Synonymie und Ersetzbarkeit: Von Einstellungszuschreibungen zu den Paradoxien der Analyse 9783110432657, 9783110440768

This book promulgates the thesis that – apart from some easily explained exceptions – the substitution of synonyms in a

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Table of contents :
Inhalt
1 Kompositionalität und Ersetzbarkeit
1.1 Das Kompositionalitätsprinzip
1.1.1 Vorklärungen
1.1.2 Der modale und epistemische Status von (Komp)
1.2 Ersetzbarkeit
2 Mates' Rätsel
2.1 Die metasprachliche Reformulierung zum Ersten
2.2 Burges Replik
2.3 Yagisawas Duplik
2.4 Einstellungen und Schlussfolgerungen
2.5 Das Argument aus der philosophischen Debatte um (ER)
2.5.1 Owens' Argument
2.5.2 Einstellungen vs. sprachliche Handlungen
3 Partielles Verständnis und eigenartige Theorie
3.1 Die metasprachliche Reformulierung zum Zweiten
3.2 Der Einwand aus der mangelnden Eleganz
3.3 Der Einwand aus der semantischen Unreife
3.4 Das Argument aus der eigenartigen Theorie
3.4.1 Die de re Reformulierung
3.4.2 Der Rückgriff auf einen alternativen Begriff
4 Kripkes Einwand
4.1 Verschiedene Weisen, die Bedeutung eines Ausdrucks zu erlernen
4.2 Was heißt hier „der Begriff der Orange“?!
4.3 Unvollständig spezifizierte Gehalte
4.4 Epistemologische und modale Bedenken
4.5 Gewöhnliches Verständnis und korrekte Verwendung
5 Der Einwand aus der mangelnden Erklärung
5.1 Synonymie zwischen komplexen und einfachen Ausdrücken?
5.2 Die Bedeutung von komplexen Prädikaten mit und ohne „und“
5.3 Überlegungen zum Zählen von Behauptungen
5.3.1 Sätze mit Konjunktor
5.3.2 Sätze ohne Konjunktor
6 Church und das erste Paradox der Analyse
6.1 Churchs Auflösung des Paradoxes
6.2 Ist der Begriff des indirekten Sinns unklar?
6.3 Das Erlernen indirekter Sinne
6.3.1 Kripkes Rettungsversuch
6.3.2 Ein zweiter Anlauf
6.4 Lewys Argument für Churchs Differenzannahme
6.5 Kemps Argument für Churchs Differenzannahme
6.6 Das Argument aus der kognitiven Inäquivalenz
6.7 Churchs Intuitionen
6.8 Churchs Übersetzungsargument
7 Die Paradoxa der Analyse
7.1 Einleitung
7.2 Analysen ohne Synonymie
7.3 Analysen und Trivialität
7.4 Das zweite Paradox der Analyse
7.4.1 Erster Grund für die Zurückweisung der ersten Prämisse
7.4.2 Zweiter Grund für die Zurückweisung der ersten Prämisse
7.4.3 Analysen und Zerlegung
7.5 Analysen als Erklärungen
7.5.1 Einführung
7.5.2 Die Relation zwischen Analysans und Analysandum
7.5.3 Erklärungen und Propositionen
7.5.4 Aussagen, worin etwas besteht
7.5.5 Analysen und epistemischer Status
Literaturverzeichnis
Register

Synonymie und Ersetzbarkeit: Von Einstellungszuschreibungen zu den Paradoxien der Analyse
 9783110432657, 9783110440768

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Maik Sühr Synonymie und Ersetzbarkeit

Linguistics & Philosophy

Edited by Günther Grewendorf, Wolfram Hinzen, Hans Kamp, Helmut Weiß

Band 7

Maik Sühr

Synonymie und Ersetzbarkeit Von Einstellungszuschreibungen zu den Paradoxien der Analyse

ISBN 978-3-11-044076-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-043265-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043281-7 ISSN 2198-2104 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Der Wert der Philosophie besteht unter anderem darin, fest verankerte Überzeugungen in Zweifel zu ziehen. Descartes stellte scheinbare Selbstverständlichkeiten in Bezug auf den Umfang unseres Wissens und die Existenz der Außenwelt infrage. Der Oxforder Philosoph Gilbert Ryle attackierte die cartesische Alltagsüberzeugung, dass neben der Materie auch (im selben Sinne) ein Geist existiert. Und der scharfsinnige Logiker Vann McGee bestritt sogar das ungemein einleuchtende Gesetz, dass man aus einer Aussage der Form: „Wenn A, dann B“ immer auf B schließen darf, solange die Bedingung A erfüllt ist. Bei einigen Laien scheint das Interesse an Philosophie sogar einzig und allein vom Wunsch geleitet zu sein, mit allgemein akzeptierten Ansichten zu brechen. Diesen Wunsch werde ich in meiner Arbeit nicht völlig befriedigen. Mir geht es vielmehr darum, eine auf den ersten Blick sehr plausible Idee zu verteidigen. Ich meine das Prinzip, dass zwei Ausdrücke mit derselben Bedeutung sich in jedem Satz (sieht man von einigen Ausnahmen ab, auf die man sich schnell einigen kann) füreinander ersetzen lassen, ohne dass dies einen Unterschied im Hinblick auf die Frage macht, ob der Satz wahr oder falsch ist. Allerdings ist dieses Ersetzbarkeitsprinzip nicht unwidersprochen geblieben. Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein Detailproblem der Semantik anmutet, spielt de facto für verschiedene zentrale Themen der theoretischen Philosophie eine bedeutende Rolle. Mein eigenes Interesse an der Frage nach der Austauschbarkeit von Synonyma erwuchs aus meiner Beschäftigung mit dem sogenannten Paradox der Analyse (genau genommen gibt es zwei Paradoxa der Analyse). Diese Aporie stellt eine der grundlegenden Methoden sowohl der analytischen Philosophie als auch der philosophischen Tradition infrage, nämlich das Analysieren von Begriffen. Nicht wenige Philosophen glauben, dass die Aufgabe des Ersetzbarkeitsprinzips zur Lösung des Paradoxes führt. Die Frage nach der Austauschbarkeit von Synonyma ist aber nicht bloß für methodische Probleme der Philosophie, sondern auch für die Philosophie des Geistes von Bedeutung. So folgt die Falschheit des Ersetzbarkeitsprinzips aus einem bestimmten Argument für den Externalismus bezüglich mentaler Zustände. Dieser besagt, dass viele unserer mentalen Zustände (und Akte) nicht allein von unseren intrinsischen Eigenschaften festgelegt werden. Demnach können zwei Personen all ihre intrinsischen Eigenschaften miteinander teilen, sich aber in ihren mentalen Zuständen unterscheiden. Wenn das Ersetzbarkeitsprinzip jedoch korrekt ist, dann schwächt dies die Position der Externalisten.

