Selbstverletzung als Selbstfürsorge: Zur Psychodynamik selbstschädigenden Verhaltens bei Jugendlichen [1 ed.] 9783666406089, 9783525406083


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Selbstverletzung als Selbstfürsorge: Zur Psychodynamik selbstschädigenden Verhaltens bei Jugendlichen [1 ed.]
 9783666406089, 9783525406083

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Franz Resch

Selbstverletzung als Selbstfürsorge Zur Psychodynamik selbstschädigenden Verhaltens bei Jugendlichen

V

Herausgegeben von Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Franz Resch

Selbstverletzung als Selbstfürsorge Zur Psychodynamik selbstschädigenden Verhaltens bei Jugendlichen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40608-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Paul Klee, Drei Blumen, 1920/akg‐images © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zum Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2 Geschichte und kulturelle Einbettung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3 Beschreibung und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4 Klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 5 Komorbidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 6 Bausteine einer Pathogenese: Somatische Befunde . . . . . . . . . 28 7 Bausteine einer Pathogenese: Trauma und Biografie . . . . . . . . 31 8 Auslöser und Ansteckungsphänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 9 Motive der Selbstverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 10 Psychodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 10.1 Psychische Struktur und Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 10.2 Das archaische Über-Ich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 10.3 Dissoziation und Fragmentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 10.4 Selbstkompetenz und Selbstfürsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 10.5 Interaktionelle Verstrickung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 5

11 Verlauf – Selbstverletzung als Sucht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 12 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 12.1 Akutversorgung und Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 12.2 Therapiekonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 12.3 Kooperation mit dem therapeutischen Umfeld . . . . . . . . 60 12.4 Umgang mit Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 12.5 Der psychodynamische Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

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Inhalt

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrund­lagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich. Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem: ȤȤ Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung. ȤȤ Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet7

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basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze. Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen. Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen. Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Familien, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie. Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

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Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

Selbstverletzungen als Symptom einer Entwicklungsstörung des Selbst bei Jugendlichen haben in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Zweifellos gibt es Unterschiede zwischen den Körperinszenierungen der Jugend von heute zu früheren Jugendkulturen, vor allem was die Dynamik und Radikalität der Verdinglichung des eigenen Körpers angeht. Mit diesem Buch ist Franz Resch ein ganz großartiger Wurf gelungen, denn hier geht es nicht nur um die kulturelle Herleitung, sondern er räumt in erfrischender Weise mit ganz viel Vorteilen und Verallgemeinerungen auf wie »Mädchen schneiden – Jungen agieren aus« und »alle, die ritzen, sind Border­ liner«. Tatsächlich ist es klinisch wichtig, zwischen den »Nachahmungstaten« im Peer-Kontext und dem Schneiden aufgrund dramatischer biografischer Erfahrungen mit dem Zusammenbruch des Selbstregulationssystems zu unterscheiden. Für die Jugendlichen, die zu uns in die Praxen und Kliniken kommen, erfüllen Selbstverletzungen sehr unterschiedliche Funktionen; dies es gilt zu erkennen und, am Beginn der Therapie, auch ein Stück weit zu akzeptieren, stellen sie doch Bewältigungsversuche dar, um dem »verletzten Selbst« zu helfen. So beängstigend und schockierend die dramatischen, tiefgehenden Schnitte, die Selbstverstümmelungen, Brandverletzungen sind, wir müssen verstehen, dass Selbstverletzungen eine paradoxe Funktion der Selbstfürsorge darstellen können. Sie reduzieren unerträgliche Spannungszustände, lassen drängende Suizidideen in den Hintergrund treten und unterbrechen die Angst vor Selbstverlust und ein Gefühl, »verrückt zu werden«. Biografisch finden sich häufig kindliche Traumatisierungen bis hin zu sexuellen 9

Missbrauchserlebnissen, die zumeist auf der Basis einer tief greifenden emotionalen Vernachlässigung in den frühen Beziehungen aufbauen. Bei der Differenzierung von Formen und Funktionen der Selbstverletzung ist die in diesem Buch vorgenommene Untergliederung in vier Strukturlevel mit unterschiedlichem Adaptationsniveau bedeutsam, sie führen nämlich auch zu einem ganz unterschiedlichen Verlauf der Selbstverletzung. Dies ist hochwichtig und hilfreich für Kliniker, nicht zuletzt deshalb, weil sich daraus ganz verschiedene Behandlungskonsequenzen ergeben. Wegen der großen interaktionellen Bedeutung der Selbstverletzung im therapeutischen Kontext nimmt die psychodynamische Perspektive einen breiten Raum ein. Die Sorge des Therapeuten, der Therapeutin, die Hilflosigkeit, die Schwierigkeit, den Verlauf einzuschätzen und das Agieren einzudämmen, werden eindrucksvoll beschrieben, aber auch die Arbeit mit den Eltern (und manchen Praxis­einrichtungen!) kann belastend sein. Die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Praxiseinrichtungen ist dennoch dringend erforderlich und wird anschaulich beschrieben. Die kritische Sicht auf die stationäre Aufnahme, die ja auch Reduktion von Kompetenz mit sich bringen kann, tut gut – vor allem den vielen Therapeuten und Therapeutinnen, die ambulant arbeiten und es häufig als ein Versagen erleben, wenn ambulante Patienten aufgrund einer Zuspitzung der Selbstverletzung in die Klinik müssen. Die komplexe Psychodynamik des selbstverletzenden Verhaltens bei Jugendlichen mündet in praxisbezogene Therapieempfehlungen. Denn: Selbstverletzende Intentionen und Handlungen können heute erfolgreich behandelt werden. Man merkt dem Buch an, dass es auf einer jahrzehntelangen klinischen Erfahrung der Heidelberger Klinik für Kinder- und Jugendspsychiatrie im Umgang mit diesem komplexen Krankheitsbild beruht. Die vorgestellten Überlegungen helfen allen therapeutisch Tätigen, das Thema aktiv anzugehen, und nehmen ihre Sorgen und Probleme, ihre Gegenübertragungsgefühle empathisch auf. Ein mutiges und klar strukturiertes Buch, das hilft, 10

Vorwort zum Band

die therapeutische Beziehung mit diesen so beeinträchtigten Patientinnen und Patienten zu gestalten. Es veranschaulicht im besten Sinne Winnicotts »concern« für den Patienten, die Patientin und ermutigt, die Verantwortung mit anderen zu teilen. Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

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1 Einleitung

Ein beunruhigendes Bild bietet sich uns Therapeutinnen und Therapeuten heute immer wieder: Jugendliche, die sich tiefe Schnittverletzungen an Armen und Beinen, Bauch und Brust, ja sogar im Gesicht zufügen, Jugendliche, die Zigaretten an ihren Unterarmen ausdrücken oder ihre Finger absichtlich in sich schließende Türen halten. Jugendliche, die Haarlack und Deospray einatmen oder spitze Gegenstände schlucken, um sich Schaden zuzufügen. Verzweiflung und Hass, Vorwurf und Selbstverachtung kommen dabei zum Ausdruck – ein fatales Spiel mit sich selbst ohne Freude, dramatische Inszenierungen, Schmerz, Wut und Blut, Selbstsuche und Selbstabwertung in einem Atemzug (Resch, 2001a). Über diesen verzweifelten Aktionen liegt die Scham, die manchmal das Geschehene mit Heimlichkeit zudeckt, wobei an anderer Stelle die Verzweiflung sich Bahn bricht und die Verletzungen in greller Öffentlichkeit zur Schau stellen lässt. Neben diesen tief greifenden Beeinträchtigungen finden wir bei vielen Jugendlichen oberflächliche Manipulationen am Körper, die diesen wie ein Ding erscheinen lassen, wenn Jugendliche ihre Körperoberflächen ritzen und mit Texturen überziehen, sich Schriften eingravieren oder mit spitzen Gegenständen, scharfen Rasierklingen oder Glasscherben aus frisch zerschlagenen Trinkgläsern blutende Schnitte zufügen. Der Drang, sich zu ritzen, kann ansteckend werden – es gibt Gruppen, in denen, kaum dass einer sich zu schneiden beginnt, die anderen bereitwillig mitziehen. Epidemische Selbstverletzung werden solche Phänomene genannt. 12

Im therapeutischen Alltag kommen alle diese Formen vor. Selbstverletzungen als Ausdruck einer Störung in der Selbstentwicklung haben in den letzten Jahren offenbar zugenommen. Woher kommt das? Wohin wird das führen? Das vorliegende Buch will einige Antworten aus Sicht der Psychodynamik versuchen. Durch zwei Selbstberichte von Patientinnen wird das grundlegende Problem abgesteckt: »Wenn ich mich selbst nicht mehr spüre, dann schneide ich mich und merke, dass ich noch lebe …« (Zitat einer 16-jährigen Patientin). »Wenn etwas mir im Inneren schrecklich wehtut, dann verletze ich mich, damit ihr seht, wie sehr es mir wehtut …« (Zitat einer 15-jährigen Patientin). Im Folgenden werden sowohl selbstbezogene Aspekte der Selbstverletzung als auch die interaktionellen Bedeutungen von selbstverletzenden Akten näher beleuchtet.

Einleitung

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2  Geschichte und kulturelle Einbettung

»Es gibt nur eins, was die Menschen mehr erregt als die Lust […] und das ist der Schmerz […] So wären wir auf unserer Reise mindestens zweimal einer Bußprozession von Flagellanten begegnet […] Sie zogen in Zweierreihen durch die Stadt, bekleidet nur mit einem knappen Lendenschurz, denn offensichtlich hatten sie jedes Gefühl der Scham verloren. Mit kurzen Lederpeitschen schlugen sie sich und einander die Rücken blutig und dabei schrien sie, heulten laut und vergossen heiße Tränen, als ob sie mit eigenen Augen die Passion des Erlösers schauten, und flehten mit schrillen Klagegesängen um die Barmherzigkeit Gottes und die Fürbitte der Heiligen Jungfrau« (Umberto Eco, Der Name der Rose, 1987, S. 42, 78 f.). Historisch gesehen ist die Instrumentalisierung des Körpers zur Bewältigung psychischen Leidens nichts Neues, wie Ecos Beschreibung einer mittelalterlichen Flagellanten-Prozession zeigt. Die Angehörigen dieser schwärmerisch-frommen Laienbewegungen pflegten sich morgens und abends zur Buße durch Selbstgeißelung und Auspeitschung in einer besonderen Form der Glaubenssehnsucht zu üben. Solches Verhalten scheint außerdem kulturübergreifend zu sein: So weiß man, dass bei Naturvölkern der Körper nicht selten geschunden wurde, um Trauer, Angst oder Scham zu bewältigen (Resch, 2001b). Neben dem religiösen Beschwörungscharakter ist bereits in den frühen Zeugnissen ein gruppenbezogener Aspekt festzumachen: Durch die selbstverletzenden Akte oder rituellen Verletzungen kann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder eine klare Abgrenzung vom Rest der Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden. Gerade am Übergang vom Kindes- zum Erwachsenenalter finden 14

sich in vielen Kulturen Pubertätsriten, rituelle Beschneidungen und schmerzhafte Zeremonien, die das Ende der Kindheit kennzeichnen und die Aufnahme des Jugendlichen in die Welt der Erwachsenen versinnbildlichen (Resch, 2001b). Vergleiche mit heutigen Jugend­ ritualen wie Piercing und Tattooing werden dadurch zwar nahegelegt, dürfen aber nicht den Blick dafür verstellen, dass zwischen selbstschmückenden Akten und Selbstinszenierungen auf der einen Seite und verzweifelten Selbstverletzungen auf der anderen Seite ein fundamentaler Unterschied besteht. Weltweit wird derzeit von einer Lebenszeitprävalenz selbstverletzender Akte von etwa 17 Prozent bei Jugendlichen ausgegangen (Plener et al., 2016). In eigenen Untersuchungen in Deutschland, die schulbasiert waren, gaben zwischen 25 Prozent und 35 Prozent der Jugendlichen an, sich zumindest einmal bisher in ihrem Leben selbst geschädigt zu haben; 10 Prozent bis 12 Prozent berichteten von wiederholten Selbstverletzungen (Brunner et al., 2014). Vergleicht man diese Häufigkeiten mit älteren Prävalenzzahlen aus den 1980er und 1990er Jahren, die von 0,6  bis 0,75 Prozent der Allgemeinbevölkerung ausgingen, liegt eine deutliche Steigerungstendenz der letzten Jahrzehnte nahe (Resch, 2001a). Aber sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Entwicklungsaufgaben und Herausforderungen für Jugendliche wirklich prinzipiell anders als für Jugendliche in früheren Jahrhunderten? Die individuellen Entwicklungsthemen stehen sicher in anderen kulturellen Zusammenhängen als noch vor dreißig Jahren. Begriffe wie Patchwork-Identität sind bezeichnend für die Problematik, wie Jugendliche in einer Welt pluraler Wertvorstellungen und einer Überfülle an sozialen Rollen ihre Identität finden können. Zweifellos gibt es Unterschiede zwischen den Körperinszenierungen der Jugend von heute und früheren Jugendkulturen, vor allem was die Dynamik und die Radikalität der Verdinglichung des eigenen Körpers angeht. Aber handelt es sich dabei grundsätzlich um das Leiden unter einer gesellschaftlich erzeugten Reduktion von Körpererfahrungen oder um das Bemühen um spezifische Formen intensiven Erlebens? Geschichte und kulturelle Einbettung

