Hysterie: Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierungen 9783666461996, 9783525461990, 9783647461991


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Hysterie: Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierungen
 9783666461996, 9783525461990, 9783647461991

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Stavros Mentzos

Hysterie Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierungen

11., unveränderte Auflage

Vandenhoeck & Ruprecht © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar. ISBN 978-3-647-46199-1 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2015, 2004, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, 37073 Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: KCS GmbH, Buchholz/Hamburg Druck und Bindung: l Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort zur 8., erweiterten Ausgabe . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel I Hysterische Phänomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Drei Gruppen hysterischer Phänomene . . . . . . 2. Verbreitung und Symptomwandel der hysterischen Symptombildung . . . . . . . . . . . . . Kapitel II Hysterie-Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Von Altägypten bis zu Charcot . . . . . . . . . . . . . 2. Das psychoanalytische Modell . . . . . . . . . . . . . Kapitel III Hysterische Symptombildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Annette C. (Konversion) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Krankengeschichte von Barbara M. (Dissoziation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel IV Hysterische Charakterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deskriptive Merkmale des hysterischen Charakters (bzw. der heutigen histrionischen Persönlichkeitsstörung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anton C. (Fall Nr. 12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ein dramatischer Auftritt (Fall Nr. 13) . . . . . . .

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5. Zur Typologie hysterischer Charaktere . . . . . . 6. Das Über-Ich: der prominenteste Zuschauer . . Kapitel V Ich-psychologische Aspekte – die einzelnen Teilmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der impressionistische kognitive Stil und die Affinität für unbewusste Symbolik . . . . . . . 2. Emotionalisierung – Dramatisierung . . . . . . . . 3. Identifikation als wichtiger Mechanismus innerhalb der hysterischen Symptom- und Charakterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verdrängung und Dissoziation . . . . . . . . . . . . . Kapitel VI Die Krise des Hysteriebegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konversion – nur bei ödipalen Konflikten? . . . 2. Hysterischer Charakter – nur bei ödipaler Fixierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hysterie, hysterisch – unbrauchbar gewordene Begriffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel VII Versuch einer neuen Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodologische Vorbemerkungen . . . . . . . . . 2. Der hysterische Modus der »Konfliktlösung« 3. Das spezifisch Hysterische . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einwände gegen die vorgeschlagene Konzeptualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel VIII Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn . . . . . . 1. Primärer neurotischer Gewinn . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundärer Krankheits-(neurotischer) Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

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Kapitel IX Vergleiche und Gegenüberstellungen . . . . . . . . . . . . 1. Ein Vergleich mit der Zwangsneurose . . . . . . . 2. Konversion versus psychosomatische Resomatisierung im engeren Sinne . . . . . . . . . 3. Beziehungen zwischen hysterischer Symptomneurose und hysterischem Charakter (bzw. der heutigen histrionischen Persönlichkeitsstörung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel X Nosologische und klassifikatorische Aspekte . . . . . .

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Kapitel XI Interpersonale Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die hysterische Kommunikation . . . . . . . . . . . 2. Partnerbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Warum sind Frauen häufiger hysterisch? . . . . .

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Kapitel XII Therapeutische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Psychoanalytische Behandlung . . . . . . . . . . . . . 2. Besondere Formen der Gegenübertragung . . . 3. Nichtanalytische psychotherapeutische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel XIII Die Hysterie im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Was ist ödipal und was sind die ödipalen Konflikte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die »Erben« der Hysterie in der Psychiatrie des 21. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergebliche Versuche, den alten Hysteriebegriff als eine Krankheitseinheit zu retten . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel XIV Das Hysterische in der öffentlichen Kommunikation der heutigen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tokio Hotel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fußball regiert die Welt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sensationslust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sekundäre Hysterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Nur scheinbar perverse hysterische Inszenierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzungen und negative Definitionen . . . . . . . . Positive Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Namen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Wie kommt es, dass so unterschiedliche Erscheinungen wie funktionelle Lähmungen einerseits und die Tendenz zur theatralischen Dramatisierung andererseits mit der gleichen Bezeichnung – nämlich »hysterisch« – benannt werden? Liegt die Gemeinsamkeit dieser Phänomene in einem hinter ihnen verborgenen, typischen unbewussten Konflikt, wie die klassische Psychoanalyse annahm? Oder wird sie durch psychodynamische Strukturen, die bis jetzt nur diffus und intuitiv erfasst worden sind, bewirkt? Was ist aus den großen hysterischen, klinischen Bildern der vorletzten Jahrhundertwende geworden? Sind sie tatsächlich einfach verschwunden, oder haben sie sich nur verwandelt? Was nennt man heute noch hysterisch in der Umgangssprache und was im Bereich der Psychologie und Psychopathologie? Geht es nur um einen besonderen Modus der neurotischen Verarbeitung des Konflikts? Oder macht sich womöglich hier ein emotionaler und kognitiver Stil bemerkbar, auf den auch viele andere, nichtpathologische Besonderheiten oder sogar positive Eigenschaften und Begabungen einer großen Gruppe von Menschen zurückzuführen sind? Stellen vielleicht hysterische Symptom- und Charakterbildungen nur die pathologischen Formen eines besonderen Lebensstils dar? Neben solchen und ähnlichen theoretischen haben mich besonders auch praktische und therapeutische Fragen zu dem Versuch veranlasst, meine Erfahrungen und Überlegungen auf diesem Gebiet zusammenzufassen und mich gleichzeitig mit der älteren und neueren Literatur zu die9 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

sem Thema auseinanderzusetzen. Ich hoffe, dass durch die Art der Darstellung und die vielen Beispiele dieses Buch auch für den Nichtfachmann zugänglich und nützlich sein wird. Ausgangspunkt und empirische Stütze dieser meiner Analysen sind Erfahrungen bei der psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit solchen »hysterischen« Erscheinungen. Im Lauf der Jahre glaube ich bis zu einem gewissen Grad gelernt zu haben, mich sowohl von der Faszination, die vom Hysterischen ausgeht, als auch umgekehrt von meinen gelegentlichen negativen (Gegenübertragungs-)gefühlen einigermaßen zu distanzieren. Vieles, ja vielleicht das meiste bei diesem Lernvorgang verdanke ich der Auseinandersetzung mit meinen Patienten. Dafür möchte ich mich hier bei ihnen bedanken, aber gleichzeitig für die Kränkung, als »Fall« eingeordnet und als Beispiel für etwas »Typisches« dargestellt zu werden, um Nachsicht bitten und gleichzeitig Folgendes zum Ausdruck bringen: Unsere Einordnungen und Konzeptualisierungen, die ohnehin meistens vorläufig sind (und mit der Zeit aufgegeben werden müssen), betreffen automatisierte, zwangsläufig verlaufende und somit hinderliche Mechanismen und nicht den Menschen als solchen, auch wenn ich gelegentlich – um lange und komplizierte Sätze zu vermeiden – kurzerhand vom »hysterischen Menschen« spreche. Wir alle werden in der einen oder anderen Weise durch diese oder jene neurotischen Automatismen in unserer freien Entwicklung gehindert, und mir scheint der Versuch legitim, mit den Mitteln unserer Wissenschaft diese Hindernisse auch begrifflich zu erfassen, um sie dann besser ausschalten zu können. Herzlich bedanken möchte ich mich bei Frau Dr. Evemarie Siebecke-Giese für ihre unermüdlichen Bemühungen bei Textkorrekturen, stilistischen Veränderungen und sonstigen wertvollen Hinweisen und Gedanken. Schließ10 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

lich bedanke ich mich auch bei Frau Annemarie Deichmann für die Bewältigung der mühsamen Arbeit der Niederschrift des Textes und der Literaturhinweise. Stavros Mentzos

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Vorwort zur 8., erweiterten Ausgabe

Diesem kleinen »Hysterie«-Band ist bis jetzt ein sehr guter Erfolg beschieden – nicht nur was die Verkaufszahlen betrifft. Vorwiegend zustimmende, aber auch einige kritische Stimmen der Fachleute, insbesondere positive Reaktionen von Nichtfachleuten sprechen dafür, dass das Buch beide Gruppen ansprechen konnte, sei es als eine Diskussionsanregung, sei es als erste Orientierungshilfe. Einer der Hauptansätze der Studie war mein Vorschlag, das Hysterische nicht als eine nosologische Einheit, als eine Erkrankung im medizinischen Sinn, sondern als einen der möglichen Modi der Verarbeitung der neurotischen Konflikte zu konzipieren. Diese Betrachtungsweise erwies sich – theoretisch und praktisch – als so nützlich, dass sie bald eine Verallgemeinerung erfuhr, sodass sie auf alle psychischen Störungen mit Erfolg angewandt werden konnte. Dies fand seinen Niederschlag in meinem Buch »Neurotische Konfliktverarbeitung« (1982), das inzwischen einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Was nun aber das Hysterie-Buch selbst betrifft, so lässt sich feststellen: In den vergangenen zehn Jahren haben neue Veröffentlichungen sowie meine eigenen klinischen und therapeutischen Erfahrungen zwar keinen Anlass zu einer Änderung des Grundkonzepts gegeben – im Gegenteil, es gab immer mehr Bestätigungen der Hauptthesen. Trotzdem gibt es viele Details, die ergänzt oder korrigiert werden müssten. Auch einige mögliche missverständliche Formulierungen sollten zurechtgerückt werden. Da jedoch eine grundsätzliche Änderung des Textes nicht sinnvoll und realisierbar erschien, wurde der ursprüngliche Text im Wesentlichen unverändert gelassen und durch eine Reihe von am Schluss 13 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

des Bandes angebrachten Anmerkungen ergänzt. Es ist zu hoffen, dass dadurch einige Einseitigkeiten behoben und gewisse berechtigte Kritiken berücksichtigt wurden. Und dennoch wurde bei der jetzigen Auflage (2003) im Hinblick auf den triumphalen Siegeszug der klassifikatorischen Systeme von DSM und ICD in der Psychiatrie – wobei die Hysterie weitgehend durch andere Konzepte ersetzt wurde – eine kritische Stellungnahme zu diesen Systemen erforderlich. Auch weitere Entwicklungen der psychoanalytischen Theorie des Ödipalen mussten erwähnt und ergänzt werden. Dies alles wird nun im jetzt neu hinzugekommenen Kapitel XIII am Ende des Buches unter dem Titel »Die Hysterie zu Beginn des 21. Jahrhunderts« etwas ausführlicher dargestellt. Dort wird auch von der terminologischen »Panne« der Schöpfer des ICD-10 und DSM-IV bei der Einführung des Terminus »histrionisch« die Rede sein. Man versuchte nämlich von der Gebärmutter (= Hystera) wegzukommen und landete unbeabsichtigt bei den weiblichen Hormonen! (= Histrion = Oistros = Brunst). Alle diese Umwege innerhalb und außerhalb der Psychoanalyse waren aber offenbar erforderlich, um zu dem zu gelangen, was ich heute als Motto über dieses Buch stellen würde: »Die Hysterie ist tot. Es lebe der hysterische Modus der Konflikt- und Traumaverarbeitung«! Stavros Mentzos

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Einleitung

In der Umgangssprache wird das Wort »hysterisch« abwertend und synonym mit unecht, demonstrativ, unehrlich, theatralisch, emotional, übertrieben oder unsachlich benutzt. Für die wissenschaftliche Analyse der Erlebens- und Verhaltensweisen, die uns hier interessieren, ist jedoch diese Bedeutung des Terminus nicht von Belang. Zwar enthält das Hysterische vieles, was mit übertriebener Emotionalität, Dramatisierung, Theatralik, Unechtheit bezeichnet werden kann, aber in einem ganz anderen Zusammenhang, als es der moralisch abwertende Gebrauch des Wortes impliziert. Ein bewusst gewolltes, ein absichtlich unechtes und prätentiöses Verhalten als »hysterisch« zu bezeichnen ist genau so unsinnig wie widersprüchliches Verhalten ohne weiteres mit schizophren gleichzusetzen – eine Sprachgepflogenheit übrigens, die sich leider immer mehr ausbreitet. Wie ist nun aber der legitime und wissenschaftlich begründete Gebrauch der Bezeichnungen Hysterie und hysterisch zu definieren? Die Beantwortung dieser Frage ist eine der Hauptaufgaben dieses Buches und sicher eine schwierige Aufgabe, denn ». . . mit Ausnahme der Tatsache, dass sie [die Hysterie] eine funktionelle Störung ohne begleitende organisch-pathologische Veränderungen ist, gelingt es nicht, sie zu definieren oder sie konkret zu porträtieren. Wie ein Quecksilberkügelchen läßt sie sich nicht fangen. Wo immer sie auftaucht, übernimmt sie die Färbung der umgebenden Kultur und der Sitten; und somit zeigt sie sich im Laufe der Jahrhunderte als ein ständig sich verstellendes, sich veränderndes, im Nebel verhülltes Phänomen, welches trotzdem so behandelt wird, wie wenn es definierbar und greifbar wäre« (Veith 1965, S. 1).

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Die vorwissenschaftliche Begriffsbildung hat mit der Bezeichnung Hysterie (aus dem altgriechischen Hystera = Gebärmutter) eine bemerkenswerte intuitive Leistung vollbracht, die die Beibehaltung des einmal geprägten Terminus rechtfertigt. Sie konnte eine bunte Fülle körperlicher und psychischer Störungen sowie auffälliger Verhaltensweisen zusammenfassen, die tatsächlich sehr oft mit Konflikten aus dem sexuellen Bereich zusammenhängen, wenn auch nicht gerade direkt mit der Gebärmutter – und nicht nur bei Frauen! Die Wörter Hysterie und hysterisch sind also von ihrer Etymologie her etwas missverständlich. Dennoch gilt meines Erachtens heute noch, was Janet 1893 geschrieben hat: »Das Wort Hysterie sollte beibehalten werden, auch wenn seine ursprüngliche Bedeutung sich so sehr gewandelt habe. Es ist schwierig, es heute zu ändern; in der Tat hat es eine so große und so schöne Vergangenheit, daß es schmerzlich wäre, es aufzugeben.« Die Geschichte der Hysterie ist gewiss interessant. Ich habe aber nicht die Absicht, sie in diesem Buch im Einzelnen nachzuzeichnen. Ich will stattdessen mit Hilfe einer ausführlichen Beschreibung und psychoanalytisch orientierten Psychodynamik der hysterischen Phänomene folgende Thesen belegen: a) Die »Hysterie« als Krankheitseinheit im Sinne der traditionellen Psychiatrie darf heute als überholt angesehen werden. b) Auch das ursprüngliche psychoanalytische Konzept einer eindeutig abgrenzbaren Neurosenform mit einheitlicher Genese muss in dieser alten Form aufgegeben werden. c) Im Gegensatz dazu ist die Realität der hysterischen Phänomene nicht wegzuleugnen, obwohl es ungemein schwierig ist, aus der bunten Vielfalt der Erscheinungsformen und verwickelten Mechanismen das spezifisch Hysterische herauszuarbeiten. 16 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

d) Auch wenn die alte psychiatrische »Hysterie« sowie das ursprüngliche psychoanalytische Konzept einer »hysterischen Neurose« fragwürdig geworden sind, ist die Erkennung und differenzierte Beschreibung und Erfassung eines recht spezifischen hysterischen Modus der neurotischen Konfliktverarbeitung möglich, wichtig und notwendig.

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Kapitel I

Hysterische Phänomene

1. Drei Gruppen hysterischer Phänomene Rein deskriptiv unterscheidet man drei Gruppen von hysterischen Phänomenen: erstens körperliche Funktionsstörungen (Konversionssymptome), zweitens psychische Funktionsstörungen (vorwiegend dissoziative Erscheinungen) und drittens hysterische Verhaltensmuster und Charakterzüge.

a) Körperliche Funktionsstörungen Fall Nr. 1 Ein sizilianischer Arbeiter entwickelt nach Rückkehr aus seinem Urlaub im Heimatland ein eigenartiges Blinzeln der Augen, das so hochfrequent und ausgeprägt ist, dass er dadurch in seiner Sehfähigkeit beeinträchtigt wird. Die Untersuchungen in der Augenklinik ergeben keinen organischen Befund. Man überweist ihn in eine psychiatrische Poliklinik, wo man schon nach einem kurzen Gespräch eine »konversionshysterische« Symptomatik diagnostiziert. Es war aufgrund der Vorgeschichte eindeutig, dass dieses Symptom die schmerzliche Trennung vom Heimatland und den Unwillen ausdrückte, hier in Deutschland allein weiter zu bleiben (er könne Deutschland nicht mehr sehen!). Auf der bewussten Ebene geht es um eine »Augenerkrankung«, auf einer weniger bewusstseinsfähigen Ebene geht es um Gefühle und Affekte, die nicht bewusst erlebt werden dürfen. 19 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

(Sein Stolz, aber auch die realen finanziellen Zwänge erlauben diesem Gastarbeiter nicht, sein Heimweh und seine Aversion gegen die deutsche Umgebung bewusst zu erleben.) Das Symptom lenkt einerseits vom eigentlichen Konflikt ab, deutet aber in einer symbolischen Weise gleichzeitig darauf hin. Fall Nr. 2 Eine Frau mit akademischem Beruf entwickelt im Rahmen einer akuten Lebenskrise, die für sie erhebliche Veränderungen und Verunsicherungen mit sich bringt, Atemschwierigkeiten, die weder organisch begründbar sind noch als Asthma zu bezeichnen wären. Sie habe das Gefühl, dass ihr die Luftröhre zugeschnürt sei, sie könne nicht richtig Luft holen, ihr ginge die Luft aus. Im Interview wird es deutlich, dass ihre aktuelle Lebenssituation einen Grundkonflikt zwischen Abhängigkeits- und Geborgenheitswünschen einerseits sowie Autonomiestrebungen andererseits reaktiviert hat. Ihr Symptom drückt wahrscheinlich einen Teil dieses Konflikts in der Körpersprache aus. An der Oberfläche geht es nur um eine somatische Störung, die zunächst vom Konflikt ablenkt. Von einem anderen Gesichtspunkt aus deutet jedoch das Symptom auf die abgewehrten, nicht bewusst erlebten Gefühle hin. Fall Nr. 3 Eine Patientin mit einer ausgeprägten Frigidität bekommt jedes Mal eine »Art Schwindelgefühl« (»wie wenn man den Boden unter den Füßen verlöre«), wenn in der therapeutischen Situation über ihre gelegentlich doch vorhandenen sexuellen Gefühle gesprochen wird. Mit Hilfe assoziierter Erinnerungen und Szenen erkennt man eindeutig den Zusammenhang mit dem »sich verlieren oder den Boden und die Orientierung verlieren« im unbewusst fantasierten Geschlechtsverkehr. Das körperliche Symptom lenkt auch 20 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

hier zunächst vom Problem ab. Gleichzeitig deutet es aber in einer symbolischen bildhaft-körperlichen Sprache auf das Problem hin. Zusammenfassung Bei dieser ersten Gruppe hysterischer Phänomene geht es also um körperliche Funktionsstörungen wie Sehstörungen, Atembehinderungen, Schwindelzustände, die »psychogen«, also nicht organisch, sondern psychisch bedingt sind und die aber nicht gewollt, nicht bewusst oder absichtlich simuliert sind. Bei näherem Zusehen wird es deutlich, dass diese Symptome bestimmte unbewusste Fantasien und/oder bestimmte schwer fassbare Gefühle in einer Körpersprache ausdrücken, während bei einer oberflächlichen Betrachtung sie eher von diesen Gefühlen, Fantasien und damit zusammenhängenden Konflikten ablenken, indem sie eine bloß körperliche Erkrankung imitieren. Eine ähnliche Funktion haben auch andere solche konversionshysterischen Symptome, wie Muskelschwächen, Lähmungen, Anästhesien, Hör- und Sprachgang- und Schluckstörungen, Erbrechen, Zittern, Astasien (Unfähigkeit zu stehen) und anderes mehr. Dazu kommen hysterische Anfälle mit plötzlichem Umfallen, Krümmen des Rumpfes nach vorn oder hinten, rhythmische Krampfbewegungen. Die Hysterie wurde deswegen der große Imitator aller möglichen, insbesondere der neurologischen Erkrankungen genannt.

b) Psychische Funktionsstörungen Fall Nr. 4 Eine Patientin, die in einem massiven Konflikt mit ihrem Vater lebt, zu dem sie seit jeher eine ausgesprochen ambivalente Beziehung hatte, entschließt sich endgültig, sich 21 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

von ihm zu lösen und zu einem jungen Mann, den sie liebt, an seinen weit entfernten Wohnort umzuziehen. Während sie dies zunächst komplikationslos übersteht, entwickelt sich (nach einer vorübergehenden Enttäuschung durch den jungen Mann) ein schweres psychoneurotisches Bild. Dies ist unter anderem durch gehäuft auftretende Dämmerzustände gekennzeichnet, innerhalb derer die Patientin glaubt, dass ihr Vater bei ihr zu Besuch sei, dass er sie weinend in die Arme nehme. Hier diagnostizierte man einen hysterischen, psychogenen Ausnahmezustand mit Pseudohalluzinationen. Die Patientin stellt sich als eine Geistesgestörte dar, die unter – sowohl ihr wie der Umgebung zunächst unverständlich erscheinenden – Wahrnehmungsstörungen leidet. Bei näherem Zusehen drücken jedoch diese Erscheinungen ihren Konflikt aus und erlauben ihr, in einer verzerrten Form Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen, die sie auf der bewussten Ebene ablehnt. Fall Nr. 5 Bei einem schweren Autounfall erleidet der Fahrer, der eindeutig den Unfall verschuldet hat, keine körperlichen Verletzungen, während der als Beifahrer mitfahrende Vorgesetzte von ihm sofort tot ist.Einige Minuten nach der Feststellung des Todes fällt der Fahrer um und verhält sich von da an wie ein Bewusstloser. Er reagiert kaum auf Schmerzreize. Pupillen und Kornealreflexe sind jedoch erhalten, die Augen werden aktiv zugekniffen, das EEG entspricht dem Wachzustand. Insgesamt besteht also kein Zweifel, dass es sich nicht um ein organisches, sondern um ein psychogenes Bild handelt. Fünf Tage später »wacht der Patient auf«, bietet aber monatelang ein puerilistisches (kleinkindhaftes) Bild, verhält sich und spricht wie ein kleines erschrockenes Kind mit leiser, hoher »piepsiger« Stimme. Er hat die wichtigsten Daten seines Lebens vergessen, er denkt und verhält sich wie ein abgebauter Mann. 22 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Der Patient stellt sich als ein sehr kleines Kind oder als ein abgebauter Mann dar und kann damit auf der bewussten Ebene die für ihn sehr schmerzliche Konfrontation mit seinen heftigen Schuldgefühlen vermeiden. Fall Nr. 6 Eine Patientin reagiert auf einen (auch objektiv als ernst zu bezeichnenden) finanziellen Rückschlag mit einer zunächst als verständlich erscheinenden reaktiven depressiven Verstimmung. Dieses reaktiv depressive Bild nimmt jedoch bald eine bemerkenswerte Färbung an. Die Patientin malt sich den ganzen Tag die Zukunft in den dunkelsten Farben aus. Sie sucht Verwandte, Bekannte und Nachbarn auf, um ihnen ihren bevorstehenden sozialen Abstieg, die herannahende Katastrophe in übertriebener Weise darzustellen. Allmählich ist sie in ihren Schilderungen und Überlegungen unkorrigierbar. Sie zwingt jedem Gesprächspartner nur dieses eine Thema auf, erkundigt sich schließlich recht demonstrativ nach den geeigneten Suizidtechniken (ob Rasierklinge oder Tabletten). Dabei fällt dem erfahrenen Beobachter auf, dass sie trotz ihrer angeblich unermesslichen Verzweiflung und trotz ihrer Hoffnungslosigkeit und des Verlustes jeden Interesses immerhin auf einem Gebiet sehr wach bleibt: Sie beobachtet sehr gut das Verhalten des Gesprächspartners. Sie versucht sich zu vergewissern, ob ihr verbales und averbales Verhalten denn auch den gewünschten Eindruck hervorruft. Ihre »Verarmungsideen« und ihre Insuffizienzgefühle, die sonst als typische Symptome echter Depressionen gelten, wirken irgendwie unecht. Das Ganze kann nur pseudodepressiv genannt werden. Hier handelt es sich um eine ausgeprägte grobe Form dessen, was sehr wahrscheinlich in verfeinerter Form eine der häufigsten Formen der heutigen »hysterischen« Pseudodepressionen ausmacht.

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Bei dieser zweiten Gruppe haben wir es also mit »psychischen« Störungen zu tun wie Dämmerzustände, Erinnerungslücken, regelrechte Amnesien (Gedächtnislücken), »Ich-Spaltungen«, Pseudodemenzen, Erregungszustände. Genau wie bei den oben geschilderten körperlichen Ausfällen geht es auch hier nicht um echte Gedächtnisstörungen oder echte Dämmerzustände, sondern um unbewusst »Dargestelltes«. Der Erfahrene empfindet sie deswegen als künstlich und unecht. Was allerdings auch er als echt krankhaft beurteilen muss, ist die Tatsache, dass hier bestimmte psychische Prozesse vom Bewusstsein fern – und von anderen psychischen Vorgängen getrennt (dissoziiert) gehalten werden, weshalb man auch von dissoziativen Erscheinungen spricht.

c) Hysterische Verhaltensmuster und hysterische Charakterzüge Fall Nr. 7 Eine 28-jährige Frau, die auch sonst durch ihr dramatisierendes, exaltiertes Verhalten auffiel, entwickelt während einer Autobahnfahrt folgendes Verhalten: Ihr Mann fuhr, sie saß auf dem Beifahrersitz. Zu einem Zeitpunkt wollte sie sich umdrehen und nach der kleinen Tochter sehen, die auf dem Rücksitz lag. Bei dieser Drehung verhakte sich jedoch ihr Pelzmantel, es kam zu einer leichten Beschädigung des Mantels. Daraufhin geriet sie in einen Erregungs- und Ausnahmezustand, öffnete die Wagentür und wollte Mantel und – wie es schien – auch sich selbst hinauswerfen! Sie schrie laut, dass das Ganze schrecklich, dass alles damit verloren sei und so weiter. Der Ehemann, der solche Reaktionen gewohnt war, sagte nur, wie er später berichtete: Sei nicht so hysterisch! Diese Bezeichnung deutet darauf hin, dass er ihr Verhalten als unecht und künstlich empfand, 24 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

dass er intuitiv das Gefühl hatte, dass der dargestellte Erregungszustand und der Affektsturm nicht der tatsächlichen inneren psychischen Realität dieser Frau zu diesem Zeitpunkt entsprach. Fall Nr. 8 Eine Patientin, in psychotherapeutischer Behandlung wegen Angstzuständen und Frigidität, gab – allerdings nach längerer Zeit der Therapie – einmal zu, dass sie sich oft ihrem Mann, aber auch anderen Männern gegenüber recht merkwürdig verhielte. Sie habe ein besonderes Vergnügen daran, sich indirekt erotisch zu zeigen, die Männer aus der Reserve zu locken, um sie dann, aber erst im letzten Moment, abzuweisen. Sie wisse, dass sie dadurch launisch und irgendwie etwas bösartig wirke, sie könne sich aber nicht bremsen. Zu keinem Zeitpunkt habe sie vor, mit ihnen geschlechtlich zu verkehren; auch liege es ihr fern, dadurch selbst in sexuelle Erregung zu geraten. Es ist für sie nur wichtig, zu wissen, dass sie diese erotisierende Wirkung auf die Männer ausübe. Genauso wichtig ist es ihr aber auch, dass sie, sozusagen fast empört, diese Männer zurückweist, sofern sie eindeutig oder zudringlich werden. (»Wie können die überhaupt auf die Idee kommen, ich wolle etwas mit ihnen haben.«) Der Therapeut denkt für sich: klassisches hysterisches Verhalten. Fall Nr. 9 Ein wohlhabender Kaufmann, der seiner Frau seit längerer Zeit Suizidabsichten wegen Depressionen ankündigte, wird von ihr zum Psychotherapeuten gebracht. Sie habe daher nicht mehr ein noch aus gewusst. Insbesondere sei sie dadurch besonders verwirrt und erschrocken, dass er Folgendes veranstaltet hatte: Eines Tages kam er einfach nicht nach Hause und blieb für ein bis zwei Tage verschwunden, sodass seine Frau sich Sorgen machte und an einen tatsäch25 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

lich verübten Suizid dachte. Es war für sie fast wie eine Bestätigung dieses Verdachts, als sie in seiner Schreibtischschublade fertige Todesanzeigen, die ihn selbst betrafen, und entsprechende Texte für die Veröffentlichungen in den Zeitungen gefunden hatte. Am zweiten Abend jedoch meldete sich der Patient am Telefon. Er habe diesmal keine Suizidabsichten gehabt, sondern nur einmal kurz wegbleiben wollen. Dass die verfassten Annoncen seiner Frau einen Schreck einjagen könnten, wollte er auch bei dem Gespräch mit dem Therapeuten nicht einsehen. Er sei ja ein pflichtbewusster Mensch und wolle für alles sorgen und seiner Frau keine besondere Mühe machen! Im Zusammenhang auch mit anderen ähnlichen Verhaltensweisen und Ereignissen, die ständig durch die Übertreibungen, das Theatralische und Dramatisierende gekennzeichnet waren, musste der Therapeut für sich dieses Verhalten als »hysterisch« buchen. Es wird deutlich, dass der Patient mit Hilfe der Todesanzeigen sich selbst als jemanden darstellt, der bis zum Tod und sogar danach pflichtbewusst für das Wohl der Familie sorgt. Dass er sich dabei höchst aggressiv verhält, ist ihm nicht bewusst. Die Haltung, die Pose, das Pseudoselbstbild ermöglichten es ihm, Aggressionen gegen seine Frau abzuladen, ohne von seinem Über-Ich dafür zur Rechenschaft gezogen werden zu können. Bei dieser dritten Gruppe geht es also um Verhaltensweisen, Charakterzüge, Attitüden, die eine gewisse Konstanz und typische Zusammensetzung aufweisen und Anlass zur Begriffsbildung des hysterischen Charakters gegeben haben. Es handelt sich dabei um solche Charaktermerkmale wie Dramatisierungstendenz, Übererregbarkeit, Egozentrismus, verführerisches Verhalten, Suggestibilität, emotionale Labilität und eine verlangende Abhängigkeit (demanding dependency). In ähnlicher Weise wie bei den dissoziativen und den Konversionssymptomen, dienen auch diese 26 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Verhaltensweisen und Charakterformationen der neurotischen Abwehr und der neurotischen kompromisshaften Befriedigung. Sie sind ebenfalls unecht wirkende Reaktionen auf eine echte Not.1

2. Verbreitung und Symptomwandel der hysterischen Symptombildung Die meisten der geschilderten hysterischen körperlichen oder psychischen Funktionsstörungen gehören zu den klassischen hysterischen Bildern, die zwar Ende des 19. Jahrhunderts und um die Jahrhundertwende in einer auffällig starken Häufigkeit auftraten, im Lauf des 20. Jahrhunderts jedoch zunehmend seltener geworden sind. Man findet sie heute gehäuft noch in den Mittelmeerländern, im Nahen Osten, in Russland oder aber auch bei ausländischen Arbeitern in den westeuropäischen Ländern. So hat man auch die im Ersten Weltkrieg sehr gehäuften Zittersyndrome bei Soldaten während des Zweiten Weltkriegs kaum mehr beobachten können. In neuen Statistiken über diese klassische »Konversionshysterie« trifft man deswegen auf nur sehr kleine Häufigkeitszahlen: So fanden Stefansson et al. (1976) in einem allgemeinen Krankenhaus im Monroe County (New York) 22 Fälle pro 100 000 Einwohner pro Jahr. Die von anderen Autoren angegebenen Zahlen schwanken erheblich, was einmal mit Selektionsproblemen und zum anderen mit der Definition der hysterischen Symptomneurose zusammenhängt. Auf jeden Fall stimmen die Angaben von Lipowski und Kiriakos (1972), McKegney (1967), Ziegler et al. (1963) mit unseren Erfahrungen überein, dass nämlich Patienten mit konversionshysterischer und/oder dissoziativer Symptomatik häufiger in der allgemeinen Praxis, in internistischen, insbesondere aber neurologischen und 27 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

neurochirurgischen Polikliniken und weniger in psychiatrischen und psychotherapeutischen Polikliniken wie Praxen anzutreffen sind. Trotzdem ist an der erheblichen Abnahme der »klassischen« Bilder der Hysterie der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert im Vergleich zu heute nicht zu zweifeln. Es ist zu vermuten, dass die zunehmende Verbreitung des Wissens um die Funktion hysterischer Symptombildungen diese alte, »klassische« Art der Ausdrucksgebung durch eine Körpersprache zu durchsichtig und zu offensichtlich und dadurch in dieser Form unmöglich gemacht hat. Dies wiederum kann zwei weitere Folgen gehabt haben. Entweder musste der Konflikt aus diesem Grund noch stärker verdrängt werden und dadurch eine stärkere und im engeren Sinn psychosomatische Regression ins Körperliche erzwingen (Resomatisierung). »Aus den Kriegszitterern des Ersten Weltkrieges wurden die Magenkranken des Zweiten Weltkrieges« (Mitscherlich-Nielsen 1972, S. 239). Oder es sind, was mir sogar wahrscheinlicher erscheint, feinere Formen der hysterischen Symptombildung entstanden,wie zum Beispiel die schon oben erwähnte hysterische Pseudodepression (Fall Nr. 6). An die Stelle der groben, massiven hysterischen Lähmungen, Blindheiten, Taubheiten, Ohnmachten treten wahrscheinlich jetzt so genannte »Kreislaufstörungen«, diffuse Schmerzsyndrome, ungeklärte Erschöpfungszustände. Anstelle von eklatanten psychogenen Ausnahmezuständen und Pseudohalluzinationen haben wir jetzt vermehrt die so genannten Nervenzusammenbrüche, Angstzustände, appellativen Suizidversuche. Ob eine ähnliche Abnahme beziehungsweise ein Wandel auch im Hinblick auf die dritte Gruppe hysterischer Phänomene, nämlich die hysterischen Verhaltensmuster und die hysterischen Charakterzüge eingetreten ist, kann man schwer beurteilen. Auf jeden Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass auch hier nur eine scheinbare Reduzierung stattgefun28 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

den hat und dass in Wirklichkeit hysterische Verhaltensweisen und Charakterzüge genauso häufig wie früher sind – allerdings in einer veränderten, verfeinerten Form, die mehr dem heutigen Selbstverständnis, den heutigen Lebensbedingungen und nicht zuletzt auch den heutigen Darstellungs- und Ausdrucksmitteln entspricht (vgl. auch Kap. XIII). Es wird im Lauf unserer Analyse deutlich werden, dass hysterische Phänomene unbewusste szenische Darstellungen, unbewusste »tendenziöse« Inszenierungen sind. Von daher ist auch die Annahme nicht abwegig, dass die hysterischen Formen von heute sich genauso von denjenigen der vorletzten Jahrhundertwende unterscheiden wie das moderne Theater vom Theater des ausgehenden 19. Jahrhunderts! Es ist tatsächlich möglich, dass anstelle der damaligen pathetischen, possenhaften oder stark sentimental hysterischen Szenen heute »Inszenierungen« bevorzugt werden, mit denen etwa tendenziöse Langeweile, Desinteresse, fehlendes Engagement dargestellt wird. Darüber hinaus geht offensichtlich ein großer Teil des hysterischen Potenzials der Bevölkerung in den tausendfach anzutreffenden neurotischen psychosozialen Arrangements, wie zum Beispiel die »hysterische Ehe« (Willi 1975) auf. Vielleicht hat sogar die Teilnahme an manchen »Bewegungen«, »neuen Therapien«, die mit irrationalen, ekstatischen, esoterischen diffusen Erlebens- und Verhaltensweisen einhergehen, die Funktion solcher neurotischen Arrangements. Wir werden sehen, dass die hysterische Komponente eines Charakters darin besteht, unbewusst Szenen herzustellen, in denen etwas quasi erlebt wird, was sonst nicht erlebt werden kann und darf. Es ist daher zu vermuten, dass die heutige Begeisterung für solche »besonderen Erlebnisse« wie die eben genannten zum Teil sehr wohl aus dem Gefühl einer Leere, einer grundsätzlichen Orientierungslosigkeit und Identitätsdiffusion hervorgehen, dass sie aber zum an29 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

deren Teil als die modernen Formen hysterischer Emotionalisierungen zu gelten hat. In diesem Sinn könnte sie auch als eine Art fast institutionalisierter Form psychosozialen Arrangements aufgefasst werden, indem durch kollektive gegenseitige Suggestion, Legitimation und Ermunterung eine sozial akzeptierte Form hysterischer Dramatisierung möglich wird (vgl. Mentzos 1976/1988).2

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Kapitel II

Hysterie-Konzepte

1. Von Altägypten bis zu Charcot Die wandernde Gebärmutter Wahrscheinlich 13 oder 14 Jahrhunderte vor der Zeit, als die Bezeichnung Hysterie im altgriechischen Kulturkreis geprägt wurde, beschrieb man in der altägyptischen Medizin Erkrankungen, die auch heute noch eindeutig als hysterische Störungen zu bezeichnen wären. Auch eine »Erklärung«, eine primitive pathogenetische Theorie, wurde dort aufgestellt: Der Autor des Kahun-Papyrus glaubt zu wissen, dass Veränderungen der Position, also ein Wandern der Gebärmutter, für die Entstehung hysterischer Störungen von Bedeutung sei. Diese Vorstellung von einer umherirrenden Gebärmutter wird nun über die Jahrhunderte und die Jahrtausende fast unkorrigierbar in die griechische Medizin überliefert. In der hippokratischen Abhandlung »Über die Erkrankung der Frauen« trifft man auf Formulierungen, die mit denjenigen der ägyptischen Papyren fast identisch sind (Veith 1965, S. 2). Bei »Timäus« von Plato heißt es: »Die Gebärmutter ist ein Tier, das glühend nach Kindern verlangt. Bleibt dasselbe nach der Pubertät lange Zeit unfruchtbar, so erzürnt es sich, durchzieht den ganzen Körper, verstopft die Luftwege, hemmt die Atmung und drängt auf diese Weise den Körper in die größten Gefahren und erzeugt allerlei Krankheiten« (zitiert nach Haas 1976, S. 120). Diese Vorstellung von einer wandernden Gebärmutter mag uns abstrus erscheinen. Die uns im Zusammenhang 31 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

damit überlieferten Therapievorschläge scheinen aber eine intuitiv richtige pathogenetische Komponente zu enthalten, wenn auch auf einer höchst unsicheren, diffusen und sehr naiven Weise.

Die Besessenheit Im Mittelalter galt die Hysterie einfach als Besessenheit. Die einzelnen Symptome wurden als Folgeerscheinungen einer Berührung durch den Teufel verstanden und deswegen auch Stigmata diaboli genannt. Solche Überzeugungen und ihre weit reichenden, zum Teil auch verheerenden Folgen lassen sich sogar bis in das 18. Jahrhundert hinein verfolgen. Es besteht heute kaum ein Zweifel daran, dass der Malleus maleficarum, der Hexenhammer (der im Auftrag des Papstes Innozenz VIII. 1494 von Heinrich Kramer verfasst wurde), eine aufschlussreiche Fülle von Schilderungen enthält, die auch in einem psychiatrischen Lehrbuch hätten stehen können: Sowohl die Hexen als auch ihre Opfer waren wahrscheinlich hysterische Patienten, die unter funktionellen Empfindungs-, Bewegungs- und Sprachstörungen, Blindheiten, Krämpfen sowie Pseudohalluzinationen sexuellen Inhalts litten. Auch dieses nur scheinbar absurde Hysteriemodell beinhaltet in der zentralen Vorstellung der »Besessenheit« eine weitere wichtige Komponente unseres heutigen Konzepts, nämlich die »Bewusstseinsspaltung«. Die Besessenheit durch den Teufel repräsentiert Triebimpulse, Fantasien und Affekte, die vom kontrollierenden Ich abgespalten und für sich allein wirksam werden. Gleichzeitig bietet diese Vorstellung des Teufels eine ausgezeichnete Über-Ich-Entlastung: »Nicht ich, sondern der mich besitzende Teufel ist für meine sexuellen Gefühle, Visionen und Taten verantwortlich.« Es wird später deutlich 32 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

in unserer Darstellung, dass diese Über-Ich-Entlastung eine der wichtigsten Funktionen der hysterischen Symptombildung ist.

Hysterie als gynäkologische Erkrankung Schon Galen von Pergamon (2. Jahrhundert v. Chr.) hat geglaubt, dass die Hysterie bei Frauen auf eine Unterdrückung der Menses oder der Vaginalsekretion zurückzuführen sei. Ihm ist auch aufgefallen, dass des Öfteren hysterische Anfälle bei Witwen auftraten, die während ihrer Ehe keine solchen Erscheinungen hatten! Er war übrigens so scharfsinnig zu sehen, dass analoge Abstinenzfolgen bei Männern zu ähnlichen Störungen führen können, und somit ist er vielleicht der Erste, der die Möglichkeit einer männlichen Hysterie in Erwägung gezogen hat (Veith 1965, S. 31). Eindeutiger stellte der Franzose Lepois 18 Jahrhunderte später (1618) hysterische Phänomene auch bei Männern und Kindern fest, was jedoch auch damals kaum beachtet wurde (Kretschmer u. Wolfgang 1974, S. 45). Hysterie ist weiterhin eine Frauenerkrankung geblieben. William Harvey schreibt im 17. Jahrhundert: »Wie viele unheilbare Erkrankungen wurden durch ungesunde menstruelle Aussonderungen oder von der übertriebenen Abstinenz vom sexuellen Verkehr hervorgerufen, wenn die Leidenschaft stark ist« (Veith, S. 130). Er berichtet von zwei seiner Patientinnen, die jahrelang an hysterischen Störungen litten und die, wie er es vorausgesagt hatte, gesund wurden, als sie einen Uterusprolaps (Vorfall der Gebärmutter) erlitten, im Verlauf dessen die »übererhitzte Gebärmutter durch die Außenluft abgekühlt wurde«. Man sieht die Kongruenz der Beobachtungen im Lauf der Jahrhunderte: Die Vorstellung einer Überhitzung der Gebärmutter ist zwar genauso ab33 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

strus wie diejenige einer Wanderung im Körper, die Bedeutung der Triebunterdrückung wird jedoch in beiden Vorstellungen deutlich.

