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German Pages 256 Year 1992
Rigide Preise, flexible Mengen
DEUTSCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
149: Heiner Flassbeck, Gustav Adolf Horn, Rudolf Zwiener
·
SONDERHEFTE 149 · 1992
Heiner Flassbeck, Gustav Adolf Horn, Rudolf Zwiener
Rigide Preise, flexible Mengen Ansätze zu einer dynamischen Analyse von Angebotsund Nachfrageschocks
DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN
DEUTSCHES
INSTITUT
FÜR WI R TS C H A FTS FO R S C H U Ν G
gegründet 1925 als INSTITUT FÜR KONJUNKTURFORSCHUNG von Prof. Dr. Ernst Wagemann 1000 Berlin 33 (Dahlem), Königin-Luise-Straße 5 VORSTAND Präsident Prof. Dr. Lutz Hoffmann Prof. Dr. Johann Eekhoff · Dr. Norbert Meisner • Wolfgang Roth, MdB · Dr. Ludolf-Georg von Wartenberg Kollegium der Abteilungsleiter* Dr. Doris Cornelsen · Dr. Heiner Flassbeck · Dr. Fritz Franzmeyer Dr. Kurt Hornschild · Prof. Dr. Wolfgang Kirner · Prof. Dr. Eckhard Kutter · Dr. Bernhard Seidel Dr. Hans-Joachim Ziesing KURATORIUM Vorsitzender: Dr. Alexander von Tippeiskirch Stellvertretender Vorsitzender: Dr. Thomas Hertz Mitglieder Der Bundespräsident Bundesrepublik Deutschland Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium für Wirtschaft Bundesministerium für Verkehr Bundesministerium für Post und Telekommunikation Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Bundesministerium für Forschung und Technologie Land Berlin Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie Senatsverwaltung für Verkehr und Betriebe Senatsverwaltung für Bundes- und Europaangelegenheiten Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch die Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft Land Niedersachsen, vertreten durch das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Deutsche Bundesbank Deutsche Bundesbahn Deutsche Bundespost POSTDIENST Bundesanstalt für Arbeit Wirtschaftsvereinigung Bergbau Christlich-Demokratische Union Deutschlands Sozialdemokratische Partei Deutschlands Freie Demokratische Partei Deutscher Gewerkschaftsbund, Düsseldorf Industriegewerkschaft Metall, Frankfurt a.M. Berliner Bank Aktiengesellschaft Berliner Pfandbrief-Bank Industriekreditbank Aktiengesellschaft — Deutsche Industriebank Berliner Industriebank Aktiengesellschaft Berliner Kraft- und Licht (Bewag)-Aktiengesellschaft Elektrowerke Aktiengesellschaft Vereinigung der Freunde des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Persönliche Mitglieder Dr. Günter Braun Dr. Dieter Hiss Dr. Karl-Heinz Narjes * Präsident und Abteilungsleiter sind gemeinsam für die wissenschaftliche Leitung verantwortlich.
DEUTSCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG
SONDERHEFT 149 · 1992
Heiner Flassbeck, Gustav Adolf Horn, Rudolf Zwiener
Rigide Preise, flexible Mengen — Ansätze zu einer dynamischen Analyse von Angebots- und Nachfrageschocks —
BERLIN
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Bearbeiter: Heiner Flassbeck (Kapitel ll-IV, VII) Gustav Adolf Horn (Kapitel VI) Rudolf Zwiener (Kapitel V) Programmierung: Helmut Goepel Statistik: Horst Hartwig Karl-Heinz Pieper Textverarbeitung: Astrid Brüsseler Michaela Engelmann Ingrid GQvencer Barbara Kunert Praktikanten: Markus Luthe Robert Scherfke Mark Weder Lektoren: Reinhard Pohl Horst Seidler
Dieses Buch basiert auf einem Forschungsauftrag des Bundesministers für Wirtschaft zum Thema „Die Bedeutung von starken, außenwirtschaftlich bedingten Angebots- und Nachfrageveränderungen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung".
Herausgeber: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Königln-Luise-Str. 5. D-1000 Berlin 33 lêleton (0 30) 82 9Θ 10 — Telefax (0 30) 62 9912 00 Vertag Dune tor & Humblot GmbH, Dietrich-SchAfer-Weg 9, D-1000 Berlin 41. Alle Rechte vorbehalten Drude 19Θ2 bet ZIPPEL-Druck, Oranienburger Str. 170, D-1000 Berlin 26 Printed In Germany ISBN 3-428-07521 -β
Gliederung
Graphikverzeichnis
6
Tabellenverzeichnis
8
Kurzfassung
9
I
Einführung
33
II
Zur Theorie von Angebots- und Nachfrageschocks auf mikroökonomischer Ebene
38
ILI
Marginalanalyse und Schocktheorie
38
11.2
Anpassung an Nachfrageschocks über zwei und mehr Märkte
47
11.3
Angebotsschocks auf Mikroebene
53
11.4
Preisflexibilität im Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung Zur theoretischen Bedeutung von Preisrigidität
11.5
57 63
3
III
Angebots- und Nachfrageschocks auf der Makroebene
IV
V
4
78
ULI
"Geld11 konstituiert Gesamtwirtschaft
IIL2
Der Angebotsschock
83
IIL3
Der Nachfrageschock
95
78
Die wichtigsten Schocks und ihre Folgen
115
IV. 1
Die Logik des Ölpreisschocks
115
IV.2
Rück- und Nachwirkungen des Ölpreisschocks
121
IV.3
Zur Problematik der Lohnpolitik
124
IV.4
Verteilungsänderungen
129
IV.5
Zur Problematik der Geldpolitik
144
IV.6
Exkurs: Der Wechselkursschock
155
Gesamtwirtschaftliche Effekte von Angebotsschocks - Analyse anhand eines ökonometrischen Konjunkturmodells -
166
V. 1
Vorbemerkungen
166
V.2
Modell- und Simulationsaufbau
170
V.3
Erhöhung der Energiepreise bei Reallohnrigidität
174
V.4
VI
Erhöhung der Energiepreise bei Nominallohnrigidität
183
Sektorale Effekte von Angebotsschocks - Analyse anhand eines disaggregierten ökonometrischen Modells -
192
VI.l
Erweiterungen des disaggregierten Modells
192
VI.2
Simulationsaufbau und Auswahl der Sektoren
199
VI.3
Sektorale Wirkungen der Erhöhung der Ölpreise Sektorale Wirkungen bei Reallohnrigidität
205 208
Sektorale Wirkungen bei Nominallohnrigidität
212
Fazit
217
VI.4 VI.5
VI.6
VII
Wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen VII.l
219
Zur Würdigung der theoretischen und empirischen Ergebnisse
219
VII.2
Optimale Lohnpolitik
222
VII.3
Optimale Geldpolitik
230
VIL4
Angebots- versus Nachfragepolitik
237
VII.5
Internationale Koordinierung
242
Literaturverzeichnis
246 5
Graphik 1
Beveridge-Kurve für die Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1970 - 1988 117
Graphik 2
Nachfrage, Löhne und Beschäftigung in Großbritannien
138
Nachfrage, Löhne und Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum 1970 - 1989
141
Nachfrage, Löhne und Beschäftigung in den USA im Zeitraum 1970 - 1989
142
Phillipskurve für die Bundesrepublik Deutschland und USA im Zeitraum 1971 - 1988
153
Graphik 3
Graphik 4
Graphik 5
Graphik 6
Die wichtigsten Wirkungsketten im ökonometrischen Konjunktur-Modell bei einer Energiepreisverteuerung 173
Graphik 7
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung bei einer lOOprozentigen Erhöhung der Preise für importierte Energie - Reiner Angebotsschock und Reallohnrigidität
177
Entwicklung der Leistungsbilanz bei einer lOOprozentigen Erhöhung der Preise für importierte Energie - Reiner Angebotsschock und Reallohnrigidität
182
Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts - Reallohnrigidität sowie Nominallohnrigidität beim reinen Angebotsschock
186
Graphik 8
Graphik 9
Graphik 10
Entwicklung des Preisindex des privaten Verbrauchs -ttesiiohnrigiditätsowie Nominallohnrigidität beim reinen Angebotsschock 187
Graphik 11
Entwicklung der realen Exporte Reallohnrigidität sowie Nominallohnrigidität beim reinen Angebotsschock
6
188
Graphik 12 Entwicklung der Anlageinvestitionen Reallohnrigidität sowie Nominallohnrigidität beim reinen Angebotsschock
189
Graphik 13 Gesamtübersicht des disaggregierten Modells
196
Graphik 14 Simulation von Angebotsschocks im disaggregierten Modell
203
Graphik 15
Änderung der Einkommensverteilung in den USA im Zeitraum 1970 - 1987
229
7
Tabelle 1
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung bei einer Erhöhung der Preise für importierte Energie um 100 vH - Reiner Angebotsschock und Reallohnrigidität 175
Tabelle 2
Entwicklung der Leistungsbilanz bei einer Erhöhung der Preise für importierte Energie um 100 vH - Reiner Angebotsschock und Reallohnrigidität 179
Tabelle 3
Hypothetischer Absorptionsgrad der energieexportierenden Länder nach einem Energiepreisanstieg von lOOvH 180
Tabelle 4
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung bei einer Erhöhung der Preise für importierte Energie um 100 vH - Reiner Angebotsschock und Nöminallohnrigidität 184
Tabelle 5
Entwicklung der Leistungsbilanz bei einer Erhöhung der Preise für importierte Energie um 100 vH - Reiner Angebotsschock und Nominallohnrigidität 190
Tabelle 6
Annahmen für den Angebotsschock
Tabelle 7
Simulation von Angebotsschocks bei Reallohnrigidität - Aus dem gesamtwirtschaftlichen Modell übernommene Ergebnisse 208
Tabelle 8
Sektorale Wirkungen von Angebotsschocks unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen - Reallohnrigidität
210
Simulation von Angebotsschocks bei Nominallohnrigidität - Aus dem gesamtwirtschaftlichen Modell übernommene Ergebnisse
213
Sektorale Wirkungen von Angebotsschocks unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen - Nominallohnrigidität
216
Tabelle 9
Tabelle 10
8
207
Kurzfassung
Das Problem der Anpassung von Mengen und Preisen im Gefolge von Störungen eines Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage kann mikroökonomisch mit Hilfe zweier unterschiedlicher Methoden analysiert werden. Das klassische Instrument ist seit der Grenznutzenrevolution die Marginalanalyse. Diese ist wiederum auf zwei verschiedene Arten nutzbar zu machen. Erstens, als rein Partialanalyse im Sinne Marshalls und zweitens, als Globalanalyse eines interdependenten allgemeinen Gleichgewichtssystems im Sinne von Walras.
Die zweite An des analytischen Zugangs zum Anpassungsproblem nach Störungen eines ursprünglichen Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage soll Schocktheorie genannt werden. Schocktheorie auf makroökonomischer Ebene hat - im Gefolge der beiden Ölpreisexplosionen - erst im vergangenen Jahrzehnt eine zunehmende Rolle gespielt. Während aber makroökonomisch bei der Klärung der Zusammenhänge durchaus Erfolge erzielt worden sind, fehlt dieser Art von Theorie bisher eine haltbare mikroökonomische Basis.
Es kann mikroökonomisch gezeigt werden, daß es, anders als bei Ungleichgewichten auf wohldefinierten Angebots- und Nachfragekurven, bei der Verschiebung von Angebot und Nachfrage auf Einzelmärkten keine unmittelbare zum allen Gleichgewicht zurückführenden Mechanis-
9
men gibt Es zeigt sich vielmehr, daß es zwei unterschiedliche Anpassungsstrategien im Falle eines Nachfrageschocks gibt. Der erste Fall ist zu kennzeichnen als Fall rigider Nominallöhne auf Unteraehmensebene bei Mobilität der Arbeitsanbieter. Der zweite als Nominallohnflexibilität bei Immobilität
Es ist, um zu einer umfassenden Würdigung der Bedeutung von Preisflexibilität als Anpassungsmechanismus zu kommen, notwendig, diese beiden Varianten der Anpassung im Fall des negativen Nachfrageschocks detailliert zu analysieren. Der Prozeß wirtschaftlicher Entwicklung besteht schließlich aus einer Aneinanderreihung von Nachfrage- und Angebotsschocks auf der Ebene von Unternehmen, Branchen und Sektoren. Das Wissen um die Art und Weise, wie diese permanent auftretenden Schocks bewältigt werden, ist entscheidend für die Beurteilung der Auswirkungen makroökonomischer Schocks. Für die Behandlung negativer Nachfrageschocks auf mikroökonomischer Ebene bedeutet das, daß die Variante einer rein unternehmensinternen Lösung durch Nominallohnsenkung bei Immobilität im Markimodell ausscheidet. Das Unternehmen hat nicht die Möglichkeit, sich dem Druck, einen Lohn zahlen zu müssen, der den Marktbedingungen entspricht, zu entziehen. Preisflexibilität im Sinne einer zusätzlichen Lohnsenkung widerspricht eklatant dem Postulat "Preisflexibilität am Arbeitsmarkt", weil diese eben via hoher Mobilität zu einem völlig gleichartigen Lohn für gleiche Qualifikationen führt
Das führt zu einer Feststellung von nicht zu unterschätzender Bedeutung: 10
Die
infolge
funktionierender
Teilarbeitsmärkte
bestehende
Rigidität der Nominallöhne (und anderer Faktor- und Vorleistungspreise) verhindert "Markträumung" im Sinne der Erhaltung ursprünglicher Gleichgewichtsmengen und -preise, begünstigt aber wirtschaftliche Entwicklung, ohne in irgendeiner Weise das Beschäftigungsniveau zu gefährden. Da Anpassung an sinkende Produktionsmengen wegen eines gewissen Mindestanteils fixer Kosten nicht beliebig möglich sind, ist es der Konkurs, der den Unternehmer für unterlassene rechtzeitige Anpassungsanstrengungen sanktioniert. Auf der anderen Seite belohnen der temporäre Pioniergewinn und/oder höhere Marktanteile für "richtige" strategische Entscheidungen diejenigen, die Entscheidungskompetenz in Unternehmen besitzen. Das trifft
den theoretischen Kern einer
dynamischen Marktwirtschaft. Anders als im Modell des allgemeinen Gleichgewichts sind es im dynamischen Ablauf marktwirtschaftlicher Prozesse Gewinn und Verlust, die sowohl Kompetenz
und Haftung
zusammenführen, als auch für die Bewegung des Systems sorgen. Agens dieser Bewegung wiederum sind rigide Nominallöhne bzw. allgemein: vom einzelnen Unternehmen nicht zu beinflussende Kosten von Arbeit, Kapital und Vorleistungen.
Treisflexibilität" und "Markträumung" erweisen sich damit als Schimären aus einer Welt der Stationarität, die relevante wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen für tatsächlich existierende Marktwirtschaften nicht zulassen.
In der nunmehr schor» einige Jahrzehnte andauernden theoretischen Debatte zwischen Neoklassikern auf der einen und Neo-Keynesianern 11
auf der anderen Seite hat das Problem der Preisrigidität bzw. mangelnder Preisflexibilität eine überragende Rolle gespielt. Dabei war es vor allem die Frage einer konsistenten mikroökonomischen Basis für die keynesianische "Annahme" rigider Preise, die im Vordergrund der Auseinandersetzung stand. Diese Basis konnte hier mit dem law of one price am Arbeitsmarkt entwickelt werden. Mangelnde Rigidität der Nominallöhne aufgrund mangelnder Mobilität der Arbeitnehmer steht dann als Hypothese bezüglich der "Unvollkommenheit" des Arbeitsmarktes der populär neoklassischen Variante gegenüber, derzufolge die Arbeitsmärkte wegen Vermachtung durch die Gewerkschaften und andere institutionelle Hemmnisse nur eingeschränkt funktionsfähig sind.
Im Lichte eines Markt-Modells rigider Nominallöhne führen die Verhandlungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern aber im Grunde zu nichts anderem als zu einer Simulation von Wettbewerbsverhältnissen.
Aus diesen Überlegungen lassen sich wichtige praktische Schlußfolgerungen ziehen. Wenn sich die durchschnittliche Nominallohnerhöhung an die durchschnittliche Produktivitätssteigerung der Volkswirtschaft anpaßt, ist unter Wettbewerbsbedingungen am Gütermarkt zu erwarten, daß es im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft nicht mehr zu einer Preisniveauerhöhung kommt. Mit der Entscheidung für die Hypothese einer längerfristigen Dominanz der (Lohn)-Kosten für die Preisniveauveränderungen wird eine theoretische Vorentscheidung für die Beur-
12
Teilung der wirtschaftspolitischen Optionen zur Abfederung von Schocks getroffen. Die keynesianische Entscheidung für eine mark-up-Hypothese bei der Preisniveaudetermination ist aber auch vor einem neoklassischen Referenzsystem zu rechtfertigen, wenn die Anwendungsbedingungen der neoklassischen Theorie kritisch reflektiert werden.
Mit einer einfachen Preisgleichung, der reduzierten Form der Quantitätsgleichung und dem gesamtwirtschaftlichen Angebot-Nachfragemodell auf dem Gütermarkt wurde ein extrem einfacher Zugang zu dem Problem der Anpassung an außenwirtschaftliche Schocks gewählt. Doch eröffnen sich gerade mit einem solch einfachen Modell einer Theorie wirtschaftlicher Entwicklung Erkenntnismöglickeiten, die weitaus komplizierteren Gleichgewichtsmodellen verschlossen bleiben.
Angebots- und Nachfrageschocks auf der Makroebene
Bei einem reinen Angebotsschock sinkt dem Wert nach die gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht, sondern bleibt unverändert. Zwar wird ein anderer Punkt auf der Nachfragekurve realisiert, der ein niedrigeres Realeinkommen indiziert, doch das Nachfrageniveau und damit der gesamtwirtschaftliche Output bleiben unverändert.
Wenn also die ölexportierenden Länder die zusätzlichen Erlöse aus der Preiserhöhung nutzten, um im gleichen Maße gleichartige Güter aus den Industrieländern zu kaufen, wie das die Konsumenten und Investoren in diesen Ländern ohne Ölpreisexplosion getan hätten, dann bleibt im 13
Idealfall gleicher sektoraler und regionaler Verteilung der Nachfrage das Produktionsniveau und die Produktionsstruktur in den Industrieländern gleich. Damit ist es zwingend, daß Niveau und Struktur der Beschäftigung unverändert bleiben. Die Veränderung der relativen Preise hat aber einen einmaligen PreismVeßüeffekt, weil sie eine dauerhafte Verknappung einer Vorleistung anzeigt und damit die Verfügung über Ressourcen für die Weltwirtschaft insgesamt einschränkt. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Produktivität, auch die Arbeitsproduktivität, der Industrieländer sinkt, denn es muß der gleiche Aufwand an Arbeit (und Kapital) erbracht werden, um ein geringeres Realeinkommen zu erwirtschaften.
Entscheidend bei diesem Ablaufeines reinen typischen Angebotsschocks ist, daß es keinen marktendogenen Mechanismus gibt, der den Anstieg des Preisniveaus und dessen Wirkung auf das Realeinkommen abfangen oder gar aufheben könnte. Nominallohnrigidität, wie sie aufgrund der Dynamik auf Arbeits- und Gütermärkten zu erwarten ist, impliziert im typischen Fall des negativen Angebotsschocks keinerlei Behinderung des Anpassungsprozesses, sondern fördert ihn durch die mit der Nominallohnrigidität verbundenen ReallohnflexibilitäL Reallohnrigidität dagegen, wie sie sich aus flexiblen Nominallöhnen und flexiblen Preisen ergibt, kann selbst zu Angebotsschocks führen, die - vor dem Hintergrund einer unveränderten Nachfrage - zwingend Beschäftigungseinbußen mit sich bringen.
Bei der Behandlung des reinen Nachfrageschocks berührt die Schocktheorie kein theoretisches Neuland, sondern muß die Debatte um die kevnesianische Revolution aufarbeiten. Ähnlich wie im Falle des 14
Nachfrageschocks auf mikroökonomischer Ebene ist die zentrale Frage, was konkret unter Preisflexibilität zu verstehen ist. Entscheidend für eine Analyse, in der Zeit und Ungleichgewichte zugelassen sind, erweist sich die Erkenntnis, daß "Flexibilität der Preise" hier nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung hat. Es kann damit nämlich nur Flexibilität des Zinsniveaus gemeint sein. Ein idealtypisch funktionierendes Marktsystem braucht offensichtlich nur die Flexibilität des Zinsniveaus, um permanent Vollbeschäftigung zu erhalten. Dynamisch formuliert: Das marktwirtschaftliche System löst die Aufgabe der Anpassung an intertemporale
Verschiebungen der Nachfrage (von
Güterkäufen heute hin zu Güterkäufen morgen) über Zinssenkungen, die hinreichende Signale für die Investoren geben. Dazu bedarf es bei idealtypischer Funktionsweise keiner weiteren Preisflexibilität, da Gesamtnachfrage und Gesamtangebot (potentiell) unverändert bleiben.
Keynes hat gezeigt, daß diese intertemporale Anpassung (also Anpassung an negative Nachfrageschocks) nicht so idealtypisch funktionieren muß, wie das neoklassische Analysen allzu oft unkritisch unterstellen. Dafür gibt es zwei zentrale Gründe.
Erstens, es ist keineswegs sicher, daß die Zinselastizität der Kapitalnachfrage so groß ist, daß das frei gewordene Sparkapital vollständig in Investitionen umgewandelt wird. Gerade wenn der Prozeß der Ersparnisbildung und der Prozeß des Investierens zeitlich auseinandergezogen sind und beide von unterschiedlichen Wirtschaftssubjekten durchgeführt werden, wie das für moderne Geldwirtschaften zutrifft, existiert keine Automatik der Umwandlung von Sparen und Investieren. 15
Zweitens, es ist naheliegend, die unzureichende Umwandlung von Sparkapital in Investitionen trotz des obigen Einwandes mangelnder Zinsflexibilität zuzuschreiben und eine Unterstützung des Zinssenkungsprozesses durch die Geldpolitik zu fordern. Keynes argumentiert, daß eine deutliche Reaktion
der Investoren auch dann keineswegs sicher ist,
sondern das zusätzliche Geldangebot durch eine steigende Geldnachfrage kompensiert werden kann, weil aus Spekulations- und Vorsichtsmotiven heraus die Wirtschaftssubjekte mehr Liquidität zu halten wünschen.
Neben dem typischen Nachfrageschock aufgrund des Anstiegs der Sparquote ist ein negativer Nachfrageschock aber auch denkbar als Folge einer exogenen Verringerung des Geldangebots. Da die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve durch Geld definiert ist, führt restriktive Geldpolitik durch die Zentralbank zu einem untypischen negativen Nachfrageschock.
Offensichtlich ist bei dieser Art Nachfrageschock, daß der neoklassische Anpassungsmechanismus sinkender Zinsen nicht nur außer Kraft gesetzt, sondern in sein Gegenteil verkehrt wird, da sich der Rückgang des Geldangebots am Geld- und Kapitalmarkt in einem Anstieg der Zinsen manifestiert, der das geplante Investieren unter das geplante Sparen drückt.
Die Frage, ob überhaupt Anpassungsmechanismen zur Verfügung stehen, ist damit jedoch nicht definitiv beantwortet. Es besteht - wie auf mikroökonomischer Ebene - auch hier die Möglichkeit, mit einem
16
positiven Angebotsschock in Form von Nominallohnsenkung auf den untypischen negativen Nachfrageschock zu antworten.
Was nichts anderes bedeutet, als daß das "monetary management by the trade unions" das monetary management der Zentralbank bezüglich seiner Mengenwirkung gerade wieder aufhebt Per Saldo sinkt nur das Preisniveau, das Realeinkommen bleibt unverändert. Die Frage, ob das möglich und sinnvoll ist charakterisiert die Debatte um rationale Erwartungen und damit den Kern der makroökonomischen Kontroverse der jüngsten Zeit
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß Angebots- und Nachfrageschocks sowohl auf mikro-, als auch auf makroökonomischer Ebene sehr differenziert zu behandeln sind, und daß das Postulat der Preisflexibilität keinesfalls ausreicht, um Anpassungsprozesse zu beschreiben. Mengenveränderungen können in vielen Fällen auch bei flexiblen Preisen nicht ausgeschlossen werden; in anderen Fälle ist die Art von Preisflexibilität die denkbare Lösungen verspricht, etwas dem marktwirtschaftlichen System äußerliches und deshalb in einer positiven Analyse nur mit Vorsicht einzusetzen.
Die wichtigsten Schocks und ihre Folgen
Die Behandlung der Ölpreisexplosion nimmt bei der Analyse konkreter Schocks und ihrer Folgewirkungen den weitaus breitesten Raum ein. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen lassen sich an den Erfahrungen mit den Ölpreisschocks in den siebziger Jahren theoretisch und praktisch die Probleme unterschiedlicher Anpassungsmechanismen und 17
Politikreaktionen in hervorragender Weise exemplarisch zeigen. Zum anderen leistet die Analyse der Ölpreisschocks den wichtigsten Beitrag für die Erklärung der tatsächlich eingetretenen Fehlentwicklungen. Gegenüber dem theoretischen Modell des reinen Angebotsschocks ist eine realitätsnahe Erklärung der mit den Ölpreisexplosionen einhergehenden wirtschaftlichen Fehlentwicklungen vor allem um zwei Gesichtspunkte zu erweitern. Erstens, es muß die Annahme aufgegeben werden, daß die Ölförderländer regional und sektoral die gleiche Konsum-Ausgabenstruktur (Warenkorb) haben wie die Wirtschaftssubjekte der "benachteiligten" Industrieländer. Zweitens, es muß die Annahme aufgegeben werden, daß die Ölförderländer eine identische Ausgabenneigung haben wie die Industrieländer, d.h., die Möglichkeit der Überlagerung des reinen Angebotsschocks durch einen Nachfrageschock infolge einer geringeren Ausgabenneigung der "begünstigten" Ölförderländer muß eingeräumt werden.
Eine solche Konstellation von Angebots- und Nachfrageschock kann die Wirtschaftspolitik vor ein Dilemma stellen. Wegen eines endogen nicht auszugleichenden Nachfrageschocks sinkt die Beschäftigung, während gleichzeitig das Preisniveau steigt. Die Phillipskurve der Volkswirtschaft verschiebt sich nach Nord-Osten, das traditionelle keynesianische Instrumentarium versagt.
Die Folgewirkungen der Ölpreisexplosionen sind mit diesem Szenario aber noch nicht vollständig erfaßt. Insbesondere bleibt ungeklärt, wie es trotz weltweiten Kapitalangebotsüberschusses zu steigenden Zinsen kam. Dafür waren zwar Reaktionen entscheidend, die in allen großen 18
Ländern entweder zusammen oder alternativ die ohnehin schon schwierige Konstellation unlösbar machten. Die erste Reaktion betrifft die Lohnpolitik. In einer Reihe von Ländern versuchten die Gewerkschaften, durch Anpassung der Nominallöhne an die infolge des Angebotsschocks höhere Preissteigerungsrate die Arbeitnehmer von der für die Volkswirtschaft unabwendbaren Realeinkommensminderung freizustellen. Daraus folgt, daß sich die Situation der Volkswirtschaft bei gegebener Nachfrage weiter verschlechtert, denn das Preisniveau ist noch einmal höher und die Beschäftigung niedriger als nach den ursprünglichen Schocks.
Die zweite mögliche Reaktion auf den Ausgangsfall betrifft die Geldpolitik.
Sowohl die aus den Angebotsschocks sich ergebende höhere
Preissteigerungsrate als auch die induzierte Lohn-Preis-Spirale kann die Geldpolitik veranlassen, das Geldangebot zu vermindern, um weiteren Gefährdungen der Preisstabilität vorzubeugen. Mit dieser Nachfragedrosselung via Zinserhöhung gelingt zwar eine Moderation der Preissteigerungsraten, aber die Einkommens- und Beschäftigungseffekte sind unzweifelhaft negativ. Die Position der Volkswirtschaft auf der ohnehin weit nach recht oben verschobenen Phillipskurve rutscht weiter deutlich nach rechts.
Erst mit diesem letzten Szenario dürfte die Realität der Zeit nach der ersten Ölpreisexplosion Mitte der siebziger Jahre ausreichend abgebildet sein, um wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen zu ermöglichen. Nur diese komplexe Konstellation von Angebots- und Nachfrageschocks kann erklären, was zu dem Anstieg von Preisen und Arbeitslosigkeit geführt 19
hat, den die tatsächlichen Phillipskurven für diese Zeit ausweisen. Eine marktendogene Anpassung an diese Schocks im Sinne einer Rückkehr zum Anpassungsgleichgewicht war nicht mehr möglich. Das System konnte auf die Umkehrung des Zinsmechanismus' infolge restriktiver Geldpolitik und Reallohnrigidität nur mit Mengeneinschränkungen reagieren. Auch die Versuche, mit den Instrumenten der überkommenen keynesianischen Nachfragetheorie- und -politik auf die Situation zu reagieren, war a priori zum Scheitern verurteilt
Die Bedeutung von starken Veränderungen der Wechselkurse auf die makroökonomischen Fehlentwicklungen in der Welt seit 1973 ist ganz anders zu beurteilen, als die Bedeutung der Mischung von Angebots- und Nachfrageschocks, die die Ölpreisexplosionen mit sich gebracht haben. Theoretischen Überlegungen zur Logik des Wechselkursschocks und eine Reihe von empirischen Untersuchungen sprechen eindeutig dafür, daß das Gewicht dieser Schocks für die Weltwirtschaft im Verhältnis zu den bisher behandelten Schocks recht gering war. Das zeigt schon ein äußerst einfacher Vergleich. Reine Angebotsschocks infolge der Verknappung einer natürlichen Ressource vermindert definitiv die Einkommenschancen in der Welt, ohne daß es dafür eine unmittelbare Kompensation oder sofort verfügbare Anpassungsmechanismen gäbe. In gleicher Weise sind sowohl reine Nachfrageschocks wie un typische Nachfrageschocks aufgrund restriktiver Geldpolitik und/oder steigender Nominallöhne und Güterpreise bezüglich ihrer negativen Einkommens- und Beschäftigungswirkung nicht rückgängig zu machen. Der Rückgang des Einkommens ist in beiden Fällen die Anpassungsvariable des Systems.
20
Wechselkursänderungen sind dagegen nicht nur in sich ambivalent, sondern ohne weitere Annahmen in ihren Auswirkungen einander entgegengerichtet im Ab- und Aufwertungsland. Dieser Umverteilungscharakter von Wechselkursänderungen ist es, der die Bedeutung von Wechselkursschocks für makroökonoftiische Fehlentwicklungen doch erheblich relativiert.
Dies gegeben, reduziert sich das Problem der Wechselkursschocks, soweit die rein makroökonomische Logik betroffen ist, auf mögliche Asymmetrien bei der wirtschaftspolitischen
und marktendogenen
Reaktion auf Auf- und Abwertungen. Dabei sind allerdings bei Wechselkursveränderungen im Gegensatz zu den bisherigen Überlegungen zwei Dimensionen zu berücksichtigen. Zum einen die Wirkung des Wechselkursschocks auf die Zahlungsbilanz. Zum anderen die Wirkung auf die internen Ziele Preisniveau, Beschäftigung und Realeinkommen.
Gesamtwirtschaftliche Effekte von reinen Angebotsschocks Kennzeichen eines "reinen" Angebotsschocks ist, daß eine drastische Veränderung der Preisrelationen eintritt, in unserem Fall eine starke terms of trade Veränderung, ohne daß diese von einer Veränderung der Gesamtnachfrage innerhalb einer Volkswirtschaft begleitet wird. In der Realität dürften diese reinen Angebotsschocks kaum auftreten, weil mit Preisänderungen in der Regel Nachfrageänderungen verbunden sind und dabei unterschiedliche Wirkungsverzögerungen auftreten. Die empiri-
21
sehen Analysen zu den Wirkungen der Ölpreisschocks beschäftigen sich daher mit einer Kombination von Angebots- und Nachfrageschocks.
Mit Hilfe eines ökonometrischen Modells kann der Idealfall eines reinen Angebotsschocks dennoch simuliert werden. Man schließt qua Annahme die Nachfrageänderungen aus und kann so die nach einem Angebotsschock auftretenden
gesamtwirtschaftlichen
Effekte
im einzelnen
verfolgen. Simulationstechnisch muß dazu das reale Bruttosozialprodukt, hier ein Indikator der realen Nachfrage, auf einem Wachstumspfad gehalten werden, der unabhängig davon ist, ob ein Angebotsschock eintritt oder nicht. Im Falle stark steigender Preise importierter Energie können dabei die realen Warenexporte so bestimmt werden, daß die Bedingung - ein unverändertes reales Bruttosozialprodukt - erfüllt wird.
In der ersten Variante, die später als Vergleichsbasis für eine weitere Politikvariante herangezogen wird, werden die gesamtwirtschaftlichen Effekte ermittelt, die nach einer Erhöhung der DM-Preise für importierte Energie um 100 vH in den Jahren 1980 bis 1985 eintreten. Dabei ist die Geldpolitik identisch mit der tatsächlichen jener Jahre, und die Löhne passen sich im wesentlichen an die Preis- und Produktivitätseffekte an.
Es kann gezeigt werden, daß bei einem Versuch, über Nominallohnsteigerungen die Realeinkommensposition der Arbeitnehmer nach einer Energiepreissteigerung zu halten, eine Lohn-Preis-Spirale ausgelöst wird. Nach sechs Jahren sind die Preise deutlich stärker gestiegen, als es allein zur Überwälzung der Energiepreise nötig gewesen wäre. Im
22
Unterschied dazu steigt bei Nominallohnrigidität der Preisindex des privaten Verbrauchs nur in den ersten neun Quartalen nach der Energiepreiserhöhung deutlich; er erhöht sich um 3,3 vH-Punkte und verharrt anschließend auf diesem höheren Niveau. Damit handelt es sich nur um eine einmalige Preiswelle, die die Preissteigerungsrate in den ersten beiden Jahren um jeweils etwa 1 1/2 vH-Punkte erhöht und auf die Preissteigerungsraten in den Folgejahren keinen Einfluß mehr ausübt. Nach sechs Jahren hat sich der Preisindex des privaten Verbrauchs um 3 1/2 vH-Punkte erhöht; im Fall von Reallohnrigidität sind es 7 vH.
Die Investitionen liegen bei Reallohnrigidität Jahr für Jahr tiefer unter dem Basisniveau als bei Nominallohnrigidität; dies ist im wesentlichen eine Folge der deutlichen Gewinneinbußen. Bei Nominallohnrigidität fällt der Einbruch der Gewinne und der Investitionen dagegen geringer aus; die reale Investitionstätigkeit liegt nach fünf Jahren sogar wieder über dem Basisniveau. Auch sind die Verluste beim realen privaten Verbrauch nach sechs Jahren mit 1,5 vH unter dem Basisniveau nicht einmal halb so groß wie im Falle der Reallohnrigidität (-3,8 vH). Mittelfristig profitieren damit auch die Arbeitnehmer von ihrem Verzicht auf Lohnanpassung; im sechsten Jahr erreichen sie wieder das Realeinkommensniveau der Basisvariante. Im Falle der Reallohnrigidität mußten sie, trotz Nominallohnsteigerungen, im sechsten Jahr einen Verlust an ihrer realen Nettolohn- und -gehaltsumme von 3 vHPunkten hinnehmen.
Als Ergebnis der Simulationsanalysen kann festgehalten werden, daß im Falle eines Angebotsschocks der Anpassungsmechanismus mit den 23
geringsten Friktionen belastet wird, wenn Nominallohnrigidität herrscht und die Geldpolitik neutral bleibt. Das heißt, daß sowohl die Bundesbank als auch die Gewerkschaften die vorübergehende Preiswelle eines Ölpreisschocks akzeptieren müssen und nicht versuchen dürfen, mit einer restriktiven Geldpolitik diese Welle zu stoppen oder mit Nominallohnsteigerungen den Realeinkommensverlust
zu vermeiden.
Die
Kombination dieser beiden - in der Realität anzutreffenden - Reaktionen hätte, wie auch die theoretischen Überlegungen gezeigt haben, gravierende Nachteile für die Volkswirtschaft. Sektorale Analyse von reinen Angebotsschocks
Die sektorale Analyse von Angebotsschocks unterscheidet sich von der gesamtwirtschaftlichen vor allem durch die Annahme, daß ein Angebotsschock, der die gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung unverändert läßt, sehr wohl die sektorale Struktur der Güternachfrage verändert. Denn die einzelnen Sektoren werden in unterschiedlicher Weise von den Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Endnachfrage betroffen und auch die Preisentwicklungen weisen einen sektorspezifischen Verlauf auf. Da die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf die Analyse eines reinen Angebotsschocks ausgerichtet sind, können sich die Exporte in den einzelnen Sektoren nicht in beliebiger Weise ändern, wenn sie mit diesen gesamtwirtschaftlichen Vorgaben vereinbar sein sollen. Daher wird in Ermangelung gesicherter Informationen über die Präferenzen möglicher ausländischer Nachfrager unterstellt, daß die hypothetische Exportentwicklung, die zur Kompensation der negativen Folgen eines Angebotsschocks für den inländischen Absatz erforderlich ist, in allen 24
Sektoren gleichartig verläuft Der Angebotsschock verändert demnach nicht die Anteile der einzelnen Sektoren an der gesamten Ausfuhr. Daher resultieren sektoral unterschiedliche Folgen des Schocks allein aus den unterschiedlichen Anteilen des Exports an der gesamten Bruttoproduktion und den sektoral divergierenden Reaktionen des Inlandsabsatzes.