VI | Vorwort

Mit dem Status des Ersetzbarkeitsprinzips ist auch das Schicksal eines grundlegenden Gedankens in der modernen Sprachphilosophie verbunden. Gemeint ist das sogenannte Kompositionalitätsprinzip der Bedeutung, welches besagt, dass die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks allein von der Bedeutung seiner Konstituenten und der Weise ihrer Zusammensetzung bestimmt wird. Mit diesem Prinzip lässt sich teilweise unsere Fähigkeit erklären, eine natürliche Sprache (in der es unendlich viele Sätze gibt) zu lernen, die die Fähigkeit voraussetzt, Sätze zu verstehen, die man noch nie zuvor gehört hat. Zugleich bauen viele semantische Theorien auf diesem Prinzip auf. Aus diesem Prinzip lässt sich das Ersetzbarkeitsprinzip ableiten. Wenn also das Ersetzbarkeitsprinzip falsch ist, wirft dies auch ein schlechtes Licht auf dieses Prinzip. Der Status des Ersetzbarkeitsprinzips hat auch auf andere sprachphilosophische Themen Einfluss. So lautet ein Standardeinwand gegen mehrere philosophische Theorien der Bedeutung, dass sich Ausdrücke, die ihnen zufolge dieselbe Bedeutung haben, in manchen Sätzen nicht salva veritate austauschen lassen und deshalb entgegen diesen Theorien nicht dieselbe Bedeutung haben können. Dieser Einwand setzt das Ersetzbarkeitsprinzip voraus. Ist es falsch, haben die attackierten Theorien vor dem Einwand nichts zu fürchten. Manche fregeanischen Theorien der Bedeutung, denen zufolge zwei Ausdrücke im gewöhnlichen Sinn konvergieren, im indirekten Sinn jedoch divergieren können, sind unter einer möglichen Interpretation sogar mit dem Ersetzbarkeitsprinzip unvereinbar. Die Konsequenzen des alethischen Status des Ersetzbarkeitsprinzips sind vielfältig und bedeutend. Viele der angesprochenen Zusammenhänge zwischen diesem Prinzip und zentralen Fragen der theoretischen Philosophie werden in dieser Arbeit ausführlich zur Sprache kommen. Der Aufbau meiner Arbeit ist simpel. Ich werde das Ersetzbarkeitsprinzip die ersten fünf Kapitel sowohl gegen die prominentesten als auch gegen andere, mindestens ebenso gewichtige, Gegenbeispiele verteidigen. Einer meiner Widersacher ist Tyler Burge, mit dessen Einwänden ich mich in extenso beschäftigen werde. Im Zuge der Auseinandersetzung werde ich mitunter Positionen entwickeln, die prima facie plausiblen Annahmen widersprechen und auf diese Weise dem Bedürfnis nach Bruch mit dem Common Sense doch ein wenig entgegenkommen. Im sechsten und letzten Kapitel der Arbeit geht es mir dann um die Anwendung des Prinzips auf ein philosophisches Problem, den Paradoxa der Analyse. Wenn das Ersetzbarkeitsprinzip korrekt ist, dann ist der Ausweg aus den Paradoxa durch Aufgabe dieses Prinzips versperrt. Ich werde daher einen alternativen Lösungsweg einschlagen und dabei auf der Tatsache aufbauen, dass Begriffsanalysen Erklärungen sind.

Vorwort | VII

Es ist wohl so gut wie unmöglich, über das Ersetzbarkeitsprinzip in systematischer Absicht zu schreiben, ohne allgemeine Annahmen über Bedeutung oder den Gehalt von mentalen Akten und Zuständen vorauszusetzen. Was das letztere Thema angeht, habe ich eine klare fregesche Orientierung: Nach meinem Dafürhalten sind die Gehalte mentaler Akte und Zustände fregesche Sinne und nicht, wie Russell annimmt, die mit (logischen) Eigennamen bezeichneten Gegenstände, Eigenschaften oder Komplexe aus diesen. Wenn ich von fregeschen Sinnen rede, meine ich Weisen des Denkens an etwas. Subsententielle Sinne nenne ich auch Begriffe, Sinne von Aussagesätzen bezeichne ich meist als Propositionen. Obwohl ich Frege in der Frage des Gehalts von mentalen Zuständen oder Akten zustimme, so weiche ich doch in anderer Hinsicht von ihm ab. Denn im Gegensatz zu ihm identifiziere ich den Gehalt von mentalen Zuständen und Akten nicht mit dem, was mit bestimmten Sätzen in einem gegebenen Kontext gesagt wird. Meine Gründe dafür werden im vierten Kapitel deutlich. Nicht Frege, aber andere Autoren setzen den Gehalt von mentalen Zuständen und Akten mit der (sprachlichen) Bedeutung gewisser Sätze gleich. Auch von ihnen setze ich mich ab, wie sich ebenfalls im vierten Kapitel zeigen wird. Auf dem langen Weg bis zur Fertigstellung des Manuskripts habe ich von vielen Seiten Unterstützung erfahren. Meine Dankbarkeit gilt vor allem meinen beiden Betreuern Wolfgang Künne und Benjamin Schnieder. Während Benjamin Schnieder meine vielen kleinen Fragen stets geduldig beantwortete, hat mich Wolfgang Künne immer dann ermutigt, wenn ich es am meisten brauchte. Danken möchte ich auch Anne Desler, Christian Folde, Lisa Grunenberg, Bernd Kacinsky, Maria Kuper, Pawel Rasch, Sonja Schierbaum und Robert Schwartzkopff, die mir im Rahmen eines Magister- und Dissertationskolloquiums mit vielen wertvollen Kommentaren halfen. Miguel Höltjes pointierte Fragen und Einwände zum vierten Kapitel haben zu vielen wesentlichen Änderungen beigetragen. Ihm sei besonders herzlich gedankt. Nicht zuletzt danke ich, soweit noch nicht genannt, Katharina Felka und Yannik Kappes für ihre Hilfe beim Korrekturlesen.

Inhalt 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2

Kompositionalität und Ersetzbarkeit | 1 Das Kompositionalitätsprinzip | 1 Vorklärungen | 2 Der modale und epistemische Status von (Komp) | 11 Ersetzbarkeit | 17

2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.5.1 2.5.2

Matesʼ Rätsel | 22 Die metasprachliche Reformulierung zum Ersten | 22 Burges Replik | 26 Yagisawas Duplik | 27 Einstellungen und Schlussfolgerungen | 32 Das Argument aus der philosophischen Debatte um (ER) | 33 Owensʼ Argument | 34 Einstellungen vs. sprachliche Handlungen | 36

3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2

Partielles Verständnis und eigenartige Theorie | 40 Die metasprachliche Reformulierung zum Zweiten | 40 Der Einwand aus der mangelnden Eleganz | 44 Der Einwand aus der semantischen Unreife | 48 Das Argument aus der eigenartigen Theorie | 52 Die de re Reformulierung | 54 Der Rückgriff auf einen alternativen Begriff | 59