Hysterie – eine neurologische Erkrankung Im 18. und insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Hysterie vorwiegend und zunehmend als neurologische Erkrankung betrachtet. Man fahndete nach verschiedenen Ausfällen des peripheren und zentralen Nervensystems. Dies gilt zum Beispiel noch für die monumentale Monografie von Paul Briquet (1859), die zwar auch den seelischen Vorgängen große Aufmerksamkeit widmete, vorwiegend aber auf neurologischen Anschauungen basierte. Der Beitrag der »neurologischen« Auffassung war im Wesentlichen ein negativer. Man hat zwar dadurch eine Zeit lang die Hysterie wieder ernst genommen und diesen großen Imitator verschiedenster Nervenerkrankungen differenziert beobachtet und geschildert. Die Vorstellung von der Hysterie als einer neurologischen Erkrankung, später auch einer Degeneration des Nervensystems, hat jedoch insgesamt das Aufkommen der modernen Hysterietheorie eher nur verzögert. Auch der große Charcot, der berühmteste Neurologe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, blieb trotz seiner Erfahrungen mit hypnotisierten hysterischen Patienten bei der einfachen Formel: »Als einzige Ursache hat die Heredität zu gelten, die Hysterie ist demnach eine Form der Entartung, ein Mitglied der famille nevropathique; alle anderen ätiologischen Momente spielen die Rolle von Gelegenheitsursachen, von agents provocateurs« (Freud 1893, S. 33). Freud gleichwohl meinte, dass Charcot auf einem bestimmten Bereich einen Schritt getan hat, der ihm für alle Zeiten auch den Ruhm des ersten Entdeckers der Hysterie gesichert 34 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

habe. Als er sich nämlich mit dem Studium der hysterischen Lähmungen beschäftigte, die nach Traumata entstehen, kam er auf den Einfall, diese Lähmungen zu reproduzieren, und zwar bei hysterischen Patienten, die er durch Hypnotisieren in den Zustand des Somnambulismus versetzte. Es gelang ihm durch lückenlose Schlussfolge nachzuweisen, dass diese Lähmungen »Erfolge von Vorstellungen seien, die in Momenten besonderer Disposition das Gehirn des Kranken beherrscht haben« (Freud, S. 33). Die Hauptverdienste Charcots dürften allerdings sein, dass er erstens mit dem Gewicht seines Namens den Zweifel an der Realität der hypnotischen Erscheinungen ein für alle Mal ein Ende machte und dass er zweitens hervorragende Schüler wie Pierre Janet und insbesondere Sigmund Freud an sich zog und sie für diese Phänomene interessierte.

2. Das psychoanalytische Modell a) Psychisches Trauma, hypnoider Zustand, Katharsis Schon 1881/82 machte Josef Breuer, der jahrelange väterliche Freund Sigmund Freuds, Beobachtungen bei seiner hysterischen Patientin Frau Anna O., die eine unschätzbare Bedeutung für das Verständnis der Hysterie und für die große Entdeckung der Psychoanalyse erlangten. Erst zehn Jahre später, 1893, veröffentlichte Breuer zusammen mit Freud die »Vorläufige Mitteilung über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene«, die zwei weitere Jahre später, 1895, um vier lange Krankengeschichten erweiterte, als die berühmt gewordenen »Studien über Hysterie« (vgl. auch Mentzos 1991) erschienen. Man ging zunächst von Beobachtungen bei hysterischen Patien35 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

tinnen aus, bei denen im Zustand der Hypnose Erinnerungen an die Zeit, in der das Symptom zum ersten Mal auftrat, neu belebt wurden. Die einfache Exploration war dazu nicht in der Lage, weil der Patient sich an die meist sehr schmerzlichen Anlässe nicht bewusst erinnerte oder nicht erinnern mochte. Mit Hilfe der Hypnose konnte man nun feststellen, dass am Beginn der hysterischen Erkrankung ein psychisches Trauma stehe. »Als solches kann jedes Erlebnis wirken, welches die peinlichen Affekte des Schreckens, der Angst, der Scham, der psychischen Schmerzen hervorruft« (Freud u. Breuer 1893, S. 84). Der Hysterische leide größtenteils an Reminiszenzen, an Erinnerungen, die »Traumen entsprechen, welche nicht genügend abreagiert worden sind« (S. 89). Solche pathogenen Vorstellungen entstehen allerdings erst in einem abnormen Zustand des Bewusstseins, also in einer Art Spaltung des Bewusstseins: »Die Neigung zu dieser Dissoziation und damit zum Auftreten abnormer Bewußtseinszustände, die wir als hypnoid zusammenfassen wollen, ist das Grundphänomen dieser Neurose« (S. 91). Über die Entstehung solcher hypnoiden Zustände könne man zunächst nichts Sicheres sagen, »sie entwickeln sich oft, sollten wir meinen, aus den auch bei Gesunden häufig anzutreffenden Tagträumen« (S. 92). Der Zusammenhang zwischen Anlass (psychisches Trauma) und konkretem Symptom ist oft vollständig ersichtlich, so zum Beispiel, wenn ein schmerzlicher Affekt, der während des Essens entstehe, aber unterdrückt werde, Übelkeit und Erbrechen erzeuge und dieses hysterische Erbrechen monatelang andauere. In anderen Fällen sei aber der Zusammenhang nicht so einfach, es bestehe noch eine sozusagen symbolische Beziehung zwischen der Veranlassung und dem pathologischen Phänomen, wie der Gesunde sie wohl auch im Traum bilde. Dieses Konzept (psychisches Trauma, Abspaltung im 36 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

hypnoiden Zustand und dadurch fehlendes Abreagieren, pathogene Reminiszenzen, die das Symptom direkt oder in symbolischer Art hervorrufen) sowie die daraus abgeleitete Behandlungsmethode stützte sich auf eine Reihe klinischer Beobachtungen Breuers und Freuds, die schon in der vorläufigen Mitteilung folgendermaßen zusammengefasst werden: »Wir fanden nämlich anfangs zu unserer größten Überraschung, daß die einzelnen hysterischen Symptome sogleich und ohne Wiederkehr verschwanden, wenn es gelungen war, die Erinnerung an den veranlassenden Vorgang zu voller Helligkeit zu erwecken, damit auch den begleitenden Affekt wachzurufen« (S. 85). Diesem Abreagieren also, dieser Katharsis folgte die Auflösung der Symptomatik.

b) Abwehr, Widerstand, Verdrängung und Konversion Von diesem Punkt an entwickelte Freud sein Konzept eigenständig weiter. Die zusammen mit Breuer aufgedeckten und konzeptualisierten Vorgänge wurden nicht widerlegt, sondern in einen größeren, erweiterten und veränderten Bezugsrahmen aufgenommen. Freud ging zunächst davon aus, dass alle diese pathogenen Vorstellungen peinlicher Natur waren, also von der Art, wie man sie gern nicht erlebt haben möchte, wie man sie am liebsten vergesse. »Aus all dem ergab sich wie von selbst der Gedanke der Abwehr . . . An das Ich des Kranken war eine Vorstellung herangetreten, die sich als unverträglich erwies, die eine Kraft der Abstoßung von Seiten des Ichs wachrief . . . diese Abwehr gelang tatsächlich . . . die betreffende Vorstellung war aus dem Bewusstsein und aus der Erinnerung gedrängt, ihre psychische Spur war anscheinend nicht aufzufinden . . . Wenn ich mich bemühte, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, bekam ich dieselbe Kraft als Widerstand zu spüren« (Freud u. Breuer 1895, S. 269). 37 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Gerade also durch die Abwehr wurde die abgewehrte Vorstellung pathogen. Wie komme es aber dann zur Entwicklung des konkreten Symptoms? »Bei der Hysterie erfolgt die Unschädlichmachung der unverträglichen Vorstellung dadurch, daß deren Erregungssumme ins Körperliche umgesetzt wird, wofür ich den Namen der Konversion vorschlagen möchte« (Freud 1894, S. 63). Die Bedeutung von Konversion bei Freud ist also zunächst energetischer, ökonomischer Natur. Libidinöse Energien werden umgewandelt, in somatische Innervationen konvertiert. Freud stellte sich wahrscheinlich vor, dass die libidinöse Energie von der Vorstellung infolge der Verdrängung abgetrennt und dann ins Körperliche umgesetzt wird. Es muss allerdings schon an dieser Stelle mit Nachdruck betont werden, dass dieses energetische Modell der Konversion bei Freud von Anfang an gleichzeitig mit der symbolischen Funktion verknüpft war. Die Art, mit der Freud in der Praxis mit hysterischen Symptomen umging, lässt keinen Zweifel daran, dass er von Anfang an der symbolischen Ausdrucksfunktion des Konversionssymptoms den Vorrang gegeben hatte. Eine gelungene, auch theoretische Formulierung der kombinierten Konzeption (energetischer Aspekt, aber auch Symbolfunktion) gelang allerdings erst im Rahmen der weiteren Entwicklung der Psychoanalyse, so zum Beispiel zusammenfassend bei Rangell (1969, S. 124): »In der Konversion findet eine Ableitung und Verschiebung psychischer Energie von der Besetzung seelischer Prozesse zur Besetzung somatischer Innervation statt, zu dem Zwecke, auf entstellte Weise Abkömmlinge verdrängter, nicht zugelassener Triebimpulse ausdrücken zu können. Diese somatischen Veränderungen sprechen, wie in der ursprünglichen Definition und in Fenichels Beschreibung festgestellt, eine Symbolsprache und drücken mittels der Körpersprache eine Kombination der verbotenen Triebimpulse und der Abwehrkräfte aus, die die Entstellung bewirken . . . eine Formulierung, die im wesentlichen auch die ursprüngliche von Freud gemeinte Bedeutung wahrt.«

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c) Die Rolle der Sexualität und des Ödipuskomplexes In anschaulicher Weise schildert Freud in »Massenpsychologie und Ich-Analyse« (1921, S. 115ff.), über welche Wege die Identifizierungsvorgänge und die sexuellen Wünsche auch im normalen Fall zu unausweichlichen Konfliktsituationen führen, die durch eine normale Entwicklung überwunden werden. »Der kleine Knabe legt ein besonderes Interesse für seinen Vater an den Tag, er möchte so werden und so sein wie er, in allen Stücken an seine Stelle treten . . . Gleichzeitig mit dieser Identifizierung mit dem Vater, vielleicht sogar vorher, hat der Knabe begonnen, eine richtige Objektbesetzung der Mutter nach dem Anlehnungstypus vorzunehmen. Er zeigt also dann zwei psychologisch verschiedene Bindungen, zur Mutter eine glatte sexuelle Objektbesetzung, zum Vater eine vorbildliche Identifizierung. Die beiden bestehen eine Weile nebeneinander ohne gegenseitige Beeinflussung oder Störung. Infolge der unaufhaltsam fortschreitenden Vereinheitlichung des selben Lebens treffen sie sich endlich und durch dieses Zusammenströmen entsteht der normale Ödipuskomplex. Der Kleine merkt, daß ihm der Vater bei der Mutter im Wege steht; seine Identifizierung mit dem Vater nimmt jetzt eine feindselige Tönung an und wird mit dem Wunsch identisch, den Vater auch bei der Mutter zu ersetzen.«

Es würde hier zu weit führen, den Ödipuskomplex mit seinen Variationen, seinen pathologischen Formen und seinen Implikationen für die Psychopathologie im Allgemeinen näher zu schildern. Festgehalten sei nur Folgendes: Zwar betrachtet die Psychoanalyse Störungen in dieser triangulären Beziehung des Ödipuskomplexes als den Ausgangspunkt aller Neurosenformen, jedoch erfolgt die Regression bei der Manifestation der Störung zu einer jeweils anderen Entwicklungsstufe. Nun sei es (so die klassische psychoanalytische Auffassung) für die Hysterie typisch, dass diese Regression eben zu der ödipalen (und nicht etwa zu der analen oder oralen) Phase geschieht. In späteren Kapiteln werde ich darstellen, dass eine solche obligatorische 39 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Verknüpfung des Hysterischen mit dem ödipalen Konflikt zunehmend problematisch und zweifelhaft geworden ist. Viel mehr trifft man hysterische Mechanismen und Phänomene auch im Rahmen der neurotischen Verarbeitung anderer intrapsychischer Konflikte (insbesondere oraler und narzisstischer Herkunft). Im Kapitel »Hysterie zu Beginn des 21. Jahrhunderts« versuche ich unser heutiges Verständnis des Ödipalen präziser zu definieren und zu ergänzen. Nicht nur die Phänomenologie, also nicht nur das Erscheinungsbild der Hysterie hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts gewandelt. Auch unsere Konzepte zum Verständnis der Psychodynamik der Hysterie mussten zum Teil revidiert, erweitert und insbesondere auch von der obligatorischen engen Verbindung mit dem ödipalen Konflikt befreit werden.

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Kapitel III

Hysterische Symptombildung

1. Annette C. (Konversion) Eine 26-jährige Patientin (Fall Nr. 10) befand sich in psychotherapeutischer Behandlung wegen depressiver Verstimmungen und Schwierigkeiten in der Beziehung zum Sexualpartner. Die Art des Zentralkonflikts sowie die komplizierte, mehrschichtige Abwehr soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Es genügt vielleicht, anzudeuten, dass trotz der Beteiligung einer deutlichen ödipalen Problematik der Kern des Zentralkonflikts sowie die geklagten Beschwerden und Störungen auf eine recht problematische MutterTochter-Beziehung zurückgingen und erst von daher vollständig erfasst werden konnten. Bei dieser Patientin, die bis zu einem gewissen Zeitpunkt keine konversionshysterische Symptomatik geboten hatte, trat eines Abends ziemlich rasch eine »Lähmung« des rechten Arms auf, die sie wie auch ihren Mann so beunruhigte, dass sie mich noch am selben Abend zu später Stunde anriefen. Der Ehemann berichtete, dass sich diese Lähmung während eines intensiven und langen Gesprächs zwischen ihnen entwickelt habe. Zu einem Streit sei es nicht gekommen. Die Patientin habe viel mehr in einer Art Fortsetzung der psychotherapeutischen Behandlung über ihre Kindheit gesprochen und lebhafte Erinnerungen an Ereignisse und insbesondere ihre Gefühle zu jener Zeit geschildert, wobei sie recht bewegt und mitgenommen gewirkt habe. Auf dem Höhepunkt ihrer Erzählung klagte die Patientin dann plötzlich über ein eigenartiges Gefühl des Abgestorbenseins im rechten Arm. Daraus 41 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

entwickelte sich rasch eine regelrechte Unfähigkeit, den Arm zu bewegen. Das Geschehen war nicht nur für den Ehemann, sondern auch für die Patientin selbst rätselhaft, der Grund nicht zu eruieren. Ich jedoch dachte schon während des Telefongesprächs an eine Formulierung von Fenichel (1945, S. 222): »Wenn eine Funktionsstörung in der Kindheit in Verbindung mit einem emotionellen Konflikt gebracht, und wenn dieser Konflikt verdrängt wurde, so ist jede spätere Anspielung, Andeutung, entweder auf die Funktionsstörung oder auf den emotionellen Konflikt in der Lage, beide Komponenten des Ganzen zu mobilisieren, wobei die Funktionsstörung die bewußte Manifestation, der emotionale Konflikt dagegen die unbewußt treibende Kraft des Konversionssymptoms wird.«

Ich konnte mich nämlich aus der Anamnese daran erinnern, dass Annette C. im Alter von acht oder neun Jahren eine relativ leichte Poliomyelitis durchgemacht hatte, wobei sie über längere Zeit an einer Lähmung des rechten Armes litt. Diese poliomyelitische Erkrankung trat zu einer für die Patientin auch psychologisch wichtigen und kritischen Spanne ihres Lebens auf. Sie hatte sich, von der Mutter offensichtlich endgültig enttäuscht, dem Vater zugewandt. In einer Art von Fortsetzung der ödipalen Anlehnung an ihn, hing sie nun sehr an ihm, idealisierte ihn und fantasierte sich in Tagträumen von ihm als kleine Lady behandelt. Gerade zu diesem Zeitpunkt nun wurde sie jedoch auch von ihm dadurch schwer enttäuscht, dass der Vater nicht, wie versprochen, sie, sondern die Mutter auf eine Urlaubsreise mitnahm. Die kleine Tochter wurde bei der Tante zurückgelassen. Am nächsten Tag traten bei dem achtjährigen Mädchen die ersten Erscheinungen einer beginnenden Poliomyelitis und etwas später die ersten Lähmungen auf. Unabhängig davon, dass hier auch ein psychosomatischer Zusammenhang zwischen grober Enttäuschung und Begünstigung des Auftretens einer Infektionskrankheit zu 42 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

vermuten ist3, hat dieser zeitliche Zusammenhang die enge (psychologische) Verknüpfung von Enttäuschungserlebnis und Lähmung bewirkt. Die Enttäuschung durch den Vater einerseits und die Funktionsstörung im rechten Arm andererseits mussten durch den (egal, ob zufälligen oder nicht zufälligen) zeitlichen Zusammenhang als etwas Zusammengehöriges erlebt worden sein. Diese Verknüpfung wurde fast zwanzig Jahre später wirksam, indem die damalige tatsächliche Lähmung nunmehr als eine (nur vorgestellte, fantasierte) funktionelle Störung auftauchte und als eine echte Unfähigkeit, den Arm zu bewegen, erlebt und dargestellt wurde. Dies geschah aber nicht auf dem Weg der rein mechanischen Auslösung eines bedingten Reflexes durch einen ähnlichen Reiz, sondern im Rahmen einer viel weiter reichenden unbewussten Inszenierung. Um dies zu erläutern, kehre ich zu der Patientin zurück. In einer späteren Sitzung gab sie mir an, dass sie sich eigentlich an diesem Abend, als die »Lähmung« auftrat und ihr Mann mich anrief, insgeheim gewünscht habe, dass ich sie wegen dieser akuten ernsthaften Erkrankung zu Hause aufsuchte oder dass sie eine Extrasitzung bekäme. Annette C. hatte offensichtlich an diesem Abend versucht, eine Psychoanalysestunde sozusagen dadurch nachzuholen, dass sie ihrem Mann so viel von ihren Problemen erzählte. Dies wiederum geschah aufgrund der zu jenem Zeitpunkt starken positiven Vater-Übertragung dem Therapeuten gegenüber. Als dieser Ersatz (das einfache Reden mit dem Ehemann) nicht ausreichte und die Frustration eher stärker wurde, tauchte das Symptom auf, und zwar als die Wiederbelebung der Konstellation der damaligen Szene aus der Kindheit. Denn auch damals hatte sie den Vater bitter vermisst und war untröstlich und hilflos, weil sie ihn nicht erreichen und nicht für sich haben konnte. Das Auftreten der damit assoziativ verbundenen poliomyelitischen Lähmung wurde zum Symbol, zum Aus43 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

drucksmittel der intrapsychischen Spannung. Der Patientin waren freilich diese Zusammenhänge nicht bewusst. Bei der Ausdrucksgebung ihres Konflikts in eine Körpersprache bediente sich die Patientin des damaligen »Vorbilds«, ohne sich dessen bewusst zu sein. Einige zusätzliche Einzelheiten dieses Vorgangs will ich hier nur kurz andeuten: 1. Das Symptom, als eine Angst auslösende Unfähigkeit, den Arm zu bewegen, drückt nicht nur die Hilflosigkeit, die ratlose Verlassenheit, sondern auch Schuldgefühle und selbst auferlegte Strafe für damalige und jetzige inzestuöse Wünsche dem Vater (und dem Therapeuten) gegenüber aus. 2. Der gesamte Vorgang hat nicht nur eine symbolische Ausdrucksfunktion, sondern auch einen energetischen, also einen triebökonomischen Aspekt insofern, als in dieser Szene und in diesem Symptom libidinöse und aggressive »Energien« gebunden werden. In anderen hysterischen Symptombildungen (zum Beispiel »Anfälle«) werden diese Aspekte deutlicher, indem dort eine versteckte, kompromisshafte Entladung beziehungsweise Abfuhr aufgestauter Energien, also eine Art Ersatzbefriedigung möglich wird. Ausdrucksgebung und Energiebindung oder Abfuhr stellen also den primären Krankheitsgewinn dar. Auf der anderen Seite ist jedoch auch der sekundäre Gewinn, der ebenfalls zur Manifestation und besonders zur Fixierung von hysterischen Symptombildungen beiträgt, nicht zu vernachlässigen: In diesem hier zur Diskussion stehenden konkreten Fall bekam die Patientin durch ihr Symptom eine vermehrte Zuwendung des Ehemanns und sie hat auch erwartet, dass der Therapeut zu ihr käme oder dass er sich zumindest Sorgen machte. Dieses Bruchstück aus der Analyse von Annette C. schildere ich nicht nur, um einige der Grundprinzipien und Mechanismen bei der hysterischen Symptombildung zu erläutern, sondern auch, um eine notwendige Abgrenzung und 44 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Unterscheidung klarer zu demonstrieren. Wie schon Fenichel in dem oben wiedergegebenen Zitat formulierte, führt oft die zeitliche Verbindung in der Kindheit zwischen einer Funktionsstörung und einem emotionalen Konflikt dazu, dass später die Aktivierung des einen das Wiederbeleben des anderen mit sich bringt. Daraus könnte ein Lerntheoretiker den Schluss ziehen, dass es sich hierbei einfach um ein erlerntes Verhalten nach dem Prinzip der Konditionierung handle und dass der komplizierte Begriffsapparat von Symbolisierungen, Konversionen, Regression und so weiter sich erübrige. Ich meine, dass unser Beispiel verdeutlicht, dass eine solche Versimplifizierung nicht zulässig und nicht gerechtfertigt ist. Zwar bin ich auch der Meinung, dass die Psychoanalyse manches von der Lerntheorie und Verhaltenstherapie zu lernen und auch zu übernehmen hätte. Ich meine auch, dass sowohl die Entstehung von Neurosen als auch ihre Behandlung komplizierte Lern- und Umlernprozesse implizieren, aber eben recht komplizierte Vorgänge, die auf vielen Ebenen sich abspielen und die auf keinen Fall in das einfache Schema eines konditionierten, bedingten Reflexes hineingepresst werden können. Unsere Patientin entwickelte nicht deswegen ihre Lähmung, weil sie sich an diesem Abend an die vergangene Zeit erinnerte, alte Vorstellungen wiederbelebte, damit auch die damalige Funktionsstörung automatisch reaktivierte. Es war vielmehr ein bestimmter, in der Übertragung wiederbelebter Konflikt, der mit seiner verstärkten emotionalen Spannung den komplizierten Entlastungsmechanismus einleitete: Erst unter dem Druck einer bestimmten Übertragungssituation war es nötig und möglich, einen Entlastungsmechanismus zu mobilisieren, der unter anderem sich jener alten zeitlichen Verknüpfung von emotionalem Geschehen und gestörter Körperfunktion bediente. Hier liegt also keine einfache Reaktivierung eines durch zeitliche Koinzidenz entstandenen bedingten 45 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Reflexes, sondern ein viel verzweigter und mehrfach determinierter symbolischer Vorgang vor. Die Mobilisierung der alten Verbindung und das Auftreten der Lähmung gehören als nur ein Teil zu einer viel weiter gehenden unbewussten Inszenierung, deren Einzelheiten und ihre Gesamtkonzeption sowohl eine Art »dramaturgische Arbeit« als auch einen Zensureinfluss verraten – wodurch die Ähnlichkeit solcher hysterischen Inszenierungen zu der Traumarbeit deutlich wird.

2. Die Krankengeschichte von Barbara M. (Dissoziation) Fall Nr. 11 Eines Tages wurde ich von einem medizinischen Kollegen angerufen, der mich um Rat wegen der Erkrankung seiner Frau bat. Die 24-jährige Frau, mit der er seit einem Jahr verheiratet war, litt an eigenartigen Zuständen der Angst vor etwas Unbestimmtem. Sie wurde von unbegründeter Traurigkeit und ständiger Unruhe gequält. Sie fiel immer wieder, manchmal mehrmals am Tag, in einen Zustand der Abwesenheit, die sie mit dem Wort »Leere« charakterisierte. Solche Zustände dauerten drei bis fünf Minuten. Sie war dabei oft unansprechbar und konnte meist erst nach Abklingen dieses »Anfalls« über traumhafte Erlebnisse berichten, die sie sehr beunruhigten. Sie sei nach Angaben des Ehemanns sonst eine intelligente, aktive, patente junge Dame, die ihr Studium weit vorangetrieben hatte und kurz vor dem Abschluss stand. Sie habe, soweit er, der Ehemann, wisse, früher nie Schwierigkeiten gehabt, obwohl sie in einem problematischen, komplizierten Familienmilieu groß geworden sei. Als ich die Patientin zum ersten Mal sah, wirkte sie recht 46 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

geordnet, vernünftig und zugewandt, bei längerer Beobachtung jedoch leicht verunsichert, etwas distanziert. Sie war eine gut aussehende Frau mit einem ausdrucksvollen Gesicht. Sie schilderte differenziert, aber etwas zurückhaltend. In mehreren Sitzungen erfuhr ich nun die Einzelheiten ihrer bemerkenswerten Vorgeschichte, die ich hier kurz zusammenfasse: Die Patientin war die zweite von vier Töchtern eines wohlhabenden Kaufmanns. Die Familie wurde immer schon durch den dominierenden, tyrannischen, egozentrischen und bis zum Exzess rücksichtslosen Vater beherrscht, während die Mutter als eine extrem schwache, abhängige, sich dem Ehemann unterwerfende Frau geschildert wurde. Dass derVater der Patientin ausgesprochen »schwierig« war, ließ sich auch durch die Tatsache belegen, dass er mit vielen seiner Verwandten sehr oft Streit hatte, aggressiv und offensichtlich auch paranoid in der Familie reagierte und dass er sowohl Frau als auch Töchter des Öfteren geschlagen hat. Auch die Patientin hatte unter dieser schlechten Behandlung sehr zu leiden gehabt, obwohl sie die Lieblingstochter war. Sie hatte beim Vater eine besondere Position, zumal sie den Ersatz für den vergeblich gewünschten Sohn darstellte (der Vater hatte übrigens der Mutter immer Vorwürfe gemacht, dass sie ihm keinen Sohn geboren hatte). Dass die Patientin die auf sie delegierte Rolle des fehlenden Sohnes übernommen hatte, zeigte sich nicht nur in ihrer besonderen Aktivität und stärkeren Initiative unter den Geschwistern, sondern auch in der Tatsache, dass und wie sie (wie ein Kompagnon) dem Vater jahrelang allein bei seinen Geschäften mit Erfolg half. Trotzdem wurde sie vom Vater immer wieder schlecht behandelt. Die Patientin gab an, dass sie sich im Lauf der Zeit zu wehren begonnen habe und innerlich sehr oft wütend und verzweifelt gewesen sei. Insgesamt ergab sich aus ihrer Schilderung jedoch das Bild einer stark ambivalenten Beziehung zu dem Vater, der zwar be47 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

wusst als tyrannisch, egozentrisch, brutal dargestellt, unterschwellig jedoch auch geliebt wurde. Im Gegensatz dazu hatte die Patientin für ihre als schwach und unterwürfig empfundene Mutter nur Gefühle des Mitleids oder gelegentlich auch der Verachtung. Zu Beginn ihres Studiums vor etwa fünf Jahren lernte die Patientin ihren jetzigen Mann kennen. »Es war das erste Mal, dass ich mich jemandem richtig anvertraut habe; sonst habe ich zu Hause, in der Schule und im Geschäft des Vaters meine Pflicht getan und mich nur auf oberflächliche Beziehungen eingelassen.« Eine Ausnahme stellte nur das Verhältnis zu der älteren Schwester dar, das durchgehend und überzeugend als gut beschrieben wurde. Nach einer gewissen Zeit wurde der Ehemann in eine fern liegende Stadt versetzt. Die Patientin blieb mit ihm durch festen Briefwechsel verbunden, entschloss sich dann aber gegen den heftigen Willen des Vaters, zu ihrem Freund zu ziehen. Der Vater war von Anfang an gegen diese Beziehung gewesen, genau wie gegen die Beziehung zu einem Mann und Heirat der ältesten Schwester. Zunächst blieb die neue Situation ohne größere Komplikationen und Reaktionen, obwohl der Vater sehr heftig reagierte und ständig verlangte, sie solle zurückkommen. Er begründete seine Forderung moralisch sowie mit der Notwendigkeit seiner Tochter für das Geschäft. Vielleicht bewog ihn auf unbewusster Ebene auch seine starke Bindung an die Patientin. Dabei muss offen gelassen werden, ob es sich um eine narzisstische oder libidinöse Bindung handelte. Einige Monate nach dem Umzug der Patientin kam es zu einer, allerdings nur vorübergehenden, Vertrauenskrise zwischen ihr und ihrem Freund, die aber zu einer heftigen und eigentlich unerwarteten depressiven Reaktion mit einem sehr ernst gemeinten Suizidversuch der Patientin führte. Beides überraschte den Freund und die Verwandten 48 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

sehr, weil es überhaupt nicht zu dem bisherigen Verhalten der Patientin passte. Sie war immer eine recht disziplinierte, beherrschte, fleißige und arbeitsame Frau, ohne heftige oder irrationale Reaktionen gewesen. Sogar sie selbst war über ihre Reaktion erstaunt. Noch auffälliger war jedoch die Tatsache, dass nach Überwindung dieser Vertrauenskrise, die eigentlich zur Intensivierung der Bindung und schließlich zur Heirat führte, die Patientin nunmehr zum ersten Mal manifest krank wurde. Gerade also zu dem Zeitpunkt, als sie sich endgültig entschlossen hatte, bei diesem von ihr geliebten Mann zu bleiben, und als sie auch aufgrund seines ernsthaften und konsequenten Verhaltens zu der festen Überzeugung gelangt war, dass er ohne jeden Rückhalt zu ihr stehe; gerade zu diesem Zeitpunkt entwickelte sie diese unbegründeten Ängste, die anfallsweise auftretenden Zustände der »Leere« und später auch Dämmerzustände mit szenischen optischen Pseudohalluzinationen (unechte Sinnestäuschungen). Verschiedene Internisten, Neurologen und Psychiater wurden konsultiert, ohne dass ein organisch pathologischer Befund erhoben oder eine Diagnose formuliert werden konnte. Schließlich suchte mich die Patientin über die Vermittlung von Bekannten ihres Mannes auf. Da sie in einer weit entfernten Stadt wohnte, konnte ich sie nur in unregelmäßigen Abständen alle zwei oder drei Wochen sehen. Eine regelrechte analytische Behandlung war unter diesen Bedingungen nicht möglich. Ich musste mich auf fortgesetzte interviewähnliche Gespräche im Sitzen beschränken, die jedoch vom Material her ausgesprochen ergiebig und auch im Hinblick auf den weiteren Verlauf bedeutsam waren. Nachdem wir festgestellt hatten, dass sie eine ausgeprägte Tendenz hatte, die Inhalte sowohl ihrer normalen Nachtträume als auch ihrer »Tagträume« innerhalb der Dämmerzustände sehr schnell zu vergessen, versuchte sie, 49 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ihre Träume aufzuzeichnen oder sie schnell, nachdem sie sie erlebt hatte, ihrem Mann zu erzählen. Es kam nämlich öfters vor, dass sie nachts einen Alptraum hatte, vor Angst wach wurde, ihrem Mann den Inhalt des Traums erzählte und am nächsten Morgen überhaupt nichts mehr von der ganzen Angelegenheit wusste. Bei diesen Träumen ging es oft um gefährliche Situationen, Brände in Gebäuden, in denen sie sich allein aufhielt und Gefahr lief zu verbrennen. Diese Träume waren ziemlich verworren. Es gab wenig Rückschlüsse oder Verbindungen zum früheren Material, allenfalls zu einem tatsächlichen Brand vor mehreren Jahren im damaligen Büro des Vaters. Es gab aber auch Träume, die eindeutiger waren, zum Beispiel: Sie geht zu ihrem Vater, um ihn zu besuchen, sie küsst ihn, er dreht sich aber plötzlich um und geht weg; oder: Sie ist in einem Schiff, das untergeht, sie schreit, hat Angst, aber es kommt keine Hilfe. In den ersten zehn bis zwölf Sitzungen spielte sich meistens Folgendes ab: Die Patientin erzählte treu und pflichtbewusst ihre Träume, sie berichtete auch über die Häufigkeit und die Qualität der Angstzustände und der »leeren Stellen«. Sie gab an, es sei immer eine unbestimmbare Gefahr, eine Bedrohung, ein Damoklesschwert, das über ihr hänge, sie könne es nicht besser charakterisieren. Wenn der Zustand der Angst oder der Zustand der Leere hinzukomme, sei sie total hilflos, habe keinen Halt, versuche, sich irgendwo festzuhalten, müsse gleich zu ihrem Mann rennen, ihn anrufen, sich an ihn klammern und oft weinen. Die Patientin berichtete dann auch diesen oder jenen Traum, ohne dass sie von sich aus irgendwelche Assoziationen brachte. Erst auf meine Aufforderung hin brachte sie Material, das meistens die Familie und insbesondere den Vater betraf. Und dies war das Merkwürdige: Nachdem wir über die damaligen und die jetzigen Schwierigkeiten und Probleme mit dem Vater gesprochen hatten, pflegte sie zum Schluss zu sagen: Dies alles sei für sie aber längst überwun50 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

den, sie habe sich damit abgefunden, also mit der Tatsache, dass sie eigentlich keinen Vater habe. Er sei ein schwer kranker Mann, ein brutaler Mann. Es sei nichts mehr zu machen. Damit habe sie sich schon vor zwei oder drei Jahren abgefunden. Es könne mit ihren jetzigen Problemen und Störungen nichts zu tun haben. Diese stereotypen Schlussfolgerungen standen immer in großem Gegensatz zu der Lebhaftigkeit und Anteilnahme, mit der sie über ihren Vater sprach. Eines Tages, es muss um die zwölfte Sitzung gewesen sein, kam sie mit der Mitteilung, dass sie ein neues Symptom bekommen habe. Sie sprach dabei in ihrer üblichen ruhigen und distanzierten Art, wohingegen der Ehemann mich zuvor sehr beunruhigt angerufen hatte, um mich zu fragen, ob nicht nach allem, was vorgefallen sei, diagnostisch doch etwas anderes vorliegen könne. Was war passiert? Auf der Rückfahrt zu ihrem Wohnort nach der letzten Sitzung sah sie, dass plötzlich ihr Vater im Eisenbahnabteil saß und sich mit ihr unterhielt. Was sie die ganze Zeit miteinander gesprochen hätten, wisse sie nicht, es habe zu lange gedauert. Dass das alles ein Unsinn sei, wisse sie auch und trotzdem könne sie die eindeutige Überzeugung nicht loswerden, dass sie ihren Vater dort tatsächlich gesehen und mit ihm gesprochen habe. Von nun an wiederholten sich solche optischen szenischen (Pseudo-)Halluzinationen regelmäßig zwei- bis dreimal in der Woche. Oft handelte es sich um eindeutige Wunscherfüllungen: Der Vater suchte sie auf oder sie war als kleines Kind zusammen mit ihrem Vater in einem hell erleuchteten Haus, das sich in einem See widerspiegelte. Er las ihr Märchen vor. Die Zustände, bei denen sie früher eine »leere« Stelle empfunden hatte, verwandelten sich jetzt zu einer Art Dämmerzustand, in dem verschiedene Szenen fantasiert wurden: Es brennt im Nebenhaus, wo sich der 51 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Ehemann befindet, jemand ist verbrannt! (Befürchtung oder Wunsch?) Oder: Ein wilder Mann verfolgt sie mit einer Spritze, will ihr etwas Böses tun. Sie läuft weg und schreit um Hilfe. In ihren Bemühungen zu entkommen, gerät sie in einen Wald, verletzt sich an Baumstämmen, die sehr groß und wild seien. Sie versteckt sich hinter einem solchen Baumstamm, dieser teilt sich in der Mitte und fällt um. Oder: Ein Wagen fährt an ihr vorbei, sie erkennt ihren Vater, der darin mit einer anderen Frau sitzt, sich amüsiert und lacht und diskutiert. Die Kommentare der Patientin über diese zuletzt genannte Fantasie (bzw. pseudohalluzinierte Szene) zeigen in typischer Weise die totale Verdrängung ihrer Gefühle dem Vater gegenüber, worüber oben auch schon die Rede gewesen ist. Es sei völlig undenkbar, dass sie irgendwelche Eifersuchtsgefühle ihrem Vater gegenüber haben könne. Sie habe zwar hier und da in den vergangenen Jahren die Vermutung gehabt, dass er eine Beziehung zu einer anderen Frau unterhielte. Sie habe ihn auch einmal beobachten können, wie er am Telefon offensichtlich mit seiner Freundin sprach, dabei habe sie aber nur an ihre Mutter gedacht. Sie habe ihr Leid getan. In ähnlicher Weise wurden jegliche, jetzt noch aktuell wirksamen positiven Gefühle dem Vater gegenüber trotz der Eindeutigkeit der geschilderten Inhalte meist geleugnet. Nur ausnahmsweise muss die Patientin leise lächelnd zugeben, dass alle diese Träume recht merkwürdig seien und irgendwie in diese Richtung hinweisen. Sie wolle aber mit ihm, also ihrem Vater, nichts zu tun haben und denke sogar daran, in einer finanziellen Angelegenheit gerichtlich gegen ihn vorzugehen. Diese Ankündigung eines gerichtlichen Kampfes hat mich zunächst überrascht, ich verstand ihn jedoch bald als eine kontraphobische Maßnahme gegen die Intensität ihrer 52 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

positiven Gefühle, ihrer doch sehr starken Bindung an den Vater. Sie ergriff dabei sozusagen die Flucht nach vorn und wurde aktiv aggressiv. Die Heftigkeit und Intensität ihrer Gefühle zeigte sich in den häufigen Brandträumen und in ihren Dämmerzuständen. Die Szene mit der Spritze und dem wilden Mann, die großen Stämme im Wald sprechen für sich. Eine Szenenvariation dieses Themas sah so aus: Jemand »warf Flammen« in die Wohnung des jungen Ehepaars und hatte auch mit einem Baumstamm die Tür so versperrt, dass sie nicht weglaufen konnten! In einer anderen Szene erlebte sie, wie Schlangen ihren Wagen umzingeln, sodass sie in höchste Gefahr geriet. Nur selten tauchte auch mal die Mutter auf: Die Mutter erscheint plötzlich im Wohnort der Patientin. Die Patientin läuft zu ihr, die Mutter geht jedoch langsam weg, verschwindet in einen See; schließlich ist nur noch der Kopf und dann nichts mehr zu sehen, sie sei verschwunden, weg. Oder sie träumte von der Schwiegermutter: Sie geht zum Friedhof; dort stellt sie fest, dass der Sarg der längst verstorbenen Schwiegermutter leer ist. »Er war leer«, schreit sie ihrem Mann voller Entsetzen zu, »er war leer«. Die relativ kurze Behandlung der Patientin erlaubte nicht, diese tiefer liegende Mutter-Problematik und die damit verbundenen depressiven Anteile näher zu analysieren. Nachzutragen aus der Vorgeschichte ist die wichtige Information, dass die Patientin nach glaubhaften Angaben ein befriedigendes sexuelles Verhältnis zu ihrem Mann hatte. Auf diesem Gebiet habe sie von Anfang an keine Schwierigkeiten gehabt. Diese eigentlich im Hinblick auf die Theorie bemerkenswerte Tatsache ist aber damit zu erklären, dass die Verdrängung der Patientin offensichtlich über lange Zeit sehr gut und sehr wirksam funktionierte und dass sie dadurch den Gesamtkomplex der stark ambivalenten Bindung zum Vater regelrecht abgesondert hatte. 53 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Der weitere Verlauf: Trotz des großen Widerstands der Patientin und der massiven Verdrängung und trotz der Tatsache, dass die klassische intensive analytische Methode aus praktischen Gründen nicht angewandt werden konnte, waren auf die Dauer die oben angedeuteten intrapsychischen Zusammenhänge auch der Patientin nicht mehr völlig unbewusst. Bezeichnenderweise kam es auch nach jeder Sitzung zu einer »Verschlechterung«, indem sie vermehrt solche Träume und pseudohalluzinatorische Szenen erlebte. Von einem gewissen Zeitpunkt an jedoch und gerade dann, als ich den Eindruck gewonnen hatte, dass die Abwehr der Patientin deutlich abzubröckeln begann, entwickelte sie nun eine Reihe anderer, diesmal körperlicher Beschwerden und Symptome. Gleichzeitig blieben die Dämmerzustände weg! Sie klagte jetzt über heftige Kopfschmerzen und über Schwindelgefühle sowie über Doppeltsehen. Hinzu kam vermehrte allgemeine Schwäche und Antriebslosigkeit. Ab und zu bekam sie in der nächsten Zeit an einigen Tagen einen Dämmerzustand; an solchen Tagen hatte sie keine körperlichen Beschwerden. Es schien also ein Ausschlussverhältnis zu bestehen. Übrigens hatte sie einen solchen Dämmerzustand bei mir nie gehabt. Eines Tages aber wurde ich etwa zehn Minuten nach Beendigung der Sitzung vom Ehemann angerufen. Er habe sie, wie verabredet, mit dem Auto abgeholt. Im Wagen sei sie in einen solchen Zustand gekommen und befinde sich noch darin. Er möchte mich doch bitten, sie anzusehen. Ich fand die Patientin im Wagen ihres Mannes auf dem Beifahrersitz. Sie saß steif da, war unansprechbar, wirkte wie weit weg oder weit entfernt. Die Augen waren geöffnet und hatten einen unsagbar traurigen und schwermütigen Ausdruck. Sie reagierte weder auf Zuspruch noch auf Schütteln. Die Pupillen reagierten auf Lichteinfall, die Reflexe waren regelrecht. Der Zustand dauerte insgesamt etwa acht bis zehn Minuten. Die Patientin stöhnte plötzlich und holte 54 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

tief Luft, bewegte sich langsam und schien aus ihrer Abwesenheit zurückzukommen. Das Ganze wirkte nicht wie ein organischer Ausnahmezustand, auch auf keinen Fall wie eine simulierte gewollte Haltung. Es war ein echter psychogener Dämmerzustand mit depressiver Färbung und entsprechenden Inhalten, über die die Patientin im Anschluss daran keine konkreten Angaben machen konnte. Kehren wir aber zu dem schon eben erwähnten Symptomwandel zurück. Offensichtlich wurde die Eindeutigkeit der Träume und der pseudohalluzinatorischen Szenen in Zusammenhang auch mit der ständigen Deutungsarbeit für die Aufrechterhaltung der neurotischen Abwehr so unerträglich, dass die Patientin sich auf eine zweite Verteidigungslinie zurückziehen und körperliche Konversionen auf den Plan rufen musste. Charakteristischerweise aber knüpften diese geschilderten körperlichen Symptome an Störungen und Beschwerden an, die einen minimalen tatsächlichen ursprünglichen organischen Kern hatten: So entwickelten sich die Schwindelzustände auf der Basis eines tatsächlich vorhandenen leichten Schwindelgefühls nach Einnahme eines Sedativums; die Doppelbilder hatten offenbar mit einem latenten Strabismus (Schielen) der Patientin zu tun. Auch die Kopfschmerzen organisierten sich auf dem Boden der schon vorher vorhandenen leichten migräneartigen Kopfschmerzen. Als schließlich die Patientin ein zusätzliches Symptom entwickelte, das der Ehemann – und nur er als Facharzt aufgrund seiner Kenntnisse – jeweils leicht behandeln konnte, wurde ich auch auf die Relevanz der Beziehung zu dem Ehemann für die Aufrechterhaltung der Symptomatik aufmerksam. Ich wundere mich nachträglich, warum es so lange gedauert hat, bis ich mich damit intensiver beschäftigt habe. Offenbar hat mich die Faszination der pseudohalluzinatorischen Szenen und die Offensichtlichkeit der Bedeutung der Vaterbeziehung sehr davon abgehalten. 55 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Es wurde nun klar, dass die Patientin im Lauf der Monate eine fast pathologische Abhängigkeit ihrem Mann gegenüber entwickelt hatte, sich kaum mehr von ihm trennen konnte, ihn ständig in der Praxis anrief und sich an ihn klammerte. Sie selbst brachte dann die Formulierung: »Ich glaube, ich mache meinen Mann zu meinem Vater«, wobei ich hinzufügte: »Ja, zu einem fürsorglichen und freundlichen Vater, so wie er hätte sein müssen!« Hier breche ich zunächst die Krankengeschichte ab. Ich will sie kurz abschließend besprechen. Zusammenfassung Es ist offensichtlich, dass diese junge Frau jahrelang in der inneren Überzeugung lebte, dass eine Bindung zu dem Vater bei seiner Schlechtigkeit, seiner Egozentrizität und seiner Brutalität überhaupt nicht in Frage käme. Diese ihre Überzeugung wurde dann dadurch erschüttert, dass gerade zu dem Zeitpunkt, wo sie ihren Vater eigentlich endgültig hätte »loswerden« können, ihre Abhängigkeit von ihm deutlich spürbar wurde. Die positiven Gefühle, die Sehnsüchte aus der Kindheit, vielleicht auch die Triebimpulse, die dann massiv hochkamen, wurden von ihr als eine diffuse, unheimliche Bedrohung empfunden. Die auftauchenden Fantasien wurden total aus dem Bewusstsein weggedrängt – das waren die »leeren Stellen«. Gleichzeitig war sie ob des nun endgültigen Verlustes ihres Vaters sehr traurig. Nicht die kurzfristige vorübergehende Vertrauenskrise mit dem späteren Ehemann führten zu der Manifestation ihrer Neurose, wie ein oberflächlicher Beobachter hätte annehmen können, sondern gerade die Tatsache, dass diese Krise sehr schnell überwunden und der Termin der Hochzeit ausgemacht wurde. Die drohende, endgültige Trennung vom Vater, der endgültige Verzicht auf längst und lang verdrängte Kindheitsträume ließen diese Sehnsüchte beson56 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ders stark werden und aufsteigen. Als die Abwehr mit den Mitteln der einfachen massiven Verdrängung nicht ausreichte, schien die Front abzubröckeln. Das Ich der Patientin war – bildlich gesprochen – mit weiteren Zugeständnissen, mit eindeutigeren Wunscherfüllungen einverstanden, allerdings unter dem Schutz der »Bewusstseinsspaltung«, des »Hypnoiden« wortwörtlich. Die ersten Dämmerzustände und die pseudohalluzinatorischen Szenen traten auf, zum Teil als naive direkte Wunscherfüllungen, zum Teil aber auch als komplizierte Kompromisslösungen, Affektumkehrungen, tendenziöse Betonung des Bedrohlichen, Gefährlichen. Als schließlich auch diese Symptomatik unter dem Druck der Realität einerseits und der Deutungsarbeit in der Behandlung andererseits nicht mehr standhalten konnte, zog sich die Patientin in die nächste Verteidigungslinie zurück und setzte die Konversion in körperliche Symptome ein: Schwindelzustände, Doppelbilder und Kopfschmerzen traten auf. Der massive sekundäre Gewinn, also die durch die Erkrankung hervorgerufene, sehr intensive Sorge und Zuwendung des Ehemanns, hatte nebenbei eine andere Abwehrpraktik und eine andere Pseudolösung des neurotischen Konflikts in Aussicht gestellt, nämlich die Regression auf die orale Stufe, dadurch auch Flucht vor der schuldbeladenen und durch die Ambivalenz quälenden ödipalen Problematik in die kleinkindliche Abhängigkeit vom Ehemann. Parallel dazu lief eine, wenn auch aufgrund der seltenen Sitzungen relativ schwach ausgeprägte, aber sicher bedeutsame Übertragung auf den Therapeuten. Er wurde zunächst als der erwünschte, immer sehnsüchtig herbeigesehnte »gute« Vater erlebt. Mit der Zeit traten aber offenbar sowohl libidinös besetzte Übertragungsfantasien auf, als auch negative Anteile der Vaterübertragung, die die Patientin in neue erhebliche Schwierigkeiten brachten und zunächst zu einem Fluchtversuch veranlassten. Nachdem so57 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

wohl das neurotische Arrangement mit dem Ehemann wie auch die Übertragung auf den Therapeuten gedeutet wurden, kam es zu einer raschen Besserung und schließlich auch Genesung der Patientin. Die Behandlung dauerte etwa neun Monate.

