128 21 21MB
German Pages 218 Year 1984
ULRICH BEHM
Sachbeschädigung und Verunstaltung
Schriften zum Strafrecht
Band 56
Sachbeschädigung und VeruDstaltung Zur Notwendigkeit einer Abgrenzung bei der Auslegung des § 303 I StGB
Von
Dr. Ulrich Behm
DUNCKER
&
HUMBLOT
/
BERLIN
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Behm, Ulrich: Sachbeschädigung und Verunstaltung: zur Notwendigkeit e. Abgrenzung bei d. Auslegung d. § 303 I StGB / von Ulrich Behm. Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 56) ISBN 3-428-05644-2
NE:GT
Alle Rechte vorbehalten
© 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41
Gedruckt 1984 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428·05644-2
Meinen Eltern und meiner Frau
Vorwort Das Thema "Sachbeschädigung und Verunstaltung" ist auf den ersten Blick ein Gegenstand, der als Detailproblem eines ohnehin wenig beachteten Tatbestandes vertiefter Untersuchung kaum wert erscheinen mag. Alsbald wird jedoch, wer sich dennoch hierauf einläßt, rasch zu grundsätzlichen Fragen geführt, die vielerorts im Besonderen Teil eine wichtige Rolle spielen, sich aber bei einem so einfach gefaßten Tatbestand wie § 303 StGB besonders deutlich stellen; insbesondere die Frage, in welchem Umfang das Beschädigungsmerkmal dem Schutz des privaten Sacheigentums zu dienen hat, verweist auf das grundsätzliche Problem von Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Kriminalstrafe und auf die dem Rechtsgüterschutz mit strafrechtlichen Mitteln hierdurch gezogenen Grenzen gegenüber den Sanktionsinstrumenten anderer Rechtsgebiete. Zweifel dar an, ob diese Grenzen von den Strafgerichten, die jahrelang eine hohe Zahl von Tätern - vor allem in Fällen unbefugten Plakatierens - wegen Sachbeschädigung verurteilten, in hinreichendem Maße beachtet worden sind, bildeten den Anstoß für die vorliegende Untersuchung. Die Arbeit wurde im Wintersemester 1983/84 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis Ende 1983 berücksichtigt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Volker Krey für die eingehende und freundliche Betreuung der Arbeit, deren Entwicklung er in vielen Gesprächen durch seinen Rat und verständnisvolle Kritik gefördert hat. Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. Knut Amelung für die Mühe des Zweitgutachtens und zahlreiche wertvolle Anregungen und Literaturhinweise. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. J. Broermann für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe "Schriften zum Strafrecht". Danken möchte ich schließlich meinen Eltern Claus-Ulrich und Alexandra Behm, deren stete Anteilnahme und Fürsorge mich wie stets so auch bei dieser Arbeit begleitet haben, und meiner Frau Angela
Vorwort
8
Behm, ohne deren hohe persönliche Opferbereitschaft ich mein Dissertationsvorhaben nicht hätte realisieren können. Ihnen ist die Arbeit gewidmet. Trier im Februar 1984
Ulrich Behm
Inhaltsverzeichnis Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
15
Erster Teil
Der Meinungsstand in Reclltsprecbung und Literatur § 1 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Beschädigungsmerkmal des § 303, insbesondere zu den VerunstaltungsfäUen ................
I. Der Beschädigungsbegriff des Reichsgerichts .... . . . . . . . . . . . . . . ..
20
2. Das Kriterium der Minderung der Gebrauchstauglichkeit .... 3. Weitere Kriterien .......................................... 4. Ergebnis ...................................................
20 20 26 28 29
II. Die Lösung der Verunstaltungsfälle ............................ Ergebnis ............................................... . ......
30 33
§ 2 Das ältere Schrifttum ... ................................... , ..... ..
34
1. Das Kriterium der "Substanzalterierung" ..................
I. Tatsächliche Gesichtspunkte: Substanzverletzung und Substanzveränderung .................................................. 34 II. Rechtliche Gesichtspunkte ..................................... 1. Brauchbarkeitsminderung .................................. 2. Verletzung des Eigentümerinteresses ........................ 3. "Erheblichkeit" der Beeinträchtigung .......................
