Überlegungen des Spätwerkes nötig sein (III.2). Nochmals vertiefend kann dann die komplexe Struktur des religiösen Symbols hinsichtlich seiner konstitutiven ‚Uneigentlichkeit‘, und also der Spannung von Symbolausdruck und zu symbolisierender Idee des Unbedingten, erhoben werden. Neben deren näherer Fassung vermittels des Transzendenzgedankens soll der Fokus auf den Theoriefiguren liegen, die Tillich positiv für die Motiviertheit der Relation von religiösem Symbol und dessen spezifischem Symbolisat, eben der Idee ‚des‘ Unbedingt-Transzendenten, angeben konnte. Zumal der Dresdner Dogmatik-Vorlesung kommt hier besondere Bedeutung
Genauer datiert Das religiöse Symbol auf die erste Jahreshälfte 1928; vgl. unten die Einleitung zu III.2. Zur Datierung der Religionsphilosophie auf das Jahr 1923 vgl. oben die Einleitung zu II.2.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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zu (III.3). Gerade die im starken Sinne systematische Rekonstruktion der letzteren beiden Unterkapitel macht deutlich, dass eine alleinige Orientierung an der Textoberfläche des Symbolaufsatzes von 1928 – und damit auch an den bekannten Merkmalen der ‚Uneigentlichkeit‘, der ‚Anschaulichkeit‘, der ‚Selbstmächtigkeit‘ und der ‚Anerkanntheit‘ – die gedankliche Komplexität und Tiefe der von Tillich vorgelegten Symboltheorie nicht von Ferne erschließen kann. Über die beständige werkimmanente Kontextualisierung mit den kategorial rahmenden sinn- und geisttheoretischen Reflexionen hinaus bedarf es entsprechend verstärkter Seitenblicke in erklärt systematischer Absicht, etwa – zur Erhellung des Aspektes der ‚Selbstmächtigkeit‘ – mit der vorderhand gänzlich anders gelagerten Symbolkonzeption Nelson Goodmans.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs Die einleitend skizzierte Differenz zwischen der späteren Zentralstellung des Symbolbegriffs und seinem Fehlen bzw. sporadischen Vorkommen bis in die 1920er Jahre hinein wirft die Frage auf, warum er anfangs wenig Beachtung fand. Mehrere Szenarien sind denkbar. Möglich wäre erstens, dass Tillich sich in jenen frühen Jahren schlicht nicht für symboltheoretische Fragestellungen interessierte. Von betreffenden Überlegungen anderer Denker hätte er kaum Kenntnis genommen, da andere Aspekte ihrer Theoriebildung für ihn im Fokus standen. Eine Sensibilisierung für die spezifischen Charakteristika und Stärken des Symbolischen wäre dann überhaupt erst in den frühen 1920er Jahren erfolgt. Zweitens wäre denkbar, dass Tillich anfangs auf den Symbolbegriff verzichtete, dass sich aber gleichwohl Überlegungen finden, die sich in einem weiteren Sinne als symboltheoretische oder doch direkt auf eine Symboltheorie hinführende interpretieren lassen. Das Fehlen des Begriffsausdrucks würde in diesem Fall keineswegs das Fehlen des entsprechenden Gedankens bedeuten. Tatsächlich gibt es mindestens zwei Indizien, die in diese Richtung weisen. So findet sich im 1919 entstandenen kurzen Referat Christentum und Sozialismus folgende Erwägung: „Die Heiligung des Kulturlebens wird nicht möglich sein ohne eine Sammlung und Konzentration der stärksten religiösen Elemente in Kultur und Gesellschaft […] Dazu wird der Reichtum der Bilder und anschaulichen Gedanken, der Formen und Einrichtungen dienen müssen, der in den Konfessionen lebendig ist.“¹¹ Der weiteren Darstellung vorgreifend lassen sich gleich drei Aspekte benennen, die den späteren Symbolgedanken kennzeichnen werden: Neben dem,
GW II, 27.
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III Die Symboltheorie
dass Bilder bzw. anschauliche Gedanken in den Blick genommen sind, führen der Aspekt des konfessionellen Hintergrunds sowie der der angedachten Brückenfunktion zwischen religiöser und kultureller Sphäre auf die künftige Konzeption.¹² Es wäre somit ein Leichtes, den Symbolbegriff hier von der kommenden Theorie her einzuzeichnen. Die Option eines derartigen rückwirkenden Eintrags hat Tillich an anderer Stelle in der Tat selbst reklamieren können, und zwar mit Bezug auf den Kulturtheologie-Aufsatz: Wie notiert fehlt der Symbolbegriff in dem programmatischen Aufsatz Über die Idee einer Theologie der Kultur aus dem Jahr 1919 gänzlich – was insofern bemerkenswert ist, als sich jenseits seiner beinahe das gesamte Ensemble der dann in den 1920er Jahren zentralen Begriffe dort findet. In der Zweitauflage von Das religiöse Symbol, 1930 im Rahmen des Sammelbandes Religiöse Verwirklichung erschienen, merkt Tillich nun zu der im Symbolaufsatz formulierten These „Das religiöse Symbolgebiet schließt die gesamte autonome Kultur ein“ an: „Dieses ist die Grundthese meiner Religionsphilosophie.Vgl. meinen Vortrag ‚Über die Idee einer Theologie der Kultur‘.“¹³ Vor dem Hintergrund der zwischenzeitlich mit dem Symbolaufsatz entfalteten Symbolkonzeption kann mithin auch der frühere Kulturtheologie-Aufsatz für den Symbolgedanken in Anspruch genommen werden – ohne dass der Begriffsausdruck dort verwendet worden wäre. Beide Indizien sensibilisieren dafür, dass das Fehlen des Begriffsausdrucks nicht umstandslos mit dem Nichtvorliegen symboltheoretischer Überlegungen gleichzusetzen ist. Schließlich ist drittens die Möglichkeit einer bewussten Distanznahme in Betracht zu ziehen. Die Vermutung einer gewissen anfänglichen Reserve gegenüber dem Symbolgedanken hat schon Hermann Brandt formuliert.¹⁴ Als Ausgangspunkt dienten ihm die Thesen, die Tillich anlässlich der Verteidigung seiner Lizentiaten-Dissertation 1912 vorgelegt hatte. Näherhin bezieht Brandt sich auf die achte Disputationsthese: „Taufe und Abendmahl haben nirgends im Neuen Testament lediglich symbolische, sondern überall sakramentale Bedeutung.“¹⁵ Die frühe pejorative Wertung des Symbolischen als eines eben ‚lediglich‘ Symbolischen würde sich so mit dem skizzierten Fehlen des entsprechenden Begriffs um 1920 zu dem Bild einer ursprünglich ablehnenden Haltung ergänzen. Als Hin-
Vgl. unten III.1 c) und III.2 a) bzw. III.1 b). MW 4, 217 bzw. ebd., 227 Anm. 11. Hermann Brandt, „Konstanz und Wandel in der Theologie Paul Tillichs“, ZThK 75 (1978) 361– 374. Ebd., 363. Die Thesen zur Lizentiaten-Dissertation sind im betreffenden Aufsatz Brandts erstmals veröffentlicht, nebst erhellendem Material finden sie sich erneut bei Georg Neugebauer, Tillichs frühe Christologie. Eine Untersuchung zu Offenbarung und Geschichte bei Tillich vor dem Hintergrund seiner Schellingrezeption (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2007), 411– 422.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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tergrund vermutete Brandt ein eher diffuses Unbehagen Tillichs gegenüber dem grassierenden Symbolismus der ausgehenden Kaiserreichszeit.¹⁶ So vage diese Motivlage bleibt, so wenig reicht der Verweis auf die Lizentiatenthese für sich genommen hin, um eine angesichts der späteren Hochschätzung des Symbolgedankens werkgeschichtlich so weitreichende Annahme zu begründen.¹⁷ Wir wollen nachfolgend zunächst der im Raum stehenden Frage nach dem anfänglichen Status des Symbolgedankens für Tillich nachgehen. Hierfür können wir in einem ersten Schritt die Veröffentlichungen der Frühzeit bis in die Zeit der Weimarer Republik hinein überblicken, um den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem der Symbolbegriff sukzessive eine signifikantere Rolle spielt. Zugleich lassen sich anhand der frühen Belege erste inhaltliche Charakteristika des Begriffs gewinnen. Vor diesem Hintergrund können wir uns in einem zweiten Schritt der seinerzeit unveröffentlichten bzw. nur schwer zugänglichen Quellen annehmen, um der Entwicklung im Vorfeld ansichtig zu werden. Von hierher werden sich die drei als Begründung für Tillichs anfängliches ‚symboltheoretisches Schweigen‘ skizzierten Szenarien nochmals gegeneinander abwägen lassen. So ist eine Beurteilung von Brandts weitreichender These auf breiterer Textbasis möglich. Schließlich kann mit der öffentlichen Auseinandersetzung Kritisches und positives Paradox mit Friedrich Gogarten und Karl Barth von 1923/24 ein späterer Text Tillichs in den Blick kommen, in dem eine gleichsam theologiepolitische Implikation des Symbolgedankens sichtbar wird, die ein Motiv seiner endgültigen Etablierung dargestellt haben dürfte.
a) Der Befund in den Veröffentlichungen um 1920 Ein Überblick über Tillichs frühe Publikationen bestätigt zunächst unsere einleitend formulierte Beobachtung, der zufolge erst nach 1919 eine Auseinandersetzung mit dem Symbolbegriff wirklich greifbar wird. Die zahlenmäßig zu vernachlässigenden Belege im Rahmen der 1910 verfertigten philosophischen Dissertation Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philo-
Vgl. Brandt, „Konstanz“, 371– 373. Es wäre beispielsweise denkbar, dass Tillich mit jener achten Disputationsthese die durch Luther und Zwingli geprägte Opposition zwischen lutherischer und reformierter Abendmahlsauffassung für das Verständnis der Sakramente fruchtbar machen und sich diesbezüglich positionieren wollte, ohne die Frage einer prinzipiellen systematischen Bedeutung des Symbolbegriffs überhaupt im Blick zu haben – zumal es sich nicht etwa um eine dem Bereich Apologetik, Dogmatik oder Ethik zuzurechnende Disputationsthese handelt, sondern um eine solche zum Neuen Testament; vgl. Neugebauer, Christologie, 420.
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III Die Symboltheorie
sophie ¹⁸ erscheinen für sich genommen wenig spezifisch, in der Lizentiaten-Dissertation Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung von 1912 fehlt der Begriff gar ganz.¹⁹ Selbiges gilt, wie notiert, für den Kulturtheologie-Aufsatz und die gleichfalls 1919 erschienene Thesenreihe Der Sozialismus als Kirchenfrage. ²⁰ Im darauffolgenden Jahr ändert sich das Bild hingegen, begegnet der Symbolbegriff doch wiederholt in dem im Juni 1920 gehaltenen und später zum Druck gegebenen Vortrag Masse und Persönlichkeit. ²¹ Weiterhin greifen die zu Jahresbeginn 1921 erschienene Studie Masse und Religion sowie die im weiteren Jahresverlauf veröffentlichte Rezension Religiöser Stil und religiöser Stoff in der bildenden Kunst verstärkt auf ihn zurück.²² Im Fall der Letzteren mag dies auch dadurch begründet sein, dass die besprochenen Bücher Eckart von Sydows und Gustav Friedrich Hartlaubs ihrerseits ausgiebig mit dem Symbolbegriff ope-
Vgl. EW IX, 201.213. Erst im Gesamtpanorama der frühesten Verwendung des Symbolbegriffs werden dann auch diese beiden Belege sprechend; vgl. unten III.1 b). Der Vermerk Joachim Ringlebens, dass sich der Begriff in Tillichs frühen Schellingarbeiten gar nicht finde – vgl. Joachim Ringleben, „Symbol und göttliches Sein (I)“, in: ders., Gott denken. Studien zur Theologie Paul Tillichs (Münster: Lit, 2003), 87– 101, 87 Anm. 1 –, ist demgemäß zu korrigieren. Inwiefern den betreffenden, vorderhand unspezifischen Belegen im Gesamt der für die Frühzeit zu greifenden Verwendung des Symbolbegriffs doch ein Erkenntniswert eignet, wird an späterer Stelle deutlich werden. Die Habilitation von 1915 stellt gegenüber den Dissertationen noch einmal einen Sonderfall dar: Sie erschien seinerzeit lediglich in einem Teildruck, zudem dürfte ihr ob ihrer Publikation während des Ersten Weltkriegs wenig bis gar keine Aufmerksamkeit zuteilgeworden sein. Erst 1998 in vollem Umfang gedruckt, werden wir uns ihrer im Verbund mit den unveröffentlichten Texten der Frühzeit ausführlich annehmen; vgl. unten III.1 b). Vgl. GW IX, 13 – 31 bzw. GW II, 13 – 20. Vgl. MW 3, 46 – 63, 49.54.63. Der bereits 1920 erschienene Aufsatz Masse und Persönlichkeit ging 1922 in den kleinen Band Masse und Geist ein. Im Gegensatz zu den Gesammelten Werken, die lediglich einen Wiederabdruck dieses Bandes bieten, erlaubt der Textbestand der Main Works anhand des beigegebenen kritischen Apparates einen Rückgriff hinter die für Masse und Geist leicht überarbeitete Urversion von Masse und Persönlichkeit – ein im gegenwärtigen, an kleinsten Jahresschritten orientierten Zusammenhang entscheidender Vorzug. Wir beziehen uns daher nachfolgend auf den Text der Main Works, zur näheren Textgeschichte vgl. ebd., 43 – 45. Vgl. ebd., 74– 91, 75.82.84.89 bzw. GW IX, 312– 323. Masse und Religion erschien zunächst von Januar bis März 1921 in den Blättern für religiösen Sozialismus, um dann im Folgejahr wie Masse und Persönlichkeit in den Band Masse und Geist einzugehen. Wir beziehen uns wiederum auf den Text der Main Works, da anhand seiner erneut der Rückgriff auf die für den Band überarbeitete ursprüngliche Version möglich ist. Ringleben nimmt auf der Suche nach frühstmöglichen Belegen für den Symbolbegriff zwar auf eine Stelle aus Masse und Religion Bezug, ignoriert aber aus schwer nachvollziehbaren Gründen Masse und Persönlichkeit, wodurch bei ihm das Jahr 1921 als das der ersten Beschäftigung erscheint; vgl. Ringleben, „Symbol (I)“, 87 Anm. 1.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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rierten.²³ Jedenfalls markieren die Jahre 1920/21 ersichtlich einen Einschnitt zwischen einer ersten Phase, die weithin ohne den Symbolbegriff ausgekommen war, und einer zweiten, in der dieser zunehmend seinen Ort in Tillichs Terminologie fand. Anhand der entsprechenden Texte seien nachfolgend einige Grundzüge der anhebenden expliziten Auseinandersetzung mit dem Symbolgedanken benannt. Einmal besteht die Grundfunktion von Symbolen nach Tillich ganz allgemein darin, „einen geistigen Gehalt […] zu übermitteln“.²⁴ Das vermittels des Symbols Symbolisierte ist demnach grundsätzlich geistiger Natur. Dabei ist der nähere Modus der fraglichen Übermittlung noch mehr metaphorisch umschrieben als wirklich präzise bestimmt. So kann Tillich beispielsweise von einem ‚Hindurchleuchten‘ des Gehaltes sprechen.²⁵ Als ‚Material‘ des Symbolischen fungieren kulturelle Gestalten, und zwar – dem thematischen Zuschnitt der Aufsätze gemäß – primär solche aus den Bereichen des Politisch-Sozialen bzw. des Künstlerisch-Ästhetischen. Notierenswert ist zudem, dass Tillich bereits 1920 zwischen dem zu symbolisierenden ‚ewigen Gehalt des Unbedingten‘ einerseits und dem Gottesbegriff als einem möglichen Symbol unter vielen andererseits unterscheidet.²⁶ Ein zweiter Aspekt fasst sich in der ebenso lapidaren wie weitreichenden Formel zusammen, der zufolge Symbole „Ausdrucksformen, nicht Geltungsformen“²⁷ seien: Die Frage der Adäquatheit eines Symbols gegenüber dem Symbolisierten fällt demnach generell nicht in den Bereich der Geltung, sondern in den des Ausdrucks. Was Tillich hier vor Augen hat, mag im Ansatz ein Zitat aus der Rezension von 1921 erhellen. Dort ist der spezifische ‚Bedeutungscharakter‘ der Symbole wie folgt umschrieben: „[D]ie Wahrheit ist die des Bedeutens, nicht die des historischen oder naturgesetzlichen Geltens.“²⁸ Vorläufig – wir werden auf den betreffenden Gesichtspunkt ausführlich zurückkommen – lässt sich festhalten, dass hinsichtlich der Symbole das Moment der Bedeutung bzw. des Sinns von entscheidendem Gewicht ist. Dementsprechend kann der Maßstab ihrer Angemessenheit jedenfalls nicht der ihres wahrheitswertdifferenten Geltungswertes, Eckart von Sydow, Die deutsche expressionistische Kultur und Malerei (Berlin: Furche-Verlag, 1919); Gustav Friedrich Hartlaub, Kunst und Religion. Ein Versuch über die Möglichkeit neuer religiöser Kunst (Leipzig: Wolff, 1919). MW 3, 54. Vgl. ebd. Ebd., 75. Neben ‚Gott‘ als möglichem Symbol des unbedingten Gehalts werden hier „Atom, Materie oder Ich, Geist oder Gesellschaft […] oder Tao, oder Atman, oder Ananke“ genannt; zur zentralen Bedeutung der betreffenden Unterscheidung für die ausgereifte Symboltheorie vgl. unten III.3. Ebd., 54. GW IX, 321.
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III Die Symboltheorie
ihrer gewissermaßen gegenständlich überprüfbaren Richtigkeit sein. Entscheidend ist vielmehr ein späterhin zu präzisierendes Ausdrucksmoment.²⁹ Ein dritter Aspekt weist noch einmal in eine andere Richtung: Zwar kann Tillich auch der Vergangenheit zugehörige Formationen, etwa die ‚mystischen und kultischen Ausdrucksformen‘ sowie die ‚supranaturalen Mysterien‘ des Mittelalters und der altprotestantischen Orthodoxie als Symbole bezeichnen.³⁰ Jedoch liegt hier nicht sein eigentlicher Fokus. Entscheidend ist demgegenüber eine Überlegung, die bereits in Masse und Persönlichkeit formuliert ist: „Die christlichen Symbole, die wieder Verwendung finden, sind eben nur Symbole; sie bleiben fremd, wenn sie nicht umgedeutet werden zu Symbolen des Leidens der Masse.“³¹ Die geschichtlich überkommenen Symbolgestalten bedürfen demnach der Reinterpretation, um für die Gegenwart – in diesem Fall: die sozialistisch orientierte Arbeiterschaft – neu sprechend zu werden. Mit der Diagnose einer dringenden Umformungsbedürftigkeit der traditionellen christlichen Symbole traf Tillich den Nerv der Zeit – erinnert sei exemplarisch an Friedrich Nietzsches Ruf nach ‚neuen‘, unverbrauchten Symbolen.³² Zugleich verschiebt sich damit die Stoßrichtung des Symbolbegriffs von der historischen Betrachtung ins Systematische, bezeichnet er doch weniger biblische oder christlich-konfessionelle Bestände als vielmehr je und je gegenwärtig bedeutsame Ausdrucksformen. Näherhin verspricht der Symbolgedanke einen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart, wobei das Interesse allerdings eindeutig der Letzteren gilt. In der Rezension von 1921 verleitet diese Gewichtung gar zu der Spitzenthese, dass es „nicht um neue Formung alter Symbole“ zu tun sein könne, „sondern um die Wiedergeburt des Symbols aus der neuen Offenbarung des Unbedingten“.³³ An die Stelle der Umdeutungsforderung tritt die eines radikalen Abbruchs und Neuanfangs – ein Gedanke, dem Tillich in der Folge nicht weiter nachgehen wird. Demgegenüber ist es gerade die skizzierte Transferleistung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die den Symbolgedanken für seine Zwecke attraktiv erscheinen lässt. Hinzu tritt eine weitere Transferleistung, die schon mit dem erstgenannten Aspekt berührt war, als es dort
Vgl. unten III.3 c); zur zentralen Bedeutung der Ausdruckskategorie für Tillichs Symbolbegriff vgl. unten III.2 a) und b). Vgl. MW 3, 84. Ebd., 49. „Zur Religion. Ich bemerke eine Erschöpfung, man ist an den bedeutenden Symbolen ermüdet. Alle Möglichkeiten des christlichen Lebens, die ernstesten und lässigsten, die harmlosesten und die reflektirtesten, sind durchprobirt, es ist Zeit zur Nachahmung oder zu etwas Anderem.“ (zit. nach Claus-Dieter Osthövener, Erlösung. Transformationen einer Idee im 19. Jahrhundert [Tübingen: Mohr Siebeck, 2004], 194). GW IX, 323.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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um die Frage des ‚Materials‘ des Symbolischen ging. Das Symbol erscheint nämlich geeignet, als Scharnier zwischen Religion und Kultur, Christentum und sozialistischer Arbeiterschaft bzw. expressionistischer Kunst und Ästhetik zu fungieren. Somit ist die doppelte Brückenfunktion zwischen Vergangenheit und Gegenwart einerseits, zwischen religiöser und kultureller Sphäre andererseits ein wesentliches Motiv für die Adaption des Symbolgedankens nach 1920. Zusammenfassend ist die Perspektivenvielfalt festzuhalten, die gleich den ersten öffentlichen Überlegungen zum Symbolbegriff eignet. Dies ist insofern bemerkenswert, als der Begriff in vorangegangenen Publikationen nicht einmal am Rande Gegenstand der Reflexion war. Eine denkbare Erklärung wäre, dass Tillich sich punktuell zwischen 1919 und 1920 intensiv mit dem Symbolgedanken auseinandersetzte, um diesen nachfolgend in der skizzierten Differenziertheit in seine Theoriebildung einzuzeichnen.Wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Thema schon zuvor gelegentlich bedacht war, ohne dass Tillich es – zumindest in den Veröffentlichungen – als solches kenntlich gemacht hätte. In dem Fall hätte er die vorangegangenen Überlegungen dann ab 1920 für die nun explizite Thematisierung des Symbolgedankens umstandslos fruchtbar machen können – wobei freilich der Hiat zwischen frühen symboltheoretischen Reflexionen einerseits und deren Nichtsichtbarmachen in den Veröffentlichungen vor 1920 andererseits erklärungsbedürftig bliebe. Aufklärung versprechen allein die unveröffentlichten Texte der Frühzeit. Zugleich ermöglichen es diese Texte, Brandts These einer anfänglichen Reserve gegenüber dem Symbolbegriff auf der Grundlage einer gegenüber der Lizentiaten-Dissertationsthese erheblich breiteren Quellenbasis gegenzuprüfen.
b) Anfängliche Reserve und vorsichtige Etablierung (1908 – 1920) Die seinerzeit unveröffentlichten bzw. schwer zugänglichen Texte des Frühwerks bestätigen vorderhand nochmals den bisherigen Befund einer anfänglich wenig prominenten Bedeutung des Symbolbegriffs. So fehlt er beispielsweise in der Examensarbeit, der sogenannten Monismusschrift von 1908, der Kasseler Thesenreihe Die christliche Gewißheit und der historische Jesus von 1911 sowie dem Hirsch-Briefwechsel von 1917/18.³⁴ Die wenigen Belege im Rahmen der 1910 ab EW IX, 24– 153 (Monismusschrift), EW VI, 31– 46 (Thesenreihe) bzw. ebd., 97– 104.114– 127 (Hirsch-Briefwechsel). Auch im Vortrag zur Kasseler Thesenreihe sowie dem nachfolgenden Briefwechsel mit Friedrich Büchsel findet der Symbolbegriff keine Verwendung; vgl. ebd., 50 – 74. Im Zusammenhang mit der Monismusschrift fällt der Terminus lediglich in Fritz Medicus’ Anmerkungen zur Arbeit; vgl. EW IX, 117.136.
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geschlossenen philosophischen Dissertation Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie und der Systematischen Theologie von 1913 sind zumindest auf den ersten Blick unspezifisch: In Ersterer scheinen sie alleine Tillichs Referat der Schelling’schen Philosophie der Mythologie und Offenbarung geschuldet, in Letzterer handelt es sich überhaupt nur um eine einzige, im Systemaufbau nachgeordnete Stelle.³⁵ Demgegenüber sind zwei weitere Texte des fraglichen Zeitraums geeignet, im Verbund ein erstes Bild der frühen Stellung Tillichs zum Symbolgedanken zu zeichnen. Dabei handelt es sich einmal um die mutmaßlich 1910 im Umfeld der philosophischen Dissertation entstandene Vorarbeit Gott und das Absolute bei Schelling. Während hier eine einzelne zwar kurze, aber gleichwohl aufschlussreiche Passage von Interesse ist, nimmt der Symbolbegriff in der Habilitation von 1915, Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher, merklich mehr Raum ein. Vor dem Hintergrund dieser beiden Texte wird sich dann auch dessen sporadische Verwendung im Rahmen der philosophischen Dissertation und des Systementwurfs von 1913 erschließen. Der Text Gott und das Absolute bei Schelling ³⁶ von 1910 stellt eine Vorarbeit zur philosophischen Dissertation dar, vermittels derer Tillich sich einen ersten systematischen Überblick über wesentliche Aspekte der Theoriebildung Schellings verschaffte. Der Symbolbegriff spielt erneut praktisch keine Rolle. Allerdings wird er in einer kurzen Passage thematisch, in der die religiösen Konsequenzen aus Schellings geschichtsphilosophischer Position bedacht sind.³⁷ Dabei lässt Tillich im Zuge der kritischen Besinnung auf dessen frühe Christologie zunächst die 1803/ 04 gehaltenen Vorlesungen über die Methode des academischen Studiums im Zitat zu Wort kommen. Bei Schelling heißt es also in Tillichs Referat: „Christus, als der Einzelne, ist eine völlig begreifliche Person, und es war eine absolute Notwendigkeit, ihn als symbolische Person und in höherer Bedeutung zu fassen.“³⁸ Nachfolgend unterzieht Tillich diese Position – mit Schelling gegen Schelling argumentierend – einer Kritik, für die er sich auf dessen Gedanken einer geschichtstranszendenten „Idee der Menschwerdung Gottes“ bezieht. An deren je-
EW IX, 154– 272 (philosophische Schelling-Dissertation) bzw. ebd., 273 – 434 (Systematische Theologie von 1913). Zum Symbolbegriff vgl. ebd., 201.213 bzw. ebd., 389. Da die betreffenden Belege für sich genommen wenig aussagekräftig sind, stellen wir ihre inhaltliche Betrachtung vorerst zurück. EW X, 9 – 54. Vgl. ebd., 44– 47. Ebd., 44 f.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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dem raum-zeitlichen Ereignis übergeordneten Stellenwert erinnernd mahnt er an: „Die Idee des Menschgewordenen, der das Endliche opfert, um Gott zu versühnen, ist der Inhalt des Christentums. Diese Idee ist durch Symbolisierung (s.o.) auf Christus übertragen; offenbar“ – und hier fließt Tillichs entscheidende Wertung in die zuvor primär zusammenfassende Paraphrase Schellings ein – „ist es gleichgültig, ob mit mehr oder weniger Recht.“³⁹ Demnach ist gegenüber dem die Gesamtkonstruktion eigentlich tragenden Inkarnationsgedanken (‚Idee der Menschwerdung Gottes‘) dessen symbolische Applikation auf eine geschichtliche Gestalt nicht nur logisch nachgängig, sondern überdies wahrheitswertindifferent: Nicht auf die nachträgliche und letztlich gleichgültige symbolisierende Übertragung jenes Gedankens auf einen Träger in Raum und Zeit darf nach Tillich der Ton gelegt werden. Vielmehr ist – mit einem Schelling-Zitat – ausschließlich der Sachverhalt entscheidend, „[d]aß in Christo zuerst Gott wahrhaft objektiv geworden“.⁴⁰ Der anlässlich von Schellings Methoden-Vorlesung aufgegriffene Symbolgedanke erscheint mithin in Tillichs Augen mit der vermeinten Zentraleinsicht Schellings unvereinbar. Entsprechend erwägt die in Gott und das Absolute nachfolgende nochmalige Kritik des frühen Schelling von dessen Spätwerk her an keiner Stelle eine Rehabilitierung des zuvor gescholtenen Symbolbegriffs. Vielmehr ist es wiederum gerade die Idee der „übergeschichtliche[n] Geschichte Gottes“, die Tillich attraktiv erscheint.⁴¹ Deren Übersetzung in Raum und Zeit soll nicht vermittels von Symbolisierungen, sondern im Gegenteil in „objektive[n] Vorgänge[n], bei denen alles auf ihre Factizität ankommt“ erfolgen.⁴² Lässt der Symbolbegriff in Tillichs Augen offen, ob die christliche Grundidee zu Recht oder zu Unrecht auf eine geschichtliche Gestalt übertragen ist, so muss er mit dem emphatisch unterstrichenen Realitätscharakter der göttlichen Erlösungstat in Christo unverträglich erscheinen. Dieserart erscheint der Symbolgedanke 1910 als eine systematisch unzulängliche und also vernachlässigbare Figur. Erhärtet wird dieser Befund durch die 1915 verfertigte Habilitation Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher, die den vorschleiermacherschen Supranaturalismus einer fundamentalen Kritik unterzieht.⁴³
Ebd., 45. Ebd. Ebd., 46. Ebd., 47. EW IX, 435 – 592. Das beigegebene Literaturverzeichnis lässt erkennen, dass Tillich beim vorschleiermacherschen theologischen Supranaturalismus in erster Linie die ‚Tübinger Schule‘
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III Die Symboltheorie
Der Symbolbegriff nimmt jetzt deutlich mehr Raum ein als in allen anderen Texten der Frühzeit – ein Umstand, der allerdings bei näherem Zusehen der Darstellung geschuldet ist. Tillich geht in seiner Habilitation nämlich so vor, dass er zunächst den älteren Supranaturalismus ausführlich im Zitat zu Wort kommen lässt, bevor er den eigenen Standpunkt zur Geltung bringt: Weil also das Symbol für die supranaturalistische Theologie vor 1800 in einigen Lehrstücken – näherhin handelt es sich einmal um die Christologie sowie zweitens um die Frage der natürlichen Gotteserkenntnis – eine zentrale Rolle spielte, rückt es in den Fokus der kritischen Betrachtung. Dabei ist schon mit dem ‚Vorwort‘ klargestellt, dass der eigene Standpunkt wesentlich durch die vorangegangene Beschäftigung mit Schelling bestimmt ist: „Hinter der Kritik aber steht als stillschweigende Voraussetzung und als angedeutetes Ziel die Position: das Prinzip der Identität. Ich verstehe darunter das in der kritisch-idealistischen Philosophie von Kant bis zu Schellings zweiter Periode erfaßte erkenntnistheoretische Grundprinzip.“⁴⁴ Der Identitätsgedanke fungiert mithin als Maßstab der Kritik.⁴⁵ Entsprechend klagt Tillich einmal hinsichtlich der Christologie gegenüber der „bloßen symbolischen Christologie“ des Supranaturalismus im Sinne seiner frühen Schelling-Interpretation eine „reale Christologie von Gott aus“ ein, da Erstere die intendierte Vermittlung von Endlichem und Unendlichem nicht einzulösen vermöge.⁴⁶ Demnach ist es der Verzicht auf den Gedanken einer „reale[n] Identität“ von Gott und Welt, auf die – mit dem zuvor herangezogenen Entwurf Gott und das Absolute – „Idee der Menschwerdung“ Gottes in objektiven
um Carl Christian und Johann Friedrich Flatt, Gottlob Christian Storr, Friedrich Gottlieb Süskind und Johann Christian Friedrich Steudel sowie die norddeutsche Gruppe um Franz Volkmar Reinhard und Johann August Heinrich Tittmann vor Augen hatte; vgl. auch die entsprechende Auflistung im Rahmen des ‚Vorworts‘; vgl. ebd., 443. Zum (älteren) Supranaturalismus vgl. Joachim Weinhardt, „Supranaturalismus“, TRE 32 (2001), 467– 472; Albrecht Beutel, Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung. Ein Kompendium (Göttingen:Vandenhoeck & Ruprecht, 2009), 166 – 169. EW IX, 442. Vgl. zur Schelling’schen Prägung der Schrift auch die von der Hallenser Theologischen Fakultät in Person Wilhelm Lütgerts angemahnte Änderung des Titels für den Druck in Der Begriff des Übernatürlichen im älteren Supranaturalismus, beurteilt vom Standpunkt der Schellingschen Identitätsphilosophie aus; vgl. EW V, 102. Letzten Endes stellt die Habilitation also eine weitere Erprobung des frühen, vor allem an Schellings Spätphilosophie geschulten spekulativen Denkens dar, für die der ältere Supranaturalismus lediglich als historischer Stoff fungierte. Zu den – nicht nur – formalen Schwierigkeiten der sichtlich zu Kriegszeiten fertiggestellten Arbeit vgl. Gunther Wenz, „Tillichs Kritik des Supranaturalismus“, in: ders., Tillich im Kontext. Theologiegeschichtliche Perspektiven (Münster: Lit, 2000), 183 – 204. Zur zentralen Bedeutung des Identitätsprinzips für die früheste Theoriebildung vgl. oben I.1 c) und d). EW IX, 498.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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Vorgängen, der das christologische Denken des Supranaturalismus als „bloß“ und also ‚nur‘ symbolisches kennzeichnet.⁴⁷ Während der Begriff des ‚Realen‘ für eine Verankerung der Christologie in der internen Dialektik des Absoluten steht, wie Tillich sie seinerzeit im Gefolge Schellings anvisierte,⁴⁸ haftet am Symbolbegriff der Ruch des gewissermaßen vorstellungshaft-zufällig Zusammengereimten. Und auch der zweite materiale Topos, die Überlegungen zur natürlichen Erkennbarkeit Gottes, ist ganz parallel in der Gegenüberstellung von deren „reale[r]“ und „symbolische[r]“ Fassung gehalten.⁴⁹ Wiederum macht sich die Kritik an der im älteren Supranaturalismus gängigen Formel einer – im Zitat von Reinhard – „blos symbolisch[en] und analogisch[en]“ Gotteserkenntnis fest, da sie letzten Endes auf ein „völliges Nichtwissen“ hinauslaufe.⁵⁰ Der Symbolbegriff ist erneut negativ gewertet, scheint er doch der natürlichen Erkennbarkeit Gottes jeden Boden zu entziehen.⁵¹ Obgleich der Symbolbegriff also in der Habilitation deutlich mehr Aufmerksamkeit erfährt als in den anderen Texten der Frühzeit, ist er darüber keinesfalls positiv gewürdigt. Vielmehr dient er Tillich zur Kennzeichnung supranaturalistischer Positionen, die mit dem eigenen spekulativen Zugriff gerade kontrastiert werden. So scheint der Symbolgedanke mit wesentlichen Grundaxiomen der frühen Theoriebildung unvereinbar, da die bloß symbolische Fassung – sei es der Christologie, sei es der Gotteserkenntnis – den ‚Realitätsanspruch‘ des im Identitätsprinzip fundierten Systems untergräbt. Dem Entwurf Gott und das Absolute bei Schelling sowie der Habilitation ist so gemeinsam, dass der Symbolbegriff in wechselnden Konstellationen als negativ konnotiertes Glied eines Begriffspaares fungiert: Im ersten Fall als Gegenbegriff zum positiv konnotierten Pendant des ‚wahrhaft Objektiven/Faktischen‘, im zweiten zu dem des ‚Realen‘. Die skizzierte systematische Kontrastierung des Symbolgedankens mit dem des ‚wahrhaft Objektiven‘ bzw. ‚Realen‘ erklärt somit die geringe Präsenz des Sym-
Vgl. auch das abschließende Urteil: „Die Christologie des Supranaturalismus führt demnach weder über die Lehre vom Wunder, noch über die Inspirationslehre, noch über die Lehre von der natürlich-sittlichen Vollkommenheit heraus. Sie zerfällt vielmehr in diese drei, weil ihr der einheitliche Mittelpunkt der Identität von Gott und Mensch notwendigerweise fehlt.“ (ebd.). Vgl. oben I.1 c). Ebd., 524; vgl. ebd., 525. Ebd., 524 bzw. ebd., 527. Vgl. das scharfe Fazit: „Damit gewinnt nun jene Formel von der analogischen und symbolischen Erkenntnis ihren eigentlichen Sinn. […] Nicht das macht den symbolischen Charakter der Gotteserkenntnis zu einem Nichtwissen, daß das Symbol nicht die Sache selbst ist, sondern dies, daß die Sache selbst, die Wirkungen Gottes, ein Symbol seines An-sich sind. So wird die Gotteserkenntnis gleichsam zum Symbol eines Symbols, d. h. ein völliges Nichtwissen.“ (ebd., 526 f.).
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bolbegriffs im Frühwerk. Auch die wenigen, vorderhand unspezifischen Belege im Rahmen der philosophischen Dissertation von 1910 und der Systematischen Theologie von 1913 fügen sich in dieses Bild. So kann die Dissertation das Symbolische als das „frei [Ü]berlegt[e]“ dem „[I]nspiriert[en]“ als dem „durch innere Zustände des Bewusstseins [E]rfordert[en]“ gegenüberstellen.⁵² Tillich gibt in der betreffenden Passage ersichtlich dem ‚Inspirierten‘ den Zuschlag. Der Ersterem eignende Freiheitscharakter ist demgegenüber keineswegs positiv konnotiert, rückt er es doch in die Nähe des Beliebig-Phantastischen – womit es dem Symbolischen erneut an Notwendigkeit und Realität ermangelt. Im Systementwurf von 1913 dient der Symbolbegriff gleichfalls dazu, einen geminderten Wirklichkeitsanspruch zum Ausdruck zu bringen. Dort bezieht Tillich ihn auf den Begriff des „Opfers“: Der ursprünglich-kultische Sinn des ‚Opferdienstes‘ habe sich demnach mit der neutestamentlichen Christologie und Gottesvorstellung derart überholt, dass der Opfergedanke nunmehr „nur noch den symbolischen Sinn der schuldigen Hingabe der ganzen Persönlichkeit an Gott haben“ könne.⁵³ Der Symbolausdruck ist hier verwendet, um eine Abschwächung der ursprünglichen Bedeutung anzuzeigen – im Lichte des Neuen Testamentes kann vom ‚Opfer‘ gleichsam ‚nur noch‘ symbolisch die Rede sein. Mindestens für die Zeit bis 1915, dem Abfassungsjahr der Habilitation, bestätigt sich also auf erheblich breiterer Quellenbasis die von Brandt formulierte These einer anfänglichen Reserve Tillichs gegenüber dem Symbolgedanken. Ihr korrespondiert eine merkliche Zurückhaltung in Sachen Symbolbegriff. Tritt man einen Schritt zurück und fragt nach problemgeschichtlichen Konstellationen, die die anfängliche Reserve befördert haben könnten, so ist ein definitives Urteil schon alleine deswegen kaum möglich, weil Tillich sich über die Hintergründe ausschweigt. Um aber Brandts recht unspezifische Vermutung – er denkt an eine Ablehnung des seinerzeit in Kulturleben wie Wissenschaft allgegenwärtigen Symbolismus⁵⁴ – in Richtung auf ein systematische Fragestellungen stärker berücksichtigendes Urteil zu konkretisieren, sei ein Text Ernst Troeltschs hinzugezogen. Dessen 1908 verfasster Rückblick auf ein halbes Jahrhundert der theologischen Wissenschaft,⁵⁵ der Tillich ausweislich des Literaturverzeichnisses
Ebd., 201. Ebd., 389. Vgl. Brandt, „Konstanz“, 371– 373. Ernst Troeltsch, „Rückblick auf ein halbes Jahrhundert der theologischen Wissenschaft“, in: ders., Zur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik, Bd. 2, Gesammelte Schriften (Tübingen: J. C. B. Mohr: 1913), 193 – 226.
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der Systematischen Theologie von 1913 bekannt war,⁵⁶ zeichnet die späterhin von diesem bezogene Position in erstaunlicher Parallelität vor. Troeltsch diagnostiziert für den fraglichen Zeitraum eine sich zunehmend verschärfende Spaltung der Theologie in einen sich streng an wissenschaftlichen Paradigmen orientierenden ‚historischen‘ und einen nurmehr praktisch-vermittelnden Interessen Rechnung tragenden ‚dogmatischen‘ Zweig.⁵⁷ Bei Letzterem meint er im Gefolge Schleiermachers und Ritschls gar einen richtiggehenden wissenschaftlichen wie religiösen „Agnostizismus“ ausmachen zu können.⁵⁸ Entscheidend für unseren Zusammenhang ist nun, dass Troeltsch bei dieser Negativentwicklung dem Symbolgedanken eine zentrale Bedeutung zuweist. So vermerkt er als wesentliches Kennzeichen jenes ‚dogmatischen Agnostizismus‘ die Unterstellung einer „Unmöglichkeit exakter und wissenschaftlicher Erkenntnisse auf dem religiösen Gebiete, die praktisch-bekenntnisartige-gefühlsmäßige Begründung aller Erkenntnis und die inadäquat-symbolische Form aller Aussagen, in denen eine so begründete Erkenntnis vorgetragen und mitgeteilt wird“.⁵⁹ Infolgedessen sei Letzterer lediglich ein ‚symbolisch-phantasiemäßiger Charakter‘ zuzubilligen⁶⁰ wie jenes Dogmatikverständnis generell allen erkenntnistheoretischen Standards entsage: „Das Wort ‚Erkenntnis‘ wird dabei überhaupt nur mehr in einem uneigentlichen, atheoretischen Sinne gebraucht und bedeutet nur, daß auch in solcher praktisch-symbolischer Haltung ein Zugang zu den wirklichen Gründen des Lebens möglich sei.“⁶¹ Eine Wiedergewinnung des wissenschaftlichen Charakters der Dogmatik ist nach Troeltsch demgegenüber allein im entschlossenen Rückgang auf erkenntniskritische, religionsphilosophische Grundlagenreflexion möglich: Die ganze agnostische Theorie, die Anerkennung religiöser Erkenntnis in symbolisch-inadäquatem Ausdruck religiöser Erlebnisse, die Anpassung an das moderne Weltbild und der Anschluß an die geschichtlichen Kräfte: alles das kann nur von einer allgemeinen Theorie der religiösen Erkenntnis her gewonnen, begründet und in richtige Bahnen gelenkt werden. Soll die Dogmatik nicht ein fauler […] Kompromiß werden, sondern soll sie normative
Tillichs Kenntnis des genannten Textes lässt sich nicht nur dem Literaturverzeichnis der Systematischen Theologie von 1913 entnehmen; vgl. EW IX, 432. Sie schlägt sich im Systementwurf in der Sache nieder, etwa in dem Hinweis auf „die von Troeltsch geführte Debatte für den praktischen Charakter der Dogmatik“ (ebd., 430). Zu der noch in den 1920er Jahren greifbaren, anhaltenden Bedeutung des Aufsatzes für Tillich vgl. auch Erdmann Sturm, „Historische Einleitung: Paul Tillichs frühe Berliner Vorlesungen (1919 – 1920)“, in: EW XII, 1– 26, 15 f. Vgl. Troeltsch, „Rückblick“, 199 ff.209 ff. Ebd., 200 f.203.204.217 u. ö. Ebd., 200; kursiv L. H. Ebd., 201. Ebd., 200.
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Wissenschaft und wirkliche Erkenntnis sein, dann ist das nur von einer sorgfältigen Theorie dieser Art aus zu begründen.⁶²
Näherhin setzt Troeltsch auf das auch in jenem Rückblick wiederholt anklingende geschichtsphilosophische Programm, das er in seiner Absolutheitsschrift breit entfaltet hatte.⁶³ Tillich hat den damit gesponnenen Faden bekanntlich aufgenommen und dessen Konzeption im Rückgang auf Schelling noch einmal zu überbieten gesucht, indem er der von jenem entworfenen Theorie vom ‚religiösen Apriori‘ eine solche des Absoluten entgegenstellte.⁶⁴ Gleichwohl teilte er, wie der Stellenwert der entsprechenden Überlegungen schon in frühesten Texten belegt, vorbehaltlos Troeltschs Einforderung erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Standards für die Dogmatik.⁶⁵ Vor allem die Systematische Theologie von 1913 lässt sich als der Versuch verstehen, den Troeltsch’schen Anspruch einzulösen – und ihn im gleichen Atemzug zu überbieten. Vor diesem Hintergrund konnte dessen überscharfe Absage an den Symbolgedanken auf fruchtbaren Boden fallen. Tatsächlich kehrt beispielsweise die bei Troeltsch vorformulierte negative Konnotation des Symbolischen im Sinne des Phantastischen bei Tillich wieder. Zudem begegnet dessen Zusammenstellung von ‚symbolisch‘ und ‚inadäquat‘ bei ihm auf
Ebd., 223 f. Ernst Troeltsch, Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte (1902 – 1912). Mit Thesen von 1901 und den handschriftlichen Zusätzen, Bd. 5, Kritische Gesamtausgabe (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1998). Vgl. Neugebauer, Christologie, 158 – 161.318 – 328; vgl. zudem jetzt auch die Beiträge im Tagungsband Aufgeklärte Religion und ihre Probleme, v. a. Friedemann Voigt, „Historische und dogmatische Methode der Theologie. Der Absolutheitscharakter des religiösen Bewusstseins bei Troeltsch und Tillich“, in: Ulrich Barth/Christian Danz/Wilhelm Gräb/Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2013), 213 – 228; Folkart Wittekind, „Absolutheit und Christologie im modernen Protestantismus. Tillichs Rezeption von Troeltschs Absolutheitsschrift im Kontext“, in: ebd., 229 – 270, 251– 254; zum Verhältnis Troeltsch-Tillich vgl. weiterhin John Clayton, „Paul Tillich – ein ‚verjüngter Troeltsch‘ oder doch ‚ein Apfel vom Baume Kierkegaards‘?“, in: Horst Renz/Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Umstrittene Moderne. Die Zukunft der Neuzeit im Urteil der Epoche Ernst Troeltschs (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1987), 259 – 284; Hartmut Ruddies, „Ernst Troeltsch und Paul Tillich. Eine theologische Skizze“, in: Wilhelm-Ludwig Federlin/Edmund Weber (Hg.), Unterwegs für die Volkskirche. Festschrift für Dieter Stoodt zum 60. Geburtstag (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 1987), 409 – 422; Martin Harant, Religion – Kultur – Theologie. Eine Untersuchung zu ihrer Verhältnisbestimmung im Werke Ernst Troeltschs und Paul Tillichs im Vergleich (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 2009); Michael Murrmann-Kahl, „‚Tillichs Traum‘ – Paul Tillich liest Ernst Troeltschs Historismusband“, in: Barth/Danz/Gräb/Graf (Hg.), Aufgeklärte Religion, 193 – 212; Erdmann Sturm, „Tillich liest Troeltschs ‚Soziallehren‘“, in: ebd., 271– 290. Vgl. oben I.1 und I.2.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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Jahre, wie wir anhand der um 1919/20 entstandenen Texte umgehend sehen werden. So schwer es also ist, die problemgeschichtlichen Hintergründe für Tillichs anfängliche Reserve gegenüber dem Symbolgedanken definitiv zu benennen – eben weil sich bei ihm selbst diesbezüglich keinerlei direkte Auskünfte finden –, so wahrscheinlich ist es, dass hier primär erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Gesichtspunkte, in dem etwa von Troeltsch im betreffenden Rückblick ins Feld geführten Sinne, den Ausschlag gaben. Mit den um 1919/20 entstandenen Texten ändert sich das bisherige Bild nun dahingehend, dass Tillich jetzt eine ambivalente Stellung einnimmt: Neben die anfängliche Ablehnung des Symbolischen tritt seine vorsichtige Wertschätzung. Zwei Entdeckungskontexte lassen sich namhaft machen. Einmal mit der Symbolik bzw. Konfessionskunde ein weniger systematisch als vielmehr historisch gelagerter Zusammenhang, in dem der Begriff des Symbols jedoch eine zentrale Rolle spielt. Hinzu kommen zweitens systematische Fragestellungen im eigentlichen Sinne. Zu greifen sind diese an wiederum unveröffentlichten Texten der Berliner Privatdozentenzeit, nämlich an Rechtfertigung und Zweifel, entstanden 1919 anlässlich der Umhabilitation von Halle nach Berlin, sowie an den dann dort gehaltenen Vorlesungen der Jahre 1919/20. Tillich hatte sich – obgleich die Konfessionskunde als historisches Fach eher außerhalb seines Gesichtskreises lag – offenkundig bereits 1917, und also zur Zeit des Hirsch-Briefwechsels, intensiver mit Johann Adam Möhlers Symbolik beschäftigt: Im Paul-Tillich Archive der Andover-Harvard Theological Library findet sich ein vergleichsweise ausführliches Exzerpt.⁶⁶ Diese Beschäftigung konnte sich jetzt in der zu Jahresbeginn 1920 gehaltenen Vorlesung Encyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft niederschlagen. So begegnet der Symbolbegriff im Rahmen von Überlegungen zur Konfessionskunde bzw. Symbolik, wobei Tillich umgehend anmerkt: „Die Symbolik ist keine dogmatische, sondern eine historische Disciplin […] Die Symbolik muß also aus dem Kreis der systematischen
Johann Adam Möhler, Symbolik, oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften (Regensburg: Manz, 1913 [8. u. 9. Auflage]); vgl. PTAH, 107:006. Der Umfang der Möhler-Abschrift ist mit guten 20 Seiten umso bemerkenswerter, als Tillich ansonsten ausgesprochen sparsam exzerpierte – das im selben Heft vorfindliche Exzerpt zu Edmund Husserls Logischen Untersuchungen nimmt beispielsweise nur wenige Seiten ein; vgl. oben II.3.1 b). Schon zu Hallenser Studienzeiten hatte Tillich zudem im Wintersemester 1906/07 eine ‚Symbolik‘-Vorlesung bei Ferdinand Kattenbusch gehört; vgl. Neugebauer, Christologie, 408.
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III Die Symboltheorie
Disciplinen ausscheiden.“⁶⁷ Scheint diese Einschätzung vorderhand gegen eine perspektivische Adaption des eben vermeintlich rein historisierenden Symbolbegriffs zu sprechen, so hatten wir oben mit Blick auf die Veröffentlichungen um 1920 notiert, dass Tillich sich ihn nichtsdestoweniger zur Bezeichnung überkommener Traditionsbestände zu eigen machen wird – ohne freilich die für die Symbolik spezifische Thematisierung konfessioneller Gegensätze im Sinn zu haben.⁶⁸ In mehr neutraler, historisierender Perspektive wird ihm der Begriff dann das Gesamt der christlichen Symbole bezeichnen, seien sie biblischer Herkunft, seien sie im Verlauf der weiteren Kirchengeschichte gebildet. Kennzeichnend für diesen für den systematischen Denker Tillich ungewöhnlichen Begriffsgebrauch ist, dass die betreffenden Symbole als der Vergangenheit zugehörige verstanden werden.⁶⁹ So mag der Symbolbegriff im Kontext der Konfessionskunde – ihrem historischen Charakter zum Trotz – noch einmal neu in Tillichs Blickfeld getreten sein, um eine erste vorsichtige Würdigung zu erfahren.⁷⁰ Auch der Verwendung des Symbolbegriffs in Rechtfertigung und Zweifel liegt ebenjenes historisierende Verständnis zugrunde, zugleich ist es jetzt auf eine systematische Fragestellung hin entschränkt. Der Entwurf geht noch einmal ausführlich der aus dem Hirsch-Briefwechsel vertrauten Frage nach, wie das Relat des religiösen Erlebens zu bestimmen ist, wenn jede gegenständliche Fassung notwendigerweise dem neuzeitlichen Zweifel verfällt.⁷¹ Tillich gibt in Rechtfertigung und Zweifel wiederum dem Zweifel an jedweder gegenständlichen Objektivation des Unbedingten recht und erhebt ihn so zum konstitutiven Aufbauelement des religiösen Bewusstseins.⁷² Mit dem Gedanken eines ungegenständlichen EW XII, 285. Zur Disziplin der Symbolik bzw. Konfessionskunde vgl. Friedrich Wilhelm Graf, „Konfessionskunde“, RGG4 4 (2001), 1552 f. Vgl. oben III.1 a). Mit der betreffenden Entschränkung des Symbolbegriffs aus seinem ursprünglich primär polemischen Kontext, dem es um die Kennzeichnung konfessioneller Differenzen zu tun war, ist bei Lichte besehen allerdings bereits eine erste Wendung ins Systematische gegeben – zielt Tillich doch im nächsten und eigentlich entscheidenden Schritt auf die Umformung der dieserart als Symbole interpretierten, gleichsam vernutzten Traditionsbestände in für die Gegenwart relevante, ‚neue‘ Symbole. Im gegenwärtigen Kontext ist dabei allein an eine mögliche Rolle der Symbolik bzw. Konfessionskunde im Zuge von Tillichs ‚Entdeckung‘ des Symbolbegriffs gedacht. Perspektivisch wird deren primär historisierender Symbolbegriff nur von nachgeordneter Bedeutung sein, eben weil sein Interesse eindeutig der systematischen Valenz des Symbolgedankens gelten wird; vgl. etwa EW XI, 130. Vgl. oben II.1 a). Zum sinn- bzw. bewusstseinstheoretischen Kontext des Folgenden vgl. oben II.2.1 a) bzw. II.3.1 b).
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„absoluten Paradox“ bzw. „Sinn überhaupt“ benennt er gleichwohl umgehend eine gewissermaßen diesseits des Zweifels liegende Voraussetzung. Dieser gilt ihm als das gesuchte Relat des religiösen Erlebens. Somit eröffnet sich eine zweite Frage, nämlich die, welche „bestimmte inhaltliche Färbung“, welche „Züge“ das absolute Sinnerlebnis „für das Bewußtsein“ annimmt.⁷³ Im Hintergrund steht die Überlegung, dass jener unbedingte Sinn zwar einerseits mit keiner gegenständlichen Objektivierung identisch sein darf, da er sonst gleichfalls vom Zweifel betroffen würde, dass das Unbedingtheitserlebnis aber andererseits der „anschaulichen Erfüllung“⁷⁴ und damit doch der ‚Vergegenständlichung‘ bedarf, um nicht abstrakt zu bleiben. Tillich behilft sich mit der Figur eines „Schweben[s]“ des religiösen Bewusstseins zwischen zwei gegenläufigen Bewegungen, denen eines „Vergegenständlichens des Sinnes zu einem Seienden“ und eines „Entgegenständlichen des Seienden zu einem Sinn“.⁷⁵ Im Zuge der Diskussion möglicher ‚Anschauungsformen des Unbedingten‘⁷⁶, die dem benannten Kriterium einer in sich gegenläufigen Doppelbewegung genügen könnten, erwägt die handschriftliche Erstversion von Rechtfertigung und Zweifel nun auch den Symbolbegriff: Wo immer rein gegenständlich von einem absoluten Sein, Wert oder Ich gesprochen wird, da kann es in seiner Bewußtseinsstufe voll berechtigt sein, insofern noch ein substantielles Gottesbewußtsein da ist. Sobald sich das Bewußtsein aber auf die Stufe des radikalen Zweifels erhoben hat, können jene Vergegenständlichungen in ihrer unreflektierten Anschaulichkeit nur als Symbole gelten für die Lebendigkeit und Konkretheit des absoluten Paradox.⁷⁷
Demnach bezeichnet der Symbolbegriff jene rein gegenständlichen Objektivationen unbedingten Sinns, die vergangenen Bewusstseinslagen gemäß gewesen sein mögen, die jedoch ob der skeptischen Grundsignatur der Gegenwart nicht mehr verfangen: In ihrer Gegenständlichkeit eignet ihnen zwar die gesuchte
EW X, 220 bzw. ebd., 171; zum skizzierten Gedankengang vgl. ebd., 167– 173 (handschriftliche Erstversion) bzw. ebd., 217– 221 (Typoskript). Dieser Kernpassage entstammen sämtliche hier als Zitat kenntlich gemachten Formulierungen. Wie deutlich werden wird, spielen dabei die vorderhand marginalen Unterschiede zwischen beiden Fassungen – bei prinzipiell weitestgehender Übereinstimmung bis in einzelne Formulierungen hinein – für unseren Fragezusammenhang eine entscheidende Rolle. Ebd., 172|221. Ebd. Sowohl die betreffende Überlegung als auch der zur Bezeichnung ihrer gewählte Begriff des ‚Schwebens‘ stehen dann Ende der 1920er Jahre gleichfalls im Zentrum der ausgereiften Symboltheorie; vgl. unten III.3 b). Vgl. ebd., 220. Ebd., 172.
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‚Anschaulichkeit‘, allerdings muss diese unter den Bedingungen neuzeitlichen Zweifels als ‚unreflektiert‘ gelten. Die Symbole der Vergangenheit genügen nicht dem zuvor formulierten Kriterium, da sie mit dem Vergegenständlichungsbedürfnis des Bewusstseins allein einem Aspekt der Doppelbewegung Rechnung tragen. Dabei dürften es wohl eben die hervorgehobenen Merkmale der ‚Anschaulichkeit‘ und ‚Konkretheit‘ sein, die das notwendige Pendant jenes Bedürfnisses, die Entgegenständlichungsbewegung zugunsten des unbedingten Sinns, zugleich verhindern. Mithin ist der historisierende Symbolbegriff hier in einen an systematischen Fragen orientierten Gedankengang eingetragen, nach dessen Kriterien gewogen – und für zu leicht befunden. Tillich schließt dementsprechend: „Auf dieser Stufe kann das Bewußtsein jene Symbole nur gebrauchen unter ständiger Erinnerung an ihren symbolischen Charakter und den Sinn, den sie zwar anschaulich und konkret, aber doch inadäquat ausdrücken.“⁷⁸ Noch 1919 gilt Tillich der Symbolgedanke also letztlich als inadäquate Ausdrucksgestalt religiösen Erlebens. Fast folgerichtig ist der Symbolbegriff in der parallelen Passage des Typoskripts getilgt.⁷⁹ Rechtfertigung und Zweifel bedenkt den Symbolgedanken somit lediglich indirekt hinsichtlich seiner systematischen Leistungsfähigkeit und bekräftigt letzten Endes das negative Urteil der Frühzeit. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als Tillich mit ‚Konkretheit‘ und ‚Anschaulichkeit‘ zwei Eigenschaften vermerkt, die er dem Symbolgedanken später als zentrale Kennzeichen zuschreiben wird. Während sie dann dessen positive Würdigung begründen werden, stehen sie in Rechtfertigung und Zweifel jedoch noch für ambivalente, wenn nicht gar defizitäre Momente des Symbolischen. So zeichnet sich zwar der spätere Symbolgedanke von Ferne ab, das Urteil bleibt aber vorerst insgesamt kritisch. Blicken wir von hier aus auf die Berliner Vorlesungen, so bietet deren erste, Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart, obwohl beinahe zeitgleich entstanden, ein differenzierteres Bild. Zwar begegnet der Symbolbegriff in den materialen Ausführungen der Vorlesung alleine im Referat anderer Autoren und damit nur am Rande.⁸⁰ Doch skizziert die zweite Doppelstunde im Rahmen
Ebd., 172 f. Dort findet sich lediglich noch ein Gegenstück zum mittleren der drei oben aus der Erstversion zitierten Sätze, in dem zudem der Begriff des Symbols durch den der Offenbarung ersetzt ist: „Sobald sich das Bewußtsein auf die Stufe des radikalen Zweifels erhoben hatte, können jene Vergegenständlichungen nur als Offenbarungen gelten für die Lebendigkeit und Konkretheit des absoluten Paradox.“ (ebd., 221). Die abschließende Wertung der Handschrift fehlt ganz. Vgl. EW XII, 78.196.Tillich nimmt hier auf Novalis bzw. Gustav Landauer Bezug. Beider Autoren Wertschätzung des Symbolbegriffs mag dessen Neubewertung mitmotiviert haben, eine echte
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der Vorstellung und Entfaltung des die materialen Teile steuernden „theologischen Prinzips“ – gewissermaßen als Prolegomena jener materialen Ausführungen – Reflexionen zum Symbolgedanken, die merklich über die von Rechtfertigung und Zweifel hinausweisen. Tillich versteht besagtes Prinzip als Einheit dreier Momente, nämlich des „absoluten“, des „relativen“ und des „unendlichen“.⁸¹ Im gegenwärtigen Zusammenhang ist das zweite, relative Moment von primärem Interesse. Mit ihm treten wir in die „Sphäre des Symbolischen“ ein: „Das religiöse Bewußtsein kann“ – so heißt es in gleichsam unmittelbarer Aufnahme der entsprechenden Überlegungen in Rechtfertigung und Zweifel – „den Sinn des absoluten Realitätserlebens nicht erfassen, ohne ihn sich gegenständlich zu machen.“⁸² Wieder ist also auf die Spannung zwischen der Unmöglichkeit einer Vergegenständlichung unbedingten Sinns einerseits und der Notwendigkeit einer solchen andererseits hervorgehoben. Mag die beschriebene Grundantinomie des religiösen Bewusstseins soweit mit der in Rechtfertigung und Zweifel bedachten übereinstimmen, trennen sich mit dem Folgesatz die Wege: „Es kann ihn sich aber nur gegenständlich machen durch ein der Sphäre des Gegenständlichen, Relativen, Vergänglichen entnommenes Symbol.“⁸³ Erneut gilt das Symbol als Mittel der Vergegenständlichung, doch fehlt jetzt die zuvor formulierte kritische Invektive. Die Notwendigkeit einer konkreten Vergegenständlichung ist stärker betont – Tillich kann nachgerade von einem „Bedürfnis nach konkreten Symbolen“ sprechen⁸⁴ – und allem Anschein nach ist der symbolischen Objektivation nun gleichfalls die gegenteilige Bewegung des ‚Entgegenständlichens‘ zugetraut: Entscheidend ist dabei, dass das Symbol weder einfach weiterhin der Welt des Bedingten zugehört, der es entstammt, noch dieser abschließend enthoben ist. Vielmehr handelt es sich um einen „bestimmte[n] Gegenstand“ – gedacht ist an „irgendein Element, eine Person, eine Vorstellung, eine Anschauung“ –, der „trotz seiner Endlichkeit für absolut erklärt wird“.⁸⁵ Die den Symbolen eigene Struktur ist somit eine paradoxe. Tatsächlich stellt Tillich
Abhängigkeit im Symbolverständnis ist allerdings nicht auszumachen. Am ehesten wird man noch in Tillichs Formulierung, der zufolge sich die Idee „in tausend Übergänge[n] und Vermittlungen und Synthesen“ einen eigenen Ausdruck schaffe (ebd., 81), einen Anklang an Novalis’ ‚Marienlied‘ erblicken dürfen: „Ich sehe dich in tausend Bildern, / Maria, lieblich ausgedrückt“; zur Interpretation des ‚Marienliedes‘ vgl. Andreas Kubik, Die Symboltheorie bei Novalis. Eine ideengeschichtliche Studie in ästhetischer und theologischer Absicht (Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 346 – 350. EW XII, 43; zur Entfaltung des Prinzips vgl. ebd., 43 – 51. Ebd., 48. Ebd. Ebd., 49. Ebd., 48; kursiv L. H.
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III Die Symboltheorie
nunmehr den Symbol- und den Paradoxbegriff zusammen ⁸⁶ – ein insofern bemerkenswerter Umstand, als Rechtfertigung und Zweifel wie gesehen zwischen Symbol und Paradox gerade unterschieden wissen wollte. Anders als dort erscheinen Symbole in der Christentums-Vorlesung also geeignet, ob ihrer paradoxen Grundstruktur sowohl die zur Erfassung unbedingten Sinns notwendige Vergegenständlichung wie auch die gegenläufige Aufhebung derselben zu leisten. Nachfolgend deutet die Christentums-Vorlesung einige Aspekte an, die im weiteren Verlauf der symboltheoretischen Entwicklung von Bedeutung sein werden. Einmal ist die enge Verbindung des Symbolbegriffs mit dem des Heiligen zu nennen. Beide können geradezu als Wechselbegriffe fungieren: „Dieses Symbol […] ist das Heilige im rein religiösen Sinne. Heilig ist irgendein Element, eine Person, eine Vorstellung, eine Anschauung, die zum Symbol und Träger des religiösen Erlebens gemacht wird.“⁸⁷ Dabei ist der Sphäre des Heiligen bzw. Symbolischen die Sphäre des Profanen gegenübergestellt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass beide Sphären offenkundig nicht als gegeneinander abgeschlossene verstanden werden, führt das Symbol doch in eine „konfliktshaltige Sphäre […] der Unterschiede, des Kampfes, des Werdens und Vergehens“.⁸⁸ Der hier noch um Form ringenden Einsicht – Symbole sind der profanen Kultursphäre samt deren Entwicklung gegenüber keineswegs immun, sondern unterliegen im Austausch mit ihr einem steten Wandel – wird Das religiöse Symbol von 1928 dann unter der Überschrift ‚Werden und Vergehen der religiösen Symbole‘ einen eigenen Abschnitt widmen.⁸⁹ Vor allem aber schließt die Vorlesung den Symbolgedanken umgehend mit christologischen Überlegungen zusammen. Tillich geht von der These aus, dass die paradoxe Grundstruktur des Symbolischen im Christentum in paradigmatischer Weise erfasst ist. Dabei liegt der Fokus auf der Zuordnung von konkretendlichem und absolutem Moment, die am ‚Kreuz Christi‘ illustriert wird: „Es ist der Sinn des Kreuzes Christi, daß auch der Heilige selbst sich unter das Vernichtungsurteil des religiösen Realitätserlebnisses stellt und dem Fleische nach, das heißt der Konkretheit nach sterben muß […] denn nur insoweit kann er uns Christus sein, als er sich in seinem Kreuze selbst unter das verneinende Urteil stellt.“⁹⁰ Wie unschwer zu erkennen ist, sind hier Überlegungen zum Zusam-
Ebd. Ebd. Ebd., 50. Vgl. GW V, 210. EW XII, 49 f. Tatsächlich werden wir sehen, dass sich bei Tillich christologische und symboltheoretische Reflexion aufs Engste verbinden. Dabei spielt der Selbstverneinungsgedanke,
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menhang von Rechtfertigungsgedanken und Kreuzestod Jesu aufgenommen, die bis in die Systematische Theologie von 1913 zurückdatieren.⁹¹ Das dort formulierte Prinzip einer ‚Selbstüberwindung‘ des Relativen zugunsten des Absoluten kehrt nun in Form eines Selbstverneinungstheorems wieder. Während die betreffenden Passagen des frühen Systementwurfs jedoch – aus skizzierten Gründen – gänzlich auf den Symbolbegriff verzichteten, finden sich die entsprechenden Erwägungen jetzt eben im Rahmen der Ausführungen zum Symbolgedanken. Dass das Jahr 1919 in symboltheoretischer Hinsicht allen in die Zukunft weisenden Motiven zum Trotz gleichwohl als Übergangsjahr gelten muss, mag ein letzter Blick auf die Christentums-Vorlesung verdeutlichen. Wir hatten bereits vermerkt, dass der Symbolbegriff in den auf die ersten Vorlesungsstunden folgenden materialen Ausführungen erneut an den Rand rückt. Dieser Umstand muss in Anbetracht des zumal mit der zweiten Stunde erreichten Differenziertheitsgrades erstaunen. Allerdings gibt schon die zweite Vorlesungsstunde selbst einen Fingerzeig der andauernden Zurückhaltung, wenn sie ihrerseits mit dem Fazit schließt, dass die konkreten Symbole „gegenüber der Tiefe des religiösen Erlebens […] nur Symbole sind“.⁹² Nochmals ist also das Urteil der Frühzeit wiederholt, demzufolge es sich bei Symbolen ‚nur‘ um Symbole handelt – wobei es freilich in Anbetracht des zuvor entfalteten Gedankengangs nunmehr anachronistisch wirkt. Das Jahr 1919 bietet somit insgesamt kein eindeutiges Bild in Sachen Symbol: Neben differenzierte Überlegungen und vorsichtige Wertschätzung kann noch immer die aus dem Frühwerk bekannte Reserve treten, sei es dominant wie in Rechtfertigung und Zweifel, sei es unvermittelt wie in der Christentums-Vorlesung. Nichtsdestoweniger stellen die betreffenden Texte aufs Ganze gesehen insofern einen entscheidenden Schritt zur Etablierung des Symbolbegriffs dar, als dieser verstärkt als möglicher Kandidat eines zu hebenden systematischen Problems erwogen wird: Es ist primär die Suche nach einer dem Unbedingten adäquaten Anschauungsform, in deren Zusammenhang der Symbolgedanke erwogen und sukzessive für leistungsfähig befunden wird. Damit ist zugleich ein bedeutsamer Gesichtspunkt berührt, den die eingangs betrachteten Veröffentlichungen der Jahre 1920/21 übersehen lassen könnten: Dort waren es in erster Linie kulturtheoretische Zusammenhänge – seien sie soziologisch-politiktheoretischer, seien sie künstlerisch-ästhetischer, seien sie geschichtsphilosophischer Natur –, in denen der Symbolbegriff verstärkt begeg-
zumal im Zusammenhang der Frage nach möglichen Kriterien ‚wahrer‘ Symbole, eine entscheidende Rolle; vgl. unten III.3 b) und c). Vgl. dort v. a. EW IX, 318 – 323; vgl. oben I.2 c). EW XII, 51; kursiv L. H.
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nete.⁹³ Zwar waren dabei fraglos religionstheoretische Motive mit im Blick, wie zumal die dem Symbol zugedachte Brückenfunktion zwischen Religion und Kultur verdeutlichte. Doch konnte es so scheinen, als orientiere sich Tillich diesbezüglich stärker an kulturphilosophischen als an religionstheoretischen Problemzusammenhängen. Die unveröffentlichten Frühschriften stellen jenen mehr kulturtheoretischen Entdeckungskontexten nun solche von dezidiert religionstheoretischem bzw. theologischem Zuschnitt zur Seite. Denn sowohl die Reserve gegenüber dem Symbolgedanken vor 1919 als auch seine nachfolgend anhebende Etablierung begründen sich hier mit Erwägungen, für die kulturtheoretische Fragen zunächst keine oder eine nur untergeordnete Rolle spielen: Die kritischen Invektiven gegenüber dem älteren Supranaturalismus, der Bezug auf die Konfessionskunde, die Suche nach einer adäquaten Ausdrucksgestalt für das religiöse Erleben bzw. für den unbedingten Sinn als dessen Relat sind zweifelsohne primär religionstheoretischer Natur. Freilich lassen sich beide Entdeckungskontexte nicht gegeneinander ausspielen.Vielmehr stellt, wie wir sehen werden, gerade die doppelte Valenz des Symbolgedankens in Religion wie Kultur ein gewichtiges Motiv für Tillichs Wertschätzung dar. Beide Entdeckungskontexte lassen sich gleichfalls in der letzten Vorlesung greifen, die im gegenwärtigen Zusammenhang Thema sein soll. Die im Sommer 1920 entstandene Religionsphilsophie-Vorlesung hebt sich insofern von den vorangegangenen Texten ab, als sichtlich die nächste Stufe der Etablierung des Symbolbegriffs genommen ist. Tillich verwendet ihn nun etwa deutlich häufiger.⁹⁴ Entscheidend ist jedoch vor allem die erstmalige Formulierung einer systematischen Einsicht, die in der Folge nachgerade zu einer der Grundthesen in Sachen Symbol avancieren wird. Sie findet sich im Rahmen einer Überlegung der 11. Vorlesungsstunde, die mit Blick auf die schon mehrfach erwogene Frage möglicher Anschauungsformen des religiösen Unbedingtheitserlebnisses eine „supranaturalistische“ und eine „mystische“ Position kontrastiert.⁹⁵ Gedacht ist, wie so oft bei Tillich, weniger an ein historisches als an ein systematisches Urteil: Während die Habilitation zumindest beim ‚Supranaturalismus‘ mit der älteren Tübinger Schule bzw. der norddeutschen Gruppe noch eine fest umrissene historische Formation vor Augen hatte, ist dies im Rahmen der Vorlesung nicht mehr der Fall. Dem Zusammenhang nach bezeichnet das „Supranaturale“ hier vielmehr Vgl. oben III.1 a). Vgl. – um lediglich die in systematischer Hinsicht wichtigsten Belegstellen zu nennen – ebd., 401.408 – 411.413 – 415.418 f.530 – 532.542– 544; vgl. überdies das allerdings unvollständige Begriffsregister von EW XII. Ebd., 409.
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eine solche Position, die dem unbedingten Sinngehalt eine rein gegenständliche Form gibt, und ihn somit zu einem „übernatürlichen Gegenstand hypostasiert“.⁹⁶ Der Terminus des ‚Supranaturalismus‘ steht also für jenes (Selbst)Verständnis von Religion, das spätestens seit dem Briefwechsel mit Emanuel Hirsch im Fokus der Kritik stand.⁹⁷ Für unsere Fragestellung ist insbesondere die der supranaturalistischen entgegengesetzte ‚mystische‘ Position von weiterführendem Interesse. Ihr wird jene symboltheoretische Grundthese zugeschrieben, die die Einschätzung des Frühwerks grundstürzend revidiert: Die mystische bzw. „paradoxe[]“ Anschauungsform „durchschaut, daß jede Formung des Gehaltes als solche nur ein Symbol sein kann“.⁹⁸ Tillich stimmt ihr unübersehbar zu, wenn er sie im Gegenüber zur supranaturalen Position als „allein sachgerecht“ würdigt.⁹⁹ Die aus den frühen Texten bekannte Formulierung ‚nur ein Symbol‘ ändert hier mithin ihre Bedeutung. Signalisierte sie vormals eine Abwertung des Symbolischen als des eben ‚nur‘ oder ‚lediglich‘ Symbolischen, so ist sie an besagter Stelle mit ‚ausschließlich ein Symbol‘ zu paraphrasieren – in dem Sinne, dass die der Religion gemäße Anschauungsform alleine die symbolische sein kann. Damit ist die These einer Inadäquatheit des Symbolischen als Medium der Religion, wie sie Rechtfertigung und Zweifel im Jahr zuvor noch formulieren konnte, grundsätzlich überholt. Insofern markiert das Jahr 1920, wie schon anlässlich der Publikationen vermutet, tatsächlich einen Einschnitt in Sachen Symbolbegriff: Mit der Religionsphilosophie-Vorlesung zeichnet sich erstmals jene Einsicht ab, die dann in Form des berühmten Diktums der Spätzeit – „Das Symbol ist die Sprache der Religion“¹⁰⁰ – gleichsam als Überschrift über Tillichs Symbolkonzeption insgesamt gelten kann. Nicht mehr an
Ebd., 408. Freilich nahm schon die Habilitation bei Lichte besehen ein stärkeres Interesse an dem als ‚supranaturalistisch‘ gekennzeichneten systematischen Problem – nämlich an der ‚Dialektik des Supra‘ – als an der historischen Formation, dem dieses zugeschrieben wurde; vgl. EW IX, 463 f. Insofern denkt die Vorlesung die für Tillich mit dem Terminus von Anbeginn an verbundene systematische Intention nur konsequent zu Ende; vgl. zur Prävalenz des Systematischen die entsprechende Anmerkung der Dresdner Dogmatik-Vorlesung, wonach der Supranaturalismus nicht als „überwundene Form […] des 18. Jahrhunderts“, sondern allein als „dauernde Haltung“ von Interesse sei (EW XIV, 23). Vgl. oben II.1 a) und c). Dass mit dem Stichwort des ‚Supranaturalismus‘ in diesem Sinne zugleich eine bestimmte theologische Richtung seiner Gegenwart charakterisiert sein soll, von der sich Tillich unter anderem mit Hilfe des Symbolbegriffs abzugrenzen gedachte, wird der folgende Abschnitt zeigen; vgl. unten III.1 c). EW XII, 409. Vgl. ebd. Vgl. GW V, 237: „Das Symbol ist die Sprache der Religion. Es ist die einzige Sprache, in der sich die Religion direkt ausdrücken kann.“
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der These einer Unangemessenheit des Symbolischen, sondern im Gegenteil an der seiner exklusiven Adäquatheit, wird Tillich im Folgenden seine religionstheoretischen Überlegungen orientieren.¹⁰¹ Zusammenfassend lässt sich die von Brandt auf Grundlage der achten LizentiatenDissertationsthese formulierte Vermutung einer anfänglichen Reserve Tillichs gegenüber dem Symbolgedanken mit Blick auf das Gesamt der seinerzeit veröffentlichten, vor allem aber der unveröffentlichten Quellen bis 1919/20 bestätigen: Der Symbolbegriff fungierte für Tillich zu Beginn als pejorativ verwendeter Gegenbegriff zu dem des ‚Realen‘ bzw. des ‚wahrhaft Objektiven‘, denen er vor dem Hintergrund seiner Schelling-Rezeption den systematischen Zuschlag gab.¹⁰² Als Motive vermuteten wir erkenntnistheoretische und wissenschaftstheoretische Vorbehalte gegenüber einer methodischen Aufwertung des ‚nur‘ bzw. ‚lediglich‘ Symbolischen, wie sie sich etwa bei Ernst Troeltsch finden lassen. Erst mit den ersten beiden Jahren der Berliner Privatdozentenzeit, und also 1919/20, ändert sich dieses Bild sukzessive: Der Symbolbegriff rückt nun – in Rechtfertigung und Zweifel zögerlich, mit der Christentums-Vorlesung und schließlich der Religionsphilosophie-Vorlesung entschieden – in eine religionstheoretische Zentralstellung
Freilich ist der Symbolbegriff mit der Religionsphilosophie-Vorlesung von 1920 nicht endgültig etabliert, die spätere Zentralstellung für Tillichs Theoriebildung zeichnet sich nur langsam peu à peu ab. So findet er sich etwa in dem auf das Jahr 1922 datierenden Text Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie lediglich ein einziges Mal – und zwar abseits des systematischen Gedankengangs in unterminologischer Verwendung; vgl. GW I, 388. Der im selben Jahr erschienene Aufsatz Kairos macht demgegenüber wiederholt vom Symbolbegriff Gebrauch, die Überlegungen sind aber wiederum von einer gewissen Zurückhaltung geprägt; vgl. MW 4, 63; zum Umstand der kleinschrittigen, noch 1923/24 nicht gänzlich abgeschlossenen Etablierung vgl. auch unten III.1 c). Insofern ist die von Christian Danz in Sachen Symbolgedanken behauptete Kontinuität zwischen dem Frühwerk und der Theoriebildung der 1920er Jahre deutlich zu modifizieren; vgl. Christian Danz, „Symbolische Form und die Erfassung des Geistes im Gottesverhältnis. Anmerkungen zur Genese des Symbolbegriffs von Paul Tillich“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/ Erdmann Sturm (Hg.), Das Symbol als Sprache der Religion (Wien Berlin Münster: Lit, 2007), 59 – 75, bes. 61– 68. Zwar besteht selbstverständlich zumal zwischen dem späteren Symbolgedanken und dem frühen Paradoxgedanken eine systematisch-strukturelle Nähe; vgl. auch unten III.1 c). Gleichwohl wird man für das Frühwerk nicht schlicht „das Selbstverhältnis des Geistes als ein symbolisch vermitteltes Verhältnis“ behaupten können (Danz, „Symbolische Form“, 63; vgl. ebd., 67). Vielmehr hatte Tillich seinerzeit eine begriffliche, der symbolischen vermeintlich gerade überlegene Vermittlungslogik vor Augen, wie insbesondere die Systematische Theologie von 1913 in ihrer Hochschätzung des spekulativen ‚Begriffs‘ und ihrer in Teilen hochspekulativen Gedankenführung verdeutlicht; vgl. oben I.2 b) und c); zur Bedeutung der Schelling-Rezeption für die Aufwertung des Spekulativen im Frühwerk vgl. oben I.1 c).
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ein. Jetzt nämlich gilt das Symbol zunehmend als Antwort auf die seit dem HirschBriefwechsel virulente Frage nach einer der Idee des Unbedingten adäquaten Ausdrucksform. So werden die noch in Rechtfertigung und Zweifel kritisch betrachteten Aspekte der ‚Konkretheit‘ und der ‚Anschaulichkeit‘ mit den Vorlesungen positiv gewürdigt, wobei der Paradoxgedanke nunmehr verbürgen soll, dass das Endliche als Endliches in eins als Ausdruck des Unbedingten gelten kann. Die eigentliche gedankliche Ausführung dieser symboltheoretischen Kernthese steht freilich aus. Werkgeschichtlich ist die skizzierte, letztlich vollständige Umwertung des Symbolischen insofern interessant, als sich die aus dem Spätwerk vertraute Kritik Tillichs an Positionen, die im Symbol ‚nur‘ ein Symbol erblicken wollen,¹⁰³ vor dem Hintergrund des Frühwerkes zugleich als implizite rückschauende Selbstkritik interpretieren lässt: Erst der Tillich der 1920er Jahre beginnt, auf Grundlage der mit dem Hirsch-Briefwechsel anhebenden kategorialen Neuorientierung, den Symbolgedanken als genuine Ausdrucksform der Religion wertzuschätzen. Damit ist nochmals die Selbstdistanzierung zur eigenen, früheren Theoriebildung unterstrichen, die schon mit jenem Briefwechsel vielfach angeklungen war.¹⁰⁴ Hatte eine am begrifflichen Denken orientierte, ins Spekulative gehende Theorie des Absoluten zunächst das Urteil des vermeintlich ‚nur‘ Symbolischen begründet, so kann die 1919/20 anhebende Zentralstellung des Symbolgedankens ihrerseits als Absage an ebenjenes Theoriedesign der Frühzeit verstanden werden.
c) Die Auseinandersetzung mit Karl Barth und Friedrich Gogarten (1923/24) Zum Jahreswechsel 1923/24 kommt es in den Theologischen Blättern zu einer offenen Auseinandersetzung Tillichs mit Karl Barth und Friedrich Gogarten. Bekannt geworden ist sie als Ganzes unter dem Titel Kritisches und positives Paradox, jener Überschrift, die Tillich ursprünglich für seinen Eröffnungsbeitrag gewählt hatte. Neben ebendiese Eröffnung traten im weiteren Verlauf eine Replik Barths, eine präzisierende Antwort Tillichs sowie ein abschließendes Votum Gogartens.¹⁰⁵ Der Abtausch mag nicht zuletzt deswegen das öffentliche Interesse auf sich ge-
Vgl. EW XI, 130; GW V, 220 f.; ST I, 157 f.279 f.; ST II, 15 u. ö. Vgl. oben II.1. Vgl. insgesamt GW VII, 216 – 246; die Auseinandersetzung sollte später über die einschlägige Textsammlung Anfänge der dialektischen Theologie Verbreitung finden; vgl. Jürgen Moltmann (Hg.), Anfänge der dialektischen Theologie. Teil I: Karl Barth – Heinrich Barth – Emil Brunner (München: Kaiser, 1962), 165 – 197.
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III Die Symboltheorie
zogen haben, weil die Kontrahenten zuvor weithin als Weggefährten gegenüber der seinerzeit die universitäre Landschaft weithin dominierenden ‚Liberalen Theologie‘ wahrgenommen worden waren. Tatsächlich hatte Tillich im Jahr zuvor eine „geistige Gemeinschaft“ mit den späteren Kontrahenten reklamieren können, und auch Barth sollte noch im Verlauf der Auseinandersetzung selbst eine vormalige, „‚irgendwie‘ vorhandene[ ] unterirdische[ ] Arbeitsgemeinschaft“ konstatieren.¹⁰⁶ Allerdings lässt bereits die Schärfe des Nachfolgenden erahnen, dass die fragliche Verbundenheit doch recht vager Natur gewesen sein muss: Während – um nur einige Spitzenformulierungen herauszuheben – Tillich Barth letztlich eine „Theologie des positiven Absurdum[s]“ vorwirft, kritisiert dieser dessen vorgebliche „Theologie des babylonischen Turmbaus“.¹⁰⁷ Gogarten schließlich meint Tillich gar den Theologenstatus als solchen absprechen zu müssen.¹⁰⁸ Zumindest vor dem Hintergrund des Schriftwechsels von 1923/24 sollte eine echte Arbeitsgemeinschaft kaum mehr möglich sein. Bevor wir uns der Debatte um die rechte Fassung des Paradoxgedankens selbst annehmen, sei diese kurz in den größeren Rahmen der Beziehung zwischen Tillich und Barth insgesamt eingezeichnet.¹⁰⁹ Letzterer hat in seinen späteren Veröffentlichungen kaum noch auf Ersteren Bezug genommen. So dienen zum Beispiel die sporadischen Nennungen im Rahmen der Kirchlichen Dogmatik weniger einer inhaltlichen Diskussion als vielmehr der Distanzierung qua Ironie. Selbiges gilt für die brieflichen Äußerungen. Hier ist Tillich gleichfalls nur selten Thema oder gar Gesprächspartner, wobei wiederum kaum mehr Substanzielles diskutiert wird. Insgesamt überwiegt der Eindruck, dass die mit der Konfrontation in den Theo GW I, 367 (Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie) bzw. GW VII, 226. Sowohl Tillich als auch Barth bekundeten folgerichtig zu Beginn der Kontroverse wiederholt ihr Unbehagen an dessen öffentlicher Form; vgl. ebd, 216 bzw. ebd., 226. Ebd., 223 bzw. ebd., 239 Ebd., 244 f.; vgl. auch die entsprechenden Andeutungen Barths; vgl. ebd., 227 f. Vgl. zum Folgenden exemplarisch Petr Gallus, Der Mensch zwischen Himmel und Erde. Der Glaubensbegriff bei Paul Tillich und Karl Barth (Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2007), 555 – 564; Werner Schüßler, „Paul Tillich und Karl Barth. Ihre erste Begegnung in den zwanziger Jahren“, in: ders., ‚Was uns unbedingt angeht‘. Studien zur Theologie und Philosophie Paul Tillichs (Berlin Münster: Lit, ³2009), 119 – 129. Ob der eminenten theologiegeschichtlichen Bedeutung Barths beschränken sich die Darstellungen, die die Auseinandersetzung von 1923/24 im größeren Zusammenhang bedenken, durchgängig auf Tillichs Beziehung zu Barth. Wir folgen dieser gängigen Praxis. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass das Verhältnis Tillichs zu Gogarten insofern eine eigene Untersuchung wert wäre, als es Letzterer war, der in Tillichs größeren Entwürfen der zweiten Hälfte der 20er Jahre – zu denken ist vor allem an die 1925 – 27 entstandene Dresdner Dogmatik-Vorlesung sowie das System der religiösen Erkenntnis von 1927/28 – als Hauptgegenspieler fungiert, wohingegen Barth hier nur eine untergeordnete Rolle zukommt.