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Kapitel IV

Hysterische Charakterbildung

1. Einleitung Der Begriff der Charakterneurose taucht innerhalb der Psychoanalyse relativ spät auf. Der Weg zur Entwicklung einer psychoanalytischen Charakterologie wurde erst mit der expliziten Formulierung und dem Aufbau der Strukturtheorie (Freud, »Das Ich und das Es«, 1923) frei. Es ist hier insbesondere Abraham (1921, 1924, 1925) zu nennen, der in präziser und überzeugender Weise aufzeigte, dass Charakterzüge beziehungsweise fixierte Verhaltensweisen das Resultat eines ähnlichen Kompromisses zwischen Impuls und Abwehr sein können wie die Symptombildung. Er wies nach, in welcher Weise nicht nur einzelne Charakterzüge, sondern dominierende, generalisierte Verhaltensmuster als kompromisshafte neurotische Verarbeitungen des intrapsychischen Konflikts angesehen werden können. (Zum Konzept der histrionischen Persönlichkeitsstörung siehe Kapitel XIII.) Es ist verständlich, dass die Psychoanalyse anfänglich zuerst die Symptome als Ich-fremde, offensichtlich pathologische Erscheinungen studieren musste und erst allmählich auch Ich-syntone (mit dem Ich übereinstimmende, passende) Verhaltensmuster in ähnlicher Weise analysieren konnte. Die ersten psychoanalytischen Beschreibungen eines hysterischen Charakters stammen von Wittels (1931) und W. Reich (1933). Als charakteristische Züge beschreibt Reich verhüllte oder unverhüllte Koketterie bei Frauen und 59 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Weichheit und Feminität bei Männern. Dazu gehört Unbeständigkeit in den Reaktionen mit unerwarteten und nicht beabsichtigten Wendungen im Verhalten, starke Suggestibilität, Tendenz zu starken Enttäuschungsreaktionen, Neigung zum Fantasieren. Definiert wird allerdings von ihm der hysterische Charakter vorwiegend genetisch: »Der hysterische Charakter ist spezifisch gekennzeichnet durch eine Fixierung in der genitalen Stufe der kindlichen Entwicklung, die durch die inzestuöse Bindung bestimmt wird« (Reich, S. 215). Die Beschreibung des hysterischen Charakters durch Wittels enthält schon auf der deskriptiven Ebene eine etwas andere Akzentuierung: Er betont mehr die Ängstlichkeit, die Passivität, die Infantilität, die Flucht in die Fantasie, die Diffusität der Grenzen zwischen Selbstwelt und äußerer Welt. Für Wittels ist also der hysterische Charakter deutlich unreifer und eindeutig weiter entfernt vom sozusagen normalen genitalen Charakter als für Wilhelm Reich. Schon in dieser unterschiedlichen Akzentuierung und Schwerpunktsetzung macht sich eine divergierende Auffassung vom hysterischen Charakter bemerkbar, die in den folgenden Jahrzehnten zu einer ernsthaften Kontroverse ausgeweitet wurde. Entwickelt sich der hysterische Charakter aufgrund einer nur ödipalen Fixierung, also als eine Charakterbildung zur neurotischen Verarbeitung des ödipalen Konflikts oder sind hier auch frühere Konflikte – wie das schon bei Wittels anklingt – maßgebend? Impliziert der hysterische Charakter ein relativ reifes, relativ starkes Ich und eine fortgeschrittene Triebentwicklung oder sind diese auch bei einem unreifen, schwachen Ich anzutreffen? Vom genetischen Gesichtspunkt her ist also die Definition des hysterischen Charakters (analog zu der Situation bei der hysterischen Symptomneurose) strittig. Besteht aber wenigstens Übereinstimmung im Hinblick auf den deskriptiven Gesichtspunkt? Sind sich alle Autoren 60 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

über die beschreibbaren Merkmale des hysterischen Charakters einig?

2. Deskriptive Merkmale des hysterischen Charakters (bzw. der heutigen histrionischen Persönlichkeitsstörung) Fast alle Autoren sind sich einig, dass ein zwanghafter Charakter eindeutiger zu beschreiben sei als ein hysterischer. Andererseits besteht jedoch im Hinblick auf die Hauptzüge des hysterischen Charakters eine fast unerwartete Übereinstimmung. So konnte Alarcon (1973) aus den Veröffentlichungen von vierzehn Autoren, beginnend bei Wilhelm Reich (1933) bis hin zu Nemiah (1967), sieben wichtige Charaktermerkmale des hysterischen Charakters formulieren: a) Theatralisches Verhalten mit Dramatisierungs- und Demonstrationstendenzen, künstliche Übersteigerung,Versuche, die Aufmerksamkeit, Sympathie oder Bewunderung zu erzeugen oder auf sich zu lenken. b) Emotionale Labilität, charakterisiert durch Ausbrüche von Lachen oder Weinen, die durch inadäquate Anlässe hervorgerufen werden, sowie Wechselhaftigkeit und Kurzlebigkeit der ohnehin oberflächlichen Affekte, launisches Hin- und Herwechseln. c) Aktive Abhängigkeitstendenzen, also eine demanding dependency, das Bedürfnis, sich in infantiler Weise von anderen abhängig zu machen, ohne jedoch den Anspruch auf Aktivität und Initiative abzutreten, wie dies bei Passiv-Abhängigen der Fall ist. d) Übererregbarkeit, also eine ausgeprägte Bereitschaft, auf äußere Veränderungen hin überschießend stark zu reagieren. 61 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

e) Egozentrismus, also die Tendenz, an erster Stelle eigene Bedürfnisse zu berücksichtigen, zusammen mit dem unersättlichen Bedürfnis nach »geliebt und anerkannt werden« (in der älteren psychiatrischen Literatur auch als Geltungssucht bezeichnet). f) Verführerisches Verhalten im Sinne einer Durchsexualisierung jeder Aktivität, die jedoch nicht dazu dient, erotische Liebe auszudrücken und orgastische Erfahrungen herbeizuführen, sondern nur mit dem Ziel, von anderen gemocht und bewundert zu werden. g) Suggestibilität, also starke Beeinflussbarkeit durch andere wie auch durch sich selbst. Jeder erfahrene Kliniker wird sich bei der Aufzählung dieser charakteristischen Verhaltensmuster an bestimmte Personen erinnern, auf die diese deskriptiven Charaktermerkmale zutreffen und die, besonders wenn sie alle zusammen auftreten, die Diagnose »hysterischer Charakter« nahe legen. Betrachtet man aber diese Merkmale und Verhaltensmuster einzeln und für sich, so wird man zugeben müssen, dass sie nicht spezifisch sind. Ein »theatralisches«, dramatisierendes Verhalten kann auch als absichtliche, bewusste simulative Demonstration auftreten. Emotionale Labilität findet man bei allen möglichen neurotischen Störungen. Wechselhaftigkeit, Unberechenbarkeit des Verhaltens ohne adäquaten Anlass ist ja fast obligatorisch für eine Reihe von Symptom- und Charakterneurosen. Die demanding dependency wiederum begegnet uns bei emotional unreifen Persönlichkeiten verschiedener Art. Man trifft sie zum Beispiel bei Borderline- oder depressiven Patienten. Das vierte Merkmal, die Übererregbarkeit, ist besonders unspezifisch. Sie kommt bei allen möglichen Zuständen mit Reizoffenheit und verminderter Kontrollfähigkeit vor. Ebenfalls höchst unspezifisch erscheint mir auch das Merkmal des Egozentrismus, der ja oft, insbesondere bei narzisstischen 62 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Persönlichkeiten, ohne jegliche hysterische Komponente ganz im Vordergrund stehen kann. Ähnliches gilt auch für das nächste Merkmal, das verführerische Verhalten, das sowohl absichtlich bewusst eingesetzt werden kann, um bestimmte Ziele zu erreichen, wie auch als Ausdruck einer Liebesunfähigkeit und Überkompensierung der stark narzisstischen Wünsche nach »gemocht und bewundert werden« sehr oft bei den verschiedensten nichthysterischen Persönlichkeiten auftritt. Schließlich ist auch die Suggestibilität sicher kein Spezifikum des hysterischen Charakters, da sie bei infantilen, echt naiven Personen vorhanden sein kann, ohne dass eine Beziehung zum Hysterischen bestünde. Fassen wir zusammen: Theatralisches Verhalten, emotionale Labilität, Abhängigkeit und Übererregbarkeit, Egozentrismus, verführerisches Verhalten und Suggestibilität sind zwar sehr oft, zumal in ihrer Gesamtheit, bei der hysterischen Charakterbildung mitbeteiligt, sie sind aber nicht mit dem hysterischen Charakter in Deckung zu bringen. Denn viele dieser Merkmale finden sich bei anderen Charakteren und in ganz anderen Zusammensetzungen. Vom rein deskriptiven Gesichtspunkt aus lässt sich also offensichtlich der hysterische Charakter nicht eindeutig definieren. Wir werden das hier Spezifische auf einer anderen, phänomenologisch-psychodynamischen Ebene (siehe Kapitel VII) suchen müssen. Um jedoch diese Analyse vorzubereiten, müssen wir uns zunächst intensiver, direkt und anhand von Beispielen mit dem »hysterischen Verhalten« beschäftigen. Hysterische Verhaltensmuster trifft man in einem ausgesprochen breiten Spektrum unterschiedlicher Reifungsgrade von sehr schwer gestörten Patienten bis hin zu den fast normal-psychologischen Erscheinungsformen. Ich beginne mit einem Beispiel für die Letzteren.

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3. Anton C. (Fall Nr. 12) Ein sechsjähriger Junge stürzt beim Spielen und verletzt sich dabei leicht. Er steht auf, das Gesicht verrät leichten Schmerz, er weint aber nicht. Er unterbricht das Spiel, läuft Richtung Elternhaus, stürzt die Treppen zum 1. Stock hinauf. Auch im Korridor, Richtung Wohnzimmer, wo sich, wie er weiß, die Mutter aufhält, ändert sich weiter nichts in seinem Verhalten. Erst kurz vor dem Eintreten in das Wohnzimmer fängt er laut an zu jammern, zu stöhnen und zu schreien. Mit unsäglich verzogenem Gesicht und vor schwerem Leid stotternder Stimme erzählt er unter Schluchzen und Stöhnen von dem Schrecklichen, das ihm passiert sei. Die Mutter nimmt ihn auf den Schoß und tröstet ihn. Bald ist er völlig beruhigt und läuft zum Spielplatz zurück. Es war offensichtlich, dass er kaum noch Schmerzen hatte, als er in das Wohnzimmer hereinkam. Die Szene, die er im Bruchteil einer Sekunde am Ende des Korridors beim Anblick der Mutter in Gang setzte, erinnert nach meinem Verständnis stark an eine hysterische Inszenierung – obwohl der Vorgang sich zweifelsohne im Rahmen des Normalpsychologischen bewegt. Das Verhalten des Jungen erinnert an das Hysterische, weil er sich, zu einem Zeitpunkt, wo er offensichtlich keinen starken Schmerz und kein intensives Leiden mehr hatte, als ein extrem Leidender darstellt. Dies geschah sehr wahrscheinlich nicht nur für die Mutter und nicht nur, damit er Liebkosungen erhielt, sondern auch vor sich selbst, damit er diese verspätete, real gesehen, nicht mehr erforderliche, aber wohl gewünschte Tröstung rechtfertigen konnte. Der Widerspruch zwischen den nicht mehr vorhandenen starken Schmerzen einerseits und dem schmerzvollen Geschrei andererseits ist ihm nur potenziell bewusst. Die Dissoziation sorgt dafür, dass dieser Widerspruch unbeachtet bleibt.4

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Zwischenbemerkung: Hier muss ich vor einem Missverständnis warnen. Wenn von einem Widerspruch zwischen dem Dargestellten einerseits und der Realität andererseits gesprochen wird, so ist wohl die innere, psychische Realität gemeint. Es geht also nicht darum, dass der Patient etwas empfindet und darstellt, was objektiv nicht vorhanden ist. Denn dies trifft ja bei fast allen neurotischen Störungen zu. Das kann beispielsweise für den echt depressiven oder den echt ängstlichen Patienten gelten, der an einer äußerlich unbegründeten Angst leidet. Hier beim Hysterischen geht es dagegen darum, dass das Dargestellte nicht mit der momentanen psychischen Realität übereinstimmt, man »lügt« sich (unbewusst oder halb bewusst) etwas vor.

4. Ein dramatischer Auftritt (Fall Nr. 13) Eine jüngere Kollegin bat mich eines Tages um beratende Hilfe bei der Diagnostik und Therapieindikation eines Falls, der ihr Schwierigkeiten bereitete. Die Kollegin fragte mich, ob ich mir nicht die Patientin ansehen könnte, und meinte, dass es vielleicht nützlich wäre, wenn sie mir vorher in einem kurzen Gespräch einige Informationen geben und einige Fragen stellen würde. Wir vereinbarten den Termin für dieses kurze Vorgespräch zu einem Zeitpunkt direkt vor dem Interview mit der Patientin, in der (wie sich später herausstellte) naiven Absicht, der Kollegin die Möglichkeit zu geben, die Patientin mit mir bekannt zu machen. Ich saß also mit der Kollegin in einem Untersuchungsraum und diskutierte mit ihr, als verabredungsgemäß die Patientin an die Tür klopfte. Daraufhin spielte sich folgende Szene ab. Die Patientin, eine etwa 30-jährige, attraktive, gefühlsbe65 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

tont und lebhaft wirkende Frau, machte auf mein »Herein« die Tür auf, starrte erst mich an, dann die Kollegin, dann wieder mich und zwar von Kopf bis Fuß. Wir hatten uns inzwischen erhoben und wollten zu ihr gehen. Sie stand wie angewurzelt an der Schwelle, schwieg vielleicht noch vier bis fünf weitere Sekunden, drehte sich dann heftig um und entfernte sich mit schnellem Schritt, nachdem sie die Tür hinter sich zugeknallt hatte. Nun waren wir beide wie erstarrt und ratlos ob dieses unerwarteten und zunächst auch unerklärlichen Verhaltens. Wir saßen da und stellten Überlegungen über diese offensichtlich »hysterische« Szene an, die wir jedoch nicht eindeutig unterbringen und verstehen konnten. Nach etwa zehn Minuten läutete das Telefon, die Patientin bat kurz um Entschuldigung und fragte, ob sie nicht doch kommen könne. Diesmal waren die Kollegin und ich klüger, wir verabschiedeten uns schnell, damit die Patientin mich allein antraf. Nach Überwindung anfänglicher verständlicher Hemmungen war sie in der Lage, mir vieles über ihre Schwierigkeiten zu erzählen, und das inzwischen entstandene Vertrauen erlaubte mir gegen Ende des Interviews die Frage, wie es eigentlich zu der Szene bei ihrem ersten Eintreten ins Untersuchungszimmer gekommen sei. Daraufhin berichtete sie: Als sie von der Kollegin meinen Namen und meine Adresse bekommen habe, entwickelte sie – sie wisse nicht warum – vielleicht eine zu hohe Erwartung, als ob von dieser Begegnung vieles abhängen würde. Als sie die Tür aufmachte und mich als Ersten sah, brachte sie mich vielleicht aufgrund einer gewissen äußeren Ähnlichkeit in Zusammenhang mit ihrem Vater, den sie jetzt nach der Scheidung der Eltern seit über fünfundzwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Gleichzeitig sah sie aber die Kollegin neben mir und im nächsten Moment fiel ihr auch auf, dass ich einen Ehering trug. Was dann in ihr vorging, wisse sie nicht genau. Wenn sie jetzt versuche zu rekonstruieren, so müsse es doch so gewesen sein – so 66 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

unlogisch dies auch erscheine –, dass sie sehr tief enttäuscht war. Ich sagte: »Nach so vielen Jahren trafen Sie endlich Ihren Vater und er war wieder in den Händen einer anderen Frau, verheiratet!« Die Patientin stimmte meiner Deutung lebhaft zu. Es erübrigt sich vielleicht zu bemerken, dass auch die sonstigen Eindrücke aus dem Interview die Diagnose einer Psychoneurose mit ödipaler Problematik und hysterischer Symptombildung bestätigt haben. Das spezifisch Hysterische besteht aber meines Erachtens weder in der Tatsache, dass hier ein ödipaler Konflikt vorgelegen hat (genetischer Gesichtspunkt), noch in dem Umstand, dass eine ödipale Konkurrenz und Eifersucht das auslösende Moment für die Szene gewesen ist. Aber auch die Impulsivität der Reaktion als solche macht noch nicht das Hysterische aus. Erst bestimmte wichtige Details, die dem Ganzen die Merkmale einer – unbewussten – Inszenierung verleihen, lassen eindeutig den Eindruck des Hysterischen entstehen. Die Szene hat etwas eindeutig Dramatisierendes (nicht Dramatisches!): Höchste Empörung, unsagbarer Schmerz und Unfähigkeit, »so etwas sich weiter anzusehen«, wird durch das Schweigen, durch das Knallen der Tür und das Sichentfernen eindrücklich dargestellt. Warum sprechen wir aber von Darstellung und nicht von Reaktion? Wie entsteht dieser Eindruck der Darstellung, des Theatralischen? Warum nimmt man hier, der Patientin, nicht ab, dass sie einfach unter dem Druck ihrer Gefühle direkt so reagieren musste? Die Antwort ist einfach, wenn auch wenig »wissenschaftlich«. Der Eindruck der Darstellung entstand dadurch, dass das, was eigentlich impulsiv, ungesteuert sein sollte, eigenartig gesteuert, inszeniert, manchmal sogar gesteuert ungesteuert wirkte! Das impulsive Agieren eines erregbaren so genannten Psychopathen wirkt dagegen direkt, unvermittelt, es ist deswe67 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

gen auch unberechenbar und unter Umständen sogar gefährlich. Unsere Patientin dagegen verhält sich nicht so, als ob sie echt empört wäre, sondern als ob sie empört erscheinen möchte – allerdings nicht nur für die anderen, sondern auch für sich selbst. Als ob ihr die Gefühle, um die es hier geht, in diesem Moment nicht zur Verfügung gestanden hätten und sie sich in den emotional hoch gespannten Zustand hineinsteigern musste. Bei diesen und ähnlichen Fällen gewinnt man auch darüber hinaus den Eindruck, dass hier ein auf ein bestimmtes Thema fixierter, regelrecht besessener Dramaturg und Regisseur lauert und sofort jede Gelegenheit ergreift, die ihm eine gelungene szenische Darstellung seines Themas ermöglicht. Sobald sich eine auch nur teilweise geeignete Konstellation ergibt, greift er sie sofort auf und lässt eine Szene durchführen, in der etwas gespielt und etwas quasi erlebt werden kann, was sonst wahrscheinlich nicht erlebt werden kann und darf. Es ist aber zu vermuten, dass gerade dieser Zusammenhang zwischen Grundthema und Szene normalerweise unbewusst bleibt, es sei denn, er wird im Rahmen einer therapeutischen Intervention gedeutet – wie dies in unserem Fall durch mich geschehen ist, als ich die Patientin auf die Ähnlichkeit zwischen ihrer schicksalhaften Biographie einerseits und der konkreten jetzigen Situation andererseits deutend hingewiesen habe. Es gibt freilich Situationen, die wenig zu einer szenischen Darstellung geeignet sind, während andere Situationen wiederum fast bühnenreif sind und somit sich ausgesprochen zu einer solchen Dramatisierung anbieten. Dazu gehört auch die oben beschriebene Szene. Denn hier genügt ein kurzes empörtes, erstauntes Schweigen, ein plötzliches Umdrehen, ein Türknallen und die Szene ist vollendet und sicher wirkungsvoll. Solche Szenen und solche Inszenierungen führen aber letzten Endes doch nicht zu der erwünschten dauerhaften Entspannung. 68 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Der Patient ist nicht gelöst. Er wird immer wieder sich anbietende Gelegenheiten nutzen, sich zu inszenieren, in der dumpfen Erwartung, irgendwann doch die Erlösung zu erreichen. Er wird also allmählich sozusagen szenensüchtig! Daraus versteht sich auch seine besondere Bereitschaft und Affinität sowie Vorliebe für szenenträchtiges Material, insbesondere für Ambivalenzen, unlösbar erscheinende Konflikte, Gegenüberstellungen und Aufeinanderprallen von Gegensätzen.

5. Zur Typologie hysterischer Charaktere Der Versuch, die verschiedenen Typen hysterischer Charaktere zu beschreiben und zu definieren, war immer schon eine im gleichen Ausmaß attraktive wie auch schwierige oder sogar aussichtslose Aufgabe. Dies gilt besonders in unserer Zeit, in welcher der Hysteriebegriff – wie im nächsten Kapitel gezeigt wird – in eine große Krise geraten ist. Die Unsicherheit und die Verwirrung auf diesem Gebiet resultieren auch daher, dass man die Hysterie einerseits zu eng und andererseits zu weit umreißen wollte und dass man ferner deskriptive und genetische Kriterien dabei vermischte. Um zwei extreme Beispiele zu geben: Wilhelm Reich (1933, S. 213) sieht das allen hysterischen Charakteren Gemeinsame bei beiden Geschlechtern in einem aufdringlichen sexuellen Gehabe, einer spezifischen Art von körperlicher Agilität, die eine deutliche sexuelle Nuance aufweise. Dagegen betrachtet Allan Krohn (1978, S. 57) es als eines der Hauptmerkmale des Hysterikers, dass er sich als schwach und passiv präsentiere und damit eine »Kultivierung« der Passivität vornehme. Kuiper (1968) definiert die meisten neurotischen Störungen, die in irgendeiner Beziehung zum ödipalen Kon69 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

flikt stehen, als hysterisch (und damit auch den Masochismus und die Homosexualität), während Krohn (1978) wiederum den phallisch-narzisstischen Charakter streng von der Hysterie abtrennen möchte. Diese divergierenden Auffassungen und das Fehlen einer logisch kongruenten Klassifikation vermindern nicht den Wert einiger prägnanter und kliniknaher Beschreibungen von Charaktertypen, gleich, ob man sie alle mit Hilfe eines strengen Kriteriums auf den gemeinsamen Nenner des Hysterischen bringen kann oder nicht. So sind die von Abraham (1921) beschriebenen Typen der Verarbeitung des Kastrationskomplexes bei der Frau, also der Wunscherfüllungstyp (der Wunsch der Frau, sich mit der männlichen Rolle zu identifizieren) und der Rachetyp (das Vorherrschen von Racheimpulsen dem Mann gegenüber) von späteren Autoren mit Berechtigung als typische Variationen des hysterischen Charakters angesehen worden. Mir erscheint eine deskriptive Klassifikation oberflächlich und zudem auch recht schwierig. Eine genetische Einordnung jedoch ist durch die Konfliktunspezifizität des hysterischen Modus (siehe nächstes Kapitel) problematisch geworden. Ich möchte daher hier zunächst nur den Vorschlag einer Zweiteilung hysterischer Verhaltensweisen und Charaktere machen, die sich nach dem Kriterium der regressiven oder progressiven Tendenz richtet.Auf dieses Konzept kam ich durch die Beobachtung, dass viele Autoren die eine oder andere Richtung entweder überbetonen oder aber ausschließlich als hysterisch gelten lassen. Dabei lässt sich das Prinzip des hysterischen Modus, der hysterischen »Darstellung« in beiden Richtungen zwanglos anwenden. a) Zu den (pseudo-)regressiven Formen gehören alle diejenigen hysterischen »Darstellungen« von Krankheit, Leiden, Schwäche oder Passivität, mit deren Hilfe sich der hysterische Mensch schwächer, unreifer, unfähiger und hilfloser präsentiert, als er ist. 70 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Pseudoregressiv nenne ich diese Formen, weil es sich bei ihnen meines Erachtens nicht um eine echte, auf gar keinen Fall um eine so starke Regression handelt, wie »dargestellt« wird. Hier würden also hysterische Inszenierungen von Hilflosigkeit, Verzweiflung, Not, Schwäche, Naivität oder Kindlichkeit einzuordnen sein. Für diese Formen gilt der Satz: »Die Schwäche des Hysterikers ist seine Stärke.« Mit ihm ist zwar die Wirkung solcher Darstellungen auf die Umgebung gemeint, aber nicht nur auf die Umgebung. Diese »Schwäche« nämlich wird auch als Waffe und Mittel in der Auseinandersetzung mit dem eigenen Über-Ich benutzt. Sie wird als Alibi, als Schutz gegen Schuld- und Schamgefühle eingesetzt. b) Zu den (pseudo-)progressiven Formen gehören alle jene Fälle, bei denen ein Ausmaß an Stärke, Reife, Überlegenheit, Gefühlsreichtum, Differenziertheit dargestellt wird, das in Wirklichkeit gar nicht vorhanden ist. Dazu gehören also jene Fälle, bei denen durch Akzentverschiebungen, Gegenemotionen, Dramatisierung an falscher Stelle etwas »Besseres«, »Höheres« als das tatsächlich Erlebte dargestellt wird. Zu den (pseudo-)progressiven Formen gehören also einige Fälle des Wunscherfüllungs- und Rachetyps nach Abraham und des phallisch-narzisstischen Charakters von Reich, insbesondere auch des Leistungs-Don-Juan. Dazu eine Falldarstellung. Fall Nr. 14 Ein 30-jähriger Grafiker besuchte den Therapeuten, weil er in der Beziehung zu einer Frau, die er seit einigen Monaten kannte, impotent wurde. Dies hatte ihn umso mehr überrascht und geschockt, als er auf sexuellem Gebiet früher nicht nur keine Schwierigkeiten, sondern im Gegenteil eine Unzahl von »Eroberungen und Trophäen« aufzuweisen hatte und sich deswegen besonders männlich, potent und bei Frauen erfolgreich glaubte. Bald erfuhr der Therapeut, 71 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

dass der Patient in den zurückliegenden fünf bis sechs Jahren in fast süchtiger Weise alle zwei bis drei Wochen eine neue Frauenbekanntschaft machte. Er legte großen Wert darauf, dass es sich jeweils um gut aussehende und begehrte junge Frauen handelte. Er notierte seine Eroberungen sorgfältig in einem Notizbuch, damit er überhaupt einen Überblick behalten konnte. Kaum war eine dieser jungen Frauen »erobert«, erlahmte sein Interesse rasch und er musste sich nach der nächsten umsehen. Erst einige Monate vor dem Besuch des Therapeuten sei es ihm »passiert«, dass er bei einer Frau »hängen blieb«. Er fühlte sich von ihr gut verstanden und verspürte zum ersten Mal den Wunsch nach einer dauerhaften Beziehung. Dabei stellte sich jedoch heraus, dass dies nicht so einfach war, wie er es sich vorgestellt hatte. Zwar stand die Frau weiterhin zu ihm, er jedoch wurde rasch impotent und spürte zuletzt bei dieser Freundin, die er sehr schätzte und mochte, überhaupt keine sexuelle Erregung mehr. Auffällig war übrigens die Parallele zu seiner beruflichen Tätigkeit. Auch in diesem Bereich hatte er aufgrund seiner Fähigkeit bei einigen Firmen einen guten Start. Kaum hatte er jedoch Anerkennung und Lob seiner Vorgesetzten gewonnen, verlor er rapide das Interesse an der Arbeit und wurde zunehmend nachlässig und unkonzentriert, bis ihm schließlich gekündigt wurde. Er musste mehrfach neu anfangen. Doch immer, wenn ihm eine Position einigermaßen gefiel und er sie unbedingt halten wollte, wurde es ihm unmöglich, sich zur Disziplin zu zwingen und die notwendige Arbeit zu leisten. Im Laufe der Behandlung konnte herausgearbeitet werden, dass er sowohl die »Fraueneroberungen« als auch die jeweils neuen Erfolge in verschiedenen Firmen zur Aufrechterhaltung seines recht labilen Selbstwertgefühles bitter nötig hatte. Sein Verhalten war auch sonst darauf abgestellt, immer und überall den Eindruck des erfolgreichen 72 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Don Juan, des großen Eroberers und des beruflich sehr gesuchten Mannes hervorzurufen. Gleichzeitig ermöglichte ihm dieser häufige Wechsel von Partnerin und Beschäftigung die Abwehr stark verdrängter Abhängigkeitsbedürfnisse. Als diese aber in der letzten Beziehung zu einer Frau doch wirksam wurden, geriet er in die Krise, die ihn zum Psychotherapeuten führte.

6. Das Über-Ich: der prominenteste Zuschauer Wir haben schon erwähnt, dass das Hysterische ausgesprochen zuschauerbezogen ist. Der hysterische Mensch sucht bewusst oder unbewusst sein Publikum. Die Ausdrucksgebung mit den Mitteln der hysterischen Symptombildung oder der hysterischen Verhaltensweisen hat eine eindeutig kommunikative Funktion, einen appellativen Charakter. Sie will in ganz bestimmter Weise beeindrucken, beeinflussen, überzeugen. Das Gros der hysterischen Symptome und Charakterbildungen kommt nur bei Anwesenheit von Zuschauern zur Wirkung. Hysterische Symptombilder lassen sich mit Inszenierungen vergleichen, die nur dann einen Sinn haben, wenn ein Publikum da ist, das Inhalt, Dekoration, Dramatik der gespielten Handlung sowie die bevorzugten Schwerpunkte zu schätzen weiß. Gerade dieses Charakteristikum hysterischer Symptombildung hat dazu geführt, dass besonders im vorwissenschaftlichen Feld – aber auch in der praktizierenden Medizin und psychologischen Praxis – die Diagnose »Hysterie« vielfach als Abwertung oder sogar als Schimpfwort für Simulanten, Fantasten, geltungssüchtige und schauspielernde Blender benutzt wird. Eine solche Auffassung ist nicht nur deswegen grundfalsch, weil sie übersieht, dass diese »unechten« Ausdrucks73 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

mittel trotzdem eine echte Not ausdrücken. Sie berücksichtigt auch die Tatsache nicht, dass die Dramatik dieser – meinetwegen tendenziösen – Inszenierungen wahrscheinlich nicht einmal an erster Stelle den Zuschauer auf dem Parkett, sondern vorwiegend die Persona grata in der Königsloge, nämlich das eigene Über-Ich überzeugen will. Die Darstellung dient oft an erster Stelle zur Rettung des Selbstwertgefühls und der Rechtfertigung vor dem eigenen ÜberIch (Mentzos 1971; Hoffmann 1979). Gerade das eigene Über-Ich soll davon überzeugt werden, dass man schuldlos ist, dass man im Grunde gut oder schwach, zerbrechlich oder hilflos ist. (Siegmann, 1954, spricht in diesem Zusammenhang von einem internalisierten Beobachter.) Wer dies übersieht, hat offensichtlich ein Kernstück der psychoanalytischen Auffassung der Hysterie missverstanden. Hier geht es ja nicht um einen äußeren, sondern um einen inneren, einen intrapsychischen Konflikt. Der Konflikt, der zur Neurose Anlass gibt, entsteht nicht direkt dadurch, dass äußere Verhältnisse und soziale Mächte die Triebbefriedigung unmöglich machen, sondern weil diese Verbote und diese Gebote internalisiert worden sind und in der Gestalt des Über-Ich beziehungsweise des eigenen IchIdeals sich nicht mit dieser Befriedigung vereinbaren lassen. Der Konflikt, der früher tatsächlich ein äußerer war, ist längst internalisiert worden und gerade dies wird zu dem hauptsächlichen pathogenen Faktor.

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Kapitel V

Ich-psychologische Aspekte – die einzelnen Teilmechanismen

1. Der impressionistische kognitive Stil und die Affinität für unbewusste Symbolik Shapiro (1965) hat einen besonderen, nebelhaften, impressionistischen, technik- und faktenfeindlichen kognitiven Stil als charakteristisch für das Hysterische beschrieben. Er schildert das relative Fehlen von Konzentration beim Denk- und Wahrnehmungsprozess, die auffällige Empfänglichkeit für flüchtige, mehr impressionistische Eindrücke, das etwas diffuse und ungenaue Gedächtnis einschließlich des daraus resultierenden Defizits an faktischen Kenntnissen. Der hysterische Mensch versuche, die Lösung von Problemen zu erraten, statt systematische, logische Gedankengänge auszuführen. Shapiro hat in seiner vergleichenden Studie der verschiedenen neurotischen Stile im Hinblick auf das Hysterische vieles zusammengefasst, was eigentlich auch bei anderen Autoren zu finden ist. So meint Heigl-Evers (1967), dass die Wissbegierde und das Bedürfnis, reale Gegebenheiten nicht nur sensorisch zu erfassen, sondern auch so viel wie möglich über sie zu erfahren, um sie zu durchdringen und in ihren kausalen Bedingungen zu begreifen, beim Hysterischen einer massiven Hemmung unterliege. Im Zusammenhang damit beschreibt sie auch einen anderen Zug des hysterischen Charakters: die Tendenz, »nicht ernst zu nehmen«. Kausale Zusammenhänge und daraus folgende Gesetzmäßigkeiten werden einfach nicht anerkannt. 75 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

In den psychotherapeutischen Behandlungen solcher hysterischen Charaktere ist man immer wieder überrascht von der logischen Inkonsequenz und dem unbekümmerten Umgang mit Feststellungen und Erkenntnissen oder Darstellungen aus den vorausgegangenen Sitzungen. Der gleiche Sachverhalt, dieselbe Frage wird zwei oder drei Tage später ganz anders geschildert und beurteilt, ohne dass zumindest das Bedürfnis nach einer Rechtfertigung für diese Diskrepanz auftaucht. Solche Menschen erscheinen überhaupt logischen Diskrepanzen gegenüber recht gleichgültig. Auch die (Pseudo-)Naivität und die kindlich erscheinende Unbekümmertheit des hysterischen Patienten muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Bei den hysterischen Symptomneurosen begegnet sie uns gelegentlich (keineswegs immer) in der Form der belle indifférence der französischen Autoren, also in der Form einer bemerkenswerten Unbekümmertheit angesichts schwer wiegender Funktionsausfälle (z. B. Lähmungen). Häufiger habe ich allerdings die Pseudonaivität als Charakterzug im Rahmen hysterischer Charakterbildungen gesehen. Die Patienten (Patientinnen) schauen einen oft mit weit aufgerissenen Augen an, voller irgendwie gekünstelt erscheinender Un erfahrenheit, Staunen, Verwunderung und Naivität. Ich meine, dass dieses physiognomisch sehr charakteristische Bild mehr oder weniger der Selbstdarstellung als kindlich, unerfahren, schutzlos, arglos, unberührt entspricht. Es ist nun bis heute umstritten, ob dieser besondere Stil Folge oder Ursache des hysterischen Modus der Konfliktverarbeitung ist: Einerseits ist es denkbar, dass viele Menschen primär, konstitutionell zur Entwicklung eines solchen kognitiven Stils neigen, der bei dem Auftreten neurotischer Konflikte den hysterischen Modus ihrer Verarbeitung begünstigt. Andererseits ist es möglich, dass die beschriebenen Besonderheiten der kognitiven Funktion sekundär entwickelte Abwehrmechanismen im Dienste der 76 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Verdrängung sind. Es handelt sich dann also um Abwehrmechanismen, die aus der Tendenz entstehen, »es nicht genau zu wissen«, zwischen Fantasie und Realität nicht unterscheiden und Unangenehmes wie Widersprüchliches vergessen zu wollen. Unabhängig davon, welcher der beiden Alternativen man den Vorzug gibt, besteht wenig Zweifel darüber, dass solche Tendenzen oder solche Strategien der Verdrängung von unerwünschten Diskrepanzen, schmerzlichen Tatsachen und unüberbrückbaren Widersprüchen dienen. Hoffmann (1979, S. 301) hebt insbesondere den speziellen Umgang mit Symbolbildungen und Fantasien als spezifisch für den hysterischen Menschen hervor. Es handle sich um die auffallende Fähigkeit, Symbole im Wahrnehmungsangebot zu dechiffrieren und unbewusst zu erkennen, was zu verstärkten Abwehrreaktionen führen muss. Gemeint ist offensichtlich die tatsächlich sehr ausgeprägte Tendenz und Fähigkeit, das sozusagen »symbolische Potenzial« in verbalen Äußerungen und Szenen blitzartig zu erkennen, sich von ihm ansprechen zu lassen, um es abzuwehren oder für die Herstellung »tendenziöser Inszenierungen« einzusetzen (ein sehr gutes Beispiel dafür ist die schon erwähnte Patientin mit dem dramatischen Auftritt – Kapitel IV, Fall 13). Zum anderen erstreckt sich diese Fähigkeit insbesondere bei der Konversionshysterie auch auf die symbolische Selbst- und Körperdarstellung. Diese Annahme erklärt die besondere Fähigkeit des hysterischen Patienten, das »symbolische Potenzial« von Körperbewegungen und Funktionen sowie ihrer Störungen zum Zweck der hysterischen Inszenierung auszunutzen.5

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2. Emotionalisierung – Dramatisierung Der Einsatz starker Emotionen, die »Inszenierung« heftiger, wechsel- und dynamikreicher und somit dramatischer »hysterischer« Szenen ist vielfach durch verschiedene Autoren beschrieben und diskutiert worden. Hoffmann (1979) zitiert Valenstein (1962): »Der Affekt, insbesondere in seiner Verstärkung und Grenzenlosigkeit, wird unbewusst für defensive Ziele eingesetzt oder ausgenutzt, um der kognitiven Einsicht emotional getönter Vorgänge und der rationalen Anerkennung aufklärender Zusammenhänge zu entgehen« (S. 218).Sein dafür verwandter Terminus (Affektualisation) erscheint mir auch deswegen sehr treffend, weil er an das zwangsneurotische Gegenstück der Intellektualisierung erinnert: Der zwangsneurotische Mensch (aber auch andere Charaktertypen) versucht mit Hilfe einer Betonung intellektueller Funktionen und Prozesse das Emotionale wegzudrängen, es seiner Gewichtigkeit zu berauben. Dagegen versucht der hysterische Patient mit Hilfe der Hyperemotionalität die klar kognitive Einsicht zu beeinträchtigen oder durch das Einsetzen von Gegenemotionen (Fenichel 1945) die gefürchteten Emotionen abzudrängen. Wichtig für die Abwehrfunktion ist, dass solche (selbstverständlich unbewusste) dramatisierende Inszenierungen tendenziöse Darstellungen sind, die gerade vom Eigentlichen oder vom Gefürchteten ablenken sollen. Die Emotionalisierung steht im Dienste der Abwehr und der indirekten Ersatzbefriedigung: Der dramatische Auftritt der Patientin im Fallbeispiel 13 im Kapitel IV ist »dramaturgisch« so aufgebaut, dass sowohl die Patientin selbst als auch die Zuschauer glauben müssen, die momentane Situation sei der Grund für die große Empörung. In Wirklichkeit geht es aber um die Wiederbelebung des seelischen Schmerzes und die schwere Enttäuschung durch den Vater. Übrigens besteht die Dramatik keineswegs immer in lau78 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ten und heftigen Szenen sowie quantitativ übersteigerten Emotionen. Es gibt hysterische Szenen, bei denen ganz andere Mittel eingesetzt werden, zum Beispiel Schweigen, Sprechen mit einer sehr leisen, kaum hörbaren gequälten Stimme, physiognomische Darstellung großer Erschöpfbarkeit, Apathie oder Affektlosigkeit. Man sieht: Es geht nicht um die Emotionen als solche, sondern um ihren Stellenwert, ihren Einsatz im Rahmen einer unbewussten hysterischen Inszenierung. Im Kapitel über den primären und sekundären Krankheitsgewinn wird noch einmal zu zeigen sein, dass die hysterische Emotionalisierung und Dramatisierung nicht nur zum Zweck der Abwehr, sondern oft auch als Ersatz für ein Ich-Defizit, zur Ausfüllung einer Gefühlsleere, eines emotionellen Vakuums eingesetzt werden kann.