Der Angebotsschock wird in dieser Simulation durch eine hypothetische Verdoppelung der Mineralölpreise für den Zeitraum unterstellt, daß sich die Mineralölpreise in jedem Jahr auf dem zweifachen ihres tatsächlichen Niveaus befunden hätten. Diese Annahme ist relativ drastisch, zeigt aber daher um so deutlicher die Wirkungen eines Angebotsschocks.
Die sektoralen Wirkungen eines Angebotsschocks sollen unter Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen analysiert werden. Dies geschieht durch die Übernahme von Simulatonsergebnissen, die auf der Analyse der Wirkungen von Angebotsschocks bei Reallohnrigidität anhand des gesamtwirtschaftlichen Konjunkturmodells beruhen, in das multisektorale Modell. Die Wirkungen des Angebotsschocks treffen im Rahmen dieser Simulation nicht nur einen einzelnen Sektor, sondern die gesamte Volkswirtschaft.
In Verbindung mit dem unterstellten - aus dem gesamtwirtschaftlichen Modell übernommenen - gleichförmigen Exportverlauf zeigen sich doch deutlich unterschiedliche Entwicklungen der Bruttoproduktionswirkungen in den einzelnen Sektoren. In Branchen, in denen die Firmen einen relativ großen Anteil ihrer Güter auf den Auslandsmärkten absetzen (Maschinenbau und Büromaschinen/ADV), geht die Produktion 25
in vergleichsweise geringerem Umfang zurück als in jenen, deren Absatz sich im wesentlichen auf den heimischen Markt konzentriert (Textilindustrie und Einzelhandel). Die im Fall eines reinen Angebotsschocks prozentual gleichen Exportänderungen implizieren eine um so größere Mengenentwicklung, je stärker die Exportorientierung eines Sektors ist Daher kann in diesem Fall der Anstieg der Ausfuhrmengen einen größeren Rückgang des Inlandsabsatzes kompensieren.
Folglich wirken sich die sektoralen Nachfrageeffekte eines reinen Angebotsschocks vor allem in jenen Bereichen negativ auf die Produktion aus, in denen ein relativ starker Rückgang des Inlandsabsatzes, der durch die Kostensteigerung und die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Endnachfrage herbeigeführt wird, mit einer geringen Exportorientierung einhergeht
Bei unterstellter Nominallohnrigidität fällt die Kostenbelastung der Unternehmen durch den Angebotsschock wesentlich geringer aus. Zwar erhöhen sich weiterhin die Kosten für Mineralöl beträchtlich. Die Lohnsumme und damit die Kosten des Produktionsfaktors Arbeit fallen jedoch bei Nominallohnrigidität und den im Modell enthaltenen Substitutionseffekten sogar unter das Referenzniveau. Folglich sind die Preissteigerungen geringer und damit auch die negative Reaktion von preiselastischer Inlandsnachfrage.
Sucht man in den oben dargestellten Ergebnissen nach einer Antwort auf die Frage, ob rigide Reallöhne oder rigide Nominallöhne als 26
Reaktion auf Angebotsschocks vorzuziehen seien, so fällt das Ergebnis eindeutig aus. Die sektoralen Folgen eines Angebotsschocks bei Nominallohnrigidität sind im Hinblick auf die Entwicklung von Absatz, Preisen und Beschäftigung eindeutig jenen überlegen, die bei rigiden Reallöhnen auftreten. Wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen
Diese Untersuchung hat bei der theoretischen und empirischen Analyse von schockartigen Einflüssen auf marktwirtschaftliche Systeme in mancher Hinsicht Neuland betreten. Theoretisch wurde versucht, auf der Basis einer dynamischen (also Strukturwandel explizit einbeziehenden) Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung die Logik verschiedener Schocks offenzulegen und endogene Anpassungsmechanismen auf ihre Wirkungsweise zu überprüfen. Der Kern des dabei verwendeten Theoriegebäudes ist die gesamtwirtschaftliche Einsicht in die Notwendigkeit einer gewissen Rigidität von Nominallöhnen und Preisen. Diese Rigidität trennt stationäre von dynamischen Systemen. Das Postulat der "Markträumung durch flexible Preise" wird damit nicht für Modelle erschüttert, die im weitesten Sinne auf der walrasianischen Logik des allgemeinen Gleichgewichts beruhen. Die Relevanz des Postulats als Basis für eine realistische Analyse tatsächlicher Marktprozesse und damit für wirtschaftspolitisch relevante Aussagen wird aber fundamental in Frage gestellt.
An seine Stelle tritt eine - in einem sehr weit gefaßten Sinne keynesianische Theorie, die die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der wichtigsten Schocks sehr gut erklären und wirtschaftspolitische 27
Therapien anbieten kann. Zentrales Ergebnis dieses Erklärungsversuchs ist, daß Fehlentscheidungen von Geld- und Lohnpolitik für die weltweit schockartig auftretenden Fehlentwicklungen bei Inflation, Beschäftigung und Wachstum im Gefolge der beiden Ölpreisexplosionen verantwortlich sind. Solche Fehlentscheidungen lassen sich vermeiden, wenn allen Beteiligten wirtschaftspolitisch Führung gegeben wird bei der Abschätzung der unabwendbaren und der vermeidbaren Kosten von Angebots- und Nachfrageschocks.
Das betrifft in der Bundesrepublik explizit zwei Bereiche - Geld- und Lohnpolitik -, die eine gewisse Autonomie bei ihren Entscheidungen beanspruchen. Das muß man von vornherein nicht problematisch finden. Es geht aber kein Weg an der Einsicht vorbei, daß Autonomie nicht Durchsetzung eines partikularen Standpunkts bedeuten darf, wenn grobe gesamtwirtschaftliche Fehler vermieden werden sollen.
Die eingehende Untersuchung der Auswirkungen von Angebots- und Nachfrageschocks sowohl in ihrer theoretisch reinen Form als auch in den tatsächlich zu beobachtenden Mischformen und Überlagerungen hat eines unzweideutig gezeigt. Die großen lohnpolitischen Kontroversen, wie sie in der Polarisierung und Segmentierung von klassischer Arbeitslosigkeit hier und keynesianischer Arbeitslosigkeit dort ihren Ausdruck finden, gehen weitgehend am eigentlichen Problem vorbei. Eine Gegenüberstellung von reallohnbedingter Arbeitslosigkeit auf der einen und nachfragebedingter Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite sowie die damit implizierte Identifikation von Regimes der einen oder anderen Arbeitslosigkeit ist zu undifferenziert und die Modelle, aus denen solche Aussagen gewonnen werden, sind nicht realistisch genug, 28
um daraus wirtschaftspolitische Aussagen ableiten zu können. Schon die einfache Typisierung unterschiedlicher Schocks und der möglichen endogenen Anpassungsmechanismen hat unmißverständlich klar gemacht, daß "zu hohe Reallöhne" (im Sinne einer wage gap) oder "Mangel an Nachfrage" (im eigentlichen Wortsinn) eher ausnahmsweise mit den Ursachen des Entstehens von Arbeitslosigkeit zu tun haben als regelmäßig. In einer Welt nicht-rationaler Erwartungen sind es in der Regel untypische Nachfrageschocks durch "zu restriktive Geldpolitik" oder untypische Angebotsschocks infolge "zu hoher Nominallöhne", die für das schubartige Entstehen von Arbeitslosigkeit, wie es für fast alle westlichen Industrieländer charakteristisch ist, verantwortlich zeichnen. Beides paßt weder eindeutig in eine traditionelle klassische noch in eine traditionelle keynesianische Theorie.
In einer Welt mit solch komplexen Phänomenen wie der Überlagerung von Angebots- und Nachfrageschocks verbieten sich lehrbuchmäßige Empfehlungen zur Senkung der Reallöhne oder zur Stimulierung der Nachfrage. Notwendig ist vielmehr in jedem Einzelfall die Analyse des Schocks entlang der theoretischen Linien, die diese Arbeit zu zeichnen versucht hat. Dennoch lassen sich einige einfache Politikempfehlungen ableiten, die unabwendbare Schocks möglichst schmerzlos absorbieren helfen und die Notwendigkeit, neue Schocks wirtschaftspolitisch zu erzeugen, minimieren helfen können.
Für die Lohnpolitik, soweit man bei mehr oder weniger zentralisierten Tarifverhandlungen von "Politik" sprechen kann, hat sich im Verlauf unserer Überlegungen ein Grundmuster des "vernünftigen" Verhaltens herausgebildet, das die Ergebnisse eines reinen Marktprozesses quasi 29
simuliert. Das bedeutet im Zuge dynamischer wirtschaftlicher Entwicklung keineswegs größtmögliche Flexibilität auf mikro- und makroökonomischer Ebene, sondern das Gegenteil: Weitgehende Rigidität der Nominallöhne in intersektoraler und interregionaler Dimension ist ein Marktergebnis bei dynamischer Entwicklung und Mobilität der Arbeitsanbieter. Intertemporal richtet sich die Reallohnfindung bei Wettbewerb an den Gütermärkten nach der Produktivitätsentwicklung. NominallohnOrientierung
an der Produktivität stabilisiert über längere Sicht (über
Zyklen hinweg) die Entwicklung des Preisniveaus.
Dieses iohnpoiitische Wohlverhalten bedarf, um letztlich erfolgreich sein zu können, einer wirtschaftspolitischen und einer die Einkommensverteilung betreffenden Flankierung.
Der Spielraum der Geldpolitik in der Weh, also in einem geschlossenen System, läßt sich mit drei Sätzen umreißen: Wenn die Erwartungen der übrigen Marktteilnehmer vollkommen rational im Sinne der klassischen Version
der
Quantitätstheorie
sind,
kann
die
Geldpolitik
jedes
gewünschte Preisniveau erreichen. Eine Beschäftiguncsexpansion bei steigendem Realeinkommen ist dann ausgeschlossen. Sind die Erwariun gen nicht rational in diesem Sinne, muß die Geldpolitik mit dei Lohnpolitik
koordiniert
werden,
um
beides
zu ermöglichen
und
unerwünschte Fehlentwicklungen auszuschließen.
In einer Welt rationaler
Erwartungen ist ein einmal bestehendes
Ungleichgewicht am Arbeitsmarkt nicht mehr zu beseitigen. W i l l man aber genau dies erreichen, sind Lösungen auf der Basis rationalci Erwartungen unbrauchbar. Das gilt vor allem für die sogenannicn 30
Potentialkonzepte. Ein Potentialkonzept bedeutet den Versuch, das Geldangebot dem Expansionspfad der Angebotsseite der Volkswirtschaft schon ex ante, durch wissenschaftliche Antizipation nämlich, anzupassen. Damit wird genau dann jede Beschäftigungsexpansion verhindert, wenn die Lohnpolitik via kostenneutrale Orientierung der Reallohnentwicklung sich auf einem ebensolchen Potentialpfad befindet. Die Geldpolitik muß folglich ein Nachfrage- und Produktionspotential unterstellen, das in den durchschnittlichen Wachstumsraten der jüngeren Vergangenheit gerade nicht zum Ausdruck kommt, weil diese Vergangenheit selbst geprägt war von gesamtwirtschaftlichen Fehlentwicklungen im Gefolge der Angebots- und Nachfrageschocks. Insgesamt gesehen kommt es in einer Welt nicht-rationaler Erwartungen darauf an, Geld- und Lohnpolitik so zu koordinieren, daß sowohl untypische Nachfrage- wie untypische Angebotsschocks vermieden werden können. Gelingt das - wie in den siebziger Jahren - nicht, muß wenigstens im Anschluß an diese Schocks eine konsequente expansive Politik für eine Welt nicht-rationaler Erwartungen betrieben werden, was heißt, die Preisstabilisierungsmöglichkeiten durch Nominallohnzurückhaltung bewußt zu nutzen, um via Geld- und Finanzpolitik Beschäftigungschancen zu schaffen. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint es nahezuliegen, die Folgen von Angebotsschocks mit "Angebotspolitik" und die Folgen von Nachfrageschocks mit "Nachfragepolitik" zu bekämpfen. Auf der Basis unserer Überlegungen folgt aber weder, daß auf einen typischen Nachfrageschock in jedem Fall mit Nachfragepolitik im Sinne des deficit spending 31
geantwortet werden muß, noch daß ein typischer Angebotsschock Angebotspolitik verlangt Im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Schocks ist die Frage nach der Notwendigkeit der Koordinierung wirtschaftspolitischer Reaktionen implizit im Sinne einheitlicher Verhaltensregeln schon beantwortet worden. Die Wirkung des reinen Angebotsschocks kann nur hingenommen werden. Nachfrageschocks, die durch eine höhere Weltsparquote bei nicht ausreichend stark sinkenden Zinsen auftreten, sollten von allen betroffenen Ländern mit Nachfragestimulierung im Sinne des deficit spending in Grenzen gehalten werden. Zusätzliche Nachfrage- und Angebotsschocks durch Geld- und/oder Lohnpolitik sind funktionslos und müssen vermieden werden. Wechselkursschocks sind - symmetrisch zu den Nachfrage- und Preiswirkungen - mit entgegengesetzter Politik im Abund Aufwertungsland zu beantworten.
32
I.
Einführung
Die Bedeutung von starken, außenwirtschaftlich bedingten Angebotsund Nachfrageveränderungen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu untersuchen, ist, zumindest auf den ersten Blick, eine äußerst komplexe Aufgabe. Nicht nur die Unterschiedlichkeit der Mischung und Charakteristika von solchen Angebots- und Nachfrageveränderungen 1 in den tatsächlich auftretenden Rohstoffpreis-
und Wechselkurs-
änderungen öffnet scheinbar ein weites Feld für separate Untersuchungen. Auch die Vielfalt der Anpassungsmechanismen, deren unterschiedliche Wirkungsweise und die Interdependenz der Auswirkungen von Anpassungsprozessen im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung läßt einfache Antworten auf die sich ergebenden Fragen von vornherein nicht erwarten. Reduktion der Komplexität auf das Wesentliche ist daher notwendige Voraussetzung, um zu einfachen und dennoch wirtschaftspolitisch verwertbaren Aussagen über Anpassungsvorgänge zu kommen. Daß Anpassungsprozesse im Mittelpunkt der Analyse stehen, ergibt sich aus der Natur der Sache. Die Auswirkungen von Angebots- und Nachfrageschocks sind in einer dynamisch sich entwickelnden Volkswirtschaft nicht ohne weiteres eine Aufgabe für die Wirtschaftspolitik, sie führen also nicht ohne weiteres zu pathologischen Entwicklungen. Zunächst ist vielmehr zu untersuchen, ob und welche marktendogenen Anpassungsmöglichkeiten existieren und ob deren Funktionieren auch unter den
1
Diese starken Veränderungen sollen im folgenden, tionalen Literatur folgend, Schocks genannt werden. 33
der inte
institutionellen Voraussetzungen moderner Volkswirtschaften gewährleistet ist. Im Grunde handelt es sich um die seit einigen Jahrzehnten andauernde Kontroverse um Mengen- und/oder Preisanpassungen bzw. um Preisflexibilität versus Preisrigidität. Da diese Kontroverse den Kernpunkt der Auseinandersetzungen zwischen im weitesten Sinne klassischer und keynesianischer Theorie bildet, wird es auch nicht zu umgehen sein, den theoretischen Rahmen der hier vorzunehmenden Analyse immer wieder deutlich hervortreten zu lassen und von den beiden dominierenden Theorierichtungen abzugrenzen.
Da sich die Anpassungsprozesse zunächst im wesentlichen auf die marktendogene Problematik "ausreichender Preisflexibilität" reduzieren lassen, sollte es möglich sein, Musteraussagen über pathologische und nicht-pathologische Anpassungsmechanismen zu formulieren, die eine relativ einfache Analyse verschiedener Schocktypen und in einer letzten Stufe die Erläuterung der Wirkungsweise einer Vermischung und Überlagerung unterschiedlicher Schocks, wie sie in der Realität meist aufgetreten ist, erlauben. Der dazu notwendige mehrstüflge Analyseprozeß beginnt in Kapitel II mit der Erörterung von Angebots- und Nachfrageschocks auf Einzelmärkten. Fundamental ist dabei die Frage nach den Unterschieden im Ergebnis des Anpassungsprozesses in einem Regimeflexibler Preise auf der einen und bei rigiden Preisen auf der anderen Seite, wenn die Rückwirkungen von Angebots- und Nachfrageschocks über mehrere Märkte beobachtet werden. Das führt unmittelbar zur Bedeutung von Strukturwandel im Zuge gesamtwirtschaftlicher
Entwicklung und
mittelbar zu der Frage, was gesamtwirtschaftliche Analyse genuin von 34
einzelwirtschaftlicher Analyse unterscheidet. Insgesamt gesehen ist dieses Kapitel unverzichtbar und sogar von überragender Bedeutung, weil nur auf der Basis einer leistungsfähigen Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung die Auswirkungen von Schocks mit dem Anspruch abgeleitet werden können, daraus politisch relevante Schlußfolgerungen zu ziehen.
In Kapitel III wird dies aufgenommen und gezeigt, daß "Geld" der konstituierende Faktor für gesamtwirtschaftliche Analyse sein muß. Darauf aufbauend werden dann die typischen Anpassungsmechanismen bei reinen Angebots- und Nachfrageschocks dargelegt. Insbesondere geht es dabei um die Rolle flexibler oder rigider Preise und Löhne bei intersektoralen und interregionalen Anpassungserfordernissen in der Folge von Angebotsschocks sowie bei intertemporalen Anpassungserfordernissen im Gefolge von Nachfrageschocks.
In Kapitel IV wird die Überlagerung mehrerer Schocks dargestellt, wie sie bei den in der Vergangenheit tatsächlich aufgetretenen Ölpreis- und Wechselkursschocks zu beobachten war. Darüber hinaus soll die theoretische und tatsächliche Bedeutung der Lohnpolitik zur Herstellung einer ausreichenden Preisflexibilität und die Rolle der Geldpolitik im Anpassungsprozeß gründlich beleuchtet werden. Hier kommt es darauf an, Fehlreaktionen in der Vergangenheit herauszuarbeiten, also unter anderem zur Erklärung der Folgen der beiden Ölpreisexplosionen beizutragen. Aber auch das Verhältnis der hier entwickelten Schocktheorie zur allgemeinen Beschäftigungstheorie soll erhellt werden.
35
In den Kapiteln V und VI wird mit Hilfe ökonometrischer Simulationen die relative quantitative Bedeutung von Schocks und Anpassungsreaktionen aufzudecken versucht. Die Analyse intertemporaler und intersektoraler Effekte wird dabei mit Hilfe zweier ökonometrischer Modelle, eines gesamtwirtschaftlichen und eines sektoralen, vorgenommen, die im Simulationsaufbau aufeinander abgestimmt werden. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Anpassungsmechanismus flexibler oder rigider Löhne geschenkt. Der Angebotsschock wird als Energiepreisschock in einer reinen Form simuliert, die nicht von Nachfrageeffekten überlagert ist. So kann die theoretische Analyse im ersten Schritt in eine empirische überführt werden.
Aus der Konfrontation theoretischer und simulierter Politikreaktionen folgt in Kapitel VII der Versuch einer Formulierung der optimalen Reaktionsweise von Geldpolitik und Lohnpolitik sowohl kurzfristig - in typischen Schocksituationen - wie in ihrer mittelfristigen Ausrichtung. Dabei sollen die hier gefundenen Politikregeln mit denen der herrschenden Theorieansätze verglichen und ihre jeweiligen Spezifika und Annahmen transparent gemacht werden. Dazu dient auch ein Vergleich der Bundesrepublik mit den USA. Angebots- und Nachfragepolitik werden einander gegenübergestellt. Zudem wird auf die Problematik der Grenzen der Allgemeingültigkeit von wissenschaftlichen Aussagen beim gegenwärtigen Währungssystem hingewiesen. Damit eng verbunden ist die Frage, ob und welche Art von internationaler wirtschaftspolitischer Kooperation notwendig ist, um nationale Probleme in eng verbundenen Volkswirtschaften überhaupt lösen zu können. Insbesondere stellt sich hier die Frage, ob Koordination der Angebots- und/oder der Nachfra-
36
geentwicklung notwendig für die Aufrechterhaltung eines freien Güterund Kapitalverkehrs ist.
37
II
Zur Theorie von Angebots- und Nachfrageschocks auf mikroökonomischer Ebene
ILI
Marginalanalyse und Schocktheorie
Das Problem der Anpassung von Mengen und Preisen im Gefolge von Störungen eines Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage kann mikroökonomisch
mit
Hilfe
zweier
unterschiedlicher
Methoden
analysiert werden. Das klassische Instrument ist seit der Grenznutzenrevolution durch Gossen, Walras, Menger und Jevons die Marginalanalyse. Diese ist wiederum auf zwei verschiedene Arten nutzbar zu machen. Erstens, als reine Partialanalyse im Sinne Marshalls1 und zweitens, als Globalanalyse eines interdependenten allgemeinen Gleichgewichtssystems im Sinne von Walras.2 Die gesamte (neo)klassische Literatur seit Walras hat sich des einen oder des anderen Instruments aus dem Bereich der Marginalanalyse bedient und damit ein theoretisches Weltbild entworfen, das für moderne Keynesianer ebenso wie für moderne Klassiker Referenzsystem im Sinne einer idealtypischen Marktwirtschaft ist. Anhand dieses Systems werden letztlich die pathologischen und nichtpathologischen Merkmale der in der Realität existierenden Systeme beurteilt.
1
Vgl zur Erkenntnislogik (1954), 5. 990 ff 2
38
der Ansätze insbesondere
Ebenda: 5. 998 und Walras (1954).
Schumpete
Gleichwohl war den aufgeklärten Schöpfern und Vertretern dieser theoretischen Instrumente immer bewußt, welche Grenzen an faktischer (unmittelbarer) Aussagekraft dieser "highly abstract creations of the observer's mind"1 bei der Umsetzung theoretischer in praktische Aussagen zu beachten sind. Beide, Partial- wie Globalanalyse, sind zwar durch die Basis Nutzenmaximierung axiomatisch ausreichend abgesichert, um praktische Aussagen über marktwirtschaftliche Systeme zuzulassen. Beide sind aber zur Erfassung von raum-zeitlichen Änderungen (Störungen, Schocks) der das Gleichgewicht konstituierenden MengenPreis-Relationen auf der Angebots- und der Nachfrageseite nur sehr bedingt geeignet. Für Alfred Marshall etwa war das selbstverständlich.2 Dennoch verlangte die relative Jugend der Ökonomie als Wissenschaft wohl zunächst die Klärung der Logik eines Systems, dessen wichtigste raum-zeitliche Eigenschaften am treffendsten als Stationarität zu kennzeichnen sind. Folglich beschränkte sich ökonomische Theorie als Partialanalyse weitgehend auf die Klärung der Bedingungen für die Stabilität eines gegebenen Marktes bei ausreichender Preisflexibilität und als Globalanalyse auf den Nachweis der Möglichkeit eines stabilen Gleichgewichts interdependenter Märkte bei ebenfalls flexiblen Preisen und gegebenen Ressourcen.
1
Schumpeter (1954), 5. 1008:
2
"For indeed the demand and supply schedules do not in practi remain unchanged for a long time together } but are constantly being changed; and every change in them alters the equilibrium amount and equilibrium price , and thus gives new positions to the centres about w the amount and the price tend to oscillate ." Marshall (1920), 5. 288, 28 39
Die Bedeutung von Preisflexibilität für eine eindeutige Lösung des Stabilitätsproblems läßt sich im Fall der Partialanalyse leicht durch eine graphische Darstellung, im Fall der Globalanalyse mit Hilfe einer einfachen Überlegung verdeutlichen.
Nehmen wir Marshalls einzelnen Markt, in dem das bestehende Gleichgewicht zwischen einer Nachfragekurve, die durch abnehmenden Grenznutzen, und einer Angebotskurve, die durch abnehmende Skalenerträge charakterisiert ist, durch irgendeinen Umstand gestört wird.1
Schaubild 1
1
40
VgL Marshall (1920), S. 288.
Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage ist nur in Punkt G gegeben. Kommt es zu einer Abweichung der produzierten Menge von der nachgefragten Menge, so daß der (potentielle) Angebotspreis des Gutes χ (Xg) den (potentiellen) Nachfragepreis (x n ) unterschreitet, wird die Produktion dieses Gutes wesentlich gewinnbringender und wird folglich solange ausgedehnt werden, bis der Zusatzgewinn bei der Menge x G wieder verschwunden ist. Offensichtlich muß der Preis für das Gut χ so flexibel sein, daß er zunächst auf das Zurückbleiben der Produktion hinter der Nachfrage und danach prompt auf die Ausweitung des Angebots reagiert und die richtigen Signale zur Wiederherstellung des Gleichgewichts aussendet. Preisflexibilität in diesem Sinne bedeutet also schon auf der Ebene des einzelnen Marktes in der Partialanalyse Reaktion auf das Auseinanderlaufen von angebotener und nachgefragter Menge, bedeutet folglich Preis- und Mengenflexibilität als (simultaner) Ausdruck des Ungleichgewichts. Diese Beobachtung wird im folgenden von großer Wichtigkeit sein.
In der Globalanalyse walrasianischer Prägung hat Preisflexibilität die gleiche ökonomische, aber eine zusätzliche formale Bedeutung. Jeder Marktteilnehmer steht einem System von η Märkten gegenüber, auf denen Produktionsfaktoren und Güter getauscht werden. Es gibt n-1 relative Preise, denn alle Preise können als Gütermengen im Verhältnis zu der Menge eines einzigen Gutes angegeben werden. Da bei Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage in n-1 Märkten auch der letzte Markt im Gleichgewicht sein muß, können mit n-1 Preisen simultan die unbekannten Gleichgewichtsmengen der n-1 Märkte bestimmt werden, was sich mathematisch darin ausdrückt, daß das Gleichungssystem, ganz
41
gleich wie viele Märkte es enthält, eine eindeutige und - unter geeigneten Zusatzbedingungen -stabile Lösung aufweist. Preisflexibilität ist in einem solchen System interdependenter Märkte formal und ökonomisch wiederum notwendige Bedingung zur Herstellung des Gleichgewichts, auch wenn der Prozeß der Anpassung der Preise in seinen Details im Dunkeln bleibt bzw. nur über theoretische Fiktionen (Edgeworth's recontracting, Walras4 Auktionator) erhellt werden kann. Es ist aber wiederum ein logischer Fehler, Preisänderungen als alleinige Anpassungsvariable anzusehen. In einem System simultan zu lösender Gleichungen gibt es keine von vornherein feststehenden Größen (Mengen etwa), sondern nur gegenseitige Abhängigkeiten. Das heißt, worauf Schumpeter schon hinweist1, Mengen passen sich an Preise an und Preise an Mengen; Preisflexibilität ist kein Ersatz für Mengenanpassungen, im Gegensatz zu der Vorstellung, die manchmal durch die extensive Verwendung des Begriffs Preisflexibilität in der Literatur suggeriert wird.
Die zweite Art des analytischen Zugangs zum Anpassungsproblem nach Störungen eines ursprünglichen Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage soll Schocktheorie genannt werden. Schocktheorie auf makroökonomischer Ebene ist ein Ergebnis der einige Zeit theoretisch ungelösten Probleme im Gefolge der beiden Ölpreisexplosionen, hat also erst im vergangenen Jahrzehnt eine zunehmende Rolle gespielt. Während aber makroökonomisch bei der Klärung der Zusammenhänge durchaus Erfolge erzielt worden sind, fehlt dieser Art von Theorie unseres Erachtens eine haltbare mikroökonomische Basis. Das ist vor
1
42
Vgl Schumpeter (1954), 5. 1015.
allem deshalb fatal, weil mit dem Verzicht auf eine realitätsnahe mikroökonomische Fundierung auch die Chance vergeben wurde, für die gesamte mikroökonomische Absicherung makroökonomischer Theorie eine Alternative zum Walrasschen Paradigma zu schaffen. Schocktheorie, wie sie hier verstanden werden soll, befaßt sich mit ganz anderen, für die Deutung realer Phänomene aber a priori keineswegs weniger relevanten Vorgängen, nämlich mit der von Marshall schon normal genannten permanenten Verschiebung von Angebots- und Nachfragekurven im Zuge wirtschaftlicher Entwicklung.
Es ist wichtig zu verstehen, daß reine Gleichgewichtsanalyse weder in Form von Partial-noch in Form der Globalanalyse des allgemeinen Gleichgewichts überhaupt einen unmittelbaren Zugang zu dieser Art von Phänomenen hat. Jede Verschiebung von Angebots- und Nachfragekurven schafft für die Gleichgewichtsanalyse einen neuen Beobachtungstatbestand, ein neues Forschungsobjekt, erlaubt aber keine Erklärungen im Rahmen der bestehenden Ansätze. Die Verschiebung nur einer einzigen Nachfragekurve in einem bisher stabilen walrasianischen System ändert die Gleichgewichtswerte aller anderen Märkte und führt im Globalmodell zu unprognostizierbaren Ergebnissen. Nur daß es wieder ein Gleichgewicht unter bestimmten (günstigen) Umständen geben kann, sagt uns die allgemeine Gleichgewichtstheorie. Wenn das aber so ist, kann man aus der Gleichgewichtstheorie keine Schlußfolgerungen ableiten, die sich auf Schockphänomcne und die dabei sich ergebenden Anpassungsprozesse beziehen.
Das kann man- allerdings nur in der Partialanalyse - in einem einfachen Angebot-Nachfragemodell ohne weiteres zeigen. Nehmen wir an, ein 43
bestimmtes Gut (χ) wird aus Gründen der Konkurrenz durch wettbewerbsfähige andere Anbieter, wegen Substitution durch billigere Ersatzprodukte oder infolge einer partiellen Sättigung in recht kurzer Zeit auf einem bestimmten regional abgegrenzten Markt zu jeder Menge nur noch zu einem niedrigeren Preis nachgefragt. Dann verschiebt sich formal abgebildet - für die Anbieter auf diesem Markt die gesamte Nachfragekurve nach links.
Schaubild 2
44
Ein solcher negativer Nachfrageschock (von Nj nach N 2 ) auf dem Markt für Gut χ vermindert bei normalen Preis-Elastizitäten von Angebot und Nachfrage sowohl den Preis als auch die produzierte Menge dieses Gutes.1
Es gibt in diesem Fall (ohne weitere Annahmen) für das betroffene Unternehmen bzw. das betroffene Marktsegment keinen Konkurrenzmechanismus, also keinen endogenen marktmäßigen Anpassungsprozeß, der es wieder zum Ausgangspunkt, dem Schnittpunkt von Ν λ und A zurückführen könnte. Es existiert ein neues Gleichgewicht, bei dem die produzierte Menge und - bei unveränderter Produktionsweise (Produktionsfunktion entspricht der Angebotskurve) - die Beschäftigung von Arbeit und Kapital hier niedriger als vorher ist. Dennoch scheint es offensichtlich, daß - entsprechend der Annahme von Elastizitäten nahe eins - auf dem Markt für das Gut χ ein gewisses Maß an Preisflexibilität vorhanden ist, das aber den Mengeneffekt nur abschwächt. Es schafft aus sich heraus keine Anpassungsmöglichkeit des Unternehmens, sondern ist bloßer Reflex der Ausgangsstörung bei den gegebenen Marktbedingungen.
1
Die Grenzfälle einer völlig unelastischen und einer vollkomme elastischen Angebotskurve, in denen sich nur die Preise bzw. nur Mengen ändern, sollen hier außer Betracht bleiben. Insbesondere eine Preisreaktion ist - vor allem bei negativem Nachfrageschock - im D schnitt aller Märkte auf keinen Fall zu erwarten, wohingegen eine r Mengenreaktion in Zeiten unausgelasteter Kapazitäten - die keynesiani Variante der Angebotskurve - schon eher vorstellbar ist Vgl. zur keyn schen Angebotskurve Lipsey (1981) und Abschnitt IIL3.
45
Anpassungschancen des Unternehmens oder Marktsegments ergeben sich erst in einem zweiten Schritt der Analyse, wenn nämlich die dem Unternehmen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einer Verschiebung der Angebotskurve als Reaktion auf den Nachfrageschock in Betracht gezogen werden. Doch spätestens dann ist die Analogie zur Partialanalyse der Marktstörung im Rahmen der Gleichgewichtstheorie nicht mehr sinnvoll.
Es sollte hier nur gezeigt werden, daß es, anders als bei Ungleichgewichten auf wohldefinierten Angebots- und Nachfragekurven, bei der Verschiebung der Kurven keine unmittelbar zum alten Gleichgewicht zurückführenden Mechanismen gibt. Sollen weitere Anpassungsprozesse in die Überlegungen einbezogen werden, ist es ohnehin nicht angebracht, bei reiner Partialanalyse zu verharren, sondern eine Annäherung an gesamtwirtschaftlich relevante Vorgänge zu suchen. Der Weg dahin führt in der Schocktheorie über die Analyse der Interdependenz mehrerer Märkte und schließlich zur genuin gesamtwirtschaftlichen Analyse, die wiederum eigene Charakteristika aufweist. Anders ausgedrückt: es geht dabei um eine Dynamisierung des walrasianischen Modells. Das bedeutet nichts anderes als die Beschreibung der wichtigsten Eigenschaften eines Systems mehrerer Märkte in Reaktion auf bestimmte, angenommene Ausgangsstörungen. Während Walras Musteraussagen über die mögliche Ordnung eines ursprünglichen Chaos von Angebots- und Nachfrageplänen machte, soll hier versucht werden, die Auswirkungen der Störung einer ursprünglichen Gleichgewichtssituation walrasianischer Art durch das System hindurch zu verfolgen. Daraus sollten sich Musteraussagen über die Reaktionsweise dynamischer marktwirtschaftlicher Systeme ergeben, die der eigentlichen 46
makroökomomischen Analyse die Basis geben und deren Ergebnisse entscheidend vorprägen.
II.2
Anpassung an Nachfrageschocks über zwei und mehr Märkte
Die Beschränkung einer einzelwirtschaftlichen Analyse auf die Untersuchung von Nachfrageschocks bedeutet nichts anderes, als daß den Marktteilnehmern insgesamt ein festes Budget vorgegeben wird, denn die Chance, über eine Erhöhung der Effizienz des Wirtschaftens (Verschiebung der Angebotskurve nach rechts, durch technischen Fortschritt etwa) die real verfügbare Gütermenge zu erhöhen, ist damit ausgeschlossen. Dieses Budget soll im folgenden die Kaufkraft der Marktteilnehmer genannt werden. Da in einem solchen System unter geeigneten Bedingungen1 das Preisniveau unverändert bleibt, soll auf dieser Stufe der Überlegungen die reale der nominalen Kaufkraft entsprechen.
1
Die wichtigste Bedingung ist gleiche Angebots- und Nachfrage lastizität der verschiedenen Güter bzw. ein genauer Ausgleich un schiedlicher Elastizitäten. Eine Änderung des Preisniveaus ist aber, sie sich aus unterschiedlichen bzw. sich nicht ausgleichenden Elastiz ergibt, kein für die Analyse bedeutsames Phänomen, denn bei der Bet tung vieler Märkte (Gesamtwirtschaft), die das Ziel der Gesamtunt chung letztlich ist, dürfte es gerechtfertigt sein, von mittleren (na liegenden) Elastizitäten auszugehen (vgl. dazu Abschnitt IV.4). Zudem relative Preisänderungen, die (zufälligerweise) statistische Preisnivea haben, ökonomisch anders zu beurteilen als Inflation, also die permane Erhöhung aller Preise ohne reale Ursache. Al
Was geschieht nun, wenn der im vorigen Abschnitt beschriebene Nachfrageausfall nach Gut χ bei konstanter Kaufkraft unmittelbar zu einer Nachfrageerhöhung in gleichem Ausmaß nach Gut ζ führt, wobei Gut ζ die Gesamtheit aller anderen Güter repräsentiert?
Schaubild 3
48
Diese reine Neuverteilung von Nachfrage zwischen Gut χ und ζ hat unter den angenommenen Bedingungen offensichtlich keine Folgen für die gesamte Produktion und die Beschäftigung der Volkswirtschaft. Zwar ist es a priori unmöglich, die genauen Werte des neuen walrasianischen Gleichgewichts zu bestimmen, doch für die hier interessierende Dynamik des Systems ist das ohne Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, daß es trotz eines unveränderten Preisniveaus möglich ist, alle mobilen Produktionsfaktoren voll zu beschäftigen. Die bei der Produktion von Gut χ nicht mehr beschäftigten Arbeitnehmer werden jetzt von den Produzenten des Gutes ζ nachgefragt. Das mag trivial erscheinen, hat aber sehr große Bedeutung, wenn man diesen Anpassungsprozeß vergleicht mit einem Prozeß, bei dem sich die Produzenten von Gut χ eigenständig um eine Beseitigung der Unterauslastung bemühen.
