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German Pages 483 [486] Year 2015
Julian Aulke
Räume der Revolution Kulturelle Verräumlichung in Politisierungsprozessen während der Revolution 1918–1920
Geschichte Franz Steiner Verlag
Studien zur Geschichte des Alltags – 31
Julian Aulke Räume der Revolution
studien zur geschichte des alltags Begründet von Hans Jürgen Teuteberg und Peter Borscheid, herausgegeben von Clemens Wischermann und Stefan Haas
band 31
Julian Aulke
Räume der Revolution Kulturelle Verräumlichung in Politisierungsprozessen während der Revolution 1918–1920
Franz Steiner Verlag
Umschlagabbildung: „Straßensperre während des Spartakusaufstandes in Moabit, 1919“ (ullstein bild - Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11183-6 (Print) ISBN 978-3-515-11184-3 (E-Book)
Für Minnie
VORWORT Die vorliegende Studie wurde im Sommersemester 2015 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Sie wurde für den Druck geringfügig überarbeitet. Das Schreiben einer größeren wissenschaftlichen Arbeit ist manchmal von Einsamkeit geprägt. Trotzdem hat mich von der ersten Idee bis zum letzten geschriebenen Wort eine Reihe von Menschen begleitet, die die zurückliegende, nicht immer einfache Zeit zu einer guten Zeit gemacht haben. Als mein Doktorvater hat mich Prof. Dr. Stefan Haas von Beginn des Dissertationsvorhabens an begleitet. Ihm gebührt ein sehr großer Dank, denn er hat es mir ermöglicht, eine akademische Laufbahn einzuschlagen und mir stets genügend Raum gelassen, mich kreativ zu entfalten. Von ihm habe ich gelernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen und im wissenschaftlichen Kontext ich selbst zu sein. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dirk Schumann, der freundlicherweise das Zweitgutachten übernommen hat und mit wertvollen Ratschlägen den Entstehungsprozess der Arbeit begleitet hat. Dank gebührt auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mit ihrer finanziellen Unterstützung den Beginn der Promotionsphase gefördert hat. Ein herzlicher Dank geht an die Herausgeber der Reihe Studien zur Geschichte des Alltags, Herrn Prof. Dr. Clemens Wischermann (Konstanz) und Herrn Prof. Dr. Stefan Haas. Auch den MitarbeiterInnen des Franz Steiner Verlags sei ein großer Dank geschuldet, die den Verlauf der Drucklegung mit Rat und Tat stets unkompliziert und professionell begleitet haben und zu einer schnellen Veröffentlichung einen Beitrag geleistet haben. Die zahlreichen Archive, die ich in den letzten Jahren für die Arbeit aufgesucht habe, würden ohne ihre MitarbeiterInnen vermutlich zu Orten ohne Bedeutung. Daher sei auch diesen recht herzlich gedankt. Ein großer Dank geht an Henryk Dröge und Robert Bolinger, welche die Arbeit mit großem Engagement Korrektur gelesen haben. Für zahlreiche Anregungen und Hinweise danke ich auch dem gesamten Team des Lehrstuhls für Theorie und Methoden der Geschichtswissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen. Danken möchte ich meiner Familie, die mich in manch schwieriger Zeit wieder aufgebaut hat. Ohne meine Eltern, die stets an mich geglaubt haben, wäre die Arbeit vermutlich nicht in dieser Form zustande gekommen. Kaum angemessen erscheint es derjenigen Person in einem Satz zu danken, die mich in all den Jahren stets als meine bessere Hälfte begleitet hat. Yasmin Rehms ist hierfür der größte Dank geschuldet. Auf dass wir uns gemeinsam immer an diese Zeit erinnern werden. Göttingen, im Sommer 2015
Julian Aulke
INHALTSVERZEICHNIS VORWORT ...................................................................................................... 7 INHALTSVERZEICHNIS ............................................................................... 9 EINLEITUNG ................................................................................................ 13 Die Räume der Wirklichkeit .............................................................. 13 Die Erforschung der Novemberrevolution ......................................... 22 Theoretischer Ansatz: Multidimensionale Räume, cultural spatialization und soziale Formationen................................. 32 Quellenbasis und Aufbau der Untersuchung ..................................... 48 1. DIE ENTSTEHUNG DER NOVEMBERREVOLUTION ........................ 56 1.1 1.2 1.3 1.4
„Unruhige Zeiten“ – Erster Weltkrieg und Demobilmachung........... 57 Protestkulturen – Vom spontanen zum geordneten Protest ............... 64 Stadt und Moderne ............................................................................. 70 Zusammenfassung .............................................................................. 76
2. DIE ARENEN POLITISCHER KÄMPFE ALS BRENNPUNKTE DER REVOLUTION .......................................................................................... 78 2.1 2.2 2.3 2.4
Stadträume – Revolutionäre Räume ................................................. 81 Makroräume – Die Region als Revolutionsraum ............................... 97 Mikroräume – Viertel, Straße, Wirtshaus ........................................ 104 Zusammenfassung ............................................................................ 115
3. BEDROHTE RÄUME – ORDNUNGS- UND SICHERHEITSDENKEN IN DER STADT....................................................................................... 118 3.1 Die Räte als örtliche Ordnungsfaktoren ........................................... 121 3.2 „Wach auf und wehr’ dich, deutscher Mann“ – Einwohner- und Hauswehren als Selbstschutz ........................................................... 131 3.3 „Von Unruhekalendern und Raumkartierungen“ – Militär und Freikorps als Raumschutz ................................................................ 147 3.4 Konkurrenz um die Sicherung des Raumes – Grüne Polizei als (Un-) Sicherheitsfaktor .................................................................... 161 3.5 „Uns gehört die Straße“ – Rote Kampfgruppen in Makro- und Mikroräumen .................................................................................... 172 3.6 „Die Ordnungsstörenden“ – Differenter Wertekontext und Verhaltenskodex bei Jugendlichen und Frauen ............................... 182
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3.7 Zusammenfassung ............................................................................ 192 4. UMKÄMPFTE RÄUME – DIE ÜBERWACHUNG, KONTROLLE UND WAHRNEHMUNG VON RÄUMEN ..................................................... 194 4.1 Zur Entwicklung der politischen Polizei und Nachrichtendienste in der Weimarer Republik ................................................................ 198 4.2 „Jeder Nachrichtendienst ist so gut wie seine Mitarbeiter“ – Organisation der Nachrichtendienststelle Büro Kölpin ................... 203 4.3 „Feindverortungen“ – Die nachrichtendienstliche Praxis ................ 220 4.4 Raum im Kapp-Putsch und die Niederschlagung des Arbeiteraufstandes im März 1920 .................................................... 234 4.5 Belagerungs- und Ausnahmezustand als Raumüberwachungsstrategie ........................................................... 251 4.6 Zusammenfassung ............................................................................ 262 5. SYMBOLISCHE REPRÄSENTATION, KULTURELLE CODES UND KOMMUNIKATIVE STRATEGIEN ..................................................... 264 5.1 Inklusions- und Exklusionsstrategien – Wie „Spartakisten-“ und „Zivilistenkleider“ Leben retten....................................................... 266 5.2 „Die Zeichensprache der Revolution“ – Markierungen des öffentlichen Raumes ........................................................................ 279 5.3 Die Pluralität der Flugblätter- und Plakatkultur ............................... 285 5.4 Zusammenfassung ............................................................................ 290 6. „DOING SPACE“ – SOZIALRÄUMLICHE PROTESTPRAKTIKEN.. 291 6.1 Der Streik als kultureller Aktionsraum ............................................ 294 6.2 Wie Unbekannte einander begegnen – Demonstration und Protest als gruppendynamische Prozesse ..................................................... 325 6.3 „Von anderen Ordnungen“ – Die Besetzung von Zeitungsredaktionen, Bahnhöfen, Banken, Post- und Verwaltungsgebäuden sowie Bauten staatlicher Repräsentanz ....... 342 6.4 „Von gestohlenen Miedern“ – Die Umkehrung von Raum-Routinen in Plünderungen, Unruhen und Sabotageakten ..... 377 6.5 „Sich Gehör verschaffen“ – Revolutionäre Soundscapes ................ 385 6.6 Zusammenfassung ............................................................................ 388 7. „VON ANDEREN RÄUMEN“ – RAUMQUALITÄTEN UND WIRKMÄCHTIGKEITEN ...................................................................... 391 7.1 „Straße frei, es wird geschossen“ – Raumwirkungen im Schießbefehl Noskes ........................................................................ 392 7.2 Raumzonen, Stimmungsräume und Atmosphären ........................... 399 7.3 „Von zerstörten und blockierten Räumen“ – Die agency des Raumes ...................................................................................... 407
Inhaltsverzeichnis
7.4 Zusammenfassung ............................................................................ 421 SCHLUSS: DIE WIRKLICHKEITEN VON RÄUMEN WÄHREND SOZIALER UNRUHEN UND DEREN RAUM-ZEIT DIMENSION ... 422 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS........................................ 437 Archivalische Quellen ...................................................................... 437 Zeitungen und Periodika .................................................................. 438 Gedruckte Quellen, Statistiken ........................................................ 439 Internetquellen ................................................................................. 443 Literatur ............................................................................................ 445 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN ..................................................... 483
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EINLEITUNG DIE RÄUME DER WIRKLICHKEIT Vermutlich teilten die Menschen ihre Welt immer schon mit den Kategorien des Raumes und der Zeit als „die fundamentalsten Determinanten sozialer Existenz in historisch konkreten Lebenswelten“ ein.1 Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts Deutschland sukzessive auf den Höhepunkt einer sich rapide beschleunigenden Moderne zusteuerte, wurde dieser Prozess vielfach als Fortschritt wahrgenommen. Dieser Euphorie haftete jedoch etwas stark Ambivalentes an, welches als die „Krisenjahre der klassischen Moderne“ interpretiert worden ist. Detlev Peukert schlussfolgerte demnach, dass Weimar „uns in kurzer Zeit und in rasantem Tempo die faszinierenden und die fatalen Möglichkeiten unserer modernen Welt“ vorführte.2 In einer zunehmend stärker industrialisierten und urbanisierten Welt, deren Städte einem rasanten Bevölkerungswachstum ausgesetzt waren „erfuhren Menschen ihre räumliche Umwelt als gefährdet oder gefährdend“.3 Der herrschende Wohnungsmangel, aber auch die schlechten hygienischen Verhältnisse entsprachen nicht dem Bild des blühenden Lebens in den Metropolen, sondern eher der Dauerkrise vor dem Hintergrund der Belastungen jenes Modernisierungsprozesses. Trotzdem versuchten die Menschen ihren Platz in dieser neuen Welt „zu bestimmen und kulturelle und politische Handlungsrezepte dafür zu gewinnen“, sich neue Räume zu erschließen und sich in einem sich ausdifferenzierenden Koordinatennetz zahlreicher, zunehmend politisch agierender Akteure zu verorten.4 Mit Beginn des Ersten Weltkrieges zeigte diese Entwicklung ihre extremsten Ausmaße. Das Verhältnis der Menschen zu ihrem eigenen Körper, zur Gewalt, aber auch zu Zeit und Raum wurde unter extremen Bedingungen nachhaltig verändert. Während man in den Schützengräben des Krieges Raum als etwas Lebenswichtiges wahrnahm, was bedrohlich oder sichernd sein konnte, stellte das Ende des Krieges für diese neue Raumerfahrung keine Zäsur dar. Im Zuge der umfangreichen Demobilmachungsprozesse war Raum erneut zur zentralen lebenswichtigen Kategorie zahlreicher Menschen geworden. Die zentralen Probleme einer krisenbehafteten Moderne können als räumliche Probleme aufgefasst werden. So übte die rasante Beschleunigung bei gleich-
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Hardtwig, Einleitung. Ordnungen, S. 13. Peukert, Weimarer Republik, bes. S. 11f. Hardtwig, Einleitung. Ordnungen, S. 13. Ebd., S. 13; vgl. Tenfelde, Raumbildung, S. 5. Der Autor der vorliegenden Qualifikationsarbeit möchte gleich zu Beginn auf den Genderaspekt der Sprache hinweisen. Gender Mainstreaming meint in diesem Kontext, dass Frauen sprachlich in gleicher Weise wie Männer zu berücksichtigen sind. Aus praktischen Gründen wird in der Arbeit jeweils immer nur eine Form benutzt.
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zeitiger Belastung massive Wirkungen auf die Menschen besonders in den Großstädten aus. Die herrschende räumliche Enge schuf daher vermehrt Situationen der Konfrontation. Diese Spannungen zwischen Tradition und Fortschritt fanden schließlich in den Jahren der Revolution ihren Höhepunkt. Die Erfahrungen einer fortschrittlichen und gleichzeitig krisenbehafteter Moderne kulminierten schließlich in den Jahren 1918 bis 1920 und begleiteten Deutschland auf dem Weg in die parlamentarisch-demokratische Republik. Fragt man nun nach der Bedeutung von Räumen, so verbindet sich mit diesen Räumen die Vorstellung, dass sich die menschliche Umwelt ohne diese Dimension „weder kognitiv erfassen noch empirisch denken lässt.“5 Raum wird dieser Interpretation nach zu einem kulturellen „Koordinatensystem“ gesellschaftlichen Lebens.6 Wolfgang Kaschubas treffende Formulierung, dass diese Raum-Ordnungen zwar „natürlich anmuten“, sie jedoch „zutiefst kultürlich“ seien ist auch ein Ergebnis unserer Deutungshoheit und damit auch der Umdeutung, wonach die Räume als Teil soziokultureller Wirklichkeiten einem steten Wandel unterworfen sind.7 Dieses neue Denken über den Raum der Geschichte wurde nicht zuletzt durch ein neues Kulturverständnis seit dem Cultural Turn beeinflusst.8 Das flexible Konzept von Kultur wurde hier als „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe“ interpretiert, in das der Mensch verstrickt sei.9 Kultur als ein grundlegendes Phänomen sozialer Ordnung durchdringt demnach sämtliche Gesellschaftsbereiche, während Kultur als „Prozess, als Relation, als Verb“ verstanden wird.10 Dabei wird „im Praktizieren von Kultur […] Macht und soziale Ungleichheit repräsentiert, in ihr wird sie verwirklicht. Soziale Praxis ist immer schon mit Bewertungen, mit Interpretationen, Selbstund Fremddeutung verknüpft, auch wenn diese eher unbemerkt und unreflektiert mitlaufen.“11
Raumordnungen werden daher durch „Raumtechniken, durch die sich Kulturen verkörpern, abgrenzen, stabilisieren und ihren materiellen Stoffwechsel sowie ihren symbolischen Austausch organisieren“ geschaffen.12 Wenn nun bisher etablierte Ordnungssysteme des Kaiserreichs während der Revolution erschüttert wurden, dann wurden auch die Selbstverständlichkeiten und Routinen von räumlichem Handeln aufgebrochen und durch neue ersetzt. Das Resultat ist dann die Entstehung von
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Kaschuba, Die Überwindung der Distanz, S. 13. Leitgeb, Kommunikation – Gedächtnis – Raum, S. 7. Ebd., S. 13. Für die Gehichtswissenschaft vgl. Hunt (Hrsg.), The New Cultural History; vgl. Haas, Historische Kulturforschung, bes. S. 448–453; Middel, Der Spatial Turn, S. 103–123; für die Geographie Berndt/Pütz (Hrsg.), Kulturelle Geographien; vgl. Lossau/Lippuner, Geographie und Spatial Turn. Für eine Gegenüberstellung beider Fächer vgl. Piltz, Unbestimmte Oberflächen, S. 213–234, bes. S. 228ff. 9 Geertz, Dichte Beschreibung, S. 9. 10 Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 9. 11 Ebd., S. 9. 12 Böhme, Einleitung: Raum – Bewegung – Topographie, S. XXI.
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„Fremdheiten, Orientierungsstörungen“, oder „Identitätskrisen“, welche sich besonders an signifikanten Orten des Revolutionsgeschehens in den Städten widerspiegelt.13 Hier sind es besonders die Straßen mit ihren angegliederten Plätzen und Bauten, welche als öffentliche Räume von politischen, aber auch alltagspraktisch-kulturellen Handlungen und Aushandlungsprozessen, die Orte des Revolutionsgeschehens bildeten.14 Gerade die in der modernen Großstadt gesteigerte „kollektive Aufmerksamkeitsbereitschaft“ äußerte sich bei verschiedenen Anlässen, wenn sich große Menschenmassen auf der Straße begegneten.15 Seit dem 19. Jahrhundert wird die Straße zunehmend Ort von Auseinandersetzungen, die meist als Aktionen mit direkter politischer Zielsetzung interpretiert worden sind.16 Unklar blieb dabei zunächst die Frage, wie sich Menschen bei großen Ansammlungen gegenüber ihnen unbekannten Menschen verhalten hatten und wie sie erkennen konnten zu welcher Gruppe sie gehörten. Die politische Motivation eines Einzelnen wurde häufig mit der der Gesamtgruppe gleichgesetzt. Dass dabei nicht eindeutig zuordenbare Gruppen wie Jugendliche oder Frauen außen vor bleiben, stand bisher nicht im Fokus der Forschung zur Novemberrevolution, obwohl diese Gruppierungen Teil der revolutionären Situationen auf den Straßen waren und sich von jener Dynamik mitreißen ließen. Es ist daher zunächst wichtig, Fragen nach den multiplen Bedeutungen zu stellen, mit denen die historischen Akteure ihre Lebenswelt und ihre Umwelt überhaupt erst zu sinnhaften Wirklichkeiten gestaltet haben. Raum wird dabei zum wesentlichen Bestandteil bei der Sinnkonstituierung der Menschen, während dieser mit unterschiedlich relevanten Bedeutungen aufgeladen wurde. Für eine breite Spannweite und dennoch zu bewahrende Konsistenz, bildet diese Arbeit daher drei regionale Schwerpunkte ab: Berlin wird hierbei als Zentrum der Revolution betrachtet, in dem sich revolutionäre und gegenrevolutionäre Tendenzen beobachten
13 Böhme, Raum – Bewegung – Grenzzustände der Sinne, S. 65. Für die identitätsstiftende Wirkung von Räumen vgl. etwa Gotthard, Raum und Identität in der Frühen Neuzeit, S. 344ff.; Gunn/Morris (Hrsg.), Identities in Space; vgl. Keith/Pile (Hrsg.), Place and the Politics of Identity; vgl. Pott, Identität und Raum, S. 27–52. Vgl. etwa auch Gunn, The Spatial Turn, S. 9. „Symbolization of place and history becomes especially potent where political and physical boundaries are contested. At moments of conflict the relationship between history, place and group identity is most forcefully affirmed, while ironically, its constructed, contingent character becomes most visible. Thus exposed, questions are raised about the means by which the relationships of space, history and identity are sustained and provided with their patina of naturalness.“ Vgl. etwa auch Weichhart, Raumbezogene Identität. Weichhart bietet ein theoretisches Konzept um die Frage, wie und wodurch sich Menschen mit ihrer Umwelt identifizieren. 14 Vgl. Reiss, The Street as Stage. Der Sammelband enthält eine Fülle an spannenden Studien über den öffentlichen Raum der Straße als Bühne politischer Willensartikulation. Vgl. etwa auch Blasius, Revolution und Revolutionsalltag, S. 25–36. 15 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 170; vgl. Jerram, Streetlife, S. 14–100. 16 Die Bedeutung des Raumes ist für den Stadtbewohner eine andere als auf dem Lande. Vgl. Flusser, Raum und Zeit aus städtischer Sicht, S. 20. „Für Leute, die in der Stadt oder unter dem Einfluß der Stadt leben, sind ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ andere Kategorien des Erlebens, Erkennens und Wertens als für Leute, die noch nicht oder nicht mehr städtisch leben.“
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lassen. Der rheinisch-westfälisch-industrielle Raum entspricht einerseits als Industriegebiet optimal den oben angesprochenen Begleiterscheinungen einer krisenhaften Moderne, während es gleichzeitig durch sein agrarisch geprägtes Umfeld auf Wechselwirkungen mit dem Land aufmerksam machen kann. Düsseldorf und Münster beispielsweise zählen daher auch, obwohl sie heute weniger zum Ruhrgebiet gerechnet werden, zu den Untersuchungsorten der Studie. München dient in einigen wenigen Fällen als Kontrollbeispiel, indem wenige paradigmatische Fälle aus der zweiten großen Metropole der Zeit hinzugezogen werden. Die Erforschung der Novemberrevolution als einschneidendes Ereignis mitteleuropäischer Geschichte ist lange nicht Thema der Forschung zur Weimarer Republik gewesen. Die großen Interpretationen der 1970er und 1980er Jahre sind weitestgehend unangetastet geblieben.17 Die Erkenntnisse des Cultural Turns und die sich hieraus ergebenden neuen Perspektiven auf historische Sachverhalte, lassen nun andere Fragen an die Geschichte der Revolutionszeit zu. Fragen, die durch die Interpretationen klassischer politik- oder sozialgeschichtlich inspirierter Perspektiven nicht mehr hinreichend beantwortet werden können. Es sind Fragen nach Sinn und Bedeutung mit denen die Akteure der Vergangenheit ihre Welt erst zu einer sinnhaften Welt machten. Themen wie die Einordnung von politisch Handelnden in links- und rechtspolitische Gruppierungen, die Offenheit der revolutionären Dynamik oder das Begegnen einander unbekannter Menschen können mit diesen neuen Forschungsansätzen einer Revision unterzogen werden. Dabei wird in der vorliegenden Arbeit, ähnlich wie in neueren Ansätzen in der Forschung, nicht mehr von einem „auf das Handeln von Institutionen, Parteien und Verbänden verengten Politikbegriff“ rekurriert.18 Politik wird hierbei immer als soziales und kommunikatives Handeln aufgefasst, dass gedeutet werden muss und Veränderungen unterliegen kann. Hierbei dient Politik zunächst der Erzeugung von Sinn, weshalb Politik nicht zielorientiert, sondern mittelorientiert und prozesshaft verstanden werden soll. Die Frage nach der kulturellen und räumlichen Konstituiertheit von Wirklichkeit ist daher auch eine Frage nach einem Politikverständnis jenseits rein normativ rationalen Handelns. Eine Raumgeschichte der Revolution will somit Kultur als eigenständige Dimension verstehen und nicht ausschließlich als untergeordnete Dimension des Politischen.19 Daher versteht sich vorliegende Studie auch nicht allein als Beitrag zur politischen Kulturforschung, sondern als Kulturgeschichte, welche sich mit politischen Phänomenen beschäftigt.20 Während Politisierungsprozessen, welche in ein komplexes „Netz von Bedeutungen, Symbolen und Diskursen“ eingebettet sind, 17 Die in letzter Zeit erschienenen Publikationen zur Revolution thematisieren meistens einzelne Städte des Revolutionsgeschehens. Immer noch relevant hierfür sind die Studien von Kolb, Rürup, von Oertzen oder Kluge. Der Trend einer kulturgeschichtlich ausgerichteten Forschung zur Gesamtgeschichte der Weimarer Republik wird auf längere Sicht auch auf die Revolutionsforschung befruchtend wirken. 18 Hardtwig, Politische Kultur der Moderne, S. 147. 19 Vgl. etwa die synthetisierenden Überlegungen bei Canning, Introduction, S. 1–28. 20 Vgl. etwa Lipp, Politische Kultur oder das Politische und Gesellschaftliche in der Kultur, S. 78ff. Eine Pionierleistung ist sicherlich Thomas Mergel mit seiner Studie zum Reichstag gelungen. Vgl. Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik, Düsseldorf 2002.
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kann es daher auch zur Konstruktion verschiedener Realitäten kommen.21 Daher setzt die Untersuchung oftmals im vorpolitischen Raum an, um zu zeigen, wie sich vermeintlich unpolitisches Handeln in ein politisches Bewusstsein umschlägt. Die Arbeit folgt somit einem Politikverständnis, welches „antiidentifikatorisch und dekonstruktivistisch“, „nicht traditionsbewusst“ und „nicht kontinuitätsspezifisch“ aufgefasst wird.22 Die räumliche Dimension der Geschichte soll daher als ebenso wichtig und unverzichtbar angesehen werden, wie es die zeitliche Dimension historischer Ereignisse und Prozesse bisher gewesen ist. Wendet man sich von denjenigen Vorstellungen ab, die das Räumliche als gegebene und konstante Größe verstehen, dann entstehen die Forschung weiterführende Möglichkeiten, neue Erklärungsmuster historischer Phänomene zu entwickeln.23 Deswegen steht die kulturell und räumlich vermittelte Wirklichkeitsgenerierung politischer Prozesse im Fokus dieser Arbeit. Hierfür fragt diese nach 1) der Organisation des Raumes und den sozialen Praktiken mit denen Raum hergestellt wird, 2) der Rolle von symbolisch different gestalteten Räumen und deren medialer Vermittlung, 3) nach distinkt wahrgenommenen, atmosphärisch aufgeladenen Räumen, sowie 4) nach der potentiell strukturgenerierenden Rolle des materiellen Raumes und seiner eigenen Wirkmächtigkeit. Die so entstehenden Eigendynamiken räumlicher Praktiken werden in ihrer Auswirkung auf die Erzeugung sozialen Sinns bei den unterschiedlichen sozialen Akteuren untersucht. Ziel einer Raumgeschichte der revolutionären Frühphase der Weimarer Republik und der Zeit der sozialen Unruhen ist somit die Annäherung von Konzepten der Sozial- und Kulturgeschichte. Das Vermeiden binärer Argumentationsschemata soll daher als ein Mehrwert dieses Vorgehens betrachtet werden. Sowohl individuelle Entscheidungen, als auch übergeordnete Strukturen können in ihrem gegenseitigen Wirken analysiert werden, während so ein Nachdenken über eine Neukartierung der politischen Landschaft und der revolutionären Dynamik in öffentlichen Räumen angeregt wird.24 Raum wird hierbei als die „Projektionsfläche für die Vorstellungen, Werte und Normen sozialer Gruppen“ verstanden, während parallel die Frage nach der Anerkennung einer opaken und widerständigen Wirklichkeitsebene gestellt wird.25 Hierbei folgt die Arbeit der These, dass soziale Beziehungen und Verhältnisse durch die Wiederholung sozialräumlicher Praktiken Dauerhaftigkeit und Stabilität erlangen. Die Arbeit schließt hier an kulturwissenschaftliche und jüngere sozialwissenschaftliche Grundannahmen an, die in den Konstruktionsbedingungen von sozialer Wirklichkeit wesentliche Elemente der 21 Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte des Politischen, S. 605. 22 Stollberg-Rilinger, Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, S. 13. 23 Conrad, Vorbemerkung, S. 339. „Demgegenüber ist ‚Raum‘ eher als gegeben hingenommen worden, er erschien als Gegenstand von Naturbeherrschung historischen Wandel unterworfen.“ 24 Die Vorteile eines Spatial Turns diskutiert Shields, Space and Culture, S. 7; „The advantage of the spatial turn […] is that it allows the incommensurable and aspects of daily life that are studied only seperately in different disciplines and specialisms to be grasped together. In the spatial arena of one locality […] the encounter between structural forces and voluntaristic individuals can be seen in one and the same analytical glance.“ 25 Wagner, Topographical Turn, S. 101.
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Bildung von modernen Sozialformationen ausmachen. Der Fokus liegt auf Sinnstiftungsprozessen, der Entwicklung spezifischer kultureller Codes, sowie symbolischer und räumlicher Praktiken. Diese sind als Mittel zu verstehen, Wirklichkeit zu konstituieren und Gruppen durch sinnzuschreibende Inklusions- und Exklusionsprozesse zu identifizieren. Der Punkt, an dem unpolitisches Handeln in politisches Bewusstsein umschlägt und Symbole und symbolisches Handeln dabei neu interpretiert werden, rückt dabei in den Fokus. Gruppen lassen sich nach diesen Überlegungen „analytisch-konzeptionell fassen anhand“ ihres Umgangs mit Raum, der Erzeugung von Räumen und dem jeweiligen Raumbewusstsein.26 Zentral ist hierbei die Frage nach der Entstehung und Organisation dieser Räume. Die hier existierenden Muster, die je nach sozialer Formation sich in „konkurrierenden Raumkonstruktionen“ durch „Aushandlungsprozesse“ als fließend gestalten, können am selben Ort differieren.27 In der Arbeit wird daher von der These ausgegangen, dass sich der Kampf um den öffentlichen Raum nicht immer als ein Kampf um physisches Territorium darstellte, sondern sich auch auf der symbolischen Ebene äußerte und mit Bedeutungen aufgeladen war. Ziel der Forschung ist es somit, eine Kartographie politischen Bewusstseins und räumlichen Handelns zu entwickeln, die Engführungen in der bisherigen Forschung aufgrund deren Fixierung auf politische Ideologien und parteipolitische Programme zu vermeiden hilft. Raum wird daher zum mehr-dimensionalen Bezugspunkt sozialer Kämpfe. In den „Krisenjahre[n] der klassischen Moderne“ wird Raum somit zum konstitutiven Faktor des historischen Zusammenhangs.28 Versteht man die Welt als Konstruktion, dann wird „Wirklichkeit als ein Ensemble von Produktionen, Deutungen uns Sinngebungen“ verstanden.29 Daher ist eine gewisse Skepsis gegenüber „linearen Fortschritts- oder Modernisierungsgeschichten“ vorprogrammiert. Für die Untersuchung ergeben sich daher vier Arbeitshypothesen und Grundannahmen: Annahme 1: In sozialen Unruhen werden Konstruktionsweisen, Machtkämpfe und Wandlungsmöglichkeiten von Identitäten besonders deutlich. Räumliche Ordnungen reduzieren dabei Komplexität.30 Annahme 2: Die in der Revolutionsforschung thematisierten Gruppen- und Identitätsbildungen wurden bisher größtenteils entlang parteipolitischer oder ideologischer Grenzmarken interpretiert.31 Diesen Interpretationen nach handelten Menschen dabei in bereits existierenden Räumen. Sie dienten den Handlungen als Container.32 Es wird daher von der Annahme ausgegangen, dass beide dieser bipolaren Erklärungsschemata durch ein raumanalytisches Forschungsdesign überwunden werden können.
26 Ähnliches gilt für die Zeit. Vgl. Geyer, Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, S. 167. 27 Löw, Raumsoziologie, S. 65. 28 Peukert, Weimarer Republik, bes. S. 266–271; vgl. Weitz, Weimar Germany, bes. S. 41ff.; vgl. Kümin, Drinking Matters, S. 3 u. S. 15. 29 Hier und im Folgenden Mergel, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Politik, S. 590. 30 Vgl. Jureit, Das Ordnen von Räumen, S. 13f. 31 Ausführlich behandelt im Kapitel „Die Erforschung der Novemberrevolution“. 32 Vgl. Sandl, Geschichtswissenschaft, S. 160.
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Annahme 3: Wenn Räume bestimmte Grundqualitäten besitzen, dann rückt neben die Diskurs- und Handlungsebene eine weitere opake und widerständige Wirklichkeitsebene, die sich sowohl in der Materialität des Raumes, als auch in nicht materiellen Raumqualitäten äußert. Annahme 4: Die Stadt und der urbane Bereich sind Ort und Gegenstand dieser Kämpfe. Diese Auseinandersetzungen, sowohl um physische, als auch symbolische oder mentale Räume, finden in verschiedenen Verräumlichungsprozessen statt. Raum ist seit der Etablierung eines Spatial Turns in den Kulturwissenschaften zu einer Analysekategorie zur Erforschung soziokultureller Wirklichkeiten geworden, die es ermöglicht Gegenstände anders einander zuzuordnen, die somit mehr der dynamischen Offenheit der Weimarer Kultur entspricht.33 Die Frage, wie nun Unbekannte einander begegneten, wurde durch politik- und sozialhistorische Ansätze nicht vollends aufgegriffen, obwohl dieses Szenario immer Teil der dynamischen Situationsoffenheit des Revolutionsgeschehens war.34 Daneben fielen Gruppierungen, die nicht der politisch „richtigen“ Kodifizierung unterlagen unter den Tisch. Eine lohnenswerte Frage ist also diejenige nach Politisierungsprozessen jenseits rein rational normativ politischer Zuordnung.35 In diesen Wandel schreiben sich demnach nicht nur politische und soziale Veränderungen ein, sondern sie sind auch für raumhistorische Perspektiven entscheidend. Die Forschung verfolgt somit eine doppelte Perspektive. Sie möchte als Antwort auf zentrale Fragen und aktuelle Probleme der Novemberrevolutionsforschung gesehen werden, während sie sich zugleich um eine raumanalytische Perspektive in der Geschichtsforschung bemüht, die die Komplexität sozialer Unruhen eingehender und flexibler analysier- und interpretierbar werden lässt. Neueren Entwicklungen in der Forschung zufolge wird die klassische Einteilung der Revolutionszeit über ihren Kern der Jahre 1918 bis 1920 hin ausgeweitet.36 Somit ließen sich Vergleiche zu anderen Untersuchungsräumen ziehen, um auf Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zu einer vermeintlich eigenen deutschen Entwicklung der Nachkriegszeit hinzuweisen.37 Die Arbeit folgt diesen neueren Tendenzen und öffnet den historischen Kontext sowohl in die Kriegszeit, die unmittelbare Nachkriegszeit, aber auch früheren Entwicklungen um die Jahrhundertwende. 33 Zur Einführung Bachmann-Medick, Cultural Turns, S. 284–328; Wirsching, Weimarer Republik, S. 120; Vgl. Soja, Postmodern Geographies, S. 1. 34 Bahrdt/Herlyn, Die moderne Großstadt, S. 91. „Vergegenwärtigen wir uns wieder typische Situationen städtischen Lebens. Der einzelne begegnet kurzfristig vielen unbekannten oder wenig bekannten Menschen. Oder aber es ist fraglich, ob sich unter den Unbekannten nicht einzelne befinden, denen man schon einmal begegnet ist. Es genügt nicht, mit den anderen nur technisch zurechtzukommen.“ 35 Für den Bereich der militärischen Mobilisierung breiter Teile der Bevölkerung vgl. Bergien/Pröve, Spießer, Patrioten, Revolutionäre. 36 Weinhauer/McElligott/Heinsohn (Hrsg.), Germany 1916–1923, bes. S. 11ff.; vgl. etwa auch die Überlegungen zur Betonung eines größer angelegten Untersuchungszeitraumes bei McElligott, Rethinking the Weimar Republic, bes. S. 3ff. 37 Vgl. die weiterführenden Überlegungen etwa zum Einfluss der Hyperinflation auf die Revolution bei Schumann, Commentary, S. 257–262. Vgl. etwa Taylor, The Downfall of Money, London 2013.
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Genauso werden einigen Entwicklungslinien über das Jahr 1920 hinaus verfolgt, wenngleich der Kern der untersuchten Fälle im klassischen Zeitraum der Jahre 1918–1920 verbleiben. Dieses ist zum einen der schlechteren Überlieferung für diesen Zeitraum geschuldet, welches der Autor als Herausforderung verstehen will. Zum anderen ist es für eine Raumgeschichte der Revolution, die zunächst Neuland betritt, wichtiger, entlang eines eng gewählten Zeitraumes auf raumzeitliche Entwicklungen hinzuweisen. Außerdem ist der Zeitraum für eine eine transnationale Perspektive entscheidend, denn in den Jahren 1918–1920 finden sich besonders viele revolutionäre Ereignisse in verdichteter Form vor. Für die Untersuchung ist besonders wichtig, dass sich nicht alle sozialen Unruhen des Untersuchungszeitraums als revolutionäre politische Bewegungen thematisieren lassen. Viele liegen an der Grenzlinie zwischen Hungerprotest oder kriminellem Handeln, die jedoch auch als Vorformen politischen Handelns gedeutet werden können. Klaus Tenfelde zufolge trennten sich die sozialen Bewegungen nicht nur in der Anfangszeit, die geprägt war von Hungerprotesten und jugendlichen Gewaltaktionen, zunehmend von den politischen Entscheidungsinstanzen, sondern gerade in der späteren Zeit der reaktionären Putschversuche von 1920.38 Deswegen wird der Blick neben den paradigmatisch wichtigen Gruppierungen Räte, Militär, Wehren, Nachrichtendienste und Polizei für den öffentlichen Raum auch auf jene Gruppierungen wie Frauen oder Jugendlichen gerichtet, die im öffentlichen Raum besonders gezwungen waren, sich kollektive Ausdrucksformen anzueignen oder zu entwickeln. Die spontanen, unorganisierten Proteste von Frauen und Jugendlichen stellen einen Gegensatz zu der vornehmlich männlich organisierten Arbeiterschaft dar. Um eine breite Spannweite und dennoch Konsistenz in den Untersuchungsorten zu erhalten, bietet sich die klassische Einteilung des Revolutionsgeschehens im Kern zunächst an, wenngleich fortwährend der Blick auf größere Entwicklungslinien gerichtet wird. Die Situation im November 1918 ist gekennzeichnet durch eine zunächst schwierig überschaubare Gemengelage. Die Entscheidung, was aus Deutschland werden sollte, reichte in Rückschau weit über die Alternative einer sozialistischen Räterepublik oder einer parlamentarischen Demokratie hinaus. Die seitens der Forschung herausgearbeitete Alternative eines dritten Weges, welche die Situation nach dem 9. November zunächst offener interpretierte, als es die frühere Forschung getan hatte, gilt nach wie vor als Status quo, sodass die Situation in der Forschung als „festgefahren“ bezeichnet werden kann.39 Chaotische Zustände und die Ungewissheit wie es weitergehen sollte, bestimmten das Bild in den Straßen. Dass dabei politische Kräfte nicht mehr eindeutig in klar zuordenbare Lager eingeteilt werden konnten, wird beispielsweise im Fall einer Gruppe von Soldaten und Offizieren deutlich, die sich zunächst den Volksräten zur Verfügung gestellt hatten und sich
38 Vgl. Tenfelde, Massenbewegungen, S. 13. 39 Gallus, Die vergessene Revolution, S. 10.
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nicht sofort auf die Seite der Gegenrevolutionäre gestellt hatten.40 Solche Fälle stellen daher einen Widerspruch dar.41 Deshalb greifen bipolare Interpretationsmuster neueren Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft zu kurz, denn allein „the political aspirations of social groups are no longer regarded in simple terms of class.“42 Nach Fritzsche sind es die Auswirkungen des Linguistic Turns, welche zur Neubewertung dieser bisher klassisch geltenden Zuschreibungen führen. Akteure ordnen ihre Welt demnach auch in andere Kategorien ein. Sowohl vergangene Traditionen, sprachliche Konventionen, aber auch die kulturellen Konstruktionen ihrer Umwelt sind Teil ihrer Wirklichkeit.43 Neben politischer Zugehörigkeit, sei es aus Parteiverbundenheit oder politischer Tradition, müssen weitere Kräfte am Werk gewesen sein, die es erforderlich machen Politisierungsprozesse neu zu beschreiben.44 In den Blick geraten so soziale und kulturelle Praktiken, deren Untersuchungen mittels eines raumanalytischen Verfahrens herkömmliche Gruppeneinteilungen zumindest hinterfragbar machen. Konkrete Räume wie die Straßen oder Plätze einer Stadt sind daher „in ein Netz aus materiellen Praktiken und Kulturtechniken, aus Medien und Repräsentationen, sowie aus sozialen und symbolischen Ordnungen eingespannt“.45 Räume können somit konsequent als Produkte alltäglicher Praktiken betrachtet werden, mittels derer die Konstruktion als Praxis der Verräumlichung zu fassen ist. „Aufgrund ihrer Reflexivität besitzen sie zudem das Vermögen, Auf-
40 Vgl. Baranowksi, The Sanctity of Rural Life. Fritzsche über dieses Buch „the result is a fine illustration of how culture shapes politics in ways that are not rational or sober.“ Vgl. Fritzsche, Did Weimar Fail?, S. 637. 41 Eine ähnliche These mit anderem Gegenstand findet man bei Alf Lüdtke, welcher in seiner Studie zu den Metallarbeitern nachweisen konnte, dass diese nicht wie vorher angenommen oftmals der Sozialdemokratie zugeneigt waren, sondern sich diese auch alternativer Verortungsstrategien bedienten. Demnach waren sie auch Ehemänner, Väter oder Menschen, die in ihrer wenigen Freizeit bestimmten Beschäftigungen nachgingen. Lüdtkes Eigen–Sinn Konzept stellt einen dieser frühen Versuche dar, sich gegen eine dominierende Strukturgeschichte zu widersetzen. Vgl. Lüdtke, Eigen–Sinn. 42 Fritzsche, Did Weimar Fail?, S. 631. Frühe Tendenzen gegen eine Verortung in Klassen bei Allen, Farewell to Class Analysis, S. 54–62. 43 Vgl. Fritzsche, Did Weimar Fail?, S. 631; vgl. Childers, The Social Language of Politics, S. 331–358. 44 Damit einher gehen nach Fritzsche auch neue emotionale Zugänge zur Nation der Deutschen, wie sie sich beispielsweise im Augusterlebnis des Jahres 1914 herausgebildet hatten. Vgl. Fritzsche, Did Weimar Fail?, S. 639. Trotzdem führte dieses neue politische Bewusstsein zu relativer Unsicherheit oder Freiheit bezüglich der vertretenen politischen Meinungen nach 1918. „Much of the subsequent electoral volatility of middle-class voters, who distrusted social reactionaries as much as social revolutionaries, was the result of wartime experience that enfranchised as well as conscripted citizens in a multitude of meaningful ways.“ (S. 639) „As Lüdtke works it back into the stream of day-to-day life, politics remain central to workers, but the ‚party line‘, the regime, and other civic virtues are often peripheral.“ 45 Wagner, Topographical Turn, S. 107.
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merksamkeit für die raumkonstituierenden Effekte ihrer eigenen Beobachtung abzuzweigen.“46 Die Rolle des Einzelnen, des politisch nicht motivierten, des vermeintlich parteilosen, der in der Masse aufgeht, ist für diesen wichtigen Untersuchungszeitraum, der Etablierung der ersten deutschen Demokratie, bisher stark vernachlässigt worden. Es ist besonders die Zeit um das beginnende 20. Jahrhundert mit ihrem Höhepunkt in der Revolutionszeit, in der sich die Massen im öffentlichen Raum der Straßen und Plätze in rasanter Dynamik und neuer qualitativer Dimension mit politischen Positionen zu identifizieren beginnt. Die kulturellen Faktoren des Politischen wurden hierbei bisher nicht oder kaum berücksichtigt. Insofern ist die Frage nach Entstehung, Organisation und Bedeutungsgenerierung von Räumen eine leitende dieser Arbeit. DIE ERFORSCHUNG DER NOVEMBERREVOLUTION Die revolutionären Ereignisse beispielsweise in Russland, Irland oder Deutschland am Ende des Ersten Weltkrieges bilden eine einschneidende Zäsur in der europäischen Geschichte. Die Nachwirkungen des Krieges, welche sich in Umstürzen und Inflationen äußerten, stellen den Übergang von einer euphorischen Moderne des späten 19. Jahrhunderts zu einer skeptischen Haltung gegenüber einer zunehmend beschleunigten Moderne der frühen 1920er Jahre dar.47 Die politischen und sozialen Umbrüche in Deutschland zwischen 1918 und 1920, meist unter der Chiffre Novemberrevolution verkürzt, konfrontierten die Zeitgenossen mit dem Verlust traditioneller Orientierungspunkte. Verbunden war dies mit einer teilweise radikalen Politisierung und der Zunahme politisch motivierter Gewalt. Untersucht worden ist dieser einschneidende politische und soziale Umbruch in der Forschungsliteratur vermehrt als städtisches Phänomen. In diesen Wandel schreiben sich nicht nur politische und soziale Veränderungen ein, sondern sie sind auch, neueren kulturhistorischen Ansätzen folgend, für raumhistorische Perspektiven entscheidend. Die Revolutionsbewegung von 1918/19 ist als eine der „bedeutsamsten Weichenstellungen der jüngeren deutschen Geschichte“ seit den 1960er Jahren zunächst für mehr als ein Jahrzehnt ein zentrales Thema historischer Forschung geworden.48 Lange Zeit stand im Mittelpunkt der westlichen Untersuchungen die Frage, warum
46 Lippuner/Lossau, Kritik der Raumkehren, S. 111; für eine ähnliche Kritik vgl. dies., In der Raumfalle, bes. S. 47–51. 47 Zum ambivalenten Charakter der Moderne vgl. etwa Weitz, Weimar Germany; vgl. auch Doering-Manteuffel, Dimensionen von Amerikanisierung, S. 3–12; von Saldern (Hrsg.), Stadt und Moderne; Saunders, Hollywood; Führer, Massenkultur, S. 739–781; mit der Perspektive eines spezifisch deutschen Wegs in die Moderne von Saldern, Überfremdungsängste, S. 213–244; vgl. Feldman, The Weimar Republic. Dieser Themenkomplex wird ausführlicher in Kapitel 1.3 dargestellt. 48 Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S. 166; vgl. Wirsching, Die paradoxe Revolution, S. 6.
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die Weimarer Republik als erste deutsche Demokratie gescheitert ist.49 Die Novemberrevolution wurde als eine Etappe dieses Scheiterns untersucht, während zunächst eine Position vorherrschte, die in ihr ein bipolares Ereignis sah, welches entweder auf eine parlamentarische Demokratie, oder auf eine Bolschewisierung Deutschlands hinauslaufen musste.50 Einige Zeit später hatte sich im Rückgriff auf Rosenbergs und Matthias’ Untersuchungen zur Weimarer Republik eine zweite Forschungsauffassung etabliert, die von einer größeren Bandbreite an Entscheidungsoptionen zur Neugestaltung Deutschlands 1918/19 ausging und die Räte daher positiver charakterisierte.51 Diese relative Offenheit der Situation rückte die Arbeiter- und Soldatenräte als zentrale politisch-soziale Bewegung und zentrale Repräsentanten der Revolutionsbewegung in das Zentrum des Forschungsinteresses.52 Ihre Interpretation wurde in zwei wesentlichen Punkten in den 1960er und 70er Jahren modifiziert. Sie wurden in ihrer politischen Ausrichtung nicht mehr als linksextrem, sondern als mehrheitssozialdemokratisch aufgefasst.53 Daher wurden sie nicht mehr als Kontrahenten, sondern als regionale Sachverwalter der neuen Regierung interpretiert.54 Die Geschichte der Revolutionszeit musste in zwei disparate Phasen unterteilt werden. Als erste Phase galt die Zeit vom Sturz der Monarchie bis zum Auseinanderbrechen der SPD-USPD-Koalition Ende Dezember 1918, in der die Räte als Repräsentanten einer breiten Volksbewegung auftraten. In der zweiten Phase ab Januar 1919 radikalisierten sich Teile der Arbeiterschaft und bekämpften den neuen Regierungskurs.55 Die Regierung kooperierte als Reaktion auf die radikale Massenbewegung mit den konservativen Freikorps.56 Diese Phaseneinteilung führte dann zu einer Neubewertung der Entstehungsgeschichte der sozialen Bewegungen der Revolutionszeit. Demnach war eine radikale Massenbewegung erst im Verlauf der Revolutionszeit entstanden und somit nicht Folge einer in den
49 In Auswahl hierzu vgl. Eyck, Geschichte der Weimarer Republik; Schulze, Weimar 1917– 1933; Möller, Parlamentarismus in Preußen; Peukert, Weimarer Republik; Winkler, Von der Revolution. 50 Erdmann, Geschichte der Weimarer Republik, S. 6f.; vgl. Rürup, Die Revolution, S. 8f.; vgl. ebd., Problems of the German Revolution, S. 109–135. 51 Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, S. 64; Matthias, Zwischen Räten, bes. S. 120ff. 52 Mit einer Zusammenfassung über das lange Zeit herrschende negative Bild der Räte vgl. Kolb, Revolutionsbilder, S. 9–19. 53 Mit dem frühen Versuch einer Gesamtinterpretation der Revolution mit dem Fokus auf die Sozialdemokratie vgl. Ryder, German Revolution. Einen umfassenden Überblick zur Revolution in der deutschen Geschichtsschreibung bietet Niess, Die Revolution von 1918/19. 54 Insgesamt mit ähnlicher Interpretation Kluge, Soldatenräte; ders., Deutsche Revolution; Kolb, Arbeiterräte; Oertzen, Betriebsräte; Rürup, Probleme der Revolution; ders. (Hrsg.), Arbeiterund Soldatenräte; ebenfalls mit breiter empirischer Basis Carsten, Revolution in Mitteleuropa; Elben, Das Problem der Kontinuität; Kolb (Hrsg.), Vom Kaiserreich zur Republik; Miller, Bürde der Macht. 55 Zur regionalen Differenzierung vgl. Brandt/Rürup, Volksbewegung. 56 Zur „Bolschewismusfurcht“ Lösche, Bolschewismus im Urteil; zu den Freikorps als republikfeindliche Bewegung vgl. Schulze, Freikorps und Republik; Schmidt, Heimatheer und Revolution; Koch, Der deutsche Bürgerkrieg; Sauer, Schwarze Reichswehr.
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Kriegsjahren erfolgten gesellschaftlichen Polarisierung, sondern der Ideologisierung durch die extreme Linke während des Winters 1918/19 geschuldet.57 Die Räte, als eine der sozialen Bewegungen der Revolutionszeit, galten mit dieser Differenzierung nicht mehr per se als radikal, sondern in ihrer mehrheitlichen Ausprägung als wichtiger Demokratisierungsfaktor.58 Die Forschung in der DDR war dagegen von der parteipolitischen Vorgabe geprägt, das Scheitern einer sozialistischen Revolution durch einen rückständigen Organisationsgrad der kommunistischen Bewegung zu interpretieren.59 In der BRD wiederum hat Wolfgang Mommsen, gegen die Mehrheitsmeinung in der Geschichtswissenschaft, die Rätebewegung als eine nicht regelgeleitete Entwicklungsformen folgende „amorphe soziale Protestbewegung“ charakterisiert.60 Diese nicht systematisch entwickelte, gängige ideologische Erklärungsmuster der Zeit zurückweisende Frage nach den Entwicklungsbedingungen sozialer Bewegungen in der Revolutionszeit jenseits der Orientierung an traditionellen politischen Ideen und Parteibewegungen, ist von der Forschung seit den 1980er Jahren nicht explizit aufgenommen worden. Die Integration neuer sozialwissenschaftlicher Konzepte, die sich um Begriffe wie Milieu oder politische Kultur61 gruppierten, beschäftigten sich mit den Bedingungen der Fixierung sozialer Kohärenz, wobei die Forschungen zur Arbeiterschaft, zu den Gewerkschaften und zu religiösen Gruppen dominierten.62 Dabei zeigte die Milieuforschung, dass sich traditionelle Milieus, die soziale Protestbewegungen hätten binden können, zur Zeit der Weimarer Republik durch Segmentierungsprozesse veränderten, teilweise gar
57 Feldman/Kolb/Rürup, Massenbewegungen, S. 84–105, speziell S. 86f. Hier wird die These vertreten, dass sozialökonomische Bedingungen gegenüber politischen Faktoren in der bisherigen Forschung weniger Beachtung erfahren hätten. Konrad/Schmidlechner (Hrsg.), Revolutionäres Potential. 58 Kolb, Arbeiterräte; Tormin, Zwischen Rätediktatur und sozialer Demokratie; Oertzen, Betriebsräte; Matthias, Zwischen Räten und Geheimräten; Kluge, Soldatenräte; die Ergebnisse dieser neueren Revolutionsforschung bei Rürup, Probleme der Revolution; gegen den „verschwommenen“ Begriff des „Dritten Weges“ argumentieren Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S. 175. Der Begriff „anderer Weg“ verdeutliche ein „Ausschöpfen der Handlungsspielräume zur Sicherung einer demokratischen Entwicklung der Republik“. 59 Dorpalen, German History, S. 308ff.; John, Bild der Novemberrevolution; Decker, Novemberrevolution und die Geschichtswissenschaft in der DDR; Kluge, Deutsche Revolution, S. 33– 38; Schütz, Proletarischer Klassenkampf, S. 759–795; zu spezielleren Themen wie Volks- und Einwohnerwehren legten Forscher und Forscherinnen der DDR materialgesättigte Studien vor. Vgl. Oeckel, Revolutionäre Volkswehr; vgl. etwa Könnemann, Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände. 60 Mommsen, Deutsche Revolution, S. 362–391, bes. S. 383f. u. S. 389; vgl. auch Jesse/Köhler, Deutsche Revolution, S. 3–23; mit kritischer Lesart dieser Forschungspostulate Rürup, Demokratische Revolution, S. 278–301. 61 Lehnert/Megerle (Hrsg.), Politische Identität; Lehnert (Hrsg.), Politische Teilkulturen. Für einen Versuch relationale Raumtheorie und qualitative Milieuforschung zu verbinden vgl. Rothfuß/Dörfler (Hrsg.), Raumbezogene qualitative Sozialforschung. 62 Mit Anknüpfung an frühe Einschätzungen von Löwenthal, Bernstein und Ströbel hierfür nach wie vor zentral Winkler, Von der Revolution, S. 19–33.
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in Auflösung befanden.63 Diese Beobachtungen sind für die vorliegende Studie von Relevanz, denn sie stützen die These einer fragmentarisierten Gesellschaft der Weimarer Republik. Dieses wird dann von Bedeutung, wenn man auf Mobilisierungsprozesse im vorpolitischen Raum schaut und den Prozess einer sozialen Formationsbildung betrachtet und nicht bereits von deren Ergebnis ausgeht. Die so zu erwartenden Ergebnisse lassen dann andere Kohäsionskräfte von sozialen Gruppen erkennbar werden. In der geschilderten historischen Erforschung der Revolutionszeit wurden die inneren Bindekräfte der Gruppenbildungen aufgrund des verfassungshistorischen Fokus in politischen Ideen und Traditionen verortet und als Vorgeschichte der politischen Parteien und Bewegungen interpretiert.64 „Unter den Tisch fällt dabei die ‚erfahrungsgeschichtliche‘ Dimension der sozialen Protestbewegung“, ebenso wie eine alltags- und kulturhistorische.65 Seit einigen Jahren werden nun in der Weimarer Republikforschung „statt der ‚großen‘ Ereignisse und Strukturen zunehmend auch die ‚kleineren‘ Räume und die ‚subjektiven‘ Wahrnehmungen zum Gegenstand [ge]macht.“66 Die politische und paramilitärische Mobilisierbarkeit ist daher nicht nur eine Folge der parteipolitischen Orientierung, sondern auch der mentalen
63 Zum grundlegenden Konzept sozialmoralischer Milieus vgl. Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur, S. 56–80. In einer abgewandelten Form bei Rohe, Wahlen und Wählertraditionen; ebenfalls deren Stabilität betonend Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, S. 134–144. Den Zerfall des sozialmoralischen Arbeitermilieus aufgrund einer sich sukzessive verbreitenden Massenkultur betonen Langewiesche, Politik, Gesellschaft, Kultur, S. 359–402; SchmiechenAckermann, Nationalsozialismus und Arbeitermilieus, S. 453f.; gegen die Thesen von Langewiesche und Schmiechen-Ackermann argumentieren Lösche/Walter, Zur Organisationskultur, S. 511–536; Walter, Milieus und Parteien, S. 479–493; vgl. als empirisch gestützte Antwort die vier Bände Walter, Sozialistische Akademiker- und Intellektuellenorganisationen; ders., Sozialistische Gesundheits- und Lebensreformverbände; Klenke u. a., Arbeitersänger und Volksbühnen; Heimann/Walter, Religiöse Sozialisten und Freidenker; für das konservative Milieu Lösche/Walter, Katholiken, Konservative und Liberale, S. 471–492; Fallstudien bieten Matthiesen, Greifswald in Vorpommern; Weichlein, Sozialmilieus und politische Kultur; Kaufmann, Katholisches Milieu; Rauh-Kühne, Katholisches Milieu; Heilbronner, Catholicism; Fritzsche, Rehearsals for Facism, bes. S. 1–93; Bösch, Konservative Milieu; Matthiesen, Bürgertum; Haffert, Arbeitervereine; Jäger, Bergarbeitermilieus. Einen Überblick bieten Walter/Matthiesen, Milieus in der modernen deutschen Gesellschaftsgeschichte, S. 46–75. 64 Zur Einteilung in verschiedene, soziopolitische, konfessionelle und regionale Teilkulturen vgl. Lehnert/Megerle, Politische Identität; Lehnert, Politische Teilkulturen. 65 Wirsching, Weimarer Republik, S. 54; ders., Weltkrieg, S. 65–77; Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S. 237f. Hierbei handelt es sich um die von Schumann mit dem Kapitel zur Weimarer Kultur erweiterte 8. Auflage des Buches. Schumann attestiert den neuen kulturwissenschaftlichen Kategorien Zeit, Raum, Körper, Geschlecht, Wissen und Emotionen als „fundamentale menschliche Ordnungskategorien und Alltagspraktiken“ das Potential, die Forschungen zur Kultur der Weimarer Republik zu beleben. Zur geschlechterbezogenen Fragestellungen vgl. Beutin/Beutin/Müller-Beck (Hrsg.), „Das waren Wintermonate voller Arbeit, Hoffen und Glück…“; Sternsdorf-Hauck, Brotmarken und rote Fahnen; Canning, Das Geschlecht der Revolution. 66 Wirsching, Weimarer Republik, S. 84. Für methodische Probleme der Erforschung von Wahrnehmung vgl. Métraux, Lichtbesessenheit, S. 20ff.
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Kriegserfahrungen, psychosozialer Prozesse der Gruppenbildung sowie der Konstellation ungünstiger Umweltfaktoren wie Hunger und Arbeitslosigkeit.67 Die Schaffung sozialer und kultureller Identität jener Bewegungen, die beispielsweise die Räte als eine soziale Formation erst konstituierten, blieb bislang unberücksichtigt. In den Hintergrund gerieten dabei Fragen, welche die spezifische Dynamik der Entstehung der Räte als Institutionalisierung einer sich in der Revolutionsphase bildenden sozialen Bewegungsform, ihre teilweise Konstituierung durch spontane lokale und regionale soziale Gruppenbildungen, betrafen. Erst in letzter Zeit wurden vereinzelt Gruppenbildungen jenseits der polarisierenden Fokussierung auf Räte und Freikorps thematisiert. Sie wurden unter den Chiffren Radikalisierung und Gewalt vorgelegt.68 Neuere Ansätze politischer Gewalt lösen sich von der „Brutalisierungsthese“ und interpretieren Gewalt als soziale Handlung mithilfe dichter Beschreibungen der Gewaltakte und ihrer Eigenlogik. Im Wesentlichen wurde Gewalt hier als soziale Praxis verstanden, welche oftmals einen symbolischen Charakter und Ritualen folgenden Kampf um „Terrain“ darstellte.69 Die Forschungen zur politischen Kultur wurden somit um die Bereiche der Bedeutung von Symbolen, Bildern und der politischen Sprache erweitert.70 Bisher wurden soziale Formationen dabei als ordnungsschaffende und stabilisierende Faktoren im öffentlichen Raum während sozialer Unruhen wenig thematisiert.71 Aus diesem Desiderat der Forschung geht nun die Frage hervor, ob es Formen von Räumen gab, die bewusst oder unbewusst von sozialen Formationen geschaffen wurden und ob unspezifische 67 Einen umfassenden Überblick bezüglich neuerer Ansätze zur Weltkriegsforschung bietet Nübel, Neue Forschungen zur Kultur- und Sozialgeschichte des Ersten Weltkriegs. Themen, Tendenzen, Perspektiven, in: H-Soz-u-Kult 08.07.2011, URL: . [04.12.2013] 68 Schumann, Politische Gewalt; Wirsching, Weltkrieg; Reichardt, Faschistische Kampfbünde; Weisbrod, Gewalt in der Politik, S. 113–124; Schulz, Ästhetisierung; Blasius, Weimars Ende. Zur Militarisierung der Gesellschaft Mommsen, Militär, S. 265–276; Diehl, Paramilitary Politics; vgl. etwa auch Rosenhaft, Gewalt in der Politik; dies., Beating the Fascists?; vgl. Bessel, Political Violence; vgl. etwa der Sammelband von Becker u. a. (Hrsg.), Politische Gewalt in der Moderne. Neuere Studien loten zudem das Verhältnis zwischen den Kategorien Gewalt und Raum beziehungsweise Grenze aus. Vgl. hierfür Wilson, Frontiers of Violence. 69 Wirsching, Weimarer Republik, S. 142; Schumann, Politische Gewalt, S. 16. Schumann verweist hier auf ein „breites Spektrum von Motiven, Formen und Handlungsweisen“ politischer Gewalt. 70 Zum Konzept der politischen Kultur Rohe, Politische Kultur und der kulturelle Aspekt, S. 39– 48; ders., Politische Kultur und ihre Analyse, S. 321–346; ders., Wahlen und Wählertraditionen, S. 9–18; ders., Regionalkultur, S. 123–154; Iwand, Paradigma Politische Kultur; BergSchlosser/Schissler (Hrsg.), Politische Kultur; Lipp, Politische Kultur, S. 78–110; vgl. Daniel/Marszolek/Pyta/Welskopp (Hrsg.), Politische Kultur; vgl. etwa auch Thamer, Politische Rituale, S. 79–98. 71 Während zahlreiche Arbeiten sich mit der bewaffneten Macht während der Revolutionsmonate beschäftigen, ist dieses aus raumanalytischer Perspektive als ordnungsstiftender Faktor bisher vernachlässigt worden. Vgl. Rakenius, Wilhelm Groener; mit kritischer Lesart Carsten, Reichswehr und Politik; ebenfalls bei Sauer, Schwarze Reichswehr, S. 205–253; mit positiver Lesart Gordon, Reichswehr und Weimarer Republik; Schmädeke, Militärische Kommandogewalt, S. 118–184; Schulze, Freikorps und Republik; Wette, Noske, bes. S. 333–398.
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Stimmungen von diesen Räumen ausgingen, welche zur Festigung der handelnden Gruppe beitragen konnten. Wenngleich auf die Unschärfe bei der Definition des sozialen Protests in der Forschung hinreichend hingewiesen worden ist, so ist die Fragestellung in der vorliegenden Arbeit keineswegs nur auf die politische Dimension verschiedener Protestformen gerichtet, sondern fragt ebenso nach der kulturellen Bedeutung für die daran beteiligten Akteure.72 Daher sind die empirischen Fallbeispiele hier breiter gestreut und besitzen somit nicht den Anspruch ausschließlich als rein politisch definiert werden zu müssen. Deshalb sind auch kleinere Streiks oder Subsistenzproteste als Form „kollektiver Widersetzlichkeit gegenüber der Polizei“73 auf sinn- und bedeutungsgenierende Aspekte hin untersucht worden. Die an das empirische Material gestellten Fragen sind daher zunächst weniger Fragen nach der politischen Bedeutung. Zunächst sollen alle Verstehensprozesse historischer Phänomene räumlich geöffnet werden.74 Dabei kann sich die vorliegende Untersuchung auf eine Reihe von Vorarbeiten stützen, welche den Raum der Straße als Bühne öffentlicher Handlungen intensiver in den Blick genommen haben. Die Arbeiten von Manfred Gailus und Thomas Lindenberger weisen aus sozialgeschichtlicher Perspektive mit je eigener Interpretation auf das Konzept der Straßenpolitik hin.75 Beide betonen den Alltag und die verschiedenen für den öffentlichen Raum ordnungsstabilisierenden sozialen Protestformen für den vorrevolutionären Zeitraum. Auf die Bedeutung des Räumlichen für die Herausbildung milieuspezifischer oder –ähnlicher Strukturen für den späten Zeitraum der Weimarer Republik kann zudem auf Pamela Swetts Studie verwiesen werden.76 Weitere Forschungen zum öffentlichen Raum der Straße, welche sich nicht allein den politischen Auswirkungen des organisierten
72 Zur umfangreich gewordenen sozialen Protestforschung, worunter auch die Streik- und Demonstrationsforschung fällt, siehe Kapitel 1.2 dieser Arbeit. Neben empirisch gesättigten Studien über Lebensmittelunruhen und Hungerkrawalle wurden gerade auch aus dem sozialwissenschaftlichen Kontext theoretische Konzepte vorgelegt, mit denen versucht wurde, die Bedeutung sozialpsychologischer Faktoren als Ursachen sozialer Unruhen mit zu berücksichtigen. Aus der unüberschaubar gewordenen Protestforschung wurden einige nachhaltige Konzepte wie die „Relative Deprivation“ oder die „Collective Action“ geschaffen. Diese analytischen Kategorien dienen zur Unterscheidung verschiedener Protestformen, wenngleich eine erfahrungsgeschichtliche Dimension hier weitgehend ausgeblendet wird. Vgl. Gurr, Why Men Rebel; Tilly, Mobilization, S. 62–84; Zimmermann, Violence, S. 424; Tarrow, Power in Movement. 73 Schumann, Politische Gewalt, S. 16. 74 Für einige Überlegungen zur Methode einer spatialen Hermeneutik vgl. Schlögel, Im Raume, S. 37f. Vgl. Schumann, Politische Gewalt, S. 16. Zur Unschärfe des Konzepts Hausen, Schwierigkeiten mit dem „sozialen Protest“, S. 257–263; Volkmann/Bergmann (Hrsg.), Sozialer Protest; Gailus (Hrsg.), Kampf um das tägliche Brot. 75 Gailus, Straße und Brot; Lindenberger, Straßenpolitik. Beide Konzepte operieren mit dem von Lüdtke entwickelten Eigen–Sinn Konzept. Vgl. Lüdtke, Eigen–Sinn. 76 Swett, Neighbors and Enemies. Swett unternimmt den Versuch, wie Gewalt in einer lokalgeschichtlichen Perspektive als Reaktion auf die Gefährdung von Nachbarschaftsverhältnissen interpretiert werden kann. Hierbei hat Swett auf die Bedeutung von Straßen, Plätzen und Kneipen als Areale des Kampfes miteinander rivalisierender Gruppen hingewiesen.
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Straßenprotests widmeten, haben zudem dessen vielfältige Formen herausgearbeitet und die sozialgeschichtliche um eine kulturgeschichtliche Perspektive zu erweitern versucht.77 Von besonderer Bedeutung ist dabei auch die erfahrungshistorische Erforschung des Ersten Weltkrieges und der daran anschließenden umfassenden Demobilmachungsprozesse geworden, die verdeutlicht hat, wie wesentlich individuelle und gruppenspezifische Sinnzuschreibungen jenseits rein politischer Verortungen für die Konstituierung sozialer Wirklichkeit sind.78 Erfahrungshistorisch konzipierte Erforschungen der Frontsoldaten haben gezeigt, dass deren Erwartungshorizont nicht primär auf utopisch-politische, sondern auf kurzfristigere Ziele der Lebenssicherung gerichtet war.79 Die besondere Relevanz der Nachkriegszeit für die Konstituierung des modernen Europas ist auch eine Folge des einschneidenden Umbruchs, des „symbolic collapse“, den der Erste Weltkrieg darstellt.80 In der Erforschung der Nachkriegszeit werden kulturhistorische Perspektiven vielfach angemahnt, aber auch als noch nicht hinreichend durchgeführt bezeichnet.81 Da die Revolutionszeit vor der Etablierung eines Cultural Turn in der Geschichtswissenschaft in den frühen 1990er Jahren als breit erforscht galt, rückte zuerst der Erste Weltkrieg in den Fokus der Auseinandersetzung, nicht zuletzt weil sich hier neue methodische Ansätze der Kultur- und Erfahrungsgeschichte erfolgreich implementieren ließen.82 Für die revolutionären Unruhen sind diese Ansätze bislang jedoch kaum verwendet worden, sodass der Stand der Revolutionsforschung als „festgefahren“ eingeschätzt wurde.83 Die seit dem Cultural Turn neu aufgeworfenen Fragen haben jene in den Mittelpunkt gerückt, die historisch wirksame Kräfte jenseits politisch intentionalen Handelns verorten, die es erfordern, die revolutionären Unruhen neu zu interpretieren.
77 Reiss (Hrsg.), The Street as Stage, Foreword; Jerram, Streetlife; mit einem Schwerpunkt auf die Kriegszeit vgl. Cronier, The street, S. 57–104; vgl. auch Lawrence, Public space, political space, S. 280–312. 78 Siehe die Ausführungen in Kapitel 1.1. Vgl. Bessel, Germany; Wachs, Verordnungswerk; Rouette, Sozialpolitik. Bereits Peter Gay hatte in seiner umstrittenen These behauptet, die Republik habe wenig Neues geschaffen, sondern „Vorhandenes befreit“. Vgl. Gay, Republik der Außenseiter, S. 23. Dagegen sprach eine andere Forschungsauffassung dem Ersten Weltkrieg eine katalysatorische Wirkung zu. Vgl. Bessel, Germany. 79 Ziemann, Enttäuschte Erwartungen, S. 165–182; vgl. Ebert (Hrsg.), Vom Augusterlebnis zur Novemberrevolution. 80 Winter, Sites of Memory, S. 112; für eine Perspektive jenseits der reinen Beschränkung auf die Ursachen des Ersten Weltkrieges Barth, Dolchstoßlegenden; Bessel, Germany, S. 283; Ziemann, Deutsche Nation, S. 67–91; im Kontext dieser Weltkriegserfahrungen wurden Wahrnehmungen des Körperlichen thematisiert und der Frage nachgegangen, welche Wirkung von den zerstörten Körpern auf die Gesellschaft ausgingen. Vgl. Kienitz, Beschädigte Helden, S. 188– 207, bes. S. 194ff. 81 Weisbrod, Politik der Repräsentation, S. 14f. 82 Davis, Home fires burning; Healy, Vienna. 83 Gallus, Vergessene Revolution, S. 10. Zum 90. Jahrestag sind kaum Publikationen zur Novemberrevolution erschienen. Vgl. Grebing (Hrsg.), Die deutsche Revolution; Broué, The German Revolution; Plener (Hrsg.), Die Novemberrevolution.
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Neben den bereits erwähnten Konzepten von Radikalisierung und Gewalt wurden, weiteren neueren Entwicklungen nach, auch medienhistorische Ansätze im Kontext der Nachkriegszeit vorgelegt.84 Auch wenn diese in der Regel regionalen und lokalen Charakter haben, erlauben sie die Hypothese, dass die mediale Repräsentation der Ereignisse entscheidenden Einfluss auf die Deutung der Zeitgenossen hatte. Diese haben sich jedoch bislang kaum in der Revolutionsforschung und damit der Formierungsphase der ersten deutschen Demokratie niedergeschlagen, weshalb die Revolutionsforschung „Tauwetter“ benötigt, so Rolf Fischer.85 Die bisherige Forschung interpretiert die revolutionären Ereignisse als städtische Phänomene, wenngleich sie bislang weniger auf die Konstruktionsbedingungen und Komplexität multidimensionaler Kräfte von Räumen eingegangen ist.86 Die großen sozialen Formationen wie die Arbeiter- und Soldatenräte, Freikorps und Bürgerwehren bildeten sich vornehmlich in den Industrie- und Garnisonsstädten und waren maßgeblicher Teil des politischen Wandels.87 Seit dem 19. Jahrhundert setzte sich im urbanen Raum eine Öffnung der privaten und öffentlichen Lebenswelten durch.88 Diese begann mit der Anwerbung von Arbeitskräften für die aufstrebenden Industriebetriebe, setzt sich über die Rekrutierung von Soldaten für den Krieg fort und gipfelt in der Auseinandersetzung mit revolutionären Matrosen.89 Vor dem Hintergrund einer Krise der Moderne befanden sich daher viele Menschen in einem „Vakuum politischer Orientierungslosigkeit“90, während die Städte als „Kristallisationspunkte der technischen“ und „gesellschaftlichen Entwicklung“ galten.91
84 Ross, Media and the making of modern Germany; für München Herz/Halfbrodt, Fotografie und Revolution; für Berlin Hallen, Revolution und Fotografie. 85 Fischer, Kein Rauschen mehr im Blätterwald, S. 65. Vgl. auch die Ergebnisse des Sammelbandes Grampp u. a. (Hrsg.), Revolutions–Medien, Medien–Revolutionen. 86 Aus der Fülle zur stadtspezifischen Revolutionsforschung zu Berlin vgl. Wirsching, Weltkrieg; zu München vgl. Geyer, Verkehrte Welt; zum Ruhrgebiet vgl. Lucas, Märzrevolution I-III. Neuere Studien mit lokalspezifischem Charakter bei Schmidgall, Revolution 1918/19 in Baden; Schulte-Varendorff, Hungerunruhen in Hamburg; Schulz, Gegen Krieg; Tornau, Gegenrevolution von unten; Buhr, Celle; ältere Positionen bei Dähnhard, Revolution in Kiel; Trende, Zehn Tage im November 1918; Wette, Die Revolution in Kiel 1918; Wette, Gustav Noske und die Kieler Revolution 1918; Kuckuk (Hrsg.), Revolution und Räterepublik in Bremen; ders. (Hrsg.), Die Revolution 1918/19 in Bremen; Pollnick, Revolution und Räterepublik in Aschaffenburg; Tampke, The Ruhr and Revolution. 87 Vgl. Schumacher, Land und Politik, S. 87. Die resistente Haltung des ländlichen Raumes gegenüber der Revolution thematisieren Pyta, Dorfgemeinschaft. 88 Vgl. Bieber, Bürgertum. Bieber konnte auf breiter empirischer Basis nachweisen, dass auch im Bürgertum Politisierungsprozesse stattgefunden haben, die sich teils in ähnlichen Organisations- und Aktionsformen wie denen der Arbeiterbewegung widerspiegelten. 89 Tenfelde, Massenbewegungen, S. 9–16. 90 Peukert, Weimarer Republik, S. 89; Schwaabe, Deutsche Modernitätskrise, S. 232. Die widersprüchlichen Erfahrungen und Wahrnehmungsmuster der klassischen Moderne am Beispiel Münchens analysiert Geyer, Verkehrte Welt. Ausführlicher wird auf den Forschungsstand in Kapitel 1.3 eingegangen. 91 Kaschuba, 1900: Kaiserreich, S. 73.
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Allgemein hat nun die Erweiterung der historischen Forschungsperspektive um kulturwissenschaftliche Ansätze in den vergangenen Jahren unter anderem die Erkenntnis etabliert, dass diese nicht mehr als reine Container zu verstehenden Räume, deren Produktionen, Konstruktionen und Sinnzuschreibungen und die subjektive Verortung im Raum sowohl für Subjektivierungsprozesse, als auch für die Konstituierung sozialer Wirklichkeit der Akteure mitverantwortlich sind.92 Raum und Zeit als die „fundamentalsten Determinanten sozialer Existenz in historisch konkreten Lebenswelten“ erlangten demnach seit der Industrialisierung und der Urbanisierung mit den daraus folgenden Umschichtungen in den politischen Ansprüchen und Mitwirkungsrechten eine neue Bedeutung.93 Die sich nun in der Revolution abzeichnende Krise ist daher auch eine Krise von konkurrierenden Ordnungsmustern. Für die historischen Akteure wurde Raum „wie selbstverständlich eine fundamentale, oft sogar determinierende Bedeutung zugeschrieben“, indem Raum „als zentraler Bestandteil der individuellen Existenz, der staatlichen Macht, der nationalen Identität“ galt.94 Die ambivalenten Erfahrungen der Moderne führten daher auch zu einem neuen Denken über das Verhältnis von Mensch und Raum. Mit den neuen Ansätzen zur Erforschung soziokultureller Wirklichkeiten nach dem Cultural Turn ist Raum demnach nicht mehr einfach als Behältnis zu verstehen, in dem Handlungen stattfinden. Raum wird vielmehr erst durch symbolische und kommunikative Handlungs- und Verhaltensweisen produziert und somit von zentraler Bedeutung auch für die Ausbildung und Aufrechterhaltung einer situativen Gruppenidentität.95 Die Frage nach Wahrnehmung, Aneignung und Deutung histo-
92 Die Geschichtswissenschaft wurde hier maßgeblich durch die New Cultural Geography inspiriert. Ausgegangen wird hier nicht mehr ausschließlich von rein „rational und autonom handelnden, einheitlichen und selbstidentischen Subjekten“. Betont wird vielmehr das Kontingente, Instabile und Hybride von Identitäten. Vgl. Pott, Identität und Raum, S. 28. 93 Hardtwig, Einleitung. Ordnungen, S. 13. 94 Rohkrämer, Bewahrung, S. 49 u. 57f. Rohkrämer betont die Moderne als diejenige Zeit, in der „Natur und Tradition nicht mehr als übermächtig oder selbstverständlich erscheinen, sondern als durch den Menschen gefährdete Güter.“ Zu Widersprüchlichkeit von Raum- und Zeiterfahrungen vgl. Geyer, Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, S. 165–187; vgl. auch Hardtwig (Hrsg.), Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit; Auf die Bedeutung von anderen räumlichen Einheiten wie der Landschaft hat u. a. hingewiesen Blackbourn, The Conquest of Nature. 95 Aus der zunächst unüberschaubar gewordenen Menge an Literatur zum Spatial Turn vgl. zunächst die wichtigen Grundlagenwerke von Döring/Thielmann (Hrsg.), Spatial Turn; Dünne/Günzel (Hrsg.): Raumtheorie; Günzel (Hrsg.), Raumwissenschaften; ebd. (Hrsg.), Raum; Hubbard/Kitchin (Hrsg.), Key Thinkers on Space and Place; Crang/Thrift (Hrsg.), Thinking Space. In Auswahl sei hier auf eine Reihe einschlägiger geschichtswissenschaftlicher Arbeiten verwiesen, die Raum ins Zentrum ihrer Analysen stellen. Geppert/Jensen/Weinhold (Hrsg.), Ortsgespräche, bes. S. 16–20; Schlögel, Im Raume; Dünne/Doetsch/Lüdeke (Hrsg.), Von Pilgerwegen; Jureit, Das Ordnen von Räumen, bes. S. 7–29; Dartmann/Füssel/Rüther (Hrsg.), Raum und Konflikt. Vgl. die umfassenden Literaturüberblicke bei Osterhammel, Wiederkehr des Raumes, S. 374–397; Bürk-Matsunami, Raumtheoretische Positionen, in: Raumsoziologie, URL: [05.05.2013]; Dünne, Forschungsüberblick „Raumtheorie“, in: Arbeitsgruppe Raum – Körper
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risch agierender Subjekte nimmt nach dem Cultural Turn in den letzten beiden Jahrzehnten einen zunehmend größer werdenden Anteil in der Weimarer Republikforschung ein.96 Die Lesbarkeit der revolutionären Umbrüche in der Epoche der Moderne als politisch-soziale Transformationsprozesse, die primär unter Gesichtspunkten des gesellschaftlichen sowie administrativen und institutionellen Wandels in den Blick genommen werden, weicht momentan einer Perspektive, in der grundlegende Fragen aus kulturhistorischer Sicht neu thematisiert werden. Kulturelle Verräumlichungsstrategien, symbolische Kommunikationsformen, sowie soziale Konflikte um kulturelle Codierungen und Encodierungen von Wirklichkeit rücken in den Mittelpunkt der Betrachtung. Im Zuge der genannten Politischen Kulturforschung wurden bereits einzelne Aspekte der Umbruchphase wie die Funktion von Feindbildern behandelt.97 Eine raumanalytische Perspektive, welche eine Verortung von sozialen Formationen über sozialräumliche Protestpraktiken anstrebt, die sich mit symbolischen Strategien und kulturellen Codes voneinander abgrenzten und somit Raum in seinen verschiedenen Ausprägungen und Qualitäten als wichtig für die innere Kohäsion definierte, steht für die revolutionären Ereignisse noch aus. Zieht man die empirische Überlieferung der unterschiedlichen sozialen Akteure heran, so lässt diese die Akteure als Architekten der Revolution interpretieren, welche mit je eigenen Ordnungsvorstellungen und Praktiken die Revolution nach ihren Vorstellungen zu gestalten versuchten. Das Verhältnis von Akteur und Raum wird somit konstitutiv für das Zusammenleben und die Verortung in einer bestimmten sozialen Formation oder Gruppierung, während sich diese räumlichen Ordnungen auch auf der symbolischen Ebene veränderten. In der vorliegenden Untersuchung wird daher nach den Verräumlichungsstrategien der unterschiedlichen sozialen Akteure gefragt. Diese miteinander rivalisierenden kulturellen und politischen Ordnungsvorstellungen konnten zu einer Neukartierung kultureller und politischer Handlungen im öffentlichen Raum führen.98 Soziale Gruppierungen lassen sich demnach analytisch-konzeptionell fassen anhand ihres Umgangs mit Raum und dem jeweiligen Raumbewusstsein, weshalb die Arbeit von der Annahme ausgeht, dass die sozialen Akteure sich nicht ausschließlich über gemeinsame politische Vorstellungen definierten, sondern begannen die in die Krise geratenen Ordnungsvorstellungen nach unterschiedlichen Strategien zu managen. Das theoretische Design eines multidimensionalen Raumbegriffs soll daher die sich aus diesen Prämissen ergebende Forschungshypothese stützen, dass sich die Kämpfe um die Revolution nicht allein entlang der Auseinandersetzungen
– Medium, URL: [05.05.2013]; Holm, Sozialwissenschaftliche Theorien zu Raum und Fläche, in: UFZ Bericht 26, URL: . [05.05.2013] 96 Wirsching, Weimarer Republik, S. 119. Wirsching sieht diesen Trend zudem in einer Abkehr der Nutzung bipolarer Kategorienpaare wie „pro“ und „contra“ und betont die Offenheit und Polyvalenz der Weimarer Kultur. Dieser Trend ist für die Frühgeschichte der Weimarer Republik jedoch erst im Entstehen begriffen. 97 Lehnert, Propaganda des Bürgerkriegs, S. 61–101. 98 Vgl. Geyer, Die Gleichzeitigkeiten des Ungleichzeitigen, bes. S. 170–175.
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um das physische Terrain beschreiben ließen.99 Die Fragen nach Sinn und Bedeutung von Räumen und Räumlichkeiten gibt der Arbeit somit ihre kulturgeschichtliche Perspektive vor, um mit raumanalytischem Setting soziale Unruhen zu untersuchen.100 THEORETISCHER ANSATZ: MULTIDIMENSIONALE RÄUME, CULTURAL SPATIALIZATION UND SOZIALE FORMATIONEN David Blackbourns Aussage „Time is our dimension. But history occurs in space as well as time“ weist auf die lange Zeit untergeordnete Bedeutung des Räumlichen vor der herrschenden Dominanz des Zeitlichen in der Geschichtswissenschaft hin.101 Bereits Reinhart Koselleck hatte früh darauf hingewiesen, dass „die überwältigende Mehrzahl aller Historiker für eine theoretisch nur schwach begründete Dominanz der Zeit“ optierten.102 Der Vorteil eines kritisch nicht weiter hinterfragten Container-Raumbegriffs bestand zunächst darin, dass „mit seiner Hilfe klare Trennlinien gezogen und Zuordnungen vorgenommen“ wurden, Menschen und Handlungen so eindeutig im Raum verortet werden konnten.103 Folgt man den Erkenntnissen des Cultural und Spatial Turns, ist diese Vorstellung eines absoluten, monodimensionalen Raums obsolet geworden und allenfalls in einer historistisch aufgestellten geschichtswissenschaftlichen Perspektive noch vertretbar.104 Raum gilt heute vielmehr als etablierte Analysekategorie zur Erforschung soziokultureller Wirklichkeiten, während hierbei Möglichkeiten entstehen, Gegenstände anders einander zuzuordnen, Evidenzen zu erzeugen und Erklärungsmodelle zu entwickeln, die im Falle der vorliegenden Forschung der dynamischen Offenheit und Polyvalenz der Weimarer Kultur entspricht.105 Umso neuer und spannender für die Geschichtswissenschaft lautete daher der Slogan space matters als die programmatische Ausrichtung der Kulturwissenschaften seit der Etablierung eines Spatial Turns um die Jahrtausendwende.106 Die Weite
99 Vgl. Maresch/Werber, Permanenzen des Raums, S. 13f. 100 Zur vermehrten Nutzung des Begriffs Räumlichkeit vgl. Werlen, Kulturelle Räumlichkeit, S. 3. 101 Blackbourn, A Sense of Place, S. 5; vgl. etwa auch Gotthard, Wohin führt uns der „Spatial turn“?, S. 15; vgl. Foucault, Of other spaces, S. 22; vgl. Heit, Raum, S. 390. Heit spricht von einer „erfolgreichen raumwissenschaftlichen Rekuperationsphase der Geschichte” im 20. Jahrhundert. Vgl. Schroer, „Bringing space back again“, S. 127–132. 102 Koselleck, Raum und Geschichte, S. 81; Dipper/Raphael, Raum, S. 40. Plädiert wird dafür, die „Ortlosigkeit der Geschichtswissenschaft [zu] überwinden.“ Mit ähnlicher Perspektive vgl. Piltz, Trägheit des Raumes, S. 77. 103 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 12. 104 Zur Geschichte früher Raumkonzepte siehe Zekl/Breidert u. a., Raum, Sp. 67–111. 105 Wirsching, Weimarer Republik, S. 120; Vgl. Soja, Postmodern Geographies, S. 1. 106 Karl Schlögels Slogan lautet daher „Spacing history“, um so dem Ruf nach einer Erneuerung der Geschichtswissenschaft nachzugehen. Vgl. Schlögel, Kartenlesen, Augenarbeit, S. 276. Aus der doch mittlerweile recht umfangreich gewordenen Literatur zum Spatial Turn lassen
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der Interpretationen was Raum in den Kultur- und Geisteswissenschaften nun eigentlich ist, reicht hier von Raum als lediglich durch sozial-kulturelle Praktiken existierend, bis hin zu radikaleren Interpretationen, welche dem Raum einen wirkmächtigen Rest zugestehen. Gemein ist jedoch allen Positionen, dass diese sich gegen ein Raumverständnis im Sinne Kants aussprechen, wonach Raum a priori vorgegeben sei und sie dagegen das gemeinsame Interesse an den verschiedensten Ausprägungen des Räumlichen verbindet.107 Dieses neue Raumverständnis wurde inspiriert durch die paradigmatische kulturelle Wende in den 1990er Jahren.108 Aus diesen kulturhistorischen Konzepten, wie sie von Foucault oder Geertz hergeleitet wurden, wird Kultur als historisch strukturierte Sammlung von Praktiken und Strategien verstanden, mit denen sozial relevante Bedeutungen konstruiert werden.109 Die vorliegende Arbeit schließt mit raumanalytischer Perspektive an diese Erkenntnisse an. Die neue Aufmerksamkeit gegenüber der Kategorie Raum zur Aufschlüsselung soziokultureller Wirklichkeiten resultierte zunächst aus der Relektüre früherer Texte der unterschiedlichsten Disziplinen, in denen lange vor einem Spatial Turn ein anderes Denken über Raum angestoßen wurde. Frühe soziologische Positionen, in denen Raum im Kontext von Prozessen der Vergesellschaftung thematisiert wurde, finden sich bereits bei Emile Durkheim, welcher Raum als zentrale Kategorie des Denkens und somit als Rahmen für symbolisch belegte Beziehungen verstanden hatte.110 Als ein Pionier für die „systematische Beschäftigung“ mit Raum und Gesellschaft gilt zudem Georg Simmel, der verschiedene Formen physischer Raumbezogenheit und Raumsubstraten als Konkretion menschlichen Zusammenlebens ausmachte und so die Relation zwischen Raum und Gesellschaft betonte.111 Beide Ansätze beschäftigen sich zunächst mit der räumlichen Organisation der Gesellschaft. Entscheidend ist nun, dass
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sich verschiedene Strömungen festmachen. Raum wird daher mal mehr und mal weniger radikal gedacht und konzipiert. Die besten Einführungen in metareflexiver Perspektive über den Spatial Turn bei Rau, Räume; Döring/Thielmann (Hrsg.), Spatial Turn; Dünne/Günzel (Hrsg.), Raumtheorie; Günzel (Hrsg.), Raumwissenschaften; ders. (Hrsg.), Raum; Hubbard/Kitchin (Hrsg.), Thinking Space; Hard, Raumfragen, S. 253–302; Günzel, Topologie, S. 24–26; Lossau, Räume von Bedeutung, S. 29–43; Crang/Thrift, Introduction, S. 1–3. Mit der programmatischen Aussage „Space is the everywhere of modern thought. It is the flesh that flatters the bones of theory.“ Crang/Thrift, Introduction, S. 3. „But it is meant to be the last indicative of the main passage points in current writing on space, all of which in one sense or the other move away from the Kantian perspective on space – as an absolute category – towards space as process and in process (that is space and time combined in becoming).“ Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1. Abschnitt, „von dem Raume“, S. 31ff. Zuerst bei Hunt, New Cultural History; vgl. Jameson, The Cultural Turn; für einen Überblick über einige der derzeit verhandelten turns vgl. Bachmann-Medick, Cultural Turns. Vgl. etwa Geertz, Dichte Beschreibung; Foucault, Überwachen und Strafen; programmatisch sind hier auch die Schriften von Hayden White. Vgl. White, Metahistory. Vgl. Durkheim, Les formes élémentaires de la vie religieuse. Vgl. bes. Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, S. 614–708. Vgl. Rau, Räume, S. 92; vgl. etwa Lechner, Simmel on Social Space, S. 195–201; Frisby/Featherstone, Simmel on Culture; Ziemann, Die Brücke zur Gesellschaft; Filippov, Die Logik des Raumes.
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Raum hier immer gesellschaftlich hergestellt verstanden wird, wonach der physische Raum somit stets ein sozialer Raum sei. Simmel hatte in seinem berühmt gewordenen Aufsatz über die Großstädte und das Geistesleben auf das Schicksal des Subjekts in der Großstadt vor dem Hintergrund einer krisenbehafteten Moderne hingewiesen und somit stärker nach der Wirkung der materiellen Ausgestaltung des Raumes auf soziale Handlungen gefragt.112 Mit dieser Art der Fragestellung wurde Simmel so indirekt zu einem frühen Wegbereiter des Spatial Turns. Die Großstadt zeichnet sich nach Simmel durch eine Unpersönlichkeit und Gleichgültigkeit aus. Die Nähe zwischen den Stadtmenschen könne daher zu Konflikten führen, „denn in dem Augenblick einer irgendwie veranlaßten nahen Berührung [würde die Fremdheit] sogleich in Haß und Kampf ausschlagen.“113 Die Dichte des Raumes forme so die Wechselbeziehungen zwischen den Individuen mit. „Räumliche Grundqualitäten“ waren Simmel zufolge in kollektiv erlebten Konflikten oder kritischen Ereignissen wichtig für die Formierung sozialer Bewegungen,114 während er Nähe und Distanz als fundamentale Bedingungen menschlichen Handelns ansah.115 Simmel als früher Vertreter eines relationalen Raumverständnisses exemplifiziert dieses recht anschaulich am Phänomen der Grenze, denn diese versteht er als von Menschen gemachte soziologische Tatsache, die sich räumlich forme.116 Durkheim und Simmel argumentieren damit gegen den dominierenden a priori Charakter des Räumlichen.117 Simmels Überlegungen zum Raum und seinen Grundqualitäten, von denen bestimmte Wirkungen auf menschliche Handlungen ausgehen können, gewinnen für spätere relationale Raummodelle zunehmend an Bedeutung. Überträgt man dieses Verständnis auf die Zeiten sozialer Unruhen, ist nun die Bedeutung von Raum und Ort für die historischen Akteure kaum zu unterschätzen. Zum einen weil die unterschiedlichen Gruppen eine lokale Bindung, den sogenannten „Drehpunkt“ besaßen, um Zugehörigkeitsverhältnisse zur Gruppe zu klären.118 Zum anderen, weil Raum während der Auseinandersetzungen ins Zentrum rückt
112 Simmel, Großstädte. Auch Louis Wirths Aufsatz „Urbanism as a way of life“ stellt einen der viel zitierten Beiträge zur städtischen Lebensweise dar. Mit ähnlicher Fragestellung vgl. Benjamin, Das Passagen–Werk. 113 Simmel, Großstädte, S. 24; dazu Häußermann/Siebel/Wurtzbacher, Stadtsoziologie, S. 37f. 114 Simmel, Schriften zur Soziologie, S. 222ff. 115 Vgl. Dickhardt/Hauser-Schäublin, Theorie kultureller Räumlichkeit, S. 16. Vgl. Borsò/Görling, Kulturelle Topographien. 116 Sturm, Wege zum Raum, S. 172. Während bei Max Weber und Talcott Parsons Raum noch als rein physikalisch bestimmbare Äußerlichkeit des Menschen definiert wird, gesteht Parsons dem Raum immerhin einen handlungsrelevanten Charakter zu. Bei beiden wird der Raum jedoch als Umwelt angesehen. Bei Hannah Arendt, Jürgen Habermas und Norbert Elias wird Raum als das das Ergebnis menschlichen Handelns interpretiert, wenngleich Raum in Bezug zur Gesellschaft als konstitutiv unabhängig bleibt. Für weitere handlungstheoretische Überlegungen zum Verhältnis Mensch und Raum vgl. Bourdieus Konzept des sozialen Raums und Giddens Konzept der Dualität des Raumes. Vgl. Bourdieu, Sozialer Raum und „Klassen“, S. 9-46; Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft, bes. S. 161–198. 117 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1. Abschnitt, von dem Raume, S. 31ff. 118 Simmel, Schriften zur Soziologie, S. 229.
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und Raum und Zeit als Kategorien zur Stabilisierung sozialer Ordnungen hier massiv ins Wanken geraten. Die für die Genese eines kritischen Raumbegriffs wichtige erste theoretische Grundannahme besteht also darin, dass in der vorliegenden Arbeit mit einem relationalen Raumbegriff argumentiert wird und darüber hinaus auf die von diesem Raum ausgehenden Wirkmächtigkeiten hingewiesen werden soll.119 Mit dem Spatial Turn um die Jahrtausendwende bekommt die soziologische Dimension des Raumes eine kulturelle an die Seite gestellt, nachdem die Kategorie lange Zeit als problematisch empfunden wurde.120 Der Humangeograph Edward Soja hat erstmals in seinem Werk „Postmodern Geographies“ recht beiläufig den Begriff Spatial Turn benutzt, während er die paradigmatischen Ansprüche des Raumbegriffs sukzessive zu einer umfassenden Re-Spatialisierung der Sozialtheorie durch die Relektüre des raumtheoretischen Grundlagenwerkes Henri Lefebvres ausbaute.121 Soja, Mitglied der Los Angeles School of Urbanism, hatte insistiert, dass sich Geschichte nicht nur in der Zeit abspiele, „but also in the construction of human geographies, the social production of space and the restless formation and reformation of geographical landscapes.“122 Die Kategorie Raum böte Soja zufolge die Chance, andere Erklärungsmodelle zu entwickeln, als es die Kategorie Zeit bisher in der Geschichtswissenschaft getan habe.123 Soja reihte sich mit dieser Aussage in die oben genannte Liste der Kritiker bezüglich des dominierenden Zeitparadigmas ein. Zeit sei für HistorikerInnen zu stark mit dem Beweglichen, Progressiven
119 Zur Genese eines kritischen Raumbegriffs vgl. Bachmann-Medick, Cultural Turns, S. 289; Dickhardt/Hauser-Schäublin, Theorie kultureller Räumlichkeit, S. 18. „Der Begriff der Kultur scheint ein solcher Ausgangspunkt sein zu können: allgemein genug, um als gemeinsamer Bezugspunkt dienen zu können, und theoretisch elaboriert genug, um die angedeuteten Fragestellungen thematisieren zu können. Vor diesem Hintergrund versteht sich der Versuch, eine Theorie kultureller Räumlichkeit zu entwerfen, mithin als Beginn eines umfassenden sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskurses über die Räumlichkeit.“ 120 Bavaj, „Spatial Turn“, S. 459f. Empirische Forschungen thematisieren den problembehafteten Umgang mit Raumkonzepten früherer Geographen während des Nationalsozialismus. Vgl. hierfür Ebeling, Karl Haushofer; zu frühen Raumkonzepten vgl. Schultz, Raumkonstrukte der klassischen Geographie, S. 343–377, bes. S. 352ff. 121 Vgl. Soja, Postmodern Geographies. Einen Überblick der humangeographischen Forschungsansätze bietet Miggelbrink, Der gezähmte Blick. Das Verhältnis zwischen Sozialtheorie und Humangeographie loten in dieser Zeit eine Reihe spannender Autorinnen und Autoren aus. Vgl. Gregory/Urry, Introduction, S. 2. 122 Soja, Postmodern Geographies, S. 10. 123 Vgl. Soja, Postmodern Geographies, S. 1. Für eine „gesteigerte Aufmerksamkeit“ gegenüber dem Raum in der Geschichtswissenschaft hat hier das Werk Karl Schlögels einen umfassenden Beitrag geleistet. Vgl. Schlögel, Räume und Geschichte, S. 7, ders., Im Raume lesen wir die Zeit. Ferner ist auf Schlögels historische Kartenanalyse hinzuweisen vgl. Schlögel, Kartenlesen, S. 17. Schlögel argumentiert, dass sich die späte Rückkehr zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit gegenüber der räumlichen Seite von Geschichte aus einer Reihe weltgeschichtlicher Ereignisse wie beispielsweise 9/11 und demzufolge so etwas wie die Sehnsucht nach einer Geschichte jenseits des Diskursiven und Konstruierten speise.
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und Fortschrittlichen verbunden, während Raum vielfach mit dem Starren und Stagnierenden assoziiert würde.124 Den Ausweg aus dem Modernisierungsparadigma glaubt Soja daher mit dem Spatial Turn gefunden zu haben.125 Sojas Raumverständnis zufolge ließe sich die Komplexität einer postmodernen Welt nämlich nicht mehr mit binären Kategorien des Fortschritts und Rückschritts beschreiben.126 Diese Argumentation des Seriellen weicht daher einer Argumentation des Parallelen, ohne dabei Raum allein für die Erklärung gesellschaftlicher Prozesse verantwortlich zu machen und somit in eine längst überwundene Rematerialisierung zu verfallen. Soja nahm zunächst Bezug auf den französischen Soziologen Henri Lefebvre. Dieser hatte drei Teilmomente der Raumproduktion ausgemacht und somit ähnlich wie Simmel die Relationalität des Raumes betont. Sowohl das Wahrgenommene (le perçu), das Konzipierte (le conçu), als auch das Gelebte des Raumes (le vécu) waren an seiner Produktion beteiligt. Lefebvres Modell imponierte dahingehend, dass alle drei Ebenen gleich privilegiert nebeneinander standen und sich gegenseitig beeinflussten.127 Demnach wird in der räumlichen Praxis ein wahrnehmbarer Raum erschaffen, der sich durch materielle Praktiken manifestiert. „Die Wissensproduktion, die Repräsentationen des Raumes“ herstellt „und damit einen gedanklich auf den Begriff gebrachten Raum entwirft“ findet man darüber hinaus in der medialen Ausgestaltung des Raumes oder in sozialräumlichen Praktiken und Strategien.128 Übertragen auf den Gegenstand dieser Arbeit lässt sich dieser Prozess beispielsweise im Anbringen von Plakaten und Verteilen von Flugblättern beschreiben. Die verschiedenen „Architekten“ der Revolution versuchten den Raum nach ihren eigenen Vorstellungen auszugestalten. Somit wurden sie selbst zu Produzenten herrschender Raumrepräsentationen. Die „alltagspraktisch-idiosynkratische Bedeutungsproduktion der erlebenden Subjekte“ bilden diese Räume der Repräsentation.129 Dieses ist der Raum der Revolutionäre, die einen Raum erfahren oder ihn erleiden, ihn durch Einbildungskraft verändern wollen oder ihn beschreiben. Dieser Raum legt sich demnach über den physischen und mache symbolisch Gebrauch von diesem.130
124 Soja, Dopo la metropoli, S. 87. 125 Soja, Geschichte: Geographie: Modernität, S. 73–90. Zum Modernisierungsparadigma vgl. Mergel, Geht es weiterhin voran? 126 Für eine knappe Zusammenfassung seines Raumkonzepts vgl. Soja, Taking space personally, S. 11–35. 127 Lefebvre, The production of Space, S. 401ff. Soja präferiert hingegen in seinem dreiteiligen Raummodell den Thirdspace. Vgl. Schmid, Stadt, Raum und Gesellschaft, S. 308. 128 Vgl. Döring, Spatial Turn, S. 92. 129 Döring, Spatial Turn, S. 92. 130 Zum Ansatz Lefebvres vgl. Deffner, Henri Lefebvre, S. 307–322. Diese Perspektive für die Geschichtswissenschaft aufgreifend bei Hochmuth/Rau (Hrsg.), Machträume. Vgl. Massey, Space, Place and Gender, S. 251. Massey bezeichnet Raum als „one of the axes along which we experience and conceptualize the world.“ Vgl. etwa der interdisziplinäre Sammelband von Förschler/Habermas/Roßbach (Hrsg.), Verorten – Verhandeln – Verkörpern. In dem Band werden die „wechselseitigen Bezüge von Raum und Geschlechterkonstitutionen“ in globaler Perspektive ausgelotet. (S. 9)
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Soja hat nun ebenfalls diesen Dualismus von physischem und mentalem Raum zu überwinden versucht, indem er Lefebvres Raumbegriff für weitere Raumperspektiven öffnet und ebenfalls wie Simmel auf den wirkmächtigen Rest des Räumlichen verweist. In Sojas Thirdspace-Konzept wird nun die totale Offenheit des Raumbegriffs Chance und Problem zugleich.131 Während Thirdspace zwar einen Raum totaler Offenheit bezeichnet, „ein Raum des Widerstandes und des Kampfes, ein Raum vielfältiger Repräsentationen, den man zwar in Kategorien binärer Gegensatzpaare analysieren kann, bei dem trotzdem aber gilt: „il y a toujours l’Autre“, gibt es immer auch „andere Formen von Räumen und Räumlichkeit, Heterotopien, und scheinbar paradoxe Formen von Geographien, die ebenfalls untersucht werden können.“132 Hybride Räumlichkeiten können somit gleichzeitig real und imaginiert, zugleich aber auch in einer dritten Weise existent sein.133 Mit der zweiten theoretischen Grundannahme in der vorliegenden Arbeit wird davon ausgegangen, dass jene Form der Mehrdimensionalität des Raumes Grundbestandteil der sozialen Wirklichkeit ist, während diese sich zudem auch durch hybride Räumlichkeiten erfahren lässt. Simmels, Lefebvres und Sojas Ansätze verdeutlichen, dass dem Raum etwas Lebendiges, ganz und gar nicht starres, sondern fluides anhaftet. Diese theoretische Perspektive lässt sich empirisch erhärten, denn die Pluralität von Räumen in der Revolution zeichnet sich durch einen ephemeren Charakter aus, da am selben Ort oft alternierende Nutzungen existierten. Mehrere Räume konnten sich somit überlagern, während um die symbolische Deutungsmacht konkurriert wurde. Lefebvre hatte in seiner Theorie auf die Gleichzeitigkeit des Raumes verwiesen. Wenn Raum gleichzeitig zum Objekt und Medium wird, dann „reproduziert und modifiziert dieser permanent die gesellschaftlichen Voraussetzungen seiner eigenen Produktion“.134 Raum wird somit zum mehrdimensionalen Bezugspunkt sozialer Kämpfe, weshalb sich eine Analyse auf unterschiedlichen Raumebenen anbietet. Die Stadt und der urbane Bereich sind Ort und Gegenstand dieser Kämpfe. Ein besonderer Fokus wird daher auf die Ebene der Raumpraktiken zu legen sein. Hier folgt die Arbeit praxeologischen Ansätzen, mit denen politisch-kulturelle Verhaltens- und Handlungsmuster in Verräumlichungsprozessen untersucht werden. In der Arbeit wird hier von einer dritten theoretischen Grundannahme ausgegangen, nach wel-
131 Soja, Thirdspace, S. 271. Soja bezeichnet dieses „Thirding“ als ein neues ontologisches Dreieck in Form von Räumlichkeit, Gesellschaftlichkeit und Geschichtlichkeit. Er möchte diese Dreiecksbeziehung auch auf den Bereich der Epistemologie, Theoriebildung und der empirischen und praktischen Umsetzung des Wissens übertragen. 132 Soja, Thirdspace, S. 286. Soja hat sich hier am Raumbegriff Foucaults orientiert, der mit dem Heterotopie-Begriff auf andere Raumqualitäten hingewiesen hat. Vgl. Foucault, Von anderen Räumen, S. 931–942. 133 Soja schließt mit seinem Thirdspace Konzept hier an postkoloniale Positionen an. Vgl. Soja/Hooper, The spaces that difference makes, S. 183–205. Vgl. auch Spivak, Can the subaltern speak?; hooks, Yearnings; Said, Orientalism; Bhabha, The Location of Culture; ders., The Third Space. Mit historischer Perspektive vgl. Oldenburg, The Great Good Place. 134 Vgl. Lefebvre, Production of Space, S. 31 u. S. 422.
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cher Sinnstrukturen in diesen Praktiken erst in der Repetition von Handlungen entstehen und sich räumliche Praktiken routinemäßig so verstetigen.135 Kultur wird dem bereits angedeuteten Verständnis nach als dynamischer Prozess gefasst, in dem Aktionen im Sinne eingelebter Umgangsweisen zu regelmäßigen Praktiken werden.136 Relationale Raumtheorien wie diejenige Lefebvres haben die Erkenntnis etabliert, dass Räume immer in Abhängigkeit zu den sozialen Akteuren gesehen werden, um so den Prozess um das Wechselverhältnis von Akteur und Raum zu betonen. Mit diesem Ansatz wird daher „gerade der kreative Anteil der Menschen betont, Räume durch ihre Aktivitäten zu konstituieren.“137 Neben Soja haben sich nun weitere Geographen für diese Praxisebene stark gemacht, um das Verhältnis zwischen subjektivistischer Handlungstheorie und objektivistischem Strukturalismus auszutarieren.138 Die Aneignung der physisch-materiellen Welt lässt sich nach Benno Werlen durch verschiedene Formen in der Alltagspraxis beschreiben. Raumproduktionen dieser Art reichen von den „körperzentrierten Territorien“ über die „symbolische und normative Zonierung von Gebäuden“ bis hin zur Einteilung einzelner Stadträume in öffentliche und private Räume.139 Durch die Wiederholung dieser Raumpraktiken erlangen soziale Beziehungen demnach „Stabilität“ und „Dauerhaftigkeit“.140 Eine praxiszentrierte Raumperspektive fragt daher nach den „räumlichen Konfigurationen für alltägliche Praktiken.“141 Kulturelles und Soziales kann deshalb nicht auf „erdräumlich lokalisierbare Materie reduziert werden“, während das Physisch-Materielle dennoch sozialkulturell bedeutsam werden kann.142 Mit dieser Praxisperspektive wendet sich die vorliegende Studie gegen diejenigen handlungstheoretisch argumentierenden Positionen wie beispielsweise der rational choice Ansätze, die menschliches Handeln stets auf Intentionen zurückführen.143 Die Arbeit greift deshalb auf raumanalytische Leitdifferenzen zurück, die über eine rein geographische Verortung hinausreichen können. Offene oder geschlossene Gefahrenräume bilden sich temporär heraus. Auch die Transformation von öffentlichen und privaten Räumen konnte in Fällen während sozialer Unruhen empirisch beobachtet werden, wenn etwa Kneipen und Wirtschaften als halb-öffentliche
135 Vgl. etwa West/Zimmermann, Doing Gender, S. 125–151; Sacks, On Doing Being Ordinary, S. 413–429. Für weitere praxeologische Ansätze, die mit in den Spatial Turn eingeflossen sind vgl. de Certeau, The Practice. 136 Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 1f. 137 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 45. 138 Vgl. beispielsweise das Konzept Time-Space-Compression bei David Harvey. Vgl. Harvey, The Condition of Postmodernity, S. 240; die Betonung individueller geographischer Betrachtungsweisen bei Derek Gregory. Vgl. Gregory, Geographical Imagination. 139 Lippuner/Lossau, Kritik der Raumkehren, S. 117f.; vgl. de Certeau, Die Kunst des Handelns, S. 218. 140 Lippuner/Lossau, Kritik der Raumkehren, S. 118; für diese relationale Konzipierung des Raumes mit handlungstheoretischer Perspektive vgl. Bourdieu, Praktische Vernunft, S. 11f. 141 Werlen, Körper, Raum und mediale Repräsentation, S. 365. 142 Werlen, Sozialgeographie, S. 4. 143 Vgl. Münch, Von der Moderne zur Postmoderne, S. 27–39.
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Räume bestimmte Gruppen anzogen und zu deren Politisierung beitrugen. Sie werden demnach als exklusive Räume interpretiert, weil sie den Zugang für ein ausgewähltes Publikum bieten. Andere Einteilungen des Raumes in bestimmte Richtungsensembles unternahm der Sozialpsychologe Kurt Lewin in seinem Aufsatz zur Kriegslandschaft.144 Lewin hat angenommen, dass die Soldaten des Ersten Weltkrieges den Bereich rund um die Front in sichere und gefährliche Zonen einteilten.145 Während die Gefahr jenseits der Front im Vorderen verortet wurde, galt der rückläufige Bereich als sicherer Raum. Diese anderen affektiven Wahrnehmungen des Raumes und alternativen Verortungen finden sich dann später in den Protestpraktiken der Revolution wieder. Die auf den Straßen stattfindenden Demonstrationszüge lassen sich in die Raumensembles nah-fern, fest-fließend, ephemer-verstetigt, sowie zentral-peripher einteilen. Ihre bisher angenommene Homogenität wurde so an vielen Stellen gebrochen, während sich derartige Protestpraktiken durch ihre Kopräsenz von Räumen darstellen ließen. Um verschiedene Gruppen besser analytisch fassen zu können, schließt die Arbeit an Konzepte der Sozialen Bewegung an. Soziale Bewegungen können als „Ausdruck der Handlungen mehrerer Subjekte“, nicht aber als einheitliches Subjekt begriffen werden.146 Eine Bewegung entsteht erst durch die Konstruktion einer kollektiven Identität, durch symbolisch aufgeladene Handlungen und Exklusions- und Inklusionsprozesse.147 Identität ist dabei nichts Festgeschriebenes, sondern bedarf der ständigen Reformulierung, wenngleich in der Wiederholung Varianzen entstehen können.148 Weisen soziale Bewegungen einen höheren Grad an Institutionalisierung auf, so werden diese zu sozialen Formationen. Eine Formationsbildung wie beispielsweise eine Demonstration setzt daher gruppendynamische Prozesse voraus. Die am Zug Teilnehmenden bilden daher meist keine homogene Masse, sondern inkludieren ständig neue Akteure in die Gruppe oder stoßen andere ab. „Sie bilden ein Netzwerk von Handlungen, deren Mittel, Ziele und Formen von Solidarität stark voneinander abweichen können, aber trotzdem eine mehr oder weniger stabile Organisation aufweisen.“149 Nach Melucci zeichnen sich die komplexen und dynamischen sozialen Beziehungen, in deren Feld sich soziale Bewegungen über die Handlungen der Partizipierenden konstituieren und über die sie operieren durch
144 Lewin, Kriegslandschaft, s. 441; dazu Bermes, Philosophische Feldforschung, S. 9–26. Vgl. dazu Nübel, Das Niemandsland als Grenze, S. 41–52. 145 Lewin, Richtungsbegriff in der Psychologie, S. 249–299. 146 Werlen, Sozialgeographie, S. 47. Vgl. Touraine, Production de la société. Soziale Formationen können sich sozialen Bewegungen institutionalisieren. Nach Touraine sind in den Konstruktionsbedingungen von sozialer Wirklichkeit wesentliche Elemente der Bildung von sozialen Formationen auszumachen. Vgl. Werlen, Sozialgeographie, S. 40. 147 Vgl. Cohen, The Symbolic Construction of Community. 148 Melucci, Nomads of the Present, S. 34. Melucci sieht kollektive Identität daher als Prozess an. 149 Mit kritischer Lesart des Spatial Turns und der Warnung vor dem Rückschritt in eine Raumfalle vgl. Werlen, Sozialgeographie, S. 47; Vgl. Werlen, Geographie/Sozialgeographie, S. 153. Diese Kritik soll durch eine stärker kulturwissenschaftliche Lesart mit Fragen nach Sinn und Bedeutung von Räumen entkräftet werden.
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die drei folgenden Merkmale aus: Ein vorgegebenes soziales Problem, die Entwicklung eines gemeinsam geteilten Interesses unter den beteiligten Subjekten und ein daraus entstehendes kollektives Handeln.150 Objektive soziale Probleme bestehen dieser Interpretation nach nicht per se, sondern werden erst über die Situationsdefinitionen durch die Subjekte konstituiert. „Soziale Bewegungen sind somit nicht ausschließlich als das Produkt geheimnisvoller gesellschaftlicher Mächte zu betrachten, und sie führen auch nicht einen Windmühlenkampf gegen ‚das‘ System, sondern für die Veränderung der als problematisch definierten Aspekte der Situationen des Handelns.“151
Eine Gruppe kann hierbei bereits aus „two or more people who share a common definition and evaluation of themselves, and behave in accordance with such a definition” bestehen, wenngleich nicht immer Klarheit darüber besteht, ob diese Gruppe sich über ein gemeinsames Ziel definiert, gerade wenn sich Unbekannte im Revolutionsgeschehen einander begegnen.152 In der Arbeit wird von der These ausgegangen, dass das Interesse einer Gruppe in der Aneignung eines gemeinsamen Raumes oftmals mittel- statt zweckorientiert funktioniert und nicht immer vor Beginn der Handlungen definiert wurde.153 Die vierte theoretische Grundannahme ist daher, dass mittelorientiertes Handeln durch die je spezifische Produktion vom eigenen Raum zum zielorientierten Handeln wird und damit Politisierungsprozesse erst während dieser Handlungen entstehen. Das Produzieren von Räumen wird daher auch als das Streben und Verlangen nach Ordnung angesehen, „dem Bestreben also, allen Objekten und Identitäten einen bestimmten Platz zuzuweisen; sie also ‚an Ort und Stelle zu bringen‘.“154 Diese Ordnung von Räumen vollzieht sich jedoch nicht ausschließlich entlang greifbar abtrennbarer Wände. Sie werden erst zwischen den Menschen zugewiesen und sind mit Bedeutungen aufgeladen. Räume müssen nicht zwangsläufig durch Grenzen geteilt sein, sie sind „häufig auch mit symbolischen Bedeutungen“ ausgestattet.155 Raum wird daher zum vieldimensionalen Konstrukt und so an die historischen Voraussetzungen seiner Kontrolle, Produktion und Wahrnehmung gebunden. Bereits in der Protestforschung war auf die alltäglichen Routinen kollektiver Aktionen im öffentlichen Raum der Straße hingewiesen worden. Charles Tilly formuliert: „A population’s repertoire of collective action generally includes only a handful of alternatives.”156 Die Straße ist Ort dieser revolutionären Dynamik, welche vermehrt an symbolträchtigen Orten und Bauten in der Stadt entsteht.157 Durch die Attribution von Bedeutungen oder durch Umarrangieren dieser Räume können 150 151 152 153 154
Melucci, Nomads of the Present, S. 63ff. Werlen, Sozialgeographie, S. 41f. Hogg, Social Psychology, S. 234. Vgl. Weick, Prozess des Organisierens, S. 33. Lippuner/Lossau, Geographie und Spatial Turn, S. 207; vgl. hierzu der Sammelband von Borso/Görling (Hrsg.), Kulturelle Topografien. 155 Hausen, Frauenräume, S. 21. 156 Tilly, From Mobilization to Revolution, S. 21. 157 Vgl. hierzu die Überlegungen bei Lossau, Spatial Turn, S. 191.
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wiederum Wirkungen auf die Akteure ausgehen, die Handeln einschränken oder erleichtern können. In Zeiten des Wandels und Konflikts wird Raum dann als Problem virulent, wenn auf Seiten der Raumproduktion und -konstruktion Kämpfe entstehen.158 Aus obigen Überlegungen ergibt sich nun die notwendige Konsequenz, Raum auf mehreren Ebenen zu untersuchen. Daher liegt der Arbeit ein mehrdimensionaler Raumbegriff zugrunde. Raum wird zum konstitutiven Bestandteil kultureller Identitäten und symbolischer Kommunikationsformen. Der komplexe Prozess der Raumaneignung vollzieht sich über physische, mentale und sprachliche Prozesse, während temporäre Identitätsbildung durch Inklusions- und Exklusionsprozesse daran angebunden sind.159 Die Aneignung von Räumen ist daher auch an die verschiedenen Qualitäten des Raumes, auf welche bereits Simmel hingewiesen hat, gebunden. Ein mehrdimensionaler Raumbegriff ermöglicht daher die Analyse von Eigendynamiken räumlicher Praktiken in ihrer Auswirkung auf die Erzeugung sozialen Sinns.160 Dieses trialektische Verhältnis wird in der Arbeit in Anlehnung an das Konzept des kanadischen Soziologen Rob Shields als cultural spatialization bezeichnet, da der Prozess der sozialen Verortung bei Shields um eine kulturelle Dimension erweitert werden soll.161 „The everyday life is not only banal but so mundane that it is of the essence and yet beneath the radar of domination and power relations. As a social field it is brought into existence only via daily practices. […] is the volatile combinatory in which resistance reaches the flashpoint at which it emerges into the formal realm of political struggle. This quality of everyday life explains why revolutionary social changes are usually unexpected and why planned revolutions which fail to transform everyday life and its spatiotemporal relations are unsuccessful.“162
Shield sieht die Dialektik von Raum und Gesellschaft nicht nur auf einer materiellen, sondern ebenso auf einer mentalen Ebene, den Bildern, die sich Menschen von ihrer Stadt machen. Den Sprechakten kann so eine genauso gestalterische Kraft zukommen, wie den Handlungen im Raum selbst.163 Diesen physischen, mentalen und sprachlichen Prozess des Raumaneignens bezeichnet er als social spatialization. Cultural spatialization hingegen meint somit das Verräumlichen und Platzieren von Menschen und sozialen und kulturellen Praktiken. Wenn in diesem Konglomerat des Raumaneignens auch Wirkungen vom Räumlichen ausgingen, dann bliebe hier
158 Schroer, Räume, Orte, Grenzen, S. 12; vgl. Low, Spatializing culture, S. 861ff.; vgl. etwa auch Low/Lawrence-Zuniga (Hrsg.), The Anthropology of Space and Place. 159 Shields, Places on the Margin, S. 31. 160 Vgl. Harvey, Justice, Nature, S. 207f. 161 Shields, Places on the Margin, S. 30–45. Vgl. etwa die Überlegungen bei Soja, The Spatiality of Social Life, S. 92f. 162 Shields, Space and Culture, S. 4f. 163 Eine gelungene Kombination der Ansätze Rob Shields und Setha Lows hatte erstmals in einer spannenden Synthese Nadine Klopfer für die Stadt Montreal vorgelegt. Vgl. Klopfer, Ordnung der Stadt, S. 17. Vgl. Shields, Places on the Margin.
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ein Rest, welcher „sich nicht in Kategorien der Linguistik, Semiotik und Kommunizierbarkeit auflösen“ ließe. Dieser radikaleren Lesart eines Spatial Turns bliebe hierbei ein jenseits des Textes übrig, so Judith Miggelbrink.164 Entgegen bisheriger Annahmen, die den sozialen Formationen eine feste politische Struktur zuschrieben, soll in der Arbeit mehr auf die Spontanität des Revolutionsgeschehens hingewiesen werden. Dafür liegt allen Analysen zunächst die räumliche Perspektive zugrunde. Mit dem so vollzogenen Spatial Turn wird Raum zur analytischen Kategorie.165 Mittels der von Soja postulierten Methode der spatialen Hermeneutik sollen so alle Verstehensprozesse räumlich geöffnet werden.166 Der Vorteil dieser durch die Theorie geleiteten Vorgehensweise besteht darin, dass empirisch untersuchbare Wirklichkeitsausschnitte aus unterschiedlichen Perspektiven analysiert werden können. Durch die Ablehnung binärer Argumentationsschemata zur Erklärung soziokultureller Wirklichkeiten vermag eine Raumgeschichte der revolutionären Frühphase der Weimarer Republik Konzepte der Sozial- und Kulturgeschichte einander anzunähern, da sowohl individuelle Entscheidungen, als auch übergeordnete Strukturen in ihrem gegenseitigen Wirken analysiert werden können, um so die revolutionäre Dynamik in öffentlichen Räumen neu zu kartieren.167 Phänomene wie soziale Unruhen oder Revolutionen sind ohne eine kritische Raumperspektive vermutlich kaum analysier- und interpretierbar. Hier sind es Orte mit besonders hoher symbolischer Bedeutung für deren Besetzung Menschen ihr Leben aufs Spiel setzen, während sie im Alltag zentraler Teil der Lebenswelt und der Zusammenkunft sind. Soziale Protestpraktiken wie das Streiken oder Demonstrieren sind daher für das Funktionieren von Revolutionen von umso entscheidenderer Bedeutung. Die Straße mit all ihrer symbolischen Ausgestaltung als stark umkämpfter Raum rückt somit ins Zentrum der unterschiedlichen an der Revolution beteiligten Gruppierungen. Die „Vermessung, Territorialisierung und bauliche Überformung des Realraumes schaffen Voraussetzungen für Repräsentation, die ihrerseits dazu beitragen, Raummodelle medial zu vermitteln, Raum zu aktualisieren und die Visualität von Raum zu komplettieren.“168 Da Räume nach Soja und den oben gemachten Feststellungen gleichzeitig materiell und real, aber auch symbolisch und konstruiert sind, bietet diese Analysekategorie ein hohes Erklärungspotential, um die Komplexität der sozialen Unruhen und die Bindekräfte innerhalb der sozialen Gruppierungen erklären zu können. Die Ordnung der sozialen Wirklichkeit findet demnach auch über die Ordnung und Konkurrenz neuer Raummuster statt, die erst im Prozess der Praktiken eine Struktur entstehen lässt, die letztlich „politische, soziale und kulturelle Wirklichkeit 164 Miggelbrink, Räume und Regionen, S. 90. 165 Bachmann-Medick, Cultural Turns, S. 25–27. Definiert wird hier ein turn als kategorialer Wechsel von der Gegenstands- hin zur Analysekategorie. 166 Soja, Thirdspace, S. 1f. 167 Vgl. Shields, Space and Culture, S. 5. 168 Tiller, RaumErkundungen, S. 16. Vgl. Schürmann, Dornröschen und König Bergbau, S. 6ff. Schürmann geht hier auf die kulturelle Urbanisierung und Repräsentationen des Bürgerlichen am Beispiel der Stadt Recklinghausen nach.
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schafft.“169 Die symbolische Ebene des Raumes ist somit ebenso Teil dieser Wirklichkeit. Die Repräsentation des Raumes wird daher als eine Form der Selbstdarstellung verstanden, „in der ein Subjekt sowohl sich selbst als auch ein Gemeinsames, das nicht ohne weiteres sichtbar ist, sichtbar macht und hierdurch Kommunikation und Integration ermöglicht. Seine Voraussetzung ist die Distanz einer unvollständig integrierten Umwelt, ohne die ein repräsentatives Verhalten unnötig wäre.“170 Repräsentation äußert sich daher in verschiedenen Formen, den bereits genannten routinierten Praktiken, aber auch in der Kleidung oder der spezifisch medialen Ausgestaltung des physischen Raumes, wenn dieser kulturell semiotisiert und medialisiert wird. Die Plakatierung des Raumes mit den eigenen Medien der unterschiedlichen sozialen Formationen schafft Ordnungen gegen das in der Revolution oft vorherrschende Chaos. Der „Symbolgehalt des Raums rückt deshalb ebenso in den Blick wie Identitätszuschreibungen und die Reproduktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse über“ den Raum, so die Amerikanistin Nadine Klopfer.171 Bestimmten Orten werden so einzelne Gruppen zugeschrieben, während die Stadtlandschaft als Projektionsfläche für Zeichen und Symbole der Zeit und des politischen Lebens der in ihr agierenden Menschen dient.172 Der Stadtraum vermittelt somit einen kulturellen Ausdruck, der für seine „Bewohner“ etwas bedeuten kann. „Die Frage nach den Konstrukteuren und Konstruktionsprinzipien des räumlichen Gefüges verweist dabei auf grundlegende kulturelle Techniken der Identitäts- und Machtsicherung, auf Konkurrenzen um Deutungsmacht und Ressourcen, die sich in den Stadtraum einschreiben. In dieser Perspektive entsteht neben der Agglomeration von Straßen, Plätzen und Bauwerken eine zweite und dritte Stadt, bestehend aus […] Kommunikationsräumen, Machträumen, öffentlichen und privaten, sozialen und symbolischen Räumen.“173
Hardtwig zufolge ist daher für „die Konstitution der symbolischen Sinnwelten“ wichtige „Erfahrung der Wirklichkeit“ und der „vielfach bedingten Modi des Umgangs mit ihr“ von Bedeutung.174 Während Städte zunächst als Realräume verstanden werden, „die vor allem aus Bauten, aus Plätzen […] bestehen, [bedeutet Stadt jedoch] auch die Wahrnehmung diverser Ensembles, die von der idealisierten Einheit über netzwerkartige Strukturen
169 Haas, Kultur der Verwaltung, S. 33. Haas’ Blick ist hier die „politische, gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeit einer implementationstheoretisch fundierten Betrachtungsweise.“ Keim, Fenster zum Raum, S. 13. Der Raumsoziologe Karl-Dieter Keim hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Räumlichkeit des Alltagslebens je nach Lebensweise wechsele. „Sozialräumliche Sachverhalte werden in Dynamik betrachtet. Als Ausdruck der gesellschaftlichen Transformation unterliegen sie stets einer mehr oder minder beschleunigten Transformation. […] Wir als Forscherinnen und Forscher beobachten nicht die typische Realität als solche, sondern eine Realität, wie sie unserer Art zu fragen und unserer gewählten Sichtweise ausgesetzt wird. Das ist unser ‚Fenster‘ zum Raum.“ 170 Bahrdt/Herlyn, Die moderne Großstadt, S. 92. 171 Vgl. Klopfer, Ordnung der Stadt, S. 18. 172 Jüngst/Meder, Landschaften „in“ uns und Landschaften „um“ uns, S. 60ff. 173 Oberste/Ehrich, Einführung Stadt, S. 10. 174 Hardtwig, Einleitung. Politische Kulturgeschichte, S. 10.
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Einleitung bis hin zu fragmentierten Teilen reichen konnten. Die Stadt ist ferner ein genutzter Raum, ein Raum des Lebensalltags vieler Menschen, Fremder wie Einheimischer, die sich darin ihre Wege suchen, bestimmte Räume gestalten, sich um deren Nutzungen streiten und sich raumzeitlich organisieren.“175
Die Wahrnehmung dieser Realräume kann zudem durch andere Formen des Räumlichen erweitert werden, die genauso Teil der soziokulturellen Wirklichkeit der Akteure sind. Folgt man der These Martina Löws, so ist Raum „eine relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern. […] Raum wird konstituiert durch zwei analytisch zu unterscheidende Prozesse, das Spacing und die Syntheseleistung. Letzteres ermöglicht es, Ensembles von Gütern und Menschen zu einem Element zusammenzufassen.“176 Die Wahrnehmung wird bei Löw als ein Prozess angesehen „soziale Wirklichkeit zu erfahren und zu interpretieren.“177 Da sich Wahrnehmung in keinem unmittelbaren Vorgang vollzieht, „sondern aus der Vielfalt des möglich Wahrnehmbaren“ ausgewählt wird, kann Wahrnehmung immer als ein ausgewählter und konstruierter Prozess interpretiert werden.178 „Während die Kategorie des Handelns stets die Interaktion mit anderen Menschen betont, sprechen wir von Wahrnehmung (bzw. vom Wahrnehmen), um Welterfahren als konstruktiven, multisinnlichen Akt zu beschreiben.“179 Raum existiert dieser relativistischen Vorstellung nach „wie in der topologischen Wahrnehmung als Vielfalt der Räume.“180 Löw schlussfolgert, dass „ein Bruch zwischen der Raumvorstellung und der Welt […] bereits dadurch [entsteht], daß die Wahrnehmung der Welt zwar dem Denken angepaßt wird, aber doch nicht in ihm aufgeht. So bleibt ein assoziativer, sinnlicher Rest, der Zweifel an der Vorstellung des einheitlichen Raums zuläßt.“181 Simultaneität und Kospatialität entsteht in diesem Moment, wenn es zu einer Überlagerung oder Ineinandergreifen von Räumen kommt, welches besser mit dem Begriff der Räumlichkeit zu beschreiben ist.182 Die kulturelle Codierung von materiellen Räumen und die Wahrnehmung des Revolutionsraumes durch die Akteure zieht daher die zentrale Frage nach sich, wer etwas physisch, symbolisch oder diskursiv besetzt und somit Macht über das Revolutionsgeschehen ausüben konnte. Räume sind demnach nicht starr, sondern uneinheitlich, diskontinuierlich und bewegt. Die orientierte Wahrnehmung, ist jedoch immer schon gestört, denn sie ist „stets aufgrund von Sozialisation, Bildung und Erziehung sowie anderer zum Teil subtil wirkender Prozesse der Vergesellschaftung in der sprachlichen Aussage auch
175 176 177 178 179 180 181 182
Rau, Zeit–Räume, S. 179. Löw, Raumsoziologie, S. 159f. Steets, Raum & Stadt, S. 406; vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 195–198. Löw, Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie, S. 13. Ebd., S. 13. Löw, Raumsoziologie, S. 86. Ebd., S. 88. Rau, Räume, S. 145ff. Foucaults Konzept der Heterotopien hat hier das Raumverständnis grundlegend erweitert, wenngleich hier noch konkrete geographisch lokalisierbare Orte „außerhalb von Orten“ gemeint sind. Vgl. Foucault, Von anderen Räumen, S. 39.
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ein Vorgang sozialer Konstruktion.“183 In der Arbeit wird somit von der These ausgegangen, dass zwischen Raum und der Gruppenzusammengehörigkeit ein relationales Verhältnis besteht. „Wenn sich Akteure bestimmte Räume der Stadt aneignen, sie als die ihren betrachten und entsprechend zu gestalten suchen, so können die gemeinsamen Bilder und Gestaltungspläne eines Raums das Gruppengefühl wieder verstärken: Man setzt sich von anderen über den physischen und imaginierten Raum ab. Community identity bildet sich auch in Beziehung zum Raum aus.“184
Die Frage, was es beispielsweise bedeuten konnte, sich in der Zeit zwischen 1918 und 1920 als Spartakist zu bezeichnen, hängt somit eng mit räumlichen Konstellationen zusammen, der Art wo und wie sich ein „Spartakist“ aufhielt und aufzuhalten hatte. Die Aushandlungsprozesse im städtischen Raum um Macht sind daher immer auch Prozesse um die Aushandlungen unterschiedlicher Identitäten, Konflikte mit vielschichtigen Bedeutungen, Interpretationsmustern und Aneignungsversuchen an städtischen Orten.185 Der Stadtraum ist somit nicht nur als bloßer physischer Rahmen für Handlungen zu interpretieren. Er wird vielmehr zu einem selbstständigen Faktor im Prozess von Identitätskonstruktionen.186 Damit einher gehen Fragen, wie sich Gruppen mittels Raumsymboliken an bestimmten Stellen des städtischen Raumes positionieren. „Mit dem räumlichen Denken findet damit ein Wechsel der Perspektive statt: Von Strukturen zu Prozessen, von Totalität zum Widerstreit, von Eindeutigkeit zur Überlagerung, von Ordnung zu Kontingenz.”187 Aus diesen Überlegungen resultiert daher eine nicht chronologische Vorgehensweise dieser Arbeit. Die Rolle von materieller Kultur, Praktiken und „performativen Akten als Produzenten und Produkte von Identität“ und Sinn werden daher in die Analyse mit einbezogen, während Identität hierbei als „das Produkt komplexer Aushandlungsprozesse zwischen den Bewohnern einer Stadt“ gesehen wird.188 Handelnde Akteure, die bewusst oder unbewusst die Besonderheiten des Raumes durch ihre Handlungen beeinflussen, beeinflussen daher auch Narrative, weshalb die Revolution beispielsweise überwiegend als städtisches Phänomen wahrgenommen wurde.189 Über die untersuchten Orte des revolutionären Geschehens existiert ein „Bündel von unhinterfragten und habitualisierten Gewissheiten“ über bestimmte Plätze und Orte der sozialen Unruhen. Dabei scheint es zunächst klar, welche Plätze eine besonders hohe symbolische Bedeutung für sie besitzen.190 Erst durch ein komplexes Wechselspiel aus mentalen Bildern über diese Räume, ihren vorhandenen physischen Strukturen und den sozialen Praktiken finden Subjektivierungsprozesse
183 184 185 186 187 188 189
Hasse, Atmosphäre einer Straße, S. 80. Klopfer, Ordnung der Stadt, S. 24. Vgl. Klopfer, Ordnung der Stadt, S. 25 u. S. 29. Vgl. Ebd., S. 28. Gestwa, Technologische Kolonisation, S. 76. Klopfer, Die Balkone, S. 14 u. S. 16. Den komplexen Prozess von Identitätskonstruktionen beschreibt Gerson mit dem Konzept der „collective Individuality“. Vgl. Gerson, The Pride of Place, S. 76. 190 Gerson, The Pride of Place, S. 15.
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statt.“191 Während die Stadträume zunächst als etwas Alltägliches erfahren werden, gerät diese Alltagserfahrung während sozialer Unruhen ins Wanken, denn sowohl die Praxis räumlicher Routinen, als auch deren Wahrnehmung und symbolische Repräsentation unterliegen Veränderungsprozessen. Aus den nun gemachten Beobachtungen und Schlussfolgerungen ergibt sich die fünfte theoretische Grundannahme, dass die symbolische Ebene des Räumlichen eng mit der Konstruktion kollektiver Identitäten zusammenhängt und an die Wahrnehmung des Raumes gebunden ist, weshalb sich für die Genese eines Raumbegriffs hier eine weitere Ebene eröffnet. Der Geograph Peter Jackson weist auf diese Mehrdimensionalität des Raumes hin. „It is an impoverished view of culture [i. e. questions of meaning, identity, representation, ideology] that stresses text; sign, or discourse to the exclusion of context, action, and structure. Meanings must always be related to the material world from which they derive.“192
In dieser „Wechselwirkung mit dem Straßenraum und seinen stadtlandschaftlichen Wirkungen“ aber auch der symbolischen Ausgestaltung des Straßenraumes durch Fahnen, Plakate, Flugblätter oder Kleidung entsteht in Verbindung mit den „Kulturtechniken der politischen Sinnerzeugung und -vermittlung“ wie dem Demonstrieren Bedeutung, „die jeweils nur in ihrer straßenräumlichen Ver- bzw. Ansammlung zu voller (Wechsel-) Wirkung mit Gebäuden wie mit Menschenmengen gelangen.“193 Während sich die bisher thematisierten Räume meist durch den materiell äußerlich sichtbaren Status von Häusern und Straßen, oder deren symbolischer Repräsentation äußerten, nehmen die Akteure ihre Wirklichkeit auch entlang nicht realer Räume wahr.194 Dieses sind Räume, die dinglich und parallel affektiv sind, die vom Subjekt spürbar, jedoch vielfach von Gruppen in einer Situation ähnlich wahrgenommen werden. Hierbei handelt es sich um gestimmte, mit Atmosphären aufgeladene Räume, die wir täglich mit einem „Wechselbad von Stimmungen“ durchschreiten.195 Konzepten der Neuen Phänomenologie nach sind diese Stimmungen
191 Ebd., S. 15; vgl. Martina Löw, Soziologie der Städte, S. 77–78; vgl. Berking/Löw (Hrsg.), Die Eigenlogik der Städte; vgl. Etwa auch Nadine Klopfer, Die Balkone, S. 19. Deutlich wird hier, wie sich der Gegenstand der analytischen Kategorie anpasst, dass so ein Spatial Turn vollzogen wird. „Gegenstand der Untersuchung ist dabei der Stadtraum von New Orleans, jenes physische Terrain der Stadt, das in Bildern gezeichnet, in Erzählungen evoziert und von Handlungen ebenso wie von gebauten Strukturen geprägt wurde.“ Der Streit um die Balkone der Stadt dient ihr als „Ausgangspunkt“ und „wiederkehrende Schnittstelle“ zwischen stadträumlichen Diskursen und Argumentationslinien, „die die Prozesse lokaler Identitätsformung prägten.“ 192 Jackson, Maps of Meaning, S. 185. 193 Sittler, Die Straße als politische Arena, S. 137. 194 Vgl. Jüngst/Meder, Zur Grammatik der Landschaft, S. 214. 195 Ebd., S. 3. Den Begriff der Atmosphäre hat zunächst Hermann Schmitz in der Neuen Phänomenologie mit einer Vielzahl an Publikationen anschlussfähig zu machen versucht. Vgl. etwa Schmitz, Atmosphären; vgl. Böhme, Architektur und Atmosphäre; ders., Atmosphäre.
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als „räumlich ausgedehnte Atmosphären“ zu bezeichnen.196 Während für den Bereich der Ausdifferenzierung des Räumlichen die sozialwissenschaftlichen Disziplinen vorwiegend um Zugriffe auf den „Realraum bemüht“ sind und sich deshalb in der Regel mit politischen, sozialen und ökonomischen Räumen beschäftigen, bemühen sich die Kulturwissenschaften andere Raumqualitäten in ihren Analysen mit einzubeziehen.197 Soziale Wirklichkeit gestaltet sich den Akteuren auch über nichtmaterielle Räume. „Gefühle werden an den räumlichen Dynamiken der leiblichen Regungen und an den raumatmosphärischen Affektmächten erworben und kulturell ausdifferenziert, während die Wahrnehmung immer an einen konkreten Ort gebunden und somit situationsbedingt ist.“198 Jene Ordnungsstrukturen aus Orten und Räumen können etwas erlangen, welches sich als „atmosphärische Qualität“ bezeichnen lässt und somit eng mit der materiellen Ausgestaltung eines Ortes zusammenhängt.199 Aus der oben formulierten Problemstellung und den Ergebnissen der bisherigen Forschung ergeben sich nun die Fragen, welche Elemente der materialen RaumGestalt den Untersuchungsorten gegeben werden können und welche Atmosphären als „räumliche Vitalqualitäten“ über jenen Orten gelegen haben könnten.200 Atmosphären werden als wahrgenommene Stimmungsräume daher zu Grenzen zwischen den sozialen Akteuren und der materiellen Umwelt. „Diese Wirklichkeiten subjektiven Erlebens sind in den schriftlichen Atmosphärenbeschreibungen als empirisches Ausgangsmaterial gegeben“ und narrativ darin eingebettet.201 Hasse weist hier zu Recht darauf hin, dass die „Bedeutungsfelder verdeckt“ seien und „allenfalls mit Hilfe hermeneutischer Verfahren ‚gehoben‘ werden“ könnten.202 Problematisch ist daher ihr weder objektiver noch rein subjektiver Charakter. Atmosphären sind in relationalem Verhältnis daher „der Kitt, der Ich und Welt aneinander bindet, und zwar so, daß die Verbindung als Verbindlichkeit (Relevanz, Bedeutsamkeit) zutage tritt. Insofern sich der Mensch immer schon in die Welt eingebettet vorfindet, ist er niemals außerhalb von Atmosphären, und kann deshalb wohl, wenn man so will, in bestimmte Atmosphären hineingeraten, aber nicht ins Atmosphärische überhaupt.“203
Menschen stünden demnach „jederzeit über all ihre Sinne mit ihrer Umwelt in Verbindung.“204 Dass Räume vielfältige Qualitäten besitzen und zudem atmosphärisch geformt sein können ist somit die sechste theoretische Grundannahme der Arbeit. 196 Schmitz, System der Philosophie, S. 185; vgl. ebd., Einführung in die Neue Phänomenologie, S. 79. 197 Tiller, RaumErkundungen, S. 15. Für letztere vgl. beispielsweise Abels, Hörgemeinschaften. Eine musikwissenschaftliche Annäherung an die Atmosphärenforschung, S. 220–231. 198 Schmitz, System der Philosophie, S. 185. 199 Löw, Die topologischen Dimensionen der Kultur, S. 47. 200 Hasse, Stadt und Atmosphäre, S. 99. Vgl. Thibaud, Die sinnliche Umwelt von Städten, S. 280– 297. 201 Hasse, Atmosphäre einer Straße, S. 81f. 202 Ebd., S. 82. 203 Hauskeller, Atmosphären erleben, S. 196. 204 Kazig, Typische Atmosphären, S. 149.
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Der der Arbeit zugrunde liegende Raumbegriff ist somit als dynamisch und mehrdimensional zu verstehen. Im vorliegenden Forschungsdesign wird Raum somit zur Vorbedingung jeder Beobachtung. Während die historischen Zeitgenossen das Verräumlichen als Fähigkeit und Praxis des Ordnens nutzten, kann dieser gesamte Prozess der kulturellen Verräumlichung als Konstruktions- und Produktionsleistung der Erzeugung gesellschaftlicher Wirklichkeit und Sinngenerierung dienen. QUELLENBASIS UND AUFBAU DER UNTERSUCHUNG Die Untersuchung von multidimensionalen Räumen erfordert eine gewisse methodische Flexibilität im Umgang mit dem empirischen Material. Hierfür kann zwar einerseits auf eine Fülle an empirisch überliefertem Quellenmaterial zurückgegriffen werden, andererseits erweist sich die empirische Arbeit mit einer Fragestellung nach der Bedeutung von Räumen während sozialer Unruhen oftmals als das Finden einer Nadel im Heuhaufen. Trotzdem bietet eine raumanalytische Vorgehensweise mit der Sensibilisierung für einen Methodenpluralismus die Möglichkeit, die verschiedensten Quellen in die Analysen mit einfließen zu lassen. Dieses mag auf der einen Seite die Chance darstellen, empirisch beobachtbare Wirklichkeitsausschnitte aus den verschiedensten Perspektiven zu untersuchen. Es ist daher sinnvoll auf eine chronologische Gliederung in der Untersuchung zu verzichten. Hierbei mag zwar der Entwicklungsverlauf beispielsweise sozialräumlicher Protestpraktiken von 1918 bis 1920 nicht an zentraler Stelle in der Gliederung sichtbar werden. Vielmehr kommt es darauf an, die für die Untersuchung wichtigen historischen Phänomene punktuell zu historisieren, um auf Kontinuitäten oder Brüche im historischen Verlauf hinzuweisen. Ein rein chronologisches Vorgehen würde zudem der eigenen Argumentation des Forschungssettings widersprechen. Ein derartiges Vorgehen ermöglicht zudem eine bessere punktuelle Vergleichbarkeit, die während eines chronologischen Vorgehens verloren ginge. Beide Arten des Vorgehens besitzen Vorund Nachteile, die argumentativ erläutert werden müssen. Die zentrale Agenda der Arbeit folgt somit dem programmatischen Ausruf Edward Sojas „to spatialize the historical narrative.“205 Auf der anderen Seite kommt diese Vorgehensweise den Kritikern zugute, die auf die Totalität und Dichte historischer Sachverhalte abzielen. Ist man vom gewählten Argumentationsgang der Arbeit überzeugt, dann kommt für die vorliegende Studie nur ersteres Vorgehen in Frage. Mit dieser aus der Theorie hergeleiteten Vorgehensweise verschiedener Perspektiven auf verschiedene Räume geht es um „multiple perspectives, multiple spaces and multiple sets of (spatial) relations."206 Die Gliederung der Arbeit folgt daher dem oben reflektierten theoretischen Modell. Die Vorteile eines „dynamischen Raummodells“ liegen somit in den „divergierenden Erkenntnisinteressen und -zielen, welche aufeinander bezogen werden können.“207 205 Soja, Postmodern Geographies, S. 1. 206 Murdoch, Post-structuralist geography, S. 13f. 207 Sturm, Wege zum Raum, S. 15.
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In einem ersten Schritt sollen daher zunächst drei historische Kontexte geschildert werden, die den Rahmen der Arbeit bilden. Der Erste Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit unter dem Einfluss massiver Demobilisierungsbewegungen bilden als „symbolic collapse“ einen einschneidenden Umbruch und sind für die Revolutionsereignisse und ein verändertes Raumbewusstsein von eminenter Bedeutung.208 Während hier überwiegend auf die bestehenden Forschungen zurückgegriffen wurde, lässt sich das empirische Material der gesamten Arbeit zunächst in zwei große Bereiche einteilen. Zum einen steht dem Historiker eine Vielzahl archivalisch überlieferter Massenquellen zur Verfügung, wenngleich durch Krieg und bewusste Zerstörung viele Archive auf die Lückenhaftigkeit in ihrer Überlieferung hinweisen.209 Was bleibt, sind immer noch unzählige Aktenmeter aus den unterschiedlichen für diese Arbeit aufgesuchten Archiven, die einer Auswahl unterzogen werden mussten. Den anderen großen Bereich stellen individualisiertere Quellen dar. Dass der öffentliche Raum zur Formulierung kollektiv formulierter politischer Interessensbekundungen bereits vor der Revolution Bestand hatte und somit als ein zäsurenübergreifender Prozess dargestellt werden kann, wird in einem zweiten Schritt untersucht. Nicht unerheblich sind die Auswirkungen des bereits angedeuteten beschleunigten Modernisierungsprozesses, welche die Wahrnehmung von Raum bei den Zeitgenossen nachhaltig veränderte. Auf diese Konstellation, welche bisher überwiegend in den Städten untersucht worden ist, wird daher in einem nachfolgenden, dritten Schritt eingegangen werden. Der Osteuropahistoriker Karl Schlögel hat in seiner Untersuchung „Im Raume lesen wir die Zeit“ auf die Betonung der Örtlichkeit von Geschichte hingewiesen.210 Diesem Credo folgend widmet sich der Autor der Arbeit in einem zweiten größeren Abschnitt den Arenen politischer Kämpfe, welche als Brennpunkte der Revolution ausgemacht wurden. Aus forschungspragmatischen Gründen können nicht alle konkreten Orte, welche in die Untersuchung mit eingeflossen sind hier in ihrer räumlichen Ausgestaltung vorgestellt werden. Ganz im Gegenteil dient dieser zweite, größere Argumentationsschritt dazu, auf die materielle Ausprägung des Raumes aufmerksam zu machen, den Leser oder die Leserin für ein mögliches Jenseits der Diskurse zu sensibilisieren.211 Die Schwierigkeiten eines unmittelbaren Zugriffs auf vergangene Wirklichkeiten berücksichtigend, wird in der Arbeit unter Rückgriff auf zeitgenössische Reise- und Stadtführer die räumliche Ausgestaltung einiger paradigmatischer Untersuchungsorte vorgestellt.212 Hierfür soll sich eines analytischen 208 Vgl. Winter/Robert (Hrsg.), Capital cities at War. 209 Kriegsbedingte Überlieferungsverluste, in: Bundesarchiv, URL: . [14.09.2014] 210 Vgl. Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit, S. 11f. 211 Wird Raum nicht vollends zur analytischen Kategorie, so bleibt Raumgeschichte eine Spielart des Linguistic Turn. Vgl. Donald, The city as text, bes. S. 422ff.; vgl. Duncan, The city as text, S. 11ff.; vgl. etwa Bauriedl, Räume lesen lernen in: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research 8,2 (2007) URL: . [22.03.2013] 212 Nassehi, Paradoxie der Sichtbarkeit, S. 349–362.
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Dreierschritts bedient werden, indem zunächst schwerpunktmäßig am Beispiel Berlins die physische Ausgestaltung und materielle Beschaffenheit konkreter Orte des Revolutionsgeschehens untersucht werden.213 Gefragt wird hier nach der räumlichen Struktur in Form von Straßenverläufen, Eingängen oder Plätzen von bestimmten Orten. Neben diesem Stadtraum wird in einem nächsten Schritt das westfälischindustrielle Ruhrgebiet als ein Makroraum definiert, der sich aus verschiedenen Stadträumen zusammensetzt, die teilweise von agrarisch geprägtem Land umgeben sind und dem eine „Schlüsselrolle in der Geschichte der Revolution“ zukommt.214 Im Zuge dessen wird auf lokale Besonderheiten hingewiesen. Die kleinsten geographisch verortbaren Einheiten bilden schließlich die Mikroräume, welche besonders im Bereich der Gruppenbildungs- und Bindungsprozesse zur Stärkung der community identity eine wichtige Rolle einnahmen.215 Diese Orte sind als „Drehpunkte“ zunächst wichtig, um den unterschiedlichen sozialen Formationen eine Basis zu bieten.216 Die ersten beiden Hauptkapitel versuchen daher auch, die hiesige Studie an die bestehende Forschung anschlussfähig zu machen. Im dritten Kapitel werden folglich die unterschiedlichen für die Ordnung und Sicherheit in der Stadt zuständigen Gruppierungen untersucht, während hierbei auf verschiedene Ordnungsvorstellungen dieser Akteure hingewiesen werden soll. Untersucht werden in diesem Verortungsprozess im Wesentlichen öffentliche Kundgebungen und Protestaktionen, die auf ihre soziale und politische Dynamik, sowie auf ihre kulturellen und kommunikativen Praktiken, aber auch Organisation hin befragt werden. In der Studie wird deshalb davon ausgegangen, dass sich Arbeiterund Soldatenräte, Einwohner- und Sicherheitswehren durch jeweils rivalisierende kulturelle und politische Ordnungsvorstellungen unterschieden, die sich in differierenden Raumerschließungsstrategien festmachen lassen. Die Aufgaben der Wehren beispielsweise bestanden darin, Nachtstreifen, Patrouillen und Kneipenrazzien vorzunehmen. Auch paramilitärische Aufgaben wie das Geleit von Güter- und Gefangenentransporten, die Bewachung und Kontrolle weiträumiger Gebiete, in Meldeund Aufklärungsdiensten, aber auch der Errichtung von Sperren und Schanzen im Kampf, gehörte zu diesem Repertoire.217 Hierfür wurden Akten herangezogen, die die sozialen Formationen selbst hinterlassen haben, aber auch Akten, die sich mit der öffentlichen Ordnung befassen, wie beispielsweise der Polizeipräsident in Ber-
213 Vgl. Hard, Geographie als Spurenlesen. 214 Mittag, Von der verratenen zur vergessenen Revolution, S. 21; Abelshauser, Umsturz, Terror, Bürgerkrieg, S. IX; vgl. Lüpke/Kruppa, Von der Revolution zur sozialen Protestbewegung, S. 104. Für eine sozialgeschichtliche Perspektive vgl. Tenfelde, Soziale Schichtung, S. 121–217, bes. S. 210; ders., Zur Sozialgeschichte der Arbeiterbewegungen. Für eine zusammenfassende Darstellung vgl. ders., Bürgerkrieg im Ruhrgebiet, S. 13–66. 215 O’Reilly/Crutcher, Parallel Politics, S. 250. Thematisiert wird hier das wechselseitige Verhältnis von Identität und Territorium im Raum der Stadt. 216 Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, S. 706. 217 Vgl. Schumann, Politische Gewalt, S. 70–83; vgl. Bergien, Mit Kreiskommissaren zur Volkswehr, S. 119f.; Könnemann, Einwohnerwehren, S. 212ff.
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lin. Dieser unterstand dem Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, während dieser wiederum unmittelbar dem preußischen Ministerium des Innern untergeordnet war. Ergänzt wurden diese Quellen durch die Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos in unterschiedlichen Kontexten. Die hier hergestellten Wirklichkeiten, welche durch die Mengen an Aussagen repräsentiert werden stehen für unterschiedliche Raumverständnisse.218 Die Räte haben als spezifische Formationsbildungen der Revolutionsphase umfangreiches Quellenmaterial hinterlassen, welches sich auch auf der unteren behördlichen Überlieferung widerspiegelt. Für die Erforschung ausgewählter Räte wurde auch auf die Bestände von lokalen Stadtarchiven zugegriffen. Andere Sozialformationen und verschiedene Sicherheitsgruppierungen haben ebenfalls umfangreiches Material hinterlassen, auf das sich die Arbeit stützen kann. Diese Quellen geben Aufschluss über die kommunikativen und kulturellen Verräumlichungspraktiken der Gruppen. Die Akten des Reichsministers des Innern oder des Reichskanzlers, sowie für den späteren Zeitraum der Reichskommissar zur Überwachung der öffentlichen Ordnung bilden zusammen mit den Akten der Oberpräsidien und den Regierungspräsidenten den Großteil des ausgewerteten Materials. In der Auswahl der Quellen wurde darauf geachtet, dass nicht nur auf die obersten Instanzen der behördlichen Überlieferung Bezug genommen wurde, sondern auch die kleineren Bestände wie beispielsweise die Landratsämter herangezogen wurden. Diese doppelte Perspektive von oben und unten bietet daher Einblicke in die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und symbolische Darstellung von unterschiedlichen Akteuren in bestimmten Straßenräumen und die Reaktion des Staates auf Raumproblematiken. Das Ministerium des Innern war als zentrale Behörde zudem zuständig für die Organisation der Polizei und speziell für die Sicherheitspolizei. Während die Regierungspräsidenten als Landespolizeibehörden die Zuständigkeit für alle Gebiete der Polizeiverwaltung regelten, waren die Oberpräsidenten lediglich für die sich über den Regierungsbezirk erstreckende allgemeine Angelegenheiten zuständig. Für die Arbeit wurden darüber hinaus Akten der Landräte als Kreispolizeibehörden hinzugezogen, um auf lokalspezifische Gegebenheiten hinweisen zu können. Während die Ortspolizeibehörden die gesamte polizeiliche Tätigkeit für den Ortspolizeibezirk ausübten, unterstanden diese in den Städten dem Bürgermeister und in den ländlicheren Bezirken den Amtmännern in Westfalen.219 „Um den unmittelbaren staatlichen Einfluß an wichtigen und polizeilich schwierigen Plätzen zu sichern, konnten staatliche Polizeiverwaltungen durch Beschluß des Ministers des Innern in Orten mit einer Bezirksregierung, einem Landgericht, einer Festung oder mit mehr als 10.000 Einwohnern, aber auch in Industriegebieten, eingerichtet werden.“220 Die in lokalen Polizeiakten enthaltenen Polizei- und Geheimdienstberichte stellen einen dichten Quellenbestand dar. Zum einen kann hier auf das Verhalten
218 Vgl. Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 128. 219 Buder, Die Reorganisation der preußischen Polizei, S. 2–5. 220 Ebd., S. 4.
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von sozialen Formationen im öffentlichen Raum rekurriert und deren Protestpraktiken systematisiert werden. Darüber hinaus geben die Berichte Aufschluss über die Akteure selbst und die Rolle, welche diese im Sicherheitsdiskurs der Städte einnahmen. Sie enthalten daher eine Vielzahl von Berichten unter einer spezifischen Perspektive über revolutionäre Ereignisse wie Versammlungen, Streiks und Protestaktionen. Im vierten Kapitel der Arbeit wird daher schwerpunktmäßig auf eine Gruppierung für die Sicherheit sowohl in der Stadt, als auch der Region des rheinisch-westfälischen Industriegebietes eingegangen. Hierfür werden Mechanismen der Überwachung und Kontrolle von Räumen untersucht. Der im Untergrund operierende staatlich-militärische Spitzeldienst des Nachrichtenbüros Heinz Kölpin beim Wehrkreiskommando in Münster wird hier als strategische Antwort des Staates interpretiert, den Raum der großen Unruhen des Ruhrgebiets kontrollieren zu können. Hierfür wurde die umfangreiche archivalische Überlieferung des Nachrichtenbüros im Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen herangezogen. Kölpin war seit 1919 als politischer Kommissar in der Generalstabsabteilung Ic in Münster beschäftigt. Mit Hilfe seiner Agenten konnte er eine umfangreiche politische Kartierung des Ruhrgebietes vornehmen. Die „Spitzelzentrale“ hatte zudem großen Anteil an der Bekämpfung des Kapp-Putsches und den daran anschließenden Aufstand im Ruhrgebiet. Die Reaktion des Staates gegenüber den zunehmenden Unruhen äußerte sich darüber hinaus in der kumulativen Verhängung von Belagerungs- und Ausnahmezuständen. Diese wurden als Raumerschließungsmittel interpretiert und waren als eine direkte Reaktion auf die sozialen Unruhen zu sehen. Darüber hinaus enthalten die Quellen zahlreiche Berichte und Materialien anderer sozialer Formationen und Gruppen, welche in der Nachrichtenstelle gesammelt wurden. Die räumlichen Maßnahmen zur Bekämpfung sozialer Bewegungen durch den Staat drückten sich demnach nicht nur in deren Bekämpfung auf der Straße aus, sondern auch in der entsprechenden Gesetzgebung und Rechtsprechung wie der Einschränkung von Versammlungs- und Pressefreiheit, um Handeln räumlich zu strukturieren. Hierfür konnte der Staat auf eine Reihe von Verordnungen zurückgreifen, die im Verlauf der Revolution modifiziert wurden. Darüber hinaus bildet hierfür bestimmte soziale Formationen repräsentierende Periodika wie beispielsweise „Die Polizei“ eine spannende Quelle. Oftmals berichten hier Beamte über die gesetzlichen Bestimmungen der Exekutive im Falle von Streikunruhen oder tumulthaften Szenarien. Die zentrale These des fünften Kapitels ist, dass Raum immer auch ein repräsentierter Raum ist, welcher durch verschiedene Akteure besetzt wird. Zum einen wird hier auf symbolische Handlungsformen eingegangen, während sich die Akteure mittels unterschiedlicher Rezeptions- und Abgrenzungsstrategien zu unterscheiden versuchten. Deshalb ist auch der symbolische Einsatz des Körpers oder die bewusste Zurschaustellung von Gewalt hier als ein Mittel interpretiert worden, sich Räume auf der repräsentativen Ebene anzueignen. Die sozialen Formationen folgen einer je spezifischen Organisationsstruktur und entwickeln Verfahren, soziale Kohäsion durch soziales Verhalten und kulturelle und symbolische Codes in ihrer räumlichen Ausprägung herzustellen. In der Arbeit werden dazu Strategien der jeweiligen Akteure zur Verräumlichung ihrer Lebenswelt untersucht. Zu diesem
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Zweck wurde auch auf visuelle Quellen zurückgegriffen, wie ausgewählte Zeichnungen, die von den „Kommunisten“ angefertigt wurden, um sich mit einer Geheimsprache symbolischer Kommunikationsformen zu bedienen, die an bestimmten Stellen der Häuser im öffentlichen Raum angebracht wurden. Das sechste Kapitel bildet einen Schwerpunkt in der der Arbeit folgenden Argumentation. Die im theoretischen Konzept bewusste Betonung der handlungstheoretischen Raumperspektive spiegelt sich hier auch in der Quantität des hier untersuchten Materials wider. Während die Analysen im dritten Kapitel von den sozialen Formationen ausgehen, soll nun in genau umgekehrter Weise vorgegangen werden, indem zunächst sozialräumliche Protestpraktiken untersucht werden, ohne von einer vorausgesetzten Zusammengehörigkeit der sozialen Formationen auszugehen. Die in den Quellen häufig thematisierten Handlungen werden hierfür in eine Systematik entlang fünf verschiedener Protestpraktiken eingeteilt, wenngleich es sich hier nicht um idealtypische voneinander abgeschlossene und eindeutig identifizierbare Praktiken handelte, sondern diese sich durchaus vermischen konnten. In diesen sozialen Protestpraktiken wird Raum mit unterschiedlichen Mitteln produziert und kontrolliert. Dabei werden in der Konstruktion von eigenen und der Destruktion von gegengelagerten Räumen soziale Sinngenerierungsstrategien der Akteure eingelagert. Dieses geschieht zumeist, wenn unterschiedliche Gruppierungen mit verschiedenen Intentionen an einem Ort aufeinandertreffen und sich diesen Raum erschließen wollen. Die untersuchten Quellen weisen eine hohe Heterogenität auf. Herangezogen wurden unter anderem Vernehmungsprotokolle von Angeklagten und Zeugen vor Gericht. Diese Gerichtsakten wurden im Kontext revolutionärer Unruhen angelegt und ermöglichen oftmals eine dichte und alltagsnahe Beschreibung der Ereignisse. Sowohl die Berliner Reichskanzlei, als auch die Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin haben Akten diverser Gerichtsverfahren gesammelt, die teils minutiös die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven zu rekonstruieren bemüht sind. Mit der Auswertung dieser Gerichtsverhandlungsakten können Sinnzuschreibungsprozesse identifiziert werden, während diese in ihrem jeweiligen Handlungskontext und Verweisungszusammenhang analysiert und so in einen vergleichenden Kontext gebracht werden können. Die in den Akten überlieferten Schilderungen bieten untersuchenswerte Ereignisse der kollektiven Protestund Willensäußerungen, die im öffentlichen Raum stattfindende spontane Proteste, Gewaltausbrüche und Demonstrationszüge enthalten. Ebenfalls wurden Verwaltungsberichte herangezogen. Die beispielsweise bei der Informationsstelle der Reichsregierung eingegangenen verschiedenen Berichte des Generalkommandos Münster enthalten aus der jeweiligen Perspektive Informationen zu den im Kontext von Streiks entstandenen Revolutionsschäden. Ebenfalls wurden Tageszeitungen herangezogen. Zeitungen waren seit der Jahrhundertwende noch die zentralen Medien zur Informationsbeschaffung für die Menschen. Speziell Berlin hatte mit seinem Zeitungsviertel einen derart breiten und solide aufgestellten Zeitungsmarkt mit mehreren täglich und sogar mehrfach täglich erschienenen Blätter unterschiedlicher
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politischer Couleur.221 Hierfür muss die jeweilige parteiliche Provenienz des Organs berücksichtig werden. Untersucht wurden einige der großen Blätter der Verlagshäuser Mosse, Scherl und Ullstein. Da aufgrund der Fülle des Materials eine Auswahl getroffen werden musste, wurde die Vossische Zeitung als Organ des liberalen Bürgertums und „seriöse Zeitung im Sinne objektiver und gründlicher Berichterstattung“ vermehrt herangezogen.222 Ebenfalls wurde das Berliner Tageblatt zu einer punktuellen Auswertung herangezogen.223 Dieses stand während des Spartakusaufstandes und seiner Besetzung besonders im Fokus des Revolutionsgeschehens. Die Presse folgte den alltäglichen Polizeiberichten und ist somit eine gute Ergänzung zu diesen. Auch hier wird kein Anspruch auf die Vollständigkeit der Ereignisse gelegt. Es sollen vielmehr Tendenzen beschrieben werden, die anhand typischer Fälle untersucht worden sind. Für den Bereich subjektbezogener Raumvorstellungen wurde punktuell auf die umfangreichen Bestände von archivalisch überlieferten Erinnerungsberichten zurückgegriffen. Sowohl das Bundesarchiv, als auch das Landesarchiv Berlin haben umfangreiches Aktenmaterial des Stiftungsarchivs der Parteien und Massenorganisationen der DDR übernommen. Dieser Quellenbestand ist bisher wenig von der Forschung beachtet worden.224 Erinnerungsberichte stellen trotzdem eine wichtige Quelle dar, da sie meistens alltagsnah referieren. Ergänzt wurde diese Quellengattung um einige publizierte Erinnerungsschriften. Zusammen bilden sie eine gute Basis für die Untersuchung kultureller Konstruktionen räumlicher Phänomene. Im abschließenden Kapitel werden die vorherigen Argumentationsstränge zusammengeführt. Hier wird der Versuch unternommen, die spezifische Wirkung sowohl des materiellen, als auch abstrakten Raumes auf die Akteure zu beschreiben. Sich temporär eröffnende Gefahrenräume für die Akteure führten durch Maßnahmen wie des Schießbefehls Gustav Noskes dazu, dass gerade zivile Akteure in ihrer Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum derart eingeschränkt wurden, dass, so die zentrale These dieses Argumentationsschrittes, Raum bis zu einem gewissen Grad handlungs- und strukturgenerierend auf die Akteure wirken konnte. Raum wird hierbei nicht mehr per se als geographisch eindeutig lokalisierbare Entität behandelt, sondern als etwas Fließendes. Diese „gestimmten“ Räume wurden durch atmosphärische Beschreibungen analysiert, wenngleich diese immer narrativ eingebettet sind. Dieser Zugriff ist mit gewissen methodischen Schwierigkeiten verbunden. Deshalb werden hier auch visuelle Quellen in die Analysen integriert. Revolutionsfotografen und -zeichner wie Willy Römer oder Fritz Koch-Gotha konnten sich als Zeitzeugen ein genaues Bild über bestimmte Ereignisse machen. Spezifische Attribute des Räumlichen lassen sich gerade durch visuelle Quellen besonders stark ausdrücken. Sie stützen zudem die Argumentation des Vorhandenseins eines 221 Vgl. etwa Friedrich, Presse der Arbeiterbewegung, S. 211–215; vgl. Grampp u. a. (Hrsg.), Revolutionsmedien-Medienrevolutionen. Vgl. darin Barth, Die Revolution 1918/19, S. 347–366. 222 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 32. 223 Fritzsche, Reading Berlin, S. 2. Fritzsche bezeichnet die Zeitung als „perhaps Germany’s bestwritten paper.“ 224 Vgl. Hollmann, Erinnerungen als Träger und Vermittler revolutionärer Tradition, S. 877–890.
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wirkmächtigen Rests und weisen so auf eine mögliche agency des Raumes hin.225 Mit Zeugenaussagen bei Schadensersatzansprüchen im Kontext revolutionärer Unruhen ist dafür eine Vielzahl an geeignetem archivalischen Material überliefert, in welchem alltagsnahe Berichte von Streik- und Demonstrationsfällen enthalten sind. Da diese meist unter Berufung auf gesetzliche Bestimmungen zur Regelung tumultartiger Schäden an die betroffene Regierungs- oder Verwaltungsstelle gerichtet worden sind, lassen sich hier Beschreibungen über den mit der Revolution erlittenen materiellen Schaden, sowohl der eigenen Person, als auch des eigenen Raumes feststellen. So können die Wechselwirkungen und die handlungsgenerierende Rolle des Raumes in seiner Rückwirkung auf gesetzliche Strukturen untersucht werden. Hierfür wurde schwerpunktmäßig auf die umfangreiche Überlieferung in den Stadtarchiven Münster, Essen, Bochum und Lünen zurückgegriffen. Ergänzt werden diese Quellen durch subjektive Beschreibungen wie Erinnerungen. Mithilfe dieser mental maps kann Bezug auf die Wirkung bestimmter Orte genommen werden.226
225 Schlögel, Kartenlesen, Augenarbeit, S. 276. Schlögel spricht sich für eine stärkere Betonung des Ortscharakters von Geschichte aus. Im Zuge des 11. Septembers 2001 seien „Örter [sic], also nicht bloß Symbole, Zeichen, Repräsentationen [sondern] […] Türme, die zum Einsturz gebracht werden können, Treppen, die, in Rauch gehüllt, zu tödlichen Fallen werden.“ 226 Lynch, Bild der Stadt; vgl. Wehling, Subjektive Stadtpläne, S. 98–112; ebenfalls Schlögel/Leiter, Kartenlesen, S. 79.
1. DIE ENTSTEHUNG DER NOVEMBERREVOLUTION Die revolutionären Unruhen der frühen Weimarer Republik gehören zweifelsohne zu den zäsurbildenden Ereignissen der mitteleuropäischen Geschichte. Vor dem Hintergrund einschneidender Erfahrungen einer alle Lebensbereiche tangierenden Moderne, sahen sich die Menschen einer massiven Umbruchsituation ausgesetzt.1 Die Industrialisierung und eine rasant fortschreitende Technisierung konfrontierten die Menschen mit einem sich zunehmend verändernden Alltag.2 Parallel begann sich eine stetig ausdifferenzierende Gesellschaft herauszubilden, deren einander abgrenzbare Fixpunkte oftmals nicht mehr eindeutig erscheinen. Die sich der kulminierenden Dynamik der revolutionären Situation ausgesetzten sozialen Akteure wurden mit jener Unsicherheit konfrontiert. Individualisierungs-, Spezialisierungsund Differenzierungsprozesse sind typisch für diese Moderne, in der Traditionen und Sicherheiten verloren zu gehen schienen und diese als eine alles umfassende Krise wahrgenommen wurde. Ihre negativen Begleiterscheinungen äußerten sich in der Widersprüchlichkeit einer fragmentarisierten Gesellschaft. Die Komplexität ihrer Lebenswelt bot den Menschen keine Eindeutigkeiten mehr. Dieser Krisendiskurs stand bisher oftmals im Fokus geschichtswissenschaftlicher Deutungen für die Geschichte der Weimarer Republik.3 Da die Begleiterscheinungen der Moderne „subjekt- und gegenwartsbezogen“ blieben, bot diese „damit notwendigerweise ein[en] Ort der Auseinandersetzung zwischen widerstreitenden Kräften.“4 Auf dem negativen Höhepunkt hatten die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges die Zeitgenossen mit einem grundsätzlich neuen Verständnis von Raum und Räumlichkeit konfrontiert.5 Der in der Forschung mit dem Ersten Weltkrieg ausgemachte Beginn dieses „Katastrophenzeitalters“ und der „Kampf um die Moderne“ äußerten sich daher offenbar auch im Wandel von Ordnungsvorstellungen der Menschen.6
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Aus der Vielzahl für diese Thematik grundlegenden Werke vgl. Baumann, Moderne und Ambivalenz; Gay, Modernism; Giddens, Konsequenzen der Moderne; Habermas, Der philosophische Diskurs der Moderne; Luhmann, Beobachtungen der Moderne. Vgl. Bergeron/Furet/Koselleck, Zeitalter der europäischen Revolutionen, S. 303. Vgl. Hardtwig, Einleitung. Politische Kulturgeschichte, S. 7. Zum Krisendiskurs aus der Sicht der Zeitgenossen vgl. Föllmer/Graf (Hrsg.), Die Krise der Weimarer Republik; vgl. Bessel, Die Krise. Müller, Moderne, S. 510. Vgl. etwa Hirschfeld (Hrsg.), Kriegserfahrungen. Hobsbawm, Zeitalter der Extreme; Mai, Europa 1918–1939, S. 10–14; Hardtwig, Ordnungen. Einleitung, S. 11–17. Dass sich die Geschichtswissenschaft neuen Kategorien hier offen gegenüber zeigt, geht aus der Einteilung des Sammelbandes hervor. Die Gliederung folgt den Kategorien Raum, Zeit, Körper, Masse/Individuum, Gewalt und Bild.
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Dieses Krisenbewusstsein aus den Erfahrungen einer nun „verkehrten Welt“ lässt die Revolution als Umbruchs- und Entscheidungssituation, als Kulminationspunkt dieses Krisenszenarios erscheinen.7 Mit dieser einher gingen Unordnung und Chaos und ein Bedürfnis der Menschen in geordnete Räume zurückzufinden, welche ihnen Ruhe und Sicherheit gewährleisteten.8 In dieser „spezifische[n] Gleichzeitigkeitserfahrung [fand sich jedoch] mehr als alles andere die Wahrnehmung höchst unterschiedlicher sozialer und politischer, kollektiver und individueller Erfahrungsräume“, welche die Zeit als eine Zeit der „Ungleichzeitigkeiten“ prägte.9 1.1 „UNRUHIGE ZEITEN“ – ERSTER WELTKRIEG UND DEMOBILMACHUNG Die Kriegserfahrung wurde für die Zeitgenossen zum „entscheidenden Kriterium künftiger Politik, Gesellschaft und Kultur sowie auch individueller Lebensgestaltung“.10 Wenngleich die Forschung auf die Entdramatisierung des Weltkriegserlebnisses hingewiesen und die Nachkriegszeit als eine Phase politischer, sozialer und kultureller Neugestaltung interpretiert hat, wirkten der Krieg und die daran anschließenden großen Demobilmachungsprozesse doch grundlegend verändernd auf räumliche Ordnungsvorstellungen und ließen diese einen Wandel vollziehen.11 7 8
Geyer, Verkehrte Welt. Zaika, Polizeigeschichte, S. 52f. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe wurde als Voraussetzung angesehen, um Sicherheit und Ordnung im Staate gewährleisten zu können. Vgl. Retzlaff, Das kleine Polizeihandbuch, S. 37. 9 Geyer, Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, S. 172. 10 Krumeich, Einleitung. Die Präsenz des Krieges, S. 7; vgl. Bessel, Kriegserfahrungen und Kriegserinnerungen, S. 138. Bessel weist auf den problematischen Umgang mit den Erfahrungen des Krieges hin und macht die Konstruktion eines „mythischen heroischen ‚Frontgeist[es]‘“ mit dafür verantwortlich. Für eine mit der Kategorie Gewalt operierende analytische Perspektive vgl. Schumann, Europa, der Erste Weltkrieg, S. 24–42, hier S. 42. Schumann plädiert dafür „teleologische Modernisierungskonzepte aufzugeben“, sondern sich den „einzelnen Entwicklungssträngen und ihrer Vernetzung miteinander zuzuwenden.“ 11 Krumeich, Einleitung. Die Präsenz des Krieges, S. 7. Zur Heimkehr der Soldaten und dem umfassenden Demobilisierungsprozess vgl. Bessel, Germany. Gegen eine einseitige Interpretation der Kriegserfahrung argumentierend vgl. etwa auch Koselleck, Einfluß der beiden Weltkriege, S. 326–332. Gegen die „Brutalisierungsthese“ argumentieren auch Ziemann, Fronterlebnis, S. 43–82; Weisbrod, Gewalt in der Politik, S. 391–404; Schumann, Einheit, Sehnsucht und Gewaltakzeptanz, S. 83–105. Für wirkungs- und mentalitätsgeschichtliche Ansätze vgl. etwa Hirschfeld, „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch…“, S. 7. Durch den Einfluss des Cultural Turns auf die Geschichtswissenschaft wurde die erfahrungsgeschichtliche Perspektive der für die Menschen wichtigen, aber bisher vernachlässigten Bedeutungsebene gestärkt. Für neue Tendenzen in der Forschung zum Ersten Weltkrieg vgl. den umfassenden Literaturbericht von Nübel, Neue Forschungen zur Kultur- und Sozialgeschichte des Ersten Weltkrieges. Themen, Tendenzen, Perspektiven, in: H-Soz-u-Kult 08.07.2011, http://hsozukult.geschichte.huberlin.de/forum/2011-06-001. [04.12.2013] Zentral ebenfalls Dülffer/Krumeich, Der verlorene Frieden; Duppler/Groß, Kriegsende 1918; Winter, Capital Cities at War; Mommsen, Erste Weltkrieg.
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Eine gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber ihrer räumlichen Umwelt äußerte sich bei den Soldaten in alternativen mit Bedeutung aufgeladenen koordinatorischen Bezugsverhältnissen bei der Einteilung der Kriegslandschaft. Mit den Kämpfen in den Schützengräben wurden diese Zuschreibungsprozesse gegenüber der Umwelt forciert. Der Stellungskrieg hatte ein direktes Sehen und Gesehen werden entlang einer eindeutig verortbaren Frontgrenze oftmals nicht mehr möglich werden lassen. Diese Orientierungslosigkeit unter den Soldaten führte dazu, dass Räume nicht mehr nur entlang geographisch klar erkennbarer Grenzlinien wahrgenommen wurden, sondern auch affektiv. Der Sozialpsychologe Kurt Lewin interpretiert diese „Kriegslandschaften“ als solche Räume, welche von den Soldaten in sichere und gefährliche Räume eingeteilt worden waren.12 Die Aufteilung des Raumes mit den Richtungsangaben vorne und hinten wurde so gleichzeitig mit Bedeutung aufgeladen. Wurde mit dem Frontalen häufig Gefahr assoziiert, nahm man den hinteren Raum im Gegensatz dazu als eher sicheren wahr. Lewin fiel also auf, dass die Soldaten ihre Umwelt mittels räumlicher Relationen beschrieben und so andere Sinnrelationen entstehen ließen. Hierfür teilten sie den Raum in verschiedene Felder ein.13 Die Gefahr lag frontal zum jeweiligen Punkt, an dem man sich befand. Neben diesen Gefahrenraum trat der relativ sichere Raum hinter der eigenen Linie. Diesen Rückzugsraum nahmen die Soldaten als Sicherheitsraum wahr, wenn sich die Frontlinie eindeutig erkennen ließ.14 Die allgemeine Entwicklung des Krieges in den September- und Oktobermonaten des Jahres 1918 hatte die Oberste Heeresleitung vermutlich eingestehen lassen, dass der Krieg verloren war. Trotzdem weigerten sich sowohl die Führungsspitze, als auch große Teile des Offizierskorps „die bittere Realität hinzunehmen, da mit der Niederlage ihre Welt unterging.“15 Da sie die Heimat für die Niederlage verantwortlich machten, steigerten sie den Missmut gegenüber ihrer eigenen Gruppierung massiv und legten den Grundstein für eine „eskapistische“ Dolchstoßlegende.16 Die Überlagerung „prinzipieller Erwägungen“ und „unaufschiebbare[r] tagespolitische[r] Probleme“ wie die Planung des Waffenstillstandes, der Frage wie Millionen an deutschen Soldaten wieder in ihre Heimat zurückgeführt werden konnten und wie diese mitsamt der Bevölkerung ernährt werden sollten, aber auch der Frage von einer auf die Kriegswirtschaft folgenden Friedenswirtschaft bildeten den problembehafteten Kontext der frühen Revolutionsphase.17 Dieses Konglome-
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Lewin, Kriegslandschaft, S. 441. Vgl. Bermes, Philosophische Feldforschung, S. 17. Vgl. Lewin, Der Richtungsbegriff in der Psychologie, S. 249–299. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, S. 160. Ebd., S. 160. Flemming u. a., Die Republik von Weimar I, S. 3. Bereits früh formulierte die Essener Allgemeine Zeitung, dass unter Reichskanzler Max von Baden die Rückführung der Soldaten als oberste Priorität angesehen wurde, damit diese beim „Wiederaufbau unserer Volkswirtschaft“ helfen würden können. Vgl. Essener Allgemeine Zeitung Nr. 307 vom 5. November 1918.
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rat aus „enttäuschten Erwartungen“ in Verbindung mit einer „kollektiven Erschöpfung“ führte im Herbst 1918 zum „Zusammenbruch des Herrschaftssystems in der deutschen Armee an der Westfront.“18 Die dringende Aufgabe der Regierung in Verbindung mit der Obersten Heeresleitung bestand in der raschen Rückführung der Truppen in ihre Heimat, wenngleich auch nach der Demobilmachung Truppen „zum Schutz der Bahnen und Magazine“, als „Grenzmacht“, zur Bewachung der Gefangenen oder „zum Schutz der Regierung gegen alle Angriffe einer gewalttätigen Minderheit“ benötigt würden, so Wilhelm Cremer.19 Mit dem „zurückflutende[n] gewaltige[n] Menschenheer“ gingen massive Probleme des Transports, der Versorgung und der Sicherstellung von Unterkünften einher. Deshalb sollten zunächst die am weitesten entfernt stationierten Soldaten rückgeführt werden, währenddessen dringend davor gewarnt wurde, sich nach Berlin zu entlassen, weil dort keine gesicherten Unterkünfte in ausreichender Anzahl vorhanden waren.20 Die überall errichteten Zentralankunftsstellen sollten die Heimkehrer über mögliche Arbeitsstellen informieren, während die Arbeitgeberverbände sich verpflichtet hatten, ihre früheren Angestellten wieder einzustellen, denn die Heimat böte die „beste Arbeit und Lebensmöglichkeit.“21 Die Integration der Soldaten in das Arbeitsleben forderte an anderer Stelle seinen Preis. Auf den Lohnerwerb „nicht unbedingt angewiesene Frauen“ sollten in den Betrieben freiwillig ihren Platz räumen, um Arbeitsplätze für zurückgekehrte Soldaten zu schaffen. Das Reichsamt selbst hatte eingeräumt, dass die Lage der Frauen bei der „Umstellung der Kriegswirtschaft in den Friedenszustand“ schwierig werden würde.22 Mit dem Begriff der Demobilmachung wurde bisher der komplexe Gesamtvorgang von Veränderungen auf „militärischem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet“ nach dem Kriege beschrieben.23 Neueren Ansätzen zufolge spielt jedoch auch die sinn- und bedeutungsgenerierende Ebene während dieses komplexen 18 Ziemann, Enttäuschte Erwartung, S. 181. Vgl. zu den inneren Spannungen nach Kriegsende etwa Feldman/Kolb/Rürup, Massenbewegungen, S. 84–105. 19 Hier und im Folgenden StAM, Stadt-Dok., Nr. 32, ohne fol., Artikel „Demobilisierung“ von Wilhelm Cremer. 20 Zum Bild der Frontsoldaten in der Öffentlichkeit vgl. Bessel, Die Heimkehr der Soldaten, bes. S. 226f. Bessel konstatiert, dass wohl eine Mehrzahl der Soldaten ohne ihre Einheiten möglichst schnell nach Hause kommen wollte. 21 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5983, fol. 127, Merkblatt für Arbeiterinnen. Ausgestellt vom Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung. Zu den mit der Demobilmachung einhergehenden Problemen vgl. Feldman, Economic and Social Problems of the German Demobilization, S. 1–23; Mai, Arbeitsmarktregulierung oder Sozialpolitik? Die personelle Demobilmachung in Deutschland, S. 202–236; Wachs, Das Verordnungswerk des Reichsdemobilmachungsamtes; Wette, Die militärische Demobilmachung, S. 63-80. 22 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5983, fol. 128 RS, Merkblatt für weibliche Angestellte. Ausgestellt vom Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung. Zu diesem Problemkontext vgl. Bessel, „Eine nicht allzu große Beunruhigung des Arbeitsmarktes, S. 211–229; vgl. Rouette, Frauenerwerbsarbeit in Demobilmachung und Inflation, S. 32–65. 23 Wette, Die militärische Demobilmachung, S. 63; vgl. Mommsen, Militär und zivile Militarisierung, S. 265. Mommsen macht mehrere Ebenen der Strategie der „Westmächte zur Unterbindung des deutschen Militarismus“ aus.
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Vorgangs eine Rolle, denn die Demobilmachung kann als räumliches Phänomen verstanden werden, ebenso wie die Wiedereingliederung der Soldaten in das Arbeitsleben, welche auch deren Neuanbindung an ihren verloren gegangenen Heimatraum erforderte. Für die Wiedereingliederung der Soldaten in das Arbeitsleben war deshalb, unter vorheriger Einigung der Gewerkschaften und Unternehmer in den Verhandlungen über das Abkommen der Zentralarbeitsgemeinschaft, welches nach der Revolution sozial- und wirtschaftspolitische Fragen regelte, das Demobilmachungsamt zuständig.24 Die Demobilmachung vollzog sich jedoch offenbar anders, als im Demobilmachungsplan beabsichtigt.25 Hierfür gab das Kriegsministerium Richtlinien heraus, welche alle mit der Demobilmachung betrauten Dienststellen oder Persönlichkeiten auf die jeweiligen örtlichen Verhältnisse anpassen sollten.26 Die allgemeine Demobilmachung hatte zunächst erst auf besonderen Befehl der Reichsregierung beginnen dürfen. Dafür sollte das Heer nicht vollständig aufgelöst werden, sondern die Jahrgänge 1896–1899 zunächst im Heere verbleiben.27 Während der Waffenstillstandsbedingungen sollten diese Teile das „bleibende Gebiet“ schützen und dann sukzessive in die Heimat zurückgeführt werden.28 Während diese Pläne rein normativen Charakters eine wohl geordnete Rückführung in die Heimat versprachen, berichten andere Quellen von einer Rückkehr „in wilden Massen“.29 Um derart chaotische Zustände zu vermeiden, wurden nach der Bundesratsverordnung über die wirtschaftliche Demobilmachung vom 7. November 1918 und der Verfügung des Staatskommissars für Demobilmachung vom 12. November 1918 alle Städte und Landkreise aufgefordert, unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters oder Landrates einen Demobilmachungsausschuss zu bilden.30 Der Prozess der Demobilmachung kann als ein ambivalentes räumliches Phänomen interpretiert werden. Eine gigantische Anzahl zurückkehrender Soldaten 24 Büttner, Weimar, S. 131. Nach erfolgreicher Arbeit wurde das Amt bereits ein halbes Jahr später am 30. April 1919 wieder aufgelöst. Zur Zentralarbeitsgemeinschaft vgl. Feldman/Steinisch, Industrie und Gewerkschaften; vgl. etwa Rehling, Konfliktstrategie und Konsenssuche. 25 Grundzüge des Planes abgedruckt in Rheinisch-Westfälischer Anzeiger Nr. 307 vom 5. November 1918. 26 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5983, fol. 116, Kriegsministerium a. D., Nr. 5090/18. AM., Richtlinien für die Demobilmachung, Berlin 28. November 1918. 27 Vossische Zeitung Nr. 594 vom 20. November 1918. Bis zum 25. November durften die Jahrgänge 1876 und früher Geborene und bis zum 30. November die Jahrgänge 1877 bis 1879 entlassen werden. Vgl. Armee-Verordnungsblatt Nr. 11, S. 74, Anm. 26, S. 79, Anm. 40. 28 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5983, fol. 116, Kriegsministerium a. D., Nr. 5090/18. AM., Richtlinien für die Demobilmachung, Berlin 28. November 1918. 29 Böhm, Adjutant im Preußischen Kriegsministerium, S. 70; vgl. Bessel, Die Heimkehr, S. 235. Bessel zufolge sei die Rückkehr vieler Soldaten nach der „revolutionäre[n] Welle“ mit einem Mythos verbunden. Ehemalige Veteranen des Krieges sahen „in ihren Erfahrungen von Krieg und Demobilmachung einen Grund sich zu schämen.“ 30 RGBl. 1918, S. 1292. Vgl. StAB, BO, Nr. 500/302, fol. 149, Magistrat Bochum Ausschuß für Volksernährung, Tgb. II K. D., Bericht über die Sitzung des „Allgemeinen Kriegsausschusses“ am Dienstag den 26. November 1918, Bochum 27. November 1918. Zur Kriegserfahrung und der Situation auf dem Land vgl. Ziemann, Front und Heimat.
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musste einerseits in ihre Heimat zurückbefördert werden, während sie andererseits mit einer ihnen häufig fremd gewordenen Welt konfrontiert wurden. Waren sie dann in ihrer Heimat angelangt, so stellte sich der fehlende Raum als ein weiteres zu lösendes Problem dar. Viele der Soldaten wurden daher zunächst in alternativen Räumen untergebracht. Die Mitglieder des Deutschen Städtetages machten sich hierzu Gedanken. Es sollten von den Gemeindebehörden entsprechende Maßnahmen getroffen werden, sodass „vor allen Dingen […] Säle und andere grosse Räume in öffentlichen Gebäuden, sowie Gasthäusern, Fabriken, Geschäftshäusern u.s.w. zu gemeinsamer Beherbergung einzurichten“ seien.31 Um die Erstattungsansprüche der Gemeinden bezüglich der Quartierbeschaffung zu regeln, war der Status der zurückkehrenden Soldaten als noch in „geschlossenen Formationen“ marschierenden oder bereits sich „von der Truppe entfernten“ Soldaten kenntlich zu machen.32 Zur Bewältigung dieses Ansturms wurden nun Massenquartiere in Sälen, Schulen und leer stehenden Wohnungen eingerichtet, während parallel Maßnahmen durch die freiwillige Anmietung oder der Zwangseinquartierung in Bürgerquartieren ergriffen wurden. In Koordination mit den neu entstandenen Arbeiter- und Soldatenräten wurden zudem infrastrukturelle organisatorische Dinge wie der ausreichenden Versorgung mit Nahrung mittels Massenspeisungen, sowie eingerichteter Entlausungsstationen installiert. Das für das Ruhrgebiet zuständige stellvertretende Generalkommando des VII. Armeekorps erwartete nach Beginn der Revolution, dass sich in nächster Zeit umfangreiche Rückkehrungsbewegungen in den Städten würden ausmachen lassen, sodass man die Unterbringung der Soldaten in Kasernen oder Schulen veranlassen müsste.33 Hierbei wurde besonders auf die „Gefahr der Städte“ hingewiesen, in denen Wohnungsmangel und Ernährungsschwierigkeiten drohten, während zugleich die Arbeitsmöglichkeiten geringer seien.34 Trotzdem war eine Rückkehr der Soldaten an ihre jeweiligen Heimatorte offenbar mehr als ausdrücklich erwünscht. Im Merkblatt für heimkehrende Kameraden wurde daher darauf aufmerksam gemacht, dass diejenigen Soldaten, die vor ihrer Einberufung nicht in der sie nun beherbergenden Stadt gewohnt haben, dort auch keinen Anspruch auf Lebensmittel und Arbeit zu melden hätten.35 Im Ablauf war vorgesehen, dass bei Ankunft an der „Bahnsperre“ sämtliche Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenstände, sowie überzäh-
31 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1093, fol. 49, Schreiben Deutscher Städtetag, Nr. XI 1336/18 D., an die Mitglieder des Deutschen Städtetages, betr. Unterbringung der Heeresangehörigen während der Demobilmachung, Berlin 16. November 1918. 32 Ebd. 33 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5983, fol. 30, Schreiben stellvertretendes Generalkommando beim VII. Armee-Korps, Abt. Iva Nr. 19677, an die Regierungspräsidenten Arnsberg, Düsseldorf, Minden, Münster und Oberpräsidenten Westfalen, Münster 14. November 1918. 34 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5983, fol. 128 RS, Merkblatt für weibliche Angestellte. Ausgestellt vom Reichsamt für wirtschaftliche Demobilmachung. 35 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1093, fol. 72, Merkblatt für heimkehrende Kameraden, Essen 18. November 1918.
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lige Bekleidungsgegenstände abgeliefert werden mussten, sofern sie nicht persönliches Eigentum darstellten.36 Danach folgte die Anmeldung beim Garnisonskommando an einem ausgeschilderten Ort, differenziert nach den jeweils vorhandenen Ausweispapieren und Zuordnungsschriften. Nach der militärischen Meldung war eine polizeiliche Meldung im zuständigen Revier vorgesehen, während darauf die Anmeldung zur Lebensmittelversorgung zu erfolgen hatte. Sofern verfügbar, wurden die Soldaten dann mit „Kleidung auf dem für die Bürger vorgeschriebenen Wege“ ausgestattet. Nicht unbedeutend war die Differenzierung der Soldaten in gesunde, verwundete, oder kranke Personen, weshalb man im Reservelazarett vorstellig werden sollte. Anschließend daran, war ein erster Gang zur ehemaligen Arbeitsstätte des Soldaten vorgesehen, während besonders im Ruhrgebiet darauf hingewiesen wurde, dass Arbeit im Bergbau und besonders in den Kokereien „dauerhaft vorhanden“ sei.37 Im Falle der für die Kriegswirtschaft wichtigen Unternehmen wie der Friedrich Krupp AG, gestaltete sich die Demobilmachung besonders schwierig. Den raschen Ausgang des Krieges hatte man nur bedingt erwarten können. Im Oktober hatte man im Direktorium längere Beratungen über die Demobilmachungsfrage unternommen. Von den ursprünglich bei Krupp beschäftigten 114.000 Angehörigen der Gußstahlfabrik, von denen abzüglich der Beamten rund 105.000 Arbeiter und Arbeiterinnen verblieben, waren 1.000 Arbeiter Kriegsgefangene, einschließlich „der Griechen“, 9.000 freie „Ausländer“, sowie 30.000 Frauen und 65.000 Männer. Bei einer „allmählichen Umstellung auf Friedensmaterial“ rechnete man damit, dass man höchstens 30.000 Personen weiterbeschäftigen könne.38 Zuerst sollten für die Wiedereingliederung diejenigen Arbeiter berücksichtigt werden, „die schon am 1. Januar 1914 in Diensten der Firma standen“. Nach diesen insgesamt 21.000 Personen sollten diejenigen folgen, die während des Krieges „mit der Familie zugezogen“ waren. Arbeiter, die vor dem 1. Juli 1914 beschäftigt wurden, komplettierten die Gesamtanzahl der Beschäftigten auf die geschätzten 30.000 Personen als neuer „Arbeiterstamm der Fabrik“. Die Entlassung von 75.000 verbliebenen Menschen aus dem Betrieb und der Stadt gestaltete sich also als schwierig zu lösendes sozialräumliches Problem, da zahlreiche Arbeiter „auf der Straße landeten.“ Der Plan sah folglich zunächst vor, die genannte Gruppe „der Ausländer“ aus der ursprünglichen Belegschaft zu entlassen. Im Zuge dessen sollten Vorkehrungen getroffen werden, nach denen sich die Entlassenen nicht länger als nötig in der Stadt aufhalten sollten. Dass die Heimkehrenden wieder in den Alltag integriert werden mussten, wird auch 36 Hier und im Folgenden StAL, NA Abt. 11, Nr. 64, ohne fol., Kriegsministerium Kriegsamt, Nr. 11493. 18. Sa. Pl., betr. Bekanntmachung Nr. 6552 die Verwertung des durch die Demobilisation freiwerdenden Armeematerials. Im Reichsgesetzblatt Nr. 166 vom 29. November 1918 wurde geregelt, dass sämtliches freiwerdendes Material an vorgegebene Sammelstellen abzuliefern war. 37 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1093, fol. 72, Merkblatt für heimkehrende Kameraden, Essen 18. November 1918. 38 Hier und im Folgenden ebd., fol. 112, Bericht über die Demobilmachung der Arbeitskräfte bei der Firma Krupp, erstattet in der Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats mit der Stadtverwaltung am 19. November 1918.
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an Maßnahmen deutlich, in welchen es als moralische Verpflichtung angesehen wurde, dass die Betreuung und Versorgung von aus dem Krieg zurückgekehrten Invaliden und den hinterbliebenen Familien gewährleistet war.39 Um den rückkehrenden Soldaten einen „verdienten“ Empfang zu bieten, hatten sich viele Stadtgemeinden überlegt ihre Straßen zu schmücken und so symbolisch ihren Willkommensgruß auszurichten.40 In Essen hatte man beispielsweise vermehrt an den Bahnhöfen und umliegenden Straßen Willkommensanschläge angebracht, die „den Dank der Stadt zum Ausdruck“ bringen sollten. Der Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrats Berlin bezeichnete diese Aufgabe sogar als unbedingt zu erfüllen, denn sobald die Soldaten „nur den Grund und Boden ihrer Stadt betreten haben“, müsse zum Ausdruck gebracht werden „in ihnen das Gefühl zu wecken, dass sie, die jahrelangen Strapazen hinter sich haben“ nun herzlich willkommen waren.41 So sollte offenbar die Grundlage dafür geschaffen werden, dass sich diese wieder zu Hause fühlten und so „mit allen Kräften“ am „neuen Vaterlande“ als „schöne Aufgabe“ beteiligt würden. Die Ausschmückung der Orte wirkte und funktionierte somit auch als symbolischer Akt, um möglichst schnell wieder eine Bindung an den Heimatraum herzustellen. Die symbolische Aufladung des Raumes wirkte dahingehend katalysatorisch, damit die Soldaten sich wieder mit ihrer Stadt zu identifizieren begannen und ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Bevölkerung entwickelten. Es lag in der Verantwortung der jeweiligen Städte, dass gerade der Bahnhof hell beleuchtet werden sollte, dass man zudem alle alten Plakate, „die an die Kriegszeit erinnern“ entfernen ließ. Die Bahnhöfe sollten sowohl innen, als auch außen sauber sein und in den Hallen mit „freundlicher Ausschmückung“ versehen werden, indem man Portale und Wartesäle mit Tannenreisig und Tannenbäumen bestückte. An Stellen, die am besten einsehbar waren, sollten die neuen Plakate mit Aufschriften wie „Willkommen“, „Willkommen in der Heimat“, oder „Die dankbare Heimat grüsst Euch“ befestigt werden.42 Um eine emotionale Verbindung mit den Bürgerinnen und Bürgern aufzubauen, waren diese ebenfalls angehalten ihre Häuser festlich zu schmücken, während der öffentliche Raum für eine angenehme Atmosphäre mit Festmusik beschallt wurde. Die Wichtigkeit einer funktionierenden Demobilmachung und die Wiedereingliederung der Soldaten in den Alltag erforderte ein ordnungsgemäßes und in Bahnen gelenktes Vorgehen, so die offizielle Stellungnahme des Ministeriums für militärische Angelegenheiten. Andernfalls habe man es mit tausenden arbeitslosen Soldaten zu tun, welche das „Land überfluten“ würden, was Plünderungen nebst 39 Vgl. etwa Kienitz, „Als Helden gefeiert – als Krüppel vergessen“, S. 217–237; Kleinschmidt, „Unproduktive Lasten“, S. 153–165; Cohen, The War Come Home. 40 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1095, fol. 7, Schreiben Regierungspräsident Düsseldorf, Mob. 31421, an Oberbürgermeister der Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern außer Strassburg, Düsseldorf 14. November 1918. 41 Hier und im Folgenden StAE, Rep. 102 I, Nr. 1095, fol. 17, Schreiben Nachrichtendienst des Vollzugsrats des Arbeiter- und Soldatenrats Berlin an Bürgermeister der Stadt, Berlin 18. November 1918. 42 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1095, fol. 17, Schreiben Nachrichtendienst des Vollzugsrats des Arbeiterund Soldatenrats Berlin an Bürgermeister der Stadt, Berlin 18. November 1918.