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logischen Blättern eröffnete inhaltliche Auseinandersetzung für Barth ebenso umgehend beendet war.¹¹⁰ Tillichs nachfolgende Wortmeldungen lesen sich andersherum vorderhand wie Zeugnisse eines sukzessiven Abschieds. So knüpft das 1926 in der Vossischen Zeitung erschienene Porträt Karl Barth insofern nochmals an vormalige Konstellationen an, als neben der prinzipiellen Kritik auch die positive Würdigung zu stehen kommt: Bei allen benannten Schwächen gilt Tillich die um Barth und Gogarten sich gruppierende „dialektische Theologie“ als das „stärkste und für die nächste Zukunft wichtigste Element der gegenwärtigen protestantischen Theologie“.¹¹¹ In dem 1935 im US-amerikanischen Exil entstandenen Text What is wrong with the Dialectic Theology? (Was ist falsch in der ‚dialektischen‘ Theologie?; GW VII, 247– 262) dominiert dann demgegenüber merklich die Kritik. Tillich macht sich dort im Rahmen einer „historischen Erinnerung“ zwar zunächst das Barth’sche Diktum einer anfänglichen ‚unterirdischen Arbeitsgemeinschaft‘ zu eigen, diagnostiziert jedoch eine spätere „supranaturalistische Wendung“ des Opponenten. Somit sei der Bruch von seiner Seite aus unvermeidlich gewesen.¹¹² Damit ist die Entwicklung des Verhältnisses als die einer einlinigen Entzweiung stilisiert: Zunächst große Nähe bis hin zur ‚Arbeitsgemeinschaft‘, danach Distanz bei schwindender inhaltlicher Schnittmenge bis hin zum endgültigen Bruch. Dieses Verfallsschema ist in der Forschung vielfach unhinterfragt übernommen worden.¹¹³ Freilich dokumentiert schon der betreffende Text von 1935 selbst, dass die Dinge bei näherem Zusehen nicht so einfach liegen. Denn der dominierende kritische Grundton ist immer wieder durch einzelne, positiv-würdigende Zwischentöne unterbrochen.¹¹⁴ Vor allem kann Tillich in einem systematischen Punkt
Vgl. jedoch den zuletzt von Hartmut Ruddies dargestellten Austausch Barths und Tillichs zum Themenkreis ‚religiöser Sozialismus‘, der anzeigt, dass beide noch 1933 durchaus in der Sache mitund gegeneinander diskutieren konnten; vgl. Hartmut Ruddies, „Paul Tillich, Karl Barth und der religiöse Sozialismus“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Religion und Politik (Wien Berlin Münster: Lit, 2009), 53 – 65. GW XII, 187– 193, 188. Siehe zur positiven Würdigung auch ebd., 187.191.193. Aufbau wie Inhalt des betreffenden Porträts von 1926 ähneln in frappierender Weise dem im Jahr zuvor in der russischen Zeitschrift Put erschienenen Aufsatz Dialektische Theologie, der nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt; vgl. Kyrill Ukolov, „Edition von Paul Tillichs russischem Aufsatz ‚Dialektische Theologie‘ (1925)“, in: Danz/Schüßler/Sturm (Hg.), Religion und Politik, 149 – 174. Es liegt nahe, in diesem die unmittelbare Vorlage zu jenem zu erblicken. GW VII, 254. Tillich zufolge teilte er dieses Schicksal der Entfremdung von Barth mit Rudolf Bultmann, Emil Brunner und Gogarten. Vgl. exemplarisch Schüßler, „Karl Barth“, 128 f. Der Bruch ist hier näherhin auf das Jahr 1929 datiert. Vgl. GW VII, 247.258.262.
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eine prinzipielle Nähe festhalten. Die Grundlinien der Barth’schen Theologie ad bonam partem zusammenfassend heißt es: „So wird vom ersten bis zum letzten Wort […] das im ersten Gebot ausgesprochene Majestätsrecht gewahrt. […] Es scheint mir nicht zweifelhaft zu sein, daß dies die Wahrheit nicht nur der Barthschen, sondern jeder Theologie ist, die den Namen verdient.“¹¹⁵ Auch das Jahr 1935 markiert mithin keinen endgültigen Bruch – zumal Tillich noch Ende der 1940er Jahre in dem zeitdiagnostischen Text The Present Theological Situation in the Light of the Continental European Development (Zur gegenwärtigen theologischen Lage; EW IV, 85 – 96) den theologiegeschichtlichen Status der ‚dialektischen Theologie‘ um Barth gesondert würdigen wird.¹¹⁶ Mindestens hinsichtlich des Zielzustandes gilt es also die einschlägige, von Tillich selbst angebotene Deutung – einer anfänglichen ungebrochenen Verbundenheit wird ein letztlich vollständiges Auseinandergehen korrespondieren – zu differenzieren. Vielmehr überwiegt die Distanz zwar schlussendlich deutlich, es bleiben aber gleichwohl einzelne Aspekte sachlicher Verbundenheit. Dass ein differenzierteres Urteil gleichermaßen für die noch vor die öffentliche Auseinandersetzung zur Jahreswende 1923/24 zurückreichenden Anfänge gilt, dokumentieren zwei seinerzeit unveröffentlichte Skizzen, die uns unter der Überschrift Die prinzipiellen Grundlagen und die nächsten Aufgaben unserer Bewegung vorliegen.¹¹⁷ In Reaktion auf Barths berühmten, im September 1919 in Tambach gehaltenen Vortrag Der Christ in der Gesellschaft dienten sie dem Berliner ‚Rittelmeyerschen Sozialistischen Kreis‘ zur Klärung der eigenen Position bezüglich der der „Schweizer“.¹¹⁸ Es ist nun nicht zu übersehen, dass bereits jene Skizzen ein ambivalentes Bild zeichnen. Tillich attestiert den ‚Schweizern‘ zwar, den einzig möglichen Weg in der Frage ‚Christentum und Sozialismus‘ eingeschlagen zu haben. Im Gegensatz zur willkürlichen Zusammenstellung von ‚Christentum‘ und ‚Sozialismus‘, die er rückschauend auch in eigenen Überlegungen erblicken kann, gilt es ihren genuinen Zusammenhang von einer „cen-
Ebd., 253 f. Vgl. EW IV, 89 ff. EW X, 237– 249 bzw. ebd., 250 – 263. Karl Barth, Der Christ in der Gesellschaft. Eine Tambacher Rede (Würzburg: Patmos-Verlag, 1920). Obgleich Tillich bei dem Vortrag aller Wahrscheinlichkeit nach nicht selbst zugegen war, dürfte er über Günther Dehns und Carl Mennickes Bericht hinreichend informiert gewesen sein. Zum ersten Treffen mit Barth kam es, glaubt man seinem Brief an Alfred Fritz, wohl erst im April 1922 in Göttingen. Die dortige Schilderung des Barth’schen Gesprächseinstieges spricht ersichtlich gegen eine vorherige persönliche Begegnung; vgl. EW VI, 81.
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trale[n] religiös-metaphysische[n] Einstellung“ aus aufzuzeigen.¹¹⁹ Als solche identifiziert er bei Barth das „Erlebnis der Unbedingtheit Gottes“, ein der eigenen Theoriebildung ganz offenkundig affines Moment.¹²⁰ Tatsächlich trennen sich die Wege allerdings schon hier mit der ‚Ausdeutung‘ des betreffenden Erlebnisses: Der Interpretation „vom Prädestinationsgedanken her“ stellt Tillich die eigene „vom Rechtfertigungsgedanken her“ gegenüber.¹²¹ Erstere versteht Gott als „absolutes, weltvernichtendes Willenswesen“, eine Fassung des Gottesgedankens, der eine „Vergleichgültigung der specifisch religiösen Kultur und [der] Beziehung auf die Kultur überhaupt“ korrespondiert.¹²² Diese Option widerspricht offensichtlich allen Denkbemühungen Tillichs in jenen Jahren, ging es ihm doch gerade um die Gewinnung eines Gottesbegriffs, der ein spannungsreiches In- und Gegeneinander von Religion und Kultur zu denken erlaubt. Dementsprechend besteht die Pointe der rechtfertigungslogischen Ausdeutung des fraglichen Erlebnisses darin, den Gedanken des Unbedingten als „Ausdruck für die Paradoxie einer Doppelstellung des Unbedingten zu dem Relativen, [als] ein Ja und Nein zugleich“ zu fassen.¹²³ Mit Blick auf die Sphäre des Endlichen besteht das Ziel mithin – anders als bei den ‚Schweizern‘ – „nicht in einer Vernichtung […], sondern in einer paradoxen Bejahung“.¹²⁴ Diese ‚paradoxe Bejahung‘, das ‚Ja und Nein zugleich‘, zeitigt zwei Konsequenzen, die sich als die beiden Seiten ein und derselben Medaille verstehen lassen: Einmal erhebt Tillich Einspruch gegen die vollständige Entwertung der profanen Kultur, die er bei den ‚Schweizern‘ um Barth vermutet. Sodann wehrt er sich gegen die Überhöhung eines der Kultur gegenübergestellten gleichsam sakrosankten Bereichs: „Jede Vergegenständlichung begrifflicher und konkreter Art steht schon unter dem Paradox und muß das Nein desselben über sich ergehen lassen; auch jeder Gottesbegriff, auch jede Kirche, auch das Christentum […], auch Christus […] Das ist der Sinn des Kreuzes.“¹²⁵ Das Argument war uns bereits beinahe wortwörtlich in der wenig zuvor entstandenen Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart begegnet, wo es seinen systematischen Ort eben im Rahmen der Überlegungen zum Symbolbegriff hatte.¹²⁶ Obgleich der Symbolbegriff in den Skizzen keine Verwendung findet – erinnert sei an Tillichs 1919
EW X, 238; vgl. ebd., 250 f. Ebd., 239; vgl. für das Folgende auch die parallelen Überlegungen ebd., 251. Ebd., 239. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 241; kursiv L. H.; vgl. ebd., 248.252 Vgl. EW XII, 49 f.; vgl. oben III.1 b).
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diesbezüglich noch eher zurückhaltende Position¹²⁷ –, ist ersichtlich derselbe Gedankenkreis berührt. Zusammenfassend kann Tillich mit der Betonung des Unbedingtheitserlebnisses gegenüber jedweder kulturellen oder religiösen Vermittlungsfigur eine gemeinsame Basis mit den ‚Schweizern‘ hervorheben. Jedoch sind die daraus gezogenen Schlüsse schon 1919 diametral verschieden: Während er auf der Gegenseite Einseitigkeiten ausmachen zu können meint, plädiert Tillich für eine konsequente, „ganz radikal[e]“ Bestimmung des Verhältnisses von Unbedingtem und Bedingtem im Sinne des Paradoxgedankens.¹²⁸ Somit war selbst die anfängliche, 1922 behauptete ‚geistige Gemeinschaft‘ mit dem Kreis um Barth keineswegs frei von Brüchen. Die kurze Zeitspanne im Vorfeld der berühmten Auseinandersetzung von 1923/24, ebenso wie die ungleich längere in deren Gefolge, sind also gleichermaßen durch eine Ambivalenz von Nähe und Distanz gekennzeichnet. Mag dabei auch eine deutliche Verlagerung hin zu einer kritischen Distanz zu konstatieren sein, so greift das von Tillich angebotene, weithin rezipierte Schema im Sinne der Formel ‚erst Arbeitsgemeinschaft, dann Bruch‘ in seiner Simplizität jedenfalls zu kurz. In der Auseinandersetzung um die adäquate Fassung des Paradoxgedankens zur Jahreswende 1923/24 verdichtet sich nun jenes ambivalente Verhältnis von Nähe und Distanz exemplarisch.¹²⁹ Denn auf der einen Seite artikuliert Tillich nachdrücklich seine Zustimmung zu einem zentralen Anliegen der ‚Theologie der Krisis‘ – nämlich eben dem, dass das Gottesverhältnis allein als paradox bzw. dialektisch gebrochenes zu bestimmen ist. Dieses gemeinsame Grundanliegen begründet die beidseitige Wertschätzung des Paradox- bzw. Dialektikgedankens. Tillich teilt mithin die Kritik Barths und Gogartens an einem Verständnis des – in seiner Theoriesprache – „Verhältnis[ses] zum Unbedingten“, das den „ständige[n] Durchgang durch das Nein“ unterzubelichten droht.¹³⁰ Demgemäß kann er
Vgl. oben III.1 b). EW X, 240; vgl. auch ebd., 252: „Dem Radikalismus des Nein entspricht der des Ja.“ Wir konzentrieren uns nachfolgend ganz auf die für unsere Fragestellung zentralen Gesichtspunkte. Die beste Darstellung der Kontroverse bieten noch immer Hermann Fischer, „Theologie des positiven und kritischen Paradoxes. Paul Tillich und Karl Barth im Streit um die Wirklichkeit“, NZSTh 31 (1989), 195 – 212; Joachim Track, „Paul Tillich und die Dialektische Theologie“, in: Hermann Fischer (Hg.), Paul Tillich. Studien zu einer Theologie der Moderne (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 138 – 166; zur älteren Literatur vgl. Fischer, „Theologie“, 196 Anm. 2; Track, „Tillich“, 160 Anm. 24. GW VII, 216 f. Tillich kann in diesem Zusammenhang gar für Gogarten und gegen den Jugendfreund Emanuel Hirsch Partei ergreifen; vgl. ebd., 220. Angesichts dessen, dass Hirsch seinerseits das Gottesverhältnis geradezu emphatisch als antinomisch verfasst verstanden wissen
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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zusammenfassend festhalten: „Die Theologie der Krisis hat Recht, uneingeschränktes Recht in ihrem Kampf gegen jede unparadoxe, unmittelbare, gegenständliche Fassung des Unbedingten.“¹³¹ Der Paradoxbegriff steht hier einmal für die Kritik an jeder plan gegenständlichen Bestimmung des Gottesgedankens vermittels der Seinskategorie, wie sie uns seit dem Hirsch-Briefwechsel von 1917/18 als ein zentrales Motiv Tillich’scher Theologie vertraut ist. Darüber hinaus steht er für den Aspekt der Mittelbarkeit des Gottesverhältnisses.Vermittels seiner soll also allen Unmittelbarkeitsprätentionen bezüglich der Gottesbeziehung eine Absage erteilt sein. In diesem Sinne kann Tillich sogar die Barth’sche Kritik am Religionsbegriff teilen – wenn dieser, undialektisch gehandhabt, als Vehikel eines ‚unparadoxen Absolutheitsanspruches der Religion‘ fungiert.¹³² Freilich wird Tillich mitnichten dessen Konsequenz einer Verabschiedung des Religionsbegriffes überhaupt ziehen, sondern den Begriff vielmehr – wie im Zuge unserer Arbeit gesehen – in vielfältigen Theoriebezügen entsprechend vertiefen.¹³³ Mit der Absage an jede nicht paradoxe Fassung des Gottesverhältnisses und des Gottesgedankens trifft sich Tillich allerdings in einem interessanten Punkt mit Barth. So unterstreicht er, wie dieser es zumal im ‚Tambacher Vortrag‘ oder der Zweitauflage des Römerbriefs getan hatte, den Gesichtspunkt der „anzubetende[n] unendlichen Majestät Gottes“, und also dessen absolute Souveränität.¹³⁴ Folge-
wollte, geht diese Kritik allerdings fehl; vgl. Emanuel Hirsch, Christliche Rechenschaft, Bd. 1 (Tübingen: Katzmann, 1989), bes. 213 ff.233 ff.252 ff. Ebd., 224; vgl. ebd., 216 f.: „[J]ede Kritik ihrer Kritik steht in Gefahr, die Beunruhigung, die durch die entstanden ist, zu schwächen […] Nichts aber wäre verhängnisvoller als das. […] Darum müssen wir uns entschlossen auf die Seite von Barth […] stellen. Ein unmittelbares, unparadoxes, nicht durch das ständige radikale Nein hindurchgehendes Verhältnis zum Unbedingten ist kein Verhältnis zum Unbedingten, sondern zu einem Bedingten, das den Anspruch macht, unbedingt zu sein, das heißt zu einem Götzen.“ Genau diesen letzteren Vorwurf wird Tillich dann auf mittlere Sicht gegen Barth erheben. Vgl. ebd., 221: „Es ist das größte Verdienst der Theologie der Krisis, den Kampf gegen den unparadoxen Absolutheitsanspruch der Religion mit größter Energie geführt zu haben, und jedes Wort darüber, namentlich im Römerbrief-Kommentar Karl Barths, ist Götzenzertrümmerung.“ In diesem Sinne einer kategorialen Vertiefung, und nicht einer prinzipiellen Verabschiedung, ist auch der Titel des im Jahr 1922 und also ein gutes Jahr vor der Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten erschienenen Aufsatzes Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie zu verstehen. GW VII, 219 – wobei der Gedanke hier freilich mehr gestreift ist. Für Barth vgl. neben dem ‚Tambacher Vortrag‘ v. a. ders., Der Römerbrief (München: Kaiser, 21922); zur Rekonstruktion des Barth’schen Gottesgedankens in der Fluchtlinie des Gedankens absoluter Souveränität – und den entsprechenden Aporien und Problemen – vgl. Trutz Rendtorff (Hg.), Die Realisierung der Freiheit. Beiträge zur Kritik der Theologie Karl Barths (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1975);
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III Die Symboltheorie
richtig wird er auch im Aufsatz What is wrong with the Dialectic Theology? von 1935 bei aller Kritik genau in diesem Punkt – wie bereits zitiert – eine bleibende Nähe zu Karl Barth ausmachen können: „So wird vom ersten bis zum letzten Wort der Barthschen Theologie das im ersten Gebot ausgesprochene Majestätsrecht gewahrt. […] Es scheint mir nicht zweifelhaft zu sein, daß dies die Wahrheit nicht nur der Barthschen, sondern jeder Theologie ist, die den Namen verdient.“¹³⁵ In der Auseinandersetzung von 1923/24 ist der Gedanke zwar mehr en passant berührt, anderwärts kann Tillich aber beispielsweise die paradox-dialektische Zuordnung von bedingter Form und unbedingtem Gehalt just „um der Majestät des Absoluten willen“ behaupten.¹³⁶ Tatsächlich führt das Motiv der ‚Maiestas Dei‘ ins Zentrum etwa der Sinntheorie: Dort war das Verhältnis von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt gemäß der ‚Grund/Abgrund‘-Figur als paradoxes bestimmt.¹³⁷ In der Auseinandersetzung mit Barth verwendet Tillich den Begriff des ‚Abgrundes‘ nun an besagter Stelle als unmittelbares Synonym zu jenem Motiv der ‚Majestät Gottes‘.¹³⁸ Mit einer plakativen, gleichwohl gängigen Unterscheidung könnte man sagen: Entgegen der wiederholten, ebenfalls in Kritisches und positives Paradox begegnenden Selbstauskunft Tillichs, der zufolge er sich prinzipiell dem ‚lutherischen‘ „Infra Lutheranum“ verbunden fühlte,¹³⁹ ist eine gewisse systematische Nähe zum ‚reformierten‘ „finitum non capax infiniti“ zu konstatieren. Dieser Umstand ist insofern bemerkenswert, als er über die Fassung des Paradoxgedankens in die des Symbolgedankens hineinwirken wird: Die These einer letzten, auch im Symbol nicht vermittelbaren Differenz von Unbedingtem und Bedingtem wird einen der Eckpunkte der im Entstehen begriffenen Symbolkonzeption darstellen.¹⁴⁰ Zugleich kommt schon Tillichs Eröffnungsbeitrag umgehend auf die Grunddifferenz zu sprechen, die mit dem Titel Kritisches und positives Paradox angezeigt sein soll: „Es gibt also ein Positives, […] das Kritik […] erst ermöglicht. Auf die Bestimmung dieses Punktes aber kommt alles an; hier entscheidet sich, ob die Theologie der Krisis […] gewillt ist, die in der kritischen vorausgesetzte positive ders., Theologie in der Moderne. Über Religion im Prozess der Aufklärung, (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1991), 111– 198. GW VII, 253 f. EW X, 280. Vgl. oben II.2.2 c). Vgl. GW VII, 219; vgl. auch ebd., 222. So in den 1952 entstandenen Autobiographical Reflections (Autobiographische Betrachtungen), GW XII, 58 – 77, 59 f.; im Rahmen der Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten vgl. GW VII, 243. Die betreffende Stilisierung ist in der Forschung vielfach aufgegriffen worden, ohne dass ihre systematische Stichhaltigkeit geprüft worden wäre; vgl. stellvertretend Schüßler, „Karl Barth“, 129. Vgl. unten III.3.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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Fassung des Paradox anzuerkennen.“¹⁴¹ Der angemahnte „Rückgang vom kritischen zum positiven Paradox“ bezeichnet demnach die Gretchenfrage der Auseinandersetzung.¹⁴² Nun fällt es nicht leicht, den eigentlichen Kritikpunkt an den Paradoxkonzeptionen Barths und Gogartens sowie die nähere Gestalt von Tillichs positivem Gegenentwurf genau zu beziffern. Einmal erfahren die Schlüsselbegriffe der Debatte – ‚Paradox‘, ‚Dialektik‘, ‚Kritik‘ etc. – bei Lichte besehen keine wirkliche Klärung.¹⁴³ Selbiges gilt selbst noch für den Begriff des ‚positiven Paradox‘, für den Tillich eine Definition schuldig bleibt. So ist es mehr die prinzipielle Stoßrichtung der Kritik, an der ihm gelegen scheint, weniger eine distinkte begriffliche Bestimmung der betreffenden Figur. Wir vergegenwärtigen uns diese Stoßrichtung und entwickeln von dort aus die für unsere Fragestellung wesentlichen Gesichtspunkte. Ausweislich der beiden Zitate ist es Tillich um eine Fassung des Paradoxgedankens zu tun, die gleichermaßen dem Negativitätselement wie dem der Positivität Rechnung zu tragen geeignet ist: Anvisiert ist eine gewissermaßen wahrhaft dialektische – mit einer wiederkehrenden Formel – „Einheit von Nein und Ja“¹⁴⁴, die die für die Kontrahenten diagnostizierte Fokussierung auf den rein negativen Aspekt vermeiden soll. Der vorderhand allein an der Negation orientierten kritischen Verwendung des Paradoxgedankens stellt er eine solche entgegen, der zugleich konstruktive Elemente eignen. Dabei wird für das positive Paradox ein höherer Theoriestatus beansprucht, gilt es doch als die „im Rückgang“ vom kritischen Paradox gewonnene „Voraussetzung“¹⁴⁵ desselben. Dieserart scheint in die Struktur des Paradoxgedankens, der prinzipiell als ebenjene ‚Einheit von Nein und Ja‘ konzipiert ist, eine interne Stufung eingetragen: Mag dem Nein auch eine logische Prävalenz zukommen, so wird dem Ja gleichsam eine höhere qualitative Dignität zugesprochen. Das Ja ist zwar nur über das Nein zu gewinnen, es gilt aber als dessen Voraussetzung. Damit ist hier exakt jene theoretische Struktur eingetragen, die dem Paradoxgedanken bereits im Rahmen der Systematischen Theologie von 1913 zugedacht war.¹⁴⁶ Diese liegt mithin der Stoßrichtung Tillichs in der Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten im Rücken. Tillichs Anfrage an die ‚kritische‘ Fassung des Paradoxgedankens geht dabei über den Vorwurf der Einseitigkeit hinaus: Seines Erachtens erweist sich jene bei nä-
GW VII, 217. Ebd., 218. So schon Fischer, „Theologie“, 200 Anm. 26. Vgl. nur GW VII, 218 f. Ebd., 217.224. Vgl. oben I.2 c).
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III Die Symboltheorie
herem Zusehen als gedanklich nicht konsequent durchhaltbar. Die Kritik verdichtet sich in den beiden Stichworten des „Supranaturalismus“ und der „Diastase“. Wir können sie uns anhand der Überlegungen zu den drei materialen Themenkreisen „Gott und Natur“, „Gott und Geist“ sowie „Gott und Geschichte“ verdeutlichen, die Tillich auf seine prinzipiellen Erwägungen folgen lässt. Vermittels ihrer sucht er die ruinösen dogmatischen Konsequenzen eines verfehlten, vorgeblich rein kritischen Paradoxgebrauchs aufzuzeigen.¹⁴⁷ Demnach führt die einseitige Konzeption des Paradoxgedankens auf eine allein negative Konnotation des Schöpfungsgedankens, die wiederum eine Entwertung aller unter dem Kulturbegriff befassten Phänomene nach sich zieht. Der einseitig kritische Blick auf Geistesgeschichte und Geistesleben hat nun nicht nur den Abschied von der Gegenwartskultur zur Folge – ein Gesichtspunkt, auf den vor allem die Barths Replik geltende Antwort dann abheben wird.¹⁴⁸ Jener Blick täuscht sich zudem darüber, dass ‚Religion‘ und ‚Kultur‘, ‚heilige‘ und ‚profane‘ Sphäre sich nicht einfach als zwei klar abgegrenzte Bereiche separieren lassen: Die paradoxe Einheit von Ja und Nein, unter der Letztere zu betrachten ist, muss in gleicher Weise den Fluchtpunkt der Betrachtung der Ersteren darstellen. Die Majestät des Unbedingten gilt es in beiden Sphären gleichermaßen zu wahren, andernfalls droht eine Auflösung der eigentlich anvisierten Dialektik in zwei einander abstrakt entgegengesetzte Momente: Es ist meine Furcht, daß die Art, wie er [Barth; L. H.] und Gogarten die Dialektik verwenden, die dialektische Position ungewollt hinüberführt in einen sehr positiven und sehr undialektischen Supranaturalismus, daß aus dem Ja und Nein des Verhältnisses von Gott und Welt, das jeder Dialektik wesentlich ist, ein einfaches Nein gegenüber der Welt werde, dessen Schicksal es freilich immer ist […] an einem Punkte unvermutet in ein ebenso positives, undialektisches Ja umzuschlagen.¹⁴⁹
Vgl. ebd., 219 f.220 ff.222 ff. Ob Tillichs materialdogmatischer Ausführungen lässt sich die Auseinandersetzung als Ganzes keineswegs unter dem von Barth wie Gogarten insinuierten Gegensatz einer philosophischen (Tillich) gegenüber einer theologischen (Barth, Gogarten) Bestimmung des Paradoxgedankens subsummieren; so in wünschenswerter Klarheit schon Fischer, „Theologie“, bes. 200 – 205; Track, „Tillich“, bes. 147.154 u. ö. Vgl. GW VII, 241– 243. Ebd., 243; vgl. auch das entsprechende Urteil in dem ein gutes Jahrzehnt später entstandenen Aufsatz Was ist falsch an der ‚dialektischen‘ Theologie? Hier ist die mit der Überschrift gestellte Frage wie folgt beantwortet: „[D]aß sie nicht dialektisch ist. Dialektisch ist eine Theologie, in der Ja und Nein untrennbar zusammengehören. In der sogenannten dialektischen Theologie sind sie unvereinbar auseinandergerissen; […] Sie ist paradox, das ist ihre Größe; und sie ist supranatural, das ist ihre Schwäche.“ (ebd., 247).
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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Demzufolge hat die – bei Lichte besehen lediglich prätendierte, da gedanklich nicht konsequent durchzuhaltende – rein negativ-kritische Verwendung des Paradoxgedankens de facto einen nicht mehr paradox gebrochenen Positivismus zur Rückseite, den Tillich eben unter dem Stichwort des ‚Supranaturalismus‘ verbucht. Er hebt darauf ab, dass eine tatsächlich ausschließlich kritische Verwendung des Paradox jene ‚supranaturalistische‘ Überhöhung einzelner Phänomene gar nicht decken würde: In deren Sinne müsste vielmehr ausnahmslos jedes Phänomen gegenüber dem Maßstab des Unbedingten der Kritik verfallen und also allein negativ gewertet werden. Demgegenüber bleibt die Ausklammerung bestimmter Themenbestände aus der Kritik theoretisch unausgewiesen und mithin willkürlich. Exemplarisch lässt sich Tillichs Kritik an der Verbindung von Christologie und Offenbarungsgedanken verdeutlichen, wenn etwa Gogarten behauptet: „Nur hier [für den Menschen Jesus von Nazareth; L. H.] gilt das Nein nicht dem, an dem es erscheint.“¹⁵⁰ Mit dem Ausfall des Negationsmomentes schlägt das Pendel Tillich zufolge ebenso einseitig zugunsten des positiven Pendants aus: „Sie grenzen in der Geschichte ein einmaliges historisches Ereignis ab, in dem die Geschichte aufgehoben und ein schlechthin Neues gesetzt ist.“¹⁵¹ Sollte der Paradoxgedanke ursprünglich jede einfache, unmittelbare Identifikation des Unbedingten mit einem bestimmten Ausschnitt des Bedingten unmöglich machen, so ist diese Intention nun zugunsten einer supranaturalistischen Position aufgegeben. Barth wie Gogarten bestätigen die von Tillich vermutete Unterhöhlung der anvisierten Schutzfunktion denn auch in ihren jeweiligen Reaktionen. So betont Ersterer beispielsweise ausdrücklich: „Für ‚uns‘ ist Christus die Heilsgeschichte selbst – Christus ist das ‚positive Paradox‘“, wie Letzterer bezüglich der betreffenden Frage behaupten kann: „[H]ier ist ja wohl die höchste Direktheit und Unmittelbarkeit Gebot.“¹⁵² An die Stelle ausgewiesener Argumente tritt der Modus der reinen Versicherung bzw. Behauptung unter Bezug auf einen exklusiv „theologischen Wahrheitsbegriff“.¹⁵³ Der diagnostizierte ‚Supranaturalismus‘ und der „Dualismus zwischen profaner und heiliger Sphäre“¹⁵⁴ erweisen sich so als zwei Seiten derselben Medaille. Für letzteres Denken in Dualismen hat Tillich später das Stichwort einer Theologie
Ebd., 223. Ebd. Ebd., 235; kursiv L. H. bzw. ebd., 245.Von der dieserart der Kritik enthobenen christologischen Keimzelle aus droht Tillich zufolge fast zwangsläufig auch die gleichfalls unausgewiesene Überhöhung etwa der Kirche oder der Bibel als Heiliger Schrift; vgl. vor allem ebd., 223 f. Ebd., 239. Ebd., 243.
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III Die Symboltheorie
der „Diastase“ verwendet.¹⁵⁵ Zusammengefasst erhebt Tillich 1923/24 gegenüber Barth und Gogarten den Vorwurf eines letztlich nicht dialektischen, sondern vielmehr diastatischen Denkens. Damit aber ist das eingangs notierte gemeinsame Grundanliegen – ‚Die Theologie der Krisis hat […] uneingeschränktes Recht in ihrem Kampf gegen jede unparadoxe […] Fassung des Unbedingten‘ – letzten Endes verloren. Die vorgeblich dialektische Theologie der Kontrahenten, der Tillich sich verbunden wissen würde, erweist sich bei Lichte besehen als eine Theologie des Supranaturalismus und der Diastase. Mit jenem Stichwort des ‚Supranaturalismus‘ ist zugleich implizit der Bogen zur Symbolthematik geschlagen: Der im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung von 1920 noch rein systematisch verwendete Titel¹⁵⁶ ist nunmehr eben auf die ‚Theologie der Krisis‘ um Karl Barth appliziert und somit gewissermaßen historisch verankert. Ausweislich eines Briefes an Alfred Fritz datiert die fragliche Querverbindung näherhin mindestens auf das Jahr 1922 zurück, wobei eine entsprechende Kritik Emanuel Hirschs im Hintergrund gestanden haben mag.¹⁵⁷ Zeichnet man nun die in jener Vorlesung formulierte systematische Alternative von ‚Supranaturalismus‘ auf der einen und ‚Mystik‘ auf der anderen Seite¹⁵⁸ in den gegenwärtigen Zusammenhang ein und erinnert dabei die positive Wertung des dort mit der Letzteren verbundenen Symbolbegriffs, dann konnte Tillich die ‚Supranaturalisten‘ Barth und Gogarten als Antipoden einer Position verstehen,
Vgl. EW IV, 89 ff. Diesem Urteil eignen – mindestens mit Blick auf Barths frühe Theoriebildung, für die die Zweitauflage des Römerbriefkommentars exemplarisch stehen mag – aufs Ganze gesehen sicherlich Wahrheitsmomente. Gleichwohl ist etwa der Römerbrief keineswegs frei von dialektischen Figuren; vgl. Fischer, „Theologie“, 202 f.; zu Barths Dialektikbegriff insgesamt vgl. Michael Beintker, Die Dialektik in der ‚dialektischen Theologie‘ Karl Barths. Studien zur Entwicklung der Barthschen Theologie und zur Vorgeschichte der ‚Kirchlichen Dogmatik‘ (München: Kaiser, 1987). Vgl. oben III.1 b). Vgl. den auf den April 1922 datierenden Brief Tillichs an Alfred Fritz, in dem er die mutmaßliche Erstbegegnung mit Barth schildert; vgl. EW VI, 80 – 84. Im Verlauf des Treffens muss der ebenfalls involvierte Jugendfreund Hirsch Tillich zufolge scharf gegen den „Barthschen Supranaturalismus“ angegangen sein (ebd., 81). Trotz der durchaus vorhandenen Nähe zu Barth scheint sich Tillich schon hier dieses Urteil insofern zu eigen gemacht zu haben, als er Letzteren Fritz gegenüber seinerseits als „supranaturalen Eschatologen“ bezeichnen kann (ebd.). In den beiden frühen, anlässlich von Barths ‚Tambacher Vortrag‘ entstandenen Entwürfen zielt der Begriff hingegen noch mehr auf die katholische Kirche; vgl. EW X, 252. Tillichs Barthinterpretation sollte im Übrigen zeitlebens durch die frühe Lektüre besagten Aufsatzes und der Zweitauflage des Römerbriefs bestimmt bleiben, spätere Wandlungen des Barth’schen Denkens hat er kaum mehr registriert; vgl. Gallus, Mensch, 556 – 562. Vgl. EW XII, 408 f.
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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für die nicht allein der Paradoxgedanke – in adäquater und also dialektisch-positiver Handhabe –, sondern ebenso der Symbolgedanke charakteristisch sein soll. Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, dass der Symbolgedanke in der Auseinandersetzung von 1923/24 aufs Ganze gesehen noch immer mehr eine Nebenrolle spielt. So macht Tillich nur sehr spärlich vom zugehörigen Begriff Gebrauch.¹⁵⁹ Dies mag seinen Grund darin haben, dass – bei aller systematischen Nähe von Paradox- und Symbolgedanken, die Tillich wie gesehen erstmals in der Christentums-Vorlesung explizit festgehalten hatte¹⁶⁰ – nicht dieser, sondern jener im Zentrum der Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten stand. Dabei ist mit Blick auf das Paradox unter anderem ein Charakteristikum formuliert, das mit dem Symbolischen nachgerade inkompatibel erscheint. Neben den von uns eingangs – ‚Die Theologie der Krisis hat Recht, uneingeschränktes Recht in ihrem Kampf gegen jede unparadoxe, unmittelbare, gegenständliche Fassung des Unbedingten‘¹⁶¹ – angezeigten Aspekten der ‚Ungegenständlichkeit‘ und der ‚Mittelbarkeit‘¹⁶² nennt Tillich in Kritisches und positives Paradox wiederholt die des ‚Nichtgegebenseins‘, der ‚Nichtfixierbarkeit‘ und der ‚Unanschaulichkeit‘.¹⁶³ Für unseren Zusammenhang ist der letztgenannte Aspekt einer reklamierten ‚Unanschaulichkeit‘ des Paradoxgedankens entscheidend.¹⁶⁴ Demgegenüber erscheint nämlich das Moment einer konstitutiven Anschaulichkeit geradezu als natürlicher Grundaspekt des Symbolischen – entsprechend wird Tillich mit dem Symbolaufsatz Das religiöse Symbol von 1928 diese als eines der vier ‚Merkmale‘ des Symbols benennen.¹⁶⁵ Insofern nun das Paradox 1923/24 als seinem Wesen nach eben ‚unanschauliches‘ bestimmt wird, das Symbol aber ein Moment der ‚An-
Vgl. GW VII, 221 f.224 f.241. Vgl. oben III.1 b). Vgl. ebd., 224. S.o.; vgl. zur betreffenden Gegenüberstellung beispielsweise auch ebd., 222: „Nicht gegenständlich, nicht unmittelbar […], aber paradox, […] in Einheit von Ja und Nein.“ Vgl. etwa ebd., 218: „Freilich, die Gnade ist nicht anschaulich, nicht gegeben […]“; ebd., 220: „Beides ist kein gegenständliches, anschauliches, sondern ein paradoxes, unanschauliches Urteil.“; ebd., 223: „Der unanschauliche, ungegenständliche Charakter des Glaubens ist durchbrochen.“ u. ö. – der Paradoxbegriff fungiert jeweils als positiver Komplementärbegriff. Zur Bedeutung des Momentes der ‚Unanschaulichkeit‘ vgl. auch seine dreifache Hervorhebung im Fazit von Tillichs Eröffnungsbeitrag: „[I]n dreifacher Weise kann […] geredet werden: als von dem ewigen Ursprung, […] der unanschaulich und ungegeben durch alles Wirkliche in Ja und Nein dem Glauben offenbar wird. Und als von der ewigen Erlösung, die unanschaulich und ungegeben, nur dem Glauben offenbar, durch die Geschichte und ihre Schöpfungen hindurchgeht […] Und als ewige Vollendung, als unanschauliche Verheißung […].“ (ebd., 224 f.; kursiv L. H.). Vgl. GW V, 196: „Das zweite Merkmal des Symbols ist die Anschaulichkeit.“; vgl. unten III.2 a).
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III Die Symboltheorie
schaulichkeit‘ fordert, mag der Symbolbegriff sich dem Gedankengang der Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten in gewisser Weise verweigert haben. War sich Tillich also zum fraglichen Zeitpunkt über Reichweite und genaue Umrisse seiner Symboltheorie noch nicht abschließend im Klaren, so finden sich doch profilierte Überlegungen zum zugehörigen Begriff. Bereits der Eröffnungsbeitrag kann ihn etwa heranziehen, um der einseitig negativen Fassung des Paradox samt seiner problematischen Konsequenzen zu wehren: Es gibt in aller religiösen und aller profanen Kultur Erscheinungen, die den Ursprung auf dem sie ruhen, die Offenbarung der Gnade und des Gerichts, im Auge des Glaubens sichtbar machen. Es gibt symbolkräftige Erscheinungen in Religion und Kultur, die deswegen nicht weniger unter dem Nein stehen, deren Betrachtung […] aber dennoch eine […] symbolische, paradoxe Heilsgeschichte ermöglicht.¹⁶⁶
Die selbstverständliche Zusammenstellung von Symbol- und Paradoxbegriff verdeutlicht nochmals deren prinzipielle gedankliche Nähe, wobei die Metapher des ‚Sichtbarmachens‘ dem genuin symboltheoretischen Moment der Anschaulichkeit Rechnung trägt. Tatsächlich spitzt sich mit dem allem Anschein nach vorausgesetzten, aber nicht eigens reflektierten systematischen Konnex von Paradox und Symbol die skizzierte Spannung der ‚Unanschaulichkeit‘ des Paradoxgedankens auf der einen und der mit der Figur des ‚Sichtbarmachens‘ indirekt artikulierten ‚Anschaulichkeit‘ des Symbolgedankens auf der anderen Seite zu. In seiner Antwort, in der Tillich dem Symbolbegriff im Vergleich mehr Raum gibt, wird er gar die Figur eines „unanschaulich-anschaulich[en]“¹⁶⁷ ‚Ja und Nein‘ formulieren – die in ihrer widersinnigen Gegenläufigkeit als Indikator der allererst zu leistenden symboltheoretischen Reflexion gelten kann. Darüber hinaus lässt sich an jenem längeren Zitat zweierlei ersehen. Einmal der Umstand, dass mit Hilfe des Symbolbegriffs hier gleichermaßen Phänomene der Kultur- wie der religiösen Sphäre umfasst sein sollen. Da er eine Brücke zwischen beiden Sphären schlägt, bietet er sich als geeignetes gedankliches Werkzeug gegenüber einer ‚Diastasentheologie‘ an. In der Tat hatten wir oben im Kontext der ersten Belege für den Symbolbegriff um 1920 gesehen, dass bei seiner Etablierung immer auch kulturtheoretische Motive im Spiel waren.¹⁶⁸ Die Möglichkeit, vermittels des Symbolbegriffs die konstitutive Verbundenheit von Religion und Kultur zu thematisieren, mag ein Gesichtspunkt gewesen sein, der Tillich
GW VII, 221 f.; kursiv L. H. Ebd., 242. Vgl. oben III.1 a).
III.1 Entdeckungszusammenhänge des Symbolbegriffs
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so vielleicht erst im Zuge der Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten im vollen argumentativen Umfang aufging. Zweitens stehen die betreffenden Phänomene als ‚symbolkräftige‘ zugleich unter dem Nein des Unbedingten. Sie entsprechen damit exakt der durch das positive Paradox geforderten dialektischen Struktur, also dem Zugleich bzw. der ‚Einheit von Ja und Nein‘: Während sich das Negativitätsmoment in dem unvermindert negativen Urteil sub specie des Unbedingten artikuliert, übersetzt sich das Moment der Positivität in symboltheoretischer Hinsicht in den Aspekt der ‚Symbolkräftigkeit‘. Jene Dialektik ist ebenfalls im Blick, wenn die Antwort den „symbolischen, hinweisenden, fragwürdigen und zugleich offenbarerischen Charakter“ wahrhaft religiöser Erscheinungen unterstreicht.¹⁶⁹ Das konstitutive Zugleich von Ja und Nein, Gnade und Gericht, Offenbarungscharakter und Fragwürdigkeit kann somit geradezu als das gemeinsame Strukturmerkmal von Tillichs Paradox- und Symbolgedanken gelten. Insofern ist im Begriff des positiven Paradox ersichtlich die Struktur des Symbolgedankens vorgebildet.¹⁷⁰ Eine letzte Passage, in der Tillich im Rahmen der Auseinandersetzung den Symbolbegriff bemüht, fügt sich ganz in das Skizzierte, erweitert es aber noch einmal um einen wichtigen Gesichtspunkt. Dem Fazit seines Eröffnungsbeitrages zufolge kennt die sich durch die Geistes- und Kulturgeschichte hindurch in Symbolen darstellende Heilsgeschichte durchaus einen spezifischen Höhepunkt: Christus in der ihm eigenen „vollkommene[n] Symbolkraft“.¹⁷¹ Damit ist jene Einsicht aufgenommen und präzisiert, die wir zuvor für die Christentums-Vorlesung wie für die in Reaktion auf Barths ‚Tambacher Vortrag‘ entstandene Skizze der prinzipiellen Grundlagen, beide auf das Jahr 1919 datierend, notiert hatten – die Einsicht nämlich, dass Jesus Christus selbst nach Maßgabe des Paradoxgedankens und somit im Sinne des Symbolgedankens zu begreifen ist. Mitnichten entzieht er sich gemäß Tillich, wie von Gogarten behauptet, dem Nein, das an ihm erscheint. Vielmehr steht er wie alle anderen Phänomene in Religion und Kultur unter der mit Ebd., 240 f.; zum systematischen Konnex von Symbol- und Offenbarungsgedanke vgl. unten III.3 a) und c). In der betreffenden, allerdings allein strukturellen Isomorphie von frühem Paradoxgedanken und späterem Symbolgedanken liegt das Wahrheitsmoment der – aufs Ganze gesehen jedoch zu differenzierenden – These von Danz, der zufolge sich im Frühwerk bereits symboltheoretische Überlegungen im engeren Sinne finden lassen; vgl. Danz, „Symbolische Form“, 61– 68; zur Problematik einer allzu umstandslosen Projektion der Symboltheorie auf das Frühwerk vgl. oben III.1 b). GW VII, 224, wonach die „ewige[ ] Erlösung […] durch die Geschichte und ihre Schöpfungen hindurchgeht als verborgene, in Christus mit vollkommener Symbolkraft sich darstellende Heilsgeschichte“.
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III Die Symboltheorie
dem positiven Paradox bezeichneten Einheit von Ja und Nein. Mit dem Zusatz der ‚Vollkommenheit‘ seiner Symbolkraft ist freilich angezeigt, dass er die Charakteristika des Symbolischen in besonderer Weise erfüllt, ohne dass dies im gegenwärtigen Zusammenhang ausgeführt wäre. Christologie und Symboltheorie lassen sich nach Tillich also nicht gegeneinander ausspielen, besteht doch zwischen beiden eine weiter zu verfolgende systematische Verbindung.¹⁷² Dass in diesem Punkt die Wege der vormaligen – wie gesehen keineswegs rundum einvernehmlichen – Arbeitsgemeinschaft endgültig auseinandergehen, haben Barth wie Gogarten scharf gesehen. Die von Barth vorgenommene, bereits angezeigte Identifikation von Christus und Heilsgeschichte bzw. positivem Paradox ist denn auch just gegen Tillichs Gedanken einer überlegenen Symbolkraft Christi gerichtet.¹⁷³ Dessen 1923/24 anvisierte symboltheoretische Reformulierung der Christologie hat er im Verdacht, letzten Endes die Verbindung von ‚ewiger Erlösung‘ und ‚Jesus von Nazareth‘ zu kappen.¹⁷⁴ Im selben Sinne kann Gogarten apodiktisch urteilen: „[E]ine solche direkte Rede [von dem im Menschen Jesus Christus geoffenbarten Gottes; L. H.] schließt gerade allen symbolischen, hinweisenden […] Charakter der Offenbarung aus.“¹⁷⁵ Gedacht ist demgegenüber an eine Fassung von Christologie und Offenbarungslehre, in der zumal „das Symbolhafte bis auf den Grund zerstört ist“.¹⁷⁶ Der im Rahmen der Auseinandersetzung Kritisches und positives Paradox in ihren Grundrissen erkennbaren dialektisch-paradoxen Struktur von Tillichs Symbolgedanken, dessen konstitutiver Gebrochenheit und Indirektheit ist hier ausdrücklich das Ideal der „direkten und unmittelbaren Rede“ entgegengestellt.¹⁷⁷ Insofern sich also am Symbolbegriff die Geister derart schroff schieden, lässt sich Tillichs in der Folge zunehmend offensiv verfochtene Option für selbigen in eins als Akt einer bewussten theologiepolitischen Selbstverortung interpretieren. Mag sein Verhältnis zur dialektischen Theologie insgesamt durch eine Ambivalenz von Nähe und Distanz gekennzeichnet sein, so eignete sich just der Symbolgedanke zur Anzeige grundlegender Differenzen: Mit der vermittels seiner artikulierten Offenheit gegenüber der Kultursphäre, dem ihm eigenen Negativitätsmo-
Zum Gedanken der ‚Symbolkraft‘ vor dem Hintergrund der entfalteten Symbolkonzeption vgl. unten III.3 c). Vgl. ebd., 235: „Für ‚uns‘ ist Christus die Heilsgeschichte, die Heilsgeschichte selbst – Christus ist das ‚positive Paradox‘ –, für Tillich ist er die Darstellung einer mehr oder weniger überall sich ereignenden Heilsgeschichte in vollkommener Symbolkraft.“ Vgl. ebd., 237; vgl. weiterhin ebd., 232.236. Ebd., 245 f. Ebd., 246. Ebd., 245.
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ment im Sinne der konstitutiven ‚Einheit von Ja und Nein‘ des im Hintergrund stehenden Paradoxgedankens sowie dem dementsprechend prinzipiell differenten Zugang zur Christologie fungiert der Symbolgedanke gewissermaßen wie ein Brennglas, in dem sich die Distanz gegenüber einer diastatisch angelegten Theologie exemplarisch fokussiert.
d) Ertrag und Ausblick Vor dem Hintergrund der späteren systematischen Zentralstellung des Symbolgedankens ist auffällig, dass der Symbolbegriff in früheren Texten merklich weniger präsent ist. Während er etwa im programmatischen Aufsatz Über die Idee einer Theologie einer Kultur von 1919 nicht verwendet ist, wird Tillich erst im Jahr 1923 mit dem ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie die gedankliche Klärung entschiedener vorantreiben. Der früheste thematische Aufsatz Das religiöse Symbol datiert nochmals später auf die erste Jahreshälfte 1928. Bei näherem Zusehen lassen sich für das frühe und mittlere Werk genauer drei Phasen unterscheiden. Eine erste Phase der anfänglichen Reserve artikuliert sich in der negativen Wertung bzw. gänzlichen Vermeidung des Symbolbegriffs. Tillichs Zurückhaltung in Sachen Symbol dürfte dabei nicht zuletzt einen Nebeneffekt der frühen Prägung durch Schelling darstellen: Da der Symbolgedanke mit dessen spekulativer Christologie und Gotteslehre unvereinbar schien, verfiel er dem Diktum des ‚bloß‘ oder ‚nur‘ Symbolischen. Mit den Berliner Vorlesungen der Jahre 1919/20 beginnt eine zweite Phase der vorsichtigen Etablierung bis hin zur ersten systematischen Ausgestaltung des Gedankens. Erst mit der dritten Phase wird eine eigentliche Theorie des Symbols ausformuliert, sodass der Symbolbegriff nun sogar geradezu als Integral der Theoriebildung insgesamt fungieren kann. Der eher angelegentliche Rekurs auf den Symbolgedanken im Rahmen der bekannten Auseinandersetzung mit Karl Barth und Friedrich Gogarten um die Fassung des Paradoxgedankens signalisiert, dass noch die Jahreswende 1923/24 in den Übergang von der zweiten zur dritten Phase fällt. Für die um das Jahr 1919 einsetzende intensivere Beschäftigung und vorsichtige Etablierung spielte zumal die mögliche Brückenfunktion des Begriffs eine Rolle.Vermittels seiner konnte Tillich gleichermaßen religionsphilosophische wie kulturtheoretische, politische wie ästhetische, mehr historische wie zeitdiagnostische Fragestellungen bedenken. Vor allem aber schiebt sich schon früh die religionstheoretische Frage einer adäquaten Ausdrucks- bzw. Anschauungsform unter den mit dem Hirsch-Briefwechsel veränderten theoretischen Rahmenbedingungen in den Vordergrund. Die Berliner Vorlesungen der Jahre 1919 und 1920 stellen den Symbolbegriff in diesem Zuge mit dem Paradoxgedanken sowie im
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III Die Symboltheorie
Kontext christologischer Überlegungen mit dem Negationsgedanken zusammen. Die Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten gilt schließlich wiederum primär dem Paradoxbegriff. Findet der Symbolbegriff eher am Rande Verwendung, so scheint doch auf, dass seine gemäß dem Paradoxgedanken konstitutiv dialektische Struktur in der Einheit von Negation und Position sowohl in dogmatischer wie in kulturtheoretischer Hinsicht eine größere Erschließungskraft verspricht als die tendenziell diastatischen Theoriefiguren Barths und Gogartens. So lässt sich vermuten, dass Tillich im Rahmen der Debatte der potenziellen systematischen Leistungsfähigkeit wie einer gleichsam theologiepolitischen Valenz des Symbols nochmals eigens ansichtig wurde.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens Zu Beginn der 1920er Jahre ist Tillichs Symboltheorie allererst im Werden begriffen. Gleichwohl rückt der Symbolbegriff nun in den Veröffentlichungen in den Fokus. Wie schon im Falle der Sinntheorie und der Geisttheorie bedeutet näherhin das Jahr 1923 mit dem ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie eine neue Entwicklungsstufe.¹ Sie bieten zwar ebenfalls noch keine ausgeführte Symboltheorie – eine solche wird Tillich erst in der ersten Jahreshälfte² 1928 mit dem Symbolaufsatz Das religiöse Symbol vorlegen –, doch zeichnen sich jetzt deren erste Eckpunkte ab: zuvor erwogene Gesichtspunkte werden vertieft, vormals unbedachte Aspekte formuliert, vor allem aber finden sich erstmals tragfähige Definitionen des Symbolbegriffs. Dabei konzentrieren sich die symboltheoretischen Erwägungen im System der Wissenschaften vornehmlich auf die Darstellung der ‚theonomen Wissenschaften‘, also der Metaphysik und des Ethos.³ Die mehr kursorischen Überlegungen zur wissenschaftssystematisch gleichfalls in diesem Kontext verorteten Theologie – verstanden als „Theonome Systematik“ – deuten zumindest von Ferne an, dass dem Symbolgedanken zudem eine dogmatische Valenz eignet.⁴ In der Religionsphilosophie stellt der Symbolbegriff schließlich ein zentrales begriffliches Instrument für Tillichs Religionstheorie im Ganzen dar. Entsprechend begegnet er in deren beiden Hauptteilen, zunächst im Rahmen der generellen Wesensbestimmung, dann auch in der Entfaltung der speziellen Kategorienlehre der Religion.⁵ In der Religionsphilosophie findet sich überdies eine erste Definition, die eine Sortierung systematisch-prinzipieller Art ermöglicht: „Symbol ist die uneigentliche Ausdrucksform, die immer da notwendig ist, wo ein eigentlicher Ausdruck
Zur entsprechenden Datierung der Religionsphilosophie vgl. oben die Einleitung zu II.2. Das religiöse Symbol erschien erstmals im Band 1 der neu gegründeten Blätter für Deutsche Philosophie, der für die Jahre 1927/28 veröffentlicht wurde. Dort leitete der Aufsatz den letzten in diesem Band enthaltenen Themenkreis ‚Das Symbolische‘ ein, er datiert also auf das Jahr 1928. Da der Folgeband der Blätter für die Jahre 1928/29 erschien und also wiederum Beiträge für das Jahr 1928 enthält, ist Das religiöse Symbol genauer auf die erste Jahreshälfte jenen Jahres zu datieren. Wahrscheinlich, jedoch anhand der mir vorliegenden Doppelausgaben nicht mit letzter Sicherheit zu belegen, scheint näherhin eine Datierung auf den Jahresbeginn 1928. Vgl. GW I, 248 ff., bes. 254.270. Vgl. ebd., 274– 277. Die zwischen 1925 und 1927 entstandene Dresdner Dogmatik-Vorlesung (EW XIV) wird die Relevanz des Symbolgedankens dann in materialdogmatischer Hinsicht erproben; zu einzelnen Aspekten, etwa dem engen systematischen Konnex von Offenbarungs- und Symbolgedanken, vgl. unten III.3 a) und c). Vgl. etwa GW I, 329 ff.: ‚Die Wesenselemente der Religion und ihre Relationen‘; ebd., 340 ff.: ‚Geistesgeschichte und Normbegriff der Religion‘; ebd., 350 ff.: ‚Die Kategorien der Religion‘.
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wesensmäßig unmöglich ist. […] Die Absicht, unsymbolisch vom Religiösen reden zu wollen ist gottlos; denn sie raubt dem Unbedingten die Unbedingtheit und führt dazu, daß dieses gegenständlich gewordene Unbedingte mit Recht als Phantasiegebilde abgetan wird.“⁶ Einmal mehr artikuliert sich hier die grundlegend religionstheoretische Motivation des Symbolgedankens. Weiterhin sind einige Momente der auf die Definition selbst folgenden Paraphrase aus dem Bisherigen vertraut: So in erster Linie die Frontstellung gegen eine gegenständliche Fassung des Unbedingten, die seit dem Hirsch-Briefwechsel zum festen Inventar von Tillichs Religionstheorie gehört,⁷ sowie die negative Konnotation der Phantasie als einer gewissermaßen realitätsmindernden Größe, der wir im Zusammenhang der anfänglichen Reserve gegenüber dem Symbolgedanken ansichtig geworden waren.⁸ Im gegenwärtigen Zusammenhang soll uns jedoch primär die grundlegende Definition des Symbols als einer „uneigentlichen Ausdrucksform“ interessieren. Mit der Definition als eines ‚uneigentlichen‘ Ausdrucks ist dem Symbol zugleich die Alternative eines ‚eigentlichen‘ Ausdrucks kontrastiert, ohne dass dieses Pendant seinerseits weiter bedacht wäre. Auch der Symbolaufsatz Das religiöse Symbol wird für die ausgereifte Symbolkonzeption des Jahres 1928 einleitend festhalten: „Das erste und grundlegende Merkmal des Symbols ist die Uneigentlichkeit.“⁹ Das ungefähr zeitgleich entstandene, seinerzeit unveröffentlichte System der religiösen Erkenntnis wiederum bestimmt den Symbolgedanken als „uneigentliche, aber notwendige Ausdrucksform eines Gegenstandes, für den es einen eigentlichen Ausdruck nicht geben kann“.¹⁰ Somit ist die Ausdruckskategorie gleichfalls im Rahmen der ausgeführten Symboltheorie die übergreifende Kategorie, zu der ‚eigentlicher‘ und ‚uneigentlicher‘ Ausdruck die untergeordneten, koordinierten Begriffsgrößen darstellen. Die Ausdruckskategorie fungiert also für Tillich als genus proximum, der Aspekt der ‚Uneigentlichkeit‘ als differentia specifica des Symbolgedankens. Damit ist eine erste systematische Grundsortierung in Sachen Symbol gewonnen. Schon ein Vergleich jener beiden Definitionen aus der Religionsphilosophie auf der einen und dem System der religiösen Erkenntnis auf der anderen Seite zeigt gleichwohl an, dass weiterer Klärungsbedarf besteht. So begreifen zwar beide das Symbol eben als ‚uneigentliche Ausdrucksform‘, der als solcher eine eigene ‚Notwendigkeit‘ eigne. Die folgende Erläuterung der Religionsphilosophie notiert
Ebd., 328. Vgl. oben II.1 a) und c). Vgl. oben III.1 b). GW V, 196; zum Gedanken der konstitutiven ‚Uneigentlichkeit‘ des Symbolischen vgl. unten III.3 a). EW XI, 130.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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weiterhin ausdrücklich, dass es das Unbedingte als Relat des Symbolausdrucks ist, das dessen spezifische Uneigentlichkeit bedingt. Allerdings widersprechen sich die beiden Definitionen in einer zentralen Hinsicht: Während gemäß der Religionsphilosophie das im Symbol Ausgedrückte gerade nicht als ‚Gegenstand‘ begriffen werden darf – das Unbedingte würde ihr zufolge ja allererst im Zuge eines verfehlten, nicht symbolischen Ausdruckvorgangs vergegenständlicht,¹¹ – ist es im System explizit als „Gegenstand“ bestimmt.¹² Dieserart wird der kategoriale Status des Relats des Symbolausdrucks eigentümlich unscharf, wodurch wiederum die Relation von Symbol und Symbolisiertem im Ganzen unklar wird. Hinzu kommt, dass für den alternativen Fall eines ‚eigentlichen‘ Ausdrucks die Relation von Ausdruck und Ausgedrücktem bis hierhin noch gar nicht thematisch war. Nur wenn sich jedoch sowohl für den ‚uneigentlichen‘ als auch für den ‚eigentlichen‘ Ausdruck eine allgemeingültige Struktur rekonstruieren lässt, kann die Ausdruckskategorie tatsächlich als genus proximum für Tillichs Symbolbegriff fungieren. Insofern wird uns die Frage nach dem Status des symbolisch Ausgedrückten im Folgenden als Leitfrage dienen. Zugleich werden wir mit dem Zeichenbegriff jenen Begriff in die skizzierte systematische Grundkonstellation eintragen, den Tillich selbst als Gegenüber zum Symbolbegriff verwenden sollte. Damit ist – schematisch – eine Nähe von ‚eigentlichem Ausdruck‘ und ‚Zeichen‘ behauptet, die sich freilich erst im Zuge der Darstellung bewähren lässt, die dann aber vor allem weiter zu präzisieren und differenzieren sein wird. Eine Grundschwierigkeit mit Blick auf jene Leitfrage besteht darin, dass Tillich selbst an keiner Stelle eine konzentrierte Klärung der Ausdruckskategorie vorgenommen hat: Die betreffenden Passagen verteilen sich über die Schriften der 1920er Jahre, wobei sich neben dem System der Wissenschaften, der Religionsphilosophie und dem Aufsatz Das religiöse Symbol der gleichfalls Ende des Jahrzehnts entstandene Text Natur und Sakrament sowie das unveröffentlichte System der religiösen Erkenntnis als einschlägig erweisen werden.¹³ Für die Interpretation
‚Die Absicht, unsymbolisch vom Religiösen reden zu wollen […] raubt dem Unbedingten die Unbedingtheit und führt dazu, daß dieses gegenständlich gewordene Unbedingte […]‘; vgl. etwa auch GW V, 196. ‚[U]neigentliche, aber notwendige Ausdrucksform eines Gegenstandes […]‘; vgl. etwa auch EW X, 362. Die weiträumige Verteilung der Belegstellen dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Bedeutung der Ausdruckskategorie für Tillichs Symbolgedanken in der Forschung bislang kaum gesehen wurde – von einer Erhellung ihrer systematischen Struktur ganz zu schweigen. Eine Ausnahme stellt Michael Moxters ausführliche Rekonstruktion von Tillichs Ausdrucksbegriff dar; vgl. Michael Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 65 – 78. Leider setzt Moxter dessen positive Würdigung – vgl. ebd., 76 f. –
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III Die Symboltheorie
des Zeichenbegriffs werden wir ob der wenigen frühen Belege gar auf das Spätwerk vorausgreifen. Im Hintergrund des überschaubaren Befundes lässt sich dabei eine echte systematische Schwierigkeit ausmachen. Wie deutlich werden wird, bietet Tillich keine elaborierte Zeichentheorie, sondern allein erste Ansätze einer semiotischen Klärung – was insofern kaum überraschen kann, als zumindest in den zu Beginn des vorigen Jahrhunderts dominierenden Schulen deutschsprachiger Philosophie, zumal aber in der evangelischen Theologie, semiotische Fragen weithin nur ganz am Rande diskutiert wurden. Zum Zwecke der Rekonstruktion der Ausdruckskategorie nebst anhängender zeichentheoretischer Fragen werden wir also Tillichs Erwägungen mit anderweitigen Theoriemodellen kontextualisieren, um sie allererst zum Sprechen zu bringen. Ebendieser Kontextualisierung gelten die nachfolgend die eigentliche Darstellung seiner Überlegungen anreichernden Seitenblicke auf Karl Bühler, Gottlob Frege bzw. Edmund Husserl und Nelson Goodman.¹⁴ Die hergestellten Bezüge sind demgemäß überwiegend weniger – wie in den vorangegangenen Kapiteln – problemgeschichtlicher als vielmehr streng systematischer Natur.
a) ‚Sachbezogenheit‘ und ‚Anschaulichkeit‘ des Ausdrucks Eine erste, grundsätzliche Weichenstellung bezüglich der Ausdruckskategorie lässt sich einmal mehr dem Aufsatz Das religiöse Symbol entnehmen, und zwar jenem Unterabschnitt, der dort auf die einleitende Vorstellung der vier Grundmerkmale des Symbolbegriffs folgt. Zur Profilierung der eigenen Position diskutiert Tillich verschiedene anderweitige – wie die Überschrift des betreffenden Abschnitts lautet – ‚Theorien des religiösen Symbols‘.¹⁵ Dabei ist die eigene
nicht in konstruktiver Weise mit dem von ihm weithin kritisierten Symbolbegriff Tillichs ins Verhältnis. Eine Kontextualisierung mit dem zeichentheoretisch gleichfalls wirkmächtigen Modell eines Charles Sanders Peirce oder aber einen ausführlichen Seitenblick auf das Ernst Cassirers können wir insofern zurückstellen, als hier bereits Untersuchungen vorliegen; zum Verhältnis PeirceTillich vgl. v. a. Hermann Deuser, „Zeichenkonzeptionen in der Religion vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart“, HSK 13.2 (1998), 1743 – 1760; ders., „Gottes Poesie oder Anschauung des Unbedingten? Semiotische Religionstheorie bei C. S. Peirce und P. Tillich“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Das Symbol als Sprache der Religion (Wien Berlin Münster: Lit, 2007), 117– 134; Martin Vetter, Zeichen deuten auf Gott. Der zeichentheoretische Beitrag von Charles S. Peirce zur Theologie der Sakramente (Marburg: Elwert, 1999); zum Verhältnis Cassirer-Tillich vgl. v. a. Moxter, Lebenswelt, 13 – 173; vgl. zudem die Überlegungen im Rahmen der Einleitung der vorliegenden Arbeit. Vgl. GW V, 198 – 206.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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Konzeption zunächst von einer „negativen“ Symbolauffassung abgegrenzt, die mit den Namen Karl Marx, Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud verbunden wird.¹⁶ Die diesen gemeinsame ‚negative‘ Grundannahme formuliert Tillich wie folgt: „Sie bestreiten dem Symbol die Sachhaltigkeit, und sprechen ihm lediglich Seinshaltigkeit zu: ein bestimmtes subjektives Sein drückt sich im Symbol aus, nicht aber der im Symbol gemeinte Sachverhalt.“¹⁷ Für uns mag die Frage auf sich beruhen, inwiefern mit dieser Paraphrase die Intention der Genannten tatsächlich erfasst ist bzw. inwiefern die anschließenden Kurzskizzen ihren Symbolkonzeptionen gerecht werden. Für die Rekonstruktion von Tillichs Ausdruckskategorie sind vielmehr zwei Gesichtspunkte bedeutsam. Einmal der Umstand, dass er zur Beschreibung der Symbolstruktur auf den uns aus der Theorie des Geistes vertrauten Begriff des ‚Meinens‘ rekurriert. Damit ist eine prinzipielle systematische Nähe von Symboltheorie und Geisttheorie angezeigt. Seine Verwendung im Rahmen der Symboltheorie indiziert weiterhin, dass auch bei ihrer Ausformulierung die Auseinandersetzung mit Edmund Husserl eine gewisse Rolle gespielt haben dürfte – erwies sich der Begriff im Rahmen der Geisttheorie doch eben als Referenz an Husserl.¹⁸ Zweitens – und darauf soll im gegenwärtigen Zusammenhang der Fokus liegen – ist der Nachsatz geeignet, eine Grundentscheidung bezüglich der Ausdruckskategorie zu erhellen. Die Charakterisierung des abgelehnten ‚negativen‘ Symbolverständnisses gibt andersherum einen gewichtigen Aspekt von Tillichs eigenem Verständnis zu erkennen: Demzufolge ist nicht die Ausdrucksabsicht eines „bestimmte[n] subjektive[n] Sein[s]“, sondern der zum Ausdruck gebrachte „Sachverhalt“ entscheidend für seinen Ausdrucksgedanken. Die entscheidende Ausdrucksrelation besteht, so ließe sich paraphrasieren, nicht zwischen Ausdrückendem und Ausdruck, sondern zwischen Ausdruck und Ausgedrücktem. Tillichs Fokus liegt gleichsam auf dem ‚objektiven‘, nicht dem ‚subjektiven‘ Moment der Ausdrucksrelation. Der folgende Satz in Das religiöse Symbol bündelt die beiden genannten Aspekte noch einmal: „[D]ie religiöse Symbolik […] meint, eine ‚Sache‘ auszudrücken und nicht bloß das Sein eines meinenden Subjekts.“¹⁹ Einmal ist der Stellenwert des Begriffs des Meinens nochmals unterstrichen, sodann ist
Vgl. insgesamt ebd., 198 – 200. Ebd., 198. Vgl. oben II.3.1 b).Wir können es vorerst bei diesen ersten Beobachtungen belassen, da wir auf den Begriff des ‚Meinens‘ und seine Funktion für den Symbolgedanken an späterer Stelle ausführlich eingehen werden. Dann wird auch zu vertiefen sein, wie sich seine Verwendung im Kontext der Symboltheorie zu seinem geisttheoretischen Gebrauch verhält; vgl. unten III.3 a) und b). Ebd.
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III Die Symboltheorie
betont, dass der ‚Sach‘bezug des Ausdrucks im Vordergrund stehen soll, wohingegen das Moment des Subjektiven zumindest vorderhand in den Hintergrund tritt.²⁰ Darüber hinaus ist – um auf unsere einleitend notierte Leitfrage zurückzukommen – dem dort als ungeklärt vermerkten kategorialen Status der betreffenden ‚Sache‘ insofern Rechnung getragen, als Tillich den Terminus hier seinerseits in Anführungszeichen setzt. Somit ist offengelassen, ob das im Symbol Ausgedrückte gegenständlich oder nicht gegenständlich verstanden sein will. Die skizzierte Weichenstellung einer primär ‚objektiven‘ Fassung der Ausdruckskategorie ist bemerkenswert, da sie eine merkliche Distanz zu deren nachgerade klassischem Verständnis im Sinne der Ausdrucksästhetik markiert. Wir können uns dieses Verständnis in einem Seitenblick auf Karl Bühlers Sprachtheorie vergegenwärtigen. Bühler unterscheidet in seinem 1934 erschienenen Hauptwerk drei voneinander weitestgehend unabhängige ‚Sinnbezüge‘ des Sprachzeichens, nämlich den zum ‚Sender‘, zum ‚Empfänger‘ sowie zum ‚Gegenstand‘ bzw. ‚Sachverhalt‘.²¹ Die zugehörigen Zeichenfunktionen benennt er vermittels der Begriffe des ‚Ausdrucks‘, des ‚Appells‘ und der ‚Darstellung‘. Der Ausdrucksbegriff steht bei Bühler mithin für die Relation zwischen Zeichen und Zeichensender, „dessen Innerlichkeit es ausdrückt“.²² Ersichtlich steht eine ästhetisch-expressive Konnotation der Ausdruckskategorie Pate, die sich bis ins 18. Jahrhundert hinein zurückverfolgen lässt.²³ Demgegenüber ist Tillich zumindest vorderhand um die Abgrenzung von einer betont subjektiv-ästhetisierenden Verwendung des Begriffs bemüht. Die von ihm gewählten Termini der „Sachhaltigkeit“ bzw. „Sachbezogenheit“²⁴ des Symbols zeigen an, dass er mit der Ausdruckskategorie primär den von Bühler ‚Darstellungsfunktion‘ genannten
In diese Richtung weist beispielsweise auch die schon Jahre zuvor im Rahmen des Systems der Wissenschaften formulierte Abwehr eines „Subjektivismus des Gefühls“, der die Symbole der Kunst als reine Gefühlsausdrücke fehldeute (GW I, 250); vgl. zudem etwa den Entwurf zu Natur und Sakrament von 1928, in dem das eigene Sakraments- und Symbolverständnis „nicht symbolistisch von der Subjektivität des Geistes her“ begründet werden soll (EW XI, 199). Vgl. Karl Bühler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache (Jena: Fischer, 1934), 28. Ebd. Obwohl Bühler sich prinzipiell gegen eine trennscharfe Zuweisung der einzelnen Zeichenfunktionen zu bestimmten Typen der Sprachverwendung – etwa der Zuweisung der Darstellungsfunktion zur ‚Logistik‘ – ausspricht, ist es kein Zufall, dass ihm zufolge hinsichtlich der Ausdrucksfunktion „freilich […] die Ausbeute beim Lyriker reicher sein“ wird als beim Logiker (ebd., 32). Zum expressiv-ästhetischen Verständnis der Ausdruckskategorie vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (Tübingen: J. C. B. Mohr, 31972), 474– 476; Bernhard Fichtner, „Ausdruck II“, HWPh 1 (1971), 655 – 661; Hans Ulrich Gumbrecht, „Ausdruck“, ÄGB 1 (2000), 416 – 431, 419 ff. Vgl. GW V, 199.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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Aspekt, und also den des Bezuges auf Gegenstände bzw. Sachverhalte, in den Blick nimmt. Tatsächlich kann Tillich Ausdrucks- und Darstellungsbegriff geradezu synonym verwenden.²⁵ Tillichs prinzipielles Verständnis des Ausdrucksbegriffs lässt sich entsprechend etwa mit Hilfe von Charles William Morris’ berühmtem ‚semiotischen Dreieck‘ gedanklich präzisieren: Legt man dessen Unterscheidung dreier Dimensionen des Zeichenträgers als Modell zugrunde, dann hebt Tillich weniger auf dessen ‚syntaktische‘ oder ‚pragmatische‘, als vielmehr auf die ‚semantische‘ Dimension ab, mithin auf den Bezug zwischen Zeichen und ‚Designat‘ bzw. ‚Denotat‘.²⁶ Diesseits jeder weiteren Aufschlüsselung der betreffenden semantischen Dimension – bislang war nur recht unspezifisch von dem Bezug auf eine ‚Sache‘ die Rede, die einmal gegenständlich (so im System der religiösen Erkenntnis), einmal nicht gegenständlich (so in der Religionsphilosophie) näher bestimmt werden konnte²⁷ – können wir festhalten, dass Tillich zufolge die Ausdrucksrelation vor allem ihr gilt. Ein Ausdruck steht somit in einem noch zu klärenden Sinne für einen vermittels seiner ausgedrückten ‚Gegenstand‘ bzw. eine vermittels seiner ausgedrückte Bedeutung. Der Begriff des Semantischen ist dabei mit Morris vorerst ganz bewusst weit genommen, umfasst also gleichermaßen Extension wie Intension und zeigt keine Option zugunsten einer der beiden Varianten an. Demgegenüber ist deutlich, dass syntaktische und pragmatische Aspekte für Tillich zurücktreten. Vor dem Hintergrund der prinzipiellen Weichenstellung zugunsten einer im weitesten Sinne semantischen Fassung der Ausdruckskategorie können wir uns mit der „Anschaulichkeit“ eines weiteren, im Symbolaufsatz von 1928 benannten Merkmales annehmen, um die einzelnen Momente der semantischen Ausdrucksrelation weiter zu klären: Sie [die Anschaulichkeit; L. H.] besagt, daß ein wesensmäßig Unanschauliches, Ideelles oder Transzendentes im Symbol zur Anschauung und damit zur Gegenständlichkeit gebracht wird. Die Anschaulichkeit braucht keine sinnliche zu sein. Sie kann ebensogut eine vorge-
So etwa im Kulturtheologie-Aufsatz: „Aufgabe einer Theologie der Kultur ist es, diesen Prozeß in allen Gebieten und Schöpfungen der Kultur zu verfolgen und zum Ausdruck zu bringen. […] Es kommt darauf an, daß die konkreten religiösen Erlebnisse, die in allen großen Kulturerscheinungen eingebettet liegen, herausgestellt und zur Darstellung gebracht werden.“ (GW IX, 19). Zu Morris’ berühmter, unmittelbar an Peirce’ Semiotik anschließende Unterscheidung der ‚syntaktischen‘, ‚semantischen‘ und ‚pragmatischen‘ Dimension der Semiose vgl. Charles W. Morris, Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik und Zeichentheorie, übers. v. Roland Posner (München: Hanser, 1972), 93 (Foundations of the Theory of Signs, 1938). Vgl. oben die Einleitung zu III.2.
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III Die Symboltheorie
stellte sein […] Auch abstrakte Begriffe können zu Symbolen werden, sofern ihr Vollzug mit einem anschaulichen Moment verbunden bleibt.²⁸
Das Zitat gibt einmal einen Fingerzeig hinsichtlich der Leitfrage, ob bzw. inwiefern Tillich das vermittels des Symbols Ausgedrückte seinerseits als ‚Gegenstand‘ verstanden wissen will, oder ob er sich gegenüber einer gegenständlichen Fassung gerade abgrenzt. Wenn jenes Ausgedrückte als ‚wesensmäßig Unanschauliches, Ideelles oder Transzendentes‘ bestimmt wird, das im Zuge des Symbolisierungsprozesses allererst ‚zur Gegenständlichkeit gebracht‘ wird, dann ist ersichtlich eine Option für Letzteres genommen: Wie in der Definition der Religionsphilosophie versteht Tillich das im Symbol zum Ausdruck Kommende seinerseits nicht nach Maßgabe der Gegenstandskategorie, sondern weist das Moment der ‚Gegenständlichkeit‘ vielmehr dem Symbolausdruck als solchem zu. Demzufolge steht, so ließe sich paraphrasieren, im Falle des Symbols ein Anschaulich-Gegenständliches für ein per se Unanschaulich-Nichtgegenständliches.²⁹ Wir wollen die nähere Präzisierung des kategorialen Status des ‚Designats‘ bzw. ‚Denotats‘, und mithin der semantischen Relation als Ganzes, noch zurückstellen und uns – eben unter dem Stichwort der ‚Anschaulichkeit‘ – vorerst weiter der Frage der Ausdrucksträger zuwenden. Das fragliche Merkmal der ‚Anschaulichkeit‘ ist mit obigem Zitat seinerseits grundlegend im Sinne einer ‚Gegenständlichkeit‘ interpretiert. Allerdings waren wir bereits im Kontext der Sinntheorie einer denkbar weiten Interpretation des Gegenstandsbegriffs durch Tillich ansichtig geworden,³⁰ die sich nun mit der Erläuterung jenes Merkmals im Symbolaufsatz von 1928 wiederholt. Die Auskunft, der zufolge sie ‚nicht‘ sinnlicher Natur zu sein ‚braucht‘, impliziert zwar zunächst im Umkehrschluss, dass ein möglicher Anschaulichkeitsmodus tatsächlich auf sinnliche Apperzeption abstellt. Man wird an sinnlich wahrnehmbare Gegenstände im eigentlichen Sinne zu denken haben, etwa die von Tillich mehrfach als Beispiel bemühte „Fahne“ oder das im Symbolaufsatz unmittelbar zuvor genannte GW V, 196. Systematisches Gewicht und Reichweite dieser vorderhand wenig spezifischen These wird das folgende Unterkapitel III.3 entwickeln. Mit dem Merkmal der ‚Anschaulichkeit‘ ist jedenfalls zugleich eine zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit Barth und Gogarten vage gebliebene Frage einer Klärung zugeführt. Dort war die Lösung des Problems einer adäquaten Ausdrucksgestalt des Unbedingten in Richtung auf einen ‚unanschaulichen‘ Kandidaten gesucht worden. Die Schwierigkeit der damit bezogenen Position verdichtete sich – wie gesehen – in der problematischen Wortschöpfung eines ‚unanschaulich-anschaulichen‘ Ausdrucks; vgl. oben III.1. c). Demgegenüber ist jetzt explizit die notwendige Anschaulichkeit des Symbolausdrucks festgehalten. So vor allem im Hirsch-Briefwechsel; vgl. oben II.1 a) und c).
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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„Holzkreuz“.³¹ Doch stellen diese im Wortsinne gegenständlichen Entitäten nur einen möglichen Unterfall der ‚Anschaulichkeit‘ des Symbolausdrucks dar. Von einem weit gefassten Begriff der Gegenständlichkeit, der als direkter Wechselbegriff zum Oberbegriff der ‚Anschaulichkeit‘ fungiert,³² ist somit noch einmal ein enger Gegenstandsbegriff zu unterscheiden, der lediglich einen Unterfall neben anderen darstellt. Ein zweiter Unterfall ist mit dem unmittelbar anschließenden Satz angezeigt, demzufolge sie ‚ebensogut‘ eine ‚vorgestellte‘ sein kann. Neben gegenständlichen Entitäten im eigentlichen Sinne treten die Vorstellungen des Bewusstseins als mögliche Kandidaten des anschaulichen Symbolausdrucks. Bei näherem Zusehen handelt es sich bei diesem zweiten Unterfall genauer um den Regelfall, da Tillich zumeist auf Vorstellungen als anschauliche Symbolträger rekurriert: Als Paradigma des Symbolausdrucks gelten ihm keineswegs Dinge in Raum und Zeit, sondern vielmehr mentale Vorstellungen. ³³ Dies fügt sich insofern ins Gesamt seiner Theoriebildung, als die Bewusstseins- bzw. Geisttheorie im fraglichen Zeitraum eben als Rahmentheorie fungiert – womit sich die Fokussierung auf die beiden mentalen Größen, Anschauungen und Vorstellungen, geradezu nahelegt. Die im Aufsatz Das religiöse Symbol für diesen zweiten Unterfall angeführten Beispiele – die erinnerte „Kreuzigung auf Golgatha“ oder die „dichterischen Gestalten“,³⁴ womit fiktionale Figuren der Poesie und Lyrik gemeint sein dürften – verdeutlichen, dass die Einbildungskraft die betreffende Anschaulichkeit auch allererst selbst erzeugen kann. Dieser Umstand ist bemerkenswert, weil Tillich damit indirekt jene Phantasie rehabilitiert, gegen die er sich in anderen Kontexten deutlich verwehren kann.³⁵ Soll etwa – mit einem eigenen Beispiel – Homers Odysseus als Symbolausdruck fungieren, dann tritt die im engeren Sinne gegenständliche Basis offenkundig ganz zugunsten der qua Ideation produzierten vorstellungshaften Ausmalung der Gestalt zurück. Selbiges gilt Tillich zufolge ebenfalls für das Verhältnis von ‚historischem‘ Jesus und dem Symbol des Christus. So wenig die Hochschätzung von Vorstellungen als anschaulichen Symbolträgern ob der insgesamt geisttheoretischen Anlage seiner Theoriebildung überraschen kann, so
Vgl. GW V, 197.214 u. ö. bzw. ebd., 196. Vgl. ebd., 198.204.206.207 u. ö. Vgl. ebd., 196; GW I, 254.302 f; EW XI, 131 u. ö. GW V, 196. Auch die eingangs zitierte Passage aus der Religionsphilosophie konnotiert die ‚Phantasie‘ negativ, wenn die Inadäquatheit eines vergegenständlichenden Ausdrucks des Unbedingten just auf den Begriff eines „Phantasiegebilde[s]“ gebracht ist (GW I, 328). Die negative Konnotation der ‚Phantasie‘ dürfte ein Erbe der frühen Theoriebildung darstellen; vgl. oben III.1 b).
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notierenswert ist die in diesem Kontext de facto erwirkte Aufwertung der Einbildungskraft. Der letzte Satz des obigen Zitates benennt einen dritten Unterfall. Selbst ‚abstrakte Begriffe‘ können demnach als Symbolausdruck dienen, solange ihre Verwendung – so dürfte wohl der ‚Vollzug‘ zu paraphrasieren sein – mit einem ‚anschaulichen Moment‘ verbunden bleibt. Neben gegenständlichen Entitäten und mentalen Vorstellungen kommen entsprechend Begriffe, „Worte und Schriftzeichen“³⁶ als Ausdrucksträger in Betracht. Die Sprache fungiert bei Tillich also nicht als übergeordneter Rahmen einer Symboltheorie. Er betrachtet sie vielmehr ‚nur‘ als einen Unterfall möglicher anschaulicher Ausdrucksformen. Zwar gelten ihm Begriffe neben Vorstellungen als erste Kandidaten symbolischer Ausdrücke – besonders deutlich in der Dresdner Dogmatik-Vorlesung, die das Symbol nachgerade als „indirekte[s] Wort[ ]“ definieren kann.³⁷ Auch betont Tillich abseits der eigentlichen Diskussion symboltheoretischer Fragen vielfach den exponierten Status der menschlichen Sprache, etwa wenn er sie – so in der späten Systematischen Theologie – als „alles umfassende[s] Ausdrucksmedium“ bezeichnet.³⁸ Gleichwohl belässt er es letztlich bei der Bekundung einer gesonderten Wertschätzung, eine ausgeführte Theorie der Sprache, die jenem Status Rechnung tragen würde, bleibt aufs gesamte Werk betrachtet ein Desiderat.³⁹ Somit nimmt Tillich in der Frage des Stellenwertes der Sprache aufs Ganze gesehen eine mittlere Haltung ein: Ihre besondere Bedeutung ist gesehen, sie fungiert aber mitnichten als das Paradigma schlechthin. Dieser Befund dürfte sich nicht zuletzt dadurch erklären, dass die Formierungsphase von Tillichs Theoriebildung im Allgemeinen wie seiner Symboltheorie im Speziellen in die Zeit vor dem ‚linguistic turn‘ und damit dem Siegeszug der Sprachphilosophie fällt. Der in der Forschung wiederholt unternommene Versuch, Tillichs Symbolkonzeption an den erst späterhin im Zuge
GW V, 197. EW XIV, 17. Die Sprache genießt in der Dresdner Dogmatik-Vorlesung insgesamt eine besonders hohe Wertschätzung, wie bereits der Leitsatz zu § 1 – „Dogmatik ist wissenschaftliche Rede von dem, was uns unbedingt angeht.“ – signalisiert (ebd., 1; kursiv L. H.). Auf den Aspekt der Indirektheit des Symbolischen werden wir wiederum eigens zurückkommen; vgl. unten III.3 a). Vgl. ST I, 14; vgl. weiterhin GW I, 172.208 f. u. ö. (System der Wissenschaften); ebd., 315 f. (Religionsphilosophie); ST I, 202.208 u. ö. Die gesonderte Wertschätzung der Sprache als Ausdrucksmedium gilt mithin für das Gesamtwerk. Vgl. auch Joachim Track, Der theologische Ansatz Paul Tillichs. Eine wissenschaftstheoretische Untersuchung seiner ‚Systematischen Theologie‘ (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1975), 39 – 47.
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jenes Paradigmenwechsels etablierten Standards sprachtheoretischer Reflexion zu messen, trägt so anachronistische Züge.⁴⁰ Zusammenfassend kennt Tillich mit im eigentlichen Sinne gegenständlichen Entitäten, mentalen Anschauungen und Vorstellungen sowie sprachlichen Termini und Begriffen in der Hauptsache drei mögliche Typen anschaulicher Ausdrucksträger.⁴¹ Vermittels ihrer soll demnach weniger eine subjektive Intention,
Vgl. exemplarisch das pointierte Urteil Wolfgang W. Müllers: „In der Vernachlässigung der sprachtheoretischen Betrachtung des Symbols liegt der größte Mangel seiner [Tillichs; L. H.] Symboltheorie.“ (Wolfgang W. Müller, Das Symbol in der dogmatischen Theologie. Eine symboltheologische Studie anhand der Theorien bei K. Rahner, P. Tillich, P. Ricoeur und J. Lacan, [Frankfurt/ Main u. a.: Peter Lang, 1990], 166 f.). In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass eine umfassende Rezeption der klassischen Entwürfe des ‚linguistic turn‘ zumindest in der deutschsprachigen Theologie überhaupt erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts einsetzen wird – also fast zwei Jahrzehnte nach Tillichs Tod und gute fünf Jahrzehnte nach der Formierung seiner Symboltheorie. In vergleichbarer Weise bedarf etwa auch Ernst Cassirers Symbolkonzeption einer Relecture, soll sie den zwischenzeitlich etablierten sprachphilosophischen und semiotischen Standards genügen. Zu bedauern ist allerdings, dass Tillich seine Emigration in die Vereinigten Staaten nicht zum Anlass nahm, sich noch einmal verstärkt in die die US-amerikanische Debatte weithin bestimmenden sprachphilosophischen Zusammenhänge einzuarbeiten. Mit Blick auf seine Symbolkonzeption wiegt dieses Versäumnis umso schwerer, als sich die englischsprachige Kritik an ihr nicht zuletzt eben an sprachtheoretischen Aspekten festmachen sollte; vgl. stellvertretend John Claytons einführende Skizze in den vierten Band der Main Works: John Clayton, „Introducing Paul Tillich’s Writings in the Philosophy of Religion“, in: MW 4, 9 – 28, bes. 19 f.; sowie die in jenem Band abgedruckte Kritik der Symbolkonzeption Tillichs durch Wilbur M. Urban (A Critique of Professor Tillich’s Theory of the Religious Symbol; ebd., 269 – 271) und Edwin E. Aubrey (‚The Religious Symbol‘; ebd., 271 f.). Zum umstrittenen Stellenwert der Sprachthematik im Werk Tillichs vgl. auch die kontroversen Beiträge in Gert Hummel/Doris Lax (Hg.), Being versus Word in Paul Tillich’s Theology? (Proceedings of the VII. International Paul Tillich Symposium, held in Frankfurt/Main 1998)/Sein versus Wort in Paul Tillichs Theologie? (Beiträge des VII. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/Main 1998) (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1999); zur Kritik an Tillichs Sprachverständnis zuletzt nochmals Joachim Ringleben, Sprachloses Wort? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her (Göttingen Bristol, Conn.: Vandenhoeck & Ruprecht, 2015), 153– 197. Hinzuweisen ist darüber hinaus auf einen vierten Unterfall, der jedoch gegenüber den Genannten merklich zurücktritt. Während diese der theoretischen Sphäre zuzurechnen sind, führt der Symbolaufsatz gegen Ende als praktisches Pendant die „Ausdruckssymbole des religiösen Handelns“ an (GW V, 209). Als Beispiel werden die „kultischen Gebärden“ benannt (ebd.). Nun ist diese Parallelisierung von theoretischen und praktischen Typen anschaulicher Ausdrücke insofern systematisch konsequent, als Tillichs Geisttheorie beide Dimensionen als gleichwertige verhandelt – abzulesen etwa an der Schematisierung der Kultursphären nach theoretischen und praktischen, oder auch am streng parallel gestalteten Aufbau der entsprechenden Passagen des Systems der Wissenschaften; vgl. oben II.3.1 a). Allerdings ist nicht zu übersehen, dass in der Durchführung der Symboltheorie das praktische Äquivalent vergleichsweise blass bleibt: In den
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III Die Symboltheorie
als vielmehr eine – näher zu bestimmende – ‚Sache‘ zur Darstellung kommen. Entsprechend hoch gewichtet Tillich die semantische Dimension der Ausdruckskategorie. Die Frage, wie intensionaler und extensionaler Gegenstandsbezug einander näherhin zuzuordnen sind, blieb dabei bis hierhin in der Schwebe. Ihr wollen wir uns nachfolgend annehmen.
b) Die semantische Struktur der Ausdruckskategorie Sind mit dem prinzipiell semantischen Zuschnitt von Tillichs Ausdrucksbegriff sowie dem Merkmal der ‚Anschaulichkeit‘ des Ausdrucksträgers erste Grundzüge geklärt, können wir im Sinne unserer Leitfrage der näheren Klärung jener semantischen Dimension selbst nachgehen. Die obige, mit Blick auf Das religiöse Symbol formulierte Paraphrase – im Falle des Symbols steht ein AnschaulichGegenständliches für ein per se Unanschaulich-Nichtgegenständliches⁴² – weist dabei merklich in die Richtung eines primär intensional-sinnhaften Bezuges. Demnach wäre das Relat des Symbolausdrucks also – mit Morris – als ‚Designat‘ zu verstehen. Jedoch bleibt die Frage, warum Tillich gleichfalls den Anschein einer mehr extensional-gegenständlichen Bezugnahme erwecken kann, wenn er das Relat des Symbolausdrucks etwa im System der religiösen Erkenntnis explizit als ‚Gegenstand‘ bezeichnet. Die Alternative von mehr extensionaler oder intensionaler Bezugnahme des Ausdrucks wird ihrerseits von der Frage umgriffen, ob sich die betreffende Bezugnahme, und mit ihr die semantische Struktur von Tillichs Ausdruckskategorie, im Ganzen konsistent rekonstruieren lässt. Um den angezeigten Fragen weiter nachgehen zu können, ist es nun sinnvoll, Tillichs einschlägige Unterscheidung von ‚Symbol‘ und ‚Zeichen‘ in die Fragestellung einzuzeichnen: Bislang hatten wir, im Ausgang von der entsprechenden Definition der Religionsphilosophie, als Gegenüber des Symbols im Sinne der ‚uneigentlichen Ausdrucksform‘ einen nicht näher bezifferten ‚eigentlichen Ausdruck‘ festgehalten. Es bietet sich – Überlegungen des folgenden Unterabschnitts partiell vorgreifend⁴³ – an, jenen ‚eigentlichen Ausdruck‘ mit dem von Tillich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre terminologisch etablierten Begriff des ‚Zeichens‘ zu identifizieren. Lässt sich diese Identifikation bewähren – Tillich selbst hat sie nicht explizit vollzogen –, dann handelt es sich bei Symbol und Zeichen um die beiden komplementären Typen der übergeordneten Ausdruckskategorie. prinzipiellen Ausführungen wie den Beispielen orientiert Tillich sich im Grunde allein an den drei theoretischen Unterfällen. Vgl. oben III.2 a). Zur detaillierten Rekonstruktion von Tillichs Zeichenbegriff vgl. unten III.2 c).