4 4.1

Kripkes Einwand | 67 Verschiedene Weisen, die Bedeutung eines Ausdrucks zu erlernen | 67 Was heißt hier „der Begriff der Orange“?! | 69 Unvollständig spezifizierte Gehalte | 72 Epistemologische und modale Bedenken | 78 Gewöhnliches Verständnis und korrekte Verwendung | 80

4.2 4.3 4.4 4.5 5 5.1 5.2 5.3

Der Einwand aus der mangelnden Erklärung | 89 Synonymie zwischen komplexen und einfachen Ausdrücken? | 89 Die Bedeutung von komplexen Prädikaten mit und ohne „und“ | 94 Überlegungen zum Zählen von Behauptungen | 99

X | Inhalt

5.3.1 5.3.2

Sätze mit Konjunktor | 99 Sätze ohne Konjunktor | 104

6 6.1 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.4 6.5 6.6 6.7 6.8

Church und das erste Paradox der Analyse | 109 Churchs Auflösung des Paradoxes | 109 Ist der Begriff des indirekten Sinns unklar? | 115 Das Erlernen indirekter Sinne | 120 Kripkes Rettungsversuch | 122 Ein zweiter Anlauf | 125 Lewys Argument für Churchs Differenzannahme | 129 Kemps Argument für Churchs Differenzannahme | 132 Das Argument aus der kognitiven Inäquivalenz | 137 Churchs Intuitionen | 143 Churchs Übersetzungsargument | 147

7 7.1 7.2 7.3 7.4 7.4.1 7.4.2 7.4.3 7.5 7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5

Die Paradoxa der Analyse | 150 Einleitung | 150 Analysen ohne Synonymie | 153 Analysen und Trivialität | 155 Das zweite Paradox der Analyse | 160 Erster Grund für die Zurückweisung der ersten Prämisse | 160 Zweiter Grund für die Zurückweisung der ersten Prämisse | 165 Analysen und Zerlegung | 173 Analysen als Erklärungen | 177 Einführung | 177 Die Relation zwischen Analysans und Analysandum | 183 Erklärungen und Propositionen | 185 Aussagen, worin etwas besteht | 187 Analysen und epistemischer Status | 189

Literaturverzeichnis | 191 Register | 199

1 Kompositionalität und Ersetzbarkeit 1.1

Das Kompositionalitätsprinzip

Es ist eine Binsenweisheit, dass unterschiedliche Sätze dieselbe Bedeutung haben können. Ein simples und oft erfolgreiches Rezept, um aus einem Satz einen anderen Satz mit derselben Bedeutung zu generieren, ist der Austausch eines Ausdrucks in dem Satz durch ein Synonym. Ersetzen wir zum Beispiel in dem Satz „Anna spielt Geige“ den Ausdruck „Geige“ durch „Violine“, erhalten wir einen anderen Satz mit derselben Bedeutung. Worin liegt der Grund für die Gleichheit in der Bedeutung? Die naheliegende Erklärung weist zunächst darauf hin, dass „Geige“ mit „Violine“ synonym ist. Hinzu kommt, dass sich abgesehen von der Ersetzung von „Geige“ durch „Violine“ an dem ursprünglichen Satz nichts verändert hat: Sowohl die Bedeutung der übrigen Bestandteile bleibt dieselbe als auch die Art und Weise, wie die Bestandteile des Satzes miteinander verknüpft sind. Wer die Bedeutungsgleichheit der beiden Sätze auf diese Weise erklärt, der macht anscheinend Gebrauch vom sogenannten Kompositionalitätsprinzip der Bedeutung: (Komp1) Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks wird bestimmt durch die Bedeutungen seiner Konstituenten und die Weise, wie die Konstituenten zusammengesetzt sind.1

Denn mit (Komp1) dürfen wir in der Tat aus der Gleichheit der Bedeutungen der Konstituenten der beiden Sätze und der Gleichheit in der Weise ihrer Zusammensetzung auf die Bedeutungsgleichheit der beiden Sätze schließen. (Wir unterstellen hierbei natürlich, dass mit „bestimmt“ vollständig bestimmt gemeint ist.) Nun haben die beiden Sätze nicht bloß dieselbe Bedeutung, sie teilen sich auch ihren Wahrheitswert (ihre Extension), wenn sie im Hinblick auf denselben Kontext nach wahr und falsch bewertet werden. Dies ist offensichtlich kein Zufall und die Vermutung liegt nahe, dass ihre Bedeutungsgleichheit

|| 1 Der Titel „Kompositionalitätsprinzip“ ist etwas irreführend, weil er nahelegt, die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ist aus den Bedeutungen seiner Konstituenten buchstäblich aufgebaut und steht zu ihnen in einem Teil-Ganzes-Verhältnis. Darum geht es in (Komp) aber offensichtlich nicht. Um der Leserin rasche Wiedererkennung zu ermöglichen, bleibe ich allerdings bei dem gebräuchlichen Namen.

2 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

Wahrheitswertgleichheit relativ zum selben Bewertungskontext garantiert. Wenn also das Kompositionalitätsprinzip gilt, dann lässt sich offensichtlich zumindest manchmal ein Ausdruck salva veritate durch ein Synonym in einem Satz ersetzen. Gilt dies auch ganz allgemein? Lässt sich dem Kompositionalitätsprinzip zufolge ein Ausdruck in einem Satz immer durch ein Synonym ohne Einfluss auf den Wahrheitswert substituieren, wie oft angenommen wird? Nein, die Ersetzung muss dafür bestimmte Bedingungen erfüllen. Diesen Bedingungen widme ich mich im ersten Teil dieses Kapitels. Ich fasse sie in dem von mir sogenannten Ersetzbarkeitsprinzip zusammen. Der zweite Teil des Kapitels wie die folgenden Kapitel verteidigt dieses Ersetzbarkeitsprinzip (und damit indirekt auch das Kompositionalitätsprinzip) gegen sowohl bekannte als auch weniger bekannte Einwände. Im letzten Kapitel wende ich das Ersetzbarkeitsprinzip auf die Paradoxe der Analyse an und plädiere für eine Auflösung der Aporien unter Wahrung des Prinzips.

1.1.1

Vorklärungen

Zunächst jedoch soll es um das Prinzip gehen, aus dem man die Bedingungen für die wahrheitswerterhaltene Ersetzbarkeit von Synonyma gewinnen kann: das Kompositionalitätsprinzip. Es wird oft bereits Frege zugeschrieben. Allerdings hat sich Frege nie expressis verbis auf (Komp1) festgelegt, obwohl das Prinzip von manchen seiner Behauptungen nahegelegt wird.2 Wie dem auch sei, in der modernen Sprachphilosophie spielt (Komp1) eine zentrale Rolle und erfreut sich sehr breiter, wenn auch nicht einhelliger Zustimmung. Um (Komp1) zu verstehen, müssen wir einige Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten in (Komp1) beseitigen – und an diesen mangelt es der oben gegebenen Formulierung nicht.3 Beginnen wir mit der Frage, wie der Ausdruck „Bedeutung“ in (Komp1) zu verstehen ist. Freunde von (Komp1) betonen gerne, dass (Komp1) wahr ist, unabhängig davon, welche Theorie der Bedeutung man zugrunde legt und wie man „Bedeutung“ genau interpretiert, solange die Interpretation auf den gewöhnlichen Gebrauch des Wortes Rücksicht nimmt. Ich möch-

|| 2 In Sinn und Bedeutung lesen wir zum Beispiel: „Nehmen wir einmal an, der Satz habe eine Bedeutung! Ersetzen wir nun in ihm ein Wort durch ein anderes von derselben Bedeutung, aber anderem Sinne, so kann dies auf die Bedeutung des Satzes keinen Einfluß haben“ (Frege 1982, 32). Wenn wir „Bedeutung“ in (Komp1) so wie „fregescher Sinn“ verstehen, dann folgt (Komp1) auch aus Freges Kompositionsprinzip des Sinns. 3 Siehe dazu auch Szabó 2012: 65–71, auf dem die folgende Diskussion teilweise aufbaut.