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groben Ausschreitungen nach sich ziehen würde.43 Daher war mit der Demobilmachung und den Massen an zurückkehrenden Menschen in die Städte des Reiches auch eine gewisse Angst verbunden.44 Deshalb war dieser erste Kontakt an den Bahnhöfen in den Städten von umso größerer Wichtigkeit. Man ging davon aus, dass sofern von den „Dingen der Willkommensgrüße“ eine Wirkung ausgehe, so der Vollzugsrat, der „heimkehrende Krieger wissen“ werde, dass „zum Segen für die Gesamtheit in seinem neuen Vaterlande“ er einen beachtlichen Beitrag leisten werde. 1.2 PROTESTKULTUREN – VOM SPONTANEN ZUM GEORDNETEN PROTEST Die Jahrhundertwende wurde von Nahrungsmittelkonflikten, Hungerrevolten und Subsistenzprotesten begleitet.45 Dabei wurden Subsistenzproteste in Form kollektiver Nahrungsproteste im Deutschland des 19. Jahrhunderts von der Forschung als Hauptform des sozialen Protests ausgemacht, während durch Mangel und Teuerung hervorgerufene Proteste in den deutschen Staaten vermehrt in Preußen stattfanden.46 Zu Beginn des neuen Jahrhunderts scheint diese Form des Protests im neu 43 BA B, SgY 10, V236–7–23, fol. 9, Aufruf des Ministeriums für militärische Angelegenheiten, betr. Arbeitsvermittlung bei der Entlassung vom Heeresdienst, München 18. November 1918. Generalfeldmarschall Hindenburg hatte seine Truppe dabei zur unbedingten Wahrung von Ruhe und Ordnung aufgerufen. Zit. nach Deutscher Geschichtskalender, Der Waffenstillstand, S. 211. 44 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 30–34, Schreiben des Herausgebers „Freisinnige Beiträge“ Ludwig Sochaczewer an Reichsminister des Innern, o.O. 25. Oktober 1918. Sochaczewer hielt es bereits im Oktober für notwendig ein Schriftstück eines Offiziers an die Regierung weiterzureichen, da er auf bevorstehenden Angstszenarien dringend hinweisen wollte. „Scharen von Mannschaften werden sich nach kurzer Zeit in den Strassen der Grossstädte herumtreiben, beschäftigungslos, Brotlos, obdachlos, mittellos. Sie werden – wenn nicht für Abhilfe gesorgt wird – betteln und plündern.“ [sic] Der Terror werde die Städte beherrschen, wenn weitreichende infrastrukturelle Einrichtungen außer Kraft gesetzt würden. Im Schreiben wurde dann für weitreichende Maßnahmen plädiert, wie der Einquartierung in Bürger- anstatt Massenquartieren, damit die Menge sich nicht gegenseitig aufreize. Bereits ein Jahr nach Ausbruch der Revolution bezeichnet Julius Kaliski „Angst“ als den „einzige[n] treibende[n] Faktor in der Geschichte der Revolution.“ Vgl. Kaliski, Die Unterbilanz, S. 10. 45 Gailus/Volkmann, Einführung. Nahrungsmangel, Hunger und Protest, S. 9 u. S. 14. Für kritische Anmerkungen und Hinweise auf die Unschärfe des Konzepts des „sozialen Protests“ vgl. Hausen, Schwierigkeiten, S. 257–263; vgl. ferner Volkmann/Bergmann, Sozialer Protest; Gailus, Der Kampf um das tägliche Brot; Gailus, Food Riots, S. 586–604; vgl. Scholz, Ein unruhiges Jahrzehnt, S. 79–124. 46 Paradigmatisch hierfür stehen die Untersuchungen von Gailus zum protestreichen Jahr 1847 und den Hungerrevolten. Gailus, Straße und Brot; ebd., Hungerunruhen in Preußen, S. 176. Nachhaltig geprägt wurde die food-riot Forschung bei Thompson, The Moral Economy Reviewed, S. 259–351. Hier hatte Thompson die food-riot Forschung nach 20 Jahren als „angekommen“ bezeichnet. Mit seinem Konzept der „moral economy“ meint Thompson die Handlungen legitimierende Vorstellung einer gerechten Ordnung für die kleinen Leute. Vgl. dazu Gailus/Lindenberger, Zwanzig Jahre „moralische Ökonomie“, S. 469–477. Ein anderes Modell
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entstehenden Wohlfahrtsstaat aufgefangen und durch andere Formen abgelöst zu werden. Thomas Lindenberger hat in seiner Studie zur Straßenpolitik der Jahre 1900 bis 1914 in 405 untersuchten Unruhefällen lediglich eine einzige als dezidierte food-riot-Aktion ausgemacht.47 Trotzdem ließen die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges diese Form des Protests nicht gänzlich zum Erliegen kommen.48 Die Bedrohungssituation, welche durch die Knappheit an verfügbaren Lebensmitteln ausgelöst wurde, hatte „traumatische Erfahrungen ganz anderer Art zur Folge, die ihr soziales und politisches Gruppenbewußtsein wesentlich schärften und damit auch ihre langfristigen gesellschaftspolitischen Orientierungen nachhaltig beeinflußten.“49 Die politische und paramilitärische Mobilisierbarkeit war auch eine Folge der Negativerfahrungen ungünstiger Umweltfaktoren, welche nicht zuletzt in Verbindung mit einer Reihe weiterer ungünstiger Faktoren wie Lebensmittelunruhen und Streiks langsam dazu beitrug, dem Kaiserreich die „Legitimationsbasis“ zu entziehen.50 Der Erste Weltkrieg stellt im Kontext von Teuerungsunruhen daher eine „wichtige Zäsur“ dar.51 Zusammen mit dem harten Winter des Jahres 1916/17, welcher aufgrund der einseitigen Ernährung als Rübenwinter in „traumatischer Erinnerung“ blieb, führte dieses zur relativ raschen Umbruchsituation im November.52 Jene aus Nahrungsmittelknappheit resultierenden Lebensmittelunruhen des Jahres 1917 waren vom Minister des Innern in mehrfacher Hinsicht auf das gleiche Bild zurückgeführt worden. „Das gleichzeitige Niederlegen der Arbeit an räumlich auseinanderliegenden Betriebsstätten, teilweise auf ein bestimmtes Signal hin, strahlenförmiges Zusammenströmen der Demonstranten nach offenbar vorher bestimmten Punkten, Aufstellung fast überall gleichlautender Forderungen bei drohendem polizeilichen Einschreiten fast überall Frauen, Minderjährige und Kinder im Vordergrunde, offenbar in der Hoffnung, daß dadurch die Polizei oder das Militär von der Anwendung der schärfsten Mittel abgehalten werden könne. Häufig konnte beobachtet werden, daß die Einwerfung von Fensterscheiben durch Kinder erfolgte. Auch die Schnelligkeit, mit der an den meisten Orten die Menge die Straßen durcheilte und die Plünderungen der Lebensmittel- usw. Läden erfolgten, deutet auf einheitliche Absichten hin.“53
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entwickelte Eric Hobsbawm. Sein Konzept des „bargaining by riot“ zielte ebenfalls auf die Betonung rationaler und kommunikativer Aspekte gewalthafter Proteste. Vgl. Hobsbawm, The machine breakers, S. 57–70. Für die Region München vgl. Engelns, Bierpreis, S. 164–193; Geyer, Teuerungsprotest, S. 319–345. Lindenberger, Straßenpolitik; ders., Fleischrevolte am Wedding, S. 282. Lindenberger orientiert sich ähnlich wie Gailus am „Eigen–Sinn“ Konzept Alf Lüdtkes. Vgl. Lüdtke, Eigen–Sinn; vgl. etwa auch Achten, Nicht betteln, nicht bitten. Moabiter Streikunruhen 1910. Geary, Protest and Strike, S. 361–387; speziell für Berlin Scholz, Ein unruhiges Jahrzehnt, S. 79–124. Gailus/Volkmann, Einführung. Nahrungsmangel, Hunger und Protest, S. 10. Schumann, Politische Gewalt, S. 40. Geyer, Teuerungsprotest, S. 320. Ebd., S. 320. Hier und im Folgenden LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15803, fol. 93, Schreiben Minister des Innern, Iid. 1633, an alle Regierungspräsidenten und Polizeipräsident Berlin, Berlin 12. Juli 1917.
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Diese Vermutungen legen nahe, dass die Kommunikation innerhalb dieser Gruppierungen mittels der gezielten „Mund zu Mund“ Propaganda funktionierte und somit nicht von spontanen Äußerungen der Erregung auszugehen war, welche auf „die geheime Agitation gewissenloser Hetzer zurückzuführen“ sei. Der Einsatz polizeilicher Machtmittel wurde besonders da erschwert, wo die geheimen Verabredungen unter der Arbeiterschaft über Arbeitseinstellungen, der Inszenierung von Krawallen und dergleichen, eine rechtzeitige Verhinderung und Unterdrückung von öffentlichen Unruhen erschwerte. Die Stimmung sollte daher durch die Gewerbeinspektoren und durch Vertrauensleute beobachtet werden.54 Die Sicherung des Nachrichtenaustauschs zwischen militärischen und Zivilpolizeistellen konnte infolgedessen als eine Reaktion auf geplante Unruhen der Arbeiter angesehen werden. Der spontane Charakter der Unruhen aufgrund von Nahrungsmittelknappheit, entwickelte sich zunehmend zu „sorgsam durch Verabredungen von Mund zu Mund vorbereitete[n] Kundgebungen und Krawalle[n]“, während sich zugleich breite Teile der Protestierenden in einem zunehmenden Politisierungsprozess befanden und den öffentlichen Raum als ihre Bühne zu inszenieren erlernten.55 Die Januaraktionen des Jahres 1918 waren daher in der Forschung als erste revolutionäre Handlungen interpretiert worden. Wenngleich diese keine direkte Entwicklungslinie zur Novemberrevolution darstellten, standen sie im Kontext eines sich ausdifferenzierenden und zunehmend organsierteren Protestverhaltens sowie dem Entdecken der Straße als Ort von klassenspezifischen Auseinandersetzungen.56 Thomas Lindenberger hat in seiner wegweisenden Studie herausgearbeitet, dass die Straße als „Politik-Arena […] Kämpfe um Macht und Ressourcen räumlich zusammen[brachte], die durch jeweils eigenständige Konfliktkonstellationen hervorgebracht wurden.“57 Lindenberger, der hauptsächlich einer bipolaren Einteilung in „Straßen-Volk“ gegen „Polizei-Staat“ folgt, hat am Beispiel Berlins darlegen können, dass bestimmte „Handlungselemente“ seit Jahrzehnten Bestandteil des „mit dem Ausbau eines flächendeckenden Polizeiapparates einhergehenden alltäglichen wie spektakulären Konflikte um öffentliche Ordnung“ waren.58 „Unterschichtenviertel“ und stadtnahe Wohnviertel bildeten sozialräumliche Konzentrationspunkte der meist von jungen Männern getragenen alltäglichen Konfliktsituationen mit der Obrigkeit.59 54 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15803, fol. 95; Schreiben Oberkommando in den Marken P. Nr. 198443.17437, an u. a. stellv. Generalkommando des Gardekorps. Die Militärpolizeistellen sollten „als Sammelstelle für alle Streiks oder innere Unruhen betreffenden Nachrichten bestimmt“ werden. Mit einer differenzierten These zu den Beteiligungsformen von Frauen in den Hungerprotesten des 19. Jahrhunderts argumentiert Lipp, Frauenspezifische Partizipation, S. 200-213. 55 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15803, fol. 95; Schreiben Oberkommando in den Marken P. Nr. 198443.17437, an u. a. stellv. Generalkommando des Gardekorps. 56 Vgl. Ullrich, Zur inneren Revolutionierung, S. 278. 57 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 385. 58 Ebd., S. 398. 59 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 391. Die Protestpraktiken des Straßenvolks folgten einer „physische[n] Argumentation“ (S. 396).
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Lindenberger wählte hierfür den Stadtteil Moabit mit seinem hohen Anteil an Arbeiterbevölkerung, den großen Versammlungslokalen, in denen die Streikkontrolle ausgeübt wurde, und den vielen Schankstätten niederen Ranges. Moabit bildete daher während des Ausstandes eine „stete Gefahr für die öffentliche Ruhe und Ordnung, und es erschien dort eine erhöhte Dienstbereitschaft auch dann noch geboten, als in anderen Stadtteilen der Eintritt ruhiger Verhältnisse eine Verringerung der Aufsichtsmannschaft gestattete.“60 Der Schutz der Arbeitswilligen stieß dort auf größere Schwierigkeiten als in anderen Bezirken. Einem Bericht der Schutzmannschaft zufolge versuchten die Streikenden, „besonders Frauenspersonen, an verschiedenen Nachmittagen in der Sickingenstrasse vor der Nernstlampenfabrik die die Fabrik verlassenden arbeitswilligen Arbeiterinnen durch Schimpfen und Drohungen zu belästigen. Da Ansammlungen auf der Strasse von den Exekutivbeamten nicht geduldet wurden, setzten sich die Streikenden in den umliegenden Schankstätten und Hausfluren fest und erschienen erst dann, wenn die Arbeitswilligen die Fabrik verließen und von einer ausreichenden Zahl von Schutzleuten begleitet den kurzen Weg nach dem Bahnhof Beusselstrasse antraten. Die Menschenmenge folgte dann in der Regel schimpfend und johlend, und nur dem ruhigen und besonnenen Vorgehen der Beamten, die in jener Gegend beim Publikum keinerlei Unterstützung finden, ist es zu verdanken, daß erhebliche Ausschreitungen nicht vorkamen.“61
Die Moabiter Ereignisse standen ebenso wie spätere Aktionen der Jahre 1914–1916 im Kontext höherer Lohnforderungen und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen.62 Erst in den großen Streikbewegungen zunächst im Juni 1916, in welchem gegen die Verhaftung Liebknechts protestiert wurde, dann im April 1917, welcher als Brotstreik infolge der Lebensmittelknappheit und deren Rationierung angesehen wurde und schließlich mit vorläufigem Höhepunkt im Januarstreik 1918, bekamen die Streiks einen zunehmend politischen Charakter und wiesen auch einen höheren Beteiligungsgrad auf.63 Die Streikbewegung des Januar 1918 wurde dann erstmals durch die revolutionären Obleute, meist Angehörige der USPD, in den Betrieben vorbereitet. Der Unabhängige Richard Müller übernahm den Vorsitz der Streikleitung im Januar 1918.64 Die hier zunehmend verbesserte Organisation des Protestierens äußerte sich erstmals in der Wahl von Arbeiterräten, weshalb der Januar eine gewisse Musterfunktion für die später in den Novembertagen entstehenden Räte darstellte.65 Die Moabiter Ereignisse hatten offenbar gezeigt, dass die angeforderten Streikbrecher sich mit einer zunehmend besser organisierten Haltung der Streikenden 60 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15802, fol. 67. Bericht Kommandeur der Schutzmannschaft an Polizeipräsident, Berlin 16. Oktober 1905. 61 Ebd. 62 Block, Moabit. Ein Bild polizeilicher Willkürherrschaft, Berlin 1911, S. 9. Hans Block, Redakteur des Vorwärts, macht weniger die aus einem kleinen Streik hervorgehenden Unruhen verantwortlich, als vielmehr die Umstände, welche im „Auftreten der Polizei und der Streikbrecher“ zu finden seien. Vgl. dazu Berliner Tageblatt Nr. 490 und 491 vom 27. September 1910. 63 Vgl. Kittner, Arbeitskampf, S. 395ff. 64 Hoffrogge, Richard Müller, S. 38-62. 65 Luban, Massenstreiks für Frieden und Demokratie, S. 11–27.
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auseinandergesetzt sahen. Die Ablehnung sowohl von höheren Löhnen, als auch von Verhandlungen, führte oftmals zum Streik und zur Eskalation, da auf der einen Seite „Polizei und Justiz obrigkeitsstaatliches Denken und Handeln“ vorlebte, während die Situation aufseiten der Streikenden ergänzt durch jugendliche „Übergriffe“ ebenfalls angeheizt wurde.66 Der Hamburger Streikbrecherunternehmer nahm dies zum Anlass, seine eigenen Leute besser zu organisieren. „Wir müssen so’ne Leute haben, denn wir wird’n selbstmurmelnd immer anjejriffen von de Organisierten, und da ist es denn besser, wenn wir selbst anfangen und die Bande vertobacken. Mir kribbelt’s in allen Fingern, wenn ich dreschen seh, dan, ick habe in de Rostocker Straße nich schlecht gewichst.“ [sic]67
Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei ist es dann gekommen als Arbeiter und Streikende auf das große Polizeiaufgebot stießen, das zum Schutz der Kupferschen Kohlewagen abkommandiert worden war. Die verbliebenen 18 Arbeitswilligen schafften hier gerade einmal 12 Fuhren anstatt der sonst 100 pro Tag.68 Die Jugend der Gegend, „die überall dabei ist, wo es etwas zu sehen gibt, betätigte sich dann durch Schreien und Krakeelen, und das Auftreten der Polizei, die ihre Autorität bedroht sah, und das herausfordernde Verhalten der fünf Tage später eintreffenden Streikbrecher tat das übrige, um die Menge zu erregen, so daß Obstreste und Steine gegen die Wagen geworfen wurden.“69
Als die Polizei umfangreiche Absperrungen vorgenommen hatte und die Arbeiter so zu „zeitraubenden Umwegen“ gezwungen waren, verlagerte sich das Geschehen zu anderen Ansammlungen und stachelte sich gegenseitig an.70 Besonders die raumarchitektonische Bebauung Moabits mit zahlreichen Neubauten wurde für die Dynamisierung der Ereignisse in den Medien verantwortlich gemacht. Zahlreiche dort entstandene Neubauten, „die ein sehr unsicheres Element von sogenannten ‚Trockenwohnern‘ beherbergen“ würden, wirkten massiv auf die Auseinanderset-
66 Achten, Einleitung, S. 11f.; ferner Müller, Moabiter Unruhen, S. 585-588; Bleiber, Moabiter Unruhen, S. 173–211; Grzywatz, Der Beusselkiez, S. 32–49. 67 Zit. nach Block, Moabit, S. 11. 68 Müller, Moabiter Unruhen, S. 586. 69 Ebd., S. 13. 70 Wer für die Eskalation der Ereignisse verantwortlich gemacht wurde ist dabei von untergeordnetem Interesse. Vgl. Lindenberger, Straßenpolitik, S. 241–303. Das Handeln der Polizei ist jedoch kaum zu unterschätzen. „Aus persönlicher Beobachtung in der Gegend der Tumulte kann ich bezeugen, daß die Polizei in vielen, wenn nicht in den meisten Fällen die wirkliche und einzige Anstifterin der Unruhen gewesen ist. Sie hat mit gänzlich überflüssigem Eifer und Brutalität ihre mörderischen Säbel gegen harmlose Männer, Frauen und Kinder gebraucht. Moabit bot in der Tat den Anblick eines großen Jagdreviers, wo das Wild menschliche Wesen waren und die uniformierten Jäger, mit Säbeln, Browningpistolen und Karabinern bewaffnet, auf jeden und alles, was ihnen in die Schußlinie kam, lospfefferten.“ Aus einem Bericht des Berliner Korrespondenten der Zeitung Observer vom 2. Oktober 1910, zit. nach Sozialdemokratische Partei-Correspondenz, 5. Jg. 1910, S. 377.
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zungen, weshalb die „Disposition zu Straßenausschreitungen“ hier mehr als in „irgendwelchen anderen Stadtteilen Berlins gegeben“ waren.71 Ein eindrucksvolles Bild Moabits liefert das Berliner Tageblatt anhand Moabits Hauptverkehrsader der Beusselstraße, welche als „[…] lange Verkehrsader in dem großen nordwestlichen Fabrikenviertel Berlins […] ein vortrefflicher Schauplatz für Demonstrationen. An ihrem oberen Ende steigt der Straßenzug bergähnlich an, um die Höhe der Brücke über den Nordring zu gewinnen, und so kann man von unten her die dort sich drängenden Massen wie in einem gut gestellten lebenden Bild überschauen. Auf diesem Berg und in seiner nächsten Umgebung haben sich in der vergangenen Nacht die wilden Szenen abgespielt. Das lebende Bild kann nur sehr undeutlich beleuchtet gewesen sein, denn, wie man heute am hellen Morgen sieht, sind weit und breit alle Laternen zerschlagen. Die Trottoirs sind für jeden, der seine Stiefelsohlen lieb hat, nur mit großer Vorsicht zu passieren. Ueberall [sic] liegen Stücke zersplitterten Glases herum, und die mit Spielsachen nicht verwöhnten Kinder dieser Arbeitergegend freuen sich mit den scharfkantigen Brocken, die, wenn man sie hochkant gegen die Sonne hält, die bunten Farben des Prismas spielen. Es haben sich böse Szenen heute nacht dort abgespielt, und noch jetzt sind die Straßen von einem unruhig wirbelnden Leben erfüllt. An jeder Ecke steht ein Haufen in der nicht zu verkennenden Haltung feiernder Arbeiter: mit etwas gebeugtem Rücken, die Hände tief in die Hosentaschen vergraben, den Hut etwas ungeschickt im Genick. Dazwischen sind fast ebensoviel Schutzleute aufgestellt, die mit wachsamen Augen um sich schauen, teils in ihren großen Pellerinen dräuend wie das dunkle Verhängnis dastehen, teils den knallgelben Revolvergurt keck in der scharfen Herbstsonne leuchten lassen.“72
Neben der sonst vielfachen „Radaulust“, die im Kontext derartiger Protestaktionen üblich war, hatten sich während der Moabiter Unruhen soziale Protestpraktiken, wie beispielsweise das Schreien und Kreischen als Signal zum gemeinsamen Losschlagen als besonders effektiv erweisen können.73 Die Streikbrecher sahen sich somit einer zunehmend besser organisierten Streikbewegung gegenüber.74 Das Resultat fiel drastisch aus. „Mehrere hundert durch Säbelhiebe, Pferdehufe und Schüsse Verletzte sowie zwei Tote, demolierte Kneipen und Hauseingänge, zerschossene Fensterscheiben und anderweitige Sachschäden, waren die Folge. Erst nach einigen Wochen war der Streik beendet.“75 Bereits während der Wahlrechtsdemonstrationen fanden Protestaktionen je nach der Raumsituation in gemeinsamem und geschlossenem Protest statt, „der sich ständig veränder[t]e, je nach Demonstrationsgröße, Straßenbreite, Stimmungslage und Polizeipräsenz.“76 Arbeiterdemonstrationen wiesen daher in ihrer Zusammensetzung eine relative Offenheit an ihren Rändern auf,
71 Berliner Tageblatt Nr. 491 vom 27. September 1910. Zu den problematischen Wohnverhältnissen vgl. Monke, Städtebauliche Probleme Moabits, S. 261–277. Mit ähnlicher Tendenz die Schilderungen des Arbeiter Karl Zolchows im Vorwärts vom 6. Oktober 1910. 72 Berliner Tageblatt Nr. 491 vom 27. September 1910. 73 Vgl. Bleiber, Die Moabiter Unruhen, S. 173–211. 74 Für eine differenzierte Kategorisierung „kollektiver Widersetzlichkeit gegenüber der Polizei“ setzt sich ein Schumann, Politische Gewalt, S. 16. 75 Baudisch/Cullen, Tiergarten, S. 46. 76 Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 91; vgl. Warneken, Als die Deutschen demonstrieren lernten, S. 93ff.
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Eine bessere Form des Organisiert-Seins war jedoch nicht bezogen auf die Form institutioneller Ausgestaltung, sondern konnte auch oben genannte informelle Praktiken meinen. Die Anpassung an ein immer geordneteres Agieren im öffentlichen Raum ließ die „Forderung nach Gleichberechtigung im Staate“ einerseits realistischer erscheinen, während andererseits gleichzeitig der „Legitimitätsverlust der gewaltsam gegen sie vorgehenden Polizei, deren Befehlshaber im Glauben handelten, einer Revolution vorzubeugen“ die Staatshüter schwächer erscheinen ließ.78 Insofern konnten die späteren Revolutionäre auf einen reichhaltigen Erfahrungsschatz durch die bereits angeeigneten sozialen Protestpraktiken zurückgreifen, wenngleich auch hier so kurz nach dem Krieg die Form der Lebensmittelrevolte noch nicht obsolet geworden war.79 Die Frage nach einem Erfolg oder Misserfolg politischer Zielsetzungen der Massenbewegungen der Jahre 1917 bis 1920 ist für die vorliegende Arbeit daher von untergeordneter Bedeutung und wurde von der älteren Forschung detailliert aufgearbeitet.80 Ihre Perspektive ist eine andere. 1.3 STADT UND MODERNE Aktuellen Modernitätskonzepten zufolge lassen sich Phänomene der Moderne nicht mehr allein aus eurozentristischer Perspektive mit monokausalen Argumentationsschemata erklären, sondern zeichnen sich im Gegenteil durch Vielfalt aus und erfordern daher global gedachte Interpretationsmuster.81 Neben der zunehmenden Bedeutung der Städte als industrielle Standorte, besaßen diese umfassende sich „verselbständigende Leitungs- und Verwaltungsfunktionen“, die zu einer massiven Veränderung der räumlichen Umwelt der Menschen führte.82 Doch nicht nur die zunehmende Urbanisierung kann als Teil dieses Modernisierungsprozesses in den
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Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 91. Lindenberger, Straßenpolitik, S. 397 u. S. 402. Diese Einschätzung teilt Lindenberger, Fleischrevolte, S. 303. Feldman/Kolb/Rürup, Massenbewegungen, S. 103. Vgl. etwa Eisenstadt, Multiple Modernities; Gaonkar, Alternative Modernities. Hardtwig/Tenfelde, Einführung, S. 8f. Urbanität äußert sich Hardtwig und Tenfelde zufolge auf fünf unterschiedlichen Wegen: Im Übergang von der agrarisch zur „industriellen Bevölkerungsweise“, in der Entfaltung zentralörtlicher Funktionen „für eine hochgradig arbeitsteilige Massenproduktion“, der Ausdifferenzierung einer „demokratisch legitimierten […] Leitungsund Verwaltungsfunktion“, dem Gegensatz zwischen Stadt und Land und einer damit einhergehenden Festigung sozialkultureller Milieus, welche sich auch räumlich in beispielsweise des „sozial segregierten Quartiermilieus“ äußerten, sowie den besonderen „demographischen, wirtschaftlichen, sozialen und administrativen Rahmenbedingungen“, welche „eigene, nicht notwendig klassengesellschaftliche Konfliktlagen hervorgerufen“ haben.
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Städten angesehen werden, sondern auch die Entwicklung immer ausdifferenzierterer Massenkommunikationsmittel und der zunehmenden Mobilität innerhalb der Stadtbevölkerung. Dabei nimmt der Prozess auch Einfluss auf die Entwicklung hin zu den modernen Massenparteien.83 Räume und Raumerfahrungen beeinflussten hierbei als Bezugsgefüge das Denken und Handeln der Menschen seit der Industrialisierung sehr grundlegend. Die vertrauten Einteilungen in Räume und Grenzen wurden bereits hier „in einem sehr umfassenden und zugleich allgemeinen Sinn […] als jahrhundertelang einigermaßen feststehende Bezugsgefüge aufgelöst“, während neue Räume mit „anderer Beschaffenheit“ wie beispielsweise überregionalen und übernationalen Marktsystemen geschaffen wurden. Der Raum verlor somit an „Konstanz.“84 Die sich in den Großstädten zuspitzenden Wandlungsprozesse äußern sich der Urbanisierungsforschung zufolge in der räumlichen Organisation der städtischen Gesellschaft, denn je nach „Industrialisierungsgrad, Sozialstruktur, politischer Verfassung und überkommenen räumlichen Strukturen unterlag das innere Raumbild der Großstädte während der Urbanisierung einem fundamentalen Wandel.“85 Wohnungsmangel und schlechte Lebensumstände führten zwangsläufig zu Überlegungen, den städtischen Raum erweitern zu müssen. Bei frei gewordenem Raum durch die Zerstörung älterer Bausubstanz mussten die Städte sowohl mit dem Prozess der Segregation, also der schichtenspezifischen Viertelbildung, als auch der Spezialisierung, also der funktionalen Quartiersbildung umzugehen lernen. Diese Veränderungen machten sich auch im Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie deutlich, denn die Stadtkerne verloren als bevorzugte Wohnquartiere zunehmend an Bedeutung und Größe, während sich die Bevölkerungszahl besonders in der Peripherie vergrößerte.86 Um diese neu geschaffenen Distanzen zu überwinden, gewannen die neuen Nahverkehrsmittel zunehmend an Bedeutung, da das Zentrum oder die Arbeitsstätten so von den Wohngegenden besser zu erreichen waren.87 Gleichzeitig fungierten die Verkehrslinien, insbesondere die Eisenbahnen, als Grenzen sozialräumlicher Differenzierung. Erkennbar wurde dies an der industriellen Standortbildung, die zunehmend die großstädtische Siedlungsstruktur beeinflusste. So konzentrierten sich besonders an Bahnhöfen „Produktionsstätten, Lagerhallen und Arbeiterwohnbezirke“ und ließen diese deshalb zu Grenzen „im Prozeß der sozialen Segregation der bürgerlichen von den proletarischen Wohnbereichen“ werden.88 Darüber hinaus wirkte die Struktur der modernen Großstädte auch zunehmend auf die Identitätsbildung des Großstadtmenschen ein. Wenn die Bezugspunkte weniger die Familie, sondern mehr die Vereine darstellten, wurden moderne 83 Urbanisierungs- und Städtegeschichte weisen differenzierende methodische Zugänge auf. Während erstere vermehrt makroanalytisch vorgeht, sind in der Städtegeschichte eher mikroanalytische Herangehensweisen üblich. Die historische Forschung fragt nach den Kriterien einer angemessenen Beschreibung von „Urbanität“. Zum Selbstverständnis der modernen Stadtgeschichtsschreibung vgl. Reulecke, Moderne Stadtgeschichtsforschung, S. 21–36. 84 Ritter/Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich, S. 68. 85 Hardtwig/Tenfelde, Einführung, S. 10. 86 Krabbe, Deutsche Stadt, S. 88. 87 Vgl. etwa Kaschuba, Überwindung der Distanz, bes. S. 102–108. 88 Hardtwig/Tenfelde, Einführung, S. 11; Wischermann, Wohnung und Wohnquartier, S. 57–84.
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Großstädte zu Motoren sozialer Innovation.89 Insgesamt wirkten sowohl der rasante Anstieg des Bevölkerungswachstums, als auch wirtschaftliche Strukturveränderungen katalysatorisch auf die „gewaltigen Bevölkerungsverschiebungen“ und führten schließlich „zu einem irreversiblen Wandel des Städtewesens.“90 Dass diese unterschiedlichen Räume nicht vollends starr und stabil waren, wurde in der Forschung bereits herausgearbeitet, die auf die Verschiebung von Grenzen „infolge kultureller oder auch kommunikationstechnischer Veränderungen“ hingewiesen hat.91 Dabei waren die jeweiligen Wohnbedingungen des Milieus prägend für die Wertorientierung der Arbeiter, was im gegenseitigen Miteinander und sozialen Verhaltens der Arbeiter im Allgemeinen seinen Ausdruck fand.92 Neben den bereits angeführten Veränderungen, änderte sich durch den erhöhten Wohnraumbedarf in den Städten auch das architektonische Bild. Ein Resultat aus dem Wohnraummangel bestand im Bau von Massenwohnhäusern im Stile eines Mietskasernenbaus. Dieser ließ die Menschen durch die räumliche Enge zwangsläufig häufiger miteinander in Kontakt treten, während sich somit kleinere Raumeinheiten unterhalb des Milieus oder der Straße herausbildeten.93 Die historische Betrachtung von geographischen oder politischen Räumen wurde daher durch eine erfahrungsgeschichtliche Perspektive erweitert. Die topographisch fixierten Raumbilder einer modernen Stadtgesellschaft waren also nicht ausschließlich für die Definition der räumlichen Dimension städtischen Lebens verantwortlich, sondern auch die subjektiven Erfahrungswelten der sozialen Akteure.94 Louis Wirth definierte die Stadt demzufolge als „a relatively large, dense, and permanent settlement of socially heterogeneous individuals“95, während das Leben in den Städten gleichzeitig durch die „eigene Raumerfahrung von Individuen und Gruppen, deren Sozialisation, Kommunikation und Aktionen räumlich geprägt und auf eine bestimmte Räumlichkeit hin ausgelegt sind“ bedingt war.96 Der städtische Raum strukturierte 89 Held, Territorium und Großstadt, S. 231. Held weist darauf hin, dass in der Moderne nicht nur eine „vermehrte Ansiedlung in Städten“ stattfindet, sondern eine „Verselbständigung des strukturellen Elements der Verdichtung“. Dieses macht er dort aus, wo die lokalen Faktoren, welche zu einer Stadtbildung führten nun zu einem „abstrakten Zwang oder Drang“ führten sich „überhaupt irgendwo zusammenzuballen“. 90 Krabbe, Deutsche Stadt, S. 68. 91 Ritter/Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich, S. 68. 92 Ebd., S. 582 u. S. 587; Treue, Haus und Wohnung im 19. Jahrhundert, S. 34–51. Für eine frühe alltagsgeschichtliche Perspektive vgl. etwa Niethammer (Hrsg.), Wohnen im Wandel; Teuteberg/Wischermann, Wohnalltag in Deutschland; Schildt/Sywottek, Massenwohnung und Eigenheim; Kastorff-Viehmann, Wohnungsbau für Arbeiter. 93 Vgl. für Berlin Hecker, Die Berliner Mietskaserne, S. 273–294; Mielke, Berliner Wohnungsbau, S. 202–238; Fassbinder, Berliner Arbeiterviertel; Asmus (Hrsg.), Hinterhof, Keller und Mansarde; Schulz, Von der Mietskaserne zum Neuen Berlin, S. 43–86. 94 Vgl. Weigel, Zum topographical turn, S. 151–165; vgl. Hasse (Hrsg.), Subjektivität in der Stadtraumforschung. 95 Wirth, Urbanism as a way of life, S. 8. Großstädte hatten mehr als 100.000 Einwohner. Vgl. Matzerath, Urbanisierung in Preußen, S. 243f. Diese Definition resultierte aus einem internationalen Statistikerkongress des Jahres 1887. In Deutschland drückte sich dieses in einem rasanten Anwachsen von 8 Großstädten im Jahr 1871 hin zu 48 im Jahre 1910 aus. 96 Hardtwig/Tenfelde, Einführung, S. 11.
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hierbei unterschiedliche Formen sozialer Interaktion und war nicht nur Rahmen für soziale Beziehungen. Die baustrukturelle Veränderung in Vororten oder Einwanderervierteln beeinflusste das soziale Verhalten ebenso wie die oben angesprochene Ansiedlung von Industriebetrieben. Hierbei nahmen Individuen und Gruppen ihre Stadt unterschiedlich wahr und eigneten sich ihren Stadtraum unterschiedlich an, „besuchten die einen in ihrer Freizeit Kneipen, wandten sich andere den Theatern oder Museen zu. In den modernen Großstädten entstanden räumlich und sozial getrennte Handlungs- und Sozialisationsräume.“97 Die Moderne mit ihren „Ambiguitäten“ und „Spannungen“ nahm somit auch Einfluss auf den Stadtraum.98 Neben der zunehmenden Bedeutung der Stadt als Bühne politischer Willensartikulation wird gerade die Straße zunehmend zu einem Ort des Vergnügens. Dass die Straße für das öffentliche Bild der Stadt von besonderer Wichtigkeit war, wird in einem Schreiben des Generalkommandos des VIII. Armeekorps an den Regierungspräsidenten Aachens deutlich. Hier hatte „der Ernst der Zeit [gemeint war der Erste Weltkrieg] es durchaus unzulässig erscheinen [lassen], öffentliche Tanzlustbarkeiten abzuhalten. […] welche durch überlaute Musik und Gesangsvorträge - zum Teil bei völlig nach der Straße geöffneten Türen – in reklamhafter Weise zum Besuch des Lokales verlocken und auffordern wollen.“ Jenes „derartige Gebahren“ widerstreite dem Ernst der Zeit.99 Jene Momente des Gleichzeitigen von Ungleichzeitigkeiten waren als zentrale Phänomene der Moderne ausgemacht.100 „Und dennoch: Alles deutete darauf hin, dass gerade diese spezifische Gleichzeitigkeitserfahrung mehr als alles andere die Wahrnehmung höchst unterschiedlicher sozialer und politischer, kollektiver und individueller Erfahrungsräume und damit von ‚Ungleichzeitigkeiten‘ prägte.“101 Während einerseits in zeitgenössischen Diskursen auf die Faszination der Metropolen aufmerksam gemacht wurde, spiegelten diese andererseits das Negative des großstädtischen Lebens wider, welche die Metropole zum Symbol für Chaos und Bedrohung machten.102 Jene Großstadtkritiken beschrieben ein rasantes Wachstum in den Städten, während das Land verarmte. Probleme, die mit der hohen Wohndichte und einer
97 Zimmermann, Die Zeit der Metropolen, S. 11. 98 Frisby, Cityscapes of Modernity, S. 2. 99 LAV NRW R, BR 0005, Nr. 22754, ohne fol., Schreiben Stellv. Generalkommando des VIII Armeekorps Abtlg. IIc. Nr. 6816 an Regierungspräsidenten Aachen, Coblenz 21. Dezember 1914. Vgl. die spätere Zustimmung des Ministers des Innern während der Revolution. LAV NRW R, BR 0005, Nr. 22754, ohne fol., Schreiben Minister des Innern, IIe 687, an Regierungspräsidenten und Oberpräsident Berlin, Berlin 14. März 1919. 100 Krisendiskurse der Moderne bei Drehsen/Sparn, Die Moderne. Kulturkrise, S. 11–29; vgl. etwa Fritzsche, Landscape of Danger, S. 29–46. 101 Geyer, Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, S. 172. Konstitutive Merkmale von Großstadterfahrungen äußern sich in Nachbarschaften und Netzwerken, im verdichteten Stadtverkehr, einer umfassenden Unruhe, sowie der Beschleunigung von Informationen und Menschenströmen; zum Verhältnis von Individualität und Modernität vgl. Föllmer, Individuality and Modernity in Berlin. 102 Alter, Im Banne der Metropolen, S. 11.
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daraus resultierenden Krankheitsgefahr zusammenhingen, wurden durch das Leiden von Hunger und den Entbehrungen durch Krieg forciert.103 Viele Punkte dieser Kritik hatten gemein, dass sowohl die Entwurzelung der Großstadt mit der einhergehenden Ferne zum Land, aber auch die zunehmende Beschleunigung bei gleichzeitiger Belastung des Menschen durch Enge und Eintönigkeit in den Städten als räumliche Phänomene zu interpretieren sind.104 Auf die Beziehungen zwischen den Lebensweisen der Menschen und den Stadtformen hat bereits Ferdinand Tönnies hingewiesen, auf den sich einige Zeit später Georg Simmel mit seiner Unterscheidung von Kleinstadt und Großstadt bezogen hatte.105 Simmel hat Raum als formale Beziehung des Sozialen aufgefasst, als „Möglichkeit des Beisammenseins“.106 Die mit den negativen Begleiterscheinungen einhergehenden Phänomene des rasanten Städtewachstums äußerten sich nicht zuletzt in der massiven Beschleunigung des städtischen Alltagslebens, sondern auch in dessen räumlicher Verdichtung, sowohl in Form von Menschenanhäufungen, als auch der materiellen Verdichtung der Stadt und deren Ausbreitung. Gegenüber dem langsamen Rhythmus des Dorfes und der Kleinstadt wurde dem großstädtischen Leben ein zunehmend beschleunigtes Tempo zugeschrieben, mit welchem eine nahezu grenzenlose individuelle Freiheit einhergehe.107 In dieser Situation der „Reizüberflutung“ entwickelt der Großstädter die „Blasiertheit“, die Simmel als eine „künstliche Stumpfheit, eine Art gleichförmiger Maske, hinter der er seine persönlichen Regungen verberge“ interpretierte.108 Die Moderne spiegelte sich den Zeitgenossen besonders im Verkehr, im Tempo, in der Architektur und der Technik wider. All dies waren vor allem „urbane Draußenerlebnisse“, welche die Bestandteile einer öffentlichen Straßenwelt darstellten.109 Dieser neue Urbanisierungs- und Modernisierungsschub, beispielsweise Berlins, drückt sich auch darin aus, dass wissens- und sensationsgieriges Publikum auf die Straßen zogen, wo man in erster Linie schnell an Informationen gelangen konnte. Die Presse- oder Rundfunkmeldungen wurden zum Anlass genommen, „die Orte des Geschehens selbst aufzusuchen, um schauend und schaudernd, gerührt und gaffend ‚Dabei zu sein‘.“ Es sei „auch eine neue öffentliche Straßenkultur, die in dieser Großstadtlandschaft entsteht“ und sich als ein „komplexes System urbaner Öffentlichkeit“ präsentierte.110 Bereits Walter Benjamin hat darauf hingewiesen, dass die Bewohner von 103 Held, Territorium und Großstadt, S. 232. 104 Zur Deutung des Stadt-Land-Gegensatzes vgl. etwa Tenfelde, Stadt und Land, S. 55. 105 Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft, S. 74; Simmel, Großstädte und Geistesleben, S. 192– 204; dazu Nolte, Georg Simmels Historische Anthropologie der Moderne, S. 225–247. Gegen einen Raumdeterminismus wendet sich Simmel erstmals im 9. Kapitel seines Hauptwerkes Soziologie. Über räumliche Projektionen socialer Formen, S. 201. 106 Simmel, Soziologie, S. 689. 107 Zimmermann/Reulecke (Hrsg.), Die Stadt als Moloch?; Zum Verhältnis von Stadt und Land vgl. etwa Tenfelde, Die Welt als Stadt?, S. 233–264. 108 Simmel, Großstädte und Geistesleben, S. 9. Zu berücksichtigen ist hier, dass Simmel einen Idealtypus von Interaktionssituationen im Stadtzentrum beschreibt. 109 Kaschuba, Berliner Straßenleben, S. 228. 110 Ebd., S. 228.
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Paris eine besondere Fähigkeit entwickelten, „ihre Straßen zu bewohnen [und sich] in seinen Szenen, als unterschiedlich und doch zusammengehörig, als lebendig, hektisch, aber auch beschaulich“ zu fühlen.111 Jene Massendynamik wurde als „ein Strömen und Fluten, Wirbeln und Strudeln von Menschen, in dem es sich unaufhörlich alles verschiebt“ interpretiert. Dieser ununterbrochene Wechsel gehöre Hellpach zufolge dazu, „ohne ihn müßte der Verkehr, die Massendynamik ins Stocken kommen, vermöchte die Enge mit der Menge gar nicht fertig zu werden. Nur weiter, weiter! Diese Losung der Atemlosigkeit gehört zur Existenzform des großstädtischen Straßenlebens.“112 Die Urbanisierung, welche sich in verstärkter Mobilität, einer stärkeren Angleichung kultureller Normen, oder generell als angesagter Lebensstil kristallisierte, erreichte mit Beginn des Ersten Weltkrieges ihren Höhepunkt.113 Mit der großstädtischen Lebensform assoziierte Wirth Heterogenität, Dichte und Masse.114 Für die zurückkehrenden Kriegsteilnehmer äußerte sich dieses in einer vergrößerten Wohnungsproblematik, was ein Umdenken in der Wohnungsbaupolitik erforderlich machte. Nach der Revolution war ein aus öffentlichen Mitteln finanziertes soziales Wohnungsbauprojekt angestoßen worden, welches jedoch erst zu Beginn der 1920er Jahre realisiert werden konnte.115 Frühen stadtsoziologischen Ansätzen wie denen Simmels und Wirths gemein ist daher die Frage der Wirkung von Stadt auf das Individuum. Folglich ist auch die Frage des Verhältnisses von Materialität und Akteur von Relevanz.116 Die räumliche Enge der Großstadt forcierte einerseits die Erfahrung von bedrückender Enge, während andererseits die ständige Anwesenheit vieler einander unbekannter Menschen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen Situationen der Konfrontation schuf. Die neue Form der räumlichen Bebauung der Großstädte mit der Präsenz und dem Umgebensein sozialer Akteure beeinflusste die Räume des Arbeitens, Wohnens, allgemein des sich Bewegens, aber auch der Freizeit und veränderte somit den Alltag der Menschen. Die Wahrscheinlichkeit des einander Begegnens wurde erhöht. Richard Sennett hat die Stadt demnach als eine Siedlungsform bezeichnet,
111 Benjamin, Das Passagen-Werk, S. 531. 112 Hellpach, Mensch und Volk der Großstadt, S. 67 Vgl. Simmel, Soziologie, S. 236. Simmel hat hier auf einen Nomadismus von Gruppierungen hingewiesen, die am Ende immer dieselben Stätten aufsuchten. 113 Vgl. etwa Lichtenberger, Stadtentwicklung in Europa, S. 7; Jasper, Urbanisierungsprozeß, S. 12; Reulecke, Geschichte der Urbanisierung, S. 11. 114 Wirth, Urbanität als Lebensform, S. 42–66. Nach Wirths These erhöhe sich beim Steigen der Größe und Dichte der Bevölkerung auch die Arbeitsteilung, während das kulturelle und soziale Leben an Differenzierung zunehme. 115 Zur Situation der Städte während des Krieges Winter, Capital Cites at War; Chickering, Freiburg im Krieg. Zur Neuorientierung des Wohnungsbaus vgl. Schulz, Von der Mietskaserne zum Neuen Bauen, S. 60–74. 116 Für eine Kritik des Ansatzes von Wirth vgl. Häußermann/Siebel, Stadtsoziologie, S. 93. Wirth interpretiere die Stadt als selbständige soziale Einheit, wonach er die „gesellschaftlichen Ursachen des Beobachteten“ vernachlässige.
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„die die Begegnung einander fremder Menschen wahrscheinlich macht“.117 Die räumliche Dichte führe Simmels „innerer Objektivierung des Subjektes gegen das größer werdende Gewicht der Objektwelt“ zufolge zu einer geringeren Anteilnahme, verbunden mit einer schwächeren Integration und niedrigerer institutioneller Verbindlichkeiten der Akteure.118 In den Städten spiegelten sich daher sowohl Zukunftserwartungen und Hoffnungen, als auch Ängste und Skeptizismus wieder. Dieses veränderte den äußeren Charakter der Stadt, aber auch dessen Image. Beides ließ sie ambivalenter erscheinen als vor Beginn der Moderne.119 Diese Ambivalenz, welche sich in einer rasanten Dynamik und Situationsoffenheit äußerte, erreichte in der Revolution gerade im Kampf um den städtischen Raum und der Zerstörung einer städtischen Öffentlichkeit seinen Höhepunkt, weshalb sich die Errungenschaften der Revolution auch in diesem neuen Verhältnis zum öffentlichen Raum widerspiegeln. Im Januar 1919 titulierte die Delegation der gesamten Soldatenräte der Ostfront in einer politischen Werbeschrift, was die Revolution gebracht habe.120 Interpretiert man die hier in drei große Blöcke visuell strukturierten Antworten in raumanalytischer Perspektive, so wird schnell deutlich, dass gerade die neuen Errungenschaften zutiefst räumlichen Charakter besitzen. Zu allererst habe man, so die Werbeschrift, eine Volksrepublik geschaffen mit gleichem Wahlrecht, dem Frauenwahlrecht und einem Wahlrecht ab dem 20. Lebensjahr, während man gleichzeitig alle Dynastien abgeschafft, die Gutsbezirke und Gesindeordnung aufgehoben und eine neue Form lokaler Verwaltungseinheiten in Form der Räte installiert habe. Neben der „Zerschmetterung des Militärs“ und der Etablierung eines „Achtstundentags“ ist auch die neu gewonnene Versammlungsfreiheit als Raumgewinn zu verstehen. Spätere Ereignisse wie der Kapp-Putsch und die Märzunruhen werden jedoch zu diesem Zeitpunkt zeigen, dass diese Errungenschaften nur von begrenztem Wert waren. 1.4 ZUSAMMENFASSUNG Um eine funktionierende Demobilmachung und die Wiedereingliederung der Soldaten in den Alltag zu ermöglichen, war ein ordnungsgemäßes und in Bahnen gelenktes Vorgehen erforderlich. Die Reintegration von tausenden nun arbeitslosen Menschen erforderte gerade auch im Hinblick auf die Versorgungslage und potentielle Hungerproteste ein gewisses Fingerspitzengefühl im Umgang mit dieser Situation. Die mit der Demobilmachung einhergehenden Massen an zurückkehrenden Menschen in die Städte des Reiches verursachten daher auch eine gewisse Angst, dass die Ordnung des öffentlichen Raumes nun massiv gestört werden könnte. 117 Sennett, Fleisch und Stein, S. 60f. Vgl. auch Held, Territorium und Großstadt, S. 240. Held hat diese Definition aufgegriffen und erweitert, indem diese neue Dichte als eine „Verdichtung in der Bewegung“ auszumachen sei, welche sich beispielsweise im Verkehr ausmachen ließe. 118 Held, Territorium und Großstadt, S. 249; vgl. Simmel, Großstädte und Geisteslebens, S. 202. 119 Vgl. Joll, Großstadt, S. 23. 120 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 40, Plakat „Was hat uns die Revolution gebracht?“
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Umso wichtiger war daher ein erster Kontakt an den Bahnhöfen in den Städten, um den Soldaten ihre Heimat in geordnetem Zustand zu präsentieren. Im Zuge einer sich seit der Jahrhundertwende zunehmend entwickelnden und ausdifferenzierenden Protestkultur zeigte die nun folgende Entwicklung von spontanen und unorganisierten Protestformen hin zu geplanten Protesten politischen Charakters, dass sich dieses auch in einer sozial differenzierten Wahrnehmung und Einsetzung von Raum widerspiegelte, die die Akteure in der Kontrolle des eigenen kollektiven Territoriums oder des Angriffs auf die im Viertel dominierende Ordnung zur spezifischen Willensäußerung auszudrücken vermochten.121 Raum hatte bereits vor der Revolution Anteil an den Subjektivierungsprozessen der sozialen Akteure. Die späteren Jahre der Weimarer Republik sollten zeigen, dass der Kampf um das öffentliche Terrain zum festen Bestandteil des Alltags der Menschen geworden war.122 Betrachtet man die Protestzüge der späten 1920er Jahre, so wird man feststellen, dass diese offenbar einer gewissen Logik folgten, wenn beispielsweise Kommunisten um Weihnachten besonders in die Viertel der Reichen zogen, sich somit ein Publikum suchten.123 Besonders in den Städten spiegelten sich sowohl Zukunftserwartungen und Hoffnungen, als auch Ängste und Skeptizismus wider. Dieses veränderte den äußeren Charakter der Stadt, aber auch dessen Image. Beides ließ sie ambivalenter erscheinen als vor Beginn der Moderne.124 Diese Ambivalenz, welche sich in einer rasanten Dynamik und Situationsoffenheit äußerte, erreichte in der Revolution gerade im Kampf um den städtischen Raum und der Zerstörung einer städtischen Öffentlichkeit seinen Höhepunkt, weshalb sich die Errungenschaften der Revolution auch in diesem neuen Verhältnis zum öffentlichen Raum widerspiegeln, denn die zentralen Probleme einer krisenbehafteten Moderne waren räumlicher Art. Diese trug maßgeblich dazu bei, Situationen der Konfrontation zu schaffen.
121 Vgl. Lindenberger, Straßenpolitik, S. 274f. 122 Vgl. etwa Rosenhaft, Beating the Fascists?; Swett, Neighbors and Enemies; SchmiechenAckermann, Nationalsozialismus und Arbeitermilieus. 123 Vgl. etwa Rote Fahne Nr. 265 vom 25. Dezember 1929. 124 Vgl. Joll, Großstadt, S. 23.
2. DIE ARENEN POLITISCHER KÄMPFE ALS BRENNPUNKTE DER REVOLUTION Die Ausgestaltung von Räumen in konkrete Orte ist Thema des folgenden Kapitels. Gefragt wird nach den Orten, an denen sich revolutionäre Situationen abspielten. Da die Analyse aufgrund der breit angelegten Untersuchungsräume nicht in Form von Mikrostudien der jeweiligen Städte erfolgen kann, wird das Kapitel wie ein Reiseführer für die Leserin und den Leser funktionieren. Hierfür folgt das Kapitel einem analytischen Dreischritt. Zunächst wird der Fokus auf den Stadtraum Berlin gelegt. Während hierfür paradigmatische Orte in ihrer physischen und topographischen Ausgestaltung vorgestellt werden, wird in einem nächsten Schritt das Ruhrgebiet als ein Makroraum interpretiert. Gerade hier waren es ganz unterschiedliche Städte an verschiedenen Punkten der Region, welche für die Entwicklung des Revolutionsgeschehens eine wichtige Rolle einnahmen. In einem letzten Schritt erfolgt die modellhafte Einteilung von Stadträumen in Mikroräume. Mit dem hier gewählten analytischen Vorgehen soll und kann also keine dichte Beschreibung der Untersuchungsräume geleistet werden, was sich in der zu großen Heterogenität der Untersuchungsorte begründet. Dies leisten vielmehr jene Arbeiten, die sich als Beitrag zur Historiographiegeschichte einer bestimmten Stadt verstehen.1 Analysen ganzer Straßenzüge stehen daher nicht im Fokus dieser Arbeit. Vielmehr soll die Aufmerksamkeit auf die räumliche Ausprägung historischer Orte gelenkt und die Beschreibung von Orten stark gemacht werden.2 Alle diese drei Raumeinheiten als physisch konkrete Räume sind daher in den weiteren Analysen der vorliegenden Arbeit von Bedeutung. Sie bilden das Fundament der historischen Analysen, wenngleich sie nur eine Form der Ausgestaltung sozialer Wirklichkeit darstellen. Eine Raumgeschichte der Novemberrevolution sollte sich zunächst mit ihrer räumlichen Dimension ihres geschichtlichen Geschehens auseinandersetzen. Im Fokus stehen Orte, die die Revolution geprägt haben, aber auch von der Revolution geprägt wurden. Als Bühne für kleine und große Übergänge ließen sie die Revolution als diffuses Ereignis erst erkenn- und lesbar werden. Hierfür werden im Kapitel materielle Voraussetzungen beschrieben. Die Aufteilung des physischen Raums erfolgt in punktuelle Räume, also in signifikante Orte, Gebäude, oder Straßenzüge. Anhand exemplarischer Orte wird so vom Konkreten auf das Allgemeine zu schließen sein und Orte somit in ihrer konkreten Totalität zu kennzeichnen versucht.3 Diese Ortsbeschreibungen dienen somit als Aussichtspunkte einer Topographie der
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In beeindruckender Weise hat dieses Pamela Swett für das Berlin der späten Weimarer Republik getan. Vgl. Swett, Neighbors and Enemies. Vgl. etwa Schlögel, Räume und Geschichte, S. 43. Ebd., S. 51.
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Revolution, während gleichzeitig auf die Komplexität des städtischen Raums hingewiesen werden kann. Diesem Vorgehen liegt indirekt die Annahme zugrunde, dass nicht nur Geschichte einen Ort besitzt, sondern auch Orte eine Geschichte.4 Zunächst wird der Fokus also auf Berlin gelegt, in dem sich revolutionäre und gegenrevolutionäre Formationen bündeln, was die Reichshauptstadt zum paradigmatischen Beispiel werden lässt. München mit seinem agrarisch strukturierten Umland wird in der Studie lediglich als Kontrollbeispiel punktuell herangezogen, während der westfälische Raum des Industriegebiets als regionaler Raum in seiner für das revolutionäre Geschehen wichtigen Ausprägung als Alleinstellungsmerkmal wiederum einen Schwerpunkt der Arbeit ausmacht. Stadt und Region bildeten als Mikro- und Makroräume somit besondere Raumeinheiten, welche jedoch noch nicht das Verhältnis zwischen Raum und Ort beinhalten.5 Hierfür werden kleinere Einteilungen wie das eigene Viertel, konkrete Treffpunkte in Wirtshäusern oder Kneipen, aber auch die Straße als eigener Mikrokosmos in ihrer räumlichen Ausprägung vorgestellt. Topographische Brennpunkte der Revolution waren oftmals Orte des öffentlichen Geschehens. Zum einen waren dies Gebäude der staatlichen Repräsentanz, wie das Reichstagsgebäude, das Brandenburger Tor, die Polizeipräsidien oder Kasernen. Zum anderen waren dieses Gebäude, die für die Aufrechterhaltung der Kommunikationsstrukturen, besonders die Verlagsgebäude Ullstein, Mosse, die Reichsdruckerei oder das Wolff’sche Telegraphenbüro, wichtig waren. Die Orte der öffentlichen Auseinandersetzungen stellten jedoch auch die Orte des Alltags, der zahlreichen Plätze, Straßen, Cafés, Geschäfte und Parks dar. Auch sie waren Orte der Zusammenkunft und prägten das revolutionäre Stadtbild. Die Räume zwischen diesen Orten der Auseinandersetzungen wurden durch Straßen und Wege miteinander verbunden. Durch den gewohnten Alltag bewegten sich die Menschen in „Kanälen“ und waren in ständiger Bewegung.6 Ohne die Handlungen dieser Akteure konnten jene Orte zunächst nicht als Brennpunkte und Wahrzeichen der Stadt markiert werden. Im Zuge der Beschreibung topographischer Brennpunkte geht es zunächst jedoch weniger um die spezifische Aufladung dieser Räume mit Bedeutungen, sondern um die Geschichte der Oberfläche und der Ortsbeschreibungen des revolutionären Geschehens. Der Argumentation liegt die These zugrunde, dass es während der Revolution zu Transformationsprozessen kommen konnte, in denen öffentliche und private Räume miteinander verschmolzen, sodass private Räume zu einem Teil des öffentlichen Geschehens gemacht wurden. Jene Form der Kospatialität äußerte sich also in einer Überlagerung oder im Ineinandergreifen von mehreren Räumen am selben Ort. Diese Transformationsprozesse spiegelten sich oftmals im Wechsel des öffentlichen und privaten Raums wider, beispielsweise dann, wenn Privathäuser 4 5
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Schlögel, Räume und Geschichte, S. 43. Zum Verhältnis von Räumen und Orten vgl. Tuan, Space and Place; vgl. ebd., Topophilia, S. 4. Tuan untersucht hier „the affective bond between people and place or setting.“ Vgl. Casey, „Smooth Spaces and Rough-Edged Places“, S. 267–296; vgl. etwa auch die Überlegungen bei Hessler, Die kreative Stadt, S. 11–13, hier S. 11. Demnach „konkretisieren sich Raumvorstellungen in Orten“. Vgl. Lynch, Kevin, Das Bild der Stadt, S. 60f.
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zweckentfremdet wurden und fortan als Verteidigungsorte für kämpfende Gruppen dienten.7 Die Komplexität des städtischen Raumes äußerte sich daher in den Beziehungen und Zusammenhängen verschiedener Orte. Als komplexer Raum vereinen sie Orte der Kommunikation, wie sie Bahnhöfe, oder Verkehrsmittel darstellten, aber auch in Form neuer Bautypen. Sie eint, dass sie während der Revolution zu Arenen der Auseinandersetzungen wurden. Die Kartierung der revolutionären Brennpunkte dient somit der Vorbereitung der weiteren Argumentationsschritte, in denen die „projektive Segmentierung städtischen Terrains durch das Soziale [und Kulturelle] […] die Differenz von Herrschaft und Abhängigkeit“ bestimmt und sich vielfach in der Differenz von Zentrum und Peripherie widerspiegelt.8 Die Vorstellung von als gefährlich oder sicher eingeschätzten Orten ist zunächst ein mentaler Prozess, der sich dann in seiner materiellen Konfiguration manifestiert. Die Zonierung von Räumen entlang realer Orte wird dann Teil des letzten Argumentationsschrittes der Studie sein. Grenzen werden dann im Sinne Simmels nicht nur als soziologische verstanden, die sich räumlich formen, sondern auch als kulturelle, die Zuschreibungsprozessen unterliegen. Die Grenzen sozialer Differenzierung waren Maderthaner und Musner zufolge weniger durch baulich-ästhetische Unterschiede festgelegt, „als durch die soziale Markierung urbaner Territorialität. Nicht die materielle Stadtgestalt allein lokalisiert die unterschiedlichen sozialen Gruppierungen und Klassen, sondern kulturelle Praxisformen, die unterschiedlichen Wahrnehmungen und Nutzungen städtischen Terrains ebenso wie das Ausmaß wechselseitiger Kommunikation bzw. Abschottung festlegen.“9 Auf der Gesamtebene des Reiches wurde die territoriale Gliederung durch die Umwälzung des revolutionären Geschehens „zunächst nicht berührt.“10 Während das durch die Arbeiter- und Soldatenräte fast überall vertretene Volk an die Stelle der bisherigen Inhaber der höchsten Gewalt getreten war, hatte sich der Gebietsumfang dieser höchsten Gewalt nicht geändert. In einem Schreiben der Reichsregierung an den Minister des Innern wurde darauf aufmerksam gemacht, dass „eine Änderung der Grenzen der einzelnen ehemaligen Bundesstaaten […] der Zustimmung der Reichsregierung [bedarf], da sie eine Abweichung von den in Deutschland geltenden Gesetzen enthält und die gesetzgebende Gewalt von den Trägern der Souveränität auf den Rat der Volksbeauftragten übertragen ist.“11 Die äußere Form 7
BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Schreiben Staatskommissariat für Südbayern an Stadtkommandantur Polizeidirektion München, München 26. Juni 1919. In Zivil gekleidete Herren erschienen in der Privatwohnung der Paula Kurz, um dieser eine vermeintlich aus Heeresbeständen gestohlene Decke zu entnehmen. 8 Maderthaner/Musner, Die Anarchie der Vorstadt, S. 14. 9 Ebd., S. 9. Vgl. Nova/Jöchner (Hrsg.), Platz und Territorium; Kostof, Die Anatomie der Stadt, S. 124. „Im öffentlichen Raum geht es vor allem darum, Gemeinschaft zu stiften und gesellschaftliche Konflikte auszutragen: eine paradoxe Zielsetzung.“ 10 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 22, Schreiben Reichsregierung an Minister des Innern betr. Schreiben vom 22. Dezember I 5034, 23. Dezember 1918. 11 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 22, Schreiben Reichsregierung an Minister des Innern betr. Schreiben vom 22. Dezember I 5034, 23. Dezember 1918.
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des Reichs hatte sich zunächst also nicht verändert und dieses war von der neuen Reichsregierung auch nicht beabsichtigt. Eine Veränderung der Gebietsgrenzen brächte so in dem von Ebert und Haase unterzeichneten Schreiben der neuen Reichsregierung eine „unnötige Erschwerung in der Verwaltung der Einzelstaaten“ mit sich, welches bei den „schweren Aufgaben der Demobilmachung und Volksernährung“ unbedingt zu vermeiden sei. Die Kämpfe um den feudalen Raum der Kaiserzeit und deren Transformation zu neuen demokratischen Räumen in den Städten fand daher im selben deutschen Territorium statt.12 Territorium kann hierbei als sozial und kulturell zugehöriger und zugeordneter Raum verstanden werden, in dem die Architektur erkennbare Grenzen schafft, mit denen Zonen, Besetzungen, und Arealen entstehen.13 2.1 STADTRÄUME – REVOLUTIONÄRE RÄUME Nach Ausbruch der Revolution fragte sich der Berliner Architekt Max Wagenführ, ob es eine „revolutionäre Architektur“14 gebe. „Steht nicht die Baukunst so fest gegründet, in der Überlieferung wie in der technischen Erfahrung, daß sie aus der Bahn der stetigen Entwicklung überhaupt nicht hinausgedrängt werden kann, ohne ihren Namen zu verlieren?“ Max Wagenführs Fragestellung muss ungewöhnlich auf seine Zeitgenossen gewirkt haben. Dennoch scheint für ihn eine Verbindung zwischen der Revolution und der materiellen Ausgestaltung seiner Stadt denkbar gewesen zu sein. Er selbst beschrieb seine Zeit als eine „der größten Umwälzung aller Zeiten.“ Da sich in der Baukunst oder allgemein der Kunst der Geist der Zeit zeichne, müsse sich dieses auch in der Architektur der Revolutionszeit widerspiegeln. „Einzelne Impulse der Revolutionszeit von 1918/19 wirkten im Berlin der zwanziger Jahre weiter. […] Auch glaubten und hofften die Architekten und Planer, durch Veränderung der Umwelt den Menschen verändern zu können. So waren die Großsiedlungen und Volksparks Aufforderung zu neuen Formen kollektiven Wohnens und Lebens. Manches wurde zum Vorbild für andere Städte: die Zusammenfassung der Verkehrs- und Versorgungssysteme in städtischen Gesellschaften, die Siedlungen und deren Erschließung durch städtische Verkehrsmittel.“15
12 Trotzdem muss immer auch eine globale Dimension revolutionärer Raumerfahrung mitgedacht werden, wenn beispielsweise russische Bolschewisten die deutschen Spartakisten bei ihren Aktionen unterstützten und so ihre eigenen Raumerfahrungen mit einfließen ließen. Vgl. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 297, Reichswehrbrigade 31 Abt. Ia Nr. 4042, an Oberpräsident Münster, betr. Bahnüberwachung, Münster 24. März 1920. Dort wurde berichtet, dass die bolschewistische Bewegung im Industriegebiet „zur Zeit immer noch von aussen her unterstützt“ wird, da die „Terroristen […] Zuwachs durch Bolschewisten aus anderen Teilen Deutschlands, aus Russland, Polen und Ungarn erhielten. 13 Zum Begriff Territorium vgl. etwa Sack, Human Territory, S. 32; vgl. auch Dear/Wolch, Wie das Territorium gesellschaftliche Zusammenhänge strukturiert. 14 Hier und im Folgenden Berliner Architekturwelt Nr. 21 (1919), S. 41f. 15 Korff, Berlin, S. 366f.
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Die Wirklichkeit musste sich jedoch anders gestalten. Weite Teile Berlins waren durch die Massenbauweise der Mietskasernen geprägt. Die überall herrschende Wohnungsnot, das Kinderelend, die Wohnsituation von Arbeitslosen in lichterlosen Hinterhöfen, Not- und Massenquartiere prägten das Bild der Städte, gerade Berlins. Die Revolution war in erster Linie ein städtisches Phänomen. Es sei unwahrscheinlich, so in den Nachrichtenblättern des Wehrkreiskommandos, dass „die erwarteten Unruhen einen derart lähmenden Einfluß auf das weitere Land ausüben werden, wie die Ereignisse im April. Handel und Wandel in der Stadt erhalten zweifellos jetzt schon eine gewisse Rückenstärkung durch die antirevolutionäre Stimmung auf dem Lande. Dort beginnt der Gesundungsprozess.“16 Während in Kiel und München bereits mehrere Unruhen ausgebrochen waren und man mit der Einrichtung von Bürgerwehren reagierte, um den städtischen Raum zu sichern, war dies auch Thema der Berliner Stadtverordnetenversammlung vom 7. November 1918.17 Während der Versammlung erreichte die Versammlungsteilnehmer die Nachricht, dass sich offenbar schwere Tumulte auf dem Alexanderplatz abgespielt hatten, die sich nach Bürgermeister Wermuth im Nachhinein als „harmloses Straßengetöse“ abtaten.18 Der städtische Raum in seiner alltäglichen Funktionalität begann sich in diesen Tagen entscheidend zu wandeln. Oberbürgermeister Adolf Wermuth, der in der Zwischenzeit beschlossen hatte, den Winter im Hotel Savoy zu verbringen, um den Ereignissen möglichst nahe zu sein, berichtete von mehreren hundert Menschen, die ihm auf dem Rückweg zum Hotel am 8. November aus der Behrenstraße mit den Worten „Abdanken, abdanken!“ entgegenkamen. Wermuths treffende Beschreibung der Situation als „Umklammerung“ sollte in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten das alltägliche Bild des Berliner Straßenlebens prägen. „Ungeordnete Haufen waren nacheinander vor fast allen städtischen Werken aufgetaucht und hatten verlangt, daß die Betriebe sofort stillgelegt werden, wenn man die Zerstörung der Anlagen vermeiden wolle. Den ganzen Nachmittag erschienen bewaffnete Scharen oder unbewaffnete Abordnungen, um zu forschen, was wir trieben, ob nicht Truppen und Waffen bei uns verborgen seien. Ein Höhepunkt ward erreicht, als bei Dunkelwerden Adolf Hoffmann, der Berliner Stadtverordnete, in meinem Vorzimmer Zutritt zum Oberbürgermeister forderte. Als ich die Tür öffnete, stand er da an der Spitze eines jugendlichen Haufens, der mit Säbel und Flinte einen furchtbaren Eindruck erweckte oder zu erwecken gewillt war.“19
Die sich vor dem Rathaus versammelte Masse zehntausender Leute wollte wissen, wieso man auf dem Rathaus ein Maschinengewehr aufgestellt habe. Das vermeintliche Maschinengewehr auf dem Dach stellte sich als Signalstation des Militärs heraus. Allein die Vermutung der Bewaffnung des Verwaltungsbaus hatte zum Sturm 16 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5435, fol. 4, Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos 2 Ii Nr. 119 pers. Nachrichtenblatt 6, Cassel 8. November 1919. 17 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 36, Schreiben Reichskanzler, I M 3788, an Parteivorstand SPD Kiel und Minister des Innern, Berlin 4. November 1918. Das alltägliche Straßenbild hatte sich in Kiel bereits am 3. November stark verändert. Militärabteilungen patrouillierten mit geladenen Gewehren in den Straßen, weil man Streiks befürchtete. 18 Wermuth, Ein Beamtenleben, S. 412. 19 Ebd., S. 413f.
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auf dieses geführt, womit der Alltag völlig durcheinandergeraten war. Um am 10. November zur Reichsbehörde zu gelangen, um über die Ernährungsfrage zu diskutieren, musste Wermuth mehrere ihm zuvor überbrachte Pässe an verschiedenen Stellen der Stadt vorzeigen. Je nachdem, ob „die Hüter des Platzes oder der Straße diese oder jene Unterschrift zu achten geneigt waren“, konnte Wermuth zur Reichsbehörde gelangen.20 Die Eindrücke des Oberbürgermeisters reichten jedoch nicht aus, um die Veränderungen des Stadtbildes zu beschreiben. Gewandelt hatte sich auch die „Physiognomie“ des Berliner Straßenlebens mit einer „erdrückende[n] Fülle an Sinneseindrücken, die der Bewohner der Stadt täglich zu verarbeiten hatte, die Plakate, die Flugblätter, die Rufe der Zeitungsverkäufer, der Verkehr forderten die Wahrnehmungsfähigkeit des Großstadtbewohners immer wieder aufs neue.“21 Das Abwenden vom Kaiserreich ließ zudem die „alten architektonischen Marksteine, egal ob alt-preußisch oder wilhelminisch, den Anforderungen der neuen Zeit nicht mehr genügen, ließ die Vernachlässigung der symbolischen und repräsentativen Architektur und die Beschränkung auf den Wohnungsbau durch die republikanische Stadtverwaltung um so offener zu Tage treten.“22 Zu Beginn des Kaiserreichs war Berlin zur Reichshauptstadt aufgestiegen und machte doch mit den 800.000 Einwohnern eher einen „provinziellen Eindruck“ auf seine Besucher.23 Der rasante Anstieg der Bevölkerungszahl auf knapp zwei Millionen Menschen zur Jahrhundertwende machte die Stadt zu einer Metropole im Reich.24 Die sukzessive Vergrößerung der Stadt unter Einfluss massiver Dezentralisationstendenzen hin zur Zentralisation, gipfelte schließlich in der Eingemeindung vieler Vororte im Oktober 1920 zu Groß-Berlin, welches den Vergleich zu den anderen großen Weltstädten nicht mehr zu scheuen brauchte.25 Das riesige Häusermeer der Großstadt als politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Reiches symbolisierte die Zukunft, während die ländlichen Bereiche oftmals als traditionell und der Vergangenheit zugehörig galten.26 Vor der Eingemeindung war der Charakter der einzelnen Städte allgemein bekannt. Während Neukölln und Lichtenberg als Arbeiterstädte galten, genoss Charlottenburg
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Wermuth, Ein Beamtenleben, S. 416. Kiecol, Selbstbild und Image, S. 175. Ebd., S. 176; vgl. Reuther, Die große Zerstörung Berlins. Brunn, Einleitung, S. 1; vgl. Brunn, Die deutsche Einigungsbewegung, S. 17. Hofmeister, Berlin. Eine geographische Strukturanalyse, S. 47–58. Zur Entwicklung der Flächen der Stadtteile vgl. Schinz, Berlin, Anhang, Tabelle 4; vgl. etwa auch Fischer, Die Entwicklung Berlins, S. 405f. 25 Hierzu zählten Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Neukölln, Lichtenberg, Köpenick und Spandau. Desweiteren wurden 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke mit Berlin zu einer neuen Verwaltungseinheit zusammenfügt. Vgl. Kettig, Berlin, S. 447; Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde vom 27. April 1920, abgedruckt in: Engeli/Haus, Quellen, S. 579– 605; vgl. Hofmeister, Berlin, S. 47–58; vgl. Rach, Die Dörfer in Berlin, S. 7–14. Zum „Spannungsfeld“ von Gemeinde, Staat und den politischen Kräften vgl. Bey-Heard, Hauptstadt und Staatsumwälzung. S. 13–19. 26 Lees, Berlin als Vorstellungswelt, S. 45.
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den Ruhm einer wohlhabenden Stadt. Schöneberg und Wilmersdorf besaßen demgegenüber eher bürgerlichen Charakter.27 Im Kontext des Hobrecht-Plans, einem umfangreichen Bauvorhaben für die Umgebung Berlins von 1862, sollte ein Teil des Berliner Umlandes und angrenzender Orte in das Zentrum einbezogen werden, um die bereits lange herrschenden Probleme in den Griff zu bekommen. Hier entstand ein System breiter Straßen und repräsentativer Plätze, welches noch heute für das Stadtbild charakteristisch ist.28 Das Straßenbild prägten für Berlin die Mietskasernen mit typischen fünfgeschossigen, tief gestaffelten und mit nur kleinen Innenhöfen versehenen Häuserblocks. In Berlin-Wilmersdorf beispielsweise waren 844 von 1.000 Gebäuden mit mehr als fünf Stockwerken versehen.29 In wenigen Jahrzehnten wurde Berlin zur größten Mietskaserne der Welt, in der ein großer Teil der Bevölkerung in dunklen, schlecht durchlüfteten, oft feuchten und maßlos überfüllten Wohnungen lebte. 1918 waren fast 40 Prozent aller Berliner Wohnungen Ein-Zimmer-Wohnungen.30 Auch war Berlin in Deutschland die mit Abstand größte Stadt mit hohem Gegensatz von Arm und Reich. Die zunächst nicht geregelte Demobilmachung und das Übermaß an Waffen füllten den städtischen Raum nachhaltig mit Menschen und Material. Anders als die „glänzende Kaiserstadt und die machtvoll wachsende Metropole“ war Berlin „vor allem das riesige Häusermeer, das von politischen Leidenschaften, Ängsten und Aggressionen, beherrscht wurde. Weder vorher noch später ist diese politische Emotionalität in solch elementarer Form zum Ausdruck gekommen.“31 Die Arenen der politischen Kämpfe lassen sich gerade in Berlin als paradigmatischer Fall exemplifizieren. Sie stehen im Wesentlichen für alle größeren Städte des Reichs und lassen sich kategorisieren in öffentliche Gebäude der staatlichen Repräsentanz, des Militärs, aber auch der Verwaltung, der Versorgung oder der Verkehrs- und Kommunikationseinrichtungen. Umrahmt vom westlich gelegenen Alt-Cöllner Stadtgebiet und dem Lustgarten mit angrenzendem Museumskomplex nördlich von Alt-Berlin war das Berliner Schloss bereits der symbolträchtige Schauplatz und Ursprungsort der Märzrevolution in Preußen gewesen.32 Auch Jahre später war der Ort während der Rede Wilhelms II. im Juli 1914 vor dem Hintergrund der Weltkriegseuphorie von zehntausenden Menschen besucht worden. Als schließlich am Nachmittag des 9. November Philipp
27 Korff, Berlin, S. 40f. 28 Vgl. Bernet, The Hobrecht Plan, S. 400–419; vgl. Hegemann, Das steinerne Berlin. 29 Schulz, Von der Mietskaserne zum Neuen Bauen, S. 50. Städte wie Essen oder Düsseldorf hingegen besaßen gerade einmal 926 bzw. 807 Gebäude mit bis zu drei Stockwerken. 30 Das Problem des Wohnungselends versuchte man mit unterschiedlichen Ansätzen zu lösen. Vgl. etwa Deutsche Bauzeitung Nr. 36 vom 3. Mai 1919. „Baupolizeiliche Erleichterungen zur Bekämpfung der Wohnungsnot in Berlin.“ 31 Köhler, Revolution, S. 797. 32 Peschken/Klünner, Das Berliner Schloß, S. 100–111; vgl. Rollka/Wille, Das Berliner Stadtschloss.
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Scheidemann die Abdankung des Kaisers den Leuten auf dem Schlossplatz verkündete, war der Platz bereits tief im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert.33 Als Viereck mit fünf Portalen und vier Höfen, „dessen größte Länge 460 Fuß, die Breite 276 Fuß und die Höhe mit dem Brustgeländer 102 ½ Fuß beträgt“, bildete das königliche Schloss das „bedeutendste Gebäude Berlins“.34 Es war zum Ort politischer Kundgebungen geworden, „in denen sich sowohl die Folgen des Krieges als auch die innenpolitischen Konflikte der Weimarer Republik widerspiegelten.“35 Entgegen anderer berühmter Schlösser, so der Journalist Max Osborn, sei das Berliner Stadtschloss während der Revolution noch „glimpflich davongekommen“.36 Lediglich der Außenbau samt seiner Gartenfront bedürfe einiger Ausbesserungsarbeiten, so Osborn, welcher das Gebäude unmittelbar nach den Weihnachtskämpfen inspizierte. Selbst das Artilleriefeuer habe die von „schönen toskanischen Säulen getragene Kassettendecke unter Portal V“ in Richtung der Spree lediglich gestreift, sodass auch hier nur kleine Arbeiten reichen würden, um den Originalzustand wieder herzustellen. Auch die Inneneinrichtung im Stile des „berlinischen Frühklassizismus“ sei so gut wie nicht zerstört. Sämtliche im Pfeilersaal über Portal IV „die ganze Würde des Empirestils“ repräsentierenden Reliefs und Säulen seien weitgehend unzerstört geblieben. Nicht unverschont hingegen blieb das Gebäude von den in den kommenden Tagen zahlreich einsetzenden Plünderungen der 600 Zimmer in den Innenräumen des Schlosses. Besonders die eigentlichen Wohnräume des Kaiserpaares waren von diesen Plünderungen betroffen und konnten nicht durch das späte Eintreffen der Marinedivision, die zum Schutz des Gebäudes angefordert wurde, verhindert werden.37 Doch nicht nur die wertvollen Gemälde, beispielsweise von Malern der van Dyck-Schule zählten zu den Verlustobjekten, sondern auch ein Großteil der Alltagsgegenstände wie Bettwäsche, Decken und Kopfkissen. Dennoch hielten sich bewusste Beschädigungen in Grenzen. Osborn schlussfolgerte, dass es wieder friedlich im Schloss aussehe, dem Gebäude keine Gefahr mehr drohe. Obwohl Wilhelm II. den Bau im Stile Schlüters erhalten lassen wollte und das Umfeld möglichst der gesamten Insel im von Schlüter vertretenen italienischen Barockstil anschließen wollte, wurden zahlreiche Umbauten und Neueinrichtungen am Schloss vorgenommen.38 Nicht zuletzt führte die Entfernung sämtlicher umliegender Häuser, deren Hinterhöfe von der Schlossbrücke aus einsehbar waren, dazu, dass einzelne Gebäude wie auf dem „Präsentierteller“ serviert wirkten und sich somit noch mehr vom Berliner Stadtbild des normalen Bürgers abhoben. Dieser bür-
33 Rotheit, Das Berliner Stadtschloß, S. 10; vgl. Nova/Jöchner (Hrsg.), Platz und Territorium. Die Beiträge sind rund um die These formuliert, dass die urbane Struktur politische Räume gestalten kann. Vgl. dazu o. V., Von einem, der dabei war, S. 69–72. 34 Berliner Adreßbuch 1918, S. 190. 35 Kreuter, Platz der Republik, S. 114. 36 Vossische Zeitung Nr. 1 vom 1. Januar 1919. 37 Vgl. Heinig, Hohenzollern, S. 65. Das Schutzkommando und die Offiziere hatten bei Erhalt der Nachricht über die Abdankung des Kaisers bereits das Gebäude verlassen. 38 Berliner Architekturwelt Nr. 1 o. D. 1899.
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gerlichen Vorstellung des Umbauens großer Künstler musste zu Beginn der Revolution noch mehr den Zorn der Bürger auf sich gezogen haben.39 Die improvisierte rote Flagge aus einem roten Stuhlüberzug auf dem Balkon des Säulensaals über Portal IV und danach der Austausch der Kaiserstandarte gegen eine rote Flagge wurden somit zum Symbol des Umsturzes.40 Um gegen die Willkür verschiedener Gruppierungen in den folgenden Tagen vorzugehen, wurde das Schloss als permanenter Standort der neu gegründeten Volksmarinedivision als Teil der Republikanischen Schutzwehr umfunktioniert. Durch die Beschlagnahmung der Vermögensmasse wurden zudem zahlreiche Grundstücke und Gebäude in Berlin, aber auch dem restlichen Teil des Reiches beschlagnahmt. Die von Osborn geschilderten Eindrücke über den Zustand des Gebäudes resultierten aus den Auseinandersetzungen der Volksmarinedivision mit der Garde-Kavallerie-Schützen-Division und den Potsdamer Gardejägern, welche zur Räumung des Schlosses am 24. Dezember herangezogen wurden. Nach der Räumung des Schlosses kehrten die Schlossbeamten in das Gebäude zurück, mussten aber im Verlauf der Revolution fortwährend weichen und es militärischen Einquartierungen wie beispielsweise der Brigade Ehrhardt zur Verfügung stellen. Ebenfalls zur Spreeinsel gehörend, bildete der im neubarocken Stil erbaute Neue Marstall am Schlossplatz gegenüber dem Stadtschloss einen weiteren wichtigen Ort des revolutionären Geschehens. Auch hier waren Teile der Volksmarinedivision während der Novemberrevolution untergebracht, sodass die Räumlichkeiten in ihrer ursprünglichen Funktion nun der Beherbergung von Marinedivisionären dienten.
39 Peschken/Klünner, Das Berliner Schloß, S. 111; vgl. Heinig, Hohenzollern. Wilhelm II. und sein Haus. Der Kampf um den Kronbesitz, Berlin 1921. Heinig war von den preußischen Volksbeauftragten für die Beschlagnahme des ehemaligen Kronbesitzes eingesetzt worden; vgl. Krieger, Das Berliner Schloß in den Revolutionstagen, Leipzig 1922. Bogdan Krieger lieferte als ehemaliger Hausbibliothekar eine weitere Schilderung der Ereignisse rund um die Volksmarinedivision; vgl. etwa Rotheit, Das Berliner Schloß im Zeichen der Novemberrevolution, Berlin 1932. Rottheit hatte als Journalist weder die Perspektive des Sozialdemokraten Heinig, noch die des Reaktionärs Krieger eingenommen. 40 Vossische Zeitung Nr. 575 vom 9. November 1918; vgl. Krieger, Das Berliner Schloß, S. 10. Vgl. etwa auch die Ausführungen bei Müller, Novemberrevolution, S. 188ff.
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Abbildung 1: Ausschnitt II aus Pharus-Plan Berlin 1920
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Abbildung 2: Ausschnitt II aus Pharus-Plan Berlin 1920
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Abbildung 3: Ausschnitt III aus Pharus-Plan Berlin 1920
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Hier hatten sich gegen sieben Uhr Gerüchte in der Stadt verbreitet, dass der Marstall „durch der Volksbewegung feindliche Offiziere, Jugendwehr und Kadetten“ besetzt sei.41 Kurze Zeit später war der Platz am Lustgarten und der Platz zur anderen Seite des Schlosses hin mit zahlreichen Menschen ausgefüllt, sodass sich der „Straßenkampf“ aufgrund der räumlichen Enge in die angrenzende Breite Straße und Brüderstraße ausweitete.42 Der Marstall besaß einen Vorhof, indem zumeist Kraftwagen standen. Als Durchgangsraum war dieser von ständiger Bewegung erfüllt, sodass alle Leute, „die im Marstalle etwas zu tun hatten, da passieren mußten.“43 Danach gelangte man durch ein Portal und erreichte einen Raum, von welchem aus Pforten und Türen die Eingänge zum inneren Bereich bildeten. Während der „erregenden Tage“ des Dezembers und Januars, so beschreibt Georg Ledebour die Umstände während des späteren gegen ihn geführten Prozesses, hielten sich hier viele Marineleute auf, denn sie besaßen hier ihr Hauptquartier. „Man muß sich in den Sinn dieser Leute hineinversetzen: wenn sie keine andere spezielle Funktion hatten, gingen sie in den Marstall.“ Im Kaserneninnenhof hielten sich daher auch meistens spontan viele Leute auf, die „wie eben Soldaten in solchen Zeiten herumstehen“ dort kaserniert waren.44 Höfe waren demnach „Zwischenräume“, denn „unter der Perspektive ihrer Strukturierung durch Wege und Richtungen hatten [sie] daher die Funktion „sozialer Vermittlungsraum zu sein.“45 Als zentraler Ort wirkte der Marstall jedoch auch auf andere soziale Formationen. In den Abendstunden des 10. November sammelten sich zahlreiche Zivilisten, auch Frauen und Mädchen am Marstall ein, die durch die ineffektiven Absperrungen nicht aufgehalten werden konnten. Da der Bau bereits 1920 sukzessive zur Berliner Stadtbibliothek umgebaut wurde und die zahlreichen Pferdeställe nun zu Büchermagazinen umfunktioniert wurden, ist die Geschichte des Gebäudes während der Revolution zwar kurz, jedoch rasant.46 Innerhalb von drei Jahren wurde das Gebäude dreimal umfunktioniert und von verschiedenen Gruppierungen mit unterschiedlichen Funktionen und daher auch Bedeutungen versehen. Der prunkvolle Bau, der in der Kaiserzeit hauptsächlich der Beherbergung von Pferden und Kutschen diente, war in der Revolutionszeit zu einem stark umkämpften Objekt geworden, der zahlreichen Soldaten schließlich als Unterkunft diente, bis er in der Spätphase der Revolution in die Verwaltungsstrukturen der Stadt eingegliedert wurde und fortan als Bibliothek diente. Allenfalls blieb der Bau in seiner äußeren materiellen Ausgestaltung derselbe, während die schon angesprochene Umfunktionierung des Innenbaus diesen im Prinzip entkernte.
41 Vossische Zeitung Nr. 576 vom 10. November 1918. Für den Themenbereich Gerüchte während des Kaiserreiches vgl. Altenhöner, Kommunikation und Kontrolle. 42 Vossische Zeitung Nr. 576 vom 10. November 1918. 43 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 118f. 44 Krieger, Das Berliner Schloß, S. 6. Bogdan Krieger, der Hausbibliothekar, ist als monarchentreuer Beamter sicherlich in seinen Schilderungen kritisch einzuschätzen. Als langjähriger Schlossbeamter ist jedoch davon auszugehen, dass er mit der Umgebung bestens vertraut war. 45 Graff, Mixturen im Zwischenraum, S. 26f. 46 Deutsche Bauzeitung 54. Jahrgang Nr. 22 vom 17. März 1920, S. 144.
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Berlin war Garnison vieler Garderegimenter. Dieses manifestierte sich in einer Vielzahl an Kasernen wie der Maikäfer- oder Dragonerkaserne, welche einen „eminent praktischen und hohen symbolischen Wert für die organisierte Arbeiterschaft“ besaßen und zu bevorzugten Orten revolutionärer Auseinandersetzungen wurden.47 Im Umfeld des Tempelhofer Feldes mit großem Exerzierfeld im Süden der Stadt waren weitere umfangreiche Kasernenbauten angesiedelt.48 Die nordwestlich der Spreeinsel gelegene Maikäferkaserne in der Chausseestraße 89-92 stellte von 1851 bis 1918 die Behausung des Garde-Füsilier-Regiments dar. Der hohe identifikatorische Stellenwert dieses Gebäudes drückte sich darin aus, dass es nach seinen Bewohnern, den Maikäfern benannt wurde. Während der revolutionären Unruhen war es hier zu Auseinandersetzungen gekommen, da Demonstranten versucht hatten, Waffen aus dem Gebäude zu entwenden.49 Teile der Maikäferbelegschaft solidarisierten sich, ähnlich wie die „Franzer“, mit den Demonstrierenden und hatten dafür vor ihrer Kaserne ein Schild mit der Aufschrift „Wir sind für Scheidemann“ angebracht.50 In den Monaten nach Kriegsende wurde auch dieses Gebäude in seiner Nutzung umfunktioniert und diente fortan als Polizeikaserne mit angrenzendem Übungsplatz. Zusammen mit der Invalidenstraße und dem Stettiner Bahnhof bildeten diese ein Gebiet, welches fortwährend zum Schauplatz gewalttätiger Auseinandersetzungen wurde. Ebenfalls waren Bahnhöfe wie etwa der Stettiner als zentrale Orte der Fortbewegung zunehmend Ziel revolutionärer Aktionen. Berlin zählte vor der großen Eingemeindung je fünf Bahnhöfe der Stadtbahn und Endbahnhöfe.51 Ergänzt wurden diese durch die Ringbahn und die elektrische Hoch- und Untergrundbahn, sowie den Straßenbahnen. Sie fungierten zudem als Knotenpunkte, um andere Orte zu erreichen. Krieg und Revolution veränderten das Bild der Bahnhöfe. Mit notdürftig eingerichteten Küchen und Unterkünften haftete den Bahnhöfen als sonst der ständigen Bewegung ausgesetzten Orte fortan etwas Dauerhaftes an. Eine strategisch hohe Relevanz besaßen diese zum einen als Knotenpunkte der Infrastruktur. Zum anderen hatten sie durch ihre physische Größe auch eine symbolische Bedeutung, während sie als Schwellenorte Menschen verabschiedeten, aber auch im Falle der heimkehrenden Soldaten nach dem Krieg Willkommen hießen. Gerade hier kam es zu Übergangssituationen mit neuen Kontaktmöglichkeiten zwischen einfachen Soldaten, Arbeitern oder Bauern und beispielsweise aus bildungsbürgerlichen Schichten stammenden Rote-Kreuz Krankenschwestern, sodass sie zu Zentren für Kontakte ohne Klassengrenzen wurden.
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Brücker, Kaserne des 1. Garde-Dragoner-Regiments, S. 446. Baedekers Berlin und Umgebung, S. 51. Vossische Zeitung Nr. 576 vom 10. November 1918 BA B, R 43, Nr. 2494k, fol. 48, kurze anonyme Mitteilung, Berlin 6. Januar 1919. Baedekers Berlin und Umgebung, S. 1. Dieses waren die Bahnhöfe in Charlottenburg, Zoologischer Garten und Friedrichstraße. Bahnhöfe mit stärkerem Verkehrsaufkommen waren die Bahnhöfe am Alexanderplatz und Schlesischer Bahnhof. Endbahnhöfe waren der Anhalter Bahnhof, Potsdamer Bahnhof, Lehrter Bahnhof, Stettiner Bahnhof, sowie Görlitzer Bahnhof. Ergänzt wurde die Verkehrsinfrastruktur durch Omnibuslinien, Droschken und Dampfschiffen für den Spreebereich.
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Von hier aus wurden zu Beginn der Revolution zahlreiche Gefängnisse wie in der Lehrter Straße aufgesucht, um deren Insassen zu befreien. Die Kasernen waren dann auch diejenigen Orte, an denen symbolisch stark aufgeladene Handlungen vollzogen wurden, indem den Offizieren die Achselstücke von den Uniformen gerissen wurden. Invalidenstraße, Pappelplatz und Ackerstraße dienten als geeignete Straßen der großen Demonstrationszüge, wie beispielsweise an den Zwischenstationen der AEG und Schwartzkopff-Betriebe.52 Der Hof in der Kaserne diente auch hier als zentraler Ort der Zusammenkunft, an dem Ansprachen gehalten und weitere Aktionen geplant wurden. Während der Demonstrationszüge im Dezember 1918 nahmen die Spannungen zu. Aus den Auseinandersetzungen resultierten erstmals mehrere Tote wie bei einer Schießerei am 6. Dezember, als bewaffnete Anhänger von Spartakus organisiert in der Chausseestraße in der Nähe der Maikäferkaserne angehalten wurden.53 Am 24. Dezember kam es zur ersten großen Konfrontation mit der Volksmarinedivision im Schloss. Die Matrosen besetzten vorübergehend die Reichskanzlei, nahmen den Stadtkommandanten Wels als Geisel mit in den Marstall, während das Militär begann, dieses unter Artilleriebeschuss und Maschinengewehrfeuer zu nehmen. Nach Verhandlungsgesprächen und einer Feuerpause zogen die „Belagerer“ ab, die Matrosen blieben im Schloss. Die unabhängigen Volksbeauftragten legten ihre Ämter daraufhin nieder.54 Im offiziellen Statement des Untersuchungsausschusses zu den Januarunruhen wurden die Konflikte Anfang Dezember daher als dramatisch eingeschätzt. „Viel ernster als diese örtlich und sachlich beschränkten Konflikte im Polizeipräsidium, auch von viel weitergehenden politischen Folgen war der Zusammenstoß vom 6. Dezember.“55 Neben den Kasernen waren die Polizeireviere der Städte Orte zahlreicher Auseinandersetzungen. Die schwersten Kämpfe konzentrierten sich rund um den Alexanderplatz und das anliegende Polizeipräsidium. Als dessen Besatzung nach der Rückeroberung durch Regierungstruppen beendet wurde, drängte man die Aufständischen in Richtung Friedrichshain und Strausberger Platz ab. Auch die BötzowBrauerei an der Prenzlauer Allee und das Viertel um das Frankfurter Tor zählten zu diesem stark umkämpften Areal, welches sich besonders durch die bauarchitektonische Struktur der Eckhäuser auszeichnete, die Scharfschützen während der 52 Rehme, Die Demonstration zur Maikäfer-Kaserne, S. 378f. 53 LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 41, ohne fol., Erinnerungsbericht Karl Feierabend. Mit ideologischer Färbung, aber trotzdem über die örtlichen Verhältnisse gut informierende Beschreibung Feierabends, der die Stationen des Zuges ausgehend vom Versammlungsort in der Liesenstraße über die Chausseestraße bis nach Moabit schildert. Dort „eroberten“ sie die Ulanenkaserne in der Seydlitzstraße und befreiten Gefangene aus dem Zuchthaus in der Lehrter Straße. Weitere Stationen waren die Kasernen in der Kruppstraße und schließlich die Besetzung des Zeitungviertels. Dazu Vorwärts Nr. 336a vom 7. Dezember 1918. 54 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 10, Reichsamt des Innern, Meldestelle, Telegramm-Adresse: Inreichsmeldestelle, betr. Übersicht über Unruhen, abgeschlossen am 9.11.18, vormittags 11.30 Uhr, Berlin 9. November 1918. 55 Bericht des Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7672.
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Märzunruhen ausreichend Schutz von den Dächern bot. Das Polizeipräsidium galt als Bastion der Macht. Während dessen Belagerung im Spartakusaufstand vom 5. bis 12. Januar 1919 wurde dieses zu einer Art Festung ausgebaut.56 In den Gängen und an den Fenstern waren „schußfertige Maschinengewehre“ stationiert worden, während im Lichthof gefechtsbereite Schutzleute positioniert waren. Gut bewaffnete Polizeieinheiten und die Naumburger Jäger hatten sich dort verbarrikadiert, während Soldaten und bewaffnete Zivilisten die Zugänge mit Maschinengewehren blockierten. In Sprechchören der Massen wurde die „kampflose Übergabe“ gefordert.57 Anders als die Stadtteile Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, die aufgrund ihrer topographischen Gegebenheiten ein bestimmtes Identifikationsgefühl verband, bestand im Stadtteil Tiergarten kein ausgeprägtes Kiezbewusstsein.58 Hier lebten die wohlhabenderen Teile der Berliner Bevölkerung, was sich auch im Straßenbild bemerkbar machte. Groß angelegte Parks mit kleineren Villen und häufig privat angelegten Straßen erstreckten sich bis zum Landwehrkanal und im Westen bis zum Zoologischen Garten.59 Das Viertel wurde vermehrt zu einem Ort politischer Auseinandersetzungen, wenngleich es aufgrund der hohen Baumdichte an den Straßen schwierig war, den großen Gruppen mit Rednern und ihren Fahnen hier ausreichend Raum zur Verfügung zu stellen.60 Aber auch hier war die Tendenz zu beobachten, dass die Gärten mehr und mehr der dichten Bebauungsart der umliegenden Stadtteile wichen. Die Dynamik des rasanten Wachstums der Stadt äußerte sich darin, dass Jahr für Jahr neue „Häuserviertel vom Umfang kleiner Städte“ entstanden.61 Die Charlottenburger Chaussee, heute Straße des 17. Juni, verband den Bereich Tiergarten und das Brandenburger Tor mit weiter westlich gelegenenen Teilen der Stadt.62 Für die westlich stationierten Freikorps bildete die Straße eine Verbindungsachse von Westen nach Osten in Richtung des Stadtzentrums. Im westlich gelegenen Döberitz befand sich zudem die 2. Marinebrigade Ehrhardts, welche mit 5.000 Freikorpssoldaten im Verlauf der Revolution sukzessive Einfluss auf die Regierung ausüben konnte und zur Sicherung des städtischen Raumes herangezogen wurde. Die Siegesallee kreuzte die Charlottenburger Chaussee in Nord-Süd-Richtung, führte so zum damaligen Standort der Siegessäule auf dem ehemaligen Königsplatz 56 Eichhorn, Meine Tätigkeit, S. 7. 57 Vgl. Langer, Revolution, S. 120. 58 Kaak, Kreuzberg, S. 10 u. 14. Kreuzberg nahm nach seiner Eingemeindung den südlichen Bereich Berlins ein. Zunächst als Hallesches Tor benannt, war es aufgrund umfangreicher Verkehrsströme und ausgeprägtem Wirtschaftsleben eng mit der Stadt verflochten. Seine homogene Struktur äußerte sich in schachbrettartig angelegten Straßen, „deren an der Lindenstraße ausgerichtetes Muster nur durch die bereits erwähnte Straßen- und Hochbahnachse aufgelockert, oder wenn man will gestört wird.“ Gebäude mit nach vorne ausgerichteten Wohnhäusern und nach hinten angesiedelten Gewerbehöfen prägten den Bezirk. Auch hier bildete der ehemalige Görlitzer Bahnhof die Grenze vom Lausitzer Platz bis zum Bezirk Treptow. 59 Baedekers Berlin und Umgebung, S. 52. 60 Vgl. Pahlmann, Der Tiergarten, S. 17; Swett, Neighbors and Enemies, S. 56. 61 Baedekers Berlin und Umgebung, S. 52. 62 Hoffmann, Charlottenburger Chaussee/Straße des 17. Juni, S. 30.
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und bildete den von Wilhelm II. in Auftrag gegebenen Prachtboulevard mit 32 Denkmälern sämtlicher Kurfürsten und Markgrafen Brandenburgs, sowie der preußischen Könige. Zusammen mit dem im Osten gelegenen Brandenburger Tor war dieser Raum von höchster symbolischer Bedeutung, welcher die Zeit der Monarchien repräsentierte, indem der Kaiser hier seine tägliche Präsenzpflicht gegenüber der Öffentlichkeit wahrnahm. In der Revolution wurde die Säule beschädigt und mit in roter Farbe gemalten Sprüchen wie „Volksbedrücker“, „Soldaten, mordet nicht“ versehen. Die vom Brandenburger Tor nach Osten führende Straße Unter den Linden besaß einen ähnlich hohen symbolischen Stellenwert. Auf insgesamt 1,3 Kilometern Länge und 60,3 Metern Breite sowie weiterführender Plätze hatte sie jeher als Schauplatz feierlicher Einzüge des königlichen Hauses gedient.63 Den Touristen wurde sie als „Brennpunkt des vornehmeren Berliner Lebens“ vorgestellt. Vielen Orten wurden so im Verlauf der Revolution oftmals andere Bedeutungen zugeschrieben, während sich gleichzeitig deren Funktionen ändern konnten. Auf dem Platz vor dem Reichstag, welcher ursprünglich als Exerzierfeld für das preußische Militär gedacht und überwiegend militärisch genutzt wurde, fanden erstmals am 22. Oktober 1815 zivile Ereignisse anlässlich der Feier des zweiten Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig statt, sowie des 400. Jahrestags der Erbhuldigung der Stände der Mark Brandenburg vor Markgraf Friedrich I.64 In seiner Funktionalität als militärischer Exerzierplatz wurde dieser dann zunehmend durch den Moabiter Platz abgelöst. Man nannte den Platz fortan „Sahara von Berlin“ auf dem vermehrt größere Volksfeste wie des Kaisers Geburtstag oder Gedenkfeiern stattfanden. Im Laufe der Jahre diente der Platz jedoch zunehmend den Kundgebungen und politischen Willensäußerungen breiter Bevölkerungsteile wie bspw. als am 6. März 1910 nahezu 200.000 Menschen gegen das preußische Drei-KlassenWahlrecht demonstrierten, rote Fahnen schwenkten und Arbeiterlieder sangen. Das Brandenburger Tor war in den Jahren vor der Revolution ein zentraler Ort für den Empfang zahlreicher Oberhäupter der Nachbarländer. Grundsätzlich änderte sich diese Funktion auch nicht im November, als rote Matrosendivisionen in die Stadt einzogen oder einen Monat später hier die heimkehrenden Soldaten von der Front empfangen wurden.65 Trotzdem kommt dem Ort in späterer Zeit eine zunehmend strategische Bedeutung, denn in 26 Metern Höhe neben der Quadriga war es für Maschinengewehrschützen besonders leicht, das ganze umliegende Areal zu kontrollieren.66 Aus einem Ort, dessen mittlere Durchfahrt nur der Kaiser persönlich, seine Familie oder empfangene auswärtige Gäste passieren durften, hatte nach dem 9. November dieser Ort nun einen multifunktionalen Charakter bekommen. Hier besetzten Soldaten der Regierung das Tor, während kurze Zeit später der Ort als wichtige Etappe beim Trauerzug für die gefallenen Arbeiter diente. Im Januar war es der Ort für die berühmt gewordenen Reden Ledebours, Liebknechts und 63 64 65 66
Baedekers Berlin und Umgebung, S. 53. Baudisch/Cullen, Tiergarten, S. 74; vgl. Kreuter, Platz der Republik, S. 106–122 u. S.109f. Vgl. Stephenson, The Final Battle, S. 225ff. Kindler, Berlin. Brandenburger Tor, bes. S. 78–98.
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Piecks, während es in den Januarunruhen zur Bühne für höchst gewaltsame Auseinandersetzungen wurde und im März binnen zweier Tage erst durch eine kommunistische Sicherungsgruppe und 24 Stunden später durch die Gardekavallerie besetzt wurde, bis schließlich Kapps Truppen an diesem Ort in die Stadt einrückten.67 Nach den Eingemeindungen zu Groß-Berlin war das Tor zum Mittelpunkt einer Metropole geworden, die nun acht Städte, 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke zu einer vier Millionen Bewohner umfassenden Stadt machte. Am 1. Oktober 1920 wuchs Berlins Gesamtfläche somit von 66 auf 878 Quadratkilometer, was etwa einer Verdreizehnfachung seiner Ausgangsfläche entspricht.68 Das gesamte Areal rund um die Siegessäule bot somit eine geeignete Kulisse um den meist leicht erhöht positionierten Rednern eine ausreichende Bühne zu bieten.69 Aufgrund seiner günstigen Lage und des ausreichend vorhandenen Platzangebots war der Bereich ein guter Ausgangspunkt für Demonstrationen zwischen dem Moabiter Stadtteil mit seinen zahlreichen Fabriken und dem Stadtkern. Zeitgenössische Reiseführer folgten hier noch der These, dass in großen europäischen Städten der Osten vermehrt „Sitz der Fabrik- und Gewerbetätigkeit“ sei, während die „vornehme Welt“ häufig im Westen wohne.70 Im Südosten waren „feinere Fabrikationszweige“ angesiedelt, so die Tischlerei, Bronze- und besseren Metallgewerbe. Welches Ausmaß diese Demonstrationszüge des Januars annehmen konnten, wird an den gewaltigen Demonstrationszügen in der Siegesallee im Januar 1919 deutlich, welche sämtliche Straßen bis hin zum Alexanderplatz „verstopft“ hatten.71
67 Vgl. Demandt, Metamorphosen eines Tores. Handreichungen zur Erklärung eines Tores, in: Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), 26, URL: . [20.10.2014] 68 Kindler, Berlin. Brandenburger Tor, S. 101; Kaeber, Das Weichbild der Stadt Berlin, S. 243376. 69 Reissig, Die Siegesallee, S. 42. 70 Baedekers Berlin und Umgebung, S. 51. Dieser These zufolge waren die Industriezweige aufgrund des herrschenden Westwindes im Osten angesiedelt. 71 Ebd., S. 45. Vgl. etwa die anschaulichen Schilderungen bei Döblin, Karl und Rosa, S. 327– 330. „Die Massen stehen auf der Straße. Es war Nachmittag geworden, der Massenaufmarsch im Tiergarten lange beendet. Die Kapellen hatten gespielt. Die Lieder waren verklungen. Aber die Massen standen und standen. Die Ankläger standen. Die Gerichtssitzung sollte beginnen. Man hatte sie aufgerufen. Sie waren gekommen. Sie wußten, was man von ihnen wollte. Scharf und hart zeichneten sich die kahlen Äste gegen den grauweißen Himmel ab. Die Stunden vergingen. Immer dieselben Bäume. Zwischen den Bäumen immer dieselbe höhnische Reihe weißer Marmorbilder, die brandenburgischen und preußischen Markgrafen, Kurfürsten und Könige. Ein Nebel zog von der Spree her. Die Kälte nahm zu. Da und dort begannen Gruppen von neuem zu singen. Aber man war schon ermüdet, es hielt nicht lange an. […] Mehr und mehr begannen Gruppen von neuem zu singen. Aber man war schon ermüdet, es hielt nicht lange an. […] Mehr und mehr kam man in der Siegesallee in Bewegung. Die Einheit der Masse verlor sich. Als es dunkelte, irrten große und kleine Züge durch die Stadt, noch immer ungläubig und erschrocken, daß nichts erfolgte, bewaffnetes Proletariat, ohne Plan und Ziel, kläglich von seiner Führung im Stich gelassen. In der Siegesallee griff die Auflösung um sich. Es wurde ein völliges Durcheinander. […] Es war noch der 6. Januar, Montag.“
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Statt die wichtigen Ministerien oder Verkehrsknotenpunkte bzw. Versorgungszentren zu besetzen, wurde zunächst die Kontrolle der Presse angestrebt, weshalb das Berliner Zeitungsviertel aufgrund seiner engen Bebauung einen besonderen Raum während der Anfangsereignisse der Revolution darstellte.72 Nachdem das Wolff’sche Telegraphenbüro in den Nachmittagsstunden des 9. Novembers von Mitgliedern des Arbeiter- und Soldatenrats besetzt wurde und somit die wesentliche Kontrolle über den Nachrichtenverkehr gewonnen wurde, folgte die Besetzung mehrerer Redaktionen in Berlins Zeitungsviertel.73 Das Berliner Zeitungsviertel mit angrenzender Reichsdruckerei in der südlichen Friedrichsstadt war seit Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Standort der Druckerbranche. Hier gründeten Verleger wie Rudolf Mosse ihre großen Häuser, welche das Berliner Tageblatt oder die Berliner Morgenzeitung herausgaben. Auch der Ullsteinverlag mit der Berliner Zeitung als erster Tageszeitung, baute hier sukzessive einen größeren Komplex von Verlagshäusern auf, welches dem Viertel den Status des weltweit größten Zeitungsviertels einbrachte.74 Das Vorwärtsgebäude in der Lindenstraße, ein aus vier Höfen und Quergebäuden bestehender Komplex, war ein während der Auseinandersetzung besonders hart umkämpfter Ort. Ähnliches spielte sich auch in den Gebäuden der anderen Zeitungsredaktionen dieses dicht besiedelten Gebietes ab. Die Gebäude wurden „in sachgemäßer Weise auf Widerstand bis zum Aeußersten ein[gerichtet].“75 Die großen Papierrollen wurden umfunktioniert und dienten fortan als Barrikaden für die Absperrung der Straßen und die Verriegelung der Eingänge. Aus den Fenstern im oberen Geschoss ragten Maschinengewehrläufe. Auch Papier und aus den Gebäuden herausgeholte Matratzen dienten als Gewehrauflagen und Schutz vor den anstehenden Gefechten.76 Der Ausbau der Verlagshäuser zu „Festungen“ und die damit einhergehende Einstellung des Produktionsbetriebes führte dazu, dass dem Zeitungsviertel fortan nicht nur eine andere Bedeutung zugeschrieben wurde, sondern hatte in Verbindung mit den Akteuren nun eine gänzlich andere Funktion, während es „den Anblick trostloser Verödung bot.77 Während der schweren Gefechte mit monarchistischen Freikorps zur „Säuberung des Viertels“ erlitten die Verlagsgebäude zudem schwere Beschädigungen.78
72 Köhler, Revolution und Bürgerkrieg, S. 807. 73 Rote Fahne Nr. 2 vom 10. November 1918; Baedekers Berlin und Umgebung, S. 25f. Das Reichspostamt befand sich in der Leipziger Str. 14/18, die Oberpostdirektion in der Spandauer Str. 19/24. 74 Vgl. Baedekers Berlin und Umgebung, S. 32. Allein über 100 Zeitungen täglich und 60 wöchentlich und monatlich politische Zeitschriften erschienen in Berlin. 75 Rote Fahne Nr. 11 vom 11. Januar 1919. 76 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 43, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 77 Kaak, Kreuzberg, S. 81f. 78 Spode, Zur Sozial- und Siedlungsgeschichte Kreuzbergs, S. XXI; vgl. auch Kaak, Kreuzberg, S. 80; Mendelssohn, Zeitungsstadt, S. 278–282. Der zum Hugenbergkonzern gehörende Berliner Lokal-Anzeiger wurde in Die Rote Fahne umbenannt.
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Für die südlich gelegenen Bezirke nahm die Potsdamer Straße eine wichtige Funktion ein. Gerade auf ihr hatten die Freikorps den Bürgern ihre Macht demonstrieren und Sicherheit vermitteln wollen.79 Zudem kam es bis zum Potsdamer Platz oftmals zu Verkehrsstockungen, denn „wegen der konfusen Entwicklung seines Stadtplans fehlten Berlin zwei wichtige Nordweststraßen, die man zur Entlastung der Leipziger und Potsdamer Straße gebraucht hätte.“80 Die Überlastung der Leipziger Straße und die langsame Straßenbahn blockierten hier besonders den Autoverkehr. Am Kreisverkehr des Potsdamer Platzes führte dies täglich zu einem ständig wachsenden Verkehrsaufkommen. Zusammen mit den Gebäuden des Preußischen Herrenhauses und des Preußischen Abgeordnetenhauses zwischen der Leipziger und Prinz-Albrecht-Straße, in denen der Vollzugsrat tagte und der Rätekongress im Dezember stattfand, bildete dieses Areal ein weiteres revolutionäres Zentrum neben dem Alexanderplatz. Gemeinsam mit dem Zirkus Busch waren diese Gebäude die wichtigsten Versammlungsorte für die Rätebewegung.81 Dieser Bereich war zudem wie die Friedrichstraße von zahlreichen Vergnügungsorten und Gaststätten durchzogen. Ähnlich wie am Potsdamer Platz wurde die dortige Stimmung als sehr laut und umtriebig empfunden.82 Den Spittelmarkt und Hausvogteiplatz prägte ein dynamisches Geschäftsleben, welches die Fortsetzung der Altstadt bildete. Ähnlich wie die Friedrichstadt waren die Straßen hier noch rechtwinklig sich kreuzend angeordnet, welches nicht „dem Verkehrsbedürfnis“ entsprach, sondern noch nach Willen der Landesfürsten entstanden war.83 Hieraus resultierte auch der in Berlin in vielen Orten übliche Bau von Häusern mit mehreren Stockwerken und engen Hinterhöfen. Während vorne teuer ausschauende Häuser den Eindruck von Wohlstand vermittelten waren dieselben nach hinten häufig überfüllt und von geringer Wohnqualität. Hier herrschte „die Vermischung aller Klassen“ auf engstem Raume im immer wiederkehrenden Stadtbild.84 2.2 MAKRORÄUME – DIE REGION ALS REVOLUTIONSRAUM Das Ruhrgebiet unterschied sich von anderen Zentren der Revolution wie Berlin oder München in erster Linie dadurch, dass dort kein „einheitliches Gebiet gab, in dem eine Regierung bekämpft und ersetzt werden, wie beispielsweise in München oder den anderen Räterepubliken.
79 80 81 82 83
Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution, S. 292–308. Briesen, Berlin, S. 42. Köhler, Revolution und Bürgerkrieg, S. 805. Baedekers Berlin und Umgebung, S. 2. Ebd., S. 50. Daher resultierte auch der Verzicht auf den Verkehr entlastende Nebenstraßen im Bebauungsplan von 1860. Hier wurde das Land schematisch eingeteilt, ohne den Verkehrsbedarf einzelner Straßenzüge zu berücksichtigen. Während des Revolutionsgeschehens stauten sich besonders hier größere Demonstrationszüge, da es keine Ausweichmöglichkeiten gegeben hatte. 84 Baedekers Berlin und Umgebung, S. 51.
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Abbildung 4: Ausschnitt aus Pharus-Plan Ruhrgebiet
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Offensichtlich auch nicht wie in Berlin im Januar oder März 1919, als dort mit dem politischen Slogan des Regierungssturzes operiert werden konnte.85 Das Ruhrgebiet war vielmehr ein wirtschaftliches und politisches heterogenes Gebilde. Mit den jeweils zwei Teilen der Rheinprovinz und Westfalen und den drei Regierungsbezirken Düsseldorf, Arnsberg und Münster war das Industriegebiet relativ zersplittert und neben den Industriestandorten durchaus auch agrarisch geprägt. Diese Form eines Makroraums zeichnete sich durch eine Dichte relativ eng beieinanderliegender Städte aus, weshalb aus Sicht der kommunistischen Bewegung das Industriegebiet als „Herz der Revolution“ galt.86 Seine Organisation sollte als Vorbild für die gesamte kommunistische Bewegung im Reich dienen. Aber auch das Militär veranlasste die im Ruhrgebiet gemachten Erfahrungen „für spätere Fälle nutzbar zu machen“ und wies auf dessen strategisch wichtige Bedeutung hin.87 Ohne eindeutige Grenzen und politisches Zentrum, jedoch mit verschiedenen Verwaltungseinheiten, handelte es sich in erster Linie um eine Wirtschaftsregion, einen Makroraum mit schwerindustrieller Prägung.88 Das randständige Bergische Land und Teile des Niederrheins gehörten noch zum Ruhrgebiet. Die fehlende Organisation der Arbeiterparteien spiegelte sich darin wider, dass ein „Mittelpunkt [fehlte], auf den hin sich Demonstrationen und Protestbewegungen orientieren, das Zentrum, in dem regionale Machtfragen entschieden werden konnten.“89 Die wachsende allgemeine Unzufriedenheit, so der Regierungspräsident Düsseldorfs im Mai 1919, sei durch „Lebensmittelknappheit, Arbeitslosigkeit und allgemeine Unlust zur Arbeit“ und durch den vierjährigen Krieg „hervorgerufene Nervenabspannung und Hemmungslosigkeit in moralischer und seelischer Beziehung“ insbesondere im rheinisch-westfälischen Industriegebiet „mit seiner dichtgedrängten Arbeiterbevölkerung und den wirtschaftlichen Verhältnissen“ auszumachen.90 Der äußere Ablauf der Revolution sei in den Industriestädten überall ähnlich gewesen. „Auf kommunistischen Antreiben“ hin seien überall Lohnforderungen, besonders in den Bergbaugebieten die Forderung nach einer 7 ½ Stunden, teilweise 6 oder 5 Stundenschicht gestellt worden, deren Durchsetzung man mittels Streiks, Teilstreiks, Sympathiestreiks oder sogar des Generalstreiks versuchte. Letzteres sollte fast das gesamte Industriegebiet an den Rand des wirtschaftlichen Ruins führen. Neben den Betrieben und Zechen waren es wie in Berlin Bahnhöfe, Telegrafenämter, Post- oder Bankgebäude, um die zunächst gekämpft wurde.91 85 Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 292. 86 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol., Bericht A. W., Münster 1. Juli 1920. 87 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 14427, fol. 8, Schreiben VII. Armeekorps Generalkommando, Abt. Ia Nr. 3988 an u. a. Oberpräsident Münster, Münster 14. April 1919. Hierfür wurden alle Dienststellen und Behörden aufgefordert einen Fragenkatalog anzufertigen. 88 Rürup, Einleitung, S. 17. 89 Ebd., S. 17. 90 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15974, fol. 334, Schreiben Regierungspräsident, Mob. 11280, an Minister des Innern, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen im Jahre 1919, Düsseldorf 5. Mai 1919. 91 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol., Übersicht über die politische Bewegung in der Stadt Düsseldorf und im Industriebezirk in der Zeit vom 1. Mai 1919 bis zum April 1920.
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Bereits in den Jahren vor der Revolution war es im rheinisch-westfälischen Ruhr- und Industriegebiet immer wieder zu Demonstrationen und Streiks gekommen, da die wirtschaftliche Not der Kriegsjahre wesentlichen Einfluss auf die Bevölkerung ausgeübt hatte. Die Hungerproteste des Jahres 1917, wie auch die Januarund Augustunruhen des folgenden Jahres waren mit einer Intensität geführt worden, die man so bis dato nicht kannte. Auch der große Streik von 1912 zählte bereits hierzu.92 Aufgrund der räumlichen Dichte der städtischen Ansiedlungen, aber auch der günstigen Verkehrsanbindungen, sowie zentraler Standorte zur Versorgung des gesamten Ruhrgebiets mit Strom, gab es hier Zentren, von denen aus gute Möglichkeiten zur Kontrolle dieses gesamten Makroraums bestanden, denn die Elektrizitätsversorgung beruhte im Wesentlichen auf fünf „Kraftsystemen, von denen jede mehrere grosse Quellen hat.“93 Die sich im rheinisch-westfälischen Industriebezirk ankündigende „Umsturzbewegung spartakistisch-kommunistischer Kreise größten Umfanges“ erforderte daher seitens des Militärs eine sorgfältige Beobachtung vorzunehmen, sowie umfassende Gegenmaßnahmen vorzubereiten. Die wichtigen Verkehrs- und Versorgungsstrukturen als „Lebensadern der Industrie und vielleicht der ganzen Bevölkerung“ sollten daher unabdingbar geschützt werden. Die Befürchtungen waren hier groß. Würden beispielsweise die Wasserwerke von der Bevölkerung abgeschnürt, könnten „jene Elemente alsdann mit wohlorganisierter Waffenmacht die letzte Gewalt an sich reißen.“94 In verschiedenen Orten kam es daher zu Ausschreitungen, bei denen Gebäude und Verkehrsanlagen besetzt wurden, während die neu errichteten Einwohnerwehren entwaffnet wurden.95 Gleichzeitig versuchte man in diesen
92 Vgl. Geueke, Die Bergarbeiterstreiks im Ruhrkohlenrevier. 93 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 22, Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ib Nr. 6 pers., Elektrizitätsversorgung des Ruhrgebietes, Münster 22. September 1919. Den größten Bereich versorgte das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk mit den im Bezirk liegenden zentralen Standorten Essen und Obrighoven bei Wesel. Die Reichswehr-Brigade 31 hatte die Sicherung Essens mittels militärischen Schutzes als „unbedingt erwünscht“ eingestuft. Im Südosten wurde das System ergänzt durch die Zentralen in Herdecke nördlich von Hagen, sowie Elveringen südlich Altenas. Versorgt wurde von hier aus der Bereich Hagen, Lüdenscheid, Plettenberg bis Iserlohn und schließlich Schwerte kurz vor Dortmund. Weiter versorgten Zentralen in Kruckel zwischen Witten und Hörde, sowie das Werk an der Möhnesperre einen weiteren Bereich. Daran angrenzend versorgte das städtische Elektrizitätswerk Dortmund den Bereich von Castrop bis Lünen und Kamen. Ein Elektrizitätswerk Westfalen in Bochum versorgte den Bereich bis Barmen und den nördlichen Randbezirk bis Recklinghausen. Das dichte Netz von Elektrizitätswerken war somit auf Abhängigkeiten angewiesen, weshalb die militärische Sicherung zwingend notwendig war. Vgl. Berking, „Städte“, S. 29. Berking plädiert dafür Stadt als „räumliche Vergesellschaftungsform, deren distinkter Charakter in der raumstrukturellen Organisation und Dichte und großstädtischen Doxa liegen“ zu verstehen. 94 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 14427, fol. 106, Maßnahmen der Gelsenkirchener Bergwerks AG, betr. Maßnahmen zur Verhütung von Umsturzbewegungen im Industriegebiet, Gelsenkirchen 27. August 1919. 95 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15297, passim. Die Akte berichtet von zahlreichen Vorgängen dieser Art, sodass dieses Vorgehen für viele Städte des Ruhrgebietes angenommen werden darf. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 14427, fol. 14427, Schreiben Wehrkreiskom-
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neu erschlossenen Räumen auch auf Dauer eine neue Struktur einzurichten, wenn beispielsweise Werksleiter als Geiseln festgesetzt und dafür die eigenen Leute installiert wurden. Gleichzeitig versuchte man durch die Verhängung von Belagerungszuständen über die Regierungsbezirke Arnsberg und Münster auf diese Aktionen zu reagieren.96 Die Ursachen, welche zum Ausbruch der Revolution im Ruhrgebiet geführt haben, wurden bisher vermehrt in politischen und sozialen Faktoren gesucht. Im Fokus standen dabei die Auseinandersetzungen zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmen.97 Die Frage nach einem Achtstundentag in den Bergwerken führte schließlich zu einem nicht unwesentlich wichtigen Detail in den Verhandlungen. Bergarbeitergewerkschaften hatten vom Zechenverband den Achtstundentag durchsetzen können, inklusive der Ein- und Ausfahrten. Nicht eindeutig schien jedoch die Regelung, ob diese Maßnahmen sich auf den einzelnen Bergarbeiter bezogen, oder die gesamte Belegschaft, also die Einfahrt des ersten Arbeiters meinte. Die Differenz betrug so in etwa eine halbe Stunde, die jeder einzelne Arbeiter weniger unter Tage gewesen wäre. Einzig in Hamborn verfuhr man weiterhin mit 8 Stunden pro Schichtbelegschaft, weshalb hier ein Kulminationspunkt für den Beginn der Revolution im Ruhrgebiet gesehen werden kann.98 Im „notorischen Wetterwinkel“ Hamborn seien die politischen Gefahren besonders groß durch „das Hereinströmen aller fluktuierenden Elemente, die das Ruhrgebiet abstösst.“99 Die Forderungen der Hamborner Bergleute nach einer einmaligen Zahlung von 500-600 Mark, 100 Mark für jedes Kind unter 14 Jahren, sowie der Einführung einer 7 Stundenschicht ließen sich erst durchsetzen, als die Belegschaft zum Mittel der Massendemonstration vor der Wohnung des Generaldirektors griff. Dieses sprach sich schnell bei den anderen Belegschaften der Zechen des Ruhrgebietes von Duisburg bis Essen-Karnap herum und zog eine Kettenreaktion nach sich. Nach der Essener Vereinbarung vom 13. Dezember 1918 wurden die Zugeständnisse in Hamborn mit Hinweis auf Erpressung widerrufen. Die Arbeiter der Hamborner Zeche unternahmen nun Solidarisierungsmärsche mit großen Demonstrationszügen in die benachbarten Zechengebiete. „Dieses Kampfmittel der direkten Aktion zusammen mit dem Gegensatz zur zentralen Gewerkschaftspolitik brachte die Hamborner Bergleute zum Syndikalismus, und so lag es in der Logik der Sache, daß sich allmählich die Mehrheit der Belegschaften der Thyssen-Zechen in der syndikalistischen
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mando, VI Abt. Ic Nr. 2820, an Oberpräsidium Münster, Münster 15. März 1920. In verschiedenen Orten kam es zu Ausschreitungen, bei denen vermehrt infrastrukturelle Gebäude, sowie Verkehrsanlagen besetzt worden sind. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 14427, fol. 133, Schreiben Wehrkreiskommando VI, Abt. Ic Nr. 2820 an Oberpräsidium Münster, 15. März 1920. Vgl. Die Überlegungen zum Belagerungs- und Ausnahmezustand in Kapitel 4.5. Vgl. die Ergebnisse des Sammelbandes bei Führer/Mittag/Schildt/Tenfelde (Hrsg.), Revolution und Arbeiterbewegung. Lucas, Märzrevolution I, S. 26; vgl. etwa Lucas, Ursachen und Verlauf. BA B, R 1501, Nr. 116426, fol. 67 RS, Reichs- und Staatskommissar für den Befehlsbereich VII. A.-K. an Reichsminister des Innern, Münster 14. Februar 1920.
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‚Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften‘ organisierte.“100 Von einzelnen Standorten wie Hamborn aus, wurde das nun zu bestreikende Gebiet zunehmend von den Hamborner Bergleuten ausgeweitet, während es sich nun bis mittlerweile Sterkrade und Osterfeld räumlich ausweitete. Diese Solidarisierungsbekundungen führten zu weiteren Anschlüssen an die Bewegung. Zur Verschärfung dieser Situation führte nun der vermehrte Ruf nach militärischer Unterstützung seitens der Zechenleitungen. Militärische Einheiten und Freikorps wie das am 26. Dezember 1918 in die Zeche Osterfeld beorderte Freikorps Heuck durch das Generalkommando in Münster provozierten vielfach gewalttätige Auseinandersetzungen. Die Direktion der Gutehoffnungshütte, der die Zeche Osterfeld angehörte, bat das Freikorps Heuck, den Schacht Königsberg in Oberhausen zu besetzen, um „räumlich Nähe“ zu Hamborn herzustellen. Das Ergebnis derartiger Auseinandersetzungen am 27.12 zwischen der Hamborner und der Belegschaft Concordias fiel mit drei Toten und mehreren Schwerverletzten vergleichsweise gering aus, zeigte aber, wie schnell diese Gemengelage zur Eskalation führen konnte.101 Die Standorte versuchten mit unterschiedlicher Hilfe wie der Hamborner Arbeiterwehr, welche wiederum zwei LKWs mit Waffen nach Oberhausen schickte und auf der anderen Seite einer Essener Matrosenkompanie, ihre Position zu verbessern. Auch wurden Verhandlungsmänner wie der Linkssozialdemokrat Ströbel aus Berlin herbeigeholt, um die Gespräche zu führen und einen Konsens herbeizuführen.102 Thyssen gestand eine einmalige Zahlung in Höhe von 100-200 Mark zu, sowie 25 Mark pro Kind unter 14 als teilweise Entschädigung aufgrund des durch Streik verursachten Lohnausfalles, jedoch mit dem Zugeständnis der Beibehaltung der 8-Stundenschicht seitens der Gewerkschaften ab dem 1. Februar 1919. Die Mehrheit entschloss sich daraufhin den Streik zu beenden. Diese Hamborner Sätze wurden auch den Nachbarzechen gewährt. Insgesamt stellt dieser Fall ein gutes Beispiel für das gesamte Ruhrgebiet zu Beginn der Revolution dar, denn „die Bewegung [war] völlig unkoordiniert und in ihrer Struktur partikularistisch“ angelegt.103 Anders gestaltete sich die zentrale Organisation des Militärs im Ruhrgebiet. Die Zuständigkeiten bündelten sich für den gesamten Industriebereich in Münster mit dem Sitz des VII. Armeekorps. Von Münster ausgehend wurden Gegenmaßnahmen gegen die große Streikbewegung im Ruhrgebiet organisiert. Hierfür sah das Generalkommando vor, umfassende Informationen über das Streikgeschehen und das Zusammenwirken von Militär- und Zivilbehörden einzufordern. Auf einer einzuberufenden Versammlung im Oberpräsidium Münster standen zudem Fragen auf der Tagesordnung, in welchen Fällen man der Verhängung des Belagerungszustandes
100 Hier und im Folgenden Lucas, Märzrevolution I, S. 28; vgl. Bock, Syndikalismus. 101 Für sich wiederholende Aktionen am selben Ort vgl. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15974, Schreiben Polizeipräsident Essen, J.-No. I. A. 5095, an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Essen 3. Februar 1919. 102 Vgl. Graf, Die Politik der reinen Vernunft, S. 131–155. 103 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15974, fol. 249, Schreiben Oberbürgermeister Hamborn an Regierungspräsident Düsseldorf, Hamborn 10. April 1919. Zur Einschätzung der Lage zu Beginn der Revolution in Hamborn.
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ausdrücklich zuzustimmen hatte.104 Für das Ruhrgebiet und den Verlauf der Revolution war daher entscheidend, dass mit Münster ein wichtiger Stützpunkt unter der Führung des Generals Freiherr von Watter vorhanden war, welcher Ende März 1919 zusätzlich das Kommando über alle Freikorps und so die Macht zur Kontrolle des Ruhrgebietsraumes besaß. Münster war somit ein wichtiger Bestandteil als „Motor der Revolutionsbewegung.“105 Am 10. November 1918 wurde von hier aus ein allgemeiner Befehl erlassen, welcher jeden Truppenteil veranlasste, zwei Delegierte zu einem „erweiterten Soldatenrat“ wählen zu lassen.106 Dieser sollte fortan als „Zentralinstanz aller Soldatenräte“ im Korpsbereich fungieren.107 Die Lebensmittelzufuhr, welche durch Plünderungen, Brände und Explosionen besonders gefährdet wurde, wirkte sich unmittelbar auf die öffentliche Sicherheit aus und erforderte daher eine Zusammenarbeit mit den Zivilbehörden. Münster als ein militärisches Zentrum bot eine große Anzahl beurlaubter Soldaten, welche nach Rückkehr vom Feld zur Verfügung standen, wenn ihnen Entlohnung und Verpflegung zugesichert wurden. Die Polizeimannschaften sollten in dieser Weise durch Militärpersonen bei Plünderungen oder sonstigen Unruhen in erster Linie bei den Bezirkssoldatenräten verstärkt werden.108 Dieser Ausbau eines lokalen Sicherheitssystems von Münster ausgehend sollte auf weitere Städte des Ruhrgebiets ausgeweitet werden, indem versucht wurde, das Ruhrgebiet raumstrategisch zu organisieren und kontrollieren. Zusammen mit dem in Coesfeld stationierten 16. Infanterie-Regiment, in Minden mit der 26. Infanterie-Brigade, in Paderborn dem Infanterie-Regiment 158 und Husaren-Regiment 8, in Bielefeld mit dem 57. InfanterieRegiment, sowie in Mühlheim mit dem Infanterie-Regiment 159 und in Hagen mit dem 3. Landsturm-Ersatz-Bataillon wurde so ein Netz geschaffen, welches weite Teile des Ruhrgebietes umfasste.109 Eine verstärkte militärische Präsenz wurde besonders an denjenigen Orten erforderlich, deren Bewohnerschaft man als besonders radikal einschätzte.110 Die Zentren der Revolution im Ruhrgebiet waren zum einen Orte, an denen es vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und bewaffneten Truppen
104 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 13, Schreiben VII. Armeekorps stellvertretendes Generalkommando, Abt. Ic Nr. 3167, an Regierungspräsidenten Arnsberg, Münster 24. April 1919. 105 Kluge, Generalsoldatenrat, S. 315. 106 Schulte, Münstersche Chronik zu Novemberrevolte, S. 73f. 107 Kluge, Generalsoldatenrat, S. 327. 108 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 14427, fol. 3, Schreiben VII Armeekorps stellv. Generalkommando, Abt. Ib Nr. 29895, an Oberpräsident Münster, betr. innerpolitische Verhältnisse, Münster 16. November 1918. 109 Kluge, Generalsoldatenrat, S. 339f. Zum militärischen Vorgehen gegen die einzelnen Städte vgl. Darstellung aus den Nachkriegskämpfen Deutscher Truppen und Freikorps, Errettung des Ruhrgebiets. 110 Kölner Zeitung Nr. 1120 vom 5. Dezember 1918. Spartakusgruppen würden täglich die Massen im Ruhrgebiet bearbeiten. Agitatoren aus Russland tauchten vermehrt in Essen und Düsseldorf auf. Weitere Zentren bildeten Mühlheim, Hamborn und Dortmund. Rheinisch-Westfälische Zeitung Nr. 121 vom 10. Februar 1919.
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gekommen war, an denen größere Streik- und Demonstrationsaktivitäten stattfanden oder die als besonders radikal eingeschätzt wurden.111 Dieses konnte durch die Presse verstärkt werden. Am wichtigsten waren zur Einschätzung der politischen Lage in den Ruhrgebietsstädten Berichte von verdeckten Beobachtern, welche in einem anonymen Spitzelsystem für den Staat operierten und so eine politisch-räumliche Kartierung des Ruhrgebiets vornehmen konnten.112 2.3 MIKRORÄUME – VIERTEL, STRASSE, WIRTSHAUS Mikroräume bilden den engsten Bezugsrahmen des Alltags der Menschen. Sowohl die Wege von der Wohnung bis zur Arbeit, als auch die Orte der Freizeitgestaltung in den Cafés und Kneipen als „Wechselstuben der Gedanken und Pläne“ bildeten die häufigsten Kontaktzonen zwischen den Menschen.113 Das eigene Viertel, oftmals sogar der einzelne Straßenzug als „public circulation space in towns“, hatte Einfluss auf die Herausbildung einer Identität, welche somit in einem engen Verhältnis zum Raum der Akteure stand.114 Der lokale Bezugsrahmen muss daher in einer Raumgeschichte der Revolution immer mit reflektiert werden. Auf die Bedeutsamkeit des sozialkulturellen Geländes der Großstadt hat bereits Pamela Swett hingewiesen. „I begin and remain on the streets of Berlin. I seek to understand how citizens, in particular those who lived in the lowrent city center, participated in the collapse of the republic, not in the way they cast their ballots, but in the ways they related to their city, their local leaders, and most importantly each other.“115
Von ihrer Struktur her bestehen Städte aus Elementen mit zentralörtlicher Bedeutung und aus den einzelnen Wohnbereichen. Letztere lassen sich in spezifisch geprägte Stadtviertel voneinander abgrenzen. Diese „Quartiere der modernen Großstadt“ weisen oftmals auf ein bestimmtes sozialkulturelles Milieu hin und wurden von den Menschen als Sozialräume mit eigener Ausprägung wahrgenommen.116 In 111 Die Verwaltungsbezirke ließen sich Nachweise über das Streikgeschehen in Formularen zukommen. Gefragt wurde hier nach Ort, Gewerbeart, der Anzahl der Betriebe und genauen Angaben zu Datum und Gründen des Streikgeschehens. 112 Im vierten Kapitel wird daher besonders auf diese Institution und deren Praktiken eingegangen. Stellvertretend sei hier genannt LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol. In Berichten aus beispielsweise Düsseldorf, Elberfeld, Barmen, Essen, Bochum, Dortmund wird häufig auf Revolutionszentren hingewiesen, an denen revolutionäre Aktionen in verdichteter Form stattfinden. Der Großteil der Berichte setzt jedoch erst im späteren Verlauf der Revolution ein. Der Fokus liegt hier auf den Ereignissen rund um den Kapp-Putsch. Die gewonnenen Erkenntnisse dieser Berichte gingen in die Berichterstattung der Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos ein. Vgl. hierzu LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15972, Nachrichten politischer Agenten. 113 Krell, Das alles gab es einmal, S. 18. 114 Bedarida/Sutcliffe, The Street, S. 380. Vgl. Pott, Identität und Raum, S. 27–52; vgl. Lehnert/Megerle, Problems of Identity, S. 43–59. 115 Swett, Neighbors and Enemies, S. 7. 116 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 113; von Saldern, Häuserleben, S. 22.
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der Forschung wurde daher argumentiert, dass nicht der Raum an sich bei neu entstehenden Wohnvierteln die Deutungs- und Handlungsmuster der Menschen prägte, sondern der „vergleichsweise homogene Sozialcharakter des unmittelbaren Wohnumfeldes“ in den sozial-moralischen Milieus.117 Die Vorstellung von in sich geschlossenen Milieus wurde in späteren Forschungen angezweifelt, da man annahm, dass mit neuen gesellschaftlichen Konfliktlinien und sozialen Segmentierungen die alten „Cleavages“ aufbrachen.118 Die Bindung des Milieus durch kleinere räumliche Einheiten, vollzog sich besonders durch die „im vertrauten Nachbarschaftsbereich gemeinsam [gebildeten] Wertvorstellungen und Verhaltensnormen“, während es weiter differenziert werden konnte.119 Das sozialistische Milieu wurde Adelheid von Saldern zufolge besonders durch die Betriebe dominiert. Demnach hatten die Erfahrungen am Arbeitsplatz maßgeblichen Einfluss auf den Zusammenhalt einer sozialen Gruppe, während ein Quartiersmilieu sich vornehmlich in den Nachbarschaftsbeziehungen im Wohnumfeld manifestierte, ebenso wie ein Vereinsmilieu im Freizeitbereich.120 Einfluss auf das Mikromilieu konnte die „räumliche Randlage des Quartiers“ nehmen.121 Für die Herausbildung eines Milieus war die unmittelbare face-to-face Kommunikation der Menschen in ihren Wohnquartieren und ihrem Freizeitverhalten wichtig, „in der eine nicht nivellierte, sondern sozial und weltanschaulich in viel höherem Maße fragmentierte Gesellschaft“ existieren konnte.122 Schmiechen-Ackermann hat unter anderem für die Stadt Berlin herausgearbeitet, dass das Westend und der Südwesten vom bürgerlich-nationalen Milieu dominiert wurde, während der Norden, Osten und Südosten vom proletarischen, beziehungsweise sozialistischen Milieu geprägt war.123 Im sonst bürgerlichen Charlottenburg bildete der Kleine Wedding rund um die Zillestraße eine Ausnahme. 117 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 115. Vgl. Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur, S. 56-80; vgl. Rohe, Wahlen und Wählertraditionen. 118 Vgl. Langewiesche, Politik, Gesellschaft, Kultur, S. 359–402; Lösche/Walter, Das sozialdemokratische Arbeitermilieu, S. 161-187. 119 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 115; von Saldern, Häuserleben, S. 17; Fritzsche, Quartier, S. 104. 120 Von Saldern, Sozialmilieus, S. 20–53; vgl. Keim, Milieu in der Stadt; zu Submilieus innerhalb eines Wohnviertels siehe Rosenbaum, Proletarische Familien; zur Differenzierung von Mikround Makromilieus vgl. Hradil, Sozialstrukturanalyse. 121 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 122. 122 Ebd., S. 52. 123 Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 70. Eine Berufszählung von 1925 hatte ergeben, dass der Wedding, Friedrichshain, Weißensee, Neukölln, Spandau und Treptow als Arbeiterbezirke ausgemacht werden konnten (mit je über 50% Arbeiteranteil), während als sozial stärker durchmischte Bezirke Prenzlauer Berg, Lichtenberg, Köpenick und Reinickendorf galten. In politischer Hinsicht stellte Kreuzberg das rote Berlin dar, während Steglitz und Zehlendorf in den Anfangsjahren der Republik von den konservativen bürgerlichen Parteien dominiert wurden. Steglitz galt aufgrund des Angestellten- und Beamten-Anteiles als gehobenes Mittelschichten-Quartier. Zehlendorf konnte eher ein großbürgerlicher Charakter zugeschrieben werden, weil hier ein hoher Anteil von Selbständigen vorzufinden war, sowie von Angestellten und Beamten, aber auch Hausangestellten. Trotzdem wies der Bezirk mit den „Arme-Leute-Ecken“ im Kernbereich des Viertels eine gewisse Heterogenität auf. Die Gegensätze machten sich dann
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Viertel, Milieus, Kieze oder bestimmte einzelne Straßenzüge gab es in allen Stadträumen, die dieser Studie zugrunde liegen. In diesem Kapitel soll daher entlang einiger paradigmatischer Fälle auf diese unterschiedlichen Formen der Raumaufteilung hingewiesen werden. Die Einteilung des Stadtraumes in eindeutig zuordenbare bürgerliche Wohngegenden auf der einen Seite und dem proletarischen Kiez auf der anderen Seite sind zunächst nachvollziehbare Einteilungen des Raumes. Trotzdem können sich diese überschneiden, wenn man gemischte Wohnviertel betrachtet, oder die Einteilung des Raumes nicht mehr der geographischen Struktur eines Viertels wie beispielsweise Moabits entspricht, sondern sich Gefahrenräume quer zur den Bezirken entwickelten. Adelheid von Saldern hatte mit ihrem Modell der „Zonen als Transition“ am Beispiel der Elendsquartiere nahe dem Berliner Alexanderplatz gelegenen Scheunenviertel herausarbeiten können, dass jene Form des Kiezes keiner formalen Bezeichnung einer Berliner Karte folgte, sondern einen Bereich bezeichnete, welcher ohne optisch wahrnehmbare Grenzen Wirkung auf seine Bewohner ausüben konnte.124 Der sozialräumlichen Verteilung haftete, wie im Falle des Scheunenviertels, auch eine symbolische Dimension an.125 Ähnlich wie Londons Whitechapel konnotierte man mit dem Scheunenviertel verschiedene „Narrative und Mythen“.126 Die Milieuschilderungen beispielsweise von Fritz Rück geben ein gutes Bild davon, wie die Bewohner ihr eigenes Viertel wahrnahmen.127 Bewohner des Weddings berichten hier von den dicht besiedelten und von Fabrikbetrieben durchsetzten vorwiegend fünfgeschossige[n] Vorder- und Hinterhäuser[n], deren Einwohner mehrheitlich zur arbeitenden Schicht gehörten.128 An der Müllerstraße zwischen Leopoldplatz und Seestraße spielte sich „jeden Abend ein richtig großer Bummel, der Korso des Weddings [ab]. Hier steigt die Jugend auf und ab.“ Die Pharussäle dienten verschiedenen Organisationen als Versammlungsort, während sie zugleich
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wieder besonders im Villenviertel rund um die Lichterfelder Kadettenanstalt bemerkbar. Vgl. Sandvoß, Widerstand in Steglitz, S. 7. Von Saldern, Häuserleben, S. 42f.; vgl. Geisel, Im Scheunenviertel. Für eine anschauliche Beschreibung von Milieus vgl. Petersen, Unsere Straße. Lindner, Walks on the wild side, S. 12. Ebd., S. 101. Vgl. dazu die Schilderungen des Sozialethikers Friedrich Siegmund-Schultze, der mit der Sozialen-Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost (SAG) ein Nachbarschaftshilfeprojekt für den Osten Berlins gegründet hatte und daher auf viele Milieuschilderungen zurückgreifen konnte. Das Projekt war am Ostbahnhof (heutiger Schlesischer Bahnhof), einer der ärmsten Gegenden Berlins, angesiedelt. Siegmund-Schultze, Berlin-Ost, S. 171. Siegmund-Schultze hatte die Kneipe zum Kerngebiet der Untersuchungsarbeit der SAG gemacht und diese als ein „soziales Bedürfnis in den Arbeiterviertel[n]“ beschrieben. Vgl. Holek, Meine Erfahrungen in Ost-Berlin, S. 42. Die hohe Dichte an Kneipen in Berlin resultierte aus den schlechten Wohnverhältnissen und der Flucht vieler Menschen aus ihren Wohnungen in besser ausgestattete Räume. Rück, Der Wedding, S. 7. Rück war als Teilnehmer der Revolution besonders in Württemberg aktiv an den Geschehnissen beteiligt. Vgl. dazu Chlada/Haible (Hrsg.), Fritz Rück und die Revolution. Rück, Der Wedding, S. 13. 361.074 Einwohner wohnten in 109.693 Wohnungen auf einer Fläche von 499,19 ha.
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der Ort waren, wo alter und neuer Wedding aufeinander stießen. Die Kräfte zur Festigung einer sozialen Gruppe innerhalb eines Kiezes folgten Pamela Swett zufolge einer differenzierten Logik. „There were no official boundaries to these units, and often both residents and outsiders were likely to hold a number of competing visions of what exactly constituted the Kiez. Where a strong Kiez identity existed, housing, political allegiances, and community landmarks united the inhabitants – though even these basic factors varied from Kiez to Kiez. Nonetheless, there is evidence that a separate sense of community existed at this level, and that these neighborhoods had their own political and social hierarchies, rules of behavior, and sense of communal property or ‚turf‘.“129
Wichtig für den Kiez war somit die Bedeutung von Straßen, Plätzen oder Bahnhöfen als zentrale Bezugspunkte des Viertels.130 Da Viertel oder Kieze in den meisten Fällen durch keine offiziellen Grenzen voneinander getrennt wurden, waren es Orte mit besonderer Bedeutung, die die Bezugspunkte des Areals markierten. Das Charakteristische des Kiezes äußerte sich zunächst darin, dass Arbeit und Wohnung der Kiezbewohner einer räumlichen Organisation folgten, indem beide oftmals „in Sichtweite zueinander“ lagen. Zum Stadtbild Kreuzbergs mit den stuckbehangenen Vorderhäusern in rechtwinkliger und gleichförmiger Anordnung gehörte eben auch die hintere Seite der Häuser, weshalb die Wohnverhältnisse jenen ambivalenten Charakter hatten. „Die Vorderhäuser gehorchen dem Bild der bürgerlichen Stadt. […] Außer ihnen wohnten im Vorderhaus der Arbeiteradel, die kleinen Beamten, Lehrer, Polizisten, Witwen mit Versorgung und die Leutnants. Das war sozusagen die Oberschicht. Oft, und immer häufiger, gehörten die Häuser aber auch dem Kaufmann, der im Haus einen Laden betrieb, dem Schankwirt im Hause, seltener einem Fabrikanten, der im Hof eine Fabrik baute. […] Selbst für die größten Luisenstädtischen Fabriken ist bezeugt, daß sie um sich herum förmliche Zonen bildeten, in deren Häusern fast ausschließlich die in der betreffenden Fabrik beschäftigten Arbeiter wohnten.“131 Quartiere hingegen waren „eine überschaubare, eher weniger als mehr abgegrenzte Stadtteilseinheit, der sich die Bewohner bewußt oder unbewußt zugeordnet“ fühlten, „mit der sie sich im besten Falle identifizierten, und in welcher der allgemeine Wohnwert, andererseits aber auch unter Umständen Mangel in der materiellen und sozialen Versorgung zu einem sozialen Miteinander führen“ konnten, jedoch offenbar nicht mussten.132 Das Wohnquartier als ein alltagsweltliche Orientierung vermittelnder „Sozialisationsraum“ ist jedoch zugleich auch ein kulturell
129 Swett, Neighbors and Enemies, S. 20. 130 Ebd., S. 28f. 131 Hoffmann-Axthelm, Kreuzberger Mischung, S. 16f.; für die Wohnverhältnisse vgl. Geist/Kürvers, Das Berliner Mietshaus II; Wiedenhoeft, Berlin’s Housing Revolution; Hegemann, Das Steinerne Berlin. 132 Vormbrock, Wohnen im Quartier, S. 3.
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vermittelnder Raum.133 Die Räume, gerade der proletarischen Bevölkerung, wurden schrittweise „erwohnt“ und „erobert“.134 Hierfür war die nicht kohärent verlaufende soziale Organisation der Bewohner Grundvoraussetzung. Hierzu zählte die familiäre und freundschaftliche Vernetzung, welche sich besonders an Treffpunkten und Orten der Kommunikation festigen konnte.135 Daher kann auch nicht von einer homogenen Nutzung dieser Orte ausgegangen werden. Speziell Kneipen und Wirtshäuser bildeten gemischte Räume, die verschiedenen Akteuren zugänglich waren. Als Interaktionsorte bildeten sie eine „halb-offene, halb-geschlossene Öffentlichkeit in dem Stadtviertel.“136 Aufgrund der oftmals schlechten Wohnverhältnisse boten sie eine „Ausweichmöglichkeit“ als kulturellem Treffpunkt, indem hier nachbarschaftliche Beziehungen gepflegt wurden. Während des gemeinsamen Bier- oder Schnapstrinkens wurden zudem die inneren Bindekräfte der eigenen sozialen Formation gefestigt.137 Als Ausgangspunkt vieler Demonstrationen und Protestaktionen waren sie darüber hinaus ein Ort vermehrter Kommunikation, an dem der Austausch von Informationen oder Neuigkeiten in Gesprächen stattfand. Konkrete Orte waren demnach wichtig für die Zusammensetzung eines Mikroraumes und der auf die sozialen Akteure ausgehenden Wirkungen. Es waren Straßen und Plätze, welche die Orte der Revolutionen bildeten, an denen sich Protest manifestierte und Macht inszeniert wurde. Es waren diejenigen Orte, die für die Dynamik der Situation standen, wenn Gerüchte gestreut, Reden gehalten oder Gewalt ausgeübt wurde. Diese Erkenntnis spiegelte sich auch in den offiziellen Anweisungen unterschiedlicher sozialer Formationen wider, wie in Abb. 4 dargestellten Plakat des Oberkommandos der Roten Armee in München, in welchem auf die Gefahr des Straßenraums als „Herd aller falschen Gerüchte und Verwirrungen“ hingewiesen wurde.138 Die „Ansammlung auf Straßen und Plätzen“ waren verboten und wurden durch Wachen der Roten Armee „zerstreut“. An diesen Orten wurde den sozialen Akteuren sowohl auf staatlicher, als auch ziviler Seite zudem ein Publikum geboten, um öffentlichkeitswirksam Politik zu verhandeln oder zu repräsentieren. Aber die Straßen und Plätze waren jene Orte, an denen sich die Stimmung der Bevölkerung ablesen ließ. Ihre Multifunktionalität spiegelte sich auch in ihrer unterschiedlichen Nutzung wider. Neben der staatlichen Repräsentanz fanden hier Demonstrationen statt, Parteien warben für ihre Programme und buhlten um neue Wählerschaften. Gleichzeitig boten sie ausreichend Raum, um Neugierige aufzunehmen. Sie regelten den Verkehr und waren Ort von Freizeitaktivitäten. In der öffentlichen Bedeu-
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Fritzsche, Quartier, S. 104.; kritisch dazu vgl. von Saldern, Häuserleben, S. 75. Haben, „Die waren so unter sich“, S. 242. Ebd., S. 242. Ebd., S. 242 Zum Trinkverhalten in der Weimarer Republik vgl. Hübner, Zwischen Vereinskneipe und Sportarena, S. 137-164, besonders S. 141f. 138 Hier und im Folgenden BA B, SAPMO, SGY 10, Nr. V236-7-28, fol. 59.
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tungsaushandlung in der Gemengelage der Repräsentationen, Funktions- und Bedeutungshierarchien verkörperten sie Macht und hatten gleichzeitig ein hohes identifikatorisches Potential.139 Die Straße mit ihrer Situationsoffenheit und oftmals schnell wechselnder Dynamik war bereits lange vor der Revolution Ort politischer Aushandlungsprozesse. „Die Politik ist auf die Straße getragen; sie muß mit den Mitteln der Straße bekämpft werden!“140, so der Herausgeber der Zeitschrift „Die Richtung“ Franz Müller in einer handschriftlichen Notiz vom Januar 1919. Er setzte sich für die Verteilung seines Flugblattes ein, weil er der Meinung war die „Volkspsyche“ zu kennen. Die Nationalversammlung sei das „Grab der Anarchisten“, weshalb diese vorher noch die Ordnung „in Trümmer schlagen“ wollten. „Alle, die am Montag hinter den Demonstranten herzogen, wußte auch nur der Hundertste was er tat; wußte er, daß der von Russland bezahlte Knecht Liebknecht der größte Volksverräter neben Kerenski ist […].“ Die Theatralik der Revolution, welche durch die Straße eine Bühne des Protests bekommen hatte, war darüber hinaus auch Ort kultureller Aushandlungsprozesse, welcher Menschenansammlungen einen sozialen, aber eben auch einen kulturellen Raum bot, in dem sich vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten und körperbetontes Agieren bot. Die Straße war „eine Art ‚Massenmedium‘ vor allem für gesellschaftliche Erfahrungen, die auf Vermischungen, Berührungen und Konfrontationen zwischen Sphären beruhen, die sonst räumlich voneinander getrennt existieren: Hier begegnen sich nicht nur Obrigkeit und ‚Untrigkeit‘, sondern auch Arm und Reich, Männer und Frauen, Alte und Junge, Fremde und Einheimische, Fleißige und Müßiggänger, Nüchterne und Betrunkene, Seßhafte und Obdachlose, ‚Anständige‘ und ‚Unanständige‘.“141
Mit der Revolution begann sich dieses Bild der Straße zunehmend durchzusetzen. Sie wurde von neuen Akteuren genutzt, während es denselben sofort auffiel, wenn Ordnungsvorstellungen ins Wanken gerieten. Als ein anonymer Spitzel des politischen Nachrichtenbüros Kölpin davon berichtete, dass die Straßen „Müllkästen“ glichen und sich überall „Berge von Schmutz und Unrat“ anhäuften, wuchs auch in der Wahrnehmung der konservativen Regierungstruppen in Berlin „der Hang zu ungehemmter Vergnügungssucht ganz unglaublich“ an.142 „[Demnach schossen] Spielklubs, Likörstuben und Tanzdielen […] wie Pilze aus der Erde. Oft erschallte Musik und lustiges Gläserklingen, während irgendwo um die nächste Ecke Menschen im brudermordenden Kampf verröchelten. Es war bezeichnend, daß irgendeine wohlmeinende Stelle an den Litfaßsäulen anonym Plakate erscheinen ließ mit der Aufschrift ‚Halt ein, Berlin,
139 Vgl. James, Wirtshaus und Politik, S. 139. Das Wirtshaus galt als „Hauptquelle persönlicher Identität.“ 140 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 354, Schreiben des Herausgebers der Zeitschrift „Die Richtung. Nordöstliche Blätter zu den Zeitströmungen Franz Müller an „unleserlich“, Berlin 9. Januar 1918. 141 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 11. 142 LAV NRW R, Büro Kölpin, Nr. 220, ohne fol., Bericht des Agenten A.W. 35, betr. Versammlung der Freien-Arbeiter-Union und Demonstrationen am 22. Juni 1920 in Düsseldorf, Münster 23. Juni 1920. Vgl. Lüttwitz, Im Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 40.
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2. Die Arenen politischer Kämpfe als Brennpunkte der Revolution dein Tänzer ist der Tod!‘ und einer entsprechenden Zeichnung. Geholfen hat es allerdings gar nichts.“143
Straßen waren nicht nur Arenen der Politik, sondern auch des Kulturellen.144 Die Deutungsoffenheit von Straßenszenen spiegelte sich letztlich auch in den räumlichen Ensembles wider, welche zum Straßenbild gehörten und die Straße wiederum gleichzeitig zu einem konkreten Ort machten. Bereits in den Jahren vor der Revolution erkannte man, dass gerade Wirtshäuser und Kneipen eine gefährliche Wirkung auf die Akteure ausüben konnten. Im Sommer des Jahres 1917 schlussfolgerte die königliche Polizeidirektion Münchens, dass die „Einführung der Bedürfnisfrage für Weinwirtschaften […] sicherlich zu einer Einschränkung des Uebels führen können.“145 In vielen Großstädten war aufgrund der Kriegszustandsbestimmungen gegen diese Form der Animierkneipen vorgegangen worden. Seit Kriegsbeginn hatten diese „in der ernsten Zeit besonders häßliche Erscheinungen mit sich“ gebracht, „daß sie mit ihrem gewissenlosen und schamlosen Vorgehen jugendliche Personen zum Verprassen unrechtmäßig erworbenen Geldes antreiben, sittlich haltlose Männer tiefer sinken lassen und zur Verbreitung der Geschlechtskrankheiten beitragen.“146 Die Wirtin und die weiblichen Hilfskräfte müssten „unauffällige Kleidung“ tragen und hätten jedes Anlocken von Gästen durch beispielsweise das Aufstellen „unter der Türe, durch Stehen oder Sitzen am offenen Fenster, durch Zuwinken oder Anrufen zu unterlassen.“147 Kneipen und Wirtshäuser waren nicht ausschließlich Orte des Vergnügens, sondern auch Mittelpunkte der Diskussion und Organisation. „Als wichtiger sozialer Bezugspunkt war das Wirtshaus auch ganz selbstverständlich der Ort, an dem die Arbeiter sowohl ihre persönlichen wie ihre politischen Hoffnungen und Beschwernisse zur Sprache bringen konnten“, während zugleich ein Raum geschaffen wurde, in dem Menschen unterschiedlichen Berufs und teils auch Herkunft miteinander in Kontakt kamen und ihre Erfahrungen und Zukunftserwartungen austauschten. „Auf diese Weise ergab es sich, daß der Fabrikarbeiter und der Gemüsehändler, der Briefträger und der Metzgergeselle, der Kutscher und der Schiffszimmermann sich an einem Tisch gegenübersaßen und regelrecht gezwungen waren, ihre Interessen und Erwartungen, über die sie sich einig sein konnten oder auch nicht, miteinander zu erörtern, [sodass sich die] Alltagswirklichkeit der Politik der Arbeiterklasse stets aufs neue [formierte].“148
Zum einen waren diese Orte den Akteuren bekannt. Darüber hinaus sorgte der Berliner Vorwärts jedoch mit regelmäßigen Veröffentlichungen einer Liste mit Lokalen dafür, dass die Arbeiter diese Orte als Parteilokale finden konnten.149 Auch viele 143 Ebd., S. 40. 144 Vgl. Geschke, Straße als kultureller Aktionsraum, S. 13. 145 BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 969, ohne fol., Schreiben Polizeidirektion München, Nr. 119/III, an Magistrat München, betr. Die Bekämpfung der Animierkneipen, 17. August 1917. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 James, Wirtshaus und Politik, S. 126f. 149 Vgl. Milhaud, La Démocratie Socialist, S. 75.
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andere Organisationen hingen vom Raum des Wirtshauses ab.150 Ähnlich wie die Straßen zeichneten sich Kneipen durch ihre Multifunktionalität aus. Größere Kneipen boten ihrem Publikum genügend Raum, während sich die Zusammensetzung dieses Publikums zugleich durch eine höhere Heterogenität auszeichnen konnte, gerade wenn die Kneipe über eine größere Verkehrsanbindung wie beispielsweise in der Gneisenaustraße verfügte. Aber auch kleine Kneipen in Seitenstraßen boten als Familienkneipen einem ganz anderen Publikum Räume für private Klubtreffen jenseits parteipolitischen Charakters. „The public space of the pub was closed to the outside and at the same time open for members of the neighborhood. Under these conditions, a type of communication and discussion developed, which could integrate the entire spectrum of guests and attract the attention of all. Experiences, exciting events, news, and practical jokes could be told, without offense being taken, even if outsiders were present.“151
Identitätsbildend konnten diese Räume zudem durch ihre symbolische Ausgestaltung mit Gegenständen beispielsweise des eigenen Vereins sein.152 Die räumliche Enge des Kiezes forcierte die face-to-face Kommunikation. „Die sich wiederholenden Kontakte in den Geschäften, Straßen und Kneipen schufen schließlich gegenseitige Berührungspunkte, und die Lokalitäten erhielten für ihre Bewohner einen vertrauten Charakter: Allmählich spannte sich ein lokaler Horizont über die Topologie der Quartiere aus, in denen man sich schon fast ‚heimisch‘ fühlen konnte.“153
Eines der Viertel, welches schon vor Beginn der Revolution mit Unruhen auf sich aufmerksam gemacht hatte, war der an den Bezirk Tiergarten angrenzende nördlich gelegene Moabiter Beusselkiez.154 Von einem beliebten Viertel war dieses Areal durch die Ansiedlung zahlreicher Industriebauten und der modernen Mietshäuserarchitektur zunehmend zu einem Arbeiterviertel mit schlechtem Ruf geworden. Die hier gelegenen Metallbetriebe und die Loewe Fabrik waren in der Revolution Endstation zahlreicher Demonstrationszüge. Während der im Kontext des Dreiklassenwahlrechts stattfindenden Protestkundgebungen waren gerade Lokale im Beusselkiez Treff- und Ausgangspunkt derartiger Aktionen. Kneipen wie die Kronenbrauerei in Alt-Moabit 47–49, den Moabiter Bürgersälen in der Beusselstraße 9, oder dem Moabiter Gesellschaftshaus in der Wiclefstraße 24 boten den Versammlungen
150 Lidtke, Die kulturelle Bedeutung der Arbeitervereine, S. 146–159. Gemeint waren hier beispielsweise Wahlvereine, Sängerbünde, Bildungsvereine, Sportvereine oder Gewerkschaftskartelle. Vgl. Roth, The Social Democrats; vgl. Kocka, Arbeiterkultur; vgl. Ritter (Hrsg.), Arbeiterkultur. 151 Haben, „Die waren so unter sich“, S. 246, zit. nach Swett, Neighbors and Enemies, S. 32.; vgl. Kaplan, New York City Tavern Violence, S. 601. 152 Vgl. etwa Schönstedt, Kämpfende Jugend. 153 Haben, „Die waren so unter sich“, S. 252. 154 Vgl. Berlin. Von der Residenzstadt zur Industriemetropole, Band I, Teil 3: Moabit. Hier finden sich Aufsätze zu den Themen Siedlungsgeschichte, Industrie, Wohnverhältnisse, Infrastruktur, Schulen, Architektur, Justiz und Arbeiterbewegung.
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der Arbeiter den nötigen Raum.155 Trotz des vermeintlich geschlossenen Charakters des Viertels wurden die an den Unruhen beteiligten Akteure von der Presse nicht eindeutig verortet. Ernst Rau, Polizeimajor und Vertreter des Kommandeurs der Berliner Schutzmannschaft sprach von „Ausschreitungen des Pöbels“, nicht von Arbeitern oder Streikenden, sondern von Halbstarken, Unbesonnenen, Obdachlosen, Trockenwohnern, Bettlern, Zuhältern und Dirnen.156 Ohne einheitliches politisches Ziel wurde den Ereignissen lediglich die Störung der Ruhe und Ordnung zugeschrieben. Die Vossische Zeitung schrieb dazu, „der beschäftigungslose Mob, der sich in Berlin wie in den meisten Großstädten keine Gelegenheit entgehen“ ließe, „seine Radaulust und seinen Hang zur Störung der Ruhe und Ordnung zu betätigen“.157 Jahre später bot das Viertel wieder den Ort zahlreicher Auseinandersetzungen. Während der großen Unruhen des Januars 1918 versammelten sich hier tausende Arbeiter und Arbeiterinnen, um den Betrieb der Straßenbahn in Alt-Moabit zu verhindern. „Die aufgebrachte Menge hielt einen Zug an und legte mehrere Wagen quer über die Straße.“158 Die für Berlin typische Mietshäuser- und Kasernenbaucharakteristik blieb auf die Handlungen der Akteure auch während der Revolution nicht ohne Bedeutung. „The physical structure of the neighborhoods and the metropolis played a key role in the formation of Berliner’s political convictions and forms of activism.“159 Gerade die Kasernen fungierten hierfür als Stützpunkte für die gegenrevolutionären Freikorps und wurden so zum „Zentrum des Bürgerkriegsgeschehens“.160 Das Viertel galt in den 1920er Jahren als „Hochburg linksradikaler Agitation“, während es trotzdem im Bezirk Tiergarten am Nordwestrand gelegen ein „Fremdkörper“ blieb.161 Am Morgen des 14. Januar 1919 hatten vermehrte „Säuberungsaktionen“ gegen die Spartakusleute in den Fabriken stattgefunden. Die Eiserne Marinebrigade mit Soldaten des ehemaligen Kieler Befehlsbereichs von Gustav Noske drang in das Moabiter Fabrikenviertel ein. Hier wurden die Werke Ludwig Loewe, Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken und die Berlin-Anhaltische Maschinenbau A.G., sowie der Bahnhof Beusselstraße und Lehrter Bahnhof geschlossen. Die bereits angedeuteten schlechten Wohnverhältnisse äußerten sich gerade hier in Wohnungen ohne elektrisches Licht, welche mit Petroleumlampen oder Gas be-
155 Block, Moabit. Ein Bild polizeilicher Willkürherrschaft, S. 18. Die Straßen bei den großen Fabriken wiesen Blocks Schilderungen zufolge bei Schichtwechsel „eine wahre Völkerwanderung auf“. Während der Mittagspause würden zahlreiche Arbeiter ihr Essen im Freien zu sich nehmen, während sie von Frauen und Kindern besucht werden; Müller, Kronenbrauerei Moabit, S. 591–597. 156 Berliner Tageblatt Nr. 490 vom 27. September 1910. 157 Vossische Zeitung Nr. 495 vom 27. September 1910. 158 Grzywatz, Der Beusselkiez, S. 42. 159 Swett, Neighbors and Enemies, S. 77f. 160 Sembritzki, Zur Siedlungsgeschichte Moabits, S. XVII. 161 Retzlaw, Spartakus, S. 70; Grzywatz, Der Beusselkiez, S. 42. Der Beusselkiez galt als Hochburg der KPD.
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leuchtet wurden. „Der ständige Zuzug und der daraus folgende dauernde Wohnungsmangel ließ die Mieten über vergleichbare Werte in anderen Städten steigen. Die Folge war eine Überbelegung der Wohnungen, die Untervermietung und das Schlafstellenwesen.“162 Ein Drittel der Einwohner lebte in zu kleinen Räumen. Auch die Ortskerne Tempelhof und Mariendorf waren mit fünfgeschossigen Wohnhäusern bebaut und mit größeren Industriekomplexen durchsetzt.“163 Anders als Moabit war Wilmersdorf stark bürgerlich geprägt.164 Wilmersdorfer Arbeiter- und Soldatenrat bestehend aus Delegierten der Garnisonstruppen und Angehörigen beider sozialistischer Parteien zogen am 10. November in Begleitung Bewaffneter, „die alle papierne rote Käppis trugen, ins Rathaus, um die Amtsgeschäfte zu überwachen.“165 Während vorbeiziehende Soldaten im Joachimsthalschen Gymnasium untergebracht wurden, beschäftigte sich ein Bürgerrat mit den Problemen der Lebensmittelversorgung und der Demobilisierung der Truppen mit deren Wiedereingliederung ins bürgerliche Leben.166 Auch hatte es hier die erste Bildung einer Bürgerwehr gegeben.167 Anders als in Moabit hatte es zu Beginn der Straßenkämpfe hier keine größeren Ausschreitungen gegeben, obwohl das Gebiet nicht weit entfernt von Moabit und Mitte liegt. Erst im Verlauf der Revolution griffen die Unruhen während des Kapp-Putsches auch auf diesen Bereich über. Die Spichernsäle dienten der Brigade Ehrhardt als Notquartier. „Die Kreuzung Berliner Straße/Uhlandstraße wurde zum Kristallisationspunkt einer „ziemlich radaulustigen Menge“.168 Viele dieser Vorfälle zeigten, dass es im sonst so ruhigen Wilmersdorf auch „gärte.“169 Dieses galt auch für das westlich gelegene wohlhabende Charlottenburg. Hier „konnte man […] erhebliche soziale Differenzierungen und Gegensätze vorfinden.“170 Die architektonische Struktur des Massenmietshauses führte auch hier seit den 1880er Jahren als vorherrschende Bauweise zu den bereits erwähnten sozialen Problemen.171 „Im Jahr 1900 waren 53,6% der Wohnungen in Charlottenburg Vorder- und 46,4% Hinterwohnungen.“172 Der Wohnort der besseren Kreise hatte unter seiner Bevölkerung einen erheblichen Arbeiteranteil. Man hatte dort „eine sehr genaue Vorstellung vom latenten Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit.“173 In Charlottenburg waren es 3/5 (57,59%) der gesamten Bevölkerung und über 4/5 (84,63%) der Berufszugehörigen der Landwirtschaft, der Industrie und des Handels 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172
Buchholz, Tempelhof, S. 85. Ebd., S. 59. Kamke/Stöckel, Wilmersdorf, S. 62. Ebd., S. 63. Knobloch, Meine liebste Mathilde, S. 131. Berliner Börsen-Courier vom 11. Januar 1919. Der Westen vom 23. März 1920; Kamke/Stöckel, Wilmersdorf, S. 65. Kamke/ Stöckel, Wilmersdorf, S. 65f. Schütte, Charlottenburg, S. 52. Charlottenburger Statistik, S. 26. Schütte, Charlottenburg, S. 55. Zur Standortlagerung der Berliner Handwerksbetriebe vgl. Grzywatz, Arbeit und Bevölkerung, S. 152–159. 173 Charlottenburger Statistik, S. 31.
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und Verkehrs, die den Unternehmer- und Arbeiterkreisen unmittelbar zuzuzählen sind.174 Industriebetriebe waren im Osten, Nordosten und Norden außerhalb der alten Stadt, überwiegend am Landwehrkanal, an der Spree und im Dreieck zwischen March-/Berliner Straße angesiedelt. Auch entstanden aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte auf engstem Raum soziale Spannungen. Bereits 1904 hatte das Berliner Tageblatt darauf hingewiesen, dass „die Unsicherheit in Charlottenburg“ zunehme, „je weiter die Stadt ihre Arme ausstreckt, einen immer größeren Umfang an[nimmt]. Namentlich in den westlichen und südlichen Stadtteilen, in denen die Bebauung rapide um sich greift, gehören die nächtlichen Ruhestörungen, die Schlägereien und Messerstechereien, die Belästigungen harmloser Passanten und die Schaukastendiebstähle zu den alltäglichen Erscheinungen. […] Die Belästigungen durch Dirnen und deren Bräutigams geschehen in der Pestalozzi- und Wilmersdorferstraße so zahlreich, daß, wer es nicht unbedingt nötig hat, durch diese Straßen zu gehen, lieber einen Umweg macht, um zu seinem Ziele zu gelangen. Die Polizei ist numerisch viel zu schwach, um diesem skandalösen Treiben mit Erfolg entgegenzutreten. Kein Wunder, daß die Schar der Exzedenten von Tag zu Tag wächst, und daß Leben und Eigentum der Bewohner jener Stadtbezirke immer mehr bedroht werden.“175
Das Viertel war geprägt durch eine Vielzahl an repräsentativen Bauten entlang der Ring- und Stadtbahn, sowie der Straßenbahnen von Osten nach Westen. Hierzu zählte das Amtsgericht an der Kantstraße, das Landgericht am Tegeler Weg, das Königliche Preußische Oberverwaltungsgericht an der Hardenbergstraße, das Reichsmilitärgericht an der Witzlebenstraße, das Gebäude für das Oberpräsidium der Provinz Brandenburg an der Bismarckstraße/Sophie-Charlotte-Platz, sowie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche auf dem Auguste Viktoria-Platz und nicht zuletzt das Charlottenburger Schloss. Nach der Revolution konnte man gerade in Vierteln mit „linksgerichteter Arbeiterschaft“ beobachten, dass Agitation vermehrt unter pseudonymer Deklaration an halb-öffentlichen Orten wie Versammlungslokalen oder Ähnlichem stattfanden. Unter Tarnbezeichnungen wie „bunten Kunstabenden“ mit „revolutionär-satyrischem“ Charakter hatte man versucht, Treffen zu organisieren, ohne nach außen hin die Ruhe und Ordnung zu stören und Aufmerksamkeit zu erwecken.176
174 Statistisches Jahrbuch der Stadt Charlottenburg, S. 5. 175 Berliner Tageblatt vom 1. April 1904. 176 StAM, Amt Wolbeck, B4, Nr. 6, ohne fol. Staatskommissar für öffentliche Ordnung, Nr. 19507/21, an sämtliche Oberpräsidenten, Berlin 11. August 1921. Mit dem §33a der Gewerbeordnung hatte man zudem auf diese Form der getarnten Veranstaltungen zu reagieren versucht, indem man jede Veranstaltung, welche „Singspiele, Gesang- und deklamatorische Vorträge, Schaustellungen pp., ohne dass ein höheres Interesse der Kunst und Wissenschaft dabei obwaltet, in […] seinen Wirtschafts- oder sonstigen Räumen öffentlich veranstalten oder zu deren Veranstaltung seine Räume benutzen lassen will, zum Betriebe dieses Gewerbes der Erlaubnis bedarf, die Veranstaltung gänzlich untersagt.“
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2.4 ZUSAMMENFASSUNG Insgesamt herrschte in der Revolution ein Nebeneinander der Normalität des Alltags und einem dramatisch herrschenden Bürgerkrieg.177 Während der Auseinandersetzungen stellten besonders in Berlin Straßenbahnen ihren Verkehr nicht ein, sondern warteten an Kreuzungen an denen geschossen wurde, bis das Feuer eingestellt wurde.178 Die magnetische Wirkung Berlins konfrontierte die Stadt täglich mit einer Welle neuankommender Menschen.179 Jener ambivalente Charakter äußerte sich darin, dass während zunehmender Verhängung des Belagerungszustandes Freizeitaktivitäten wie das Tanzen zwar untersagt blieben, während gleichzeitig aber „private Clubs wie Pilze aus dem Boden“ schossen und es Kinos gab, die man für wenig Geld besuchen konnte.180 Auch im Ruhrgebiet war die Revolution in erster Linie eine Sache der Städte.181 Trotzdem waren diese räumlich nicht abgeschlossen. In den Wirren des Kapp-Putsches spielten die Raumerfahrungen zahlreicher aus dem Ausland ins Ruhrgebiet strömender „Bolschewisten“ eine bedeutende Rolle in der Einschätzung des Generalkommandos.182 Speziell im Ruhrgebiet flossen Raumwahrnehmungen als Folge
177 Vgl. etwa Tenfelde, Bürgerkrieg im Ruhrgebiet, S. 17–33. 178 Vgl. Kessler, Tagebücher, S. 97. 179 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 101, Fernsprechmeldung Königliche Eisenbahndirektion Hannover an Minister der öffentlichen Arbeiten, 8. November 1918; vgl. Köhler, Revolution und Bürgerkrieg, S. 798. 180 Köhler, Revolution und Bürgerkrieg, S. 811. Ähnliches galt auch für die Situation in München. Vgl. etwa Rudloff, Notjahre, S. 336–368; Rudloff, Zwischen Revolution und Gegenrevolution, S. 31–70; Bleek, Quartierbildung; Bleek, Das Stadtviertel als Sozialraum, S. 217–234; Tenfelde, Ein Wählermilieu in der Großstadt, S. 139–143; Heerde, Haidhausen. Geschichte einer Münchener Vorstadt; Radloff, Die Grenzen Giesings. München dient der vorliegenden Studie entlang einiger paradigmatischer Fälle lediglich als Kontrollbeispiel. Trotzdem war die Situation aufgrund der kurzzeitigen Etablierung einer Räterepublik eine besondere. „Sämtliche Mietshäuser und Privatwohnungen sind mit heutigem Datum nationalisiert. In allen Häusern sind bis spätestens 30.4.19. Hauskomites zu wählen, die sich aus einem Vorsitzenden, einem ausführenden Beirat (Schriftführer) und einem Kassier [sic] zusammensetzen. Für die einzelnen Stadtbezirke werden vom Aktionsausschuss Bezirkswohnungskommissare ernannt, denen die Wohnungskomites unterstellt sind. Vgl. BA B, SAPMO, SgY 10, Nr. V236–7–27, fol. 49, Vollzugsrat der Arbeiter- und Betriebsräte Münchens, Verfügung über die Nationalisierung der Wohnungen, München 24. April 1919. Schmiechen-Ackermann hatte die bayerische Metropole als „Extremfall einer polarisierten Gesellschaft“ in einer durch Kriegserfahrung und Revolution bestimmten Umbruchsituation definiert. Vgl. Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus, S. 129 u. S. 147. 181 Ähnliches hat Dirk Schumann für die Provinz Sachsen festgestellt. Vgl. Schumann, Politische Gewalt, S. 46f. 182 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 143, Schreiben Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ia Nr. 4042, an Oberpräsident Westfalen u. a., betr. Bahnüberwachung, Münster 24. März 1920. „Die bolschewistische Bewegung im Industriegebiet wird zur Zeit immer noch von aussen her unterstützt. Die Terroristen erhalten Zuwachs durch Bolschewisten aus anderen Teilen Deutschlands, aus Russland, Polen und Ungarn. Auch Kuriere mit Geld und hetzerischen Schriften sollen dauernd ins Industriegebiet unterwegs sein.“
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einer globalen und lokalen Erfahrung durch Auswärtige in die Praktiken mit ein.183 Deutlich wurde dies auch in den Wochen und Monaten nach den Märzereignissen als sich die zunehmende Öffnung und Internationalisierung der KPD gegenüber polnischen und russischen Beziehungen herausstellte.184 Die im Ruhrgebiet seitens der Ortsgruppen durchgeführten Versammlungen wurden häufig von Parteivertretern aus Polen oder Moskau aufgesucht, um in polnischer oder russischer Sprache über die dortigen Verhältnisse zu referieren. So tauschten sie sich über ihre jeweiligen revolutionären Erfahrungen aus. „Unter dieser Flagge will man die Massen für die K.P.D. Ideen gewinnen.“185 Das Ruhrgebiet bot insofern zahlreichen aus dem Ausland kommenden sozialen Akteuren Anschluss, sodass sich die Propagandabemühungen teilweise sogar in nicht-deutscher Sprache äußerten. Umgekehrt mussten zurückkehrende Soldaten ihre an der Front gemachten Erfahrungen nun mit den revolutionären Räumen in den Städten verarbeiten.186
183 BA B, R 705, Nr. 12, fol. 12–15, Schreiben Deutsches Generalkonsulat für Ungarn an Auswärtiges Amt, A 13680, Budapest 21. April 1919. „Auch das äußere Bild der Straßen verrät den ungeheuerlichen Ernst der Lage. Man sieht auffallend viele Arbeiter und den niedrigsten Ständen angehörige Menschen auf den Straßen, während besser Gekleidete immer seltener werden. An den Feiertagen fanden viele Demonstrationen statt, deren Teilnehmer, darunter sehr viele Frauen, fortwährende Verwünschungen und Drohungen gegen die Bourgeoisie ausstießen und die Passanten vielfach belästigten. Die Geschäfte sind meist gesperrt, und gegen Abend wird es in den Strassen schnell leer. Die äußere Ruhe ist im Allgemeinen noch gewahrt und blutige Ausschreitungen sind wohl nicht vorgekommen, aber oft dringen bewaffnete Soldaten und Zivilisten in Privatwohnungen ein, um Hausdurchsuchungen zu halten und Lebensmittel oder Wertgegenstände zu beschlagnahmen. Es scheint sich dabei in den meisten Fällen um eigenmächtige Aktionen Einzelner zu handeln, wobei keine Rücksicht auf die Stellung oder Staatsangehörigkeit der Wohnungseigentümer genommen wird. Die Regierung ist aber ernstlich bemüht, diesem unverantwortlichen Treiben vereinzelter roter Gardisten, die immer mehr der Schrecken der Stadt werden, ein Ende zu machen.“ Vgl. Geyer, Zwischen Krieg und Nachkrieg, S. 188. Geyer betont, dass „die Geschichte des revolutionären Übergangs vom Krieg in den Nachkrieg“ auch „über die Grenzen des Nationalstaats hinausgetreten“ sei. 184 Wenngleich die globale Perspektive in vorliegender Studie nicht berücksichtigt werden kann, wäre es lohnenswert danach zu fragen, wie soziale Akteure aus außerdeutschen Kontexten ihre eigenen Erfahrungen im Umgang mit dem Revolutionsraum gemacht und haben einfließen lassen. Vgl. etwa Vossische Zeitung Nr. 561 vom 2. November 1918. Im Artikel berichtet ein Augenzeuge der Budapester Revolutionstage vom sich kaum veränderten Bild der Stadt. Lediglich die Straßen seien etwas dunkler gewesen und die Menschen etwas aufgeregter. Von einzelnen Balkons aus wurden Reden gehalten, zu denen sich jedoch nur „spärliche Gruppen von Zuhörern“ einfanden. Doch innerhalb weniger Stunden nahm die Dynamik der Situation in der Stadt an Intensität zu. Wichtige Plätze und größere Straßen wurden zu Orten des Revolutionsgeschehens gemacht. Die Kontrolle über Verkehrs- und Versorgungsanlagen hatten schnell Arbeiter und Soldaten übernommen, während langsam ein „wildes Durcheinander“ folgte, da es keine Gruppierungen zur Sicherung des öffentlichen Raumes gab. 185 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol., Bericht des Agenten A. W. 50, Münster, den 12. Juli 1920. 186 BA B, R 1501, Nr. 113582, fol. 143–150, Eindrücke des Kapitänleutnant Firle vom Aufenthalt in St. Petersburg im Dezember/Januar 1918, Berlin 22. Januar 1918.
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Insgesamt bot die Straße als multifunktionaler Raum mehr als nur die Möglichkeit von einem zum anderen Ort zu gelangen. Vielmehr äußerte sich jene Multifunktionalität in der Integration zahlreicher verschiedener Raumformen. Das Leben in jenen Mikroräumen war charakteristisch für die städtische Lebensform, während diese gleichzeitig die kleinsten Raumeinheiten bildeten. Öffentliche Mikroräume, aber auch halb-öffentliche Privaträume gewannen während der Revolution zunehmend an Bedeutung. Im Zuge dieser Transformationsprozesse wurden vermehrt private Räume in die sozialen Unruhen involviert und das, obwohl nach der neuen Verfassung das Besitztum und die Wohnung jedes Deutschen als unverletzlich definiert worden war.187 Raum und der Umgang mit diesem war somit einer Entwicklung ausgesetzt.
187 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 72, Schreiben Polizeiinspektor Struckmann an Regierungspräsident, ohne Angaben. Der Dreher Hoffmann, Mitglied des Volksrats, hatte mehrere Aufforderungen erhalten, wonach er Polizeibeamte abordnen solle, um Haussuchungen nach verbotenen Schlachtungen und „unerlaubten“ Versorgungen vorzunehmen, welches er jedoch nach §105 der Straf- und Prozessordnung ablehnte, da nach der neuen Verfassung das Besitztum und die Wohnung jedes Deutschen unverletzlich sei.
3. BEDROHTE RÄUME – ORDNUNGS- UND SICHERHEITSDENKEN IN DER STADT Nach dem Ende des wilhelminischen Obrigkeitsstaates mussten die Begriffe Sicherheit und Ordnung zwischen den konkurrierenden sozialen Formationen neu verhandelt werden. Die Arbeiterbewegung, Teile der alten Armee und der Polizei, neu entstandene Freiwilligenverbände, sie alle nahmen für sich in Anspruch, für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Raumes zuständig zu sein.1 Neben die Polizei, welche nach § 10, Teil II, Titel 17 des Allgemeinen Landrechts von 1794 die Aufgabe hatte für die „Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung“ zu sorgen, rückten daher weitere Gruppierungen, welche um diese Aufgabe konkurrierten.2 Diesen Aufgabenbereich hatten sich seit Ausbruch der Revolution die Räte, Sicherheits- und Wehrformationen, das Militär oder auch die Polizei auf ihre Agenda geschrieben.3 Mit der Einrichtung einer Sicherheitspolizei im Sommer 1919 trat dann eine neue Organisation in Erscheinung, welche diese Polizeiaufgaben auszufüllen vermochte. Die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung kann daher als ein räumliches Phänomen interpretiert werden. Allen Formationen ist somit gemein, dass sie, wenn auch auf unterschiedliche Art, die Schutzfunktion des Raumes mit anderen Mitteln beanspruchten. Dieser Form der Konkurrenz um die öffentliche Ordnung lagen differente Ordnungsverständnisse der sozialen Formationen zugrunde. Das Obrigkeitsdenken der Kaiserzeit ließ die Vorstellung einer Gesellschaft „des ‚Oben‘ und ‚Unten‘“ nun stark ins Wanken geraten und entsprach nicht mehr dem Bild einer an vielen unterschiedlichen sozialen Formationen reichen Kultur, welche die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit des öffentlichen Raumes für sich in Anspruch nahmen.4 Erhard Lucas’ These vom organisierten Krieg im Innern kann somit auch als ein Versuch der unterschiedlichen Sicherungs- und Ordnungsfunktionen der Akteure interpretiert werden, die mit unterschiedlichen Raumerschließungsstrategien
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Zur Rolle der lokalen und regionalen Arbeiterbewegungen im Ruhrgebiet vgl. Mommsen, Die Bergarbeiterbewegung, S. 275–311; Martiny, Arbeiterbewegung an Rhein und Ruhr, S. 205– 273. Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten §10 II 17. „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ Vgl. Müller, Novemberrevolution, S. 135. Müller konstatiert, dass „der Ausgang jeder Revolution“ letztlich durch die bewaffnete Macht entschieden worden sei. Winkler, Weimar, S. 33.
3. Bedrohte Räume – Ordnungs- und Sicherheitsdenken in der Stadt
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und Ordnungsvorstellungen sowohl um Macht, als auch um kulturelle Deutungshoheiten stritten.5 Die Bemühungen ein neues System nach dem Sturz der alten Monarchie zu etablieren stehen in Widerspruch zu dem zeitgleich einsetzenden „Bemühen um Ruhe und Ordnung“, welches sich durch die „überraschend schnelle Wiedereinschaltung der staatstragenden Schichten des monarchischen Systems“ in Form einer Gegenrevolution äußerte.6 Die Ereignisse rund um den 9. November 1918 und die Frage, wer zuerst die Zukunft Deutschlands den Massen vor dem Reichstag verkünden durfte, führten zu einem höchst heterogenen Bild der sozialen Formationen im öffentlichen Raum. Als Philipp Scheidemann die Initiative ergriffen hatte, seine Vorstellung und die seiner Partei für das Wohl und die Zukunft Deutschlands zu verkünden, war der wohl geordnete öffentliche Raum rund um den Reichstag bereits in Unordnung geraten. Zwar waren Demonstrationen für die politischen Eliten keinesfalls neu, doch erreichten diese eine Qualität, die nach dem Kriegsende und einer Reduzierung der Armee nun neue Ordnungsmuster nach sich ziehen musste. Die Entscheidung der neu gebildeten Regierung sich auf eine Zusammenarbeit mit dem alten Militär einzulassen, gilt vielfach als Ursache für eine Verschärfung der Revolution. Bereits am Abend des 10. November wurde das Bündnis zwischen Ebert und Gröner besiegelt und beinhaltete eine Zusammenarbeit mit dem Militär.7 Ebenfalls zeichnete sich eine Tendenz ab, die überwiegende Mehrheit der Ministerial- und Verwaltungsbeamten in ihren Ämtern zu belassen, um den Zustand von geregelter Ordnung und Sicherheit schnellstmöglich zu erreichen.8 Nach einer ersten Radikalisierung während der Januarunruhen berichtete die Rote Fahne in dramatisierender Weise vom Verlust dieser Ordnung durch die Revolution. „Zähneknirschend müssen sie wahrnehmen, wie die Revolution die hübsche ‚Ordnung und Ruhe‘ der bürgerlichen Verhältnisse stört, für deren Erhaltung ihnen die Ebert-Regierung garantiert hat, wie die Massen, statt sich zu denselben und ins alte Joch geduldig spannen zu lassen, immer trotziger auftreten, immer mehr den Vordergrund der politischen Bühne in seiner ganzen Breite einnehmen, wie gleichzeitig sogar die geduldigsten Kreise unter den weißen Sklaven, die Setzer, die Kellner, die Straßenbahner, durch den Revolutionsstrudel mitgerissen, sich auf ihre Menschenrechte besinnen und wirtschaftliche Forderungen stellen.“9
Der Kampf um die Aufrechterhaltung der Ordnung kann somit immer auch als ein Kampf um die Sicherung von Räumen betrachtet werden. Die Geschichte der Revolution wird dann zu einer Geschichte bedrohter Räume. Als die Deutsche Nationalversammlung am 8. Mai 1920 das Gesetz über die Befriedung der Gebäude des 5 6 7 8 9
Vgl. etwa Lucas, Der 9. November 1918, S. 163–178. Wohlfeil, Heer und Republik, S. 11. Für die unmittelbare Zeit nach Kriegsende vgl. Thaer, Generalstabsdienst an der Front und in der O.H.L.; vgl. etwa Sauer, Das Bündnis Ebert-Groener; Berthold/Neef, Militarismus und Opportunismus. Wohlfeil, Heer und Republik, S. 13. Rote Fahne Nr. 9 vom 9. Januar 1919. „Lange noch wird keine ‚Ruhe‘ und keine ‚Ordnung‘ im Lande einkehren, - nicht eher gewiß, als bis die bürgerliche ‚Ruhe‘ und bürgerliche ‚Ordnung‘ der sozialistischen Platz gemacht haben. Die Revolution ist auf dem Marsche und das, was wir heute erleben, ist nur ein Fragment, eine Etappe des gewaltigen Marsches.“
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Reichstags und der Landtage beschloss, war dieses als Folge der Erfahrungen im Umgang mit massiven Unruhen zu interpretieren.10 Unruhen hatten während des Januars 1920 auf dem Platz in unmittelbarer Nähe des Reichstages, zu zahlreichen Todesopfern geführt. Die Ereignisse gingen als die blutigsten Demonstrationszüge in die noch junge Geschichte der Weimarer Republik ein. Die Ereignisse zeigten, dass der Umgang mit derartigen Handlungen neue Regeln erforderte, um öffentliche Räume besser schützen zu können.11 Innerhalb des „befriedeten Bannkreises“ des Reichstages oder der Landtagsgebäude durften fortan keine Versammlungen oder Umzüge unter freiem Himmel mehr stattfinden.12 Die Gefahr in einen Umzug zu geraten und dafür belangt zu werden war nun auch für vermeintlich unbeteiligte Einzelne vorhanden, denn denjenigen, „der an hiernach verbotenen Versammlungen oder Umzügen“ teilnehme, treffe „die Strafen des Auflaufs.“13 Die Erkenntnis, dass bedrohte Räume zu schützen waren, spiegelte sich außerdem in einer regelrechten Rivalität unterschiedlicher sozialer Formationen wider, welche den Schutz des Raumes als ihre oberste Aufgabe verstanden. Als Mitte Juli des Jahres 1919 der Minister des Innern die Regierungspräsidenten aufforderte, ihm einen „genaueren Überblick darüber [zu verschaffen] welche Enwickelung [sic] die bedauerliche starke Zunahme der Störungen der Sicherheit und öffentlichen Ordnung in Stadtund Landbezirken genommen hat, welche Maßnahmen im einzelnen dagegen ergriffen worden sind, wie sie sich bewährt haben, und ob sie hinreichen, um allmählich wieder zu geordneten Zuständen zurückzukehren“ fühlten sich bis zur Einrichtung einer offiziellen Sicherheitspolizei bereits zahlreiche Gruppierungen für den Schutz bedrohter Räume verantwortlich und verpflichteten sich zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Sicherheit und öffentlichen Ordnung.14 Die Erfahrungen aus den Anfangsmonaten der Revolution hatten gezeigt, dass sich dieses Bedrohungsszenario auf viele Bereiche des öffentlichen Lebens beziehen konnte. Nicht allein in der Bedrohung von Räumen durch Streiks, Demonstrationen, Tumulten oder Plünderungen war dieses auszumachen, sondern darüber hinaus auch in der Zunahme von Kriminalität, der Verrohung der Jugend, welches allgemein als „Störungen der Wahrnehmung“ bezeichnet wurde.
10 RGBl. 1920 Nr. 104, Gesetz über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage. 11 Weipert, Vor den Toren der Macht, S. 16–32; Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung, S. 284–289; Liang, Die Berliner Polizei, S. 112–114 und 47–59 bzgl. Sipo.; Geyer, Die revolutionäre Illusion, S. 163–165; Wimmer, Das Betriebsrätegesetz von 1920 und das Blutbad vor dem Reichstag. 12 RGBl. 1920 Nr. 104, S. 909, Gesetz über die Befriedung der Gebäude des Reichstags und der Landtage vom 8. Mai 1920, §1, §3 und §4. „Wer vorsätzlich Anordnungen übertritt, die der Präsident des Reichstags oder eines Landtags über das Betreten des Gebäudes oder über das Verhalten in dem Gebäude erläßt, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark bestraft.“ (§4) 13 RStGB. 1919, §116 Abs. 1f. 14 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 103, Schreiben Minister des Innern G.I.A.10.Einz. an Regierungspräsidenten und an Polizeipräsidenten in Berlin, außer Posen, Danzig, Marienwerder, Aachen, Cöln, Coblenz, Trier, Wiesbaden, 19. Juli 1919.
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3.1 DIE RÄTE ALS ÖRTLICHE ORDNUNGSFAKTOREN Mit der Auflösung des Kaiserreiches und der damit einhergehenden Umgestaltung von Polizei und Militär reihte sich ein neuer Akteur in die städtischen Verwaltungsstrukturen ein. Die städtische Selbstverwaltung wurde durch die Entstehung der Arbeiter- und Soldatenräte nach dem Kieler Vorbild vom 4. November fast überall im Reich maßgeblich erneuert. Die Dynamik dieses rasanten Entstehungsszenarios lässt sich weniger als chronologische, sondern als parallel verlaufende Entwicklung beschreiben, welche in kürzester Zeit nahezu alle größeren Städte erreichte.15 Jenseits der lokalen Gewalten und politischen Parteien bildeten sich nach dem Novemberumsturz eigenständige Organisationsformen, welche in den kleineren Städten häufig den Vorständen der SPD oder USPD angehörten und somit nicht als Kontrahenten, sondern als regionale Sachverwalter fungierten.16 Der organisatorischen Form dieser Räte gemein waren die von Arbeiterräten in Vollversammlungen gewählten Vertreter, welche aus einzelnen Betrieben stammten, ebenso wie die örtlich gewählten und militärisch disziplinierten Soldatenräte. Die wichtigsten Aufgaben bestanden in der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung sowie einer funktionierenden Lebensmittelversorgung. Dieses waren erforderliche Maßnahmen, um den monarchischen Obrigkeitsstaat auf ein neues und festes Fundament zu stellen und ein Instrument zur Kontrolle der Verwaltungen zu schaffen.17 Aufgrund lokal unterschiedlich ausgeprägter Verwaltungsstrukturen kann diese daher als eine einheitliche Bewegung kaum zu interpretierende Organisationsform zunächst auf Fragen der Funktionalität in ihrer ordnenden und sichernden Stellung
15 Grundlegend immer noch Kolb, Arbeiterräte; Kluge, Soldatenräte und Revolution; Rürup, Probleme; Hürten, Soldatenräte, S. 299–328. Auf die erheblich unterschiedlichen Zielvorstellungen der Räte weist Jutta Stehling hin. Vgl. Stehling, Der Hamburger Arbeiter- und Soldatenrat, S. 421. 16 Dieser Interpretation folgen im Wesentlichen Kluge, Soldatenräte und Revolution; ebd., Generalsoldatenrat in Münster; Kolb, Arbeiterräte; Oertzen, Betriebsräte; Rürup, Probleme der Revolution; ebd., Arbeiter- und Soldatenräte; Brandt/Rürup, Arbeiter-, Soldaten- und Volksräte. 17 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 17, Schreiben Minister des Innern, IV a. 2335 an Regierungspräsidenten, Berlin 27. November 1918. Bereits am 14. November war den Ober- und Regierungspräsidenten ein telegrafischer Erlass der Preußischen Regierung über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden mit den Arbeiter- und Soldatenräten zugegangen, wonach die Räte als „Kontrollinstanzen“ insbesondere den Oberpräsidien, Regierungen und Landratsämtern zur Seite gestellt werden sollten. „Die Form dieser Zuziehung […] wird sich vom Standpunkte gegenseitiger loyaler Unterstützung im einzelnen leicht finden lassen, wenn dabei das Ziel unbedingter Fernhaltung jeder Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Auge behalten wird.“
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in der Stadt hin befragt werden, wenngleich sie weder dem Militär, noch dem Polizeiapparat angehörte.18 Daneben waren die jeweiligen lokalen Verwaltungsbehörden vorerst in jedem Fall aufrechtzuerhalten.19 Die innere Bindung der Räte in ihrer Funktion als regionale Sachverwalter soll daher nicht entlang ideologischer Erklärungsmuster erklärt werden. Vielmehr soll Anschluss an Konzepte wie das Milieu hergestellt werden, indem Raum als analytische Kategorie zur Erklärung der Binnenkräfte an dessen Seite gestellt wird.20 Daher schließen folgende Überlegungen an die Wolfgang Mommsens an, der die Rätebewegung als eine nicht regelgeleitete Entwicklungsformen folgende amorphe soziale Bewegung charakterisiert hat.21 Soziale Kohärenz, so die These, wird daher nicht ausschließlich durch die Orientierung an traditionellen politischen Ideen und Parteibewegungen geschaffen. Die Schaffung kultureller oder sozialer Identität der Gruppen war vielmehr eng verbunden mit dem räumlichen Umfeld, welches sich nicht zuletzt durch Hunger und Arbeitslosigkeit als problematisch gestaltete. Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung der stark unterschiedlich ausgeprägten Räte im Verhältnis, Umgang und Produktion zu ihrem Raum zu interpretieren.22 Dabei sollen zunächst einige allgemeinere Überlegungen zur Entstehung der Rätebewegung vollzogen werden, während dann der Blick auf einzelne Fälle gerichtet wird. Arbeiter- und Soldatenräte hatten als Sicherheitssysteme eine entscheidende Rolle zur Aufrechterhaltung der Raumordnung nach der Revolution eingenommen.23 Mit dem Novemberumsturz war zwar die Militär- und Polizeigewalt zusammengebrochen, der Verwaltungsapparat blieb vorerst jedoch bestehen, nachdem die kommunalen und staatlichen Verwaltungsinstanzen vor einer „Übermacht meutern-
18 Die Vielfalt der Aufgabenbereiche und Organisationsgrade wird auch an der unterschiedlichen Namensgebung der Räte deutlich. Für den Fall der Arbeiter- und Soldatenräte Mettmanns beispielsweise bestanden allein vier unterschiedliche Bezeichnungen. Zudem wurde die Zusammenarbeit mit den Zivilbehörden mal positiver und mal negativer bewertet. (Arbeiterrat, Soldatenrat, Bauernrat, Volksrat) Vgl. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15279, fol. 170, „Nachweisung“ der im Kreise Mettmann bestehenden Arbeiter- und Soldatenräte. 19 StAB, A L-D, Nr. 17, ohne fol. Schreiben Regierungspräsident Arnsberg, Pr. 2228, an Landräte, Arnsberg 13. November 1918. 20 Die Milieuforschung hat bereits darauf hingewiesen, dass sich traditionelle Milieus durch Segmentierungsprozesse veränderten oder teilweise in Auflösung befanden. Vgl. etwa Lösche/Walter, Das sozialdemokratische Arbeitermilieu; Langewiesche, Politik, Gesellschaft, Kultur; Möller, Gefährdete Mitte. 21 Mommsen, Die deutsche Revolution, S. 384 u. S. 389. 22 Insgesamt herrscht in der Forschung weitgehend die Einsicht vor, dass hier die Erweiterung einer erfahrungsgeschichtlichen Dimension angemessen erscheint. Vgl. Wirsching, Weimarer Republik, S. 54; Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S. 212. 23 Leßmann, Die preußische Schutzpolizei, S. 17; In der Broschüre „Im neuen Deutschland“ des Reichsamtes für die wirtschaftliche Demobilmachung werden diese Ziele formuliert. Vgl. StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 91–98, Broschüre „Im neuen Deutschland“ des Reichsamtes für die wirtschaftliche Demobilmachung, Berlin 1919. Die Ziele der Soldatenräte formuliert etwa auch Kluge, Generalsoldatenrat, S. 328–335; vgl. Leßmann-Faust, Gewalt und Gewaltmonopole, bes. S. 244–263.