3. Identifikation als wichtiger Mechanismus innerhalb der hysterischen Symptom- und Charakterbildung Vorbemerkungen: Identifikation wird hier synonym mit Identifizierung (sich mit etwas identifizieren) verwendet. Unter Identifikation versteht man einen psychischen Vorgang, durch den Eigenschaften, Erlebens- und Verhaltensmuster wie überhaupt das So-Sein einer anderen Person übernommen und in einer Weise assimiliert werden, die zu einer Veränderung der eigenen Person führt: Das Übernommene wird zu einem Teil des Selbst. Der Vorgang der Identifikation hat im Werk Freuds, aber auch allgemein in der Psychoanalyse, zunehmend eine zentrale Bedeutung angenommen. »Dadurch wurde sie mehr als nur ein psychischer Mechanismus unter anderen, nämlich der Vorgang, durch den das menschliche Subjekt sich konstituiert« (Laplanche u. Pontalis 1973, S. 222). 79 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Es ist anzunehmen, dass in früheren Entwicklungsstadien, also in der Zeit, wo Strukturen, Kontrollinstanzen und Realitätsprüfung des Ich noch schwach ausgebildet sind, der Mechanismus der Identifikation normalerweise »die erste Geige« spielt. Mit zunehmender Reifung, Strukturierung und Kontrolle treten die mehr globalen unreifen Formen der Identifikation zurück. Es persistieren allerdings selektive, differenzierte, kontrollierte Identifikationsprozesse, die das reife Individuum charakterisieren und sich erheblich von den ursprünglichen massiven Identifikationen mit Fusionscharakter unterscheiden. Solche selektiv gesteuerten Identifikationen sind für die Kommunikation, das Sicheinfühlen aber auch den Erwerb von neuen Fähigkeiten und Fertigkeiten von großer Bedeutung. Dagegen trifft man die groben und undifferenzierten Formen im Erwachsenenalter nur als pathologische Identifikationen, etwa vorwiegend bei den Psychosen (Ich-Erlebensstörungen). Identifikationsprozesse laufen nicht etwa in beliebiger Richtung und sozusagen aufs Geratewohl. Weder das Kind noch der Erwachsene identifiziert sich blind mit allen ihm erreichbaren Personen. Vielmehr bilden sich Identifikationen unter dem Einfluss des Lust-Unlust-Prinzips, der Wunscherfüllung, aber auch der Angstvermeidung. Und gerade diese ihre Besonderheit impliziert die Möglichkeit, dass Identifikation auch als Abwehrmechanismus benutzt wird. Funktioniert die »normale« Identifikation als Orientierungshilfe, als strukturierender, stabilisierender Entwicklungsmechanismus, so wird sie im Rahmen der neurotischen Pseudolösung von Konflikten als pathologischer Abwehrmechanismus eingesetzt. Dadurch wird sie zu einem wichtigen Faktor neurotischer Symptombildung. Bei bestimmten Abwehrvorgängen steht sie ganz im Vordergrund, so bei der Identifikation mit dem Angreifer (Anna Freud 1936). In anderen Fällen ist sie ein wichtiger Bestandteil, ein Teilaspekt eines komplexen Abwehrvor80 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ganges. Gerade in diesem letzten Sinn ist die große Bedeutung der Identifikation auch bei der hysterischen Symptombildung zu verstehen. Freud (1921, S. 117) selbst hat schon mehrere Möglichkeiten des Einsatzes identifikatorischer Mechanismen bei der hysterischen Symptombildung beschrieben. Meines Erachtens handelt es sich im Wesentlichen um zwei Typen: a) Identifikation mit der geliebten Person als Kompensierung eines Verlusts oder eines Verzichts. Dieser Typus ist ein sehr verbreiteter, zum Teil normal psychologischer, zum Teil aber auch neurotischer Mechanismus: Bei einer Patientin (Fall Nr. 14) mit schwerer Magersucht war es deutlich, dass an dem hartnäckigen Festhalten am Symptom (nicht essen) nicht nur die negative Identifikation mit der korpulenten, triebhaften Mutter, sondern auch die positive Identifikation mit dem an Lungentuberkulose leidenden Vater beteiligt war. Der Vater wurde ausgesprochen kachektisch und sein Tod im neunten Lebensjahr der Patientin wurde von ihr als das schwerste Trauma in ihrem Leben empfunden. b) Der häufigere Fall jedoch bei der hysterischen Symptombildung ist die identifikatorische Übernahme des Verhaltensmusters aufgrund der Tendenz und des Wunsches, sich in dieselbe Lage zu versetzen wie die Person, von der das Verhalten übernommen wird. »Wenn z. B. eines der Mädchen im Pensionat einen Brief vom heimlichen Geliebten bekommen hat, der ihre Eifersucht erregt und auf den sie mit einem hysterischen Anfall reagiert, so werden einige ihrer Freundinnen, die darum wissen, diesen Anfall übernehmen, wie wir sagen auf dem Wege der psychischen Infektion . . . Die anderen möchten auch ein heimliches Liebesverhältnis haben und akzeptieren unter dem Einfluß des Schuldbewußtseins auch das damit verbundene Leid. Es wäre unrecht zu behaupten, sie eignen sich das Symptom aus Mitgefühl an« (Freud 1921, S. 118).

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Dieser Typus der Identifikation erscheint mir von ausgesprochen großer Bedeutung für das Verständnis hysterischer Symptombildungen. Es ist zu vermuten, dass er primär oder sekundär immer involviert ist. Wenn wir feststellen, dass die Hysterie der große Imitator nicht nur aller somatischen, sondern auch vieler psychischen Erkrankungen ist und wenn die hysterische Charakterneurose die Übernahme eines bestimmten Rollenverhaltens impliziert, so liegt die Vermutung sehr nah, dass bei allen diesen Symptomen, Verhaltensmustern und Charakterbildungen identifikatorische Prozesse mit am Werk sind. Dafür spricht auf jeden Fall auch die Tatsache, dass solche Symptome und solcheVerhaltensmuster in verschiedenen Epochen und in verschiedenen Kulturen sich der jeweils dominierenden Stereotypen bedienen.6 Offensichtlich identifiziert man sich nicht nur mit Krankheiten, Personen und Vorbildern, sondern auch mit Idealen oder stereotypisierten Figuren, Klischees und Rollen. Der hysterische Patient, der an einer halbseitigen Sensibilitätsstörung leidet (Störung der Berührungsempfindung der einen Körperhälfte), zeigt bei der neurologischen Untersuchung die Grenzen dieser Störung genau in der Mittellinie. Wir wissen aber, dass die neuroanatomischen Gegebenheiten eine solche Abgrenzung in der Mittellinie nicht zulassen. Es gibt Überlappungen der Innervation,die zurVerschiebung dieser Grenze führen.Der hysterische Patient hat aber die Vorstellung: Wenn die eine Körperhälfte berührungslos sein soll, dann ist es auch genau die eine Körperhälfte! Ein leicht minderbegabtes siebzehnjähriges Dienstmädchen ohne Schulbildung pflegte in bestimmten bedrängenden Situationen an seiner Arbeitsstelle hysterische »Herzschmerzanfälle« zu entwickeln. Dabei hielt es die rechte Hand auf die rechte Brust und schrie: »Mein Herz, mein Herz!« In ihrer Unwissenheit und Naivität glaubte sie, dass das Herz, wie alle guten Dinge, rechts sitze! Deswegen be82 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

kam sie – ihrem eigenen Körperschema entsprechend – ihre hysterische Symptomatik rechts. (Um es hier vorwegzunehmen: Wenn sie nicht an hysterischen, sondern psychosomatischen Symptomen im engeren Sinn gelitten hätte, wenn sie also echte psychosomatische funktionelle Herzbeschwerden hätte, so würde sie sie mit Sicherheit links haben, dort, wo tatsächlich ihr Herz sitzt.) Eine hysterische Patientin, die angesichts einer kleinen Kakerlake übermäßig stark reagiert, laut schreit und sich in einen regelrechten Erregungszustand steigert, identifiziert sich mit dem Bild einer hoch empfindlichen, leicht erschreckbaren Person. Eine ständig kokettierende, verführerische und dennoch frigide hysterische Frau identifiziert sich mit dem Bild einer sexuell besonders attraktiven, aber nicht verführbaren Frau.7 Schließlich identifiziert sich der griechische Gastarbeiter (Fall Nr. 15), der nach einer leichten Zehenverletzung ein »Zitterersyndrom« entwickelt, mit einem Mann, der in höchster Not, Angst und Unsicherheit steht oder, falls er ein Astasiesyndrom (nicht stehen können) bekommt, eben mit jemandem, der nicht mal stehen kann! Dieses identifikatorische Ausleihen von Ausdrucksmitteln, Verhaltensmustern und Rollen ist kein Privileg der Hysterie und keine Besonderheit neurotischer Prozesse, sondern ein universeller, normalpsychologischer Vorgang. Normal ist er auch in der übersteigerten, dramatisierenden Form, etwa im Theater, beim Tanz, in der Pantomime, überhaupt in der gesamten Kunst. Pathologisch ist offensichtlich nicht die Darstellung durch passagere, partielle identifikatorische Übernahme, sondern die Tatsache, dass diese abgespalten, dissoziiert, im Dienste eines automatisch laufenden Abwehrmechanismus geschieht. Es handelt sich ja, wie öfters vermerkt, um unbewusste Inszenierungen und unbewusste Rollenübernahme im Dienste der Abwehr. Die Tatsache, dass identifikatorische Mechanismen bei 83 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

der hysterischen Symptombildung fast immer nachweisbar sind, hängt meines Erachtens mit zwei Umständen zusammen: a) Es ist wohl recht schwierig, neue Ausdrucksmittel ad hoc zu konstruieren. Die meisten unserer Ausdrucksmittel inklusive der Sprache sind übernommene Symbolsysteme. Es hieße die hysterische Symptombildung überfordern, wenn man von ihr erwarten würde, dass sie jeweils wie ein großer Künstler neue Ausdrucksmittel erfindet! b) Da es sich bei der hysterischen Symptombildung um eine symbolische Darstellung der eigenen Befindlichkeit, der Selbstwahrnehmung, der Selbstrepräsentanz handelt, eignet sich die Identifikation am ehesten dazu. Das Problem des Unterschieds zwischen Identifikation im Rahmen der hysterischen Symptombildung einerseits und ähnlichen identifikatorischen Prozessen bei anderen Störungen andererseits kann uns hier nicht näher beschäftigen. An dieser Stelle sei nur vermerkt, dass es sich hier beim Hysterischen nicht um echte bleibende Identifikationen handelt, die zu einer echten Assimilierung führen, sondern um oberflächliche, passagere Rollen, um Pseudoidentifikationen, die darüber hinaus auch gespalten, nicht sinnvoll integriert sind.

4. Verdrängung und Dissoziation Alle bis jetzt geschilderten Mechanismen dienen eigentlich der Verdrängung, die allgemein gesprochen den Hauptabwehrmechanismus bei der hysterischen Symptombildung darstellt. Ich habe allerdings mit Absicht diese Aussage fast an das Ende des Kapitels über die hysterischen Teilmechanismen gesetzt, um anzudeuten, dass a) nur durch das Studium der einzelnen Mechanismen 84 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

die Besonderheiten der hysterischen Verdrängung verstanden werden können (Verdrängung resultiert ja auch durch ganz andere Teilmechanismen bei anderen Neuroseformen) und b) die Verdrängung per se noch nicht identisch ist mit dem hysterischen Modus der Symptom- und Charakterbildung. Eine andere begriffliche Verwirrung könnte durch die Tatsache entstanden sein, dass bei der Hysterie dissoziative Phänomene sehr oft involviert sind. Auf der einen Seite ist Dissoziation im ursprünglichen, von Janet eingeführten Sinn als Gegensatz zur Verdrängung problematisch geworden. Auf der anderen Seite sollte man auf die Bezeichnung und den Terminus Dissoziation nicht verzichten, weil sie eine für die hysterischen Phänomene charakteristische durchgehende Trennung psychischer Vorgänge bezeichnet. Die Dissoziation ist ein nützlicher Terminus zur kurzen und präzisen Kennzeichnung der bei dem Hysterischen vielfach zu beobachtenden Tatsache, dass viele psychische Vorgänge (Symbolisierungen, Fantasien, Wahrnehmungen usw.) eigenartig getrennt bleiben.8 Besonders eindrucksvoll und relativ häufig ist diese Trennung, diese Dissoziation zwischen dem während einer hysterischen Inszenierung agierenden Teil des Ich und eines anderen beobachtenden Ich-Anteils, der trotz »besseren Wissens« wie gebannt, wie hypnotisiert tatenlos danebensteht. Diese Feststellungen basieren auf sehr vertrauensvollen Mitteilungen, die ich einigen Patienten im fortgeschrittenen Analysestadium verdanke. Es ist nämlich sehr schwierig und beschämend zuzugeben, dass man in dieser oder jenen heftigen dramatischen Szene doch keineswegs total »außer sich« war und dass man sich im Gegenteil sowohl an die Einzelheiten erinnern kann als auch an die 85 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Tatsache, dass man während des Ablaufs der Szene das Bewusstsein hatte: »Ich könnte eigentlich auch anders handeln, lassen wir es aber weiter so laufen!« Solche Phänomene dürften in abgeschwächter Form schon aus der Normalpsychologie bekannt sein. Dies ist etwa dort der Fall, wo wir unbeabsichtigt »lügen« oder in unseren Erzählungen – ohne viel zu überlegen – die Akzente zu unseren Gunsten verschieben. Das Über-Ich, die Kontrollinstanz, scheint in solchen Momenten so zu tun, als ob es schliefe oder ein Auge zudrücke. Diese Art »Spaltung des Bewusstseins«, diese Dissoziation scheint, wie Freud es schon 1895 vermerkt hat, »in rudimentärer Form bei jeder Hysterie« zu bestehen (Freud u. Breuer 1895, S. 81). Daraus darf man aber meines Erachtens nicht schließen, dass Dissoziation und das Hysterische gleichbedeutend seien. Der hysterische Modus bedient sich lediglich oft der Dissoziation, die aber auch außerhalb des Hysterischen anzutreffen ist: L. J. West (1967, S. 890), der eine Systematik der dissoziativen Reaktionen herausgearbeitet hat, erwähnt als Beispiele: a) Extreme Ablenkung oder extrem fokussierte Aufmerksamkeit bei Soldaten, die während des Kampfes eine erlittene Verletzung nicht wahrnehmen, b) tranceähnliche Zustände durch sensorische Deprivation (bei Astronauten, langen Autobahnfahrten etc.), c) Entfremdungsgefühle oder Déjà-vu-Erlebnisse. Die Dissoziation ist im Rahmen der neuen psychiatrischen klassifikatorischen Systeme von ICD-10 und DSM-IV erheblich aufgewertet und differenzierter dargestellt. Dies hat sicher auch seine Vorteile. Es ist nur etwas verwirrend, wenn »hysterische« Phänomene beziehungsweise Symptome durch »dissoziative« ersetzt werden (Letztere gehören ja zu den »Haupterben« der aufgelösten Hysterie, vgl. Kapitel XIII in diesem Buch). Das Hysterische er86 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

schöpft sich aber nicht in dem Dissoziativen und umgekehrt gibt es viele Dissoziationen, die wenig oder kaum etwas mit Hysterie – wie sie hier definiert wurde – zu tun haben.

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Kapitel VI

Die Krise des Hysteriebegriffs

1. Konversion – nur bei ödipalen Konflikten? Schon Fenichel (1945) hat darauf aufmerksam gemacht, dass Konversion – der symbolische Ausdruck des Konflikts in einer Körpersprache – auch bei nichtödipalen (bzw. prägenitalen)9 Konflikten zu beobachten ist (klinisches Beispiel: Stottern). Er sah jedoch weiterhin die »eigentliche« Konversion nur im Rahmen der Hysterien. Es ist daher das Verdienst Leo Rangells, diese obligatorische Verbindung zwischen Hysterie und Konversion aufgrund zwingender klinischer Erfahrungen ernsthaft in Frage gestellt und folgende Hypothesen formuliert zu haben: »Hysterie kann zwar eine der Erscheinungsformen sein, die sich des Konversionsprozesses bedienen, sie ist jedoch keineswegs die einzige; vielmehr wird die Konversion benutzt, um im gesamten Bereich der psychopathologischen Symptomatologie verdrängte, nicht zugelassene Triebwünsche auszudrücken. Die Assoziation von Konversion und Hysterie ist rein historisch und zufällig als eine erste Formulierung im Zusammenhang mit der Art des damaligen Fallmaterials; sie kann heute nicht mehr gelten« (1969, S. 125). Viele der in diesem Buch geschilderten Fälle bestätigen diese Annahme von Rangells vollends. Weder bei der Akademikerin mit den Atemschwierigkeiten (Fall Nr. 2) noch bei dem sizilianischen Gastarbeiter mit dem Blinzeln der Augen (Fall Nr. 1) stand ein ödipaler Konflikt im Vordergrund. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für unseren 88 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

jungen Chauffeur, der den Tod des Beifahrers verursachte und anschließend ein schweres psychogenes Bild bot (Fall Nr. 6). Die Aufdeckung verdrängter Konflikte mit Hilfe der psychoanalytischen Methode zeigt, dass es sich bei Patienten mit Konversionen keineswegs immer nur um sexuelle Konflikte handelt.

2. Hysterischer Charakter – nur bei ödipaler Fixierung? Im Kapitel über den hysterischen Charakter habe ich angedeutet, dass die ausschließliche Ableitung der Besonderheiten solcher Charaktere aus einer ödipalen Fixierung10 zunehmend in Frage gestellt wird. Schon Wittels (1931) hat auf die Rolle von prägenitalen Fixierungen aufmerksam gemacht. Auch Wilhelm Reich (1933) hat die große Neigung des hysterischen Patienten zu oralen Aggressionen hervorgehoben. Aber erst Marmor (1953) wagte eine radikale Umformulierung: Der hysterische Charakter werde vorwiegend durch eine orale und erst in zweiter Linie durch eine genitale Fixierung verursacht. Diese rigorose Modifikation des psychoanalytischen Konzepts wurde zum Teil kritisiert, zum Teil vielfach mit Modifizierungen übernommen. So lässt zum Beispiel Hoffmann (1979) den hysterischen Charakter durch drei Konfliktbereiche (oral, ödipal, narzisstisch) entstehen. Diese und ähnliche Modifikationen waren aufgrund vieler klinischer Erfahrungen und Beobachtungen erforderlich geworden, die durch das alte Konzept nicht adäquat erfasst werden konnten. Die Frau mit dem auffälligen dramatisierenden Erregungszustand während der Autobahnfahrt (Fall Nr. 7) bot zwar auch eine ödipale Problematik, der Kern ihrer schweren neurotischen Störung jedoch, der 89 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

zentrale Konflikt, lag im oralen Bereich (unvollständige Lösung der Symbiose, Tendenz zu anaklitischen Depressionen). Auch bei dem Kaufmann (Fall Nr. 9), der in demonstrativer Weise seine eigenen Todesanzeigen drucken ließ, beschränkte sich die Problematik bei weitem nicht nur auf den ödipalen Konflikt. Eine davon ziemlich unabhängige und bei weitem stärker ausgeprägte narzisstische Problematik stand im Vordergrund (häufige narzisstische Krisen, ebenfalls häufige hypomanisch anmutende Versuche einer Flucht nach vorn, erhebliche Diskrepanz zwischen ausgeprägten Minderwertigkeitsgefühlen und Größenideen). Alle diese Patienten boten trotzdem phänomenologisch mehr oder weniger Charaktermerkmale und Eigenschaften, die nach übereinstimmender Bezeichnung der meisten Autoren hysterisch genannt werden. Das alte Modell der ausschließlichen ödipalen Fixierung wird also in Bezug auf Psychogenese und Psychodynamik diesen hysterischen Charakteren nicht gerecht. Man versuchte, diese Schwierigkeiten dadurch zu umgehen, dass man solche hysterischen Persönlichkeiten mit oraler und/ oder narzisstischer Problematik hysteriform (Højer-Pedersen 1965), hysteroid (Easer u. Lesser 1965), infantil (Kernberg 1967), so called good hysteric (Zetzel 1968) genannt und vielfach auch als »eigentlich« nicht zur Hysterie gehörend angesehen hat. Hoffmann (1979) hat aber überzeugend auf die Widersprüchlichkeit dieser Vorgehensweise und auch auf die Kritik von Lazare (1971) aufmerksam gemacht: Die Untergruppe nämlich, in der die hysterischen Phänomene am geringsten ausgeprägt sind, wird von der Psychoanalyse als die eigentliche, die wahre hysterische Persönlichkeit aufgefasst. Diese Untergruppe komme aber so gut wie gar nicht in klinisch-stationäre Behandlung. Die Untergruppe hingegen mit den – den Psychiatern bekannten – floriden, dramatischen hysterischen Erscheinungsbildern wird 90 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

als »uneigentliche«, »atypische« hysterische Persönlichkeit verstanden. »Mit anderen Worten: Die Patienten, die als am deutlichsten hysterisch erscheinen, sind es nicht eigentlich, und jene, die am wenigsten so aussehen, sind die wahren hysterischen Persönlichkeiten!« (Hoffmann, S. 258).

3. Hysterie, hysterisch – unbrauchbar gewordene Begriffe? Auf der einen Seite haben wir im vorletzten Absatz gesehen, dass nicht nur ödipale, sondern auch prägenitale Konflikte mit Hilfe von Symbolisierungen in einer Körpersprache, also durch Konversionen, ausgedrückt werden können. Auf der anderen Seite stellten wir im letzten Absatz fest, dass typische Konstellationen von Charaktermerkmalen, die fast einmütig hysterisch genannt werden, keineswegs immer in ihrer Psychogenese und Psychodynamik auf eine ödipale Fixierung zurückzuführen sind. Unter diesen Umständen könnte man sich fragen: Wenn die Konversion nicht das spezifische und wenn das ödipale nicht das obligatorische Prinzip für die Hysterie ist, wie kann man dann überhaupt Hysterie und hysterisch definieren? Im alten Konzept trugen ja gerade die beiden Säulen Konversion und ödipale Problematik die Definition der Hysterie. Hysterie war eine Psychoneuroseform, die durch einen spezifischen Konflikt, eine spezifische Fixierung (ödipal) und eine spezifische Symptombildung (Konversion und/oder hysterische Charakterzüge) charakterisiert wurde. Jetzt heißt es: Konversion komme auch bei allen möglichen anderen Konflikten und Fixierungen vor; so genannte hysterische Charaktere lassen sich nicht nur aus der ödipalen Fixierung ableiten. Was ist unter diesen Umständen 91 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

überhaupt »hysterisch«? Warum nennt man die Verhaltensweisen bestimmter, eindeutig oral fixierter Patienten doch hysterisch, und warum wirken viele Patienten mit eindeutiger narzisstischer Problematik ebenfalls so stark »hysterisch«? Die Antwort auf diese Frage werde ich im nächsten Kapitel zu formulieren versuchen.11

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Kapitel VII

Versuch einer neuen Definition

1. Methodologische Vorbemerkungen Theorien und Konzepte erweisen ihre Nützlichkeit nur dadurch, dass sie in der Lage sind, unsere Empirie zu organisieren, die beobachtbaren Phänomene zu ordnen und das Aufdecken von Beziehungen zu ermöglichen. Wenn diese Konzepte nicht mehr in der Lage sind, dies zu leisten, so müssen sie verworfen werden. Die Phänomene bleiben aber bestehen und warten auf eine bessere Konzeptualisierung. Die bisherige Definition der Hysterie in der Psychoanalyse beruht auf der Annahme eines einheitlichen und obligatorischen intrapsychischen Konflikts (des ödipalen) und eines ebenfalls spezifischen und charakteristischen Mechanismus (der Konversion). Im vorigen Kapitel konnte gezeigt werden, dass sowohl der Konflikt als auch die beteiligten Mechanismen zum großen Teil unspezifisch sind. Unter diesen Umständen muss entweder die Bezeichnung Hysterie aufgegeben oder anders definiert werden. Die Bemühungen um eine neue Definition erscheinen mir deshalb berechtigt und sinnvoll, weil nach dem Aufgeben des alten Hysterie-Konzepts die Frage offen bleibt, wie denn die offensichtliche phänomenologische Einheitlichkeit hysterischer Phänomene trotzdem erfasst werden kann. Wir müssen also zurück zu den Phänomenen. Dies kann aber nicht ein Rückschritt zur reinen Deskription der klassischen Psychiatrie sein, sondern muss eine Betrachtungsweise bedeuten, welche die psychodynamischen Gesichts93 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

punkte mitberücksichtigt. Ein rein deskriptives Vorgehen kann uns schon deswegen nicht sehr weit führen, weil der ständige Symptomwandel der Hysterie die äußere Einheitlichkeit der hysterischen Phänomene erheblich beeinträchtigt. Die Art des Vorgehens, die ich hier vorschlage, entspricht in etwa dem, was Hoffmann (1979, S. 265) eine »psychodynamische Phänomenologie« oder eine Betrachtung auf der klinisch-dynamischen Ebene genannt hat.12 Dabei geht es einmal um kliniknahe, fast direkt fassbare intrapsychische Mechanismen, zum anderen aber auch um spezifische interpersonelle Muster, also zum Beispiel Übertragungs-Gegenübertragungs-Konfigurationen, die sich in typischer Weise wiederholen. Elemente solcher Beobachtungen sind zwar schon in den vorhandenen Hysterie-Konzepten enthalten, aber meist in unreflektierter und unsystematischer Weise. So ist zum Beispiel das Gefühl oder der Eindruck des »Unechten« keineswegs nur aus der objektiven Wiedergabe des äußeren Verhaltens ableitbar, sondern enthält auch die Komponente der Gegenübertragungsreaktionen. Ähnliches gilt auch für das Gefühl des Ansprüchlerischen und Fordernden, das zu einer spürbaren Aggressivierung des Partners oder des Beobachters führen kann. Solche und ähnliche wiederkehrende gefühlsmäßige Reaktionen im Umgang mit hysterischen Patienten sind wertvolle Grundlage für das Verständnis der spezifischen Dynamik hysterischer Phänomene.

2. Der hysterische Modus der »Konfliktlösung« Es gibt einen leicht identifizierbaren hysterischen Modus der Symptom- und Charakterbildung, den man nicht nur bei Neurosen mit ödipaler, sondern auch solchen mit oraler und narzisstischer Problematik findet; nicht nur bei re94 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

lativ reifen und Ich-starken, sondern auch bei vielen ausgesprochen infantilen und Ich-schwachen Menschen; nicht nur bei konversionshysterisch »Gelähmten«, sondern auch bei Magersüchtigen und schließlich auch vielen Borderline-Patienten. Der hysterische Modus der Konfliktverarbeitung begegnet uns sogar nicht nur bei intrapsychischen, sondern auch manchen äußeren Konflikten in ausweglosen realen Situationen, wie zum Beispiel Haftreaktionen, oder der sog. »Arktischen Hysterie« (Haas 1976)13. Es gibt also nicht eine Krankheitseinheit Hysterie, sondern einen hysterischen Modus der neurotischen Konfliktverarbeitung. Worin aber besteht nun dieser hysterische Modus? Besteht er vielleicht in der Kombination bestimmter typischer Charakterzüge wie Hyperemotionalität, Suggestibilität und einer Tendenz zur szenenhaften Dramatisierung? Die Frage möchte ich verneinen. Die Tatsache, dass bei hysterischen Phänomenen eine scheinbar starke emotionale Besetzung im Vordergrund steht, darf nicht dazu führen, alle möglichen impulsiven, dramatischen, intensiven Erlebnisse und Reaktionen hysterisch zu nennen. Der Bewegungssturm einer hyperkinetischen Katatonie14 oder die manische Heiterkeit und der Beschäftigungsdrang sind genau so wenig hysterisch wie das impulsive ungesteuerte Verhalten eines erregbaren Psychopathen. Man darf nicht Dramatik mit Dramatisierung, ausgeprägte Emotionalität mit Emotionalisierung, triebhafte impulsive Ausbrüche mit symbolisch »sinnvollem« Agieren oder infantile Suggestibilität mit hysterischer Rollenübernahme verwechseln. Oder besteht vielleicht der hysterische Modus in der Kombination einer starken Beeinflussung des Verhaltens durch unbewusste Fantasien mit einer Tendenz zur Dissoziation psychischer Vorgänge? Auch diese Frage möchte ich verneinen: Beide Komponenten sind zwar in der hysterischen Symptom- und Charakterbildung enthalten, sie sind aber nicht für das 95 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Hysterische spezifisch. Die leichte Beeinflussbarkeit des Verhaltens durch unbewusste Fantasien findet man überall dort, wo eine Durchlässigkeit der Barriere zwischen primärem und sekundärem Prozess vorhanden ist, also von den normalen psychologischen Vorgängen im schöpferischen Tun des Künstlers bis zu der Überwucherung des primär prozesshaften beim Psychotiker. Dissoziative Erscheinungen finden sich wiederum auch außerhalb des Hysterischen, wie ich am Ende des Kapitels V dargelegt habe.

3. Das spezifisch Hysterische Versuchen wir, alle bisherigen Theorien über die Hysterie zu vergessen und konzentrieren wir uns auf das, was erfahrene Kliniker vor und nach Freud, innerhalb und außerhalb der Psychoanalyse hysterisch nennen, und zwar sowohl im Bereich der körperlichen als auch der psychischen Symptome; sowohl bei Verhaltensweisen als auch bei Charakterzügen. Wie kommt es, dass so unterschiedliche Phänomene wie eine funktionelle Armlähmung, eine Erinnerungslücke oder ein dramatisierendes Verhalten mit demselben Adjektivum, nämlich hysterisch charakterisiert werden? Was ist das bei allen Gemeinsame, der gleiche Nenner, das Spezifische? Das Spezifische und Gemeinsame ist nach meiner Meinung Folgendes: Der Betreffende versetzt sich innerlich (dem Erleben nach) und äußerlich (dem Erscheinungsbild nach) in einen Zustand, der ihn sich selbst quasi anders erleben und in den Augen der umgebenden Personen anders, als er ist, erscheinen lässt. Er versetzt sich in einen Zustand, in dem die eigenen Körperfunktionen und/oder psychischen Funktionen und/oder Charaktereigenschaften in einer solchen Weise erlebt werden und erscheinen, dass 96 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

schließlich eine (angeblich) andere, eine quasi veränderte Selbstrepräsentanz15 resultiert. Diese unbewusst angestrebte Änderung des eigenen Selbsterlebens und des eigenen Erscheinungsbildes erfolgt nicht richtungslos. Sie geschieht nicht in ubiquitärer und unspezifischer Weise, sie bezweckt ausgesprochen und zielgerichtet die neurotische Entlastung von einem intrapsychischen Konflikt. Sie kann auch als eine unbewusste tendenziöse Inszenierung mit dem genannten »Ziel« verstanden werden. Nehmen wir als Beispiel mit Absicht ein Verhalten, das genetisch gesehen weit weg vom Bereich der klassischen Hysterie liegt und trotzdem von jedem Kliniker eindeutig hysterisch genannt werden würde. Eine magersüchtige Patientin (Fall Nr. 15) reagiert auf das Aussprechen von Wörtern wie »Fressen«, »sexuelle Lust«, »Geilheit« voller Entsetzen. Sie reißt die Augen auf und verbirgt das Gesicht in den Händen. Dieselbe Patientin findet zwölfjährige, ausgesprochen schlanke Mädchen »entzückend«, vollbusige erwachsene Frauen dagegen »entsetzlich«. Alle diese übertriebenen Affekte und alle diese Superlative, die den Eindruck des Hysterischen vermitteln, sollen dem Zuhörer, dem eigenen Ich und insbesondere auch dem eigenen Über-Ich nur eines klar machen: Sie, die Patientin, ist ein sauberes, von sündhaften Gedanken und Wünschen freies und weder an Weiblichkeit noch an Männlichkeit denkendes, unberührtes, vorpubertäres Mädchen! Gerade dieses unbewusste Einsetzen von Mimik, Gestik und Sprache, parallel dazu auch das Sich-hinein-Steigern in den entsprechenden emotionellen Zustand ist es, was die »tendenziöse Inszenierung« ausmacht. Das »Ziel« ist, sich selbst in einer bestimmten Weise zu erleben und so auch zu erscheinen. Dabei ist zu beachten: Mechanismen wie die Identifikationen, die Emotionalisierung, die Verdrängung und die 97 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

implizierte Dissoziation sind wichtige »instrumentelle« Voraussetzungen des Vorgangs. Sie machen jedoch weder für sich allein noch gemeinsam das Spezifikum des Hysterischen aus. Dieses ergibt sich viel mehr aus dem Grundtenor, der Untergrundmotivation der Szenerie. Sie sind in den Besonderheiten des Verhaltens enthalten, etwa bei einer Patientin, die aus einem hysterischen Ausnahmezustand eben aufwacht: Sie schaut erstaunt um sich wie ein schuldloses, zum ersten Mal vor dem Rätsel des Lebens stehendes, naives Kleinkind. Ihre weit aufgerissenen Augen sagen: Ich verstehe nicht, wie es gekommen ist, ich war es nicht, es war eben die Veränderung in mir, die so etwas zustande gebracht hat. Ich weiß nicht, ob wir Tucholsky oder Wilhelm Busch folgende extrem kurze, aber geniale Geschichte verdanken: »Was war das eben?«, fragte sich die Jungfrau erstaunt und sie bekam ihr erstes Kind! Mir ist keine Definition bekannt, die treffender und präziser das spezifisch Hysterische kennzeichnet. Man beachte, dass für diese Szene eine Menge instrumenteller Voraussetzungen und Mechanismen, wie zum Beispiel Identifikationen (mit dem unschuldigen Mädchen), Amnesien (Geschlechtsverkehr), Dissoziationen (um die Aufmerksamkeit von der Tatsache der Schwangerschaft abzulenken), notwendig gewesen sind. Es wäre aber falsch, in einem dieser Mechanismen oder in allen zusammen das Hysterische sehen zu wollen. Dieses drückt sich vielmehr in der scheinbar ahnungslosen Frage der »Jungfrau« aus. In Ihrer Selbstrepräsentanz bleibt diese junge Frau eine Jungfrau, auch nachdem sie Mutter geworden ist, weil ihr selbst ja nichts Gegenteiliges bekannt geworden sei! Übrigens, ob diese junge Frau das sexuelle Geschehen so massiv verdrängen und sich als Jungfrau darstellen muss, weil die Sexualität sie an Inzest erinnert (ödipaler Konflikt, ödipale Fixierung) oder weil sie nicht erwachsen werden, sondern 98 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

wie ein kleines Kind in der Nähe der Mutter sein will (orale Abhängigkeit, orale Fixierung), lässt sich aus der kurzen Geschichte nicht ablesen. Man braucht es auch nicht zu wissen, um das Verhalten eindeutig als hysterisch zu identifizieren. Auch im Bereich körperlicher hysterischer Symptome lässt sich überall dieser zentrale Aspekt, dieser motivische Grundtenor feststellen. Gelähmtsein, Sprachlos-, Blind-, Taubgewordensein, Nichtstehen- oder Nichtgehenkönnen kann so verstanden werden, dass durch dieses quasi veränderte Erleben und Erscheinen eine Linderung der Konfliktspannung ermöglicht werden soll. Die Tatsache allein, dass ein Konflikt in einer Körpersprache symbolisch ausgedrückt wird (Konversion), macht noch nicht das Hysterische aus. Kein Kliniker würde auf die Idee kommen, das Konversionssymptom Stottern als hysterisch zu bezeichnen. Hier fehlt nämlich das Hysteriespezifische: das für die anderen und insbesondere für sich selbst und für das eigene Über-Ich So-Erscheinen und Sich-selbst-so-erleben-Wollen, dass dadurch und vorwiegend dadurch der primäre und auch der sekundäre Krankheitsgewinn erreicht wird. Der hysterische Modus bedient sich zwar oft der nonverbalen Körpersprache der Konversion, um die Eindeutigkeit der verbalen Ausdrucksgebung zu umgehen. Es gibt aber keine obligatorische Verbindung zwischen Konversion und dem Hysterischen. Man trifft oft die eine ohne das andere und umgekehrt. Schließlich eine Erläuterung: Die von mir vorgeschlagene Konzeptualisierung des Hysterischen ist nicht so ganz neuartig, wie sie zunächst erscheinen mag. So betrachtet Farber (1966) die Aufrechterhaltung einer Illusion über sich und andere als das Wesentliche in der Hysterie. Angyal (1965) meint, dass der hysterische Mensch eine Ersatzpersönlichkeit auslebe, weil er sein eigentliches Selbst verbannt habe. Die hysterische »Lösung« sei also ein Versuch, das in99 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

nere Gefühl der Leere durch die Flucht in eine Pseudopersönlichkeit zu vermeiden. Eidelberg (1938) sprach von Pseudoidentifikationen beim Hysteriker. Schließlich vermutet auch Wolowitz (1971), dass der Hysteriker ein Pseudoselbst aufbaue, um damit gewisse emotionale Reaktionen der Umgebung zu erhalten – im Grunde bleibe aber das Gefühl der Leere erhalten. Das Brillieren soll die Freude am Denken ersetzen, sexy sein soll für die fehlenden echten Gefühle eintreten; interessant sein soll fehlendes Eigeninteresse ersetzen. Die zitierten Autoren haben also einen wichtigen Aspekt dessen, was in meinem Konzept enthalten ist, wenn auch nicht explizit, vorweggenommen. Sie bleiben allerdings der Einseitigkeit verhaftet, indem sie nur eine der Funktionen der hysterischen Symptom- und Charakterbildung hervorheben, nämlich das vikariierende Aufbauen eines künstlichen Erlebens und eines künstlichen Erscheinungsbildes mit dem Ziel, die innere Leere zu ersetzen. Dies ist nicht nur einseitig, sondern auch zweideutig: Es bleibt nämlich vielfach unklar, ob diese »Leere« einem Defekt, einer Lücke entspricht oder ob sie nicht viel mehr das Resultat eines lang anhaltenden Verdrängungsprozesses darstellt. Darüber mehr im nächsten Kapitel.