35 36 37 38
III. Ergebnis ....... . .......... . ......................... . .. . .... . .
40
§ 3 Die neuere Rechtsprechung ........................................
40
I. Die neuere Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zu den Verstaltungsfällen ................................................ 1. Funktionsvereitelung .................................. . .... 2. Zustandsveränderung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis ................................................... 3. "Erheblichkeit" der Beeinträchtigung. .. . . ... . . . . .. . .. . . .. . .. 4. Fazit.......................................................
40 41 43 45 45 47
II. BGHSt 29, 129 und die jüngste Rechtsprechung ......... . ......
48
Inhaltsverzeichnis
10
57
§ 4 Das neuere Schrifttum
I. Zur Auslegung des Beschädigungsmerkmals des § 303 StGB im allgemeinen ................................................... 57 1. Die Ansicht Gutmanns ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 57 2. Die herrschende Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Zum Verhältnis Verunstalten - Beschädigen im besonderen. ... 1. Das Kriterium der Funktionsvereitelung .................... a) Objektive Theorien ...................................... (1) Objektive Brauchbarkeitsminderung .................. (2) Die Beeinträchtigung der "Ansehnlichkeit" ............ b) Die Subjektivierung des Funktionsbegriffs .............. 2. Das Kriterium der Zustandsveränderung ....................
60 60 60 61 62 63 65
§ 5 Zusammenfassung: Der gegenwärtige Problemstand ................
68
I. Resumee der gegenwärtigen Diskussion und erste Stellungnahme 1. Deskriptive Voraussetzungen: Substanzeingriff versus Substanzverletzung ............................................ 2. Normative Voraussetzungen: Objektive Funktionsvereitelung versus willenswidrige Zustandsveränderung ................ 3. Das tatbestandseinschränkende Merkmal der "Erheblichkeit": Einwirkungs- versus Restitutionsschaden ..................
69
70
11. Zusammenfassende übersicht über den gegenwärtigen Meinungsstand .........................................................
71
111. Konkretisierung der Fragestellung ............................
72
69 70
Zweiter Teil
Entwicklung einer eigenen Lösung § 1 Methodische Gesichtspunkte der Gesetzesauslegung
74
§ 2 Grammatische Auslegung ..........................................
75
I. Zur Bedeutung grammatischer Auslegung ...................... 75 11. Die grammatische Auslegung des Merkmals "beschädigt" in § 303 StGB ......................................................... 76 111. Konsequenz für die dargestellten Ansichten .................... 79 IV. Ergebnis ...................................................... 81
Inhaltsverzeichnis
11
§ 3 Systematische Auslegung ..........................................
81
1. Zur Bedeutung systematischer Auslegung ......................
81
H. Die systematische Auslegung des Merkmals "beschädigt" in § 303 StGB ......................................................... 1. Tatbestands- und Gesetzesabschnittssystematik ............. , 2. Sonstige Formen der Einwirkung auf Sachen im StGB ...... a) "Verunstalten" (§ 134 StGB) .............................. b) "Verändern" (§§ 87 H Nr. 2, 109 e, 145 H Nr. 2, 316 b, 317 StGB) .................................................. 3. Weitere systematische Gesichtspunkte ......................
82 82 85 85 88 91
IH. Relativierung des gefundenen Ergebnisses durch mögliche Einwände aus dem Normzweck .................................... 93 1. Zur "Relativität von Rechtsbegriffen" ...................... 93 2. Konsequenzen für das bisherige Ergebnis ................... 93 IV. Ergebnis ......................................................
94
§ 4 Historische Auslegung .............................................