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der Soldaten und der mit ihnen sympathisierenden Volksmassen kapituliert hatten.“24 Um der unübersichtlichen Lage der von Ort zu Ort stark differierenden Rätebewegung mehr Struktur zu verleihen, führte der Rat der Volksbeauftragten eine „Informationsstelle der Reichsregierung“ ein, welche Informationen über die Tätigkeiten der Arbeiter- und Soldatenräte einholen sollte.25 Ebenfalls wurde vermehrt über die Gründung von Bürgerräten in den Städten oder Bauernräten auf dem Land berichtet.26 Diese Unübersichtlichkeit drückte sich auch darin aus, dass vielfach gar keine genauen Informationen über die Anzahl der Räte in den Regierungsbezirken vorlagen.27 Mit Beginn der Revolution hatten viele Gruppierungen für sich in Anspruch genommen, nun für die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung verantwortlich zu sein. So konnten noch vor Zusammenschluss zu Räten Teile der Soldaten, wie der Berliner Landfliegerabteilung Johannisthal, dazu aufrufen, sich am 10. November während des ganzen Tages „an öffentlichen Plätzen und Straßen zu zeigen, um weitere Order von Marineangehörigen in Empfang zu nehmen“ und so provisorisch erst mal für Ruhe zu sorgen.28 Die Aufgaben der Arbeiterräte beschränkten sich in der Anfangszeit zumeist auf die „Mitwirkung bei den Verwaltungsaufgaben“.29 Neben der relativen örtlichen Selbstständigkeit der Räte beanspruchte der Berliner Vollzugsrat die „organisatorische Spitze“ der preußischen Räte zu sein, wenngleich dieser ohne direkte organisatorische Verbindung zu den Orts-, Kreis- und Bezirksräten ohne „Tiefenwirkung“ blieb.30 Demgegenüber zeichnete sich der Unterbau der Räte auf der lokalen Ebene durch eine gute Vernetzung aus, indem zu Beginn der Revolution zunächst örtlich begrenzte Kreisräte gebildet wurden und darauf aufbauend Bezirksräte mit dem Schwerpunkt in verwaltungstechnischen Aufgaben.31 Ebenso musste über die Einbindung der Räte in die Gemeinde- und Polizeiverwaltungen verhandelt werden. Die örtlichen Arbeiter- und Soldatenräte waren als „Vertreter der durch die 24 Kolb, Arbeiterräte, S. 99. 25 BA B, R 705, Nr. 71, fol. 9–12, Auflistung über die in den Städten Deutschlands gebildeten Arbeiter- und Soldatenräte mit vollziehender Gewalt. „Die deutsche Freiheitsbewegung“ vollzog sich „in den meisten Orten“ in „verhältnismässiger Ruhe“, so der Tenor des Berichts. 26 BA B, R 705, Nr. 49, fol. 4, Schreiben Zweigstelle II der Informationsstelle der Reichsregierung an die Informationsstelle der Reichsregierung Reichskanzlei, betr. Bericht II vom 12. November 1918; BA B, R 705, Nr. 19, fol. 7, Aufruf Rat der Volksbeauftragten an die deutsche Landbevölkerung, Berlin 12. November 1918; Vgl. BA B, R 705, Nr. 19, fol. 25, 3. Extraausgabe des Vorwärts vom 9. November 1918 mit Aufruf an Arbeiter, Soldaten und Mitbürger durch Vorstand der Sozialdemokratie Deutschlands und Arbeiter- und Soldatenrat. Hier der Aufruf zur Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens und des Verkehrs unter allen Umständen. Vgl. Bergmann, Der Bayerische Bauernbund, S. 45–88. 27 Vgl. LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 19, Schreiben Vollzugsrat Arbeiterund Soldatenrat Berlin an Arbeiter- und Soldatenräte der Regierungsbezirke, Berlin 12. Dezember 1918. 28 BA B, R 705, Nr. 19, fol. 20, Extrablatt Aufruf der Landfliegerabteilung Johannisthal, Berlin 10. November 1918. 29 Kolb, Arbeiterräte, S. 101. 30 Ebd., S. 107. 31 Die Erarbeitung eines Leitfadens zum Tätigkeitsbereich der Arbeiter- und Soldatenräte stand am 20. Dezember 1918 auf der Tagesordnung einer Konferenz der Bezirksvertreter.
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politische Umwälzung neugeschaffenen Macht den Behörden zur Seite gestellt, von denen sie als solche ausdrücklich anerkannt“ wurden.32 Dieser Schritt schien zunächst zwingend notwendig, denn zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Durchführung „der für die Volksernährung getroffenen Massnahmen [sic], der Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln, Kohlen, Brennstoffen, Bekleidung“ waren funktionierende Behörden erforderlich. In vollständiger Eigenverantwortung sollten diese Aufgaben nach außen durch „Vorschriften“ und „Zwangsmassregeln“ [sic] und nach Innen durch „Aufsicht, Leitung und Disciplin“ [sic] über die Beamten hergestellt werden. Dabei seien den Räten „ohne Rücksicht auf politische und religiöse Richtung“ der gleiche Schutz zuzukommen, während sie in gleicher Weise Achtung vor dem Gesetz erfahren sollten, sodass wichtige kommunale Aufgaben wie der „Fortgang der Volksernährung“ und der Bedürftigenunterstützung gesichert seien.33 Dass demgegenüber „politische Fragen aller Art“ in den Hintergrund gerieten wie es der Magistrat der Stadt Essen formulierte, wies umso mehr auf die Wichtigkeit der Ernährungsfrage hin, denn neben allen politischen Fragen fiele „das psychologische Moment schwer in die Waagschale, daß trotz der Staatsumwälzung, trotz Waffenstillstand und angeblicher Friedensaussicht keine Besserung, sondern im Gegenteil eine täglich schwieriger werdende Ernährungslage vorhanden ist.“34 Die Räte sollten hier die „Notschreie“ aus der Bevölkerung wahrnehmen und als „vermittelnde Instanz“ an die Behörden weiterleiten. Für die heimkehrenden Soldaten waren die Räte demnach eine willkommene Anlaufstation, wenn diese ihnen wie im Falle des Arbeiter- und Soldatenrats Bochum-Süd Zivil- und Arbeitskleidung verschafften, um den Integrationsvorgang zu erleichtern.35 Der Ausbau der Räte konnte in den verschiedenen preußischen Provinzen, sowie den übrigen Ländern lokal unterschiedlich stark ausgeprägt sein.36 Auf der Konferenz der Arbeiter- und Soldatenräte für das Industriegebiet am 1. Dezember 1918 wurden über die Organisation und die Aufgaben der Räte folgende Richtlinien
32 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15279, fol. 52, Vorläufige Richtlinien für das Zusammenarbeiten der örtlichen Arbeiter- und Soldatenräte mit den Gemeinde- und Polizeiverwaltungen, sowie der Kreisverwaltung des Landkreises Düsseldorf. 33 StAL, NA Abt. 16, Nr. 150, ohne fol., Schreiben Arbeiter- und Soldatenrat beim Landratsamt an Arbeiter- und Soldatenräte des Kreises, Dortmund 3. März 1919. Berichtet wurde von mehrfach vorkommenden „eigenmächtige[n] Entscheidung[en]“ über beschlagnahmte Sachen, welches „keineswegs den Befugnissen der einzelnen Arbeiter- und Soldatenräten“ entspräche. So könne eine „ordnungsmäßige Kontrolle der Lebensmittel“ ausgeschlossen sein. 34 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 77, Schreiben Magistrat Recklinghausen an Oberbürgermeister Essen, Recklinghausen 17. Februar 1919. 35 StAB, AL, Nr. 858, ohne fol., Schreiben Arbeiter- und Soldatenrat Bochum Süd an Verwaltung der Zeche Mansfeld Langendreer, Altenbochum 14. November 1918. 36 Kolb, Arbeiterräte, S. 99–113, bes. S. 104. Die Entwicklungen in Bayern nehmen hierbei eine Sonderrolle ein, denn die Rätebewegung entwickelte sich ohne direkten Einfluss aus den übrigen Ländern heraus. Kurt Eisner rief einen provisorischen Nationalrat zusammen, der seine neue Regierung direkt nach dem 8. November proklamieren ließ. Die Räte sollten hier zu einer dauerhaften Einrichtung gemacht werden.
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erlassen.37 Neben der Kontrolle der staatlichen und kommunalen Verwaltung wurde die Sicherung des ordnungsgemäßen Ablaufs des Wirtschaftslebens als Hauptaufgabe definiert, während die Bezirkssoldatenräte für rein militärische Angelegenheiten verantwortlich gemacht wurden. Diese funktionierte nach einem hierarchischen Prinzip. Örtliche Soldatenräte hatten sich der nächst höheren Instanz des Bezirks unterzuordnen und sich organisatorisch den jeweiligen kommunalen und politischen Verwaltungen anzupassen. Dabei sollte sich der Zusammenschluss über die „bisherigen Reichstagswahlkreise und darüber hinaus zu einer Provinzialorganisation vollziehen“, während „jeder Ort und jedes Land […] eine besondere Republik [etabliert]“. Im Falle Münchens erhielten die Arbeiterräte die konkrete Anweisung, „die Massen des Proletariats unmittelbar zur politischen Mitarbeit heranzuziehen. […] Die Arbeiterräte sind der Ort, wo alle Wünsche, Anregungen und Beschwerden der proletarischen Massen ständig zum Ausdruck kommen.“38 Die Organisation erfolgte auch hier in vertikaler, hierarchischer Ausrichtung von in den Gemeinden gebildeten Räten, die einen Vertrauensmann wählen sollten, welcher wiederum mit den anderen Vertrauensleuten eines Distrikts einen Vollzugsausschuss zu wählen hatte. Diese wiederum konnten mit Räten aus kreisunmittelbaren Städten mit Genehmigung der Regierung einen Kreisvollzugsausschuss wählen. So bestand eine direkte organisatorische Verbindung von unterster Ebene bis hin zum Zentral-Arbeiter- und Bauernrat in München. Mit der Wahl des Arbeiterrats Groß-Berlin sollte für alle gewerblichen, technischen und kaufmännischen Betriebe und Handelsgeschäfte, „in denen männliche und weibliche Arbeiter und Angestellte gegen Entgelt beschäftigt“ wurden eine umfassende organisatorische Verortung einhergehen.39 Dem Obmann oder der Vertrauensperson sollte eine konkrete Aufstellung über Größe und Art des Betriebes zugehen und samt der Adresse der Vertrauensperson an dafür vorgesehenen Registrierstellen, welche durch Anschlagssäulen gekennzeichnet waren, übermittelt werden. Wahlberechtigt waren beide Geschlechter ab 20 Jahren und wurden durch ein Arbeiterratsmitglied auf 1.000 Beschäftigte vertreten. Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten bildeten einen Wahlkörper. Die Wahlen wurden dann per Säulenanschläge bekanntgegeben mit der Angabe einer bestimmten Zeit und eines Ortes.40 Das Fortbestehen der spontan gebildeten in lokalen Kontexten operierenden Arbeiter- und Soldatenräte sollte wie die Vossische Zeitung formulierte die „revolutionären Errungenschaften“ sichern und ausbauen.41 In Fragen von Einquartierungen, 37 Dortmunder Zeitung Nr. 613 vom 1. Dezember 1918. 38 BA B, SAPMO, SgY 10, Nr. V236–7–23, ohne fol., Richtlinien für Arbeiterräte, München 26. November 1918. 39 Teltower Kreisblatt Nr. 283 vom 3. Dezember 1918; Der Tag Nr. 612 vom 2. Dezember 1918. 40 Berliner Tageblatt Nr. 581 vom 13. November 1918. Alle provisorisch gebildeten Körperschaften wurden außer Kraft gesetzt, während die in den Betrieben gebildeten kleinen Räte weiterhin bestehen bleiben sollten und für interne und lokale Angelegenheiten vorgesehen blieben. Zur Fortsetzung der amtlichen Tätigkeiten der Behörden siehe PG 1918, Nr. 38, S. 187–192, Bekanntmachung der Preußischen Regierung betr. die Fortsetzung der amtlichen Tätigkeiten der Behörden und Beamten. 41 Vossische Zeitung Nr. 603 vom 25. November 1918.
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Ernährungsangelegenheiten, gesundheitlichen Maßnahmen oder der Arbeitsregelung hatten sie eine wichtige regulative Funktion inne. Als „Grundlage des neuen Regierungssystems“ bildeten die Räte somit das Fundament öffentlicher Angelegenheiten, aber auch der Arbeitsverhältnisse, d. h. der Bekämpfung von Lebensmittelwucher, des Schleichhandels, dem Aufbringen von Lebensmitteln und der Durchführung von Notstandsarbeiten „innerhalb ihres räumlichen Tätigkeitsbereiches“, während ihnen keine Vollzugsgewalt zugestanden wurde. Innerhalb der Arbeiterbewegung existierten je nach Betriebsform noch feiner ausdifferenzierte Räte mit alternativen Aufgaben wie beispielsweise die Zechenräte im Ruhrgebiet.42 Diese standen als Beschwerdeinstanzen zwischen den Beschäftigten und der Verwaltung einerseits und den einzelnen Revierräten und Belegschaften andererseits.43 Bei Gefährdung des Staates hätten die Arbeiterräte zusammen mit den Soldaten- und Bauernräten „alle notwendigen Maßnahmen sofort zu treffen, die zur Erhaltung und Sicherung der Regierung des Volksstaates erforderlich sind.“ Bis Mitte Dezember war die „organisatorische Durchgliederung“ der Räte in Preußen sowie den übrigen Ländern abgeschlossen, mit Landes- und Provinzspitzen versehen und mit der Einberufung des I. Rätekongresses in Berlin abgeschlossen.44 Trotz nicht einheitlicher Auffassung des Aufgaben- und Wirkungsbereichs funktionierten die Räte als kontrollierendes Element der Verwaltung des neu entstehenden Staatsgefüges und hatten maßgeblichen Anteil als ordnende Akteure des Raumes. Entscheidend ist, dass bei der Vorbereitung des Kongresses die Räte eigene Versammlungsmodi etablierten und so den Politisierungsprozess maßgeblich mitgestalteten, indem sie „selbstständige Büros und Vertretungskörperschaften“ schufen und so dem Vollzugsrat entgegenwirkten.45 Die Tätigkeiten der Soldatenräte sollten hingegen „völlig getrennt zu halten“ sein. Paradigmatisch kann dieses am Soldatenrat des Armeeoberkommandos 19 42 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 163 RS, Niederschrift über die gemeinschaftliche Sitzung der Stadtverwaltung mit dem Arbeiter- und Soldatenrat vom 9. Januar 1918. Die Zechen sollten aus ihrer Belegschaft Personen wählen, die als Zechenwehren den Schutz der Zechen gewährleisten sollten. 43 StAL, NA Abt. 16, Nr. 150, ohne fol., Bestimmungen über die Tätigkeiten der Zechenräte. 44 Kolb, Arbeiterträte, S. 112. Die Einberufung des Reichsrätekongresses ging auf die Initiative des Berliner Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte hervor, um den lokalen Räten bei der Art der Delegiertenbestimmung freie Wahl zu lassen. Entscheidend ist jedoch, dass das Verhältnis von Delegiertem zu Einwohnerzahl ungefähr festgelegt war und somit der Einwohner zu seinem Raum verhältnismäßig repräsentiert wurde. Die Formel lautete 200.000 zu 1 und bei Soldaten 100.000 zu 1; vgl. Allgemeiner Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, abgehalten vom 16.-21. Dezember 1918 – Stenographische Berichte, Zentralrat der deutschen sozialistischen Republik (Hrsg.), Berlin 1919. 45 Engel, Vom Ausbruch der Revolution, S. XXXIII. Frauen waren in den Berliner Räten nicht vertreten, außer in einzelnen kommunalen Räten und deren Ausschüssen; vgl. Die Freiheit Nr. 24 vom 28. November 1918. Die Mitwirkung in den Kommunalverwaltungen war erwünscht. „Zu Mitgliedern gemischter städtischer Verwaltungsdeputationen können auch weibliche Personen bestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen, unter denen nach den geltenden Gesetzen männlichen Personen das Bürgerrecht zusteht.“
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exemplifiziert werden.46 Berichtet wird davon, wie das Armeekorps, beeinflusst durch Nachrichten aus Köln, Kiel und Hamburg, „in eine aufgeregte Stimmung geraten“ war. Aus dem in der Nähe gelegenen Metz trafen Delegierte des dortigen Soldatenrates ein, was wiederum die Einrichtung starker Sicherheitsmaßnahmen auf Seiten des Armeeoberkommandos (AOK) zur Folge hatte. Dass diese beide Gruppierungen in Konkurrenz um die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung gerieten, wird an den Bedingungen deutlich, die der neugegründete Soldatenrat an das Armeeoberkommando stellte: „1. Aufhebung der Sicherheitsmaßnahmen des AOK, 2. Sofortige Bildung eines Soldatenrates, 3. Die Sicherheit des AOK übernimmt der Soldatenrat, 4. Außer Dienst keine Vorgesetzten, 5. Bis auf weiteres kein Zapfenstreich, 6. Gleiche Küche der Offiziere und Mannschaften, 7. Jede Formation bildet einen Ausschuß von 4 Männern, welche Einsicht in die Geschäftsführung, Verwaltung der Küchen, Kantinen usw. erhält und direkt dem Soldatenrat unterstellt ist. 8. Entwaffnung sämtlicher Offiziere des AOK.“47
Im Zentrum stand die „Aufrechterhaltung der Ordnung“, sowie die Gewährleistung die Verantwortung für jede „Störung des militärischen Dienstes“ übernehmen zu dürfen. In seiner Funktion als raumordnendes Element hatte der Rat für die Entwaffnung sämtlicher Offiziere zu sorgen, die Lebensmittelbestände zu sichern, sowie den Kommunikationsraum zu überwachen. Seine Mitglieder waren daher von jedem anderen Dienst befreit. Auch sonst zogen die „einfachen“ Soldaten mit sämtlichen Offizieren gleich. Sie bekamen fortan dieselbe Verpflegung und bestimmten darüber, welche Offiziere im Besitz von Ausweiskarten fortan Waffen tragen durften. Auch das neu gewonnene Recht, nach Dienstschluss „vollkommene Freiheit“ zu besitzen, eröffnete den Soldaten völlig neue Spielräume. Mit der Kontrolle über den Fernsprechdienst und der Aufhebung der Briefzensur beanspruchte man darüber hinaus die Macht über den Kommunikationsraum zu erlangen. Selbst ein erforderlicher Strafenkatalog war zuerst den Soldatenräten vorzulegen. Das Beispiel von der Etablierung des Soldatenrats S. Avolds nahe der Grenze, konnte auf viele sich in dieser Zeit rasant entwickelnde Räte übertragen werden. Es zeigt, wie die neuen Räte in Konkurrenz zum alten Militär traten und sich als ordnungsstiftende Faktoren zu etablieren begannen, indem die Räte neue Räume schufen. Maßgebend für den Aufbau und die Organisation waren die Bekanntmachungen des General-Soldatenrates des VII. Armeekorps in Münster vom 14. November 1918.48 Der engere General-Soldatenrat, welcher aus 10 Mitgliedern bestand, übte die Kontrolle über den gesamten Dienstbetrieb aus. Hinzu traten Delegierte jedes
46 Paradigmatisch hierfür BA B, R 705, Nr. 26, fol. 144–147, Mitteilung des Transportführers Begler über den Verlauf der Revolution des 19. A. K. in S. Avold, Berlin 14. November 1918. 47 BA B, R 705, Nr. 26, fol. 144–147, Mitteilung des Transportführers Begler über den Verlauf der Revolution des 19. A. K. in S. Avold, Berlin 14. November 1918. 48 Vgl. Schulte, Münstersche Chronik zu Novemberrevolte, S. 99; vgl. StAB, A L-D, Nr. 17, ohne fol., Schreiben VII. Armeekorps Stellv. Generalkommando Abt. Ib Nr. 29895 an General-Soldaten-Rat, Münster 16. November 1918. Die gegenwärtige Lage habe es erfordert, dass auch weiterhin die Zivilbehörden mit dem stellvertretenden Generalkommando auf innerpolitischem Gebiete kooperierten.
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Garnisons-Soldatenrats, welche künftig Bezirks-Soldatenrat genannt werden sollten. Die am Sitz der Bezirks-Kommandos angesiedelten Soldatenräte, die für jeden Landwehrbezirk eingerichtet wurden, hatten „die Aufsicht und volle Verantwortung für ihren ganzen Bezirk, ganz besonders auch für den Sicherheitsdienst und haben die für ihren Bezirk etwa erforderlichen Anordnungen zu treffen.“49 Das Verhältnis zwischen den Arbeiter- und Soldatenräten des Industriegebietes und dem VII. Generalkommando des Armeekorps gestaltete sich dann während der großen Streikbewegungen des Frühjahrs als durchaus regelungsbedürftig.50 Beide Gruppierungen stellten eine Liste von Bedingungen auf, welche das Verhältnis der beiden zueinander regeln sollte.51 Ein festzulegender Aufgabenbereich der Räte hatte sich erst im Verlauf der Revolution entwickelt. Stießen alte Militäreliten des Kaiserreichs auf die sich neu formierenden Soldatenräte, kam es oftmals zu Auseinandersetzungen, indem den Offizieren die Achselstücke, Kokarden oder Säbel entwendet wurden.52 Zur Konstruktion eines neuen öffentlichen Bilds der Stadt trugen die Räte somit auch in „reinigender“ Funktion bei, wie beispielsweise im Falle Charlottenburgs, als am 9. November gegen 3.40 Uhr in der Nähe des Schlosses rund 2.000 Arbeiter zusammenkamen, die von 3-4 Männern angeführt und mit Handgranaten bewaffnet, vorbeikommenden Soldaten die Kokarden abnahmen.53 Nicht selten folgten auf solche symbolisch stark aufgeladenen Handlungen Verbrüderungsszenen, die zum Zusammenschluss neuer Gruppierungen führte. Die Räte waren neben den üblichen Behörden auch eine Anlaufstelle, wenn es um Fragen des öffentlichen Stadtbildes und seiner Wirkung ging. Im Zuge der umfassenden Truppenbewegungen heimkehrender Soldaten von der Front hatte das Amtsgericht Bochum Langendreer seine zurückgekehrten Bewohner mit einer auf dem Gebäude gehissten Flagge, welche dem Amtsgericht vom Justizministerium zur Verfügung gestellt wurde, empfangen wollen.54 Da das Amtsgericht dem Justizministerium als vorgesetzte Behörde unterstellt war, hatte letztere die Anbringung einer roten Flagge anzuordnen. Welche 49 Zit. nach Schulte, Münstersche Chronik zu Novemberrevolte, S. 99. 50 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 32, Abmachungen zwischen den Vertretern der A.- und S. Räte des Industriegebiets mit dem Generalkommando VII. Armeekorps am 21. Februar 1919. 51 Ebd., fol. 34, Protokoll über die zweite Verhandlung zwischen dem Generalkommando VII. A. K. und den Vertretern der A. und S.-Räte des Industriegebietes am 22. Februar 1919. Dritte Verhandlung am 27. Februar. 52 BA B, R 705, Nr. 26, fol. 98, Meldung aus Münster vom 13. November 1918. Bereits vier Tage nach Beginn der Revolution erreichte die Informationsstelle die Meldung, dass sich in der Provinz Westfalen „alle größeren Städte in der Hand der A.-u.S.-Räte“ befanden und mit den Zivilund Militärbehörden zusammen arbeiteten. 53 BA B, R 705, Nr. 25, fol. 99, Siehe hierfür die zahlreichen bei der neu eingerichteten Informationsstelle der Reichsregierung eingegangen Einzelmeldungen und Telegramme aus dem gesamten Reich, die über die Errichtung von Arbeiter- und Soldatenräten berichten und obige These ausreichend stützen. 54 StAB, AL, Nr. 858, ohne fol., Schreiben Amtsgericht Langendreer an Arbeiter- und Soldatenrat Langendreer, betr. Antwort auf das Schreiben vom 2. Dezember 1918, Langendreer 9. Dezember 1918; vgl. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15279, fol. 20, Oberlandesgerichtspräsident und
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Wirkung das Hissen einer Flagge auf öffentlichen Gebäuden hervorrufen konnte, zeigen die Auseinandersetzungen rund um das Bahnhofsgebäude in Essen. Hier hatten am 3. Dezember 1918 Offiziere und Mannschaften der durchmarschierenden Artillerie versucht, die roten Fahnen auf dem Hauptgebäude zu entfernen, woraufhin die Wache des Arbeiter- und Soldatenrates, nach „wiederholten Warnungen mit der Waffe“, eingriff.55 Die Vorgänge in Kiel dienten als Vorbild für die Etablierung und Zusammensetzung von Arbeiter- und Soldatenräten. Die nach dem Krieg aus weiten Teilen der aus den Frontgebieten zurückkehrenden Soldaten und Arbeitern des Landes sollten an der politischen Entwicklung des Landes beteiligt werden. Durch ihre starke Heterogenität in ihrer politischen Ausrichtung, reichten ihre Ideen von sozialistischen Rätevorstellungen des Bolschewismus bis hin zu einer Errichtung einer parlamentarischen Demokratie.56 Die innere Struktur der Räte konnte viele Varianten aufweisen. Gerade die Soldatenräte wiesen eine Vielzahl von unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen auf, welche „von der Art ihrer Bestallung und ihrem Verhältnis zu den Einheiten, Verbänden oder Kommandobehörden, die sie vertraten, bis zu ihrem Aufbau und ihrer Tätigkeit“ reichten.57 Sie reichten von reinen Diskutierklubs bis hin zu straff organisierten Gebilden. In Münster beschäftigte sich der Rat unter anderem mit Fragen der Wahrung von Sicherheit und Ordnung, der Demobilmachung, der Ernährung, der Versorgung, des Verkehrs, des Disziplinar- und Militärjustizwesens sowie der Betreuung von Kriegsgefangenen und der Erteilung von Auskünften. Diese Arbeiten ließ sie eine wichtige Ordnungsfunktion im öffentlichen Raum wahrnehmen. Als ordnende Elemente halfen sie besonders bei der Rückführung der heimkehrenden Soldaten und regelten deren Entlassungen. Hierbei war neben der planmäßigen Durchführung der Entlassungen auch der Verbleib von Waffen und Munition zu klären.58 Auch einzelnen „Abgekommenen“ und „Versprengten“ halfen diese bei der Wiedereingliederung und besaßen daher eine
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Oberstaatsanwalt, betr. Anordnung des Düsseldorfer Arbeiter- und Soldatenrats, Düsseldorf 20. November 1918. Zur Begrüßung der heimkehrenden Soldaten sollten auf öffentlichen, aber auch privaten Gebäuden lediglich rote Flaggen gehisst werden. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15279, fol. 46, Schreiben Polizeipräsident Essen, J.-No. IA 5046, an Regierungspräsident Düsseldorf, Essen 4. Dezember 1918. Bei dem Gefecht wurde ein Leutnant schwer und ein „Gemeiner“ leicht verletzt. Die Räte können daher als spontane Widerstandsorganisationen interpretiert werden, welche als eigene Interessenvertretungen an lokale „versammlungsdemokratische Traditionen“ der Arbeiterbewegung anknüpfen konnten. Vgl. Hoffrogge, Richard Müller, S. 90; vgl. Müller, Gewerkschaftliche Versammlungsdemokratie, S. 327. Flemming u. a., Die Republik von Weimar I, S. 5. StAL, NA Abt. 16, Nr. 150, ohne fol., Merkblatt Kriegsministerium 817/11 18 C 1 b. betr. Entlassungen unmittelbar vom Feldtruppenteil, Berlin 16. November 1918; vgl. StAL, NA Abt. 16, Nr. 150, ohne fol., Verordnung Rat der Volksbeauftragten vom 13. Januar 1919. Demnach waren alle Schusswaffen, sowie Munition umgehend abzuliefern. Nach telegrafischer Anordnung des Regierungspräsidenten sollte die Waffenabgabe nach Maßgabe des Erlasses des Innenministeriums II a Nr. 100 sofort geschehen und durch die Arbeiter- und Soldatenräte bis zum 26. Februar erfolgen.
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orientierungsstiftende Funktion im öffentlichen Raum. „So haben sie im militärischen Bereich vielfach zumindest dazu beigetragen, daß die gestörte Ordnung nicht in Chaos überging, ebenso aber führten sie nicht selten anarchische Zustände herauf.“59 Die Soldatenräte erreichten zahlreiche Klagen darüber, dass sie sich häufig „Ungesetzlichkeiten zu Schulden“ hätten kommen lassen, sodass von vielen Stellen „allgemeine Anweisungen und Aufklärungen“ gefordert wurden. Dabei wurde den Soldatenräten „keinerlei Vollzugsgewalt“ zugestanden.60 Sie hatten zwar ähnlich wie die anderen Räte eine Verbindung mit den „gesetzlich berufenen“ Stellen zur Aufrechterhaltung der Ruhe sowie eine ordnungsregelnde Funktion. Mehrheitlich verstanden sich die Räte jedoch nicht als dauerhafte Lösung für eine politische Willensbildung, sondern als eben genau jene „Ordnungsfaktoren“, die den Übergang in ein neues politisches und gesellschaftliches System gewährleisten sollte.61 Dass sie in einer zweiten Phase der Revolution nach Dezember 1918 zunehmend den Entscheidungen oder der Politik des Rats der Volksbeauftragten nicht mehr folgten, hängt auch mit den Ereignissen rund um die Ermordungen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zusammen.62 Radikale Mehrheiten in den Arbeiterräten führten zu einer schärferen Kontrolle, wenn diese den Sicherheitswehren direkt unterstanden und somit über Polizei- und Militärgewalt verfügten.63 Im Falle des Mühlheimer Arbeiter- und Soldatenrats wurde dieser zu „einer gesetzlichen Körperschaft“, indem er Bekanntmachungen und Verordnungen erlassen konnte, während man auf Anordnungen aus Berlin oder des Generalkommandos mit Missachtung oder Spott reagierte.64 Mühlheim und das benachbarte Essen wurden zudem als die „gefährlichsten Herde“ der Unruhen bezeichnet.65 Trotzdem konnte den nicht radikalen Räten eine sichernde Funktion in lokal begrenzten Räumen zugeschrieben werden, da sie zum einen die örtlichen Verwaltungen weiterhin kontrollieren sollten und zum anderen als regulatives Element bei 59 Wohlfeil, Reichswehr und Republik, S. 41. 60 BA B, SAPMO, SgY 10, Nr. V236–7–23, fol. 13, Schreiben Landesverband der bayerischen Stadt- und Marktgemeinden, Nr. 573b 36 u. 38 an Ministerium für militärische Angelegenheiten München betr. Soldatenräte, München o. D. 1918; vgl. Bayerische Staatszeitung Nr. 266 vom 13. November 1918. Speziell das Verhältnis zwischen den Soldatenräten und dem Militär galt als problembehaftet. 61 Anders hingegen der Spartakusbund, welcher sich für eine dauerhafte Machtübernahme der Räte einsetzte. 62 Vgl. Flemming u. a., Die Republik von Weimar I, S. 5. 63 Kolb, Arbeiterräte, S. 287. 64 LAV NRW W, BR 007, Nr. 15976, fol. 53 RS, Schreiben Oberbürgermeister an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen in der Zeit vom 1. Januar bis 19. März 1919, Mühlheim a. d. Ruhr 18. Oktober 1919. 65 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15974, fol. 334, Schreiben Regierungspräsident, Mob. 11280, an Minister des Innern, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen im Jahre 1919, Düsseldorf 5. Mai 1919. Die Konflikte wurden zu Beginn der Revolution als lokal begrenzt und standen „mit den benachbarten Städten meistenteil nicht in Zusammenhang.“ Auf die Schwierigkeiten bei der Berichterstattung wurde zudem hingewiesen, als dass die Behörden infolge des kurzen Abstandes der Geschehnisse und der „eingetretenen Verwirrung“ sowohl unvollständig und fast täglich wiederholt seien.
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der Wiedereingliederung zurückkehrender Soldaten mithalfen, angefangen von deren Einquartierung durch die Bereitstellung öffentlicher Gebäude oder Privatwohnungen samt der Hilfe mit der Bereitstellung von Decken, Bettgestellen oder der Versorgung mit Lebensmitteln.66 Zugleich hatten sie für ein geordnetes Stadtbild zu sorgen und so auf soziale Formationen wie den Arbeitslosen oder Kriegsversehrten positiv einzuwirken, um diese in die Gesellschaft zu reintegrieren. Daher kann ihnen eine inkludierende Funktion und Vermittlerrolle im öffentlichen Raum zwischen sozialen Formationen zugeschrieben werden.67 3.2 „WACH AUF UND WEHR’ DICH, DEUTSCHER MANN“ – EINWOHNER- UND HAUSWEHREN ALS SELBSTSCHUTZ „Das tiefste treibende Moment, daß den Einwohnerwehrgedanken durchflutet, ist die allumfassende Liebe zur Heimat“, so in einem Leitartikel der amtlichen Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren.68 Weltkrieg und Revolution hatten zu massiven Verängstigungen in der Bevölkerung durch außen- aber auch innenpolitische Bedrohungsszenarien geführt, was nicht zuletzt in der Bedrohung des eigenen Lebensraums kulminierte. Hierzu zählte die Angst vor bolschewistischen Putschen ebenso wie der Einmarsch alliierter Truppen, aber auch der Bedrohung und dem Verlust des eigenen Privatraums in Form von Haus und Wohnung.69 Unter
66 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 195, Niederschrift über die gemeinschaftliche Sitzung der Stadtverwaltung mit dem Arbeiter- und Soldatenrat vom 22. Februar 1919. Oftmals führte die Unterbringung in zweckentfremdeten Gebäuden wie den Schulen wiederum zu einem Mangel an geeigneten Schulräumen wie im Falle der Essener Volkswehr. 67 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 165f., Niederschrift über die gemeinschaftliche Sitzung der Stadtverwaltung mit dem Arbeiter- und Soldatenrat vom 10. Januar 1918. Da Mitteilungen eingingen, dass „Kriegsbeschädigte in offener oder versteckter Form unter Hinweis auf ihre Kriegsbeschädigung Bettel treiben“ würden, sollten diese für die „Ordnung auf den Strassen verantwortlichen Stellen“, somit an die Kriegsbeschädigtenfürsorge verwiesen werden. Vgl. Vossische Zeitung Nr. 603 vom 25. November 1918. 68 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 84, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 2/3 vom 1. August 1919, Artikel „Einwohnerwehr und Parteizopf“. Vgl. Bucher, Zur Geschichte der Einwohnerwehren, S. 15–59. 69 BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 22, Beitrittsformular der Zentralstelle für Einwohnerwehren. Visuell hervorgehoben ist die Aussage „Die Einwohnerwehr schützt die republikanische Regierung gegen Angriffe von Mord und Terror“; ferner ebd., fol. 16, Flugblatt der Zentralstelle für Einwohnerwehren, „Greift zur Wehr! […] Die Volksseele ist aufgewühlt. […] Furchtbare Wirren drohen im Innern als Folge des Mörder- und Sklaven-Friedens, und die Erfahrung hat uns gelehrt, daß das lichtscheue Gesindel die Not unseres Vaterlandes dazu benutzt, sein schändliches Gewerbe zu treiben.“ Dass die Stimmung in der Bevölkerung bewusst zu beeinflussen versucht wurde, geht aus den zahlreichen Aufrufen zur Bildung von Einwohnerwehren oder zum Eintritt in dieselben hervor. Besonders der Schutz von Frauen und Kindern vor Mord, Raub, Plünderung und Verbrechen musste für einen steten Zuspruch der Wehren gesorgt haben; vgl. Bergien, Bellizistische Republik, S. 59.
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dem Motto zur gemeinsamen Verteidigung der Heimat hatte das preußische Innenministerium im Frühjahr 1919 zur Gründung von Einwohnerwehren aufgerufen.70 Die Januarunruhen hatten insbesondere katalysatorisch auf die Gründung von Bürgerwehren hingewirkt, die zur Stabilisierung der außer Kontrolle geratenen Lage dienen sollten.71 Die anfangs in lokalen Kontexten zum Ortsschutz gebildeten Bürgerwehren sollten daher, um auf Landesebene eine erhöhte Durchschlagskraft und bessere Organisation entwickeln zu können, nach einheitlicher Form gebildet werden, um dann als neue Einwohnerwehren einer Reichszentrale der Reichswehrführung unterstellt zu werden. Einwände wurden von Severing geäußert, der darin in vielen Orten eine Zuspitzung der Klassengegensätze ausmachte.72 Um den Ortsschutz flächendeckend gewährleisten zu können, sollte hierfür ein lokaler Ordnungsdienst eng mit den örtlichen Polizeibehörden zusammenarbeiten. Deren hauptsächliche Aufgabe bestand im Schutz der Lebensmittelvorräte und der Sicherstellung der Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Lebensmitteln.73 In größeren Städten wurden diese zur Ergänzung der ordnungsmäßigen Polizeitruppe wenn erwünscht - hinzugezogen. Waffen sollten nur an absolut zuverlässige Personen ausgehändigt werden.74 Bis zu ihrer Auflösung nach dem Kapp-Putsch hatten
70 Vgl. StAB, A L-D, Nr. 17, ohne fol., Aufruf der Arbeitsgemeinschaft für staatsbürgerliche und wirtschaftliche Bildung Berlin, Verordnung des Rats der Volksbeauftragten vom 13. Januar 1919 betr. Zusammenfassung der Einwohnerwehren zu Republikanischer Schutztruppe; vgl. StAB, LA, Nr. 1631, fol. 13, Verordnung des Preußischen Innenministers Heine, II d. 1120. vom 18. März 1919 an Ober- und Regierungspräsidenten. In erster Linie wurde die „Tätigkeit plündernder und raubender Banden insbesondere dem platten Lande und den kleinen Städten“ als Ursache ausgemacht, um dann „schleunigst Abwehrmaßregeln“ zu treffen. Hierfür seien zuverlässige Bewohner „aller Schichten“ durch Neubildung oder Anschluss an bestehende Vereine zu Einwohnerwehren zusammenzuführen, welche „nach Art der Feuerwehren“ regelmäßige Übungen abhalten sollten. Vgl. Zimmermann, Die Einwohnerwehren, S. 185–212; Vgl. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 30272, ohne fol., Oberbürgermeister Düsseldorf betr. Regulativ betreffend die für den Stadtkreis einzurichtende Bürgerwehr, Düsseldorf 5. August 1914. Auf Grund des §7 des Gesetzes vom 11. März 1850 verpflichteten sich Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens, weshalb schon hier vielfach die Einrichtung von Bürgerwehren zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung angeordnet wurde; vgl. Ebd., Anordnung Minister des Innern IV a 2178 an Regierungs- und Oberpräsidenten, Berlin 7. August 1914. 71 StAB, LA, Nr. 1631, fol. 49, Anordnung des Reichswehrministeriums Nr. 4188, Berlin 25. April 1919. 72 Vgl. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 103f. 73 Diese Themen finden sich in allen Quellen zur Rätebewegung wieder. Pars pro Toto seien hier die gemeinschaftlichen Sitzungen der Stadtverwaltungen Essens mit dem Arbeiter- und Soldatenrat für die Monate Januar bis April 1919 genannt. Siehe StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 149–214. 74 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 163, Rundschreiben Minister des Innern an Ober- und Polizeipräsidenten, Berlin 8. November 1918; vgl. BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 187, Reichsamt des Innern, Aufzeichnung über die Sitzung betreffend die allgemeine innere Lage, Berlin 7. November 1918. Der Polizeipräsident Berlins hegte anfangs noch „erhebliche Bedenken gegen [die] Bildung von Bürgerwehren in Berlin“, da keine Quartiere vorhanden gewesen seien und eine Vermischung mit der Schutzmannschaft oder dem Militär „zu Reibereien“ geführt hätte.
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die Wehren gerade in der alliierten Besatzungszone als paramilitärische Ersatzformationen für das nach dem Versailler Vertrag aufgelöste deutsche Heer gegolten.75 „Die Einwohnerwehren waren demnach eine staatlich legitimierte Institution, die die Machtmittel und die politische Stellung der legalen Behörden verstärkte. Sie wurden von den bürgerlichen Parteien und ausdrücklich auch von der SPD unterstützt.“76 Ein einheitliches Bild gaben diese jedoch nicht ab. Sowohl nach der Struktur, Entstehung oder Verteilung konnten sich Einwohner-, Sicherheits-, oder Bürgerwehren stark unterscheiden. Diese Vielfalt reichte von Bürgervereinigungen zum Schutz von Besitz und Eigentum in lokal begrenztem Raum oder der eigenen Gemeinde in Form von Kreiswehren, über Nachbarschaftswehren bis hin zu militärähnlichen Formationen, um in „unentgeltlicher Ehrenpflicht“ das „Vaterland, seine Heimat, Haus und Hof vor Gefahr zu schützen.“77 Dabei wurden diejenigen Wehren als besonders zuverlässig beschrieben, die unter direkter Kontrolle der Polizeiverwaltungen standen.78 Aus der Sicht des Militärs bestand ohnehin ein andauerndes „allgemeines Wirrwarr“, welche Gruppierungen Bestand hatten und wem sie zugerechnet werden konnten.79 Jedoch bedeutete die Verweigerung der geforderten schriftlichen Verpflichtung zum Schutz der
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Vgl. StAB, AG, Nr. 205, fol. Schreiben Kriegsministerium, Nr. 900/12.18.A.6. an Regierungspräsidenten Arnsberg, betr. Ausstattung von Sicherheitstruppen mit Handgranaten, Berlin 27. Dezember 1918. Starke Bedenken wurden gegenüber dem Antrag von Soldatenräten und Kommandanturen zur Bewaffnung von Sicherheitstruppen mit Handgranaten geäußert. Zum einen sei die Lagerung in den Städten höchst gefährlich gewesen, weil sie Personen und Gebäude gefährdeten. Zusätzlich sei die „Splitterwirkung“ der Stielhandgranate „in geflasterten oder asphaltierten Strassen“ [sic] ungleich höher als im freien Gelände gewesen. Die Straße habe andererseits dem Werfer nicht die Möglichkeit geboten, sich selbst gegen die Handgranate zu schützen, wie in der Geländeform des freien Feldes. Vgl. Könnemann, Einwohnerwehren, S. 339; lediglich Bayern hatte sich gegen die Auflösung gewehrt und die Wehren noch ein weiteres Jahr bestehen lassen. Vgl. Thoß, Einwohnerwehren, in: Historisches Lexikon Bayers, URL: [25.08.2014]; zur Geschichte der Einwohnerwehr in Bayern siehe Kanzler, Einwohnerwehren und Selbstschutzorganisationen; Nußer, Konservative Wehrverbände. Wohlfeil, Reichswehr und Republik, S. 219. Die Gruppe der Freiwilligen umfasste bis zum 1. Oktober 1919 ca. 630.000 Personen. Verordnung des Preußischen Innenministers Heine vom 18. März 1919 betr. Die rasche Aufstellung von Einwohnerwehren auf dem Lande, zit. nach Könnemann, Einwohnerwehren, Dok. 7, S. 357; vgl. BA B, R 1501, Nr. 113090, fol. 180, Verordnung Minister des Innern, II d. 2167, Berlin 15. April 1919. Besonders wurde hier auf die durch die „schwere Lebensmittelnot zunehmende Unsicherheit in der Stadt und Land“ hingewiesen. Als Pflicht und Recht der Einwohner wurde der Selbstschutz gegen bewaffnete Aufruhr, Plünderungen und Bandendiebstahl, aber auch der Gefahr für Leben und Eigentum angesehen. Vgl. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 101. Severing nennt hier die Wehren in Dortmund, Bochum, Herne, Bottrop und Essen. Oft standen die Gruppierungen in enger Bindung zu ihrem Führer und fielen auseinander, wenn dieser beseitigt wurde. Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen, Band 9, Errettung des Ruhrgebiets, S. 71f. Die Auflösung und Umbildung der alten Wehren durch General Freiherr von Watter am 28. Februar 1919 führte auch im Ruhrgebiet zu keiner transparenteren Lösung. Größere Städte und Werke hatten in „ihrem Raum“ sogar in Herne eine gemeinsame „Schutzzentrale“ eingerichtet, die einzelne Wehren miteinander vernetzen sollte. Vgl. StAB, A L-D, Nr. 17, ohne fol., Schreiben
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demokratischen Republik nicht unbedingt eine „Feindschaft gegenüber dem neuen Staat, sondern es konnte damit auch lediglich zum Ausdruck gebracht werden, daß man sich nur zur Wahrung eigener Interessen vereinigt hatte.“80 Die Einrichtung der Einwohnerwehren als Selbstschutz sollte den „örtlichen Verhältnisse[n]“ angepasst werden, also möglichst an bestehende ähnliche Einrichtungen angelehnt, während in ihren Reihen „jede gegensätzliche Betätigung politischer Richtung oder wirtschaftlicher Interessen“ auszuschließen sei.81 Im Zuge dieser neuen Bestimmungen war zudem die Bildung der Wehren durch die verschiedenen Räteformen vorgesehen. Bei größeren Standorten mit industriellen Werken, sollte dies aus der Belegschaft der Betriebe geschehen. Neben der vorauszusetzenden Zuverlässigkeit sei die Beteiligung „erprobter Feldzugsteilnehmer“ ausdrücklich erwünscht, da diese „wegen ihrer Vertrautheit mit den neuen Nahkampfmitteln“ als besonders geeignet angesehen wurden. „Mit aufopferungsvoller, selbstloser Hingabe“ so schrieb die Vossische Zeitung habe sich die Berliner Volkswehr „in diesen Tagen in den Dienst der Ordnung gestellt. Soldaten, die Jahre hindurch das Schwerste erlitten und alle Schrecken blutiger Kämpfe überwunden glaubten, haben aufs neue zu den Waffen gegriffen, um den ruhigen und vernünftigen Ausbau des neuerkämpften Freiheitsstaates zu sichern und unsere Stadt vor der Schreckensherrschaft fanatischer Terroristen zu schützen.“82
Bei ihrer Vereidigung auf die republikanische Staatsform und die Regierung sollten sie sich auch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verpflichten. Die Bestimmungen über die Errichtung von Einwohnerwehren wurden dann nochmals Schutzzentrale Westfalen Herne an die Polizei- und Stadtverwaltung Linden-Bochum, Herne 10. März 1919. Die Zentrale beabsichtigte nicht in die örtlichen Verhältnisse einzugreifen, sondern als Schaltstelle zu dienen, die als „enger Zusammenschluss aller Orte“ fungieren sollte, um „Herr der spartakistischen Umtriebe und des verbrecherischen Treibens Herr zu werden“; vgl. auch StAB, A L-D, Nr. 17, ohne fol. Schreiben Schutzzentrale Westfalen Herne an die Volkswehr und Arbeiterrat Linden-Bochum, Herne 11. März 1919. Im eigenen Verständnis der zusammengeschlossenen Ortschaften würden Deutschland und die Heimat „fallen“, wenn das Industriegebiet nicht geschützt werden könne. 80 Wohlfeil, Reichswehr und Republik, S. 219 u. S. 57. „Bis zur Eröffnung der Nationalversammlung entstanden überall in Deutschland „in Einzelfällen von staatlichen Organen ins Leben gerufene, in der Mehrheit aber wohl im Verlaufe des revolutionären Geschehens aus wilder Wurzel hervorgehende paramilitärische und militärische Verbände“, welche sich von den Freikorps durch ihr „ideologisches Bekenntnis zur sogenannten Novemberrevolution mit einer mehr oder minder starken Bindung an sozialistische Staatsvorstellungen“ unterschieden. „Nicht wenige dieser revolutionären Wehren schlugen sich bei bewaffneten Auseinandersetzungen auf die Seite der regierungsfeindlichen linksradikalen Kräfte.“ 81 Verordnung des Preußischen Innenministers Heine vom 18. März 1919 betr. Die rasche Aufstellung von Einwohnerwehren auf dem Lande, zit. nach Könnemann, Einwohnerwehren, Dok. 7, S. 357. 82 Vossische Zeitung Nr. 26 vom 15. Januar 1919; StAB, A L-D, Nr. 17, ohne fol., Mitteilung des Generalkommandos beim VII. Armeekorps, Abt. Ia Nr. 38537, Münster 27. Dezember 1918. Für das Ruhrgebiet hatte das Gesetz zur Bildung einer freiwilligen Volkswehr zunächst eine Abteilung von sieben Hundertschaften für diesen Korpsbezirk vorgesehen. Die „besonderen Verhältnisse“ im Industriegebiet sollten Wehren entstehen lassen, die zum „Schutz eines geregelten Wirtschaftslebens“ als Bezirkswehren aufgestellt werden sollten.
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im September ausführlicher formuliert, sodass neben die „mit der schweren Lebensmittelnot zunehmende Unsicherheit in Stadt und Land“, gegen „die aus dem Anwachsen des Verbrechertums entstehende Gefahr für Leben und Eigentum“, gegen „bewaffneten Aufruhr, Plünderungen und Bandenherrschaft“ nun explizit „sich selbst zu schützen“ in den Vordergrund gerückt wurde.83 Die Einwohnerwehren auf dem Land wurden unter der Bezeichnung Landesschutz anderweitig organisiert.84 Als „Notwehrorganisationen“ seien diese zum Schutz gegen die „außerordentlichen Gefahren“, welche die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdeten, zu bilden, insbesondere wenn Leben und Eigentum bedroht würden. Die Einwohnerwehren zählten etwa 1 Million Bewaffnete und sollten auf Verlangen der Alliierten nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages bis zum 10. April 1920 aufgelöst werden. Dabei war die Kampfkraft der Einwohnerwehren gerade gegenüber den Freikorps oder der Reichswehr als gering einzuschätzen, bildeten sie doch eher eine „unfreiwillige Waffenquelle für Arbeiterwehren“.85 Dass sie einen engen Bezug zu räumlich begrenzten lokalen Kontexten inne hatten, sollte sich in einem durch sie gestärkten „Sicherheitsbewußtseins“ äußern, welches verstärkt auf die eigene Gemeinde übertragen werden sollte. Auf Anweisung des Ministeriums des Innern waren die Wehren als Abwehrmaßnahmen bei Kriminalitätssteigerung, Bandenwesen, Verrohung der Jugend, aber auch Streiks, Tumulten und Plünderungen durchaus vorgesehen.86 Dabei habe das „Zusammengehörigkeits- und Nachbarschaftsgefühl“ erfordert, dass Einwohnerwehren ähnlich 83 Hier und im Folgenden StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 196, Rundschreiben Minister des Innern an Ober- und Regierungspräsidenten, Nebenabdrücke an Landräte und Magistrate der kreisfreien Städte, Berlin 15. September 1919. Vgl. ebenfalls LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6054, fol. 25–27 RS., Verordnung Minister des Innern, E. W. I. Nr. 6082, Abteilung Zentralstelle für Einwohnerwehren an Ober- und Regierungspräsidenten, Berlin15. September 1919. 84 StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., Landesschutz Geschäftsstelle der Einwohnerwehren auf dem Lande, Richtlinien zur schnellen Aufstellung von Landesschutzverbänden. Diese enthielten aber im Wesentlichen dieselben organisatorischen Bestimmungen. Jede Gemeinde sollte einen oder mehrere „Alarmplätze“ bestimmen. 85 Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. XX; Könnemann, Einwohnerwehren, S. 391f. Oftmals versuchte man bei der Zusammenstellung der Wehren auf die Zuverlässigkeit der Mitglieder zu achten. Im Falle einer Sicherheitswehr in Hervest-Dorsten sah man beispielsweise davon ab, Einwohner in die Formation zu integrieren, da man hier „gegenrevolutionäre Bestrebungen“ vermutete. Vgl. LAV NRW W, Regierung Münster, Nr. 4204, ohne fol., Schreiben des Landrats G. Nr. 1424. I. an Regierungspräsidenten Münster, Recklinghausen 6. März 1919. 86 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 121f., Schreiben Minister des Innern G. I.A.10. Einz. an Regierungspräsidenten Münster, Berlin 19. Juli 1919. Die Berichterstattung diente der Vergleichbarkeit zwischen den verschiedenen Land- und Stadtbezirken. Dabei weisen alle an den Landrat Münsters eingehenden Berichte eine Zunahme von Diebstählen etc. auf, die jedoch durch die Einsetzung kleiner Einwohner- und Bürgerwehren allesamt in den Griff bekommen werden konnten. Vgl. fol. 124, Schreiben Amtmann Roxel Tgb. No. 3568 an Landrat Münster betr. Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Roxel 11. August 1919; vgl. etwa fol. 126, Schreiben Amtmann Havixbeck Tgb. Nr. 3781, betr. Zunahme der Störungen der öffentlichen Ordnung in Stadt- und Landbezirken, Verfügung vom 2. August 1919 No. 4830 an Landrat Münster, Havixbeck 19. August 1919; vgl. auch fol. 127, Schreiben
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wie die Feuerwehr „auch einer oder mehreren bedrängten Nachbargemeinden, je nach Gefahr, hilfreichen Beistand leisten“ sollten.87 Daher sollten sich räumlich beieinander liegende Wehren zu Kreiswehren zusammenschließen, um ausschließlich „als listenmäßig geführte, freiwillige, unpolitische Selbstschutzverbände“ der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung zu dienen.88 Auf die Gruppenzugehörigkeit stärkend wirkte auf einer symbolischen Ebene das Tragen weißer Armbinden und das Singen einer eigenen Hymne wie dem „Einwohnerwehrlied“ identitätsbildend.89 Amtmann Nottuln Tgb.-Nr. 7477 an Landrat Münster, betr. Störungen der Sicherheit und öffentl. Ordnung in Stadt- und Landbezirken, Nottuln 18. August; Amtmann Telgte Tgb.-No. 4651 an Landrat Münster, betr. Bericht über die Zunahme der Störungen der Sicherheit und öffentlichen Ordnung, Telgte 18. August 1919; vgl. fol. 131 Amtmann Wolbeck Tgb.-Nr. 2484 an Landrat Münster, betr. Störungen der Sicherheit und öffentlichen Ordnung, Wolbeck 18. August 1919; fol. 132, Amtmann Greven an Landrat Münster Tgb.-Nr. 3234, betr. Störung der Sicherheit und öffentlichen Ordnung, Greven 19. August 1919. 87 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 196, Rundschreiben Minister des Innern an Ober- und Regierungspräsidenten, Nebenabdrücke an Landräte und Magistrate der kreisfreien Städte, Berlin 15. September 1919; vgl. BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 19, Merkblatt des GardeKavallerie-Schützen Korps Abteilung VIII für Regierungstruppen über Einwohnerwehren, Punkt 11. Um dieses Zusammengehörigkeitsgefühl weiter zu stärken wurden „sämtliche Angehörige der Freiwilligen-Verbände […] gebeten, nur in den Wirtschaften zu verkehren und nur in den Geschäften zu kaufen, deren Inhaber und Angestellte Mitglieder der Einwohnerwehren sind. Sie sind anzuhalten, die Zugehörigkeit jedesmal zu erfragen. Von dieser Maßnahme ist eine starke Zunahme der Einwohnerwehren zu erwarten.“ 88 Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 319. Nach Eliasberg bestanden die Einwohnerwehren fast ausschließlich aus bürgerlichen Kreisen; BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 25–27, Die Frage der Einwohnerwehr. Ein Beitrag zur Verständigung von Dr. Friedrich Dessauer, Berlin 1919. Dessauer spricht sich für das Bürgertum aus, welches man „für sich gewinnen“ müsse in seinem „verständigen, fortschrittlichen und begeisterungsfähigen Teil“. Dessauer konstatiert, dass der Schutz durch die lokalen Behörden nicht ausreiche. Die Ereignisse wie Diebstähle, Plünderungen und „Schlimmeren“ aus anderen Städten seien für Berlin „Warnungszeichen“. Man dürfe es keinem Menschen verwirken, in denen „mit elementarer Wucht der Gedanke auftaucht, ich will mitwirken, wenn es gilt, mein Leben und mein Eigentum zu schützen, und ich will mich dabei nicht ausschließen lassen, das ist selbstverständlich.“ Man solle daher willensstarke und begeisterte Menschen mithelfen auszusuchen, die am „Wiederaufbau des Landes“ und zur „Herbeiführung besserer Zeit“, für die „Festigung der öffentlichen Sicherheit“ und der „republikanischen Staatsform ihr Leben einzusetzen“ bereit seien; LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 9340, fol. 16, Garde-Kavallerie-Schützen-Division, Abt. VIII c. J.Nr.448 an Minister der öffentlichen Arbeiten, Berlin 17. März 1919. Die Wichtigkeit des geleisteten Dienstes spiegelte sich in der Bitte an das Ministerium der öffentlichen Arbeiten in Berlin wider, in der den Beamten für ihre Tätigkeiten in der Einwohnerwehr Urlaub gewährleistet werden sollte, da „diese[n] Herren keine Schwierigkeiten entstehen“ dürften. Reaktion des Reichsarbeitsministers in: StAB, LA, Nr. 1631, fol. 140, Reichsarbeitsminister II. 3494 an Ministerium des Innern, Berlin 25. Juni 1919; vgl. auch StAB, LA, Nr. 1631, fol. 112ff., Amt Bochum-Süd Tgb.-Nr. 1548 an Landrat Bochum, betr. Sicherheit und Ordnung, Altenbochum 9. August 1919. Ähnliches wird auch über die Städte im Ruhrgebiet berichtet. Für die Bezirke Bochum beispielsweise wurde berichtet, dass überall […] die Kriminalität in jeder Hinsicht um ein bedeutendes zugenommen“ habe. 89 BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 29, Einwohnerwehrlied zur Melodie „Stolz weht die Flagge Schwarz-weiß-rot“. Der Stellenwert des eigenen Privatraums oder der Heimat wird besonders in der ersten Strophe deutlich gemacht: „Wach auf und wehr’dich, deutscher Mann, Es gilt jetzt
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Das für die Groß-Berliner Einwohnerwehr zunächst eingeführte Abzeichen, sollte dann reichsweit als „gemeinsames Kennzeichen“ etabliert werden, das gleichzeitig auch als „Zeichen […] werbend wirken soll[te], auf alle, die in Verkennung der Gefahr oder aus Gleichgültigkeit noch abseits“ stünden, sollten „sich alle Bürger […] wieder zusammenfinden über persönliche und Parteiinteressen hinaus.90
Abbildung 5: Merkblatt für Einwohnerwehren und sonstige Schutzwehr-Organisationen
Bezüglich der sozialen Zusammensetzung sollte besonderes Augenmerk auf den schichtenübergreifenden Charakter der Wehren gelegt werden. Trotzdem kann exemplarisch am Beispiel der Lüner Einwohnerwehr gezeigt werden, dass von den knapp 500 erwähnten Mitgliedern alle recht ähnliche Berufe erlernt hatten und auf
Haus und Herd: Was niemand dir ersetzen kann, Was lieb dir ist und wert. Dein Glück versinkt in tieffste Nacht, Der Freuden bist du bar, Verfällst du der weit schlimmen Macht Als äuß’rer Feind es war.“ [sic] Der Refrain „Auf, greift zur Waffe, Mann für Mann, Kämpft gegen Raub und Mord. Wer noch die Fäuste rühren kann Sei innern Friedens Hort“ symbolisierte zudem die Beweggründe des Eintritts in die Wehr. Auch der parteiübergreifende Charakter der Wehr wurde in der zweiten Strophe aufgegriffen, indem es hieß „Laßt der Parteien Zwietracht ruh’n“. 90 StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., Schreiben Zentralstelle für Einwohnerwehr beim Reichswehrministerium an Bürgermeister von Lünen, Berlin 13. Juni 1919.
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den Zechen arbeiteten, dann in das Militär eintraten und als Verwundete oder Entlassene aus dem Krieg heimkehrten.91 Das Alter der Mitglieder hingegen wies mit den Geburtsjahren zwischen 1877 und 1894 eine relativ breite Streuung auf.92 Zusammen mit der „unpolitischen“ Ausrichtung der Wehrmitglieder, stellten die Einwohnerwehren somit eine wichtige soziale Formation im Umgang mit dem öffentlichen, gerade lokal begrenzten Raum dar.93 Personen, die bei „gegebener Gelegenheit“ den Sturz der Regierung unterstützen oder die „Diktatur einer Minderheit“ anstrebten, dürfe man auf keinen Fall in die Gruppe aufnehmen.94 Daher war „in den Reihen der Einwohnerwehren […] jede parteipolitische Betätigung auszuschließen, weshalb sich anhand dieser Gruppierung in besonderer Weise jene Form von Politisierungsprozessen beschreiben lässt. Sowohl durch ihre räumliche Organisation, als auch im Kontext ihrer Aufgaben zum Schutz des lokalen Raums, kann Raum als bindendes Element zur Erklärung derer Bindekräfte herangezogen werden. Die Mitglieder sollten je nach Alter und Wehrfähigkeit in Orts- und Landaufgebote aufgeteilt werden, sodass die Ortsaufgebote nur für ihre eigene Gemeinde Schutz zu leisten hatte, während Landaufgebote darüber hinaus innerhalb eines Kreises operieren konnten. Die Zusammenfassung gewährleistete dann eine effizientere Organisation bei „Führung“, „Ausbildung“ und „Erziehung“, aber auch der „Ausgestaltung des Nachrichten-, Alarm- und Sicherheitsdienstes“, sowie der Versorgungssituation. Um die Funktionstüchtigkeit der Gruppierungen aufrechtzuerhalten, sollten diese regelmäßige Übungen abhalten, was nicht nur als funktionale Maßnahme angesehen werden konnte, sondern auch zur Stärkung des Gruppenzusammenhalts beitrug.95 Dass sie im militärischen Besatzungsfall unter das Kom-
91 StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., Anmeldungen für die Lüner Einwohnerwehr. Im Falle Lünens galt hier noch eine parallele Bezeichnung der freiwilligen Volkswehr, welche demselben Personenkreis entsprach. Vgl. StAL, NA Abt. 16, Nr. 148, ohne fol., Satzungen der freiwilligen Volkswehr der Stadt Lünen a. d. Lippe. Vgl. Mast, Lünen nach dem Ersten Weltkrieg, S. 183–191. 92 StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., die Akte enthält die Lebensläufe der Mitglieder der Einwohnerwehr. 93 Vgl. Barth, Freiwilligenverbände, S. 105–111, hier S. 105. Die meisten der Freiwilligen in den Einwohnerwehren verfügten auch Barth zufolge zunächst über keine „gefestigte politische Vorstellung. […] Ihre Meinungen waren parteipolitisch unbestimmt.“ Vgl. auch Bergien, Mit „Kreiskommissaren“ zur Volkswehr, S. 117-138, bes. S. 119–121 Ein gemeinsames Motiv waren anti-spartakistische Bestrebungen. 94 Hier und im Folgenden StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 196, Rundschreiben Minister des Innern an Ober- und Regierungspräsidenten, Nebenabdrücke an Landräte und Magistrate der kreisfreien Städte, Berlin 15. September 1919. Die Wahl erfolgte durch Wehrberatungsausschüsse, welche von den Magistraten der kreisfreien Städte bzw. von den Landräten zu bilden waren. Neben der Zuverlässigkeit war ein Mindestalter von 20 Jahren ein Kriterium zur Aufnahme. Dass auch Vertreter der Einwohnerschaft in den Ausschüssen mitwirkten, zeigt zudem wie eng verflochten diese Gruppen mit ihren Wohnorten oder ihrer Heimat waren. 95 StAB, LA, Nr. 1631, fol. 15, Richtlinien zur schnellen Aufstellung eines Landschutzes. „An Sonntagen müßten von den Gemeinden […] Übungen abgehalten werden, um vor allen Dingen
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mando der Militärbefehlshaber gestellt wurden, lässt die Kritik zur Nähe des Militärs als dessen Hilfsarmee nachvollziehbar werden.96 Besonders während der Verhängung des Belagerungszustandes nach §9 wurden sie unter Schutz des Militärs gestellt.97 Noske berichtete von in mehreren Stadtteilen gegen die Einwohnerwehr gemachten Drohungen und Beschimpfungen. Dieses seien die Mittel, „mit denen von der Seite der ruhestörenden Elemente versucht“ würde, „den ruheliebenden Teil der Bevölkerung zu terrorisieren und die öffentliche Sicherheit […] zu untergraben.“98 Somit wurden öffentliche Schriftstücke, sowie Flugblätter und Borschüren verboten, in denen die Wehren bedroht oder beschimpft wurden. Um ein reibungsloses Funktionieren der Wehren zu gewährleisten, wurde besonderer Wert auf die Einrichtung und Ausgestaltung des Nachrichtendienstes gelegt. „Das Erscheinen von Persönlichkeiten, die sich durch Ausfragen von Einwohnern verdächtig machen, die sich längere Zeit beschäftigungslos in einer Gemeinde aufhalten usw., ferner erfolgte Diebstähle und Einbrüche unter Mitteilung der Tatumstände, Auftreten von Banden usw.“, sollten gemeldet werden.99 Da auch hier der enge Austausch mit den Nachbargemeinden vorgesehen war, kann davon ausgegangen werden, dass sich die sozialen Praktiken der Einwohnerwehren in eine netzartige Struktur aufschlüsseln lassen, erkennbar in der „Verabredung von Alarm- und Warnungssignalen“ wie den „Glockenzeichen“, „Alarmschüssen“ und „Leuchtraketen“ bis hin zur Bereitstellung von Gefährten für den Transport von
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bei den aus dem Kriege heimgekehrten alten Soldaten und den hinzutretenden jüngeren Elemente wieder Lust und Liebe zum Soldatenberuf zu erwecken.“ StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 196, Rundschreiben Minister des Innern an Ober- und Regierungspräsidenten, Nebenabdrücke an Landräte und Magistrate der kreisfreien Städte, Berlin 15. September 1919. Richtet man einen Blick auf die Bewaffnung und Ausrüstung der Wehren, so wird diese Kritik erhärtet, denn Karabiner, Gewehre, Pistolen, Maschinengewehre samt Munition und Koppel mit Seitengewehr, Gerte und Stahlhelm ähnelten im Prinzip der Ausrüstung der Soldaten. Bei entsprechend unsicherer Lage wurden den Mitgliedern nur die Gewehrschlösser getrennt von den Gewehren und der Munition ausgeliefert und in Depots eingelagert. Für diese Zeit galten sie als „vorübergehend zum aktiven Militärdienst herangezogen“. Eine Armbinde sollte die Zugehörigkeit zum bewaffneten Teil der Wehr symbolisieren, obwohl diese im Allgemeinen Bürgerkleidung trugen. Vgl. BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 19, Merkblatt des Garde-Kavallerie-Schützen Korps Abteilung VIII für Regierungstruppen über Einwohnerwehren. Zudem mussten sich ihre Mitglieder ausweisen können, samt der Eintragung eines Stempels zum erlaubten Tragen von Waffen. Preußische Gesetzsammlung 1851, S. 451, Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851. Durch den Artikel 68 der Verfassung des Deutschen Reiches von 1870/71 wurde der Geltungsbereich auf das gesamte Reich außer Bayern ausgedehnt, bis das Gesetz schließlich mit dem Artikel 48 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 14. August 1919 abgelöst wurde. BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 32, Verordnung des Reichswehrministers Noske zum Schutze der Einwohner-Wehren, Berlin 27. Juni 1919. Die Wehren als „ruheliebende und besonnene Elemente“ entwickelten Noske zufolge ihre Effektivität durch den „festen Zusammenschluss“ als beste „Gewähr für die Sicherheit des Einzelnen und der Allgemeinheit“. StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Rundschreiben Minister des Innern an Ober- und Regierungspräsidenten, Nebenabdrücke an Landräte und Magistrate der kreisfreien Städte, Berlin 15. September 1919.
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Wehrmitgliedern zu einer „gefährdeten Stelle“.100 Der Informationsaustausch zwischen den Gemeinden konnte mit Kurieren in Form von Radfahrern und Läufern gewährleistet werden, ebenso wie die Verfolgung von „flüchtigen Dieben“. Dass Raum einen sehr wichtigen Stellenwert sowohl im Selbstverständnis der Wehren, als auch in deren Aufgabenbereichen einnahm, wird deutlich, wenn beispielsweise Maschinengewehre besonders an diejenigen Einwohnerwehren abzugeben waren, welche „sich zum Schutze einzelner Gebäude (Fabriken, Zeitungsdruckereien, Banken, Gutshöfe) als Hauswehren gebildet“101 hatten oder Straßen abzusperren hatten, da sie über „bessere Ortskenntnisse verfügten.102 In raumanalytischer Interpretation kann dem Raum so gewissermaßen eine strukturgenerierende Wirkung zugeschrieben werden. Diese Maßnahme wirkte zudem strukturverändernd, da eine „erhebliche Zahl von Wachmannschaften gespart“ wurde.103 Der Gebrauch der Schusswaffe durfte jedoch erst erfolgen, wenn der „Zweck mit anderen Mitteln nicht erreicht werden“ konnte. Bevor man diese zur „Zerstreuung von Ansammlungen“ einsetzte, bedurfte es des dreimaligen Ankündigens durch Rufen vom Führer der
100 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 84, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 1 vom 1. Juli 1919. Um auch auf der institutionellen Ebene eine Vernetzung der verschiedenen Einwohnerwehren zu gewährleisten, sollte diese Zeitschrift „als geistige[r] Mittelpunkt“ die „Verbindung schlagen zwischen den Einwohnerwehren in Nord und Süd, in Ost und West. Sie will Kunde geben, was geleistet wurde. Sie will eine Aussprache anbahnen, neue Gesichtspunkte zur Erörterung stellen, Mißständen abhelfen und Unklarheiten beseitigen.“ 101 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Rundschreiben Minister des Innern an Ober- und Regierungspräsidenten, Nebenabdrücke an Landräte und Magistrate der kreisfreien Städte, Berlin 15. September 1919; StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 87, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 4/5 vom 1. September 1919, „Einteilung und Aufgaben der Einwohnerwehren“. Neben dem wichtigen Gebäudeschutz sollten die „einigermaßen noch wehrfähigen Männer […] zu den Hauswehren über[treten], die zum Schutze der eigenen Straße, des eigenen Hauses Verwendung“ finden würden. Hauptaufgabe: Freihalten der Häuser von unbefugten Eindringlingen, Verhinderung des Einnistens von Dachschützen und Maschinengewehrnestern, Sorge für das Verschließen aller Fenster und für das Nichtherablassen von Rolläden (außer Schaufenstern).“ 102 Hier und im Folgenden BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 19, Merkblatt des Garde-Kavallerie-Schützen Korps Abteilung VIII für Regierungstruppen über Einwohnerwehren, Punkt 9; vgl. auch StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 2/3 vom 1. August 1919, „Aus den Einwohnerwehren“. Bericht über die Tätigkeit der Stadtwehr bei den Unruhen am 21.6. in Kassel. Welchen Stellenwert der Stadtraum für die Wehr in Kassel besaß, wurde besonders darin deutlich, dass sie sich nicht Einwohner- sondern Stadtwehr genannt hatte. Dabei hatten „selbst Frauen und Kinder aus den besseren Kreisen“ die „Sache als einen Hauptspaß, als ein wundervolles Schauspiel“ betrachtet und „hinderten die Stadtwehr am Waffengebrauch durch dichtes Zusammendrängen.“ Unruhen waren in der Stadt aufgrund der Erhöhung des Eierpreises aufgekommen, wodurch es zu zahlreichen spontanen Plünderungen der „Eierläden“ gekommen war. 103 Hier und im Folgenden BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 19, Merkblatt des Garde-Kavallerie-Schützen Korps Abteilung VIII für Regierungstruppen über Einwohnerwehren, Punkt 9.
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Wehr. Lediglich bei gegnerischem Vorgehen gegen die Kompaktheit der Wehrformationen durfte sofort eingeschritten werden. Planmäßige Gebäudedurchsuchungen durften nur auf „ausdrückliche Anordnung des Gerichts, der Staatsanwaltschaft oder der Polizeibehörde“ erfolgen, im Falle eines Besatzungszustandes dann auf Befehl des Militärs. Dann konnten sie in Gemeinschaft mit Hilfskräften der beauftragten Behörde eindringen. Ein selbstständiges Eindringen in die Häuser war lediglich bei Verfolgung eines Verbrechens eines auf frischer Tat Ertappten zulässig, oder wenn bei „Ausübung des Dienstes aus einem Hause heraus“ ein Angriff auf die Einwohnerwehr stattfand. Um der Einwohnerwehr beizutreten, wurden, wie im Falle Berlins, an verschiedenen Orten sogenannte Meldestellen eingerichtet.104 Dass der schon erwähnte Schutz von Frauen und Kindern entsprechende Wirkung auf die Männer zum Eintritt in die Wehren ausüben sollte, funktionierte auch in umgekehrter Richtung mittels der Appelle an die Frauen und Mädchen, welche ebenfalls ihren „Teil am großen Werke der Befreiung“ tun sollten. So etwa in folgendem Aufruf: „Auch Dein Heim, Deutsche Frau, auch Dein Glück, Deutsches Mädel, ist in Gefahr! […] Sprich zu dem Manne, dessen Namen Du trägst, zum Vater Deiner Kinder…, Sprich zu Deinem Verlobten, dessen Hüterin Eures Heimes Du werden willst…, Sprich zu Deinen Freunden, die in Not und Gefahr für Dich eintreten würden…, daß auch sie ihr Teil tun und ohne Verzug sich bei einer der Einwohnerwehren anmelden!“105
Auch wenn der Schutz der Frauen und Kinder das schlagkräftigere Argument für den Eintritt der Männer in die Wehren gewesen sein musste, wird in den Quellen auf die Wichtigkeit des Raumes hingewiesen, die sich im Schutz des eigenen Hauses und der Heimat, sowohl in den Aufrufen an die Männer, als auch Frauen äußerte.106 Um ausreichend Mitglieder für die Wehren zu akquirieren, hatte die Zentralstelle eine Reihe von Merkblättern herausgeben, welche „kurze Anweisungen
104 BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 27, Aufruf zur Einwohnerwehr „Berliner! Schützt Euch und Eure Familien“. In Berlin waren dieses u. a. das Eden-Hotel, wo die Garde-Kavallerie-Division, Abt. VIII untergebracht war, in Friedenau das Königin-Luise-Gymnasium in der Sedlerstr. 14, in Schöneberg im neuen Rathaus in Zimmer 44, in Steglitz das Rathaus, in Dahlem in der Podbielskiallee 78, in Wilmersdorf in der Schaperstr. 25, in Charlottenburg in Zimmer 21 des Rathauses, sowie in Lichterfelde in der Drakestraße im dortigen Gymnasium. 105 BA B, R 43 I, Nr. 2729, fol. 33, Aufruf „Mütter, Frauen, Mädchen!“ zum Eintritt ihrer Männer in die Einwohnerwehr; StAM, Kreisarchiv A Landratsamt Nr. 1428, fol. 147, Merkblatt Nr. 4 der Zentralstelle für Einwohnerwehren, „Wie werbe ich für die Einwohnerwehr?“. Sie selbst konnten zum Sanitätsdienst und als „inaktive Mitglieder“ eingestellt werden; StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 1 vom 1. Juli 1919, Protokoll der Versammlung der Zentralstelle für Einwohnerwehren am 15. Juni 1919. Dr. Ferdinand Runkel hob die neue Rolle der Frau hervor, indem diese „nicht mehr als Mitglied zweiter Ordnung betrachtet“ wurde. Sie übernehme die Pflicht „im wahren Sinne des Wortes, unsere bessere Hälfte zu sein“. 106 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 1 vom 1. Juli 1919, Protokoll der Versammlung der Zentralstelle für Einwohnerwehren am 15. Juni 1919.
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zur Beantwortung von Fragen und Widerlegung von Ausreden bei der Werbung“ beinhalteten.107 Das Merkblatt enthielt 26 Punkte, die neben den Fragen was die Einwohnerwehr sein sollte, was sie wollte und warum sie trotz Reichswehr, Schutzmannschaft und Sicherheitswehr noch zusätzlich existierte, zahlreiche weitere Fragen enthielt.108 Auch hier stand die Bindung zum lokalen Kontext im Vordergrund, da die Reichswehr oft an „besonders unruhigen Orten“ zusammengezogen werden musste und dann „vor Ort“ keine Schutztruppen mehr vorhanden seien. Trotz der Gefahr, die mit dem Dienst in den Wehren verbunden war, lockte eine Mitgliedschaft mit der Entlohnung für die entgangene Arbeitszeit. Bei Verwundung erhielt man unentgeltliche medizinische Verpflegung oder im Falle des Todes oder Invalidität einen bestimmten Ersatz, wenn man der Kollektiv-Unfallversicherung beigetreten war.109 Der gefahrvolle Dienst in der Einwohnerwehr zur Verteidigung des eigenen Wohn- und Heimatraums zog derart weitreichende Folgen nach sich, dass hierfür extra eine Versicherungsgemeinschaft „Einwohnerwehrschutz“ eingerichtet wurde, um den Dienst entsprechend zu versichern, was ein weiteres Argument für die strukturverändernde Wirkung von Räumen und sozialen Praktiken darstellt.110 Mittels eines Katalogs an vorformulierten Argumenten sollten die Einwohnerwehrmitglieder auf die Fragen skeptischer Leute antworten. Die Truppen sollten nicht zuhause bleiben, sondern ihren Dienst in gut organisierten Patrouillen tätigen,
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Dass die „Liebe zum Vaterland“ über die Parteigrenzen für die Mitglieder eine gewisse Wirkung ausübte, geht aus der Aussage des Beamten der Deutschen Reichspost Schillmann hervor. Um diesen Zustand eines neuen, gesunden Volkes zu erreichen, seien die Einwohnerwehren das einzige Mittel gewesen, denn diese stünden „auf dem Boden der Ordnung“. Ferdinand Runkel erwiderte diese Ausführungen und mahnte an, dass „die Probleme unserer Zeit sich nicht in eine Parteischablone pressen“ ließen. StAM, Kreisarchiv A Landratsamt Nr. 1428, fol. 147, Merkblatt Nr. 4 der Zentralstelle für Einwohnerwehren, „Wie werbe ich für die Einwohnerwehr?“. Die Zentralstelle wurde auf Erlass des Reichswehrministers vom 25.4.1919 Nr. 4188 geschaffen und hatte Beratungs- und Verwaltungsaufgaben inne. Vgl. StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 1 vom 1. Juli 1919, S. 2; vgl. StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 1 vom 1. Juli 1919, „Für den öffentlichen Vertrieb geeignete Flugblätter der Zentralstelle für Einwohnerwehren“. Aufgelistet waren 27 verschiedene Flug- und Merkblätter. LAV NRW R, BR 0009, Nr. 07855, fol. 77, Schreiben Polizeipräsident Ia Nr. 6611 an Regierungspräsidenten, Köln 25. Oktober 1919. Der Polizeipräsident weist in diesem Schreiben auf die Bedeutung der Stadt und der Straßen hin. Die teils „schwachen Bestände der Schutzmannschaften“ in diversen Städten würde den „ordnungsgemäßen Sicherheitsdienst in den Straßen schon jetzt kaum“ gewährleisten. Im Falle größerer Streiks würden die Straßen „entblößt“ und „der Schutz der Stadt in Frage gestellt“ sein. StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., Landesschutz Geschäftsstelle für Einwohnerwehren auf dem Lande, Merkblatt für die Versicherung von Einwohnerwehren gegen Unfall und Todesfall, Berlin 28. Juli 1919. Hier und im Folgenden StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., Merkblatt für die Unfallversicherung der Mitglieder von Einwohnerwehren. Hieran beteiligten sich viele der großen Versicherungen. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für „Kollektiv-Unfall-Versicherung von Einwohnerwehren“ enthielt § 16.
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denn gegen „organisierte Verbrecher“ würde nur der organisierte Selbstschutz helfen. „Du willst doch wohl gerade dein Weib und deine Kinder in sicherem Schutz wissen und dein gemütliches Hause nicht ausplündern lassen?“ Punkt 24 macht dann darauf aufmerksam, dass die Stadt und ihre Einwohner dem Junggesellen Wohnung, Straßen, Verkehrsmittel und Beleuchtung bieten würden und man so etwas an diese zurückgeben müsse. „Dann darfst du aber nicht im Hause bleiben.“ Gerade die Ladeninhaber sollten „in erster Linie in die Einwohnerwehr“ gehören, denn ihre Läden seien das „erste Ziel der Verbrecher“. Dieses konnte die Einwohnerwehr des Bezirks V im Ortsteil Gesundbrunnen unter Beweis stellen, als diese im Zuge der Unruhen vom 23. und 24. Juni 1919 zusammen mit dem Militär gegen eine „in wenigen Minuten entstandene Zusammenrottung“ vorgegangen war und im Verlauf der Unruhen auch Plünderungen von „Neugierigen“ unterbinden konnte, wenngleich aus diesen gemachten Erfahrungen ein zukünftig noch rascheres Einschreiten mit Androhung härterer Mittel einen durchgreifenderen Erfolg gehabt und die Straßen noch schneller „gesäubert“ hätten werden können.111 Im Bezirk Gesundbrunnen fand die Einwohnerwehr vor allem bei den Schützengilden und –vereinen, bei den christlichen Gewerkschaften, bei den Parteien DDP, DNVP und DVP, bei den Parochialvereinen von St. Paulus und Stephanus, Turnvereinen und Verein der unbesoldeten Kommunalbeamten Unterstützung.112 Aus dem „Grundgedanken der Wehren“ als eine „Art Miliz“ im Falle ausbrechender Unruhen war im Verlauf der Zeit eine aufgrund des durch die Revolution beseitigten Militarismus disziplinierte Ersatztruppe geworden.113 Die Reduzierung der Armee nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags auf 200.000 Mann bis zum 31. Oktober 1919 und letztlich 100.000 Mann bis zum 30. April 1920 ließ die Bedeutung der Einwohnerwehren zum Schutz „jedes Ortes“, „jeder Stadt“ und „jedes Dorfes“ dann im Mitteilungsblatt „von jeder Parteizünstelei völlig freie[n] Liebe zum Vaterlande und zur heimatlichen Scholle“ noch dringender notwendig
111 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 2/3 vom 1. August 1919, Bericht über die Erfahrungen des Bezirks V (Gesundbrunnen) der Einwohnerwehr Berlin bei den Unruhen am 23. und 24. Juni 1919. 112 Die Quelle Nr. 27, 1919. 113 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 84, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 1 vom 1. Juli 1919, Artikel „Zu neuen Ufern. Grundsätzliches über die Einwohnerwehren von Max Arendt-Denart. Auf keinen Fall durfte die Truppe bei sogenannten „Kohlkopf-Alarmen“ zum Schutz der Gebäude von Wucherpreise betreibenden Gemüsehändlern eingesetzt werden, da so die Wehr „unpopulär“ und „unwürdig“ gemacht würde. Die Bezeichnung erkläre sich aus vielen Alarmen dieser Art, „wenn einmal mehrfach die Sirene wegen eines solchen Kohlkopfes geheult“ hätte, würde „der Eifer des einzelnen, dem Alarm zu folgen, sich wesentlich abkühlen“, welches im Ernstfall bedenklich würde.
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werden.114 Ferdinand Runkel hatte dieses als die „sozialen Aufgaben der Einwohnerwehr“ bezeichnet.115 Der Schutz einzelner Räume wird besonders an Teilen der Einwohnerwehren, wie im Falle Berlin Wilmersdorf deutlich, welche als sogenannte „Rathauskompagnie“ bestehend aus Magistratsbeamten in erster Linie nur für den Schutz des Rathauses, der Sparkasse „und andere[r] wichtige[r] Gebäude“ eingeteilt war und durchaus eine „ansehnliche Stärke“ besaß.116 Von Regierungsseite wurde den Beamten der Eintritt in die Einwohnerwehren ausdrücklich empfohlen.117 Je nach Eignung wurden diese in verschiedene Tätigkeitsgebiete eingeteilt. Kampferprobte Soldaten und jüngere Mitglieder bildeten sogenannte „Stoßtrupps“, die die Sicherung und Besetzung „wichtiger Verkehrspunkte im Gelände“ wahrnehmen sollten.118 Die Einteilung von Hauswehren „aus allen rüstigen Männern“ bildeten dagegen die kleinsten Einheiten in den Wehren. Da sie zu Nachbarhäusern mittels eines Verbindungsdienstes in Kontakt standen, schufen sie hier die engste Verbindung zwischen den einzelnen Abteilungen der Wehren und waren wichtig für den Zusammenhalt innerhalb derselben, während sie beispielsweise kleinere Aufgaben, wie dem „Dachdienst“ zur Beobachtung im Alarmfall, auch an Jungen verteilten, jedoch keine Schusswaffen.119 Im Falle eines Alarms orientierten sich Wehren an der räumlichen Anordnung des Stadtbildes. Ein Haus bildete eine Einheit des Gesamtgefüges. Dabei sollte „jedes vierte bis sechste Haus auf jeder 114 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 84, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 2/3 vom 1. August 1919. Neben der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung wurde den Einwohnerwehren auch ein nicht näher definierter Anteil „an der Wiederherstellung der Menschenbeziehungen“ zugeschrieben, wobei es „unter den heutigen Verhältnissen außerordentlich schwer“ gewesen sei, „im öffentlichen Leben irgendwie zu wirken, ohne dem Verdacht ausgesetzt zu sein, man wolle irgendwie politisch tätig sein“. Vgl. den im obigen Mitteilungsblatt gedruckten Artikel „Die Einwohnerwehr beim Wiederaufbau“ von Max Arendt-Denart. Ziel sei gewesen hier jenseits des im Vordergrund stehenden Schutzes „vor unlauteren Elementen“ die Schaffung eines „vaterländischen Gedankens“. Vorgeschlagen wurde dann neben der „Belehrung über praktische und technische Fragen des Aufgabenkreises der Wehr“ auch ein Sportangebot zur „Hebung der Volkskraft“ oder der „praktische[n] Belehrung“ über Volksgesundheitspflege“ oder der „Hebung der Volks- und Jugendwohlfahrt“ einzurichten. 115 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6054, fol. 40–43 RS, „Die sozialen Aufgaben der Einwohnerwehr“. Vortrag von Dr. Ferdinand Runkel gehalten in der Konferenz der Vertreter der deutschen Länder über die Frage der Einwohnerwehr am 23.8.19 in Berlin. Laut Runkel müsse das „Übel an der Wurzel angegriffen werden“, indem die Einwohnerwehren als Mittel „zur Gesundung […] die große Mission, diese geistige, sittliche und kulturelle Brücke zwischen den Klassen zu schlagen“ hätten. Vgl. Runkel, Die sozialen Aufgaben der Einwohnerwehr, Berlin 1919. 116 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 84, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 2/3 vom 1. August 1919, Bericht über die Entwicklung der Wilmersdorfer Einwohnerwehr. 117 StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., Aufforderung Eberts RK. 111 an Reichsminister, betr. Aufforderung der Beamten zum Eintritt in die Reichswehr, Weimar 3. März 1919. 118 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 87, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 4/5 vom 1. September 1919, „Einteilung und Aufgaben der Einwohnerwehren“. 119 Ebd.
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Straßenseite“ in den Alarmzustand versetzt werden, während ein täglicher Schichtwechsel stattfinden sollte. Die sich gegenüberliegenden Häuser ergänzten sich, wenn möglich, sodass mindestens drei Personen je Haus anwesend waren. In ständiger Bereitschaft mussten die Bewohner auch nachts angekleidet bleiben und an bestimmten Positionen, wie in einem Erker, auf dem Balkon oder im Vordergarten des Hauses ihren Schichtdienst leisten. Bei Ausdehnung dieses Systems „erscheint die unbedingte Sicherung“ der Stadt gewährleistet gewesen zu sein. Zudem sorgten sie wie im Falle des Bezirks VII in Berlin auch für ein optisch sauberes Bild der Stadt, denn sie hatten das „Plakatunwesen“ bekämpft, sodass sich „nicht das kleinste Plakat oder Flugblatt aufhetzerischen Inhalts“ mehr auf den Straßen befand.120 Auf der eigenen Seite hatte es allgemeinen Anklang gefunden, dass die Häuser der Einwohnerwehrmitglieder, aber auch die öffentlichen Gebäude mit Plakaten versehen wurden, die den Schriftzug enthielten „Dieses Haus steht unter dem Schutze der Einwohnerwehr“, sodass es auch hier zur symbolischen Besetzung dieser Orte durch die soziale Formation kam.121 Dabei waren sich die Mitglieder oftmals erst während des Streifegehens persönlich näher gekommen, sodass erst im Zuge dieser Handlungen ein kollektiver Zusammenhalt geschaffen werden konnte, die Mitglieder „einander schätzen gelernt“ hatten. Hierfür waren auch regelmäßige „Reviersitzungen“ und 14-tägige Zusammenkünfte der Straßengruppen vorgesehen. Welchen rasanten Zulauf allein der Bezirk VII aufweisen konnte, zeigt sich in der Analyse der Mitgliederentwicklung. Zählte die Einwohnerwehr am 9. März gerade einmal 25 Mitglieder, stieg ihre Zahl zum 15. Mai bereits auf 600 und wuchs schließlich bis zum 1. August gar auf über 1.100 an, währenddessen man die Stadt in 25 Bezirke aufteilte.122 Dieses „Weichbild“ der Einwohnerwehrbezirke, der Kartierung des inneren und äußeren Stadtgebietes folgte einem streng hierarchischen und militärischen Prinzip. Die Bezirke standen unter der Leitung eines militärischen Führers und einem gewählten Vertrauensmann, welcher die inneren Angelegenheiten des Bezirkes regelte. Durch die „aufopfernde Tätigkeit vieler Bürger und durch das Entgegenkommen der meisten Behörden“ war die Einwohnerwehr gerade in Berlin zu einem „Machtfaktor“
120 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, fol. 87, Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 4/5 vom 1. September 1919, „Die Entwicklung der Einwohnerwehr im Bezirk VII – Berlin“. 121 StAB, LA, Nr. 1631, fol. 147, „Merkblatt zum Schutz gegen Verbrecher“. Dieses sollte an „sichtbarer Stelle in der Wohnung“ angebracht werden und enthielt praktische Tipps wie beispielsweise nur die Tür öffnen zu sollen, wenn die Sicherheitskette eingehängt sei oder der Verabredung mit anderen Bewohnern in Mietshäusern zu bestimmten Klopfzeichen. Ohne Fernsprechanschluss solle man ein „Trillerpfeifsignal aus dem Fenster“ erklingen lassen oder während der Nacht eine angezündete Zeitung auf die Straße werfen. Auf dem Lande sei die Anschaffung eines Hundes angemessen, wenngleich man hier die Hündin einem Rüden vorziehe, da diese oft „schärfer“ seien und nicht wie Rüden durch die Hündinnen abgelenkt. 122 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 9340, fol. 33, Schreiben Zentralstelle für Einwohnerwehren Abtlg. VIII b Nr. 11468 an Kommando der Schutzmannschaft, Berlin 25. August 1919.
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geworden, welcher „allein durch seine Existenz die Bestrebungen radikaler, anarchistischer Elemente unterbindet.“123 Dass sich während des Patrouillierens der Wehren Probleme ergeben konnten, sobald die Gruppe als Kollektiv auf einzelne Personen traf, geht aus einem Konflikt der Wilmersdorfer Einwohnerwehr während der Kapp-Tage hervor. Im Zuge des Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsches124 versuchte Kapp „nicht nur in Gestalt der Heimat- und Landbünde in den preußischen Provinzen eine eigene Macht zu schaffen“.125 Er stützte sich besonders auf die Einwohnerwehren, denn deren „Geist“ sei ganz „vortrefflich“ und der „Wille zur Tat“ überall vorhanden. Ein Mann „mit starkem Herzen“ würde Deutschland brauchen, der zudem „über den Parteien steht“, so Hauptmann Jüttner in einem Bericht an Kapp.126 In Wilmersdorf waren daher vermehrt Streifen auch in der Nacht unterwegs. Eine davon war in der Nacht vom Freitag den 19. auf den 20. März 1920 auf einen Posten von der militärischen Besetzung des Lebensmittelamtes gestoßen. Hierbei geriet die Streife mit einem Mann in Konflikt – es handelte sich unbekannterweise um den SPD Politiker Hermann Lüdemann. Dieser stellte dem Bericht des Patrouillenführers die Tätigkeit der Einwohnerwehr massiv in Frage.127 So machte Lüdemann in seiner Rede in der Stadtverordnetenversammlung einige Tage später darauf aufmerksam, dass er allein gewesen sei, in der Nähe auch keine Menschenansammlung, sodass die Befugnis der Einwohnerwehr ihn mit den Waffen zu bedrohen nicht hätte erlaubt sein dürfen. Als anfänglicher Ortsschutz der Monate November und Dezember 1918 waren die Wehren erst während der „Spartakusunruhen“ als „reichsweite […] Wehrform“ etabliert worden.128 Besagter Fall zeigt, dass die Wehren sich zunehmend auch einen eigenen Ermessenspielraum schufen und ihre Handlungskompetenzen jenseits der Statuten ausweiteten. Sicherheitswehren waren gekennzeichnet durch unterschiedliche politische Einstellungen und durch ihre heterogene Zusammensetzung.129 Mancherorts fanden 123 Ebd., fol. 33, Schreiben Zentralstelle für Einwohnerwehren Abtlg. VIII b Nr. 11468 an Kommando der Schutzmannschaft, Berlin 25. August 1919. Ohne Vororte umfassten alle Bezirke fast 12.000 Personen mit dem Bezirk Wilmersdorf an der Spitze. Allein in der gefährlichen Schönhauserallee dieses Bezirks patrouillierten jede Nacht zwischen 10 und 20 Personen. 124 Siehe die Ausführungen in Kapitel 4.4. 125 Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. XX; vgl. Denkschrift Heine über „Politische Strömungen in Ostpreußen“. Königsberg, 15. Februar 1920, zit. nach Könnemann, Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. 99–105. 126 Handschriftlicher Brief unterzeichnet: Hauptmann a. D. Jüttner, Bericht an Kapp über die Stimmung der Naumburger Einwohnerwehren und ihre Bereitschaft zur Unterstützung des bevorstehenden Staatsstreichs. Naumburg, 24. Februar 1920, zit. nach Könnemann, Der KappLüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. 111–115. 127 BA B, R 43 I, fol. 156, Bericht Patrouillenführer S. Mehlig, I Nr. 32, an Kommando der Einwohnerwehr Wilmersdorf, Berlin 25. März 1919; dazu die Position Lüdemanns in BA B, R 43 I, fol. 157f., Untersuchungsausschuss III an Kommando des 3. Marineregiments betr. Auszug aus der Rede des Stadtverordneten Lüdemann in der Stadtverordnetensitzung vom 29. März 1920, Berlin 23. April 1920. 128 Bergien, Mit Kreiskommissaren zur Volkswehr, S. 121. 129 Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 319.
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sich diese Formationen allerdings gerade im Ruhrgebiet direkt nach den Novemberunruhen als Arbeiterwehren zusammen.130 Daher war es Anliegen der Reichswehr die Sicherheitswehren während des Juli 1919 von „unzuverlässigen Elementen zu reinigen.“131 Als Beispiele eignen sich hier die blutigen Auseinandersetzungen in Essen und Dortmund des März 1920. In Essen hatte sich sowohl die Polizei als auch die Sicherheitswehr gegen den Kapp-Putsch gerichtet. Da sowohl die Polizei als auch die Wehren sich dem Befehl der Reichsregierung unterstellt hatten und daraus resultierend die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung beabsichtigten, wurden sie als Reaktionäre bezeichnet. Die somit stattfindenden Zuschreibungsprozesse waren Teil der Inklusionsstrategien der sozialen Formationen. Das Label zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung galt als Zeichen für die Reaktion, wenngleich auch auf Seiten der Arbeiter der Zustand einer neuen Ordnung proklamiert wurde. „Ruhe und Ordnung aber – das hatten die Ereignisse des Jahres 1919 gezeigt und die Kapp-Tage erneut bestätigt – war eine Parole des Klassenfeindes, ein Vorwand, alle Machtmittel des Staates im Interesse der Kapitalisten gegen die sozialistischen Arbeiter einzusetzen, wobei es häufig genug keinen Unterschied zu machen schien, ob die Lenker dieses Staates Kapp und Lüttwitz oder Bauer und Noske hießen, so wie es für ihre militärischen Gegner kaum einen Unterschied machte, ob ihnen revolutionäre Kommunisten oder demokratische Gewerkschaftler gegenüberstanden.“132 Die Einrichtung unterschiedlicher Wehrformationen, im Kontext unterschiedlicher Ordnungsvorstellungen der sozialen Akteure, ist somit auch als eine Reaktion auf die akut herrschende Bedrohung der eigenen Räume zu verstehen. 3.3 „VON UNRUHEKALENDERN UND RAUMKARTIERUNGEN“ – MILITÄR UND FREIKORPS ALS RAUMSCHUTZ Militär und paramilitärische Gruppen wie die Freikorps prägten während der Revolution das alltägliche Stadtbild. Sie standen, den Einwohnerwehren ähnlich, in besonderem Verhältnis zum öffentlichen Raum. Im Falle der Verhängung eines Belagerungszustandes standen die Einwohnerwehren unter dem Kommando der Militärführung und konnten in oben beschriebenen Fällen zur Unterstützung des Militärs in schweren Ausnahmefällen hinzugezogen werden.133 Beiden Formationen gemein waren daher der Schutz und die Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit, während bei bereits herrschenden Unruhen die Wiederherstellung geordneter
130 Illustrierte Geschichte der Novemberrevolution, S. 494. Die Dortmunder Sicherheitswehr soll demnach aus fast 90% gewerkschaftlich organisierten Arbeitern bestanden haben. In Essen bestand sie aus 450 freigewerkschaftlichen und 150 christgewerkschaftlichen Arbeitern. Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 130. Düsseldorf stand eine Zeit lang unter Einfluss der Kommunisten und Unabhängigen. 131 Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 108. 132 Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 320. 133 Ausführliches zum Belagerungs- und Ausnahmezustand in Kapitel 4.5.
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Zustände zunächst beim Militär lag. Dieser Umstand resultierte allein aus den Bestimmungen im Versailler Vertrag und der damit einhergehenden Reduzierung der Armee, inklusive ihrer neuen Funktion zur ausschließlichen Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb Deutschlands, sowie des Grenzschutzes.134 Bereits vor der Ratifizierung des Versailler Vertrages kam dem Militär in Deutschland eine grundlegende Ordnungsfunktion zu, denn es fungierte als „Garant der legalen Ordnung“ im Reich.135 Um die Rolle sowohl des Militärs als auch der Freikorps als ordnungsschaffende Elemente in der Stadt thematisieren zu können, wird zunächst auf einige institutionelle und organisatorische Merkmale beider Formationen eingegangen werden. Speziell für die Freikorps ist dieses ein äußerst schwieriges Unterfangen, da man es mit Verbänden zu tun hat, die in ihren Zielsetzungen und selbst verteilten Aufgaben äußerst heterogen auftraten.136 Daher sind die hier getroffenen Aussagen nicht auf alle Freikorpsformationen zu übertragen und beziehen sich nur auf diejenigen Gruppierungen, die die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Ordnung und inneren Sicherheit als ihre Hauptaufgabe ansahen.137
134 Versailler Vertrag V. Abschnitt Artikel 159–213 Reduzierung des Heeres auf ein Berufsheer von 100.000 Mann plus 15.000 Mann der Marine; vgl. StAL, NA Abt. 16, Nr. 148, ohne fol., RGBl. 1919, S. 295f., Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr vom 6. März 1919. Nach der Verkündung des Gesetzes vom 12. März hatte dieses bis zum Inkrafttreten des Reichswehrgesetzes vom 1. Januar 1921 Bestand; vgl. Wohlfeil, Die deutsche Reichswehr; Reinicke, Das Reichsheer; Voß, „Das neue Haus der Reichswehr“. Freikorps und Reste des alten Heeres sollten mit weiteren Freiwilligen gefüllt werden. Im Zuge dessen wurde das Generalkommando des 7. Armee-Korps in Wehrkreiskommando VI. umbenannt. Fortan stand es unter der Leitung des Freiherrn von Watter. Abschließend folgte eine Zonierung des Reichs. Die neutrale Zone befand sich rechts des Rheins und wurde von 10 auf 50 km erweitert. Die Grenze verlief in Westfalen von Coesfeld über Dülmen – Olfen – die westlichen Vororte von Dortmund nach Hagen. Fast das gesamte Ruhrgebiet lag in der neutralen Zone. Bis zum 10. April 1920 wurde den Truppen gestattet, sich auch jenseits des Abschnitts I und II (10 km) im 50 km Radius zu bewegen. 9 Bataillone, 3 Eskadronen, sowie 2 Batterien standen bereit. Bei größeren Unruhen konnte die Reichsregierung mit Genehmigung größere Truppen zum Einmarsch veranlassen. Nach dem 10. April waren nur noch Polizeieinsätze jenseits der neutralen Zone gestattet; vgl. Bessel, Militarismus im innenpolitischen Leben, S. 197–207. Bessel schlussfolgert, dass nach dem Zusammenbruch des Jahres 1918 erstmals dem „militärischen Establishment […] in der Geschichte Deutschlands als moderner Industriestaat die Möglichkeit, die soziale und politische Ordnung aufrecht zu erhalten“, entzogen wurde. (S. 197) 135 Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 6. 136 Dierske, Sicherheitskräfte, S. 32. 137 Rein militärische Strukturen wiesen beispielsweise das Landesjägerkorps Maercker, die GardeKavallerie-Schützendivision, die Freiwilligen-Brigade Reinhardt, die Freikorps von Aulock, von Epp, Potsdam, Roßbach oder das Freischützenkorps Meyn, sowie die Volksmarinedivision, welche später in die Republikanische Sicherheitswehr eingegliedert wurde, auf. Auch das Schutzregiment Groß-Berlin, das Regiment Reichstag oder der Republikanische Führerbund können hierzu gezählt werden. Allein an der Namensgebung vieler dieser Formationen wird deutlich, dass sie entweder stark auf die Gründer- oder Führerpersönlichkeit zugeschnitten waren, oder andererseits sich auf einen konkreten Ort bezogen.
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Die Konkurrenz um die sich für die Aufrechterhaltung der Sicherheit zuständig fühlenden Sicherheitsgruppierungen wird in einer Aussage des Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorns besonders deutlich. Als das Oberkommando mit der Revolution fertig gewesen sei, glaubten die Militärs in der Kommandantur, nun „ihrerseits für die öffentliche Sicherheit – so wie sie sie auffaßten – sorgen zu müssen.“138 Offenbar waren gerade deshalb die Freikorps eine willkommende Anlaufstelle für viele heimkehrende Soldaten. Die Bildung einer provisorischen Armee sollte aufgrund §2 des Gesetzes zur Bildung einer vorläufigen Reichswehr zufolge „auf demokratischer Grundlage unter Zusammenfassung bereits bestehender Freiwilligenverbände und durch Anwerbung von Freiwilligen gebildet werden“, während bereits bestehende Volkswehren ihr angegliedert werden konnten.139 Hierzu sollten die Reichswehrgruppenkommandos und Reichswehrbrigaden dem Preußischen Kriegsministerium bis zum 1. Juli 1919 durch Vertrauenspersonen über deren Bewährung berichten.140 In ihrer Zusammensetzung und Organisation orientierten sich diese an den festgesetzten Gliederungen und Stärkenachweisungen aus dem Weltkrieg und somit den Kriegsministern unmittelbar unterstehenden Truppen, Reichswehrgruppen und Gruppentruppen großer, sowie kleiner Reichswehrbrigaden. Angegliedert werden sollten ihr die schon bestehenden Volkswehren, welche zunächst nur für den örtlichen Schutz vorgesehen waren. In den Korpsbezirken waren zwei Gruppenkommandos, sechs große und zwölf kleine Reichswehrbrigaden aufzustellen, von denen das Generalkommando Lüttwitz in Berlin eines bildete. Ohne Gruppentruppen, aber mit einer Nachrichtenabteilung, Kraftfahrtruppen und kleiner Vermessungsabteilung, sowie drei großen und zwei kleinen Brigaden sowie einer 6.000 Mann umfassen Volkswehr, hatte das Generalkommando maßgeblichen Anteil an der späteren Niederschlagung der Januaraufstände. Seit der zunehmenden Radikalisierung der Revolution nach dem Jahreswechsel schossen Freikorps „wie Pilze aus dem Boden“. Damit einher ging ein „Wildwuchs“, wo jeder Offizier, „der sich dazu berufen fühlte […] Freiwillige um sich scharte, meist im Anschluß an die Tradition eines Truppenteils der alten Armee“.141 Erst mit dem Reichsgesetz vom 6. März 1919 wurde dieser Zustand zu ordnen versucht. Das Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr vom 6. März und die Ausführungsbestimmungen vom 31. März 1919 machte die Institution der Soldatenräte überflüssig und verhinderte endgültig einen
138 Eichhorn, Meine Tätigkeit, S. 29. 139 StAL, NA Abt. 16, Nr. 148, ohne fol., RGBl., 1919, S. 296, „Ausführungsverordnung zum Gesetz über die Bildung einer vorläufigen Reichswehr“. 140 Vgl. StAE, Rep. 102 I, Nr. 1070, fol. 3, Armee-Verordnungsblatt Nr. 30, 53. Jahrgang, Berlin 4. April 1919, S. 263–282. 141 Lucas, Märzrevolution I, S. 64; Schulze, Freikorps und Republik, S. 36. Schulze schätzt die Zahl der Freikorpsangehörigen auf nahezu 250.000 Personen in 120 verschiedenen Freikorps; Schmidt-Pauli kommt für das Jahr 1921 auf 65 anerkannte Freikorps, 20 Detachements und 125 Freiwilligen-Abteilungen mit insgesamt 400.000 Personen. Dazu kamen 30 Selbstschutzund sechs Grenzschutzverbände, sowie 14 größere Einwohnerwehren und zehn Ruhrkampfformationen. Vgl. Schmidt-Pauli, Geschichte der Freikorps.
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demokratischen Aufbau der Reichswehr. Volkswehrverbänden war die Eingliederung untersagt. Grzywatz zufolge „war denn die Sicherung der Autorität der Republik im Bündnis mit antidemokratischen Kräften gelungen, die nur darauf warteten, der verhaßten Demokratie bei der ersten passenden Gelegenheit den Garaus zu machen.“142 Insgesamt macht es den Anschein, als habe die Reichswehr während der Revolution ein gemeinsames Vorgehen gegen linksradikale Gruppierungen mit dem SPD-Vorsitzenden und Mitglied des Rates der Volksbeauftragten geplant, was als sogenannter Ebert-Groener Pakt in die Geschichte der Republik einging.143 Zudem hatte der Novemberumsturz als eine Zeit der Militarisierung breiter Teile der Bevölkerung zahlreiche Einwohner-, Sicherheits- und Bürgerwehren entstehen lassen, aber auch im Bereich der paramilitärischen Gruppierungen erlangten Freikorps weitreichende Bedeutung während der sozialen Unruhen. Nach Abschluss des Waffenstillstandes wurde es daher als notwendig erachtet, Freiwilligenverbände zu schaffen.144 Die Umformierung von Truppenteilen der alten Armee in neue Freiwilligenverbände war keine Seltenheit. Durch das Preußische Kriegsministerium organisiert, bestand die Hauptaufgabe der militärischen Verbände im Schutz der Grenzen, aber auch bei innerstaatlichen Konflikten. Paramilitärische Organisationen und gerade konservative vaterländische Verbände hatten sich aus mehreren Traditionen entwickeln können. Die Idee der Bewaffnung breiter Teile der Bevölkerung ist nicht erst nach dem 9. November 1918 gereift. Nach dem Krieg schien es für viele der heimkehrenden Soldaten problematisch, ihre Waffen an die Räte abzugeben, welche in Preußen die Entwaffnung von „nicht ordnungsgemäß entlassene[n] von der Front zurückkehrende[n] Soldaten“ regelten.145 Gerade in Berlin während der Märzunruhen dienten sie nicht nur der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, sondern auch in unterstützender Funktion den Freikorps bei der Bekämpfung linksradikaler Aufstände und ebenso der vermeintlichen Bedrohung in den Ostprovinzen als Grenzschutz. Ihre Erfolge waren jedoch umstritten. Freiwilligen Landesjägerkorps wie beispielsweise dem Generalmajor Maerckers wurden „Verdienste“ bei brutalstem Vorgehen während der Unruhen im Frühjahr 1919 zugeschrieben.146 Maercker selbst machte unter anderem die „Furcht […] vor der Straße, die sie veranlaßte, alle Interessen des Volkes und Reiches unbeachtet zu lassen, um die Parteisuppe kochen zu können“ für die Revolution verantwortlich, während „die Sozialdemokratische Partei [den Aufruf] unterschrieb, aus Furcht vor der Straße.“ Besonders der großstädtische Raum habe für eine Stimmung unter den Soldaten gesorgt, die sie „zu Tausenden […] in den großen Städten des Etappen-Gebiets […] besonders in den großen Bahnknotenpunkten herum [ansammeln ließen] soweit sie es nicht vorzogen, zum Feinde überzulaufen.“ Maercker monierte die fehlende „Bande der militärischen Zucht und 142 143 144 145 146
Grzywatz, Die obersten Marinebehörden, S. 284f. Hürten, Zwischen Revolution und Kapp-Putsch. Vgl. Wohlfeil, Reichswehr und Republik, S. 66. Zit. nach Wohlfeil, Reichswehr und Republik, S. 218. Maercker, Vom Kaiserheer zur Reichswehr, S. 11f., S. 16 u. S. 19.
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Ordnung“, welche viele Truppenmitglieder „in eiliger Hast der Heimat“ zulaufen ließen. Reichswehrminister Gustav Noske organisierte „die Niederschlagung der von einem linksradikalen Revolutionsausschuß in Berlin seit dem 5. Januar mit dem Ziel des Sturzes der Reichsregierung inszenierten Unruhen.“147 Sämtliche Verbände standen hierfür unter der Führung von Freiherr von Lüttwitz. Diese „Rückeroberung“ Berlins nahm den Zeitraum zwischen dem 8. und 19. Januar ein.148 Zwischen Januar und März wurden im gesamten Reich Freikorps zur Rückeroberung „lebenswichtiger Verkehrsknotenpunkte“ eingesetzt um zur Sicherung und Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe beizutragen.149 Dem Selbstverständnis der Freikorps nach, stand der Schutz des Heimatraums an vorderster Stelle. Nicht zuletzt konnten die Freikorps viele neue Mitglieder gewinnen, wenn diese an das Wohl des Vaterlandes appellierten.150 So beispielsweise der Aufruf aus der Vossischen Zeitung „Wer sein Vaterland liebt. Wer seine Heimat gegen spartakistischen Umsturz im Innern, gegen Angriffe von außen schützen will, der trete sofort ein ins Freikorps Hülsen.“151 Aufgrund innerer Widersprüche und einem fehlenden systematischen Aufbau innerhalb des Freikorpssystems kann eher von einer Bewegung gesprochen werden.152 Dieses drückte sich auch in der Haltung der OHL aus, die an neuen Lösun-
147 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 75. 148 Ähnliche Szenen spielten sich zwei Monate später zwischen dem 4. und 16. März in Berlin erneut ab und gipfelten schließlich in der Anordnung standgerichtlicher Erschießungen. Siehe Kapitel 7.1. 149 Besonders die Städte Bremen, Oldenburg, Stettin (Mai), Hamburg, Braunschweig, Maercker in Halle, Magdeburg, Gotha, Meiningen, Dresden, Leipzig, Eisenach, Erfurt waren davon betroffen. 150 Dierske, Sicherheitskräfte, S. 34. Zu Beginn der Revolution wurden die Freikorps mit großen Geldmitteln gefördert, sodass Werbeanzeigen geschaltet werden konnten, welche auch in Parteiorganen wie dem Vorwärts abgebildet wurden. 151 Vossische Zeitung Nr. 34 vom 19. Januar 1919; vgl. etwa Vossische Zeitung Nr. 50 vom 28. Januar 1919; Vossische Zeitung Nr. 52 vom 29. Januar 1919. Dasselbe galt für die Aufrufe Maerckers oder Lützows. 152 Wohlfeil, Reichswehr und Republik, S. 67; vgl. Sauer, Schwarze Reichswehr, S. 23. Die genaue Zahl der Angehörigen zu ermitteln ist Sauer zufolge schwierig, da sich aufgrund der „enormen Mobilität“ immer Wechselbewegungen zwischen den Freikorps ausmachen ließen oder neu gegründete Freikorps kurze Zeit später wieder in bereits bestehenden aufgingen; vgl. etwa StAM, Stadt-Dok., Nr. 32, ohne fol. Manuskript Pfeffers zur Gründung des Freikorps, S. 10. Pfeffer weist auf die Schwierigkeiten bei der Entstehung von Freikorps hin, da vieles „der heutigen Generation als ungeheuerlich erschien.“ Pfeffer weist darüber hinaus auf die Schwierigkeiten zur Gründung eines Freikorps hin, da „jegliches Recht, jegliche Basis und jegliche Mittel“ fehlten. Die Gründung des Freikorps in Münster sei daher erfolgt, um ein „Kampfmittel“ zu schaffen.
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gen interessiert war und daher die Einrichtung von Freikorps nur als Übergangslösung ansah.153 Bei der Aufstellung einer neuen Armee gerieten beide Gruppierungen vielfach aneinander, denn viele Freikorps fühlten sich bei der Eingliederung und Übernahme in die Reichswehr benachteiligt gegenüber Mitgliedern aus dem alten Heer oder ganz frisch angeworbenen jüngeren Personen.154 Das Militär kann somit eher als „ein provisorisches Gebilde [angesehen werden], das erst nach Abschluß der Verhandlungen zwischen der Regierung und den westlichen Siegermächten endgültige Gestalt gewinnen konnte.“155 Der Konflikt zwischen dem Militär und jungen Soldatenräten kreiste gerade nach den Januarunruhen um die Frage eines Neuaufbaus des Militärs. Durch den Versuch die Räte zu integrieren und neue Rangabzeichen zu schaffen, gerieten beide Gruppierungen in Konflikt, welcher sich beispielsweise darin äußerte, dass es die im Weltkrieg Ruhm und Ehre erlangenden Offiziere nicht verstanden, wieso sie sich „von 19 jährigen Jungen bescheinigen lassen [mussten], daß sie das Vertrauen der Truppe haben.“156 Im Selbstverständnis der Offiziere hatten diese „gerade erst unter täglich neuer Überwindung mannigfachster innerer Widerstände die Regierung herausgehauen“ und empfanden daher diese Verordnung „mit Recht als empörend und beschämend“. Der Schutz ihres Heimatraumes als sinnstiftende Handlung verband sie jedoch jenseits dieser Differenzen. Militär und Freikorps hatten daher ähnliche Aufgaben im öffentlichen Raum zu leisten, weshalb der Eintritt von heimkehrenden Soldaten in die neu gebildeten Formationen aufgrund ihrer Erfahrungen als wünschenswert angesehen wurde. Während viele Soldaten im Zuge der Verkleinerung des Heeres nach neuen Aufgaben suchten, äußerte sich dieses zudem im Verdruss über verloren geglaubte Werte. Im Artikel „Einwohnerwehr und Parteizopf“ wird auf dieses problematische Pflichtbewusstsein rekurriert. „Jetzt, wo es beinahe verdächtig ist, in Uniform ein fremdes Haus zu betreten, und das feldgraue Wehrkleid bereits in Hunderten von Fällen durch Verbrecher, die teilweise sogar Offiziersuniform mißbraucht haben, in den Gossenschmutz gezogen worden ist. Ich trage die Uniform aus Pflichtbewusstsein und Liebe zur Heimat und hoffe sie bis zur endgültigen Herstellung geordneter Zustände im Deutschen Reich in Ehren zu tragen, weil ich der festen Ueberzeugung [sic] bin, daß mein Volk Utopisten von rechts und links zum Trutz sich zu erhalten wissen wird.“157
153 Oftmals waren diese zusammengesetzt aus jüngeren Offizieren des Heeres, militärisch nicht ausgebildeten Studenten und Schülern, sowie Bauern, Leute aus dem Kleinbürgertum oder Arbeitslosen. Vorausgesetzt wurden Befehlstreue, Gehorsam, Disziplin, Autorität und die Anerkennung der Führerschaft. 154 Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen, Band 9, Errettung des Ruhrgebiets, S. 67. 155 Lucas, Märzrevolution I, S. 64. 156 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 77; vgl. Lüttwitz, Im Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 41. 157 StAM, Kreisarchiv A Landratsamt, Nr. 1428, ohne fol., Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Zentralstelle für Einwohnerwehren beim Reichswehrministerium Nr. 2/3 vom 1. August 1919, Artikel „Einwohnerwehr und Parteizopf“; vgl. StAM, Stadt-Dok., Nr. 32, ohne fol. Manuskript Pfeffers zur Gründung des Freikorps. Die Durchlässigkeit der sozialen Formationen thematisiert auch Pfeffer. „Jeder übertretende oder hinausgeworfene Pfefferling, (wie sich
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Die neuen Freiwilligen- und Wehrformationen waren daher ein wichtiger Faktor im Integrationsprozess ehemaliger Frontkämpfer. Der damalige Abschnittsadjutant beim Grenzschutz Ost, Dietrich von Choltitz, wies auf diesen neugewonnenen Stellenwert im Selbstverständnis der Soldaten hin, während er gleichzeitig danach fragte, mit welchen Problemen sich die Jugend bei ihrer Selbstverortung in diese neue Welt konfrontiert sah. „Aus den in diesen Grenzschutzkämpfen eingesetzten Formationen, die teils auf alte Truppenteile aufbauten, teils aus Zeitfreiwilligen zusammengesetzt waren, bildeten sich nach Abschluß der Kampfhandlungen Formationen, die nun von den Regierungen der Länder und des Reiches eingesetzt wurden, um Ruhe und Ordnung zu wahren. […] Werden wir mißbraucht? Kämpfen wir nicht in Wirklichkeit für ein wirtschaftliches und politisches System, das uns eigentlich fremd ist? […] Allen, die an jenen Bürgerkriegen der Jahre 1919 bis 1923 beteiligt waren, stehen diese Kämpfe in der unglückseligsten Erinnerung. Kein Soldat ist zu beneiden, der auf Befehl seiner Regierung gegen die eigenen Landsleute eingesetzt wird. In seinem Herzen müssen sich die quälendsten Zweifel erheben. Soll er in einem solchen Fall den Gehorsam verweigern? Darf er, der einen Dienst tut und der – in einer Welt des Gehorsams lebend – die politische Lage, die geheimen Zwecke und Antriebe selten durchschauen kann, aus individuellem Entschluß den Weg der Pflicht verlassen?“158
Der ambivalente Charakter dieser reaktionären Sichtweise macht zwei Dinge deutlich. Es gab von Choltitz zufolge „in einer Masse untätiger, jeder Entscheidung ausweichender und nur dem Druck der tatsächlichen Verhältnisse willenlos folgender Menschen eigentlich nur zwei Gruppen […], die noch bereit waren, sich für eine Idee zu schlagen: auf der einen Seite die deutschen Soldaten und auf der anderen die [ihnen] gewiesenen Gegner, die Bürgerkriegstruppen des Kommunismus. Aber gerade in ihnen trafen [sie] oft die Kameraden von gestern.“159
Die Zugehörigkeit zu einem politischen Lager war demnach weitaus weniger gefestigt. Während großer Menschenaufläufe in drohenden Unruhen wirtschaftlicher oder politischer Art verlegten die Truppen „ihr Kampffeld auf die Strasse“, welches den eigentlichen Verwendungsbereich der militärischen Truppen im öffentlichen Raum widerspiegelte.160 Da man bei Unruhen aller Art immer auch umfangreiche Streiks und Arbeitsniederlegungen erwartete, versuchte das Militär einen Katalog die Freikorpsler nannten), wurde vom Arb.- und Soldatenrat sofort mit doppelter Sold-Zulage in eine Sonderwache aufgenommen und bildete – meist sofort befördert – tipptopp neu eingekleidet und fast dienstfrei, eine wandelnde Gegenpropaganda.“ Zu den Schwierigkeiten zwischen Räten und Freikorps siehe auch StAM, Stadt-Dok., Nr. 32, ohne fol., Bericht Westfälisches Freiwilligen Korps Lichtschlag über die Kampftätigkeit des Korps in der Zeit vom 14.12.18 – 1.10.19, Münster 10. Dezember 1919. Auflösung des General-Soldatenrats in Münster: vgl. StAE, Rep. 102 I, Nr. 946c, ohne fol., Schreiben Alfons Waldemar Rose an Oberbürgermeister Essen, Stuttgart 30. Januar 1938. Rose berichtet von seinen Eindrücken als ehemaliges Mitglied der Division Gerstenberg während der Märzkämpfe 1919. 158 Von Choltitz, Soldat unter Soldaten, S. 12f. 159 Ebd., S. 13. 160 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 10, Reichswehr Brigade 31, Abt. Ia Nr. 45 geh. II. Ang., Brigade-Befehl für die Verwendung der Truppen bei Unruhen, Münster 7. Oktober 1919.
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von vier unterschiedlichen Szenarien zu entwickeln. Zum ersten Fall gehörten Streiks einzelner Werke oder Betriebe an einem Ort, während in einem zweiten Szenario in allen Betrieben desselben Ortes oder kleineren Bezirks Streiks stattfanden. Im dritten Fall musste man von Streiks in einem ganzen Betriebszweig wie der Eisenbahn, Landarbeiter oder Bergarbeiter ausgehen, während der vierte Fall das Szenario des Generalstreiks umfasste. Die Aufgabe des Militärs lag nicht in der Bekämpfung des Streiks als „friedliche[m] Kampfmittel zur Erreichung wirtschaftlicher Forderungen“, sondern im Kampf seiner „schädlichen Begleiterscheinungen“ wie der Gefährdung der Lebensmittel- und Kohlenzufuhr, der Wasser- und Lichtversorgung, sowie Plünderungen privaten und staatlichen Eigentums oder der Schädigung technischer Anlagen und sonstiger Sabotageakte. Desweiteren sollte die Unterbindung der Polizeigewalt durch Aufständische verhindert werden, genau wie die Außerkraftsetzung des Regierungs- und Verwaltungsapparates, oder dem gewaltsamen Öffnen von Gefängnissen. Ähnlich wie auch bei den Räten oder den Einwohnerwehren stand im Kern auch hier die „Aufrechterhaltung bezw. Wiederherstellung der staatlichen und öffentlichen Ordnung und Sicherheit“, welches sich vordergründig im Schutz des öffentlichen Raumes äußerte. Die Verwendung und Einteilung der Truppen war an die räumlichen Ausmaße des Streikgeschehens gebunden, denn bei örtlichen oder ausgedehnteren Eisenbahnerstreiks, in deren Folge mit Streiks anderer Betriebe gerechnet werden musste, waren andere Truppen notwendig, wie im Falle allgemeiner Eisenbahn-, also Generalstreiks, um auf bestimmten Strecken wiederum den militärischen Transportverkehr aufrechterhalten zu können.161 Während des Streikgeschehens stand dann der Schutz der Arbeitswilligen durch Sicherungskommandos an vorderster Stelle. Ebenso gehörte es zu den Aufgaben, dass man die Arbeiter von den Bahnhöfen fernhielt, um das Streikgeschehen sich nicht räumlich ausdehnen zu lassen. Der Schutz der Bahnhofsgebäude und Kommunikationsstellen war somit von besonderer Wichtigkeit.162
161 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 12 RS, Reichswehr Brigade 31, Abt. Ia Nr. 45 geh. II. Ang., Brigade-Befehl für die Verwendung der Truppen bei Unruhen, Münster 7. Oktober 1919. Besonders zu sichernde Eisenbahnpunkte waren daher im Ruhrgebiet die Bahnhöfe Düsseldorf-Derendorf, Oberhausen, Fintrop, Osterfeld, Wedau, Mühlheim-Speldorf. 162 Ebd., fol. 15, Befehl über die Verwendung der Nachrichtentruppen im Falle von grossen Unruhen. „Um mit Sicherheit zu erwartenden Störungen der Verbindungen zu verhindern, ist die sofortige militärische Besetzung der Telegrafenämter und die Sicherung der für den militärischen Verkehr unbedingt notwendigen Leitungen erforderlich.“
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Abbildung 6: Handschriftlich angefertigte Karte über Nachrichtenverbindungen im Ruhrgebiet und der zu besetzenden Fernschreiber
Die für diese Tätigkeiten aufgrund ihres lokalen Bezugsrahmens bereits eingesetzten Einwohnerwehren sollten bei größeren Unruhen dann vom Militär abgelöst werden.163 Im Falle ausufernder Bergarbeiterstreiks, die oftmals den Charakter von Generalstreiks hatten, war es insofern enorm wichtig, über Vertrauenspersonen zu verfügen, die „als Wegweiser an Ort und Stelle“ mit ihren Unterführern über „genaue Ortskenntnisse“ verfügten.164 Darüber hinaus war eine Kartierung des gesamten Ruhrgebietes vorgesehen. Hierfür sollte, um einen Überblick der technischen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zu erlangen, das Gebiet mittels eines „Unruhekalenders“ kartiert werden.165 In erster Linie diente dieser „beim Wechsel der Persönlichkeiten und Truppen [dazu] ein schnelles Sichzurechtfinden zu ermöglichen“. Gerade das dritte Heft dieses Kalenders folgte einer strikt räumlichen Systematik. Es sollten
163 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 20, Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ib. Nr. 6 pers., Richtlinien für die Verwendung von Zeitfreiwilligen, Münster 22. September 1919. 164 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 13, Reichswehr Brigade 31, Abt. Ia Nr. 45 geh. II. Ang., Brigade-Befehl für die Verwendung der Truppen bei Unruhen, Münster 7. Oktober 1919. Die Vorbereitungen seien so zu treffen, dass alles „reibungslos verlaufen“ könne, während auf das Stichwort „Traubenernte“ der Brigade 31 hin sich alle Truppen bereit machten und beim Stichwort „Kelterung“ ihre Bewegungen auszuführen hatten. 165 Hier und im Folgenden Ebd., fol. 19, Anweisung Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ia Nr. 45 pers., Münster 22. September 1919.
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Informationen über die örtlichen Verhältnisse, der Verkehrsanbindungen, Ausladeplätze und Ausladerampen, sowie der Straßenbahnen für Truppenbeförderung und die Unterkunftsverhältnisse eingeholt werden.
Abbildung 7: Gliederung für die taktische Verwendung der Truppen unter dem Befehl des Inf. Führers 31
Auch sollten mehrere Stadtpläne samt deren Verwendungsbezirke an die Mannschaften verteilt werden, in denen Industrie-, Bahnanlagen, Rampen, wichtige Gebäude und Brücken kenntlich zu machen waren. Auf den Schutz öffentlicher Gebäude wurde besonderer Wert gelegt.166 Die Art der einzuholenden Informationen reichte von der allgemeinen Einschätzung der Lage zur Orientierung, den Putschabsichten und Agitatoren in Streiks bis hin zur Einschätzung des Charakters der politischen Parteien. Ein Großteil der Fragen lässt sich als Verräumlichungsstrategien
166 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 25, Anweisung Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ic Nr. 186 pers., betr. Nachrichtendienst, Münster 24. September 1919. Zur Bearbeitung des Nachrichtenwesens erfolgte eine Kartierung des Raumes in die verschiedenen Gruppen, denen wiederum Stadt- und Landkreise zugewiesen wurden. Hierzu zählten die Gruppe Wesel, Mühlheim, Düsseldorf, Dorsten und der Rest des Brigade-Bezirks, welcher durch den Stab der Reichswehr-Brigade 31 abgedeckt wurde. Gefordert wurde ausführliches Kartenmaterial mit Markierungen über alle wichtigen Orte und „Machtzentren“, womit in erster Linie Versammlungslokale und Orte „radikaler Zusammenkünfte“ gemeint waren.
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interpretieren, denn neben den Markierungen von wichtigen Fabriken und Gebäuden und den Besetzungsstrategien sollten auch Informationen über den privaten Wohnbereich sowohl der Stadtverwaltung, als auch der „Radikalen“ gesammelt werden. Damit einhergehend wurden Informationen über die Konzentrierung von Versammlungslokalen und Waffendepots in Verbindung mit den „bedrohten Stadtteilen“ und „Machtzentren“ eingeholt.167 Während der Sozialisierungsbewegung im Ruhrgebiet waren diese Informationen besonders wichtig geworden, da die Streikbewegung der Bergarbeiter nach dem oben vorgestellten Schema den Zustand eines Generalstreiks erreicht hatte.168 Der Einschätzung beispielsweise über die Lage im Abschnitt Wehofen – Lohberg zufolge habe das Einrücken der Kompanie von Luisenthal in der Zeche Lohberg am 14. April 1919 „das energische und umsichtige Eingreifen von Führer und Mannschaften […] der Bevölkerung bewiesen, dass die Regierung jetzt nicht mehr mit sich spassen [sic] lasse. Die Kommunistenführer selbst hatten schon seit Tagen hiermit gerechnet und um ihrer eigenen Sicherheit willen bereits die Nächte ausserhalb ihrer Wohnung zugebracht.“ Zudem wurde die Stimmung in der Bevölkerung als träge bezeichnet. „Geldmangel und Lebensmittelknappheit“ seien „in beiden Zechen seit Tagen stark fühlbar“. Der wochenlange Streik drücke „den einzelnen nieder“ und bewirke, „dass der Fanatismus des letzten Generalstreiks nicht wieder zum Durchbruch gekommen ist“. Die Bevölkerung sei „trotz des Aufpeitschens der Führer müde.“ Eine ähnliche Fokussierung auf einzelne Führer lässt sich für viele Städte des Ruhrgebiets feststellen.169 Die so vorgenommene Kartierung des 167 Ebd., fol. 26, Anweisung Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ic Nr. 186 pers., betr. Nachrichtendienst, Münster 24. September 1919; ebd., fol. 30, Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ic Nr. 45 pers., Bezug Ia Nr. 45 pers. vom 16.9.19 Seite 9 Ziffer 7, Münster 22. September 1919. Das zur Absperrung von Straßen und wichtigen Gebäuden benötigte Material sollte schon vor den Unruhen in bestimmten Gebäuden eingelagert werden. 168 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15346, fol. 1 RS, Bericht Generalkommando VII A. K. Ic No. 2854 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Münster 19. April 1919; zur Sozialisierungsbewegung StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 138, Handelskammer Berlin Erläuterungen des Geheimen Kommerzienrat Deutsch, Vorsitzender des Direktoriums der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft samt zahlenmäßiger Zusammenstellungen nebst Erläuterungen über das Verhältnis des Anteils von Arbeit und Kapital am Ertrage einer größeren Zahl industrieller Unternehmungen, Berlin 12. April 1919. 169 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15346, fol. 3, Bericht des Generalkommandos VII A. K. IC No. 3328 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Münster 25. April 1919; LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15346, fol. 4, Bericht des Generalkommandos VII A. K. IC No. 3530 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Münster 26. April 1919; LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15346, fol. 6, Bericht des Generalkommandos VII A. K. IC No. 3948 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Münster 26. April 1919. „In Dortmund soll sich ein Büro des Spartakusbundes befinden, das sich ausschließlich der Waffenbeschaffung widmet. Geschickte Agenten sollen die Waffen von den Regierungstruppen kaufen und zwar entweder direkt von unzuverlässigen Soldaten oder dadurch, dass diese Agenten sich bei den Regierungstruppen anwerben lassen und dann durch Unterschlagung oder auch Kauf in den Besitz der Waffen zu kommen versuchen.“ „Beim Spartakisten Schuhmacher, Mühlheim – R., Gimbeck 72 befindet sich seit einigen Tagen ein Russe in Weiberbekleidung. Frau Schumacher leistet weiterhin Spitzeldienste für Spartakus.“ (fol. 7); vgl. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15346, fol. 16, Bericht des Generalkommandos VII A. K. IC
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Ruhrgebietes entsprach damit nicht der herkömmlichen Einteilung des Raumes nach geographischen Merkmalen, sondern der Einteilung des Raumes nach bestimmten Bedrohungs- und Machtszenarien, sowie deren Zentren.170 Im Falle der Stadt Bochum waren während der großen Aprilstreiks zahlreiche Gesuche um militärische Hilfeleistung an die Brigade gerichtet worden.171 Hierzu zählten die Hilfegesuche des Amtmanns aus Steele für die Zeche Eintracht Tiefbau, des Landrats Gelsenkirchens für die Zeche Engelsburg, des Landrats von Bochum für die Zechen Hannover II, III und IV, sowie für die Zechen Julius Philipp und Dannenbaum und eines Führers der Sicherheitswehr namens Germeroth für die Zechen Konstantin VI und VII. Die Maßnahmen des Militärs folgten auch hier einer strikt auf den Raum bezogenen Argumentation für ihr Vorgehen. „Innerhalb dieser Räume sind die Abteilungen nach Massgabe der verfügbaren Kräfte für militärischen Schutz zunächst zuständig, für den Fall, dass ein Raum im Verhältnis zu den anderen Räumen mehr Kräfte braucht, sind Verschiebungen erforderlich und werden dann befohlen werden. Bochum selbst wird lediglich von der Bochumer Sicherheitswehr gesichert.“172
Für den Schutz der Arbeitswilligen und der Arbeitsanlagen käme es darauf an, dass die Wege von den Wohnstätten zu den Arbeitsstätten zur Schichtzeit, besonders also morgens und abends durch Patrouillen so gesichert würden, dass es den Streikenden nicht möglich wäre, die Arbeitswilligen an der Arbeit zu hindern und sich den Anlagen in böswilliger Absicht zu nähern. „In dem ausgedehnten Bezirk ist es natürlich nicht möglich, jede Anlage zu besetzen. Es muss also hauptsächlich mit Patrouillen gearbeitet werden, die unregelmäßig gehen, während nur wichtige centrale [sic] Anlagen, wie Elektrizitätswerke, die den Strom für die Pumpen liefern, besetzt werden.“173
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No. 5140 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Münster 22. Mai 1919. „Unter der Firma ‚Möbelgeschäft Fuchs, Essen-Ruhr, Weberstr. wird ein Möbelabschlagszahlungsgeschäft in Essen betrieben. Der Besitzer heisst Kaufmann E. Oppenheimer, Essen – Ruhr, Weberstr. 12, Geschäftsführer ist ein Max Wolff in Essen, der Mitglied der kommunistischen Partei ist. Bei Fuchs sollen von den Spartakisten Essens und Umgegend Flugblätter und Propagandaschriften in Empfang genommen werden. Die Zusendung soll in Möbeln erfolgen.“ „Der Garten hinter dem Hause Feldstrasse 9 in Duisburg (Marks, von dem gemeldet ist, dass er Waffen im Großen aufkaufte) wird abgeschlossen durch einen Damm, ähnlich wie ein Eisenbahndamm. Es ist festgestellt, dass an diesem Damm eine Stelle ist, die in viereckiger Form mit ganz frisch abgestochenen Rasenplatten belegt ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Marks dort eine Kiste mit Waffen vergraben hat.“ (fol. 17) Die Anfertigung alternativer, mit Bedeutung aufgeladener Karten entsprach damit gewissermaßen einer mental map des Ruhrgebiets aus der Sicht des Militärs. Für einen umfassenden Literaturüberblick dieses Konzepts vgl. Schenk, Mental Maps, S. 493–514; vgl. Cosgrove, Landscape und Landschaft, S. 57–71; vgl. ders., Mappings. Hier und im Folgenden StAB, LA, Nr. 1632, ohne fol., Befehl der Landesschützen-Brigade Br. St. Qu., Ausgabezeit 12 Uhr mittags Ia Nr. 84/19, Brigade Befehl Nr. 5 (315), o.O. 9. April 1919. Ebd. StAB, LA, Nr. 1632, ohne fol., Befehl der Landesschützen-Brigade Br. St. Qu., Ausgabezeit 12 Uhr mittags Ia Nr. 84/19, Brigade Befehl Nr. 5 (315), o.O. 9. April 1919.
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Neben der Ermittlung von strategisch wichtigen geographischen Punkten sollten im Zuge dieser neuen Verräumlichungsstrategien durch das Militär auch vage Einschätzungen über die „massgebenden [sic] Persönlichkeiten über eine Besetzung der Stadt“ vorgenommen werden. Daneben galt es Informationen einzuholen, welche Arbeiter als „zuverlässig“ eingeschätzt werden konnten. Die Wichtigkeit der Unruhekalender äußerte sich schließlich auch darin, dass sie „nur in die Hände von Offizieren gelangen“ durften. Mit der Besetzung von wichtigen Gebäuden passte man sich der Strategie der „Aufständischen“ an, denn man erwartete nach anfänglichen Lebensmittelplünderungen, durch welche „die Aufmerksamkeit der örtlichen Sicherheitskräfte und der Truppen“ nachlassen sollte, danach die Besetzung von Ämtern in Stadt und Kreis, der Post- und Telegrafenanstalten, der Bahnhöfe und Bahntelegrafen, der Gefängnisse und staatlichen und städtischen Lebensmittellager.174 Das Militär hatte so nach einem Jahr der Revolution seine Strategie modifizieren können. Schon während der großen Streiks der Sozialisierungsbewegung wollte es die Erfahrungen aus den Unruhen im Ruhrgebiet nutzbar machen.175 Als ihr Grundsatz galt fortan alles „rücksichtslos im Keime [zu] ersticken“, indem ein „rücksichtsloser Angriff gegen revoltierende Banden und Volkshaufen, am besten von mehreren Seiten“ vorgenommen werden sollte.176 Die Anweisungen hierfür schienen eindeutig. Wer sich mit der Waffe entgegenstellte wurde niedergeschossen. „Volkshaufen oder auch einzelne verdächtige Personen [durften nicht] näher als 30 Schritt an sie herankommen. Marschsicherung nach vorwärts, rückwärts und gegen die Häuserfenster.“177 Die gesammelten Informationen fanden dann Eingang in die interne Kommunikation und wurden in den Nachrichtenblättern des Wehrkreiskommandos verbreitet, sodass dieses Blatt den Ordnungs- und Sicherheitsdiskurs wesentlich mitgestaltete.
174 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 28, Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ic Nr. 45 pers., Anweisung eines Militärbefehlshabers an die Polizeibehörden für den Ausbruch von Unruhen, Münster 23. September 1919. 175 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 331, VII. Armeekorps Generalkommando Abt. Ia Nr. 3988 an Regierungspräsidenten Arnsberg und Düsseldorf, Korps Bergmann, General Fricke u. Kabisch, Oberst Gerstenberg, Hauptmann Lichtschlag, Landrat Recklinghausen, Polizeipräsident Gelsenkirchen u. a., Münster 14. April 1919. Resultierend aus den gemachten Erfahrungen wurde unter anderem erfragt, „welche gesetzlichen Bestimmungen, Zivil- und Militärgesetze“ der Abänderung bedurften, insbesondere die Bestimmungen über Verhängung, Ausübung und Aufhebung des Belagerungszustandes. 176 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 29, Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ic Nr. 45 pers., Anweisung eines Militärbefehlshabers an die Polizeibehörden für den Ausbruch von Unruhen, Münster 23. September 1919. 177 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5435, beispielsweise fol. 4, Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos 2 Ii Nr. 119 pers. Nachrichtenblatt 6, Cassel 8. November 1919. Der interne Nachrichtenaustausch funktionierte mittels der Nachrichtenblätter der Wehrkreiskommandos.
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Die Sicherung des öffentlichen Raumes sollte daher auch im „Kampf mit geistigen Mitteln“ funktionieren.178 Hierfür waren „in allen Kreisen durch die Presse und an allen geeigneten Orten – in Schule, Kirche, Vereinsleben – mit allen Mitteln unternommene Werbearbeit“ vorgesehen. In enger „Fühlungnahme mit der Presse“ sollte diese mit „einschlägigen Aufsätzen und mit Werbestoff“ versorgt werden.179 Deutlich wird hier, dass der Kampf des Militärs um den öffentlichen Raum nicht nur in bestimmten Praktiken der Besetzung geostrategischer Punkte bestand, sondern auch auf der diskursiven Ebene um Raum gestritten wurde. Gerade die Plakatierung von Schulen, Kirchen oder Vereinsgebäuden hatte somit eine prophylaktische Funktion, da man an diesen Orten der Gemeinschaftsbildung viele Menschen erreichen konnte. Erst zum Ende der Revolution geriet die Vorstellung dieser Raumordnungsfunktion als die Hauptaufgabe des Militärs ins Wanken. Ein an den Reichswehrminister gerichtetes Schreiben des bayerischen Reichswehrgruppenkommandos 4 vom 20. März 1920 zeigt, wie irritiert die Truppe davon war, dass sich die Regierung nicht vom andauernden Generalstreik distanzierte, sondern die Truppen dazu aufforderte denselben sogar zu schützen, um die Gefahren des Kapp-Putsches zu entschärfen. Da die Reichswehr einerseits für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zuständig war, andererseits aber gleichzeitig der Reichsregierung Folge zu leisten hatte, bekam dieser Konflikt eine besondere Brisanz.180 Ähnlich problembehaftet war das am 20. März vereinbarte Abkommen zwischen Regierungsvertretern und den Freien Gewerkschaften zur Beendigung des Generalstreiks.181 Dieses Abkommen sah vor, die nicht verfassungstreuen militärischen Formationen aufzulösen und durch von den Gewerkschaften rekrutierte Einheiten zu ersetzen, welches in ähnlicher Form im kurz darauf vereinbarten Bielefelder Abkommen speziell durch Carl Severing gefordert wurde. Die Verwirrung innerhalb der regierungstreuen Reichswehr musste daher groß gewesen sein, denn den „Aufständischen“
178 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 61, Schreiben VII. Armeekorps Generalkommando Abt. Ic Nr. 1478 an Regierungspräsidenten Arnsberg, Münster 6. März 1919; Ähnlich formuliert aus der Perspektive der Freikorps, in: StAM, Stadt-Dok., Nr. 32, ohne fol. Manuskript Pfeffers zur Gründung des Freikorps. Dass der Kampf des Militärs und der Freikorps kein reiner Kampf um physisches Territorium war geht auch aus den Schilderungen Pfeffers hervor. Dieser bezeichnet die andere Form des Kampfes als viel schwierigere, denn neben dem Kampf „mit der rauen Wirklichkeit“ vollzog sich auch ein „Kampf der Geister, das Ringen um Weltanschauung und klare Grundlinien.“ Ähnlich wie das Militär empfand man diesen Kampf als den weit schwierigeren. Auf einer tieferen Ebene sind diese Auseinandersetzungen somit auch als Kämpfe um Denkräume interpretierbar. Letztlich versuchten alle Gruppierungen entscheidenden Einfluss auf den Diskurs zu nehmen. 179 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5435, beispielsweise fol. 4, Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos 2 Ii Nr. 119 pers. Nachrichtenblatt 6, Cassel 8. November 1919. Der interne Nachrichtenaustausch funktionierte mittels der Nachrichtenblätter der Wehrkreiskommandos. 180 Hürten, Die Anfänge der Ära Seeckt Nr. 31. 181 Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte Bd. 3, Nr. 210.
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wurde genauso wie der Polizei und den Einwohner- und Sicherheitswehren die Amnestie bei Kampfbeteiligungen zugesichert.182 General von Watter bezeichnete ein derartiges Vorgehen als „Schlag ins Gesicht“, da Reichswehr und andere Sicherheitsformationen in einem Atemzug mit den „Bolschewisten“ genannt würden, welches General von Seeckt jedoch als „reine Sachlichkeit des Dienstes“ beschrieb.183 Ein Resultat des Kapp-Putsches für das Militär war daher, dass sie aus ihrer innenpolitischen Rolle zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im öffentlichen Raum fast vollends herausfiel. Im Laufe des April 1920 wurde die vollziehende Gewalt an zivile Reichskommissare übergeben. Die Ereignisse rund um den März 1920 werden somit trotz ihrer gegenrevolutionären Tendenzen eben nicht als Folgegeschichte der Revolution interpretiert, sondern als deren genuiner Bestandteil.184 Die Weimarer Verfassung vermochte als „kleinste[r] gemeinsame[r] Nenner [zu dienen] […] auf den sich die einander wechselseitig blockierenden auseinanderstrebenden Kräfte noch zu einigen vermochten.“185 Die Verfassung konnte so als „neutraler Boden“ verstanden werden bis zum Beginn der 1930er Jahre.186 3.4 KONKURRENZ UM DIE SICHERUNG DES RAUMES – GRÜNE POLIZEI ALS (UN-) SICHERHEITSFAKTOR Die Geschichte der Republik „ist untrennbar mit der Geschichte der Polizei verbunden“, schrieb Carl Severing im Jahre 1929.187 Severing hatte sich schon vor seiner Einsetzung zum Reichs- und Staatskommissar im Ruhrgebiet für eine Neugliederung der Polizei stark gemacht, die im Falle von Unruhen „schnell eingesetzt werden konnte, ohne daß Militär hinzugezogen werden brauchte.“188 Die Polizei spielte während des Novemberumsturzes vorerst keine größere Rolle. So mussten die Beamten ihre Waffen abliefern und „verschwanden vorübergehend gänzlich aus dem Straßenbild“, während sich überall republikanische Sicherheitskompanien gebildet hatten, in denen vermehrt ehemalige Soldaten neue Betätigungsfelder fanden.189 Die Exekutivpolizei bestand bis zum Ende des Krieges aus der Landgendarmerie,
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Hierfür Hürten, Wehrkreiskommando VI, Dok. 17. Von Choltitz, Soldat unter Soldaten, S. 17f. Kluge, Die deutsche Revolution, S. 195. Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 38. Biegert, Gewerkschaftspolitik in der Phase des Kapp-Lüttwitz-Putsches, S. 205. Verordnung des Reichspräsidenten vom 13. Januar und der erläuternde Befehl des Reichswehrministers vom 30. Januar als Schlusspunkt „einer Linie, auf der Reichspräsident und Reichsregierung immer schon die Konsolidierung der Republik vorangetrieben hatten.“ Vgl. Hürten, Der KappPutsch als Wende, S. 20. 187 Severing, Die Polizei im neuen Staat, S. 12f. 188 Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 104. Zum Diskurs von Ordnung und Sicherheit während des Kaiserreiches vgl. Reinke, „Großstadtpolizei“, S. 217–239; vgl. Schmidt, Schützen und Dienen, bes. S. 59–120. 189 Schoenfelder/Kasper/Bindewald, Vom Werden der deutschen Polizei, S. 286f.; vgl. Leßmann, Die preußische Schutzpolizei, S. 12.
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der Kommunalpolizei, der staatlichen Schutzmannschaft, sowie der Kriminalpolizei. Gerade die Schutzmannschaft hatte sich während der Wahlrechtsdemonstrationen des Jahres 1908 mittels der „Technik der Verhinderung und Auflösung von Demonstrationen mit geringen Kräften“ bewährt, während sie nach den Moabiter Unruhen 1910 und im Wedding 1911 durch „hartes Eingreifen“ zunehmend ihren Kredit verspielt hatte und ihre Abschaffung gefordert wurde.190 Zu Beginn der Revolution äußerte sich dies nicht zuletzt in der Erstürmung zahlreicher Polizeireviere und der Entwaffnung der Beamten als „Rache für Moabit“.191 Ohne Waffen und mit roter Armbinde nahmen Teile der Schutzmannschaft allmählich ihren Dienst wieder auf. Zusammen mit der von Eichhorn gegründeten Sicherheitswehr sollten beide für die Sicherheit auf Berlins Straßen sorgen. Neben der Groß-Berliner Sicherheitswehr waren dieses die 10.000 Mann starke Republikanische Soldatenwehr, die ca. 2.000 Mann starke Volksmarinedivision, sowie die Republikanische Schutztruppe mit 4.000 Mann.192 Die kurzzeitige Auflösung der politischen Polizei durch Emil Eichhorn zu Beginn der Revolution führte zum Konkurrieren mehrerer Sicherheits- und Wehrformationen, welche sich für die Sicherheit und Ordnung in der Stadt verantwortlich fühlten.193 Mehrere vom Polizeipräsidium unabhängig operierende Verbände gerieten daher als den Raum schützende Elemente in Konflikt zueinander.194 Allein die Polizei war „in zwei Teile auseinandergefallen“.195 So stand gerade Eichhorns Sicherheitswehr, welche bis zum März 1919 bestanden hatte mit dem Republikanischen Soldatenbund unter der Führung Otto Wels in Konkurrenz, während Einwohnerwehren und Freiwilligenverbände das Tableau um die Vorrangstellung zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit ergänzten.196 Mit eigener Kriminalabteilung arbeitete die Republikanische Soldatenwehr sogar außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Polizeipräsidiums. Noske hatte diese Gruppierung aufrechterhalten wollen, bis eine schlagkräftige normale Polizei etabliert werden konnte. In dieser doch recht unübersichtlichen Gemengelage fiel die 190 Buder, Die Reorganisation der preußischen Polizei, S. 10. 191 Buder, Die Reorganisation der preußischen Polizei, S. 22; Liang, Die Berliner Polizei, S. 9. Liang zufolge gab es „ruhige Reviere und ‚Krawallreviere‘“. 192 Buder, Die Reorganisation der preußischen Polizei. Dabei wollten sich die Schutzleute „nicht mehr als Kampftruppe verwenden lassen“ und ihren Dienst „ohne politischen Zwang“ ausüben. 193 Zur Gruppe der preußischen Polizeioffiziere vgl. etwa Schmidt, Keine Kommissare, S. 37–58. 194 Die Einwohnerwehren und Republikanische Soldatenwehr mit eigener Kriminalpolizei unter Führung Otto Wels wurden bis zur Etablierung eines wirksamen normalen Polizeidienstes als Interimslösung von Reichswehrminister Noske betrachtet. Die Republikanische Soldatenwehr und Sicherheitswehr Eichhorns standen in Konkurrenz zueinander. Vgl. Lang, Die Berliner Polizei, S. 48. 195 Schoenfelder/Kasper/Bindewald, Vom Werden der deutschen Polizei, S 291. 196 Kluge, Soldatenräte, S. 178. Die „Sicherheitswehr Groß-Berlin“ bildete sich aus ehemaligen Schutzmännern, Soldaten, Gewerkschaftern und USDP-Mitgliedern. Zur Organisation einer ähnlichen Gruppierung als revolutionäre Schutzwehr für Bayern vgl. BA B, SAPMO, SgY 10, Nr. V236–7–27, fol. 280, Organisation der revolutionären Schutzwehr, Memmingen 9. April 1919; zur Konkurrenz zwischen der preußischen Sicherheitspolizei und der Reichswehr vgl. Leßmann, Die preußische Schutzpolizei, S. 65–77.
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Gründung einer weiteren militärisch organisierten Polizeiformation.197 Die Einrichtung einer Sicherheitspolizei nach oben genannten Kriterien kann somit als Versuch interpretiert werden, eine Sicherheitsgruppierung zu schaffen, die über die Zuständigkeiten der reinen örtlichen Begrenzung für Gemeinden oder Amtsbezirke hinausreichte und demnach einen Zugriff auf größere Räume ermöglichte. Um ihre Mitglieder auch räumlich zu konzentrieren, waren die Einheiten kaserniert worden, was ihnen zusätzlich einen militärischen Charakter einbrachte.198 Bereits im Oktober 1920 wurde die Sicherheitswehr daher bereits nach kurzem Intermezzo abgeschafft und die Zuständigkeitsbereiche einem allgemeinen Landrecht dienenden Polizeiapparat in den Ortspolizeibezirken übertragen. Auch bei der Gründung dieser neuen Sicherheitsformation kam es aufgrund konkurrierender Sicherheitsformationen zu Problemen.199 Am 8. September 1919 trafen sich Beamte des Reichsverbands im Lehrervereinshaus Berlins, um gegen die sich in der Entstehung befindliche Militärpolizei zu demonstrieren. Die Errichtung einer weiteren Sicherheitspolizei für den Schutz des öffentlichen Raumes vor Unruhen und Aufständen brachte neue Konfliktlinien mit sich, die sich um die Frage, wer für den Schutz des öffentlichen Raumes zuständig war, entzündete.200 Forciert wurde diese Kritik dadurch, dass die Reduzierung der herkömmlichen Polizei viele Beamte überflüssig erscheinen ließ, die alte Polizei gar versagt habe.201 Ihre Verteidiger argumentierten, dass die Polizei „trotz ungenügender Ausbildung und unzureichender Besoldung selbst in den schwierigen Tagen des Krieges und der Revolution ihre Schuldigkeit getan“ habe.202 Die Militarisierung der Polizei bilde daher „eine öffentliche Gefahr“, da man kein „richtige[s] Verständnis“ für das „bürgerliche Leben“ habe. Die Versammlung beschloss deshalb Einspruch gegen
197 Vgl. Liang, Die Berliner Polizei, S. 50; vgl. etwa Schoenfelder/Kasper/Bindewald, Vom Werden der deutschen Polizei, S. 291. Die Pflichten und Rechte der Sicherheitspolizei ergaben sich aus dem Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850, wonach den Gemeinden die örtliche Polizeiverwaltung durch staatliche Bedienstete übertragen werden konnte. Vgl. Preußische Gesetzsammlung, S. 265. Hierzu gehörte der Schutz von Personen und Eigentum, die Aufrechterhaltung der Sicherung und Ordnung sowie des Verkehrs auf öffentlichen Plätzen, Straßen und Wegen. 198 Vgl. StAB, Magistrat der Stadt Bochum, B 1122, fol. 31, Erklärung der Hausmeisterwitwe Wollenschläger von der Schule an der Trankgasse, Bochum 8. März 1921. Die Frau berichtet von den Sicherheitsgruppierungen, welche während der Unruhen in den hiesigen Schulen untergebracht waren. Aufgrund der hierbei entstandenen Schäden folgten eine ganze Reihe von Schadensklagen, die es zu regulieren galt. 199 Hier und im Folgenden Die Polizei Nr. 5 vom 5. Juni 1919, S. 113f. Hier wurden Anfang Juni erstmals Vorschläge zur Errichtung einer Sicherheitspolizei publiziert. 200 Vossische Zeitung Nr. 458 vom 9. September 1919. 201 Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten, S. 55. Die Rede war von einem sukzessiven Anwachsen der Sicherheitspolizei auf 10.000 Mann. 202 Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten, S. 55.
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die vom preußischen Ministerium geplante und bereits errichtete Polizei einzuheben.203 Dies waren Vorwürfe, die in einer Denkschrift der Garde-Kavallerie-Schützendivision unter Waldemar Pabst, einer der großen Freikorpsformationen neben dem Regiment Reinhard am 10. März 1919 geäußert wurden.204 Bereits am 8. Januar 1919 war eine Spezialtruppe für polizeiliche Aufgaben als 3. Streifkompanie unter Eugen von Kessel formiert worden.205 Pabst hatte auf die Notwendigkeit zur Bildung einer neuen Spezialeinheit verwiesen, welche sich mit der Bekämpfung von Unruhen auseinandersetzen sollte.206 Die Neuorganisation einer Polizeieinheit, die „militärisch organisiert und ausgerüstet“ in den Kasernen der Großstädte untergebracht wurde, veränderte somit das Gefüge der Sicherungseinheiten zum Schutz des öffentlichen Raumes maßgeblich.207 Die bisherigen Polizeibeamten sollten aus dem Sicherheitsdienst ganz herausgezogen und künftig nur für den inneren Dienst eingesetzt werden. Da die Hilfspolizeimannschaft meist aus „jüngeren Elementen“ und aus Unteroffizieren und Offizieren zusammengestellt wurde, kann die Sorge der Beamten der „alten“ Polizei nachvollzogen werden, denn die bisherige Schutzmannschaft sollte nach Durchführung der Neuordnung etwa um die Hälfte verringert werden.208 Das Wolff’sche Telegraphenbüro meldete hierzu, dass infolge der Heeresneuordnung die Polizei „eine militärische Unterstützung […] gegen organisierte Verbrecher-Banden und Unruhestifter erhalten“ könne.209 Daher würde eine „Polizeitruppe aus kasernierten Jungmannschaften geschaffen werden, welche den ganzen Sicherheitsdienst zum Schutze der Staatsordnung, des Lebens und Eigentums der Bürger durch Patrouillen, Posten und Bereithaltung geschlossener Verbände“ vornehmen würde. Die Errichtung einer Sicherheitspolizei folgte Ende des Jahres 1919 in fast allen Ländern als Reaktion auf die Revolution.210 Kommandostäbe wurden hierfür in 203 Zit. nach Leßmann, Die preußische Schutzpolizei, S. 47. Schreiben Noske an Ministerium des Innern vom 13. März 1919 mit Vorschlag die gesamte Berliner Schutzpolizei als unbewaffnete Ordnungspolizei zu verwenden und eine „straff militärisch organisierte und kasernierte Sicherheitspolizei für den Fall des Bürgerkrieges aufzustellen“. Noske erhielt daraufhin die Zustimmung des Ministers Heine. 204 Denkschrift Pabst vom 10. März 1919. Die Denkschrift befindet sich im Hessischen Staatsarchiv Marburg, Rep. 150, Nr. 1964. Vgl. Gietinger, Der Konterrevolutionär, S. 168, Anm. 309; vgl. Noske, Erlebtes, S. 99. 205 Buder, Die Reorganisation der preußischen Polizei, S. 45 u. S. 96ff. Mit stetigem Zuwachs nannte sich die Formation bald darauf „Hilfspolizei des Berliner Polizeipräsidenten.“ Hierzu gehörte die „Fliegende Kraftfahrstaffel K“, eine gut ausgerüstete, dem Militär ähnlich aufgestellte Formation, welche der Garde-Kavallerie-Schützen-Division unterstand. 206 Vgl. Die Polizei Nr. 6 vom 19. Juni 1919, „Über die Neuorganisation der Berliner Polizei“. 207 Vgl. Thüringer allgemeine Zeitung Nr. 207 vom 31. Juli 1919. 208 Zum Verhältnis von alten Offizieren und neuen Personen der Sicherheitstruppen vgl. Renn, Krieg, S. 336–360, hier S. 343. Mit kritischem Umgang kann die Quelle ein Bild von dem hier herrschenden Generationenkonflikt vermitteln. „Sie haben versucht, das alte Regiment – diese Stummelkompanien mit den Achtzehn- und Neunzehnjährigen – gegen unser Sicherheitsbataillon aufzuhetzen.“ 209 Hier und im Folgenden Thüringer allgemeine Zeitung Nr. 207 vom 31. Juli 1919. 210 Organisationsrichtlinien des preußischen Ministerpräsidenten vom 31. Mai 1919, zit. nach Klingelhöller, Der Verband preußischer Polizeibeamten, S. 63–65. Dort war die wichtigste
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Münster, Frankfurt am Main, Kassel, Magdeburg, Königsberg und Breslau eingerichtet.211 Neben der herkömmlichen Ordnungspolizei wurde die Berliner Sicherheitspolizei gegründet, um gegen Unruhen und Aufruhr vorgehen zu können und in Berlin für den Schutz des Regierungsviertels zu sorgen.212 Als Organisationsstab wurden die Brüder Eugen und Hans von Kessel, sowie Oberst Weber, ein preußischer Offizier „von altem Schrot und Korn“ eingesetzt, die Gesamtorganisation unterstand dem Geheimen Regierungsrat Doyé.213 Die Erfahrungen aus den revolutionären Unruhen, gut ausgerüstete Truppenverbände einzusetzen, hatte den Polizeibegriff des Innenministers Heine nachhaltig geprägt und äußerte sich in einer strikt militärischen Organisation und Struktur der Polizei.214 Dem Kommando unterstanden Polizeigruppenstäbe mit jeweils drei Abteilungen. Jede Abteilung bestand wiederum aus einem Stab, sechs Hundertschaften und einer technischen Hundertschaft mit guter Ausrüstung.215 Ein eingerichtetes Werbebüro in den Räumen des Moabiter Kriminalgerichts sollte gerade Mitglieder mit Fronterfahrung für die Gruppierung anwerben, sodass schließlich ganze Freiwilligenformationen in die Polizei aufgenommen wurden, sowie ehemalige Mitglieder der von Eichhorn aufgelösten Politischen Polizei. Bekanntmachungen an Litfaßsäulen der Stadt forderten die gesamte Berliner Schutzmannschaft auf, sich dem Arbeiter- und Soldatenrat zu unterstellen.216 Sobald die Sicherheitspolizei „ausgebildet und schlagfertig“ genug sei, dürfe diese herangezogen werden, sodass das Militär „entbehrlich“ würde.217 Obwohl ihre Mitglieder als Beamte gedacht waren und den Landesregierungen unterstanden, glichen sie gerade im Punkte ihrer „Verwendung“ eher einem militärischen Gebilde, denn die Sicherheitspolizei bestand zu großen Teilen aus Mannschaften, Unteroffizieren und Offizieren.218 Ein weiterer Grund für die Nähe zum militärischen Apparat bestand in der dem Militär recht ähnlichen Ausrüstung wie Karabinern, Seitengewehren, aber auch größeren Waffen wie Feldgeschützen, Flammenwerfern und Maschinengewehren. Hierfür wurden sie ähnlich wie ihre
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Aufgabe beschrieben, welche in der „Sicherung von Leben und Eigentum gegen gewaltsame Angriffe und die Sicherung der Staatsordnung“ bestand, der Ordnungspolizei demnach der gesamte übrige Polizeidienst. Severing, Mein Lebensweg I, S. 252ff.; zum Problem des Verhältnisses von Militär und Polizei vor dem Hintergrund des Versailler Vertrages vgl. Naas, Die Entstehung des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes, S. 45; vgl. auch Leßmann, Die preußische Schutzpolizei, S. 65–77. Severing, Mein Lebensweg I, S. 312. Sauer, Zur politischen Haltung, S. 26. Kessel, Handgranaten und rote Fahnen, S. 218. Leßmann, Die preußische Schutzpolizei, S. 49. Vgl. Siggemann, Die kasernierte Polizei, S. 87; vgl. etwa Leßmann, Die preußische Schutzpolizei, S. 51; Liang, Die Berliner Polizei, S. 50; Dierske, Sicherheitskräfte, S. 41; Schoenfelder/Kasper/Bindewald, Vom Werden der deutschen Polizei, S. 291. Klingelhöfer, Der Verband preußischer Schutzbeamten, S. 41. BA B, R 43 I, Nr. 2691, fol. 45, Schreiben Polizeipräsident Abteilung I, Tgb. Nr. I.3.19, an Minister des Innern, Berlin 4. August 1919. Bergien, Die bellizistische Republik, S. 108, Anm. 197. Letztlich kann die Einrichtung einer Sicherheitspolizei auch als Versuch Preußens interpretiert werden, den „radikalen Truppenabbau zu entschärfen“.
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soldatischen Vorläufer in den Räumen der Kasernen ausgebildet und stationiert.219 Polizeischulen wurden in Münster, im Sennelager oder in Wesel als Polizei-Fliederhorst gegründet, die Oberstleutnant von Caprivi und ein Organisationsstab leiteten. Ihre Gesamtstärke betrug 9.250 Mann.220 Die hier rekrutierten Leute mit Fronterfahrung unterschieden sich teilweise von den Gruppenangehörigen der Freikorps, welche meist aus „besseren Kreisen“ rekrutiert wurden.221 Die speziell für den Stadtschutz formierte Polizei praktizierte nun in regelmäßigen Abständen das Szenario des Aufstandes. Im Simulieren dieses Geschehens konnten sowohl Strategien entwickelt, als auch Verhaltensmuster im öffentlichen Raum trainiert werden.222 Zusammen mit ehemaligen Mitgliedern der Freikorps spielte die Sicherheitspolizei eine wichtige Rolle während der Märzunruhen – gerade im Ruhrgebiet als „Kampfpolizei“.223 Die Einheit der 3. Streifkompanie des Regiments Reinhard unter der Leitung Eugens von Kessel, welche später wichtiger Bestandteil der Sicherheitspolizei werden sollte, konnte hier bereits größere Erfolge erlangen. Die Aufgaben bestanden vermehrt darin, eine Sammlung von Beweisstücken, Listen der Führer der Spartakusbewegung oder Verzeichnissen der Privatwohnungen und Versammlungslokalen anzufertigen, sodass in Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft und dem Ministerium des Innern schon im Vorfeld von zu erwartenden Unruhen Maßnahmen getroffen werden konnten.224 Die Einheit hatte offenbar aus ihren Erfahrungen während des Märzaufstandes des Jahres 1919 lernen können, um sich so „auch die kommunistische Straßenkampftechnik zunutze“ zu machen, „nach dem Kampfe ganz einfach die Waffen in die Ecke zu stellen und die rote Armbinde in die Tasche zu stecken, um als harmloser und unbewaffneter Zivilist bis zum nächsten Kampftage nach Hause zu gehen“.225
Der Strategiewechsel äußerte sich demnach in der Distanzierung vom offenen Kampf hin zum Ausspionieren der Quartiere des Gegners, um daran anschließend Verhaftungen vorzunehmen. So konnte man bereits am Vorabend „des großen Kampfes die Bewegung ihrer wichtigsten Führer“ berauben und die soziale Formation von innen heraus schwächen, bevor es überhaupt zum offenen Kampf kam. Den polizeilichen Charakter erlangten sie zudem durch das Tragen einer Armbinde
219 Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen, Band 9, Errettung des Ruhrgebiets, S. 72. General Freiherr von Watter sprach sich ebenfalls für die Errichtung einer nach Berliner Vorbild zu formierenden Sicherheitspolizei aus, welche nach militärischem Muster gebildet und in Kasernen unterzubringen sei. 220 Lucas, Märzrevolution I, S. 66. Lucas konstatiert, dass während des Kapp-Putsches gerade einmal 668 Mann in Essen, 308 in Gelsenkirchen und 253 Mann in Bochum stationiert gewesen seien. 221 Ebd., S. 67. 222 Vgl. der Artikel von Kambrink, Bei der Polizei im Kapp-Putsch. 223 Der Polizeioffizier 1929, S. 404 224 Kessel, Handgranaten und rote Fahnen, S. 219. 225 Ebd., S. 221. Noske hatte der Einheit befohlen, die Redaktionsräume der Roten Fahne zu besetzen, das Erscheinen der Zeitung zu verhindern, sowie die Führer festzunehmen.
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mit der Aufschrift „Hilfspolizei des Berliner Polizeipräsidiums“. Der Name Sicherheitswehr und die spätere Bezeichnung als Schutzpolizei wies zudem auf den vermeintlich nichtmilitärischen Charakter der Formationen hin.226 Das Berliner Beispiel diente als Muster für ganz Preußen, denn das Rheinland, Westfalen und Sachsen galten als Schwerpunkte, in denen die öffentliche Sicherheit und Ordnung am gefährdetsten eingeschätzt wurde.227 Die neue Sicherheitspolizei, in der die verschiedenen oben angesprochenen Personen und Gruppierungen aufgingen – und die aufgrund ihrer den Jägerregimentern recht ähnlich aussehenden Uniformen und dem Tschako als Kopfbedeckung auch grüne Polizei genannt wurde – spielten fortan in Berlin, aber auch im gesamten Preußen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Unruhen.228 Während der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes Anfang des Jahres 1920 sah sich die neu formierte Polizei einer „bis ins kleinste hinein“ organisierten kommunistischen Gruppierung gegenübergestellt.229 Unabhängige und Kommunisten hatten zur Ablehnung des Gesetzes aufgerufen. Bei einer der in diesem Kontext stattfindenden Massendemonstration kamen 42 Menschen in Auseinandersetzungen mit der Sicherheitspolizei ums Leben, während 105 Menschen verletzt wurden.230 Hans von Kessel, dem die Abteilung „Nachrichten“ übertragen worden war, beschrieb die Stimmung in Berlin am 13. März als lähmend.231 Arbeiter verließen die Betriebe um sich an „bestimmten Plätzen auf der Straße“ zu sammeln, während der Verkehr nach und nach eingestellt wurde. „Es mußte ein heißer Tag werden, denn es waren Hunderttausende unterwegs. Die Einzeichnung der versammelten Demonstranten und ihre getrennten Anmarschwege zum Reichstag ergaben wenigstens dieses Bild. Alle Führer und Agitatoren waren auch aufgeboten.“
Welches Ziel die Masse hatte, war Kessel offenbar nicht bewusst. Trotzdem schienen die genannten Sammlungsplätze wie Unter den Linden bekannt gewesen zu sein, wo es sonst noch ruhig war. Auf den nächsten Plätzen wie dem Pariser Platz fand man schon zusammengerollte rote Fahnen und Schilder mit Aufschriften wie „Heraus aus den Betrieben und hinein in die Betriebsräte!“ Oder „Maschinengewehre, das sind die geistigen Waffen der Unternehmer!“ Unter den Demonstranten stellte Kessel auch Frauen und Kinder fest. Gerüchten zufolge sei der Reichstag das Ziel gewesen, welcher fortan extrem bewacht wurde. Vor dem Reichstag hatte sich 226 Kessel, Handgranaten und rote Fahnen, S. 227. Dass die Formationen trotzdem nach militärstrategischen Punkten operierte zeigt Hartenstein, Der Kampfeinsatz der Schutzpolizei, S. 9ff. 227 Dierske, Sicherheitskräfte, S. 40. 228 BA B, R 43 I, Nr. 2719, fol. 111–118, Bericht vom Kommando der Sicherheitspolizei beim Berliner Polizeipräsidium zur Verteilung innerhalb der Sicherheitspolizei, betr. „Über die Stellung der Sicherheitspolizei zu dem Putsch der Kapp und Genossen“ vom 22. März 1920. Die Sicherheitspolizei wäre dieser Schilderung nach an der Vorbereitung des Putsches „in keiner Weise beteiligt“ gewesen. Zur Uniform der Formation vgl. Hackspiel-Mikosch, Vom bürgerfreundlichen Grün zum respekteinflößenden Blau, S. 99–123. 229 Kessel, Handgranaten und rote Fahnen, S. 229. 230 Berliner Tageblatt Nr. 24 vom 14. Januar 1920. 231 Hier und im Folgenden HierKessel, Handgranaten und rote Fahnen, S. 230ff. Vgl. auch Weipert, Vor den Toren der Macht, S. 16–32.
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bis zum Brandenburger Tor und auf dem Königsplatz eine „überwältigende Menschenmenge“ aufgereiht, aus der rote Fahnen und „Propagandaschilder“ an einzelnen Stellen emporragten, während sich an den Laternen und auf den Bäumen Neugierige aufgebaut hatten und einzelne Agitatoren zwischendurch auf die Menge einredeten. Dabei beobachtete Kessel, dass sowohl eine Vorwärts-, als auch Rückwärtsbewegung in der Menge kaum mehr möglich war, da die vorderen Reihen gegen die Kette der Polizisten gedrängt wurden. Nachdem die „alte“ Polizei mittels offizieller Berichte hatte beweisen wollen, dass sie in den Jahren seit Revolutionsausbruch durchaus eine Rolle zum Schutz des Raumes gespielt habe, antwortete die grüne Polizei mit einer eigenen Statistik.232 Insgesamt seien 19.080 Fälle festgestellt worden, „in denen einzelne Beamte der Sicherheitspolizei oder Sicherheitsstreifen für den Schutz von Leben oder Eigentum der Staatsbürger oder des Staates in Tätigkeit traten.“ Keinen Eingang in die Statistik fanden demnach diejenigen Fälle, in denen geschlossene Hundertschaften, wie im Falle des oben genannten 13. Januars bei Demonstrationen, Massenversammlungen oder Straßenkämpfen zum Einsatz kamen. Ebenso wenig der tägliche Wachdienst bestehend aus 42 Wachen, dessen Funktion als „Präventivmaßregel für die Sicherheit von Person und Allgemeinheit nicht unterschätzt werden“ dürfe. Von den 19.080 Fällen wurden 6.190, also gut ein Drittel, als Eigentumsvergehen kategorisiert, weshalb auf eine Verarmung des Volkes „in seiner Gesamtheit“ zu schließen sei. 2.599 Fälle wurden dem „unerlaubten Straßenhandel zugerechnet“, welcher „typisch für die Großstadt“ sei. Die restlichen Taten waren Morde, Selbstmorde, Schlägereien und Sittlichkeitsverbrechen oder kleinere Vergehen im Straßenraum. Die vielen Fälle, in denen die Sicherheitspolizei Kindern, hilflosen Personen, oder ausgesetzten Säuglingen zu helfen versuchte, wies zudem auf den Wert der Einheit hin, vielfach um zu beweisen, dass „Soldaten kein Ersatz für geschulte Polizeibeamte waren“.233 Zudem wurde kritisiert, dass man mit dem Ausbau der Polizei wieder eine „Militärherrschaft“ einführen wolle, die Verhängung des Belagerungszustandes nicht mehr ausreiche.234 Die Zunahme an paramilitärischen Verbänden führte in den Augen der Alliierten zur Schaffung eines Parallelheeres, weshalb schon im Juli 1919 auf einer Konferenz in Spa ein Verbot von paramilitärischen Organisationen erlassen wurde.235 Am 22. Juni 1920 sollte die Sicherheitspolizei innerhalb von drei Monaten aufgelöst werden, woraufhin viele Beamte in die Schutzpolizei übertraten.236 Problematisch schien die Rolle der Sicherheitspolizei 232 Hier und im Folgenden Deutsche Polizeibeamtenzeitung Nr. 13 vom 15. September 1919; vgl. Vossische Zeitung Nr. 313 vom 24. Juni 1920. 233 Liang, Die Berliner Polizei, S. 52. Die Berliner Stadtverordnetenversammlung diskutierte über die Zukunft der Berliner Polizei und meldete Bedenken gegen dessen militärischen Charakter an. Vgl. Vossische Zeitung Nr. 477 vom 19. September 1919. Artikel „Die Zukunft der Berliner Polizei. Erregte Aussprache in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung.“ 234 Vossische Zeitung Nr. 477 vom 19. September 1919. 235 Vgl. die Überlegungen bei Bergien, Bellizistische Republik, S. 349f. 236 Note von Boulogne vom 22. Juni 1920; vgl. Note vom 12. August 1920; vgl. Erlass über Auflösung vom 4. Oktober 1920 durch General Barthelmy der IMKK, zit. nach Dierske, Sicherheitskräfte, S. 45.
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während des Kapp-Putsches gewesen zu sein. Sie konnte hier als ebenso „unzuverlässig“ eingeschätzt werden, wie die Königliche Schutzmannschaft während des Novembers 1918.237 Die ambivalente Wahrnehmung dieser Gruppierung äußerte sich darin, dass „eine Sipo-Patrouille im Tiergarten von Passanten bejubelt und mit Zigaretten beschenkt und später im Arbeiterviertel Prenzlauer Berg mit offener Feindseligkeit empfangen“ werden konnte.238 Der Polizeidienst war fortan nicht mehr unabhängig „im Interesse der öffentlichen Sicherheit“. Ähnlich wie die militärischen Formationen sollte die Sicherheitspolizei im Falle größerer Unruhen verstärkt versuchen, prophylaktisch vorzugehen. Da die Reichswehr aus der 50 km umfassenden entmilitarisierten Zone Anfang Juli herausgezogen werden musste, war die Sicherheitspolizei „auf sich allein angewiesen.“239 In erster Linie sollte jede eingesetzte Abteilung „mit allen Mitteln“ versuchen „Aufruhr im Keime zu ersticken“ und den Schutz einzelner Stadtteile notfalls aufzugeben, um in zeitweiser Verteidigung Unruhen zu unterdrücken. Die Strategie bestand vielfach darin, die Kräfte an denjenigen Stellen zu bündeln, an denen die Gruppen „am meisten bedroht“ waren, notfalls mussten auch Hilfspolizeibeamte rekrutiert werden. Sie hatten also eine wichtige raumschützende Funktion inne. Dafür musste man sich mit der Ordnungspolizei arrangieren.240 Dabei lag es im Ermessen der einzelnen Abteilung, bis wann ein Stadtteil zu halten sei. Wenn die Situation der Bürgerschaft bereits durch „Repressalien des Feindes (Geiseln pp) unerträglich wird“, sollte die Abteilung den Befehl „zum Sichdurchschlagen“ erteilen.241 Bei offenem Aufruhr im gesamten Gruppenbereich wurden die Standorte der Gruppenführer zu „Gruppenwiderstandszentralen“ umfunktioniert. Die Einteilung 237 Liang, Die Berliner Polizei, S. 54. Zu den Märzereignissen vgl. Vossische Zeitung Nr. 152 vom 24. März 1920. Offiziell wurde die Formation am 4. Oktober 1920 aufgelöst; kritisch dazu Dierske, Sicherheitskräfte, S. 42. „Mag der eine oder der andere unsicher geworden sein oder sogar den Putsch begrüßt haben, die Masse auch der Berliner Sicherheitspolizei war gegen den Putsch.“ 238 Hier und im Folgenden StAB, LA, Nr. 1632, fol. 6, Minister des Innern, Abt. Sicherheitspolizei O. Nr. 2553 an Oberpräsident Westfalen, Berlin 26. Dezember 1919. Aufgrund der Note vom 24. August 1919 Nr. 1606 G. sei zu gewährleisten, dass die Aufstellung einer Sicherheitspolizei „mit aller Beschleunigung“ erfolge. Vgl. Liang, Die Berliner Polizei, S. 56. 239 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4634, fol. 7, Anweisung des Kommandos der Sicherheitspolizei Abtlg. Z. NR. 171/20 pers. betr. die Vorbereitungen zur Unterdrückung größerer Unruhen, Münster 30. Juni 1920. Aufgrund der hohen Brisanz sollten die Anweisungen nur mündlich an die weiteren Dienststellen erfolgen. 240 Ebd., fol. 7 RS, Anweisung des Kommandos der Sicherheitspolizei Abtlg. Z. NR. 171/20 pers. betr. die Vorbereitungen zur Unterdrückung größerer Unruhen, Münster 30. Juni 1920. Demnach hatte die Sicherheitspolizei den „Schutz des Staates und Gemeinwesens“ zu gewährleisten, sowie die Verhütung strafbarer Handlungen, die Erhaltung der öffentlichen Sicherheit bei Versammlungen, öffentlichen Aufzügen, sowie Großereignissen, oder bei Gelegenheiten, in denen das Zusammenströmen größerer Menschenmassen vorkommen konnte. Bei Gefahr im Verzuge griffen diese auch in den Kompetenzbereich der Ordnungspolizei ein, sowie während der Verhängung von Ausnahmezuständen. 241 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4634, fol. 7 RS, Anweisung des Kommandos der Sicherheitspolizei Abtlg. Z. NR. 171/20 pers. betr. die Vorbereitungen zur Unterdrückung größerer Unruhen, Münster 30. Juni 1920.
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des zu schützenden Gebietes folgte keiner starren Kartierung, sondern wurde je nach Situationskontext angepasst. Die Gruppierung war ständig in Bewegung, um ihre Flexibilität an den bedrohten Raum anzupassen. Daher mussten diese Widerstandszentralen dementsprechend logistisch vorbereitet werden, um mit Munitionund Verpflegungsreserven ausgestattet zu sein. Von diesen Punkten ausgehend, sollten dann die „aufgegebenen Städte“ oder Stadtteile sukzessive zurückerobert werden.242 Die Verortung der Widerstandszentralen folgte einem möglichen Szenario entlang der Richtungspunkte Düsseldorf mit seiner Widerstandszentrale in Duisburg, in Essen die Zentrale Wesel oder das Lager Dülmen für Dortmund und Münster. Für die Aufstellung der Sicherheitspolizei „Rheinland-Westfalen“ wurden Schwerpunkte in Wesel mit 1.313 Personen, Essen mit 1.131, Düsseldorf mit 920, Gelsenkirchen mit 821, sowie Mühlheim-Ruhr mit 803 Personen eingerichtet.243 Daher sei eine „Zersplitterung“ unbedingt zu vermeiden. Um eine vertrauliche Kommunikation zwischen Militär-, Zivilbehörden und Sicherheitspolizei zu gewährleisten, wurde ein Geheimverkehr mittels eines Sonderschlüssels namens „ziochi“ eingerichtet, sodass die Kommunikation aufrecht erhalten werden konnte.244 Der Schlüssel mit der jeweiligen Notcodierung galt für die Dauer eines Monats. Hierfür wurde ein sogenanntes Doppelwürfelverfahren eingerichtet. Demnach wurde in einem komplizierten Verfahren die erste Zahlenreihe des Tagesschlüssels waagerecht in quadriertes Papier eingetragen, während unter die Zahlen fortlaufend die zu übertragende Schrift in Einzelbuchstaben von links nach rechts eingetragen wurde. Dasselbe geschah mit der zweiten Zahlenreihe darunter, während die Prozedur in umgekehrter Reihenfolge der Entschlüsselung der Nachricht diente. Insgesamt war so die Kontrolle über die Kommunikationsräume gewährleistet. Die Einrichtung der Sicherheitspolizei bildete zwar nur den Übergang zur Errichtung einer größeren Schutzpolizei, doch sie hatte während der Revolution eine wichtige Rolle einnehmen können. Mit der Übernahme weitreichender Sicherungsfunktionen im öffentlichen Raum – auch mit alternativen Raumaufteilungen in sichere und bedrohte Gebiete – konnte diese zudem weite Teile ehemaliger Soldaten
242 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4634, fol. 7, Anweisung des Kommandos der Sicherheitspolizei Abtlg. Z. NR. 171/20 pers. betr. die Vorbereitungen zur Unterdrückung größerer Unruhen, Münster 30. Juni 1920, fol. 7 RS, Die zu treffenden Maßnahmen bestanden in der Unterbindung des Straßenbahnverkehrs für gegnerische Truppentransporte, der Anlage größerer Kraftwagenparks an „Gruppenwiderstandszentralen“, sowie die Ausnutzung der technischen Nothilfe für eigene Transporte. 243 StAB, LA, Nr. 1632, fol. 7, Minister des Innern Abtlg. Sicherheitspolizei O. Tagebuch Nr. 2417 an Stadtverwaltungen im gesamten Ruhrgebiet, sowie Regierungspräsidenten, Berlin 20. Dezember 1919. 244 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4634, fol. 45, Schreiben Minister des Innern an Kommando der Sicherheitspolizei Rheinland-Westfalen, Berlin 17. Dezember 1919; ebd., fol. 10, Kommando der Sicherheitspolizei Abtlg. Z. Nr. 203/20 pers., Verteilung des „Ziochi-Schlüssels“ nebst Notschlüssel für August 1920 an Truppen und Fliegerstaffel, Münster 16. August 1920.
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integrieren. Der Schutz des öffentlichen Raumes war somit ausschlaggebendes Argument zur Errichtung einer weiteren, besser legitimierten Sicherheitsorganisation auf Seiten des Staates.
Abbildung 8: Karte Sicherheitspolizei für die zu entmilitarisierende Zone
Trotz einer für städtische Unruhen weiteren wichtigen Sicherheitsformation mit gut ausgerüsteten Truppen und besserer Organisation, entwickelten sich gerade mit der „alten“ Polizei und den bestehenden Reichswehrgruppen Konflikte, welche der Gruppierungen denn nun in erster Linie für den Schutz verantwortlich waren, in welchem Fall die Ortspolizei für die Lösung von Konflikten zuständig war, oder wie die Kompetenzen im Falle der Verhängung des Belagerungszustandes verteilt waren. Komplexität und Chaos der revolutionären Unruhen spiegelten sich somit auch in der Konkurrenz verschiedener sozialer Formationen um die Ordnung des öffentlichen Raumes wider.245 Ordnungs- und Sicherheitsformationen folgten demnach nicht ausschließlich der politischen Zugehörigkeit, sondern folgten der Logik wer in welchem Kontext den öffentlichen Raum mit welchen Mitteln zu schützen beanspruchte. 245 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 43, Schreiben von Bergers, Tgb.-Nr. 3894/19 an Reichswehrminister, Berlin 13. November 1919. Für Gebiete, die nicht unter dem Belagerungszustand standen, waren die Befugnisse der Polizei durch die Reichsverfassung und Strafprozessordnung geregelt.
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3.5 „UNS GEHÖRT DIE STRASSE“ – ROTE KAMPFGRUPPEN IN MAKROUND MIKRORÄUMEN Die Bedeutung von Räumen und damit einhergehende Ordnungsvorstellungen spielten für linke Gruppierungen eine ebenso wichtige Rolle wie für das Militär, die meist bürgerlich geprägten Einwohnerwehren oder die konservativen Wehrformationen. Während des Ruhraufstandes im Ruhrgebiet im Zuge des Kapp-Putsches hatte sich eine bewaffnete Formation aus teilweise fronterfahrenen Arbeitern gegen die paramilitärischen Gruppierungen der Freikorps und der Reichswehr entgegenzustellen versucht. Mit mehr als 50.000 Bewaffneten stellten sie eine bedeutende Gruppierung und einen Machtfaktor im öffentlichen Raum dar.246 Bereits im Mai 1919 hatte die kommunistische Parteileitung in einer Denkschrift den Aufbau einer Roten Armee im Ruhrgebiet angeregt.247 Hierfür sollten in allen Orten örtliche Befehlshaber installiert werden, die als „Ortskommandanten“ oder „Polizeipräsidenten“ als „verschwiegene, zuverlässige Männer mit kriegerischer Erfahrung und Fähigkeit“ ausgewählt werden sollten. Um mit den anderen Standorten in Verbindung zu bleiben wurde ein weiterer „beweglicher“ Führer ausgewählt, welcher, zusammen mit als Sportclubs zu tarnenden Radfahrertrupps, mit den anderen Gruppierungen in Kontakt stand. Weitere Fachleute aus den wichtigsten Dienstzweigen des Kraftfahrwesens, der Waffenbeschaffung oder des Kundschafterdienstes sollten die organisatorische Grundlage der Armee bilden. Die Bildung roter Truppenteile war mit zunächst etwa 50 Personen pro Ortsbereich oder Stadtbezirk vorgesehen, um sie dann zu Kompanien oder Batterien zusammenzufassen. Ähnlich wie bei der Sicherheitspolizei wurde auch hier unterschieden zwischen „ortsgebunden“ und „frei beweglich“. Geplant war in einem dritten Schritt beide Teile zu einer Armee zusammenzuführen. Besonders Barmen, Remscheid, Essen, Buer und Dortmund sollten hierfür als lokale Schwerpunkte dienen. Ähnlich wie die dem Militär nahestehende Sicherheitspolizei sollte für die Rote Armee eine rote Polizei zur Geiselbefreiung oder der Verlagsbesetzungen dienen. Aus den Beobachtungen der Reichswehrtruppen zur Kampfesweise der Roten Armee geht nun hervor, dass man einer Roten Armee offenbar den bedingungslosen Waffeneinsatz im Überraschungsangriff zuschrieb.248 Dabei hatten sie die „offene Feldschlacht“ 246 Nach wie vor einschlägig sind Eliasberg, Der Ruhrkrieg, S. 103–133; Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, S. 225; Hennicke, Die Rote Ruhrarmee; Spethmann, Die Rote Armee an Rhein und Ruhr, S. 60–99; Lucas, Märzrevolution I-III; zum Verhältnis von Organisation und Spontaneität vgl. Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 93f. 247 Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 112257, fol. 48, Iw Gr Kdo 1, No Ic 4512/a1 v 28.4.19 Abschrift „Aufruf und Organisationseinleitung zur Bildung einer Roten Garde. Der Originalentwurf wurde bei der Verhaftung der sogenannten Neunerkommission in Essen gefunden. Vgl. Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen, Errettung des Ruhrgebiets, S. 61. 248 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21661, fol. 25, Bericht des Wachtmeisters der 6. Hundertschaft der Sicherheitspolizei in Neukölln Johann Kunkel, Berlin 21. Juni 1920. Das Beobachten zählte zu den wichtigen Aufgaben der in Zivil operierenden Polizeibeamten. Kunkel hatte auf dem Tempelhofer Feld in der Nähe der Filmfabrik eine 200–250 Mann meist aus 25–30 jährigen bestehende Gruppierung beobachtet, welche in Zivil das Gruppenexerzieren, Zugexerzieren
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nach Möglichkeit vermeiden wollen.249 In diesem Vorgehen kann ein Strategiewechsel im Umgang mit dem öffentlichen Raum im Gegensatz zu früheren Grundsätzen und Taktiken ausgemacht werden.250 Hatte man zu Beginn der Revolution noch den Kampf mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln in den Städten propagiert, welcher im Wesentlichen das „größte Mittel“ des Massenstreiks und der Massendemonstration zu einem „siegreichen Ende“ führen sollte, sei eine Beteiligung an Wahlen nicht auszuschließen, wenngleich dieses Mittel lediglich als Zwischenschritt zur Vollendung der Revolution diene, so der Originalentwurf zur Bildung einer Roten Garde. Die öffentliche Bühne des Straßenraums wurde daher als bevorzugter Ort der politischen Willensartikulation und –bildung angesehen. Die militärischen Strukturen sollten nicht dem Willen eines Offiziers folgen, sondern in der „peinlichst ausgearbeiteten Organisation“ einer Armee liegen.251 Den Gegner in den „Bewegungskrieg zu zwingen, sich dort zu schlagen, wo es für ihn ungünstig ist, ihn zu umzingeln, zu durchbrechen, zu teilen, einzukreisen, an jeder wichtigen Frontstelle immer stärker zu sein als der Gegner“ bedürfe eines „jahrelangen militärtechnischen Fachstudiums“252, da man sich Gegnern gegenübersah, die „in der ganzen Welt berühmt“ geworden seien. Bei der Schaffung einer Roten Armee müsse deshalb jede Person seinen Führer kennen, die Führer wiederum ihre jeweiligen Vorgesetzten entlang der hierarchischen Struktur in Form von Division, Brigade, Regiment, Batterie, Kompanie und Gruppe, bis hinunter zu den einzelnen Befehlsempfängern, Meldereitern, Radfahrern, Telefonisten und Telegrafisten. Nur so würde „die tote Masse zu einem lebendigen Werkzeug in der Hand ihres Führers.“ Die Lenkung der Massen hatte sich gerade zu Beginn der Revolution als schwierig erwiesen, insofern kann auch diese neue Philosophie als ein Lernprozess interpretiert werden.253
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und Schwärmen eingeübt hatten. So konnten hilfreiche Informationen über das Verhalten gegnerischer Truppen im Raum gewonnen werden. Ähnliche Beobachtungen schilderten auch die Wachtmeister Franz Thieme, Heinrich Horstmeyer und Heinrich Köneke. StAE, Rep. 102 I, Nr. 1091, fol. 102, Schreiben VII. Armeekorps Generalkommando Abt. Ic. Nr. 1586, Münster 11. März 1919. Spartakus habe gelernt, „er wird jetzt und in der Folgezeit versuchen, nur mit Überraschung sein Ziel zu erreichen.“ LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 48, Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik. Ebd. Hier und im Folgenden LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15980, fol. 122ff., Schreiben Polizeipräsident Essen J. No. I 21 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Essen 11. April 1920. So konnte vermieden werden, dass der Einzelne einen „Einblick in die Organisation“ bekommen konnte. Mit dieser Form der Kommunikation ist auch die problematische Quellenlage zu erklären, denn als „geheime kommunistische Büros aufgedeckt und ausführliches Material über die politische Organisation der Partei beschlagnahmt wurden, fanden sich keinerlei Aufzeichnungen über die Rote Armee vor.“ LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21661, fol. 60, Polizeipräsident Kommando der Sicherheitspolizei Nr. 1328/20 Z 1a geheim an Polizeipräsidenten Berlin betr. Übungen der Kampforganisationen der K.A.P.D., Berlin 22. Juni 1920. Die Übungen mit militärischem Charakter wurden vermehrt als geschlossene Kompanien auf großen Plätzen wie dem Tempelhofer Feld abgehalten. Hierbei wurden die Übungen „Schützenbewegungen, Anschleichen, Patrouillendienst und Werfen von Uebungshandgranaten [sic]“ abgehalten, welche der gängigen militärischen Praxis
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Die Kommunikation sollte der Geheimhaltung wegen ausschließlich mündlich erfolgen. Das Kenntlichmachen der Führer mittels Abzeichen war nicht nötig, da dieses einerseits einen besseren Schutz gewährleistete, andererseits die Personen ohnehin bekannt waren. Das Fehlen eines Befehlsführers hatte man beispielsweise gerade während der Februarkämpfe in der Stadt Bottrop als „Schulbeispiel“ ausgemacht, als hier ein Kampf zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Arbeitern stattgefunden hat. Gegenüber der militärischen Leitung, die von Münster aus die Strategie vorgab, fehlte den Arbeitern eine einheitliche Führung in Bottrop. Als „Operationsbasis“ der Regierungstruppen wurde die Lippe-Linie bestimmt. Entlang der Eisenbahnlinie von Wesel über Hervest-Dorsten nach Haltern legten die Regierungstruppen ihre Verpflegungspunkte an. Da entlang dieses Abschnitts nur fünf Brücken über den Fluss führten, ist die Wahl dieser Linie als eine überaus geschickte Verteidigungsstrategie anzusehen, wobei die Eisenbahn „Kräfteverschiebungen“ gestattete. Der Einsatz gezielt eingesetzter, kleinerer Trupps über geographisch markante Punkte, oder der Einsatz von Artillerie über größere Entfernungen bedurften jedoch einer militärstrategischen Führung. Diese „strategischen Grundbegriffe“ zur Bewegung im Raum hatten sich die Arbeiter „aneignen“ sollen, weshalb die „örtliche Gebundenheit“ in der Organisationsform die „wichtigste Besonderheit“ einnehmen sollte, während ein Bewegungskrieg zu vermeiden sei. In den kommunistischen Leitsätzen heißt es daher „durch Organisation, nicht durch Waffensammlung, bereitet man eine Revolution vor.“254 Dieses stellte auch den wesentlichen Unterschied zu den Heerestruppen dar, die ohne Bindung zu ihrem Standort aufgestellt wurden. Insofern ist auch der letzte Schritt zur Bildung einer Armee mit dem zwischenörtlichen Zusammenschluss zur Vernetzung nachvollziehbar.255 Im gesamten Reich versuchte die KPD offenbar bis zu ihrer Spaltung verschiedene paramilitärische Gruppierungen zu etablieren, bis schließlich im Jahr 1921 keine Formationen mehr existierten.256 Die netzwerkartige im Kriegsfelde ähnelten. Kritisiert wurde hieran, dass derartige Übungen dem Friedensvertrag widersprachen und „unter den Augen der Behörden hier die Vorbereitungen für einen Bürgerkrieg betrieben“ wurden. 254 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 48 RS, Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik. „Durch Organisation, nicht durch Waffensammlung, bereitet man eine Revolution vor.“ 255 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21661, fol. 26, Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung, I 8695 an Polizeipräsidenten Berlin, Berlin 3. Juni 1920. Durch „militärisch organisierte Uebungsmärsche [sic] mit Musik, roten Fahnen, Radfahrern und Sanitätspersonal“ wie im Falle einer ca. 4.100 Mann umfassenden Einheit in Spandau wurde die Funktionsfähigkeit der Truppen zudem gewährleistet; über ähnliche Übung und das Bevorstehen eines geplanten Umsturzes berichtete die Deutsche Tageszeitung. Zu den Übungen zählten auch das Werfen von Handgranaten und das Vorgehen „in Schützenlinie“. Vgl. Deutsche Tageszeitung Nr. 267 vom 16. Juni 1920. Die KAPD-Führung hatte bis Ende des Jahres 1920 versucht eine paramilitärische Organisation in Berlin zu etablieren. Vgl. Wirsching, Vom Weltkrieg, S. 243. 256 Wirsching, Vom Weltkrieg, S. 244; zu Kampforganisationen (K.O.) der KPD und KAPD siehe LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21667, fol. 31–42, Geheimer Bericht der Abt. I A über den Stand der Ermittlungen zu Kampforganisationen der K.P.D. und K.A.P.D., Berlin 23. Juni 1921.