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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Dementsprechend ist zu fragen, ob sich für Symbol und Zeichen eine gemeinsame Grundstruktur der Bezugnahme rekonstruieren lässt. Eine erste Schwierigkeit besteht dabei darin, dass Tillich den Zeichenbegriff auch nach dessen Etablierung gegen Ende der 1920er Jahre aufs Ganze gesehen nur sporadisch reflektiert hat: Das Zeichen stand ersichtlich nicht im Fokus seiner Aufmerksamkeit. Die auf diesen Zeitraum datierenden Belege stellen für sich genommen schwerlich eine belastbare Quellenbasis dar, um die zur Debatte stehenden Fragen zu klären. Da in diesem Fall die seinerzeit unveröffentlichten Texte ebenfalls keine Lösung an die Hand geben – der Zeichenbegriff ist hier kaum häufiger bedacht als in den publizierten Schriften –, greifen wir nachfolgend auf das Spätwerk aus und ziehen die nach 1950 entstandenen thematischen Aufsätze hinzu. Dort nämlich sollte der Zeichenbegriff merklich mehr Aufmerksamkeit erfahren. Eine Kombination früher und später Belege soll helfen, die semantische Struktur von Tillichs Ausdruckskategorie – mit Blick auf ihre beiden Unterfälle – zu erhellen. So ist es der erstmals 1955 erschienene Aufsatz Religious Symbols and Our Knowledge of God, der gleich einleitend eine für unsere Fragestellung einschlägige Gemeinsamkeit von Symbol und Zeichen festhält: „Symbols are similar to signs in one decisive respect: both symbols and signs point beyond themselve to something else.“⁴⁴ Das entscheidende Stichwort ist das des ‚point to‘, also des „Hinweisens“. Symbole und Zeichen nehmen demnach auf die vermittels ihrer ausgedrückte ‚Sache‘ Bezug, indem sie auf diese verweisen. Wie die abschließende Wendung im Zitat unterstreicht, ist die fragliche Verweisrelation nicht reflexiv: Zeichen wie Symbole weisen auf ein anderes ihrer selbst hin (‚something else‘).⁴⁵ Dass der betreffende Verweischarakter dabei nicht einfach mit dem Gedanken der ‚Uneigentlichkeit‘ kurzgeschlossen werden darf, zeigt sich schon daran, dass auch das Zeichen als ‚eigentlicher Ausdruck‘ auf ein außerhalb seiner Liegendes hinweist. Mit der Figur des ‚Hinweises‘ ist für das Spätwerk das einschlägige Basistheorem benannt, das Tillich zufolge gleichermaßen die Struktur des Zeichen- wie des Symbolbegriffs bezeichnen soll.⁴⁶ Seine Rückübertragung auf die Theoriebildung der 1920er Jahre bedarf allerdings der Begründung. Vorderhand kann es
MW 4, 395; vgl. GW V, 213 f.: „In einer entscheidenden Hinsicht sind Symbole und Zeichen einander gleich: beide weisen auf etwas hin, das außerhalb ihrer selbst liegt.“ Vgl. auch den weiteren Fortgang des Gedankens, in dem das Relat des Ausdruckträgers als „something quite different“ (MW 4, 396) bzw. als „etwas von ihm ganz Verschiedenes“ (GW V, 214) bezeichnet wird. Vgl. neben den bereits angeführten Stellen auch GW V, 213.214; GW VIII, 139.140 u. ö.
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III Die Symboltheorie
so scheinen, als sperre sich diese gegen die Zusammenstellung von Symbol- und Hinweisgedanke: So fehlt die Verbindung beider etwa im gewichtigen ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie ganz. Im Rahmen des Symbolaufsatzes von 1928 ist mit den „bloßen Hinweissymbolen“ gewissermaßen eine Schwundstufe des Symbolischen bezeichnet, bei der die „ursprünglich mehr als hinweisende Bedeutung“ bei ihrer Degeneration in Richtung der Zeichensphäre verloren gegangen ist.⁴⁷ Der Hinweisgedanke scheint hier in Abgrenzung zum vollgültigen Symbolgedanken mehr als Merkmal im Übergang zum Zeichen. Demgegenüber konnte Tillich jedoch schon im Rahmen der Auseinandersetzung mit Karl Barth und Friedrich Gogarten den Hinweisgedanken mehrfach positiv ins Feld führen und ihn sich so systematisch zu eigen machen.⁴⁸ Und in dem seinerzeit unveröffentlichten Entwurf Mythos und Metaphysik, gleichfalls 1923 entstanden, stellt der Hinweischarakter sogar nachgerade das Definiens des Symbols dar: „[J]e realer […] etwas ist, desto mehr ist es dem direkten Begriff verschlossen, desto mehr Hinweis ist jeder Begriff. Das Unbedingt-Reale ist nur Gegenstand des Symbols, ist immer das, was ‚dahinter liegt‘.“⁴⁹ Freilich bleibt diese definitorische Bedeutung des Hinweisgedankens für den Symbolbegriff im Frühwerk singulär. Das frühe Changieren lässt sich mit einer Passage des Systems der religiösen Erkenntnis gleichermaßen bündeln wie auf den Befund des Spätwerkes beziehbar machen. Hier heißt es im Rahmen einer Abwägung möglicher terminologischer Kandidaten für die eigene Symbolkonzeption: „Man kann sagen, daß die religiösen Inhalte Hinweise sind auf das im religiösen Akt Letztgemeinte. Aber der Begriff des Hinweises drückt zu wenig das positive Verhältnis zwischen den religiösen Inhalten und dem Letztgemeinten aus.“⁵⁰ Bei näherem Zusehen wird dem Hinweisbegriff durchaus eine gewisse Erschließungskraft bezüglich der Symbolrelation zugestanden (‚Man kann sagen […]‘). Er vermag demnach zwar die Relation von ‚religiösem Inhalt‘ und ‚Letzt-Gemeintem‘, also Symbol und Symbolisiertem, Ausdruck und ausgedrückter ‚Sache‘, allgemein zu benennen. Allerdings ist damit – so Tillichs Einwand – das Spezifische des Symbols, das das Symbolische auszeichnende ‚positive Verhältnis‘ der beiden Ausdrucksglieder nicht hinreichend bestimmt: Dem Symbol eignet eine Hinweisfunktion, doch bedarf es zusätzlich darüber hinaus gehender Spezifikationen. Genau in diesem Sinne eines
Vgl. GW V, 209 bzw. ebd., 208; das ‚bloß‘ erinnert von Ferne an die entsprechende Abwertung des Symbolischen im Frühwerk; vgl. oben III.1 b). Vgl. GW VII, 224.241– 243. EW X, 362. Zugleich ist das Unbedingte als Relat des Symbolausdrucks hier einmal mehr explizit als ‚Gegenstand‘ bezeichnet. EW XI, 130.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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basalen Theorems wird der Hinweisgedanke aber noch im Spätwerk fungieren. Erneut benennt er dort lediglich eine Grundstruktur, deren Anreicherung dann die Differenz von Symbol und Zeichen begründet. Insofern lässt sich, in der Kombination der Ausdruckskategorie der 1920er Jahre und des Hinweisgedankens der späteren Texte, der Verweischarakter als eine Grundbestimmung der symbolischen wie der zeichenhaften Ausdrücke, das ‚Hinweisen‘ als Modus ihrer Bezugnahme auf die vermittels ihrer ausgedrückte ‚Sache‘ festhalten. Im Falle des Symbols hatten wir hinsichtlich seines semantischen Hinweischarakters eine Prävalenz der Sinnbeziehung notiert: Sowohl die Ausgangsdefinition der Religionsphilosophie wie auch die Erläuterung des Merkmals der ‚Anschaulichkeit‘ im Symbolaufsatz von 1928 wiesen – anders allerdings als etwa die Auskunft im System der religiösen Erkenntnis – in diese Richtung. Diese Beobachtung bestätigen nun weitere Belege aus dem Frühwerk. Zu denken ist einmal an eine Definition des Systems der Wissenschaften, die ungefähr zeitgleich zu der der Religionsphilosophie formuliert ist. Im Zuge der Überlegungen zur Metaphysik wird für diese ein spezifischer, nämlich eben symbolischer Modus der Begriffsverwendung behauptet: „Nennt man einen Begriff, der etwas anderes ausdrücken soll als seinen eigentlichen, unmittelbaren Sinn, ein Symbol, so müssen sämtliche metaphysischen Begriffe als Symbole bezeichnet werden.“⁵¹ Die Definition setzt voraus, dass ein Begriff, ein Wort noch diesseits der Frage seiner Symbolizität primär einen Sinn ausdrückt und somit auf ein nicht gegenständliches Relat hinweist. Selbiges gilt für einen als Symbol fungierenden (metaphysischen) Begriff, nur dass die Verweisfunktion jetzt nicht mehr dessen ‚eigentlicher‘ Bedeutung gilt. Analog wird in Das religiöse Symbol der Symbolcharakter der „Worte und Schriftzeichen“ wie folgt bestimmt: „Sie tr[a]gen den Sinn, den sie mein[]en, in unvertauschter Selbstmächtigkeit.“⁵² Unzweifelhaft ist die Referenz des Symbolausdrucks hier intensionaler Art. An anderer Stelle gibt der Symbolaufsatz zudem eine Paraphrase der spezifischen ‚Sachhaltigkeit‘ des Symbols, die gleichfalls deren nichtgegenständlichen Charakter zu erkennen gibt. Dort wird die im Symbol zum Ausdruck gebrachte ‚Sache‘, „das in ih[m] Gemeinte“ als „ideelle[r] Gehalt“ bestimmt.⁵³ Sowohl der der Sinntheorie entliehene Terminus technicus des ‚Gehalts‘, als auch dessen nähere Kennzeichnung als eines ‚ideellen‘ signalisieren, dass Tillich das Relat des Symbolausdrucks als nicht gegenständliches verstanden
GW I, 254; kursiv L. H. GW V, 197; kursiv L. H. Ebd., 199; zum Begriff der „ideellen Bedeutung“, für die die Symbole ‚stehen‘, vgl. auch ebd., 197.
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III Die Symboltheorie
wissen will. Das Bezugnehmen des Ausdrucks, sein Hinweisen, ist also zumindest im Fall des Symbols aufs Ganze gesehen als primär intensionales zu fassen.⁵⁴ Für den Fall des Zeichens lässt sich diese Frage nicht mit gleicher Sicherheit beantworten, da die Belegstellen entsprechend der insgesamt geringeren Präsenz des Begriffs im Frühwerk überschaubar sind. Gleichwohl erhellt eine Passage des 1930 erschienenen Aufsatzes Natur und Sakrament,⁵⁵ dass es unter der Ausdruckskategorie mit dem Symbol nicht allein den prinzipiellen Verweischarakter des ‚point to‘, sondern ebenso den sinnhaften Charakter des fraglichen Verweisens gemein hat. Dort heißt es von dem dem „magischen“, und also im engeren Sinne symbolhaften, gegenübergestellten „technischen“ Wort: „Das Wort ist hier ein rein gesellschaftliches Verständigungsmittel geworden. Der gleiche Sinn könnte durch ein völlig anderes Zeichen ausgedrückt werden.“⁵⁶ Demnach beziehen Worte sich auch in einer Zeichenfunktion primär auf Sinn. Zusammenfassend können wir festhalten, dass Tillich ganz überwiegend die intensionale Sinnbeziehung des Ausdrucks fokussiert. Die ‚Sache‘ der Ausdrücke ist primär eine sinnhafte und keine gegenständliche. Dies gilt gleichermaßen für die uneigentliche, symbolische wie für die eigentliche, zeichenhafte Ausdrucksform. Allerdings bleibt zu klären, ob das exemplarisch anhand des Systems der religiösen Erkenntnis notierte Changieren, demzufolge das Relat des Ausdrucks eben überdies als ‚Gegenstand‘ gefasst werden kann, Indiz einer terminologischen oder sachlichen Unklarheit Tillichs ist – oder ob sich hinter ihm nicht vielmehr sogar eine Pointe seiner Ausdruckskategorie verbirgt. Zur Klärung dieser zentralen Frage können wir nochmals auf den späten Aufsatz Religious Symbols and Our Knowledge of God zurückkommen, der in einer Passage die bisher rekonstruierten Momente der Ausdruckskategorie auf engstem Raum zusammenzieht. Zugleich verdichten sich dort die angezeigten Schwierigkeiten, weswegen die Stelle in der Forschung wiederholt – kritisch – diskutiert wurde. Beide Aspekte, Dichte der Gedankenführung wie Kulmination der systematischen
Dass dieser Befund auch mit Blick auf das Spätwerk in Geltung bleibt, mag stellvertretend eine Passage aus der Systematischen Theologie verdeutlichen. In der Einleitung des zweiten Bandes heißt es dort: „Ein religiöses Symbol benutzt das Material der gewöhnlichen Erfahrung, wenn es etwas über Gott aussagt. Das geschieht in der Weise, daß der gewöhnliche Sinn des symbolischen Materials gleichzeitig bejaht und verneint wird. Jedes religiöse Symbol verneint sich in seiner wörtlichen Bedeutung, aber bejaht sich in seiner selbst-transzendierenden Bedeutung.“ (ST II, 15; kursiv L. H.). Die wesentliche Dimension des (symbolischen) Ausdrucks ist wiederum unübersehbar als sinnhafte verstanden. MW 6, 151– 171. Ebd., 166; kursiv L. H.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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Probleme, qualifizieren sie in gesonderter Weise für prinzipielle Überlegungen. Tillich führt an besagter Stelle aus: „Words in a language are signs for a meaning which they express. The word ‚desk‘ is a sign which points to something quite different – namely, the thing on which my paper is laying here and at which I am looking.“⁵⁷ Der Symbolgedanke, nachfolgend durch Zusatzmerkmale vom Zeichen abgehoben, teilt mit diesem die hier beschriebene Grundstruktur. Dabei finden sich vom Ausdrucksbegriff (‚express‘) über den Hinweisgedanken (‚point to‘) bis hin zum Vermerk von dessen Nichtreflexivität (‚something quite different‘) die von uns bislang bedachten Momente. Für den gedanklichen Fortschritt ist nun der Wechsel der Referenz des Zeichenausdrucks zwischen den beiden Sätzen entscheidend: Während das Zeichen dem ersten Satz zufolge eine Bedeutung (‚meaning‘) ausdrückt, also auf ein intensionales Relat verweist, tritt an dessen Stelle mit dem zweiten Satz explizit ein Gegenstand (‚thing‘). Zumindest vorderhand muss es so scheinen, als changiere Tillich unversehens zwischen der intensional-sinnhaften und der extensionalgegenständlichen Bezugnahme des Zeichenausdrucks. Da dieser Wechsel unkommentiert bleibt, kann die Vermutung aufkommen, dass er mangelndem Distinktionsvermögen geschuldet ist. Tatsächlich ist der Verdacht einer unreflektierten Identifikation von Gegenstands- und Sinnrelation in der Forschung erhoben worden, und zwar klassisch in William L. Rowes Studie Religious Symbols and God. Der Vorwurf läuft in der Konsequenz darauf hinaus, Tillichs Bedeutungstheorie im Ganzen als unhaltbar zu verwerfen – und damit auch seine Symbolkonzeption, die auf ebendieser Bedeutungstheorie basiere: „The difficulty is that Tillich seems to identify the meaning of a word with that to which the word points. Given this identification and the interpretation of ‚points to‘ as refers to we are then committed to an untenable version of the reference theory of meaning.“⁵⁸ Nun ist eine derart naive Identifikation von Sinn- und Gegenstandsdimension durch Tillich allerdings insofern prima facie unwahrscheinlich, als dessen
MW 4, 396; kursiv L. H.; vgl. GW V, 214: „Die Worte einer Sprache sind Zeichen für einen von ihnen ausgedrückten Sinn. Das Wort ‚Schreibtisch‘ z. B. weist als Zeichen auf etwas von ihm ganz Verschiedenes hin, auf den Gegenstand nämlich, auf dem das Papier liegt und worauf wir blicken können.“ William L. Rowe, Religious Symbols and God. A Philosophical Study of Tillich’s Theology (Chicago: University of Chicago Press, 1968), 106; vgl. auch ebd., 104 f.: „Tillich’s theory of signs and symbols […] rests on a theory of meaning which is untenable. […] The point to which each of these objections is directed is the identification of the meaning of an expression with that to which […] the expression refers.“ Wie Rowes Studie insgesamt hat dieses Urteil erheblichen Einfluss auf die Diskussion von Tillichs Symbolkonzeption im angelsächsischen Bereich genommen – mit der Folge eines weithin kritischen Blicks auf dessen Bedeutungstheorie; zur entsprechenden Kritik vgl. auch Moxter, Lebenswelt, 41– 45.84 u. ö.
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III Die Symboltheorie
Theoriebemühungen seit dem Hirsch-Briefwechsel wie gesehen gerade der Differenzierung der Kategorien ‚Sinn‘ und ‚Sein‘ gegolten hatten: Dass er zwar – um es an einem Beispiel festzumachen – emphatisch die ungegenständliche Sinnhaftigkeit der Gottesidee hervorgehoben hätte, um dann hinsichtlich der Struktur symbolischer Ausdrücke jene kategoriale Differenz stillschweigend zu kassieren, erscheint wenig plausibel. Tatsächlich kann ein nochmaliger Blick auf jenes Zitat den Verdacht einer diesbezüglichen Theorieschwäche entschärfen. So wird deutlich, dass das Wort ‚Schreibtisch‘ im zweiten Satz überhaupt nur ‚als Zeichen‘ bedacht ist – ein Gesichtspunkt, der in der deutschen Übersetzung durch die entsprechende Wendung klarer herausgestellt ist als in der englischen Version, die ohne weitere Spezifizierung ‚a sign‘ liest: „Das Wort ‚Schreibtisch‘ z. B. weist als Zeichen auf etwas von ihm ganz Verschiedenes hin, auf den Gegenstand nämlich, auf dem das Papier liegt.“⁵⁹ Somit ist die im ersten Satz notierte intensionale Ausdrucksbeziehung des Zeichens im Folgesatz nicht einfach ausgeblendet, sondern vielmehr mit eben jener Wendung präsent: Als einen Sinn ausdrückendes Zeichen weist das Wort auf einen Gegenstand hin.⁶⁰ Der Gegenstandsbezug läuft also gewissermaßen in Vermittlung über den Sinnbezug, intensionales und extensionales Moment der semantischen Dimension stehen in einem gleichsam funktionalen Verhältnis zueinander. Die semiotisch-semantische Grundstruktur der Ausdruckskategorie ist mithin als noch einmal in sich gestufte näher zu bestimmen. Ebendiese interne Stufung scheint in der fraglichen Passage Religious Symbols and Our Knowledge of God vorderhand unterschlagen. Rekonstruiert man sie hingegen in der von uns vorgeschlagenen Weise, eignet sich die umstrittene Stelle – zumal in ihrer deutschen Übersetzung – geradezu als Paradigma für Tillichs Ausdrucksbegriff.⁶¹ Das Fehlen einer gesonderten Reflexion auf die betreffende Stufung ist mutmaßlich dadurch zu erklären, dass die rekonstruierte, intern gestufte Relation von Sinnbezug und Gegenstandsbezug für Tillich eine gewisse Selbstverständlichkeit GW V, 214; kursiv L. H. Tatsächlich markiert Tillich die hier implizit vorausgesetzte Unterscheidung anderwärts ausdrücklich, so etwa im Rahmen des 1930 erschienenen Aufsatzes Natur und Sakrament: „Das Wort als Hauch, als Laut, als Gehörtes ist ein Naturding. Zugleich aber ist das Wort seinem Wesen nach Träger eines Sinngehaltes.“ (MW 6, 157). Rowe meint zwar im weiteren Verlauf seiner Studie eine alternative, tragfähige Bedeutungstheorie in Tillichs Schriften entdecken zu können, nimmt dafür aber keinen Bezug mehr auf die besprochene Passage aus Religious Symbols and Our Knowledge of God. Demgegenüber scheint uns ebenjene Passage gerade die klarste Auskunft bezüglich der semiotisch-semantischen Struktur der Tillich’schen Ausdruckskategorie zu geben – wenn man denn den mehr impliziten gedanklichen Zwischenschritt Tillichs in die Interpretation einfließen lässt.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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besaß. Tatsächlich kann sich sein Modell der Zuordnung von intensionaler und extensionaler Bezugnahme auf ein für die moderne Semiotik klassisches, wenn nicht kanonisches Vorbild berufen. Es erinnert der Struktur nach an jene Zuordnung beider Dimensionen der Bezugnahme, die Gottlob Frege 1892 in seinem Aufsatz Über Sinn und Bedeutung entfaltet hatte.⁶² Dass bei aller terminologischen Differenz – der Bedeutungsbegriff steht bei Frege bekanntlich für die extensionalgegenständliche Referenz des Zeichens,⁶³ wohingegen Tillich ihn synonym zu dem des Sinnes verwendet – eine große Nähe in der Sache besteht, verdeutlicht ein Blick auf Freges berühmte ‚Redewendung‘ im Rahmen jenes Aufsatzes. Seine Grundeinsicht bündelnd formuliert Frege: „Ein Eigenname (Wort, Zeichen, Zeichenverbindung, Ausdruck) drückt aus einen Sinn, bedeutet oder bezeichnet seine Bedeutung.Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm dessen Bedeutung.“⁶⁴ Da demnach der gegenständliche Bezug eines Zeichens über dessen Sinn läuft, kommt Letzterem eine konstitutive „Vermittlungsfunktion“⁶⁵ zu: Ein Zeichenträger – ein Ausdruck, wie wir mit dem bei Frege Geklammerten sagen dürfen – referiert allein qua seines Sinnes auf einen Gegenstand. Nun lässt sich nicht abschließend klären, ob Tillich Freges Schriften selbst zur Kenntnis genommen hat. Die Indizien sprechen eher dagegen, bezieht er sich doch im gesamten Werk kein einziges Mal ausdrücklich auf ihn.⁶⁶ Gleichwohl
Gottlob Frege, „Über Sinn und Bedeutung“, in: ders., Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, hg. v. Günther Patzig (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1962), 40 – 65. Vgl. Ernst Tugendhat, „Die Bedeutung des Ausdrucks ‚Bedeutung‘ bei Frege“, in: Matthias Schirn (Hg.), Studien zu Frege, Bd. 3: Logik und Semantik (Stuttgart-Bad Cannstatt: FrommannHolzboog, 1976), 51– 69. Freges eigentümliche Belegung des Bedeutungsbegriffs hat sich, im Gegensatz zu der hinter der terminologischen Differenzierung von ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘ stehenden systematischen Einsicht selbst, nicht durchsetzen können. Frege, „Sinn“, 46. Ulrich Barth, „Die sinntheoretischen Grundlagen des Religionsbegriffs. Problemgeschichtliche Hintergründe zum frühen Tillich“, in: ders., Religion in der Moderne (Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 89 – 123, 105. So fehlt Freges Name etwa in jener Aufzählung des Hirsch-Briefwechsel, in der er der Sache nach am ehesten zu erwarten wäre – sollte Tillich mit ihr doch von Husserl über Lotze bis hin zu Lask seine Hauptreferenzen in Sachen Logik und Erkenntnistheorie anzeigen; vgl. EW VI, 99. Genau hier wäre auch Frege einzuordnen. Neben der ausdrücklichen Nennung wäre eine Übernahme von Freges eigentümlicher Terminologie – also der Unterscheidung des Sinnbegriffs von dem der Bedeutung sowie die Reservierung des Letzteren für den gegenständlichen Bezug eines Ausdrucks – der denkbar deutlichste implizite Fingerzeig einer direkten Rezeption. Jedoch verwendet Tillich ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘, hierin Husserl folgend, von Anbeginn an synonym. Soweit ich sehe, findet sich im Werk überhaupt nur eine Passage, in der Freges Differenzierung von Ferne anklingt. So heißt es in der Wintersemesters 1919/20 gehaltenen Vorlesung Der religiöse Gehalt und die religionsgeschichtliche Bedeutung der griechischen Philosophie (EW XIII, 1– 198) in einer mehr
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III Die Symboltheorie
war Tillich mit Freges epochemachender semiotisch-semantischen Einsicht sicherlich vertraut – und zwar, wie wir vermuten dürfen, einmal mehr im Umweg über Edmund Husserl. Husserl nämlich konnte die erste Untersuchung im zweiten Band seiner Logischen Untersuchungen unter die Überschrift Ausdruck und Bedeutung stellen.⁶⁷ Im Ausgang von sprachphilosophischen Überlegungen steckte er hier die Grundlinien seiner Intentionalitätstheorie ab, die dann in den nachfolgenden ‚Untersuchungen‘ bis hin zur Konzeption der 1913 erschienenen Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie sukzessive zum großangelegten Programm einer Aktphänomenologie ausgearbeitet werden sollten.⁶⁸ Tillichs selektiver, gleichwohl konstruktiver Rezeption des damit vorgelegten Programms waren wir bereits im Zuge der Rekonstruktion seiner Bewusstseinsund Geisttheorie ansichtig geworden.⁶⁹ Husserl weist nun zu Beginn der fraglichen ersten Untersuchung selbst darauf hin, dass seine Erwägungen zum Verhältnis von Ausdruck und Bedeutung an anderwärts Gedachtes anschließen: „Im besonderen Hinblick auf die Namen ist Hierhergehöriges auch schon längst bemerkt worden. Man hat bei jedem Namen […] unterschieden […] zwischen dem, was er bedeutet (dem Sinn, dem ‚Inhalt‘ der nominalen Vorstellung), und dem, was er
typologisierenden Charakterisierung eines ‚symbolischen‘ Wissenschaftsverständnisses: „Die Wissenschaft ist nicht Einsicht in Sachlichkeiten, sondern der Ausdruck von Geistigkeiten. Die Wissenschaft wird expressionistisch gedeutet; nicht die Bedeutung der Dinge für die gegenständliche Erkenntnis interessiert, sondern ihr Sinn als Darstellung einer seelischen Bewegtheit.“ (ebd., 4). Wie bei Frege ist der Bedeutungsbegriff für die extensional-gegenständliche Dimension in Anschlag gebracht und dem Sinnbegriff gegenübergestellt. Jedoch ist bereits wenige Zeilen später von einer „geistigen Bedeutung“ die Rede und somit die fragliche Differenzierung der beiden Begriffe wieder eingezogen (ebd.). Gleichfalls erwecken die anschließenden Ausführungen nicht den Anschein, als habe Tillich bei ihnen Freges Unterscheidung vor Augen. So erscheint es aufs Ganze gesehen wenig wahrscheinlich, dass Tillich Freges Schriften – und eben auch Über Sinn und Bedeutung – selbst rezipiert hat. Edmund Husserl, Logische Untersuchungen, Zweiter Band, I. Teil. Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, Bd. 3, Gesammelte Schriften (Hamburg: Meiner, 1992), 30 – 112. Zum Verhältnis von sprachphilosophischer und bewusstseinstheoretischer Argumentation bei Husserl sowie zur Entwicklung der Aktphänomenologie von der Erstauflage der Logischen Untersuchungen hin zu den Ideen vgl. Elisabeth Ströker, „Intentionalität und Konstitution. Wandlungen des Intentionalitätskonzepts in der Philosophie Husserls“, in: dies., Phänomenologische Studien (Frankfurt/Main: Klostermann, 1987), 54– 74, 54– 60; Christian Bermes, Philosophie der Bedeutung: Bedeutung als Bestimmung und Bestimmbarkeit. Eine Studie zu Frege, Husserl, Cassirer und Hönigswald (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1997), 89 – 131; Barth, „Grundlagen“, 97– 104. Vgl. oben II.3.1 b) und c), sowie II.3.2 c).
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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nennt (dem Gegenstand der Vorstellung). Wir werden ähnliche Unterscheidungen für alle Ausdrücke notwendig finden und ihr Wesen genau erforschen müssen.“⁷⁰ Vorbehaltlich der terminologischen Differenz – Husserl verwendet die Begriffe ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘, im Übrigen in expliziter Abgrenzung von Frege, synonym⁷¹ – darf man nicht zuletzt eben dessen oben zitierte ‚Redewendung‘ im Hintergrund vermuten.⁷² Husserl knüpft also prinzipiell an die Frege’sche Unterscheidung von Sinnbezug und Gegenstandsbezug an und nimmt über die Eigennamen hinaus das Gesamt sprachlicher Ausdrücke in den Blick. Dabei teilt Husserl nun gleichfalls den Gedanken einer konstitutiven Vermittlungsfunktion des Sinnbezuges für die Gegenstandsrelation: Im übrigen ist es klar, daß zwischen den beiden an jedem Ausdruck zu unterscheidenden Seiten ein naher Zusammenhang besteht; nämlich daß ein Ausdruck nur dadurch, daß er bedeutet, auf Gegenständliches Beziehung gewinnt, und daß es also mit Recht heißt, der Ausdruck bezeichne (nenne) den Gegenstand mittels seiner Bedeutung bzw. es sei der Akt des Bedeutens die bestimmte Weise des den jeweiligen Gegenstand Meinens.⁷³
Über besagten Gedanken einer gestuften Vermittlungsfunktion hinaus ist hier mit Blick auf Tillich ein Doppeltes von Interesse. Zum einen kann Husserl die betreffende gestufte Bezugnahme des Ausdrucks mit dem Begriff des ‚Meinens‘ belegen – just jenem Begriff, den Tillich zumindest in den 1920er Jahren ebenfalls in besagtem Sinne verwenden wird.⁷⁴ Diese Beobachtung erhärtet nicht nur die
Husserl, Untersuchungen, 38. Ebd., 58. Zum Verhältnis Freges und Husserls vgl. die knappe klassische Studie von Dagfinn Föllesdal, Husserl und Frege. Ein Beitrag zur Beleuchtung der Entstehung der phänomenologischen Philosophie (Oslo: Aschehoug, 1958); Bermes, Bedeutung, 132– 141; Barth, „Grundlagen“, 97– 110. Husserl, Untersuchungen, 54 f. Diese Grundkonstruktion werden die Ideen dann anhand der Unterscheidung von Noema und Gegenstand ausarbeiten: „Jedes Noema hat einen ‚Inhalt‘, nämlich seinen ‚Sinn‘ und bezieht sich durch ihn auf ‚seinen‘ Gegenstand.“ (Edmund Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, Erstes Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, Bd. 5, Gesammelte Schriften [Hamburg: Meiner, 1992], 316). Der konstitutiven Vermittlungsfunktion trägt hier das ‚durch‘ Rechnung – auch an diese terminologische Entscheidung konnte Tillich, wie im Rahmen der Rekonstruktion seiner Bewusstseins- und Geisttheorie gesehen, umstandslos mit der Formel ‚durch-hindurch‘ anschließen; vgl. oben II.3.1 b) und II.3.2 c). Vgl. nur GW V, 197: „Sie [die „Uneigentlichkeit“ des Symbols als dessen erstes Merkmal; L. H.] besagt, daß der innere Akt, der sich auf das Symbol richtet, nicht das Symbol meint, sondern das in ihm Symbolisierte. […] Worte und Schriftzeichen […] trugen den Sinn, den sie meinten, in unvertauschter Selbstmächtigkeit.“; GW I, 333: „Das Glaubensobjekt hat notwendig symbolischen Charakter; es meint mehr, als es ausdrückt.“; kursiv jeweils L. H. Die Belege ließen sich leicht vermehren.
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III Die Symboltheorie
generelle Vermutung, dass seine Ausdruckskategorie nach Maßgabe der FregeHusserl’schen Weichenstellungen konzipiert ist. Sie bestätigt überdies im Verbund mit weiteren terminologischen wie systematischen Übereinstimmungen – etwa, dass schon bei Husserl die Ausdruckskategorie als Basis aller weiteren Überlegungen fungierte, oder dass dieser dem Ausdruck, wie später dann Tillich vermittels des Hinweisgedankens, eine fundamentale ‚Hinzeige‘-Funktion beilegte⁷⁵ –, dass näherhin dieser sein diesbezüglicher Gewährsmann gewesen sein dürfte: So wird es sehr wahrscheinlich der in der ersten Logischen Untersuchung entfaltete Ausdrucksbegriff Husserls gewesen sein, den Tillich zum Vorbild der eigenen Ausdruckskonzeption wählte. Mit dem letzteren Husserl-Zitat ist darüber hinaus ein Aspekt berührt, der seinerseits geeignet ist, eine bislang ausgeblendete Dimension von Tillichs Ausdrucksbegriff in den Fokus zu rücken. Nochmals deutlicher wird er mit folgendem Zitat, das zugleich wiederum die skizzierte ‚Vermittlungsfunktion‘ wie die Einschlägigkeit des Begriffs des Meinens illustriert: „Vermöge dieser letzteren Akte ist der Ausdruck mehr als ein bloßer Wortlaut. Er meint etwas, und indem er es meint, bezieht er sich auf Gegenständliches.“⁷⁶ Mit ‚diesen letzteren Akten‘ sind die im betreffenden Paragraphen erstmals eingeführten „sinngebenden“ bzw. „bedeutungsverleihenden Akte“ (und gegebenenfalls deren Pendant, die „sinnerfüllenden Akte“) gemeint. Bekanntlich sind ebendiese Akte die – wie das Zitat hervorhebt – Ermöglichungsbedingung dafür, dass ein Ausdruck überhaupt etwas bedeuten bzw. über diesen Sinn auf Gegenständlichkeit referieren kann. Diesseits der bewusstseinstheoretischen ‚Klammer‘ ermangeln die Ausdrücke mithin der rekonstruierten komplexen Struktur: Der ‚bloße Wortlaut‘, gewissermaßen ‚an sich‘, bedeutet für sich genommen nichts, noch nimmt er auf Gegenständliches Bezug.⁷⁷ Erinnern wir uns vor diesem Hintergrund an jene Passage von Religious Symbols and Our Knowledge of God, die wir als paradigmatisch für Tillichs Ausdruckskategorie interpretiert hatten – in der deutschen Übersetzung: „Das Wort ‚Schreibtisch‘ z. B.weist als Zeichen auf etwas von ihm ganz Verschiedenes hin, auf
Vgl. Husserl, Untersuchungen, 42 u. ö. Ebd., 44; kursiv L. H. Vgl. zusammenfassend ebd., 52: „Jeder Ausdruck […] hat nicht nur seine Bedeutung, sondern er bezieht sich auch auf irgendwelche Gegenstände. […] Niemals fällt aber der Gegenstand mit der Bedeutung zusammen. Natürlich gehören beide zum Ausdruck nur vermöge der ihm sinngebenden psychischen Akte; und wenn man in Hinsicht auf diese ‚Vorstellungen‘ zwischen ‚Inhalt‘ und ‚Gegenstand‘ unterscheidet, so ist damit dasselbe gemeint, was hinsichtlich des Ausdrucks als das, was er bedeutet […], und das, worüber er etwas sagt, unterschieden wird.“; kursiv L. H.
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den Gegenstand nämlich, auf dem das Papier liegt“⁷⁸ –, dann liegt es nahe, die für Husserl vermerkte Einsicht als implizit vorausgesetzt einzutragen: Der bloße Wortlaut ‚Schreibtisch‘ würde ‚an sich‘ auf schlechterdings gar nichts hinweisen können, weder in intensional-sinnhafter noch in extensional-gegenständlicher Hinsicht. Allein als Ausdruck, hier also – in Tillichs Diktion – als Zeichen, eignet ihm die rekonstruierte Verweisstruktur. Damit bestätigt sich zum einen nochmals unsere obige Interpretation, der zufolge mit der vorderhand unscheinbaren Wendung ‚als Zeichen‘ Tillichs Ausdrucksbegriff als Ganzes in konzentrierter Form präsent ist. Zum anderen sensibilisieren die Husserl’schen Überlegungen dafür, dass der Ausdruckstheorie ihrerseits noch einmal eine Theorie der geistigen Akte im Rücken liegt. In dieser Tradition erweist sich jede Theorie des Ausdrucks bei näherem Zusehen immer auch als eine Theorie des – geistigen – Ausdrucksgebrauchs. ⁷⁹ Tatsächlich markiert Tillich, im unmittelbaren Kontext der Erläuterung jenes ‚Schreibtisch‘-Beispiels, eigens die Bedeutung der Differenzierung zwischen einem zeichenhaften und einem symbolischen ‚Gebrauch‘ der Worte: „Diese Unterscheidung ist für jeden Redner wichtig. Er kann sich fast vollständig in Zeichen ausdrücken, indem er den Sinn seiner Worte quasi in mathematische Zeichen zu fassen versucht […] Auch das Umgekehrte ist möglich: der Redner kann die Worte als Symbole gebrauchen.“⁸⁰ Der von Tillich hervorgehobene Stellenwert der Verwendung ‚eines Etwas als eines Ausdrucks‘, also als eines Zeichens oder eines Symbols, ist insofern wichtig, als er auf eine bislang unterbelichtete Dimension der Ausdruckskategorie aufmerksam macht: Wir hatten uns bis hierhin ganz auf die Rekonstruktion der semiotisch-semantischen Grundstruktur konzentriert und darüber syntaktische wie pragmatische Fragen zurückgestellt. In der Tat liegt der Fokus bei Tillich selbst eindeutig auf der semantischen Dimension des Ausdrucks. Gleichwohl ist darüber das pragmatische Moment im Sinne des ‚Gebrauchs‘ bzw. der ‚Verwendung‘ des ‚bloßen‘ Wortes als eines Ausdrucks, bzw. wiederum des Ausdrucks als eines Zeichens oder Symbols, durch einen Ausdrucksinterpreten keineswegs vernachlässigt. Mehr noch: Bereits das letzte Zitat zeigt in Verbindung mit den als Hin-
GW V, 214. Entsprechendes gilt dann natürlich auch für die Symbolkonzeption: Tillichs Symboltheorie erweist sich bei näherem Zusehen als Theorie des religiösen Symbolisierens; vgl. unten III.3 a) und b). Ebd., 214 f.; kursiv L. H.; vgl. MW 4, 396: „[T]his is a very important distinction for every speaker. He can speak almost completely in signs, reducing the meaning of his words almost to mathematical signs […] The other pole of this is the liturgical or the poetic language.“ Wir beziehen uns im Haupttext auf die deutsche Übersetzung, da hier die entscheidende Pointe einmal mehr deutlicher wird als im englischen Original.
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tergrund eruierten Ausführungen Husserls an, dass jenem Gebrauch auch Tillich zufolge eine schlechterdings konstitutive Bedeutung zukommt. Diesseits seiner Verwendung vermag keine Entität überhaupt nur als Zeichen oder Symbol zu fungieren. Die komplexe Verweisstruktur eignet ihnen, seien es Gegenstände, seien es Worte im Sinne von bloßen Lautgebilden, allein im Gebrauch. Dass die betreffende pragmatische Klammer der semantischen Hinweisstruktur schon im Frühwerk vorausgesetzt ist, mögen zwei abschließende Zitate verdeutlichen. Das erste entstammt nochmals dem System der Wissenschaften, und zwar den dortigen Ausführungen zur Metaphysik. Der Definition des Symbols als eines ‚Begriffs, der einen anderen als seinen eigentlichen Sinn ausdrücken soll‘ ist die „tiefe Paradoxie“ der Metaphysik vorangestellt, der wir im kommenden Unterkapitel ausführlich nachgehen werden.⁸¹ Für den gegenwärtigen Zusammenhang ist die Folgerung entscheidend, die Tillich aus jener Grundparadoxie zieht: „Aus ihr ergibt sich die Art, in der die wissenschaftlichen Begriffe allein in der Metaphysik Verwendung finden können.“⁸² Erst die ‚Art der Verwendung‘ etabliert demnach die ‚Uneigentlichkeit‘ der metaphysischen Begriffe und somit ihre Symbolizität. Ob ein Begriff als Zeichen oder als Symbol fungiert, entscheidet sich allererst im Gebrauch. Waren die vorstehenden Belege aus dem Spät- und Frühwerk am Wort- bzw. Begriffsgebrauch orientiert, verdeutlicht das zweite abschließende Zitat Tillichs Verpflichtung gegenüber der Husserl’schen Theorie der signifikativen und mithin geistigen Akte. Die Überlegungen des Systems der Wissenschaften zur Paradoxie der wissenschaftlichen Begriffsverwendung aufnehmend, heißt es in der Religionsphilosophie: „Da nun aber das Bewußtsein keine anderen Formen hat als die bedingten, so muß es diese benutzen, um das Unbedingte darin auszudrücken, d. h. es muß die wissenschaftlichen Begriffe symbolisch, nicht eigentlich verwenden.“⁸³ Die Art und Weise der Begriffsverwendung wird hier noch einmal explizit zurückgebunden an den Umgang des Bewusstseins mit seinen Formen. Damit sind es in Analogie zu Husserl die Akte des Bewusstseins, die in letzter Instanz über den Ausdruckscharakter einer Entität, und also über dessen symbolischen oder zeichenhaften Charakter entscheiden. Tillichs Theorie des Ausdrucks erweist sich dieserart als eine Theorie der mentalen Ausdrucksgenese und Ausdrucksverwendung. Neben die semantische tritt konstitutiv die pragmatische Dimension.
Vgl. unten III.3 im Ganzen. GW I, 254. Ebd., 302 f.; kursiv L. H.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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Die Reichweite der betreffenden Einsicht lässt sich exemplarisch mit Bezug auf die beiden für Tillich geradezu paradigmatischen Beispielfälle von Symbolen verdeutlichen: Was ein Symbol ist, welche Merkmale ihm zukommen, diskutiert er wiederholt an den Beispielen der ‚Fahne‘ und des ‚Kreuzes‘.⁸⁴ Stimmen unsere Beobachtungen, dann wird man allerdings auch in ihrem Fall sagen müssen, dass es sich mitnichten ‚an sich‘ um Symbole handelt. Für ‚Fahne‘ und ‚Kreuz‘ gilt ebenso, dass sie in anderen Modi der Verwendung gleichfalls als Zeichen fungieren können. Ein mögliches Beispiel wäre – und damit öffnet sich Tillichs Konzeption unübersehbar für kulturtheoretische Erwägungen im engeren Sinne – ein Kulturkreis, der vom Nationalgedanken bzw. vom Christentum gänzlich unbetroffen ist. Ihm würden sich die nachfolgend auszuführenden Differenzmerkmale des Symbols gegenüber dem Zeichen, ‚Selbstmächtigkeit‘ und ‚Uneigentlichkeit‘, nicht mit dem Umgang mit Fahne bzw. Kreuz verbinden.⁸⁵ Insofern keiner der einleitend erwogenen Ausdrucksträger – Gegenstand,Vorstellung,Wort und Begriff, Gebärde und Handlung – unter Absehung seiner Verwendung durch das Bewusstsein gewissermaßen ‚an sich‘ als Symbol bzw. Zeichen fungieren kann, kommt dem Pragmatischen in Tillichs Symboltheorie eine eminente Rolle zu.⁸⁶ Die Frage der Gewichtung von semantischer und pragmatischer Dimension der Ausdruckskategorie wird uns im folgenden Unterabschnitt erneut beschäftigen, wenn nun die eigentliche Verhältnisbestimmung von Zeichenbegriff und Symbolbegriff thematisch wird.
c) Symbol und Zeichen Standen bislang Aspekte im Vordergrund, die Symbol und Zeichen unter der Kategorie des Ausdrucks gleichermaßen eignen, so sollen jetzt verstärkt deren Unterschiede in den Blick kommen. Wir fokussieren dabei zunächst den Begriff des Zeichens, der bei Tillich aufs Ganze gesehen merklich im Schatten des Symbolbegriffs steht. Terminologische Verwendung findet er erstmals im mut-
Vgl. etwa GW V, 197.214 u. ö. bzw. ebd., 196. Vgl. unten III.2 c). Eine Unterbelichtung der pragmatischen Dimension bei gleichzeitiger Überbetonung der semantischen Dimension hat zumal Michael Moxter mit Blick auf Tillichs Symbolkonzeption monieren können; vgl. Moxter, Lebenswelt, 36 u. ö.; ders., „Die Frage als Symbol, das Symbol als Frage. Ein Vorschlag zur Tillich-Interpretation“, in: Danz/Schüßler/Sturm (Hg.), Symbol als Sprache, 31– 45, 35.38. Diese Kritik wird man dahingehend relativieren müssen, dass für Tillich zwar in der Tat die semantische gegenüber der pragmatischen Dimension im Vordergrund steht, aber Letztere für seinen Symbolgedanken gleichwohl unverzichtbar ist.
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III Die Symboltheorie
maßlich Ende 1927 entstandenen System der religiösen Erkenntnis, dann zumal im Rahmen der Aufsätze Natur und Sakrament sowie Das religiöse Symbol. Zuvor begegnet der Begriff lediglich vereinzelt, ohne ein eigenes Profil zu gewinnen. So lässt sich etwa die spätere Opposition zum Symbolbegriff im Vorfeld des Systems noch nicht ausmachen, exemplarisch ablesbar an einer Passage der zwischen 1925 und 1927 gehaltenen Dresdner Dogmatik-Vorlesung: „Die christlichen Symbole sind die Zeichen, an denen die Christen sich erkennen.“⁸⁷ Hier ist der Zeichenbegriff ersichtlich unterminologisch im Sinne von ‚Erkennungszeichen‘ verwendet, vor allem aber fungiert er seinerseits zur Erläuterung des Symbolbegriffs. Dass demgegenüber gerade die wechselseitige Abgrenzung von Symbol und Zeichen ein Charakteristikum von Tillichs ausgereifter Fassung des Letzteren darstellt, wird mit dem System der religiösen Erkenntnis greifbar, wobei sich das Verhältnis von Zeichenbegriff, Symbolbegriff und Symbolgedanke eigentümlich verwickelt darstellt: Der Zeichenbegriff ist – wie die Termini des ‚Hinweises‘, des ‚Symbols‘ und der ‚Vertretung‘ – als ein Kandidat für die Benennung der spezifischen Relation der religiösen ‚Inhalte‘ zu dem im religiösen Akt ‚Letzt-Gemeinten‘ erwogen,⁸⁸ jener Relation also, für die Tillich gemeinhin den Symbolbegriff in Anschlag bringen wird. Im System der religiösen Erkenntnis erhält hingegen der Vertretungsbegriff den Zuschlag. Diese werkgeschichtlich singuläre Entscheidung gegen den Terminus des ‚Symbols‘ ist nun wie folgt begründet: „Sachlich ist er [der Vertretungsbegriff; L. H.] geeignet, sofern ‚Vertretung‘ sehr viel weniger Willkür zulässt als Zeichen und Symbol im Sinne von Zeichen.“⁸⁹ In dieser kurzen Auskunft verbergen sich gleich mehrere Pointen: Einmal formuliert Tillich als positives Bestimmungsmerkmal des Zeichenbegriffs das der ‚Willkür‘. Dieses Merkmal wird perspektivisch als wesentliches Definiens des Zeichens fungieren. Es zeigt zugleich an, dass der Zeichenbegriff mit seiner terminologischen Einführung im Jahr 1927 umgehend in das Gesamt von Tillichs Theoriebildung integriert wird: Wir kennen den Willkürbegriff als Terminus technicus aus der Geisttheorie, in der er als Gegenbegriff zu dem des ‚Schöpferischen‘ bestimmt war.⁹⁰ Dann ist es die Nähe zu dem dieserart charakterisierten Zeichenbegriff, der auch den Symbolbegriff problematisch erscheinen lässt. Es ist jenes Moment der ‚Willkür‘, das den Symbolbegriff hier in Opposition zum Symbolgedanken bringt, für den seinerseits der Vertretungsbegriff einstehen soll. Damit ist nicht nur die Frage aufgeworfen, von welcher Fassung des Symbolbegriffs, die diesen in die
EW XIV, 116; vgl. etwa auch ebd., 259 f. Vgl. EW XI, 130 f. Ebd., 131. Zum Gedankengang im Ganzen vgl. ebd., 130 f. Vgl. oben II.3.2 b).
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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Nähe des Zeichenbegriffs rückt, sich Tillich distanziert. Zudem ist die Gegenüberstellung von ‚Zeichen‘ und ‚Vertretung‘ eigens zu thematisieren. Tillich problematisiert den Symbolbegriff im gegebenen Zusammenhang des Systems der religiösen Erkenntnis zum einen mit Verweis auf das allgemeine „Sprachempfinden“, dem die „Redensart ‚nur symbolisch‘“ gleichbedeutend sei mit ‚nicht wirklich‘.⁹¹ Der Einwand erinnert nochmals an Tillichs eigene anfängliche Reserve gegenüber dem Symbolbegriff.⁹² Daneben notiert er einen systematisch schwerwiegenderen Grund. Demzufolge unterminiere ein „Pan-Symbolismus“, der ausnahmslos „allen geistigen Ausdrucksformen Symbolcharakter zuspricht“, die Prägnanz des Symbolbegriffs. Ein Seitenblick auf den Symbolaufsatz von 1928 lässt unschwer erkennen, dass Tillich bei dieser Kritik die Symbolkonzeption Ernst Cassirers vor Augen gehabt haben dürfte: Dessen Name steht dort für eine „kritisch-idealistische Theorie des Symbols“, die dem Symbolbegriff eben eine „ungeheure Erweiterung“ gebe.⁹³ Im Durchgang durch Mythos, Kunst und Wissenschaft – die für Cassirer bekanntlich gleichermaßen unter dem Titel der ‚symbolischen Form‘ firmieren⁹⁴ – will Tillich demgegenüber alleine Ersterem den Symbolgedanken im eigentlichen Sinne zugeordnet wissen, wohingegen Letztere es vielmehr mit „eigentümlichen Sinngebilde[n]“ zu tun hätten.⁹⁵ Stellt man zudem in Rechnung, dass Cassirer Symbol- und Zeichenbegriff weithin als Wechselbegriffe verwenden konnte, dann mag Tillichs Abgrenzung gegenüber einem Verständnis von ‚Symbol im Sinne von Zeichen‘ im System der religiösen Erkenntnis durch dessen synonymen Gebrauch motiviert gewesen sein. Vor diesem Hintergrund ließe sich Tillichs perspektivische Option, beide Termini geradezu als konträre Begriffe zu verstehen, auch als implizite Kritik an Cassirer interpretieren. Die Gegenüberstellung von Vertretungsbegriff und Zeichenbegriff, die im Rahmen jener Überlegungen im System der religiösen Erkenntnis begegnet, bedarf gleichfalls einer Erläuterung. Tatsächlich wird erst vor dem Hintergrund des – seinerzeit unveröffentlichten – Systems recht deutlich, welches gedankliche Ge Ebd., 130. Vgl. oben III.1 b). GW V, 202. Zu Cassirers Symbolkonzeption wie auch zur Forschungsliteratur vgl. die entsprechenden Passagen im Rahmen der Einleitung der vorliegenden Arbeit. Ebd., 206; vgl. im Einzelnen ebd., 202 ff. (Mythos); ebd., 205 f. (Kunst); ebd., 203 f.206 (Wissenschaft). Dass sich jene spezifischen ‚Sinngebilde‘ in Tillichs Systematik tatsächlich unter dem Zeichenbegriff – im von uns rekonstruierten Sinne eines ‚eigentlichen Ausdrucks‘ im Gegenüber zum ‚uneigentlichen Ausdruck‘ des Symbols – subsummieren ließen, zeigt sich an Tillichs Protest gegen eine Verrechnung der Kunst unter den Symbolbegriff: „Das Kunstwerk drückt die Realität, die es ausdrücken will, ganz eigentlich aus.“ (ebd., 205).
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III Die Symboltheorie
wicht dem Vertretungsbegriff dann auch im Symbolaufsatz von 1928 zukommt, mit dem Tillich erstmals eine ausgereifte Theorie des religiösen Symbols vorlegen sollte. Terminologisch tritt der Begriff der ‚Vertretung‘ hier wieder hinter den des ‚Symbols‘ zurück. Gleichwohl spielt er seinerseits eine zentrale Rolle für die Präzisierung des Symbolbegriffs. So ist das religiöse Symbol beispielsweise noch einleitend als „Vertretung des Unanschaubar-Transzendenten“ näher bestimmt.⁹⁶ Systematisch ist diese Vertretungsfunktion erst mit Blick auf das System und die dortige Kontrastierung zum Willkürcharakter des Zeichens begreiflich zu machen: Tillich hat beim Vertretungsbegriff einen inhaltlich qualifizierten Modus von Vertretung vor Augen, für den er im System der religiösen Erkenntnis die Begriffe der „Stellvertretung“ und des „Wesenszusammenhang[s]“ verwendet.⁹⁷ Dies ist insofern festzuhalten, als die Figur des ‚Vertretens‘ im Sinne der Supposition traditionell als Charakteristikum schlechthin der Zeichenstruktur gelten muss. Mit der einschlägigen scholastischen Definition: ‚aliquid stat pro aliquo‘.⁹⁸ Demgegenüber ist auffällig, dass sowohl Das religiöse Symbol als auch die späteren der Symbolthematik gewidmeten Aufsätze fast durchgängig allein den Symbolbegriff mit der Wendung des ‚Stehens für‘ zusammenstellen, während Tillich hinsichtlich des Zeichenbegriffs weithin auf die oben rekonstruierten Momente des ‚Ausdrückens‘ und ‚Hinweisens‘ zurückgreift.⁹⁹ Nun ist unwahrscheinlich, dass der klassische Suppositionsgedanke für Tillich keinerlei Rolle gespielt haben sollte. Wahrscheinlicher ist, dass er ihn in seinen zeichentheoretischen Überlegungen schlicht voraussetzte. Dafür spricht etwa die wiederkehrende Wendung des „Zeichen[s] für“, die den Suppositionsgedanken der Sache nach impliziert.¹⁰⁰ Gleichwohl wird man mit Blick auf seine Symbol- und Zeichenkonzeption zwei Vertretungsbegriffe zu unterscheiden haben: Erstens den im Sinne der rein formalen Supposition, zweitens den einer inhaltlich qualifizierten ‚Stellvertretung‘, bei der jene formale Vertretungsstruktur zwar
Ebd., 198. EW XI, 131. Vgl. Heidrun Pelz, Linguistik. Eine Einführung (Hamburg: Hoffmann und Campe, 92005), 39. Vgl. für die terminologische Zuweisung des ‚Vertretens‘ bzw. ‚Stehens für‘ zum Symbolbegriff, über den gleichermaßen für den Zeichenbegriff vermerkten Begriff des ‚Hinweisens‘ hinaus, exemplarisch GW V, 213 f.: „Symbole und Zeichen […] weisen auf etwas hin, das außerhalb ihrer selbst liegt. Das typische Zeichen, z. B. das rote Licht beim Straßenübergang, weist nicht auf sich selbst hin, sondern drückt den Befehl aus, daß die Fahrzeuge halten sollen. Auch jedes Symbol weist über sich hinaus und auf eine Wirklichkeit hin, die es vertritt.“; und ebd., 215: „Sie sind nicht nur Zeichen, die auf einen definierten Sinn hinweisen, sondern sie stehen als Symbole für eine Wirklichkeit, an deren Mächtigkeit sie teilhaben.“; kursiv jeweils L. H. Vgl. ebd., 197: „Der Einzelne kann sich Zeichen machen für seine privaten Bedürfnisse.“; ebd., 214: „Die Worte einer Sprache sind Zeichen für einen von ihnen ausgedrückten Sinn.“ u. ö.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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ebenfalls vorausgesetzt ist, darüber hinaus aber mit Zusatzbestimmungen angereichert wird. Während der Suppositionsgedanke dieserart für die Ausdruckskategorie als Ganzes, und also Zeichen und Symbol gleichermaßen, in Anschlag zu bringen ist, kann seine Näherbestimmung auf zwei Weisen erfolgen: Entweder nach Maßgabe einer ‚willkürlichen‘ Zuordnung der Glieder der Supposition – dann handelt es sich Tillich zufolge um einen zeichenhaften Ausdruck. Oder nach Maßgabe eines zu spezifizierenden, gleichsam motivierten Zusammenhangs jener Glieder – dann fungiert der betreffende Ausdruck als Symbol. Begegnet der Zeichenbegriff im Rahmen des Systems der religiösen Erkenntnis im Spannungsfeld von ‚Hinweis‘, ‚Symbol‘ und ‚Vertretung‘ noch mehr am Rande, ändert sich dies mit dem Symbolaufsatz von 1928 sowie dem im selben Jahr gehaltenen Vortrag Natur und Sakrament, zu dem uns jetzt zusätzlich die seinerzeitigen Vorarbeiten zugänglich sind.¹⁰¹ Wir wenden uns zunächst Natur und Sakrament zu. Tillich nimmt hier eine Option für ein ‚realistisches‘ Verständnis der Sakramente, wobei er neben Taufe und Abendmahl das ‚Wort‘ analysiert. Im Rahmen seiner Überlegungen zu Letzterem ist der Zeichenbegriff verwendet, wenn er sich hinsichtlich der Einsetzungsworte zum Abendmahl die Frage vorlegt: „Sind die hier gesprochenen Worte nur Zeichen, die auf einen Sinngehalt hinweisen und diesen Sinngehalt mitteilen? Oder sind es Worte, in denen Wort und Sinn so geeint sind, daß das Sprechen dieser Worte […] eine Mächtigkeit hat, durch den sie zu Trägern transzendenter Mächtigkeit werden können?“¹⁰² Die Alternative lautet demnach auf ein reines Hinweisverhältnis zwischen Ausdruck und Sinn einerseits und deren ‚Einung‘ andererseits. Die erstere Möglichkeit belegt Tillich mit dem Zeichenbegriff, wobei er auch von einem „[r]eine[n] hinweisende[n] Zeichen ohne jede Eigenmacht“ oder einem ‚leeren Zeichen‘ sprechen kann.¹⁰³ Somit bestätigt sich, was wir oben festgehalten hatten: Im Rahmen der frühen Texte ist der Hinweisgedanke in erster Linie mit dem Zeichenbegriff verknüpft, worüber er beinahe als Definiens des Zeichens im Gegenüber zum Symbol erscheinen könnte. Allerdings hatte die Rekonstruktion gezeigt, dass diesem als Ausdruck gleichfalls ein Hinweischarakter eignet.
MW 6, 151– 171 bzw. EW XI, 196 – 213. Da die Vorarbeiten mutmaßlich auf Sommer/Herbst 1928 datieren – vgl. EW XI, 196 – und auch der Vortrag selbst bereits in jenem Jahr gehalten wurde, lässt sich der Gedankenskopus von Natur und Sakrament – entgegen seiner Veröffentlichung im Jahr 1930 – entsprechend auf das Jahr 1928, und also das Erscheinungsjahr von Das religiöse Symbol, datieren. MW 6, 157; vgl. EW XI, 209. Vgl. EW XI, 212 bzw. MW 6, 157.
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III Die Symboltheorie
Das darüber hinausgehende Spezifikum des Symbols ist nun in Natur und Sakrament auf den Begriff der ‚Mächtigkeit‘ gebracht: Während im Fall des Zeichens die Zuordnung von Ausdrucksträger und Sinngehalt als willkürlich gedacht wird – „Der gleiche Sinn könnte durch ein völlig anderes Zeichen ausgedrückt werden“¹⁰⁴ –, behauptet Tillich im Fall des Symbols eine „sachlich notwendige[] Verbindung“ beider.¹⁰⁵ Ist die Verbindung von Ausdruck und Bedeutung hier also eine sachlich motivierte, gleichsam intrinsische, so soll sie dort eine rein willkürliche, frei verschiebliche sein. In semiotisch-semantischer Hinsicht unterscheiden sich Zeichenbegriff und Symbolbegriff demzufolge – bei identischer zugrunde liegender formaler Ausdrucksrelation – bezüglich der internen Motivation der Zuordnung von Ausdrucksträger, Sinn- und Gegenstandsbezugnahme: Für das Zeichen notiert Tillich eine willkürliche Verbindung, für das Symbol unter den Stichworten der ‚Mächtigkeit‘, der ‚Sachlichkeit‘ und der ‚Notwendigkeit‘ eine spezifische Motiviertheit.¹⁰⁶ Neben diese semiotisch-semantische Perspektive tritt eine zweite Unterscheidungshinsicht, die in Natur und Sakrament noch mehr angedeutet ist. Für das „technische Wort“, dem Tillich ebenjenen Zeichencharakter bescheinigt, gilt nämlich überdies: „Das Wort ist hier ein rein gesellschaftliches Verständigungsmittel geworden.“¹⁰⁷ Damit klingt ein zweiter Aspekt der Willkürlichkeit des Zeichens an, der im Folgenden stärker in Erscheinung treten wird: Der willkürlichen Zuordnung von Ausdrucksträger und Sinn korrespondiert seine reine Konventionalität in gesellschaftlich-kultureller Hinsicht. Da die Verbindung von Zeichen und Bedeutung allein Sache gesellschaftlicher Übereinkunft ist, kann sie zumindest in der Theorie nach Belieben verändert werden. Beide Hinsichten, sowohl die semiotisch-semantische als auch die mehr pragmatische, befasst Tillich unter dem Titel der ‚Willkür‘ des Zeichens.
MW 6, 166. Ebd., 154. An der betreffende Stelle ist die fragliche Einung von Ausdrucksträger und Sinngehalt am Beispiel der Taufe dargelegt: „Sie [die von Tillich genommene ‚realistische‘ Option; L. H.] besteht darin, daß die Frage nach einer sachlich notwendigen Verbindung von Wasser und Taufe gestellt wird. […] Dem Wasser an und für sich wird eine Güte, eine Qualität, eine Mächtigkeit zugesprochen. Durch diese seine natürliche Mächtigkeit ist es geeignet, Träger einer sakralen Mächtigkeit und damit Element eines Sakraments zu werden.“; kursiv L. H. Die These einer Eignung des Ausdruckträgers ‚an und für sich‘ wird an späterer Stelle – mit Tillich gegen Tillich – zu problematisieren sein. In werkgenetischer Perspektive ist von letzteren drei Figuren zur Benennung der spezifischen Motiviertheit der Symbolrelation die der „(inneren) Notwendigkeit“ die grundlegende. Sie begegnet bereits 1921 mehrfach in der Rezension Religiöser Stil und religiöser Stoff in der bildenden Kunst; vgl. GW IX, 321– 323. MW 6, 166.
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Bevor wir mit dem Aufsatz Das religiöse Symbol zu der für die 1920er Jahre finalen Zu- und Gegenordnung von Zeichenbegriff und Symbolbegriff übergehen, können wir das Bisherige, und also die wesentlichen Gesichtspunkte der kurzen Formierungsphase in Sachen Zeichen, noch einmal mit einer Passage aus dem seinerzeit unveröffentlichten Entwurf zu Natur und Sakrament bündeln. Erneut kommt dem Zeichenbegriff eine Schlüsselrolle in der Abgrenzung gegenüber einem „idealistisch-romantischen Symbolismus“ zu.¹⁰⁸ Letzterem zufolge „kann alles sakramentale Beziehungen gewinnen, da jede Wirklichkeit in eine Symbolbeziehung zum Geistigen gebracht werden kann“¹⁰⁹ – einmal mehr hat Tillich offenkundig die mit dem Namen Cassirers verknüpfte ‚ungeheure Erweiterung‘ des Symbolbegriffs von der Religion auf alle geistigen Ausdrucksformen vor Augen. Entsprechend fährt er fort: „Es kann ein unbegrenztes System von Zeichensymbolen entstehen, das aber auf ehrfurchtsloser Hybris des Geistes beruht und darum an innerer Leere und Willkürlichkeit zu Grunde geht: Zeichen – Symbole ohne Notwendigkeit.“¹¹⁰ Mit dem Terminus ‚Zeichensymbole‘ mag direkt auf Cassirers synonyme Verwendung beider Begriffe angespielt sein, wobei das betreffende Zeichensymbol an ‚innerer Leere‘ kranken soll – ein Vorwurf, den bekanntlich schon die Sinntheorie gegenüber dem neukantianischen Formbegriff erheben konnte.¹¹¹ Über das gleichfalls vertraute Moment der ‚Willkürlichkeit‘ hinaus ist es das abschließende Fazit, das bemerkenswert ist: „Zeichen – Symbole ohne Notwendigkeit“. Obwohl es die Paraphrase einer fremden Position beschließt, ist mit der Wendung Tillichs eigenes Zeichenverständnis auf den Begriff gebracht. Damit aber ist endgültig deutlich, dass der Zeichenbegriff werkgenetisch wie systematisch als Negativ zum Symbolbegriff gebildet ist: Wir hatten gesehen, dass Tillich im Verlauf der 1920er Jahre – wesentlich vorangetrieben durch das ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie, endgültig mit dem Aufsatz Das religiöse Symbol – sukzessive seinen Symbolgedanken ausgebildet hatte. Erst mit dem Jahr 1927 sollte ihm überhaupt der Zeichenbegriff zur Seite treten. Legt sich schon werkgeschichtlich eine Abhängigkeit des Zeichenbegriffs vom Symbolbegriff nahe, so unterstreicht jene Passage aus dem Entwurf zu Natur und Sakrament, dass jener werkgenetischen Abkunft eine systematische korrespondiert: Das Zeichen gilt Tillich gewissermaßen als Symbol unter Abzug des zentralen Merkmals der ‚Notwendigkeit‘ bzw. ‚Mächtigkeit‘. Der erst Ende der 1920er Jahre etablierte Zeichenbegriff setzt den zu diesem Zeitpunkt entwickelten Symbolge
EW XI, 198; zum Folgenden vgl. ebd., 198 f. Ebd., 199. Ebd.; kursiv L. H. Vgl. oben II.2.2 c).
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III Die Symboltheorie
danken ersichtlich voraus und wird in Abgrenzung zu ihm als sein exaktes Gegenteil definiert. Tillich hat seine Symbolkonzeption mithin keineswegs vor dem Hintergrund einer ausformulierten Zeichentheorie entworfen, vielmehr dienten die rudimentären semiotischen Erwägungen umgekehrt der nachgängigen Profilierung des Symbolgedankens. Hierher rühren die beinahe folgerichtigen zeichentheoretischen Schwächen, die auch das Spätwerk – obgleich dem Zeichenbegriff dort merklich mehr Raum eingeräumt werden wird¹¹² – nicht heben sollte. Unsere ausführliche Rekonstruktion der Ausdruckskategorie als zeichentheoretisch grundlegende Kategorie des Symbol- wie des Zeichenbegriffs (im engeren Sinne) diente so nicht zuletzt dem Zweck, allererst eine tragfähigere semiotische Grundlage zu schaffen. Diese Grundlage gilt es zu erinnern, wenn mit dem Symbolaufsatz Das religiöse Symbol die für die Theoriebildung der 1920er Jahre verbindliche Verhältnisbestimmung von Zeichenbegriff und Symbolbegriff in den Blick rückt. Für Letzteren notiert Tillich unter dem dritten Merkmal der „Selbstmächtigkeit“: „Sie besagt, daß das Symbol eine ihm selbst innewohnende Macht hat, die es von dem bloßen in sich ohnmächtigen Zeichen unterscheidet. Dieses Merkmal ist maßgebend für die Trennung von Symbol und Zeichen.“¹¹³ Die systematische Schwierigkeit der hier vorgenommenen Verhältnisbestimmung liegt darin, dass weniger an eine ‚Unterscheidung‘ gedacht ist – so der erste Satz – als vielmehr an eine ‚Trennung‘: Tillich gibt mit der Figur einer ‚innewohnenden Macht‘ bzw. deren Pendant einer ‚inneren Ohnmacht‘ alleine die Differenz an, bietet aber keinen gemeinsamen Oberbegriff für Symbol und Zeichen. Erst das Spätwerk wird dann wie gesehen mit dem Hinweisgedanken eine strukturelle Gemeinsamkeit beider benennen und sie also konstruktiv aufeinander beziehbar machen. Gleichwohl dominiert auch dort die These eines „fundamentale[n] Unterschied[s]“ von Symbol und Zeichen.¹¹⁴ Die Opposition zum Symbol gehört so fraglos zu den wesentlichen Kenndaten von Tillichs Zeichenbegriff. Diese scharfe Abgrenzung von Symbol- und Zeichenbegriff ist in der Forschung gegenläufig beurteilt worden. So wurde sie bis in die 1990er Jahre hinein
Vgl. exemplarisch den späten Aufsatz Religious Symbols and Our Knowledge of God, der – mit der Verhältnisbestimmung von Symbol und Zeichen einsetzend – diese formaliter zur Grundlage des Folgenden und also auch der eigentlichen Symbolkonzeption erhebt; vgl. MW 4, 395 f.|GW V, 213 – 215. GW V, 196. Ebd., 214; zur Verhältnisbestimmung von Symbol und Zeichen vgl. ebd., 213 – 215; vgl. zudem den einführenden Überblick bei Werner Schüßler, Jenseits von Religion und Nicht-Religion. Der Religionsbegriff im Werk Paul Tillichs (Frankfurt/Main: Athenäum, 1989), 155 – 168.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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weithin positiv gewürdigt, da die strikte Trennung von Symbol und Zeichen im Verbund mit der negativen Konnotation des Letzteren Tillich eine Konzentration auf symboltheoretische Fragen im engeren Sinne ermöglicht habe.¹¹⁵ Mit der Aufwertung semiotischer Fragestellungen und der verstärkten Rezeption neuerer Entwürfe etwa eines Charles Sanders Peirce auch in der Theologie hat sich die Situation in den vergangenen 20 Jahren jedoch merklich verschoben: Tillichs einfache Scheidung von Symbol und Zeichen sowie der Verzicht auf eine elaborierte Semiotik wurden jetzt zunehmend Zielscheibe der Kritik. So begründen beispielsweise Hermann Deuser und Michael Moxter die vorgebliche Unzeitgemäßheit seines Symbolbegriffs nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass sich dieser nicht angemessen zeichentheoretisch reformulieren lasse.¹¹⁶ Alternativ hat Moxter eine semiotische Relecture des Symbolgedankens vorgeschlagen – bis hin zur Identifikation von Symbol und Zeichen.¹¹⁷ So wenig sich eine solche Identifikation von Symbol und Zeichen auf Tillich selbst berufen könnte, so wenig führt dessen einfache Trennungsthese in der Sache weiter. Hier bedarf es einer übergreifenden Kategorie, die die zeichentheoretische Reflexion des Zeichen- wie des Symbolbegriffs ermöglicht. An diese – bei Tillich allein vorderhand leere – systematische Stelle kann nun die Ausdruckskategorie treten: Der Ausdrucksbegriff in der rekonstruierten Gestalt – Hinweischarakter und Vermittlungsfunktion des intensional-sinnhaften Bezuges für den extensional-gegenständlichen Bezug sowie konstitutive Berücksichtigung des Gebrauchsmomentes – kann als Zeichenbegriff im weiten Sinne verstanden werden, zu dem Tillichs Zeichenbegriff als Zeichen im engeren Sinne und sein Symbolbegriff Unterfälle darstellen. Dieserart sind Symbol und Zeichen nicht mehr als einfache Gegensätze verstanden, sondern als komplementäre Typen eines gemeinsamen, semiotisch bestimmbaren Oberbegriffs: Auch das Symbol hat eine zeichentheoretisch ausweisbare Struktur, ohne dass es mit dem Zeichen im engeren Sinne gleichzusetzen wäre. Die problematische, weil nur bedingt konstruktive These einer Trennung von Symbolbegriff und Zeichenbegriff weicht – mit Tillich gegen Tillich – einer solchen ihrer Differenzierung.¹¹⁸
Vgl. exemplarisch Müller, Symbol, 154 f.167. Vgl. Moxter, Lebenswelt, 24.84.91 u. ö.; ders., „Symbol“, bes. 36 – 38; Deuser, „Gottes Poesie“, bes. 127– 134; vgl. auch Vetter, Zeichen, 188 – 196.220 f. Vgl. Moxter, Lebenswelt, 84. Freilich bleibt noch auf dem damit erreichten Stand – die Ausdruckskategorie fungiert in ihrer rekonstruierten semantischen Struktur zeichentheoretisch als genus proximum zum Symbolund Zeichenbegriff (im engeren Sinne) – eine zentrale semiotische Schwierigkeit. Sie betrifft den Zeichenbegriff im engeren Sinne. Tillich expliziert ihn im Spätwerk wiederholt am Beispiel des roten Ampelzeichens. Dabei sind die dargestellten Elemente der Ausdruckskategorie – der nicht
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III Die Symboltheorie
Auf Grundlage der ihnen gemeinsamen Ausdrucksstruktur lassen sich die Differenzierungsmerkmale von Symbol und Zeichen nochmals fokussieren. Einmal ist hier an das Merkmal der „Uneigentlichkeit“ zu denken: Die Unterscheidung des Symbols als eines ‚uneigentlichen Ausdrucks‘ im Gegenüber zum Zeichen als ‚eigentlichem Ausdruck‘ markierte ja den systematischen Einsatzpunkt des gegenwärtigen Unterkapitels. Tatsächlich ist es im Symbolaufsatz von 1928 als „erste [s] und grundlegende[s] Merkmal des Symbols“ definiert.¹¹⁹ Ob seiner konstitutiven Bedeutung für Tillichs Symbolgedanken wollen wir ihm im folgenden Unterkapitel eigens nachgehen.¹²⁰ Die zweite und bezüglich der Unterscheidung von Symbolbegriff und Zeichenbegriff Tillich zufolge „maßgebend[e]“ Differenzierungshinsicht ist eben mit dem Merkmal der „Selbstmächtigkeit“ benannt.¹²¹ Die oben zitierte Definition vermerkte für das Symbol dementsprechend eine ‚ihm selbst innewohnende Macht‘, in Abgrenzung vom ‚bloßen, in sich ohnmächtigen Zeichen‘. Die unmittelbar anschließenden Ausführungen nehmen dieses Motiv auf und verbinden es mit der uns aus Natur und Sakrament vertrauten Gegenüberstellung von ‚Notwendigkeit‘ und ‚Willkür‘: „Das Zeichen ist willkürlich austauschbar. Es hat keine Notwendigkeit,weil es keine innere Macht hat. Das Symbol
reflexive Hinweischarakter, der Ausdrucksbegriff selbst, die Suppositionsstruktur – benannt: „Das typische Zeichen, z. B. das rote Licht beim Straßenübergang, weist nicht auf sich selbst hin, sondern drückt den Befehl aus, daß die Fahrzeuge halten sollen. Auch jedes Symbol weist über sich hinaus und auf eine Wirklichkeit hin, die es vertritt.“ (GW V, 214); vgl. GW VIII, 139. Der rekonstruierten Gestalt der übergreifenden Ausdruckskategorie gemäß müsste die fragliche Bezugnahme des Ausdrucksträgers ‚rotes Licht‘ auf den ‚Haltebefehl‘ semantischer Art sein bzw. zumindest in intensionaler Sinnvermittlung erfolgen. Mit Bühler gesprochen ist hier aber offenkundig die ‚Appell-‘ bzw. ‚Signalfunktion‘, und nicht die – im rekonstruierten Sinne – semantische ‚Darstellungsfunktion‘ im Blick; vgl. Bühler, Sprachtheorie, 28 f. Zu denken wäre etwa auch an Husserls Begriff des ‚Anzeichens‘ bzw. der ‚Anzeige‘, für den gerade das Fehlen der Bedeutungsfunktion charakteristisch ist; vgl. Husserl, Untersuchungen, 30 – 37. Ein weiteres bekanntes Beispiel eines Zeichens, das über seine nicht semantische, reine Signal- oder Anzeigefunktion definiert ist,wäre der „rote[ ], drehbare[ ] Pfeil“ Martin Heideggers in Sein und Zeit, der die Richtung zeigt, die das Auto nehmen wird (Martin Heidegger, Sein und Zeit [Tübingen: Niemeyer, 121972], 78). Für den betreffenden Zeichentyp bliebe unter dem Dach des für Tillich rekonstruierten Ausdrucksbegriffs als eines dem Symbol und Zeichen gemeinsamen Oberbegriffs mithin kein systematischer Ort – eine alternative, noch diesen Typ erfassende und gleichwohl konsistente Bestimmung jenes genus proximum scheint jedoch mit Blick auf seine zeichentheoretischen Überlegungen schlechterdings nicht möglich. Das semiotische Grundgerüst erweist sich ein letztes Mal als eine Achillesferse von Tillichs Theoriebildung insgesamt und somit ebenfalls seiner Symboltheorie. GW V, 196. Vgl. unten III.3 a). Ebd.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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hat Notwendigkeit. Es kann nicht ausgetauscht werden.“¹²² Wieder sind bei näherem Zusehen zwei Dimensionen verschränkt, die schon in Natur und Sakrament unter dem Stichwort der ‚Willkür‘ des Zeichens miteinander verknüpft waren: Während das Motiv der ‚inneren Mächtigkeit‘ bzw. der ‚innewohnenden Macht‘ ersichtlich auf eine dem Symbol als solchem eingeschriebene Eigenschaft zielt, thematisiert das der ‚Nichtaustauschbarkeit‘ die Dimension seiner Verwendung. Das Stichwort der ‚Notwendigkeit‘ fungiert dabei als gedankliches Bindeglied: Sie begründet sich aus dem Moment der (Selbst)Mächtigkeit und hat die Nichtaustauschbarkeit zur Folge. Nun ist es gerade der Gedanke der ‚Selbstmächtigkeit‘ des Symbols, einer ihm ‚an sich‘ eignenden „magische[n] Kraftgeladenheit“ oder „sakralen Mächtigkeit“,¹²³ die der Rekonstruktion Schwierigkeiten bereitet. Das Spätwerk wird sich hier, unter Inanspruchnahme der nunmehr als Rahmentheorie fungierenden Ontologie, bekanntlich mit der Figur der ‚Teilhabe‘ bzw. ‚Partizipation‘ des Symbols an der Macht des Sein-Selbst behelfen¹²⁴ – eine Gedankenfigur, die freilich ihrerseits mit nicht unerheblichen Folgeproblemen belastet ist, wie etwa Moxters mehrfach vorgetragener Vorwurf eines ‚naiven Realismus‘ verdeutlicht.¹²⁵ Der Theoriebildung der 1920er Jahre ist eine dieserart ‚realistische‘ Figur ob ihres sinn- und geisttheoretischen Zuschnitts verstellt.¹²⁶ Wir rekonstruieren zunächst die Grenze, die dem Gedanken einer dem Symbol eingeschriebenen ‚Mächtigkeit‘ und ‚Notwendigkeit‘ – zumindest, wenn sie im starken Sinne als ‚magische‘ oder ‚sakrale Kraftgeladenheit‘ verstanden ist – von der Gebrauchsdimension her schon im Rahmen von Tillichs eigenen Überlegungen erwächst. Abschließend mag ein Seitenblick auf eine vorderhand systematisch denkbar weit von Tillichs entfernte Symbolkonzeption – die von Nelson Goodmans in Languages of Art entworfene – einen Anstoß geben, wie sich der Gedanke der ‚Selbstmächtigkeit‘ bzw. ‚Notwendigkeit‘ des Symbols im Unterschied zum Zeichen in einer nicht realistischen Perspektive rekonstruieren lässt. Bereits in Natur und Sakrament hatte Tillich – wie gesehen – das Moment der ‚Willkürlichkeit‘ des Zeichens im Sinne eines ‚rein gesellschaftlichen Verständi-
Ebd. Ebd., 197 bzw. ebd., 210. Vgl. ebd., 214 f.238 f. u. ö.; zum Partizipationsgedanken der späten Symboltheorie vgl. exemplarisch Klaus-Dieter Nörenberg, Analogia Imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul Tillichs (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1966), 129 – 158, Schüßler, Religionsbegriff, 155 – 177. Vgl. etwa Moxter, Lebenswelt, 33 ff. Vgl. auch unten III.3.
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III Die Symboltheorie
gungsmittels‘ auch daran festmachen können, dass die Verbindung von Ausdruck und Bedeutung alleine eine Sache der Konvention sei: Die Zeichenbenutzer verständigen sich letztlich frei über ihre Zeichenausdrücke. Das religiöse Symbol wiederholt diese These und stellt der willkürlichen ‚Machbarkeit‘ der Zeichen die Symbole gegenüber, die ihrerseits „nicht erfunden, sondern nur geschaffen werden“ könnten.¹²⁷ Gleichwohl erweist sich die betreffende gewissermaßen kulturellgesellschaftliche Grenzziehung zwischen Zeichenbegriff und Symbolbegriff nur als sehr bedingt stabil. Auch hinsichtlich des Symbols wird nämlich – so die Überschrift des entsprechenden Abschnitts im Symbolaufsatz – ein „Werden und Vergehen“ konstatiert.¹²⁸ In geistesgeschichtlicher Perspektive kann also mitnichten von der klaren und eindeutigen Abgrenzung eines fixierten Bestandes religiöser Symbole die Rede sein, die Tillichs Unterscheidung von ‚willkürlicher Konventionalität‘ einerseits und ‚Schöpfung qua Notwendigkeit‘ andererseits zu insinuieren scheint. Die Verschieblichkeit der Grenze von Symbol und Zeichen in dieser Perspektive ist unter jener Überschrift explizit vermerkt. So gilt ebenso: „Die religiösen Symbole werden geschaffen im religionsgeschichtlichen Prozeß“, wie andersherum: „Die so [im Zuge der religionsgeschichtlichen Kritik; L. H.] abgeschwächten […] Symbole können noch eine lange Dauer haben, irgendwann pflegen sie zurückzutreten, zu bloßen Zeichen zu werden oder gänzlich zu verschwinden.“¹²⁹ Tatsächlich begegnet das Motiv bereits in Tillichs frühesten konstruktiven Überlegungen zum Symbolbegriff im Rahmen der Vorlesung Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart aus dem Sommersemester 1919. Schon dort notierte er mit Blick auf die Unterscheidung von ‚heilig‘ und ‚profan‘, dass just das Moment des Symbolischen in die „konfliktshaltige Sphäre […] des Werdens und Vergehens“ weise.¹³⁰ Nicht nur das Zeichen, auch das Symbol erweist sich dieserart als im starken Sinne kontextgebunden. Das gilt im Übrigen gleichfalls
GW V, 196 f. Ebd., 210. Ebd.; vgl. zudem ebd., 196 f.209 f. Die in diesem Zusammenhang formulierte Annahme, dass ursprünglich allen Worten die für Symbole charakteristische Mächtigkeit eignete, erinnert von Ferne an die Mythoskonzeption Cassirers; vgl. ebd., 197.210. Tillich mag hier einzelne Anregungen aufgenommen haben, aufs Ganze gesehen distanziert er sich jedoch – sowohl im Symbolaufsatz von 1928 wie auch schon in einer 1924 erschienenen Rezension – deutlich vom Cassirer’schen Mythosbegriff; vgl. ebd., 202– 205; Paul Tillich, „Probleme des Mythos“, ThLZ 49 (1924), 115 – 117, 116 f. Zu Tillichs Mythosverständnis vgl. überdies die Beiträge in Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Die Macht des Mythos. Das Mythosverständnis Paul Tillichs im Kontext (Berlin München Boston: Walter de Gruyter, 2015); bes. Roderich Barth, „Gebrochener Mythos. Tillichs religionsphilosophischer Mythosbegriff“, in: ebd., 73 – 89. EW XII, 50.