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In unserer Wohlstandsgesellschaft dürfen wir trotz Gesundheitsfürsorge, technischer Glanzleistungen, Informationsvielfalt und positiver Entwicklungschancen auch zunehmende Bedrohungen, Kontinuitätsbrüche, Traditionsabrisse und Sinnentstellungen der Anpassungsbeschleunigungen unserer Gegenwart nicht außer Acht lassen. Es fragt sich, ab welchem Grad der Vervielfältigung von Möglichkeiten eine Beliebigkeit beginnt. Nanotechnologie, Gentechnologie und Computertechnologie haben zu Kontinentalverschiebungen in gesellschaftlichen Prozessen und Wertediskussionen geführt. Die Globalisierung hat den familiären Alltag erreicht und die Bildungslandschaften durchdrungen. Die Veränderung sozialer Strukturen in der Auseinandersetzung mit radikal ökonomischen Prinzipien hat neue Bedeutungshorizonte eröffnet. Ab welchem Zeitpunkt flexibel gesetzter sozialer Leitlinien beginnt im subjektiven Erleben des Einzelnen ein Chaos der Orientierung? Ab wann kann Vielfalt schließlich zum Überdruss oder gar zur Bedrohung werden? Byung-Chul Han (2014) zeigt auf, wie das Überangebot an Wahlmöglichkeiten zu Starre, Lähmung oder Abstumpfung führen kann und wie die Selbstausbeutung des Menschen schließlich zur Überforderung führt, wenn unsere Gegenwart durch eine Polarität zwischen Qual der Wahl und doch nur geringen Chancen des Handelns bestimmt wird. Wie können Jugendliche in einem solchen Spannungsfeld ihre persönliche Identität, ein gefestigtes Selbstverständnis und einen stabilen Selbstwert erlangen? Heute wird Jugendlichen suggeriert, dass alle Chancen offen seien, was aber gerade für die junge Generation nicht stimmt. Wenn aber alles angeblich erreichbar wäre, bleiben Misserfolg und die Einschränkungen, die der Einzelne erlebt, am Individuum selbst haften. Je weniger Selbstwert, Identitätssicherheit und Erfolgserwartung der Einzelne mit sich bringt, umso mehr stabilisiert er sich in diesem Entscheidungschaos durch Risikoverhaltensweisen. Während früher die vorherrschende Einengung des neurotischen Überbaus in dem Motto »Ich darf nicht« bestand und zu Schuldgefühlen und Einengungen des Handlungsspielraums Anlass gab, ist unter heutigen Bedingungen die16

Geschichte und kulturelle Einbettung

ses »Ich darf nicht« einem Übermaß eines ernüchternd-­demütigenden »Ich kann nicht« gewichen (Resch u. Westhoff, 2008). Das überforderte Individuum kehrt so im Dunstkreis der gesellschaftlichen Entwicklungen als Opfer oder potenzieller Täter mit destruktivem Potenzial aus seinen gesellschaftlichen Explorationen zurück. In Selbstverletzungen und anderen eskalierten Risikoverhaltensweisen machen die Jugendlichen sich und anderen deutlich, dass sie nur Waren oder gar zum wertlosen Ding verkommen sind, an dem verzweifelte Inszenierungen ausgelebt werden (Resch u. Westhoff, 2008). In einem solchen Paradox der Selbstverdinglichung und im suchtartigen Selbstkonsum wird schließlich die Sehnsucht, sich zu behaupten und etwas Eigenes zu definieren, ausgelebt. Ein solches Paradox kann gesamtgesellschaftlich nur durch gelebte Gemeinsamkeit im Sinne von ausdifferenzierter Intersubjektivität aufgelöst werden. Und das wird eine der großen Zukunftsaufgaben für uns alle sein.

Geschichte und kulturelle Einbettung

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3  Beschreibung und Definitionen

Auch wenn für den Begriff des selbstverletzenden Verhaltens bis heute keine allgemein verbindliche Definition gefunden wurde, gibt es Bemühungen, klinische Leitlinien zur Diagnostik und Therapie herauszuarbeiten (Plener et al., 2016). Unter den klinischen Erscheinungsbildern mit weiterem Forschungsbedarf wird eine Definition der nicht suizidalen Selbstverletzungen im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5) versucht. Dabei gilt als wesentliches Merkmal, dass die Person sich wiederholt oberflächliche, aber schmerzhafte Verletzungen der Körperoberfläche zufügt. Solche Verletzungen können zu Blutungen, Blutergüssen oder Schmerzen durch Schneiden, Brennen, Stechen oder starkes Reiben führen. Die Annahme dabei ist, dass die Verletzung nur zu geringem oder mäßigem körperlichem Schaden führt und dass eine Suizidabsicht dabei nicht gegeben ist. Auf den Zusammenhang zwischen Selbstverletzung und Suizidalität wir weiter unten eingegangen. Es wird angenommen, dass die Person das selbstverletzende Verhalten mit der Erwartung verknüpft, von negativen Gefühlen entlastet zu werden, zwischenmenschliche Probleme zu lösen oder sich selbst in einen positiven Gefühlszustand zu versetzen. Die absichtliche Selbstverletzung wird typischerweise von – wiederholt auftretenden – Gedanken an den Akt des Verletzens eingeleitet. Die Definition fordert auch, dass das Verhalten oder dessen Folgen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, ausbildungsrelevanten oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursacht. Ausgeschlossen werden psychotische Episoden oder schwere körperliche Erkrankungen sowie stereotype Störungen des Autismus-Spektrums. 18

Schon in den 1980er Jahren hatten Pattison und Kahan (1983) ein »deliberate self-harm syndrome« (DSH) beschrieben, das durch multiple Episoden und Formen direkten selbstverletzenden Verhaltens gekennzeichnet ist. Ausgangspunkt ist dabei die absichtliche Selbstbeschädigung. Andere Definitionen betonen die klare Differenzierung zur Suizidalität, wobei die Klassifikationen wiederholt darauf abheben, ob die Selbstverletzung als Ritus stattfindet, ob sie als direkte oder indirekte Selbstschädigung durchgeführt wird und ob sie als offene oder heimliche Selbstverletzung in die Interaktion mit anderen Menschen eingebracht wird (Kaess, 2012). Eine Klassifikation, bei der der Akt der Selbstverletzung den Mittelpunkt bildet, ist die von Favazza (1998). Dabei werden vier Typen von Selbstverletzung beschrieben: ȤȤ Die stereotype Selbstverletzung ist durch autoaggressive Handlungen gekennzeichnet, die zumeist bei Personen mit geistigen Behinderungen, autistischen Störungen, hirnorganischen Störungen oder schweren Stoffwechselstörungen auftreten können. Die Selbstverletzung ist dabei relativ unabhängig vom sozialen und emotionalen Kontext und zeigt einen eher rhythmisch-repetitiven Charakter. ȤȤ Der zweite Typ einer majoren Selbstverletzung kann als autodestruktive Handlung im Zusammenhang mit Sinnestäuschungen oder Wahnideen, religiösen oder sexuellen Inhalts, gefasst werden. Bei organischen Psychosen, schizophrenen Erkrankungen, affektiven Störungen oder auch drogeninduzierten Psychosen können sich schwere Selbstverletzungen finden, die in der Enukleation eines Auges oder der Selbstkastration gipfeln. ȤȤ Kompulsiv-zwanghafte Selbstverletzungen sind ritualisierte Verhaltensweisen, die auch als Störung der Impulskontrolle diagnostiziert werden können. Es handelt sich dabei um Verhaltensweisen wie Nägelbeißen, Hautkratzen oder Trichotillomanie. ȤȤ Die vierte Kategorie umfasst die impulsiven Selbstverletzungen, die als episodische und repetitive Formen in jüngster Zeit besonderes therapeutisches und wissenschaftliches Interesse hervorgerufen haben. In diesen Fällen kommt es typischerweise zu Verletzungen der Haut und zur Selbstzufügung von körperlichen Schädigungen. Beschreibung und Definitionen

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Von besonderer Bedeutung erscheint die Abgrenzung selbstverletzender Verhaltensweisen von klassischem suizidalem Verhalten, das den Tod und das Sterben zum wesentlichen Inhalt der Handlungsintention macht. Demgegenüber besitzen selbstverletzende Verhaltensweisen eine paradoxe Funktion der Selbstfürsorge: Gerade bei drängenden Suizidideen und starken Suizidimpulsen kann durch die Durchführung selbstverletzender Verhaltensweisen (z. B. das Setzen von Schnitten am Unterarm) die unerträgliche Spannung so reduziert werden, dass damit suizidale Intentionen abgebaut werden. Selbstverletzende Akte stellen also nicht missglückte Suizidversuche dar, sondern können einen geradezu autoprotektiven Charakter aufweisen (Resch, Kaess, Plener u. Fegert, 2012). Zum Verhältnis zwischen Suizidalität und selbstverletzendem Verhalten sind in Forscherkreisen die Auffassungen jedoch durchaus unterschiedlich (Kaess, 2012). Insbesondere besteht bei den selbstverletzenden Verhaltensweisen eben die unterschiedliche Intention, die zwar den Tod in Kauf nimmt, ihn aber nicht zum zentralen Handlungsziel macht (Plener, Brunner, Resch, Fegert u. Libal, 2010). Epidemiologisch finden wir jedoch einen starken Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von selbstverletzenden Verhaltensweisen und Suizidalität. Fast 50 Prozent von Jugendlichen, die sich öfter pro Jahr selbst verletzen, haben auch schon mehrere Suizidversuche gemacht. Wie schwer die Grenzziehung zwischen suizidalen Akten und nichtsuizidaler Selbstverletzung sein kann, mögen zwei Beispiele aus unserer Klinik verdeutlichen: Eine Patientin berichtet dem herbeigerufenen Arzt, dass sie Rasierklingen, die ihr jemand zugesteckt hatte, verschluckt habe. Die Patientin berichtet, dass es ihr im Hals ein wenig wehtue, sie aber sonst nichts spüre. Sie betont auf entsprechende Nachfrage, dass sie die Rasierklingen nicht geschluckt habe, um zu sterben, sondern um sich selbst einen Kick zu verschaffen, sich in dieser Gefahr zu befinden und dabei nicht zu wissen, ob sie daran sterben oder es einfach problemlos überleben werde. Die Patientin hat diesen Vorfall ohne 20

Beschreibung und Definitionen

Operation, nur im Rahmen von engmaschiger Überwachung überlebt, wobei die Rasierklingen den Magen-Darm-Trakt ohne weitere Schäden passierten (vgl. Kaess, 2012). Eine andere Patientin unserer Klinik hatte einen Kugelschreiber verschluckt. Auch sie wollte sich lediglich einer gefährlichen Situation aussetzen, aber nicht eindeutig ihr Leben beenden. Sie konnte nach endoskopischer Entfernung des Kugelschreibers ebenfalls überleben und ihre traumatisierende familiäre Situation klären.

Beschreibung und Definitionen

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4  Klinisches Bild

Bei jungen Menschen ist die Gesamthäufigkeit des selbstver­letzenden Verhaltens zwischen den Geschlechtern nicht gleichmäßig verteilt. Wir beobachten das Verhalten bei Mädchen deutlich häufiger als bei Jungen. Es scheint so, dass der Geschlechtsunterschied gerade im Jugendalter noch ausgeprägter als im späteren Erwachsenenalter ist (Kaess, 2012). In älteren Untersuchungen ist das Geschlechterverhältnis zwischen 2 : 1 und 9 : 1 für Patientinnen angegeben (Resch, 2001a). In neueren Untersuchungen findet sich eine zwei- bis dreimal so hohe Prävalenz für das weibliche Geschlecht im Vergleich zum männlichen (Plener, Libal, Keller, Fegert u. Muehlenkamp, 2009). In unserer Heidelberger Schulstudie lag der Geschlechtsunterschied des selbstverletzenden Verhaltens bei 2 : 1 für die Mädchen, beim repetitiven selbstverletzenden Verhalten war das Geschlechterverhältnis jedoch durch eine weibliche Präponderanz von 3 : 1 gekennzeichnet (Brunner et al., 2007). Die Ursachen für diesen Geschlechtsunterschied werden immer wieder unterschiedlich interpretiert. Manche argumentieren, dass Mädchen im jugendlichen Alter erhöhte Irritabilität zeigen und vermehrt Angst und Depressivität aufweisen. Andere Ursachen werden in vermehrten interpersonellen Konflikten in der Adoleszenzphase gesehen. Die Idee, dass das weibliche Geschlecht häufiger zu autoaggressiven Verhaltensweisen neige, während das männliche Geschlecht eher emotionale Probleme durch fremddestruktives Verhalten ausagiere, ist eher im Bereich klischeehafter Mythen angesiedelt, vor allem wenn dafür biologische Erklärungen herangezogen werden. Da, wie wir später sehen werden, selbstverletzende Verhaltensweisen auch mit Traumatisierungen in der Biografie in Verbindung gebracht werden, könnten die vermehrten 22

selbstverletzenden Verhaltensweisen bei Mädchen ein alarmierendes Zeichen für deren vermehrte seelische Verletzungen sein. Mit welchen Methoden wird die Selbstverletzung verwirklicht? Die typische Form ist die direkte Schädigung der Haut. Typische Stellen für Selbstverletzungen sind Unterarme und Handgelenke, demgegenüber sind Oberarme und Oberschenkel etwas seltener betroffen. Es handelt sich dabei um Körperteile, die leicht zu erreichen sind und sich auch bei Bedarf gegenüber den Blicken im sozialen Umfeld verhüllen lassen (Kaess, 2012). Übliche Form ist das Ritzen mit Rasierklingen, Glasscherben, Zirkelspitzen oder geöffneten Büroklammern. Es werden aber auch Messer, Skalpelle, Scheren und andere Werkzeuge herangezogen. In der Regel werden die Selbstverletzungen in offener Weise durchgeführt und gegenüber der Umgebung sichtbar gemacht. Auf diese Weise stellen selbstverletzende Akte auch eine Aktionssprache dar. Demgegenüber sind heimliche artifizielle Störungen und vorgetäuschte Selbstbeschädigungen seltener und besitzen noch eine zusätzliche sozial-manipulative Komponente (Resch, 2001a). Solche heimlichen Selbstverletzungen können sich manchmal im Rahmen medizinischer Untersuchungs- und Behandlungskontexte entwickeln, wobei vom Patienten dann aktiv körperliche Störungen erzeugt werden, die zu wiederholten diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen Anlass geben. Bei der heimlichen Selbstverletzung können körperliche (oder auch psychische) Krankheitssymptome künstlich erzeugt, aggraviert oder vorgetäuscht werden, um eine Krankenrolle im medizinischen System einzunehmen. So hatte eine Patientin beispielsweise nach Zahnextraktionen die verbleibenden Wunden immer wieder geöffnet, was mit erheblichen Blutverlusten verbunden war. Es können auch Operationswunden nach kleinen chirurgischen Eingriffen an der Haut immer wieder eröffnet oder durch künstliche Manipulation im Heilungsprozess beeinträchtigt werden. Auf diese Weise kann das medizinische Personal gezwungen werden, in eine pathologische Arzt-Patienten-Beziehung einzutreten, die sich in wechselseitigen Handlungszwängen und Verstrickungen äußert. Klinisches Bild