Es ist eindeutig, daß das vorherige Produktionsniveau Xj nur wieder zu erreichen ist, wenn es den Unternehmen gelingt, ihre Angebotskurve nach rechts zu verschieben. Die dazu notwendige Kostensenkung kann ausgehend von einer kostenminimalen Faktorkombination - nur über eine neue Produktionstechnik im Zuge technischen Fortschritts oder über eine niedrigere Entlohnung der Produktionsfaktoren einschließlich Arbeit erreicht werden. Wenn die Arbeitnehmer angesichts drohender Entlassungen bereit wären, eine niedrigere Entlohnung hinzunehmen, dann könnte der alte Output wieder realisiert werden;
49
Schaubild U
eine Unterbeschäftigung wäre vermieden. Doch ohne Zweifel müssen die Rückwirkungen dieser Maßnahme auch auf einzelwirtschaftlicher Ebene berücksichtigt werden, wenn mehrere Märkte in die Betrachtung einbezogen werden. Einerseits können die Nachfrager nach Gut χ die ursprünglich (vor der Präferenzänderung z.B.) nachgefragte Menge mit einem wesentlich geringeren (realen) Aufwand realisieren, andererseits muß die Kaufkraft der Beschäftigten in den Unternehmen, die Gut χ produzieren, um genau dieselbe Summe, nämlich p x l Χχ-ρ^ x 3 sinken. Da Gut ζ alle übrigen Güter repräsentiert, sinkt die Nachfrage nach diesem Gut, weil -bei Nachfrageelastizitäten von eins - der nominale
50
Aufwand der Konsumenten von Gut χ unverändert bleibt, die ausgefallene Nachfrage der Arbeitnehmer in der Produktion von Gut χ also nicht kompensiert werden kann. Gleiche Anpassungsmöglichkeiten vorausgesetzt, sind die Produzenten von Gut ζ gezwungen, ebenfalls die Nominallöhne zu senken, um die alte Beschäftigungsmenge aufrechtzuerhalten. Alle Veränderungen der realen Position der Arbeitnehmer treten noch einmal mit umgekehrtem Vorzeichen auf.
War zunächst die reale Kaufkraft der Beschäftigten in der Produktion von Gut χ gesunken und die der Beschäftigten in der Produktion von Gut ζ gestiegen, vermindert sich nun letztere und erstere steigt. Das Gesamtergebnis ist - bei gleichartigen Bedingungen auf beiden Märkten - ein Rückgang der nominalen Kaufkraft bei sinkendem Preisniveau. Die reale Kaufkraft sowie das Produktions- und Beschäftigungsniveau bleiben unverändert.
Dieses Ergebnis ist insofern trivial als - wie gesagt - die Implikation reiner Nachfrageschocks auf Mikroebene die Konstanz der realen Kaufkraft sein muß, da durch die bloße Umverteilung nominaler Kaufkraft weder reale Nachfrage vernichtet werden noch entstehen kann. Ganz abgesehen von technischen Details und einigen sicher nicht realistischen Annahmen, zeigt dieses einfache Beispiel aber dennoch, daß es zwei unterschiedliche Anpassungsstrategien im Falle eines Nachfrageschocks auf mikroökonomischer Ebene gibt. Der erste Fall wäre zu kennzeichnen als Fall rigider Nominallöhne auf Unternehmensebene bei Mobilität. Die Reallöhne bleiben bei Nominallohnrigidität unverändert. Bei Nominallohnflexibilität gilt das im Durchschnitt der Volkswirtschaft ebenfalls, allerdings ändert sich die Verteilung der Anpassungslast im 51
ersten Schritt völlig: die Immobilität der Arbeitnehmer in der Produktion von Gut χ erzwingt dort eine Reallohneinbuße, während die reale Kaufkraft der übrigen Arbeitnehmer steigt. Doch der Beschäftigungsrückgang bei Gut ζ erzwingt schließlich wieder die Gültigkeit des law of one price and macht die gesamte Operation zu einer schlichten nominalen Transformation (Senkung des Preisniveaus).1
Bereits an dieser Stelle wird deutlich, wie schwierig eine Definition von Preisflexibilität bei dynamischen Anpassungsprozessen ist. Es ist ja keineswegs klar, ob die neoklassische Tradition des Postulats Treisflexibilität zur Räumung der Märkte" nur die Beweglichkeit der Güterpreise bei elastischem Angebot meint oder etwa die zusätzliche Lohnflexibilität, die eine unternehmensinterne Bewältigung der Beschäftigungsfolgen eines negativen Nachfrageschocks verlangt. Selbstverständlich ist die letztere Version, die Mengenveränderungen in jedem Markt ausschließt, keineswegs, denn sie bringt Implikationen mit sich, die nicht einfach in das übrige klassisch-neoklassische Gedankengebäude zu integrieren sind. Doch bevor diese Problematik weiter erörtert wird, soll die Logik des Angebotsschocks in mikroökonomischer Betrachtung kurz eingeführt werden.
1
Wohlgemerkt, wäre Lohndifferenzierung in dem hier beschrieb Sinne tatsächlich durchsetzbar; also nur Lohnsenkung bei Gut x, dan sänk e in diesem Fall (in mikroökonomischer Betrachtung) im ersten S die gesamte Beschäftigung aufgrund einer einfachen Nachfrageverschie Echte Lohndifferenzierung (also nicht camouflierte Lohnniveausenk bedeutete aber eine gleichzeitige Lohnerhöhung bei dem von der Nachfr Verschiebung begünstigten Unternehmen, so daß von vornherein Beschäftigung in beiden Unternehmen gleich bliebe, ebenso wie nominale und die reale Kaufkraft. 52
II.3
Angebotsschocks auf Mikroebene
Der typische Angebotsschock auf der Ebene einzelner Unternehmen oder Marktsegmente ist der positive Angebotsschock, die Verschiebung der Angebotskurve nach rechts. Der Preis von Gut χ sinkt und die ausgebrachte Menge nimmt zu. Die reale Kaufkraft aller Marktteilnehmer steigt, da sie eine größere Menge von Gut χ mit dem gleichen nominalen Aufwand kaufen können (Preiselastizität der Nachfrage gleich eins). Wenn die Preiselastizität der Nachfrage kleiner als eins ist, wird infolge des Angebotsschocks Kaufkraft frei, die zum Kauf anderer Güter eingesetzt werden kann, sich also als positiver Nachfrageschock auf anderen Märkten äußert. Ist die Nachfrageelastizität größer als eins,
Schaubild 5
53
wird mehr Kaufkraft für den Verbrauch des Gutes χ eingesetzt und auf anderen Märkten treten negative Nachfrageschocks auf. Immer aber steigt die gesamte reale Kaufkraft im System im Gegensatz zur reinen Umverteilung bei Nachfrageschocks.
Negative Angebotsschöcks sind in einzelwirtschaftlicher Betrachtung wenig wahrscheinlich, wenn, was in Wettbewerbssystemen die Regel sein dürfte und theoretisch zunächst angenommen werden muß, die Preise der in die Produktion als Vorleistung oder Produktionsfaktor eingehenden Größen selbst in einem Wettbewerbsprozeß bestimmt worden sind. Positive Angebotsschocks sind dagegen der Vorgang, mit dem das System als Ganzes bewegt wird und der genuin auf mikroökonomischer Ebene stattfindet. Das ist näher zu untersuchen.
Die Beschreibung eines Angebotsschocks wie in Schaubild 5 ist noch unvollständig, sie bildet sogar nur das Ende eines Prozesses ab, der bei einer solchen Darstellung selbst im Dunkeln bleibt. Beginnen wir einige Schritte, bevor das neue Gleichgewicht erreicht worden ist. Wenn mehrere Unternehmen Gut χ anbieten, wird sich technischer Fortschritt normalerweise
als Neuerung bei einem einzelnen Unternehmer
manifestieren. Diesem Pionierunternehmer im Schumpeterschen Sinne1 gelingt es vor seinen Konkurrenten, eine neue Kostenkombination zu finden, die unterhalb der bisherigen Angebotskurve liegt. Er realisiert einen Punkt (P) auf einer für den Gesamtmarkt nicht vorhandenen und nur potentiell erreichbaren Angebotskurve (A^j), der vor dem neuen potentiellen Gleichgewichtswert liegt.
1
54
Vgl: Schumpeter (1964)
Schaubild 6
In dieser Ungleichgewichtssituation erzielt der Pionierunternehmer den "eigentlichen Unternehmergewinn"
(Schumpeter),
eine
temporäre
Monopolrente, da sein Angebotspreis (P p ) unterhalb des noch gültigen Nachfragepreises (p x ) liegt. Das ist genau das Ungleichgewicht der Marschallschen partiellen Gleichgewichtsanalyse. Strebt der Unternehmer in dieser Situation eine Ausweitung seines Marktanteils an, dann wird er tatsächlich zu einem weit niedrigeren Preis am Markt anbieten als seine Konkurrenten. Zwar wird sich dadurch bei preiselastischer Nachfragekurve die gesamte abgesetzte Menge des Gutes erhöhen, aber die anderen Anbieter von Gut χ werden Verluste erleiden, wenn sie ihren Angebotspreis dem Pionier anpassen oder Marktanteile verlieren, wenn sie ihren Preis unverändert lassen.
55
Erst wenn im Wettbewerb die Konkurrenten ähnlich günstige Kostenkombinationen realisieren können und der Pionierunternehmer die Strategie der Marktbeherrschung aufgegeben hat wird die potentielle Angebotskurve zur tatsächlichen, und der Preis wird sich im neuen Gleichgewicht bei der Menge x 2 einpendeln. Dann sind sowohl Gewinne wie Verluste eingeebnet und die Mengenveränderungen innerhalb der Anbieter beendet.
Der Prozeß der Angebotsausweitung ist also immer ein ungleichgewichtiger Prozeß, weil es nur ein Einzelner sein kann, der mit Neuerungen vorstößt und andere zur Anpassung zwingt. Nur für die Pioniere besteht die Möglichkeit, die temporär anfallende Monopolrente zu erzielen. Den Anreiz, den Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung voranzutreiben, hat, entscheidungstheoretisch zwingend, nur der einzelne Unternehmer, niemals eine Menge gleichartig handelnder Wirtschaftssubjekte. Das gibt dem Schumpeterschen Pionierunternehmer, was oft durch Schumpeters farbige Ausführungen überdeckt ist, eine theoretische Bedeutung, die nicht unterschätzt werden darf. Deutlich macht diese Betrachtung aber auch, daß der Prozeß der Anpassung des Marktes für Gut χ an das Gleichgewicht und der Prozeß der Anpassung der übrigen Märkte wiederum ein Prozeß simultanter Preis- und Mengenanpassung ist. Am Ende, im Gleichgewicht, sind sowohl Mengen als auch Preise definitiv neu bestimmt, es gibt keine Rückkehr zum alten Gleichgewichtspunkt. Das gilt sowohl für die Märkte insgesamt als auch für das einzelne Unternehmen. Der Pionierunternehmer hat bei der Ausbringungsmenge x 2 zwar seine
56
Monopolrente
verloren,
aber wahrscheinlich
seinen
Marktanteil
dauerhaft erhöht. Preisflexibilität, die in auch diesen Fällen sicher in einem gewissen Maße gegeben war, hat also keineswegs Mengenveränderungen und die Entwicklung des Systems verhindert, wie das in der partiellen Gleichgewichtsanalyse Marschallscher Prägung noch definitiv und bei der Analyse des Nachfrageschocks noch andeutungsweise in Form der Erweiterung der Preis- durch Lohnflexibilität der Fall war. Hier schon zeigt sich, daß das Zulassen von "Zeit" (in Gestalt temporärer Ungleichgewichte) im dynamischen Ablauf zu ganz anderen Ergebnissen führt als die Reduktion der zeitlichen Dimension auf die imaginäre Walrassche Periode in der Theorie stationärer Gleichgewichte.
II.4
Preisflexibilität im Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung
Es ist, um zu einer umfassenden Würdigung der Bedeutung von Preisflexibilität als Anpassungsmechanismus zu kommen, notwendig, zu den beiden Varianten der Anpassung im Fall des negativen Nachfrageschocks zurückzukehren. Der Prozeß wirtschaftlicher Entwicklung besteht schließlich auch dann aus einer Aneinanderreihung von Nachfrage-und Angebotsschocks auf der Ebene von Unternehmen, Branchen und Sektoren* wenn große außenwirtschaftlich bedingte Angebots- und Nachfrageschocks ausgeschlossen werden. Das Wissen um die Art und Weise, wie diese permanent auftretenden Schocks bewältigt werden, ist - wie sich zeigen wird - entscheidend für die Beurteilung der Auswirkungen makroökonomischer (großer) Schocks. 57
Bei der Beurteilung der beiden Varianten des negativen Nachfrageschocks soll die Frage leitend sein, welche Variante sich in einem funktionierenden dynamischen Marktsystem ergeben wird. Offensichtlich tangierte die einfache Verschiebung der Nachfrage vom Markt für Gut χ zum Markt für Gut ζ und die damit verbundene Änderung der Ausbringungsmenge an beiden Märkten nicht unmittelbar die für beide Märkte zusammen existierende Nachfragekurve nach Produktionsfaktoren. Arbeit und Kapital, die für die Produktion von Gut χ nicht mehr nachgefragt werden, sehen sich - und zwar uno actu - einer neuen Nachfrage der Produzenten von Gut ζ gegenüber. Oben war schon darauf hingewiesen worden, daß bei einer ausreichenden Mobilität der Produktionsfaktoren der Preis für Arbeit und Kapital für alle Unternehmen gleichbleiben wird, während bei echter sektoraler Lohndifferenzierung infolge vollkommener Immobilität der Arbeitnehmer nur das Lohnniveau insgesamt gleich bleibt. Nehmen wir konkret an, die Unternehmen der Branche χ arbeiten mit ähnlichen Methoden wie die Unternehmen der Branche z. Dann werden von den Arbeitskräften auch ähnliche Qualifikationen verlangt. Dann ist es eindeutig, daß - bei unveränderter Gesamtnachfrage nach Arbeit und ausreichender Mobilität - Arbeitskräfte gleicher Qualifikation in allen Unternehmen die gleichen Löhne erhalten werden. Das ist nicht anders als das klassische "law of one price", angewendet auf funktionierende Teilarbeitsmärkte. Für
58
Marshall etwa, der unmittelbar der klassischen Tradition verhaftet blieb, war das ganz selbstverständlich.1
Wenn aber im System der dynamischen Abstimmung aller Märkte ein Teilmarkt den Preis für eine Vorleistung für andere Märkte festlegt, können sich diese anderen Märkte dem vorgegebenen Preis nicht mehr entziehen, obgleich sie an seiner (simultanen) Festlegung beteiligt sind. Evident ist das bei homogenen Vorleistungen wie Kapital, dessen Mobilität zudem außer Frage steht. Doch die unbestreitbare Tatsache, daß eine solche Mobilität am Arbeitsmarkt für den oberflächlichen Beobachter weniger evident ist, darf nicht den Blick dafür verstellen, welche Bedeutung das law of one price auch an den Arbeitsmärkten und für die gesamte Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung hat. Selbst wenn der Gesamtarbeitsmarkt in relativ kleine Segmente homogener Qualifikation und hoher Mobilität zerlegbar sein sollte, bleiben zwischen den jeweils benachbarten Märkten Substitutionsbeziehungen bestehen,
1
Er schreibt zunächst: "It is commonly said that the tendency o competition is to equalize the earnings of people engaged in the same t or in trades of equal difficulty relativiert diese Aussage aber mit d Hinweis auf die dazu notwendige gleiche Effizienz der Arbeitnehmer kommt zu dem Ergebnis: " The tendency then of economic freedom enterprise (or, in the more common phrase, of competition), to cause e one's earnings to find their own level is a tendency to equality of efficie earnings in the same districtMarshall (1920), S< 455/456> Dabei sin Marschalls "efficiency-earnings " nicht mit den "Effizienzlöhnen" der keynesianischen Literatur zu verwechseln. Letzteres, nämlich die Ten der Unternehmer, den Arbeitnehmern Löhne zu zahlen, die ihrer Effizi in Kombination mit der konkret vorhandenen Kapitalmenge entsprech wird bei Marshall auch (S.457) deutlich herausgearbeitet, ist aber nich Kern des Problems. Vgl auch Abschnitt II. 5. 59
die ein Geflecht von Teil-Arbeitsmärkten schaffen, das nicht einfach durch exogene Eingriffe zerschnitten werden sollte.
Für die Behandlung negativer Nachfrageschocks auf mikroökonomischer Ebene bedeutet das, daß die Variante einer rein unternehmensinternen Lösung durch Lohnsenkung im Marktmodell ausscheidet. Das Unternehmen hat eben nicht die Möglichkeit, sich dem Druck, einen Lohn zahlen zu müssen, der den Marktbedingungen entspricht, zu entziehen. Preisflexibilität im Sinne einer zusätzlichen Lohnsenkung widerspricht eklatant dem Postulat "Preisflexibilität am Arbeitsmarkt", weil diese eben via hoher Mobilität zu einem völlig gleichartigen Lohn für gleiche Qualifikationen führt. Eine Mengenanpassung, die lediglich relativiert wird durch das Maß an Güterpreisflexibilität, welches die Steigung der Angebotskurve vorgibt, ist demnach unumgänglich. Diese Nominallohnrigidität bedeutet im Fall des positiven Angebotsschocks sowohl, daß die temporäre
Monopolrente
des
Pionierunternehmers
nicht
durch
zusätzliche Lohnsteigerungen gefährdet ist, als auch, daß die im Ergebnis sich einstellende Preissenkung unmittelbar zu einer Reallohnsteigerung der Arbeitnehmer und höherem Gesamteinkommen aller Produktionsfaktoren führt.
Das führt zu einer Feststellung von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Die
infolge
funktionierender
Teilarbeitsmärkte
bestehende
Rigidität der Nominallöhne (und anderer Faktor- und Vorleistungspreise) verhindert "Markträumung" im Sinne der Erhaltung ursprünglicher Gleichgewichtsmengen und -preise, begünstigt aber wirtschaftliche
60
Entwicklung, ohne in irgendeiner Weise das Beschäftigungsniveau zu gefährden. 1
Wirtschaftliche Entwicklung und Strukturwandel sind aber nichts anderes als die Aufeinanderfolge voir positiven und negativen Nachfrageund Angebotsschocks auf der Ebene der Unternehmen. Dabei werden je nach Intensität des Wettbewerbs früher oder später immer wieder neue Gleichgewichtspunkte auf Einzehnärkten erreicht, die dann durch erneute Schocks erschüttert und verftadert werden. Die detaillierte Analyse des negativen Nachfrageschoclcf in Abschnitt II.2 hat dabei gezeigt, daß es gerade die Rigidität der Nominallöhne ist, die dafür sorgt, daß sich beispielsweise eine Präferonzänderung voll auf den Märkten auswirken kann und die für die zukünftigen Anpassungszwänge der Unternehmen richtungweisenden Signale setzt. Denn der Rückgang der Ausbringungsmenge von Gut χ oder sogar der temporäre Verlust, wenn es dem Unternehmen nicht gelingt, seinen Angebotspreis rechtzeitig nach unten anzupassen, zeigen dem Unternehmer, daß er in der Vergangenheit die falschen Produktionsentscheidungen getroffen hat Das erzwingt eine Anpassung entweder in Form einer Steigerung der Produktivität oder in Form eines Ausweichens auf neue Produkte und neue Märkte, wenn nicht die dauerhaft niedrigere Produktion und damit
1
In der Diskussion um sektorale Lohndifferenzierung, in der d Argumente immer nur partiell und oft unter ungeeigneten Rahmenbeding gen vorgetragen werden, wird gerade die Beschäftigungsneutralität Lohndifferenzierung bisher meist völlig übersehen. Vgl dazu die A andersetzung mit Teilen der Literatur in der Bundesrepublik in Absc IV.3. 61
auch die Gefahr, völlig verdrängt zu werden, in Kauf genommen werden soll. Da Anpassung an sinkende Produktionsmengen wegen eines gewissen Mindestanteils fixer Kosten nicht beliebig möglich ist, ist es der Konkurs, der den Unternehmer für unterlassene rechtzeitige Anpassungsanstrengungen sanktioniert. Auf der anderen Seite belohnen der temporäre Pioniergewinn und/oder höhere Marktanteile für "richtige" strategische Entscheidungen diejenigen, die Entscheidungskompetenz in Unternehmen besitzen. Das trifft
den theoretischen Kern einer
dynamischen Marktwirtschaft. Anders als im Modell des allgemeinen Gleichgewichts, in dem Walras' Feststellung "ni bénéfice, ni perte" gilt, sind es im dynamischen Ablauf marktwirtschaftlicher Prozesse Gewinn und Verlust, die sowohl Kompetenz und Haftung zusammenführen, wie es der Sachverständigenrat genannt hat, als auch für die Bewegung des Systems sorgen. Agens dieser Bewegung wiederum sind rigide Nominallöhne bzw. allgemein: vom einzelnen Unternehmen nicht zu beeinflussende Kosten von Arbeit, Kapital und Vorleistungen. Nur über den "Leverage - Effekt" fixer, der einzelwirtschaftlichen Entscheidung entzogener Vorleistungs- und Faktorpreise kann sich dynamische Entwicklung entfalten.
"Preisflexibilität" und "Markträumuiig" erweisen sich damit als Schimären aus einer Welt der Stationarität, die relevante wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen für tatsächlich existierende Marktwirtschaften nicht zulassen. Das hat enorme Folgen für die makroökonomische Theorie, die im folgenden Abschnitt angedeutet werden sollen.
62
II.5
Zur theoretischen Bedeutung von Preisrigidität
In der nunmehr schon einige Jahrzehnte andauernden theoretischen Debatte zwischen Neoklassikern auf der einen und Neokeynesianern auf der anderen Seite hat das Problem der Preisrigidität bzw. mangelnder Preisflexibilität eine überragende Rolle gespielt. Dabei war es vor allem die Frage einer konsistenten mikroökonomischen Basis für die keynesianische "Annahme" rigider Preise, die im Vordergrund der Auseinandersetzungen stand. Für neoklassische Autoren, deren herausragender Vertreter A. C. Pigou war 1, bestand von vornherein kein Zweifel daran, daß in Marktsystemen ein "Gleichgewicht bei Unterbeschäftigung" nur möglich ist, wenn - aus welchen Gründen auch immer eine nicht ausreichende Flexibilität der Marktpreise- und -Löhne gegeben ist. Das mikroökonomisch scheinbar unbestreitbare Postulat der Markträumung mußte sich auch auf die Makroebene übertragen lassen.
Keynesianer haben sich von Anfang an mit diesem Argument sehr schwer getan. Schon die Äußerungen von Keynes selbst sind recht dunkel. Spricht er in seiner Abhandlung über die Bedeutung der Geldlöhne noch davon, daß eine Politik nominaler Rigidität der Löhne wegen der damit verbundenen Stabilität des Preisniveaus zu empfehlen sei2, räumt er an anderer Stelle ein, der Wissenschaftler müsse die Welt so analysieren, wie sie ist, also auch mit (den unvollkommenen) rigiden
1
Vgl insbesondere Pigou (1933)
2
Vgl Kapitel 19 von Keynes (1973)
63
Nominallöhnen.1 Ähnlich haben Keynes' Nachfolger in der Regel argumentiert. Sie haben zugestanden, daß eine vollständige Flexibilität der Preise und Nominallöhne auf der Mikro- wie der Makroebene erwünscht wäre und Vollbeschäftigung erhalten bzw. wiederherstellen könnte. Sie haben aber - oft mit Bedauern - als realistische Beobachter feststellen müssen, daß die Welt so perfekt nicht ist und daher nach second-best-Lösungen gesucht. Die Erklärungen für die mangelnde Preisflexibilität schon auf mikroökonomischer Ebene reichen von unvollkommenem Wettbewerb und unvollständiger Information über die Höhe der Transaktionskosten bei Preisänderungen (die sogenannten menu costs z.B.), den Zwang für die Unternehmen, "Effizienzlöhne" zu zahlen oder "implizite Kontrakte" zu schließen bis hin zu sozialen Gründen, die geltend gemacht werden für die Rigidität von Preisen und Löhnen.2 Meistens wird aber auch von Keynesianern zugestanden, daß flexible Preise und Löhne dem Idealsystem der Marktwirtschaft entsprechen, selbst wenn dies in der realen Welt nicht erreichbar ist.3
1
Ebenda5. 276.
2
Für die ältere Literatur vor allem Phelps (1967), in jüngerer Z etwa, Akerlof (1979), Laidler (1986), Schultze (1985), Gerfin (1987) Lipsey (1981) und Mankiw (1985). 3
Schultze beispielsweise diskutiert einen negativen Nachfragesc und kommt zu folgenden Ergebnissen: ...nthis process of wage determina does not generate prompt and flexible adjustment of aggregate nom wages to nominal shocks : A change in the average level of wages is product of changes in wages by individual firms. To the extent tha individual wage adjustment must wait on changes in the average, aggr nominal wage flexibility will not be a characteristic of the system... the substantial costs of sticky nominal wages to society as a whole an individual firms and their workers, is there not some other adjustm (Fortsetzung...) 64
Folglich wurden von "Neukeynesianern" sogenannte Rationierungsmodelle entwickelt, um Lösungsmöglichkeiten für Systeme unvollkommener Preisflexiblität darzustellen.
Neoklassiker haben sich angesichts dieses theoretischen Rückzuges der Keynesianer leicht getan, weiterhin auf pathologischer Preisrigidität als entscheidender Erklärungsgröße zu beharren, selbst wenn politische Zugeständnisse von Fall zu Fall notwendig erschienen.1 Doch die Problematik von Preisflexibilität versus Preisrigität ist - wie die ersten Abschnitte dieser Arbeit verdeutlichen sollten - auch theoretisch keineswegs geklärt. Die scheinbar so konsistente mikroökonomische Basis der neoklassischen Theorie in Form des einfachen Postulats "Markträumung* ist nur überzeugend in stationären Systemen; Systemen also, die weder zeitliche noch räumliche Veränderungen kennen und auf einen immer wieder einmaligen
totalen Abstimmungsprozeß aller
3
(...Fortsetzung) mechanism which would generate a prompt and flexible nominal wage response, preserving relative wages but producing the desired nom flexibility?" Schultze (1985), S. 7. 1
Diese Einstellung klassischer Autoren hat schon zu Keynes' Zei eine große Rolle gespielt: "Thus writers in the classical tradition, over the special assumption underlying their theory, have been driven ine to the conclusion, perfectly logical on their assumption, that appare unemployment (apart from the admitted exceptions) must be due at bo to a refusal by the unemployed factors to accept a reward which co sponds to their marginal productivity. A classical economist may sympa with labour in refusing to accept a cut in its money-wage, and he w admit that it may not be wise to make it to meet conditions which are temporary ; but scientific integrity forces him to declare that this re nevertheless , at the bottom of the trouble ." Keynes (1973), SJ 6. Vgl. Sievert (1978), S. 812/813. 65
Mengen und Preise ausgerichtet sind. Selbst in einem solchen System aber gibt es auf mikroökonomischer Ebene selbstverständlich immer Preis- und Mengenanpassungen. Die reine Preisanpassung ist nicht einmal eine konsistente theoretische Fiktion. Sobald dynamische Elemente in ein Marktsystem aufgenommen werden, also Ereignisse wie die Verdrängung bestehender Güter und Produktionsverfahren durch neue und überlegene, ändert sich auch der Charakter der Erklärungsmöglichkeiten. Unternehmen werden dann nämlich zu Mengenanpassern, weil sie sich den auf anderen Wettbewerbs-Märkten bestimmten Preisen für Vorleistungen, Kapital und Arbeit anpassen müssen. Dynamischer Wettbewerb ist überhaupt nur unter solchen Bedingungen denkbar. Könnte das einzelne Unternehmen, konfrontiert mit einem negativen Nachfrageschock infolge geänderter Präferenzen oder erfolgreicher Konkurrenten, die Preise von Vorleistungen, Kapital und Arbeit etwa durch Verhandlungen mit den Anbietern dieser Güter so weit senken, daß es keine Mengeneinbuße hinzunehmen hätte, dann wäre dynamischer Wettbewerb, wie er heute üblicherweise auf Gütermärkten verstanden wird, entartet zum Wettbewerb um denjenigen Unternehmer, der am erfolgreichsten beim Herunterhandeln seiner Vorleistungs- und Faktorpreise ist. Die Preise in einem solchen degenerierten "Wettbewerbssystem" wären vollkommen flexibel, der Unternehmer aber würde seine eigentliche Funktion, nämlich für riskante Entscheidungen am Markt belohnt oder sanktioniert zu werden, verlieren.
Dagegen sorgt die permanente Anpassung an marktgerechte Faktorpreise dafür, daß Strukturwandel und damit wirtschaftliche Entwicklung 66
überhaupt möglich werden. Nur ein solches System ist es, das in der Auffassung wirtschaftlicher Laien als Marktsystem zu kennzeichnen ist. Die ökonomische Theorie aber hat sich, weitgehend unbemerkt und ohne die Implikation ihrer Vorgehensweise zu beachten, mit der Konzentration auf das allgemeine Gleichgewicht davon entfernt. Die Rigidität von Preisen und Löhnen auf mikroökonomischer Ebene ist die Regel, nicht die erklärungsbedürftige Ausnahme. Rigidität ist keine Folge eingeschränkten Wettbewerbs. Eher das Gegenteil ist richtig. Je höher der Wettbewerbsgrad auf Vorleistungs- und Faktormärkten, umso rigider sind für das einzelne Unternehmen die Preisvorgaben für diese Güter. Hohe Mobilität auf dem Arbeitsmarkt und dem Kapitalmarkt etwa schließt jedes Abweichen nach unten von dem marktgerechten Faktorpreis aus, weil Abwanderung die sofortige Folge wäre. Dann konzentriert sich der Wettbewerb der Unternehmer auf dem Gütermarkt darauf, innovativ und effizient zu sein, d. h., möglichst günstige Angebotsbedingungen für sein Unternehmen selbst zu schaffen.
Man mag gegen diese Überlegungen - so seltsam das allerdings für Neoklassiker wäre - einwenden, daß die Bedingungen in der Wirklichkeit nicht so ideal sind, daß man von der jederzeit gegebenen Rigidität der Preise und Löhne (im Sinne von Abschnitt II.2) ausgehen kann. Das ist zweifellos richtig. Selbst wenn die Mobilität des Geldkapitals sehr hoch ist, kann man hinsichtlich der Mobilität von Arbeit doch Zweifel haben, ob das Wettbewerbsideal des law of one price erreicht wird. Das ändert zwar nichts an der theoretischen Bedeutung des Arguments, zwingt aber doch kurz zur Reflexion der tatsächlichen Verhältnisse am Arbeitsmarkt im Hinblick auf die angestrebten wirtschaftspolitischen Empfehlungen, die diese Analyse ermöglichen soll. 67
Mangelnde Rigidität der Nominallöhne aufgrund mangelnder Mobilität der Arbeitnehmer steht als Hypothese bezüglich der "Unvollkommenheit" des Arbeitsmarktes der populär neoklassischen Variante gegenüber, derzufolge die Arbeitsmärkte wegen Vermachtung durch die Gewerkschaften und andere institutionelle Hemmnisse nur eingeschränkt funktionsfähig sind. Wobei man neoklassisch unterstellen muß, daß Funktionsfähigkeit die Herstellung von Vollbeschäftigung via "ausreichende" Flexibilität bedeutet. Inwieweit die neoklassische These in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung anders zu beurteilen ist als auf mikroökonomischer Ebene, wird später zu entscheiden sein. Hier kommt es darauf an, beide Hypothesen miteinander zu verbinden bzw. gegeneinander abzuwägen. Sicherlich herrschen auf dem Arbeitsmarkt in seiner heutigen institutionellen Verfassung keine Wettbewerbsverhältnisse im Sinne individueller Vertragsabschlüsse über die Entlohnung zwischen Arbeitgeber
und
Arbeitnehmer. Auf beiden Seiten bestimmen große Verbände über die Ergebnisse für ihre Mitglieder, ja, wegen der in der Bundesrepublik vorherrschenden Allgemeinverbindlichkeit
der Tarifverträge, sogar
darüber hinaus. Doch folgt daraus die Aufhebung jeglicher Marktzwänge?
Verträge, die über einen reinen Wettbewerbsmarkt zustande kämen, würden offenbar dazu tendieren, daß die Arbeitnehmer entsprechend ihrem Grenzprodukt entlohnt werden. In der Realität der kapitalistisch organisierten und produzierenden Wirtschaftssysteme bedeutet das nichts anderes, als daß die Reallöhne in jedem Jahr entsprechend dem
68
Zuwachs des Grenzprodukts (der Arbeitsproduktivität) steigen könnten. Die gleichqualiflzierte Arbeitsleistung würde also in einem reinen Wettbewerbssystem mit einem gleichartigen jährlichen Geldlohnzuwachs entgolten, der genau dem Reallohnzuwachs entspräche.1 Da es für die Arbeitgeber in komplexen Produktionen auch dann unmöglich wäre, den gesamten Produktivitätszuwachs auf jeden einzelnen beteiligten Arbeitnehmer entsprechend seiner individuellen Leistung zuzurechnen, würde aller Voraussicht nach ein durchschnittliches Entgelt für alle Arbeitnehmer die praktikable Lösung sein. Besonders klar wird das im Fall konstanter Geldlöhne und sinkender Preise. Da die vom Markt erzwungene Preissenkung nicht nach der Qualifikation der Mitarbeiter diskriminiert werden kann, erhalten alle Arbeitnehmer eine allein von der Preissenkung der Güter in ihrem persönlichen Warenkorb determinierte Reallohnerhöhung, also ohne jeden Kontakt zu ihrer persönlichen Grenzproduktentwicklung.
Die Verhandlungen von Gewerkschaften und Arbeitgebern führen im Grunde zu nichts anderem als zu einer Simulation solcher Wettbewerbsverhältnisse. Explizit geht die durchschnittliche Produktivitätserhöhung in der Gesamtwirtschaft in die Verhandlungen und in der Regel in das Ergebnis ein. Die Preissteigerung muß Ohnehin dem Wettbewerbsprozeß auf den Gütermärkten überlassen werden.2 Selbst wenn verteilungsneutrale Vorstellungen über die "unvermeidliche" Inflationsrate bestehen, hat die äußerlich sichtbare "Vermachtung des Arbeitsmarktes" keinen
1
Die andere Variante wären konstante Geldlöhne und entspreche der Produktivitätszunahme fallende Preise. 2
Zu Indexierungsmechanismeri
s. Abschnitt IV. 3. 69
markttheoretischen Kern. Rigidität der Nominallöhne im Sinne des Ausgleichs der Produktivitätserhöhung (mit oder ohne "unvermeidliche" Inflationsrate) wäre auch in einem reinen Wettbewerbssystem Ergebnis der Konkurrenz der Unternehmen um Arbeitskräfte. 1
Diese Überlegungen führen zu einer weiteren wichtigen praktischen wie theoretischen
Schlußfolgerung.
Wenn
sich die
durchschnittliche
Nominallohnerhöhung an die durchschnittliche Produktivitätssteigerung der Volkswirtschaft anpaßt, ist unter Wettbewerbsbedingungen am Gütermarkt zu erwarten, daß es im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft nicht mehr zu einer Preisniveauerhöhung kommt Da die Löhne gesamtwirtschaftlich der entscheidende Kostenfaktor sind2, bedeutet "dynamisches Gleichgewicht" am Gütermarkt Gleichschritt von heimischer Kostenentwicklung und Preisentwicklung. Das ist im Grunde eine sehr neoklassische Überlegung, wie schon Keynes bemerkte3, die aber
1
Daß in den vergangenen 20 Jahren in der Bundesrepublik auch in Folge von Tarifverhandlungen gesamtwirtschaftliche Ungleichgewic entstanden bzw. verschärft worden sind, wird mit einer solchen Au nicht bestritten. Vgl. dazu Abschnitt IV. 2 2
Da sowohl Vorleistungen früheren Stufe der Produktion 3
(ohne Boden) als auch Kapital auf ein mit Arbeit hergestellt wurden.
Keynes schrieb in der General Theory: "Thus if money-wages ch one would have expected the classical school to argue that prices wo change in almost the same proportion, leaving the real wage and the le of unemployment practically the same as before, any small gain or los labour being at the expense or profit of other elements of marginal c which have been left unaltered. They seem, however, to have been div from this line of thought, partly by the settled conviction that labour a position to determine its own real wage and partly, perhaps, by preo (Fortsetzung...) 70
praktisch nur Eingang in keynesianische Ableitungen gefunden hat. Die mit Gleichschritt von Kosten- und Preisentwicklung
implizierte
Verteilungsneutralität von wirtschaftlicher Entwicklung ist natürlich wie fast alle neoklassischen Denkmodelle - nur eine Fiktion, wenn sie auf beliebig kurze Zeiträume übertragen wird. Dennoch besteht über die Ungleichgewichte von Konjunkturauf- und abschwüngen hinweg eine Tendenz zum Ausgleich von Verteilungsvorsprüngen, die Arbeit und Kapital jeweils zu "ihrer Zeit" erreichen können1. Das ist letztlich jedoch eine empirisch zu entscheidende Frage, deren Implikationen für die Beurteilung unterschiedlicher Schocks aber von großer Bedeutung sind. Darauf wird später (Abschnitt IV.4) noch näher einzugehen sein.
Beachtenswert ist hier, daß mit der Entscheidung für die Hypothese einer längerfristigen Dominanz der (Lohn) Kosten für die Preisniveauveränderungen eine wichtige theoretische Vorentscheidung für die Beurteilung der wirtschaftspolitischen Optionen zur Abfederung von Schocks getroffen wird. Diese Vorentscheidung wird üblicherweise als keynesianisch apostrohiert, weil Keynesianer explizit mit der aus dieser Hypothese abgeleiteten
mark-up-Preisbildung
arbeiten.