4. Einwände gegen die vorgeschlagene Konzeptualisierung Hysterische Symptom- und Charakterbildungen habe ich mit Bühnenstücken verglichen, deren Text und Inszenierung unbewusst zum »Ziel« haben, die Selbstrepräsentanz (d. h. die Art, wie man sich erlebt und sieht und wie man sich nach außen hin präsentiert) quasi verändert erscheinen lassen. Auch wenn die jeweiligen »Szenen« oft Wiederbele100 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

bungen früherer Szenen sind und auch wenn sie andere Bezugspersonen – sei es auch nur als notwendiges Publikum – involvieren, so sind diese Darstellungen doch insofern selbstbezogen, als sie letztlich die Tendenz haben, dem äußeren und dem inneren Zuschauer dieses »sich anders fühlen und anders erscheinen« überzeugend zu vermitteln. Ich habe versucht, diese These sowohl für Symptombildungen als auch für Verhaltensweisen, sowohl für pseudoregressive (schwach, infantil, hilflos erscheinen) als auch für pseudoprogressive (stark, reif, überlegen erscheinen) Formen zu belegen. Nun könnte man einwenden: Verhält es sich denn nicht ebenso bei anderen neurotischen Symptom- und Charakterbildungen? a) Versucht nicht auch der Zwangsneurotiker als unschuldig zu erscheinen, indem er sich zum Beispiel die Hände unzählige Male wäscht, um damit sein Über-Ich zu beruhigen? b) Tut der Melancholiker mit seinen exzessiv übertriebenen Selbstvorwürfen und seinen Versündigungsideen nicht etwas Analoges? Gibt er nicht seinem Über-Ich »alles zu«, erniedrigt er sich nicht, damit er vor ihm Gnade findet? c) Ist es schließlich nicht auch so, dass der Phobiker, der die innere Triebangst auf äußere Situationen verschiebt, nur »so tut«, als ob er Angst vor der Höhe, vor geschlossenen Räumen, vor dem offenen Platz, vor einem Tier, vor einer Brücke habe, um weder sich selbst noch anderen zugeben zu müssen, dass er viel mehr Angst davor habe, sich zu verlieren, und Angst, die Kontrolle über seine Triebe zu verlieren? Stellt er sich nicht als jemanden dar, der Furcht vor einer konkreten äußeren Situation und keine innere diffuse Angst hat? Betrachten wir uns diese drei Fälle im Einzelnen: a) Das ritualisierte Händewaschen des Zwangsneurotikers hat nicht – wie bei dem Hysteriker – die Funktion, ihn 101 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

anders erscheinen zu lassen, als er ist. Die Waschungen sollen (in magischer Weise) tatsächlich, effektiv eine Wiedergutmachung, eine Säuberung bewirken. Deswegen braucht der Zwangsneurotiker auch kein Publikum, das dieses SoErscheinen zusätzlich bestätigen soll. Er absolviert bevorzugt seine Wiedergutmachungsaktionen für sich. Der innere Zuschauer (das Über-Ich) soll nicht wie beim Hysteriker davon überzeugt werden, dass der Patient ein unschuldiger Mensch sei, sondern er soll erfahren, dass die notwendigen Maßnahmen der Säuberung im Sinne des magischen Denkens und Handelns vollständig und exakt, im erforderlichen Ausmaß und in vorgesehener Sequenz durchgeführt wurden. Hier zählt nur messbare »Leistung« und nicht Darstellung oder Erscheinung. b) Beim Melancholiker findet sich keine Quasiveränderung, also keine nur scheinbare, künstliche, inszenierte, sondern eine tatsächliche Veränderung der Selbstrepräsentanz. Der Depressive mit dem Versündigungswahn, der glaubt, er sei der schlimmste Sünder aller Zeiten, oder jener, der in einem schweren depressiven Stupor total pflegebedürftig wird, inszeniert keine pseudoregressive Szene, sondern er regrediert tatsächlich. Seine Selbstrepräsentanz ist auch entsprechend echt verändert. Dies beweisen schon die oft tragischen Konsequenzen, wie beispielsweise das Sich-Verhungern oder die häufig grausame Selbstdestruktivität des Melancholikers.16 c) Der Phobiker »tut nicht so«, als ob die Angst von außen käme. Er externalisiert tatsächlich! Deswegen ist er auch zunächst beruhigt, wenn er die Angst erzeugende Situation vermeiden kann. Er manipuliert (ähnlich wie der Zwangsneurotiker) nicht die Selbst-, sondern die »Weltrepräsentanz«. Sofern und sobald aber in bestimmten Fällen dieser Vorgang den Charakter des So-Erscheinens und Sich-so-Erle102 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

bens bekommt, erhält das Geschehen zusätzlich eine hysterische Färbung, die für viele Angstzustände charakteristisch ist. Man sieht, die Art und die »Zielsetzung« der hysterischen Darstellung mit Hilfe der hysterischen Szene (Text plus Inszenierung) ist doch eine recht spezifische. Ein anderer Einwand gegen meine Konzeptualisierung des Hysterischen könnte sich vom anderen, dem »normalen« Ende des Spektrums aus ergeben: Es ist eine alltägliche Erfahrung, dass man sich in verschiedenen Umgebungen, im Kontakt mit verschiedenen Personen recht unterschiedlich fühlt, verhält und deshalb auch jeweils anders erscheint. Unter verschiedenen Bedingungen zeigt man verschiedene Seiten seiner Persönlichkeit. Würde man dieses jeweils Anders-Erscheinen als hysterisch ansehen? Auf keinen Fall. Vielfältigkeit, Pluralität, Polarisierung, Ambivalenz bedeuten noch lange nicht pathologische Dissoziation, also unbewusstes, krankhaftes Auseinanderhalten von Persönlichkeitsanteilen (extremes Beispiel: multiple Persönlichkeit). Auch vom natürlichen, spontanen, expressiven Verhalten im normalpsychologischen Bereich muss die hysterische Inszenierung abgegrenzt werden: Es ist unsinnig, wenn ein (womöglich leicht zwangsneurotischer!) Untersucher etwas vorschnell auf hysterische Züge bei einer Frau schließt, die er als lebhaft, attraktiv und sexuell anregend empfindet. Das Hysterische beginnt erst dort, wo das expressive Verhalten und die emotional geladene Szene nicht der natürliche Ausdruck des momentan Erlebten sind, sondern, wo umgekehrt dieses bestimmte Verhalten aktiviert und eine bestimmte Szene inszeniert und durchgespielt wird, als ob ein solches Erleben und eine solche dramatische Situation vorläge. Man wird weiter vielleicht fragen: Wenn es sich so verhält, dass das hysterische expressive Verhalten ein künstli103 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ches Sich-Hineinsteigern, eine unechte Szene ist – worin unterscheidet es sich dann von der Simulation? Die übliche Antwort auf eine solche Frage ist: Das hysterische Verhalten sei unbewusst. Dies trifft nach meiner Erfahrung nicht ganz zu. Denn ein großer Teil der Dramaturgie solchen Verhaltens ist fast bewusst. Nur, dass dieses potenziell vorhandene Wissen nicht verwertet und nicht berücksichtigt wird. Der Patient verhält sich so, als ob dieses Wissen nicht vorhanden wäre: Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut. Zwei Konstellationen, zwei psychische Vorgänge existieren parallel, ohne dass sie sich während der bestehenden Dissoziation gegenseitig beeinflussen können. Die Dissoziation unterscheidet also den hysterischen Modus von der Simulation. Diese letzte Aussage könnte zu einem weiteren Einwand oder zumindest zu einer anderen Frage führen: Ist es nicht wahrscheinlich, dass nicht die »Inszenierung« oder die Quasiveränderung der Selbstrepräsentanz, sondern gerade dieser wichtige Vorgang der Dissoziation das zentrale Ereignis bei der hysterischen Symptombildung ist? Diese Frage ist meines Erachtens zu verneinen. Zwar ist die Dissoziationsbereitschaft (genau wie die Konversionsbereitschaft) eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung bestimmter Formen der hysterischen Symptom- und Charakterbildung. Dennoch gibt es zweifelsohne dissoziative Erscheinungen auch außerhalb des Hysterischen. Die Dissoziation allein macht noch nicht das hysterische dissoziative Symptom und Verhalten aus.

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Kapitel VIII

Primärer und sekundärer Krankheitsgewinn17

Warum nimmt der hysterisch »Gelähmte« oder hysterisch »Blinde« die erheblichen Unannehmlichkeiten, die mit einer solchen funktionellen Störung verbunden sind, auf sich? Warum investiert der zu ständiger Dramatisierung und theatralischem Auftreten neigende Mensch so viel Energie und Aktivität,um die hysterischen tendenziösen Inszenierungen zustande zu bringen? Wozu ist eigentlich hysterische Symptom- und Charakterbildung »gut« und nötig? Zwischenbemerkung: Ich beschränke mich hier auf die Schilderung der Funktionen des hysterischen Modus, unabhängig von den jeweils vorliegenden Konflikten. Deswegen erwähne ich nicht einige wertvolle Beiträge von Psychoanalytikern aus den letzten Jahren, in denen spezielle Konflikte »hysterisch« verarbeitet werden (vgl. das Beispiel A. Green in der Anmerkung 11).

1. Primärer neurotischer Gewinn a) Ausdrucksgebung ohne Schuld- oder Schamgefühle Die »Zitterer« des Ersten Weltkriegs, also die Soldaten an der Westfront, die zu Hunderten das bekannte Zitterersyndrom entwickelten, gaben ihrer existenziellen Notsituation Ausdruck, ohne vor sich selbst und den anderen zugeben zu müssen, dass sie Angst um ihr Leben hatten. Der sizilianische Gastarbeiter (Fall Nr. 1) mit dem Augenblinzeln gab 105 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

seinem Trennungsschmerz und der daraus entstehenden Aversion gegen das In-Deutschland-SeinAusdruck,ohne sie in klarer Sprache zuzugeben. Die Patientin Annette C. (Fall Nr. 10) drückt mit der hysterischen Nachahmung der kindlichen poliomyelitischen Lähmung des Arms unbewusst aus, dass sie innerhalb der positiven Übertragungskonstellation die Trennung vom Therapeuten in ähnlicher Weise erlebte wie die damalige Trennung vom Vater. Da der Zusammenhang unbewusst bleibt, braucht sie kein Schamund kein Schuldgefühl zu haben. Die Patientin, die auf das Interview zu dritt, also in Anwesenheit auch einer anderen Frau mit wütendem Schweigen, Wegdrehen und Türknallen reagiert, drückt ihren Schmerz und ihre Wut aus über das Verlassenwerden durch den Vater, ohne dass sie es ausdrücklich in diesem Moment bewusst erlebt oder zugegeben hätte; denn in ihrer Reaktion bezieht sie sich bewusst nur auf die momentane Übertragungssituation.

b) Triebbefriedigung18 ohne Strafe, Erleben ohne Reue Die Patientin mit der Frigidität (Fall Nr. 3), die ein Schwindelgefühl in der Sitzung bekommt, wenn von sexuellen Gefühlen die Rede ist, erlaubt sich ein symbolhaftes Sich-Verlieren im unbewusst fantasierten Geschlechtsverkehr, ohne dass ihr Über-Ich oder der Therapeut sie zurechtweisen können. In verzerrter, kompromisshafter, indirekter Weise erlebt sie etwas davon, was sie sonst nicht erleben »darf«. Barbara M. (Fall Nr. 11) erhält während ihres psychogenen Ausnahmezustands mit Hilfe der Pseudohalluzinationen einen »Besuch« des Vaters. Den Wunsch nach diesem Besuch, den sie bewusst strikt ablehnt und unbewusst herbeisehnt, darf sie auf diese Weise befriedigen, ohne es bereuen zu müssen – sie wisse ja nicht, wieso ihr so etwas passiere! 106 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

c) Narzisstischer Gewinn Ein Patient (Fall Nr. 16), der aufgrund einer ödipalen Problematik und daraus entstehenden Hemmungen in jeder etwas länger dauernden Beziehung zu einer Frau bald impotent wird, entwickelt kompensatorisch ein hypersexuelles Verhalten. Er setzt sich dabei zum Ziel, jedes zweite oder dritte Wochenende eine neue Eroberung einer – nach Möglichkeit besonders attraktiv aussehenden – Frau zu vollbringen. Dieser Donjuanismus verhilft ihm (wenn auch jeweils nur vorübergehend) bei der Überwindung eines immer stärker werdenden Minderwertigkeitsgefühls durch seine Impotenz und seine Unfähigkeit,eine dauerhafte Beziehung aufrechtzuerhalten. Oder umgekehrt (Fall Nr. 17): Eine Patientin, die ausgesprochen ängstlich, schreckhaft, fragil erscheint und mit ihrem Gesamtverhalten und ihren Reaktionen dem Partner signalisiert, dass sie eine besonders empfindliche, fein strukturierte Person, also etwas Besonderes sei, erzielt durch diese »künstlich«, wenn auch unbewusst veränderte Selbstrepräsentanz einen narzisstischen Gewinn. Auch wenn sie Kontaktschwierigkeiten habe und im praktischen Leben oft versage, so sei sie doch aufgrund ihrer extremen Sensibilität und Fragilität etwas Besonderes. Hier geht es also nicht nur um den von Winter (1964, S. 339) formulierten Zusammenhang: »Wenn ich mich klein, passiv und hilflos mache, werde ich automatisch geliebt«, sondern um einen weiteren Schritt: »Wenn ich mich empfindlich, zerbrechlich und schwach mache, so werde ich automatisch als etwas Besonderes eingeschätzt.« Dies gilt übrigens nicht nur für den Partner draußen, sondern auch für den internalisierten Beobachter. Somit trägt diese Art der hysterischen Lösung zur »Verbesserung« des Selbstwertgefühls bei. Die Bedeutung hysterischer Symptom- und insbesondere Charakterbildungen für die narzisstische Homöostase 107 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ist innerhalb der psychoanalytischen Literatur bis jetzt wenig beachtet worden. Eine Ausnahme bietet Hoffmann (1979). Er sieht in fast jedem hysterischen Bild eine Komponente der narzisstischen Störung und findet deswegen auch gerade im Hinblick darauf eine besondere Verwendung für die von mir beschriebene Veränderung der Selbstrepräsentanz. Diese »Manipulation« des Selbstbildes scheint tatsächlich besonders dafür geeignet, narzisstische Kränkungen zu kompensieren: »die unbewusste Selbstdarstellung intendiert letztlich eine Verbesserung des narzisstisch geförderten Selbstbildes« (Hoffmann, S. 279). Dieser Aspekt des Hysterischen ist übrigens, was das Deskriptive betrifft, schon in der traditionellen Psychiatrie gesehen (geltungssüchtiger Psychopath!) und auch überbewertet worden, so zum Beispiel, wenn Karl Jaspers (1949) das Hysterische überhaupt als ein »mehr scheinen wollen, als man ist« definiert.

d) Die innere Leere auffüllen Es gibt viele hysterische Charaktere, bei denen es offensichtlich wird, dass die Emotionalisierung, die Exaltiertheit, das Sich-Hineinsteigern in angeblich heftige Affekte hauptsächlich die Funktion haben, eine gefühlsmäßige innere Leere zu kompensieren. Man gewinnt den Eindruck, dass solche Menschen, weil sie wenig erlebensfähig sind, einen ausgesprochenen Erlebenshunger haben oder sogar emotions- und sensationssüchtig werden. Dieser Aspekt ist so zentral, häufig und wichtig, dass einige Autoren ihn als die ausschließliche Funktion des hysterischen Modus angesehen haben. So meint Angyal (1965), dass der hysterische Mensch den Versuch unternehme, das innere Gefühl der Leere durch die Flucht in eine Art Pseudopersönlichkeit zu kompensieren. Wolowitz (1971) beschreibt ein Pseudoerle108 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ben anstelle des Leergefühls, das aber trotzdem letztlich bestehen bleibe. Nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen ist zwar diese Funktion, besonders bei tiefer gestörten Patienten, die sich auch hysterischer oder hysteriformer Mechanismen bedienen, nicht selten. Es wäre aber übertrieben und einseitig, diesen Aspekt als den allein wichtigen zu sehen. Im Übrigen muss in jedem konkreten Fall überlegt werden, ob diese Gefühlsleere auf eine tatsächliche, prinzipielle Unfähigkeit zu erleben (wie etwa bei den von Helene Deutsch unter der Bezeichnung »Als-ob-Persönlichkeiten« beschriebenen Patienten) oder ob es sich nicht um das Resultat einer durchgehenden Hemmung und Verdrängung handelt, also um eine sekundäre Einengung der Erlebensfähigkeit.

2. Sekundärer Krankheits-(neurotischer)Gewinn a) Vermehrte Zuwendung – Schonung – Versorgung Der schon erwähnte sizilianische Arbeiter mit dem Augenblinzeln (Fall Nr. 1) erfährt aufgrund seiner Augenerkrankung eine vermehrte Aufmerksamkeitszuwendung. Er darf für einige Tage krankfeiern, wird von Familienmitgliedern und Ärzten schonend behandelt und erhält überhaupt eine Fürsorge, die zwar das Hauptübel, den Trennungsschmerz, nicht aufhebt, ihn dafür jedoch etwas entschädigt und tröstet. Fall Nr. 18: Eine Patientin, die in ihrer Verlobungszeit aufgrund reaktivierter, inzestuöser Wünsche und einer damit zusammenhängenden ödipalen Problematik in eine Krise gerät und schließlich eine gravierende hysterische Symptomatik entwickelt (funktionelle Lähmung beider Beine), wird für längere Zeit schwer »krank« und jahrelang 109 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

zum großen Teil auch stationär behandelt. Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung durch mich wird bald deutlich, dass der ursprüngliche neurotische Konflikt und der anfängliche primäre neurotische Krankheitsgewinn kaum mehr eine Rolle spielen. Die damalige Dynamik des intrapsychischen Konflikts ist sozusagen fast »ausgebrannt«. Dafür steht jedoch der sekundäre Krankheitsgewinn jetzt ganz im Vordergrund. Diese junge Frau, die sich früher vernachlässigt gefühlt hat und sich ausgenutzt und bedeutungslos vorkam, genoss jetzt seit mehreren Jahren die besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung des Hausarztes, verschiedener Neurologen, Psychiater und wurde von ihren Eltern (die Verlobung war selbstverständlich längst rückgängig gemacht) sehr schonend behandelt! Man gewann den Eindruck, dass der sekundäre Gewinn so groß war, dass die Patientin nicht in der Lage war, sich konsequent gegen den Sog ihrer »Erkrankung« zu wehren. Der Fahrer (Fall Nr. 5), der nach dem verschuldeten Unfall einen lang anhaltenden psychogenen Ausnahmezustand entwickelte und sich wie ein Bewusstloser verhielt, war auch nach seinem Aufwachen recht auffällig und bot monatelang ein kleinkindhaftes Verhalten. Er sprach mit leiser hoher Stimme, dachte und verhielt sich wie ein abgebauter Mann. Zunächst stand sicher der primäre Krankheitsgewinn imVordergrund: Mit Hilfe der »Bewusstlosigkeit« und der Pseudodemenz konnte er sich vor den unerträglichen Schuldgefühlen schützen. Später dürfte aber zunehmend der sekundäre Krankheitsgewinn im Vordergrund gestanden haben: nämlich die Tatsache, dass aufgrund seines Zustands die fällige strafrechtliche Verfolgung nicht stattfinden konnte. Als ich ihn zuletzt sah (eineinhalb Jahre nach dem Unfall), bot er weiterhin das gleiche Krankheitsbild. Ich hatte deutlich den Eindruck, dass nun die Prozess- und Zurechnungsunfähigkeit die Hauptfunktion dieser schweren hysterischen Störung war. 110 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

b) Indirekte Abfuhr von Frustrationsaggressionen: »Rache« Die Patientin (Fall Nr. 8), die besonders dazu neigte, durch ihr verführerisches Verhalten die Männer aus der Reserve zu locken, um sie dann im letzten Moment abzuweisen, hatte durch dieses Verhalten zunächst einen primären Krankheitsgewinn. Sie konnte sich und den anderen zeigen, dass sie keine eigentlichen sexuellen Wünsche und Absichten habe, obwohl sie in Wirklichkeit durch die vermehrte Zuwendung der Männer sowohl ersatzweise Triebbefriedigung als auch insbesondere einen gewissen Ausgleich ihres narzisstischen Defizits erhalten konnte. Als Zusatzgewinn ergab sich, dass sie durch die Zurückweisung der Männer die aufgestaute Frustrationsaggression entladen konnte. Diese indirekte aggressive Abfuhr war ihr eigentlich halb bewusst. Sie gab zu, dass sie wüsste, dass ihr Verhalten irgendwie launisch und bösartig wirken müsste. Man könnte sich überhaupt überlegen, ob hier nicht auch die Befriedigung eines Rachebedürfnisses vorgelegen hat.19

111 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Kapitel IX

Vergleiche und Gegenüberstellungen

1. Ein Vergleich mit der Zwangsneurose Das Hysterische und das Zwangsneurotische sind zwei diametral entgegengesetzte Welten. Shapiro (1965) hat in seinem Buch über die neurotischen Stile die Unterschiede sowohl auf der emotionalen als auch auf der kognitiven Ebene eindrucksvoll geschildert. Auch frühere Autoren haben sich mit dem Thema beschäftigt, sie sind jedoch irgendwie bei Teilaspekten stecken geblieben, indem sie die verschiedenen hier involvierten und beteiligten Mechanismen paarweise verglichen haben. Ein wichtiger Unterschied lässt sich tatsächlich dabei herauskristallisieren: Beim Hysterischen werden die pathogenen Fantasien verdrängt, während die dazugehörigen Affekte als diffuse, launische unerklärliche Stimmungen mehr oder weniger bewusst bleiben. Dagegen behält der Zwangsneurotiker die Vorstellung im Bewusstsein und isoliert sie von den verdrängten dazugehörigen Affekten.20 Mit Hilfe des viel weiter gehenden Konzepts der neurotischen Stile von Shapiro sowie unserer Analysen über die spezifischen Funktionen des hysterischen Modus lässt sich aber ein anderer Unterschied herausarbeiten, der mir zentraler erscheint: An die Stelle des scheinbaren So-Seins des Hysterikers tritt hier bei der Zwangsneurose ein scheinbares Handeln, der Versuch, durch Überkontrollieren und magisches Denken sowie magische Handlungen die Welt in den Griff zu bekommen. Das Hysterische hat mehr mit Ausdrucksgebung, das Zwangsneurotische mehr mit Kontrolle zu tun. Der Hyste112 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

riker will (vor sich selbst und vor anderen) sich selbst anders erleben und anders erscheinen, als er ist, der Zwangsneurotiker versucht, eine (projektiv aufgebaute) Realität zu verändern. Seine Mittel bleiben freilich auch ebenfalls nur symbolisch, sie sind magische Handlungen und Rituale. Er interessiert sich aber nicht dafür, welchen Eindruck er macht. Wenn er seine Hände wäscht, so tut er es nicht, um den Eindruck seiner Unschuld zu erwecken, sondern er versucht »effektiv«, die Schuld »wegzuwaschen«. Deswegen muss er das auch zwanzig-, dreißig- oder auch hundertmal tun. Dagegen wäscht sich Pilatus, der Schauspieler und Simulant, die Hände nur einmal und wahrscheinlich nicht gründlich. Er will ja nicht durch eine symbolische Handlung die Schuld loswerden, sondern nur als Unschuldiger erscheinen. Der hysterisch agierende Mensch ist zwar kein bewusster Simulant wie Pilatus, er ist aber doch unbewusst dabei, in ähnlicher Weise zu inszenieren. Diese Gegenüberstellung von hysterischem und zwangsneurotischem Modus der neurotischen Verarbeitung deckt indirekt eine eigentlich grundlegende Polarität auf, die weit über die Grenzen des Neurotisch-Pathologischen hinausreicht: Es geht zum Beispiel um den Gegensatz zwischen Kunst und Wissenschaft, Ausdrucksmensch und Handlungsmensch, analog und digital, rechtshirnig und linkshirnig (Watzlawick) und so weiter. Dieses faszinierende Thema kann ich allerdings an dieser Stelle nicht weiter verfolgen.

2. Konversion versus psychosomatische Resomatisierung im engeren Sinne Der Chicagoer Psychoanalytiker Franz Alexander hat streng zwischen »vegetativen Neurosen« (heute psychosomatische Erkrankungen im engeren Sinn) einerseits und konver113 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

sionshysterischen, somatischen Störungen andererseits unterschieden. Man kann auch mit von Uexküll zwischen Bereitschafts- und Ausdruckserkrankungen unterscheiden. Diese Trennung basierte zunächst bei F. Alexander vorwiegend auf der Auffassung, dass bei den Konversionsreaktionen nur die willkürliche Sensomotorik involviert, dagegen bei den psychosomatischen Reaktionen Entladungen des vegetativen Nervensystems beteiligt seien. Dieses Argument ist aber hinfällig geworden, seit wir wissen, dass bestimmte eindeutige Konversationssymptome, wie bestimmte Fälle von Übelkeit, Erbrechen und Ohnmacht, über das vegetative Nervensystem vermittelt werden. Das zweite Unterscheidungskriterium war: Das hysterische Symptom drücke symbolisch unbewusste Vorstellungen und Gefühle aus, wohingegen bei den psychophysiologischen Reaktionen keine solche sinnenthaltende symbolische Darstellung bestehe. Oder anders ausgedrückt: Hysterische Symptome basierten auf Manipulationen von Symbolsystemen, psychosomatische Störungen träten dagegen anstelle solcher symbolischer Vorgänge auf. Dagegen wurde wie folgt argumentiert: Psychophysiologische Reaktionen könnten ähnlich wie Konversionsreaktionen nonverbale symbolische Kommunikationen in Form einer Körpersprache sein. Darüber hinaus sei es auch bei den psychophysiologischen Reaktionen so, dass ein Affekt oder ein Trieb verdrängt wurde, der anschließend als ein somatisches Symptom auftauche. Meine persönliche Meinung ist, dass man trotz dieser wichtigen Gegenargumente die Trennung zwischen psychosomatischer und konversionshysterischer Symptombildung beibehalten sollte.Die Körpersprache des hysterischen Symptoms ist eine andere als diejenige der psychosomatischen Störung. Das hysterische Symptom stellt einen symbolischen Ausdruck für das Verdrängte dar, es drückt eine unbewusste Fantasie aus. Die psychophysiologische Reaktion 114 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

ist kein symbolischer Ausdruck, sondern ein vorsymbolisches 21, regressives Äquivalent eines Emotionszustands, der als solcher auf der psychischen Ebene nicht mehr existent ist. Die vegetative Erregung, die das psychosomatische Symptom ausmacht,stellt einen präsymbolischenVorgänger des abzuwehrenden Gefühlszustandes dar. Es handelt sich um eine Resomatisierung im Sinn von Max Schur (1955). Wie steht es aber dann mit solchen Symptomen wie Erbrechen und Ohnmacht oder überhaupt mit der unverkennbaren symbolischen kommunikativen Funktion solcher psychosomatischer Störungen? Dafür gibt es meines Erachtens eine einfache Erklärung. Es handelt sich um primär psychosomatische Reaktionen im engeren Sinn, die sekundär einen Ausdruckscharakter annahmen, sofern sie für den Betreffenden und besonders für die Umgebung sichtbare Erscheinungsformen haben. Erbrechen und Übelkeit können tatsächlich primär physiologische Reaktionen, also Resomatisierung in dem Sinne sein, dass eine starke Aversion, ein starker Wunsch, etwas abzustoßen, überhaupt nicht mehr psychisch repräsentiert wird; an ihrer Stelle tritt lediglich das präsymbolische (biologisch ursprünglich sinnvolle) Reaktionsmuster des Erbrechens auf. Hat sich dieses Symptom aber einmal gebildet, so gewinnt es sowohl für den Betroffenen selbst wie auch für die anwesenden Zuschauer und insbesondere für die signifikanten Bezugspersonen einen eindeutig kommunikativen Stellenwert. Es wird nunmehr zum eingeschliffenen nonverbalen Ausdrucksmittel. Da wir wissen, dass auch vegetative Reaktionen erlernt und konditioniert werden können, ergibt sich ohne weiteres die Möglichkeit, dass von nun an das Erbrechen im Sinn einer symbolhaften Ausdrucksgebung im Dienste der hysterischen Symptombildung gesetzt und reproduziert wird. Hysterische Körpersprache ist ja auch nicht ohne weiteres ad hoc zu erfinden, individuell zu schaffen. Sie wird erlernt durch Erfahrun115 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

gen, und die hysterische Symptombildung ist sozusagen »dankbar« für jede Bereicherung des Repertoires. Dass dies überhaupt möglich oder sogar sehr häufig ist, zeigt sich an vielen Redensarten, die solche Zusammenhänge und Entwicklungen bildhaft darstellen: »Ihm sitzt die Wut im Bauch«, »er muss immer schlucken«, »etwas macht ihm Kopfschmerzen«, »er hat in die Hose gemacht«, »es ist ihm zum Kotzen«, »es wird ihm bei dem Gedanken schwindelig« und anderes mehr.

3. Beziehungen zwischen hysterischer Symptomneurose und hysterischem Charakter (bzw. der heutigen histrionischen Persönlichkeitsstörung) Die hysterische Symptombildung zeigt keine positive statistische Korrelation zum hysterischen Charakter.Slater und Glithero (1965) fanden eine Korrelation von 0,5 im Gegensatz zu 0,8 zwischen der Zwangsneurose und dem Zwangscharakter. Diese und ähnliche Untersuchungen berücksichtigen zwar vorwiegend die Konversionshysterie, sehr wahrscheinlich gilt jedoch Analoges auch für die anderen Formen hysterischer Symptombildungen wie dissoziative Phänomene, psychogene Bewusstseinsstörungen, Dämmer- und Trancezustände, Gedächtnisstörungen (Amnesien), Pseudodepressionen Alarcon (1973) meint, dass zwar jede Konversionshysterie bei einem – in gewisser Hinsicht – hysterischen Charakter auftrete, dass aber keinesfalls alle Menschen mit hysterischem Charakter Konversionssymptome entwickeln. Die Untersuchung von Stefansson und Mitarbeiter (1976) stellt jedoch sogar diese Behauptung in Frage: Nur bei einer Minderheit der Patienten mit hysterischer Neurose vom Konversionstyp fanden sie eine hysterische Persönlichkeit! 116 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Diese Feststellungen stimmen mit meinen persönlichen Erfahrungen überein. Ich kenne zwar Patienten und Patientinnen, die sowohl hysterische Charakterzüge als auch hysterische »Symptome« aufweisen. Ich kenne aber auch solche mit eindeutiger Konversionssymptomatik ohne Anzeichen des hysterischen Charakters (Annette C., Fall Nr. 10, und Barbara M., Fall Nr. 11, gehören dazu). Das Fehlen einer eindeutigen positiven Korrelation zwischen hysterischem Charakter und hysterischer Symptomneurose bedeutet aber meines Erachtens auf keinen Fall, dass diese beiden Phänomengruppen nicht doch zusammengehören. Es ist kein Gegenbeweis darin zu sehen, dass sie nicht immer oder nicht auffällig häufig, also nicht simultan auftreten. Es ist nämlich durchaus möglich, dass es sich hier um Alternativen beziehungsweise um »Alternativlösungen« handelt. Dabei ist die Symptomneurose keineswegs als die schwerere und die Charakterneurose als die leichtere Störung zu bewerten – eher umgekehrt (die Therapieresistenz bei der Letzteren ist bekanntlich eindeutig stärker ausgeprägt!). Die Zusammengehörigkeit beider Phänomengruppen basiert nicht auf einem zufällig häufigen, simultanen Auftreten, sondern auf der Gleichheit der zugrunde liegenden Mechanismen, also auf dem gemeinsamen Modus der Verarbeitung des Konflikts. Diese Gemeinsamkeit, diese Gleichheit wird allerdings erst auf einer phänomenologisch-psychodynamischen Ebene sichtbar, während auf einer rein deskriptiven Ebene eher die Unterschiede auffallen: Dort könnte man tatsächlich Bedenken haben, derartig unterschiedliche Phänomene wie etwa die Tendenz zur theatralischen Dramatisierung einerseits und eine psychogene Lähmung andererseits als zusammengehörig zu bezeichnen. Auf der phänomenologisch-psychodynamischen Ebene erkennt man aber in beiden Fällen den hysterischen Modus: die Tendenz, sich anders zu erleben und sich anders 117 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

zu zeigen, als man ist. Darüber hinaus sind zum Teil auch die beteiligten Mechanismen gleichartig (z. B. Identifikationen, starker Einfluss unbewusster Fantasien, Verdrängung und resultierende Dissoziation).

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Kapitel X

Nosologische und klassifikatorische Aspekte

Man kann gegen meinen Vorschlag, den Hysteriebegriff neu zu definieren, einwenden, dass dies eine unnötige und verwirrende Innovation sei, die zudem keine Chance habe, sich durchzusetzen, weil das alte nosologische Konzept verfestigt sei. Ich gebe zu, dass es sehr schwierig sein wird, das Hysterische als einen konfliktunspezifischen Modus der neurotischen Konfliktverarbeitung und nicht als eine nosologische Entität, als eine Neuroseform durchzusetzen, obwohl jetzt schon einige andere Autoren teilweise diese neue Definition übernommen haben (Hoffmann 1979, S. 262; Peters 1977, S. 240). Die Chance für diese neue Definition wird umso größer sein, je klarer die mit ihr verbundenen Vorteile herausgearbeitet und dargestellt werden. Obwohl jeder erfahrene Psychiater und jeder Psychoanalytiker intuitiv das Hysterische in allen Bereichen des psychopathologischen Spektrums erkennt, ist er, sofern er am alten Konzept orientiert bleibt, nicht in der Lage, das spezifisch Hysterische zu präzisieren. Der Psychiater resigniert schließlich und meint, dass phänomenologisch keine abgrenzbare Gruppe von hysterischen Phänomenen zu sichern sei. Der Psychoanalytiker wiederum wird ständig mit Beobachtungen konfrontiert, die in das alte Schema des ausschließlichen Zusammenhangs zwischen dem Hysterischen und dem Ödipalen nicht hineinpassen. Entweder wird auch er resignieren oder aber versuchen, mit recht komplizierten und unglaubwürdigen Zusatzhypothesen und Erklärungen das alte Konzept 119 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

zu retten. Dabei ist das Problem eigentlich jetzt leicht zu lösen. Es ist eine bemerkenswerte und nie beachtete Tatsache, dass man zum Beispiel von einer Zwangsneurose und nicht von einer Analneurose, von einer depressiven und nicht von einer oralen Neurose spricht. Warum dies bei der Hysterie nicht möglich war, erklärt sich aus der Tatsache, dass der hysterische Modus der Konfliktverarbeitung ausgesprochen variabel ist und sich stets den verschiedenen Kulturen und Epochen angepasst hat. Somit war es auf der phänomenologischen Ebene nicht leicht, diese Art der neurotischen Konfliktverarbeitung mit einem bestimmten Phänomen oder Symptom zu kennzeichnen (wie Zwang oder depressive Verstimmung). Erst mit dem neuen Konzept, welches das Hysterische auf einer phänomenologisch-psychodynamischen Ebene einheitlich erfasst, ergibt sich die Möglichkeit, es unabhängig vom zugrunde liegenden Konflikt, aber auch unabhängig vom jeweils konkreten Symptom zu erfassen. Man kann selbstverständlich versuchen, einen entsprechenden, schönen und eindrucksvollen griechischen oder lateinischen Terminus dafür zu suchen und zu prägen. Im Hinblick auf die zentrale Tendenz, sich anders erleben und anders, als man ist, erscheinen zu wollen, könnte man etwa das griechische Wort »allophaen« vorschlagen. Ich bin jedoch der Meinung, dass dies nicht nötig und wahrscheinlich auch nicht mehr möglich ist (über die »Panne« von DSM-IV und ICD-10 mit dem Terminus »histrionisch« siehe Kapitel XIII in diesem Buch). Ich finde es dagegen weniger schwierig zu versuchen, das Wort hysterisch von seinen etymologischen Wurzeln zu befreien und es phänomenologisch-psychodynamisch zu präzisieren. In einer Übergangsphase wird es selbstverständlich etwas verwirrend sein, von einer hysterischen Neurose zu hören, ohne zu wissen, ob er Autor den ödipalen Konflikt oder den hys120 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

terischen Modus der Verarbeitung meint. Wenn sich jedoch die zweite Bedeutung behauptet, dann kann man ohne weiteres bei der Bezeichnung hysterische Neurose bleiben und damit jene Fälle erfassen, bei denen der hysterische Modus der Verarbeitung des (ödipalen, oralen, narzisstischen) Konflikts imVordergrund steht.In anderen Fällen wiederum, wo das Hysterische nur gelegentlich und schwächer ausgeprägt erscheint, wird man dann von hysterischer Färbung oder gelegentlichen hysterischen Mechanismen sprechen. Man darf nicht vergessen, dass dies im Fall der Zwangsneurose üblich und unstrittig ist. Denn auch hier unterscheidet man zwischen einer Zwangsneurose einerseits und Zwängen bei Depressionen, bei beginnenden Schizophrenien, bei Borderline-Patienten andererseits. Ähnliches gilt schließlich auch für den depressiven Modus, für die depressiven Reaktionen: Es gibt zwar die depressive Neurose, bei der dieser Modus und diese phänomenologisch fassbare Symptomatik ganz im Vordergrund steht. Man kennt jedoch auch häufige depressive Färbungen oder depressive Züge oder depressive Reaktionen bei Schizophrenen, bei Zwangsneurotikern, bei Hysterischen. Bei der diagnostischen Bezeichnung des konkreten Falls ändert sich also durch die neue Definition nicht viel. Es sollte nur klargestellt werden, was man mit der Bezeichnung hysterisch meint. Wenn man bei einem Borderline-Patienten von hysterischen Mechanismen spricht oder bei einem organischen oder psychosomatischen Symptom von einer sekundären Hysterisierung, wird man wissen müssen, dass man hier nicht etwa die Vergesellschaftung mit einer ödipalen Problematik, sondern nur die besondere Art der neurotischen Konfliktbewältigung meint. Will man in einem Fall aber doch einmal die Aktualisierung der ödipalen Problematik andeuten, so soll man das Kind beim Namen nennen und eben von ödipalen Konflikten sprechen. Die Bezeichnung »hysterischer Konflikt« würde 121 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

nach dieser Umdefinition nicht mehr sinnvoll und zulässig sein. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die hysterische Charakterneurose: Fälle, bei denen eine pathologische Charakterbildung durch die dominierende Stellung des hysterischen Modus in habituellen Verhaltensmustern, Attitüden, Charakterzügen gekennzeichnet ist, könnte man weiterhin hysterische Charakterbildungen nennen, und zwar unabhängig davon, ob eine ödipale, eine narzisstische oder eine orale Problematik oder alle drei im Vordergrund stehen. Bei anderen Charakteren, bei denen das Hysterische nur gelegentlich und schwach ausgeprägt auftritt, würde man von hysterischer Färbung oder hysterischen Komponenten sprechen. Ob man für eine Kerngruppe von »klassischen« Fällen (die sicher recht klein ist), bei denen wirklich ein ödipaler Konflikt besteht, der nur mit Hilfe des hysterischen Modus bearbeitet wird, den alten Terminus Hysterie beibehalten soll, ist mehr eine Geschmackssache. Ich würde es, um Missverständnisse und erneute Verwirrungen zu vermeiden, vorziehen, wenn man auch in diesem Fall von einer hysterischen Neurose mit vorwiegend ödipaler Problematik spräche. Dies ist freilich eine Bezeichnung, die nach der alten Konzeptualisierung einer Tautologie gleichkäme. Sie bekommt aber hier einen Sinn, weil es auch hysterische Neurosen mit vorwiegend oraler und vorwiegend narzisstischer Problematik gibt. Für Fälle, bei denen eine zunächst organische oder rein psychosomatische oder rein depressive Symptombildung erst sekundär die Charakteristika des hysterischen Modus übernimmt, schlage ich die Bezeichnung sekundäre Hysterisierung vor.