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Als klinisches Charakteristikum kann man den typischen »Spannungsbogen« ansehen, der den selbstverletzenden Akt umschreibt. Dieser läuft in der Regel wie folgt ab (Resch, 2001a): Zumeist beginnt der Zyklus durch belastende zwischenmenschliche Erfahrungen, die vonseiten der Patientinnen und Patienten besonders negativ gefärbt sind und auch mit großer subjektiver Betroffenheit einhergehen können. Die Umgebung kann oft die Auslöser nicht erkennen und antizipieren, da sie für die Betroffenen mit ganz spezifischen Bedeutungen (z. B. Entwertungs- und Demütigungserlebnissen) belegt sind. Es handelt sich dabei um eine narzisstische Fehlregulation mit Wut­ gefühlen, Verzweiflung, dysphorischer Verstimmung, Angst, abgelehnt zu werden, sowie Gefühlen der Hilflosigkeit und Hoffnungs­losigkeit. Dadurch misslingt die subjektive Benennung und Bewältigung widersprüchlicher und negativ getönter Affekte. Es kommt zu eskalierenden Zyklen negativer Selbsteinschätzung mit Selbstvorwürfen, Selbsthass, Scham und Wut. Die soziale Wahrnehmung, die Einschätzung anderer Menschen oder der Rückgriff auf zum Teil belastende Erinnerungen, das klare Denken und Planen beginnen unter affektivem Druck zu dissoziieren. Ein immer unbändigerer Wunsch, sich selbst zu verletzen, verbindet sich mit Selbstentfremdungserlebnissen und tranceartigen Zuständen. Diese Zustände nennen wir Depersonalisation. Das Selbst wird dabei in einen wahrnehmenden und einen handelnden Teil aufgespalten. Die entscheidende Phase der Umsetzung des Verletzungswunsches in die tatsächliche Gewebeschädigung wird häufig von Amnesie und Analgesie begleitet. Der Schnitt wird gesetzt. Während nun das Blut rinnt, fühlen die Patientinnen und Patienten Erleichterung und Wohlbefinden. Das Spannungsgefühl erscheint unterbrochen, es ist wie ein kurzes personales Erwachen. Diese positiven Gefühle halten jedoch nicht an. Zunehmend bauen sich negative Gefühle des Ekels, der Scham und der Schuld wieder auf. Angst vor entstellenden Narben und vor dem negativen Echo der Umgebung und Selbstvorwürfe, es wieder nicht geschafft zu haben, dem Drang zur Selbstverletzung zu widerstehen, unterbrechen den erleichterten Gefühlszustand. Auf diese Weise wird der Circulus vitiosus neuerlich aufgeladen. 24

Klinisches Bild

In der folgenden prototypischen Fallvignette soll noch einmal das Spektrum unterschiedlicher selbstschädigender Verhaltensweisen zum Ausdruck gebracht werden: Eine 17-jährige Patientin verletzte sich regelmäßig mehrmals pro Woche. Sie benutzte dazu Rasierklingen, die sie an unterschiedlichen Stellen der Wohnung ihrer Eltern deponierte. Sie benutzte auch Glasscherben oder Zirkelspitzen, wenn sie keine Rasierklingen zur Hand hatte. Nach Auseinandersetzungen mit den Eltern darüber beschloss sie schließlich, das Ritzen zu vermeiden. Sie konnte jedoch auf andere Formen der Selbstschädigungen nicht verzichten. So berichtete sie, dass sie einmal im Autobus die Hand in die sich schließende Falttür gehalten habe. Sie musste sich immer wieder am Oberarm kneifen, unter starkem Spannungsdruck schlug sie auch mit dem Kopf gegen die Wand. In verzweifelten Fällen drückte sie die Zigarette auf ihrem Unterarm aus. In der Therapie sprach sie davon, dass sie sich eigentlich hassen müsste. Im weiteren Verlauf zeigte sich schließlich, dass sie von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht worden war und dass das Selbstverletzungsgeschehen im Zuge eines posttraumatischen Kontextes aufzutreten pflegte.

Klinisches Bild

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5 Komorbidität

Typischerweise sind Selbstverletzungen mit anderen psychopathologischen Phänomenen vergesellschaftet, worauf schon Lacy und Evans in den 1980er Jahren hinwiesen (1986). Es können vor allem andere Formen der Impulskontrollstörungen komorbid auftreten. In unseren eigenen Untersuchungen betrieben fast 40 Prozent auch Substanzmissbrauch (Alkoholkonsum, Kiffen), etwa die Hälfte der sich selbst verletzenden Patientinnen zeigte Essstörungen. Auch Suizidversuche und suizidale Ideen werden immer wieder berichtet. Im Verständnis der Allgemeinbevölkerung werden Selbstverletzungen häufig mit dem Vorliegen einer Borderline-Störung gleichgesetzt. Dies ist aber ein großer Fehler. Wenn man bedenkt, dass gut ein Drittel der Jugendlichen Erfahrungen mit selbstverletzenden Aktionen besitzen, aber nur rund drei Prozent eine Borderline-Störung aufweisen, kann man ermessen, wie falsch diese Einschätzung ist. In unseren klinischen Stichproben finden wir zwar eine starke Assoziation zwischen Selbstverletzungen und Borderline-Störungen, aber eine Gleichsetzung stellt eine unzumutbare Übertreibung dar. Es gibt auch eine Reihe von anderen psychischen Störungen und Problemen, die im Jugendalter mit Selbstverletzungen einhergehen (Kaess, 2012). Ein deutlicher Zusammenhang mit erhöhter Depressivität im Kindes- und Jugendalter ist nicht zu leugnen. In der Heidelberger Stichprobe konnte die Depressivität in Kombination mit Angst als bester Prädiktor für das Auftreten von selbstverletzenden Verhaltensweisen herausgearbeitet werden (Brunner et al., 2007). Auch Störungen des Sozialverhaltens sind mit selbstverletzenden Verhaltensweisen statistisch vergesellschaftet. Ebenso der Substanzkonsum in Form von 26

Rauchen, Alkohol und der Einnahme illegaler Drogen. Die Zusammenhänge zwischen diesen Konsumverhaltensweisen und selbstverletzendem Verhalten sind deutlich. Essstörungen, allen voran die Bulimia nervosa, werden immer wieder als Komorbiditäten berücksichtigt. Eine mögliche Ursache für den Zusammenhang zwischen Bulimie und selbstverletzenden Verhaltensweisen könnte die impulsive Art der Affektregulation sein, welche beiden Handlungsweisen zugrunde gelegt werden kann (Kaess, 2012).

Komorbidität

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6 Bausteine einer Pathogenese: Somatische Befunde

Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass selbstverletzende Verhaltensweisen multifaktoriell bedingt sind. Inwieweit eine genetische Bereitschaft selbstverletzendes Verhalten begünstigt, ist bis heute nicht eindeutig erwiesen. Es gibt Autoren, die eine Erblichkeit für selbstverletzendes Verhalten postulieren und als Begründung anführen, dass dieses ja ein signifikantes Symptom der Borderline-Persönlichkeitsstörung sei, der (vermutlich) ein polygenetischer Erbgang zugeschrieben wird. Uns erscheinen selbstverletzende Verhaltensweisen eher archaische Reaktionsmuster des Menschen überhaupt, die in bestimmten psychischen Notsituationen zur Anwendung kommen. Allen genetischen und neurobiologischen Befunden scheint keine bahnbrechende Erklärungskraft für diese Verhaltensweisen zuzukommen. Auch die interessanten Befunde im serotoninergen System, im endorphinen System oder in der Stressregulation (Cortisolsystem) erscheinen eher sekundär und als Antwort auf lebensgeschichtliche Erfahrungen interpretierbar zu sein. In eigenen Untersuchungen zum zerebralen Volumen unterschiedlicher Hirnstrukturen bei Patientinnen mit Selbstverletzung, die an den Forschungssektionen unserer Klinik durchgeführt wurden, konnte bei jugendlichen Mädchen eine regionale Verringerung der grauen Substanz im vorderen cingulären Cortex und in der Insel gefunden werden. Diese Veränderungen zeigen sich bei Patientinnen mit Borderline-Diagnose nicht, es scheint sich also um Befunde zu handeln, die das selbstverletzende Verhalten explizit begleiten. Solche strukturellen Anomalien beziehen wir eher auf die klinischen Phäno28

mene von langdauernden kindlichen Traumatisierungen, interpretieren sie also als Erlebnisfolgen der Lebensgeschichte. Sie könnten einen erworbenen Vulnerabilitätsfaktor darstellen (unpublizierter Befund). Immer wieder konnte nachgewiesen werden, dass eine reduzierte Aktivität im Serotoninsystem mit einem Anstieg aggressiv-impulsiven Verhaltens verbunden war. Schon früh konnte in klinischen Untersuchungen gezeigt werden, dass Patientinnen und Patienten mit selbstverletzenden Verhaltensweisen Zusammenhänge zwischen habitueller Impulsivität und erniedrigter serotoninerger Aktivität erkennen lassen (Resch, 2001a). Vielleicht hat das serotoninerge System eine Mediatorfunktion zwischen dysfunktionalen Eltern-Kind-Beziehungen und dem selbstverletzenden Verhalten bei Jugendlichen. Die Bedeutung des Endorphinsystems für selbstverletzende Verhaltensweisen ist immer wieder hervorgehoben worden. Die Hypothese besagt, dass Selbstverletzungen Endorphinspiegel akut erhöhen können, wodurch eine Repetition des Verhaltens gebahnt werden könnte. Gerade am suchtartigen Charakter mancher selbstverletzender Verhaltensweisen wurde eine Beteiligung des opioiden Systems als wahrscheinlich abgelesen. Immerhin geben ja fast 80 Prozent der Patientinnen und Patienten mit Borderline-Störungen zu Protokoll, dass sie im Rahmen ihrer selbstverletzenden Handlungen fast oder überhaupt keinen Schmerz spüren (Schmahl et al., 2004). Ähnliche Phänomene einer reduzierten Schmerzsensitivität fanden wir selbst auch bei jugendlichen Patientinnen und Patienten mit BorderlineSyndrom (Ludäscher et al., 2015). Die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse spielt eine entscheidende Rolle in der physiologischen Stressregulation. Da Selbstverletzungen als überschießende Stressreaktionen mit dysfunktionalem Charakter aufgefasst werden können, liegt es nahe, eine Fehlregulation in dem System der Stressregulation zu vermuten (Kaess, 2012). Wissenschaftliche Befunde an Patienten mit Borderline-Syndrom zeigen jedoch inkonsistente Befunde einer Unter- oder Überaktivität des Regulationssystems. Erst zukünftige Forschungen werden uns einen Einblick in die komplexe Dynamik der StressreguBausteine einer Pathogenese: Somatische Befunde

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lation bei unseren Patientinnen und Patienten ermöglichen und dann daraus vielleicht therapeutische Schlussfolgerungen ableiten lassen. Auch wenn wir heute nicht davon ausgehen, dass biochemische, neurobiologische oder neuroendokrine Prozesse selbstverletzende Verhaltensweisen ursächlich in Gang setzen, wird in Zukunft eine interessante Frage sein, ob solche regulatorischen Aktivitäten in unterschiedlichen Systemen eine aufrechterhaltende Funktion für die Symptomatik haben – und damit im Sinne einer Chronifizierung der Verhaltensweisen eine Rolle spielen.

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Bausteine einer Pathogenese: Somatische Befunde

7 Bausteine einer Pathogenese: Trauma und Biografie

In der Biografie liegt gegenwärtig der Schlüssel zu einem Verständnis selbstverletzender Verhaltensweisen. Dabei finden wir typischerweise kumulative Traumatisierungen, die in einer Art Stufenfolge Einfluss auf die kindliche Persönlichkeitsentwicklung nehmen. Typischerweise werden fünf Erlebnisbereiche dargestellt, die eine gewisse Prädisposition zu selbstverletzenden Verhaltensweisen bewirken können (Resch, 2001a). Es handelt sich dabei um ȤȤ kindliche Verlusterlebnisse eines Elternteils durch Tod, Scheidung oder Fremdunterbringung; ȤȤ chronische Krankheiten, die mit mehrfachen Krankenhausaufenthalten oder Operationen einhergehen; ȤȤ sexuellen Missbrauch und körperliche Misshandlungserlebnisse; ȤȤ impulsive Verhaltensweisen aufseiten der Familienmitglieder mit Gewalt zwischen den Familienangehörigen; ȤȤ viele Traumatisierungen fußen auf einer tief greifenden emotionalen Vernachlässigung in den frühen Beziehungen (Kaess et al., 2011). Die Tatsache ist hervorzuheben, dass wesentliche Risikofaktoren, beispielsweise ein schwieriges Familienklima oder Probleme in der Bindung zu den Eltern, erst in den letzten Jahren in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen zu selbstverletzenden Verhaltensweisen geraten sind. Wir gehen heute davon aus, dass fast 80 Prozent aller Jugendlichen mit selbstverletzenden Verhaltensweisen über aktuelle familiäre Schwierigkeiten berichten. Besondere Zusammenhänge 31

konnten auch zwischen Selbstverletzungen und massiver elterlicher Kritik gefunden werden (s. Übersicht bei Kaess, 2012). Klassische Missbrauchserfahrungen, wie sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlungen, stehen schon lange im Fokus biografischer Verursachung von selbstverletzenden Verhaltensweisen. Der Zusammenhang mit einem kalten, vernachlässigenden, übermäßig kritischen und invalidierenden Familienklima jedoch wurde erst in den letzten Jahren herausgearbeitet. Der Aspekt des Opferwerdens wird unter dem Begriff der psychischen Traumatisierung wissenschaftlich beleuchtet. Psychische Traumata umfassen jene Ereignisse, die die Gesundheit und Integrität des Körpers, ja, das Leben eines Menschen unmittelbar gefährden. Wobei sie typischerweise mit einer tiefen psychischen Betroffenheit und dem Gefühl der Bedrohung einhergehen (Resch, 2016). Durch solche Bedrohungen wird eine affektive Alarmsituation ausgelöst. Wenn Kinder und Jugendliche keinen Ausweg aus einer gefährlichen Situation finden können und keine elterlichen Kontakte zur Beruhigung für sich zu rekrutieren vermögen, lösen solche Ereignisse das see­lische Trauma aus. Traumata mit ereignishaftem Charakter, wie wir sie bei Naturkatastrophen, Unfällen oder Terrorakten finden, werden als Typ-1-Traumata chronischen Überbelastungen gegenübergestellt, die durch Misshandlungen, wiederholte sexuelle Missbrauchserlebnisse oder andere kumulative Traumata in einem sozialen Kontext der Vernachlässigung gekennzeichnet sind. Diese werden als ­Typ-2-Traumata bezeichnet (Terr, 1991). Insbesondere kumulative Traumata haben bei Kindern nachhaltige Wirkung auf die Gehirnentwicklung und die Entfaltung der Persönlichkeit (Sachsse, 2013). Wenn potenzielle Bedrohungen nicht durch Handlungsmuster wie Angriff oder Flucht abgewehrt werden können, sondern die Ereignisse den Menschen in aussichtsloser Lage anhaltend den Gefahren aussetzen, folgt die Einmündung in ein dissoziatives Kontinuum (Sachsse, 2013). Dabei kommt es zu einer Desintegration psychischer Funktionen, die die Selbstreflexion der Person nachhaltig verändern kann. Siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel 10. 32