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Struktur der militärischen Gruppierungen spiegelte sich auch in der Gesamtstruktur der Partei wider. Im Oktober 1919 ließ sich nun erstmals dieser Kurswechsel der kommunistischen Strategien in konkreter Praxis beobachten. In einem Rundschreiben der KPDReichszentrale war bereits Anfang September darauf aufmerksam gemacht worden, dass „der Aufbau der Organisation im Reiche […] nunmehr soweit gediehen [sei], dass an die geistige Belebung der einzelnen Gruppen“ habe gegangen werden müssen.257 Tendenzen eines Strategiewechsels des anzueignenden öffentlichen Raumes wurden so beschrieben, dass die „revolutionäre Aktion von der Strasse in die Fabrikbetriebe“ geleitet werden müsse. Von den Betrieben aus ließe sich gut feststellen, wie die Art und Stärke der vorhandenen militärischen Verbände in den Bezirken aussehen würden.258 Ähnliches ließe sich auch über die Einwohnerwehren herausfinden, die durch ihre Zentrale regelmäßig Situationsberichte über die einzelnen Bezirkswehren veröffentlichten. In den Anweisungen war ebenso vorgesehen, dass man die Inkorporierung neuer sozialer Formationen wie beispielsweise der zurückkehrenden Kriegsgefangen ansteuern müsse, denn diese bildeten ein „starkes revolutionäres Element“.259 Den Nachrichtendiensten wurde in vielen Belangen eine immer wichtigere Stellung zugeschrieben, denn neue Informationen über Reichs-, Polizei- und Einwohnerwehren dienten der Anpassung der eigenen Strategien.260 Der Aufbau der Organisation wurde besonders in denjenigen Orten als problematisch eingeschätzt, in denen „Kleinstadtverhältnisse“ herrschten, wo „gegenseitige Bekanntschaften“, eine „leichte Kontrollierbarkeit“ gewährleisteten.261 Bereits im Sommer 1919 war der Einsatz einer bewaffneten Arbeiterarmee als zunehmend realistisch eingeschätzt worden. Die „Angriffe“ in der radikalen Presse sollten aufhören mit dem Ziel, die Regierung und den Kreis der Bürgerlichen „in
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Auch die K.O. folgte der Strategie des engen Bezugs zum lokalen Umfeld, der Einteilung GroßBerlins in 22 Großbezirke mit jeweiligen Leitern. Den Bezirken waren wiederum kleinere Bezirke untergeordnet, in denen einzelne Ortsgruppen operieren sollten. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21661, fol. 84, Rundschreiben der KPD-Reichszentrale, o.O. 6. September 1919. Ebd., fol. 87, Rundschreiben Nr. 2 der KPD-Reichszentrale, o. O. 17. September 1919. Ebd., fol. 87. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21661, fol. 92, Rundschreiben o. V. [offensichtlich der Reichszentrale] o. D. Oktober 1919. Hierfür sollten Informationen eingeholt werden, welche Verbände am Ort bestanden, wie stark diese waren und wer diese führte, welcher „Geist“ unter den Truppen herrsche, wie und wo diese ausgerüstet waren, wo Munition, Waffen und Bekleidung deponiert wurden und ob Vertrauensmänner in den Verbänden untergebracht waren. Bei den Einwohnerwehren sollten zudem noch mehr Details über lokale Gegebenheiten wie dem Vorhandensein von Alarmplätzen oder Übungsplätzen eingeholt werden. Hier war die Unterbringung zuverlässiger Genossen mittels Decknamen und -adressen als besonders wichtig angesehen. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21661, fol. 94, Rundschreiben der KPD-Reichszentrale, o. O. vom 12. November 1919.
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Vertrauenssehlichkeiten [sic] einzulullen.“262 Da die Massenorganisation der kommunistischen Partei und der Unabhängigen als zunächst einmal reine Demonstrationsorganisation gedacht war, sollten Kampf- und Stoßtruppen separat bestimmt werden.263 Die zu Beginn der Revolution oftmals als Gefahr wahrgenommene Masse im öffentlichen Raum wurde hier als entscheidendes Problem ausgemacht. Große Massenaktionen versprachen nicht mehr den gewünschten Erfolg. Vielmehr änderte sich aufgrund gezielter Angriffe, welche oftmals zu einer bestimmten Nachtzeit stattfanden, die Wohnqualität in den Privaträumen, insbesondere weil parallel „besonders unbeliebte Militär und Civilpersonen in ihren Wohnungen ausgehoben und erledigt“ werden sollten. Diese Verschmelzung von öffentlichem und privatem Raum lässt sich in den zunehmend feiner ausdifferenzierten Mitteln beobachten. Die nun offiziell von den Kommunisten verfolgte Strategie äußerte sich in gezielteren, planvoll vorbereiteten Aktionen in kleineren Raumeinheiten. Im Zuge der Umsturzpläne wie im Falle der Ruhrgebietsstadt Gladbeck vom 11. Oktober 1919 sollten die Örtlichkeiten einer eingehenden Beobachtung unterzogen werden. Sofort nach Beginn der Auseinandersetzungen sollten Räte von je zehn oder hundert Personen die zum Teil bewaffneten Massen auf die Straßen treiben und mittels lärmenden Auftretens Verwirrung stiften. Neben der Straße als Aktionsraum sollte besondere Acht auf die Kasernen mit den dort stationierten Truppen gelegt werden. Um ihre Teilnahme an den Kampfhandlungen zu unterbinden, wurden „besondere“ Demonstrationen geplant, in denen oftmals Frauen, Kinder und Schwerkriegsbeschädigte „vorgeschoben“ wurden, damit die Truppen beim Verlassen der Kaserne überhaupt erst mal behindert wurden und nicht zum Geschehen hervordringen konnten.264 Ähnlich wie bei den nächtlichen Aktionen auf den Straßen sollte auch dieses Überraschungsmoment hier angewendet werden, indem am frühen Morgen die Soldaten während des Schlafes „ausgehoben“ werden sollten. Dabei sollte jeder Offizier, „der seine Wohnung in der offenbaren Absicht verlässt, zur Truppe zu eilen“, ohne Anruf niedergeschossen werden.265 Waren starke monarchistische Neigungen bekannt, sollten diese „unverzüglich beseitigt“ werden. Umfassende Pläne lagen für die verschiedenen Kasernen vor, wenn Unteroffiziere nur mit Hemd und Unterhose, sowie mit zwei Decken ausgestattet in einem Raum unterzubringen waren und darüber hinaus unter scharfe Bewachung gestellt werden sollten. Daneben durften die Mannschaften ihre Stuben nicht verlassen, es sei denn es trafen entsprechende Befehle des Oberkommandos ein. Waffen sollten in einem
262 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15980, fol. 122, Schreiben Polizeipräsident Essen J. No. I 21 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, Essen 11. April 1920. Berichtet wurde von erfolglosen Teilputschen, die nun zu einem „grossen Schlag aufgespart werden“ sollten. 263 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 332, ohne fol., Streng vertraulicher Bericht aus Gladbeck betr. Umsturzpläne, Münster den 11. Oktober 1919. 264 Ebd., ohne fol., Streng vertraulicher Bericht aus Gladbeck betr. Umsturzpläne, Münster den 11. Oktober 1919. Diese Strategie war bereits in Hamburg geprobt worden und reichte somit über den reinen Planungsstatus hinaus. 265 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 332, ohne fol., Streng vertraulicher Bericht aus Gladbeck betr. Umsturzpläne, Münster den 11. Oktober 1919.
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gesonderten Raum untergebracht werden, während das Verlassen der Kaserne absolut nicht gestattet war. Betreten werden durften die Kasernen wiederum nur durch diejenigen, die sich ausweisen konnten und selbst dann nur in Begleitung eines Wachmanns. Wieder zeitlich und in parallelem Ablauf waren öffentliche Gebäude und Straßenkreuzungen zu besetzen. Aus den militärischen Depots sollten die großen Geschützstellungen eingenommen werden. Sobald sich jemand widersetzte, sollte von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Bewegte man sich bewaffnet im öffentlichen Raum, riskierte man sein Leben, denn wer offenbar nicht zur roten Armee gehörte und eben jenes Verhalten zeigte wurde sofort erschossen. Der gesamte Eisenbahn-, Post- und Telegrafenverkehr sollte zu Beginn des Umsturzes stillgelegt werden. Der streng militärische Charakter dieses Unterfangens äußerte sich auch im Sprachgebrauch, wenn rote Truppenteile über die Felder in die umliegenden Dörfer „ausströmten“, um dort liegende Truppen der Reichswehr „auszuheben“. Die Operationspläne wurden hierfür den räumlichen Gegebenheiten jeder Ortschaft angepasst. Neben einer gesetzten Ein- und Ausgangssperre des Ortes sollten sich die Truppenteile kurz vor der Dunkelheit unauffällig an einem ihnen zugeschriebenen Abschnitt versammeln. Wer sich bewaffnet in diesem Gebiet bewegte, wurde ohne Standgericht sofort erschossen. Das im Rundschreiben als „eiserne Disziplin“ bezeichnete stand also dem Verhalten militärischer Truppen der Reichswehr in nichts nach.266 Bereits im Spätsommer des Jahres wurde deutlich, wie sehr man sich in den Reihen der Kommunisten vor einer Militärdiktatur im eigenen Land fürchtete. In einem Rundschreiben an die Ortsgruppen der Kommunistischen Partei wurde daher ganz besonders auf die Umstände aufmerksam gemacht, mit welchem „Schrecken alles bisher Dagewesene“ man hier konfrontiert wurde.267 Neben der ideologischen Färbung wird jedoch einiges über die Wahrnehmung des politischen Feindes deutlich. Während man den Aktionsraum der öffentlichen Straße als akut gefährdet einschätzte, wenn dieser durch eine militärische Präsenz eigentlich nicht mehr für soziale Protestaktionen oder allenfalls nur eingeschränkt benutzbar wurde, fürchtete man ein „rohes Blutvergießen“ gegenüber dem Proletariat. Rohes und gewalttätiges Handeln wurde so dem gegnerischen Lager zugeschrieben, wenngleich diese Wahrnehmung in Teilen sicherlich der eigenen Konstruktion entsprang. Daher sollte auf Provokationen nur dann eingegangen werden, wenn „sie in der Linie der Weiterführung der Revolution“ lägen und somit der Konterrevolution zuvorkämen. Die Situationsoffenheit in den verschiedenen Bezirken und Städten erforderte so ein differenziertes Arsenal an Strategien, welche an die jeweiligen lokalen Bedingungen angepasst werden mussten.
266 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 332, ohne fol., Streng vertraulicher Bericht betr. Organisation eines neuen gewaltsamen Umsturzes und die Aushebung der Reichswehr wie sie eventuell vorzunehmen ist, Münster den 11. Oktober 1919. Die beschriebene Organisation bezog sich bereits auf den September 1919. 267 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 332, ohne fol., Rundschreiben an die Ortsgruppen der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakus Bund), Berlin 13. Juni 1919.
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3. Bedrohte Räume – Ordnungs- und Sicherheitsdenken in der Stadt „Die Entwicklung kann zur Besetzung einzelner Städte usw. führen, zur Blockade und ähnlichen Maßnahmen. Werden einzelne unserer Bezirke besetzt, so halten wir es zunächst für notwendig, daß die Genossen sich mit den Städten in Verbindung setzen, die bis jetzt besetzt waren und infolgedessen von unserer Bewegung im Wesentlichen abgeschnitten waren. Die Städte, die jetzt besetzt werden, haben an dem politischen Leben der Revolution teilgenommen und sind verpflichtet, die Lehre aus dieser Teilnahme den Städten, die bis jetzt abgeschnitten waren, weiterzugeben.“268
Hierfür wurde der Versuch unternommen, Organisationen aufzubauen und aus den Erfahrungen mit den besetzten Städten Erkenntnisse zu gewinnen, die dann zusammen mit anderen Genossen in den Ententeländern größere Strategien nach sich ziehen sollten und so eine transnationale Perspektive einnahmen. Jene Strategie der Vernetzung macht deutlich, dass gerade die netzartige Binnenkommunikation, der Austausch mit Genossen aus den bereits okkupierten Städten ein Novum darstellte. Daher sei dem Rundschreiben zufolge eine „engere Verbindung mit den Genossen in den okkupierenden Städten dringend notwendig“. Agitation konnte somit nicht nur über die Verteilung von Flugblättern geschehen, sondern auch, indem ein Netz von Kontakten und Treffen bei Versammlungen gesponnen wurde und somit Teil dieser umfassenderen Verräumlichungsstrategie war. Am 14. März 1920 wurde die erste organisierte rote Kampfgruppierung in Ickern und Mengede nähe des Dortmund-Ems Kanals und nördlich von CastropRauxel als Reaktion auf den Kapp-Putsch in Berlin aufgestellt.269 Hierfür hatten bewaffnete Arbeiter die Kontrolle über den Ruhrgebietsraum zu erlangen versucht, indem sie teilweise komplette Einwohnerwehren entwaffneten.270 Die Kämpfe gerade in Wetter und Herdecke besaßen eine katalysatorische Wirkung auf die nun zunehmend entstehenden größeren Gruppierungen und bildeten den Beginn der Auseinandersetzungen rund um den Kapp-Putsch und der Märzunruhen. In der Art wie man der Reichswehr im heimischen Raum entgegentrat und mit daran anknüpfenden Erfolgen, erreichte die Truppe sukzessive einen höheren Organisationsgrad.271 Nicht zuletzt durch Adaption neuer Kampfstrategien – welche auch die bereits thematisierte Sicherheitspolizei für sich in Anspruch genommen hatte und sich beide Gruppierungen somit gegenseitig ihrer jeweiligen Strategien bedienten – nah-
268 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 332, ohne fol., Rundschreiben an die Ortsgruppen der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakus Bund), Berlin 13. Juni 1919. 269 Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 112; vgl. Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen, Band 9, Errettung des Ruhrgebiets, S. 93. Für einen komprimierten Überblick der Lage im Ruhrgebiet während des Kapp-Putsches siehe LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15980, Staatstelegramm des Regierungspräsidenten Düsseldorf, Mob. 8216, an Auswärtiges Amt Berlin, Oberpräsident Coblenz, Staatskommissar Coblenz, Düsseldorf 7. April 1920. 270 Vgl. Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 112. Die Einsetzung von bewaffneten Arbeitertruppen fand parallel an mehreren Orten statt. 271 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15980, ohne fol., Schreiben Landrat Düsseldorf, I. 3136, an Regierungspräsidenten, Düsseldorf 14. April 1920. Nach den ersten Kämpfen des 14. März hatten bei Heiligenhaus-Velbert in der Nähe Düsseldorfs „sofort vollständige Arbeiterbataillone“ zur Verfügung gestanden, weshalb auf eine längere Vorbereitungszeit zur Organisation zu schließen ist.
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men die losen Arbeiterformationen zunehmend den Charakter einer paramilitärischen Organisation an. Das im Westen des Industriegebietes liegende Hagen fungierte als erster größerer Sammelpunkt für die Rote Armee, die auf ihrem organisatorischen Höhepunkt nahezu 60.000 Mann umfasste.272 Die Zuschreibungen der sozialen Formation konnten recht unterschiedlich ausfallen. Der kommunistischen Presse, welche die Rote Armee als eine „schlagkräftige“ und „wohlorganisierte Truppe“ bezeichnete, standen die deutlich negativen Zuschreibungen der Reichswehr gegenüber, welche die Rote Armee als „plündernde Banden“ und „rote Horden“ bezeichneten. Beide Seiten nahmen für sich in Anspruch, dass sie als Ordnungsmacht im öffentlichen Raum legitimiert waren. Die Zuschreibungen dienten daher der Aufwertung oder Diffamierung.273 Über den Organisationsgrad der Roten Armee können jedoch differenziertere Aussagen getroffen werden.274 In einem Bericht des Regierungspräsidenten Aachens wurde hoch offiziell von Seiten des Staates auf die gute Organisation aufmerksam gemacht: „Das prompte Ineinandergreifen der ganzen Organisation, die sofortige Anwesenheit der erforderlichen Führer, die schnelle Formierung der Kompanien aus den einzelnen Gemeinden, die Regelung des Transportes […] und die gute Ausrüstung des Sanitätspersonals usw. lassen ausreichend erkennen, daß es sich um eine gut organisierte, nach einem bestimmten Plane aufgebotene Kampftruppe handelt.“275
Trotzdem muss konstatiert werden, dass die Formationen beispielsweise in München einen höheren Organisationsgrad aufwiesen, als im Ruhrgebiet,276 denn diese konnten auf eine revolutionäre Regierung bauen, die es erleichterte beispielsweise aus den bestehenden Regimentern der dortigen Garnison mittels der Verstärkung 272 Vgl. Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 321, S. 291 Anm. 1. Eliasberg weist vollkommen zu Recht auf die Schwierigkeit hin, konkrete Angaben über die Stärke der Einheiten zu machen. Die Studie von Colm geht hier ebenfalls vorsichtig mit den numerischen Einschätzungen vor. Anders wird die Größe in den Darstellungen der Reichswehr eingeschätzt, in denen die Truppenstärke mit 80.000 Mann benannt wird. Vgl. Darstellungen aus den Nachkriegskämpfen, S. 117. Kritisch dazu Craig, Die preußisch-deutsche Armee, S. 414. Craig interpretiert diese als eine Erfindung der Reichswehr, um zum einen die Überlegenheit der losen Formationen zu betonen und zum anderen den Einmarsch in die demilitarisierte Zone des Rheinlandes zu rechtfertigen. 273 Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 57 274 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15980, ohne fol., Erklärungen über die Gefechtsstellungen der roten Armee während der Märzunruhen 1920. Für das Ruhrgebiet waren allein 110 Kompanien bekannt geworden, welche in einen Westabschnitt (Linie Wesel-Schermbeck) und einen Ostabschnitt (Linie Schermbeck-Ahsen) mit mehreren Unterabschnitten eingeteilt wurden, während weitere Orte als Etappen markiert wurden. 275 Zit. nach Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 56; vgl. Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 322. 276 BA B, SAPMO, SgY 10, Nr. V236–7–29, fol. 15, Flugblatt Rote Armee mit Aufnahmebedingungen. Aufgenommen werden konnten nur Angehörige „aller arbeitenden Klassen“, welche „auf dem Boden der Räterepublik“ stünden und zwischen 23 und 45 Jahre alt waren. Die Ausbildung sollte auch hier möglichst mit der Waffe oder militärischen Hilfsmitteln vollzogen werden. Angeworben wurden Ortsansässige für München oder in den übrigen Garnisonen bei den dort stehenden Truppenteilen.
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durch Arbeitereinheiten eine „schlagkräftige Truppe“ zusammenzustellen.277 Die Situation im Ruhrgebiet gestaltete sich als schwerer, denn dort gab es keine bestehende Regierung oder eine politische Instanz, die für die Arbeiterschaft eintrat. Der im Ruhrrevier ausgemachte räumliche Dezentralismus des Regierungsapparates ist ein Grund, weshalb die Bewegung so zersplittert und letztlich auch erfolglos blieb, während sich gleichzeitig der Protest gegen alles Uniformierte richtete.278 Letztlich ist die Frage ob es vor dem Kapp-Putsch schon eine gut durchorganisierte militärische Organisation der Arbeiter gegeben hat nicht relevant zur Beantwortung der Frage nach einem „Beweis für die Existenz einer kommunistischen Militärorganisation“. Vielmehr werden Interpretationsspielräume in den gegenseitigen Zuschreibungsprozessen sichtbar. Gerade dafür können mithilfe der Quellen der Reichswehr – sollten diese nicht erfunden oder überspitzt formuliert gewesen sein – Aussagen getroffen werden, welches jeweilige Bild die Formationen voneinander hatten, während gleichzeitig viel über sie selbst ausgesagt wurde. Darüber hinaus ist es als wahrscheinlich anzusehen, dass kleinere Splittergruppen aus oppositionell-kommunistischen, anarchistischen oder syndikalistischen Kreisen im Ruhrgebiet bestanden.279 Die Auseinandersetzungen zwischen der Reichswehr und der Roten Armee hatten hier ein Ausmaß angenommen, wie man es nach dem Ende des Weltkrieges zunächst nicht mehr für möglich gehalten hatte. Das Ausheben von Schützengräben, Patrouillengänge, aber auch der Einsatz größerer Kriegswaffen wie dem Artilleriefeuer entsprachen einem Raumverständnis, welches man im Ersten Weltkrieg auf grauenvolle Art vermittelt bekommen hatte. Ein Raum, mit dem der Tod in Verbindung gebracht wurde, von dem letztlich Gefahr ausging und der Kampfhandlungen direkt vor die Haustüren der Stadtbewohner trug. Während der Kämpfe in Wesel Ende März glaubte man sich in die Zeiten des Stellungskrieges an den Fronten versetzt: „Heftiges Maschinengewehrgeknatter dringt schon von weitem über das Gelände, nur ab und zu unterbrochen von den dumpfen Einschlägen schwerer Minen und dem scharfen, reißenden Krach explodierender Granaten.“280 Welchen Stellenwert die lokale Bindung zum Heimatort der kleineren Einheiten der Roten Armee für den Prozess der Identitätsbildung einnehmen konnte, wird ähnlich wie bei den Wehren an der unterschiedlichen Namensgebung der jeweiligen Gruppierungen deutlich. Sogenannte Spezialeinheiten der Kompanien, gemeint war damit eine lose Bezeichnung für einen Zusammenschluss von 20-350 Personen, benannten sich nach der jeweiligen räumlichen Herkunft wie beispielsweise „Essen
277 Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 323. 278 In der Forschung wird die Diskussion geführt, ob es vor dem Kapp-Putsch eine schon bestehende militärische Organisation im Ruhrgebiet gegeben habe. Vgl. Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 324. Das zeitgenössische Material der Reichswehr nutzt ohne sich auf Quellenangaben zu beziehen Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II. Vgl. etwa Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 56. 279 Für Berichte der Zechendirektionen vgl. Kilian, Die Enthüllungen zu den Märzkämpfen. 280 Zit. nach Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 139.
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I“ oder „Gelsenkirchen Nord“.281 Die Benennung nach einzelnen Revolutionsführern trat demnach gegenüber den Ortsbezeichnungen deutlich in den Hintergrund. „Der lokale Zusammenhalt wird in fast allen Berichten betont: ‚die Duisburger‘, die ‚Remscheider‘ oder etwa ‚die Segerother‘, von denen ausdrücklich vermerkt wird, daß sie sich als ‚besondere Draufgänger‘ ausgezeichnet hätten.“282 Auch die radikaleren Gruppierungen hatten offenbar ihre Erfahrungen von Beginn der Revolution in spätere Praktiken einfließen lassen. Die problematische Steuerbarkeit der Massen während großer Demonstrationen und die Beobachtung und Adaption militärstrategischer Handlungsweisen während der Auseinandersetzungen mit Heerestruppen führte zu einem Strategiewechsel der kommunistischen Zentrale im Umgang und in der Erschließung des öffentlichen Raumes. Anders als die relative Ortslosigkeit der Reichswehrtruppen war die Bindung kommunistischer Verbände zum lokalen Umfeld mindestens genauso entscheidend, wie die perfekte Organisation eines hierarchisch zusammengesetzten Truppenkörpers, in dem trotzdem die persönliche Bindung zum Gruppenführer dominieren sollte. Das so produzierte Netz aus miteinander zusammenhängenden Orten wurde demnach in seiner Gesamtheit den Reichswehrtruppen überlegen eingeschätzt. Mit dem „Fiasko der Märzaktion“ hatte es dann jedoch vorerst keine weiteren kommunistischen Kampfgruppen mehr gegeben.283 In den späten Jahren der Weimarer Republik hatte gerade die KPD mit Verhaltenskodizes auf die räumlichen Gegebenheiten in den Städten reagiert. In monatlichen „Newslettern“ wurde darüber berichtet, wie man sich bei illegalen Demonstrationen zu verhalten hätte, in denen es zu Gewalteskalationen kommen könnte. Offenbar war dieses auch eine Reaktion, die aus den während der revolutionären Auseinandersetzungen gemachten Erfahrungen resultierte. Die revolutionären Handlungen dienten somit als Prototypen, wenn beispielsweise in späteren Konflikten die Seitenstraßen als „Orte des Ausharrens“ benutzt wurden, bevor eine Demonstration startete, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. So konnte man jederzeit die Demonstration verlassen und sich in Sicherheit begeben. Auch bestand so die Möglichkeit, die Polizeioffiziere zu entwaffnen und sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Die Revolution hatte sie offenbar gelehrt, sich auf die jeweiligen lokalen Gegebenheiten der Städte besser einzulassen, sodass das Verhalten im Raum zunächst stärker institutionalisiert schien, während wiederum in den späten 1920er Jahren andere Akteure aufeinander stießen.284
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Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 330. Ebd., S. 330. Zit. nach Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 139. Wirsching, Vom Weltkrieg, S. 244; Retzlaw, Spartakus, S. 252. Vgl. etwa Schmiechen-Ackermann, Nationalsozialismus und Arbeitermilieus.
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3.6 „DIE ORDNUNGSSTÖRENDEN“ – DIFFERENTER WERTEKONTEXT UND VERHALTENSKODEX BEI JUGENDLICHEN UND FRAUEN Der Diskurs um die Ordnung des Raumes während der Revolution ist immer auch ein Diskurs derjenigen sozialen Formationen, welchen eine vermeintlich ordnungsstörende Rolle zugeschrieben wird. Soziale Formationen, die sich einer herkömmlichen parteipolitischen Verortung nicht vollends fügen, prägten jedoch genauso das revolutionäre Stadtbild, wie es Räte, Militär, Wehren oder die Polizei getan haben. Daher ist Raum genauso wenig ohne Geschlecht, wie ohne generationelle oder migrationelle Aspekte denkbar.285 Alle drei Gruppierungen werden des Öfteren in den Quellen benannt, wenngleich sie sich analytisch schwer greifen lassen, weil sie kaum empirisches Material zu den öffentlichen Konflikten hinterlassen haben. Allen gemein ist ein spezifisches Auftreten im öffentlichen Raum, welches sich grundlegend von den anderen beschriebenen Gruppierungen unterscheidet. Obwohl sie vielfach an den sozialräumlichen Protestaktionen der anderen Formationen teilnahmen und über eine weniger stark ausgeprägte organisatorische Struktur verfügten, wurden sie als klar erkennbare Gruppierung in den Quellen sichtbar gemacht. Das sie verbindende Element, so die hier aufgestellte These, bestand zunächst in einer für sie eigenen sinnstiftenden Funktion im öffentlichen Raum, während ihnen von außen eine ordnungsstörende Rolle zugeschrieben wurde. Beides macht deutlich, dass das Nebeneinander grundsätzlich verschiedener Ordnungskonzeptionen auch eine Auseinandersetzung um den Revolutionsraum darstellte. Im Zuge der nachlassenden Kriegsbegeisterung und dem vermehrten Leiden aufgrund des Hungerwinters 1916/17 traten Frauen und Jugendliche gerade während der Lebensmittel- und Subsistenzproteste als definierbare Formationen hervor.286 Zur Verbesserung der Versorgungslage vollzogen sie kollektive Protestpraktiken.287 Das Steinewerfen oder der Warenraub konnte hierbei vielfach keinen parteipolitischen Forderungen zugeordnet werden. Trotzdem konnten derartige Handlungen eine nachhaltige politische Wirkung entfalten, indem sie den „Obrigkeitsstaat, der die materielle Existenz seiner Bevölkerung nicht mehr zu garantieren vermochte, zum Gegenstand öffentlicher Kritik“ machten und zudem
285 Vgl. dazu Grothusen/Morais/Stöckmann (Hrsg.), Generation und Raum. Vgl. etwa auch Massey, Politics and space/time, S. 65–84; Usborne, Frauenkörper; Bridenthal/Grossmann/Kaplan, Women in Weimar; Hagemann, Frauenalltag. Aus der umfassenden Literatur zum Problemkontext des Generationenkonflikts vgl. Peukert, Weimarer Republik, S. 94–100; Mommsen, Generationenkonflikt; Stachura, German Youth Movement, S. 38–117; ferner Stambolis, Mythos. Die Frontgeneration betont etwa Fiedler, Jugend im Krieg, S. 175–182. 286 Schumann, Politische Gewalt, S. 40; vgl. etwa auch Hagemann, Frauenprotest, S. 214; McElligott, Petty Complaints, S. 111–125; Scholz, Ein unruhiges Jahrzehnt, S. 79–123; vgl. Ankum, Women in the Metropolis; vgl. Domansky, Politische Dimensionen. 287 Daniel, Zweierlei Heimatfronten, S. 397. Daniel konstatiert, dass Frauen vermehrt während des Ersten Weltkrieges an der inneren Destabilisierung durch Kritik und Protest beteiligt waren, während dieses im Zweiten Weltkrieg nicht so stark ausgeprägt gewesen ist. Vgl. etwa auch Davis, Heimatfront, S. 128–145.
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zeigten, dass man ihr Dasein als soziale Akteure im öffentlichen Raum ernst zu nehmen hatte.288 Die Jugend sei bereits, so die anarchistische Zeitung Freie Jugend ein Jahr nach der Revolution, „von allen schwarzen, roten und knallroten Parteien als eine Macht anerkannt.289 Die Stellung habe sie durch die direkte Aktion, das unmittelbare Handeln als „Tatmutter aller Dinge“ erlangen können.290 Die Frage nach der Politisierung von Jugendlichen und Frauen sind eng gebunden an die sozialen Unruhen im öffentlichen Raum.291 Aufgrund ihrer dort nur rudimentären Präsenz waren diese besonders gezwungen, sich neue kollektive Ausdrucksformen anzueignen oder bestehende weiterzuentwickeln. Gegenüber der vermehrt männlich organisierten und dominierten Arbeiterschaft und des Militärs, stellte der spontane Protest von Jugendlichen und Frauen ein Gegengewicht des vermeintlich unorganisierten Handelns während sozialer Proteste dar.292 Ihr Protestverhalten ist geprägt von einem unterschiedlichen Wertekontext und Verhaltenskodex. Gerade die Jugendlichen beginnen um die Jahrhundertwende die Straße als einen neuen Erfahrungsraum für sich zu entdecken und anzueignen.293 Trotz sozialer Unruhen und täglicher Ausschreitungen wurde ein „Ueberhandnehmen der Tanzlustbarkeiten in vielen Orten“ festgestellt, welches aufgrund der Entwicklung „nicht ohne schwerwiegende Be-
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Schumann, Politische Gewalt, S. 40. Freie Jugend Nr. 3 vom 15. März 1921. Freie Jugend Nr. 9 vom 15. September 1921. Vgl. etwa Tenfelde, Schmelztiegel Ruhrgebiet, bes. S. 9ff. Hagemann, Frauenprotest, S. 202f.; vgl. Beutin u. a. (Hrsg.), Die Frau greift in die Politik; vgl. die kritischen Anmerkungen bei Jaschke, Zur politischen Orientierung, S. 144. „Frauen haben sich zwischen 1918 und 1933 in sehr unterschiedlicher Weise politisch verhalten. Auch aus diesem Grund ist die verallgemeinernde Rede von den kollektiven Orientierungen von Frauen irreführend.“ 293 Hier wurden immer wieder Versuche unternommen, Einfluss auf den Raum der Jugendlichen auszuüben, indem man beispielsweise Animierkneipen, in denen sich vermehrt jüngere Menschen aufhielten, versuchte einzuschränken. Vgl. BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 969, ohne fol., Schreiben Polizeidirektion München, Nr. 119/III, an Magistrat München, betr. Die Bekämpfung der Animierkneipen, 17. August 1917; vgl. auch BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 999, ohne fol., Stellvertretendes Generalkommando II. Armeekorps. Ib. Nr. 25575/15, an Oberpräsidien, Staatsministerien, Ministerien, Landesregierung Greis, Landesdirektion Arolsen und Regierungen, Cassel 1. Oktober 1915. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der „Zuchtlosigkeit der Jugendlichen“ waren vielfältig. Sie reichten von der Schaffung fester Aktionsformen wie dem Turnen, dem Spiel und der Wanderung bis hin zur Errichtung neuer Räume für diese wie Spielplätze und Jugendheime, sodass sie vom „schändlichen Einfluss der Straße“ befreit würden. Nach der Verordnung des Generalkommandos vom 1. Oktober 1915, Ib 25575/15 und Ib 26067/15 habe kein Zweifel bestanden, dass Jugendliche nicht in die Wirtschaften gehörten. Derartige Versuche den Jugendlichen in anderen öffentlichen Gebäuden „den erforderlichen Raum zur Verfügung zu stellen“ wurden bereits vor der Revolution unternommen. Die Revolution brachte hier allenfalls eine weitere Zäsur mit sich, da für die Errichtung neuer Räume in Zeiten des Bürgerkriegs und Belagerungszustand kein Platz mehr vorhanden schien. Man erkannte wohl, dass Jugendliche einen eigenen Raum benötigten und die Straße hierfür jedenfalls einen zu gefährlichen Einfluss auf diese ausüben würde.
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denken“ sei. Die Polizeibehörden waren angehalten, diese „Uebermaße der Tanzbelustigungen mit den gesetzlich zulässigen Mitteln entgegenzuwirken.“294 Öffentliche Plätze und Straßenecken, aber auch Kneipen und Tanzabende wurden gerade von Jugendlichen als neue Räume erschlossen, um Informationen jenseits institutionalisierter Orte wie den Schulen oder dem eigenen Zuhause auszutauschen.295 Die an „manchen Orten zutage getretene Zuchtlosigkeit der Jugendlichen“ bedeutete schon vor der Revolution eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, aber auch für die „Zukunft“ der Jugend.296 Sie wurden vielfach als ordnungsstörend empfunden und trugen so zu einem eigenen Diskurs bei, in welchem deviante Jugendliche als das ordentliche Straßenbild gefährdend angesehen wurden. Die Aachener Zeitung „Der Volksfreund“ berichtet von „Unfreundliche[n] Straßenbilder[n]“, welche die Straßen und Plätze Aachens boten.297 Dort habe sich derzeit „ein Unfug bemerkbar [gemacht] der immer größere Dimension an[nahm], der die Sicherheit der Passanten gefährdet, zu erheblichen Verkehrsstockungen führen und die Ursache schweren Unglücks sein kann: Das Fußballspiel. Es geht nicht an, dass halbwüchsige Bürschchen die Straße ganz für sich beanspruchen und ungeachtet des Publikums, das sie gröblich belästigen, hinter einem Ball hertollen. Dabei finden sie noch gar keine Entschuldigung, wenn sie eine Person anrempeln oder ihr den schmutzigen Ball ins Gesicht schleudern, höchstens haben sie noch eine frechschnauzige Bemerkung dazu. Diesem unflätigen Treiben kann man stundenlang zuschauen, dabei Betrachtungen anstellen über die Folgen mangelhafter Erziehung, ohne daß es ein Ordnungsmann beendet.“298
Mit allem Nachdruck müsse man deswegen verlangen, daß das so wachsame Auge der Polizei auch auf diesen Unfug achte und die Schutzmannschaft mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln eingreife, wo es um nichts anderes geht, als den Schutz von bedrohten Menschenleben. Dieses „unerfreuliche Straßenbild bei Tag, aber auch in der Nacht“ erwecke abstoßende Eindrücke. In einem weiteren Leserbrief
294 LAV NRW R, BR 0005, Nr. 22754, ohne fol. Schreiben Minister des Innern, IIe. 687 an Regierungspräsidenten und Polizeipräsidenten in Berlin, Berlin 14. März 1919. 295 Ebd., ohne fol., Schreiben Königlicher Landrat, I. Ia. Nr. 84, an Regierungspräsident Köln, betr. Erlass einer Polizeiverordnung zur Bekämpfung des sogenannten Schiebetanzes und ähnlicher Tänze, Düren 10. Januar 1913. In mehreren Stadtgemeinden des Ruhrgebietes wurde der „sogenannte Schiebetanz“ entdeckt, der vermehrt durch Jugendliche als „in hohem Masse geeignet ist, eine in sittlicher Hinsicht verderbliche Wirkung auszuüben.“ Anders wurde dieses für das Land bewertet, wo Jugendliche meist in Begleitung ihrer Eltern derartige Veranstaltungen besuchen würden. Vgl. hierzu LAV NRW R, BR 0005, Nr. 22754, ohne fol., Schreiben Landrat Schleiden, I. 10761, an Regierungspräsidenten Aachen, betr. Schiebetanz, Schleiden 20. Dezember 1912. 296 BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 999, ohne fol., Stellvertretendes Generalkommando XI A.-K. Verordnung Ib Nr. 25575/15, Cassel 1. Oktober 1915. Als jugendlich wurden demnach Personen beiderseitigen Geschlechts verstanden, welche das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Diese durften in den Abendstunden keine Wirtschaften besuchen. 297 Der Volksfreund Nr. 98 vom 28. April 1921. 298 Ebd.
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wird moniert, dass man sich durch starke Lärmbelästigungen betrunkener junger Menschen auf den Straßen eingeschränkt fühle. „Man nimmt gerne Rücksicht auf eine angeheiterte Stimmung lebensfroher Menschen, es sollte jedoch nicht geduldet werden, daß diese unter äußerster Kraftentfaltung ihrer Atemtechnik und stimmlicher Begabung sich wie halb irrsinnig auf offener Straße benehmen. Das weibliche Geschlecht ist bei diesen nächtlichen Straßenpromenaden tonangebend, und mancher wird mit innerem Bedauern festgestellt haben, daß gerade von dieser Seite der Auftakt zu den unanständigsten Liedern gegeben wird.“299
Der vollzogene Erfahrungsaustausch und die Weitergabe von Informationen auf den Straßen führten zur Dynamisierung jener Gruppierungen, die über keine gefestigte Organisationsstruktur verfügten, sich also einer rein politischen Verortung entziehen. Die Straßen und Kneipen als neue Räume des Informationsaustausches trugen gerade während der Revolutionszeit dazu bei, sich jenseits vorgefestigter Meinungen in Zeitungen oder dem eigenen Zuhause über die neuesten Entwicklungen und Ereignisse, die durch die Revolution angestoßen wurden, zu informieren.300 Die Straße als eigentlicher Ort der Freizeitgestaltung übte somit erkennbaren Einfluss auf die politische Willensbildung der Jugendlichen aus und vermittelte Informationen jenseits von Bildungseinrichtungen wie den Schulen. An die Straße als Übergangsort des ständigen In-Bewegung-Seins erinnert sich Kurt Nettball im Kontext der Anfangstage der Revolution in Berlin. Mit vielen anderen wurde dieser vom Menschenstrom zum Reichstagsgebäude mitgetragen, verpasste dort die Rede Scheidemanns, „denn bald hielt es uns Jugendliche nicht mehr hier vor dem Reichstag, denn wir wollten unentwegt weiter“, während sie gleichzeitig immer in der Nähe der bewaffneten Arbeiter blieben, um vor heller Begeisterung „am Sturm auf die Kasernen teilzunehmen.“301 Die täglichen Rituale des Ballspielens oder Begrüßens können als Teil einer eigenen Gruppenidentitätsbildung angesehen werden. Um den Erfahrungsraum der Straße physisch und symbolisch zu besetzen bedienten sich die Jugendlichen dieser eigenen Strategien des „wilden Ballspielens“. Der Einsatz des eigenen Körpers folgte so einer Logik alternativer Raumkonstruktionen, indem mit kurzweiligen Aktionen die Räume für eine bestimmte Zeit lang besetzt werden konnten. Dabei war der Straßenraum ihnen sehr vertraut, in ihm konnten sie sich sicher bewegen.
299 Löw, Raum. Die topologischen Dimensionen der Kultur, S. 50; Vgl. Willis, Spaß am Widerstand, 1992. Willis hat eine ethnographische Studie über Jugendliche aus der Arbeiterklasse geführt, welche trotz ihrer sozialen Schicht Widerstand gegen ihre gesellschaftliche Positionierung leisteten und dieses im Wesentlichen über die je eigene Produktion von Räumen vollzogen. Raum ist demnach vielfach an die körperliche Präsenz gebunden. 300 Vgl. Löw, Raum. Die topologischen Dimensionen der Kultur, S. 52. 301 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0670, fol. 24, Erinnerungen Kurt Nettball. Nettball, Jahrgang 1903, war später Funktionär in der Arbeiterbewegung. Während der Revolution war er Mitglied der Freien Sozialistischen Jugend geworden und betätigte sich seit 1918 als Gewerkschafter.
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Während des Krieges war die „Verwilderung der Jugend“ eng an die sie aufsuchenden Räume geknüpft.302 Vom Besuch der Lichtspielhäuser, dem „Herumtreiben auf der Straße“ und den Gasthäusern bis in die Nacht wurden massive Wirkungen auf die Gruppierung der Jugendlichen ausgemacht. Als eine soziale Formation im Straßenbild wurden dieser daher zum einen durch die Zuschreibungen auf der diskursiven Ebene sichtbar, aber auch durch ihre Handlungen vor einem öffentlichen Publikum auf den Straßen. Um den vermeintlichen Auswirkungen der Verrohung der Jugend als (konstruiertes) Problem entgegenzuwirken, wurde also in der Zeit vor Ausbruch der Revolution Einfluss auf den Raum, den die Jugend bereits für sich entdeckt hatte zu nehmen versucht, indem ihnen alternative Räume geschaffen werden sollten.303 Orte wie Warenhäuser, Lichtspieltheater oder Wirtshäuser hatten dieser reaktionären Vorstellung nach die Jugend zum „Herumlungern“ animiert oder dienten lediglich als „Wärmestuben“. Insbesondere aber übten sie durch „mannigfache Unterhaltungsmöglichkeit[en], Liftfahren, Betrachten der ausgelegten Waren, besonders Spielsachen, eine starke Anziehungskraft“ auf diese aus und waren somit durch sinnstiftende Handlungen zu erschließen, während sie ihrerseits sinnstiftend auf die Akteure wirkten.304 Mit der Revolution wurde der sichere Bewegungsraum zunehmend eingeschränkt. Durch alternierende Praktiken versuchten Jugendliche ihre Handlungsautonomie zurückzuerobern, die sie durch die Revolution in der Stadt gefährdet sahen. Die Straße gewann somit als Ort unterschiedlicher Aushandlungsprozesse zunehmend an Bedeutung, während sich hier gleichzeitig hierarchische Verhältnisse abbilden ließen, die jedoch durch oben beschriebene Praktiken durchbrochen werden konnten. Die Erfahrungen des Krieges, so die Einschätzung des Oberpräsidenten
302 Hier und im Folgenden BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 999, ohne fol., Ortsgruppe München des Bayerischen Fortbildungsschulvereins an Königliches Generalkommando des I. Bayerischen Armeekorps, München 23. Februar 1916. Vgl. BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 999, ohne fol., Verordnungen des stellv. Generalkommandos XI. A.-K. über Jugendpflege und Jugendschutz. Beiheft zum KriegsKorps-Verordnungs-Blatt für den Bereich des XI. A.-K. 1916. 303 BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 999, ohne fol., Schreiben Vorsitzende der Rechtsschutzstelle für Frauen an Stellv. Generalkommando München, betr. Verbot des Besuches von Warenhäusern für Kinder unter 14 Jahren? Oder Einschränkung des Warenhausbesuchs durch Kinder?, München 8. Februar 1917. Mit der Verordnung zum Schutz der Jugend sollten ein Kino- und Wirtshausverbot ausgesprochen werden, sowie Maßregeln gegen das Rauchen und die Schundliteratur geschaffen werden. Durch das stellv. Generalkommando sollte die Jugend „vor den mannigfaltigen Schädigungen durch die Grossstadt“ [sic] bewahrt werden. 304 BHStAM, KA Abt. IV, Generalkommando I. Armeekorps, Nr. 999, ohne fol., Schreiben Vorsitzende der Rechtsschutzstelle für Frauen an Stellv. Generalkommando München, betr. Verbot des Besuches von Warenhäusern für Kinder unter 14 Jahren? Oder Einschränkung des Warenhausbesuchs durch Kinder?, München 8. Februar 1917. Dieses „Problem“ wurde bereits zu Friedenszeiten ausgemacht, wenngleich der Krieg dieses Verhalten beschleunigt habe. Die verminderte häusliche Aufsicht und „Zucht infolge der Abwesenheit der Väter und der starken Inanspruchnahme der Mütter durch Haushaltssorgen“ und häusliche Arbeit wurde hierfür verantwortlich gemacht.
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Westfalens, hatten zur „Verrohung der Jugend“ beigetragen.305 In zahlreichen Klagen war darüber berichtet worden, dass selbst die örtlichen Gottesdienste durch „Jugendveranstaltungen mit ihrem Lärm“ gestört wurden. Angesichts der „Verrohung der Jugend“ sei es angebracht, dass die Polizeibehörden „ihr besonderes Augenmerk“ darauf zu richten hätten, dass nun gerade auch die Gruppe der Jugendlichen „die Bestimmungen über die äussere Heilighaltung der Sonn- und Feiertage“ einzuhalten hätte. Jene Verrohung der Jugend wurde in vielen Städten während der Revolution als Folge der „heutigen Zeitverhältnisse“ interpretiert.306 Der Krieg und die fehlende „nötige Aufsicht und Erziehung“ sei für dieses „zügellose“ Verhalten heranzuführen.307 Die Kriminalität habe überall in jeder Hinsicht zugenommen. Der „tiefe Stand der Moral bei einem grossen Teil der Bevölkerung“, an dem die Jugendlichen einen „hohe[n] Verdienst“ gehabt hätten, sei auch auf die fehlende Aufsicht „des im Heeresdienst stehenden Vaters […] in ihren üblen Folgen nicht wirkungslos auf die Jugend geblieben.“308
Anders wurde die „reifere weibliche Jugend“ beschrieben. Diese sei im kleineren Amtsbezirk Bochum bei weitem nicht mit der „Sittenlosigkeit“ in den Großstädten vergleichbar gewesen. Hier wirkte die Stadt mit ihren zahlreich heimkehrenden Kriegsteilnehmern auf jene Gruppierung, welche sich aufgrund der Wiedereingliederung von Soldaten in die Berufe häufig mit der Arbeitslosigkeit konfrontiert sahen und somit nicht davor scheuen würden, sich durch das Anbieten von käuflichem sexuellen Verkehr das benötigte Geld zu verdienen. Während der späteren Ereignisse rund um den Kapp-Putsch wurde gerade die Gruppe der Jugendlichen in den Städten instrumentalisiert.309 Die Situation in Berlin hatte zur Zuspitzung der Lage in vielen anderen Städten geführt. Sowohl in der Presse, aber auch in den offiziellen Berichten der Ober- und Regierungspräsidien wurde die Gruppe der Jugendlichen als „unlautere Elemente“ des Straßenbildes verortet, welche durch die Arbeiter- und Soldatenräte nicht mehr hatten kontrolliert
305 Hier und im Folgenden StAM, Amt Roxel A Fach 52, Nr. 6, ohne fol., Schreiben Oberpräsident Westfalen, G. Nr. 3323 III., an Regierungspräsidenten Münster, Abdruck an Ortspolizeibehörden, Landräte, Oberbürgermeister in Münster, Recklinghausen, Buer, Bottrop und Gladbeck, Münster 30. Dezember 1920. 306 Die Maßnahmen zur Bekämpfung der „Jugendverwahrlosung“ bilden einen anderen Diskurs. Im Rahmen der hier vorliegenden Thematik können diese Formen der Bekämpfung allenfalls als Strategie interpretiert werden, mit anderen Medien Einfluss auf den Bildungsraum der Jugend ausüben zu können. Vgl. etwa die Zeitschrift Der Kulturring Nr. 3 vom 15. Oktober 1921. Das Bezirksjugendamt Neukölln hatte ein Unterfangen mit der Parole „Ein gutes Buch gegen ein Schundbuch“ gestartet, um Einfluss auf die Jugendlichen zu nehmen. 307 StAB, LA, Nr. 1631, fol. 113, Schreiben Amt Langendreer, Tgb. No. 5348 IV., an Landrat Bochum, betr. Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Stadt- und Landbezirken, Langendreer 7. August 1919. 308 StAB, LA, Nr. 1631, fol. 115, Schreiben Amt Langendreer, T.-No. 2971, an Landrat Bochum, betr. Störungen der Sicherheit und öffentlichen Ordnung, Bladenhorst 12. August 1919. 309 Vgl. Rusinek, Der Kult der Jugend, S. 171. Jugend und Generation werden von Rusinek als „politische Schlagworte der Weimarer Zeit“ interpretiert.
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werden können.310 Jugendliche, welche als „bis an die Zähne bewaffnet“ beschrieben wurden, störten durch ihre Präsenz, ihr Verhalten und das Ignorieren der Anweisungen des Arbeiterrates die Ruhe und Ordnung in der Stadt und begannen „auf eigene Faust“ zu handeln und „großes Unheil“ anzurichten. Oftmals wurde ihr Handeln während sozialer Unruhen oder Protestaktionen daher als spontan und ungeplant beschrieben, sodass sich ein Vorgehen gegen sie seitens der Regierung als schwierig herauskristallisierte. Wie im Falle der Plünderungen zahlreicher Juweliergeschäfte während der Januarunruhen in Berlin, aber auch in weiteren Teilen des Reiches, beharrten festgenommene junge Menschen wie in der Frankfurter Straße darauf, dass sie nur zufällig am Tatort vorbeigekommen seien.311 Je mehr diese Gruppierungen Teil des öffentlichen Diskurses des Revolutionsgeschehens wurden, desto mehr bemühten sich die politischen Parteien Einfluss auf die Gruppe der Jugendlichen auszuüben. Zu einem regelrechten Buhlen um die zunehmend wichtig werdende Gruppierung kam es am 2. November auf der erstmalig stattfindenden Versammlung der Freien Arbeiterjugend, in deren Verlauf sich regelrechte Schlägereien entwickelten. Streitpunkt war der Anschluss der Jugend entweder an die USPD oder an die KPD. Für beide Parteien war das Werben um die Jugend ein wichtiges Kriterium. Im Verlauf der Versammlung wurde die Situation so eingeschätzt, „als wenn die Jugendlichen eine selbständige Bewegung anstrebten und sich von keiner Partei bevormunden lassen wollten, wenn sie auch im Falle eines Streiks oder bei Unruhen sich mit den revolutionären Parteien […] solidarisch erklären zu wollen schienen. Die linksstehenden Parteien legten nun plötzlich ein grosses Interesse für die Jugendbewegung zu Tage und arbeiteten mit allen Mitteln darauf hin, ihre Jugend so radikal wie möglich zu erziehen und sie fest an sich anzuschliessen.“312
Der neu gewählte Kreisvorsitzende der Freien Arbeiter-Jugend Sallwächter versicherte, dass die Arbeiterjugend unabhängig von jeder Partei auf dem „Boden des revolutionären Klassenkampfs“ stünde.313 Mit der Absage an die beiden Parteien zeigte die Gruppe der Arbeiterjugend zudem, dass sie sich in einem Prozess sozialer Formationsbildung befand, indem sie zunehmend einen höheren Grad der Organisation anstrebten. Die sich für die Sicherheit und Ordnung der Städte verantwortlich fühlenden anderen Gruppierungen hatten offenbar bereits erkannt, dass mit der Gruppe der Jugendlichen ein weiterer Akteur die Bühne des revolutionären Stadtraums ergänzt hatte und sich am Beginn eines Politisierungsprozesses befand.
310 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 255, Schreiben Oberbürgermeister Hörde, T.-Nr. I. 389/20, an Oberpräsidium Münster, betr. Verhütung einer verschärften Wiederholung spartakistischer Gewaltherrschaft, Hörde 15. April 1920. 311 Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919. 312 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol., Übersicht über die politische Bewegung in der Stadt Düsseldorf und im Industriebezirk in der Zeit vom 1. Mai 1919 bis zum April 1920, S. 19. 313 Ebd., S. 21.
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Die Teilnahme von Frauen an den Unruhen ließ sich besonders in den Zuschreibungen der alten Militär- und Offizierseliten als Feindbild identifizieren.314 Aussagen von Unteroffizieren und Mannschaften der Batterie Hasenclever berichten beispielsweise von Gräueltaten der „Spartakisten“ im Gefecht bei Wetter, an denen auch Frauen beteiligt gewesen seien: „Vor der Kapitulation hatte die Batterie nur wenige Verwundete. Trotzdem sofort nach derselben von der Batterie das Feuer eingestellt und die Waffen abgelegt wurden, schossen die Bolschewisten ruhig weiter, drangen mit dem Kolben auf die Soldaten ein und bedrohten sie mit Erschiessen. Auch ihre Weiber beteiligten sich daran, indem sie die Soldaten mit den gemeinsten Schimpfworten belegten und sie anspukten. [sic]“315
Einerseits wurde hier offenbar das Handeln der Frauen als Argument herangezogen, um die Intensität der ausgeübten Gewaltphänomene besonders zu betonen, in dem sich „sogar“ Frauen daran beteiligten. In diesem Fall findet man in den Quellen häufig Zuschreibungen wie „Weiber“, „Weibsbilder“, „Furien“ oder dergleichen.316 Auf der anderen Seite wurde die Gruppe der Frauen als neutrale Beobachter derartiger Situationen herangezogen, wenn diese als moralische Instanz die Rohheit der ausgeübten Gewalt im öffentlichen Raum verurteilen sollten.317 Im Falle des Malergehilfen Paul Brenner, welcher im Zuge der Märzunruhen des Jahres 1919 angeklagt wurde an der „Zusammenrottung einer Menschenmenge“ teilgenommen zu haben, welche gewaltsam gegen Personen oder Sachen vorging, wird diese Funktion der Frauen als moralische Instanz besonders deutlich. Die Frankfurter Straße wurde als „Tummelplatz der spartakistischen Banden“ in Berlin charakterisiert und war bereits mehrfach mit negativen Attributen konnotiert worden. Die „Spartakisten“ gerieten vielfach nicht nur mit den Regierungstruppen in Konflikt, sondern schlossen weite Teile der Bevölkerung in die Auseinandersetzungen mit ein. Am 6. März 1919 bewegte sich eine 50-100 Personen starke Gruppe der „Spartakisten“, welche teils in Zivil und teils in Militäruniformen gekleidet war in Richtung der Frankfurter Straße zum Frankfurter Tor hin. Beim Aufeinandertreffen der Gruppe mit den Bewohnern des Viertels kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Mehrere Anwohnerinnen sagten daher als Zeuginnen im späteren Prozess gegen obigen Paul Brenner aus und berichteten von den verbalen und körperlichen Rohheiten der „Spartakisten“. Um die Aktionen zumeist jene der „Spartakisten“ verurteilen zu können war die Gruppe der Frauen einerseits als moralische Instanz ausgemacht worden. Andererseits, wenn auf die Heftigkeit des Geschehens hingewiesen werden sollte, wurden Frauen als sich aktiv an den Aktionen Beteiligende beschrieben, wie im Falle
314 Zum Streikverhalten der Frauen siehe Hagemann, Frauenalltag, S. 483–490. 315 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 87, ohne fol., Zusammenstellung der beim Wehrkreiskommando vorliegenden Zeugenaussagen über Greueltaten der Bolschewisten vom 8. April 1920. 316 Vgl. etwa auch Hagemann, Heimat – Front, S. 24ff. 317 Hier und im Folgenden LA B, A Rep. 358–01, Nr. 492, ohne fol., Strafsache gegen den Malergehilfen Paul Brenner, Aussage der Zeugin Hedwig Ceglacki, Berlin 3. Juli 1919.
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der angeklagten Arbeiterin Maria Pfeister, gegen die wegen vorsätzlicher Transportgefährdung Anklage erhoben wurde. Am 31. Januar geriet die Angeklagte gegen 2.30 Uhr, als sie sich durch die Landsberger Straße in Richtung Alexanderplatz bewegte, in eine Menschenmenge, welche von Polizeibeamten zurückgedrängt wurde. Sie wich zunächst vor dieser Menge zurück, setzte dann aber ihren Weg fort, als die Polizei sich dem Geschehen näherte. Als die Menge erneut stehenblieb, waren bereits Wagen der Straßenbahn angehalten worden, während sich „eine Schar von 40-50 Personen daran [machte], die Wagen umzustürzen.“ Der Angeklagten wurde daraufhin vorgeworfen, sich an diesen Handlungen beteiligt zu haben, indem „sie sich bückte und unten an einem der Wagen mit beiden Händen anfaßte. Dabei wurde sie festgenommen, während der Wagen durch die anderen zu Falle gebracht wurde.“318 Sie hingegen behauptete, dass sie erst wenige Tage zuvor einen teuren Hut gekauft habe, diesen in der Nähe der Straßenbahnwagen verloren und sich daher gebückt habe, um diesen aufzuheben. Die Angeklagte habe zusammen mit anderen Tätern durch das Umstürzen des einen Wagens ein „Hindernis bereitet.“ Die Straßenbahn sei eine Eisenbahn im Sinne des Gesetzes, denn sie diene der Beförderung von Personen und Gütern, „indem ihre Beförderungsmittel sich mit eigener Kraft auf metallischer Unterlage zwangsläufig fortbewegen. Durch die Bereitung des Hindernisses wurde der Transport gefährdet, weil nach den obwaltenden Umständen die Gefahr bestand, daß die Benutzung dieser Eisenbahn zu den ihr eigentümlichen Zwecken, nämlich zum Betrieb auf der Fahrbahn einen Schaden erleiden werde.“319
So adaptierten sie vielfach die sozialen Protestpraktiken der vornehmlich männlich organsierten Arbeiterschaft. Demonstrationszüge wurden so von „Halbstarken“ und Frauen genutzt, um wie beispielsweise im Fall der Hamburger Innenstadt verschiedene Lokale zu plündern. „Während die Unruhen in der ersten Zeit ausgesprochen den Charakter von Plünderungen hatten und eines politischen Hintergrundes entbehrten, liegen nunmehr an den leitenden Stellen Anzeichen vor, die erkennen lassen, daß die Unruhen von spartakistischer Seite systematisch hervorgerufen werden.“320
Man sah die Lage infolgedessen nicht mehr als unbedenklich an und entschloss sich, den Belagerungszustand über Groß-Hamburg zu verhängen. Während Kneipen und Betriebe eher dem politischen Artikulationsraum der Männer zugeschrieben werden konnte, hing das Protestverhalten der Frauen weniger mit konkreten Orten zusammen.321 318 Hier und im Folgenden LA B, A Rep. 358–01, Nr. 2009, fol. 9, Strafsache gegen die Arbeiterin Maria Pfeister, Verbrechen gegen § 315 Strafgesetzbuch, Berlin 7. Februar 1918. 319 Zu beobachten ist dieses beispielsweise an den Unruhen, in denen Straßenbahnwagen umgeworfen wurden. Oftmals beteiligten sich hier Frauen an den Aktionen, indem sie sich häufig spontan den kollektiven Protestpraktiken der meist männlich genannten Akteure anschlossen. 320 BA B, R 1501, Nr. 20455, fol. 66, Abschrift Preußische Gesandtschaft Nr. 51, Hamburg 23. April 1919. 321 Vgl. Brüggemeier/Niethammer, Schlafgänger, S. 135–176; Grüttner, Alkoholkonsum, S. 247; Roberts, Wirtshaus, S. 23–139.
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Die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund stellte gerade im Ruhrgebiet ein besonderes Gewicht dar.322 Oft wurde diesen sozialen Gruppen mit „Erstaunen“ und „Missbilligung“ in der Bevölkerung gegenübergetreten und wurden zudem für den Ausbruch vieler Unruhen verantwortlich gemacht. Dass gerade in den Ruhrgebietsstädten mit hohem Industrieanteil wie Elberfeld und Barmen viele Polen und Russen beschäftigt wurden, verstärkte diese Vorurteile und ließ sowohl die Angst vor dem Ausbruch von Unruhen, als auch der Gefahr des Arbeitsplatzverlustes in der übrigen Bevölkerung stetig anwachsen.323 Eine detailliertere Untersuchung zu dieser sozialen Formation scheint daher eine lohnenswerte Aufgabe zu sein. Gegenüber den von offizieller Seite eingesetzten Gruppierungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und dem Schutz des Raumes, setzten Jugendliche und Frauen oftmals alternative Mittel ein, um sich eigene Räume zu schaffen. Was Thomas Lindenberger für die Moabiter Unruhen des Jahres 1910 festgestellt hat, ist auch für die Zeit der Revolution zu beobachten. Frauen kämpften vor allen Dingen mit akustischen Mitteln, um den Gegner öffentlich zu beschimpfen und das eigene Lager anzufeuern, während jugendliche Männer oftmals eine Art „Guerillakampf in kleinen Gruppen mit schnellem Wechsel zwischen Angriff und Rückzug, Nahkampf und Einsatz von Wurfgeschossen“ führten.324 Beiden Gruppierungen wurden gerade aus „spartakistischer“ Perspektive wichtige Rollen zur Durchführung der Revolution zugeschrieben, wenn sie wie im Falle des Berliner Arbeiterbezirks Lichtenberg als Munitionsbeschaffende während der Märzunruhen dienten. „Die Arbeiterjugend vollbrachte wahre Heldentaten. An den Häusern entlangreichend, brachte sie den kämpfenden Arbeitern heißen Kaffee und Verpflegung zu den Barrikaden, hinter denen Matrosen und Arbeiter Salve auf Salve abfeuerten und den Angriff abwehrten.“325
Viele dieser Schilderungen stilisierten Frauen und Jugendliche zu Heldinnen und Helden, welche Teil der revolutionären Bewegung waren und als Akteure im öffentlichen Raum auftraten. Dabei bot die Revolution, wie sich Robert Naumann erinnert, oftmals auch etwas Abenteuerliches für die Jugendlichen, wenn viele Demonstrationen stattfanden, an denen diese „mit großer Begeisterung teilnahmen.“326 Das Konstruieren bestimmter Bilder über Frauen und Jugendliche diente also nicht nur der Regierungsseite zur oben angesprochen Verurteilung von Gewalt. Frauen und Mädchen würden gezielt versuchen, Soldaten mit nach Hause zu nehmen, „um
322 BA B, R 1501, Nr. 112256, fol. 55, Auswärtiges Amt, Rf. D. Nr. 561 an Reichsministerium des Innern, betr. Abschrift Bayerische Grenzpolizeidienststelle Eger, Nr. 883, Berlin 27. Mai 1920. 323 StAM, Amt Roxel A Fach 52, Nr. 6, ohne fol., Schreiben Direktion Sennelager, T. Nr. 31359, an Regierungspräsidenten Münster, Sennelager 9. Dezember 1920. 324 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 240. Alternative Formen sozialräumlichen Protestverhaltens werden in Kapitel 6.5 behandelt. 325 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0052, fol. 26 Erinnerungsbericht Franz Beiersdorf; vgl. BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0670, fol. 24, Erinnerungen Kurt Nettball, Funktionär in der Arbeiterbewegung. 326 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 2143, ohne fol., Erinnerungen Robert Naumann.
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sie dort unter Anwendung verschiedener Mittel für kommunistische Zwecke zu gewinnen“, so der Polizeidirektor Münchens in einem Schreiben an den Ministerpräsidenten.327 3.7 ZUSAMMENFASSUNG Die Räte besaßen während des revolutionären Geschehens zunächst eine sichernde Funktion in lokal begrenzten Räumen. Einerseits sollten sie die örtlichen Verwaltungen kontrollieren, während sie andererseits als regulatives Element fungierten. Ein großer Aufgabenbereich bestand darin, bei der Wiedereingliederung der zurückkehrenden Soldaten mitzuhelfen. Hierzu zählten nicht allein praktische Dinge, wie die Einquartierung der Soldaten in umfunktionierte öffentliche Gebäude oder Privatwohnungen samt der Bereitstellung alltäglicher Dinge, sondern auch die Reintegration der Soldaten in ihren Heimatraum. Darüber hinaus sorgten sie für ein geordnetes Stadtbild. Ihre Rolle als Vermittler zwischen den sozialen Formationen ist daher von Bedeutung gewesen. Ihr Einfluss auf soziale Formationen wie den Arbeitslosen oder Kriegsversehrten wirkte daher in erster Linie positiv, um diese in die Gesellschaft zu reintegrieren. Ihnen ist somit eine inkludierende Funktion und Vermittlerrolle im öffentlichen Raum zuzuschreiben. Ebenfalls zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung waren die Einwohnerwehren als Einheiten zum Schutz des Raumes auf lokaler Ebene gebildet worden, wenn diese direkt von einzelnen Häusern ausgehend gebildet worden waren. Die oft in direkter face-to-face Kommunikation zueinander stehenden Einheiten verfügten über alternative Formen der Raumüberwachungen. Ihr Handlungsrepertoire folgte einer zutiefst räumlichen Logik. Ihre Organisation manifestierte sich in einer netzartigen Form. Die Einrichtung unterschiedlicher Wehrformationen, im Kontext unterschiedlicher Ordnungsvorstellungen der sozialen Akteure, ist somit auch als eine Reaktion auf die akut herrschende Bedrohung der eigenen Räume zu verstehen. Das Militär und paramilitärische Gruppen wie die Freikorps gehörten während der Revolution zum alltäglichen Bild der Stadt. Nach dem revolutionären Umsturz des Novembers 1918 begannen diese Formationen zunehmend Einfluss auf die innenpolitische Situation auszuüben. Im Zuge einer fortschreitenden Radikalisierung der Revolution griffen sie daher fortwährend in innenpolitische Verhältnisse ein, wie im Falle der Verhängung eines Belagerungszustandes, wenn das Militär das Kommando über die Einwohnerwehren erlangen konnte und dieses zur Unterstützung in schweren Ausnahmefällen hinzuzog. Dem Militär und den paramilitärischen Gruppierungen war daher gemein, für den Schutz und die Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit zu sorgen, während gleichzeitig bei bereits herrschenden Unruhen die Wiederherstellung geordneter Zustände zunächst beim Militär lag. Dieser Umstand resultierte allein aus den Bestimmungen im Versailler Vertrag und 327 BHStAM, MInn, Nr. 66280, MInn, Nr. 66280 II, ohne fol., Schreiben Polizeidirektion München u. a. an Ministerpräsident Hoffmann in Bamberg, München 7. Juni 1919.
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der damit einhergehenden Reduzierung der Armee, inklusive ihrer neuen Funktion zur ausschließlichen Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb Deutschlands, sowie des Grenzschutzes. Durch das kurzzeitige Verbot der Polizei entstand während des Novembers 1918 ein Machtvakuum. Die Komplexität und das Chaos der revolutionären Unruhen spiegelten sich somit auch in der Konkurrenz verschiedener sozialer Formationen um die Ordnung des öffentlichen Raumes wider, welche jenes Machtvakuum zu füllen vermochten. Eine sich an der kommunistischen Aufstandstaktik orientierende „Grüne Polizei“ folgte somit als Ordnungs- und Sicherheitsformation nicht ausschließlich einer politischen Orientierung der Gruppenzusammengehörigkeit, sondern einer Logik, wer in welchem Kontext den öffentlichen Raum mit welchen Mitteln zu schützen beanspruchte. Mit einer zudem eigenen Uniformierung grenzten sich diese als Gruppe systematisch von anderen Sicherheitsgruppierungen ab und entwickelten eigene Codes symbolischer Kommunikationsformen. Ordnungsvorstellungen spielten auch für diejenigen Gruppierungen eine wichtige Rolle, die sich gegen das Militär, welches meist aus bürgerlich geprägten Mitgliedern der Einwohnerwehren oder der konservativen Wehrformationen bestand, stellten. Besonders während des Ruhraufstandes im Ruhrgebiet im Zuge des KappPutsches wurden sie zu einem wichtigen Akteur des Revolutionsgeschehens. Gerade wegen ihrer Zusammensetzung aus teilweise fronterfahrenen Arbeitern und der Organisation nach lokalräumlichen Gegebenheiten widersetzten diese sich gegenüber den paramilitärischen Gruppierungen der Freikorps und der Reichswehr und boten ein ernstzunehmendes Gegengewicht. Allein aufgrund ihrer Größe stellten sie einen Machtfaktor im öffentlichen Raum dar. Mit einer ihnen zugeschriebenen Rolle als ordnungsstörende Elemente wurden die sozialen Formationen der Jugendlichen oder auch Frauen wahrgenommen. Über je alternative Praktiken schufen sich derartige Gruppierungen, die sich einer rein politischen Verortung entzogen eigene Handlungsspielräume, mit denen man sich des Eingriffs der Staatsgewalt oftmals erfolgreich widersetzen konnte. Die Revolution hatte ihnen offenbar diesen neuen Raum erst ermöglicht, sich auf die jeweiligen lokalen Gegebenheiten der Städte besser einzulassen, wenngleich dieses einen Prozess kennzeichnet, der bereits um die Jahrhundertwende einzusetzen beginnt. Jugendliche, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund waren daher stark umkämpfte Gruppierungen, welche für die jeweilige Funktion der Aufrechterhaltung und Sicherung des öffentlichen Raumes instrumentalisiert wurden, wenngleich alle Gruppierungen eine eigene agency besaßen und sich als unscharfe soziale Bewegung weniger institutionalisiert im öffentlichen Raum bewegten und weniger Quellenmaterial hinterlassen haben als beispielsweise die Parteien.
4. UMKÄMPFTE RÄUME – DIE ÜBERWACHUNG, KONTROLLE UND WAHRNEHMUNG VON RÄUMEN Die etablierten und vertrauten Ordnungsmuster des alten Kaiserreichs gerieten während der sozialen Unruhen der Novemberrevolution stark ins Wanken. Die zunehmenden Kämpfe um den öffentlichen Raum der Straße und um die Bauten der staatlichen Repräsentanz des Deutschen Kaiserreiches waren nur ein Resultat dieser in Erschütterung geratenen Ordnung. Dieses wurde besonders dort deutlich, wo die routinierten Handlungsabläufe des Alltags einem Wandel unterlagen. Der sichere Raum der Straße wurde zunehmend zu einem Raum politischer und sozialer Auseinandersetzungen, während hier gleichzeitig Fragen nach Sinn und Bedeutung ausgehandelt wurden. Neben neuen Akteuren, die die Straße als ihre Bühne zu entdecken begannen und mittels sozialer Praktiken besetzten, wurde Raum zudem unterschiedlich wahrgenommen. Die gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber dem öffentlichen Raum war sicherlich auch eine Folge der seit der Jahrhundertwende zunehmend wichtiger werdenden Bedeutung desselben als politische Artikulationsbühne.1 Dabei veränderte sich auch die sinnliche Wahrnehmung des städtischen Raumes durch die Akteure, deren Wahrnehmungen und Handlungen in permanenter Korrelation mit den physischen Gegebenheiten ihrer Städte standen und diese erst zu jener öffentlichen Bühne für die Revolution machten. Nicht allein der physische Raum wird hierbei Teil der sozialen Wirklichkeit, sondern eben auch jene anderen Raumebenen. Neben den als ambivalent empfundenen Begleiterscheinungen der Moderne, sind letztlich auch die Handlungen der Akteure ein Resultat für diese verschärfte Aufmerksamkeit gegenüber dem öffentlichen Raum.2 Dabei wurde in Zeiten sozialer Unruhen der Kampf um symbolisch stark aufgeladene Räume, als ein Kampf gegen die Zeichen der staatlichen Repräsentanz von zunehmender Bedeutung, während gleichzeitig die Räume des Alltags vermehrt in den Fokus der revolutionären Ereignisse rückten. Blieben die hoheitlichen Bauten, 1
2
Verwiesen sei hier auf die massiven Lebensmittelunruhen des Jahres 1917, aber auch auf frühere Streikexzesse und Auseinandersetzungen auf der Straße zwischen Polizei und Zivilisten. Keinesfalls soll dieses bedeuten, dass es vor 1900 noch keine Auseinandersetzungen um den öffentlichen Raum gegeben hätte. Vielmehr gewannen die Auseinandersetzungen um die Jahrhundertwende eine andere Qualität mit besser organisierten sozialen Formationen. Zudem befanden sich weite Teile der Bevölkerung nach Umsturz des Kaiserreichs in einem für sie völlig neuartigen politischen Willensbildungsprozess. Vgl. Lindenberger, Straßenpolitik, S. 398ff. Vgl. Geyer, Verkehrte Welt, S. 13–59. Geyer beschreibt eine sich verändernde städtische Gesellschaft unter den Bedingungen der Moderne, welche Geyer als die Konfrontation und Auseinandersetzung mit ihren Krisenphänomenen Weltkrieg, Revolution und Inflation verbindet. München dient ihm hierbei als Synekdoche, d. h. die rivalisierenden und kulturellen Ordnungsvorstellungen ließen sich auch auf andere Großstädte dieser Zeit übertragen. Geyer, Verkehrte Welt, S. 13.
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Plätze und Straßenzüge der Kaiserzeit und deren repräsentative Bedeutung zwar während der gesamten Revolutionszeit weiterhin die primären Ziele von Demonstrationszügen, wurden diese Orte der Revolution durch kleinere privatere Räume ergänzt. Demnach bestand nicht nur eine reine Wechselbeziehung zwischen öffentlichem und privatem Raum, sondern die beiden verschmolzen zunehmend miteinander. Die politische Revolution, das Protestieren und der vermeintliche Einfluss auf die Eliten nahmen daher spürbaren Einfluss auf den Alltag der Menschen je länger dieser Prozess andauerte. Erkennbar ist dieses an den immer feiner ausdifferenzierten Raumerschließungsstrategien, sowohl seitens der Revolutionäre, als auch derjenigen, die diesen Weg nicht mitgehen wollten. Das bedeutet, so die These, welche in diesem Kapitel behandelt wird, dass von der Wahrnehmung des Raumes, Wirkungen auf die Strategien und Handlungen ausgehen konnten. Dieser Prozess ist also nicht nur als das Resultat zielgerichteter Handlungen zu verstehen. Ziel ist es daher zu zeigen, dass sich im Verlauf der Revolution ein Prozess der zunehmenden Nivellierung der Bedeutungswertigkeiten und Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Raum vollzog, in welchen der öffentliche Raum immer stärker in den privaten eindrang, sich mit diesem verknüpfte und an dessen Ende eine vollständige Assimilierung beider Raumeinheiten stand. Diejenigen Ereignisse rund um den 9. November 1918 vor dem Reichstag, im Umfeld des Polizeipräsidiums oder Unter den Linden, die noch heute im kollektiven Gedächtnis mit der Novemberrevolution assoziiert werden, sind jedoch nicht die einzigen Orte, welche für die sozialen Akteure von Bedeutung waren. Die Revolution im öffentlichen Raum, die breite Teile der Bevölkerung politisierte, reichte darüber hinaus in den Alltag hinein. Besonders die politischen Nachrichten- und Spitzeldienste als „Stützen der Gesellschaft“ drangen bis in diese Mikroräume vor.3 Die Revolution war auch eine Zeit der ständigen Observierung, des Beobachtens und Kartierens des städtischen Raumes.4 Zum städtischen Raum gehörten eben nicht nur jene oben angesprochenen öffentlichen Orte, 3
4
Vereinigung Internationaler Verlagsanstalten, Spitzel. Aus dem Sumpf der politischen Polizei, S. 5. Seit der Novemberrevolution hatten sich zahlreiche Spitzelorganisationen speziell in Berlin gebildet. Die nachrichtendienstlichen Stellen der militärischen Verbände gehörten hier ebenso dazu, wie der Geheimdienst der OHL oder die Abteilung III B bzw. der Nachrichtendienst der Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Vgl. Lange, Massenstreik und Schießbefehl, S. 103; Gietinger, Konterrevolution, S. 84ff.; Graf, Politische Polizei, S. 6ff. Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7686. Gerade während der Januarunruhen hatte sich eine Praxis etabliert, „Leute in Dienst“ zu nehmen, „welche Nachrichten aus diesen Organisationen zu bringen bereit waren.“ Für diesen Dienst erhielten die Kuriere einen Tagelohn der Kommandantur. Dabei sollten sie Beobachtungen bei kommunistischen Versammlungen und Demonstrationen vornehmen, um sie anschließend der Kommandantur zu übertragen; vgl. etwa Müller, Bürgerkrieg, S. 46. Während der Januarunruhen und der Besetzungen verschiedener wichtiger Gebäude Berlins hatten offenbar Spitzel den Auftrag der Regierung erhalten, sich mit in die besetzten Gebäude einzuschleusen, bzw. deren Besetzung zuvor mit zu initiieren, um dann gegen Lohn Informationen über die „Spartakisten“ an die Regierung oder das Militär zu senden. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 225, ohne fol., handschriftliche Notiz Hansteins vom 12. Juni 1920.
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sondern auch Orte des Alltags. Hauptmann Hanstein forderte in einer handschriftlichen Anweisung vom 12. Juni 1920 auf, das gesamte Ruhrgebiet zu kartieren. Einem bestimmten Muster folgend sollten Informationen über die Städte Hamm, Kamen, Unna, Iserlohn, Schwerte, Hörde und Dortmund generiert werden. Zusätzlich zu den städtischen Zentren wurde die Beobachtung der Umgebung angewiesen. Neben den zu beschaffenden Informationen sollten zwei Karten im Maßstab 1:100.000 und 1:25.000 angefertigt werden, inklusive eines Verzeichnisses über die politisch führenden Persönlichkeiten und radikalen Führer, welches in doppelter Ausführung an die Behörden gehen sollte. Besonderer Wert sollte darauf gelegt werden, dass insbesondere diejenigen öffentlichen Gebäude sowie Kolonien, in denen Radikale wohnten, durch farbliche Markierungen kenntlich gemacht werden sollten.5 So ergaben sich Fragen, wie Personen als „radikale Elemente markiert“ werden sollten, welche Eigenschaften diesen Leuten zugeschrieben werden sollten und wo diese sich aufhielten. Mit der so vorgenommenen Zonierung wurden Gebiete in Bereiche eingeteilt, in denen man sich gefahrlos bewegen konnte oder die als gefährlich galten.6 Während der sozialen Unruhen der Revolution kam es also nicht ausschließlich zum offenen Kampf zwischen sich einander gegenüberstehenden Gruppierungen, sondern auch zu Auseinandersetzungen auf einer subtileren Ebene der Agenten und Spitzel, welche durch die persönliche Vorteilsnahme Informationen der einen Gruppierung an die jeweils andere lieferten. Entscheidend ist nun die daraus resultierende Frage, welche Raumerschließungsstrategien die Akteure im Verlauf der Revolution zu entwickeln begannen und welche Zuschreibungsprozesse mit diesen Strategien verbunden waren.7 Die Schilderung von Raumerfahrung in historischen Dokumenten ersetzt zwar nicht eine „reale“ Form der Erfahrung von Raum, sie bietet jedoch die Möglichkeit zwischen unterschiedlicher Raumerfahrung zu differenzieren und nach Charakteristiken zu forschen, die soziale Formationen und deren innere Kohäsionskräfte erklären können. Üblicherweise sind es nicht-staatlich überlieferte Quellen wie Tageszeitungen, Feuilletonartikel oder Romane, die das Lesen von Großstadterfahrung möglich gemacht haben.8 Das mag zwar eine hinreichende Bedingung für die Untersuchung von Wahrnehmung des Räumlichen sein, jedoch keine notwendige. Die Berichte politischer Agenten, die – sei es auf Seiten der kommunistischen Gruppierungen oder auf Seiten des Militärs – das jeweilige andere „politische Lager“ observierten und ausspähten, geben Aufschluss darüber, wie Raum im Alltag der Gruppierungen organisiert wurde und wie man sich räumlich voneinander abgrenzte. Dabei bedienten sich die unterschiedlichen Gruppierungen mancherorts derselben Strategien, wenngleich sie Raum oft unterschiedlich wahrnahmen. Auf 5 6 7 8
Ebd. Siehe hierzu Kapitel 7.2. Goffman, Rahmen-Analyse, S. 16. „Ich gehe davon aus, daß Menschen, die sich gerade in einer Situation befinden, vor der Frage stehen: Was geht hier eigentlich vor?“ Vgl. etwa Quellen wie die vom „bekannten Sittenschilderer und Sozialkritiker“ Hans Ostwald herausgegebenen Großstadtdokumente. Vgl. Edel, Neu-Berlin, Klappentext. Vgl. Fritzsche, Reading Berlin, S. 8f.; vgl. Brunn, Metropolis Berlin, S. 24ff.; vgl. Briesen, Berlin, S. 39–48; vgl. etwa Jameson, Augen auf! Streifzüge durch das Berlin der zwanziger Jahre.
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diese vielfältige Lesart und Nutzung der städtischen Umwelt hat bereits der Humangeograph Yi-Fu Tuan aufmerksam gemacht. „A large city offers many types of physical environment. Let us focus on the street scene. The street would seem to be a fairly specific type of physical environment but in fact its character and use can vary enormously. At one extreme, it is a narrow crooked lane, unpaved or paved with cobble, packed with jostling people and carts, a place that assaults the senses with noise, odor, and color. At the other, it is a wide straight avenue, bordered by trees or blank walls, an imposing space that is almost devoid of life.“9
Diente die „gemütliche Parteikneipe um die Ecke“ demnach dem „Spartakisten“ als Ort der Verbrüderung oder gar als zweite Heimat, so konnte dieser halb öffentliche, halb private Raum durch einen eingeschleusten Agenten als „Hort des Kommunismus“ wahrgenommen werden.10 Diese Rückzugsorte, an denen man politische Strategien entwickelte, die Revolution vorantrieb, waren wesentlich für den Zusammenhalt einer Gruppe.11 Dabei konnten Gefühle oder Stimmungen eine Symbiose mit einem Ort eingehen.12 Die nachrichtendienstliche Praxis der eingesetzten Agenten diente somit auch der Definierung und Festigung einer sozialen Gruppe. Die Beobachtungen und Aussagen, die hier über das „Fremde“ getroffen wurden, sagten vieles über das eigene Handeln aus. Neben den Kämpfen um politische Positionen oder repräsentative und symbolisch hoch aufgeladene Orte, fanden Auseinandersetzungen auch um die Informations- und Nachrichtenhoheit in einer Stadt oder einer Region statt. Die Rolle politischer Nachrichtendienste kann daher während der Revolution nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ein umfangreiches System von Agenten und Spitzeln, die innerhalb des gegnerischen Lagers operierten, entwickelten Strategien, um den feindlichen Raum strategisch zu erschließen, ihn zu erobern und schließlich zu kontrollieren. Eine dieser Raumerschließungsorganisationen bildete das Nachrichtenbüro Heinz Kölpin, welches in der Spionageabwehr als Kriminal-Ermittlungsdienst des Wehrkreiskommandos VI im westfälischen Münster tätig war. Die zahlreich angefertigten Berichte der verschiedenen Agenten Kölpins bilden eine hervorragende Quelle, um Rückschlüsse auf die Raumüberwachung und -kontrolle der staatlichen Seite während der Revolution sowie der gegenseitigen Wahrnehmung der sich einander gegenüberstehenden Gruppierungen 9 Tuan, Topophilia, S. 174. 10 Hübner, Zwischen Vereinskneipe und Sportarena, S. 148. „Vereinslokale und Kiezkneipen waren deshalb nicht [nur] als ‚Oasen‘ alkoholgestützter Geselligkeit zu betrachten, sondern auch als typische Orte eigenständiger Kultur.“ Gerade für die Arbeiter besaß die Kneipe einen hohen Stellenwert, denn durch den Konsum von Alkohol konnte der Arbeiter seine „persönliche Freiheit“ und auch das Trinken „in der freigewählten Gemeinschaft“ ausleben, das Spendieren von „Runden“ war Teil einer kulturellen Identität. Vgl., Hübner, Zwischen Vereinskneipe und Sportarena, S. 141; das gemeinsame Trinken in einer Stammlokalität hatte somit eine hohe symbolische Bedeutung. Parallel dazu entstand jedoch ein Diskurs, welcher gerade den „abstinenten“ Arbeiter propagierte. Das Vereinsleben spielte im Leben der Arbeiter eine übergeordnete Rolle. „Das Entscheidende war das Gefühl der Zusammengehörigkeit, des Sich-Kennens, des Sich-aufeinander-Verlassenkönnens.“ Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 329. 11 Tuan, Topophilia, S. 246. „The group, expressing and enforcing the cultural standards of society, affects strongly the perception, attitude, and environmental value of its members.“ 12 Ebd., S. 113. „The term topophilia couples sentiment with place.“
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zu ziehen.13 Dass Kölpin seitens des kommandierenden Generals Freiherr von Gayl bereits seit August 1916 berechtigt war „ungehindert“ bei den Militär- und Zivilbehörden „passieren“ zu können und ihm auch sonst jede Unterstützung gewährleistet sein sollte, zeigt, welchen Status dieses Büro zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, Ruhe und Ordnung während der Revolution besitzen konnte. 4.1 ZUR ENTWICKLUNG DER POLITISCHEN POLIZEI UND NACHRICHTENDIENSTE IN DER WEIMARER REPUBLIK Besonders in Preußen, aber auch im gesamten Deutschen Reich, wurden die Position und der Einfluss der politischen Polizei durch die Sozialistengesetze und katalysatorisch wirkende Ereignisse, wie die Attentate auf den deutschen Kaiser im Jahr 1878, gestärkt. Bildeten die „drei Jahrzehnte vor der Revolution von 1848 den ersten Höhepunkt des Wirkens der politischen Polizei in Preußen, so ist die Periode von 1878 bis zum Novemberumsturz von 1918 durch ein erneutes Hervortreten der preußischen politischen Polizei“ gekennzeichnet.14 Da man nach den Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. vom 11. Mai und 2. Juni 1878 allmählich den „offenen Aufstand“ erwartete, plante man die Neugestaltung der politischen Polizei. Die beim Berliner Polizeipräsidium angesiedelte politisch-polizeiliche Dienststelle sollte zum Zentrum für Preußen ausgebaut werden.15 Im Fokus der Tätigkeiten dieser Polizei stand aufgrund der zu erwartenden Unruhen die umfassende Überwachung der Anarchisten und Sozialdemokratie mittels eines Spitzelsystems, indem dort sogenannte Vertrauensleute installiert wurden. Dieses System war über die Grenzen des deutschen Reichsgebietes hinaus geplant. Die Beobachtung von radikalen politischen Organisationen war zur Aufgabe „besonderer Behörden“ geworden, die speziell an die Polizeipräsidien der Hauptstädte angegliedert waren.16 Die Zentralstelle zur Bekämpfung der Sozialdemokratie hatte ihren nachrichtendienstlichen Sitz in der Politischen Abteilung des Berliner Polizeipräsidiums.17 Mittels Agenten, die in allen größeren Städten Deutschlands
13 Siehe den umfassenden Quellenbestand „Büro Kölpin“ im Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen. 14 Hier und im Folgenden Weiss, Polizei und Politik, S. 51. Der spätere Polizeivizepräsident Weiss wurde im Sommer 1918 als stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei in Berlin eingesetzt. Seine Schilderungen der politischen Polizei während der frühen Weimarer Republik haben somit einen besonderen Wert, da Weiss unmittelbar von den Ereignissen der Revolution betroffen war. Vgl. Rott, „Ich gehe meinen Weg ungehindert geradeaus“, S. 35–39. 15 Hierfür waren Sitze der Auslands-Vertrauensleute in Paris, Genf, Budapest, London, Wien, Krakau und Brüssel geplant. Nicht zu verwechseln waren diese Spitzel mit sogenannten Lockspitzeln. Diese hatten die Aufgabe staatsfeindliche Aktionen hervorzurufen, um dann Pläne an die politische Polizei weiterleiten zu können. 16 Schulz, Deutschland am Vorabend der grossen Krise, S. 329. 17 Eine Zentralstelle zur Bekämpfung der anarchistischen Bewegung mit Zuständigkeit für das gesamte Reich wurde bereits im Jahr 1899 eingerichtet. Zum Stellenwert der durch Nachrichtendienste beschafften Dokumente vgl. Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 333ff.
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eingesetzt wurden und besonders über die Situation in den revolutionären Brennpunkten berichteten, besaß die Polizei einen umfassenden Apparat zur Observierung und Kontrolle gegnerischer Gruppierungen. Neben einer Zentralstelle zur Bekämpfung der anarchistischen Bewegung wurde 1907 eine Staatspolizeistelle zur Abwehr von Landesverrat gegründet, welche im Ersten Weltkrieg weiter ausgebaut wurde. Hierbei unterschied man nicht zwischen der Observierung von politischen oder kriminellen Sachverhalten. Mit der Revolution kommt es zu einem kurzen Intermezzo in der Geschichte des Polizeiwesens, denn die politische Polizei wurde durch Emil Eichhorn, Volkskommissar für den öffentlichen Sicherheitsdienst und Polizeipräsident Berlin aufgelöst, um sie jedoch bereits Anfang 1919 wieder als „verstecktes Anhängsel einer mit anderen Aufgaben betrauten Abteilung (I) des Berliner Polizeipräsidiums ins Leben“18 zu rufen. Ihrem Ruf einer „Räuberbande“ gerecht werdend soll sie „ihre polizeilichen Funktionen zu dunklen Zwecken“19 missbraucht haben. Für die Sicherheit war nunmehr seit den Novembertagen die 3.600 Mann starke Sicherheitswehr von Eichhorn zuständig, welche sich jedoch als „unzuverlässiges“ und „ungeeignetes Kampfmittel“20 herausstellte. Weiss zufolge dauerte es eine gewisse Zeit, bis die Abteilung Ia als politische Polizei fungieren konnte.21 Zu den Aufgaben der politischen Polizei gehörte in erster Linie die Aufdeckung von politischen Straftaten. Zu diesen wurde der Hoch- und Landesverrat als sogenannte Staatsverbrechen gerechnet. Beide Vergehen wurden als Angriff sowohl auf die innere, als auch die äußere Ordnung aufgefasst. Seit November 1918 gewann der § 81 Ziffer 2 des Reichsstrafgesetzbuches an zunehmender Bedeutung. Nach diesem wurde das „Unternehmen einer gewaltsamen Änderung der Verfassung“ verurteilt. Die §§ 87–92 des Reichsstrafgesetzbuches regelten den Verrat militärischer Geheimnisse. „Unter den deutschen Staatsangehörigen, die sich als Landesverräter und Spione betätigen, befinden sich Angehörige aller Gesellschaftsklassen und aller politischen Parteigruppen, Männer wie Frauen. Die letzteren gehören bisweilen zu den gefährlichsten Verrätern.“22 Ein weiterer Aufgabenbereich bestand im Ermitteln wegen Sachbeschädigungen aller Art. „Politisch Linksstehende vergriffen sich an Kunstwerken monarchischen Charakters, beschädigten die Denkmäler einstiger Fürsten monarchischen Charakters, oder zerschnitten Kaisergemälde. Auf der anderen Seite wurden von rechtsradikalen Parteigängern Symbole der Republik angegriffen oder gar Friedhofs-Gedenkbilder zerstört“, so Weiss.23
18 Weiss, Polizei und Politik, S. 29–54, hier S. 54. Weiss war Leiter der Abteilung Ia beim Polizeipräsidium und Vizepräsident der Polizei in Berlin. Zur „Lücke in der rechtsstaatlichen Konstruktion“ siehe Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, S. 333–348 u. S. 370–382; vgl. die Habilitationsschrift von Graf, Politische Polizei zwischen Demokratie und Diktatur; vgl. dazu Köhler, Behauptungen statt Belege. 19 Wohlfeil, Reichswehr und Republik, S. 57. 20 Ebd., S. 57. 21 Weiss, Polizei und Politik, S. 53f. 22 Weiss, Polizei und Politik, S. 67. 23 Ebd., S. 90.
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Während zahlreicher Plünderungsaktionen machten sich nach November 1918 „Verbrecher in Uniform diese Angst der Bevölkerung zunutze und brandschatzten in der Maske von Arbeiter- und Soldatenräten die Besitzenden.“24 Die Beseitigung der politischen Abteilung V des Polizeipräsidiums veranlasste Eichhorn dennoch kurz darauf eine Gruppierung zu errichten, welche den Aufgabenbereich der Politischen Polizei abdecken sollte. Hierfür sollten Mitglieder der Arbeiter- und Soldatenräte eingesetzt werden, um eine deutliche personelle Zäsur zu den Beamten des Kaiserreiches zu schaffen.25 Unter Eichhorns Nachfolger Eugen Ernst, einem SPD Mann und Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats von Groß-Berlin, begann der Aufbau einer umfassenderen Spitzeleinheit.26 Das Berliner Polizeipräsidium hatte hier eine Doppelfunktion als Orts- und Landesbehörde inne, weswegen es auch über die Stadtgrenzen Berlins hinaus tätig werden konnte. Der Staatskommissar für die öffentliche Ordnung besaß mit der Zentralsammelstelle für den politischen Nachrichtendienst einen starken Einfluss und arbeitete eng mit der Sicherheitspolizei zusammen. 1920 ging das Staatskommissariat für die öffentliche Ordnung ins Preußische Innenministerium über, während das Polizeipräsidium als Nachrichtensammelstelle für die Sachgebiete der Spionageabwehr und der Abschirmung der von den Alliierten untersagten deutschen Geheimrüstungen zuständig war. So wurden beispielsweise unter der sächsischen Regierung im Verlauf der 1919er und 1920er Jahre Dienststellen zur Koordinierung von politischen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen eingerichtet. Auf Seiten der KPD kam es parallel bereits Anfang 1919 zur Bildung einer militärischen Abteilung, der sogenannten M-Abteilung unter Willi Budich, welcher während der Anfangstage der Revolution Bekanntheit erlangt hatte, als er am 15. November 1918 den Roten Soldatenbund gründete, von dem später Teile in den Kampforganisationen aufgingen.27 Die Zeit des revolutionären Deutschlands war durch tiefe innerpolitische Spitzelmilieus geprägt, in denen nicht ausschließlich Polizeibehörden, sondern auch militärische Formationen und politische Privatorganisationen einen innerpolitischen Nachrichtendienst unterhielten.28 Im Kampf um die Informationshoheit über geplante Streiks und Demonstrationen erhielt der politische Nachrichtendienst daher wichtige Präventivaufgaben. Von Bernhard Weiss wurde er deshalb als das „Rückgrat der gesamten politischen Polizei” bezeichnet.29 Ein ähnliches Spitzelsystem existierte auch auf Seiten der „staatsfeindlichen“ Organisationen, sodass 24 Ebd., S. 92. 25 Graf, Politische Polizei, S. 7. Unter Eichhorns Nachfolger Eugen Ernst wurde eine politische Polizei als Anhängsel der Abteilung I des Polizeipräsidiums Berlin getarnt. 26 Mingerzahn, Eugen Ernst. Ernst war von Januar 1919 bis März 1920 Polizeipräsident in Berlin, danach in Breslau. 27 Vgl. Herbell, Staatsbürger in Uniform, S. 243. Budich spielte bei den weiteren kommunistischen Erhebungen des Jahres 1923 eine tragende Rolle. Die entscheidenden Fähigkeiten während der Auseinandersetzungen konnte er sich während seines Aufenthaltes während des russischen Bürgerkrieges aneignen. 28 Weiss, Polizei und Politik, S. 78. 29 Ebd., S. 99.
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Deutschland aufgrund dieser Strukturen eine regelrechte „Spitzelseuche“ attestiert wurde.30 Inhalte und Ziele des politischen Nachrichtendienstes bestanden im Anfertigen von Mitteilungen über staatsfeindliche Strömungen. Das Erstellen von Plänen stand zunächst im Zentrum der nachrichtendienstlichen Arbeit, während es besonders auf deren Auswertung „zu Zwecken des polizeilichen Vorgehens“ ankam.31 In Deutschland herrschte so seitens der politischen Polizei eine ständige Berichterstattung. Der Einschätzung Weiss zufolge musste bei der Informationsbeschaffung auf den „Echtheitsgehalt“ dieser Nachrichten hingewiesen werden.32 Nicht jede der täglich zu liefernden Meldungen entsprach tatsächlich gemachter Beobachtungen oder Recherchen, sodass es unter dem Druck des Lieferns von Informationen zu Erfindungen kommen konnte. Träger dieses Nachrichtendienstes waren in erster Linie Beamte der politischen Polizei. Diese „werden sich durch unmittelbare eigene persönliche Wahrnehmung davon überzeugen […] ob staatsfeindliche Bestrebungen im Gange sind“, so Weiss.33 Dafür werteten sie die Presse aus und observierten Versammlungen. Neben der Überwachung von Organisationen wurden Einzelpersonen beobachtet. Darüber hinaus konnten auch Zivilisten im Dienst der politischen Polizei stehen, indem sie den Behörden ihre Beobachtungen oder Gehörtes mitteilten. Weiss zufolge sei „der größte Teil aller jener Mitteilungen, welche die staatsfeindliche Presse als ‚Spitzelnachrichten‘ zu brandmarken versuchte […] in Wirklichkeit freiwillige Mitteilungen des Publikums.“34 Die Zeit der Revolution kann neben der Suche nach politischer Neuorientierung auch als ein Kampf um die Informationshoheit angesehen werden. Allein im Februar 1919 bestanden etwa 60 militärische oder ähnliche Geheimdienstagenturen, die bis Jahresende aufgelöst oder umgewandelt wurden und für private Auftraggeber weiterarbeiteten. Oftmals arbeiteten einige der Organisationen wie die im Dezember 1918 gegründete „Deutsche Nachrichtenzentrale“ unter der Tarnbezeichnung „Deutsche Ostmarkenhilfe“. Deren Leiter Gustav Gerhardt, ein Mitglied des Vollzugsausschusses der revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte, hatte mit dieser Institution eine der wichtigsten Informationszentren für das deutsche Militär geschaffen.35 Viele dieser Organisationen arbeiteten für die Sicherheitspolizei, wurden dann jedoch im weiteren Verlauf nach der Revolution zu privaten Detekteien, die speziell in Norddeutschland sehr gut organisiert waren.36 30 31 32 33 34 35 36
Ebd., S. 106. Ebd., S. 99. Ebd., S. 99 u. S. 108. Ebd., S. 101. Ebd., S. 102. Vgl. Stöber, Die erfolgverführte Nation, S. 48–50. Rote Fahne Nr. 161 vom 20. August 1920. 1920 wurde sie als „Deutsche Wirtschaftshilfe“ und dann schließlich als „Pinkerton-Gesellschaft“ ausschließlich auf ein privates Klientel in der Wirtschaft mit antigewerkschaftlicher Tendenz gerichtet. Die Geschichte des privaten Sicherheitsdienstes beginnt bereits 1832 in Paris mit Eugène François Vidocq. Auch in Amerika gründete Robert Pinkerton die kleine Firma Pinkerton & Co., aus der 1850 Pinkerton’s National Detective Agency hervorging. 1901 wurde dann in Hannover das erste private Wachdienstgewerbe gegründet. Das Bedürfnis den privaten Raum zu schützen, wurde also schon sehr früh institutionalisiert.
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Die Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Innern war seit dem Ersten Weltkrieg wesentlich an der Bekämpfung der feindlichen Pressepropaganda und einer aktiven Pressepolitik und Sammlung aller wichtigen Informationen beteiligt. Beim Preußischen Staatsministerium existierte ein Nachrichtendienst seit dem Frühjahr 1919, welcher am 21. Juli 1919 durch Staatsministerialbeschluss in ein besonderes „Staatskommissariat für die Überwachung der öffentlichen Ordnung“ und schließlich am 9. Dezember 1919 als „Staatskommissar für öffentliche Ordnung“ eingerichtet wurde.37 Die Aufgabe bestand nach Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderliche Maßnahmen zu treffen.38 In Art. 48 Abs. 2 WRV werden dem Reichspräsidenten polizeiliche Kompetenzen für den Ausnahmezustand übertragen. „Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.“39
Der preußische Staatskommissar arbeitete eng mit den Meldestellen der Oberpräsidien zusammen, aber auch mit Polizeibehörden anderer Bundesstaaten zur Nachrichtengewinnung.40 Die Nachrichtenstelle bezog ihre Informationen von den Meldestellen, die unter Leitung eines höheren Beamten bei allen Oberpräsidien eingerichtet waren und dann im direkten Verkehr mit den Polizeibehörden auch der Nachbarstaaten und des Auslands standen und mittels privater Quellen Informationen liefern konnten, oftmals unter der Verwendung von bezahlten Agenten.41
37 BA B, R 43 I, Nr. 2305, ohne fol., Geheime Denkschrift vom 22. Dezember 1919. Die Aufgabe sei „für das preußische Staatsgebiet alle Bestrebungen, die auf Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, auf wirtschaftliche Sabotage, auf illegale Aufwiegelung der Volksleidenschaften gerichtet sind, zu überwachen, ihnen durch Maßnahmen der vollziehenden Gewalt entgegenzutreten und durch Aufklärung der öffentlichen Meinung entgegenzuwirken […].“ Wenn eine Krise sich über das gesamte Reich ausbreiten würde, so sei vorher „eine weit verzweigte Nachrichtenorganisation“ geschaffen worden. „Das setzt ihn in den Stand, am zuverlässigsten und genauestens über die innere Lage sowohl in Preußen und seinen Provinzen als auch in den einzelnen Ländern und Staaten eingehend unterrichtet zu sein. Ihm stehen die Mittel für eine zur zutreffenden Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse erforderlichen Vergleichung der verschiedenen Nachrichten zur Verfügung.“ Vgl. Ritter (Hrsg.), Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung und Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Innern. Vgl. für die Zeit des Kaiserreichs Höhn (Hrsg.), Vaterlandslose Gesellen. Die Sozialdemokratie im Lichte der Geheimberichte der preußischen Polizei. 38 Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, in: Dokumentarchiv, URL: . 39 Ebd. Von diesem Mittel wurde während revolutionärer Unruhen relativ häufig Gebrauch gemacht. Allein im Jahre 1919 wurde acht Mal die Verhängung des Belagerungszustandes über diverse Gebiete und Städte vollzogen. 40 Vgl. BA B, R 43 I, Nr. 2305, fol. 6, 40–81, 158–172. 41 Kessler, Tagebücher 1933–1937, S. 231f.; ferner Brecht, Aus nächster Nähe, S. 327f. und Schulze, Otto Braun, S. 377ff.
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Dass es einen Mehrwert ergeben würde, wenn nicht Polizisten die Überwachungsfunktion übernahmen, sondern verdeckte Spitzel, geht aus einem Bericht des Regierungsrats Dr. Zorn hervor, der über die Verhältnisse innerhalb der unabhängigen Sozialdemokratie in Bochum berichtet: „Im hiesigen Regierungsbezirk hat die unabhängige sozialdemokratische Arbeiterpartei längere Zeit nennenswerte Fortschritte nicht aufzuweisen gehabt. Abgesehen von kleineren Erfolgen unter der Metallarbeiterschaft in den Kreisen Hagen und Schwelm, ist es namentlich unter der Bergarbeiterbevölkerung in dieser Hinsicht ruhig geblieben. Seit Mitte dieses Jahres etwa versucht die Partei mit steigendem Eifer in den sozialdemokratischen Gewerkschaften des Industriebezirks, namentlich auch im alten Bergarbeiterverbande Einfluß zu gewinnen. Bei dieser Werbung spielt der Parteivorsitzende des Wahlkreises Bochum-Gelsenkirchen – Hattingen – Witten Worzek, über den ich demnächst auf den Runderlaß vom 2. Oktober 1918 C B Nr. 760 berichten werde, eine erhebliche Rolle. Die Führer arbeiten meist in geheimen Zusammenkünften, die von dem Polizei-Präsidenten in Bochum absichtlich nicht gestört werden, weil er über ihren Verlauf zuverlässige Berichte erhält. Er vertritt den Standpunkt, daß sich auf diese Weise mehr über über die Arbeit der Partei erfahren läßt, als bei polizeilicher Überwachung. Neuerdings wird von der Partei der Unabhängigen eine Hauswerbung bei den Mitgliedern des alten Bergarbeiterverbandes beabsichtigt. Der Polizei-Präsident in Bochum hat von diesem Vorhaben den Leitern des Alten Bergarbeiterverbandes vertraulich Kenntnis gegeben, diese sind der Ansicht, daß die Unabhängigen unter den hiesigen Bergleuten nennenswerten Anhang kaum finden werden.“ 42
Aus dem Bericht wird zweierlei deutlich. Zum einen, dass gezielt nach den führenden Köpfen in der Bewegung Ausschau gehalten wurde, während darüber hinaus auch versucht wurde, Informationen über die Strategien der Unabhängigen einzuholen, um so wiederum geeignete Pläne entwickeln zu können, die ein erfolgreiches Vorgehen gegen die Kommunisten versprachen. 4.2 „JEDER NACHRICHTENDIENST IST SO GUT WIE SEINE MITARBEITER“ – ORGANISATION DER NACHRICHTENDIENSTSTELLE BÜRO KÖLPIN „Ein guter Nachrichtendienst ist die Vorbedingung dafür, dass alle getroffenen Vorbereitungen auch in Wirksamkeit treten und Erfolg haben. Überraschungen dürfen nicht vorkommen. Die Beseitigung der aus ihnen erwachsenden Nachteile erfordert stets sehr viel Arbeit und Kräfteeinsatz. Weiss [sic] man die Massnahmen des Gegners rechtzeitig vorher, so kann man sie stets mit verhältnismässig [sic] geringen Kräften vereiteln.“43
Als eine dieser umfassenden militärisch strategischen Überwachungsinstitutionen in der Weimarer Republik kann das Büro Heinz Kölpin im Wehrkreiskommando
42 LAV NRW W, Oberpräsidium, Nr. 6128, fol. 379, Bericht des Regierungsrats Dr. Zorn an den Regierungspräsidenten, I. 1 Nr. 370, Arnsberg den 16. Oktober 1918. 43 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 29 RS, Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ic Nr. 45 pers., Anweisung eines Militärbefehlshabers an die Polizeibehörden für den Ausbruch von Unruhen, Münster 23. September 1919.
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VI Münster bezeichnet werden.44 Die Reichswehr befand sich nach dem Gesetz vom 6. März 1919 noch als „vorläufige Reichswehr“ in einem massiven Umwälzungsprozess. Im „Zentrum der Krise“, gerade während des Kapp-Putsches, stand die militärische Folgsamkeit vieler Soldaten, Freikorpsmitgliedern und Kadern des ehemaligen Heeres gegenüber ihrem Oberbefehlshaber Walther Freiherr von Lüttwitz. Regierungstreues Handeln gegenüber der Verfassung stellte somit nicht die Norm dar.45 Deshalb war eine zuverlässige Informationspolitik des Militärs umso wichtiger. Die Aufgabe des Wehrkreiskommandos VI mit Sitz in Münster unter der Leitung des württembergischen Generalleutnants Oskar Freiherr von Watter bestand während dieser Krise darin, die „verlorengegangene staatliche Autorität i[m] verlustreiche[n] Bürgerkrieg wiederherzustellen“, während der Verlauf der Ereignisse zunächst von Berlin aus gelenkt wurde.46 Gerade in den Märztagen des Jahres 1920 führte dieses zu gewissen Kompetenzstreitigkeiten, denn obwohl von Watter durch den von Noske verhängten Belagerungszustand die vollziehende Gewalt übertragen worden war, geriet von Watter mit Carl Severing, dem Staatskommissar für die Steigerung der Kohlenproduktion in Konflikt.47 Das Büro Kölpin sollte dabei helfen, diesen Konflikt auszuräumen. Kölpin war bereits zu Beginn der Revolution zum Wehrkreiskommando VI berufen worden, um eine Organisation zu begründen, die es ermöglichte mit allen Mitteln an Informationen aus den Parteien im Ruhrgebiet zu gelangen.48 Aufgrund der politischen Brisanz ist die archivalische Überlieferung von Geheimdiensten und „Spitzelinstitutionen“ relativ problematisch.49 Für den Bestand Kölpin trifft dies nur bedingt zu. Über die Wichtigkeit des sich im Staatsarchiv Münster befindlichen Bestands kann für die Geschichte der Revolution im rheinisch-westfälischen Industriegebiet kein Zweifel bestehen.50 44 Gehlen, Der Dienst, S. 195. Über den Mitarbeiterstab können keine gesicherten Angaben getroffen werden. Einen direkten Mitarbeiter besaß Kölpin zwar nicht, jedoch arbeiteten ihm einige Agenten im gesamten Ruhrgebiet unter Pseudonymen zu. Vgl. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 179, ohne fol., Aus einem Spitzelbericht. Zum Wehrkreiskommando VI vgl. Hürten, Wehrkreiskommando VI. 45 Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 127. Als „Höhepunkt der revolutionären Bewegung der deutschen Arbeiter nach dem ersten Weltkrieg“ ist die Überlieferungslage der Quellen als relativ günstig zu bezeichnen. Vgl. Löwenthal, Einführung, S. IX. Zum Verhältnis von Reichswehr und Politik vgl. Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch. 46 Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 128. Zur negativen Beurteilung der Rolle von Watters vgl. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel; vgl. Severing, Mein Lebensweg I, S. 188ff. Weniger kritisch formuliert dieses Hans Spethmann in seinem zweiten Band der Geschichte des Ruhrbergbaus vgl. Spethmann, Das Ruhrgebiet, S. 260–263; ferner Eliasberg, Der Ruhrkrieg von 1920; Lucas, Märzrevolution I-III. 47 Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 307. Dazu vgl. Severing, Im Wetter- und Watterwinkel, S. 131– 144. 48 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 9, persönliche Niederschrift Kölpins vom 5. Juni 1921. 49 Lucas, Märzrevolution I, S. 208, Anm. 55. Lucas bezeichnet das Büro Kölpin als Spitzelzentrale. 50 LAV NRW W, 12 M 63, Rainer Münzberg, Das Nachrichtenbüro des Politischen Kommissars Kölpin in Münster zu Beginn der zwanziger Jahre, Münster 1974, S. 54, Anm. 24 „Mündliche
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Eine organisatorische und räumliche Selbständigkeit des Büro Kölpins war offenbar aus Tarnungsgründen eingeführt worden und damit sich die Abteilung Ic des Wehrkreiskommando VI von der teils illegalen und zwielichtigen Arbeit Kölpins, die ja weit über die an sich nur militärische Aufgabenstellung der Abteilung hinausging, distanzieren konnte. Offiziell beschäftigte das Generalkommando nämlich keine Agenten. Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob Kölpin sein Büro allein geführt hat oder ob er noch direkte Mitarbeiter hatte. Kölpin wertete die eingehenden Berichte nicht nur aus und teilte den Vertrauensleuten von seinem Büro aus Aufgaben zu, er war auch selbst im Ruhrgebiet als Agent tätig. Nach Abklingen der Unruhen im Ruhrgebiet reichte Kölpin, dessen Gesundheit durch dienstliche Überbeanspruchung sehr angegriffen schien, seinen Abschied ein. Kölpin, der als „tatkräftiger“, „unermüdlicher“, „umsichtiger“ und „erfolgreicher“ Kriminalbeamter galt, wurde beauftragt „bei Eintritt der Revolution 1918 eine Organisation im Korpsbezirk ins Leben zu rufen, die es ermöglichte, auf illegalem Wege Nachrichten aus den Parteien des Ruhrbezirks, die sich hauptsächlich auf linksradikale Parteien erstreckte, zu erhalten.“51 Dies war umso mehr notwendig, da der Generalsoldatenrat beim Wehrkreiskommando tagte, sodass fast alle Behörden demoralisiert waren und Briefe offenbar weder kamen noch abgingen.52 Kölpins Organisation informierte somit das Wehrkreiskommando über sämtliche Bewegungen im Ruhrgebiet und war für das Eingreifen der Regierungstruppen während der Märzunruhen maßgeblich mitverantwortlich. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde Kölpin mit kriminalpolizeilichen „herausfordernden“ Aufgaben im Ausland betraut und bekam so einen Eindruck dessen, was es bedeutete, eine Spitzeltätigkeit für den stellvertretenden Generalstab der Armee im feindlichen Raum auszuüben.53 In den Niederlanden überwachte er deutsche Emigranten, bediente sich dabei des „Räuberzivils eines Metzgers.“54 Wäh-
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Auskunft von Frau Kölpin: Ein grosser [sic] Teil der Unterlagen wurde durch den Bombenvolltreffer im Hause Kanalstr. 49 vernichtet. Ein weiterer Teil wurde nach dem 2. Weltkrieg in der Nähe Ladbergens, wo Kölpin sie auf einem Bauernhof ausgelagert hatte, von den Alliierten entdeckt und beschlagnahmt. Über den Verbleib ist nichts bekannt.“ Immerhin sind es 352 Akten und 18 Karteikästen, die man im Staatsarchiv einsehen kann. Die Pionierstudien zu den Märzunruhen lassen das Büro Kölpin weitestgehend unberücksichtigt. Vgl. Beelke, Münster und seine Artillerie. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, ohne fol., beglaubigte Abschrift eines Zeugnisses über Heinz Kölpin von Landrichter Vehring vom 23. Dezember 1919. Ebd., ohne fol., Rechenschaftsbericht ohne Adressat vom 5. Juni 1921; vgl. ebd., ohne fol., beglaubigte Abschrift eines Zeugnisses über Heinz Kölpin von Landrichter Vehring vom 23. Dezember 1919. Westfälische Nachrichten Münster Nr. 92 vom 20. April 1963, S. 14; vgl. auch Münstersche Zeitung Nr. 92 vom 20. April 1953, S. 7. Schulte, Münstersche Chronik zu Spartakismus, S. 301.
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rend des Ersten Weltkriegs war er „im Spionageabwehr- und Kriminalermittlungsdienst des VII. Armeekorps tätig“55. Im Zuge der Revolution wurde er zum Wehrkreiskommando VI berufen, um mit allen Mitteln Nachrichten aus den Parteien des Ruhrbezirks, hauptsächlich der linksradikalen Parteien zu gewinnen.56 Kölpin wurde so politischer Kommissar bei der Generalstabsabteilung Ic im Bereich der Feindnachrichten57 , welcher von Watter unterstand. Von Watter galt als streng reaktionär und sortierte nach seinem Amtsantritt das Generalkommando nach dieser Überzeugung um.58 Um die Organisation und Praxis des Nachrichtenbüros zu schildern soll zunächst auf die umfassende Neustrukturierung im Militär eingegangen werden, um diese besser einschätzen zu können. Bereits einige Monate nach Ausbruch der Revolution wurde das VII. Armeekorps in Münster, dem von Watter seit dem 23. Januar 1919 als kommandierender General vorstand, im Zuge der Neuformierung der Armee zum Wehrkreiskommando VI umgestaltet. Das problematische Verhältnis zwischen Reichswehr und Offizieren wird besonders während des Kapp-Putsches deutlich, denn hier war einerseits die Verfassung zu schützen, während andererseits der Befehlsgehorsam gegenüber den Vorgesetzten eingehalten werden musste.59 Der Streikaufruf von Tei-
55 Münzberg, Das Nachrichtenbüro des Politischen Kommissars Kölpin, S. 5. Die nicht publizierte Arbeit befindet sich in der Bibliothek des Staatsarchivs Münster. Vgl. LAV NRW W, Signatur 12 M 63. 56 LAV NRW W, Büro Kölpin Nr. 154, fol. 9. Als Mitglied der 1921 aufgelösten Organisation Escherich und Mitglied des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, sowie des Stahlhelm kann Kölpin eher im Bereich des national konservativen Spektrums verortet werden. 57 Nach dem Ersten Weltkrieg fanden umfassende militärische Strukturveränderungen statt. Das Generalkommando wurde durch das Kommando der 6. Division ersetzt, parallel war dessen Kommandeur Befehlshaber im Wehrkreis VI geworden, von denen im gesamten Reichsgebiet sieben existierten. 58 Folgendes nach LAV NRW W, Findbuch B 138, Büro Kölpin, Münster, Bearbeiter Jens Heckls, 14. März 2007, S. 4f. Am 21. Januar 1919 übernahm Generalleutnant von Watter auf Ersuchen der Volksbeauftragten das Oberkommando an Rhein und Ruhr in der Stellung eines kommandierenden Generals des VII. Armeekorps. Nach der Umbildung der alten Armee zur Reichswehr wurde von Watter am 1. Oktober 1919 zum Kommandeur der Reichswehrbrigade 7 und zugleich Befehlshaber des neugebildeten Wehrkreises VI ernannt, der räumlich die Provinzen Hannover, Westfalen und die Länder Braunschweig, Bremen, Oldenburg, Lippe und Schaumburg-Lippe umfasste. Die Reichswehrbrigaden 7 (Münster) und 10 (Hannover) bildeten zusammen die 6. Division. Ein Wehrkreis war etwa doppelt so groß wie ein früherer Armeekorpsbezirk, aber mit wesentlich geringerer Truppenzahl. Trotzdem nahm der Umfang der Verwaltung erheblich zu. Befehlsstelle des Wehrkreises war das Wehrkreiskommando mit den verschiedenen Generalstabsabteilungen I a (Führung), I b (Transport, Nachschub) und I c (‚Feindnachrichten‘) und Stabsabteilungen. Die nächst höheren Befehlsstellen waren die beiden Reichswehrgruppenkommandos 1 und 2, die jeweils mehrere Divisionen umfassten. Der Wehrkreis VI gehörte zum Reichswehrgruppenkommando 2 in Kassel. 59 Von Watter entschuldigte seine späte Rückmeldung bezüglich des Aufrufs des Reichskommissars Severing und des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen damit, dass er die Regierung nicht erreicht habe. Erst am 15. März erklärte er, genau wie sein Hauptmann Lichtschlag, dass man jederzeit bereit sei, sich einer Regierung zu unterstellen, die „ihnen bei der Wiederherstellung von ‚Ruhe und Ordnung‘ freie Hand ließ.“ Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 315.
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len sozialdemokratischer Mitglieder der Regierung schien zwar als geeignetes Mittel gegen den Kapp-Putsch zu dienen, konnte aber aufgrund der oben beschriebenen Loyalitätskonflikte des Militärs zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung beim Gruppenkommando kaum auf Zustimmung stoßen. Die „Pflicht der Truppe“ gegen die Bestreikung lebenswichtiger Betriebe mit allen Mitteln vorzugehen zeigt daher, welchen Stellenwert räumliche Praktiken, sowohl auf Seiten der Streikenden als auch auf Seiten derjenigen, die Streik unterbinden wollten, hatten.60 Die Loyalität und Zugehörigkeit zur Gruppe hing eng mit ihrer Aufgabe zur funktionalen Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Betriebe zusammen, denn in der gemeinsamen Sicherung von Ruhe und der Gewährleistung funktionierender Betriebe wurde der Zusammenhalt der Gruppe gestärkt, da das Militär das Mittel des Streiks nicht akzeptieren konnte. „Durch diese Interpretation erlangte das Gruppenkommando die Möglichkeit, jeden Vorwurf mangelnder Loyalität abzuweisen und doch im Gebrauch seiner Vollmachten nach eigenem Ermessen vorzugehen.“61 Dem um von Watter entfachten Streit um seine Loyalität gegenüber der alten Regierung, den ein Teil der Presse hervorhob, während ein anderer Teil von Watter die Loyalität gegenüber der neuen Regierung attestierte, antwortete von Watter wiederum selbst in einer Erklärung vom 15. März 1920. Hier betont er, dass „die Zeit des Interregnums überwunden werden [müsse]. Das dem Befehlshaber anvertraute Erbe wird dieser der Bedeutung des Objektes entsprechend mit allen Mitteln lebensfähig und in Ordnung zu halten versuchen.“62 Die Raumüberwachungsstrategien und die unterschiedliche Wahrnehmung und Konnotation von Raum können als Teil verschiedener Wirklichkeitsdeutungen interpretiert werden. Begrifflichkeiten wie Ruhe, Ordnung und Sicherheit werden von den Akteuren als „Leitbegriffe“ zur Definierung historischer Situationen verwendet, Raum wird daher zum wesentlichen Bestandteil menschlichen Zusammenlebens.63 Bei diesem Loyalitätskonflikt bildete also nicht die Folgsamkeit zur nächsthöheren Instanz ein Motiv politischen Handelns, sondern der „bisherige Auftrag, der auch vom Reichswehr-Gruppen-Kommando noch einmal besonders dahin zusammengefaßt ist, [dass] vor allen anderen Dingen die Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten“ sei.64 Der am 31. März 1920 verhängte Belagerungszustand über das gesamte Ruhrgebiet hatte die vollziehende Gewalt auf die befehlshabenden Generalleutnants übertragen.65 Die Beweggründe des Militärs beschreibt von Watter recht deutlich, er sei sich durchaus bewusst, „daß es in der jetzigen Lage darauf ankommt, als Soldat dem Auftrag entsprechend zu handeln, der mir im Frühjahr vorigen Jahres gegeben ist und der für mich auch heute noch gilt. Ich
60 Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 135. 61 Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 135. 62 Erklärung des Generalleutnants von Watter über seine Stellung zwischen den Regierungen, 15. März 1920, zit. nach Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 146. 63 Vgl. Koselleck, Einleitung, S. XIIIf. 64 Erklärung des Generalleutnants von Watter über seine Stellung zwischen den Regierungen, 15. März 1920, zit. nach Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 147. 65 Vgl. Errettung des Ruhrgebiets, S. 48.
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4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen schütze die Verfassung mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln und wirke auf schnellste Beendigung der Krise hin.“66
Dass hierfür Mittel angewandt wurden, die einer anderen Logik folgten, zeigen die Forderungen des Wehrkreiskommandos VI an das Reichswehrgruppenkommando 2 zu den Vorbereitungen militärischer Maßnahmen gegen den erwarteten Aufstand im Ruhrgebiet.67 Diese umfassten die Bitte des Militärs nach einer Verordnung, „wonach jeder, der ohne Berechtigung zum Waffentragen mit der Waffe in der Hand angetroffen [wurde], auf der Stelle zu erschiessen [war], dass ferner jeder der nach Aufforderung zur Waffenabgabe Waffen [verbarg], bezw. die in seinem Besitz befindlichen Waffen nicht [abgab], oder trotz Kenntnis geheime Waffenlager nicht [angab], mit der gleichen Strafe bedroht [wurde].“
Die Einsetzung von standrechtlichen Erschießungen ließ daher das Streiken im öffentlichen Raum zu einer großen Gefahr werden, die die Streikenden mit ihrem Leben bezahlen konnten. Sofern eine Situation eintrat, in der das Tragen von Waffen in der Öffentlichkeit zusammenfiel, konnte dieses verheerende Wirkungen nach sich ziehen.68 Auch ein Hinweis an die Eisenbahn-, Post- und Beamtenstellen zeigt, wie wichtig der öffentliche Raum geworden war, denn jegliche Unterstützung der „Aufständischen“ sollte mit Entlassung oder Zuchthaus bestraft werden69. In diese komplexe Gemengelage um die Neuaufstellung des Militärs fällt nun der Spionage- und Nachrichtenapparat Kölpins beim Generalkommando in Münster. Das hier betriebene „externe schwarze Büro“ wurde in einem unscheinbaren Gebäude fern vom Zentrum des Wehrkreiskommandos untergebracht, denn offiziell beschäftigte man „niemals Agenten“70. Rein formal war das Büro deshalb der Leitung des Hauptmanns im Generalstab von Hanstein unterstellt.71 Das Büro setzte sich aus einem umfassenden Netz von Personen, Agenten und Spitzeln zusammen. So wurden „in allen Städten des Ruhrbezirks bei den Behörden Vertraute in der politischen Bewegung stehende Persönlichkeiten gewonnen, die unter Deckadres-
66 Telegramm des Generalleutnants von Watter an Oberbürgermeister Dr. Luther Essen, 16. März 1920, zit. nach Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 147f. Zur Situation im westlichen Ruhrgebiet vgl. etwa die Lageberichte in LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15981. 67 Hier und im Folgenden Schreiben des Wehrkreiskommandos VI an das Reichswehr Gruppenkommando 2 über Vorbereitungen militärischer Maßnahmen gegen den Aufstand im Industriegebiet, 19. März 1920, zit. nach Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 149. 68 Befehl des Wehrkreiskommandos VI über die bevorstehenden Kämpfe, 22. März 1920, zit. nach Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 150. Eindeutig wurde hier formuliert „wer sich auf der Straße dann noch zeigt, trägt selbst sein Leben zu Markt.“ 69 Ähnlich formulierte es Generalleutnant Schöller, Befehlshaber des Gruppenkommandos II in Kassel. Dem von der alten SPD-Regierung proklamierten Generalstreik sei „keineswegs“ zuzustimmen. Zit nach Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 393. Das Originaldokument befindet sich im Nachlass Kurt von Schleichers; BA-MA N 42–18, Der Reichswehrminister 257, 7. 20. T. L III, Anlage 1. 70 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 228, fol. 234. Daneben existierten Diensträume in der Kinderhäuserstraße 14. 71 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 17, ohne fol., Hauptmann Harpe, Oberleutnant Jaenecke und Schreibkraft Frau Wende ergänzten die Abteilung.
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sen ihre Weisungen erhielten und solche wieder unter einer hier bestehenden Deckadresse sandten.“72 Man warb für Vertrauensleute, welche die „wichtigsten Vorkommnisse nach Bezahlung höherer Summen“ mitteilten. Kölpin führte das erfolgreiche Einschreiten der Regierungstruppen während der Märzunruhen auf dieses System zurück. Die zentrale Arbeit des Büros bestand, wie bereits in den oben gemachten Beobachtungen zum gesamten Spitzelsystem formuliert, in der Erfassung von „radikalen Elementen“. Die Zentrale lieferte Führerlisten der radikalen Parteien und fertigte präzise Stadtpläne mit „genauen Einzeichnungen der Wohnungen der Kampfführer“ an. Herzstück der Arbeit Kölpins und seines Büros war dafür eine umfangreiche Kartothek, die ein nahezu perfektes Instrument zur Erschließung umfassender Räume darstellte. Hierfür wurden der Name des Rotgardisten, das Geburtsdatum und Ort, sowie Wohnung, Parteizugehörigkeit, Tag der Festnahme und das zu verurteilende Gericht samt Aktenzeichen eingetragen, während zeitgleich gezielte Aktionen gegen die Revolutionäre durchgeführt werden konnten.73 So konnte ein sukzessiv sich vergrößerndes Archiv mit Personalakten zu Personen des linken Milieus samt einer Zeitungsausschnittsammlung angelegt werden. Offiziell waren es demnach zwei größere Themenkomplexe, die sich das Büro als Aufgaben stellte. Zum einen die Überwachung linksstehender Parteien, zum anderen die Unterstützung der außerordentlichen Kriegsgerichte.74 Ein weiterer Schwerpunkt neben diesen zwei Tätigkeitsfeldern bestand in der Beschaffung von Informationen über Organisationen. Hier wurden besonders Informationen über bevorstehende Aktionen und Vorhaben innerhalb von politischen Organisationen und Gewerkschaften gesammelt. Hierzu zählte etwa die Situation innerhalb wirtschaftlicher Betriebe. Generell galt das Interesse der Stimmungslage in der Bevölkerung. Über die anonym operierenden Agenten des Büros erfährt man nicht viel, da diese vornehmlich im Geheimen und unter Decknamen arbeiteten. Einer der offenbar wichtigsten Agenten war Gottfried Karusseit, KPD Mitglied und „überzeugter Sozialist“ unter dem Pseudonym „Fred“.75 Dieser wurde bereits ein Jahr vorher, am 25. Februar 1919 von Kölpin im Kontext des Generalstreiks in Gelsenkirchen vernommen, da man auf ihn durch ein Schreiben bei einem verhafteten Ingenieur namens Dubielzig aufmerksam geworden war.76 Karusseit kannte sich in den örtlichen
72 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 9, Rechenschaftsschreiben Kölpins vom 5. Juni 1921. 73 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 8. Im Anhang von Münzbergs Arbeit sind beispielhaft einige dieser Karteikarten dokumentiert (Nr. XVII und XVIII); nach: Münzberg, Nachrichtenbüro, S. 44. 74 Ebd., fol. 9, Rechenschaftsschreiben Kölpins vom 5. Juni 1921. 75 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 228, ohne fol., Erklärung des Maschinisten Gottfried Karusseit aus Gelsenkirchen vom 25. Februar 1919. Über Karusseit wurde jedenfalls eine eigene Akte angelegt. 76 Vgl. Lucas, Märzrevolution II, S. 183. Zum Generalstreik hat Johannes Ergers Untersuchung zufolge der Pressechef der Reichskanzlei Ulrich Rauscher in den Morgenstunden des 13. März aufgerufen, den der sozialdemokratische Minister ausgearbeitet und der Reichspräsident unterzeichnet hatte. Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, S. 193ff., Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 302.
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Strukturen des Ruhrgebietes offenbar hervorragend aus. Das Aufspüren und Observieren von Vereinslokalen, wie beispielsweise die Wirtschaft von Sträter in der Gelsenkirchener Hochstrasse wurde zur Hauptaufgabe Karusseits. Der Vorsitzende des Vereinslokals war ein Arbeiter des Gelsenkirchener Gussstahlwerkes von Munscheid namens Monka. Besagtes Werk dominierte als wirtschaftliches Zentrum auch den Alltag der Arbeiter in diesem Stadtteil. Hier setzte man den nun frisch rekrutierten Karusseit als verdeckt operierenden Arbeiter ein, um Ziele der revolutionären Arbeiterbewegung in Erfahrung zu bringen. Kölpin konnte so erfahren, dass sich die Zentrale der Bewegung in Braunschweig befand und ihr Ziel der Sturz der jetzigen Regierung mit der „Gründung einer nordwestdeutschen Republik auf Gründ [sic] des Rätesystems“ sei.77 Die „revolutionäre Bewegung“ würde durch auswärtige Kommissare protegiert, von denen sie auch bezahlt würden. „Kapital hatte unsere Ortsgruppe Gelsenkirchen nicht, sondern nur die Aufnahmegebühren und Mitgliederbeiträge“, so Karusseit. Seine Rolle in der Organisation ist nicht zu unterschätzen, denn er holte oftmals bekanntere Persönlichkeiten wie Eichhorn oder Radek in Berlin ab und begleitete diese in andere Städte des Ruhrgebiets. Um die Räume ausreichend observieren zu können, mussten die Agenten umfangreiche Beobachtungen machen und selbst entscheiden, welche davon eine Mitteilung wert waren. So entstanden kuriose Meldungen von ausländischen Agenten wie beispielsweise eines Russen, welcher wiederholt in Mädchenkleidern im Vereinslokal von Sträter aufgetaucht sei, während er in den Hauptversammlungen in Männerkleidung auftrat.78 Die zentralen Forderungen der Konferenz in Braunschweig, an der Karusseit teilgenommen hatte, umfassten vier Punkte. Die „Proklamierung der Westdeutschen Republik“, die „Einkreisung der Regierungstruppen mit Waffengewalt“, die Ausgangsrichtung der Bewegung von Braunschweig und Norddeutschland und als „letztes Mittel der Kleinkrieg“. Kölpin konnte Karusseit offenbar für den Dienst gewinnen, weil Karusseit entrüstet darauf reagiert hatte, dass angeworbene Russen aus sogenannten „Russenlagern“ sich den Kommunisten anschließen wollten, um eine schlagkräftigere Truppe aufzustellen. Sofern Karusseit wieder freies Geleit erlangen könne, würde er seine „alten Beziehungen zu den einzelnen Genossen wieder aufnehmen damit verhindert [würde], das die gedachten Beschlüsse zur Ausführung [gelangten]“. Als Gegenleistung sollte man ihm Straffreiheit und finanzielle Unterstützung für die Familie gewährleisten. Von nun an führte er im Mitgliedsbuch den Namen Heinrich Scheuken und den Decknamen Fred. Karusseit arbeitete fortan für das Reichswehrministerium, nachdem dieses zwischen Kölpin, Noske und General Maerker auf einem Treffen in Weimar beschlossen worden war. In der Zeit zwischen dem 1. Oktober und dem 15. November 1919 gingen seine Berichte an den Kriminalkommissar Weitzel. Die Aushebung der Zentrale der KPD
77 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 228, ohne fol., Erklärung des Maschinisten Gottfried Karusseit aus Gelsenkirchen vom 25. Februar 1919. 78 Hier und im Folgenden ebd.
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in Berlin vom 10. November 1919 und die Aufhebung einer geheimen Versammlung der KPD in der Nähe Wismars waren durch Karusseits Tätigkeit ermöglicht worden.79 Wie undurchsichtig die Lage dieser gegenseitigen Bespitzelungsaktionen in den späten Monaten des Jahres 1919 und 1920 gewesen sein musste, wird in einem anonymen Schreiben an Kölpin deutlich: „Also mit kurzen Worten, nicht um mich handelt es sich, sondern um ihre Person und ihren Kopf und um die Sache, der wir dienen, der Sicherheit des Staates. Und nun das Wichtigste. Sie schreiben auf meine Frage, dass Sie immer sehr im Bilde sind. Das ist nicht wahr Herr Kölpin, denn wären Sie im Bilde, dann sässen [sic] heute einige hundert Hochverräter hinter Schloss und Riegel. Nicht sie beobachten, sondern sie und ihre Mitarbeiter werden auf Schritt und Tritt beobachtet und mit falscher Information gefüttert, weil Verrat im Spiel. Die Rollen sind vertauscht, es ist jetzt das reinste Katz und Mausspiel. Wäre die Sache nicht auch für mich eine tötliche [sic] Gefahr, ich würde mich nicht dazwischen mischen, doch die Schurken opparen [sic] mit meinen früher an Sie gesandten Berichten."80
Die Lösung dieses Problems bestand einer anonymen Zuschrift an Kölpin zufolge in einer Zusammenarbeit: „Diejenigen unschädlich zu machen, die uns beiden gefährlich sind und die vor allem Ihre Person ausgeschaltet und ausser [sic] Kurs gesetzt haben. […] Sie müssen sich restlos von Ihren bisherigen Mitarbeitern freimachen, denn dieselben haben sich als vollkommen unfähig erwiesen und Ihnen die Karre grenzenlos verfahren und Sie persönlich in Gefahr gebracht. Unbedingtes Vertrauen gegeneinander in allen vorkommenden Fällen und gegenseitige Hilfe auch bei eigener Lebensgefahr und sofortige Undschädlichmachung [sic] derjenigen Personen, die den Verrat begangen. Namen kann ich hier nicht schriftlich niederlegen und wird mündlich erfolgen.“81
Die Organisation musste einer strengen Geheimhaltung unterliegen.82 Hierfür hatte man einen Telefonanschluss mit wechselnden Nummern und Kennworten bei der Gesprächsannahme eingerichtet, sowie weitere Deckadressen für die ankommende Post wie beispielsweise Heinrich Schmidtmann, Münster/Westf., Kanalstr. 49, oder Dr. Carl Wiggers, Münster Kinderhäuserstr. 14. Treffen mit den Agenten mussten an anderen Orten stattfinden, um so Kölpin selbst und seine Büroräume nicht zu 79 Vgl. Allgemeine Essener Zeitung Nr. 313 vom 12. November 1919; vgl. Dortmunder Generalanzeiger Nr. 304 vom 11. November 1919; vgl. Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 331. 80 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 228, ohne fol., Erklärung des Maschinisten Gottfried Karusseit aus Gelsenkirchen vom 25. Februar 1919. 81 Ebd., ohne fol., Abschrift eines anonymen Verfassers aus Hörde vom 15. Januar 1921 an Kölpin. 82 Münzberg hat bereits versucht, die Kennziffern der Agenten zusammenzutragen. Vgl. Münzberg, Nachrichtenbüro, S. 22–27. Kennnummern der Mitarbeiter: A.W. 1 = politischer Kriminalkommissar Heinz Kölpin Münster, Kanalstr. 49; A.W. 2 = Oberleutnant Wiggers, Münster, Kinderhäuserstr. 14; A.W. 5 = Polizei-Wachtmeister Augustin, Bochum; A.W. 6 = Lehrer Franz Potthoff, Dorsten; A.W. 7 = Kriminalkommissar Liebich, Gelsenkirchen; A.W. 9 = Heinrich Trede, Mühlheim/Ruhr; A.E. 10 = Polizei-Inspektor Meyer, Essen; A.W. 12 = Kommissar Flocken, Gladbeck; A.W. 15 = Schnickmann, Barmen; A.W. 19 = Kriminalkommissar Siegert, Dortmund; A.W. 21 = Kriminal-Wachtmeister Wagner, Hagen; A.W. 22 = Kriminal-Inspektor Benken, Wanne; A.W 35 = Schnickmann, Elberfeld; A.p. 5 = E. Rieder, Utrecht.
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gefährden. Die Anweisungen an die Vertrauensleute wurden mündlich, fernmündlich oder in geschriebener Form mittels Einschreiben vorgenommen. Bei wichtigen Nachrichten verwendete man Geheimcodes mit einem Deckwörterverzeichnis. Wenngleich die direkte face-to-face Kommunikation zwischen Kölpin und seinen Agenten und Vertrauensleuten nur unter schwierigen Umständen möglich war, kann Kölpins institutionelle Anbindung an die Generalstabsabteilung Ic als überaus günstig bezeichnet werden. Kölpin war es möglich mit allen Behörden auf staatlicher oder kommunaler Ebene in Verbindung zu treten.83 Hierzu zählten auch Hilfsdienste der Polizeidienststellen oder Staatsanwaltschaften. Verbindungen bestanden darüber hinaus zum Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung und zu Reichswehrminister Noske. Kölpin wurde so regelmäßig mit Berichten der Korrespondenz- und Pressebüros versorgt. Reichsweit existierten 20-25 solcher Büros, geleitet von Militärs, oftmals politischen Bünden nahestehend. Die Berichte konnten, mussten jedoch nicht in Regelmäßigkeit eingehen.84 Vertrauensleute hatte Kölpin bereits während seiner Anfangstätigkeit im Wehrkreiskommando VI gewinnen können.85 Die Infiltrierung von Ortsgruppen und das Erstellen von Informationen waren die Hauptaufgaben während der nachrichtendienstlichen Praxis der Mitarbeiter Kölpins und vollzogen sich mittels des speziell im Ruhrgebiet vorhandenen engmaschigen Netzes an Gruppierungen. Schnickmann, ein weiterer Mitarbeiter, lieferte wertvolle Informationen über Streikbewegungen im Ruhrgebiet. Gerade Elberfeld als Brennpunkt revolutionärer Ereignisse stand im Fokus der Nachrichtendienststelle. Die dort herrschende Not schien derart groß, dass die Führer der dortigen Eisenbahner im Sommer 1920 die Ruhe nur mit größter Mühe aufrechterhalten konnten.86 Die von Schnickmann gemachten Beobachtungen enthalten folgenden Inhalt: „Ein Zusammenarbeiten mit unorganisierten Kollegen wollen die Eisenbahner in Zukunft ablehnen. In Elberfeld demonstrierten am 6. Juli 1920 die Frauen vor dem Rathause, ist aber alles in Ruhe abgelaufen.“ Veranstaltungen wurden systematisch als sogenannte Aufklärungsversammlungen abgehalten. Gerade die syndikalistische Freie Arbeiter Union war für die
83 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, ohne fol., Ausweis für Kölpin vom VII. Armeekorps Stellv. Generalkommando Münster Abtlg. Ib 3 Nr. 12908, Münster den 28. August 1916. „Der Kriminalbeamte Kölpin ist tätig im Spionageabwehr- und Kriminal-Ermittelungsdienst des VII. Armeekorps. Ich ersuche alle Militär- und Civilbehörden, den Kriminalbeamten Kölpin zum Behufe [Vorteil] seines Dienstes ungehindert passieren und ihm jede gewünschte Auskunft, Hilfe und Unterstützung zuteil werden zu lassen. Er ist berechtigt, dienstliche Ferngespräche zu führen und militärische Diensttelegramme aufzugeben. Der kommandierende General Freiherr v. Gayl.“ 84 Als offenes Material wurden Zeitungsausschnitte, Zeitschriften oder geführte Gespräche mit Personen, die von Interesse waren bezeichnet. 85 Münzberg, Nachrichtenbüro, S. 24. Diese stammten aus allen sozialen Schichten und umfassten Beamte, Arbeiter, Selbständige, Studenten oder ehemalige Soldaten. 86 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, fol. 283, Bericht des Agenten A.W. 35 vom 12. Juli 1920 ans Büro Kölpin.
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Organisation des Aufklärungssystems verantwortlich, deren Funktion darin bestand, Flugblätter an die Bevölkerung zu verteilen.87 Eine dieser Veranstaltungen fand am 22. Juni 1920 in Düsseldorf statt. Die ca. 5-6.000 Anwesenden wurden von einer bereits sich vor Ort befindlichen Truppe der städtischen und grünen Polizei empfangen, um „etwaiger Unruhen“ schneller Herr werden zu können. Hierfür sperrte die grüne Polizei den Rathausplatz ab und besetzte das Gebäude selbst mit zahlreichen Personen, die von höher gelegener Position aus einen guten Überblick über den Platz und Straßenzuläufe besaßen. Diese Aktion neben der starken Patrouillierung weiterer Straßenteile ließ die Lage sowohl am Nachmittag, als auch später am Abend äußerst ruhig bleiben. Schnickmann, Agent A.W. 35, berichtet von der völligen Dunkelheit in der Stadt. Bis auf die Linien 12 und 18 der Straßenbahnen schien die Stadt seinen Beschreibungen nach vollkommen ruhig, wenngleich ungeordnet: „Die Strassen gleichen Müllkästen, überall häufen sich Berge von Schmutz und Unrat. In der Altstadt ist es einfach gräulich. Von einer Beendigung des Düsseldorfer Streikes kann keine Rede sein, da die Freie-Arbeiter-Union keinerlei Konzessionen mehr will.“88
Während die sich gegenüberstehenden Parteien keinen Konsens erzielen konnten, wurde für den 24. Juni 1920 eine kombinierte Stadtverordnetenversammlung mit Vertretern der drei Gewerkschaften geplant. Schnickmann befürchtete jedoch weiteres „lustiges streiken“ in der nächsten Zeit. Deutlich wird in diesem Bericht, dass auch die Einschätzung über die Situation in naher Zukunft gewünscht war. Schnickmanns Wahrnehmung nach wurde das zeitgleiche Streiken, sowohl der städtischen Arbeiter, als auch der Straßenbahnangestellten in Barmen und Essen, durchaus als Vorbote einer allgemeinen Aufstandsbewegung bewertet. In Barmen waren die Betriebe größtenteils geschlossen, nur in einigen wurde gearbeitet, jedoch nur an drei Tagen. Aufgrund der unter den Arbeitern herrschenden nervösen Stimmung, erwartete Schnickmann offenbar baldige Unruhen. Schutzleute hätten vorerst vom Tragen der Uniform abgesehen, um sich „nicht anekeln“ zu lassen. Die Stimmung der Schutzleute gegen die Reichswehr und Sicherheitspolizei scheint sich zunehmend verschlechtert zu haben, da die Schutzleute Schnickmann zufolge annahmen, dass sie von der Reichswehr und Sicherheitspolizei als „Futter“ für die „Spartakisten“ verwandt wurden, um ihren eigenen Rückzug zu sichern. Ferner holte Schnickmann Informationen über weitere soziale Formationen ein. Er berichtet vom äußeren Zustand der Einwohnerwehr, welcher durch äußerst schlechte Bekleidung aufgefallen sei. Die Sicherheitswehr behielt den Großteil der Waffen ein und bestand Schnickmann zufolge zu großen Teilen aus „radikalen Elementen“.89 Radikales Verhalten 87 Hier und im Folgenden ebd., fol. 273, Bericht des Agenten A.W. 35 betr. Versammlungen der Freien Arbeiter Union und Demonstrationen am 22.6.1920 in Düsseldorf vom 23. Juni 1920 ans Büro Kölpin. 88 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, fol. 273, Bericht des Agenten A.W. 35 betr. Versammlungen der Freien Arbeiter Union und Demonstrationen am 22. Juni 1920 in Düsseldorf. 89 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, fol. 273, Bericht des Agenten A.W. 35 über die Ermittlungen in Elberfeld, Hagen und Barmen vom 15. Mai 1920. Zum Formwandel der Politik in
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der Formationen äußerte sich demnach im aggressiven Auftreten im öffentlichen Raum, oftmals unter Einsatz von Waffen. Mit dem hierfür untersuchten Quellenmaterial ließ sich in Teilen andeuten, dass oftmals ein starker Menschenandrang nicht in einer bewaffneten Auseinandersetzung geendet haben musste, wenn sich beispielsweise selbst große Demonstrationszüge ohne „störende Zwischenfälle“ wieder friedlich aufgelöst haben, trotz sich gegenüberstehender Gruppierungen.90 Demonstrierende scheinen gerade in der späten Phase der Revolution einem bestimmten Verhaltenscodex gefolgt zu sein. Die nachrichtendienstliche Praxis bestand daher in der konkreten Teilnahme an den Veranstaltungen, dem Beobachten und Skizzieren der Abläufe, jedoch auch darin, Ausschau nach Besonderheiten zu halten. So konnte es durchaus die Meldung wert sein, wenn während einer observierten Veranstaltung über die Lagerung von Scherenfernrohren oder Richtkreisen referiert wurde, diese Informationen Kölpin zu übermitteln.91 In der nachrichtendienstlichen Praxis darf somit nicht allein der Frage nachgegangen werden, wie sich einander gegenüberstehende Gruppierungen wahrgenommen haben, sondern auch welche Strategien die sozialen Formationen verfolgten. Hierfür wurden teilweise ganze Passagen einzelner Agitatoren und Redner rezitiert, wie im Falle eines riesigen Demonstrationszuges in Barmen vom 30. November 1919. Auffällig ist hierbei, dass die an den Demonstrationen beteiligten Gruppierungen nicht immer eindeutig einander zugeordnet werden konnten. So berichten Rotgardisten davon, dass sich „regellose Banden“ in ihren eigenen Reihen gebildet hätten, „die jegliche[r] Führung entbehr[t]en und marodier[t]en“ und zudem „die Gegend unsicher machten, sodass es sich zwischen diesen und der ortsansässigen Elberfeld-Barmer Volkswehr zu regelrechtem Kampfe“ gekommen war.92 Dass der Einmarsch der Reichswehr dann selbst von der Arbeiterschaft begrüßt wurde, verstärkte diese Oszillationsprozesse der Gruppengestalt. Das Nachrichtenbüro konnte zudem wertvolle Informationen über das Protestverhalten während Demonstrationen gewinnen. Anhand der oben genannten größeren Demonstration in Barmen, bei der mehrere Tausend Personen gefolgt von den Arbeitern und Arbeiterinnen gegen den staatlichen Polizei-Militarismus protestiert hatten, kann der Ablauf und die Funktion einer Demonstration dieser Größenordnung deutlich gemacht werden.93 Bereits in den Vormittagsstunden „sammelten
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Europa als Erbe des Ersten Weltkrieges und einer sich daraus entwickelnden Kultur des Krieges im Alltag vgl. Weisbrod, Die Politik der Repräsentation, bes. S. 35ff. Gegen eine vermehrte Anwendung von Gewalt im Zuge der Weltkriegserfahrung sprechen sich Dirk Schumann und Benjamin Ziemann aus. Siehe Schumann, Einheitssehnsucht und Gewaltakzeptanz, S. 95; Ziemann, Das Fronterlebnis des Ersten Weltkrieges, S. 53. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, ohne fol., Bericht des Agenten A.W. 35 über den Demonstrationszug in Elberfeld vom 9. Dezember 1919. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, fol. 243, Meldung des Agenten A.W. in Kopie an das Wehrkreiskommando VI in Münster. Ebd. Als genuin eigene sozialräumliche Form des Protests wird diese Praxis in Kapitel 6.2 einer eigenen Analyse unterzogen. Vgl. Wareneken, „Die friedliche Gewalt des Volkswillens“, S. 97–119, bes. S. 109ff. Warneken macht auf Deutungsmuster von Demonstrationen im Kaiserreich aufmerksam. Vgl. etwa auch LeCaine Agnew, Demonstrating the Nation, S. 85–104. Hier
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sich an den Außenbezirken die Gruppen, um in geschlossenen Zügen dem Sammelpunkte, dem Bahnhofsvorplatz, zuzustreben.“94 Bereits gegen 10 Uhr war der Platz vor dem Bahnhof so stark von Menschen frequentiert, dass der Druck der nachrückenden Menschen aus den Seitenstraßen den Zug in Bewegung setzen musste. Diese „ungeheure Riesenschlange […] wälzte sich durch die Kampstraße über die Herzogbrücke, Aleserstraße, Neuenweg, Allee, und als die Spitze am Theater ankam und zum Loh fortmarschierte“, sah man kein Ende dieser Menschenschlange. Die Teilnehmer dieses Zuges folgten durchaus einem organisatorischen Ordnungsschema. Sämtliche Groß- und Kleinbetriebe waren darin vertreten und unterschieden sich durch die vorangetragenen unterschiedlichen Schilder. Dem Zug schlossen sich zudem Gruppen von Kriegsbeschädigten, sowie Teile der Arbeiterjugend und Mitglieder von Sportvereinen an. Musikkapellen und Fahnenträger mit zahlreichen Schildern mit gegen den Militarismus gerichteten Botschaften ergänzten den Zug. In den Quellen wird von mehr als 15.000 Teilnehmern berichtet, während sich sukzessive zahlreiche „Unorganisierte“ dem Demonstrationszug anschlossen, sodass selbst der recht große Karlplatz für diese Menge als zu klein eingeschätzt wurde. Den Höhepunkt des Demonstrationszuges bildete die „zündende Ansprache“ des Genossen Sauerbrey, welcher den Zweck der Demonstration erläuterte, ein Indiz, dass nicht allen unzweifelhaft klar gewesen sein dürfte, wofür oder wogegen man eigentlich demonstrierte. Die verlesene Resolution wurde mit „20.000 Arbeiterfäusten wie zum Schwur gen Himmel“ gereckt – vermutlich der Nähe des Parteiorgans der USPD geschuldet. Der geschilderte Vorgang zeigt, dass, wie in dem zuvor kursierenden Parteileitfaden, eine Kombination aus der Aktion auf der Straße, aber auch der Verhandlung mit den politischen Apparaten zuweilen nötig gewesen war. Resultat dessen war, dass man annahm, keine staatlichen Polizeitruppen in Barmen in der nächsten Zeit stationiert zu sehen. Der Einschätzung der Volkstribüne zufolge würde die Arbeiterschaft dafür sorgen, dass „die neue Spezialität der Noskegarden“ überhaupt nicht in die Stadt käme, andernfalls werde sie zu deutlicheren Mitteln greifen als der „bloßen Protestdemonstration“. Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Sicherheit konnte somit auch die Arbeiterschaft gewährleisten. Weiter ist zu lesen: „Die ganz kolossale Demonstration wickelte sich in einer geradezu musterhaften Ordnung ab. Nirgends kam es auch nur zu den geringsten Ausschreitungen. Die braven Spießbürger, denen schon seit einigen Tagen das Herz in die Hosen gerutscht war, werden wieder etwas erleichtert aufatmen. Ueber [sic] die sogenannten polizeitechnischen Maßnahmen, auf die die Verwaltung nicht glaube verzichten zu dürfen, die ganze Wegnerstraße zum Beispiel glich einem Heerlager, geht die Arbeiterschaft mit einem verächtlichen Achselzucken hinweg.“
Ruhiges, gewaltloses Demonstrieren im öffentlichen Raum unter Einbeziehung unterschiedlicher Akteure konnte somit durchaus politische Wirkung erzielen. Das liegt der Schwerpunkt auf Symbolen und Ritualen politischer Proteste in Böhmen während des 19. Jahrhunderts. Zur besonderen Form des weiblichen Demonstrationsverhaltens vgl. BaderZaar, With Banners Flying, S. 105–124; vgl. etwa der gesamte Sammelband von Reiss (Hrsg.), The Street as Stage; vgl. etwa auch Schmidt, Straßenprotest und Straßengewalt, S. 539–554. 94 Hier und im Folgenden Volkstribüne Nr. 1 vom 1. Dezember 1919.
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Bild der wilden, streikenden Masse konnte durch ordnungsgemäßes Verhalten im Raum entkräftet werden. Peter Fritzsche plädiert dafür, dass „People do not enter grand politics as autonomous individuals making rational choices, nor are they simply manipulated objects; rather, they participate in a variety of contests in which their engagement with authority might take the form of withdrawal, stealthy subversion, direct engagement, or even loud agreement.“95
Nicht jede Form von Protest hat einen parteipolitischen Ursprung. Mit der Auswertung der Parteizeitungen schlussfolgerte Schnickmann, dass der Apparat an städtischen Sicherheitsorganen eine ausreichende Sicherheit der Stadt gewährleiste. Die organisierte Arbeiterschaft habe daher „sinn- und zwecklose Putsche“ abgelehnt und sich dadurch ausgezeichnet, dass sie derart „geschult und diszipliniert“ gewesen sei und dass ihr Einfluss auf nicht organisierte Gruppen Ruhe und Sicherheit habe ausstrahlen können.96 Die Umfunktionierung von Schulen in Kasernen wurde als „Ungeheuerlichkeit“ und „Kulturschande“ angesehen.97 Die akribische Arbeit des Agenten führte dazu, dass man sich auf zukünftige Aktionen der Kommunisten besser einstellen konnte. Die Schilderungen über den Verlauf und die Zusammensetzung des Zuges lieferten Erkenntnisse über die bevorzugten Routen und das Raumverhalten der Demonstrierenden. So verhinderten starke Postenketten am Markt, dass der Zug diesen erreichen konnte, stattdessen die Ruhmeshalle als Ziel angesteuert wurde, sowie alle repräsentativen Plätze der Stadt. Bereits im Sommer des Jahres 1919 war es in Barmen und Umgebung zu zahlreichen Demonstrationen und Plünderungen gekommen, sodass hier besonders viele Agenten eingesetzt wurden. Die Spitzeltätigkeiten folgten somit einem ähnlichen Ablauf: Welche Personen waren an einer Aktion beteiligt, welche Strategien nutzte die Staatsgewalt und welche Mittel mussten dafür angewendet werden, wie am folgenden Bericht ersichtlich wird: „Am 9. Juli abends nach 7 Uhr kam es in Barmen zu weiteren Unruhen. Auf dem alten Markt hatte sich eine grosse Menschenmenge angesammelt, die aber durch die anrückende Polizei mit der blanken Waffe auseinandergetrieben wurde. Es fielen aus der Menge Schüsse, auch wurde eine Handgranate geworfen, wodurch eine Civilperson nicht unerheblich in der Bauchgegend verletzt wurde. Desgleichen trugen einige Polizeibeamte durch Granatsplitter Verletzungen davon. Gleichzeitig wurden die Fensterscheiben des Kurzwarengeschäfts von Bruchhaus, Steinweg No. 3 und Cigarrengeschäfts von Jakob, Alter Markt eingeworfen. Da die Polizei rechtzeitig eingriff wurden Plünderungen verhütet. Gegen 11 Uhr Abend versuchte eine Menge die Restauration von Marks Werterbrücke zu stürmen, auch wurde sie durch anrückende Polizei Mannschafen in Kraftwagen auseinandergetrieben. Gegen 12 Uhr war die Ruhe im allgemeinen wieder hergestellt. […] Soweit ich die Verhältnisse in Barmen kenne, wird man mit diesen
95 Fritzsche, Did Weimar Fail?, S. 645. Fritzsche weist hier auf das Eigensinn-Konzept Alf Lüdtkes hin. 96 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, fol. 243, Meldung des Agenten A.W. in Kopie an das Wehrkreiskommando VI in Münster. 97 Volkstribüne Nr. 259 vom 18. November 1919. Speziell seitens des Zentrums sprach man sich gegen diese Maßnahmen aus. Auf die Jugend solle man ein wenig Rücksicht nehmen.
4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen 217 Maßnahmen (gemeint ist die Gründung einer Einwohnerwehr) bei der spartakistisch verseuchen [sic] Arbeiterschaft in Barmen wenig ausrichten.“98
Aus den so vorgenommenen Beobachtungen während der nachrichtendienstlichen Praxis konnten wiederum Rückschlüsse auf die Taktik und Grundsätze der Kommunisten gezogen werden.99 Während der Durchsuchung der Geschäftsräume des Druckers Schöpf beschlagnahmte man dort vorgefundene Druckplatten, welche in der Regel direkt nach dem Benutzen wieder auseinandergenommen wurden um die Typen zu neuen Sätzen zusammenzufügen. Die Leitsätze enthalten folgende Punkte, die zum einen natürlich im Bereich kommunistischer Ideologie verortet werden können, zum anderen jedoch auch deutlich machen, mit welchen Strategien der räumlichen Erschließung man politischen Druck ausüben wollte: „Die Revolution, geboren aus der wirtschaftlichen Ausbeutunh [sic] dem Proletariats [sic] durch den Kapitalismus und aus der politischen Unterdrückung durch die Bourgeoisie zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Ausbeutungsverhältnisses, hat eine zweite Aufgabe: Beweitigung [sic] der politischen Unterdrückung und Aufhebung des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses. […] Die Ersetzung des kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisses durch die socialistische [sic] Produktionsordnung hat zur Voraussetzung die Beseitigung der politischen Macht der Bourgeoisie und deren Ersetzung durch die Diktatur des Proletariats. […] In allen Städten der Revolution, die der Machtergreifung des Proletariats vorangehen, ist die revolution [sic] ein politischer, der Proletariermassen um die politische Macht. Dieser Kampf wird mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln gefuhrt [sic].“ 100
Die KPD sei sich durchaus bewusst, dass „dieser Kampf nur mit den grössten politischen Mitteln“ wie „Massenstreik, Massendemonstration, Aufstand“ zu einem „Siegreichen Ende“ [sic] führe. Zur Vorbereitung dieser großen Kämpfe habe man sich jedoch allen grundsätzlichen politischen Mitteln wie beispielsweise der Wahlen bedienen müssen, sowohl zu den Parlamenten, als auch den kleineren Gemeindevertretungen oder der gesetzlich anerkannten Betriebsräte. Dieses Mittel wurde jedoch nur als „vorbereitendes“ anerkannt, die eigentlichen revolutionären Aktionen würden später folgen, so die Leitsätze kommunistischer Grundsätze und Taktik: „Die K.P.D. lehnt daher einerseits die syndikalistische Auffassung von der Überflüssigkeit oder Schädlichkeit politischer Mittel, anderseits die Auffassung der U.S.P. ab, dass revolutionäre
98 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, fol. 30, Bericht des Agenten A.W. 35 über die Unruhen in Barmen vom 10. Juli 1919. Vgl. auch Generalanzeiger Elberfeld Nr. 314 vom 10. Juli 1919. 99 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, fol. 198, Schreiben des Chefs des Generalstabes des Wehrkreiskommando VI Abt. I c, Münster, den 5. Dezember 1919 bezogen auf das Schreiben vom 7. Oktober 1919 No. 3000.I.A.C.19. an den Staatskommissar. In Bezug auf das Schreiben vom 22. Oktober hatte die Durchsuchung der Geschäftsräume des Druckereibesitzers Otto Schöpp in Barmen Aufschlüsse über die Taktik der Kommunisten geben können. In der Druckerei wurden Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktiken vorgefunden. 100 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319; Schreiben des Chefs des Generalstabes des Wehrkreiskommando VI Abt. I c, Münster, den 5. Dezember 1919 bezogen auf das Schreiben vom 7. Oktober 1919 No. 3000.I.A.C.19. an den Staatskommissar, mit einem Anhang über die Leitsätze kommunistischer Grundsätze und Taktik.
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4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen Errungenschaften auch im Wege parlamentarischer Beschlüsse oder Verhandlungen mit der Bourgeoisie herbeigeführt werden könnten.“101
Räteorganisationen als Zentrum der Macht wurden demnach nicht durch „Statuten, Wahlreglements usw. geschaffen“, sondern „verdanken ihre Existenz vielmehr allein dem revolutionären Willen und der revolutionären Aktion der Massen [auf den Straßen] und sind der ideologische und organisatorische Ausdruck des Willens zur Macht für das Proletariat geradeso, wie das Parlament dieser Ausdruck für die Bourgeoisie ist.“ Daher sei die Gruppe der Arbeiterräte als Träger der revolutionären Aktionen anzusehen. Die Mitglieder der KPD sollten in diesen Gruppen die Führung erlangen, wobei nicht die einmalige Aktion im Fokus stand, sondern eine dauerhafte Lösung. Die Revolution sei „kein einmaliges Schlagen, sondern das lange zähe Ringen einer seit Jahrtausenden unterdrückten und daher ihrer Aufgabe und ihrer Kraft nicht von vornherein voll bewussten Klasse“, welche „dem Auf und Abstieg, der Flut und der Ebbe ausgesetzt“ sei. Sie ändere ihre Mittel je nach Lage, während sie den Kapitalismus angreife, sowohl von der politischen, dann von der wirtschaftlichen Seite und dann von beiden zugleich. Besonderer Wert wurde hierbei auf den simultan ablaufenden Prozess gelegt. Trotzdem wird die Revolution als eine Frage der Organisationsform interessanterweise abgelehnt. „Die Anschauung, als könne man vermöge einer besonderen Organisationsform Massenbewegungen erzeugen, dass die Revolution also eine Frage der Organisationsform sei wird als ein Rückfall in kleinbürgerliche Utopie abgelehnt.“ Die wirtschaftliche Organisation, „in der die breiten Massen sich sammeln“ sei daher ein „wichtiger, wenn auch nicht der einzige Teil der Massen […] die den revolutionären Kampf durchführen.“ Somit wurde sich klar gegen den „chaotischen Trieb der in Gärung geratene[n] Masse“ ausgesprochen, die gerade syndikalistische Positionen gegen die „klare Einsicht der Vorhut der Arbeiterklasse“ habe ersetzen wollen, während man eine „straffe Zentralisation“ benötigt habe. In einem anderen von Schnickmann entdeckten Schreiben wird auf die Ergebnisse einer Reichskonferenz Bezug genommen, auf welcher man darüber zu entscheiden hatte, ob die Partei zentralistisch organisiert sein sollte oder ein „Sammelsurim [sic] syndikalistischer Ortsgruppen, die planlos, ohne Einheit, ohne Geschlossenheit, jede um ihren Kirchturm herum, die ‚ökonomische Revolution‘ macht.“102 Die Diktatur des Proletariats sei die „Verkörperung des proletarischen Willens zur Macht, sie ist Gedanke und Seele der Revolution, Ihre Schlagkraft ihre Geschlossenheit, ihre Klarheit über Weg und Ziel beruft sie zur Führerstellung für die proletarischen Massen. Auf besagter Konferenz wurde dann mit 31 zu 18 Stimmen den Leitsätzen der Partei zugestimmt. Syndikalistische Elemente wurden somit 101 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319; Schreiben des Chefs des Generalstabes des Wehrkreiskommando VI Abt. I c, Münster, den 5. Dezember 1919 bezogen auf das Schreiben vom 7. Oktober 1919 No. 3000.I.A.C.19. an den Staatskommissar, mit einem Anhang über die Leitsätze kommunistischer Grundsätze und Taktik. 102 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319; Schreiben des Chefs des Generalstabes des Wehrkreiskommando VI Abt. I c, Münster, den 5. Dezember 1919 bezogen auf das Schreiben vom 7.10.1919 No. 3000.I.A.C.19. an den Staatskommissar, Anhang Schreiben an die Parteigenossen ohne Datum. Gemeint ist wohl die XY Reichskonferenz.
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grundsätzlich von der KPD ausgeschlossen, die Verfechter eines Unionismus sprachen sich für die Parallelexistenz einer wirtschaftlichen Kampforganisation als eine Basis der Masse neben der propagandistisch wirkenden Parteizentrale aus.103 Zu den Mitteln der Bourgeoisie, welche der Aufrechterhaltung der politischen Macht dienen würden und welche von der revolutionären Bewegung zerstört werden müssten, wurde neben dem Parlament auch die Bürokratie, die Organisation der Gerichte, sowie die weißen Garden gerechnet. In der „ersten Epoche nach der Machtergreifung, der Epoche der proletarischen Diktatur“, bedürfe das „Proletariat der schärfsten und konzentriertesten Willensausspannung zur Aufrechterhaltung seiner macht [sic].“104 Hierfür sei die Räteorganisation „der klarste Ausdruck des Willens des Proletariats zur Macht, wie die Macht selbst.“ Für das Erreichen dieses Zustandes einer klassenlosen Gesellschaft führe das Proletariat einen Kampf mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Diese bestanden in Kampf- und Massendemonstrationen, in Massenstreiks, sowie im offenen Aufstand. Das Sammeln all dieser Informationen gab somit Aufschluss über die Organisation, Strategien und konkreten Taktiken der Partei, während zugleich die Kommunisten einer bestimmten Lesart und somit der Konstruktion der Wahrnehmung durch die andere Seite unterzogen wurden. Die Berichte der Agenten gaben detailliert darüber Auskunft, welche Personen zu neuen Ämtern gelangt waren. Die so vollzogene Kartierung des öffentlichen Raumes jenseits rein geographischer Gegebenheiten ließ die Ortsgebundenheit innerhalb der Milieustrukturen besonders wichtig erscheinen. Auf einer KPD Versammlung in Dortmund vom 5. Juli 1920, bei der 23 männliche Personen und 2 Frauen anwesend waren, sollte auf Antrag des alten Bezirksführers Lotz, die Stadt Dortmund in drei Bezirke eingeteilt werden. Mittels eines von ihm geführten Mitgliederbuches sollten die Genossen Volmer, Ruppel und Denzer ihre Hauptbücher am nächsten Tage mitbringen, damit „neue Organisationen“ vorgenommen werden könnten.105 Hierfür sollten sogenannte „Wirtschaftslokale“ in den einzelnen Unterbezirken dienen, die es den Genossen ermöglichten auch an Sonntagen ihren Parteigeschäften nachzugehen. Kölpin und seine Spitzelmitarbeiter waren somit maßgeblich daran beteiligt, in Krisensituationen an der Wiederherstellung der Ordnung mitzuwirken.
103 Vgl. Jenko, Eine andere Form von Arbeiterradikalismus, S. 175–194. Bis 1922 herrschte Konsens in der rätekommunistischen Bewegung, danach sprach sich die Mehrheit für eine Einheitsorganisation aus. 104 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319; Schreiben des Chefs des Generalstabes des Wehrkreiskommando VI Abt. I c, Münster, den 5. Dezember 1919 bezogen auf das Schreiben vom 7.10.1919 No. 3000.I.A.C.19. an den Staatskommissar, Anhang Schreiben an die Parteigenossen ohne Datum. Gemeint ist wohl die XY Reichskonferenz. 105 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol., Bericht des Agenten A.W. 50, Münster, den 12. Juli 1920.
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4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen
4.3 „FEINDVERORTUNGEN“ – DIE NACHRICHTENDIENSTLICHE PRAXIS Die Rekonstruktion der nachrichtendienstlichen Praxis ist aufgrund der damals herrschenden Geheimhaltung mit gewissen Problemen verbunden. Personen und Orte wurden alternative Bezeichnungen und Codes zugewiesen und auch die Kommunikation zwischen der Spitzelzentrale und dem jeweiligen Vertrauensmann oder Agenten vollzog sich in verschlüsselter Form. Durch Mittelsmänner konnte Anschluss an die staatsfeindlichen Personen und Organisationen, die politisch und polizeilich Wissenswertes mitteilten, gefunden werden. Nicht selten wurden im Gefängnis Einsitzende, als Staatsfeinde verurteilte Personen von ihrer Strafe freigestellt, unter der Bedingung, dass sie für die Polizei Spitzeldienste leisteten.106 In Berlin galt das Prinzip, dass Personen unter falschem Namen und falschen Papieren in die Organisation der staatsfeindlichen Parteien eingeschleust wurden, indem sie sich denjenigen offiziell anschlossen. „Ob man die politische Polizei des alten Frankreich [so der Polizeivizepräsident Bernhard Weiss], des kaiserlichen Deutschland oder des zaristischen Rußland ansieht, überall kann man beobachten, daß damals im ganzen Lande geradezu eine Spitzelseuche wütete, daß über die ganze Bevölkerung ein engmaschiges Spitzelnetz gebreitet war, in dessen Fäden sich jedermann, ob Staatsfeind oder Staatsfreund, zu verstricken Gefahr lief.“107
Mittels des gut ausgebauten Netzes von Agenten und Spitzeln bestand die Hauptaufgabe der Dienststelle darin, Informationen über hauptsächlich politisch linksstehende Kampforganisationen zu sammeln.108 Dafür warb man gezielt bei den gegnerischen Gruppierungen nach Vertrauensleuten, die man für die nachrichtendienstliche Praxis zu gewinnen versuchte. Als Gegenleistung versprach man Entlohnung oder politische Amnestie. Während der Spitzeltätigkeiten sollten unterschiedliche Informationen eingeholt werden.109 Neben diesen auf Personen bezogenen Informationen sollte besonderes Augenmerk auf die Orte der politischen Versammlungen gerichtet werden. Personen und Räume bildeten somit die zentralen Themen der Observierungen: Welche Personen wohnten in welchen Bereichen der Stadt, wo traf man sich zwecks politischer Versammlungen. Mit dem so gewonnenen dichten Netz an raumstrategischen Orientierungspunkten, wurden die Schwächen des politischen Gegners „lokalisiert“. Methodisch wurde hierfür die bereits angedeutete Kartothek als räumliches Überwachungssystem von Kölpin eingerichtet. Darin wurden beispielsweise 106 Wie im bereits angesprochenen Fall Gottfried Karusseit deutlich gemacht wurde. 107 Weiss, Polizei und Politik, S. 106. 108 Neben diesen Gruppierungen wurden auch Vereine aus dem kulturellen Bereich beobachtet. Dazu zählten Radfahrerklubs, sowie Sportvereine, die der Roten Armee nahe standen oder zugerechnet wurden. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 161, ohne fol., Denkschrift über die Rote Armee und andere Kampforganisationen. 109 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 19, schriftliche Anweisung Kölpins vom 17. September 1919. „Sie wollen uns bitte umgehend mitteilen: 1) Mitgliederzahl der kommunistischen Partei, 2) Mitgliederzahl der unabhängig-sozialdem. Partei, 3) Mitgliederzahl der roten Garde bezw. des roten Matrosen-Bundes.“
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der „Name des Rotgardisten, Geburtsdatum und Ort, Wohnung, Parteizugehörigkeit, Tag der Festnahme, verurteilendes Gericht und Aktenzeichen“ eingetragen.110 Wirksam wurde diese Praktik in Verbindung mit der Ausführung der Gerichtsbarkeiten, denn seit dem 13. Januar 1920 befand sich der Bericht der Anklage in der Macht des Befehlshabers des Wehrkreises VI. In Arnsberg, Düsseldorf und Münster wurden fortan nicht nur Standgerichte eingesetzt, sondern nun auch außerordentliche Kriegsgerichte.111 Die Macht lag somit vollständig in Händen der militärischen Einrichtungen.112 Dieser Aspekt ist unter raumanalytischen Gesichtspunkten bemerkenswert, denn gerade hier konnte direkt über das Schicksal einer Person vor Ort entschieden werden. Kölpins Kartothek umfasste 20.000 Karten. Daneben existierten 153 angelegte Akten, 300 Personalakten von Haupt-KPD-Führern, 50 Karten von Gefechtsstellungen der Roten Armee. Allein 60 topographische Übersichtskarten wurden vom Industriebezirk im Verhältnis 1:200.000 angefertigt. Daneben wurde ein Gewerkschaftsverzeichnis angefertigt, samt weiteren Verzeichnissen politischer Führer und Vertrauensleute. Selbst Telefonverzeichnisse aus dem Industriebezirk, inklusive der Stadtpläne, waren Teil dieser perfekt organisierten Raumerschließungsstrategie.113 Als Reaktion auf diese umfassenden Informationen wurde beabsichtigt, „nach diesem Muster […] die neue Organisation für die Reichswehr bei eintretenden Unruhen aufzubauen. Diese Karten sollten dem fremden Führer ein genaues politisches Bild über die von ihm zu nehmende Stadt geben. Die Verwirklichung dieser Organisation habe ich bisher unterlassen wegen Mangel an Mitteln.“114
110 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 8, Rechtfertigungsschreiben von Kölpin, Münster 5. Juni 1921. 111 BA B, R 43 I, Nr. 2718, ohne fol., Denkschrift des Wehrkreiskommandos VI über die Mängel der außerordentlichen Strafrechtspflege im rheinisch-westfälischen Industriegebiet vom 5. Juni 1920. Durch Verordnung der Reichsregierung wurde diese am 4. April 1920 in Kraft gesetzt, jedoch bereits am 10. April 1920 wieder aufgehoben. 112 Ebd., Denkschrift des Wehrkreiskommandos VI über die Mängel der außerordentlichen Strafrechtspflege im rheinisch-westfälischen Industriegebiet vom 5. Juni 1920. 113 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 6, dazu kamen ein „Entwurf eines Planes, wie sich die Bolschewisten s. Zt. den Einmarsch in Deutschland dachten“, „sämtliche Personalien der s. Zt. nach den Märzunruhen nach Cöln geflüchteten Rotgardisten“, sowie „eine Kartothek mit Akten über die Rheinlandbewegung“ und deren „radikalen Führer“. Eine Sammlung von Zeitungsausschnitten aus rechts- und linksstehenden Zeitungen über die politische und wirtschaftliche Lage Deutschlands ergänzte die Materialsammlung Kölpins. Vgl. Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 1. Band, 4. Sitzung vom 17. März 1919, Sp. 198. Innerhalb der Preußischen Landesversammlung schienen diese Praktiken umstritten. Der Abgeordnete Adolph Hoffmann hatte die Telefonsperre und Abhörtaktik während der Januarunruhen im Zuge des Belagerungszustandes kritisiert, während Kriegsminister Reinhard diese als „unerläßliche Mittel des modernen Kampfes“ charakterisierte. 114 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 6 RS, Rechtfertigungsschreiben von Kölpin, Münster 5. Juni 1921.
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4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen
Dieses System der gezielten Raumerschließung durch Kölpins Spitzelapparate zeichnete sich wie bereits angedeutet durch häufig verdecktes Ermitteln in den Räumen des politischen Gegners aus.115 Nicht selten bestand die Arbeit der Spitzel darin, sich ein genaues Bild über die Lage und Strukturen der revolutionären Organisationen und Gruppierungen zu machen. Die gezielte Observierung von Presseorganen der Kommunisten kann in diesem Kontext jedoch nicht als grundlegend neues Phänomen angesehen werden, denn bereits während des Kaiserreiches wurde umfassendes Material über den politischen Gegner in Gestalt der Sozialdemokratie gesammelt.116 Mittels anonymer ans Wehrkreiskommando gelieferten Berichte wollte man während der Revolution eine Gefährdung der Spitzel in den „feindlichen“ Gebieten verhindern. Während die Agenten bei der verdeckt ermittelnden Arbeit in den feindlichen Zonen unauffällig bleiben mussten, setzte dies offenbar ein gewisses rhetorisches Geschick voraus, um so mit Fingerspitzengefühl Charakterbeschreibungen von observierten Personen liefern zu können.117 Vielen Berichten gemein sind jedoch geschilderte Beobachtungen über den Raum der gegnerischen Gruppierungen. Im Falle eines in der Region rund um Essen untergebrachten Spitzels konnte das Nachrichtenbüro während nicht ungefährlicher Treffen mit den KPD Führern an gezielte Informationen über die Standtorte kommunistischer Versammlungsorte und –lokale gelangen. Aus dem Bericht eines anonymen Spitzels ging hervor, dass „in Karnap das K.P.D. Lokal von Michael Böllinger, Gasthof zum Bahnhof in der Königstr: 126“ festgestellt werden konnte.118 „Daselbst heute Abend des 6.5. eine Sitzung der Vertrauensleute der K.P.D., Bergarbeiter der Zeche Math.aus Stinnes stattgefunden, in der beschlossen worden ist, einen Vertrauensmann nach Berlin und Leipzig zu senden, zwecks Orientierung der politischen Lage der K.P.D..“119 Die Orte, an denen revolutionäre Aktionen geplant wurden, waren gleichzeitig als Orte identifiziert worden, an denen besonders der Zusammenhalt der Revolutionäre geschaffen und aufrechterhalten werden konnte. In einem Bericht über die KPD Bezirke in Essen und deren Bezirkslokale berichtet ein anonymer Agent über seine Erfahrungen vom Mai 1920.120 Das in Essen gelegene Büro der Zentrale der Kommunistischen und Unabhängigen Partei lag in 115 Vgl. Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 195; vgl. etwa auch Lucas, Märzrevolution I, S. 16. Berichtet wird hier ebenfalls von im Ruhrgebiet eingesetzten Agenten des Reichswehrministeriums. 116 Vgl. die Dokumentensammlung bei Höhn (Hrsg.), Vaterlandslose Gesellen. 117 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Abschrift eines Berichts über die K.P.D. Bezirke in Essen und deren Bezirkslokale vom 07. Mai 1920. So wurde der Redakteur der verbotenen Zeitung Ruhr-Echo, welches im selben Gebäude untergebracht war wie die Parteizentrale der KPD und der Unabhängigen in der Maschinenstraße 16/I, als ein wenig zugänglicher Mensch beschrieben. 118 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Abschrift eines Berichts über die K.P.D. Bezirke in Essen und deren Bezirkslokale vom 7. Mai 1920. 119 Ebd., ohne fol., Abschrift eines Berichts über die K.P.D. Bezirke in Essen und deren Bezirkslokale vom 07. Mai 1920. 120 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Abschrift des Berichts „Die K.P.D. Bezirke in Essen und deren Bezirkslokale“, Karnap/Essen vom 7. Mai 1920.
4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen 223
der Maschinenstrasse 16/I. Im selben Gebäude befand sich die Redaktion der vom Wehrkreiskommando VI Münster verbotenen Zeitung „Ruhr Echo“. Während der Agent am Morgen des 7. Mai seine Arbeit begann, die er bisher als „sehr glatt abgelaufen“ bezeichnete, habe er die Bezirkseinteilung noch nicht vollständig einschätzen können, was ihm die Arbeit erschwert habe. Die Einschätzung über den Charakter der zu beobachtenden Personen gehörte zum Kanon einer immer wiederkehrenden nachrichtendienstlichen Praxis. Die Treffen mit KPD Führern und Referenten, wie beispielsweise Heinrich Hegel in Karnap führten dazu, dass nördlich von Altenessen ein KPD Lokal im von Michael Böllinger betriebenen Gasthof zum Bahnhof in der Königstr. 126 „ausgehoben“ werden konnte, in dem am Abend des 6. Mai eine Sitzung der Vertrauensleute der KPD Bergarbeiter der Zeche Victoria und Mathias Stinnes stattgefunden hatte.121 Hier wurde beschlossen, einen Vertrauensmann nach Berlin und Leipzig zu senden, zwecks Erörterung der politischen Lage der KPD. Nicht jede dieser Beobachtungen wurde jedoch so detailliert geschildert. Manchmal reichte auch eine einfache Liste aus, in der die KPD Bezirke und Lokale aufgelistet wurden.122 Diese Listen waren Teil eines umfassenden Verortungssystems, welches von Berlin aus gesteuert wurde.123 Diese sogenannte schwarze Liste der Berliner Zentrale wurde seit 1917 aufgestellt. Mittels eines Markierungssystems, meist bedeuteten Ausrufungszeichen hinter einem Namen, dass die betreffende Person von momentan geringem Interesse war, konnte diese bereits durch „auswärtige Vollzugslisten“ vorgemerkt sein.124 In der Kartothek Kölpins wurde vermerkt, „wie man sich der einzelnen Leute am leichtesten bemächtigen“ konnte.125 Diese Informationen über das Kontrollsystem der Kommunisten wurden daraufhin in die eigenen Strategien zu implementieren versucht: 121 Zur recht unübersichtlichen Lage der Zechen im Ruhrgebiet vgl. Hermann, Die alten Zechen an der Ruhr. 122 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Abschrift eines Berichts aus Karnap/Essen, den 7. Mai 1920. 123 Oft waren es Zufälle bei denen Agenten in den Besitz von Information über bevorstehende kommunistische Versammlungen kamen. Bei 17 erfassten Städten waren allein für Essen 6–7 kommunistische Versammlungen mit täglichem Rhythmus ausgemacht worden. Insgesamt verzeichnet jene Liste 55 Veranstaltungen, die im täglichen Rhythmus stattfanden, 6 davon mit größerem Ausmaß. 124 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Ergänzung zu den Herrn Rechtsanwalt Meyer in Berlin persönlich ausgehändigten Listen. 125 Ebd., ohne fol., Liste der KPD Bezirke in Essen und deren Bezirkslokale. Bezirk 1 und 3 Frohnhauserstrasse 57; Bezirk 2–4 Segerothstrasse 85, bei Seidensticker; Bezirk 5 Frohnhauserstrasse, bei Pott; Bezirk 6–7 Beuststrasse 70, bei Humme; Bezirk Kölnerstrasse Kölnerstrasse 63, bei Furtmann; Bezirk Duisbergstrasse Dunkernstrasse 44, bei Kronenburg; Bezirk Katernberg Mittelstrasse, bei Pantring; Bezirk Borbeck Weidkamp, bei Schrawen; Bezirk Rellinghausen Heisingstrasse, bei Härtick; Bezirk Rellinghausen Frankenstrasse, bei Funder; Bezirk Rellinghausen Rellinghauser – Ecke Marienstrasse, bei „Glück Auf“; Bezirk Rotthausen Schönebeckerstrasse, bei Beekmann; Bezirk Rotthausen Schwanenkampstrasse 45, bei Heinrich Sellinghof; Bezirk Rotthausen Klausthalerstrasse 1, bei Jos. Roth; Bezirk Stelle Rottebohnkamp, bei Spiess; Bezirk Kray Hauptstrasse, bei Bönninghaus; Bezirk Berge-Borbeck Volgelheimerstr. 98, bei Knümann; Bezirk Berge-Borbeck Vogelheimerstr. 18, bei G. Bremer; Bezirk Könige-Steele Berlinerstr. 38, bei Theod. Schroer; Bezirk Borbeck-Essen Söllingstr. 122, bei
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4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen „[Die Listen] enthalten in buntem Durcheinander das aber absichtlich beibehalten wird, neben führenden Persönlichkeiten die Namen von kleinen Polizeibeamten, welche den Kommunisten als gefährlich gelten, die kaum irgendwie hervorgetreten sind, aber in einem Stadtbezirke als Stützen des Bürgertums gelten und die wohl auf den Vorschlag eines kommunistischen Vorortvorstandes auf die Liste gesetzt worden sind. Im Allgemeinen gilt der Grundsatz, dass man bei der Zusammenstellung der schwarzen Liste sehr sorgfältig siebt.“126
Für die Einschätzung der Lage war es nicht ungewöhnlich, wenn Spitzel lose Prognosen über die zukünftige Stimmung in der Region abgaben. In Duisburg-Hochfeld sollte am 23. Mai des Jahres 1920 eine Versammlung im Lokal Burghof stattfinden, bei der ein russischer Landesvertreter namens Rymsky Korsakow anwesend sein sollte. Der anonyme Berichterstatter vermutete, dass es schlimmere Unruhen geben werde, als es bisher der Fall gewesen war.127 Um an valide Informationen zu gelangen mussten die Vertrauensmänner über die internen, oftmals codierten, Kommunikationsformen und -strukturen der Kommunisten informiert sein. Als geheimes Zeichen der Kuriere konnte ein spitz zusammengefaltetes Stück Papier dienen, „welches innen mit Bleistiftstrichen versehen [war]. Die eine Ecke des zusammengefalteten Papieres ist abgerissen; das abgerissene Stück ist im Besitz desjenigen Vertrauensmannes, an den die Nachricht gesandt wird. Dieser prüft an Hand der beiden abgerissenen Stellen, ob der Kurier echt ist.“128
Ähnliches wurde über eine neu eingerichtete Organisation berichtet, die für die Rote Armee im Industriegebiet eingesetzt werden sollte und bald einsatzbereit sei. Vorthmann; Bezirk Rellinghausen Frankenstr. 290, bei Jos. Veith; Bezirk Essen – West Röntgen Ecke Körnerstr., bei Th. Nass; Bezirk Essen – West Helmholtzstr. 49, bei Ph. Föller; Bezirk Essen – West Altendorferstr. 199, bei Wink. Als Führer wurden ausgemacht Hümmerich, Dr. Jacobs im Eyhof 18, Heinrich Hegel in der Berlinerstr. 167, sowie K. Siebert in der Hobeisenstr. 37. 126 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Ergänzung zu den Herrn Rechtsanwalt Meyer in Berlin persönlich ausgehändigten Listen. Ähnliche Listen ließen sich für die KPD Bezirke in Bochum und den umliegenden Städten und Ortschaften finden. 127 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Liste für die KPD Bezirke in Bochum und den umliegenden Städten und Ortschaften, Verfasser anonym. In Hagen und Umgebung operierten dem Berichterstatter zufolge vielfach sogenannte Geheimarbeiter der KPD, die sich als Redakteure ausgaben. An sogenannten Tarnorten wurden politische Versammlungen abgehalten. „Die Arbeiter-Samariter Kolonne Hagen ist nichts weiter als eine kommunistische Vereinigung und verdient und verdient [sic] den Namen ‚Sanitätskolonne der Roten Garde‘. Diese Leute sind ja noch linker, wie die Kommunisten, meist Anarchisten, Banditen, jugendliche Verbrecher, denen eine Kugel nicht zu schade ist.“ Für weitere Listen mit Kneipen, in denen Versammlungen abgehalten wurden wie im Falle Gevelsberg, Gelsenkirchen und Umgebung vgl. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, ohne fol. 83, Bericht Nr. 3864 pers. vom 4. November 1920 zur Beurteilung der Lage. Hier wurden ähnliche Vermutungen angestellt wie im Falle der oben geschilderten zu erwartenden Unruhen. „Für den 7. November sind von der K.A.P.D., der K.P.D. und dem linken Flügel der U.S.P.D. in allen grösseren Orten Deutschlands grosse Revolutionsfeiern und Demonstrationen beabsichtigt, da der 7.11 als der russische revolutionäre Feiertag anerkannt wird.“ Viele dieser hektographierten kurzen Berichte beinhalten knappe Nachrichten über linksradikale Bewegungen aus den Städten. 128 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, ohne fol., 83. Bericht Nr. 3836 über die Beurteilung der Lage vom 7. Oktober 1920.
4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen 225
Die Mitglieder des Roten Soldatenbundes sollten als „Erkennungszeichen unter sich rot- und weißgeringelte, oder rot und weißgestreifte Zigarren bezw. Zigarettenspitzen tragen.“129 Eine ähnliche Form der symbolischen Kommunikation, jedoch nicht unter Einsatz des eigenen Körpers, kann in der Nutzung des öffentlichen Raumes ausgemacht werden. Dieser wurde mit geheimnisvollen Zeichen an bestimmten Oberflächen im öffentlichen Raum versehen. Der unten abgebildete Ausschnitt zeigt eine Nachricht an die Truppenführer, welche ein Agent im Duisburger Wald an den Bäumen vorgefundenen hatte. Dort war in der Nähe des Kaiserberges „vielfach die Rinde abgeschält und zwar gleichmäßig in folgender Form.“
Abbildung 9: Codes der Roten Armee I
Abbildung 10: Codes der Roten Armee II
Die Wichtigkeit der Ausführungen der Pläne im Einzelnen lag im Verantwortungsbereich der Ortsgruppen. Der gesamte Plan lag in der Bezirksleitung unter Verschluss, weil man mit der Möglichkeit rechnete, „in der nächsten Zeit stark verfolgt [zu] werden“. Daher sollte ein Code entwickelt werden, damit auch dann die Arbeit der Gruppen aufrechterhalten werden konnte. Für einen bevorstehenden Generalstreik galt der Satz „Paul schwer erkrankt, Margot“, der Generalaufstand mit den Worten „Paul sterbenskrank, Margot“, sowie der Anweisung zum Abwarten mit 129 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, ohne fol., Truppen-NachrichtenBlatt No. 4 vom 30. Juli 1920.
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4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen
dem Satz „Kommen unnötig, Margot“. Tauchte einer dieser Sätze auf, so sollte die Bezirkszentrale danach handeln und man konnte davon ausgehen, dass der Telegraphierende die Situation vor Ort entsprechend einschätzte. Weitere Codes bezeichneten etwa die Stärke militärischer Truppen. „Dann ersuche ich [gemeint ist der Oberpräsident] jeden Ort, mir sofort 2 neue Adressen zu schicken und sie zu nummerieren, damit sofort gewechselt werden kann, ohne Zeit zu verlieren. Ausserdem können auch nachher die Zeiten unsicherer sein, als jetzt. Jede Möglichkeit mündlicher Zebergabe [gemeint ist Übergabe] Reisende, Kellner usw. muss zur Uebermittelung neuer Adressen ausgenutzt werden. Zwei neue Adressen von mir liegen auf einem besonderen Zettel bei. Sie werden aber erst benutzt, wenn ich dazu auffordere.“130
Die Ortlosigkeit war genau wie die Namenlosigkeit wichtiges Kriterium für die Sicherheit und Gewährleistung des Planes. Sofern eine Nachricht den Hinweis „Besser schreiben“ und die Unterzeichnung „Margot“ enthielt, sollte man Vorsichtsmaßnahmen vornehmen wie einen Adresswechsel. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass die Kommunikationsstrukturen aufrechterhalten wurden. So sollte nicht nur berichtet werden, wenn es erwähnenswerte Neuigkeiten gab, sondern auch wenn nichts passiert war: „Berichterstattung gehört nun einmal zu einer straffen Organisation. Man muss voneinander wissen. Und je mehr man von einander weiss [sic], desto kräftiger ist die Organisation. Wenn einem von euch das Porto viel werden sollte, kann er es von mir zurückverlangen.“
Die sich unter den Truppenteilen befindlichen Vertrauensleute sollten daher nicht zur Verbreitung von Literatur eingesetzt werden, sondern zur Spionage. Sobald sich mehrere dem Spionagedienst anschlossen, konnte man die Aufgaben verteilen. In der nachrichtendienstlichen Praxis konnten so wichtige Informationen über die Kommunikation und Organisation der Roten Armee gewonnen werden. Gelangte man an Informationen über das komplexe System der Codierung von Nachrichten, konnte das Militär wiederum ein Gegengewicht im Kampf um den Kommunikationsraum bilden. Die Kommunikationsstruktur zwischen der Bezirksleitung und den verschiedenen Ortsgruppen lässt sich als ein ausdifferenziertes Netz beschreiben. Mittels eines Kartenspiels, bei welchem jede Karte in zwei unterschiedlich große Teile zerrissen wurde und einer Notiz bei der Bezirksleitung, welches Kartenteil zu welcher Ortsgruppe gehörte, sollte in der Alltagskommunikation ein Verifizierungsmechanismus eingebaut werden, damit die Kuriere erkennen konnten, ob die jeweilige Empfängerperson auch zur richtigen Gruppe gehörte und die Nachricht für sie bestimmt war. Der Ablauf innerhalb der Roten Armee war dann derart vorgesehen: „Beispiel: Kommt ein Kurier zum Bezirk, so zeigt er das Stück der Karte seiner Ortsgruppe vor. Der Bezirksleiter fragt den Kurier, von welcher Ortsgruppe er kommt und vergleicht das Stück der Karte des Kuriers mit dem Stück, welches die Bezirksleitung hat. Stimmen die beiden Stücke, indem man dieselben genau aneinander setzen kann, dann weiß man, daß das Stück echt ist, denn eine zerrissene Karte ist nicht nachzuahmen. Jedes Schreiben wird dem Kurier 130 Hier und im Folgenden LAV NRW, W, Büro Kölpin, Nr. 93, ohne fol., Oberpräsident Abt. Meldestelle, Tgb, Nr. 812/20 pers. an Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung, Münster 22. Juli 1920, S. 6.
4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen 227 durch einen Schlüssel mitgeteilt. Der Schlüssel wird den Ortsgruppen noch mitgeteilt werden und wechselt häufig.“131
Eine andere Form der nonverbalen Kommunikation bestand in der Einnahme des öffentlichen Raumes durch das Bekleben mit Zetteln, Plakaten und Flugblättern. Da diese Tätigkeit besonders gefährlich war, sollten derartige Aktionen nur in der Nacht stattfinden. Hierfür habe ein Genosse im Besitz eines Leimbehälters sein müssen, ein anderer im Besitz der Klebezettel. Darüber hinaus sicherten zwei oder drei Menschen die jeweiligen Straßenseiten als „Spitzensicherung“. Nach 25 Metern sollte der Maler alle 75 bis 100 Meter eine Fläche an dem Haus, dem Zaun oder der Litfaßsäule mit Leim bestreichen. In kurzem Abstand folgte dann derjenige mit den Zetteln, sodass eine schnelle Ausführung der Aktion gewährleistet war. Bei Störungen verständigte man sich durch ein vorher vereinbartes Zeichen. Für etwaige Verfolgungen sollten die an den Straßenseiten positionierten Spitzenmänner für Ablenkung sorgen. „Sie werden sich nach einigen Bemühungen den Greifern stellen und sich natürlich als harmlose Nachtbummler entpuppen.“132
Abbildung 11: Codes der Roten Armee III
Bei Versammlungen und Zusammenkünften der Genossen musste auf den besonderen geheimen Status geachtet werden. An allen Ein- und Ausgängen wurden „scharfe“ Beobachtungen vorgenommen. Die zum Ort der Veranstaltung führenden Straßen standen unter besonderer Beobachtung. Im Verdachtsmoment sollte die tagende Gruppe sofort benachrichtigt werden. Neben der konkreten Teilnahme an Demonstrationszügen, an Versammlungen und politischen Protestaktionen war das Sammeln von Informationen, Plänen und Anfertigen von Karten Teil der nachrichtendienstlichen Praxis. Sowohl das Anfertigen von Karten diente der Verortung des Feindes, als auch das Wissen über dessen Organisation. Die bei den Mitgliedern einer Gruppe kursierenden Unterlagen bezüglich Organisation, Aufbau und Einteilung besaßen somit einen hohen Informationsgehalt und standen unter strenger Geheimhaltung. Trotzdem gelang es Kölpins Agenten oftmals an derart brisante Unterlagen zu gelangen.133 131 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 93, ohne fol., Anlage zum 75. Bericht Nr. 3690 vom 30. Juli 1920, betr. Rote Armee Organisation, S. 1. 132 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 93, ohne fol., Anlage zum 75. Bericht Nr. 3690 vom 30. Juli 1920, betr. Rote Armee Organisation, S. 2. 133 So wie im Falle des entdeckten Organisationsplans des Roten Matrosenbundes. Hier und im Folgenden vgl. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, ohne fol., Organisationsplan betr. Roter Matrosen Bund, Münster den 6. Dezember 1919.
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Im Falle von bewaffneten Aufständen durch kommunistische Kampfgruppen sollte zunächst gewährleistet werden, dass sich die Einzelnen zunächst den Massen anschließen konnten. Da deren Führer bereits während der Januar- und Märzkämpfe ausreichend Erfahrung hatten sammeln können, war die Gruppierung im Straßenkampf bereits zweckmäßig unterrichtet. Die recht überschaubare Zahl von 2.000 Mitgliedern in Berlin sei so beschaffen, dass sie problemlos innerhalb kürzester Zeit auf das Vielfache davon habe ansteigen können. In diesem Falle warb jedes Mitglied um neue Personen, welches in Zeiten eines „Normalzustandes“ vermieden wurde, weil man die Durchsetzung des Bundes mit Spitzeln vermutete. Wie brisant sich dieses gestalten konnte zeigt, dass bei Nichtbefolgung der sofortige Ausschluss erfolgt sei, bei nachgewiesenem Verrat unter Umständen der Tod, da das Leben und Freiheit von dem Verhalten jedes einzelnen Mitgliedes abgehangen habe. Die Organisation des Bundes folgte ebenfalls räumlichen Gesichtspunkten. Die Zentrale setzte sich aus gerade einmal 3 Personen zusammen, danach folgten 6 Bezirks- und Gruppenführer - eingeteilt je nach den lokalen Gegebenheiten - neben den Mannschaften. Dabei bestand jede Gruppe aus 10 Mann und einem Gruppenführer. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, dass sich „nur der Führer der Gruppe und seine 10 Mann“ kannten.134 Weisungen erfolgten lediglich von der Zentrale an die Bezirksvorstände, welche wiederum Befehle an Gruppenführer weitergaben, die letztlich von den Mannschaften ausgeführt wurden. Dieses hierarchische Kommunikationssystem hatte den Vorteil, dass die Mitglieder der Gruppe sich nicht untereinander kannten und es keine Namensverzeichnisse gab, die Spitzeln in die Hände geraten konnten. Zur Sicherheit existierte lediglich ein Namensverzeichnis, welches sich in der Zentrale befand und durch den unten abgebildeten Schlüssel gesichert wurde, indem man das Straßenverzeichnis mittels eines Nummerierungscodes verschlüsselte. Ohne diese Nummern war das Verzeichnis als wertlos einzuschätzen.
134 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, ohne fol., Organisationsplan betr. Roter Matrosen Bund, Münster den 6. Dezember 1919.
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Abbildung 12: Liste täglich abgehaltener kommunistischer Versammlungen
Man erfuhr wie in diesem Fall zwar den Namen Rudolf Faber. Rückschlüsse auf den gesamten Bund zu ziehen galt jedoch fast als unmöglich. Da in dem Organisationsplan darauf hingewiesen wird, dass die Waffen für „je 11 Mann an bestimmten Orten aufbewahrt“ wurden und nur der Bezirksführer diesen Ort auf Weisung der Zentrale an die Gruppenführer weitergab, schien es zunächst sinnvoll, wenn sich das Militär mithilfe jener Informationen der Aushebung dieser Orte widmete.135 Zudem waren Informationen über die symbolischen Codes von besonderer Wichtigkeit, wenn dadurch die Träger von weißen Kreuzen auf roten Binden als Anführer der Organisation bekannt wurden. Eine einfache rote Binde trug jedes Mitglied. Entgegen einer geforderten Zugehörigkeit zur KPD oder USPD, welche zwar durchaus erwünscht war, sollte vielmehr die „Qualität des Einzelnen gesehen“ werden. Zudem sollte sich im öffentlichen Raum nie mit mehr als zwei Gruppen gleichzeitig bewegt werden. Dieses Prinzip sollte in jeder Stadt mit über 100.000 Einwohnern auf ganz Deutschland angewendet werden. Zufallsfunde waren besonders wertvoll, wenn diese über Versammlungsorte mit der genauen Frequentierung abgehaltener Veranstaltungen pro Tag berichteten.