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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ausdrücklich für das Symbol schlechthin, das Kreuz. Auf die kritischen Rückfragen Edwin E. Aubreys und Wilbur M. Urbans hin hat Tillich 1941 den Gedanken der ‚Selbstmächtigkeit‘ wie folgt präzisiert: „Only in this context, in the full context of the Old and New Testament, and even of the general history of religion, can it [the cross of christ; L. H.] become the central symbol. To sever it from these connections and to make it directly ‚an experience of the unconditioned‘ is meaningless.“¹³¹ Diesseits historisch-kultureller Kontexte und Bezüge fungiert mithin selbst der Ausdrucksträger des Kreuzes nicht als Symbol, sondern als Zeichen.¹³² Zumindest in geistesgeschichtlicher Perspektive erweist sich eine harte Abgrenzung von Symbol und Zeichen unter dem Merkmal der ‚Selbstmächtigkeit‘ – im Sinne einer ‚magischen Kraftgeladenheit‘, die einen fest fixierten Symbolbestand garantieren könnte – auch Tillich zufolge als unmöglich. Dem korrespondiert mit dem vierten Merkmal des Symbols, der „Anerkanntheit“ ein systematisches Argument: „Sie besagt, daß das Symbol sozial eingebettet und getragen ist. Es ist also nicht so, daß eine Sache erst Symbol ist und dann Anerkennung findet, sondern Symbolwerdung und Anerkennung gehören zusammen.“¹³³ Mit diesem Merkmal ist der geistesgeschichtliche Befund der notwendigen Kontextualität der Symbole nochmals an den Symbolgedanken selbst zurückgebunden. ‚Symbolwerdung‘ und ‚Anerkennung‘ bedingen einander konstitutiv, die Symbolizität eines Ausdrucks ist, wie wir mehrfach vermerkt hatten, immer durch dessen Verwendung als Symbol durch jemanden für etwas bedingt.¹³⁴ Diesseits seines symbolischen Gebrauchs fungiert kein Ausdrucksträger, eben gleichsam schon qua ‚magischer Kraftgeladenheit‘ als Symbol. Auch insofern scheint zwischen beiden Ausdruckstypen mehr eine graduelle als eine wirklich qualitative Differenz zu bestehen. Jedenfalls ist mit dem Merkmal der ‚Anerkanntheit‘ – wie zuvor in geistesgeschichtlicher Perspektive – nicht einfach einer kontextlosen Ontologie der Bedeutungen das Wort geredet. Tillichs Changieren hinsichtlich der ‚Selbstmächtigkeit‘ der Symbole, zwischen dem Gedanken einer ihnen selbst innewohnenden Mächtigkeit einerseits und dem konstitutiven Aspekt ihres Gebrauchs andererseits, lässt sich exemplarisch an einer Passage der Religionsphilosophie illustrieren. Hier – in der ersten Hälfte der 1920er Jahre – ist es die Figur der „Symbolkraft“, die den späteren
MW 4, 275; kursiv L. H. Vgl. etwa auch Tillichs entsprechenden ausdrücklichen Hinweis auf den „historical context, in which a sacramental symbol is alive,“ in einer Reaktion auf Lewis S. Ford (Paul Tillich, „Rejoinder“, JR 46 [1966], 184– 196, 187). GW V, 197. Vgl. oben III.2 b).
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III Die Symboltheorie
Gedanken der ‚Selbstmächtigkeit‘ präfiguriert. Im Rahmen der Überlegungen zum Verhältnis von ‚heilig‘ und ‚profan‘ heißt es: Es gibt darum keinen in den Dingen liegenden Grund ihrer Heiligkeit. Sie sind nicht an sich heilig. Wohl aber gibt es Dinge und Personen, Formen und Vorgänge, die eine überlegene Symbolkraft haben, und deren Sinnerfüllung es ist, heilige Dinge zu werden. Oft hängt das nicht von ihnen ab, sondern von einem schicksalhaften Zusammentreffen, durch das an sich verhältnismäßig symbolunkräftige Gegenstände von der subjektiven Seite her eine außerordentliche Symbolkraft erhalten. Das allgemeine Merkmal der Symbolkräftigkeit ist […] die Erfülltheit mit dem Gehalt des Unbedingten, die ein Ding hat oder durch subjektive Intention erhalten hat. ¹³⁵
Auf der einen Seite ist, ganz im Sinne der ersichtlich im Hintergrund stehenden Sinn- und Geisttheorie, das konstitutive Moment der Verwendung der als Ausdrucksträger benannten ‚Dinge und Personen, Formen und Vorgänge‘ hervorgehoben: Ihre gesonderte ‚Symbolkraft‘ eignet ihnen keinesfalls ‚an sich‘, vielmehr wird diese ihnen allein im Gebrauch (‚von subjektiver Seite her erhalten‘) in konkreten Kontextbezügen (‚schicksalhaftes Zusammentreffen‘) zugeschrieben. Auf der anderen Seite kann Tillich die fragliche ‚Symbolkraft‘ den Trägern doch selbst als Besitz zuweisen (‚eine überlegene Symbolkraft haben‘). Die Spannung bündelt sich im letzten Halbsatz, demzufolge ein Ausdrucksträger die in Frage stehende ‚Symbolkraft‘ entweder schlicht ‚hat‘ – hier legt sich die Assoziation jener ‚magischen Kraftgeladenheit‘ des Symbolaufsatzes nahe –, oder – im Gegenüber zum Gedanken einer ‚inneren Macht‘ – allererst ‚durch subjektive Intention erhalten hat‘. Beide Gedankenreihen sind nicht austariert, in der betreffenden Passage reflektiert Tillich etwa nicht nochmals eigens auf jene Spannung.¹³⁶ Die vorstehenden Überlegungen zur geistesgeschichtlichen Per GW I, 337; kursiv L. H. Das Nebeneinander beider Gedankenreihen findet sich in vergleichbarer Weise etwa auch in Natur und Sakrament, vgl. exemplarisch MW 6, 154: „Die dritte Antwort ist die realistische. Sie besteht darin, daß die Frage nach einer sachlich notwendigen Verbindung von Wasser und Taufe gestellt wird. […] Dem Wasser an und für sich wird eine Güte, eine Qualität, eine Mächtigkeit zugesprochen. Durch diese seine natürliche Mächtigkeit ist es geeignet, Träger einer sakralen Mächtigkeit und damit Element eines Sakraments zu werden. Es wäre eine sachlich notwendige Beziehung zwischen Wasser und Taufe gefunden. Diese realistische Auffassung scheint mir dem Wesen des Sakramentes angemessen zu sein.“ mit ebd., 169: „Es ist nun unsere Aufgabe, zu zeigen, in welcher Weise das geschehen kann ohne Rückwendung zu einem gegenständlich-sakramentalem (sic!) Denken, zu einem magischen Sakramentalismus […] Das bedeutet zuerst und vor allem: Es gibt keinen sakramentalen Gegenstand, abgesehen von dem Glauben, der ihn ergreift, weil er von ihm ergriffen ist. Abgesehen von der Korrelation Glaube=Sakrament gibt es kein Sakrament. Daraus folgt weiter, daß ein Sakrament niemals gegenständlich fixierbar ist. Die Naturmächtigkeit als solche schafft kein Sakrament.“ Während an ersterer Stelle einem Aus-
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spektive wie zum Merkmal der ‚Anerkanntheit‘ mahnen jedoch zur Vorsicht gegenüber einem Überstrapazieren der Figur der ‚Selbstmächtigkeit‘ im starken Sinne.¹³⁷ Demgegenüber mögen es mit der ‚Notwendigkeit‘ und der ‚Nichtaustauschbarkeit‘ die anderen beiden von Tillich zur Unterscheidung des Symbols vom Zeichen benannten Aspekte sein, die sachlich weiterführen. Beide verhalten sich zur ‚Willkürlichkeit‘ des Letzteren bei näherem Zusehen nicht als schroffer Gegensatz, sondern mehr als graduelle Abstufung: Die Relation von Ausdrucksträger, intensionalem Sinn- und extensionalem Gegenstandsbezug muss im Falle des Symbols als notwendiger gedacht werden, sodass im Vergleich zum Zeichen gewissermaßen von einer relativen intrinsischen Motiviertheit der Glieder gesprochen werden kann. Ein Modell einer solchen ‚relativen Motiviertheit‘ der Glieder der Symbolrelation hat nun etwa Nelson Goodman mit seinen 1968 erschienenen Languages of Art (Sprachen der Kunst) vorgelegt.¹³⁸ Bei allem offensichtlichen Abstand – Goodmans Symbolkonzeption ist nicht nur deutlich jünger als die Tillichs, sie speist sich mit der zeichentheoretischen Linie Peirce-MorrisCassirer-Langer sowie dem Logischen Positivismus Rudolf Carnaps auch aus denkbar anders gelagerten geistesgeschichtlichen Quellen¹³⁹ und ist nicht zuletzt
drucksträger, hier dem Wasser, eine es zum Sakrament qualifizierende intrinsische Qualität zugesprochen wird, soll genau diese Möglichkeit mit der zweiten Stelle kategorisch ausgeschlossen sein – wobei Tillich beide Male offenkundig keine fremde Position referiert, sondern die eigene formuliert. Wiederum ist auf die betreffende Spannung nicht eigens reflektiert. Zur Interpretation der fraglichen ‚Symbolkraft‘ im Sinne einer ‚Ausdruckskraft‘ vgl. unten III.3 c). Näherhin ist es die englische Originalausgabe Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, die 1968 in erster (und 1976 in überarbeiteter zweiter) Auflage erschien. Wir zitieren im Folgenden nach der deutschen Übersetzung; Nelson Goodman, Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, übers. v. Bernd Philippi (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1995). Zu besagter zeichentheoretischen Verortung des eigenen Programms vgl. Goodman, Sprachen, 10. Einen ersten Überblick über Leben und Werk Goodmans unter besonderer Berücksichtigung zeichentheoretischer Aspekte vermittelt Søren Kjørup, „The Approach of Goodman (Der Ansatz Goodmans)“, HSK 13. 2 (1998), 2320 – 2329 (dort auch Literatur). Zum philosophiegeschichtlichen Ort Goodmans sowie zu den entsprechenden Charakteristika des Nominalismus, Externalismus und Konstruktivismus vgl. zudem Simone Mahrenholz, Musik und Erkenntnis. Eine Studie im Ausgang von Nelson Goodmans Symboltheorie (Stuttgart Weimar: Metzler, 1998), 2 ff.; Elisabeth Birk, Mustergebrauch bei Goodman und Wittgenstein. Eine Studie zum Verhältnis von Beispiel und Regel (Tübingen: Narr, 2009), 14 f.23 ff.84– 91 u.ö. Für ausgewählte Theorieelemente vgl. weiterhin den Sammelband von Jakob Steinbrenner/Oliver R. Scholz/Gerhard Ernst (Hg.), Symbole, Systeme, Welten. Studien zur Philosophie Nelson Goodmans (Heidelberg: Synchron, 2005). Für das Folgende dienen vor allem die beiden Studien von Mahrenholz und Birk als Bezugspunkt.
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III Die Symboltheorie
keinesfalls am Paradigma der Religion, sondern vielmehr eben an dem der (bildenden) Kunst orientiert – lässt sich in der systematischen Grundanlage doch eine schematische Nähe ausmachen, auf deren Basis sich dann Goodmans symboltheoretische Unterscheidung von ‚Denotation‘ und ‚Exemplifikation‘ für Tillichs Abgrenzung von Zeichen und Symbol fruchtbar machen lässt. Vor dem notierten geistesgeschichtlichen Hintergrund verwendet Goodman in Sprachen der Kunst Symbol- und Zeichenbegriff, wiederum im Gegensatz zu Tillich, synonym: Die dort eingangs gegebene Bestimmung des Symbolbegriffs – „‚Symbol‘ wird hier als ein sehr allgemeiner und farbloser Ausdruck gebraucht. Er umfasst Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und mehr […] Das buchstäblichste Porträt und die nüchternste Passage sind ebensogut Symbole und ebenso ‚hoch symbolisch‘ wie die phantastischsten und figurativsten.“¹⁴⁰ – mutet in ihrer Weite wie ein der geisttheoretischen Dimension beraubtes, gleichsam ins Materielle gewendetes Gegenstück zu Cassirers Begriff der ‚symbolischen Form‘ an. Für Tillich wäre der systematischen Reichweite nach ganz schematisch der Ausdrucksbegriff in der von uns rekonstruierten Fassung als begriffliches Pendant anzusetzen. Goodman unterscheidet nun mit „Denotation“ und „Exemplifikation“ zwei grundsätzliche Modi der „Bezugnahme“ („reference“). ‚Denotation‘ lässt sich im Sinne des klassischen ‚aliquid stat pro aliquo‘ als Stehen-für bzw. Bezeichnen verstehen: Ein Etwas – ein Buchstabe, Wort, Text, Bild, Diagramm etc. – steht für ein anderes Etwas, ein Symbol bezeichnet ein Symbolisiertes.¹⁴¹ Die fragliche Bezugnahme ist nicht reflexiv, sie läuft vom Symbol in Richtung des Symbolisierten – wobei Goodman unter Letzterem einen „Gegenstand“ im freilich weitesten Sinne verstanden wissen will.¹⁴² Sein Interesse gilt dabei der Abwehr zweier Missverständnisse der dieserart als basal begriffenen denotierenden Bezugnahme: Weder spielt Ähnlichkeit („similarity“) für sie eine Rolle noch erfolgt sie aperspektivisch bzw. interpretationsfrei.¹⁴³ Denotation ist
Goodman, Sprachen, 9. Vgl. Mahrenholz, Musik, 40: „Denotation ist Bezugnahme im Sinne des Stehens-für, des Bezeichnens, auf etwas Zutreffens. Sie ist eine zweistellige semantische Relation zwischen einem Zeichen und demjenigen, worauf es sich bezieht: einem Objekt bzw. einer Gruppe von Objekten oder Ereignissen. Hauptbeispiel für Denotation ist die Referenzform von Namen und Prädikaten, doch auch längere Beschreibungen oder Bilder denotieren.“ Goodman selbst gibt für keinen seiner Grundbegriffe – Bezugnahme, Denotation, Exemplifikation etc. – eine Definition im eigentlichen Sinne, sondern bestimmt sie vielmehr in wechselseitiger Abgrenzung zueinander; vgl. Jakob Steinbrenner, „Exemplifikation und Bezugnahmefeld“, in: ders./Scholz/Ernst (Hg.), Symbole, 227– 234, 228. Vgl. Goodman, Sprachen, 17 Anm. 2. Der Widerlegung der entgegengesetzten Positionen dient das gesamte erste Kapitel von Sprachen der Kunst; vgl. ebd., 15 – 51; zum auch in der Folge Goodmans noch immer strittigen Wert
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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mithin arbiträr und konventional – „fast alles kann für fast alles andere stehen“.¹⁴⁴ Das systematische Äquivalent bei Tillich wäre somit der Zeichenbegriff. Bewegt sich Goodmans Begriff der Denotation in zeichentheoretisch wohlvertrauten Bahnen, so verlässt der komplementäre Begriff der Exemplifikation dieses Terrain. Mit ihm ist zunächst an eine Umkehr der Bezugnahmerichtung gedacht: Stand zuvor ein Wort, Text, Bild etc. für einen ‚Gegenstand‘, so fungiert jetzt ein solcher als „Muster“ („sample“) für die „Etiketten“ („labels“), auf die er Bezug nimmt. Unter Letzteren versteht Goodman nicht allein sprachliche Prädikate, sondern ebenso „Proben“ aus nicht-sprachlichen Systemen – zu denken ist an ‚Eigenschaften‘ in einem weiten Sinne.¹⁴⁵ Da nie alle Eigenschaften exemplifiziert werden, für die ein Gegenstand als Probe fungieren könnte, ist Exemplifikation – wie Denotation – perspektivisch, interpretativ und kontextgebunden. Insofern trägt sie wiederum konventional-arbiträre Züge. Jedoch sind diese im Vergleich zur denotierenden Bezugnahme abgeschwächt, sodass der Konnex von Symbol und Symbolisiertem im Fall der Exemplifikation als ‚relativ motiviert‘ bezeichnet werden kann. ¹⁴⁶ Es ist eben dieses Modell einer ‚relativen Motiviertheit‘ der exemplifizierenden im Gegenüber zur denotierenden Symbolrelation – in Tillichs Terminologie: des symbolhaften Ausdrucks im Gegenüber zum zeichenhaften –, die Goodmans Konzeption in einem ersten Zugriff für eine produktive Interpretation von Tillichs Unterscheidung von Symbolbegriff und Zeichenbegriff fruchtbar macht. Dabei ist – bei Goodman unter dem Oberbegriff des Symbols, bei Tillich rekonstruktiv unter dem des Ausdrucks – eine gemeinsame semiotische Grundstruktur gewahrt. Zudem ist in differenzierter Weise dem konventionellen Moment Rechnung getragen, das zwar über die Dimension der Verwendung notwendig auch in den Modus der exemplifizierenden Symbolisierung (Goodman) bzw. des symbolischen Ausdrucks (Tillich) eingeht, hier aber gleichwohl in schwächerer Form als im Modus der denotierenden Symbolisierung bzw. des zeichenhaften Ausdrucks zu fassen ist.
des Ähnlichkeitsgedankens vgl. die gegenteiligen Einschätzungen bei Oliver R. Scholz, Bild, Darstellung, Zeichen. Philosophische Theorien bildlicher Darstellung (Frankfurt/Main: Klostermann, ²2004), 17– 81; Klaus Sachs-Hombach, „Über Sinn und Reichweite der Ähnlichkeitstheorie“, in: Steinbrenner/Scholz/Ernst (Hg.), Symbole, 203 – 225. Die unumgängliche Perspektivität der denotierenden Bezugnahme ist hervorgehoben bei Birk, Mustergebrauch, 48 f. u. ö. Goodman, Sprachen, 17. Vgl. ebd., 63 ff.; eine gute erste Übersicht zu Goodmans Vokabular findet sich bei Birk, Mustergebrauch, 26. Zur Schwierigkeit der Kategorie des ‚Labels‘ vgl. Mahrenholz, Musik, 49 f. Ihr ist der Vorschlag entnommen, Goodmans ‚Etiketten‘ im Sinne eines ‚umfassenden Begriffs für verbale und nicht-verbale Eigenschaften‘ zu verstehen. Vgl. Birk, Mustergebrauch, 55.
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III Die Symboltheorie
Diese ‚relative Motiviertheit‘ lässt sich mit Goodman näherhin wie folgt fassen:Verglichen mit Denotation ist Exemplifikation nicht allein ein „Unterschied in der Richtung“, bezeichnet sie also nicht nur die bereits benannte Umkehr der Bezugsrichtung. Vielmehr ist sie einmal als „Besitz plus Bezugnahme“ („possession plus reference“) bestimmt.¹⁴⁷ Um als Probe für eine Eigenschaft fungieren zu können, muss die fragliche Eigenschaft dem Gegenstand selbst eignen – so muss etwa ein Stück Stoff, um als Probe des Prädikats ‚rot‘ zu gelten, ebendiese Eigenschaft besitzen, naiv formuliert mithin seinerseits von roter Farbe sein: „Alles kann ich rote Dinge denotieren lassen, aber ich kann nicht alles mögliche, das nicht rot ist, eine Probe von Röte sein lassen. Ist Exemplifikation also wesentlicher, weniger beliebig als Denotation? Der Unterschied läuft darauf hinaus.“¹⁴⁸ Hier fließt, wie Goodman ausdrücklich vermerkt, ein intrinsischer Gesichtspunkt in seine Konzeption ein, ohne dass dieser gegen den nicht intrinsischen, perspektivischen und kontextuellen Charakter von Bezugnahme auszuspielen wäre.¹⁴⁹ Zweitens setzt Exemplifikation Denotation nicht außer Kraft, sondern vielmehr voraus. Die Richtung der exemplifizierenden Bezugnahme ist somit keine einfache. Sie geht „zwischen den zwei Elementen in beide[ ] Richtungen“.¹⁵⁰ Eignet ihr im Unterschied zur Denotation ein reflexives Moment, dann stellt ein als Probe fungierender Gegenstand mit einer Eigenschaft zugleich immer auch sich selbst aus. Aufs Ganze gesehen bedeutet Exemplifikation entsprechend eine Aufwertung des Symbolträgers, da er im Gegensatz zur Denotation nicht mehr beliebig austauschbar ist: Ob der Reflexivität der exemplifizierenden Bezugnahme und dem intrinsischen Moment des Besitzes zieht das gewissermaßen ‚unvertauschbare‘ Symbol selbst die Aufmerksamkeit des Symbolbenutzers auf sich, wird es zum unverzichtbaren Bestandteil der betreffenden Symbolisierung.¹⁵¹ Mit der Figur
Goodman, Sprachen, 60. Ebd., 65. Mit den letzten beiden Sätzen ist die Brücke zur These einer ‚relativen Motiviertheit‘ im Falle der Exemplifikation geschlagen. Vgl. ebd., 60: „Ist Besitz intrinsisch, so ist Bezugnahme es nicht; und welche Eigenschaften eines Symbols nun gerade exemplifiziert werden, hängt davon ab, welches besondere Symbolsystem in Kraft ist.“ Ebd., 65. Entgegen dem ersten Augenschein versteht Goodman Exemplifikation nicht einfach als Umkehr der Denotation, sondern als Subrelation der Umkehr der Denotation; vgl. Mahrenholz, Musik, 50: „Geht im Fall der Denotation also der Richtungspfeil der Bezugnahme in eine Richtung – vom Symbol weg – so in der Exemplifikation in beide: sowohl auf das Symbol zu (durch das denotierende Label) als auch vom Symbol weg: exemplifizierend auf dieses Label.“ In den Worten von Mahrenholz: „Denotation bewegt sich vom Symbol weg auf ein Anderes hin, die Exemplifikation läuft umgekehrt zunächst auf das Symbol selbst zu in Form des DenotiertWerdens durch das entsprechende ‚Label‘, lenkt die Aufmerksamkeit auf das Symbol selbst, und verweist damit bezugnehmend auf dieses Label.“ (ebd.).
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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‚Besitz plus Bezugnahme‘, der weniger beliebigen Verbindung der Glieder der Symbolrelation bis hin zur folgerichtigen Aufwertung des Symbolträgers, ist ein Weg der Rekonstruktion des Tillich’schen Merkmals der ‚Selbstmächtigkeit‘ des Symbols gewiesen, der sich fernab des Gedankens einer ‚magischen Kraftgeladenheit‘ hält. Das Motiv des ‚Besitzes‘ bewahrt den Aspekt der dem Symbol eigenen ‚inneren‘ Mächtigkeit, ohne diese jedoch realistisch zu hypostasieren. Im Rahmen der Ausführungen zur Exemplifikation entwickelt Goodman unter dem Titel des „Ausdrucks“ zudem auch sein Verständnis des Metaphorischen.¹⁵² Der für das Funktionieren der Metapher entscheidende Transfer erfolgt dabei durch das Beziehen eines ganzen Schemas von Eigenschaften auf einem diesem Schema zuvor fremden Gegenstand. Drückt also – so Goodmans Beispiel – ein buchstäblich graues (weil in Grautönen gehaltenes) Bild metaphorisch Traurigkeit aus, dann wird nicht nur dieses eine Prädikat ‚traurig‘ auf das Bild bezogen, sondern mit ihm indirekt das gesamte Schema ‚emotionaler‘ Prädikate. Dadurch aber organisieren sich sowohl das betreffende Schema wie die korrespondierende Sphäre der ‚Gegenstände‘ neu – eine vorderhand lokale Verschiebung der Bezugnahme zieht dieserart eine umfassende Reorganisation nach sich.¹⁵³ Auf einen Effekt dieses produktiven Wechselspiels von ‚Gegenstand‘ und Eigenschaftsbereich hat Mahrenholz am Beispiel der Musik mit Nachdruck hingewiesen. Die Bezugnahme auf ein vormals fremdes Label führt nämlich ihrerseits zu einer doppelten Suchbewegung: Erstens auf der Ebene des Schemas, indem das metaphorisch exemplifizierte Label auf seinen Ort, seinen Zusammenhang mit anderen Labels desselben Schemas hin in den Blick genommen wird. Zweitens auf der Ebene der ‚Gegenstände‘, wird hier doch nach ebensolchen gesucht, die gleichfalls auf das metaphorisch exemplifizierte Label Bezug nehmen: „Musik ist der implizite kognitive Imperativ, das in der Welt, in uns oder unserem Leben zu suchen, wozu sie das Label zeigt, wofür sie Sample ist.“¹⁵⁴ Die im Gegensatz zur Denotation wechselseitige Bezugnahme von Eigenschaft und Gegenstand, Symbolisiertem und Symbol provoziert mithin eine konstruktive Suchbewegung. Insofern eignet der Exemplifikation, zumal der metaphorischen, eine Erschlie-
Vgl. Goodman, Sprachen, 53 ff., bes. 73 – 97; zu Goodmans Theorie des Ausdrucks vgl. Mahrenholz, Musik, 69 – 99. Während Tillich den Ausdrucksbegriff denkbar weit fasst – er gilt ihm wie gesehen als Oberbegriff für Symbol und Zeichen – ist Goodmans Verwendung sehr spezifisch: Ausdruckscharakter können allein exemplifizierende Bezugnahmen haben, und hier nur solche von metaphorischer Gestalt. Damit entspricht Goodmans Ausdrucksbegriff in genauer terminologischer Spiegelbildlichkeit in gewisser Weise Tillichs Symbolbegriff, während andersherum dessen Ausdrucksbegriff in seiner Weite Goodmans Symbolbegriff korrespondiert. Vgl. v. a. Mahrenholz, Musik, 70 – 72. Ebd., 90.
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III Die Symboltheorie
ßungsfunktion: „‚Exemplifizieren‘ heißt: Label haben und Dinge suchen und finden.“ ¹⁵⁵ Man könnte sagen: Vermittels metaphorischer Exemplifikation werden vormals unberücksichtigte Sinnbezirke aufgerufen – oder stärker noch, vormals unzugängliche Sinndimensionen evoziert. Eine solche – im Falle des religiösen Symbols: fundamentale – Erschließungsfunktion hat nun Tillich wiederum in den späteren Aufsätzen ausdrücklich für den Symbolgedanken reklamieren können: „Das vierte Merkmal repräsentativer Symbole ist ihre Macht, Dimensionen der Wirklichkeit zu erschließen, die gewöhnlich durch die Vorherrschaft anderer Dimensionen verdeckt sind. Aber der menschliche Geist könnte diese neuen Dimensionen nicht ergreifen, wenn das Symbol nicht auch in ihm eine neue Dimension öffnete.“¹⁵⁶ Die Erschließungsfunktion ist dabei am für die Symbolkonzeption des Spätwerkes zentralen Partizipationsgedanken festgemacht. Löst man sie von diesem und setzt sie mit den vorstehenden Überlegungen zu Goodmans Figur der metaphorischen Exemplifikation in Verbindung, dann könnte man sagen: Symbolen eignet im Gegenüber zu Zeichen aufgrund der intrinsischen relativen Motiviertheit der Glieder der Ausdrucksrelation eine Erschließungsfunktion bezüglich zuvor unzugänglicher Sinndimensionen. In der Symbolkonzeption der 1920er Jahre begegnet die fragliche Funktion mehr am Rande. Sie klingt allerdings in Das religiöse Symbol mit Blick auf den Gottesgedanken zumindest von Ferne an: „Das Wort ‚Gott‘ läßt also im Bewußtsein einen Widerspruch erscheinen zwischen einem uneigentlich Gemeinten, das Bewußtseinsinhalt ist, und einem eigentlich Gemeinten, das von diesem Inhalt vertreten wird.“¹⁵⁷ Inwiefern der betreffende, allererst mit der begrifflichen Fixierung des Gottesgedankens erschlossene ‚Widerspruch im Bewusstsein‘ tatsächlich von fundamentaler symboltheoretischer Bedeutung ist und wie jene Erschließungsfunktion – zumal hinsichtlich des religiösen Symbols – abseits der späten ontologischen Theoriebildung vor dem Hintergrund der Geisttheorie der 1920er Jahre näherhin zu denken ist, macht sich offenkundig am Moment der „Uneigentlichkeit“ fest. Es steht entsprechend im Zentrum der frühen Symboltheorie.
Ebd.; kursiv L. H. GW V, 238; vgl. auch ebd., 215; GW VIII, 140. Die Stärke der zitierten Passage gegenüber den weiteren Stellen liegt darin, zugunsten des Begriffs der ‚Dimension‘ ganz auf den missverständlichen, weil der späten Ontologie verpflichteten Begriff der ‚Schicht‘ zu verzichten. GW V, 207; vgl. auch unten III.3 b). Der Gedanke einer fundamentalen Erschließungsfunktion der metaphysischen Begriffe, die als Symbole fungieren, ist Ende 1927 ebenfalls im Vortrag Die Metaphysik des Geschehens angedeutet: „Viel wichtiger […] ist die Frage, ob er wirklich das tut,was ein Begriff soll, die Sache greifen, die er meint, so daß man nun sehen kann, was vorher unsichtbar war.“ (EW XI, 176; kursiv L. H.).
III.2 Grundaspekte des Symbolgedankens
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d) Ertrag und Ausblick Tillich selbst hat keine Theorie des Zeichens im eigentlichen Sinne ausgearbeitet, bei ihm finden sich vielmehr allein Ansätze einer semiotischen Klärung. In der Folge ist sein Symbolbegriff kaum zeichentheoretisch reflektiert. Genauer etabliert er ‚Symbol‘ und ‚Zeichen‘ als strikte Alternativen, wobei der Zeichenbegriff in der Theoriebildung der 1920er Jahre sowohl in werkgenetischer als auch in systematischer Perspektive als reines Negativ zu dem des Symbols gebildet ist. Mit Tillich gesprochen: ‚Zeichen – Symbole ohne Notwendigkeit‘. Um jene wenig weiterführende Alternative gedanklich aufzubrechen und den Symbolgedanken für eine zeichentheoretische Klärung zu öffnen, lässt sich die Kategorie des ‚Ausdrucks‘ als genus proximum rekonstruieren, zu dem Symbol und Zeichen die Unterfälle darstellen. Ohne alle bei Tillich gegebenen zeichentheoretischen Probleme zu lösen, kann der Ausdrucksbegriff als Zeichenbegriff im weiten Sinne verstanden werden, dem der Symbolbegriff und der von ihm benannte Zeichenbegriff im engeren Sinne zugeordnet werden. Bei gemeinsamer Ausdrucksstruktur bezeichnen dann ‚Uneigentlichkeit‘ und ‚Selbstmächtigkeit‘ bzw. ‚Notwendigkeit‘ die differentia specifica des Symbolbegriffs im Gegenüber zum Zeichenbegriff im engeren Sinne. Als Ausdrucksträger können dabei gemäß dem von Tillich notierten Merkmal der ‚Anschaulichkeit‘ gleichermaßen sinnlich wahrnehmbare Gegenstände, mentale Anschauungen und Vorstellungen sowie sprachliche Termini und Begriffe fungieren. Weiterhin unterstreicht er nachdrücklich die konstitutive Bedeutung der Ausdrucksverwendung: Zeichen im engeren Sinne wie Symbole fungieren nicht ‚an sich‘ als ebensolche, sondern sind an ihren Gebrauch als zeichenhafte bzw. symbolhafte Ausdrücke für etwas durch jemanden zurückgebunden. Die pragmatische Dimension erweist sich dieserart als ein elementares Moment seiner Ausdruckskategorie. In deren Zentrum steht freilich die semantische Dimension der Bezugnahme. In Tillichs Terminologie: Die basale ‚Sachbezogenheit‘ des Ausdrucks ist der Grundstruktur nach so zu denken, dass ein Ausdrucksträger für eine mittels seiner ausgedrückte ‚Sache‘ steht, indem er auf sie ‚hinweist‘. Präziser besteht ein funktionales Verhältnis zwischen dem intensionalen Sinnbezug und dem extensionalen Gegenstandsbezug, insofern Ersterer Letzteren vermittelt. Als Vorbild dieses Modells einer gleichsam gestuften semantischen Bezugnahme ließ sich Edmund Husserls in den Logischen Untersuchungen entfalteter Ausdrucksbegriff wahrscheinlich machen, im Hintergrund steht Freges systematisch einschlägige Unterscheidung von ‚Sinn‘ und ‚Bedeutung‘. Während die Zuordnung der Glieder der Ausdrucksrelation nun im Falle des Zeichens (im engeren Sinne) mit Tillich als ‚willkürlich‘, mithin als intrinsisch
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III Die Symboltheorie
nicht motiviert und als Sache reiner Konvention gelten kann, ist für das Symbol eine ‚Notwendigkeit‘ behauptet. Diese, und die mit ihr verbundene ‚Selbstmächtigkeit‘ des Symbols, lassen sich – will man das von Tillich in diesem Zusammenhang bisweilen verwendete Bild einer geradezu ‚magischen Kraftgeladenheit‘ als seinerseits nur schwer explizier- und theoretisch vermittelbar vermeiden – etwa im Sinne von Nelson Goodmans Figur der ‚Exemplifikation‘ als relative intrinsische Motiviertheit der Glieder der Symbolrelation verstehen. Symbolen eignet so im Gegenüber zu Zeichen eine Erschließungsfunktion hinsichtlich vormals unzugänglicher Sinnbezirke. Damit rückt wiederum das Merkmal der ‚Uneigentlichkeit‘ in den Fokus.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen Als Das religiöse Symbol 1940 unter dem Titel The Religious Symbol erstmals in englischer Übersetzung erschien, bat das veröffentlichende Journal of Liberal Religion Wilbur M. Urban und Edwin E. Aubrey um kurze Stellungnahmen.¹ Urban wie Aubrey signalisierten im Ganzen vorsichtige Zustimmung zu Tillichs Ausführungen, meldeten aber in einer Hinsicht deutliche Kritik an. Beide monierten, dass dessen Behauptung „The thing referred to in the […] symbol is the unconditioned transcendent, the source of both existence and meaning, which transcends being-in-itself as well as being-for-us“² sowie die dem entsprechende Kernthese „All knowledge of God has a symbolic character“³ eine Theorie des religiösen Symbols gerade zu ruinieren drohe. Mit den Worten der zuerst erschienenen Replik Urbans: There are two aspects of this theory […] which, to my mind, condemn to ultimate unintelligibility any theory which contains them. The first of these is what I shall describe as pansymbolism – the view, namely, that all knowledge of God has symbolic character. As I have sought to point out, the notion of symbolic knowledge (and symbolic truth) is meaningless except in contrast with non-symbolic knowledge [… U]nless the name [of God; L. H.] is to be wholly fictional, it must refer to some aspect of the transcendent which is known analogically […] In the second place, unless we know in some way, either immediate or mediate, that there is a being whom men call God, religious symbolism becomes mere symbolism – in the bad sense. The God idea cannot itself be a symbol, as Professor Tillich implies.⁴
Die beiden notierten Kritikpunkte lassen sich als zwei Seiten derselben Medaille verstehen: Um der Gefahr eines reinen Fiktionalismus bzw. ‚Pan-Symbolismus‘ zu entgehen, müsse eine Theorie religiöser Symbole die Gottesidee selbst als ihrerseits nicht symbolisch etablieren. Das Wissen um diesen seinerseits nicht mehr symbolischen Referenten der religiösen Symbolwelten könne als unmittelbar oder mittelbar verstanden werden, sei aber jedenfalls analogischer Natur. Tillichs Behauptung einer schlechthinnigen Transzendenz des Unbedingten bzw. der Gottesidee stelle demgegenüber eine unbedingte Unverständlichkeit (‚ulti-
Die gesamte Debatte – von The Religious Symbol (MW 4, 253 – 269) über Urbans (ebd., 269 – 271) und Aubreys (ebd., 271 f.) Stellungnahmen bis hin zu Tillichs abschließender Replik (ebd., 273 – 276) – ist über den entsprechenden vierten Band der Main Works leicht zugänglich. Ebd., 263. Ebd. Ebd., 270 f.
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III Die Symboltheorie
mate unintelligibility‘) dar und führe mithin auf eine Extremgestalt negativer Theologie („an extreme form of the ‚negative theology‘“⁵). In seiner im darauffolgenden Jahr erschienenen kurzen Replik Symbol and Knowledge erläutert Tillich zunächst die kritisierte Formulierung einer schlechthinnigen Transzendenz des Unbedingten wie folgt: „What I mean is that the ground of being is at the same time the abyss of any definite being; and conversely that the abyss of being which transcends all special beings is at the same time the creative ground of all forms of existence.“⁶ Wir können den Rückgriff auf die aus der Frühzeit vertrauten Fassung des Unbedingten als ‚Grund und Abgrund‘ (‚ground‘ und ‚abyss‘) zur Erhellung der inkriminierten Wendung notieren, deren ausführliche Diskussion jedoch vorerst zurückstellen.⁷ Im gegenwärtigen Zusammenhang ist von primärem Interesse, dass Tillich der Fiktionalismuskritik Urbans und Aubreys vorbehaltlos zustimmt und in diesem Zuge festhält: „I would admit that any symbolic knowledge presupposes some basis of non-symbolic knowledge […] The non-symbolic element in all religious knowledge is the experience of the unconditioned as the boundary, ground and abyss of everything conditioned.“⁸ Er konzediert mithin eine univoke, nicht symbolische Grundlage des religiösen Symbolisierens und erblickt diese in der Erfahrung des Unbedingten als ‚Grenze, Grund und Abgrund‘ alles Bedingten. Der vor allem von Urban erhobenen Forderung einer Orientierung am Analogiegedanken kann er ebenfalls prinzipiell beipflichten – „Positive-symbolic terms presuppose […] that the immediate reality which is used in the symbol has something to do with the transcendent reality which is symbolized in it. Therefore I can accept the classical doctrine of ‚analogia entis‘“ –, notiert allerdings hinsichtlich deren Tragfähigkeit zugleich eine gewisse Einschränkung: „But while accepting the method of ‚ana-
Ebd., 270. Urban rückt Tillichs Symboltheorie in die Nähe der dialektischen Theologie und vermag letzten Endes nur geringe Unterschiede zwischen seiner Position und der Ludwig Feuerbachs zu erkennen; vgl. ebd., bzw. ebd., 271. Auch Aubrey meint eine Nähe zur Barth’schen Theologie auszumachen und in der schon von Urban kritisierten These einer schlechthinnigen Transzendenz des Unbedingten eine „logical impossibility“ und „a sort of meta-metaphysics“ zu erblicken (ebd., 271 f.). Ebd., 273. Vgl. unten III.3 c). Tillich hatte die problematisierte Formulierung „Das im […] Symbol Gemeinte ist das Unbedingt-Transzendente, Sein- und Sinn-Gebende, das in gleicher Weise das Sein-an-sich und das Sein-für-uns überschreitet“ im Übrigen bereits 1928 ausdrücklich als „Voraussetzung, die hier nicht weiter erörtert werden kann“, gekennzeichnet (GW V, 206) – und also schon selbst signalisiert, dass sie rein für sich genommen missverständlich sein kann. Tatsächlich werden wir sehen, dass ihre eigentliche Stoßrichtung erst im Verbund mit den entsprechenden Ausführungen des zeitgleichen Systems der religiösen Erkenntnis ersichtlich wird. MW 4, 273.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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logia entis‘, I cannot accept any attempt to use it in the way of rational construction.“⁹ Während also die ‚Analogia-entis‘-Lehre in ihrer – wie auch immer näherhin zu bestimmenden – ‚klassischen‘ Gestalt geeignet erscheint, die Beziehung zwischen Symbol und Symbolisiertem in gedanklich nachvollziehbarer Form zu konkretisieren, wird sie als Mittel einer ‚rationalen Konstruktion‘ verworfen.¹⁰ Die in der Auseinandersetzung mit Urban und Aubrey bezogene Position sollte Tillich ein gutes Jahrzehnt später im ersten Band seines großen Spätwerkes, der dreibändigen Systematischen Theologie, in vorderhand nur leicht modifizierter Form reformulieren. Erneut stellt er der einschlägigen These, der zufolge jede konkrete Aussage über Gott symbolischer Natur ist, als „Basis“ den univoken, ja nachgerade „gänzlich unsymbolischen“ Satz ‚Gott ist das Sein-Selbst‘ gegenüber.¹¹ Im Zusammenhang mit der nunmehr am Seinsgedanken orientierten Fassung des Gottesbegriffs ist die Figur der ‚analogia entis‘ noch einmal merklich aufgewertet, erscheint sie doch jetzt geradezu als alleiniger Rechtsgrund einer jeden konkreten symbolischen Aussage über Gott.¹² Entsprechende Überlegungen finden sich in der Einleitung zum zweiten Band der Systematischen Theologie, die klärend in die anhebende Diskussion eines nicht symbolischen Moments seiner Symbolkonzeption eingreifen sollte.¹³ Die angestrebte Klärung ist freilich, wie die ausufernde US-amerikanische Forschungsliteratur zu ‚Tillich’s one nonsymbolic statement‘ zeigt, nicht geglückt. Im Zentrum jener Debatte stand dabei die mehr werkgeschichtliche, allein das Spätwerk betreffende Frage, inwiefern seine Haltung hinsichtlich der Notwendigkeit eines univoken Elements nach 1940 konstant geblieben sei.¹⁴ Demgegenüber herrschte bei allen Beteiligten weithin Einigkeit
Ebd., 273 f. Zum Analogiegedanken vgl. Hans-Georg Geyer, „Analogia fidei“, HWPh 1 (1971), 213 f.; Wolfgang Kluxen, „Analogie I“, ebd., 214– 227; Joachim Track, „Analogie“, TRE 2 (1978), 625 – 650. Vgl. ST I, 277: „Der Satz, daß Gott das Sein-Selbst ist, ist ein nicht-symbolischer Satz. […] Was er sagt, meint er direkt und eigentlich. […] Theologie [muss] mit dem abstraktesten und gänzlich unsymbolischen Satz beginnen, nämlich damit, daß Gott das Sein-Selbst oder das Absolute ist. Über diese Aussage hinaus kann allerdings nichts über Gott als Gott gesagt werden, was nicht symbolisch wäre.“ Vgl. ebd., 278: „Die analogia entis gibt uns allein das Recht, überhaupt von Gott zu sprechen. Sie beruht auf der Tatsache, daß Gott als Sein-Selbst verstanden werden muß.“; vgl. zudem auch die synonyme Verwendung von „analog“ und „symbolisch“; vgl. ebd., 157 u. ö. Vgl. ST II, 15 f. Tillich wiederholt hier nicht nur die These von der Notwendigkeit einer fundamentalen nicht symbolischen Aussage mit Blick auf den Gottesgedanken, sondern gebraucht den Analogie- und den Symbolbegriff wiederum synonym. Vgl. exemplarisch die Positionen von William L. Rowe, Religious Symbols and God. A Philosophical Study of Tillich’s Theology (Chicago: University of Chicago Press, 1968), 25 ff.; Lewis S.
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III Die Symboltheorie
darüber, dass für die Zeit vor 1940 nicht mit einem solchen Element zu rechnen sei. Demnach hätte die Auseinandersetzung mit Urban und Aubrey eine bis in die Fundamente hineinreichende Modifikation der Symbolkonzeption zur Folge gehabt. Eine Wortmeldung Tillichs schien diese Sichtweise nochmals zu bestätigen.¹⁵ Bei näherem Zusehen erweist sich Tillichs Position im Vorfeld der Debatte mit Urban und Aubrey jedoch keinesfalls als so eindeutig, wie es vorderhand scheinen mag. Denn einmal fällt auf, dass Tillich in jener Auseinandersetzung die Notwendigkeit eines entsprechenden Moments umstandslos zugestanden hatte und die betreffenden Differenzen allein in Formulierungs- und Übersetzungsfragen und also diesseits systematischer Differenzen begründet wissen wollte.¹⁶ In der Tat hatte er sich schon deutlich früher – etwa in dem der Öffentlichkeit allerdings unbekannten, weil unveröffentlichten System der religiösen Erkenntnis von 1927/28 – seinerseits explizit von einem ‚Pan-Symbolismus‘ abgrenzen können,¹⁷ dem Urban ihn nun zuordnen wollte. Erinnert sei zudem an die von Anbeginn der symboltheoretischen Überlegungen an merklichen Vorbehalte gegenüber einer Überbetonung der Phantasie.¹⁸ Demgegenüber hatte Tillich die für seinen Symbolbegriff grundlegende Ausdruckskategorie gerade am Moment der ‚Sachhaltigkeit‘ oder ‚Sachbezogenheit‘ orientiert¹⁹ – eine Orientierung, die sich zumindest vorderhand gegen den nunmehr erhobenen Fiktionalismusverdacht sperrt. So bleibt zu fragen, ob jene Auseinandersetzung des Jahres 1940 für ihn tatsächlich einen markanten Einschnitt in Sachen Symbolkonzeption bedeutete, oder ob seine diesbezüglichen Aussagen mit Christian Danz nicht eher als
Ford, „Tillich’s One Nonsymbolic Statement. A Propos of a Recent Study by Rowe“, JAAR 38 (1970), 176 – 182; vgl. zur entsprechenden Debatte auch Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979), 171– 176. Vgl. „Reply to Interpretation and Criticism“, in: Charles W. Kegley/Robert W. Bretall (Ed.), The Theology of Paul Tillich (New York: Macmillan, 1952), 374– 394, 379: „An early criticism by Professor Urban of Yale forced me to acknowledge that in order to speak of symbolic knowledge one must delimit the symbolic realm by an unsymbolic statement. I was grateful for this criticism, and under its impact I became suspicious of any attempts to make the concept of symbol all-embracing and therefore meaningless. The unsymbolic statement which implies the necessity of religious symbolism is that God is being itself.“ Tillich summierte die betreffenden Anfragen unter einem ersten Punkt „criticisms that are entirely justified for reasons of formulation and translation“ – im Unterschied zu den eigentlich kontroversen Gesichtspunkten, die er als „criticisms in reply to which I must defend the idea itself against contrasting ideas“ einordnete (MW 4, 273). Vgl. EW XI, 130. Vgl. oben III.1 b). Vgl. oben III.2 a).
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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freundliches Zugeständnis an die neue Heimat interpretiert sein wollen.²⁰ Es muss mithin vorerst offenbleiben, inwiefern nicht bereits Tillichs frühe Symbolkonzeption eine univoke Grundlage oder doch zumindest ein univokes Moment kennt. Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass – gesetzt den Fall eines positiven Bescheids dieser Frage – dessen gedankliche Fassung mit der in der Spätzeit gewählten Lösung einer Identifikation von Gott und ‚Sein-Selbst‘ identisch ist. Dass damit weit mehr als rein werkgeschichtliche Fragestellungen berührt sind, mag ein Seitenblick auf die deutschsprachige Forschung verdeutlichen. Hier nämlich ist Tillichs Symbolkonzeption gerade hinsichtlich der Univozitätsthematik kritisch hinterfragt worden. So hat beispielsweise Michael Moxter das Ansinnen, zugleich die unhintergehbare Symbolizität aller religiösen Aussagen über Gott und die Nichtsymbolizität ihres Bezugspunktes etablieren zu wollen, wiederholt griffig als den Versuch „to eat the cake and have it too“ gekennzeichnet.²¹ Vor allem aber ist an das wirkmächtige Urteil von Gunther Wenz zu erinnern, Tillich vertrete letztlich einen „univoken Symbolismus“.²² Seine Kritik zielt dabei – anders als die Moxters – weniger auf die Ansetzung eines univoken Moments per se. Vielmehr ist ihre Pointe darin zu erblicken, dass die fragliche Univozität gleichsam in den Symbolgedanken selbst verlegt werde. Dessen dialektische Struktur, so dürfte Wenz zu verstehen sein, wird ihrerseits einfach „unmittelbar sinnidentisch“ behauptet und somit undialektisch gesetzt.²³ Tritt
Vgl. Christian Danz, Religion als Freiheitsbewußtsein. Eine Studie zur Theologie als Theorie der Konstitutionsbedingungen individueller Subjektivität bei Paul Tillich (Berlin New York: Walter de Gruyter, 2000), 165 Anm. 177. Michael Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 33: „Die symbolische Rede von Gott als unhintergehbar zu behaupten und den Bezugspunkt dieser Rede dennoch nicht-symbolisch abzusichern, besteht in dem Versuch, to eat the cake and have it too.“; vgl. ders., „Die Frage als Symbol, das Symbol als Frage. Ein Vorschlag zur Tillich-Interpretation“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Das Symbol als Sprache der Religion (Wien Berlin Münster: Lit, 2007), 31– 45, 43. Wenz, Subjekt, 177. Die Wirkmächtigkeit von Wenz’ Univozitäts-Kritik lässt sich exemplarisch am TRE-Artikel ‚Symbol‘ ablesen; vgl. Werner Brändle, „Symbol III. Systematisch-theologisch“, TRE 32 (2001), 487– 491, 489 f. Vgl. Wenz, Subjekt, 177: „Tillich bringt den Symbolgedanken als solchen nichtsymbolisch, univok, unmittelbar sinnidentisch zur Geltung. Es ist deshalb ein unergiebiges Unterfangen, gleichsam ‚außerhalb‘ des Tillichschen Symbolismus nach ‚non-symbolic statements‘ zu suchen: jeder derartige Versuch […] wurde von Tillich als inadäquat zurückgewiesen: was ihn freilich nicht daran hinderte, auf der univoken Grundlage seiner Symboltheorie zu bestehen. […] Eine Auflösung des scheinbaren Dilemmas ergibt sich tatsächlich erst dann, wenn man die Sinnidentität im Symbolgedanken als solchem sucht. Tillich vertritt – um es pointiert auszudrücken – einen univoken Symbolismus. […] Unsere Analyse des Univokationsproblems ergibt nun folgendes:
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III Die Symboltheorie
man einen Schritt zurück und bedenkt die Anfragen vor dem Hintergrund des Bisherigen, dann ist diesseits der Frage ihrer Triftigkeit eines zu konstatieren: Weder Moxter noch Wenz unterscheiden zwischen früher und später Symbolkonzeption, sondern nehmen umstandslos Letztere zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen.²⁴ So kann schon die basale Frage, ob das Frühwerk überhaupt ein univokes Moment kennt, gar nicht in den Blick kommen. Der Zugang zu der sich überhaupt erst bei deren positiver Beantwortung stellenden diffizileren Frage, ob denn die frühe Fassung der Univozität gleichfalls der auf das Spätwerk gemünzten Kritik verfällt, ist von vornherein verstellt. Hier verbinden sich also, zumal ob der Gewichtigkeit der Kritik in Sachen Univozität, werkgeschichtliche und systematische Fragen aufs Engste. Ist die systematische Valenz jener ersten, vorderhand mehr werkgenetischen Fragestellung bezüglich der Kontinuität bzw. Diskontinuität der Symbolkonzeption im Kontext der Auseinandersetzung mit Urban und Aubrey verdeutlicht, können wir uns einem zweiten systematischen Aspekt wiederum über eine werkgeschichtliche Beobachtung annähern. Sowohl in Tillichs Reaktion gegenüber den beiden US-amerikanischen Opponenten als auch mit Blick auf seine Systematische Theologie war bereits die Bedeutung des Analogiegedankens für die späte Konzeption angeklungen.Tatsächlich sollte deren zweiter Band diese mit Überlegungen zur ‚Analogia imaginis‘ nochmals unterstreichen.²⁵ Folgerichtig ist der Konnex von Symbol- und Analogiegedanke wiederholt Gegenstand der Forschung gewesen, wobei man sich des Eindrucks einer verstärkt konfessionellen Einfärbung des jeweiligen Urteils kaum erwehren kann: Während die katholische
Tillich bringt jene den Symbolismus konstituierende Dialektik von Uneigentlichkeit und Selbstmächtigkeit nicht-symbolisch, d. h. unmittelbar sinnidentisch zur Geltung.“ Die Stoßrichtung der unter dem Stichwort des ‚univoken Symbolismus‘ subsummierten Kritik ist freilich bei näherem Zusehen keineswegs so eindeutig, wie es die breite Rezeption jener Formel suggerieren könnte. Wenz scheint nämlich allein den Aspekt der ‚unmittelbar sinnidentischen‘ Etablierung des univoken Momentes und keineswegs schon die Ansetzung eines solchen an sich zu kritisieren – in diesem Sinne wurde er jedoch wiederholt rezipiert. Letztlich bleibt unklar, was Wenz genau vor Augen hat. Aufs Ganze gesehen scheint diese Unklarheit der Rezeption seines Univozität-Vorwurfs allerdings nicht hinderlich, sondern im Gegenteil eher förderlich gewesen zu sein – konnte doch vielfach auf ihn Bezug genommen werden, um ihn in die je eigene Interpretationsperspektive einzuspannen. Der Univozität-Verdacht fungierte so in den vergangenen Jahrzehnten gerade in seiner letzten Undeutlichkeit als Generalschlüssel einer kritischen Tillich-Interpretation. Moxters Hauptbeleg stammt aus Dynamics of Faith, und somit aus dem Jahr 1957; vgl. Moxter, Lebenswelt, 34 f.Wenz setzt zwar mit dem Symbolaufsatz von 1928 ein, entwickelt den UnivozitätsVorwurf jedoch letztlich ganz entlang der US-amerikanischen Debatte, und also der entsprechend späten Texte Tillichs; vgl. Wenz, Subjekt, 171 ff. Vgl. ST II, 125 ff.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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Forschung – zu denken ist vor allem an Norbert Ernst und Werner Schüßler²⁶ – den konstitutiven Stellenwert der ‚Analogie entis‘ für Tillichs Symboltheorie hervorgehoben hat, blieb ihr evangelisches Pendant hier weithin zurückhaltender.²⁷ Während Erstere dabei auf die in der Tat recht eindeutigen Belege der Spätzeit Bezug nehmen konnte,²⁸ lässt sich andersherum auf die fast vollständige Ausblendung des Analogiebegriffs im Frühwerk verweisen. Allenfalls ist in diesem Zusammenhang – etwa von Christan Danz – eine gewisse Nähe von Tillichs Symbolbegriff zu dessen Kant’scher Fassung vermerkt worden.²⁹ Die systematische Bedeutung der Frage wird ersichtlich, wenn wir uns noch einmal den Einwand Urbans sowie Tillichs Reaktion vergegenwärtigen. Beide kommen nämlich darin überein, dass der Analogiegedanke allererst eine, freilich zu präzisierende motivierte, gedanklich nachvollziehbare positive Relation von Symbol und Symbolisiertem verbürgt – und es somit erst wirklich aussagekräftig sein lässt. Wenn das Frühwerk demgegenüber auf den Analogiebegriff verzichtet, dann ist dort also nichtsdestoweniger nach einem Äquivalent zu suchen, soll jene systematisch notwendige positive Relation nicht unausgewiesen bleiben. Denkbar scheint zweierlei: Entweder eine Figur, die dem Analogiegedanken der Struktur nach exakt entspricht, ohne dessen Namen zu tragen, oder aber eine strukturell anders gelagerte Figur, die gleichwohl die fragliche Bürgefunktion hinsichtlich der Motiviertheit der Beziehung von Symbol und Symbolisierendem zu übernehmen
Vgl. Norbert Ernst, Die Tiefe des Seins. Eine Untersuchung zum Ort der analogia entis im Denken Paul Tillichs (St. Ottilien: EOS-Verlag, 1988); Werner Schüßler, „Chiffer oder Symbol? Die Stellung von Karl Jaspers und Paul Tillich zur Frage nach der ‚analogia entis‘“, in: Danz/ders./Sturm (Hg.), Symbol als Sprache, 135– 152. Vgl. stellvertretend Klaus-Dieter Nörenberg, Analogia Imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul Tillichs (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1966), 159 – 182; Wenz, Subjekt, 180 – 190. In einer Reaktion auf einen Zeitschriftenbeitrag aus dem Jahre 1950 konnte Tillich sogar anscheinend die völlige Konvergenz seiner Symbolkonzeption mit der Analogiekonzeption des Thomas von Aquin behaupten: „Usually I speak of symbolic knowledge and mean with it exactly what St. Thomas means with analogia entis“ (zit. nach Ernst, Tiefe, 107 Anm. 2). Vgl. Danz, Freiheitsbewußtsein, 164.342.346; ders., „Der Begriff des Symbols bei Paul Tillich und Ernst Cassirer“, in: Dietrich Korsch/Enno Rudolph (Hg.), Die Prägnanz der Religion in der Kultur. Ernst Cassirer und die Theologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 201– 228, 209 f.; weiterhin Wolfgang W. Müller, Das Symbol in der dogmatischen Theologie. Eine symboltheologische Studie anhand der Theorien bei K. Rahner, P. Tillich, P. Ricoeur und J. Lacan (Frankfurt/Main u. a.: Peter Lang, 1990), 119 f.; vgl. auch die Interpretation des späten Tillich’schen Analogiegedankens im Sinne einer ‚Analogia proportionalitatis‘ bei Track, „Analogie“, 642. Im systematischen Zentrum von Kants Symbolbegriff steht bekanntlich der Gedanke einer ‚Analogia relationalitatis‘ bzw. ‚proportionalitatis‘; vgl. die einführenden Überlegungen im Rahmen der Einleitung der vorliegenden Arbeit.
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III Die Symboltheorie
vermag. Mit der doppelten Rückfrage nach Existenz – und gegebenenfalls Fassung – eines univoken Moments einerseits und eines systematischen Äquivalents zur späteren Analogiekonzeption andererseits, treten wir erneut an die in den 1920er Jahren entwickelte frühe Symbolkonzeption heran.
a) Uneigentlichkeit und Indirektheit Wie bereits angeklungen, ist es einmal mehr das ‚Doppelwerk‘ von 1923, mit dem Tillich seine Überlegungen in Sachen Symbol erstmals in eine systematische Form bringt.³⁰ Genauer formuliert das System der Wissenschaften präzise die Problemkonstellation, auf die er seinen Symbolgedanken hin konzipiert. Dort heißt es mit Blick auf die Metaphysik: „Die Metaphysik will das Unbedingte erfassen. Sie kann es aber nur erfassen in den Formen des Bedingten […] Nennt man einen Begriff, der etwas anderes ausdrücken soll als seinen eigentlichen, unmittelbaren Sinn, ein Symbol, so müssen sämtliche metaphysischen Begriffe als Symbole bezeichnet werden.“³¹ Exakt auf die damit konstatierte „tiefe Paradoxie“³² zwischen der dem Unbedingten geltenden Intention einerseits und den allein erschwinglichen und mithin nicht ‚eigentlich‘ zu verwendenden Begriffsausdrücken andererseits ist die Symboltheorie in den kommenden Jahren hin entworfen. Die Religionsphilosophie kann jene Problemanzeige aufnehmen, wenn sie im Kontext der Einführung des Symbolbegriffs die „wesensmäßig[e]“ Unmöglichkeit eines eigentlichen Ausdrucks des Unbedingten festhält.³³ Tatsächlich knüpft die in diesem Zusammenhang formulierte erste echte Definition des Begriffs auch terminologisch unmittelbar an, wenn das Symbol nunmehr folgerichtig als „uneigentliche Ausdrucksform“ bestimmt wird.³⁴ Damit ist einmal die fundamentale Bedeutung des Uneigentlichkeitsgedankens für die frühe Symbolkonzeption verdeutlicht, definiert sich doch die Symbolizität der religiösen Ausdrücke geradezu durch ihre Uneigentlichkeit hinsichtlich dessen, was vermittels ihrer zum Ausdruck gebracht werden soll.³⁵ Das religiöse Symbol von 1928 hebt den Stellenwert des betreffenden Gedankens entsprechend hervor, indem es „Uneigentlichkeit“ als „erste[s] und grundlegende[s] Merkmal
Vgl. oben die Einleitungen zu III insgesamt und zu III.2. GW I, 254. Ebd. GW I, 328. Ebd. Tatsächlich kann Tillich ‚symbolisch‘ und ‚uneigentlich‘ anfangs nachgerade synonym verwenden.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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des Symbols“ markiert.³⁶ Darüber hinaus erhellt das Uneigentlichkeitsaxiom in paradigmatischer Weise den ursprünglich religionsphilosophischen Zuschnitt von Tillichs Symbolbegriff. Denn die These einer fundamentalen Gegenläufigkeit von Intention und Darstellungsmöglichkeit ist, das bezeugen die diesbezüglichen Überlegungen der ersten Hälfte der 1920er Jahre ausnahmslos, eben an der Frage der dem Unbedingten geltenden Ausdrücke gebildet. Folgerichtig macht der Symbolaufsatz, der das Merkmal der Uneigentlichkeit dann auch für den erweiterten, gleichfalls kulturelle Symbole umfassenden Symbolbegriff reklamiert, den Überschritt zum religiösen Symbol an einer Verschärfung des Uneigentlichkeitsaspektes – und nicht etwa dem der Selbstmächtigkeit – fest.³⁷ Uneigentlichkeit ist somit mit Nachdruck als das Definiens schlechthin des Symbols, und zwar im engeren Sinne näherhin des religiösen Symbols, behauptet. Die nähere Struktur des Symbolischen als uneigentlicher Ausdrucksform³⁸ können wir uns in einem ersten Zugriff anhand zweier Zitate vergegenwärtigen. So notiert die Religionsphilosophie, wiederum die ‚tief paradoxe‘ Ausgangskonstellation aufnehmend, hinsichtlich des Glaubensbegriffs: [N]un kann niemals das Unbedingte als solches Gegenstand sein, sondern nur das Symbol […] Glaube ist Richtung auf das Unbedingte durch Symbole aus dem Bedingten hindurch. Jeder Glaubensakt hat einen doppelten Sinn: er richtet sich unmittelbar auf ein heiliges Objekt. Aber er meint nicht das Objekt, sondern das Unbedingte, das in dem Objekt symbolisch ausgedrückt ist.³⁹
Obgleich der Uneigentlichkeitsbegriff hier nicht fällt, steht der betreffende Gedanke offenkundig im Hintergrund. Dies verdeutlicht seine terminologisch wie argumentativ ganz parallel gestaltete Einführung zu Beginn des Symbolaufsatzes von 1928: „Das erste und grundlegende Merkmal des Symbols ist die Uneigentlichkeit. Sie besagt, daß der innere Akt, der sich auf das Symbol richtet, nicht das Symbol meint, sondern das in ihm Symbolisierte.“⁴⁰ Nimmt man beide Zitate GW V, 196. Vgl. ebd., 197: „Wesentlich anders liegen die Dinge bei den religiösen Symbolen. Diese haben einen Gegenstand auszudrücken, der wesensmäßig jede Gegenständlichkeit transzendiert.“; zum Verhältnis von religionstheoretischem und allgemein-kulturellem Symbolgedanken vgl. auch unten III.3 b). Zu der für Tillichs Symbolgedanken grundlegenden Ausdruckskategorie vgl. oben III.2 a) und b). Die dort rekonstruierten Aspekte sind im Folgenden vorausgesetzt. GW I, 331 f. GW V, 207. Die beiden Zitate illustrieren überdies exemplarisch die Erweiterung des ursprünglich allein religionsphilosophischen Zuschnitts des Symbolgedankens. Denn gerade in Anbetracht dessen, dass die Erläuterung des Uneigentlichkeitsmerkmals im Symbolaufsatz fast
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III Die Symboltheorie
zusammen, dann wird zunächst der prinzipiell geisttheoretische Zuschnitt des Gedankens deutlich: Die Begriffe des ‚Glaubens-‘ bzw. ‚inneren Aktes‘, des ‚SichRichtens‘ und des ‚Meinens‘ zeigen an, dass die eingangs am System der Wissenschaften gewonnene symboltheoretische Grundkonstellation nach Maßgabe der Intentionalitätstheorie zu präzisieren ist.⁴¹ Mag dieser Sachverhalt vor dem Hintergrund unserer bisherigen Ergebnisse kaum mehr überraschen, so ist eine Konsequenz ob ihrer Reichweite doch noch einmal gesondert festzuhalten: Tillichs frühe Symboltheorie ist ihrer Anlage nach als eine Theorie des Symbolbewusstseins konzipiert. Dementsprechend müssen sich die Momente des Symbolgedankens auf eine dem symbolisierenden Bewusstseinsvollzug eigene Sinnunterscheidung abbilden lassen. Tillichs konkrete Durchführung der prinzipiellen geisttheoretischen Anlage ist freilich vielfach durch ein gewisses Schillern gekennzeichnet: Seine Überlegungen changieren zwischen der Ebene der mit den Symbolen befassten mentalen Akte einerseits und der der symbolischen Ausdrücke andererseits. Problematisch wird dieser Perspektivwechsel dadurch, dass er oftmals nicht eigens ausgewiesen ist. Um jenes Changieren an zwei Beispielen zu verdeutlichen: Schon die oben zitierte Einführung des Uneigentlichkeitsmerkmals im Symbolaufsatz nimmt bei näherem Zusehen einen stillschweigenden Ebenenwechsel vor: Das fragliche Merkmal ist hier nämlich zunächst den symbolischen Ausdrücken selbst zugeschrieben (‚Das erste und grundlegende […]‘) – ‚Uneigentlichkeit‘ hat mithin als Eigenschaft einer bestimmten Ausdrucksklasse bzw. als Eigenschaft der Elemente derselben zu gelten. Demgegenüber fokussiert die Erläuterung (‚Sie besagt […]‘) unversehens den mentalen Umgang mit dem Symbol und nicht mehr den Symbolausdruck selbst: Da der Gegenstand der Überlegung jetzt nicht mehr das Symbol, sondern der ‚innere Akt‘ des Bewusstseins ist, kann es fast so scheinen, als bezeichne ‚Uneigentlichkeit‘ primär ein Charakteristikum des in einer spezi-
wortwörtlich die Paraphrase des ‚doppelten Sinns‘ des Glaubensaktes wiederholt, ist ein Unterschied umso augenfälliger:Während die Religionsphilosophie 1923 noch dezidiert das ‚Unbedingte‘ als das im religiösen Akt Gemeinte bezeichnet, spricht der Symbolaufsatz 1928 allgemeiner von einem im geistigen Akt gemeinten ‚Symbolisierten‘. Bezeichnete ‚Uneigentlichkeit‘ somit 1923 ein exklusives Merkmal der religiös und metaphysisch verwendeten Symbole, so schreibt Tillich sie 1928 jedwedem Symbol, also den allgemein-kulturellen ebenso wie den religiösen zu; zur betreffenden Erweiterung des Symbolbegriffs vgl. auch unten III.3 c). Die geisttheoretische Anlage der symboltheoretischen Ausgangskonstellation ist bei näherem Zusehen freilich bereits am Zitat aus dem System der Wissenschaften abzulesen, gilt Tillich der Begriff des ‚Willens‘ (‚Die Metaphysik will das Unbedingte erfassen […]‘) doch in den frühen 1920er Jahren als Wechselbegriff zu denen der ‚Intention‘ bzw. ‚Richtung auf‘.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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fischen Weise auf Symbol und Symbolisiertes gerichteten Bewusstseinsaktes.⁴² Dementsprechend ließe es sich allenfalls vermittelt als Eigenschaft des Symbolausdrucks begreifen. Exemplarisch zeigt sich die betreffende Schwierigkeit zweitens an einer Passage der Religionsphilosophie, die ausdrücklich die „Objektsphäre“ der Religion zum Thema hat. Ganz in diesem Sinne setzt sie ein: „Das Glaubensobjekt hat notwendig symbolischen Charakter; es meint mehr, als es ausdrückt.“⁴³ Schon im darauffolgenden Satz wechselt die Perspektive jedoch, wenn die Intention des Geistesaktes in die Subjektstelle einrückt: „Ob ein heiliger Stein oder ein persönlicher allmächtiger Geist geglaubt wird, immer geht die Glaubensintention über das Glaubensobjekt hinaus.“⁴⁴ Der Gedanke der Uneigentlichkeit ist dabei wiederum implizit präsent. Die Problematik des unausgewiesenen Perspektivwechsels lässt sich an der Verwendung des Begriffs des ‚Meinens‘ verdeutlichen. Im Rahmen der Rekonstruktion von Tillichs Geisttheorie schien er ausschließlich für die Bezeichnung einer Bewusstseinsaktivität reserviert, nämlich für das Sich-Beziehen des intentionalen Aktes auf sein Korrelat bzw. genauer noch für die signifikative Struktur dieser Bezugnahme.⁴⁵ Nun hingegen ist er zunächst dem Symbolausdruck selbst beigelegt: ‚Das Glaubensobjekt […] meint mehr, als es ausdrückt‘. Im unmittelbaren Anschluss erfolgt dann allerdings doch wieder der Wechsel auf die Ebene der Bewusstseinsintention. Während im Fall des ‚Meinens‘ des Symbols selbst eine semantische Relation im Blick ist, ist auf der Ebene des Bewusstseins eine mentale Relation bezeichnet – das Changieren zwischen beiden Perspektiven bedeutet also in der Konsequenz eine äquivoke Begriffsverwendung. Den skizzierten Unklarheiten zum Trotz erlauben die beiden exemplarischen Passagen eine erste Zuordnung der in Frage stehenden Ebenen: Obgleich der Uneigentlichkeitscharakter jeweils zunächst dem als Symbol fungierenden ‚Objekt‘ zugeschrieben wird – im Symbolaufsatz wird ‚Uneigentlichkeit‘ als Merkmal des Symbols eingeführt, wie in der Religionsphilosophie vorerst das ‚Meinen‘ des Glaubensobjektes in den Blick genommen ist –, verdankt er sich laut den jeweils folgenden Erläuterungen letzten Endes doch der korrelierten Bewusstseinsintention. Es ist mithin eine mentale Aktivität, die die dem Symbolausdruck scheinbar an sich zukommenden Merkmale allererst begründet. An dieses Stufungsverhältnis wird man sich zu erinnern haben, wenn nachfolgend – vor allem in Tillichs Zur Problematik dieser – von Tillich auch an anderer Stelle nahegelegten – Interpretation vgl. unten III.3 b). GW I, 333. Ebd., 333 f. Vgl. oben II.3.1 b) bzw. II.3.2 c).
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III Die Symboltheorie
Überlegungen zum Negationsgedanken⁴⁶ – die Bewusstseinsvollzüge ganz zugunsten der mehr objektivierenden Beschreibungsweise abgeblendet werden: Immer ist es die mentale Aktivität, mit Bezug auf die oder gar auf deren Grundlage dem Symbol ‚seine‘ Merkmale zugeschrieben werden können. Gleichwohl signalisiert die objektivierende, den Symbolausdruck selbst zum Subjekt erhebende Beschreibungsweise, dass Tillich die symboltheoretische Reflexion nicht auf eine Betrachtung der konstitutiven Bewusstseinsvollzüge beschränkt wissen wollte. Die Diskussion der symbolischen Ausdrücke und also der Symbole selbst bleibt auch angesichts der systematischen Vorordnung der Symbolisierungstätigkeit integraler Bestandteil seiner Symbolkonzeption. Das obige längere Zitat aus der Religionsphilosophie – und hier näherhin dessen Ausschnitt: ‚Glaube […] richtet sich unmittelbar auf das heilige Objekt. Aber er meint nicht das Objekt, sondern das Unbedingte‘⁴⁷ – ist überdies geeignet, einen weiteren prinzipiellen Gesichtspunkt zu erhellen. Er betrifft die Frage, inwiefern Tillich mit der Möglichkeit eines unmittelbaren Zugangs zum Unbedingten rechnet. Sie ist insofern von Gewicht, als ihr in Rekonstruktion wie Bewertung seiner Symbolkonzeption wiederholt eine schlechterdings zentrale Bedeutung zugemessen wurde. So hat beispielsweise Werner Schüßler in seiner Untersuchung zu Tillichs früher Fassung des Gottesgedankens an entscheidender Stelle die Figur eines „Gottesbewußtsein[s], das unmittelbarer und unsymbolischer Natur ist“, reklamieren können.⁴⁸ Mit diesem Unmittelbarkeitsmoment begründete er in der Folge die Überlegenheit von Tillichs Konzeption gegenüber etwa der ‚Negativen Theologie‘ Plotins.⁴⁹ Die Annahme eines unmittelbaren Intuierens des Unbedingten – Schüßler suchte es vor allem an dem im Aufsatz Rechtfertigung und Zweifel begegnenden Gedanken einer ‚Grundoffenbarung‘ festzumachen – erscheint also als eine spezifische Stärke der Religions- und Symboltheorie Tillichs.⁵⁰ Demgegenüber hat Michael Moxter in genau dieser Annahme deren notorische Schwäche erblicken können. Die betreffende Kritik ist umso interessanter, als sie sich direkt mit der Univozitätsproblematik verbindet. Moxter unterstellt Tillich, sein Ansinnen einer nicht symbolischen Absicherung des vorgeblich doch allein symbolisch
Vgl. unten III.3 c). Vgl. ebd., 332. Werner Schüßler, Der philosophische Gottesgedanke im Frühwerk Paul Tillichs (1910 – 1933). Darstellung und Interpretation seiner Gedanken und Quellen (Würzburg: Königshausen & Neumann, 1986), 123. Ebd., 161. Vgl. ebd., 112 f.120 – 124 u. ö.
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zugänglichen Bezugspunktes – eben des Unbedingten – argumentativ nur durch ein Unmittelbarkeitspostulat abdecken zu können. Der kritischen Rückfrage gegenüber, wie denn um jenen nicht symbolischen Bezugspunkt gewusst werden könne, ziehe Tillich sich auf die bloße Beteuerung einer unmittelbaren Erfahrung zurück: „Dass Gott ein Symbol für Gott ist, […] führt als positiv gemeinte Behauptung in eine Aporie. Um diesen Ausgang zu vermeiden,verweist Tillich auf die Erfahrung, in der etwas Unbedingtes […] unmittelbar erfahren wird.“⁵¹ Unabhängig von der Frage der Bewertung – hier in Form der scharfen Kritik, dort der der Zustimmung – treffen sich die paradigmatischen Positionen Moxters wie Schüßlers somit darin, dass beide für Tillichs Religions- und Symbolbegriff die gedankliche Voraussetzung einer unmittelbaren Zugänglichkeit des Unbedingten behaupten. Angesichts dieser in der Forschung weitverbreiteten These⁵² muss nun jene Auskunft der Religionsphilosophie erstaunen: Ihr zufolge richtet sich der Glaubensakt ‚unmittelbar auf ein heiliges Objekt‘ – die unmittelbare Intention des religiösen Aktes gilt nicht dem Unbedingten, sondern vielmehr ausdrücklich dem Symbol. Tatsächlich zeigt sich bei näherem Zusehen, dass die von Schüßler und Moxter herangezogenen Textstellen ihrerseits von bedingter Aussagekraft sind. Mit Blick auf Schüßler ist anzumerken, dass der Unmittelbarkeitsbegriff überhaupt nur in einem der von ihm angeführten Tillich-Zitate fällt,wenn dieser in dem 1924 entstandenen Vortrag Rechtfertigung und Zweifel von einer „Unmittelbarkeit des Religiösen“ spricht.⁵³ Dort hat die Wendung jedoch einen ganz anderen, gerade entgegengesetzten Sinn: In Rechtfertigung und Zweifel ist die fragliche Unmittelbarkeit einem vergangenen Stadium der Religionsgeschichte zugerechnet und also als in der Gegenwart nurmehr „zerrissene[ ]“ näher bestimmt.⁵⁴ Ent-
Moxter, „Symbol“, 42 f.; kursiv i. O. So meint etwa Christian Danz die „unmittelbare Präsenz des Absoluten in jedem Akt des Bewußtseins“ als ein konstitutives Element von Tillichs Religionstheorie identifizieren zu können (Danz, „Begriff des Symbols“, 211; vgl. auch ebd., 208); vgl. weiterhin ders., Freiheitsbewußtsein, 159 – 168; hier ist der Gedanke des ‚Sein-Selbst‘ entsprechend als „reflexionslose Unmittelbarkeit“ rekonstruiert (ebd., 164.168); vgl. zudem Georg Neugebauer, „Die geistphilosophischen Grundlagen der Kulturtheologie Tillichs vor dem Hintergrund seiner Schelling- und Husserlrezeption“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 38 – 63, bes. 60 f. So bei Schüßler, Gottesgedanke, 122. Näherhin ist es der Übergang von der Reformationszeit zum Aufklärungszeitalter, den Tillich wie folgt beschreibt: „Das autonome Bewußtsein, die Loslösung von der religiösen Unmittelbarkeit […] war da […]. Wo Gott zum Regulativ geworden ist, da kommt der Zweifel zu religionsgeschichtlicher Bedeutung […] er tritt ins Zentrum, er ist der Ausdruck der zerrissenen Unmittelbarkeit des Religiösen“ (MW 6, 87); letztere Wendung der ‚Unmittelbarkeit des Religiösen‘ ist bei
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sprechend eignet sich die Stelle nicht als Beleg eines – vermeintlichen – Unmittelbarkeitsaxioms. In der von Moxter wiederholt herangezogenen Passage spricht Tillich hingegen in der Tat davon, dass das Unbedingtheitsmoment im Gottesgedanken als ein solches der unmittelbaren, nicht symbolischen Erfahrung zu verstehen sei.⁵⁵ Damit scheint hier mit der Möglichkeit eines unmittelbaren Zugangs zum Unbedingten gerechnet – allerdings stammt das Zitat mit Dynamics of Faith aus einem Text des Spätwerks.⁵⁶ Dessen Theorieentscheidungen dürfen aber eben keineswegs umstandslos auf die frühe Theoriebildung rückprojiziert werden. Die Theoriebildung der 1920er Jahre gibt in der Frage der Möglichkeit eines unmittelbaren Zugangs zum Unbedingten nämlich aufs Ganze gesehen eine andere Antwort. Denn zwar scheint das System der Wissenschaften vereinzelt eine solche Möglichkeit nahezulegen, etwa wenn es einen geistigen Willen zum ‚unmittelbaren Erfassen des Unbedingten‘ notiert,⁵⁷ oder wenn die Religion gar wortwörtlich als „unmittelbare Richtung auf das Unbedingte“⁵⁸ bezeichnet ist. Doch ist jenes vorgeblich unmittelbar auf das Unbedingte gehende Erfassen in der betreffenden Passage des Systems der Wissenschaften mit der aus der Geisttheorie vertrauten, ihrerseits Medialität konstitutiv voraussetzenden Figur des ‚durchhindurch‘ zusammengestellt.⁵⁹ Zumindest eine sachliche Gegenläufigkeit beider Gedankenreihen wäre festzuhalten: Eine ‚durch‘ die geistigen Verwirklichungen ‚hindurch‘ erfolgende Erfassung des Unbedingten kann kaum einfach die Signatur des Unmittelbaren tragen. Tritt man einen Schritt zurück und gleicht die Überlegungen jener Passage, die dem Gedanken der ‚Theonomie‘ gelten, mit parallelen Schüßler zitiert – allerdings ohne Tillichs ausdrücklichen Zusatz der ‚Zerrissenheit‘ und ohne Hinweis darauf, dass hier ohnehin vergangene Epochen der Religionsgeschichte charakterisiert sind. Tatsächlich hält Tillich im unmittelbaren Kontext den zwischenzeitlichen „Verlust der religiösen Unmittelbarkeit“ nochmals eigens fest (ebd., 88). „This means that in the notion of God we must distinguish two elements: the element of ultimacy, which is a matter of immediate experience and not symbolic in itself, and the element of concreteness, which is […] symbolically applied to God“ (MW 5, 252; kursiv L. H.); vgl. Moxter, Lebenswelt, 34 f. Für das Spätwerk hat etwa Dirk-Martin Grube nachgerade die Etablierung eines erkenntnistheoretischen ‚Unmittelbarkeitspostulats‘ behaupten können; vgl. Dirk-Martin Grube, Unbegründbarkeit Gottes? Tillichs und Barths Erkenntnistheorien im Horizont der gegenwärtigen Philosophie (Marburg: Elwert, 1998), 46 – 54. Vgl. GW I, 227. Ebd., 228. Vgl. ebd., 227: „Die andere Möglichkeit der Stellung zum Unbedingten ist die, daß der Geist das Unbedingte […] unmittelbar erfassen will; diese Haltung nennen wir theonom, weil in ihr der Charakter aller Geistverwirklichung von dem Willen bestimmt ist, durch sie das Unbedingte unmittelbar zu erfassen.“
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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Ausführungen im Wissenschaftssystem ab, dann wird überdies deutlich, dass der fragliche Wille eines ‚unmittelbaren‘ Erfassens des Unbedingten präziser als ein solcher zu verstehen ist, der dem Unbedingten „um des Unbedingten Willen“ gilt.⁶⁰ Das systematische Hauptaugenmerk liegt mithin nicht auf dem Aspekt der Unmittelbarkeit oder Mittelbarkeit der religiösen Intention, sondern vielmehr auf deren Selbstzwecklichkeit.⁶¹ Auch die Bezeichnung der Religion als „unmittelbare Richtung auf das Unbedingte“, die im System der Wissenschaften im direkten Anschluss an jene Figur eines ‚unmittelbaren‘ Erfassungswillens begegnet, erscheint noch als ein terminologisches Nachklappen derselben.⁶² Anderwärts sind Religions- und Glaubensbegriff nämlich gleichfalls als – so ja die einschlägige religionstheoretische Definition jener Jahre – „Richtung auf das Unbedingte“ bestimmt. Dort ist diese Ausrichtung jedoch in aller Regel umgehend als vermittelte präzisiert, und zwar gerade unter Verweis auf den Symbolgedanken.⁶³ Entsprechend begegnet Tillich dem Unmittelbarkeitsgedanken in den 1920er Jahren insgesamt mit merklicher Zurückhaltung.⁶⁴ Systematisch begründet sich diese – im Übrigen bis ins Frühwerk zurückreichende – Reserve schon mit der kategorialen Orientierung am Geistgedanken.⁶⁵ Folgerichtig gilt ihm jede ‚Unmittelbarkeit des Religiösen‘, wie Ebd., 271. Vgl. etwa auch die Überlegungen in dem bereits 1920 entstandenen Entwurf Religion und Erneuerung: Hier macht Tillich die Unterscheidung von ‚Theonomie‘ und ‚Autonomie‘ zunächst gleichfalls eben an der „Richtung“, der „Grundeinstellung […] auf das Unbedingte“ bzw. „Bedingte“ fest, um schließlich unmissverständlich zu unterstreichen: „In der Religion soll das Unbedingte als Unbedingtes erreicht werden, ohne das Medium der Kulturformen. Aber das geht nicht.“ (EW X, 284 bzw. ebd., 286); zu entsprechenden Einschränkungen hinsichtlich eines „unmittelbaren Erfassungswillen[s] des Unbedingten“ vgl. zudem ebd., 279. Entsprechend singulär bleibt diese Fassung.Wenn die Dresdner Dogmatik-Vorlesung scheinbar analog von einer „unmittelbare[n] Richtung auf Gott“ spricht, dann will Tillich die fragliche Unmittelbarkeit wiederum – wie schon in der von Schüßler fälschlicherweise als Beleg angeführten Passage aus Rechtfertigung und Zweifel – alleine einem vergangenen religionsgeschichtlichen Stadium der „Unschuld“ zugewiesen wissen (EW XIV, 197). Vgl. exemplarisch GW I, 331 f.: „Glaube ist Richtung auf das Unbedingte im theoretischen und praktischen Akte; nun kann aber niemals das Unbedingte als solches Gegenstand sein, sondern nur das Symbol, in dem das Unbedingte angeschaut und gewollt wird“; zur Problematik der vorderhand ‚planen‘ Definition der Religion als ‚Richtung auf‘ das Unbedingte und also der Notwendigkeit einer ‚Aufstockung‘ zur signifikativen Struktur des ‚Meinens‘ vermittels des Symbolgedankens vgl. oben II.3.2 c). Eine gewisse Ausnahme stellen allenfalls die Erwägungen zur Phänomenologie bzw. näherhin die zu deren als ‚intuitiv‘ verstandener Methode dar. Doch selbst mit ihnen ist keineswegs ausdrücklich ein unmittelbarer Zugang zum Unbedingten behauptet; vgl. exemplarisch EW XII, 379 f. Zur geradezu definitorischen Gegenüberstellung von Geist und Unmittelbarkeit vgl. stellvertretend GW I, 210: „In der geisttragenden Gestalt aber reißt sich das Denken los von seiner Be-
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auch in der von Schüßler angeführten Passage in Rechtfertigung und Zweifel, weithin als Signum einer vergangenen,vorneuzeitlichen und vorkritischen Zeit. So heißt es etwa im Rahmen der Religionsphilosophie-Vorlesung von 1920 unmissverständlich: „[E]in Zurück in das Unmittelbare der unreflektierten Frömmigkeit gibt es nicht. Noch viel weniger […] kann die Religionsphilosophie zurückverweisen auf den Glauben im Sinne der unmittelbaren Einheit mit dem religiösen Objekt. […] Zurück zu der Unmittelbarkeit des Bewußtseins geht es nicht.“⁶⁶ Neben den geisttheoretischen Grundlagen sind es dabei in erster Linie eben die symboltheoretischen Überlegungen selbst, die eine unverkennbare Sprache sprechen. Hier ist es keineswegs die Bezugnahme auf das Unbedingte, sondern vielmehr der Bezug auf den Symbolausdruck, der durchgängig als „unmittelbar“ gekennzeichnet ist.⁶⁷ Exemplarisch sei neben der obigen Passage aus der Religionsphilosophie ⁶⁸ auf die ausgereifte Struktur des Symbolbewusstseins verwiesen, wie sie schließlich – dort unter Zuhilfenahme des Vertretungs- anstelle des Symbolbegriffs selbst⁶⁹ – im System der religiösen Erkenntnis formuliert ist: „Der letztgemeinte Gegenstand ist das Unbedingte […] Der unmittelbare Gegenstand sind die vertretenden Inhalte. Sofern ein religiöser Akt sich auf einen vertretenden Inhalt und durch ihn hindurch auf das Letzt-Gemeinte richtet, ist er religiöse Erkenntnis.“⁷⁰ Tatsächlich signalisiert bereits der Begriff des ‚Letzt-Gemeinten‘ das konstitutive Moment der Vermittlung – schon terminologisch artikuliert sich somit die Reserve gegenüber einem systematischen Überstrapazieren des Unmittelbarkeitsgedankens. In diesem Zusammenhang ist ein Merkmal des Symbolischen hervorzuheben, das vor allem in der Dresdner Dogmatik-Vorlesung eine zentrale Rolle spielt. Dort nämlich ist das Symbol zunächst als „indirekte[s] Wort[ ]“ eingeführt und anschließend der generelle Indirektheitscharakter der religiösen Rede ausführlich herausgestellt.⁷¹ Wie die betreffende ‚Indirektheit‘ zu denken ist, verdeutlicht eine
dingtheit, Unmittelbarkeit;“ sowie EW XIV, 170: „Geist aber ist das Sich-Erheben über seine [des Menschen; L. H.] Unmittelbarkeit“; zum entsprechenden Verständnis des Geistbegriffs – und also einer Reserve gegenüber dem Unmittelbarkeitsgedanken – im Frühwerk bis hin zum HirschBriefwechsel vgl. oben II.1 c); vgl. weiterhin oben II.2.2 a). EW XII, 339 f.; vgl. etwa auch ebd., 111. GW I, 254.332– 337 u. ö. Vgl. ebd., 332: ‚Glaube […] richtet sich unmittelbar auf das heilige Objekt. Aber er meint nicht das Objekt, sondern das Unbedingte.‘ Vgl. oben III.2 c) und unten III.3 b). EW XI, 136; kursiv L. H.; vgl. oben II.3.2 c). EW XIV, 17; kursiv L. H. Der Indirektheitscharakter der religiösen Rede ist dann unter dem Leitmotto „Alles ist oratio indirecta“ (ebd., 27) Thema der nachfolgenden §§ 4 und 5. Dass der
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Passage, die das Verhältnis von ‚konkretem Heilsweg‘ und ‚vollendeter Offenbarung‘ zum Thema hat: Sein [des Dogmatikers; L. H.] unmittelbares, direktes Objekt ist ein bestimmter Heilsweg, sein mittelbares, indirektes Objekt ist die in diesem Heilsweg ausgedrückte vollkommene Offenbarung. Beides aber ist eins. Denn er kann von dem zweiten nicht reden außer im ersten. […] Das Reden im ersten, im Heilsweg, ist nicht eigentlich ein Reden vom ersten, sondern es ist ein Reden durch das erste hindurch. ⁷²
Die Figur des ‚durch-hindurch‘ indiziert einmal mehr Medialität. Im gegenwärtigen Zusammenhang sind zudem die gleich im ersten Satz gegebenen Näherbestimmungen von Interesse: Auf die Struktur des Symbolgedankens übertragen, ist die Unmittelbarkeit des symbolischen Ausdrucks für den religiösen Akt im Sinne der Direktheit interpretiert, wohingegen das Symbolisierte als ‚mittelbar‘ bzw. ‚indirekt‘ Intendiertes gekennzeichnet wird. Tillich will ‚unmittelbar‘ und ‚direkt‘ also als schlichte Wechselbegriffe verstanden wissen. Entsprechend ist seine vergleichsweise unspezifische Begriffsverwendung von allen Konnotationen eines systematisch ausgebauten Unmittelbarkeitstheorems – nebst dessen insbesondere von Hegel harsch kritisierten Implikationen – freizuhalten. Der Aspekt einer konstitutiven ‚Indirektheit‘ des Symbolischen, und somit dessen prinzipiell medialer Charakter, ist schließlich auch im 1927/28 entstandenen System der religiösen Erkenntnis ausdrücklich bedacht: „Dieses Gemeinte [das Unbedingte; L. H.] kann aber niemals direkt gemeint sein; […] Es kann also nur indirekt gemeint sein, durch einen Inhalt hindurch, der für das Gemeinte steht.“⁷³ Dem Merkmal der ‚Uneigentlichkeit‘ ist mithin bei näherem Zusehen das der ‚Indirektheit‘ in der rekonstruierten Weise gleichsam eingelagert: Das Symbol kann nicht allein als ‚uneigentlicher Ausdruck‘, sondern ebenfalls als ‚indirekter Ausdruck‘ bezeichnet werden.⁷⁴ In den Merkmalen der konstitutiven Uneigentlichkeit und Indirektheit seines Symbolgedankens artikuliert sich dieserart in gesonderter Weise Tillichs Reserve gegenüber einem systematischen Überspannen des Unmittelbarkeitsgedankens – gerade mit der Symboltheorie grenzt sich sein
Begriff der ‚oratio indirecta‘ ursprünglich rhetorischer Abkunft ist, gibt Tillich dabei nicht zu erkennen. Ebd., 54 f.; kursiv L. H. EW XI, 129 Anm. 25. Vgl. auch den – systematisch freilich anders gelagerten – Hinweis auf den Indirektheitscharakter des Symbolischen bei Joachim Ringleben, „Symbol und göttliches Sein (I)“, ders., Gott denken. Studien zur Theologie Paul Tillichs (Münster: Lit, 2003), 87– 101, 95.