95
1. Zur Bedeutung historischer Auslegung ........................ H. Die dogmengeschichtliche Entwicklung der Sachbeschädigung bis zu § 303 StGB ................................................ IH. Reformvorschläge ............................................. 1. Der Vorschlag Schmollers .................................. 2. Der Vorentwurf von 1909 .................................. 3. Der Gegenentwurf von 1911 ................................ 4. Die Entwürfe von 1913 und 1919 ............................ 5. Der "Entwurf Radbruch" und die Entwürfe von 1925, 1927 und 1930 .................................................. 6. Der Entwurf von 1936 ...................................... 7. Der Entwurf von 1962 ...................................... 8. Der Regierungsentwurf zur Einführung eines § 118 a OWiG
95 95 98 99 99 100 100 100 101 102 106
IV. Ergebnis ...................................................... 107 § 5 Teleologische Auslegung ........................................... 108
I. Die Bedeutung teleologischer Auslegung ........................ 108 H. Die teleologische Auslegung des Merkmals "beschädigt" in § 303 StGB im allgemeinen .......................................... 109
12
Inhaltsverzeichnis 1. Der methodische Ausgangspunkt .................. ..... ..... 109
2. Das durch § 303 StGB geschützte Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Der phänomenologische Befund bei den Verunstaltungsfällen ............................. ...... ................ b) Der Schutz des Eigentums in der Gesamtrechtsordnung und im StGB ......................................... . ...... c) Der Schutz des Eigentums in § 303 StGB ...... .... ......
112 112 114 115
3. Die relative Bedeutung von Rechtsgutsbestimmungen . . . . . . .. 118 4. Güterschutzeinschränkende Verfassungsprinzipien der Straf-
rechtsinterpretation ........................................ a) Strafbedürfnis und Strafwürdigkeit ................ .... .. b) Der Grundsatz der Gesetzesbestimmtheit ................ c) Ergebnis ................................................
121 122 124 125
5. Die Behandlung unbefugter Oberflächen veränderungen im
Zivil- und Ordnungswidrigkeitenrecht ...................... 126 a) Zivilrechtliche Ansprüche des Eigentümers gegen den Urheber unbefugter Oberflächenveränderungen ............ 126 b) Die Erfassung unbefugter Oberflächenveränderungen im Ordnungswidrigkeitenrecht .............................. 128
6. Vergleich der zivil- und ordnungsrechtlichen mit der straf-
rechtlichen Ahndung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133 7. Hinweis auf einige ausländische Vorschriften ................ 137 II!. Kritik der zur Lösung der Verunstaltungsfälle vertretenen Ansichten .... ..... ............................................... 140 1. Das Kriterium der "Ansehnlichkeit" ........................ 140
2. Die Subjektivierung des Funktionsbegriffs .................. a) Maiwald ................................................ b) Ruthe ................................................... c) RGSt 33, 177 ........ .. .................................. d) Ergebnis ................................................
144 144 151 153 154
3. Die objektive Zustandsveränderungstheorie .......... .. .... 154 a) Schroeder ......................................... . . .. .. 154 b) Schmid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 161 4. Die subjektive Zustandsveränderungstheorie ................ 162 a) Haas .................................................... 162 b) Gössel .................................................. 165 5. Ergebnis ................................................... 167 6. Die Auffassung des BGH und verwandte Ansichten im Schrift-
turn ........................................................ 169 a) BGHSt 29, 129 ........................................... 169 b) Die Vertreter eines restriktiven Beschädigungsbegriffs in der Literatur .... ...... .................. ..... " .. . ...... 172
Inhaltsverzeichnis
13
IV. Der eigene Lösungsvorschlag .................................. 173 1. Fazit der bisherigen Ergebnisse zur teleologischen Auslegung des § 303 StGB ............................................. 173
2. Aufgabenstellung .......................................... 3. Zum Beschädigungsbegriff ................................. a) Substanzverletzung ...................................... b) Tauglichkeitsminderung .................................
173 174 174 175
4. Die Lösung der Verunstaltungsfälle ......................... 179 5. Zusammenfassung.......................................... 184 V. Das Merkmal der "Erheblichkeit" .............................. 185 1. Zur Rechtsnatur des Ausschlusses "unerheblicher" Beeinträch-
tigungen ................................................... 186
2. Kriterien zur Bestimmung der "Erheblichkeit" .............. a) Die Wiederherstellbarkeit des unversehrten Sachzustandes (1) Die Fälle der Tauglichkeitsminderung ................ (2) Die Fälle der Substanzverletzung .................... (3) Ergebnis ............................................. b) Weitere Kriterien zur Präzisierung der "Erheblichkeit" ....
191 192 192 195 197 198
3. Die Bedeutung der "Erheblichkeit" für die Abgrenzung des Versuchs von der Vollendung bei der Sachbeschädigung durch Verunstaltung .............................................. 200 Zusammenfassung und Ausblick ....................................... 202 Literatur- und Zitierverzeicbnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207 ~aterialien
zur Strafrecbtsreformm ...................................... 218
Verzeichnis weniger gebräuchlicher Abkürzungen C.P.