Bausteine einer Pathogenese: Trauma und Biografie

Unter entwicklungspsychopathologischen Gesichtspunkten können wir zusammenfassen: Unterschiedliche genetische Dispositionen können in Wechselwirkungen mit perinatalen Faktoren und frühkindlichen psychosozialen Entwicklungseinflüssen zu Beeinträchtigungen der Plastizität der kindlichen Persönlichkeit führen, wobei solche Kinder in besonderer Weise von der erzieherischen Zuwendung und der emotionalen Einbettung in das elterliche Umfeld abhängig sind. Wenn nun in genau diesem elterlichen Umfeld wiederholte Traumatisierungen stattfinden und emotionale Vernachlässigungsprozesse ihre nachhaltig ungünstigen Wirkungen entfalten, erlebt das Kind immer wieder Symptome einer posttraumatischen Stressverarbeitung, wobei die Dissoziationsneigung im Erleben als Abwehrund Bewältigungsstil in den Vordergrund treten kann. Unterschiedliche Formen psychischer Belastungen werden dann mit dissoziativen Erlebnissen beantwortet. Es kommt also nicht nur auf die (Extrem-) Traumata an, sondern auch auf das Fehlen von protektiven Faktoren und auf den Mangel an sozial-emotionaler Unterstützung. Wenn diese ungünstigen Entwicklungsbedingungen von Traumatisierungen und mangelnder Unterstützung kontinuierlich anhalten, entwickelt sich schließlich beim Kind ein dissoziativ-vulnerables Persönlichkeitsmuster, das mit Verstimmungszuständen, Somatisierungstendenzen, Selbstverletzungen und suizidalen Neigungen einhergeht. Nicht selten versuchen solche vulnerablen Individuen, durch Suchtmittelmissbrauch oder süchtigen Medienkonsum ihrem Schicksal abzuhelfen, was wir als Selbstheilungsversuche ansehen können. Bei solchermaßen vulnerablen Individuen können schließlich schon geringfügige Traumatisierungen zur Dekompensation und zum Ausbruch neuer Symptome führen (Resch, 2001a). Die Auslöser in Form aktueller Ereignisse können dann vergleichsweise alltäglich erscheinen, weil sie beim vulnerablen Individuum zur Überreaktion führen. Die 16-jährige Patientin Sonja hatte eine Mutter, die durch eigene psychische Krankheit in ihrer elterlichen Feinfühligkeit stark beeinträchtigt war. Die Mutter litt an schweren Depressionen und Bausteine einer Pathogenese: Trauma und Biografie

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s­ uizidalen Tendenzen. Die Patientin erinnerte sich an eine Szene, in der sie vor der Schlafzimmertür der Mutter stand und die Mutter bat, doch nicht aus dem Leben zu scheiden, während diese sich hinter verschlossener Tür einen Cocktail aus Medikamenten mixte, um sich umzubringen. Der Vater hatte sich für die Erziehung seiner Tochter viel Zeit genommen und ihr in der frühen Kindheit mütterliche Funktionen der Beruhigung und Fürsorge zuteilwerden lassen. Als Sonja jedoch mit knapp elf Jahren in die Pubertät kam, begann der Vater immer mehr, die Tochter gegenüber der zurückgezogenen und früh gealterten Mutter als Prinzessin hervorzuheben und die Generationengrenzen zu verwischen, bis er schließlich seiner Tochter sexuelle Avancen machte, die das Mädchen schockierten. Damit war eine wichtige Bezugsperson plötzlich wie weggebrochen und zu einer Bedrohung geworden. Die Patientin entwickelte somatoforme Schmerzen und Lernstörungen, sie begann, sich einzuigeln. Der Streit im Elternhaus eskalierte, die Ablehnung des Vaters wurde gravierend. Das Mädchen öffnete sich mehr ihren Freundinnen gegenüber und zog sich emotional aus dem Elternhaus zurück. Nachdem sie mit vierzehneinhalb einen Jungen kennengelernt hatte und mit ihm erste sexuelle Annäherungsver­suche wagte, kam sie plötzlich in eine massive psychische Krise, die sie zuerst gar nicht verstehen konnte; die inneren Spannungen eskalierten, bis sie schließlich begann, sich selbst zu verletzen. Die 15-jährige Patientin Aurora berichtete aus ihrer Kindheit, dass sie immer wieder für die heftig betrunkenen Eltern Verantwortung übernehmen musste. Sie sah sich mehrmals genötigt, bei Nachbarn Hilfe zu holen, wenn die Eltern abends betrunken auf dem Teppich lagen und kaum mehr ansprechbar waren. Sie musste für das Essen und die Körperpflege der kleinen Schwester sorgen und sich auf eine nicht altersgemäße Weise um den Haushalt kümmern. Oft waren die Eltern tagsüber schlecht gelaunt, emotional unstet und reizbar, sodass das Mädchen sich hüten musste, mit ihren Problemen die Eltern zu behelligen. Sie war ganz auf sich allein gestellt, bis schließlich das 34

Bausteine einer Pathogenese: Trauma und Biografie

Jugendamt Hilfsangebote machte und Aurora und ihre Schwester letztlich in eine Wohngruppe vermittelte.

Solche Phänomene der Parentifizierung finden wir nicht selten im Vorfeld bei Patientinnen und Patienten mit repetitiven selbstverletzenden Verhaltensweisen. Der 16-jährige Mike kam zur Behandlung in unsere Klinik, nachdem er über Monate die Schule verweigert hatte. Immer wieder war es zu Streitsituationen mit anderen Schülern gekommen, weil Mike sich gemobbt und zurückgesetzt fühlte. Im Kontakt mit den Lehrern war er frech und distanzlos, sodass bald niemand mehr sich auf seine Seite stellen wollte. Auch die alleinerziehende Mutter lehnte Mike ab, da er sie an ihren alkoholkranken, an Leberversagen leidenden geschiedenen Mann erinnerte. Demgegenüber hielt der Junge ein Idealbild seines Vaters aufrecht und versuchte, diesen in vielen Meinungs­ verschiedenheiten gegen Abwertungen und Vorwürfe zu verteidigen. Mike begann in einer verzweifelten Situation nach einem Streit mit seiner Mutter, sich selbst Schnittverletzungen zuzufügen.

Bausteine einer Pathogenese: Trauma und Biografie

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8  Auslöser und Ansteckungsphänomene

Auch wenn die Entstehungsbedingungen selbstverletzenden Verhaltens einer komplexen Stufenfolge über unterschiedliche Lebensphasen entsprechen, sind doch die letzten Ereignisse, die das Verhalten zum ersten Mal triggern, von besonderer subjektiver Bedeutung. Als Auslöser können subjektive Problemlagen – Sorgen und Beschwerden – fassbar gemacht werden, die dem familiären Umfeld, der Gleich­ altrigengruppe oder dem schulischen Kontext zuzuordnen sind. Diese Anlässe sind im Allgemeinen alltägliche Ereignisse ohne den Charakter eines schweren Traumas, die jedoch auf die Goldwaage von gravierenden Vorerfahrungen gelegt werden und mit subjektiver Bedeutung aufgeladen sind. Im Folgenden werden aus klinischer Sicht einige typische Auslösesituationen besprochen. Enttäuschende Beziehungserfahrungen – mit oder ohne sexuellen Erlebnisinhalt – können den inneren Spannungsdruck erhöhen und so zum ersten Auftreten von Selbstverletzungen führen. Neben der Enttäuschung von Erwartungen handelt es sich dabei um Gefühle des Abgewertetseins, des Nicht-gut-genug-für-andere-Seins oder der Bestätigung, dass man sich auf Geborgenheit, Wohlwollen und Treue nicht verlassen kann. Sexuelle Kontakte können traumatische Misshandlungserlebnisse der Vergangenheit schlagartig wiederaufleben lassen und dadurch zu unerträglichen posttraumatischen Spannungen führen. Demgegenüber kann auch ein Trennungs- oder Verlusterlebnis in diesem Zusammenhang negative Erfahrungen der Vergangenheit aktualisieren. Eigene Misserfolgs- und Versagenserlebnisse können inneren Wertmaßstäben und Zielsetzungen zuwiderlaufen und dadurch mas36

sive Selbstvorwürfe und Selbstabwertungen hervorrufen, die schließlich in den dissoziativen Spannungsbogen münden. Demgegenüber können Erfahrungen der Kränkung, Zurückweisung, Kritik, Abwertung und Disziplinierung schon vorbestehende Selbstabwertungen noch akzentuieren, sodass dadurch eine massive psychische Krise entstehen kann, die vor allem bei vulnerablen Individuen dann den Anlass zu Selbstverletzungen gibt. Erlebnisse der Isolation, wie sie bei Jugendlichen beispielsweise durch erzieherisch bedingten Hausarrest aufkommen können, haben einen starken Belastungsdruck zur Folge. Die Jugendlichen fühlen sich von ihrem Freundeskreis abgekoppelt, sie haben das Gefühl, das Wichtige im Leben gehe an ihnen vorbei, Wut auf die Eltern und Selbsthass können sich bis zur Unerträglichkeit steigern. Isolation wirft die Jugendlichen auf sich selbst zurück, Selbstvorwürfe und aktualisierte negative Erfahrungen nehmen eine überwertige Bedeutung an. Situationen des Entscheidungsdrucks, wenn Jugendliche sich etwa zwischen unliebsamen Varianten einer Beschulung/Ausbildung entscheiden müssen oder insbesondere wenn Kinder im Rahmen von elterlichen Streitigkeiten oder Scheidungsverfahren aufgefordert sind, sich für einen der beiden Elternteile zu entscheiden, können zur Extrembelastung werden. Im klinischen Kontext erkennen wir solche Situationen wiederholt als Auslöser für selbstverletzende Handlungen. Innere Spannungen und Schuldgefühle stehen dem äußeren Zwang gegenüber, sich für eine von zwei Varianten zu entscheiden, wobei keine der Varianten eine Lösung für das persönliche Dilemma bietet. Wiederholt finden wir den Beginn von selbstverletzendem Verhalten auch an der Schwelle von Selbstständigkeitsanforderungen, beispielsweise wenn Jugendliche nach bestandenen Prüfungen neue Verantwortungen übernehmen sollen, in den Arbeitsprozess oder eine Lehre einzutreten genötigt sind oder längere Phasen des Alleinzu-Hause-Seins bewältigen sollen. Was für andere Jugendliche ein Ansporn und ein Grund zur Freude sein mag, entpuppt sich bei vulnerablen Individuen als Überforderung. Auslöser und Ansteckungsphänomene

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Bei Jugendlichen im Gruppenkontext finden wir das Phänomen der »epidemischen Selbstverletzung«, die auch als »Werther-Effekt« bezeichnet wird. Entsprechende Gruppen können Klassenverbände, Ferienheimgruppen oder auch Patientengruppen im stationären Behandlungsbereich sein. Die Ansteckungsphänomene beziehen auch Patienten ohne Vorerfahrungen mit selbstverletzendem Verhalten ein (Resch u. Brunner, 2013). Grundlage dieser Ansteckung ist ein Zugehörigkeitsgefühl, wobei dabei auch Solidarität gegen das Betreuer- oder Behandlungsteam oder eine Überidentifikation mit starken Gruppenmitgliedern eine Rolle spielen können. Wenn solche im Gruppenzusammenhang als zentrale attraktive Personen angesehene Jugendliche selbst autoaggressive Handlungen vollziehen und offen präsentieren, kann in der Gruppe der Druck entstehen, sich auch zu verletzen, um dazuzugehören und Teil des Gruppengeschehens zu sein. Vor allem Jugendliche mit einer Borderline-Persönlichkeitsstruktur scheinen das höchste Ansteckungsrisiko zu haben. Daraus leitet sich ab, dass im therapeutischen Kontext manchmal Patienten und Patientinnen das selbstverletzende Verhalten voneinander in einer Art forciertem Gruppendruck erlernen. Psychodynamisch spielt die Identifikation mit einer als größer und stärker angesehenen und das gefährliche Verhalten wagenden Person eine nicht unbedeutende Rolle. Identifikation und Gruppensolidarität können Mut zur Selbstbeschädigung machen und dabei etwaige Ängste, Hemmungen und Bedenken zerstreuen.