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Denken gegenüber überzogenen Unmittelbarkeitsprätentionen ab. ⁷⁵ Ungünstigerweise ist diese Bedeutung der Symbolkonzeption weder im ‚Doppelwerk‘ von 1923 noch dann mit dem Aufsatz Das religiöse Symbol eigens herausgestellt. Zumal mit Blick auf Letzteren hätte eine explizite Kennzeichnung des Merkmals der ‚Indirektheit‘ – in Analogie zu denen der ‚Uneigentlichkeit‘, der ‚Selbstmächtigkeit‘ etc. – zur gedanklichen Klarheit beigetragen. Zudem hätte sie der irreführenden Rezeption Tillichs als Vertreter eines richtiggehenden erkenntnistheoretischen ‚Unmittelbarkeitspostulats‘ vorbeugen können.
b) Religiöses Symbolisieren und der Gedanke unbedingter Transzendenz Vor dem Hintergrund des Bisherigen können wir uns nun der ausgereiften Fassung des Symbolbewusstseins als eines Transzendierungsbewusstseins zuwenden, die Tillich mit dem Aufsatz Das religiöse Symbol und dem System der religiösen Erkenntnis 1927/28 vorgelegt hat. Im Rahmen des Symbolaufsatzes sind dabei vor allem die Überlegungen zur Schicht der „Gegenstandssymbole“ einschlägig.⁷⁶ Mit ihr als der „fundierende[n]“ Schicht sind im Gegenüber zur systematisch nachgeordneten Schicht der „Hinweissymbole“ als der „breite[n] Schicht des wirklichen religiösen Lebens“⁷⁷ auch Konstitutionsfragen berührt. Während also eine eingängige Betrachtung der Letzteren eine umfassende Phänomenologie der religiösen Symbole und Zeichen erbringen würde – Tillich begnügt sich de facto mit einigen recht schematischen Erwägungen zum Aufbau der Schicht als solches sowie dem Verweis darauf, dass die materiale Durchführung
Der Aspekt einer konstitutiven Indirektheit des Symbolischen – und mit ihm der symboltheoretische Vorbehalt gegenüber überspannten Unmittelbarkeitsbehauptungen – begegnet im Übrigen auch noch im Spätwerk, etwa in der Systematischen Theologie: „Wenn daher irgend etwas über Gott ausgesagt wird, was über diese erste Aussage hinausgeht [Gott ist das Sein-Selbst; L. H.], ist das nicht mehr eine direkte und eigentliche Aussage. Sie ist indirekt […] – sie ist symbolisch.“ (ST I, 277). GW V, 206; zum Folgenden vgl. ebd., 206 – 210. Ebd., 210; vgl. ebd., 206: „Wir unterscheiden zwei Schichten der religiösen Symbole, eine fundierende Schicht, in der die religiöse Gegenständlichkeit gesetzt wird […]; und eine fundierte Schicht, die auf jene Gegenstände hinweist. Demgemäß nennen wir die erste Schicht die religiösen Gegenstandssymbole und die zweite Schicht die religiösen Hinweissymbole.“ Wir orientieren die nachfolgenden Überlegungen ganz an systematischen Gesichtspunkten, zum rein schematischen Aufbau der beiden Schichten im Einzelnen vgl. Nörenberg, Analogia, 90 – 94; Schüßler, Gottesgedanke, 107– 109.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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des damit umrissenen Programms nicht möglich sei⁷⁸ –, dient Erstere primär der Klärung von Grundlegungsfragen. Ihre Entfaltung stellt mithin in gewisser Weise das systematische Zentrum des gesamten Symbolaufsatzes dar.⁷⁹ Wenngleich die betreffenden Überlegungen mehr Raum einnehmen als die den ‚Hinweissymbolen‘ gewidmeten, bleibt ob des begrenzten Umfangs des Aufsatzes vieles nur angedeutet. Hier führt das seinerzeit unveröffentlichte System der religiösen Erkenntnis weiter. Im Rahmen der dortigen, religionsphilosophischen Hinleitenden Vorbetrachtung – zu denken ist näherhin an die §§ 2– 10 – ist das Verhältnis von religiösem ‚Meinen‘, ‚Letztgemeintem‘ und stellvertretendem Symbol so ausführlich bedacht wie in keiner anderen Schrift.⁸⁰ Wir orientieren die Darstellung nachfolgend am Gedankengang von Das religiöse Symbol und ziehen die entsprechenden Ausführungen des Systems der religiösen Erkenntnis je und je hinzu. Die fundierende Schicht der ‚Gegenstandssymbole‘ unterteilt Tillich ihrerseits in drei ‚Gruppen‘. Die eigentliche Konstitution des Symbolischen ist dabei gleich mit der ersten Gruppe der Gegenstandssymbole, der „Welt der göttlichen Wesen“ bzw. – in monotheistischer Brechung – des einen göttlichen Wesens, thematisch.⁸¹ Hier liegt vorerst unser Fokus. Die fundamentalen Gottesvorstellungen sind demnach verstanden als „Vertretungen des im religiösen Akt Letztgemeinten. Sie sind Vertretungen; denn das Unbedingt-Transzendente geht über jede Setzung eines Wesens, auch eines höchsten Wesens, hinaus.“⁸² Der erste Satz bietet die einschlägige Definition des Symbolgedankens als ‚Vertretung des im religiösen
Vgl. GW V, 209: „Eine Bearbeitung dieser Symbolschicht käme einer Erscheinungslehre der Religion überhaupt gleich. Sie ist zur Zeit überhaupt nicht durchführbar.“ Sollte – was anzunehmen ist – die betreffende Unmöglichkeit dem Umfang des empirischen Stoffes geschuldet sein, dann dürfte sie freilich nicht temporärer, sondern prinzipieller Natur sein. An die Stelle einer umfassenden Systematik aller empirischen Symbolbestände kann stattdessen der Versuch einer an ausgewählten, exemplarischen Symbolkomplexen sich erprobenden Kulturhermeneutik in religionstheoretischer bzw. theologischer Perspektive treten – ein Programm, dem Tillich sich in zahllosen Einzelstudien verpflichtet wusste; vgl.vor allem die in GW IX unter dem Titel Die religiöse Substanz der Kultur gesammelten Beiträge. Gegenwärtig wird man in dieser Hinsicht primär im Bereich der Praktischen Theologie fündig werden; vgl. stellvertretend Wilhelm Gräb, Lebensgeschichten – Lebensentwürfe – Sinndeutungen. Eine Praktische Theologie gelebter Religion (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1998); Inken Mädler, Transfigurationen. Materielle Kultur in praktisch-theologischer Perspektive (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 2006). Vgl. GW V, 206: „Im Mittelpunkt unserer Betrachtung stehen die religiösen Gegenstandssymbole. Auf sie haben alle bisherigen Erörterungen hingeführt.“ Vgl. EW XI, 122 – 144; vgl. oben II.3.2 c). Vgl. GW V, 206 f.; die zweite Gruppe umfasst die „Bestimmungen über Wesen und Handlungen Gottes“ (ebd., 207 f.), die dritte die „heiligen“ „natürlichen und historischen Objekte“ (ebd., 208 f.). Ebd., 207.
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III Die Symboltheorie
Akt Letzt-Gemeinten‘, die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre präzisierend neben dessen vormalige Bestimmung als ‚uneigentlicher Ausdrucksform‘ tritt.⁸³ Mit ihm ist an dieser Stelle nicht allein die Formulierung nochmals aufgegriffen, die der Symbolaufsatz schon eingangs beim Überschritt vom allgemeinen Symbolgedanken zu dessen spezifisch religionsphilosophischem Typus gewählt hatte.⁸⁴ Er hat überdies ein direktes, wortwörtliches Pendant im zentralen § 5 des Systems der religiösen Erkenntnis, demzufolge „die religiösen Inhalte ‚Vertretungen‘ des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten sind“.⁸⁵ Damit ist die zentrale Definition des Symbolgedankens im Rahmen der ausgereiften Symboltheorie benannt. Wenn wir diese Definition nun ihren einzelnen Gliedern nach bedenken, dann ist einmal mit dem Begriff des ‚Letzt-Gemeinten‘ die schon mehrfach vermerkte strenge Rückbindung an den religiösen Bewusstseinsakt explizit in sie eingegangen und nunmehr fester Definitionsbestandteil.⁸⁶ Überraschender ist ein gewisses Unbehagen gegenüber dem Symbolbegriff, das sich – im Symbolaufsatz selbst nur schwer erkennbar – in der Wahl des Vertretungsbegriffs artikuliert. Dieser Sachverhalt ist insofern überraschend, als sich Tillich in seinen mit den frühen 1920er Jahren Gestalt gewinnenden symboltheoretischen Überlegungen – und also auch im Rahmen von Das religiöse Symbol selbst sowie sämtlichen Symbolaufsätzen der Spätzeit – durchgängig und weithin ungebrochen am Symbolbegriff orientieren sollte. Allein in den abschließenden Erwägungen des Symbolaufsatzes von 1928 zum ‚Werden und Vergehen der religiösen Symbole‘ klingt von Ferne eine mögliche Schwäche des Symbolbegriffs an, wenn ihm eine Tendenz zur Abschwächung des religiösen Realitätsgefühls beschieden wird.⁸⁷ Dieser Gesichtspunkt ist im System der religiösen Erkenntnis aufgegriffen und in
Zum entsprechend inhaltlich qualifizierten Stellvertretungsgedanken vgl. auch oben III.2 c). Vgl. ebd., 197: „Die religiösen Symbole sind vor den übrigen dadurch ausgezeichnet, daß sie Veranschaulichungen dessen sind, was die Sphäre der Anschauung unbedingt übersteigt, des im religiösen Akt Letztgemeinten, des Unbedingt-Transzendenten.“ EW XI, 131. Diese Formulierung ist, da sie vermittels des Inhaltsbegriffs den bewusstseinstheoretischen Status der fraglichen Vertretungen klar benennt und somit missverständliche gegenständliche Konnotationen vermeidet, nochmals präziser als die im Leitsatz des betreffenden § 5 gewählte „Die im religiösen Akt gesetzten und aufgehobenen Gegenstände haben den Charakter von Vertretungen des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten.“ (ebd., 129); vgl. oben II.3.2 c). Vgl. oben II.3.2 c). Vgl. GW V, 211: „Das entscheidende Mittel zur Profanisierung von Symbolen ist die Aufdeckung ihres Symbolcharakters. Aus diesem Grunde wehrt sich das religiöse Bewußtsein ständig gegen die Anwendung des Symbolbegriffs auf seine Gegenstände. […] Das Schwebende, das durch den Symbolbegriff in alle Gegenstände kommt, auf die er angewandt wird, kann von dem religiösen Realitätsgefühl nur als Entwirklichung empfunden werden.“
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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mehrere Richtungen hin ausgeführt:⁸⁸ Neben systematischen Gründen – Tillich hat ob einer weiten, den Symbolbegriff in die Nähe des Zeichenbegriffs rückenden Fassung eine Verschleifung des Symbolgedankens im Blick – ist die Wertung des Symbolischen als des ‚nur‘ Symbolischen im allgemeinen Sprachempfinden und ein ausschließlich auf „Erweichung und Umdeutung dogmatischer Unerträglichkeiten“⁸⁹ zielender theologischer Gebrauch problematisiert. Allerdings sollte Tillich die den Gedankengang im System der religiösen Erkenntnis beschließende, auf den Vertretungsbegriff als geeigneten Kandidaten führende Folgerung – „All diese Tatsachen legen der Verwendung des Symbolbegriffs in unserem Sinne die schwersten Hindernisse in den Weg und zwingen zur Bemühung um einen anderen Begriff.“⁹⁰ – in letzter Konsequenz eben nie ziehen, wie die ungebrochene Präsenz des Symbolbegriffs in allen späteren Äußerungen zur Sache dokumentiert. Dementsprechend ist eher von einer Interpretation denn von einer Ersetzung des Symbolbegriffs durch den der ‚Vertretung‘ auszugehen. Dabei ist es in erster Linie die Nichtbeliebigkeit der Verbindung von Symbol und Symbolisiertem, das auf diesem Wege hervorgehoben werden soll.⁹¹ Man darf sich also keinesfalls von der terminologischen Nähe zur gemeinscholastischen Suppositionsformel ‚aliquid stat pro aliquo‘, die zur Beschreibung der rein formalsemiotischen Zeichenstruktur geeignet erscheint, täuschen lassen: Der zur Präzisierung des Symbolbegriffs in Anschlag gebrachte Stellvertretungsgedanke soll vielmehr eine Aufwertung der ‚qualitativen‘, oder besser: ‚motivierten‘⁹² Verbindung von Symbol und Symbolisiertem signalisieren, die durch den formalen Suppositionsgedanken gerade nicht abgedeckt ist. Sind Symbole als ‚motivierte‘ Vertretungen des Letzt-Gemeinten bestimmt, so folgt mit dem nächsten Satz – ‚denn das Unbedingt-Transzendente geht über jede Setzung eines Wesens, auch eines höchsten Wesens, hinaus‘ – eine weitere, symboltheoretisch zentrale Näherbestimmung: Die Idee des Unbedingten – akttheoretisch des ‚Letzt-Gemeinten‘ – ist in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre primär als das „Unbedingt-Transzendente“, und also nach Maßgabe des Tran-
Vgl. zum Folgenden EW XI, 130 f.; vgl. zudem oben die ausführlichen Überlegungen unter III.2 c). Ebd., 130. Ebd., 131. Vgl. ebd.: „Als Versuch in dieser Richtung kommt der Begriff der ‚Vertretung‘ in Frage. […] Sachlich ist er geeignet, sofern ‚Vertretung‘ sehr viel weniger Willkür zuläßt als Zeichen und Symbol im Sinne von Zeichen. Zwischen dem, der die ‚Stelle‘ hat, und dem, der sie vertretend einnimmt, muß normalerweise ein Wesenszusammenhang bestehen.“ Vgl. oben III.2 c).
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III Die Symboltheorie
szendenzgedankens gefasst.⁹³ Dieserart rückt der Transzendenzgedanke in den Fokus der symboltheoretischen Reflexion. Die eminente Hochschätzung des Transzendenzgedankens mag nun in werkgenetischer Perspektive auf den ersten Blick überraschen. Denn ganz im Sinne der bereits 1918 im Hirsch-Briefwechsel formulierten Parole „Immanenz statt Transzendenz!“⁹⁴ ist zumindest der Transzendenzbegriff in den Überlegungen der Folgezeit kaum präsent. So kommen zumal die einschlägigen Definitionen des Religionsbegriffs bis Mitte der 1920er Jahre ausnahmslos ohne ihn aus.⁹⁵ Gleichzeitig mahnt jedoch wiederum der weitere Gedankengang des betreffenden Briefes an Hirsch davor, aus jener Parole einen generellen Verzicht auf den Transzendenzgedanken abzuleiten. Schon hier ist nämlich nachfolgend das Programm einer Kombination von „relativem Transzendieren“ einerseits und „wahrhaft Transzendentem“ andererseits skizziert, das die Alternative von Immanenz und Transzendenz unterlaufen soll.⁹⁶ Tatsächlich bestätigen mindestens zwei Beobachtungen die gleichwohl mehr untergründige Wertschätzung des Transzendenzgedankens. Denn der Begriff begegnet zwar zu Beginn der 1920er Jahre in der Tat nur mehr am Rande, und eben nicht im Rahmen der eigentlichen Religionsdefinitionen. Doch wo der Transzendenzbegriff demgegenüber Verwendung findet, ist – erstens – dem entsprechenden Gedanken erhebliches religionstheoretisches Gewicht beigemessen. Pointiert lässt sich dies an der 1920 entstandenen ReligionsphilosophieVorlesung, bzw. genauer an einer studentischen Nachschrift derselben, ablesen. Im Zuge der Darstellung der ‚Phänomenologie‘ konstatiert Tillich die prinzipielle Notwenigkeit, dem Transzendierungsmoment des religiösen Bewusstseins Rechnung zu tragen: Jeder ‚wirklichen‘ Religion eigne so ein Aspekt des „Transcen-
Vgl. allein wiederum die im Symbolaufsatz von 1928 beim Überschritt zum religionsphilosophischen Symbolbegriff gewählte Formulierung: „Die religiösen Symbole sind vor den übrigen dadurch ausgezeichnet, daß sie Veranschaulichungen dessen sind, was die Sphäre der Anschauung unbedingt übersteigt, des im religiösen Akt Letztgemeinten, des Unbedingt-Transzendenten.“ (GW V, 197; kursiv L. H.); vgl. auch oben II.3.2 c). EW VI, 115. Dieser Befund wird nochmals sprechender, wenn man neben die sinntheoretische Entwicklung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie – vgl. GW I, 318 – 320 – die analogen Überlegungen des 1924, und also in unmittelbarer zeitlicher Nähe, entstandenen Aufsatzes Kirche und Kultur legt. Hier nämlich kann Tillich zwanglos vom Begriff der Transzendenz Gebrauch machen; vgl. GW IX, 33 – 37. Damit ist unterstrichen, dass er ihm im Rahmen des systematisch weit gewichtigen Werkes der Religionsphilosophie gleichsam nicht ‚definitionswürdig‘ erschienen sein dürfte. Vgl. oben II.1 a) und c).
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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dieren[s] ins Kosmische“.⁹⁷ In der Vorlesungsnachschrift von Adolf Müller ist dieses Moment gar ins Generelle gewendet: „In jeder Religion liegt ein Transzendieren […] Religion ist immer Transzendieren.“⁹⁸ Nun ist freilich nicht mehr nachzuvollziehen, ob die Aufwertung des Transzendenzgedankens auf Tillichs mündlichen Vortrag zurückgeht, oder ob Müller jene pointierte These für sich fasste. Für Ersteres spricht, dass Tillich – zweitens – dem fraglichen Gedanken schon in der ersten Hälfte der 1920er Jahre in vielfachen Bezügen ein hohes systematisches Gewicht beimessen konnte – allerdings zumeist unter abweichender Begrifflichkeit: Neben dem von Schelling geliehenen Terminus der „Ekstase“⁹⁹ und der vor allem im System der Wissenschaften und der Religionsphilosophie formulierten These einer „inneren Unendlichkeit“ des ‚Denkens‘ bzw. des Geistes¹⁰⁰ ist hier einmal mehr an die geisttheoretische Zentralfigur des ‚durchhindurch‘ zu denken. Die den betreffenden Überlegungen gemeinsame Stoßrichtung lässt sich so noch einmal anhand jener merkwürdig ungelenken, der Religionsphilosophie entnommenen Formel „durch Symbole aus dem Bedingten hindurch“ illustrieren.¹⁰¹ Vermittels ihrer ist nämlich nicht nur die Selbstverständlichkeit festgehalten, dass die Symbolausdrücke der Sphäre des Bedingten entstammen. Darüber hinaus ist mit ihr eine Aufstiegsbewegung, eben ein Transzendieren vermittels von Symbolen, gleichsam ‚aus‘ der Sphäre des Bedingten zu der des Unbedingten hin, angezeigt. Es dürften entsprechend nicht zuletzt Erwägungen symboltheoretischer Art gewesen zu sein, die die Rehabilitierung des Begriffs der Transzendenz bzw. des Transzendierens, insbesondere aber die systematische Aufwertung des zugehörigen Transzendenzgedankens im Verlauf der 1920er Jahre beförderten. In diesem Sinne konnte Tillich etwa schon im System der Wissenschaften im Rahmen der Überlegungen zum ‚Ethos‘, dem Äquivalent zur Metaphysik in der praktischen Sphäre, notieren: „Das, was verwirklicht werden soll, geht schlechterdings über das hinaus, was verwirklicht wird. […] Sie [die Begriffe des Ethos; L. H.] transzendieren ihrer Absicht nach den eigentlichen Sinn, den sie in der
Vgl. EW XII, 374: „Dennoch gibt uns diese Methode [der Phänomenologie; L. H.] einen sehr wertvollen Gesichtspunkt. Sie zeigt, daß, wie subjektiv man auch immer die Religion definiere, in ihr selbst etwas enthalten ist, was über die Subjektivität hinausweist, ein Transcendieren ins Kosmische, das aus wirklicher Religion gar nicht zu streichen ist.“ Ebd., 590; kursiv L. H. Vgl. exemplarisch ebd., 407 f.; zudem GW I, 335 – 337, wo der Begriff der „innere[n] Ekstatik“ mit dem eines „inneren Transzendierens“ zusammengestellt ist. Vgl. ebd., 227.319.338 u. ö. Ebd., 332; vgl. zu Stellenwert und Interpretation der Formel auch oben II.3.2 c) und III.3 a).
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III Die Symboltheorie
Gemeinschaftssphäre haben.“¹⁰² Der schlechthinnigen Inkommensurabilität des Unbedingten gegenüber den bedingten Ausdrucksformen korrespondiert demnach eine interne Transzendierungsbewegung der Symbolausdrücke. Für Letztere ist dann mit der Religionsphilosophie der Begriff des „innere[n] Transzendieren[s]“ geprägt,¹⁰³ eine Formulierung, die sowohl die fragliche Aufstiegsbewegung als auch deren immanenten Ausgangspunkt prägnant auf den Begriff bringt. Der Transzendenzcharakter des Unbedingten ist nun – wie bereits im Kontext der Geisttheorie gesehen – im System der religiösen Erkenntnis in zweifacher Hinsicht präzisiert: Einmal im Sinne der „Seins- und Sinntranscendenz“, sodann als das „Sein und Sinn zugleich Übersteigende und Gründende“.¹⁰⁴ Beide Präzisierungen sind symboltheoretisch bedeutsam. Die Bestimmung des Unbedingt-Transzendenten als des gleichermaßen „Sinn- und Seins-Transcendente[n]“¹⁰⁵ unterstreicht nämlich nicht allein den Unbedingtheitscharakter seiner Transzendenz. Darüber hinaus ist mit dem in diesem Zusammenhang gegebenen Hinweis, dass schon der Sinndimension ihrerseits eine gewisse Transzendenz gegenüber der Dimension schlichter Existenz eignet, eine Differenzierung im Transzendenzbegriff selbst angelegt. Tillich notiert sie mehr en passant, für die Symbolkonzeption erweist sie sich jedoch bei näherem Zusehen als von großer systematischer Tragweite: Er unterscheidet in diesem Kontext von der betreffenden „unbedingte[n] Transcendenz“ eine „relative Transcendenz“, von einem „unbedingte[n] Transcendieren“ ein „bedingte[s] Transcendieren“.¹⁰⁶ Beim jeweils Letzteren, dem ‚relativen‘ bzw. ‚bedingten‘ Glied, ist nicht nur an jenen Überschritt von der Seins- in die Sinnsphäre zu denken.¹⁰⁷ Gemeint sind zudem auch relative Transzendierungsverhältnisse in der Sphäre des Sinnes selbst, etwa das einer „okkulte[n] Welt“ – wohl
Ebd., 270; zur Analogie von Ethos und Metaphysik, und also der symboltheoretischen Valenz des Ersteren vgl. ebd.: „Ist das Ethos das Analogon zur Metaphysik, so steht es notwendig unter der gleichen Dialektik wie jene: Es will das Unbedingte verwirklichen durch Gestalten der Seinsbeziehungen, durch Handeln. […] Unbedingtes Handeln aber ist ein ebenso paradoxer Begriff wie unbedingtes Erkennen.Wie darum alle Begriffe vom Unbedingten Symbole sind, so sind auch alle unbedingten Seinsbeziehungen symbolisch.“ Der Konnex von Symbol- und Transzendenzgedanke ist in diesem Zusammenhang gar zum Terminus der „transzendente[n] Symbole“ verdichtet (ebd.). Ebd., 336; vgl. auch ebd.: „Jedes heilige Sein ist ekstatisches Sein, d. h. […] es hat ein inneres Transzendieren über seine formale, kulturelle Gegebenheit hinaus.“ EW XI, 125 bzw. ebd., 122; zur Rekonstruktion beider Näherbestimmungen vgl. oben II.3.2 c). Ebd., 129.136. Ebd., 125 bzw. ebd., 133. Vgl. ebd., 128.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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zu verstehen als gleichsam geheime, verborgene Sinnwelt – gegenüber der „bekannten Welt“.¹⁰⁸ Diese Stufung von Transzendierungsverhältnissen, die von Ferne an die geläufige Unterscheidung ‚kleiner‘, ‚mittlerer‘ und ‚großer‘ Transzendenzen des Religionssoziologen Thomas Luckmann erinnert,¹⁰⁹ ist für eine Differenzierung bedeutsam, die wir bis hierhin als eher selbstverständlich vermerkt hatten.Tillichs Symboltheorie ist bekanntlich – wie schon die einschlägigen Stellen aus dem ‚Doppelwerk‘ von 1923, also dem System der Wissenschaften und der Religionsphilosophie, unzweideutig belegen – ursprünglich als Theorie des religiösen Symbols konzipiert: Im Versuch, das Unbedingte als das schlechthin Nichtdarstellbare zur Darstellung zu bringen, müssen sich Religion, Metaphysik und Ethos ‚uneigentlicher Ausdrücke‘ bedienen.¹¹⁰ Der Symbolaufsatz Das religiöse Symbol setzt demgegenüber jedoch zunächst ausdrücklich mit den Merkmalen des „Symbols überhaupt“ ein, um von diesem allgemeinen Symbolbegriff das religiöse Symbol – eben im Rückgriff auf die Idee des Unbedingt-Transzendenten – erst in einem weiteren Schritt abzuheben.¹¹¹ Tillichs Symboltheorie, so wie sie 1928 mit jenem Aufsatz erstmals als entfaltete vorliegt, bietet mithin sowohl eine Theorie religiöser wie allgemein-kultureller Symbole. Da gleichwohl die grundsätzliche Darstellungsstruktur des Symbols beibehalten bleibt – ein anschaulicher Ausdrucksträger steht für ein per se Unanschauliches¹¹² –, bedarf es einer entsprechenden Differenzierung auf Seiten des Symbolats: Neben die unbedingte Transzendenz des Relats der religiösen Symbole muss eine relative Transzendenz der Relate der kulturellen Symbole treten. Die mit dem Symbolaufsatz vorgenommene Erweiterung des Symbolgedankens über das religiöse bzw. metaphysische Symbol hinaus setzt somit jene Differenzierung im Transzendenzbegriff voraus, die sich ihrerseits erstmals explizit 1925 in der
Ebd., 125. Schon der Weltbegriff indiziert hier, dass wir uns mit dem betreffenden Transzendenzverhältnis zwischen ‚bekannter‘ und ‚okkulter Welt‘ ganz auf der Ebene des Sinns bewegen – hat ‚Welt‘ für Tillich doch durchweg den Status eines Gedankens und also eines Sinngebildes; vgl. oben II.2.2 c). Vgl. Alfred Schütz/Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt (Konstanz: UVK, 2003), 589 – 633; zum Symbolbegriff vgl. ebd., 653 – 658; Thomas Luckmann, Die unsichtbare Religion (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 31996), 166 – 178. Vgl. GW I, 254.270.282.302 f.; vgl. oben III.3 a). Vgl. GW V, 196 f.: „Das religiöse Symbol vereinigt die Merkmale des Symbols überhaupt mit den besonderen Merkmalen, die ihm als religiösem Symbol zukommen. […] Diese allgemeinen Merkmale des Symbols gelten […] auch für das religiöse Symbol. Die religiösen Symbole sind vor den übrigen dadurch ausgezeichnet […].“ Vgl. oben III.2 a).
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III Die Symboltheorie
Dresdner Dogmatik-Vorlesung findet.¹¹³ Zusammenfassend übersteigt sowohl im Falle des religiösen als auch im Falle eines kulturellen Symbols das Symbolisierte den Symbolausdruck. Doch während bei Ersterem an ein unbedingtes Transzendieren zu denken ist, bleibt es bei Letzterem beim relativen Transzendieren des Sinnes gegenüber dem Sein bzw. einem solchen innerhalb der Sinnsphäre. Erst der in sich nochmals gestufte Transzendenzgedanke ermöglichte Tillich mithin die Etablierung eines kulturtheoretischen Symbolbegriffs neben dessen ursprünglich strikt religionstheoretischer Fassung. Auch der zweiten Präzisierung des Unbedingt-Transzendenten als des „Sein und Sinn zugleich Übersteigende[n] und Gründende[n]“ eignet eine symboltheoretische Valenz. Ihr zufolge ist der Gedanke des Unbedingt-Transzendenten allein mit dem Aspekt des schlechthinnigen Übersteigens von Sein und Sinn nicht hinreichend erfasst. Vielmehr will Tillich ihn als das ‚zugleich‘ schlechthin Gründende verstanden wissen. Der Transzendierungsbewegung wird so eine positive Integrationsfunktion für das Überstiegene zugedacht. Entsprechend ließ sich Tillichs Idee des Unbedingt-Transzendenten als geisttheoretische Reformulierung der Kant’schen Idee der ‚omnitudo realitatis‘ interpretieren.¹¹⁴ Die systematische Pointe jener Doppelbestimmung wird noch einmal deutlicher, wenn man sie mit einer frühen Überlegung aus dem Hirsch-Briefwechsel abgleicht. Jener Brief, in dem ebenfalls die Parole ‚Immanenz statt Transzendenz‘ formuliert war, bot im weiteren Verlauf wie notiert eine erste frühe Skizze zum Transzendenzgedanken.¹¹⁵ Dort heißt es nun hinsichtlich des nachgerade das „Wesen des Geistes“ bezeichnenden ‚Unendlichkeitsbewusstseins‘: „Das Unendlichkeitsbewußtsein ist dem Geist immanent im Verhältnis zu allem Gegenständlichen, nichts ist seine Grenze, über alles geht er hinaus, auch über alle Oberfläche und in immer tiefere Tiefen der Dinge. […] Weil der Geist das Unendlichkeitsbewußtsein hat, darum ‚transzendiert‘ er notwendig.“¹¹⁶ Den weiteren Ausführungen zufolge ist die Transzendierungsbewegung des Unendlichkeitsbewusstseins näherhin als Dialektik von Setzen und Transzendieren, und als solche als ‚Dialektik des Negativen und Positiven‘ zu beschreiben.¹¹⁷ Zugleich formuliert
Vgl. exemplarisch EW XIV, 25: „Das relative Transcendieren der Dinge in die okkulte Welt wird zur oratio indirecta für die absolute Transcendenz.“ Zur Interpretation der Stelle vgl. unten III.3 c). Vgl. oben II.3.2 c). Vgl. EW VI, 119 – 122; vgl. oben II.1 a) Ebd., 119. Vgl. ebd. Neben dem Verständnis des religiösen Bewusstseins als eines notwendig transzendierenden ist, wie wir sehen werden, auch die betreffende Dialektik von ‚Setzen und Auf-
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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der Brief einen nicht unerheblichen Vorbehalt gegenüber dem so verstandenen Transzendenzbegriff, wenn Tillich konstatiert: „Das Transzendieren enthält ein positives und ein negatives Urteil, doch so, daß das negative überwiegt […] Dies ist […] die Leere des reinen Unendlichkeitsbewußtseins.“¹¹⁸ Gerade angesichts der prinzipiell ins Unendliche iterierbaren dialektischen Bewegung von Setzen einer Entität und Transzendieren derselben muss die dieserart gewonnene Unendlichkeit als eine gleichsam ‚schlechte‘ gelten, der Schritt ins Unendliche gewissermaßen als Schritt ins Leere erscheinen. Der Transzendierungsgedanke im Sinne eines reinen Überschreitens bedarf mithin, so dürfen wir den Tillich des Hirsch-Briefwechsels verstehen, eines zweiten, dieses erste Moment komplementär ergänzenden Moments. Genau hier setzt die Doppelbestimmung des Systems der religiösen Erkenntnis mit der Ergänzung des negativen Transzendierungsmomentes um das positive der Integration systematisch an. Als das in der skizzierten Weise Sinn und Sein im schlechthinnigen Transzendieren Integrierende ist ‚das‘ Unbedingte laut Tillich tatsächlich seinem ‚Wesen‘ nach erfasst. Er unterstreicht diesen Sachverhalt im System der religiösen Erkenntnis anlässlich der Frage, wie eine adäquate Erkenntnis des Unbedingten als Unbedingtem zu denken ist.¹¹⁹ In einem ersten Schritt macht Tillich hierzu darauf aufmerksam, dass schon die Rede von ‚dem‘ Unbedingten bei Lichte besehen ungenau ist: „Die Sache [der religiösen Erkenntnis; L. H.] ist nicht etwa das Unbedingte, auch nicht die Merkmale der Unbedingtheit, sondern allein die Unbedingtheit selbst. In jedem religiösen Akt wird Unbedingtheit erfaßt und, sofern sie erfaßt wird, rein erfaßt.“¹²⁰ Während es sich mithin bei dem Begriff ‚des‘ Unbedingten bereits um eine Hypostasierung handelt, ist es Tillich um die dieser noch zugrunde liegende Unbedingtheitsqualität des religiösen Aktes zu tun.¹²¹
heben‘ noch für die symboltheoretischen Überlegungen der späten 1920er Jahre unmittelbar einschlägig; s.u. Ebd., 120. Im Hintergrund dürfte Hegels Gedanke der ‚schlechten Unendlichkeit‘ stehen; vgl. auch den entsprechenden Vermerk Tillichs im Rahmen der Dresdner Dogmatik-Vorlesung, demzufolge „Hegel […] mit Recht von der schlechten Unendlichkeit des leeren Immerweitergehens reden“ konnte (EW XIV, 164). Vgl. zum Folgenden die Ausführungen des § 9; vgl. EW XI, 137– 140, bes. 138 f. Ebd., 138. Vgl. die entsprechende gedankliche Unterscheidung ‚des‘ Unbedingten als einer ‚Qualität‘ auf der einen und als eines ‚Wesens‘ auf der anderen Seite im Rahmen einer dem Aufsatz Kairos beigegebenen Anmerkung: „Das Unbedingte ist eine Qualität, kein Wesen […] Wer von der Existenz des Unbedingten redet, hat den Sinn des Begriffs völlig mißverstanden. Das Unbedingte ist eine Qualität, die wir erfahren in der Begegnung mit der Wirklichkeit, zum Beispiel den Unbedingtheitscharakter der Stimme des Gewissens, des logischen wie des sittlichen.“ (GW VI, 9 Anm. 1). Die betreffende Notiz ist werkgeschichtlich freilich deutlich jünger als die Überlegungen
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III Die Symboltheorie
Wenn es nun im weiteren Argumentationsgang heißt, dass „wo Geist ist, der Kreis der bedingten Akte durchbrochen ist. Der Geist selbst ist diese Durchbrechung. Der Geist selbst ist das Durchzuckt-Sein vom Sinn der Unbedingtheit“,¹²² dann ist erneut der Transzendierungscharakter des religiösen Bewusstseins anvisiert: Im Akt des ‚Durchbrechens‘ selbst, also just im Überschreiten der Sphäre des Bedingten realisiert der Geist den – so können wir die Metapher seines ‚Durchzuckt-Seins‘ verstehen – Gehalt des Unbedingtheitsgedankens. ¹²³ Die im Raum stehende Identifikation der fraglichen Unbedingtheitsqualität mit dem Transzendierungsbegriff ist dann im zweiten Schritt ausdrücklich vollzogen: „[W]enn wir die Unbedingtheit denken, [ist] eben dieses im Gedanken Enthaltene eigentlich gemeint […] Es ist nicht ein darüber Hinausgehendes gemeint. Nun ist der Inhalt dieses Gedankens gerade das ‚Darüber-Hinausgehen‘.“¹²⁴ Damit ist zunächst noch einmal herausgestellt, dass Unbedingtheit – unscharf gesprochen: ‚das‘ Unbedingte – den Status eines Gedankens hat. Der semantische Gehalt des Unbedingtheitsgedankens ist nun aber der der Transzendenz bzw. näherhin der des Transzendierens selbst – wiederum ein Fingerzeig dafür, dass der betreffende Gedanke an der virtuell ins Unendliche iterierbaren Transzendierungsbewegung des Bewusstseins gebildet ist. Im speziellen Fall des Transzendierungsgedankens wird der Gehalt des Gedankens nicht nochmals überschritten, sondern als eigentlich vermeint: „Aber das ist nur möglich, sofern dieser Inhalt, das Transcendieren, nicht selbst wieder transcendiert wird. Das Transcendieren wird adäquat als Transcendieren erfaßt.“¹²⁵ Man kann sagen: Im Falle des Gedankens unbedingter Transzendenz decken sich Begriffsintension und Begriffsextension. Somit ist ‚schlechthinnige Transzendenz‘ die einzige gedankliche Bestimmung, die ‚dem‘ Unbedingten gleichsam an sich beigelegt werden kann. Oder, wie der ebenfalls 1927 entstandene, schon mehr im ontologisierenden Duktus gehaltene Vortrag Gläubiger Realismus I mit Blick auf das „Unbedingt-Wirkliche“ pointiert formulieren kann: „Es ist das Übersteigen, die Transzendenz selbst.“¹²⁶
des Systems der religiösen Erkenntnis, da die Anmerkung in der Erstveröffentlichung des Aufsatzes im Jahr 1922 noch nicht enthalten war, sondern erst im Zuge einer späteren Wiederveröffentlichung hinzugesetzt wurde; vgl. die editorische Notiz in MW 4, 53. EW XI, 139. Da der ‚Geist‘ hier als Subjekt des ‚Durchbrechens‘ verstanden ist, liegt ein vom ‚Durchbruch‘ im Sinne des Offenbarungsbegriffs zu unterscheidender Gedanke vor. Ebd., 138; kursiv L. H. Ebd. GW IV, 84; kursiv L. H.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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Diese These erlaubt Tillich ein erkenntnistheoretisches Doppelurteil, das für seine Symbolkonzeption von weitreichender Bedeutung ist. Auf der einen Seite ist das Unbedingte als das schlechthin Transzendente, das jeden Symbolausdruck Überschreitende, und also das schlechterdings nicht an sich selbst Erkennbare gedacht. Insofern bleibt es noch dem religiösen Symbol in gewisser Weise entzogen. Auf der anderen Seite soll es genau als dieses schlechthin jedes Symbol Transzendierende im Symbol adäquat erfasst sein. Damit ergibt sich eine erkenntnistheoretische Grundkonstellation, die im Jahr 1923 auf folgende – ob ihrer räumlichen Konnotationen nicht unproblematische, aber gleichwohl griffige – Formulierung gebracht ist: „Das Unbedingt-Reale ist nur Gegenstand des Symbols, ist immer das, was ‚dahinter liegt‘. Aber eben darin ist es wirklich erfaßt.“¹²⁷ Dabei changiert der erkenntnistheoretische Status dieses ‚Erfassens‘ bei Tillich selbst. Einerseits kann er, wie gesehen, den strikt gedanklichen Status der Idee der Unbedingtheit eigens herausstellen. Die zumal vor einem kantischen Hintergrund naheliegende erkenntniskritische Unterscheidung von ‚Denken‘ und ‚Erkennen‘ – der Unbedingtheitsgedanke hat den Status einer Vernunftidee, die zwar notwendig gedacht werden muss, nicht aber erkannt werden kann – ist von Tillich jedoch andererseits nicht durchgehalten. So ist jenes erkenntnistheoretische Doppelurteil im System der religiösen Erkenntnis wie folgt ausgeführt: Darum ist es erforderlich, dem üblichen Satz von der Unerkennbarkeit Gottes den paradoxen Satz von der unbedingten Erkennbarkeit Gottes entgegenzusetzen. Nur dann hat jener Satz überhaupt einen Sinn. Denn von einem unbekannten X Unerkennbarkeit auszusagen, ist sinnlos. Es muß wenigstens das an ihm erkannt sein, was das Urteil der Unerkennbarkeit begründet. Dieses aber ist die Unbedingtheit […] Sie ist aber auch das Einzige, was unbedingt bekannt ist.¹²⁸
Hier ist jene weiche Formulierung des ‚Erfassens‘ aus dem Zitat von 1923 im stärkeren Sinne als ‚Erkennen‘ interpretiert. Mithin bleibt bei Tillich eine gewisse begriffliche und gedankliche Unschärfe. Jedenfalls ist mit jenem Doppelurteil allererst der erkenntnistheoretische Rahmen dafür geschaffen, vermittels des Symbolgedankens eine motivierte und dieserart positive ‚Erkenntnis‘ des Unbedingt-Transzendenten zu behaupten. Wollen wir uns der beiden Theoriefiguren, die Tillich diesbezüglich vor Augen hatte, abschließend annehmen,¹²⁹ so können wir auf dem gegenwärtigen Stand nochmals auf die einleitende Frage zurückkommen, inwiefern bereits die frühe EW X, 362; kursiv L. H.; das Zitat entstammt dem Vorentwurf zum Vortrag Mythos und Metaphysik. EW XI, 138; kursiv L. H. Vgl. unten III.3 c).
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III Die Symboltheorie
Symbolkonzeption ein univokes Moment kannte: In gewisser Weise unterläuft die frühe Konzeption die schlichte Alternative von univok/nicht univok insofern, als der Gedanke schlechthinnigen Transzendierens zwar gleichsam als univoke Fluchtlinie des religiösen Symbolisierens fungiert, er aber schwerlich als fixierter Punkt oder ‚Gegenstand‘ der Bezugnahme verstanden werden kann. Um das entsprechende Missverständnis zu vermeiden, wäre eben etwa eine Orientierung an der Kant’schen Unterscheidung von Denken und Erkennen sinnvoll gewesen. Jedoch ist diese nicht nur im Frühwerk – wie gesehen in Form der changierenden Näherbestimmung des ‚Erfassens‘ der Idee des Unbedingten als einerseits ihres ‚Denkens‘ und andererseits ihres ‚Erkennens‘ – unterlaufen. Auch in der Auseinandersetzung des Jahres 1940 mit Urban und Aubrey ist hier die nötige gedankliche Differenzierung mit der Verwendung des unspezifischen, weil beide Aspekte des Denkens wie des Erkennens gleichermaßen unter sich befassenden Begriffs des ‚Wissens‘/‚know‘ verwischt.¹³⁰ Die volle Komplexität der von Tillich vorgelegten Konzeption, die angesichts der markierten Unschärfe nicht einfach auf das Stichwort der ‚Univozität‘ reduziert werden kann, wird abschließend mit Blick auf die positiven Figuren deutlich werden. Kehren wir zuvor noch einmal zum Gedankengang des Symbolaufsatzes von 1928 zurück, dann fällt auf, dass Tillich zur näheren Erläuterung des Vertretungscharakters der Symbolausdrücke wiederum zunächst eine bewusstseinstheoretische Perspektive einnimmt: „Sie sind Vertretungen; denn das Unbedingt-Transzendente geht über jede Setzung eines Wesens, auch eines höchsten Wesens, hinaus. Sofern ein solches gesetzt ist, ist es im religiösen Akt auch wieder aufgehoben.“¹³¹ Mit dem letzten Satz ist angezeigt, dass Tillich näherhin an eine Dialektik von Setzen und Aufheben denkt, die im System der religiösen Erkenntnis in der Doppelbewegung unter dem Titel der „religiösen Gegenstandssetzung“ firmiert.¹³² Sie ist, wie dort unter Verweis auf die notwendige Korrelation von Akt und Gegenstand erneut eigens herausstellt ist, ein unumgängliches Moment der Religion: „Ein reines in sich schwingendes Gefühl ohne gegenständlichen Bezug ist kein reli-
Vgl. oben einleitend, mit Bezug auf MW 4, 270 f. (Urban) bzw. ebd., 273 (Tillich). GW V, 207. Vgl. den entsprechenden Hinweis auf den „dialektischen Charakter der religiösen Gegenstandssetzung“ (EW XI, 129). Vgl. zudem die Leitsätze zu § 4 – „Der Gegenstand eines religiösen Aktes wird im religiösen Akt selbst seiner Gegenständlichkeit entkleidet“ – und § 5: „Die im religiösen Akt gesetzten und aufgehobenen Gegenstände haben den Charakter von Vertretungen des im religiösen Akt Letzt-Gemeinten.“ (ebd., 127 bzw. ebd., 129); vgl. auch oben II.3.2 c).
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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giöser Akt.“¹³³ Demgegenüber besteht Tillich auf der Notwendigkeit eines gegenständlichen Korrelats, eines ‚Dawiders‘ im religiösen Akt – und damit auf der ‚gegenständlichen‘ Basis des das Unbedingt-Transzendente vertretenden Symbolausdrucks.¹³⁴ Das Moment des ‚Setzens‘ kann dabei eben als ein ‚Vergegenständlichen‘ des Unbedingten verstanden werden, mithin als Beilegen des Existenzprädikats sowie als Einordnen des derart Verdinglichten in den Zusammenhang des Seienden.¹³⁵ Die eigentliche Stoßrichtung des Gedankengangs ist gleichwohl erst mit dem zweiten Moment, dem des ‚Aufhebens‘, benannt. Jene Vergegenständlichung soll nämlich zugleich transzendiert bzw., wie es jetzt heißt, ‚aufgehoben‘ werden. Dies dürfte so zu verstehen sein, dass zwar die übrigen Prädikationen des Ausdrucks bestehen bleiben – sonst ginge das Relat des religiösen Aktes verloren –, dass jedoch die Existenzfrage eingeklammert wird.¹³⁶ Dass tatsächlich nicht an eine schlichte Rücknahme der gegenständlichen Bestimmungen, und also eine Zernichtung des bestimmten Symbolausdrucks, zu denken ist, unterstreichen zwei terminologische Beobachtungen. Zum einen dürfte der Begriff der ‚Aufhebung‘ gewählt sein, um eine gewisse Nähe zum Aufhebungsgedanken Hegels zu signalisieren. Dessen Pointe besteht bekanntlich gerade darin, nicht allein eine Negation des Aufgehobenen, sondern in eins dessen Bewahrung auf höherer
Ebd., 137; vgl. die analoge Auskunft: „Religion als reines Schwingen, als bloßer Rhythmus der Subjektivität gibt es nicht.“ (ebd., 127 Anm. 21). Dass Tillich sich diesbezüglich von einer cum grano salis Schleiermacher’schen Position abgrenzen dürfte, die Religion als reines Zuständlichkeitsbewusstsein bestimmt, dokumentiert die Wahl des Gefühlsbegriffs im ersten Zitat; vgl. auch oben II.3.2 c). Zum Begriff des Gegenstandes als desjenigen, „was dawider ist“ für die Erkenntnis vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Hamburg: Meiner, 31990), 152a (A 105). Auf die Notwendigkeit einer ‚gegenständlichen‘ Basis des Symbolausdrucks – die freilich auch eine vorgestellte sein kann, so schon GW V, 196; vgl. oben III.2 a) – werden wir an späterer Stelle noch zurückkommen; s.u. und III.3 c). Vgl. EW XI, 128, demzufolge die – von Tillich selbstverständlich als unzulänglich kritisierte – „undialektische[ ] Gegenstandssetzung“ so zu beschreiben ist, dass „das im religiösen Akt Gemeinte in den Zusammenhang des Seienden eingeordnet und als Seiendes mit besonderer Seinsweise betrachtet wird“. Hier ist gleichsam das eine Moment der dialektischen Doppelbewegung vollzogen, während das zweite Moment des Aufhebens fehlt. Vgl. GW V, 207: „Es ist die religiöse Funktion des Atheismus, immer wieder daran zu erinnern, daß es im religiösen Akt um das Unbedingt-Transzendente geht und daß die Vertretungen des Unbedingten nicht Gegenstände sind, über deren Dasein oder Nichtdasein eine Diskussion möglich wäre.“; kursiv L. H. Damit wird auch die für die ‚undialektische Gegenstandssetzung‘ charakteristische Verortung im Zusammenhang des Seienden hinfällig.
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systematischer Ebene zu bedeuten.¹³⁷ Mögen die Bestimmungen des vertretenden Ausdrucks hinsichtlich der Frage seiner Existenz zu vernachlässigen sein, so sind sie in übergeordneter Hinsicht – in der des Sinns – mitnichten einfach gleichgültig. Zum anderen kann Tillich die fragliche Dialektik von Setzen und Aufheben im Symbolaufsatz umgehend mit dem Terminus des „Schweben[s]“¹³⁸ belegen: Die an Fichtes Spätwerk erinnernde Metapher, die bereits im Hirsch-Briefwechsel Verwendung fand,¹³⁹ bezeichnet aber bei diesem nicht etwa die Tilgung oder Rücknahme eines Bewusstseinsaktes durch einen zweiten, sondern das paradoxe Ineins zweier gegenläufiger Akte. ¹⁴⁰ Am präzisesten hat Tillich den betreffenden Sachverhalt im frühen Entwurf Rechtfertigung und Zweifel formuliert, wenn es heißt: „Es liegt hier also ein Schweben des anschaulichen Bewußtseins vor, ein Vergegenständlichen des Sinnes zu einem Seienden und ein Entgegenständlichen des Seienden zu einem Sinn.“¹⁴¹ Die dialektische Gegenstandssetzung der religiösen Vertretungen – der religiösen Symbole – ist mithin als eine Schwebebewegung zwischen Setzen und Aufheben zu verstehen, die sich auf die Existenzund die Bedeutungsdimension einzelner Aspekte eines Ausdrucksträgers bezieht. Mit genau diesem Gedanken, demzufolge jenes „Schweben zwischen Setzung und Aufhebung des religiösen Gegenstandes […] sich im lebendigen Gottesge-
Vgl. den seiner Kürze zum Trotz instruktiven Eintrag von Hans Friedrich Fulda, „ Aufheben“, HWPh 1 (1971), 618 – 620. Vgl. GW V, 207: „Dieses Schweben zwischen Setzung und Aufhebung des religiösen Gegenstandes […].“ Vgl. EW VI, 121. Vgl. Jürgen Stolzenberg, „Absolutes Wissen und Sein. Zu Fichtes Wissenschaftslehre von 1801/02“, in: Wolfgang H. Schrader (Hg.), Fichte und die Romantik. Hölderlin, Schelling, Hegel und die späte Wissenschaftslehre (Amsterdam: Radopi, 1997), 307– 322, 320; vgl. auch Wolfgang Janke, Fichte. Sein und Reflexion – Grundlagen der kritischen Vernunft (Berlin: Walter de Gruyter, 1970), 11 f.13 f. u.ö. EW X, 172. Die handschriftliche Erstversion ist in dieser Frage – mindestens von der Warte der ausgereiften Symbolkonzeption der späten 1920er Jahre aus betrachtet – treffsicherer als das Typoskript. Dort heißt es an der Parallelstelle: „Es liegt hier gewissermaßen ein Schweben zwischen Anschauung und Begriff vor, ein Vergegenständlichen des Sinnes zu einem Seienden durch die Anschauung und ein Entgegenständlichen des Seienden zu einem Sinn durch den Begriff.“ (ebd., 221). Während also das Typoskript die Aufhebungsbewegung noch am Begriff festmacht, und diesem mithin indirekt die religiöse Transzendierungsleistung zuschreibt, nivelliert sich die dabei vorausgesetzte prinzipielle Differenz von anschaulicher Vorstellung einerseits und Begriff andererseits in den folgenden Jahren. Das System der religiösen Erkenntnis kann in beiden gleichwertige Medien der Verdinglichung erblicken, sodass im religiösen Akt sowohl die „gegenständliche Vorstellung“ als auch die „gegenständliche Begriffsbildung“ gleichermaßen der Aufhebung bedürfen (EW XI, 131).
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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danken unmittelbar aus[drückt]“,¹⁴² leitet Das religiöse Symbol zugleich von der Ebene der religiösen Bewusstseinsakte zu der der symbolischen Ausdrücke selbst über. Dabei unterstreicht schon der Einsatz einmal mehr, dass das Moment der mentalen Aktivität keinesfalls auszublenden ist, die Theorie des Symbols mithin als eine solche des Symbolisierens zu verstehen ist: „Zwar der religiöse Akt meint, was er meint, eigentlich. Er meint Gott. Aber im Worte ‚Gott‘ schwingt ein doppeltes: das Unbedingt-Transzendente, Letztgemeinte, und ein irgendwie gedachtes Objekt mit Eigenschaften und Handlungen.“¹⁴³ Der erste Satz artikuliert, dass das religiöse Bewusstsein sein Relat, die Gottesidee bzw. – in der Sprache der religionsphilosophischen Rekonstruktion – das Unbedingt-Transzendente im oben dargestellten Sinne als Eigentliches vermeint, sich in seinem Falle also Begriffsintension und Begriffsextension decken.¹⁴⁴ Es referiert entsprechend auf die Gottesidee, jedoch zerlegt sich diese auf der Ebene des Symbolausdrucks in zwei Momente: Neben das der unbedingten Transzendenz tritt das der Prädikation des symbolischen Ausdrucks, vermittels derer sich ein bestimmtes anschauliches Objekt konstituiert. Dem eigentlich schlechthin transzendenten Unbedingten werden dieserart notwendigerweise Eigenschaften beigelegt. Mit dem unmittelbaren Fortgang des Zitates – „Das erste ist nicht uneigentlich, ist nicht symbolisch, sondern ist eigentlichst das, was es sein soll. Das zweite dagegen ist in der Tat symbolisch, uneigentlich.“¹⁴⁵ – ist nochmals hervorgehoben, was wir bereits mit Blick auf das System der religiösen Erkenntnis festgehalten hatten: Während alle anderen Prädikate – beispielsweise „‚unbedingte Macht …, Liebe …, Gerechtigkeit – Gottes‘“¹⁴⁶ – dem Gottesgedanken allein symbolisch zugeschrieben werden können, gilt dies von dem der Transzendenz nicht. Der Transzendenzbegriff be GW V, 207. Ebd. Wie schon in den entsprechenden Überlegungen des Systems der religiösen Erkenntnis – „Wenn wir die Unbedingtheit denken, ist eben dieses im Gedanken Enthaltene eigentlich gemeint“ (EW XI, 138) – ist Tillichs Diktion hier missverständlich. Sie scheint nämlich zu insinuieren, dass der religiöse Akt die Gottesidee in eigentlicher Weise intendiert, ‚eigentlich‘ also als Prädikat des Meinens und nicht als ein solches des Gemeinten zu verstehen ist. Dieses Missverständnis befördert der Aufsatz Das religiöse Symbol im Folgenden noch dadurch, dass er vom Unbedingten als dem „eigentlich Gemeinten“ den vertretenden Bewusstseinsinhalt als „uneigentlich Gemeinten“ unterscheidet (GW V, 207). So kann es scheinen, als stelle Eigentlichkeit ein Spezifikum der Unbedingtheitsintention dar, während das Intendieren des Symbolausdrucks uneigentlicher Natur sei. Allerdings ist der Gedanke einer ‚uneigentlichen Intention‘ eine contradictio in adjecto – ist doch das Meinen des Bewusstseins per definitionem ‚eigentlich‘ auf sein jeweiliges Relat gerichtet. ‚Uneigentlichkeit‘ kann mithin nicht als Merkmal intentionaler Akte, sondern ausschließlich als solches der Symbolausdrücke gelten. Ebd. Vgl. EW XI, 134.
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III Die Symboltheorie
zeichnet im skizzierten Sinne als einziger Begriff ‚eigentlichst das, was es sein soll‘, und keine symbolische Eigenschaft. Wird die nicht mehr konstitutionstheoretische, sondern im näheren Sinne symboltheoretische Frage von „Wesen und Handlungen Gottes“ dann mit der zweiten Gruppe der religiösen Gegenstandssymbole eigens verhandelt, liegt der Fokus vorerst noch einmal auf der Spannung, dem „Widerspruch“¹⁴⁷ zwischen den beiden Momenten des symbolischen Ausdrucks. Die spezifische Stärke des Gottesgedankens besteht nach Tillich nun darin, den fraglichen Widerspruch zwischen dem eigentlichen und dem uneigentlichen Moment selbst zu artikulieren: „[E]s steht bei dem Hören des Wortes ‚Gott‘ auch dieses im Bewußtsein, daß diese Vorstellung uneigentlich ist, […] daß sie überstiegen werden muß. […] Es hat die Eigentümlichkeit, seinen eigenen Vorstellungsinhalt zu transzendieren […] Gott als Gegenstand ist eine Vertretung des im religiösen Akt Letztgemeinten, aber im Worte ‚Gott‘ ist diese Gegenständlichkeit zugleich negiert.“¹⁴⁸ Die zuvor dem Bewusstsein zugeschriebene Transzendierungsbewegung ist als Leistung des Symbolausdrucks ‚Gott‘ selbst reformuliert. Ihm eignet gleichsam selbsttranszendierende Kraft. Mit dieser selbsttranszendierenden Kraft ist ein Gedanke angedeutet, den wir im vorigen Unterkapitel abschließend benannt hatten.¹⁴⁹ Tillich zufolge lässt der Symbolausdruck ‚Gott‘ nämlich jenen konstitutiven ‚Widerspruch‘ allererst „im Bewußtsein […] erscheinen“.¹⁵⁰ Dem Gottessymbol kommt mithin für das Bewusstsein zugleich eine fundamentale Erschließungsfunktion hinsichtlich der Dimension schlechthinniger Transzendenz zu. An die Stelle der dialektischen mentalen Aktivität von Setzen und Aufheben tritt dabei ein Gedanke, der am Schluss des Zitates anklingt – der Gedanke der (Selbst)Negation des symbolischen Trägers. Mit ihm ist eine der beiden Figuren benannt, vermittels derer Tillich das Unbedingt-Transzendente und die symbolischen Ausdrücke in positiver Weise miteinander verknüpft wissen will.
c) Kriterien religiösen Symbolisierens Im Rahmen seiner knappen Thematisierung der „Bestimmungen über Wesen und Handlungen Gottes“ als der zweiten Gruppe der ‚religiösen Gegenstandssymbole‘ kommt Tillich auch ausdrücklich auf die Frage des „Kriterium[s] der
GW V, 207. Ebd. Vgl. oben III.2 c). Ebd.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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Wahrheit eines Symbols“ zu sprechen.¹⁵¹ Diese „ruht“ demnach in dessen „innere[r] Notwendigkeit für das symbolschaffende Bewußtsein“¹⁵² – im Rückgriff auf unsere Rekonstruktion der Differenz von Symbolbegriff und Zeichenbegriff indiziert das Stichwort der ‚Notwendigkeit‘ grundsätzlich eine ‚relative Motiviertheit‘ der Relation von Ausdrucksträger, intensional-sinnhafter und extensional-gegenständlicher Bezugnahme für das symbolisierende Bewusstsein.¹⁵³ Der präzisen Gestalt jener Motiviertheit, den negativen wie positiven Figuren ihrer Näherbestimmung in Tillichs Theoriebildung der 1920er Jahre, gilt der folgende abschließende Darstellungsgang. Hinsichtlich der eigentlichen Kriterienfrage formuliert Tillich nun, ganz im Sinne der vorstehenden Überlegungen zum ‚Unbedingt-Transzendenten‘ als dem genuinen Relat religiösen Symbolisierens, zunächst eine rein negative Auskunft: „Das Kriterium der Wahrheit eines Symbols kann natürlich nicht der Vergleich mit der Wirklichkeit sein, auf die es hinweist, wenn diese Wirklichkeit gerade das schlechthin Unfaßbare ist.“¹⁵⁴ Wegen der unbedingten Transzendenz des zu Symbolisierenden ist jede Möglichkeit eines schlichten Vergleichs zwischen ihm und dem Symbolausdruck – etwa bezüglich einer Merkmalsähnlichkeit – von vornherein unmöglich. Im Rahmen einer Abbildtheorie denkbare Wahrheitskriterien, aber zum Beispiel ebenfalls das korrespondenztheoretische Kriterium einer ‚adaequatio intellectus et rei‘,¹⁵⁵ sind somit prinzipiell ausgeschlossen. Auch die nachfolgende positive Auskunft liegt noch in der Konsequenz jener schlechthinnigen Ineffabilität: „Das einzige Kriterium, das überhaupt in Frage kommt, ist dieses, daß das Unbedingte in seiner Unbedingtheit rein erfaßt wird.“¹⁵⁶ Mit Blick auf das konkrete Symbol bedeutet dies – im Sinne des im vorigen Unterabschnitt zitierten Diktums aus einem Entwurf des Jahres 1923: „Das Unbedingt-Reale […] ist immer das, was ‚dahinter liegt‘. Aber eben darin ist es wirklich erfaßt.“¹⁵⁷ –, dass es gerade die Abständigkeit des Unbedingt-Transzendenten, und also im Kern die Distanz zwischen Symbolträger und zu Symbolisierendem, zum Ausdruck bringen
Ebd., 207 f. Ebd., 208. Vgl. oben III.2 c). Ebd. Zur korrespondenztheoretischen Wahrheitstheorie des Thomas von Aquin und der von ihm etablierten Adäquationsformel vgl. Roderich Barth, Absolute Wahrheit und endliches Wahrheitsbewußtsein. Das Verhältnis von logischem und theologischem Wahrheitsbegriff – Thomas von Aquin, Kant, Fichte und Frege (Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 61 ff. GW V, 208. EW X, 362; vgl. oben III.3 b).
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III Die Symboltheorie
muss. Damit bleibt jede, von Tillich als „dämonisch“¹⁵⁸ bezeichnete Identifikation beider versagt – im Einschärfen der Differenz erfüllt die Symboltheorie so gewissermaßen eine Wächterrolle gegenüber religiösen Absolutheitsansprüchen.¹⁵⁹ Dieserart ist das im Symbolaufsatz von 1928 benannte Wahrheitskriterium vorderhand nochmals ein mehr negatives. In seiner gedanklichen Fluchtlinie liegt die prinzipielle Symboltauglichkeit jedes möglichen Ausdrucks, nicht aber ein Kriterium, nach dem sich diese – diesseits der Grenze der dämonischen Identifikation mit dem zu symbolisierenden Unbedingt-Transzendenten – wiederum untereinander gewichten ließen. Tatsächlich hatte Tillich schon im Rahmen der Religionsphilosophie festgehalten, dass gleichermaßen „alles Seiende Symbol des Unbedingten werden“ kann: „Ob ein heiliger Stein oder ein persönlicher allmächtiger Geist geglaubt wird, immer geht die Glaubensintention über das Glaubensobjekt hinaus. Im Abgrund des Unbedingten verschwindet das eine wie das andere.“¹⁶⁰ Diese abstrakt-kritische Folgerung ist im System der religiösen Erkenntnis wiederholt und in die Theoriesprache der späten 1920er Jahre überführt: „Da das Unbedingte jeder Wirklichkeit gleich transzendent ist, so ist jede Wirklichkeit fähig, vertretende Inhalte der religiösen Erkenntnis zu liefern. Kein Teil, keine Eigenschaft des Wirklichen hat an sich einen Vorzug. Das liegt im Wesen der unbedingten Transzendenz.“¹⁶¹ Systematisch entscheidend ist die – erneut in problematisch-räumlichen Bildern gesprochen – unterschiedslose Äquidistanz (‚gleich‘) des Unbedingt-Transzendenten gegenüber jedwedem Ausdruck. Die im Symbolaufsatz kriteriologisch angeführte ‚Unbedingtheit des Unbedingten‘ bringt sich so zunächst rein negativ zur Geltung. Dergestalt steht der Transzendenzgedanke freilich in der Gefahr, entgegen Tillichs Intention doch auf die ‚Leere‘ einer reinen Indifferenz zu führen.¹⁶² Das skizzierte kritische Motiv ist
GW V, 208; vgl. auch GW I, 338 f.; EW XI, 133; u. ö. Der religionsphilosophischen Kategorie des ‚Dämonischen‘ eignet in jenen Jahren eine nachgerade zeitdiagnostische Valenz, wie etwa die gleichnamige Schrift Das Dämonische aus dem Jahr 1926 verdeutlicht (GW VI, 42– 71). Vgl. Lars Heinemann, „The Conception of the Religious Symbol in Tillich’s Early Philosophy of Spirit: Guardian against Exclusive Claims about the Absolute“, in: Karin Grau/Peter Haigis/ Ilona Nord (Hg.), Tillich Preview 2009 (Berlin: Lit, 2009), 25 – 41. GW I, 333 f. EW XI, 132. Mit einer Passage aus dem 1924 veröffentlichten Aufsatz Rechtfertigung und Zweifel: „Der Moment des Durchbruchs ist in Bezug auf Inhalte völlig indifferent […] Das Göttliche ist der Sinnabgrund und -grund, das Ende und der Anfang, jedes möglichen Inhaltes. Nichts anderes ist darüber zu sagen. Es steht jenseits von Licht und Finsternis, von Natur und Persönlichkeit, von Göttlichem und Dämonischem.“ (MW 6, 90; kursiv L. H.). Hier besteht ganz offensichtlich eine systematische Nähe, wenn nicht sogar ein echter Anknüpfungspunkt an und für Traditionen negativer Theologie.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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zwar fraglos ein zentrales seiner Symbolkonzeption. Der Gedanke der ‚relativen Motiviertheit‘ sowie der eines positiven Wahrheitskriteriums bedürfen jedoch darüber hinaus tragfähiger, theoretisch ausweisbarer Figuren, soll die Konzeption in der Spannung von Symbol und Unbedingtem nicht an systematisch entscheidender Stelle den Verdacht der „leere[n] Indifferenz“ bzw. „abstrakt-jenseitige[n] Transzendenz“ des Letzteren auf sich ziehen.¹⁶³ In der Tat ist nun im Symbolaufsatz von 1928 an anderer Stelle ein positives Kriterium zumindest benannt, wenn als „Maßstab“ des Symbolischen dessen „Ausdruckskraft für das Unbedingt-Transzendente“ anführt wird.¹⁶⁴ Gleichwohl ist der betreffende Gedanke im Rahmen von Das religiöse Symbol selbst nicht weiter ausgeführt – was insofern bemerkenswert ist, als Tillich schon zu Beginn der 1920er Jahre die Figuren der ‚Ausdruckskraft‘, der ‚Ausdruckswahrheit‘ (im Gegenüber zur ‚Geltungswahrheit‘) sowie schließlich der ‚Symbolkraft‘ in die ersten symboltheoretischen Überlegungen miteinbeziehen konnte. So hatte bereits die Rezension Religiöser Stil und religiöser Stoff in der bildenden Kunst im Jahr 1921 den „Bedeutungscharakter der religiösen Symbole“ vom „historisch ‚Richtige[n]‘ oder bildhaft Geistreiche[n]“ gleichermaßen abgehoben und entsprechend notiert: „[D]ie Wahrheit ist die des Bedeutens, nicht die des historischen oder naturgesetzlichen Geltens.“¹⁶⁵ Der Gedanke einer eigenen Wahrheitslogik in Absetzung vom naturwissenschaftlichen Gelten war dann vor allem mit dem ‚Doppelwerk‘ von System der Wissenschaften und Religionsphilosophie aufgegriffen und entfaltet. Dabei rückt der Symbolgedanke eben über die Kategorien der ‚Ausdruckswahrheit‘ und der ‚Ausdruckskraft‘ in die Nähe des Ästhetischen – eingedenk der von Tillich wiederholt hervorgehobenen Distanz zur Letzteren ein wiederum bemerkenswerter Befund.¹⁶⁶ Einmal nämlich soll – in analoger Formulierung zum späteren Symbolaufsatz – gelten: „Der Maßstab der Kunst ist ihre Ausdruckskraft“, sowie im Gegenüber zur „Geltungswahrheit“ der Wissenschaft: „[D]ie Wahrheit der Kunst [ist] das Ausdrucksmächtige.“¹⁶⁷ Und mit Blick auf die Metaphysik heißt
So exemplarisch Ringleben, „Symbol (I)“, 96. GW V, 209; kursiv L. H.; vgl. ebd., 201. GW IX, 321; zum dann auch im Symbolaufsatz von 1928 noch verwendeten Gedanken einer „inneren Notwendigkeit“ vgl. ebd., 321– 323. Erinnert sei nur an Tillichs durchgängige symboltheoretische Kritik an der ‚Phantasie‘, oder auch sein eigentümliches, zur Tradition der Ausdrucksästhetik gerade querstehendes Verständnis der Ausdruckskategorie im Sinne einer emphatisch unterstrichenen ‚Sachhaltigkeit‘ der symbolischen Ausdrücke; vgl. oben III.2 a). GW I, 250 bzw. ebd., 249.
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III Die Symboltheorie
es hier, im unmittelbaren Kontext einer der werkgeschichtlich frühesten Definitionen des Symbolbegriffs überhaupt: „Die metaphysischen Begriffe haben Ausdruckscharakter und darum nicht in dem gleichen Sinne, wie die wissenschaftlichen, Geltungscharakter.“¹⁶⁸ Im Rahmen der Religionsphilosophie sind beide Motive dann zusammengeführt und auf die religionsphilosophische Grundparadoxie bezogen, das Unbedingt-Transzendente vermittels der dem symbolisierenden Bewusstsein zu Gebote stehenden ‚bedingten‘ Formen zum Ausdruck zu bringen: „Da nun aber das Bewußtsein keine anderen Formen hat als die bedingten, so muß es diese benutzen, um das Unbedingte darin auszudrücken, d. h. es muß die wissenschaftlichen Begriffe symbolisch, nicht eigentlich verwenden. Die Wissenschaft bietet […] die Symbole, aber diese Symbole werden gewählt nicht nach ihrem Geltungswert […], sondern nach ihrem Ausdruckswert – also ästhetisch.“¹⁶⁹ Damit ist die ästhetische Abkunft des einschlägigen symboltheoretischen ‚Wahrheits‘-Kriteriums der ‚Ausdruckskraft‘ in Abgrenzung zum streng wissenschaftlichen Kriterium eines wahrheitswertdifferenten Geltens ausdrücklich benannt, wenn auch dessen eigene Logik noch nicht positiv entfaltet ist. Hierfür bietet die Religionsphilosophie jedoch gleichfalls erste Anhaltspunkte. Das entsprechende Merkmal der „überlegene[n] Symbolkraft“ bzw. der „Symbolkräftigkeit“ ist dort wiederum am „ekstatischen Charakter“ des Symbolischen festgemacht¹⁷⁰ – und der Transzendierungsgedanke seinerseits vermittels des (Selbst)Negationsgedankens gefüllt: „Der heilige Gegenstand ist also nie an sich, sondern nur durch Negation seiner heilig; und in diese Negation seiner selbst ist eingeschlossen die Negation alles Seienden.“¹⁷¹ Die zentrale Bedeutung des Negationsgedankens ist in werkgenetischer Perspektive weit weniger überraschend als etwa die des Transzendenzgedankens, zu dessen Erhellung er hier herangezogen ist. Denn schon dem frühen systematischen Äquivalent zum späteren Symbolgedanken, dem Paradoxbegriff, eignete ein konstitutives Negationsmoment.¹⁷² Und tatsächlich sollten gleich die ersten ausführlicheren Erwägungen zum Symbolbegriff im Rahmen der Christentums-Vorlesung von 1919 das vor allem in der frühen Systematischen Theologie von 1913 entfaltete „Prinzip der Selbstüberwindung“ bzw. „Selbstaufhebung“ des Paradoxen aufnehmen, ohne
Ebd., 254. Ebd., 302 f.; kursiv L. H.; vgl. ebd., 227: „Die erste Frage ist hier nicht: Welches ist die richtigste Form, sondern welches ist diejenige Form, die den Gehalt des Unbedingten am stärksten zum Ausdruck bringt?“ Ebd., 337; vgl. ebd., 338.351.355 f.361; zum Konnex der Begriffe der ‚Ekstase‘ und des ‚Transzendierens‘ vgl. oben III.2 b). Ebd., 335 f. Vgl. oben I.2 c).
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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freilich auf prinzipielle Klärung zu dringen.¹⁷³ Hieran können die Religionsphilosophie sowie weitere Überlegungen der 1920er Jahre, zumal im Rahmen der Dresdner Dogmatik-Vorlesung, präzisierend anknüpfen. Dabei wird die ‚Ausdrucks-‘ bzw. ‚Symbolkraft‘ eben auf das Moment der Selbstnegation hin zugespitzt. So notiert der mutmaßlich 1922 entstandene, unveröffentlichte Entwurf Die religiöse Erneuerung des Sozialismus nachgerade als Faustformel: „Je mehr SelbstAufhebung, desto mehr berechtigter Absolutheitsanspruch.“¹⁷⁴ In der Dresdner Dogmatik-Vorlesung ist genau dieses Motiv aufgenommen, wenn Tillich anlässlich der Diskussion des Anspruches des Christentums, Ausdrucksgestalt der „vollkommenen Offenbarung“ zu sein, unterstreicht: „Das stärkste Symbol aber ist dasjenige, in dem das Nein über sich selbst stärksten Ausdruck gefunden hat.“¹⁷⁵ Somit rückt der Selbstnegationsgedanke über den kriteriologischen Aspekt der Ausdrucks- bzw. Symbolkraft ins systematische Zentrum der Symbolkonzeption. Er bezeichnet die erste der beiden Figuren, die Tillich in den 1920er Jahren für die motivierte Relation von religiösem Symbolausdruck und dem Symbolisat eines unbedingten Transzendierens benennen sollte. Mit der systematischen Zentralstellung steht zugleich die Frage im Raum, auf welches Moment des Symbolischen die betreffende Selbstnegation eigentlich bezogen sein will. Die Religionsphilosophie bietet bei näherem Zusehen zwei alternative Kandidaten jener für den ‚heiligen Gegenstand‘ notierten ‚Negation seiner selbst‘: Demnach soll die „Heiligkeit des heiligen Seins durch die Negation seines unmittelbaren Daseins“ bewirkt sein.¹⁷⁶ Im Sinne der obigen Überlegungen zum Doppelcharakter des religiösen Aktes als eines ‚Setzens‘ und ‚Aufhebens‘ dürfte eben an das Einklammern der Existenzfrage zu denken sein. Die Negation zielt mithin auf die Dimension dinglicher Existenz, und also auf die des ‚Seins‘. Daneben ist der ‚ekstatische Charakter‘ des Symbolischen aber als ein „inneres Transzendieren über seine formale, kulturelle Gegebenheit hinaus“ gekennzeichnet.¹⁷⁷ Die Negation, an der das Übersteigen festgemacht ist, würde demnach nicht die dingliche Existenz, sondern die kulturelle Sinndimension des Trägers
So notiert die Vorlesung im Zuge ihrer Erwägungen zur Sphäre des Symbolischen dem Späteren zwar sachlich vorgreifend, aber terminologisch noch unscharf: „Es ist der Sinn des Kreuzes Christi, daß auch der Heilige selbst sich unter das Vernichtungsurteil des religiösen Realitätserlebnisses stellt […]; denn nur insoweit kann er uns Christus sein, als er sich in seinem Kreuz selbst unter das verneinende Urteil stellt“ (EW XII, 49 f.); vgl. oben III.1 b); zum Gedanken der Selbstaufhebung in der frühen Systematischen Theologie von 1913 vgl. EW IX, 316.322.325 u. ö. EW X, 316. EW XIV, 59. GW I, 336. Ebd.
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III Die Symboltheorie
betreffen. Beide Alternativen finden sich in dem Gedankengang der Religionsphilosophie, in dem sowohl die zentrale Stellung der Negationsfigur wie die Präzisierung des Transzendierungsgedankens vermittels ihrer formuliert sind, undiskutiert nebeneinander.¹⁷⁸ Angesichts des systematischen Gewichts des Negationsgedankens für die Symbolkonzeption fallen Tillichs Überlegungen zudem aufs Ganze gesehen erstaunlich knapp aus. Auch in der Folge, etwa im bündelnden Symbolaufsatz von 1928, ist der Negationsgedanke mehr benannt, als dass er tatsächlich gedanklich entfaltet würde.¹⁷⁹ Eine Ausnahme stellt die Dresdner Dogmatik-Vorlesung dar, jene Vorlesung also, die zwischen 1925 und 1927 zunächst in Marburg, dann aber vor allem in Leipzig und eben Dresden entstanden ist.¹⁸⁰ Das Gros der Prolegomena, die unter dem Titel ‚Einleitung: Das Wesen der Dogmatik‘ 25 Paragraphen umfasst, gilt mit den §§ 4– 13 der Entwicklung des Offenbarungsgedankens. Dass Tillich Letztere nicht im Sinne eines materialdogmatischen Lehrstücks neben anderen verstanden wissen will, sondern ihr eine vorgeordnete systematische Stellung zudenkt, signalisiert auch ihre Kennzeichnung als „formale Offenbarungslehre“.¹⁸¹ Dabei verbinden sich nun gleich mit § 4 offenbarungstheoretische und symboltheoretische Überlegungen aufs Engste, eine Verbindung, die erneut bereits mit der Religionsphilosophie angedeutet war.¹⁸² Zumal der Normbegriff der „vollkommenen Offenbarung“ ist offenkundig nach der Struktur des Symbolgedankens gebildet¹⁸³ – aus diesem Kontext stammt etwa das oben angeführte Zitat, demzufolge
Vgl. insgesamt ebd., 335 – 337. Vgl. GW V, 207; vgl. oben III.3 b). Vgl. EW XIV, XVIf.XXVI – XXX. Tillich wiederholte demnach den im Sommersemester 1925 in Marburg vorgetragenen Stoff im folgenden Wintersemester noch einmal in Dresden, um dann ebendort zwei weitere Semester zum Thema zu lesen; vgl. oben II.3.2 c). Ebd., 37. Vgl. den dortigen ausdrücklichen Hinweis auf den „paradox-symbolischen Charakter der Offenbarung“ (GW I, 353); die Querverbindung von Offenbarungsgedanke und Symbolgedanke durchzieht die folgenden Überlegungen, etwa mit Blick auf das Stichwort der ‚Symbolkräftigkeit‘ oder das ‚Nein‘, unter das die eigenen Symbole im Sinne des „paradoxe[n] Offenbarungsbegriff[s]“ zu stellen seien; vgl. ebd., 353 – 355; zum Verhältnis von Symbol- und Offenbarungsbegriff bei Tillich vgl. auch Christoph Schwöbel, „Symbolische Rede von Gott. Tillichs Beitrag zur Gotteslehre“, in: Danz/Schüßler/Sturm (Hg.), Symbol als Sprache, 9 – 29, 17 ff. Eine zentrale Schwäche des Beitrags von Schwöbel besteht dabei freilich darin, dass mit der – offenkundig einem mehr Karl Barth’schen Theoriehintergrund entliehenen – Figur der „Selbsterschließung Gottes“ Tillichs Zuordnung von Offenbarung und Symbol im Sinne der konstitutiven Gebrochenheit des Offenbarungsgedankens gerade konterkariert wird. Der Gedankengang zum Verhältnis von „Grundoffenbarung“, „Heilsoffenbarung“ und „vollkommener Offenbarung“ umfasst genauer die §§ 8 – 13; vgl. EW XIV, 37– 60. Sein Ergebnis –
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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dasjenige Symbol, „in dem das Nein über sich selbst den stärksten Ausdruck gefunden hat“, wiederum den Normbegriff des Symbolischen darstellt.¹⁸⁴ In diesem Zusammenhang kann Tillich nun die Struktur des Symbols grundsätzlich als die der „innere[n] Polarität von Verwirklichung und Selbstaufhebung“ bestimmen.¹⁸⁵ Dabei gilt näherhin: „Das ist nicht so gemeint, […] daß dieses abwechselte, sondern so, daß ein Symbol da ist, in dem beides so enthalten ist, daß ihre Polarität nicht zum Zerreißen führt. Es muß eine Wirklichkeit die Kraft haben, ebenso nachdrücklich auf sich zu ziehen, wie von sich zu lösen, und beides ist eine Tat.“¹⁸⁶ Damit ist zunächst nochmals ein Gesichtspunkt unterstrichen, der im Fall des Selbstnegationsgedankens vorderhand weniger leicht ersichtlich ist als im Fall des geisttheoretischen Pendants einer ‚Dialektik von Setzen und Aufheben‘ – ist er doch gleichfalls nicht im Sinne eines reinen Zernichtens zu verstehen.Vielmehr ist von einer dialektischen Struktur – die Dresdner Dogmatik-Vorlesung spricht eben zumeist von einer „Polarität“¹⁸⁷ – und somit einem Zugleich von Positivität und Negativität auszugehen. Mit den auf den Gegenständlichkeitsaspekt abstellenden Zitaten aus der Religionsphilosophie und dem Aufsatz Das religiöse Symbol formuliert: Die gegenständlichen Bestimmungen des Symbolausdrucks werden nicht einfach gleichgültig, sondern es ist stets eine bestimmte Entität, die gleichermaßen ‚auf sich zieht‘ wie ‚löst‘ – und also in ihrer Selbstnegation als Symbol fungiert.¹⁸⁸ Tillich zufolge stehen Bestimmtheit und Symbolizität eines Ausdrucks nicht in Widerspruch zueinander. Zwar verlagert sich der Fokus im Falle des Symbolischen weg von dessen ‚gegenständlicher‘ Basis – in dem weiten Sinne, in dem Tillich ‚Gegenständlichkeit‘ verstanden wissen will –, jedoch wird diese darüber keineswegs hinfällig. Letzterer Sachverhalt ist insofern festzuhalten, als hier in der Forschung bisweilen eine etwas überpointierte Alternative anvisiert scheint.¹⁸⁹
„Vollkommen ist die Offenbarung, die in sich selbst die Verneinung ihres Heilsweges hat“ (ebd., 53; vgl. auch 48.49 u.ö.) – lässt sich zwanglos auf die Struktur des Symbols abbilden. Ebd., 59; s.o. Ebd., 49. Ebd., 46. Vgl. ebd., 57.62.65.67 f.77 u. ö. Vgl. die parallelen Überlegungen zur bleibenden Notwendigkeit eines konkreten Heilsweges: „Es wird anerkannt, daß es einen konkreten Heilsweg geben muß. Denn das uns unbedingt Angehende muß konkret sein. Es wird aber zugleich gefordert, daß in dieser Konkretheit sich ein Element befindet, das den konkreten Weg erschüttert […] [I]m Konkreten die Erschütterung des Konkreten, das ist das eigentliche Geheimnis der Offenbarungslehre.“ (ebd., 46 f.; kursiv L. H.). Vgl. stellvertretend das Urteil Folkart Wittekinds: „[D]ie Haltung [der Religion, der sich die Symbolproduktion verdankt; L. H.] wird nur bewusst in Form kultureller Symbole. Doch nicht der Inhalt dieser Symbole ist entscheidend, sondern nur die Selbstbetrachtung des Bewusstseins im
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Vor diesem Hintergrund können wir eine Überlegung der Dresdner DogmatikVorlesung in den Blick nehmen, die noch einmal eine Präzisierung der dem Symbol eigenen Struktur bedeutet. Sie ist bereits mit Einführung des Symbolbegriffs in § 4 angelegt, die – wie später dann der Symbolaufsatz von 1928 – den Gottesgedanken als paradigmatisches Beispiel wählt: „Auch das Wort Gott ist so ein Symbol. Es macht im unmittelbaren Sprachgebrauch das Unbedingte zu einem höheren Wesen […] Es enthält aber zugleich unendlich viel mehr, nämlich auch“ – und hier folgt die entscheidende Näherbestimmung – „die Negation dieses seines unmittelbaren Sinnes.“¹⁹⁰ Hatte die Religionsphilosophie – wie gesehen – noch offengelassen, ob sich die Symbolizität konstituierende Negation auf das Existenzmoment des Ausdrucksträgers oder aber auf dessen Bedeutungsdimension bezieht, so ist nun ausdrücklich Letztere benannt. Entsprechend spricht die Dogmatik-Vorlesung nachfolgend von einem „Transcendieren des Sinnes“, fokussiert also den Transzendierungsgedanken auf die Sinndimension des Symbols.¹⁹¹ Das für Tillichs Symbolgedanken zentrale Moment der Negation ist mithin als Negation eines ‚unmittelbaren‘, gleichsam ersten Sinnes zu verstehen, mit dem dieser überstiegen wird. Woran hier näherhin zu denken ist, verdeutlicht schließlich eine Passage des folgenden § 5, in der Tillich das wiederkehrende symboltheoretische Leitmotiv der Vorlesung – „Alles ist oratio indirecta“ – wie folgt auslegt: „Es handelt sich um diese eigentümlichen Vorgänge, in denen irgendein Wirkliches, ein Vorgang, ein Mensch, ein Wort, eine Beziehung aus dem endlichen Zusammenhang herausbricht, einen Sinn erhält, der nichts mehr zu tun hat mit dem eigentlichen Sinn – der aber nicht verlorengeht. Das uns unbedingt Angehende spricht in oratio inAkt der Produktion dieser Symbole […] Religion ist das Verstehen symbolischer Rede – nicht in Bezug auf ein bestimmtes Symbol, sondern im Hinblick auf dasjenige, das die Produktion und das Verwenden von Symbolen trägt. Symbolizität ist als eigentliches Wesen der Religion das Wesen des Bewusstseins in seinem Blick auf sich selbst.“ (Folkart Wittekind, „Gottesdienst als Handlungsraum. Zur symboltheoretischen Konstruktion des Kultes in Tillichs Religionsphilosophie“, in: Danz/Schüßler/Sturm [Hg.], Symbol als Sprache, 77– 100, 83 f.). So wenig jedoch der Fluchtpunkt der religiösen Symbole im Moment ihrer konkreten Inhaltlichkeit liegt, so wenig lässt sich dieses Moment einfach vergleichgültigen. Konkrete inhaltliche Bestimmtheit des Symbolausdrucks einerseits und deren Transzendierung qua Bewusstseinsaktivität zugunsten des eigentlich intendierten Unbedingten andererseits lassen sich nicht gegeneinander ausspielen – ist Tillich doch am Zugleich beider gelegen. Oder, in der Terminologie der mit Das religiöse Symbol etablierten ‚Merkmale‘: Eine im Letzten rein auf den Aspekt der Symbolisierungsaktivität als solcher oder auf das Intendieren des – an sich eben nicht darstellbaren – Unbedingt-Transzendenten abzielende Interpretation steht in der Gefahr, den für das Symbolische gerade spezifischen Gesichtspunkt seiner konkreten ‚Anschaulichkeit‘ unter der Hand zu kassieren. EW XIV, 17; kursiv L. H. Ebd., 18.