(italienischer) Codice penale
pr.GS
preußische Gesetzessammlung
sst
Entscheidungen des österreichischen obersten Gerichtshofs in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten
VDBT
Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts - Besonderer Teil
WRP
Wettbewerb in Recht und Praxis
zruv
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins
Einleitung I. Die Erscheinung, daß Menschen ihre Gefühle und Meinungen anderen kundtun, indem sie sie auf Mauern, Wänden oder sonstigen Flächen dokumentieren, die der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zugänglich sind, ist nicht neu1• Heute ist es insbesondere kommerzielle und politische Werbung, die in unserem gesellschaftlichen Leben eine bedeutsame Rolle spielt und das Erscheinungsbild unserer alltäglichen Umgebung maßgeblich be einflußt. Dies geschieht in übereinstimmung mit geltendem Recht, wenn hierfür von privaten Eigentümern, kommunalen Gebietskörperschaften oder gewerblichen Unternehmen angemietete Flächen genutzt und nach baurechtlichen Maßstäben gestaltet werden. Seit einigen Jahren sieht sich jedoch die Öffentlichkeit mit dem Phänomen konfrontiert, daß vor allem im städtischen Bereich massenhaft und anonym Plakate und Parolen an jedem denkbaren Ort angebracht werden, wo ihre Urheber mit einer Wirkung auf Passanten rechnen können. Diese Erscheinung, die bereits die Aufmerksamkeit von Soziologen und Kunstwissenschaftlern auf sich gelenkt hat2 , ist auch in rechtlicher Hinsicht von erheblicher Bedeutung. Denn hierbei wird stets fremdes Eigentum ungefragt in Anspruch genommen, und dies in für den Eigentümer meist höchst unwillkommener Weise, weil er mit der an seinen Gegenständen vorgenommenen Veränderung nicht einverstanden ist und ihre Beseitigung einen vielfach beträchtlichen Kostenaufwand erfordert; insbesondere dem Haushalt kommunaler Gebietskörperschaften erwächst aus den Reinigungskosten eine erhebliche Belastung. II. Für das Strafrecht stellt sich hier die Frage, ob die genannten Verhaltensweisen als Sachbeschädigung den Tatbestand des § 30~ StGB erfüllen. Dementsprechend beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung mit dem Problem, ob sich die unbefugte Veränderung des Erscheinungsbildes einer fremden Sache durch Einwirkung auf ihre Oberfläche (sog. 1 Wie Ausgrabungen zeigen, wurden derartige Praktiken schon vor der Zeitenwende geübt; s. z. B. Krenket, Pompejanische Inschriften, Leipzig
1963. 2
s. unten 2. Teil, § 5 11 5 b)
(1).
16
Einleitung
Verunstaltung) unter das Tatbestandsmerkmal "beschädigt" in § 303 StGB subsumieren läßt oder ob eine Abgrenzung des Beschädigungsmerkmals gegenüber Verunstaltungshandlungen erforderlich ist. Anlaß zur Untersuchung dieser Frage gab der Beschluß des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 13.11. 19793 , dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Die Angeklagten hatten ein 40 x 60 cm großes, buntes Plakat auf einen Verteilerkasten der Deutschen Bundespost geklebt, dessen Erscheinungsbild nach den tatrichterlichen Feststellungen so schlicht wie möglich nach ausschließlich technischen Gesichtspunkten gestaltet und nicht darauf ausgerichtet war, auf den Betrachter gefällig zu wirken. Die Bedeutung dieses Judikats für die Ausgangsfrage ergibt sich aus folgendem: Das gehäufte Auftreten von Fällen