135 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 319, ohne fol., Organisationsplan betr. Roter Matrosen Bund, Münster den 6. Dezember 1919.
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So konnten recht schnell Rückschlüsse auf die Zentren der revolutionären Aktion geschlossen werden. Elberfeld-Barmen, obwohl geographisch eher ein kleinerer Bereich, bildete mit 11 Versammlungen pro Tag das Zentrum mit den meisten Veranstaltungen. Essen, Duisburg, Remscheid, Styrum, aber auch Bottrop mit zwei größeren Versammlungen weisen ebenfalls eine erhöhte Frequentierung auf.136 Insgesamt bestand jedoch keine systematisch organisierte Spionageabwehr der Roten Armee137. Wie umfangreich die Teilnahme an den ermittelten Versammlungen der kommunistisch geprägten Gruppierungen war lässt sich nicht vollends ermitteln, da die Überlieferung der abgelieferten Berichte an das Büro Kölpin lückenhaft ist. Der Schwerpunkt der Berichterstattung liegt dabei im Jahr 1920. Die konkrete verdeckte Teilnahme an derartigen Versammlungen erforderte zudem ein hohes Maß an mobiler Flexibilität.138 Das Auswerten der Materialien oblag Kölpin, während vorsichtige Einschätzungen und Lagebeurteilungen den Spitzeln vorbehalten war. Trotzdem erforderte es Kompetenzen überhaupt zu entscheiden, welches Material man für relevant hielt. Die Auswahl von Informationen hing somit eng von der persönlichen Wahrnehmung der Agenten ab und trug so zur Wirklichkeitsbildung des Akteurs bei. Die Berichte sind teilweise schwierig zuzuordnen, da keine Absender vorhanden sind, manchmal lediglich Datums- oder Ortsangaben. Oft wurde versucht den politischen Büros einen Tarnanstrich zu geben, in dem man dort andere Organisationen unterbrachte wie beispielsweise in Barmen: „Um dem Büro einen harmloseren Anschein zu geben wird dortselbst die kommunistische Zeitung „Freiheit“ vertrieben.“139 Drohte bei kritischer Einschätzung einer Situation massive Gefahr, wurde nicht davor zurückgeschreckt, konkrete Maßnahmen zum Ausschalten eines Agitators vorzunehmen. Im Fall der Roten Garden in Hagen, Oberhausen, Elberfeld und Barmen hätten eine etwa 6–7.000 Mann starke und gut bewaffnete Formation im Ruhrgebiet gestanden: „Der Referent der K.P.D. Dr. Paul Levy aus Berlin hält hier im Ruhr- und Industriegebiet täglich mindestens 2 Versammlungen ab. Immer in den verschiedensten Städten. Er hetzt direkt
136 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Die Einteilung sämtlicher K.P.D. Bezirke Hagens und Umgebung: Hagen i/W 25. Mai 1920; Bezirk 1 Versammlungsort Rademacher Lindenstrasse, Bezirk 2 Kückelhaus Körnerstr. 12, Bezirk 3 Waldheim Brandenburgermühle, Bezirk 4 Altenhagen Kreuzer Altenhagen, Bezirk 5 Remberg Franzen, Bezirk 6 Vorländer Körnerstr. 32, Bezirk 7 Altenhagen Konsumrestaurant Altenhagenerstr., Bezirk 8 Festerbauer Herbrechter. Der kommunistisch geprägte Zentralverband der Angestellten in Hagen versammelte sich im Lokal Lösse in der Böhmerstraße. Die Treffen seien ganz politischer Natur gewesen, so die Einschätzung des Berichterstatters. 137 Vgl. Lucas, Märzrevolution II, S. 16. 138 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Bericht aus Essen vom 15./16. Mai 1920. Am Vormittag musste der Agent eine Versammlung der USPD und KPD in Essen observieren, während er am selben Tag nachmittags bei einer Versammlung in Gelsenkirchen sein musste. 139 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 85, ohne fol., Bericht vom 24. Mai 1920 aus Barmen-Elberfeld über den Ermittlungsstand in Barmen.
4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen 231 die Arbeiterschaft zum Kampf auf. Der Mann müsste unbedingt unschädlich gemacht werden, bevor er die Arbeiterschaft in Deutschland ganz vergiftet hat.“140
Das Sammeln von Informationen über Gräueltaten, Plünderungen und Erpressungen war ebenfalls zentraler Bestandteil der nachrichtendienstlichen Arbeit. Dass es dabei durchaus zu kontroverser Wahrnehmung kommen konnte, welche Gruppierung eine Straftat beging, geht aus einem Kommandobefehl der Sicherheitspolizei hervor, in welchem darauf hingewiesen wird, dass sich jeder Soldat „fest vornehmen“ sollte, „seine Stimmung im Zaume zu halten und nicht Gleiches mit Gleichem vergelten zu wollen. Jede Handlung, die ein Soldat unternimmt, wird von der Bevölkerung anders bewertet, als die eines Nichtsoldaten. Der Soldat muss sich unbedingt an Recht und Gesetzmässigkeit [sic] halten.“141
Neben den bereits thematisierten Listen, in denen Auskunft über spezielle Lokalitäten zwecks kommunistischer Versammlungen gegeben wurde, stand besonders das Ermitteln über die Anwendung von Gewalt im Fokus der Agenten.142 Beide Praktiken stehen in engem Zusammenhang mit der Frage, welchen Raum man mit welchen Mitteln versuchte zu erschaffen und dann für sich zu gewinnen. Die beim Wehrkreiskommando VI in umfangreicher Zahl vorliegenden Zusammenstellungen berichten von Gräueltaten, Plünderungen, Erpressungen der „Bolschewisten“.143 Als Gräueltaten wurden der direkte Angriff auf den eigenen Körper, oft das Erschießen von vermeintlich Unbeteiligten während kommunistischer Aktionen bezeichnet, wie im Falle des Herrn Niemann aus Sythen, der am Nachmittag des 23. März 1920 zufällig bei einer Radtour in die Vorbereitungen eines Sprengattentates der „Spartakisten“ geraten war. Diese beschlagnahmten sein Rad und forderten seine Brieftasche. Nach einiger „Überredung“ gelang es Niemann sich von der Gruppe zu entfernen. Trotzdem entschlossen sich die „Spartakisten“ Niemann und seinem Bruder „hinterher zu schießen“. Differenziert wird in diesen Berichten nicht nach Unbeteiligten und Beteiligten. Der Zivilist August Neigefind wurde ohne Angabe eines Grundes am 3. April 1920 in seiner Privatwohnung von Rotgardisten erschossen. Auch Emil Kopken aus Kirchderne erlag einem ähnlichen Schicksal, wenngleich sein Auftrag vermeintlich zielgerichtet war, indem er vom Untersu-
140 Ebd., ohne fol., Bericht vom 24. Mai 1920 mit handschriftlichem Vermerk „Achtung“ aus Barmen-Elberfeld über den Ermittlungsstand in Barmen. 141 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 254, Der Oberpräsident Kommando der Sicherheitspolizei, Kommando-Befehl Nr. 55.262, Münster 15. April 1920. 142 Zur Frage von welcher Seite aus zuerst Gewalt ausgeübt wurde vgl. etwa Schumann, Einheitssehnsucht und Gewaltakzeptanz, S. 84; vgl. etwa auch die umfangreichen Studien bei Wirsching, Weltkrieg; Schumann, Politische Gewalt; Winkler, Von der Revolution, S. 169ff. 143 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 87, ohne fol., Zusammenstellung der beim Wehrkreiskommando VI vorliegenden Nachrichten über Greueltaten, Plünderungen, Erpressungen etc. der Bolschewisten vom 26. Mai 1920.
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chungsausschuss Dortmund beauftragt worden sei, gegen „Plünderer“ und „Räuber“ der roten Armee einzuschreiten.144 Im Fokus dieser Plünderungen stand Material, wie Waffen aus Beschlagnahmungen, Requisitionen von Benzol, Sprengstoffe, Lebensmittel und Textilien, welche für bevorstehende Aktionen benötigt wurden.145 Sogenannte „Streifkommandos“ versorgten die eigenen Gruppierungen mit Waffen. Oftmals wird von Augenzeugen berichtet, dass es nicht bei diesen Waffenplünderungen blieb, sondern auch Wertgegenstände entwendet wurden. Im Vergleich zu früheren Aktionen der Novemberunruhen waren diese Aktionen fortan gezielterer Natur und verlagerten sich mehr in die Privaträume der in den Städten lebenden Menschen. Wie wichtig solche Inklusionsprozesse als zu interpretierende Handlungen für die Gruppe der „Spartakisten“ waren, zeigt das Beispiel des Freikorpssoldaten Martin Herter vom Freikorps Pfeffer, der während eines Urlaubes am Hattinger Bahnhof von einem Rotgardisten gefangen genommen und zusammen mit anderen Reichswehrangehörigen 12 Tage lang gefangen gehalten wurde. Der Militärkleidung und Verpflegung beraubt, willigte Herter schließlich ein, sich der Gruppe anzuschließen: „So gaben wir dem an uns gestellten Ansinnen nach Rotgardisten zu werden.“146 War dieser Prozess abgeschlossen und die Integration in die neue Gruppierung erreicht, konnten die neuen Rotgardisten relativ unabhängig handeln und später als Posten fliehen und sich zu deren früheren Truppenteilen durchschlagen. Die Anwendung von Gewalt half bei der Definition eines gemeinsamen Feindbildes, wie am folgenden Fall exemplifiziert werden soll. Am 13. März 1920 wurde das 2. Infanterie Regiment auf Befehl des Führers des VI. Reservekorps auf dem Bahnhof Stade nach Pommern verladen. Kurz vor Harburg marschierte die Gruppe „unter Sang und Klang“ in die Stadt und wurde in der Heimfelder Schule einquartiert. Trotz der aufgestellten Posten wurde die Schule umstellt und es entfesselte sich ein starkes Gefecht. Das Regiment ergab sich schließlich, wurde jedoch weiterhin attackiert. „Schliesslich [sic] drängte der Pöbel dicht an uns heran, und schlug mit Stöcken, Schirmen und Gewehrkolben auf uns ein und suchte vor allem nach den Offizieren. Hauptmann Berthold, Ltn. Grassmann, Pfillip und Samuelsen wurden sofort als solche erkannt. Hauptmann Berthold wurde fortgeschleppt; man riss ihm seinen Orden pour le merite ab, zog ihm die Stiefel aus und entwendete ihm alle Habseligkeiten und das gesamte Geld, das er bei sich trug. Dann wurde ihm sein verkrüppelter Arm ausgerissen, der Schädel mit dem Kolben eingeschlagen und er förmlich zertreten.“
144 Hier und im Folgenden ebd., ohne fol., 10. Fortsetzung, Zusammenstellung der beim Wehrkreiskommando VI vorliegenden Nachrichten über Greueltaten, Plünderungen, Erpressungen etc. der Bolschewisten vom 26. Mai 1920. 145 Neben diesen Materialien spielte der Zugang zu wichtigen Positionen in der städtischen Verwaltung eine besondere Rolle. Ein Angehöriger der USPD konnte somit sämtliche Ein- und Ausgänge kontrollieren. Mittels des Dienstsiegels konnte Hans Weitkamp so Requisitionsscheine nach Belieben ausstellen. 146 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 87, ohne fol., 9. Fortsetzung, Zusammenstellung der beim Wehrkreiskommando VI vorliegenden Nachrichten über Greueltaten, Plünderungen, Erpressungen etc. der Bolschewisten vom 22. Mai 1920.
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Der Umstand der einseitigen Berichterstattung zu solchen Vorgängen spielt für die folgenden Überlegungen nur eine untergeordnete Rolle. Diese Schilderungen sind keine Seltenheit. Auffällig ist, dass die Abgrenzung über die Zuschreibung unterschiedlicher Gewaltformen im öffentlichen Raum funktionieren konnte. Das Schlagen mit Schirmen und Stöcken deutet zudem darauf hin, dass nicht ausschließlich organisierte Mitglieder der Rotgardisten an den Gräueltaten beteiligt waren, sondern auch andere Gruppierungen. Im Prozess der Wahrnehmung der unterschiedlichen Formen der Gewaltanwendung wurde die gegnerische Gruppe erst als eine Gruppe definiert. Ins Auge fällt, dass im weiteren Verlauf dieses Falls weitere Gruppierungen genannt werden: „Besonders Weiber und halbwüchsige Bengels, aber auch unsere Bewachungsmannschaften schlugen und stachen auf uns ein, sodass wir mit ca. 20 z.T. Schwerverwundeten vor der Kaserne ankamen.“147 Relativ frei konnten die Offiziere sich nur noch bewegen, wenn sie sich ihrer Kleidung und Abzeichen entledigten. Auch „duzten“ sich die Offiziere mit den Leuten und simulierten so das Verhalten einfacher Soldaten, um nicht erkannt zu werden. Neben den vermehrt verzeichneten Fällen von Plünderungen oder Morden, dominiert die Berichte eine dritte Kategorie: Sabotageakte werden als ein probates Mittel der „Spartakisten“ dargestellt, der gegnerischen Position Schaden zuzufügen, während man Räume sowohl auf der physisch materiellen Ebene, der günstigen Verkehrsknotenpunkte148, als auch auf symbolischer Ebene, der repräsentativen Bauten, Denkmäler oder Statuen zerstörte und somit zu besetzen versuchte.149 Ein Großteil der Delikte stellen jedoch Diebstähle mit detaillierten Listen über die entwendeten Dinge dar. Nicht selten musste man den Plünderern unterschreiben, dass man die Ware freiwillig ausgehändigt habe.150 Nicht nur körperliche Gewalt erwies sich als probates Mittel zur Abgrenzung im öffentlichen Raum gegenüber anderen Gruppierungen, sondern auch seelische Gewalt. Vizewachtmeister Meichsner der 1. Reichswehr (ESK 107) musste eigenen
147 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 87, ohne fol., 9. Fortsetzung, Zusammenstellung der beim Wehrkreiskommando VI vorliegenden Nachrichten über Greueltaten, Plünderungen, Erpressungen etc. der Bolschewisten vom 22. Mai 1920. 148 Ebd., ohne fol., 8. Fortsetzung. Wagenführer der Gelsenkirchener Straßenbahn wurden gezwungen auf Strecken zu fahren, auf denen sie nicht ausgebildet wurden und die für sie fremd waren. 149 Ebd., ohne fol., 8. Fortsetzung. Hierzu zählten beispielsweise das Zerstören von Brücken oder Schienen. Oder Zechenanlagen. So wurden am 30. März 1920 auf der Schachtanlage bei Deuten Schlägel und Eisen, Schacht III und IV größere Mengen Dynamit gelagert und mit elektrischer Fernzündung versehen zur Sprengung der Zechenanlagen. In diesem Fall verhinderten Zechenbeamte die Katastrophe durch das Zerschneiden der Zündschnüre. 150 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 87, ohne fol., 4. Fortsetzung des Hauptmanns im Generalstab Hanstein der Zusammenstellung beim Wehrkreiskommando VI vorliegenden Nachrichten über Greueltaten, Plünderungen, Erpressungen etc. der Bolschewisten an den Chef des Generalstabes vom 24. April 1920. So beispielsweise der Landwirt Fritz Wischeler aus Wethmar, dem 25 Bund Stroh, 10 Brote, 100 Pfund Fleisch, 30–40 Pfund Schmalz, 110 Pfund Kartoffeln, 20 Pfund Rauchfleisch und ein Rucksack entwendet worden waren und er für die Herausgabe die freiwillige Handlung bezeugen musste.
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Aussagen zufolge am 19. März in Strümpfen und nacktem Oberkörper mit erhobenen Händen unter dem Rufe „Liebknecht, Spartakus und Rosa Luxemburg hurra!“ durch die Straßen rennen, während er „auf schrecklichste Weise misshandelt“ wurde.151 Erniedrigungen dieser Art waren offenbar keine Seltenheit. Die Wahrnehmung der Berichterstatter war somit geprägt durch sowohl physische als auch mentale Bilder von Gewalterfahrung in Verbindung mit den Raumerschließungsstrategien der Kommunisten. Offiziere, die angebunden an zwei Pferde in zwei Hälften gerissen wurden oder tote Körper mit ausgestochenen Augen zeugen von einer massiven Gewalterfahrung der Berichterstatter. Die nachrichtendienstliche Praxis war somit wesentlicher Bestandteil einer sich stärker ausdifferenzierenden Raumerschließungsstrategie des Staates gegenüber der sich zunehmend radikalisierenden Revolution. 4.4 RAUM IM KAPP-PUTSCH UND DIE NIEDERSCHLAGUNG DES ARBEITERAUFSTANDES IM MÄRZ 1920 Sicherheits-, Nachrichten- und Spitzeldienste waren während des Kapp-Putsches und des Ruhrkrieges als eine der „dramatischsten und in mancher Beziehung schicksalsträchtigen Perioden in der Geschichte der Republik von Weimar“ von entscheidender Bedeutung.152 Dabei spielt es für das vorliegende Kapitel weniger eine Rolle, dass es sich beim Kapp-Lüttwitz-Putsch153 um ein „gegenrevolutionäres Unternehmen“ handelte, in dem „die rechtsgerichteten Bestrebungen zur Erringung der politischen Macht das Hauptthema bilden“ und somit die Ereignisse einer binären Logik folgend interpretiert wurden.154 Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht vielmehr die Frage, welche Bedeutung Raum während des Putsches einnahm und welchen Anteil oben genannte soziale Formationen bei der Niederschlagung
151 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 87, ohne fol., 4. Fortsetzung des Hauptmanns im Generalstab Hanstein der Zusammenstellung beim Wehrkreiskommando VI vorliegenden Nachrichten über Greueltaten, Plünderungen, Erpressungen etc. der Bolschewisten an den Chef des Generalstabes vom 24. April 1920. 152 Eliasberg, Der Ruhrkrieg, S. 1. 153 Der Debatte um die Benennung des Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsches und der Frage nach den führenden an diesem politischen Umsturzversuch teilhabenden Persönlichkeiten soll hier nicht nachgegangen werden, weshalb der Einfachheit halber die Bezeichnung Kapp-Putsch ausreichen soll. Vgl. Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, Einleitung. 154 Für zeitnahe Schilderungen vgl. Kabisch, Die Kämpfe am Niederrhein, S. 521–557; Mahnken, Freikorps im Westen, S. 89–95; Schützinger, Bürgerkrieg. Schützinger beschreibt die unterschiedlichen Strategien bei der Bekämpfung von Aufständen. Seine Erkenntnisse können im Kontext der Polizeipsychologie in Deutschland verortet werden. Schützinger schreibt dem Militär die Schuld am Arbeiteraufstand im Ruhrgebiet von 1920 zu. Vgl. auch Schulz, Ein Freikorps im Industrie-Gebiet; Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel; Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau, Band I u. II.; Zickler, Reichswehr gegen Rote Armee. Zickler besuchte als Redakteur des Vorwärts die „Brandherde“ der Revolution für ca. eine Woche. Vgl. auch die eindrückliche Schilderung der Ereignisse bei Brammer, Fünf Tage Militärdiktatur.
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des Aufstandes gerade durch ihre räumlichen Überwachungsstrategien daran hatten. Der Kapp-Putsch als ein „versuchter Staatsstreich“ und schließlich als das Ereignis, bei dem gegen den „entschlossenen Abwehrwillen der Volksmehrheit“ vorgegangen wurde, um ein autoritäres Regime zu errichten, prägte entscheidend die Geschichte der Spätphase der Novemberrevolution und wurde von der Forschung als gegenrevolutionärer Versuch interpretiert, die Errungenschaften der Revolution zu stürzen.155 Aus militärischer Sicht sollte durch den Kapp-Putsch ein Sammelpunkt der „gutgesinnten, aktionsbereiten nationalen Offiziere“ geschaffen werden, während die militärische Organisation der preußischen Provinzen und der Bundesstaaten das hauptsächliche Ziel bildeten. Mittels politischer Propaganda, so Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp als einer der Mitinitiatoren des Putsches, sollte die Schaffung eines „Resonanzbodens für eine Gegenrevolution in der Bevölkerung unter Anlehnung an die Organisation der Heimat- und Landbünde, der Organisation Escherich in Bayern“ gewährleistet werden.156 Die Gründe für eine derartige Aktion des „Losschlagens“ bestanden offenbar in den von der Revolutionsregierung aufgrund des „Schmachfriedens“ versprochenen und ausbleibenden wirtschaftlichen, politischen und finanziellen Verbesserungen für die Bevölkerung. Hierbei wurden der Regierung Mängel in der politischen Führungsebene zugeschrieben, welche zu einer breit in der Bevölkerung verankerten Angst vor den Massen führen würde. Dabei nahmen die Reaktionäre „die Novemberrevolution nur [als] ein[en] ungeheuren Lohnkampf ohne politische Ideale“ wahr, ihre „Weiterentwicklung zu einer einseitigen Diktatur des Proletariats und der einseitigen Arbeiterklassenherrschaft" welche „Hand in Hand damit die rote Gefahr im Westen“ meinte.“157 Die Bestimmungen im Friedensvertrag führten zu einer starken Heeresverminderung und der Auflösung der Freiwilligenverbände. Die Gründe wurden hierfür in der Unterdrückung der Korruption, des wirtschaftlichen Ausverkaufs Deutschlands, der Beseitigung der Zwangswirtschaft und Kriegsgesellschaften und dem Wiederaufbau des Finanzsystems durch Reichs- und Kriegsanleihen gesucht. Innenpolitische Gründe wie die Erhaltung der Reichseinheit, die durch die Absplitterung der Provinzen Hannover, Oberschlesien, Rheinland von Preußen, gerade der „Zertrümmerung und Sabotierung“ Preußens, dem Abfall süddeutscher Staaten unter dem „Vorwande der Unerträglichkeit der preußischen Zentralisation“ waren zunächst problembehaftete räumliche Phänomene. Die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung schien somit auch in den reaktionären Kreisen das antreibende Moment.158 Kapp hatte sich bereits vor dem Anzetteln eines Putsches bei den militärischen Stellen als Politiker zur Verfügung gestellt. Die Frage nach den beteiligten 155 Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. XXV. 156 Auszug aus der Denkschrift Kapps über Vorbereitung und Auslösung des Putsches, zit. nach Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. 576. 157 Ebd., S. 576. 158 Auszug aus der Denkschrift Kapps über Vorbereitung und Auslösung des Putsches, zit. nach Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. 577. Zusammenfassend bestanden Kapps politische Beweggründe offenbar in der Beseitigung der deutschen Revolutionsverfassung, der Errichtung einer starken, von den Parteien unabhängigen Exekutive mit klarem Über-
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Personen schien bei der Integrierung sozialdemokratischer Posten jeglicher Couleur nicht eindeutig, so sprachen sich Lüttwitz und General von Oldershausen für eine Berücksichtigung von Mehrheitssozialisten aus, denn Noske und Ebert seien bei der Truppe unentbehrlich.159 Kapp bemängelte zur Vorbereitung des Putsches, dass es beim Losschlagen letztlich zu Überhastungen gekommen sei. Zur Durchführung der Aktion sollte die Regierung Ebert gestürzt und die öffentliche Gewalt „an sich gerissen“ und Kapp währenddessen als Reichskanzler eingesetzt werden. Für Ende März oder Anfang April war dieser Sturz geplant, die politischen Stellen der allgemeinen Verwaltung in der Zentral-, Provinzial- und Lokalinstanz sollten in der Zwischenzeit einer Neuordnung unterzogen werden. Sowohl die Neuerungen in den Verwaltungsstrukturen, als auch die militärischen Vorbereitungen zeugen von Plänen einer systematischen Neuorganisation des öffentlichen Raumes.160 Erhard Lucas beginnt den zweiten Band seiner Geschichte über die Märzaufstände im Ruhrgebiet mit einem Zitat eines nicht genannten DVP Abgeordneten im preußischen Landtag über die „rote Herrschaft im Ruhrgebiet“.161 Besagtes Zitat handelt von Gräueltaten, die von der „Masse der roten Truppen“, begangen worden sind. Es ist die Rede von „wutentfachte[n] Leidenschaften“ und „tierischen Instinkten“, welche die „Oberhand“ gewannen. Auch wird die häufig in den Quellen auftauchende Gruppe der Frauen genannt, welche vom Abgeordneten als „Weiber“ bezeichnet wird, die zu „Furien“ wurden. Als der Zitierte dann noch von den zahlreichen Ortschaften berichtet, deren öffentlichen Kassen besetzt und Geld entwendet wurde und der „ganze Janhagel des Bezirks“ sich zu ihnen „gesellte“, werden zwei Dinge deutlich: Räume sind in Zeiten sozialer Unruhen von besonderer Bedeutung, während die Dynamik revolutionärer Situationen nicht eindeutig definierund zuordenbare Gruppen bewegen an diesen Aktionen teilzunehmen. Die daraus resultierende „Unsicherheit und Unordnung“ und deren Anwachsen kann dann als eine unerwartete Folge aus dieser Kombination interpretiert werden. An der Abwehr des Arbeiteraufstandes vom März 1920 hatte Kölpin einen nicht unerheblichen Anteil. Der Streik der Eisenbahner im Ruhrgebiet, welcher durch die Telegraphenarbeiter und Bergarbeiter solidarisch unterstützt wurde162,
159 160
161 162
und Unterordnungsverhältnis anstatt des Weimarer Kollegialsystems. Siehe Lucas, Märzrevolution im Ruhrgebiet I, S. 78. Vgl. die problematische Sichtweise bei Schemann, Wolfgang Kapp, bes. S. 118ff. Vgl. Noske, Erlebtes, bes. S. 167ff.; ebd., Von Kiel bis Kapp. Auszug aus der Denkschrift Kapps über Vorbereitung und Auslösung des Putsches, zit. nach Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. 578. „Das Schicksal hat es jedoch nicht gewollt, daß dieser Plan mit seinen bis ins einzelne getroffenen Vorbereitungen ausgeführt wurde – Druck und Verbreitung der Aufrufe – Behandlung der Presse – Aufhebung von suspekten Personen, Ministern, Arbeiterführern, Aufwieglern, Streikhetzern – genaue Verhaltensmaßregeln für die Mitwirkenden –. Äußerlich bin ich zwar von der militärischen Stelle als Diktator eingesetzt worden, abgesehen von der Veröffentlichung des großen Aufrufs, der über die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Ziele des Unternehmens Aufschluß gab, ist die politische Stelle gar nicht zum Handeln gekommen.“ Lucas, Märzrevolution I, S. 7; vgl. Sitzungsberichte, Band 9, Sp. 11180. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, ohne fol., Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos 58 und 59.
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führte am 11. Januar dazu, dass ein einfacher Ausnahmezustand über die Regierungsbezirke Düsseldorf, Minden, Arnsberg und Münster verhängt wurde.163 Kurze Zeit später, am 13. Januar, protestierte die Berliner Arbeiterschaft vor dem Reichstagsgebäude gegen das Betriebsrätegesetz. Bei diesen Demonstrationen kam es zu 42 getöteten und 105 verwundeten Menschen. Ein Resultat dieser Ereignisse war die Verhängung des Belagerungszustandes über alle Teile des Reiches außer Sachsen, Bayern, Baden und Württemberg und im weiteren Verlauf die Ausrufung einer sogenannten Bannmeile, welche ein Demonstrieren vor Parlamentsgebäuden innerhalb eines Radius von einer Meile verbot.164 Die Stilllegung lebenswichtiger Betriebe, sowie der öffentlichen Verkehrsmittel, aber auch aller Anlagen zur Erzeugung von Wasser, Elektrizität und Gas waren strengstens verboten. Folge dieser Verordnungen war die Übergabe der Exekutive an das Militär.165 Während des Kapp-Putsches und der Märzaufstände standen sich somit soziale Formationen gegenüber, die einen höheren Organisationsgrad aufwiesen als die des Novembers 1918, in welchem den einmarschierenden Soldaten und Matrosen im Ruhrgebiet kaum Widerstand entgegengeschlagen war. In den Anfangsjahren der Revolution 1918 und 1919 waren es vielfach noch vereinzelte Gruppen oft „aufrührerischer Spartakisten“, welche an den Aktionen im Ruhrgebiet beteiligt waren. Da diese sowohl institutionell, als auch organisatorisch nicht so gut aufgestellt waren, konnten jene Erhebungen relativ leicht durch das Militär oder die Polizei unterbunden werden. Während der Situation im März 1920 sah man sich allerdings einer relativ geschlossenen Front an organisierten Arbeitern gegenüber. Einen ersten größeren Erfolg konnten diese in der Nähe des westfälischen Münsters erringen, als eine Einheit des Freikorps Lichtschlag und der Batterie Hasenclever per Bahn in Richtung des Ruhrgebiets im kleinen an der Ruhr gelegenen Ort Wetter zwischen Dortmund und Hagen an der Weiterfahrt durch streikende Eisenbahner gehindert wurde.166 Von Hagen als „Kampfzentrale“ wurden am 15. März weitere 1.500 bewaffnete Arbeiter nach Wetter geschickt.167 Die Truppenbewegung von Münster in Richtung des Ruhrgebietes wurde als Beginn und
163 BA B, R 43 I, Nr. 2715, fol. 7. 164 Lucas, Ausnahmezustand, S. 165. 165 BA B, R 43 I, Nr. 2715, fol. 7, 9f. u. 13. Die vier Regierungsbezirke in Westfalen und Rheinland standen bereits unter dem einfachen Ausnahmezustand. General von Watter wurde in Münster angewiesen, den verschärften Zustand im Bedarfsfall anzumelden; vgl. Lucas, Märzrevolution I, S. 22; Vgl. Metzmacher, Der Novemberumsturz 1918 in der Rheinprovinz, S. 135–265; vgl. Böllert, Mühlheim als Garnisonsstadt, S. 188–193. 166 Hierzu die kritischen Äußerungen Carl Severings, welcher von der Reichsregierung und der preußischen Regierung zum Reichs- und Staatskommissar im Befehlsbereich VII ernannt worden war und aufgrund des Belagerungszustandes dem kommandierenden General Freiherr von Watter alle militärischen und politischen Maßnahmen übertrug. Bewaffnete Arbeitertrupps hatten in Bochum, Witten, Herne, Haltern, Hagen und Wetter die Einwohnerwehren entwaffnet und „in den Fabrikbetrieben einen Terror“ ausgeübt, der eine „geregelte Produktion unmöglich“ machte. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 142. 167 Ebd., S. 147.
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Provokation einer größer angelegten Offensive gegen die organisierte Arbeiterschaft angesehen.168 Da der Bahnhof in einer Talsenke liegend den Beschuss der Truppe von den umliegenden Hügeln aus möglich machte, boten die geographischen Bedingungen den Arbeitern günstige Bedingungen, diese Truppenbewegung zu stoppen und das bereits vor Erreichen der größeren Gebiete im Ruhrgebiet. Diejenigen Arbeiter, die aus der umliegenden Gegend nach Wetter strömten, verteidigten ihren neu gewonnenen politischen Artikulationsraum auf diese Weise. Augenzeugen berichten von heulenden Sirenen, die Arbeitertrupps aus der ganzen Region ankündigten.169 Die Arbeiterschaft hatte die gesamten Höhen der Umgebung besetzt und hielt den Bahnhof in Wetter „unter Feuer.“ Der im Bahnhof entstandene „Nahkampf“ trug letztlich auch zur Erregung der Massen auf den Straßen bei: „Die Lage war allmählich so bedenklich geworden, daß sich der leitende Offizier gegen 10 Uhr morgens ergab. Die Waffen der 600 Mann wurden im Rathause untergebracht.“170 Das Zusammenströmen der Menschen nahm innerhalb weniger Stunden nicht steuerbare Formen an, was den Einsatz von Gewalt gegen die „putschverdächtigen Truppen“ rechtfertigen sollte.171 Dabei war die „in Bewegung“ geratene 168 Angeblich fand man bei den Truppen Plakate, die auf eine Unterstützung der Regierung Kapp hindeuteten. Insofern schlussfolgerte Severing, dass „irgendeine Verbindung zwischen den Verschwörern in Berlin und einigen Leuten der Truppen bestanden“ haben könnte. Vgl. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 146. Allein die Anwesenheit einer Freikorpsformation wie des Korps Lichtschlag am Bahnhof-Süd in Dortmund konnte die 800 Mann starke Dortmunder Volkswehr, welche den Sicherheitsdient der Stadt bildete, in akute Alarmbereitschaft versetzen. Vgl. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 152. 169 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 23, Schreiben des Landkreises Hagen, Tgb. Nr. 2331 an den Regierungspräsidenten in Arnsberg vom 16. März 1920. Auch in Hagen wurden Arbeiter mithilfe von Sirenen zusammengerufen. In den sich rasch entwickelnden Auseinandersetzungen zwischen Arbeitertruppen und Reichswehrangehörigen ist oft nicht klar zu rekonstruieren, wer für den Beginn einer Auseinandersetzung verantwortlich gemacht werden konnte. Bereits in den Jahren vor der Revolution waren gerade im August 1916, im Januar und März 1917 und im Januar und Februar 1918 erste Streikwellen, hauptsächlich der Bergleute zu verzeichnen gewesen. Während der Streiks des Januar und Februar 1918 und dann im August 1918 erlangten diese durch die Verhängung des Generalstreiks eine völlig neue Qualität. Vgl. Spethmann, Die Rote Armee, S. 7. Ein beliebtes Muster stellten die Inszenierungen von Lebensmittelunruhen im Sommer 1919 dar. Während die Wochenmärkte gestürmt wurden, fanden parallel Plünderungen der Lebensmittelgeschäfte statt. Vgl. Spethmann, Die Rote Armee, S. 8. 170 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 23, Schreiben des Landkreises Hagen, Tgb. Nr. 2331 an den Regierungspräsidenten in Arnsberg vom 16. März 1920. 171 Ebd., fol. 87, Schreiben des Kommando der Sicherheitspolizei Abteilung Pol. an das Wehrkreiskommando, Münster 22. März 1920. In vielen Städten des Ruhrgebiets verliefen die Kämpfe nach ähnlichem Muster. Polizeireviere und öffentliche Gebäude wie die Rathäuser, Postgebäude etc. standen im Zentrum der Auseinandersetzungen. Während Einwohnerwehren wie im Falle Stoppenbergs vollständig ohne die Anwendung physischer Gewalt entwaffnet werden konnten, kam es zu unkontrollierbaren Eigendynamiken, in der die Verteidiger, obwohl diese weiße Tücher als Zeichen des Ergebens schwenkten, schwer misshandelt wurden. Dass auch unbeteiligte, bis auf die Hose entkleidete Beamte der Post mit erhobenen Händen gezwungen wurden durch die Straßen zu gehen zeigte, dass mit derartigen Aktionen der öffentliche Raum so einer starken symbolischen Aufladung unterzogen wurde.
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Masse sowohl mit Gewehren der Einwohnerwehren, als auch Jagdflinten und versteckt gehaltenen Handgranaten deutlich schlechter ausgerüstet als die Militärtruppen.172 Welche Argumente das Militär nutzte, um Maßnahmen gegen die verschiedenen Ausschreitungen „linksradikaler Elemente“ vorzunehmen, zeigen die Vorgänge in Hattingen. Anhand der Berichte der lokalen Polizeiverwaltungen lassen sich gut Rückschlüsse auf die Wahrnehmung des Sicherheitsapparates während der Kapp-Unruhen ziehen.173 So berichtet der Bürgermeister in einem Schreiben an den Landrat in Hattingen, dass „am Samstag, den 13. März 1920 abends gegen 10/11 Uhr Umzüge aus Anlass des erfolgten Umsturzes in Hattingen statt[fanden]. Mit vorangetragener roter Fahne und unter Absingung von Liedern durch zog [sic] die Menge verschiedene Strassen. [sic] Der eine Teil dieses Zuges zog zum hiesigen Amtsgericht und öffnete mit Gewalt die dort befindlichen Gefangenenzellen und setzte die Gefangenen in Freiheit. Zu gleicher Zeit waren ungefähr 100-150 Personen am hiesigen Rathaus angelangt und verlangten die Freigabe der in dem Rathaus befindlichen inhaftierten Arbeiter Otto Papenhoff und Heinemann. Letztere waren wegen Mitbeteiligung an den in letzter Zeit hier in Hattingen ausgeführten Motordiebstählen eingesperrt worden. Von den auf der Wachstube befindlichen Polizeibeamten wurde der Polizeikommissar Elberfeld benachrichtigt. E. begab sich sofort nach dem Rathaus und versuchte, die Menge von ihrem Vorhaben (Befreiung der Gefangenen) abzuhalten. Nachdem eine Scheibe der Haupteingangstür mittels Steinen eingeworfen und Polizei-Kommissar Elberfeld mittels eines Steinwurfes am Kopfe schwer verletzt und aus der Mitte der Menge Schüsse gefallen waren, machten die Beamten auf Befehl des Gendarmerie-Oberwachtmeisters Schulz von ihrer Waffe Gebrauch und säuberten das Rathaus.“174
Zum einen wird deutlich, welche Ziele primär angesteuert wurden und mit welchen Mitteln man diese zu erreichen versuchte. Dabei zeigt sich, dass der Versuch die Menge durch den herbeigerufenen Polizeikommissar von Elberfeld zu beruhigen als ein erster Schritt zur Deeskalation seitens der „regierungstreuen“ Elemente hervorgehoben wird. Um einen militärischen Eingriff zu rechtfertigen, beriefen sich die Einheiten des Militärs meist darauf, mit dem Schwur auf den befehlshabenden Offizier für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung und deren Wiederherstellung Sorge zu tragen.175 Die militärischen Truppen wurden nach den Vorgängen in Wetter dann
172 Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 152. 173 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol 13, Schreiben des Oberpräsidenten Kdo. Sicherheitspolizei Abtlg. Z. Nr. 851 an das Wehrkreiskommando VI Münster I.A. gez. V. Caprivi, Münster 15. März 1920. Ähnliches galt für die Vorgänge in Bochum. Auch hier gerieten 1.000 Gewehre der Einwohnerwehr „in die Hände des Proletariats“ mit denen man sich Zugang zum hiesigen Gefängnis verschaffte, um die Freilassung von Gefangenen zu erpressen. 174 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 8. Bericht des Wehrkreiskommandos VI Abt. Ic Nr. 2820, Münster 15.3.1920. 175 Vgl. Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 33; Ernst, Kapptage im Industriegebiet, S. 15; vgl. General Oskar Freiherr von Watter, S. 34. Die alten Kameraden von Watters heben in diesem Gedenkbuch zu Ehren ihres Generals besonders dessen Verdienste um sein erstes Anliegen hervor, welches darin bestand „für Ruhe und Ordnung in seinem Wehrkreis zu sorgen, zu dem auch das eng bevölkerte Ruhrgebiet gehörte, in dem sich die Staatsgewalt nicht
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in einer Reihe weiterer Auseinandersetzungen relativ schnell aufgerieben wie im Falle Herdeckes deutlich wird. Als am 17. März Dortmund eingenommen wurde schien ein erster größerer Erfolg der organisierten Arbeiterformationen in greifbarer Nähe.176 Die Siege der Arbeiter bei Wetter und Herdecke besaßen vermutlich einen hohen psychologischen Wert.177 Gerade, weil die hohe Menge an Waffen und Artillerie die „Materialüberlegenheit“ der Reichswehr gegenüber der Ausstattung der Arbeiterschaft eigentlich hatte deutlich machen müssen. Welche Stoßkraft die Bewegung im Ruhrgebiet annehmen konnte, zeigt die zeitgleiche Einnahme von Kamen und Unna, kleinere Städte in der Nähe Dortmunds, die vielfach als „Überrumplung“ interpretiert wurden.178 Vermeintliche Erfolge wie bei Wetter und Herdecke, sowie das Gerücht über den widerstandslosen Fall in Dortmund hatten offenbar zur Steigerung der „Kampflust der Massen“ geführt.179 Die Orte galten als strategisch wichtige Punkte, denn hier bestand ein direkter Verbindungsweg zwischen dem Industrierevier und Münster mit Sitz des Wehrkreiskommandos. Neben dem Militär wurde wie im Falle Barmens die örtliche Polizei als direkter Gegner angesehen, wenn gerade das Militär nicht vor Ort war. Der Versuch der Reichswehr von Elberfeld aus die Stadt zurückzuerobern scheiterte. Größere Gefechte fanden in Remscheid statt, wo die Arbeiter einen Stützpunkt der Reichswehr angriffen. Hagen und Dortmund galten als strategisch wichtige Stützpunkte des Militärs, weil von hier aus das umliegende Ruhrgebiet sukzessive und fast ohne Widerstand eingenommen werden konnte. Letztlich waren in der Peripherie des Ruhrgebietes liegenden Orte weniger von den Auseinandersetzungen betroffen. Die Situation, welche für den „engeren Unruhebezirk“ wie beispielsweise in Hagen, Dortmund oder Essen als verständlich galt, wurde für Städte wie Minden als „befremdlich“ bezeichnet.180 Als „Essen […] nach blutigen Kämpfen am 18. März“181 fiel, mussten die Truppen in Duisburg und Düsseldorf unter diesen Umständen in Richtung der letzten „Hochburg“ Wesel flüchten, da die Einheiten die
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mehr restlos durchsetzen konnte.“ Dass die Spartakisten sich ausgerechnet diesen Teil des Reiches aussuchten, weil sie sich dort die nötigen Arbeitermassen für die Errichtung ihrer „Diktatur des Proletariats“ erhofften, kann als propagandistische Äußerung gewertet werden, welches nicht zuletzt in der Wortwahl deutlich wird, dass es in erster Linie auf die „Verhetzung“ der Massen ankäme. Auch befinde sich das Ruhrgebiet in der Nähe der entmilitarisierten Zone, einem Gebiet, in dem sie Zuflucht finden konnten. Das Eigenmächtige Handeln des Freikorps Lichtschlag, welches in Dortmund bei der Volkswehr für Unmut gesorgt hatte, führte zu einer Niederlage. Da auf Anraten der bestehenden Regierung Dortmund über den Umweg westlich von Aplerbeck durch den Wald Richtung Geiseke verlassen werden sollte auf Ablehnung stieß, stießen die Einheiten Lichtschlags immer wieder auf „bewaffnete Volkshaufen, die an den Rändern der Straße Aplerbeck-Gockel lagen“, da man sich gegen den vorgeschlagenen alternativen Weg entschied und das Korps in der Nacht geschlagen wurde. Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 318. Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 124. Hier und im Folgenden Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 155. Hier und im Folgenden ebd., S. 162. Hier und im Folgenden Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 319.
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Lippe überschritten hatten und somit der Fluss als Grenz- bzw. Frontregion aufgebaut wurde. Düsseldorf war anfänglich von den Ausschreitungen noch relativ verschont geblieben. Die Hauptverkehrsstraßen wurden auf Befehl Major von Rudorffs militärisch mittels bewaffneter Autopatrouillien besetzt, sodass frühzeitig der städtische Raum gesichert schien. Man versuchte hier nach den Erfahrungen aus der Frühphase der Revolution den zu erwartenden Auseinandersetzungen zuvorzukommen und so gewissermaßen prophylaktisch zu handeln. Der 21. März 1920 zeigt, dass die Truppen sowohl des westfälischen Teils des Ruhrgebiets, als auch im südöstlichen rheinischen Teil von den anderen Truppen „befreit“ worden waren. Von Hagen und Hamm aus konnten nun Aktionen in Richtung Münster geplant werden, sodass man die Grenze jenseits der Lippe zwischen Münster und Wesel erweitern konnte.182 Dass die Grenze als konstruierter Raum in den Tagen des Kapp-Putsches fast täglich verändert, erweitert oder verschoben wurde, wurde besonders bei den Kämpfen um Minden und der Verschiebung der Grenze zwischen dem Gebiet der kämpfenden Truppen nach Westen deutlich.183 Die Linie Gütersloh – Delbrück – Salzkotten – Büren – Brilon bildete nun die neue Grenze.184 Nach den Auseinandersetzungen des März 1920 verschob sich diese gemachte Grenze fast täglich. Erkennbar wurde dieser Konstruktionscharakter auch in der Sprache des Militärs, indem bestimmte geographische Anordnungen von Städten als „Linie“ überhaupt erst bezeichnet wurden. Die Gruppe Münster erreichte „die Linie südwestlich Wattenscheid-Bahnlinie südlich Wattenscheid bis zur Abzweigung der Bahn nach Höntrop-Wiemel-Dannenbaum südöstlich Altenbochum ohne Zwischenfall.“185 Auch die Gruppe Haas ging bis zur „Linie Dannenbaum-Langendreer-StockumKrucke-Syburg“ vor. Ähnlich verhielt es sich mit der Konstruktion eines sogenannten „Aufruhr- oder Sperrgebiets“, welches westlich durch den Rhein oder das von der Entente besetzte Gebiet und den Orten Dinslaken, Dorsten, Haltern, Lüdinghausen, Drensteinfurt, Walstedde, Oestinghausen, Soest, Bösperde, Hohenlimburg, Breckerfeld, Remscheid und Solingen, gebildet wurde.186 Wie im Kapitel zu den städtischen Mikroräumen bereits angedeutet, wurden somit ebenfalls alternative mit Bedeutungen aufgeladene Kartierungen des Makroraumes Ruhrgebiet vorgenommen. Auf einer Handlungsebene wurden diese militärischen Maßnahmen sowohl mit der Verhängung einer Nachrichtensperre für Telegramme und Ferngespräche unter Geheimhaltung umgesetzt, als auch mit der Festsetzung eines „Aufmarschgebietes 182 Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 41ff. 183 Vgl. die Überlegungen von Simmel zu Grenzen als „soziologische Tatsache, die sich räumlich formt.“ Vgl. Simmel, Soziologie, S. 623. 184 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 123, Schreiben der Reichswehrbrigade 31 Abtl. Ia Nr. 4062, Münster 25. März 1920. 185 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 281, Nachrichtenblatt des Wehrkreiskommando VI Nr. 27, Münster 16. April 1920. 186 Ebd., fol. 127, Schreiben des Wehrkreiskommando VI Abt. O. Qu./Ic 11 an den Regierungsund Oberpräsidenten, Münster 26. März 1920.
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um das Sperrgebiet“, um den Raum besser kontrollieren zu können.187 Dieses galt ausdrücklich auch für die Weitergabe privater Mitteilungen über militärische Maßnahmen jeglicher Art. Eine weitere Maßnahme stellte eine alternative Regelung des Verkehrs zwischen dem Sperrgebiet und dem Ausland dar. Als „unmittelbare“ Pflicht sei der Verkehr zwischen dem Sperrgebiet und sonstigen „Aufruhrgebiet[en]“ oder Orten im Reich zu unterbinden. Daneben sei eine Vermittlung durch Anstalten im Aufmarschgebiet dann zulässig gewesen, wenn diese überwacht worden seien, um somit militärische Nachrichten mit „verdächtigen“ oder für die Reichstruppen „gefährlichen“ Inhalten unterbinden zu können. Die Ereignisse in Berlin besaßen wieder katalysatorische Wirkung auf die Geschehnisse in den restlichen Teilen des Reiches, wie die Protestaktionen in Münster zeigen. Große rote Plakate wurden am Sonntagnachmittag durch die Straßen der Stadt getragen. Die Arbeiter versammelten sich um 5 Uhr bewaffnet auf dem Neuplatz zu einer Demonstration „um gegen die Regierung der Gewalt, die sich in Berlin selbst eingesetzt hat, und gegen das Säbelregiment der neuen Machthaber zu protestieren.“188 Aus der auf 400 Personen angewachsenen Menschenmenge sprachen an verschiedenen Stellen Redner, „die in scharfen Worten den neuen Umsturz verurteilten und die Arbeiterschaft sowie alle demokratisch gesinnten Deutschen zum Protest gegen das gesetzwidrige und unrechtmäßige Vorgehen der Putschisten aufriefen.“ Es habe gegolten, die mühsam errungenen Volksrechte zu bewahren und das eben sich erholende Wirtschaftsleben vor dem völligen Zusammenbruch zu retten. Nachdem sich eine Stunde später die Veranstaltung in Auflösung befand, bewegte sich der größte Teil der Versammlungsteilnehmer durch die Frauenstraße in Richtung Zentrum der Stadt. An der Überwasserkirche, auf dem Domplatz und dem Prinzipalmarkt zerstreute sich die Menschenmenge. Es war beabsichtigt, den Strom der Menschen sich auf dem Ludgeriplatz auflösen zu lassen, doch die meisten Teilnehmer zerstreuten sich schon auf dem Domplatz und Markt, da hier die bauliche Enge der Frauenstraße in ein weites Areal führte und so die Menge nicht mehr derart stark gelenkt wurde. Die auf dem Ludgeriplatz zur Aufrechterhaltung der Ordnung positionierte Abteilung der Sicherheitswehr war daher fast unnötig geworden. Die Geschehnisse in Berlin waren durch die Presse überall im Reich präsent. Reaktionäre Gruppierungen der Rechten, geführt vom Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp mit Unterstützung des General Freiherr von Lüttwitz, aber auch unter Mitwirkung General Erich Ludendorffs marschierten mit militärischen Einheiten durch das Brandenburger Tor in Richtung des Regierungsviertels in Berlin.
187 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 296. Anordnung des Wehrkreiskommando VI Abtl. O. Qu./Ic Nr. 23 betr. Kraftwagenverkehr im Sperrgebiet, Münster 26. März 1920. Das für den Kraftwagenverkehr bestimmte Sperrgebiet war begrenzt durch die „Linie Rees-Nordgrenze des Regierungsbezirks Münster-Osnabrück-Bielefeld-Paderborn-Büren-Rüthen-Meschede-Plettenberg-Meinerzhagen-Gummersbach.“ 188 Hier und im Folgenden Münsterscher Anzeiger vom 15. März 1920. Der vor dem Schloss gelegene Platz hieß bis zum Jahre 1927 Neuplatz, später dann Hindenburg- und schließlich Schlossplatz.
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Es folgten in den nächsten knapp 30 Tagen blutige bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen zwischen der Reichswehr und den Freikorps mit den sich gerade im Ruhrgebiet formierenden Roten Truppen.189 Am Beispiel des Freikorps Schulz in Mühlheim a. d. Ruhr wird wiederum deutlich, dass im Selbstverständnis jener Truppen ihre Funktion rein der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung gedient haben würde und somit „keiner Partei diente.“190 Um die Auseinandersetzungen zu beenden bedurfte es „komplizierter politischer Manöver, damit – um das beliebteste Schlagwort der Zeit zu benutzen – ‚Ruhe und Ordnung‘ wiederhergestellt, die verfassungsmäßigen Behörden funktionieren und die Produktion in vollem Umfang wiederaufgenommen werden konnte.“191 Welches Ausmaß die Auseinandersetzung in der Hauptstadt annahm, wird an den Schilderungen Walter Kochs, Chef des sächsischen Lebensmittelamtes, deutlich: „Die Stadt war nachts infolge des proklamierten Generalstreiks ohne Licht; nur das sogenannte Regierungsviertel zwischen Voßstraße, Wilhelmstraße, Unter den Linden und Budapester Straße war, da es eigenen [sic] Zentrale hatte beleuchtet. Wir mußten aber die Fenster sorgfältig abblenden und abdichten, da auf erleuchtete Fenster geschossen wurde. Überhaupt knallte es Tag und Nacht um unser Haus, so daß wir die Möbel tunlichst aus der Schußlinie rückten. Es kam öfter am Tage vor, daß vom Potsdamer Platz der Ruf ‚Straße frei‘ ertönte. Es war amüsant, zu sehen, wie dann die zahlreichen Passanten wie die Mäuse in die Hauseingänge strömten. Die Kugeln der Maschinengewehre machten in der Budapester Straße üble Querschläger. Wenn das Rattern der Maschinengewehre verstummte, wagten sich die Leute allmählich wieder aus den Häusern, und 10 Minuten später flutete der Verkehr wiederum, als ob nichts vorgefallen wäre. Die Herren der Gesandtschaft, die von Lüttwitz besondere Pässe zum Passieren des Drahtverhaus erhalten hatten, gingen, von Deckung zu Deckung an den Häusern hinlaufend, unter Lebensgefahr auf das Amt. Ich selbst kam, als die Baltikumtruppen aus der Stadt durch das Brandenburger Tor zogen, in eine böse Schießerei, bei der ich die Gewehrkugeln um mich herum pfeifen hörte.“192
Kochs Erinnerungen beschreiben zum einen die bürgerkriegsartigen Zustände in der Stadt Berlin, zum anderen zeigen sie, wie das öffentliche Bild der Stadt zunehmend als negativ wahrgenommen wurde und man keinesfalls in den eigenen Privaträumen sicher sein konnte. Anders als die kurzweiligen Räterepubliken in Bremen oder München bot das Ruhrgebiet ein loses Konglomerat unterschiedlicher Brennpunkte und geographischer Zentren der Auseinandersetzungen. Als „eine der wenigen spontanen Massenaktionen, die deutlich revolutionäre Züge aufweist“ ent-
189 Die Auseinandersetzungen werden in der Forschung als Ruhrkrieg von 1920 thematisiert, da sie sich aufgrund der zahlenmäßigen Überlegenheit der organisierten „Arbeiterstreitmacht“ zu früheren Unruhen der Revolution unterscheiden. Vgl. Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 292; vgl. dazu Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie; vgl. Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau Band II. 190 Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 137. 191 Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 292. 192 Vgl. Erinnerungen Walter Kochs zum Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920, in: Deutsches Historisches Museum, URL: . [14.07.2014]
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wickelte sich eine wenig organsierte Rote Armee aus lokalen Kämpfen und Konflikten hin zu einer Bewegung, die den Raum des Ruhrgebiets als ihr Territorium proklamierte.193 Dabei gelang es der Bewegung etablierte Offiziere und ihre erfahrenen militärischen Trupps bis in die „Festung“ Wesel zurückzudrängen und den Fluss Lippe als Grenze und gleichzeitig Front zu markieren. Dass die westlichen Teile um Hamborn, Duisburg, Mühlheim und Essen als Hochburgen der Syndikalisten und Kommunisten eingeschätzt wurden, während Hagen und Wuppertal eher der USPD zugerechnet werde konnten, zeigt wie heterogen dieser Raum besetzt war. Vielen der Auseinandersetzungen war gemein, dass es an unterschiedlichen Orten zu spontanen Arbeitsniederlegungen kam, welche eben nicht nach offizieller Anordnung vollzogen wurden und somit eine gewisse Eigendynamik aufwiesen.194 Neben den Angestellten der Eisenbahn- und Angestelltenverbänden beteiligten sich auch Beamte in lokalen Bereichen mit Aufrufen zu Streiks und Widerstand gegen die Putschisten. Raum als elementare Kategorie menschlichen Zusammenlebens spielte daher sowohl im städtischen wie auch im regionalen Kontext eine bedeutsame Rolle während des Kapp-Putsches und der Märzunruhen. Die Nachwirkungen der Ereignisse prägten das Straßenleben der Berliner in nachhaltiger Weise. Am 26. März war zwar der Straßenbahnbetrieb wieder aufgenommen worden und die Universität öffnete wieder ihre Türen, die Wasserversorgung hingegen funktionierte noch nicht wieder und auch der Zugverkehr vom Anhalter Bahnhof musste wegen des Beschusses einzelner Züge und kleinerer Auseinandersetzungen weiterhin eingestellt werden. Auch in den Vororten Berlins kam es wie im Falle Lankwitz immer noch zu kleineren Konflikten, wenn beispielsweise die militärischen Baracken mit Artilleriemunition einem Sprengstoffattentat unterlagen. Die Sicherheit sich im öffentlichen Raum der Stadt gefahrlos zu bewegen war also weiterhin nicht gewährleistet.195 Mithilfe der Nachrichtendienste konnten nun speziell während des Kapp-Putsches Informationen über die „feindlichen Organisationen und ihre Führer, sowie deren Verkehr und Lebensgewohnheiten“ gewonnen werden.196 Besonders die Beteiligung „von Ausländern“ sollte im Kontext der Unruhen beobachtet werden.197
193 Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 293. 194 Eliasberg, Der Ruhrkrieg 1920, S. 304. 195 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, ohne fol., Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommando VI Nr. 8, 26. März 1920. 196 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol., Bericht des Agenten A.W. 50, Münster, den 10. Juli 1920. 197 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 143, Telegramm der Reichswehr-Brigade 31 Abt. Ia Nr. 4042 an Oberpräsidenten in Westfalen, Regierungspräsidenten in Arnsberg, Landrat Arnsberg, Olpe, Altenkirchen, Station Belecke, Arnsberg, Altenhunden, Olpe, Betzdorf, Wissen betr. Bahnüberwachung, Münster 24. März 1920. Die Angst vor einer Unterstützung der „bolschewistischen Bewegung“ im Ruhrgebiet äußerte sich dahingehend, dass der Überwachung der Eisenbahnzüge nach „verdächtigen Persönlichkeiten“ besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte. Sowohl aus anderen Teilen Deutschlands, als auch Russlands, Polens und Ungarns vermutete man, dass dieser „Kräftezustrom“ den eigenen Raum „durch-
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Neben der Finanzlage der Organisationen interessierten die Nachrichtenstellen vor allen Dingen die Versammlungsorte der „Radikalen“, um geeignete Observierungsstrategien entwickeln zu können. Die Situation zu den November- und Januarunruhen unterschied sich daher im höheren Organisationsgrad sich einander gegenüberstehender Formationen. Das Wehrkreiskommando VI sah sich nun, gut zwei Jahre nach Ausbruch der Revolution, einer „gut organisierten, gut bewaffneten und gut geführten Truppe“ gegenüber, „die nach einheitlichem taktischen Plan handelt[e].“198 Um den Forderungen der Arbeiterschaft nachzukommen und den „Bolschewismus abzuwehren“ erklärte das Militär die „Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung“ als Richtlinie allen militärischen Handelns.199 Die Wahrung des inneren Friedens gegenüber einem möglichen bevorstehenden Umsturzversuch von links und somit gegen den „Bolschewismus“ interpretierte das Militär als „raison d’etre“ des Staates, während keine politischen Entscheidungen generiert werden sollten. Selbst der Chef der Marinestation der Ostsee, Konteradmiral von Levetzow und Befürworter des Kapp Unternehmen äußerte sich dahingehend, dass „von Politik [in seinem] Zimmer nicht gesprochen [werde].“ Dabei waren sich diejenigen Truppen, die Kapp und Lüttwitz zur Verfügung stellten offensichtlich nicht immer klar darüber, daß sie damit „eine Entscheidung über die Verteilung von Macht zwischen konkurrierenden Gruppen, über die Realisierungschancen unterschiedlicher politischer Zielsetzungen“ generierten.200 Dass der militärische Dienst „im vaterländischen Interesse“ trotz grundsätzlicher Ablehnung der erfolgten Staatsumwälzung vordergründig sei, so der Vizeadmiral und Chef der Marineleitung von Trotha, macht zudem die zentrale Rolle des Militärs zur Sicherung des heimischen Raumes deutlich. Dabei spielte es weniger eine Rolle ob „klügere Köpfe […] differenzierter denken [und] viele[n] Soldaten […] [der] Dienst auch ohne inhaltliche Identifikation mit dem Dienstherrn möglich [war].“ Die Wahrung von Ruhe und Ordnung mischen“ konnte. Hierfür sollte eine Überwachungsstelle ca. 10 Beamte enthalten. Diese bestanden aus einem Führer, 6 Wehrleuten und 2–3 Kriminalbeamten, welche mit Ausweisen ausgestattet die Zugrevisionen durchführen sollten. 198 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 83. Bericht des Wehrkreis-Kommando VI Abtlg. Ic Nr. 2933, Münster 22. März 1920. 199 Vgl. Hürten, Das Wehrkreiskommando VI, S. 127–156. Der in den Kämpfen um das Berliner Regierungsviertel abkommandierte Arnold Lequis, der im Dezember als kommandierender General des Generalkommandos die in Berlin einmarschierenden Fronttruppen befehligte, ließ seine Vorstellung vom Eingreifen des Militärs während sozialer Unruhen und Streiks recht deutlich werden. „Nicht mehr rückwärts, sondern vorwärts geschaut“ lautete sein Selbstverständnis. In zahlreichen Reden in größeren Städten sprach Lequis über den „Umsturz“ und das Verhalten seiner Truppe. „Wenn Sie mich fragen, warum der ganze Umsturz eingetreten ist, so kann ich ihnen nur erwidern, daß ich Soldat bin und nichts mit ihm zu tun habe. Mir wie der Truppe, die ich befehlige, ist der Umsturz ebenso überraschend gekommen wie Ihnen. Ich darf auch keine Stellung zu ihm nehmen. Denn wir Reichswehrangehörige stehen jeglicher Politik fern, haben uns nur an die Befehle unserer Vorgesetzten zu halten – ich und damit die Reichswehrbrigade also an die Befehle des Generalkommandos.“ Zit nach. Hürten, Die Anfänge der Ära Seeckt Nr. 13 u. Nr. 52, S. 15–17 u. S. 112–118. 200 Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 25.
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galt als primäres Ziel, dessen Wert unabhängig davon war, welche politische Bedeutung der Aufrechterhaltung geordneter Verhältnisse in einem gegebenen Augenblick zukommen konnte. Das Verlangen nach einer gesetzlichen Grundlage des eigenen Tuns erwies sich, wie es Hürten formuliert, als das „Streben nach einer formalen, inhaltlich unbestimmten Ordnung, die den Soldaten der Notwendigkeit eigener Entscheidung und Verantwortung überhob.“201 Das parteilose Verhalten, welches Generalleutnant Lequis propagierte wird dahingehend vielleicht noch nachvollziehbar, jedoch nicht das „politiklose“ der Truppe.202 Mit der Sicherung eines geordneten Raumes wurde die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung als sozialräumliche Praxis zur sinnstiftenden Funktion innerhalb der Truppe und war so wesentlich für deren Zusammenhalt jenseits parteipolitischer Zugehörigkeiten verantwortlich. Die bisherigen Misserfolge der Truppen im „Ruhrrevier“ führte das Militär besonders auf psychologische Momente zurück, wenn junge Soldaten sich einer Übermacht roter Truppen gegenüber sahen und „zu nahe“ an große Menschenmassen herangekommen waren, welche dann die Soldaten entwaffneten. Daher sei es zwingend erforderlich, dass die Truppe „das Gefühl der nummerischen Ueberlegenheit“ [sic] ausgleiche, so von Watter.203 Dieser Argumentation zufolge hatten ungeordnete Massen auf der Straße nichts zu suchen. „Derartige Massenansammlungen werden nach den Bestimmungen des verschärften Ausnahmezustandes verboten. Das Wehrkreis-Kommando wird außerdem alle gutgesinnten Elemente durch Flugblätter nochmals auffordern, beim Anmarsch der Truppen in den Häusern zu bleiben. Wer sich auf der Strasse dann noch zeigt, trägt selbst sein Leben zu Markt.“204
Bauern- und Einwohnerwehren hatten ihre Waffen an die Polizei abzugeben, während überall Standgerichte gebildet wurden.205 Der Zustrom von tausenden Soldaten ins Ruhrgebiet und die fast überall umfassende Präsenz des Militärs brachten wiederum Probleme mit deren Einquartierungen mit sich. 201 Ebd., S. 26. 202 Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 27. 203 Befehl des Wehrkreiskommandos VI über die bevorstehenden Kämpfe, 22. März 1920, zit. nach Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 150. 204 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 83, Bericht des Wehrkreis-Kommando VI Abtlg. Ic Nr. 2933, Münster 22. März 1920. 205 LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 133, Wehrkreiskommando VI Abt. Ic Nr. 2820 Freiherr von Watter und Reichs- und Regierungskommissar Severing an Regierungspräsidenten Arnsberg, Münster 15. März 1920. In verschiedenen Orten haben demnach „bewaffnete Banden“ die öffentlichen Gebäude und Verkehrsanlagen besetzt und „grobe Verstösse“ [sic] gegen die Ruhe und Ordnung vorgenommen. Dabei wurden Versuche unternommen die Einwohnerwehren zu entwaffnen. „Ungesetzliche Arbeiterräte massen sich Gerechtsamen an, die selbst gesetzl. Gewählten Arbeiterräten nicht zustehen. (Verbot von Zeitungen usw.)“ Hierfür wurde über beide Regierungsbezirke der verschärfte Ausnahmezustand nach der Verordnung des Reichspräsidenten vom 13. Januar 1920, sowie der Ergänzungsverordnung vom 11. Januar 1920 erlassen. Die Reichswehrbrigade 7 und 31 sollte hierfür Sorge tragen, dass in den ruhigen Bezirken „die Schärfe dieser Verordnung so wenig als möglich geltend“ gemacht werde. Hierbei sei eine besondere Belehrung über die Tätigkeit der Standgerichte erforderlich. Diese sollten nur im Falle eines Aufruhrs oder Landfriedensbruch eingesetzt werden.
4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen 247 „Für die uebrigen Hundertschaften Raeumlichkeiten nicht vorhanden. Es ist erforderlich, jedem Beamten zwei wollene Decken, Verpflegung fuer mindestens drei Tag und taschenmunition [sic] mitzugeben. […] Unterbringung in Stadthalle und Schuetzenhaus ohne Lagerstaetten und Einrichtung sofort moeglich. Holzwolle und Lagerstroh nicht vorhanden.“206
Zudem wurden alternativ Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen, indem Schulen umfunktioniert wurden. Die Organisation der Bewegung in den Ruhrgebietsstädten folgte ebenfalls einer räumlichen Aufteilung. Für die Unruhen im Ruhrgebiet wurde Düsseldorf samt Stadtbezirk Oberbilk als Zentrum ausgewählt, weil „man hier den Rücken frei hatte“.207 Radikale Kommunisten hatten hier mehrheitlich ihren Wohnsitz. Daher wurde die Stadt als „Herd aller Unruhen“ angesehen und galt nun als „Ausgangspunkt“ einer neuen Bewegung. Die Ortsgruppen waren für die Kernorganisation der KPD verantwortlich und bestanden im Mai 1919 in Düsseldorf aus gerade einmal 1.200 Mitgliedern. Der an der Spitze stehende Aktionsausschuss aus 6-8 Mitgliedern bildete die Spitze der Bewegung. Dass die Organisation sich nach einem räumlichen Verteilungsschema zusammensetzte, spiegelt sich in der Einteilung der Stadt in 32 Distrikte wider, „denen die in den betreffenden Stadtteilen wohnenden Mitglieder überwiesen“ wurden. Organisiert wurden diese Distrikte nach hierarchischem Prinzip. Den sogenannten Distriktführern unterstand die Leitung. Diese wurden als besonders bewährte Mitglieder gewählt und von Stellvertretern, Schriftführern und Kassierern unterstützt. Der Aktionsausschuss leitete die Versammlungen der Funktionäre und rief zu Mitgliederversammlungen auf, der Distriktführer zu Distriktversammlungen, der Aktionsausschuss hatte die Geschäftsleitung der ganzen Ortsgruppe in den Händen. Eine Neuerung in der Organisation bestand darin, je 3-5 Distrikte zu Bezirken zusammenzufassen. Unterschiedlich groß waren diese Bezirke jedoch in der USP, welche die Stadt in Distrikte mit 500-800 Mitgliedern einteilte, während die KPD kleinere Einheiten mit lediglich 50-60 Mitgliedern wählte. Der Bürgerkrieg und der Straßenkampf galten gerade der KPD als einzig probates Mittel zur Beseitigung des Kapitalismus. Dass dabei die USPD eher auf dem Boden des Parlamentarismus stand und daher weniger den Straßenkampf oder die direkte Aktion anstrebte, wenngleich auch sie zur Revolution stand, rückte sie zwar nicht vollends in den Fokus der nachrichtendienstlichen Ermittlungen, aber trotzdem unterlag sie dem Beobachtungsapparat während des Kapp-Putsches. Beim Observieren von Protestkundgebungen jeglicher Art wurde die revolutionäre Dynamik durch das Verschmelzen unterschiedlicher Gruppierungen mit unterschiedlichen Streikabsichten forciert. Die „Demonstraktion“ [sic] einer Gruppe von Kriegsbeschädigten wurde zeitgleich von Kommunisten und Erwerbslosen „benutzt“, indem sie Straßenbahnen stilllegten und Regierungstruppen und Passanten entwaffneten und sogar misshandelten. Bis in die späten Abendstunden traten
206 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 26, Schreiben des Kommando der Sicherheitspolizei an den Oberpräsidenten Münster, Münster 16. März 1920. 207 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 229, ohne fol., anonyme Abschrift eines Berichts, Düsseldorf, den 10. März 1920.
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kommunistische Redner in allen Stadtteilen auf, während Agitatoren zeitgleich versuchten, die Menge „aufzuhetzen“.208 Die starke Wirkung von diesen „Protesträumen“ äußerte sich in der Reaktion der Regierung, welche den Belagerungszustand über die Stadt verhängte „und damit den revolutionären Parteien ein schwerer Schlag versetzt“ wurde. Die Beschaffung von Informationen trug dazu bei, dass das Militär ständig über die Aktionen der Gegenseite unterrichtet war, sofern die Observierung funktionierte. Kölpins Mitarbeiter leisteten daher gute Arbeit, indem sie sich in den gegnerischen Arealen als Teil derselben politischen Gesinnung einschleusten und Informationen beschafften. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch markierte somit in der Geschichte der Reichswehr eine wichtige Zäsur. Die hohen Militärs beriefen sich auf die rechtliche Ordnung ihres Standes im Weimarer Staat. Mit „lückenhafter und ungenauer Kenntnis der Gesamtlage im Reich“ standen diese zwischen den beiden konkurrierenden Regierungen.209 Die Reichswehr handelte demnach nicht als einheitliche Gruppierung, die vorgegebenen Zielen folgte. Dem für das Wehrkreiskommando VI zuständigen Generalleutnant von Watter wurde daher vorgeworfen, dass er „nur wie ein ‚neutraler‘ Polizist“ dafür Sorge trage, dass im Bezirk Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten bliebe.210 In dieser Argumentation spielt letztlich die Frage der Sicherung des Heimatraums die entscheidende Rolle und weniger der Schutz einer Regierungsform.211 Nach Ende des Aufstandes war die Lage Anfang April im Ruhrgebiet noch als „vollstaendig ungeklaert“ bezeichnet worden.212 Um die Ordnung aufrecht zu erhalten, wurden in allen Städten des Ruhrgebietes durch Arbeiter organisierte Einwohnerwehren eingesetzt. Lediglich kleinere Zwischenfälle wie das Besetzen von Amtsgebäuden in Düsseldorf und Elberfeld fielen hier auf. Die Einwohnerwehren waren zwar hauptsächlich aus Unabhängigen rekrutiert, jedoch gehörten ihr auch Arbeiter, die christlich oder freigewerkschaftlich organisiert waren an. „Ueberall
208 Ebd., ohne fol., Übersicht über die politische Bewegung in der Stadt Düsseldorf und im Industriebezirk in der Zeit vom 1. Mai 1919 bis zum April 1920, S. 6. 209 Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 142. 210 Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 133. Severing verweist hier auf den geleisteten Eid von Watters und dem Befehlgehorsam auf die verfassungsmäßige Regierung. In den Schilderungen Severings wird auch die Haltung von Watters beschrieben, der in erster Linie dafür Sorge zu tragen gehabt habe, seine Truppen „zusammenzuhalten“. Vgl. Choltitz, Soldat unter Soldaten, S. 11. Die Crux, welche darin bestand, dass resultierend aus dem Ersten Weltkrieg zunächst die Armee vom Eid auf den Monarchen entbunden wurde wird in der Verunsicherung deutlich, an wen sich das deutsche Offizierskorps künftig halten sollte. „Die neuen Machthaber der Republik sahen in ihm bestenfalls ein notwendiges Übel, dessen Einfluß auf die künftige Entwicklung des Staates nach Möglichkeit ausgeschaltet werden sollte.“ 211 Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, S. 181. Der Gewissenskonflikt resultierte aus der doppelten Gehorsamspflicht, welcher sich äußerte im Konflikt zwischen Eidespflicht und Truppendisziplin. 212 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 175, Bericht über die Lage im Ruhrgebiet und die Stimmung bis zum 2. April 1920.
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wird peinlichst auf die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit gesehen. Gegen Diebe und Pluenderer wird ruecksichtslos eingeschritten.“213 Von der Front der Roten Armee zurückkehrende Soldaten berichteten, dass sie den Kampf solange weiterführen würden, bis die „Noskefeiglinge“ und „Noskeschweine“ „kaput“ [sic] wären. In Düsseldorf und Hagen arbeitete die Einwohnerwehr gemeinsam mit der alten Polizei. Diese Polizei führte ihren Dienst in zivil aus und war mit Ausweisen ausgestattet. Trotzdem diente sie der Unterstützung der Einwohnerwehr. „Das Leben und Treiben in den genannten Städten ist wie an Sonntagen. Die Polizeistunde ist in einigen Staedten auf 10, in anderen Staedten auf 11 Uhr festgesetzt. Ich habe auch Conzertlokale in vollem Betrieb gefunden. Alle hier verbreiteten Geruechte, dass man seines Lebens nicht sicher sei, sind aus der Luft gegriffen.“214
Nur knapp ausreichende Lebensmittelverhältnisse konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Brotknappheit im Ruhrgebiet von Tag zu Tag zunahm. Diverse ins Ruhrgebiet führende Zugverbindungen waren noch gesperrt, während aus Berlin kommende Schnellzüge von Hannover über Holzminden, Altenbeken, Soest, Hagen und Elberfeld umgeleitet wurden. Der Generalstreik als Reaktion auf die Beendigung des Putsches wurde dann am Abend des 1. April unter Anbringung zahlreicher Plakate für beendet erklärt. Die gesamte Arbeiterschaft habe sich nun „auf den Boden der Bielefelder Geschehnisse stellen“ müssen.215 Derartige Forderungen wurden seitens der radikalen Arbeiterschaft nicht gebilligt. Die Auflösung der Reichswehr stand dagegen im Fokus, denn dort sahen diese einen Ort des preußischen Militarismus. Dagegen forderten sie ein Volksheer mit gleich gesinnten Offizieren. Entscheidend war jedoch die Formulierung des Berichterstatters, dass er den Kampf im Ruhrgebiet zurzeit als nicht beendet angesehen hatte. 213 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 157, ohne fol., Abschrift KriminalInspektion J.-Nr. 274.B. an Polizei-Präsidenten, Coeln, den 3. April 1920, betr. Lage im Ruhrgebiet. 214 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 157, ohne fol., Abschrift KriminalInspektion J.-Nr. 274.B. an Polizei-Präsidenten, Coeln, den 3. April 1920, betr. Lage im Ruhrgebiet. 215 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 176ff., Mitteilung des Reichs- und Staatskommissars i. V. Mehlich an den Regierungspräsidenten Arnsberg, Anlage Abschrift der Bielefelder Vereinbarungen über die Einstellung der Kämpfe im Industriegebiet vom 24. d. Mts., Münster 26. März 1920. Entgegen aller Parteibindungen oder Interessenspolitik von den Erwerbsgruppen erklärten diese, dass sie ihre Forderungen „zur Entwirrung der aus dem Kapp-Putsch entstandenen Lage mit der Verfassung und der Regierung auf Grund folgender Vereinbarung in Einklang bringen wollen.“ Vgl. fol. 178 Dabei wies das Abkommen interessante Aspekte unter raumanalytischer Perspektive auf. Die öffentlichen Verwaltungen und Betriebsverwaltungen sollten einer „gründliche[n] Reinigung“ unterzogen und durch „zuverlässige Kräfte“ ersetzt werden. Hinzu trat die Bekämpfung des „Wuchers- und Schiebertum in Stadt und Land“. Hierzu sollten die Ortswehren gestärkt werden, welche aus je 3 auf 1.000 Einwohner aus Kreisen der republikanischen Bevölkerung gebildet werden sollte. Daraufhin sollten die Einwohnerwehren aufgelöst werden. Sofern dieser und den weiteren Anordnungen Folge geleistet werde, müsste der Einmarsch der Reichswehr nicht erfolgen.
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Kurz nach dem Sturz der Kapp-Regierung am 19. März zerstreute sich die Reichswehr aufgrund angeblich anderer Befehle in unbekannte Richtung.216 Lediglich die Polizei konnte zunächst für die Sicherheit und Ordnung in den Städten gewährleisten. Zusammen mit den aus Arbeitern gebildeten Einwohnerwehren übernahmen sie „einstweilen“ den Schutz über die Städte.217 Als Reaktion auf den Kapp-Putsch bestand ein erster wichtiger Schritt darin, geeignete Mittel zu finden, Formationen zu installieren, die den Schutz des Raumes gewährleisten konnten.218 Die unterschiedlichen Raumerschließungsstrategien der nachrichtendienstlich ermittelnden Agenten des Büros Kölpins brachten somit einen entscheidenden Handlungsvorteil im Kapp-Putsch und der Märzunruhen. Mit den alternativen Kartierungen war die Reichswehr somit gut über einzelne Truppenbewegungen informiert. Die einzelnen Truppenkommandos erhielten von hier aus Listen über die Führer der radikalen Parteien, der Vertrauensleute, welche hinter der Front tätig waren, sowie Stadtpläne mit präziser Verortung der Wohnungen der Kampfführer.219 Das Militär inszenierte sich fortan als Rückeroberer und „Befreier“ der Ruhrgebietsstädte unter Anwesenheit der „jubelnden“ Bevölkerung.220 Der städtische Raum habe durch „Plünderungen der Bolschewisten […] den Charakter einer regellosen Requisition unter Bedrohung mit Gewalt [erhalten]. Werte von Millionen einschliesslich der Sach- und Materialschäden sind dabei vernichtet worden.“ Im Fokus stand daher die Festigung der staatlichen Ordnung im gewonnenen Gebiet. Mittels der alternativen Kartierungen war die Reichswehr somit gut über einzelne Truppenbewegungen der roten Armee informiert. Stadtpläne mit genauen Einzeichnungen gegnerischer Führungspersönlichkeiten und deren Privatwohnungen dienten somit der Anpassung des eigenen militärischen Vorgehens. Dabei rückte der Raum in den Fokus der Auseinandersetzungen zwischen den Gruppierungen, denn über den öffentlichen Raum hinaus, konnte so Einfluss auf den privaten Raum ausgeübt werden. Dabei wurde deutlich, dass sowohl die militärischen 216 StAM, Stadt-Dok., Nr. 33, fol. 44, Aufklärungsblatt des Wehrkreiskommando VI, Abtlg. Ic Nr. 780/111 20, Münster 20. März 1920. „Hochverräter Kapp und Lüttwitz haben kapituliert; Generalstreik kann aufgehoben werden.“ 217 Oberbürgermeister Dr. Köttgen sprach sich für diese sofortige Zusammenarbeit zwischen Polizei und Kreisen der Arbeiterorganisationen aus. Aus Elberfeld und Mettmann kommende Arbeiter waren hierfür vorgesehen. 218 Vgl. Jansen, Der Berliner Militärputsch, S. 53. 219 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 9. Ein kurzer Vermerk des Polizei-Wachtmeisters Schaal über eine verdächtige Person reichte, um ein weiteres Vorgehen zu legitimieren. „Wie dem Unterzeichneten von vertrauter Seite mitgeteilt worden ist, arbeitet der Schlosser Karl Baumann hier Bohlweg 158 wohnhaft, für die Rote Armee. Derselbe soll sich geäussert [sic] haben, wenn es blos [sic] einmal soweit wäre, würde er den Roten sofort bis Hiltrup entgegen gehen, sich in ihre Reihen stellen und soweit möglich Aufklärung über Münster geben. Ferner soll p. B. sich geäussert [sic] haben, dass er auch derjenige gewesen sei, der damals bei Kluxen den 3 Soldaten das Maschinengewehr abgenommen und zertrümmert. Der Name desjenigen, welcher dieses aufgegeben hat soll vorläufig geheim bleiben, weil er befürchtet, dass Baumann ihn sonst schädige, wo er nur könnte. gez. Schaal“. 220 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, fol. 230, Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos Nr. 22, Münster 9. April 1920.
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Truppen, als auch die bewaffnete Arbeiterschaft jene Verortungsstrategien als Mittel nutzten, um ihre je eigene Verräumlichung des Terrains vorzunehmen. Spitzel fungierten hierfür auf allen Seiten und waren wesentlicher Bestandteil für die Anfertigung jener alternativen Kartierungen. 4.5 BELAGERUNGS- UND AUSNAHMEZUSTAND ALS RAUMÜBERWACHUNGSSTRATEGIE Die Bekämpfung der revolutionären Bewegung fand nicht ausschließlich auf der Straße statt, sondern manifestierte sich zudem in der Gesetzgebung und Rechtsprechung. In den vorherigen Kapiteln ist bereits mehrfach die Rede von Belagerungsund Ausnahmezuständen gewesen, mit denen die Versammlungs- und Pressefreiheit stark eingeschnitten werden konnten. Thomas Lindenberger hat dieses bereits für die Zeit um die Jahrhundertwende herausgearbeitet. In Zeiten sozialer Unruhen galt es demnach „nicht lediglich zu beaufsichtigen und ggf. zu strafen, sondern eine als Gegner des Staates wahrgenommene soziale Bewegung zu bekämpfen und zurückzudrängen, letztlich zu besiegen.“221 Gemäß den §§ 132 und 133 der Berliner Straßenpolizei-Ordnung blieb es im Ermessen des Beamten welches Vorgehen gegen Streikende gewählte wurde.222 Der Belagerungszustand kann somit als eine „handlungsleitende Vorstellung davon [angesehen werden], wie die Staatsgewalt die ihr abhanden gekommene Kontrolle über das öffentliche Territorium wiedererlangen und gegen Feinde verteidigen sollte. Polizeitaktische Einschränkungen in der Ausübung der Staatsgewalt traten weitgehend, wenn auch nicht vollständig zurück.“223
Größere Demonstrationen und Streiks bestimmten die frühen Jahre der Weimarer Republik in besonderem Maße. Die durch den Ersten Weltkrieg verursachten Engpässe in der Lebensmittelversorgung unter gleichzeitig oftmals unwürdigen Arbeitsbedingungen ließen gerade zum Ende des Weltkrieges hin hunderttausende, protestierende Menschen auf die Straßen der Städte strömen. Allein während des Metallarbeiterstreiks vom 28. Januar 1918 protestierten beinahe 400.000 Demonstranten in Berlin für Verbesserungen ihrer allgemeinen Arbeitsbedingungen.224 Bereits hier traten die revolutionären Obleute in Erscheinung, welche im späteren Verlauf der Novemberunruhen eine tragende Rolle spielen sollten. Parteiübergreifend wurde über die Frage beraten, wie Einfluss auf die scheinbar unkontrollierbaren
221 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 172. 222 Die Polizei Nr. 3 vom 4. Mai 1911, S. 49f. „Welche gesetzlichen Bestimmungen geben der exekutiven Polizei eine Handhabe bei ihrem Einschreiten bei Streikunruhen oder gegen Straßentumultanten?“; vgl. etwa Die Polizei Nr. 20 vom 26. Dezember 1912, S. 429–432; ebd., Nr. 3 vom 1. Mai 1913; vgl. ferner Saul, Staat, Industrie, Arbeiterbewegung im Kaiserreich. 223 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 274; jüngst dazu Geyer, Grenzüberschreitungen: Vom Belagerungszustand zum Ausnahmezustand, S. 341–384; vgl. Kimmel, Der Belagerungs- bzw. Ausnahmezustand. 224 Vgl. Hoffrogge, Richard Müller, S. 51; vgl. Ullrich, Kriegsalltag. Zur inneren Revolutionierung, S. 609.
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Massen ausgeübt werden konnte. Die Geschehnisse in Berlin wirkten katalysatorisch auf die anderen großen Städte und Regionen des Reiches. Hamburg, München, sowie die Ruhrgebietsregion standen schnell unter ähnlich großem Druck eine Strategie auszuarbeiten, wie man mit den Menschenmassen umgehen konnte. Offenbar befürchteten die Regierung und das Militär einen Aufstand in Berlin, dem sie versuchten mit der Verhängung des verschärften Belagerungszustandes am 31. Januar 1918 entgegenzutreten.225 Im Zuge der gewaltsamen Auflösung zahlreicher Demonstrationen und Kundgebungen war es zu Toten und vielen Verletzten gekommen. Die Demonstrationen und der damit einhergehende Einsatz von Gewalt hatten eine neue qualitative Dimension angenommen. Demonstrieren im öffentlichen Raum war zur offensichtlichen Gefahr für das eigene Leben geworden. Das Militär spielte hierbei eine tragende Rolle, denn es war befugt, die Kontrolle über die bestreikten Großbetriebe zu übernehmen, um die Wiederherstellung und dann Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in den Städten zu gewährleisten. Welche Formen des Belagerungs- und Ausnahmezustandes existierten und wie sie als Mittel räumlicher Kontrollmechanismen fungierten bilden somit die Fragen dieses Kapitels. Im Falle unmittelbarer Bedrohungen, wie sie die Ereignisse rund um die Märzunruhen des Jahres 1919 für die Regierung darstellten, konnte das preußische Staatsministerium den Belagerungszustand über das Gebiet von Groß-Berlin verhängen.226 Dabei wurde dem Reichswehrminister als gleichzeitigem Oberbefehlshaber in den Marken die vollziehende Gewalt übertragen, während mehrere Verfassungsrechte stark eingeschränkt wurden.227 Hierzu zählten die persönliche Freiheit und Unverletzlichkeit der Wohnung, eine ordentliche Gerichtsbarkeit, die Freiheit der Presse, des Vereins- und Versammlungsrechts, sowie die Beschränkung militärischer Befugnisse. Sämtliche dieser Errungenschaften wurden mit Verhängung des Belagerungszustands außer Kraft gesetzt. Die Aufhebung der Unverletzlichkeit der Wohnung, sowie des Vereins- und Versammlungsrechts machen zudem deutlich, wie stark die Bewegungsfreiheit im privaten und öffentlichen Raum frequentiert und eingeschränkt wurde. Nach der Verhängung des Belagerungszustandes über den Landespolizeibezirk Berlin, den Stadtkreis Spandau, sowie die Landkreise Teltow und Niederbarnim erließ Noske folgende Verordnung, wonach die „Mehrheit der werktätigen Bevölkerung Groß-Berlins vor den terroristischen Anschlägen einer Minderheit“ geschützt werden solle, um die herrschende Lebensmittelknappheit nicht noch vergrößern zu lassen:228
225 Hierbei wurden einzelne Grundrechte der preußischen Verfassungsurkunde außer Kraft gesetzt, während zusätzliche Anordnungen erlassen werden konnten. Vgl. Kimmel, Der Belagerungsbzw. Ausnahmezustand, S. 2f. 226 Vgl. Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 1. Band, 4. Sitzung vom 17. März 1919, Sp. 187–303. 227 Verordnung des preußischen Staatsministeriums, gez. Hirsch, Braun, E. Ernst, Fischbeck, Hoffmann, Haenisch, Dr. Südekum, Heine, Reinhardt, vom 3. März 1919 zit. nach Müller, Bürgerkrieg, S. 169; vgl. auch Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 103. 228 Vorwärts Nr. 115 vom 4. März 1919.
4. Umkämpfte Räume – Die Überwachung, Kontrolle und Wahrnehmung von Räumen 253 „§ 1. Die Zivilverwaltungs- und Gemeindebörden verbleiben in ihren Funktionen, haben jedoch erforderlichenfalls meinen Anordnungen und Aufträgen zu folgen. § 2.1 Alle Versammlungen unter freiem Himmel sind verboten, alle öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen bedürfen meiner Genehmigung. § 2.2 Öffentliche Aufzüge sowie Ansammlungen und Zusammenrottungen auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind verboten. § 2.3 Der Verkehr auf öffentlichen Straßen und Plätzen ist im Interesse der persönlichen Sicherheit der Bevölkerung auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. § 3. Das Erscheinen neuer Zeitungen unterliegt meiner Genehmigung. § 4. Die Verfolgung vorstehender Anordnungen wird nötigenfalls mit Waffengewalt erzwungen, außerdem werden Zuwiderhandlungen gemäß §9b des Belagerungszustandsgesetz bestraft. § 5. Für das Gebiet des Belagerungszustandes werden außerordentliche Kriegsgerichte eingesetzt, und zwar je eins für die Landesgerichtsbezirke I, II und III Berlin, die ihre Tätigkeit mit dem dritten Tage nach Erlaß dieser Verordnung aufzunehmen, Berlin, den 3. März 1919. Der Oberbefehlshaber in den Marken. Gez. Noske, Reichswehrminister.“229
Straftaten wie Hochverrat, Landesverrat, Aufruhr, Mord, die Zerstörung von Eisenbahn und Telegraphen, oder auch die Befreiung von Gefangenen wurden durch außerordentliche Kriegsgerichte in einem „beschleunigten Verfahren abgeurteilt“.230 Mit Einsetzen des Generalstreiks veränderte sich die Situation schlagartig, denn gerade der Vollzugsrat der Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte fürchtete im Zuge dessen Plünderungen und Gewalttätigkeiten. Die Unstimmigkeiten zwischen den in der Streikleitung sitzenden Parteien verdeutlichen, wie unterschiedlich die Vorstellungen darüber waren, welche Räume bestreikt werden und welche Strategien dafür angewendet werden sollten. Die Vollversammlung des Arbeiterrats beschloss daher am 6. März, dass die lebenswichtigen Betriebe, wie die Gas-, Wasserund Elektrizitätswerke zu zentralen Orten der Streikbewegung erklärt werden sollten. Der fehlende Konsens zwischen den Parteien äußerte sich einerseits in einer massiven Enttäuschung über die unwirksamen Maßnahmen der Nationalversammlung, um sowohl die materielle Situation der Arbeiter, als auch deren politischen Mitgestaltungsraum zu erweitern und andererseits darin, ihre Loyalität gegenüber ihrer Parteiführung aufrechtzuerhalten.231 Bereits nach fünf Tagen war der Generalstreik aufgrund dieser Differenzen beendet. Bei unmittelbarer kriegerischer Bedrohung war die Verkündung des Belagerungszustandes nach dem preußischen Gesetz aus dem Jahre 1851 vorgesehen, gerade wenn die öffentliche Sicherheit einer dringenden Gefahr ausgesetzt war.232 Die in der Reichsverfassung von 1871 vorgesehene Kompetenz des Kaisers, bei Bedrohung der Sicherheit des Bundesgebietes den Kriegszustand auszurufen, konnte ähn-
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Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 104. Ebd., S. 104. Vgl. Wette, Gustav Noske, S. 415. Vgl. Miller, Bürde der Macht, S. 262. Preußische Gesetzsammlung 1851, S. 451.
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liche Folgen auslösen wie der Belagerungszustand. Die Übertragung von Exekutivbefugnissen auf das Militär hatte somit weitreichende Folgen für das Verhalten der sozialen Formationen im öffentlichen Raum.233 Mit § 48 der Weimarer Reichsverfassung wurde nach der Revolution ein Instrument geschaffen, in Zeiten sozialer Unruhen dem Reichspräsidenten weitreichende Kompetenzen übertragen, „im Falle außerordentlicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Chance […], sich der letztlich ausschlaggebenden Rolle in der deutschen Innenpolitik zu bemächtigen.“234 Die ältere Forschung ging hierbei bisher der Frage nach, welche Funktion die Reichswehr im politischen System des Deutschen Reiches im Kontext dieser Notverordnung nach 1918 einnahm.235 In Zeiten wie der Umbruchsituation von 1918 drückte sich die Raumproblematik auch im Konflikt zwischen alter und neuer Verfassung aus.236 Es war aber nicht nur der physische Raum wie der zu wenig vorhandene Wohnraum, sondern auch das Gefühl aus der Enge der Kriegszeit nun ausbrechen zu wollen. Vieles war in Bewegung, die Revolution trug zu diesem neuen Freiheitsgefühl entscheidend bei.237 In Art. 48 Abs. 2 WRV war der Belagerungs- und Ausnahmezustand beziehungsweise das Folgeprocedere jedoch nicht eindeutig geregelt, wie dies noch in der Reichsverfassung von 1871 oder dem Gesetz über den Belagerungszustand von 1851 für die einzelnen Länder der Fall war. Die Verschärfung strafrechtlicher Bestimmungen oder die Erweiterung der exekutiven Machtbefugnisse durch die Außerkraftsetzung bestimmter Grundrechte wurde gerade im Kapp-Putsch als Auslegungssache interpretiert.238 Während des zivilen Ausnahmezustands als einer ersten 233 Das in Bayern verhängte Gesetz über den Kriegszustand vom 5. November 1912 war hier ausschließlich für den Kriegsfall vorgesehen und nicht für innere Unruhen. Vgl. Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Bayern, S. 1161; Schmitt, Diktatur und Belagerungszustand, S. 145f. 234 Hürten, Reichswehr und Ausnahmezustand, S. 5. 235 Ebd., S. 6. 236 RGBl. 1918, S. 1303. 237 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 43, Abschrift Staatskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung, Tb.-Nr. 3894/19, an Reichswehrminister Berlin, Berlin 13. November 1919. Gebiete, über die man nicht den Belagerungszustand verhängte, wurden nach der Reichsverfassung und der Strafprozessordnung umfassend geregelt. Nach Artikel 115 der Verfassung des Deutschen Reiches ist die Wohnung „jedes Deutschen für ihn eine Freistätte und unverletzlich.“ Lediglich bei Gefahr im Vollzuge konnten Polizeibeamte in diesen Raum eingreifen. 238 Königsberger Hartungsche Zeitung vom 16. März 1920, Verschärfung des Ausnahmezustandes durch Kapp und Lüttwitz, Berlin 14. März 1920, zit. nach Könnemann, Der Kapp-LüttwitzLudendorff-Putsch, S. 183f. Die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Deutschen Reiche nötigen Maßnahmen der in der Verordnung des Reichspräsidenten vom 13. Januar 1920 genannten Maßnahmen wurden nun seitens Kapp und Lüttwitz in Vertretung durch weitere ergänzt. Die nach den §§ 307, 311, 312 und 315 verübten Vergehen (gemeint waren Brandstiftung, Explosion, Überschwemmung, Beschädigung von Eisenbahnanlagen) sollten nun mit dem Tode bestraft werden, „wenn sie nach Verkündung dieser Verordnung in den gefährdeten Bezirken begangen worden [waren].“ Desweiteren schrieb der neue § 1 vor, dass bei Erfüllung der Paragraphen 116 Absatz 2 (Rädelsführer und Widerstand bei Aufruhr)
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Stufe konnte der Reichskommissar die Verwaltungs- und Gesetzgebungsbefugnisse in einer Person in sich vereinen und außerordentliche Gerichte einsetzen. Die höchste Stufe stellte dann der militärische Ausnahmezustand dar, in dem die Kompetenzen an die Militärbefehlshaber als vollziehende Gewalt übertragen wurden. Diese Formen waren allenfalls als immer wiederkehrende Elemente vorfindbar. „Ihre Ausbildung war lediglich die Konsequenz einer Praxis, in der verschiedene Konzeptionen miteinander konkurrierten und je nach den historischen Umständen unterschiedliche Chancen der Realisierung gewannen.“239 Die drei Maßnahmen unterstanden also alle der Person des Reichspräsidenten, der die Rolle der Reichswehr als bewaffnete Macht zur Sicherstellung der öffentlichen Ruhe und Ordnung nach Belieben einsetzen konnte. Wie kompliziert das Verhältnis zwischen altem Belagerungszustand und neuer Ausnahmezustandsregelung sein konnte, wird am Beispiel Braunschweig deutlich, über das am 13. April 1919 nach Artikel 68 der alten Reichsverfassung der Kriegszustand verhängt worden war. Auch in anderen 50 Fällen wurde der Belagerungszustand nach eben diesem alten Gesetz des Jahres 1851 über verschiedene Teile des Reiches verhängt. Bis zum 13. Januar 1920240 bestand die Möglichkeit der Verhängung dieses Belagerungszustandes bis der Reichspräsident mit der neuen Regelung die alte „überdeckte und überflüssig machte“.241 Neben dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet kam es bereits im Jahr 1919 mehrfach zu spontanen Erhebungen und Arbeitsniederlegungen in Mitteldeutschland oder Berlin, weshalb reichsweit zunehmend das Mittel zur Verhängung des Belagerungszustandes gewählt wurde. Das Versprechen solidarischer Maßnahmen täuschte lediglich darüber hinweg, dass auch die drastischeren Mittel in der Einsetzung von Standgerichten die Lage im Ruhrgebiet wesentlich zuspitzte. Auf Reichsebene kam es zu entscheidenden Veränderungen, nachdem am 13. Januar in Berlin und § 125 Absatz 2 (Rädelsführer und Gewalttätigkeiten bei Zusammenrottungen) des Strafgesetzbuches auf Todesstrafe erkannt werden [müsse], „wenn der Täter den Widerstand mit Waffen oder im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Bewaffneten begangen hat.“ Weiter heißt es: „Die Frist des § 216 der Strafprozeßordnung [wird] […] auf 24 Stunden festgesetzt; sie läuft von der Stunde der Mitteilung der Anklageschrift an. Wenn der Angeklagte geständig ist, kann von der Zustellung einer Anklageschrift abgesehen werden.“ Raum wird dann zum entscheidenden Faktor, sobald nach § 5 im Falle eines Aufruhrs oder Landfriedensbruch der Reichswehrminister zur Aburteilung der im § 1 bezeichneten Verbrechen die Bildung von Standgerichten anordnen konnte. Die räumliche Nähe zur Vollstreckung des Urteils war dann entscheidend, denn das Standgericht wurde durch den Befehlshaber der mit der Bekämpfung der Unruhen betrauten Truppen gebildet: „Es besteht aus drei unbescholtenen Personen, die über 20 Jahre als sein müssen. Den Vorsitz führt ein Offizier der Truppe.“ Da das Urteil nur auf Todesstrafe lauten konnte, bedurfte es keines Rechtsbehelfs. Vollstreckt wurde es direkt „vor Ort“ durch Erschießen. 239 Hürten, Reichswehr und Ausnahmezustand, S. 14. 1919 wurde dieser 5 mal angewendet, 1920 schon 27 mal, 1921 8 mal und im Krisenjahr 1923 ganze 42 mal. Vgl. Poetzsch, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung, S. 141–147. 240 RGBl. 1920, Nr. 31, S. 207. 241 Hürten, Reichswehr und Ausnahmezustand, S. 16; vgl. Kimmel, Belagerungs- bzw. Ausnahmezustand, S. 108.
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gegen das Betriebsrätegesetz demonstriert worden war. Wie bereits an vorheriger Stelle angedeutet, trafen vor dem Reichstagsgebäude Militär und Demonstranten aufeinander, es wurden 42 Menschen getötet und 105 verletzt. Dabei wurde auf Seite der Polizei Maschinengewehre und Handgranaten eingesetzt, um den Platz zu räumen. Der Reichspräsident verhängte nach Art. 48 der Verfassung den Ausnahmezustand über das gesamte Reich außer Baden, Württemberg, Bayern und Sachsen. Die Ereignisse zogen also eine neue Repressionswelle nach sich. Die „reale Mache“ wurde somit dem Militär übertragen.242 Die Verhängung des Belagerungszustandes wurde von vielen Seiten kritisiert. Dieser würde nur die „Oberfläche der hier darbietenden Unruhen“ treffen, wobei die Gründe auf einer tieferen Ebene der „sozialen Gegensätze“ zu suchen seien.243 Lebensmittelpreise und Produktionskrise bildeten diese tiefere Ebene. Besonders wirkmächtig sollte daher diese Massendemonstration werden, bei der die preußische Sicherheitspolizei das Feuer auf die Menschenmenge eröffnete, sodass 42 Menschen sterben mussten. Da nun erneut der Ausnahmezustand nach jetzt neuer Weimarer Verfassung verhängt und der Belagerungszustand erst am 5. Dezember aufgehoben wurde, befand sich Berlin faktisch bis zum Ende des KappPutsches Ende März unter Kriegsrecht.244 Den Weisungen des Militärbefehlshabers an die Zivilverwaltungs- und Gemeindebehörden musste Folge geleistet werden. Bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit wurde man gemäß § 4 mindestens mit Gefängnis, Haft oder einer empfindlichen Geldstrafe von 15.000 Mark bestraft. § 6 regelte, dass „jede Betätigung durch Wort, Schrift oder andere Maßnahmen, die darauf gerichtet ist, lebenswichtige Betriebe zur Stillegung zu bringen“, verboten wurde. Als lebenswichtig wurden diejenigen öffentlichen Betriebe definiert, die den Verkehr betrafen, sowie „Anlagen und Einrichtungen zur Erzeugung von Gas, Wasser, Elektrizität und Kohle“, also diejenigen Räume, die seit dem Beginn der Revolution massiv bestreikt wurden. Mit den Änderungen des Ausnahmezustands im Januar 1920, änderte sich nun nicht allein der Diskurs um die Sicherheit des Rau-
242 Lucas, Märzrevolution I, S. 54. Nach der Verordnung des Reichspräsidenten auf Grund des Art. 48. Abs. 2 der Reichsverfassung wurden nach § 1 Grundrechte auf die persönliche Freiheit, freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht, Post- und Telefongeheimnis, Unverletzlichkeit der Wohnung und der Unantastbarkeit des privaten Eigentums außer Kraft gesetzt. Nach § 2 ging die vollziehende Gewalt auf den Reichswehrminister über mit dem Recht der Übertragung auf die Militärbefehlshaber, welcher wiederum die Exekutive mit den Regierungskommissaren ausüben. § 3 regelte die Zusammenarbeit zwischen dem Militärbefehlshaber und den Kommissaren. § 4 umfasste mit Gefängnis oder Geldstrafe bewährte Sanktionen von 15.000 Mark. §6 Jede Betätigung durch Wort, Schrift oder andere Maßnahmen, die darauf gerichtet ist, lebenswichtige Betriebe zur Stillegung zu bringen, wird verboten. Als lebenswichtige Betriebe gelten die öffentlichen Verkehrsmittel sowie alle Anlagen und Einrichtungen zur Erzeugung von Gas, Wasser, Elektrizität und Kohle. Zuwiderhandlungen werden nach § 4 bestraft; vgl. Ehls, Protest und Propaganda, S. 41f. 243 Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 1. Band, 4. Sitzung vom 17. März 1919, Sp. 202. Beitrag des unabhängigen sozialdemokratischen Abgeordneten Gerhard Obuch, Sp. 267. 244 Vgl. Lange, Massenstreik und Schießbefehl, S. 165. Vgl. Lucas, Märzrevolution III, S. 384ff.
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mes, sondern auch die materiellen Bedingungen zur Aufrechterhaltung der Ernährung und Versorgung.245 Der älteren Forschung zufolge wurde dieses als ein längerer Prozess der politischen Implementation interpretiert, in dem das Modell des preußischen Belagerungszustandes „keine aus Zeitdruck entstandene Verlegenheitslösung darstellte, sondern aus dezidierter Politik erwuchs.“246 Am 16. Juni 1919, also fast zwei Monate vor der Verabschiedung der neuen Verfassung durch die Nationalversammlung, hatte der preußische Kriegsminister Reinhardt, der im Kabinett des Reichsministerpräsidenten Scheidemann einen Sitz ohne Stimme besaß, darauf aufmerksam gemacht, „daß in Zukunft der Reichspräsident ‚die Einzelheiten selbst anordnen müsse‘, solange zu Art. 48 […] kein Ausführungsgesetz vorliege.“247 Die Verkündung des Ausnahmezustandes kann somit als eine mittelorientierte Maßnahme der Regierung interpretiert werden, die aus den Erfahrungen im Umgang mit räumlichen Phänomenen seit Ausbruch der Revolution resultierte. Den militärischen Ausnahmezustand kennzeichnete die Außerkraftsetzung von sieben Grundrechten: Der Übergang der vollziehenden Gewalt auf den Reichswehrminister mit der Möglichkeit der Weitergabe an die Militärbefehlshaber – wie im Falle von Watters mehrfach geschehen – die Verschärfung von Strafsanktionen, sowie der Bildung außerordentlicher Gerichte. Die §§ 1-5 bezogen sich hier auf den einfachen Ausnahmezustand, während die §§ 6-11 den verschlimmerten Zustand regelten.248 Ob das Militär und die Offiziere mit der Ausübung der vollziehenden Gewalt gut vertraut gewesen sind und als Befürworter der jungen Republik galten, kann vermutlich bezweifelt werden und bewirkte bei der Bevölkerung eher das Gegenteil, denn dieses stellte eher ein Zeichen für die alte Zeit dar. Die Aufrechterhaltung des inneren Friedens stand demnach ebenso im Kompetenzbereich des Militärs, wie die Sicherung der Grenzen. „Die Reichswehr, anstatt lediglich als ultima ratio des Reichspräsidenten zur Disposition zu stehen, fungierte hier wieder als ein ständiges Organ der inneren Sicherheit, das von sich aus beim Reichspräsidenten tätig wurde, um in die Funktion zu gelangen, die ihm vordem zugekommen war.“249
Die Sicherung des öffentlichen Raumes durch die Verhinderung bevorstehender Unruhen ließ die Aufgabenbereiche des Militärs zunehmend auf das Gebiet der inneren Politik erweitern. Dieses manifestierte sich besonders in der militärischen Berichterstattung zur innerpolitischen Lage, wenn einzelne Truppenteile ihren Offizieren zunehmend Berichte zur inneren Lage des öffentlichen Raumes und der zugehörigen wichtigen Betriebe und Institutionen vorlegten. Die aus diesem Prozess sich verstetigende Kommunikationspraxis sicherte der Reichswehr ein gewichtiges politisches Mitspracherecht und somit Einfluss auf die Reichsregierung.
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RGBl. 1920, Nr. 31, S. 208. Hürten, Reichswehr und Ausnahmezustand, S. 17. Ebd., S. 17. BA B, R 43 I, Nr. 2698, ohne fol., Protokoll der Sitzung des Reichsministeriums vom 30. Juli 1919. 249 Hürten, Reichswehr und Ausnahmezustand, S. 25.
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Seit Verkündung der Verfassung des Jahres 1919 konnte der Reichspräsident also entscheiden, ob seine Befugnisse durch zivile Kommissare ausgeübt werden, oder der Länder unterstehenden Polizei zugeordnet werden sollten. Den Ländern wurde darüber hinaus ein eigenverantwortlicher Spielraum eingeräumt, denn bei Gefahr im Verzug konnten sie mit der Zustimmung des Reichspräsidenten „die gleichen Vollmachten ausüben wie dieser kraft Art. 48.2, und Länder wie Preußen und Bayern waren nicht gewillt, auf solche Aktionsmöglichkeiten zu verzichten.“250 Der Ausnahmezustand diente offenbar allein der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, welche sich in folgenden wichtigen Bereichen festmachte: Der Verhinderung von Streiks, der Verortung von Streikhetzern und deren Verhaftungen und der Bekämpfung von Wucherern und Schleichhändlern, welche die Aufrechterhaltung der Lebensmittelversorgung bedrohten. Erst während der Märzunruhen des Jahres 1921 wurden vermehrt Befugnisse an zivile Kommissare übertragen, sodass das Eingreifen des Militärs nicht immer notwendig erschien. So wurde auch der Mitteldeutsche Aufstand mittels preußischer Schutzpolizei unterdrückt, wenngleich die Kritik von führenden Militärs nicht gering ausfiel, denn bei offenem Aufruhr sei die Reichswehr einzusetzen.251 Der Ausnahmezustand war von Reichspräsident und der Reichsregierung somit als ein Mittel vorgesehen, mit welchem Aufständen und Unruhen effektiv entgegengetreten werden konnte, während zugleich die Aufrechterhaltung der Produktionsverhältnisse und des Verkehrs gewährleistet wurde. Dieses meist prophylaktisch einzusetzende Mittel übertraf jedoch oftmals die akute Gefahrenbedrohung um ein Vielfaches. Die Aufgabe der Reichswehr bestand darin, Streiks „lebenswichtiger“ Betriebe in jedem Fall zu verhindern, weshalb genau jener Gewissenskonflikt vieler Soldaten während der Niederschlagung des Kapp-Putsches entstanden war, als der Befehl Eberts, Bauers und Noskes erging, gemeinsam mit den Streikenden gegen Kapp vorzugehen.252 Insgesamt überwog eine neutrale Haltung der Reichswehr gegenüber der Regierung. Nur wenige stark rechtsgerichtete Teile, welche sich aus Kreisen der Reichswehr radikalisiert hatten, nahmen eine „direkte feindselige Haltung“ ihr gegenüber ein.253 Als am 13. März die Marinebrigade Ehrhardt den Versuch unternahm in Berlin einzumarschieren, um die von der SPD geführte Regierung zu stürzen, um somit den Kapp-Putsch einzuleiten, wurde diese Unternehmung durch eine gleichzeitig in Kassel erlassene Gesetzesverordnung in offenbar dramatischer Weise ausgeweitet.254 Delikte wie Beschädigungen von Eisenbahnwagen oder –anlagen, bewaffneten Aufruhren, Brandstiftungen oder Zusammenrottungen wurden unter Todesstrafe gestellt, die Kompetenzen der Legislative und Exekutive wurden somit direkt 250 Hürten, Reichswehr und Ausnahmezustand, S. 27. 251 BA B, R 43 I, Nr. 2700, ohne fol., Die Märzunruhen und die preußische Schutzpolizei. Amtliche Denkschrift des Ministers des Innern, Berlin 1921; vgl. BA B, R 43 I, Nr. 2712, ohne fol., Kritische Bemerkungen zur amtlichen Denkschrift des Preußischen Ministers des Innern über die Märzunruhen 1921. 252 Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, S. 181. 253 Ebd., S. 189. 254 Vgl. Bauer, Der 13. März 1920, S. 16ff.
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mit dem Straßengeschehen verbunden, „wenn der Täter die dort bezeichneten Handlungen mit Waffen oder im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Bewaffneten begangen“ habe.255 Um Störungen der öffentlichen Ordnung zu vermeiden, wurde jedem Militärbefehlshaber in seinem Bezirk die Kompetenz erteilt, außerordentliche Kriegsgerichte zu bilden und „erforderliche Maßnahmen“ zu treffen, um die „Durchführung“ zu gewährleisten. Die Verordnung vom 13. Januar 1920 bezüglich der Verhängung des Ausnahmezustandes wurde zu Beginn des Kapp-Putsches in einer neuen Verordnung bestätigt und nun über das gesamte Reich ausgeweitet.256 Der Kommandeur konnte die Vorsitzenden der außerordentlichen Kriegsgerichte mitsamt zwei Beisitzern ernennen und eine direkte standrechtliche Erschießung „an Ort und Stelle“ anordnen. Die Zuständigkeiten der richterlichen Gewalt wurden so direkt auf den Ort des Geschehens ausgeweitet, denn bereits 24 Stunden nach der Festnahme des Angeklagten musste eine Entscheidung getroffen werden, was mit der angeklagten Person geschehen sollte. In der „Ära Noske […] war bisher mit dem preußischen Gesetz über den Belagerungszustand von 1851 regiert worden.“257 Die Differenzierung des Belagerungszustandes in eine einfache und eine verschärfte Form galt seit Anfang 1920. Während der einfache Belagerungszustand Bestimmungen über die Aufhebung der Grundrechte enthielt, sowie den Übergang der Exekutive auf das Militär regelte, zeichnete sich die verschärfte Form durch eine Strafverschärfung zu lebenslangem Gefängnisaufenthalt oder der Todesstrafe aus, welche durch außerordentliche Gerichte bestimmt werden konnte. Um raumstrategisch auf die Märzunruhen des Jahres 1920 reagieren zu können, wurde daher zunehmend die Verhängung des verschärften Ausnahmezustandes angeordnet. Die Auseinandersetzungen während des Kapp-Putsches hatten somit direkte Auswirkungen auf die Strukturen der Judikative, welche nun in direkter Verbindung mit dem konkreten Ort der Straße stand. Von Watter hatte den verschärften Zustand bereits am 15. März über den westfälischen Teil seines Befehlsbereichs verhängt. Im Falle von Landfriedensbruch und Aufruhr wurden Standgerichte eingesetzt, wenn man im Kontext der Fälle „nur auf Todesstrafe erkennen konnte oder das Verfahren an eine andere Instanz abzugeben hatte.“258 Das Militär konnte somit 255 RGBl. 1920 I S. 470f., Verordnung § 1. 256 Verordnung des Generals Lüttwitz über die Ausdehnung des Ausnahmezustands über das ganze Reich, Berlin 13. März 1920, zit. nach Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-LudendorffPutsch, S. 144. 257 Lucas, Ausnahmezustand, S. 164; vgl. BA B, R 43 I, Nr. 2698, fol. 120ff., Aufhebung der zentralen Grundrechte vom 6. Juli 1920. Die vollziehende Gewalt wurde auf den Reichswehrminister übertragen, um dann die einzelnen Militärbefehlshaber zu delegieren. 258 Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 149, Anm. 123; vgl. Spethmann, Die Rote Armee, S. 58f. Vgl. LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 20, Rat der Volksbeauftragten R.J.A.Nr. 11193 an sämtliche Bundesregierungen, Berlin 5. Dezember 1918. „Unter dem Einflusse der Geschehnisse der letzten Zeit sind vielfach Teile des Reichs Anordnungen ergangen, die einschneidende Änderungen des Reichsrechts aussprechen.“ Die Einsetzung von Stand- oder Volksgerichten führte maßgeblich dazu, dass unter Ausschaltung der ordentlichen Gerichte bestimmte Straftaten „zur Aburteilung zugewiesen und zugleich“ mit dem Tode bedroht und bestraft werden konnten. Die Verschärfung des Strafenkatalogs wurde auch auf die Bereiche
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in dieser Situation eigenständig handeln. Die von Carl Severing propagierten Neustrukturierungen, mit denen die Entwaffnung breiter Bevölkerungsteile und der Aufbau einer republikanischen Schutzwehr verbunden waren, wurden als „gefährliche Maßnahme [eingeschätzt], die die Autorität der ordentlichen Behörden untergräbt“, so von Watter.259 Im Bielefelder Abkommen wurde festgehalten, dass zur Unterstützung der Sicherheitsorgane eine Ortswehr in der Stärke von bis zu drei Personen aus den Kreisen der republikanischen Bevölkerung, insbesondere der organisierten Arbeiter, Angestellten und Beamten auf je 1.000 Einwohner gebildet werden sollte, falls dieses erforderlich erschien. Für die Zeit während sie zum Dienst eingezogen wurden, sollten sie, soweit nicht der Staat die Kosten übernahm, von der Gemeinde bezahlt werden. Durch die Bildung von Ortswehren entstand eine Debatte, ob die Einwohnerwehren aufgelöst werden sollten.260 Die Etablierung von Ortswehren aus den Einwohnerwehren heraus kann auch als eine Reaktion auf die Bedeutung des sicheren Raumes in Zeiten sozialer Unruhen verstanden werden. Gerade Carl Severing hatte sich für die Weiterentwicklung von Wehren stark gemacht, welche den öffentlichen Raum der Straße sicherer machen sollten.261 Sowohl Severing, aber auch von Watter, der die eigene Position des Militärs zur Aufgabe der Sicherung von Ruhe und Ordnung gefährdet sah, maßen der Sicherung des öffentlichen Raumes somit eine ähnliche Bedeutung zu, wenngleich beide unterschiedliche Mittel dafür in Anspruch nahmen. Um gerade der im Ruhrgebiet an einzelnen Orten oder Gebieten oft nichtautorisierten wilden Streiks und Demonstrationen Einhalt gebieten zu können, stellte die Verhängung des verschärften Belagerungszustands zur Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung den Status eines probaten Mittels innerhalb des Militärs dar, um schnell die Kontrolle über den verlorengegangenen Raum wiederzugewinnen. Bei Gebieten, welche nicht unter dem Belagerungszustand standen, wurden die Kompetenzen der Polizei nach Artikel 114 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 geregelt, welcher die Freiheit der Person als unverletzlich bezeichnete oder die Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt nur auf Grundlage von Gesetzen vorsah.262 Wie bereits vorher angeführt wurde in Artikel 115 geregelt, dass die „Wohnung jedes Deutschen für ihn eine Freistätte und unverletzlich“ sei.263
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Schleichhandel und Preistreiberei ausgeweitet. Ebert und Haase mahnen diesen Zustand deutlich an, denn so könnten Urteile über Leben und Tod gefällt werden, denen der „gesetzliche Boden“ fehle. Schreiben des Wehrkreiskommandos VI an das Reichswehrministerium über das „Bielefelder Abkommen“, 25. März 1920, zit. nach Hürten, Wehrkreiskommando VI, S. 154. Vgl. Könnemann, Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände, S. 311–332. Severing, 1919/1920 im Wetter- und Watterwinkel, S. 101ff. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 43–52, Schreiben Staatskommissar für öffentliche Ordnung Tgb.-Nr. 3894/19 an Reichswehrminister, Berlin 13. November 1919. In der Anlage Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik. In der Strafprozessordnung wurde die „Verhaftung und vorläufige Festnahme“, sowie die „Beschlagnahme und Durchsuchung“ in den §§ 113ff., 127 beziehungsweise 94ff., 102, 102–106ff. geregelt. Zusammenfassend war eine Festnahme nur rechtens, wenn jemand „auf frischer Tat betroffen oder verfolgt“ oder er als fluchtverdächtig eingeschätzt wurde. Ähnlich bei Gefahr
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Gerade während der großen Streikbewegungen der Monate Februar und April 1919 im Ruhrgebiet und der Forderung nach Mehrarbeit wurde der Regierung der inflationäre Gebrauch der Verhängung des Belagerungszustandes vorgeworfen sowie die Streiks lediglich mit Beschwichtigungsversuchen mittels der Sozialisierung des Bergbaus zu stoppen.264 Die sich rasch verstärkende Streikbewegung nahm daher bereits Ende März mit lokalen Streiks hin zum April den Charakter eines Generalstreiks an, im Kontext dessen auch die Ernennung Severings zum Reichskommissar zu sehen ist.265 In einer Sitzung des Oberpräsidiums Münster zum Ende des ersten Revolutionsjahres wurde dahingehend bereits deutlich gemacht, dass die „Bekämpfung der kommunistischen Gewaltaktion […] naturgemäß während des Ausnahmezustands wesentlich vereinfacht [wurde], weil während dieser Zeit die Grundrechte aufgeboben sind.“266 Die Vorzensur hatte sich hierbei als „unzulängliches Mittel zur Bekämpfung der kommunistischen Presse“ erwiesen, welche nur noch durch Verbote zu verbessern sei. Allgemein habe sich die „Vorbereitung zu kommunistischen Gewaltplänen“ von der Straße in die Vereine und Gesellschaften verlagert.267 Das Recht Vereine zu bilden, finde nach Artikel 124 seine Grenzen an den Strafgesetzen.268 In erster Linie kämen zur „Gesundung des Staatsgefühls“ vorbeugende Maßnahmen in Betracht. Um diese prophylaktischen Maßnahmen zu treffen, wurden
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im Verzuge. Als Fluchtversuch wurde außerdem gewertet, wenn der Betroffene ein „Heimatloser“ oder „Landstreicher“ war oder sich nicht ausweisen konnte. Durchsuchungen waren nur dann zulässig, wenn strafbare Handlungen einer Person nachgewiesen werden konnten oder aber „gesuchte Person, Spur oder Sache sich in dem zu durchsuchenden Raume“ befand. Vgl. Eliasberg, Ruhrkrieg 1920, S. 310. Als Maßnahmen zur Beruhigung des Streikraumes können sicherlich eine Reihe weiterer Maßnahmen wie die Bezahlung von Sonderschichten oder Fragen der Arbeitszeitregelung durch Severing thematisiert werden, die jedoch nicht über die Einsetzung des Militärs als Antistreikmittel und die daraus resultierenden gewaltsamen und blutigen Auseinandersetzungen hinwegtäuschen konnten. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 130 RS, Niederschrift über die Sitzung vom 9. April 1921 im Oberpräsidium in Münster, betr. Bekämpfung der kommunistischen Bewegung, gez. Regierungsrat Scherer, ohne Datum. Ebd., fol. 132, Niederschrift über die Sitzung vom 9. April 1921 im Oberpräsidium in Münster, betr. Bekämpfung der kommunistischen Bewegung, gez. Regierungsrat Scherer, ohne Datum. Die Grundrechte seien an den Grenzen durch die Strafgesetzte kanalisiert. So beispielsweise für das Allgemeine § 83 Str.G.B., Verabredung der Ausführung eines hochverräterischen Unternehmens, § 84 Str.G.B. Anwerbung oder Waffenausbildung von Mannschaften zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens, § 86 Str.G.B. Jede ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitende Handlung, § 127 Str.G.B. Bildung eines bewaffneten Haufens, §§ 6, 7, 8 des Sprengstoffgesetzes vom 9. Juni 1884; für Streiks die Verordnung des Reichspräsidenten betr. die Stillegung von Gas-, Wasser-, und Elektrizitätsbetrieben vom 10. November 1920 vgl. RGBl. 1920, S. 1865; zu Presse und Flugschriften § 85f., § 110f. öffentliche Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze oder zur Begehung strafbarer Handlungen, § 10 Sprengstoffgesetz, § 126 Androhung gemeingefährlicher Verbrechen und § 241 Bedrohung mit anderen Verbrechen, § 130 Aufreizung zum Klassenkampf. In erster Linie kämen zur „Gesundung des Staatsgefühls“ vorbeugende Maßnahmen in Betracht.
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Polizeibehörden nach Reichspreßgesetz § 9 an den Ausgabeorten der kommunistischen Zeitungen positioniert, um das erste Belegexemplar vor Beginn der Austeilung „unter dem Gesichtspunkt strafbarer Handlungen sachverständig“ zu prüfen. So konnte man den Inhalt der Blätter vor der Verteilung in größere Orte kontrollieren. Auch stichprobenartige Kontrollen mit „ausreichend Polizeikräften“ seien für die sich noch im Druck befindlichen Zeitungen vorzunehmen, um gegebenenfalls bereits hier schon einschreiten zu können, lediglich legitimiert durch das Verdachtsmoment zu möglichen bevorstehenden „hochverräterischen Handlungen“. Gegenüber zukünftigen Versammlungen und Aufzügen wurde ein ähnliches Vorgehen vorgeschlagen. Die Befugnisse lagen zwar auch hier bei der Polizei, welche Versammlungen oder Aufzüge unter freiem Himmel „bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ verbieten konnte, während im Fall des Belagerungs- oder Ausnahmezustandes das Militär diese Befugnisse übertragen bekam. Entscheidend war bei den Versammlungen, welche nach Art. 123 Abs. 1 WRV allen Deutschen in friedlicher Art erlaubt waren, dass jene unbewaffnet abgehalten wurden. Nicht eindeutig geregelt waren Übergangssituationen, wenn sich Szenen oder Tätlichkeiten unter Lärm in den Versammlungen abspielten, oder Redner dazu übergingen, die Menge „aufzureizen“. Die Polizei würde, so Regierungsrat Scherer, „eine von kommunistischer Seite beabsichtigte Versammlung immer nur dann verbieten können, wenn sie die Gewißheit hat, daß in ihr die politischen Ziele des Kommunismus behandelt und propagiert werden sollen, eine Gewißheit, die sie in der Regel erst im Verlauf der Versammlung erhalten wird.“269
Die Verhängung des Ausnahme- und Belagerungszustandes zur Bekämpfung der revolutionären Bewegung war zum probaten Mittel geworden und fügte sich in die Entwicklung der sich ohnehin schon differenzierenden Mittel des Militärs zur Raumerschließung ein. Neben der kulturellen Bedeutung im Schutz des Heimatraumes eine sinn- und bedeutungsgenerierende Tätigkeit nach Ende des Krieges gefunden zu haben, die darüber hinaus zur Bindung der eigenen sozialen Formationen beitrug, fanden diese Erfahrungen auch Eingang in die eigenen Handlungspraktiken und wurden wiederum in der Gesetzgebung implementiert. 4.6 ZUSAMMENFASSUNG Die gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber dem Raum spiegelte sich nicht zuletzt in den zahlreichen Strategien wider, den öffentlichen Raum als politische Artikulationsbühne mittels umfassender Maßnahmen zu observieren. Was bereits im Kaiserreich als umfangreiche Maßnahmen zur Observierung des politischen Raums begonnen hatte, erreichte während der Revolution und darüber hinaus sowohl quantitativ, als auch qualitativ eine andere Dimension. Das Nachrichtenbüro Kölpin beim
269 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 132, Niederschrift über die Sitzung vom 9. April 1921 im Oberpräsidium in Münster, betr. Bekämpfung der kommunistischen Bewegung, gez. Regierungsrat Scherer, ohne Datum.
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Wehrkreiskommando Münster stellte eine dieser umfassenden Raumerschließungsstrategien der Reichswehr dar, mittels dieses zunehmend feiner ausdifferenzierenden Spitzelsystems an Informationen über den Gegner zu gelangen. Die Revolution stellte hierbei den Höhepunkt einer Zeit des ständigen Observierens, des Beobachtens und Kartierens des öffentlichen Raums dar. Wenngleich viele Nachrichtendienste im weiteren Verlauf der Revolution aufgelöst wurden, so haben sich die zentralen Praktiken des Beobachtens und Observierens in allgemeine Handlungsroutinen verfestigen können. Vielfach war das Militär so in der Lage, prophylaktisch auf bevorstehende Aktionen reagieren zu können. Außerdem folgte die Einteilung des städtischen Raumes denjenigen Regeln, mit denen das Militär bereits während des Krieges im Felde operiert hatte. Dieses ist nicht zuletzt an der strategischen Ausrichtung des Raumes erkennbar, sondern auch im sprachlichen Duktus vieler Anordnungen, sich diverse Stadträume anzueignen. Die so entstandenen alternativen Raumkartierungen flossen wiederum in die eigenen Handlungspraktiken zurück. Entscheidend war darüber hinaus, dass sich die gegenüberstehenden Gruppierungen ähnlicher Strategien und Codes bedienten, während besonders „spartakistische“ Gruppierungen mittels non-verbaler Kommunikation den öffentlichen Raum mit Symbolen und Zeichen versahen. Besonders im Zuge dieser umfassenden Spitzelbemühungen kommt es nach Ausbruch der Revolution zunehmend zu einer Verschmelzung des öffentlichen und privaten Raumes. Dieser Transformationsprozess ist nicht zuletzt Folge eines sich zunehmend mit räumlichen Verortungsstrategien auseinandersetzenden Kampfes um die Räume der Revolution, während dieser Kampf massiv von der gegenseitigen Wahrnehmung der Akteure geprägt worden ist und diesen wesentlich mitbestimmte. Besonders während des Belagerungszustandes werden diese Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum nicht mehr eindeutig erkennbar. So trugen Informationen über den privaten Wohnraum oder Aufenthaltsräume beispielsweise führender Kommunisten auch dazu bei, dass man mit vermeintlich schärferen juristischen Maßnahmen schneller und „effektiver“ gegen diese vorgehen konnte.
5. SYMBOLISCHE REPRÄSENTATION, KULTURELLE CODES UND KOMMUNIKATIVE STRATEGIEN Menschen verorten sich nicht ausschließlich entlang sozialer Milieus oder mittels ihres Habitus im sozialen Raum, sondern ebenso durch kulturelle symbolische Repräsentationsformen, so die These des folgenden Kapitels.1 Voraussetzung hierfür ist, dass sich diese kulturellen Codes zunächst von der jeweils eigenen sozialen Formation als wahrnehmbar erweisen, um dann decodiert werden zu können. Mithilfe dieser kommunikativen Strategien unterscheiden sie sich voneinander. Exklusionsund Inklusionsprozesse spielen für die Revolution gerade im urbanen Raum eine tragende Rolle. Diese Auseinandersetzungen sowohl um physische, als auch symbolische Räume funktionieren nach Rob Shields entlang physischer, mentaler und sprachlicher Prozesse. Gemeinschaftskonstituierung funktioniert demnach über die territoriale, aber auch symbolische Repräsentationsform der Binnen- und Interkommunikation.2 Die Räume der Revolution sind daher nicht ausschließlich durch Kämpfe um physische Territorialität zu definieren, sondern ebenso durch die Auseinandersetzungen auf einer zeichenhaften Ebene, welche die „Eigenheiten“ des Raumes ausmachen.3 Die „Städte als Zentren ununterbrochenen Lebens, der Aufregung und des Erlebnisses“ stehen zudem für die visuelle Kultur der Weimarer Republik und der Bedeutung beispielsweise der Symboliken in Verfassungs-, Gedenk- und Bestattungsfeiern.4 Räume werden hier symbolisch stark aufgeladen, indem sie mit Zeichen besetzt werden. Dass hierbei auch Verortungsprozesse des eigenen Körpers stattfinden, wird am Tragen unterschiedlicher Kleidung und einzelner markanter Erkennungsmerkmale oder durch Ausübung körperlicher Gewalt im öffentlichen Raum deutlich. Körper können so als symbolisch besetzte Grenzen interpretiert werden. Die Revolution gestaltete sich während ihres gesamten Verlaufs immer auch als ein Kampf um diese Symbole, während diese gleichzeitig als sinn- und bedeutungsgenerierende Elemente Teil der sozialen Wirklichkeit waren.5 Das Verbot des Tragens roter Armbinden für einzelne Generäle6, sowie das Verbot der Ordensverleihung an hochrangige Militärs, das Abreißen der militärischen Rangabzeichen und das Entwaffnen des Generalsäbels machen deutlich, welche Bedeutung 1 2 3 4 5 6
Zur Dynamik des sozialen Raumes vgl. Bourdieu, Sozialer Raum und Klassen. Shields, Places on the Margin, S. 31; vgl. Klopfer, Die Ordnung der Stadt, S. 17f. Lefebvre, La Production de l’espace, S. 59. Vgl. zur visuellen Kultur Weimars etwa Ward, Weimar Surfaces, Berkeley 2001. Vgl. Mergel, Propaganda in der Kultur des Schauens, S. 534. Vgl. Van Laak, Symbolische Politik, S. 42f. Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums, Band 11, S. 38, Die Regierung der Volksbeauftragten, 1. T., Nr. 28, S. 142f. Sitzung des Rates der Volksbeauftragten mit dem preußischen Handelsminister am 25. November 1918.
5. Symbolische Repräsentation, kulturelle Codes und kommunikative Strategien
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die symbolische Ausgestaltung des Raumes für die Zeitgenossen besessen haben muss.7 Diese Formen der symbolischen Kommunikation dienten auch der gegenseitigen Abgrenzung sozialer Formationen und trugen nicht unbedeutend zum Zusammengehörigkeitsgefühl einer Gruppe bei. Bekleidung und körperliche Gesten fungierten somit als Macht- und Identitätsgeneratoren und bestimmten das Verhältnis des Einzelnen gegenüber seiner eigenen oder fremden sozialen Gruppe. Neben der semantischen Besetzung des Straßenraumes, dem Raum als „Unruhe- oder Aufruhrzentrum“, als „Hord [sic] spartakistischer Umtriebe“ bildet das Symbolische eine weitere Ebene von Räumlichkeit als Teil der sozialen Wirklichkeit für die Akteure und ihrer eigenen „Verortung“ im öffentlichen Raum.8 Symbolisch-kommunikative Strategien und kulturelle Codes besaßen alle sozialen Formationen. Dabei dienten die Codierungen nicht ausschließlich der Macht und den Machtansprüchen, sondern auch der Subjektivierungsprozesse in unbestimmten Situationen.9 Sie regelten so die Balance zwischen Inklusions- und Exklusionsprozessen. Der Kampf um die symbolische Dimension drückt sich somit auch in der spezifischen Anordnung und Eroberung von Räumen und Räumlichkeiten aus, denen Bedeutungszuschreibungen und -aushandlungen vorausgesetzt wurden.10 Wie im medial markierten „Kommunikationsraum“ über die Deutungshoheit verhandelt wird, soll in diesem Kapitel nachgegangen werden.11
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Die Protokolle des Preußischen Staatsministeriums, Band 11, S. 39, Sitzung des Politischen Kabinetts am 12. Dezember 1918; vgl. Preußische Gesetzsammlung, S. 206, Bekanntmachung betr. Orden und Titel vom 14.12.1918. 8 Die Revolution vollzog sich nicht ausschließlich in den Kämpfen um physische Territorien, sondern ließ darüber hinaus die Bedeutung des Symbolischen in den Städten verstärken. Anhand des Kapp-Putsches konnte bereits gezeigt werden, wie fest sich symbolische Codes und kommunikative Strategien in der Lebenswelt der Akteure hatten verfestigen können. Sie gehörten zur täglichen Klaviatur, auf der man die Rituale und Praktiken der Revolution aufführte. Vgl. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 191f., Nachrichtenblatt des Wehrkreiskommandos VI, Nr. 16, 3. April 1920. „Bei Waltrop sollen 4 15 cm Haubitzen stehen. Nach Patrouillienmeldungen ist Westhemmerde und Stockum (zwischen Unna und Werl) vom Feinde frei. Die Bahnlinie Werl-Hemmerde ist wiederhergestellt.“ „Bolschewistische Flugzeuge“ wurden mit roten Wimpeln bemalt, während man die Eisernen Kreuze übermalt hatte. Auch taten einzelne Abteilungen ihren Dienst mit weißen Strohhüten, denen man ein schwarzes Band umgebunden hatte. 9 Vgl. Sittler, Die Straße als politische Arena, S. 129. Sittler thematisiert die Straße als Medium, das Passanten nutzten, um die neuesten Gerüchte zu erfahren. Solche „Diskussionsmeetings“ auf der Straße waren daran beteiligt das Straßenbild mitzudefinieren. 10 Zur Radikalisierung von Diskursen durch Medien vgl. Foucault, Dispositive der Macht, bes. S. 104ff. 11 Geyer, Der Barmat-Kutisker-Skandal, S. 50 u. S. 62.
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5.1 INKLUSIONS- UND EXKLUSIONSSTRATEGIEN – WIE „SPARTAKISTEN-“ UND „ZIVILISTENKLEIDER“ LEBEN RETTEN Sinnbildungsprozesse werden durch die Analyse symbolischer Codierungsformen beschreibbar gemacht, so die gängige Annahme kulturgeschichtlicher Forschungen.12 Während der sozialen Unruhen wurden somit Inklusions- und Exklusionsstrategien genutzt, um bei der Definierung der eigenen Formation zu helfen. Dabei entfalten die unterschiedlichen sozialen Gruppen historische Wirkung in einem Wechselspiel aus der Wahrnehmung des Eigenen und Fremden, während sich kollektive Identitäten erst während dieses Prozesses bilden konnten und keiner Konstanz unterlagen.13 Während der großen Streikbewegungen und der Märzunruhen des Frühjahrs 1919 erreichten die Forderungen nach sozialökonomischen Umwälzungen der Bewegung auf der einen Seite und dem vermehrten Einsatz des Militärs als dessen Antwort auf der anderen Seite einen Höhepunkt der Revolutionsgeschichte.14 Die Forderungen radikalisierterer Teile der Arbeiterbewegung bestanden in der Sozialisierung der Schlüsselindustrien, während die Arbeiter gleichzeitig für die Einführung eines Rätesystems plädierten.15 Der Beschluss zum Generalstreik und das Ende der Unruhen durch die Aufhebung des Schießbefehls bilden den zeitlichen Rahmen der Märzereignisse.16 Bei Ausbruch des Generalstreiks kam es in weiten 12 Vgl. etwa Althoff, Die Macht der Rituale; Stollberg-Rilinger, Rituale, ebd. (Hrsg.), Alles nur symbolisch? Bilanz und Perspektiven symbolischer Kommunikation; ebd., Symbolische Kommunikation, S. 489–52; Haas, Der Körper als Medium symbolischer und performativer Praktiken, S. 499–517; ebd., Die kommunikative und performative Generierung von Sinn, S. 535– 555. 13 Die Forschung tendiert hier zu einer Aufweichung der Einteilung von Gruppen in Makrostrukturen, der Einteilung entlang bipolarer Logiken in Rechts-Links Kategorien. Ebenfalls in diese Richtung argumentieren Forschungen, die die Auflösung von Milieus thematisieren. Vgl. Langewiesche, Politik, Gesellschaft, Kultur, S. 358, S. 370 u. S. 392. Vgl. Melucci, The Symbolic Challenge of Contemporary Movements, S. 801ff.; Melucci, Nomads of the Present, S. 6. 14 Vgl. Lange, Massenstreik und Schießbefehl, S. 69ff.; für eine zeitgenössische und quellengesättigte Perspektive vgl. Gumbel, Zwei Jahre Mord. Die Ursachen der Märzkämpfe sind in diesem Fall von untergeordnetem Interesse. Zunächst erscheint es nur logisch, dass die bürgerliche Presse und auch der Vorwärts die „Spartakisten“ dafür verantwortlich machen wollten. Vgl. Berliner Tageblatt Nr. 98 vom 8. März 1919; vgl. Vorwärts Nr. 123 vom 8. März 1919. Interessant sind hierbei die Umstände, dass bei der Gerichtsverhandlung gegen 90 Mitglieder des Roten Soldatenbundes etliche Spitzel der Garde-Kavallerie-Schützen-Division ausgemacht wurden, welche ihre Erfahrungen aus den Januarunruhen nun während der Märzkämpfe gewinnbringend einsetzen konnten. Vgl. Freiheit Nr. 321 vom 9. Juli 1919; vgl. mit marxistischer Perspektive Knoll, Generalstreik und Märzkämpfe, S. 477–489. 15 Vgl. Wette, Gustav Noske, S. 410. Die Intensität der Streiks unterschied sich je nach Region. Im Ruhrgebiet und in mitteldeutschen Industrieregionen standen diese unter wirtschaftlicher und sozialer, in Berlin dagegen unter deutlich politischerer Ausrichtung. 16 Für die Interpretation der KPD vgl. Illustrierte Geschichte, S. 357–371; die Interpretation der USPD vgl. Müller, Bürgerkrieg, S. 163–190. Für eine Interpretation der Regierungstruppen vgl. Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 84–103. Vgl. etwa Entstehung und Verlauf der März-Unruhen in Berlin im Jahre 1919, Verfassungsgebende Preußische Landesversammlung
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Teilen Berlins zu Plünderungen und Unruhen. Gerade die Innenstadt und das Gebiet rund um das Polizeipräsidium waren von diesen Ausschreitungen vermehrt betroffen, sodass am 3. März der Belagerungszustand über die Stadt verhängt wurde.17 Dass Berlin schon vor der Verkündigung des Streikbeschlusses von Unruhen betroffen war, zeigen die Auseinandersetzungen in der Nacht auf Montag, an denen Polizisten von Matrosen, denen einige Zivilisten folgten, bedroht und entwaffnet wurden.18 Hier bildeten die öffentlichen Plätze und Straßenzüge Orte lebhafter Auseinandersetzungen. Repräsentative Bauten wie die Statue der Berolina dienten durch ihre erhöhte Position den Rednern als Bühne, während sie die Menschenmengen anzustacheln versuchten. Weitere zentrale Orte der Auseinandersetzungen bildeten die Innenstadt rund um das Berliner Polizeipräsidium. Einheiten des Militärs, der sogenannten Volksmarinedivision gerieten nördlich und östlich des Alexanderplatzes bis in Richtung Prenzlauer Allee und Große Frankfurter Straße bis hin zur Frankfurter Allee in Lichtenberg, welches als „Industriegebiet Herzbergstraße“ bekannt geworden war und mit den Fabriken Siemens & Halske, dem Margarinewerk Berolina und weiteren Konzernen als Produktionsstandort eine industrielle Schlüsselrolle einnahm19, in schwere Auseinandersetzungen, nachdem sie von Soldaten der Schutzdivision beschossen worden waren.20 Mit dem Bahnhof Lichtenberg und
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1919–1921, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 D, S. 8176–8191. Mit kritischer Einschätzung vgl. Wirsching, Vom Weltkrieg, S. 133. Hoffrogge weist hierbei auf die fehlende zeitliche und räumliche Koordination der Streiks während der Unruhen hin, weshalb sie keine einheitliche und kräftige Wirkung hatten entfalten können. Vgl. etwa auch Hoffrogge, Das Ende der Revolution, in: Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, URL: . [02.01.2013] Ausführlich berichtete der Vorwärts vom 9. März 1919; vgl. auch Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 5. „Differenzen [bestanden] zwischen den Freiwilligenregimentern auf der einen Seite und der Volksmarine-Division und der Republikanischen Soldatenwehr auf der anderen.“ Siehe die Verordnung des preußischen Staatsministeriums vom 3. März 1919. Vgl. hierzu Müller, Bürgerkrieg, S. 169. Entstehung und Verlauf der März-Unruhen in Berlin im Jahre 1919, Verfassungsgebende Preußische Landesversammlung 1919–1921, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 D, S. 8176ff. BA B, R 705, Nr. 28 B, fol. 185, Lagebericht Berlin 11. März 1919. Im Ringbahnhofbogen war eine Zentrale eingerichtet worden, wo Pässe ausgestellt und Neuankommende bewaffnet wurden. Da dort auch Lebensmittel verteilt wurden, genoss der Ort bei den Bewohnern eine gewisse Sympathie, sodass angenommen wurde dort auf dem Spartakusbund gut gesinnte Bewohner zu treffen. „Wenn man hier von Bewohnern spricht, so sind natürlich in letzterem Falle die kleinen Leute gemeint. Die besser situierte Bevölkerung hat das Weite gesucht.“ LA B, A Rep. 358–01, Nr. 492, ohne fol., Strafsache gegen den Malergehilfen Otto Brenner, Berlin 3. Juli 1919. Die Frankfurter Straße wurde beschrieben als ein „Tummelplatz der spartakistischen Banden, die bewaffnet umherzogen und nicht nur den Regierungstruppen Widerstand leisteten und einzelne Regierungssoldaten misshandelten und ermordeten, sondern auch die nicht mit den Aufrührern sympathisierenden Bevölkerungskreise bedrohten, Geschäfte plünderten und Gewalttätigkeiten der verschiedensten Arten begingen.“ Diese betrafen oftmals den privaten Raum der umliegenden Bewohner, denn die „Aufrührer“ gingen besonders gegen die Bewohner der Häuser vor und bedrohten diese mit Waffen ihre Wohnungen nicht zu verlassen und die Fenster zu schließen, sich erst gar nicht an diesen zu zeigen, „damit sie nicht Zeugen der Gewalttätigkeiten und Rohheiten der Spartakisten“ würden. Besonders die heterogen zusammengesetzte Masse schien dem Angeklagten eine Erwähnung wert, denn einige
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dem Straßenbahndepot verfügte Lichtenberg darüber hinaus über günstige Verkehrsanbindungen für den gesamten städtischen Raum.21 Gerade Lichtenberg galt während der Märzunruhen als Schauplatz heftiger, bürgerkriegsartiger Kämpfe, bei denen schätzungsweise 1.200 Menschen starben.22 Der wesentlich mit dem Namen Gustav Noske assoziierte Schießbefehl, welcher durch Zusatzbefehle Waldemar Pabst‘ ausgeweitet wurde, beendete schließlich die Ausschreitungen vollends am 16. März. Jeder Bewaffnete konnte auf offener Straße oder sogar bei Hausdurchsuchungen standrechtlich erschossen werden. Der auf Seiten der „Spartakisten“ mitkämpfende Karl Retzlaw, der zusammen mit Leo Jogiches gegen die von Noske befehligten Freikorps gekämpft hatte, schildert in seinen Memoiren, dass Lichtenberg umzingelt gewesen, ganze Häuserblocks von den militärischen Truppen abgeriegelt worden seien, dass sogar die Straßen und kleinere Einheiten des alltäglichen Lebens wie Höfe und Wohnungen als Bühne für jene Grausamkeiten dienten.23 Der konkrete physische Raum, in dem Menschen wie von Retzlaw beschrieben ihr Leben in ihren eigenen vier Wänden lassen mussten, ist sicherlich ein Teil der historischen Wirklichkeit, welcher man sich nähern kann. Die Repräsentation des eigenen Körpers trug daher zusätzlich zur Komplexität des öffentlichen Raums der Straße bei, welche sich nicht ausschließlich durch ihre physische Beschaffenheit erklären lässt. „Soweit die Soldaten Waffen trugen, trugen sie diese verkehrt, den Lauf der Gewehre zu Boden gerichtet. Damit dokumentierend, dass die Zeit vorbei sei wo die Flinte und der Säbel haut“, erinnert sich Josef Kliche als Zeitgenosse an die Revolution in Wilhelmshaven.24 Kliche bemerkte desweiteren, dass das Bild der Stadt sich verändert habe. Die Normalität, die sonst durch die Menschen und ihre Handlungen im Alltag repräsentiert wurde, wich einem Zustand, der den öffentlichen Raum veränderte. So führt Kliche weiter aus:
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„Spartakisten“ bewegten sich in Zivil, andere in „Militärkleidern“. Vgl. Lange, Massenstreik und Schießbefehl, S. 101ff. BA B, R 705, Nr. 29, fol. 185, anonymer Bericht vom 11. März 1919. Nicht zuletzt erlangten die Ereignisse in Lichtenberg auch durch den berühmten Roman Alfred Döblins Bekanntheitsgrad. Döblin berichtet hier von den von ihm selbst erlebten Umständen der krassen Gegensätze im revolutionären Berlin. Döblins Wunsch bestand darin, sich mit diesem Werk „historisch zu lokalisieren“. Trotz des vermeintlich fiktionalen Charakters der Quellengattung des Romans, wird hier doch sehr eindrücklich Döblins Wahrnehmung als Zeitgenosse der Ereignisse verarbeitet. „Ich war damals in Lichtenberg und habe diesen Putsch und die grausigen, unerhörten, erschütternden Dinge der Eroberung Lichtenbergs durch die weißen Truppen miterlebt. Um dieselbe Zeit, wo in unserer Gegend die Granaten und Minenwerfer der Befreier ganze Häuser demolierten, wo viele in den Kellern saßen und dann, schrecklich, wo viele füsiliert wurden auf dem kleinen Lichtenberger Friedhof in der Möllendorfstraße - man muss die Leichen da vor der Schule liegen gesehen haben, die Männer mit den Mützen vor dem Gesicht, um zu wissen, was Klassenhass und Rachegeist ist -, um dieselbe Zeit wurde im übrigen Berlin lustig getanzt, es gab Bälle und Zeitungen.“ Vgl. Döblin, November 1918, 2. Band, S. 289f. Retzlaw, Spartakus, S. 126. Retzlaw selbst beziffert die Zahl der Opfer auf 2.000 Tote. Kliche, Vier Monate Revolution, S. 10.
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„Wer am Morgen des sechsten November, einem Mittwoch, einen Gang durch die Straßen Wilhelmshavens und Rüstringens tat, der konnte ohne viele Schwierigkeiten merken, daß etwas im Gange war. Vor den Eingängen der öffentlichen Gebäude hielten sich gefechtsbereit ausgerüstete Soldaten auf. Die Wachen waren verdoppelt. Sie sollten die drohende Revolte niederschlagen. Das Stationsgebäude, einzelne Kasernen und Straßenzugänge waren mit Maschinengewehrposten besetzt. Auch das Amtsgebäude in Rüstringen hatte einige Dutzend Verteidiger erhalten.“25
Kliche bemerkt offenbar auch, dass die Symbolik, welche den „hohenzollernschen Obrigkeitsstaat“ bisher repräsentiert hatte, einer Veränderung unterlag. Dem sich von der Torpedo-Division-Kaserne aus bewegenden Demonstrationszug wurden rote Fahnen vorangetragen, welche „den sozialistischen Geist“ der Demonstranten kennzeichnen sollte, so Kliche. Dass die Aktion einen recht spontanen Charakter besaß, zeigen Kliches Beobachtungen über die improvisierten Fahnen „primitiver Art“. „Rote zerschlissene Decken und andere in der gleichen Farbe gehaltene Tuchfetzen mußten die Symbole hergeben, die das Werk der Freiheit an diesem welthistorischen, entscheidenden Tage brauchte.“26 Die Matrosen hatten sich darüber hinaus rote Zeichen an die Brust gesteckt. Derart kleine gestische Ausdrucksweisen hatten eine nicht zu unterschätzende Wirkung und hohen Bedeutungsgrad. Immerhin hatten sich Urlauber dem Demonstrationszug angeschlossen, da der Verkehr gesperrt worden war. Die Ordner wiederum waren durch weiße Armbinden gekennzeichnet.27 Auch das Verhalten im öffentlichen Raum mittels spezifischer Gesten wird am Beispiel des Gefreiten des Detachements Künzel deutlich, welcher von seinen Erlebnissen in der Warschauer Straße Berlins während der Märzunruhen berichtet: „Ich fertigte mir schnell einen solchen Ausweis an, nahm die Haltung der umherstehenden Spartakisten an (offener Mantel, Rock, Hemd, Hände in den Taschen, lässiger, schwankender Gang) und gelangte so durch die Wachen.“28
Das Tragen bestimmter Kleidungsstücke oder auch von Zusätzen wie Armbinden oder Fahnen diente vordergründig als Strategie, um überhaupt erkennen zu können, welcher Gruppe man sich zugehörig fühlte.29 Die symbolische Aufladung des eigenen Körpers konnte zur Konstruktion eines Wir-Gefühls führen, welches positiv
25 Kliche, Vier Monate Revolution, S. 9. 26 Ebd., S. 10 u. S. 17. Später sollte auf Anordnung des Heizers Bernhard Kuhnt als Vorsitzendem des Arbeiter- und Soldatenrats Wilhelmshaven die rote Flagge auf sämtlichen Kasernen und auf denen im Hafen liegenden Schiffen gehisst werden. 27 Kliche, Vier Monate Revolution, S. 11f. 28 Berliner Tageblatt vom 12. März 1919; vgl. Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 14. 29 Vgl. Hackspiel-Mikosch, Die Theorie der Uniform, S. 65–89; vgl. Hackspiel-Mikosch/Haas (Hrsg.), Die zivile Uniform als symbolische Kommunikation; zur symbolischen Bedeutung von Unformen vgl. etwa Haas, Im Kleid der Macht, bes. S. 154f.; ders./Hackspiel-Mikosch, Ziviluniformen, S. 13–46, bes. S. 18ff. u. S. 37ff.
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auf den Prozess der Identitätsbildung einwirken konnte.30 Gruppen unterschiedlicher Milieus konnten sich so non-verbaler Kommunikation bedienen, wenn sie sich zunächst als einander fremde Gruppen wahrnahmen. Dieses setzte voraus, dass sie voneinander wissen mussten, um sich dann mit unterschiedlichen Strategien und Codes von anderen abgrenzen zu können. Hierfür sollen nun die Ereignisse des Polizeipräsidenten Freiherr von Salmuth rund um die Berliner Märzkämpfe und seine Flucht aus dem Polizeipräsidium in Lichtenberg vom 3. bis 10. März 1919 einer Analyse unterzogen werden. Bereits vor dem 8. März hatten Regierungstruppen unter der Führung der GardekavallerieSchützendivision erste Erfolge erringen können, als sie die „Spartakus-Sache“ am 6. und 7. März erledigt hatten. Eine Gruppe von Spartakusleuten hatte sich östlich der Jannowitzbrücke „stark verschanzt“.31 Mittels Errichtung von Barrikaden in der Palisaden-, Frankfurter- und Langen Straße wurden die Regierungstruppen aufgehalten, bis schließlich Freiwilligentruppen beauftragt wurden, „das Gelände bis zum Bahnhof Schönhauser Tor, Schlesischer Bahnhof und Moritzplatz von den Banden zu säubern.“ Auch hier operierten die Regierungstruppen bereits mit Artillerie und Minenwerfern, um größerem Widerstand sofort entgegentreten zu können. Die erheblichen Verluste, welche diese Auseinandersetzungen nach sich zogen, führten aus der Sicht des Berliner Tageblatts dazu, dass die Spartakusanhänger „ihre Sache“ nicht als verloren ansahen und daher „ihr Widerstandsfeld in die östlichen Vororte Berlins“ verlagerten. Der „offizielle Bericht über die Kämpfe mit den Spartacisten“, von welchem das Berliner Tageblatt berichtet, enthielt Pläne der „Spartakisten“ zunächst das Polizeipräsidium einnehmen zu wollen, um dann weitere wichtige Gebäude der Stadt, schließlich ganz Berlin und von da aus das Reich in die Gewalt der „Spartakisten“ zu bringen. „Am Dienstag, den 4. brach der Generalstreik aus. Alle elektrischen Bahnen und Hochbahnen standen still, es ruhte überhaupt jeglicher Verkehr. […] In einer Zeitspanne von wenigen Stunden waren bereits 32 Reviere in den Händen der Spartakisten.“32
Das Polizeirevier wurde bereits nachmittags von Aufständischen gestürmt, um an die lagernden Waffen zu gelangen. Von Salmuth hatte offenbar befohlen, dass sich sämtliche Schutzleute und Kriminal-Beamte von der Straße fort in die Reviere begeben sollten. Salmuths Befehl lässt zudem die Vermutung zu, dass die Angst groß gewesen sein muss, wenn die Angreifenden an die Waffen des Reviers gelangten, 30 Ähnlich irritierend muss es auf die Bevölkerung Berlins gewirkt haben als „Spartakisten“ die Kaiserstandarte auf dem Berliner Schloss in einer heimlichen Aktion hissten, was die Berliner Zeitung als „Unfug mit der Kaiserstandarte“ beschrieb und als deutliche Provokation interpretierte, um die Bevölkerung in einen Zustand der Erregung zu versetzen. Vgl. Berliner Tageblatt Nr. 100 vom 9. März 1919. 31 Berliner Tageblatt Nr. 100 vom 9. März 1919. Am 9. März waren bereits mehrere Gruppen in die Ereignisse involviert. Das Detachement Künzel, die Nachrichtenstelle der Garde-Kavallerie-Schützendivision, sowie das Kommando der Schutzmannschaft hatten das Gerücht in Umlauf gebracht, dass 60 Polizeibeamte und 18 Soldaten ermordet worden seien. Vgl. Buder, Die Reorganisation der preußischen Polizei, S. 32. 32 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21767, fol. 1, Erlebnisse des Polizeipräsidenten Freiherr v. Salmuth vom 3. bis 10. März 1919 Berlin-Lichtenberg, den 25. März 1919.
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denn mit jenen Waffen konnte man sich schneller Zugang zum inneren des Gebäudes verschaffen. „Am Abend wurde das I. Revier unter Leutnant Puchtstein von ca. 70 Spartakisten angegriffen. Es gelang ihnen zunächst in das Revier einzudringen, sie wurden aber von der überschaubaren Besatzung des Reviers hinausgeworfen. Das Feuergefecht dauerte ca. ¾ Stunde.“33
Unter schwerer Bewaffnung mit Handgranaten, versuchten die „Spartakisten“ das Polizeipräsidium als repräsentativen Bau der staatlichen Gewalt zu okkupieren, welches aufgrund seiner baulichen Gegebenheiten und der besseren Deckung lediglich mit wenigen Personen verteidigt werden konnte. „Da anzunehmen war, daß auch die anderen Reviere in der nächsten Zeit angegriffen werden würden und ich nicht unnütz meine Beamten in Gefahr bringen wollte, ließ ich die gesamten Waffen aus den Revieren fortbringen, besetzte diese nur noch mit 4 Mann um bei Tage den nötigen Schreiberdienst aufrecht zu erhalten und ließ bei Nacht die Reviere gänzlich räumen.“34
Im Zuge dessen wurde das Korps Lüttwitz, sowie die Schutzdivision Lippe mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Situation sehr gefährlich sei und sie mit Maschinengewehrfeuer angegriffen werden würden.35 Hinzu trat der Umstand, dass die Streikenden die Elektrizitäts-, Gas- und Wasserleitungen abgeschnitten hatten, so dass ganz Lichtenberg im Stockfinstern lag.36 Nach mehreren Gefechten schlu-
33 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21767, fol. 1, Erlebnisse des Polizeipräsidenten Freiherr v. Salmuth vom 3. bis 10. März 1919 Berlin-Lichtenberg, den 25. März 1919. 34 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21767, fol. 2, Erlebnisse des Polizeipräsidenten Freiherr v. Salmuth vom 3. bis 10. März 1919 Berlin-Lichtenberg, den 25. März 1919. 35 Lüttwitz hatte bereits während der „Spartakusunruhen“ im Januar 1919 die Truppen zur Zerschlagung dieses Aufstandes befehligt. Mit stark reaktionärer Tendenz vgl. Lüttwitz, Im Kampf gegen die November-Revolution, S. 31ff. Am 3. März erteilte Noske nach Verhängung des Belagerungszustandes dem Generalkommando Lüttwitz den Auftrag, dass die Truppen in Bereitschaft zu versetzen seien. Vgl. Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 106. Die Besetzung der Stadtteile war nach dem sogenannten „Pharusplan“ vorgesehen, den Lüttwitz bereits am 31. Januar 1919 als Reaktion auf die Januarunruhen ausgearbeitet hatte. Vgl. Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 81f. Zusätzlich war das Freikorps Hülsen am 4. März von Döberitz aus in Spandau eingerückt, während die Garde-Kavallerie-Schützen-Division von Lichterfelde aus in den Westen der Stadt vordrang. Die Ausrichtung zur Einnahme der Stadt folgte strikten militärischen Anordnungen, sodass das Militär raumstrategisches Verhalten aus dem Krieg nun auch auf den städtischen Raum übertrug. 36 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21767, fol. 4, Erlebnisse des Polizeipräsidenten Freiherr v. Salmuth vom 3. bis 10. März 1919 Berlin-Lichtenberg, den 25. März 1919. „Am Mittwoch wurde uns seitens der Streikenden die Elektricität und die Wasserleitung abgeschnitten, das vorhandene Gas reichte auch nur noch für wenige Tage, so daß ich um dieses für den Hausbedarf noch zu halten, den Befehl gab, des Nachts sämtliche Gaslaternen zu löschen, so daß ganz Lichtenberg tatsächlich im Stockfinstern saß. Für das Polizei-Präsidium beschaffte ich noch in aller Eile eine Anzahl Carbidlampen und elektrische Taschenlaternen. Da wir hauptsächlich nachts auf einen Angriff rechneten kam ich selber kaum noch aus den Kleidern und meine Frau legte sich auch meistens angezogen ins Bett.“ Vgl. Berliner Tageblatt Nr. 100 vom 9. März 1919. Paul Michaelis weist in dem Artikel „Generalstreik und Hungerpsychose“ auf die drastischen Folgen hin, wenn Berlin nun auch noch Wasser und Gas abgesperrt worden seien.
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gen am Samstagmorgen die ersten Granaten in Lichtenberg ein, obwohl die Regierungstruppen nicht weit entfernt waren. Da die Spartakusleute in der WarschauerStraße und Frankfurter-Allee zähen Widerstand leisteten, indem sie überall Barrikaden errichtet und Schützengräben ausgehoben hatten, die sie teilweise mit schweren Maschinengewehren, leichten und schweren Minenwerfern, sowie Feldgeschützen bestückt hatten, konnten sich die Regierungstruppen nur langsam nähern.37 Von Salmuth hatte das Ausrichten verschiedener MGs in Richtung Alfredstraße von der Frankfurter Allee aus angeordnet, andere sollten die Seite des Wagnerplatzes „unter Feuer“ nehmen. Ein weiteres Maschinengewehr stand auf dem Hof, um den Haupteingang zum Polizeipräsidium zu decken. In der 2. Etage waren die Schützen untergebracht und in der 3. Etage befanden sich neben den Schützen die Handgranatenwerfer. Das unterste Stockwerk war nur schwach besetzt. Auf der Hinterseite des Gebäudes waren Stolperdrähte gezogen, da man annehmen musste, dass nachts auch von hier aus Angriffe erfolgen könnten. „Am Sonnabend gegen 3 Uhr hörte man plötzlich Gewehr- und Maschinengewehrfeuer in der benachbarten Straße, in der sich das Postgebäude befand. Von allen Seiten wurde nunmehr ein wahnsinniges Feuer auf das Polizei-Präsidium eröffnet. Gleichzeitig schleuderten die Angreifer Handgranaten von den Dächern und Fenstern herab. Einige Kugeln schlugen direkt in meine Wohnung ein, eine riß mir die ganze Längsseite eines Mahagonischrankes auf, eine andere ging durch die Jalousie, die beiden Fensterschreiben, das Ölbild meiner Kinder, die da hinter befindliche Wand wo sie dann auf der anderen Seite in den Räumen eines anderen Ölgemäldes endete.“38
Von Salmuth beschreibt nun sehr detailliert, wie die Kugeln an verschiedenen Stellen des Raumes einschlugen. Eine heterogen zusammengesetzte Menge von ca. 300–400 Personen stürmte darauf hin das Gebäude. Im Erlebnisbericht von Salmuths folgen nun dichte Beschreibungen, sowohl der Handlungen, als auch besonders der Kleidung der Angreifer, deren Beschreibung offenbar für von Salmuth so wichtig war, dass er ihr in der Quelle viel Raum einräumt. Ihm fallen Militäruniformen, Marineuniformen, Leute mit Stahlhelmen und Zivilisten auf. Von Salmuth und seine Leute wurden daraufhin gefangen genommen. Sie wurden auf die Alfredstraße geführt, „die von einer johlenden und heulenden Menge erfüllt war, namentlich leisteten die Weiber ganz besonders im Schimpfen und Johlen“ Widerstand. Sie riefen „Die Schweine müssen hier erschossen werden, stellt die Hunde an die Wand.“39 Ob dieser Bericht nun einer wahren Tatsache entspricht oder nicht, 37 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 84. 38 Hier und im Folgenden LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21767, fol. 6, Erlebnisse des Polizeipräsidenten Freiherr v. Salmuth vom 3. bis 10. März 1919 Berlin-Lichtenberg, den 25. März 1919. 39 Hier und im Folgenden LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21767, fol. 10, Erlebnisse des Polizeipräsidenten Freiherr v. Salmuth vom 3. bis 10. März 1919 Berlin-Lichtenberg, den 25. März 1919; vgl. Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, 4. Sitzung vom 17. März 1919, Sp. 189f. u. Sp. 192f. Mehrere Beamte des Warschauer Depots hatten angegeben, dass dort die Erschießung mehrerer Personen stattgefunden habe. Ministerpräsident Hirsch schlussfolgerte, dass die Vorkommnisse in Lichtenberg die nun anstehenden verschärften militärischen Maßnahmen „in vollem Umfange“ rechtfertigen würden. Kriegsminister Reinhard ging sogar soweit, dass der Belagerungszustand in seiner militärischen Auswirkung
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ist zunächst unwichtig, denn entscheidend ist, dass Verhandlungen unmöglich schienen und das Polizeipräsidium, sowie die Beamtenuniform in dieser Kombination für von Salmuth zur unmittelbaren Gefahr geworden waren. Sowohl das Gebäude, als auch die symbolische Wirkung der Kleidung hatten den sicheren Raum des Polizeipräsidiums zu einem Gefahrenraum werden lassen. Der weitere Verlauf der Ereignisse weist nun auf die Bedeutung des Tragens von Kleidung als Inklusions- und Exklusionsstrategie hin. In einem kurzen Gespräch konnte von Salmuth offenbar einen der Angreifer durch eine Bestechungslist für sich gewinnen, worauf hin ihm die Flucht gelang: „Meinen Schlips hatte ich mir abgemacht, die Hutkrempe hatte ich mir herunter gezogen, bekleidet war ich nur mit einem alten blauen Beinkleid, einer blauen Weste und einer alten grauen Jeppe. Außerdem war ich voll Staub und Schmutz, sodaß ich selber als Spartakist nicht unähnlich sah.“40
Selbst wenn man die in einer dramatischen Weise geschilderten Erlebnisse des Polizeipräsidenten als Konstruktion seiner eigenen Heldengeschichte interpretiert, ist diese Quelle dennoch von besonderem Wert. Die fast ausweglose Situation des Eingeschlossenseins im Polizeipräsidium wurde offenbar dahingehend überwunden, dass herkömmliche symbolische Codes aufgebrochen und in ihrer Logik umgekehrt wurden, der Raum mit dieser „Verkleidung“ im Prinzip erst durchschritten werden konnte. Diejenigen Strategien, mit denen die sich einander gegenüberstehenden Gruppierungen verorteten, konnten offenbar nicht mehr aufrechterhalten werden. Die erfolgreiche Flucht durch weitere „Feindesmassen“ in Richtung der Rettungswache, bis zur Ecke der Alfredstraße und Frankfurter-Allee gelang daher vermutlich nur, da die herkömmlichen Gesetzmäßigkeiten aufgebrochen wurden.41 Als Belohnung bot von Salmuth seinem vermeintlichen Retter seinen Brillantring und seine goldene Uhr an. Die äußerlichen Veränderungen führten dazu, dass sogar im Anschluss in einer Kneipe ein gemeinsames Bier und ein Schnaps konsumiert werden konnten. Der Wechsel der Kleidung und die gemeinsam habitualisierten Handlungen des Biertrinkens können daher als symbolisch und kulturell vermittelnde Strategien zwischen unterschiedlichen sozialen Formationen interpretiert werden. Dieses Mittel diente dabei zur Überwindung eines Gefahrenraums. Die herkömmlichen Rezeptions- und Abgrenzungsprozesse funktionierten zwar weiterhin, wurden aber offenbar vom zeitgenössischen Akteur erkannt und in ihrer Funktionslogik umgekehrt. Das Beispiel des Freiherrn zeigt, wie wichtig das Tragen bestimmter
nichts anderes gewesen sei als der Kriegszustand. Reinhard formuliert dabei, dass Soldaten im „Kampfe für die Ordnung“ umgekommen seien und die Kämpfe auf beiden Seiten Verluste forderten. 40 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21767, fol. 11, Erlebnisse des Polizeipräsidenten Freiherr v. Salmuth vom 3. bis 10. März 1919 Berlin-Lichtenberg, den 25. März 1919. 41 LA B, C Rep. 902–02–07, Nr. 107, fol. 21, Bericht über den Generalstreik und die bewaffneten Kämpfe im März 1919 in Berlin von Ottomar Harbauer, Manuskript Berliner Arbeiterveteranen berichten. Harbauer, der bei der Erstürmung des Polizeireviers beteiligt war, berichtet, dass sie von der gegenüberliegenden Seite das Polizeirevier beschossen haben.
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5. Symbolische Repräsentation, kulturelle Codes und kommunikative Strategien
Kleidung für Inklusions- und Exklusionsprozesse während sozialer Unruhen zwischen verschiedenen Gruppierungen sein konnte, um gegengelagerte Räume zu überwinden. Jene öffentlichen Bedeutungsaushandlungen standen in der Gemengelage zwischen der Repräsentations-, Funktions- und Bedeutungshierarchie der Akteure und ihrer Verortung im Raum, während die Gebäude einer symbolischen und normativen Zonierung ausgesetzt wurden. Im Zuge dieses Prozesses konnte es zur symbolischen Aufladung von Straßenzügen wie der Frankfurter Allee oder eines ganzen Viertels wie rund um den Alexanderplatz als sogenannte Gefahrenräume kommen. Dabei ist weniger von Bedeutung, dass ein Konflikt wie der Kampf um das Polizeipräsidium durch „keine große politische Aktion“ hervorgerufen wurde.42 Die Freiwilligenregimenter, die Volksmarine-Division und die Republikanische Soldatenwehr, welche in den Konflikt involviert waren, mussten sich eindeutiger symbolischer Codes bedienen, um ein mögliches Chaos zu verhindern. Freiherr von Salmuths Frau berichtet über ähnliche Erfahrungen während der Vorgänge rund um das Polizeipräsidium, von der „wilde[n] Schießerei auf der Frankfurter Allee vom Eisenbahnverbinder her. Das Volk lief und flüchtete wie toll. Besonders viele Frauen und Kinder. Sobald das Schießen verstummte, waren alle wieder da wie aus der Erde hervor gezaubert. Die Neugierde lockte sie hin. Das Gesindel auf den Straßen wurde immer schlimmer, man sah so recht, daß es Spartakusleute waren. Anständige Gesichter waren nicht viele zu sehen. An allen Straßenecken bildeten sich Gruppen, Radler und Autos sausten vorbei, einzelne finstere Gestalten lungerten an den Ecken herum, gaben Apachenpfiffe. Dazwischen Soldaten und Matrosen in Uniformen.“43
In den Schilderungen sind wiederum Zuschreibungen vorgenommen worden. Zum einen werden Handlungen beschrieben wie die „wilden Schießereien“, das Herumlungern an bestimmten Ecken oder auch die kommunikativen Strategien des Liederpfeifens, mit denen die Gruppe der Spartakusleute vermeintlich eindeutig identifiziert werden konnte, während sich die Soldaten und Matrosen durch ihre Uniformen voneinander abgrenzten. Wenngleich die Schilderungen der Freifrau ideologisch gefärbt anmuten, wird doch darüber hinaus ersichtlich, welche Wahrnehmungsperspektive diese Gruppierung im Polizeipräsidium eingenommen haben musste, denn in der Beobachtung des Fremden lässt sich vielfach noch mehr über das Eigene aussagen.44 Als das Präsidium gestürmt wurde „bot sich ein nervenerschütternder Anblick. An 20 Beamte, mein Mann in der Mitte, alle ohne Kopfbedeckung, umringt von schreienden, drohenden Spartakusleuten, die mit Stöcken und Kolben auf die einhieben. Etwas weiter weg, die ganze Straße bis zur Frankfurter Allee schwarz von brüllender, johlender Volksmenge. Mir fiel die Christusszene ein: ‚Kreuziget ihn! Kreuziget ihn!‘ […] Mein Mann, der sonst so frische Farbe hat, war still und totenbleich, die anderen 42 Freiheit vom 15. März 1919. Bericht eines früheren Volksmarineangehörigen über die Vorgänge am Polizeipräsidium. 43 Hier und im Folgenden der Bericht der Freifrau von Salmuth Revolutionäre Kämpfe in BerlinLichtenberg am 8. März 1919, in: DHM, URL: . [14.07.2014] 44 Vgl. Schäffter, Das Eigene und das Fremde; Ackermann, Das Eigene und das Fremde, S. 139– 154.
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auch. […] Ich sah noch, daß man alle abführte, unter Brüllen und Johlen des Volkes. Ein Segen, daß ich nicht hinuntergelaufen war. Man hatte, wie ich richtig vermutete, meinen Mann nicht als Präsidenten erkannt. Wäre ich hinuntergelaufen, hätte ich ihn verraten. So ahnte die Bande nicht, welchen Fang sie gemacht.“
Ein weiteres Argument zur Unterstützung der oben formulierten These soll am Beispiel rund um die Vorgänge am Essener Wasserturm im Zuge des Kapp-Putsches verdeutlicht werden.45 Diese Auseinandersetzungen in der Stadt Essen während des Kapp-Putsches galten als besonders gewaltsam.46 Die „gesamte staatliche Polizei des Industriegebietes“ war in Essen zusammengezogen und durch Truppen der Essener Einwohnerwehr und verschiedenen Sicherheitskräften verstärkt worden.47 So berichtet ein namentlich nicht genannter Unteroffizier der I. Hundertschaft in Essen über die mit den „Spartakisten“ geführten Auseinandersetzungen am Postgebäude und am Wasserturm der Stadt davon, dass er seiner gesamten Kleidung und Gegenstände beraubt worden sei, sich dahingehend hatte neu einkleiden müssen, um fortan die Kämpfe am Wasserturm als „Zivilist“ zu beobachten.48 Die neue „Verkleidung“ ermöglichte ihm die Geschehnisse aus einer weniger gefährlichen Perspektive zu beobachten. Colm versucht dieses in simpler binärer Logik zu erklären, welche die Komplexität der Ereignisse jedoch als zu trivial anmuten lässt: „Für die Willensbildung großer Massen gibt es nur einfachste Verhältnisse, da gibt es nur einen Freund oder Feind, kein Drittes.“49 Die Schilderung eines Hagener Arbeiters über die Kämpfe in Essen zeigt ein anderes Bild. „Wir trafen 45 Von den Geschehnissen rund um den Essener Wasserturm berichtet aus kommunistischer Perspektive mit Konzentration auf die bewaffneten Kämpfe und die spontanen Aktionen der Arbeiter Bauer, Der Ruhraufstand von 1920. Erhard Lucas zufolge sei die Studie von Colm die beste, welche das Führerproblem, sowie das Verhältnis von organisierter und spontaner Aktion auslotet. Vgl. Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, bes. S. 56–60. 46 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 236, Einzeldarstellungen von Grausamkeiten und Greueltaten der roten Armee im Industriegebiet mit Zeugenangabe. Unterwachtmeister der technischen Hundertschaft Walter Leuschner und Hilfswachtmeister Wilhelm Kangawsky bezeichneten den Ort am Wasserturm als „Schlachthof“. 47 Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 39. Dabei handelte die Polizei nicht „als Anhänger der neuen Regierung“, sondern als „Hüter der öffentlichen Ordnung“. Vgl. Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, S. 190. 48 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 129, Der Oberpräsident Kommando der Sicherheitspolizei Nr. 9 an Wehrkreiskommando, Oberpräsident, Polizeischule II, Oberlt. Jägerhuber, Oberltn. Weitzel betr. über weitere Grausamkeiten, begangen an Beamten der Sipo, Münster 29. März 1920. Colm bezeichnet den Fall von Essen als „erste Periode des bewaffneten Vorgehens“. Vgl. Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 41. Vgl. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 251. Nachrichtenblatt des Wehrkreiskommando VI, Münster 13. April 1920. Als die Rote Ruhrarmee Ende April 1920 in weiten Teilen geschlagen war, sah sich das Ruhrgebiet einer Bewegungswelle von ehemaligen „Rotgardisten“ ausgesetzt mit der etliche Strafdelikte einhergingen. So wird berichtet, „dass Leute nicht ins Geschäft gehen konnten, weil man ihnen alle Kleider geraubt hatte. Das Raubgesindel ist teilweise vornehm gekleidet und oft nicht einmal der deutschen Sprache mächtig. […] Neulich verlangte z. B. ein solcher [„frech gewordener Rotgardist“] im Auto mit seinem Anhang kostenlos spazieren gefahren zu werden.“ 49 Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 39.
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manchen Bekannten auch aus anderem Lager. Es gab nur ein stilles Händedrücken, das besagte, daß solch ein Siegen doch eigentlich überflüssig sein sollte.“50 Bei den Verhandlungen am Rathaus zwischen dem Lehrer Stemmer als Führer der Unabhängigen und einem Hauptmann der Sicherheitspolizei, konnte man „unter dem Schutz der Parlamentärflagge“ und dem Oberbürgermeister zu keiner schnellen Einigung gelangen. Das Beschießen des Rathauses mit Minen hatte vermutlich lediglich „zur Beschleunigung der Verhandlungen etwas beigetragen“.51 Dass die Gefangenen nach den Kämpfen mit erhobenen Händen und ihrer Kleidung beraubt durch die Straßen Richtung Gelsenkirchen marschieren mussten, zeigt, dass gerade das Bloßstellen des nackten Körpers als Zeichen des Sieges interpretiert wurde. Mit dem Entfernen der Uniformen wurde gezeigt, dass die gegnerische symbolische Repräsentation im öffentlichen Raum nun auch gebrochen worden war.52 Wenn Gefangene mit „Peitschenhieben“ und „Kolbenschlägen“ gezwungen wurden ihre Hände aufrecht zu halten, ist dieses zwar zunächst einmal als Form von körperlicher Gewalt zu interpretieren. Zusätzlich aber wird eine subtilere Form von seelischer Gewalt ausgeübt, indem man gleichzeitig die misshandelten Personen erniedrigte. Mit dem hier vollzogenen analytischen Zugriff wird die Ausübung von zu differenzierenden Gewaltformen und -handlungen jedoch zunächst als ein Mittel verstanden, mit dem Räume physisch und symbolisch besetzt werden konnten. Das Polizeipräsidium wurde so seiner symbolischen Wirkkraft als ein Raum höchster staatlicher Repräsentanz beraubt, um es parallel mit neuer Bedeutung aufzuladen. Derartige Umdeutungsprozesse sind in allen Phasen der Revolution zu beobachten und zeigen, dass über die Kämpfe um physische Territorien hinaus auch Auseinandersetzungen auf symbolischer Ebene geführt wurden, die subtilerer Art waren und entschlüsselt werden mussten. Die hier beobachtete Verschlüsselung wird dann zu einer doppelten, denn die Codes mussten zum einen durch die Zeitgenossen selbst erkannt und entschlüsselt werden, während sie durch die Forscherin oder den Forscher dann wiederum decodiert werden müssen.53 Nachdem weitere Gefängnisse Essens „befreit“ worden waren und Häftlinge mit Waffen ausgestattet wurden, wurde von „Weibern“ berichtet, die „sich nicht im mindesten genierten, sich in aller Öffentlichkeit auf dem Burgplatz und auf dem 50 Hier und im Folgenden Essener Arbeiterzeitung vom 24. März 1920. 51 Colm, Beitrag zur Geschichte und Soziologie, S. 40. Vgl. Spethmann, Die Rote Armee an Ruhr und Rhein, S. 76f. 52 Vgl. Spethmann, Die Rote Armee an Ruhr und Rhein, S. 77. Gewalt ist in diesen Auseinandersetzungen allgegenwärtig. Die Ausübung von Gewalt konnte verschiedene Stufen erreichen und lässt sich auf verschiedenen Ebenen interpretieren. Für die hier gemachten Überlegungen spielt Gewalt natürlich eine bedeutsame Rolle in den Auseinandersetzungen zwischen sozialen Formationen. Verstanden wird sie jedoch als ein Mittel, um Räume physisch und symbolisch zu produzieren, zu konstruieren oder physisch zu besetzen. 53 Für einen ähnlichen Fall vgl. BA B, R 1501, Nr. 20456, fol. 371, Abschrift eines Telegramms des Konteradmirals Levetzow an seine „braven Truppen“ und den Chef der Admiralität in Berlin, Kiel 20. März 1920. Aufgrund der unsicheren Verhältnisse in Kiel versuchte Levetzow nach Berlin zu gelangen. „Nach der Probstei fuhr ich in meiner bisherigen Motrbarkasse [sic], nachdem ich im Hinblick der Unsicherheit der Lage einen Zivilüberzieher und Hut beschafft hatte. Meine Uniformzeichen habe ich mir später von der Jacke abgetrennt.“
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Markt umzukleiden“, um so zu „Mitkämpferinnen, Munitionsträgerinnen und Krankenschwestern“ zu werden.54 Die Ereignisse am Wasserturm wurden als besonders grauenhaft bezeichnet. Unbeteiligte Zuschauer mussten das Geschehen von den gegenüberliegenden Fenstern aus beobachten. Auch hier spielt wiederum Kleidung eine wesentliche Rolle, denn einige Verteidiger des Turms konnten nur entkommen, weil sie Zivilkleidung angelegt hatten. Ein betrunkener „Roter“ wurde dabei beobachtet, wie er auf dem Turm stehend schrie „Ich bin Wittener. Ich schieße euch alle über den Haufen!“. Selbstverortungen funktionierten offenbar über Kleidung und die Zugehörigkeit zur Heimatstadt. Die Vorgänge in Essen machen deutlich, dass eine einheitliche Front zwischen Arbeitern und Militär oder paramilitärischen Gruppierungen nicht immer eindeutig aufrechterhalten werden konnte. Hier kämpften auch Arbeiter gegeneinander, die sich durch andere Formen der Gruppenzugehörigkeit voneinander abgrenzten.55 Die Essener Sicherheitswehr war fast ausschließlich aus Arbeitern zusammengesetzt. Spethmann spricht von schätzungsweise 450 Sozialdemokraten und 150 Anhängern der Christlichen Gewerkschaften.56 Sowohl die Rote Armee, als auch die Reichswehr versuchten mit eigenen kommunikativen Strategien ihre Rollen während der Auseinandersetzungen zu rechtfertigen, wie aus dem folgenden Aufruf der Roten Armee zu entnehmen ist: „An Alle! Der Bevölkerung wird zur Kenntnis gebracht, daß die Rote Armee keine Greueltaten und Rohheiten begangen hat. Die Reichswehrtruppen dagegen haben in der unmenschlichen Weise die festgenommenen Geiseln und die in Gefangenschaft geratenen Soldaten der Roten Armee behandelt. Die Geiseln wurden mit ausgespreizten Beinen über die Maschinengewehre gestellt und dienten somit als Deckung der Maschinengewehr-Schützen. Die Gefangenen wurden in Strohhaufen gesteckt und bis zur Verkohlung verbrannt, andere, mit den Füßen nach oben, aufgehängt, ihre Leiber aufgeschlitzt und die Därme herausgenommen; vorher wurden sie in der brutalsten Weise mit Gewehrkolben mißhandelt. So haben Reichswehrtruppen gegen ihre eigenen Landsleute gehandelt. […] Der gesamten Bevölkerung wird gerechter Schutz durch die Rote Armee zugesichert, wenn sie sich loyal verhält und die Waffen streckt. Keine Rache, keine sonstigen Strafen wird die Rote Armee verhängen. Wir kämpfen nur für unsere Ideale, das die der ganzen Menschheit sein müßten, für ein freies Volk auf freiem Grunde.“57
Der Kapp-Putsch und die Märzaufstände hatten den städtischen Raum zu einem gefährlichen Raum für die Bevölkerung werden lassen. Hilfspolizeiwachtmeister Blank beschreibt die unhaltvollen Zustände nach seiner Rückkehr nach Essen am 4. April 1920. Gemeinsam mit dem Schlächtergesellen Karl Düsterhöft berichten sie als Augenzeugen über die „Rohheiten“ der „Spartakisten“. Als diese einem Beamten der Sicherheitswehr im Postgebäude zuhilfe kamen, sei er durch einen „Spartakisten“ massiv am Kopfe verletzt worden, obwohl er sich nicht am Kampf beteiligt habe. Beim Verbinden der Kopfverletzung trat ein Führer der „Spartakisten“ an
54 55 56 57
Spethmann, Die Rote Armee an Ruhr und Rhein, S. 77. Vgl. Spethmann, Die Rote Armee an Ruhr und Rhein, S. 80. Vgl. Ebd., S. 80. Aufruf der Roten Armee vom 20. März 1920 zit. nach Spethmann, Die Rote Armee an Ruhr und Rhein, S. 83.
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ihn heran und wollte ihn mit einer Mauserpistole erschießen.58 Durch gutes Zureden habe Düsterhöft es geschafft, den Verwundeten, ausgestattet mit einer Postbeamtenmütze und einem Postbeamtenrock durch die Menge zu schleusen und ihn in die vermeintlich sichere Nähe des Essener Bahnhofs zu bringen. Genau wie bei den oben geschilderten Vorgängen wird auch anhand dieses Falls deutlich, dass das Tragen von Zivilkleidung oder Arbeitskleidung als Strategie eingesetzt wurde, um einem Kampfgeschehen unverletzt entkommen zu können.59 Düsterhöft musste sich größten Gefahren ausgesetzt gesehen haben. Während er den Sicherheitspolizeibeamten im Gebäude der Post verband stellte das Postgebäude für ihn keine Sicherheit mehr dar, denn selbst sich in der Nähe aufhaltende Unbeteiligte wurden in das Geschehen involviert.60 Der Generalstreik im Zuge des Kapp-Putsches lähmte das Leben im städtischen Berlin. Als sich Kapp und seine Truppen am 18. März zurückzogen, kam es während dieser Bewegungen zu blutigen Kämpfen mit den Putschistentruppen, die abziehenden Freikorps wurden beschossen. Die bisherigen Kräfte der Ordnung offenbarten sich nun als Putschisten und Unruhestifter, während sich die oppositionelle Massenbewegung radikalisierte und sich wieder einmal die Grenzen zwischen den sozialen Formationen verschoben. Adolf Wermuth, Oberbürgermeister der Stadt Berlin stellte sich in diesen Tagen als Vermittler heraus, der offenbar versuchte zwischen dem Streikkomitee und der Regierung zu verhandeln, um die Lebensmittelversorgung entscheidend zu verbessern.61 Ein Verhandeln unter den Augen der Öffentlichkeit war nicht möglich, die Verhandelnden mussten sich „wie die Verschwörer bis in die tiefe Nacht hinein beim Licht einer Kerze“ in den Räumen des alten Ephraimschen Palais am Molkenmarkt und der Poststraße verstecken.62 Die Mitglieder des Streikkomitees wechselten täglich ihren Aufenthaltsort und blieben zudem ihren Wohnungen fern. Sie waren nur unter Deckadressen zu erreichen. Die Stimmung unter den Streikenden drohte zu eskalieren, denn man würde sich auch nicht mehr durch Hunger oder Hungerdrohungen vom Streiken abhalten lassen. Die Verhandlungen umfassten die Frage, ob die Milchzufuhr nach Berlin abgeschnitten werden sollte. Gegen diese Aktion und dem nicht vorhersehbaren Ausmaß gerade für die Arbeiter stellte sich Wermuth entschieden entgegen. Wermuth gelang es, in den Verhandlungen die Sicherstellung Berlins mit notwendigen Lebensmitteln zu 58 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 2, ohne fol., Abschrift Gruppenstab Münster Schutzpolizei Abteilung Major Altrogge an Hauptmann von Hanstein Wehrkreiskommando VI. vom 30. März 1920. 59 Vgl. Schulte, Münstersche Chronik zu Spartakismus, S. 301. Ähnliches berichtet Schulte über Heinz Kölpin. Dieser habe als Kundschafter gegen die Spartakusgruppe sich des „Räuberzivils eines Metzgers“ bedient, „in dem er bereits im Weltkriege für die Spionageabwehr besonders in Holland gearbeitet hatte“; vgl. Kessel, Handgranaten und rote Fahnen, S. 234f. Auch Harry von Kessel bewegte sich während einer Demonstration am 13. März 1920 in Berlin in Zivil, so dass niemand erkennen konnte, dass er zur neuen Sicherheitspolizei gehörte. Er selbst schlussfolgerte, dass, falls er erkannt würde, von ihm „kein Fetzen mehr übrig“ bliebe. 60 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, ohne fol., Nachrichtenblätter der Wehrkreiskommando VI, Nr. 2, Münster 6. April 1920. 61 Wermuth hatte das Amt vom 1. September 1912 bis zum 25. November 1920 in Berlin inne. 62 Vgl. hier und im Folgenden Wermuth, Ein Beamtenleben, S. 433.
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gewährleisten. Die mit dem Abbruch des Generalstreiks einhergehenden Auswirkungen auf das Berliner Stadtbild brachten nicht nur Wermuth in brenzliche Situationen, denn gerade im Norden und Osten Berlins „verschärfte sich die Absperrung durch rotbindige Haufen.“63 Wermuth schildert nun recht anschaulich, dass auch er „mehrere Tage mit einem Auto des Rettungsdienstes und schließlich sogar mit einem Krankenwagen, der [ihn] als Schwerkranken wohlbehalten nach dem Rathaus brachte, mühsam zum Dienste durchschleichen“ musste. Auch der Oberbürgermeister konnte also in der „Verkleidung“ eines Schwerverletzten eines symbolischen Codes bedienend ins Rathaus gelangen, während erbitterte Gefechte in Adlershof, Spandau, Gesundbrunnen und Weißensee wüteten. Die kurze Herrschaft unter den Kapp-Putschisten hatte das Raumgefüge entscheidend verändert.64 Es glich einem Kriegsschauplatz, auf dem man sich nicht mehr gefahrlos bewegen konnte, gerade wenn man einer feindlichen Gruppierung zugeschrieben wurde.65 Das Einsetzen von Waffen und die Entstehung neuer Gefahrenräume führten dazu, dass die Bevölkerung sich alternative Strategien überlegen musste, wie sie sich relativ gefahrlos fortbewegen konnte.66 5.2 „DIE ZEICHENSPRACHE DER REVOLUTION“ – MARKIERUNGEN DES ÖFFENTLICHEN RAUMES Am 28. Juni 1919 titulierte die Arbeiter-Zeitung einen ihrer Artikel mit der Aufforderung „Schmelzt die Denkmäler ein!“67 Da Kupfermangel herrschte, war es zu Defekten bei den Lokomotiven gekommen, so dass diese nicht mehr sachgemäß hatten repariert werden können. Die Aufforderung in der Arbeiterzeitung mag daher ideologisch gefärbt sein und zynisch erscheinen, sie verdeutlicht jedoch, welche Bedeutung die symbolische Repräsentation des vergangen Kaiserreichs durch die unterschiedlichen Medien in der Öffentlichkeit noch hatte. Im Artikel der ArbeiterZeitung heißt es weiter: „Und dabei haben wir noch solch’ riesige Kupfermengen! Fast jede Stadt hat ein oder mehrere Denkmäler solcher Personen, die nicht einmal verdient haben, daß sie in Stein ausgehauen, geschweige denn in Kupfer modelliert werden. Ich denke da an die vielen ‚Wilhelms‘, die noch zu Roß überall zu sehen sind. Was sollen wir damit? Für einzelne wenige eine Kultur treiben?
63 Hier und im Folgenden Wermuth, Ein Beamtenleben, S. 433. 64 Zu Beginn der Revolution war es noch möglich gewesen mit Pässen und unterschiedlichen Unterschriften durch die verschieden abgesperrten Bezirke zu gelangen. „Mit Müllers Unterschrift kam ich mindestens soweit wie mit denen der anderen Machthaber. Zudem hatte man meinem Fahrer eine rote Flagge mitgegeben. So gelangte ich, ein halbdutzendmal angehalten und bedroht, dennoch unbeschädigt nach der Mohrenstraße.“ Vgl. Wermuth, Ein Beamtenleben, S. 416. 65 Vgl. Büsch, Berlin als Hauptstadt, S. 34–44. 66 Auch die Zeitungen konnten erst elf Tage nach Beginn des Kapp Putsches wieder erscheinen. Vossische Zeitung, Nr. 135–154, 24. März 1920. „Maschinengewehrfeuer trieb die Menge auseinander.“ 67 Arbeiter-Zeitung Nr. 148 vom 28. Juni 1919.
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5. Symbolische Repräsentation, kulturelle Codes und kommunikative Strategien Ich sage: ‚Herunter mit den Denkmälern!‘ Rein in den Schmelzofen, daß sie geläutert werden von dem Götzendienst, den man mit ihnen trieb!“68
Dass eine symbolische Repräsentation des Kaiserreichs nach der politischen Umwälzung durch die Revolution auch in weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurde, wird an den zahlreichen Zuschriften an die neu geschaffene Informationsstelle der Reichsregierung beim Reichskanzler deutlich. Die Zuschriften enthielten Äußerungen, Beschwerden oder Aufrufe, die Symbole und Zeichen des Kaiserreichs aus dem öffentlichen Raum der Stadt entfernen zu lassen. Im Gegenzug sahen viele die Revolution noch nicht genügend durch eine ähnliche Symbolik im öffentlichen Raum repräsentiert, wie beispielsweise dem folgenden Schreiben an die Informationsstelle der Reichsregierung und dem Reichskanzler zu entnehmen ist: „Von der Revolution im Deutschen Reiche sieht der Fremde nur in den Grosstädten ein paar rote Fähnchen, sonst merkt aber weder er, noch der Einheimische von einer Veränderung so gut, wie nichts. […] Kommt man an Staatsgebäuden vorbei des glücklich überwundenen Königreichs, so sieht man immer noch ein Königliches Amtsgericht, ein Kaiserliches Postamt, die Hoflieferantenwappen glänzen in alter Pracht an den Läden. Das Scheckamt, das Briefpostamt versenden immer noch ihre Kaiserlichen Briefe.“69
Dass die Zeichen des Kaiserreichs trotz Revolution noch an vielen Stellen der Stadt präsent waren, versetzte offenbar nicht wenige Menschen in höchste Erregung. Polemisch anmutende Forderungen erreichten die Informationsstelle mit teils drastischen Inhalten, dass die „bilder der hohenzollernschen verbrecherfamilie aus sämtlichen schulzimern und öfentlichen lokalen enfernt werden“ [sic] sollten.70 Noch ein Jahr nach Ausbruch der Revolution fasste der Minister für Volksbildung ergänzende Beschlüsse, dass die Bilder der letzten Kaiser und des Kronprinzen aus den Schulen zu entfernen seien, jedoch nicht „solche von Persönlichkeiten, deren Wert und Bedeutung unabhängig von ihrer Beziehung zu der jeweiligen Staatsautorität geschichtlich feststeht.“71 Die Revolution kann nicht nur als ein Kampf um physische Territorien, dem Besetzen von wichtigen Häusern, strategischen Verkehrsknotenpunkten und repräsentativen Bauten interpretiert werden, sondern auch als eine Auseinandersetzung um diejenigen Symbole, welche die neue Zeit im öffentlichen Raum repräsentierten. Neben den politisch massenwirksamen Symbolen waren jedoch auch Symbole für bestimmte soziale Formationen in Gebrauch, die nur von diesen entschlüsselt werden konnten und durch ihre Codierung der Öffentlichkeit vorenthalten blieben. In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 1919 trafen sich Kommunistenführer in einem Waldstück zwischen der Zeche Hugo III und Nordstern Schacht III in der
68 Ebd. 69 BA B, R 705, Nr. 16, Schreiben A. Wilken an Reichskanzler, Schmachtenhagen bei Oranienburg 22. Dezember 1918. 70 Ebd., Nr. 15, Schreiben Josef Weisgärber an Reichskanzler, Halle 14. November 1918. 71 Vossische Zeitung Nr. 512 vom 8. Oktober 1919. Nach § 527 BGB konnten die Bildnisse nicht mehr Schulzwecken gewidmet bleiben.
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Nähe des westfälischen Gladbeck im nördlichen Ruhrgebiet. Etwa 24 Personen entschieden offenbar dort, dass in den kommenden Tagen eine Aktion vorzunehmen gewesen sei. Mittels eines sogenannten „Vorspiels“ sollten in den umliegenden Städten die Märkte geplündert werden, ein Ort des alltäglichen Zusammenkommens der Menschen.72 Nur durch die Aufmerksamkeit der Polizei, die überall starke Präsenz zeigte, konnte diese Aktion vorläufig verhindert werden. Ein „erster Stoß“ sollte gegen die Städte Buer und Horst gerichtet werden. Da hier vor allen Dingen die Postämter besetzt werden sollten, wird deutlich, dass die Kontrollhoheit über jegliche Kommunikationswege zu anderen Städten oder dem Umland ein prioritäres Ziel der Kommunisten darstellte. Um die Aktion nicht zu gefährden, kommunizierten die Einheiten mit geheimen Zeichen, „die unauffällig, als wenn es Kinder getan hätten an die Zechentüren und auf öffentlichen Plätzen angebracht werden sollen.“73 An Türen oder Säulen des öffentlichen Raumes waren mittels roter Farbe bestimmte Zeichen angebracht worden, die auf verschiedene Dringlichkeitsgrade hinwiesen. Benutzte der „Zeichner“ eine Kreidefarbe, so wies der Code auf den nächsten Tag für eine anstehende Aktion hin. Noch präziser konnte man auf die Zeit verweisen, wenn das sternenförmige Zeichen wie in obiger Zeichnung zur Besetzung der Stadt Buer zu sehen, zusätzlich zur Farbe angebracht wurde. Die Ziffern in einem sternförmigen Symbol bedeuteten somit 11.15 Uhr. Der mit der Ziffer II beschriebene Angriffsplan der „Spartakisten“ gegen die Stadt Buer zeigt zudem, dass Aktionen in größeren Gruppen aufgrund des bestehenden Risikos nicht durchgeführt werden konnten, weshalb man die „Spartakisten“ in viele kleinere Gruppen á 100 Mann aufteilte, um dann gleichzeitig von mehreren Richtungen in die Stadt vorzurücken. Aufgrund der nicht vollständig durchgeführten Waffenabgabe hatten sich bewaffnete „Haufen“ an vielen Orten zusammengefunden, woraufhin in den Städten vielfach in Zivil gekleidete Beamte ihren Dienst taten, um die Sicherheit jedenfalls teilweise gewährleisten zu können. Dieses ist vielfach für die Auseinandersetzungen während der Anfangstage des Kapp-Putschs ebenfalls zu beobachten.74 Welchen Stellenwert symbolische Codes besaßen wird auch in den Auseinandersetzungen im Bezirk Hagen deutlich. Dort hatten Arbeiter ihre roten Armbinden gegen weiße getauscht, um die Reichswehrtruppen zu täuschen und suggerierten, dass sie auf dem Boden der Verfassung stünden. Das Militär vermutete darüber hinaus, dass russische Offiziere in Uniform an den Kämpfen im Industriebezirk
72 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 295, ohne fol., Bericht des Agenten A. W. 14 zu Gladbeck, Münster, den 8. Juli 1919. 73 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 295, ohne fol., Bericht des Agenten A. W. 14 zu Gladbeck, Münster, den 8. Juli 1919. 74 Hier und im Folgenden vgl. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 244, Nachrichtenblatt des Wehrkreiskommandos VI für die Truppen Nr. 23, Münster 10. April 1920.