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directa durch diesen Gegenstand hindurch.“¹⁹² Aus dem potenziell unbegrenzten (‚irgendein‘) Kreis möglicher Symbolausdrücke – erinnert sei an die prinzipielle Äquidistanz aller bedingten Ausdrücke gegenüber dem Unbedingt-Transzendenten – fungiert demzufolge ein konkreter Ausdruck als Symbol, ohne dass in der Symbolfunktion die konkreten gegenständlichen Attribute gleichgültig würden (‚diesen Gegenstand‘). Die symboltheoretisch entscheidende Modifikation geschieht jedoch in der Dimension der Bedeutung: Neben den ‚eigentlichen‘ ersten Sinn tritt ein zweiter Sinn. Entscheidend ist dabei zweierlei. Zum einen geht der ‚eigentliche‘ Sinn, wie schon die konkreten ‚gegenständlichen‘ Bestimmungen des Symbolausdrucks, keineswegs einfach verloren. Der zweite Sinn ersetzt nicht schlicht den ersten. Vielmehr dürfte an eine Sinnverschiebung zu denken sein, bei der ursprüngliche und neue Bedeutung zugleich präsent sind – diese gleichzeitige Präsenz eröffnet allererst ein Feld der Bedeutungen, in dem das Symbolverstehen dann seinen Raum nehmen kann. Und zum anderen wird man – einmal mehr mit Tillich gegen Tillich – mitnichten davon sprechen dürfen, dass der zweite Sinn mit dem ersten ‚nichts mehr zu tun hat‘. Sondern genau hier wird die Logik der Negation ihren systematischen Ort haben und also das Verhältnis der beiden Bedeutungen zueinander bestimmbar machen: Der zweite Sinn bezieht sich auf den ersten Sinn just als dessen Verneinung. ¹⁹³ An Tillichs einschlägigem Beispiel des Kreuzsymbols: Seine eigentümliche Ausdruckskraft erwächst diesem gerade im In- und Gegeneinander des ursprünglichen Bedeutungsfeldes – als Zeichen des Todes, der Hinrichtung, der Abschreckung, des Endes etc. – und des neuen, in Negation gebildeten Bedeutungsfeldes – als Zeichen des Lebens, das anziehen soll, des Neubeginns etc.¹⁹⁴ Dabei bleibt im Symbolisierungsprozess freilich eine gewisse Offenheit, insofern weder von vornherein festgelegt ist, welche Sinnaspekte als erster Sinn und somit als Basis der Negation fungieren, noch dass sich der zweite Sinn gleichsam mathematisch aus dem ersten errechnen ließe. Die Negation fungiert dieserart bei Tillich mehr im Modus einer die Richtung angebenden Figur Ebd., 26. Dass sich die Negationsbewegung des Symbolausdrucks primär auf dessen Sinn bezieht und dabei näherhin an ein spannungsvolles ‚Zugleich‘ von erster und zweiter Bedeutung zu denken ist, ist auch in der späten Systematischen Theologie klar formuliert: „Jedes religiöse Symbol verneint sich in seiner wörtlichen Bedeutung, aber bejaht sich in seiner selbst-transzendierenden Bedeutung.“ (ST II, 15). Dabei bleibt freilich der oben unter III.2 c) als konstitutiv festgehaltene Aspekt der Kontextbezogenheit der Symbole – und also auch des Kreuzsymbols – in Kraft und ist für das Beispiel implizit vorausgesetzt: Es ist ganz offensichtlich der jüdisch-christliche Traditionszusammenhang, in dem vermittels eines Kreuzes die notierten gegenläufigen Bedeutungsfelder aufgerufen werden können.
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III Die Symboltheorie
denn als Negationsgedanke im starken Sinne, der eine denknotwendige Logik aus sich heraussetzen würde. ¹⁹⁵ Mit dem Negationsgedanken ist die systematisch zentrale Figur benannt, vermittels derer Tillich die für den Symbolgedanken signifikante Sinnverschiebung positiv auszuweisen sucht. Zugleich zeigt bereits die vorstehende Überlegung am Beispiel des Kreuzsymbols an, dass der für das religiöse Symbol entscheidende Überschritt in die unbedingte Transzendenz mit dem Negationsgedanken für sich genommen noch nicht ausgewiesen ist: Zwar erfolgt ein Transzendieren des ersten Sinns, doch kann der anvisierte zweite Sinn wiederum gewissermaßen in der Horizontalen der bedingten Sinnsphäre liegen. Der Negationsgedanke bzw. der vermittels seiner näher bestimmte Transzendierungsgedanke bedürfen mithin der weiteren gedanklichen Spezifikation. Tatsächlich findet sich eine solche in den Texten der 1920er Jahre – wenn auch mehr am Rande und primär in seinerzeit unveröffentlichten Texten. Der betreffende Gedanke scheint einmal mehr schon in der Religionsphilosophie auf. Dort hatte Tillich, wie gesehen, mit Blick auf den als religiöses Symbol fungierenden ‚heiligen Gegenstand‘ vermerkt, dieser sei „nie an sich, sondern nur durch Negation seiner selbst heilig; und in diese Negation seiner selbst ist eingeschlossen die Negation alles Seienden“.¹⁹⁶ Wir hatten zwischenzeitlich präzisiert, dass die fragliche Negation in erster Linie dem ‚eigentlichen‘ ersten Sinn des ‚Gegenstandes‘ gilt und nicht dessen dinglicher Existenz. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist nun der Hinweis entscheidend, dass in diese Negation eine weitere, von weitaus größerer Reichweite ‚eingeschlossen‘ sein soll: Die erste Transzendierungsbewegung enthält eine weitere, die in ihrer Totalität (‚Negation alles Seienden‘) als die religionstheoretisch entscheidende gelten muss, verbürgt doch eigentlich sie den – mit der ausgereiften Begrifflichkeit des Systems der religiösen Erkenntnis – „Schritt“ in die unbedingte Transzendenz.¹⁹⁷ In der Reli-
Hinsichtlich der logischen Folgerichtigkeit der Gedankenentwicklung von der „autonomisierten“ zur „doppelten Negation“, wie Dieter Henrich sie für – so der Titel einer der entsprechenden Aufsätze – ‚Hegels Grundoperation‘ der Negation rekonstruieren konnte, unterscheidet sich der das Zentrum von Tillichs Symbolkonzeption bezeichnende Negationsgedanke mithin deutlich von dem Hegels; zum Letzteren vgl. Dieter Henrich, „Formen der Negation in Hegels Logik“, in: Wilhelm R. Beyer (Hg.), Hegel-Jahrbuch 1974 (Köln: Pahl-Rugenstein, 1975), 245 – 256; ders., „Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die ‚Wissenschaft der Logik‘“, in: Ute Guzzoni/ Bernhard Rang/Ludwig Siep (Hg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag (Hamburg: Meiner, 1976), 208 – 230. GW I, 335 f.; kursiv L. H. EW XI, 125.129.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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gionsphilosophie greift Tillich in der entsprechenden Passage direkt auf die im Vorfeld sinntheoretisch explizierte dialektische Zuordnung von Bedingtem und Unbedingtem zurück.¹⁹⁸ Eine genuin symboltheoretische Durchdringung des Gedankens steht hingegen noch aus. Zu ihr finden sich erst im thematischen Aufsatz von 1928, Das religiöse Symbol, erste Überlegungen. Während es Tillich jedoch auch hier mehr bei Andeutungen belassen sollte, sind es wiederum die Dresdner Dogmatik-Vorlesung sowie das System der religiösen Erkenntnis, mit denen allererst das systematische Gewicht des dort nur Angedeuteten ersichtlich wird. Im Rahmen der einführenden Definition des Merkmals der ‚Uneigentlichkeit‘ im Symbolaufsatz von 1928 notiert Tillich folgenden, vorderhand unscheinbaren Gedanken: „Dabei kann das Symbolisierte selbst wieder Symbol sein für ein Symbolisiertes höheren Ranges. […] Die dem Holzkreuz erwiesene Devotion gilt eigentlich der Kreuzigung auf Golgatha, und die ihr bezeugte Devotion gilt eigentlich dem erlösenden Handeln Gottes, das selbst symbolischer Ausdruck ist für eine Erfahrung des Unbedingt-Transzendenten.“¹⁹⁹ Tillich denkt offenkundig an eine ‚Kette‘ von Symbolisierungen, bei der jeweils das Symbolisierte seinerseits als Symbolausdruck für die folgende Symbolisierung dient. Insofern dieser Vorgang iterierbar ist, führt er potenziell auf die Sphäre des Unbedingt-Transzendenten. Erst mit diesem letzten Schritt ist eine im eigentlichen Sinne religiöse Symbolisierung geleistet. Trägt man den Negations- und den Transzendierungsgedanken in der rekonstruierten Form ein, dann muss auf der Stufe einer jeden Sinnverschiebung zu dieser ein neuer Ausdrucksträger gesucht werden: Für das ‚erlösende Handeln Gottes‘, gewissermaßen die dritte Stufe der skizzierten Symbolisierungskette, fungiert die Imagination der ‚Kreuzigung auf Golgatha‘ als Symbolausdruck, die ihrerseits Symbolisat der mit dem ‚Gegenstand‘ des ‚Holzkreuzes‘ anhebenden Symbolisierung war. Weiterhin müssen auch die vorgängigen Stufen der Kette präsent bleiben, soll schließlich – in entsprechend vermittelter Form – das Holzkreuz die ‚Erfahrung des Unbedingt-Transzendenten‘ symbolisieren, und also als religiöses Symbol fungieren können. Dabei ist die ‚Symbolisierungskette‘ als eine qua Negationen vorangetriebene ‚Transzendierungskette‘ zu verstehen: Bei Lichte besehen müssen hier mehrere Transzendierungsverhältnisse ihrerseits nochmals zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Diese Figur – die im Symbolaufsatz selbst nur en passent begegnet und dort nicht weiter ausgeführt ist – erweist sich bei näherem Zusehen als die zweite Figur, die Vgl. GW I, 336: „Es ist die Doppelheit von absoluter Sinnerfüllung und absolutem Sinnabgrund, deren Gefäß jedes heilige Sein wird.“; zur entsprechenden sinntheoretischen Grundkonstruktion vgl. oben II.2.2 c). GW V, 196.
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III Die Symboltheorie
Tillich in den 1920er Jahren zur positiven Fassung des Verhältnisses von religiösem Symbol und unbedingter Transzendenz an die Hand gegeben hat. Ein erster Hinweis, wie die fragliche Stufung von Transzendierungsverhältnissen zu denken ist, findet sich nun in der Dresdner Dogmatik-Vorlesung, und hier wiederum in jenen Paragraphen der ‚Einleitung‘, in denen Tillich seinen Offenbarungs- und Symbolbegriff anhand der Figur der ‚oratio indirecta‘ entwickelt.²⁰⁰ In diesem Zusammenhang bedient er sich etwa auch des „Okkultismus“ – Tillich hat in einem zunächst nicht näher spezifizierten Sinne die „Sphäre der parapsychischen und paraphysischen Erscheinungen“ vor Augen, an späterer Stelle verweist er bei dem betreffenden Stichwort auf die ‚Akasha-Chronik‘ Rudolf Steiners²⁰¹ –, um den Gedanken einer gleichsam ‚mittleren‘ Transzendenz zu illustrieren: Es handelt sich um die Verbindung einer Schicht […] mit einer Schicht der Dinge, die gegenüber der üblichen als okkult erscheint. Es ist nun aber keineswegs so, daß diese Schicht an sich die religiöse oder göttliche ist. […] Sie kann aber sein und ist sehr häufig das Vehikel der Offenbarungserschütterung. Das relative Transcendieren der Dinge in die okkulte Welt wird zur oratio indirecta für die absolute Transcendenz. ²⁰²
Entscheidend ist einmal die Differenzierung zwischen der Figur eines ‚relativen Transcendierens‘ und der der Religion vorbehaltenen ‚absoluten Transcendenz‘.²⁰³ Vor allem aber ist mit dem letzten Satz zugleich eine Zuordnung beider angedeutet, der zufolge die relativen Transzendierungsverhältnisse, die noch ganz der Sphäre der Kultur zugehören, ihrerseits als symbolische Vehikel des eigentlich religiösen Überschritts in die absolute Transzendenz fungieren können. Genau dieser Gedanke ist tatsächlich im Ende 1927 entstandenen System der religiösen Erkenntnis aufgenommen. Er findet sich dort mit § 6 in jenem Paragraphen, in dem Tillich entfaltet, wie die Wahl der Inhalte zu denken ist,vermittels derer das Unbedingt-Transzendente symbolisch vertreten wird. Hier ist zunächst – diesen Gedanken kennen wir bereits – negativ dessen ‚Äquidistanz‘ gegenüber jedem möglichen Ausdrucksträger unterstrichen.²⁰⁴ Anschließend hält Tillich fest,
Vgl. zum Folgenden auch oben III.3 b). Vgl. EW XIV, 25 mit ebd., 257 f.272 f.; vgl. auch EW XI, 125. EX XIV, 25; kursiv; L. H. Sie ist der systematische Ermöglichungsgrund dafür, dass Tillich neben dem Begriff des religiösen Symbols einen solchen des kulturellen entwickeln kann; vgl. oben III.3 b). Vgl. EW XI, 132: „Da das Unbedingte jeder Wirklichkeit gleich transzendent ist, so ist jede Wirklichkeit fähig, vertretende Inhalte der religiösen Erkenntnis zu liefern. Kein Teil, keine Eigenschaft des Wirklichen hat an sich einen Vorzug. Das liegt im Wesen der unbedingten Transzendenz.“; s. o.
III.3 Der Transzendierungscharakter des Symbolischen
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dass es gleichwohl konkreter Ausdrücke bedarf, um das Unbedingt-Transzendente im religiösen Sinne zu symbolisieren: „Erreicht wird sie [die unbedingte Transzendenz; L. H.] nur, wenn ein Wirkliches dadurch die [unbedingte; L. H.]²⁰⁵ Transcendenz vertritt, daß es über die Wirklichkeit gestellt wird. Das unbedingte Transcendieren über die ganze Wirklichkeit wird vertreten durch das bedingte Transcendieren einer Wirklichkeit über die andere.“²⁰⁶ Das ‚bedingte‘, relative Transzendieren soll mithin seinerseits als Vertretung – und also gemäß der terminologischen Besonderheiten des Systems: als Symbol – für das ‚unbedingte‘ Transzendieren dienen.²⁰⁷ Die damit anvisierte Figur erinnert von Ferne an jene Theoriefigur einer reinen Proportionalitätsanalogie, die Immanuel Kant mit der Kritik der Urteilskraft und der Prolegomena ins Zentrum seiner Symbolkonzeption gestellt hatte.²⁰⁸ Auch Tillich gibt nämlich keinen gemeinsamen Oberbegriff, unter dem die Merkmale des Symbolausdrucks subsummiert würden (par rationis), sondern will wie Kant zwei Verhältnisse nochmals zueinander ins Verhältnis gesetzt wissen: wie b a qua Negation und entsprechender Sinnverschiebung transzendiert, so überschreitet x c. Als religiöses Symbol fungiert ein Ausdruck dann, wenn beide Transzendierungsbewegungen – im Sinne der obigen ‚Transzendierungskette‘ – zugleich unterschieden und aufeinander bezogen werden, und dabei auf den initialen Ausdrucksträger rückbezogen bleiben. Wie schon der (Selbst)Negationsgedanke ist diese zweite Figur gestufter Transzendierungsverhältnisse freilich bei Tillich selbst wiederum merkwürdig
Da die Figur der ‚einfachen‘ Transzendenz bereits mit dem folgenden Nebensatz bezeichnet ist (‚über die Wirklichkeit gestellt‘), muss hier – im Sinne des nachfolgenden Satzes – die unbedingte Transzendenz gemeint sein. Ebd., 133; kursiv; L. H. Vgl. auch die gleichfalls zum Jahresende 1927 formulierten Überlegungen im Rahmen des Vortrages Die Metaphysik des Geschehens: „Metaphysik ist Betrachtung der Dinge, sofern sie im Transcendenten stehen. […] Um das noch deutlicher zu machen, können wir auch sagen: Metaphysik ist Anschauung des Seienden in seinem Transcendieren. Wir meinen also nicht, daß das Transcendente Gegenstand einer Betrachtung werden kann, ganz gleich, ob einer diskursiven oder intuitiven, sondern wir meinen, daß in den Dingen eine Schicht anschaubar ist, in der sie über sich hinausweisen, eine Qualität inneren Transcendierens […] Vielmehr werden wir bis dahin durchstoßen müssen, wo man mit Recht die religiöse Schicht sucht, die freilich selbst eigentlich keine Schicht mehr ist, sondern das Transcendieren der Schichten, das Transcendieren unseres Geistes, das dem Transcendieren, dem Über-Sich-Hinausweisen der Dinge entspricht.“ (ebd., 175 f.; kursiv L. H.). Wiederum ist ersichtlich an ein Proportionalitätsverhältnis zweier Transzendierungsbewegungen gedacht, wobei das ‚innere Transzendieren‘ der Dinge als anschauliches Initial dient, um von hier aus das Transzendieren der ‚Schichten‘ und des ‚Geistes‘ insgesamt – mit dem Terminus der 1920er Jahre: des Bedingten als solches – in den Blick zu bekommen. Zu denken ist vor allem an § 59 der Kritik der Urteilskraft und § 57 der Prolegomena; vgl. die entsprechende Rekonstruktion im Rahmen der Einleitung der vorliegenden Arbeit.
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III Die Symboltheorie
unausgeführt geblieben. Im Gegensatz zu Kant erläutert er das angedachte Verfahren zudem nicht eigens an sprechenden Beispielen. So dürfte es auch die wenig geglückte, jenen beiden systematisch zentralen Figuren nur überschaubare Aufmerksamkeit einräumende Darstellungsform gewesen sein, die etwa die Vorwürfe der schlichten Univozität oder des naiven Realismus provoziert hat. Nehmen diese hingegen in der rekonstruierten komplexen Gestalt den ihnen zukommenden Ort im gedanklichen Zentrum der in den 1920er Jahren entworfenen Symbolkonzeption ein, dann wird ersichtlich, dass Tillichs Theorie des religiösen Symbols im Kern den zumal mit Kant gesetzten kritischen Standards genügt.
d) Ertrag und Ausblick Im Zentrum von Tillichs Symboltheorie steht der Gedanke der ‚Uneigentlichkeit‘. Er bezeichnet eine konstitutive Differenz von Symbolträger und Symbolat: Ein anschaulicher Träger steht für ein per se Unanschauliches. Diese Grundstruktur ist im Falle des religiösen Symbols unbedingtheitstheoretisch gesteigert, da als sein Spezifikum die schlechthinnige Inkommensurabilität des Unbedingten gegenüber jedweder bedingten Ausdrucksform behauptet ist. Das Unbedingte gilt als ‚das, was‘ – schlechterdings – ‚dahinter liegt‘. Tillich fasst es demgemäß vermittels des Transzendenzgedankens. Der unbedingten Transzendenz des zu Symbolisierenden entspricht dabei eine interne Transzendierungsbewegung der Symbolausdrücke. Genauer: Die Idee des Unbedingten als des ‚Unbedingt-Transzendenten‘ soll an der Transzendierungsbewegung des symbolisierenden Bewusstseins selbst gewonnen sein. Dessen iterierendem Transzendieren korrespondiert die – präzise nicht als unbedingte Transzendenz, sondern als unbedingtes Transzendieren zu denkende – Idee des im religiösen Akt ‚LetztGemeinten‘. Tillichs Theorie des religiösen Symbols erweist sich somit bei näherem Zusehen insofern als Theorie des religiösen Symbolisierens, als sich religiöse Symbole als solche überhaupt erst in den mentalen Vollzügen des religiösen Bewusstseins konstituieren. So müssen sich die Momente des Symbolgedankens – etwa die von Tillich gegebenen ‚Merkmale‘ des Symbols (‚Uneigentlichkeit‘, ‚Selbstmächtigkeit‘ etc.), aber auch die per Rekonstruktion gewonnenen wie das der ‚Indirektheit‘ – auf dessen Sinnunterscheidungen abbilden lassen können. In ihrem ‚inneren Transzendieren‘ müssen religiöse Symbole mit Tillich zugleich als adäquater Ausdruck des schlechthinnigen Transzendierens der Idee des Unbedingten gelten. Dessen Unbedingtheit bringt sich zunächst negativ als schlechthinnige Inkommensurabilität des Nicht-Darstellbaren zur Geltung. Tillich kann darüber hinaus jedoch mit dem Gedanken der (Selbst)Negation sowie dem gestufter Transzendierungsverhältnisse auch zwei positive Theoriefiguren zur
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Präzisierung jener Adäquatheit im Sinne einer motivierten Relation benennen, die die ‚Ausdruckskraft‘ eines Symbols begründen. Die Pointe der Ersteren besteht darin, dass die Negation die Sinndimension des Symbolausdrucks betrifft, und also auf eine Sinnverschiebung qua Negation zielt, die Pointe der Letzteren darin, dass ein relatives Transzendierungsverhältnis das unbedingte Transzendieren vertritt. Beide Gedanken schließen sich im Theorem einer richtiggehenden ‚Symbolisierungskette‘ als einer durch Negationen vorangetrieben ‚Transzendierungskette‘ zusammen, sodass initialer Ausdrucksträger und finaler Transzendierungsschritt in entsprechend vermittelter Form aufeinander bezogen bleiben. Erst in dieser Komplexität ist Tillichs Begriff des religiösen Symbols in seiner gedanklichen Tiefe wirklich rekonstruiert.
Abschließende Reflexionsgänge Paul Tillichs Denken – und nicht zuletzt seine Symboltheorie – haben im vergangenen halben Jahrhundert eine intensive Rezeption erfahren. Dabei ist sowohl das in Reichweite und Geschlossenheit beeindruckende Gesamtsystem wie seine gedankliche Durchdringung einzelner Sachthemen in kaum mehr zu überblickender Vielfalt reflektiert und gewürdigt worden: Mit Beginn des 21. Jahrhunderts stellt sich Tillich fraglos als ein moderner Klassiker deutsch- und in anderer Weise auch englischsprachiger protestantischer Theologie dar. So weit, so selbstverständlich, so mutmaßlich wenig diskutabel. Interessant gestaltet sich vor diesem Hintergrund indes die Frage nach Wegmarken der Rezeption, mit denen nicht allein der zeitweilige Debattenstand bezeichnet, sondern zugleich über den Tag hinausweisende Frage- und Problemstellungen angezeigt und aufgerufen waren. Eine entsprechende ‚Geschichte der Rezeptionsgeschichte‘ steht im Falle Tillichs noch aus. Insofern bewegt sich das Folgende auf kaum kartographiertem Gebiet.¹ Gleichwohl scheint es, als markiere Falk Wagners Münchener Antrittsvorlesung, erstmals 1973 gedruckt, in mehrfacher Hinsicht eine Wendemarke der Diskussion.² Einmal, vielleicht eher eine Fußnote, lag Tillichs Tod nunmehr beinahe ein Jahrzehnt zurück, sodass eine Historisierung seines Werkes einsetzen konnte. Zumal der Abschluss der Gesammelten Werke im Jahr 1972, und also das Vorliegen einer kompletten Werkausgabe, kann als wichtige Bedingung der kritischen Rezeption gelten. Denn mag der Aspekt der persönlichen Bekannt- bzw. Schülerschaft auch in US-amerikanischen Kontexten schwerer gewogen haben als im deutschsprachigen Raum, so war die erste Generation der Tillich-Interpreten und Interpretinnen diesseits des Atlantiks – von Renate Albrecht bis Carl Heinz Ratschow – ebenfalls ersichtlich durch die persönliche Begegnung geprägt. Hier
Zu denken wäre primär an die beiden – mittlerweile allerdings gleichfalls mehr als ein Vierteljahrhundert alten – Forschungsberichte von Peter Schwanz und Christoph Schwöbel; vgl. Peter Schwanz, „Zur neueren deutschsprachigen Literatur über Paul Tillich“, VF 24 (1979), 55 – 86; Christoph Schwöbel, „Tendenzen der Tillich-Forschung (1967– 1983)“, ThR 51 (1986), 166 – 223.Vgl. zudem die einführende Darstellung bei Werner Schüßler/Erdmann Sturm, Paul Tillich. Leben – Werk – Wirkung (Darmstadt: WBG, 2007), 215 – 258; sowie jetzt Georg Neugebauer „Die Tillichrezeption im deutschsprachigen Raum von 1933 – 1965. Ein exemplarischer Überblick“ in dem von Christian Danz und Werner Schüßler herausgegebenen Tagungsband Paul Tillich im Exil (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2017). Der Band lag mir noch nicht vor. Falk Wagner, „Absolute Positivität. Das Grundthema der Theologie Paul Tillichs“, NZSTh 15 (1973), 172– 191; unveränderter Wiederabdruck: ders., Was ist Theologie? Studien zu ihrem Begriff und Thema in der Neuzeit (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1989), 126 – 145. Die entsprechenden Seitenangaben beziehen sich nachfolgend auf den ursprünglichen Aufsatz. DOI 10.1515/9783110484847-012
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eröffneten Tod und anhebende Historisierung nochmals Wege eines unbefangeneren Zugangs in der Sache. Jedenfalls – und vor allem – verbindet sich in Wagners Antrittsvorlesung das Interesse der Würdigung unübersehbar mit dem Impuls eines entschieden kritischen Weiterdenkens, gleichsam ‚mit Tillich über Tillich hinaus‘. In der Verbindung beider Aspekte muss sie bis heute als wegweisend gelten, konnte Wagner doch dieserart der weiteren Diskussion wesentliche inhaltliche Impulse geben. Deren Stoßrichtung gibt schon die Überschrift zu erkennen, unter die er seine Überlegungen stellte: „Absolute Positivität – Das Grundthema der Theologie Paul Tillichs.“ Zum einen, um mit dem letzteren Glied zu beginnen, hebt mit Wagner die Suche nach dem einen ‚Grundthema‘ von Tillichs Theologie an. Die betreffende Frage kann sich zweifelsohne auf dessen Systemanspruch rückbeziehen, ja mehr noch: Tillichs Systemdenken selbst, die entsprechend streng systematische – bisweilen auch schematische – Entwicklung der einzelnen Themenkomplexe musste geradezu die Frage nach dem einen übergreifenden Konstruktionsprinzip evozieren. Obwohl von Wagner selbst ob der offenkundigen Abstraktionsgefahr einer solchen Fokussierung auf ein einziges Prinzip zugleich problematisiert, hat der gedankliche Griff nach dem einen Grundthema Schule gemacht: Von – um nur zwei klassische Interpretationsansätze herauszugreifen – Gunther Wenz’ weichenstellender Monographie Subjekt und Sein bis hin zu den umfassenden Arbeiten von Christian Danz hat sie sich immer wieder in den Vordergrund schieben können, hat sogar das je und je vermeinte Grundthema seinerseits der Rekonstruktion als Konstruktionsprinzip dienen können. Die Frage nach dem Grundprinzip Tillich’scher Theologie gehört somit seit Wagner zum festen Kanon der Tillich-Forschung. Zum anderen ist es mit der Figur der ‚absoluten Positivität‘ das von Wagner ausgemachte Thema selbst, das den weiteren Gang der Diskussion wesentlich mitprägen sollte. Im Ausgang von der Sinntheorie, und hier näherhin von der spezifischen Fassung des ‚Form/Gehalt‘-Schemas, meint Wagner bei Tillich ebenjenen Gedanken absoluter Positivität als unbedingtheitstheoretisches Strukturprinzip identifizieren zu können. Demnach sei die Idee des Unbedingten gemäß ihrer ‚absoluten Selbstgegebenheit‘ als schlechthin Vorgegebenes konzipiert, was andersherum die abstrakte Negation jedweder konkret-bedingten Gestalt zur Folge habe: „Die Selbstgegebenheit erweist sich aufgrund ihrer absoluten Positivität immer zugleich als Negativität jeder bestimmten positiven Gestaltung.“³ Der titelgebenden ‚absoluten Positivität‘ des Unbedingten korrespondiert
Wagner, „Positivität“, 180.
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mithin eine unzureichende, weil abstrakt-negative Konzeption der Negativitätsfigur. Im Durchgang durch eine Vielzahl materialer Themen, an denen jenes Strukturprinzip dann als Grundthema Tillich’schen Denkens aufgezeigt werden soll – etwa dem Protestantismustheorem der Frühzeit oder den Gestaltungsprinzipien und materialdogmatischen Topoi der späteren Systematischen Theologie –, kommt auch der Symbolgedanke in den Blick. In Aufnahme der vorherigen Überlegungen rekonstruiert Wagner ihn – einmal mehr – als allein „negative Einheit von Positivität und Negativität“.⁴ In Anlehnung an seine Ausführungen zu Tillichs ‚Gestalt der Gnade‘, an der Wagner die These im Wesentlichen demonstriert, lässt sich paraphrasieren: Der Idee nach konzipiert Tillich das Symbol zwar als absolute Selbstgegebenheit des Unbedingten im Bedingten, und also als „affirmative“, als positive Einheit von Positivität und Negativität. In der Durchführung verhindere aber ebenjene absolute Vorgegebenheit des Unbedingten dessen Realisation im Symbol und somit die anvisierte positive Synthese von Unbedingtem und Bedingtem. Dieserart unterliegt jede symbolische Gestalt im Letzten der Kritik durch das abständige Unbedingte, das Resultat sei ein „perennierender Prozess protestantischer Gestaltung“⁵ – der in seiner gewissermaßen ‚schlechten‘ Unendlichkeit Wagners Kritik auf sich zieht. Der Hegel’sche Hintergrund der betreffenden Kritik ist unverkennbar. Wagners Vorwurf eines von Tillich unzulänglich zur Geltung gebrachten Negativitätsgedankens ist vielfach rezipiert worden. Genauer: Er kehrt unter ausdrücklicher Berufung auf Wagners Überlegungen in – durchaus merklicher – Variation überall dort wieder, wo die Tillich-Rezeption ein genuines Interesse an kritischer Fortschreibung nahm und nimmt. Dabei rückte zunehmend die Symbolthematik ins Zentrum der Kritik. Denn während Wagner das diagnostizierte negativitätstheoretische Grundproblem zwar auch auf die Symboltheorie abbilden konnte, geschah dies doch noch mehr en passant. Die Forschung sollte es im weiteren Gang der Debatte hingegen entschieden fokussieren. Wir wollen uns im Folgenden in einem ersten Schritt den Diskussionsgang anhand ausgewählter Beispiele vergegenwärtigen.⁶ Näherhin sollen in systematischer Besinnung zentrale Frage- und Problemstellungen der Tillich-Forschung auf das Themenfeld ‚Symbol und Negativität‘ hin sortiert werden. In einem zweiten Schritt können dann die in der vorliegenden Arbeit bedachten Theoriedimensionen des frühen
Ebd., 183 Anm. 24. Ebd., 183. Entsprechend ist keineswegs an Vollständigkeit gedacht. Über die nachfolgend exemplarisch herangezogenen Positionen wären mindestens die Einzelbeiträge Michael Murrmann-Kahls sowie die Tillich-Gesamtinterpretation von Christian Danz zu nennen, die sich ihrerseits durch gedankliche Klarheit und pointierte Kritik auszeichnen.
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und mittleren Werkes – also der Paradoxgedanke, die Sinntheorie sowie die Bewusstseins- und Geistkonzeption – unter dem Gesichtspunkt negativitätstheoretisch valenter Motive bedacht werden. Schließlich soll nochmals der Symbolgedanke ganz in das Zentrum der Reflexion rücken, wiederum unter der Leitperspektive ‚Symbol und Negativität‘.⁷
I Neben Reinhold Mokroschs bei Walter Schulz geschriebener Monographie Theologische Freiheitsphilosophie, die die Erforschung von Tillichs Schelling-Rezeption allererst recht in Gang brachte,⁸ muss Gunther Wenz’ 1979 erschienene, durch Wolfhart Pannenberg betreute Dissertation Subjekt und Sein fraglos als eine der weit über den Tag hinaus wirkmächtigen Tillich-Interpretationen der 1970er Jahre gelten.⁹ Unter direkter Bezugnahme auf Wagner formulierte Wenz als „Prinzip Tillichscher Theologie“ die noch in der gegenwärtigen Tillich-Forschung regelmäßig rezipierte und repetierte Strukturformel einer „Identität von Identität und Differenz“.¹⁰ Gemäß ihrer meinte Wenz als Tillichs Grundanliegen die umfassende Vermittlung von Differenz ausmachen zu können. Die Pointe seiner Interpretation bestand darin, im Durchgang durch die einzelnen Systemaspekte dann je und je das Scheitern dieses Anliegens aufzuweisen.Wenz war es auch, der
Der interpretative Zugriff ist im Folgenden nicht am engeren Begriff von Negativität als eines streng begrifflichen Gegensatzes orientiert. Vielmehr soll mit ‚Negativität‘ in einem weiten Sinne das gedankliche Feld von Andersheit, Unterschied und Gegensatz im Ganzen bezeichnet sein. Damit geht zwar eine gewisse Unschärfe des Begriffs einher – wobei freilich zu konstatieren ist, dass er im theologischen Diskurs ohnehin nur selten trennscharf verwendet wird. Vor allem aber ist es dieserart möglich, mit Blick auf die Forschungsliteratur wie dann auch auf Tillich selbst eine Vielfalt an Theoriefiguren zu erfassen – darunter eben gleichfalls solche, die unterhalb der Ebene begriffslogischer Gegensätze zu stehen kommen. So soll in der späteren Durchsicht von Tillichs Theoriebildung danach gefragt werden, wo Negativität im Sinne der ganzen Bandbreite von Andersheit, Unterschied und Gegensatz näherhin absolutheitstheoretisches Potenzial eignet. Reinhold Mokrosch, Theologische Freiheitsphilosophie. Metaphysik, Freiheit und Ethik in der philosophischen Entwicklung Schellings und in den Anfängen Tillichs (Frankfurt/Main: Klostermann, 1976). Gunther Wenz, Subjekt und Sein. Die Entwicklung der Theologie Paul Tillichs (München: Kaiser, 1979). Ebd., 103. Der Hintergrund der betreffenden Strukturformel ist mithin ersichtlich einmal mehr ein Hegel’scher, ist die Formel doch beinahe wörtlich dessen Differenzschrift von 1801 entnommen. Mit ihr ist also nicht Hegels spätere, ausgereifte negativitätstheoretische Position formuliert, sondern vielmehr eine nur vorläufige, unter Schelling’schen Denkprämissen stehende. Diese wird auf Tillich projiziert – um ihn so letztlich an einem noch nicht zu Ende gedachten Hegel zu messen.
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entschieden die Symbolthematik fokussierte. Sein entsprechendes Urteil – „Tillich bringt den Symbolgedanken als solchen nichtsymbolisch, univok, unmittelbar sinnidentisch zur Geltung.“¹¹ – setzte dabei die Kritik Wagners voraus, der zufolge das Symbol aufgrund der unzulänglichen Fassung des Unbedingten die ihm zugedachte Vermittlungsleistung nicht erbringen könne. Darüber hinaus war jene Kritik nun insofern nochmals verschärft, als sie sich mit dem Verdacht theoretisch nicht gedeckter Unmittelbarkeitsprätentionen verbinden konnte.¹² Jenseits dessen, ob mit jener Strukturformel Tillichs Intention überhaupt zutreffend erfasst ist – unsere Rekonstruktion führte wiederholt auf anderslautende Ergebnisse¹³ –, steht mit Wenz nicht mehr nur die Frage im Raum, inwiefern mit Tillichs Begriff des Unbedingten schlicht eine absolute Positivität statuiert oder inwiefern er negativitätstheoretisch valide gedacht ist. Zugleich rückt jetzt die Symbolkonzeption selbst ins Zentrum der Kritik, und zwar sowohl hinsichtlich der Frage der Vermittlungsleistung des Symbols als auch mit Blick darauf, ob der Symbolgedanke als solcher unmittelbar und also unvermittelt, unter Abblendung negativitätstheoretischer Aspekte, installiert wird. Die damit formulierte Kritik wiegt bis heute schwer. So kann noch in gegenwärtigen Zusammenhängen der einfache Verweis auf Wenz’ These ausreichen, um Tillichs Symboltheorie im Ganzen ohne weitere Diskussion für obsolet zu erklären.¹⁴ Hier wurden für die folgende Rezeption der Symbolkonzeption, zumal bezüglich des Themenkomplexes ‚Negativität und Unmittelbarkeit‘, unübersehbar Weichen gestellt. Weniger wirkmächtig, in der Sache gleichwohl scharfsinniger als Wenz, hat Joachim Ringleben ein Jahrzehnt später die Frage der Fassung des Negativitätsgedankens im Rahmen der Symboltheorie erneut aufgreifen können.¹⁵ Zu Falk
Ebd., 177. Vgl. auch ebd., 178: „[E]r [Tillich; L. H.] führt Dialektik undialektisch ein; dadurch wird befördert, was zu überwinden galt: Exklusivität, Negativität usf. Die bereits registrierte Besonderungstendenz, die mit der Tillichschen Symbollehre auftritt, ist dieser also nicht bloß äußerlich und akzidentell, sondern in ihr selbst begründet.“ Vgl. II.3.1 c), II.3.2 a) sowie die Einleitung zu III.3 und III.3 a). Vgl. exemplarisch den entsprechenden Artikel ‚Symbol‘ in der Theologischen Realenzyklopädie, also an denkbar breitenwirksamer Stelle; Werner Brändle, „Symbol III. Systematischtheologisch“, TRE 32 (2001), 487– 491, 489 f. Joachim Ringleben, „Symbol und göttliches Sein (I)“, in: ders., Gott denken. Studien zur Theologie Paul Tillichs (Münster: Lit, 2003), 87– 101; unveränderter Wiederabdruck von: ders., „Symbol und göttliches Sein“, in: Gert Hummel (Hg.), God and Being. The Problem of Ontology in the Philosophical Theology of Paul Tillich (Contributions made to the II. International Paul Tillich Symposium held in Frankfurt 1988)/Gott und Sein. Das Problem der Ontologie in der philosophischen Theologie Paul Tillichs (Beiträge des II. Internationalen Paul-Tillich-Symposions in Frankfurt/Main
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Wagners Interpretation wiederum besteht insofern eine Verwandtschaft, als auch Ringleben cum grano salis einem theologischen Hegelianismus zuzurechnen ist.¹⁶ So erblickt er denn die zentrale Schwierigkeit im letztlichen Auseinanderfallen eines „abstrakten Subjektivismus“ einerseits und einer „leere[n] Indifferenz“ und „abstrakt-jenseitige[n] Transzendenz“ der Idee des Unbedingten andererseits.¹⁷ Tillichs Symbolgedanke leidet demnach schon an unzulänglichen Expositionsbedingungen: Da am Orte des Unbedingten keine Differenz gedacht werde, komme kein Vermittlungsprozess in Gang, sodass in der Folge das Unbedingte einseitig unbedingt, das Bedingte bedingt bleibe. Zur Überbrückung sieht Ringleben dann, gewissermaßen als gedanklichen Lückenbüßer jener fundamentalen systematischen Unzulänglichkeiten, das Symbol eingeführt – das jedoch seinerseits die Rahmenkonstellation lediglich einmal mehr reproduziere, statt sie zu heben: „Der indifferenten Negativität eines nur unerreichbaren bzw. ungegenwärtigen, also rein jenseitigen Unbedingten entspricht […] eine festgehaltene Endlichkeit, zu deren religiöser Überwindung eben der Symbolbegriff eingeführt worden war.“¹⁸ Mit Wagner konnte sich Ringleben in der These treffen, dass die mit der Grundanlage des ‚Form/Gehalt‘-Schemas vorgenommene Bestimmung des Unbedingten im Kern an Tillichs nicht konsequent durchdachter Fassung des Negativitätsmomentes krankt: Schlichte Positivität ersetze denknotwendige Differenz. Mit Wenz teilt er die Kritik eines mit dem Symbolgedanken zwar anvisierten, in der Durchführung aber nicht eingeholten Syntheseinteresses Tillichs. Die nach Ringleben adäquate prinzipielle Bestimmung des Symbols als „permanenter Selbsttranszendenz“ und also „einer dialektischen Einheit von Negation und Position“ konterkariere Tillich in der Durchführung dadurch, dass er es gerade nicht in eins als „Selbstvergegenwärtigung des Unbedingten am Bedingten“ denke.¹⁹ Vielmehr werde wiederum eine unvermittelt-abstrakte Negativität des Unbedingten noch gegenüber dem Symbol behauptet: An die Stelle einer
1988) (Berlin New York: Walter de Gruyter, 1989), 165 – 181. Die entsprechenden Seitenangaben beziehen sich nachfolgend auf den Wiederabdruck. Tatsächlich greifen Ringlebens – kritische – Überlegungen zu Tillichs Negativitätsgedanken, denen er einen eigenen Aufsatz gewidmet hat, als positives Pendant primär auf dessen Fassung bei Hegel zurück; vgl. Joachim Ringleben, „Die Macht des Negativen. Paul Tillichs Ontologie und Theologie des Lebendigen“, in: ders., Gott denken, 103 – 120, bes. 115 ff. Ringleben, „Symbol (I)“, 99 bzw. ebd., 96. Ebd., 92. Ebd., 90 bzw. ebd., 93.
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qua doppelter Negation²⁰ vermittelten Positivität des Absoluten tritt die unvermittelte Diastase von Negativität des endlichen Symbols einerseits und Positivität des Unbedingten andererseits.²¹ Ringlebens Überlegungen bedeuten in ihrem Scharfsinn wie ihrer begrifflichen Präzision fraglos einen echten Zugewinn für die Tillich-Forschung. Gleichwohl gebietet die wiederholt vorgetragene Polemik gegen die Orientierung an einer rein „subjektive[n] Reflexion“, an deren Stelle mit dem Symbol eine „Logik der Selbstdarstellung des Unbedingten“ zu treten habe,²² eine gewisse Vorsicht: Das Programm einer solchen, logisch-begrifflichen Selbstentwicklung des Absoluten ließe sich vielleicht noch für Tillichs frühe Systematische Theologie von 1913 reklamieren.²³ Mit der reiferen Theoriebildung der 1920er Jahre war ihr hingegen bewusst der Abschied gegeben.²⁴ Erneut scheint es, als würden Tillichs genuine Theorieinteressen durch Hegel’sche Theoreme überblendet. Die in der Sache weiterführende Rückfrage nach negativitätstheoretisch tragfähigen Figuren, zumal im Rahmen der Symbolkonzeption, dürfte so kaum abgegolten sein – soll nicht, wie Ringlebens und Wagners Ausführungen allerdings in Teilen nahelegen, schlicht die Überlegenheit von Hegels Theoriedesigns gegenüber dem Tillichs behauptet werden. Als Alternative zu einer einfachen Überblendungsstrategie erscheint der kritisch-konstruktive Gang ‚mit Tillich über Tillich hinaus‘ allemal ergiebiger, alleine schon, um dessen religionstheoretischen und theologischen Anliegen gerecht zu werden.²⁵
Vgl. die Hinweise Ringlebens auf eine „neu und über Tillich hinaus“, nämlich auf Hegels Gedanken einer „absolute[n] Negativität“ hin, zu denkende Fassung von Negativität (Ringleben, „Macht“, 115 f.). Die betreffende Kritik ist umso interessanter, als Ringleben mit der Denkfigur der Selbsttranszendenz bzw. Selbstnegation jenes Theorem im Zentrum der Symbolkonzeption lokalisiert, das auch wir als systematisch zentral rekonstruiert hatten; vgl. III.3 b) und c). So bleibt zu fragen, ob Tillichs Verbindung von Symbolgedanke und Transzendierungs- bzw. Negationsgedanke tatsächlich nicht die ihr zugedachte Funktion erfüllt; s.u. Ringleben, „Symbol (I)“, 99. Vgl. I.2 a) und d). Zu erinnern ist nicht zuletzt an die entsprechende Selbstkritik Tillichs im Rahmen des HirschBriefwechsels, mit der die großräumige Umbildung der eigenen Theoriegrundlagen ihren Anfang nahm; vgl. II.1 a) und c). Diese – wenn man so möchte „links-tillichianische“ – Rekonstruktionsmaxime des „mit Tillich gegen Tillich“ bzw. „mit Tillich über Tillich hinaus“ liegt offenkundig der vorliegenden Arbeit zugrunde. Gegenüber den Optionen einer mehr konservativen, tendenziell unkritischen Tillich-Rezeption einerseits und einer durch externe Positionalität motivierten (Fundamental)Kritik andererseits scheint sie mir die adäquatere,weil Tillichs Denken konstruktiv für die Diskurse der Gegenwart öffnende Interpretationsperspektive.
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Nach den zwar wegweisenden, aber nicht auf das Thema der Negativität als solches fokussierten Überlegungen von Wagner,Wenz und Ringleben war es dann der Verdienst von Jörg Dierken, dieses zur Mitte des vorigen Jahrzehnts über die Fragestellung von Zweifel und Gewißheit entschieden ins Zentrum der Tillich-Interpretation gerückt zu haben.²⁶ Dabei ist der Ausgang einmal mehr von sinntheoretischen Erwägungen genommen – nun jedoch, da Dierken hier das negativitätstheoretische Anliegen am überzeugendsten artikuliert sieht, von denen des frühen Hirsch-Briefwechsels. Ihnen gegenüber falle nicht nur das um den Seinsbegriff zentrierte US-amerikanische Spätwerk, sondern auch schon die am ‚Form/ Gehalt‘-Schema orientierte Sinntheorie der 1920er Jahre zumindest partiell ab. Die Stärke von Dierkens differenzierten Ausführungen besteht dieserart nicht zuletzt darin, noch einzelne Figuren der frühen Sinntheorie – so etwa die Dualität ‚Sinn‘/‚anderer Sinn‘ des Briefwechsels – als negativitätstheoretisch valent, oder aber – so etwa die Durchbruchsmetapher der 1920er Jahre – als wenig hilfreich identifizieren zu können: Während erstere Formel gleichermaßen der Unhintergehbarkeit und Absolutheit der Sinnkategorie wie deren konstitutiver interner Differenziertheit Ausdruck verleihe, eliminiere letztere in der prätendierten ‚Einsinnigkeit‘ der Manifestation des Unbedingten im Bedingten gerade alle Differenz.²⁷ Über die betreffende Differenziertheit gewinnen die Überlegungen gegenüber der vorangegangenen Debatte erheblich an Tiefenschärfe. Beispielsweise kann Dierken sich in der Problemanzeige der „Positivität einer ontologisch im Letzten fundierten Gewißheit“ mit Wagner treffen, jedoch nichtsdestoweniger Jörg Dierken, „Zweifel und Gewißheit. Zur religiösen Bedeutung skeptischer Reflexion bei Paul Tillich“, in: ders., Selbstbewußtsein individueller Freiheit. Religionstheoretische Erkundungen in protestantischer Perspektive (Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 299 – 323; deutlich erweiterte Fassung von: ders., „Gewissheit und Zweifel. Über die religiöse Bedeutung skeptischer Reflexion bei Paul Tillich“, in: Christian Danz (Hg.), Theologie als Religionsphilosophie. Studien zu den problemgeschichtlichen und systematischen Voraussetzungen der Theologie Paul Tillichs (Wien: Lit, 2004), 107– 133. Die entsprechenden Seitenangaben beziehen sich nachfolgend auf die erweiterte Fassung. Vgl. weiterhin ders., „Negativität im Selbstverhältnis“, in: Ulrich Barth/Christian Danz/ Wilhelm Gräb/Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Aufgeklärte Religion und ihre Probleme. Schleiermacher – Troeltsch – Tillich (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2013), 155 – 173, bes. 168 – 171; unveränderter Wiederabdruck: ders., „Negativität im Selbstverhältnis. Warum Sünde gut ist“, in: ders., Ganzheit und Kontrafaktizität. Religion in der Sphäre des Sozialen (Tübingen: Mohr Siebeck, 2014), 173 – 189, bes. 185 – 188. Die entsprechenden Seitenangaben beziehen sich nachfolgend auf den ursprünglichen Aufsatz. Vgl. Dierken, „Zweifel“, 309 bzw. ebd., 311; vgl. auch ders., „Negativität“, 170: „Wenn Tillich Letzteres in die Metapher des ‚Durchbruchs‘ kleidet, mit der er die Manifestation des Unbedingten im Bedingten kennzeichnet, so kann die Negativitätsfigur allerdings in abstrakte Verneinung übergehen.“
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Tillichs „über dialektische Negativität eingeschlagene[n] Denkweg“ als genuine Stärke würdigen.²⁸ So habe er zwar eben vermittels von Gewissheit und Zweifel die „mehrfach gebrochene Negativität der untrennbaren subjektiven Faktoren […] im Verein mit der Negativität des Gottesgedankens thematisiert“. Zugleich sei er aber letztlich der Versuchung erlegen, das Unbedingte doch wieder in „absolute[r] Positivität“ abheben zu wollen: „Die Positivität des Seins verdrängt die Negativität der Reflexion.“ Feinsinnige negativitätstheoretische Reflexionen und positivitätstheoretische Machtsprüche stehen sich demnach bei Tillich unvermittelt gegenüber, „Grenze“ und „Größe“ seiner Theoriebildung liegen unmittelbar nebenund ineinander. Dierkens Ausführungen verdeutlichen, dass ein nach Theorieformationen und Theorieelementen präzise unterscheidender, sich der Behauptung eines vermeintlich übergreifenden ‚Grundthemas‘ enthaltender Zugriff auch auf einen derart durch den Systemwillen geprägten Denker wie Paul Tillich unerlässlich ist. In dieser Hinsicht, wie in der differenzierenden Fokussierung der Negativitätsthematik, bedeutet er einen merklichen Überschritt zumal über Gunther Wenz’ Studie. Während Dierken nicht eigens auf den Symbolgedanken zu sprechen kommt, ist dieser in den Beiträgen Michael Moxters wiederum Thema. Dabei konnte Letzterer, insbesondere in der Habilitation Kultur als Lebenswelt aus dem Jahr 2000,²⁹ mit der zeichentheoretischen Kritik der Symbolkonzeption die Diskussion nochmals um einen neuen, gewichtigen Aspekt erweitern. Obgleich Wagner und Ringleben punktuell würdigend,³⁰ ist es nun weniger ein nachkantischer Idealismus Hegel’scher Provenienz als vielmehr eine primär an Ernst Cassirer geschulte semiotische Kulturtheorie, die der kritischen Rekonstruktion als Orientierungsrahmen dient. Hierüber verschiebt sich auch die Stoßrichtung der Kritik: Moxters Vorwurf lautet im Kern auf einen „transzendenten Realismus“ Tillichs. So seien die Idee des Unbedingten bzw. der Gottesgedanke ohne hinreichende zeichentheoretische Reflexion ihrer unausgewiesenen Setzung naiv realistisch etabliert. Nach Moxter kulminieren die Schwierigkeiten gerade in der Symboltheorie, verdichtet in der – für die Tillich-Exegese klassischen – Frage des ‚one nonsymbolic statement‘: „Die symbolische Rede von Gott als unhintergehbar zu behaupten und den Bezugspunkt dieser Rede dennoch nicht-symbolisch abzusichern, besteht in dem Ver-
Dierken, „Zweifel“, 304. Hier finden sich auch die folgenden Zitate. Michael Moxter, Kultur als Lebenswelt. Studien zum Problem einer Kulturtheologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 2000). Für Moxters Rückbezug auf Wagner vgl. etwa ebd., 35 Anm. 112 und ebd., 93 Anm. 415; für den auf Ringleben vgl. ebd., 37 Anm. 117 und ebd., 57– 59.
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such, to eat the cake and have it too.“³¹ Für den gegenwärtigen Zusammenhang ist vor allem eine Doppelstrategie von Interesse, die Moxters Darstellung insgesamt kennzeichnet: Er kritisiert zwar die Durchführung im Einzelnen, teilt allerdings prinzipielle Theorieanliegen Tillichs. So sind etwa von der phänomenologischen Figur des ‚Meinens‘ über die Einsicht einer konstitutiven Indirektheit des Symbolischen bis hin zur ‚Grund/Abgrund‘-Metaphorik zentrale Elemente aufgenommen, diese aber ob des Tillich unterstellten „naiven Realismus“ je und je in die vorgeblich leistungsstärkere Perspektive der Semiotik eingestellt.³² Den dabei leitenden Rekonstruktionskategorien wie beispielsweise der ‚Zeit‘ oder des ‚Horizonts‘ ist nun gemein, dass sie in Fortschreibung von Tillichs Theorieanliegen genau jenes Negativitätsmoment stabilisieren sollen, das den Symbol- bzw. Zeichenprozess im Fluss hält: Das bei Wagner noch negativ konnotierte ‚Perennieren‘ bezeichnet Moxter zufolge also gerade eine potenzielle Stärke des Tillich’schen Symbolgedankens, die es gegen eine „Stillstellung“ vermittels des wiederholt durchbrechenden unbedingtheitstheoretischen Realismus zu schützen gelte.³³ Tillichs Theoriebildung, so ließe sich paraphrasieren, ist mithin zwar in Teilen durchaus negativitätstheoretisch valent, es mangelt jedoch an der konsequenten Durchführung der entsprechenden Anlagen. Diese Diagnose aktualisiert einmal mehr unsere Ausgangsfrage nach Reichweite und Tragfähigkeit negativitätstheoretischer Motive in Tillichs Denken insgesamt. Moxters Vorgehen, das auf die Herauspräparierung einer vermeintlich durchgängigen Programmformel im Sinne von Wagner und Wenz verzichtet und stattdessen einzelne Theorieformationen und Figuren je für sich untersucht, unterstreicht zudem die bereits für Dierken festgehaltene Stärke eines differenzierenden Zugriffs: Mag nämlich Tillichs Symbolkonzeption auch einer letztlich fundamentalen Kritik unterliegen, so ist einzelnen Theoriefiguren zumal der Sinn- und Protestantismustheorie – mindestens sub specie der Moxter’schen Rekonstruktionsperspektive – negativitätstheoretisches Potenzial zugebilligt. Wie schon bei Jörg Dierken bieten sich somit Anknüpfungspunkte für eine nochmalige Durchsicht in würdigendem Interesse. Bündeln wir das Vorstehende, so ist erstens festzuhalten, dass sich die negativitätstheoretisch motivierte Kritik durchgängig an Tillichs Fassung der Idee des Unbedingten festmachen konnte. Der von Falk Wagner etablierte Verdacht ihrer Ebd., 33; vgl. auch ders., „Die Frage als Symbol, das Symbol als Frage. Ein Vorschlag zur Tillich-Interpretation“, in: Christian Danz/Werner Schüßler/Erdmann Sturm (Hg.), Das Symbol als Sprache der Religion (Wien Berlin Münster: Lit, 2007), 31– 45, 43. Vgl. Moxter, Lebenswelt, 39 ff.59 ff.92 ff. Vgl. Moxter, „Symbol“, 43.
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‚absoluten Positivität‘ wurde von Joachim Ringleben in die Form einer abstrakten Jenseitigkeit übersetzt, bei Michael Moxter begegnet der nochmals anders gelagerte Vorwurf einer realistischen Absicherung des Gottesgedankens. Hier, wie vor allem bei Gunther Wenz, verband sich die Kritik an Tillichs Fassung des Unbedingten zweitens mit der einer Überstrapazierung des Unmittelbarkeitsgedankens: Das Unbedingte wird nicht allein ‚einfach‘, negativitätstheoretisch nicht hinreichend reflektiert als Korrelat der Religion gesetzt. Es wird überdies unvermittelt als zugleich in absoluter Transzendenz schlechterdings entzogen behauptet. Dabei war es drittens zumeist nicht die Symbolkonzeption selbst, sondern vielmehr die Sinntheorie zumal in Gestalt des ‚Form/Gehalt‘-Schemas, an der die Frage des negativitätstheoretischen Potenzials von Tillichs Denkens aufbrach. Das Symbol als Vermittlungsfigur reproduziert dann ‚nur‘ jene unreflektierte Positivität des eigentlich zu vermittelnden Unbedingten und bringt also seinerseits den Negativitätsgedanken nicht hinreichend zur Geltung. Tritt man einen Schritt zurück, so erscheint die Kritik des Symbolgedankens als Epiphänomen einer umfassenderen Kritik. Diese war wiederholt im Ausgang von Hegel’schen Theorieprämissen aus gewonnen (Wagner, Ringleben), sie ließ sich aber auch zeichentheoretisch reformulieren (Moxter). Der Befund motiviert sowohl eine erneute Durchsicht der Sinnkonzeption wie eine gezielte Inblicknahme der Symboltheorie. Denn das auffällige Interesse an der Sinntheorie mag – vor aller artikulierten Kritik im Einzelnen – andersherum ein Indikator dafür sein, dass dort in Sachen Negativität eine gesonderte Valenz vermutet wurde. Jörg Dierkens Beobachtungen signalisieren, dass ein differenziertes Vorgehen hier auf positive Ergebnisse hoffen kann. Die Symboltheorie bedarf darüber hinaus überhaupt allererst einer eigenen,vertiefenden Betrachtung – wurde sie doch oft lediglich am Rande oder unter den ungünstigen Vorzeichen einer anderwärts vorformulierten Fundamentalkritik thematisch. Die schon mit der Zweiheit von Sinntheorie und Symboltheorie anvisierte Differenzierung des negativitätstheoretischen Urteils kann dabei eine Entwicklung aufnehmen und fortschreiben, die – wie gesehen – die Tillich-Forschung zunehmend kennzeichnet: An die Stelle der Rekonstruktion des einen vermeintlichen ‚Grundthemas‘ von Tillichs Theoriebildung ist ungefähr mit der Jahrtausendwende ein sehr viel differenzierterer Zugriff getreten. Diese Verschiebung ist unseres Erachtens als erheblicher Fortschritt der Diskussion zu würdigen, hinter den die Forschung nicht mehr zurückgehen sollte.³⁴ So sehr Tillichs Systeman-
Einmal mehr ist in diesem Zusammenhang auch die sukzessive Edition der Ergänzungs- und Nachlassbände der vergangenen beiden Jahrzehnte unter der Federführung Erdmann Sturms gesondert zu würdigen, da der erheblich erweiterte Quellenbestand – gerade dort, wo er anhand
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spruch selbst die Frage nach dem ‚einen‘ Grundthema bzw. Konstruktionsprinzip evoziert, so leicht führt eine solche Interpretationsperspektive auf letztlich abstrakte, weil schematische Ergebnisse.³⁵ Entsprechend soll die negativitätstheoretische Valenz von Tillichs Denken nachfolgend nach Theoriedimensionen unterschieden bedacht und noch innerhalb der einzelnen Formationen nach tragfähigeren und weniger tragfähigen Figuren differenziert werden.
II Lesen wir nun einzelne Theoriedimensionen des frühen und mittleren Werkes auf negativitätstheoretisch tragfähige Gedanken hin gegen, dann mag – konnte doch schon Falk Wagner seine Überlegungen zu Tillichs Theoriebildung der 1920er Jahre geradewegs auf das ‚protestantische Prinzip‘ bzw. die ‚protestantische Gestaltung‘ zulaufen lassen – die Protestantismustheorie als Erstes in den Fokus rücken. Wagner zufolge soll hier beides exemplarisch zum Austrag kommen, die potenzielle Stärke wie die Problematik von Tillichs tatsächlicher Handhabung des Negativitätsgedankens. Eine Schlüsselfunktion eignet dabei Tillichs Figur der „Gestalt der Gnade“, für die Wagner einen doppelten, in sich gegenläufigen Status rekonstruiert: „Als solche“, „an sich selber betrachtet“ nämlich „ist“ sie die Selbstvergegenwärtigung des unbedingten Gehaltes in dessen Synthesis mit der Form – „erscheinen“ kann sie ob der Nichtrealisierbarkeit der unbedingten Form jedoch allein im Modus eines Defizits gegenüber jenem unbedingten Gehalt, zu dessen Realisation sie eingeführt war.³⁶ Wagners einmal mehr Hegel’sche Katevon Skizzen und Vorlesungsskripten nun gewissermaßen Einblick in Tillichs ‚Werkstatt‘ erlaubt – allererst ein wirklich differenziertes Bild ermöglicht. An einem prominenten Beispiel: Gunther Wenz’ Projektion des – vorgeblichen – Grundprinzips der „Identität von Identität und Differenz“ auf die Symboltheorie hat in der Sache – also hinsichtlich der Frage der internen Struktur des Symbolgedankens, seines systematischen Zentrums, seiner semantischen und pragmatischen Dimension, überhaupt der ‚Logik‘ religiösen Symbolisierens nach Tillich – letztlich nur wenig ausgetragen. Bei Wenz bleibt es vielfach bei der bloßen Repetition jenes vermeintlichen Grundprinzips, ohne dass die unterschiedlichen Theoriedimensionen des Symbolbegriffs tatsächlich aufgeschlossen würden. Diese Kritik gilt gleichermaßen etwa mit Blick auf seine Rekonstruktion der Sinn- und der Geisttheorie. Der interpretative Zugang über vorgeblich übergreifende Strukturprinzipien der Tillich’schen Theoriebildung läuft so in der Konsequenz auf die scheinbare Gleichförmigkeit von eigentlich Differentem hinaus: In der Nacht der „Identität von Identität und Differenz“ werden gleichsam alle Kühe schwarz. Darüber geht verloren, was Tillich in den unterschiedlichen Theoriehinsichten je und je sachlich beizutragen hätte – für eine dezidiert religionsphilosophische und theologische Reflexion des Paradoxgedankens, der Sinnkategorie, des Geistbegriffs, des Symbolgedankens etc. Wagner, „Positivität“, 182 f.; kursiv L. H.
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gorien ins Feld führende Unterscheidung zeigt in der Tat eine Schwierigkeit an: Die ‚Gestalt der Gnade‘, Tillichs protestantismustheoretische Zentralfigur, in der Positivität und Negativität gerade vermittelt sein sollen, krankt in der Durchführung daran, dass die bestimmte Gestalt und der unbedingte Gehalt einander abstrakt negieren: „[D]er unbedingte Gehalt [ist] die Negation jeder bestimmten Gestalt und jede bestimmte Gestalt die Negation des unbedingten Gehalts.“³⁷ An die Stelle der Synthesis tritt eine Polarität von Unbedingtem und Bedingtem, sodass die anvisierte Einheit nurmehr als ‚negative‘ erscheint: Die Waage von Gestaltung und Kritik neigt sich zugunsten der Letzteren. Resultat ist ebenjener bereits eingangs benannte ‚perennierende‘, und also „dauerhafte[] Prozeß der Produktivität“,³⁸ in dem die – Wagner zufolge eben abstrakte – Kritik die konkrete Gestalt immer schon überholt. Im Grunde engt sich Tillichs früher und mittlerer Protestantismusbegriff mehr auf die Aufstellung eines ‚protestantischen Prinzips‘ mit primär kritischer Wächterfunktion gegenüber – und darin liegt die Schwierigkeit – jedwedem konstruktiven Gestaltungsversuch ein, als dass mit ihr positive Entwicklungskriterien einer ‚Gestalt der Gnade‘ an die Hand gegeben würden. Vor einem anders gelagerten Theoriehintergrund hat Ulrich Barth die betreffende Kritik wiederholen können.³⁹ Offenkundig ist hier eine echte Problematik von Tillichs Protestantismuskonzeption angezeigt. Ein erster Hinweis auf einen konstruktiven Umgang mit der bezeichneten Schwierigkeit, das Realisierungsmoment positiv zu fassen, findet sich nun bei Dierken. Die beständige Negation der bedingten Gestalten im Namen des Unbedingten müsste diesen demnach in irgendeiner Form selbst gleichsam eingeschrieben werden, sich mithin als perennierende in deren eigener Struktur reflektieren, sodass gelten können muss: „[I]n solcher Negation ihrer Bedingtheit werden sie das, was sie ‚sind‘.“⁴⁰ Die abstrakte Kritik von anderwärts her soll sich in eine Gestalt übersetzen, der ebenjene Negation in „aktive[r] und bewußte[r] Selbstrealisierung“⁴¹ so zu eigen wird, dass sie genau in und mit ihr sie selbst wird – ein Fingerzeig auch in Sachen Symboltheorie.⁴² Denn wie der Gestaltgedanke soll der
Ebd., 182. Ebd., 183. Vgl. Ulrich Barth, „Protestantismus und Kultur. Systematische und werkbiographische Erwägungen zum Denken Paul Tillichs“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Paul Tillichs Theologie der Kultur. Aspekte – Probleme – Perspektiven (Berlin Boston: Walter de Gruyter, 2011), 13 – 37, 28 f. Dierken, „Zweifel“, 316. Ebd. Zur entsprechenden Aufnahme von Dierkens Impuls s.u.
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des Symbols ja eben dazu dienen, die problematische Frage der Realisierung des Unbedingten sub specie der Bedingungen des Endlichen zu bearbeiten. Tritt man einen Schritt zurück, so kann man fragen, ob nicht immerhin der Effekt des wie skizziert schlagseitigen Protestantismuskonzepts als zeitgemäß gelten darf: Insofern die unumgängliche Kritik, die Einsicht in die mithin unabschließbare Prozessualität der Gestaltungen geradezu als ein Signum der Moderne gelten muss, mag man es als Tillichs genuin theologischen Beitrag zu deren Selbstreflexion würdigen.⁴³ Das Perennieren von Gestaltung und Kritik, das ‚Immer schon‘ der Letzteren bereits im Aufbau der Ersteren, die folgerichtige ‚Verflüssigung‘ jedweder Positivität und Positionalität, ist der Moderne gewissermaßen als solcher eingeschrieben. Diese Logik der Moderne vermittels eines Protestantismuskonzepts eingefangen – oder vielleicht treffender, weil sich jedes begrifflichen Begründungsanspruchs enthaltend: zugänglich, würdigend begreifbar gemacht – zu haben, dürfte tatsächlich keinen gering zu schätzenden Verdienst einer zeitgemäßen Theologie darstellen. Zwar sind damit die kritischen Rückfragen bezüglich des Umschlagens negativitätstheoretischer Figuren in die abstrakte Positionalität eines als absolute Positivität angesetzten Unbedingten nicht abgegolten. Doch bieten sich hier zumindest auf pragmatischer Ebene Anknüpfungspunkte für eine Rezeption unter spezifisch modern-spätmodernen Denkbedingungen. Den engen Konnex von Protestantismustheorie einerseits und Rechtfertigungsgedanken andererseits hat Ulrich Barth zuletzt noch einmal punktgenau entfaltet.⁴⁴ Mit der Rechtfertigungsthematik rückt notwendig der Paradoxgedanke in den Fokus – und damit jener frühe Systementwurf, in dem die Paradoxfigur erstmals gedanklich ausgearbeitet war, die Systematische Theologie von 1913. Ihrer früher bekannten Form, und also lediglich den Leitsätzen nach, schien sie in gesonderter Weise prädestiniert für eine Fundamentalkritik in negativitätstheoretischer Perspektive: Das – vermeintlich – systemkonstituierende Prinzip des § 1 „Prinzip der Wahrheit ist die Wahrheit selbst“ bedeutet für sich genommen nicht nur eine reine Tautologie. Es stellt zudem den exemplarischen Fall eines „wie aus der Pistole“ geschossenen Absoluten dar, mit dem dieses gemäß der klassischen Kritik Hegels einfach als indifferenter Anfang gesetzt wird, ohne negationslogisch entwickelt zu sein.⁴⁵ Das im frühen Systementwurf mit § 3 nachhinkende ‚Prinzip des Denkens‘ scheint identitätslogisch an jene absolute Wahrheit gebunden, wie dann das System im Ganzen scheinbar deduktiv aus ihr abgeleitet wird. Sowohl Vgl. Moxter, Lebenswelt, 100; ders., „Symbol“, 38. 44 f. Barth, „Protestantismus“, bes. 14– 23. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes (Hamburg: Meiner, 1988), 21; vgl. die entsprechende Kritik an Tillich bei Ringleben, „Symbol (I)“, 94 Anm. 12.
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die Einführung des relativen Standpunktes (§§ 16 ff.) als auch die der eine Spannung voraussetzenden Vermittlungsfigur des Paradox (§§ 22 ff.) mussten dieserart gleichfalls thetisch-abstrakt erscheinen, schließt doch jener absolute Anfang ein Widerspruchsmoment vorderhand aus. Allerdings zeichnen die nunmehr mit der Neu-Edition zugänglichen, den Leitsätzen beigegebenen Erläuterungen Tillichs ein anderes Bild. Sie geben den Blick frei auf die systemkonstituierende Bedeutung des Negativitätsgedankens, auf den die Entwicklung des Paradoxgedankens ihrerseits punktgenau passt. Prinzipientheoretisch wird dies daran deutlich, dass die Spannungseinheit von Wahrheit und Denken – und nicht die eine henologisch gefasste Wahrheit selbst – das Systemprinzip bezeichnet.⁴⁶ Deren Identität ist mit § 3 aber im Sinne der vorangegangenen Schelling-Studien als „absolute Einheit des absoluten Widerspruchs“ näher bestimmt – Negativität soll dem Anspruch nach nicht allein in ihrer schärfsten Form als Widerspruch, sondern präzise sogar in dessen absolutheitstheoretischer Fassung gedacht werden. Tatsächlich lassen sich mindestens vier Hinsichten nennen, in denen Tillich in der Systematischen Theologie von 1913 den Negativitätsgedanken entsprechend zu entwickeln sucht. So soll erstens die Wahrheitserkenntnis von Anfang an auf den Zweifel als ihr Gegenüber bezogen sein. Noch das zweifelnde und also den Wahrheitsgedanken verneinende Denken muss diesen voraussetzen, da es sich im Negieren seiner wiederum als wahr setzt – soweit die bekannte Figur, die Tillich späterhin sinntheoretisch reformulieren wird. Im Hintergrund steht hier wie in der Folge ein markantes apologetisches Interesse, für das die Gedankenbewegung „aus der Negation […] durch die innere Bewegung des Gedankens [zur] Position“ (Kirchliche Apologetik) ausdrücklich reklamiert werden kann. Der Zweifel, die Negation gewinnen damit als logisch Erstes geradezu konstitutive Kraft für die Denkbewegung im Ganzen. Inwiefern auch andersherum das den Wahrheitsgedanken bejahende Denken den Zweifel bzw. den Widerspruch notwendig als seine Rückseite mit sich führt, präzisieren die zweite und dritte Hinsicht. So will der frühe Systementwurf – zweitens – das Denken als begriffliches verstanden wissen. Dessen Bestimmungsleistung verdankt sich aber eben der Negation, mit der die Wahrheitserkenntnis überhaupt erst anhebt: Die bestimmte, begriffene Wahrheit ist eo ipso „Wahrheit mit einer Negation“ (§ 5). Das erkennende Denken vereint gleichursprünglich affirmatives und negatives Moment, die in der Begriffsbewegung dialektisch aufeinander bezogen bleiben.Weiterhin – dies der dritte Aspekt – zerlegt sich das Erkennen ausweislich des Grundlegungsteils des Systems unausweichlich in die Zweiheit von ‚Vernunft‘ und ‚Verstand‘ bzw. ‚Intuition‘ und
Vgl. I.2 a).
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‚Reflexion‘. Ein gewissermaßen reines Intuieren der Wahrheit ist somit ausgeschlossen, zumal Tillich gerade das konstitutive Eigenrecht der Reflexion mit Nachdruck unterstreicht: Bei aller offenkundigen Polemik gegen eine sich rein auf ihre Negationskraft fixierende Reflexion soll sich das Wahrheitsbewusstsein doch allein in der Dialektik von Intuition und Reflexion aufbauen.⁴⁷ Die synthetisierende Leistung der Intuition bedarf der Dihäresen der Reflexion, wie deren Einzelbestimmungen auf eine Kontextualisierung in übergeordneten Erkenntniszusammenhängen angewiesen sind, für die wiederum jene einsteht. Den Schritt, die Reflexion selbst in ihrer Negativität zum ersten Aufbauprinzip der Wahrheitserkenntnis zu erheben, vollzieht Tillich freilich nicht. Anders als in der Begriffstheorie angelegt, fungiert die Position der Intuition als Voraussetzung, zu der die Reflexion als reine Negation ohne konstruktive Kraft nur als Zweites hinzutritt. Der Zweifel scheint so zu einem Epiphänomen herabzusinken. Die absolutheitstheoretische Aufladung des Gegensatzes, für die die Reflexion im Gegenüber zur Intuition der Systemanlage nach stehen sollte, wird mithin in der Durchführung selbst abgeschwächt. Aufs Ganze gesehen erfahren die angelegten negativitätstheoretischen Ansatzpunkte und Motive keine rechte Ausgestaltung, Tillich bleibt auf halbem Wege stehen. Die betreffende Asymmetrie zugunsten der Position begegnet schließlich in der Fassung des Paradoxgedankens selbst wieder, dem vierten und zentralen Aspekt, mit dem Negativität in der Anlage der Systematischen Theologie von 1913 thematisch wird. Hier finden sich beide Denkbewegungen: die Negativität von der vorausgesetzten Positivität des Absoluten her integrierende und die qua Negativität in eine Aufstiegsbewegung zum Absoluten hin eintretende. In ersterer Gedankenreihe ist es die Intuition selbst, die die Reflexion aufnimmt und so den Gegensatz von Denken und Wahrheit aufgehoben sein lässt. Der der Intention nach mit dem Paradoxgedanken systematisch verankerte und konzeptualisierte Aspekt interner Differenz bleibt reines Durchgangsmoment und allein zur Integration in die übergreifende Einheit bestimmt. Negativitätstheoretisch ertragreicher erscheint demgegenüber die letztere Gedankenreihe, die die dialektische Spannung von Position und Negation, Voraussetzung und Kritik nicht zugunsten der Ersteren auflöst, sondern es das Denken selbst sein lässt, das in dieser seiner Spannung qua Paradox über sich hinaustreibt. So ist denn die dieserart anvisierte „Selbstaufhebung“ des Denkens im Paradox nicht als Stillstellung seiner Bewegung, mithin als intuitive Schau der Wahrheit zu interpretieren.Vielmehr ist es als deren systematische Auseinanderlegung konzipiert: Am Ende der Denkbewegung steht das qua Paradoxgedanken als konstruktivem Prinzip entfaltete System – das
Vgl. I.2 b).
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jedoch wiederum als unter dem Paradox stehend gedacht werden soll (§ 72) und also seinerseits in die qua Negativität vorantreibende Bewegung des Denkens hineingenommen wird. Für dieses gleichsam unruhige, in der Dialektik von Setzen und Aufheben gehaltene Denken steht am Orte des Paradoxgedankens dessen in der Rezeption oftmals unterbelichtetes drittes Moment, das seinen prozessualen Charakter hervorhebt: Die Gleichursprünglichkeit und Gleichwertigkeit von Position und Negation begründen die konstitutive Spannungsstruktur und somit die „Unendlichkeit“ des Paradoxgedankens (§§ 23.28). Gegenüber der fixierten Abgeschlossenheit im Ganzen, die der Systematischen Theologie von 1913 ob ihres strengen Systemcharakters eignet, gegenüber auch dem bisweilen Schematischen, das ihrer begrifflichen Konstruktion eben vermittels des Paradoxgedankens anhaften kann, ist das dritte Moment geeignet, System und Denken gewissermaßen ‚im Fluss‘ zu halten. Es verweist auf die entsprechenden Motive der späteren Theoriebildung voraus, die dann mit den 1920er Jahren an Gewicht gewinnen werden. Der Paradoxgedanke, und mit ihm die Figur einer absolutheitstheoretisch gedachten Spannungseinheit von Positivität und Negativität, kehrt bekanntlich weit über das Frühwerk hinaus in zahlreichen Theoriekontexten wieder. Das seine Grundstruktur bezeichnende Kürzel ‚Ja/Nein‘ lässt sich gar als „eiserne Ration Tillichschen Denkens“⁴⁸ verstehen.Von dieser Ration zehrt denn auch die mit den 1920er Jahren an die Stelle der Wahrheitstheorie tretende Sinntheorie. Sie hat, wie eingangs gesehen, von Falk Wagner bis Jörg Dierken und Ulrich Barth vielfach als Anknüpfungspunkt kritischer wie konstruktiver Reflexion in Sachen Negativität bei Tillich dienen können. Dieser Befund – die Prominenz der Sinnkonzeption, wann immer negativitätstheoretische Fragen mit Blick auf Tillichs Theoriebildung thematisch wurden, wie andersherum die wiederkehrende Kritik an ihr – scheint uns auf beides zu weisen: auf ein – zumindest unterstelltes – gesondertes negativitätstheoretisches Potenzial wie auf exemplarische Schwächen in Tillichs schließlicher Durchführung seiner Sinntheorie. Dabei ist es nicht zuletzt die vorgeblich abstrakte, unvermittelte Gegenüberstellung von ‚unbedingtem Sinngehalt‘ und ‚bedingten Sinnformen‘ und also mit dem ‚Form/Gehalt‘Schema gerade das kategoriale Gerüst der ausgereiften Sinnkonzeption selbst, das als wenig tragfähig erachtet wurde. Zum Austrag kommt die betreffende Problematik etwa an der einschlägigen, den Offenbarungsbegriff definierenden Figur eines einsinnigen „Durchbruchs“ des Gehaltes durch die Form.⁴⁹ Im Gegenüber zu
Barth, „Protestantismus“, 19. Vgl. zur Kritik exemplarisch Dierken, „Zweifel“, 311 f.
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jenem späteren Schema hat Dierken – wie notiert – die sinntheoretischen Gedankengänge des Hirsch-Briefwechsels, und hier vor allem die Dialektik von Unendlichkeits- und Wertbewusstsein sowie die Grundfigur ‚Sinn/anderer Sinn‘, positiv würdigen können, da sie der „mehrstufige[n] Negativität und inneren Differenz“ des Sinnbewusstseins gerecht würden.⁵⁰ Tatsächlich scheint uns ebendiese Figur ‚Sinn/anderer Sinn‘ in besonderer Weise geeignet, um auch die ausgereifte Sinntheorie der 1920er Jahre – bei allen bleibenden Schwierigkeiten – noch einmal hinsichtlich ihres negativitätstheoretischen Potenzials neu zu erschließen. Eine fundamentale Rolle spielt Negativität im Sinne von Alterität im Rahmen der Sinnkonzeption schon insofern, als Tillich Sinn wesentlich als Kontextkategorie aufgefasst wissen will. Demzufolge kann sich das Sinnbewusstsein gar nicht anders als im Zugleich von ‚Sinn‘ und ‚anderem Sinn‘ aufbauen – Letzterer wohlgemerkt hier noch kontextuell und nicht absolutheitstheoretisch verstanden. Für den Aufbau von Sinn, jeden sinnhaften Zusammenhang, jede Horizontverschiebung ist Negativität in diesem ersten Verständnis für Tillich somit konstitutiv: Keine Sinnsetzung ohne Setzung ihres Anderen, Position und Negation bedingen einander notwendig. Die Gedankenbewegung erinnert an die in der frühen Systematischen Theologie für den ‚Begriff‘ reklamierten. Als regulative Idee des fraglichen Sinnaufbaus fungiert dabei nun – und das bleibt nicht allein gegenüber dem Gros der Forschung, sondern auch gegenüber Tillichs eigener, wiederholt systematisch verkürzender Darstellung festzuhalten – keineswegs direkt der ‚unbedingte Gehalt‘. Vielmehr ist, und zwar zumal in der ausgereiften Sinnkonzeption der mittleren 1920er Jahre, mit der ‚unbedingten Form‘ ebenjene Vermittlungsfigur bereitgehalten, die in der kritischen Rezeption als – vermeintliches – Desiderat eingeklagt wurde. Mit der ‚unbedingten Form‘ soll beides in eins gedacht werden, das dem Sinnaufbau, den Sinnformen Eigene, sofern es sich um deren höchste Synthesis im Sinne eines Abschlussgedankens handelt. Und das Andere jeden Aufbaus von Sinn, jeder Realisation von Sinn, sofern diese Synthesis selbst einen Grenzgedanken markiert, der seinerseits der Realisation entzogen bleibt.⁵¹ Mit Tillich: Die ‚unbedingte Form‘ muss notwendig gedacht werden, aber sie „existiert nicht“. Bis hierhin, und mithin noch auf der Formebene, wird man Tillich schwerlich für eine Unterbelichtung von Negativität kritisieren können, ist Letztere doch im Gedanken der ‚unbedingten Form‘ gerade konzeptualisiert.
Ebd., 304– 309, bes. 309. Vgl. II.2.2 b) und c).
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Die eigentliche Kritik entzündet sich freilich erst am Überschritt von der Form- in die Gehaltsdimension von Sinn. Mit ihm vollzieht Tillich in eins den Überschritt von der Angabe eines apriorischen Sinnprinzips in Gestalt der ‚unbedingten Form‘ auf eine absolutheitstheoretische Begründungsebene. Immerhin mag man den Umstand, dass er sich hier jeglichen Beweisanspruchs ausdrücklich enthalten hat, als Indiz eines Bewusstseins um seine argumentative Fragilität interpretieren: Die betreffende Gedankenbewegung hin zum ‚unbedingten Gehalt‘ mag zwar der Logik der klassischen Gottesbeweise entsprechen, doch zumal deren schließenden und also eigentlichen Beweischarakter wollte Tillich explizit ausgeklammert wissen.⁵² Bleibt man demgegenüber in der gedanklichen Logik einer sukzessiven Sinnerweiterung, für die immer auch das Andere des Sinnes mitkonstitutiv ist, dann lässt sich der Gedanke eines ‚unbedingten Gehaltes‘ gewissermaßen als die Übersetzung eben dieser negativitätstheoretischen Figur auf die Begründungsebene verstehen: Wie das Zugleich von ‚Sinn‘ und ‚anderem Sinn‘ in Gestalt des Kontextargumentes bis hin zur ‚unbedingten Sinnform‘ in der Formierungsdimension, so fungiert jenes Zugleich in Gestalt der Prinzipien-„Doppelheit“ von ‚unbedingter Sinnform‘ und ‚unbedingtem Sinngehalt‘ in der Begründungsdimension als Grundfigur der Sinnkonzeption.⁵³ Das würde erstens bedeuten, in begründungstheoretischen Zusammenhängen niemals nur einen der beiden Gedanken anzuführen – wie Tillich es allerdings überwiegend macht, wenn er zumeist allein auf den ‚unbedingten Gehalt‘ rekurriert. Demgegenüber müsste als begründendes Sinnprinzip – mit Tillich gegen Tillich – eben stets die „Doppelheit“ von ‚unbedingter Form‘ und ‚unbedingtem Gehalt‘ im Sinne eines Prinzipiengefüges bedacht werden. Damit wäre der internen Alterität des Sinngedankens noch auf der absolutheitstheoretischen Begründungsebene terminologisch Rechnung getragen – und lediglich konsequent durchgeführt, was bei Tillich selbst angelegt ist. Zweitens würde es gelten, den streng funktionalen Bezug der Idee des Unbedingten auf die Formdimension durchgängig zu denken. Die gegenläufigen Beteuerungen Tillichs, die dem Unbedingten um seiner Souveränität Willen – und mithin einer scheinbaren religiösen Notwendigkeit geschuldet – eine Unabhängigkeit von der Form sichern sollen, sind dementsprechend zurückzustellen. Abgesehen davon, dass jede diesbezügliche Behauptung einer Aseität des Unbedingten der von Falk Wagner
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieses Problembewusstseins erscheinen andersherum alle Passagen, in denen Tillich den ‚unbedingten Gehalt‘ dann doch meint unmittelbar sinngarantierend nachgerade ‚handhaben‘ zu können, umso fragwürdiger. Hier gilt es, Tillich einmal mehr mit sich gegen sich selbst vor jeder ‚einfachen‘, unmittelbaren Handhabe des unbedingten Sinnes zu schützen. Vgl. II.2.2 c) und d).
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mit Blick auf die Religions- und Theologiegeschichte umfassend durchgeführten Kritik verfällt, der zufolge das vorgeblich Un-bedingte immer auch durch das Bedingte rückbedingt und somit das vermeintlich ausschließlich in sich Gründende gegen jede Behauptung zugleich von Gnaden des Begründeten ist,⁵⁴ vermag die schroffe Absetzung des Unbedingten religiös nicht zu überzeugen. Die leistungsstärkere Figur, die die dem religiösen Bewusstsein eigene Dialektik von Positivität und Negativität nicht einfach zugunsten der These einer absoluten Positivität seines göttlichen Grundes abbricht, sondern sie dem Gottesgedanken selbst eindenkt, hat in den 1920er Jahren ihren genuinen Ort just im Rahmen der Sinnkonzeption: Es ist die am systematisch ‚höchsten Punkt‘ der Religionsphilosophie ⁵⁵ im Durchgang durch den Sinnaufbau – strikt relational zum Sinnbewusstsein – entwickelte ‚Grund/Abgrund‘-Figur, nach der das Unbedingte ‚an sich selbst‘ allein in dieser Zwiefachheit recht gefasst ist. Dieserart ist es gerade nicht einsinnig als ‚Grund‘ und also schlichter Sinngarant gedacht, mit dem jeder Zweifel, jede Sinnlosigkeit und jeder Widersinn letztlich doch wieder integriert wären.Vielmehr ist die spannungsreiche Dialektik von ‚Sinn‘ und ‚anderem Sinn‘, Positivität und Negativität, in der Formdimension etabliert, dann auf die ‚Form/ Gehalt‘-Relation übertragen, mit der ‚Grund/Abgrund‘-Figur noch für das Unbedingte selbst spekulativ gesetzt.⁵⁶ Vor diesem Hintergrund lässt sich auch nochmals die den Offenbarungsbegriff bestimmende Kategorie des ‚Durchbruchs‘ in den Blick nehmen. Ihr der formalen Allgemeinheit des Gedankens geschuldeter, wenig konstruktiver Charakter bleibt als Problemanzeige sicherlich bestehen.⁵⁷ Potenzielle Stärken dürften ohnehin mehr in ihrem analytisch-zeitdiagnostischen denn in einem synthetisch-konstruktiven Gebrauch liegen – beide Dimensionen liegen bei Tillich vergleichsweise unreflektiert ineinander. Stellt man jedoch die mehrfach gestufte Relationalität von Form und Gehalt sowie die konstitutive Zwiefachheit des Unbedingten im Sinne der ‚Grund‘/‚Abgrund‘-Metaphorik in Rechnung, dann verbietet sich die – von Tillich allerdings weithin reklamierte – Vorstellung eines einsinnigen So die Grundthese, die – mit einer gewissen Redundanz – die beiden großen Studien Was ist Religion? und Was ist Theologie? bestimmt; vgl. Falk Wagner, Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart (Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, 1986); ders., Theologie. Vgl. GW I, 318 f. Prinzipientheoretisch entscheidend ist, dass das Unbedingte nicht schlicht mit dem unbedingten Gehalt identifiziert wird, der dann seinerseits für die unbedingte Form als ‚Grund‘ und ‚Abgrund‘ fungiert. In seiner internen Alterität steht das Unbedingte vielmehr für das Sinnbewusstsein nochmals gewissermaßen ‚hinter‘ der ‚Doppelheit‘ von unbedingter Form und unbedingtem Gehalt; vgl. II.2.2 c) und d). Vgl. exemplarisch die entsprechende Kritik bei Barth, „Protestantismus“, 27.