unbefugten Plakatierens vornehmlich im Eigentum der öffentlichen Hand stehender Gegenstände hatte die Rechtsprechung seit Mitte der siebziger Jahre zur Prüfung der strafrechtlichen Relevanz dieses Verhaltens genötigt. Hierzu war eine Fülle von Entscheidungen der Oberlandesgerichte ergangen, in denen fast einhellig 4 Verurteilung wegen Sachbeschädigung nach § 303 StGB erfolgte. Diese Rechtsprechung stieß auf ganz überwiegende Zustimmung in der Rechtslehre 5 • Zur Anwendung des Sachbeschädigungstatbestandes führten hierbei folgende Erwägungen: Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichtsll, die sich auch der BGH zu eigen gemacht hatte 7 , wurde als Sachbeschädigung jede nicht ganz unerhebliche körperliche Einwirkung auf eine Sache angesehen, durch die deren stoffliche Zusammensetzung verändert oder sonst ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, daß die Brauchbarkeit für ihre Zwecke gemindert ist. Hierzu sollte auch genügen, daß die Einwirkung zwar keine stoffliche Verringerung oder Verschlechterung des Gegenstandes (sog. Substanzverletzung), wohl aber eine belangreiche Veränderung der äußeren Erscheinung und Form bewirktes. Unter Berufung auf diese Judikatur wurde das Ankleben von Plakaten auf Brückenbögen', die Sichtbetonverkleidung einer fußgängers BORSt 29,129 = NJW 1980, 350 = JR 1980, 217 = JZ 1980, 67. 4
5 8
7 8
D
s. Dreher I Tröndle § 303 Anm. 6 m. w. N. Dreher I Tröndle a.a.O. ROSt 43,204; 74, 14. BORSt 13, 207 = JZ 1960, 226 m. Anm. Klug. ROSt 43,204; 74, 14. OLO Ramburg NJW 1975, 1981 = OLGSt Bd. 3 S. 1 zu § 303.
Einleitung
17
unterführung10, den Kellereingang eines Berufsschulzentrums ll und in zahlreichen Fällen auf Verteilerkästen der Bundespostl 2 als belangreiche Veränderung des Erscheinungsbildes dieser Gegenstände und damit als Verunstaltung13 angesehen, die, jedenfalls wenn die Plakate nicht ganz leicht entfernbar waren l4, als strafbare Sachbeschädigung gewertet wurde. Soweit den plakatierten Gegenständen eine auf ästhetische Wirkung zielende Gestaltung zugesprochen wurde, begründete man die Annahme von Sachbeschädigung mit der Beeinträchtigung dieser ästhetischen Wirkung unter Berufung auf die genannte Rechtsprechung des RG, wonach entscheidend für den Tatbestand des § 303 die Minderung der Brauchbarkeit der Sache für ihre Zwecke sei. Soweit den fraglichen Gegenständen keine derartige Gestaltung eigen war, wurde unter Verzicht auf das Kriterium der Brauchbarkeit überwiegend 1ö auf die erhebliche Veränderung des Zustands der Sache abgestellt, die unter Verletzung des maßgeblichen Gestaltungswillens des Sacheigentümers erfolgt sei. Mit dieser Begründung nahmen z. B. das OLG Düsseldorf l6 bei der Plakatierung der freien Werbefläche eines Rheinbahnwartehäuschens, das OLG Karlsruhe beim Bemalen des Asphaltfußbodens einer Fußgängerunterführung 17 sowie beim Plakatieren eines Bauzauns18 und das OLG Hamburg beim Bekleben einer unansehnlichen Einfriedungsmauer 19 mit Plakaten Sachbeschädigung an. Allein der 3. Senat des OLG Karlsruhe20 folgte der letzteren Ausweitung nicht und sah nur solche Gegenstände als taugliche Objekte von Sachbeschädigung in der Form der Veränderung des Erscheinungsbildes an, denen nach ihrer Zweckbestimmung -eine eigene Ansehnlichkeit zukommt, was z. B. bei Verteilerkästen nicht der Fall sei. Diese abweichende Stellungnahme führte auf Vorlage durch das OLG Hamburg 21 zu dem genannten Beschluß des BGH. Der BGH hat sich weder der Ansicht des OLG Hamburg noch der des OLG Karlsruhe angeschlossen: Er verlangt für die Annahme einer SachOLG Karlsruhe (3. Senat) JR 1976, 336. OLG Bremen MDR 1976, 773. 