Doch ist
keineswegs klar, mit welchen Argumenten Neoklassiker diese Hypothese ablehnen können.
3
(...Fortsetzung) pation with the idea that prices depend on the quantity of money" Key (1973) S. 12. 1
Wobei "die Zeit" des Kapitals der Aufschwung und "die Zeit Arbeit der Abschwung ist. 71
Methodisch muß eine solch einfache Hypothese zur Determination des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus für neoklassische Autoren schwer in ihr theoretisches Weltbild einzuordnen sein, denn dort werden Preise auf anonymen Märkten - prinzipiell unvorhersehbar - allein von Angebot und Nachfrage bestimmt. Das Preisniveau ist dementsprechend ebensowenig a priori bestimmbar oder nur als Preis (Kaufkraft) des Geldes im Sinne der Quantitätstheorie unter sonst stationären Bedingungen definierbar. Beides ist prinzipiell richtig in einem System, das wie Schumpeter es nannte - keine Vergangenheit und keine Zukunft hat, sondern nur in einer fiktiven Periode einmalig die Gleichgewichtswerte von Angebot und Nachfrage ermittelt. Dieser methodische Vorbehalt schließt aber in keiner Weise aus, daß Systeme mit Vergangenheit, Systeme also, in denen dynamische Entwicklung mit Rigidität der Nominallöhne einhergeht, wie sie oben beschrieben wurde, ganz einfachen Gesetzen folgen. Dann nämlich ist es für den einzelnen Unternehmer auch eine Frage der Routine und Erfahrung, seine Preise unter Beachtung der Konkurrenz zu setzen. Dabei gibt es nicht nur den Zwang, längerfristig die durchschnittlichen Kosten zu decken, sondern es existiert auch ein gewisses Beharrungsvermögen der Güterpreise, selbst bei besonders günstiger oder ungünstiger Konjunktur. Da alle Unternehmen wettbewerbsfähige Preise für Vorleistungen und Produktionsfaktoren zahlen müssen, ist die Marge, mit der sie auf Schwankungen von Angebot und Nachfrage reagieren können, recht klein. Mit anderen Worten, das Preisniveau
mag zu einem fiktiven ursprünglichen
Zeitpunkt allein von Angebot und Nachfrage bestimmt worden sein,
72
seine Veränderungen sind Ergebnis von Kostenentwicklungen, die durchaus - auch quantitativ - meßbar sind.1 Die keynesianische Entscheidung für eine mark-up-Hypothese bei der Preisniveaudetermination ist also auch vor einem neoklassischen Referenzsystem zu rechtfertigen, wenn die Anwendungsbedingungen der neoklassischen Theorie kritisch reflektiert werden. Die einfachste Variante einer solchen mark-up-Hypothese konstatiert, daß die Veränderungen des Nominallohnes (w), die über den Produktivitätszuwachs (e) hinausgehen, den Anstieg des Preisniveaus (p) erklären. In Wachstumsraten ausgedrückt2, bedeutet das
(1)
w = ρ + e oder ρ = w - e,
1
Schumpeter hat in unübertrefflicher Klarheit die etwas verwirre Äußerungen von Marshall, der Ricardo verteidigen wollte, zur Frage Bedeutung von "Kosten" und "Nutzen" für die Preisgestaltung richtigg "... the marginal utility principle applies to the demand and the supply of the value problem in any case, both in the long and in the short ru Cost of production is not an independent principle taking charge in the run. But the marginal utility principle , acting upon the data of the situa will in the long run (granting a number of assumptions) so operate as equate exchange value to costs". (Hervorhebung im Original) Schump (1954) S. 922. 2
Die einfache Addition und Subtraktion von Wachstumsraten, wi in den theoretischen Überlegungen der Einfachheit und Verständlic halber durchgeßhrt wird, gibt nur bei stetig differenzierbaren Funktion exakten Wert der Summen und Differenzen wieder. Aber bei relativ Wachstumsraten ist der Fehler zu vernachlässigen, so daß die theore Analyse sich dieses einfachen Instruments bedienen kann. 73
wenn die Einkommensverteilung von Arbeit und Kapital in dem betrachteten Zeitraum unverändert bleibt.1 Bei ausreichendem Wettbewerb ist eine Preiserklärung gefunden, die das theoretische System gesamt- und einzelwirtschaftlich offen für Mengenschwankungen macht, aber potentiell pathologische Veränderungen, wie sie etwa in LohnPreis-Spiralen, starken Umverteilungen oder deflationären Entwicklungen zum Ausdruck kommen, nicht ausschließt.
Einzelwirtschaftlich betrachtet ergibt sich aus den bisherigen Überlegungen eine individuelle Angebotskurve, die elastisch ist, in der Folge von Nachfrageschocks alsoin weiten Bereichen Mengenänderungen zuläßt. Da die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve aus der Aggregation der einzelwirtschaftlichen Angebotskurven gebildet wird, kann man ohne weiteres die übliche keynesianische Angebotskurve akzeptieren, die einen großen sehr elastischen Teil enthält, in dem die Unternehmen mit reiner Mengenanpassung reagieren und erst bei hoher Kapazitätsauslastung Preiserhöhungen durchsetzen.2
1
Diese Gleichung leistet in vereinfachter Form nichts anderes, al Referenzlinie für Verteilungsneutralität festzulegen, wie das etwa a Reallohnposition des Sachverständigenrats früher geleistet hat und e sogenannte nwage gapn in der internationalen Literatur heute tut. 2
74
Vgl. auch Lipsey (1981), 5. 552
Schaubitd 7 Ρ
ν
Dieses Schaubild gibt aber keine dynamischen Anpassungen wieder, denn bei Nachfragesteigerungen wie von Νχ nach N 4 bleibt die Angebotskurve selbst nicht konstant, sondern verschiebt sich durch Investitionen nach rechts. Erst wenn die Nachfrage durchweg schneller steigt als das Angebot kommt es zu Kapazitätsengpässen und potentiell zu Preiserhöhungen.
Die konkrete Form der Angebotskurve ist aber nicht entscheidend, solange eine gewisse Elastizität des Angebots unterstellt werden kann. Die Möglichkeiten der Analyse von negativen und positiven Angebotsschocks wären lediglich dann weitgehend eingeschränkt, wenn ein vollkommen unelastisches Angebot angenommen werden müßte.
75
Die Quantitätstheorie eignet sich genau aus diesem Grunde nicht zur Erklärung der Preisniveauveränderungen. Streng logisch ist sie nur anwendbar zur unmittelbaren Erklärung des Preisniveaus in einer vollkommen stationären Welt (also fixem Angebot), da nur dann Preisniveaueffekte eindeutig Geldmengenänderungen zugerechnet werden können. Auch hier zeigt sich, daß die neoklassische Theorie es versäumt hat, Marktanalyse konsequent auf dynamische Phänomene auszudehnen.1 Zusammenfassend gesehen, hat dieses Kapital eine Reihe von Bausteinen geliefert, die für ein tiefergehendes Verständnis gesamtwirtschaftlicher Prozesse von erheblicher Relevanz sind. Insbesondere eine mikroökonomische Erklärung von Preis- und Lohnrigidität als Agens und Ergebnis wirtschaftlicher Entwicklung hat weder die neoklassische noch die neokeynesianische Theorie geliefert, weil sie sich durchgängig auf die Analyse von Gleichgewichtszuständen konzentriert haben.
1
Ein ähnlicher Vorwurf muß gegen die Theorie "temporärer Gleic wichte mit Mengenrationierung" erhoben werden, die auf Malinvau zurückgeht. Die Annahme exogen gesetzter Preise und Löhne hat nichts der hier postulierten dynamischn Rigidität von Preisen und Löhnen zu Vor allem mit der Validität der mark-up-Hypothese kann eine solc Annahme nicht gerechtfertigt werden, weil bei Gültigkeit des markpricing der Reallohn eine vollkommen endogene Größe ist. Malinvau "klassische Arbeitslosigkeit" kann es ζ. B. dann nicht geben. Malinva überschreitet mit einem Versuch dieser Art und den daraus abgeleit wirtschaftspolitischen Aussagen bei weitem die Grenzen der Aussag seines Modells. Vgl Malinvaud (1977), 5. 10 sowie die Kritik von Schli (1979).
76
Blanchard kommt jüngst in einem bemerkenswerten Überblicksartikel betreffend die neuere monetäre Theorie zu der Schlußfolgerung:
"While
many reasons have been given...for
rigidities rather
(fluctuations
why we observe such
in demand lead mostly to movements in out
than markups ), the sheer number of unrelated
explanations
is
distressing.
One cannot help but think that there might be some gene
explanation.
While
'fairness'
and 'norms' pretend to give such a ge
explanation , they remain at this stage vague and untestable ideas"J
Im Licht der hier entwickelten Ableitungen ist diese allgemeine Erklärung in dem law of one price auf miteinander verbundenen Teilmärkten in einem prinzipiell zeitlich offenen Prozeß wirtschaftlicher Entwicklung zu suchen. Die zentrale Hypothese muß in den folgenden Kapiteln auf Plausibilität in einem makroökonomischen Kontext überprüft und schließlich auch empirisch abgesichert werden. Gleichwohl schließt das Überlegungen zu Regimenflexibler Nominallöhne nicht aus, sondern fordert sie geradezu heraus. Es muß sich dann zeigen, ob das, was sich in mikroökonomischer Betrachtung als die überlegene und in marktwirtschaftlichen Systemen zu erwartende Lohnfindung erwiesen hat, auch bei der Verarbeitung von Schocks auf makroökonomischer Ebene zu plausiblen Ergebnissen führt und welche wirtschaftspolitische Unterstützung dazu paßt. Eine Reihe von Konsistenzfragen ist bisher offen geblieben, weil das, was Makroökonomie ausmacht, noch außer Betracht bleiben mußte.
1
Blanchard (1987), S. 73 77
ΠΙ
Angebots- und Nachfrageschocks auf der Makroebene
ULI
"Geld" konstituiert Gesamtwirtschaft
Die gesamtwirtschaftliche Angebotskurve aus den einzelwirtschaftlichen Angebotskurven herzuleiten, bot kein analytisches Problem. Durch einfache Aggregation läßt sich gedanklich ohne weiteres die gesamtwirtschaftliche Kurve ableiten, die - in statischer Betrachtung - die Produktionsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft beschreibt. Weniger einfach ist diese Aufgabe, wenn es um die Ableitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve geht Auf der Ebene des einzelnen Gutes bietet Gossens Gesetz des sinkenden Grenznutzens eine hinreichende Erklärung für die Steigung der Nachfragekurve in dem üblichen Preis-Mengen-Diagramm. Doch der sinkende Grenznutzen ist als Erklärung jeweils nur für ein Gut anwendbar, während die Nachfrage der Gesamtwirtschaft sich auf eine große Menge individueller Güter bezieht. Die Aggregation der individuellen Güter und der von ihnen gestiftete Nutzen läßt sich aber nicht axiomatisch mit einer partiellen Sättigungsüberlegung erfassen, wie das mit Hilfe des ersten Gossenschen Gesetzes einzelwirtschaftlich möglich ist. Das wird besonders deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß im zeitlichen Ablauf gesamtwirtschaftlicher Prozesse, also in dynamischer Betrachtung, es keineswegs immer die gleichen Güter sind, die nachgefragt werden. Vielmehr entstehen im dynamischen Produktionsprozeß neue Produkte, die eine neue und u.U. unverändert hohe Nachfrage
78
entstehen lassen können wie die vorher vorhandenen Güter, ohne daß dazu die Preise dieser Güter permanent niedriger sein müßten. Andererseits muß eine Preissenkung auch und gerade gesamtwirtschaftlich dazu führen können, daß mehr Güter gekauft werden können.
Da die gesamtwirtschaftliche effektive Nachfrage sich in den relevanten Untersuchungszeiträumen nicht beliebig vermehren läßt, aber auch nicht vorgegeben ist, können komparativ-statische Analysen wie Ansätze, die Dynamik zu erfassen versuchen, zunächst nicht darauf verzichten, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage statisch, d.h. vor dem Hintergrund einer konstanten Größe, in einem Ausgangsgleichgewicht also, zu definieren. Diese konstante Größe kann nur das sein, was in Abschnitt II.2 Kaufkraft genannt wurde, was aber in modernen Geldwirtschaften mit dem Begriff "Geld" angenähert werden kann. Dabei geht es jedoch im Kern nicht um Geld im üblichen Sinne liquider Kassenhaltung, sondern um effektives Geld, das einerseits Transaktionen möglich macht und andererseits die Menge dieser Transaktionen eindeutig begrenzt. Kaufkraft der Volkswirtschaft wäre eigentlich der bessere Ausdruck, doch soll hier, der internationalen Literatur folgend1 und um der Einfachheit willen schlicht Geld im Sinne der linken Seite der Quantitätsgleichung verwendet werden. Das bedeutet, daß Änderungen der Umlaufgeschwindigkeit des "eigentlichen Geldes" zunächst ausgeschlossen bzw. in das effektive Geld inkorporiert werden.2
1
Vgl; etwa Grämlich (1979) oder Phelps (1978).
2
Dadurch wird auch - wie später zu erläutern ist - Finanzpolitik dieser Stelle unter dem Begriff Geldpolitik miterfaßt. 79
Die Quantitätsgleichung reduziert sich damit auf die einfachste Form, die denkbar ist, nämlich auf das effektive Geld (M) (bzw. die nominale Nachfrage), das jederzeit gleich ist den abgesetzten Mengen an Gütern multipliziert mit ihren Preisen. In Wachstumsraten:
(2)
M
= y + ρ
Dem wiederum entspricht eine gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve, die - in statischer Betrachtung - bei sinkenden Preisen zu einem vermehrten Güterabsatz führt und umgekehrt
Schaubild θ
Y
80
Die Steigung der Nachfragekurve entspricht zwar der durchschnittlichen Steigung im einzelwirtschaftlichen Fall, hat aber, was für die Makrobetrachtung entscheidend ist, eine ganz andere Bedeutung und läßt andere wirtschaftspolitische Ansatzpunkte erkennen. Es ist an dieser Stelle notwendig, deutlich hervorzuheben, daß die Definition der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve im Sinne von "Geld" gesamtwirtschaftliche Analyse in einem ernsthaften Sinne erst möglich macht. Geld ist in Geldwirtschaften, wie Riese nicht müde wird zu betonen1, die gesamtwirtschaftliche Budgetrestriktion, ohne die konsistente Ableitungen nicht möglich sind. Erst die Einbeziehung eines Geld- und Kapitalmarktes macht, wie sich im folgenden immer wieder zeigen wird, die vollständige Erfassung von Schocks und Anpassungsprozessen2 möglich und zwingt dazu, die Konsistenz aller Aussagen untereinander immer wieder herzustellen.
Mit einer einfachen Preisgleichung, der reduzierten Form der Quantitätsgleichung und dem gesamtwirtschaftlichen Angebot-Nachfragemodell auf dem Gütermarkt wurde in den bisherigen Überlegungen ein extrem einfacher Zugang zu dem Problem der Anpassung an außenwirtschaftliche Schocks gewählt. "Childishly simple" nannte Solow jüngst
1
Vgl: z.B. Riese (1986).
2
Um so erstaunlicher ist es, daß die neue keynesianische Makroökonomie völlig ohne Geldmarkt auskommt. Vgl. z.B. Ramser (1982) u (1988).
81
ein solches Vorgehen zu Recht.1 Doch eröffnen sich gerade mit einem solch einfachen Modell auf der Basis einer Theorie wirtschaftlicher Entwicklung
Erkenntnismöglichkeiten,
die
weitaus
komplizierteren
Gleichgewichtsmodellen verschlossen bleiben. Eine letzte Anmerkung ist hier angebracht, betreffend die Rolle des Arbeitsmarktes als eigenständiger Markt. In den folgenden Überlegungen werden Arbeitsmarktbewegungen immer nur als aus den Schocks an anderen Märkten abgeleitete Veränderungen eine Rolle spielen. Das hat mehrere theoretische Gründe. Entscheidend ist, daß hier nicht eine exogene Beeinflussung oder gar Setzung des Preises am Arbeitsmarkt, des Reallohns, angenommen wird, wie das häufig in neoklassischen Analysen geschieht. Der Reallohn soll (zunächst aus heuristischen Gründen) vielmehr endogenes Ergebnis eines mehr oder weniger exogen gesetzten Nominallohnes auf der einen Seite und eines rein endogen bestimmten Preisniveaus auf der anderen Seite sein. Eine solche Hypothese entspricht aber sicher der Wirklichkeit der großen westlichen Industriestaaten besser als die Annahme eines exogenen Reallohns. Selbst Indexierung kann dies** Hypothese nicht prinzipiell widerlegen, wie sich zeigen wird (Abschnitt IV.3). Auch Verteilungsänderungen im Sinne der Verschiebung der Reallohnposition bzw. der Aufhebung von Gleichung (1) sind nicht geeignet, einer von anderen Märkten getrennten Arbeitsmarkttheorie eine größere Berechtigung zu verleihen (Abschnitt IV.4).
1
82
Vgl. Solow (1986).
Ein weiterer Grund für die sekundäre Rolle des Arbeitsmarktes ist seine enge Bindung an den Gütermarkt, soweit Nachfrageschocks diskutiert werden. Insofern wird hier zu Anfang der keynesianischen Tradition gefolgt und die Analyse von Nachfrageschocks als kurzfristige Analyse behandelt, die sich - entsprechend der Annahme einer "normalen" Angebotselastizität - einer normalen Phillipskurve bedient. Daher haben Reallohnänderungen schon deswegen keinen Einfluß auf die Beschäftigung, weil sie im Analysezeitraum nur als Reflex auf den Nachfrageschock, nicht aber als eigenständiger (exogener) Impuls vorkommen. Da die Angebotskurve bei solchen Analysen zunächst unverändert bleibt und durch das mark-up-pricing die Nominallöhne an potentielle Preissteigerungen angepaßt werden, gibt es keine durchgreifende Änderung der Reallöhne. Daß das im Prozeß wirtschaftlicher Entwicklung nicht immer realistisch ist, wurde oben schon angedeutet und wird später vertieft werden.
III.2
Der Angebotsschock
Hatte sich die makroökonomische Theorie seit dem Erscheinen von Keynes' "General Theory" überwiegend der Analyse von Nachfrageschocks gewidmet, so trat Mitte der siebziger Jahre ein scheinbar neues Phänomen in den Vordergrund des wirtschaftstheoretischen
und
wirtschaftspolitischen Interesses. Die Ölpreisexplosion war in ihren Auswirkungen, was von Anfang an den meisten Beobachtern offensichtlich schien, nicht mehr allein mit dem keynesianischen Instrumentarium zu erfassen. Diese Einschätzung hat sich prinzipiell als richtig erwiesen und nicht zuletzt dazu geführt, daß der Keynesianismus als 83
dominierende Theo rieric;* twig abgelöst wurde. Doch ob und inwieweit der aus der Gegenrevolution als herrschende Lehre hervorgegangene neoklassische Monetarismus sowohl in der Diagnose als auch in den daraus abgeleiteten Politikempfehlungen ein Fortschritt war, bedarf einer nüchternen Analyse und kann nicht einfach aus der Tatsache seines Sieges gefolgert werden.
Empirisch offenbarte sich die Fragwürdigkeit keynesianischer Lösungsansätze nach der Ölpreisexplosion Mitte der siebziger Jahre in der Parallelverschiebung der Phillipskurve für fast alle westlichen Industrieländer in nordöstliche Richtung.
Schaubild 9 Ρ
AL
Schon damit war dem auf einer flachen und wenig inflationsträchtigen Phillipskurve (PK^ operierenden Keynesianismus die Basis genommen, 84
denn bei dem höheren Inflationsniveau war die Gefahr einer weiteren Inflationsbeschleunigung im Zuge expansiver Politik wesentlich größer, und das hohe Inflationsniveau selbst mußte von der Wirtschaftspolitik als bedrohlich angesehen werden1.
Doch mit diesem empirischen Befund ist keineswegs die Frage beantwortet, wie es zu der Verschiebung der Phillipskurve kam und welches Paradigma sich am ehesten eignet, die dabei ablaufenden Prozesse zu erklären. Es ist im nachhinein nur als Paradoxie zu bezeichnen, daß sich die Vorstellungen des neoklassischen Monetarismus bezüglich der Folgen von Angebotsschocks in keiner Weise verwirklicht haben. Von dieser Theorierichtung war nämlich eine Verschiebung der Phillipskurve gerade nicht angenommen worden. Friedman schrieb 1975:
"...what of oil and food to which every government official has pointed? Are they not the immediate cause of the price explosion? Not at all. It is essential to distinguish changes in relative prices from changes in absolute prices. The special conditions that drove up the prices of oil and food required purchasers to spend more on them, leaving less to spend on other items. Did that not force other prices to go down or to rise less rapidly than otherwise? Why should the average level of prices be affected significantly by changes in the price of some things relative to others?"2
1
Vgl auch die tatsächlichen Industrieländer im Anhang 2
Zitiert
Phillipskurven
ßr die sieben groß
nach Lipsey (1981), 5. 561 85
Auch der Sachverständigenrat beschrieb im Jahr 1979 noch auf ganz ähnliche Weise Möglichkeiten einer marktwirtschaftlichen Verarbeitung von negativen Angebotsschocks: "Aus dem Gesamtgeschehen kann durchaus ein unverändertes Preisniveau hervorgehen. Das wird allerdings nur dann der Fall sein, wenn dauerhaft verhindert wird, daß die volkswirtschaftliche Gesamtnachfrage wegen der Ölverteuerung stärker zunimmt als ohne sie. Es wäre Aufgabe der Geldpolitik, dafür zu sorgen. Die umstrittene Frage ist, ob eine solche Strategie vernünftig wäre. Vorherrschend ist die Auffassung, daß sie es nicht ist... Maßgeblich hierbei ist die Besorgnis, andernfalls eine ezessive Entwicklung bei Produktion und Beschäftigung zu programmieren. Diese Besorgnis hat gute Gründe. Viele Preise, die wegen weichender Nachfrage sinken müßten oder jedenfalls weniger stark steigen, sind zu inflexibel, als daß bei unveränderter Gesamtnachfrage, aber gestiegenen Preisen für Öl und ölabhängige Güter, Produktion und Beschäftigung im ganzen aufrechterhalten werden könnten. Diese Inflexibilität scheint vielen inzwischen auch so selbstverständlich, daß die Vorstellung, bei einer massiven Ölverteuerung müßten eine Menge andere Preise ... sogar sinken, damit das Preisniveau konstant bliebe, weithin auf völliges Unverständnis stößt. Im besonderen Maße gilt dies für einen besonders wichtigen Preis, der bei einer Verteuerung von Einfuhrgütern, soll das Preisniveau ohne
86
Rezessionsdruck konstant gehalten werden, ebenfalls ... sinken ... müßte, den Preis für Arbeit nämlich, den Lohn."1 Lipsey schließlich faßt die Positionen des Monetarismus und der Keynesianer zu den Folgen eines negativen Angebotsschocks folgendermaßen zusammen: "Surely, here is a clear test. Friedman predicted no change in the price level and hence no change in aggregate output and employment following an unaccommodated supply shock. (With the paths of Ρ, M and V unaffected, the path of Y must be unaffected as well.) NeoKeynesian predict a rise in the price level and a falling output and employment."2 Diese Beschreibungen lassen ebenso wie viele andere in der Literatur eine Reihe von Fragen offen. Einerseits wird nicht deutlich, unter welchen Annahmen bestimmte Schlußfolgerungen abgeleitet werden, andererseits wird nicht immer klar unterschieden zwischen den Auswirkungen reiner Angebots- oder Nachfrageschocks und den tatsächlich aufgetretenen Mischungen und/oder Überlagerungen beider Typen von Schocks. Daher ist es zunächst unumgänglich, die Logik reiner theoretischer Typen offenzulegen, bevor man sich mit komplexeren theoretischen Fällen der Wirklichkeit annähern kann.
1
Sachverständigen/ at (1979), Ziffer
2
Lipsey (1981), S 562.
383 (Hervorhebung
87
im Origin
Was ist ein reiner negativer Angebotsschock? Formal, im statischen Angebot-Nachfrage-Modell nichts anderes als die Verschiebung der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve nach links.
Schaubild 10
Eine solche Verschiebung führt zu einer Verminderung des Realeinkommens der Volkswirtschaft und zu einer Erhöhung des Preisniveaus. Doch mit dieser einfachen Schlußfolgerung bei den gegebenen Elastizitäten von Angebot und Nachfrage ist nur der Rahmen determiniert, innerhalb dessen die eigentliche Analyse stattfinden muß.
Entscheidend für eine genaue Klärung der Auswirkungen ist nämlich die Art des Schocks. Beginnen wir mit dem einfachen Fall einer Preisexplosion, wie sie die beiden Ölkrisen zu Mitte und Ende der 88
siebziger Jahre kennzeichnete. Der Rückgang des Angebots und der Anstieg des Preises einer solchen wichtigen Vorleistung kann normalerweise von einer Volkswirtschaft nicht unmittelbar durch eine Verringerung des Verbrauchs (der Menge) aufgefangen werden, so daß die Gesamtausgaben für Öl steigen müssen. Mit anderen Worten: die Preiselastizität der Nachfrage nach Öl ist kleiner als eins. Die höheren Gesamtausgaben für Öl haben den primären Effekt, daß andere inländische Güter in geringerem Maße als bisher nachgefragt werden. Letzteres könnte nun zu dem Schluß verleiten, wie er von Neoklassikern und Keynesianern wohl gleichermaßen vollzogen worden ist, daß der Rückgang der Nachfrage nach diesen Gütern (bei unterstellter gleicher Preiselastizität wie für Öl) einen preissenkenden Effekt haben muß, so daß - wie beim negativen Nachfrageschock auf Mikroebene in Abschnitt II.2 - das gesamte Preisnvieau konstant bleiben kann. Doch genau an dieser Stelle wird die mikroökonomische Analyse zumindest unvollständig, gesamtwirtschaftlich aber sogar falsch.
Bei einem reinen Angebotsschock sinkt dem Wert nach die gesamtwirtschaftliche Nachfrage (das Ausgabevolumen) nicht, sondern bleibt, wie Schaubild 10 zeigt, unverändert. Zwar wird ein anderer Punkt auf der Nachfragekurve realisiert, der ein niedrigeres Realeinkommen indiziert, doch das Nachfrageniveau und damit der gesamtwirtschaftliche Output (Produktion) bleiben unverändert.
Um das am Beispiel der Ölpreisexplosion noch einmal zu erläutern: Wenn die ölexportierenden Länder die zusätzlichen Erlöse aus der Preiserhöhung nutzen, um im gleichen Maße gleichartige Güter aus den Industrieländern zu kaufen, wie das die Konsumenten und Investoren in 89
diesen Ländern ohne Ölpreisexplosion getan hätten, dann bleibt im Idealfall gleicher sektoraler und regionaler Verteilung der Nachfrage das Produktionsniveau und die Produktionsstruktur in den Industrieländern gleich. Damit ist es zwingend, daß die Beschäftigung sowohl was das Niveau als auch was die Struktur angeht, unverändert bleibt.1 Was geschieht, ist nur eine Umverteilung von Einkommen und Nachfrage in der Welt, deren Agens die Preiserhöhung ist. Natürlich ist das, wie Friedman zu Recht konstatiert, nur eine Veränderung der relativen Preise und nicht Inflation. Aber die Veränderung der relativen Preise hat einen einmaligen Preisniveaueffekt, weil sie eine dauerhafte Verknappung einer Vorleistung anzeigt und damit die Verfügung über Ressourcen für die Weltwirtschaft insgesamt einschränkt. Das bedeutet nichts anderes, als daß die Produktivität, auch die Arbeitsproduktivität, der Industrieländer sinkt, denn es muß der gleiche Aufwand an Arbeit (und Kapital) erbracht werden, um ein geringeres Realeinkommen zu erwirtschaften. Bezogen auf das Realeinkommen wirkt die Verschlechterung der terms of trade wie ein Produktivitätsrückgang. Dieser Produktivitätsrückgang
ist
selbstverständlich
kein
Rückgang der
technischen (outputbezogenen) Produktivität der Volkswirtschaft, denn es wird mit dem gleichen Input an Faktoren die gleiche reale Nachfrage befriedigt; nur die weitergefaßte Definition der Produktivität (realeinkommensbezogen) ist davon betroffen. Entsprechend bleiben die
1
Erst in jüngster Zeit gibt es einige Autoren, die zu ähnlichen Ergebnissen gelangen, wenngleich eine konsequente Umsetzung die Erkenntnis vor dem Hintergrund des bisher herrschenden Paradigmas einfach scheint. Vgl. Fischer (1985), der trotz dieser Erkenntnis schlie "... supply side policies ..'. seem the perfect answer to supply shocks they offset the two macro problems - inflation and unemployment ca by the supply shocks ". (S. 13/14). 90
sogenannten Produktreallöhne (also die von den Unternehmen zu zahlenden) unverändert, während die Konsumreallöhne ( also die von den Konsumenten realisierten) sinken. Entscheidend bei diesem Ablauf eines reinen typischen Angebotsschocks ist, daß es keinen marktendogenen Mechanismus gibt, der den Anstieg des Preisniveaus (p) und dessen Wirkung auf das Realeinkommen (y) abfangen oder gar aufheben könnte. Der Rückgang des Realeinkommens als Folge der Verknappung und Verteuerung eines Inputfaktors ist unabwendbar. Das Schaubild 10 ist insofern tatsächlich ausreichend, um die wichtigsten Folgen eines negativen Angebotsschocks darzustellen.
Diese Analyse hat Gültigkeit für alle Verteuerungen einer Vorleistung, eines Produktionsfaktors oder unmittelbar von Konsumgütern, ganz gleich, ob die Ursache der Verknappung im Inland oder Ausland liegt. Würde etwa der Staat die Nutzung von Umwelt durch eine hohe Steuer auf umweltschädliche Produkte und Produktionsverfahren erheblich verteuern und die zusätzlichen Einnahmen sofort wieder ausgeben, gälte die Beschreibung der Wirkungen analog1. Wichtig ist nur, daß der Angebotsschock Ausdruck einer wirklichen Verknappung ist. Das gilt auch für Arbeit. Wenn das Arbeitsangebot abnimmt und der Reallohn
1
Wobei in diesem Fall offensichtlich auch der Rückgang des Realeinkommens nur insofern Gültigkeit hätte, als er den Rückgang Versorgung mit alten (umweltschädlichen) Gütern mißt. Nimmt man Umweltverbesserung ah Ausdruck sich ändernder Präferenzen der Men gibt es keinen Wachstumsverlust, sondern nur Strukturwandel Vgl Flassbeck/Maier-Rigaud (1982), Maier-Rigaud (1988) und Koll (1989). 91
steigt, weil die Unternehmen um die Arbeitskräfte konkurrieren und höhere Nominallöhne bei unveränderten Preisen bieten, steigt die Kostenbelastung der Unternehmen und die Angebotskurve verschiebt sich nach links. Aber auch dann folgt selbstverständlich nicht Arbeitslosigkeit aus dieser Umverteilung zugunsten des knapper werdenden Faktors, sondern höchstens eine allmähliche Anpassung der Unternehmen an den höheren Reallohn durch eine Steigerung der Produktivität (also Kostensenkung) und dadurch eine Rückkehr zum alten Gleichgewichtspunkt, bei Vollbeschäftigung aber niedrigerem Beschäftigungsniveau. Auch hier bliebe die Gesamtnachfrage unverändert, wenn die Arbeitnehmer eine gleich hohe Sparquote wie die übrigen Teilnehmer des Wirtschaftsprozesses haben.
Anders ist hingegen der Fall zu beurteilen, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich ohne reale Verknappung eines Faktors über das Ausmaß täuschen, in dem die nominale Gesamtnachfrage ausgedehnt werden kann. Dann entsteht ein untvpischer negativer Angebotsschock, dem in der Realität der vergangenen 20 Jahre eine erhebliche Bedeutung zukam.
Angenommen, in den Tarifabschlüssen wird antizipiert, daß sich die nominale Gesamtnachfrage (y p) in der fraglichen Periode um einen Prozentsatz erhöht, der deutlich über dem Produktivitätsfortschritt liegt. Im Hinblick auf diese Erwartung werden folglich Lohnerhöhungen vereinbart, die - bei Verteilungsneutralität (also Überwälzung durch die Unternehmer in Höhe von w-e) - zu einer deutlichen Preisniveausteigerung führen würden. Im statischen Angebot-Nachfrage-Diagramm
92
entspricht das einer Erwartung der Tarifparteien, die durch Ν auszudrücken wäre.
Schaubild 11
In diesem Fall stiege nur das Preisniveau, das Realeinkommen und die Produktion blieben unverändert. Die Verwirklichung von N ^ setzt aber voraus, daß gemäß Gleichung (2) die Geldmenge in einem entsprechenden Umfang erhöht wird. Geschieht das - wie auch in den Fällen des typischen Angebotsschocks bisher immer angenommen - nicht, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Dann muß das steigende Preisniveau zu einem sinkenden Realeinkommen führen und dieses wiederum zu rückläufiger Beschäftigung, denn es gibt hier keine Entlastung für den Arbeitsmarkteffekt durch eine verminderte Arbeitsproduktivität oder gesunkenes Arbeitsangebot wie in den Fällen des typischen Angebotsschocks. 93
Dieser nominallohninduzierte Angebotsschock, bei dem die Reallöhne unverändert bleiben, führt also bei einer konstanten Geldmenge unmittelbar zu Beschäftigungseinbußen, weil die reale Geldmenge und damit die reale Gesamtnachfrage sinkt. Dagegen bedeutet die Nominallohnrigidität in den typischen Fällen des negativen Angebotsschocks keine Einschränkung der Beschäftigungsmöglichkeiten, führt aber zu einer Reallohnverminderung. Das bringt ein erstes wichtiges Ergebnis zutage: Nominallohnrigidität, wie sie aufgrund der in Kapitel II geschilderten Dynamik auf Arbeits- und Gütermärkten zu erwarten ist, impliziert im typischen Fall des negativen Angebotsschocks keinerlei Behinderung des Anpassungsprozesses, sondern fördert ihn durch die mit der Nominallohnrigidität verbundenen Reallohnflexibilität. Reallohnrigidität dagegen, wie sie sich aus flexiblen Nominallöhnen und flexiblen Preisen ergibt, kann selbst zu Angebotsschocks führen, die - vor dem Hintergrund einer unveränderten Nachfrage - zwingend Beschäftigungseinbußen mit sich bringen.
Die bisherigen einfachen Überlegungen lassen sich mit Hilfe der Gleichung (2) sowie der arbeitsseitigen Definitionsgleichung für die Wachstumsrate des Realeinkommens anschaulich machen. Mit E als Wachstumsrate der Beschäftigung gilt: (3)
y = E + e,
Nach Einsetzen in (1) folgt daraus:
(4)
94
E = M - ρ - e.
Sieht man also von Veränderungen der Geldnachfrage (der Umlaufgeschwindigkeit) und des Geldangebots (M) ab, verändert sich die Beschäftigung nur, wenn einem Anstieg des Preisniveaus (p) kein Rückgang der Arbeitsproduktivität
(e) entspricht. Bei negativen
Angebotsschocks, die auf die Verknappung einer natürlichen Ressource oder eines Produktionsfaktors zurückzuführen sind, ist diese Bedingung immer gegeben, ohne daß weitere Anpassungsreaktionen nötig wären.
III.3
Der Nachfrageschock
Bei der Behandlung des reinen Nachfrageschocks berührt die Schocktheorie - wie schon erwähnt - kein theoretisches Neuland, gerät aber in die Gefahr, alte Kontroversen zu referieren. Denn sicherlich läßt sich die gesamte Debatte um die keynesianische Revolution und die neoklassisch-monetaristische Konterrevolution auch in Terms einer Schockanalyse fassen. Dennoch vermag die Fokussierung auf Schocks, wie sie vor allem im Gefolge der Ölpreisexplosionen aufgetreten sind, manches Argument
deutlicher
hervortreten
lassen und Defekte
theoretischer Systeme hinsichtlich der Erfassung dynamischer Prozesse aufhellen. Wiederum stellt sich zunächst die Frage: Was ist gesamtwirtschaftlich ein negativer Nachfrageschock? In Abschnitt II.2 war ein negativer Nachfrageschock auf einzelwirtschaftlicher Ebene beschrieben worden. Dort wurde angenommen, daß dem negativen Nachfrageschock bei einem Unternehmen ein positiver Schock bei einem anderen Unternehmen gegenüberstehen muß, weil die gesamte Nachfrage der 95
Volkswirtschaft erhalten werden sollte. Vollkommen anders sind offensichtlich die Situation und das Ergebnis, wenn die gesamte Nachfrage einer Volkswirtschaft sinkt, also bei jedem Preisniveau weniger nachgefragt wird. Im statischen Modell läßt sich das mit einer Parallelverschiebung der Nachfragekurve darstellen.