Das Kompositionalitätsprinzip | 3

te dies nicht bestreiten. Allerdings gilt mein eigentliches Interesse den Bedingungen, unter denen die Ersetzung einer Konstituente eines Satzes durch ein Synonym den Wahrheitswert des Satzes erhält. Diese Bedingungen folgen wohl nicht unter jeder Lesart von „Bedeutung“ aus (Komp1). Aus (Komp1) gewinnt man zunächst lediglich die Bedingungen, unter denen die Ersetzung eines Ausdrucks in einem Satz durch ein Synonym die Bedeutung des Satzes erhält. Aber es scheint, dass man nicht unter jeder Lesart von „Bedeutung“ in (Komp1) aus der Bedeutungserhaltung auf die Erhaltung des Wahrheitswertes im selben Bewertungskontext schließen darf. Betrachten wir die folgenden Sätze: (1)

Ich wurde an einem Samstag geboren.

(2)

Ich wurde an einem Sonnabend geboren.

In einem gewissen Sinne teilen sich (1) und (2) ihre Bedeutung. Sie haben diejenige Bedeutung gemein, die ein Rezipient einer Äußerung von (1) und (2) kennen kann, ohne Informationen über den Kontext der Äußerung zu haben, also ohne zum Beispiel zu wissen, wann und von wem die Sätze geäußert wurden. Diese Bedeutung der Sätze kennt jeder, der die deutsche Sprache (hinreichend) beherrscht und in der Lage ist, die Sätze in eine andere Sprache zu übersetzen. Ich werde diese Bedeutung im Folgenden kontextunabhängige Bedeutung nennen. Ein alternativer und häufig verwendeter Titel lautet „konventionelle Bedeutung“. Das Gegenstück zur kontextunabhängigen Bedeutung bildet die kontextuelle Bedeutung (im Folgenden schlicht: Bedeutungk). Die Grundidee ist, dass die Bedeutungk eines Ausdruckstyps in einem Äußerungskontext K diejenige semantische Eigenschaft des Ausdrucks in K ist, in die seine kontextunabhängige Bedeutung eingeht und die relativ zu einem Bewertungskontext seine Extension determiniert.4 Um die Bedeutungk von (1) und (2) zu kennen, ist nicht bloß Kenntnis der kontextunabhängigen Bedeutung, sondern auch Wissen über den

|| 4 Ich setze hier und im Folgenden in entscheidender Weise eine dünne Konzeption des Bewertungskontextes voraus, derzufolge Bewertungskontexte ausschließlich mögliche Welten als Komponenten haben. In jüngster Zeit finden sich in der Literatur auch (wieder) dicke Konzeptionen, denen zufolge weitere Elemente wie Sprecherin, Zeiten und Orte in den Bewertungskontext eingehen, die standardmäßig eher als Faktoren für die Bedeutungk betrachtet werden. Relativ zu einem hinreichend dicken Bewertungskontext würde bereits die kontextunabhängige Bedeutung eines Ausdrucks seine Extension determinieren. Für einen Überblick über verschiedene Konzeptionen des Bewertungskontextes siehe zum Beispiel Recanati 2007, Kap. 12– 15.

4 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

Kontext der Äußerung, nämlich über die Identität der Sprecherin, notwendig. Der Kontext der Äußerung eines Ausdrucks soll hier ganz allgemein so weit verstanden werden, dass er all die Faktoren enthält, die neben der kontextunabhängigen Bedeutung die Extension eines geäußerten Ausdrucks in einem Bewertungskontext festlegen.5 Die Bedeutung eines Ausdrucks in einem Äußerungskontext K wird demnach sowohl von seiner kontextunabhängigen Bedeutung festgelegt als auch von K, genauer denjenigen Elementen von K, die zusammen mit der kontextunabhängigen Bedeutung des Ausdrucks seine Extension in einem Bewertungskontext determinieren.6 So hängt zum Beispiel die Extension von „ich“ in einem Bewertungskontext im Normalfall von der Sprecherin des Äußerungskontexts ab. Ein Unterschied in der Sprecherin sorgt daher gewöhnlich für einen Unterschied in der Bedeutungk von „ich“. Wenn die Extension eines geäußerten Ausdrucks in keiner Weise vom Äußerungskontext abhängt, dann fällt die kontextunabhängige Bedeutung des Ausdrucks mit seiner Bedeutungk in diesem Kontext zusammen. Nun kann die kontextunabhängige Bedeutung von (1) beim Übergang zu (2) erhalten bleiben, ohne dass dies auch der Wahrheitswert von (1) relativ zum selben Bewertungskontext tut. Denn die Erhaltung der kontextunabhängigen Bedeutung ist damit vereinbar, dass in den beiden Sätzen auf zwei verschiedene Personen Bezug genommen wird, von denen nur eine an einem Samstag geboren wurde. Wird die Bedeutungk beim Übergang von (1) nach (2) bewahrt, garantiert dies auch die Konservierung des Wahrheitswertes relativ zum selben Bewertungskontext. Denn die Wahrung der Bedeutungk setzt Gleichheit des Bezugs von „ich“ in den beiden Sätzen voraus. Um von (Komp1) nicht bloß auf die Bedingungen zu schließen, unter denen Synonyme in einem gewissen Sinn salva significatione in einem Satz ersetzt

|| 5 Zum Kontext rechne ich daher nicht bloß die Sprecherin, Zeitpunkt und Ort der Äußerung, sondern zum Beispiel auch was immer die Extension von geäußerten mehrdeutigen Ausdrücken und echten Demonstrativa wie „dies“ und „sie“ festlegt. Vielen Autoren zufolge sind dies die Intentionen der Sprecherin. Einige von ihnen, insbesondere Bach (siehe Bach 2006: 521, 544ff.) bestreiten aber zugleich, dass Sprecher-Intentionen Teil des Kontexts sind. Ihre Kritik betrifft aber nur bestimmte substanzielle Konzeptionen des Kontexts, zum Beispiel solche, denen zufolge der Kontext Informationen bereitstellt, die die Hörerin verwenden kann, um die kommunikativen Intentionen der Sprecherin zu ermitteln. Meine Konzeption des Kontexts ist frei von solchen substanziellen Annahmen. 6 Ich unterscheide wie Kaplan (1989) zwischen dem Äußerungskontext eines Ausdrucks und dem Kontext seiner Bewertung (circumstance of evaluation). Der Kontext einer Äußerung eines Ausdrucks, etwas eines Eigennamens, muss nicht zugleich der Kontext sein, relativ zu dem der Ausdruck hinsichtlich seiner Extension bewertet wird.