12 z. B. OLG Celle OLGSt Bd. 3 S. 9 zu § 303; OLG Oldenbwg JZ 1978, 70. 13 z. B. OLG Oldenburg a.a.O. S. 71. 14 z. B. OLG Oldenburg a.a.O. 15 z. B. OLG Oldenburg a.a.O.; OLG Karlsruhe (1. Senat) Justiz 1978, 28l. 1& OLG Düsseldorf OLGSt Bd. 3 S. 13 zu § 303. 17 OLG Karlsruhe (1. Senat), Justiz 1978, 323; verurteilt wurde aus § 304 StGB. 18 NJW 1979, 2056. 19 OLG Hamburg OLGSt Bd. 3 S. 15 zu § 303. 20 OLG Karlsruhe JZ 1978, 72. 21 NJW 1979, 1624. 10 11
2 Behm
Einleitung
18
beschädigung durch Aufkleben von Plakaten eine (möglicherweise auch bei der Beseitigung des Plakats eintretende) Substanzverletzung oder Minderung der technischen Brauchbarkeit des Trägerobjekts 22 • Die bloße Veränderung der äußeren Erscheinung einer Sache genüge zur Tatbestandserfüllung nur in den Ausnahmefällen,. in denen die Gebrauchsbestimmung eines Gegenstandes mit seinem ästhetischen Zweck zusammenhängt, was etwa bei Statuen, Gemälden und Baudenkmälern der Fall sei23 • Diese wohl unerwartet24 restriktive Entscheidung des BGH, der sich alsbald auch dessen 3. Senat25 anschloß, ist in der Rechtslehre ganz überwiegend auf Ablehnung gestoßen 2il • Eine Vielzahl veröffentlichter Urteile aus jüngster Zeit27 deutet darauf hin, daß auch für die Gerichte mit dem Beschluß des 5. Strafsenats die strafrechtliche Problematik verunstaltender Sacheinwirkungen noch keineswegs gelöst ist. Vielmehr läßt die in einigen dieser Entscheidungen spürbare Tendenz, jedenfalls für gewisse Verunstaltungshandlungen (insbesondere das Parolenspruhen) die vom BGH aufgestellten restriktiven Maßstäbe wieder zu lockern, vermuten, daß der Standpunkt des BGH sich auch in der Rechtsprechung nicht überall durchzusetzen vermocht hat. III. Eine Stellungnahme zu dieser Kontroverse setzt die Beantwortung der Eingangsfrage voraus, d. h. der Frage, ob das Beschädigungsmerkmal des § 303 verunstaltende Eingriffe an fremden Sachen erfaßt oder ob eine Abgrenzung vorgenommen werden muß. Die vorstehende Einführung in das Problem zeigte, daß die fragliche Fallgruppe in den Grenzbereich des Sachbeschädigungstatbestandes fällt. Eine Studie zu den Grenzen des Normbereichs des § 303 hat jüngst
Ruthe 28 vorgelegt.
Da unsere Untersuchung in wesentlichen Punkten zu abweichenden Ergebnissen gelangt, muß trotz ihres beschränkten Gegenstandes eine grundsätzliche Stellungnahme zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "beschädigt" des § 303 in ihrem Mittelpunkt stehen. 22 23
24
BGRSt 29, 129 (132). BGR a.a.O. S. 134. Vgl. Joecks JA 1978, 592 (593 a. E.), der erwartete, daß "eher kriminal-
politische Erwägungen (Abschreckung) seine (BGH) Entscheidung bestimmen werden"; s. auch Friedrich WRP 1978,698 (699). 25 BGR NJW 1980, 602 (603) = BGHSt 29, 159. 28 Dreher / Tröndte § 303 Rdn. 6; Schönke / Schröder / Stree § 303 Rdn. 8; Maiwatd JZ 1980, 256; Gösset JR 1980, 188; Ruthe, Normbereich, S. 150; Döt-
Hng NJW 1981, 207 f.; Disse S. 327 f. 27 s. unten § 3 II 4. 28 Ruthe, Der Normbereich der Sachbeschädigung, Erlangen - Nürnberg 1980.