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Auslöser und Ansteckungsphänomene

9  Motive der Selbstverletzung

Was sind die Ziele selbstschädigender Verhaltensweisen? Welche Motive lenken das Verhalten? Welche Gedanken, Vorstellungen und Wünsche führen zu autoaggressiven Akten? Die Selbstverletzung ist als ein archaisches Aktionsmuster aufzufassen, das in der Regel nicht nur einen Zweck erfüllt, sondern simultan als Aktionssprache mehreren Zwecken gleichzeitig dient. So befreit der autoaggressive Akt von einem inneren psychischen Druck und trägt den Selbstansprüchen Rechnung. Nicht ein Motiv steht hinter dem Akt der Selbstverletzung, sondern ein ganzes Motivbündel aus bewussten und unbewussten Anteilen, das nur oberflächlich und für Alltagszwecke künstlich in einzelne Motivgruppen auflösbar scheint. Die Selbstverletzung kann als ein auf der vorsprachlichen Ebene angesiedelter Akt einer symbolischen Problemlösung angesehen werden (Resch, 2001a). In einer wissenschaftlichen Untersuchung, in der wir bei 65 stationären Patientinnen und Patienten jeweils zwanzig mögliche Motive ihrer Selbstverletzungen explorierten (Kaess et al., 2013), fand sich in der durchgeführten Faktorenanalyse der Gesprächsdaten ein DreiFaktor-­Modell, das die klinischen Gegebenheiten ganz gut widerspiegelt. Ein Faktor der intrapsychischen Funktionen – im Sinne der Selbstregulation – war einem Faktor mit interpersonellen Interaktionseffekten gegenüberzustellen. Ein dritter Faktor, der »peer identification« genannt wurde, hielt die Phänomene fest, die wir bei den Gruppenansteckungseffekten von Selbstverletzungen kennengelernt haben. Es ging dabei vorwiegend um Zugehörigkeitsgefühle, Selbstaufwertung, um Anerkennung und Teilhabe in der Gleichaltrigen­ gruppe. Die Zusammenhänge zwischen den individuellen Funktionen 39

und frühen Traumatisierungen wurden von unserer Arbeitsgruppe (Kaess et al., 2013) publiziert. Die intrapsychische Bedeutung der Selbstverletzung kennzeichnet den autoaggressiven Akt als paradoxe selbstfürsorgliche Handlung. Sachsse (1997) hat dies so formuliert: »Blut tut gut.« Selbstverletzungen dienen einer Reduktion der inneren Spannungen. Ebenso wie bulimische Handlungen oder andere Tendenzen des Ausagierens können selbst gesetzte Verletzungen Irritationen und emotionale Spannungszustände zum Abklingen bringen. Dies kann je nach weiterer innerer Zielsetzung noch spezifiziert werden: So können Selbstverletzungen unerträgliche Suizidgedanken, die drängenden Charakter aufweisen, desaktualisieren und so zu einer Suizidprophylaxe beitragen. Auch das Gefühl, verrückt zu werden, kann durch Selbstverletzungen gelindert werden. Die dissoziative Spannung nimmt im Moment des Blutaustritts ab. Dieses Phänomen haben wir bereits im Kapitel 4 als Spannungsbogen beschrieben. Selbstverletzungen können auch der Bestätigung eigener Vitalität dienen und damit eine antidepressive Wirkung entfalten. Sie haben allemal einen identitätsstiftenden Charakter, weil sich die Patientinnen und Patienten im Anblick ihres eigenen Blutes als Selbst wiedererkennen. Der Akt der Selbstbeschädigung kann in seinen aggressiven Anteilen einer Selbstbestrafung dienen und somit neurotische Schuldgefühle abbauen. Ein möglicher Lustgewinn aus schmerzhaften Akten dient ebenfalls als eine Form von Perversion dem Ich-Erhalt und der Selbsterhöhung. Durch das Besonderssein in der Art, Hand an sich zu legen, kann sich das Selbst aufwerten. Selbstverletzung kann auch den Charakter eines magischen Ritus annehmen, auf den der Jugendliche angesichts von Chaos, Irritation und emotionalen Turbulenzen zurückzugreifen vermag. Selbstverletzungen haben auch klare interaktionelle Bedeutungen. Sie richten sich an ein Du, sie sind eine Art von präverbalem Appell, um anderen zu signalisieren, dass die Betroffenen momentan in einer unerträglichen Situation gefangen sind. Die interpersonelle Bedeutung der Selbstverletzung kann auch einer Reinszenierung folgen, die dem anderen signalisiert, dass etwas Unerträgliches passiert ist. 40

Motive der Selbstverletzung

In der interpersonellen Bedeutung wird der autoaggressive Akt auch zu einer Aggression, die den anderen als Zuschauer in eine ausweglose Situation versetzen kann. Selbstverletzungen können also einen manipulativen und erpresserischen Charakter im interpersonellen Kontext annehmen. Demgegenüber können selbstverletzende Akte auch eine Flucht aus sozialer Überforderung bedeuten und auf diese Weise Zielen eines sekundären Krankheitsgewinns dienen. Das Erregen von Aufmerksamkeit, die Suche nach Beachtung durch die Eltern oder Freunde – damit endlich jemand reagiere und das Wegsehen, Abwenden und Vertuschen endlich aufhöre –, ist eine fundamentale Dimension dieser interpersonalen Bedeutung von selbstverletzenden Akten. Nicht selten wünschen sich die Jugendlichen auch, dass die Erwachsenen durch die Selbstverletzung nicht nur aufgerüttelt werden, sondern auch ihr Verhalten ihnen gegenüber ändern. Wir gehen also nicht davon aus, dass das Beachten selbstverletzender Aktionen zu sehr einer positiven Verstärkung Vorschub leisten kann, sondern meinen, dass es gerade die Beachtung ist, das richtige Augenmerk, das den Patienten aus seiner Gefühlsspirale befreit. Die Nichtbeachtung selbstverletzender Verhaltensweisen führt nicht zu deren Verschwinden, sondern zu immer neuen Akten noch gesteigerter Autoaggression, um endlich den Blick der anderen auf sich zu ziehen.

Motive der Selbstverletzung

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10 Psychodynamik

Das Phänomen der Selbstverletzung stellt auf eine paradoxe Weise ein selbstschädigendes Verhalten in den Dienst des Selbst. Selbstverletzende Verhaltensweisen versuchen also, das Selbst kompetent und handlungsfähig zu erhalten und gegen einen emotionalen Überdruck zu schützen. Die psychodynamischen Überlegungen dieses Kapitels basieren auf selbstpsychologischen (Kohut, 1973; Stolorow, Brandchaft u. Atwood, 1996) und individualpsychologischen (Adler, 1920/1978) Modellen; sie beruhen nicht auf einer historisch vollständigen Herleitung psychoanalytischer Konzepte aus dem freudschen (Freud, 1933/1982) Theoriegebäude, noch können sie der Vielfalt aktueller Strömungen der Objektbeziehungstheorie (Kernberg u. Hartmann, 2006) oder des Intersubjektivismus (Benjamin, 2015; Orange, Atwood u. Stolorow, 2015) bedingungslos gerecht werden. Es sind Überlegungen aus der Praxis, die versuchen, aus der Fülle von Modellvorstellungen und Theorieangeboten des psychodynamisch orientierten Denkansatzes jene Konzepte auszuwählen, die für die Arbeit mit selbstverletzenden Jugendlichen fruchtbar zu machen sind.

10.1  Psychische Struktur und Konflikt Auf eine Diskussion zur psychischen Struktur bei Kindern und Jugendlichen kann hier nicht detailliert eingegangen werden, es wird auf die Arbeiten von Resch und Koch (2012) sowie den Arbeitskreis OPD-KJ-2 (2013) verwiesen. Der Strukturbegriff, wie er durch das Konsortium zur Operationalisierung psychodynamischer Diagnostik 42

im Kindes- und Jugendalter entwickelt wurde, geht davon aus, dass dem Kind in jedem Lebensalter in seinem Selbst ein Repertoire an Handlungsbereitschaften zur Verfügung steht, dessen sich das Subjekt in der Interaktion mit der Umwelt bedienen kann (Resch u. Freyberger, 2009). Es geht also um die Aspekte der Funktionalität, Flexibilität, Variabilität, Kontinuität und Verfügbarkeit von Erfahrungen und situationsangemessener Alltagsbewältigung im Sinne von Selbstkompetenz (Resch u. Parzer, 2015). Freiräume für Handlungsentscheidungen können unter psychodynamischen Gesichtspunkten über die Beziehung des Selbst zu seinen inneren und äußeren Objekten definiert werden. Je besser die psychische Struktur entwickelt ist, umso eher können Konflikte, Anpassungsspannungen oder Traumata innenweltlich verarbeitet werden. Es stehen kompensatorische Bewältigung, Problemlösungen und eine Reihe von Abwehrmechanismen zur Affektregulation zur Verfügung. Je gravierender jedoch strukturelle Beeinträchtigungen sind, umso mehr muss das Individuum seine Konflikte, Spannungen und Traumata in der Außenwelt ausagieren. Selbstverletzende Verhaltensweisen stellen in gewisser Weise solch ein Agierverhalten dar, das aber je nach Schweregrad auf unterschiedlichen Funktionsniveaus der psychischen Struktur definiert werden kann: Auf dem Funktionsniveau 1, dem erlebnisreaktiven Niveau, wäre das selbstverletzende Verhalten lediglich als aktuelles Anpassungsproblem aufzufassen. Beeinträchtigungen der Entwicklungsauf­gaben oder aktuelle traumatische Ereignisse stehen dann unmittelbar in Bezug zu diesem Verhalten. Auch die psychischen Ansteckungsphänomene und der Gruppendruck können im Sinne erlebnisreaktiv bedingter Selbstverletzungen zum Ausdruck kommen. Aktuelle Ereignisse lösen regulatorische und kompensatorische Aktivitäten aus, die jedoch bezüglich des basalen Funktionierens der Selbstregulation nur temporär sind. Erlebnisreaktive Selbstverletzungen sind also nicht repetitiv und lang anhaltend. Auf Funktionsniveau 2, dem Konfliktniveau, sind selbstverletzende Verhaltensweisen bereits überschießende Reaktionen auf Auslöser in Psychische Struktur und Konflikt

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der Umwelt. Durch vorausgegangene Traumatisierungen oder überdauernde Konflikte kann die Affektregulation überstrapaziert sein. Übersensibilisierungen sind fassbar, ein dissoziativer Erlebensstil kennzeichnet die emotionale Beziehung zur Umwelt. Auf Funktionsniveau 3, dem narzisstischen Funktionsniveau, finden wir bereits tief greifende Beeinträchtigungen der Selbstregulation. Die Aufrechterhaltung und Balance des Selbstwertes sind in wichtigen Lebenszusammenhängen gestört. Selbstverletzungen finden dann vor dem Hintergrund massiver Selbstwertprobleme statt, die nicht nur überschießende Reaktionen bedeuten, sondern auch fundamentale Ängste vor Objektverlust widerspiegeln. Wiederholte Ängste, den anderen zu verlieren, weil man sich selbst nicht für gut genug hält, Ängste, einen tiefen Makel verstecken zu müssen, können den Jugendlichen zu immer neuen Anläufen von Selbstbespiegelung treiben. Negative Selbstzuschreibungen, Ideen vermeintlicher Größe, Idealisierungen und Entwertungen, Gier nach sozialem Echo mit gleich­ zeitigen Ängsten, von anderen zu Fall gebracht zu werden, also ein Hoch und Tief von Größenideen und Selbstverachtung, kennzeichnen die Beziehungen zur Außenwelt. Selbstverletzungen zur Affektregulation und Selbstwertstabilisierung können repetitiv eingesetzt werden. Funktionsniveau 4, das Borderline-Niveau, spiegelt eine tief greifende Störung der Selbstintegration wider. Dieses Strukturniveau ist durch Ängste vor Selbstverlust, Identitätsdiffusion, Irritabilität, gestörte Impulsregulation, Unstetigkeit in Beziehungen bei starkem Beziehungswunsch und Angst vor Enttäuschung gekennzeichnet. Chaotische Anpassungsformen, eine Tendenz zum Agieren im interpersonalen Kontext, vermehrte Risikoverhaltensweisen und typischerweise Selbstverletzungen kennzeichnen dieses Strukturniveau. Dissoziative Mechanismen können die Selbstreflexion zusätzlich erschweren und Selbstentfremdungserlebnisse hervorrufen (s. Kapitel 10.3). Typischerweise können wir eine negative Einstellung zum eigenen Körper und andere fundamentale Beeinträchtigungen des Selbstbildes bei selbstverletzenden Jugendlichen auf diesem Strukturniveau beobachten. Das Individuum ist in seinen Selbst- und Objekt44

Psychodynamik

repräsentanzen desintegriert, aber die Wahrnehmungsfunktionen und die Fähigkeit zur Realitätskontrolle sind nicht überdauernd fehlgeschaltet, sondern nur affektbedingt situativ beeinträchtigt. Auf dem Funktionsniveau 5, dem psychotischen Niveau, findet sich dann bereits eine Fragmentierung des inneren Erlebens. Selbstverletzungen dienen in diesem Fall ganz stark der Identitätssuche, die durch basale Beeinträchtigungen der Informationsverarbeitung gestört ist. Wahrnehmungs- und Bewertungsfunktionen in der zwischenmenschlichen Interaktion sind so beeinträchtigt, dass ein gemeinsamer Realitätsbezug mit anderen Menschen nicht mehr herstellbar ist. Daraus resultiert eine tiefe Einsamkeit in subjektiven Privatwelten, die immer wieder bedroht sind, sodass ein starker Leidensdruck entsteht. Neben den selbstverletzenden Verhaltensweisen finden wir auf diesem Strukturniveau auch Denkstörungen und Wahrnehmungsstörungen. Jugendliche können zwischen unterschiedlichen Strukturniveaus oszillieren, je nachdem wie sehr sie kontextuell unter Druck gebracht werden oder akuten Belastungen ausgesetzt sind. Zur Einschätzung von relativ überdauernden strukturellen Bereitschaften muss dieses Faktum berücksichtigt werden. Nicht alle selbstverletzenden Akte finden auf dem Borderline-­ Niveau der strukturellen Funktionsstufen statt!