Das Kompositionalitätsprinzip | 5

werden können, sondern auch auf die Bedingungen für ihre Ersetzbarkeit salva veritate (vel falsitate), verstehe ich „Bedeutung“ in (Komp1) daher im Sinne von Bedeutungk.7 Konsequenterweise soll hier die Rede von Konstituenten in (Komp1) im Sinne von Ausdruckstypen und nicht -token aufgefasst werden, da die Träger von Bedeutungenk Ausdruckstypen (in Äußerungskontexten) sind. Eine zweite Ambiguität betrifft den Ausdruck „die Bedeutungen seiner Konstituenten“. Wie viele plurale Ausdrücke hat auch er eine kollektive und eine individuelle Lesart. In der individuellen Lesart wird mit ihm auf jede Bedeutung Bezug genommen, von der gilt: Genau eine Konstituente besitzt sie. In der kollektiven Lesart besagt sie hingegen etwa dasselbe wie „Jede Bedeutung, von der gilt: Genau eine seiner Konstituenten hat sie oder ein Kollektiv aus mehreren Konstituenten hat sie“. In der kollektiven Lesart legitimiert (Komp) ein liberaleres Ersetzungsprinzip als in der individuellen Lesart, das im Vergleich mit mehr Fällen von Wahrheitswertwechseln nach einem Austausch von Synonyma vereinbar ist. Doch ob es Bedeutungen gibt, die nur von einem Kollektiv von Ausdrücken und nicht von einem einzelnen Ausdruck besessen werden, ist umstritten.8 Zudem ist selbst ein solch liberales Ersetzbarkeitsprinzip nicht mit allen später besprochenen Problemfällen vereinbar. Kollektive Bedeutungen, falls es sie denn überhaupt gibt, sind also ohnehin nur von bedingter Hilfe, um ein plausibles Ersetzbarkeitsprinzip zu verteidigen. Ich lege mich daher im Folgenden auf die individuelle Lesart fest. Damit sind nicht alle Unklarheiten in Bezug auf den Ausdruck „die Bedeutungen seiner Konstituenten“ beseitigt. Denn es liegt nicht auf der Hand, was genau eine Konstituente eines komplexen Ausdrucks ist. Es wäre voreilig anzunehmen, dass eine Konstituente eines komplexen Ausdrucks α nichts anderes als ein Ausdruck ist, den α enthält. Der Satz „Der Geigerzähler misst Strahlungen“ enthält die Ausdrücke „Geige“, „isst“ und „Lunge“, aber all diese Ausdrücke sind im einschlägigen Sinn keine Konstituenten des Satzes. Wir schießen allerdings über das Ziel hinaus, wenn wir zusätzlich fordern, dass die in α enthaltenen Ausdrücke als eigenständige Wörter vorkommen müssen, um Konstituenten von α zu sein. Denn auf diese Weise schließen wir unplausiblerweise Komponenten von Komposita aus. In „Das Toilettenpapier ist alle“ taucht der

|| 7 Eine zweite und ähnliche Option wäre, nicht die Bedeutungk eines Ausdruckstyps, sondern die Bedeutung von Äußerungen zum Thema von (Komp1) zu machen, wobei die Bedeutung einer Äußerung eines Ausdrucks genauso wie seine Bedeutungk von seiner konventionellen Bedeutung und dem Kontext seiner Äußerung abhängt. 8 Die Idee kollektiver Bedeutungen hat Kit Fine (2007, insbesondere Kapitel 2) in die Diskussion eingeführt.

6 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

Ausdruck „Toilette“ nicht als eigenständiges Wort auf, sondern lediglich als Teil eines zusammengesetzten Wortes. Dennoch gibt es keinen Grund, den Ausdruck nicht als Konstituente des Satzes aufzufassen, schließlich hat seine Bedeutung offensichtlich Einfluss auf die Bedeutung des Satzes. Ich schlage daher vor, eine Konstituente eines komplexen Ausdrucks α als einen in α enthaltenen Ausdruck zu verstehen, dessen Bedeutung zur Bedeutung von α beiträgt.9 Sowohl die Bedeutung von α als auch die Bedeutung, die zur Bedeutung von α beiträgt, muss hier gemäß der zur Debatte stehenden Lesart von (Komp1) genauer als Bedeutungk verstanden werden. Die letzte Unklarheit in (Komp1), auf die ich aufmerksam machen möchte, betrifft die Art und Weise der Zusammensetzung der Konstituenten. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Oberflächensyntax eines komplexen Ausdrucks. Für meine Zwecke ist es sinnvoll, sie vielmehr mit logischer Form zu identifizieren – der Form, die zum Beispiel die Reichweite von Quantoren und anderen Ausdrücken festlegt. Mit „logischer Form eines komplexen Ausdrucks α“ ist hier genauer diejenige Weise der Zusammensetzung der Konstituenten (kurz: Struktur) von α gemeint, die neben weiteren Faktoren (d. h. neben anderen Gegenständen als Arten und Weisen der Zusammensetzung) die Bedeutungk von α determiniert. Zwar ist es in einem gewissen Sinne korrekt zu behaupten, dass die Oberflächenform eines Ausdrucks zusammen mit anderen Faktoren, also Faktoren, die nicht identisch mit der Oberflächenform sind wie etwa logische Form, seine Bedeutungk determiniert – obgleich ihr Beitrag zur Determination dank des Beitrags seitens logischer Form redundant ist. Aber sie ist keine Weise der Zusammensetzung, die neben anderen Faktoren, d. h. Faktoren, die keine Arten und Weisen der Zusammensetzung sind, die Bedeutungk des Satzes determiniert. (Komp1) ist womöglich mit mehr Änderungen in der Bedeutungk eines Satzes aufgrund der Ersetzung eines Ausdrucks durch ein Synonym vereinbar, als es auf den ersten Blick scheint. Ersetzen wir in dem Satz (3)

Anna sieht Enteriche

den Ausdruck „Enteriche“ durch das Synonym „männliche Enten“, bleibt wie im obigen Geigen/Violinen-Beispiel die Bedeutungk des Satzes anscheinend || 9 Von einigen Ausdrücken wie der Kopula „ist“ wurde vermutet, dass sie nichts beisteuern zur Bedeutung eines komplexen Ausdrucks, der sie enthält. Frege (1892b: 194) zum Beispiel bezeichnete die Kopula als „blosses Formwort der Aussage“. In diesem Fall wäre sie keine Konstituente im hier einschlägigen Sinn. Auch in der modernen formalen Semantik wird diese Option erwogen, siehe Heim & Kratzer 1998: 61f.