Schaubild 12
96
Bei der gegebenen Elastizität der gesamtwirtschaftlichen Angebotskurve sinken Preisniveau und Realeinkommen. Doch diese formale Ableitung eines Phänomens, das man "negativer Nachfrageschock" nennen könnte, ist - ganz anders als im Falle von negativen Angebotsschocks - schon sehr umstritten. Eine streng neoklassische und in noch stärkerem Maße eine neuklassische Position, wie sie mit der Theorie rationaler Erwartungen vertreten wird, müßte nämlich von vorneherein bestreiten, daß es ein solches Phänomen in funktionierenden Marktwirtschaften (bei "flexiblen Preisen") überhaupt geben kann.1
Ähnlich wie im Falle des Nachfrageschocks auf mikroökonomischer Ebene stellt sich hinsichtlich einer solchen theoretischen Position jedoch die zentrale Frage, was konkret mit Preisflexibilität gemeint ist, denn selbstverständlich sind in dem formalen Beispiel von Schaubild 12 die Güterpreise in einem gewissen Sinne flexibel, was in dem Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Preisniveaus von
auf p 2 seinen Ausdruck
findet. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist aber zudem die Frage nicht trivial, von welcher Art von Nachfrageschock gesprochen wird, denn auch hier ist an zwei unterschiedliche Ausprägungen zu denken, deren potentielle Anpassungsmechanismen sich erheblich unterscheiden. Beide Fragen und beide Typen von Nachfrageschocks werfen eine Reihe recht komplexer theoretischer Probleme auf, deren Lösung in der Literatur bisher keineswegs eindeutig ist und die in diesem Abschnitt nur
1
Vgl z. B. Friedman (1968) und Sievert (1978); für die Theorie rationaler Erwartungen ist auf die einschlägigen Arbeiten vor allem Lucas (1972) und Sargent (1973) zu verweisen. 97
kursorisch behandelt werden können. Erst im Verlauf der Überlegungen in Kapitel IV und VII werden sich umfassende Antworten geben lassen.
Ausgangspunkt unserer Analyse soll die einfache Feststellung sein, daß Anpassungsmechanismen, selbst wenn die neoklassische Theorie sie als zu jedem Zeitpunkt wirksam ansieht und von daher jeden Zweifel an einem Ungleichgewicht a priori ausschließt, sich beschreiben und in ihrer Wirksamkeit analysieren lassen müssen. Nehmen wir den naheliegenden typischen Fall eines negativen Nachfrageschocks. Die Sparquote der privaten Haushalte und die gesamtwirtschaftliche Sparquote sollen sich von einer Periode zur anderen deutlich erhöhen.1
Die unmittelbare Wirkung eines solchen Vorgangs läßt sich sicher mit der Verschiebung der Nachfragekurve von N t auf N 2 illustrieren, wenn N 2 zunächst als eine potentielle Kurve angesehen wird, die nur eine theoretisch beliebig kurze Zeit Bestand hat. Welche Anpassungsmechanismen greifen nun? Der durch den Nachfrageschock ausgelöste Rückgang der Güterpreise ist offensichtlich nicht ausreichend, zum alten Gleichgewicht zurückzuführen, denn er ist lediglich Reflex des Nachfrageschocks und markiert einen neuen Gleichgewichtspunkt, an dem keine ungleichgewichtigen (offenen) Marktkräfte mehr wirksam sind.
1
Ob das ein realistischer Fall ist, steht hier nicht zur Debatte, we prinzipiell um die Wirksamkeit von Anpassungsmechanismen geht. 98
Unmittelbar evident ist aber, daß gesamtwirtschaftliche dynamische Überlegungen sich nicht mit der Untersuchung eines statischen Gütermarktes begnügen können. Dem Rückgang der Sparquote muß eine Reaktion in der Kapitalsphäre der Volkswirtschaft entsprechen, denn die gesamte reale Kaufkraft (das gesamte Realeinkommen) bleibt von dem Entschluß, in einer Periode weniger Güter zu kaufen, unberührt. Das entstehende Sparkapital wird also anlagesuchend dem Kapitalmarkt der Volkswirtschaft zugeführt. 1 Das heißt, das Kapitalangebot (KA) steigt in gleichem Maße, in dem die Güternachfrage sinkt.2
1
Der Einfachheit halber sollen im folgenden Geld- und Kapitalmar immer als ein einziger Markt behandelt werden. Das dürfte angesichts engen Zusammenhangs beider Märkte durch die Substitutionsbeziehun von Geld und Kapital (an der Grenze beider zueinander) und ßr die h verfolgten Zwecke ein zulässiges Vorgehen sein. Vgl. dazu auch Graphiken nlang- und kurzfristige Zinsen" ßr sieben große Industrielä im Anhang. 2
Hier wird zur Analyse keynesianischer Probleme nich t das traditio le Instrumentarium des Keynesianismus verwendet. Insbesondere das I Schema ist nicht geeignet, den Anpassungsprozeß zu verdeutlichen. IS/LM-Schema ßhrt etwa ein negativer Nachfrageschock zu einer Verschiebung der IS-Kurve nach links bei sinkenden Zinsen und v mindertem Realeinkommen. Die Zinssenkung ist Reflex des Einkomme rückgangs; die Verschiebung der IS-Kurve ist immer schon Ergebni mißlungenen Anpassungsprozesses über sinkende Zinsen. Neoklassik können solche Implikationen eines Nachfrageschocks zu Recht ablehn denn sie suggerieren - ohne den Anpassungsprozeß wirklich zu erfass man müsse in jedem Fall die LM-Kurve (via expansive Geldpolitik) n rechts verschieben, um über noch weiter sinkende Zinsen das alte Ein mensniveau wieder zu erreichen. Das ist keineswegs zwingend. 99
Schaubild 13
Bei einer normalen Zinselastizität der Kapitalnachfrage (KN) sinkt der Zins von i x auf i 2 und die zum Zwecke der Investition in Sachkapital nachgefragte Menge an (Geld) Kapital steigt von K t auf K 2 . Die zusätzliche Investitionsnachfrage der Unternehmen kompensiert im Idealfall exakt die ausgefallene Konsumgüternachfrage; der Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bleibt tatsächlich nur potentiell, wenn diese Investitionen uno actu nachfragewirksam werden.
Dieser Mechanismus ist im Grunde immer gemeint, wenn von klassischer oder neoklassischer Anpassung an Nachfrageveränderungen die Rede ist. Freilich wird er selten so detailliert beschrieben, sondern in 100
der Regel als wirksam vorausgesetzt bzw. als das nahezu selbstverständliche Ergebnis marktwirtschaftlicher Anpassung angesehen. Auch das ist Folge des walrasianischen Erbes. In einem System, das von vornherein auf die Untersuchung eines (punktuellen) Zustandes konstanter Kaufkraft beschränkt ist, muß jederzeit die Gleichheit von Sparen und Investieren, deren Zustandekommen bei einem konstanten Einkommen der obige Mechanismus beschreibt, gewährleistet sein. Die Frage eines Ungleichgewichts stellt sich nicht, wenn Gleichgewicht als Untersuchungsziel vorgegeben ist.1
Entscheidend für eine Analyse, in der Zeit und Ungleichgewichte zugelassen sind, bleibt dagegen die Erkenntnis, daß "Flexibilität der Preise" hier nur eine sehr eingeschränkte Bedeutung hat. Es kann damit zunächst nämlich nur Flexibilität des Zinsniveaus gemeint sein. Ein idealtypisch funktionierendes Marktsystem braucht offensichtlich nur die Flexibilität des Zinsniveaus, um permanent Vollbeschäftigung zu erhalten.2 Es ist von großer Bedeutung zu verstehen, was mit einer solchen Aussage gemeint sein muß: Hinreichende und notwendige
1
In Schumpeters Worten: "Saving is here merely a word that iden a particular kind of demand, namely, the demand for capital goods. So there is no meaning to the phrase 'offer or supply of saving'unless we to denote by it that part of the households' services that is offered a capital goods instead of being offered against bread or beer ; and to sa current saving can get out of step with current investment has no m sense than to say that saving can get out of step with itself. ", Schum (1954), S. 1016/1017. 2
Das haben ersiaunlicherweise Keynesianer immer wieder hervo gehoben, während solche Äußerungen von Neoklassikern kaum zu fin sind Vgl. z. B. Metzler (1951). 101
Bedingung zur reibungslosen Umwandlung von Sparkapital in Investitionsnachfrage ist die Flexibilität des Zinsniveaus bei ausreichender Zinselastizität
der
marktwirtschaftliche
Kapitalnachfrage.
Dynamisch formuliert:
Das
System löst die Aufgabe der Anpassung an
intertemporale Verschiebungen der Nachfrage (von Güterkäufen heute hin zu Güterkäufen morgen) über Zinssenkungen, die hinreichende Signale für die Investoren geben. Dazu bedarf es bei idealtypischer Funktionsweise keiner weiteren Preisflexibilität, da Gesamtnachfrage und Gesamtangebot (potentiell) unverändert bleiben.
Es ist für das Verstehen ökonomischer Theorien und für die Würdigung wirtschaftspolitischer Richtungen wichtig zu erkennen, daß man in diesen Prozeß intertemporaler Anpassung Zeit im Sinne einer gewissen Friktion einführen muß, um zu realistischen und damit wirtschaftspolitisch relevanten Aussagen zu gelangen. Mit anderen Worten: Man kann die (unterstellte) idealtypische Funktionsweise kritisieren, ohne die fundamentalen neoklassischen Theoreme, wie Walras' Law oder Say's Law, außer Kraft zu setzen und ohne Marktwirtschaft als solche in Frage zu stellen. Nichts anderes hat Keyr.es getan.
Keynes selbst ist dabei oft weit über den Geltungsbereich seiner Kritik herausgegangen, indem er politische Schlußfolgerungen zog, die durch seine Analyse nicht gedeckt waren oder theoretische Systeme verwarf, deren Bedeutung er nicht erkannt oder nicht angemessen gewürdigt
102
hat.1 Doch das ändert nichts daran, daß intertemporale Anpassung (also Anpassung an negative Nachfrageschocks)
nicht so idealtypisch
funktionieren muß, wie das neoklassische oder neuklassische Analysen allzu oft unkritisch unterstellen. Dafür gibt es zwei zentrale Gründe, die beide Keynes als erster deutlich herausgearbeitet hat.
Zum ersten Grund: Es ist keineswegs sicher, daß die Zinselastizität der Kapitalnachfrage so groß ist, daß das frei gewordene Sparkapital vollständig in Investitionen umgewandelt wird. Gerade wenn der Prozeß der Ersparnisbildung und der Prozeß des Investierens zeitlich auseinandergezogen sind und beide von unterschiedlichen Wirtschaftssubjekten durchgeführt werden, wie das für moderne Geldwirtschaften zutrifft, existiert keine Automatik der Umwandlung von Sparen in Investieren. Das entscheidende Argument für die Skepsis bezüglich einer ausreichenden Zinselastizität ergibt sich bei Betrachtung der konkreten Entscheidungssituation, mit der der (durchschnittliche) Unternehmer im Fall eines durch die Erhöhung der Sparquote entstandenen negativen Nachfrageschocks konfrontiert ist. Ihm stehen zwei Informationen zur Verfügung: Erstens, die Nachfrage nach Konsumgütern ist gesunken. Zweitens, der Zins am Kapitalmarkt ist ebenfalls gesunken. Daraus
1
Ersteres gilt z. B.ßr Say's Law, das Keynes zu widerlegen glau Tatsächlich aber meint er eine von oberflächlichen Neoklassikern beha te permanente Gleichheit von Güterangebot und Güternachfrage, die w David Ricardo noch John Stuart Mill , die wichtigsten Interpreten Theone, so je vertreten haben. Letzteres gilt ßr Walras' Gesetz vo möglichen Gleichgewicht auf allen Märkten, mit dem sich Keynes n ausßhrlich auseinandersetze, das aber innerhalb der Grenzen seine Annahmen ohnehin nicht widerlegbar ist. Vgl. dazu auch Flassbeck (1 sowie Flassbeck (1989) und die dort angegebene Literatur. 103
ergibt sich für den potentiellen Investor offensichtlich kein klarer Anreiz, das geringer verzinsliche Kapital nachzufragen, da die erwartete Sachkapitalrendite (die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals) aufgrund des Nachfrageausfalls auch gesunken sein mag. Daraus folgt, in den Worten von Keynes: "An act of individual saving ... is not a substitution of future consumption-demand for present consumptiondemand, - it is a net diminution of such demand".1 Die ex post-Identität von Sparen und Investieren ist also nicht automatisch eine ex ante-Identität. Im Zuge wirtschaftlicher Entwicklung in der Zeit können Spar- und Investitionspläne auseinanderfallen. Wird die obige Ableitung als Möglichkeit in zeitlich offenen Systemen zugelassen, und wer könnte das ausschließen, dann ist auch das Postulat des Hinreichens von Zinsflexibilität zur Umwandlung von Sparen in Investieren tief erschüttert. Es gibt dann zwar immer noch die ex postIdentität von Sparen und Investieren, die Tatsache einesflexiblen Zinses sagt aber nichts mehr darüber aus, bei welchem Einkommensniveau dieser Ausgleich zustande kommt 2 Das heißt, eine Erhöhung der Sparquote, die in ihren Auswirkungen auf die Nachfrage nicht voll-
1
Keynes (1983), S. 210. Die Problematik der (neo)klassischen Theo zeigt sich dann, wenn die von ihr unterstellte Entscheidungssituation Investors explizit dargestellt wird Es muß nämlich angenommen werd daß sich die Investoren vom Rückgang der Nachfrage nicht beeindruc lassen, weil sie antizipieren, daß ihre ei gene Nachfrage die entstand Lücke ßllt. 2
Daher ist eine Bezeichnung für die ex ant e Gleichheit vom Spar und Investieren als gesamtwirtschaftliche "Konsistenzbedingung* wie weitverbreiteten Lehrbuch von Barro mehr als problematisch. Vgl. (1986), S. 151 f. 104
ständig durch Investitionssteigerung kompensiert wird, senkt das Einkommensniveau und die Beschäftigung. Der Rückgang des Einkommensniveaus, nicht die Zinssenkung, ist dann die Größe, die die ex post notwendige Identität von Sparen und Investieren garantiert.1 Anders ausgedrückt: Die Sparpläne der privaten Haushalte können in ihrer absoluten Höhe nicht verwirklicht werden, weil sich die Beschäftigungsund Einkommenssituation vor dem Ende der Planungsperiode verschlechtert. Dann mag eine höhere Sparquote am Ende realisiert worden sein, die Spar- und Investitionssumme in der Volkswirtschaft sind geringer als zuvor.2 Zum zweiten Grund für Friktionen im Prozeß der intertemporalen Anpassung: Es ist naheliegend, die unzureichende Umwandlung von Sparkapital in Investitionen trotz des obigen Einwandes mangelnder Zinsflexibilität zuzuschreiben und eine Unterstützung des Zinssenkungsprozesses durch die Geldpolitik zu fordern. Das ist zwar keine reine neoklassische Position mehr, hat aber wohl zu Keynes' Zeiten eine gewisse Rolle gespielt. In Erweiterung von Schaubild 13 bedeutet das, die Kapitalangebotskurve durch ein vermehrtes Geldangebot noch einmal auf KA 3 zu verschieben.
1
Vgl. Keynes (1973), Kapitel 14 und insbesondere S. 178/179.
2
Es ist nur dieser letzte Teil der Ableitung der Keynes'schen Geda die Clower mit seiner berühmten "dualen Entscheidungshypothese n Die Begründung ßr die Abweichung des geplanten vom realisierten Einkommen über die Geld- und Kapitalmärkte hat Clower vernachläss und daher - wie viele seiner Nachfolger - vielleicht gerade nicht den der Keynes'schen Revolution getroffen. Vgl. Clower (1965). 105
Schaubild
U
Da diesem zusätzlichen Zinssenkungseffekt (auf i 3 ) kein negativer Nachfrageeffekt gegenübersteht, ist hier eine deutlichere Reaktion der Investoren (von K 2 nach K 3 ) zu erwarten. Keynes argumentiert nun, daß auch das keineswegs sicher ist, sondern das zusätzliche Geldangebot durch eine steigende Geldnachfrage kompensiert werden kann, weil aus Spekulations- und Vorsichtsmotiven heraus die Wirtschaftssubjekte mehr Liquidität zu halten wünschen. Formal bedeutet das als Reaktion auf das größere Geldangebot auch eine Verschiebung der Geldnachfragekurve nach rechts.
106
Schaubild 15
Dadurch wird ein niedrigeres Zinsniveau nach dem ursprünglichen Nachfrageschock nicht erreicht, was wiederum bedeutet, daß die Volkswirtschaft auf dem gesunkenen Einkommens- und Beschäftigungsniveau verharrt und die Zunahme der Kapitalnachfrage nicht mehr als eine Zunahme der Nachfrage nach Kapital zum Zwecke der Investition in Sachanlagen interpretiert werden darf. 1 Zur Beseitigung
1
Diese Situation wird oft als "Gleichgewicht bei Unterbeschäftig bezeichnet. Das ist - wie fast alle Gleichgewichtsaussagen - recht ungl lich, da es wie das klassische "Gleichgewicht bei Vollbeschäftigung" suggeriert, marktwirtschaftliche Systeme tendierten zum Gleichgewic tun sie aber in Wirklichkeit nie. All e Gleichgewichte sind "highly ab creations of the observer 's mind " (J. A. Schumpeter).
107
der damit einhercenenden Unterbeschäftigung gibt es nur die Möglichkeit, zusätzliches Geldangebot via Staat direkt in Ausgaben umzusetzen, um die Vertrauenskrise der Investoren und Verbraucher zu überwinden. Geldpolitisch akkommodierte Finanzpolitik ist also das Stichwort, das hier nicht näher erläutert werden muß, da es zur Klärung der Logik von Schocks nichts beiträgt. In Terms der Quantitätsgleichung bedeutet diese Situation, daß jedes zusätzliche Geldangebot durch eine Zunahme der Geldnachfrage kompensiert wird, die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes also entsprechend sinkt.
Es muß klar gesehen werden, daß dem zweiten Keynes'schen Grund eine viel geringere theoretische Bedeutung zukommt als dem ersten, obwohl dessen praktische Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Der erste Einwand trifft die Funktionsfähigkeit eines Anpassungsmechanismus' im Kern, während der zweite nur die Wirksamkeit eines wirtschaftspolitischen Instruments zugunsten eines anderen in einer konkreten Situation relativiert. Da Zinsflexibilität nicht hinreichend ist, um Vollbeschäftigung zu erhalten, ist die klassisch-neoklassische Lehre immer dann in Frage zu stellen, wenn Nachfrageschocks auftreten. Exogene Eingriffe der Geldpolitik gehören nicht zur Standardausrüstung neoklassischer Gleichgewichtstheorie. Sie sind schon ein keynesianisches Element, selbst wenn ein reduzierter Keynesianismus der 50er und 60er Jahre sich auf Finanzpolitik beschränkte und die Rolle der Geldpolitik gründlich mißverstand.1 Geld als konstituierendem Element
1
Die gesamte Multiplikatoranalyse, die bis heute die Lehrbuchbehandlung keynesianischer Analyse prägt, ist nur valide, wenn konse von Geld als wirksamer gesamtwirtschaftlicher Budgetrestriktion ab (Fortsetzung...) 108
gesamtwirtschaftlicher Nachfrage in Geldwirtschaften kommt aber im Prozeß der wirtschaftlichen Entwicklung eine Bedeutung zu, die weit über die Analyse von Nachfrageschocks hinausgeht und auch vom Monetarismus nicht angemessen gewürdigt wurde. Das wird der weitere Verlauf dieser Untersuchung noch klarer als bisher zeigen. Eine zweite Variante der Reaktion auf den typischen negativen Nachfrageschock muß noch behandelt werden. Ähnlich wie im Fall des einzelwirtschaftlichen Nachfrageschocks ist bei den gesamtwirtschaftlichen typischen Nachfrageschocks eine zusätzliche, im Grunde jedoch nicht erforderliche Lohnreaktion denkbar. War im Fall des Abschnitts II.2 jedoch eine sektoral bzw. unternehmensbezogene differenzierte Lohnsenkung und damit ein Verstoß gegen das law of one price nötig, um den Mengeneffekt für das einzelne Unternehmen auszugleichen, stellt sich hier ein vergleichbares Problem nicht. Die gesamtwirtschaftliche Senkung des Nominallohnniveaus folgt anderen Gesetzen als die einzelwirtschaftliche. Neben der Logik des law of one price war einzelwirtschaftlich auch nicht einleuchtend, daß die Nominallöhne sinken sollten, obwohl die Gesamtnachfrage nach Arbeit unverändert blieb. Gesamtwirtschaftlich gilt das nur im Falle der uno actu-Umset-
1
(...Fortsetzung) wird. Integriert man Geld in der hier beschriebenen Weise, also im eines exogenen und starren Geldangebots in makroökonomische Theo spielen Multiplikatorprozesse keine Rolle mehr und crowding out w unumgänglich. Wenn dynamische gesamtwirtschaftliche Prozesse ana werden sollen, kann man schwerlich systematische Änderungen des T der Umlaufgeschwindigkeit oder jederzeit akkommodierende Geld duntersteilen. Wenn beides nicht gilt, muß Finanzpolitik in der theore Überlegung zurückstehen hinter der Wirkungsanalyse von Geldpolitik 109
zung von Sparen in Investieren. Ausreichende Zinselastizität der Investitionen macht von vornherein eine Nominallohnsenkung überflüssig. Versagt aber dieser Anpassungsmechanismus, könnte an die Stelle einer expansiven Geldpolitik auch eine Nominallohnsenkung treten, die das Preisniveau in gleichem Maße nach unten zieht, also Gleichung (1) nicht verletzt, d. h., verteilungsneutral ist.
Schaubild 16
Im statischen Angebot-Nachfragemodell ist das gleichbedeutend mit der Verschiebung der Angebotskurve von Aj nach A 2 . In der Terminologie dieses Kapitels wird also ein untypischer positiver Angebotsschock gegen einen typischen negativen Nachfrageschock gesetzt. Partialanalyse eines solchen positiven Angebotsschocks ergäbe wiederum nur, daß er keine 110
reale Auswirkung hat, denn Kosten und Preise fallen in gleichem Ausmaß, so daß die reale Position aller Wirtschaftssubjekte unverändert bleibt. Gesamtwirtschaftlich gesehen ist dieser Schock aber nur vor dem Hintergrund einer Konstanten, nämlich Geld, definierbar. Dann hat er reale Wirkungen, da die reale Geldmenge und damit - bei unveränderter Geldnachfrage - die reale Nachfrage und die Beschäftigung steigen.
Diese Anpassungsreaktion über gesamtwirtschaftliche
Lohn- und
Preissenkung auf negative Nachfrageschocks ist es, die Keynes "monetary management by the trade unions, aimed at full employment, instead of by the banking system"1 nannte und die als "Keynes-Effekt" in die Literatur einging.2 Entscheidend bei der Beurteilung dieser Anpassungsvariante ist, daß neoklassisch argumentierende Autoren sie nicht ohne weiteres in Anspruch nehmen können, ohne inkonsistent zu werden, denn Keynes' Generaleinwand, daß Zinsflexibilität nicht ausreicht, um den Nachfrageschock zu verhindern, muß man schon akzeptieren, bevor dieser Anpassungsmechanismus geltend gemacht werden kann. Hinzu kommt, daß Keynes' zweiter Grund zur Skepsis hier ebenso wie bei zusätzlich expansiver Geldpolitik eine wichtige Rolle bei der Gesamtbeurteilung spielt. Denn Liquiditätsvorliebe, die sich in einer Verschiebung der Geldnachfrage niederschlägt, kann hier ebenfalls einen positiven Zinseffekt verhindern. Noch stärker zu Buche schlägt bei dieser Variante sogar, daß das Preisniveau nach dem Nachfrageschock noch einmal sinken muß (von p 2 auf p 3 ). In dynamischer Betrachtung
1
Keynes (1973), S. 267
2
Vgl. dazu etwa Leijonhufvud
(1973). 111
kann das Deflationsängste und -effekte mit sich bringen, die noch einmal zur Revision der Sparpläne der Konsumenten nach oben führen und damit das ursprüngliche Problem verschärfen. Obwohl also theoretisch fragwürdig, wird diese Variante der Anpassung an Nachfrageschocks in den weiteren Überlegungen doch eine bedeutende Rolle spielen, weil eine letzte Form des negativen Nachfrageschocks noch nicht behandelt worden ist, deren praktische Bedeutung in den vergangenen beiden Jahrzehnten kaum unterschätzt werden kann. Neben dem typischen Nachfrageschock aufgrund des Anstiegs der Sparquote ist ein negativer Nachfrageschock auch denkbar als Folge einer exogenen Verringerung des Geldangebots. Da die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve durch Geld definiert ist, führt restriktive Geldpolitik durch die Zentralbank zu einem untypischen negativen Nachfrageschock, der formal im statischen Angebot-Nachfragemodell genauso abzubilden ist wie der typische Schock in Schaubild 15.
Offensichtlich ist bei dieser Art Nachfrageschock, daß der neoklassische Anpassungsmechanismus sinkender Zinsen nicht nur außer Kraft gesetzt, sondern in sein Gegenteil verkehrt wird, da sich der Rückgang des Geldangebots am Geld- und Kapitalmarkt in einem Anstieg der Zinsen manifestiert, der das geplante Investieren unter das geplante Sparen drückt. Letzteres zeigt, daß es sich hier sehr wohl um einen Nachfrageschock handelt, zeigt aber auch, daß kein endogener Korrekturmechanismus zur Verfügung steht. Einkommen, Beschäftigung und Preise sinken, die Posit on der Volkswirtschaft auf der Phillipskurve verschiebt sich nach rechts.
112
Bei der Diskussion um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in den letzten 15 Jahren haben Keynesianer allzu oft diese Unterscheidung der Nachfrageschocks mißachtet und daher untaugliche Rezepte expansiver Nachfragepolitik empfohlen. Es mag trivial sein, kann aber kaum klar genug hervorgehoben werden, daß keynesianische Argumente, wie sie soeben beschrieben wurden, in diesem Fall keine Rolle spielen. Folglich können keynesianische Instrumente auch keine Verwendung finden. Dies ist in der jüngeren Diskussion sowohl von Monetaristen als auch von der neuen klassischen Makroökonomie zumindest implizit herausgearbeitet worden.
Die Frage, ob überhaupt Anpassungsmechanismen denkbar sind, ist nämlich noch nicht definitiv beantwortet. Es besteht auch hier die Möglichkeit, mit einem untypischen positiven Angebotsschock auf den untypischen negativen Nachfrageschock zu antworten.
Schaubild 17
113
Was nichts anderes bedeutet, als daß das "monetary management by the trade unions" das monetary management der Zentralbank bezüglich seiner Mengenwirkung gerade wieder aufhebt Per Saldo sinkt nur das Preisniveau, das Realeinkommen bleibt unverändert. Die Frage, ob das möglich und sinnvoll ist, charakterisiert die Debatte um rationale Erwartungen und damit die gesamte makroökonomische Kontroverse der jüngsten Zeit. Diese Frage soll hier zunächst zurückgestellt werden, wird aber bei der Diskussion der Geldpolitik in den Kapiteln IV und IX eine überragende Rolle spielen. Zusammenfassend bleibt für dieses Kapitel festzuhalten, daß Angebotsund Nachfrageschocks sowohl auf mikro-, als auch auf makroökonomischer Ebene sehr differenziert zu behandeln sind, und daß das Postulat der Preisflexibilität keinesfalls ausreicht, um Anpassungsprozesse zu beschreiben. Mengenveränderungen können in vielen Fällen auch bei flexiblen Preisen nicht ausgeschlossen werden; in anderen ist die Art von Preisflexibilität, die denkbare Lösungen verspricht, etwas dem marktwirtschaftlichen System äußerliches und deshalb in einer positiven Analyse nur mit Vorsicht einzusetzen.
Bis zu diesem Punkt wurden nur reine externe Schocks behandelt und keineswegs schon realistische Kombinationen solcher Schocks. Doch die theoretische Vorarbeit war unumgänglich, wenn man sich komplexeren praktischen Fragen widmen will. Da die Logik der Schocks in reiner Ausprägung aber klar zutage tritt, bietet ihre Anwendung auf kompliziertere Phänomene der Wirklichkeit kein Problem mehr.
114
IV
Die wichtigsten Schocks und ihre Folgen
IV. 1
Die Logik des Ölpreisschocks
Die Behandlung der Ölpreisexplosionen wird bei der Analyse konkreter Schocks und ihrer Folgewirkungen den weitaus breitesten Raum einnehmen. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen lassen sich an den Erfahrungen mit den Ölpreisschocks in den 70er Jahren theoretisch und praktisch die Probleme unterschiedlicher Anpassungsmechanismen und Politikreaktionen in hervorragender Weise exemplarisch zeigen. Zum anderen leistet die Analyse der Ölpreisschocks den wichtigsten Beitrag für die Erklärung der tatsächlich eingetretenen Fehlentwicklungen - hier vor allem illustriert anhand der Phillipskurven der wichtigsten Industrieländer. Diese Erklärung schließlich hat auch heute noch eine erhebliche Bedeutung für die optimale Ausrichtung der Wirtschaftspolitik.
Gegenüber dem theoretischen Modell des reinen Angebotsschocks aus Abschnitt III.2 ist eine realitätsnahe Erklärung der mit den Ölpreisexplosionen einhergehenden wirtschaftlichen Fehlentwicklungen vor allem um zwei Gesichtspunkte zu erweitern. Erstens, es muß die Annahme aufgegeben werden, daß die Ölförderländer regional und sektoral die gleiche Konsum-Ausgabenstruktur (Warenkorb) haben wie die Wirtschaftssubjekte der "benachteiligten Industrieländer. Zweitens, es muß die Annahme aufgegeben werden, daß die Ölförderländer eine identische Ausgabenneigung haben wie die Industrieländer, d. h., die Möglichkeit der Überlagerung des reinen Angebotsschocks durch einen Nachfrageschock infolge einer geringeren Ausgabenneigung der "begünstigten Ölförderländer muß eingeräumt werden. Was nichts anderes 115
bedeutet, als daß im Gefolge der Ölpreisexplosion die Weltsparquote steigt. Zum ersten Komplex: Wenn die vom negativen Angebotsschock begünstigten Länder zwar eine ebenso hohe Nachfrage entfalten, wie sie. die Konsumenten und Investoren ohne Angebotsschock im Inland realisiert hätten, aber andere Güter und Gütergruppen als diese nachfragen, entsteht im Gefolge des Angebotsschocks ein Struktureffekt, dessen Auswirkungen auf die Beschäftigung nicht umstritten sein sollte. Auf der Ebene der Unternehmen und Branchen bedeutet das nämlich nur jeweils positive oder negative Nachfrageschocks, wie sie in Abschnitt II.2 untersucht worden sind. Bei rigiden Nominallöhnen und Mobilität der Arbeitskräfte bleibt die Gesamtbeschäftigung unverändert, es vollzieht sich im Grunde nichts anderes als die übliche intersektorale und interregionale Anpassung, wie sie den Gesamtprozeß des Strukturwandels in offenen Gesellschaften kennzeichnet.
Bei echter Lohndifferenzierung und Immobilität würde der Effekt des Nachfragewandels nicht spürbar und die Beschäftigung bliebe ebenfalls unverändert, da die positiven und negativen Nachfrageschocks unternehmensintern bewältigt werden könnten. Etwas anders ist die Situation bei eingeschränkter Mobilität der Arbeitnehmer, aber rigiden Nominallöhnen (die in diesem Fall durch Gewerkschaften durchgesetzt werden müssen). Dann könnte sich die Gesamtmenge der Beschäftigung vermindern, weil auf der einen Seite die von der Nachfrageveränderung benachteiligten Unternehmen Arbeitskräfte entlassen, während auf der anderen Seite die begünstigten Unternehmen Arbeitskräfte suchen, aber nicht in ausreichendem Maße finden. Inwieweit dieses Phänomen bei 116
einem negativen Angebotsschock tatsächlich auftritt, müßte sich an einer gleichgerichteten Bewegung von Arbeitslosenzahl (steigend) und offenen Stellen (steigend) beobachten lassen. Mit anderen Worten: Die sogenannte Beveridge-Kurve des Industrielandes (die das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen darstellt) verschiebt sich nach rechts oben (Nord-Osten). Ein solches Phänomen ist - soweit Daten verfügbar sind - in keinem der größeren Industrieländer unmittelbar nach den Ölpreisexplosionen aufgetreten. In der Bundesrepublik zeig: Graphik 1
Graphik 1
Beveridge-Kurve für die Bundesrepublik Deutschland 1970 - 1988
•oo
V?
C
c. Arbeitslose (IL 1 000)
117
eindeutig eine Verschiebung auf der Kurve, also ein sinkendes Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen.1
Dieser Befund deutet darauf hin, daß Immobilität im Gefolge des Angebotsschocks keine entscheidende Rolle gespielt hat und daß Ölpreisexplosionen mit dem Modell des reinen Angebotsschocks nicht erschöpfend zu erfassen sind.
Einen weitaus kräftigeren Beleg für die letztere Hypothese liefert die Tatsache, daß die Ölpreisexplosionen mit anfänglich sehr hohen Leistungsbilanzüberschüssen der Ölförderländer und hohen Defiziten der Ölimportländer einhergingen. Offensichtlich hatte die OPEC kurzfristig weder genügend Konsum- noch Investitionsobjekte, um die Öleinnahmen vollständig für Ausgaben in den Industrieländern zu nutzen. Das heißt, die OPEC sparte einen erheblichen Teil der Einnahmen. Der daraus sich ergebende Anstieg der Weltsparquote bedeutet zusätzlich zu dem negativen Angebotsschock immer dann einen negativen Nachfrageschock, wenn es nicht via Zinssenkung gelingt, das potentiell überschüssige Kapitalangebot der Welt in Kapitalnachfrage, also Investitionen umzuwandeln. Die Zweifel, ob es zu einem prompten "Recycling" des Kapitals kommen würde, erledigte sich zwar sehr schnell, wie die
1
Daß es dennoch am Ende des Zeitraums zu einer ganz leichten Nord-Ost- Verschiebung der Kurve gekommen ist, darf nicht einem mism von Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage wegen mangelnder Mobili zugerechnet werden, sondern ist sicher Ausdruck von Siebeffekten langanhaltender Arbeitslosigkeit, also der allmählichen Dequalifizierung Arbeitslosen wege n der Arbeitslosigkeit und der geringen Zahl off Stellen. 118
entstandenen Leistungsbilanzsalden1 sichtbar machten, aber damit war nicht die Frage beantwortet, bei welchem Nachfrage-und Einkommensniveau das gelang. Das heißt, die keynesianischen Einwände gegen die Vorstellung einer friktionslosen Umwandlung des zusätzlichen Sparens in Investitionen sind auch dann zu beachten, wenn das erhöhte Kapitalangebot zu sinkenden Zinsen führt.
De facto kam es aber aus noch zu erörternden Gründen (Abschnitte IV.2 bis IV.5) nicht zu Zinssenkungen, sondern zu Zinserhöhungen in den Industrieländern. Damit war - unabhängig von den Ursachen dieser pathologischen Zinsentwicklung - klar, daß der neoklassische Anpassungsmechanismus nicht zum Zuge kam. Der den negativen Angebotsschock überlagernde negative Nachfrageschock war damit unabwendbar und in seinen Auswirkungen zunächst nicht abzufangen.
Eine solche Konstellation von Angebots- und Nachfrageschock kann die Wirtschaftspolitik vor ein Dilemma stellen. Wegen des endogen nicht auszugleichenden Nachfrageschocks sinkt die Beschäftigung, während praktisch gleichzeitig (bei geeigneten Preiselastizitäten von Angebot und Nachfrage) das Preisniveau - in der Realität: die Preissteigerungsrate -
1
Leistungsbilanzdefizite können nur entstehen, wenn die Gläubi länder bereit sind, Kredite zu geben. Daß sie Kredite geben, wenn sie genügend Investitionsprojekte haben, konnte aber eigentlich von Anfan keine Frage sein, denn ein Verweigern der Kreditgewährtmg hätte Ölimportländer zu einer sofortigen Substitution bzw. Einsparung von großem Ausmaß gezwungen. Ebenso klar ist, daß die Ölexporteure zusätzliche Einkommen nicht im eigenen Land ausgeben können, ohn ähnliche Effekte zu erzwingen. Insofern ist es schon erstaunlich, daß eine lange wissenschaftliche Debatte um die Chancen eines Recyclings Öleinnahmen geßhrt wurde. 119
steigen kann. Die Phillipskurve der Volkswirtschaft verschiebt sich nach Nord-Osten, das traditionelle keynesianische Instrumentarium ausgelegt auf eine stabile Phillipskurve - versagt. Doch das ist noch lange nicht das Ende der Geschichte.
Schaubild 18
120
IV.2
Rück- und Nachwirkungen des Ölpreisschocks
Die Folgewirkungen der Ölpreisexplosionen sind mit diesem Szenario bei weitem noch nicht vollständig erfaßt. Insbesondere blieb ungeklärt, wie es trotz weltweiten Kapitalangebotsüberschusses zu steigenden Zinsen kam. Dafür waren zwei Reaktionen entscheidend, die - mit unterschiedlichem Gewicht - in allen großen Ländern zusammen oder alternativ die ohnehin schon sehr schwierige Konstellation unlösbar machten.
Die erste betrifft die Lohnpolitik. In einer Reihe von Ländern, versuchten die Gewerkschaften, wie die empirische Analyse auch für die Bundesrepublik zeigt (vgl. auch die geschätzten Lohnfunktionen im Anhang), durch Anpassung der Nominallöhne an die infolge des Angebotsschocks höhere Preissteigerungsrate die Arbeitnehmer von der für die Volkswirtschaft unabwendbaren Realeinkommensverminderung freizustellen. Diese Reallohnrigidität, ausgelöst durch Nominallohnflexibilität, beantworteten die Unternehmen in der Regel mit noch höheren Preissteigerungen. Soweit dies gelang, bedeutete das einen 7usätzlichen (untypischen) negativen Angebotsschock.1 Im statischen Angebot-Nachfrage-Modell läßt sich das durch eine weitere Linksverschiebung der Angebotskurve (nach A * 3 ) zeigen, die wegen des fehlenden Produktivitätseffekts diesmal aber negative Beschäftigungseffekte bei unveränderter Nachfrage (N 2 ) hat.