10.2  Das archaische Über-Ich Selbstverletzungen stehen typischerweise mit einer Reihe negativer Gefühle in unmittelbarem Zusammenhang: Es finden sich Gefühle der Wertlosigkeit, der Hoffnungslosigkeit, Selbsthass, ein Gefühl des Ausgeliefertseins, eine tiefe Ohnmacht der Welt und sich selbst gegenüber (Resch, 2007). Die eigene Befindlichkeit ist oft durch ein Gefühl der Gefühllosigkeit und eine innere Leere gekennzeichnet. Nach Sachsse (1997) steht einem strafenden, sadistischen Über-Ich ein überhöhtes, unerreichbares Ich-Ideal zur Seite. Höchstleistungen und Erfolge werden den Patientinnen durch ihre Maßstäbe und WertDas archaische Über-Ich

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vorstellungen abverlangt, aber die persönlichen Forderungen gehen oft weit über das Erreichbare hinaus, sodass innere Maßregelungen und Selbstabwertungen die Folge sind. Erfolge und das Gelingen von Aufgaben dürfen jedoch vor der strengen Gewissensinstanz niemals zu freudigen Triumphen stilisiert werden – eine Kränkung oder Abwertung anderer durch eigenes Großerscheinen ist nicht erlaubt! Zu oft mussten sich die Betroffenen in ihrer Kindheit gegenüber ihren Eltern durch Kleinmachen und Demut selbst abwerten, um narzisstischen Kränkungen der Eltern peinlich vorzubeugen. Über solche inneren Beziehungsfallen von Anforderungen und Abwertungen, die durch widersprüchliche affektive Bewertungsprozesse generatorhaft gespeist werden, entstehen zunehmende psychische Spannungen, die das Selbst schließlich unter maximalen Druck setzen. Internalisierte negative Beziehungserfahrungen in traumatischen Situationen sind oft Vorbedingungen für das strafende Über-Ich. Gerade wenn Eltern selbst zum Täter werden oder das Kind nicht ausreichend vor Übergriffen schützen, werden dessen negative Beziehungserfahrungen mehr dem Selbst zugeschrieben, um ein gereinigtes positives Bild der Eltern aufrechtzuerhalten (Resch, 2016). Auf diese Weise kann sich das Kind vor der Unerträglichkeit des traumatisierenden und nicht beschützenden Objekts selbst vorübergehend bewahren; die Täter im Familienkreis werden also als schützende Objekte in der Phantasie aufrechterhalten, indem das Böse der Traumatisierung dem Selbst zugeschrieben wird. Das durch die Lebens­geschichte verletzte Selbst jedoch ist in seinen Anteilen durch wiederholte projektive und dissoziative Abwehrmechanismen so strukturell beeinträchtigt, dass unterschiedliche Selbstanteile zueinander in Konflikt treten.

10.3  Dissoziation und Fragmentation Im Selbsterleben von Patientinnen und Patienten mit selbstverletzendem Verhalten finden wir häufig das Phänomen der Depersonalisation. Diese Selbstentfremdung, die durch eine Aufspaltung des Selbst 46

Psychodynamik

in einen distanzierten Beobachter und einen handelnden Akteur gekennzeichnet ist, wird von vielen Autoren als adaptive Abwehrleistung aufgefasst (Eckhardt u. Hoffmann, 1993). Wenn auch die Selbstentfremdung im Einzelnen eine adaptive Funktion bei schweren Traumatisierungen ausübt, muss davon ausgegangen werden, dass die kumulativen Traumatisierungen über anhaltende dissoziative Verarbeitungsmechanismen eine konsistente Selbstentwicklung verhindern. Gerade bei Selbstverletzern finden wir unter hohem Affektdruck eine starke Tendenz zur Dissoziation, wodurch die Entscheidung zur Automutilation erleichtert wird (Resch, 2007). »Dissoziation ist ein komplexer psycho-physiologischer Prozess, bei dem es zu einer partiellen oder völligen Desintegration psychischer Funktionen, wie der Erinnerung an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der unmittelbaren Empfindungen, der Wahrnehmung des Selbst und der Umgebung, kommt. Im Vordergrund steht eine Störung des Bewusstseins, die vielfältige Formen aufweisen kann. Dissoziation ist ein Mechanismus, der, wie Verfügbarkeit von Empfindungen, Sinneswahrnehmungen und Gedächtnisinhalten, die bewusste Selbstreflexion verändert. Wahrnehmungs- und Denkprozesse unterhalb der reflexiven Ebene sind nicht grundsätzlich beeinträchtigt. Informationsgewinnung und -verarbeitung sind prinzipiell möglich, aber in ihrer Bewusstmachung beeinträchtigt« (Resch, 2007, S. 305). Dadurch bleiben Innenwelt und Außenwelt grundsätzlich getrennt. Es kommt zur Abspaltung von Erlebniseinheiten, die kognitive, affektive, selbst- und objektbezogene Aspekte aufweisen. Die Dissoziation teilt quasi das Selbst in verschiedene Seinszustände, die unabhängig voneinander existieren können. Wir beziehen uns in diesem Zusammenhang auf Kohut, der von einer vertikalen Spaltung spricht, die er der horizontalen Spaltung gegenüberstellt. Das vertikal gespaltene Selbst ermöglicht den Ausschluss verpönter Erinnerungsinhalte aus dem Aufmerksamkeitsfokus (Kohut, 1971). Im Rahmen der Dissoziation können durch vertikale Spaltung kohäsive Persönlichkeitsanteile, die nebeneinander funktionsfähig existieren, gebildet und auseinandergehalten werden. Demgegenüber Dissoziation und Fragmentation

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sprechen wir von horizontaler Spaltung, wenn verpönte eigene Impulse ins Unbewusste verlagert werden, von wo sie dann über projektive Identifizierung in andere Personen weiterverlagert werden können, wo das Selbst diese Impulse dann bekämpfen kann. Durch die archaischen Abwehrmechanismen der Projektion und der projektiven Identifikation kann sich zwar das Selbst von eigenen Erlebnisinhalten befreien, die horizontale Spaltung trägt jedoch die Gefahr einer Desintegration der eigenen Erlebniswelt in sich. Es droht die Gefahr der Fragmentation (Haan, Joffe, Morrissey u. Naditch, 1977). Die Fragmentation führt zu einer grundsätzlichen Veränderung von Wahrnehmungsund Denkprozessen bereits in präreflexiven Bereichen. Es kann zu tief greifenden Störungen der Informationsverarbeitung kommen, die mit einem Zerfall der Denkprozesse und dem Aufkommen von Trugwahrnehmungen einhergehen, wobei dann Innenwelt und Außenwelt vermischt werden. Wir gehen davon aus, dass das Selbst bei selbstverletzenden Patientinnen und Patienten in der Regel dissoziiert ist, wobei es in ganz gravierenden Fällen auch fragmentiert sein kann.

10.4  Selbstkompetenz und Selbstfürsorge Auf die historische Entwicklung des Selbstkonzepts kann hier nicht eingegangen werden (für einen kurzen Überblick s. Resch u. Möhler, 2006). Im Folgenden wollen wir uns auf ein Strukturmodell des Selbst beziehen, das Damon und Hart (1982) erstmals beschrieben und das von uns selbst in mehreren Schritten weiterentwickelt wurde. Das subjektive Selbst als unmittelbare Erlebnisinstanz (engl. »I«) wird dabei von einem definitorischen Selbst (engl. »Me«) unterschieden. In Anlehnung an diese Dichotomie sprechen manche Autoren von einem medialen und einem figuralen Ich-Begriff (Bischof, 1996). Das subjektive Selbst umfasst ein implizites mentales Modell, das sich als Handlungs- und Entscheidungsinstanz bereits im ersten Lebensjahr aus der Komplexität neuronaler Netzwerke in der Anpassung an die Umwelt entwickelt hat (Siegel, 1999). 48

Psychodynamik

Das subjektive Selbst entspricht der Evidenz eines denkenden, fühlenden und handelnden Akteurs. Es ist eng an affektive Prozesse gekoppelt und entspricht einer unmittelbaren, ganzheitlichen Ich-­ Erfahrung im Lebenskontext. Das subjektive Selbst bildet die Grundlage der personalen Eigentlichkeit in der Abgrenzung zu anderen und enthält die Erfahrungen der Selbstbestimmtheit im Wollen und Handeln sowie die Erfahrung der Konsistenz über unterschiedliche Gefühlslagen hinweg und der Kohärenz im Entwicklungsverlauf. Dieses Selbst besteht aus bewussten und unbewussten Auskristallisationen von Interaktionserfahrungen. Es hat sowohl prozedurale wie deklarative Anteile, die in unterschiedlichen Gedächtnisformationen festgehalten sind. Das definitorische Selbst speist sich aus dem autobiografischen – episodischen und semantischen – Gedächtnis. Dieses Selbst ist das Ergebnis einer differenzierten objektivierenden Selbsterkenntnis, wobei das Selbst zum Ausgangspunkt einer expliziten Selbstbetrachtung und Selbstevaluation wird, die über jene unmittelbare, ganzheitliche Ich-Erfahrung des subjektiven Selbst hinausgehen. Das definitorische Selbst stellt die Gesamtheit der affektiv-kognitiven Informationen über das Selbst dar. Vier Domänen können beschrieben werden: das Körperselbst, das handelnde Selbst, das soziale Selbst und das mentale Selbst. Während das Körperselbst alle Attribute des Leibes und alle Gefühlserfahrungen im Zusammenhang mit diesem repräsentiert, stellt das handelnde Selbst die Repräsentanz des tätigen Menschen in all seinen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Aktionen dar. Das soziale Selbst entwickelt sich aus den Erfahrungen des interaktiven Kontextes, es wird durch Bindungserfahrungen sowie Erfahrungen der Akzeptanz und andere intersubjektive Erlebnisbereiche geprägt. Im mentalen Selbst schließlich finden wir emotional getönte Bilder, Werte, Sinnstrukturen, Referenzen, Wünsche und Phantasien, die letztlich die Grundlage der persönlichen Lebensphilosophie bilden. Das mentale Selbst bildet die Quelle an Erfahrungen und subjektiven Aktivitäten, die dem Menschen Kreativität, Tiefe und Würde verleihen (Resch, 2007). Selbstkompetenz und Selbstfürsorge

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Das durch die Lebensgeschichte verletzte Selbst ist in seinen definitorischen Anteilen durch wiederholte dissoziative Abwehr­ mechanismen strukturell beeinträchtigt, wobei sich schließlich unterschiedliche Selbstanteile auf Kosten des dissoziierten Körperselbst zu stabilisieren trachten. »Das Körperselbst repräsentiert vor allem negative emotionale Valenzen, die anderen Selbst-Domänen sind mit hohen Ansprüchen besetzt. Der Körper gilt als Träger von Schwäche, Kummer und Abwertung, ihm gelten Hass und Verachtung, ihm werden Misserfolge und Spannungen in anderen Domänen zugeschrieben. Ein hohes Ideal-Selbst gepaart mit strengen sozialen Normen, sich zurückzunehmen, steigert den intrapsychischen Druck. In der aktuellen Situation ist die Dissoziation so tiefgreifend, dass Körperempfindungen nicht in das vitale subjektive Selbst integriert sind, sondern abgespalten werden. Das führt zur Verwischung von körpereigenen Scham- und Integritätsgrenzen. Der Körper wird zur Matrix des handelnden Selbst unter Aufhebung der Schmerzgrenze. Im Sinne eines Aktionismus, einer Art Performance, übt das handelnde Selbst in paradoxer Weise – durch eine für das selbstreflexive Bewusstsein als Impulskontrollverlust erlebte Handlungsweise – über den negativ besetzten Körper Kontrolle aus. Die Verwundung dient als Symbol der Selbsterhöhung, als Läuterung für das mentale Selbst, als Unterbrechung nicht aushaltbarer Ambivalenzen im Sinne einer Form der Erleichterung und Standortbestimmung für das soziale Selbst. Über die Verwundung wird die Identitätsdiffusion aufgehoben, die Depersonalisation beendet und ein neues einheitliches subjektives Selbst durch Schmerzhaftigkeit und fließendes Blut rekonstruiert. Der Körper als biografische Quelle der Verwundung, des Schmerzes, der Scham, der Schuld und Trauer wird damit ebenso in seiner Schlechtigkeit aggressiv bestraft wie durch die Unterbrechung der Depersonalisation in identitätsstiftender Weise neu definiert. Die nicht-körperlichen Selbstanteile erleben eine Stabilisierung und Spannungsabfuhr. Das vitale subjektive Selbst findet über den selbstverletzenden Akt eine vorübergehende Integration in einer an sich selbst vollzogenen Tätigkeit. Während Depersonalisation, Amne50

Psychodynamik

sie und Analgesie diesen Akt einleiten, führt die Kontingenz zwischen gesetzter Handlung und erlebter Handlungsauswirkung zur akuten Rekonstruktion eines konsistenten Ich-Gefühls, das jedoch in der Folge durch negative Gefühle wie Scham, Schuld und Angst wieder eine Stigmatisierung erfährt« (Resch, 2007, S. 306 f.).

10.5  Interaktionelle Verstrickung In der Mikroperspektive, die wir einnehmen, wenn wir uns unseren Patientinnen und Patienten im Rahmen eines emotionalen Dialogs vorsichtig nähern, können die Fragen, wer Opfer und wer Täter ist, vorübergehend intersubjektiv verwischt sein. Die dialektische Verknüpfung zweier Subjekte kommt dadurch zustande, dass die Autodestruktion, die den Patienten zum Täter an sich selbst und damit auch zum Opfer macht, in ihren Auswirkungen auf ein zugewandtes Du eine neuerliche interaktionelle Täterschaft entfaltet. Denn auf der interpersonalen Ebene wirkt die Selbstverletzung als präverbaler Appell, als interpersonale Reinszenierung von traumatisierenden Erfahrungen, in welcher der Mechanismus der projektiven Identifikation neue Personen unter den psychischen Druck bringt, unter dem die Patientinnen selbst immer wieder leiden mussten. Das ehemals persönliche Dilemma wird in einem neuen sozialen Kontext fassbar gemacht: »Ich brauche Hilfe – habe aber kein Vertrauen, dass du mir helfen kannst. Doch gibt es gerade niemanden als dich. Bist du gut genug? Wenn nicht, werde ich dich vernichten und mit in den Abgrund ziehen …« Schutzbedürftigkeit und sadistische Kontrolle, Idealisierung und Entwertung bilden dabei Spannungspole, zwischen denen die Beziehungsmuster oszillieren können. Wir gehen also davon aus, dass die Selbstverletzung psychodynamisch eine Form der Selbstregulation auf der Basis einer Selbstdissoziation darstellt. Der Körper wird dabei zur Matrix selbstverletzender Handlungen, die der Fürsorge anderer Selbstanteile dienen. Auf diese Weise versucht das Selbst, seine Lebenskompetenz zu erhalten. Interaktionelle Verstrickung

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Die narzisstische Wut wird kanalisiert, die Depersonalisation beendet und damit die Selbstverletzung als eine identitätsstiftende Handlung fassbar gemacht. Demgegenüber haben wir zu zeigen versucht, dass Selbstverletzungen auf der interpersonellen Ebene einen dringenden Appell an die Umgebung senden und einer Reinszenierung traumatisierender Situationen und intrapsychischer Dilemmata dienen können.