Einleitung
19
Dabei wird unter "Verunstaltung" eine solche Einwirkung auf die Oberfläche einer Sache verstanden, die - ohne hierdurch den Sachkörper anzugreifen - die optische Wirkung der Sache für den Betrachter verändert. Die Begriffe "unbefugte Oberfiächenveränderung" und "Verunstaltung" werden dem Sprachgebrauch in Literatur und Rechtsprechung folgend synonym verwandt29 • Im Ersten Teil wird die Entwicklung der Ansichten in Rechtsprechung und Literatur ausführlich dargestellt. Frühere Arbeiten haben die Fallgruppe unbefugter Oberflächen veränderungen allenfalls im Kontext anderer Erscheinungsformen der Sachbeschädigung mitbehandelt, so daß Stellungnahmen hierzu nur verstreut zu finden sind und eine zusammenhängende übersicht bisher fehlt. Bei der Darstellung wird zunächst auf eigene Wertungen weitgehend verzichtet; stattdessen sollen Mißverständnisse und terminologische Fehldeutungen aufgezeigt werden, die das Verständnis der in der Diskussion vertretenen Standpunkte beeinträchtigen, um die grundsätzlichen übereinstimmungen und Gegensätze zu verdeutlichen. Die sich aus der Darstellung des Meinungsstandes ergebenden Konkretisierungen der Fragestellung führen im Zweiten Teil zur Auslegung des Beschädigungsmerkmals des § 303 anhand des Normtextes, der Gesetzessystematik, der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und insbesondere teleologischer Gesichtspunkte. Hieraus werden Maßstäbe für die Kritik der zu den Verunstaltungsfällen bisher vertretenen Ansichten abgeleitet, die die Entwicklung des eigenen Standpunktes ermöglichen. Zur Abgrenzung der hiernach zur Tatbestandserfüllung tauglichen Verunstaltungshandlungen von nicht strafwürdigen Verhaltensweisen erfolgt abschließend eine Auseinandersetzung mit dem in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Begriff der "Erheblichkeit" von Beschädigungshandlungen.
29
2·
Abw. offenbar DöHing, NJW 1981, 208 Fn. 11.
Erster Teil
Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur § 1 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Beschädigungsmerkmal des § 303, insbesondere zu den Verunstaltungsfällen
I. Der Beschädigungsbegriff des Reichsgerichts
1. Das Kriterium der "Substanzalterierung" Die Judikatur zu den Verunstaltungsfällen ist entscheidend geprägt durch die Auslegung, die das Merkmal "beschädigt" des § 303 StGB insbesondere durch das Reichsgericht erfahren hat. Ohne jeden Zweifel als Sachbeschädigung zu qualifizieren und sicherlich in der Rechtswirklichkeit dominierend sind die Fälle des Abschlagens, Zertrümmerns, Verb rennens, Zerbrechens von Sachen 1 ; hier wird der Sachkörper, die Sachsubstanz im engsten sprachlichen Sinne verletzt. Würde sich der Anwendungsbereich des Tatbestandsmerkmals "beschädigt" auf diese Fälle beschränken, so wäre eine Verunstaltung nur dort als Sachbeschädigung strafbar, wo der dem Angriffsobjekt applizierte fremde Stoff den Sachkörper angreift2 • Die Regelfälle der Verunstaltung, in denen dem Trägerobjekt in Form von Schmutz, Farbe, Papier und Klebemitteln in mehr oder minder fester Verbindung Materie ohne weitere Folgen für den Sachkörper hinzugefügt wird, wären daher bereits aus diesem Grund als Sachbeschädigung nicht erfaßbar. Die Annahme, dieses enge Verständnis des Beschädigungsmerkmals im Sinne einer Substanzverletzung habe der frühen Rechtsprechung des Reichsgerichts zu § 303 zugrunde gelegen, findet sich in sämtlichen Darstellungen zu diesem Gegenstand 4• 1
! 3 4
Vgl. Lueder S. 73. z. B. übergießen eines Gemäldes mit Säure. Haas JuS 1978, 14 (16). Eine übersicht über die Entwicklung der RG-Judikatur zu § 303 geben
§ 1 Die Rechtsprechung des RG zum Beschädigungsmerkmal des § 303
21