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teilnahmen und ihre Erfahrungen aus der Russischen Revolution so in die Rote Armee mit einfließen ließen.75 Selbst ungewöhnliche Maßnahmen wie im Falle des als „Kommunistenführer“ bekannten Dannenberg unter dem Decknamen Joseph Dellong oder wahlweise Delongville waren nicht unüblich, um eine verdeckte, nonverbale, auf Zeichen basierende Kommunikation aufrechterhalten zu können. Der in Bottrop als Gruppenführer der Roten Garde operierende Dannenberg versammelte in einer kurzfristigen Aktion 40 Männer um sich, die teilweise bewaffnet waren. Um diese Truppe zu vergrößern warb er in Bottrop und umliegenden Ortschaften um weitere Personen. Als Invalide nutzte er nunmehr sein rechtes Holzbein, um zu signalisieren, dass er auf offener Straße zur Kommunikation bereit sei, wenn er seine Krücke über seiner rechten Schulter trug, während zwischen den Versammlungslokalen seine Radfahrer als Verbindungsleute zur Übermittlung von Nachrichten fungierten.76 Um mit Zeichen im Stadtraum eine Botschaft zu vermitteln, wurden jedoch auch drastischere Mittel gewählt. So berichtet die Sicherheitspolizei über die Auswirkungen des Kapp-Putsches in Essen von grausamen Schilderungen von aus der Gefangenschaft zurückgekehrten Beamten aus ihren Reihen.77 Aus den Schilderungen geht hervor, dass die freigelassenen Beamten von dem „bewaffneten Gesindel“ angegriffen und „zur Sättigung ihres Rachedurstes“ einfach wieder irgendwo festgesetzt wurden. Über das Motiv der Rache hinaus, wurde jedoch von weiteren „unerhörten Grausamkeiten“ berichtet, als am Pferdemarkt in Essen, wo sich ebenfalls heftige Kämpfe abgespielt hatten, die Aufrührer nach Mitteilung eines Augenzeugen, den am Boden liegenden und verwundeten Beamten der Sipo mit den Stiefeln den Kopf zertreten haben sollen. Ein in Düsseldorf von den Aufrührern festgenommener Beamter der Sipo berichtet in diesem Kontext, dass er am 26. März im Ständehaus eine Krankenschwester beobachtete, welcher von der grünen Polizei die Brüste abgeschnitten und sie selbst mit dem Kopf nach unten am Baum aufgehängt worden sei. Selbst wenn diese Vorwürfe sich nicht als haltbar erweisen würden, verdeutlicht die Szene jedoch, welche Vorstellung man von der Wirkung derartiger
75 Bereits am 20. März wurden auf einer Konferenz der sozialistischen Parteien des Industriebezirks in Hagen Richtlinien aufgestellt, die die vorläufige Waffenabgabe sämtlicher Reichswehrtruppen und die Entfernung sämtlicher Offiziere aus der Reichswehr regelten. Auch die grüne Polizei und Bürgerwehr sollten entwaffnet werden. Stattdessen war die Bildung eines Volksheeres vorgesehen, währenddessen die bewaffnete Arbeiterschaft die Sicherung der Ruhe und Ordnung im öffentlichen Raum gewährleisten sollte. Dabei sei „in allen Städten und Ortschaften Sorge zu tragen [gewesen], daß vorläufig nach diesen Grundsätzen verfahren [würde] und daß, um Überraschungen zu vermeiden, ein genügend starkes Aufgebot von bewaffneten Arbeitern zur jederzeitigen Verfügung der zentralen Kampfleitung [stünde].“ Vgl. Spethmann, Die Rote Armee an Ruhr und Rhein, S. 99f. 76 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 295, ohne fol., Bericht des Agenten A.W. 2 betreffend Gladbeck, Münster, den 7. Mai 1919. Vgl. auch LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 295, ohne fol., Bericht des Agenten A.W. 14 betreffend Gladbeck, Münster, den 15. April 1919. 77 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 132, Der Oberpräsident Kommando der Sicherheitspolizei, Abt. Z., Nr. 1201, Tägliches Nachrichtenblatt Nr. 10, Münster den 30. März 1920.
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Gewaltakte und misshandelter Körper als symbolisch stark aufgeladene Komponenten besaß, denn durch das Aufhängen des Körpers am Baum wurde jedem Vorbeikommenden dieser Akt der Gewalt öffentlich präsentiert.78 Die Repräsentation des Raums vollzog sich daher auch durch die Präsentation physischer Gewaltakte und deren Folgen vor einem öffentlichen Publikum.79 In der Quelle wird zudem davon berichtet, dass man mit allen Mitteln zum Erreichen der Ziele vorging. Dass die mediale Vermittlung von Gewaltakten im öffentlichen Raum offenbar als Mittel eingesetzt wurde, um die Bevölkerung zu verunsichern und eine Atmosphäre der Angst zu kreieren, kann aus den Berichten des Wehrkreiskommandos während des Kapp-Putsches rekonstruiert werden. In Recklinghausen seien „sogenannte rote Kreuzschwestern der roten Armee“ unterwegs gewesen, die sich auf Kosten der Stadt „bestes Schuhwerk“ von bis zu 600M pro Paar anfertigen ließen. Damit seien sie in der Stadt unterwegs gewesen, um die „Leichen gefallener roter Soldaten, [die] in der gemeinsten Weise von eigenen Leuten verstümmelt [wurden]“ zu fotografieren und „die so hergestellten Photographien als Flugblatt oder Ansichtskarte“ zu verteilen. So wollten sie offenbar auf die „Verstümmelung durch Reichswehrsoldaten“ aufmerksam machen.80 Ob der Fall lediglich als Diffamierung des politischen Gegners gewertet werden kann, ist für den hier gewählten Argumentationsgang nicht von entscheidender Bedeutung. Vielmehr rückt dieses in der Quelle beschriebene Phänomen als eine Form der Raumrepräsentation in den Fokus der Analyse und zeigt, dass diese Form für die Akteure von Bedeutung gewesen sein muss. Die Konstruktion einer Drohkulisse konnte daher auch auf dieser symbolisch medialen Ebene funktionieren. Ähnliche Warnungen klingen auch im Erinnerungsbericht Franz Ellrichs an, welcher von einer neugierigen Menschenmenge, die sich auf dem Augustusplatz eingefunden hatte, um eine am mittleren Fahnenmast angebrachte Puppe zu bestaunen. Dort, wo sonst die „siegreichen Fahnen des kaiserlichen Deutschland“ hingen, wurde der Öffentlichkeit jetzt eine lebensgroße Puppe mit folgender Inschrift präsentiert:
78 Zur Repräsentation politischer Gewalt in der politischen Tagespresse vgl. Schumann, Politische Gewalt in der frühen Weimarer Republik, S. 308. Schumann kommt zu dem Ergebnis, dass die politische Gewalt dieser frühen Jahre „zum Anlass einer dramatisierenden und mit neuartigen Argumenten und Metaphern arbeitenden Berichterstattung und Kommentierung in der Tagespresse“ wurde. 79 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 237, Einzeldarstellungen und Greueltaten der roten Armee im Industriegebiet mit Zeugenaussagen, ohne Datum. Nachdem die Sicherheitswehr nach den Kämpfen um den Essener Wasserturm gefangen genommen wurde, mussten sie „etwa eine Stunde lang die Hände hochhalten und das Lied singen: ‚Ich habe mich ergeben.‘“ Neben diesem Akt der psychisch-seelischen Gewaltausübung wurden sie offenbar geschlagen, getreten und bespuckt. 80 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 156, Staatstelegramm Oberpräsident an Reichskanzler, Reichsminister des Innern, Preußischer Innenminister, Berlin 2. April 1920.
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5. Symbolische Repräsentation, kulturelle Codes und kommunikative Strategien „Die [sic] Schiebern und Wucherern zur Warnung!“ Auch am Neuen Rathaus hatten Unbekannte einen Kater aufgehängt, der ein Schild trug mit der Inschrift „Warnung an den Oberbürgermeister, Wenn Du nicht sorgst wie unser Vater wirst Du gehängt wie dieser Kater!“81
Neben symbolisch stark aufgeladenen Botschaften bot der Stadtraum auch für verschlüsselte Kommunikationsformen eine geeignete Projektionsfläche. Während der Januarunruhen und der täglichen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und „Spartakisten“ machte sich in vielen Teilen Berlins eine gewisse Unsicherheit breit, denn in vielen Straßen des Berliner Westens waren seit einigen Tagen „an verschiedenen Häusern und neben den Namensschildern an einzelnen Korridortüren geheimnisvolle Zeichen angebracht“, welche unter der Bevölkerung offenbar eine große Beunruhigung hervorgerufen hatten. Diese Zeichen bestanden zum großen Teil aus Kreisen mit einem senkrechten Strich, oder Dreiecken, welche manchmal auch mit Buchstaben versehen waren. In der Vossischen Zeitung wurde dahingehend spekuliert, diese Zeichen als Wegweiser anzusehen, die „plündernde Kolonnen“ darstellten.82 Vielerorts wurden „in rätselhafter Weise Wohnungen gekennzeichnet“, welches insgesamt als Warnung zu interpretieren sei.83 In vielen Straßen, besonders im Westen, waren an den Eingangstüren neben den Namensschildern kleine Zeichen angebracht. Namensschilder von einzelnen Hausbesitzern waren mit Fragezeichen versehen, während die anderen Schilder mit Kreisen mit und ohne diagonale Linie gekennzeichnet, andere wiederum mit Dreiecken beschriftet waren. Auch andere Buchstaben wie „R. S.“ oder „M“ fand man neben den Schildern vor. Auch hier vermutete man in der Öffentlichkeit, dass diese Zeichen als Wegweiser für die „ausübenden Organe“ vermutlich zum Zwecke geplanter Plünderungen dienten, weshalb die Bewohner angewiesen wurden, die Zeichen zu entfernen. Diese Form stellte somit eine anonyme Kommunikation dar wie sie ebenso in Form verschlüsselter Information beim Militär genutzt wurde.84 Jene Form von geheimer Kommunikation mittels Verschlüsselung von Informationen in Codes, die wiederum vom Nachrichtenempfänger decodiert werden mussten, hatte sich auch nach der Revolution bei den Militärbehörden verstetigt. Um den Nachrichtenverkehr zwischen der Sicherheitspolizei und den Zivilbehörden geheim zu halten, bedienten sich diese eines Geheimschriftverkehrs, welcher mit Hilfe eines Sonderschlüssels codiert wurde und von der Empfängerseite in einem täglich wechselnden Verschlüsselungscode wieder decodiert werden konnte. Das Militär ging so davon aus, gerade gegen die zunehmend besser organisierten roten Truppen im
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BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 1604, fol. 1, Erinnerungsbericht Franz Ellrich. Berliner Tageblatt Nr. 14 vom 15. Januar 1919. Vossische Zeitung Nr. 43 vom 24. Januar 1919. Hier und im Folgenden vgl. StAM, Amt Roxel A Fach 52, Nr. 6, fol. 12, Schreiben Meldestelle für den Regierungsbezirk Düsseldorf, St. Nr. 2290/22, an Oberpräsident Münster, Essen 21. Mai 1922. Auch nach der Revolution häufen sich Fälle, in denen Unbekannte handschriftlich angefertigte Plakate an die Hauswände geklebt hatten. In der oben genannten Quelle wird von Plakaten in Elberfeld berichtet, mit deren Inhalt aufgefordert wurde, die „unsinnigen Steuerforderungen“ nicht mehr zu bezahlen.
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Ruhrgebiet effektiver vorgehen zu können und so den Kommunikationsraum sicher zu gestalten.85 5.3 DIE PLURALITÄT DER FLUGBLÄTTER- UND PLAKATKULTUR Eine zunehmende Visualisierung der Weimarer Kultur war bereits durch den Ersten Weltkrieg und die Kriegspropaganda stimuliert worden.86 Neben der Manifestierung im Film, gewinnt auch die visuelle Repräsentation des Stadt- und Revolutionsraums zunehmend an Bedeutung.87 Bereits im Winter des Jahres 1917 hatte die Hafenüberwachungsstelle Stettin mehrere Fischkonserven beschlagnahmt, in deren Kisten Flugblätter mit der Aufschrift „Vier Jahre Blutdiktatur“ gefunden wurden.88 Die Anweisung an alle in Betracht kommenden militärischen Dienststellen, sowie alle Zivilbehörden und sonstigen „Bezieher“, die Kisten vor der Ausgabe an die Bevölkerung gründlichst zu kontrollieren, verdeutlicht, wie groß die Angst davor gewesen sein musste, wenn derartige „kriegsverhetzende Parolen“ an die Bevölkerung gelangen konnten. Die bereits angesprochenen Schmückungen der Bahnhofsgebäude und angrenzender Städte besonders für heimkehrende Soldaten, verdeutlicht dann umso mehr, wie wichtig die Ausgestaltung des öffentlichen Raumes, sowie die Kraft des Visuellen von den Zeitgenossen selbst eingeschätzt wurde. Dieser 85 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4634, fol. 7, Schreiben Oberpräsident Kommando der Sicherheitspolizei, Abtlg. Z. Nr. 171/20 pers., an nachgeordnete Dienststellen mit dem Vermerk diese Informationen nur mündlich weiterzugeben, Münster 20. Juni 1920; vgl. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4634, fol. 10f., Schreiben Oberpräsident Kommando der Sicherheitspolizei, Abtlg. Z. Nr. 203/20, an Truppen und Fliegerstaffel, Münster 18. August 1920. Dieser Ziochi-Schlüssel bestand aus einer zweizeiligen Tabelle mit 24 und 21 Zahlen. Nach einem bestimmten System hatte man kurze Nachrichten in dieser Zahlenreihe mittels eines bestimmten „Doppelwürfelverfahren“ zu verschlüsseln versucht. Die Schlüssel wechselten jeden Monat; vgl. hierfür LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4634, fol. 45–51, Schreiben Minister des Innern, Tgbch. Nr. 2998/19, an Kommando der Sicherheitspolizei RheinlandWestfalen, Berlin 17. Dezember 1919. Die Anlage enthält eine Anleitung zum Doppelwürfelverfahren nebst Beispielen. 86 Vgl. Kolb/Schumann, Weimarer Republik, S. 216. Für eine Geschichte der Medialisierung vgl. etwa Führer/Ross (Hrsg.), Mass media; vgl. Bösch/Frei (Hrsg.), Medialisierung und Demokratie; Knoch/Morat (Hrsg.), Kommunikation als Beobachtung; Führer, Auf dem Weg zur Massenkultur, S. 739–781. Die Forschung thematisiert dabei auch die Frage, wie Medien zur Auflösung traditioneller Milieus beitrugen. Dagegen wird in der These vertreten, dass sich der „innere Auflösungsprozess“ der Arbeiterkultur über die fehlende Kontrolle der neuen Medien erklären ließe. Vgl. Langewiesche, Politik – Gesellschaft – Kultur, S. 402. 87 Mergel, Propaganda in der Kultur des Schauens, S. 531–449. Siehe auch den umfangreichen Ausstellungskatalog des Hessischen Landesmuseums Darmstadt Schoch, Politische Plakate der Weimarer Republik. Vgl. etwa auch Unverferth, Vom „perfiden Albion“, S. 152ff. 88 Hier und im Folgenden BHStAM, MInn, Nr. 66283, ohne fol., Schreiben Königliches Staatsministerium des Innern an Präsidien der Königlichen Regierungen, betr. Bekämpfung von Unruhen, München 5. Januar 1918. Über dieselben Vorfälle wird auch berichtet in StAM, Amt Wolbeck B4, Nr. 6, ohne fol., Schreiben Kriegsministerium, Nr. 7520/17, geh. A. 1., an sämtliche preussische stellv. Generalkommandos, Berlin 13. Dezember 1918.
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Anstoß über den Stadtraum zierende Plakate mit „falschem Inhalt“ zeigt, dass auch auf dieser aus den theoretischen Überlegungen konstruierten „Raumebene“ Auseinandersetzungen um die symbolische Besetzung mit unterschiedlichen Medien während der Revolution geführt wurden. Mehrere Plakate mit folgendem Inhalt führten in den ersten Tagen des Dezembers zu Anstößigkeiten in der Öffentlichkeit: „Man ist lustig in Berlin, man tanzt. Metergrosse bunte Plakate pranken an den öffentlichen Anschlagssäulen, die ein flottes Tänzerpaar zeigen. Er im Frack mir roter Blume im Knopfloch, sie in der Bewegung sich ganz der Lust des Tanzes hingebend. ‚Bonbonnière‘ 5-Uhr-Tee mit Tanz!“89
Diese Information erhielt das Reichsamt des Innern von der Informationsstelle der Reichsregierung am 7. Dezember 1918. Der Verfasser van Santen hatte es für nötig gehalten diese Information dem Reichskanzler Ebert mitzuteilen, denn er glaubte offenbar, dass man als Berliner Bürger „beim Anblick dieses Plakats sich seine Gedanken macht und sich fragt, ob in diesem Augenblick, wo auf derselben Anschlagsäule weiter unten öffentliche Bekanntmachungen kleben, die zeigen, dass es mit der Ernährung furchtbar schlecht steht, ein Bild Berechtigung hat, das zum leichtsinnigen Vergessen einlädt.“
Der Verfasser musste sich offenbar wundern, ob die Berliner Bevölkerung dieser Anschläge würdig sei, weil es doch zweifelhaft erscheine, wenn man tanzt und gleichzeitig das Land der Deutschen todkrank sei. Die Wirkung, welche von diesem Bild ausging, muss van Santen vermutlich große Sorgen bereitet haben. Was würden die Feinde Deutschlands zu einem „Land ohne Würde“ gesagt haben. Sein Vorschlag war: „[M]an ahme Deutschlands grossen Dürer nach und setze dem Tänzer im Frack den Totenschädel auf. Die Frau kann bleiben, obwohl sie keine sehr würdige Vertreterin der Berolina ist.“ So wäre der Platz an der Säule wenigstens nicht verschwendet und das Bild würde zum Nachdenken anregen und „all denen, die die Ordnung stören wollen, das wahre Gesicht dessen zeigen, was ihnen bevorsteht, wenn sie nicht von ihrem verbrecherischen Tun ablassen.“
Die Vossische Zeitung veröffentlichte einen Artikel, der die Situation im Winter 1918/19 recht anschaulich beschreibt. Neben der „Volksrede unter freiem Himmel“ und der „Kleinagitation der Straße“ überfluteten neuerdings „Flugblatt und Maueranschlag, früher gehemmt und geknebelt“ als „Methoden der Waffenmitteilung“ die Stadt, welche einst „Unmöglichkeiten“ darstellten und nun zu „Dinge[n] des Alltags“ wurden.90 In dem „Kampf und die Wirrnis der Berliner Straße“ habe es „Leben und Farbe, Reiz und Anmut“ gebracht, während es den Versuch gebildet habe, „den wütenden Streit der Meinungen in freieren und feineren Formausdruck zu heben.“ Die anfänglich eher bildliche Darstellungen abbildende Parolen nach Frieden und einer neuen Ordnung rufend, wichen einer zunehmenden Dominanz des „Wortplakats“, indem man „dem Vorübergehenden […] Wahrheiten einhämmer[te] und wandte sich an seinen Verstand, nicht an sein Auge.“ Die Kraft des 89 Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 112477, fol. 3, Schreiben H.N. van Santen an Reichskanzler Ebert, Berlin 6. Dezember 1918. 90 Hier und im Folgenden Vossische Zeitung Nr. 34 vom 19. Januar 1919.
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Visuellen war in diesen Tagen offenbar noch nicht vollends ausgeschöpft worden. Ein in den letzten Tagen auf Berlins Litfaßsäulen angebrachtes Plakat zeigte eine gekrönte Frau, die mit einem Skelett tanzte. Daneben war in großer Schrift der Spruch positioniert: „Berlin, halt ein, besinne Dich! Dein Tänzer ist der Tod.“ Während der Text übergroß anmutete, erschien die Zeichnung des Tanzpaares der Kritik des Verfassers nach zu „zag, zu leise und verschwand geradezu, schon im Druck, neben dem Text.“ Die Kraft und Wirkmächtigkeit des Visuellen sollte sich jedoch durch viele mediale Formen im Verlauf der Revolution erhöhen und zu einer probaten Mischung aus politischen Aufrufen in schriftlicher und visueller Form entwickeln. Zwischen dem 9. November 1918 und dem 31. Oktober 1919 wurden allein durch die Kommunisten 12.076.200 Flugblätter verteilt.91 Daneben wurden 1.342.200 Zeitungen gedruckt, die nicht zu den Tageszeitungen gezählt werden konnten. Mit 1.775.800 Broschüren kam noch ein weiteres schriftliches Medium hinzu, zu dem noch andere sich im Druck befindliche 558.000 Broschüren gezählt werden müssen.92 Die erfolgreiche Nutzung dieses Materials im Vergleich zu den erschwerten Bedingungen unter denen dieses hergestellt worden ist, wurde trotzdem als bescheiden eingestuft. Auch wirkte das Material oftmals nicht über die eigene Gruppierung hinaus, denn „politisch anders gesinnte und Indifferente“ wurden mit dem Agitationsmaterial kaum erreicht. Daher sei es besonders in den Ortsvereinen notwendig gewesen, egal wie klein diese auch gewesen seien, einen Verkäufer zu installieren, um das Material an der Basis zu verteilen.93 In den politischen Versammlungen oder den Gewerkschaftsversammlungen musste zudem ein „Kolporteur“ die Schriften zum Kauf anbieten. Während die Regierung im Verlauf der Januarunruhen zahlreiche Flugblätter auf den Straßen verteilen ließ, waren „zahllose Plakate an den Häusern und Anschlagsäulen [angebracht und] dienten dem gleichen Zweck. Meist war nicht ohne weiteres ersichtlich, wer dahinter steckte.“94 Die Zentrale für Heimatdienst, eine Informationsbehörde des Deutschen Reiches, hatte dabei mit roten Lettern verkündet: „‚Wir haben die Revolution gemacht, um den Krieg zu beenden. Spartakus will eine neue Revolution, um einen neuen Krieg anzufangen‘!“95 Vor 1918 war eine politische Plakatkultur aufgrund der Pressegesetzgebung kaum vorhanden. Die Weimarer Reichsverfassung hatte dahingehend die Freiheit der Meinungsäußerung
91 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 332, ohne fol., Rundschreiben Nr. 9 an die Ortsvereine vom 17. November 1919, betr. Literaturenvertrieb. 92 Vgl. Barth, Die Revolution 1918/19, S. 361–366. 93 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 332, ohne fol., Rundschreiben Nr. 9 an die Ortsvereine vom 17. November 1919, betr. Literaturenvertrieb. In der Quelle wird der Begriff der Literaturkolportage verwendet, das heißt man beachtete auch die eigentliche Bedeutung des Verbreitens von Gerüchten. Vgl. Schenda, Die Lesestoffe der Kleinen Leute. 94 Müller, Bürgerkrieg, S. 59. 95 Zit. nach Müller, Bürgerkrieg, S. 59; vgl. Wippermann, Politische Propaganda; vgl. auch Richter, Reichszentrale für Heimatdienst.
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in Wort, Schrift und Bild garantiert.96 Besonders in städtischen Räumen waren Wahlkämpfe vermehrt mittels Plakaten und Reden geführt worden.97 Dass die Medien auch durch eine visuell-räumliche Ausgestaltung Wirkung erzielen konnten, zeigt der Aufruf der Deutschen Volkspartei zur Einstellung von Hilfskräften für die Wahl zur preußischen Landesversammlung. Hier wurde der Text pyramidenförmig angeordnet und wies somit auf den Anlass hin, während mit dieser Ausgestaltung die Partei im Verhältnis zum übrigen Text proportional vergrößert wurde. Der Aufruf zu Wahlen, die Anwerbung von Einwohnerwehr- oder Freikorpsmitgliedern, die Ankündigung von Versammlungen bis zur Diffamierung des politischen Gegners, all dieses wurde durch die mediale Ausgestaltung des öffentlichen Raumes angekündigt und verlieh dem Raum seine eigene Sprache.98 Welche drastischen Ausmaße dies annehmen konnte, wird zum Ende der Revolution hin deutlich. Wie bereits oben angesprochen war es während der großen Auseinandersetzungen gut bewaffneter roter Arbeitertruppen und dem Militär im Ruhrgebiet des Jahres 1920 dazu gekommen, dass Leichen „gefallener roter Soldaten in der gemeinsten Weise von eigenen Leuten verstümmelt wurden, in diesem Zustand photographiert und die so hergestellten Photographien als Flugblatt oder Ansichtskarte durch rote Kreuzschwestern der roten Armee unter Angabe verbreitet, dass die Verstümmelungen durch Reichssoldaten erfolgt sei.“99 Die visuelle Ausgestaltung des öffentlichen Raumes war somit eng an Zuschreibungsprozesse der sozialen Formationen gebunden.100 War zu Beginn der Revolution noch die Zeitung das dominierende Medium, um die Bevölkerung mit Informationen zu versorgen, erkennbar an den umfangreichen Besetzungsaktionen der Zeitungsredaktionen als frühe revolutionäre Handlungen, wurde dieses Tableau an Informationsmedien mit revolutionärem Inhalt sukzessive erweitert.101 Die große Masse an Plakaten und Inschriften hat im Verlauf 96 WRV vom 11. August 1919, Art. 118 beinhaltet, dass jeder Deutsche das Recht habe, „innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder sonstiger Weise frei zu äußern.“ Eine Zensur war daher nicht mehr vorgesehen, wenngleich zur Bekämpfung bestimmter Lichtspiele oder der „Schund- und Schmutzliteratur“ Maßnahmen vorgesehen waren. 97 Fritzsche, Did Weimar Fail?, S. 645. Einen chronologischen Überblick der Visual History bietet Paul, Von der Historischen Bildkunde, S. 7–36. 98 Rote Fahne Nr. 10 vom 10. Januar 1919. Die Rote Fahne nutzte beispielsweise manchmal den unteren Bereich der ersten Zeitungsseite, um auf bestimmte Aktionen aufmerksam zu machen, wie beispielsweise zu den Wahlen gehen zu sollen. 99 BA B, R 1501, Nr. 20456, fol. 432, Telegrammabschrift des Regierungspräsidenten Münster an Staatskommissar für öffentliche Ordnung 410/400, Berlin 2. April 1920. 100 Zur Macht der Medien und Bedeutung von Bildern Bavaj, Revolutionierung der Augen, S. 81– 100. 101 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 327, Abschrift I M 34. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung U IK Nr. 9166. 1. an die Reichsregierung, Berlin 11. Dezember 1918. Diese Erkenntnis hatte das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung bewogen, eine zentrale Stelle zur Sammlung von Plakaten, Flugblättern und Revolutionsliteratur in der Staatsbibliothek Unter den Linden einzurichten. Vgl. beispielsweise die Gründung von parteinahen
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der Revolution das Straßenbild entscheidend verändert, weshalb in manchen Fällen seitens der Stadt versucht wurde gegen jene „Verunstaltung des Straßenbildes“ vorzugehen.102 Da sich diese Fälle häuften, zog dieses diverse Forderungen nach einer einheitlichen Regelung gegen diese „Verunstaltungen“ nach sich.103 Ähnlich wie im Falle der Zerstörung des Stadtraumes, welcher durch das Tumultschadensgesetz nicht mehr einheitlich geregelt werden konnte, war auch die mediale Besetzung des Raumes regelungsbedürftig.104 Beide mit dem Raum in Verbindung stehende Probleme führten durch die Forderung nach einer an die Umstände angepassten Gesetzgebung zu historischer Veränderung. Auch die Zeitungen waren sich des Effekts besonderer visueller Hervorhebungen bewusst, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Die Extrablätter des Vorwärts unternahmen hier als eine der ersten Zeitungen den Versuch, den zur Verfügung stehenden Raum bewusst mit unterschiedlichen Schriftgrößen zu nutzen, um bestimmte Inhalte zu verstärken. Die Flugblätter waren in diesem Kontext diejenigen Medien, die am schnellsten die rückkehrenden Soldaten über die Abdankung des Kaisers informierten. Auch konnte man so unmittelbar Werbung für das eigene Lager betreiben und Akteure in die sozialen Formationen integrieren. Den öffentlichen Raum durch Statements und Aufrufe mittels eigener Medien zu besetzen wurde quer durch alle politischen Lager praktiziert.105 Diese Auseinandersetzungen
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Blättern wie „Der Firn – Sozialistische Rundschau über das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben.“ Die erste Ausgabe erschien am 1. Oktober 1919. StAL, NA Abt. 16, Nr. 181, ohne fol. Regierungspräsident Arnsberg, I 4 No. 1974 I, an Magistrat Brambauer, Arnsberg 21. Oktober 1920. Der § 3 des Gesetzes gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. Juli 1907 regelte, dass allein die Gemeinden die Befugnis hatten, durch „Ortsstatut das Orts- und Strassenbild gegen die Verunstaltung durch Reklameschilder, Schaukästen, Aufschriften und Abbildungen zu schützen“. StAL, NA Abt. 16, Nr. 181, ohne fol., Schreiben Siedlungsverband an Ortsbehörden, betr. Zusatz zur Verordnung gegen Verunstaltung, Dortmund 27. Dezember 1920. „Auf Grund des § 6 des Gesetzes gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. Juli 1907 – Preußische Gesetzsammlung S. 260 – und des § 25 Absatz 3 Ziffer 4 und § 26 des Gesetzes betr. die Verbundsordnung für den Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk vom 5.5.1920 wird mit Zustimmung des Verbandsrates folgendes angeordnet. Mittels der baupolizeilichen Genehmigung konnten Bauten oder bauliche Veränderungen versagt werden, wenn dadurch das Landschaftsbild durch Verwendung anderer Baustoffe beschädigt werden konnte.“ Preußische Gesetzsammlung, S. 199f., Nr. 3251. Gesetz, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens vom 11. März 1850. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21642, fol. 61, Plakat „Brutus schläfst du?“ Mit derartigen Plakaten wurde der Versuch unternommen, im Lager des politischen Gegners, in diesem Fall die bei den Arbeiter- und Soldatenräten, für die eigene Weltüberzeugung zu werben und Einfluss auszuüben. Archivalisch überliefert ist Agitationsmaterial für alle politischen Richtungen. Für die revolutionäre Arbeiterbewegung mit oft karikatureskem Charakter beispielsweise LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21581, fol. 41f., 90f., 125; vgl. etwa BA B, SAPMO, SgY 10, Nr. V236– 7–23, fol. 55f. Die Akten Nr. V236–7–28 und Nr. V236–7–29 enthalten umfangreiches Plakatund Flugblattmaterial mit jedoch schon angesprochener Dominanz des Textlichen. Für diese Bestände würde sich eine lexikometrische Analyse eignen, um die räumliche Anordnung und
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konnten einen Höhepunkt erreichen, wenn die Vernichtung des gegnerischen Agitationsmaterials als symbolischer Akt im öffentlichen Raum der Straße praktiziert wurde. Somit wurde die Rückeroberung des besetzten Raumes wie beispielsweise des Zeitungsviertels durch die Regierungstruppen vor den Augen einer Öffentlichkeit vollzogen.106 5.4 ZUSAMMENFASSUNG Mit den Analysen der Beispiele des Freiherrn von Salmuth, aber auch den Ereignissen rund um den Wasserturm in Essen oder der Tarnung des Oberbürgermeisters Adolf Wermuth konnte gezeigt werden, wie diese als paradigmatisch zu betrachteten Fälle die Verwendung spezifisch, symbolisch kultureller Codes beinhalteten, um ein neues Raumgefüge in den Städten während sozialer Unruhen überwinden zu können, während sie gleichzeitig zur Festigung einer Gruppenidentität beitrugen. Räume konstituierten sich demnach erst durch die Anwendung dieser symbolischen Codes, während diese sich durch die Wiederholung dieser Handlungen verstetigten. Die Kämpfe während der Revolution wurden hierbei nicht nur als Kämpfe um physisches Terrain gedeutet. Die Revolution besaß darüber hinausgehend eine zutiefst symbolische Dimension. Durch das Tragen bestimmter Kleidung und Accessoires, aber auch durch das Plakatieren des Raumes konnten temporäre Räume geschaffen werden, womit gegengelagerte Räume für eine kurze Zeit ihrer strukturgenerierenden Kraft beraubt wurden. Gleichzeitig beeinflussten diese symbolischen Kommunikationsformen jene Exklusions- und Inklusionsprozesse, welche für die Zusammengehörigkeit und das Gruppengefühl einer sozialen Formation von besonderer Relevanz waren. Trotzdem waren diese Aushandlungsprozesse immer fließend und unterlagen der stetigen Veränderung. Viele der benutzten symbolischen Codes mussten zunächst entschlüsselt werden. Dass der öffentliche Raum durch Statements und Aufrufe mittels eigener Medien zu besetzen versucht wurde, ist quer durch alle als politisch zu identifizierende Lager praktiziert worden. Häufig kulminierte dieses in Situationen, in denen die Zerstörung „fremder“ Medien als symbolischer Akt im öffentlichen Raum der Straße praktiziert wurde, die Rückeroberung des besetzten Raumes so vor den Augen einer Öffentlichkeit vollzogen wurde.
das Verhältnis verschiedener Begriffe untereinander zu analysieren, welches im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch nicht geleistet werden kann. 106 LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, Berliner Sturmtage. Eine kurze Geschichte der Januar Ereignisse, S. 23.
6. „DOING SPACE“ – SOZIALRÄUMLICHE PROTESTPRAKTIKEN Soziale Protestpraktiken als Teil der Alltagskultur werden „im Sinne eingelebter Umgangsweisen und regelmäßiger Praktiken der Gesellschaftsmitglieder“ zum zentralen Bezugspunkt von Kulturanalysen.1 Sich wiederholende Praktiken bilden anders als singulär praktizierte Handlungen erst Regelmäßigkeiten aus, die in gemeinsamen Handlungsgepflogenheiten dann eine soziale Praxis ausmachen können. Die Herausforderung einer Kulturanalyse besteht dann darin, die „unmittelbar verständliche[n] und vorhersehbare[n] Praktiken gerade nicht als unmittelbar verständlich und vorhersehbar zu begreifen, sondern die dahinterliegenden kulturellen Formen und Sinnbezüge herauszuarbeiten, die bewirken, dass Praktiken als unmittelbar verständlich und vorhersehbar wahrgenommen werden.“2
Dass diese Praktiken immer auch zu verorten sind, wird in einer Bindung an Orte deutlich oder lässt diese erst während der Handlungen entstehen. Auf der einen Seite kann diese „eher als heroische Einzeltat, als theatrale Inszenierung oder als rationale Wahl dem Subjekt“ zugeordnet werden, auf der anderen Seite kann nach ihrer strukturerhaltenden „Kraft, als durchgängige Ausführung von Regeln und Normen aus den objektiven Strukturen heraus“ gefragt werden.3 Die raumanalytische Lesart sozialer Protestpraktiken ermöglicht beides zugleich. Sie ist als „Scharnier zwischen dem Subjekt und den Strukturen angelegt und setzt sich damit von zweckorientierten und normorientierten Handlungstheorien gleichermaßen ab“. Das Regelmäßige, aber auch regelwidrige, das sich zugleich wiederholt, aber auch wiedersetzt, kann die Untersuchung sozialer Protestpraktiken während sozialer Unruhen lohnenswert werden lassen. Es waren Erfahrungen, welche die Akteure zuweilen binnen eines Tages machen konnten, „manchmal sogar regelrecht einverleibt“ wurden, welche „in der Praxis immer wieder neu eingebracht, erlebt und mobilisiert“ werden mussten. Streiks, Demonstrationen, Besetzungen und Plünderungen waren während der Revolution Teil alltäglicher sozialräumlicher Protestpraktiken geworden, die 1
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Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 10. Diese praxeologischen Ansätze, angelehnt an Michel de Certeau haben bisher auch in der Stadtforschung Anklang gefunden. Vgl. Breckner, Stadt und Geschlecht, S. 242f.; vgl. de Certeau, Kunst des Handelns, S. 101ff.; vgl. etwa auch Mein/Rieger-Ladich (Hrsg.), Soziale Räume und kulturelle Praktiken. Vgl. etwa Reichardt, Praxeologische Geschichtswissenschaft, S. 43–65, bes. S. 44. „Der Zusammenhang von körperlichen Verhaltensroutinen, kollektiven Sinnmustern und subjektiven Sinnzuschreibungen der historischen Akteure als auch die historische Verankerung ihrer Identitäten und Symbole wird zum zentralen Gegenstand der Analyse und Theoriebildung.“ Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 13; vgl. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 108. Hier und im Folgenden Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 13.
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6. „Doing Space“ – Sozialräumliche Protestpraktiken
manchmal sehr nahe beieinander lagen und fließend ineinander übergehen konnten, jedoch häufig in ihrer vermeintlichen Funktionslogik starke Differenzen aufwiesen, nicht zuletzt erkennbar in der unterschiedlichen Aneignung, Nutzung oder der geschlechtsspezifischen Nutzung von Raum.4 Wolfgang Maderthaner und Lutz Musner zufolge werden Unruhen als Ausdruck einer „kulturellen Formation von Differenz, Widersetzlichkeit und Aufbegehren, die sich linearen Ableitungen aus politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen entzieht“, thematisiert, sie daher aus kulturgeschichtlicher Forschungsperspektive lohnenswert erscheinen lässt.5 Der symbolisch und kulturelle Kampf um die „Besetzung des Stadtkörpers mit Bedeutungen und Wertigkeiten“ im „Prozess der Formierung und Ausdifferenzierung einer urbanen Moderne, ist jedoch immer auch eine Auseinandersetzung um konkrete Orte und der Ausübung von Macht.6 Dieser Kampf als „ein Wechselspiel von latenten und manifesten Momenten, von Stillstand und Bewegung, von vordergründiger Ruhe und plötzlichen, scheinbar unvermittelten Eruptionen der Gewalt“ ist Gegenstand des folgenden Kapitels.7 Während im dritten Kapitel der vorliegenden Untersuchung die Frage im Mittelpunkt stand, wer eigentlich für die Sicherheit und Ordnung des Raumes zuständig war, soll nun eine umgekehrte Perspektive eingenommen werden. Die ordnende Funktion für die Sicherheit in der Stadt wird daher nicht primär entlang der sozialen Formationen untersucht, sondern entlang der unterschiedlichen sozialen Praktiken und ihrem Verhältnis zu Raum und Räumlichkeit. Sozialräumliche Protestpraktiken dienten der Erschließung und Kontrolle von Räumen, aber darüber hinaus auch der Sinnstiftung und Abgrenzung zu anderen Formationen. Wenn Räume physisch besetzt wurden, konnten so symbolische Repräsentationen aufgebrochen und verändert werden.8 Die Kontrolle des Raumes durch kulturelle und kommunikative Strategien, aber auch durch verschiedene Mittel war nötig, um die Deutungshoheit zu erlangen, sowohl über den konkreten physischen Raum und seiner Materialität, als 4
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Vgl. von Saldern, Die Stadt und ihre Frauen, S. 6–16; McDowell, Gender, Identity and Places; Ryan, Gender and Public Access, S. 259–288; Bauriedl, Verkörperte Räume – „verräumte“ Körper, S. 130–137; Frank, Stadtplanung im Geschlechterkampf, S. 53–50; Davis, Reconsidering Habermas, Gender and the Public Sphere, S. 397–426. Hier und im Folgenden Maderthaner/Musner, Anarchie der Vorstadt, S. 34. BA B, R 705, Nr. 58, ohne fol., Die Informationsstelle der Reichsregierung verschickte im Zuge der revolutionären Unruhen gleich zu Beginn im November einen standardisierten Fragebogen an die verschiedenen Stadtverwaltungen. Diese sollten auf vier Fragen antworten: 1) Wer die ausübende Gewalt inne hatte, 2) wie der Pressedienst organisiert war, 3) wie die allgemeine Lage einzuschätzen war, besonders bezogen auf die Sicherheit, Verpflegung, Ruhe, Verkehrsverhältnisse, Dienstbetrieb, Einrichtung für Demobilisation, Verhalten der Soldaten in den Kasernen und auf den Straßen und 4) Besonderheiten zur Sache. Die Anordnung dieser Fragen folgte zunächst einem räumlichen Gliederungsprinzip. Vgl. Koller, Streikkultur, S. 39. Maderthaner/Musner, Anarchie der Vorstadt, S. 34. Damit wendet sich dieser Zugang gegen dualistische Logiken, die zwischen sozialer und kultureller Praxis unterscheiden. Vielmehr zielt der Argumentationsschritt auf die Frage, welche Differenzen zwischen und innerhalb einer Gruppe zu „Verunreinigungen“ oder „Synkretismen“ führen, die etablierte Vorstellung von Gruppenbindungen vermischen mit der „Kontingenz menschlicher Lebenspraxis“. Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 11.
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auch die symbolische Ebene. Sozialräumliche Praktiken sind daher dynamisch, das Handeln der Akteure bewegt Kultur.9 In ihnen wird gesellschaftliche Wirklichkeit weniger als „objektive Tatsache“, denn mehr als „interaktive Sache des Tuns“ beschreibbar.10 Die sozialräumlichen Protestpraktiken sind somit mit dem Kulturellen zwangsläufig verflochten. Protestpraktiken der Jahre 1918-1920 waren somit immer sozial und kulturell geformt, denn „soziale Praxis ist immer schon mit Bewertungen, mit Interpretationen, Selbst- und Fremddeutungen verknüpft, auch wenn diese eher unbemerkt und unreflektiert mitlaufen.“11 In der ständigen Wiederholung der gemeinsamen Handlungsgepflogenheiten sind soziale Praktiken auszumachen, welche sich dann in routinierte Formen transformieren und in eine Handlungsnormalität des Alltags überführt werden.12 Voraussetzung eines derartigen Zugriffs ist somit die Annahme, dass vorhersehbare und sowohl auf die Zeitgenossen als auch den ForscherInnen verständlich wirkende Praktiken eben nicht als solche wahrgenommen werden, sondern tieferliegende kulturelle Sinnbezüge herauszuarbeiten sind.13 Soziale Praktiken haben als Mittlerfunktion dann eine Sonderstellung, denn sie sind weder auf der Seite der Subjekte zu verorten, noch gehen sie vollständig in Strukturen auf und lassen sich durch diese determinieren. Die hier untersuchten Praktiken des Streikens, Demonstrierens, Besetzens, Plünderns oder sich Akustisch-Bemerkbarmachens können allesamt als Angriffe auf eine Ordnung der Kaiserreichszeit vor dem Hintergrund einer ambivalenten Moderne interpretiert werden. Das Umwerfen von Straßenbahnen, die Befreiung von Inhaftierten, aber auch die Lebensmittelunruhen oder Plünderungen führten zunächst zur Störung vorhandener Ordnungen und ließen somit neue Ordnungsvorstellungen innerhalb der Gesellschaft entstehen. Im Kontext sozialer Protestpraktiken ist der Blick immer auch auf die physische Ausprägung der Umwelt und somit das In-der-Welt-sein der Akteure zu berücksichtigen. Schlechte Wohnverhältnisse wie in Berlin Moabit, dessen dichte Bebauung mit großem Anteil an Grundstücken mit Hof- und Seitengebäuden und kleinen Wohnungen mit ein bis zwei Zimmern mit überdurchschnittlich vielen Menschen, konnten so Einfluss auf deren Handlungen ausüben.14 „Diese räumliche Enge konnte sehr stark auf die Bewohner wirken,
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Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 9f. „Es sind die Aktionen im Sinne eingelebter Umgangsweisen und regelmäßiger Praktiken der Gesellschaftsmitglieder, die zu dem zentralen Bezugspunkt von Kulturanalysen avancieren.“ Kultur und Raum werden über die reine „kognitivistische Verengung“ von Kultur oder Raum als Mentalität, Text oder Bedeutungsgewebe nun in „entstrukturierender“ Weise als Praxis verstanden. Zur Praxiswende in den Kulturwissenschaften siehe Schatzki/Knorr-Cetina/von Savigny, The Practice Turn in Contemporary Theory. Hörning/Reuter, Doing Culture, S. 10. Ebd., S. 11. Hörning, Experten des Alltags, S. 160. Vgl. Wirth, Der Performanzbegriff, S. 34ff.; Kertscher/Mersch (Hrsg.), Performativität und Praxis. Besonders der 3. Teil des Sammelbandes „Performativität der Praxis“. Vgl. Bourdieu, Sozialer Sinn, S. 108. Vgl. die theoretischen Überlegungen bei Cording, Wohnen in der Dichte, S. 15–53, in: Elektronischer Server bei der Universität Oldenburg, URL: http://oops.uni-oldenburg.de/15/1/corwoh07.pdf>. [22.11.2014]
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welche oftmals in „dumpfen, licht- und luftlosen, feuchten und häßlichen Wohnungen mit Ausblick auf enge Hinterhöfe und öde Verkehrsstraßen“ lebten.15 Die katastrophale Wohnsituation wurde durch ständig wachsende Einwohnerzahlen noch verschlechtert. Thomas Lindenberger hat bereits sehr früh eine kulturellen Phänomenen aufgeschlossene Sozialstudie über die Berliner „Straßenpolitik“ des frühen 20. Jahrhunderts verfasst, in der er nach den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Arbeitswilligen und Streikenden in Moabit des Jahres 1910 nach „konventionellen Bestandteilen“ dieser „Straßenpolitik“ von „unten und oben“ fragte.16 In den Auseinandersetzungen machte er andere Formen des Protests aus, die er einem konventionellen Bestandteil der Straßenpolitik von unten und von oben den sich gegenüberstehenden Gruppierungen zuordnete. Einzelne Streiks oder das noch effektivere Mittel des Generalstreiks, sowie Demonstrationen, lagen in ihrer Funktionslogik häufig dicht beieinander, weshalb eine analytische Trennschärfe problematisch ist. Allen gemein ist jedoch, dass sie als sozialräumliche und kulturelle Techniken Räume produzieren. Dass sie während der Revolution zu effektvollen Mitteln etabliert wurden, wird auch in der Reaktion der Regierung deutlich, welche durch eine vermehrte Verhängung des Belagerungszustandes und der Verfahrensbeschleunigung von gerichtlichen Urteilen mit der Einsetzung von Standgerichten und des Schießbefehls Maßnahmen zu deren Bekämpfung installierte.17 Wenn Demonstrierende die Kontrolle über den öffentlichen Raum erlangten, indem sie Gebäude mit unterschiedlichen Funktionen besetzten, wurden diese häufig mit anderen Funktionen versehen.18 Insgesamt wurde mit den Aktionen des Streikens, Demonstrierens oder Besetzens zunächst die Kontrolle über den öffentlichen Raum angestrebt, wenngleich jene Handlungen auch der Sinngebung unterlagen. Deshalb wird zunächst nach den Mitteln gefragt, mit denen die etablierte Raumordnung gestört werden und daran anschließend aufrechterhalten werden konnte. Soziale Protestpraktiken werden dabei als räumlich organisiert verstanden. 6.1 DER STREIK ALS KULTURELLER AKTIONSRAUM Streiks wurden in der Forschung hauptsächlich als „Ausgangspunkt direkter kollektiver Aktionen, die nicht nur gegen die Unternehmermacht, sondern vor allem 15 Baudisch/Cullen, Tiergarten, S. 55. 16 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 12. Mit diesem Kapitel kann die vorliegende Untersuchung aufgrund einer anderen analytischen Perspektive praktischerweise nicht in dieselbe Tiefe vorstoßen, wie es Lindenberger für einen früheren Zeitraum getan hat. 17 Vgl. die Überlegungen in Kapitel 4.5, sowie 7.1. 18 Mit den theoretischen Überlegungen Martina Löws kann dieser Prozess als „Spacing“ und „Syntheseleistung“ bezeichnet werden. Gemeint sind damit „zwei verschiedene Prozesse der Raumkonstitution“. Spacing bezeichnet den Moment der Platzierung von Menschen und Gütern, während eine Syntheseleistung darin besteht, mittels Wahrnehmungs-, Vorstellungs- oder Erinnerungsprozesse“ jene Güter oder Menschen zu Räumen zusammenzufassen. Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 158–161, bes. S. 158f.
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auch gegen die Staatsgewalt gerichtet waren und die Legitimität ihres parteilichen Eingreifens in Frage stellten“ interpretiert.19 Sie konnten zu öffentlichen Ansammlungen am Arbeitskampf Unbeteiligter führen und boten somit die Möglichkeit ein ursprünglich nicht dem Streikgeschehen inkorporiertes Publikum vor deren Wohnräumen in diese Situation zu integrieren. Private und öffentliche Räume konnten somit während des Streikgeschehens miteinander verschmelzen. Aus einer privaten, auf einen Kleinbetrieb lokal begrenzten Angelegenheit konnte schnell eine öffentliche werden, die nach moralischen Kategorien zu bewerten ist. Streiks waren daher nicht ausschließlich als rein politisches oder wirtschaftliches Mittel zu verstehen, das der Verbesserung der eigenen Situation diente, sondern ebenso als kulturelle Handlung, welche zur Bildung und Festigung der eigenen Identität beitragen konnte. Streiks und daran anschließende Protestkundgebungen konnten somit die „Disziplin des Alltags außer Kraft“ setzen.20 Sie hatten eine zutiefst räumliche Ausprägung, denn „der direkteste Weg, um [einem] Konsens Geltung zu verschaffen, war die Kontrolle über das ‚eigene‘ kollektive Territorium: die Straße und die Zugangsmöglichkeiten zur Straße, deren körperliche Besetzung durch zwanglosen Aufenthalt und sozialen Verkehr einen hohen Stellenwert im Alltagsleben einnahm.“21
Bedeutung entsteht daher durch Wiederholung von Handlungen, die zu „geteilten Tatbeständen werden“.22 Streiks waren seit vielen Jahrzehnten „Bestandteil der mit dem Ausbau eines flächendeckenden Polizeiapparates einhergehenden alltäglichen wie spektakulären Konflikte um öffentliche Ordnung.“23 Zwischen den negativen Erfahrungen des Weltkrieges und der zunehmend schlechteren Lebensmittelversorgung sah der sozialdemokratische Abgeordnete Wilhelm Siering einen Zusammenhang für die Streikbereitschaft der Menschen: „Wenn man als Arbeitsloser bei mangelhafter Ernährung in der Großstadt das Straßenpflaster tritt, ist man leicht bereit, den Hetzern Gehör zu schenken. […] Es ist ja kaum möglich, daß hier ein Streik überhaupt noch eintreten kann; die Hühner legen keine Eier mehr, die Kühe geben schon keine Milch mehr, da wird schon gestreikt. […] Wer hat denn unter dem Krieg so schwer gelitten? – Die Bevölkerung der Großstädte, nicht die auf dem Lande. […] Alle solchen 19 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 175; vgl. Ritter, Staat, S. 67f. Seit den 1980er Jahren hat die überwiegend quantitative historische Streikforschung an Bedeutung verloren. Für eine neuere Perspektive vgl. Clasen, Streikgeschichten. Die Augsburger Textilarbeiterstreiks 1868–1934; vgl. etwa mit emotionsgeschichtlicher Perspektive auch Koller, Streikkultur. Performanzen und Diskurse des Arbeitskampfes im schweizerisch-österreichischen Vergleich; Kittner, Arbeitskampf. Geschichte, Recht, Gegenwart; Birke, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder; van der Velden u. a. (Hrsg.), Strikes around the World. 20 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 274. 21 Ebd., S. 274f. 22 Mergel, Kulturgeschichte der Politik, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.10.2012, URL:. [01.11.2012] 23 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 398, bes. S. 403. Dabei verstand Lindenberger Straße „als ein alltägliches Medium sozialer Beziehungen“, welches eine „öffentliche Produktionsstätte von Macht und Eigen-Sinn“ darstellte und zugleich „Raum, Mittel und Ziel des Klassenhandelns“ war.
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6. „Doing Space“ – Sozialräumliche Protestpraktiken politischen Streiks sind in der gegenwärtigen Zeit zu verurteilen; denn die Arbeiter haben auf Grund des freiesten Wahlrechts die Möglichkeit und das Recht, ihre Wünsche da zur Geltung zu bringen, wo sie angebracht werden müssen. Ganz gleich, ob es die Arbeiter sind, die da streiken wollen, oder die Landwirte, ob ein Beamtenstreik oder ein Bürgerstreik eintritt, wir müssen unter allen Umständen in der Gegenwart Streik verurteilen.“24
Sierings Ausführungen führen dann soweit, dass organisierte Banden, gerade im Ruhrgebiet, die Arbeiter mit Gewalt gezwungen hätten, diese von ihrer Arbeit abzuhalten. Gerade in Berlin hätten in einem Großteil der Betriebe keine Abstimmungen stattgefunden, ob die Arbeiter streiken wollten.25 Alle Träume mit dem Mittel des Streiks aus der „elenden Lage herauszukommen“ seien lediglich „eitel Lug und Trug“, denn Sierings Argumentation stützte sich maßgeblich auf den politischen Erfolg der Streiks.26 In der neueren Streikforschung ist die sinn- und bedeutungsgenerierende Ebene des Streikens nun in den Vordergrund gerückt. Demzufolge wird der Streik als Raumaneignungsstrategie mit gleichzeitiger Konstruktion von Konfrontationsräumen zum Ausdruck der Unzufriedenheit und somit zu einer sinnhaften Handlung. Dabei scheint es zunächst offensichtlich, dass während eines Streiks Gruppierungen aufeinanderstoßen, die unterschiedliche Interessen vertraten. Diese Einteilung der 24 Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 1. Band, 4. Sitzung vom 17. März 1919, Sp. 202. Beitrag des sozialdemokratischen Abgeordneten Wilhelm Siering. 25 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 22, Reichsamt des Innern, Meldestelle, Telegramm-Adresse: Inreichsmeldestelle, betr. Übersicht über Unruhen, abgeschlossen am 9.11.18, nachmittags 3 Uhr, Berlin 9. November 1918. Die Station Treptow meldete, dass Matrosen und Arbeiter die anderen Arbeiter aufforderten in den Fabriken die Arbeit niederzulegen. Andere von der Peripherie Dallgow-Döberitz ins Zentrum stoßende „Aufständische“ bewegten sich zu den Gefängnissen, um die Inhaftierten zu befreien. Der Polizeipräsident vermerkt, dass sich die Züge in ihrer Bewegung von der Peripherie zum Zentrum hin sukzessive verstärkten. Einige Mannschaften der Fernsprechbetriebe haben sich bereits mit den „Aufrührern“ verbunden. Auch in einigen Kasernen waren bereits die roten Flaggen gehisst. Vgl. ebd., fol. 24, Reichsamt des Innern, Meldestelle, Telegramm-Adresse: Inreichsmeldestelle, betr. Übersicht über Unruhen, abgeschlossen am 9.11.18, nachmittags 3 Uhr, Berlin 9. November 1918. In Münsters Umgebung wurden zunehmend sich vergrößernde Gruppen von Soldaten und Matrosen gezählt, welche sich an den Bahnhöfen sammelten, um nach Münster als Zentrum dieser Region zu fahren. Achselklappen, Kokarden und Waffen wurden zerstört; vgl. ebd., fol. 186, Reichsamt des Innern, Aufzeichnung über die Sitzung betreffend die allgemeine innere Lage, Berlin 7. November 1918. In dieser Sitzung, deren Zweck in der Orientierung der in Berlin ansässigen Vertreter der Bundesregierungen und Besprechung über zu ergreifende Maßnahmen lag, wurde Berlin noch als ruhig bezeichnet. Obwohl man „geplante Gewalttätigkeiten“ erwartete, standen für Berlin nicht die Maximalzahl von 6.200 Schutzleuten zur Verfügung, sondern nur 4.500. Die zu treffenden Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung sei mit allen militärischen Mitteln zu gewährleisten. Die in den anderen Städten bereits gebildeten Räte als örtliche Rechtsgebilde sollten hier in Berlin verhindert werden. Um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen sollten daher Bürgerwehren gebildet werden, welche von „hervorragende[n] Persönlichkeiten, wie Abgeordnete[n]“ an ihre Spitze treten sollten. 26 Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 1. Band, 4. Sitzung vom 17. März 1919, Sp. 204. Beitrag des sozialdemokratischen Abgeordneten Wilhelm Siering.
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am Streikgeschehen Teilnehmenden folgte daher einer binären Logik von Streikenden und Gegenstreikenden.27 Mit den Auseinandersetzungen mit der Polizei oder dem Militär konnten gewalttätige Handlungen einhergehen.28 Wenn Streiks in der Forschung als „komplexes soziales Phänomen“29 oder als „Illustration aus dem Alltag“ bezeichnet wurden, so rückt neueren kulturwissenschaftlichen Ansätzen zufolge nun die Frage nach den sinn- und bedeutungsgenerierenden Elementen dieser sozialräumlichen Protestpraxis in den Vordergrund.30 Streiks wurden so zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen, indem sie mittels „struktur- und diskursbildender Standardisierung“ zum „Abbild der Gesellschaft“ geworden waren.31 In raumanalytischer Perspektive sollen nun in erster Linie die räumlichen Umstände der Streiks thematisiert und der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung Raum sowohl für die Streikenden einnahm, als umgekehrt Raum Wirkung auf die Handelnden ausüben konnte.32 Mit einem relationalen Raumverständnis wird Streik somit zum Mittel zwischen der Aneignung physischer Räume und deren Reifizierung durch die Akteure verstanden. Dabei tendieren „soziale Beziehungen, insbesondere Machtkonstellationen und Gesellschaftshierarchien zur Verräumlichung, wobei die auf diese Weise vergesellschafteten Räume ihrerseits symbolische Kraft auf Wahrnehmungen, Deutungsschemata und Einstellungen der Menschen ausüben“.33 Im Fokus dieses Kapitel stehen also nicht quantitative Langzeitanalysen von Streiktätigkeiten während der Revolution, sondern die Frage nach Sinn und Bedeutung in paradigmatisch ausgewählten Streikfällen während der Revolutionszeit.34 Dabei soll der Frage nachgegangen werden, wie die agency des Streikens funktionierte 27 Vgl. Van der Linden, Zur inneren Logik von Arbeiterbewegungen, S. 431–439; für eine Kritik gegenüber der quantitativen Streikforschung vgl. Geary, Protest and Strike, S. 377f. 28 Für eine Erweiterung einer kulturgeschichtlich erweiterten historischen Sozialforschung sind die von Dirk Schumann gemachten Überlegungen weiterführend. Dieser fordert die Konzeptionierung einer Historischen Gewaltforschung um die Erweiterung erfahrungs- und emotionsgeschichtlicher Perspektiven. Vgl. Schumann, Gewalt als Grenzüberschreitung, S. 366; ebd., „Gewalt“ als Leitbegriff, S. 95; ebd., Gewalterfahrungen und ihre nicht zwangsläufigen Folgen, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Fronterlebnis und Nachkriegsordnung. Wirkung und Wahrnehmung des Ersten Weltkrieges, Mai 2004, URL: . [04.03.2013] 29 Wiedemann, Streik und Streikdrohung, S. 9; Tilly, Hauptformen kollektiver Aktion, S. 156; vgl. etwa auch Haimson/Tilly (Hrsg.), Strikes, wars, and revolutions. 30 Koller, Streikkultur, S. 10. Koller möchte das Streiken „als ein kulturelles Phänomen“ begreifen, „das einen Schlüssel der politischen Kultur der jeweiligen Zeit darstellt.“ Hierfür nutzt er die Konzepte der politischen Kulturforschung von Karl Rohe. Vgl. Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse, S. 321–346; vgl. Lipp, Politische Kultur oder das Politische und Gesellschaftliche in der Kultur, S. 78–110; ferner Shorter/Tilly, Strikes in France. 31 Koller, Streikkultur, S. 9; Vgl. Handelman, Models and Mirrors. 32 Von Saldern, Stadt und Öffentlichkeit, S. 14; vgl. Strohmeyer, Stadtgeschichte und Öffentlichkeit, S. 16; Welskopp, Arbeitergeschichte, S. 15–31; vgl. etwa Tanner, Erfahrung, Diskurs und kollektives Handeln, S. 47–68; Welskopp, Der Betrieb als soziales Handlungsfeld, S. 117–141. 33 Von Saldern, Stadt und Öffentlichkeit, S. 3. 34 Vgl. etwa Forchheimer, Some International Aspects of the Strike Movement, S. 9–24 und S. 294–304 sowie ebd., Some International Aspects of Strikes, S. 279–286; ferner etwa Shorter/Tilly, Strikes in France, 1830–1968.
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und welche Bedeutung konkrete Verräumlichungspraktiken wie beispielsweise die Verhinderung von Streikbrechern durch Blockaden von Fabriken und Bahnhöfen, oder die Zerstörung des Streikraumes unter Erzeugung einer Öffentlichkeit durch symbolische Aktionen einnahmen. Das so entstehende Raster von Handlungsformen bildet einen wesentlichen Bestandteil der Streikkultur als sozialräumlicher Protestpraxis.35 Ein Argument für ein qualitatives analytisches Vorgehen besteht in der ohnehin ambivalenten Überlieferungslage der Streikgeschehnisse für die Revolutionszeit. Auf der einen Seite existiert eine Vielzahl an Meldungen und Berichten über unterschiedliche Formen von Streik, auf der anderen Seite ist gerade die Herstellung eines nur annähernd vollständigen Überblicks der Streiknachweisungen problematisch, da viele Streiks entweder überhaupt nicht gemeldet wurden, oder bei der Berichterstattung erhebliche Zweifel bestanden, aus welchen Gewerben Streiks überhaupt als meldepflichtig einzustufen waren.36 Die Rechtsgrundlage zur Erhebung von Streiks bildeten noch immer die Bestimmungen des Bundesrats vom 10. Juni 1898. Definiert wurde hier der Streik als „gemeinsame Arbeitseinstellung mehrerer gewerblicher Arbeiter (Streiks) und jede gemeinsame Ausschließung mehrerer gewerblicher Arbeiter von der Arbeit (Aussperrung).“ Dass dieses für die sich zunehmend ausdifferenzierenden verschiedenen Streikformen nicht ausreichte, machte sich dahingehend bemerkbar, dass auch Sympathie- oder Mitstreiks nun Eingang in die Statistiken des Reiches fanden. Gemeint waren hier bis zum Jahr 1910 alle Formen, deren „Zweck bestimmte Forderungen beim Arbeitgeber“ beinhalteten. Im Zuge des immer komplexer werdenden Streikgeschehens wurde von diesem Zusatz abgesehen. Fortan sollten auch politische Streiks, welche „für die Beurteilung der Erschütterungen des Wirtschaftslebens von größerer Bedeutung“ erschienen in die Statistik aufgenommen werden. Zudem hatte hier der Erste Weltkrieg eine katalysatorische Wirkung auf die Streikhandlungen entfaltet. Erst mit der Revolution bekamen dann die Arbeitnehmer ein „unbeschränktes Koalitionsrecht“, welches bisher nur den gewerblichen Arbeitern und Angestellten vorbehalten war. Die daraus resultierende neue „Organisationsbewegung“ führte einerseits zu neuen Organisationen der Angestellten und einem Mitgliederzuwachs, andererseits zu neuen Formen des Zusammenschlusses bei Land- und Forstarbeitern. Insgesamt war es nun vielen verschiedenen Berufsfeldern mit eigenen Organisationen möglich geworden, selbständig das „Kampfmittel“ des Streikens „zur Erreichung wirtschaftlicher oder politischer Vorteile“ zu nutzen. Für die folgenden Überlegungen soll nicht zwischen den Streiks der Angestellten und Arbeitern differenziert werden. Zum einen, weil das Teilnehmerfeld der Streikenden ohnehin sehr heterogen ausgeprägt war,
35 Mit soziologischer Perspektive Emirbayer, What’s Agency?, S. 962–1023. 36 Hier und im Folgenden Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 1. Des Weiteren wird für diese Zeit auf die Behinderungen der Besatzungsbehörden bei der Berichterstattung hingewiesen. Der Friedenszustand galt erst am 10. Januar 1920 als hergestellt. Dass die Arbeiter der Land- und Forstwirtschaft den Streik als „letztes Kampfmittel“ zur Durchsetzung ihrer Forderungen wählen konnten ist nicht zuletzt eine Folge der Revolution gewesen. S. 17.
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zum anderen, weil eben nicht wie bereits angedeutet die spezifische soziale Formation die Analysekategorie bildet, sondern die Streikhandlung an sich. Trotz der oben angesprochenen Schwierigkeiten Streiks nach trennscharfen Kategorien einzuteilen, unternahm das Statistische Reichsamt diesen Versuch in diesen unruhigen Jahren. Dieses unterschied nach wirtschaftlichen Arbeitskämpfen, bei denen ein „Zweck in der Durchsetzung bestimmter wirtschaftlicher Forderungen bestand“, während politische Arbeitskämpfe als diejenigen ermittelt wurden, die „ohne Rücksicht auf die Durchsetzung wirtschaftlicher Forderungen die Arbeitseinstellung bezw. Ausschließung von der Arbeit in der Hauptsache die Auslösung politischer Wirkungen beabsichtigte.“ Als „wilde“ Streiks wurden diejenigen bezeichnet, welche ohne Zustimmung der zur Vertretung der jeweiligen Arbeitnehmergruppen berechtigen Berufsvereinigungen stattfanden.37 Die Lage schien bereits im Januar 1919 außer Kontrolle zu geraten.38 Dabei sprechen die Zahlen für das Jahr 1919, in welchem die wirtschaftlichen Streiks gewerblicher Arbeiter nach der bei ihrer Durchführung geübten Taktik in Angriffs- und Abwehrstreiks unterschieden wurden, eine deutliche Sprache. Es überwogen die Angriffsstreiks mit 3.625 und 1.882.027 Streikenden deutlich gegenüber den 57 Abwehrstreiks mit 24.183 Streikenden.39 Als Abwehrstreiks wurden diejenigen bezeichnet, in welchen einer beabsichtigten Verschlechterung der Arbeitsbedingungen entgegengetreten wurde, während man in Angriffsstreiks für vorteilhaftere Bedingungen selbstständig operierte.40 Im gesamten Reichsgebiet bildete Preußen als „Kampfplatz“ einen räumlichen Schwerpunkt der Streiks mit 420 Streiks im Jahre 1917, 407 im Jahre 37 Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 2. Für das Jahr 1917 zählt die amtliche Statistik 561 Streiks, während 1918 772 festgehalten wurden, von denen 531 als wirtschaftliche und 241 als politische Streiks eingeschätzt wurden. Im Jahre 1919 stieg die Zahl der Streiks auf 4.932 an, von denen 3.682 wirtschaftlicher Art und 899 politischer Art waren. Zum einen entspricht das einer Steigerung von Streiks um ca. 630 %, also dem ca. 6,3 fachen des Vorjahres. Im Jahr 1919 stieg die Zahl der politischen Streiks auf das fast 4 fache gegenüber dem Jahr 1918. Der tatsächliche Wert wird noch höher gewesen sein, da für die Zeit seit der Revolution die Streiks nicht lückenlos erfasst werden konnten. Allgemein ist zu beobachten, dass seit der Aufnahme die Anzahl der Streiks im Jahre 1899 bis zum Jahr 1913 im Mittel stiegen, während 1908 ein wesentlicher Rückgang von 2.266 auf 1.347 Streiks verzeichnet wurde, während 1915 eine weitere Zäsur bildet, da die Zahl des Vorjahres von 1.115 nun auf 137 sank. Ein Grund für den Anstieg in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts stellte der Streik der Bergarbeiter im Ruhrgebiet im Januar 1905 dar, der wegen Größe und Auswirkung in einen Generalstreik mündete. Vgl. Die Woche Nr. 3 vom 21. Januar 1905, S. 97. „Aus Streitigkeiten […] ist im westfälischen Steinkohlenrevier ein Riesenausstand erwachsen. Am Montag wurde schließlich der Generalstreik der Bergarbeiter proklamiert, obwohl deren Führer selbst vor diesem Schritt gewarnt hatten. Ein Ende ist, da die Unternehmer sich den Arbeiterforderungen gegenüber ablehnend verhalten, nicht abzusehen.“ 38 Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 2f. 39 Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 2. Dabei überwogen in den Jahren 1917 [209 Streiks], 1918 [239 Streiks] und 1919 [704 Streiks] die Streiks der Gewerbegruppe Bergbau, Hütten- und Salinenwesen jene der Gruppe Industrie der Maschinen, Instrumente und Apparate, während 1919 das Holz- und Schnitzstoffgewerbe mit 513 Streiks aufholte. 40 Vgl. Meyers Großes Konversationslexikon, Band 1, Leipzig 1905, S. 687–689.
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1918 und 2.375 Angriffsstreiks in 1919, während Westfalen 1919 mit 470 einen Schwerpunkt innerhalb Preußens bildete. Hier fungierten die Bergbaubetriebe als die „hauptsächlichsten Kampfplätze“ der Streiks. Dabei ist zu vermerken, dass gerade Streiks in den wirtschaftlichen Betrieben in den Jahren 1917 [3.392], 1918 [1.094] und 1919 [32.825] drastisch anstiegen, von denen Preußen im Jahr 1919 allein 23.354 Streiks verzeichnete. Das Jahr 1919 kehrte auch hier die Entwicklung der Jahre 1917 und 1918 um, denn allein im Stadtkreis Berlin wurden 6.056 Streiks gemeldet, während ganz Westfalen nur 1.716 verzeichnete.41 Um die „Intensität“ und „Solidarität“ der Streikenden mitsamt dem ausgeübten „Terror“ sichtbar werden zu lassen, wurde auch Statistik über die Erfolge der Streikhandlungen geführt. Gewertet wurden Streiks daher als erfolgreich, wenn die Streikenden ihre Betriebe hatten vollständig stilllegen können.42 So konnten für das Jahr 1919 schließlich von 32.825 betroffenen Betrieben 20.214, also ca. 2/3 vollkommen stillgelegt werden. Dieses Übergewicht der Stilllegungen der Betriebe gegenüber den Vorjahren zeugt zudem von der Wichtigkeit des zu bestreikenden Raumes und dem damit verknüpften Erfolg. Gegenüber dem streikreichen Jahr 1906 übertrafen die Streiks des Jahres 1919 den damaligen Wert um das Doppelte.43 In den Schlussfolgerungen des Statistischen Reichsamts fiel das Urteil dann drastisch aus, indem man nicht fehl gehe, „wenn man aus diesen Zahlen eine Steigerung der Heftigkeit der Kampfweise annimmt.“ Das Jahr 1919 übertraf alle anderen Jahre seit Messung der Streikstatistik um ein Vielfaches. Allein gegenüber dem Jahr 1917 und seinen zahlreichen Streiks [650.658 Streikende, davon lediglich 803 Aussperrungen] aufgrund der schlechten Ernährungslage, wurden im Jahr 1919 1.906.210 Streikende gezählt, von denen
41 In Bayern waren dies 1.454 Streiks, während für 1918 gerade einmal 27 Streiks verzeichnet waren. 42 Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 4. 43 Hiervon am meisten betroffen waren die Betriebe aus der Metallverarbeitung [2.495 Betriebe waren stillgelegt, welches ca. 85% aller Betriebe umfasste], Holz- und Schnitzstoffgewerbe [3.452, ca. 78%]. Dabei konnte im Verkleidungsgewerbe die Stilllegung der Betriebe mit nur 31 % der Gesamtbetriebe relativ gering ausfallen, während bei den wenigen Streiks des Versicherungsgewerbes 100% aller 24 Betriebe stillgelegt waren. Im Vergleich zum Jahre 1906 wird zudem deutlich, dass der Erfolg des Stilllegens der Betriebe in allen Gewerbegruppen deutlich geringer ausfällt [1919 61,6%, 1906 31,2 im Mittel], was Aufschluss darüber geben könnte, dass die Mittel zum erfolgreichen Stilllegen eines Betriebes im Jahr 1919 deutlich effektiver waren, oder der Erfolg eines Streiks anders bemessen wurde, sodass anzunehmen ist, dass der Raum der Betriebe und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren in Revolutionszeiten zum wichtigeren Faktor geworden war. Mit welcher Masse an streikenden Arbeitern sich allein die Stadt Berlin im Jahr 1919 auseinandersetzen musste, wird an der Zahl von 699.989 Beschäftigten deutlich. Westfalen hatte hier 532.400 Beschäftigte zu verzeichnen, während Bayern nur 40.067 aufweisen konnte. Während 1919 die meisten Streiks im Bereich von 51 bis 100 Streikenden lagen [das entsprach 626 Streiks und 17% der Gesamtstreiks] war auch die Gruppe der Großstreiks mit 1001 bis 10.000 Streikenden mit 432 Streiks, welches 11,7 % der Gesamtstreiks betraf, stark vertreten. Zusätzlich wurden 11 Streiks mit 10.001 bis 50.000 und 1 Streik mit 100.001 angeführt.
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32.144 ausgesperrt wurden.44 Der Durchschnitt für die Jahre 1914-1918 lag demgegenüber bei „nur“ 244.857 Streikenden. In den Streiks der Jahre 1905, 1910 und 1911 war zudem das Verhältnis zwischen Streikenden und Ausgesperrten viel ausgeglichener als 1919, woraus zu schließen ist, dass die Bereitschaft zum Streik nach Kriegsende und Revolutionsbeginn größer war, wenn man zusätzlich bedenkt, dass in der Statistik nicht einmal alle Streiks verzeichnet sind. Der Stadtkreis Berlin mit 391.117 Streikenden im Jahr 1919, sowie Westfalen mit 390.383 Streikenden, bildeten die lokalen und regionalen Schwerpunkte der Streikgeschehnisse, weshalb sich beide als Untersuchungsraum anbieten. Während der Zunahme sowohl von Streiks und Stilllegungen der Betriebe bis zum Jahr 1919 ist auch die Dauer der Streiks mit den Jahren sukzessive gestiegen. Im Berichtsjahr 1917 dauerte ein durchschnittlicher wirtschaftlicher Streik 2,8 Tage, während 1918 dieser 3,5 und 1919 9,4 Tage andauerte. War gegenüber den Vorkriegsjahren die Dauer der Streiks gesunken, steigerte sich im Gegenzug in den Revolutionsjahren zunehmend die Intensität der Streiks45, welche als „ernstliche als ultima ratio benützten Kampfmittel“ charakterisiert wurden, da man die „Arbeits- und Lohnstreitigkeiten“ oft als „unreife Erscheinungen“ ansah.46 Hierfür wurde der oft spontane und nicht mit den Führern der Arbeiterorganisationen abgesprochene Ablauf der Streikhandlungen verantwortlich gemacht: „Vorzeitig, ohne den berufenen Vertretern der Arbeiterorganisationen Gelegenheit und Zeit gegeben zu haben, die diplomatischen Künste des Verhandelns mit den Arbeitgebern in Anwendung zu bringen, wurden sie gar oft von ad hoc gewillkürten radikalen Führern ohne Weitblick vom Zaune gebrochen.“47
Anders argumentiert käme man dann zu dem Schluss, dass gerade der Streik als sozialräumliche Protestpraxis ungemein wichtig für den Zusammenhalt einer sozialen Formation war. Hierbei war es erst einmal zweitrangig, ob man für ein gemein-
44 Vgl. Mai, Das Ende des Kaiserreichs, S. 114. Mai macht die unzureichende Lebensmittelversorgung als eines der „innenpolitisch brisantesten Probleme“ verantwortlich. Im April streikten allein in Berlin vom 16. bis zum 18. April 1917 über 200.000 Menschen. Der hauptsächlich als wirtschaftlicher Streik einzuschätzende Demonstrationszug spaltete sich im Verlauf, wobei ein kleinerer Teil mit politischen Forderungen nach Frieden und Demokratisierung auftrat. 45 Hier und im Folgenden Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 8. Gegenüber den Jahren 1909 bis 1913, die im Mittel eine durchschnittliche Dauer von 28,1 Tagen aufwiesen, war dieser Wert trotzdem stark zurückgegangen. 46 Die völlige Stilllegung der Betriebe, im Zuge dessen die oft wertvollsten und kaum ersetzbaren Teile von Fabriken bei längerer Streikdauer unbrauchbar zu werden drohten, zwang die Unternehmer oftmals zu baldigem Nachgeben. Die Forderungen betrafen zum einen den Arbeitslohn [Lohnerhöhung, Überstunden, Nebenarbeit, Sonstiges], zum anderen die Arbeitszeit [Verkürzung, keine Beschränkung bei Überstunden, Bedingungen an Sonn- und Feiertagen] und andere Gegenstände [Wiedereinstellung entlassener Mitarbeiter, Entlassung von Arbeitern und Vorgesetzten, Anerkennung der Arbeiterausschüsse, Tarifverträge, keine Stückarbeit] Dabei kann der Statistik für das Jahr 1919 entnommen werden, dass der teilweise Erfolg eines Streiks dann am größten war, umso mehr Streikende daran beteiligt waren. Insgesamt hatten 82,5 % aller Streikenden einen vollen oder teilweisen Erfolg im Jahr 1919 erlebt. 47 Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 8.
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sames Ziel beispielsweise der eigenen wirtschaftlichen Verbesserung eintrat, sondern in erster Linie den Streikenden die Möglichkeit gegeben wurde, sich in der Öffentlichkeit als Kollektiv zu präsentieren und zu äußern.48 Sowohl im ersten Revolutionsjahr 1918, als auch 1919 war der öffentliche Raum gerade in den Städten einer oftmals kaum zu bewältigenden Anzahl von Menschen ausgesetzt, welches das Stadtbild der Straßen und Plätze veränderte.49 Die mit den Streiks einhergehenden ausfallenden Arbeitstage führten zudem dazu, dass auch an Wochentagen zu anderen Zeiten sich mehr Menschen außerhalb der Betriebe aufhielten.50 Für die politisch verzeichneten Streiks können ähnliche Feststellungen gemacht werden. Bereits im letzten Kriegsjahr hatten sich diese stark vermehrt, weshalb das Statistische Reichsamt diese erstmals getrennt veröffentlichte. 1918 waren 241 Streiks mit rein politischen Ursachen und Zielen, welche die „Volkswirtschaft empfindlicher als die wirtschaftlichen Arbeitskämpfe“ trafen, verzeichnet worden.51 Betroffen waren 6.302 Betriebe mit mehr als 1,7 Millionen Beschäftigten und 4.118 vollkommen stillgelegte Betriebe. Für das Jahr 1919 haben diese Zahlen absolut betrachtet mit 899 politischen Streiks und 12.865 betroffenen Betrieben [davon 10.721 Stilllegungen] zugenommen. Auch hier ist die Relation zwischen stillgelegten Betrieben und noch laufenden viel höher als im Jahr zuvor. Die am größten betroffenen Gewerbe waren der Bergbau, die Metallverarbeitung, die Industrie der Maschinen und gerade 1919 das Verkehrsgewerbe – alles Bereiche, deren Außerstandsetzung maßgeblichen Einfluss auf die Energieversorgung und Verkehrsstruktur der Städte ausübte. Die durchschnittliche Zeit eines politisch motivierten Streiks betrug im Wesentlichen eine kürzere Zeitspanne mit 2,6 Tagen im Jahre 1918 und 2,8 im Jahr 1919 für den Stadtkreis Berlin. [Westfalen 1,8 Tage in 1918 und 4,6 Tage in 1919] Bayern hatte neben Bremen aufgrund des kurzzeitigen Versuchs der
48 Charles Tilly und seine MitarbeiterInnen legten den Fokus hierbei auf die Ursachen, Formen und Folgen kollektiven Protests, während eine andere größere Schule, die aus der Tradition E.P. Thompson hervorgeht den Schwerpunkt auf die Akteure und deren Generierung sozialen Sinns in den Protesten legten. In obiger Lesart wäre somit eher der zweiten Perspektive Folge zu leisten. Vgl. in Auswahl Tilly, Models and Realities of Popular’s Collective Action, S. 717– 747; ebd., The Complexity of Popular’s Collective Action; vgl. Thompson, The moral economy of the English crowd, S. 76–136. 49 Vossische Zeitung Nr. 576 vom 10. November 1918. Über den 9. November berichtet die Vossische Zeitung, dass die „Umwälzung der politischen Verhältnisse […] gestern vom Mittag ab das Straßenbild namentlich der inneren Stadt Berlins vollständig“ veränderte. „Überall durchfuhren Autos jeder Art, besetzt mit Arbeitern, Soldaten und Matrosen, die Straßen, die unter den roten Fahnen kurze Ansprachen an die Menge hielten und zum Teil auch dienstliche Aufträge der neuen Regierung erledigten. […] Die Ordner – mit roten, zum Teil auch mit weißen Binden – bemühten sich, den Massenverkehr, der, da alle Verkehrsmittel still lagen, überall auch die Fahrdämme erfüllte, zu regeln.“ Hierfür sollten u. a. Jugendliche um 7 Uhr und Erwachsene um 9 Uhr auf Anweisung der Regierung die Straßen verlassen. 50 Allein im Stadtkreis Berlin kamen rund 42 Arbeitstage auf einen Streikenden, welches rund 7 Arbeitswochen entsprach, Westfalen dagegen mit 14,2 Arbeitstagen. 51 Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 14.
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Etablierung einer Räterepublik mit 23 Tagen im Jahr 1919 [1918 noch 3,4 Tage] den höchsten Wert zu verzeichnen.52 Speziell Berlin, aber auch das westfälische Industrierevier waren von der massiven Zunahme der Streiks betroffen.53 Streikhandlungen konnten durch subjektive Zuschreibungen recht schnell mit negativer oder positiver Bedeutung konnotiert werden, wie aus den Erinnerungen des sozialdemokratischen Gewerkschaftsführers Gustav Garbe hervorgeht, welcher beim Kieler Matrosenaufstand und während der Ereignisse rund um den Kapp-Putsch eine tragende Rolle gespielt hatte54 Dieser erinnert sich, dass in „allen Teilen Deutschlands“ Lohnforderungen und Streiks gemeldet wurden.55 Arbeitslose hielten Versammlungen ab und formulierten ihre Forderungen, während sie gleichzeitig die Annahme von Arbeit verweigerten. In Garbes Argumentation werden die Massen an Arbeitslosen zu einer Gefahr für den öffentlichen Raum der Straße. Hierfür müsse die Regierung geeignete Maßnahmen schaffen, damit diese „von der Straße kommen“. Die Sozialdemokratie setzte sich für verschiedene Maßnahmen ein, damit die Arbeitslosen wieder einer Tätigkeit in der Stadt nachkommen konnten. Vor den erwarteten Unruhen dürfe man nicht zurückschrecken, sondern müsse versuchen „ihrer Herr zu werden“. Die Mittel hierfür sieht Garbe im Verhandeln und in der Aufklärung: „[A]ber fest muß man bleiben und die brennende Frage nicht zur Gefühlssache machen, denn damit erreicht man nichts. An Gefühlspolitik krankt unsere ganze momentane Wirtschaftsord-
52 Das Statistische Reichsamt tat sich offenbar schwer die politischen Forderungen zu kategorisieren. Zu ihnen zählten sie für das Jahr 1918 den „Abschluß eines baldigen (Verständigungs)Friedens, Beschleunigung der Wahlrechtsreform, Versammlungs- und Pressefreiheit, bessere und gerechtere Versorgung mit Lebensmitteln, Umwandlung der monarchischen Regierung in eine republikanische, (schon im Januar 1918)“ und für das Jahr 1919 „der Tod Liebknechts, Beerdigung der Frau Rosa Luxemburg, polnischer Nationalfeiertag (in Oberschlesien), großpolnische Mühlarbeiten, spartakistische Verhetzung, Erschießung des Kommunistenführers Leviné in München, Protest gegen den Gewaltfrieden von Versailles, Errichtung einer Räterepublik, Anerkennung der Betriebsräte und Verankerung des Betriebsrätegedankens in der Verfassung, Sozialisierung, Freilassung der politischen Gefangenen, Entlassung der Polenführer, Aufhebung des Belagerungszustandes, Abberufung des Polizeipräsidenten Eichhorn in Berlin (2,4 Millionen verlorene Arbeitstage!), Demokratisierung der Eisenbahnen, Protest gegen den Versuch der Polen, durch einen Handstreich die Macht in Oberschlesien an sich zu reißen, gegen die Unterstützung der russischen Gegenrevolution durch die englische und französische Regierung.“ 53 Vgl. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 1, fol. 145, Schreiben des Polizeipräsidenten Abteilung VII an den Minister des Innern betr. Massenausstand Gross-Berlin vom 28. Januar bis 3. Februar 1918, Berlin 6. Februar 1918. Im ausführlich geschilderten Bericht über den Generalstreik stellten politische Gründe die wirtschaftlichen in den Hintergrund. Als diese wurden die „scheinbare Verschleppung der preußischen Wahlreform“ und die „angebliche Verschleppung des Friedensschlusses“ ausgemacht. Für diese Fehlinformationen wurde die „Arbeiterpresse“ als Ursache und Verbreiter dieser „Missstimmung“ ausgemacht. 54 Hier und im Folgenden zit. nach Kuhl, Gustav Garbe – eine bemerkenswerte Persönlichkeit, S. 77–100. 55 Hier und im Folgenden BA B, R 43, Nr. 2500a, ohne fol., Schreiben des Gouverneurs Gustav Garbe an die Reichsregierung Berlin, Kiel 25. Januar 1919.
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6. „Doing Space“ – Sozialräumliche Protestpraktiken nung. Mit Gefühl bringen wir für das Land nicht die so sehr benötigten Arbeitskräfte auf, speziell die der weiblichen. Es soll jedem Bürger und Arbeiter sein soziales Recht werden, aber Vernunft muß Grundsatz bleiben.“
Garbes Ausführungen weisen auf das Problem hin, dass in den Streiks nur eine Gefährdung der wirtschaftlichen Ordnung gesehen wurde und weniger das Recht des von ihm so scharf kritisierten subjektiven Moments während des Streikgeschehens. Das sonst gewohnte Bild von geordneten Straßen hatte sich im Laufe des ersten Revolutionsjahres verändert. Das Streiken stellte für die an den Handlungen beteiligten Akteure auch ein kollektives Selbstverständnis dar, in welchem Aushandlungsprozesse eine Rolle für dieses Selbstverständnis der Gruppe einnahmen.56 Dabei wird deutlich, dass sich die während des Streikgeschehens beteiligten unterschiedlichen sozialen Formationen wiederum unterschiedlicher Mittel bedienten, um sich Räume anzueignen.57 Die größten Streiks der beiden letzten Kriegsjahre fanden in den Kriegsbetrieben statt. Im Regierungsbezirk Berlin umfassten diese vom 16. April bis zum 23. April 1918 nahezu 200.000 Streikende. Während die Großstreiks im Jahr 1918 sich lediglich in der Rüstungsindustrie aufgrund des bevorstehenden Kriegsendes abspielten, weisen speziell die Metall- und Maschinenindustrie für das Jahr 1919 in Groß-Berlin exorbitant hohe Streikzahlen auf. Zu den beiden größten Streiks zählte hier der Streik in der Metallindustrie vom 19. September bis zum 24. November 1919, sowie in der Maschinenindustrie im Regierungsbezirk Potsdam vom 23. bis 30. Juli 1919 und 26. September bis zum 10. November 1919. Der Regierungsbezirk Münster war im Steinkohlenbergbau mit 12.936 Streikenden im Zeitraum vom 1. April bis 28. April ebenfalls stark betroffen.58 Während das Jahr 1917 von Antikriegsdemonstrationen geprägt war und durch schlechte wirtschaftliche und politische Verhältnisse die Massen über den Sommer hin „zu Aktionen“ getrieben wurden, nahm diese Tendenz zum Weihnachtsfest hin ab, denn dort sei der deutsche Arbeiter „wenig geneigt zu wirtschaftlichen oder gar politischen Kämpfen“, so Richard Müller in seiner Revolutionsgeschichte.59 Die Situation verschärfte sich dann im Januar mit dem Entschluss der revolutionären Obleute den Massenstreik
56 Vgl. Tanner, Erfahrung, Diskurs und kollektives Handeln, S. 49. 57 Vgl. Koller, Streikkultur, S. 30; Lindenberger, Straßenpolitik, S. 173ff.; Morgan, Conflict and order; Weinberger, Keeping the peace; für Unruhen im Vormärz vgl. Gailus, Pöbelexzesse und Volkstumulte, S. 1–41. 58 Statistik des Deutschen Reichs, Band 290, Streiks und Aussperrungen, S. 5. Für den Regierungsbezirk Arnsberg verzeichnet das Statistische Reichsamt den Streik in den Bergwerken und Hütten vom 20. März 1919 bis zum 31. März mit 10.600, während im Regierungsbezirk Düsseldorf in der Stahlwarenindustrie [16. Mai bis 20. Mai mit 12.000] und Steinkohlen Bergbau [1. April bis 28. April 1919 mit 18.001] die Schwerpunkte größerer Streiks lagen. 59 Müller, Kaiserreich, S. 137; Vgl. Luban, Die Massenstreiks, S. 11–27.
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für den 28. Januar ausrufen zu lassen.60 Georg Ledebour bezeichnete den Munitionsarbeiterstreik dieser Tage als „erste ernstliche revolutionäre Aktion“61, nachdem bereits erste „Zuckungen der Bewegung“ im Jahr 1916 im Streik der Metallarbeiterschaft zu vernehmen waren.62 Richard Müller betonte zudem, dass der Streik „nicht nur durch seinen Umfang, sondern durch seinen elementaren Ausbruch sofort auf die Regierung und die Öffentlichkeit die allergrößte Wirkung ausüben“ sollte.63 Als Abschreckungsstrategie wurden viele Arbeiter danach zum Kriegsdienst eingezogen, während auf ihrer Einziehungsorder der Vermerk ‚Kohle‘ no-
60 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840, Teil 1, anonymes Flugblatt, in welchem zunächst zu einem dreitägigen Demonstrationsstreik aufgerufen wurde, bei dem „jeder Betrieb“ stillstehen sollte. Der Spartakusbund und die ihm nahestehenden Metallarbeiter hatten zu diesem aufgerufen 61 Erlebnisbericht von Ewald Riemann, in: Deutsches Historisches Museum, URL: . [14.07.2014] Riemann und andere USPD Leute hatten sich in der Ausflugsgaststätte Spandauer Bock getroffen, von wo aus sie 2.000 Flugblätter in der Tauroggener-, in der Beusselstraße und in der Turmstraße in Moabit verteilten. Riemann berichtet davon, wie er als geheimes Mitglied der Streikleitung mehrere Streiklisten an geheimer Stelle führen musste, so dass er nur „an bestimmten Zeiten“ mit seinen Listen „von einer Kneipe zur anderen rochieren [musste], um den Spitzeln zu entgehen.“ Zudem merkte er an, dass gerade Frauen von den Pulverfabriken eine „sehr große Rolle“ spielten. „Diese Frauen, die mit ihren von dem Pulver gelb und grün gefärbten Gesichtern, Haaren und vor allen Dingen Händen, dazu die abgeschlissene vom Pulver an- und zerfressene, erbärmliche Kleidung, beeindruckte auch den hartgesottensten Bürger, spezielle alle Frauen, die die Gruppen von der Pulverfabrik bei den Demonstrationen vorüberziehen sahen. Ja, die ersten Polizisten in der Havelstraße steckten ihre Säbel weg und liefen auf den Straßendämmen beflissen nebenher, ließen sogar Fuhrwerke halten und solange nicht weiter, bis der gesamte Demonstrationszug die Havelstraße passiert und in die Potsdamerstraße eingebogen war.“ Frauen, so Riemann, hätten damals „in dem Ernst der Stunden […] ihren Mann gestanden“ und die Bedeutung des in Spandau kursierenden „Kohlenrübenstreiks“ oder „Hungerstreiks“ nicht so groß eingeschätzt. Riemann selbst hatte die Aufgabe zu beobachten, wer als Spitzel auftrat, ebenso wie die Einteilung der Streikposten an geheimen Tagungsorten. 62 Ledebour, Gesamtprozess, S. 22 u. S. 24. Kleinere Streiks hatte es bis zum Sommer 1916 immer mal wieder aufgrund der schlechten Versorgungslage gegeben, politische Streiks hingegen noch seltener. Der Streik der Berliner Rüstungsbetriebe mit mehreren tausend Arbeitern und Arbeiterinnen, die am 28. Juni 1916 ihre Arbeit niederlegten, kam für die Partei und Gewerkschaften daher völlig unvorbereitet. Parallel dazu wurde gegen den Liebknecht-Prozess demonstriert. Während diese Aktion als Sympathiestreik gewertet wurde, wurde diesen Handlungen gleichzeitig der Charakter eines politischen Massenstreiks zugestanden. Vgl. Kreuter, Waffen- und Munitions-Fabrik, S. 102f. Der Massenstreik der Metallarbeiter Ende Januar führte rund 200.000 Arbeiter auf die Straßen, manchen Flugblättern zu urteilen sogar weit mehr Teilnehmern. 63 Müller, Kaiserreich, S. 139 u. S. 237. In dem kursierenden Flugblatt wurde nicht nur zu Sympathiebekundungen aufgerufen, sondern zur Mobilisierung der Soldaten, Arbeiter und Arbeiterinnen mit den Worten „Steht auf! Geht auf die Straße! Laßt die Fabriken stehen!“
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tiert wurde. Damit waren sie in ihren Regimentern als politisch unzuverlässig gekennzeichnet, so Cläre Derfert-Casper.64 Dass viele Elemente der Streikpraktiken schon vor der Revolution etabliert waren, wird in den großen Streiks des Januars 1918 deutlich. Den Streik der Berliner Metallarbeiter charakterisierte Derfert-Casper als einen sich stetig verschärfenden Prozess „von Tag zu Tag“, dem sich Buchdrucker und die Berliner Straßenbahner anschlossen. Als am 31. Januar von der Regierung der Belagerungszustand verhängt und die Einsetzung außerordentlicher Kriegsgerichte verkündet wurde, führte dies zu drastischen Reaktionen während der „Riesenversammlungen und Demonstrationen“. Im Zuge dessen wurden noch fahrende Straßenbahnen von den „empörten Volksmassen“ umgeworfen und demoliert.65 Trotz des Versammlungsverbots und verschärften Belagerungszustands fanden tägliche Aufmärsche und spontane Demonstrationen in den Großstädten Hamburg, Berlin und München, sowie im Ruhrgebiet statt66 und konnten erst durch den erschwerten Einsatz von Militär und Polizei gestoppt werden, während die bestreikten Großbetriebe gleichzeitig von den Truppen besetzt wurden.67 Die vom Militär bevorzugte Abdrängungsstrategie sah vor, dass im Falle zurückkehrender ausständiger Arbeiter der Strom von Menschen versucht wurde durch das Positionieren 64 Hier und im Folgenden LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 001, Erinnerungsbericht der Cläre Derfert-Casper, Falkensee 26. August 1957. Derfert-Casper hatte bereits den Berliner Metallarbeiterstreik von 1911 erlebt und war 1916 aus der Firma Siemens-Halske als Montiererin entlassen, weil sie sich für die Besserung der Lohnsituation für alle Kolleginnen eingesetzt hatte. 65 Vgl. Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau II, S. 63f. Ausnahmeverordnung am 17. Januar für Regierungsbezirk Düsseldorf. Die Einrichtung von Kriegsgerichten war auch in den späten Monaten der Revolution im Ruhrgebiet ein probates Mittel. In Düsseldorf, Wesel und Essen spitzte sich die Lage aufgrund der von Severing und von Watter erfolgten weiteren Verordnung zu, in der Belegschaftsversammlungen der Bergarbeiter, sowie die Bildung von Streikausschüssen und Streikpostenstehen verboten wurde. Severings Standort, dass „Streikende […] als entlassen zu betrachten“ seien blieb bestehen. „Streikende Arbeiter, die nach Beendigung des Streiks auf der Zeche weiterbeschäftigt werden wollen, sind neu anzulegen. Alle durch eine längere Beschäftigungsdauer erworbene Rechte gehen verloren. […] Passive Resistenz ist, wenn sie von der Gesamtbelegschaft oder von ihrem größten Teil ausgeübt wird, mit der Gesamtaussperrung zu beantworten. […] Üben kleine Minderheiten Resistenz, so sind die Namen der Anführer der zuständigen Polizeibehörde mitzuteilen, die ihre sofortige Festnahme veranlaßt. Das gleiche Verfahren ist bei der Erzwingung der Ausfahrt nach 6 stündiger Schicht anzuwenden.“ 66 Preußische Gesetzsammlung 1851, S. 451ff. (i.d.F. des Änderungsgesetzes v. 11.12.1915, RGBl. 1915, S. 813) Gesetz über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851. Nach § 9b wurde jede weitere Tätigkeit der Streikleitung, welche sich am ersten Streiktage aus einem 500 Mitglieder umfassenden Arbeiterrat gebildet hatte, untersagt. „Wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte ein bei Erklärung des Belagerungszustandes oder während desselben vom Militairbefehlshaber [sic] im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenes Verbot übertritt, oder zu solcher Uebertretung auffordert oder anheizt, soll, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft werden.“ 67 Vgl. Müller, Kaiserreich, S. 140. Den Streikenden wurde eine Frist bis zum 4. Februar gesetzt, um ihre Arbeit wieder aufzunehmen, sonst drohte Verhaftung oder Einberufung zum Kriegsdienst. Die Regierung wählte fortan das Mittel, bekannte Streikführer wie Richard Müller oder Kurt Eisner festzunehmen, um das „revolutionäre Potential einzudämmen“.
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von Truppen an vordefinierten Stellen wie im Falle Treptows der Schilling-Brücke hin nach der Melchorstraße zu leiten.68 Als probates Mittel der Streikenden hatte sich etablieren können, dass diese die Schnüre der Kontaktstangen an den Straßenbahnwagen durchschnitten, um wiederum selbst Kontrolle auf den Verkehr im öffentlichen Raum ausüben zu können oder wahlweise durch die stehenden Wagen Blockaden zu schaffen. Unter Einsatz von Waffen gelang es den Ordnungstruppen die Ansammlung kleinerer dieser Gruppen immer wieder auseinanderzutreiben. Während das Militär also versuchte die Bewegungsströme der Streikenden zu lenken, war diesen selbst das Moment der Raumkontrolle wichtig. Die mit den Streiks nun einhergehende Zunahme von Gewalt konnte sich daher auch in Aktionen gegen den physischen Raum ausdrücken, indem ganze Straßenbahnwagen mit mehreren Leuten umgestürzt wurden. Den Erfolg derartiger Praktiken hätten sich die Arbeiter von den Vorgängen in Russland abgeschaut69, wo es der Arbeiterschaft „tatsächlich möglich gewesen sei, sich der Staatsgewalt im vollen Umfange zu bemächtigen“, so der Polizeipräsident.70 Tendenzen eines allumfassenden Streiks hatte es zum Vergleich schon während des Bergarbeiterstreiks des Jahres 1905 im Ruhrgebiet gegeben, welcher sowohl wegen des Ausmaßes, als auch der Wirkung auf die Güterproduktion als Generalstreik bezeichnet werden kann.71 Weite Teile des Ruhrgebietes waren von der Streikwelle betroffen. Mitentscheidende Faktoren zum Ausbruch der Streiks bestanden in der Verlängerung der Arbeitszeit, den Stilllegungen von Zechen, sowie der schlechten Gesundheitsvorsorge. Daher kam es zu umfassender Kritik gegen die Zechengesellschaften, den Bergbaulichen Verein und das Kohlensyndikat. Während der Streik am 6. Januar auf der Zeche Hugo Stinnes bei Bochum seinen 68 LA B, A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 15840, Teil 1, fol. 37, Bericht des Polizeihauptmanns Krüger, Großrevier 26, Berlin 31. Januar 1918. 69 BA B, R 1501, Nr. 113582, fol. 143–150, Schreiben des Kapitänleutnant Firle betr. Eindrücke vom Aufenthalt in St. Petersburg vom Dezember/Januar 1918, Berlin 22. Januar 1918. Firle beschreibt anarchische Zustände für die Stadt St. Petersburg. Das Straßenbild gleiche vollkommen dem „Eindruck unbeschränkter Soldatenherrschaft“, die ihre Kasernen als Hotels nutzten, frei seien und keinen Dienst täten. (fol. 143) Derartige Erfahrungen und Beschreibungen, egal wie übertrieben diese konstruiert wurden, mussten auf die deutsche Regierung gewirkt haben und davor warnen, was im eigenen Reich bevorstehen könnte. Sie schürten zudem die Angst, die mit einem Kontrollverlust des öffentlichen Raumes einherging, wenn Offiziere bettelnd auf den Straßen nicht einmal mehr den Schneeräumungsdienst tätigen durften, weil sie „jetzt einmal das ganze Elend des hungernden Proletariats kennen lernen“ müssen würden. Auch die Arbeitseinstellung fast der gesamten Verwaltung, die Verwaisung der Gebäude und auch der symbolischen Komponente des öffentlichen Raumes musste daher eine erschreckende Vorstellung für die Deutschen gebildet haben. 70 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 1, fol. 146, Schreiben des Polizeipräsidenten Abteilung VII an den Minister des Innern betr. Massenaustand Gross-Berlin vom 28. Januar bis 3. Februar 1918, Berlin 6. Februar 1918. 71 Die Woche Nr. 3 vom 21. Januar 1905. „Aus Streitigkeiten […] ist im westfälischen Steinkohlenrevier ein Riesenaufstand erwachsen. Am Montag wurde schließlich der Generalstreik der Bergarbeiter proklamiert, obwohl deren Führer selbst vor diesem Schritt gewarnt hatten. Ein Ende ist, da die Unternehmer sich den Arbeiterforderungen gegenüber ablehnend verhalten, nicht abzusehen.“
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Ursprung fand, folgten innerhalb kürzester Zeit parallele Entwicklungen im gesamten Ruhrgebiet. Bereits am 11. Januar bewegten sich 50.000 Arbeiter im Ausstand, während gleichzeitig eine Strategie der Gewerkschaften nicht erkennbar war.72 Verhandlungen über das 14 Punkte-Programm der Arbeitgeber scheiterten, sodass am 16. Januar der Generalstreik beschlossen wurde. Aufgrund fehlender finanzieller Streikunterstützung musste das Unterfangen bereits am 7. Februar wieder abgebrochen werden. Jene größeren Streiks wie auch der Bergarbeiterstreik des Jahres 1912 standen in einer Reihe von Auseinandersetzungen um die Forderung nach verkürzten Arbeitszeiten und allgemein den Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Dass sich breite Teile der Bevölkerung in einem immer feiner ausdifferenzierten Politisierungsprozess befanden ist somit nicht nur Folge der Revolution 1918, sondern bereits der mit der Moderne verbundenen negativen wie positiven Erfahrungen und Begleiterscheinungen rund um das Jahr 1900. Der frei gewordene politische Artikulationsraum entlud sich nicht zuletzt in den Streikereignissen dieser rund 20 Jahre. Der Generalstreik unterschied sich dabei sowohl in seiner Intensität, als auch des quantitativen Ausmaßes von kleineren oft lokal begrenzten Streiks früherer Jahre. Die Märzstreiks des Jahres 1912 umfassten zwischen 150.000 und 235.000 Bergarbeiter des Ruhrgebietes, welche sich komplett im Ausstand befanden. Dieses entsprach deutlich mehr als der Hälfte der Gesamtbelegschaft. Wenn Zechenbesitzer Schutzkräfte aus den Reihen der Arbeiter gegen die Streikenden einsetzten, wird deutlich, welch hoch aufgeladenes Spannungsverhältnis während der Streiks zustande kommen konnte, gerade auch wenn im Zuge dieser Unruhen Militär auf Arbeiter traf. Gewalttätige Auseinandersetzungen waren also keineswegs nur Resultat der sozialen Unruhen des Jahres 1918. Vor dem Hintergrund der Erfüllung der innenpolitischen Ordnungsfunktion, die im bisherigen politischen System der Reichswehr übertragen war, wurden sowohl der Generalstreik, als auch kleinere Streiks als Gefahr für den Bestand der rechtmäßigen Ordnung angesehen. „Für das Militär war der Generalstreik gleichbedeutend mit ‚Bolschewismus‘, den es im Zusammenwirken von Regierung, Armee, Sozialdemokratie und Bürgertum niederzuhalten gegolten hatte“, so Heinz Hürten.73 Eine bestehende „Einheitsfront“ aus Sozialdemokraten und Militär wurde spätestens mit den Kapp Ereignissen brüchig, denn SPD und KPD sprachen sich beiderseits für einen Generalstreik zur Abwehr des Putsches aus. Die Mittel der „Kommunisten“ wurden intern durchaus diskutiert.74 72 Gemeint waren die großen vier Gewerkschaften freigewerkschaftlich ausgerichteter Alter Verband, Gewerkverein christlicher Bergarbeiter, polnische Berufsvereinigung, sowie der liberal Hirsch-Dunckerscher Gewerkverein. Vgl. Homburg, Arbeiter, Gewerkschaften und Streikbewegungen, S. 37–64. 73 Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 29. 74 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 48–52, Abschrift Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik. Der 4. Punkt beinhaltet, dass „dieser Kampf […] mit allen politischen und wirtschaftlichen Mitteln geführt“ werden sollte. Hierbei sei sich die KPD bewusst, dass „dieser Kampf nur mit den grössten politischen Mitteln (Massenstreiks, Massendemonstrationen, Aufstand) zum siegreichen Ende gebracht werden kann.“ (fol. 48) Auszuschließen war jedoch nicht, dass sie sich als „Vorbereitung dieser grossen Kämpfe“ auch an Wahlen
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„Der Generalstreik als oekonomisches [sic] Kampfmittel sei die letzte und schaerfste Waffe. Man wuerde im Falle eines Angriffs der Reichswehr dafuer sorgen, dass der Generalstreik sich ueber ganz Deutschland ausbreite.“75 Trotzdem sei dieser kein „einmaliger Akt“, sondern könne nur als „natürliche Folge aus den jeweils gegebenen politischen und ökonomischen Grundlagen in organischer Steigerung emporwachsen.“76 Der Generalstreik umfasste daher die Stilllegung aller Betriebe, während lediglich Wasserwerke, Krankenhäuser und Krankenkassen ausgenommen waren. Örtliche Vertretungen der Arbeitnehmerschaft mussten entscheiden, in welchen „lebenswichtigen“ Betrieben die Arbeit fortgesetzt werden sollte. Der Generalstreik wurde erfolgreich als effektivstes Mittel in die Streikkultur der deutschen Arbeiter implementiert, was zudem deutlich macht, welche Wirkung davon ausging, die Betriebe komplett stillzulegen und diesen neuen Konfrontationsraum als Druckmittel für die eigenen Forderungen zu nutzen.77 In Berlin erreichten die Streikaktivitäten mit 183.381 Ausständigen von 430.370 Beschäftigten in 299 Betrieben im Winter 1918 ihren Höhepunkt.78 Nach drei ruhig verlaufenden Tagen verschärfte sich die Situation, indem Straßenkundgebungen und Versammlungen „unter freiem Himmel“ stattfanden und so die Streikenden ihre Veranstaltungen in den öffentlichen Stadtraum verlegten und diesen so zur ihrer Bühne machten. Der damit entstandene neue Artikulationsraum schuf darüber hinaus die Möglichkeit, andere soziale Formationen an dem Streikgeschehen zu beteiligen, oder sich mit den Streikenden zu solidarisieren. Mit Plakatanschlägen wurden die
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beteiligen sollte. Die Wahl sollte jedoch nur „als vorbereitendes Mittel“ verstanden werden. Dabei wird auch das kommunistische Selbstverständnis deutlich, dass die einzusetzenden Mittel nicht unbedingt zu raschem Erfolg hatten führen müssen. Die Revolution sei „kein einmaliges Schlagen, sondern das lange zähe Ringen einer seit Jahrtausenden unterdrückten […] Klasse“, welche dem „Auf- und Abstieg der Flut und Ebbe ausgesetzt“ sei. Hierfür ändere sie ihre Mittel „je nach der Lage“. (fol. 50) Dabei wurden ihre Mittel entweder dem politischen oder wirtschaftlichen Bereich zugeordnet. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 175, ohne fol., Abschrift über die Lage in Düsseldorf vom 1. April 1920, Bericht über eine Versammlung der Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte der sozialistischen Arbeiterschaft am 1. April 1920 vormittags in der Tonhalle in Düsseldorf. Ähnlich der Tenor im USPD Aufruf vom 14. März mit deutlicherer Betonung des klassenbewussten Proletariats. Vgl. Leipziger Volkszeitung vom 15. März 1920, Aufruf des Zentralkomitees der USPD zum Generalstreik, Berlin 14. März 1920, zit. nach Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. 172. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5949, fol. 51, Abschrift Leitsätze über kommunistische Grundsätze und Taktik. Tatsächlich hatte sich der Generalstreik als ein transeuropäisches Phänomen in der Streikkultur europäischer Arbeiter etablieren können. Siehe Österreich-Ungarn, Frankreich, England, Spanien gleichzeitiges Austreten am 16. Januar 1918. Gerade der Massenstreik Österreich-Ungarns übte hier katalysatorische Wirkung auf das Nachbarland aus. Vgl. Koller, Streikkultur, S. 527ff. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 1, fol. 148, Schreiben des Polizeipräsidenten Abteilung VII an den Minister des Innern betr. Massenaustand Gross-Berlin vom 28. Januar bis 3. Februar 1918, Berlin 6. Februar 1918.
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Streikwilligen darauf hingewiesen, sich an „jedem Vormittage 10 Uhr auf bestimmten öffentlichen Plätzen Berlins und Umgebung zu sammeln“.79 Das Gewerkschaftshaus sollte als „Sammelpunkt der Ausständigen“ dienen, genau wie das Volkshaus in Charlottenburg samt einer Reihe kleinerer Schankwirtschaften, „die sich zu Verkehrsstätten Ausständiger entwickelt hatten“ und daher für die Dauer des Streiks „gesperrt“ wurden. Diese ersten Verschärfungen des Streikgeschehens waren daher ein willkommener Test, um die Grenzen der Aktionen auszuloten, wenn man nach obigen Zahlen des Statistischen Reichsamtes bedenkt, dass der Erfolg an stillgelegten Betrieben bis November 1918 gegenüber dem ersten Revolutionsjahr noch recht gering ausfiel. Häufig blieb das Streikgeschehen sowohl in der sozialen Zusammensetzung der Gruppe, als auch der gemeinsamen Zielvorstellungen zu den Rändern hin äußerst heterogen. Blieben erhoffte Solidaritätszusammenschlüsse wie im Falle der Straßenbahner aus, so konnte sich dieses in Gewaltausübungen „meistens halbwüchsiger Burschen“ gegenüber der materiellen Ausgestaltung des Straßenbahnwesens äußern, sodass das Zerschneiden der Kontaktstangen, das Stehlen von Fahrgeräten, insbesondere der Kurbeln oder der Zerstörung der Wagenscheiben und des Umwerfens mehrerer Beiwagen zur gängigen Praxis geworden war, die Ordnung des Raumes umzukehren und aufgrund der Regelmäßigkeiten solcher Aktionen für ein neues „geordnetes Chaos“ zu sorgen.80 Im Unterschied zu den Streikauseinandersetzungen des Folgejahres konnte die Polizei vielfach diese „Zusammenrottungen ohne Anwendung von Waffengewalt“ auseinanderbringen, während einzelne Personen in der Menge sich zunehmend mit Stöcken oder Revolvern bewaffneten. Manchmal reichte daher das Blankziehen des Säbels oder das Erheben der Waffe als Drohmittel aus, um eine Menge aufzulösen. Die zunehmende Gewalt äußerte sich auch darin, dass aus den Unruhen im Zuge des Generalstreiks im Januar 1918 bereits „zahlreiche Tumultanten“ mit Verletzungen unterschiedlichen Grades hervorgingen. Nach der Räumung des Volkshauses in Charlottenburg bewegten sich mehrere Streikteilnehmer „ohne einen Zug zu bilden“ in Richtung des Schlosses, wo sie von Beamten gehindert wurden, die Spree zu überqueren.81 Die Stärke der Polizei war
79 Hier und im Folgenden ebd., fol. 149. 80 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 2, fol. 406 RS, Vertrauliches Schreiben der Abteilung VII. Außendienst an Unbekannt, Berlin 1. Februar 1918. „Starke Missbilligung“ herrschte in einigen Teilen der Arbeiterkreise über „das Treiben der jungen Burschen“, welche die Bewegung diskreditieren würde. Desweiteren wurde eine Diskrepanz zwischen den Rednern, die die Stimmung während der Streikversammlungen anheizten und dem Gros der Unabhängigen ausgemacht. Die Führer der Partei seien durch ihre Immunität geschützt, weshalb sie sich so relativ frei im öffentlichen Raum hätten äußern können, was die Menge eben nicht konnte und daher kritisierte. 81 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 2, fol. 224, Schreiben des Polizeipräsidenten Charlottenburgs Günther von Hertzberg an den Polizeipräsidenten Abteilung 7, Charlottenburg 30. Januar 1918.
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nicht ausreichend genug, um die Menschen zu „lenken“82, da sie bereits etliche Einheiten zum Spandauer Bock hatte schicken müssen, um eine dort angekündigte Arbeiterversammlung zu unterbinden.83 Eine kleinere Abteilung von 300 Leuten konnte über den Tegelerweg nach Siemensstadt gelangen, da sie aufgrund des starken Nebels nicht gesehen wurden.84 Der Stadtteil zeichnete sich durch große mehrstöckige Backsteinhäuser aus, die im Zuge der Unternehmensansiedlung des Siemenskonzerns für die Arbeiter gebaut worden waren.85 In dem „Winkel“ zwischen
82 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 30413, fol. 84, Schreiben der Polizei-Verwaltung der Oberbürgermeister, PA No. 274/14 an den Regierungspräsidenten betr. Polizeiverordnung über Streikposten vom 16. Juli 1914 C. 1010., Düsseldorf 7. August 1914. Bereits während des Kaiserreichs kam immer wieder die Frage auf, ob Streikposten als Streikbrecher zulässig seien. Das Verbot des Streikpostenstehens in bestimmten Straßen wurde hier abgelehnt, da Streikende „erfahrungsgemäß nicht nur in derjenigen Strasse“ wohnen, „sondern über das ganze Stadtgebiet zustreut“ sind. Sofern Arbeitswillige „in einer oder mehreren Strassen polizeilichen Schutz geniessen, dann werden sie von den Streikenden eben in denjenigen Strassen belästigt, die nicht gesperrt sind. Man müsste also bei grossen Streiks in grossen Betrieben ganze Stadtteile für den regulären Verkehr sperren.“ Auch vom Betreten derjenigen Straßen, die nur mittels eines „Erlaubnisscheins“ zu passieren waren, solle Abstand genommen werden, da sich sonst „Absperrungsbezirke“ bildeten, die von Tausenden betreten werden müssten. 83 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 2, fol. 225, Schreiben des Polizeipräsidenten Charlottenburgs Günther von Hertzberg an den Polizeipräsidenten Abteilung 7, Charlottenburg 30. Januar 1918. Neben dem Spandauer Bock fanden verbotswidrige Handlungen im Volkshause, am Spandauer Schifffahrtskanal und auf dem Pferdemarkt statt, von denen ausgehend „auf die Straßen strömende Menschenmengen tunlichst auseinanderzubringen“ waren. Hierfür mussten auch die dienstfreien Beamten hinzugezogen werden, da Charlottenburg schon „unter erdenklicher Entblößung“ zu wenig Beamte zu verzeichnen hatte. 84 Vorwärts vom 29. Januar 1918. Im Zentralorgan der SPD wurde ein Bild gezeichnet, welches die Stimmung dieser Tage recht anschaulich macht. „Dicker Nebel in den Straßen Berlins, aus dem alle Dinge verändert und unförmig auf den Wandernden zutreten. Aus den Fabriken im Nordwesten wo ich vorbeikomme klirrt die Arbeit; nichts ist von der Möglichkeit zu spüren, die seit den letzten Tagen in der Luft liegt. Kurz vor 9 Uhr habe ich mein Ziel, eine der größten Fabriken, erreicht. Zu sehen ist ja nichts, aber unermüdliche Tätigkeit lärmt durch den Nebel. Dann wird es stiller. Frühstückspause? Streik? Da wird das Tor geöffnet. Drei Arbeiter treten heraus, gleichmütig, den Kaffeekrug unterm Arm. Einer gibt dem andern Feuer für die Zigarette. Das Tor hat sich unwillig hinter ihnen geschlossen, nicht lange und es biegt sich wieder zurück. Jetzt kommt schon ein ganzer Trupp. Das Tor schließt sich nicht wieder. Immer dichter wachsen die Scharen aus dem Nebel, gleichmütige, ernste Männer, Frauen, die zuweilen ein wenig lächeln. Ein Haufen bildet sich, läßt aber eine Gasse. Einer sagt: ‚Es kommen alle.‘ Gruppen lösen sich stetig und wandern in den Nebel hinein. Ich folge der Richtung. In dem Garten vor einem Brauereisaale staut sich die Masse und wartet geduldig. Der Saal ist geschlossen. Endlich steht einer auf einer Bank und ruft: ‚Kollegen, ich spreche im Namen des Arbeiterausschusses. Ich brauche keinem zu sagen, warum wir die Arbeit niedergelegt haben, das weiß ein jeder selbst. Der Ausschuß wird mit den Vertretern aller ausständigen Betriebe Fühlung nehmen, um dann der Regierung unsere Forderungen mitzuteilen. Wir erwarten von Ihnen, daß Sie sich nicht provozieren lassen, sondern ruhig nach Hause gehen und den Gang der Dinge abwarten werden.‘ Langsam und lautlos löst sich die Versammlung auf, und da die Sonne den Nebel vertreibt, ist das Straßenbild ganz das gewöhnliche.“ 85 Vgl. Ribbe/Schäche, Die Siemensstadt, S. 107ff.; vgl. Schinz, Berlin, S. 164–167.
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Tegelerweg und Königsdamm hatten sich in der Jungfernheide fast 10.000 Menschen gesammelt, welche nach Eintreffen einiger Beamte durch den Wald nach Westen auswichen. Die Beamten konnten zwar rechtzeitig die Hauptzufahrt nach Siemensstadt blockieren, es jedoch nicht verhindern, dass die Menschenmenge „auf Seitenwegen“ in die Stadt gelangen konnte. Hauptziel der Polizei war es, die Menge an geographisch strategisch gelegenen „Engzonen“ in verschiedene Richtungen auseinanderzutreiben und so die Stärke des Hauptzuges zu reduzieren. Hierbei gaben die Streikbrecher häufig Schreckschüsse ab und agierten so in prophylaktischer Weise, indem sie potentielle temporäre Gefahrenräume schufen, sodass erst gar keine Menschenmengen aufkommen konnten.86 Kleinere Züge mussten wiederum erneut durch Beamte zerstreut werden, bis die Gruppierungen sukzessive auf ein Mindestmaß reduziert wurden. Auch in Lichtenberg war es durch den Ausstand zahlreicher Bäckereibetriebe zu empfindlichem Brotmangel und daraus folgend Ausschreitungen gekommen.87 Während Versammlungen, welche wie im Falle der 12.000 Personen, die im Wald bei der Station Sadowa im Kreis Nieder-Barnim aufgrund ihrer Größe unter freiem Himmel stattfinden mussten, wurde das periphere Umland an den Stadtkern gebunden.88 Erfahren hatten sie von der Versammlung auf den Zahlstellen. Durch Agitatoren wie dem Reichstagsabgeordneten Haase wurde der Streik als letztes Mittel propagiert, somit die Anwesenden aufgefordert „sich auf nichts mehr einzulassen; besser sei es, ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende“ vor sich zu haben. In der offiziellen Lesart des Reichsministeriums des Innern wurden die Ursachen der großen Streikbewegung des Januar 1918 in der „tiefen Enttäuschung“ der Massen „über die sich hinziehenden Friedensverhandlungen“ ausgemacht.89 Trotz alledem war die Streikbewegung eine willkommene Generalprobe kollektive Willenskundgebungen im öffentlichen Raum aufzuführen. Die Bewegung sei „so gut wie spontan ausgebrochen, d. h. infolge einer von Mund zu Mund gehenden Streikparole, von der niemand recht wußte, woher sie kam.“ Allein politische Gründe wie das Misstrauen gegen die Regierung in der Friedensfrage und der Haltung der preußischen Abgeordneten gegenüber der Wahlrechtsreform dafür verantwortlich zu machen, reicht jedoch kaum aus, den spontanen Charakter der Streikbewegung zu erklären. Aufgrund der „mehrfach erwähnte[n] Erschütterung 86 Diese Praxis hat sich während der Revolution etablieren können. Vgl. BA B, R 705, Nr. 29 B, fol. 155, Fernspruch am 5.3.19. 5.35 nachm., gegeben: Spandau, Gen. Staboffizier d. Freikorps Hülsen, Major von Plotow, Kenntnis erhalten: Herrn Scheidemann, Noske, Min. d. Innern, R.A.d.Innern, R.Demobl.A. 87 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 2, fol. 282, Schreiben des Polizeipräsidenten Lichtenbergs Freiherr von Salmuth an den Polizeipräsidenten Berlin, Tageb.-No. IV.G. betr. Streikbewegung, Berlin 30. Januar 1918. 88 LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 2, fol. 336, Schreiben des Polizeipräsidenten Lichtenbergs Freiherr von Salmuth an den Polizeipräsidenten von Berlin, Tageb.-No. IV.G., Berlin 30. Januar 1918. Hierfür wurde aufgerufen, nach einer erneuten Versammlung am Freitag geschlossen in Richtung Berlin zu marschieren und sich „vor nichts“ zurückschrecken lassen. 89 Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 113582, fol. 19, Bericht Abschrift zu Nr. 261/18 g.Z 3. geheim, ohne Unterschrift, Berlin 1. Februar 1918.
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des menschlichen Vertrauens weiter Arbeiterkreise in die von Parteipolitikern im politischen Kampf für sich beanspruchte Oberste Heeresleitung“ schufen sich die Arbeiter mit dem Mittel des Streiks Nischen, um sich den Strukturen widersetzen zu können. In der gemeinsamen Bewegung durch die Straßen der Städte unter kollektiven Handlungen wie des gemeinsamen Singens oder Tragens bestimmter Symbole schuf man sich alternative Räume, die zur Bindung der Gruppe beitrugen. Da mag es nicht verwundern, dass auch die Zeitgenossen diese Komplexität des Streikgeschehens nicht durch einfache Variablen zu erklären versuchten. „Soviel Gewissenlosigkeit sich auch bei denen finden mag, die den latenten Radikalismus abgespannter und gereizter Massen bei der jetzigen Gelegenheit auf ihre Parteimühlen leiten möchten, so wenig ist die starke Streikbewegung auf so einfache Weise zu erklären.“90 Der Streik als eine sozialräumliche Protestpraxis bildete in dieser Intensität und Ausprägung für breite Teile der Massen eine Möglichkeit, Meinungen und Willenskundgebungen im Kollektiv zu äußern. Die so geschaffene Bühne bot den Akteuren einen neuen Spielraum, den sie sich jedoch erst während der Streikhandlungen schufen.91 Die Konflikte zwischen, aber auch innerhalb der politischen Lager zeichneten sich dadurch aus, dass die Formulierung kollektiver politischer Interessen offenbar nicht zweckorientiert funktionierte, sondern erst während des Streikgeschehens den Platz prototypischer Handlungen einnahm, auf den man zu Beginn der Revolution ein gutes Jahr später zurückgreifen konnte.92 Mit den Ereignissen des Novembers 1918 stieg der Anspruch der Gewerkschaften den entscheidenden Einfluss auf die Mitgestaltung der Politik im gesamten Land auszuüben. Erkennbar an den steigenden Mitgliederzahlen, waren die Gewerkschaften zu den maßgeblichen Interessenvertretungen der ArbeiterInnen und Angestellten geworden. Die Art und Weise der Mitgestaltung wurde in den Gewerkschaftsvertretungen jedoch unterschiedlich interpretiert. Während der Großteil des 90 BA B, R 1501, Nr. 113582, fol. 20, Bericht Abschrift zu Nr. 261/18 g.Z 3. geheim, ohne Unterschrift, Berlin 1. Februar 1918. Zudem habe der Krieg den Gewerkschaften „ein undiszipliniertes, aus allen möglichen Berufen bunt zusammengewürfeltes, hungriges, zermürbtes Menschenmaterial“ zugetrieben. 91 Der sich hieraus entwickelnde Politisierungsprozess äußerte sich darin, dass beispielsweise von den bestreikten Betrieben pro 500 Beschäftigte ein Delegierter ins Gewerkschaftshaus geschickt, in dem am 28. Januar dann 400 Delegierte Richard Müller zu ihrem Versammlungsleiter wählten. 92 Dokumente aus geheimen Archiven, Band 4, 1914–1918. Berichte des Berliner Polizeipräsidenten zur Stimmung und Lage der Bevölkerung in Berlin 1914–1918, S. 149. „Die Angst vor Inhaftierung und dem bunten Rock gibt den radikalen Hetzern keine rechte Gefolgschaft.“ Der verschärfte Belagerungszustand wurde verhängt, zahlreiche Streikende wurden festgenommen, während außerordentliche Kriegsgerichte für ihre schnelle Aburteilung sorgen sollten. Täglich beriefen die Bezirkskommandos 500 bis 600 am Ausstand beteiligte Arbeiter zum Heeresdienst ein. Vgl. BA B, R 1501, Nr. 113582, fol. 19, Bericht Abschrift zu Nr. 261/18 g.Z 3. geheim, ohne Unterschrift, Berlin 1. Februar 1918. Die Maßnahme mit Festlegung einer Frist für die Wiederaufnahme der Arbeit wurde in manchen Orten als ein „brauchbares Mittel“ bezeichnet, „den Streikwillen zu brechen“, welches zudem „nicht wenige Mitläufer“ herbeisehnten und nutzten, um die Arbeit wieder aufzunehmen. Am 4. Februar nahm der größte Teil der Streikenden die Arbeit wieder auf.
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gemäßigten ADGB konsensorientierte Lösungsvorschläge bevorzugte, waren kleinere Teile für den politischen Massenstreik „als geeignetstes Kampfmittel der Arbeiterschaft“.93 Es konnte daher von keiner einheitlichen Haltung der Gewerkschaften die Rede sein. Am Sonnabendvormittag des 9. November ging im Betrieb der Charlottenburger Osram-Werke die Arbeit ihren gewohnten Gang.94 Obwohl bereits Gerüchte über die bevorstehende Abdankung des Kaisers im Betrieb kursierten, vollzogen sich die Arbeiten in üblicher Art. Am späten Vormittag erfuhren die Mitarbeiter, dass bereits im Maschinenbaugewerbe im Betrieb Ludwig Loewe und in der Turbinenfabrik gestreikt wurde. Mittels telefonischer Erkundigungen erfuhren die Arbeiter, dass in den anderen Betrieben bewaffnete Leute in Autos vorgefahren seien, die von der Direktion die sofortige Einstellung der Arbeit forderten. Um „unnötige Unruhen“ zu vermeiden, entschlossen die Osram-Arbeiter selbst die Arbeit um 2 Uhr einzustellen. Den anrückenden „bewaffneten Leuten“ – es handelte sich laut Bericht um „lauter junge Leute im Alter von höchstens 22 Jahren, Land- und Marine-Soldaten und militärisch aufgeputzte junge Leute, einige davon im Alter von 14-15 Jahren“ – genügte es dann auch diesen Zustand bei ihrer Ankunft vorzufinden. Um den Stillstand des Betriebes gewährleisten zu können, hatte man einen ständigen Sicherheitsdienst zu etablieren versucht, welcher in Gruppen von je 8-10 „Herren“ je 4 Stunden lang einen Dienst übernehmen sollte. Am Folgetag hatten sich die Informationen mit Hilfe der Zeitungen bereits drastisch vermehrt.95 Dieser als katalysatorisch zu interpretierende Effekt führte dazu, dass sich
93 Erger, Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, S. 192f. Mus. F. Dtsch. Gesch., Sektor Dokumente, Do 55/1085, Aufruf des ADGB und der AfA zum Generalstreik, Berlin 13. März 1920, zit. nach Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. 155f. So pathetisch der Aufruf des ADGB und der AfA zum Generalstreik im März auch formuliert war, täuscht dieses nicht darüber hinweg, dass bereits vor Bekanntwerden des Aufrufs „Hunderttausende von Arbeitern in Berlin und im ganzen Reich die Arbeit spontan niedergelegt“ hatten, die Situation eine ganz andere Dynamik umfasste, als das normative Verständnis strukturgeleiteter Handlungsvorgaben großer Institutionen. Vgl. Vorwärts vom 15. März 1920. 94 Hier und im Folgenden LA B, A Rep. 231, Nr. 0651, ohne fol., Niederschrift Dr. Feuerleins, Mitglied und Vorstand der Siemens & Halske AG, über die Vorgänge im Glühlampenwerk von Sonnabend, den 9. November bis Mittwoch den 13. November 1918, Charlottenburg 15. November 1918. Siemens übertrug die Glühlampenherstellung nach dem Ersten Weltkrieg an die neue Osram GmbH, in deren Geschäftsführung Feuerlein 1920 wechselte. 95 Zur Verbreitungspraxis der Nachrichten siehe den Erinnerungsberichte von Cläre Derfert-Casper. LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 001, Erinnerungsbericht der Cläre Derfert-Casper, Falkensee 26. August 1957. Dabei hatte sich schnell rumgesprochen welche Bereiche der Stadt von den Zügen betroffen waren. „Trotz aller Schwierigkeiten konnten die revolutionären Obleute die Massen am 9. November auf die Strasse bringen und zur Revolution aufrufen. Früh um 5 Uhr holte ich den Genossen A. Schöttler aus seinem Quartier und verteilte mit ihm schon um 6 Uhr zur ersten Schicht einige 100 Flugblätter vor den Deutschen Waffen und MunitionsFabriken in der Kaiserin Augustaallee in Charlottenburg, mit der Aufforderung, um 9 Uhr die Betriebe zu verlassen und den Krieg zu beenden. Wir verteilten dann ab 8 Uhr an die gut informierten Genossen die Waffen und formierten dann um 9 Uhr den Demonstrationszug. Nachdem alle Betriebe uns geschlossen folgten, voran die bewaffneten Männer, dann die unbewaffneten Männer und dann die Frauen, zogen wir in Richtung Charlottenburg in einem nach tau-
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im Glühlampenwerk um die 90 Leute einfanden, wovon 30 Beamte und 60 Arbeiter waren, um Arbeiterrats-Mitglieder für die am Nachmittag im Zirkus Busch anberaumte Versammlung zu wählen.96 Vielfach wurden die in den Zeitungen gedruckten Anweisungen zur Wiederaufnahme der Arbeiter jedoch missinterpretiert, weshalb 75% aller erschienenen Arbeiter am Montag zunächst zu ihren Arbeitsplätzen geleitet wurden. Um sich vor Konsequenzen zu schützen, wurden zwei der gewählten Räte zum Volkshaus in Charlottenburg geschickt, um die Sachlage zu klären und sich eine Bescheinigung über die Wiederaufnahme der Arbeit ausstellen zu lassen. Beides können als Argumente für die herrschende Unsicherheit gewertet werden, welches Verhalten denn angebracht und richtig schien, sowohl auf Seiten der Betriebsführung, aber auch innerhalb der Arbeiterschaft, denn immerhin waren 15% der Belegschaft trotzdem erst gar nicht am Montag erschienen. Dass Teile der vor Ort erschienenen Arbeiter durchaus Wert auf die Ausführung ihrer Arbeit legten, wird daran deutlich, dass sie das Fabrikgelände unter lautstarkem Protest verließen, als ihnen mitgeteilt wurde, dass die Arbeit einzustellen sei. Am Dienstag hatten sich einige Arbeiter darüber beschwert, dass die Wahl von Sonntag nicht rechtmäßig gewesen sei, da weite Teile der Arbeiterschaft nicht vor Ort gewesen seien. Einige Leute, die sich erst seit kurzem im Werk befanden, versuchten zudem in „propagatorische[n] Reden“ die „ganze Gewalt des Wahlaktes an sich“ zu reißen und setzten eine Wahl durch Akklamation durch. Gewählt wurden schließlich 4 andere Leute samt Stellvertretern.97 Die Situation schien innerhalb des Arbeiterlagers zunächst nicht eindeutig, denn sowohl die Sonntagswahl, als auch die Wahl vom Dienstag wurden im Prinzip abgehalten, ohne zu wissen, ob man nun eine Delegation für die Versammlung im Zirkus-Busch oder ein dauerhaftes Organ zur Interessenvertretung der Arbeiter wählte. Per Akklamation direkt vor Ort im Betrieb ein Vertretungsorgan wählen zu dürfen, war daher als sinngenerierender Akt für viele Arbeiter erst mal wichtig, wenngleich überhaupt nicht klar war, welches nachhaltige Ziel mit diesem Akt überhaupt verbunden war, denn die gewählten Arbeiter von Sonntag hatten ihr Amt ja auch noch nicht niedergelegt. Es schien also auch nicht klar, ob jetzt mehrere Ausschüsse nebeneinander existierten oder welche Funktionen die von den Fabriken gewählten Personen überhaupt besaßen. Es zählte offenbar allein die Tatsache, dass man im eigenen Betrieb eine Interessensvertretung hatte wählen dürfen. Dass die Bedeutung des Betriebes als Ort dieses Aktes wichtig war, geht aus Streitigkeiten hervor, die darin bestanden, ob man noch eine Vertretung wahrnehmen dürfe, wenn man wie im Falle des Arbeiters Leckert nur leihweise als Monteur im Glühlampenwerk arbeitete und er selbst der Auffassung senden zählenden Zug davon. Kampflos wurden die Polizei-, Schloss- und Lazarettwache entwaffnet, dann folgten das Rathaus und die Technische Hoch-Schule. Dann ging der Marsch die Charlottenburger Chaussee entlang bis zum Reichstag. Dort trafen sich alle Züge aus den anderen Stadtteilen. Nachdem verschiedene Redner Ansprachen gehalten hatten, löste sich der Zug auf.“ 96 Gewählt wurden hierfür der Maurer Paul Braun, der Arbeiter im Argonraum Johannes Krüger, der Arbeiter in der Wolfr.-Abt. Otto Müller und der Chemiker Dr. Heinrich F. Baumhauer. 97 LA B, A Rep. 231, Nr. 0651, ohne fol. Protokoll über die Sitzung mit dem Arbeiterrat am 12. November 1918, Charlottenburg, 15. November 1918.
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sei, dass er bei Verlassen des Betriebes auch sein Amt an diesen Raum gebunden sei.98 Parallel bestanden somit zwei gegensätzliche Ordnungen. Die Wahl von Sonntag basierte demnach noch auf der alten Gewerbe-Ordnung, der Arbeiterausschuss war noch vor Erlass des Hilfsdienstgesetzes gewählt und das, obwohl die Arbeiter „jetzt Herr im Hause“ seien.99 Der gewonnene politische Artikulationsraum der Arbeiter spiegelt sich besonders in deren neuem Selbstvertrauen wider. „Die Leute waren wie in einem Machtrausch, schlugen mit den Fäusten auf den Tisch.“100 Auf den Betriebsleiter Feuerlein machten sie offenbar den Eindruck, dass sie „durch ihre Hetzreden und Drohungen sowie ihr brutales Auftreten verstanden hatten, die gesamte Arbeiterschaft in ihre Gewalt zu bekommen.“101 Dass diese Form der Sinngenerierung für die Arbeiter zunehmend wichtig schien, erkannte wohl auch die Firmenleitung, welche daher nicht alle in der kommenden Zeit stattfindenden Demonstrationen, die mit der Arbeitseinstellung verbunden waren unterbanden. Ein anberaumter Demonstrationszug, welcher nicht gegen den eigenen Firmenraum gerichtet war, sondern „nur“ politischen Charakter besaß, wurde zeitweise von Herrn von Siemens sogar unter Fortzahlung des Lohnes für die versäumte Zeit abgesegnet.102 Welchen Stellenwert die Betriebe als zu schützende Räume einnehmen konnten, wird im späteren Verlauf der Revolution deutlich. Im Oktober des Jahres 1919 hatten sich Streikposten an verschiedenen Stellen des Firmengeländes positioniert, um Kontrolle über Ein- und Auslass in die Betriebe zu bekommen. Maria Köhler, die einen Botengang außerhalb der Fabrik tätigen sollte, wurde bei ihrer Rückkehr nicht mehr auf das Gelände gelassen, weil sie ihren Ausweis vergessen hatte. Selbst herbeikommende Angestellte, die Köhler identifiziert hatten, reichten hier nicht aus, bis es schließlich zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam.103 Lindenberger beschreibt dieses Phänomen bereits für einen früheren Zeitraum als ein sich stets
98 Ebd. 99 Das Gesetz über den vaterländischen Hilfsdient vom 6. Dezember 1916 wurde während des Ersten Weltkrieges von der OHL erlassen und regelte die Kräftemobilisierung für den Krieg und Maßnahmen, einer revolutionären Bewegung entgegenzuwirken. Siehe RGBl. S. 1333; vgl. LA B, A Rep. 231, Nr. 0651, ohne fol., Niederschrift Dr. Feuerleins, Mitglied und Vorstand der Siemens & Halske AG, über die Vorgänge im Glühlampenwerk von Sonnabend, den 9. November bis Mittwoch den 13. November 1918, Charlottenburg 15. November 1918. 100 LA B, A Rep. 231, Nr. 0651, ohne fol., Niederschrift Dr. Feuerleins, Mitglied und Vorstand der Siemens & Halske AG, über die Vorgänge im Glühlampenwerk von Sonnabend, den 9. November bis Mittwoch den 13. November 1918, Charlottenburg 15. November 1918. 101 Ebd. 102 LA B, A Rep. 231, Nr. 0651, ohne fol., verschiedentliche kleine Nachrichten aus den Betrieben, Charlottenburg 17. Dezember 1918. In der Spannerei Abt. 121 fügte die Vertrauensperson Frl. Laube II über den oben geschilderten Vorgang hinzu, dass es oftmals es gar nicht klar war, warum ein Demonstrationszug stattfinden sollte. 103 LA B, A Rep. 231, Nr. 0651, ohne fol., anonymer Bericht betr. Misshandlung durch Streikposten, Charlottenburg 28. Oktober 1919; vgl. Kreuter, Waffen- und Munitions-Fabrik, S. 103f.
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wiederholendes „Schauspiel“, wenn streikende Arbeiter die Arbeitswilligen an den Fabriktoren empfingen und nicht in die Betriebe ließen.104 Bereits vier Wochen nach Ausbruch der Revolution hatten diese ersten Auseinandersetzungen weitere nach sich gezogen, so dass rund 10.000 Arbeiter und Angestellte der A.E.G. Werke Hennigsdorf „im Walde bei Schulzendorf“ südöstlich von Berlin ihre Arbeit „einmütig“ niedergelegt hatten, um gegen das am 6. Dezember „angerichtete Blutvergiesen [sic] gegen friedliche Demonstranten“ zu protestieren.105 Dieser Akt der Solidaritätsbekundung gegenüber ihnen völlig unbekannten Arbeitern endete mit der Forderung, dass künftig keine bewaffneten Truppen oder Sicherheitsmannschaften mehr demonstrierenden Menschen entgegengestellt werden dürften: „Ein solches Vorgehen [entspricht nicht] dem Geiste der Revolution […]! Wir fordern die Brüder im Waffenrock auf, sich niemals und von keiner Seite zu derartigen Handlungen hinreissen zu lassen! Die Versammelten bringen zum Ausdruck, dass mit dieser Demonstration keiner politischen Partei eine Unterstützung gewährt werden soll.“
Die revolutionären Errungenschaften bestanden im Recht auf die Straße und deren Verteidigung. Neben Berlin trifft die Streikwelle vor allem das Ruhrgebiet.106 Nachdem sich der politische Umsturz nach November 1918 ohne größere Unruhen vollzogen hatte, breitete sich Anfang Januar 1919 die Streikbewegung massiv aus.107 In Essen beispielsweise streikten nahezu die kompletten Zechenanlagen „Neukölln“, „Wolfsbank“, „Kronprinz“, „Lewin“, „Karolus Magnus“, „Helene Amalie“, „Gottfried Wilhelm“, „Anna“, „Karl“, „Emil“.108 Zudem war die räumliche Verteilung der Gewerbestandorte von großer Bedeutung, denn in Stadtteilen mit einer höheren Dichte an Betrieben wurde häufig gestreikt. Zusätzlich spielte der Faktor der sozialen Bevölkerungsverteilung in den Räumen eine Rolle, denn in
104 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 190; vgl. Vorwärts Nr. 63 vom 14. März 1908. 105 Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 281, Resolution der Arbeiter- und Angestellten Räte und Ausschüsse der A.E.G. Werke Hennigsdorf an den Rat der Volksbeauftragten, Berlin 7. Dezember 1918. 106 Für eine detaillierte Fallstudie am Beispiel der Stadt Hamborns vgl. Bluhm, Die Massen sind aber nicht zu halten gewesen. Eine umfassende nahe an den Ereignissen verfasste Darstellung bei Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau I und II. Das Buch basiert auf den Akten der rund 250 Zechenverwaltungen; vgl. ferner Müller, Bürgerkrieg, S. 127–142; vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen, Nr. 3228, S. 5585–5674. 107 Vgl. Von Oertzen, Die großen Streiks der Ruhrbergarbeiterschaft, S. 190; Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung, S. 159–183; zur Arbeiterbewegung in Wuppertal, Elberfeld, Barmen vgl. Knies, Arbeiterbewegung und Revolution in Wuppertal, S. 83–153; Steinisch, Linksradikalismus und Rätebewegung im westlichen Ruhrgebiet, S. 155–238; Marßolek, Sozialdemokratie und Revolution im östlichen Ruhrgebiet, S. 239–314; Kluge, Der Generalsoldatenrat in Münster, S. 315–398. 108 Am 11. Januar hatte Essen als Standort einer Konferenz sämtlicher Arbeiter- und Soldatenräte eine Vorreiterrolle eingenommen. Der hiesige Rat hatte sich das Vorantreiben der Sozialisierung des Bergbaus auf die Fahnen geschrieben.
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Stadtteilen der Arbeiterschaft stieß man vermehrt auf streikwillige Akteure.109 Die Gesamtzahl der Streikenden konnte hier kaum festgestellt werden, so in einem Telegramm des Generalkommandos an das Ministerium des Innern.110 Parallel kommt es in einigen Städten des Ruhrgebiets zu Besetzungen der Zeitungsredaktionen, welche jedoch wie im Falle Düsseldorfs nach kurzer Zeit wieder freigegeben werden, sodass sich die Aktionen hin zu den Bahnhöfen verlagerten.111 Im Ruhrgebiet waren die Zechen Ort vermehrter Streikaktivitäten, da verschiedene voneinander unabhängige Bewegungen mit unterschiedlichen Forderungen in den Streik traten. Zusammengefasst standen Forderungen nach Lohnerhöhung, Nachzahlungen aufgrund früherer Streiks und Arbeitszeitverkürzungen auf dem Programm der Streikenden. Dass versucht wurde, Forderungen mit zwanghaften Maßnahmen durchzusetzen, geht aus Umständen der Zeche Königsgrube zwischen Bochum und Gelsenkirchen hervor. Dort hatten Arbeiter im zweitägigen Streik versucht, die Absetzung zweier technischer Beamter zu erzwingen. Gerade im Gebiet des rechtsrheinischen Bezirks kam es vermehrt zu gewaltsamen Durchsetzungen der Forderungen während der Streikaktivitäten.112 Die zunehmende Radikalisierung der Revolution im Zuge der Berliner Januarunruhen wirkte schließlich auch katalysatorisch auf die Streikbewegungen des Ruhrgebietes.113 Diese hatte am 11. Januar mit rund 80.000 Ausständigen im Bergarbeitergewerbe einen Höhepunkt erreicht. Nach den Bemühungen des Essener Arbeiter- und Soldatenrats folgte eine Phase der relativen Beruhigung bis zur Mitte des Monats Februar. In den Folgemonaten verschärften sich die Spannungen zwischen der Streikbewegung und der Regierung, da die Sozialisierungsbemühungen offenbar deutlich zu langsam voranschritten. Zusätzlich trugen einzelne Ereignisse wie die Absetzung des Münsteraner Korps-Soldatenrat in Münster Anfang Februar zur Steigerung des Spannungsverhältnisses bei, denn die Streikbewegungen sahen sich fortan einem wiedererstarkten Militär gegenüber, während gleichzeitig die radikaleren Positionen in der Bewegung den Generalstreik beinhalteten.114 109 Zur sozialen Zusammensetzung der Bergarbeiterschaft vgl. Hartewig, Das unberechenbare Jahrzehnt, bes. S. 14–42. 110 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 314, Telegrammabschrift vom Generalkommando 7. 1 b 15 t. Ministerium des Innern, Münster 9. Januar 1919. 111 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 319, Telegrammabschrift vom Generalkommando 7 i b 16 t an Ministerium des Innern, Münster 9. Januar 1919. Zur Praxis von Besetzungen siehe das Kapitel 6.3. 112 Von Oertzen, Die großen Streiks der Ruhrbergarbeiterschaft, S. 190. Hierzu zählten vor allen Dingen Mühlheim und Hamborn. 113 Bericht des Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen, Nr. 3228, S. 5585–5674. So geschehen am Beispiel „putschistischer Unternehmungen“ in Dortmund am 7./8. Januar, Gladbeck am 11./13.1, Düsseldorf 8./11.1, Duisburg 11./13.1. In anderen Städten führte dieses zur Einsetzung von Wehren und Freikorps, welches die Konflikte zusätzlich verschärfte. (siehe Gladbeck 17.12., Hagen 8./9.1., Buer 14.1) 114 Militärische Truppen waren am 15. Februar von Norden her bei Hervest-Dorsten in das Ruhrgebiet gestoßen. Auf einer weiteren Großkonferenz der Arbeiter- und Soldatenräte am 18. Februar in Mühlheim wurden die verschiedenen Vorstellungen der Teilnehmer diskutiert, wie mit
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Das Einrücken des Militärs ins Ruhrgebiet führte zu großer Erregung in den Arbeiterkreisen und zog schließlich zahlreiche blutige Auseinandersetzungen nach sich.115 Dass die Akteure der Streikbewegung in ihrer vermeintlich politischen Ausrichtung ohnehin nicht einheitlich einzuschätzen sind, zeigen die Auseinandersetzungen zwischen Ausständigen und Arbeitswilligen.116 Während die ersten größeren Unruhen in Düsseldorf entstanden117, hatte „Spartakus“ für den 24. Februar den Generalstreik proklamiert.118 Dass man Raumerschließungsstrategien aus anderen Bereichen auf das Feld des Streikens übertrug, zeigt das Einsetzen bewaffneter Sicherheitsleute, wie sie auch während der Besetzung der Zeitungs- und anderer wichtiger Verwaltungsgebäude verwendet wurden. Zu Beginn der Revolution hatte man zunächst nicht den Fokus auf die wichtigen Betriebe der Energie- und Lebensmittelversorgung gelegt, sondern vermehrt diejenigen Räume besetzt, welche einen Zugriff auf die Kommunikationsstrukturen gewährleisteten. Beim Bestreiken der Werke und Zechen wurden dann die Arbeitswilligen vertrieben und ein Wiederbetreten des bestreikten Raumes mit Gewalt verhindert. Zusätzlich zu den symbolisch stark aufgeladenen Beschädigungen der Straßenbahnen während der Januarunruhen hatte man insgesamt den strategischen Wert dieses Fortbewegungsmittels erkannt, denn so konnte verhindert werden, dass Arbeitswillige aufgrund der räumlichen Distanz überhaupt erst zum Arbeitsort gelangen konnten. Auch die in der Nähe zum Betrieb gelegenen Erholungsräume wie Wirtschaften, Kinos oder Theater wurden gewaltsam geschlossen und das Publikum daraus vertrieben, sodass noch weniger Motivation bestanden hatte, sich in der Nähe der Betriebe aufzuhalten. Im Falle
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dem öffentlichen Raum umgegangen werden sollte. Während sich die Gemäßigteren gegen das Mittel des Generalstreiks aussprachen, brach die Veranstaltung auseinander, der verbliebene Rest sprach sich für den Generalstreik aus. Kommunisten und Radikale propagierten das Recht auf die Straße. Letztlich entzweiten sich hier Gewerkschaften und Teile der Streikbewegung voneinander. BA B, R 1501, Nr. 113090, fol. 314, Telefonat vom 14.2.19 6.30 nachm. gegeben Essen, Zentralausschuß des A.-S. Rates aufgen. Herr Dr. Aßmann. Regierungstruppen hatten sich in Sennelager, welches seit 1851 als preußisches Kavallerie-Übungslager fungiert hatte und im Kaiserreich zum Truppenübungsplatz ausgebaut wurde, angesammelt, um schnellen Zugriff auf Städte des Ruhrgebiets bekommen zu können. Vgl. Müller, Bürgerkrieg, S. 137. Einen Höhepunkt fanden diese Konflikte während einer Versammlung am 22. Februar in Mühlheim im Zuge derer Sozialdemokraten und Kommunisten „mit Maschinengewehrfeuer auseinander geschossen wurden“. LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 43, Schreiben des Bürgermeisters III a 575 an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss für die Unruhen in Preussen, Büro der preussischen Landesversammlung, Düsseldorf 27. Mai 1919. Ebd., fol. 48, Schreiben der Polizeiverwaltung Elberfeld J.-Nr. 1116 2657/19 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der hiesigen Unruhen in der Zeit vom 1. Januar 1919 bis heute, Elberfeld 17. Oktober 1919. Ähnliches wird berichtet über die Situation in Elberfeld. Auch hier hatte man für den willigen Teil der Arbeiterschaft in den Straßen „Aufforderungen […] zum Eintritt in den Generalstreik angeklebt.“ Der überwiegend größere Teil wurde mittels Drohungen und Anwendung von Gewalt zur Arbeitseinstellung gezwungen.
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erfolgreicher Verhandlungen konnten Konflikte vielfach beigelegt werden.119 Wenn dieses jedoch nicht der Fall war, konnte dies weitere Protestveranstaltungen nach sich ziehen. Der Ort der gescheiterten Verhandlungen bildete so wiederum den neuen Ausgangsort und verlagerte das Geschehen lediglich jenseits der Betriebe auf die Straßen. Die Betriebe nahmen so gewissermaßen die Rolle von Übergangsorten ein. Diese besaßen einen liminalen Charakter als eine Schnittstelle und Schwelle für das Entstehen sozialer Protesthandlungen, welche dann in größere Demonstrationen oder Streiks ausufern konnten.120 Zu ähnlichen Vermischungen beider Praktiken kam es am 6. April 1919 in Essen, als mit dem Streik begonnen wurde. Bei dem „von Spartakus inszenierten Generalstreik“ stand Gewalt und Terror gegen Arbeitswillige auf der Tagesordnung, so der Polizeipräsident Essens.121 Um gewalttätige Aktionen hervorzurufen, sollte hierfür ein Demonstrationszug der Kriegsbeschädigten auf die Straße geschickt werden, welcher dann zunächst auf Truppen der Regierung stoßen sollte, während man parallel dazu weitere Streikende zu Demonstrationszügen aufforderte. Als die Gas-Wasser- und Elektrizitätswerke stillgelegt wurden, verhängte die Regierung am 8. April 1919 den Belagerungszustand über die Stadt. Dass dieses weitreichende Konsequenzen auf das Streikgeschehen ausübte, wird am Verlust des elektrisch erzeugten Lichts deutlich, woraus resultierend im Zuge der Dunkelheit der Menge nun zusätzlicher Schutz gewährt wurde.122 Streiks als kulturelle Praktiken bedeuteten jedoch weit mehr, als die reinen Kämpfe um Lohn oder Verbesserung der Arbeitszeitbedingungen und äußerten sich auch in der symbolischen Besetzung des Streikraumes, oder seiner physischen Zerstörung. Während des Streiks auf der Zeche Mathias Stinnes I/II in Essen Karnap wurden im Januar 1919 durch Löschung der Kesselfeuerung Sabotageakte ausgeübt, indem Steine von den gefüllten Förderwagen in die Schächte geworfen und
119 LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 48, Schreiben der Polizeiverwaltung Elberfeld J.-Nr. 1116 2657/19 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der hiesigen Unruhen in der Zeit vom 1. Januar 1919 bis heute, Elberfeld 17. Oktober 1919. 120 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 188f. Die Ansammlungen Streikender und Ausgesperrter konnte gerade in der Nähe von Großbetrieben zu Demonstrationen führen, „zu deren Vermeidung Polizei und Gewerkschaftsfunktionäre gelegentlich sogar – zumindest indirekt – zusammenarbeiteten.“ 121 LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 50, Schreiben Polizeipräsident Essen, Tgb. Nr. I.A. 6072 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen in der Zeit vom 1. Januar bis 19. März 1919, Essen 17. Oktober 1919. Für die Stadt Essen wurde über die Streiks berichtet, dass diese vielfach zu Unruhen und Gewalttätigkeiten führten. Zur „Verhetzung der Arbeitermassen durch spartakistische Elemente“ seien die Streiks aus „rein politischen Gründen“ angezettelt worden. Hierbei wurden die meisten Unruhen auf den von den Industriezentren entfernt liegenden Werken ausgemacht, da Essen samt Zentrum durch Polizei, Volks- und Soldatenwehr besser geschützt war, als die Vororte. 122 Bayerischer Kurier Nr. 76 vom 25. Juni 1920. Der Leitartikel mit der Überschrift „Der schlimmste Feind der Streikenden ist die Technische Nothilfe“ zeigt, welchen Stellenwert die Aufrechterhaltung des geordneten, funktionierenden Raumes während der Streikaktivitäten für die Regierung genoss.
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diese so beschädigt wurden.123 In weiteren Fällen wurden Förderwagen, die zur Ausfahrt der Belegschaft vorgesehen waren, in den Förderschacht geworfen, sodass die Ausfahrt versperrt und zusätzlich die Bergarbeiter nur zu Tage befördert werden konnten, weil eine unterirdische Verbindung mit dem benachbarten Schacht Anna bestand.124 Auch wurden häufig die für die Schachtarbeiten benötigten Pferde befreit und quer über das Gelände getrieben. Sabotage konnte nicht nur an der Materialität des Raumes begangen werden, sondern auch an den Körpern der Arbeiter, wenn diese wie im Falle des Schachts Karl „vergewaltigt“ und so arbeitsunfähig gemacht wurden. Unmittelbaren Einfluss auf den Streikraum wurde auch ausgeübt, wenn die zu den Zechen gehörenden Lebensmittellager geplündert wurden oder wie im Falle der Zeche Altstaden in Oberhausen der vorgefundene Branntwein ausgetrunken wurde und man danach die Pferde aus der Grube holte und freiließ.125 Diese Handlungen hatten vordergründig zwar die Einstellung der Arbeit zum Ziel, indem die Streikenden ihren Arbeitsraum beschädigten. Darüber hinaus können derartige Aktionen jedoch auch als sinngenerierend interpretiert werden, denn zum einen stärkten diese Praktiken das soziale Binnengefüge der Gruppe und die inneren Kohäsionskräfte gegenüber beispielsweise den Betriebsleitern oder den Arbeitswilligen. Zum anderen symbolisierten sie ihre erfolgreiche Aneignung des Streikraums mit dem Trinken von Alkohol während der eigentlichen Arbeitszeit direkt im Betrieb. Ähnlich können Fälle aus anderen Gewerben wie bspw. der Streik der Berliner Kellner interpretiert werden.126 Diese zerstörten fast vollständig die Teller und das Geschirr in verschiedenen Restaurants oder beispielsweise im Kaffeehaus Keck. Im Hotel Adlon trafen sich 1.500 Streikende Kellner und wollten ein Aktionskomitee gründen, um gegen die „von der Mehrzahl der Kellner nicht gewünschte Art und Weise des Versuches der Durchführung der Lohnforderungen Stellung zu nehmen.“127 Auch im Kaffeehaus Clou, im Palast-Café oder im Berliner Rathauskeller fanden Arbeitseinstellungen statt. Andere Lokale erklärten sich solidarisch und ließen ihre Türen geschlossen, wenngleich sie sich nicht aktiv mit ihren Beschäftigten auf der Straße beteiligten. Dieses wurde daher in der Vossischen Zeitung als „angreifen“ von insgesamt 120 Kellnern gegen die eigenen Cafés beschrieben.128 Bis
123 LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 50, Schreiben Polizeipräsident Essen, Tgb. Nr. I.A. 6072 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen in der Zeit vom 1. Januar bis 19. März 1919, Essen 17. Oktober 1919. 124 Lucas, Märzrevolution I, S. 52. Die hierfür eingesetzten Mittel waren „typisch syndikalistische Kampfmittel“, die in der „passiven Resistenz“, also „die Verweigerung der Arbeit an der Arbeitsstelle ohne Verlassen des Betriebes, oder Scheinarbeit und produktionsstörende Sabotageakte“ bestanden. 125 LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 50 RS, Schreiben Polizeipräsident Essen, Tgb. Nr. I.A. 6072 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen in der Zeit vom 1. Januar bis 19. März 1919, Essen 17. Oktober 1919. 126 Vossische Zeitung Nr. 2 vom 2. Januar 1919. 127 Vossische Zeitung Nr. 3 vom 3. Januar 1919. 128 Ebd.
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zur Klärung der Lohnforderungen entschied der Interessenverband des Gastwirtgewerbes die Lokale geschlossen zu lassen.129 Viele berichteten, dass sie durch den Terror der Ausständigen gezwungen worden seien, sich dem Streik anzuschließen.130 Dass diese Auseinandersetzungen auch in Gewalt eskalieren konnten, zeigen die Vorgänge aus Witten vom 24. und 25. März 1919, die einen vorläufigen Höhepunkt bildeten als Polizisten auf Streikende schossen.131 Diese drastischen Formen der Auseinandersetzungen während der Streiks sprachen sich aufgrund der räumlichen Kompaktheit und der gut funktionierenden Informationskanäle im Ruhrbezirk schnell herum.132 Um den wilden Streiks und eskalierenden Demonstrationen während der bürgerkriegsartigen Zustände entgegenzutreten, wurde, wie bereits im vorherigen Teil der Arbeit erläutert, die Verhängung des Belagerungszustandes zum beliebten Mittel des neu eingesetzten politischen Kommissars Carl Severing. Es sollten Verordnungen entwickelt werden, durch welche Streiks differenzierter unterdrückt werden konnten. Gemeindebehörden konnten beispielsweise jeden männlichen Einwohner zwischen 17 und 50 Jahren zur Verrichtung von Notstandsarbeiten einteilen und Geldstrafen von 500 Mark verhängen, sofern sich derjenige weigerte. Um sich ein möglichst genaues Bild über das Streikgeschehen im Reich zu machen, sollten reichsweit von den Verwaltungsbehörden Formulare ausgefüllt werden, um so die Logik des Streikgeschehens besser nachvollziehen zu können.133 Im
129 Vossische Zeitung Nr. 4 vom 3. Januar 1919. 130 Vossische Zeitung Nr. 8 vom 5. Januar 1919. 131 Hier und im Folgenden LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 53, Schreiben Oberbürgermeister an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen in der Zeit vom 1. Januar bis 19. März 1919, Mühlheim a. d. Ruhr 18. Oktober 1919. Mühlheim wurde schon zu Beginn der Revolution der Status einer besonders durch eine radikale spartakistische Minderheit geprägten Stadt zugeschrieben, welche „durch skrupellose Anwendung von Gewaltmitteln die Herrschaft über die große Mehrzahl der Bevölkerung ausgeübt hat.“ Ein aus Kommunisten und unabhängigen Sozialdemokraten zusammengesetzter Arbeiterrat hatte hier Unterstützung durch einen radikalen Soldatenrat erhalten, der neben ehemaligen Angehörigen des Landheeres noch einige Matrosen umfasste. Als dessen „Machtmittel“ hatte sich dieser Rat Sicherheitskompagnien geschaffen, welche als „in Wahrheit die schlimmsten Elemente der Unsicherheit“ bezeichnet wurden. 132 Vgl. Spethmann, Zwölf Jahre Ruhrbergbau I, S. 266ff.; vgl. etwa auch Illustrierte Geschichte, S. 329ff. In Dortmund und Bochum bestanden Forderungen nach einer 6-Stunden-Schicht einschließlich der Ein- und Ausfahrtszeiten, sowie der Forderungen nach einer Lohnerhöhung um 25%. Eine am 30. März eingerichtete Delegiertenkonferenz führte zur vollständigen Abspaltung von den Gewerkschaften und zur Einrichtung eines Zentralzechenrats bestehend aus USPD und KPD Leuten. Hier wurde der Generalstreik für den 1. April proklamiert, sowie ein Katalog an 11 Forderungen aufgestellt, der neben den beiden oben erwähnten Forderungen noch die Anerkennung des Essener Räteaufbaus, der Bezahlung der Streikschichten, die Auflösung der Freikorps, die Entwaffnung der Polizei, die Bildung revolutionärer Arbeiterwehr, sowie die Freilassung aller politischer Gefangener enthielt. 133 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14356, ohne fol., Formular des Staates Preußen, Regierungsbezirk Arnsberg, II tes Vierteljahr des Kalenderjahres 1919,
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Falle der Stadt Hamm kann diese Verortungspraxis des Streikgeschehens durch die Verwaltungsbehörden anschaulich gemacht werden. Auszufüllen waren die genaue Anzahl der bestreikten Betriebe inklusive derjenigen, die zu völligem Stillstand gekommen waren. Von 75 im genannten Betrieb beschäftigten Arbeitern, wovon 33 Personen mit „unter 21 Jahren“ aufgeführt wurden, waren 100% nicht streikberechtigt. Davon hatten sich 50 Personen nicht am Streik beteiligt, mussten aber aufgrund der restlichen Ausständigen „in ihrem bisherigen Arbeitsverhältnisse feiern“. Zusätzlich wurden Sympathiestreiks für die Arbeiter einer Firma in Mühlheim a. d. Ruhr vorgenommen, während hier keine Forderungen gestellt wurden. Die Form des Sympathiestreiks ist daher von besonderer Bedeutung, denn dieser kann als Mittel zur Solidaritätsbekundung für einander völlig unbekannte Personen interpretiert werden. Der Versuch der Regierung hier eine Systematik an Streikverbindungen und -aktivitäten herauszubekommen, stieß an seine Grenzen, denn oftmals hatten Berufsvereinigungen oder dritte Personen auf den Ausbruch von Streiks hingewirkt oder unterstützend gewirkt. Immerhin konnte um Arbeitswillige zu schützen, im oben erwähnten Hammer Betrieb in den ersten 3 Tagen eine Polizeipatrouille innerhalb des Betriebes eingesetzt werden „um evtl. Ausschreitungen zu verhindern.“ Ein „militärisches Einschreiten gegen Streiks war längst zur Alltagspraxis in Deutschland geworden.“134 In diesem Kontext ist auch der Befehl Noskes vom September 1919 einzuordnen, die Arbeit notfalls mit „militärischer Gewalt“ aufrechtzuerhalten.135 Während der Streik in der Berliner Metallindustrie als „Generalprobe der Revolution“ bezeichnet wurde, sollte fortan mit „schärfste[m] Durchgreifen bei Terror“ vorgegangen werden.136 Um die Kontrolle über die Streikbewegung zu erlangen, plante das Militär besonders die Rathäuser und Kasernen militärisch noch stärker zu besetzen. Ebenfalls wurden die Bahnhöfe kontrolliert, um neu ankommende Streikwillige sofort zerstreuen zu können.137 Diesem Selbstverständnis des Militärs nach konnten so die ersten „spartakistischen Unruhen grösseren Stils […] rechtzeitig“ erkannt werden, um „nötige Gegenmassnahme[n]“ zu treffen.138 Bei den „Spartakisten“ wurde offenbar ein Strategiewechsel von geplanten und vorbereiteten hin zu spontanen Aktionen vollzogen,
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Nachweisung über einen Streik, hier für die Stadt Hamm. Umfasste ein Streik mehrere Betriebe derselben Gewerbeart, sollte nur eine Nachweisung erfolgen. Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 20; vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen, Nr. 3228, S. 5672ff. Generalleutnant von Watter löste am 11. Februar den KorpsSoldatenrat in Münster auf, um einem angeblich bevorstehenden spartakistischen Großaufstand zuvorzukommen. Noske, Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang, S. 138. Gester, Streiken gegen den Krieg. Der Berliner Metallarbeiterstreik 1918 als Generalprobe der Revolution, in: Sozialistische Zeitung November 2008, S. 21, URL: . [03.07.2014] Vgl. BA B, R 1501, Nr. 20454, fol. 101, Telegramm des Generalkommandos, Münster vom 28. Januar 1919. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15976, fol. 61 RS, 27. Bericht des VII. Armeekorps Generalkommando Abt. Ic. No. 6360, Münster 17. Juli 1919.
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da sie ihre Ziele „nur mit Überraschung“ erreichen würden. Im Laufe des Sommers 1919 änderten die „Spartakisten“ ihre Organisation und Taktik. Unter dem Vorwand von Betriebsversammlungen fanden daher im Industriegebiet vermehrt Arbeiterversammlungen mit kommunistischer Tendenz wie im Falle des Lokals Wirtz in Huckingen südlich von Duisburg statt.139 Die Größe der Streikbewegung resultierte aus einem breiten Zustrom „spartakistischer“ Truppen aus dem ganzen Reich.140 Die sich im Ruhrgebiet vermehrt aufhaltenden Menschen mit Migrationshintergrund, in erster Linie Polen, ergänzten diesen Zustrom fortwährend. Zu treffende Maßnahmen, um der „Bewegung den Nährboden“ zu entziehen, bestünden in der Verbesserung der Versorgungssituation im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. Hierfür solle das Generalkommando versuchen durch Aufrufe und Belehrungen der Landwirte „noch erfassbare Lebensmittel des eigenen Korpsbezirks dem rheinisch-westfälischen Industriebezirk zuzuführen“.141 Ein großer Teil der Arbeiterschaft sei dort unterernährt und ohne ausreichende Kraft zur Arbeit. Daher seien parallel höhere Strafen gegen „Wucherer“ anzusetzen. Darüber hinaus sollte die Arbeiterschaft „durch [die] baldige Einleitung von Massnahmen zur Verwirklichung der Forderungen der Arbeiterschaft, besonders auch auf dem Gebiete der Sozialisierung“ beruhigt werden. Trotzdem arbeiteten „die Behörden […] wohl aus Überlastung zu langsam, auch erscheint die räumliche Verteilung der Bezirke der verschiednen [sic] Staatsanwaltschaften und Gerichte für die Lösung dieser Frage insofern nicht zweckmässig, als sie den wechselnden Brennpunkten der Bewegung nicht immer Rechnung trägt. Es wird daher vorgeschlagen, dass für die Brennpunkte der Bewegung besonders Staatsanwaltschaften und Gerichte eingesetzt werden, die sich nur mit Sachen der Bewegung zu beschäftigen hätten.“142
Die Stilllegung von Betrieben und bestreikten Räumen wirkte somit auch strukturbildend, indem mit einer modifizierten Gesetzgebung auf diese Umstände zu reagieren vermocht wurde. Die Führer der Bewegung sollten „unschädlich“ gemacht werden. Wünschenswert sei eine allgemeine Anweisung gewesen, die darin bestehen sollte, die Polen auszuweisen und den „Abschub“ der gefangenen Russen zu gewährleisten. Die sich im Industriegebiet aufhaltenden „Ausländer“ seien eine „dauernde Gefahr“ und zur Sabotage bereit. Im April beteiligten sich nahezu 300.000, knapp 75% aller Bergarbeiter am Generalstreik. Auch in den Monaten zwischen Mai 1919 und März 1920 kam es zu zahlreichen einzelnen Streiks auf den Zechen. Da das „Versammlungsleben der 139 LAV NRW R, BR 0007, fol. 65, Schreiben VII. Armeekorps Generalkommando Abtl. Ic. Nr. 6360 140 BA B, R 1501, Nr. 20100, fol. 10, Schreiben des Kommandierenden Generalleutnant des VII. Armeekorps [ohne Unterschrift] Abt. Ic. 1516 an die Reichsregierung Weimar, betr. Bekämpfung des Bolschewismus, Münster 8. März 1919. 141 BA B, R 1501, Nr. 20100, fol. 11, Schreiben des Kommandierenden Generalleutnant des VII. Armeekorps [ohne Unterschrift] Abt. Ic. 1516 an die Reichsregierung Weimar, betr. Bekämpfung des Bolschewismus, Münster 8. März 1919. 142 Hier und im Folgenden ebd., fol. 13, Schreiben des Kommandierenden Generalleutnant des VII. Armeekorps [ohne Unterschrift] Abt. Ic. 1516 an die Reichsregierung Weimar, betr. Bekämpfung des Bolschewismus, Münster 8. März 1919.
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linksradikalen Organisationen“ verboten wurde, verlagerten sich die Ursprungsorte für Aktivitäten von den Straßen wiederum in kleinere räumliche Einheiten wie den Lokalen, in denen man sich unter einem Vorwand und Deckmantel treffen konnte.143 Dabei wurden die Mittel und Maßnahmen sowohl auf Seiten der Streikbewegung, als auch auf Seiten der Regierung differenzierter. Vertrauensleute und Lockspitzel sollten die jeweils gegenüberstehende Gruppe unterwandern, ausspähen und in „abenteuerliche Aktionen stürzen“.144 In der Spätphase der Revolution während des Kapp-Putsches wurden die Grundlagen zum Streikaufruf zunehmend ambivalenter beurteilt. Die Anordnung des Generalstreiks zur Unterdrückung des Putsches ließ gerade das Militär mit „starken Teilen auf die Seite der Putschisten“ und somit gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland geraten. Als die vollziehende Gewalt hätte sie die verfassungsmäßige Ordnung schützen müssen, sich jedoch gegen Regierung und Verfassung gestellt.145 Die schnell wechselnde Grundüberzeugung über den Einsatz politischer Mittel wurde auch bei den sozialdemokratischen Regierungsmitgliedern deutlich, welche sich anfangs gegen jegliche Form von Streik als Gefährdung der öffentlichen Ordnung aussprachen und im Zuge des Kapp-Putsches nun die Form des Generalstreiks befürworteten, um gegen den Aufstand vorgehen zu können. 6.2 WIE UNBEKANNTE EINANDER BEGEGNEN – DEMONSTRATION UND PROTEST ALS GRUPPENDYNAMISCHE PROZESSE Als am 25. Dezember 1929 tausende von Berliner Erwerbslosen aber auch Betriebsarbeitern „in die Viertel der Bourgeoisie“ marschierten, um gegen das „Erntefest der Satten und Reichen“ zu demonstrieren, feierte die Revolution bereits ihren 10. Geburtstag.146 Der Titel des Leitartikels der Roten Fahne lautet hierzu „Hungermarsch durch Bourgeoisieviertel. Massen durchbrechen Polizeikordon – AntiWeihnachts-Demonstration im Berliner Westen.“ Um fünf Uhr nachmittags war bereits die Hälfte des großen Wittenbergplatzes mit Menschen gefüllt, die Transparente in die Höhe hielten und mit drohenden Liedern ihren Ruf nach Brot und Arbeit kundtaten. Als einzelne Redner ihre Ansprachen unter „nichtendenwollende[n] Niederrufe[n]“ hielten, setzte sich der Zug durch die „Straßen der Bourgeoisie“ in Bewegung. Während in den Häusern der Wohlständischen die Lichter gelöscht wurden, füllten sich die Straßen mit „dem einzigen und einheitlichen Schrei nach Arbeit und Brot und dem endlosen Hungerruf der Erwerbslosen“, so die Rote
143 Lucas, Märzrevolution I, S. 50. 144 Kaufmann/Reisener/Schwips/Walther, Der Nachrichtendienst der KPD, S. 14. 145 Vgl. Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 20. „[…] die Perzeption der Vorgänge durch die Beteiligten und die daraus entstehenden Konsequenzen zu erfassen. Notwendig ist weiterhin eine Erhellung des geistigen Horizonts, in dem das Militär seine Pflicht und sein Handeln verstand.“ 146 Hier und im Folgenden BA B, R 1507, Nr. 1020, fol. 49, Rote Fahne Nr. 265 vom 25. Dezember 1929.
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Fahne. Um den Demonstrierenden Einhalt zu gebieten, hatte die Polizei zwei „Ketten“ Berittener vor dem Kaufhaus KaDeWe positioniert. Ergänzt wurden die Beamten durch zwei „Ketten“ zu Fuß, die hinter dem Zug aufmarschierten, um das Kaufhaus vor den Demonstranten zu „schützen“. Die sozialräumliche Protestpraxis des Demonstrierens hatte einen festen Platz in der Alltagskultur der Menschen einnehmen können und war Bestandteil der politischen Kultur Weimars. Was lange Jahrzehnte vor der Revolution zur Protestkultur gerade der städtischen Bevölkerung gehörte, war durch Weltkrieg und Revolution zum Mittel kollektiver Willensäußerung geworden. Im Zuge dieses mit der Revolution neu einsetzenden Politisierungsprozesses wurden darüber hinaus weitere soziale Formationen an den Demonstrationen beteiligt.147 Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich zudem eine neue Form der Symbolik entwickelt, welche Form und Funktion der Demonstration teilweise veränderte.148 Die Erfahrungen der Weltkriegsteilnehmer spiegelten sich letztlich in der Revolutionszeit nicht allein in der äußeren formalen Ordnung der Demonstrationszüge wider, sondern auch in deren sprachlichen Beschreibungen. Nicht zuletzt hatte das seit dem 9. November vermeintlich neu gewonnene Bewusstsein vom Recht auf die Straße für viele Teile der Bevölkerung auch ein neues Verständnis ihres Umgangs mit dem öffentlichen Raum geschaffen. Demonstrationen konnten auf temporär kollektiv formierende Identitäten hinwirken.149 In der Weimarer Republik wurden diese anders als in der Vorkriegszeit als eine „alltägliche Unalltäglichkeit“ interpretiert.150 Ähnlich wie die Streikaktionen können sie auch als sinnund bedeutungsgenerierende Handlungen interpretiert werden. Insofern diente das Demonstrieren nach außen hin sowohl der „physisch-demonstrativ[en]“ Besetzung des bestehenden Raumes, als auch der Schaffung neuer Räume, während es nach innen durch die „sinnlich-konkrete Erfahrung des Verbundenseins mit einer Masse Gleichgesinnter“ identitätsbildend wirken konnte.151 Die Herstellung von Öffentlichkeit spielte bei Demonstrationen daher eine wichtige Rolle. Die öffentlichen Räume wirken Nancy Fraser demzufolge „not only [as] arenas for the formation of discursive opinion“, sondern als „arenas for the
147 Vgl. Gailus, Straße und Brot, S. 107ff.; Gailus/Volkmann (Hrsg.), Der Kampf um das tägliche Brot; Geyer, Teuerungsprotest, S. 319–345; Geyer, Verkehrte Welt, S. 28ff.; für einen späteren Zeitraum siehe Schartl, Ein Kampf ums nackte Überleben, S. 125–167. 148 Korff, Symbolgeschichte als Sozialgeschichte?, S. 22; ders., Rote Fahnen und geballte Faust, S. 95ff. 149 Vgl. Melucci, Nomads of Present, S. 30–37. Kollektive Identitäten werden demnach in stetiger Reformulierung und der Anpassung an wechselnde Kontexte als Prozess angesehen. 150 Hagemann, Frauenprotest, S. 203; Vgl. Warneken, Massentritt, S. 64–79. 151 Hagemann, Frauenprotest, S. 203; vgl. Ehls, Protest und Propaganda, S. 19–25. Ehls legt den Schwerpunkt auf friedliche Demonstrationen der Weimarer Republik. „Gesellschaftliche Gruppen, die sich durch die herrschende Form parlamentarischer Willensbildung nicht oder nur unzureichend vertreten fühlen, erhalten bei Demonstrationen die Möglichkeit, für ihre Lebensinteressen demonstrativen Rückhalt in der Öffentlichkeit zu erringen. Demonstrationen tragen so zum legalen und geregelten Konfliktaustausch zwischen gesellschaftlichen Interessengruppen im demokratischen Staat bei.“ (S. 21)
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formation and enactment of social identities.“152 Mit dem Spatial Turn öffnet sich der Gegenstandsbereich der Demonstration nun Fragen nach den Faktoren zur Herstellung sozialen Sinns während dieser sozialräumlichen Praxis. Die Frage wie demonstriert wurde und in welchem Verhältnis Raum und Demonstration zueinander standen rückt somit in den Fokus dieses Kapitels. „Der Zweck von Straßendemonstrationen ging über ihren taktischen Einsatz zum Erreichen politischer Ziele hinaus: Sie waren Akte der Sinngebung, produzierten kulturelle Bedeutungen, waren auch Selbstzweck. Sie standen damit zugleich in der Traditionslinie des kulturellen Gegensatzes zwischen der verbalen Argumentation der Eliten-Politik und der physisch-symbolischen Argumentation popularer Politik, der in Deutschland erstmals während der 1848er-Revolution zur vollen Blüte gelangt war.“153
Wenn nach Lindenberger zu Recht immer die räumliche Perspektive während des Demonstrationsgeschehens mit reflektiert werden soll, so kann nach obiger Lesart auch nach deren Konstruktionsbedingungen gefragt werden. Demonstrierende bewegten sich nicht einfach im Straßenraum, sondern sie gingen mit diesem ein Wechselverhältnis ein, ließen neue Räume mit anderen Konnotationen entstehen, während diese wiederum auf die Akteure rückwirkten. Damit einher gehen Fragen nach dem auslösenden Moment einer Demonstration in Verbindung mit den Orten, der Frage welche differenten Gruppen sich daran beteiligten und ob die Wege der Demonstrierenden wie im obigen Fall von einfachen Arbeitervierteln hin zu den repräsentativen Stätten wie dem Regierungs- und Schlossviertel oder aber auch angrenzender Wohnviertel höherer Schichten von vornherein klar definiert erschien oder erst im Verlauf der Handlungen entstand und somit der Dynamik und Situationsoffenheit geschuldet waren.154 Dass bei Demonstrationen ein Großteil der Teilnehmenden einander nicht kannte, lässt zudem vermuten, dass jenseits der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer Partei oder Berufsgruppe andere Faktoren wirkmächtig geworden sein müssen, die zur Bindung der Gruppen beitrugen. Daher spielen die Demonstrationen begleitenden Handlungen wie die kollektiven Bewegungen, aber auch die Rolle des Einzelnen im Raum oder der Art der Positionierung für die folgenden Überlegungen eine wichtige Rolle. Demonstrationen werden in raumanalytischer Lesart zum einen als „protestierender oder appellierender, dabei gewaltloser Zug durch die Straßen einer Stadt“ interpretiert und wiesen somit stark „symbolische Handlung[en]“ auf.155 Zum Anderen waren sie ein Mittel der Aneignung des physischen Raumes. Als „Symbol einer Disziplin“ hatten sie sich vor den
152 Fraser, Rethinking the Public Sphere, S. 125; vgl. Ehls, Protest und Propaganda, S. 43. Nach Ehls war die am „häufigsten praktizierte Demonstrationsform“ die „Kundgebung an einem zentralen Ort mit An- und Abmarsch von und zu bestimmten Sammelplätzen.“ 153 Lindenberger, Straßenpolitik, S. 304; vgl. Gailus, Straße und Brot, S. 37. 154 Mit diesem Argumentationsgang richtet sich die vorliegende Arbeit gegen die die Begriffe von Bewegungsorganisationen oder Bewegungsindustrien in den Vordergrund rückenden rationalchoice Ansätze und der Theorie der Kosten-Nutzen-Maximierung. Vgl. etwa Zald/McCarthy (Hrsg.), Social Movements. 155 Warneken, „Die friedliche Gewalt des Volkswillens“, S. 97. Anders als bei Warneken wird hier die Anwendung von Gewalt als Mittel der Raumaneignung interpretiert.
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ambivalenten Erfahrungen der Moderne als Instrument der Willensäußerung etablieren können.156 Durch den Drohcharakter der oftmals nicht angemeldeten Veranstaltungen konnte massive Wirkung auf den öffentlichen Raum ausgeübt werden, wenn sich protestierende Menschenmassen auf Plätzen oder Straßen sammelten und sowohl den Verkehr, als auch den Bewegungsradius der an den Demonstrationen nicht beteiligten Menschen einschränkten. Zunächst schienen daher politische Intentionen der Demonstrierenden von untergeordneter Bedeutung zu sein, denn während der sinn- und bedeutungsgenerierenden Aushandlungsprozesse unterschiedlicher Teilnehmer wurde die Situation geregelt. Dabei kann der Einsatz von Symbolen, Sprechchören und bestimmten Handlungen als ein Mittel verstanden werden157, sich einerseits abzugrenzen, aber gleichzeitig auch nach innen den Gruppenzusammenhalt zu stärken und der Demonstration eine Öffentlichkeit zu bieten.158 Daher boten Demonstrationszüge nicht nur den ursprünglichen Initiatoren eines Zuges die Möglichkeit sich politisch zu äußern, sondern waren darüber hinaus ein „Sprungbrett“ für andere soziale Gruppen oder Formationen. Neugierige, sensationserhaschende Personen, aber auch Jugendliche und Frauen, welche eigene Ausdrucksformen kreierten, nutzten diese Form kollektiver politischer Willensbildung und äußerung.159 Das Demonstrieren und der damit verbundene Einsatz bestimmter Symbole ist jedoch nicht ausschließlich als Einschränkung der „politischen Artikulationsfähigkeit“ im Gegensatz zu bürgerlichen Protestformen zu verorten, sondern 156 Ebd., S. 9; Vgl. etwa Warneken (Hrsg.), Massenmedium Straße. 157 Mosovici, Das Zeitalter der Massen, S. 182. Masse wird hier als Strategie interpretiert, jedoch in rational-choice Perspektive immer mit einem gemeinsamen Ziel, welches durch politisches Handeln erreicht werden sollte. 158 Vgl. Hunt, Symbole der Macht, S. 70ff. Hunt hat herausgearbeitet, dass die Bildung und Festigung kollektiver Identitäten durch Bilder, Gesten oder Zeichen funktionierte. 159 Zum Verhältnis von Protest und Demonstration vgl. Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 75f. Kaschuba möchte keine gerade Entwicklungslinie hin vom Protest zur Demonstration ziehen, sondern „angesichts komplexer werdender gesellschaftlicher Orientierungsprobleme“ die „wachsende Vielfalt der Straßenkultur als ein Spiegel [verstehen], der die Auffächerung sozialer Orientierungshorizonte und die Ungleichmäßigkeit politischer Lernprozesse reflektiert“. Kaschuba plädiert für ein normativ ideologisch losgelöstes Politikverständnis, welches er mit dem Begriff der „lebensweltlichen Politik“ zu beschreiben versucht. Daher sei die Demonstration als „Ausdruck der Vergesellschaftung von Alltag und Politik“ zu verstehen. Mit der hier vorgenommenen Argumentation wird ein Schritt weitergegangen und die These aufgestellt, dass das die Akteure verbindende Element nicht die Demonstration an sich darstellte, sondern das Konstruieren und Produzieren eines Demonstrationsraumes und den damit einhergehenden Rückwirkungen auf die Demonstrierenden. Nicht die Demonstration würde demnach zu einem „Medium der Wortmeldung“, sondern das oben angesprochene Wechselverhältnis aus den Handlungen der Akteure und dem Raum. Vgl. BA B, R 1501, Nr. 20455, fol. 66, Schreiben Preußische Gesandtschaft Nr. 51 an Ministerium des Innern, Hamburg 23. April 1919. Im Bericht ist von „Halbstarken“ und Frauen die Rede, welche Demonstrationszüge genutzt hatten, um verschiedene Lokale im Innern der Stadt zu plündern. Akteure „beiderlei Geschlechts“ bildeten eine 50 Personen umfassende Gruppe, um einige wenige uniformierte Personen, die mit Waffen ausgestattet versuchten verschiedene Lokale zu stürmen, an denen die Züge vorbeikamen. Bemerkt wurde zudem, dass diese anfangs als Plünderungen bezeichneten Aktionen nun zunehmend „vorbereiteter“ und „geplanter“ erscheinen würden.
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als ein spezifischer Umgang mit dem Räumlichen.160 Daraus resultierten vielmehr ein Problem der Begegnung einander unbekannter Menschen und die Fragen, welcher Codes diese sich bedient haben mussten. Aufgrund der offenen situativen Dynamik des Demonstrationsgeschehens erscheint die binäre Logik der Einteilung Demonstrierende versus Gegendemonstrierende daher als nicht weitreichend genug. Die Vossische Zeitung überschrieb ihren Leitartikel vom 8. November 1918 mit der Überschrift „Ruhe in Berlin“.161 Berichtenswert erschien der Zeitung in diesem Kontext, dass sowohl die letzten Tage, als auch der „heutige Vormittag“ in Berlin ruhig verliefen waren. Die Arbeiter der Fabriken erschienen zur gewohnten Stunde, während sich die „Hauptverkehrsadern“ der Stadt mit zahlreichen Neugierigen füllten. Besonders das Areal rund um die lange Straße Unter den Linden und den angrenzenden Vierteln war hiervon betroffen.162 Während der Alltag in der Stadt seinem gewohnten Gang folgte und die Kaffeehäuser überall geöffnet hatten, räumten lediglich die Läden mit ihren offen in den Schaufenstern zur Schau gestellten Luxuswaren ihre Auslagen. Da verschiedene Gerüchte in der Stadt über bevorstehende Unruhen kursierten, schlossen einige öffentliche Einrichtungen wie das Berliner Theater ihr Pforten. In einigen Betrieben der Siemensstadt war den Frauen „zu ihrer Sicherheit“ zudem gestattet worden, nach Arbeitsschluss „die Nacht über in den Werkstätten zu verweilen“, was viele jedoch ablehnten.163 Der sonst eher für eine Großstadt zwar nicht ruhige, jedoch geordnete und allenfalls hektische städtische Raum, wandelte sich zunehmend zu einem ständig in Bewegung geratenen, unruhigen Raum. Die der Stadt sonst so vertrauten Akteure wurden durch neue, fremde soziale Formationen ergänzt, wie sie die etlichen Trupps an Matrosen, Soldaten, Offizieren, oder auch Kriegsversehrten darstellten und die vom Bahnhof Richtung Stadtzentrum oder umgekehrt zogen. Einige der Schulen hatten im Laufe des Vormittags geschlossen, speziell diejenigen aus den Vororten, die nur mit den elektrischen Bahnen oder der Stadtbahn erreicht werden konnten. Unklar war offenbar, was geschehen würde, wenn die Stadt nun mit großen Massen an Menschen in den Straßen konfrontiert werden sollte, denn die militärischen Dienstvorschriften für Straßenunruhen „entstamm[t]en einer Zeit, in der das Volk nur als Objekt der Regierung, als Untertanmasse in Betracht kam.“ In Kiel hatte sich bereits einige Tage zuvor gezeigt, „wie leicht der Befehl zum Schießen auf das Volk gegeben wurde und wie schwer durch solche Behandlung die öffentliche Ordnung gefährdet statt beruhigt wurde. Dem Einwand, daß die öffentliche Ordnung gegen Tumultanten oder Putschisten „nicht wehrlos gemacht“ hatte werden dürfen, wurde ein nicht angemessenes Maß der Abwehr gegenübergestellt. In der Behandlung von Straßenkundgebungen sei bereits in Süd-Deutschland ein vernünftigerer Weg eingeschlagen worden. In Stuttgart hatte man die Demonstranten eine Abordnung wählen las160 Korff, Symbolgeschichte als Sozialgeschichte?, S. 18. 161 Vossische Zeitung Nr. 573 vom 8. November 1918. 162 Ebd. Lediglich von einigen Zusammenstößen zwischen „jungen Burschen“ und den Ordnungskräften wurde vermeldet, welche jedoch nach kurzer Zeit durch die Festnahme der „Ruhestörer“ beendet wurden. 163 Hier und im Folgenden Vossische Zeitung Nr. 573 vom 8. November 1918.
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sen, die von der Regierung empfangen, aufgeklärt und zu ihren Genossen zurückgeschickt wurde und somit einen Appell an die Gewalt erst gar nicht nötig werden ließ, sondern beruhigend auf die Massen wirkte. Das Mittel der Verhandlung sollte auch in schwierigeren Konflikten der Anwendung von Gewalt vorgezogen werden. Bereits in den Wahlrechtsdemonstrationen der Jahre 1908 und 1910 wehrte man sich gegen den stark militärisch geprägten Charakter öffentlicher Kundgebungen. Dieser Diskurs war wesentlich auch durch die Zeitungsmedien bestimmt worden, wenn sich beispielsweise die Demonstrationszüge „durch die sonst stillen Straßen, in denen die Bourgeoisie ihre luxuriösen Heimstätten hat, [dröhnend] anklagend und fordernd [mit] lauten Schritten“164 bewegten. Mit der Parole dieser „Arbeiterbataillone“ – „Kein Gleichschritt, sondern Massentritt“ – versuchte man sich mit der proletarischen Demonstrationsdisziplin nicht auf den preußischen Drill zu versteifen, diesen auch nicht nachzuahmen, sondern sich der Situation angemessen als kompakte Bewegung zu präsentieren.165 Diese brachte jedoch eine Flexibilität mit sich, mit der man sich ständig je nach Größe des Ortes und seiner physischen Gegebenheiten wie der Straßenbreite oder der Fläche eines Platzes anzupassen versuchte, während zugleich auf die Stimmungslage und die Reaktion in der Polizeipräsenz wie im oben beschriebenen Fall der Weihnachtsdemonstrationen zu achten war. Die meisten Arbeiterdemonstrationen blieben für weitere potentielle Teilnehmer und Teilnehmerinnen offen, boten diesen durch ihre aufnahmebereiten Ränder und ständigen Formveränderungen die Möglichkeit zur Teilnahme. Dieses konnte bedeuten, dass andere soziale Formationen wie Jugendliche oder Frauen, aber auch Migranten, Erwerbslose oder Kriegsversehrte mit in die Hauptformation integriert wurden. Um die organisierten Kerne der Arbeiterführer und Agitatoren reihten sich daher weitere „Randformationen“, die offenbar einen anderen Bewegungsrhythmus einnehmen konnten und so auch über eine eigene Körpersprache den Charakter der Demonstrationen prägten und sich so von reinen „männlichen Kampfdemonstrationen“ abhoben.166 Dabei sorgten Ordner während der Demonstrationen dafür, dass gerade in kritischen Situationen diese nicht eskalierten.167 Nach dem 9. November begannen die politischen Parteien den Demonstrationszug zunehmend für sich zu entdecken, ohne dabei jedoch eine vollständige Kontrolle über den Verlauf oder mit dem Zug einhergehenden Handlungen zu erlangen. Trotzdem beanspruchten alle politischen Lager, dass sie die größten und effektivsten Demonstrationszüge organsiert hätten und die gegenüber den anderen meisten Demonstrierenden in ihrem Zug vereinigten. Dass deren Komplexität so einfach zu erklären war, kann nach folgenden Überlegungen, wie sie der unabhängige Sozialdemokrat Richard Müller in seinen Beobachtungen schildert, umso mehr bezweifelt werden: 164 Vorwärts vom 14. Januar 1908. 165 Warneken, Als die Deutschen demonstrieren lernten, S. 24; Vgl. auch ebd., Massentritt, S. 64– 79, bes. S. 73. 166 Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 91; vgl. Warneken, Als die Deutschen demonstrieren lernten, S. 93ff. 167 Vgl. Warneken, „Die friedliche Gewalt des Volkswillens“, S. 100.
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„hier Bürgertum und Sozialdemokratie, dort das revolutionäre Proletariat. Hier stand der Bürger, aber nicht mehr der vom 9. November. Es war der Bürger, der sich wieder stark fühlte unter dem Schutze einer sozialdemokratischen Regierung. Dort standen die Arbeitermassen, denen es allmählig [sic] klar wurde, daß sie die alten Illusionen zu Grabe tragen mußten; daß die schönen Demonstrationen der Vergangenheit nicht mehr genügten.“168
Mit Wolfgang Kaschuba kann daher auf eine qualitative Veränderung des Charakters von Demonstrationen für die folgende Zeit argumentiert werden, die sich letztlich in der Anwendung drastischerer Mittel und anderer Präsentationsformen im öffentlichen Raum darstellte: „Wo der soziale Protest noch ein plebejisches Prinzip defensiven Aufbegehrens ‚gegen die Ordnung‘ verkörpert, symbolisiert die Straßendemonstration bereits das proletarische Prinzip einer ‚Gegenordnung‘, den szenischen Entwurf einer politisch-sozialen Gegenmacht, in der sich eine gesellschaftliche Alternative andeutet. Bürgerlich-staatliche Ordnungsmuster werden in der Demonstration nicht mehr ironisch konterkariert, sondern sie werden symbolisch konfrontiert mit dem Entwurf einer neuen, solidarischen Sozialordnung, die nach vorne in die Zukunft weisen soll.“169
Georg Ledebour, welcher im Januar 1918 Mitglied der Streikleitung war, konnte sich vermutlich ein Jahr später während der Januarunruhen von erhöhter Position auf dem Dach des Polizeipräsidiums aus, ein Bild über den Ablauf und die Zusammensetzung des Demonstrationszuges machen.170 Der fehlende Raum zwang die Teilnehmer, sich in sämtliche Straßenzüge bis dicht an das Gebäude heran zu drängen. Ledebour konnte einzeln getrennte Gruppen innerhalb des Demonstrationszuges nicht identifizieren, sondern berichtete von einem „einheitlichen Geist“ in einer „einheitlichen Menschenmenge“. Obwohl er keine offensichtliche Ordnung der Züge erkannt habe, gehe er davon aus, dass diese im Einzelnen „dirigiert“ worden seien. „So geht es ja bei allen Demonstrationen der Arbeiterklasse, daß die Leute nicht wild durcheinander laufen, sondern daß die Züge geordnet werden nach Wahlkreisen oder nach Stadtbezirken, nach Stadtgegenden oder nach Betrieben, daß also die Leute sich in dieser Ordnung sammeln und gemeinsam marschieren. So ist das zweifellos auch hier geschehen.“171
Ledebour erkannte somit offenbar ein Ordnungsschema, welches nach räumlichen Kriterien sortiert war, indem die Züge nach räumlichen Einheiten, nach den Bezirken, Gegenden oder Betrieben sortiert schienen. Die Ansammlung vor dem Polizeipräsidium stellte vermutlich schon den Endpunkt der Demonstration dar. Die räumliche Organisation von Demonstrationszügen kann daher als sinn- und bedeutungsgenerierende Handlung der Akteure angesehen werden. Sich an einem bestimmten Ort häufende Gerüchte waren häufig ein erstes Signal für bevorstehende Demonstrationen. In der Werkzeugmaschinenfabrik Ludwig 168 Müller, Bürgerkrieg, S. 22. 169 Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 84; vgl. Seipp, An Immeasurable Sacrifice of Blood and Treasure, S. 127–145; Koller, Demonstrating in Zurich between 1830 and 1940, S. 193–211, bes. S. 198ff.; Bader-Zaar, With Banners Flying, S. 105–124. 170 Vgl. Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 88. 171 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 89.
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Loewe & Co. kam es zu mehrtägigen Streiks und Demonstrationsversammlungen des Betriebes, nachdem wiederholt die Arbeitstätigkeiten durch „alarmierende Gerüchte“ unterbrochen worden waren. Das Streuen von Gerüchten führte dann „zu Ansammlungen von Gruppen in der Fabrik, zu Umherstehen in der Fabrik und ähnlichen Ungehörigkeiten.“172 Neben dem Betrieb oder dem Wirtshaus173 bildeten offen zugänglichere Räume wie die Straßen, Plätze und Märkte einer Stadt beliebte Orte für das Streuen von Gerüchten.174 Gerüchte waren daher eng an konkrete Orte gebunden. Waren Gerüchte dann bei einer Mehrzahl an Demonstrationswilligen einmal gestreut worden, musste es nicht eindeutig erscheinen, ob der Grund einer Demonstration im Bereich des Geplanten oder Spontanen zu suchen war. Gerüchte als katalysatorisches Moment einer Demonstration entstanden meistens während der Kommunikation in sozialen Kleinmilieus durch informelle Netzwerke und die Weitergabe von vermeintlichen Nachrichten, wenngleich auch hier unterschieden werden muss zwischen der Steuerbarkeit von Gerüchten, denn das Streuen konnte zum einen in planvoller Absicht, oder unabsichtlich spontan im „Tratsch“ zwischen den Akteuren geschehen und die räumliche Nähe von Nachbarschaften im Milieu dann dazu beitrug, dass sich in den Privaträumen der Wohnungen oder den halb172 Kreuter, Werkzeugmaschinenfabrik, S. 116; vgl. Die Geschichte der Ludw. Loewe & Co. Actiengesellschaft Berlin. 60 Jahre Edelarbeit. 1869 bis 1929, hrsg. zum sechzigjährigen Jubiläum der Firma von der Gesellschaft für elektrische Unternehmungen, Ludw. Loewe & Co. Aktiengesellschaft, Berlin 1930. 173 BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 386, ohne fol., Abschrift No. 3 Wehrregiment München Nachrichten Abteilung an Bayer. Reichswehrgr. Kdo. 4, Brief B. No. 744 v. 3.7. Akt 14 betr. Sammelmeldung von 5 Bataillonen, München 30. Juni 1919. Geheime Veranstaltungen, wie beispielsweise im Cafe Orleans in der Rosenheimerstrasse, im Gasthof Schlosshof in der Schwanthalerstrasse 155, der Akropolis in der Barerstrasse oder in der Widder Weinstube fungieren als Mikroräume, von wo aus Demonstrationen geplant werden konnten. Um die Orte möglichst geheim zu halten, kamen ihre Teilnehmer vermehrt durch verschiedene Ein- und Ausgänge, wie im Falle des Schlosshofes, sodass das Kommen und Gehen von 20–30 Mann kaum auffiel. Auch die Tarnbezeichnung von hier abgehaltenen „Besprechungen“ anstelle von „Versammlungen“ sollte einen mehr informellen Charakter nach außen hin suggerieren. Veranstaltungen bedurften einer offiziellen Anmeldung, sodass sich in Gegensatz dazu kleinere Zusammenkünfte von 12–15 Mann recht problemlos planen ließen. 174 BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Schreiben des Oberwachtmeisters Schweitzer von der Schutzmannschaft Abteilung für den 15. Bezirk an die Polizeidirektion München betr. Gerüchte über vermutliche Putsche, München 22. Juni 1919. Ein Hilfswachmann, welcher offensichtlich Zivil trug, war auf der Weißenburgerstr. mit einem unbekannten Arbeiter in ein Gespräch geraten. Dieser hatte ihm davon berichtet, dass die Schutzleute diesmal „nicht blos [sic] entwaffnet, sondern gleich umgebracht“ worden seien und zwar nicht mit Schusswaffen, sondern mit Messern. Ähnliches „belauschte“ dieser im Wagnerbräu in der Lilienstraße, wo einige Gäste von einem bevorstehenden Putsch sprachen, für welchen sie an Waffen gelangen und dafür erst die Schutzleute von den Straßen hätten räumen müssen. Die Streuung von Gerüchten wirkte daher sowohl auf Seiten der Demonstrierenden, als auch auf Seiten der regierungstreuen Formationen. „[D]urch diese zusammenpassende Gespräche dürfte bestimmt anzunehmen sein, daß z. Zt. tatsächlich solche Putsche geplant und schließlich solche auch bald sich wiederholen dürften.“ Gerüchte konnten insofern eine Wirkung erzielen, wenn daraufhin die Wachen, welche zur Zeit nur mit höchstens zwei Mann auf Patrouille waren nun verstärkt und mit Verteidigungsmaterial wie Handgranaten oder Maschinengewehren ausgestattet wurden.