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Psychodynamik

11  Verlauf – Selbstverletzung als Sucht?

In der Regel stellen Selbstverletzungen und andere Impulshandlungen kein stabiles Handlungsmuster dar, vielmehr variieren die Ereignisse in der Zeit und in Abhängigkeit von lebensgeschichtlichen Erfahrungen. Bei Selbstverletzungen gibt es einen Typus mit seltenen einzelnen Impulsdurchbrüchen, die nur sporadisch zur Verletzung führen. Darüber hinaus gibt es einen fluktuierenden Typus mit wechselnder Häufigkeit und Intensität der Selbstverletzungen. Hervorzuheben ist ein Typ, der mit Steigerungsphänomenen einhergeht, bei dem also die Intensität der Verletzung, die Gefährlichkeit der Verletzungsorte, die Tiefe der Schnitte zunehmen. Da der Akt der Selbstverletzung auf manche Jugendliche wie eine psychotrope Substanz wirken kann, die am Höhepunkt des charakteristischen Spannungsbogens nicht nur die Entspannungsphase einleitet, sondern auch Lustgefühle erzeugt, wurde immer wieder die Frage aufgeworfen, ob Selbstverletzung auch als Suchtverhalten interpretiert werden könne. Neurobiologische und neuroendokrine Befunde scheinen diese Hypothese zu untermauern. So konnten einige Studien erhöhte Spiegel von endogenen Opioiden im Zusammenhang mit Selbstverletzungen nachweisen. Daher wurde auch der Vorschlag gemacht, einen Opiatantagonisten zur Unterbrechung von repetitiven selbstverletzenden Verhaltensweisen anzuwenden. Diese klinischen Versuche führten jedoch nicht zu einem generalisierbaren therapeutischen Durchbruch. Auch der Corticotropin-Releasing Factor (CRF) scheint nicht nur im Rahmen der Stressregulation, sondern auch beim Drogenentzug nach Substanzmissbrauch und bei anderen Abhängigkeitsphänomenen involviert 53

zu sein. Dieser CRF scheint auch eine stimulierende Funktion auf das Opioidsystem auszuüben. Aber kann sich daraus die Feststellung ableiten lassen, dass selbstverletzende Verhaltensweisen, wenn sie wiederholt durchgeführt werden, immer einem Suchtmechanismus entsprechen? Im Folgenden werden die Kriterien von nicht stoffgebundenem Suchtverhalten (s. auch Grüsser, Poppelreuter, Heinz, Albrecht u. Sass, 2007) an das repetitive selbstverletzende Verhalten angelegt: ȤȤ Es findet sich in vielen Fällen der anhaltende Wunsch oder auch die Tatsache mehrerer erfolgloser Versuche, das selbstverletzende Verhalten einzustellen oder zumindest zu kontrollieren. Das Misslingen dieser Kontrolle kommt klinisch häufig zur Beobachtung. ȤȤ Die Fortsetzung des Verhaltens zeigt sich trotz Kenntnis anhaltender sozialer, psychischer und körperlicher Probleme (z. B. Narbenbildung). Die Patienten beschäftigen sich in übermäßiger Weise mit den Verhaltensweisen. Bei manchen Patienten können wir beobachten, dass im Rahmen der Wiederholung des selbstverletzenden Verhaltens der Schweregrad der Verletzung, die Tiefe der Schnitte, der Blutverlust und die Gefahr entstellender Narbenbildung zunehmen. Auch die Lokalisation der Schnitte kann von anfänglich neutralen Stellen (z. B. den Unterarmen), die unter Kleidung verborgen bleiben, schließlich für die Umgebung immer schwerer auszuhaltende Körperteile, wie das Genitale oder das Gesicht, betreffen. Zugleich kann auch die Frequenz der selbstschädigenden Akte zunehmen (s. auch Resch, Karwautz, Schuch u. Lang, 1993). ȤȤ Wenn durch massiven äußeren Druck oder Zwangsmaßnahmen das selbstverletzende Verhalten unterbunden wird, kann es zu einer Art Entzugssymptom kommen, das sich als Agitation, Irritabilität, Ängstlichkeit oder Zunahme suizidaler Verhaltensweisen äußert. Auch halluzinatorische Erlebnisse, paranoide Verkennungen und andere psychosenahe Symptome werden beobachtet. 54

Verlauf – Selbstverletzung als Sucht?

Und doch gibt es einige Argumente, die gegen einen ubiquitären Suchtmechanismus bei selbstverletzenden Verhaltensweisen sprechen. Denn insgesamt handelt es sich in längerfristiger Perspektive auch bei vorübergehender Intensitätssteigerung um ein selbstlimitierendes Verhalten. Nicht selten zeigen Selbstverletzungen einen Symptom­shift in Richtung bulimischer Symptome, Essstörungen, Substanzmissbrauch oder schwererer affektiver Symptome. Bei jugendlichen Patientinnen konnten wir selbst im Rahmen von Verlaufsunter­suchungen feststellen, dass einige von ihnen – auch heftige Risikoverhaltensweisen auslebende – ein Jahr später das Verhalten aufgegeben hatten. Auf die Frage, welche Gründe sie zum Aufhören gebracht hätten, konnten wir immer wieder hören, dass die Patientinnen ihre Konflikte und Probleme lösen konnten, dass sie Strategien gefunden hatten, ihr Leben zu ordnen. Viele antworteten auch, dass sie gar nicht wüssten, warum sie keinen Drang mehr verspürten, sich selbst etwas anzutun. Selbstverletzung ist also eine effektive Selbstregulationshilfe, die immer wieder in Krisenzeiten eingesetzt wird, um das Selbst aufrechtzuerhalten. Aus psychodynamischer Sicht können wir davon ausgehen, dass diese Form der Selbsterhaltung wieder aufgegeben werden kann, wenn der innere Druck nachlässt. Das spricht gegen einen Suchtmechanismus. Demgegenüber erscheint es wichtig, dass Selbstverletzung als Form der Selbsterhaltung nicht ohne die Möglichkeit anderer, ähnlich wirksamer Strategien unterdrückt werden darf, da es sonst zu einer zunehmenden Steigerung der inneren Spannung und zum Einsetzen massiver Irritationssymptome bis hin zu psychotischen Regressionen kommen kann. Aus psychodynamischer Sicht ist die Selbstverletzung also eher als ein regulatives denn als ein abhängigkeitserzeugendes Verhalten anzusehen.

Verlauf – Selbstverletzung als Sucht?

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12 Therapie

12.1  Akutversorgung und Setting Auch wenn vereinzelte selbstverletzende Verhaltensweisen bei Ju­ gendlichen – die ja annäherungsweise bei bis zu einem Drittel der Jugendlichen in der Allgemeinbevölkerung anzutreffen sind – keinen Krankheitswert aufweisen, sind Kombinationen von wiederholten selbstverletzenden Verhaltensweisen (Repetition) und Suizidalität als Warnzeichen einzuschätzen (Kaess, Brunner u. Chanen, 2014). Sind Selbstverletzungen mit häufigen emotionalen Ausbrüchen verbunden, kommt es wiederholt zu Streit oder zeigen sich andere schwere Selbstwert- und Identitätsprobleme, müssen diese ebenfalls als Warnzeichen eingestuft werden, die eine psychologische Diagnostik und ein therapeutisches Gespräch notwendig und sinnvoll erscheinen lassen (Resch, Brunner, Parzer u. Kaess, 2017). Therapeutische Behandlungsmöglichkeiten für selbstverletzen­ ­de Verhaltensweisen sind in der Regel in den Rahmen von über­ geordneten Behandlungsstrategien für das Borderline-Syndrom ein­ge­bunden, da Selbstverletzungen ja ein zentrales Symptom der Borderline-­Störung darstellen. Aber nicht alle Jugendlichen, die Selbstverletzungen zeigen, weisen alle Borderline-Kriterien auf! Grundsätzlich versuchen wir, mit minimal notwendigen Interventionen auszukommen und die Patientinnen und Patienten nicht unnötig langzeitlichen Therapiestrategien zu unterwerfen. Ein modulares Konzept ist angezeigt, auf das im Folgenden ­eingegangen wird. 56

In Heidelberg wurde eine Ambulanz für Risikoverhalten und Selbstschädigung (AtR!Sk) gegründet. Sie ist durch ein mehrstufiges Konzept ausgewiesen. Neben dem niederschwelligen Zugang über eine offene Sprechstunde für riskantes und selbstschädigendes Verhalten auf Stufe 1, die als Beratung für Betroffene und ihre Eltern gedacht ist, finden weiterführende diagnostische Maßnahmen nur statt, wenn dies im Dialog mit der Familie notwendig erscheint. Diagnostische Maßnahmen mit klinischen Interviews und psychologischen Untersuchungen stellen die Stufe 2 dar. Stufe 3 ist durch eine ambulante Behandlungsphase gekennzeichnet, die auch wiederum vom psychosozialen Management und einer kinder- und jugendpsychiatrischen Beratung der Familie bis zu ambulanten Therapiebausteinen einer Borderline-Therapie (Dialektisch-Behaviorale Therapie für Adoleszente, DBT-A) reichen kann. Stufe 4 gilt als die Eskalationsstufe, die durch Maßnahmen zur akuten Unterstützung bei suizidalen Krisen und mögliche kurzfristige stationäre Aufnahmen zur Krisenintervention gekennzeichnet ist. Aus solchen Interventionen können sich längerfristige stationäre Therapiephasen entwickeln, wenn dies klinisch angezeigt ist. Als ambulantes Pionierkonzept wird AtR!Sk derzeit von den Krankenkassen durch eine eigene Pauschale finanziert. Demgegenüber findet auch eine drittmittelfinanzierte wissenschaftliche Evaluation des Ambulanzmodells statt, die durch die Dietmar-Hopp-Stiftung unterstützt wird (weiterführende Einzelheiten bei Kaess, 2016). Das Therapieangebot soll also multimodal – von unterschiedlichen Berufsgruppen – getragen sein und Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen beinhalten. Ziel ist, den Patientinnen und Patienten ein möglichst hohes Maß an Selbstverantwortung zu erhalten und nicht durch zu rasche stationäre Aufnahmen maligne Regressionsphänomene hervorzurufen, in denen sie weitere Alltagskompetenzen verlieren. Dies unterscheidet ältere Therapiekonzepte von den heutigen: Die Klinik wird nicht mehr als »Glashaus« und beschützter Entwicklungsraum angesehen, da Fortschritte in diesem Entwicklungsraum nur unzureichend in den wirklichen Alltag transferiert werden könAkutversorgung und Setting

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nen. Demgegenüber besteht heute das Konzept der Klinik als »Schutzhaus«, in dem die Jugendlichen Zuflucht und Sicherheit finden können, wenn sie in einer akuten Krise sind. Nur bei massiver Komorbidität und besonders komplexen Rahmenbedingungen ist ein vollstationärer Aufenthalt über längere Zeiträume angezeigt. Das flexible Therapieangebot nimmt also das ambulante, teilstationäre und stationäre Setting auf eine dem Patienten angemessene Weise in Anspruch. Unter therapeutischen Gesichtspunkten werden vier Strategien verfolgt (s. auch Kaess, 2016): Im Fokus der ersten Strategie stehen der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer funktionalen und vertrauensvollen therapeutischen Beziehung. Diese ist die Basis für alles Weitere. Die zweite Strategie verfolgt den Aufbau und die Aufrechterhaltung eines konsistenten Behandlungsprozesses. Verlässliche Termine und möglichst hohe personelle Kontinuität sind für das daraus entstehende therapeutische Bündnis von Bedeutung. Die dritte Strategie ist die Vermittlung von Wertschätzung und Anerkennung gegenüber den Selbstäußerungen der jugendlichen Patienten. Es geht um aktives Zuhören, zunächst sollen nur das Verhalten und die individuellen Erfahrungen wahrgenommen und einfühlsam akzeptiert werden. Aus den Erzählungen und dem Verhalten der Jugendlichen soll schließlich versucht werden, die Funktionalität der selbstverletzenden Verhaltensweisen im Lebenskontext zu erkennen und zu deuten. Die vierte Strategie ist durch den Aufbau und die Aufrechterhaltung einer Therapiemotivation gekennzeichnet. Gerade bei Jugendlichen ist dieser Aspekt nicht trivial, aber für eine erfolgreiche Therapie als fundamental anzusehen. Selbstverletzungen sollen ernst genommen werden, sie zu negieren, um keine manipulativen Lerneffekte zu erzielen, halten wir für einen grundsätzlichen Fehler. Solche Reaktionen von verantwortlichen Personen kommen bei Patientinnen und Patienten als Vernachlässigung an. Sie fühlen sich nicht gesehen und in ihrem Leid abgewertet. Das kann eher zu weiteren Intensitätssteigerungen des Risikoverhaltens Anlass geben als zu dessen Abklingen beizutragen. Gerade vor dem 58

Therapie

Hintergrund einer traumatischen Lebensgeschichte führt das Nichtbeachten von Selbstverletzungen eher zur Retraumatisierung als zur Normalisierung. Die Akutversorgung schließt auch die Zusammenarbeit mit anderen medizinischen und nicht medizinischen Disziplinen ein. So kann eine Wundversorgung notwendig sein, die durch chirurgische Nähte erfolgen muss. Wichtig ist auch, an Tetanus-Impfschutz und Infektionsprophylaxe zu denken. Diese medizinisch notwendigen Maßnahmen sollten in enger Kooperation mit dem psychotherapeutischen Team erfolgen.