1
Zur Bedeutung von Verteilungsänderungen
vgl. Abschnitt IVA.
121
Daraus folgt, daß sich die Situation der Volkswirtschaft weiter verschlechtert, denn im Schnittpunkt von A * 3 und N 2 ist das Preisniveau noch einmal höher und die Beschäftigung niedriger als nach den ursprünglichen Angebots- und Nachfragerückgängen. Gerade wenn es den Unternehmen also gelingt, die Nominallohnflexibilität durch Preiserhöhungen abzugleichen, die Reallöhne die ursprüngliche Anpassungslast also doch tragen müssen, ist der negative Beschäftigungseffekt unausweichlich, wenn die Geldpolitik eine solche Lohn-PreisSpirale nicht durch eine Ausweitung des Geldangebots akkommodiert. Die Phillipskurve wird noch einmal in nordöstlicher Richtung verschoben.
Schaubild 19 Ρ
P3
νA
122
V3
V2
Vi
Y
Die zweite mögliche Reaktion auf den Ausgangsfall betrifft die Geldpolitik selbst. Sowohl die aus den Angebotsschock sich ergebende höhere Preissteigerungsrate als auch die induzierte Lohn-Preis-Spirale kann die Geldpolitik veranlassen, das Geldangebot nicht nur unverändert zu lassen (bzw. unverändert steigen zu lassen), sondern es zu vermindern (weniger stark steigen zu lassen), um weiteren Gefährdungen der Preisstabilität vorzubeugen. Dann wäre ein weiterer (untypischer) negativer Nachfrageschock (N* 3 ) in das Modell einzufügen.
Schaubild 20 ρ
p*
p5
Y5
Yi
YI
Y
123
Mit dieser Nachfragedrosselung via Zinserhöhung gelingt zwar eine Moderation der Preissteigerungsraten, aber die Einkommens- und Beschäftigungseffekte sind unzweifelhaft negativ. Die Position der Volkswirtschaft auf der ohnehin weit nach rechts oben verschobenen Phillipskurve rutscht weiter deutlich nach rechts.
Erst mit diesem letzten Szenario dürfte die Realität der Zeit nach der ersten Ölpreisexplosion Mitte der 70er Jahre ausreichend abgebildet sein, um wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen zu ermöglichen. Nur diese komplexe Konstellation von Angebots- und Nachfrageschocks kann erklären, was zu dem Anstieg von Preisen und Arbeitslosigkeit geführt hat, den die tatsächlichen Phillipskurven für diese Zeit ausweisen (Graphik III*.2 im Anhang). Eine marktendogene Anpassung an diese Schocks im Sinne einer Rückkehr zum Ausgangsgleichgewicht war nicht mehr möglich. Das System konnte auf die Umkehrung des Zinsmechanismus' infolge restriktiver Geldpolitik und die Reallohnrigidität infolge Nominallohnflexibilität nur mit Mengeneinschränkungen antworten. Auch die Versuche, mit den Instrumenten der überkommenen keynesianischen Nachfragetheorie und -politik auf diese Situation zu reagieren, waren a priori zum Scheitern verurteilt.
IV.3
Zur Problematik der Lohnpolitik
Die Erörterung der Rolle der Lohnpolitik im Gesamtkomplex des negativen Angebotsschocks und seiner Folgen erfordert zunächst die Verarbeitung einer paradoxen theoretischen Ausgangssituation. Das Flexibilitätspostulat der neoklassischen Theorie hat sich nicht nur nicht
124
halten lassen, es wurde offenbar sogar in sein Gegenteil verkehrt. So zeigt sich nämlich einerseits, sowohl auf mikro- als auch auf makroökonomischer Ebene, daß rigide Nominallöhne bei flexiblen Güterpreisen die angemessene und effiziente Anpassung an Angebotsschocks leisten können. Rigide Nominallöhne passen andererseits weder auf mikronoch auf makroökonomischer Ebene zu dem Postulat flexibler Preise, da vermeintlich
Nominallohnrigidität
auf vermachteten
Märkten
pathologisch ist. Die Reallöhne sind beiflexiblen Güterpreisen ohnehin ein Marktergebnis. Darüber hinaus aber war gerade die "Annahme" rigider Nominallöhne der Hauptvorwurf neoklassischer Kritiker an die Keynessche Theorie.1
Flexible Nominallöhne aber, wie sie neoklassische Autoren fordern, schaffen u. U. gerade Reallohnrigidität, die nicht nur bei Angebotsschocks, sondern auch am neoklassischen Arbeitsmarkt pathologisch ist. Angesichts
dieser
hoffnungslos
verfahrenen
Arbeitsmarktanalyse
neoklassischer Prägung ist es notwendig, zwei zentrale Problembereiche aufzuarbeiten. Zum einen ist die Bedeutung von Nominallohnflexibilität, wie sie am klarsten in der Form einer Indexierung der Nominallöhne an das Güterpreisniveau auftritt, für Anpassungsprozesse zu prüfen. Zum anderen müssen Verteilungsänderungen, die bisher vernachlässigt wurden, in die Überlegungen einbezogen und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Arbeitsmarktungleichgewichte untersucht werden.
Die Diskussion um eine Ankoppelung der Nominallöhne an die Güterpreise durch Indexierung hat eine recht lange Tradition. Mit dem
1
Vgl. z. B. Meitzer (1981). 125
sich verstärkenden Inflationsdruck in den Industrieländern Anfang der 70er Jahre kam eine Diskussion in Gang, in der zumeist neoklassisch denkende Autoren eine Indexierung empfahlen, um die Allokationskosten der Inflation in Grenzen zu halten.1 In einer Reihe von europäischen Ländern, allen voran Italien und Frankreich, wurden strenge Indexierungsmechanismen von den Gewerkschaften nach der Ölpreisexplosion auch formal durchgesetzt. In anderen Ländern, wie der Bundesrepublik Deutschland, gab und gibt es eine de facto Indexierung, da in die Tarifabschlüsse neben dem erwarteten Produktivitätsanstieg auch ein erwarteter "unvermeidlicher" Preisanstieg eingeht.
In der neueren angelsächsischen Literatur spielt die Frage der Indexierung der Löhne an das Güterpreisniveau noch immer eine bedeutende Rolle. Untersuchungen von Gray und Fisher aus den Jahren 1976 und 1977 folgend2, hat sich als herrschende Lehre ein recht eindeutiges theoretisches Urteil herausgebildet, das Blanchard folgendermaßen zusammenfaßt:
"With no indexation, both nominal and real shocks affect output. Real shocks however, as they increase the price level, lead to a lower real wage, partly attenuating the effect of the shock on output. Full
126
1
Vgl ζ. B. Giersch '(1977),
2
Vgl. Gray (1976), Fisher (1977).
S. 277 ff
indexation protects the economy from nominal shocks but exacerbates the effects of real shocks as the real wage is fixed."1
Ein solches Gesamturteil zur Anpassung der Nominallöhne an das Preisniveau durch Indexierung ist, vor dem Hintergrund der hier angestellten Überlegungen, also auf der Basis einer Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, definitiv falsch zu nennen.
Richtig scheint allerdings die Aussage bezüglich der Angebotsschocks. Reallohnrigidität bei Angebotsschocks bedeutet aber in erster Linie eine Verminderung der realen Nachfrage bei unveränderter Geldmenge. Eine vollständige Indexierung bei negativen Angebotsschocks impliziert allerdings eine Verteilungsänderung zugunsten von Arbeit, wie sie auf der Basis der Grenzproduktivitätstheorie für Arbeitsmarktungleichgewichte verantwortlich gemacht wird. Die Ableitung von negativen Beschäftigungseffekten bei Reallohnrigidität ("untypischer Angebotsschock") kam jedoch auch ohne solche Effekte aus. Aber selbst wenn beim Übergang zu einem Indexierungsmechanismus temporäre Verteilungseffekte auftreten, ist das nicht von erheblicher Bedeutung, wie im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird.
Definitiv falsch ist jedoch die Aussage, daß Indexierung die Wirtschaft vor den Folgen von Nachfrageschocks schützt. Hier fällt die herrschende Lehre wiederum dem Postulat der flexiblen Preise in der Glcichge-
1
Blanchard (1987), S. 65. - Blanchard meint mit "nominal shocks " Nachfrage - und mit nreal shocks " Angebotsschocks. Eine fast gleicha Beschreibung der Auswirkungen von Indexierungsmechanismen b Nachfrageschocks findet sich bei Schultze (1985), S. 8 f. 127
wichtstheorie zum Opfer, das vorwegnimmt, was durch Indexierung erst in die Wirklichkeit umgesetzt werden soll, nämlich flexible Preise. In Abschnitt III.3 war gezeigt worden, daß der "normale" Rückgang der Preise (entlang der Angebotskurve) in Reaktion auf einen negativen Nachfrageschock nur Reflex des Mengeneffekts ist, nicht aber diesen verhindern und korrigieren kann. Dieser Preisrückgang mag bei Indexierung zu einer gewissen Anpassung der Löhne nach unten führen, die über einen untypischen positiven Angebotsschock einen gewissen positiven Mengeneffekt mit sich bringt. Ob dieser ausreicht, um zur alten Outputmenge zurückzukehren, ist abhängig von der Preiselastizität der Angebotskurve. Ist diese, wie es die keynesianischen Überlegungen zum mark-up-pricing nahelegen, weitgehend unelastisch im relevanten Bereich (Schaubild 7), dann gibt es keine Entlastung über Indexierung. Mit anderen Worten, wenn die Güterpreise in der Volkswirtschaft rigide sind, weil jedes einzelne Unternehmen vom Wettbewerbsprozeß vorgegebene Kosten zu tragen hat, kann man die Preise nicht dadurch flexibel machen, daß man die entscheidende Kostenkomponente durch die Preise korrigierbar macht, denn die Preise sind ja rigide, weil die entscheidende Kosienkomponente Lohn vor dem Entstehen des Nachfrageschocks nichtflexibel war. Das Postulat flexibler Preise, das hinter der Vorstellung von schmerzfreier Anpassung bei Nachfrageschocks steht, ist eben in dynamisch sich entwickelnden Wirtschaften, wie in Abschnitt II.2 gezeigt, nicht realistisch und damit auch, im Sinne relevanter Theoriebildung, nicht haltbar.
Besonders deutlich wird diese fehlerhafte Logik der Indexierungstheorie, wenn man eine Index-Koppelung der Nominallöhne an das Preisniveau vergleicht mit einer Indexierung an die Geldmenge, richtiger: das 128
Geldangebot. Von Schultze etwa werden - voller Konsequenz in der Konfusion - diese beiden Indexierungsarten gleichgesetzt.1 Eine Bindung der Nominallöhne an das Geldangebot aber konstituiert ein System, in dem Anpassung an den (mengenverändernden) untypischen Nachfrageschock gar nicht erforderlich ist, weil der Nachfrageschock von vornherein nicht wirksam werden kann. Unter einem solchen Regime wird natürlich uno actu der negative Nachfrageschock der Geldangebotsrestriktion vollständig kompensiert durch einen (untypischen) positiven Angebotsschock, so daß Mengenveränderungen ganz ausbleiben, wie in Schaubild 4 dargestellt. Die Preiselastizität der Angebotskurve spielt dabei keine Rolle, weil es immer einen Punkt gibt, bei dem die reine Lohn-Preissenkung des positiven Angebotsschocks die alte Ausbringungsmenge durch Ausweitung der realen Nachfragemöglichkeiten (der realen Geldmenge) wiederherstellt. Dies herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst der Theorie der rationalen Erwartungen, die im übernächsten Abschnitt ausführlich diskutiert wird.
IV.4
Verteilungsänderungen
In den bisherigen Überlegungen zu den Auswirkungen großer makroökonomisch wirksamer Schocks haben Änderungen in der Einkommensverteilung zwischen Arbeit und Kapital keine Rolle gespielt. Es hat sich allerdings zeigen lassen, daß das Entstehen von Arbeitslosigkeit im Gefolge von Nachfrageschocks (bzw. der Reduktion von realer Nachfrage durch Lohn-Preisschocks) auch unabhängig von Verteilungsän-
1
Schultze (1985), S. 8,9. 129
demngen erklärt werden kann. Das ist in der Literatur, die sich empirisch mit dem Phänomen der hohen Arbeitslosigkeit auseinandersetzt, auch nur wenig umstritten. Man konzidiert allgemein, daß ein Teil der Arbeitslosigkeit keynesianischer Natur, also letztlich nachfragebedingt ist. Allerdings sehen die meisten Autoren darüber hinaus einen Teil der Arbeitslosigkeit als klassisch an, den Teil nämlich, der durch "zu hohe Reallöhne" entstanden ist. Meßbar wird der als pathologisch anzusehende Teil der Reallöhne in der Regel durch ein Konzept gemacht, das der Sachverständigenrat schon seit den 60er Jahren benutzt, das sich in der internationalen Literatur aber erst seit Ende der 70er Jahre durchgesetzt hat: die Reallohnlücke (real wage gap) bzw. die Erhöhung der Reallohnposition in der Terminologie des Sachverständigenrates. Basis dieses Konzepts ist die neoklassische Grenzproduktivitätstheorie,
die
auf
volkswirtschaftlich
relevante
Durchschnittsgrößen übertragen wird. Trotz der unbestreitbaren Erfolge dieser Theorie in der Literatur der 80er Jahre1, hat es in jüngerer Zeit doch einige fundierte Kritik an dem Ansatz sowohl aus theoretischer wie auch aus empirischer Sicht gegeben.2 Im Gesamtkontext der hier vorgelegten Analyse läßt sich recht eindeutig zeigen, daß mit dem Konzept der "Reallohr,lücke" weder empirisch noch theoretisch entscheidende Erklärungslücken zu schließen sind.
Nehmen wir den einfachen Ausgangsfall eines negativen Angebotsschocks und Nominallohnflexibilität, die zu einer gewissen Anpassung
1
2
VgL insbesondere Sachs (1983) sowie Bruno/Sachs (1985).
So z.B. Solow (1986) oder Helliwell (1987). 130
(1988) sowie Coen/Hiclcman
der Nominallöhne an das (ölpreisbedingt) höhere Preisniveau führt. Bisher war an dieser Stelle unterstellt worden, daß die Unternehmen dies für eine nochmalige Preiserhöhung nutzen können, so daß der untypische negative Angebotsschock entsteht, der einen negativen Beschäftigungseffekt unumgänglich macht. Ziehen wir diesen Prozeß etwas auseinander, um zu sehen, welche Rolle eine temporäre Verteilungsänderung für den Beschäftigungseffekt spielt. Nimmt man an, daß es den Unternehmen nicht gelingt, die Nominallohnerhöhung in den Verkaufspreisen ihrer Güter weiterzugeben, dann ergibt sich eine Verschlechterung ihrer Verteilungsposition, die Reallohnlücke wird sichtbar. Ohne Zweifel hat diese Nominallohnerhöhung die Gewinnsituation verschlechtert und damit auch die Gewinnerwartungen sowie die Investitionsneigung negativ beeinflußt. 1 Doch die Beschäftigung betrifft das in keiner Weise. Da nur eine Umverteilung zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen stattgefunden hat, bleibt die Gesamtnachfrage der Volkswirtschaft unverändert und damit auch die Produktion und das Beschäftigungsniveau, denn die Unternehmer können ihre Situation nicht dadurch verbessern, daß sie wegen der verschlechterten Gewinnlage ihre Produktion trotz unveränderter Nachfrage drosseln. Die Reallohnlücke geht also einher mit unveränderter Beschäftigung.
1
Daß die negativ beeinflußte Investitionsneigung längerfristig negativen EinfJuß auf die Wachstumsrate des Realeinkommens haben wird nicht bestritten. Nur muß klar sein, daß diese kapitalseitig verur Verminderung des Wachstumstrends wiederum keinen Einfluß au Beschäftigung hat, da sich die Intensität der positiven Angebotsschoc Zeitablauf verringert, was lediglich Auswirkungen auf die Wachstum von Arbeitsproduktivität, Preisen und Realeinkommen mit sich bring 131
Dieser aus der Sicht einiger neoklassischer Arbeitsmarktansätze erstaunliche Vorgang kann mit der mark-up-Hypothese plausibel gemacht werden. Anders als beispielsweise im Rahmen der Annahme der Grenzproduktivitätstheorie bedeutet bei der mark-up-Hypothese eine Verteilungsänderung in der Regel nicht einen Verlust pro Stück, sondern nur einen geschmälerten Gewinn pro Stück (also ein vermindertes mark-up), der keineswegs eine Produktionseinschränkung verlangt Es wird also weder mit der Fiktion gearbeitet, daß die Unternehmen das Grenzprodukt der Arbeitnehmer exakt kalkulieren und dem jeweiligen Lohn zurechnen können, noch mit der Fiktion, daß die Unternehmen im Ausgangszustand gewinnlos arbeiten, wie das die Gleichgewichtslogik der üblichen neoklassischen Ansätze verlangt. Die Beschäftigungsneutralität der Verteilungsänderung zeigt sich auch formal in terms der Quantitätstheorie, denn in der Beschäftigungsgleichung:
E =
M - ρ-e
wird keine Größe verändert
Die Beschäftigungsgleichung zeigt aber, daß es in jedem Fall zwei denkbare Ausweichreaktionen der Unternehmen gibt. Sie können die Preise erhöhen oder Anstrengungen unternehmen, um - bei gleicher Ausbringungsmenge - produktiver zu arbeiten, also die durchschnittliche Produktivität (im Rahmen der Grenzproduktivitätstheorie: die marginale Produktivität) zu erhöhen. Zwar sind diese beiden Möglichkeiten in einem dynamischen Marktsystem keineswegs gleichberechtigt, der Einfachheit halber kann man von den Einwänden gegen solche
132
Mechanik aber einmal absehen.1 Gelingt den Unternehmen die Korrektur
der Einkommensverteilung
über Preise
(p)
und/oder
Produktivität (e), sinkt bei unveränderter Nachfrage (M) die Beschäftigung. Die Reallohnlücke verschwindet. Das ist ein erstaunlicher Befund: Das Entstehen des pathologischen Phänomens (Reallohnlücke) hat keinen Beschäftigungseffekt; die Beseitigung dieses Phänomens aber vermindert das Beschäftigungsniveau. Folgt daraus, daß die Verteilungsänderung Ursache des Beschäftigungsverlustes ist?
Es hat auf diese Frage eine scheinbar sehr einleuchtende Antwort der neoklassischen Theorie gegeben. Es wurde - unmittelbar der Grenzproduktivitätstheorie folgend - behauptet, daß der Druck "zu hoher Reallöhne" via Substitution von Arbeit durch Kapital zu einer "zu hohen Arbeitsproduktivität" führt, die - bei den gegebenen Wachstumsmöglichkeiten (gegebenem Kapital in der Grenzproduktivitätstheorie) der Volkswirtschaft - Arbeitslosigkeit erzeugt, ohne daß die aktuelle Reallohnposition das anzeigt.2 Man hat folgerichtig die zu beobachtende Produktivität bereinigt, um eine Vollbeschäftigungsproduktivität zu erhalten. Das ist eine Antwort und ein methodisches Vorgehen, die aus
1
Daß Produktivitätserhöhungen bei gleicher Produktionsmeng notwendig sind, um den Effekt zu erzeugen, darf nicht darüber hinwe schen, daß der einzelne Unternehmer, der eine Innovation durchsetzt, dem gesamtwirtschaftlichen Effekt beiträgt, in einem konkreten M keineswegs in der Lage sein muß, diese auch in höhere Gewinne umzu zen. Möglicherweise ist er gezwungen, seine Preise zu senken, um m Konkurrenten, die ebenfalls rationalisieren, mitzuhalten oder er ve seinen Marktanteil zu erhöhen. In keinem dieser Fälle muß die Beschä gung vermindert und das alte Gewinniveau wiederhergestellt werden 2
Vgl z.B. Giersch/Wolter
(1983), Roth (1983) oder Sachs (1983). 133
einer Reihe von Gründen im Rahmen einer dynamischen Theorie der Marktwirtschaft unhaltbar und auch mit anderen Positionen der neoklassischen Theorie nicht vereinbar ist. Zunächst folgt aus der temporären Verteilungsänderung zugunsten der Arbeitnehmer keineswegs, daß die relativen Preise von Arbeit und Kapital sich ändern. Wenn die Unternehmen erwarten, sehr bald wieder die alten Verteilungsrelationen erreichen zu können, haben sie keinen Anlaß, ihre Investitionsentscheidungen in Richtung stärkerer Kapitalintensivierung neu zu orientieren. Aber selbst wenn sie das täten, folgt daraus in einer dynamischen Wirtschaft keineswegs ein Beschäftigungsrückgang, sondern es kann zu einer Nachfrageausweitung im Zuge des mit der Rationalisierung verbundenen positiven Angebotsschocks kommen. Die Theorie der relativen Preise und der Substitution von Arbeit durch Kapital ist exakt nur auf einer (stationären) Isoquante anwendbar.1 Zudem folgt aus der obigen Ableitung nicht zwingend, daß
1
Vgl auch die klare Analyse der neoklassischen Positionen in ein gesamtwirtschaftlichen Kontext bei Koll (1988), S. 30 ff; insbesonder dort vorgeführten Grenzen der Aussagekraft neoklassischer Arbeitsm theorien ist bemerkenswert. So ist die Grenzproduktivitätstheorie n Spezialfall der Theorie der Verteilungsänderungen, bei dem die Verte änderung wegen der Anpassung der durchschnittlichen Reallöhne an marginale Produktivitätsänderung ein Nebeneffekt des Beschäftigungs bei konstanten Sachkapazitäten ist Zu zeigen, inwieweit sich aus die partialanalytischen Modellkonstruktion gesamtwirtschaftlich rele Schlußfolgerungen ableiten lassen, ist bisher von den Vertretern di Theorie versäumt worden. Ungerechtfertigt ist es auch, Keynes ' Anerk der (unbestreitbaren) Richtigkeit dieser Theorie innerhalb ihrer e logischen Grenzen als Beleg für die notwendige Ergänzung der keynes schen Theorie um dieses neoklassische Element zu nehmen, wie es in sogenannten neoklassischen Synthese geschehen ist. VgL ζ. B. Gross (1973). 134
die Produktivität zu hoch ist, es folgt mit der gleichen Berechtigung, daß die Preise "zu hoch" sind, wenn die Unternehmen mit Preis- statt mit Produktivitätsanpassungen reagieren. Welche Theorie erklärt Arbeitslosigkeit infolge "zu hoher Preise"? Besonders eklatant wird die Fragwürdigkeit der neoklassischen Hypothese, wenn man sich die Lösungsmöglichkeiten für eine Situation ansieht, in der - wie oben beschrieben - nach Ausgleich der Reallohnlücke eine hohe Arbeitslosigkeit weiterbesteht. Nominallohnsenkung alleine, also eine Verbesserung der Gewinnsituation der Unternehmen bei konstanten Preisen und konstanter Produktivität, kann die Beschäftigung nicht verbessern, da die Gesamtnachfrage (M) nicht steigt. Eine Preissenkung allerdings brächte - ob mit oder ohne begleitende Nominallohnsenkung - eine Nachfrageerhöhung und damit einen positiven Beschäftigungseffekt. Desgleichen würde mit einer Produktivitätsverminderung bei unveränderter Nachfrage die Arbeitsnachfrage der Unternehmen angeregt. In diesen Fällen träte also genau das der neoklassischen Hypothese entgegengesetzte Ergebnis ein: Verschlechterung der Verteilungssituation der Unternehmen und Verbesserung der Beschäftigungssituation. Wiederum ergibt sich dieser Effekt sowohl als Folge der Preissenkung wie als Folge der Produktivitätssenkung, was zeigt, daß es für Lösungen des Beschäftigungsproblems auf eine Verminderung der Effizienz des Kapitaleinsatzes nicht ankommt. Im Gegenteil, Produktivitätsrückgänge (Mindersteigerungen) wären selbst dann die suboptimale (defensive) Lösung, wenn sichergestellt werden könnte, daß sie nicht zu Einkommensrückgängen (via steigende Preise) führen. Letzteres ist aber nicht beeinflußbar, weil (endogenes) Marktergebnis. 135
Generell leidet die neoklassische Analyse des Arbeitsmarktes darunter, daß sie Partialanalyse war und ist. Die Konstruktion eines vom Gütermarkt getrennten Arbeitsmarktes, auf dem nur noch reale Preise wie der Reallohn über den Einsatz der Produktionsfaktoren bei sonst unveränderter Umwelt entscheiden, setzt eine Stabilität der Güter- und Geldsphäre voraus, die - wie selbst die konsequentesten (aber auch konsistent argumentierenden) neoklassischen Theoretiker herausgearbeitet haben1 - in real existierenden Systemen nicht zu erwarten und im Zuge der dynamischen Entwicklung von offenen Gesellschaften auch nicht erwünscht ist. Die Partialanalyse wird erst überwunden, wenn Geld bzw. Nachfrage in das wirtschaftliche Modell eingeführt wird. Dieser Schritt aber verändert, wie schon Marshall und Schumpeter wußten2 , die Methode und das Ergebnis der Analyse vollständig. Für die empirische Überprüfung der Auswirkungen von Angebots- und Nachfrageschocks und die in diesem Zusammenhang unumgängliche Frage nach der Funktionsweise bzw. dem Versagen der vorhandenen Anpassungsmechanismen sind die oben angestellten methodischen und theoretischen Überlegungen von enormer Bedeutung. Allzu unkritisch werden bis in die jüngste Vergangenheit hinein nur partiell gültige Thesen empirisch getestet, und es werden scheinbar global gültige Schlußfolgerungen aus solchen Untersuchungen abgeleitet. Zwar wird im
136
1
VgL dazu den nächsten Abschnitt
2
VgL Marshall (1920), S. 437, Schumpeter (1954), S. 942.
Anschluß an den äußerst wichtigen Artikel von Solow1 immer häufiger betont, daß vor allem die wage gap-Analysen keine generelle Gültigkeit beanspruchen können und keine wirtschaftspolitischen Folgerungen zulassen, weil sie nur Tests partieller Wirkungszusammenhänge sein können, die Rückwirkungen über andere Märkte völlig außer acht lassen.2 Dennoch wird Ergebnissen von Tests, die Zusammenhänge zwischen Reallohnlücke und Beschäftigung bestätigen, ein gewisses Gewicht zugemessen. Das Zugeständnis, wenigstens ein Teil der zu beobachtenden Arbeitslosigkeit sei "klassischen" Ursprungs, ist kaum zu vermeiden, wenn nicht konsequent die Angebots- und Nachfragewirkungen von Reallohnlücken analysiert werden.3
Die generelle Problematik aller vorliegenden empirischen Untersuchungen läßt sich leicht an einem historischen Beispiel demonstrieren. Die folgende Graphik 2 zeigt die Entwicklung des nominalen Bruttoinlandsprodukts, also der effektiven Geldmenge (Geldmengenveränderung
1
Vgl Solow (1986).
2
In diesem Sinne sehr deutlich Coen/Hickman (1987) und Helliwe (1988). Angesichts dieser klaren Relativierungen in der internationa Literatur grenzt es an Absurdität, wenn Vaubel meint, aus der Existenz n über 20" wage gap-Untersuchungen eindeutige Ergebnisse in Richtu Reallohnsenkung ableiten zu können. S. Vaubel (1988). 3
Bei Coen/Hickman findet sich zwar ein Hinweis auf die Bedeutu der Rückwirkung von Preissteigerungen auf die reale Geldmenge, ohn daraus aber weitergehende Schlußfolgerungen gezogen werden. Die A verbauen sich diesen Zugang trotz ihrer im übrigen herausragenden An da sie eine feste Profitrate als Maßstab ßr günstige Angebotsbedingu unterstellen, anstatt einer Anpassung der Zinsen an die unter Umstän längerfristig sinkende Profitrate. Vgl Coen/Hickman (1987), S. 135 137
minus Veränderung der Umlaufgeschwindigkeit) abzüglich der Nominallohnsteigerungen (M - w) und die Entwicklung der Beschäftigung (E) in Großbritannien.
Graphik 2
Nachfrage, Löhne und Beschäftigung Großbritannien 1970 = 100 105 n
100
9C
M(eff. J-w
19^C 1972 1974 1 976 1978 ^96C 1962 i » 1966 198B 1971 1973 1975 1977 1979 196" 1963 1965 1967
138
Aus den Gleichungen (1) und (2) ergibt sich: E
=
M -w
im Falle von Gleichverteilung der Einkommenszuwächse auf Arbeit und Kapital. Abweichungen der Beschäftigungsänderungen von der Differenz der Entwicklung von Geldmenge und Nominallöhnen sind nur möglich bei Verteilungsänderungen. Der Abstand der beiden Kurven zeigt also nichts anderes als das Ausmaß von Verteilungsänderung, d.h. das Entstehen von Reallohnlücken. Interessant ist nun insbesondere der Zeitraum um die Jahre 1974/75. Durch extrem hohe Nominallohnzuwächse (mit +31% die höchste Zunahme im Jahre 1975), mit denen die Preissteigerungsrate nicht Schritt halten konnte (+23% in der Spitze im Jahre 1975) sowie einer sinkenden Produktivität (-2% 1974 und -0,5% 1975) entstand eine sehr große Reallohnlücke. Gleichzeitig sank die Beschäftigung, wenn auch verhältnismäßig wenig. Eine empirische Untersuchung auf der Grundlage des nur partialanalvtisch einfachen Zusammenhangs von Verteilungsänderung und Beschäftigung muß zu dem Ergebnis kommen, daß der Rückgang der Beschäftigung auch (oder sogar vollständig) von den nzu hohen Reallöhnen" verursacht wurde. Die gesamtwirtschaftliche Deutung aber sieht anders aus. Diese kann nämlich nur zu dem Schluß kommen, daß gerade das Entstehen der wage gap einen wesentlich größeren Beschäftigungseinbruch verhindert hat. Denn wären die Preise im vollen Ausmaß der Lohnerhöhungen angestiegen, wäre der dadurch ausgelöste negative Nachfrageschock bei der gegebenen Geldversorgung (Verminderung der realen Geldmenge) wesentlich größer gewesen. In den Jahren 1980 bis 1983 zeigte sich eine
139
solche Entwicklung: starke Beschäftigungsabnahme ohne eine Vergrößerung der Reallohnlücke. Das entscheidende Problem der beiden Phasen, in denen die Beschäftigung abnahm, war der Konflikt von Geld- und Lohnpolitik, nicht eine Änderung der Verteilungsposition. Besonders deutlich wird das in der Rezession, die dem zweiten Ölpreisschock von 1979 folgte. Obwohl die Reallöhne weit weniger stark stiegen und die Verteilungsposition der Unternehmen sich weit weniger verschlechterte als nach 1975, war der Beschäftigungseinbruch (mit -1 vH 1980, -3,4 vH 1981, -1,9 vH 1982, 0,6 vH 1983) um ein vielfaches größer als nach der ersten Ölpreisexplosion (-0,6 vH 1975, -0,7 vH 1976). Zuzuschreiben ist das eindeutig der entschlosseneren Restriktion der Geldpolitik.1
Ganz anders in der Bundesrepublik (Graphik 3). Für die Jahre 1974/75 zeigt sich ein ähnliches Bild, nämlich das Entstehen einer Reallohnlükke. Nach Beginn des Aufschwungs im Jahre 1983 wird jedoch in der Bundesrepublik die Verteilungsposition zugunsten der Unternehmen deutlich korrigiert, womit bei gegebenem Geldangebot der für Beschäftigungsexpansion zur Verfügung stehende reale Finanzierungsspielraum geschmälert wurde. Die Beschäftigung ist weit schwächer als in Großbritannien gestiegen, sie bleibt noch weit unter dem Stand des Jahres 1970.
1
kräftig 140
Von 1983 bis 1988 stieg in Großbritannien die Beschäftigung wie an und hatte 1988 den Stand von 1970 sogar überschritten.
Graphik 3
Nachfrage, Löhne und Beschäftigung Bundesrepublik Deutschland 1970 = 100
Noch einmal anders das entsprechende Bild der USA:
Graphik 4 Nachfrage, Löhne und Beschäftigung USA 1970 = 100
Dank rigider Nominallöhne ist es über den ganzen Zeitraum gesehen überhaupt nicht zu einer nennenswerten Verteilungsänderung gekommen. Selbst in den Jahren 1974/75 blieben die Nominallohnerhöhungen in den USA in einem vergleichsweise engen Rahmen (etwa 8 vH in beiden Jahren). Unbelastet von Verteilungsänderungen in beiden Richtungen konnte in den USA eine extrem expansive Politik betrieben werden, die einen langen Beschäftigungsboom erlaubte. Dabei waren die durchschnittlichen
Nominallohnsteigerungen
über
den
gesamten
Zeitraum gesehen exakt genauso groß wie in der Bundesrepublik 142
(+6,3%). Die effektive Nachfrage (M) stieg allerdings um fast 9% in den USA und nur um 6,3% in der Bundesrepublik. Ein Beschäftigungszuwachs wäre daher in der Bundesrepublik bei unveränderten monetären Bedingungen nur möglich gewesen, wenn sich die Verteilungsposition der Unternehmer per Saldo verschlechtert hätte. Zusammenfassend ist festzustellen, daß Verteilungsänderungen im Gesamtzusammenhang
der
schockartigen
Entwicklungen
in
der
Weltwirtschaft keine bedeutende Rolle zukommt. Das zeigt sich auch schon daran, daß unmittelbar nach den großen Schocks Länder mit großen Verteilungsänderungen zuungunsten der Unternehmen (Großbritannien und die Bundesrepublik) in ganz ähnlicher Weise ihre Phillipskurve und die Position auf der Phillipskurve änderten wie Länder, in denen es keinerlei Änderungen der Verteilung gegeben hat wie in den USA ζ. B.
Daß aber auch eine Korrektur der Verteilung lange nach den ursprünglichen Schocks keine stärkere Beschäftigungsexpansion impliziert als die Konstanz eines einmal erreichten Verteilungsniveaus, zeigen - komparativ - die Bundesrepublik und Großbritannien. Theoretisch war das nahezu selbstverständlich. Die längerfristige Bedeutung von Verteilungsänderungen schließlich ist auch schon deswegen zu vernachlässigen, weil sich die die Unternehmen begünstigenden Aufschwünge (Verkäufermärkte) mit den die Arbeitnehmer begünstigenden Abschwüngen (Käufermärkte) über Zyklen hinweg weitgehend ausgleichen. Längerfristig unterliegt in fast allen großen Ländern die Verteilungsrelation keinem Trend. Diese Beobachtung hat erhebliche Implikationen für die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung und die optimale wirtschafts143
politische Strategie und wird daher in den folgenden Kapiteln noch mehrmals aufzugreifen sein.
IV.5
Zur Problematik der Geldpolitik
Geldpolitik hat bis zu diesem Punkt der Analyse schon eine bedeutende Rolle für die Aussagen über unmittelbare und mittelbare Auswirkungen von Angebots- und Nachfrageschocks gespielt. Doch erst jetzt soll sie systematisch in den Gesamtkontext eingeordnet und - unter Bezug auf konkurrierende Theorien der Wirksamkeit von Geldpolitik - konsistent und konsequent zu einem theoretischen Ende geführt werden. Die Bezugnahme auf unterschiedliche Theoriesysteme ist unumgänglich, weil weiterhin die alte klassische Vorstellung vom Geld, das als Schleier über den realen Vorgängen liegt, auch makroökonomisches Denken beeindruckt. Die Aufhebung der Trennung von Geld- und Werttheorie, die sich schon Keynes zum Ziel gesetzt hatte, harrt noch immer der Verwirklichung. Die Rolle der Geldpolitik bei der Bewältigung von reinen Angebotsschocks ist eigentlich zu vernachlässigen. Wenn die Reallohnanpassung über rigide Nominallöhne gelingt, genügt es in der Regel für die Geldpolitik, ihren Kurs unverändert beizubehalten. Dabei muß sie die einmalige Preisniveauwirkung, die der Angebotsschock hat, als das nehmen, was es ist: Ein Preisniveaueffekt aufgrund einer Änderung der
144
relativen Preise infolge von Knappheitserscheinungen.1 Während aber der Preisniveaueffekt dauerhaft ist, das Preisniveau also dauerhaft höher (bei negativem Schock) bleibt als ohne den Angebotsschock, gilt das für die in den westlichen Industrieländern relevante Zielgröße "Preissteigerungsrate" nicht. Sie steigt nur vorübergehend und sinkt dann bei Abwesenheit von Indexierungsmechanismen wieder auf ihre Ausgangsrate.