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privaten Räumen der Wirtshäuser Gruppen mittels kollektiver Vergemeinschaftungsformen herausbildeten.175 Hierbei waren gemeinsame politische Interessen und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu wichtige Bindungsfaktoren, wenngleich diese nicht allein für den Zusammenhalt einer Gruppe ausschlaggebend waren. Kulturelle Praktiken wie das gemeinsame Liedersingen, das wilde Gestikulieren oder das gemeinsame Schlagen von Lärm gehörten ebenso zu jenen Bindungsfaktoren. Während dieser Handlungen konnte ein sich nun konstituierender Demonstrationszug konkrete Formen annehmen. Ob bereits an diesem Punkt das Ziel einer Demonstration festgelegt war, oder schon eine Intention bestand, ist für den jeweiligen Fall zu prüfen. Viele Demonstrationszüge der Revolutionszeit, so der Eindruck, bestanden in einem vermeintlich „organisierten Chaos“, wenngleich die Züge durch ihre synchron aufgeführten Handlungen des Singens oder Protestierens etwas Rhythmisches an sich hatten.176 Während junge, meist ledige Männer im Innern sogenannte „Aktionskerne“ bildeten, gruppierten sich an deren Rändern vielfach Frauen oder ältere Männer. Musste dieses nach außen oft ein Bild von Unordnung abgegeben haben, folgten die Züge dem Innern nach einer oftmals festen Ordnung, indem marsch- und kolonnenmäßiges Verhalten eine Synchronität des Geschehens herstellte. Diese Überlegungen gilt es nun anhand weiterer Fälle zu überprüfen. Münchens Theresienwiese bildete mit einer ungefähren Fläche von 42 Hektar und der Bavaria, welche als weibliche Symbolgestalt und weltliche Patronin Bayerns für das Staatsgebilde Bayern stand, ein Wahrzeichen der Stadt.177 Der Platz besaß bereits damals eine lange Tradition, welche sich durch zahlreiche Kundgebungen, Feste oder Großereignisse ausdrückte. Den Charakter eines offenbar geplanten Demonstrationsvorhabens hatte eine von Seiten der Unabhängigen angekündigte Friedensdemonstration auf der Theresienwiese vor besagter Bavaria vom 3. November 1918.178 Die für halb zehn angesetzte Veranstaltung hatte bereits schon eine Stunde vorher vereinzelt Teilnehmer und Schaulustige auf den Platz gelockt, sodass recht schnell 800 bis 1.000 Personen, darunter auch Soldaten, Unteroffiziere oder Verwundete zusammenkamen. Neben der Demonstration für den Frieden wurde während der Veranstaltung gleich Werbung für die anstehende
175 Owzar, „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, S. 72. Folgt man einer an das Milieu orientierten Differenzierung sozialer Gruppen, so ist die non-verbale Kommunikation ein Kriterium zur Wahrnehmung unterschiedlicher Gruppen. Zunächst sollten sie voneinander wissen und sich dann abgrenzen. Owzar unterscheidet daher zwischen negativer und positiver Kommunikation. Für ihn sind offene Räume durch ein heterogenes Publikum charakterisiert, während Kneipen beispielsweise dem halboffenen oder geschlossenen Raum zugeordnet werden können. Entscheidend ist dieser Lesart zufolge, dass „räumliche und zeitliche Faktoren […] das Kommunikationsverhalten bis zu einem gewissen Grad“ determinieren. 176 Vgl. Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 79. 177 Vgl. Otten, Die Bavaria, S. 107–112; Vgl. Rattelmüller, Die Bavaria. Geschichte eines Symbols. 178 Vgl. BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Bericht des Sicherheitskommissars August Fauß betr. Friedensdemonstration der Unabhängigen auf der Theresienwiese vor der Bavaria, München 3. November 1918.
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Reichstagswahl am 17. November gemacht, wofür man Flugblätter an die Versammelten verteilte. Das Erscheinen Kurt Eisners und des Veranstalters Johann Unterleitner löste schnell Jubel, Händeklatschen und Bravorufe bei den Anwesenden aus. In der symbolischen Handlung des Klatschens aber auch Winkens mit dem Hut manifestierten sich bürgerliche Proletarierängste und Repräsentationsbedürfnisse, welche sich schließlich in jener eigenen Bewegungssymbolik mit Gesten, Farben und Emblemen äußerte.179 Dass die Veranstaltung überhaupt stattfinden durfte, war der Einschränkung einiger vorher von der Polizei gemachten Auflagen zu verdanken. Zum einen dürfe „keine Entschließung, daß die heutige Regierung durch eine Volksregierung ersetzt werde“ getroffen werden.180 Auch dürfe man die Soldaten nicht auffordern, ihre Waffen niederzulegen. Der wichtigste Punkt jedoch lautete, dass man keine Demonstrationszüge veranstalten und genauso wenig zu diesen auffordern dürfe. Eisner selbst wies dann auf die schwierigen Umstände hin und mahnte, dass die Lebensmittelversorgung stark gefährdet sei. Die Missstände in der Berliner Regierung führten ohnehin dazu, dass jede Stunde andere Gerüchte brachte: „Heute heiße es, der Kaiser gehe (Zwischenrufe wie: Der Lump soll gehen), morgen heiße es, der Kaiser gehe nicht, weil er der Schutz- und Schirmherr des deutschen Reiches sei.“181 Den parteiübergreifenden Charakter der Veranstaltung versuchte man auch durch Redner wie den Professor Jaffe zu erwecken, der sich als „Mann aus Bürgerkreisen“ auch „in diesen Kreisen nach Frieden“ sehne. Entscheidend ist nun der Zeitpunkt der Auflösung der Veranstaltung, denn hier transformierte sich die starre „Stand“-Demonstration zu beweglichen Demonstrationszügen mit offenbar unterschiedlichen Motiven. Während sich viele der Teilnehmer in einzelnen Gruppen quer über die Wiese in Richtung Stadt bewegten, „sammelten sich die Anhänger Eisners und Genossen zu einem Demonstrationszuge nach Stadelheim“, über das Eisner und andere aus ihren Erfahrungen des großen Januarstreiks 1918 in ihren Reden berichtet hatten. Sicherheitskommissar Faust will zudem bemerkt haben, dass „bei der Friedensdemonstration die große Menge der Rüstungsarbeiter“ gefehlt hätte, was er als einen Beweis dafür nahm, „daß die gewerkschaftlich organisierten
179 Vgl. Korff, Rote Fahnen und geballte Faust, S. 97; vgl. Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 77–79 u. S. 92f. 180 Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 2, Reichsamt des Innern, Meldestelle, Telegrammadresse Inreichsmeldestelle betr. Uebersicht über Unruhen abgeschlossen am 8.11.18, nachm. 7 Uhr), Berlin 8. November 1918. Aus München hatte das Wolff’sche Telegraphenbüro gemeldet, dass im Anschluss an eine Massenversammlung am 7. November ernste Unruhen entstanden seien, die zur Ausrufung der Republik in Bayern führten. Der neu entstandene Rat von Arbeitern, Soldaten und Bauern unter Vorsitz Kurt Eisners hatte die Bevölkerung Münchens in einem langen Aufruf darüber informiert, nun für die „Sicherheit der Person und des Eigentums“, somit für den öffentlichen Raum zuständig zu seien. 181 Hier und im Folgenden BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Bericht des Sicherheitskommissars August Fauß betr. Friedensdemonstration der Unabhängigen auf der Theresienwiese vor der Bavaria, München 3. November 1918.
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Arbeiter sich in den Händen der Führer befinden“ mussten.182 Darüber hinaus nahm er eine dritte nicht zu unterschätzende Gruppe wahr, welche sich aus Neugierde vor der Bavaria eingefunden hätte und nach dem Ende wieder in Richtung Stadt ging. Faust schlussfolgerte, dass diese Sache einen „kläglichen Verlauf inbezug auf Teilnehmerzahl wie auch inbezug auf die Wirkung“ hatte.183 Auch am 7. November 1918 war Münchens Theresienwiese erneut Schauplatz einer riesigen Friedenskundgebung anlässlich des ersten Jahrestages der russischen Oktoberrevolution veranstaltet von SPD, Gewerkschaften und den Unabhängigen.184 Ca. 60.000 Teilnehmer hörten an verschiedenen Stellen des Platzes den Rednern und ihren Ansprachen zu. Kurt Eisner hatte die Größe der Theresienwiese offenbar für seine Strategie berücksichtigt, denn seine Rednerposition befand sich im Norden des Platzes. Daraus zu schließen wäre, dass er von hier aus schnell zu den Kasernen gelangen konnte. Nach der Kundgebung setzte sich der Zug in Richtung des Friedensengels in Bewegung. Ein Teil des Zuges spaltete sich unter Eisners Leitung zu einem eigenen kleineren Zug und setzte sich Richtung Kraftwagenkolonne der Kraftfahr-Ersatzabteilung in der Kazmairstraße in Bewegung, woraufhin sich die dortigen Arbeiter Eisners Zug anschlossen. Die weiteren Etappen bestanden aus den Gebäuden des Landsturmbataillons, der Marsfeldkaserne, sowie der Türkenkaserne, und Kasernen auf dem Oberwiesenfeld bis zur Dachauer Straße, wo sich nun Soldaten anschlossen. Als Gründe für den Anschluss an den Demonstrationszug wurde die allgemein herrschende Kriegsmüdigkeit und Überzeugungskraft der Revolutionäre angeführt. Als der Zug dann am Abend vor der königlichen Residenz stoppte, waren keine Truppen mehr da, um scheinbar die Monarchie zu verteidigen.185 Dass unterschiedliche soziale Formationen an einer bereits begonnenen Demonstration partizipierten, wird anhand einer Arbeitslosendemonstration vom 7. 182 BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Telegramm des Stadtmagistrats Straubings Maily Nr. 118 an Staatsministerium des Innern, München 10. Januar 1919. Auch aus Straubing gelangten ähnliche Berichte ans Staatsministerium. Dort war ebenfalls das lokale Gefängnis in der Nacht vom 6. auf den 7. und vom 9. auf den 10. Januar Ziel „bewaffneter Banden“. Diese hatten versucht das Gefängnis zu stürmen, um Gefangene zu befreien. Die Sicherheit sei in Straubing ständig gefährdet. 183 Vgl. Ay, Volksstimmung und Volksmeinung, S. 345–385. Die Ursachen für die Revolution in München macht Ay aus einer komplizierten Gemengelage unterschiedlicher politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme aus. (S. 379ff.) Vgl. Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch; vgl. Hillmayr, München und die Revolution von 1918/19, S. 453–506, bes. S. 472ff.; vgl. Beyer, Die Revolution in Bayern. 184 Folgende Informationen basierend auf Berliner Tageblatt Nr. 572 vom 8. November 1918. Der Artikel berichtet von der „weit ausgedehnten Theresienwiese“, welche „früher nur Feste und Heiterkeit gesehen und nun der Schauplatz eines ernsten Schauspiels wurde. Unübersehbar rückten die Arbeiterbataillone der verschiedenen Betriebe an. Männer wie Frauen“, die den großen Platz um drei Uhr schon mit Zehntausenden ausfüllten. Neben der großen Zahl der Arbeiterschaft hatte sich ein beachtlicher Teil der Münchener Bürgerschaft ebenfalls angeschlossen. 185 Zur Situation Münchens zu Beginn der Revolution vgl. Ay, Die Entstehung einer Revolution; Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch; Grunberger, Red Rising in Bavaria; Mitchell, Revolution in Bayern 1918/1919; Herz/Halfbrodt (Hrsg.), Revolution und Fotografie.
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Januar 1919 vor dem Bayerischen Staatsministerium des Äußeren am Promenadeplatz Münchens ersichtlich.186 Hier hatten sich unterschiedliche Gruppierungen an der Demonstration beteiligt, sodass davon auszugehen ist, dass sich ein gemeinsames Ziel erst im Verlauf der Handlungen hatte herauskristallisieren können. Bis um fünf Uhr verlief die Demonstration dem Bericht nach in „ruhiger Weise“. Erst dann nahm die Dynamik des Demonstrationszuges an Intensität zu, denn eine Anzahl an jüngeren Soldaten und „jungen Burschen“ hatte die „Führerrolle“ des Demonstrationszuges eingenommen und ließ die vorherigen „Führer der Demonstranten, die zur Ruhe mahnten, nicht mehr zu Worte kommen“. Sie forderten die Menge auf, sich Waffen zu verschaffen, während sie die ursprünglichen Forderungen, welche an den Minister Unterleitner gestellt werden sollten nicht mehr kommunizieren wollten, um so sofort das Ministerium zu stürmen. Die vermeintliche Zielrichtung des Demonstrationszuges hatte also während des Ablaufs eine spontane Wendung genommen und wurde nunmehr radikalisiert. Trotzdem kann nicht von einer einheitlichen Stimmung innerhalb der sozialen Formation der Demonstrierenden gesprochen werden, denn „viele gemäßigte Elemente“ ermahnten die Menge fortwährend zur Ruhe. Der Ablauf der Ereignisse ist zudem schwierig rekonstruierbar, denn viele der Aktionen folgten entweder unmittelbar schnell aufeinander oder verschoben sich ineinander, sodass hier weniger von einer Ursache-Wirkung-Kette gesprochen werden kann. Einem einzelnen sich als russischer Revolutionär ausgebendem Mann, der vom Balkon des Gebäudes aus eine Ansprache halten wollte, gewährte man kein Wort. Dieses funktionierte erst als er von der Peripherie des Balkons direkt in das Zentrum der Menge ging und somit etwas mehr Aufmerksamkeit erreichen konnte, bevor er nach seiner Aufforderung zur Ruhe und Ordnung von der Menge kollektiv „niederschriehen“ [sic] wurde. In der Promenadestraße fielen dann aus einem Eckfenster heraus Schüsse, was die Menge auseinandertrieb. Etwas später beobachtete der Schutzmann, dass sich wieder eine kleinere Menge an „jüngeren Burschen und Soldaten“ neu zusammenschloss, um eine größere Gruppe zu bilden. Danach nahmen sie der republikanischen Schutzwache die Waffen ab, indem die Soldaten einzeln umringt wurden und deren Waffen an „jüngere Burschen hinausgingen“. Alle vernommenen Zeugen berichteten von lautem Lärm auf Straßen und Plätzen. Maschinenmeister Albert Maurer, der freiwillig seine Aussage zu den Demonstrationen machte, berichtet davon, dass die Schießerei vor dem Bankgebäude erst losgegangen sei, als ein bewaffnetes Lastauto der republikanischen Schutztruppe in der Praunerstraße , der nächst gelegenen nördlichen großen Straße, vorfuhr und vier Maschinengewehre aufgestellt wurden.187 Einer der Schutzleute mit weißer Armbinde und rotem Kreuz, in einer Hand eine weiße Fahne haltend, versuchte nun die Demonstranten und Neugierigen des Platzes zu verweisen, woraufhin die Anwesenden etwas zurückwichen. Ein anderer uniformierter Soldat forderte 186 Hier und im Folgenden BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Bericht des Schutzmann Josef Gerum betr. Bericht über die am 7. Januar 1919 vor dem Ministerium des Aeußern stattgefundenen Arbeitslosendemostration und daran anschließende Einvernahme von Bankbeamten, München 8. Januar 1919. 187 BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Abschrift der Aussage des Maschinenmeisters Albert Maurer, München 8. Januar 1919.
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die Menge auf, sich in den Besitz des Maschinengewehrs zu bringen. Nach einem weiteren Anwachsen des Menschenstroms in Richtung Lastauto seien dann die Truppen in Gefechtsstellung auseinandergegangen. Hierbei gingen diese in einer geschlossenen Linie gegen das Gebäude der Hypotheken- und Wechselbank vor, in welchem sich die jüngeren Anführer des Zuges befanden. Interessant ist daher die Beobachtung des Albert Maurer, dass er den uniformierten Offizier beobachtet habe, wie dieser eine organisatorische Tätigkeit bei dem Arbeitslosenzug inne hatte, denn dieser habe vor der Aktion besonders Schulkinder versucht vom Platz zu schicken. Auch die Beobachtungen des Referenten Franz Pitzer bestätigen den Eindruck, dass aus einer ursprünglich friedlich geplanten Arbeitslosendemonstration nun eine offene Auseinandersetzung des Militärs und Teilen des ursprünglichen Zuges geworden war, denn aus dem Gebäude der Bank hatte dieser deutlich die Einschläge der feuernden Maschinengewehre beobachten können.188 Der unbeteiligte Teil der Menge vor dem Gebäude begann sich erneut zu spalten. Ein Teil bewegte sich in Richtung Maffeistraße weg vom Geschehen, während der andere Teil sich auf das Gebäude hin bewegte. Ein weiteres Argument dafür, dass man nicht von einer Geschlossenheit und politischen Zielvorgabe des Demonstrationszuges sprechen konnte, waren die Aussagen weiterer Demonstrationsteilnehmer. Diese hatten nämlich berichtet, dass sie ganz am Ende des Zuges bereits von den Schüssen etliche hundert Meter weiter hörten, ohne dass sie genau wussten, um was es sich dabei handelte oder woher genau die Schüsse stammten.189 Vermutlich schlossen sie sich dem Zug zuerst aus reiner Neugierde an, während dann im Zuge des Demonstrierens sich eine Solidarität zwischen den Teilnehmenden gebildet hatte. Dass die Maschinengewehre unter Umständen nur als Abschreckungsmittel benutzt wurden, um die Demonstrierenden auseinanderzubringen geht aus dem Bericht des Kriminalwachtmeisters Friedrich Gender hervor.190 Dieser habe einen jugendlichen Matrosen „mit rotem Gesicht“ dabei beobachtet, wie er umringt von einer Gruppe Soldaten ein kleines Maschinengewehr unter seinem Mantel versteckt hielt und „zweifellos zu den Demonstranten“ gehört habe. Genders Beobachtungen reichten soweit, dass er davon ausging, der Matrose suche einen geeigneten Platz für seine Waffe. Da die Häuser in diesen Straßen vielfach Durchfahrten besessen hätten, sei er davon ausgegangen, dass die Leute mit der Waffe so zur Prannerstraße gelangt sein konnten. Er selbst habe während der Schießerei an der Ecke Promenadeplatz und Promenadestraße „Wahrnehmungen gemacht, daß auch aus der Richtung des 188 Ebd., ohne fol., Abschrift der Aussage des Referenten Franz Pitzer betr. die Vorgänge am 7. Januar 1919 vor dem Ministerium des Äußern und der bayer. Hypothek- und Wechselbank, München 8. Januar 1919. 189 BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Abschrift der Aussagen und Hinweise der bei der Polizeidirektion erschienenen Arbeiter und Teilnehmer der Demonstration Wilhelm Pittendorfer und Peter Stoiber, München 8. Januar 1919. Die Aussagen sind häufig im Konjunktiv formuliert und deuten allenfalls Vermutungen an. Dasselbe gilt insbesondere auch für Stoiber, der recht spät zur Demonstration dazu stieß und sofort die Schüsse wahrgenommen habe. 190 Hier und im Folgenden Ebd., ohne fol., Abschrift des Berichts des Kriminalwachtmeisters Friedrich Gender betr. die Schießerei bei der Arbeitslosendemonstration am 7. Januar 1919, München 9. Januar 1919.
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Durchganges Promenadepl.-Frauenplatz Schüsse fielen“. Seiner Meinung nach seien die Maschinengewehre nicht dazu da gewesen auf die Leute zu schießen, sonst hätte man in der „dichten Menschenansammlung eine Masse Tote und Verwundete“ gefunden. Darüber hinaus seien „Lokalkenntnis[sse] erforderlich“ gewesen, weil viele Straßen nur während der Anlieferung von Waren für den Verkehr freigegeben waren: „Wer jedoch Lokalkenntnis hat, kann durch die rückwärtsgelegene ‚Schwemme‘ oder durch einen rechts abseits vom Durchgang gelegenen kleinen Hof zur Prannerstr. gelangen.“ Dass diese Gerüchte eine anstachelnde Wirkung besaßen, geht aus dem Verhalten des Professors Schmöger hervor.191 Dieser hatte mit dem ursprünglichen Ereignis vermutlich überhaupt nichts zu tun, ging jedoch am Folgetag zu besagtem Platz, um sich den Ort der Auseinandersetzungen anzuschauen. Er habe von Umherstehenden gehört, dass aus der Hypotheken- und Wechselbank geschossen worden sei, „und daß dies der Kapitalismus getan habe.“ Er habe mehrere von solchen Leuten belauscht, die derartige Nachrichten verbreiteten und er selbst sei der Ansicht gewesen, dass diese „unrichtigen Angaben von Spartakusleuten“ vorgenommen würden.192 Im Falle der Demonstration, welche dann am Bankgebäude endete, wird zudem das Agieren in flexiblen Formationen deutlich. Entgegen des starren Stehens auf der Theresienwiese vor der Bavaria hatte der daran anschließende Zug den Charakter eines sich ständig bewegenden Stroms von Menschen, welcher schließlich in der Besetzung des Bankgebäudes mit dem Ergebnis von drei Toten und acht Verletzten aus einer ursprünglich eigentlich friedlichen Demonstration der Arbeitslosen. Diesen Demonstrationszug allein entlang einer binären Logik zu deuten, der zufolge zwei kohärent voneinander getrennte Gruppierungen aufeinandertrafen, greift den oben gemachten Beobachtungen nach zu kurz. Dafür hatten zu viele verschiedene soziale Formationen die sozialräumliche Praktik des Demonstrierens als Mittel angewandt, im Zuge dessen sie erst kollektive Interessen zu formulieren begannen und diese in der Öffentlichkeit einer breiteren Masse anderer Akteure präsentierten. Anders gelagert und mit spontanerem Charakter konnten Demonstrationen sein, welche aus einem halböffentlichen Raum, wie Owzar ihn beschrieben hatte,
191 Hier und im Folgenden BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Abschrift des Berichts des Kriminalwachtmeisters Friedrich Geuder betr. Schießerei bei der Arbeitslosendemonstration am 7. Januar 1919 abends, München 10. Januar 1919; vgl. BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 385, ohne fol., Bericht P.N.D. an Nachrichtenabteilung Nr. 2730, o.O. vom 19. August 1919. Gerücht zugunsten der Gefangenenfürsorge. Zurückkehrende Gefangene sollten angeblich mit 150 Millionen unterstützt werden. Die Kriegsbeschädigten besäßen ein viel größeres Recht auf Unterstützung, „denn sie haben ja bis zur Stunde ihrer Kampfunfähigkeit und bis zum Ende des für uns leider unglücklichen Krieges gekämpft und haben ausserdem noch ihre Glieder und ihre Gesundheit eingebüsst.“ Einige würden die Heimkehrenden versuchen über ihre Spender aufzuklären, um so den „Zulauf zu den Revolutionären aufzuhalten“. 192 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 348, Abschrift A 1178 Telegramm des Preußischen Geschäftsträgers an das Auswärtige Amt, München 14. Januar 1919. Die „Niederwerfung des Spartakusaufstandes“ in Berlin hatte „den denkbar besten Eindruck“ gemacht, dass auch den „Spartakusleuten“ in München entgegen gewirkt werden könne.
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hervorgingen.193 Wenn Arbeiter nach ihrer Schicht in die ortsnahe Stammkneipe gingen, um den Feierabend einzuläuten, konnte dieser Ort oftmals durch solidarisierende Handlungen zum Ursprungsort einer Demonstration oder Protestkundgebung werden. Auch gezielte Verabredungen resultierten hieraus, wenn der Samstag oder der blaue Montagabend im „Protestkalender“ markiert wurde. Der milieuspezifische Zusammenhalt am selben Ort und daraus resultierende Erfahrungskontexte von Arbeit, Fest, Geselligkeit, Brauch und deren Interaktionsformen zur gemeinsamen Überzeugung formten ein kulturelles „Anderssein“ und stärkten so den Gruppenzusammenhalt.194 Im Falle einer am 4. Juni 1919 in Giesing stattfindenden Wahlversammlung im Volksgarten an der Ecke Beisenhofener- und Tegernseerlandstr., deren „eigentliche[r] Zweck“ die Stadtratswahl sein sollte, wurde seitens eines eingeschleusten anonymen Spitzels mitgeteilt, dass diese als Protestveranstaltung getarnt sei.195 Nach der Ermordung Eisners waren es vermehrt Versammlungslokale, in welchen hierzu Stellung genommen wurde, die aber in erster Linie als Orte der Solidaritätsbekundungen und des Zusammenhaltes dienten. In extra dafür vorgesehenen Kondolenzzügen symbolisierten die Menschen mit Plakaten ihre Anteilnahme und forderten auf, die Zeitungsgebäude wegen der angeblichen Hetze gegen Eisner anzugreifen.196 Waren die Initiationsrituale beim Treffen durch die angesprochenen Solidaritätsbekundungen innerhalb der Gruppe vollzogen, war es wesentliche Aufgabe der Demonstrierenden sich nun ein Publikum zu verschaffen und den Zug an geeignete strategische und symbolische Orte der Stadt zu führen, während der „Flow“ die Demonstrierenden von einer Station zur nächsten trieb. Für das oben angesprochen Beispiels der Theresienwiese galt wie auch für viele andere Züge, dass diese sich von der Peripherie weg hin zu den Zentren der Stadt bewegten, während man durch die Viertel der höheren Schichten zog. Das sich ständige Vorwärtsbewegen der Züge symbolisierte zudem die Kraft der Demonstrierenden und deren entschlossenen Willen sich ihnen sonst weniger zugängliche Räume anzueignen. Um den Zusammenhalt innerhalb der Züge aufrechtzuerhalten, mussten die Hand-
193 Owzar, „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, S. 72. 194 BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Schreiben Detachem. Bogendörfer, Art. Führer an Schützenbrigade 21 Nachr. Abt., München 8. Juni 1919. Gerade die Gasthäuser waren Orte der vermehrten Gerüchtestreuung. Vom Gasthaus „zur bayrischen Krone“ in der Schützenstraße gingen regelmäßig Gerüchte hervor, dass beispielsweise sogenannte „rote Verbände“ gebildet würden, welche unter „größter Vorsicht“ versuchten Leute in ihre Reihe aufzunehmen. Weitere Themen, welche der Berichterstatter im Gasthaus zu Ohren bekam, bestanden in der Streuung von Gerüchten, dass bald italienische Besatzungen nach München kämen. Alles in allem dienten die Gerüchte dazu, die Arbeiter in Unruhe zu versetzen. Auch Vermutungen über die Lebensmittelversorgung wurden hier gemacht. Die Gasthäuser nahmen so die Funktion reinster Gerüchteküchen wahr, boten aber zugleich den Raum zu gemeinsamen Solidaritätsbekundungen. Vgl. Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 81f. 195 BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Bericht eines anonymen Spitzels, München 7. Juni 1919. 196 BA B, R 1501, Nr. 20454, fol. 369, Von der Inf. Stelle der Reichsregierung, Nr. 151/9242, Berlin 22.2.19 betr. Aufzeichnung des Telefonats vom 21.2.19, 4.15nm., gegeben München, Polizeidirektion, Aufgenommen Herr [fehlt].
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lungen ständig wiederholt und erneuert werden, denn die Wirkkraft eines Demonstrationszuges ließ mit dem Schwinden seiner Teilnehmer deutlich nach. Die befragten Zeugen aus obigen Beispielen schilderten daher, dass Redner in regelmäßigen Abständen mit ihren Appellen den nötigen Zusammenhalt der Gruppe ständig erneuerten. Die schon anfangs angedeutete Orientierung an militärischen Ordnungsmustern der Züge kann als weiteres Argument für den Charakter dieser repetitiven Praxis angefügt werden. Die Einteilung der Demonstrierenden in Blöcke, Kolonnen, Bataillone oder die Bezeichnung als Kämpfer der Arbeiterklasse resultierten aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges und den dort gemachten Erfahrungen mit anderen Einteilungen des Raumes.197 Das Marschieren im öffentlichen Raum in unterschiedlichen Ordnungen bot daher kulturelle Codes, ein untereinander kulturelles Sich-Verstehen aller Beteiligten. Die Erfahrung auf den Kriegsfeldern, Raum als etwas Gefährliches oder Sicheres wahrzunehmen, hatte somit unmittelbaren Einfluss auf das Demonstrationsverhalten im städtischen Raum genommen. Daher können die Polizeiaktionen gegen diese Züge auch als „Aufbrechen der Bewegung“, als „Stören des kollektiven Rhythmus“ oder als „Auflösen [der Züge] in chaotische Einzelbewegungen“ interpretiert werden, wie es Wolfgang Kaschuba für die Unruhen des frühen 20. Jahrhunderts formuliert hat.198 Das Demonstrieren bot zudem eine Möglichkeit sich in der immer komplexer werdenden Gesellschaft in der „Vielfalt der Straßenkultur“ zu orientieren und sich über diese Praktik mit anderen zu solidarisieren und zu vergemeinschaften. Bei einer Demonstration im Zuge des Kapp-Putsches sammelten sich am 11. März 1920 in der nahen Umgebung der „Wiese“ [gemeint war die Theresienwiese] ungefähr 600-900 Personen, welche „von allen Seiten Zuzug erhalten“ hatten.199 Die Mehrzahl des Zuges bestand dem Bericht nach aus Männern, doch auch „zahlreiche“ Frauen und Kinder hatten sich dem Zuge angeschlossen. Berittene Schutzmannschaften und die Kavallerie sorgten für eine „grosse Erregung“ in der Menge. Der Strom an kleineren Gruppen von je 20 bis 50 Menschen, welche meist aus Frauen und Kindern bestand, wurde in Richtung des Marienplatzes von den Berittenen „dirigiert“. Von der Wiese weg in Richtung Norden und dann nach Westen durch die Schwanthalerstraße bewegten sich 1.500-2.000 Personen an deren Spitze eine Tafel mit der Aufschrift „Wir hungern“ getragen wurde. Dabei schlossen sich aus den umliegenden Straßen fortwährend andere Gruppen dem Zug an. Bereits um 2.25 Uhr hatte sich die Teilnehmerzahl auf 4.000 Personen nahezu vervierfacht, während die Theresienwiese mittlerweile fast vollständig leer war. Mitläufer in Form „halbwüchsiger Burschen“, Arbeitsloser und „lichtscheuem Gesindel“ bildeten mit den Frauen und Kindern fast die Hälfte des Zuges. In der Mitte der Straße
197 Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 90; vgl. Lewin, Kriegslandschaft, bes. S. 441. 198 Hier und im Folgenden Kaschuba, Von der „Rotte“ zum „Block“, S. 76, S. 80 u. S. 92. 199 Hier und im Folgenden BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 172, ohne fol., Bericht eines Major handschriftlich „P“, Nachrichten-Abteilung eingegangen am 13. März 1920 betr. Meldung über die Demonstration am 11. März 1920 2.05 Uhr, München 11. März 1920.
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gingen „als eigentliche Demonstranten Frauen und Kinder“, während auf den Bürgersteigen mehr Männer „hetzten und für die Stimmung sorgten.“200 Zudem wurden diese zu den Arbeitslosen gerechnet, während überall die Leute aufgefordert wurden, sich dem Zug anzuschließen. Vor dem Kaffee „Deutsches Theater“ wurden die anwesenden „meist jüdischen Gäste“ bedroht. Der Zug bewegte sich über den Karlsplatz durch das Karlstor bis in die Neuhauser- und Kaufingerstrasse und schließlich zum Marienplatz. Umher stehende Obstverkäufer wurden aufgefordert ihre Wagen stehen zu lassen und mitzugehen. Das Aufeinandertreffen von Schutzleuten und Demonstrierenden gestaltete sich zudem für erstere als ausgesprochen schwierig, denn sobald es die Polizeiwehr geschafft hatte die große Gruppe auseinanderzubringen, sammelten sich „die Leute immer wieder hinter der Kette“ und bildeten neue Gruppen, in denen „lebhaft debattiert wurde“. Um den reibungslosen Bewegungsablauf des Zuges nicht ins Stocken geraten zu lassen, wurde in der Sonnenstraße der Straßenbahnverkehr außer Betrieb gesetzt – ein Zeichen für die Durchschlagskraft des Demonstrationszuges. Besonders offensichtlich nicht zum Kollektiv des Zuges gehörende Einzelne konnten entweder in die Gruppe integriert werden, oder wie im Falle der um 2.35 Uhr „auf den Zug wartenden“ Gruppe von Neugierigen beschimpft und mit Erschlagen bedroht werden. Während man mit Schneeballen warf, verlor die Menge jedoch nicht „die Aufmerksamkeit auf den dann herannahenden Zug“.201 Erst am Marienplatz versuchten Schutzleute den Zug in die Rosenstraße abzudrängen, während das Schreien und Johlen dieses „Janhagels“ zu diversen Handgemengen führte, obwohl weder Truppen, noch grüne Polizei vor Ort waren.202 Am Marienplatz ging die Menge auseinander und es bildeten sich schließlich einzelne Gruppen an den Straßenecken, welche sich der gleichen Mittel bedienten. Eine Stunde nach Beginn der Demonstration traf die Polizeiwehr mit zwei leichten Maschinengewehren ein. Das Auflösen der Demonstranten zu kleineren Gruppen wurde gleichzeitig als Schwächung ihrer Durchschlagskraft bezeichnet. Die Absperrungen des Militärs und das Wiedereinsetzen des Straßenbahnverkehrs sorgten zudem für sicherere Verhältnisse. „Nur Frauen und Kinder“ wurden fortan auf den Marienplatz gelassen. Dem Sicherheitskommissar gelang daher die Zerstreuung der Menge vermeintlich „mühelos“. Während dieser Demonstrationszug in den Augen des Militärs aufgelöst schien, bildeten sich zeitgleich aus den zurückströmenden Kleingruppen erneut kleinere Demonstrationszüge oder „Rotten“ am Sendlingertorplatz und vor der protestantischen Kirche.203 USPD Agitatoren nutzten diese Menschenaufläufe, um auf ihre in der Zukunft stattfindenden Versammlungen di-
200 Hier und im Folgenden BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 172, ohne fol., Bericht No.96 Tgb. No. 2561 über die Hungerdemonstration am 11. März 1920, 12. März 1920. 201 Viele der auf den Zug wartenden Mitläufer wurden als „bekannte Gestalten von der Schwanthalerhöhe“ ausgemacht. Diese hätten auch die Straßenbahn stillgelegt. 202 BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 172, ohne fol., Bericht No.96 Tgb. No. 2561 über die Hungerdemonstration am 11. März 1920, 12. März 1920. 203 BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 172, ohne fol., anonymer handschriftlicher Bericht über den Demonstrationszug vom 11. März 1920.
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rekt aufmerksam zu machen. Nachrichten über die Verbreitung einer bevorstehenden Demonstration am 11. März mussten bereits am Vortage mittels unterschiedlicher Kommunikationskanäle innerhalb der Bevölkerung kommuniziert worden sein. Trotz der großen Anzahl an neugierigen Menschen und jenen, die das Event für ihre Zwecke instrumentalisierten, musste ein großer Teil der Bevölkerung bereits vor dem Verteilen von Flugblättern oder dem Anschlag der Polizeidirektion an den Telegrammtafeln über das Ereignis informiert gewesen sein.204 Wenn sie auch nicht wussten wo und wann die Aktion stattfinden sollte, so wussten sie immerhin, dass es überhaupt eine Veranstaltung geben würde. Die direkte face-to-face Kommunikation funktionierte hier als Schneeballprinzip ohne Filter besonders schnell.205 Nach der Niederwerfung der Räteherrschaft in München definierte das Militärministerium das Mittel der Demonstration nach wie vor als „wirksame politische und moralische Waffe“.206 Daher ließ man die an der Donau stehenden Truppen bis zur Amper mittels der Bahn vorrücken, wobei man gleich die Orte Landshut, Landsberg und Lechfeld auf dem Wege besetzen sollte. Dabei seien kleine „kommunistisch verhetzte und versuchte Ortschaften“ nur zu besetzen gewesen, wenn sie in der Nähe kleinerer Städte lagen.207 6.3 „VON ANDEREN ORDNUNGEN“ – DIE BESETZUNG VON ZEITUNGSREDAKTIONEN, BAHNHÖFEN, BANKEN, POST- UND VERWALTUNGSGEBÄUDEN SOWIE BAUTEN STAATLICHER REPRÄSENTANZ „Die Stimme, das diffizile Instrument menschlicher Verständigung, ist Kreischen und Brüllen. Ein alter Mann stürzt auf mich zu, ein verstörtes, vom Leben ausgemergeltes Gesicht. Seine Hand, zittrig, verschrumpelt, packt meinen Arm, seine Stimme, aus angstvoller Brust hervorgepreßt, ist hilflose Bitte: ‚Lieber Herr,‘ schreit er, ‚gehen Sie, gehen Sie, sie schießen!‘ Die Menge heult: ‚Sie schießen, sie schießen!‘ Vom Schloßplatz dröhnt der Einschlag rätselhafter Batterien. Die Straße ist wildeste Panik. Ein Haufen wälzt sich vom Rathaus her, Volk springt 204 Ebd., ohne fol., Stimmungsbericht aus dem Arbeitsamt No. 96 Tgb. No 2562, eingegangen in der Nachrichten-Abteilung des bayerischen Gruppenkommandos am 17. März 1920. Der Demonstrationszug der Frauen und Kinder zur schlechten Versorgungslage würde von der „weissen Garde“ nicht beschossen, weshalb anzunehmen ist, dass die Arbeiter diesen Zug „nutzen“ konnten, um eine gewisse Sicherheit in der Menge der Demonstrierenden zu erlangen. Auch die Gruppe von ca. 12–15 jährigen Jungen setzte sich an die Spitze des Frauendemonstrationszuges. Vgl. BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 172, ohne fol., anonymer handschriftlicher Bericht über den Demonstrationszug vom 11. März 1920. Mittels lauter Pfiffe versuchten sie sich nicht nur optisch, sondern auch akustisch vom Hauptzug abzugrenzen und ihren eigenen Protestraum zu signalisieren. 205 BHStAM, KA Abt. IV, RWGrKdo 4, Nr. 172, ohne fol., Meldung No. 96 Tgb. No. 2560, eingegangen in der Nachrichten-Abteilung des bayerischen Gruppenkommandos am 17. März 1920, München 11. März 1920. Zwei „Burschen“ wurden bereits einen Tag zuvor am 10. März dabei beobachtet, wie sie vor einem Delikatessengeschäft die Bemerkung fallen ließen, „die werden aber morgen richtig ausgeplündert werden.“ 206 Die Niederwerfung der Räteherrschaft in Bayern 1919, S. 31f. 207 Vgl. ebd., S. 38.
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flüchtend zur Seite. Eine hundertköpfige Masse schleppt einen Offizier mit sich, von Fäusten gepackt, vorwärts gestoßen.“208
So oder so ähnlich konnte es im Dezember in den Straßen Berlins ausgesehen haben. Das Leben auf der Straße hatte sich verändert. Die den Berlinern bekannten Gebäude der Zeitungsredaktionen, des Telegraphenverkehrs oder anderer wichtiger Betriebe bildeten seit der Jahreswende 1918 immer häufiger das Zentrum der Unruhen. „Disputierende Haufen“ seien von da an nicht mehr „von der Straße verschwunden“: „Kaufleute, Arbeiter, Angestellte und Frauen nicken sich zu, sie alle legen schwerfällig, ungewohnt und wenig erregt ihre Meinung hin, niemand weiß, was werden soll, wie es werden wird. Parteien werden gegeneinander abgewogen, Namen fallen, politische Begriffe. […] Die Straße ist vogelfrei für jede Meinung.“
Die Tage rund um den Jahreswechsel waren die turbulentesten und blutigsten in der Geschichte der jungen Weimarer Republik. Waren die Demonstrationen und Aktionen des Novembers noch vergleichsweise unblutig verlaufen, nahmen die Ereignisse im Januar eine dramatische Entwicklung an, welche nicht zuletzt den öffentlichen Raum und die Strategien der unterschiedlichen Akteure entschieden veränderte. Über Nacht, so formuliert es Friedrich Kroner, seien die Gestalten des „Spartakus“ an den Ecken von der Straße verschwunden und in die Häuser gegangen, an deren Fenstern man „plötzlich die Rohre der Maschinengewehre“ sah: „Ueber Nacht verwandelt sich eine Stadt. Über Nacht werden Zeitungshäuser zu Festungen, Bahnhöfe Stützpunkte, Straßen wandeln sich in Schußfelder. Laternen werden dunkel geschossen. Sinkt ein ganzer Stadtteil in Schwärze und Finsternis. Schleicht das Grauen der Front plötzlich durch die Straßen einer volkreichen Stadt. Hebt ein Gespenst mit knöchernen Augen seinen dunkelfaltigen Mantel, lugt um Häuserecken, in lichtlose menschengeleerte Straßen, in das Knattern der Gewehre. Reckt sich empor über Dächer hin, wo Gestalten geduckt nach fürchterlichen Zielen schießen. Schreitet lautlos weiter, durch alle Straßen, über alle Plätze, unsichtbar, aber alle erblicken es und erblassen bei seinem Anblick. Bröckeln Steine, stürzen Hausmauern, sickert Blut irgendwo im Dunkel verlassener Stuben.“
Die großen Demonstrationszüge der Schwartzkopffarbeiter und Mitarbeiter der AEG-Werke, welche bereits am 8. November in großen Demonstrationszügen zur Maikäferkaserne in der Chausseestraße marschierten, danach weiter nach Moabit zogen um die Inhaftierten zu befreien und an Waffen zu gelangen, wie in der Ulanenkaserne in der Seydlitzstraße und dem Zuchthaus in der Lehrter Straße, unterschieden sich zunächst durch ihre friedlichere Natur von denen der Januarunruhen.209 Kämpfe in der Chausseestraße, dem Zeitungsviertel, im Marstallgebäude, dazu tote Soldaten in der Französischen Straße, die zeitgleich stattfindende Niederschlagung der Räterepublik in Bremen, dazu die Absetzung des Polizeipräsidenten
208 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Artikel Aufruhr von Friedrich Kroner, S. 2; vgl. allgemein zu dieser Quellengattung Hesse, „Sturmtage“, S. 186–202. 209 Vgl. Wirsching, Vom Weltkrieg, S. 124ff.; Müller, Bürgerkrieg, S. 15–79.
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Emil Eichhorn unter Artilleriebeschuss des Polizeipräsidiums, sowie die Abriegelung des Regierungsviertels und der Innenstadt durch Noske und Freikorps führten dazu, dass Berlin im Frühjahr 1919 zunehmend einem bürgerkriegsartigen Szenario glich.210 „Berlin mußte sich an die Tatsache gewöhnen, daß seine Häuser und Straßen zu Kampfplätzen wurden“, so in einer kurzen zeitgenössischen Abhandlung über die Januarereignisse.211 Schilder mit der Aufschrift „Halt! Wer weitergeht, wird erschossen!“ zeichneten ein klares Bild, dass die Beteiligung an Demonstrationen oder generell der Besitz von Waffen drastische Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Wo vorher noch Menschen „sonst gedankenlos“ vor „vergitterten Portalen“ schritten, fanden nun Kämpfe statt, welche sogar von den Dächern aus geführt wurden.212 Neben den prominentesten Opfern Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg forderte die Revolution während der Januarunruhen weitere zahlreiche Todesopfer.213 Die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen des Januaraufstandes, welche als „Spartakusaufstand“ in die Geschichte der Revolution eingingen, sowie der Märzunruhen kurze Zeit später waren weit mehr als nur eine Auseinandersetzung zweier sich gegenüberstehender politischer Lager.214 Am Sonntagnachmittag, den 210 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 10, Reichsamt des Innern, Meldestelle, Telegramm-Adresse: Inreichsmeldestelle, betr. Übersicht über Unruhen, abgeschlossen am 9.11.18, vormittags 11.30 Uhr, Berlin 9. November 1918. Über ähnliche Vorgänge wird aus Nauen, Stendal, Altona, Coblenz, Cassel, Erfurt, Gotha, Oldenburg und Stuttgart berichtet. Die Annahmestelle sah sich einer Vielzahl solcher Meldungen ausgesetzt, welche im Abstand nur weniger Stunden eintrafen. Der Regierungspräsident Münsters meldete, dass eine Maschinengewehrabteilung von etwa 700 Mann vom Truppenübungsplatz Senne in Haltern bereits revoltiert habe. Die öffentlichen Gebäude, also Rathaus, Post und Bahnhof seien bereits besetzt und der Bürgermeister festgenommen, wobei nicht klar war, von wem die Aktionen ausgingen. Es wurde gleiches Essen für Offiziere und Mannschaften gefordert, genauso wie die Abschaffung der Grußpflicht. Vgl. BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 10, Reichsamt des Innern, Meldestelle, Telegramm-Adresse: Inreichsmeldestelle, betr. Übersicht über Unruhen, abgeschlossen am 9.11.18, nachmittags 2 Uhr, Berlin 9. November 1918. Düsseldorf meldete, dass kein Streik den Arbeiterverkehr stören und hindern dürfe. In Köln seien Matrosen aus Hamburg eingetroffen, welche sich mit den Kölner Soldaten solidarisierten und gemeinsam zu den Gefängnissen zogen, um die Gefangenen zu befreien. 211 LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Eine kurze Geschichte der Januarereignisse, S. 22. 212 Ebd., ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Artikel Aufruhr von Friedrich Kroner, S. 2; vgl. Vossische Zeitung Nr. 24 vom 14. Januar 1919. Hier wurde diese Strategie als „Kleinkrieg“ der „Spartakisten“ bezeichnet. 213 Für eine regierungsnahe Perspektive über die Januarereignisse vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7669–7694. 214 Vgl. Winkler, Von der Revolution, S. 122; vgl. etwa auch Ritter/Miller (Hrsg.), Deutsche Revolution, S. 173. Der Begriff „Spartakusaufstand“ gilt als umstritten, da „die Erhebung von Teilen der Berliner Arbeiterschaft […] führerlos“ war. Die Frage, welche der beiden sozialen Formationen initiativ Gewalt anwendete, zugespitzt formuliert die Frage „wer den ersten Schuss abgegeben hat“ spielt für die weiteren Überlegungen der Studie nur eine untergeordnete Rolle. Vgl. Wirsching, Vom Weltkrieg, S. 124–134; Schumann, Politische Gewalt, S. 45–142;
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5. Januar 1919 musste Berlin ein Bild abgegeben haben, in dem verschiedene soziale Formationen offenbar ständig in Bewegung waren. Vom Polizeipräsidium aus setzten sich nach Beendigung der dort stattgefundenen Demonstration weitere Züge mit Menschen in Richtung des Zeitungsviertels in Bewegung. Bereits einige Tage zuvor am Weihnachtsabend hatten Truppen der Volksmarinedivision sich in blutige Kämpfe verwickeln lassen. Die Nachricht von der bevorstehenden Absetzung215 des Polizeipräsidenten und USPD Mann Emil Eichhorn hatten offenbar einen katalysatorischen Effekt auf die in Bewegung geratenen Massen.216 Auch die SPD hatte zum Generalstreik aufgerufen, sodass sich mehrere Demonstrationszüge vorerst relativ friedlich nebeneinander her bewegten. Manchmal stießen die Züge der Sozialdemokraten und Bürgerlichen mit den revolutionären Zügen zusammen.217 In einem Aufruf der neuen Regierung - ohne die ausgetretenen Unabhängigen - wurden schnell Schuldige ausfindig gemacht und ihnen der „Missbrauch der Straße“ vorgeworfen.218 Die gemeinsam unter der roten Fahne marschierenden Demonstranten hatten zum Schutze der Demonstration immer wieder kleinere bewaffnete Arbeiterabteilungen in den Zug eingestreut. Ansonsten funktionierte die Ordnung des Zuges, wie bereits für andere Züge festgestellt, einer Einteilung den vertretenen
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vgl. auch Winkler, Von der Revolution, S. 114. Die Spartakusgruppe war eine politische Strömung, welche aus der KPD entstanden ist und sich für einen „konsequenten Internationalismus“ und „revolutionären Kampf gegen den Imperialismus“ einsetzte. Vgl. Winkler, Von der Revolution, S. 120. Am 3. Januar waren die USPD Mitglieder der preußischen Regierung zurückgetreten. Der preußische Ministerpräsident hatte nun versucht, auch Eichhorn zur Aufgabe seines Amtes zu bewegen. Da dieses offenbar nicht funktionierte, wurde Eichhorn entlassen, welches dann zu massiven Protestveranstaltungen führte. Vgl. Bernstein, Die Deutsche Revolution, S. 189. Aufruf der revolutionären Obleute und Vertrauensmänner der Großbetriebe Berlins vom 5. Januar 1919, auch abgedruckt in Rote Fahne, Nr. 5 vom 5. Januar 1919. „Arbeiter! Parteigenossen! Das könnt, das dürft Ihr nicht dulden! Heraus darum zu wuchtigen Massendemonstrationen. Zeigt den Gewalthabern von heute Eure Macht; zeigt, daß der revolutionäre Geist der Novembertage in Euch nicht erloschen ist.“ Vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7680f. Die Vorwürfe gegen den Polizeipräsidenten Eichhorn in der Presse bestanden darin, dass er am 24. Dezember linksradikalen Arbeitern der Berliner Großbetriebe geholfen haben soll, indem er Arbeiter der Firma Schwartzkopff alarmiert und bewaffnete Matrosen zu Hilfe geschickt habe. (S. 7684). Darüber hinaus kam Kritik an seiner Amtsführung auf. Vgl. Berliner Tageblatt Nr. 6 vom 4. Januar 1919. Hier wurde Eichhorn vorgeworfen, dass er keine regelmäßigen Berichte über sowohl die Vorgänge in Berlin, als auch über die Ordnungs- und Sicherheitspolizei verfassen würde. „Wenn Zivilisten im Sicherheitsdienst mit Waffen gesehen wurden, so kann das nur daher kommen, daß wegen Mangel an Bekleidungsstücken Waffen auch dann an eingetragene Sicherheitsmänner ausgegeben werden, wenn sie Militärmantel und Mütze noch nicht haben. Diese Bekleidungsstücke werden ihnen später nachgeliefert.“ Eine Order zur Bewaffnung Schwartzkopff’scher Arbeiter sei nicht durch Eichhorn beauftragt worden. Größere Arbeitertrupps mit Waffen seien im Laufe des Vormittags nach dem Alexanderplatz gezogen und hätten sich einer Abteilung des Sicherheitsdienstes angeschlossen, die zur Absperrung in Richtung der neuen Königsstraße zog. Richter, Gewerkschaften, S. 310. In dieser marxistischen Perspektive wird die Zahl der Teilnehmer auf 200.000 Personen geschätzt. Zit. nach Müller, Bürgerkrieg, S. 24.
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Betrieben nach.219 Vertreter dieser hielten Tafeln von „Karl Flohr Autogen“, „Argus Motoren“, „Knorrbremse“, „AEG“, oder „Fritz Werner“ in die Höhe und symbolisierten somit in erster Linie ihre Zugehörigkeit als jeweilige kleine Einheit innerhalb des großen Zuges - auch, um aus der Anonymität der Masse herauszustechen und als individuelle Gruppierung für ein Publikum wahrnehmbar zu werden.220 Zudem wiesen Riesenkränze, Fahnen und Tafeln mit Inschriften auf einzelne Gesinnungen hin oder informierten über den abweichenden Zweck der Teilnehmer. Schmährufe wie „als Matrosenmörder klagen wir an: Ebert, Landsberg und Scheidemann“ führten wie bereits an anderer Stelle herausgearbeitet wurde, zur Stärkung eines spezifischen Gruppengefühls.221 Die Bindung zu einer Gruppe konnte hier also auch über die Zugehörigkeit eines gemeinsamen Betriebes funktionieren. Ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe wurde dann in dem Moment hergestellt, in welchem man seinen Betrieb nun im großen Zug vertrat. Auf die Frage des Staatsanwaltes Gysae an Ledebour ob vom Polizeipräsidium aus „solche Gruppen noch kenntlich“ waren, oder ob es sich „nur“ um eine große Menge handelte, die unbeschadet solcher Einteilung diesen Platz füllte, antworte der Befragte er habe vom Balkon aus eine dicht um das Gebäude gedrängte Menschenmenge beobachtet, die jedoch trotzdem bestimmten Regeln folgte.222 „So geht es ja bei allen Demonstrationen der Arbeiterklasse, daß die Leute nicht wild durcheinander laufen, sondern daß die Züge geordnet werden nach Wahlkreisen oder nach Stadtbezirken, nach Stadtgegenden oder nach Betrieben, daß also die Leute sich in dieser Ordnung sammeln und gemeinsam marschieren. So ist das zweifellos auch hier geschehen.“223
Die Stimmung schien angespannt. „Hier Unter den Linden ballten sich die Massen zusammen, die Stimmung wurde immer erregter, wie schon oft in diesen bewegten Tagen, doch diesmal lag Gewitterschwüle in der Luft; unter Absingen von Kampflider [sic] marschierten in den Abendstunden die Züge nach dem Norden und Osten zurück“, erinnert sich der mitmarschierende Willy Gütschow, welcher mit seinen Genossen ein „Standquartier“ in einem Lokal in der Roßstraße bezogen hatte.224 Gütschow schildert weiter, dass die Stadt und die Straßen das übliche Bild zeigten.
219 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 62, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 220 Rote Fahne Nr. 6 vom 6. Januar 1919. 221 Zit. nach Müller, Bürgerkrieg, S. 20. 222 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 88. Ledebour schlussfolgert er habe „keinerlei sich besonders kenntlich machende Gruppen erkannt“. Trotzdem konnte Ledebour eine gewisse Ordnung erkennen, die er in verschiedenen Zügen ausmachte. Ledebour selbst monierte, er gehöre nicht der KPD an, sondern den Unabhängigen. Aber generell stelle er fest, dass „viele Leute heute geglaubt haben, sie seien unabhängige Sozialdemokraten, morgen glaubten sie, sie seien Kommunisten.“ 223 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 89. 224 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0330, fol. 1, Erinnerungsbericht des Willy Gütschow zum Aufstand des Spartakus. Trotz der mit erinnerungsgeschichtlichen Quellen einhergehenden Problematiken sind diese Quellen von besonderem Interesse kulturgeschichtlicher Forschungen. Es
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„Mit der Straßenbahn fuhr ich in meine Wohnung, mit roter Binde und Revolver verließ ich sie wieder; an Soldaten, an Polizeiposten ging ich vorbei, teils grüßten sie oder schauten fragend mich an. Es mag die 10te Stunde gewesen sein, als ich vom Osten her das große rote Backsteingebäude am Alexanderplatz betrat. Die Posten waren von bewaffneten Arbeitern und Soldaten besetzt. Auf das Losungswort ‚Es lebe Spartakus‘ fand ich Einlaß, überall waren Vorbereitungen für den zu erwartenden Kampf im Gange. Maschinengewehre wurden in Stellung gebracht, die Seiteneingänge mit Sandsäcken verbarrikadiert, auf allen Gängen und Treppen des weitläufigen Gebäudes war ein ständiges Kommen und Gehen. Auf den Höfen wurden Stoßtrupps zusammengestellt, um das Zeitungsviertel zu besetzen.“225
Diejenigen, die sich gegen die nun anstehenden Aktionen wandten, verließen das Polizeipräsidium in Richtung Charlottenburg. Die sich einander gegenüberstehenden Gruppierungen schienen zunächst nicht eindeutig definiert. „Die Fronten klärten sich, für und gegen Spartakus, noch wußten wir nicht, wer Freund, wer Feind, denn bis zu dieser Stunde waren wir zusammen marschiert.“ Für den nächsten Morgen konnte Gütschow, der sich in „Räuberzivil“ in Richtung seiner Wohnung aufgemacht hatte, um Lebensmittel zu beschaffen, nichts Ungewöhnliches feststellen. Gütschow schildert im weiteren Verlauf, wie er mit Hilfe einer Waffe die Straßenbahn anhielt, woraufhin die Stimmung bei den Menschen an den Straßenseiten und aus den Bahnen offenbar umschlug. Die „wildgestulierende [sic] Masse“ drohte mit erhobenen Regenschirmen und Stöcken, während sie schimpfte und fluchte.226 Auch Frauen waren in der Menge, welche durch „Kreischen“ auffielen, so Gütschow.227 Redner hatten die Denkmäler bestiegen und zu ihren eigenen kleinen Bühnen umfunktioniert.228 Durch die erhobene Position stachen sie sowohl optisch, als auch akustisch aus der Masse hervor229, während der „von Minute zu Minute
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lassen sich mit ihrer Hilfe Subjektivierungskonstruktionen herausarbeiten, welche für Wahrnehmungsprozesse gerade in raumanalytischer Perspektive einen Mehrwert darstellen. Vgl. Hollmann, Erinnerungen als Träger, S. 897; Schulze, Ego-Dokumente, S. 11–32. Hier und im Folgenden BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0330, fol. 2, Erinnerungsbericht des Willy Gütschow zum Aufstand des Spartakus. Ebd., fol. 5, Erinnerungsbericht des Willy Gütschow zum Aufstand des Spartakus. Später in der Wilhelmstraße begegnete dem Demonstrationszug, dem Gütschow sich angeschlossen hatte, ein ebenso starker Zug. Das Identifizieren dieser sozialen Formation funktionierte auch über den Hut und Regenschirm, weil diese „bürgerlich aussehen“ würden. Lediglich in der Gegend um den Wilhelmplatz wird von den Rufen „Frauen zurückbleiben“ berichtet. Als sich daraufhin die weiblichen Teilnehmer „aus dem Zug verabschiedeten“ schlossen sich andere „größere Teile den Massen an“. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 63, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Eine kurze Geschichte der Januarereignisse, S. 17. Zeichnung von Fritz Koch-Gotha. „An jeder Straßenecke stand ein Spartakus-Anhänger, der durch einen meist fingierten Streit mit einem Gefährten das Interesse des Publikums zu erregen und Anhänger für den Spartakusbund zu werben suchte.“ LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 61, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919.
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anschwellende Knäuel“ offenbar den bewaffneten Gütschow umschloss.230 In Gütschows Selbstverständnis war die Arbeit getan. Seinen Schilderungen zufolge war ein ganzes Stadtviertel samt Verkehr blockiert worden, um so den Generalstreik zu erzwingen. Als Soldaten mit weißen Armbinden anrückten, floh Gütschow. Mit wenigen Mitteln wurde das Viertel so zu einem Ort des Chaos gemacht, welches Gütschow selbst als „Hexenkessel“ bezeichnete.231 Den Höhepunkt erreichte dieser Trubel auf dem Potsdamer Platz. Hier trafen zwei Demonstrationszüge, die sich sowohl für, als auch gegen Scheidemann ausgesprochen hatten, aufeinander. Zusätzlich gerieten heimkehrende Soldaten, die „aus alter Gewohnheit die Tornister und Gewehre“ mitschleppten zwischen diese Gruppierungen. Was für viele Situationen Berlins dieser Tage gegolten haben muss, bringt Gütschow mit kurzem aber aussagekräftigem Satz auf den Punkt: „Die Lage ist nicht zu überblicken.“232 Trotzdem sind in dieser komplizierten Gemengelage nun relativ geordnete Aktionen zu beobachten, welche offenbar einem wiederkehrenden Schema sozialräumlicher Praktiken folgten: Der Besetzung und anschließender Umfunktionierung von Räumen, in diesem Fall von konkreten Orten wie Verwaltungsbauten und Gebäude staatlicher Repräsentanz.233 Gütschow selbst schlüpft in die Rolle eines „Verkehrsschutzmann“, der winkt, die Straße freigibt und so den Strom von heimkehrenden Soldaten durch den Demonstrationszug leiten kann. „Mein Gewehr, meine Binde ist meine Autorität. […] Bei Mosse, bei Ullstein, bei Scherl, die drei großen Konzerne, überall das gleiche Bild, geschlossene Tore, dahinter unsere Wachmannschaften. Überall das Gleiche. […] Wir waren die Herren der Straße.“234
230 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0330, fol. 3. Heldeninszenierungen müssen in den Erinnerungsberichten kritisch hinterfragt werden. „Das kann ja einen Spaß geben. Ich fühlte in die Manteltasche, meine Finger umspielten kaltes Eisen, fast liebkosend, mein Parabellum, einen automatischen Revolver. Fester umspannt meine Hand den Griff, breitbeinig wuchtig pflanze ich mich auf der Gleiskreuzung am Hallenschen Tor auf, ein Ruck, in fester Kampfentschlossenheit, die alte Infanteriemütze auf’s Ohr gedrückt, die rote Armbinde übergestreift, wie ein Klotz stehe ich zwischen den Gleisen. Der Revolverlauf spielt, in 5 Meter Abstand ist der Lauf auf den Straßenbahnführer gerichtet, mein Gesicht sieht nicht nach Spaß aus. […] Mit halber Wendung bringe ich die vom Süden kommende Bahn zum Stehen, was so ein Revolver in der Hand eines einzelnen Mannes für Macht ausüben kann.“ 231 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0330, fol. 5, Erinnerungsbericht des Willy Gütschow zum Aufstand des Spartakus. 232 Ebd., fol. 5f. 233 LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Eine kurze Geschichte der Januarereignisse, S. 16. Dieses Vorgehen wurde zunächst der „bolschewistischen Theorie und Praxis des Bürgerkriegs“ zugeschrieben, die „mit der Besetzung besonders wichtiger Zentren des öffentlichen Lebens“ erschreckend und lähmend habe wirken sollen. Die Situation in Berlin erwies sich hier als besonders günstig, da die Verlagsgebäude alle in einer verhältnismäßig eng bebauten Zone befanden. 234 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0330, fol. 5, Erinnerungsbericht des Willy Gütschow zum Aufstand des Spartakus.
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Versuche des Firmeninhabers Hans Lachmann-Mosse in seine eigenen Redaktionsräume am Dienstag, den 7. Januar zu gelangen, scheiterten. Die von ihm gewonnenen Eindrücke, die er an der Pforte mit den Besatzern machte, um sich über den Zustand seiner restlich verbliebenen Mitarbeiter zu informieren, reichten von wenigen Leuten, die „für Ideen kämpft[en]“ bis hin zu der Mehrheit reiner „Bombenschmeißer“, so das Berliner Tageblatt.235 Der Demonstrationszug, welcher durch das 11. Rote-Arbeiterbataillon, einer Ansammlung von Arbeitern aus den Daimler Benzwerken angeführt wurde, bewegte sich „in guter Marschordnung“ durch die Königstraße zum Spittelmarkt, dann in die Leipziger Straße schließlich bis zum Regierungsviertel. Die Ordnung dieses Zuges funktionierte nach militärischen Regeln in Kompagnien und Zügen. Die Straßen beschreibt Gütschow als „ungeschützt“, lediglich am Wilhelmplatz seien eilig einige Wagen zusammengeschoben worden. Die umherstehenden unbewaffneten Passanten wurden „rücksichtslos“ auseinandergetrieben. Gerade die „Schlachtenbummler, die aus Neugierde in die vorderste Linie geraten waren“ wurden aus ihren „Deckungen, den Hauseingängen und Mauervorsprüngen“ hervor gescheucht. „Wir brauchten die Deckungen, die Anschlagsäulen und Straßenbahnmasten für unsere eigene Sicherheit.“ Das von Gütschow beschriebene Szenario verdeutlicht die Heterogenität der sozialen Formationen in den Straßen Berlins. Dabei wurde die Straße als Ort öffentlicher Aushandlungsprozesse zunächst völlig unterschiedlich in Szene gesetzt.236 Während die „Spartakisten“ vermeintlich die zentralen Orte staatlicher Repräsentanz aufsuchten, folgten gegengelagerte Demonstrationszüge, wie die von Gütschow beobachteten bürgerlichen Protestkundgebungen anderen Zielen. Dabei war das in seiner Dynamik kaum zu unterschätzende Moment der Neugierde nicht zu unterschätzen, denn Neugierige hatten sich vielfach an denjenigen Orten der Straße versteckt, die als Deckung und Vorsprünge für die Demonstrationszüge benötigt wurden. Das enge Herandrücken an die Hausmauern und das „springen“ von einem Punkt zum anderen war Teil der Fortbewegung in den Straßen.237 In der dichten Masse an Menschen, welche sich gerade am Potsdamer Platz eingefunden hatte, 235 Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919. 236 Rote Fahne Nr. 9 vom 9. Januar 1919; Kolb, Arbeiterräte, S. 315; Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 10, Drucksache 3228, S. 5639, 5597ff. Zeitungsbesetzungen hatte es am 7. Januar gegeben in Dortmund, Düsseldorf, Nürnberg, Zwickau, Halle, am 8. Januar in Mühlheim, am 9. Januar in Stuttgart, Hamburg, Wolfenbüttel, am 10. Januar in Buer, am 11. Januar in Duisburg und Wilhelmshaven, am 14. Januar in Essen. 237 LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Artikel Aufruhr von Friedrich Kroner, S. 22. Gütschow teilt den „Frontverlauf“ Berlins in eine Nord-Südachse. Vom 7. auf den 8. Januar 1919 bildete der Stadtteil Moabit im Westen bis zum Kanal die Grenze. Im Süden galt die Spree über Lehrter Bahnhof bis zur Weidendammerbrücke als Grenze. Dann die Spree bis Werderschen Markt, Hausvogteiplatz, Spittelmarkt, südlicher Teil der Leipzigerstrasse bis Potsdamer Platz-Saarlandstraße, Kochstraße, Ritterstraße, Prinzenstraße, Bärwaldstraße, Hasenheide-Neukölln. Dagegen hatten Regierungstruppen die Universität als Stützpunkt gewählt. Außerdem hielt das Regiment Liebe das Schloss samt Museumsinsel, das Bankenviertel samt Wilhelmplatz, sowie den Westen Berlins. Ein ähnliches Bild bot Spandau. Hier befanden sich die königlichen Werkstätten und öffentlichen Gebäude in den
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waren „Freund und Feind […] nicht zu erkennen.“238 Das Eingreifen Noskes und seiner Freiwilligenverbände, geduldet von der Regierung Ebert, wurde als konservative Reaktion auf die revolutionären Errungenschaften des November 1918 interpretiert.239 Das Mittel der Gebäudebesetzungen der „Spartakisten“ blieb jedoch bis auf die Ereignisse in Düsseldorf, wo diese Teile des örtlichen Arbeiterrates hinter sich bekommen konnten, meist ohne nachhaltigen Erfolg. Jene Aktionen fanden zeitgleich zu den Streiks der Bergarbeiter statt und vergrößerten somit das Streikpotential im Frühjahr 1919 erheblich. Bereits am 10. Januar streikten über 11% der Bergleute aller Ruhrzechen, was zu erheblichen Einschränkungen beim Gasverbrauch bspw. in Essen und Duisburg führte.240 Schon die Einnahme der Regierungsgebäude am 9. November hatte sich in der Art vollzogen, dass eine größere Volksmenge vor dem jeweiligen Gebäude erschien und zunächst mit einer Abordnung versuchte zu verhandeln, um die friedliche Übernahme des Amtes in den Dienst der neuen Regierung zu regeln.241 Nach den Weihnachtskämpfen hatten die Sicherheitsdienste der Stadt einen Zuwachs an neuen Mitgliedern zu verzeichnen, da „unzuverlässige Mannschaften entlassen worden waren.“242 Die von Gütschow beschriebene symbolische Wirkung von roter
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Händen der Spartakisten. „Der Schrecken war uns vorausgeeilt, die Straßen eine wogende Menschenmenge, durch die sich unsere Wagen nur mühsam den Weg durch die winkligen Straßen bahnten. Vor dem Rathaus standen die Menschen dichtgedrängt, unsere Ankunft mit unseren Roten Fahnen löste Jubel unter der Menge aus, man schrie sich heiser mit Hoch und Nieder.“ BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0330, fol. 13, Erinnerungsbericht des Willy Gütschow zum Aufstand des Spartakus. Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 43. Die Erhebung im Januar 1919 interpretierte Ledebour wiederum als Reaktion auf die Methoden der Regierung während der Dezemberkämpfe, da diese „die Revolutionserrungenschaften mehr und mehr ruinierten“ und nichts taten, um die Forderungen eines neuen Staats- und Gesellschaftswesens durchzuführen. Vgl. etwa Stephenson, The Final Battle, S. 258ff. Lucas, Märzrevolution I, S. 40. Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7670. Vgl. Kolb, Arbeiterräte, S. 315. Die entscheidende Phase im Kampf um den öffentlichen Raum sieht Kolb in der Zeit zwischen dem 9. November und Ende Dezember 1918. Radikale Gruppen der Linken kreierten sich mit der Straße einen Raum außerhalb der Institutionen. Die Mitglieder der Räte wurden einer älteren Interpretation in der Forschung als lokale und regionale Sachverwalter der Regierungskoalition im Kampf um die Durchsetzung sozialistischer Politik und dem Abbau des obrigkeitlichen Herrschaftsapparats verstanden. Die Hauptaufgaben im Selbstverständnis waren daher zunächst im lokalen und regionalen Bereich die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, gegenrevolutionäre Bestrebungen zu unterdrücken, Probleme der Lebensmittelversorgung, der sozialen Fürsorge, sowie der Demobilmachung zu lösen. Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919. Der im Artikel genannte „neue Polizeipräsident“ Wilhelm Richter (gemeint war offenbar Eugen Ernst) stellte nach Absetzung Eichhorns sein Programm über die zukünftige Gestaltung des Sicherheitsdienstes in Groß-Berlin vor. Hierfür setzte er die zuvor abgesetzten Beamten alle wieder ein und stattete sie mit denselben Befugnissen wie vor ihrer Entlassung aus.
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Binde oder Ausweiskarte wird auch in der Berichterstattung des Untersuchungsausschusses besonders hervorgehoben.243 Bei den Neueinstellungen konnte es passieren, dass Leute ohne Binde beziehungsweise Karte blieben. Nicht immer gelang es daher, dass die ausgegebenen Waffen nach Beendigung des Dienstes wieder abgegeben wurden, sodass eine größere Anzahl der nicht listenmäßig geführten Mannschaften bereits im Besitz von Handwaffen waren und sich dann außerhalb des Präsidiums dem Zuge in Richtung der Kaserne der Gardefüsiliere angeschlossen hatten. Nahezu parallel entwickelten sich Demonstrationen im Tiergarten, zu denen Unabhängige und Kommunisten aufgerufen hatten. Auch Kundgebungen jüngerer Soldaten der Jahrgänge von 1897 bis 1899, die ihre sofortige Entlassung aus dem Heeresdienst forderten, waren unter den Demonstrierenden. „In der fünften Stunde erschienen gewaltige Demonstrationszüge“ auf dem Alexanderplatz und in den anliegenden Straßen in der Nähe des Polizeipräsidiums.244 Ledebour, Däumig, Liebknecht und Eichhorn hielten von Fenstern und Balkonen aus Ansprachen und feuerten die Arbeiterschaft zum Kampfe gegen die Regierung Ebert-Scheidemann und zum Schutze des revolutionären Polizeipräsidenten an.245 Am 5. Januar nachmittags trafen sie sich zu Verhandlungen mit Eichhorn im Polizeipräsidium.246 Die 243 Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7680. 244 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 60f., Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. Eichhorn hielt diese Rede am Sonntag, den 5. Januar in den Germania-Sälen während einer Versammlung der USPD. Weite Teile der Rede sind jedoch „in etwa“ vom Berichterstatter rekonstruiert. „Wenn eine Revolution in Filzlatschen Erfolg hat, so bedeutet das an sich kein Unglück. Aber das, was wir seit dem 9. November erlebt haben, ist eine Katastrophe. Erst jetzt stehen wir vor der größten Etappe der Revolution. Es war der größte Fehler der Unabhängigen, mit den Abhängigen ein Kompromiß zu schließen, indem sie in die Regierung eintraten. Das war die Folge einer Zwangslage.“ (bis hierhin wird zitiert, danach heißt es „führte etwa folgendes aus“) „Heute steht der Gegensatz offen: Wir streben die Sozialisierung an, die jetzige Regierung ist zum Beschützer des Bürgertums, zum Beschätzer [sic] des Kapitalismus geworden. Wir müssen unentwegt an der Beseitigung der Fronschaft arbeiten, keine Unternehmer mehr, keine Knechte! Wir fordern die Sozialisierung der Betriebe, doch die Regierung hat dazu nicht den Mut auch auch [sic] nicht den Willen. Mit Gewalt hat sie die Arbeitseinstellung niedergehalten. Die Revolution hat auch keine politischen Reformen gebracht. Der ganze alte Regierungsapparat funktioniert noch. Wir müssen die Beseitigung aller alten Gesetze ändern, die heute noch gelten. Es gibt nur eine Nationalversammlung mit den weitestgehenden Reformen. Die Regierung hat das Militär gegen die Arbeiter gehetzt. Sie hat uns, die Unabhängigen, zum Austritt aus der Regierung gezwungen. Jetzt versucht sie auch noch, das Polizeipräsidium an sich zu reißen. Ich habe mein Amt von der Revolution empfangen und ich werde es nur der Revolution zurückgeben. Man will über Berlin den Belagerungszustand verhängen um Ausnahmegerichte einzuführen. Nur die Rücksicht auf das Bürgertum und auf die eigenen Interessen hemmt die Regierung. Dagegen Front mit aller Gewalt. Ich verlasse mich auf die Macht des Proletariats!“ 245 Rote Fahne Nr. 6 vom 6. Januar 1919. Besonders die Rote Fahne berichtet von „immer neue[n] Massen“, welche sich den Zügen fortwährend anschlossen, sodass die „von allen Seiten kompakte Menschenmauer“ den Alexanderplatz, sowie die anliegenden Straßen füllte. 246 BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0960, fol. 32, Erinnerungsbericht von Fritz Ulm zu den Januarunruhen 1919. Ulm beschreibt die Szene vor dem Polizeipräsidium als „maßlos erregt“, denn
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Stimmung der Masse wurde erregt, und sie forderten Waffen, die ihr allerdings aus dem Polizeipräsidium in diesem Augenblick nicht zur Verfügung gestellt wurden. Damit hatten die Januarunruhen ihren gleichsam offiziellen Anfang genommen. Für den Schutz des Polizeipräsidiums war die Sicherheitswehr zuständig.247 Da sie im Zuge der ersten Konfrontationen auf die Kommandantur übertragen wurden, unterstanden sie fortan der Regierung und hätten so eigentlich für die Absetzung Eichhorns plädieren müssen. Die Stimmung der Sicherheitswehr war trotzdem mehrfach hin und her geschwankt. Der während des Ledebour-Prozesses vernommene Zeuge Rudolf Tiesenhausen berichtet davon, dass die Lage überall die gleiche gewesen sei. Angehörige des 2. oder 3. Garde Regiments erklärten sich zur Hälfte für und zur Hälfte gegen Ledebour.248 Obwohl sie im Dienste der Regierung mehr Sold hätten beziehen können, standen sie vermehrt auf Seiten Eichhorns.249 Sie legitimierten diesen Akt dadurch, dass zum einen die Absetzung „außerhalb des Gesetzes“ stehe und zum anderen die Wehrleute Beamte der Sicherheitspolizei und keine Soldaten seien. Ihre einzige Aufgabe, so der Sicherheitswehrangehörige Eugen Brune in einer Auseinandersetzung mit Ledebour im Polizeipräsidium am 6. Januar, bestehe darin, das ihnen „anvertraute Nationaleigentum“ zu schützen.250 Die Sicherheitswehr sei neutral und ließe sich von keiner Seite aus „brauchen“.251 Dann formierten sich wieder die Demonstrationszüge und setzten sich gegen das Zeitungsviertel in Bewegung, wo die großen Zeitungsverlage besetzt wurden. Dass viele der Teilnehmer in diesen Zügen bewaffnet waren, machte die Demonstrationszüge ungleich gefährlicher. Die der Sozialdemokratie nahestehenden Redakteure des Vorwärts Erich Kuttner und der Verleger Albert Baumeister hatten
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große Menschenmassen strömten am Alexanderplatz zusammen. Für erwähnenswert hielt er, dass der Anschluss von Truppen an den Demonstrationszug erwünscht war und von Teilen der Rednerdelegationen auch versucht wurde. Dabei geht aus seinen Schilderungen hervor, dass er sich auch am folgenden Tage den 6. Januar mehrfach spontan Demonstrationszügen angeschlossen und sich habe „treiben lassen“. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 30, Zeugenaussage des Rudolf Tiesenhausen, 28. Januar 1919. Diese sogenannte „Präsidiumskompagnie“ bestand aus der 14. Kompagnie des Sicherheitsdienstes, welcher ständig im Präsidium untergebracht war. Ihre Aufgabe bestand lediglich darin, für Ruhe und Sicherheit zu sorgen. Daher forderten sie Eichhorn auf, dass dieser politische Reden verbieten solle, da sie sonst gegen „einseitige parteipolitische Demonstrationen“ vorgehen müssten. Ebd., fol. 32., In der Strafsache gegen Ledebour, Zeugenaussage des Rudolf Tiesenhausen. Zeugen Tiesenhausen, 1. Schreiber in der Waffenkommandantur des Berliner Polizeipräsidiums, hat die Tätigkeiten von Eichhorn daher unmittelbar mitbekommen. Tiesenhausen habe am 24. Dezember 1918 eine Rede des Angeklagten Ledebour auf dem Schlossplatz in nächster Nähe mitbekommen. Dieser habe zum Sturz der Regierung Ebert-Scheidemann aufgefordert. Vgl. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 19ff. Landgericht I in der Strafsache gegen Wilhelm Lemgen, Mitglied der Republikanischen Soldatenwehr, Berlin 22. Januar 1919. Ebd., fol. 42, Der Erste Staatsanwalt dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19, Haft- und Schwurgerichtssache des Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. Der Spartakusbund hatte in Verbindung mit den revolutionären Obleuten und Vertrauensmännern der Großbetriebe GroßBerlins zu dieser Demonstration aufgerufen. Ebd., fol. 18, Zeugenaussage des Eugen Brune, Berlin 16. Januar 1919. Ebd.
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zuverlässige sozialdemokratische Arbeiter und auch ehemalige Soldaten bewaffnet, welche sich im „Freiwilligen Helferdienst der Sozialdemokratischen Partei“ organisierten.252 Gemeinsam bildeten sie die Regimenter „Liebe“ und „Reichstag“.253 Hinzu kamen Berliner Ersatzbataillione und Teile der Republikanischen Soldatenwehr samt der Charlottenburger Sicherheitswehr. Weitere Gruppierungen waren das Freischützenkorps Berlin, sowie das Freiwilligenregiment Reinhard. Auch das Regiment Potsdam war an den Unruhen beteiligt.254 Waffen hatten die Demonstrierenden zu einem Teil zu der Kundgebung bereits mitgebracht, während ein Großteil sich diese erst aus der in der Nähe des Polizeipräsidiums gelegenen Alexanderkaserne in ihren Besitz brachte. Die Dynamik dieser Szene lässt sich recht gut durch die Simultanität der nun folgenden Ereignisse beschreiben. Die parallele, fast gleichzeitige Bewegung der Demonstrationszüge führte zu einer Reihe von Besetzungen der Zeitungsunternehmungen und Kasernen, wobei es zunächst nicht klar schien, ob diese Aktionen geplant waren oder sich aufgrund der Dynamik verselbstständigten.255 Dabei ist es für eine raumanalytische Lesart der Vorgänge von untergeordneter Bedeutung, wer in diesem „alte[n] Revolutionsspiel“ den ersten Schuss abgegeben hat.256 Die Menschen in den Gebäuden versuchten zwar alle Widerstand zu leisten, obgleich dieser relativ gemäßigt ausfiel, da die nötigen Waffen fehlten.257 Dass die Besetzung der Zeitungsgebäude im Ledebour-Prozess von Seiten der Angeklagten als strategischer Fehler bezeichnet 252 Zur Kuttners Einschätzung des revolutionären Geschehens vgl. Kuttner, von Kiel bis Berlin. 253 Vossische Zeitung Nr. 23 vom 14. Januar 1919. Die Republikanische Schutztruppe war Anfang 1919 als Verband und Anhängern der SPD, eingeteilt in zwei Regimenter, gegründet worden. Das Regiment Liebe hatte kaum einen „militärischen Wert“, während das Regiment Reichstag als zuverlässige Formation eingeschätzt wurde. Um sich vor „immer andauernden Ueberfällen und Plünderungen der Spartakisten“ zu schützen, sollte Berlin in Sicherheitsbezirke eingeteilt werden, „die von starken Patrouillen von zehn Mann oder darüber gründlichst abgestreift werden soll[t]en.“ Falls die Bevölkerung sich bedroht fühle, solle sie sich an die nächstgelegene Kaserne ihres Bezirks wenden. 254 Luther, Nachrevolutionäre Machtkämpfe, S. 210; Rosenberg, Geschichte der deutschen Republik, S. 58–61; Kluge, Soldatenräte, S. 287. Auffällig ist, dass nicht nur konservative der Regierung nahestehende Truppen den Einsatz von Waffen forderten, sondern auch die Haltung der Mehrheitssozialdemokratie in diese Richtung tendierte. Der Einsatz von Waffen war somit ein probates Mittel, den Raum der Aufständischen möglichst rasch zurückzuerobern. 255 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 62ff., besonders S. 64. „Daß diese Gebäude besetzt wurden, absorbierte unnützer Weise die geringen militärischen Kräfte“. Die Besetzung der Zeitungsgebäude sei ein „strategisch-taktischer Fehler“ gewesen, weshalb die „revolutionäre Kampfkraft unnütz zersplittert wurde“. Zurückgeführt wurde dies auf die Dynamik der Massen. Im Ergebnisbericht der Anklageschrift ist davon die Rede, dass die Besetzung der Zeitungen „in Gemäßheit eines mehrfach ausgesprochenen Programms der kommunistischen Partei zur Verhinderung der gegnerischen Meinungsäußerung und zur Erlangung einer leistungsfähigen Drukkerei [sic] für eigene Zwecke“ erfolgt sei. Vgl. LA B, A Rep. 358– 01, Nr. 466, fol. 64, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haftund Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 256 Vossische Zeitung Nr. 9–22 vom 13. Januar 1919. 257 Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7686. „Im ‚Vorwärts‘ war ein großer Teil der Besatzung, die von der ‚Republikanischen
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wurde, lag der argumentativen Begründung zugrunde, dass Lockspitzel der Regierung bei der Besetzung anwesend gewesen seien sollen.258 „Es ist sehr schwer, in einer großen Menschenmenge den Mann festzustellen, der in der Fülle der Zwischenrufe einen bestimmten Ruf zuerst ausgestoßen haben soll. Man wird also mit der Möglichkeit rechnen müssen“, so Ledebour.259 Die Besetzung allein reichte vielfach nicht aus, um den Kommunikationsraum vollends kontrollieren zu können.260 Welche Ausmaße das gegenseitige Bespitzeln haben konnte, wird am Beispiel des Kommunisten Werner deutlich, welcher sich in das Regiment Reinhard
Soldatenwehr‘ und der Sicherheitswehr gestellt war, auf Sonntagsurlaub; der Rest leistete keinen Widerstand. Ebenso wurden ohne Gegenwehr besetzt die Zeitungsgebäude von Mosse, Ullstein und Büxenstein sowie das Wolff’sche Telegraphenbüro. In die besetzten Gebäude wurden möglichst bald Maschinengewehre und andere Verteidigungsmittel gebracht, um einen etwaigen Angriff zurückweisen zu können.“ 258 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 12, Beglaubigte Abschrift des Aufrufs des Revolutionsausschusses vom 6. Januar 1919, Strafsache gegen Ledebour. Dieser war aufgrund der Forderung der Absetzung der Regierung Ebert-Scheidemann angeklagt worden. Zum Revolutionsausschuss vgl. Müller, Bürgerkrieg, S. 32–36. Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 647. Im Plädoyer des Staatsanwalts Zumbroich wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass in den Straßen Berlins Krieg geführt worden sei und man sich daher auch „in der Abwehr“ mit allen Mitteln bedient haben würde. Daher sei in einem Einsatz regierungstreuer Spitzel und Agenten nichts Ungewöhnliches zu vermerken. Vgl. Spitzel. Aus dem Sumpf der politischen Polizei, S. 7. „Während der Januarkämpfe waren die Spitzel vorne im ‚VorwärtsGebäude‘, bei Büxenstein und anderswo, bis – es gefährlich wurde. Dann verschwanden sie, machten Berichte und lieferten die Arbeiter ans Messer.“ 259 Ebd., fol. 12, Beglaubigte Abschrift des Aufrufs des Revolutionsausschusses vom 6. Januar 1919, Strafsache gegen Ledebour. Parallel führten die Zeitungen, die jeweils einem politischen Lager nahestanden einen Kampf über die Diskurshoheit und konstruierten ihre jeweils eigenen Versionen davon, wer genau für die Besetzung der Gebäude verantwortlich gewesen sei. Vgl. Müller, Bürgerkrieg, S. 41. Auf Seiten des Stadtkommandanten Anton Fischers arbeitete ebenfalls ein umfassender Apparat an Spitzeln, sogenannte agents provocateurs, welche den „Charakter“ der Januarereignisse wesentlich mitbestimmt hätten. Der Kellner Alfred Roland, ein Mitglied des Roten Soldatenbundes, hatte offenbar am 5. Januar zur Besetzung einiger Gebäude aufgerufen. Vgl., Spitzel. Aus dem Sumpf der politischen Polizei, S. 9. 260 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 59. Mit der Besetzung des Vorwärts und weiteren „bürgerlichen Zeitungsunternehmen“, sowie des Haupttelegrafenamtes und der Reichsdruckerei waren Presse, Verkehr und Wirtschaft „lahmgelegt“. Die Besetzungen der Gebäude zogen eine Wirkung nach sich, dass sämtliche Bahnhöfe, Post- und Telegrafenämter, aber auch Lebensmittellager, Depots und Kasernen Hilfe gegen Gewalttaten und Plünderungen erbeten hatten. Vgl. etwa LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Eine kurze Geschichte der Januarereignisse, S. 22. Das Nichterscheinen der Zeitungen und die allgemeine Erregung wurden für jene „charakteristischen Straßenansammlungen“ verantwortlich gemacht. „Zusammengeballte Menschenknäuel um zwei oder drei Streitende“ erblickte man meist in den Abendstunden. Diese machten sich der Interpretation der Sondernummer der Berliner Illustrirten Zeitung die „Spartakisten“ zunutze, indem sie „überall ihre Anhänger, zum Teil als Mehrheitssozialisten verkleidet – ins Treffen schickte.“ Die Masse wurde hierbei als „Herr der Straße“ charakterisiert.
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eingeschleust hatte und in die Funkstation abkommandiert wurde, welches erhebliche Ausmaße für das Funktionieren der Kommunikationsstrukturen besitzen konnte.261 Der Aufruf nicht zu den Wahlen zur Nationalversammlung zu gehen, sondern die direkte revolutionäre Aktion auszuführen, spiegelte sich in einer Praxis wider, in welcher man das Papier aus den gegnerischen Zeitungsbetrieben stahl.262 „Bewaffnete Haufen“, so hieß es in der späteren Anklageschrift gegen Ledebour, hatten die Protestversammlungen und daran anschließenden Demonstrationszüge benutzt, um Zeitungsdruckereien und öffentliche Gebäude „gewaltsam“ zu besetzen und daraufhin in derartiger Weise „befestigt“, dass „später eingesetzt[e] Truppen mit Waffengewalt“ diese erst zurückerobern mussten.263 Im Zuge dessen erfolgten Plünderungen von staatlichem und privatem Eigentum. Das Besetzen öffentlicher Gebäude, Verwaltungs-, Verkehrs-, sowie Versorgungseinrichtungen wurde mit drastischen Strafen geahndet. Sowohl Karl Radek264, als auch Georg Ledebour waren angeklagt worden als „Rädelsführer einen Aufruhr begangen zu haben“, sowie „als Rädelsführer Landfriedensbruch begangen“ und gegen den § 5 des Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen vom 9. Juni 1884“ verstoßen zu haben.265 Ledebour wurde zudem angeklagt „durch ein und dieselbe Handlung mit Anderen gemeinschaftlich handelnd a) unbefugterweise einen Haufen gebildet oder eine Mannschaft, von der er wußte, daß sie ohne gesetzliche Befugnis gesammelt ist, mit Waffen oder Kriegsbedürfnissen versehen, b) als Rädelsführer an öffentlichen Zusammenrottungen, bei welchen eine der in den §§ 113 und 114 bezeichneten Handlungen (Widerstand gegen Mannschaften der bewaffneten Macht oder einer Schutz- und Bürgerwehr, Nötigung von Beamten) mit vereinten Kräften begangen worden ist, teilgenommen, c) als Rädelsführer an Zusammenrottungen teilgenommen zu haben, bei denen sich eine 261 BHStAM, MInn, Nr. 66280, ohne fol., Schreiben des Karl Denzler an Reichswehrminister Noske, Schleiz i. Th. 21. Februar 1919. Denzler selbst hatte die Informationen zufällig auf einer Zugfahrt von Berlin nach München bekommen können, als er Werner im Zuge einer Agitationsrede und einer persönlichen Unterhaltung im Zug kennengelernt hatte. Die Information schickte er daher kurze Zeit später an den Reichswehrminister. Werner selbst hätte ebenfalls an der Besetzung des Vorwärts teilgenommen. Denzler vermutete, dass sich Werner nun auch in München in wichtige Institutionen einschleusen würde können. Man erkenne ihn an seiner „bayerische[n] Aufmachung“, der feldgrauen Uniform, einer Husarenmütze und schwarz-rotgelben, sowie blau-weißen Kokarden. 262 Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7687. 263 Hier und im Folgenden LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 42, Der Erste Staatsanwalt dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19, Haft- und Schwurgerichtssache des Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919; vgl. Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 19f. 264 LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Eine kurze Geschichte der Januarereignisse, S. 14. Radeks Erscheinen in Berlin wurde als „Sturmzeichen“ gedeutet. 265 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 17, Der Untersuchungsrichter bei dem Königlichen Landgerichte I, Haftbefehl Geschäftsnummer 67.J.68/19, Berlin 16. Januar 1919
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6. „Doing Space“ – Sozialräumliche Protestpraktiken Menschenmenge öffentlich zusammenrottet und mit vereinten Kräften gegen Personen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen hat, d) vorsätzlich durch Anwendung von Sprengstoffen, Gefahr für das Eigentum, die Gesundheit oder das Leben Anderer herbeigeführt zu haben, und zwar dergestalt, daß durch die Handlung schwere Körperverletzungen verursacht worden sind und die einen solchen Erfolg voraussehen konnten, e) zu Mehreren die Ausführung einer oder mehrerer, nach den Strafbestimmungen zu f) zu ahndender strafbarer Handlung verabredet oder sich zur fortgesetzten Begehung derartiger wenn auch im einzelnen nicht bestimmter Handlungen ver[…] zu haben, Verbrechen und Vergehen strafbar nach §§ 127, 115, Absatz 2 12, Absatz 2, 47, 73 Reichs-Strafgesetzbuchs 5 und 6 des Gesetzes vom 9. Juni 1884 gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen.“266
Erkennbar waren somit mehrere Vergehen, die Ruhe und Sicherheit im öffentlichen Raum massiv gestört zu haben. Beim Vorwärtsgebäude spielten sich die Ereignisse in ähnlicher Weise ab. „Bewaffnete Haufen“ versuchten auch hier erst bei der diensttuenden Pförtnerin Einlass zu erlangen. Durch Drohungen mit Waffengewalt erlangten sie schließlich Einlass in die Räume des großen Gebäudes, welches aus vier Höfen und Quergebäuden bestand. Nach Stilllegung des Betriebes instrumentalisierten sie den Betrieb zur Herausgabe ihres eigenen „revolutionären Blattes“ unter der Bezeichnung „Vorwärts, Zentralorgan der Berliner revolutionären Arbeiterschaft“. Bis auf das technische Personal wurden alle Beschäftigten nach Hause geschickt. Trotz der widrigen Umstände veröffentlichte man Zeitungsinserate, um Maschinen- und Setzerpersonen für die weitere Zeit zu hohen Löhnen zu suchen. Die Funktion des Vorwärtsgebäudes als einer Zeitungsredaktion zur Verbreitung von Nachrichten an die Bevölkerung blieb in erster Linie zwar bestehen, wurde jedoch sowohl durch die Besetzung, als auch durch die Herausgabe eines eigenen Parteiblattes transformiert und bekam darüber hinaus eine völlig andere Bedeutung. Eingebettet in die Struktur der Berliner Zeitungsredaktionen wurde das Gebäude allein äußerlich zu einem Synonym für die Errungenschaften der Revolution. Hierfür richtete die Besatzungsmannschaft das Gebäude „in sachgemäßer Weise auf Widerstand bis zum Aeußersten ein“.267 Die in den Einfahrten errichteten Barrikaden aus Rotationspapierrollen nebst der Positionierung von Maschinengewehren an den Eingängen im Erker des ersten Stocks des Vorderhauses, boten nun ein Bild, welches man eher in Kriegszeiten erwartet hätte. Dem Vorwärtsgebäude wurde hierbei die Rolle des „Mittelpunkt[s] der gesamten gewaltsamen Besetzungen“ zugeschrieben, denn hier war der Anlaufpunkt für die Besatzungen der anderen Betriebe, wenn diese Waffen und Munition forderten.268 Auch die Verhandlungen fanden im Vorwärtsgebäude statt. Das in der Lindenstraße 3, direkt am Belle-Alliance-
266 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 40f., Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 267 Ebd., fol. 43, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 268 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 44, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. Die Beschaffung von Lebensmitteln wurde verschiedentlich auch mit Gewalt von der Straße aus vorgenommen, indem beispielsweise Wagen mit Mehl der Städtischen Versorgungs-
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Platz und hinter dem Halleschen Tor, also in unmittelbarer Nähe der Dragoner-Kaserne gelegene Gebäude besaß einen „eminent praktischen und hohen symbolischen Wert für die organisierte Arbeiterschaft“.269 Die dort arbeitende SPD-Zeitungsredaktion und -druckerei hatte mit der herausgegebenen Zeitung ihr Sprachrohr. Von hier aus erging auch der Aufruf des Spartakusbundes, dass sich die Massen „raus aus den Betrieben“ und auf die Straße bewegen sollten.270 Die für 11 Uhr geplante große Demonstration auf der Siegesallee bestand zunächst aus kleineren Gruppen von 100 bis 130 Arbeitern, die teilweise bereits in den Fabriken bewaffnet oder erst am Polizeipräsidium ausgerüstet wurden.271 Im Zuge dieser sozialräumlichen Protestpraktiken wurde versucht, die Mittel der politischen Gegner zu neutralisieren. Dabei konnte vom „impulsive[n] Vorgehen“ vereinzelter Gruppen Gefahr ausgehen.272 Die Sozialdemokraten hatten eine Unmenge an Agitations- und Wahlmaterial in ihrem Redaktionsgebäude gelagert. Am Abend des 5. Januar drangen die Aufständischen daher in die Räume des sozialdemokratischen Parteibüros gegenüber dem Vorwärtsgebäude ein, um die „dort liegenden Massen von Aufrufen und Druckschriften auf der Straße“ zu verbrennen. Dieser symbolisch hoch aufgeladene Akt wies zudem auf den Stellenwert der medialen Ausgestaltung des öffentlichen Raumes für alle Seiten hin.273 Dasselbe galt daher auch für Agitationsmaterial der Deutschen Demokratischen Volkspartei, welche in der Katzbachstraße 29a untergebracht war. Hier hatten Eindringlinge 56.000 Exemplare eines Aufrufs beschlagnahmt und gleichzeitig gedroht, die Platten und Druckereiutensilien zu zerstören. Das Verbrennen des Materials auf offener Straße
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stelle oder Kraftwagen mit Fleisch oder Marmelade angehalten und zum Vorwärtsgebäude geleitet wurden. (fol. 47) Die in der Nachbarschaft liegenden Geschäfte wurden ebenfalls zur zwangsweisen Versorgung hinzugezogen. Auch Wohnungen und Geschäftsräume wurden während der Besatzung geplündert wie im Falle der Lagerprivaträume des Kaufmanns Ascher, welcher einen Schaden von etwa 100.000 M bezifferte oder der Lagerräume der Brandt’schen Weinhandlung mit 20.000 M Schaden. Ähnlich die Firma Hesse Eichel mit 13.760 M Schaden. Brücker, Kaserne des 1. Garde-Dragoner-Regimentes Mehringdamm 20–30, S. 446. Rote Fahne Nr. 5 vom 5. Januar 1919. Vgl. BA B, SAPMO, SgY 17, V253–01, fol. 8ff. Broschüre der Zentralstelle des Spartakusbundes. „Was will der Spartakusbund?“. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 47, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. Den „geschlossenen Züge[n]“ sollte ein Wachdienst und dann Kuriere zugewiesen werden. 1. Kompagnie geführt von Knittel und Liebig mit „ihrem Grundstock aus Schwartzkopffarbeitern“ hatte ihr Kompagnierevier in den Räumen des Kaufmanns Ascher eingerichtet. Eine 2. Kompagnie bestehend aus Leuten der Neuköllner Betriebe war in den Räumen der Firma Hesse und Eichel untergebracht. Die 3. Kompagnie, geführt von Rentzsch und Schwaan umfasste 90 Mann. Eine ausreichende Versorgung mit Waffen gelang den Besatzern, indem sie die militärische Beutesammelstelle in der Alten Jakobstraße 149/155 plünderten, in der eine ausreichend große Menge an Gewehren und Patronen, sowie weiterer Ausrüstungs- und Bekleidungsstücke gelagert waren. Vgl. Rote Fahne Nr. 6 vom 6. Januar 1919. Die Rote Fahne berichtet von „starken Zügen“, in denen „vor allem die jungen Jahrgänge versammelt“ waren. Müller, Bürgerkrieg, S. 19. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 48, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919
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hatte somit auch eine zutiefst sinnstiftende Funktion, die darin bestand der Öffentlichkeit zu zeigen, dass man nun auch die Strategien des Gegners erkannt und selbst die Herrschaft über diesen Raum erlangt hatte. Am Morgen des 11. Januar hatten Regierungstruppen, unterstützt durch Artillerieverbände und Minenfeuer, das Gebäude wieder zurückerobern können.274 Hierbei bildeten die Eckpunkte Tiergarten, Unter den Linden, Friedrichstraße und Leipziger Straße ein großes Viereck, welches als Absperrung dienen sollte.275 Aufgrund ihrer weißen Armbinden, wurden die Truppen auch Weißgardisten genannt. Unterstützt wurden sie von Potsdamer Jägern und Freiwilligentruppen.276 Da das Vorwärtsgebäude als großes Geschäftshaus aus vier Innenhöfen zwischen der Lindenstraße und der Alten Jakobstraße bestand, wurde vom Regiment Potsdam ein umfangreicher Plan zur Rückeroberung ausgearbeitet.277 Für die Vorderfront sollte Führer Major von Stephani verantwortlich sein. Als Ausgangspunkt wählte man die Kaserne des 1. Garde-Dragoner-Regiments. Mittels zweier Haubitzen des Hauptmanns von Rohr sollten sie vor dieser Kaserne in Stellung gehen und ein Störfeuer 274 Rote Fahne Nr. 10 vom 10. Januar 1919; vgl. Rote Fahne Nr. 12 vom 12. Januar 1919. Auch hier wird erneut von Gasangriffen der Regierungstruppen auf das Vorwärtsgebäude berichtet. Vgl. Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 69. Die Gesamtstärke betrug ca. 3.000 Personen. Der Zug beschritt den Weg Friedenau – Potsdamer Straße – Leipziger Straße – Wilhelmstraße – Unter den Linden – Großer Stern – Lützowplatz – Nollendorfplatz – Friedenau.“ Das Militär rechnete offenbar mit heftigem Widerstand, denn sowohl am Vorwärtsgebäude, als auch am Polizeipräsidium gab es noch etliche Kämpfe. Eine „gute Haltung“ und die Aufrechterhaltung einer „Marschordnung“ wurden daher vom Militär vorausgesetzt, während die Bevölkerung der anliegenden Straßen davor gewarnt wurde, die Straße zu betreten. Dem für den 15. Januar geplanten großen Einmarsch aller Abteilungen sollte am 14. ein „überfallartiges Unternehmen“ vorausgehen. Das Freiwilligen-Regiment Reinhard und die Marine-Brigade sollten möglichst schnell die Bestände der Waffenfabriken nördlich der Spree in ihren Besitz bringen, um so die „Unruheherde in den großen Fabriken dieser Gegenden im voraus zu beseitigen“. Bereits am 20. wurde die Räumung der Stadt angeordnet. Lediglich das Regiment Reinhard und Detachement Küntzel blieben zum Schutz der Regierungsgebäude in der Stadt postiert. 275 Vossische Zeitung Nr. 9–22 vom 13. Januar 1919. 276 Rote Fahne Nr. 13 vom 13. Januar 1919; vgl. Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7691, Während der „Wiedereinnahme der Gebäude gingen überall harte Kämpfe voraus“. Hierbei seien auch auf Seiten der „Aufständischen“ 10,5 cm Artilleriegeschosse verwendet worden. Die Frage wer hierbei zuerst Artillerie eingesetzt hat, spielt für die Interpretation der Januarunruhen aus raumanalytischer Perspektive jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ist es wichtig, dass beide Seiten derart drastische Mittel einsetzten, um Raum für ihre eigenen Zwecke zu erobern und zu besetzen. Die Mittel ähnelten vielfach den während des Weltkrieges vollzogenen Kriegshandlungen. Der Arbeiter Ludwig Loewe hatte offensichtlich diese dramatische Situation richtig einzuschätzen vermocht: „Sie würden sich lieber sämtlich unter den Trümmern des Gebäudes begraben lassen, als den Vorwärts freiwillig zu räumen.“ In den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses über die Januarunruhen wird daher auch festgehalten, dass die Organisation der besetzten Gebäude durchaus militärisch gewesen sei. Zudem habe man im eroberten Vorwärts in einer Schnittmustermaschine eine Patrone gefunden, welcher offenbar die Spitze abgeschnitten worden war. Die Behauptung der Regierungstruppen, daß die Aufständischen mit Dum-Dum-Geschossen gekämpft hätten, sollte hierdurch bekräftigt werden. 277 Hier und im Folgenden vgl. Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 62f.
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auf das Hallesche Tor und den Belle-Alliance-Platz mit den Dach- und Häuserschützen legen, sodass Truppen mit Maschinengewehren zu Fuß unter diesem Feuerschutz das Tor erreichen konnten. Danach sollte ein Stellungswechsel der Geschütze in Richtung Belle-Alliance-Platz stattfinden, um so durch die Lindenstraße das Vorwärtsgebäude zu erreichen. Gleichzeitig wurde eine Gruppe unter Hauptmann von Thun im Reichspatentamt angewiesen, sich der Hinterfront des Gebäudes zu nähern, welche mittels der Versteifung von Kanalrohren, Maschinengewehren und hoher Bretterwände gut befestigt war. Die materielle Ausgestaltung rund um das Vorwärtsgebäude hatte es den Angreifern offenbar erschwert, ihre Haubitzen zielgenau einzusetzen. Durch den Verkehr der Hochbahn, der relativen Entfernung und damit zusammenhängenden Zielungenauigkeiten, gestaltete sich das Unterfangen offenbar als schwierig. Auch erschwerten die durch die eintretende Dunkelheit nur mäßigen Sichtverhältnisse und die „Verwinkelung“ des Gebäudes, in denen sich zahlreiche Schützen befanden, die Durchführung des Plans. Die Belle-Alliance-Brücke wurde hierbei als Grenze wahrgenommen, welche es als „gefährliche“ Markierung zu „überschreiten“ galt. Sogenanntes „Wirkungsschießen“ auf das Gebäude, welches durch Granaten verstärkt wurde, führte dann zum gewünschten Erfolg. Die umliegenden Hausvorsprünge wurden jetzt wiederum von den Truppen benutzt, um sich langsam mit den Maschinengewehren dem Gebäude nähern zu können. Ähnliche Praktiken waren beim Wolff’schen Telegraphenbüro zu beobachten. Ein „geschlossener Zug“ rückte von Seiten der Leipzigerstraße durch die Charlottenstraße bis zur Ecke Charlotten- und Zimmerstraße an, um sich dort zu teilen. Daraufhin „drangen“ die „Leute“, sowohl Soldaten, als auch Zivilisten, gleichzeitig durch beide Eingänge in das Gebäude ein. „Die Soldaten waren nach ihren eigenen Angaben erst am Morgen mit der Bahn von Leipzig nach Berlin gekommen und vom Anhalter Bahnhof zunächst in Richtung Siegesallee geleitet worden, um von dort mit dem Demonstrationszug zum Polizeipräsidium zu marschieren. „Dort erfuhren sie erst, daß man sie zur Unterstützung der Sache Liebknechts herangezogen hatte.“ Um das Wolff’sche Telegraphenbüro „stillzulegen“, wie es in der Anweisung an die „Spartakisten“ geheißen hatte, besetzten sie die Fernsprechzentrale und dann die anderen Abteilungen des Büros wie die Redaktion, das Ferndruckzimmer, die Druckerei und die Botenmeisterei. Auch das Ullsteinhaus wurde am 5. Januar abends von 18 bewaffneten Personen besetzt. 20 Spartakusleute und 20 Sicherheitsbeamte der Polizeipräsidiumsmannschaft bildeten die Besatzung des Gebäudes. Ein anderes Ziel bestand in der „Bemächtigung“ der Fernsprech-Hauptstelle des „umfangreichen Gebäudes“, sodass die Vossische Zeitung nicht mehr erscheinen konnte. Alle Beschäftigen außer die Pförtner und zwei Angestellte mussten das Haus verlassen, während die Besatzung sukzessive auf 100 Personen verstärkt wurde. Zwei Wachabteilungen sorgten für den nötigen Gebäudeschutz, die im Hofe und vor dem Hauseingang erneut Barrikaden aus Papierrollen errichteten. Die Fenster hatte man zum Schutze mit Möbeln und Einrichtungsgegenständen aus dem Büro versehen, die Eckfenster mit Maschinengewehren ausgestattet.
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Bei Büxenstein bot sich ein ähnliches Bild. Acht bewaffnete Personen blockierten die Herausgabe der Kreuzzeitung und der Berliner Neueste Nachrichten. Weitere 100 Personen kamen am 6. Januar von der Friedrichstraße in das Gebäude und besetzten die Kontore sowie die Fernsprechzentrale. Zudem forderte man die Herausgabe sämtlicher Firmenstempel, mit deren Hilfe man Lebensmittelrequisitionen vornehmen konnte. Im Zuge der Besetzungen der Zeitungsredaktionen kam es zu zahlreichen Plünderungen von Privatwohnungen.278 Auch Büxenstein wurde bereits am 10. und 11. Januar wieder von den Regierungstruppen zurückerobert. Die Vorgänge rund um das Mosse Verlagshaus vom 5. zum 6. Januar zeichneten sich dadurch aus, dass sich „plötzlich ein Haufen von 150-200 Bewaffneten, der sich aus Soldaten und Zivilisten zusammensetzte“ vor dem Gebäude auftauchte.279 Der Ausbau des Mosse-Hauses zur Festung wirkte in dem sonst „so lebhaften Viertel“ befremdlich und brachte eine „unheimliche Stille“, in der sich niemand mehr auf die Straßen traute, während aus den Häusern geschossen wurde.“280 Hausbesetzer Budack schildert die Vorgänge aus seinen Erinnerungen heraus: „Wir hatten aber eine Absperrung gemacht. Wir hatten zwar Diskussionen, aber es verlief alles friedlich. […] Bisher ist noch nicht so stark beachtet worden, daß gerade die Besetzung von Mosse hauptsächlich von der Jugend getragen wurde. Ich selbst habe weiter den Wachdienst mitgemacht. Das ging immer so ein paar Stunden Dienst, ein paar Stunden Ruhe. Ich wurde dann herausgezogen, weil ich Jugendlicher war, damals 18 Jahre und ein bisschen zurückgeblieben durch die Kriegszeit.“281
In dieser Zeit wird die Person beauftragt mehrere Kurierdienste zu tätigen, meist Proviantorganisation. Als Budack zurück zum Vorwärtsgebäude gelangen wollte, war dieses bereits „zerniert“.282 278 Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919. In den meisten Fällen sollen „politisch vollkommen unreife Menschen“ bei den Besetzungen gehandelt haben, die die Aussicht gehabt hätten „in dem Wirrwarr rauben und plündern zu können“ und daher „veranlaßt worden waren, sich bewaffnen zu lassen und zu kämpfen“. Die Gefangengenommenen sagten aus, dass sie „ausschließlich durch einen unglücklichen Zufall an den Ort der Kämpfe gelangt“ seien und keiner von ihnen geschossen, geraubt oder geplündert habe, sie sich eher als „harmlose Passanten“ gesehen hätten. Im Zuge dessen sagte ein 17 jähriger aus, dass er noch nie eine Waffe in der Hand gehalten habe und er gar nicht wisse, was „Spartacus“ sei und wolle. Man habe ihn in das Polizeipräsidium geschleppt, ihm dort eine Waffe in die Hand gedrückt und ihn gezwungen zu schießen. Dabei habe er sich „um Politik überhaupt noch niemals gekümmert.“ Die Aussicht auf Löhnung und Verpflegung muss bei dieser doch größeren Anzahl ähnlicher Aussagen den Ausschlag gegeben haben. Trotzdem können sie als Indiz herhalten, dass die Handlungen eines nicht zu unterschätzenden Teils erst während der Auseinandersetzungen politischen Charakter bekamen. Für Interpretation aus marxistischer Sicht vgl. Dreetz/Geßner/Sperling, Bewaffnete Kämpfe, S. 50–73. 279 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 53, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919 280 Lanwer, Das Berliner Zeitungsviertel, S. 183–208, bes. S. 196f. 281 Hier und im Folgenden LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 200, fol. 5, Erinnerungsbericht des Herrn Budack zu den Januarereignissen. 282 Gemeint war offenbar die einer Belagerung vorhergehende Einschließung einer Örtlichkeit und einer damit einhergehenden Absperrung derselben nach außen.
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„Wir haben die erste Rote Fahne gedruckt und zwar in einer kleiner [sic!] Druckerei in der Annenstr. glaube ich. Genau weiß ich es nicht mehr. Jedenfalls in der Gegend. Dort haben wir Platten gemacht und wollten gerade anfangen, da haben uns die Noskiden mit Handgranaten wieder raus gehauen. Nachts waren mehrere Streifen draussen die versuchten Milchkutscher oder Bäcker abzufangen. Brot bekamen wir also nicht viel. Aber zu jeder Mahlzeit erhielt immer jeder eine Schnitte“, so Budach weiter.283
Das Vorwärtsgebäude sei am 11. mittags gefallen, so hörte er von den Jugendlichen, die ihre Stellung auf dem Dach hatten. Budack selbst habe die Rote Fahne im Hansaviertel verbreitet. Die Namen der ca. 20 Empfänger musste er im Kopf behalten. Beim Verbrennen des Agitationsmaterials und der Flugblätter der Deutschen Demokratischen Partei hinderte man die heranrückende Feuerwehr daran, den Brand zu löschen.284 Dem Polizeipräsidium wurde auch hier die Rolle des zentralen Standortes für die anderen Besetzungen zugeschrieben, denn von hier aus konnte der Nachschub sowohl an Truppen, als auch Waffen gewährleistet werden. Die gängige Praxis der „Verschanzung“ bestand darin, dass man die Türen, die auf die Straßenseiten führten mit Papperollen befestigte und die Fenster mit „Brustwehren“ aus Büchern, Papier oder anderen Materialien „zumauerte“. Vermutlich deshalb wurden während der Auseinandersetzungen vermehrt Handgranaten eingesetzt, welche diese Blockaden sofort zerstören konnten.285 „Die Mosse-Besatzung schoß dabei mehrfach, auch mit Sprengmunition, einer im Felde nur den Fliegern gestatteten besonderen Infanteriemunition mit schwarzer Spitze für den Luftkampf.“286 Auch hatte man zur Verteidigung des Gebäudes sowohl an der Kreuzung zur Jerusalemer- und Schützenstraße, als auch zwischen Portal IV, welches den Zugang von der Lustgartenseite in den Großen Schlosshof ermöglichte und der Markgrafenstraße Minen positioniert, die mittels Reißschnüren ausgelöst werden konnten, sodass auch die Außenwände der Gebäude erheblichen Schaden erlitten hätten.287 Dass die sozialräumlichen Protestpraktiken einen militärischen Charakter annahmen, wird am Beispiel des regelmäßigen Appellierens im Innenhof des Verlagsgebäudes deutlich. Die Soldaten, die sich unter den Besatzungsmannschaften 283 LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 200, fol. 8, Erinnerungsbericht des Herrn Budack zu den Januarereignissen 284 LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 44, Schreiben des Bürgermeisters III a 575 an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss für die Unruhen in Preussen, Büro der preussischen Landesversammlung, Düsseldorf 27. Mai 1919. Als ähnliche Handlungen mit starker symbolischer Aufladung kann das Verbrennen von Wahlurnen zur Stadtverordnetenversammlung am 23. Februar in Düsseldorf gewertet werden. Dort drangen Bewaffnete in die Wahllokale ein, nahmen die gefüllten Wahlurnen mit und verbrannten die Urnen samt Listen auf offener Straße ebenso, wie Geschäftspapiere, Bücher und Wahlplakate der Zeitungsredaktionen. 285 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 42, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 286 Ebd., fol. 54, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 287 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 178ff., Zeuge Appel sagt hier aus, dass er sicher sei, dass lediglich das Gerücht gestreut worden wäre, dass man Minen angebracht hätte, um sich so die Regierungstruppen „vom Leibe zu halten“.
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befanden, hatten diese gängige Praxis, wie auch andere ihrer Erfahrungen aus dem Krieg, in ihr sozialräumlichen Verhalten innerhalb der Städte einfließen lassen.288 In vielen Fällen, so auch in der Reichsdruckerei, ist ein Muster erkennbar, indem vorhandenes Personal gegen eigenes ausgetauscht wurde, um so für die „Sicherheit der Betriebseinrichtung“ selbst aufkommen zu können.289 Dass die Fronten nicht immer eindeutig zwischen Besatzern und dem ursprünglichen Personal eines Ortes auszuloten waren, zeigen die Vorgänge rund um den Schlesischen Bahnhof als zentralem Verkehrsknotenpunkt. Hier hatten vom 6. auf den 7. Januar 1919 gegen Mittag rund 20 bewaffnete Zivilisten und Volksmarineangehörige von der Jannowitzbrücke her über die Bahngleise einige Schüssen in den Innenbereich des Bahnhofs abgegeben, woraufhin ein Mitglied der Republikanischen Soldatenwehr tödlich getroffen wurde. Ein nun zu Recht vermutetes offenes Feuergefecht blieb aus. Stattdessen ergaben kurze Gespräche, dass man gemeinsam mit der Bahnhofswache nun den Bahnhof besetzte. Unter den Besatzern des Bahnhofs befanden sich zudem zehn Frauen. Einige von ihnen hatten sich mit Stahlhelm und umgehängtem Gewehr als Posten einsetzen lassen.290 Die Attraktivität, die mit einer Besetzung des Schlesischen Bahnhofs einherging, legt die Vermutung nahe, dass relativ spontan die Zugehörigkeit zu einer vermeintlich fest definierten Gruppe durchbrochen werden konnte und durch die Eigendynamik der revolutionären „Gesetze“ andere Zuordnungen entstehen konnten. Im Bericht des Untersuchungsausschusses wird zwar nun abschließend festgestellt, dass „wenn die Massen erst ganz plötzlich auf den Gedanken gekommen wären, das zu tun, dann hätten sie es nicht gleichzeitig bei den verschiedenen Zeitungen gemacht.“ Einige Zeilen weiter wird jedoch von einer Menge an Demonstrierenden berichtet, die das Vorwärtsgebäude besetzen wollte, dann aber feststellen musste, dass dort schon erfolgreiche Besetzungen stattgefunden hatten, sodass sie weiter zum nächsten „freien“ Gebäude, dem Haupttelegraphenamt zog. Dies kann daher als ein Argument des Untersuchungsausschusses gegen seine eigene These gewertet werden, denn so gesehen war nicht ein Gebäude mit bestimmter Funktion ein vorher definiertes Ziel einer Aktion gewesen, sondern die Protesthandlung selbst rückte in den Fokus für die Bindung einer Gruppe.291 288 Vgl. etwa Hürten/Meyer (Hrsg.), Adjutant im Preussischen Kriegsministerium, S. 127ff. 289 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 55, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919; vgl. BA B R 1507, fol. 84, Staatssekretär des Reichs-Postamts RK. 328 St.S.III K. an die Reichsregierung, Berlin 7. Januar 1919. Die Angst bestand zudem darin, dass „handwerksmäßig vorgebildete Leute“ in den Besitz der höchsten Geldbeträge kommen könnten und so ein Missbrauch der Druckplatten vermutet wurde. 290 Vossische Zeitung, Nr. 9–22 vom 13. Januar 1919. 291 Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7691. Sogar im offiziellen Bericht des Untersuchungsausschusses wird abschließend festgestellt, dass neben den durch ideologische Verfärbung „überzeugten Kommunisten“ und „gemeinen Verbrechern“ auch „neugierige Abenteurer“ an den Besetzungen teilgenommen hatten. Diese hätten sich aus „bloßer Freude an der Sensation des Bürgerkrieges daran beteiligt“. Ein anderer Teil habe „glaubhaft versichert, ziemlich ahnungslos in das ganze Unternehmen hineingekommen zu sein, größtenteils verlockt durch das Versprechen von hohem Sold und guter
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Schnell wurden die Diensträume des Bahnhofs, welche vorher die Bahnhofskommandantur innegehabt hatte in ihrer Funktion umgekehrt und fortan als Verteidigungszentrale des Bahnhofs genutzt. Hierfür war einerseits ein anderes, mit der alten Mannschaft gemischtes Personal nötig, aber auch die Umarrangierung der Räume, besonders die Bestückung des Turms mit mehreren Maschinengewehren, die vermehrt in der Nacht eingesetzt wurden, ließen diesen Verkehrsraum nun zu einem Gefechts- und Verteidigungsraum werden. Ein Raum, der militärisch stark besetzt wurde, und als Verteidigungs- und Kommunikationszentrum der angrenzenden Straßen sowohl für den innerstädtischen Bereich, als auch für den Verkehr, der aus Berlin herausführte von strategisch wichtiger Bedeutung wurde. Darüber hinaus konnte die erfolgreiche Eroberung solcher Räume zur Stärkung des Selbstverständnisses einer Gruppe beitragen. Schließlich hatte man die Kontrolle über einen der zentralen Bahnhöfe und viele wichtige Verlagsgebäude samt der Festung des Polizeipräsidiums erlangen können.292 Als festen „Aktionsplan“ berieten die revolutionären Obleute über das Mittel des Generalstreiks für Montag, dem sich Mittwoch die Straßenbahner anschlossen. Die Besetzung und Kontrollierung der Zeitungsredaktionen hatte offenbar dazu geführt, dass Einfluss auf die Kommunikationsstrukturen in Berlin genommen werden konnte. Mit der Kontrolle über einige Bahnhöfe, hatte man zudem Macht über einen Teil der verkehrstechnischen Infrastrukturen Berlins. Am 6. Januar wurde daher die Reichsdruckerei, dann die Eisenbahndirektion kontrolliert. Heftige Kämpfe fanden zudem in der Pionierkaserne in der Köpenicker Straße und dem danebenliegenden Proviantamt statt, sodass man als dritten größeren Faktor nun die Kontrolle über die Lebensmittelversorgung der Stadt ausübte. „Nebenher gingen Kämpfe um den Anhalter Bahnhof, die jedoch nicht von der Absicht ausgegangen zu sein scheinen, den Bahnhof zu besetzen, sondern ebensogut dem Schutze der ‚Roten Fahne‘ zu dienen, bestimmt sein konnten, welche damals in einer Druckerei hergestellt wurde, die nur wenige Häuser vom Anhalter Bahnhof entfernt lag. Besetzung des Schlesischen Bahnhofs von 20 bewaffneten Spartakusleuten, welches die Einstellung des Stadtbahnverkehrs vom 7. an und Fernverkehr vom 9. zur Folge hatte. Ein ernsthafter Versuch, die wichtigsten Regierungsgebäude einzunehmen, ist nicht gemacht worden.“293
Eine bewaffnete „Schar“ fand sich montags vor dem Kriegsministerium ein. Diese kam aus dem Marstall und verlangte die Übergabe an die neue Regierung LedebourNahrung.“ Vgl. Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 B, S. 7697. 292 Vgl. Lüttwitz, Im Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 33. Die in Berlin einmarschierenden Truppen lösten in der Bevölkerung Jubelstürme „mit unverhohlener Begeisterung“ aus, was zum einen Auskunft gibt über die Bedeutung des militärischen Unternehmens, aber auch den Stellenwert, den die Bevölkerung der wichtigen Gebäude beigemessen hatte. Liebknecht sprach vom Verdeck eines Kraftwagens, dass man einen „eisernen Ring um das Polizeipräsidium“ bilden solle, „um allein zu herrschen“. Vgl. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 62, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 293 Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7688.
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Liebknecht-Scholze. Scholzes Zeugenausage ließ daher kaum einen Zweifel aufkommen, wie man diese neue Regierung etablieren könne: „Die Art und Weise dieser offensichtlich planmäßigen umfassenden, gewaltsamen Besatzung wichtiger Gebäude, sowie die vorbedachte Bereithaltung und Beschaffung von Waffen, Munition, Kraftwagen und Lebensmitteln lassen keinen Zweifel daran, daß die Maßnahmen zum Zwecke des Sturzes der bisherigen Regierung und zur Errichtung einer neuen Regierung erfolgte. Zu diesem Zwecke haben sich, wie die Ermittelungen [sic!] ergeben, eine Anzahl führender Persönlichkeiten zusammengefunden, in erster Linie Eichhorn, Liebknecht, Bäumig, Pieck, Ledebour; sie hatten sich in der Person des damaligen Führers Rorenbach der Mithülfe [sic] der Volksmarinedivision versichert und glaubten, auch der Unterstützung anderer Truppenteile sicher zu sein.“294
Das Kriegsministerium war wie alle Regierungsgebäude nur ganz schwach verteidigt und ungenügend geschützt und wäre bei ernsten Auseinandersetzungen sofort übergeben worden. Ähnlich wie beim Polizeipräsidium wurde auch dem Büxenstein’schen Gebäude der Charakter einer Festung zugeschrieben, was auf die materielle Umgestaltung des Gebäudes zurückzuführen ist, denn dieses war stark befestigt, indem Eingänge völlig zugesperrt und Fenster verbarrikadiert oder wiederum als Ausgänge umfunktioniert worden waren. Darüber hinaus erscheint es nachvollziehbar, wenn die Komplexität der militärischen Operationen besonders in der regierungsnahen Berichterstattung hervorgehoben wird, da dem Erfolg der militärischen Unternehmungen so ein besonders hoher Stellenwert beigemessen wurde.295 Durch die Plün-
294 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 59, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 295 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 483, ohne fol., Strafsache gegen den Schlosser Karl Otto Müller, Berlin 4. März 1919. „Das Polizeipräsidium war in der Zeit vom 5. bis zum 12. Januar von Eichhorn festungsartig verschanzt worden. […] Die in den festungsartig armierten Gebäuden des Büxensteinß’schen Verlages, und im Polizeipräsidium zusammengerottete bewaffnete Menschenmenge hat mit vereinten Kräften gegen Personen und Sachen Gewalttätigkeiten verübt, so beispielsweise Personen, die in der Nähe der Gebäude vorübergehen wollten daran gehindert, sie festgenommen und in den umliegenden Häusern und Läden, sowie in den Gebäuden selbst Zerstörungen vorgenommen und geplündert, auf Strassen, Plätzen und Häuser geschossen.“ In einer raumanalytischen Lesart werden hierbei sowohl Subjektivierungsprozesse auf Seiten der Besetzer, wie auf Seiten der Regierungstruppen interpretierbar. Die Spartakisten kannten offenbar die Codes, wie sie sich zu verhalten hatten, genau wie die militärischen Truppen. Räumliches Handeln wird dieser Interpretation nach zum Bindeglied kollektiven Zusammenseins, die Gebäude erlangen im Gegenzug den Charakter einer eigenen Agency. Durch die materielle Beschädigung des Raumes konnten von diesem zudem Wirkungen ausgehen, wenn gefangene „Spartakisten“ wegen Verbrechen an Personen, Sachen und Gebäuden zu Haftstrafen verurteilt wurden. Auch die Ausweitung des Strafenkatalogs dient hierbei als Argument, denn Erfahrungen aus den sozialen Unruhen fanden oftmals Eingang in die Änderung von Gesetzen im Kontext sozialer Unruhen.
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derungen von Lebensmitteln und Waren gerieten die umliegenden Geschäfte in diesen gefährlichen Radius.296 Mit allein 30 Maschinengewehren glich das Polizeipräsidium einer belagerten Festung. Hier hatte man die zur Straße führenden Zugänge mit Möbeln, Akten, Tonnen sowie Steinen versehen. Am Morgen des 12. Januar konnten Regierungstruppen durch massiven Artilleriebeschuss das eigentlich zu schützende Gebäude einnehmen. Der vermehrt aus Ziegelsteinen bestehende Bau hatte hier sein Übriges getan.297 Unterdessen wich Eichhorn in die Bötzow Brauerei aus. Für die Besatzer der Gebäude gestaltete sich die Situation zunehmend schwieriger, als sie dem schweren Beschuss des Artilleriefeuers der Regierungstruppen ausgesetzt wurden. Flüchtende konnten nur die Straßen passieren, indem sie sich „von Haus zu Haus Deckung nehmend auf Umwegen“ aus dem „Hexenkessel“ befreien konnten.298 Während der Benutzung von Straßenbahnen legten sich die Passanten oft auf den Boden der Wagen, um nicht von Kugeln getroffen zu werden. Das Reichstagsgebäude, das Brandenburger Tor, das Gebäude der Eisenbahndirektion am Schöneberger Ufer, der Anhalter Bahnhof und weitere Kasernen wie die Garde-Pionier-Bataillonskaserne in der Köpenickerstraße und das naheliegende Proviantamt bildeten weitere Orte dieser Auseinandersetzung. Bemerkenswert ist, dass sowohl die Funktionalität, als auch die Repräsentationalität der Orte eine Rolle spielten. Zum einen führte die Besetzung von Proviantämtern und Verkehrsknotenpunkten zu einer strategischen Schwächung des Gegners, während zum anderen die Militärkasernen als symbolträchtige Orte des vergangenen Kaiserreichs besondere Ziele darstellten. Das Brandenburger Tor hingegen hatte im städtischen Alltag zwar keine funktionale, jedoch umso mehr eine symbolische Bedeutung. Während der sozialen Unruhen wird der Bau aufgrund seiner physischen Ausprägung weitestgehend umfunktioniert, indem Truppen sowohl der Revolutionäre, als auch der Reichswehr Maschinengewehre, sowie Scharf- und Heckenschützeneinheiten auf dem Dach des Tores positionierten. Gerade die Revolutionäre konnten so einen das Kaiserreich stark repräsentierenden Ort einnehmen, der gleichzeitig aufgrund seiner Höhe einen räumlich strategisch günstigen Punkt über den kompletten Straßenzug darstellte.299
296 LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Berliner Sturmtage, Eine kurze Geschichte der Januarereignisse, S. 23. Die „Spartakisten“ wurden als „unerbetene Kundschaft“ der umliegenden Geschäfte beschrieben, sodass man habe glauben können, der Schlesische Bahnhof läge „in Moskau“. 297 Hier und im Folgenden Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 65. 298 LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 39, ohne fol., Erinnerungsbericht von Gertrud Funk, ohne Datum. 299 Zur Bedeutung von Triumphzügen am Brandenburger Tor vgl. Zeller, Das Ende der deutschen Kolonialgeschichte, S. 229–232. Oft waren hierfür wie im Falle des Schlossers Karl Otto Müller militärische Vorkenntnisse nötig. Zeugen hatten ausgesagt, dass Müller von Braun im Polizeipräsidium die militärische Leitung übertragen worden sei, da Braun keine militärischen Kenntnisse besessen habe, um die nötigen Positionen für die Maschinengewehre zu bestimmten. Vgl. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 483, fol. 46, Strafsache gegen den Schlosser Karl Otto Müller, Berlin 4. März 1919.
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Das Ergebnis der Ermittlungen im Ledebour-Prozess ergab, dass in der „Art und Weise dieser offensichtlich planmäßigen, umfassenden, gewaltsamen Besetzung wichtiger Gebäude, sowie die vorbedachte Bereithaltung und Beschaffung von Waffen, Munition, Kraftwagen und Lebensmitteln“ kein Zweifel bestehe, dass diese „Maßnahmen zum Zwecke des Sturzes der bisherigen Regierung und zur Errichtung einer neuen Regierung erfolgten.“300 Die hierfür eingesetzten Mittel der „Bildung bewaffneter Haufen“ und „deren Versorgung mit Waffen und Kriegsgerät, sowie die geschilderten Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen“, während gleichzeitig Widerstand gegen Mitglieder der bewaffneten Macht geleistet wurden, seien für das Ergebnis hinreichend. Ledebour wurde vorgeworfen, dass er zur Erreichung seiner politischen Ziele „in den Kauf genommen- daß bei dem Aufruhr so unbegrenzter, wenn auch in sich vielleicht organisierter Massen einer großstädtischen Bevölkerung, zumal nach einem mehrjährigen Kriege und einer Revolution, auch gemeine Plünderungen unausbleiblich waren.“ Bei den Rückeroberungen der besetzten Gebäude durch die Regierungstruppen kann dann eine ähnliche Strategie beobachtet werden. Größere Truppen haben „das ganze Viertel gründlich“ nach Waffen abgesucht.301 Stießen sie auf „untersuchte Häuser“, in denen sie welche vorfanden, wurden diese ebenfalls „besetzt, so daß jeder unerwünschte Zuzug unmöglich gemacht wurde. Häuser, die tatsächlich noch den Ruhestörern Unterschlupf boten, wurden ausgehoben und von den verstreuten Regierungsfeinden gesäubert.“302 Auch in den folgenden Tagen gerieten Regierungstruppen weiterhin in kleinere Gefechte mit „Spartakisten“. Besonders rund um den Belle-Alliance-Platz hatten diese sogenannte „Nester“ im Dachgeschoss des Eckhauses Wilhelmstraße Bell-Alliance-Platz gebaut, von denen sie einen guten Ausblick über den gesamten Straßenverlauf besaßen. Das Ausheben solcher „Nester“ war auch in den kommenden Tagen Hauptaufgabe der Regierungstruppen.303 In dieser zweiten Phase der Januarunruhen nach den Gebäudebesetzungen wurden nun zunehmend die höheren Etagen der Häuser mit in die Kämpfe einbezogen, denn es wurde vermehrt von den Dächern aus versteckter Haltung auf die sich unten in den Straßen bewegenden Passanten geschossen, sodass Regierungstruppen immer zunächst durch die Häuser kommen mussten. Im Zuge dessen nahmen sie verdächtige Personen fest, die sich auf den Böden oder Dächern versteckt hielten. Der alltägliche Straßenbetrieb wurde durch diese Schießereien vollkommen beeinflusst, wenn der Straßenbahnverkehr eingestellt werden musste, weil Schüsse auf Wagen mit zivilen Passanten abgefeuert wurden. Die Führer einiger Straßenbahnwagen nutzten Feuerpausen, um die gefährliche Zone schnell zu durchschreiten.304 Die 300 Hier und im Folgenden LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 59, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 301 Rote Fahne Nr. 15 vom 15. Januar 1919. Bei den auf den Straßen vorgenommenen Personendurchsuchungen wurden Männer „abgefühlt“, während man bei Frauen „weniger streng vorging“. 302 Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919. 303 Ebd. 304 Ebd.
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Schießereien breiteten sich „wellenartig“ von der verdunkelten Schützenstraße nach Westen hin aus.305 Dabei verdunkelten sie ihre Wagen, um schnell durch die „Gefahrenzone“ zu „huschen“.306 Beobachter der Gefechte berichteten, dass es sich bei den Schießereien um eine „Abendbelustigung [handelte], die das versteckte Gesindel auf das erste Signal in dem Augenblick veranstaltete, wo das Publikum die Restaurants verläßt und sich auf der Straße befindet.“ Im Zuge des nun anstehenden „Kleinkrieges“ zwischen Regierungstruppen und „Spartakisten“ wurden militärische Mittel angewendet. Bei den Kämpfen rund um die Franzerkaserne versuchten „Spartakisten“ die Insassen des Gebäudes mittels sogenannter „Tränenbomben, die weniger auf die Lunge als auf die Augen wirken […] auszuräuchern“.307 Auf der anderen Seite dienten Leuchtraketen dazu, die Nacht kurz zu erhellen, um die Schützen auf den oberen Dächern der Gebäude ausfindig zu machen.308 Vielfach hatten neben den Kämpfenden auch völlig unbeteiligte Personen den Tod erlitten oder Verletzungen davongetragen.309 Das Regiment Reinhard hatte bereits eine Reihe besonders wichtiger Baulichkeiten von Spartakusanhängern „säubern“ können und so den Einzug der GardeKavallerie-Schützen-Division unter Generalleutnant von Hofmann vorbereiten können, welche dann für die allgemeine Entwaffnung zuständig war.310 Die „marschungewohnten“ Truppen der Marine-Brigade begannen den Stadtraum Berlin nach strategischen Vorgaben zu besetzen. Als erste Punkte wurden die SiemensSchuckert-Werke, die Berliner Elektrizitätswerke, die Loewe-Fabriken und die Berlin-Anhaltische Maschinenbau-A.-G. besetzt. Die Brücken über den Verbindungskanal hatte man abgesperrt, um die Versorgung mit Waffen über den Wasserweg zu unterbinden. Auch bei der Besetzung Moabits stellte dieses ein probates Mittel des Militärs dar, zunächst die Zugangsstraßen abzuriegeln, um damit das 305 Berliner Tageblatt Nr. 12 vom 14. Januar 1919. 306 Vgl. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 15840 Teil 1, Polizeibericht der I. Polizei-Hauptmannschaft, Berlin 31. Januar 1918. Bereits während der Januarunruhen ein Jahr zuvor stellten die Straßenbahnen ein Ziel vermehrter Angriffe von Aufständischen dar. Eine bevorzugte Praxis bestand darin, dass die Schnüre der Kontaktstangen durchgeschnitten wurden oder dem Fahrer die Kurbel entwendet wurde, sodass der Verkehr zum Stillstand kam. 307 Berliner Tageblatt Nr. 12 vom 14. Januar 1919; vgl. Rote Fahne Nr. 11 vom 11. Januar 1919. Einer ähnlichen Strategie folgten offenbar auch die Regierungstruppen, welche zur Nutzung von Gasgranaten übergingen, als Maschinengewehre und Flammenwerfer beim Kampf ums Mosse-Gebäude nicht den gewünschten Erfolg brachten. Dieses technische Novum hatte seine grausame Wirkung bereits im Ersten Weltkrieg unter Beweis gestellt. In der offiziellen Darstellung der Januarunruhen wird dieses natürlich bestritten. Vgl. Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 68. „Die Anwendung von Gasmunition wird untersagt.“ 308 Vossische Zeitung Nr. 32 vom 18. Januar 1919. Im Straßenkampf des Berliner Bürgerkriegs „rauschte friedliches Leben“ gerade am Tage, wenn sich Schaulustige die Ergebnisse der letzten Nacht ansahen oder Kinder auf den Barrikaden spielten. In der Nacht jedoch begann wieder das „heimtückische Gefecht, bei dem Feind und Freund sich kaum kannten.“ 309 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 466, fol. 58, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I Berlin, 67. J. 68. 19. Haft- und Schwurgerichtssache gegen Georg Theodor Ledebour, Berlin 25. März 1919. 310 RGBl. 1919, Nr. 7, S. 31, Verordnung über Waffenbesitz vom 13. Januar 1919. Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte IV, S. 397–408.
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Viertel nach außen zu isolieren. Den inneren Bereich schützte man ausreichend mit schwerer Artillerie und Maschinengewehren. Darüber hinaus hatte man den Bereich rund um die Brücken mit Hinweisen wie „Halt! Wer weiter geht, wird erschossen!“ plakatiert.311 Die Einschränkung des Fernsprechverkehrs gewährleistete zudem die Kontrolle über die gesamten Kommunikationsstrukturen Moabits.312 Diejenigen „Spartakisten“, die man nach den Unruhen gefangen nehmen konnte, wurden dann dem Untersuchungsrichter beim Landgericht vorgeführt. Das Begehen von Landfriedensbruch als Strafgrund kann folglich als räumliches Phänomen interpretiert werden, da sowohl die Teilnahme an „öffentlichen Zusammenrottungen“, als auch das gewaltsame Vorgehen gegen Personen aber eben auch Gebäude strafrechtliche Handlungen nach sich zog.313 Die Begründung lautete hier, dass die „Zusammenrottung“ öffentlich stattgefunden habe und man keine Angaben über „individuell bestimmte“ Personen machen könne. Die Sachgründe waren den Gebäudetypen zugeordnet, in und an denen die Vergehen festgestellt wurden. So ergeht aus dem Ermittlungsergebnis, dass „an den besetzten Gebäuden […] mit vereinten Kräften Gewalttätigkeiten verübt, so beispielsweise Personen, die in den Gebäuden arbeiten wollten, daran gehindert, auch auf den Strassen, Plätze und Häuser scharfe Schüsse abgegeben und Teile der Gebäude beschädigt und dort geplündert“ wurden.314 Wie im Falle des Schlossers Friedrich Plenz kam es ebenso zur Anklage, wenn sowohl durch die Anwendung und Bedrohung mit Gewalt Widerstand gegen die „bewaffnete Macht in Ausübung ihres Dienstes“ ausgeübt wurde, oder wie beim Arbeiter Willy Karl Kupke „ein Aufruhr entfacht“ wurde.315 Auch über die Januarunruhen hinausgehend unternahmen die Regierungstruppen den Versuch weite Teile Berlins mit umfangreichen Hausdurchsuchungen von Waffen und aufständischen „Spartakisten“ zu befreien. In der Presse wurde dies als ein Taktikwechsel der „Spartakisten“ interpretiert, welche von der Besetzung starrer Räume hin Abstand genommen hätten und nun zu einem mobilen, sich ständig in Bewegung befindlichen „Guerillakrieg“ gewechselt hätten.316 Hierfür betraten sie die Dächer einzelner Häuser, „in denen ihnen Unterschlupf gewährt“ wurde, um aus dem „Schutze der Dunkelheit“ die Posten auf den Straßen zu beschießen. Hierbei kam es oftmals zur Fusionierung paramilitärischer Gruppierungen, um wie im
311 Berliner Tageblatt Nr. 12 vom 14. Januar 1919. 312 Eine Sperrlinie zog man entlang der Spree, des Humboldthafens, den Kanal Nordhafen, Plötzensee und den Verbindungskanal bis zur Einmündung in die Spree. 313 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 483, fol. 43, Strafsache gegen den Schlosser Karl Otto Müller, Berlin 4. März 1919. 314 Ebd., fol. 45, Strafsache gegen den Schlosser Karl Otto Müller, Ermittlungsergebnis, Berlin 4. März 1919. 315 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 484 fol. 19, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I. 67. J. 938.19., Strafsache gegen den Schlosser Friedrich Plenz, Anklageschrift, Berlin 20. Februar 1919. Die Verbrechen wurden strafbar nach §§ 125 Abs. 1, 113 Abs. 1 und 3, 115 Abs. 1 und 2, 73, 74, 47 des Strafgesetzbuches. Vgl. LA B, A Rep. 358–01, Nr. 486, fol. 100, Strafsache gegen den Arbeiter Willy Karl Kupke, Berlin 9. Oktober 1919. 316 Berliner Tageblatt Nr. 14 vom 15. Januar 1919. Vgl. etwa zum Thema Akzeptanz der Weimarer Republik in der Presse Asmuss, Republik ohne Chance.
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Falle einer am 8. Februar auf Anraten des Polizeipräsidiums in der Weinmeisterstrasse gemachten Untersuchung der Straßenzüge eine Untersuchung nach Waffen vorzunehmen.317 Hierfür hatte die Garde-Kavallerie-Schützendivision Verstärkung durch die 4. Hundertschaft der deutschen Volkswehr, des jetzigen Freischützenkorps bekommen. Die Beschreibung und Charakterisierung des Viertels lässt das Vorgehen des Militärs nachvollziehbar werden: „Das Straßenpublikum in dieser Gegend setzt sich- wie allgemein bekannt ist- überwiegend aus Straßenhändlern und allerhand zweifelhaften Elementen zusammen, die einen ertragreichen Straßenhandel mit allen möglichen auf unlautere Weise erlangten Sachen- Heeresgut, Schleichhandelsware u.s.w.- entfalten und Glücksspiele veranstalten. Dieses Publikum nahm teilweise […] in dem Gefühl berechtigten Schuldbewusstseins sofort eine drohende Haltung gegen das Militär ein.“
Da das Viertel einen „lebhaften Durchgangsverkehr in den Straßen“ aufweisen konnte, entschloss sich das Militär dazu, keine Absperrung der zu durchsuchenden Häuserviertel vorzunehmen, sondern mittels Einzeldurchsuchungen festzustellen, ob betreffende Personen sich ausweisen konnten. Die „schwachen Postenketten“ gingen in der Masse regelrecht unter, denn einzelne Posten konnten entwaffnet werden, da man sich „unter vorgespiegelten Auskunftsbitten“ direkt an sie drückte. Auch hier stand die Entwaffnung, jedoch diesmal in umgekehrter Weise, gegenüber den Ordnungs- und Regierungstruppen im Fokus. Die Waffen hatte man an den Bordschwellen zerschlagen oder die Gewehrläufe in den „Abwasserungsverschlüssen“ krumm gebogen. Die Tragweite dieser Aktionen wird dann besonders deutlich, wenn die zu Entwaffnenden vor die Wahl gestellt wurden, ob sie sich selbst erschießen, oder die Waffen vernichten wollten.318 So lagen die Vermutungen in der Presse nahe:
317 Hier und im Folgenden LA B, A Rep. 358–01, Nr. 487, fol. 35, Der Erste Staatsanwalt bei dem Landgericht I, 67 J. 1061. 19. Anklage gegen den Metalldrücker Alfred Friedrich Wilhelm Walther, Berlin 1. April 1919. Walther wurde angeklagt „durch ein und dieselbe Handlung 1) an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei welcher mit vereinten Kräften gegen Mannschaften der bewaffneten Macht, die sich in Ausübung des Dienstes befanden, durch Gewalt und durch Bedrohung mit Gewalt Widerstand geleistet wurde, teilgenommen und 2) an der öffentlichen Zusammenrottung einer Menschenmenge, bei welcher mit vereinten Kräften gegen Personen und Sachen Gewalttätigkeiten begangen wurden, teilgenommen, auch Gewalttätigkeiten gegen Personen begangen und Sachen vernichtet und zerstört zu haben.“ Vgl. §§ 113, 115, 125 Absatz 1 und 2 73 Reichsstrafgesetzbuch. 318 Vossische Zeitung Nr. 6 vom 4. Januar 1919. Eichhorn wurde vorgeworfen, dass er erst spät eine Verordnung über das Tragen und den Verkauf von Schusswaffen und Munition erlassen habe. Die Verordnung würde keineswegs gewährleisten, dass die Bevölkerung sowohl durch „Gesindel“, als auch falsche oder richtige Sicherheitsbeamte nicht mehr bedroht würde. Spartakus und Gesindel würden voraussichtlich weiterhin „das aufreizende und jede staatliche Ordnung verhöhnende Spazierenführen von Waffen in den Straßen Berlins“ vornehmen. Verlässliche Schutzleute sehe man in den Straßen wenig, auch sei es früher nicht möglich gewesen Überfälle auf dem Potsdamer Platz zu beobachten.
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6. „Doing Space“ – Sozialräumliche Protestpraktiken „dass die Spartakus-Leute nach einem bestimmten Plan arbeiten, denn kaum, als das Feuer gegen das Verlagshaus Mosse eröffnet wurde, pflanzte es sich nach den verschiedensten Stadtteilen fort, so daß wieder die Straßenbahnen umgeleitet werden mußten und Bewohner einzelner Straßen von ihren Wohnungen direkt abgeschlossen wurden.“319
Ihnen käme es darauf an, „die Straßenpassanten in Schrecken zu versetzen, um dann, wenn die Straßen menschenleer sind, auf Raub- und Plünderungszüge auszugehen.“ Dieses war auch ein Grund, weshalb die Straßenbahnen in Berlin nur verdunkelt durch die Straßen in der Nacht fuhren. Die zum Schutz der Berliner Bevölkerung zusammengestellten und herbeigerufenen Regierungstruppen unter dem Kommando Noskes sollten „in breiter Front“ den „Einmarsch“ in die Stadt und gleichzeitig durch Bürger- und Volkswehren den Schutz Moabits gewährleisten.320 Der Einmarsch der Truppen orientierte sich an räumlichen Markierungen, beziehungsweise Linien. Die Divisionen marschierten an und hinter der „Linie Alt-Glienicke – Rudow – Buckow – Marienfelde – GroßLichterfelde – Zehlendorf – Schlachtensee“, während der rechte Flügel bestehend aus der 31. Infanterie-Division an der Spree in Höhe Köpenicks anrückte.321 Das militärische Vorgehen drückte sich zudem im Sprachgebrauch aus, da „Flügel“ und „Flanken“, wie im Falle der Division St. Qu. Schulzendorf gegen die Oberspree „gedeckt“ werden sollten. Havel und Wannsee bildeten die Markierungspunkte des linken Flügels, welche zusammen mit der Abteilung Hülsen gebildet wurden. Zwischen beiden Flanken entstand dann eine „keilförmige“ Spitze, welche das Landesschützenkorps um Rudow-Buckow und das Landesjägerkorps um MarienfeldeLichterfelde mit der Garde-Kavallerie-Schützen Division um Teltow bildete. Die so vom Militär verfolgte Strategie bestand darin, Berlin in Abschnitte entlang der jeweiligen Abteilungen zu teilen, um so eine alternative topologische Karte über das normale Stadtbild zu legen. Die Nord-Süd-Achse bildete die Spree, welche vorerst nicht nach Norden hin überschritten werden sollte, sofern man nicht im Besitz des südlichen Teils der Stadt war. Dafür vorgesehen waren Expeditionen mit wenigen Menschen, jedoch unter Zuhilfenahme stärkster technischer Mittel. Dabei war durch die militärischen Anweisungen vorgegeben, dass der Gebrauch der Waffe neben der Abwehr feindlicher Angriffe und der Brechung von Widerstand auch der Aufforderung dienen sollte, „vor der Truppe einen Raum freizumachen oder einen bestimmten Abstand von der 319 Berliner Tageblatt Nr. 14 vom 15. Januar 1919. 320 Berliner Tageblatt Nr. 14 vom 15. Januar 1919; vgl. Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7690. Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 69. Hierbei gestaltete sich der Einmarsch der verschiedenen Militärtruppen als demonstrativer Einzug in die Stadt. Die Regimenter Reichstag und Liebe, durch Kuttner und Baumeister befehligt, übernahmen den Schutz einer eingerichteten Zone rund um den Reichstag. Der stellvertretende Oberkommandant Fischer mit seinen Truppen der Garnison und der Sicherheitswehr, der neue Stadtkommandant Klawunde mit einem kombinierten Heer des Regiments Potsdamer Truppen in einer Stärke von 800 Mann, sowie Noske, der aus Richtung Dahlem freiwillige Regierungstruppen um sich sammelte, hatten am 11. Januar einen 1.500 Mann „starken demonstrativen Einzug“ veranstaltet, sodass offenbar deutlich werden sollte, wer die „Hoheitsrechte“ über den städtischen Raum beanspruchen durfte. 321 Hier und im Folgenden Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 66.
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Truppe einzuhalten, nötigenfalls den erforderlichen Nachdruck zu verleihen.“322 Der Gebrauch der Waffen, so wurde es ausdrücklich geregelt, diente also dazu, sich einen freien Raum gegenüber den Aufständischen zu verschaffen. Die Aufständischen wurden als absolute Feinde definiert, während bei Unabhängigen diese Grundannahme zunächst nicht zählte, sondern erst, wenn jene eine Einheit mit Waffen bildeten, insbesondere aber auch, wenn diese gegen Gebäude angewendet wurden.323 Personen und Gebäude wurden demnach als ähnlich wichtig erachtet. Dabei wurde insbesondere darauf hingewiesen, dass rote Fahnen und Kokarden nicht beseitigt werden durften, wahrscheinlich um die Menge nicht noch weiter zu provozieren. Die Art und Weise, wie man sich im öffentlichen Raum bewegte hing zunächst eng daran, ob man sich direkten Kampfhandlungen ausgesetzt sah. Um Präsenz in den Straßen zu zeigen wählten die „Spartakisten“ häufig das linienförmige Patrouillieren oder einfach das linienförmige Stehen auf der Straße. Zum einen zeigten sie hiermit Präsenz, indem sie ihre Stärke auch visuell durch ihre Bewaffnung präsentierten, zugleich regelten sie somit aber auch den Bewegungsfluss anderer Passanten. Während offener Auseinandersetzungen wurde diese Strategie schnell angepasst, um in einzelnen Kampfgruppen aus gesonderter Deckung vorgehen zu können. Noske wurde mit Freiherr von Lüttwitz ein erfahrener General der Infanterie an die Seite gestellt, die Generalkommandos des Garde- und III. Armeekorps, sowie die Kommandanturen Berlins und Potsdams zu führen.324 Noske hatte in einem Aufruf darauf verwiesen, dass dieses kein „Werkzeuge der Konterrevolution“ sei, sondern der Befreiung, der Unterdrückung von „unerhörtem, terroristischem Druck“ dienen sollte, „unter dem die Masse der Bevölkerung Berlins zu leiden hatte.“325 Im Fokus stand somit die Sicherheit sowohl der Person, aber auch des Eigentums, wie die Freiheit der Presse und ungehinderte Ausübung des höchsten staatsbürgerlichen Rechts, sowie die Wahl zur Nationalversammlung. Dieses zog weitreichende Konsequenzen nach sich, denn im ersten Punkt des Aufrufs wird explizit darauf verwiesen, dass die Bevölkerung kooperieren solle, indem sie Durchsuchungen von Häusern und Wohnungen nicht entgegenstünde. Dieser ersten Einschränkung des privaten Wohnraums folgte das Verbot sich jeder „Ansammlung auf der Straße“ anzuschließen, vielmehr sei den Posten und Straßenpatrouillen „für das Freihalten der von den Posten begangenen Räume und der von geschlossenen Truppenteilen zu beschreitenden Straßen“ unbedingt Folge zu leisten. Auch der dritte Punkt wies auf maßgebliche Eingriffe in das Alltagsleben hin, indem der Verkehr auf den Straßen bei Dunkelheit, jedoch auch während des Tages unbedingt auf das Nötigste zu reduzieren sei. Darüber hinaus wurde die Bevölkerung angehalten, ihre Ferngespräche auf das nur dringendste zu beschränken, sodass auch der Raum 322 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 67. 323 Ebd., S. 68. Die Definition der Gegner äußerte sich durch Zuschreibungen wie „Spartakusanhänger“, „Deserteure“, „unzuverlässige Wehren“, „radikale Arbeiter und ihre männlichen und weiblichen Mitläufer“. 324 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 58; vgl. Lüttwitz, Im Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 31–66. 325 Noske, Von Kiel bis Kapp, S. 74; Lüttwitz, Im Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 33f.
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zur freien Kommunikation stark eingeschränkt wurde.326 Der Aufruf stellte somit einen massiven Eingriff in die erst gerade neu errungenen Privilegien einer sich stetig weiterentwickelnden Protestkultur dar, in welcher durch erste Erfahrungen während der Novembertage nun eine zunehmende Politisierung breiter Teile der Bevölkerung stattfand. Dieses politischen Artikulationsraumes auf der Straße fühlte man sich daher durch jene Restriktionen zunehmend beraubt.327 Darüber hinaus fühlte sich die Bevölkerung gerade vom Krieg befreit. Nun fanden sie innerhalb ihrer Stadt kriegsähnliche Zustände vor, indem weite Teile der Stadt abgesperrt und sie so in ihrem Alltag massiv eingeschränkt und reglementiert wurden.328 Dieses äußerte sich auch in einer veränderten Wahrnehmung des Stadtbildes als Bühne bürgerkriegsartiger Auseinandersetzungen, auf der nicht nur Kämpfe um physisches Terrain, sondern ebenso um die Deutungshoheit der symbolischen Ausgestaltung gefochten wurden. Die Rückeroberung der Räume wirkte gerade deshalb auf die Moral der Truppe zurück, wenn sie die Bevölkerung „befreiten“ und „Ansehen und Geist“ der Truppen somit stiegen.329 326 Rote Fahne Nr. 6 vom 6. Januar 1919. Die Forderungen der revolutionären Arbeiter hingegen bestanden in der sofortigen Entwaffnung aller Offiziere, der Entfernung der Rangabzeichen, der Übertragung der örtlichen Kommandogewalt in die Hände der Arbeiter- und Soldatenräte, der Wahl der Führer durch die Mannschaft, der vorläufigen Auflösung der alten Armee, mitsamt der sofortigen Entwaffnung von reaktionären Sonderformationen und der Einführung einer Volkswehr. 327 Rote Fahne Nr. 9 vom 9. Januar 1919. Die Ereignisse des Januars werden hier mit denen des 9. Novembers verglichen. Diese hätten sich „im großen Stil wiederholt“, denn diesmal sei nicht nur der Lokalanzeiger beschlagnahmt, sondern eine Reihe der „großen Zeitungsplantagen“. Vgl. Kolb, Arbeiterräte, S. 312. Kolb bezeichnete die Entwicklung von Dezember bis in den April 1919 als eine Zeit, in der „spartakistisch-kommunistische Aktivität“ sich vermehrt auf „putschistische Aktionen“ ausweitete. Kolb schlussfolgert weiter, dass hinter den Aktionen keine zentrale Leitung, noch ein Plan stand, sondern sie von „lokalen Gruppen ohne längere Vorbereitung, nur auf Grund von Augenblicksstimmungen durchgeführt“ wurden. Kolb hatte diesen Aktionen bereits „eine Art symbolischer Vernichtung der bürgerlichen und sozialdemokratischen Gegner“ beigemessen. 328 Als Beleg können hierfür viele der Erinnerungsberichte herangezogen werden. Vgl. BA B, SAMPO, SgY 30. Vgl. etwa auch Hofmiller, Revolutionstagebuch, S. 43f. „Das Straßenbild ganz verändert. Vor acht Tagen noch sah ich, wenn ich morgens ins Gymnasium ging, bis zum Eck vom Uhrmacher Huber am Residenzplatz hinein und hinein nicht ein einziges Fuhrwerk. […] Jetzt fahren die Militärautos herum wie verrückt; meist Brückenautos, voll von Strolchen, halb Zivil, halb Militär, statt der Hupen ohrenzerreißende, schrille Pfeifen. Vor acht Tagen die Straßen menschenleer. Jetzt voll von Neugierigen, die sich alle einbilden, auf der Straße erfahre man Neues. […] Aus den Rasen in den Anlagen sind wieder Wiesen geworden, mit allerlei Unkräutern. Im Englischen Garten weiden Rinder, z. B. auf der großen Wiese vor dem Monopteros, aber der Rasen ist kaputt. […] In der Stadt hat sich leider nicht die Natur der Straßen und Plätze bemächtigt, sondern das Papier. Alle sind durch Abfälle trostlos verschmutzt. Es war wie abgeschnitten: Mit dem Augenblick der Revolution hörte die Straßenreinigung auf.“ 329 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 65 u. S. 73. Trotzdem blieben nach den Kämpfen gerade die „jungen Elemente“ vieler Freiwilligen nicht unbeeindruckt von den vielen Handzetteln, Flugblättern und Zeitungen, in welchen gegen das Militär und die Regierung propagiert wurde. Faktoren wie das „Großstadtelend“, Teuerungen der Lebensmittel samt deren Knappheit, sowie der Kohlenknappheit trugen zur Verunsicherung der Truppe genauso bei, wie der Mangel an
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Die Auseinandersetzungen lassen sich daher auch als Auseinandersetzungen um grundlegend unterschiedliche Ordnungsverständnisse der sozialen Formationen interpretieren.330 Während die radikaleren Gruppierungen für ein Weitertreiben der Revolution eintraten und der Regierung Ebert-Scheidemann, sowie dem Militär eine „triebhafte“ Ordnungsfunktion vorwarfen, schrieb man ihnen selbst die Funktion von „Unruhestiftern“ und „Zerstörern der Sicherheit, Ruhe und Ordnung des öffentlichen Raumes“ zu. Diese gegenseitigen Zuschreibungsprozesse folgten dem Selbstverständnis der jeweils eigenen raumordnenden Funktion, wie im folgenden Artikel der Roten Fahne ersichtlich wird: „Die ‚Spartakisten‘ haben längst den Kampf eingestellt. Trotzdem knallen die Maschinengewehre, Karabiner und Handgranaten der Ordnungssoldateska an allen Ecken und Enden wieder. Soweit sie auf eigene Faust handeln, schießen sie weiter – weil sie offenbar Spaß daran finden, sich als oberste Macht zu betätigen und auch ihren Schützlingen, der Bourgeoisie und ihren Scheidemännern handgreiflich zu zeigen, was Ordnung ist – und wer Herr in Berlin ist. […] Dem Bourgeois-Straßenpublikum, das Zielscheibe jenes Ordnungstriebes ist, sind es in den anderen Fällen offenbar die Ordnungsschützer selbst, die sich gegenwärtig befeuern – ein Vergnügen, das wir keineswegs stören möchten.“331
Den eigenen Vorstellungen gemein war, dass auf diese Art, sowohl die je eigenen Ordnungssysteme konstruiert wurden, während gleichzeitig versucht wurde, die Ordnungsfunktion des Feindes zu dekonstruieren und für die Bevölkerung als gefährlich zu klassifizieren. Diese Zuschreibungsprozesse waren dann nicht unwe-
Wohnungen, sowie anderen Faktoren wie des „Nichtstuns“, der „Vergnügungssucht“ und des „Schiebertums“, sowie des überall einsetzenden Schleichhandels. 330 Vgl. Kolb, Arbeiterräte, S. 293. In Ergänzung zu Kolb stellt das Ordnungsproblem eines der „Grundprobleme für die revolutionäre Partei dar“, jedoch auch für die gegenrevolutionäre Seite, weshalb eine Interpretation, in der lediglich nach Reaktion auf diese Unordnung und das Chaos von „links“ gefragt wird, zu kurz greift. Kolb hat der Bevölkerung ein Grundbedürfnis nach Ruhe und Ordnung zugeschrieben, welches aus vier Jahren Krieg und damit einhergehenden psychologischen und materiellen Belastungen resultierte. Ohne dass Kolb es so formuliert hat, geht aus diesen Annahmen somit indirekt auch ein Grundbedürfnis nach einem geordneten Stadtraum hervor. 331 Maßgeblich beteiligt an diesen Zuschreibungsprozessen waren die Zeitungen. Vgl. Rote Fahne Nr. 17 vom 3. Februar 1919. „Die Gegenrevolution läßt marschieren. Neue Kriegsschauplätze sind erschlossen. Die Kriegsmaschine, wie sie in Flandern an der Maas, an der Dwina […] fauchte und rasselte, ist wieder in Betrieb. Divisionen mit vollbesetzten Stäben […] mit Minenund Minenwerfern und Gasbläsern sind aufgestellt.“ Welches Selbstverständnis dem Militär als ordnendes Element zukam, wird in einer Aussage des Stadtkommandanten Fischers deutlich. Dieser setzte sich nach November für die Aufhebung des Schießverbots für Soldaten ein. „Ein Soldat mit Gewehr, der unter keinen Umständen schießen dürfe, für die öffentliche Ordnung nicht mehr wirken könne als eine alte Scheuerfrau mit dem Besen, und daß irgendwelche Disziplin in der Truppe bei Aufrechterhaltung des Schießverbots unmöglich herzustellen sein würde. Die Regierung hatte genehmigt, daß die Soldaten, wenn sie selbst oder die von ihnen beschützten Gebäude angegriffen würden, von der Schußwaffe Gebrauch machen dürften. […] Fischer nahm daher an, daß die bedrohten Gebäude erfolgreich verteidigt sein würden, mußte aber die Irrtümlichkeit auch dieser Annahme am ‚Vorwärts‘ alsbald beobachten.“ Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7688
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sentlich für die Subjektivierungsprozesse der eigenen sozialen Formation. Einigungsverhandlungen zwischen Revolutionären und Regierungstruppen fanden daher keine Lösung, da von Seiten der Regierung „als Voraussetzung materieller Vergleichsverhandlungen die vorherige Wiederherstellung der Preßfreiheit und Räumung der besetzten Gebäude“ verlangt wurde, worauf wiederum die Besetzer nicht eingingen - die Kommunikationszentren waren offenbar zu wichtig geworden. Die Januarunruhen hatten viel Bewegung in die militärische Ausrichtung der Regierung gebracht. Das Heer und die Marine wurden mit dem 10. Februar demobil gemacht, indem deren Jahrgänge 1896/97 entlassen wurden. Ausgenommen waren die mobilen Truppen wie beispielsweise die Freiwilligen-Divisionen. Die vorläufige Regelung der Kommandogewalt und die Stellung der Soldatenräte im Friedensheer erschien am 19. Januar. Neben der Bestimmung über Einfluss auf Führerauswahl, enthielt dieser Erlass das Verbot außerhalb des Dienstes Waffen zu tragen und erlaubte darüber hinaus sich in der Freizeit zivil zu kleiden. Darüber hinaus folgte die Einführung neuer Rang- und Gradeabzeichen, welche in blauen Bändern bestanden und der verschiedenen Anzahl und Breite am linken Unterarm den Dienstgrad regelten.332 Der Aufruf der Regierung vom 13. Januar zeigte zudem, wie sicher sich die Regierung offenbar mit einer erfolgreichen Niederschlagung des Aufstands war. „Nach einer Woche schwerer Wirren“ sei in Berlin die Ordnung wieder zurückgekehrt.333 Die Stadt Berlin bot in diesen Tagen jedoch ein anderes Bild. Die Großstadt wurde zum „Kampfgelände“ wie es die Vossische Zeitung nach ihrer Besetzung am 13. Januar titulierte.334 Dabei regelten die Barrikaden als „revolutionäre[s] Kampfmittel“ die Bewegungsströme und den Tagesablauf in der Stadt. Der Einfluss des Krieges wirkte sich unmittelbar in den Szenarien aus Bewegungs- und Stellungskrieg im Städtekampf aus. Den „massiven Häuser[n]“ wurden dabei als „geborene Stützpunkte ersten Ranges“ Attribute zugeschrieben, die sie als wirkmächtige Akteure während der Unruhen erscheinen ließen. Die Vossische Zeitung titulierte „Berlin als Kampfgelände. Dabei wurden Eckhäuser aufgrund ihrer günstigen Lage an zwei Straßen zu „fast uneinnehmbare[n] Forts. […] Jedes Dach ist eine B-Stelle. In Nachbarerkern, in Straßenwinkeln werden vorgeschobene M.-G.-Nester hergerichtet, von wo aus die Zugänge bestrichen werden können. In Nebenstraßen, um die Ecke ‚in Deckung‘ stehen Sanitätsautos und harren
332 Die Wirren in der Reichshauptstadt, S. 76. Hieraus entwickelte sich eine Auseinandersetzung zwischen alten Teilen des Militärs, welche die Neuordnung als Demütigung empfanden und den Räten, welche in das Militär integriert wurden. Das Tragen von Achselstücken und Tressen war im Selbstverständnis der Offiziere ein Privileg, welches sie sich in den Kämpfen des Krieges verdient hatten. Vgl. Lüttwitz, Im Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 41f. 333 Ritter/Miller (Hrsg.), Deutsche Revolution, S. 230f.; vgl. Miller, Die Bürde der Macht, S. 235. Miller stellt eine Analogie zwischen der deutschen Niederlage im September 1914 an der Marne und den Januarereignissen her. Beide hätten eine Unumkehrbarkeit und somit den Untergang einerseits des Krieges und andererseits der Republik bestimmt. Zu den Aufständen im gesamten Reich vgl. Miller, Die Bürde der Macht, S. 236. 334 Hier und im Folgenden Vossische Zeitung Nr. 9–22 vom 13. Januar 1919.
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der Opfer. Rote-Kreuz-Flaggen werden über das Kampffeld geschwenkt. Essenholer schleichen gedeckt vorüber und werden beschossen. Feldküchen rollen an. Nur die Erdrinnen der Gräben fehlen. […] Riesige, ungedeckte, schwierige Annäherungsgräben dienen die Schluchten der Straßen. Benutzt man sie, so muß man sich an die Wände drücken, vorsichtig tastend sich vorwärts schieben. Durchquert man sie, muß man springen, laufen – peng! Saust eine Gewehrkugel vorbei. Ganz wie es draußen war. Mitten in der Friedrichstadt erinnert man sich der wohlvertrauten Inschriften: ‚Eingesehene Stelle!‘, ‚Achtung‘! Flankenfeuer!‘ Die Berliner haben sich schnell an diese neuen Einrichtungen gewöhnt. Im ersten Augenblick waren sie verblüfft, aber nach ein paar Tagen nahmen sie Deckung, sprangen, liefen, duckten sich wie alte Praktiken. Schüsse imponierten sie nicht mehr. Auge und Ohr begannen bereits abgestumpft zu werden.“335
Die physische Veränderung ihrer Umwelt hatte offenbar auch ihre Handlungsabläufe beeinflussen können. Der städtische Raum war zu einem wirkmächtigen Element geworden, dem die Involvierten ihre Bewegungsabläufe anpassen mussten. Zuschreibungsprozesse fanden gerade von Seiten der regierungstreuen und bürgerlichen Formationen gegenüber den Revolutionären über deren Verhalten im öffentlichen Raum statt.336 Das „Gesindel der Großstadt“, angestachelt durch eine „Handvoll politischer Idealisten in Verbindung mit revolutionären Arbeitern“ grenze sich demnach von der eigenen regierungstreuen, für die Einhaltung von Ruhe und Ordnung einsetzenden Position ab, da es sich nicht entschlossen habe, bürgerliche Zeitungen zu besetzen, den Verkehr stillzulegen und so die Arbeit in vielen Betrieben zu boykottieren. Ihrem Selbstverständnis nach waren sie es auch nicht, die „das Eigentum des Bürgers jeglichem Eingriff räuberischen Gesindels schutzlos“ preisgaben, sodass „in unzähligen Fällen Geschäfte“ geplündert wurden, „Geldschränke geknackt“ oder Postanstalten sowie öffentliche Kassen gebrandschatzt wurden.“ Auch die „im Namen eines politischen Prinzips“ durchgeführten „Scheußlichkeiten“ in der Öffentlichkeit waren Teil dieses Exklusionsvorganges. „Nach den folgenden Berichten ist es unverkennbar, daß die Spartacisten von Stunde zu Stunde mehr an Boden verlieren“, so Zumbroich. Die Strategie der Regierungstruppen bestand offenbar darin, die verschanzten Truppen aufzulösen und in die Außenbezirke abzudrängen.337 Zeitgleich trafen die Regierungstruppen vorbereitende Maßnahmen, um auf größere Kämpfe in diesen Bezirken eingestellt zu sein. Das Freikorps Lützow hatte die „Spartakisten“ bis in die Häuser der Aschinger-Gesellschaft zurückdrängen können, indem sie einen „Kordon“, einer Formation aus Personen und Gegenständen wie Absperrungen vom Prenzlauer Tor, die Saarbrücker Straße entlang bis zum Schönhauser Tor zogen und dabei die Zugänge verschlossen. Zusätzlich zu diesem Sperrgürtel versuchten sie von den höher gelegenen Häusern das Gelände zu kontrollieren. Auch umliegende Gebäude waren unmittelbar von den Kämpfen getroffen. Bei Einsatz schwererer Waffen wie Artillerie wurden zahlreiche Fensterscheiben zerstört, die nun auf den Straßen lagen. „An den 335 Vossische Zeitung Nr. 9–22 vom 13. Januar 1919. 336 Hier und im Folgenden Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 648. Plädoyer des Staatsanwalts Zumbroich; vgl. Vossische Zeitung Nr. 9–22 vom 13. Januar 1919. 337 Berliner Tageblatt Nr. 100 vom 9. März 1919. Anfang März sind dieses Tasdorf, Biesdorf, Karlshorst, Köpenick.
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strategisch wichtigen Punkten“ wurden seitens der Freikorps Geschütze und leichte Revolverkanonen aufgestellt. Gerade die Kämpfe in der Frankfurter Straße waren besonders dramatisch. Die aus den umliegenden Bäckereien entwendeten Mehlund Zuckersäcke wurden von den „Spartakisten“ zu Barrikaden aufgetürmt, die wiederum von der Artillerie zerschossen wurden, was ein „wüstes Bild“ abgegeben haben musste.338 Auch die Pflastersteine wurden von den Straßen aufgenommen, um sie zu Barrikaden aufzurichten, ebenso wie umgestürzte Fuhrwerke.339 Dabei bedienten sich die „Spartakisten“ offenbar recht drastischer Mittel, indem sie wie im Falle des Realgymnasiums Elisabethstraße, in der sich Teile der deutschen Schutzdivision aufhielten, große Feuer vor den Fenstern errichtet haben sollten, um die Besatzung „auszuräuchern“.340 Die Truppen wurden in diesen Tagen vermehrt in den Schulen des Frankfurter-Tor-Viertels untergebracht, denn „die sicheren Räume“ wurden nur dann verlassen, „wenn ein Stoßtrupp von ihnen dicht an den Häuserfronten entlang schleichend einen unerwarteten Angriff machte.341 Die „befreiten Stadtteile“ begrüßten die Regierungstruppen unter frenetischem Jubel. So verwundert es kaum, dass das Militär und die Freikorps ihre Vorgehensweise damit rechtfertigten, dass sich „je schärfer die Mittel, umso schneller der Erfolg“ erzielen ließe.342 Die sozialräumlichen Praktiken blieben auch in den Wochen nach den Januarunruhen bestehen, wenngleich sie feiner ausdifferenziert wurden. „Die Taktik der Spartacisten, die anscheinend eine gute militärische Leitung haben, ist die gleiche geblieben wie in den denkwürdigen Januartagen. Sie suchen die Kräfte der Regierungstruppen dadurch zu unterbinden, daß sie eine Art Franktireurkrieg eröffnen und diesen Kleinkrieg über die ganze Stadt ausdehnen, um so die friedliebende Bürgerschaft in Angst und Schrecken zu versetzen.“343
Offenbar versuchten sie die Regierungstruppen durch das Festsetzen an schwer einsehbaren Punkten mittels gezielter Schüsse zu verunsichern. Dabei war das Verhältnis der Masse zu den „Spartakisten“ dahingehend strittig, dass sie zwar dem „Ruf zur Demonstration“ oft Folge leisteten, aber die „revolutionäre Gymnastik“, also „ständige Aktionen, Aktionen um jeden Preis, Aktionen um der Aktion willen“ kritisch gegenüberstanden.344
338 Berliner Tageblatt Nr. 100 vom 9. März 1919. 339 Die Regierung wünschte sich daher asphaltierte Straßen 340 Berliner Tageblatt Nr. 98 vom 8. März 1919. Die Nutzung von Schulen war durchaus auch bei anderen Gruppierungen üblich gewesen. So wurde in Mühlheim die Rahmenschule als Unterkunft einer Sicherheitskompagnie benutzt und zugleich als Waffendepot und Geschützstand umfunktioniert. Vgl. BA B, R 1501, Nr. 20454, fol. 317f. Bericht des Oberstaatssekretärs Engelhardt, Mühlheim a. d. Ruhr, Berlin 13. Februar 1919. Von dort aus unternahmen sie „Streifzüge auch bis in das Gebiet der neutralen Zone hinein.“ 341 Berliner Tageblatt Nr. 98 vom 8. März 1919. 342 Erfahrungen aus dem Straßenkampf, zit. nach Lange, Massenstreik und Schießbefehl, S. 164. 343 Berliner Tageblatt, Nr. 100 vom 9. März 1919. 344 Müller, Bürgerkrieg, S. 46.
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6.4 „VON GESTOHLENEN MIEDERN“ – DIE UMKEHRUNG VON RAUMROUTINEN IN PLÜNDERUNGEN, UNRUHEN UND SABOTAGEAKTEN Die Stadt Münster spielte am Rande des dichtbevölkerten Industriereviers eine besondere Rolle während der Revolutionsereignisse. Als Sitz des Generalsoldatenrats ging von der Stadt weitreichender militärischer Einfluss von Solingen bis Minden und von Geldern bis Detmold aus.345 Wie viele andere Städte wird Münster besonders im Frühjahr 1919 von den Lebensmittelunruhen hart getroffen.346 Am 17. Juni 1919 sammelten sich bereits morgens um 10 Uhr über 1.000 Personen auf dem Ludgeriplatz, einem der großen öffentlichen Plätze der Stadt.347 Während ein Redner über die Lebensmittelfrage in der Stadt referierte, herrschte in der Menge offenbar bereits Unruhe. Die Forderungen nach einer Räumung des Militärlagers und des dort gelagerten Proviants, gingen in der lauten Atmosphäre nahezu unter. Auch im Bahnhof seien Lebensmittel untergebracht, die der Bevölkerung vorenthalten würden. Speziell Fleisch würde nicht dem freien Markt zur Verfügung gestellt, sondern nur in den edlen Hotels und Restaurants dargeboten. Insgesamt wurde die Lebensmittelversorgung dieser Wochen als mangelhaft eingeschätzt.348 Der Redner betonte, dass er selbst und andere nicht die Absicht hätten, die Massen, welche zunehmend durch Neugierige angereichert wurde, „aufzupeitschen“.349 In der Masse wurden Parolen wie „gleiches Recht für alle“ und „Revision der Krankenzulagen“ laut, die in einem „langen Zuge, in dem Schilder mit den aufgestellten Forderungen getragen wurden“ dem Bürgermeister Dieckmann im Verwaltungsgebäude in der Clemensstraße vorgelegt wurden. Auf Höhe des Prinzipalmarktes, schon damals Münsters repräsentativer Einkaufsstraße, kam es dann zu Ausschreitungen.350 Im 345 Vgl. Schulte, Münstersche Chronik zu Spartakismus, S. VII. 346 Es folgte besonders im Juli 1919 eine Reihe von Lebensmittelkrawallen und Plünderungsaktionen im gesamten Ruhrgebiet. Vgl. Hartewig, Eine sogenannte Neutralität, S. 301–307. 347 Münsterscher Anzeiger Nr. 302 vom 17. Juni 1919. Von den 800 Personen, die im Bericht an den Regierungspräsidenten genannt werden, seien rund die Hälfte Zuschauer gewesen, während parallel auf den benachbarten Straßen bereits 1.000 Personen als Neugierige Richtung Ludgeriplatz strömten. StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 1f., Bericht an den Regierungspräsidenten Nr. 6792 betr. Unruhen in Münster am 17. Juni 1919, Münster 10. Juli 1919. Der Zug, welcher sich nach der Kundgebung auf dem Ludgeriplatz Richtung Prinzipalmarkt in Bewegung setzte, soll „viele fremde Gesichter“ enthalten haben. 348 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 178, Polizeiverwaltung, J. No. 2207 P. an Magistrat der Stadt Münster, Münster 6. April 1920. „Einheimische und auswärtige Eisenbahn-Angestellte hatten sich am genannten Tage zu einer Protestversammlung bezgl. der Versorgung der Stadt Münster mit Lebensmitteln auf dem Ludgeriplatz zusammengefunden.“ Die Veranstaltung wurde durch ein anonymes Flugblatt angekündigt. Vgl. Volkswille Nr. 21 vom 18. Juni 1919. 349 Volkswille Nr. 21 vom 18. Juni 1919. 350 StAM, Stadt-Dok. Nr. 32, Westfälisches Freiwilligen Korps Lichtschlag, Bericht über die Kampftätigkeit des Korps in der Zeit vom 14. Dezember 1918 – 1. Oktober 1919, Münster 10. Dezember 1920. Über ähnliche Vorfälle berichtet das Korps aus der Stadt Buer. Hier kam es am 24. April zur Plünderung des renommierten Kaufhauses Althoffs, bei dem eine ähnliche Dynamik unterschiedliche soziale Formationen an den Plünderungen beteiligte. Neben der Schutzfunktion des Korps bestand eine weitere Funktion darin, die über die ganze Stadt zerstreuten Waren wieder einzusammeln.
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renommierten Kaufhaus Kluxen wurden sämtliche Schaufensterscheiben zertrümmert und die Ware auf die Straße geworfen, weniger ein Plünderungsakt, als eine Aktion mit hohem symbolischen Bedeutungsgehalt.351 Selbst das Militär und Schutzleute wurden daraufhin angegriffen, die Situation drohte zu eskalieren, gerade weil das Militär einige „blinde Schüsse“ abfeuerte, um die Situation zu beenden, wodurch jedoch einige Menschen schwer verwundet wurden.352 Der Teil des Zuges, der sich schon vor dem Gebäude des Oberbürgermeisters befunden hatte, forderte diesen auf, direkt am Fenster zu erscheinen, um den Forderungen der Menge zuzustimmen. Drei Stunden später gegen 13 Uhr „boten die Straßen wieder das gewohnte Bild.“353 Der an die Versammlung anschließende Demonstrationszug hatte sich mit hunderten Personen unkontrolliert durch die Straßen Münsters bewegt, wobei es zu Plünderungen und Zusammenstößen mit militärischen Truppen kam. Resultierend aus diesen Protestaktionen wurde der verschärfte Belagerungszustand über die Stadt verhängt.354 Die bei den Ausschreitungen zahlreich entstandenen Zerstörungen wurden durch eine Vielzahl an Schadensersatzforderungen dokumentiert, die Bürger und Bürgerinnen Münsters in Folge des Aufruhrgesetzes an
351 Dass Kluxen recht wohlhabend war und somit umso mehr ein Ziel für die revoltierenden Massen darstellte, stellt Carl Schmitt heraus, der Kluxen als Freund in Münster bezeichnete. „Kluxen, auf dem Prinzipalmarkt in Münster ist ein großes Kaufhaus ‚Kluxen‘, da stammt er her, war der einzige Sohn, hatte immer viel Geld.“ Schmitt, Solange das Imperium da ist, S. 58. Vordergründig als Racheakt „unbesonnener Elemente“ interpretiert der Volkswille die Ereignisse. Vgl. Volkswille Nr. 21 vom 18. Juni 1919. Viele „fremde Elemente von auswärts“ waren am Zug beteiligt. 352 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol.1f, Bericht an den Regierungspräsidenten Nr. 6792 betr. Unruhen in Münster am 17. Juni 1919, Münster 10. Juli 1919. Das Militär wurde vom Bürgermeister angefordert, „als der Demonstrationszug eine drohende Haltung anzunehmen begann.“ Vgl. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 154, fol. 9. Der Schlosser Karl Baumann, wohnhaft im Bohlweg 158, sei derjenige gewesen, „der damals bei Kluxen den 3 Soldaten das Maschinengewehr abgenommen und zertrümmert“ habe.“ 353 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 91, Stadtkanzlei Münster an Generalagentur der Allianz, Münster 2. Juli 1919. 354 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 012, VII. Armeekorps Generalkommando Abt. III Nr. 527, Münster 21. Juni 1919. Verhängung des Belagerungszustandes für sämtliche Bezirke. Die Verordnungen vom 26. April 1919, 17. Mai 1919 und 23. Mai 1919 treten in Kraft. „1) Jede Bedrohung von Angehörigen der Regierungstruppen und deren Mitgliedern, insbesondere der Druck und die Verbreitung von Flugblättern und Zeitungsartikeln, in welchen gegen die Regierungstruppen aufgereizt wird. (Verordnung vom 26.4.19) 2) die Drucklegung, den Vertrieb und jegliche Verbreitung sämtlicher Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter und Plakate kommunistischer, spartakistischer oder bolschewistischer Richtung, namentlich des ‚Spartakus‘, der ‚Freiheit‘, des ‚Galgen‘. (Verordnung v. 23.5.19) 3) Verboten ist der unbefugte Besitz oder die unbefugte Aufbewahrung von Waffen. Als Besitzer gilt auch derjenige, bei dem oder auf dessen Grundstück sich Waffen mit seinem Einverständnis oder mit seinem Wissen befinden. (Verordnung vom 17.6.19) Zuwiderhandlungen werden, sofern nicht nach den allgemeinen Strafgesetzen eine höhere Strafe verwirkt ist, mit Gefängnis bis zu einem Jahr, beim Vorliegen mildernder Umstände mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu 1.500 Mark bestraft. Der kommandierende General Frhr. von Watter Generalleutnant.“
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die Stadt stellten.355 Ein Mann in Soldatenuniform, so berichtete Frau Niemeyer, die zusammen mit ihrem Mann einen kleinen Zigarrenladen in der Salzstraße 1 betrieb und nun einen zerstörten Laden vorfand, hatte den Groll speziell gegen Kluxen gerichtet, auf „die man es abgesehen habe“.356 Die Beschädigungen von Firmenschildern und das Zerstören von Schaufenstern kann auch in zahlreichen anderen Fällen für den 17. Juni nachgewiesen werden.357 Ein Dienstmädchen, welches für den Metzger Peter Röhe in der Rothenburg Nr. 21 arbeitete, berichtete, dass sie von einem Fenster in der oberen Etage des Gebäudes beobachtet habe, wie die Rothenburg an der Königs- und Aegidiistraße durch Regierungstruppen abgesperrt worden war, sodass sich kein Zivilist „in diesem Raum befunden habe“.358 Eine aus dieser Richtung geflogene Handgranate führte offenbar dazu, dass umherfliegende Teile die Schaufensterscheibe zerstörten.359 Das muss jedoch nicht bedeutet haben, dass die Initiative allein von Seiten der Regierungstruppen ausging. Auch aus den Reihen der Zivilisten wurden zuerst abgegebene Schüsse beobachtet.360 Die Veranstaltung sei gezielt benutzt worden, einen Putsch vorzubereiten, an dem hauptsächlich „auswärtige Elemente“ teilnahmen, um die Situation auszunutzen.361 In diesen sozialen Protestpraktiken wird Raum mit unterschiedlichen Mitteln konstruiert und kontrolliert. Dabei werden in der Konstruktion von eigenen und der Destruktion von gegengelagerten Räumen soziale Sinngenerierungsstrategien der Akteure eingelagert. Dieses passierte oftmals dann, wenn unterschiedliche Gruppierungen mit verschiedenen Intentionen an einem Ort aufeinandertrafen und sich diesen Raum erschließen wollten. Dass dabei eine Situation eine kaum kontrollierbare Eigendynamik annehmen konnte, zeigt, wie der Demonstrationszug im Bewe-
355 Vgl. LAV NRW W, Regierung Arnsberg, Nr. 14427, fol. 96, Minister des Innern, II d. 3392, an Regierungspräsidenten in Arnsberg, Berlin 21. Juni 1919. Speziell in den Orten, in denen der Belagerungszustand verhängt wurde, sollten die Führer und „Hetzer“ des Roten Soldatenbundes mit „schärfster Aufmerksamkeit“ beobachtet und dagegen vorgegangen werden. 356 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 106, Abschrift einzelner Zuschriften an den Magistrat der Stadt Münster, Aussage Hugo Schepper, Münster 24. Juni 1919. Nicht eindeutig zu klären war, ob der Schaden durch Demonstrierende oder Regierungstruppen entstanden sei. Die Ausschreitungen hatten den öffentlichen Raum wesentlich zerstört. Auch Privatwohnungen waren davon betroffen. 357 Ebd., fol. 106, Abschrift einzelner Zuschriften an den Magistrat der Stadt Münster, Münster 24. Juni 1919. Stellvertretend können hier genannt werden die Firma Franz Oester, Metzgermeister Peter Röhe, Weinhändler Niemer, Drogist Otto Blumberg, 358 Ebd., fol. 107, Abschrift einzelner Zuschriften an den Magistrat der Stadt Münster, Zeugenaussage Maria Leding, Münster 23. Juni 1919. 359 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 22f., Bericht des Kriminalwachtmeisters Schmitz, Münster 20. Juni 1919. Der Tischlermeister Hermann Möllering hatte berichtet, dass eine Menge von 8–10 Personen in die Aegidiikaserne gedrungen sei. Ein Marineuniform tragender Mann habe daraufhin gerufen „Schmeist [sic] doch ne Handgranate“. 360 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 112, Abschrift F. C. Münch u. Herm. Odendahl an die Polizeiverwaltung betr. zertrümmerte Scheibe, Münster 28. Juli 1919. 361 Volkswille, Nr. 21, 18. Juni 1919. Große Teile des Demonstrationszuges hielten gezielt vor dem Kaufhausgebäude „und nahmen eine drohende Haltung ein. StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 006, Bericht des Polizeiwachtmeisters Schmidtfrerick, Münster 23. Juni 1919.
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gungsablauf sukzessive durch weitere Teilnehmer ergänzt wurde. Der Händler Felix Mehring berichtet, dass er, wie jeden Morgen, mit seinem Verkaufsstand vor dem Kaufhaus Emmerich stand, als der Demonstrationszug die Salzstraße passierte. Vorbeikommende Passanten, zu denen auch sein Vater gehörte, rieten ihm sich dem Zug anzuschließen, da er doch wohl nicht den Eindruck erwecken wolle, dass er genug Fleisch besäße.362 Zerstörungen gab es nicht nur durch den Einsatz von Waffen, sondern auch durch die sich durch die engen Straßen „flutende Volksmenge“ und dem „wüsten Straßenverkehr“, welcher mit Ellenbögen oder Fußtritten Beschädigungen an den Geschäftsfronten verursachte.363 Wie bereits angedeutet, stellte ein in den Quellen fortwährend genanntes Ziel Münsters Kaufhaus Kluxen am Prinzipalmarkt 2 dar. Während der Zug sich durch die Straßen bewegte, sollen aus der Menge Drohungen gegen die Firma Kluxen vernommen worden sein. Im Schreiben der Polizei an den Magistrat wurde explizit darauf hingewiesen, dass sich die Menge „bei der Plünderung des Geschäfts nicht mit der Ausräumung der Schaufenster begnügt[e]“, sondern in den Laden eindrang, bevor sie von der Polizei heraus gedrängt werden konnten.364 Der Prokurist August Kluxen bezeichnet diese Ereignisse rund um sein Gebäude als „außer Kontrolle“365 geratene Vorfälle.366 Nach eigener Aussage nahm Kluxen zwischen 11.00 und 12.30 Uhr im Kontor des Ladens „tumultartigen Radau“ wahr, woraufhin er den Laden betrat und feststellte, dass sowohl die Schaufensterscheiben zerstört, als auch die Auslagen geplündert waren.367 Während sowohl die Zeitungen, als auch die Überlieferung 362 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 30, Erklärung des Händlers Felix Mehling, Münster 20. Juni 1919. 363 Ebd., fol. 013, Bericht des Polizeiwachtmeisters Meyer. Meyer berichtet von einer „große[n] Volksmenge, die gegen das Haus Haltung genommen hatte.“ Die Anzahl der Plünderer stieg nach Zerbrechen der großen Schaufensterscheiben durch „fortwährendes Publikum aus der Menge“. Über Ähnliches berichteten weitere auf dem Prinzipalmarkt patrouillierende Polizisten. Vgl. StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 006, Bericht des Polizeiwachtmeisters Schmidtfrerick, Münster 23. Juni 1919. Schmidtfrerick sagte aus, dass bei Zubruchgehen der Scheibe das Publikum „Hurra“ gerufen habe. 364 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 178, Polizeiverwaltung, J. No. 2207 P. an Magistrat der Stadt Münster, Münster 6. April 1920. 365 Vgl. Kehrer, Mord in Münster, S. 90. 366 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 162, Stellungnahme des Prokuristen August Kluxen, Münster 30. Juli 1919. Zur Bedeutung von Warenhäusern in der Moderne vgl. Gellately, An der Schwelle der Moderne, S. 131–156, hier S. 131. Warenhäuser waren zu einem „festen Bestandteil des modernen Lebens geworden“, wenngleich sie „noch immer heftige Reaktionen“ auslösen konnten. Somit kann davon ausgegangen werden, dass von ihnen unmittelbar eine Wirkung auf die Akteure ausging. Vgl. Lehnert, Einsamkeiten und Räusche, S. 152. Lehnert bezeichnet Warenhäuser als „typische Übergangsorte“. 367 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 162, Stellungnahme des Geschäftsführers Franz Zumade und der Kontoristin Magdalene Fröhlich, Münster 30. Juli 1919. Den entstandenen Schaden beziffert Bernhard Kluxen später auf 13.217,75 M. Vgl. StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 165, Kluxen an den Magistrat der Stadt Münster, Münster 30. Januar 1920. Die Polizei schloss ein Eigenverschulden Kluxens für die Vorfälle aus. Vgl. auch StAM, Polizeiregistratur, Nr. 110, fol. 178, Polizeiverwaltung, J. No. 2207 P. an Magistrat der Stadt Münster, Münster 6. April 1920.
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der Polizei- und Verwaltungsbehörden eine klare Grenze zwischen Protestierenden und Regierungstruppen zogen, obwohl dort mehrfach auf „identifizierbare unlautere Elemente“ in der Masse hingewiesen wurde, wiesen obige Bemerkung darauf hin, dass die Einteilung der an den Vorfällen beteiligten Akteure in klar trennbare Lager offenbar sukzessive schwieriger wurde. Die Situation gestaltete sich demnach komplexer als es diese einfache bipolare Einteilung entlang der Frage wer den Konflikt begonnen hatte, zuließ. So wurde „in bestimmter Form behauptet, [dass] an der Plünderung bei Kluxen […] Damen der sogenannten besseren Stände beteiligt gewesen“ seien.368 Derartige „Behauptungen“ gingen von Leuten aus, die durchaus als glaubhaft einzuschätzen seien, so Münsters Magistrat. „Wenn von den geraubten Gegenständen auf die Räuber geschlossen werden kann, haben die Behauptungen auch einen festen Boden. Denn die wertvollen Stores und Decken, die geraubt wurden, hatten für Arbeiter ja eigentlich keinen Reiz. Feststellungen sind möglich, denn die Nachbarn von Kluxen haben die Vorgänge beobachtet. Überdies sollen letztere vom Fenster gegenüber aus gefilmt worden sein. Dieser Film darf nicht verloren gehen. […] Es geht nicht an, daß gewöhnliche Volk anzuklagen, dabei aber selbst die diesem angedichteten Missetaten zu begehen. Und Herr Kluxen wird ja auch in ganz vornehmer Weise seinen Schaden berechnen. Alles wäre vermieden worden, wenn die Menge in geeigneter Form sofort beruhigt worden wäre.“
Im Zuge weiterer Zeugenaussagen kommt es dann zu gegenseitigen Beschuldigungen, die auch wie im Falle des beschuldigten Julius Knoblauch mit einer Anzeige enden konnten. War der Akt des Protestes durchaus als legitim empfunden worden, tat man dennoch offenbar alles, um nicht einer damit einhergehenden Beschuldigung des Plünderns ausgesetzt zu sein.369 Das Freikorps Lichtschlag, welches nach Verhängung des Belagerungszustandes nach Münster berufen worden war, sollte daraufhin vermehrt bestimmte Straßenzüge patrouillieren.370 Über ähnliche Fälle berichten Quellen aus dem westfälischen Barmen. Dort kam es im Juli 1919 zu Demonstrationen der Erwerbslosen und Kriegsbeschädigten.371 Erneut diente der Platz vor der Ruhmeshalle als Ausgangsort der Demonstrierenden. Nachdem die dortige Versammlung geendet hatte, formierten sich 600 Teilnehmer zu einem Zuge. Ob das Rathaus von Beginn an als Ziel vorgegeben
368 Hier und im Folgenden StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 054f., Architekt Löttgen an den Magistrat, Münster 18. Juni 1919. 369 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 047f., Bericht des Polizeiwachtmeisters Heberle, J. No. 7765 PI, Münster 17.6.1919. Liesbeth Funhoff, wohnhaft in der Zimmerstr. 1 hatte auf dem Heimweg 4 Corsetts unter ihren Kleidern versteckt gehalten. 370 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 021, Schreiben an das Corps Lichtschlag, Münster 20. Juni 1919. Hierzu zählten die Vossgasse, Martinikirchplatz, Hörsterstrasse, Alter-Steinweg, Telgterstrasse, Winkelstrasse, Arztkarrengasse, Promenade bis zum Servatiiplatz, Albersloherweg, Weg südlich Kiesekamps Mühle, Hafenweg, Hafenkai, Hansaring, Hölschers Mühle, Frauenstrasse, Neuplatz, Steinfurterstrasse bis E. Hölschers Mühle, Lebensmittelstelle Hammerstraße, Schlachthausstrasse, Gartenstrasse, Schlachthausgelände, Erphostrasse, Taubenstrasse, Burchardtstrasse, Kaiser-Wilhelmring. 371 LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15976, fol. 23–37, Polizeiinspektor Treptow an Staatsanwaltschaft in Elberfeld, betr. die Vorgänge in Barmen, Barmen 21. Juli 1919.
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war, geht aus dem Bericht nicht hervor.372 Nachdem der Zug erfolgreich wirtschaftliche Zugeständnisse hatte erreichen können, formierten sich auch am Folgetag weitere Züge, die sich während der Stadtverordnetenversammlung vor dem Rathaus einfanden. Besonders „Trupps junger Burschen ballten sich“ vor den Rathaustüren. Während des Ausharrens vor dem Rathaus löste sich ein kleinerer Teil des Zuges unter Ausrufung „nach Artmeier“, einem renommierten Geschäft in der Stadt. Hauptsächlich „junge Burschen“ wurden durch eine größere Zahl junger Mädchen und Frauen als Mitläufer ergänzt, sodass sich der Zug schnell vergrößerte. Die großzügige Auslage des Geschäfts wurde geplündert, Fensterscheiben eingeschlagen und Teile der Waren, wie Holzpuppen und Gestelle demonstrativ auf die Straße geworfen. „Die Plünderer machten so radikale Arbeit, daß sie sogar den Holzpuppen Schuhe und Strümpfe auszogen. Nach Ausräumung der Fenster waren die eigentlichen Anstifter verschwunden und es trat für Augenblicke Ruhe ein“, so Krugmann. Die sich nun beschleunigende Dynamik äußerte sich in intensiveren Gewalthandlungen gegen das Interieur des Ladens. So sprangen junge Burschen in den Schaufenstern herum und „schlugen die noch in den Fassungen hängenden Stücke der Spiegelscheiben vollends entzwei“, während sie weitere Holzpuppen auf die Straße warfen. Die Handlungen mussten auf die restliche Menge provozierend gewirkt haben, sodass besonders aus der Menge hervortretende junge Mädchen und Frauen „den Ton“ angaben, indem sie lauthals „es muß noch toller kommen“ oder „in den Laden“ riefen. Der die edlen Waren ausstellende Raum des Geschäftshauses wurde schließlich auch als zerstörungswürdig betrachtet, denn „die Burschen“ versuchten die den Laden abschließenden Bretterwände einzutreten und die Türen des Geschäfts zu zerstören. Erst als das Eintreffen der Polizei bemerkt wurde, setzte sich die Menge offenbar in Bewegung und teilte sich zum einen in Richtung des Alten Marktes und zum anderen zum Restaurant Marcks hin auf. Auch das ähnlich strukturierte Geschäft des Konfektionshauses Hermann Weiß an der Ecke Heubruch und Kirchstraße wurde in ähnlicher Weise Zielort derartiger Plünderungen, wie auch die Geschäfte Weinberg am Alten Markt, Horn in der Heubruchstraße und Todt in der Rödiger Straße, in denen es allesamt sowohl zu Zerstörungen des Raumes, als auch zu Plünderungen gekommen war.
372 Hier und im Folgenden LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15976, fol. 35, Polizeiinspektor Treptow an Staatsanwaltschaft in Elberfeld, betr. die Vorgänge in Barmen, Barmen 21. Juli 1919. Aus der Anlage des Berichts geht hervor, dass einige vorbestrafte Leute wie der 30-jährige Paul Krugmann nach Zeugenvernehmungen als Anstifter auf dem Neumarkt ausgemacht wurden. Die vermeintliche Strategie der Polizei nur bereits kriminell gewordene Personen für die Tat verantwortlich zu machen geht jedoch nicht auf, da sowohl der Pole Paul Waroth, welcher als „heruntergekommener, mittelloser Mensch“ beschrieben wurde, als auch der 19 jährige Erich Wieser, die 16 jährigen Ernst Thater, Anton Moll, sowie Heinrich Hortmann nicht einschlägig vorbestraft waren. Der 19 jährige Wieser hatte gestanden bereits auf dem Neumarkt „gegen Artmeier angetrieben“ worden zu sein und sich danach selbst bei den Plünderungen bei Weiß betätigt zu haben. Während der Vernehmungen hatten weitere Personen darauf verwiesen, dass sie „nur als Mitläufer oder Zuschauer“ in Frage kämen, oder betrunken gewesen seien. Fand man bei ihnen Ware der geplünderten Geschäfte vor, verwiesen sie darauf, diese auf der Straße gefunden zu haben. In vielen Fällen reichte dies aus, um sich einer Verurteilung zu entziehen.