12.2 Therapiekonzepte Für die Behandlung selbstverletzender Verhaltensweisen steht eine Reihe von evidenzbasierten verhaltensorientierten und psychodynamisch fundierten Therapiekonzepten zur Verfügung. Diese sind zumeist Bausteine von übergeordneten Therapiekonzepten zur Behandlung von Borderline-Persönlichkeitsstörungen im Jugendalter. Zumeist hatten sich diese Therapiekonzepte zuerst im Erwachsenenalter als therapeutisch wirksam erwiesen und konnten auch für die Behandlung von Jugendlichen fruchtbar gemacht werden. Es handelt sich dabei um: ȤȤ die Dialektisch-Behaviorale Therapie für Adoleszente (DBT-A; von Auer, 2016); ȤȤ die Übertragungsfokussierte Psychotherapie im Jugendalter (TFP; Clarkin, Yeomans u. Kernberg, 1999; Doering, 2016); ȤȤ die Kognitiv-Analytische Therapie im Jugendalter (CAT; Ryle, 2004); ȤȤ die Mentalisierungsbasierte Therapie für Adoleszente (MBT-A; Bateman u. Fonagy, 2000; Taubner u. Volkert, 2017); ȤȤ die Schematherapie (Young, Klosko u. Weishaar, 2008; Bender, 2017). Auf die einzelnen Details dieser publizierten Therapiemethoden und ihre modulare Struktur kann hier nicht eingegangen werden. WichTherapiekonzepte

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tiger als die einzelne therapeutische Schule ist der Fokus auf das Stufenkonzept nach dem Motto: »Notwendige therapeutische Unterstützung, aber kein Therapieaktionismus!« Die psychotherapeutische Behandlung kann mit medikamentösen Behandlungsversuchen kombiniert werden. Die medikamentöse Therapie von selbstverletzenden Verhaltensweisen bei Jugendlichen spielt jedoch eher eine untergeordnete Rolle. Sie zielt häufig auf Komorbiditäten wie depressive Störungen, psychotische Erlebnisweisen oder Entzugssymptome bei Substanzmittelmissbrauch. Es ist nicht angezeigt, selbstverletzende Verhaltensweisen grundsätzlich immer durch eine medikamentöse Gabe zu beeinflussen.

12.3  Kooperation mit dem therapeutischen Umfeld Bei Jugendlichen ist es wichtig, die Eltern grundsätzlich in den Behandlungsprozess miteinzubeziehen. Als verantwortliche Bezugspersonen bleiben sie für die Patienten wichtige Teile ihrer Lebensumwelt, daher sollte das Therapieangebot nicht zu einem therapeutischen Bündnis mit dem Jugendlichen gegen seine Eltern führen. Da in den Familien oft traumatisierte Eltern ihren symptombelasteten Kindern gegenüberstehen und heftige Konflikte die Szene beherrschen können, ist ein moderierender, wertschätzender und fairer Umgang mit allen Beteiligten notwendig. Auch Bündnisse unter den Erwachsenen und Absprachen ohne Einbeziehung des jugendlichen Patienten oder der Patientin sind abzulehnen. Sie untergraben das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Therapeuten. Wenn sich im diagnostischen Prozess herausstellt, dass das Elternhaus ein kontinuierlich traumatisierendes Umfeld darstellt oder sexuelle Übergriffe ans Tageslicht kommen, gilt es im Sinne des Kinderschutzes, den Jugendlichen einen sicheren Ort zu bieten und sie aus dem traumatisierenden Umfeld herauszuführen. Therapeutische Aktivitäten bei Kenntnis anhaltender Traumatisierung sind kontraproduktiv und abzulehnen. Die Therapie bedarf eines sicheren Ortes, an dem die Jugendlichen geschützt sind. 60

Therapie

In diesem Zusammenhang ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Jugendhilfe von besonderer Bedeutung. Wenn Jugendliche auf eigenen Wunsch oder aufgrund anhaltender Konflikte in der Familie in einer Jugendhilfeeinrichtung wohnen, sollten die Bezugspersonen aus dem Erziehungspersonal in den Therapieprozess einbezogen werden. Nur die regelmäßigen Gespräche mit den wichtigen Bezugspersonen können ermöglichen, dass die Patientinnen und Patienten in einem konfliktärmeren Umfeld mit besseren kommunikativen Strategien ihren Alltag leben können.

12.4  Umgang mit Suizidalität Selbstverletzende Verhaltensweisen sind per se nicht Ausdruck eines Wunsches, zu sterben, sondern eher gegen die suizidalen Impulse gerichtet. Phasen von chronischer Suizidalität können jedoch in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit selbstverletzenden Verhaltensweisen ein besonderes Problem darstellen (Sachsse, 1997). Die Betroffenen können den Impuls, sich selbst zu verletzen, innerlich von einem Suizidimpuls unterscheiden! Während selbstverletzende Impulse selbsterhaltenden Zwecken dienen und der Sorge gegen IchFragmentierung oder wütenden Impulsen entspringen, sind suizidale Impulse häufiger bilanzierend und resignativ motiviert (Sachsse, 1997). Darüber hinaus können noch Wünsche, sich »zuzudröhnen« oder in einen anderen Zustand zu »beamen«, zu übermäßigem Alkohol- und Drogenkonsum oder zur Einnahme von Überdosen an Medikamenten führen, was dann als Suizidversuch gewertet wird. Gerade bei Jugendlichen hat die Suizidalität einen stark beziehungsorientierten Charakter. Manche Patienten wünschen sich, gesucht und gefunden zu werden, sie machen Andeutungen ihrer Umgebung gegenüber und hoffen auf Rettung. Grundlage der Suizidalität ist häufig die Unaushaltbarkeit der momentanen Situation, aus der heraus der Impuls »Nur weg von hier, Umgang mit Suizidalität

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auch wenn es das Leben kostet« stärker ist als die Besonnenheit im Umgang mit den eigenen Problemen. Suizidalität kann dabei auch als ein Spiel wie »russisches Roulette« aufgefasst werden, in dem unter erhöhtem Risiko das eigene Leben als Einsatz dient. Viele Jugendliche sind daher froh, wenn ihre Suizidversuche aufgedeckt und sie einer Behandlung zugeführt werden. Auch wenn resignative Gefühle eine Rolle spielen, sind diese nicht so stark bilanzierend, dass der Tod als einziger Ausweg gesehen wird. Eher ist es die Verwirrung, im Moment keinen Ausweg aus einer Notlage erkennen zu können! Im Rahmen des therapeutischen Bündnisses versuchen wir, durch Suizidverträge die unmittelbare Gefährdung etwas einzudämmen und den Patienten im Rahmen der Therapie Hoffnung zu vermitteln. Ein fatales Phänomen ist der sekundäre Krankheitsgewinn, der aus suizidalen Äußerungen bei manchen Patientinnen und Patienten zu beobachten ist, wenn sie erkennen, dass dadurch die Umgebung besonders aufmerksam und fürsorglich wird. Es kann dann zu manipulativen und erpresserischen suizidalen Äußerungen kommen, die therapeutische Teams gehörig auf die Probe stellen. Immer ist aber zu bedenken, dass der Mechanismus der projektiven Identifikation auch bei suizidalen Äußerungen wirksam ist und dass die Patienten ein Stück Sicherheit zurückgewinnen, je mehr Sorgen wir Thera­ peuten uns um sie machen. Sachsse hat das so zusammengefasst: »Je beunruhigter Sie als Therapeut sind, umso beruhigender [für den Patienten]« (1997, S. 155). Im therapeutischen Dialog kann die Selbstverletzung als autodestruktives Verhalten Aspekte des Opferseins und der Täterschaft innerhalb einer Person realisieren. In der Auswirkung auf ein »zugewandtes Du« kann aber gerade das suizidale Verhalten eine neuerliche interaktionelle Täterschaft entfalten (s. Kapitel 10.5). Zwischenmenschliche Widersprüche, Untertöne, Zwiespältigkeiten der Bedürfnisse und das interaktionelle Wechselspiel von Empathie und Selbsterhaltung können im Kontext eines emotionalen Dialogs oft nur mühsam entschlüsselt und verstanden werden. Als Therapeuten müssen wir unseren Standpunkt, gerade 62

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bei suizidalen Patienten, immer wieder neu bestimmen: Was könnte durch unsere eigenen Interventionen eskaliert oder beruhigt werden? Wo treffen denn die Gedanken, Handlungen und Absichten des Patienten auf unsere eigenen Grenzen? Was können wir im thera­ peutischen Dialog so stehen lassen und was sollte aktiv gemeinsam verändert werden? Auch dabei gilt es, den Grundsatz immer aufrechtzuerhalten: Die Therapie muss ein sicherer Ort sein und bleiben (Resch, 2016).

12.5  Der psychodynamische Rahmen In der Behandlung von selbstverletzenden Verhaltensweisen empfiehlt es sich, im Rahmen des therapeutischen Vorgehens – egal, ob man eher verhaltensorientiert interveniert oder um ein psychodynamisches Vorgehen bemüht ist – die therapeutischen Interventionen nach dem Prinzip einer »dynamischen Hierarchisierung« (Herpertz, 2009) zu setzen. Bei ausagierendem Verhalten empfiehlt es sich, immer an der momentanen Situation und dem Bedarf der Patienten orientiert zu sein. Vorrangig sollte man auf suizidale Ideen eingehen und diese zum Thema machen, wenn sie in der therapeutischen Situation zutage treten. Weiter geht es darum, schädigende und gefährdende Verhaltensweisen, zu denen eben schwere Selbstverletzungen zählen, in den Fokus zu nehmen. Im weiteren Schritt ist es wichtig, das therapeutische Setting zu schützen und sich mit therapiegefährdenden Verhaltensweisen auseinanderzusetzen, etwa wenn Patienten immer wieder mit dem Abbruch drohen, eine mangelnde Motivation erkennen lassen oder das Setting zu sprengen drohen, indem sie aggressiv und destruktiv reagieren. Der therapeutische Ort und die persönliche Sicherheit müssen gewährleistet und erhalten werden. Die aktuellen Belastungen und Konflikte stehen vorerst im Vordergrund. Ein Zuwachs an Fähigkeiten, mit der momentanen SituaDer psychodynamische Rahmen

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tion fertigzuwerden, wird angestrebt. Jugendliche Patienten können lernen, mit ihren Gefühlen besser umzugehen, ihre Dissoziationsneigung zu vermindern und Konflikte in weniger beziehungsgefähr­ dender Weise auszutragen. Methoden einer Weltflucht und einer Flucht vor den Problemen sollten Bewältigungsformen weichen, die die Wirklichkeit im Alltag der Jugendlichen repräsentieren. Die Patientinnen und Patienten sollen Hinschauen lernen, ihrer schwierigen Lebenssituation gewahr werden und sich nicht in heilere Welten flüchten. Wenn es gelingt, alternative Stressreduktionsmethoden einzuführen (»Wie kann ich mich beruhigen, ohne mich zuzudröhnen?«), dann ist schon ein wesentlicher Punkt zur Sicherung der Gegenwart erreicht. Das Arbeiten an lebensbedrohlichen und therapiegefährdenden Verhaltensweisen ist notwendig, um überhaupt in den Prozess einer therapeutischen Kontinuität eintreten zu können. Es empfiehlt sich, eine psychodynamische Sichtweise auf die Interaktionen der Patientinnen und Patienten mit dem therapeutischen Team zu gewinnen. Dies ist unabhängig davon, ob die Interventionen mehr verhaltens- oder einsichtsorientiert sind. In keinem Fall kommt man um das psychodynamische Verstehen der Interaktionsprozesse zwischen Patienten und Therapeuten herum, da ansonsten verhaltensorientierte Interventionen Teil eines weiterhin selbstschädigenden und weltflüchtenden Musters bleiben können. Es ist wichtig, dass das Therapiesystem als solches nicht von den Patienten zum manipulativen Werkzeug für die eigene Selbstdestruktion pervertiert wird. Dann sind die Gruppenübungen, die Fertigkeitentrainings und Einzelgespräche nur mehr Teil eines manipulativen Aktionismus; die Patienten äußern, dass ihnen alles nichts bringe, und erscheinen zur Therapie nur, um auf destruktive Weise das Angebot abzuwerten und zu zerstören. Dann muss erst wieder der therapeutische Ort her- und sichergestellt werden, weil die Jugendlichen – beim Fortfahren übender Interventionen – in ein emotionales Loch fallen und mit starken autodestruktiven Verhaltensweisen antworten können. 64

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Psychodynamische Therapieelemente der Selbstverletzung beste­ hen in ȤȤ der wichtigen neuen emotionalen Beziehungserfahrung mit einem handlungsmächtigen, aber nicht misshandelnden guten Objekt, das seine Möglichkeiten zur Verfügung stellt; ȤȤ der Eröffnung eines mentalen Raums, in dem Konflikte gedanklich ausgetragen werden können, sodass nicht nur in der Außenwelt agiert werden muss; ȤȤ einer Traumaverarbeitung, das heißt einer Auseinandersetzung mit den seelischen Verletzungen, die der Patient oder die Patientin in die Therapie mitbringt. Wie schon betont, gilt der Sicherung der Gegenwart das primäre Augenmerk. Der Therapeut, die Therapeutin versucht, in den chaotischen Rahmenbedingungen der Patientenwelten nicht mitzuagieren, sondern einen Ruhepol darzustellen; die Therapie bietet Verlässlichkeit, klare Grenzen, Authentizität und Kontingenz. Die Patienten in ihren agierenden Verhaltensweisen und multiplen Konflikten, die viele Alltagssituationen unberechenbar machen, können nicht allein durch mitleidiges Mitfühlen gehalten werden. Es geht um eine professionalisierte Empathie, die die eigenen Grenzen reflektiert und auch direkte Angriffe der Patienten aushalten kann. Am therapeutischen Setting und an der therapeutischen Beziehung muss gerüttelt werden können, so stabil müssen diese sein! Die Patientinnen und Patienten überprüfen immer wieder die Standfestigkeit und die Sicherheit der Haltung, ob das »gute Objekt« stark genug ist. Es gilt, Aktionen in sinnhafte Bilder und Formulierungen zu überführen. Erst wenn die Gegenwart einen sicheren Ort darstellt, sind die Patienten in der Lage, eine Zukunftsperspektive zu entwickeln, Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte zuzulassen. Und erst dann, wenn die Gegenwart gesichert und die Zukunft perspektiviert ist, gilt der Blick zurück der biografischen Rekonstruktion, der Trauma-Arbeit und der Integration des Bisherigen in ein mit Hoffnung gesättigtes Zukunftsbild. In der Geborgenheit einer sicheren Gegenwart und im Der psychodynamische Rahmen

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Licht einer realistischen Zukunftsplanung kann die fürsorgliche Aufarbeitung biografischer Traumata beginnen. Dieser Rekonstruktions- und Integrationsprozess braucht Geduld, einen langen Atem und auch eine therapeutische Bescheidenheit, die die Jugendlichen nicht überfordert. Es soll nicht vergessen werden, dass sich selbst verletzende Patientinnen und Patienten eine personale Würde und Fürsorge auf Kosten ihres eigenen Körpers aufrechterhalten – eines Teils ihrer Person also, der in ihrem Leben zumeist bereits schicksalhaft von anderen instrumentalisiert und durch Grenzüberschreitungen entmachtet und entehrt wurde. Therapie bedeutet immer auch Hoffnung und die Zuversicht auf Veränderung.

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