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Kapitel XI

Interpersonale Aspekte

1. Die hysterische Kommunikation Hysterische Inszenierungen werden für ein bestimmtes Publikum aufgebaut und sind von dessen Reaktionen stark abhängig. Aus diesem Grund verschwinden oft viele hysterische Phänomene von selbst, wenn sie systematisch nicht beachtet werden. Daraus die Folgerung zu ziehen, dass dies allein die richtige und ausreichende Behandlung hysterischer Störungen sei, ist allerdings falsch und unter Umständen auch leichtsinnig und gefährlich. Man sollte zwar die hysterischen Darstellungen als solche nicht beachten, dafür aber umso mehr das eigentliche Anliegen des Patienten aufzudecken versuchen. Die hysterische Symptom- und Charakterbildung lässt sich auch als eine versteckte Mitteilung, als eine unterschwellige kommunikative Aussage verstehen, die in einem veränderten und verzerrten symbolischen Stil stattfindet und übersetzt werden kann. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Der kommunikative Aspekt der hysterischen Sprache sowie die Tatsache, dass mit seiner Hilfe letztlich gewisse Vorteile (Zuwendung, Schonung, Liebe seitens der Bezugsperson = sekundärer Gewinn) gesichert werden, können zu der falschen Schlussfolgerung führen, dass diese Vorteile das »Ziel« des hysterischen Modus seien. Dies ist mit Bestimmtheit falsch. Die Bedeutung des sekundären Krankheitsgewinns (siehe Kapitel VIII), zumal bei lang bestehenden und chronifizierten hysterischen Bil123 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

dern, ist sicher nicht gering. Dennoch steht der primäre Krankheitsgewinn allgemein immer im Vordergrund. Er ist mit Sicherheit ein neurotischer und kein realer Gewinn. Es geht nämlich um die Entlastung von neurotischen Schuldgefühlen, die Kompensierung von Minderwertigkeitsgefühlen, den Ersatz für fehlende oder unerlaubte Gefühle und Erlebnisse, das Wiederbeleben von infantilen Szenen mit den dazugehörigen Affekten, in versteckter und nur dadurch erlaubter Form. Von daher ist nicht die Umwelt, sondern der hysterische Mensch selbst der Hauptadressat und das essenziell wichtige Publikum. Und dennoch wäre eine private, eine exklusive »Vorstellung« nur für sich selbst und ohne Publikum unmöglich. Sie würde nämlich erheblich an Glaubwürdigkeit verlieren und könnte sich auf die Dauer auch nicht halten. Die unbestreitbare Bedeutung des Zuschauers und kommunikativen Partners liegt also keineswegs darin, dass der Patient von diesem Partner etwas haben will und auch erhält (obwohl dies oft sekundär der Fall sein kann). Sie liegt primär viel mehr – und das ist viel wichtiger – darin, dass der Partner als bestätigendes Publikum als notwendige Figur in einer symbolisch wiederbelebten Szene und als Einstieg und Feedback für das Sich-Hineinsteigern in einen bestimmten Gefühlszustand fungiert. Der Partner des hysterischen Menschen wird also von diesem benutzt, aber nicht so sehr dazu, um sich bei ihm reale Vorteile zu verschaffen oder um effektiv etwas zu erhalten, sondern vorwiegend dazu,um als Komparse oder mitagierende Figur in die Szene hineingerissen zu werden oder zumindest, um als engagiertes Publikum den prominenten Gast – das Über-Ich – von der Glaubwürdigkeit der Vorstellung zu überzeugen. Diese Überlegungen machen viele Besonderheiten hysterischen Verhaltens verständlich, die sich auf keinen Fall mit einer realen Nützlichkeitszielsetzung vereinbaren lassen. Dazu gehören auch viele vom realistischen Gesichts124 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

punkt aus gesehen nutzlose Dramatisierungen, die auf der realen Ebene eher Unannehmlichkeiten mit sich bringen und die nur im Hinblick auf den neurotischen Gewinn »sinnvoll« sind. Ob jedoch auch der Partner des hysterischen Menschen in der Lage ist, das auffällige hysterische Verhalten und Agieren so zu verstehen, ist freilich zweifelhaft. Die daraus entstehenden Wechselbeziehungen und teufelskreisähnlichen Komplikationen sind recht vielfältig. Ich will versuchen, eine gewisse Systematik in diese Vielfalt zu bringen, indem ich an die Zweiteilung erinnere, die ich im Kapitel über die Charakterbildungen angeführt habe: die Unterscheidung also zwischen einem pseudoregressiven und einem pseudoprogressiven Verhalten des hysterischen Menschen. In beiden Fällen kann die Interaktion verschiedene Verläufe annehmen: a) Unter Umständen »passt« das hysterische Verhalten in die neurotischen Bedürfnisse des Partners. In einem solchen Fall entwickeln sich unausgesprochene, unbewusste neurotische Arrangements, Kollusionen vom Typ der »hysterischen Ehe« wie Willi (1975) sie beschrieben hat. Solche Arrangements finden sich aber vielfach auch außerhalb der Ehe, in einfachen Begegnungen zwischen Bekannten, Freunden und anderen Menschen. Oft fühlt sich ja ein innerlich verunsicherter Mann sehr wohl in der Nähe einer Frau, die im Rahmen eines pseudoregressiven hysterischen Verhaltens Schwäche, Kindlichkeit, Naivität darstellt. Ein anderer, weicher, anhänglicher, Unterwerfung suchender Mann kann an einer (pseudoprogressiv agierenden) phallisch-narzisstischen Frau Gefallen finden. Auf diese Weise können passagere oder auch konstante neurotische psychosoziale Arrangements (Mentzos 1976/ 1988) zustande kommen und unter Umständen Jahre dauern. b) Wie aber entwickelt sich die Interaktion und die Beziehung, wenn der Partner keine zu dem hysterischen 125 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Verhalten passenden neurotischen Bedürfnisse hat? Oder wenn der Partner nicht mehr in der Lage oder nicht mehr willens ist, im neurotischen Arrangement zu bleiben (zum Beispiel in späteren Stadien hysterischer Ehen)? In diesen Fällen sind also negative, ablehnende Reaktionen zu erwarten, entweder weil das Unechte, Übertriebene, Exaltierte, dramatisierte Verhalten nicht ertragen werden kann oder weil die verlangende Abhängigkeit (demanding dependency) und der dadurch ausgeübte Druck unerträglich werden (regressive Form) oder schließlich, weil der Beherrschungsanspruch (progressive Form), der in der Pseudoüberlegenheitsdarstellung steckt, zu große Aversionen und Aggressionen erzeugt. Der Partner des hysterischen Menschen weigert sich also, die »Darstellung« zu akzeptieren, oder weigert sich sogar, die für ihn in dem Stück vorgesehene Rolle zu übernehmen. Dies führt zu einem offenen Konflikt. Die negativen Urteile über hysterische Menschen und die moralisch negativen Konnotationen des Wortes »hysterisch« beruhen zum großen Teil auf solchen verständlichen emotionellen Gegenreaktionen, und zwar aus den drei eben genannten Gründen: Der Partner ist empört über die Unechtheit, weil er sich auf den Arm genommen fühlt. Der Partner fühlt sich unter Druck gesetzt durch den uneinsichtigen infantilen Anspruch auf Hilfe zum Beispiel mittels Suiziddrohungen oder Ähnlichem, die oft den Charakter regelrechter Erpressungen annehmen. Drittens gerät der Partner in Empörung und Wut über die Arroganz eines überhöhten Überlegenheits- und Beherrschungsanspruchs. c) Betrachtet man nun die am hysterischen Modus beteiligten einzelnen Mechanismen, die sich auch in Besonderheiten des Verhaltens bemerkbar machen, so kann man weitere Quellen von Interaktionskonflikten und Komplika126 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

tionen finden, die nicht nur denkbar, sondern auch empirisch zu belegen sind. 1. Die im neurotischen (emotionellen und kognitiven) Stil des Hysterischen enthaltene Launenhaftigkeit und Unberechenbarkeit und Verachtung der Logik, die Inkonsequenz und die tendenziöse Vernunftlosigkeit muss vom Partner auf die Dauer als lästig empfunden werden. Man kann mit diesen Leuten oft überhaupt nicht vernünftig sprechen. Sie lassen sich durch Widersprüchlichkeiten nicht erschüttern. Dies kann auf die Dauer zu einer Aggressivierung und Gegenreaktion des Partners führen. Dennoch kann dieses »unvernünftige« Denken undVerhalten des hysterischen Menschen auch über längere Zeit hinweg vom Partner geduldet werden oder ihm vielleicht auch – mehr oder minder unbewusst – willkommen sein: Die Vernachlässigung der Logik, das Launenhafte, das Unberechenbare können ja auch erfrischend,provokativ,schöpferisch bei einem besonders vernünftigen und eher zwangsneurotisch orientierten Partner wirken und empfunden werden. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Partner zwar dazu neigt, diese Eigenschaften des hysterischen Menschen zu kritisieren, in Wirklichkeit aber an ihnen identifikatorisch partizipiert. Auch hier sind also, wenigstens für eine Zeit, interpersonelle neurotische Arrangements möglich. 2. Ein anderer, den Partner unter Umständen enervierender Faktor ist die Tendenz des Hysterischen, das Periphere, das Randmäßige, das Unwichtige von Geschehnissen durch Dramatisierung hervorzuheben und das Wichtige, Zentrale, Eigentliche demgegenüber zu vernachlässigen. (Fall Nr. 18) Eine Patientin – in Behandlung wegen »Depressionen, Frigidität und Herzattacken mit beschleunigtem Puls – kam eines Tages in die Sitzung, um zu erzählen, dass es ihr völlig unvermutet nach langer Zeit wieder schlecht gehe. Sie 127 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

berichtete lange über ihre Beschwerden sowie verschiedene bedeutungslose Ereignisse der Woche – sie müsse sagen, etwas Besonderes sei eigentlich nicht vorgefallen. Erst durch einen Versprecher von ihr wurde ich darauf aufmerksam, dass sie seit etwa einer Woche von ihrem Mann getrennt schlief und dass sie sogar beim Rechtsanwalt war, um eine eventuelle Scheidung und ihre Konsequenzen mit ihm zu besprechen. Ich war ausgesprochen überrascht. Mir war eine solche Absicht, zumal in dieser konkreten Form, überhaupt nicht bekannt gewesen. Als ich sie darauf aufmerksam machte, bemerkte sie kurz und völlig ungerührt: Ach ja, sie habe vergessen, das zu erwähnen. Es wurde dann deutlich, dass dies wohl das Ereignis war, das unmittelbar mit der Verschlechterung ihrer Symptomatik in Zusammenhang stand und sie die ganze Woche hauptsächlich beschäftigt hatte. Dagegen waren die ausführlich geschilderten Geschichten über Schulzeugnisse, Kinderbesuche und so weiter völlig nebensächlich. Eine solche habituelle Haltung und Taktik könnte unter Umständen den Partner (in meinem Beispiel den Psychotherapeuten) an eine gewollte Vergesslichkeit oder sogar eine gewollte Dummheit des Patienten denken lassen und ist dazu geeignet, »auf die Nerven« zu gehen. Dieser Effekt ist aber vermutlich wenigstens zunächst nicht intendiert gewesen. Es handelt sich nur um eine der typischen Mechanismen des hysterischen Modus: Die Hauptsache wird verdrängt, dafür wird die Nebensache hervorgehoben. Es kann allerdings sein, dass der hysterische Mensch allmählich in irgendeiner Weise merkt, dass hierin eine Methode, eine fantastische Waffe steckt, mit der er nach Bedarf den anderen regelrecht verrückt machen kann. Fall Nr. 20 Eine gute Bekannte erzählte mir: Ihre Schwiegermutter sei eine besonders redselige, oft sich widersprechende, launen128 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

hafte, aber oft auch rührend um ihre Kinder besorgte Frau, die sie gelegentlich durch plötzliche Telefonate wie das Folgende erschrecke: Sie rief an und meinte mit erregter Stimme: »Ich glaube, euer Geschäft brennt.« Ihre Schwiegertochter fragte erregt zurück: »Wie, was? Woher weißt du das?« Die Schwiegermutter: »Ich hörte eben die Feuerwehr und sah vom Fenster aus, dass sie in Richtung eures Stadtteils fährt!« Weitere interpersonelle Aspekte der hysterischen Symptombildung werden uns im nächsten Kapitel (über die Therapie) beschäftigen.

2. Partnerbeziehungen Es gibt nicht die »hysterische Ehe« schlechthin und es gibt nicht die typische hysterische Beziehung. Eine Typologie solcher zum Teil als neurotische psychosoziale Arrangements zu betrachtenden festen Partnerbeziehungen muss doch berücksichtigen, dass hier unterschiedliche Konstellationen zu erwarten sind, und zwar je nachdem, welcher Konflikt im Vordergrund steht. Wir haben gesehen, dass zumindest drei Konflikttypen – der ödipale, der orale und der narzisstische – in Frage kommen. Wenn man trotzdem von der »hysterischen Ehe« (Willi 1975) spricht, so mehr aus gewohnheitsmäßigem Festhalten am alten Hysterie-Konzept. In Wirklichkeit sieht auch Willi selbst offensichtlich ein, dass man hier je nach herrschendem Konflikt jeweils einen anderen Typus beschreiben kann: »Ein wichtiger Aspekt der hysterischen Ehe ist die phallische Kollusion, die in der folgenden Darstellung besonders berücksichtigt werden soll. Bei manchen hysterischen Ehen liegt der Hauptakzent allerdings eher auf einer oral/narzisstischen Störung« (Willi, S. 143). 129 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Im selben Kapitel dieses Buches erwähnt Willi eine ebenfalls leicht identifizierbare Variation, nämlich die ödipale Kollusion. Weniger ausführlich, aber in seiner Klassifikation logisch stringenter und konsequenter beschreibt Hoffmann (1979) unterschiedliche Konstellationen entsprechend der jeweils vorherrschenden Konfliktart. Interessant erscheint mir die Tatsache, dass aber auch aus dem Nebeneinander oraler, narzisstischer und ödipaler Bedürfnisse erhebliche Konflikte und Probleme entstehen: Die weibliche hysterische Persönlichkeit wählt häufig einen zuverlässigen, eher gehemmten oder zwanghaften Mann. Dadurch kann sie ihre Wünsche nach passiver Versorgung und narzisstischer Zuwendung befriedigen und ihre Ängste vor Liebesverlust weitgehend absichern. »Das wäre der orale bzw. narzißtische Anteil der Partnerwahl. Aus der ödipalen Perspektive gleicht dieser Mann allerdings wenig dem idealisierten, omnipotenten Vater, so daß gleichzeitig eine massive Enttäuschung durch ebendiesen Mann erfolgt. Diese Enttäuschung ist das, was man als Kliniker zuerst dargestellt bekommt; die befriedigenden Anteile solcher scheinbar nur enttäuschenden Beziehungen erfährt man noch am ehesten aus der Hartnäckigkeit, mit der an ihnen festgehalten wird« (Hoffmann 1979, S. 281).

Als einen anderen Typus hebt Hoffmann die Abwehr des negativen Selbst hervor: »Der erreichbare, solide, nicht ›aufregende‹ Partner wird abgewertet und geheiratet. Der Unerreichbare wird idealisiert, aufgewertet, hochstilisiert. Mit ihm ließe sich alles realisieren, was sich der Hysteriker erträumt, aber er ist schon verheiratet, katholischer Geistlicher oder aus anderen Gründen außerhalb des Bereichs der Realisierbarkeit. Gelegentlich kann man nun beobachten, daß ein solchermaßen idealisierter Partner die Voraussetzung der Unerreichbarkeit plötzlich ändert: Er zeigt eine menschliche Regung, bricht das Zölibat oder die Ehe, kurz, stellt sich als realistische Alternative dar. Dann beobachtet man regelmäßig, wie ganz plötzlich die Idealisierung in Verachtung umschlägt.«

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Hoffmann erklärt diesen Umschlag damit, dass der Partner so auf die Stufe derjenigen sinkt, die den Hysteriker immer schon geliebt haben. Der Hysteriker habe aber ein zutiefst schlechtes Selbstgefühl, er könne sich weder mögen noch lieben noch respektieren. Darum drängt er seinerseits die anderen dazu, dies zu tun. Die aber, die diesem Drängen folgen, werden dafür letztlich verachtet, weil sie nicht die Schwäche der hysterischen Seele (das negative Selbst) erkannt haben, sondern viel mehr auf sie hereingefallen sind: Sie trifft die gleiche Verachtung, die der Hysteriker unbewusst für sich selbst hat. Bestimmt trifft diese psychodynamische Hypothese für viele der Vertreter dieses häufigen Typus zu. Für andere Fälle besteht jedoch meines Erachtens auch eine andere Erklärungsmöglichkeit: Der Verheiratete, der anderswo Gebundene wird deswegen gewählt, weil er dem Vater entspricht. Verliert dieser Träger der Vaterübertragung seine Unerreichbarkeit, so kommt es zu einem Zusammenbruch des idealisierten Vaterbildes, er hört auf, der idealisierte Vater zu sein. Eine dritte Möglichkeit: Die Inzestgefahr wird bei einem solchen Fall zu offensichtlich und zu groß! Man sieht: Je nach Konfliktart und je nach Konstellation der hier sich aufdrängenden Bedürfnisse auf beiden Seiten ergibt sich eine Vielfalt von Möglichkeiten und Typen, die nicht immer »hysterisch« genannt werden dürfen, sondern nur in den Fällen, bei denen die »Darstellungen« der jeweiligen Position, die Auseinandersetzungen und die zum Teil unbewusst inszenierten Szenen sich des hysterischen Modus bedienen. Dazu einige Beispiele aus den Schilderungen von Jörg Willi: »Ein wesentliches Mittel zur Manipulation der Umgebung ist die Demonstration von Schwäche, Kranksein, hilflosem Weinen, Suizidveranstaltungen usw. Man kann direkt sagen, ihre Stärke liege in ihrer Schwäche. Sie betrauen ihre Beziehungspersonen mit der Lösung ih-

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rer Konflikte, wobei sie sich besonders aufgewertet fühlen, wenn sie zusehen ›müssen‹, wie sich zwei rivalisierende Ritter für sie die Köpfe blutig schlagen. So partizipieren sie in der Zuschauerrolle an der Dramatik, die sie in der Umgebung entzünden.«

Interessant auch die Beschreibung des Gegenstückes, nämlich des »hysterophilen Mannes«: »Im Gegensatz zur hysterischen Frau ist der hysterophile Mann ausgesprochen exhibitionsgehemmt. Er wirkt bescheiden und zurückhaltend und möchte scheinbar kein Aufhebens von sich machen. Und doch läßt sich gerade bei diesem Mann ein Exhibitionsbedürfnis nachweisen, das im Sinne einer altruistischen Abtretung auf die Frau verschoben wird. Er hat einen ausgesprochenen Drang, die Situation seiner Frau zu dramatisieren. Er möchte sie als ein völlig einmaliges, in nichts vergleichbares Geschöpf sehen, das jenseits der sonstigen allgemeingültigen Anforderungen steht. Die von der Frau gestalteten Szenen werden von ihm aufgeschaukelt; er schürt eine allgemeine Aufregung und veranstaltet um die Frau herum einen großen Wirbel, was ihm die Gelegenheit gibt, sich in seiner Helfer- und Retterfunktion zu bewähren« (Willi 1975, S. 147).

Aufgrund solcher und ähnlicher Beobachtungen kam ich auch zu dieser Feststellung: Einer der wichtigsten Gründe für das Persistieren von Ehen und überhaupt Partnerschaften, bei denen beide Teile unter der Beziehung erheblich leiden, ist nicht – wie oft angenommen wird – der Masochismus (zu schnell schließt man auf das Vorliegen einer sadomasochistischen Beziehung), sondern die Tatsache, dass solche äußerlich total zerrüttet erscheinenden Beziehungen auf anderen Ebenen offenbar erhebliche Befriedigung sichern. An anderer Stelle (Mentzos 1976/1988) habe ich versucht, die Kompliziertheit solcher Konstellationen mit dem Konzept der Teilkollusionen und ihrer Integration zu beschreiben und zu erfassen.

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3. Warum sind Frauen häufiger hysterisch? Auch wenn die alte Uterus-Theorie längst überwunden ist und wir seit viel mehr als einem Jahrhundert wissen, dass auch Männer hysterische Symptom- und Charakterbildungen entwickeln, so lässt sich nicht übersehen, dass in allen Statistiken die »Hysterie« bei Frauen um das Doppelte oder Dreifache häufiger ist. Wie ist diese asymmetrische Geschlechtsverteilung zu verstehen? a) Männliche Untersucher neigen eindeutig öfter als ihre weiblichen Kolleginnen dazu, bei Frauen eine hysterische Neurose oder hysterische Charakterzüge zu diagnostizieren! Diesen von einigen Autoren schon seit langem vermuteten Umstand konnte ich zusammen mit Pittrich (Mentzos u. Pittrich 1971) statistisch bestätigen: In der psychiatrischen Universitätsklinik in Frankfurt a. M. kreuzten männliche Untersucher viel öfter bei weiblichen Patienten das Merkmal hysterisch an, als dies die Ärztinnen taten. Hoffmann zitiert eine Spitze Israels (1973, S. 287): »Wo verstecken sich denn die hysterischen Männer?« »Für die hysterischen Symptomträger gibt Israël auf diese Frage eine brillante Antwort: Sie verbergen sich im – für den Arzt – besten Versteck, nämlich unter einem falschen diagnostischen Etikett; wahrscheinlich ist die männliche Symptomhysterie die am meisten fehldiagnostizierte Neurose.«

b) Chodoff und Lyons (1958) nennen die hysterische Persönlichkeit »ein Bild von Frauen in den Worten von Männern«, ja sogar eine Karikatur von Weiblichkeit. Wenn dies stimmt, so könnte man sich vorstellen, dass hysterische Symptom- und Charakterzüge bei Frauen verstärkt werden, weil sie nur bei ihnen gesellschaftlich toleriert werden (Marmor 1953) oder dass sie sogar zwangsläufig verstärkt und kultiviert werden: Die ausgeprägten Abhängigkeitsund Passivitätsbedürfnisse zwingen die Frauen dazu, sich der männlichen Karikierung ihres Geschlechts anzupassen, 133 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

um von ihnen geliebt und versorgt zu werden. In diesem Zusammenhang erscheinen mir auch die soziokulturellen Betrachtungen von Holländer erwähnenswert (zitiert nach Hoffmann 1979): »Die Konversionshysterie ist eine Mitteilung von vermeintlich anstößigen Inhalten in einer Körpersprache, weil die verbale Sprache für diese Mitteilungen unerlaubt ist. Frauen müssen wegen ihres geringeren Sozialstatus vermehrt auf diese averbale Sprache zurückgreifen.« Diese Aussage lässt sich gut mit meiner Hypothese (Mentzos 1971) von einer regressiven Umsymbolisierung beim Hysterischen vereinbaren. c) Es ist vielleicht möglich, dass die im Durchschnitt größere emotionale Ansprechbarkeit, Reaktionsfähigkeit und Expressivität der Frauen nicht nur soziokulturelle, sondern auch biologische Gründe hat. Einen – allerdings sehr indirekten – Hinweis in diese Richtung könnte man in der statistisch gesicherten Tatsache sehen, dass Frauen der Altersgruppe 15 bis 45 Jahre (die Zeit der ovariellen Tätigkeit) im EEG doppelt so häufig photosensibel22 sind wie Männer (Mentzos 1960).

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Kapitel XII

Therapeutische Aspekte

1. Psychoanalytische Behandlung Die Psychoanalyse hat sich im Rahmen der Behandlung von hysterischen Neurosen entwickelt. Es ist daher verständlich, dass die Therapie dieser Störungen auch das zentrale Anwendungsgebiet der psychoanalytischen Behandlungsmethoden gewesen und bis heute geblieben ist. Es ist deshalb auch bezeichnend, dass die nichtpsychoanalytischen Behandlungstechniken (wie zum Beispiel die Verhaltenstherapie) hier am wenigsten zur Anwendung kommen – im Gegensatz zu der Situation bei den phobischen und den Zwangsneurosen. Die früher unter Psychoanalytikern herrschende Meinung, Hysterien seien relativ einfach angehbare und leicht zu behandelnde Störungen, musste mit der Zeit größtenteils revidiert werden. Es mag zwar stimmen, dass abgegrenzte Konversions- oder dissoziative Symptomatiken (etwa wie im Fall Annette C., Fall Nr. 10 oder Barbara M., Fall Nr. 11) relativ leicht durch aufdeckende psychoanalytische Arbeit behoben werden können. Festgefahrene, chronifizierte Symptome und insbesondere alle hysterischen Charakterbildungen erweisen sich dagegen als ausgesprochen hartnäckig und therapieresistent. Das Ziel der Behandlung ist wie bei jeder psychoanalytischen Therapie neurotischer Störungen die Bewusstmachung der verdrängten Anteile des intrapsychischen Konflikts, seine auch gefühlsmäßige Wiederbelebung in der 135 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Übertragungssituation und dadurch die Ermöglichung einer freien Fortentwicklung und Nachreifung der bis dahin vom Konflikt beeinflussten und behinderten Persönlichkeitsanteile. Dieses anspruchsvolle therapeutische Ziel setzt allerdings eine langwierige Arbeit und Auseinandersetzung mit dem neurotischen Widerstand voraus. Hierbei erwachsen dem Therapeuten oft erhebliche technische Schwierigkeiten. Ein kurzer Vergleich zu der Situation bei der Zwangsneurose (die immer schon als schwer behandelbare neurotische Störung gegolten hat) kann dies am ehesten verdeutlichen: Führt der Zwangsneurotiker durch seine Übergenauigkeit und Pedanterie die psychoanalytische Methode der freien Assoziation ad absurdum und erschwert er durch seine Tendenz zur Affektisolierung die Wiederbelebung von verdrängten Gefühlszuständen, so gefährden beim hysterischen Patienten andere Tendenzen den Behandlungserfolg: Der hysterische Mensch wendet auch in der Beziehung zum Therapeuten unbewusst die Technik der Ablenkung vom Eigentlichen und Wesentlichen an. Durch Verschiebungen, Dramatisierungen, Einsetzen von Gegenemotionen erreicht der Hysterische eine Emotionalisierung der Beziehung oder eine Akzentverschiebung, die die Situation für den Therapeuten völlig undurchsichtig macht. Dieser fühlt sich zeitweise wie vernebelt und verwirrt. Er ist zuweilen völlig im Unklaren über die eigentliche Struktur der Beziehung und insbesondere über die Bedeutung der herrschenden widersprüchlichen, schnell wechselnden, launischen, diffusen und konturlosen Gefühlszustände. Die therapeutische Aufgabe hier ist viel schwieriger als etwa einem Patienten zu helfen, ein verdrängtes Kindheitserlebnis wieder ins Bewusstsein zu holen, und dadurch etwa eine beschränkte Konversionssymptomatik verständlich und überflüssig zu machen. Solch schnelle Wunderheilungen kommen ohnehin kaum oder nur in Hitchcock-Filmen vor! 136 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

In Wirklichkeit geht es meistens um die Auseinandersetzung mit recht generalisierten Abwehrsystemen, ja gelegentlich mit festgefahrenen und ausgebreiteten neurotischen Stilen, die darauf abzielen, konkrete Vorstellungen und Fantasien zu verdrängen und dafür diffuse, unklare Gefühle in den Vordergrund zu schieben. Die schwierige Aufgabe des Therapeuten besteht darin, aus diesen verzerrten Äußerungen einen richtigen Text und aus diesen – unbewusst – tendenziösen Äußerungen offene und realitätsgerechte »Inszenierungen« entstehen zu lassen. Dies ist deshalb so schwierig, weil der Therapeut im Zwischenspiel der Übertragung und Gegenübertragung selbst mitagierender Partner ist. Seine Aufgabe besteht darin, die notwendige Distanz zu wahren und das vom Patienten angestrebte psychosoziale neurotische Arrangement nicht mitzumachen. Der Erfolg hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Therapeut in der Lage ist, seine Gegenübertragung zu erfassen und zu beherrschen. Ich will diesen Punkt etwas näher erläutern.

2. Besondere Formen der Gegenübertragung Der Therapeut hat oft mit einer Reihe zum Teil typischer Gegenübertragungsreaktionen zu kämpfen, die sich im Wesentlichen nicht von den Konstellationen unterscheiden, die ich im Kapitel XI über die interpersonalen Aspekte dargestellt habe. a) Die für den hysterischen neurotischen Stil typische Vernachlässigung der Realität, die Verachtung der Logik, die Gleichgültigkeit eklatanten Widersprüchen gegenüber, stellen die Geduld des Therapeuten auf die Probe. Die wie ein absichtliches »Sich-dumm-Stellen« erscheinende falsche Akzentsetzung, die Bevorzugung und Dramatisierung 137 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

des Nebensächlichen auf Kosten des Wichtigen und Hauptsächlichen können ihn zudem wütend machen oder zur Verzweiflung bringen. Allein das psychoanalytisch orientierte Verständnis für Sinn und Dynamik solcher Tendenzen und Verhaltensweisen kann den Therapeuten vor Gefühlen und Gegenreaktionen schützen, die er sonst trotz bestem Willen letztlich nur für eine beschränkte Zeit zu unterdrücken in der Lage wäre. Sie würden in dieser oder jener Weise in offener oder in versteckter Form seine Wahrnehmung und seine Interpretation beeinflussen und damit in einen unerfreulichen Teufelskreis fahren: Der Patient wird sich, wie auch sonst in seiner Umgebung, nicht verstanden fühlen und wird womöglich diese Verhaltensweisen und Tendenzen noch mehr intensivieren. Wenn es dem Therapeuten hingegen gelingt, den Patienten mit den eigentlichen Funktionen seines hysterischen Verhaltens zu konfrontieren, besteht die Chance zur Einsicht und Änderung. Man darf nicht müde werden, dem Patienten die verzerrende und verdrängende Funktion seines habituellen Denkens und Verhaltens zu zeigen – es ist die einzig echte und einzig nützliche Zuwendung. Es ist freilich leichter, solche therapeutischen Ratschläge zu formulieren als sie zu befolgen. Manchmal muss sich der Therapeut in bestimmten schwierigen Zwischenphasen damit begnügen und all seine Kräfte darauf konzentrieren, wenigstens nichts durch unüberlegte heftig aggressive Gegenübertragungsreaktionen zu zerstören. b) Die eben geschilderten Gegenübertragungsgefühle und Reaktionen des Therapeuten beziehen sich auf die Besonderheiten des emotionalen und kognitiven Stils des hysterischen Patienten. Dazu möchte ich eine weitere Art von Gefühlen und Reaktionen schildern, die sich auf die regressiven und progressiven Bewegungen des Patienten beziehen. Sie finden sich in ähnlicher Form bei vielen neuro138 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

tischen Störungen, bekommen aber dadurch, dass sie »hysterisch«, also pseudoregressiv und pseudoprogressiv sind, eine besondere Färbung und erzeugen unter Umständen eine spezifisch getönte Gegenübertragung. Hoffmann formuliert die typische Form der Übertragung beim Abhängigkeitskonflikt (oraler Konflikt) des hysterischen Patienten folgendermaßen: »Du oder niemand, musst mir oder keinem, sofort oder nie, hier oder nirgends, alles oder nichts geben« (1979, S. 298). Ich meine jedoch, dass diese hier kurz und prägnant formulierte Übertragungskonstellation nicht spezifisch hysterisch ist und bei Abhängigkeitskonflikten vieler anderer, überhaupt nicht hysterisch wirkender Patienten ebenso anzutreffen ist. Die hysterische Variation ließe sich meines Erachtens etwas genauer so darstellen: Der Therapeut wird hier nicht nur mit dem drängenden infantilen Bedürfnis nach einer absoluten Beziehung konfrontiert und dadurch unter Druck gesetzt. Dies ist, wie gesagt, auch bei vielen anderen Patienten der Fall. In spezieller Weise wird seine Position bei diesen »abhängigen« hysterischen Patienten durch den Umstand erschwert, dass deren Haltung und Verhalten etwas Pseudoregressives verrät. Diese Patienten wirken in gewisser Hinsicht künstlich infantilisiert. Die sicher vorhandene echte Not wird mit unechten Mitteln dargestellt. Ich will damit nicht sagen, dass bei solchen Patienten nicht teilweise ein echter Abhängigkeitskonflikt bestehen kann. Er wird aber verzerrt, übertrieben, exaltiert, gekünstelt und oft auch verändert, zum Beispiel etwa als »Angstzustand« dargestellt: Der Patient spricht ständig von einer unerklärlichen Angst. Er demonstriert verbal und nonverbal diese »schreckliche Angst«, während in Wirklichkeit dieses »Angst haben« ein symbolischer Ersatzausdruck für das »Du sollst mich schonen und lieben« ist. Ähnliches gilt auch für Patienten, die ein unnötiges, also nicht zwangsläufiges Versagen in agierender Weise herbei139 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

führen. Solche Patienten zeigen sich ängstlicher, hilfloser, versagender, als sie tatsächlich sind. Diese hysterische Färbung des Angebots drängt den Therapeuten in einen Zwiespalt: Reagiert er »natürlich« oder akzeptiert er auch das »Dargestellte« und benennt es, um zu signalisieren, dass er es verstanden hat, so »liegt er daneben« – er hat auf das Uneigentliche reagiert! Zieht er sich hingegen zurück und geht auf die Darstellung des Patienten nicht ein, so ist der Patient erst recht enttäuscht. Nur wenn es dem Therapeuten gelingt, das zu verstehen, was die Darstellung kaschiert, und gerade dies auszudrücken – nur dann hat er eine Chance, die Situation therapeutisch adäquat zu handhaben. Diese Überlegungen galten der hysterischen Darstellung und den therapeutischen Schwierigkeiten beim Abhängigkeits-(»oralen«)konflikt. Analoge Gegenübertragungsgefühle und Reaktionen kommen aber auch bei den anderen Minusvarianten (also den pseudoregressiven Darstellungsformen), also den narzisstischen und den ödipalen Konflikten vor; so etwa bei den dramatischen Schilderungen und Darstellungen der eigenen Insuffizienz und Unfähigkeit und bei den »Inszenierungen« mit dem Inhalt: »Ich bin total unschuldig, naiv, asexuell« und so weiter. c) Am anderen Ende des Spektrums, bei den pseudoprogressiven Formen können die Übertragungsangebote folgendermaßen aussehen: »Ich bin autark und mir selbst genug, ich brauche deine Hilfe nicht.« »Ich bin groß, reif, attraktiv, klug, feinfühlig, differenziert und erwarte, dass du mich auch so siehst und deswegen bewunderst.« »Ich bin potent, attraktiv, du kannst mich und nur mich sexuell anziehend finden.« »Ich bin genauso potent wie du, wenn nicht potenter als du, ich kann mit dir rivalisieren.« 140 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Abgeleitet sind diese Formulierungen auch hier aus den drei häufig anzutreffenden Grundkonflikten, dem oralen Abhängigkeitskonflikt, dem narzisstischen Selbstwertkonflikt und dem ödipalen Konflikt. Einiges davon kann freilich Zeichen eines echten Fortschritts des Patienten sein,einer echten Nachreife,einer echten Stabilisierung des Selbstwertgefühls. Ich will hier aber nicht ausführlich auf mögliche Schwierigkeiten des Therapeuten eingehen, die sich ergeben können, wenn er aufgrund einer eigenen Restneurose die allmähliche Gesundung, das Stärker-, Unabhängiger- und Reifer-Werden des Patienten nicht so gut vertragen kann. Solche Reaktionen gibt es. Hier aber geht es nicht um diesen echten Zuwachs an Reife und Selbstbewusstsein, sondern um die Pseudoprogression. Die Unechtheit dieser Progression macht sich an der Übertreibung, dem Theatralischen, dem Dramatisieren, dem Künstlichen bemerkbar. Auch hier tauchen (wie bei der pseudoregressiven Form) Schwierigkeiten in der Behandlung auf: Fall Nr. 9 (vgl. S. 25f.) Der Patient, der seine eigenen Beerdigungsanzeigen drucken ließ, war für eine (leider kurze) Zeit in meiner Behandlung. Während der Sitzungen pflegte er oft plötzlich aufzustehen und von einer Ecke des Zimmers in die andere wie ein Feldmarschall hin und her zu marschieren. Dabei ließ er mir seine Gedanken in der Form von Aphorismen zukommen. Ich glaubte, eine Imitation von Napoleon vor mir zu haben, der einem seiner Sekretäre von oben herab diktiert! Es ist sehr schwierig, mit den Gegenübertragungsgefühlen, die sich in einer solchen Konstellation entwickeln, therapeutisch korrekt und für den Patienten nützlich fertig zu werden. Es wäre vielleicht recht einfach, wenn man ihm das Theater zerstören und ihm sagen würde, er solle gefälligst 141 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

wie andere Patienten Platz nehmen und aufhören, sich wie ein Feldherr zu benehmen, weil man sein arrogantes Verhalten nicht vertragen könne! Daraufhin würde er sich entweder anpassen und nicht mehr aufzulehnen wagen oder einfach die Behandlung unterbrechen. In beiden Fällen wäre jedoch das therapeutische Ziel verfehlt worden. Eine optimale Handhabung dagegen muss erreichen, dass dem Patienten allmählich bewusst wird, wie er sich benimmt, und sodann, warum er sich so benimmt. Ich habe diese verschiedenen Formen von Gegenübertragungsgefühlen und Reaktionen sowie die daraus entstehenden technischen Schwierigkeiten bei der psychoanalytischen Behandlung hysterischer Patienten in einer gewissen Ausführlichkeit dargestellt, um dem Leser an diesem Paradigma zu verdeutlichen, wie intensiv und wie maßgebend der Therapeut mit seiner Persönlichkeit in dem therapeutischen Prozess notwendigerweise involviert ist. Allerdings sind keineswegs alle behandlungsbedürftigen Fälle von hysterischen Störungen so kompliziert und so schwierig. Oft kommt man sogar mit einer relativ kurzen psychoanalytisch orientierten Psychotherapie aus. In anderen Fällen wiederum ist eine psychoanalytische Behandlung nicht möglich oder auch nicht nötig. Nun komme ich noch kurz zur Anwendung nichtpsychoanalytischer Verfahren bei hysterischen Störungen.

3. Nichtanalytische psychotherapeutische Verfahren Bevor die Hysterie zum Hauptanwendungsgebiet der psychoanalytischen Behandlungsmethode wurde, war sie fast ausschließlich Anwendungsbereich der Hypnose. Eines der Hauptmerkmale hysterischer Menschen, nämlich ihre große Suggestibilität, kommt dem hypnotischen, aber auch 142 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

anderen suggestiven Verfahren entgegen. Von daher ist es verständlich, dass auch noch bis heute vielerorts die hypnotische Methode oder andere suggestive und autosuggestive Verfahren zur Anwendung kommen. Allerdings ist im Hinblick auf die notwendigen Voraussetzungen, die therapeutischen Ziele und den therapeutischen Erfolg Folgendes zu berücksichtigen: 1. Die nichtanalytischen Verfahren kommen nur bei abgegrenzten und eingeschränkten konversionshysterischen und dissoziativen Erscheinungen, nicht jedoch bei generalisierten Verhaltensweisen und hysterischen Charakterbildungen in Frage. 2. Ein hoher Grad von Suggestibilität ist eine notwendige und keineswegs häufig anzutreffende Voraussetzung. 3. Der Behandlungserfolg ist oft nur passager, die Symptomatik tritt wieder auf. 4. Durch die Umgehung des Ich und seiner Abwehrsysteme (worin ja das Charakteristikum der suggestiven Verfahren besteht) beschränkt man sich bewusst auf die Bekämpfung des Symptoms als solchem. Zwar hofft man und erwartet, dass die zunächst kurzfristig eingeleitete Symptomlosigkeit zu positiven neuen Erfahrungen führen wird, die wiederum dann auch die dahinter stehende pathologische Dynamik günstig beeinflussen kann. Die Möglichkeit und Gefahr der Symptomverschiebung und des Symptomwandels, also das Auftreten von Ersatzsymptomen, ist aber gegeben. Diese Feststellungen führen zu der praktischen Konsequenz, dass für suggestive Verfahren nur eindeutig eingegrenzte Konversions- und dissoziative Störungen bei relativ einfach strukturierten und suggestiblen Persönlichkeiten in Frage kommen und dass man auf jeden Fall hier die therapeutischen Ziele und Erwartungen nicht zu hoch stecken darf. Ähnliche Einschränkungen gelten auch für die Verhal143 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

tenstherapie, die ebenfalls keine Analyse und Bewusstmachung der hinter den Symptomen stehenden Psychodynamik anstrebt, die aber trotzdem keineswegs den suggestiven Verfahren gleichzusetzen ist: Sie arbeitet nicht zudeckend und ablenkend, sondern versucht in bestimmter Weise in den symptomproduzierenden Mechanismus selbst einzugreifen. Da die hysterische Symptomatik stark zuschauerbezogen ist, ergibt sich für den Verhaltenstherapeuten die Möglichkeit durch Nichtbeachtung oder umgekehrt durch vermehrte Aufmerksamkeit hysterische Symptome und Verhaltensweisen zu entmutigen und gegenteiliges gesundes Verhalten zu ermutigen. Er arbeitet also nach dem Prinzip des durch positive oder negative Verstärkung erwünschten beziehungsweise unerwünschten Verhaltens. Dadurch ist eine günstige Beeinflussung (d. h. Entmutigung) insbesondere des sekundären Krankheits-, in gewissem Umfang auch des primären neurotischen Gewinns möglich. Es ist sogar wahrscheinlich, dass in der psychoanalytischen Behandlung Elemente dieser lerntheoretisch inspirierten Methodik enthalten sind: Die Abstinenzregel bringt automatisch eine Entmutigung hysterischer Verhaltensweisen zuwege, während sowohl das vermehrte Interesse des Psychoanalytikers für das dahinter verborgene Konfliktmaterial wie seine Zuwendungsbereitschaft gerade als positive Verstärkung des Nichthysterischen empfunden werden müssen. Trotzdem ist in der Sicht des Psychoanalytikers das verhaltenstherapeutische Vorgehen bei hysterischen Störungen sehr unzureichend, da es die hintergründige Psychodynamik total vernachlässigt und somit eine nur beschränkte und oberflächliche Veränderung bewirken kann.

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Kapitel XIII

Die Hysterie im 21. Jahrhundert

Hysterische Symptom- und Verhaltensinszenierungen sind auch im beginnenden 21. Jahrhundert nicht seltener geworden. Sie haben lediglich andere Formen angenommen und insbesondere werden sie mit veränderten und leider nur deskriptiven Termini erfasst. Um diese Entwicklung verständlich zu machen, erinnere ich zunächst an die Situation im 20. Jahrhundert. In Kapitel VI wurde die Krise des Hysteriebegriffs innerhalb der Psychoanalyse geschildert. Während die frühe Psychoanalyse das Gemeinsame aller unterschiedlichen hysterischen Erscheinungsformen in einem einheitlichen dahinter stehenden Konflikt, dem ödipalen Konflikt sah, war man mit der Zeit veranlasst einzusehen, dass auch viele andere Konflikte, aber auch Belastungen, Traumatisierungen und Notsituationen auf eine ähnliche Weise pathologisch verarbeitet werden können, die ebenfalls hysterisch genannt werden müssen. Umgekehrt kommen bei ödipalen Konflikten nicht nur hysterische »Lösungen«, sondern auch andere defensive und kompensatorische Mechanismen vor. Die Brauchbarkeit des Hysteriebegriffs wurde ernsthaft angezweifelt. Die Versuche der Rettung dieses Begriffs durch Unterscheidung einer benignen von einer malignen Hysterie oder die Abgrenzung von atypischen, »hysteroiden« Fällen waren nicht in der Lage, das Problem zu lösen. Ich schlug vor, diese Verunsicherung mit Hilfe des Konzepts eines spezifischen hysterischen Modus der Konflikt- und Traumaverarbeitung zu beheben. Das Gemeinsame aller hysterischen Phänomene besteht – nach diesem Vorschlag – erstens in einer typischen Gegenübertragungs145 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

reaktion des Therapeuten, oder überhaupt des Beobachters, und zweitens in der Tatsache, dass es sich dabei psychodynamisch um unbewusste Inszenierungen handelt, bei denen sowohl das Selbstbild als auch die aktuelle Situation in eine bestimmte Richtung verändert erscheinen sollen. Diese unbewusste Inszenierung führt dazu, dass konfliktuös oder anders entstandene unerträgliche Spannung gemildert werden kann. Dieser Modus der hysterischen Konfliktverarbeitung wird, wie schon vielfach dargestellt, nicht nur bei intrapsychischen Spannungen, die in Zusammenhang mit einer ödipalen Problematik stehen, sondern auch bei anderen intrapsychischen Konflikten oder auch bei durch äußere Umstände entstehenden psychischen Belastungen eingesetzt. Diese Abkoppelung von der obligatorischen Bindung ans Ödipale bietet den zusätzlichen Vorteil, dass wir nun viele andere psychische und körperliche Störungen, die bis dahin nicht mit dem Hysterischen in Verbindung gebracht wurden, in ihrer Psychodynamik besser verstehen und als zumindest teilweise hysterisch begreifen. Dies ist nicht nur von theoretischem, sondern auch von großem praktischen Interesse, weil wir dadurch einen besseren therapeutischen Zugang zu dem Patienten gewinnen. Bei einem großen Teil von in psychosomatischen, aber auch internistischen, orthopädischen oder Rehabilitationskliniken behandelten Patienten (mit oft hartnäckigen ungeklärten »funktionellen« Beschwerden und Syndromen) handelt es sich oft eben um solche »hysterischen«, nicht erkannten unbewussten Reinszenierungen von alten traumatischen Beziehungserfahrungen und/oder um unausgesprochene, unbewusste »Mitteilungen« in einer Körpersprache, die lange Zeit unverstanden und unbeantwortet blieb, zum Leid des Patienten und zur Unzufriedenheit oder Verlegenheit des Therapeuten. Es ist deswegen auch nicht gerechtfertigt zu glauben und zu behaupten, dass die hysterisch strukturierten (d. h. mit Hilfe des hysterischen Modus zustande und zur Gestal146 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

tung kommenden) Störungen im Lauf des 20. Jahrhunderts zunehmend seltener geworden seien. In Wirklichkeit hat sich nur das Erscheinungsbild geändert. Tatsächlich begegnen mir heute in zahlreichen Einzel- und Gruppen-Supervisionen von Behandlungen bei Patienten aus den verschiedensten Bereichen der Medizin sehr häufig Patienten mit körperlichen und psychischen Störungen, deren Dynamik am besten unter Zugrundelegung des Konzepts des hysterischen Modus der Verarbeitung verstanden und auch behandelt werden können. Dabei geht es sehr oft um Patientinnen und Patienten mit einem großen Leidensdruck aufgrund einer lang existierenden und zurückgedrängten Sehnsucht oder eines unaussprechbaren seelischen Schmerzes oder einer intrapsychischen Spannung aufgrund eines depressiven Konflikts (was bedeutet, die Person hassen und angreifen wollen, die man gleichzeitig am meisten liebt und am meisten nötig hat). Wie diese Beispiele zeigen, handelt es sich sehr oft gerade um eine nicht ödipale Problematik. Selbstverständlich gibt es aber auch die Fälle, bei denen tatsächlich eine ödipale Problematik vorliegt. Aber auch hier ist eine Änderung eingetreten. Wir haben gelernt, dieses Ödipale viel weiter, differenzierter und in gewisser Hinsicht auch anders zu begreifen als früher. Diese wichtige Thematik der Erweiterung des Begriffs des Ödipalen möchte ich in einem Exkurs etwas näher erläutern.