Das Kompositionalitätsprinzip | 7

erhalten. Doch im Gegensatz zum obigen Beispiel folgt diese Erhaltung der Bedeutungk nicht allein aus (Komp1). Denn in dem durch die Ersetzung entstandenen Satz (4)

Anna sieht männliche Enten

geht die Zusammensetzungsweise zwischen „männliche“ und „Enten“ ein, die sich im Ausgangssatz nicht zu finden scheint. Zudem scheint die Bedeutungk von „männliche“ oder „Enten“ nicht identisch mit der Bedeutungk einer Konstituente im Ausgangssatz zu sein. Also scheinen sich die beiden Sätze auch im Hinblick auf die Bedeutungenk ihrer Konstituenten zu unterscheiden. Es gibt zwei Strategien, um auch eine solche Ersetzung eines Ausdrucks durch ein Synonym mit anscheinend unterschiedlicher Komplexität als bedeutungskerhaltend auszuweisen. Wir könnten zum Beispiel annehmen, dass die Oberflächenform des Ausdrucks „Enteriche“ trügt und er in Wirklichkeit (auf der Ebene der logischen Form) wie „männliche Enten“ ein komplexer Ausdruck ist. Diese Strategie wirkt allerdings ad hoc, da es keinen unabhängigen Grund für die Komplexität von „Enteriche“ zu geben scheint. Im Folgenden gehe ich daher davon aus, dass „Enteriche“ kein verkappter komplexer Ausdruck ist. Die aussichtsreichere Alternative besteht darin, sich auf ein stärkeres Prinzip als (Komp1) zu berufen. Intuitiv wird die Bedeutungk von (4) von der Bedeutungk des Prädikats, der Bedeutungk des Eigennamens und der Art und Weise, wie Prädikat und Eigennamen verknüpft sind, festgelegt. Die interne Struktur des Prädikats und die Bedeutungenk seiner Konstituenten spielen hingegen nur insofern eine Rolle, als sie zur Bedeutungk des Prädikats beitragen. Daher scheint (4) dieselbe Bedeutungk zu haben wie (3) trotz des Unterschieds in der Struktur des Prädikats. Wir können diese Überlegung mit dem folgenden Prinzip einfangen: (Komp) Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks wird bestimmt durch die Bedeutungen seiner unmittelbaren Konstituenten und die Weise, wie die unmittelbaren Konstituenten zusammengesetzt sind.

Der Ausdruck α ist eine unmittelbare Konstituente von β genau dann, wenn α eine Konstituente von β ist und es keine Konstituente von β gibt, die α als Konstituente enthält. Aus (Komp) folgt nun (gemäß den vorherigen Erläuterungen zu Bedeutung usw.) wie gewünscht die Gleichheit in der Bedeutungk zwischen den

8 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

beiden genannten Sätzen trotz der Unterschiede in ihrer Struktur. (Komp) hat wie (Komp1) eine gute Presse. Die formale Semantik basiert auf diesem Prinzip und vor allem Linguisten haben dieses stärkere Prinzip im Sinn, wenn sie von Kompositionalität sprechen. (Komp) ist zwar logisch stärker als (Komp1). Es ist jedoch zweifelhaft, ob (Komp) auch metaphysisch stärker ist. Im Folgenden argumentiere ich dafür, dass (Komp) wahr ist, insofern es (Komp1) ist. Angenommen, (Komp1) ist wahr, (Komp) aber zugleich falsch. Dann gibt es komplexe Ausdrücke, von denen gilt: (i) Sie unterscheiden sich in ihrer Bedeutungk; (ii) ihre Bedeutungk wird von der Bedeutungk ihrer Konstituenten und der Weise ihrer Zusammensetzung determiniert; (iii) und es gibt keine Differenz in der Bedeutungk ihrer unmittelbaren Konstituenten oder der Weise ihrer Zusammensetzung. Gibt es solche Beispiele? Betrachten wir zunächst (3) und (4). Nehmen wir im Gegensatz zum Vorhergesagten hypothetischerweise an, dass (i) gilt. Da sie sich in der Bedeutungk ihrer Konstituenten und der Weise ihrer Zusammensetzung unterscheiden, steht (i) nicht im Widerspruch zu (ii). Nehmen wir daher an, dass (i) und (ii) gilt. Ist es zugleich möglich, dass sie in der Bedeutungk ihrer unmittelbaren Konstituenten und der Weise ihrer Zusammensetzung übereinstimmen (iii)? Wenn es einen Unterschied in der Bedeutungk zwischen (3) und (4) gibt, muss es prinzipiell möglich sein, anzugeben, worin er besteht. Einige Unterschiede in der Bedeutungk zwischen bestimmten Ausdrücken sind schwer zu spezifizieren, andere können wir de facto vielleicht gar nicht explizieren. Es muss aber zumindest im Prinzip möglich sein, semantische Unterschiede zu identifizieren (welche Spielart der Bedeutung sie auch immer betreffen). Wie könnte man die Bedeutung eines Ausdrucks erlernen, wenn es prinzipiell unmöglich ist, den Unterschied in der Bedeutung zu einem anderen Ausdruck kenntlich zu machen? Doch ist es unmöglich, den Unterschied in der Bedeutungk zwischen (3) und (4) anzugeben, ohne einen Unterschied in der Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten oder der Weise ihrer Zusammensetzung vorauszusetzen oder (ii) zu bestreiten. Man stelle sich vor, man müsste den Unterschied in der Bedeutungk zwischen (3) und (4) jemandem näherbringen, der weder (3) noch (4) versteht. Wer zugleich von der Wahrheit von (Komp1) als auch von der Falschheit von (Komp) überzeugt ist, kann argumentieren, dass es irgendeinen Unterschied in der Bedeutungk aufgrund des Unterschieds in der Struktur oder der Bedeutungenk der Konstituenten geben muss. Wenn es aber prinzipiell unmöglich ist, diesen Unterschied im Einklang mit (ii) und (iii) zu spezifizieren, gibt es keinen solchen Unterschied, solange (ii) und (iii) gilt. Es kann daher nicht zugleich (i) als auch (ii) und (iii) auf (3) und (4) zutreffen.

Das Kompositionalitätsprinzip | 9

Bei (3) und (4) ist ohnehin nicht plausibel, dass sie sich in ihrer Bedeutungk unterscheiden. Vielleicht treffen (i), (ii) und (ii) auf komplexere Beispiele als (3) und (4) zu. Betrachten wir: (5)

Jules glaubt, dass Anna Enteriche sieht.

(6)

Jules glaubt, dass Anna männliche Enten sieht.