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‚Durchbruchs des Gehaltes durch die Form‘: Der Gehalt imponiert sich nunmehr nicht einfach als positiv zur Form, sondern reproduziert deren Dialektik von Positivität und Negativität, um sie gleichsam auf höherer Ebene auf Dauer zu stellen. Somit gewinnen jene angelegentlichen Erwägungen an Gewicht, denen zufolge sich die Gehaltsdimension alleine an variabel verschieblichen Zuordnungen von Form- und Inhaltsmoment eines Sinngebildes in Erscheinung bringt, anstatt sich als solche schlicht gegen die Form zu setzen. Entsprechend bedarf es der deutenden „Proportional- respektive Beziehungsurteile“, um ein „Überwiegen“ des Gehaltsaspektes in Relation zu Form und Inhalt – und nicht etwa in der Logik eines ‚Durchbruchs‘ eine einfache Ersetzung der Letzteren durch Ersteren – zu diagnostizieren.⁵⁸ Ungünstigerweise hat Tillich die betreffenden Gedanken, die mit dem Kulturtheologie-Aufsatz und der Vorlesung Religion und Kultur auf die erste Formierungsphase des ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schemas datieren, nicht weiter vertieft. Gegenüber dem hier angelegten hermeneutischen Verständnis der Sinnkategorie sollte in der Folge das begründungstheoretische Interesse dominieren. In Sachen Geisttheorie hat einmal mehr Jörg Dierken für Tillichs frühe Überlegungen ein genuines Interesse herausarbeiten können, das „negative Element des ‚Fremden‘ dem Geist selbst“ einzuschreiben.⁵⁹ Dierken hat insbesondere die Skizzen zum Verhältnis von ‚Unendlichkeits-‘ und ‚Wertbewusstsein‘ vor Augen, die mit dem Hirsch-Briefwechsel vorliegen. Das je eigene Unendlichkeits- bzw. Absolutheitsmoment beider habe Tillich dergestalt miteinander verschränkt wissen wollen, dass in der Konsequenz Gewissheit und Zweifel ihr jeweilig Anderes als dialektisches Gegenmoment bereits in sich selbst enthalten: Geist baut sich alleine im irreduziblen Zugleich von ‚Eigenem‘ und ‚Fremden‘ – religiös gewendet: von ‚Gewissheit‘ und ‚Zweifel‘ – auf.⁶⁰ Mit der Bewusstseins- und Geisttheorie der 1920er Jahre – so unsere These – hat Tillich dieses frühe Interesse aufnehmen und ihm eine gedanklich ausgereifte Form geben können. Dabei sind es weniger die Ausführungen zum ‚Transzendierungsbewusstsein‘ oder zur Figur einer „inneren Unendlichkeit“ des Geistes, um die es uns nachfolgend zu tun sein soll – obgleich sie es sind, die auch terminologisch in direkter Kontinuität zu jenen Überlegungen des Briefwechsels stehen.⁶¹ Nochmals fundamentaler sind nämlich Tillichs Reflexionen zum Begriffspaar ‚Denken/Sein‘, über das der Alteritätsgedanke im Bewusstseins- und Geistbegriff nun nachgerade verankert
Vgl. II.2.1 c). Dierken, „Zweifel“, 307; kursiv i. O. Vgl. ebd., 308. Vgl. II.3.2 c), bzw. III.3 b).
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wird. Damit kommt dem Paar in negativitätstheoretischer Perspektive eine vergleichbar konstitutive Bedeutung zu wie der Figur ‚Sinn/anderer Sinn‘ im Rahmen der Sinntheorie – wie vermittels jener dem Sinn selbst, so wird vermittels seiner eben dem ‚Geist selbst‘ das Andere seiner selbst eingeschrieben. In der Wahl des Begriffspaares ‚Denken/Sein‘ spricht sich dabei Tillichs Option für eine polare Anlage der Geisttheorie aus. Eingedenk des systematisch exponierten Status lassen sich hier die Eigenheiten seines prinzipiell polar angelegten Denkens in negativitätstheoretischer Hinsicht exemplarisch bedenken.⁶² Als Kontrastfolie mag der Hegel’sche Gedanke der ‚doppelten Negation‘ dienen, wie Dieter Henrich ihn in den 1970er Jahren rekonstruiert hat.⁶³ Auch Hegel hat den geistesgeschichtlichen Stellenwert jenes Begriffspaares durchaus würdigen können, etwa wenn er in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie René Descartes’ Bedeutung als „wahrhafte[n] Anfänger der modernen Philosophie“ zumal an der Erhebung von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ zu ersten, voraussetzungsfreien Prinzipien festmachte.⁶⁴ Gleichwohl ist es bei ihm eben nicht die Spannungseinheit eines polaren Begriffspaares, die als systemkonstituierende Grundoperation fungiert, sondern – gemäß Henrichs Rekonstruktionsvorschlag – gerade die ‚autonomisierte‘ Negation alleine, die sich in Selbstanwendung, dann freilich zwingend, zu jenem in sich komplexen Gedanken einer ‚doppelten Negation‘ anreichert. Tillich war seinerseits mit ebenjener Hegel’schen negativitätstheoretischen Basisoperation der Selbstverneinung – und der der daraus folgenden Selbstunterscheidung – wohl vertraut. Das verdeutlicht seine Frankfurter Vorlesung über Hegel, und hier insbesondere die Interpretation der Phänomenologie des Geistes, mit der er in mehr oder minder direkter Paraphrase den Prozess von der „einfa-
Die polare Anlage von Tillichs Denkansatz – und die Kritik an ihr – ist ein klassisches Thema der Tillich-Forschung, vgl. exemplarisch Thomas Ulrich, Ontologie, Theologie, gesellschaftliche Praxis. Studien zum religiösen Sozialismus Paul Tillichs und Carl Mennickes (Zürich: Theologischer Verlag, 1971). Vgl. v. a. die beiden klassischen Beiträge: Dieter Henrich, „Formen der Negation in Hegels Logik“, in: Wilhelm R. Beyer (Hg.), Hegel-Jahrbuch 1974 (Köln: Pahl-Rugenstein, 1975), 245 – 256; ders., „Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die ‚Wissenschaft der Logik‘“, in: Ute Guzzoni/ Bernhard Rang/Ludwig Siep (Hg.), Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag (Hamburg: Meiner, 1976), 208 – 230. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, Bd. 20, Werke (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1986), 123 – 157, 123. Die nähere gedankliche Entwicklung des Verhältnisses von Denken und Sein ist dann freilich insofern Gegenstand von Hegels Kritik, als Einheit und Verschiedenheit beider von Descartes nicht gezeigt, sondern nur behauptet würden. Weiterhin werde die dieserart abstrakt gefasste Einheit von Denken und Sein allein äußerlich reflektierend für die Erkenntnis fruchtbar gemacht; vgl. ebd., 136.
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che[n] Negativität“ über deren „Sichanderswerden“ bis hin zur schließlichen „Verdoppelung von sich selbst“ nachzeichnet⁶⁵ – genau jenen Prozess also, den Henrich als in der exklusiven Primordialität der autonomisierten Negation gründend plausibilisieren konnte. Das systematische Gewicht, das Tillich Hegels Figuren der Selbstverneinung und Selbstunterscheidung beimaß, artikuliert sich exemplarisch in der Grundlegungspassage des Systems der Wissenschaften. ⁶⁶ Allerdings zeigt sich andernorts, dass Tillich den Schritt einer logischen Priorisierung der Negation nicht mitzugehen gewillt war. An deren Stelle tritt vielmehr die vom Paradoxgedanken vertraute Spannungseinheit von Position und Negation.⁶⁷ Im Rahmen der Bewusstseins- und Geisttheorie ist diese Spannungseinheit eben in Form der Polarität von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ gedacht. Ebendieses bewusstseinstheoretisch grundlegende Prinzipiengefüge von ‚Denken‘ und ‚Sein‘ hatte sich mit entsprechenden Überlegungen Hans Wagners als „konstitutive Relation“ bzw. – nochmals präziser – als „konstitutives Relationsgefüge“⁶⁸ rekonstruieren lassen, dessen Glieder sich demnach gemäß den dialektischen Grundprinzipien der Implikation, des Ausschlusses und der Limitation streng wechselseitig bestimmen. Tillichs Anlage der Bewusstseins- und Geisttheorie trägt so der Einsicht Rechnung, dass jedes absolute Verhältnis, und also jedes im Letzten polar gehaltene Denken, neben den Prinzipien der ‚Identität‘ und der ‚Limitation‘ auch dem der ‚Differenz‘ fundamentale Bedeutung beimessen muss.⁶⁹ Die strenge Wechselbestimmung der beiden Grundbegriffe ‚Denken‘ und ‚Sein‘ durch das jeweilig Andere ihrer selbst bedeutet eben die Verankerung von Negativität im systemkonstituierenden Prinzipiengefüge: ‚Denken‘ und ‚Sein‘ lassen sich überhaupt nur mit Blick auf ihren jeweiligen Widerpart denken. Damit ist nicht allein Bewusstsein – denn ebendessen Begriff definiert jene konstitutive
EW VIII, 372 f.|378 bzw. ebd., 397. Vgl. GW I, 117– 120. Im Seitenblick auf EW VIII, 389|396 f. bestätigt sich so nochmals jene prinzipielle Affinität zu Hegels Bewusstseinsbegriff, derer wir im Zuge unserer eigentlichen Darstellung ansichtig geworden waren; vgl. II.3.1 c). Vgl. stellvertretend die Charakterisierung der Hegel’schen Methode als die einer „Dreiheit von Ja, Nein und Ja, das das Nein in sich genommen hat“, im Rahmen des Entwurfes Hegel und die Erfassung des Göttlichen im Denken (EW X, 393). Tatsächlich firmiert Hegel für Tillich aufs Ganze gesehen nicht als Negativitätstheoretiker, sondern vielmehr als Gewährsmann der logischen Vorordnung der Position par excellence – und in der Konsequenz als exemplarisches Beispiel eines „Panlogismus“, in dem alle Gegensätze letztlich vermittelt sind und also Andersheit nur als gedankliche Durchgangsstation instrumentalisiert ist. Wie wenig dieses Urteil zu überzeugen vermag, bedarf keiner Erläuterung. Hans Wagner, Philosophie und Reflexion (München Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 21967), 124; vgl. II.3.1 c). Vgl. wiederum die entsprechenden Reflexionen bei Wagner; vgl. ebd., 99 – 131.
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Relation von Denken und Sein –, sondern in der Folge in eins dem Geistbegriff ein ursächliches Differenzmoment eingeschrieben, baut sich dieser laut Tillich doch gleichsam in der nochmaligen Selbstanwendung der basalen Bewusstseinsoperationen aufeinander auf.⁷⁰ Das Negationsmoment ist für den Geist insofern sogar verschärft, als der Seinspol nachgerade durch eine uneinholbare „Fremdheit“ gegenüber seinem Komplementär bestimmt sein soll. Die das Prinzipiengefüge konstituierende Differenz steigert sich mindestens der Anlage nach bis hin zum Gegensatz. Hier ist somit das von Dierken schon für die Frühzeit rekonstruierte Bestreben Tillichs, das negative Element des ‚Fremden‘ dem Geist selbst einzuschreiben, in seine ausgereifte systematische Form gebracht und am ‚höchsten Punkt‘ des Systems der Wissenschaften verankert.⁷¹ Eine Konsequenz der polaren Anlage des Geistbegriffs ist religionstheoretischer Natur. Gegenüber den gewissermaßen „kontemplativen“ Implikationen der Hegel’schen Religionskonzeption zeichnet sich Tillichs Religionsbegriff durch eine Grundspannung aus, die in keinem ‚höheren‘ Dritten Vermittlung findet: Religion ist als Endlichkeitsreflexion konzipiert, eine Option, die unter modernspätmodernen Denkbedingungen theologisch anschlussfähig scheint.⁷² Zudem lässt sich die konstruktive Kraft des durch die strikte Polarität der beiden Grundbegriffe ‚Denken‘ und ‚Sein‘ bestimmten Prinzipiengefüges nicht zuletzt an dessen perspektivischer Entfaltung in Gestalt des Systems der Wissenschaften selbst ablesen: Tillich kann sein umfassendes Wissenschaftssystem entsprechend in der Trias der Denk-, Seins- und Geisteswissenschaften entwickeln – eine zwar schlichte, aber nichtsdestoweniger treffliche und für mögliche wissenschaftstheoretische Anknüpfungen produktive Systematik.
III Dass schließlich der Symbolgedanke selbst seiner Grundkonzeption nach geradezu negativitätstheoretisch imprägniert ist, mag allein ein einleitender Blick auf eine Passage der späten dreibändigen Systematischen Theologie verdeutlichen. In ihr kommt zudem noch einmal die enge Verschränkung von Christologie, Of-
Vgl. II.3.1 c) und II.3.2 a). Vgl. GW I, 117– 120. Zum tendenziell „kontemplativen“ Charakter von Hegels Religionskonzeption vgl. Jörg Dierken, Ganzheit, 47.77.128 f. Auf die der Religion nach Tillich eigene Grundspannung kommen wir noch ausführlich anhand der Überlegungen zum Symbolgedanken zurück. Dort artikuliert sich die polare Anlage der Geisttheorie zumal in der Spannung von Symbolausdruck und Symbolisiertem; s.u.
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fenbarungsbegriff und Symboltheorie zum Ausdruck, der wir anhand der früheren Dresdner Dogmatik-Vorlesung für die ausgehenden 1920er Jahre ansichtig geworden waren.Wenn Tillich sich nämlich im ersten Band der Systematischen Theologie mit Einführung des Gedankens einer „Letztgültigkeit der Offenbarung“ zugleich die Kriterienfrage vorlegt, dann ist es offenkundig die symboltheoretische Dialektik von Selbstmächtigkeit und Selbstnegation, die Jesus als den Christus qualifizieren soll: „Eine Offenbarung ist letztgültig und normgebend, wenn sie die Macht hat, sich selbst zu verneinen, ohne sich selbst zu verlieren. […] Aber um sich völlig aufgeben zu können, muß er [der Träger der letztgültigen Offenbarung; L. H.] sich völlig besitzen.“⁷³ Die systematische Zentralstellung der Selbstverneinungsfigur – in der fraglichen Passage des späten Opus Magnum, wie bereits in den entsprechenden Erwägungen der frühen Systematischen Theologie von 1913, zumal am Zeichen des ‚Kreuzes‘ festgemacht⁷⁴ – verspricht so schon vorderhand negativitätstheoretischen Ertrag. Die im eigentlichen Sinne symboltheoretische Explikation des Selbstnegationsgedankens kleidet Tillich in den Gedanken der „Uneigentlichkeit“ des Symbols. An ihm entlang lassen sich auch die negativitätstheoretischen Valenzen des Symbolbegriffs entfalten, ist doch vermittels seiner ein durch fundamentale Andersheit gekennzeichnetes Verhältnis als Kern von Symbolizität behauptet: Eben weil für das religiöse Bewusstsein Symbolausdruck und Symbolisiertes in einer letzten Spannung zueinander verbleiben, sieht Tillich sich überhaupt zur Konzeption einer Symboltheorie gerufen. So dient sie ersichtlich zur Einschärfung jener kritischen Restriktionen der positiven Bestimmbarkeit des Unbedingten, die anderwärts – etwa im Rahmen der Sinntheorie – nicht immer durchgehalten sind.⁷⁵ Demgegenüber steht die Symbolkonzeption pointiert für die These einer schlechthinnigen Transzendenz des religiös zu Symbolisierenden ein, ganz im Sinne des Fichte’schen Diktums: „Der Ausdruck erreicht die Sache nie.“⁷⁶ Als wesentliche Theoreme zur Beschreibung dieser schlechthinnigen Inkommensurabilität, die gleichermaßen dem konstitutiven Bezug wie der prinzipiellen internen Gegenläufigkeit von uneigentlichem Symbolausdruck und Symbolisiertem
ST I, 159 f. Vgl. ebd., 160, bzw. EW IX, 322.325. Vgl. Ulrich Barth, „Religion und Sinn“, in: Christian Danz/Werner Schüßler (Hg.), Religion – Kultur – Gesellschaft. Der frühe Tillich im Spiegel neuer Texte (1919 – 1920) (Berlin Wien Münster: Lit, 2008), 197– 213, 210 f. Zit. nach Lore Hühn, „Die Unaussprechlichkeit des Absoluten. Eine Grundfigur der Fichteschen Spätphilosophie im Lichte ihrer Hegelschen Kritik“, in: Markus Hattstein u. a. (Hg.), Erfahrungen der Negativität. Festschrift für Michael Theunissen zum 60. Geburtstag (Hildesheim: Olms 1992), 177– 201, 188; vgl. III.3 b).
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Rechnung tragen, erwiesen sich die der Selbstnegation und der Selbsttranszendierung. ⁷⁷ Ist Tillichs Symboltheorie der systematischen Anlage nach eindeutig religionstheoretisch motiviert – ein Umstand, der sich durch werkgenetische Beobachtungen noch erhärten ließ – und stellt das Konzept des religiösen Symbols also gewissermaßen den Einsatzpunkt der Symboltheorie insgesamt dar, so lohnt für die abschließenden Reflexionsgänge eine Umkehr der Blickrichtung im Ausgang vom kulturellen hin zum religiösen Symbol: Markiert das religiöse Symbol dieserart den Fluchtpunkt der Überlegungen, so wird sich ein wichtiger Aspekt von Tillichs Symboltheorie von selbst herauskristallisieren. Entscheidend für die gesamte Bewegung ist dabei, dass der symboltheoretisch zentrale Gedanke der Selbstnegation, entgegen in Teilen missverständlicher Formulierungen Tillichs, keineswegs als vollständige Zernichtung des Negierten zu interpretieren ist. Bereits für die Sphäre der kulturellen Symbole zeigt sich, dass bei näherem Zusehen mit einem gestuften Negationsverhältnis zu rechnen ist: Verdanken sich schon die gegenständlichen Bestimmungen des Symbolausdrucks gemäß der alten spinozanischen Einsicht ‚Omnis determinatio est negatio‘ der Logik von Selbigkeit und Andersheit, so konstituieren sich die kulturellen Bezüge wiederum über die Polarität der Zu- und Abschreibung von Bedeutungshinsichten. Findet, ein Beispiel, der Mercedes-Stern im ökonomischen Kontext als Symbol wirtschaftlicher Macht oder Tradition (oder auch deren Krisen) Verwendung, so bleiben andere potenzielle kulturelle Sinndimensionen, wie etwa die ästhetische, demgegenüber abgeblendet. Jede kulturelle Sinntransponierung, in der sich ein kulturelles Symbol als solches konstituiert, setzt also alternative Bedeutungskontexte als das Andere ihrer selbst mit. Somit führt jedes kulturelle Symbol gleich doppelt – einmal in der Dimension gegenständlicher Bestimmung, einmal in der Dimension kultureller Sinnerfüllung – Alterität mit. Das Verhältnis von gegenständlicher Bestimmung und kultureller Deutung dürfte hierbei als in sich nochmals komplex zu denken sein. So treten mit dem Einstellen in eine kulturelle Sinndimension bestimmte gegenständliche Aspekte zurück, während andere zentral werden – in ästhetischen Kontexten mögen beispielsweise die die konkrete Materialität betreffenden Bestimmungen eines Mercedes-Sterns eher für den Symbolcharakter bedeutsam sein als in ökonomischen.⁷⁸ Die angezeigte Pluralität
Vgl. III.3 c). Bei Tillich artikuliert sich diese symboltheoretische Einsicht in seiner – diesbezüglich an Frege und Husserl anknüpfende – Theorie des ‚Ausdrucks‘, der zufolge dessen extensionaler Gegenstandsbezug als über den intensionalen Sinnbezug vermittelt zu denken ist; vgl. III.2 b). Obwohl mithin schon im Falle des kulturellen Symbols gleich mehrfache Negationsverhältnisse als sinnkonstituierend angenommen werden müssen, gibt Tillich selbst – über die Nennung der
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der kulturellen Deutungshinsichten hat dabei die eingangs benannte Fundamentaldifferenz von Symbolausdruck und Symbolisiertem insofern im Rücken, als sich mit jener fundamentalen Andersheit allererst das Feld eröffnet, in dem dann die mannigfaltigen ‚kulturellen‘ Relationen von Bestimmtheit und Andersheit statthaben können. Im Überschritt zum religiösen Symbol ist nun entscheidend, dass der Selbstnegationsgedanke erneut keineswegs auf eine schlechthinnige Verneinung der gegenständlichen Bestimmungen des Symbolausdrucks wie seiner kulturellen Sinnbezüge abzielt. Vielmehr wird ihnen mit der religiösen eine weitere Bedeutungsdimension zur Seite gestellt. Die für das religiöse Symbol spezifische ‚Negation zweiter Stufe‘ ist wiederum nicht in einer Logik der Ersetzung, sondern der Anreicherung von Sinndimensionen zu denken. In deren wechselseitiger Differenz und Zuordnung konstituiert sich wie im Falle des kulturellen auch das religiöse Symbol als solches. Entsprechend liegen bei einem Ausdruck, so er als religiöses Symbol fungieren soll, mehrfach gestufte Negationsverhältnisse vor. Dabei ist der Selbstnegationsgedanke bei Tillich selbst nicht weiter aufgeschlüsselt – obwohl die Figur der Selbstverneinung werkgenetisch schon im Frühwerk eine religionstheoretische Zentralstellung einnimmt, wird sie noch in der ausgereiften Theorie des religiösen Symbols aufs Ganze gesehen merkwürdig unausgeführt bleiben. Einmal mehr bleibt zunächst nur die negative Auskunft, dass jene ‚Negation zweiter Stufe‘ jedenfalls,wie bereits anhand der Geisttheorie gesehen, nicht in der Logik einer Selbstanwendung der Negationsfigur im hegelschen Sinne gedacht ist. Immerhin hat Tillich an einigen wenigen Stellen – nämlich im Rahmen des seinerzeit allerdings unveröffentlichten Entwurfs eines Systems der religiösen Erkenntnis sowie der gleichfalls ungedruckten Dresdner Dogmatik-Vorlesung – eine Näherbestimmung des Transzendierungsgedankens vorgenommen. Demnach vertreten sich im religiösen Symbolisieren zwei Transzendierungsverhältnisse, und zwar dergestalt, dass das dem kulturellen Symbolisieren eigene relative Transzendieren für das unbedingte Transzendieren einsteht. Gedacht ist mithin an ein asymmetrisches Suppositionsverhältnis, da das kulturelle Transzendieren für
Selbstnegations- bzw. Transzendierungsfigur sowie das Vermerken polarer Zuordnungen hinaus – keine eigentlichen Regeln an die Hand, wie die fraglichen Verhältnisse näherhin zu denken sind. Dadurch können seine Darlegungen den Anschein des Intuitiven gewinnen, das sich mehr auf die kulturelle Selbstverständlichkeit der gewählten Beispiele verlässt. So mag etwa in gewisser Weise unmittelbar plausibel erscheinen, dass die Fahne als Symbol der Nation zu fungieren vermag. Eine nähere Aufschlüsselung, inwiefern ihr jene bevorzugte Symbolisierungsfähigkeit eignet bzw. wie genau der betreffende Symbolisierungsvorgang positiv zu beschreiben ist, findet sich bei Tillich nicht.
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das religiöse steht, das religiöse aber eben andersherum nicht für das kulturelle. Der von Ferne an Kants Figur der Analogia proportionalitatis erinnernde Gedanke bleibt zwar seinerseits unausgeführt. Gleichwohl macht er zweierlei deutlich: Erstens, dass Tillich gewissermaßen mit ‚Transzendierungsketten‘, also der Iteration von Transzendierungsverhältnissen gemäß dem Analogieprinzip rechnet. Mit dem im einschlägigen Aufsatz Das religiöse Symbol gewählten Beispiel: Im christlichen Kontext steht das Holzkreuz für die Imagination der Kreuzigung zu Golgatha, die ihrerseits für das Erlösungshandeln Gottes steht, das wiederum Ausdruck einer Erfahrungsdimension des Unbedingt-Transzendenten ist. Die Symbolisierungsbewegung gestaltet sich dieserart im Ganzen als Aufstiegsbewegung. Entsprechend kann zweitens auch die einzige positive Bestimmung, die der Idee des Unbedingten im Rahmen der symboltheoretischen Überlegungen zugedacht wird, nur im Transzendenzgedanken selbst bestehen. Für die Praxis des Symbolisierens erweist sie sich einmal mehr primär als negative Größe, der gegenüber jede anderweitige Ausdrucksform zu übersteigen ist. Die Fassung des Unbedingten und die Symbolisierungsbewegung implizieren sich dabei wechselseitig: Eben weil die Idee des Unbedingten an sich selbst als „das Übersteigen selbst“ zu fassen ist, muss jede mögliche Ausdrucksform ihrer überstiegen werden. Und weil die spezifische Pragmatik des Symbolisierens auf den potenziell unendlich iterierbaren Akt des Transzendierens zielt, kann sich die positive Bestimmung des Unbedingten eben allein im Begriff des Transzendierens selbst verdichten. So ließe sich hier – um einen Impuls Jörg Dierkens aufzunehmen⁷⁹ – davon sprechen, dass die zur Selbsttranszendierung nötigende Kritik nicht einfach abstrakt von ‚dem‘ Unbedingten an die symbolischen Gestalten ergeht. Vielmehr realisieren Symbole sich gerade im Transzendieren ihrer selbst gemäß der ihnen eigenen Logik als das, was sie im eigentlichen Sinne sind – und erschließen in diesem Prozess ihrer Selbstkonstitution zugleich allererst die schlechthinnige Transzendenz des Symbolisierten. Damit rückt der Transzendierungsgedanke ganz ins Zentrum von Tillichs Symbolkonzeption. Mit der Fokussierung auf den Transzendenzgedanken verbindet sich wiederum eine gewisse Problemanzeige. Sie betrifft Tillichs zentrale These, der zufolge die religiösen Symbolausdrücke eine „Veranschaulichung“ des Unbedingten leisten sollen. Zumal dem Moment der Anschaulichkeit ist allerdings mit der formalen Transzendierungslogik letzten Endes nicht genüge getan.⁸⁰ In der Tat müsste Tillich zeigen können, inwiefern wenn schon – gemäß den erkenntnis-
S.o. Vgl. zur entsprechenden Kritik Barth, „Protestantismus“, 28.
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Abschließende Reflexionsgänge
kritischen Restriktionen – zwar keine Aspekte des Unbedingten selbst, so doch solche des Bezugnehmens des symbolisierenden Bewusstseins im Symbol anschaulich konkret werden, bzw. inwiefern Symbole präzise als Veranschaulichungen von Dimensionen der Konstitutionsfunktion der Idee des Unbedingten gelten können. Symboltheoretisch erhellende Aufschlüsselungen der betreffenden analogen Transzendierungsverhältnisse bezüglich des Anschaulichkeitsmomentes finden sich jedoch erstaunlich selten, und das gerade hinsichtlich des letzten, religionstheoretisch entscheidenden Schritts mit Bezug auf das Unbedingt-Transzendente. Oftmals belässt Tillich es bei dem generellen Verweis auf den Symbolcharakter der entsprechenden Ausdrücke, und also auf die letzte Transzendenz des Symbolisierten ihnen gegenüber – die sich dann allzu schnell in die einfache Negation des Symbolausdrucks übersetzt. Als behauptete ‚Transparente des unbedingten Sinns‘ zeigen diese so im Grunde allein dessen schlechthinnigen Transzendenzcharakter an, ohne aber die spezifischen Sinnbezüge des jeweiligen anschaulichen Ausdrucks in Rechnung zu stellen: Die konkreten Symbolisierungen stehen in der Gefahr, gleichsam auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner, nämlich ihre Hinweisfunktion auf das Unbedingte als eben je und je gleichermaßen schlechthin Transzendentes, reduziert zu werden.⁸¹ Ihren systematischen Ort nehmen die als religiöse Symbole fungierenden Ausdrücke gewissermaßen im Spannungsfeld zwischen den benannten Polen, der iterierenden Transzendierungsbewegung des Bewusstseins und der nur als schlechthinniges Transzendieren zu fassenden Idee des Unbedingten. Tillich kennt hier zwei Beschreibungshinsichten: Der Ersteren zufolge ist es der Geist selbst, der die Transzendierungsverhältnisse gemäß dem Analogiegedanken einander zuordnet und dieserart einen Ausdruck als religiöses Symbol fungieren lässt. Diese Perspektive exponiert die notwendig interpretative Dimension der Symbolverwendung: Symbole existieren nicht aus sich heraus, sondern verdanken sich einer Symbolisierungsleistung.⁸² Der Konstitutionsaspekt tritt demgegenüber mit der zweiten Beschreibungsperspektive in den Hintergrund, wenn die
Vor dem Hintergrund dieser Problemanzeige scheint es naheliegend, die materialdogmatische Leistungskraft von Tillichs Symbolgedanken weniger in der Funktion eines konstruktiven Aufbauprinzips zu erblicken – in der Tat bleiben die im eigentlichen Sinne negativitätstheoretischen Überlegungen zu den einzelnen materialen Topoi etwa im Rahmen der späten dreibändigen Systematischen Theologie erstaunlich schematisch. Seine Leistungsfähigkeit erweist der Symbolgedanke vielmehr als kritisches Kontrollinstrument, vermittels dessen die überkommenen Symbolbestände sich daraufhin durchmustern lassen, ob und inwiefern sie geeignet sind, der schlechthinnigen Transzendenz des Unbedingten Ausdruck zu verleihen. Vgl. III.2 c) und III.3 a). Als solche bilden die entsprechenden Ausdrücke freilich ihrerseits gleichsam ein Sediment an geronnenen Symbolbeständen und liegen also kulturell vor.
III
579
Negations- bzw. Transzendierungsanweisung am Symbolausdruck selbst festgemacht wird. Ihre Stärke liegt darin, den Zugang zur Idee des Unbedingten ganz an die mit der Symboltheorie behaupteten Restriktionen zurückzubinden: Jede positive Bestimmung des Unbedingten kann ausschließlich aus der internen Verweisstruktur der Symbole selbst gewonnen werden und also allein ob deren Überstiegscharakter in ebenjenem Gedanken absoluter Transzendenz bestehen. In dieser Perspektive sind es die als religiöse Symbole fungierenden Ausdrücke, die den Geist auf seine Unbedingtheitsdimension hinordnen, nur vermittels jener vermag er ihrer ansichtig zu werden. Insofern eignet zumal religiösen Symbolen eine fundamentale Erschließungsfunktion.⁸³ Mit Tillich sind religiöse Symbole somit zusammenfassend erstens das Resultat von Transzendierungsleistungen, zugleich aber auch zweitens als deren Vehikel zu verstehen – Letzteres deswegen, weil sie jene eben ihrerseits stimulieren: Symbole stoßen eine Transzendierungsbewegung an und tragen diese, sodass dem religiösen Bewusstsein der schließliche, virtuelle Überschritt in die Sphäre des Unbedingt-Transzendenten allererst erschwinglich wird.⁸⁴ Mithin sind sie drittens die einzige Form, sich dem vermeinten Gehalt überhaupt zu nähern. Treten wir einen Schritt zurück, so liegt mit dem Skizzierten gerade in seiner Umkehr der Blickrichtung im Ausgang vom kulturellen hin zum religiösen Symbol neben dem konstitutiven Transzendierungscharakter des Symbolischen ein weiterer Aspekt auf der Hand. In anderweitigen Theoriezusammenhängen mag Tillich – wenn auch, wie in der Rekonstruktion wiederholt gesehen, in weit geringerem Ausmaß, als in der Forschung bisweilen behauptet – dem Unmittelbarkeitsgedanken ein gewisses systematisches Gewicht beigemessen haben. Religionstheoretische Bedeutung gewann dies vor allem dort, wo eine Unmittelbarkeit der der Idee des Unbedingten geltenden Bewusstseinsintention insinuiert werden konnte.⁸⁵ Demgegenüber ist der Symbolkonzeption schon mit der negationslogischen Stufung von gegenständlicher Bestimmung, kultureller und schließlich religiöser Symbolisierung der Gedanke einer ‚konstitutiven Indirekt-
Vgl. III.2 c) und III.3 b). Paul Ricœur konnte den Ertrag des Kant’schen Symbolgedankens – im Rekurs auf eine bei diesem der ästhetischen Idee geltenden Definition – bekanntlich dahingehend zuspitzen, dass das Symbol ‚zu denken gibt‘; vgl. Paul Ricœur, Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld II, übers. v. Maria Otto (Freiburg München: Alber, 1971), 396. Mit Blick auf Tillichs Symbolkonzeption ließe sich analog sagen: Das Symbol verleiht einer Transzendierungsbewegung Ausdruck, es initiiert und trägt diese. Vgl. v. a. II.3.1 b); zur entsprechenden Missverständlichkeit der berühmten Definition der Religion als „Richtung auf das Unbedingte“ vgl. II.3.2 c).
580
Abschließende Reflexionsgänge
heit‘ eingeschrieben. Die Idee des Unbedingten wird mitnichten unmittelbar, sondern allein vermittels von Symbolträgern und der diesen eigenen internen Verweislogik intendiert. In der ausgereiften Terminologie: Der Symbolausdruck ist als „indirektes Wort“ verstanden, über das das Unbedingte als „Letzt-Gemeintes“ und also nur mittelbar anvisiert werden kann.⁸⁶ Folglich lässt sich die Symbolkonzeption nachgerade als internes Korrektiv zu möglichen Überstrapazierungen der Unmittelbarkeitsfigur interpretieren. Diese Bedeutung der Symboltheorie wäre bei jedem künftigen Rekurs – sei er zustimmend, sei er kritisch – auf Tillich als angeblichem Vordenker einer religionstheoretischen Zentralstellung des Unmittelbarkeitsgedankens mindestens mitzubedenken: Seine Theorie des religiösen Symbols muss als markanter Ausdruck dafür gelten, dass Tillich sich der konstitutiven Mittelbarkeit des Religiösen, der notwendigen Medialität jedes Bezugnehmens auf den Gottesgedanken zutiefst bewusst war. Damit weist zumal die Symbolkonzeption Tillich als einen Denker aus, der Religion im Kern als Endlichkeitsreflexion verstanden wissen will. Denn die Abständigkeit des Unbedingten gegenüber jedem möglichen Ausdruck schärft andersherum dessen Endlichkeit ein – das symbolisierende Bewusstsein findet sich so in eine unauflösliche Spannung zwischen der Endlichkeit der eigenen Vorstellungen und Begriffe und der Unendlichkeit seines eigentlichen Telos gestellt. Es hat somit weder einfach in jenen noch in diesem seinen Ort, sondern nimmt ihn gerade in einem ‚Dazwischen‘, und also in der wechselseitigen Bedeutungsapplikation beider: Die Idee des Unbedingten motiviert immer schon den Überstieg über die eigenen bedingten Formen wie über den Gesichtskreis des Bedingten insgesamt, wie sie andersherum an der betreffenden Transzendierungsbewegung gebildet ist und allein in ebenjenen zu übersteigenden Formen als zugleich Entzogenes präsent sein kann. Man mag das als schlichtes Perennieren oder als Ausdruck der Bindung an eine schlechte, weil falsch verstandene Unendlichkeit interpretieren. Man kann darin aber auch die reflektierte Artikulation eines Frömmigkeitsstils erblicken, der dem Christentum und besonders dem Protestantismus historisch tief eingeschrieben ist: Das Wissen um eine letzte Differenz von – in religiöser Semantik – ‚Gott‘ und ‚Welt‘, das nicht erst der nachgängigen Reflexion entspringt, sondern dem religiösen Bewusstsein selbst eben in Gestalt des Symbolbewusstseins zu eigen ist, stellt eine genuine Spielart christlichen Selbstverständnisses dar. Die gebrochene Indirektheit, die dem Symbolbewusstsein als solches eignet, erscheint dieserart nicht als Anzeige eines Problems, das es zu überwinden gelten würde – etwa zugunsten einer Aufhebung in die Form des reinen Begriffs, einer neuen, gewissermaßen ‚zweiten‘ Naivität
Vgl. III.3 a).
III
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oder der Unmittelbarkeit eines symbollosen religiösen Redens.⁸⁷ Vielmehr setzt sie die schöpferische Energie frei, das eigentümliche Korrelat der Religion in „tausend Übergänge[n] und Vermittlungen und Synthesen […] nicht rein, aber erdenmöglich zum Ausdruck“ zu bringen.⁸⁸
Ein solches ‚symbolloses‘ Reden ist von Tillich bei näherem Zusehen nicht einmal als Ideal – religiös gesprochen: für das Eschaton – anvisiert. In der entsprechenden Schlusspassage des Symbolaufsatzes von 1928 ist jenes Ideal vielmehr als der „Punkt […], wo die Wirklichkeit selbst ohne Symbol zum Symbol wird“ charakterisiert (GW V, 211; kursiv L. H.). EW XII, 81.
Anhang Zeittafel Die folgende Zeittafel stellt naturgemäß eine Auswahl dar. Vollständigkeit – bei einem derart eklektischen und vielgestaltigen Denker wie Paul Tillich ohnehin unmöglich – ist nicht beabsichtigt. Aufgeführt sind neben einzelnen Momenten der im Werden begriffenen Theoriebildung des untersuchten Zeitraumes auch Daten, die Tillichs rückblickende Stilisierungen oder aber in der Forschung umlaufende Fehleinschätzungen korrigieren oder präzisieren.
Frühjahr
Adaption des traditionellen vermögenspsychologischen f., – Schemas bei gleichzeitiger Kritik jeder einseitigen Zuord- nung der Religion zu einem der Vermögen; wahrscheinliche Vorlage: Wilhelm Windelband
Herbst
Erstmalige Verwendung der Begriffstrias Autonomie, He- – teronomie und Theonomie (erste Verwendung des Begriffspaares Autonomie und Theonomie bereits im Frühjahr )
Mai (Pfingsten)
Sog. ‚Schellingerlebnis‘: intensive Schellinglektüre; Um- – , bildung der frühen, an Fichte orientierten Theoriebildung – in Richtung Schelling
Winter / Frühjahr
Umformende Aneignung und terminologische Etablierung – des Kürzels ‚Ja/Nein‘; wahrscheinliche Vorlage: Wilhelm Lütgert
Zweite Jahreshälfte
Systematische Ausarbeitung des Paradoxgedankens; wahrscheinliche Vorlagen: Sören Kierkegaard und Karl Heim
– , f., f.
Sommer
Paradoxie eines „Glaubens ohne Gott“ avanciert zur religionsphilosophischen Zentralfigur
– , f.
August
Rezeption von Edmund Husserls Logischen Untersuchun- – gen
Dezember
Erstmalige religionstheoretische Valenz des Intentionalitätsgedankens
–
April/Mai
Rezeption von Rudolf Ottos Das Heilige
–
Mai
Erstmalige extensive Verwendung des Sinnbegriffs
–
DOI 10.1515/9783110484847-013
Zeittafel
April
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Verabschiedung des vermögenspsychologischen Schemas – , als solchem; Umstellung auf Intentionalitätstheorie als f. Grundlage der Bewusstseins- und Geisttheorie Terminologische Etablierung der geisttheoretischen Grundfigur eines ‚durch-hindurch‘
, f., –
Erstmalige Überlegungen zur Verhältnisbestimmung von Form, Gehalt und Inhalt; Formulierung eines ‚Form/InhaltGehalt‘-Schemas
–
Sommer
Erstmalige vorsichtige positive Würdigung des Symbolge- – , dankens in unveröffentlichten Texten; Zusammenstellung f. symboltheoretischer Überlegungen mit der Paradox- und Selbstverneinungsfigur des Frühwerks
Jahresbeginn
Systematische Ausarbeitung der Sinnkategorie als Leitkategorie; Formulierung des grundlegenden Kontextualitätsaspektes des Sinngedankens
– , –
Juni
Erstmalige punktuelle positive Verwendung des Symbolbegriffs im Rahmen von Veröffentlichungen
–
Sommer
Hochphase der erkenntniskritischen Umbildung der Theoriebildung; punktuelle Kritik an Schelling
–
Umfassende kategoriale Orientierung am ‚Form/Gehalt‘Schema; zugleich terminologische Verkürzung des Schemas durch die Subsumtion des Inhaltsbegriffs unter den der ‚Formen‘
– , –
Systematische Etablierung des Begriffspaares Denken und – Sein als Grundlage der Bewusstseinskonzeption Herbst
Terminologische Etablierung der religionsphilosophischen f., – Figur einer „Richtung auf“; wahrscheinliche Vorlage: Ed- mund Husserl
Jahresende
Terminologische Etablierung der sinntheoretischen Figur einer „unbedingten Form“
–
Terminologische Etablierung der symboltheoretischen Figur einer „inneren Notwendigkeit“
– ,
April
Erstmalige persönliche Begegnung mit Karl Barth in Göttingen; durchgängige Ambivalenz gegenüber Barths theologischer Position
–
März (Ostern)
Ausgereifte Bewusstseinskonzeption in der Verhältnisbe- , – stimmung von Denken und Sein
584
Anhang
Oktober
Druckfertiges Vorliegen der erst erschienenen Reli- , f., gionsphilosophie; im Verbund mit dem erschienenen System der Wissenschaften repräsentiert das ‚Doppelwerk‘ den intellektuellen Ertrag der ‚Berliner Jahre‘ Ausgereifte Verhältnisbestimmung von unbedingter Sinn- – , form und unbedingtem Sinngehalt; wahrscheinliche Vor- – , lage: Fichte, vermittelt über Fritz Medicus – Definition des Symbols als „uneigentliche Ausdrucksform“ – , –
Sommer
Formulierung des Indirektheitscharakters des Symbolischen; Symbol als „indirektes Wort“
–
Terminologische Unterscheidung und Zuordnung der Ge- – , danken eines „relativen Transcendierens“ und der „ab – soluten Transcendenz“; Figur sich vertretender Transzendierungsverhältnisse Jahresende
Terminologische Etablierung des Zeichenbegriffs als Negativfolie zum Symbolbegriff
f., –
Ausgereifte Geistkonzeption in Gestalt der Theorie eines f., – intentionalen Bewusstseins; terminologische Etablierung der Figur eines „Letzt-Gemeinten“ Erste Jahreshälfte
Erste Gestalt einer systematisch wie terminologisch vollständig ausgearbeiteten Symboltheorie
– , , – , – , f., – , – , f.
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Personenregister (Belegstellen im Rahmen der ‚Erträge und Ausblicke‘ sind kursiv gesetzt) Adams, J. L. 298 Fn. 174 Albrecht, R. 34, 550 Amelung, E. 35, 299 Fn. 175 Aquin, Th. von 133, 507 Fn. 28, 535 Fn. 155 Aristoteles 2 f., 6, 47 Fn. 149, 166, 223, 251, 311 Fn. 223, 337 Assmann, A. 310 Fn. 219 Assmann, J. 310 Fn. 219 Aubrey, E. E. 411 Fn. 6, 465 Fn. 40, 491, 501 – 504, 506, 530 Augustin 95, 119, 134, 166 Barth, K. 33, 34 f., 37, 47, 52, 152 Fn. 179, 161, 217, 221, 412, 415, 437 – 453, 453 f., 462 Fn. 29, 468, 502 Fn. 5, 540 Fn. 182 Barth, U. 60, 131 Fn. 87, 184 Fn. 43, 186 Fn. 51.52, 257 Fn. 190, 291 Fn. 144, 313, 315, 336 Fn. 51, 410 Fn. 3, 473 Fn. 65, 562, 563, 566 Bärthold, A. 154 Fn. 190, 157 Fn. 199 Bergson, H. 380 Fn. 52 Biehl, P. 40 – 42, 44 f. Bieritz, K.-H. 42 Blumenberg, H. 47 f. Brandt, H. 178 Fn. 23, 414 f., 419, 424, 436 Brentano, F. 337 Fn. 52 Brunner, E. 34 Fn. 102, 439 Fn. 112 Büchsel, F. 68 – 70, 72, 74, 97, 100, 107, 115, 202 – 204, 316, 419 Fn. 34 Bühler, K. 3 Fn. 11, 4, 458, 460, 487 Fn. 118 Bultmann, R. 34 f., 37, 52, 97, 439 Fn. 112 Buntfuß, M. 48 Carnap, R. 493 Cassirer, E. 14 – 32, 40 Fn. 121, 43 f., 45, 49 – 51, 57, 241, 296 Fn. 168, 458 Fn. 14, 465 Fn. 40, 481, 485, 490 Fn. 129, 493, 494, 558 Cohen, H. 15 f., 18, 20 Fn. 61 Cramer, K. 184 Fn. 43, 349 Fn. 100, 360 – 364, 366, 367, 373, 376, 408 Cremer, A. H. 161 f., 170
Dalferth, I. U. 47 – 49 Danz, Ch. 58, 60 f., 63, 113, 221, 299 Fn. 175, 304 Fn. 193, 364 Fn. 163, 436 Fn. 102, 451 Fn. 170, 504, 507, 551, 552 Fn. 6 Dehn, G. 440 Fn. 118 Descartes, R. 119, 571 Dessoir, M. 218, 390 Deuser, H. 49 – 51, 487 Dibelius, O. 410 Fn. 2 Dienstbeck, S. 60, 113 Dierken, J. 60, 557 – 560, 562, 566 f., 570, 573, 577 Doerne, M. 221 Fn. 24 Drews, A. 98 Fn. 159 Ebbinghaus, H. Ernst, N. 507
175
Feuerbach, L. 502 Fn. 5 Fichte, I. H. 317 Fichte, J. G. 13, 32 f., 63, 68 – 70, 74 Fn. 47, 75, 78, 79 Fn. 66, 82 Fn. 77, 83 f., 86, 88 – 93, 103, 108, 118 Fn. 25, 125, 128, 135, 136 Fn. 104, 163, 171, 178, 191, 204, 213, 242, 247 f., 312 – 322, 323, 325, 350 Fn. 109, 380, 532, 574 Fischer, H. 38 Fn. 117, 113 Fn. 13 Flatt, C. Ch. 421 Fn. 43 Flatt, J. F. 421 Fn. 43 Fox, Ch. W. 298 Fn. 174 Frege, G. 346, 458, 473 – 476, 499, 575 Fn. 78 Freud, S. 52, 459 Fritz, A. 68, 72, 76, 87, 163, 440 Fn. 118, 448 Geertz, C. 30 Fn. 94, 44 Fn. 139 Goethe, J. W. von 6 f., 13, 23, 379 Gogarten, F. 33, 217, 221, 412, 415, 437 – 439, 442 – 452, 453 f., 462 Fn. 29, 468
614
Personenregister
Goodman, N. 30 Fn. 94, 413, 458, 489, 493 – 498, 500 Gottsched, H. 154 Fn. 190, 157 Fn. 199 Gräb, W. 42 – 45, 221 Grözinger, A. 42 Gundolf, F. 311 Fn. 221 Haigis, P. 221 Fn. 28, 299 Fn. 175 Halbfas, H. 41 – 43 Harant, M. 60, 221 Fn. 28 Harnack, A. von 52, 221 Hartlaub, G. F. 416 f. Hartmann, E. von 175 Hegel, G. W. F. 7, 13, 15, 23, 29, 57, 79 Fn. 66, 95, 118 Fn. 25, 131 f., 134 – 136, 162, 163, 171, 182, 203 Fn. 130, 213, 231, 327 f., 359 – 364, 367, 380, 517, 527 Fn. 118, 531, 544 Fn. 195, 552, 553 Fn. 10, 555 f., 558, 560, 561, 563, 571 – 573, 576 Heidegger, M. 393 Fn. 104, 487 Fn. 118 Heim, K. 63, 75 f., 114, 148, 162 – 169, 171 Henrich, D. 132 Fn. 89, 544 Fn. 195, 571 f. Herder, J. G. 5, 13 Herrmann, W. 78, 98 Fn. 159, 147 Fn. 152, 196 Hertz, H. 18 f. Hirsch, E. 52, 62, 72, 135 Fn. 103, 140 Fn. 122, 156 Fn. 196, 157 Fn. 199, 173 – 177, 179 – 195, 198 – 201, 205 – 213, 213 f., 232, 287 Fn. 125.127, 305, 316, 442 Fn. 130, 448 Holl, K. 145 Fn. 145 Hühn, L. 574 Fn. 76 Husserl, E. 58, 63, 64, 69 Fn. 24, 118 Fn. 25, 136 Fn. 105, 175, 185 Fn. 46, 195 Fn. 92, 198, 213, 213, 236 Fn. 102, 325 f., 331 Fn. 28, 335 – 341, 345 – 348, 351 f., 355 f., 359, 362 – 365, 366 f., 390, 392, 400 f., 403, 409, 427 Fn. 66, 458, 459, 473 Fn. 66, 474 – 478, 487 Fn. 118, 499, 575 Fn. 78 James, R. B. 410 Fn. 4 Jetter, W. 39 – 43, 47 Jüngel, E. 10 Fn. 30, 47
Kähler, M. 73 – 75, 81 f., 98 Fn. 159, 108, 115, 145 Fn. 145, 153 – 155, 162, 168, 182, 246 f. Kant, I. 7 – 14, 15 f., 20, 31, 40 Fn. 121, 69 f., 74 Fn. 47, 78, 89 f., 96, 102, 118 Fn. 25, 119, 128 Fn. 76, 134, 137, 146 f., 166, 195 f., 204, 228, 242 f., 245 – 249, 251 f., 256, 260, 261, 263, 274, 285, 295 – 297, 299, 312, 323, 327 f., 332, 359, 401, 405 f., 422, 507, 526, 529 f., 531 Fn. 134, 547 f., 577, 579 Fn. 84 Kattenbusch, F. 73, 74 Fn. 46, 427 Fn. 66 Kierkegaard, S. 33, 64, 114, 143, 153 – 161, 169 f., 171 Klein, M. 87, 175 f., 178, 185, 189, 191 Kleffmann, T. 60 Köhler, W. 390 Fn. 95 Korsch, D. 50 Kriegstein, M. von 37, 53 f. Kubik, A. 13 Landauer, G. 430 Fn. 80 Langer, S. K. 30 Fn. 94, 40 Fn. 121, 44 Fn. 139, 493 Lask, E. 175, 279, 473 Fn. 66 Laube, M. 48 Lax, D. 60 Leibniz, G. W. 3, 8, 119 Lessing, Th. 308 Lipps, Th. 175 Looff, H. 38 Fn. 115, 53 f. Lotze, H. 118 Fn. 25, 175, 341, 473 Fn. 66 Luckmann, Th. 40 Fn. 121, 44 Fn. 139, 525 Luhmann, N. 43 f. Lütgert, W. 63, 73 – 76, 87, 108, 146 – 148, 162, 163, 173, 195 f., 422 Fn. 44 Luther, M. 1, 146 Fn. 146, 167, 239, 415 Fn. 17, 444 Mahrenholz, S. 497 Mann, Th. 72 Fn. 36, 153 Fn. 184, 154 Marc, F. 311 Fn. 221 Martin, M. 42 Marx, K. 459 Medicus, F. 32 f., 63, 68 – 70, 73 – 75, 77, 84, 85 Fn. 94, 88 Fn. 106, 108, 135,
Personenregister
161 f., 170, 247 – 250, 312 – 321, 323, 325, 419 Fn. 34 Meier, G. F. 3 Mennicke, C. 440 Fn. 118 Meyer-Blanck, M. 46 Möhler, J. A. 341, 427 Mokrosch, R. 35, 63, 553 Möring-Plath, B. 42 Morris, Ch. W. 461, 466, 493 Moxter, M. 51, 56 – 58, 60, 221, 356 Fn. 135, 457 Fn. 13, 479 Fn. 86, 487, 489, 505 f., 512 – 514, 558 – 560, 563 Fn. 43 Murrmann-Kahl, M. 552 Fn. 6 Neugebauer, G. 60 f., 63, 113, 197, 414 Fn. 15 Nietzsche, F. 60, 65, 135 Fn. 103, 213, 213, 380 Fn. 52, 418, 459 Nörenberg, K.-D. 37, 53 f. Novalis 5, 13, 430 Fn. 80 Otto, R. 185 Fn. 46, 206 – 209, 213, 213, 235 f., 393 Fn. 104 Pannenberg, W. 38, 553 Parmenides 118 Fn. 25, 134 Paulus 146 Fn. 146 Peirce, Ch. S. 49 – 51, 57, 458 Fn. 14, 461 Fn. 26, 487, 493 Platon 19, 301 Plotin 119, 512 Ratschow, C. H. 35 – 37, 550 Reinhard, F. V. 421 Fn. 43, 423 Reinhold, K. L. 360 Rembrandt van Rijn 180, 187 Fn. 57 Rendtorff, T. 65 Richards, I. A. 47 Rickert, H. 118 Fn. 25, 175, 276, 279, 312 Fn. 227, 341 Ricœur, P. 40 Fn. 121, 41, 47, 579 Fn. 84 Ringleben, J. 56 f., 416 Fn. 18.22, 537, 554 – 558, 560, 563 Fn. 45 Ritschl, A. 78, 81, 145 Fn. 145, 221, 425 Rohls, J. 48 f. Rolf, E. 51 Rowe, W. L. 471 f.
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Rudolph, E. 50 Rüstow, A. 390 Fn. 95 Schafft, H. 72, 97, 153 Fn. 184 Scharfenberg, J. 42 Scheler, M. 175, 223, 338 – 340 Schelling, F. W. J. 7, 13, 23, 32 f., 61 Fn. 203, 62, 63 f., 65, 67 f., 70, 75, 80, 86 – 97, 100, 107 f., 108 f., 111, 121, 135, 137, 139 Fn. 120, 146, 171 f., 177, 204, 213, 231, 235 Fn. 98, 274, 286 Fn. 120, 325, 349 f., 379 – 381, 415 f., 420 – 423, 426, 436, 453, 523, 553, 564 Schilling, K. 42 Schlegel, A. W. 5, 6 f., 11, 13 Schlegel, F. 5, 13 Schleiermacher, F. D. E. 13, 40 Fn. 124, 43 f., 45, 52, 75, 110, 115, 163, 165, 167 Fn. 248, 181 Fn. 31, 184 f., 231, 321 Fn. 258, 327 f., 332 Fn. 29, 349 f., 352 Fn. 115, 380, 399 Fn. 132, 421, 425, 531 Fn. 133 Schnädelbach, H. 15 Scholz, O. R. 4 Schopenhauer, A. 380 Fn. 52 Schrempf, Ch. 154 Fn. 190, 157 Fn. 199 Schulz, W. 88 Fn. 107, 553 Schüßler, W. 56, 61, 221, 253 Fn. 172, 311, 391, 507, 512 – 514, 516 Schwanz, P. 35, 550 Fn. 1 Schwöbel, Ch. 221, 550 Fn. 1 Shakespeare, W. 311 Fn. 221 Sigwart, Ch. von 175 Simmel, G. 22, 175, 180, 187 Fn. 57, 213, 213 Spinoza, B. de 119, 234 Fn. 94, 575 Steinacker, P. 259 Fn. 192 Steiner, R. 546 Steudel, J. Ch. F. 421 Fn. 43 Stoellger, Ph. 48 Storr, G. Ch. 421 Fn. 43 Ströker, E. 363 Fn. 162 Sturm, E. 59, 61, 112 Fn. 7, 155 Fn. 194, 171, 219 f., 313, 326, 335 Fn. 48, 341 Fn. 71, 391, 560 Fn. 34 Süskind, F. G. 421 Fn. 43 Sydow, E. von 311 Fn. 220, 416
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Personenregister
Tetens, J. N. 79, 328, 332 Thielicke, H. 37 Tillich, H. 218 Fn. 13 Tittmann, J. A. H. 421 Fn. 43 Todorov, Tz. 5, 7 Track, J. 35, 507 Fn. 29 Trillhaas, W. 34 – 36 Troeltsch, E. 40 Fn. 124, 45 Fn. 146, 52, 99 Fn. 162, 112 Fn. 11, 246 Fn. 148, 424 – 427, 436 Ulrich, Th. 35 Urban, W. M. 411 Fn. 6, 465 Fn. 40, 491, 501 – 504, 506 f., 530 Vetter, M. 50 f. Vischer, F. Th. 2 f. Wagner, F. 229 Fn. 61, 253, 259 Fn. 192, 306 Fn. 198, 550 – 562, 566, 568, 569 Fn. 54
Wagner, H. 108 Fn. 192, 126 Fn. 64, 290 Fn. 136, 304 Fn. 193, 319 Fn. 251, 355, 356 Fn. 133, 366, 572 Wahl, H. 44 Walter, J. 1 Wegener, R. 72, 110, 112, 114, 140, 174 Fn. 7, 340 f. Weiß, J. 98 Fn. 159, 152 Fn. 179 Wenz, G. 38, 53 – 55, 57, 73, 81 f., 154 Fn. 185, 177, 191 Fn. 76, 213, 299 Fn. 175, 361 Fn. 156, 370 Fn. 11, 374 Fn. 23, 505 f., 551, 553 – 555, 557 – 560, 561 Fn. 35 Wertheimer, M. 390 Fn. 95 Wever, G. 110 Fn. 2 Windelband, W. 64, 78, 118 Fn. 25, 175, 204, 331 Fn. 28, 332 – 334 Wittekind, F. 60, 541 Fn. 189 Zahrnt, H. 37 Fn. 114 Zwingli, H. 415 Fn. 17
Schriftenregister (Belegstellen im Rahmen der ‚Erträge und Ausblicke‘ sind kursiv gesetzt) Antwort 218 Fn. 15 Auf der Grenze; GW XII, 13 – 57 73 Fn. 38, 87, 97 f., 153 Fn. 184, 177 Auszug aus einem Wingolf-Artikel: Über die Prinzipien des Wingolf; EW V, 47 72 Fn. 36 Autobiographical Reflections, siehe Autobiographische Betrachtungen Autobiographische Betrachtungen; GW XII, 58 – 77 74 Fn. 47, 173 Fn. 1, 444 Fn. 139 Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher (1915); EW IX, 435 – 592 59, 74, 111, 135 Fn. 103, 168 Fn. 253, 173 f., 188, 416 Fn. 19, 420 – 424, 434 f. Beitrag zum Wingolf-Rundbrief: Über das Wesen des Philosophen; EW V, 103 – 108 174 f. Bericht an den Herrn Feldpropst; GW XIII, 71 – 79 173 Fn. 1 Bericht über seine Tätigkeit auf einem Truppenverbandsplatz im feindlichen Feuer; EW V, 99 – 101 173 Fn. 2 Berliner Vorlesungen II (1920 – 1924); EW XIII 219 Fn. 20, 275, 311 Fn. 221, 389 Fn. 91, 473 Fn. 66 Briefwechsel, siehe Paul Tillich – Emanuel Hirsch Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart [Vorlesung]; EW XII, 27 – 213 216, 219, 225 – 231, 233 – 237, 239 f., 251 Fn. 164, 252 Fn. 168, 264 f., 267 Fn. 26, 270, 379 Fn. 47, 380, 430 – 434, 436, 441, 449, 451, 490, 538 f., 581 Christentum und Sozialismus; GW II, 21 – 28 174 Fn. 7, 413 f.
Christentums-Vorlesung, siehe Das Christentum und die Gesellschaftsprobleme der Gegenwart Die christl. Gewißheit u. der histor. Jesus. Materialien und Briefe zur Kasseler Pfingstkonferenz 1911/Vortrag auf der Kasseler Pfingstkonferenz 1911/Paul Tillich – Friedrich Büchsel; EW VI, 28 – 74 62, 66 f., 72, 77, 97 – 108, 109, 111, 118 f., 121, 126, 137, 139, 148 f., 151, 164, 171, 202 – 204, 206 Fn. 142, 237, 243 – 245, 249, 281, 325, 379, 389, 395 Fn. 113, 419 Das Dämonische. Ein Beitrag zur Sinndeutung der Geschichte; GW VI, 42 – 71 390, 391, 536 Fn. 158 Dialektische Theologie (1925) 439 Fn. 111 Dogmatik-Vorlesung (Dresden 1925 – 1927); EW XIV 60, 65 f., 112 Fn. 7, 164 Fn. 232, 216, 227 Fn. 55, 389 Fn. 91, 390, 391 f., 393 Fn. 104.106, 396, 398 Fn. 131, 412, 435 Fn. 96, 438 Fn. 109, 455 Fn. 4, 464, 480, 515 Fn. 62.65, 516 f., 525 f., 527 Fn. 118, 539 – 543, 545 f., 574, 576 Dresdner Dogmatik-Vorlesung, siehe Dogmatik-Vorlesung (Dresden 1925 – 1927) Dynamics of Faith, siehe Wesen und Wandel des Glaubens Encyklopädie der Theologie und Religionswissenschaft [Vorlesung]; EW XII, 259 – 295 214 f., 231 Fn. 75, 257 Fn. 186, 264 – 266, 268 f., 279 Fn. 92, 335 Fn. 45, 349 Fn. 101, 350 Fn. 105, 427 f. Erinnerungen an den Freund Hermann Schafft; GW XIII, 27 – 33 72 Fn. 34.36, 153 Fn. 184 Examensarbeit, siehe Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (1908)
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Schriftenregister
Examenspredigt über 1. Kor 3, 21 – 23 [Entwurf]; EW X, 1 – 8 325 Existential Analyses and Religious Symbols, siehe Existentialanalyse und religiöse Symbole Existentialanalyse und religiöse Symbole; GW V, 223 – 236 410
der supranaturalistischen Theologie vor Schleiermacher (1915) Hegel und die Erfassung des Göttlichen im Denken [Entwurf]; EW X, 387 – 403 572 Fn. 67 Hirsch-Briefwechsel, siehe Paul Tillich – Emanuel Hirsch
Fichte-Seminararbeit, siehe Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium (1906) Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium (1906); EW IX, 1 – 19 79 Fn. 66, 242 f., 247 f., 281, 325, 328 Die Freiheit als philosophisches Prinzip bei Fichte. Breslauer Promotionsvorlesung; EW X, 55 – 62 78 Fn. 60, 87 Fn. 99, 204 f. Der Freund Hermann Schafft; EW V, 28 f. 72 Fn. 36 Frühe Predigten (1909 – 1918); EW VII 173 Fn. 1 Frühe Seminararbeit, siehe Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium (1906) Früher Systementwurf, siehe Systematische Theologie von 1913 Frühes System, siehe Systematische Theologie von 1913
Kairos I; GW VI, 9 – 28 217, 436 Fn. 101, 527 Fn. 121 Karl Barth (1926); GW XII, 187 – 193 439 Kasseler Thesenreihe, siehe Die christl. Gewißheit u. der histor. Jesus. Materialien und Briefe zur Kasseler Pfingstkonferenz 1911/Vortrag auf der Kasseler Pfingstkonferenz 1911/Paul Tillich – Friedrich Büchsel Kirche und Kultur; GW IX, 32 – 46 292, 296 Fn. 168, 301, 522 Fn. 95 Kirchliche Apologetik; GW XIII, 34 – 63 110, 115 Fn. 19, 119 f., 137 – 139, 147 f., 155 Fn. 192, 564 Die Korrespondenz zwischen Fritz Medicus und Paul Tillich 314 Kritisches und positives Paradox; GW VII, 216 – 246 33, 217 f., 220 f., 412, 415, 437 f., 442 – 453, 453 f., 462 Fn. 29, 468 Kulturtheologie-Aufsatz, siehe Über die Idee einer Theologie der Kultur
Gläubiger Realismus I; GW IV, 77 – 87 528 Gläubiger Realismus II; GW IV, 88 – 106 389 Fn. 91 Gott und das Absolute bei Schelling [Entwurf]; EW X, 9 – 54 88 Fn. 107, 89 f., 94 Fn. 138, 139 Fn. 120, 235 Fn. 98, 420 – 423 Die Grundlage des gegenwärtigen Denkens [Entwurf]; EW X, 75 – 84 110 Fn. 5 Grundlinien des Religiösen Sozialismus; GW II, 91 – 119 218 Fn. 12 Habilitation, siehe Der Begriff des Übernatürlichen, sein dialektischer Charakter und das Prinzip der Identität, dargestellt an
Lizentiaten-Dissertation, siehe Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung Masse und Geist; GW II, 35 – 90 276, 279, 286, 312 Fn. 225, 416 – 419 Masse und Persönlichkeit, siehe Masse und Geist Masse und Religion, siehe Masse und Geist The Meaning and Justification of Religious Symbols, siehe Recht und Bedeutung religiöser Symbole Die Metaphysik des Geschehens [Entwurf]; EW XI, 175 – 188 498 Fn. 157, 547 Fn. 207 Monismusschrift, siehe Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und
Schriftenregister
dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (1908) Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung; GW I, 11 – 108 62, 65, 66 f., 68, 74, 76, 86, 88 – 93, 95, 96, 100 Fn. 168, 102 Fn. 175, 107 f., 109, 111, 118 f., 121, 137 – 139, 146 – 148, 151 Fn. 172, 155 f., 163, 178, 195 – 198, 235 Fn. 98, 325, 328, 332, 379, 414, 416 Mythos und Metaphysik [Entwurf]; EW X, 356 – 370 389 Fn. 91, 457 Fn. 12, 468, 529, 535, 548 Natur und Sakrament; GW VII, 105 – 123 457, 470, 472 Fn. 60, 480, 483 f., 488 – 490, 492 Fn. 136 Natur und Sakrament [Entwurf]; EW XI, 196 – 213 460 Fn. 20, 483, 485, 499 The Nature of Religious Language, siehe Das Wesen der religiösen Sprache On the Boundary, siehe Auf der Grenze Paul Tillich – Alfred Fritz [Briefwechsel]; EW VI, 75 – 86 67 f., 72, 74 Fn. 44, 75, 87 f., 440 Fn. 118 Paul Tillich – Emanuel Hirsch [Briefwechsel]; EW VI, 95 – 136 62, 72, 81 Fn. 75, 135 Fn. 103, 172, 174 – 196, 198 – 213, 213 – 215, 216, 223 f., 226, 227, 228, 231 f., 233 f., 235 Fn. 98, 238, 239 f., 257, 262 f., 264, 268 f., 274, 278, 279 Fn. 92, 284 Fn. 111, 289, 293, 325 f., 331, 339, 340, 342 f., 366, 373, 375, 379, 383, 386, 389, 393, 401, 409, 419, 427, 428, 435, 437, 443, 453, 456, 462 Fn. 30, 472, 473 Fn. 66, 515 Fn. 65, 522, 526 f., 532, 556 Fn. 24, 557, 567, 570 Paul Tillich – Friedrich Büchsel [Briefwechsel]; EW VI, 11 – 27 68 – 71, 74 Fn. 44, 77, 115 Paul Tillich – Richard Wegener [Briefwechsel]; EW VI, 87 – 94 72 Fn 34, 340 f. Paul Tillich an Alfred Fritz: Bericht über das Sommersemester 1907 [Brief]; EW V, 40 – 43 72 Fn. 36, 74, 75 f., 163
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Paul Tillich an Alfred Fritz: Der Semesteranfang in Berlin 1907/08 [Brief]; EW V, 44 – 46 72 Fn. 36 Paul Tillich an Amtmann Wilhelm Wever: Werbung um Greti [Brief]; EW V, 66 f. 110 Fn. 2 Paul Tillich an die Familie: Die Schlacht bei Tahure [Brief]; EW V, 91 – 95 173 Fn. 2 Paul Tillich an Maria Klein: Eindrücke von einer Hochzeit in Berlin [Brief]; EW V, 119 f. 173 Fn. 2 Paul Tillich an Maria Klein: Geburtstags-, Weihnachts- und Neujahrsbrief [Brief]; EW V, 120 f. 175 f., 178, 185, 189, 191 Philosophische Dissertation, siehe Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910) The Present Theological Situation in the Light of the Continental European Development, siehe Zur gegenwärtigen theologischen Lage (1949) Die prinzipiellen Grundlagen und die nächsten Aufgaben unserer Bewegung [Entwurf]; EW X, 237 – 263 257 Fn. 186, 308 Fn. 209, 389 Fn. 91, 440 – 442, 448 Fn. 157, 451 Das Problem der Geschichte; EW X, 85 – 100 110 Fn. 5 Probleme des Mythos 490 Fn. 129 Recht und Bedeutung religiöser Symbole; GW V, 237 – 244 31, 38, 410 f., 435, 498 Rechtfertigung und Zweifel; GW VIII, 85 – 100 217, 382 Fn. 57, 512 – 514, 515 Fn. 62, 516, 536 Fn. 162 Rechtfertigung und Zweifel [Entwurf]; EW X, 127 – 230 76 Fn. 54, 163 f., 200 Fn. 115, 201 Fn. 118, 219 f., 225 – 227, 229 – 235, 237 – 240, 267 Fn. 26, 326, 337, 340 Fn. 64, 342 – 345, 347, 356, 366, 380 f., 384, 389 Fn. 91, 400, 403, 427 – 433, 435 – 437, 532 Rejoinder 491 Fn. 132 Religion und Erneuerung [Entwurf]; EW X, 282 – 292 278 – 280, 335 Fn. 48, 515 Fn. 61
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Religion und Kultur [Entwurf]; EW X, 275 – 281 278 – 281, 335 Fn. 48, 444 Fn. 136, 515 Fn. 61 Religion und Kultur. Die Stellung der Religion im Geistesleben [Vorlesung]; EW XII, 297 – 332 220, 227 Fn. 53, 231, 254 f., 257 Fn. 186, 260, 262, 264 – 273, 282, 286, 292 f., 295 Fn. 165, 312 Fn. 227, 323, 386 Fn. 75, 389 Fn. 89, 570 Die religionsgeschichtliche Konstruktion in Schellings positiver Philosophie, ihre Voraussetzungen und Prinzipien (1910); EW IX, 154 – 272 59, 62, 65, 66 f., 68, 76, 86, 88 – 96, 99 Fn. 162, 107, 108 f., 112 Fn. 11, 121, 137, 139 Fn. 120, 146, 196, 227 Fn. 52, 235 Fn. 98, 325, 329 Fn. 20, 349 f., 379, 381, 398 Fn. 131, 415 f., 420, 424 Der Religionsphilosoph Rudolf Otto; GW XII, 179 – 183 206 Fn. 144 Religionsphilosophie; GW I, 295 – 364 57, 62 f., 65, 96 f., 212 Fn. 178, 218 f., 227 Fn. 54, 242 Fn. 123, 254, 256 Fn. 183, 261, 264 – 266, 271 Fn. 48.53, 275, 276, 279, 283, 284, 287 – 303, 305 – 310, 322, 323, 326 f., 335 f., 338 f., 371, 378, 383 – 387, 390 f., 401 Fn. 143, 407 f., 408 f., 412, 453, 455 – 457, 461, 462, 463 Fn. 33.35, 464 Fn. 38, 466, 468, 469, 475 Fn. 74, 478, 485, 491 f., 508 – 513, 515 Fn. 63, 516, 522 Fn. 95, 523 f., 525, 536 – 542, 544 f., 569 Religionsphilosophie [Vorlesung]; EW XII, 333 – 565 220, 228, 231, 254 Fn. 178, 260 Fn. 197.198, 266, 267, 268 Fn. 32, 273 – 287, 294, 295 Fn. 165, 300 Fn. 178, 301 Fn. 186, 303 Fn. 191, 321 Fn. 258, 323, 326, 330 f., 333, 335, 339 f., 344 Fn. 84, 348 – 352, 355, 356 Fn. 136, 357 Fn. 137, 358 Fn. 144.146, 362 Fn. 158, 365, 368, 372, 375 – 377, 380 Fn. 52, 383, 388, 400 Fn. 136, 434 – 436, 448, 515 Fn. 64, 516, 522 f. The Religious Symbol/Symbol and Knowledge (1940 – 1941); MW 4, 253 – 277 411, 465 Fn. 40, 491, 501 – 504, 530
Religious Symbols and Our Knowledge of God, siehe Das Wesen der religiösen Sprache Die religiöse Erneuerung des Sozialismus [Entwurf]; EW X, 311 – 327 268 Fn. 32, 539 Die religiöse Lage der Gegenwart (1926); GW X, 9 – 93 391 Das religiöse Symbol; GW V, 196 – 212 54, 57, 63, 227 Fn. 55, 401 Fn. 143, 404, 410, 411 f., 413, 414, 432, 449, 453, 455 – 466, 468 f., 475 Fn. 74, 479 Fn. 84, 480 – 483, 485, 486, 488 – 492, 498, 499 f., 501 f., 506 Fn. 24, 508 – 511, 518 – 522, 525, 530 – 537, 540 f., 542, 545, 548 f., 577, 581 Fn. 87 Religiöse Verwirklichung 221 Fn. 24, 411 Fn. 6, 414 Religiöser Sozialismus [Entwurf]; EW X, 330 f. 278 f. Religiöser Stil und religiöser Stoff in der bildenden Kunst; GW IX, 312 – 323 311 Fn. 220, 389 Fn. 91, 416 – 418, 484 Fn. 106, 537 Reply to Interpretation and Criticism 504 Fn. 15 Schelling und die Anfänge des existentialistischen Protestes; GW IV, 133 – 144 68 Fn. 16 Seminararbeit, siehe Fichtes Religionsphilosophie in ihrem Verhältnis zum Johannesevangelium (1906) Silvester 1914/15. Predigt, gehalten bei der 7. Res.-Div.; GW XIII, 80 – 82 173 Fn. 1 Der Sozialismus als Kirchenfrage; GW II, 13 – 20 174 Fn. 7, 416 Sozialismus und Christentum [Entwurf]; EW X, 231 f. 174 Fn. 7 Die sozialistische Entscheidung; GW II, 219 – 365 216 Spätes Hauptwerk, siehe Systematische Theologie (3 Bde.) Symbol and Knowledge, siehe The Religious Symbol/Symbol and Knowledge (1940 – 1941) Symbolaufsatz, siehe Das religiöse Symbol
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Symbols of Eternal Life 411 Fn. 5 Das System der religiösen Erkenntnis (1. und 2. Version) [Entwurf]; EW XI, 76 – 174 60, 63, 65 f., 211 Fn. 171, 227 Fn. 55, 277, 326, 347 Fn. 95, 370, 392 – 408, 409, 412, 428 Fn. 70, 437 Fn. 103, 438 Fn. 109, 456 f., 461, 463 Fn. 33, 466, 468, 469 f., 479 – 483, 502 Fn. 7, 504, 516 f., 518 – 521, 524 – 533, 536, 544, 545, 546 f., 576 Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden; GW I, 109 – 293 57, 62 f., 65 f., 115 Fn. 18, 127 Fn. 67, 212 Fn. 178, 218 f., 256 Fn. 183, 261, 264 – 266, 275, 276, 279, 284, 287 – 303, 305 – 310, 313 Fn. 228, 317, 323, 326 f., 331 f., 334, 338, 348 – 365, 366 f., 368 – 378, 380 – 388, 390, 394 Fn. 108, 399, 407, 408 f., 412, 453, 455, 457, 460 Fn. 20, 463 Fn. 33, 464 Fn. 38, 465 Fn. 41, 468, 469, 478, 485, 508, 510, 514 – 516, 523 f., 525, 537 f., 572 f. Systematic Theology, siehe Systematische Theologie (3 Bde.) Systematische Theologie (3 Bde.) 34 Fn. 104, 65, 98, 150 f., 177 f., 326 Fn. 9, 394 Fn. 108, 396, 398 Fn. 131, 411, 437 Fn. 103, 464, 470 Fn. 54, 503, 506, 518 Fn. 75, 543 Fn. 193, 552, 573 f., 578 Fn. 81 Systematische Theologie von 1913; EW IX, 273 – 434 59, 62, 65 – 67, 68, 71, 76 Fn. 54, 78, 80, 81, 90, 92 Fn. 126, 93, 111 – 118, 120 – 136, 138 – 153, 155 f., 157 Fn. 199, 159 – 162, 164 – 167, 169 f., 170 – 172, 177 f., 181 Fn. 32, 182, 192 Fn. 79, 195 – 198, 203, 205 f., 214, 219 Fn. 18, 223 f., 227, 237, 244 – 246, 259 Fn. 195, 287 Fn. 127, 291 Fn. 144, 307 Fn. 203, 325, 328 f., 332 f., 352, 354, 358, 374 Fn. 22, 379, 382 Fn. 59, 394 Fn. 108, 420, 424, 425 f., 433, 436 Fn. 102, 445, 538 f., 556, 563 – 567, 574 Tagebuch 1914; EW V, 70 – 73 Fn. 192
110 Fn. 2, 155
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Theodicee (1. und 2. Version) [Entwurf]; EW X, 101 – 113 234 Fn. 94, 349 Theologische Lizentiaten-Dissertation, siehe Mystik und Schuldbewußtsein in Schellings philosophischer Entwicklung Theology and Symbolism 411 Fn. 5 Thesenreihe, siehe Die christl. Gewißheit u. der histor. Jesus. Materialien und Briefe zur Kasseler Pfingstkonferenz 1911/Vortrag auf der Kasseler Pfingstkonferenz 1911/Paul Tillich – Friedrich Büchsel Über die Idee einer Theologie der Kultur; GW IX, 13 – 31 62, 176, 185 Fn. 46, 192 Fn. 79, 196 Fn. 99, 209 Fn. 161.162, 217, 219 – 227, 229 – 235, 239 – 242, 246, 249 – 262, 262 f., 264 – 266, 267, 269, 273, 275, 276 f., 278, 281, 285, 287 f., 312, 323, 325, 327 – 330, 333 f., 335, 338 Fn. 56, 342, 351, 366, 379 Fn. 47, 380 Fn. 52, 393, 398, 412, 414, 416, 453, 461 Fn. 25, 570 Die Überwindung des Religionsbegriffs in der Religionsphilosophie; GW I, 367 – 388 217, 326, 338, 436 Fn. 101, 438 Fn. 106, 443 Fn. 133 Die Umstellung der Debatte [Entwurf]; EW X, 328 – 334 271 Fn. 48, 301, 388 f. Das Unbedingte und die Geschichte [Entwurf]; EW X, 335 – 350 293 Fn. 154, 301, 309, 388 Vorlesung über Hegel (Frankfurt 1931/32); EW VIII 359 Fn. 150, 571 f. Was ist falsch in der ‚dialektischen‘ Theologie?; GW VII, 247 – 262 439 f., 444, 446 Fn. 149 Welche Bedeutung hat der Gegensatz von monistischer und dualistischer Weltanschauung für die christliche Religion? (1908); EW IX, 20 – 153 62, 66, 67, 68, 73 Fn. 40, 76, 77 – 86, 90, 92 Fn. 126, 95, 108, 136 – 138, 154, 156, 162, 163 f., 181 Fn. 30, 196 Fn. 98, 243 – 245, 248 f., 313, 325, 328, 333, 419
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Der Werdegang eines deutschen Theologen. Ein Brief an Thomas Mann; GW XIII, 22 – 27 72 Fn. 36, 73 Fn. 38, 153 Fn. 184 Das Wesen der Dogmatik und ihre gegenwärtige Lage [Entwurf]; EW XI, 55 – 62 339 Fn. 61 Das Wesen der religiösen Sprache; GW V, 213 – 222 410, 437 Fn. 103, 463 Fn. 31, 467, 470 – 472, 476 f., 479 Fn. 84, 482 Fn. 99.100, 486 Fn. 112.114, 487 Fn. 118, 498 Fn. 156
Wesen und Wandel des Glaubens; GW VIII, 111 – 196 411, 467 Fn. 46, 487 Fn. 118, 498 Fn. 156, 506 Fn. 24, 514 What is wrong with the Dialectic Theology?, siehe Was ist falsch in der ‚dialektischen‘ Theologie? Wissenschaftssystem, siehe Das System der Wissenschaften nach Gegenständen und Methoden The Word of God, siehe Wort Gottes Wort Gottes; GW VIII, 70 – 81 410 Zur gegenwärtigen theologischen Lage (1949); EW IV, 85 – 96 440, 448 Fn. 155
Sachregister (Belegstellen im Rahmen der ‚Erträge und Ausblicke‘ sind kursiv, Tillich’sche Termini technici in doppelte Anführungszeichen gesetzt) „Abgrund“, siehe „Grund/Abgrund“ Absolute, das/absolutheitstheoretisch, siehe auch Wahrheit/wahrheitstheoretisch, Absolute Wahrheit 33, 73 Fn. 40, 80 – 83, 91 – 94, 99 Fn. 162, 100 – 104, 108, 109, 113 Fn. 13, 114 – 117, 118 – 126, 127 – 136, 137 f., 142 – 146, 148 – 153, 161, 164, 168, 170 – 172, 182, 184 f., 190 – 192, 193, 194 f., 198, 205, 214, 224 – 229, 231, 237 f., 243, 258 – 260, 262, 263, 267 – 273, 280 f., 284 – 286, 290, 293 Fn. 154, 303 f., 305 f., 313, 315 – 322, 323 f., 335 Fn. 49, 343 f., 347, 355 Fn. 131, 357, 359, 363 – 365, 366 f., 371, 386 Fn. 75, 403 Fn. 154, 404 f., 423, 426, 429, 430 Fn. 79, 431 – 433, 437, 441, 443, 444, 503 Fn. 11, 526 Fn. 113, 536, 539, 545 Fn. 198, 546, 551 f., 553 Fn. 7, 554 – 556, 559 f., 563 – 566, 568 f., 572 f., 577 – 579 – Das A. „ist ein Götze“ 81, 182 – ‚Doppeltes‘/‚zwiefaches‘ A., siehe Unbedingte, das/unbedingtheitstheoretisch, ‚Doppeltes‘/‚zwiefaches‘ Unbedingtes Akt/akttheoretisch 100 f., 128, 223 f., 280 f., 284 – 287, 351, 354 f., 371, 382 Fn. 59, 389, 392, 396 – 408, 409, 474 – 478, 509 – 511, 513, 516 – 518, 519 f., 521, 527, 530 – 534, 539 f. – „Bewusstseinsa.“ 357 Fn. 137, 364, 368 Fn. 3 – „Geistiger A.“ 288 f., 308 f., 340, 382 Fn. 59, 384 f., 397, 399 Fn. 132 – „Glaubensa.“ 196 Fn. 98, 344, 509, 513, 515 Fn. 63 – Intentionaler A. 326, 345, 354, 363, 382, 409, 511, 533 Fn. 144 – und Meinen, siehe „Meinen“, Akt und Meinen – A./Potenz 223 f., 338