Die Nominalzinsen bleiben bei einer unveränderten Geldangebotsausweitung auf dem Ausgangsniveau, da dem Anstieg des Preisniveaus ein Rückgang der realen Inlandsnachfrage entspricht, so daß die transaktionsbedingte Geldnachfrage keinen großen Schwankungen ausgesetzt ist.2 Der mit dem Preisniveaueffekt verbundene Rückgang des Realzinses bei grosso modo unverändertem Nominalzins muß von den Kapitalanbietern ebenso hingenommen werden wie der Rückgang der Reallöhne von den Arbeitsanbietern. Auch hier würden die in den 70er Jahren
1
Daß sich die von einigen neoklassisch denkenden Autoren vertret Vision des konstanten Preisniveaus nicht verwirklichen läßt y war (Abschnitt III.2) erklärt worden. 2
Ob es wegen steigender Opportunitätskosten der Kassenhaltung darüber hinaus zu spekulationsbedingten oder sonstigen Veränderunge Geldnachfrage kommt, ist theoretisch gar nicht und empirisch nic schlüssig zu beantworten. Anfang der 70er Jahre gingen zwar die h Inflationsraten mit einem Anstieg der Umlaufgeschwindigkeit (Abnahm Geldnachfrage) einher; nach den Ölkrisen wurde dieser Effekt womöglich durch Effekte aufgrund des Vorsichtsmotivs überlagert eindeutig ist dagegen der Anstieg der Geldnachfrage in Phasen g Konjunktur; geringer Preissteigerungsraten und starken Aufwert erwartungen für die D-Mark, wie es 1968, 1978 und 1987 der Fall w Aber auch daraus lassen sich keine allgemeingültigen Schlußfolgerun ziehen. 145
vielfach vorgeschlagenen Indexierungsmechanismen in die falsche Richtung führen, da sie die Renditeerwartungen solcher Investoren, die nicht mit Kapitalanbietern gleichzusetzen sind, negativ beeinflussen und die übrigen Investoren nur zu Finanzanlagen anregen. Die Bedeutung der Geldpolitik bei der Anpassung an und bei der Entstehung von negativen Nachfrageschocks ist weit schwerer zu fassen. Einerseits war oben konstatiert worden, daß die Geldpolitik bei typischen Nachfrageschocks (Anstieg der Sparquote) eine passive Rolle spielen kann, wenn der klassische Mechanismus sinkender Zinsen via steigendem Kapitalangebot idealtypisch arbeitet; andererseits spricht vieles dafür, daß die Geldpolitik diesen Mechanismus selbst beeinflussen und sogar in sein Gegenteil verkehren kann. Daneben ist kaum bestreitbar, daß es für Veränderungen des Geldangebots wiederum Kompensationen geben kann, so daß die Wirksamkeit von Geldpolitik generell aufgehoben wird. In der theoretischen Literatur der vergangenen zwei Jahrzehnte1 hat kaum eine Frage eine größere Rolle gespielt, als die nach der Wirksamkeit geldpolitischer Schocks auf das reale Geschehen. Doch obwohl die logische Struktur des Problems tiefgehend durchdrungen ist, hat die herrschende Gleichgewichtstheorie keine befriedigende Erklärung für die in real existierenden Marktwirtschaften zu beobachtenden Abläufe geben können. Man nähert sich der Frage, ob und wie geldpolitisches Handeln die realen Anpassungsprozesse beeinflußt, am besten durch die Konstruktion
1
Also etwa seit Friedman 's berühmtem Artikel: Policy' " von 1968\ Vgl. Friedman (1968). 146
"The Rôle of Mone
eines theoretischen Idealmodells und prüft, ob dessen Anwendungsvoraussetzungen gegeben sind. Das ist auch der Weg, den die moderne Neoklassik gegangen ist.
Beginnen wir noch einmal mit den unmittelbaren und mittelbaren Folgen eines negativen Nachfrageschocks aus neoklassischer Sicht. Bei idealtypischer Funktionsweise des klassischen Zinsmechanismus\ also einer "ausreichenden Zinsflexibilität" bzw. ausreichender Zinselastizität der Kapitalnachfrage, gibt es den typischen Nachfrageschock nicht. Statisch betrachtet bedeutet das: Immer kann die gesamte geplante Ersparnis via Zinssenkung mit der geplanten Investition so in Einklang gebracht werden, daß das Einkommensniveau (auch kurzfristig) konstant bleibt. Dynamisch betrachtet folgt daraus: Eine dauerhaft höhere Ersparnis im Verhältnis zum Einkommen führt zu dauerhaft höheren Investitionen, so daß (auf längere Sicht) die Wachstumsrate des Realeinkommens höher ist als bei geringerer Sparquote. Probleme des Übergangs vom stationären Zustand zum Wachstumsprozeß bleiben ebenso außer Betracht wie Friktionen der Anpassung. In einer solchen Welt kann es negative Nachfrageschocks nur als Folge geldpolitischer Kontraktion geben (untypische Nachfrageschocks). Doch auch das ist nicht selbstverständlich.
Die Art und Weise, wie sich Veränderungen der linken Seite der Quantitätsgleichung (M) auf der rechten Seite (y ρ ) niederschlagen, hängt - mechanisch betrachtet - offensichtlich von der Flexibilität bzw. Trägheit ab, mit der y oder ρ auf Veränderungen von M reagieren. Wenn in Reaktion auf jede Schwankung von M sich das Preisniveau ρ gleich stark verändert, ist das klassische Postulat des Geldes als Schleier 147
jederzeit
realisiert,
die
Mengenbewegungen
der
Volkswirtschaft
unterliegen nur noch realen Einflüssen. Da Schocks jeder Art dann von vorneherein ausgeschlossen sind, kann es auch keine gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte geben, denn die Anpassungsfähigkeit des Marktes wird nicht überfordert. Sichtbare unbeschäftigte Bestände an Produktionsfaktoren und Vorleistungen werden von den Marktteilnehmern freiwillig vorgehalten, um kurzfristigen Friktionen begegnen und spekulative Möglichkeiten ausnutzen zu können. Soweit das Arbeitskräfte betrifft, nennt man den Bestand die "natürliche Arbeitslosigkeit". Man macht es sich zu einfach, wenn man einem solchen Modell schlicht Realitätsferne attestiert und zur Tagesordnung übergeht. Es ist in seiner Konsequenz und Konsistenz das makroökonomische Korrelat des allgemeinen walrasianischen Gleichgewichts und als solches nicht weniger wichtig, um zu klären, was Statik von Dynamik unterscheidet. Das erneut herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst der Theorie der rationalen Erwartungen. Sie hat wieder ins Bewußtsein gerufen, was zu Recht -Ausgangspunkt der klassischen Theorie war: Die Tatsache nämlich, daß ein ultras labiles, durch keinerlei Störungen von außen zu erschütterndes Marktsystem denkbar ist. Die Theorie der rationalen Erwartungen ist jedoch darüber hinaus gegangen. Sie hat aus einer makroökonomischen Erkenntnis eine potentiell vorhandene Information für jedes Wirtschaftssubjekt gemacht, indem sie postuliert, daß dann, wenn die Wirtschaftssubjekte die Gleichgewichtswerte des Systems kennen, diese auch permanent zu erreichen sind. Sie hat damit - aber erst damit - außer Kraft gesetzt, was Marktwirtschaft eigentlich ausmacht. 148
In Abschnitt 111,3 war schon gezeigt worden, daß jeder (untypische) negative Nachfrageschock, ausgelöst durch restriktive Geldpolitik, vollständig bezüglich seiner Mengenwirkung kompensiert werden kann durch einen positiven (untypischen) Angebotsschock. Letzterer kann ohne reale Wirkungen nur zustande kommen durch eine gleichzeitige Lohn-Preis-Senkung. Sie muß das gleiche Ausmaß haben wie die Verminderung des Geldangebots, wenn die Preiselastizität der Angebotskurve der Volkswirtschaft nahe eins ist. Die Tatsache, daß auf diese Weise eine vollständige Neutralisierung der Geldpolitik möglich ist, d. h. jener Störungen des Marktablaufs, die der ursprüngliche Monétarism e als die entscheidenen angesehen hatte, stürzt aber die gesamte neuklassische Theorie in ein Dilemma.1
Um es auf den Punkt zu bringen: In einem reinen, atomistisch organisierten Marktsystem ist ein solches Verhalten selbst unter heroischen Annahmen kaum zu erwarten. Konstruiert man aber makroökonomische Bedingungen, die es erwarten lassen, geht man genau den Weg, den beschritten zu haben man dem "überwundenen" Keynesianismus immer vorgeworfen hat. Das ist näher zu erläutern. Selbst wenn man von einer großen Reihe von äußerst realitätsfernen Annahmen absieht, die man machen muß, um in Wirklichkeit eine
1
Beim Monetarismus hat Tobin sehr treffend zwischen Monetaris Mark I und Mark Π unterschieden. Mark I hatte noch - ganz im Sinne vo Keynes - reale Wirkungen der Geldpolitik konstatiert. Erst Mark / Monetarismus plus rationale Erwartungen geht auf die (scheinbare) klassische Basis zurück. Vgl. Tobin (1981). Vgl. zur Theorie der rati Erwartungen vor allem Lucas (1972) und (1973), Sargent (1973) ode SargentßVallace (1975).
149
neutrale Geldpolitik dadurch zu erhalten, daß Nominallöhne und Preise sinken,1 gibt es ein zentrales Problem. Wie können in einem atomistischen Markt die Unternehmen und Arbeitnehmer etwa auf mikroökonomischer Ebene Nachfrageschocks infolge eines gesamtwirtschaftlichen Angebotsschocks und Nachfrageschocks infolge einer geldpolitischen Restriktion unterscheiden? Lucas selbst, der wichtigste Vertreter der Theorie rationaler Erwartungen, hat das als Problem der Identifikation von absoluten und relativen Preisänderungen bei unvollkommener Information charakterisiert. Das ist richtig. In offenen, dynamisch sich entwickelnden Systemen ist diese Unsicherheit unabwendbar. Sie ist auch notwendig, denn auf dieser Unvollkommenheit der Information beruht die dynamische Entwicklung von Marktwirtschaften.
Die
makroökonomisch notwendige Rigidität der Nominallöhne bei Angebotsschocks beispielsweise entspringt im reinen Marktsystem keineswegs der Einsicht aller Beteiligten in diese Notwendigkeit, sondern ergibt sich aus dem law of one price und der Mengenanpassung bei den Unternehmen, die von den mikroökonomischen Nachfrageänderungen des Angebotsschocks getroffen werden. Gerade wenn die Nominallöhne atomistisch bestimmt werden, ist mit einer Nomindlohnflexibilität, wie sie die Theorie rationaler Erwartungen erwartet, nicht zu rechnen.
1
Zu nennen wäre etwa die Frage der strukturellen Wirkungen Geld- und Lohnpolitik bei sehr unterschiedlichen Renditen der Unterneh in ungleichgewichtigen Entwicklungen oder die Bedeutung der Exp abhängigkeit in offenen Volkswirtschaften. 150
Das ist in der Literatur auch kaum umstritten.1 Nur eine schlüssige Begründung dafür konnte nicht gefunden werden, weil die gesamte Theorie Gleichgewichtstheorie und damit dem Postulat der Markträumung durch flexible Preise verhaftet geblieben ist. Wenn man angesichts dieser Problematik aber das Bild einer atomistisch organisierten Lohn- und Preisbildung aufgibt und Nominallöhne als exogen, als Politikergebnis ansieht, weil die Tarifparteien das Ergebnis des Marktprozesses nur simulieren, nicht aber wirklich nachvollziehen, dann ergeben sich ganz andere Perspektiven. Dieser in den meisten westlichen Industrieländern realistischere Fall läßt nämlich durchaus eine unterschiedliche Reaktion auf relative und absolute Preisänderungen zu. Absolute Preisänderungen lassen sich auf makroökonomischer Ebene recht sicher als mögliche Folgen einer geldpolitischen Kursänderung identifizieren. Bei rechtzeitiger Reaktion der Nominallohnpolitik und ausreichendem Preiswettbewerb können dann gravierende Mengeneffekte unter Umständen vermieden werden. Doch wenn eine de facto-Koordinierung von Geld- und Lohnpolitik auf diese Weise zustande kommt, kann man auch von vorneherein eine solche Koordinierung anstreben, also Nominallöhne und Preise senken, um restriktive Geldpolitik auszuschließen. Dann ist man aber bei der verpönten Einkommenspolitik, die einsichtige Keynesianer immer als
1
Deswegen heißt Blanchards Survey : "Why Does Money Affec Output Τ Vgl Blanchard (1987), insbes. S. 22 ff. Die manchmal zu findende Schlußfolgerung, Nominallöhne müßten bei Angebotsschocks rigide und bei Nachfrageschocks flexibel sein, verkennt die Beding durch welche die Rigidität bei dynamischer Betrachtung entsteht. Vg Gray (1976). 151
flankierendes Instrument der Globalsteuerung für notwendig gehalten haben. Tatsächlich ist es in den 70er Jahren aber weder zur Koordinierung noch zur Konzertierung der Lohnpolitik und der Geldpolitik gekommen. Das gilt vor allem für Europa. Die Geldpolitik wurde in diesen Ländern ja gerade gegen überzogene, weil inflationär wirkende Lohnsteigerungen aktiv. Hier eine ex ante oder ex post Koordinierung anzunehmen, heißt das Problem wegzudeflnieren, um es theoretisch lösbar zu machen. Immerhin ist aber zuzugestehen, daß die führenden Vertreter der Theorie rationaler Erwartungen ein konsistentes Theoriegebäude geschaffen und Anstrengungen unternommen haben, um zu erklären, warum in der Realität moderner Geldwirtschaften rationale Erwartungen nicht gegeben sind. Dagegen haben jene Vertreter der sogenannten neoklassischen Theorie, die weiterhin auf "zu hohen Reallöhnen" oder "zu hoher Produktivität" als Hauptursache der Arbeitslosigkeit beharren, die Bedeutung der Forschung über rationale Erwartungen nicht verstanden und nie innerhalb eines konsistenten gesamtwirtschaftlichen Theoriesystems argumentiert. Genau dann nämlich, wenn es keine rationalen Erwartungen gibt, muß auch der neoklassische Autor untypische Nachfrage- und Angebotsschocks via Änderung der Geldpolitik oder Nominallohnschocks zur Kenntnis nehmen. Es ist dann eindeutig ein methodischer Fehler, Arbeitslosigkeit empirisch und theoretisch mit dem Vor-Urteil zu untersuchen, daß ein sichtbares Überschußangebot am Arbeitsmarkt nur dann bestehen kann, wenn "die Löhne" zu hoch sind.
152
Deutlich wird das in den USA, dem Land, das dem Ideal des atomistisch organisierten Arbeitsmarktes (also rein endogener Reallöhne) am nächsten kommt. Auch hier hatte die restriktive Geldpolitik enorme reale Wirkungen, wie die Verschiebung der Phillipskombinationen nach rechts außen unbestreitbar zeigt. Graphik 5
Phillips kurve für USA
1971 - 1988
Arbeitslosenquote
153
... noch Graphik 5
Phillipskurve for die Bundesrepublik Deutschland
1971 - 1988 p
II
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Arbeitslosenquote
Insgesamt gesehen spricht also nichts für die Wirksamkeit rationaler Erwartungen und die damit implizierte Unwirksamkeit der Geldpolitik.1
1
Um das noch einmal anders, nämlich in terms der relevanten Pre auszudrücken: Bei rationalen Erwartungen sind sowohl de Realzins auch der Reallohn vollkommen endogene, also politisch nicht beeinflußb Größen. Das heißt, Geldmengenimpulse ßhren zu einer Anpassung der Nominallöhne; Nominallohnänderungen implizieren eine Anpassung d Geldangebots. Bei nicht-rationalen Erwartungen und Wettbewerb ble Reallohn endogen (entsprechend der mark-up-Hypothese). Der Realzin jedoch durch Geldangebotsveränderungen steuerbar; weil die Preise n Geldangebot (quantitätstheoretisch!), sondern via Kosten (keynesian festgelegt werden, so daß die Steuerung der Nominalzinsen ausreich den Realzins zu beeinflussen, wenn die Nominallöhne eine gewisse Rig aufweisen. 154
Das ist gut so. Ohne jede Geldillusion (in dem vorgelagerten Sinne der Theorie rationaler Erwartungen) wären Beschäftigungsgewinne nämlich überhaupt nicht möglich. Zusätzliche Beschäftigung im Sinne der Ausdehnung des Arbeitsvolumens ist nur möglich, wenn die Wachstumsrate der nominalen effektiven Nachfrage (die hier durch die effektive Geldmenge (M) repräsentiert wurde) größer ist als die Wachstumsrate der Nominallöhne (vorausgesetzt, die Einkommensverteilung zwischen Arbeit und Kapital bleibt konstant). Dieser Abstand ist es, den die Theorie der rationalen Erwartungen mit Geldillusion umschrieben und einem scheinbar überwundenen Keynesianismus als nur kurzfristig verwendbares Instrument unterstellt hatte. Beschäftigungsgewinne sind aber unverzichtbar in einer Welt, die makroökonomische Ungleichgewichte kennt und eine wachsende Bevölkerung oder zunehmende Erwerbsbeteiligung verkraften muß. Lösungen für stationäre Systeme, wie sie in dem Modell rationaler Erwartungen angeboten werden, taugen für solche Probleme nicht. Für wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen sind die Deduktionen dieser Theorie daher nicht geeignet.
IV.6
Exkurs: Der Wechselkursschock
Die Bedeutung von starken Veränderüngen der Wechselkurse für die makroökonomischen Fehlentwicklungen in der Welt seit 1973 ist ganz anders zu beurteilen als die Bedeutung der Mischung von Angebotsund Nachfrageschocks, die die Ölpreisexplosionen mit sich gebracht haben. Zwar hat es seit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen eine Reihe
von
Wechselkursänderungen
der
wichtigsten
Währungen
zueinander gegeben, die weit über jedes theoretisch für möglich 155
gehaltene Maß1 hinausgingen. Theoretische Überlegungen zur Logik des Wechselkursschocks und eine Reihe von empirischen Untersuchungen sprechen jedoch eindeutig dafür, daß das Gewicht dieser Schocks für die Weltwirtschaft im Verhältnis zu den bisher behandelten Schocks recht gering war. Das zeigt schon ein äußerst einfacher Vergleich. Reine Angebotsschocks infolge der Verknappung einer natürlichen Ressource vermindern definitiv die Einkommenschancen in der Weit, ohne daß es dafür eine unmittelbare Kompensation oder sofort verfügbare Anpassungsmechanismen gäbe. In gleicher Weise sind sowohl reine Nachfrageschocks (wenn sie realisiert werden), wie untypische Nachfrageschocks aufgrund restriktiver Geldpolitik oder/und steigender Nominallöhne und Güterpreise bezüglich ihrer negativen Einkommensund Beschäftigungswirkung nicht rückgängig zu machen. Der Rückgang des Einkommens ist in beiden Fällen (Angebots- und Nachfrageschock) die Anpassungsvariable des Systems.
Wechselkursänderungen sind dagegen nicht nur in sich ambivalent, sondern ohne weitere Annahmen in ihren Auswirkungen einander entgegengerichtet im Ab- und Aufwertungsland. Dieser Umverteilungscharakter von Wechselkursänderungen ist es, der die Bedeutung von Wechselkursschocks für makroökonomische Fehlentwicklungen (hohe Arbeitslosigkeit etwa) doch erheblich relativiert. Betrachten wir die Effekte von Auf- und Abwertung im einzelnen.
1
Insbesondere die berühmte Kaufkraftparitätentheorie hat als M für Wechselkursänderungen völlig versagt. VgL zu dem Gesamtkom flexibler Wechselkurse, Flassbeck (1988). 156
Aufwertung der heimischen Währung bedeutet für hochentwickelte Industrieländer in der Regel eine Verbesserung der terms of trade bei sinkenden Export- und noch stärker sinkenden Importpreisen in heimischer Währung. Geichzeitie vermindern sich die Absatzaussichten im Ausland via steigender Exportpreise in ausländischer Währung. Im statischen Angebot-Nachfrage-Modell läßt sich das im Aufwertungsland als negativer Nachfrageschock mit einem gleichzeitig auftretenden positiven Angebotsschock darstellen. Umgekehrtes gilt im Abwertungsland:
Schaubild 21
Aufwertungsland
157
noch Schaubild 21
Abwertungsland A2/
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Es sind unter geeigneten Bedingungen hinsichtlich der Preiselastizitäten von Angebot und Nachfrage offensichtlich Konstellationen denkbar, bei denen (im ersten Schritt) in keinem der Länder das Einkommensniveau verändert wird. Nun könnte man annehmen, daß im Aufwertungsland das gleiche Realeinkommen mit einer höheren Produktivität erwirtschaftet wird als vorher (weil die terms of trade-Gewinne wie eine Produktivitätserhöhung wirken), so daß die Beschäftigung sinkt. Partialanalytisch betrachtet leuchtet das auch ein, weil der positive Angebotsschock keine zusätzliche Beschäftigung bringt, der negative Nachfrageschock aber Beschäftigungsmöglichkeiten vernichtet. 158
Diese Schlußfolgerung ist in einem strengen neoklassischen System aber falsch. Dort gibt es den negativen Nachfrageschock - ebenso wie im Fall der steigenden Sparquote (Abschnitt III.3) - nur potentiell. Konsequent neoklassisch argumentierende Autoren müßten einwenden, daß es bei unveränderter gesamtwirtschaftlicher Nachfragekurve (unverändertem Geldangebot) keinen Nachfrageausfall, sondern nur eine Umstrukturierung von Nachfrage geben kann. Das im Exportgeschäft obsolet gewordene Kapital und die infolge der Preissenkung steigende reale Geldmenge müßten via Zinsmechanismus (oder Realkasseneffekt) neue Nachfrage über eine sich belebende Investitionstätigkeit schaffen. Die Produktionsmenge des Inlandes und die Beschäftigung würden auf diese Weise unverändert bleiben, nur das Realeinkommen stiege aufgrund der Verbesserung der terms of trade.
Umgekehrt im Abwertungsland: der positive Nachfrageschock schafft nicht neue Kapazitäten, sondern führt nur zur Umstrukturierung der Produktion aufgrund des lukrativer gewordenen Auslandsabsatzes; per Saldo bliebe der negative terms of trade-Effekt. In diesem theoretischen Rahmen bewirken Wechselkursänderungen folglich nur eine Umverteilung zugunsten der Aufwertungsländer, wie Ölpreisexplosionen nur zu einer Umverteilung zugunsten der Ölförderländer führen.
Sicherlich ist diese streng neoklassische Ableitung ebenso offen für die Kritik von Keynes wie die Ableitung der Beschäftigungskonstanz im Falle des reinen Nachfrageschocks. Doch das allein begründet nicht den behaupteten
grundlegenden
Unterschied
zwischen
Ölpreis-
und
Wechselkursschock, selbst wenn bei angemessener Würdigung der keynesianischen Argumente das Aufwertungsland Beschäftigungsverluste auf159
weist und vice versa.1 Entscheidend sind jedoch die möglichen Politikreaktionen auf beide Arten von Schocks. Die Ölpreisexplosionen in den 70er Jahren waren nämlich weltweit begleitet von einer Politik, die mit einer potentiellen Nordostverschiebung der Phillipskurve der Welt konfrontiert war, also mit steigender Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen. Darauf reagierte die Geldpolitik weltweit mit einer Einschränkung (Dezeleration) des Geldangebots, so daß weltweit die Zinsen stiegen und damit jede Chance auf eine endogene Beschäftigungsstabilisierung zunichte gemacht wurde. Genau das ist bei Wechselkursschocks von vorneherein auszuschließen, weil aufgrund der Devisenmarktlogik2 die Zentralbanken des Ab- und Aufwertungslandes keine gleichgerichtete Politik betreiben können. Diese wäre aber auch ohne das nicht zu erwarten, da sich die Position der Länder auf der Phillipskurve in entgegengesetzter Richtung verschiebt Dies gegeben, reduziert sich das Problem der Wechselkursschocks, soweit die rein makroökonomische Logik betroffen ist, auf mögliche Asymmetrien bei der wirtschaftspolitischen
und marktendogenen
1
Vgl. die Simulation von Aufwertungsschocks mit dem Konjunktur dell in Kapitel VII. Theoretisch dazu auch Flassbeck (1987). 2
Diese Logik läßt sich am einfachsten in der Gleichgewichtsbedingu ßr Güter-, Kapital- und Devisenmarkt abbilden, die lautet: wk* = i* p*, mit i* als erwarteter Zinsdifferenz, p* als erwarteter Preisniveaudiff und wk* als erwarteter Wechselkursänderung in einer einheitlichen P Offensichtlich können dann Abwertungserwartungen ßr eine Währung mit Zinserhöhungen sowohl im Abwertungsland und im Aufwertungsla beantwortet werden, ohne das System instabil zu machen. 160
Reaktion (Preiselastizitäten) auf Auf- und Abwertungen. Dabei sind allerdings bei Wechselkursveränderungen im Gegensatz zu den bisherigen Überlegungen zwei Dimensionen zu berücksichtigen. Zum einen die Wirkung des Wechselkursschocks und der Anpassungsreaktionen auf die Zahlungsbilanz. Zum anderen ist - wie schon bei den Ölpreisschocks - die Wirkung auf die internen Ziele Preisniveau, Beschäftigung und Realeinkommen zu beachten.
Allgemein betrachtet, beruht die Problematik der Analyse von Auswirkungen starker Wechselkursschwankungen auf der unbestreitbaren Tatsache, daß es keine valide Theorie flexibler Wechselkurse gibt. Mit anderen Worten: Nur wenn man weiß, bei welcher Ausgangssituation und in welchem Ausmaß mit solchen Wechselkursänderungen zu rechnen ist, kann man konsequente Lösungen für adäquate wirtschaftspolitische Reaktionen anbieten. Eine unsystematische und - vor dem Hintergrund der wirtschaftspolitischen "fundamentals" - nur irrational zu nennende Wechselkursänderung, wie etwa die Abwertung der D-Mark gegenüber dem US-Dollar zur Mitte der 80er Jahre, verlangt sicher ganz andere Antworten als eine abrupte Wechselkursänderung, die eine über mehrere Jahre aufgelaufene Inflationsdifferenz korrigiert. In diesem Sinne "irrationale" Wechselkursänderungen in ihren binnen- und außenwirtschaftlichen Auswirkungen auch lohnpolitisch abzufangen, kann eine effiziente Lösung sein. Insofern sind die konkreten Verhältnisse der Ausgangssituation sehr genau in Betracht zu ziehen, wenn über das geeignete lohnpolitische Regime und die adäquate wirtschaftspolitische Reaktion entschieden wird.
161
Hier soll allerdings zunächst unterstellt werden, daß Wechselkursänderungen, die stark genug sind, den sogenannten realen Wechselkurs zu ändern, die Funktion haben, Zahlungsbilanzungleichgewichte zu korrigieren. In diesem Falle sind im Aufwertungs-Überschußland weder Reaktionen hilfreich, die die inländische Absorption zu vermindern tendieren, noch solche, die das Wettbewerbsgefälle, das die Änderung des realen Wechselkurses mit sich gebracht hat, rasch wieder einebnen. Für die Geldpolitik bedeutet das nichts anderes, als dem zu folgen, was man unter währungspolitischen Gesichtspunkten als Normalreaktion bezeichnen könnte, nämlich eine expansive Politik zur Begrenzung der Aufwertung. 1 Das tendiert via Zinssenkung zur Stabilisierung der Inlandsnachfrage, unterstützt also den neoklassischen Idealmechanismus, und fördert damit sowohl die Importnachfrage des Inlandes als auch eine Stabilisierung der Beschäftigung. Umgekehrt im Abwertungsland. Lohnpolitisch folgt aus diesen Überlegungen wiederum, daß Nominallohnrigidität eine geeignete Form der Anpassung darstellt. Im Aufwertungsland bedeutet das, die
höheren Reallöhne aufgrund des
günstigen terms of trade-Effekts zu erhalten, ohne den notwendigen Anpassungsprozeß der Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch Lohnzurückhaltung zu Ende zu bringen. Das gleiche gilt im Abwertungsland: stabile Nominallöhne bedeuten zwar die
1
Angesichts der spekulativen Wellen am Devisenmarkt gerade flexiblen Wechselkursen hat sich daraus in der Bundesrepublik schon regelrechtes Handlungsmuster ßr die Bundesbank entwickelt. VgL Beschreibung des monetären Teilmodells des Konjunkturmodells Anhang. 162
Hinnahme
eines
Rückgangs
der
Reallöhne
(Mindersteigerung),
verstärken aber die Preisniveauwirkung der Abwertung nicht zusätzlich und erlauben die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und damit deutliche Exportsteigerungen.
Simulationen mit dem ökonometrischen Konjunkturmodell zeigen, daß allein aus nationaler Perspektive eines Aufwertungslandes bei unausgelasteten Kapazitäten andere Varianten bessere interne Ergebnisse bringen können, ohne den außenwirtschaftlichen Anpassungsprozeß zu stören. Das gilt etwa für die Variante einer weitgehenden Nominallohnflexibilität bzw. Reallohnrigidität. Dabei ist allerdings nur die Situation des Aufwertungslandes in Betracht gezogen worden. Reallohnrigidität in Abwertungsländern und Aufwertungsländern könnte zu einem weiteren Auseinanderlaufen der nationalen Entwicklungen und damit zu erneutem Wechselkursänderungsbedarf führen. Reallohnrigidität im Abwertungsland bedeutet eine Anpassung der Nominallöhne an die gestiegenen Importpreise und damit einerseits die Verminderung der realen Abwertung als auch ein dauerhaft höheres Preisniveau als bei Nominallohnrigidität. Selbst wenn die Abschwächung der inländischen realen Absorption, die damit bei unveränderter Geldpolitik verbunden ist, zu einer Entlastung auf der Importseite führt, bleibt das höhere Preisniveau. Entweder man antwortet darauf mit einer restriktiven Geldpolitik oder man muß früher oder später wieder abwerten, da im Aufwertungsland das Preisniveau dauerhaft niedriger als vorher ist. Aus dieser Reallohnrigidität (im Extremfall Indexierung) kann sich im Abwertungsland ein circulus viciosus aus Abwertung, Inflation und erneuter Abwertung ergeben. Das war etwa der Prozeß, der in den Jahren 1975/1976 die Abwertungen in Großbritannien, Frankreich und 163
Italien begleitet hat. Im Aufwertungsland dagegen ist ein circulus virtuosus aus Aufwertung, Lohnzurückhaltung und erneuter Aufwertung möglich, wie es zwischen 1975 und 1980 in der Bundesrepublik der Fall war. Aber nicht nur symmetrische Reaktionen, auch asymmetrische wie etwa Nominallohnrigidität im Aufwertungsland und Reallohnrigidität im Abwertungsland bringen ähnliche Probleme für die dauerhafte Zusammenarbeit und den freien Handel zwischen den Ländern. Eine internationale Koordinierung der Lohnfindungsregimes, wie sie in der europäischen Gemeinschaft durch den Abbau der strengen Indexierungsmechanismen in Frankreich und Italien vorangekommen ist, bildet sicher einen entscheidenden Baustein für ein stabiles Währungssystem oder gar eine gemeinsame Währung. Wobei selbstverständlich zu beachten ist, daß ein System fester Wechselkurse oder zumindest relativ starrer Paritäten selbst eine Voraussetzung für solch eine Koordinierung bildet, da sonst Stabilisierungsversuche im Inland immer wieder durch Wechselkursänderungen unterlaufen werden können. Da auch ein Wechsel des lohnpolitischen Regimes je nach konkreter Ausgangssituation bei Wechselkursschocks kaum praktikabel sein dürfte, ist nach Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte und angesichts der Unberechenbarkeit von starken Wechselkursausschlägen, Nominallohnrigidität auch hier das zu empfehlende lohnpolitische Regime, da es einfache und wirksame wirtschaftspolitische
Reaktionen zu den
möglichen Preisniveau- und Beschäftigungsfolgen von starken Auf- und Abwertungen optimal flankiert, ohne überzogene Ansprüche an tarifpolitische Flexibilität zu stellen. 164
Die mikroökonomischen (ailokationstheoretischen)
Folgen starker
Wechselkursänderungen können hier nicht detailliert behandelt werden. Klar ist aber, daß außerhalb extrem einfacher Gleichgewichtsmodelle solche Folgen existieren.1 Starke Wechselkursänderungen bedeuten nämlich einen Preisniveaueffekt, der die relativen Preisänderungen zwischen den Handelspartnern überlagert und unsystematisch verändert. Unsystematisch deswegen, weil sowohl die Erfahrung mit flexiblen Wechselkursen als auch theoretische Überlegungen zu der Funktionsweise eines Systems marktbestimmter Kurse2 zeigen, daß mit Gleichgewichtslösungen im Sinne der Kaufkraftparitätentheorie und/oder der Zinsparitätentheorie nicht zu rechnen ist. Wenn aber die relativen Preise im internationalen Handel einen Teil ihrer Signalfunktion durch starke (reale) Wechselkursänderungen verlieren, sind die Unternehmen einem höheren Risiko bei Entscheidungen über Investitionen im Außenhandel ausgesetzt. Das verlangt einen höheren Gewinnpuffer der Unternehmen, um angesichts des höheren Risikos den Erwartungswert des Gewinns konstant zu halten. Wenn sich das realisieren läßt, führt es, wegen der damit verbundenen höheren Preissteigerungsraten bei unverändertem Geldangebot von vorneherein zu einer Einengung der Expansionsmöglichkeiten des Systems. Läßt sich der Erwartungswert des Gewinns nicht halten, sinkt die Investitionsneigung, was die zukünftigen Wachstumschancen einschränkt.
1
Vgl zu Ansätzen dazu Flassbeck (1988), S. 106 ff.
2
Ebda., S. 61 ff und S. 127 ff
165
V
Gesamtwirtschaftliche Effekte von reinen Angebotsschocks - Analyse anhand eines ökonometrischen Konjunkturmodells -
V.l
Vorbemerkung
Als Beispiele für Angebotsschocks werden häufig die beiden Ölpreisschocks von 1973/74 und 1979/80 genannt. Konsequenterweise muß man den starken Ölpreisverfall vom Jahre 1986 ebenfalls unter der Rubrik Angebotsschock abhandeln. Kennzeichen eines "reinen" Angebotsschocks ist, daß eine drastische Veränderung der Preisrelationen eintritt, in diesem Fall eine starke terms of trade Veränderung, ohne daß diese von einer Veränderung der Gesamtnachfrage innerhalb einer Volkswirtschaft begleitet wird. Die theoretischen Überlegungen hierzu wurden in den Kapiteln III.2 und IV. 1 dargestellt In der Realität dürften diese reinen Angebotsschocks kaum auftreten, weil mit Preisänderungen in der Regel Nachfrageänderungen verbunden sind und dabei unterschiedliche Wirkungsverzögerungen auftreten. Die empirischen Analysen zu den Wirkungen der Ölpreisschocks beschäftigen sich daher mit einer Kombination von Angebots- und Nachfrageschocks. Von den vielen ökonometrischen Untersuchungen werden im folgenden drei herausgegriffen. Mit ihnen soll exemplarisch gezeigt werden, wo die Probleme bei der Analyse der tatsächlichen Entwicklung liegen.
Die erste Untersuchung beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Ölpreisschocks von 1979/80 für die Bundesrepublik Deutschland. Sie wurde von der Deutschen Bundesbank mit Hilfe ihres ökonometrischen
166
Modells durchgeführt 1. Wichtige Fragen wurden in die Bereiche der Annahmen verbannt. So wurde angenommen, daß bei einer Entwicklung ohne Ölpreisschock die Industrieproduktion ausgewählter Lander höher und die Nominallohnsteigerungen niedriger gewesen wären. Weiterhin unterstellte die Bundesbank, daß ohne Ölverteuerung ndie Zinsen etwas niedriger und die Liquiditätsversorgung der Kreditinstitute durch die Bundesbank reichlicher ausgefallen wären."2 Dem "betont anti-inflationären Kurs" in einer größeren Zahl von Ländern wird Mitschuld an den eingetretenen Wachstumseinbußen gegeben. Nach diesen Setzungen überrascht es nicht, daß für 1980 ein Wachstumsverlust von etwa 2 vH-Punkten ermittelt wird. Überraschend ist dagegen die Begründung der Bundesbank für ihren restriktiven Kurs. Um Gefahren für Wachstum, Beschäftigung und Leistungsbilanz abzuwehren, mußten die geldpolitischen Zügel im Endeffekt schärfer angezogen werden, als dies ohne die Ölverteuerung und ihre internen Folgewirkungen (insbesondere die höheren Tarifabschlüsse) nötig gewesen wäre.3 Was international noch galt, nämlich die restriktiven Effekte der Geldpolitik, wird damit für die Bundesrepublik auf den Kopf gestellt. Eine Simulation bei neutraler Geldpolitik wird nicht durchgeführt. Ob der geldpolitische Kampf gegen eine Preis-Lohn-Spirale nicht möglicherweise mit höheren Wachstumsverlusten verbunden war, als sie die Preis-Lohn-Spirale allein ausgelöst hätte, wird nicht untersucht.
1
Vgl Deutsche Bundesbank: (1981).