Im Laufe dieser Arbeit werde ich die Annahme verteidigen, dass Sätze wie (5) und (6) denselben Wahrheitswert haben. Nehmen wir aber hypothetisch an, dass die beiden Sätze im Wahrheitswert auseinanderfallen. Dann liegt es nahe, auch von einer Differenz in ihrer Bedeutungk auszugehen, sodass (i) gilt. Doch wiederum ist es unmöglich, diesen Unterschied im Einklang mit (ii) und (iii) anzugeben. Man kann ihn unter Wahrung von (ii) nur spezifizieren, wenn man entgegen (iii) einen Unterschied in der Bedeutungk der unmittelbaren Konstituente von (5) (P)

(…) glaubt, dass Anna Enteriche sieht

und der Bedeutungk der unmittelbare Konstituente von (6) (Q)

(…) glaubt, dass Anna männliche Enten sieht

annimmt (die Weise, wie (P) und (Q) mit „Jules“ zusammengesetzt sind, ist offensichtlich dieselbe). Wenn man ihn aber grundsätzlich nicht spezifizieren kann, solange (ii) und (iii) zutrifft, gibt es ihn unter dieser Voraussetzung auch nicht. Treffen (i), (ii) und (iii) vielleicht auf (P) und (Q) zu? Wiederum gilt, unter Wahrung von (ii) und (iii) lässt sich nicht angeben, worin der Unterschied in der Bedeutungk besteht. Er lässt sich nur aufzeigen, wenn man sich dabei auf einen entsprechenden Kontrast zwischen den unmittelbaren Konstituenten verlässt, also entweder zwischen „glaubt“ in (P) und „glaubt“ in (Q) oder zwischen (M) und

dass Anna Enteriche sieht

10 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

(N)

dass Anna männliche Enten sieht.10

Aus denselben Gründen treffen (i), (ii) und (iii) auch nicht auf (M) und (N) zu. Wann immer sich zwei komplexe Ausdrücke in ihrer Bedeutungk unterscheiden und (ii) auf sie zutrifft, lässt sich dieser Unterschied nicht spezifizieren, wenn es keinen entsprechenden Unterschied zwischen ihren unmittelbaren Konstituenten (oder in der Weise ihrer Zusammensetzung) gibt. Wenn sich ein Unterschied in der Bedeutungk prinzipiell nicht angeben lässt, gibt es ihn nicht. Es gibt keine Beispiele, von denen (i), (ii) und (iii) gilt. Also ist (Komp) wahr, wenn (Komp1) es ist. Mein Argument dafür hing von keinem kontingenten Zug der Welt ab, also gilt notwendigerweise: Wenn (Komp1) wahr ist, dann ist auch (Komp) wahr. Zusammen mit der Tatsache, dass notwendigerweise gilt, dass (Komp1) wahr ist, wenn (Komp) wahr ist, folgt, dass (Komp) (metaphysisch) äquivalent mit (Komp1) ist. Fassen wir die bisherigen Hinweise für die hier intendierte Interpretation von (Komp) zusammen: Das Thema von (Komp) soll nicht kontextunabhängige Bedeutung, sondern Bedeutungk sein, um aus (Komp) Bedingungen für die Ersetzbarkeit von Synonyma salva veritate zu gewinnen. Die Bedeutungk eines Ausdrucks wird sowohl von seiner kontextunabhängigen Bedeutung festgelegt als auch von denjenigen Elementen des Kontexts, von denen die Extension des Ausdrucks in K abhängt. Der Ausdruck „die Bedeutungen seiner Konstituenten“ soll gemäß der individuellen Lesart verstanden werden, sodass mit ihr auf jede Bedeutung Bezug genommen wird, von der gilt: Genau eine Konstituente hat sie. Eine Konstituente von α ist ein Ausdruck, der ein Bestandteil von α ist und zur Bedeutung von α beiträgt. Nicht zuletzt ist die für (Komp) einschlägige Art und Weise der Zusammensetzung eines komplexen Ausdrucks nicht seine Oberflächen-, sondern seine logische Form. So verstanden ist (Komp) mit syntaktisch mehrdeutigen und anderen Ausdrücken vereinbar, deren Oberflächenform von ihrer logischen Form abweicht. (Komp) ist zwar logisch stärker als (Komp1), da im Gegensatz zu (Komp1) laut (Komp) bereits die Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten und die Weise ihrer Zusammensetzung die Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks festlegen. Doch habe ich dafür argumentiert, dass dies immer dann der Fall ist, wenn die Bedeutungk der Konstituenten und die Weise

|| 10 Einige Philosophen würden vermutlich eher eine Strukturierung von (P) und (Q) bevorzugen, der zufolge zum Beispiel „glaubt, dass“ und „Anna sieht männliche Enten“ die unmittelbaren Konstituenten von (P) sind. Für meine Überlegungen spielt die Wahl zwischen dieser und der im Haupttext gegebenen Zerlegung aber keine Rolle.

Das Kompositionalitätsprinzip | 11

ihrer Zusammensetzung die Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks determinieren. Wenn ich recht habe, stehen und fallen (Komp) und (Komp1) zusammen.

1.1.2

Der modale und epistemische Status von (Komp)

Welchen modalen und epistemischen Status hat (Komp)? Ist (Komp), falls wahr, notwendigerweise wahr oder ein kontingentes Prinzip? Wenn es mit Notwendigkeit gilt, dann gilt es wohl auch a priori. Denn wenn es umgekehrt ein empirisches Prinzip ist, gibt es keinen guten Grund dafür, dass es notwendigerweise gilt. Kontrastiere dies mit der empirischen Aussage, dass Wasser identisch mit H2O ist. Sobald wir herausgefunden haben, dass sie wahr ist, haben wir guten Grund zur Annahme, dass sie notwendigerweise wahr ist. Wenn (Komp) a posteriori gilt, dann ist es also anscheinend kontigenterweise wahr. Der umgekehrte Zusammenhang ist genauso plausibel: Wenn (Komp) a priori wahr ist, dann gilt es auch mit Notwendigkeit. (Komp) unterscheidet sich sehr von den Beispielen, die manchmal als Kandidaten für apriorische und kontingente Wahrheiten ins Feld geführt werden. Weder enthält (Komp) offen indexikalische Elemente wie „Ich bin jetzt hier“ oder „Ich existiere“ noch involviert (Komp) eine Festlegung der Referenz eines Ausdrucks wie „Die Länge dieses Stabes ist identisch mit 1 Meter“. Ich gehe daher von aus, dass (Komp) genau dann mit Notwendigkeit gilt, wenn es a priori wahr ist. Im Folgenden werde ich meist nur explizit vom modalen Status von (Komp) sprechen. Die Konsequenzen meiner Diskussion für den epistemischen Status von (Komp) liegen dann auf der Hand. Man könnte auf den ersten Blick den Eindruck gewinnen, dass das Prinzip nur dann wahr ist, wenn es Ausdrücke und Bedeutungen gibt. Doch es ist nicht notwendig, dass es Ausdrücke und Bedeutungen gibt – selbst dann, wenn sie abstrakte Gegenstände sind. Kunstwerke, natürliche Arten, Mengen mit konkreten Gegenständen als Elementen und Spiele sind wohl ebenfalls abstrakte Gegenstände, ohne notwendigerweise zu existieren.11 Demnach wäre das Prinzip nicht notwendigerweise wahr. Der Eindruck, dass das Prinzip die Existenz von Ausdrücken und Bedeutungen impliziert, täuscht allerdings. Er entsteht, wenn man die Ausdrücke „die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks“ und „die Bedeutungen seiner unmittelbaren Konstituenten“ in (Komp) als Kennzeichnungen missversteht und übersieht, dass anders als bei Kennzeichnungen der beschreibende Teil des

|| 11 Siehe dazu Künne 1983: 48ff.