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Dieser Diskurs wurde davon geprägt, dass gerade jene vornehmen Läden als vermeintlich unerreichbare Orte für die junge Stadtbevölkerung nun ein lohnenswertes Ziel darstellten. Zum einen, weil hier wertvolle Waren erlangt werden konnten. Zum anderen, weil man als gemeinsame Gruppierung so einen symbolträchtigen Ort für einen kurzen Zeitraum besetzen konnte. Zu Beginn der Demonstration war eine Vereinbarung über Zielort und –geschehen dennoch nicht beweisbar, sodass anzunehmen ist, dass erst während der Demonstrationsveranstaltung von den meist Jugendlichen offenbar erkannt worden ist, dass die Ausübung von gemeinsamen Handlungen auch für die Stärkung der eigenen Gruppe ein geeignetes Mittel darstellte. Das Demonstrieren in geschlossener und fester Formation, aber auch die Anwendung von Gewalt, stellte ein probates Mittel dar, um eigene Forderungen durchzusetzen und sich eigene Räume zu verschaffen. Somit konnten sie sich der Klaviatur der kollektiven Ausdrucksformen vor einem öffentlichen Publikum bedienen. Dabei wurden nicht nur Räume der höheren und bürgerlichen Schichten symbolisch zerstört, indem man zeigte, dass man beispielsweise in den Auslagen tanzte, sondern auch in der physischen Zerstörung des Raumes, indem nicht nur die Waren geplündert, sondern auch gezielt zerstört oder zweckentfremdet wurden. Mit derartigen Protestpraktiken konnten die Routinen alltäglicher Raumnutzungen jedenfalls für einen kurzen Zeitraum außer Kraft gesetzt werden. Zusätzlich musste die Zerstörung des Raumes wiederum auf die Ordnung in der Stadt rückwirken, denn Sicherheits- und Einwohnerwehren sollten derartige Vorkommnisse in Zukunft verhindern oder nötigenfalls reduzieren.373 Viele der Vernommenen und Beschuldigten, welche mit Waren aus den geplünderten Geschäften erwischt worden waren, konnten sich mit einer Aussage einer Verurteilung entziehen. Die Aussagen deckten sich insofern, als dass die Personen angaben, die Ware auf offener Straße gefunden zu haben. Mit den Berufungen auf den öffentlichen Raum der Straße wurde die sonst herrschende Gesetzesordnung bei Diebstahl quasi völlig aufgehoben und stellte das Justizwesen vor neue Probleme. Offensichtlich waren sich auch diejenigen dieser Logik bewusst, die freiwillig die Sachen zurückgaben, um sie entweder aus Gerechtigkeitsempfinden oder aus Angst vor Beschuldigungen oder Verurteilung zurückzugeben. Wie kompliziert die Sachlage war, wenn Waren bereits auf den Straßen verkauft wurden, oder sogar wie im Falle Karl Euters, der eine Hose für 37 Mark erstanden und diese bereits umgenäht hatte, kann nicht genug betont werden. Diese Waren wurden wenn möglich auch nicht in den eigenen Räumen aufbewahrt. Bei Gefahr wurden hierfür scheinbar Strategien entwickelt, sich der Ware möglichst schnell zu entledigen, wie im Falle einiger „Burschen“, indem sie diese in den „Hof der Gesellschaft Parlament“ warfen, oder aber im Schnüren von Postpaketen, die in einem Fall wieder an die Firma Artmeier zurückgesendet wur-
373 Dabei traf die Besitzer nicht nur der wirtschaftliche Schaden, der im Falle der oben genannten Orte ungefähr 200.000 Mark betragen hatte, sondern traf sie auch auf einer tiefer liegenden Ebene, denn diese Form des Protests war für viele Ladenbesitzer zwar nicht gänzlich neu, ließ jedoch das bisher übliche Sicherheitsempfinden in der Stadt stark schwinden.
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den. Die Handlungen während der Plünderungen, aber auch die damit einhergehende Zerstörung und Umfunktionierung der Materialität des Raumes zog daher alternative Handlungen nach sich. Dem Polizeibericht zufolge hatten die am Folgetag erneut einsetzenden Unruhen einen anderen Charakter aufgewiesen. Teilnehmer der Demonstrationszüge suchten das hiesige Polizeigefängnis auf, um die Herausgabe von Inhaftierten zu erpressen. Der Polizei gelang es auch nur Einzelpersonen als Rädelsführer wie die jungen „Wortführer“ Gustav Vollmer, Paul Geilenberg und Robert Breithardt auszumachen, da sich „ihr Verhalten ungeachtet ihrer Mäßigung als eine strafbare Handlung darstellen“ würde.374 Verprügelungen freiwilliger Ordnungsleute, welche sich mit weißen Binden auf den Straßen befanden und die Polizei unterstützen sollten, konnten erst mit Eintreffen des Militärs gestoppt werden, sodass schließlich wieder Ruhe in Barmen einkehrte. Auch die „kleineren Sachbeschädigungen an einzelnen Stellen der inneren Stadt“ hörten vorerst auf. Ähnliche Fälle konnten für Oberhausen festgestellt werden. Hier hatte sich eine Menschenmenge von 800-1.000 Personen vor dem Konfektionsgeschäft Levy positioniert, die „demonstrativ [die] sofortige Herabsetzung der hohen Preise für Bekleidungsstücke verlangte.“375 Hierfür entfernten die Angestellten vorsorglich alle ersichtlichen Preisschilder an den Kleidungsstücken, was die Menge wiederum zu beruhigen schien und zum Weiterziehen veranlasste. Vor dem Geschäft Alsberg – die Familie betrieb unter diversen Firmen Waren- und Kaufhäuser in verschiedenen Städten, besonders des Ruhrgebiets – nahm die Menge jedoch eine „drohende Haltung“ gegenüber dem Gebäude ein. Von hier aus ergingen Aufforderungen, sich in Richtung des Altmarktes zu begeben. Die dort stetig anwachsende Menge stürmte dann „auf Zuruf“ das südlich am Platz gelegene Zigarrengeschäft Tegeler, sowie weitere Geschäfte. Offensichtlich hatten sich aus den anfänglichen Aktionen gegen diese „alteingesessenen“ und renommierten Geschäfte Levy und Alsberg nun weitere, sich auf kleinere, vermeintlich unbedeutendere Geschäfte ausweitende Aktionen mit reinem Plünderungscharakter entwickelt. Den Ordnungsbehörden gelang es zunächst nicht, „die sinnlos erregte Menge vom Plündern abzuhalten.“ Doch gerade jene sich aus partiellen Handlungen gegen die renommierten Geschäfte der Stadt entwickelnden allgemeineren Plünderungsaktionen waren eben nicht sinnfrei, wie es im Polizeibericht formuliert wurde. Sie zeigen vielmehr, dass die vermeintlich plündernden Akteure erst während der Protestäußerungen gegen die zu teuren Waren Levys, des Warenhauses Rüttger oder auch des Schuhwarenhauses Schneider diese Protestpraxis zunehmend als sinnstiftend erachtet hatten, weshalb sich diese Protestpraxis in weiteren Handlungen zu verstetigen schien. Daher können diese „Plünderungshandlungen“ als zunächst einmal nicht von vornherein zielgerichtet verstanden werden. Vielmehr entwickelten diese sich erst während des gemeinsamen Protestierens gegen symbolische Werte zu Plünderungen der Waren374 Hier und im Folgenden LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15976, fol. 37f., Polizeiinspektor Treptow an Staatsanwaltschaft in Elberfeld, betr. die Vorgänge in Barmen, Barmen 21. Juli 1919. 375 Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 113090, fol. 126, Polizeibericht Krügers, Tgb.-Nr. 712, betr. die Vorgänge im 11. Polizeirevier am 1. Februar 1919, Oberhausen 2. Februar 1919.
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und Lebensmittelgeschäfte. Gegen reine Plünderungshandlungen spricht auch der Einwand, dass viele Waren gar nicht behalten, sondern zerstört oder auf den öffentlichen Raum der Straße geworfen wurden.376 Auch der zeitliche Ablauf kann als Argument für diese Lesart aller paradigmatischen hier behandelten Fälle der Quellen von punktuellen eher symbolischen hin zu breit angelegten Aufforderungen zu Plünderungsaktionen herangezogen werden. 6.5 „SICH GEHÖR VERSCHAFFEN“ – REVOLUTIONÄRE SOUNDSCAPES Soundscapes spielten als sogenannte strukturierte Klangräume, welche durch die kulturelle Produktion von akustischer Wahrnehmung entstehen, eine nicht zu unterschätzende Rolle während sozialer Unruhen.377 Insofern bilden Soundscapes die logische Ergänzung zum bereits angesprochenen Konzept der Landscapes als alternative Geographien. Soundscapes bezeichnen daher die akustische Dimension des Räumlichen.378 Als Gegenstände nicht direkt erfahrbar, werden sie in textlichen Quellen beschreibbar, sofern kein Zugriff auf auditives Quellenmaterial vorhanden ist.379 Dass Räumlichkeit nicht nur auf die physikalische Seite verweist zeigen beispielsweise akustische Protestpraktiken mit deren Hilfe sich ihre Akteure einen eigenen Artikulationsraum schufen, sich sozusagen „Gehör verschafften“.380 Als am 24. Dezember 1918 viele Arbeiter der Zechen Sterkrade, Hugo und der Guthoffnungshütte die Arbeit niederlegten und auf eine von Hamborn nach Sterkrade aus sich bewegende 1.000-köpfige Menschenmenge traf, ertönte bei deren Zusammenkunft laute Musik. Nachdem sich beide Gruppen solidarisiert hatten und einige Tage später am 29. Dezember nach Abhaltung einer Belegschaftsversammlung vor das Rathaus zogen, befand sich unter der Menge eine „Musikkapelle“, 376 BA B, R 1501, Nr. 113090, fol. 126 RS. Ähnliches wird berichtet über die Geschäfte von Mundhenk, Mätzenfabrik, von Krebber, Destillation und Likörfabrik, von Purmann, Pelzwaren und Mützenhandlung und Hellermann, Herrengarderobengeschäft. Diese Geschäfte befanden sich in räumlicher Nähe zu den genannten Ausgangsorten. Die Polizei musste hier weder „von der blanken“ noch von der Schusswaffe Gebrauch machen, „da das der großen Menge gegenüber zwecklos gewesen wäre und die Erregung der Masse noch gesteigert hätte.“ Erwähnt wurde zudem die große Beteiligung polnischer „Elemente“ an den Plünderungen. 377 Soundscapes als kulturwissenschaftliches Konzept wurden maßgeblich geprägt vom Klangforscher Raymond Murray Schafer. Vgl. Schafer, The Soundscape; ders., Die Ordnung der Klänge, bes. S. 439. Schafer bezeichnet soundscapes als „die akustische Umwelt, eigentlich jede[n] Aspekt einer akustischen Umgebung, der als Untersuchungsgegenstand bestimmt wird.“ 378 Für einen Überblick zum Konzept der landscapes siehe Malpas, The Place of Landscape. Für das Konzept der Soundscapes innerhalb der Geschichtswissenschaft vgl. Morat, Zur Historizität des Hörens, S. 131–144; vgl. auch Mißfelder, Period Ear, S. 21–47; Müller, The Sound of Silence, S. 1–29; Rosenfeld, On Being Heard, S. 316–344; Bijsterveld (Hrsg.), Soundscapes of the Urban Past; vgl. Bredella/Dähne (Hrsg.), Infrastrukturen des Urbanen. 379 Auf Film- und Tonbanddokumente musste im Rahmen dieser Studie aus forschungspragmatischen Gründen leider verzichtet werden. 380 Vgl. etwa Lidtke, Songs and Politics, S. 254ff.
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welche zusammen mit den roten Fahnen ein ungewöhnliches Bild abgab.381 Das Zusammenstellen dieser extra für die geplante Demonstration vorgesehenen Musikkapelle zeigt deutlich, wie wichtig die akustische Untermalung der Protestveranstaltung eingeschätzt werden musste. Neben der symbolischen Repräsentation des Zuges durch das Hochhalten von Fahnen und das gemeinsame Tragen von roten Armbinden, war die klangliche Dimension ebenso von Bedeutung für die sozialen Akteure. Nachdem einige Personen des Zuges die Aussprache mit dem Oberbürgermeister der Stadt verlangten und lediglich mit einem Beigeordneten der Stadt sprechen konnten, bewegte sich dieser Zug durch einige weitere Straßen der Stadt in Richtung der Privatwohnung des Oberbürgermeisters, bis der Zug sich schließlich auflöste. Das gemeinsame Singen, die Nutzung akustischer Signale oder einfach gesprochen der kollektive Lärm der Protestierenden gehörte zum festen Repertoire einer sich während der Revolution ausdifferenzierenden Demonstrationsund Streikkultur. Gerade wenn eine soziale Formation über einen niedrigeren Organisationsgrad verfügte, waren diese Formen der sozialräumlichen Protestpraktiken geeignete Alternativen, um gemeinsam Räume zu erschließen oder zu besetzen. Das Singen revolutionärer Lieder war als Mittel Teil des „common sense“, hinter dem eine Massenbewegung stand.382 In den Quellen wird besonders der anonymen Masse der Einsatz akustischer Mittel zugeschrieben, wenn etwa wie im Falle der frühen Kieler Matrosenversammlungen die Masse durch einzelne „Radaumacher“ eine erhebliche Verstärkung erfuhr. So schien es möglich, eine nicht näher zu bestimmende Gruppierung einer Definition zu unterziehen. Das „Getöse der Meute“ war demnach so stark, dass es in den abgelegenen Straßen noch deutlich zu hören war, wenn schrille Pfiffe ertönten, Lieder gesungen und Leute am Wegesrand aufgefordert wurden, sich der Menge anzuschließen.383 Oftmals war nicht entscheidend, welche politische Botschaft die Masse mit ihrem Gesang senden wollte, sondern ließ das Geräusch an sich überhaupt erst entscheidend werden für die Schaffung eines eigenen Gehörraums, welcher mittels Johlen, Schreien und Kreischen geschaffen werden konnte.384 Auch in Berlin konnte man diese Form der akustischen Verortung einer bestimmten sozialen Formation im öffentlichen Raum beobachten, als sich im Anschluss an die Beerdigung der gefallenen Opfer der Revolution ein riesiger Demonstrationszug vom Exerzierplatz Tempelhofer Feld zum Friedhof der Märzgefallenen im Volkspark Friedrichshain am 20.11.1918 bewegte, während die Arbeiterinnen „mit schrillen Stimmen die Marseillaise sangen.“385 Das Liedersingen 381 LAV NRW W, BR 0007, Nr. 15976, fol. 57, Schreiben Oberbürgermeister Gesch.-Nr. I. 2769 an Regierungspräsidenten Düsseldorf, betr. Entstehung und Verlauf der Unruhen in der Zeit vom 1. Januar bis 19. März 1919, Remscheid 17. Oktober 1919. 382 Sittler, Die Straße als politische Arena, S. 137. 383 BA B, R 703, Nr. 90, fol. 3, Der Tag Nr. 567 vom 5. November 1918. 384 BA B, R 1501, Nr. 20099, fol. 171, Militärpolizeistelle Friedrichshafen, Nr. 7024 an Zentralpolizeistelle Stuttgart, Friedrichshafen 26. Oktober 1918. 385 Vossische Zeitung Nr. 595 vom 21. November 1918. Das „klingende Spiel“ und die „Kampfgesänge der Arbeit waren auch in den späteren Jahren der Weimarer Republik beliebtes Mittel
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konnte jedoch auch Ausdruck des kollektiven Protests sein, wenn sich beispielsweise Matrosen im „Marmeladenlied“ über die schlechte Verpflegung empörten.386 Die Verpflegung war Beiersdorf zufolge derart schlecht geworden, dass „sie der Gegenstand aller unserer Gespräche wurde.“ Der bereits früh an den revolutionären Unruhen beteiligte Matrose Franz Beiersdorf berichtet davon, dass die „Musiker […] alzugern [sic] die spontan entstandenen Spottlieder im Tivoli vorgetragen“ hatten. Diejenigen Lieder, in welchen eine konkrete Gruppe angesprochen wurde, hatten dann einen deutlich radikaleren politischen Charakter, wie aus der folgenden Textzeile hervorgeht. „Hakenkreuz am Stahlhelm, schwarz-weiß-roter Lump – die Brigade Erhard, schlagen wir in Klump.“387 Im Zuge der sich ausdifferenzierenden und besser organisierenden Arbeiterschaft in den roten Arbeitertruppen während des Fortschreitens der Revolution spielte das sich gemeinsam akustische äußern in Liedern eine ebenso wichtige Rolle, wie das Einüben militärischer Manöver und Verhaltensweisen. Im Falle eines Beobachtungsprotokolls des Wachtmeisters Hans Kunkel, welcher zur 6. Hundertschaft der Sicherheitspolizei in Neukölln gehörte, wurde zudem der die Gruppe zusammenschweißende Charakter des Liedersingens dieser Gruppen betont. Kunkel hatte – gekleidet in Zivil – mit seiner Frau eine Gruppe von 200-250 Jugendlichen beobachtet, welche nach der Abhaltung zahlreicher militärischer Übungen „in guter Disziplin“ beim Verlassen des Übungsplatzes gemeinsam die „Arbeitermarseillaise“ gesungen hatten. Derartige Übungen, so hatte man ihm berichtet, hielten diese täglich ab.388 Das gemeinsame Singen von Liedern stellte vornehmlich für die politisch linken Gruppierungen ein geeignetes Mittel dar, „sich Gehör zu verschaffen“, in das relativ unkompliziert andere Formationen integriert werden konnten. Während einer Festveranstaltung zum 1. Mai 1919 hatte die USPD zu einem Demonstrationszug nach Barmen aufgerufen, an dessen Spitze „unter Begleitung von Musikkapellen“ sich 150-200 Kinder gruppierten. Der die anschließende Versammlung begrüßende Genosse Ibanetz sprach der Gruppe „trotz des schlechten Wetters“ ein überaus großes Klassenbewusstsein zu und lobte den Zusammenhalt derselben.389 Diese einerseits rational gesteuerte „emotion work“ ließ die gegenseitig wahrgenommenen Emotionen als handlungsbestimmend erscheinen und schuf im Erfolgsfall eine spezifische „emotional community“ mittels des eigenen Gehörraums.390 Andererseits ging Emergenz von diesen „nicht absichtlich geplanten oder
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der Arbeiterschaft, sich den öffentlichen Raum zu erschließen, oder diesen zeitweise zu besetzen, um so die „begeisterte Kampfstimmung“ noch zu verstärken. Vgl. BA B, R 1507, Nr. 1020, fol. 42, Die Welt am Abend Nr. 262 vom 12. November 1929. Hier und im Folgenden BA B, SAPMO, SgY 30, Nr. 0052, ohne fol., Erinnerungsbericht Franz Beiersdorf. Das Ehrhardt Lied wurde um das Jahr 1920 bei denjenigen Gelegenheiten gesungen, bei denen die Truppe offenbar besonders ihre antirepublikanische Gesinnung zur Schau stellen wollte. LA B, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 21661, fol. 25, Bericht des Wachtmeisters der 6. Hundertschaft der Sicherheitspolizei in Neukölln, Johann Kunkel, Berlin 21. Juni 1920. LAV NRW R, BR 0007, Nr. 15974, fol. 291, anonymer Bericht über die Maifeier der USPD am 1. Mai 1919, Elberfeld 2. Mai 1919. Young, Emotions, S. 139ff.; vgl. Koller, Streikkultur, S. 525.
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intendierten Räumen“ während des Singens aus.391 War das Singen gemeinsamer Lieder vornehmlich dem Lager der Arbeiterschaft zuzuschreiben, gibt es auch empirische Belege dem Bürgertum jene Form der „Inbesitznahme des öffentlichen Raumes“ als Artikulationsform politischer Meinungen zuzuschreiben.392 Wichtig war, dass sie diese Form des Ausdrucks und der Willensartikulation im öffentlichen Raum offenbar als ein Mittel zunächst wahrnahmen und dann auch praktizierten, um sich deutlich gegenüber anderen Gruppierungen abzugrenzen. Diesen Gehörraum zu durchbrechen gestaltete sich beispielsweise für das Militär oder die Polizei als ausgesprochen schwierig, vielleicht sogar schwieriger als in einer direkten, bewaffneten Auseinandersetzung, wie die Ereignisse während größerer Streikzüge im Berliner Humboldthain und den angrenzenden Straßen zeigen.393 Die große Masse der Streikenden war immer wieder mit berittenen Polizisten aneinandergeraten.394 Diese drangen gegen die Demonstranten vor und riefen „Auseinander gehen! Keine Ansammlung bilden! Weitergehen!“ Während die Bedrohten ihnen anfangs Platz machten, änderte sich dieses, sobald die Demonstrierenden mehr Zulauf bekamen und sich mit Gesang weitere Verstärkung für die Kundgebung ankündigte. Das Singen bot den Demonstrierenden so einen gewissen Schutz, da die Polizei sich schwer damit tat, mit Waffengewalt gegen waffenlose, singende Arbeiter und Arbeiterinnen vorzugehen. Die Form des akustischen Protestierens wirkte somit nach innen gruppenstabilisierend, während es nach außen gleichzeitig abgrenzend und schützend wirkte. 6.6 ZUSAMMENFASSUNG Der Prozess sich wiederholender Praktiken, in deren regelmäßiger Ausübung Sinn generiert werden konnte, wurde im vorhergehenden Kapitel als „doing space“ bezeichnet. Diese als sozialräumliche Protestpraktiken verstandenen Handlungen unterschiedlicher sozialer Formationen konnten sich seit Ausbruch der Revolution fest in die Protestkultur weiter Teile der Bevölkerung einschreiben. Dabei konnten die zunächst als regelmäßigen Praktiken aufgeführten Protesthandlungen auch regelwidrigen Charakter erlangen, wenn diese zunächst als selbstverständliche Praktiken 391 Rau, Räume, S. 166. 392 Schumann, Politische Gewalt, S. 51. Schumann berichtet von über zehntausend Demonstranten, welche „‚patriotische Lieder‘ singend, mit einer schwarz-rot-goldenen, aber auch einer schwarz-weiß-roten Fahne durch die Hallenser Innenstadt“ zogen. Vgl. Bieber, Bürgertum, S. 180–182. Vgl. BA B, R 1507, Nr. 2901, fol. 17–22, Bericht des Untersuchungsausschusses über die Unruhen in Mitteldeutschland vom November 1918 bis zum 19. März 1919, Berlin 14. September 1920. Den vaterländisch gestimmten Demonstrierenden schlossen sich dem Bericht nach viele Passanten an, bis eine Gruppe von „Spartakisten“ sich auf den Träger der Fahne stürzte, das Fahnentuch zerrissen und ein Tumult entstand. 393 Koller, Streikkultur, S. 520. Für einen späteren Zeitraum benennt Koller beispielsweise den Einsatz von Lautsprecherwagen als technische und taktische Innovationen zur Bekämpfung von straßenpolitischen Aktionen. 394 LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 9, ohne fol., Erinnerungsbericht Jakob Weber.
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wahrgenommen wurden, sich jedoch während des Demonstrations- oder Streikgeschehens weiterentwickelten und Varianzen erzeugten. Während diese Praktiken vordergründig als Mittel interpretiert werden können, die Kontrolle über den Raum zu erlangen, waren diese grundlegend mitverantwortlich für die Konstituierung einer Gruppe. Die lange Geschichte des Streikens hatte gezeigt, dass sich der Streik auch nach der Revolution auf längere Sicht als ein probates Mittel erwies. Dabei kam es nicht allein darauf an, durch geringes Nachgeben der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer bessere wirtschaftliche Verhältnisse zu erlangen, sondern vielmehr durch diese Form der Praxis ein Instrument der kollektiven Willensäußerung gemeinsamer Interessen geschaffen zu haben, mit welchem gerade nach Ende des Krieges neue Sinngenerierungsformen besonders im öffentlichen Raum zusammenhingen.395 Dass die Streikräume dabei als bindendes Element des Zusammenhalts über Parteigrenzen hinaus wichtig geworden waren, zeigte sich während der blutigen Auseinandersetzungen der Spartakusunruhen, wo sich militärische Truppen einer breiten Streikbewegung aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Unabhängigen gegenübersah.396 Der Streikraum zählte zum festen Bestandteil sozialer Wirklichkeit. Dass das Mittel des Streikens im Zuge der Revolutionsjahre immer häufiger von vielen verschiedenen sozialen Formationen genutzt wurde und neue Gewerbezweige sich eigene Interessensvertretungen schufen, zeugt von der Wirkmächtigkeit, die von dieser sozialräumlichen Praxis als sinngenerierender Handlung ausging.397 Während der Umsturzversuche der Republik durch Kapp-Lüttwitz hätte es ohne die Protestkundgebungen und Massendemonstrationen, ohne den Generalstreik und den bewaffneten Widerstand der Arbeiter „schlecht um die Weimarer Demokratie gestanden.“398 Dabei bot der öffentliche Raum einerseits eine neue Bühne der Interessensartikulation, auf der anderen Seite setzten die Akteure diese Bühne gezielt in Szene oder schufen sich eigene Handlungsräume. Es waren Orte mit besonders hoher symbolischer Bedeutung, aber auch Orte des Alltags für deren Besetzung Menschen ihr Leben aufs Spiel setzten. Das Besetzen von strategisch wichtigen Punkten gehört damit zur sozialen Protestkultur, welche sich besonders während des Streikens oder Demonstrierens manifestierte. Die Besetzungsaktionen waren damit wesentlicher Bestandteil des doing space für das Funktionieren der Revolution, während die gemeinsam aufgeführten Handlungen das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe stärkte.
395 Als Streikursachen definierte das Militär meist Gründe zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Vgl. LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 273, fol. 254, Nachrichtenblätter des Wehrkreiskommandos Nr. 55 vom 28. November 1919. Siehe die Streiks in Oberhausen von Arbeitern der Glashütte, welche auf Lohnforderungen zurückgeführt wurden. Ähnliche Vorgänge für Duisburg von Arbeitern der Kettenfabrik in Rüthen, von Arbeitern der Metallhütte und Maschinenfabrik Nürnberg-Augsburg, in Barmen-Elberfeld bei den Gasthausangestellten, sowie ebenfalls von Angestellten der Firma Rheinmetall in Düsseldorf. 396 Von Oertzen, Die großen Streiks der Ruhrbergarbeiterschaft, S. 196. 397 Vgl. Bieber, Bürgertum, S. 193ff. 398 Könnemann, Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorff-Putsch, S. IX.
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Oftmals konnten symbolische Praktiken in besetzten Orten mit unterschiedlicher Bedeutung aufgeladen werden. Während sozialräumlicher Protesthandlungen ließ der Prozess der Konstruktion von eigenen Räumen und der Zerstörung gegengelagerter Räume soziale Sinngenerierungsstrategien erkennbar werden. Die dynamische Offenheit von Situationen widersprach oftmals einer eindeutigen bipolaren Anordnung einander gegenüberstehender Gruppierungen. Gerade bei jenen Gruppierungen wie den Jugendlichen oder Frauen waren deren Protestpraktiken durchaus als ein Mittel zu interpretieren sich temporäre Räume zu erschaffen, gegen die es die staatliche Gewalt oftmals schwierig hatte, mit Waffengewalt vorzugehen. Auch hier muss auf den prozesshaften Charakter sozialer Protesthandlungen hingewiesen werden. Die Produktion von Räumen war durchaus einer Entwicklung ausgesetzt, welches deutlich an den feiner ausdifferenzierten Praktiken der späteren Jahre der Weimarer Republik, aber auch an deren quantitativen Zunahme erkennbar wird. Auch unterschieden sich die sozialen Protestpraktiken von denjenigen der Kaiserzeit. Das Tableau an öffentlich ausgetragenen Protesthandlungen hatte sich seit 1918 grundlegend erweitern können.
7. „VON ANDEREN RÄUMEN“ – RAUMQUALITÄTEN UND WIRKMÄCHTIGKEITEN Mit den bisherigen Argumentationsschritten konnte gezeigt werden, dass die Räume der Revolution mit ihren sozialen Akteuren ein enges Wechselverhältnis eingehen, wenngleich bereits darauf hingewiesen wurde, dass die historischen Phänomene immer an konkrete Örtlichkeiten gebunden waren. Im Zuge der vorgenommenen Analysen von Raumerschließungsstrategien, welche sich gerade in unterschiedlichen sozialräumlichen Protestpraktiken der Akteure manifestierten, wurde zunehmend deutlich, dass es neben diesem relationalen Verhältnis von Mensch und Raum noch weitere Raumqualitäten gegeben haben muss, welche nicht im Diskursiven oder in den Praktiken allein aufgingen. Vielmehr, so die These dieses letzten Argumentationsschrittes der vorliegenden Studie, ist bei den Analysen des empirischen Materials auffällig geworden, dass man dem Raum eine gewisse Widerständigkeit zugestehen kann, somit von anderen Raumqualitäten eine Form der handlungs- und strukturgenerierenden Wirkung ausgehen kann, im Zuge dessen bestimmte Raumzonierungen und -qualitäten die Bindekräfte innerhalb sozialer Formationen verstärken können. Jene „räumlichen Ordnungsverfahren durch die Räume handlungsrelevant markiert werden“, bezeichnen zwar häufig einen semiotisch markierten, also topographischen Raum, der orientierte Bewegung ermöglichen soll. Gleichzeitig bedeutet dieses jedoch, dass bei diskursiv geschaffenen Zuschreibungen des Raumes auch mögliche Handlungen präformiert werden und so der Aktionsraum vorgestaltet werden könnte.1 Diese Verortungen funktionieren auch entlang bestimmter Narrative wie Gefahren oder Sicherheiten. Während die Akteure dem Raum Richtungsräumlichkeiten zuschreiben, wird dieser zugleich mit Attributen assoziiert. Grenzen werden hierbei nicht mehr nur entlang physisch-geographischer Markierungen gezogen, wie beispielsweise die Eisenbahnlinien zur Teilung unterschiedlicher sozialer Schichten während des Städtewachstums in der Moderne fungierten, sondern auch durch symbolische Grenzen. Diese anderen Formen werden als offene Sicherheitsräume, geschlossene Gefahrenräume oder hybride Räume genauso zum Teil der sozialen Wirklichkeit für die Akteure, wie ihre physisch wahrnehmbare Umwelt. Diese alternativen Räume sind allein aufgrund ihrer heterogenen Nutzung oftmals von nur kurzer Dauer. Gerade in der Analyse von Demonstrationszügen konnte bereits gezeigt werden, dass die hier produzierten Bewegungsräume sich von einem festen Zustand zu Beginn einer Demonstration, hin zu einer fließenden Form hatten entwickeln können, die an den Rändern für andere soziale Akteure offen war. Wenn Raumaspekte in der Revolutionsforschung kritisch reflektiert wurden, dann ist die
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Böhme, Raum – Bewegung – Grenzzustände, S. 62.
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Revolution in erster Linie immer als ein Kampf um physische Territorien interpretiert worden. Berechtigt sind daher Fragen, wie spezifische Räume eigentlich auf die Zeitgenossen gewirkt haben. Die normative Zonierung von Gebäuden und Arealen ist daher als kulturelle Codierung des materiellen Raumes zu verstehen, wenngleich danach zu fragen ist, ob ein nicht diskursiver Rest übrig bleibt. 7.1 „STRASSE FREI, ES WIRD GESCHOSSEN“ – RAUMWIRKUNGEN IM SCHIESSBEFEHL NOSKES Die Straße kann zunächst als ein höchst komplexer Raum, der in Zeiten sozialer Unruhen chaotische Situationen hervorrufen konnte, interpretiert werden. Bereits vor Beginn der Revolution war die Straße ein Ort öffentlicher (Un)Ordnungen gewesen. Die Kontrolle über diesen Raum hatte wesentlichen Einfluss auf die Machtund Herrschaftsbeziehungen derjenigen, welche den Raum zu dominieren versuchten. Vor 1918 war die Polizei für die Sicherheit auf den Straßen verantwortlich. Nach dem StGB wurden Delikte wie Widerstand gegen die Staatsgewalt, Aufruhr, Auflauf, Gefangenenbefreiung, Landfriedensbruch, Trunkenheit, Ruhestörung, Bettelei, Obdachlosigkeit, Unsittlichkeit, grober Unfug oder Beamtenbeleidigung, strafrechtlich geahndet. Sowohl die in der Strafgesetzgebung verankerten Maßnahmen, als auch das Vorgehen der Polizei als Exekutive standen in einem engen Wechselverhältnis zum öffentlichen Straßenraum und seiner materiellen Ausgestaltung. Um die These der Wirkmächtigkeit von Räumen zu erhärten, folgt das vorliegende Kapitel einer Argumentationskette, die aufzeigen soll, dass die Straße als Bühne der politischen Massen und deren Willensbildung und Protestverhalten zunächst einmal Wirkung auf die bisherigen Ordnungshüter ausüben konnte. Ohne von einer gesetzmäßigen Ursache-Wirkungskette ausgehen zu wollen, soll anhand der empirischen Befunde verdeutlicht werden, dass vom Räumlichen ausgehend der Anstoß zu historischer Veränderung stattgefunden haben konnte. Welche Wirkung von Menschenansammlungen in der Öffentlichkeit ausgehen konnte, wird in der Reaktion des Militärs und dessen zunehmender Präsenz im öffentlichen Raum erkennbar. Besonders die Regelungen bezüglich des Versammlungsrechtes während des Krieges verdeutlichten dieses. Im allgemein herrschenden Interesse an einer überall herrschenden öffentlichen Sicherheit sollte hierbei verhindert werden, so im Schreiben des VII. Armeekorps, dass „bei der Versammlungstätigkeit aller Art durch Verhetzung die zuversichtliche, siegesfrohe Stimmung beeinträchtigt oder der Burgfriede gestört wird. Auch darf nicht geduldet werden, daß Versammlungen den Anlaß zu Ausschreitungen und Unruhen geben. Alle über dieses Maß hinausgehenden Beschränkungen sind schädlich. Sie beeinträchtigen die Stimmung und das Vertrauen, geben Anlaß zu unerwünschter Wühlerei und ziehen an Stelle der öffentlichen, überwachbaren Versammlungstätigkeit eine gefährliche Wühlarbeit in geheimen Zusammenkünften groß, die sowohl der polizeilichen als auch der Überwachung der öffentlichen Meinung entzogen ist. […] Es bedürfen also alle Versammlungen – öffentliche und nichtöffentliche –, die nicht lediglich kultus-künstlerischen-, wissenschaftlichen- oder geselligen Zwecken dienen, der Genehmigung durch die Landräte, Oberbürgermeister, Ersten Bürgermeister bezw. PolizeiPräsidenten unter eigener Verantwortung. Künftig ist jedoch, ehe die Genehmigung zu einer
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Versammlung versagt wird, stets das Einverständnis des stellvertr. Generalkommandos vorher einzuholen.“2
Als nach dem revolutionären Umbruch die Funktionen und Kompetenzen der Polizei kurzzeitig wegfielen, spiegelte sich jenes Bedürfnis nach der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung des öffentlichen Raumes in ähnlicher Weise bei den neuen Machthabern wider. Der Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenrat hatte noch am selben Tag der Abdankung des Kaisers dazu aufgerufen, dass Straßenaufläufe zu vermeiden seien und für Ruhe und Ordnung gesorgt werden müsse, während man nach Eintritt der Dunkelheit die Straßen vermeiden solle.3 Die Lebensmittelvorräte in den Lebensmittelverteilungsstellen sollten genauso dem Schutze des Volkes unterstehen, wie gemeinnützige Einrichtungen der Gas-, Wasser-, Elektrizitätswerke, Sparkassen, öffentliche Kassen oder Verkehrsmittel. Dafür sollten „geschützte“ Einrichtungen mit Plakaten kenntlich gemacht werden. Die Einteilung der Revolution in unterschiedliche Phasen hängt somit immer mit den jeweiligen Gruppen zusammen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt die Herrschaft über den Straßenraum ausüben konnten. Welche Wirkung vom öffentlichen Raum ausgehen konnte, soll deshalb anhand des Schießbefehls Gustav Noskes exemplifiziert werden, während es hierbei weniger um die vermeintlich falsche Informationslage geht, der Noske ausgesetzt und deshalb zunehmend zu einem Spielball des militärischen Apparats zu werden schien.4 Der Schießbefehl des Reichswehrministers Gustav Noske vom 9. März 1919 brachte weitreichende Konsequenzen für den Alltag der Menschen mit sich und schränkte deren Möglichkeiten sich in der Öffentlichkeit frei zu bewegen stark ein, indem zugleich Einfluss auf die Privaträume der Menschen ausgeübt wurde. Die
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StAB, LA, Nr. 1623, fol. 46f., Schreiben des VII. Armeekorps stellvertr. Generalkommando, Abt. Ib Nr. 29, an Landrat Bochum, 3. Februar 1917. Bei der Anmeldung der Versammlung waren Ort und Zeit, sowie der Verhandlungsgegenstand und die Redner anzugeben. Zu empfehlen war außerdem, die Versammlung nicht durch einen uniformierten Beamten beobachten zu lassen, sondern durch einen Vertrauensmann über den Verlauf berichten zu lassen. Vgl. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5435, fol. 1, Schreiben Generalkommando VII A.K. Abt. Ic No. 187 an Oberpräsidium Münster, Münster 27. Juli 1919. Dieser Einfluss sollte sich während der in den Belagerungszustand versetzten Gebiete nochmals steigern. Umzüge jeder Art waren anmeldungs- und genehmigungspflichtig, während politische oder parteipolitische Versammlungen gänzlich verboten waren. Vgl. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 5435, fol. 420, Schreiben Wehrkreiskommando VI Abt. Ic No. 1456, an Oberpräsidium Münster, betr. Richtlinien für die Genehmigung von Versammlungen und Umzügen am 9. November in den unter Belagerungszustand stehenden Gebieten, Münster 29. Oktober 1919. Waren Versammlungen der Parteien gestattet worden, so wurden diese durch Beobachter in Zivil observiert, während man gleichzeitig darauf achtete, anschließende Züge nur in bestimmte Straßen zu lenken. Zu vermeiden waren bauliche Engpunkte, an denen es zu einer Verdichtung von Menschenansammlungen kommen konnte. Vgl. Die Deutsche Revolution, Deutscher Geschichtskalender, S. 39. Wette, Gustav Noske, S. 419. Wette bezieht sich auf mehrere Quellen, in denen der erste Generalstabsoffizier Hauptmann Pabst Noske aufgefordert habe, den Schießbefehl zu unterzeichnen. Für diese Belege vgl. Wette, Gustav Noske, S. 421, Anm. 128.
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7. „Von anderen Räumen“ – Raumqualitäten und Wirkmächtigkeiten
Berliner Tageszeitung „B.Z. am Mittag“ hatte die Nachricht verbreitet, dass „Spartakisten“ im Bezirk Lichtenberg und im Omnibusdepot, 60 Kriminalbeamte und einige „dutzend Regierungssoldaten kaltblütig“ erschossen hätten.5 Zusätzlich heizten weitere Zeitungen mit ihren Artikeln die Stimmung an, während sie sich meist auf militärische Quellen beriefen.6 In der unübersichtlichen Gemengelage schien der Schießbefehl dem Militär endlich ein geeignetes Mittel in die Hand zu geben, „in Berlin reinen Tisch zu machen“ und so die vollständige Kontrolle über den öffentlichen Raum, einschließlich Teilen des Privatraumes bei besonderen Umständen, zu erlangen.7 Der in einem Entwurf als Befehl herausgegebene Wortlaut postulierte dann: „Die zunehmende Grausamkeit und Bestialität der gegen uns kämpfenden Spartakisten [zwingt] mich zu befehlen: Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.“8 Der Befehl wurde durch einen Zusatz um den Passus erweitert, dass auch in den Wohnungen nach Waffen gesucht werden sollte. „Wer sich mit Waffen widersetzt oder plündert, gehört sofort an die Mauer. […] Ferner sind aus Häusern, aus welchen auf die Truppen geschossen wurde, sämtliche Bewohner, ganz
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B. Z. am Mittag Nr. 9 vom 9. März 1919; vgl. Vorwärts Nr. 126 vom 10. März 1919. Der Vorwärts sprach der Aktion, nachdem er vom preußischen Innenministerium die Vorfälle bestätigt bekommen hatte, das „politische Verbrechen“ ab, sondern charakterisierte dieses als „gemeinen Massen- und Menschenmord“. Recht polemisch klingt dann die Vermutung, dass die Nähe des Zentralschlachthofes wohl „auf die Phantasie der Mörder erregend eingewirkt“ habe. Die Vossische Zeitung berichtete von der „Säuberung Berlins“ und bereits erlittenen Verlusten der „Spartakisten“ in den letzten Tagen. Vossische Zeitung Nr. 113–123 vom 9. März 1919. Dass diese Gäuelmeldungen kurze Zeit später sowohl von Seiten des Oberbürgermeisters von Lichtenberg, als auch von einem an den Ort zur Aufklärung des Geschehens georderten Kommission der Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräte dementiert worden sind, war für die Einsetzung des Schießbefehls dann nur noch von untergeordneter Rolle. Siehe Vorwärts Nr. 129 vom 11. März 1919. Friedrich Stampfer, der Chefredakteur gab zudem einen Monat später zu, dass die Redaktion auf die Meldungen „hereingefallen“ seien. Vgl. Vorwärts Nr. 178 vom 7. April 1919. Auf die drastischen Wirkungen des Schießbefehls macht der Verfassungsrechtler Huber aufmerksam. Die Grundregel des verbotenen Tötens außerhalb von Kampfhandlungen wurde hier außer Kraft gesetzt. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 1104. So die Meldung der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, wonach während des Sturms auf das Polizeipräsidium sämtliche Einwohner mit Ausnahme des Sohnes des Polizeipräsidenten „auf viehische Weise niedergemacht“ worden seien. Zit. nach Müller, Bürgerkrieg, S. 176. Pabst, Spartakus, S. 762. Zit. nach Müller, Bürgerkrieg, S. 177; vgl. Deutscher Reichsanzeiger Nr. 56 vom 10. März 1919; vgl. dazu Lüttwitz, Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 55. „Wer mit der Waffe in der Hand getroffen werde, solle sofort standrechtlich abgeurteilt und notfalls erschossen werden.“ Lüttwitz Erinnerungen an den Wortlaut des Befehls verdeutlichen, wie schwierig die Auslegung des Befehls wirklich gewesen sein musste und welche Praktiken eigentlich als Kampfhandlungen definiert werden konnten. Noske selbst äußerte sich nur sehr vage über die Auseinandersetzungen Anfang März. Er habe, „um eine rasche Beendigung der Berliner Straßenkämpfe zu erreichen [befohlen], daß zu erschießen sei, wer mit der Waffe in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen werde.“ Noske, Erlebtes aus Aufstieg und Niedergang, S. 94; vgl. ebd., Von Kiel bis Kapp, S. 101–112.
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gleich, ob sie ihre Schuldlosigkeit beteuern oder nicht, auf die Straße zu stellen, in ihrer Abwesenheit die Häuser nach Waffen zu durchsuchen; verdächtige Persönlichkeiten, bei denen tatsächlich Waffen gefunden werden, zu erschießen. Jeder Hausbewohner oder Passant, der in unrechtmäßigem Besitz gefunden wird, ist festzunehmen und mit kurzem Bericht in dem nächsten Gefängnis abzuliefern. Wer sich mit der Waffe in der Hand zur Wehr setzt, ist sofort niederzuschießen.“9
Wie drastisch sich diese Maßnahmen offenbar auf die Wohnsituation der Bevölkerung auswirkten, geht aus den folgenden Fällen hervor, in denen die Willkür des Militärs die potentielle Ausführung des Schießbefehls zu einer gefährlichen Mischung werden ließ. Bei Personen, die sich gerade in einem Gebäude befanden, in dem sich bewusst oder unbewusst gleichzeitig Waffen befanden, ließ den eigenen Raum nach oben geschilderten Bestimmungen im Schießbefehl zu einem unmittelbaren Gefahrenraum werden. Derartige Fälle häuften sich. Dem Bericht eines Augenzeugen der Volksmarinedivision über die Ereignisse des 11. März 1919 zufolge, trat genau solch ein Fall ein, als dieser um seinen Lohn abzuholen das Gebäude in der Französischen Straße 32 betrat, in dem offenbar Waffen gelagert waren. Hierfür ist es von untergeordnetem Interesse, ob die Person davon wusste oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass die im Gebäude untergebrachten Waffen Konsequenzen für den Akteur nach sich zogen. Von 300 Männern, die ihre rückständigen Löhnungen verlangten, wurden 24 in den Hof geführt und in einer Ecke erschossen. Bei ihnen hatte man vorher Waffen gefunden.10 In einem anderen Bericht über die Ereignisse in der Französischen Straße 32 wurde wiederum behauptet, dass es im Hof keine standrechtlichen Erschießungen gegeben habe. Die Angehörigen der Volksmarinedivision hätten als diejenige Abteilung, „die bislang öffentliche Gebäude bewacht hatten und denen nach der Ablösung durch die Reinhardtruppen freier Abzug gewährt worden war, weil man sie für durchaus zuverlässig hielt“, damit nichts zu tun.11 Die zufällige Begegnung von Matrosen und Regierungstruppen führte demnach erst zur Eskalation der Situation im Gebäude. Vor dem Eingang zu den Büroräumen war ein Maschinengewehr aufgestellt worden, während der Offizier, der die Befehlsgewalt besaß, den Truppen vorgab, sie sollten jeden, der sich widersetzen würde, ohne Gnade niederschießen. Es käme gar nicht so genau darauf an, wer dabei getroffen würde. In der Interpretation der „Freiheit“ wurde zudem behauptet, den Matrosen sei eine Falle gestellt worden, da sie erst nach Betreten des Gebäudes nach dem Noskebefehl verurteilt werden konnten. Die verschiedenen Sichtweisen sind daher weniger nach ihrem Wahrheitsgehalt zu befragen. Vielmehr verdeutli-
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Erlass der Garde-Kav.-Division, Abt. Ia, Nr. 20950, 19. März 1920, zit. nach: Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 16; vgl. Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 1. Band, Sp. 53, 196, 196, 209. 10 Augenzeugenbericht in der Freiheit ohne Datum, zit. nach: Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 17. 11 Hier und im Folgenden ebd., S. 18.
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chen die Fälle, dass letztlich das Betreten des Raumes in Verbindung mit dort gelagerten Waffen Konsequenzen nach sich zog.12 Wie im Falle des Arbeiters Andreas Hoffmann, dessen Wohnung in der Rüdersdorfer Straße 52 am 12. März mehrere Soldaten durchsuchten. Da lediglich der Sohn und die Ehefrau anwesend waren, wies Frau Hoffmann die Soldaten unaufgefordert auf den Karabiner im Schrank hin, den ihr Mann aufgrund der verhängten Straßensperren offenbar hatte noch nicht abliefern können. Deshalb sei auch der Sohn zuhause und nicht auf seiner Arbeitsstelle in der Körnerstraße gewesen. Allein die Lagerung des Gewehrs in der Wohnung führte dazu, dass die Soldaten den Sohn in einen Nebenraum führten, wo er misshandelt und schließlich erschossen wurde. Nicht mehr der Gebrauch von Waffen war somit bei einer Verurteilung von Bedeutung, sondern allein die Tatsache, dass diese in den Privaträumen gefunden wurden. Im Falle des Tischlers Richard Borchardt, dessen Wohnung in der Watzmannstraße 34 von zwei Soldaten betreten wurde, behaupteten diese, dass Borchardt einen Schuss abgegeben habe. Sie fanden schließlich in einer Schublade einen Patronenrahmen ohne Munition, sodass der Tatverdacht bestätigt werden konnte. Das Argument, dass Borchardt sich nachweislich nie politisch betätigt habe, „Gegner des Aufstandes“ gewesen sei und sogar auf Seiten der Regierungstruppen stand, wurde allein durch die Vermutung des Waffenbesitzes in begangenen Kampfhandlungen in Verbindung mit dem in seinen Privaträumen gefundenen Patronenrahmen seitens des Militärs zu entkräften versucht.13 Über ähnliche Vorfälle berichtet auch der politische Publizist und USPD Mann Emil Julius Gumbel in seiner Denkschrift.14 Im Falle des Etuiarbeiters Paul Dänschel reichte das Auffinden eines Rings von einer Handgranate in seiner Wohnung, um den Beschuldigten zu erschießen.15 Ein ähnliches Schicksal erlitten der in der Holzmarktstraße 5 wohnende Klempner Wallmann, sowie der Rentner Abrahamson einige Häuser weiter in Nummer 61 derselben Straße. In verschiedenen Anzeigen wurde darauf hingewiesen, dass aus diesen Häusern Gewehrfeuer beobachtet worden sei, jedoch keine Angaben darüber gemacht hätten werden können, von welcher Person diese ausgingen. Durchsuchungen der Häuser hatten dann offenbar tatsächlich Waffen und Munition zutage treten lassen. Obwohl beide Personen leugneten, davon gewusst zu haben, wurden sie standrechtlich erschossen. Der die Erschießung ausführende Czekalla habe auf Befehl des Rittmeisters von Oertzen gehandelt, der dieses wiederum verneint habe. Da die Befehle nicht schriftlich festgehalten werden mussten, variierte die Auslegung des Noskebefehls deshalb stark von Befehlshaber zu Befehlshaber, weshalb hier
12 Hier und im Folgenden Freiheit vom 13. März 1919, zit. nach: Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 24f.; vgl. Vossische Zeitung Nr. 132 vom 13. März 1919; Berliner Tageblatt Nr. 102 vom 13. März 1919. 13 Freiheit vom 13. März 1919, zit. nach: Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 25. 14 Vgl. Gumbel, Vier Jahre politischer Mord. 15 Gumbel, Denkschrift, S. 17–26, hier S. 19f. Von Oertzen wies darauf hin, dass es noch einen Geheimbefehl gegeben habe, der jeden Soldaten davor geschützt habe, wenn „er in der Aufregung etwas zu scharf vorginge“.
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eine Schuldfrage kaum zu klären war.16 Ein Anwohner beschrieb diese Situation auf den Straßen nach der Verkündung des Schießbefehls in bedrückender Weise. Im Kontext der Besetzung des Görlitzer Bahnhofs schien der sonst von ihm als sicher empfundene Raum nach einem Feuergefecht schlagartig seinen Charakter zu ändern: „Im Südosten war bis Sonnabend alles ruhig. Am Wendenplatz vergnügten sich die Kinder in Scharen. Plötzlich ändert sich das Bild. Ein Trupp Noskegarden kommt an: Sturmhelmbedeckt, mit Maschinengewehren und sonstigen Kulturkampfmitteln. Vornweg 5 bis 6 Mann mit schußbereiten Parabellumpistolen in der Hand, fortwährend Schreckschüsse abfeuernd und ‚Straße frei!‘ brüllend. In wildem Entsetzen flüchtet alles in die Häuser. Resultat: die Frau eines Destillateurs am Wendenplatz und ein Kind tot. Darauf rissen die Truppen die Bänke am Wendenplatz und den Sandlasten heraus und bauten eine Barrikade. Da sich Spartakisten durchaus nicht sehen lassen wollten, rückten, die Herrschaften wieder ab.“17
Fortan wirkten fast alle Straßen in Lichtenberg „leer“ und „öde“. „Niemand wagt sich aus den Häusern heraus. Man sieht lediglich bewaffnete Banden, die Plätze und Straßen beherrschen und ohne Losungswort keinen passieren lassen“, so das Berliner Tageblatt einen Tag nach den Ereignissen.18 Die Verhängung des Schießbefehls veränderte zudem die materielle Gestalt der Stadt. Die architektonische Beschaffenheit Berlins mit seinen Mietshäusern, Plätzen und Bahnhöfen ging mit improvisierten militärischen Stellungen eine Symbiose ein. Hierbei wurde die militärische Präsenz zunehmend in den Alltag der Menschen implementiert. In Lichtenberg sei die Überführung der Stadtbahn im Mittelbogen von zwei bis drei umgestürzten Lastwagen verbarrikadiert gewesen, so ein Augenzeuge über die Vorgänge.19 Auch die Wirkung von an der Möllendorfstraße positionierten vier Maschinengewehren samt Soldaten habe dazu geführt, dass Zivilisten zunehmend den Straßenraum gemieden hätten.20 Der Einsatz von größeren Geschützen und Artillerie gegen die „Hauptfestung“ der „Spartakisten“ habe allein aufgrund der dichten Bebauung dramatische Konsequenzen für die Bevölkerung
16 17 18 19 20
Vgl. Gumbel, Denkschrift, S. 20. Berliner Tageblatt Nr. 55 vom 9. März 1919; vgl. Vorwärts Nr. 126 vom 10. März 1919. Berliner Tageblatt Nr. 56 vom 10. März 1919; vgl. Wette, Gustav Noske, S. 419–428. Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 10. Zieht man die häufig inszenierten Fotos der Revolutionsfotographen mit kritischer Betrachtung für diese Ereignisse heran, so bilden diese einen guten Quellenkorpus, auf die einschränkenden Umstände der teils menschenleeren Straßen im März 1919 hinzuweisen. Vgl. hierfür Hallen/Kerbs, Revolution und Fotografie. Berlin 1918/19; Herz/Halfbrodt, Revolution und Fotografie. München 1918/19. Eine Pionierleistung auf diesem Gebiet ist Diethart Kerbs gelungen, der wesentliche Aspekte des Revolutionsfotographen Willy Römers aufgearbeitet hat und zudem den Zugang zu zahlreichen Fotographien aus der Zeit ermöglichte. Siehe Kerbs, Revolution und Fotographie, S. 15–25; ders., Fotografen der Revolution, S. 135–154; ders., Alltagsleben auf Fotografien, S. 169–173, ders., Methoden und Probleme der Bildquellenforschung, S. 241–263.
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nach sich ziehen können.21 Die Vermutungen über das harte Vorgehen des Militärs reichten soweit, dass man demnach den Eindruck hatte gewinnen können, „daß die leitenden Stellen der Regierungstruppen zum Teil ohne Not verheerendes Artillerieund Minenfeuer auf schwach oder gar nicht besetzte Häuserblocks und Stadtviertel richten ließen, vielleicht, weil man zu feige war, um ohne eine derartig ‚gründliche‘ Vorbereitung mit der Truppe vorzugehen, vielleicht aber auch, weil man durch den Umfang der Zerstörungen und Verwüstungen den Eindruck besonders schwieriger Operationen erwecken und dadurch den Nachweis erbringen wollte, welch großes Werk die Truppen verrichtet hätten und wie unentbehrlich ihre großen Rüstungen wären.“22
Dieser Einfluss der Machtausübung auf den öffentlichen Raum erreichte mit der Verhängung des Standrechts dann seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Frage in einer Sitzung der Preußischen Landesversammlung schien daher angebracht, [warum wird es] „nicht in das eigene Ermessen des militärischen Befehlshabers gestellt, welchen Gebrauch er [vor Ort] von diesem Befehl machen will? Weshalb gibt man diesem Befehl die grausame Härte, daß der militärische Befehlshaber zur Erschießung schreiten muß?“23
Einen Höhepunkt erreichte die Kontrolle des Straßenraums durch das Militär während des Kapp-Putsches. Dort hatten sich die Regierungen des Reiches und der Länder bei der Bekämpfung innerer Unruhen häufig des alten Rechtsmittels in Form des Belagerungszustandes bedient, durch das der Militärbefehlshaber zum Inhaber der exekutiven Gewalt wurde und somit zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung verantwortlich war. Die alte Praxis des Belagerungszustandes trug deshalb dazu bei, daß für die Rolle des Militärs im innenpolitischen Krisenmanagement kaum eine Veränderung von Bedeutung eintrat.24 Die Einsetzung der Reichswehr zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung hatte bereits im Januar 1920 ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreicht.25 Noske hatte hierfür den Zustand präzisiert, dass nicht nur der allgemeine Zustand von Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten gewesen sei, sondern auch alle „lebenswichtigen“ Betriebe, also ein Zusammenbruch des Wirtschaftslebens zu verhindern gewesen sei. Hieraus resultierte das harsche Vorgehen gegen „Streikhetzer“, sowie die „Terrorisierung“ der Arbeiterschaft.26 Die Revolution ermöglichte vielen sozialen Formationen die Schaffung neuer Räume, um sich öffentlich zu artikulieren und gleichzeitig körperlich Präsenz zu 21 Freiheit vom 12. März 1919. Hier findet man anschauliche Schilderungen über den fast vollständig zerstörten Straßenraum vor. „Die Alte Schützenstraße versetzt einen in die verwüsteten Städte Frankreichs.“ 22 Die Wahrheit über die Berliner Straßenkämpfe, S. 11. 23 Sitzungsberichte der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, Tagung 1919/21, 1. Band, 4. Sitzung vom 17. März 1919, Sp. 202. Beitrag des USPD Abgeordneten Gerhard Obuch, Sp. 259. 24 Hürten, Der Kapp-Putsch als Wende, S. 14; siehe auch Hürten, Reichswehr und Ausnahmezustand; vgl. Kimmel, Der Belagerungs- bzw. Ausnahmezustand, S. 15–20, bes. S. 122–126. 25 Am 19. März wurden schließlich die verschärften Ausnahmebestimmungen der Verordnung vom 13. Januar 1920 für das Ruhrgebiet nun auf das gesamte Gebiet des Reichswehrgruppenkommandos 1 ausgeweitet. Vgl. RGBl. 1920, S. 467. Vgl. BA B, R 43 I, Nr. 2699, fol. 127, Verfügung des Reichswehrministers vom 19. März 1920. 26 Vgl. Hürten, Zwischen Revolution und Kapp-Putsch, S. 165.
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zeigen. Als die Mittel des Protestierens und Demonstrierens nach Ausbruch der Revolution neu- oder wiederentdeckt wurden, wurden die Aufführungen dieser Handlungen durch die sozialen Akteure im öffentlichen Raum zunehmend zu einer Gefahr zunächst jedoch nur für die Revolutionsgegner und die gemäßigtere Revolutionsregierung. Das Zusammengehen der Regierung mit dem Militär und der steigende Einfluss des Militärs zur Sicherung des öffentlichen Raumes im innenpolitischen Rahmen, kulminierte schließlich in solch drastischen Maßnahmen wie dem Schießbefehl Noskes, welcher vermutlich in einer unglücklichen Gemengelage aus falscher Informationslage, dem Einfluss konservativer Eliten und dem eigenen Verschulden durch fehlende Kompetenz zu interpretieren ist. Entscheidend war jedoch, dass sich neu eröffnende Räume zunehmend gefährlich für den Staat gestalteten. Die sich rasch und zunehmend besser institutionalisierte Spartakusbewegung, gerade die des Ruhrgebiets, konnte mit gut ausgerüsteten Arbeitertruppen eine ernste Gefahr für die junge Republik darstellen. Sowohl der Schießbefehl, als auch das immer häufiger benutzte Mittel des Belagerungs- und Ausnahmezustandes können daher als Reaktion auf die vom Straßenraum ausgehende Gefahr angesehen werden. Mit den immer häufiger stattfindenden Hausdurchsuchungen hatte sich in Verbindung mit dem Schießbefehl vom 16. März ein probates Mittel entwickeln können, durch welches man nun auch Zugriff auf die privaten Räume haben konnte. Diese Verschmelzungen von öffentlichen und privaten Räumen stammen somit aus einem zunehmend umfangreicher werdenden Repertoire der Konterrevolutionäre, sich aktiv und mit neuen Regeln gegen die Revolution zu stellen.27 Die angedeuteten Fälle wiederum zeigten, dass dieses unter widrigen Umständen oftmals gelingen konnte und die Straße tatsächlich wieder „frei“ wurde, weil die Akteure und unbeteiligte Zivilisten sie zunehmend mieden. 7.2 RAUMZONEN, STIMMUNGSRÄUME UND ATMOSPHÄREN Die Einteilung des Stadtgebiets in geographisch eindeutig zuordenbare Stadtteile, Verwaltungseinheiten, Viertel, Quartiere oder Milieus bis hin zu einzelnen Straßenzügen bildet einen Teil der Wirklichkeitswahrnehmung der sozialen Akteure. Zur Wirklichkeit ihrer Lebenswelt gehört jedoch genauso die Wahrnehmung ihrer Umwelt entlang weiterer räumlicher Einteilungskategorien. Diese Räume lassen sich weniger innerhalb obiger Grenzen beschreiben, obwohl sie dennoch auf das Handeln der Akteure wirken können. Die folgenden Überlegungen beschäftigen sich daher mit diesen Räumen, welche sich einer koordinatorischen Verortung entziehen, wenngleich diese trotzdem als räumliche Einheiten von den Akteuren wahrgenommen wurden. Sogenannte mit Stimmungen aufgeladene Räume können einerseits strukturgenerierend auf die sozialen Praktiken der Akteure einwirken, während sie zugleich den inneren Zusammenhalt einer sozialen Formation stärken und
27 Vgl. Müller, Bürgerkrieg, S. 187.
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so als Binnenkräfte beschrieben werden können.28 Anders der Begriff des sozialen Milieus als einer in einem bestimmten Raum lebenden sozialen Gruppe, lassen sich, durch die mit dem Modernisierungsprozess einhergehenden ambivalenten Begleiterscheinungen, zunehmend heterogenere Einheiten oder „milieuneutrale Zonen“ beobachten, die traditionelle Milieus im Kontext der Revolution zwar nicht gänzlich ablösten, sich jedoch als alternative Kartierungen der Selbstverortung über die oben genannten Formen legen konnten.29 Physisch wahrgenommene Territorien bekommen demnach eine nicht materielle Konnotation, welche sich trotzdem in einer räumlichen Wahrnehmung äußert. Dass dieser Umgebungsraum nicht von allen Menschen gleich wahrgenommen werden musste, macht deutlich, dass sich die Handlungen der Menschen nicht mehr an einem gemeinsamen Raum orientieren mussten und so ihre Wirklichkeit nicht in einem homogenen Raum gespiegelt wurde. Milieutheorien mit fester Bindung an einen Raum können diesen Prozess nicht hinreichend erklären.30 Die Januarunruhen hatten erstmals in den großen Städten die Ausmaße des bevorstehenden Bürgerkrieges zwischen militärischen Einheiten und revoltierenden Gruppierungen auf den Straßen erahnen lassen. Das Besetzen von für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung wichtigen Gebäuden, sowie infrastruktureller und das Kommunikationsnetz steuernder Betriebe, hatte seit Beginn der Revolution in nun noch radikalisierender Art und Weise gezeigt, wie wichtig bestimmte Stadträume mit ihrer architektonischen und repräsentativen Ausgestaltung für die an der Revolution beteiligten, unterschiedlichen sozialen Formationen geworden waren. Diese für die Akteure konkrete Sichtbarkeit des Raums enthielt darüber hinaus jene Form des Räumlichen, welche sich für die Akteure als nicht sichtbar erwies.31 Als es im Kontext der Besetzung verschiedener Redaktionen des Zeitungsviertels in Berlin zu massiven Schießereien mit den Regierungstruppen gekommen war und die Gefechte durch „organisiertes Kesselfeuer“ nun den Charakter einer kriegsartigen Auseinandersetzung annahmen, war dieser für gewöhnlich umtriebige Geschäftsraum der Redakteure und Angestellten für die Zivilbevölkerung zu einem nahezu unpassierbaren Areal geworden, wenn man sein Leben nicht aufs Spiel setzen wollte.32 Auch die umliegenden Straßen Unter den Linden samt Wilhelm- bis zur Neustädtischen Kirchstraße mussten von den Passanten „geräumt“ werden, weil „Spartakisten“ sich auf den Häusern neben der russischen Botschaft „eingenistet“ 28 Vgl. Griffero, Atmospheres. Aesthetics of Emotional Spaces, bes. S. 108ff.; vgl. etwa auch Goetz/Graupner (Hrsg.), Atmosphäre(n). Vgl. für interessante methodisch Überlegungen Becker, Fotografische Atmosphären, S. 190. Becker bezeichnet Atmosphäre als ein „mehrdimensionales Gebäude“ und fruchtbare analytische Kategorie für weitere Forschungen. 29 Schulze, Milieu und Raum, S. 41 u. S. 46; vgl. Pott, Identität und Raum, S. 31. Pott beschreibt diese als „Deterritorialisierte Identitäten“. Vgl. Jackson/Penrose (Hrsg.), Constructions of Race, Place and Nation. 30 Löw, Raumsoziologie, S. 255; vgl. Bondi, Locating Identity Politics, S. 84–101; Keith, Shouts of the Street, S. 297–315; Keith/Pile (Hrsg.), Place and the Politics of Identity; Rose, Place and Identity, S. 87–132. 31 Vgl. Löw, Raumsoziologie, S. 204. 32 Hier und im Folgenden Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919.
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hatten, um von dort aus auf die Menschen schießen zu können. Diese sich rasch dynamisierende Situation führte zur Verunsicherung der Regierung, die Sicherheit der die Straßen passierenden Personen noch gewährleisten zu können. Deshalb waren Regierungstruppen vom Reichstag und Brandenburger Tor aus „an die bedrohten Stellen“ entsendet worden. Deren militärische Präsenz führte offenbar dazu, dass sich dieser Vorgang mehrmals in kurzer Zeit zu einem Katz- und Mausspiel zwischen dem Militär und den Spartakusleuten entwickelt hatte und sich an mehreren Orten wiederholte. Auf der anderen Seite konnten sich einzelne Soldaten und Ordnungstruppen gerade nach der Ermordung Liebknechts und Luxemburgs „in diesen Tagen […] in gewissen Berliner Stadtteilen nicht zeigen, ohne befürchten zu müssen, von rotem Mob [sic] angegriffen und massakriert zu werden. Da aber die Besetzung Berlins auch in den bislang noch freien Bezirken ungehemmt ihren Fortgang nahm, enthielt sich der zudem führerlos gewordene Spartakismus vorläufig weiterer, größerer Gegenaktionen.“33
Diese Gemengelage führte dazu, dass sich beispielsweise die Truppen am Schlesischen Bahnhof in einem „dauernden Alarmzustand“ befanden und die „normalen“ Straßenpassanten fürchteten, dass die Truppen „freies Schußfeld“ verlangten und „die wenigen Straßenbahnwagen, die sich in der Gefahrenzone“ befanden nur noch verdunkelt über die Straßen „huschen“ würden.34 Jene sich kurzfristig bildenden Gefahrenzonen führten außerdem dazu, dass „seit Beginn der Gegenrevolution“ an diesen Orten Sanitätsdienste eingerichtet wurden, bei denen achtzig Sanitätsmannschaften „in aufopferungsvoller Weise Tag und Nacht“ arbeiteten, „um ihrer Aufgabe gerecht zu werden.“ Um dieser Gefahrenzone zumindest den Anschein von Sicherheit zu verleihen, wurden weitere Sanitätsdepots und Rettungsstellen in der Reichskanzlei, im Hofbräuhaus in der Leipziger Straße, im Prinz-Friedrich-Leopold-Palais in der Zimmerstraße, am Halleschen Tor, im Palasthotel, sowie in der alten und neuen Wache eingerichtet. Die vom Berliner Tageblatt geschätzten 100 Toten der Straßenschlachten seien hauptsächlich als Straßenpassanten auszumachen, die sich aus „Neugierde in die gefährdeten Straßen begeben hatten“ und von auf den Dächern befindlichen „Spartakisten“ erschossen worden seien.35 Selbst einige der sich nicht direkt an den Aktionen beteiligten und in ihren Privatwohnungen aufhaltenden Personen wurden von „abgeirrten“ Kugeln getroffen und verloren ihr Leben. Welche Wirkungen von diesen komplexen Gefahrenräumen ausgehen konnten, verdeutlichen die im Schöneberger Volksausschuss gemachten Beschlüsse einige Tage nach den ersten Auseinandersetzungen im Januar. Eine hier gegründete Bürgerwehr sollte „ohne politische Bedeutung“ für den Schutz der Bevölkerung zuständig sein und somit die „Unsicherheit“ beseitigen, welche ohnehin nur die Arbeitslosigkeit gefördert habe.
33 Lüttwitz, Im Kampf gegen die Novemberrevolution, S. 34. 34 Hier und im Folgenden Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919; vgl. Bericht des Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Verfassunggebende Preußische Landesversammlung, Drucksachen Bd. 15, Drucksache 4121 A, S. 7669–7694, bes. die Schlussfolgerungen S. 7693f. 35 Hier und im Folgenden Berliner Tageblatt Nr. 11 vom 14. Januar 1919.
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Zuschreibungen und Konnotationen mit bestimmten Orten konnten jedoch auch mit der materiellen Beschaffenheit dieser Orte zusammenhängen. Bestimmte Straßen wurden nicht allein aufgrund der Präsenz sozialer Akteure wie den „Spartakisten“ oder den Regierungstruppen gemieden, sondern auch aufgrund ihrer materiellen Ausgestaltung. Dunkle Ecken oder schwierig einsehbare Hinterhöfe übten nicht allein aufgrund kultureller Zuschreibungsprozesse eine gewisse Wirkung wie beispielsweise Angst auf die Menschen aus. Visuelle Quellen wie die Zeichnungen der deutschen Grafiker Fritz Koch-Gotha, welcher seit dem Jahr 1902 in Berlin als Pressezeichner arbeitete und als dauerhafter Mitarbeiter bei der am Ullsteinverlag angesiedelten Berliner Illustrirten beschäftigt war, oder Edmund Fürst, ebenfalls bei Ullstein, vermitteln einen Eindruck, wie die materielle Beschaffenheit des Straßenraumes Einfluss auf die Handlungsroutinen ausgeübt haben müssen.36 Die Zeichnungen oder auch Fotografien der Straßenszenen während der Auseinandersetzungen im Zeitungsviertel, weisen explizit auf die bestimmten Orten anhaftenden negativen Attribute hin.37 Die in einer Zeichnung des politische Szenarien festhaltenden Illustrators Edmund Fürst dargestellte Szene zeigt einen vorsichtig um die Ecke spähenden Mann in defensiver und schützender Haltung, während sich hinter einem Wandvorsprung einer Bierwirtschaft vermutlich drei Frauen verbergen. Wenngleich der Zeichnung nicht zu entnehmen ist, ob es sich um einen real existierenden Ort Berlins gehandelt hat, so zählt die Tatsache, dass der Zeichner als historischer Zeitgenosse es für wichtig hielt, diese Szene in genau dieser Art einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Andere Quellen bestätigen dieses Szenario von gefährlichen Straßenzügen und der Wichtigkeit der Hauseingänge, in die man sich bei Beginn einer Schießerei schnell zurückziehen konnte.38 Auch aus einer anderen Zeichnung, diesmal aus der Feder Fritz Koch-Gothas wird die normative Zonierung bestimmter Raumeinheiten verdeutlicht. Die Straßenszene zeigt flüchtende Passanten in gebückter und schützender Haltung in der Nähe des Ullsteinhauses vor einem Obst- und Gemüsegeschäft. Der Zeichner 36 Zu Fritz Koch-Gothas vgl. Nowak, Fritz Koch-Gotha - Gezeichnetes Leben. 37 Auf den Abdruck dieser Zeichnungen muss an dieser Stelle leider aufgrund der Beachtung der Urheberrechte verzichtet werden. Sie befinden sich in den Beständen des Landesarchivs NRW Abteilung Westfalen; LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79, Berliner Illustrirte Zeitung, Sonder-Nummer, Aufruhr von Friedrich Krone, S. 7. 38 Erinnerungen des Walter Koch an den Kapp-Lüttwitz-Putsch, in: DHM; URL: . [14.07.2014] „Überhaupt knallte es Tag und Nacht um unser Haus, so daß wir die Möbel tunlichst aus der Schußlinie rückten. Es kam öfter am Tage vor, daß vom Potsdamer Platz der Ruf ‚Straße frei‘ ertönte. Es war amüsant, zu sehen, wie dann die zahlreichen Passanten wie die Mäuse in die Hauseingänge strömten. Die Kugeln der Maschinengewehre machten in der Budapester Straße üble Querschläger. Wenn das Rattern der Maschinengewehre verstummte, wagten sich die Leute allmählich wieder aus den Häusern, und 10 Minuten später flutete der Verkehr wiederum, als ob nichts vorgefallen wäre.“ Vgl. LAV NRW W, Traditionsverband der ehemaligen InfanterieRegimenter Nr. 13 und Nr. 79 in Münster Nr. 18, ohne fol., Berliner Illustrirte Zeitung, SonderNummer, Berliner Sturmtage, Artikel Aufruhr von Friedrich Kroner, S. 6.
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möchte offensichtlich diejenigen Umstände betonen, welche auf die eingeschränkte Nutzung der für Akteure wichtigen Alltagsräume während der Auseinandersetzungen hinweisen. Auch hier kauern sich zwei weitere Personen hinter einem Vorsprung eines Hauses, um Schutz zu finden. Wenngleich der faktische Informationsgehalt der Zeichnungen vermeintlich von geringerem Wert einzuschätzen ist, gegenüber der staatlichen archivalischen Überlieferung, bilden diese Quellen jedoch in Ergänzung zur besagten schriftlichen Überlieferung eine sinnvolle Quellenart, mit der auf jene codierten Gefahrenräume Bezug genommen werden kann. Diese dem Areal rund um das Zeitungsviertel zugeschriebene räumliche Qualität weist zudem auf die von den Akteuren konstruierten mental maps hin. Da sie als Zeitgenossen unmittelbar an den Ereignissen beteiligt waren, wird in dieser Form der historischen Überlieferung besonders auf das Verhältnis von Zuschreibungen und materieller Ausgestaltung durch bauliche Strukturen verwiesen. Sie geben daher Aufschluss darüber, wie die Zeitgenossen ihre Umwelt wahrgenommen haben könnten, während gleichzeitig auf die Wichtigkeit der sie umgebenden materiellen Umwelt gelegt wurde. Bereits in einer der früheren Ausgaben des Reiseführers Baedeker Berlin, wurde es offenbar für so wichtig erachtet daraufhin hinzuweisen, dass das „Äußere von Berlin […] fast durchweg freundlich“ sei, während „dunkle Gassen lediglich in der Altstadt zu den Ausnahmen“ gehören würden.39 Dass man diese Gefahrenzonen nicht ohne weiteres fortbestehen lassen konnte, zeigt, dass das Militär nach den Januarunruhen zur Sicherung Groß-Berlins durch die Einrichtung sogenannter Sicherheitszonen auf jene Gefahrenherde zu reagieren versuchte.40 Den Kommandierenden dieser Zonen unterstanden wiederum die Wehren und die Schutzmannschaften. Damit konnte man zwar die Gefahren in bestimmten Arealen der Stadt nicht vollends ausschalten, jedoch gegengelagerte Räume schaffen, in die sich gerade Zivilisten bei Gefahr zurückziehen konnten. Die Vossische Zeitung schrieb Mitte Januar: „Die Einteilung der Stadt in Sicherheitsbezirke hat leider die Unsicherheitsbezirke fortbestehen lassen. Und wie wenig Spartacus die Hauptquartiere der Regierungstruppen fürchtet, zeigt seine beharrliche Angriffslust am Anhalter Bahnhof, vor dem sich im Hotel Exzelsior der Stab des örtlichen Sicherheitsdienstes befindet.“41
Mit einem weiteren Beispiel soll gezeigt werden, wie sich der Prozess der Umkehrung von als sicher wahrgenommenen, hin zu Privaträumen zu gefährlichen Räumen ausgestalten konnte. Im Kontext des Kapp-Putsches berichtet der Amtmann Wulfens in der Nähe des westfälischen Dorsten über die dortigen Verhältnisse, welche ihm die Fortführung seiner Dienstgeschäfte vorläufig unmöglich machten.42 Unabhängig von den in der gemeinschaftlichen Sitzung der Gemeindevertretungen aus Holsterhausen und Hervest, unter Teilnahme des Aktionsausschusses, gemachten Beschlüsse stand die Bildung einer 60 Mann starken Arbeiterwehr im Zentrum 39 40 41 42
Baedekers Berlin, S. 52. Vossische Zeitung Nr. 28 vom 16. Januar 1919. Vossische Zeitung Nr. 37 vom 21. Januar 1919. LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 206–209 RS, Der Amtmann in Wulfen an den Regierungspräsidenten in Münster, Münster 24. März 1920.
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der Sitzung. In den kommenden Tagen wurde dem Amtmann dann Spionage zu Ungunsten des Aktionsausschusses vorgeworfen. Selbst der in der Nacht in der Privatwohnung des Amtmanns auftauchende Polizeikommissar Schulz, in Begleitung des Kaufmanns Paton, legten diesem nahe, sich in Sicherheit zu begeben und die Stadt zu verlassen. Hier „sei er seines Lebens nicht mehr sicher“. Die vor einigen Tagen aus dem Essener Gefängnis entlassenen „Mörder“ Arnold und Albrecht machten dieses Gebiet offenbar für den Amtmann höchst unsicher, weshalb die Familie noch in der Nacht über mehrere Stationen nach Münster floh, um sich dort in den Schutz des Abschnittskommandos zu begeben. Trotzdem kehrte der Amtmann am folgenden Tag nochmals nach Wulfen zurück, um sich über die dortigen Zustände zu informieren. Dort hatten „revolutionäre Truppen“ bereits sämtliche Häuser nach Waffen durchsucht, sodass auch der Gemeindevorsteher namens Rickert dem Amtmann versicherte, dass er hier seines Lebens nicht mehr sicher sei. Jene Gefahrenräume prägte ein ambivalenter Zustand. Während sie einerseits mit konkreten Straßenzügen oder dem eigenen privaten Raum assoziiert wurden und somit etwas konkret Materielles für die Akteure darstellten, wiesen sie darüber hinaus nicht-materielle Eigenschaften auf, die wiederum „nur“ als gestimmte Räume wahrnehmbar wurden.43 Für das Militär war es bereits während des Krieges von besonderer Wichtigkeit, einen Eindruck über die Stimmung im Land und von der Front zu erlangen. Beim stellvertretenden Generalstab der Armee war daher eine Abteilung eingerichtet, um diese Stimmungsberichte zu sammeln.44 Offenbar war diese Zonierung des Reichsgebietes als wichtig erachtet worden, um die nötigen Sicherheitstruppen in diejenigen Gebiete zu entsenden, in der man eine aufgeheizte Stimmung beispielsweise aufgrund der schlechten Lebensmittelversorgung und daraus resultierende Unruhen erwartete. Die Einteilung des Raumes entlang differenzierter Stimmungsräume konnte ein militärisch-strategisches Handeln erleichtern, um im Fall von Unruhen sofort reagieren zu können. Alternative Raumaufteilungen waren also schon vor Beginn der Revolution zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung von Bedeutung. Im Kontext der großen Streikbewegung des Frühjahrs 1918 waren beispielsweise von Seiten der Eisenbahner gezielt Stimmungsräume geschaffen und gezielt eingesetzt worden, indem versucht wurde, in den Zügen mit der Verteilung von Flugblättern zu Massenstreiks aufzurufen.45 Viel-
43 Bell, The Ghosts of Place, S. 816ff. 44 Siehe beispielsweise BA B, R 1501, Nr. 112476, fol. 106, Schreiben stellv. Generalstab der Armee, Abt. IIIb I.B. I Nr. 11330 A PO geh. V.13, an Kriegsministerium, Reichsamt des Innern, Ministerium des Innern, Berlin 24. Oktober 1917; vgl. BA B, R 1501, Nr. 112476, fol. 116, Bericht des stellv. Generalkommandos VII.A.K., betr. Allgemeine Stimmung vom 6. Oktober 1917. Trotz zahlreicher Klagen über die ungleiche Lebensmittelversorgung, der Transportschwierigkeiten, des Kohlemangels im Winter und weiterer Beschwerden, gelangte das Generalkommando zur Einsicht, dass „die Bevölkerung durchaus bereit“ sei, „die Lasten des Krieges weiter auf sich zu nehmen und auch einen vierten Kriegswinter zu ertragen.“ 45 BA B, R 1501, Nr. 112476, fol. 188, Schreiben Kriegsministerium Nr. 1809/1.18.A.1. an Oberkommando in den Marken, sämtliche preuss. Stellv. Generalkommandos etc., Berlin 6. Februar 1918.
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fach legten sich diese Stimmungen über sonst vertraute Raumaufteilungen, wie beispielsweise den Betrieben.46 Die in den Betrieben durch Reden angeheizte Stimmung wirkte vielfach „aufwühlerisch“ und führte zu Arbeitsniederlegungen.47 Diese Meldungen häuften sich beim Kriegsministerium, sodass man sich der gefährlichen Wirkung dieser Stimmungsräume durchaus bewusst gewesen war, weshalb „Wahrnehmungen in dieser Richtung“ sowohl dem Kriegsministerium, als auch dem stellvertretenden Generalkommando der Armee sofort mitzuteilen waren. Offenbar wurden einerseits Stimmungsräume gezielt geschaffen, um bestimmte Handlungen strukturgenerierend zu beeinflussen, während andererseits dem ursprünglichen Orientierungsraum etwas anhaftete, was als Gefühlsraum etwas immaterielles an sich hatte, wenngleich es eng an das Materielle gebunden war. Diese Attribute werden an den räumlichen Dynamiken „der leiblichen Regungen und an den raumatmosphärischen Affektmächten erworben und kulturell ausdifferenziert“.48 Diese Ebene des Räumlichen ist somit zwischen den symbolisch aufgeladenen Räumen, den sozialräumlichen Praktiken zur Schaffung von Räumen und der genuin eigenen Materialität von Räumen zu verorten. Das Atmosphärische eines Raumes bildet somit offenbar, ähnlich wie bereits andere Raumaufteilungen, einen Teil mehrerer Wirklichkeiten, die für die historischen Akteure relevant waren. Es sind Räume, die sowohl dinglich sind, aber gleichzeitig affektiv, die subjektiv spürbar sind, jedoch von vielen Akteuren einer sozialen Formation ähnlich wahrgenommen werden. Atmosphären „verklammern […] räumliche Vitalqualitäten, die über einem Ort liegen“ und diesen dadurch zu einem „besonderen Ort“ machen.49 Städte haben zweifelsohne einen „räumlichen Charakter“, so ungewöhnlich es zunächst scheint haben dieses Atmosphären auch.50 Da diese vermutlich nicht bezugslos existieren, sondern sozial und kulturell geformt sein können, sind sie wesentlicher Bestandteil der Wirklichkeit, während ihnen ein nicht aufschlüsselbarer wirkmächtiger Rest anhaftet. Die ohne intentionales Handeln von Akteuren entstehenden Atmosphären strahlen dann Umgebungsqualitäten aus, welche die Akteure und deren Handeln beeinflussen können, wenngleich nicht müssen. Die Atmosphäre beispielsweise eines Ortes beschreibt dann jenes Wechselverhältnis zwischen der Materialität des Raumes in der Umwelt für die sozialen Akteure und deren „subjektive[n] Befindlichkeit[en]“.51 Da terminologisch fixierte Signifikanten für Atmo-
46 LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 9, fol. 96, Erinnerungsbericht Jakob Weber. „Gerade in jenen Tagen war die Stimmung in den Betrieben gereizter denn je. Das Hoffnungslose der militärischen Situation war seit dem Zusammenbruch der Frühjahrsoffensive und dem Gegenstoss [sic] der Westmächte allgemein erkennbar, das ganze Leben nur noch ein Vegetieren.“ 47 LA B, C Rep. 902–02–04, Nr. 038, fol. 323, Erinnerungsbericht Ernst Frommholdt. 48 Böhme, Kulturwissenschaft, S. 194. 49 Hasse, Stadt und Atmosphäre, S. 99. Die Wahrnehmung ist dabei immer an einen konkreten Ort gebunden und somit situationsbedingt. Vgl. Thibaud, Die sinnliche Umwelt von Städten, S. 287. 50 Hasse, Zum Verhältnis von Stadt und Atmosphäre, S. 23. 51 Kazig, Typische Atmosphären, S. 149.
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sphärenbeschreibungen kaum vorhanden sind, müssten die Aussagen atmosphärischer Eindrücke narrativ eingebettet sein, indem sie „indirekt, marginal, umschreibend, verschlüsselt und metaphorisch“ erfolgten.52 Atmosphären beschreiben so die affektiven Beziehungen von Akteuren zu ihren räumlichen Umwelten. Unbewusst tangieren sie die Frage nach einem Jenseits von Diskursen, denn Materialitäten sind am Zustandekommen atmosphärischer Eindrücke beteiligt. So können die bauliche Enge, Lichtverhältnisse oder aber die mediale Inanspruchnahme des Raumes, mit ihrer atmosphärischen Aufladung menschliches Handeln beeinflussen.53 Atmosphären beziehen sich somit sowohl immer auf das subjektive Befinden, aber auch auf symbolische Kategorien, und kulturelle Interpretationen, die sie zu einem Teil der Wirklichkeit machen. Am 7. Januar 1919 berichtet die Rote Fahne von den heftigen Auseinandersetzungen im Kontext der Januarunruhen und zog folgende Schlussfolgerungen: „In der Blutatmosphäre der Revolution reifen Menschen und Dinge mit unheimlicher Schnelligkeit. Erst vor kurzen 3 Wochen, als die Reichskonferenz der A.- und S.-Räte geschlossen wurde, schienen Ebert-Scheidemann im Zenith [sic] ihrer Macht zu stehen. Die Vertretung der revolutionären Arbeiter- und Soldatenmasse ganz Deutschlands hatte sich ihrer Führung blindlings ergeben. Die Einberufung der Nationalversammlung, die Aussperrung der ‚Straße‘, die Degradierung des Vollzugsrats und mit ihm der A.- und S.-Räte zu ohnmächtigen Scheinfiguren. […] Ja, eine Revolution ist es, mit all ihrem äußeren wirren Verlauf, mit der abwechselnden Ebbe und Flut, mit momentanen Anläufen zur Machtergreifung und ebenso momentanen Rückläufen der revolutionären Sturzwelle. Und durch all diese scheinbaren Zickzackbewegungen setzt sich die Revolution Schritt zu Schritt siegreich durch, schreitet sie unaufhaltsam vorwärts.“54
Nicht nur das Zentralorgan des Spartakusbundes beschrieb diese Gemengelage als eine gewalttätige Atmosphäre. Auch die eher dem liberalen Bürgertum nahe stehende Vossische Zeitung reihte sich mit derartigen Beschreibungen des Atmosphärischen über die Stadt in diese Definition ein.55 Im Plädoyer des Staatsanwalts Zumbroich wird das Ausmaß dieser angespannten Atmosphäre während der Spartakusunruhen noch anschaulicher: „Es war die Zeit, wo aus Anlaß der Amtsentsetzung des Polizeipräsidenten Eichhorn zum ersten Male seit der politischen Neuordnung im November 1918 der bestehenden Regierungsgewalt in offenem Aufruhr getrotzt wurde, wo ein großer Teil der Arbeiter Groß-Berlins ihre Betriebe verlassen hat und unermeßliche, wildbewegte Volksmassen Straßen und Plätze füllten und eine Atmosphäre der fieberhaften Unsicherheit und Ungewißheit und der dumpfen Angst vor kommenden Ereignissen verbreiteten.“56
Mit der Durchführung der politischen Forderungen der Aufständischen in Wort und Schrift, mit welchen sie den öffentlichen Raum vollends durchzogen, aber auch in 52 Hasse, Die Atmosphäre einer Straße, S. 82. 53 Vgl. zum Verhältnis von baulicher Enge und Atmosphäre Eberle/Tröger (Hrsg.), Dichte Atmosphäre. 54 Rote Fahne Nr. 7 vom 7. Januar 1919. 55 Vossische Zeitung Nr. 9–22 vom 13. Januar 1919. 56 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 648. Plädoyer des Staatsanwalts Zumbroich.
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Versammlungen und Demonstrationszügen schafften sie offenbar eine „Atmosphäre der Gewalt“, „bei der es nur eines Funkes bedurfte, um die mit Explosivstoff gefüllte politische Atmosphäre zur Entladung zu bringen; und eben dieser Funke ist die Absetzung des Polizeipräsidenten Eichhorn gewesen.“57 Zumbroichs Schilderungen weisen auf die Schwierigkeiten hin, Atmosphären analytisch zu greifen und beschreibbar werden zu lassen, da nicht immer der konkrete sprachliche Begriff der Atmosphäre in den Quellen auftaucht. Zum einen waren diese an konkrete Orte gebunden, während sie andererseits über diesen Dingen „schwebten“ und etwas Abstraktes ausstrahlten, welches sich häufig in der gemeinsamen Wahrnehmung der Akteure äußerte und deren Handeln beeinflusste. Atmosphärisch aufgeladene Räume sind daher ähnlich wie oben beschriebene Stimmungsräume gelagert, wenngleich diese weniger den Konstruktionscharakter von Stimmungen aufweisen. Kaschuba hat hier vom Rhythmus der Stadt gesprochen, der vermehrt spürbar war, auf den Plätzen und Straßen, an Bahnhöfen und Zeitungskiosken, in den Kaufhäusern und Lokalen, überall dort „wo sich die Menschen, die Gruppen, die Sprachen treffen und zu verständigen versuchen. Dabei vermischen sich die Milieus und Unterschiede vielfach so, dass es in manchen Bezirken dann gerade diese soziale Melange ist, die zum neuen Gemeinsamen wird: eine demonstrative Einheit des Unterschieds“.58
Noch treffender formuliert Martina Löw diesen Charakter, der Orten anhaftet. „Menschen belegen Orte mit ihrem Spirit“, was diesen als solchen zum Teil ihrer Alltagskultur macht.59 7.3 „VON ZERSTÖRTEN UND BLOCKIERTEN RÄUMEN“ – DIE AGENCY DES RAUMES Neben der immateriellen Ausgestaltung des Raumes stellt sich die Frage, ob die materielle Dimension des Raumes seine Wahrnehmungsmöglichkeiten beeinflusst und daher Handlungen vorstrukturieren kann. Wäre dieses der Fall, dann würde sich eine weitere opake und widerständige Wirklichkeitsebene öffnen. In diesem letzten Argumentationsschritt wird daher die These aufgestellt, dass der Raum in seiner materiellen Ausgestaltung gleichwohl Einfluss auf seine Zeitgenossen ausüben konnte. Die vorherigen Analysen haben bereits zeigen können, dass die Vergegenständlichung im Raum von verschiedenen sozialen Akteuren geleistet wurde und somit wiederum Rückwirkungen in Form bspw. der Aufstellung von Sicherheitsformationen oder der Neuregelung in der Gesetzgebung als Reaktionen auf bestimmte Raumproblematiken gewertet werden konnten. Die Einrichtung von Wehren oder die Verhängung des Belagerungszustandes wurden hierbei als Reaktionen interpretiert, mit räumlichen Strategien auf die sozialen Unruhen zu reagieren und
57 Der Ledebour-Prozeß mit einem Vorwort von Georg Ledebour, S. 652. 58 Kaschuba, Straßenleben, S. 228. 59 Löw, Raum, S. 54; Bell, The Ghosts of Place, S. 821.
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diese steuerbar zu gestalten. Darüber hinaus spiegelte sich mit diesem unterschiedlichen Verständnis Raum zu konstruieren und zu produzieren auch unterschiedliche Ordnungsvorstellungen des Räumlichen wider. Die Verhängung einer Bannmeile um öffentliche Gebäude wie den Reichstag, aber auch das Absperren bestimmter Straßenzüge durch Blockaden oder der Positionierung von Soldaten, sowie in einer entschärfteren Form durch das Hinweisen mit Verbotsschildern oder Plakatierungen, konnten so Handlungsräume bis zu einem gewissen Punkt vorstrukturiert werden. Mit der bisherigen Argumentation wurde versucht aufzuzeigen, dass sich Spuren, Zeichen und Symbole an der materialen Gestalt des Raumes entdecken ließen. Darüber hinaus äußert sich dieser Prozess in unterschiedlichen Ausdrucksformen, welche sich in kulturellen Praktiken manifestierten. Schließlich waren auch Empfindungen wie Angst, Sicherheit, Fremdheit oder eine Vertrautheit des Raumes für die Konstruktion der Wirklichkeiten der Akteure mitentscheidend. Wenn von der Materialität des Raumes ausgehend Handeln vorstrukturiert werden kann, dann lässt sich dieser Prozess nur derart beschreiben, indem man nicht in eine Re-Materialisierung von Geschichte zurückverfällt, sondern Akteure und Raum immer in einem Wechselverhältnis zueinander definiert werden. Raum und Räumlichkeit müssen daher zunächst erfahren werden, „die Bewegungen, die wir mit unserem Körper und als Körper im Raum vollziehen, erschließen erst das, was wir historisch, kulturell, individuell als Raum verstehen. Von daher erschließen wir auch, was Bewegung fremder Körper im Raum ist.“60 Die Menschen erfuhren Raum als unmittelbar auf sie wirkend, wenn sie selbst oder ihr Eigentum Schaden erlitten hatte. Bereits im Jahr 1850 war ein Tumultschadensgesetz61 aufgrund der Erfahrungen der revolutionären Unruhen des Jahres 1848 erlassen worden, mit welchem zu regeln versucht wurde, dass die Gemeinden für Schäden, die infolge von Tumulten entstanden waren, aufkommen mussten.62 Bei „Zusammenrottungen oder einem Zusammenlaufen von Menschen durch offene Gewalt, oder durch Anwendung der dagegen getroffenen gesetzlichen Maaßregeln [sic], Beschädigungen des Eigenthums [sic], oder Verletzungen von Personen statt, so haftet die Gemeinde, in deren Bezirk diese Handlungen geschehen sind, für den dadurch verursachten Schaden.63
60 Böhme, Raum – Bewegung – Topographie, S. XV. Vgl. Schroer, Körper und Raum, S. 402ff. Schroer betont, dass „Raum- und Körperbilder nicht unabhängig voneinander entstehen“, sondern in einem engen Wechselverhältnis stehen. 61 Preußische Gesetzsammlung, S. 199f., Nr. 3251. Gesetz vom 11. März 1850, betreffend die Verpflichtung der Gemeinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens. Hierzu siehe Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden, Königsberg 1920. 62 Vgl. Herrnreiter, Tumultschäden in Bayern, S. 7–17; Wüsthoff, Die Haftpflicht der Gemeinden und Zuschauer bei Aufruhrschäden, S. 6–9; Mamlok, Der Ersatz von Aufruhrschäden, S. 9–14; Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, bes. S. 48ff.; Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 22ff. 63 StAM, Polizeiregistratur, Nr. 91, fol. 043, Schreiben des Friseurmeisters Johannes Lattekamp an den Magistrat der Stadt Münster, Münster 24. Juni 1919. Lattekamp hatte beklagt, dass im
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Die während der revolutionären Unruhen entstandenen Schäden der Privaträume, aber auch der Personenschäden, welche nach dem Gesetz von 1850 noch uneinheitlich und landesgesetzlich geregelt wurden, erforderte nun eine reichsweite Regelung, welche in einem „Entwurf eines Gesetzes über die durch die inneren Unruhen verursachten Schäden“ zu vereinheitlichen versucht wurde und eine Beihilfe des Staates bei Personen- oder Sachschaden, welche „an beweglichem oder unbeweglichem Eigentum entstanden“ waren vorgesehen hatte.64 Die Revolution hatte sowohl umfangreiche Schäden am Privateigentum, aber auch des eigenen Körpers vieler Menschen verursacht und es fehlte eine einheitlich geregelte Ersatzpflicht für Schäden, die im Kontext der Aufruhre entstanden waren.65 Nach den Märzunruhen, in denen es zeitweilig zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen der Reichswehr und Truppen der Roten Armee gekommen war, veranlasste das Wehrkreiskommando VI Maßnahmen zur Feststellung der Taten der „Spartakisten“ seit dem 14. März 1920 zu ergreifen.66 Umfang und Art der spartakistischen Taten seien sowohl bei der Regierung, der Nationalversammlung, als auch der Entente nicht eindeutig klar definiert gewesen. Umso mehr müsse mit einem „organisierten Bolschewismus nach russischem Muster“ mit „zerstörenden Erscheinungen“ gerechnet werden. Hierfür sei neben der Feststellung der verübten Gräuel und der terroristischen Taten gegen Behörden und Privatpersonen eine möglichst ausführliche protokollarisch festgelegte Darlegung der materiellen Schäden für jeden „Ort des Revolutionsbezirks“ erforderlich. Jede Ortsverwaltung wurde angewiesen, polizeilich beglaubigte Listen der Geschädigten, sowohl von Einzelpersonen, als auch der Betriebe anzulegen und mit folgenden Angaben zu versehen: Datum, Name, Wohnung, Art der Schädigung, entwendete Gegenstände, Gesamtwert des Schadens, nähere Begleitumstände wie der Androhung des Er-
Kontext der größeren Unruhen am 17. Juni 1919 in Münster seine Schaufensterscheibe samt dem Friseurschild zu Bruch gegangen sei und er nun dafür eine Entschädigung fordere. 64 BA B, R 43 I, Nr. 2695, fol. 41–46, Schreiben Reichsminister des Innern an Reichskabinett, betr. „Entwurf eines Gesetzes über die durch die inneren Unruhen verursachten Schäden“, Berlin 4. April 1919. Aufgrund der angespannten finanziellen Situation des Reiches war es vorgesehen, die Summe der jeweiligen Entschädigung zu je einem Drittel auf Reich, Länder und Gemeinden aufzuteilen. Die daran anschließenden kritischen Diskussionen bezüglich der Beihilfe wurden dann schließlich im Gesetz über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 zu lösen versucht. Siehe RGBl. 1920, S. 941. Vgl. BA B, R 43 I, Nr. 2695, fol. 76, Schreiben Reichsfinanzministerium an Reichsminister des Innern, betr. Vorschlag zu anderer Lastenverteilung, Berlin 3. Mai 1919. 65 BA B, R 1501, Nr. 116424, fol. 145, Schreiben Arbeitsgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels an Reichsregierung, Berlin 12. März 1919. Im Schreiben wurde moniert, dass die Schäden am Privateigentum speziell in den „Detailhandelsgeschäften“ einen derartigen Umfang erreicht hätten, dass die Gemeinden für die Schäden nicht mehr hätten aufkommen können und daher dem Wunsch einer Solidarhaftung von Reich und Bundesstaaten nachzukommen berechtigt gewesen sei. 66 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 178, ohne fol., Maßnahmen des Wehrkreiskommando VI, Abtlg. Ic Nr. 3086 pers., betr. Maßnahmen zur Feststellung der Taten der Spartakisten während der Zeit vom 14.3.1920 ab, Münster den 14. April 1920.
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schießens, von Misshandlungen oder allgemeinen Bemerkungen, die zur Beleuchtung des Falles beitragen konnten. Diese Maßnahmen nutzte das Wehrkreiskommando, um Listen über sämtliche Orte anzufertigen, die über „Aufrührer“ in den Verwaltungsapparaten, Behörden, industriellen Betrieben und Banken informierten. Zwischen dem 13. März und dem 14. April 1920 kam es zu verschiedenen Eingriffen gegen offizielle Stellen der Stadt Dortmund. Hauptmann von Heeringen, Polizeiinspektor Kleinow, Kriminalinspektor Schenk, die gesamte uniformierte Polizei, sowie sämtliche Mitglieder der Sicherheitswehr wurden entweder abgesetzt oder „verjagt“.67 Zu den Eingriffen gehörte die gewaltsame Besetzung der Stadt, die Entwaffnung der Polizei, die Besetzung des Stadthauses und Inanspruchnahme der städtischen Diensträume. Mittels Einsetzung einer Kontrollkommission wurden Haussuchungen und Beschlagnahmungen vorgenommen, schließlich Aktenmaterial konfisziert. Die Einnahme der Stadt vollzog sich offenbar ohne große Zwischenfälle. Bereits in den Mittagsstunden des 17. März hatten bewaffnete Kommunisten aus verschiedenen Richtungen kommend die Stadt eingenommen. Sicherheits-, Einwohnerwehr und Polizei mussten sich nach kurzen „blutigen Straßenkämpfen“ ergeben. Ein neu gebildeter Vollzugsrat bestehend aus KPD, USPD, SPD und DP hatte nun die vollziehende Gewalt inne. Ein zentrales Verlangen bestand in der Bereitstellung von Geschäftsräumen der Stadtverwaltung, falls nötig unter Zwang: „Die Räume sind daher in dem verlangten Umfange zur Verfügung gestellt worden. Der Verwaltungsbetrieb erlitt hierdurch mancherlei Hemmungen, weil ohnedies schon immer mit beschränkten Raumverhältnissen gekämpft werden mußte. Der Vollzugsrat setzte zur Kontrolle verschiedener städt. Dienststellen besondere Kommissionen ein, die sich im Laufe der Zeit viele Eigenmächtigkeiten und Ungesetzlichkeiten herausnahmen.“
In der Abwesenheit von Beamten wurden Schränke und Tischschubladen aufgebrochen und durchsucht, sowie Gegenstände entwendet. Dasselbe galt für Hausdurchsuchungen bei einzelnen Beamten in deren privaten Räumen. Die Nutzung des Dienstbüros des Oberbürgermeisters durch den neuen Vollzugsrat ist daher auch als ein symbolischer Akt zu interpretieren. Um über Sach- und Personenschäden zu informieren, wurden ausführliche Berichte angefertigt, die Informationen zum Tathergang liefern sollten. Unmittelbar nach dem Kapp-Putsch am 13. März entbrannte der Kampf zwischen organisierten Rotgardisten und den Reichswehrtruppenkommandos in den Städten des Industriegebietes.68 Kurz nach Bekanntwerden des Kapp-Putsches fanden auf dem Marktplatz und Hansaplatz Remscheids große Demonstrationsver-
67 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 178, ohne fol., Eingriffe in den Verwaltungsapparat der Behörden, industrielle Betriebe, Banken, Firmen usw. der Stadt Dortmund. 68 BA B, R 1501, Nr. 116427, fol. 30, Schreiben Oberbürgermeister Remscheid an Reichsfinanzministerium, betr. Bericht aufgrund Entschädigungen der durch Kampfhandlungen entstandenen Schäden nach dem 18., 19. und 20. März, Remscheid 19. Mai 1920.
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sammlungen statt. Zentrales Anliegen der Demonstrierenden bestand in der Forderung der Entwaffnung der Polizei und Sicherheitswehr. Drohungen gegen den Führer Hauptmann von Heeringen stellten ein probates Mittel dar. Das Drohpotential reichte von vorzunehmenden Einsperrungen bis hin zu Tötungen. Um 12 Uhr nachts kam es schließlich zu einem großen Auflauf auf dem Steinplatz. Die Masse bedrängt zunächst dort positionierte Polizisten, um diese dann anzugreifen und laut Bericht zu misshandeln. Ein stärkeres Polizeiaufgebot sollte daraufhin den Platz „säubern“. Auch am 14. März war der Steinplatz Ort weiterer Auseinandersetzungen. Anfängliche Tumulte schlugen in Gewalttätigkeiten mit Verletzten um. Bei der tags darauf folgenden Erstürmung des Stadthauses liefen die Ereignisse offenbar ähnlich ab. Ein auf mehrere tausend Personen anwachsender Zug an Demonstrierenden hatte sich erneut auf dem Hansa- und Marktplatz zusammengefunden. Vermutlich hatten die Demonstrierenden diese Plätze den Erfahrungen der letzten Zeit nach als Treff- und Startpunkte derartiger Aktionen bereits kollektiv verinnerlicht und „mental“ markiert. Ob die Entwaffnung der Polizei- und Sicherheitswehr wirklich vom Kollektiv geplant gewesen war, wie es in dem Bericht formuliert ist, mag nicht vollends zu überzeugen, denn von Führern ist bei diesem großen Demonstrationszug nicht die Rede gewesen. Zu einem ersten Zusammenstoß kam es in der Betenstraße, gerade einmal zwei Seitenstraßen 230 Meter östlich und 100 Meter südöstlich vom Startpunkt entfernt, so in einem Schreiben des Oberbürgermeisters: „Die Menge erhob einen ohrenbetäubenden Lärm. Aus dem wüsten Geschrei heraus wurden drohende Stimmen nach Abzug und Entwaffnung der Polizei und Sicherheitswehr und Auslieferung der Waffen der Arbeiter laut.“69
Vermutlich stellt dieses ein Indiz dafür dar, dass die Ziele der Demonstration erst spontan im Verlauf des Zuges formuliert wurden, da einzelne aus der Masse ragende Führer nicht erwähnt werden. Dabei wird im Bericht darauf aufmerksam gemacht, dass die Bewegung erst im Verlauf zu einer rein kommunistischen geworden sei. Hauptmann von Heeringen sprach daraufhin direkt zur Menge und forderte sie auf zurückzubleiben, weil Polizei und Demonstranten direkt voreinander standen. Hierfür ließ er Polizei- und Sicherheitswehr 100 Meter zurücktreten, während der Demonstrationszug jedoch folgte. „Im Zuge tat sich namentlich ein Zimmermann der Kleidung nach zu urteilen, ein Hamburger, hervor. Er schien der Haupträdelsführer zu sein. In seiner unmittelbaren Nähe befanden sich andere Zimmerleute in gleicher Kleidung. Die Menge drängte zum Angriff auf die noch ruhig bleibende Schutzmannschaft, mit der Absicht, ihnen die Waffen zu entreißen.“70
69 Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 116427, fol. 30, Schreiben Oberbürgermeister Remscheid an Reichsfinanzministerium, betr. Bericht aufgrund Entschädigungen der durch Kampfhandlungen entstandenen Schäden nach dem 18., 19. und 20. März, Remscheid 19. Mai 1920. 70 Auch hier muss kritisch angemerkt werden, dass der Bericht zeitlich erst nach den Ereignissen angefertigt worden ist. Aus dieser Perspektive war es offensichtlich einfach, vom Ende des Ereignisses auf ein bereits zu Anfang festgelegtes Ziel zu schließen und somit zeitliche Ebenen zu vermischen.
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Dabei wurden Polizeibeamte niedergerungen, während ein aus der Menge abgefeuerter Schuss den Schutzmann Darnowski tödlich am Kopf verletzte. Glaubt man dem hier geschilderten Ablauf im Bericht, fielen erst jetzt Schüsse seitens der Sicherheitswehr, woraufhin „die Menge zurückflutete“. Das Ergebnis der Auseinandersetzung bestand in 13 Toten und mehreren Verletzten, welche auf dem Platz zurückblieben. Trotz der restlichen Ansammlungen auf dem Marktplatz blieb der Angriff auf das Stadthaus aus. Gegen Mittag wurde versucht die Polizeistation IV in der Schützenstraße zu stürmen. Die von Nord nach Süd verlaufende Straße lag in einiger Entfernung zum Markt. In das mit 10 Beamten besetzte Gebäude wurde durch ein zerschossenes Fenster eingedrungen. Im Zuge dessen kam es erneut zu Todesopfern und Verletzten. Ähnliches wurde über den Angriff auf die Polizeiwache in Brackel berichtet. Hier hielten sich die Angreifer in Türen und Ecken auf der Straße versteckt und eröffneten das Feuer auf die Beamten, sobald diese sich sehen ließen. Nach einer zweistündigen Belagerung wurden die Wachmannschaften durch ein mit bewaffneten Sicherheitsleuten besetztes Kraftfahrzeug befreit. Am Abend des 16. März war erneut die Wache zum Ziel eines Angriffs von einem „großen Volkshaufen“ aus Asseln geworden. Dieses galt für sämtliche Polizeistationen in diesen Tagen.71 Ebenfalls fanden Kämpfe um den Hauptbahnhof statt, der von einem Polizeiaufgebot verteidigt wurde. Oft reichte ein einzelner Schuss als Auslöser für eine ganze Kette von Schüssen. Dieses Initiativmoment war häufig der Funke, welcher die aufs äußerste spannungsgeladene Situation eskalieren ließ. Nach der Übergabe der Stadt konnten sich die Polizeibeamten nicht mehr in ihrer Uniform auf der Straße sehen lassen. Um zu ihren Privatwohnungen zu gelangen, mussten sie in der Öffentlichkeit oftmals auf Zivilkleidung zurückgreifen. Somit wurde der Bewegungsraum der Polizei- und Sicherheitswehren stark eingeschränkt. „In allen Räumen der Polizei und der Sicherheitswehr machten sich die neuen Gewalthaber breit. Besonders hatten hierunter die meisten Polizeistationen zu leiden“, so die Polizeiverwaltung in Dortmund.72 Plünderungen, Tyrannisierungen, sowie Drohungen waren geeignete Mittel, um diese Räume zu erobern, während dabei aus zahlreichen Polizeiwachen Privateigentum entwendet wurde. Ein größeres Ausmaß nahm die Erstürmung der Polizeistation VIII am 17. März ein, als sich gegen mittags ca. 500 „Spartakisten“ von der Schleswigstraße Richtung Nordmarkt bewegten, welcher mit insgesamt 10 angrenzenden Straßen völlig abgesperrt war. Die drei Beamten Zey, Kowalewski und Merz wurden auf diesem „wie Freiwild“ beschossen und flüchteten sich zur Wache, welche wiederum von 50 „Spartakisten“ gestürmt wurde. Hierfür wurden Türen eingetreten und sich gewaltsam Zugang verschafft. Unter Androhung von Waffengewalt wurde die Herausgabe von Schussund Hiebwaffen gefordert. Hier war es offenbar wichtig, dass die Beamten ihre Uniformen gegen zivile Kleider tauschten, um so dann die Wache zu verlassen.
71 Bei der Besetzung der Polizeistation VIII und V kam es ebenfalls zu Verwundeten. 72 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 178, ohne fol., Eingriffe in den Verwaltungsapparat der Behörden, industriellen Betriebe, Banken, Firmen usw. der Stadt Dortmund.
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Letztlich wurden die Telefonleitungen zerstört.73 In sämtlichen Polizeistationen gingen die Rotgardisten in ähnlicher Art und Weise vor. Welche Wirkungen von diesen Eingriffen in die privaten und betrieblichen Räume ausgehen konnten, zeigt der Fall des Tattersallbetriebes Franz Wichers. Wichers hatte seinen gesamten Betrieb stilllegen müssen, nachdem ihm sämtliche 11 Pferde im Kontext von Unruhen gestohlen worden waren.74 Eine größere „Rotte Rotgardisten“ sei in die Besitzung des Wichers eingedrungen und habe unter Bedrohung der Bediensteten mit Erschießen, „den gesamten Bestand an Pferden gewaltsam geraubt und fortgeführt.“ 75 Raum- und Körperschäden dominierten die bei den Unruhen in der Zeit vom 17. März 1920 bis 4. April 1920 zusammengestellten Listen.76 In diesem Zeitraum kam es zu Beschädigungen von Dächern und Vorderfronten mehrerer Schul- und Verwaltungsgebäude. Auch andere städtische Gebäude waren von Schrapnellschüssen mit massiven Schäden versehen worden.77 Durch Granat- und Schrapnellfeuer konnten Engpässe in der Straßenführung, beispielsweise zwischen Gebäuden, besonders gut verteidigt werden und ließen diese Räume fast uneinnehmbar erscheinen. Bei den Gebäuden wurden Fenster- und Spiegelscheiben, Türen und die Innenausstattung beschädigt oder vollständig zerstört. In daran anschließenden Plünderungen wurden zahlreiche Alltagsgegenstände aus den privaten Wohnungen entwendet, sodass sich der Gesamtschaden auf 174.950 Mark belief. Die Art der Schädigung konnte recht unterschiedlich ausfallen. Neben der Schädigung des materiellen Raumes, wurde vielfach von Erpressungen berichtet, die mit einer hohen Schadenssumme, wie im Falle der Erpressung einer größeren
73 Aus den zerbrochenen Pulten wurden Schreibmaterialien, Papier, Dienstgelder, 1 lederne Aktenmappe, 2 Wolldecken, 4 Handtücher im Wert von insgesamt 550 Mark entwendet. Daneben ein versiegelter Koffer mit Wäsche der Frau Ullas im Wert von 800 Mark. Der Gesamtschaden belief sich auf 4.400 Mark. 74 Als Tattersall bezeichnet man ein Unternehmen, welches zur Unterbringung von Pferden dient samt deren Verleih. 75 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 178, ohne fol., Eingriffe in den Verwaltungsapparat der Behörden, industriellen Betriebe, Banken, Firmen usw. der Stadt Dortmund, Polizeiverwaltung Dortmund den 31. Mai 1920. 76 LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 178, ohne fol., Zusammenstellung der Polizeiverwaltung Dortmund vom 31. Mai betr. die bei den Unruhen in der Zeit vom 17. März 1920 bis 4. April 1920 Geschädigten. 77 Schrapnellmunition stellte eine Form der Artilleriegranate dar, welche mit Metallkugeln gefüllt eine besonders breite Streuung und somit mit massive Schäden verursachen konnte. Über den Einsatz dieser Waffe wird aus zahlreichen weiteren Städten des Ruhrgebiets berichtet. Dieses zog hohe Entschädigungsforderungen nach sich. Vgl. Hier und im Folgenden BA B, R 1501, Nr. 116427, fol. 30, Schreiben Oberbürgermeister Remscheid an Reichsfinanzministerium, betr. Bericht aufgrund Entschädigungen der durch Kampfhandlungen entstandenen Schäden nach dem 18., 19. und 20. März, Remscheid 19. Mai 1920. In Remscheid verursachten diese Geschosse Schäden am Rathaus und der umliegenden Häuser. Ganze Straßenzüge erhielten Volltreffer, während zahlreiche Wohnungseinrichtungen vollständig zerstört wurden und so großer Schaden an Dächern, Mauerwerk und Fensterscheiben verursacht wurde. Auch einzelne Zimmerbrände wurden hierdurch verursacht.
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Geldsumme der Stadtverwaltung Dortmund verbunden waren, bei der die erpressten Beträge für die Löhnungen der neu gebildeten Arbeiterwehr dienen sollten. Standen noch Löhne für die roten Truppen aus, wurde oftmals versucht, diese durch Beute aus Plünderungen und Erpressungen auszugleichen. Welche Zustände in der Stadt herrschten zeigt auch das Beispiel der Einnahme des Nordmarktes vom 17. März, welcher von 500 „Spartakisten“ gestürmt wurde. Hierbei wurde wieder die Polizeistation besetzt. Dieses führte dazu, dass auch die Privatwohnung des Polizeikommissars mehrfach nach Waffen durchsucht wurde. Dabei sind die einzelnen Delikte gar nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen. Erpressungen konnten mit Beschädigungen einhergehen. Diebstähle fanden fast in allen Fällen statt. Auffällig ist, dass in einem überschaubaren Zeitraum vom 17. März bis 4. April eine massive Verdichtung dieser Delikte zu verzeichnen ist, die mit einem Gesamtschaden enormer Höhe verbunden waren. Die Schädigungen der Räume ließ oftmals eine ordnungsgemäße Ausführung der Arbeit nicht mehr zu, wenn wie im Falle der Postdirektion zwischen dem 15. und 30. März der Zutritt zu einzelnen Räumen des Postamtes nicht mehr möglich war und somit der gesamte Briefverkehr eingestellt werden musste.78 Bei der Sichtung der Listen fällt zudem auf, dass sich die Art der Schädigung in die Kategorien Erpressung, materieller Schaden, Requisition ohne Zahlung, Entwendungen, Drohungen, Erpressung und körperlicher Schaden einteilen lässt, wenngleich lediglich diejenigen Schadensfälle Erwähnung fanden, welche der Polizei-Verwaltung bekannt geworden sind. Täglich wurden bei den zuständigen Stellen weitere Fälle gemeldet. Die Verabschiedung des Reichsgesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 12. Mai 1920 kann daher als Reaktion auf die während sozialer Unruhen beim Reichsministerium des Innern in hohem Umfang eingegangenen Meldungen über Beschädigungen des Stadt- und privaten Wohnraums interpretiert werden.79 Dass es vielfach zu Differenzen bei der Auslegung der Frage gekommen ist, was genau als innere Unruhen definiert wurde und welche Räume damit gemeint waren, wird in den Schilderungen des Oberbürgermeisters aus Oberhausen deutlich: „Die Zweifelsfragen haben ihren Grund darin, dass der Ausgangspunkt des Reichsgesetzes einganz [sic] anderer ist, wie der des Preussischen Tumultschadensgesetzes vom 11. März 1850. Während letzteres sich auf Schadensfälle bezieht, die bei einer Zusammenrottung oder einem Zusammenlauf von Menschen durch offene Gewalt oder durch Abwendung der dadurch getroffenen gesetzlichen Massnahmen entstanden sind, behandelt das neue Reichsgesetz, wie auch die Ueberschrift [sic] besagt, Schäden, die im Zusammenhang mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr unmittelbar verursacht werden. […] Es besteht daher die Möglichkeit der Auslegung darin, dass unter den im § 11 genannten Schäden nur Schäden im Sinne des Reichsgesetzes, also solche, die durch innere Unruhen verursacht sind, gemeint 78 Hier und im Folgenden LAV NRW W, Büro Kölpin, Nr. 178, ohne fol., Zusammenstellung der Polizeiverwaltung Dortmund vom 31. Mai betr. die bei den Unruhen in der Zeit vom 17. März 1920 bis 4. April 1920 Geschädigten. Entnommen dem zweiten Teil der angefertigten Liste der Polizeiverwaltung Dortmund. 79 Kimmel, Staatshaftung für Tumultschäden, S. 105f.
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sein sollen, sodass also für Schäden anderer Art, die z. B. infolge von Wirtshausschlägereien – die als innere Unruhen nicht angesprochen werden können- enstanden [sic] sind – das Preussische Gesetz weiter in Kraft bleibt und somit ein Ersatzanspruch gegen die Gemeinden gegeben ist. Andererseits kann die Auffassung vertreten werden- dass das Reichsgesetz die Materie reichsrechtlich erschöpfend regeln will- somit stillschweigend durch die Vorschrift des § 11 das Preussische Gesetz als aufgehoben anzusehen ist und künftig für Schäden – die nicht durch innere Unruhen – sondern aus anderem Anlass verursacht sind, ein Ersatzanspruch überhaupt nicht mehr gegeben ist.“80
Daher ergab sich oftmals die Schwierigkeit, aufgrund der zahlreichen unterschiedlichen Delikte, die tatsächlich zuständige Behörde zur Schadensmeldung zu finden.81 In vielen der Entschädigungsanträge kann dem Raum die Eigenschaft eines Akteurs zugesprochen werden. Im Falle der Genossenschaftsdruckerei „Freier Volkswile [sic] in Cottbus“ wurde es für nötig erachtet, von der Bedrohung gegen die im oberen Stockwerk befindlichen Räume zu berichten: „Die oberen Räume, die von W. ebenfalls mit einer Handgranate bedroht wurden, wurden durch das energische Eintreten R.s erhalten. [ …] Zu bemerken sei noch, daß die Entschädigung auf Grund des Tumultschadengesetzes erfolgen muß, weil das Zerstörungswerk auf einen vorangegangenen tumultanischen [sic] Zusammenstoß zwischen Zivilpersonen und Militär zurückzuführen ist, der aber mit dem Unternehmen nicht in Verbindung gebracht werden [kann].“82
Dass der Raum im Kontext zunehmend als Akteur wahrgenommen wurde, geht aus den Berichten der städtischen Sicherheitsformationen hervor, wenn beispielsweise wie im Falle Gelsenkirchens „eine groessere Menge eine drohende Haltung gegen das Gebaeude des Polizei-Präsidiums“ eingenommen hatte.83 Anfragen an das Tumultbureau des Magistrats in Berlin konnten noch ausschweifender werden, wenn wie im Falle des Todes vom Bankbeamten Fritz Stahl, welcher auf dem Heimweg von seiner Tätigkeit durch Maschinengewehrschüsse schwer verwundet wurde und seinen Verletzungen erlag, nun seine Frau als An-
80 BA B, R 1501, Nr. 116427, fol. 171, Schreiben Oberbürgermeister Oberhausen an Reichsminister des Innern, Oberhausen 17. Juni 1920. 81 BA B, R 1501, Nr. 116428, fol. 102, Schreiben Präsident der Eisenbahndirektion Essen, Geschäfts No. Pr. 2 I 5 an Minister der öffentlichen Arbeiten in Berlin, betr. Bewilligung einer Unterstützung, Essen 5. September 1919. Die Wohnung des Eisenbahn-Obersekretärs Albert Müller wurde vollständig ausgeraubt. Auch hier galt die Frage der Haftbarmachung. „Meines Erachtens ist für den entstandenen Schaden die Stadt Duisburg auf Grund des preußischen Tumultgesetzes vom 11. März 1850 haftbar.“ Die Fälle in Dortmund sind hier stellvertretend aufgeführt für eine Vielzahl von Einzelklagen gegen die Städte, wenn es zu Unklarheiten bezüglich der Entschädigungsansprüche kam. Vgl. beispielsweise die umfangreichen Anklagefälle von Einzelpersonen gegen die Stadt Essen in: StAE, Rep. 102 I, Nr. 1075. 82 BA B, R 1501, Nr. 116428, fol. 44, Abschrift zu Nr. 494.7.20.V.4.C. an den Fiskus des Deutschen Reiches, Cottbus 26. März 1920. 83 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 6201, fol. 41, Tägliche Nachrichten des Oberpräsidenten Kommando der Sicherheitspolizei Abtl. Z. Pol, Münster 17. März 1920.
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tragsstellerin kein Einkommen mehr zu Verfügung hatte und um eine dauernde Unterstützung bat.84 Die uneinheitliche Regelung der Zuständigkeitsbereiche versuchte das Ministerium des Innern durch einheitliche Maßnahmen zu beseitigen: „Solange die Ausschüsse nicht bestehen, welche über den Ersatzanspruch sowie über die Aufhebung und die Abänderung der Feststellung der Rente gemäß § 6 des genannten Gesetzes vom 12. Mai 1920 zu entscheiden haben, sind die Ersatzansprüche wegen der Schäden, die an beweglichem und unbeweglichem Eigentume sowie an Leib und Leben im Zusammenhange mit inneren Unruhen durch offene Gewalt oder durch ihre Abwehr unmittelbar verursacht sind oder werden, bei dem Gemeindevorstand der Gemeinde anzumelden, in deren Bezirk der Schaden verursacht ist. Glaubt die Gemeinde für den Vermögensschaden, für welchen nach § 15 des Gesetzes vom 12. Mai 1920 die bisherigen Gesetze maßgebend bleiben, nicht verantwortlich zu sein, weil der Schaden durch eine von außen her in den Gemeindebezirk eingedrungene Menschenmenge verursacht worden und in diesem Falle die Einwohnerschaft des letzteren zur Abwehr des Schadens außerstande gewesen sei, so soll sie die Höhe der angemeldeten Schäden der Gemeinde oder den Gemeinden mitteilen, auf deren Gebiet die Ansammlung oder von deren Gebiet aus der Überfall stattgehabt hat.“85
Die während der Unruhen beschädigten oder zerstörten Räume hatten nicht nur für den Moment den Alltag der Menschen in Unordnung geraten lassen. Dieses konnte auch Konsequenzen nach sich ziehen, wie im folgenden Fall des in Berlin lebenden Schweizers Karl Wuillemin. Während der heftigen Straßenkämpfe des Monats März war seine Wohnung und viele andere in der Palisadenstraße liegende Häuser derart massiv beschädigt worden, dass sich Wuillemin starke Nervenschäden aufgrund des drei Stunden andauernden Minenfeuers zugezogen haben soll. Außerdem seien durch die starken Explosionen fast sämtliche Fenster seiner Wohnung zerstört worden, weshalb er längere Zeit der nun „einsetzenden strengen Kälte ausgesetzt war“ und sich „überdies eine schwere Erkältung und Kopfgrippe zugezogen hatte“.86 Dieses System zur Feststellung der während der inneren Unruhen verursachten Schäden durch die Ausschüsse, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einige Monate Bestand. Ein entstandener Schaden sollte binnen drei Monaten gemeldet werden. Dass Wuillemin jedoch viele Monate später immer noch nicht informiert worden war, weist auf die Leerstellen dieses Systems hin.87 Die Ablehnung von Entschädigungsforderungen hing eng mit der „Qualität“ des betroffenen Raumes zusammen. Im Falle des Mechanikers Richard Glathe, welcher bei Ausbruch der Revolution am 9. November vor der Kaserne des Garde-Füsilier-Regiments erschossen worden war, reichte die Begründung des Feststellungsausschusses, dass sich dieser „in Zeiten inneren Aufruhrs an Stellen [aufhielt], die im Bereiche von Strassenkämpfen [lagen], grob fahrlässig [handelte] und [ging] dadurch seines Erstattungsanspruchs 84 BA B, R 1501, Nr. 116428, fol. 140, Schreiben Clara Stahl an Tumultbureau des Magistrats der Stadt Berlin, o. D. 85 BA B, R 1501, Nr. 116428, fol. 149, Schreiben Minister des Innern an Polizeipräsident Berlin, Berlin 25. Mai 1920. 86 BA B, R 1501, Nr. 116430, fol. 124f., Schreiben Schweizerische Gesandtschaft in Berlin, I/Mg.-B III b 5/150 an das Auswärtige Amt Berlin, betr. Verbalnote des Karl Wuillemin vom 25. November 1920, Berlin 22. November 1921. 87 RGBl. 1920, Nr. 191, S. 1647.
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verlustig.“ Eine Hinterbliebenenrente für die zurückgebliebene Witwe Emma Glathe wurde daher abgelehnt.88 Unklarheiten bestanden zudem darin, in welchen Fällen eine Entschädigung angebracht schien. Während der Anspruch auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente aufgrund körperlich erlittenen Schadens im Falle eines positiven ärztlichen Gutachtens möglich war, war die Zahlung reiner Schmerzensgelder nicht vorgesehen.89 In einer anderen Argumentation wurde das Reich selbst für den Schaden in Zusammenhang mit inneren Unruhen verantwortlich gemacht. Die von „einer bewaffneten Bande Unruhestifter“ entwendeten Luxusgegenstände des Dr. Heinrich Schottes seien zu entschädigen, „da die öffentliche Gewalt nicht in der Lage war, für Ruhe und Schutz des Eigentums zu sorgen.“90 Treffend ist daher die Formulierung, welche man in vielen unmittelbar nach den Unruhen entstandenen juristischen Werken findet, dass „jede große Umsturzbewegung, jede Neuordnung staatlicher Verhältnisse […] naturgemäß eine Zeit rechtlicher Unsicherheit mit sich [bringt], eine Zeit, in welcher der Besitz, das Eigentum von Staat und Privatpersonen nicht denselben Schutz genießen kann, wie in ruhigen Zeiten.“91
Im August 1920 wurden die Landesregierungen dahingehend informiert, dass es „aus politischen und wirtschaftlichen Gründen darauf ankommen [würde], den Tumultgeschädigten möglichst bald die ihnen nach dem Gesetze zustehenden Entschädigungsgelder zur Verfügung zu stellen“, während dieses in erster Linie in Bezug auf die seit dem 1. November 1918 verursachten Schäden notwendig sei.92 Schwierigkeiten entstanden, wenn die Gemeinden sich auf einen ablehnenden Standpunkt für die im Zeitraum vom 1. November 1918 bis zum 12. Mai 1920 verursachten Schäden nach altem Tumultschadensgesetz stellten und somit für Schäden nicht aufkommen wollten. Tumultschäden waren deshalb bei dem Vorstand der Gemeinde anzumelden, in deren Bezirk sie verursacht wurden und diese hatte „wegen des Laufes der Ausschlußfrist von Rechtsnachteilen schleunigst [zu] erfolgen.“93
88 BA B, R 1501, Nr. 116430, fol. 126, Schreiben Reichstagsfraktion der USPD an Reichsminister des Innern, Berlin 20. Dezember 1921. Ähnliches galt auch, wenn der Schaden in Diensträumen zustande gekommen war. Vgl. BA B, R 1501, Nr. 116430, fol. 85, Schreiben Vorsitzende des Ausschusses zur Feststellung von Entschädigungen für Aufruhrschäden, Tgb. Nr. 232/21 T.S., Schleswig 22. Oktober 1921. 89 Ebd., fol. 194 RS, Schreiben Reichskommissar beim Ausschuß zur Feststellung von Entschädigungen für Aufruhrschäden der Stadt Hamborn an Reichsminister des Innern, Hamborn 2. Mai 1922. 90 BA B, R 1501, Nr. 116430, fol. 217, Schreiben Dr. Heinrich Schotte an Reichswirtschaftsminister, Aachen 15. Mai 1922. 91 Morr, Die Haftung der Gemeinden für Aufruhrschäden, S. 9; vgl. Frederich, Die Haftung der Gemeinden für Tumultschäden in Preußen, S. 7; Mamlok, Der Ersatz von Aufruhrschäden, S. 10; Wüsthoff, Die Haftpflicht der Gemeinden und Zuschauer bei Aufruhrschäden, S. 5. 92 StAB, A L-D, Nr. 17, ohne fol., Reichsminister des Innern, I. K. 7460 an sämtliche Landesregierungen, betr. Ausführung des Gesetzes über die durch innere Unruhen verursachten Schäden vom 21. Mai 1920 - Reichsgesetzblatt S. 941, Berlin 31. August 1920. 93 BA B, R 1501, Nr. 116428, fol. 17, Reichsminister des Innern, IK 8074/7076, Berlin 26. Juli 1920.
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Dass man diese gefahrenvollen Räume ernst nahm, geht aus frühen Maßnahmen der Räte hervor, die beschlossen hatten, dass sich ihre Mitglieder einer der vielen Kollektiv-Unfall-Versicherungen anschließen hatten müssen.94 Jene Versicherungen waren für diejenigen Schäden vorgesehen, die während der Dauer des Dienstes entstehen konnten. Im Falle des Bochumer Arbeiter- und Soldatenrats hielt man es für besonders erwähnenswert, dass der Versicherungsschutz auch bei Unfällen im Kontext „bürgerlicher Unruhen“ gewährleistet sei.95 Dass Materialitäten Einfluss auf kulturelle Praktiken und soziale Körperordnungen ausüben können und zudem in der materiellen Ausgestaltung der Stadt als Technik der Macht fungieren können, mit der sich Körper im Raum anordnen und darüber beherrschen lassen, zeigt die Veränderung der materiellen Beschaffenheit des Straßenraumes während der Auseinandersetzungen. Im Zuge der sozialräumlichen Protestpraktiken konnte bereits gezeigt werden, dass die Beengtheit des Stadtraumes Einfluss auf die Handlungen der Menschen ausüben konnte und gewissermaßen steuernd wirkte. Dieses wurde auch dahingehend deutlich, dass die Akteure diese Erfahrungen in ihr jeweiliges Handlungsrepertoire integrierten und Demonstrationszüge gezielt in Richtung dieser baulichen Engpässe lenkten, damit der Zug dort blockiert wurde, ein besserer Umgang mit den Menschenmassen gewährleistet schien und der Zug sich schließlich auflösen konnte. Ähnliche Strategien erwiesen sich auch bei den Sicherheitswehren als effektiv. Auf die Frage, ob den Wehren das Benutzen von Handgranaten im Stadtraum zu gestatten sei, verneinte man dieses aufgrund der baulichen Enge des Stadtraums, in welchem, anders als im offenen Gelände, die Werfer keinen ausreichenden Schutz bekommen würden.96 In den oft eng bebauten Städten des Ruhrgebietes waren die Wachmannschaften bereits des Öfteren mit Strategien der Revolutionäre konfrontiert worden, mit denen versucht wurde, den Raum gezielt in seiner Beschaffenheit zu verändern oder zu zerstören. In der Haupt- und Wittenerstraße im Ortsteil Bochum-Langendreer waren die Wachmannschaften mit unbeleuchteten Straßenzügen konfrontiert worden. Dort waren in letzter Zeit „seitens Unberufener die Zündapparate und Glasmäntel der Strassenlaternen beschädigt“ worden, sodass die
94 Beispielsweise für den Arbeiter- und Soldatenrat des Amtes Bochum II, Süd vgl. StAB, ABS, Nr. 238, fol. 165, Nordstern Unfall- und Haftpflicht-Versicherungs-AG, Versicherungsschein Nr. 201900 vom 20. November 1918. Vgl. Rieve, Kollektive Sicherungssysteme bei Tumultschäden, S. 98–100; vgl. Horster, Der Ersatz von Tumultschäden, S. 76–87. In nur kurzer Zeit nach Ausbruch der Revolution boten zahlreiche Gesellschaften „Deckungen gegen Unruhegefahren an.“ (S. 76) 95 StAB, ABS, Nr. 238, fol. 167 RS, Nordstern Unfall- und Haftpflicht-Versicherungs-AG, Versicherungsschein Nr. 201900 vom 20. November 1918. Die 15. Frage regelte diese „besonderen Vereinbarungen“ mit den Versicherten. Vgl. Bieber, Bürgertum, S. 246ff. 96 StAB, AG, Nr. 205, ohne fol., Schreiben Kriegsministerium, Nr. 900/12.18.A.6 an Regierungspräsidenten Arnsberg, betr. Ausstattung von Sicherheitstruppen mit Handgranaten, Berlin 27. Dezember 1918.
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Wachmannschaften der dort herrschenden Dunkelheit des Raumes ausgesetzt worden waren.97 Die aus den sozialen Protestpraktiken resultierende Veränderung des materiellen Raumes wirkte somit wieder zurück auf die Akteure. Die Absperrung beispielsweise einzelner öffentlicher Wege durch Drahthindernisse während der Märzunruhen war daher eine militärische Notwendigkeit zum Schutze bestimmter Stadtteile und militärisch wichtiger Anlagen. Da auch hier zahlreiche Ersatzansprüche für Sachschäden bei den Ausschüssen eingingen, die infolge von Beschädigungen durch den Stacheldraht geltend zu machen versucht wurden, musste hier das Reichswehrministerium offiziell reagieren. Drahthindernisse durch Aufstellung von Posten, Tafeln oder Nachtbeleuchtung kenntlich zu machen, sei aus militärischen Gründen zu vermeiden, da die Hindernisse sonst ihren Zweck nicht erfüllen würden. Daher müsse besonders darauf hingewiesen werden, dass „in unruhigen Zeiten für jedermann gebotene Vorsicht beim Bewegen außerhalb der Wohnung“ herrsche, solange die Möglichkeit eines Wiederauflebens von Unruhen bestehe.98 Das Ausheben von Schützengräben war eine aus dem Krieg erlernte gängige Praxis, die nun auf den Straßenraum übertragen wurde. Die umkämpften Gebäude konnten von sogenannten Revolutions-Fotografen jedoch in der Regel erst nach den Kämpfen betreten werden, „dann wurden die Verwüstungen und Beschädigungen abgelichtet.“99 Manche Kampfgebiete waren gerade im März 1919 durch die Regierungstruppen gänzlich abgesperrt worden, wenngleich die Seite des Staates gegenüber den Revolutionären oft einen Platzvorteil erhalten hatte. Der Fotograf wurde zum Chronisten der Revolution, der den Lärm und die Hektik der Situation regelrecht hörbar machte. Dass diese Absperrungen und Blockierungen bestimmter Straßenzüge den Alltag erheblich belasteten, wird am folgenden Beispiel deutlich. In der Strafsache gegen den Malergehilfen Paul Brenner sagte die Zeugin Helene Dresner aus, dass normale Wege nicht benutzbar waren:100 „Wir sind von unserer Wohnung Blumenthalstr. 29 nach der Frankfurter Allee und von da die Königsbergerstrasse bis zum Grünen Weg und diesen bis zur Ecke der Markusstrasse gegangen. Hier war alles abgesperrt, sodass wir nicht weiter konnten. Hier haben wir etwa ½ Stunde
97 StAB, AL, Nr. 858, ohne fol. Schreiben Elektrizitätswerk Westfalen, XX Flg/M. an Arbeiterund Soldatenrat Langendreer, betr. Strassenlaternen Langendreer, Bochum 30. Dezember 1918. 98 BA B, R 1501, Nr. 116427, fol. 340, Schreiben Reichswehrministerium, Nr. 234.7.20.V.4., an Reichsminister des Innern, Berlin 14. Juli 1920. 99 Kerbs, Revolution und Fotografie, S. 21. Römer hatte mit einer 13X18 Nettel Deckrullo Plattenkamera zahlreiche Szenen auf den Straßen festgehalten. Auffällig viele der Fotografien dokumentieren die Spuren der Kämpfe und zeigen zerstörte Häuser, Plätze und Straßen. Zwischen Dezember 1918 und März 1919 machte Römer ca. 200 Aufnahmen, die zu bedeutenden Bildern der Revolutionsgeschichte wurden. 100 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 492, ohne fol., Strafsache gegen den Malergehilfen Paul Brenner, Aussage der Zeugin Helene Dresner, Berlin 3. Juli 1919; vgl. Weiss, und Politik, S. 113, Abb. 101f., Weiss beschreibt, wie man die Drahtverhaue in den Straßen von Berlin rund um das abgesperrte Schlossviertel installiert hatte.
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7. „Von anderen Räumen“ – Raumqualitäten und Wirkmächtigkeiten gestanden und sind dann umgekehrt und warn [sic] etwa um ¼ 12 Uhr wieder in unserer Wohnung. Als wir durch die Frankfurter Allee kamen, war dort ein Auflauf- durch die grosse Frankfurterstr. sind wir überhaupt nicht gekommen. Ich habe einen kleinen Handwagen von der Frau Schulz Blumenthalstr. geholt und mein Mann ist dann etwa um ½ 12 Uhr mit der Frau Adam Schannweberstr. 26 weggefahren, um von der Hauptstrasse Holz zu holen.“101
Verneint hatten sie, dass sie dorthin gegangen seien, wo Unruhen oder Menschenaufläufe sich auf der Straße befanden hatten. Das System der Absperrungen führte nun wiederum dazu, dass man bestimmten Personen erst die Erlaubnis zum Passieren erteilte und Posten hierfür ein Durchgangsgeld verlangten. Sowohl die „Spartakisten“, als auch das Militär bedienten sich dieser Absperrungsstrategien, während das Militär sogar offiziell angewiesen wurde, „vorbereitendes Hindernismaterial“ in den Garnisonen bereitzustellen.“102 Diese aus den Städten resultierende Praxis fand auch Anschluss im ländlichen Raum. Bei Überfällen durch Banden sollten hier die Zufahrtsstraßen durch das Spannen von starken Drähten, das Zusammenfahren von Wagen und der Versperrung der Wege durch starke Baumstämme geschützt werden.103 Viele der revolutionären Aktionen angefangen vom kleinen unbeteiligten Ladenbesitzer, dessen Geschäft während der Unruhen beschädigt worden ist, über den Passanten in Zivil, welcher während einer Schießerei verletzt worden war, bis hin zu größeren Auseinandersetzungen, veränderten den Lebensraum der Menschen. Durch die Wirksamkeit des Raumes wurde somit offenbar unbewusst das Handeln der Akteure beeinflusst, wenngleich wiederum von denselben versucht wurde, durch bestimmtes Umarrangieren des Raumes diesem Prozess entgegenzuwirken. Die Neuregelung durch ein Entschädigungsgesetz kann daher als unmittelbare Reaktion auf die Schwierigkeiten im Umgang mit dem öffentlichen Raum während der revolutionären Ereignisse gedeutet werden. Das alte Tumultschadensgesetz reichte hier nicht mehr aus, die zunehmend in ihrer Komplexität steigernden revolutionären Auseinandersetzungen im öffentlichen Raum gerecht zu entschädigen, da der Staat als Schutzinstitution des öffentlichen Raumes nicht immer eindeutig hierfür eintreten konnte, gerade weil verschiedene Ordnungsvorstellungen der sozialen Formationen miteinander konkurrierten.104 Insofern kann auch die Verhängung des Schießbefehls durch Noske als ein hilfloser, jedoch drastischer Versuch gewertet werden, auf die Unordnung des Raumes zu reagieren. Die subtilere Form von Raumwirkungen als alternativen Zonierungen von Raum und Räumlichkeit 101 LA B, A Rep. 358–01, Nr. 492, ohne fol., Strafsache gegen den Malergehilfen Paul Brenner, Aussage der Zeugin Helene Dresner, Berlin 3. Juli 1919. 102 LAV NRW W, Oberpräsidium Münster, Nr. 4608, fol. 30, Reichswehr-Brigade 31, Abt. Ic Nr. 45, verteilt wie Brigade Ia 45, Bezug Brigade Ia Nr. 45 pers. vom 16. September 1919, Münster 22. September 1919. 103 StAL, NA Abt. 16, Nr. 149, ohne fol., Landesschutz Geschäftsstelle der Einwohnerwehren auf dem Lande, Richtlinien zur schnellen Aufstellung von Landesschutzverbänden, S. 6. Diese enthielten im Wesentlichen dieselben organisatorischen Bestimmungen. Jede Gemeinde sollte einen oder mehrere „Alarmplätze“ bestimmen, die bei drohender Gefahr aufzusuchen waren. 104 Siehe hierfür den Fall des Köln-Neuessener-Bergwerkverein gegen die Stadt Essen. Vgl. StAE, Rep. 102 XXV, Nr. 104 u. 105, ohne fol., Klage des Köln-Neuessener-Bergwerkverein gegen Stadt Essen wegen Forderung von 100.000 Mark.
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entzogen sich hierbei einer rein geographischen Verortung. Vielmehr erweiterten diese Räume das Tableau der verschiedenen Raumebenen und fanden Eingang in die Konstruktionsmechanismen zur Generierung sozialer Wirklichkeiten als Faktor menschlichen Zusammenseins. 7.4 ZUSAMMENFASSUNG Den vorherigen Ausführungen nach kann Raum nicht nur als eine symbolisch und diskursiv hergestellte oder durch soziale Praktiken angeeignete Entität aufgefasst werden, vielmehr wurde versucht, auf eine eigene Agency des Raumes hinzuweisen. Mit diesem Ansatz ist der Versuch unternommen worden, umfangreichen aktuellen Tendenzen kulturhistorischer Forschungen folgend, eine Rematerialisierung anzustreben, ohne in einen essentialistischen Duktus und eine Materialisierung von Geschichte zu verfallen. Die behandelten Fälle sollten auf andere Qualitäten und Wirkmächtigkeiten von Räumen hinweisen, die sich nicht allein im Diskursiven oder in Handlungen auflösen ließen. Strukturverändernde Maßnahmen wie Veränderungen im Gesetzeswesen zeugten zudem davon, dass man auf mit dem materiellen Raum in Zusammenhang stehenden Probleme strukturell zu reagieren bemüht war. Gerade die Verschmelzungen von öffentlichen und privaten Räumen resultierten aus einem zunehmend umfangreicher werdenden Repertoire der Akteure, sich aktiv und mit neuen Regeln für oder gegen die Revolution zu stellen. Die angedeuteten Fälle wiederum zeigten, dass dieses unter widrigen Umständen oftmals gelingen konnte und die Straße tatsächlich wieder „frei“ wurde, wenn die Akteure oder unbeteiligte Zivilisten sie zunehmend mieden. Die normative Zonierung bestimmter Areale der Stadt entzog sich vielfach einer rein geographischen Verortung. Diese so bezeichneten Atmosphärenräume waren daher auch wesentlicher Bestandteil der je eigenen Konstruktion von Wirklichkeit, während die „dunkle Ecke“ oder die „hintere Gasse“ oftmals Einfluss auf die Handlungen der Akteure ausübten. Waren diese alternativen Räume zwar auch kulturell codiert, so kann ihnen doch ein wirkmächtiger Rest zugestanden werden.
SCHLUSS: DIE WIRKLICHKEITEN VON RÄUMEN WÄHREND SOZIALER UNRUHEN UND DEREN RAUM-ZEIT DIMENSION Die Novemberrevolution stellte einen Höhepunkt einer als massiv empfundenen Umbruchsituation für die historischen Zeitgenossen dar. Vor dem Hintergrund des mit dem Ersten Weltkrieg ausgemachten Beginns dieses „Katastrophenzeitalters“ äußerte sich der „Kampf um die Moderne“ auch in einem grundlegenden Wandel von Ordnungsvorstellungen der Menschen.1 Während dieses Krisenbewusstsein aus den Erfahrungen einer offenbar „verkehrten Welt“ resultierte, wurde die Revolution als Umbruchs- und Entscheidungssituation, als Kulminationspunkt dieses Krisenszenarios wahrgenommen. Konflikte um Raum und seiner mehrdimensionalen Ausgestaltung gerieten hierbei ins Zentrum der Revolution. Der spezifische Umgang mit Raum wurde je nach sozialer Formation daher als Mittel interpretiert, jenseits aller bisher bekannten Strategien und Selbstverortungen auf diese massive Krisenerfahrung zu reagieren.2 Dabei wurde versucht in vorliegender Arbeit aufzuzeigen, dass nicht ausschließlich die Kämpfe um das physische Terrain als den Gruppenzusammenhalt festigende Handlungen von Bedeutung waren, sondern Raum auch auf einer symbolischen Ebene in vielfältiger Weise konstruiert, produziert und different wahrgenommen wurde. Eine in Unordnung geratene, oftmals chaotisch wirkende Welt, weckte offenbar in vielen Menschen jenseits ihrer politischen Zugehörigkeit das Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit, um so in einen geordneten Status zurückzufinden. Die Formen der Wahrnehmung waren hierbei unterschiedlichen sozialen und politischen, aber auch individuellen Erfahrungen geschuldet und eröffneten den Akteuren neue Räume zur eigenen politischen Artikulation und Willensbildung, jedoch auch zu sinn- und bedeutungsgenerierenden Handlungen. Im Zuge dessen verorteten sie sich innerhalb dieses Raumgefüges mithilfe eigener, individuell angepasster Praktiken. Diese anderen Formen der Raumwahrnehmungen und -praktiken waren nicht zuletzt durch den Krieg und die umfassenden Demobilmachungsprozesse massiv geprägt worden. Die Erfahrungen der kämpfenden Soldaten in den Schützengräben hatten gezeigt, dass Raum zunehmend anders wahrgenommen wurde und konnotiert war, die richtungsgeographische Einteilung von Räumen nun mit Bedeutungen aufgeladen wurde. Dieses hat sich offenbar auf die späteren bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen in den Städten übertragen, in denen man vermehrt die geographische Anordnung des Schlachtfeldes nun auch auf den städtischen Raum in der Revolution transferierte. Zugleich waren besonders die Städte mit einer großen 1 2
Hobsbawm, Zeitalter der Extreme; vgl. Mai, Europa 1918–1939, S. 10–14; Hardtwig, Einleitung. Ordnungen, S. 11–17. Für eine Relativierung dieser Krisenhaftigkeit und den konstruktiven Charakter und die historische Offenheit betonend vgl. Föllmer/Graf (Hrsg.), Die „Krise“ der Weimarer Republik; vgl. Bessel, Die Krise.
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Masse an zurückkehrenden Soldaten konfrontiert, weshalb in erster Linie zunächst Räume geschaffen werden mussten, um die Soldaten mittelfristig unterbringen zu können. Da sich dieses als kein rein physisches Problem herauskristallisierte, zeigten weitreichende Bemühungen die Heimkehrer nun auch in die Gesellschaft zu reintegrieren, denn vielen Soldaten war ihre Heimat fremd geworden. Die zahlreichen Kriegsinvaliden passten offenbar nicht so recht in das gewohnte öffentliche Bild der Stadt. Zusammen mit den unversehrten Soldaten füllten sie die Straßen in diesen Tagen und veränderten das jeweilige Bild der Städte. Um diese Annahme zu belegen, wurde versucht nachzuweisen, dass die umfangreichen Maßnahmen zur symbolischen Ausgestaltung des Raumes durchaus als Indiz zu verstehen sind, dass die Zeitgenossen sich der Wirkung und Kraft bestimmter Räume offenbar bewusst gewesen sein mussten. Mehrfach wurde von ihnen darauf hingewiesen, dass ein ungeordneter, chaotischer erster Kontakt an den Bahnhöfen die negative Weltkriegserfahrung der Soldaten in die Städte tragen würde. Wenngleich die Studie keiner chronologischen Gliederung folgt, so ist doch an einzelnen Stellen auf die zeitliche Entwicklung und den prozesshaften Charakter des Verräumlichens hingewiesen worden. Mit dem Begriff der kulturellen Verräumlichung wurde somit versucht, Bindekräfte von sozialen Formationen zu erklären und als Reaktion und Strategie auf die ambivalenten Begleiterscheinungen der Moderne zu interpretieren, welche im engeren Zeitraum der Revolution der Jahre 1918-1920 ihren Höhepunkt erreichten und in einer besonderen Problemkonstellation kulminierten. Gleichzeitig konnten vom Raum Rückwirkungen ausgehen, die sich in der Gründung neuer sozialer Formationen oder strukturellen Veränderungen manifestierten. Wenngleich die Studie keiner chronologischen Vorgehensweise gefolgt ist, so konnte doch an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen werden, dass sich räumliches Handeln sukzessive in Routinen verstetigte und feiner ausdifferenzierte als vor der Revolution. Gerade die Untersuchung der Spätphase der Weimer Republik böte unter raumanalytischer Perspektive mit Spannung zu erwartende neue Erkenntnisse, die für die weitere Erforschung der transnationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts von Bedeutung wären. Gerade mithilfe praxeologischer Ansätze lässt sich das Prozesshafte des Verräumlichen betonen, sodass ein vermeintlich zu eng gewählter Raumdeterminismus vermieden werden kann. Diese Entwicklungslinien betonend, hat die Arbeit daher mit einem Argumentationsschritt des ersten Kapitels Anschluss an die ältere Protest- und Streikforschung hergestellt und gerade darauf verwiesen, dass neue Formen kollektiven Protests nicht ausschließlich als alleiniges Resultat der Revolution interpretiert werden können, sondern als Phänomen einer sich sukzessive entwickelnden, lang andauernden Protestkultur angesehen werden muss. Deshalb erschien es umso wichtiger, auf die ambivalenten Begleiterscheinungen einer sich um die Jahrhundertwende rasant beschleunigenden Modernisierung hinzuweisen, welche maßgeblichen Einfluss auf ein neu entstehendes Protestverhalten in den Städten gehabt haben muss. Dabei übten gerade die Städte aufgrund ihrer räumlichen meist problematischen Beschaffenheit, welche sich durch die oftmals bauliche Enge und schlechte Wohnverhältnisse, aber auch durch erhöhte Kriminalitätsraten äußerte, Wirkung auf das Verhalten der Akteure im öffentlichen Raum aus. So wurde dem öffentlichen Raum
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als Bühne politischer Willensartikulation zunehmend mehr Bedeutung geschenkt. Dieses äußerte sich nicht zuletzt in einem organisierteren Protestverhalten der Arbeiter gegenüber den Aktionen um die Jahrhundertwende und der Entdeckung der Straße für kollektive Ausdrucksformen. Mit der Untersuchung der Arenen politischer Kämpfe als Brennpunkte der Revolution sollte daher noch intensiver auf die materielle Ausgestaltung des Großstadtraums mit seiner baulichen Enge und den schlechten Wohn- und Hygieneverhältnissen eingegangen werden, um nachzuweisen, dass die materielle Ausprägung des Raumes durchaus Wirkung auf die Handlungen der Akteure ausüben konnte. Da die Revolution in erster Linie ein städtisches Phänomen war und die räumlichen Untersuchungsschwerpunkte auch nach diesem Kriterium ausgewählt wurden, waren es besonders die Bauten der staatlichen Repräsentanz, welche mit ihrer starken symbolischen Aufladung und Bedeutung zu bevorzugten Orten der revolutionären Auseinandersetzungen wurden. Sie symbolisierten das untergegangene Kaiserreich und wurden deshalb nicht nur physisch, sondern auch auf einer symbolischen Ebene durch die neuen Akteure besetzt. Hierbei wurden diesen Gebäuden oftmals verschiedene Bedeutungen und Funktionen zugeschrieben, wenn unterschiedliche Gruppen denselben Ort anders wahrnahmen und nutzten. Oftmals fungierten die Orte dann als Ausgangs- und Treffpunkte für Demonstrationszüge. Für dieses ambivalente Bild zwischen der Normalität des Alltags und den bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen steht gerade Berlin als paradigmatischer Fall. Spätestens mit der Eingemeindung zahlreicher Orte zu einem Groß-Berlin im Jahr 1920, war die Stadt zu einer Metropole angewachsen, die als größte Mietskasernenstadt der Welt zum Zentrum der Revolution wurde. Anders als dieser großstädtische Metropolenraum wies das westfälisch-industrielle Ruhrgebiet Kennzeichen eines Makroraumes auf. Zwar standen im Fokus der revolutionären Auseinandersetzungen auch hier die größeren Städte, jedoch zeichnete sich das Ruhrgebiet vielmehr als ein heterogenes wirtschaftliches und politisches Gebilde aus. Gerade deswegen diente die Region als „Herz der Bewegung“ für die Organisation weiterer kommunistischer Bestrebungen im Reich als Vorbild. Aufgrund der hier vorhandenen räumlichen Dichte der städtischen Ansiedlungen, aber auch der günstigen Verkehrsanbindungen, sowie zentraler Standorte wie Essen, Mühlheim, Wesel, Hagen, Dortmund, Hamborn oder Bochum zur Versorgung des gesamten Ruhrgebiets mit Strom, stellten diese unterschiedlichen Zentren der revolutionären Bewegung gute Möglichkeiten zur Kontrolle des gesamten Makroraums dar. Wesentlich punktueller und zentraler gestaltete sich hingegen die Organisation des Militärs im Ruhrgebiet. Die Zuständigkeiten bündelten sich für den gesamten Industriebereich in Münster mit dem Sitz des VII. Armeekorps. Von hier aus wurden Gegenmaßnahmen gegen die großen Streikbewegungen im Ruhrgebiet organisiert. Gerade in den großen Streikaktionen war die räumliche Dichte der im Ruhrgebiet angesiedelten Zechen und Fabriken von besonderer Bedeutung, denn hier entwickelten sich von punktuellen Streikaktionen, rasend schnell weitere Solidarisierungsstreiks in benachbarten Orten, sodass es oftmals zu unkontrollierbaren Folgen kam. Eine nun folgende Verdichtung von hier stationierten militärischen Einheiten ist somit wiederum als Reaktion auf diesen schwierig zu kontrollierenden Raum interpretiert worden.
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Schließlich wurde in einem letzten Schritt auf den lokalen Bezugsrahmen als kleinste Raumeinheit der Akteure hingewiesen. Neben der für die Bewohner wichtigen eigenen Verortung entlang sozialer Milieus, waren gerade diese Mikroräume der Städte von zunehmender Wichtigkeit für die Akteure geworden. Diese konnten, wie im Falle des klassischen Kiezes, auch ohne klar erkennbare räumliche Grenzen definiert gewesen sein. Vielmehr bildeten lokale Bezugspunkte wie Kneipen und Wirtshäuser diejenigen Treffpunkte, welche für die Herausbildung von Gruppenidentitäten mitverantwortlich waren. Als Orte direkter face-to-face Kommunikation wiesen sie eine hohe Nutzungsfrequenz von Örtlichkeiten jenseits des eigenen Zuhauses auf, weshalb sie zwangsläufig in den Fokus des Revolutionsgeschehens rückten. Vielfach boten diese „halb-öffentlichen“ Räume sowohl einem heterogenen, als gleichzeitig auch spezielleren Publikum Raum für Handlungen zur individuellen Sinngenerierung. Gleichzeitig wurden so alternative Heimaträume zu den doch oftmals schlechten eigenen Wohnräumen der Stadtbevölkerung geschaffen. Während der Revolution kam es daher zunehmend zur Verschmelzung von öffentlichem und privatem Raum. Dieser Transformationsprozess ist nicht zuletzt als Folge der sich sukzessive neue Räume erschließenden sozialen Akteure interpretiert worden. Nach dem revolutionären Umsturz begann eine Vielzahl unterschiedlicher sozialer Formationen um die Wiederherstellung, Sicherung und Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in den Städten zu konkurrieren. Diese Auseinandersetzungen um differierende Ordnungsvorstellungen waren somit immer auch Auseinandersetzungen um die Frage, welche dieser Gruppierungen Macht und Kontrolle über den öffentlichen Raum ausüben durfte und konnte. Dabei wurde versucht herauszuarbeiten, dass durchaus nicht nur die „offiziellen“ Sicherheitsformationen wie die Polizei diese Aufgabe besaßen, sondern auch alternative Formationen für die Sicherung des öffentlichen und privaten Raumes entstanden. In lokal begrenzten Räumen hatten zunächst die überall entstehenden Räte diese sichernde Funktion inne, da sie einerseits die örtlichen Verwaltungen kontrollieren sollten und andererseits bei der Integration der zurückkehrenden Soldaten mithalfen. Mit deren Einquartierungen durch die Bereitstellung öffentlicher Gebäude und Privatwohnungen, samt der Versorgung mit Decken, Bettgestellen oder der Sicherstellung von Lebensmitteln, besaßen sie eine funktionale, aber auch nicht zu unterschätzende integrative Rolle beim Aufbau der Republik, während sie gleichzeitig dabei halfen, den integrationsbedürftigen Gruppierungen wieder eine sinnstiftende Funktion zu verleihen. Zusätzlich besaßen sie eine „reinigende“ Funktion des während der Revolution in Unordnung geratenen Stadtbildes, indem sie auf Gruppen wie die Arbeitslosen oder Kriegsversehrten positiv einwirkten, um diese wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Daher kann ihnen eine inkludierende Funktion und Vermittlerrolle im öffentlichen Raum zwischen den sozialen Formationen zugeschrieben werden. Mit ähnlicher Funktion, jedoch noch intensiverer Bindung zum jeweiligen lokalen Kontext, waren Wehrformationen zum Schutz des bedrohten eigenen Wohnraums in vielen Orten gebildet worden. Die Einrichtung von Wehren und Sicherheitsformationen kann so als Reaktion auf die in Unordnung geratenen kleineren
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Raumeinheiten oder Mikroräume gewertet werden. Im Verbund mit einzelnen Häusern bildeten sie ein Sicherheitsnetzwerk, um sich gemeinsam gegen mit der Revolution einhergehende gewaltsame Aktionen zu schützen. Gleichzeitig wurde jenseits der Betriebe ein kompletter Beschäftigungszweig geschaffen. Diese Strukturveränderungen manifestierten sich sowohl in der Gesetzgebung, als auch im Versicherungswesen. Die mit dem öffentlichen Raum in Zusammenhang stehenden Gefahren beeinflussten somit übergeordnete Strukturen und Handlungen, während gleichzeitig andere Formen des Zusammenschlusses sozialer Formationen zum Schutz des Raumes entstehen konnten. Da die „alte“ Polizei des Kaiserreichs nach der Umbruchsituation im November kurzzeitig vollends aufgelöst wurde, entstand hier zunächst ein Machtvakuum, da die für diese Aufgaben eigentlich vorgesehene Sicherheitsformation weggebrochen war. Mit der Errichtung einer eigenen militäranalogen Gruppierung für den öffentlichen Raum war die Polizei jedoch auch zum Unsicherheitsfaktor für die Alliierten nach Kriegsende geworden. Während die Armee durch den Versailler Vertrag drastisch reduziert werden musste, befürchtete man hier offensichtlich eine nun entstehende Ersatzarmee, welche gut trainiert und ähnlich umfassend ausgerüstet war wie das Militär – zumal diese Formation viele ehemalige Soldaten integrierte.3 Ordnungs- und Sicherheitsformationen folgten somit nicht ausschließlich der politischen Zugehörigkeit, sondern einer Logik wer in welchem Kontext den öffentlichen Raum mit welchen Mitteln zu schützen befugt war oder dieses für sich in Anspruch nahm. Die Auswirkungen aus diesem Konkurrenzverhalten äußerten sich in der Entstehung weiterer unterschiedlicher Sicherheitsformationen, welche zwar nicht direkt dieses als zentrale Agenda formulierten, jedoch die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung des Raumes als ihre zentrale Aufgabe interpretierten. Ein weiterer wichtiger Akteur mit eigenen Ordnungsvorstellungen stellte eine sich während des Ruhraufstandes im westfälischen Industrierevier zunehmend besser organisierende und institutionalisierende Rote Armee der Arbeiterschaft dar. Im Zuge der Militarisierung breiter Teile der Gesellschaft hatte sich auch diese soziale Formation als eine den militärischen Strukturen ähnliche bewaffnete Wehrformation errichten können, um die Kontrolle über verschiedene raumstrukturelle Elemente erlangen zu können. Entgegen der streng hierarchischen Gliederung der Reichswehr operierte die organisierte Arbeiterschaft mit einer eigenen Struktur. Diese war zwar dem Militär ähnlich aufgebaut, basierte jedoch auf kleineren Netzwerken und besaß den Vorteil einer oftmals besseren Kenntnis über lokale Gegebenheiten gegenüber dem Militär, welches häufig im gesamten Reich an den sogenannten Brennpunkten der Revolution eingesetzt worden war. Erstmalig hatte die KPD-Reichszentrale im Oktober 1919 einen Kurswechsel zu initiieren versucht, der darin bestand, die „revolutionäre Aktion“ nicht ausschließlich als Kampfmittel der Massendemonstration und Massenstreiks zu definieren, sondern gezielt aus den Betrieben und kleineren Raumeinheiten heraus besser organisiert gezielte Aktionen zu starten. Hierfür hatte man offenbar Strategien anderer Sicherheitsformationen wie
3
Vgl. Lucas, Märzrevolution, S. 420ff.
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denen der Einwohnerwehren zu kopieren versucht, um andere Akteure wie Arbeitslose oder Kriegsversehrte in die eigene Formation integrieren zu können. Da der gewünschte Erfolg von Massenaktionen nicht immer vollends eintrat, hatte die Rote Armee auch Praktiken und Strategien des Militärs in ihr eigenes Handlungsrepertoire implementieren können. Hierzu zählte die Observierung wichtiger Militärs und die Nutzung eigener non-verbaler Codes. Mit diesem verschlüsselten Nachrichtensystem versuchte man zudem, sich nicht die Macht über die Kommunikationsstrukturen in den Städten streitig machen zu lassen. Insgesamt wurden diese Strategien auch als Wunsch nach mehr Ordnung aus einem oftmals chaotisch empfundenen Raum während der sozialen Unruhen interpretiert. Aufgrund dieser Einteilung der Truppen hatte man sich zudem einen Standortvorteil gegenüber den oftmals von weit her angeforderten Reichswehrtruppen versprochen. Viele der zu Beginn der Revolution noch spontan anmutenden Praktiken wurden nun zunehmend ausdifferenziert. Es wurde versucht in der Arbeit nachzuweisen, dass diese zunehmende Ausdifferenzierung des Gruppenhandelns zu einer Verschmelzung von öffentlichem und privatem Raum führen konnte. Dieses resultierte wiederum aus dem lokalen Standortvorteil, den man gegenüber dem stets mobilen Militär besaß. Die gegenseitige Abgrenzung funktionierte hierbei nicht ausschließlich über die unterschiedliche strukturelle Zusammensetzung der Formationen und deren verschiedene Handlungen, sondern auch auf der diskursiven Ebene über Zuschreibungen. Während die eigene Formation in der politisch nahestehenden Presse als „schlagkräftig“ und „wohlorganisiert“ bezeichnet wurde, führten Zuschreibungen des Gegners zu deutlich negativeren Konnotationen der Gruppe, wenn je nachdem von welcher Gruppe ausgehend von „plündernden Banden“, „roten Horden“ oder „NoskeBanditen“ berichtet wurde. Inklusions- und Exklusionsprozesse funktionierten demnach offenbar auch über positives und negatives Auftreten im öffentlichen Raum, sowie der Wahrnehmung über die eigene Rolle zur Aufrechterhaltung und Sicherung der Ruhe und Ordnung. Die Arbeit hat mit diesem Argumentationsschritt zu zeigen versucht, dass von Beginn bis zum Ende der Revolution ein Prozess der Verräumlichung stattfand, der jedoch keineswegs nach Beendigung des Kapp-Putsches und der Märzunruhen als beendet erklärt werden konnte. In den späteren Jahren der Weimarer Republik hatte besonders die KPD versucht mit bestimmten Verhaltenskodizes auf die räumlichen Gegebenheiten während öffentlicher Protestund Willenskundgebungen hinzuweisen. Dieser Sache weiter nachzugehen, wäre in Zukunft vermutlich eine lohnenswerte Aufgabe der Forschung. Die Auseinandersetzungen dieser militärähnlichen Formation mit der Reichswehr führten daher auch dazu, dass die Städte oftmals den Kriegslandschaften glichen. Die sich nun Gegenüberstehenden hatten diese Erfahrungen nur kurze Zeit zuvor gemeinsam durch das Fronterlebnis tief in ihren Gedächtnissen verankern lassen. In dieser Konkurrenzsituation von sich für die Sicherung der Ordnung verantwortlich fühlenden unterschiedlichen Formationen wurde wiederum bestimmten Akteuren eine ordnungsstörende Rolle im öffentlichen Raum zugeschrieben. In der Arbeit wurde mit diesem Argumentationsschritt versucht, die Rolle der Jugendlichen und im öffentlichen Raum jenseits ihrer institutionellen Organisationen, die ohnehin nicht stark ausgeprägt war, zu verorten. Dieses funktionierte offenbar
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ebenfalls wie im Falle der Roten Armee auf diskursiver Ebene durch gesonderte Zuschreibungen. Als Akteure traten diese jedoch auch aufgrund ihres eigenen Handlungskanons und der Adaption sozialräumlicher Protestpraktiken der anderen Formationen in Erscheinung, während sie sich zunehmend eigene Räume zu erschließen begannen. Ähnlich wie andere lose Formationen waren Jugendliche und Frauen besonders stark umworbene Gruppierungen, welche für die jeweils eigene Funktion zur Aufrechterhaltung und Sicherung des öffentlichen Raumes instrumentalisiert wurden. Wenn von der Beteiligung von Frauen an Protestaktionen wie dem Umstürzen von Eisenbahnwagen berichtet wurde, sollte dieses auf die Violenz „spartakistischer“ Aktionen hinweisen. Auf der anderen Seite diente die Anwendung von Gewalt an Frauen als ähnlicher Katalysator für diese Zuschreibungen. Eine Untersuchung der Gruppen von Menschen mit Migrationshintergrund wäre hier eine weitere die Forschung weiterbringende Aufgabe. Anders als die besser organisierte Arbeiterschaft, die Wehren oder das Militär schufen sich Jugendliche und Frauen alternative Formen der Raumerschließung. Besonders durch das Singen oder Lärmen wurden hierbei temporäre Räume geschaffen, gegen die die Staatsgewalt ein Vorgehen mit Waffengewalt kaum legitimieren konnte. Zugleich trugen diese Handlungen zur Sinngenerierung und zur Stabilität des Gruppenzusammenhalts bei. Oftmals nutzten diese losen sozialen Formationen die besser organisierten Demonstrationszüge der Arbeiterschaft, um ihre eigenen bedeutungsgenerierenden Handlungen aufzuführen, die im Falle der Jugendlichen nicht selten in Plünderungsaktionen mündeten. Wenngleich diese als unscharfe soziale Bewegungen weniger institutionalisiert schienen und weniger Quellenmaterial hinterlassen haben, waren sie jedoch ein wichtiger Bestandteil vieler Straßenszenen der Revolutionszeit. Mit diesem Argumentationsschritt wurde das Tableau von Politisierungsprozessen in seiner breite an entscheidenden Stellen zu erweitern versucht, wenn breite Teile der vermeintlich als amorphe Masse zu charakterisierenden Masse sukzessiv ein politisches Bewusstsein und einen daran anknüpfenden Katalog diverser Handlungen entwickeln konnten. Die Arbeit möchte somit einen Betrag leisten auf den Prozesscharakter politischer Handlungen hinzuweisen und den Blick zunächst auf den vermeintlich vorpolitischen Raum zu richten. Außerdem wurde somit ein anderer Blick auf die innere Kohäsion sozialer Formationen zu richten versucht, der nach anderen Kräften der Gruppenzusammengehörigkeit und Gruppenhandelns fragt. In einem vierten Argumentationsschritt standen nun die bereits vorher mehrfach angeschnittenen Strategien zur Überwachung und Kontrolle von umkämpften Räumen im Fokus der Analysen. Exemplarisch sollte anhand des politischen Nachrichtenbüros Heinz Kölpins beim Wehrkreiskommando VII in Münster auf die umfassenden Raumerschließungsstrategien besonders der Reichswehr eingegangen werden. Hierbei konnte vor allem auf die unterschiedliche Wahrnehmungsperspektive, sowohl der Reichswehr über die „Spartakisten“, als auch umgekehrt eingegangen werden. Zunächst wurde hierfür die Entwicklung der politischen Nachrichtendienste und der politischen Polizei nachgezeichnet. Das sich zunehmend feiner ausdifferenzierende Spionage- und Spitzelsystem fand mit Beginn der Revolution seinen Höhepunkt. Die Revolution wurde hierbei als eine Zeit der ständigen Obser-
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vierung, des Beobachtens und Kartierens des öffentlichen Raumes interpretiert. Mit der Analyse politischer Spitzelberichte sollte auf die Organisation von Raum, sowie die Abgrenzung der unterschiedlichen sozialen Formationen rekurriert werden. Gerade im Kontext von Streiks und Demonstrationen besaß der politische Nachrichtendienst im Kampf um die Informationshoheit eine immens wichtige Bedeutung. Die gewonnenen Informationen konnten so wiederum in die eigene Handlungspraxis zurückfließen und besonders Erfolge während des Kapp-Putsches und der Märzunruhen aufweisen. Diese „Spitzelseuche“, wie es der Polizeivizepräsident von Berlin Bernhard Weiss treffend formuliert hat, ist jedoch „allen Seiten“ zu attestieren.4 Die zentrale Arbeit des Büros Kölpin bestand in der Erfassung „radikaler Elemente“. Die gewonnenen Informationen von den oftmals in gegnerischen Räumen verdeckt operierenden Agenten flossen in die Raumerschließungs- und Verortungsstrategien der Reichswehr ein. Das Herzstück der Arbeit Kölpins bestand daher in der Anfertigung umfangreicher, alternativer Kartierungen, in denen der Wohnraum, aber auch die politische Gesinnung und Besonderheiten verzeichnet wurden. Mithilfe dieser umfassenden Pläne war das Militär in der Lage, „prophylaktisch“ auf bevorstehende, spartakistische Aktionen reagieren zu können. Über die bereits bekannte Einteilung der Städte in diverse Milieus wurden somit alternative Kartierungen in Form einer Schablone gestülpt, die in die Handlungspraktiken des Militärs einflossen. In der nachrichtendienstlichen Praxis wurden somit wertvolle Informationen über die Räume und Personen des Gegners gewonnen, um die „Schwächen“ des politischen Gegners zu lokalisieren. Hier konnte herausgearbeitet werden, dass sich gerade die „spartakistischen“ Gruppierungen des Mittels der symbolischen Kommunikation bedienten und zudem mittels non-verbaler Kommunikation den öffentlichen Raum mit Zeichen und Symbolen versahen. Durch die Analyse der Spitzelberichte konnte ferner auf die räumliche Organisation geschlossen werden, wenn sich die Zusammensetzung roter Kampfformationen nach Bezirken und Straßenzügen vollzog. Die Anwendung von Gewalt stellte sich als ein probates Mittel dar ein gemeinsames Feindbild zu konstruieren, wenngleich darauf hingewiesen wurde, dass die Berichterstattung durch die Agenten nicht immer von einem hohen Wahrheitsgehalt geprägt gewesen sein musste. Die Agenten standen nämlich offenbar häufig unter dem Zwang, Informationen liefern zu müssen. Dennoch wurde versucht herauszuarbeiten, dass durch die Wahrnehmungsbeschreibungen der Agenten ein gemeinsames Feindbild gestärkt wurde. Lohnenswert erscheinen hier weitere Forschungen mit globaler und vergleichender Perspektive, denn viele Zeitgenossen berichten von ihren im Ausland gemachten Erfahrungen mit räumlichen Phänomenen und damit zusammenhängenden Problemen. Für das Sicherheitsempfinden waren die Nachrichten- und Spitzeldienste also besonders während des Kapp-Putsches von großer Bedeutung. Mit der Gruppe um Kapp traten hier weitere Akteure auf die Bühne der Revolution, welche aus reaktionärer Perspektive die Errungenschaften der Revolution zu gefährden schienen. Besonders die Reichswehr geriet als verfassungstreue soziale Formation durch dieses putschistische Unternehmen offenbar in einen Gewissenskonflikt, denn sie sollte 4
Weiss, Polizei und Politik, S. 106.
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als Element zur Sicherung und Aufrechterhaltung des Raumes unerwartet das Mittel des Generalstreiks zahlreicher Arbeiterinnen und Arbeiter unterstützen, um diese gegenrevolutionären Bestrebungen zu beenden. Die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen – gerade in Berlin – hatten daher eine katalysatorische Wirkung auf viele Städte, speziell des Ruhrgebiets. Die Reichswehr hatte rund zwei Jahre nach Beginn der Revolution einen Gegner erhalten, welcher gut organisiert und geführt nach oftmals einheitlichem Plan operierte. Im gesamten Reich traten somit weitere Formationen um strategisch-taktische Verräumlichungsstrategien in Konkurrenz. Gleichzeitig konnte sich die Reichswehr als Befreier vieler belagerter Städte inszenieren. Die Wahrnehmung des Raumes gestaltete sich daher als eine weitere Ebene der Wirklichkeit für die Akteure. Als zentrales Mittel gegen die sich zunehmend radikalisierende revolutionäre Bewegung konnte die Verhängung des Belagerungs- und Ausnahmezustandes herausgearbeitet werden. Die Staatsgewalt hatte so versucht, die Kontrolle über den öffentlichen Raum zurückzugewinnen. Strafrechtliche Vergehen konnten demnach mittels außerordentlicher Kriegsgerichte im beschleunigten Verfahren geahndet werden. Mit der sich stetig häufenden Verhängung des Ausnahmezustandes, versuchte der Staat zudem auf die seit Beginn der Revolution gemachten Erfahrungen mit alternativen Strategien zu reagieren. Gleichzeitig konnten damit die Produktionsverhältnisse und Infrastrukturen aufrechterhalten werden, was gerade zu Beginn der Revolution und während ihrer Radikalisierung im Januar 1919 mehrfach außer Kontrolle geraten war. Dass von diesen mit dem Raum in Zusammenhang stehenden Problemen Wirkung auf übergeordnete Strukturen ausgehen konnte, zeigt die damit zusammenhängende Neuregelung des Ausnahmezustandes als Reaktion auf die sozialen Unruhen der frühen Revolutionsphase. Im folgenden Argumentationsschritt wurden die symbolischen Repräsentationsformen und kulturellen Strategien untersucht, mit denen sich die unterschiedlichen Formationen voneinander abzugrenzen versuchten. Hierbei konnte herausgearbeitet werden, dass die Räume der Revolution nicht nur als Kämpfe um physisches Terrain gedeutet werden können, sondern die Revolution eine zutiefst symbolisch aufgeladene Raumdimension aufwies. Dabei wurde das Tragen bestimmter Kleidung und symbolischer Accessoires nicht allein als symbolische Kommunikation gewertet, sondern als ein Mittel gegengelagerte Räume zu durchschreiten und temporär zu produzieren. Gleichzeitig grenzten sich die Akteure durch die unterschiedlichen Formen der symbolischen Kommunikation voneinander ab und stärkten so ihr eigenes Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl. Der eigene Körper diente somit als symbolisch besetzte Grenze. Kleidung, Gesten und Zeichen fungierten demnach offenbar als Identitäts- und Machtgeneratoren und bestimmten so das Verhältnis vom Einzelnen zur Gruppe. Am Beispiel der Flucht des Polizeipräsidenten Freiherr von Salmuth wurde besonders auf die Wichtigkeit von Kleidung und spezifischer Codes für Inklusions- und Exklusionsprozesse während sozialer Unruhen hingewiesen. Mit den Analysen der Erlebnisberichte und polizeilichen Überlieferungen wurde so versucht die These zu stärken, dass Abgrenzungsstrategien über rein normativ politische Verortungen die Erklärung von Gruppenbindungen nicht hinreichend erscheinen lässt, sondern in Aushandlungsprozessen im öffentlichen
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Raum geführt worden sind. Diese These wurde durch weitere empirische Beispiele zu fundieren versucht. Gerade in den Kämpfen sich einander gegenüberstehender bewaffneter Formationen rund um den Kapp-Putsch, wurde sowohl der physische, als auch der symbolische Einsatz von Gewalt als ein Mittel interpretiert, Räume zu besetzen. Der Kampf um den symbolischen Raum der Revolution wurde demnach auch als ein Kampf um die Repräsentation des Stadtraumes geführt. Mit der Untersuchung von Stimmungsberichten an die Informationsstelle der Reichsregierung konnte demnach gezeigt werden, dass eine symbolische Repräsentation des Kaiserreichs durch Denkmäler und Gebäude der staatlichen Repräsentanz und Verwaltung nach der politischen Umwälzung nicht mehr gewünscht erschien. Dass sich die Akteure zunehmend der Wirkung dieser Symbole bewusst zu werden schienen ging aus der Analyse einiger paradigmatischer Fallbeispiele hervor. Hier war die Kraft des Symbolischen bewusst instrumentalisiert worden, indem man die vertrauten Routinen umkehrte und sich wie im Falle des Tausches von roten und weißen Armbinden nun vermeintlich der „verfassungstreuen“ Seite anschloss. Ähnliche Wirkung konnte von der medialen Vermittlung von Gewalt ausgehen, wenn diese als ein Mittel eingesetzt wurde, Verängstigungen in der Bevölkerung zu erzeugen und eine Atmosphäre der Gewalt zu schaffen, indem man Drohkulissen und Gefahrenräume konstruierte. Die Auseinandersetzungen um die bereits angesprochene Informationshoheit und die symbolische Repräsentation des Raumes wurde durch eine dritte Form der Raumrepräsentation ergänzt. Raum wurde hierbei durch eine Vielzahl unterschiedlicher Flugblätter und Plakate repräsentiert. Neben der quantitativen Häufung, welche wohl zwischen dem 9. November und dem 31. Oktober 1919 mit allein von Kommunisten verbreiteten ca. 12 Millionen Flugblättern ihren Höhepunkt erreichte, waren diese Medien auch durch eine zunehmend andere Qualität gekennzeichnet. Wenn Fotografien mit gewaltsam verstümmelten Körpern im Straßenraum verteilt wurden, so kann dieses als Beleg für die Konstruktion eines Bedrohungsszenarios im öffentlichen Raum der Straße gewertet werden. Zudem warben fast alle sozialen Formationen mit diesem während des Kaiserreichs verbotenen Medium und dank der Verfassung nun gewährleisteten Presse- und Meinungsfreiheit für den Eintritt in die jeweilige Gruppierung. Die Zeitungsredaktionen sahen sich demnach mit einer Vielzahl weiterer Medien im Kampf um die Informationslieferung konfrontiert. Der Umgang mit der Vielzahl das Stadtbild verändernden Medien erforderte daher die Anpassung an diese veränderten Umstände. Gerade die Gemeinden versuchten, sich auf den § 6 des Gesetzes gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. Juli 1907 zu berufen, um gegen die „Verunstaltungen“ des Straßenbildes vorgehen zu können. Waren die Zeitungsredaktionen oder Räume der als reaktionär eingeschätzten Parteien besetzt worden, so war die Verbrennung deren Agitationsmaterials auf öffentlicher Straße ein höchst symbolischer Akt, der verdeutlichte, dass man vor den Augen eines Publikums wirksam einen Raum erobert oder zurückerobert hatte. Mit dem der Arbeit zugrunde liegenden Raumbegriff wurde bis hierhin bereits mehrfach auf das Abhängigkeits- und relationale Verhältnis von Akteur und Raum verwiesen. Demnach erschien es nur logisch, den nächsten Argumentationsschritt schwerpunktmäßig auf die Handlungsebene der Akteure zu setzen. „Doing space“
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wurde somit als sich wiederholende Praktiken verstanden, die in ihrer regelmäßigen Ausübung Sinn generieren konnten und sich so als sozialräumliche Praktiken fest in die Protestkultur weiter Teile der Bevölkerung verankerten. Die Untersuchung regelmäßiger, aber auch regelwidriger Praktiken erschien daher nur als logischer nächster Schritt des der Arbeit zugrunde liegenden Argumentationsganges. Die Analysen von Streik- und Demonstrationszügen haben ergeben, dass der strategische Kampf um physische Raumeinheiten immer auch als ein kultureller Kampf um symbolische Wertigkeiten der Stadt interpretiert werden kann. Während sozialräumliche Protestpraktiken in erster Linie der Erschließung und Kontrolle von Räumen dienen konnten, waren die Protesthandlungen an sich für die Sinnstiftung sozialer Formationen mitverantwortlich. Als Mittlerfunktion besitzen diese zudem eine Sonderfunktion, denn sie sind weder auf der Seite der Subjekte zu verorten, noch gehen sie vollends in den Strukturen auf. Sie verbindet ihre räumliche Organisation. Streiks wurden daher als eine Form des kollektiven Protests auf ihre Funktion als konkrete Verräumlichungspraxis hin analysiert und nach qualitativen Besonderheiten hin befragt. Gerade mit Beginn der Moderne wurden Streiks mit „strukturund diskursbildender Standardisierung“ zu einem „Abbild der Gesellschaft“ und somit wesentlich konstitutiv für die eigene Wirklichkeitsgenerierung.5 Mit der Möglichkeit des Streikens eröffnete sich den Beteiligten in erster Linie eine Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit vor einem Publikum als Kollektiv zu präsentieren. Die Möglichkeit dieses Mittels war daher offenbar für den Zusammenhalt einer sozialen Formation zunächst einmal wichtiger, als die Formulierung eines politischen oder wirtschaftlichen Ziels. Die Untersuchungen verschiedener Streikhandlungen haben zeigen können, dass die soziale Zusammensetzung der am Streikgeschehen beteiligten Akteure häufig heterogen ausgeprägt war. Besonders an den Rändern der Züge ergaben sich für weniger gut organisierte, lose Gruppierungen, wie den Jugendlichen die Möglichkeit, das Streikgeschehen zu nutzen, um mit eigenen Handlungen Angriffe auf eine vermeintlich eingerichtete Ordnung auszuführen und somit temporär eigene Artikulationsräume zu produzieren. Im Folgenden wurde dieser Argumentationsschritt aufgegriffen, um diesen am Beispiel einer weiteren sozialräumlichen Protestpraxis zu stärken. Hierfür wurde der Fokus auf einige ausgesuchte Fälle raumroutinierten Verhaltens gerichtet. Zum einen konnte hierbei herausgearbeitet werden, dass Protestveranstaltungen von unterschiedlichen sozialen Formationen genutzt wurden, um einerseits eigene sich kollektiv festigende Ziele zu verfolgen, während andererseits Raum mit unterschiedlichen Mitteln produziert wurde. Dieser Prozess der Konstruktion von eigenen Räumen und der Zerstörung gegengelagerter Räume ließ soziale Sinngenerierungsstrategien während dieses Prozesses erkennbar werden. Aus den Analysen der Fälle ging zudem hervor, dass gerade die These des häufig spontanen Demonstrationsgeschehens hierbei erhärtet werden konnte, wenn beispielsweise Ausrufe oder Handlungen einzelner Personen, die Handlungen der Masse katalysierten. Die Offenheit der Situation dieser
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Koller, Streikkultur, S. 9.
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oftmals schwierig zu rekonstruierenden Fälle widersprach einer eindeutigen Einteilung bipolarer einander gegenüberstehender Gruppierungen. Das oftmals herrschende Bild von „radaulustigen“ jugendlichen Banden oder „Horden“ konnte hier ein Stück weit entkräftet werden, um auf vermeintlich nicht erwartete Gruppierungen an den Plünderungsgeschehen hinzuweisen, wie im Falle der Münsteraner Frauen besseren Standes, welche sich an den Plünderungen der feinen Mieder beteiligten. Hierbei reichte es offenbar nicht immer aus, die Räume der besseren Schichten physisch zu zerstören. Darüber hinaus wurde mit kollektiven Verhaltensweisen, wie dem Tanz in den Schaufenstern vor den Augen einer Öffentlichkeit, dieser Protest symbolisch verstärkt und dem Handeln somit tieferer Sinn verliehen. Dass Räume während sozialer Unruhen häufig auch eine akustische Dimension besaßen und daher für die Akteure von Bedeutung waren, wurde in einem letzten Schritt dieses Kapitels versucht nachzuweisen. Die Untersuchung akustischer Protestpraktiken hat hierbei ergeben, dass diese durchaus als ein Mittel der Akteure angesehen wurden, ihnen alternative Räume zu ermöglichen, gegen diese meist friedliche Protestform es die staatliche Polizeigewalt oftmals als schwieriger empfunden hatte mit Waffengewalt vorzugehen. Zudem wurde diese Praktik des sich „Gehör-Verschaffens“ als ein Mittel von häufig weniger gut institutionalisierten und organisierten Gruppen verstanden, sich als Kollektiv der Öffentlichkeit zu präsentieren. Diese Form gemeinsamer Protesthandlungen konnte zum einen eine politische Botschaft besitzen, während zum anderen im Prozess der Aufführung dieser Protesthandlung sich weniger der Inhalt, als die Handlung selbst für den Zusammenhalt einer Gruppe verantwortlich zeichnete, gerade wenn die akustischen Äußerungen keinen Text mehr besaßen und sich lediglich durch laute Geräusche oder dergleichen äußerten. Neben der symbolischen Ausgestaltung der Demonstrationszüge bekam diese akustische Dimension eine zunehmend ähnlich wichtige Rolle. Gerade für die Arbeiterschaft stellte dieses Mittel eine geeignete Alternative zur sonst üblichen Adaption militärischer Manöver dar und schuf bei erfolgreichem Einsatz eine emotionale Gemeinschaft, während gleichzeitig Emergenz von diesen akustischen Räumen ausging. Den vorhergehenden Ergebnissen zufolge, schien es daher nur folgerichtig, in einem letzten Argumentationsschritt und dem zu Beginn der Studie konstruierten mehrdimensionalen Raumbegriff entsprechend, den Fokus auf die bereits mehrfach angedeuteten alternativen Formen des Raumes zu legen. In den bisherigen Teilabschnitten wurde deutlich, dass neben das relationale Verhältnis von Mensch und Raum andere Qualitäten des Raumes wirkmächtig sein konnten, die nicht allein im Diskursiven oder in den Handlungen aufgingen. Wenngleich hier die Ergebnisse der Analyse allenfalls vorsichtig interpretiert wurden, so ist in der Arbeit versucht worden, darauf hinzuweisen, dass von diesen anderen Raumqualitäten bestimmte handlungs- und strukturgenerierende Wirkungen ausgehen konnten, die über das rein Narrative und Diskursive des Raumes hinausreichten. Räume wurden hierbei vielfach nicht allein aufgrund ihrer diskursiven Bestimmtheit als Gefahren- oder Sicherheitszonen wahrgenommen. Genauso wurden Gebäude und bestimmte Areale einer normativen Zonierung unterzogen, die zwar in erster Linie als kulturelle Codierung interpretiert wurden, denen jedoch ein wirkmächtiger Rest zugestanden
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werden konnte. Als markantes Beispiel wurde hierbei auf die Umstände des Schießbefehls Gustav Noskes eingegangen, welcher als drastisches Mittel der Regierung, auf die sozialen Unruhen zu Beginn der Revolution nun direkt „vor Ort“, abgesichert durch einen gesetzlichen Erlass, reagieren zu können, interpretiert wurde. Im Zuge dessen wurde die Bewegungsfreiheit der Menschen im öffentlichen Raum stark eingeschränkt. Hierbei wurde auf die Auswirkungen hingewiesen, wenn die ungünstige Gemengelage von Mensch und Waffe am selben Ort zusammentrafen oder die eigenen Privaträume nicht mehr geschützt schienen. Gleichzeitig wirkte der Erlass des Schießbefehls auch auf das Stadtbild, indem dort vermehrte militärische Präsenz in den Alltag der Menschen implementiert wurde. Dass diese Raumerschließungsstrategien auch zunehmend Einfluss auf diese anderen Räume ausübten, wurde versucht, in den weiteren Analysen herauszuarbeiten. Dieses äußerte sich in einer verstärkten Wahrnehmung des Stadtraumes als gestimmtem Raum, der mal sicherer und mal gefährlicher sein konnte. Die Untersuchung einiger zeitgenössischer Graphiker hat hierbei ergeben, dass die „dunkle Ecke“ oder die „hintere Gasse“ zwar aufgrund ihrer diskursiven Zuschreibungen als gefährlich wahrgenommen wurden, jedoch explizit die materielle Beschaffenheit mit dieser Gefahr sowohl in den visuellen Quellen, als auch in den textlichen Schilderungen assoziiert wurde. Im Zuge dessen wurde versucht, die These zu erhärten, dass es neben der Verortung in Milieus noch alternative räumliche Einheiten gegeben haben muss, die mittels dieser gestimmten Räume noch schwieriger greifbar sind. Sowohl die Untersuchung von offiziellen Quellen der polizeilichen Überlieferung, als auch der Schilderungen von Erinnerungen, oder der Beschreibungen in der Tagespresse, haben diese Argumentation stärken können, wenngleich weitere Studien hier werden folgen müssen. Neben materiellen Umweltfaktoren wurden hierbei Atmosphären als Teil der Wirklichkeit der Akteure ausgemacht, die nicht allein auf die Handlungen der Menschen und deren Zuschreibungen aufgehen können. Die Arbeit versteht sich demnach als Versuch, sich diesem Problemkontext für die Zeit der deutschen Revolution zu nähern. In einem letzten Argumentationsschritt flossen daher die Ergebnisse der vorherigen Analysen zusammen. Hierbei wurde versucht herauszuarbeiten, dass die kulturelle Verräumlichung von verschiedenen sozialen Akteuren geleistet wurde, vom Raum jedoch wiederum Rückwirkungen ausgehen konnten, die dazu führten, dass zum Beispiel bestimmte neue Sicherheitsformationen aufgestellt wurden oder die Gesetzgebung als Reaktionen auf bestimmte Raumproblematiken angepasst oder erneuert wurde. Die aus der Konkurrenz um die Sicherheit der öffentlichen Ruhe und Ordnung resultierenden sozialen Formationen übten dahingehend wiederum Rückwirkungen durch ihre Handlungen auf Strukturen aus, indem für die Wehren besondere Versicherungen eingerichtet wurden. Auch der Diskurs um die Neuregelung des Tumultschadensgesetzes – eine einheitliche Regelung hatte wegen des veralteten Tumultschadensgesetzes aus dem Jahre 1850 nicht bestanden – wurde als eine strukturverändernde Maßnahme interpretiert, die aus dem Wechselverhältnis von Akteur und Raum hervorging und dem Raum und Räumlichen somit eine eigene agency hat zugestehen lassen. Diese Veränderungen der materiellen Beschaffenheit des Raumes durch Absperrungen mit Stacheldraht oder der
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Anordnung, nunmehr keine Straßen mit Pflastersteinen zu errichten, um einer potentiellen Gefahr des Barrikadenbaus zuvorzukommen, wirkten wiederum auf die Handlungen der Akteure. Die unterschiedlichen Dimensionen des Raumes waren somit wesentlich für die Erfahrung und Wahrnehmung sozialer Wirklichkeiten der an der Revolution beteiligten Akteure. Der durch das konstruierte theoretische Setting heterogene und mehrdimensionale Raumbegriff spiegelte daher auch eine den verschiedenen Argumentationsschritten als gleichwertig zu betrachtende Lesart des Revolutionsgeschehens wider. Sowohl der vorgestellte und somit konstruierte Raum, als auch der durch Handlungen produzierte Raum waren gleichwertige und wesentliche Bestandteile der Wirklichkeit der Akteure. Die vorliegende Studie möchte sich daher als kulturhistorische Weiterentwicklung der Erforschung der Deutschen Revolution verstanden wissen. So wurde der Versuch unternommen, eine alternative Kartographie politischen Handelns zu entwickeln und das kulturelle Verräumlichen als zentrale Antwort auf die Ambivalenzen und Probleme des Zeitalters der klassischen Moderne zu interpretieren. Gerade mit jenem nicht auf intentionales Handeln beschränkten Zugriff und der Nutzung eines breiten, antitraditionalen und antiintentionalistischen Politikbegriffs wurde versucht, Engführungen in der bisherigen Revolutionsforschung zu überwinden. Eine Raumgeschichte der revolutionären Auseinandersetzungen ist darüber hinaus auch für die transnationale, europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts von Bedeutung. Mit raumanalytischen Untersuchungen ließen sich Phänomene gewalttätiger Auseinandersetzungen jenseits rein ideologisch oder parteipolitischer Erklärungsschemata bereits im vorpolitischen Raum beobachten. Sie ermöglichen denjenigen Zeitraum sichtbar werden zu lassen, an dem unpolitisches Handeln in ein politisches Bewusstsein umschlägt. Eine Raumgeschichte, die sich mit Politisierungsprozessen auseinandersetzt, kann diesen oftmals ephemeren und diffusen Charakter sozialer Unruhen sichtbar werden lassen. Gerade jene anderen Formen politischer Beziehungen werden in einer Kulturgeschichte der Revolution als eigenständiger Dimension einer Politikgeschichte gegenübergestellt. Somit erfährt auch die Politische Kulturforschung durch die vorliegende Arbeit eine definitorische Schärfung. Gleichzeitig wurde mit der Arbeit die materielle Ausprägung von historischen Phänomenen stärker zu betonen versucht – den Geschichten somit konkrete Orte zu verleihen. Mit dieser Argumentation ist somit der Versuch unternommen worden, den starren Dualismus von sozialem Konstruktivismus und reinen Materialismus ein Stück weit zu überwinden.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS ARCHIVALISCHE QUELLEN BA Berlin (BA B) Reichskanzlei (R 43) Neue Reichskanzlei (R 43 I) Stellvertretender Reichskanzler Friedrich von Payer (R 703) Informationsstelle der Reichsregierung (R 705) Reichsminister des Innern (R 1501) Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung (R 1507) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Arbeiter- und Soldatenräte in Deutschland 1918/1919 (SAPMO SgY 10) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Deutsche Linke/Novemberrevolution/Bayrische Räterepublik (SAPMO SgY 17) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Erinnerungen (SAPMO SgY 30) Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BHStAM) und Kriegsarchiv Abteilung IV (KA Abt. IV) Reichswehrgruppenkommando 4 (KA Abt. IV RWGrKdo 4) Generalkommando I. Armee Korps (KA Abt. IV Generalkommando I. Armeekorps) Ministerium des Innern (MInn) Landesarchiv Berlin (LA B) Polizeipräsidium Berlin (A Pr. Br. Rep. 030) Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht, Strafverfahren 1919-1933 (A Rep. 358-01) Osram GmbH (A Rep. 231) Bezirksleitung Berlin der SED, Bezirksparteiarchiv, Erinnerungsberichte (C Rep. 902-02-04) Bezirksleitung Berlin der SED, Bezirksparteiarchiv, Sammlung von Dissertationen und anderen wissenschaftlichen Schriften (C Rep. 902-02-07) Landesarchiv Düsseldorf (LAV NRW R) Regierung Aachen (BR 0005) Regierung Düsseldorf (BR 0007) Regierung Köln (BR 0009) Landesarchiv Münster (LAV NRW W) Büro Kölpin Traditionsverband der ehemaligen Infanterie-Regimenter Nr. 13 und Nr. 79 Oberpräsidium Münster Regierung Arnsberg Regierung Münster Stadtarchiv Bochum (StAB) Arbeiter und Soldatenrat Harpen (AG) Amt Linden-Dahlhausen (A L-D)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Amt Langendreer (AL) Amt Bochum Süd (ABS) Landratsamt Bochum (LA) Magistrat der Stadt Bochum Stadt Bochum (BO) Stadtarchiv Essen (StAE) Hauptamt Essen (Rep. 102 I) Hauptamt Essen, Prozesse (Rep. 102 XXV) Stadtarchiv Lünen (StAL) Neues Archiv, Erster Weltkrieg (NA Abt. 11) Neues Archiv, Polizei-, Meldewesen (NA Abt. 16) Stadtarchiv Münster (StAM) Amt Roxel Amt Wolbeck Kreisarchiv A Landratsamt Polizeiregistratur Stadt-Dokumentation (Stadt-Dok.)
ZEITUNGEN UND PERIODIKA Allgemeine Essener Zeitung Bayerischer Kurier Bayerische Staatszeitung Berliner Architekturwelt Berliner Börsen-Courier Berliner Illustrirte Zeitung Berliner Tageblatt B. Z. am Mittag Deutsche Bauzeitung Deutscher Reichsanzeiger Deutsche Tageszeitung Der Firn. Sozialistische Rundschau über das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben Der Polizeioffizier Der Tag Der Volksfreund Der Westen Deutsche Polizeibeamtenzeitung Deutsche Tageszeitung Die Freiheit Die Polizei. Zeitschrift für Polizeiwissenschaft, -dienst und –wesen, mit den Beilagen Der Diensthund und Die Familie Die Rote Fahne Die Quelle. Zeitung für den Norden Berlins und Umgegend Die Woche Dortmunder Generalanzeiger Dortmunder Zeitung Einwohnerwehr. Amtliche Mitteilungen der Reichszentrale für Einwohnerwehr und der Zentralestelle für Einwohnerwehren beim preußischen Ministerium des Innern
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Essener Allgemeine Zeitung Essener Arbeiterzeitung Freie Jugend. Blatt der jungen Anarchisten Kölner Zeitung Königsberger Hartungsche Zeitung Leipziger Volkszeitung Münsterscher Anzeiger Münstersche Zeitung Rheinisch-Westfälischer Anzeiger Rheinisch-Westfälische Zeitung Sozialdemokratische Partei-Correspondenz Teltower Kreisblatt Thüringer allgemeine Zeitung Volkstribüne Volkswille Vorwärts Vossische Zeitung Westfälische Nachrichten Westfälischer Kämpfer
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