Exkurs: Was ist ödipal und was sind die ödipalen Konflikte? Sigmund Freud und die frühe Psychoanalyse stellten hier die Rivalität (zwischen Vater und Sohn in Bezug auf die Mutter, zwischen Mutter und Tochter in Bezug auf den 147 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Vater), die Inzestbarriere, die Kastrationsangst und den Penisneid in den Vordergrund. Dagegen neigen viele heutige Psychoanalytiker dazu, die ödipale Phase als eine Wiederholung des Grundkonflikts zu betrachten und das Problem besonders in der schwierigen Aufgabe zu sehen, diese neue Auflage des Grundkonflikts (also das Ausbalancieren des Verhältnisses zwischen Selbst und Objekt unter den neuen Bedingungen der entstehenden Genitalität) zu bewältigen (Vera King). Oder, anders ausgedrückt: Es gehe um die Verwendung der Dreier-Beziehung, also der ödipalen Triangulierung, als Ergänzung der präödipalen (frühen) Triangulierung (Mutter, Kind, Vater) mit dem Ziel, die normale Separation von der Mutter zu erreichen. Sind durch diese Schwerpunktverlegung die alten Konzepte (Rivalität, Inzesttabu etc.) obsolet geworden? Ich meine nicht – aber nur, wenn man einige wichtige Korrekturen vornimmt: a) Das Inzesttabu hat wahrscheinlich nicht vorwiegend oder nicht nur die Funktion verheerende Rivalitäten vorzubeugen, sondern, vielleicht an erster Stelle, der infantilen Abhängigkeit entgegenzuwirken. Das Inzesttabu übrigens, das nicht nur gesellschaftlich, sondern auch biologisch bedingt ist, dient (evolutionstheoretisch betrachtet) der Förderung der Exogamie und damit der Erneuerung und Dynamisierung der Art durch neue Genkombinationen. »Die Karten werden immer wieder von neuem gemischt« (Norbert Bischoff). b) Inzestuöse Wünsche, Fantasien oder faktischer Inzest stellen (sofern sie nicht von den Erwachsenen induziert oder erzwungen sind) allenfalls Kompromisse dar im Konflikt zwischen Sicherheitsbedürfnis durch Bindung an das primäre Objekt einerseits und Befriedigung des sexuellen Bedürfnisses (beim normalerweise sexuell mehr anregenden außerfamilialen Objekt) andererseits. Außerdem handelt es sich oft nicht um sexuelle Wünsche im engeren Sinn 148 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

(seitens des Kindes); das Kind möchte an erster Stelle angenommen, geschätzt, geliebt werden – das rein sexuelle Begehren scheint mehr das Problem der erwachsenen Partner zu sein. c) Der sexuelle Trieb ist wahrscheinlich in der Evolution unter anderem deswegen ausselektiert und zu einem der kräftigsten »Motoren« des Lebensprozesses geworden, um gegen die Stagnation innerhalb einer Abhängigkeit vom primären Objekt oder von der Familie zu wirken. Sexualtrieb und Inzesttabu bewirken somit eine dynamische Bewegung nach außen – weg vom Primärobjekt – und fördern die Autonomie. Dies geschieht zwar schon durch die frühe Triangulierung im 2. und 3. Lebensjahr. Ist jedoch diese frühe Triangulierung nicht ausreichend gewesen, so kann diese Bewegung nicht stattfinden. Der dann entstehende ödipale Konflikt (im 4./5. Lebensjahr und danach im ganzen Leben in entsprechenden Konstellationen) besteht darin, dass der Betreffende, gerade auch in sexueller Hinsicht, sich nicht richtig von den frühen Objekten, also von den Eltern, befreien konnte. Der hysterische Modus der Konfliktverarbeitung eignet sich nun besonders »gut« zur Pseudolösung solcher Konflikte in zwei entgegengesetzte Richtungen: Die pseudoprogressiven Formen (z. B. Donjanismus oder so genannte Nymphomanie) täuschen eine gelungene Genitalität vor; die pseudoregressiven Formen (Schwäche, Lähmungen, Aphonien) inszenieren einen Rückzug in die Abhängigkeit (Schwäche, Krankheit, Impotenz, Frigidität). Dennoch besitzt der hysterische Modus der Konfliktverarbeitung kein Monopol bei der Pseudolösung solcher Konflikte. Denn der perverse Modus kann hier ebenfalls »erfolgreich« sein. Dieser »arbeitet« aber nicht mit einer Quasi-Veränderung der Selbstrepräsentanz und er bezieht sich nicht auf das ganze Objekt; stattdessen besteht der per149 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

verse Modus der Konfliktverarbeitung in einer Teilung des Objekts, er »arbeitet« mit Teilobjekten. Der hysterische Modus hat aber immerhin den Vorteil, dass er ein objektbezogener Modus ist, und zwar bezogen auf das ganze Objekt. Außerdem weist er den Vorteil auf, dass er relativ höhere Symbolisierungssysteme involviert, und somit darf er als günstiger, differenzierter und relativ »reifer« gelten als der perverse oder der süchtige oder gar der psychotische Modus. Die Welle der zunächst zu begrüßenden »sexuellen Befreiung«, bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, führte sicher zu positiven Veränderungen und Bereicherung des Lebens von Millionen. Die dann aber erfolgte Kommerzialisierung und Mechanisierung der Sexualität scheint mir mehr und mehr perverse und süchtige Züge anzunehmen.

Die »Erben« der Hysterie in der Psychiatrie des 21. Jahrhunderts Die Diagnose »Hysterie« und die Bezeichnung »hysterisch« waren früher, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auch innerhalb der Psychiatrie nicht unüblich. Darunter verstand man »psychogene«, also seelisch bedingte Krankheitsbilder mit körperlichen oder/und psychischen Symptomen, wobei das Adjektivum »psychogen« einen nicht überhörbaren pejorativen Unterton enthielt: Psychogene Störungen seien sozusagen keine »richtigen« Erkrankungen, keine somatisch begründbaren oder »endogen« psychischen Krankheiten und somit eigentlich auch nicht so ernst zu nehmen, zumal wenn sie, und das seien die hysterischen psychogenen Störungen, unecht wirkten und reichlich Elemente einer Theatralik, einer Dramatisierung und Autosuggestibilität enthielten. 150 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Dass die Reliabilität, also das Ausmaß der diagnostischen Übereinstimmung unter verschiedenen Untersuchern in Bezug auf den konkreten Patienten – bei den auf diese Weise sehr diffus definierbaren Krankheitsbildern – sehr gering war, konnte man schon damals nicht leugnen. Diese niedrige Reliabiltät wurde aber zu dem Zeitpunkt fast schmerzlich bemerkbar, als man durch die Einführung der großen psychiatrischen Klassifikationssysteme, also des DSM-IV und des ICD-10,mit der konsequenten Operationalisierung der einzelnen Krankheitsbilder und mit der Vermeidung theoretischer Vorannahmen ernst machte. Von dem Moment an, also in den siebziger und achtziger Jahren, war das Schicksal der Hysterie und des Hysterischen in der Psychiatrie besiegelt. Die unter diesen Bezeichnungen früher gemeinten Krankheitsbilder (jetzt »Störungen«, disorders, genannt) wurden in anderen diagnostischen Kategorien untergebracht und zum Teil auch völlig anders benannt. Die »Verwalter der Konkursmasse« (S. O. Hoffmann 1996) der ehemaligen Hysterie sind so vorgegangen: Die frühere hysterische Symptomneurose wurde innerhalb des ICD-10 in die dissoziativen Phänomene (Fugue, multiple Persönlichkeitsstörung usw.) und in die Konversionsstörungen als einem Teil der somatoformen Störungen aufgeteilt. Die frühere hysterische Charakterneurose wurde in histrionische Persönlichkeitsstörung umbenannt. Im DSM-IV wurde in ähnlicher Weise vorgegangen, nur mit dem Unterschied, dass die histrionische Persönlichkeitsstörung nicht auf der Achse I (die Achse der Syndrome), sondern auf der Persönlichkeitsachse II untergebracht wurde. Aber auch dort heißt sie jetzt histrionische und nicht hysterische Persönlichkeitsstörung, obwohl die deskriptive Definition sehr wenig von der ursprünglichen Beschreibung der hysterischen Charakterneurose abweicht. Der Grund für die Umbenennung war der Versuch, die mit dem Wort »hysterisch« verbundenen negativen Konnotationen und insbesondere 151 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

auch die darin enthaltene direkte Verbindung mit dem Weiblichen (Hystera – Gebärmutter) zu vermeiden. Auch Vertreterinnen der Frauenbewegung in den USA haben aus verständlichen Gründen darauf bestanden. Die negativen Charakterzüge der früher »hysterisch« genannten Charakterneurose bewirken suggestiv doch eine ausschließlich die Frauen betreffende Diffamierung, obwohl es schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt ist, dass hysterische Symptome genauso gut auch bei Vertretern des männlichen Geschlechts zu beobachten sind. Der neue Terminus histrionisch geht auf Histrion zurück (der lebhaft sich auf der Bühne gebärdende Schauspieler im alten Rom), wobei aber – Ironie des Schicksals – das lateinische Wort Histrion sich aus dem griechischen Oistros (die Brunst) herleitet, aus demselben Wurzelstamm, aus dem die Medizin schon lang zuvor das Wort Östrogen entlehnt hat. Somit war man wiederum ungewollt bei der Sexualität der Frau angelangt (dies ist, soweit ich weiß, weder den Schöpfern der ICD und DSM noch der Frauenbewegung bewusst geworden). Unabhängig von diesen terminologischen Komplizierungen und auch Pannen besteht wohl kein Zweifel daran, dass die Psychiatrie am Ende des 20. Jahrhunderts, einhundert Jahre nachdem Sigmund Freud die Psychogenese und Psychodynamik der hysterisch genannten körperlichen und psychischen Störungen aufgedeckt hatte, die Frage, ob allen früher hysterisch genannten Symptome und Störungen etwas Gemeinsames zugrunde liegt, mit einem Nein beantwortete. Diese Verneinung ist jedoch meines Erachtens nur dann berechtigt, wenn man bloß das äußere Erscheinungsbild, also die Deskription betrachtet. Dann sind tatsächlich die vielfachen Variationen dessen, was man früher der Hysterie zuordnete, zu heterogen. Berücksichtigt man aber dazu auch die Psychodynamik, eigentlich das Wichtigste, so zeigt sich auf eindrucksvolle 152 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Weise die Gemeinsamkeit, das Verbindende. Und dies ist eben der hysterische Modus der Konfliktverarbeitung mittels unbewusster Inszenierungen. Hat man einmal diesen durch ihre besondere Qualität charakteristische, hysterische Inszenierung erkannt, so entdeckt man, wie weit verbreitet sie ist, nicht nur im Bereich des offensichtlich und offiziell im medizinischen Sinn Pathologischen, sondern auch auf vielen anderen Gebieten menschlicher Kommunikation (oder Pseudokommunikation) wie überhaupt in verschiedenen Lebensbereichen.

Vergebliche Versuche, den alten Hysteriebegriff als eine Krankheitseinheit zu retten Man hat trotz aller offensichtlichen Schwächen des nosologischen Hysteriebegriffs in den letzten Jahren vielfach versucht, die Hysterie auch vom Psychoanalytischen her als eine Krankheitseinheit sozusagen zu »retten«. Diese Thematik habe ich an anderer Stelle (Mentzos, 2010, S. 95 ff.) etwas ausführlicher dargestellt. Hier sollten folgende Hinweise genügen: In der Anmerkung 11 findet man u. a. die interessante Konzeption von André Green, wonach die Hysterie in der Unfähigkeit bestehe, die sexuelle Erfahrung mit einem anderen Objekt mit der Erhaltung der elterlichen Objektliebe in Einklang zu bringen. Kohn (1999) meint, dass Hysterikerinnen einer endgültigen Festlegung ihrer Geschlechtsidentität aus dem Weg gehen und auf der Ebene der Bisexualität verharren. Aus diesem Grund können sie auch das Objekt ihres Begehrens nicht eindeutig bestimmen. Israël (1976/dt. 1983) stellt eine Idealisierung des Vaters in den Vordergrund der anzunehmenden Psychodynamik bei der Hysterie. Diese Idealisierung müsse bei der Hysterie 153 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

aufrechterhalten werden, weil von ihr auch die eigene Vollkommenheit hergeleitet werde. Rohde-Dachser (2008) schließlich geht davon aus, dass die Hysterie eine pathologische innere Organisation an der Schwelle zur symbolischen Ordnung sei, wobei die Phantasmen, die um die unsichtbare Urszene kreisen, dazu dienen, die Trennung der Mutter-Kind-Einheit zu verleugnen. Ich meine, dass alle diese Konzeptionen sehr gute, differenzierte Darstellungen von tatsächlich häufig vorkommenden Konfliktkonstellationen sind, die zwar oft mittels des hysterischen Modus (pathologisch) verarbeitet werden, doch oft auch auf anderem Wege und durch Mobilisierung anderer Modi. Und umgekehrt gibt es viele Patienten mit einer hysterischen Phänomenologie, bei denen diese Konflikte nicht im Vordergrund stehen. Von daher erfassen diese Konzepte nicht etwas Spezifisches und sind somit nicht dazu geeignet, das alte Konzept der Krankheitseinheit »Hysterie« zu untermauern. Dies gilt auch für die oben skizzierte Auffassung von Rohde-Dachser, wobei ich hervorheben möchte, dass ich die zweite Positionierung des Hysterischen durch RohdeDachser an der Schwelle zur symbolischen Ordnung sehr treffend und für alle hysterischen Vorgänge gültig finde. Auch für das 21. Jahrhundert gilt also: Die Hysterie – als Krankheitsentität – ist tot; es lebt aber der hysterische Modus der Konflikt- und Traumaverarbeitung. Das heißt, die hysterische Ausdrucksgebung und Pseudolösung des Konflikts oder sonstiger seelischer Not sind weiterhin sehr verbreitet.

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Kapitel XIV

Das Hysterische in der öffentlichen Kommunikation der heutigen Gesellschaft

1. Tokio Hotel Vor einigen Jahren wurde ich bei einem Interview durch eine Journalistin, die mit einer Recherche über »Hysterie heute« beschäftigt war, gefragt: Ist das Phänomen »Tokio Hotel« hysterisch? (Diese Musikgruppe von vier Jungen versetzt durch ihre Lieder und ihre Erscheinung Tausende von Gleichaltrigen, etwa im Pubertätsalter befindlichen Mädchen, aber auch Jungen, in frenetische Begeisterung.) Als mir diese Frage gestellt wurde, war ich geneigt, unter dem Einfluss einer sowohl medial als auch sonst verbreiteten stereotypisierten sprachlichen Gepflogenheit, die Frage bedenkenlos zu bejahen. Es wurde mir aber im nächsten Moment bewusst, dass ich damit meinem in diesem Buch dargestellten Verständnis des Hysterischen teilweise widersprechen würde. Nicht jedes laute, unkontrollierte, dem Anlass nicht adäquat erscheinende, emotionale sich Hineinsteigern ist hysterisch. Nicht jedes in der kollektiven gegenseitigen Verstärkung von einem ohrenbetäubenden Gemisch aus Schreien, Weinen, Wimmern und von starker körperlicher Beteiligung begleitetes sich Hingeben muss hysterisch im engeren Sinne sein. Der hysterische Vorgang geschieht,ohne dass der dahinterstehende Wunsch,Schmerz, ein Bedürfnis etc. bewusst wären. Die hysterische Inszenierung ermöglicht eine symbolische Ausdrucksgebung dessen, was man nicht bewusst erleben darf oder nicht zu erleben vermag. Es kann zwar durchaus sein, dass bei einem 155 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

großen Teil der Tausenden von Fans, die in eine solche Orgie hineingeraten, diese Voraussetzungen tatsächlich zutreffen, dass sie also anlässlich dieser und durch das besondere Angebot der Situation erzeugten Emotionen tatsächlich diese Funktionen des hysterischen Modus, also jene indirekte Ausdrucksgebung, erreichen. Es ist aber auf der anderen Seite anzunehmen, dass bei sehr vielen dieser Mädchen und Jungen eine zunächst einmal intendierte oder erwartete emotionelle Erregung bewusst gewünscht und auch erfüllt wird. Wir sollten nicht diese Art der starken emotionellen Beteiligung und des dazugehörenden Erlebens pathologisieren, zumal in einer Gesellschaft, die sonst durch ihre Leistungsbezogenheit und Förderung einer trockenen Quasi-Sachlichkeit das Emotionale entmutigt. Wir dürfen also nicht ohne weiteres diese Art des Erlebens a priori als pathologisch beziehungsweise hysterisch betrachten. Es empfiehlt sich somit, den Terminus »hysterisch« für das zu reservieren, für das ihn die psychodynamische Betrachtungsweise vorgesehen hat (nämlich für die unbewusste Inszenierung), und nicht auch dort anzuwenden, wo es sich zwar um extreme, aber im Prinzip bewusste Gefühle und Bedürfnisse handelt.

2. Fußball regiert die Welt! Ähnlich vorsichtig und differenzierend müssen wir bei der Analyse der psychodynamischen und psychosozialen Dimension des Fußballs vorgehen. Dessen Attraktivität beruht zunächst auf der erzeugten Spannung, auf der Erwartung des nicht Voraussagbaren, auf der Identifikation mit den Spielern und mit der Masse der Zuschauer und so weiter. Was die enorme Verbreitung und die Bedeutung für den Einzelnen und für die Gruppen betrifft, so ist freilich schon 156 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

beim ersten Blick nicht zu verkennen, dass hier die Kommerzialisierung des Fußballs und die dazugehörige Werbung eine große Rolle spielen. Dennoch können solche profitorientierten Manipulationen auf keinen Fall diese Wirkung entfalten, wenn nicht vom Intrapsychischen her stammende entsprechende Bedürfnisse und Tendenzen vorhanden wären, welche zu kommerziellen Zwecken instrumentalisiert und ausgenutzt werden. Was uns hier aber interessiert, ist nicht diese ökonomische Dimension, sondern eben die beim Fußball aktivierten und dann auch befriedigten Bedürfnisse, welche offensichtlich bei einer großen Anzahl von Menschen eine solche motivierende Attraktivität besitzen, dass sie besonders die freie Zeit von Millionen mit strukturieren. Dabei werden finanzielle und Zeitopfer gern in Kauf genommen. Es geht nicht nur um den Lustgewinn durch die schon erwähnte Erwartungsspannung, sondern auch um das Partizipieren an der Größe der »Helden« oder der siegreichen Nation. Es geht auch um das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit. Auch hier muss man vor einer vorschnellen psychologisierenden Pathologisierung warnen. Denn das Spielen ist sowohl beim Kind und Jugendlichen als auch beim Erwachsenen sozusagen definitionsgemäß (der Mensch als Homo ludens) eine konstituierende und absolut notwendige Betätigung und Funktion, die für die Entwicklung kognitiver, emotionaler, kommunikativer Kompetenzen unerlässlich ist und übrigens schon bei den höheren Tieren unverkennbar und zeitweise fast dominierend ist. Diese bereits genetisch vorgesehene und geförderte Lebensäußerung erreicht nun durch die kulturelle Errungenschaft des Sports, also durch die organisierte Förderung und Differenzierung dieser Tendenzen, Bedürfnisse und Errungenschaften, im gesellschaftlichen Kontext einen respektablen Platz und Stellenwert. Die dabei, zumal bei großen Grup157 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

pen, oft oder sogar regelmäßig entstehenden Situationen kollektiven Enthusiasmus oder aber auch bedrohlich aggressiv zum Ausdruck kommenden Massenbewegungen sind also zunächst sowohl individual- als auch gruppenpsychologisch als normale Phänomene zu werten. Auch die Tatsache, dass oft Sport, Wettkampf, Sieg oder Niederlage einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die narzisstische Homöostase, auf die Regulierung des Selbstwertgefühls, der Stärkung der persönlichen und Gruppen- und nationalen Identität und so weiter haben, dürfte ebenfalls als normal und verständlich angesehen werden. Trotzdem erweckt die Extremisierung dieser Vorgänge im Fall des Fußballs den Verdacht, dass auf die geschilderten nützlichen Funktionen des Sports andere, mehr als neurotisch zu bezeichnende, defensive und kompensatorische, gleichsam »Parafunktionen« aufgepfropft werden, die die Oberhand gewinnen (vgl. Mentzos 1976) können. Problematisch werden also diese Phänomene dort, wo aus der normalen Begeisterung oder umgekehrt aus der normalen Enttäuschung bei Niederlagen extreme Grade der hypomanisch-unkritischen Selbstüberhöhung oder, öfters und gravierender, eine ad hoc sich massenpsychologisch schnell entwickelnde Feindbildung, fanatische Nationalisierung und Destruktivität im Vordergrund stehen und der Kompensierung von Niederlagen und narzisstischen Kränkungen dienen. Solche leider nicht seltenen und oft auch menschliche Opfer verlangenden Umfunktionierungen sind nicht, wie es üblicherweise angenommen wird, als Ausdruck des außer Kontrolle geratenen Aggressionstriebes zu sehen. Ich habe vielfach versucht zu zeigen, dass ein solcher Trieb im engeren Sinne nicht existiert. Diese destruktiven Exzesse sind vielmehr pathologisch funktionierende Kompensierungen einer Unreife oder schwer geschädigten narzisstischen Homöostase oder auch einer brüchigen Identität. Sowohl solche destruktiven Entgleisungen als auch 158 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

eine übertriebene, fast süchtig wirkende und fanatisch verteidigte Selbstwertigkeit mittels extremer Leistungen im Sport sind also als Anzeichen einer nicht optimal funktionierenden Selbstwertgefühlregulation und einer nicht ausreichend gesicherten Identität zu sehen. Kann man nun diese Vorgänge wegen ihrer extremen affektiven Äußerungen hysterisch nennen? Ich möchte diese Frage verneinen. Auch wenn oft das Ausmaß der emotionalen Übererregbarkeit und die schnelle suggestive Verbreitung und Potenzierung, das sich Hineinsteigern an »hysterische Epidemien« erinnern, so wäre es nicht sinnvoll, diese Phänomene als hysterisch zu bezeichnen. Auch hier zeigt sich noch einmal, dass die bloße deskriptive Beschreibung ohne Berücksichtigung der dahinterstehenden Psychodynamik nicht in der Lage ist, zu einer richtigen Erfassung des Wesentlichen beizutragen; sie verleitet zur Diagnose »hysterisch«. Die geschilderten Situationen stellen aber keine unbewusste Inszenierung dar, deren Funktion darin bestehen würde, eine dahinterstehende echte, aber unerlaubte oder gefürchtete seelische Bedürftigkeit, Schmerz usw. nur auf diese indirekte Weise durch die unechte Fassade zum Ausdruck zu bringen. Nur dies sollte man aber hysterisch nennen. Umso mehr gelten diese kritischen Bemerkungen für jene völlig unreflektierte Benutzung des Terminus »hysterisch« zur Bezeichnung jedweder inadäquat erscheinender Emotionalisierung. Noch einmal zum Fußball: Die extremen Fußballheldenidealisierungen, die fanatisch gefärbten Feindbildungen und noch mehr die daran sich entwickelten destruktiven Handlungen stellen nicht – wie bei der Hysterie – symbolische, sondern real gemeinte, wenn auch pathologische Verzerrungen der Realität dar, die eigentlich im gewissen Sinne viel gravierender und pathologischer als die nur Quasi-Veränderungen der Selbst- und Objektrepräsentanz innerhalb der hysterischen Inszenierung sind. 159 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

3. Sensationslust Ungewöhnliche Ereignisse, überraschende Änderungen, unerwartete sensationelle Nachrichten werden meistens mit Reaktionsmustern, etwa mit einer blitzschnell aktivierten Aufmerksamkeit, beantwortet, die aber oft auch von einer lustgefärbten Erregung begleitet werden. Wenn dieses letztere Element zunehmend im Vordergrund steht, spricht man von einer Sensationslust. Diese kann durch die Berichterstatter, überhaupt durch die Medien, künstlich mittels Übertreibungen, Schwerpunktverlagerungen und dramatisierende Schilderungen potenziert und kommerziell ausgenutzt werden. Diese Technik ist dort erfolgreich, wo ein entsprechendes Bedürfnis nach Sensationen und damit verbundener Lust vorhanden ist. Kann man in einem solchen Vorgang Hysterisches entdecken? Sofern dieses Sensationen generierende Angebot zur Herstellung unbewusster Inszenierungen in dem konkreten Fall geeignet ist und sofern es auch tatsächlich zur Nutzung des implizierten dramatisierenden Potenzials durch das Individuum kommt, kann man wohl von einem hysterischen Vorgang sprechen. Der bewusste Sensationsinhalt ermöglicht eine dringend gewordene emotionelle Entladung, die eigentlich aus einem anderen verdrängten unbewussten und unbewusst bleibenden Inhalt stammt: Sie wird lediglich auf den bewussten, nicht persönlichen Sensationsinhalt verlegt. Das Problem in der Praxis besteht darin, dass es schwierig ist, solche tatsächlich hysterischen psychodynamischen Vorgänge von denjenigen zu unterscheiden, die auf der deskriptiven Ebene ein sehr ähnliches Bild (der extremen emotionalen Ausbrüche, der unkontrollierbaren Impulsivität) bieten, obwohl bei diesen Letzteren keine »unbewusste« Inszenierung, keine Verlegung, keine künstliche Dramatik vorliegt. Man darf also nicht alles in einen Topf werfen. Starke 160 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

emotionale Reaktionen bei wirklich dramatischen Situationen sind nicht hysterisch. Solche eventuell auch massenpsychologisch sehr stark potenzierbare emotionale Zustände und ihr auch körperlicher Ausdruck stellen nicht ohne weiteres eine unbewusste hysterische Inszenierung dar, sondern sie sind zunächst Aktivierungen von emotionalen Höhepunkten, die als üblich und normal betrachtet werden können, wenn auch ihre Intensität von Individuum zu Individuum sehr variieren kann. So war die sehr starke Beunruhigung und Erregung weiter Bevölkerungsschichten anlässlich des gravierenden Atomzwischenfalls in Tschernobyl 1986 von manchen Beobachtern wegen der großen Intensität der Emotionalisierung zu Unrecht als »Tschernobyl-Hysterie« apostrophiert worden. In Wirklichkeit war diese große Angst angesichts einer unsichtbaren, in Ausmaß und Konsequenz unvorhersagbaren Gefahr zunächst als realistisch und adäquat zu sehen. Und trotzdem hatte man tatsächlich den Eindruck, dass bei bestimmten Individuen, die von dieser ängstlichen Erregung befallen zu sein schienen, eine doch stark hysterisch-neurotische Komponente am Werk war, welche die Funktion hatte, einer anderen, individuellen intrapsychischen, lange vor dem Tschernobyl-Ereignis bestehenden Problematik und Spannung zur Entladung zu verhelfen, ohne dass der dahinterstehende tatsächliche Grund und Zusammenhang bewusst würden. Die heftige Erregung und ihre Entladung wurden ja bewusst lediglich als Folge der Tschernobyl-Katastrophe erlebt und verstanden. Ähnliche »Hysterisierungen« wurden bei der japanischen Tsunami- und Atomkatastrophe (Fukushima) kaum beobachtet – im Gegenteil hatte man zunächst eine fast betont »unhysterisch« wirkende Haltung gesehen. Dies könnte mit Besonderheiten der japanischen Kultur und Mentalität zusammenhängen.

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4. Sekundäre Hysterisierung Der Vorgang der unbewusst und automatisch stattfindenden Benutzung eines tatsächlichen, eines realen und berechtigte Angst verursachenden Ereignisses, um eine unbewusste hysterische Inszenierung aufzubauen, gehört eigentlich zu einem von mir erst im Bereich der Psychosomatik beobachteten und »sekundäre Hysterisierung« genannten Phänomen, das aber auch im psychosozialen Feld sehr verbreitet ist. Solche hysterischen Prozesse sind in der heutigen Gesellschaft viel häufiger als die alten klassischen, von Freud beschriebenen und heute sehr selten gewordenen Hysterieformen. Um es noch einmal präziser auszudrücken: Sehr oft bedient sich der hysterische Modus eines realen Kerns. Die Inszenierung baut sich teilweise um eine reale Begebenheit oder um ein meistens geringfügiges organisches körperliches Leiden auf. Eine präzise Beschreibung der Psychodynamik der sekundären Hysterisierung erscheint mir deswegen notwendig, weil diese Art des Hysterischen nach meiner Überzeugung den wichtigsten Anteil des in der heutigen Gesellschaft beobachtbaren hysterischen Modus ausmacht. Wenn also oft gefragt wird, wo denn die alte Hysterie geblieben sei, so kann man antworten, dass gerade die im Laufe der letzten 110 Jahre, zunächst auch unter Einwirkung der Psychoanalyse, stattgefundene Bewusstmachung und Aufklärung der breiten Öffentlichkeit die alten Formen des hysterischen Modus sozusagen unmöglich oder überflüssig gemacht haben. Gemeint ist hier nicht der im Rahmen der sexuellen Revolution stattgefundene Abbau von die Sexualität betreffenden Verboten, Tabus, Hemmungen, moralischen Verurteilungen. Diese Befreiung des Menschen hat freilich auch erheblich dazu beigetragen (sofern sie eine echte Befreiung war, was keineswegs auf 162 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

allen Gebieten angenommen werden kann), dass hysterische Symptombildung überflüssig und dadurch auch seltener geworden ist. Dennoch ging und geht es hier, wie in diesem Buch fast in allen Kapiteln dargestellt wurde, nicht nur um Sexualität und nicht nur um ödipale Konflikte, sondern sehr häufig auch um die neurotische Verarbeitung von frühen Traumata, mangelhaften oder konflikthaften frühen Beziehungen. Auch Depressionen und vorwiegend narzisstische Problematiken, die ebenfalls unter Verwendung unbewusster hysterischer Inszenierung pathologisch »verarbeitet« werden, gehören dazu. Ich kann hier nicht auf die zahlreichen Abwehr- und Kompensationsmethoden in der Auseinandersetzung des Einzelnen mit Problemen des narzisstischen Gleichgewichts, der Selbstwertgefühlregulation, des depressiven Konflikts und ihren Folgen eingehen (vgl. Mentzos 2010, in diesem Lehrbuch wird auf alle diese besonderen Problematiken systematisch eingegangen). Dennoch spielt bei einem großen Teil dieser – nicht im engeren Sinne sexuellen – Probleme auch in unserer, der heutigen Gesellschaft der hysterische Modus eine große Rolle, wenn auch in einer äußerlich veränderter Form. Die hier zur Diskussion stehende sekundäre Hysterisierung scheint nun eine der häufigsten hysterischen Manifestationen zu sein. Meine Erfahrungen während der Supervisionstätigkeiten bei großen psychosomatischen und Rehabilitationskliniken sprechen dafür, dass ein großer Teil der dort meistens wegen körperlicher Erkrankungen behandelten Patienten intrapsychische Problematiken oft mittels des – unter Umständen echten und real vorliegenden – körperlichen Leidens zum Ausdruck bringen, und zwar mithilfe der eben genannten sekundären Hysterisierungen. Dies erklärt auch, warum viele Patienten auch nach einer Besserung oder sogar auch Heilung des körperlichen Leidens, das sie in die Klinik geführt hat, weiterhin 163 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

»krank« sind und tendenziell zu Chronifizierung neigen. Von daher wäre es auch vom rein Medizinischen her gesehen zu wünschen, dass die Therapeuten lernen, besser mit diesem hysterischen Modus der Ausdrucksgebung des intrapsychischen Leidens des Patienten umzugehen. Ähnliches gilt auch auf dem psychosozialen Feld, also bei der Analyse von Konflikten innerhalb der Familie, der Schule, des Betriebs, der Institutionen und der Nationen. Allerdings sollte man den Begriff und die Funktion des hysterischen Modus nicht überspannen und unberechtigterweise verallgemeinern. Man kann auch nicht behaupten, dass in unserer Gesellschaft das Hysterische im Vordergrund steht. Im Gegenteil, es sind leider reale und nicht nur in der Fantasie inszenierte Feindbildungen bis hin zum Genozid, die nicht nur auf eine bewusste maliziöse Politik der Machteliten, sondern auch auf weniger bewusste narzisstische Defizite der Vielen zurückzuführen sind. Dies alles hat nichts mit dem Hysterischen zu tun.

5. Nur scheinbar perverse hysterische Inszenierungen Dass der hysterische Modus sich völlig von dem perversen Modus unterscheidet, ist selbstverständlich (vgl. auch Anmerkung 16). Die Perversion ist eine ganz andere »Lösung« des Konfliktes oder eine andere Art der Kompensierung des Mangels (siehe auch Mentzos 2010, S. 175ff.). Eine gewisse Verwechslung kann jedoch dadurch entstehen, dass manche perverse Verhaltensmuster, wie sie zum Beispiel zurzeit in einer ungewöhnlichen Massivität im Internet in Form einer offenen oder verkappten Pornografie geboten werden, von Patienten und Patientinnen (vorwiegend Jugendlichen) unbewusst als Material für ihre hysterische Inszenierung übernommen werden. 164 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Wie ist das zu verstehen? Wie der hysterische Modus alle möglichen Szenarien – ähnlich dem Regisseur und Dramaturg der Träume – benutzt, so macht er auch vor diesem Angebot in den Medien nicht Halt. Dadurch entstehen klinische Bilder, die, wie eine in Frankfurt tätige Kinder- und Jugendlichen-Analytikerin in einem (noch nicht veröffentlichten) Vortrag zeigt, zunächst sehr verwirrend sein können, weil man nicht weiß, ob es sich um echte perverse Modi oder um nur abgeguckte quasi-perverse Muster handelt, die in Wirklichkeit für eine hysterische Inszenierung benutzt werden. Die Differenzialdiagnose wird gelegentlich dadurch erleichtert, dass neben dieser ungewöhnlichen Verhaltensweise auch eindeutige, zum Beispiel konversionshysterische Symptome auftreten. Es handelt sich also, wenn man so will, im weiteren Sinne hier auch um eine sekundäre Hysterisierung. Die Erwähnung dieser Problematik erschien mir deswegen sinnvoll, weil auf der anderen Seite auch eine echte Pervertierung der Sexualität (die hier indirekt medial gefördert wird!) heute häufiger zu beobachten ist. Diese Verbreitung und Vielfalt solcher immer neu produzierten Formen des Perversen erscheinen mir einen von vielen Personen benutzten Abwehrmechanismus von gigantischem Ausmaß darzustellen, wodurch die von Freud initiierte Befreiung der Sexualität in die Sackgasse einer nur scheinbaren freien Entfaltung der sexuellen Erlebnismöglichkeiten gerät.InWirklichkeit führt sie zu einer Einengung und Stereotypisierung.Dies alles aber nur nebenbei.Im Wesentlichen ging es mir hier um die Fälle, bei denen es sich nicht um eine echte Pervertierung, sondern um eine Hysterisierung solcher Muster handelt.

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Zusammenfassende Betrachtung

Am Anfang unserer Untersuchungen und unserer Überlegungen stand die Frage: Gibt es einen wissenschaftlich legitimen Gebrauch der Bezeichnung »hysterisch« und gegebenenfalls welchen? Ist es theoretisch noch möglich und praktisch sinnvoll, das Hysterische zu konzeptualisieren, es als diagnostischen Begriff zu verwenden, um bestimmte Phänomene zu benennen und einzuordnen? Zu Beginn haben wir uns mit der Deskription ebendieser Phänomene beschäftigt; es wurde deutlich, dass sie vorwiegend aufgrund einer vorwissenschaftlichen Intuition »hysterisch« genannt werden. Dabei fiel ihre ausgesprochene Vielfalt, der ständige Wandel im Lauf der Jahrhunderte und insbesondere ihre Kulturabhängigkeit auf. Bei der Suche nach dem allen diesen Phänomenen Gemeinsamen und Spezifischen erhielten wir zunächst nur negative Meldungen.

Abgrenzungen und negative Definitionen 1. Hysterische Erscheinungen sind keine somatischen, organischen, aber auch keine organneurotischen (im engeren Sinn psychosomatischen) Störungen. Sie sind es nicht, obwohl sie viele körperliche Erkrankungen imitieren und obwohl sich viele psychosomatische Erkrankungen zu hysterischen umfunktionieren lassen. 2. Das Hysterische ist keine Simulation, keine übliche zielbewusste Lügerei – deswegen sind auch hysterische Ver166 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

haltensweisen nicht moralisch zu verurteilen oder sogar zu bestrafen. 3. Die Tendenz zu hysterischen Reaktionen beruht nicht auf einer konstitutionellen, vorgegebenen Schwäche der psychischen synthetischen Tätigkeit (Psychasthenie – Janet), auch nicht auf einer konstitutionellen Übererregbarkeit und Labilität, obwohl es wahrscheinlich ist, dass bestimmte – unspezifische – Bereitschaften und Eigenschaften sie begünstigen. Diese vorgegebenen Besonderheiten sind als solche nicht pathologisch oder pathogen. Sie können sogar zum Teil auch als positive Begabungen angesehen werden, so die Affinität und Sensibilität für unbewusste Symbolik, bildhaftes Denken, der impressionistische, flexible und vom primären Prozess leicht beeinflussbare Denkstil, die zum Beispiel Künstlern zugute kommen können. 4. Hysterische Phänomene sind nicht einfach mit dem Reiz-Reaktion-Schema zu erfassen. Sie lassen sich auch nicht auf bereitliegende präformierte primitive Mechanismen wie Totstellreflex und Bewegungssturm reduzieren (Kretschmer), obwohl sich die hysterische Symptombildung wahrscheinlich unter Umständen auch solcher bereitliegenden Verhaltensmuster bedienen kann. 5. Hysterische Erscheinungen sind zwar neurotische Symptom- und Charakterbildungen im Sinne der psychoanalytischen Theorie, das heißt, sie stellen kompromisshafte Pseudolösungen des intrapsychischen Konflikts dar; die zugrunde liegenden Konflikte beziehen sich jedoch nicht nur auf eine ödipale (wie die Psychoanalyse ursprünglich angenommen hat), sondern ebenso häufig auch auf eine orale oder auch narzisstische Problematik. In einigen Ausnahmefällen treten sie auch bei äußeren Belastungen und Notsituationen auf. 6. Hysterische Symptomneurose ist nicht mit Konversion gleichzusetzen – auch wenn es sich oft tatsächlich um konversionsneurotische Symptomatik handelt. Es gibt aber 167 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Konversion außerhalb des Hysterischen (z. B. Stottern) und hysterische Symptomatik ohne Konversion (z. B. Imitation psychischer Erkrankungen).

Positive Definition Die weitere Analyse hat uns zu einer positiven Definition des Hysterischen geführt, die eine sinnvolle Verbindung zwischen hysterischen Symptomen und Charakterzügen, zwischen älteren und modernen »Hysterie«-formen, zwischen körperlichen und psychischen hysterischen Phänomenen ermöglicht: Der hysterische Modus der neurotischen Konfliktbearbeitung lässt sich mit einer »Inszenierung« vergleichen. Die unbewusst produzierten Szenen sind insofern selbstbezogen, als sie auf eine Quasiveränderung der Selbstpräsentanz 23 hin orientiert sind, aber gleichzeitig objektbezogen, weil sie an das Objekt appellieren. Sowohl mit den Mitteln einer Körpersprache wie mit denjenigen eines durch Dramatisierungen,Akzentverschiebungen und Emotionalisierungen pseudoregressiv oder pseudoprogressiv veränderten Erlebens und Verhaltens entsteht die spezifisch hysterische neurotische Abwehr und kompromisshafte Befriedigung: Für die anderen und für sich und insbesondere für das eigene Über-Ich so zu erscheinen und sich so zu erleben, dass dadurch der primäre und der sekundäre Krankheitsgewinn erreicht werden. Die dabei benutzten typischen, aber nicht spezifischen Teilmechanismen sind: Identifikation, Emotionalisierung – Dramatisierung, Konversion, Verdrängung und besonders die implizierte Dissoziation. Begünstigende Ich-psychologische Voraussetzungen sind der impressionistische kognitive Stil und die Affinität für unbewusste Symbolik. 168 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Eine nosologische Entität »Hysterie« lässt sich nicht mehr aufrechterhalten. Dagegen trifft man den hysterischen Modus der neurotischen Konfliktverarbeitung bei allen möglichen neurotischen Konflikten und innerhalb eines großen Spektrums der Ich-Reife und der Ich-Stärke, von den Borderline-Patienten bis zu den ausschließlich ödipal fixierten. Diese Konzeptualisierung des Hysterischen hat neben ihrer Vorzüge in Bezug auf die nosologische Problematik auch weitere Vorteile: Mit ihrer Hilfe lassen sich auch die fließenden Übergänge zum Nichtneurotischen sowie die normalpsychologischen Ursprünge und Entsprechungen sehr gut erfassen (die Welt des Expressiven, der Selbstdarstellung, der Dramatik). Ein weiterer Vorteil ist, dass diese Auffassung ein Hauptmerkmal des Hysterischen, nämlich seine Kulturabhängigkeit, verständlich macht: Ob in Altägypten oder in der Antike, bei den hysterischen Epidemien des Mittelalters oder der arktischen Hysterie, ob bei der hysterischen Ohnmacht der Damen um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert oder bei der dramatisierenden Exaltiertheit in einer modernen Eheszene: Der hysterische Modus lässt sich auf einer phänomenologisch-psychodynamischen Ebene relativ leicht erkennen als die unbewusst inszenierte Darstellung, die produzierte Szene mit dem »Ziel« der Quasiveränderung der Selbstrepräsentanz. Des Weiteren ermöglicht diese Konzeptualisierung der hysterischen Konfliktverarbeitung ein besseres Verständnis für die Komplikationen in den Partnerschaften sowie für die hier in typischer Weise entstehenden psychosozialen neurotischen Arrangements. Den therapeutischen Zugang und Prozess erleichtert sie dadurch, dass sie die Besonderheiten der Übertragung und Gegenübertragung verständlich macht und das Ziel der Behandlung präzisiert: 169 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Die Behandlung hysterischer Symptome und Charaktere kommt demVersuch gleich, die »alten Szenen« und ihre verzerrten Wiederholungen innerhalb der hysterischen »Inszenierungen« zusammen mit dem Patienten neu zu bearbeiten. Die neue, die adäquate Inszenierung, die mit Hilfe eines korrigierten Szenariums die falschen Akzente eliminiert und die richtigen hervortreten lässt, muss in mühsamer Zusammenarbeit vom Patienten und Therapeuten erarbeitet und in der therapeutischen Beziehung paradigmatisch erlebt werden. Nur dadurch können die hysterische Symptomatik und das hysterische Verhalten ihre automatisierte Zwangsläufigkeit verlieren, sich erübrigen, zurücktreten und einer freien Entwicklung der in einem neurotischen Teufelskreis gefangen gehaltenen Persönlichkeitsanteile Platz machen. Vom heutigen Standpunkt aus lässt sich ergänzend sagen: Die besonders im Kapitel XIII beschriebene »Krise« des Hysteriebegriffs führte schließlich zu der Abschaffung des Terminus in der offiziellen psychiatrischen Diagnostik und zur Einführung einer operationalisierenden Deskription einzelner Syndrome sowie zu dem Terminus der histrionischen Persönlichkeitsstörung – so wurde sozusagen die »Konkursmasse« der Hysterie erledigt! Diese Präzisierung der Deskription hat sicher auch ihre Vorteile und wäre nicht so negativ zu beurteilen, wenn sie nicht von einer völligen Vernachlässigung der Psychogenetik und der Psychodynamik der hysterischen Phänomene begleitet wäre, was aber leider tatsächlich geschah. Der Schaden kann jedoch behoben werden, wenn man zu der jetzt in der Diagnostik praktizierten Operationalisierung auch eine Psychodynamisierung – die ja erst das Wichtigste und Wesentlichste enthält – vornimmt. Dies ist eine der Hauptaufgaben dieses Buches. Die Verwendung des Terminus »hysterisch« ist nur dort 170 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

berechtigt (aber dann auch geboten), wo die Funktion der unbewussten Inszenierung im obigen Sinne gegeben ist. Die hier erforderliche Differenzierung ist besonders bei der sekundären Hysterisierung nicht immer leicht. Diese Thematik und Problematik ist aber im letzten Kapitel ausführlich diskutiert worden.