– „Religiöser A.“ 96, 224, 277 Fn. 78, 285 Fn. 117, 338 Fn. 56, 392, 396 – 408, 409, 468, 480, 509 Fn. 40, 516 – 518, 519 f., 520 Fn. 84.85, 522 Fn. 93, 527, 530 – 534, 539, 548 – „Sinna.“ 289, 293, 301, 384 – Sinngebender/sinnerfüllender A. 308, 334, 346, 351, 355 f., 476 – Theoretischer/praktischer A., siehe „Theoretisch/praktisch“ (geist- und kulturtheoretisch) Allegorie 2, 5, 6 Fn. 17 Analogie 9 – 13, 26 – 30, 70 Fn. 27, 423, 501 – 503, 506 f., 547, 548 f., 577 f. – Analogia attributionis (Attributionsa.) 10 – Analogia entis 502 f., 507 – Analogia imaginis 37, 506 – Analogia proportionalitatis (Proportionsa.) 10, 13, 507 Fn. 29, 547, 548 f., 577 Anschauung, siehe auch Vorstellung 9 – 12, 15 Fn. 43, 17 Fn. 49, 105, 128 Fn. 76, 190, 348 Fn. 97, 351, 356, 363, 431 f., 461, 463, 465, 499, 515 Fn. 63, 520 Fn. 84, 522 Fn. 93, 532 Fn. 141, 547 Fn. 207 – „A.sform“ 358 Fn. 144, 429, 433 – 435, 453 – Intellektuelle A. 70, 317, 321 Fn. 258, 350 – „Selbsta.“ 317, 350, 374 – Sinnliche A., siehe Sinnlichkeit Anschaulichkeit, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Anschaulichkeit“ 24 f., 191, 335 Fn. 45, 343 f., 413 f., 428 – 430, 437, 449 f., 461 – 466, 532 f., 548, 577 f. – „Una.“ 449 f., 461 f., 466, 482, 525 Antinomie 33, 91, 140 Fn. 122, 141, 144, 152, 166, 171, 442 Fn. 130 Apologetik 73, 110 f., 114, 115, 117, 122, 137 f., 141, 143, 147 f., 169, 238, 415 Fn. 17, 564
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Sachregister
Apriori/Apriorizität 280 – 283, 304 f., 323, 426 – Regulatives und konstitutives A. 305, 323, 568 Ästhetik, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, und Ästhetik 79, 104, 155, 157 Fn. 198.200, 175, 180 Fn. 28, 207, 209 – 211, 224, 241, 284, 296, 311 f., 330, 333, 334, 335 Fn. 45, 353, 388 f., 416 f., 419, 433, 453, 460, 481 Fn. 95, 493 f., 537 f., 575, 579 Fn. 84 Atheismus 178, 191 Fn. 76, 315, 401, 531 Fn. 136 Aufheben 84, 120, 131, 144 f., 160, 181 Fn. 33, 190, 196 Fn. 98, 396, 399 – 402, 432, 447, 526 Fn. 117, 530 – 532, 534, 565, 580 – „Selbstaufhebung“, siehe auch Negation, Selbstnegation/Selbstverneinung 124 f., 134 – 136, 142 f., 150 – 152, 165, 168, 171, 205, 538 – 541, 565 – „Setzen und A.“, siehe Setzen, „Setzen und Aufheben“ Ausdruck/„Ausdrucksform“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Uneigentlichkeit“ 21, 23, 26 – 28, 63, 184, 194 Fn. 86, 224, 237, 239, 259, 278 Fn. 84, 279 Fn. 91, 309, 314, 316, 345 – 347, 353 Fn. 119, 356, 412, 417 f., 425, 434, 437, 441, 453, 455 – 498, 499 f., 504, 508 – 512, 516 f., 520, 523 f., 525 f., 531 – 547, 548 f., 573 Fn. 72, 574 – 581 – „A.skraft“/„A.swahrheit“, siehe Symbol/ symboltheoretisch, „Ausdruckskraft“/ „Ausdruckswahrheit“ „Autonomie“/autonom 69, 92 f., 99 f., 107 Fn. 187, 233 Fn. 85, 240 – 250, 252 Fn. 168, 255, 257 Fn. 188, 258, 260, 263, 281, 302 f., 312, 314, 316, 318, 320, 322, 384, 414, 513 Fn. 54 – und „Heteronomie“/„Theonomie“ 85, 222, 240 – 250, 263, 302, 312, 515 Fn. 61 „Bedeutung“, siehe auch Sinn/sinntheoretisch 84, 150 – 152, 177, 205 f., 230, 236 f., 238, 239 Fn. 114, 251, 255 – 257, 263, 269 f., 286, 293 Fn. 154, 298
Fn. 173, 301, 316, 345 – 347, 356 Fn. 136, 380 f., 385 Fn. 73, 389, 406, 411, 414, 417 f., 420, 468, 469 Fn. 53, 470 Fn. 54, 471, 473 – 476, 492 Fn. 136, 499, 537, 543 Fn. 193, 580 Begriff 105, 121, 123 f., 127 – 130, 132 f., 134, 135, 139 f., 143 f., 151 f., 159 – 161, 171, 201, 344 f., 358, 379 Fn. 45, 389 Fn. 89, 436 Fn. 102, 437, 462, 464 f., 468, 469, 478, 479, 498 Fn. 157, 499, 508, 532 Fn. 141, 537 f., 564 – 567, 580 – Reflexionsb.e 251 – 256, 258 f., 261 f., 263, 285 Bestimmen, siehe auch Sinn/sinntheoretisch, „Sinnerfüllung“, phänomenal 12, 24, 28, 127 – 130, 133 f., 150, 252, 255 f., 258, 260, 263, 304, 308 – 310, 322, 357 – 359, 365, 374 – 376, 380, 388 – 390, 404, 531, 541, 543, 564 f., 575 f., 577, 579 Bewusstsein/bewusstseinstheoretisch, siehe auch Geist/geisttheoretisch 23, 58, 62 f., 92, 102 f., 105 – 108, 128 – 136, 140 Fn. 121, 147 Fn. 152, 170 f., 183 – 198, 199, 200 f., 205, 208 – 212, 213 – 215, 223 – 228, 235 – 240, 241 f., 268 f., 272 f., 274, 276 f., 277 – 287, 288, 290 – 309, 314, 323, 325 – 366, 366 f., 368 – 377, 383, 386, 388, 390, 392, 395, 396 – 408, 408 f., 428 – 432, 463, 465, 474, 475 Fn. 73, 476, 478 f., 498, 509 – 512, 513 Fn. 54, 514 – 516, 518, 520, 522 f., 526 – 536, 538, 541 Fn. 189, 543 f., 545, 548 f., 553, 557 f., 561 Fn. 35, 570 – 573, 577, 578 – 581 – ‚Dreistelligkeit‘, siehe ‚Dreistelligkeit‘ – Elementen- und Typentheorie des B.s 131, 291 – Intentionales B., siehe Intentionalität/Intentionales Bewusstsein – ‚Sachverhalt B.‘ (Cramer) 349, 355, 366, 367, 376, 408 – ‚Satz des B.s‘ (Hegel) 359 – 364 – Selbstb. 92, 102 f., 105 f., 131, 184, 361 f., 364 Fn. 163, 371 – 374, 384 f., 408 – Sinnb. 272, 288, 290 – 309, 387 Fn. 82, 567, 569
Sachregister
– und Sprache, siehe Sprache/Sprachphilosophie, und Bewusstsein/Geist – „Unendlichkeitsb.“ 185, 188 – 192, 526 f., 567, 570 – Wahrheitsb. 67, 71, 100 – 104, 114, 121 – 124, 126 – 136, 140 Fn. 121, 141 – 153, 166, 170 f., 237 f., 291 Fn. 144, 325, 352 f., 564 f. – „Wertb.“ 104 – 106, 185, 188, 190 – 192, 209 – 212, 567, 570 – Zuständlichkeitsb., reines 184 – 186, 187 Fn. 57, 208, 214, 269, 343, 531 Fn. 133 Bild 1 f., 4, 6 f., 9 f., 13, 18, 24 Fn. 73, 29, 31, 105, 151 Fn. 171, 189, 413 f., 430 Fn. 80, 494 f., 497, 537 f. Christologie 71, 76, 77, 82, 84 – 86, 97 f., 108 f., 136 – 138, 141, 142 Fn. 129, 144 f., 148 – 152, 156, 158 – 161, 168 f., 171, 205 f., 243 f., 245 f., 411, 420 – 424, 432 f., 441, 447, 451 – 453, 453, 539 Fn. 173, 545, 573 f. – Inkarnationsgedanke 85 f., 137, 158 f., 161, 169, 420 – 422 – Jesus, historischer 1, 97 f., 101 – 103, 106, 107 Fn. 190, 109, 149 – 152, 168, 202, 243 f., 447, 451 f., 463, 574 – „Kreuz“ 85 f., 137, 150 – 152, 160, 205 f., 432 f., 441, 463, 479, 491, 539 Fn. 173, 543 – 545, 574, 577 – Logos-C. 149 f., 205 Fn. 139 – und Paradox, siehe Paradox, und Christologie „Dämonische, das“, siehe auch Symbol/ symboltheoretisch, Wächterfunktion 535 f. „Darstellung“, siehe auch Ausdruck/„Ausdrucksform“ 6 f., 9, 11, 24, 168, 250, 252, 315, 349, 451, 452 Fn. 173, 460 f., 473 Fn. 66, 487 Fn. 118 Denken 21, 28, 62 f., 65 – 67, 69, 76, 78, 79 f., 82 f., 116 f., 120 – 136, 138, 140 Fn. 122, 141 – 146, 150, 152 f., 155 Fn. 195, 163, 165 f., 169 Fn. 255, 170 f., 179, 180 f., 196 f., 274, 277, 279 – 284, 290 Fn. 136, 296 Fn. 168, 300 Fn. 178,
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313 Fn. 228, 319 f., 326 – 335, 348 – 366, 366 f., 368 – 378, 383, 385, 386 f., 388, 389, 399, 408, 437, 515 Fn. 65, 523, 529 f., 563 – 566, 570 – 573 – „D. aus Not“/Not des D.s 76, 143, 146, 163, 169, 239 Fn. 114, 342 – „D.“ und „Sein“ 63, 66, 274, 277, 282 f., 290 Fn. 136, 296 Fn. 168, 313 Fn. 228, 319 f., 326 f., 330 – 332, 335, 348 – 366, 366 f., 368 – 378, 383, 385, 386 f., 399, 408, 570 – 573 – „D.“ und „Wahrheit“ 62, 66 f., 116 f., 120 – 136, 141 f., 150, 152 f., 170 f., 352 f., 437, 563 – 566 – und Erkennen (erkenntniskritisch) 8 – 13, 501 – 503, 527 – 530 – „Selbstaufhebung“, siehe Aufheben, „Selbstaufhebung“ – System des D.s, siehe System/Systemgedanke, System des Denkens ‚Denotation‘, siehe ‚Exemplifikation/Denotation‘ (Goodman) ‚Designat‘/‚Denotat‘ (Morris) 461 f., 466 Deutung, siehe auch „Erfahrung“/„Erleben“, und Deuten; Hermeneutik 41, 43, 45, 183, 186, 187, 199 – 203, 205 f., 214, 226, 255, 284, 388 – 390, 391, 405 Fn. 159, 409, 418, 575 f. Dialektik, siehe auch Polarität 28 f., 96, 104, 106 – 108, 109, 119 Fn. 29, 121, 123 f., 130 – 135, 137, 140 Fn. 122, 141 – 145, 148, 158, 173, 190 f., 196, 204, 297, 338 Fn. 53, 349 Fn. 101, 350 f., 366 f., 400 f., 423, 442 – 453, 454, 505, 524 Fn. 102, 526 f., 530 – 534, 541, 545, 553 Fn. 7, 554 Fn. 12, 555 f., 558, 564 – 573 – „D. des Supra“ 168 Fn. 253, 188, 190 f., 435 Fn. 96 – ‚Symbold.‘, siehe Symbol/symboltheoretisch, ‚Symboldialektik‘ Dialektische Theologie, siehe Theologie, Dialektische T. Diastase, siehe auch Theologie, Dialektische T. 319, 446, 448, 450, 453, 454, 556 „Dimension“/„Schicht“ 498, 518 f., 546, 547 Fn. 207
626
Sachregister
„Ding“, siehe auch „Gegenstand“/gegenständlich 10, 16 f., 24 Fn. 73, 189, 228, 232 – 237, 269 – 272, 276, 293, 307 – 309, 335 Fn. 45, 342, 389, 405, 473 Fn. 66, 492, 496, 498, 526, 546, 547 Fn. 207 Dogmatik 34 Fn. 104, 36, 49, 71, 73 f., 111, 115 f., 126, 153, 164 Fn. 232, 165, 186, 224, 231, 266, 390, 391 f., 394, 396, 411, 415 Fn. 17, 424 – 428, 437 f., 446 – 449, 452 f. 454, 455, 464, 503, 516 f., 521, 552 – Materiale D., siehe auch Christologie; Eschatologie; Gottesgedanke; Offenbarung; Rechtfertigung; Sakrament; Trinität 38, 61 Fn. 203, 71, 86, 94 f., 98 f., 141 f., 145 – 153, 157 – 161, 168 – 170, 171, 411, 446 f., 450 – 452, 454, 455 Fn. 4, 503, 532 f., 540 – 543, 545, 552, 574, 578 Fn. 81 Dogmatismus, siehe Realismus „Doppelheit“, siehe Prinzip/prinzipientheoretisch, „Prinzip des Sinns“/„Sinnelemente“/„Doppelheit“ ‚Doppelwerk‘ 62, 65 Fn. 2, 218 f., 264 – 266, 275, 279, 287 – 290, 301, 310, 323, 326 f., 370, 390 Fn. 95, 408 f., 412, 453, 455, 485, 508, 518, 525, 537 ‚Dreistelligkeit‘ 46 Fn. 147, 49 f., 356 Fn. 135, 364, 402 f., 408, 409, 499, 510 – 512, 515 Fn. 63 „Durchbruch“, siehe auch Offenbarung 224, 254, 311 Fn. 221, 321 Fn. 258, 397, 528, 536 Fn. 162, 557, 566, 569 f. „Durch-hindurch“ 128, 233, 239, 263, 275, 335 Fn. 49, 342, 344 f., 356, 366, 389 Fn. 89, 402 f., 407 f., 417, 443 Fn. 131, 449 Fn. 164, 451 Fn. 171, 475 Fn. 73, 509, 514, 516 f., 523, 542 f. Einbildungskraft, siehe Phantasie „Ekstase“, siehe auch Transzendenz/Transzendieren; Unendliche, das/Unendlichkeit, „Innere Unendlichkeit“ 523, 524 Fn. 103, 538 f. „Erfahrung“/„Erleben“ 69, 166, 177, 183 – 186, 193 Fn. 84, 194 Fn. 86, 199 Fn. 110, 200 Fn. 113, 201, 207 f., 214, 225 – 232,
236, 238 f., 252, 254, 263, 275, 278, 283, 286, 292, 335 Fn. 49, 350 Fn. 105, 356 Fn. 136, 389, 392 Fn. 101, 425, 431 – 433, 441, 461 Fn. 25, 470 Fn. 54, 491, 502, 514 Fn. 55, 527 Fn. 121, 539 Fn. 173, 545 – und Deuten 183, 185 f., 199 – 201, 202, 214, 226, 389 – Religiöse(s) E. 40 – 45, 183 – 186, 188, 200 f., 207 f., 214, 225 – 232, 234 – 240, 243 f., 263, 275, 277 f., 283 f., 286, 342 – 344, 425, 428 – 434, 440 – 442, 502, 512 – 514, 545, 577 – und Symbol, siehe Symbol/symboltheoretisch, und Erfahrung/Erleben Erfüllung, siehe auch Sinn/sinntheoretisch, „Sinnerfüllung“, phänomenal; transzendental 212, 252 Fn. 168, 294 Fn. 159, 302, 304, 306, 343, 351 f., 355 f., 387, 405, 429 Erkenntnistheorie/-kritik 3, 8 – 14, 16, 18 – 21, 32 f., 51, 67, 70 f., 76, 78, 84, 88 – 90, 92 – 94, 96 f., 98 – 104, 106 – 108, 108 f., 111, 115 – 119, 122, 128 Fn. 76, 130, 141 f., 152 f., 165 – 170, 171, 180 f., 192, 210 f., 231, 249 f., 263, 274, 276 f., 285 – 287, 296, 310, 321 f., 338 Fn. 53, 348 – 353, 354, 356 f., 364, 394 – 396, 422, 425 – 427, 436, 481, 501 – 508, 518, 526 – 530, 533 f., 574, 577 f. „Erleben“, siehe „Erfahrung“/„Erleben“ Erscheinung 6, 19, 29, 244, 252, 259 f., 305, 331 Fn. 27, 358, 374 Fn. 23, 376 f., 450 f., 461 Fn. 25, 498, 519 Fn. 78, 534, 546, 561 Eschatologie 1, 141, 144 f., 152 f., 171, 448 Fn. 157, 581 Fn. 87 Ethos 455, 523 – 525 ‚Exemplifikation/Denotation‘ (Goodman) 494 – 498, 500 Expressionismus 311 f., 419, 473 Fn. 66 ‚Extension‘, siehe ‚Intension/Extension‘ „Forderung“, siehe auch Geltung 245, 272, 292, 294 f., 306, 314, 385 Form 9 f., 21, 43, 129, 137, 168 f., 183 Fn. 40, 184, 188, 192, 193 Fn. 84, 194
Sachregister
Fn. 86, 224 Fn. 40, 241, 245, 250 – 262, 263, 264 – 267, 274 – 286, 288, 290 Fn. 136, 291, 294 – 322, 323 f., 327, 335 Fn. 48, 342, 348, 352 Fn. 114, 380, 384 – 386, 387, 389, 402 Fn. 146, 408, 408, 425, 444, 478, 485, 492, 508, 538, 539, 551, 555, 557, 560, 561, 566 – 570, 580 – Allgemeinheit der F., strikte 280 f., 295, 323, 385, 408 – „Anschauungsf.“, siehe Anschauung, „Anschauungsform“ – Apriorizität der F. 280 – 283, 304 f., 323 – „Ausdrucksf.“, siehe Ausdruck/„Ausdrucksform“ – Enge und weite Fassung 212 Fn. 177, 276, 281, 298 f., 306 Fn. 198, 307, 323, 567 – ‚F./Gehalt‘- bzw. ‚F./Inhalt‘-Schema, siehe Form, ‚Form/Materie‘-Schema – ‚F./Inhalt-Gehalt‘-Schema 62, 192 f., 212 f., 214, 219, 222, 240, 246, 255 – 262, 263, 265 f., 274 – 277, 281, 291, 303 – 305, 310 – 322, 342, 402 Fn. 146, 569 f. – ‚F./Materie‘-Schema 57, 62, 240, 246, 250 – 259, 260, 262, 263, 274 – 277, 278, 291, 303 f., 310 – 312, 315 f., 318, 327, 389, 551 f., 555, 557, 560, 566 – 570 – Inhalts- und F.begriff 193 Fn. 84, 261, 276 f., 298, 402 Fn. 146 – „Sinnf.“ 219, 254, 257 Fn. 187, 265, 288, 290 f., 297 – 299, 301 – 307, 308, 386, 406, 566 – 568 – ‚Symbolische F.‘ (Cassirer) 18 – 31, 32, 43, 45, 50, 241, 296 Fn. 168, 408, 425, 481, 494 – „Unbedingte F.“ 212 Fn. 177, 219, 245, 256 Fn. 185, 261, 278 – 284, 285, 288, 291, 294 f., 297 – 299, 300, 302 – 307, 309, 312, 314, 316, 319 f., 322, 323 f., 335 Fn. 48, 352 Fn. 114, 384 – 386, 387, 408, 444, 561, 567 – 569 Freiheit, siehe auch „Autonomie“/autonom 23 f., 27 f., 85, 88 Fn. 107, 92 – 94, 120 Fn. 35, 128, 185, 201 f., 204, 223 Fn. 36, 244, 246, 249, 303, 315 f., 318 – 321, 379 – 382, 424
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Funktion 16, 20 f., 27, 196, 209 Fn. 162, 241 f., 274 Fn. 65, 277 f., 296 Fn. 168, 327 – 335, 353 – „Geistesf.“ 197, 210, 274, 296 Fn. 168, 327 f., 331, 335 Fn. 49, 353, 366, 386, 388 f. – „Kulturf.“ 209, 223 f., 241 f., 250, 257 Fn. 188, 288, 328, 330, 332 – 334, 386 – „Religiöse F.“ 181 f., 274, 277 f., 296 Fn. 168, 327 – 329, 333, 335 Fn. 49, 353 – „Sinnf.“ 288, 296, 298, 309, 386 – Theoretische/praktische F., siehe „Theoretisch/praktisch“ (geist- und kulturtheoretisch) Gebet 147, 196 Gefühl 79, 181, 184 f., 196 f., 200, 235, 278 Fn. 83, 286, 321 Fn. 258, 327 – 334, 344, 399 Fn. 132, 425, 460 Fn. 20, 520, 530 f. „Gegenstand“/gegenständlich, siehe auch „Ding“ 11 f., 15 Fn. 43, 17, 21, 26, 80, 89, 129, 165, 175, 179 f., 183 f., 187 Fn. 57, 188 – 191, 199, 207 f., 210 f., 213, 214, 228, 231, 232, 234, 235, 255, 258, 263, 267, 269 Fn. 39, 277 Fn. 77, 330, 337 Fn. 52, 338 Fn. 53, 340, 342, 345 – 347, 351 f., 354, 358, 362 – 365, 366 f., 368, 374 – 377, 388 f., 393 Fn. 106, 396 – 402, 404, 408 f., 428 – 432, 435, 441, 443, 449, 456 f., 460 – 463, 466, 468 – 479, 484, 487, 492, 493, 494 – 498, 499, 509, 515 Fn. 63, 516, 520 Fn. 85.87, 526, 529 f., 530 – 534, 535, 538 f., 541, 542 f., 544 f., 547 Fn. 207, 575 f., 579 – „G.ssymbole“, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Gegenstandssymbole“ – ‚Intentionaler G.‘, siehe auch Inhalt, Geisttheoretisch; Symbol/symboltheoretisch, „Vertretung“ 340, 345 – 348, 351 – 353, 355 f., 363, 366 f., 368, 374 f., 396 – 408, 409, 471 – 477, 484, 487, 499, 515 Fn. 63, 516, 520 Fn. 85 Gehalt, siehe auch Sinn/sinntheoretisch, „Unbedingter Sinngehalt“ 19, 21, 26, 28, 57, 62, 104, 192 f., 212 Fn. 177, 213, 214, 219, 222, 240, 246, 250 – 262, 263, 264 – 266, 267, 274 – 278, 281 – 287,
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Sachregister
288, 290 Fn. 136, 294, 296 Fn. 168, 298 – 300, 302 – 307, 309 – 322, 323 f., 327, 342, 348, 352 Fn. 114, 356 Fn. 136, 387, 389, 402 Fn. 146, 407 f., 417, 435, 444, 469, 483, 492, 538 Fn. 169, 551 f., 555, 557, 561 f., 566 – 570, 579 – Bewusstseinstheoretische/substantialistische Fassung 234, 255 f., 258, 284 – 287, 291, 314 Fn. 232, 318, 322, 323, 327, 406 – 408, 409 – ‚Form/G.‘-Schema, siehe Form, ‚Form/Materie‘-Schema – ‚Form/Inhalt-G.‘-Schema, siehe Form, ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schema – Hypostasierung des G.s, siehe Unbedingte, das/unbedingtheitstheoretisch, Hypostasierung – „Reiner G.“ 251, 253, 262, 275, 322 – Religiöser G. 219 Fn. 20, 252 Fn. 168, 257, 263, 285, 322 Geist/geisttheoretisch, siehe auch Bewusstsein/bewusstseinstheoretisch 8 – 13, 19 – 21, 23 – 31, 48, 49 f., 58, 59, 62 f., 93, 98, 99 – 108, 126, 130, 146 f., 186 – 198, 203 – 205, 207, 208 – 212, 214, 223 f., 235, 244, 258, 270, 274, 289, 308 – 310, 325 – 335, 344 f., 352 Fn. 114, 355, 357, 361 f., 364 Fn. 163, 366 f., 368 – 408, 408 f., 410, 417 Fn. 26, 446, 455, 459, 463, 465 Fn. 41, 474, 475 Fn. 73, 478 f., 480, 485, 489, 492, 498, 509 – 512, 514 – 516, 523, 524, 526 – 528, 536, 543 f., 545, 547 Fn. 207, 548 f., 553, 557 f., 561 Fn. 35, 570 – 573, 576, 577, 578 – 581 – Differenzmoment/Spannung 29 f., 63, 107 f., 141 f., 144 f., 171, 192 f., 196, 268, 272, 291, 297, 324, 355, 361, 366, 370 Fn. 11, 373 f., 381, 383, 385 f., 408, 412, 566, 572 f., 574, 580 – „G.esfunktion“, siehe Funktion, „Geistesfunktion“ – und G.eswissenschaften 18 – 20, 22 Fn. 67, 124, 126 f., 288, 289, 309 f., 573 – „G.tragende Gestalt“, siehe Gestalt/Gestalttheorie, „Geisttragende Gestalt“
– ‚Konstitutionstheorie des G.s‘ 369 f., 371 – 377, 378, 383 f., 387 f., 390, 408 f. – „Monismus des G.es“, siehe Monismus, „Monismus des Geistes/Sinnes“ – und Sinn 20, 59, 62 f., 187 f., 209, 212, 215, 238, 270, 272, 273, 288 – 290, 291, 308 – 310, 325 – 327, 365, 367, 383 – 390, 408 f. – und Sprache, siehe Sprache/Sprachphilosophie, und Bewusstsein/Geist – ‚Strukturtheorie des G.s‘ 369 f., 375, 377 – 390, 408 f. – „Subjektiv-objektiver Charakter“ 182, 186, 373 Geltung, siehe auch „Forderung“; Wert/werttheoretisch 31, 119 f., 151 Fn. 171, 190 – 192, 243, 274, 279 – 282, 283, 294 f., 352 f., 380 – 385, 395, 417 f., 421, 537 f., 574 Gestalt/Gestalttheorie 390 Fn. 95, 392, 463, 551 f., 561 – 563 – „Geisttragende G.“ 289, 308, 334, 369 Fn. 10, 376 Fn. 29, 390 Fn. 95, 515 Fn. 65 Gewissheit 98 – 108, 109, 152, 163, 167 Fn. 248, 180 – 188, 200, 203 Fn. 127, 243 f., 335 Fn. 49, 380, 557 f., 570 Glaube 41, 47 – 49, 79 f., 98, 100, 107 Fn. 190, 109, 137 – 139, 146 f., 148, 150, 152, 164, 180, 182, 183, 196 Fn. 98, 198, 206 Fn. 142, 230, 238, 301, 328 Fn. 15, 342 – 345, 366, 398 Fn. 130, 408, 449 Fn. 163.164, 450, 475 Fn. 74, 492 Fn. 136, 509 – 516, 536 – „G. ohne Gott“, siehe Paradox, „Paradoxie des ‚Glaubens ohne Gott‘“ – und Wissen 139 f., 159 f., 162 Gleichnis 1 f., 4 Gottesbeweis 290 f., 292 f., 300, 303, 568 Gottesgedanke 12, 33, 69 – 72, 80, 84 Fn. 84, 89, 94, 96 f., 119 f., 160 f., 168, 175, 178, 179 – 183, 187 Fn. 55, 189 – 192, 193 Fn. 84, 200, 208, 212, 213 Fn. 180, 214, 290, 318, 417, 441, 443 f., 453, 498, 501 – 503, 505, 512 – 514, 518 Fn. 75, 519, 529, 532 – 534, 542, 558 f., 559 f. 568 f., 580 – „Majestät Gottes“ 440, 443 f., 446
Sachregister
– und Weltgedanke, siehe auch Welt/Weltgedanke 94, 208 – 212, 234, 297, 446, 568, 580 „Grund/Abgrund“ 297, 305 – 307, 322, 323, 407, 444, 502, 536, 545 Fn. 198, 559, 569 Gültigkeit, siehe Geltung Heilige, das 139, 185 Fn. 46, 206 Fn. 144, 222, 236 Fn. 100, 285 Fn. 117, 314, 333, 413, 432, 492, 509, 511, 512 f., 516 Fn. 68, 519 Fn. 81, 524 Fn. 103, 536, 538 f., 544 f. – „Heilig und profan“ 432, 446 f., 490, 492 Hermeneutik, siehe auch Kultur/Kulturtheorie, Kulturhermeneutik 21, 34, 41, 252 Fn. 168, 389 f., 570 „Heteronomie“ 85 Fn. 94, 222, 240 – 250, 258 – „Autonomie“, „H.“ und „Theonomie“, siehe „Autonomie“/autonom, und „Heteronomie“/„Theonomie“ Historismus, siehe Philosophie, Geschichtsphilosophie ‚Hylemorphismus‘, siehe Form, ‚Form/Materie‘-Schema ‚Icon‘/‚Index‘ (Peirce) 49 f. Idealismus 15, 171, 204, 214, 231, 290, 309, 312, 320 f., 387 Fn. 82, 481, 485, 558 – ‚Abkehr vom I.‘ (Wenz) 177 – 179, 191 Fn. 76, 213, 214 – Konstitutionsi. 100 f., 128, 308, 320 – Nachkantischer I. 7, 13, 70, 74 – 78, 80 f., 83 f., 85, 86, 95, 108, 111, 118, 131, 134 – 136, 157 Fn. 198, 162, 170, 170 f., 177 f., 204, 214, 228, 231, 243, 249, 290, 316 f., 325, 331, 350, 362 Fn. 159, 371 f., 422 – Neu/Neo-I. 32 f., 108, 170, 177 – 179, 213, 249 f., 263, 312, 325 Identität 118 f., 124 Fn. 56, 129, 146 f., 196, 198, 279 – 281, 283, 350 Fn. 105, 351 f., 355, 365, 422 f., 505, 563 f. – Abstrakte und dialektische Fassung 106 – 108, 109, 121, 125 f. – und Differenz (prinzipientheoretisch), siehe auch Monismus, und Dualismus 89,
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90 – 92, 93, 106 – 108, 108 f., 120 f., 123, 125 f., 135, 350 Fn. 105, 422 f., 564, 572 – ‚I. von I. und Differenz‘ (Wenz) 55, 361 Fn. 156, 370 Fn. 11, 374 Fn. 23, 553, 561 Fn. 35 – I.sprinzip („Ich = Ich“) 90 f., 93, 99 – 108, 109, 125, 244, 279 – 281, 283 Imperativ, kategorischer 242, 244 f., 279 – 281, 283 Inhalt 4, 9 f., 79, 120 Fn. 35, 167 Fn. 248, 176, 280, 311, 316, 421, 528 – ‚Form/I.-Gehalt‘-Schema, siehe Form, ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schema – ‚Form/I.‘-Schema, siehe Form, ‚Form/Materie‘-Schema – Geisttheoretisch, siehe auch „Gegenstand“/gegenständlich, ‚Intentionaler Gegenstand‘; Symbol/symboltheoretisch, „Vertretung“ 276, 340, 342, 345 – 347, 375 f., 392, 394 – 396, 401 – 403, 405 – 407, 408 f., 468, 474, 475 Fn. 73, 476 Fn. 77, 480, 498, 516 f., 520, 534, 536, 541 Fn. 189, 546 – I.s- und Formbegriff 193 Fn. 84, 261, 276 f., 298, 402 Fn. 146 – Sinntheoretisch, siehe auch Sinn/sinntheoretisch, „Einzelner Sinn“/„Einzelsinn“ 192 f., 213, 219, 222, 255 – 262, 263, 266, 269, 276 f., 279 Fn. 92, 283, 297 Fn. 169, 298, 303 f., 312 Fn. 227, 319 f., 342, 407, 570 Intellektualismus 79 Fn. 66, 161, 182, 296 Fn. 168 ‚Intension/Extension‘ 269, 293, 347, 401 f., 406, 461, 466, 469 – 477, 487, 493, 499, 528, 533, 535, 575 Fn. 78 Intentionalität/Intentionales Bewusstsein, siehe auch „Meinen“; „Richtung auf“ 48 Fn. 154, 62 f., 97, 130 Fn. 83, 147 Fn. 152, 193 – 198, 214, 274, 277 Fn. 78, 307, 309, 325 f., 329, 336 f., 341 – 348, 350 – 366, 366 f., 370 – 372, 382 – 386, 392 – 408, 408 f., 474 f., 508 – 518, 533 Fn. 144, 536, 579 Intuition 8, 117, 128 Fn. 76, 129 f., 132 – 134, 140 Fn. 121, 142 f., 152 f., 166 f., 171, 190,
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Sachregister
344, 348 Fn. 97, 512, 515 Fn. 64, 547 Fn. 207, 565 – und Reflexion 67, 113 f., 115 – 117, 123, 126 – 135, 140 Fn. 121, 141 – 144, 149, 152 f., 166 f., 170, 171, 181 Fn. 32, 564 f. „Ja/Nein“, siehe auch Negation, und Position; Negation, Selbstnegation/Selbstverneinung; Paradox 128, 145 – 148, 229 f., 232 f., 238, 240, 255, 263, 335 Fn. 49, 441, 442 Fn. 128, 445 – 447, 449 Fn. 162.164, 450 – 453, 470 Fn. 54, 538 – 540, 543 Fn. 193, 566 Konfessionskunde, siehe Symbol/symboltheoretisch, Symbolik/Konfessionskunde Korrelation, siehe auch ‚Relation, konstitutive‘ (H. Wagner) 69, 71, 125 f., 186, 201, 250 f., 286, 302 – 305, 398 f., 530 f. – K.sgedanke (Tillich) 53, 69 Fn. 24, 398 Fn. 131, 492 Fn. 136 „Kreuz“, siehe Christologie, „Kreuz“ Kultur/Kulturtheorie 14 f., 20 – 22, 30 f., 32 f., 132, 150, 190, 204 Fn. 135, 221, 223, 241, 258 – 262, 267, 285, 310 Fn. 219, 311 f., 314, 353, 366, 424, 441, 446, 450, 452, 454, 479, 491, 558 – „K.funktion“, siehe Funktion, „Kulturfunktion“ – K.hermeneutik, siehe auch Hermeneutik; Theologie, Kulturtheologie 21, 42 – 45, 221, 252 f., 264, 390, 519 Fn. 78, 569 – K.sphären, religiöse 195 – 198, 223 f., 264, 274 Fn. 64, 329, 441 – K.sphären, theoretische/praktische, siehe „Theoretisch/praktisch“ (geist- und kulturtheoretisch) – K.theologie, siehe Theologie, Kulturtheologie – Religion und K., siehe Religion/religionstheoretisch, und Kultur Kunst, siehe Ästhetik ‚Label‘/‚Sample‘ (Goodman) 495 – 498 „Leere“ 188, 190, 192, 242, 302 f., 319 f., 405, 483, 485, 527
„Letzt-Gemeintes“, siehe „Meinen“, „LetztGemeintes“ „Magisch“ 470, 489, 491 f., 497, 500 Materie, siehe Form, ‚Form/Materie‘-Schema „Meinen“, siehe auch Intentionalität/Intentionales Bewusstsein; „Richtung auf“ 155 Fn. 195, 236 Fn. 102, 277 Fn. 78, 289, 296 Fn. 168, 326, 336 f., 340, 344 f., 347 f., 350 – 355, 359, 362 Fn. 158, 363 – 365, 366, 370, 384, 392, 394 – 397, 399 – 408, 409, 459, 469, 475, 498, 502 Fn. 7, 503 Fn. 11, 509 – 512, 515 Fn. 63, 516 f., 519, 528, 531 Fn. 135, 533, 559 – Akt und M. 396 – 400, 402, 406 – 408, 409, 515 Fn. 63 – bei Husserl 58, 337, 340, 344, 345 – 348, 351, 355 f., 366, 392, 400, 401 f., 475 f., 559 – „Letzt-Gemeintes“ 277 Fn. 78, 326, 370, 392, 396, 399 – 407, 409, 468, 480, 516, 519 – 522, 530 Fn. 132, 533 f., 548, 580 „Metalogik“, siehe Methode/Methodenreflexion, „Metalogische Methode“ Metapher 2, 5, 23, 41 Fn. 130, 47 – 49, 51, 497 f. Metaphysik 15 Fn. 43, 78, 80 f., 83 f., 88 – 90, 93 – 95, 98 – 100, 101, 104, 109, 200 Fn. 113, 258, 263, 285 f., 349, 440 f., 455, 469, 478, 498 Fn. 157, 502 Fn. 5, 508, 509 Fn. 40, 510 Fn. 41, 523 f., 525, 537 f., 547 Fn. 207 Methode/Methodenreflexion 19, 67, 70 f., 76, 95 – 98, 108 f., 110, 115, 122, 138, 165 f., 168 f., 204, 252 f., 254 f., 265 f., 274, 275 f., 288, 290, 310, 338 Fn. 53, 339 f., 348 Fn. 97, 350, 361 f., 392 Fn. 103, 502 f., 515 Fn. 64, 523 Fn. 97 – „Korrelations-M.“, siehe Korrelation, Korrelationsgedanke (Tillich) – „Metalogische M.“ 96, 290, 296 Fn. 168, 338 Fn. 53, 353 Fn. 119 Monismus – und Dualismus, siehe auch Identität, und Differenz (prinzipientheoretisch) 77, 79, 82 – 85, 88, 90, 108, 243
Sachregister
– „M. des Geistes/Sinnes“ 83, 188, 207, 212 Mystik 89, 113 Fn. 13, 118 f., 129 f., 152, 166 f., 181, 233, 262, 374, 418, 434 f., 448 Mythos 2, 19 f., 22 Fn. 67, 23, 25 Fn. 75, 27 – 31, 50, 139 Fn. 120, 185 f., 194 Fn. 88, 357 Fn. 137, 388, 481, 490 Fn. 129 Negation 126, 128, 131 f., 148, 191, 203 Fn. 130, 204, 445, 454, 511 f., 531 f., 534, 538 f., 542 – 545, 547, 548 f., 551, 562 – 565, 571 – 573, 576, 578 – ‚Doppelte N.‘ (Hegel) 544 Fn. 195, 555 f., 571 – und Position, siehe auch „Ja/Nein“ 126, 145 – 151, 230, 447, 454, 555, 564 – 567, 572 – Selbstn./Selbstverneinung, siehe auch Aufheben, „Selbstaufhebung“; „Ja/Nein“; Transzendenz/Transzendieren, Selbsttranszendenz 150 f., 432 f., 534, 538 – 541, 547, 548, 556 Fn. 21, 564, 571 f., 574 – 576 Negativität 131 f., 226, 229 f., 232, 445, 450 – 453, 527, 551 – 581 – und Positivität 226, 229 f., 232, 235, 239 f., 445, 451, 453, 526 f., 541, 552, 555 f., 558, 562, 565 f., 569 Neukantianismus 14 – 20, 22, 27 f., 29 f., 32, 69 Fn. 24, 79 Fn. 66, 118 Fn. 25, 175, 204 Fn. 135, 227 f., 249, 260, 262, 263, 279, 302 f., 312 f., 331 f., 338, 348 Fn. 97, 458, 485 Noesis/Noema, siehe auch „Meinen“ 340, 347, 356 Fn. 133, 364, 368 Fn. 3, 372, 475 Fn. 73 Norm/Normativität 32, 69 f., 85, 119, 151 Fn. 171, 190 Fn. 74, 243, 252 Fn. 168, 255, 273 f., 280 f., 295, 306 f., 309, 368 f., 378, 384 f., 425 f., 455 Fn. 5, 540 f., 574 „Numinöse, das“ 207 – 212, 226 Objektivierung, siehe auch „Realisierung“/ „Verwirklichung“ 179 – 193, 194 Fn. 88,
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199 – 201, 206 – 213, 214 f., 268 f., 343 f., 373 – 377, 382 f., 387 – 389, 397 – 403, 408 f., 428 – 432, 510 – 512, 530 – 534, 575 – 579 Offenbarung, siehe auch „Durchbruch“ 44, 48 f., 94, 137, 139 Fn. 120, 151 Fn. 171, 155 Fn. 195, 164 Fn. 232, 205 Fn. 139, 210 Fn. 164, 224 Fn. 41, 235 f., 238, 253 – 255, 263, 283, 311 Fn. 221, 335 Fn. 49, 393 Fn. 106, 408, 410 Fn. 2, 418, 430 Fn. 79, 447, 449 Fn. 164, 450 – 452, 455 Fn. 4, 512, 517, 528 Fn. 123, 539, 540 f., 546, 566 f., 569 f., 573 f. Omnitudo realitatis, siehe Realität, Omnitudo realitatis Ontologie, siehe auch Sein/Seiendes 44 Fn. 142, 46 Fn. 147, 49 – 51, 57, 59, 60 Fn. 200, 61 Fn. 203, 84 Fn. 85, 191, 231 f., 253 Fn. 172, 259 Fn. 192, 285 f., 365 f., 376 f., 392 f., 489 – 493, 498, 528, 557 „Oratio indirecta“, siehe Sprache/Sprachphilosophie, „Oratio indirecta“ Pan-Symbolismus 481, 501, 504 Paradox 33, 48 Fn. 153, 62 f., 66 f., 76, 77, 80, 84 – 86, 91, 108, 109, 111 – 117, 123 f., 126 f., 128, 130, 136 – 170, 170 f., 175 – 181, 186, 195, 205 f., 207, 210, 229 f., 232, 236 – 238, 240, 242, 245, 254 Fn. 178, 255, 261, 263, 267 f., 275 Fn. 72, 307 Fn. 203, 343 f., 392 Fn. 103, 395, 428 – 433, 435, 436 Fn. 102, 437, 438, 441 – 453, 453 f., 478, 508 f., 524 Fn. 102, 529, 532, 538 f., 540 Fn. 182, 553, 561 Fn. 35, 563 – 566, 572 – und Christologie 84 – 86, 136 f., 138, 141, 142 Fn. 129, 144 f., 148 – 152, 156 – 161, 164, 169, 171, 205 f., 432 f., 447, 451 f., 453 f. – und Erkenntnistheorie 111, 115 – 117, 123 f., 126 f., 130, 137 f., 141 – 145, 146, 148, 152 f., 159 – 161, 162, 165 – 168, 170, 170 f., 180 f., 207, 210, 237, 529 f., 563 – 566 – ‚Kritisches und positives P.‘ 33, 161, 392 Fn. 103, 395, 415, 434 f., 437 – 453, 453 f.
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Sachregister
– „P.ie“ 17 Fn. 49, 85 f., 136 – 140, 146, 151 Fn. 171, 158 f., 162, 175 f., 178, 179, 441, 478, 508 – „P.ie des ‚Glaubens ohne Gott‘“ 175 – 181, 186 – „Religion des P.“ 273, 275, 280 Fn. 93 – und Symbol, siehe Symbol/symboltheoretisch, und Paradox – als „Theologisches Prinzip“ 62, 66 f., 80, 109, 111, 115 – 117, 126, 138 – 153, 159 – 161, 165 f., 169 f., 171, 237, 564, 565 f. Periodisierung des Tillich’schen Werkes 61 Fn. 203, 62 – 64, 171 f., 177 – 179, 202 Fn. 121, 213 – 215, 227 – 229, 390 – 393, 406 – 408, 409, 410 – 412, 436 f., 453 f. Phänomenologie, siehe auch „Meinen“, bei Husserl 175, 331, 337 – 341, 344 f., 348 Fn. 97, 366, 473 f., 515 Fn. 64, 522 f., 559 Phantasie 356, 424 – 427, 456, 463 f., 494, 504, 537 Fn. 166 Philosophie, siehe auch Idealismus, Nachkantischer Idealismus; Idealismus, Neu/ Neo-Idealismus; Metaphysik; Neukantianismus; Phänomenologie; Zeichen/Semiotik 2 – 33, 40 f., 43 – 45, 47 f., 49 – 53, 57, 63 f., 67, 77 – 79, 80 f., 86 – 96, 108 f., 118 Fn. 25, 121 – 136, 157 – 161, 162 – 168, 169 f., 170 – 172, 175, 185 f., 194 Fn. 88, 216, 218, 233, 234, 242 f., 246 – 250, 260, 266 Fn. 20, 273 – 275, 278 – 282, 286 Fn. 120, 287 – 322, 323 f., 325 – 327, 332 – 341, 344, 345 – 366, 366 f., 368 – 391, 392 Fn. 103, 395 – 400, 408 f., 410, 414 f., 418, 424, 433 f., 438, 453, 455, 458, 460 f., 472 – 479, 481, 482 f., 485 – 489, 493 – 498, 499 f., 502 f., 512 – 518, 522 – 524, 525 f., 526 – 530, 537 – 548, 548 f., 552, 556, 558, 560 f., 563 – 566, 567 – 569, 570 – 573, 574 – 581 – Geschichtsp. 61 Fn. 203, 68, 70, 76, 79 f., 86, 88 f., 95, 98 f., 101 f., 103 – 106, 108 f., 149 f., 158, 273, 275, 277 Fn. 80, 280, 283 f., 286 Fn. 120, 392 Fn. 103, 394 f., 426, 450 f., 490 – 493 – Religionsp. 11 – 13, 36, 51 – 53, 61 Fn. 203, 74 f., 90 – 97, 108 f., 111, 116 Fn. 22, 118 –
120, 140 Fn. 121, 162, 168 f., 170 – 172, 175 f., 178, 181 – 198, 200 f., 206 – 213, 213 – 215, 218, 222, 225 f., 229, 231, 235, 240, 242, 250 – 262, 262 f., 267 – 275, 277 – 307, 314 – 322, 323 f., 325 f., 339 – 345, 347 – 349, 354 f., 366, 370, 392 – 408, 409, 410 – 414, 417 – 424, 428 – 437, 440 – 442, 443, 448 f., 453, 455 – 457, 468, 480 – 482, 489 – 493, 498, 501 – 548, 548 f., 551 – 563, 566 – 573, 573 – 575, 576 – 581 Polarität, siehe auch Dialektik 166 f., 188 – 191, 252 – 255, 258 f., 348, 354 f., 360 f., 366 f., 408, 541, 562, 571 – 573 Position, siehe Negation, und Position Positivität – ‚Absolute P.‘ (F. Wagner) 253 Fn. 172, 259 Fn. 192, 551 – 560, 563, 565, 568 f. – und Negativität, siehe Negativität, und Positivität Potenz, siehe Akt/akttheoretisch, Akt/Potenz ‚Potenzenlehre‘ (Schelling) 90 – 94, 350 Fn. 105 Pragmatik, siehe ‚Dreistelligkeit‘; Symbol/ symboltheoretisch, Pragmatische Dimension „Praktisch/theoretisch“ (geist- und kulturtheoretisch), siehe „Theoretisch/praktisch“ (geist- und kulturtheoretisch) Prinzip/prinzipientheoretisch 21, 62, 66 f., 71, 80, 82 – 84, 88 – 94, 99 – 108, 108 f., 111, 114 – 126, 135 f., 136, 138 – 145, 150, 152 f., 160 f., 165 – 167, 169 f., 170 – 172, 195 – 198, 205 f., 224 Fn. 40, 234, 244 – 246, 259 f., 270 f., 278 – 284, 328 f., 389, 396, 422 f., 538, 563 f., 565 f., 571 – Identität und Differenz (prinzipientheoretisch), siehe Identität, und Differenz (prinzipientheoretisch) – Oberstes P.iengefüge, siehe auch System/ Systemgedanke 67, 84, 108 f., 124 – 126, 153, 170, 303 – 306, 323, 352 – 355, 366, 386 f., 563 f., 568 f., 572 f. – „P. des Sinns“/„Sinnelemente“/„Doppelheit“ 219, 282, 288 – 307, 309, 313 Fn. 228, 314 – 322, 323 f., 348, 386 f., 567 – 569
Sachregister
– „Protestantisches P.“, siehe Protestantismus – Regulatives und konstitutives P., siehe auch Apriori/Apriorizität, Regulatives und konstitutives Apriori 294 – 297, 304 f., 384, 513 Fn. 54, 567 f. – Strukturp. des Tillich’schen Denkens (F. Wagner), siehe auch Identität, ‚Identität von Identität und Differenz‘ (Wenz); Positivität, ‚Absolute Positivität‘ (F. Wagner) 55, 361 Fn. 156, 551 – 554, 558, 560 f. – „Theologisches P.“, siehe auch Paradox, als „Theologisches Prinzip“ 379 Fn. 47, 430 f. – Wissenschaftliches P., siehe auch System/ Systemgedanke, System der Wissenschaften 114 – 126, 127 Fn. 67, 141 f., 335 Fn. 45, 348 – 350, 352 – 355, 366, 570 – 573 Protestantismus 64, 145 f., 150 Fn. 165, 166 f., 220 – 222, 242, 418, 439, 513 Fn. 54, 550, 552, 559, 561 – 563, 580 Psychologie/Psychologismus, siehe auch Gefühl; Transzendental/transzendentalphilosophisch 92 Fn. 121, 127 Fn. 67, 157 f., 175, 208, 245, 331 f., 335, 366, 369 Fn. 10, 390 Fn. 95, 395, 410 – ‚Vermögenspsychologisches Schema‘ 79, 180 f., 183 f., 196 f., 223 f., 274 Fn. 65, 327 – 335, 366, 399 Fn. 132 „Realisierung“/„Verwirklichung“ 132 Fn. 91, 149, 153 Fn. 180, 211 f., 215, 252 Fn. 168, 267 – 273, 284 – 286, 306, 309 Fn. 214, 323, 356, 378, 381 – 386, 408, 523 f., 541, 561, 562 f. Realismus 12 Fn. 38, 302 f., 308 f., 320 – 322, 387 Fn. 82, 483 f., 489, 492 Fn. 136, 497, 558 f. – Naiver R., Vorwurf des 46 Fn. 147, 51, 57 f., 59, 489, 547 f., 558 – 560 – Religiöser R. (Schelling-Rezeption) 85, 420 – 424, 436 f. „Realität“ 179, 200, 225 f., 229 – 238, 260, 268 f., 277 f., 315 f., 335 Fn. 49, 342, 358
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Fn. 144, 382 Fn. 57, 481 Fn. 95, 520 f., 539 Fn. 173 – Omnitudo realitatis 405 f., 526 – Sinntheoretisch 233 – 236, 237 f., 250 f., 254 f., 268 f., 301, 342, 382 Fn. 57, 431 – 433 Rechtfertigung 81 Fn. 75, 85 f., 136 – 139, 141, 144 – 152, 154, 167, 170, 171, 175 f., 178 f., 182 f., 190, 195, 238 f., 432 f., 440 – 442, 563 Reflexion 128, 131 – 133, 166 f., 318 f., 556, 558, 564 f. – Intuition und R., siehe Intuition, und Reflexion – „Not der R.“, siehe Denken, „Denken aus Not“/Not des Denkens – R.sbegriffe, siehe Begriff, Reflexionsbegriffe Reformation, siehe Protestantismus ‚Relation, konstitutive‘ (H. Wagner), siehe auch Korrelation 125 f., 290 Fn. 136, 348 f., 352 – 355, 362, 366, 368, 378 Fn. 37, 399, 570 – 573 Religion/religionstheoretisch 1 f., 12 f., 19 f., 23, 25 – 34, 36 Fn. 110, 38, 40 – 45, 47 – 49, 51 – 53, 60 f., 69 f., 84, 95 – 97, 118 f., 130, 132, 137 – 139, 140 Fn. 121, 142 Fn. 129, 146 f., 157 – 159, 162, 179 – 198, 200 f., 206 – 213, 213 – 215, 222 – 242, 244, 247, 250 f., 253 – 257, 261 f., 262 f., 264 f., 266 – 269, 273 – 275, 277 f., 282 – 287, 288, 305, 314, 327 – 330, 332 – 334, 335 f., 338, 342 – 344, 366, 370, 392 – 408, 409, 410 f., 413 f., 416 f., 418 f., 425 f., 431 – 437, 440 – 442, 443 f., 446, 450 f., 454, 455 – 457, 459, 479, 498, 500 – 503, 511 – 516, 517 f., 518 – 523, 525 f., 528, 530 – 536, 537 – 545, 548 f., 551 – 563, 566 – 581 – Bewusstseinstheoretische/substanzielle Fassung, siehe Gehalt, Bewusstseinstheoretische/substantialistische Fassung – Definition 43, 45, 225, 227, 228, 236 f., 239 f., 262 f., 267, 275, 288, 314, 335 f., 347 Fn. 95, 349, 406 – 408, 409, 514 f., 522 f., 579 Fn. 85 – Enge und weite Fassung 194 f., 224 f., 285 – 287
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Sachregister
– Geisttheoretische Verortung, siehe Psychologie/Psychologismus, ‚Vermögenspsychologisches Schema‘ – Implizite/unbewusste R., siehe auch Gehalt, Bewusstseinstheoretische/substantialistische Fassung 194 f., 278, 283 – 285 – und Kultur, siehe auch Form, ‚Form/InhaltGehalt‘-Schema 25 Fn. 75, 33, 45, 50 f., 59, 130, 191 f., 195 – 198, 209 – 212, 214, 222 – 225, 237 f., 241 f., 244, 253, 257, 263, 264, 266, 282 – 284, 291 Fn. 144, 314, 327 – 334, 413 f., 417, 419, 433 f., 441 f., 445 – 448, 450 f., 453 f., 515 Fn. 61, 524 Fn. 103, 525 f., 539, 545 – 547, 575 – 580 – als Prinzip/Aktualität, siehe Kultur/Kulturtheorie, Kultursphären, religiöse – „R. des Paradox“, siehe Paradox, „Religion des Paradox“ – R.sgeschichte/R.sgeschichtliche Konstruktion, siehe Philosophie, Geschichtsphilosophie – R.sphilosophie, siehe Philosophie, Religionsphilosophie – „Religiöse Funktion“, siehe Funktion, „Religiöse Funktion“ – und Theologie 78 – 81, 96 f., 138 – 140, 159 – 161, 165 – 170, 171 f., 185 f., 194 Fn. 88, 394 – 396, 425 f., 455, 577 f. Rezeption Tillichs 217 f., 220 – 222, 287 Fn. 125, 437 f. – Deutschsprachiger Raum 33 – 38, 44 – 46, 49 – 62, 63 f., 410, 464 f., 505 – 507, 512 – 518, 550 – 563, 566 f., 568 – 570 – Englischsprachiger Raum 33, 56 Fn. 186, 217, 470 – 472, 501 – 505, 550 – Praktische Theologie 4, 38 f., 44 – 46, 50, 221 – Symbolgedanke, siehe Symbol/symboltheoretisch, ‚Brückenfunktion‘; Rezeption, Praktische Theologie; Rezeption, Systematische Theologie – Systematische Theologie 4, 33 – 38, 49 – 62, 220 – 222, 464 f., 505 – 507, 512 – 518, 550 – 563, 566 f., 568 – 570
Rhetorik 2, 5 Fn. 16, 9, 47 Fn. 149, 516 Fn. 71 „Richtung auf“, siehe auch Intentionalität/Intentionales Bewusstsein; „Meinen“ 147 Fn. 152, 184, 193 – 198, 227, 288, 309, 325, 329, 330 – 332, 335 – 337, 340, 342 – 345, 347 Fn. 95, 354 f., 356 Fn. 133, 366, 371 – 373, 383 – 385, 398 – 400, 402 f., 407 f., 409, 475 Fn. 74, 496 f., 509 – 516, 579 Fn. 85 Sakrament 49 f., 414 f., 470, 483 – 485, 492 Fn. 136 ‚Sample‘ (Goodman), siehe ‚Label‘/‚Sample‘ (Goodman) Schelling, Kritik an 95, 231, 274, 286 Fn. 120 ‚Schellingerlebnis‘ 64, 67 f., 86 – 88, 108 „Schicht“, siehe „Dimension“/„Schicht“ „Schlechthinnig“ 229, 230 f., 235, 335 Fn. 49, 342, 528, 529 f. „Schöpfung“/„Schöpferisches“ 190, 192, 199 Fn. 110, 201 – 203, 206 Fn. 142, 209 – 212, 222, 252 Fn. 168, 253, 308, 358 Fn. 145, 369, 370 Fn. 11, 374 Fn. 23, 377 – 386, 390 Fn. 95, 408 f., 449 Fn. 164, 451 Fn. 171, 461 Fn. 25, 480, 580 f. ‚Schweben‘ 188 Fn. 60, 191, 261, 268, 429, 520 Fn. 87, 531 – 533 Sein/Seiendes, siehe auch Ontologie 19, 70 Fn. 27, 123, 125, 179 f., 202 Fn. 121, 205 Fn. 139, 208 – 213, 214, 229, 231 – 234, 237, 239 f., 263, 315 – 322, 335 Fn. 49, 360, 362 – 365, 371 – 375, 385 Fn. 73, 387 – 390, 392 f., 395 Fn. 115, 401, 402 – 406, 443, 459 f., 502 Fn. 7, 503, 524 – 527, 531, 536, 538 f., 544, 547 Fn. 207, 557 f., 573 – „Absolutes S.“ 271, 273, 315 f., 318 – 322, 355 Fn. 131, 357, 359, 364, 367, 371, 375 Fn. 25, 429, 572 f. – „Denken“ und „S.“, siehe Denken, „Denken“ und „Sein“ – „S.-Selbst“ 123, 489, 503, 505, 513 Fn. 52, 518 Fn. 75
Sachregister
– S. und Sinn, siehe Sinn/sinntheoretisch, Sinn und Sein – „Überseiende, das“ 212, 213 Fn. 180, 233 f., 235 Fn. 98 „Selbstaufhebung“, siehe Aufheben, „Selbstaufhebung“ Selbstbewusstsein, siehe Bewusstsein/bewusstseinstheoretisch, Selbstbewusstsein Selbstnegation, siehe Negation, Selbstnegation/Selbstverneinung „Selbstüberwindung“, siehe Aufheben, „Selbstaufhebung“ Semantik, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, Semantische Dimension 239, 346, 461, 511 Setzen 93, 100 f., 125, 127 – 129, 190, 211 f., 282 f., 319 f., 322, 348 Fn. 97, 351 f., 355, 358 f., 365, 373 f., 400 f., 526 f., 530 – 532, 534, 567 – „S. und Aufheben“ 358 Fn. 144.146, 396, 399 – 402, 520 Fn. 85, 526 Fn. 117, 530 f., 534, 539, 541, 566 Sinn/sinntheoretisch, siehe auch „Bedeutung“ 1 – 3, 20, 23 – 25, 29, 31, 42 – 45, 53, 57, 58 f., 61 Fn. 203, 62 f., 104 Fn. 181, 130 Fn. 83, 151 f., 179 f., 186 Fn. 51, 187 f., 192 f., 199 – 213, 213 – 215, 216, 222, 225 f., 232 – 240, 250 f., 254 – 262, 262 f., 264 – 322, 323 f., 325 – 327, 331, 334, 335 Fn. 49, 336, 342 – 344, 345 – 347, 348, 351 f., 353, 356 Fn. 136, 357 Fn. 137, 364, 366, 368 f., 375, 377, 381, 383 – 390, 390 f., 393 Fn. 104, 395 Fn. 115, 402, 403 – 406, 407, 408 f., 412 f., 417, 424, 429 – 435, 441, 444, 455, 460, 462, 466, 469 – 478, 481, 482 Fn. 99.100, 483 f., 485, 487, 489, 492, 493, 497 f., 499 f., 501, 502 Fn. 7, 508, 509 f., 522 Fn. 95, 523 – 528, 532, 535, 536 Fn. 162, 539 f., 542 – 545, 547, 548 f., 551 f., 553, 557, 559, 560, 561 Fn. 35, 564, 566 – 570, 571, 574, 575 f., 578, 580 – „Anderer S.“, siehe auch Sinn/sinntheoretisch, „Unbedingter Sinn“ 208, 209 Fn. 159, 212 f., 214, 557, 567 – 570, 571
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– Dynamisches Moment, siehe auch „Realisierung“/„Verwirklichung“ 268 f., 272 f., 285 f., 307, 323 f., 385 f., 408 – „Einzelner S.“/„Einzelsinn“, siehe auch Inhalt, Sinntheoretisch 235, 237, 269, 271 f., 292, 294 Fn. 159, 298 – Existenzielles Moment 238 f., 569 – ‚Form/Gehalt‘-Schema, siehe Form, ‚Form/ Materie‘-Schema – ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schema, siehe Form, ‚Form/Inhalt-Gehalt‘-Schema – Hermeneutisches S.verständnis, siehe Hermeneutik; Kultur/Kulturtheorie, Kulturhermeneutik – Interne Entwicklung der S.theorie 62, 205, 218 f., 257, 262 f., 264 – 266, 281 f., 288, 323 – Kontextualitätsmoment 269 – 272, 292 f., 295 f., 300, 303, 304, 315, 323, 567, 575 f. – „Monismus des S.es“, siehe Monismus, „Monismus des Geistes/Sinnes“ – „Prinzip des S.s“/„Doppelheit“, siehe Prinzip/prinzipientheoretisch, „Prinzip des Sinns“/„Sinnelemente“/„Doppelheit“ – S. und Geist, siehe Geist/geisttheoretisch, und Sinn – S. und Sein 60 Fn. 200, 61 Fn. 203, 202 Fn. 121, 208 – 213, 231 – 238, 239 f., 262 f., 264, 267 – 273, 301 Fn. 186, 307 – 310, 335 Fn. 49, 364, 366 f., 368 – 370, 375, 377, 386 – 390, 393 Fn. 104, 395 Fn. 115, 402 – 406, 408 f., 429 f., 470 – 477, 502 Fn. 7, 524 – 527, 531 f., 539 f., 541 – 545, 575 f. – „S.akt“, siehe Akt/akttheoretisch, „Sinnakt“ – „S.elemente“, siehe Prinzip/prinzipientheoretisch, „Prinzip des Sinns“/„Sinnelemente“/„Doppelheit“ – „S.erfüllung“, phänomenal 209 – 213, 214, 307 – 310, 324, 343, 351 f., 381, 384, 387 – 390, 404 Fn. 158, 408 f., 428 f., 492, 575 f. – „S.erfüllung“, transzendental, siehe auch Prinzip/prinzipientheoretisch, „Prinzip des Sinns“/„Sinnelemente“/„Doppel-
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heit“ 290, 301 – 307, 319 f., 323 f., 351 f., 387, 545 Fn. 198 – „S.form“, siehe Form, Enge und weite Fassung; Form, „Sinnform“ – „S.funktion“, siehe Funktion, „Sinnfunktion“ – „S.gebung“, siehe Akt/akttheoretisch, Sinngebender/sinnerfüllender Akt; Sinn/ sinntheoretisch, „Sinnerfüllung“, phänomenal – „S.grund/abgrund“, siehe „Grund/Abgrund“ – ‚S.verschiebung‘, siehe Symbol/symboltheoretisch, ‚Sinnverschiebung‘ – „S.zusammenhang“, siehe auch Form, „Unbedingte Form“; „Synthesis des Synthesen“; „Totalität“ 210 Fn. 176, 211, 234 f., 269 – 271, 273, 289, 292 – 300, 304 – 307, 323, 384, 567 – „Unbedingter S.“, siehe auch Form, „Unbedingte Form“; Sinn/sinntheoretisch, „Anderer Sinn“; „Unbedingter Sinngehalt“ 235 – 240, 258 f., 263, 267 f., 270 – 273, 281 f., 292, 294, 297 – 307, 316, 319 f., 321 f., 323 f., 335 Fn. 49, 336, 342 f., 428 – 430, 434, 568 f., 578 – „Unbedingter S.gehalt“, siehe auch Gehalt 219, 254, 258 – 260, 263, 278, 284 – 287, 290 f., 293 Fn. 149, 297, 298 Fn. 174, 299 – 307, 312, 316, 319 f., 322, 323 f., 342, 386, 407 f., 417, 435, 561 f., 566 – 570, 579 – „Unbedingter S.gehalt“ und „unbedingte S.form“, siehe Prinzip/prinzipientheoretisch, „Prinzip des Sinns“/„Sinnelemente“/„Doppelheit“ Sinnlichkeit 9 – 12, 15 Fn. 43, 16 – 18, 21, 23 – 25, 27 – 29, 128 Fn. 76, 201, 461 – 463, 499 Sozialismus 174 Fn. 7, 216, 218, 221, 413 f., 418 f., 439 Fn. 110, 440 f. Spekulation 66, 74 Fn. 47, 78, 89 f., 93 – 97, 103 f., 108 Fn. 192, 108 f., 126, 148, 157 – 161, 169 f., 170 – 172, 182, 191 f., 214, 231, 274, 286 Fn. 120, 305 f., 323, 422 f., 436 Fn. 102, 437, 453, 569
Sprache/Sprachphilosophie 1 – 4, 8, 19 – 21, 23, 25 – 29, 36 Fn. 110, 39 f., 41 Fn. 130, 47 – 49, 51, 140 Fn. 122, 168, 345 f., 460 f., 464 – 466, 469 – 479, 481, 482 Fn. 100, 483 f., 493 – 495, 498, 499, 516 f., 534, 542, 580 f. – und Bewusstsein/Geist 48, 345 – 347, 464 f., 474 Fn. 68, 498, 534 – „Oratio indirecta“ 516 Fn. 71, 526 Fn. 113, 542 f., 546 – „Das Symbol ist die S. der Religion“, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Das Symbol ist die Sprache der Religion“ „Stoff“, siehe Inhalt, Sinntheoretisch Substanz, siehe auch Gehalt, Bewusstseinstheoretische/substantialistische Fassung 16, 233 – 235, 255 f., 258 f., 285 – 287, 291, 308 Fn. 210, 314 Fn. 232, 316, 318 f., 322, 323, 328, 429 Supposition 482 f., 487 Fn. 118, 494 f., 521, 576 f. Supranaturalismus 49, 173, 188, 206 – 208, 210, 212, 232 f., 418, 421 – 423, 434 f., 439, 446 – 449 – „Dialektik des Supra“, siehe Dialektik, „Dialektik des Supra“ Symbol/symboltheoretisch 2 – 64, 67, 73, 140 Fn. 122, 151 Fn. 172, 192 Fn. 80, 211 Fn. 171, 232, 233 Fn. 86, 236 f., 241, 274, 278 Fn. 84, 279, 293 Fn. 154, 305, 341, 347 Fn. 95, 400 Fn. 137, 402 f., 405 Fn. 159.162, 406, 408, 409, 410 – 437, 441 f., 444, 448 – 453, 453 f., 455 – 498, 499 f., 501 – 548, 548 f., 550, 552 – 556, 558 – 561, 562 f., 573 – 581 – Abbild 18 f., 535 – Ähnlichkeit 5, 8, 10 f., 26 f., 494 f., 535 – „Anerkanntheit“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Werden und Vergehen“ 54 Fn. 179, 413, 479, 491 – 493 – „Anschaulichkeit“, siehe auch Anschaulichkeit; Symbol/symboltheoretisch, ‚Gegenständliche‘ Basis 343 f., 413 f., 428 – 430, 432, 437, 449 f., 461 – 466, 469, 499, 520 Fn. 84, 522 Fn. 93, 525, 532 f., 541 Fn. 189, 548, 577 f.
Sachregister
– und Ästhetik 5 – 11, 13 f., 19, 23, 25, 27 – 31, 40 – 42, 51, 415, 416 f., 419, 424, 433, 453, 460, 481 Fn. 95, 493 – 498, 537 f., 575, 579 Fn. 84 – Ausdruck/„Ausdrucksform“, siehe Ausdruck/„Ausdrucksform“; Symbol/symboltheoretisch, „Uneigentlichkeit“ – „Ausdruckskraft“/„Ausdruckswahrheit“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Symbolkraft“ 353 Fn. 119, 417 f., 493 Fn. 137, 537 – 539, 543 f., 548 f. – ‚Brückenfunktion‘ 39 – 44, 48 f., 51 f., 410, 413 f., 418 f., 433 f., 448 – 453, 453 f. – und Christologie, siehe auch Christologie, „Kreuz“; Symbol/symboltheoretisch, Selbstnegation 151 Fn. 171, 411, 420 – 424, 432 f., 451 – 453, 453 f., 463, 479, 491, 538 – 541, 543 – 545, 573 f. – Definition 23 – 25, 277 Fn. 78, 455 – 457, 462, 464, 466 – 470, 478, 487 – 489, 494, 499 f., 508 f., 516 – 518, 519 – 522, 523 – 526, 537 f., 548 f., 573 – 581 – ‚Dreistelligkeit‘, siehe ‚Dreistelligkeit‘ – Enge und weite Fassung 2 – 4, 13 f., 23 – 27, 30 f., 31 – 33, 494, 509, 522 Fn. 93, 524 – 526, 546 Fn. 203, 575 – 577, 579 f. – und Erfahrung/Erleben 24, 40 – 45, 50 Fn. 160, 57, 428 – 434, 470 Fn. 54, 491, 502, 539 Fn. 173, 545, 577 – und Erkenntnistheorie/-kritik, siehe Erkenntnistheorie/-kritik – Erschließungsfunktion, siehe auch Symbol/ symboltheoretisch, Stufung von Symbolisierungsverhältnissen (‚Symbolisierungskette‘); Transzendenz/Transzendieren, Stufung von Transzendierungsverhältnissen (‚Transzendierungskette‘) 497 f., 500, 532 – 534, 544 – 548, 548 f., 577 – 579 – Frühromantik 4, 5 – 7, 11, 13 Fn. 40 – ‚Gegenständliche‘ Basis, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Anschaulichkeit“ 430 – 432, 530 – 532, 541 – 544, 575 f. – „Gegenstandss.e“ 518 f., 532 – 534 – Gottess., siehe Gottesgedanke
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– Hinweisfunktion 236 f., 402, 451 f., 467 – 472, 476 – 478, 480, 482 f., 486, 487, 499, 535, 547 Fn. 207, 578 – „Hinweiss.e“ 468, 518 f. – Inadäquatheit, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Nur ein Symbol“ (pejorativ) – Indirektheit, siehe auch Unmittelbarkeit 5 f., 8, 11, 402 f., 407, 452, 464, 497 f., 516 – 518, 548, 559, 579 – 581 – Inkommensurabilität S./S.isat, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Uneigentlichkeit“ 9 – 13, 524, 548, 574 f. – Kriterium (Wahrheit) 9 – 11, 13, 16 – 18, 22 Fn. 67, 25 – 31, 417 f., 432 Fn. 90, 493 – 498, 499 f., 501 – 508, 527 – 530, 534 – 548, 548 f., 573 – 575, 576 – 579, 580 f. – und Kultur/Kulturtheorie 18 – 32, 33, 42 – 44, 50 f., 57 f., 410, 413 – 415, 416, 418 f., 424, 432, 433 f., 441 f., 446 – 453, 453 f., 479, 485, 489 – 498, 509, 524 – 526, 575 f., 578 Fn. 82, 579 – Mächtigkeit, innere, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Selbstmächtigkeit“ – und Mathematik/Naturwissenschaft 3 f., 14 – 20, 25 – 31, 49 f., 417 f., 477, 478, 493, 537 – „Merkmale“ 54, 57, 63, 413, 430, 449, 456, 458, 461 f., 466, 468, 469, 471, 475 Fn. 74, 479, 485 f., 488 f., 491 – 493, 497, 498, 499 f., 508 – 512, 516 – 518, 525, 533 Fn. 144, 538, 541 Fn. 189, 545, 548 – Mittelbarkeit, siehe Symbol/symboltheoretisch, Indirektheit – ‚Motiviertheit‘/‚motiviertes Zeichen‘ 4, 5 f., 412 f., 481 – 484, 493 – 498, 499 f., 501 – 504, 507 f., 521, 529, 534 – 537, 539, 545 f., 547 f., 548 f., 574 f. – und Mythos, siehe Mythos – „Notwendigkeit“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Selbstmächtigkeit“ 484 – 486, 488 – 490, 492 Fn. 136, 493, 499 f., 534 f., 537 Fn. 165 – „Nur ein S.“ (pejorativ) 12, 414 f., 418, 420 – 427, 429 f., 433, 434 – 436, 436 f., 453, 481, 520 f. – „One nonsymbolic statement“ 503 – 506, 558 f.
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– und Paradox 33, 58, 62, 66, 140 Fn. 122, 151 Fn. 172, 429 – 437, 444, 448 – 453, 453 f., 478, 508 f., 523 f., 529 f., 532, 538 f., 540 Fn. 182 – Partizipationsgedanke, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Teilhabe“ – Pragmatische Dimension, siehe auch ‚Dreistelligkeit‘ 46 Fn. 147, 49 f., 57, 461, 476 – 479, 484, 487, 489 – 493, 494 f., 499, 509 – 512, 532 – 534, 548, 561 Fn. 35, 576 f., 578 f., 580 f. – und Religion/Religionstheorie 1 – 14, 19, 23, 25 – 33, 39 – 46, 49 – 59, 61 – 63, 151 Fn. 172, 211 Fn. 171, 236 f., 274, 278 Fn. 84, 347 Fn. 95, 400 Fn. 137, 402 f., 405 Fn. 159.162, 406, 408, 409, 410 – 417, 418 – 437, 441 f., 444, 448 – 453, 453 f., 455 – 460, 462 – 464, 468 f., 475 Fn. 74, 478 f., 480 – 484, 490 – 493, 498, 499 f., 501 – 548, 548 f., 550, 552 – 556, 558 – 561, 562 f., 573 – 581 – Rezeption, interdisziplinär, siehe Symbol/ symboltheoretisch, ‚Brückenfunktion‘ – Rezeption, Praktische Theologie 4, 31 f., 33, 38 – 46, 50, 51 f., 221, 410 Fn. 4, 519 Fn. 78 – Rezeption, Systematische Theologie 4, 31 f., 33, 46 – 62, 221, 410, 501 – 508, 512 – 514, 551 – 556, 558 – 561, 562 f., 577, 579 f. – „Sachhaltigkeit“ 455 – 457, 458 – 462, 465 f., 469 f., 470 – 472, 484, 499 f., 504, 537 Fn. 166 – „Schichten“, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Gegenstandssymbole“; „Hinweissymbole“ – „Selbstmächtigkeit“, siehe auch Symbol/ symboltheoretisch, „Teilhabe“ 46 Fn. 147, 50 Fn. 160, 54 Fn. 178.179, 63, 151 Fn. 171, 413, 469, 475 Fn. 74, 479, 482 Fn. 99, 483 – 493, 496 f., 499 f., 505 Fn. 23, 509, 518, 548, 574 – Selbstnegation, siehe auch Negation, Selbstnegation/Selbstverneinung 432 f., 534, 538 – 541, 547, 548, 556 Fn. 21, 574 – 576, 578 f.
– Selbsttranszendenz, siehe Symbol/symboltheoretisch, und Transzendenz – Semantische Dimension, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, ‚Sinnverschiebung‘ 46 Fn. 147, 57, 455 – 462, 466 – 479, 484, 487 Fn. 118, 494 – 498, 499, 511, 561 Fn. 35 – ‚Sinnverschiebung‘ 542 – 548, 548 f., 573 – 581 – „Stellvertretung“, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Vertretung“ – Stufung von S.isierungsverhältnissen (‚S.isierungskette‘), siehe auch Symbol/ symboltheoretisch, Erschließungsfunktion; Transzendenz/Transzendieren, Stufung von Transzendierungsverhältnissen (‚Transzendierungskette‘) 545 – 548, 548 f., 573 – 581 – „Das S. ist die Sprache der Religion“ 31, 38, 411, 435 – „S.ausdruck“, siehe Ausdruck/„Ausdrucksform“ – ‚S.dialektik‘ 54, 57, 452, 454, 505, 531 – 534, 540 – 542, 574 – S.ik/Konfessionskunde 73, 341, 413 f., 418, 427 f., 430, 434, 453 – „S.kraft“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Ausdruckskraft“/„Ausdruckswahrheit“ 450 – 452, 489, 491 – 493, 537 – 539, 540 Fn. 182, 541, 548 f. – „Teilhabe“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Selbstmächtigkeit“ 46 Fn. 147, 236 f., 482 Fn. 99, 489, 498 – und Transzendenz, siehe auch Transzendenz/Transzendieren 57, 402 Fn. 148, 405 Fn. 159, 406, 409, 412, 461 f., 470 Fn. 54, 482, 501 f., 509 Fn. 37, 518 – 548, 548 f., 555 f., 558, 559 f., 573 – 581 – „Uneigentlichkeit“ 1 f., 31, 49 Fn. 157, 54 Fn. 178.179, 63, 412 f., 455 – 457, 466 f., 470, 475 Fn. 74, 478 f., 481 Fn. 95, 488, 498, 499 f., 501 – 512, 517 f., 520, 525, 533 f., 545, 548, 573 – 581 – Univokes Element/Univozität 54 f., 501 – 508, 512 – 514, 529 f., 547 f., 548 f., 553 f., 558 – 560, 577 – 580
Sachregister
– „Vertretung“, siehe auch „Gegenstand“/gegenständlich, ‚Intentionaler Gegenstand‘; Inhalt, Geisttheoretisch 277 Fn. 78, 396, 399 – 403, 406 – 408, 409, 480 – 483, 487 Fn. 118, 498, 516, 519 – 521, 530 – 534, 536, 546 f., 548 f., 575 – 577, 579 – 581 – Wächterfunktion 516 – 518, 535 f., 561 f., 574, 578 Fn. 81, 579 – 581 – Wahrheit, siehe Symbol/symboltheoretisch, Kriterium (Wahrheit) – „Werden und Vergehen“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Anerkanntheit“ 432, 489 – 491, 520 – und Zeichen 2 – 4, 8, 14, 18, 21 – 31, 40, 42, 46, 47, 49 – 51, 57, 63, 402, 412, 457 f., 460 f., 465 Fn. 40, 466 – 472, 475 Fn. 74, 476 – 498, 499 f., 518, 521, 535, 558 – 560 Symbolik, siehe Symbol/symboltheoretisch, Symbolik/Konfessionskunde „Synthesis der Synthesen“, siehe auch Form, „Unbedingte Form“; Sinn/sinntheoretisch, „Sinnzusammenhang“; „Totalität“ 260, 293 f., 323, 384, 567 System/Systemgedanke, siehe auch Prinzip/ prinzipientheoretisch, Oberstes Prinzipiengefüge 60, 62 f., 65 – 67, 73 Fn. 40, 76, 81, 88 f., 98 f., 109, 111, 114 – 117, 120, 124 – 127, 130, 135 f., 140 Fn. 121, 152 f., 159 – 161, 165 – 167, 169 f., 170 – 172, 182, 190, 218, 219 Fn. 20, 259 Fn. 192, 260, 287 – 290, 291, 296 Fn. 168, 307, 309 f., 313 Fn. 228, 316 – 322, 323 f., 325 f., 334 f., 341, 348 – 350, 352 – 355, 359 f., 368 – 370, 371 Fn. 12, 377 f., 391 – 394, 407, 410 f., 423 f., 436 Fn. 102, 455, 485, 519 Fn. 78, 551, 553 f., 558, 560 f., 563 – 566, 568 f., 572 f., 578 Fn. 81, 580 f. – „Absolutes S.“ 129 f., 131 f., 153 – Offenes S. 144 f., 152 f., 565 f. – S. des Denkens 65 f., 116, 117 f., 120 – 126, 130 f., 133 – 135, 152 f., 159 – 161, 165 – 167, 170 – 172, 563 – 565 – S. der Wissenschaften, siehe auch Prinzip/ prinzipientheoretisch, Wissenschaftli-
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ches Prinzip; „Theoretisch/praktisch“ (geist- und kulturtheoretisch) 53, 65 f., 126 f., 130, 218, 222, 287 f., 309 f., 313 Fn. 228, 334 f., 348 – 350, 352 – 355, 455, 523, 573 Theologie, siehe auch Dogmatik; Dogmatik, Materiale Dogmatik; Symbol/symboltheoretisch, Symbolik/Konfessionskunde 1 f., 4, 25, 30 – 64, 67, 70, 78 – 82, 84, 87 Fn. 103, 94 – 96, 97 f., 103, 106 – 108, 108 f., 111, 114 – 117, 138 – 144, 152 f., 159 – 170, 170 – 172, 178, 180 f., 184, 200, 214, 216 – 218, 220 – 222, 234, 237, 242, 249 Fn. 158, 252, 255, 287, 305 f., 321 f., 334, 339 Fn. 61, 391 – 396, 398 Fn. 131, 410 f., 415, 422, 424 – 427, 433 f., 435 Fn. 97, 437 – 453, 453 f., 455, 461 Fn. 25, 464 f., 486 f., 503, 519 Fn. 78, 520 f., 550 – 581 – Dialektische T. 33 – 35, 37, 47 – 49, 97 f., 161, 217 f., 220 f., 392 Fn. 103, 395, 415, 435 Fn. 97, 437 – 453, 453 f., 502 Fn. 5 – und Erkenntnistheorie/-kritik, siehe Erkenntnistheorie/-kritik – Kulturt., siehe auch Kultur/Kulturtheorie, Kulturhermeneutik 32, 53, 57 f., 60, 219 – 222, 237 f., 240 f., 250, 252 – 255, 262, 264 – 266, 275, 311 f., 334, 366, 390 f., 410, 454, 461 Fn. 25, 519 Fn. 78, 569 – Liberale T. 101, 221, 424 – 427, 438, 452 f., 454, 520 f. – Negative T. 259 Fn. 192, 501 f., 512, 536 Fn. 162 – Praktische T. 4, 33, 38 – 46, 49 f., 221, 519 Fn. 78 – Religion und T., siehe Religion/religionstheoretisch, und Theologie – Spekulative T., siehe Spekulation – Strukturprinzip der T. Tillichs, siehe Prinzip/prinzipientheoretisch, Strukturprinzip des Tillich’schen Denkens (F. Wagner) – Systematische T. 2, 4, 33 – 38, 46 – 64, 72 – 76, 81 f., 97 f., 101, 161 – 170, 220 f.,
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Sachregister
242, 287, 410 f., 424 – 427, 437 – 453, 453 f., 486 f., 550 – 581 – „T. der Krisis“ 442 – 445, 448 f. – Wissenschaftscharakter, siehe auch Methode/Methodenreflexion 67, 70 – 72, 76, 81, 98 f., 103, 106 – 108, 108 f., 114 – 117, 124, 133 – 135, 137 f., 141 – 144, 164 – 167, 169 f., 170 – 172, 273 f., 352 – 355, 369 f., 377 f., 393 – 396, 424 – 427, 436, 455, 563 f., 568 f., 572 f. „Theonomie“ 85, 222, 240 – 250, 263, 302, 312, 393 Fn. 106, 455, 514 f. – „Autonomie“, „Heteronomie“ und „T.“, siehe „Autonomie“/autonom, und „Heteronomie“/„Theonomie“ „Theoretisch/praktisch“ (geist- und kulturtheoretisch), siehe auch System/Systemgedanke, System der Wissenschaften 223 f., 279 – 281, 289, 296 Fn. 168, 330 – 337, 338 Fn. 56, 358 Fn. 145, 366, 384, 388 f., 398, 465 Fn. 41, 515 Fn. 63 „Tiefe“ 120 Fn. 35, 138, 179 f., 189, 225 Fn. 45, 235, 329, 335 Fn. 49, 349, 433, 478, 508, 526 „Totalität“, siehe auch Form, „Unbedingte Form“; Sinn/sinntheoretisch, „Sinnzusammenhang“; „Synthesis der Synthesen“ 185, 191, 233 – 235, 269 – 272, 293 – 296, 300 Fn. 179, 323, 335 Fn. 49, 544 Transzendental/transzendentalphilosophisch, siehe auch Erkenntnistheorie/-kritik; Prinzip/prinzipientheoretisch 9 – 13, 43, 92 Fn. 121, 102 f., 133, 184 f., 213 – 215, 237 f., 277, 290 f., 297 – 299, 303 – 305, 307, 312, 321 Fn. 259, 323 f., 331 f., 366 f., 368 f., 376 f., 405 f., 408 Transzendenz/Transzendieren, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, und Transzendenz 57, 63, 141 f., 179 f., 188 – 191, 210 – 212, 214, 309, 337 Fn. 52, 363 – 365, 395 Fn. 115, 398 Fn. 130, 401 Fn. 144, 402 Fn. 148, 402 – 407, 409, 412, 461 f., 483, 501 f., 509 Fn. 37, 519 f., 521 – 548, 548 f., 555 f., 558, 559 f., 570, 574 – 580
– „Inneres T.“ 523 Fn. 99, 524, 528, 539, 547 Fn. 207, 548 f. – Relative(s)/bedingte(s), mittlere(s) und absolute(s)/unbedingte(s) T., siehe auch Unbedingte, das/unbedingtheitstheoretisch, „Unbedingt-Transzendente“, das 188 – 191, 404 – 407, 409, 509 Fn. 37, 522, 524 – 526, 544 – 548, 548 f., 575 – 579 – „Seins- und Sinnt.“ 395 Fn. 115, 402 – 406, 502 Fn. 7, 524 – Selbstt., siehe auch Negation, Selbstnegation/Selbstverneinung 57, 142, 470 Fn. 54, 534, 542, 543 Fn. 193, 544 f., 555 f., 574 – 579 – Stufung von Transzendierungsverhältnissen (‚Transzendierungskette‘), siehe auch Analogie, Analogia proportionalitatis (Proportionsanalogie); Symbol/symboltheoretisch, Stufung von Symbolisierungsverhältnissen (‚Symbolisierungskette‘) 544 – 548, 548 f., 576 f. – „Unbedingt-Transzendente“, das, siehe Unbedingte, das/unbedingtheitstheoretisch, „Unbedingt-Transzendente“, das Trinität 49 Fn. 156, 94 – 97 „Unanschaulichkeit“, siehe Anschaulichkeit, „Unanschaulichkeit“ Unbedingte, das/unbedingtheitstheoretisch 33, 43, 45, 57, 65, 80, 185 Fn. 46, 198, 212 Fn. 177, 219, 222, 224 – 231, 233 – 240, 243, 245, 254, 256, 259, 263, 267 f., 270 – 273, 277 – 287, 288 – 292, 294 – 307, 309, 312 – 316, 319 – 322, 323 f., 335 f., 342 – 345, 347 f., 348 f., 352 – 355, 356, 366 f., 370, 384 – 387, 392, 395 – 408, 408 f., 412, 417, 418, 428 – 437, 441 – 444, 446 – 451, 456 f., 462 Fn. 29, 463 Fn. 35, 464 Fn. 37, 468, 478, 501 – 548, 548 f., 550 – 581 – ‚Doppeltes‘/‚zwiefaches‘ U. 303 – 307, 315 f., 318 – 322, 323 f., 568 – 570 – Hypostasierung, siehe auch Positivität, ‚Absolute Positivität‘ (F. Wagner) 253 f., 258 f., 343, 527
Sachregister
– „Letzt-Gemeintes“, siehe „Meinen“, „LetztGemeintes“ – „Richtung auf das U.“, siehe „Richtung auf“ – „U.-Angehende“, das 227, 395, 396 Fn. 118, 398 Fn. 131, 464 Fn. 37, 541 Fn. 188, 542 f. – „U.-Transzendente“, das 227, 403 – 407, 409, 412, 482, 501 f., 519 f., 521 f., 525 – 531, 533 f., 535 – 539, 541 Fn. 189, 542 – 547, 548 f., 555 f., 558, 559 f., 574 – 581 Unendliche, das/Unendlichkeit 6 f., 43, 45, 137, 145, 152 f., 158, 188 – 192, 210, 268, 270 f., 292, 315, 322, 359, 383 Fn. 61, 385 f., 422 f., 430 f., 443 f., 526 – 528, 542, 565 f., 567, 570, 577, 580 – „Innere U.“, siehe auch „Ekstase“; Transzendenz/Transzendieren 145, 152 f., 189, 307, 324, 383 Fn. 61, 385 f., 523, 570, 580 – ‚Schlechte‘ U. 527, 552, 580 – „U.sbewusstsein“, siehe Bewusstsein/bewusstseinstheoretisch, „Unendlichkeitsbewusstsein“ Unmittelbarkeit, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, Indirektheit 11, 29, 50 Fn. 160, 57, 93, 132 f., 143, 157 Fn. 200, 166, 183, 184, 197, 200 – 206, 211, 261, 269 f., 283 f., 286, 293 Fn. 154, 342 – 345, 347, 350 Fn. 105, 366, 402 f., 404 Fn. 155, 443, 447, 449, 452, 469, 501 f., 505, 508, 509, 512 – 518, 532 f., 539, 542, 553 f., 559 f., 568 Fn. 52, 579 – 581 ‚Vermögenspsychologisches Schema‘, siehe Psychologie/Psychologismus, ‚Vermögenspsychologisches Schema‘ „Vertretung“, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Vertretung“ „Verwirklichung“, siehe „Realisierung“/„Verwirklichung“ Vorstellung, siehe auch Anschauung 1 – 4, 8 – 13, 40, 184, 251 f., 333, 342 – 348, 356, 358 Fn. 144, 360 Fn. 152, 366, 371 – 377, 387 f., 408, 422 f., 431 f., 461 – 465, 474 – 476, 479, 499, 532 Fn. 141, 534, 580 f.
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Wahrheit/wahrheitstheoretisch 62, 63 f., 66 f., 71 f., 76, 80, 86, 91, 99 – 104, 107 f., 109, 113 f., 116 – 136, 138, 140 Fn. 121, 141 – 153, 165 f., 170 – 172, 202, 219 Fn. 18, 237 f., 241, 259, 274 Fn. 65, 280 f., 352 f., 359 – 363, 395 Fn. 113, 421, 423 f., 432 Fn. 90, 436, 440, 444, 447, 534 – 548, 563 – 566 – Absolute W., siehe auch Absolute, das/absolutheitstheoretisch 91, 100 – 104, 108, 118 – 126, 127, 129 f., 132 – 136, 146, 148, 152 f., 170 – 172, 237 f., 259, 563 f. – Antinomie/Gebrochenheit des W.sbewusstseins 123 f., 130 – 134, 141 – 144, 152 f., 170 f., 564 f. – „Ausdrucksw.“, siehe Symbol/symboltheoretisch, „Ausdruckskraft“/„Ausdruckswahrheit“ – „Denken“ und „W.“, siehe Denken, „Denken“ und „Wahrheit“ – Einheitsmoment 101 – 103, 108, 118, 120 f., 259, 564 – Geltungsmoment, siehe Geltung – Korrespondenztheoretisch/kohärenztheoretisch 133 – 135, 535 – ‚Theologischer W.sbegriff‘ 119 f., 133 f., 447 – W.sbewusstsein, siehe Bewusstsein/bewusstseinstheoretisch, Wahrheitsbewusstsein; Wahrheit/wahrheitstheoretisch, Wahrheitserkenntnis – W.serkenntnis 100 – 108, 109, 116 f., 119 f., 121 – 124, 125 Fn. 58, 127 – 135, 137 f., 141 – 146, 165 f., 564 – 566 Welt/Weltgedanke, siehe auch Gottesgedanke, und Weltgedanke 12, 24 Fn. 73, 65 f., 80, 93 f., 208 – 210, 233 – 235, 241, 260, 280, 288 f., 292 – 297, 299 – 301, 312 Fn. 227, 323, 335 Fn. 49, 357 Fn. 137, 446, 524 f., 526 Fn. 113, 544 – 547, 567 – 569, 580 f. Weltkrieg, Erster 111 Fn. 6, 173 – 179, 190 Fn. 73, 191 Fn. 76, 213, 213 f., 216, 232 Fn. 80, 239 Fn. 116, 310 – 312, 416 Fn. 19, 422 Fn. 44 Wert/werttheoretisch, siehe auch Bewusstsein/bewusstseinstheoretisch, „Wertbe-
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Sachregister
wusstsein“ 104 – 106, 185, 186 Fn. 51, 187 f., 190 – 192, 194 f., 199 f., 201 – 203, 209 – 213, 229, 231 – 234, 236, 240, 241, 263, 267 – 273, 279 f., 335 Fn. 49, 429, 567, 570 Wille/Wollen 65, 76, 79, 84 Fn. 84, 85, 92 f., 181, 223, 242, 244 f., 279 – 281, 301, 327 – 334, 344, 379, 441, 510 Fn. 41, 514 f. „Willkür“, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, „Selbstmächtigkeit“; und Zeichen 242, 247, 381 f., 440 f., 480 – 486, 488 – 490, 493, 499 f., 521 Fn. 91 Wingolf 68, 72 f., 76, 80 Fn. 71, 97, 154, 174 – 176 Wissen 79 f., 89 f., 139 f., 162, 313 Fn. 228, 348 – 366, 366 f., 369 Fn. 5, 501 – 503, 504 Fn. 15, 507 Fn. 28, 527 – 530 – Absolutes W. (Fichte) 313, 315 – 322, 323 f.
– „Idee des W.s“, siehe auch Prinzip/prinzipientheoretisch, Wissenschaftliches Prinzip 313 Fn. 228, 349 f., 352 – 355, 369 Fn. 5 „Wort“, siehe Sprache/Sprachphilosophie Zeichen/Semiotik, siehe auch Symbol/symboltheoretisch, und Zeichen 2 – 4, 6, 7, 8, 14, 18, 21 – 31, 40, 42, 46, 47, 49 – 51, 57, 63, 346 Fn. 90, 402, 412, 457 f., 460 f., 465 Fn. 40, 466 – 498, 499 f., 521, 535, 558 – 560 – ‚Dreistelligkeit‘, siehe ‚Dreistelligkeit‘ – Theologische Rezeption 40, 42, 46, 47, 49 – 51, 57, 487, 558 – 560 Zweifel 122, 163, 180 – 183, 192, 208, 237 – 239, 342 f., 428 – 430, 513 Fn. 54, 557 f., 564 f., 569, 570