2
ebenda,S. 15
3
Vgl ebenda. 167
In einer umfangreichen Arbeit mit 13 bedeutenden US-amerikanischen ökonometrischen Modellen werden die Auswirkungen von Energieschocks bei unterschiedlichen Politikreaktionen analysiert.1 Die weltwirtschaftlichen Effekte werden dabei mit Hilfe des LINK-Modells, einem Verbund von Ländermodellen, ermittelt. Danach kommt es zu einer Wachstumsverlangsamung innerhalb der OECD. Für die OPEC wird ein Absorptionsgrad von 20 vH der zusätzlichen Einnahmen im ersten Jahr und 40 vH, 60 vH und 70 vH in den Folgejahren unterstellt2. Möglicherweise ist es die Annahme eines so niedrigen Absorptionsgrades, die das Ergebnis eines weltwirtschaftlichen Wachstumseinbruchs nach einem Ölpreisanstieg herbeiführt. Bei den Simulationen mit den US-amerikanischen Modellen führen diese internationalen Vorgaben zu einem deutlichen Exportrückgang. Die Verluste beim realen privaten Verbrauch aufgrund des Preisanstiegs und bei den Investitionen werden damit noch verstärkt. Insgesamt reagiert das reale Bruttosozialprodukt mit einem starken (relativen) Rückgang3; im Falle eines Ölpreisanstiegs von 100 vH im Jahr 1983 läge es um 5 vH unter dem Basisniveau.
Dieses Ergebnis wird unter der Annahme eines gegenüber der statusquo-Simulation unveränderten Geldangebots erzielt. Die Auswirkungen der restriktiven geldpolitischen Reaktionen der früheren Ölpreisschocks
1
VgL Hickmann, Literatur.
168
(et al), (1987). VgL auch die dort angegebene
2
VgL ebenda, S. 251.
3
VgL ebenda, S. 37.
werden nicht untersucht. Ebenfalls unbeachtet bleiben die Einflüsse unterschiedlicher Annahmen zur Lohnbildung. Verwendet werden die Tariflohnfunktionen der jeweiligen Modelle, die für die Vereinigten Staaten nicht den gleichen hohen Grad an Reallohnrigidität aufweisen wie die Tariflohnfunktion im Konjunkturmodell für die Bundesrepublik. Ein Ölpreisschock führt daher in den amerikanischen Modellen nur zu einem kurzfristigen Preisschub. Vom dritten Jahr an erreicht die Preissteigerungsrate wieder den Wert der Basissimulation. In dem Umfang, wie das Preisniveau infolge des Ölpreisschocks gestiegen ist, bleibt das reale Bruttosozialprodukt auch auf einem dauerhaft niedrigeren Niveau. Das heißt, ein Ölpreisschock, wie er für die USA modelliert wurde, führt über 2 Jahre zu Wachstumseinbußen, anschließend wird die ursprüngliche Wachstumsrate wieder erreicht. Aufgrund der Vorgaben des LINK-Modells ist damit der Angebotsschock mit einem Nachfrageschock verbunden.
In einem "working paper" der OECD finden sich Hinweise darauf, in welchem Umfang sich die gesamtwirtschaftlichen Effekte von Ölpreisschocks ändern, wenn einzelne Ländermodelle zu einem Weltmodell gekoppelt werden. Danach verdoppeln sich die Wirkungen auf das reale Bruttosozialprodukt der Bundesrepublik Deutschland im Falle gekoppelter Ländermodelle.1 Es wird betont, daß die Effekte wesentlich von dem Absorptionsgrad der Öl exportierenden Staaten abhängen. Für diese
1
Vgl Richardson (1987). 169
Länder wird der Absorptionsgrad auf eine Spanne von 60 bis 100 vH innerhalb von 2 Jahren festgelegt.1
Wie die hier diskutierten Ergebnisse anderer ökonometrischer Arbeiten zu den Ölpreisschocks zeigen, waren diese auf eine Reihe von zum Teil fragwürdigen Annahmen angewiesen. Um nicht selbst auf solch problematische Annahmen zurückgreifen zu müssen, wird in dieser Arbeit darauf verzichtet, die Ölpreisschocks so zu modellieren, wie sie wirklich abgelaufen sind, nämlich als Kombination von Angebotsschock und untypischem Nachfrageschock. Im Rahmen dieser Arbeit reicht es aus, die Anpassungsmechanismen beim reinen Angebotsschock abzuhandeln. Dieser ist dann allerdings, so wie er simuliert wird, eine reine Fiktion. Entsprechend vorsichtig müssen die Ergebnisse interpretiert werden. Sie dürfen nicht mit den tatsächlichen Auswirkungen der beiden Ölpreiskrisen identifiziert werden.
V.2
Modell- und Simulationsaufbau
Mit Hilfe eines ökonometrischen Modells kann der Idealfall eines reinen Angebotsschocks simuliert werden. Man schließt per Annahme die Nachfrageänderungen aus und kann so die nach einem Angebotsschock auftretenden gesamtwirtschaftlichen Effekte im einzelnen verfolgen. Simulationstechnisch muß dazu das reale Bruttosozialprodukt, als Indikator der realen Nachfrage, auf einem Wachstumspfad gehalten
1
170
Vgl ebenda, S.49
werden, der unabhängig davon ist, ob ein Angebotsschock eintritt oder nicht. Im Falle stark steigender Preise importierter Energie können die realen Warenexporte so bestimmt werden, daß diese Bedingung, - ein unverändertes reales Bruttosozialprodukt, - erfüllt wird. In ökonomische Kategorien übersetzt heißt dies, daß der "Absorptionsgrad" der energieexportierenden Länder genau so ermittelt wird, daß aufgrund der steigenden realen Warenexporte in diese Länder die Nachfrage in der Bundesrepublik Deutschland unverändert bleibt. Damit bleibt auch die Beschäftigungssituation nahezu unberührt von dem Energiepreisschock. Gleichzeitig sinkt der Wohlstand der Bundesrepublik allerdings deutlich: die terms of trade haben sich verschlechtert und der Ausfall an inländischer Verwendung wird durch die höheren Exporte gerade ausgeglichen. Anhand der empirischen Ergebnisse kann dann abgeschätzt werden, ob der so ermittelte Absorptionsgrad der energieexportierenden Länder in einer realistischen Größenordnung liegt oder ob mit den Ölpreisschocks auch gleichzeitig Nachfrageschocks verbunden sein müssen.
Um der Dimension des Problems gerecht zu werden, sollen im folgenden nicht nur die Preisänderungen von importierten Öl und Mineralölprodukten,
sondern
die
der
gesamten
Energieimporte
betrachtet werden. In der Realität sind insbesondere die Lieferverträge der Bundesrepublik für Erdgasimporte so ausgestaltet, daß Ölpreisänderungen - mit Verzögerung - auf die Erdgaspreise durchschlagen. Aus Gründen der Vereinfachung werden im folgenden diese Verzögerungen und die Ölpreisunabhängigkeit importierter Kohle vernachlässigt. 171
In Graphik 6 werden die wichtigsten Zusammenhänge gezeigt, die innerhalb des ökonometrischen Modells nach einer Energieverteuerung bedeutsam sind. Gleichzeitig mit dem Energiepreisanstieg wird ein bestimmter nominaler Außenbeitrag vorgegeben. Dann wird ein Preisanstieg für importierte Energie auf DM-Basis unterstellt. Gemäß dem Anteil der Energieimporte an den gesamten Einfuhren wird dadurch der Preisindex der Importe erhöht Die Importpreise wiederum beeinflussen die Lebenshaltungskosten und die Exportpreise. Im Falle von Reallohnrigidität wird der Preisindex der Exporte außerdem durch induzierte Lohnsteigerungen erhöht Würde man den hier nicht simulierten Fall unterstellen, daß sich der nominale Außenbeitrag der Bundesrepublik durch den Angebotsschock nicht verändert, - was einem Absorptionsgrad der energieexportierenden Länder von 100 Prozent entsprechen würde, so müßten per Annahme die nominalen Exporte im gleichen Umfang wie die nominalen Importe zunehmen. Da im Falle von Energieimporten eine Preiselastizität der Nachfrage von weit unter eins anzunehmen ist, würde der Einfuhrwert zunehmen. Bei einer Elastizität der Exportpreise in bezug auf Importpreisänderungen von ebenfalls weit unter eins stiegen in diesem Fall die realen Exporte. Die Auswirkungen auf das reale Bruttosozialprodukt blieben aber offen, da - zumindest theoretisch - nicht bekannt ist, ob die Exportsteigerungen den Einbruch beim realen privaten Verbrauch und den anderen inländischen Nachfragekomponenten ausgleichen.
172
Graphik 6
Die wichtigsten Wirkungsketten im ökonometrischen Modell bei einer Energiepreisver teuerung
Preisindex importierter Energie in D-Msrk
Preisindex der Importe
Preisindex t = > I
privater Verbrauch
Reallohnbzw. Nominallohnrigidi tat
ir
A, u
Bruttosozialprodukt, real
Export·, real Importe, real
Absorptionsgrad der energieexportierenden Länder vorgegeben
/ Wirkungsrichtung I
J Anstieg bzw. Rückgang
173
Diese Frage wird vorerst auch mit dem ökonometrischen Modell nicht beantwortet. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Analyse der Bedeutung bestimmter wirtschaftspolitischer
Reaktionen
für
die
inländische Anpassung an die importierte Preiserhöhung. Und hier sind insbesondere die geld- und lohnpolitischen Reaktionen von Interesse. Von daher sind in diesen "Simulationsexperimenten" die Unterschiede zwischen
verschiedenen,
mit
unterschiedlichen
Politikreaktionen
besetzten Varianten von Bedeutung.
V.3
Erhöhung der Energiepreise bei Reallohnrigidität
In dieser ersten Variante, die später als Vergleichsbasis für eine weitere Politikvariante herangezogen wird, werden die gesamtwirtschaftlichen Effekte ermittelt, die nach einer Erhöhung der DM-Preise für importierte Energie um 100 vH in den Jahren 1980 bis 1985 eintreten. Dabei ist die Geldpolitik identisch mit der tatsächlichen jener Jahre, und die Löhne passen sich im wesentlichen an die Preis- und Produktivitätseffekte an. In dieser Analyse ist allerdings ausschließlich die Preiselastizität der Löhne von Interesse. Outputbezogene Produktivitätseffekte treten nach einem reinen Angebotsschock so gut wie Tabelle 1 nicht auf, weil sich annahmegemäß das reale Bruttosozialprodukt nicht verändert.1
1
D. h, es nimmt die gleichen Werte an wie in der Basissimulation Gesamtmodells in den Jahren von 1980 bis 1985.
174
Tabelle 1 Gesamtwirtschaftliche Entwicklung
Erhöhung der Preise für importierte Energie um 100 vH - Reiner Angebotsschock und Reallohnrigidität Abweichungen gegenüber Basissimulation in vH 1980
1981
1982
1983
1984
1985
Erwerbstätige Produktivität
-0,03 -0,04
-0,04 0,08
0,07 0,04
0,09 -0,12
0,22 -0,12
0.3: -0.46
Bruttoinlandsprod., real 1 ) Priv. Verbrauch, real Staatsverbrauch, real Anlageinv., real Exporte, real Importe, real
-0,07 -1,31 0,00 -0,16 2,67 -0,92
0,04 -2,64 -0,05 -0,88 4,47 -3,00
0,10 -3,38 0,02 -1,46 4,25 -5,01
-0,03 -3,69 0,08 -1,90 3,71 -5,97
0,10 -3,83 -0,01 -2,13 3.65 -6,09
-0.14 -3."9 0.08
Bruttosozialprod., nom. Preisind. des pr. Verb. Preisind. des BSP
-1,31 1,64 -1,25
-0,69 3,21 -0,75
0,41 4,56 0,28
1,60 5,67 1,60
2,66 6,55 2,54
3.1 1 -.04 3.24
0,92
2,15
3,55
4,46
5,25
5.84
-9,34
-8,57
-6,15
-4,69
-3,26
-2.86
Tariflöhne Lohnstückkosten
0,99 0,99
2,25 2,10
3,58 3,43
4,60 4,49
5.25 5,14
5.80 6.00
Staatseinnahmen darunter. Direkte Steuern Indirekte Steuern Sozial vers.-Beiträge
0,56
0,99
2,05
3,07
4,00
4.62
0,58 0,28 0,98
0,04 0,48 2,33
1,49 0,88 3,83
3,03 1,43 4,75
4,54 1,93 5,50
5.49 2.35 6.09
Staatsausgaben darunter: Staatsverbrauch Gel.lfd. Übertragungen Nettoinvestitionen
0,07
0,52
1,34
2,38
3,16
3.86
0,76 -0,61 0,49
1,62 -0,39 0,87
2,67 0,41 1,08
3,51 1,82 1,20
3,98 3,12 1,42
4.55 4.15
2,93 0,01 0,24
2,06 0,01 0,21
3,29 0,01 0,20
4,36 0,01 0,18
6,26 0,03 0,17
5.25 0,05
Bruttoeink. aus unselbständiger Arbeit Bruttoeink. aus Unternehmertätigkeit und Verm.
nachrichtlich: Finanzierungssaldo des Staates 2), Mrd. DM Geldmarktzins, %-Punkte Kapitalmarktzins, %-Punkte
-2.Ί 2.51 -6.24
1,59
0.15
i ) Aus simulationstechnischen Gründen konnte das reale Bruttoinlandsprodukt der Basissimulation nur näher un gs weise erreicht werden. 2) -: Defizitzunahme Quelle: Simulation mit der DIW-Version des ökonometrischen Konjunkturmodells der Wirtschaf isf orschungsinstitute
175
Da sich in den Jahren von 1980 bis 1985 die Energiepreise tatsächlich verdoppelten, wird in der Basissimulation der Preisindex für importierte Energie um 50 vH unter sein tatsächliches Niveau gesenkt. Damit wird eine Entwicklung simuliert, in der sich die Energie praktisch nicht verteuert. In Tabelle 1 werden die wichtigsten Ergebnisse dieser Simulation ausgewiesen. Sie werden in vH gegenüber den Werten der Basissimulation angegeben.
Die Importpreise insgesamt erhöhen sich nach dem Energiepreisschock um 12 bis 14 vH. Dieser Anstieg löst einen inländischen Preisschub aus, weil die Tariflöhne auf den Anstieg der Verbraucherpreise reagieren und so - bei unveränderten Produktivitäten - die inländischen Preise stärker steigen, als allein für die Überwälzung der Importpreise nötig wäre. Der Verteilungskampf geht zugunsten der Arbeitnehmer aus, denen es trotz Ölpreisschock gelingt, ihr Realeinkommensniveau annähernd zu halten. Dagegen fallen die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen schon nominal, vor allem aber real deutlich zurück. Die Preissteigerungsrate ist in dem untersuchten 6-Jahreszeitraum um gut einen vH-Punkt gestiegen (der Abstand des Preisindex des privaten Verbrauchs zum Wert in der Basissimulation beträgt im sechsten Jahr 7 vH).
Von den inländischen Nachfragekomponenten werden der reale private Verbrauch und die realen Anlageinvestitionen deutlich getroffen. Bei gegenüber status quo unveränderter Geldpolitik stellen sich zwar so gut wie keine Zinssteigerungen ein, doch wirken der starke Gewinnrückgang und der gleichzeitige Kostenanstieg - die Lohnstückkosten liegen zuletzt um 8,5 vH über dem Niveau in der Basissimulation 176
Graphik 7
177
investitionsdämpfend, und mit dem Rückgang (gegenüber Basissimulation) der realen verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte (verteilte Gewinne, Transfereinkommen) sinkt der private Verbrauch. Der Ausgleich kommt - in dieser ersten Simulation quasi automatisch von dem starken Anstieg der realen Exporte und dem zunächst langsameren, zum Schluß aber um so deutlicheren Rückgang der realen Einfuhren. Der daraus resultierende starke Anstieg des realen Außenbeitrags vollzieht sich sogar bei einem gleichzeitigen Rückgang des nominalen Außenbeitrags, zumindest in den ersten Jahren. Diese entgegengesetzten Tendenzen von nominalen und realen Größen beruhen auf den deutlichen Einbußen bei den terms of trade. Die Zunahme des realen Außenbeitrags kann in diesem Fall auch als Meßlatte für den Wohlfahrtsverlust der Volkswirtschaft dienen. So steigt der reale Außenbeitrag z.B. im vierten Jahr der Simulation um 44 Mrd. DM an bei gleichzeitig unverändertem nominalen Außenbeitrag. In diesem Umfang müssen also mehr Waren ins Ausland exportiert werden, um die höhere "Energierechnung" zu bezahlen, ohne die Beschäftigung zu tangieren.
Will man den dazu notwendigen Absorptionsgrad der energieexportierenden Staaten ermitteln, so müssen dazu die Mehreinnahmen aus Energieverkäufen dieser Länder in Beziehung gesetzt werden zu unseren Mehrexporten zuzüglich der Minderimporte ohne Energie.
178
Tabelle 2 Leistungsbilanz Erhöhung der Preise von importierter Energie um 100 vH - Reiner Angebotsschock und Reallohnrigidität Abweichungen gegenober Basissimulation in vH 1980
1981
1982
1983
1984
1985
10,99
10,62
7,96
5,22
4,25
3.23
95,39
83,87
74,02
70,29
69,62
68.18
-0,92
-3,00
-5,01
-5,97
-6,09
-6.24
-2,23
-8,03
-12,99
-14,85
-15,18
-15.96
12,03
14,06
13,69
11,93
11,03
io.i:
100,00
100,00
100,00
100,00
100,00
100.00
Exporte von Waren und Diensten, nominal
2,73
4,74
4,82
4,69
5,03
4.2 1
Exporte von Waren und Diensten, real
2,67
4,47
4,25
3,71
3,65
2.51
Preisindex der Exporte von Waren und Diensten
0,06
0,25
0,54
0,94
1,32
1,65
nachrichtlich: Außenbeitrag, Mrd. DM nominal
-22,00
-15,00
-7,50
0,00
6,00
8.00
Außenbeitrag, Mrd. DM real
11,71
25,91
36,54
43,56
49,35
47,98
Importe von Waren und Diensten, nominal dar.: Importe von Energie, nominal Importe von Waren und Diensten, real dar.: Importe von Energie, real Preisindex der Importe Preisindex der Importe von Energie
Quelle: Simulation mit der DIW-Version des ökonometrischen Konjunkturmodells der Wirtschaftsforschungsinstitute
179
Tabelle 3 Hypothetischer Absorptionsgrad der energieexportierenden Länder nach einem Energiepreisanstieg von 100 vH - in Mrd. DM gegenüber Basissimulation 1980 1981 1982 1983 1984 1985 Ι.
Mehreinnahmen aus Energieverkäufen
II.
Exporte der Bundesrepublik
III. Importe (ohne Energie) der Bundesrepublik Deutschland
32,3 35,7 34,5 32,9 35,2 33,8 8,0 14,8 17,6 19,6 24,9 23,3 -2,3
-5,8 -9,3 -13,2 -16,2 -18,4
32
58
nachrichtlich: IV. Absorptionsgrad: II-III* 100 I in vH-Punkten
180
78
100
117
123
Würde man nur den Ausfuhranstieg der Bundesrepublik auf die höheren Energieerlöse beziehen, ohne die Minderimporte von nichtenergetischen Produkten mit einzurechnen, dann ergäbe sich natürlich ein erheblich geringerer Absorptionsgrad. Doch wäre damit ein geringeres weltwirtschaftliches Wachstum verbunden, weil die Bundesrepublik weniger Waren aus der übrigen Welt bezöge und folglich auch nur weniger Waren in die entsprechenden Länder exportieren würde. Will man diese Inkonsistenz vermeiden, dann muß man den Absorptionsgrad der energieexportierenden Länder entsprechend höher ansetzen. Unter den Annahmen, daß die Volkswirtschaften aller energieimportierenden Länder ähnlich wie die der Bundesrepublik auf einen Energiepreisschock (Ölpreisschock) reagieren und keine bedeutsamen Friktionen auftreten, reicht ein Absorptionsgrad von einem Drittel im ersten Jahr und gut der Hälfte im zweiten Jahr aus, um das reale weltwirtschaftliche Nachfrageniveau unverändert zu lassen. Erst vom vierten Jahr an wird die volle Verausgabung der Mehreinnahmen aus der Energiepreisanhebung zur Bedingung für ein unvermindertes weltwirtschaftliches Wachstum.
Bei den hier vorgestellten Ergebnissen handelt es sich um ein Simulationsexperiment. Wollte man die Wirkungen der beiden (der drei) Ölpreisschocks auf die Weltwirtschaft und insbesondere auf die Wirtschaft der Bundesrepublik genauer analysieren und dazu den tatsächlichen Absorptionsgrad bestimmen, dann müßte man u. a. die Leistungsbilanzentwicklung der in der OPEC zusammengeschlossenen
181
Graphik 8
182
Staaten berücksichten.1 Ohne dem im Simulationsexperiment ermittelten Absorptionsgrad zu große Bedeutung zukommen zu lassen, kann doch vermutet werden, daß in der Öffentlichkeit die negativen Auswirkungen der beiden Ölpreiskrisen genauso überschätzt werden wie die positiven Auswirkungen des starken Preisrückgangs im Jahr 1986. Eine besondere Rolle im Anpassungsprozeß an die Energiepreisänderungen spielen allerdings die Geld-und Lohnpolitik. Das wird im folgenden untersucht.
V.4
Erhöhung der Energiepreise bei Nominallohnrigidität
Wie in der eben analysierten Variante gezeigt werden konnte, wird mit dem Versuch, über Nominallohnsteigerungen die Realeinkommensposition der Arbeitnehmer nach einer Energiepreissteigerung zu halten, eine Lohn-Preis-Spirale ausgelöst. Nach sechs Jahren sind die Preise deutlich stärker gestiegen, als es allein zur Überwälzung der Energiepreise nötig gewesen wäre. Im Unterschied dazu steigt bei Nominallohnrigidität der Preisindex des privaten Verbrauchs nur in den ersten 9 Quartalen nach der Energiepreiserhöhung deutlich; er erhöht sich um 3,3 Prozentpunkte und verharrt anschließend auf diesem höheren Niveau. Damit handelt es sich nur um eine einmalige Preiswelle, die die Preissteigerungsrate in den ersten beiden Jahren um jeweils etwa 1 1/2 vH Punkte erhöht und auf die Preissteigerungsraten in den
1
Betrachtet man den Außenhandel der Bundesrepublik Deutschlan mit den OPEC-Ländem, so zeigt sich, ndaß sich deutsche Einfuhren aus OPEC und Ausfuhren in diesen Raum mit einer Verzögerung von etw einem Jahr nahezu exakt entsprechen. " Döhn (1983), S. 63. 183
Tabelle 4
Gesamtwirtschaftliche Entwicklung Erhöhung der Preise für importierte Energie um 100 vH - Reiner Angebotsschock und Nominallohnrigiditat Abweichungen gegenüber Basissimulation in vH 19S0
1981
1982
1983
1984
1985
Erwerbstätige Produktivität
-0,13 -0,29
-0,23 0,02
0,07 0,32
0,62 0,60
1,61 0,91
2,49 0,36
Bruttoinlandsprod., real Priv. Verbrauch, real Staatsverbrauch, real Anlageinv., real Exporte, real Importe, real
-0,42 -1,68 0,00 -0,44 2,47 -1,21
-0,22 -3,11 -032 -0,92 4,47 -3,43
0,40 -3,37 -0,21 -0,92 4,69 -5,04
1,23 -2,95 0,29 -0,58 5,52 -5,20
2,54 -2,19 1,01 0,23 7,46 -4,20
2,86 -1.47 2.13 0,41 7,35 -3.33
Brunosozialprod., nom. Preisind. des pr. Verb. Preisind. des BSP
-1,84 1.58 -1,43
-1,62 2,70 -1,41
-0,75 3,17 -1,15
0,43 3,28 -0,80
1,99 3,46 -0,52
2.85 3.57 0.00
-0,23
-0,32
0,19
1,01
2,49
3.61
-9,06
-8,15
-5,12
-2,13
1,01
1.8:
0,00 0,20
0,00 -0,10
0,00 -0,21
0,00 -0,23
0,00 -0,06
0,00 0.73
Staatseinnahmen darunter Direkte Steuern Indirekte Steuern Sozial vers.-Beiträge
-0,33
-0,75
-0,26
0,51
1,82
2.81
-0,50 -0,06 -0,25
-1,70 -0,31 -0,35
-0,97 -0,20 0,20
0,05 0,19 1,07
1,69 0,89 2,60
2.82 1,6) 3,77
Staatsausgaben darunter Staatsverbrauch Gel.lfd. Übertragungen Nettoinvestitionen
-0,34
-0,61
-0,49
-0,09
0,58
1,54
0,00 -0,79 0,16
-0,33 -1,10 0,03
-0,20 -1,04 0,31
0,30 -0,67 0,73
1,03 0,06 1,46
2,14 1 ,J6 1,82
0,35 0,01 0,19
-0,47 0,00 0,13
1,84 0,00 0,10
4,39 0.0) 0,08
8,96 0,02 0,14
9,24 0,03 0,09
Bruttoeink. aus unselbständiger Arbeit Bruttoeink. aus Unternehmertätigkeit und Verm. Tariflöhne Lohnstückkosten
nachrichtlich: Finanzierungssaldo des Staates l),Mrd. DM Geldmarktzins, %-Punkte Kapitalmarktzins, %-Punkte i ) -: Defizitzunahme.
Quelle: Simulation mit der DIW-Version des ökonometrischen Konjunkturmodells der Wirtschaftsforschungsinst itute
184
Folgejahren keinen Einfluß mehr ausübt. Nach sechs Jahren hat sich der Preisindex des privaten Verbrauchs um 3 1/2 vH-Punkte erhöht; im Fall von Reallohnrigidität waren es 7 vH.
Unter der Annahme, daß die Geldpolitik auf diesen einmaligen Preisschub nicht reagiert, stellen sich keine nennenswerten Zinseffekte auf den Geld- und Kapitalmärkten ein. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird nur in den beiden ersten Jahren - im Vergleich zur Variante mit Reallohnrigidität - leicht reduziert, weil der Einbruch beim realen privaten Verbrauch kräftiger ausfällt. In den weiteren Jahren nimmt die wirtschaftliche Entwicklung einen deutlich besseren Verlauf. Einmal ist dies darauf zurückzuführen, daß nicht versucht wird, die Verschlechterung der terms of trade über eine Erhöhung der Exportpreise zumindest teilweise wieder rückgängig zu machen. Bei gleichem nominalen Außenbeitrag der Bundesrepublik und gleichem Absorptionsgrad der energieexportierenden Länder wie im Falle der Reallohnrigidität wird jetzt ein noch höherer Anteil der inländischen Produktion an die energieexportierenden Länder (im wesentlichen die OPEC) weitergegeben. Gleichzeitig gehen die realen Importe nicht mehr so stark zurück. Der reale Außenbeitrag unterscheidet sich deshalb nicht in den Fällen von Real- und von Nominallohnrigidität.
Die Investitionen liegen bei Reallohnrigidität Jahr für Jahr tiefer unter dem Basisniveau als bei Nominallohnrigidität; dies ist im wesentlichen eine Folge der deutlichen Gewinneinbußen. Bei Nominallohnrigidität fällt der Einbruch der Gewinne und der Investitionen dagegen geringer aus; die reale Investitionstätigkeit liegt nach 5 Jahren sogar wieder über dem Basisniveau. Auch sind die Verluste beim realen privaten Ver185
Graphik 9
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, real Abweichung gegenüber Basissimulation in v H 4 τ Variante 2 J ο 2
" N / ^
J
1
0
Variante 1 i I i I Ii 80 81
ι I ι i I I I 11 I ! I I I . i I I 82 83 84 85
Variante 1: Reallohnrigidität bei reinem Angebotsschock Variante 2: Nominallohnrigidität bei reinem Angebotsschock
186
brauch nach 6 Jahren mit 1,5 vH unter dem Basisniveau nicht einmal halb so groß wie im Falle der Reallohnrigidität (-3,8 vH). Mittelfristig profitieren damit auch die Arbeitnehmer von ihrem Verzicht auf Lohnanpassung; im 6. Jahr erreichen sie wieder das Realeinkommensniveau der Basisvariante. Im Falle der Reallohnrigidität mußten sie, trotz Nominallohnsteigerungen, im 6. Jahr einen Verlust an ihrer realen Nettolohn- und gehaltssumme von 3 vH-Punkten hinnehmen.
Graphik lo
Entwicklung des Preisindex des privaten Verbrauchs
Abweichung gegenüber Basissimulation in vH
Variante 1: Reallohnrigidität hei reinem Angebotsschock Variante 2: Nominallohnrigidität bei reinem Angebotsschock
187
Graphik 11
Entwicklung der Exporte, real Abweichung gegenüber Basissimulation in v H
Variante 1: Reallohnrigidität bei reinem Angebotsschock Variante 2: Nominallohnrigidität bei reinem Angebotsschock
188
Graphik 12
Mit dieser deutlich besseren Anpassung an den Energiepreisschock kann mittelfristig das wirtschaftliche Wachstum auf einen steileren Pfad geführt werden. Im 6. Jahr liegt das reale Bruttoinlandsprodukt um 3 vH höher; die Beschäftigungsgewinne bzw. die vermiedenen Beschäftigungsverluste liegen dann eine halbe Million Personen über dem Niveau bei Reallohnrigidität.
189
Tabelle 5 Letstuagsbllanz Erhöhung der Preise von importierter Energie um 100 ν H - Reiner Angebotsschock und Nominallohnrigiditflt Abweichungen gegenüber Bftsissimulation in vH 1980
1981
1982
1983
1984
1985
10,55
9,85
7,70
6,35
7,37
7.75
94,69
83,51
75,26
74,21
76,44
76,06
-1,21
-3,43
-5,04
-5,20
-4,20
-3,33
-2,57
-8,21
-12,37
-12,90
11,78
-12.01
11,92
13,79
13,43
12,19
12,08
11.48
100, ου
100,00
100,00
100,00
100,00
100.00
Exporte von Waren und Diensten, nominal
2,45
4,41
4,67
5,66
7,90
8,16
Exporte von Waren und Diensten, real
2,47
4,47
4,69
5,52
7,46
7.35
Preisindex der Exporte von Waren und Diensten
-0,01
-0,05
-0,02
0,12
0,40
0,75
nachrichtlich: AuBenbeitrag, Mrd. DM nominal
-22,00
-15,00
-7,50
0,00
6,00
8.00
AuBenbeitrag, Mrd. DM real
12,43
28,89
38,53
43,11
48,08
46,59
Importe von Waren und Diensten, nominal dar.: Importe von Energie, nominal Importe von Waren und Diensten, real dar.: Importe von Energie, real Preisindex der Impone Preisindex der Importe von Energie
Quelle: Simulation mit der DIW-Version des ökonometrischen Konjunkturmodells der Wirtschaf tsforschungsinstitute
190
Als Ergebnis der Simulationsanalysen kann festgehalten werden, daß im Falle eines Angebotsschocks der Anpassungsmechanismus mit den geringsten Friktionen belastet wird, wenn Nominallohnrigidität herrscht und die Geldpolitik neutral bleibt. D.h., daß sowohl die Bundesbank als auch die Gewerkschaften die vorübergehende Preiswelle eines Ölpreisschocks akzeptieren müssen und nicht versuchen dürfen, mit einer restriktiven Geldpolitik diese Welle zu stoppen oder mit Nominallohnsteigerungen den Realeinkommensverlust
zu vermeiden.
Die
Kombination dieser beiden - in der Realität anzutreffenden - Reaktionen hätte, wie die theoretischen Überlegungen gezeigt haben, gravierende Nachteile für die Volkswirtschaft.
Mit anderen Worten: Orientierte man sich bei den Setzungen an der tatsächlichen internationalen
Geldpolitik, der weltwirtschaftlichen
Entwicklung und der Politik der Bundesbank und der Tarifpartner in den Jahren von 1979 bis 1982, dann läßt sich der hohe Beschäftigungsverlust jener Jahre ohne weiteres erklären.
191
VI
Sektorale Effekte von reinen Angebotsschocks
- Analyse anhand eines disaggregierten ökonometrischen Modells VL1
Erweiterungen des disaggregierten Modells
Zur empirischen Analyse der sektoralen Wirkungen außenwirtschaftlicher Schocks wurde das disaggregierte ökonometrische Modell des DIW (FIND) eingesetzt, das hierzu erheblich modifiziert werden mußte. Die bisherigen Untersuchungen mit diesem Modell bestanden im wesentlichen aus Anwendungen verschiedener Teilmodelle, die Interaktionen zwischen Angebots- und Nachfrageseite nicht berücksichtigen und somit lediglich für sehr spezifisch auf eine Marktseite gerichtete Analysen geeignet waren.1
Eine besonders bedeutsame Beschränkung war die exogene Vorgabe der Produktion bei der Bestimmung der Nachfrage nach Vorleistungen, Arbeitsleistung und Investitionen. Eine solche Vorgabe läßt sich bei der Analyse von Angebots- und Wechselkursschocks nicht aufrechterhalten. Insbesondere Wechselkursschocks beeinflussen die Faktornachfrage von beiden Seiten. Einmal führen ζ. B. Aufwertungen der D-Mark durch die Verbilligung importierter Vorleistungen zu einer Senkung der Produktionskosten. Damit wirken sie über die Angebotsseite ζ. B. auch auf die Beschäftigungsnachfrage. Zum zweiten aber führen Aufwertungen zu Veränderungen der Exportnachfrage
und beeinflussen damit die
Beschäftigung über Veränderungen der Produktion. Mit deren exogener
1
192
Einige Anwendungen finden sich in Horn (1989).
Vorgabe würden daher im Rahmen einer Schockanalyse wichtige Zusammenhänge vernachlässigt werden.
Aus diesem Grund wurden für das vorliegende Gutachten Teilmodelle entwickelt, die die separate Bestimmung des sektoralen Inlandsabsatzes und der Exporte, die zusammen die Bruttoproduktion ergeben, zum Ziel haben und für die Simulationen mit den bereits bestehenden Modellteilen gekoppelt werden. Neben den üblichen Einflußgrößen, die im Anhang ausführlich beschrieben werden, weisen die Ansätze eine Besonderheit auf: Die sektoralen Absatzmengen werden im Modell auch durch Komponenten der gesamtwirtschaftlichen Endnachfrage beeinflußt. Dieser Modellierung liegt also die Hypothese zugrunde, daß sektorale Absatzmengen nicht nur durch sektoral determinierte Preise, sondern auch durch gesamtwirtschaftliche Nachfragemengen bestimmt werden. Das Modell entspricht auf diese Weise neueren makroökonomisch orientierten Ansätzen, die von einer durch simultane Preis- und Mengenbewegungen
gesteuerten
Entwicklung
der
Absatzmengen
1
ausgehen. Es steht damit allerdings im Widerspruch zu neoklassisch beeinflußten Ansätzen, bei denen eine reine Preissteigerung des Marktsystems unterstellt wird.2
Simulationstechnisch bietet das geschilderte Vorgehen erhebliche Vorteile. So ermöglicht die Berücksichtigung gesamtwirtschaftlicher Größen im sektoralen Modell eine relativ einfache Verbindung zu
1
Siehe hierzu insbesondere Malinvaud anderen Theorien Fischer (1988). 2
(1980) und im Kontext m
Siehe ζ. B. Barro (1976). 193
gesamtwirtschaftlichen Modellen, indem ζ. B. die gesamtwirtschaftlichen Folgen außenwirtschaftlicher
Schocks für die Komponenten der
Endnachfrage in das sektorale Modell für den Inlandsabsatz übernommen werden. Auf diese Weise wird zwar noch keine vollständig konsistente Kopplung zwischen beiden Ebenen erreicht, da die Ergebnisse aus dem disaggregierten Modell nicht in das gesamtwirtschaftliche zurückfließen und folglich keine Interdependenz besteht. Doch ist das geschilderte Vorgehen ein Schritt in diese Richtung. Die sektoralen Analysen bleiben jedoch noch partialanalytischer Natur.
Eine weitere Verbindung zwischen den beiden Ansätzen konnte durch die Kopplung des monetären gesamtwirtschaftlichen Modells mit dem sektoralen Teilmodell zur Bestimmung der Kapitalnutzungskosten erreicht werden. Zinssatzänderungen als Folge geldpolitischer Maßnahmen wirken damit auch auf die relativen Faktorpreise und beeinflussen die sektorale Nachfrage nach Produktionsfaktoren. Da jedoch der Erkenntnisgewinn für die sektorale Analyse eher gering zu veranschlagen ist, sind die Ergebnisse im Anhang lediglich dokumentiert. Alle sektoralen Simulationen sind somit unter Annahme einer unveränderten Geldpolitik durchgeführt worden.1
1
Auch die Einbeziehung des Staatsteils aus dem DIW-LangfristModell ist unter sektoralen Gesichtspunkten nicht sehr sinnvoll, da unmittelbare Kopplung des Staatsteils an sektoralen Größen nicht mög ist. Vielmehr werden durch staatliche Aktivitäten primär gesamtw schaftliche Effekte ausgelöst, die selbstverständlich dann auch au Sektorebene ausstrahlen. Dies wird jedoch durch die Einbeziehung Resultate aus den Simulationen mit dem Konjunkturmodell in den disaggregierten Ansatz implizit berücksichtigt. Siehe auch Blazejczak ( 194
Auch die Berücksichtigung von Wechselkurseffekten stellt für das sektorale Modell eine Neuerung dar. Einmal gehen sie in ein Modell zur Bestimmung der Vorleistungspreise ein und bilden so die Angebotseffekte von Auf- bzw. Abwertungen ab. Zum anderen tangieren sie die sektoralen Exporte und werden daher in dem entsprechenden Teilmodell ebenfalls berücksichtigt.
Folgende Graphik liefert einen Überblick über die gesamten Wirkungsstränge und die verwendeten Teilmodelle.
195
196
Welthandelsvolumen aggregiert
ι
s
_ Exportpreise « k,eral
Exporte seklorat
pzi 1
__
—
*
»
Verbraucherpreise aggregiert
J
—1
^
a
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