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Anmerkungen

1 In den heutigen psychiatrischen Klassifikationen von ICD-10 bzw. DSM-IV spricht man nicht von hysterischen Charakterneurosen, sondern von histrionischen Persönlichkeitsstörungen, vgl. Kapitel XIII. 2 Vgl. dazu den interessanten Versuch von Cornelie von Essen und Tilman Habermas, die Hysterie (wie auch die Bulimie) als eine »ethnische Störung« im Sinne Devereux’ (1970) zu verstehen. Mit diesem Begriff fasst Devereux Erlebnis- und Verhaltensweisen zusammen, die einem bestimmten Kulturkreis eigentümlich sind und zugleich gegen wichtige Normen dieses Kulturkreises verstoßen. »Die betroffenen Individuen werden wegen ihres devianten Verhaltens aber nicht als Verbrecher angesehen und bestraft, sondern können damit rechnen, als krank eingestuft und entsprechend behandelt zu werden. Sie werden damit für ihre Normabweichung nur bedingt bzw. gar nicht verantwortlich gemacht. Die inkriminierten Verhaltensweisen sind Teil der herrschenden Nosologie . . . Die Normabweichung ist mithin selbst kulturell strukturiert und normalisiert. In manchen Fällen gelingt es der Gesellschaft sogar, die Abweichung der Individuen für das Kollektiv positiv zu funktionalisieren« (von Essen u. Habermas 1989, S. 104). 3 Ergebnisse der psychosomatischen Forschung sprechen dafür, dass ausgeprägte negative emotionale Zustände, insbesondere intensive Gefühle der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung, von einer Verminderung der Kampf- und Abwehrbereitschaft des biologischen Organismus begleitet werden, die u. a. beim Vorhandensein auch anderer Bedingungen die Manifestation einer Infektionskrankheit begünstigen. Dazu ein eigener, persönlicher Beitrag: Als 20-jähriger Medizinstudent hatte ich noch nicht die Masern durchgemacht, obwohl alle meine fünf Geschwister zu verschiedenen Zeiten daran erkrankt waren und ich fünfmal die Gelegenheit hatte, mich zu infizieren. Nachdem ich mit drei anderen Kommilitonen in der schwierigen Prüfung der biologischen Chemie durch völlig ungerechte Haltung des für seine Launen gefürchteten Prüfers durch-

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gefallen war und dadurch Gefahr lief, ein Semester zu verlieren, war ich recht deprimiert, verzweifelt und hoffnungslos. Einige Stunden nach der Prüfung spürte ich den ersten Schüttelfrost und später die sonstigen Symptome einer Masernerkrankung, die wie üblich im Erwachsenenalter einen schweren Verlauf nahm. Zwar konnte ich durch Rekonstruktion der drei vergangenen Wochen die Infektionsquelle entdecken (sie lag 16 oder 17 Tage davor, die Inkubationszeit hat also sehr gut gestimmt). Die früheren, mindestens fünf Möglichkeiten zur Ansteckung blieben erfolglos! Es ist möglich, dass diese Nichtbeachtung des Widerspruchs, seine Vernachlässigung durch folgenden halb bewussten Gedanken gefördert wird: Zwar ist im Moment mein Schmerz nicht mehr so stark, vor kurzem aber war er voll da, und das ist wohl dasselbe! Ich frage mich, ob nicht auch der neurotische Patient überhaupt, der im Rahmen der hysterischen Symptom- und Charakterbildung ein quasi schweres Leiden oder einen intensiven Gefühlszustand darstellt, sich nicht ähnlich verhält: Jetzt stimmt es zwar nicht ganz, aber was man mir in der Vergangenheit angetan hat, ist wohl real gewesen. Das kommt auf dasselbe raus. Wisdom (1961) hat sich ebenfalls mit der Natur der hysterischen Symbolisierung beschäftigt und ein besonderes Konzept entwickelt. André Green fasst dies so zusammen: »Es handelt sich um die Symbolisierung von Teilobjekten. Der Teil des symbolisierten Körpers ist, anstatt als Körperteil verwendbar zu sein, verkettet mit dem, was er symbolisiert. So ist dem Hysteriker die volle Verfügung über diesen Körperteil entzogen. Ein derartiges Symbol ist stark überladen« (1976, S. 645). Diese spezielle Hypothese ist m. E. mit der Hoffmann’schen Schilderung vereinbar und könnte eine nützliche Ergänzung darstellen, die es uns möglich macht, insbesondere konversionshysterische Störungen, zumal »Ausfälle« der Organfunktionen besser zu verstehen. Auch A. Krohn (1978) hebt diese Kulturabhängigkeit der hysterischen Erscheinungsformen hervor. Allerdings bin ich mit seiner zweiten Hauptthese, dass nämlich die Kultivierung des Mythos von der Passivität das Zentrale sei, nicht einverstanden. Passivität ist nur einer der möglichen Inhalte der hysterischen »Inszenierung«. Die »Vorteile« einer solchen Selbstdarstellung liegen auf der Hand: Diese Frau demonstriert dem Über-Ich Standhaftigkeit, sie stärkt ihr Selbstwertgefühl durch die Tatsache, dass sie begehrt

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wird, und womöglich befriedigt sie doch einige ihrer libidinösen Bedürfnisse durch Partizipation an der sexuellen Erregung des Partners. 8 Aus heutiger Sicht erscheint mir an dieser Stelle eine Ergänzung und Korrektur angebracht: Ein wichtiger Aspekt des Hysterischen, der weder in diesem Buch noch in dem größten Teil der psychoanalytischen Literatur nach 1900 Berücksichtigung fand, hängt mit dem zusammen, was Freud und Breuer in ihrer ersten grundlegenden Arbeit zum Thema (Studien zur Hysterie, 1895) mit dem Terminus hypnoider Zustand – als eine der notwendigen Voraussetzungen bei der hysterischen Symptombildung – belegt haben. Dies entsprach der häufigen klinischen Beobachtung, dass hysterische Symptombildungen sich während eines besonderen Bewusstseinszustands manifestieren, der gewisse Ähnlichkeit mit dem hypnotischen Zustand bietet. Zwar wissen wir längst, dass das Hysterische einen viel breiteren Phänomenenkreis umfasst als die während der Hypnose herbeizuführenden oder aufzuhebenden Symptome und dass nur eine kleine Minderheit der hysterischen Erscheinungen in einem solchen hypnoseähnlichen Zustand entsteht. Dennoch gewinnt die Auffassung, dass sowohl Entstehen als auch Aufheben der Symptomatik nur innerhalb eines bestimmten Bewusstseinszustands möglich ist, in den letzten Jahren an Aktualität im Hinblick auf hirnphysiologische Modelle, die auf der schon experimentell nachgewiesenen zustandsabhängigen Reaktionsweise des Gehirns basieren (vgl. hierzu z. B. Koukkou u. Lehmann 1980). Auch die schon Freud bekannte psychotherapeutische Erfahrung, dass Symptome nicht durch bloße kognitive Einsicht, sondern durch das Erreichen eines bestimmten, therapeutisch-regressiven Zustands überhaupt beeinflussbar werden, könnte man besser unter Berücksichtigung solcher spezifischer Bewusstseinszustände verstehen, wobei hier Bewusstsein in einem viel weiteren Sinn als nur auf der Vigilanzdimension zu verstehen ist. 9 Prägenital werden Fantasien, Beziehungsmodi, Konflikte, Triebe etc. genannt, die mit den frühkindlichen Phasen vor der ödipalen (oder phallischen) Phase in Zusammenhang stehen. 10 Fixierung ist nach S. Freud jeder Stillstand der Triebentwicklung in einer bestimmten Phase, der später zu einer Regression, einer Rückentwicklung gerade zu diesem Fixationspunkt prädisponiert. 11 Eine Reihe französischer Analytiker (z. T. unter dem Einfluss von Lacan) und eine nicht geringe Anzahl von britischen Autoren

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(unter dem Einfluss von Melanie Klein und der Objektbeziehungstheorie) haben in den letzten Jahrzehnten versucht, das Problem der begrifflichen Erfassung der Hysterie dadurch zu lösen, dass sie das Konzept des Ödipalen erheblich, praktisch bis in das erste Lebensjahr erweitert haben und überhaupt auch frühere Konflikte als für die Hysterie spezifisch angesehen haben. André Green (1976) hat einen guten Überblick über diese Bemühungen gegeben und u. a. die von Fairbairn, Winnicott, M. Kahn, E. Brenman, G. Pankow entwickelten Konzepte kurz skizziert. Meines Erachtens handelt es sich zwar um sehr wertvolle Beiträge, die zum Beispiel die Bedeutung des Phallus (als Symbol) für die Ausfüllung von Lücken in der Selbstintegrität oder die Relevanz einer forcierten Sexualisierung zur Abwehr und Vorbeugung eines psychotischen Zusammenbruchs deutlich machen. Dennoch, zur Beantwortung der Frage, was denn bei der Hysterie das Spezifische sei, tragen sie nicht bei. Ich will dies kurz anhand eines von André Green selbst angebotenen Konzepts erläutern. Der grundlegende Konflikt des Hysterikers, meint Green, liege in seiner Unfähigkeit, durch die sexuelle Erfahrung hindurch die Bindung zu einem neuen Objekt mit phallischer Bedeutung in Einklang mit der Erhaltung der elterlichen Objektliebe zu bringen. »Die Sexualität ist der bevorzugte Bereich für die Artikulation dieses Konfliktes, da sie die Erfüllung des sexuellen Wunsches, die Verwirklichung des persönlichen Verlangens, die Überwindung der Fixierung an elterliche Objekte kennzeichnet, eine Überwindung, die nicht ohne das Gefühl der Trennung und der Trauer stattfindet. In der Hysterie drohen neue Besetzungen die alten zu zerstören« (Green, S. 645). Ich finde die Herausarbeitung dieses nicht nur zentralen, sondern auch recht häufigen Konflikts ausgezeichnet – ich selbst habe damit meine Erfahrungen mit mehreren Patientinnen und Patienten ordnen können und daraus auch sinnvolle und brauchbare Deutungen ableiten können. Der springende Punkt ist nur, dass es sich dabei um Menschen mit recht unterschiedlichen Störungen gehandelt hat! Es gibt verschiedene Modi der Verarbeitung dieses Konflikts, und einer davon ist der hysterische, wobei man nicht einmal die Behauptung aufstellen kann, dass dieser letzte auch der häufigste Modus sei. 12 Hoffmann macht darauf aufmerksam, dass in psychoanalytischen Aussagen Begriffe auftauchen, die mindestens drei Ebenen entstammen:

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a) der deskriptiv-phänomenalen Ebene, z. B. Egozentrizität, Hyperemotionalität, theatralisches Verhalten; b) einer intermediären, klinisch-dynamischen Ebene. Hierzu gehören Begriffe wie Übertragungsangebote, Interaktionsmuster, Abwehrmodi, hysterische Mechanismen; c) einer stark abstrahierten (Freud: metapsychologischen) Ebene. Hier werden vor allem Aussagen über die Instanzen von Ich, Über-Ich und Es und über die Triebvorgänge gemacht. Hoffmann gibt auch ein Beispiel, um die drei Ebenen zu charakterisieren: Bestimmte Emotionen können deskriptiv als theatralisch, aufgesetzt oder unecht beschrieben werden; auf klinisch-dynamischer Ebene sind sie als Entlastung von Schuldgefühl oder Verstärkung der Verdrängung erfassbar. Metapsychologisch werden bestimmte triebökonomische Überlegungen zu ihrer Erklärung eingesetzt. 13 Arktische Hysterie, Synonym: Piblokto = Hysterisches Zustandsbild bei Eskimos. 14 Synonym: katatoner Erregungszustand = ein Krankheitsbild mit schwerer psychomotorischer Erregung, oft im Rahmen einer schizophrenen Psychose. 15 Aus heutiger Sicht würde ich diese Aussage dahin gehend ergänzen, dass die hysterische Inszenierung eine Quasiveränderung nicht nur der Selbstrepräsentanz, sondern auch derjenigen des Objekts erforderlich macht, ja dass die Beziehung selbst, insgesamt, innerhalb dieser Inszenierung in einem anderen Licht erscheinen soll. Und trotzdem meine ich weiterhin, dass der Kern des Gesamtvorgangs hauptsächlich in einer Veränderung der Selbstrepräsentanz besticht. Es ist bezeichnend, dass zum Beispiel Eric Brenman zu folgender Formulierung kommt: ». . . die Hysteriker versuchen, die Realität dadurch zu verändern, daß sie die Mutter, die Eltern, den Analytiker dazu bringen, an die Wahrheitsversion des Patienten zu glauben. Ihr Ziel ist das Bild, die Darstellung dessen, was sie sind, und dessen, was sie tun, zu verändern; zusätzlich aber auch das, was sie sind und was sie tun. Und sie verfügen über Beweise, Theorien, Zeugnisse usw. Sie drehen und wenden und verändern Identitäten, um das intuitive Wissen dessen, was wirklich wahr ist, zu zerstören« (1985, S. 427). Überhaupt kommt Brenman trotz seines unterschiedlichen theoretischen Hintergrunds auf sehr ähnliche Resultate und Konzepte in Bezug auf die Psychodynamik der Hysterie wie ich.

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16 Die Hysterie wurde gelegentlich als eine verkappte Perversion betrachtet. Nun könnte tatsächlich der Vergleich des hysterischen Modus mit demjenigen des Modus der Perversion sehr fruchtbar sein. Allerdings ist es verwirrend, wenn man sagt, »hinter der Hysterie versteckt sich eine Perversion«. Denn die Perversion ist eine andere Art der Lösung des Konflikts oder eine andere Art der Kompensierung des Mangels. Die Hysterie arbeitet mit Fantasie, die Perversion arbeitet mit konkretistischen Maßnahmen und Einschränkungen. Sie verzichtet auf das Ganze und konzentriert sich manifest und konkret auf den Teil. Dagegen bezieht sich die hysterische Begegnung, auch wenn sie eine nur Quasibewegung ist, auf das »ganze« Objekt. Auch Brenman (1985, S. 424) geht übrigens davon aus, dass in der Hysterie die externe Objektbeziehung so inszeniert werde, dass sie als eine Ganzobjektbeziehung erscheine. 17 Die Bezeichnung stammt von Freud (1905, S. 202, 1916/17, S. 399). Gemeint ist der neurotische Gewinn, der bei jeder neurotischen Symptombildung hauptsächlich in der Spannungsminderung besteht, zu der das Symptom verhilft. Angst, Schuldgefühl, Scham und so weiter werden nicht mehr gespürt. Darüber hinaus wird ein Teil der abgewehrten Impulse und Wünsche doch indirekt, symbolhaft, kompromisshaft im Symptom befriedigt. Der sekundäre Krankheitsgewinn dagegen entstehe durch die nachträgliche Nutzung der Krankheit innerhalb des Sozialfeldes. Der »Kranke« bekommt zum Beispiel vermehrt Zuwendung und Zärtlichkeit, er wird geschont und gepflegt. 18 Eine betonte Ich- bzw. selbst-psychologische Konzeptualisierung der Hysterie könnte zu dem Missverständnis führen, dass die energetischen Aspekte nicht von Bedeutung seien und dass die ursprüngliche Auffassung Sigmund Freuds, der ja insbesondere die Entladung aufgestauter Affekte im Auge hatte, völlig überwunden sei. In Wirklichkeit ist aber dieser energetische oder quantitative Aspekt in dem neuen Modell enthalten. In allen Beispielen, deren ich mich bei meiner Schilderung bedient habe, wird es deutlich, dass »Energie« entladen, »Druck« abgelassen wird, Bedürfnisse befriedigt werden. Da jedoch diese Entladung, diese kompromisshafte Befriedigung etc. das Gemeinsame jeder Symptombildung ist (dies gilt sogar für die psychotische Symptomatik!), habe ich mich absichtlich auf das Wie dieser Entladung konzentriert, die ja auch das Spezifische jedes Modus ausmacht. Das Spezifikum bei dem hysterischen Modus ist die Inszenierung, die nicht nur Ab-

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wehr- und Stabilisierungsfunktionen hat, sondern auch eine kompromisshafte Triebbefriedigung ermöglicht. 19 Die Tatsache, dass in diesem Buch, in dem ich den Versuch einer Neukonzeptualisierung der Hysterie unternehme, Aggression und aggressive Konflikte einen relativ kleinen Raum einnehmen, könnte zu dem Missverständnis führen, dass Aggressives in der Hysterie von untergeordneter Bedeutung sei. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Nicht nur in den realen Beziehungen (s. Kapitel XI), sondern auch intrapsychisch nehmen oft aggressive Konflikte eine zentrale Rolle ein. Ich betrachte sie aber als sekundär und nicht primär. Der hysterische Groll (M. Kahn, zitiert bei Green 1976, S. 642) stellt letztlich eine Frustrationsaggression dar: »Der Hysteriker besitzt zugleich den glühenden Wunsch nach sexueller Erfahrung und ein bemerkenswertes Unvermögen, diese Erfahrung zu leben und zu akzeptieren. Daher sein unauslöslicher Groll.« 20 Man kann es auch so ausdrücken: Der Hysteriker emotionalisiert, der Zwangsneurotiker intellektualisiert. 21 Aus heutiger Sicht würde ich die Formulierung »frühsymbolische Darstellung in der Organsprache« vorziehen, und zwar im Hinblick darauf, dass das physiologische Äquivalent einen bestimmten Organmodus impliziert und somit doch eine gewisse Ausdrucksfunktion innehat, wenn auch es sich hier um eine mehr elementare, archaische, leibnahe als die symbolisch höher organisierte Körpersprache des hysterischen Modus handelt (vgl. Mentzos 1982/1989, S. 246ff.). 22 Das menschliche Hirnstrombild (EEG: Elektroenzephalogramm) wird im wachen Zustand von elektrischen Wellen um 10/Sek. beherrscht. Durch intermittierende Lichtreize (Blitzlicht) unterschiedlicher Frequenzen (2–30/Sek.) gelingt es, bei 10 bis 20 % aller Probanden den um 10/Sek. Grundrhythmus zu unterdrücken und an seine Stelle die eingegebene Lichtreizfrequenz »durchzusetzen«. Diese Art der Beeinflussung der Hirnstromtätigkeit durch äußere Reize nennt man Photosensibilität. 23 Die Quasiveränderung bezieht sich auch auf die Objektrepräsentanz und auf die Beziehung zum äußeren Objekt (s. Anmerkung 4).

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Namen- und Sachregister

A Abhängigkeit 26, 56f., 63, 99, 149 – Bedürfnisse 73, 133 – Konflikt 26, 61, 126, 139ff. – verlangende (demanding dependency) 126 Abraham, K. 57, 70f. Abstinenz, sexuelle 33 Abwehr 37f., 41, 54, 57, 59, 73, 78f., 83, 175 – des negativen Selbst 130 – neurotische 27, 55, 168 Abwehrmechanismus 76f., 80, 83 Achse (diagnostische) I 151 Achse (diagnostische) II 151 Affekte 19, 32, 36, 61, 97, 108, 112, 124, 177 Affektlosigkeit 79 Aggression, Aggressivierung 26, 89, 94, 111, 126f., 178 aggressive Energie 44 Alarcon, R. D. 61, 116 Alexander, F. 113f. Alptraum 50 Als-ob-Persönlichkeit 109 Ambivalenz 57, 69, 103 Amnesien 24, 98, 116 anale Phase 39 Anästhesien 21 Angst 35, 44, 46, 50, 65, 83, 101f., 105, 139, 177 -zustände 25, 28, 50, 103, 139

Angstvermeidung 80 Angyal, A. 99, 108 Anna, O. 35 Apathie 79 Arktische Hysterie (Piblokto) 95, 169, 176 Assimilierung 84 Astasie 21, 83 B Befriedigung 27, 44, 74, 78, 106, 111, 132, 148, 168, 177f. – neurotische 27 Begehren (sexuelles) 149 Brenman, E. 175ff. Beschäftigungsdrang 95 Besessenheit 32 Besetzung, emotionale 95 Bewegungssturm 95, 167 Bewusstseinsspaltung 32, 57 Bewusstseinsstörungen, psychogene 116 Bischof, N. 148 Bisexualität 153 Borderline-Patient 95, 121, 169 Breuer, J. 35ff., 86, 174 Briquet, P. 34 Bulimie 172 Busch, W. 98 C Charakterneurose 59, 62, 82, 117, 122, 151f., 172 Charcot, J. M. 31, 34f. Chodoff, P. 133

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D Dämmerzustand 22, 24, 49, 51, 53ff., 57 Darstellung 10, 29, 33, 67f., 70f., 74, 76, 78f., 83, 101, 103, 123, 126, 129, 131, 140, 176 – symbolische 84, 114 – unbewusste, 29, 78, 169 Deichmann, A. 11 Déjà-vu-Erlebnis 86 demanding dependency s. Abhängigkeit, verlangende 26, 62, 126 Depression 23, 25, 121, 127 – anaklitische 90 Deprivation 86 deskriptiv-phänomenale Ebene 176 Deutsch, H. 109 Devereux, G. 172 »disorders« 151 Dissoziation 36, 46, 64, 84ff., 95, 98, 103f., 118, 168 – dissoziative Erscheinungen, Phänomene 19, 24, 85, 104, 116, 143, 151 Donjuanismus 107, 149 Leistungs- 71 Dramatisierung 9, 15, 26, 30, 61, 68, 71, 78f., 95, 105, 117, 125, 127, 136f., 150, 168 E Easer, B. D. 90 »Erben« der Hysterie 150 Egozentrismus 26, 62f. Eidelberg, L. 100 emotionale Labilität 26, 61ff. Emotionalisierung, Emotionalität 30, 78f., 95, 97, 108, 136, 159, 168, 178 Emotionen, übersteigerte 79

Energie -abfuhr 44 -bindung 44 Entfremdungsgefühle 86 Erbrechen 21, 36, 114f., Erregungszustand 24f., 83, 89, 176 Ersatzbefriedigung 44, 78 Erschöpfungszustände 28 Es 164 Essen, C. v. 172 »Ethnische Störungen« 172 Exhibitionsbedürfnis 132 F Fantasie 32, 52, 56, 77, 112, 137, 148, 174, 177 – Flucht in die 60 – unbewusste 21, 95f., 106. 114, 118 Farber, L. H. 99 Feedback 124 Fenichel, O. 38, 42, 45, 78, 88 Frauenbewegung 152 freie Assoziation 136 Freud, A. 80 Freud, S. 34–39, 59. 79, 81, 86, 96, 147, 152, 162 Frigidität 20, 25 106, 127, 149 frühsymbolisch 178 Frustration 43 – Aggression 111, 178 Fugue 151 Funktionsstörungen 19 – physische 19, 21 – psychische 21, 27 Fukushima 161 Fußball 156–159 G Galen von Pergamon 33 Ganzobjektbeziehung 177

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Gebärmutter 14, 16, 31, 33, 151 – wandernde 31 Gegenemotionen 71, 78, 136 Gegenübertragung 10, 94, 137f., 169 – Gefühle 138, 140ff. – Reaktionen 138, 140, 142, 146 Geltungssucht 62 genitale Stufe, Fixierung auf die 60, 89 Geschlechtsverkehr 20, 89, 106 Green, A. 105, 153, 173, 175, 178 Grundkonflikt 20, 141, 148 H Haas, J. U. 31, 95 Habermas, T. 160 Haftreaktion 95 Harvey, W. 33 Heigl-Evers, A. 75 Heiterkeit, manische 95 Hemmung 66, 75, 107, 109 Hexen 32 Histrion 14, 152 histrionisch 14, 59, 61, 116, 120, 151f., 170, 172 Hoffmann, S. O. 74, 77f., 89ff., 93, 108, 119, 130f, 133f., 139, 151, 173, 175f. Højer-Pedersen, W. 90 Holländer, M. H. 134 Homöostase, narzisstische 159 Homosexualität 70 hypnoider Zustand 35ff., 174 Hypnose 36, 142, 174 hypomanisch 90 Hystera 14, 16, 152 Hysterie als gynäkologische Erkrankung 33

Hysterie als neurologische Erkrankung 21, 34 Hysteriebegriff 69, 88, 119, 145, 170 Hysterie-Definition 91, 93, 98, 119 Hysterie-Konzepte 31, 93f. hysteriform 90, 109 hysterische Anfälle 21, 33 hysterische Charakterbildung 9, 59f. hysterische Charakterzüge 19, 24, 28f., 91, 117, 133 hysterische Ehe 29, 125f., 129 hysterische Emotionalisierung 30, 79, 136 hysterische Kommunikation 123 hysterische Phänomene 16, 19, 21, 28f., 33, 35, 85f., 90, 93ff., 119, 123, 145, 168, 170 hysterische Symptombildung – Fixierung der 44 hysterische Symptome 37f., 73, 99, 114, 117, 144, 152, 168f. hysterische Symptomneurose 27, 60, 76 117, 151, 167 hysterische Verhaltensmuster 19, 24, 28, 63 hysterischer Charakter 26, 59ff., 62f., 69f., 75f., 89ff., 108 hysterischer Mechanismus 40, 121, 176 hysterischer Modus 14, 17, 70, 76, 85f., 94f., 99, 104f., 108, 112f., 117, 120–123, 126, 128, 131, 145ff., 149f., 153, 168f., 177f. hysterischer neurotischer Stil 137 hysterisches Potenzial 29 hysteroid 90, 145 hysterophiler Mann 132

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I Ich 32, 37, 57, 59f., 80, 85, 97, 176 Ich-Analyse 39 Ich-Defizit 79 Ich-Erlebensstörung s. Psychose 80 Ich-Ideal 74 Ich-Reife 168 Ich-Spaltung 24 Ich-Stärke 169 Idealisierung 130, 153, Identifikation, Identifizierung 39, 79–82, 84, 97f., 118, 168 Identitätsdiffusion 29 Impotenz, impotent 71f., 107, 149 Infantilität, infantil 60f., 63, 90, 95, 101, 124, 126, 139, 148 Innervation 38, 82 Innozenz VIII., Papst 32 Insuffizienzgefühle 23 Inszenierungen 29, 64, 68, 71, 73f., 77f., 85, 100, 103ff., 123, 137, 140, 145, 168–171, 173, 176f. – hysterische 155, – unbewusste 29, 43, 46, 67, 78f., 83, 97, 146, 152, 156, 159, 162, 171 Intellektualisierung 78 Interaktion 125 – Konflikt 126 Inzestbarriere 148 Inzestgefahr 131 Inzesttabu 148f. inzestuöse Bindung 60 inzestuöse Wünsche 44, 109, 148 Israel, L. 133, 153 J Janet, P. 16, 35, 85, 167 Jaspers, K. 108

K Kahn, M. 161, 166 Kastrationsangst 148 Kastrationskomplex 70 Katatonie, hyperkinetische 95 Katharsis 35, 37 Kernberg, O. 90 King, V. 148 Kiriakos, R. 27 Klein, M. 175 klinisch-dynamische Ebene 94, 176 kognitiver Stil 9f., 75f., 127, 138, 168 Kohn 153 Kommerzialisierung (der Sexualität) 150 Kompensierung 81, 124, 177 Konditionierung 43 Konflikt 9, 14, 16, 20ff., 28, 42, 44f., 60, 69, 74, 88, 90f., 99, 105, 117, 120f., 126, 129, 132, 136, 145, 148ff., 154, 164, 169, 174f., 177f. – äußerer 95 – depressiver 147 – emotionaler 42, 45 – intrapsychischer 40, 59, 74, 93, 97, 110, 146, 167 – neurotischer 13, 57, 76, 110, 119, 112, 167 – ödipaler – s. ödipaler Konflikt – sexueller 89 – unbewusster 9 – verdrängter 89 Konfliktlösung 94 Konfliktverarbeitung 13, 76, 95, 120, 146, 149f., 153, 170 – neurotische 17, 95, 119f., 168 Konversion 37f., 41, 45, 55, 57, 88, 91, 93, 99, 113, 167f. – Hysterie 77, 116, 134

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– Reaktion 114 – Symptome 99, 116 Konversionsstörung 143, 151 Körperdarstellung, symbolische 77 Körperschema 83 Körpersprache 20f., 28, 38, 44, 88, 91, 99, 114f., 134, 146, 168, 178 Koukkou, M. 174 Kramer, H. 32 Krankheitsgewinn – primärer 44, 99, 105, 110f., 124 – sekundärer 79, 99, 105, 110, 123, 168, 177 Kreislaufstörungen 28 Kretschmer, E. 33, 167 Krohn, A. 69f., 173 Kuiper, P. C. 69 Kulturabhängigkeit 166, 170, 173 L Lähmungen 9, 21, 28, 35, 42, 76, 149 Lacan, J. 174 Laplanche, J. 79 Lazare, A. 90 Leere, innere 100, 108f. Lepois 33 Lerntheorie 45 Lesser, S. R. 90 libidinöse Energie 38, 44 Liebesunfähigkeit 63 Liebesverlust 130 Lipowski, Z. J. 27 Lust-Unlust-Prinzip 80 Lyons, H. 133 M Magersucht 81 magisches Denken, – Handeln 102, 112f.

Marmor, J. 89, 133 Masochismus 70, 132 McKegney, F. P. 27 Melancholiker 102f. Mentzos, S. 30, 35, 74, 125, 132ff., 153, 158, 163f., 178 Minderwertigkeitsgefühl 90, 107, 124 Mitscherlich-Nielsen, M. 28 Modus 9, 117, 119, 121, 146, 150, 175, 177f. – hysterischer 14, 17, 70, 76, 85f., 94f., 99, 104f., 108, 112f., 117, 120ff., 126, 128, 131, 145ff., 149f., 154, 168f., 165 – perverser 149f. – psychotischer 150 multiple Persönlichkeit 103, 151 Mutter-Tochter-Beziehung 41 N Naivität 71, 76, 82, 125 Napoleon 141 narzisstisch 40, 48, 62, 70f., 89, 108, 121f., 125, 129f., 140f. – Homöostase 107 – Kränkung 108 – Problematik 90, 92, 94, 122, 167 – Gewinn 107 – Defizit 111 – Wünsche 63 negative Verstärkung 144 Nemiah, J. C. 61 Nervenzusammenbruch 28 Neurose 16, 36, 39, 45, 56, 74, 85, 94, 133 – depressive 120f. – hysterische 17, 116, 120ff., 133, 135 – vegetative 113

187 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

O Objekt 148ff., 175ff. -besetzung 39 -beziehungstheorie 175 ödipal 39, 41f., 57, 67, 89, 91, 94, 107, 109, 121f., 129f., 146ff., 167f., 174 ödipale Fixierung 60, 89ff., 98 ödipale Kollusion 130 ödipale Phase 148 ödipaler Konflikt 40, 60, 67, 69f., 88, 90f., 93, 98, 120ff., 140f., 145, 147, 149 Ödipuskomplex 39 Ohnmacht 28, 114f., 170 Operationalisierung 151, 170 oral 40, 57, 89f., 92, 120f., 129f., 139f., 167 – Abhängigkeit 99, 141 – Fixierung 99 – Phase 39 – Problematik 90, 94, 122 P paranoid 47 Passivität 60, 69f., 173 – Bedürfnisse 133 Peters, U. H. 119 phallische Kollusion 129 phallische Phase s. ödipale Phase phallisch-narzisstischer Charakter 70f. Phallus 175 phänomenologisch-psychodynamische Ebene 63, 117, 120, 170 Phobie, Phobiker 101f., 135 Photosensibilität 178 Pittrich, W. 133 Plato 31 Poliomyelitis 42 Pontalis, J. B. 79 positive Verstärkung 144

prägenital 88, 174 – Fixierung 89 – Konflikt 91 präödipal 148 Primärobjekt 149 Pseudodemenz 24, 110 Pseudodepression 23, 28, 116 Pseudoidentifikation 84, 100 Pseudonaivität 76 Pseudopersönlichkeit 100, 108 Pseudoprogression 141 pseudoprogressive Form 101, 125, 139f., 149. 168 pseudoregressive Form 71, 101f., 125, 139ff., 149, 168 Pseudoselbst 26, 100 Psychasthenie 167 Psychoanalyse 9, 14, 35, 38f., 45, 59, 79, 90, 93, 96, 135, 145, 147, 167 psychodynamische Phänomenologie 94 Psychogen 21, 50 Psychoneurose 67, 91 Psychose 176 psychosomatisch 28, 42, 83, 113ff., 121f., 146, 166, 172 psychosoziales Arrangement 137 Pubertät 31 R Rache 111 – bedürfnis 111 Rangell, L. 38 Realität, innere 25, 65 Realitätsprüfung 80 Regression 39, 45, 57, 71, 162 – psychosomatische 28 Reich, W. 59ff., 69, 71, 89

188 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Reiz-Reaktion-Schema 167 Reliabilität 151 Reminiszenzen 36f. Resomatisierung 28, 113, 115 – psychosomatische 113 Rivalität 147f. Rolle 34, 39, 47, 70, 89, 110, 126, 177 – Übernahme 80, 83, 95 S sadomasochistische Beziehung 132 Schmerzsyndrome 28 Schuldgefühl 106, 110, 124, 176f. Schur, M. 113 sekundäre Hysterisierung 121f., 162f. Selbst – negatives 130f. Selbstdarstellung 76, 108, 169, 173 Selbstdestruktivität 102 Selbstmord s. Suizid Selbstrepräsentanz 84, 97f., 100, 102, 104, 107f., 149, 168f., 176 Selbstwahrnehmung 84 Selbstwertgefühl 72, 74, 107, 141, 173 Sensationslust 160 Sensibilitätsstörung 82 Sexualität 39, 98, 150, 152, 162, 165, sexuelle Erregung, Gefühle 20, 32, 72, 106, 162 sexuelle Wünsche 25, 39, 111, 148, 175 Shapiro, D. 75, 112 Siebecke-Giese, E. 10 Siegmann, A. J. 74 Simulation, Simulant 73, 104, 113, 166

so called good hysteric 90 somatische Innervation 38 Somatisierungstörungen 151 Somnambulismus 35 Springer, J. 32 Stefansson, J. G. 27, 116 Stigmata diaboli 32 Stottern 88, 99, 168 Strafe 44, 106 Strukturtheorie 59 Suggestibilität 26, 60, 62f., 95, 142f. Suggestion, kollektive 30 suggestive Verfahren 143f. Suizid -absicht 25f. -drohung 126 -techniken 23 -versuch 28, 48 Symbiose 90 Symbol, symbolisch 20f., 36ff., 43–46, 77, 84f., 88, 95, 99, 113ff., 139, 173, 175, 178 Symbolbildung 77 Symbolfunktion 38 Symbolik, unbewusste 75, 167f. symbolische Ausdrucksfunktion 38, 44 symbolisches Potenzial 77 Symbolisierung 45, 85, 91, 150, 173 Symbolsprache 38 Symptome – dissoziative 86, 104 – Ersatz- 143 – hysterische, s. hysterische Symptome – konversionshysterische 21, 167 – körperliche 20, 55, 57 – psychosomatische 83, 115, 121 Symptomhysterie, männliche

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Symptomneurosen 27, 60, 62, 76, 117 Symptomverschiebung 143 Symptomwandel 27, 55, 94, 143 T Tagträume 36, 42, 49 Teilobjekt 150, 173 Teufel 32 Theatralik 15, 150 Tokio Hotel 155 Totstellreflex 167 Trauma – psychisches 35f. Traumarbeit 46 Traumaverarbeitung 14, 145, 153 Träume 50, 52, 54f. Triangulierung 148f. Trieb (sexueller) 149 Triebbefriedigung 74, 106, 111, 177 Triebentwicklung 60, 174 Triebimpulse 32, 38, 56 Triebunterdrückung 34 Triebwünsche 88 Tschernobyl 161 Tucholsky, K. 98 U Über-Ich 26, 71, 73f., 86, 97, 99, 101f., 106, 124, 168, 176 Über-Ich-Entlastung 32f. Übertragung – auf den Therapeuten 43, 57f. – auf den Vater 57 Übertragung – Gegenübertragung 94

Übertragungsfantasie 57 Übertragungssituation 45, 106, 136 Unechtheit 15, 126, 141 Uterusprolaps 33 Uterus-Theorie 133 Uexküll, Th. v. 114 V Valenstein, A. F. 78 Vaterübertragung 57, 131 Veith, I. 15, 31, 33 Verarmungsideen 23 Verdrängung 37f., 52ff., 57, 77, 84f., 97, 109, 118, 168, 176 verführerisches Verhalten 26, 63f., 111 Verhaltensmuster 19, 24, 28, 59, 62f., 79, 81ff., 122, 166 Verhaltenstherapie 45, 135, 143 Verschiebung 38, 82, 136 W Wahrnehmung 85, 138 – Störungen 22 Watzlawick, P. 113 Weltrepräsentanz 102 West, L. J. 86 Widerstand 37, 54, 136 neurotischer 136 Willi, J. 29, 125, 129ff. Winnicott, D. W. 175 Winter, H. 107 Wisdom, J. O. 173 Wittels, F. 59f., 89 Wolowitz, H. M. 100, 108 Wunschbefriedigung, -erfüllung 51, 57, 80 Wunscherfüllungstyp 70

190 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Z Zetzel, E. R. 90 Ziegler, H. E. 27 Zittersyndrom 27 Zwangscharakter 16 Zwangsneurotiker, zwangsneurotisch, Zwangsneurose 78, 101ff., 112f., 116, 120f., 127, 135f., 178

191 © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525461990 — ISBN E-Book: 9783647461991

Stavros Mentzos bei V&R Stavros Mentzos Lehrbuch der Psychodynamik Die Funktion der Dysfunktionalität psychischer Störungen 7. Auflage 2015. 302 Seiten, mit 8 Abb. und 3 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-40123-1 eBook: ISBN 978-3-647-40123-2 Stavros Mentzos’ konsequent psychodynamische Perspektive kann als Gegenentwurf zur ICD-10-Klassifikation gesehen werden. »Didaktisch klar und Inhaltlich überzeugend.« Deutsches Ärzteblatt (Christian Maier) »Es ist eine lohnende Lektüre.« Psyche (Joachim Küchenhoff) »Die Metaphern sind Kostbarkeiten und das Bipolaritätsmodell ist ein wertvoller Generalschlüssel zum Krankheitsverständnis und zur Therapie!« schule.at (DDr. Franz Sedlak)

Stavros Mentzos Depression und Manie Psychodynamik und Therapie affektiver Störungen 5. Auflage 2011. 206 Seiten mit 5 Abb., 3 Tab., kartoniert. ISBN 978-3-525-45775-7 eBook: ISBN 978-3-647-45775-8

Stavros Mentzos Der Krieg und seine psychosozialen Funktionen 2. Auflage; Neufassung 2002. 256 Seiten mit 6 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-01469-1

Forum der psychoanalytischen Psychosentherapie Die Schriftenreihe wird herausgegeben von Stavros Mentzos, Günter Lempa, Norbert Matejek, Thomas Müller, Alois Münch, Elisabeth Troje.

Band 31: Stavros Mentzos / Alois Münch (Hg.) Widerstände gegen ein psychodynamisches Verständnis der Psychosen 2015. Ca. 208 Seiten, mit 6 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-45245-5

Band 28: Stavros Mentzos / Alois Münch (Hg.) Das Schöpferische in der Psychose 2012. 127 Seiten, mit 14 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-45236-3

Band 26: Dorothea von Haebler / Stavros Mentzos / Günter Lempa (Hg.) Psychosenpsychotherapie im Dialog Zur Gründung des DDPP 2011. 125 Seiten mit 5 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-45127-4

Band 24: Stavros Mentzos / Alois Münch (Hg.) Reflexionen zu Aspekten einer Theorie der Psychosen 2010. 121 Seiten mit 2 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-45238-7

Weitere Bände: www.v-r.de Verlagsgruppe Vandenhoeck & Ruprecht

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