Die einen5 meinen, das RG habe die Verletzung der Sachsubstanz als erste und notwendige Voraussetzung für die Annahme von Sachbeschädigung angesehen; andere 6 entnehmen weitergehend dieser Rechtsprechung, das RG habe hierin gar das entscheidende Kriterium für den durch die Tathandlung herbeigeführten Nachteil, also den Strafgrund der Vorschrift erblickt. Aus diesem Verständnis erwächst dem RG der Vorwurf, bei der Auslegung des § 303 einem "groben Naturalismus" angehangen zu haben7 ; erst das Versagen der naturalistischen Verletzungsvorstellung habe dann später dazu geführt, unter Aufgabe des Kriteriums der Substanzverletzung den Gedanken der Brauchbarkeitsminderung, bezog€n auf die Zweckbestimmung der Sache, zu entwickeln. Eine Analyse der Judikatur des RG zum Beschädigungsmerkmal, insbesondere zu den Verunstaltungsfällen, führt zu einer Korrektur dieser Beurteilung der frühen RG-Rechtsprechung: Die Entscheidung im 13. Bands, die erstmals zum Beschädigungsmerkmal Stellung nahm und stets zur Charakterisierung der früheren Rechtsprechung als Substanzverletzungstheorie zitiert wird, führt aus: "Was die beschädigende Handlung anlangt, so kann nach dem Wortlaute des Gesetzes unter Beschädigung einer Sache begriffsmäßig nur eine solche Einwirkung auf die Sache verstanden werden, durch welche die Substanz der Sache alteriert, die Unversehrtheit der Sache aufgehoben wird"9, und sieht somit Einwirkungen als nich,t tatbestandsmäßig an, "durch welche, unbeschadet der Substanz und Unversehrtheit der Sache deren Wert oder Zweckbestimmung beeinträchtigt wird, (...) mag auch die Sache für den Eigentümer wertlos geworden oder gar seinem Vermögen entzogen sein"IO. Doch wird hiermit nicht - wie man meinen könnte - eine Substanzverletzung gefordert und in einen Gegensatz zur Beeinträchtigung der Zweckbestimmung der Sache gebracht. Vielmehr dient, wie die weiteren Ausführungen zeigen, die "Alterierung der Substanz" dem RG rein negativ als Abgrenzungskriterium gegenüber der nach seiner Ansicht nicht vom Tatbestand des § 303 umfaßten Sachentziehung l1 • LK-Busch (9. Auf!.) § 303 Anm. 5; Maiwald, Zueignungsbegriff S. 122 - 124; ders. JZ 1980, 256 f.; Ruthe S. 99 - 102; Wolf S. 56 - 61. 5 z. B. Haas, JuS 1978, 16; Hassemer, JuS 1978, 278; Peter S. 16 ff.; Schroeder JR 1976, 338; so auch BGHSt 13, 207; Samsan Strafrecht II S. 80; Disse
S.324. 8 Grundlegend hierfür Wolf S. 56 ff.; ebenso Maiwald, Zueignungsbegriff, S. 1~2; Ruthe S. 99; Gutmann S. 59. 7 So Wolf S. 56 und im Ans·chluß an ihn Maiwald, Zueignungsbegriff, S. 122. 8 RGSt 13, 27. 9 a.a.O. S. 28. 10 a.a.O. S. 28. 11 RGSt 13, 27 (28); dies ergibt sich schon aus der in derselben Entscheidung
22
1.
Teil: Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur
Nicht mangels Substanzverletzung12 wird in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall (aus einem simpel aus Fachsäulen und Brettern bestehenden Stauwerk zur Berieselung von Wiesen hatte der Angeklagte die Bretter herausgezogen, um das Wasser seiner Mühle zuzuleiten) eine Beschädigung abgelehnt, sondern weil die Wirksamkeit des Stauwerks nur vorübergehend aufgehoben, die Bretter aber nicht ihrer Zweckbestimmung dauernd entfremdet worden seien 13 • Was unter "Alterierung der Substanz" zu verstehen ist, wird nicht näher erläutert; unter Ablehnung einer erweiternden Auslegung wird nur verlangt, es müsse "an der Sache selbst eine Änderung bewirkt" worden sein 14• Von einer Substanzverletzung15 als die Entscheidung tragendem Gesichtspunkt kann somit keine Rede sein. Ebenfalls als bloßes Abgrenzungskriterium dient der Begriff der "Alterierung der Substanz", der sich unverändert auch in späteren Entscheidungen findet 16 , in einer Entscheidung im 39. Band 17 ; hier war einer gemeindlichen Wasserleitung das Wasser abgegraben worden. Das RG führte aus, Gegenstand der Sachbeschädigung könne nur die Anlage selbst in