12 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

Ausdrucks („Bedeutung eines komplexen Ausdrucks“) eine Quantifikation enthält, und zwar eine über Ausdrücke. Ein Satz der Form „Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ist F“ besagt daher so viel wie: „Von jedem komplexen Ausdruck x gilt: Die Bedeutung von x ist F“.12 So verstanden setzt (Komp) natürlich nicht voraus, dass es komplexe Ausdrücke und Bedeutungen gibt. Im Vorübergehen sei bemerkt, dass so interpretiert (Komp) jedoch voraussetzt, dass für jeden komplexen Ausdruck gilt: Er hat eine Bedeutung. Diese Voraussetzung macht (Komp) zwar nicht zu einem kontingenten Prinzip, aber vielleicht zu einem, das nicht wahr ist. Man denke an Chomskys berühmten Satz „Colorless green ideas sleep furiously“.13 Wenn dies ein komplexer Ausdruck ohne Bedeutung ist, ist (Komp) nicht korrekt und sollte modifiziert werden, etwa indem man „Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks“ die Einschränkung „insofern er eine hat“ hinzufügt. Auf der anderen Seite ist nicht klar, ob der Satz bedeutungslos oder einfach aus offensichtlichen Gründen notwendigerweise falsch ist und daher durchaus eine Bedeutung hat. Ich werde dieses Problem im Folgenden ausklammern und annehmen, dass jeder komplexe Ausdruck bedeutungsvoll ist. Betrachten wir nun das folgende Argument von Zoltan G. Szabó dafür, dass (Komp) nicht mit Notwendigkeit gilt.14 Angenommen, dass Englisch eine Sprache im Einklang mit (Komp) ist. Führen wir nun eine neue Variante des Englischen ein, die sich nur durch die folgende Stipulation vom Englischen unterscheidet: Wann immer es am Ort der Äußerung regnet, bedeutet „Elephants are gray“ so viel wie „Julius Caesar was murdered on the ides of March“ im Englischen, ansonsten hat der Satz dieselbe Bedeutung wie im Englischen. Diese Variante des Englischen, nennen wir sie Regen-Englisch, ist nicht im Einklang mit (Komp): Die Bedeutungk einer ihrer Sätze, nämlich „Elephants are gray“, wird nicht durch seine unmittelbaren Konstituenten und die Weise ihrer Zusammensetzung determiniert. Denn sie hängt unter anderem davon ab, ob es am Ort der Äußerung regnet oder nicht. Also gibt es mögliche Sprachen, für die (Komp) nicht gilt. (Komp) ist daher nicht notwendigerweise wahr. Szabós Argument hängt von der Annahme ab, dass der regen-englische Satz „Elephants are gray“ auch dann ein komplexer Ausdruck ist, wenn es am Ort

|| 12 Der Ausdruck „Die Bedeutungen seiner Konstituenten“ enthält demnach ebenfalls eine vom Quantor „jeder komplexe Ausdruck“ gebundene Variable. 13 Chomsky 1957: 15. 14 Szabó o.J. Szabó geht es eigentlich um (Komp1). Sein Argument lässt sich aber auch auf (Komp) anwenden, ganz unabhängig von meiner These, dass die beiden Prinzipien metaphysisch äquivalent sind.

Das Kompositionalitätsprinzip | 13

der Äußerung regnet und der Satz von Caesars Ermordung handelt. Unter dem hier vorgeschlagenen Verständnis von „Konstituente“ ist diese Annahme freilich falsch. Denn es ist nicht der Fall, dass die regen-englischen Ausdrücke „Elephants“ und „are gray“ in einem Kontext, in dem es am Ort der Äußerung regnet, ihre Bedeutungk zur Bedeutungk des regen-englischen Satzes im selben Kontext beisteuern. Entweder haben die regen-englische Ausdrücke in diesem Kontext dieselbe Bedeutungk wie im Englischen oder sie haben in diesem Kontext überhaupt keine Bedeutungk. In keinem der beiden Fälle aber steuern sie ihre Bedeutungk zur Bedeutungk des regen-englischen Satzes in diesem Kontext bei. Nun ist es allerdings nicht fair, Szabó mein Verständnis von „Konstituente“ zu unterstellen. Vor allem angesichts der Tatsache, dass er ein anderes Verständnis nahezulegen scheint. Er geht davon aus, dass eine komplexe Phrase genau so viele Konstituenten hat wie Knoten in ihrer Phrasenstruktur.15 Das scheint darauf hinauszulaufen, dass ein Ausdruck α genau dann eine Konstituente eines komplexen Ausdrucks β ist, wenn α einen Knoten in β’s Phrasenstruktur besetzt. Dieses Verständnis schließt auf den ersten Blick vielleicht nicht aus, dass der regen-englische Satz „Elephants are gray“ auch dann Konstituenten besitzt, wenn er von Caesars Ermordung handelt. Bei genauerem Blick liegen die Dinge allerdings komplizierter. Betrachten wir die idiomatische Redewendung „Der Groschen ist gefallen“. Sie hat keine Konstituenten unter dem von mir vorgeschlagenen Verständnis.16 (Komp) sagt unter diesem Verständnis daher nichts darüber aus, wie ihre Bedeutungk determiniert wird. Aber hat sie Konstituenten in Szabós Sinne? Wenn sie welche hat, dann ist es offensichtlich nicht der Fall, dass die Bedeutungenk der unmittelbaren Konstituenten zusammen mit der Art und Weise ihrer Zusammensetzung die Bedeutungk der Redeweise determiniert: Entweder haben die unmittelbaren Konstituenten keine Bedeutungk oder ihre Bedeutungk fällt zusammen mit ihrer kontextunabhängigen Bedeutung. Wenn die Redewendung also Konstituenten enthält, ist (Komp) falsch. Um (Komp) unter Szabós Verständnis von „Konstituente“ vor Beispielen wie diesen zu schützen, muss man annehmen, dass die Redewendung auch unter diesem Verständnis keine Konstituenten enthält. Hat die Redewendung keine Konstituenten in Szabós Sinne, so liegt die Vermutung

|| 15 Szabó o.J. 16 Anders verhält es sich vermutlich mit einer Wendung wie „aus einer Mücke einen Elefanten machen“. Hier kann man den enthaltenden Ausdrücken durchaus Bedeutungenk zuschreiben, die sie zur Bedeutungk der Wendung beisteuern (zum Beispiel „Mücke“ die Bedeutungk Bagatelle). Siehe Nunberg & Sag & Wasow 1992: 496f.

14 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

nahe, dass ein Ausdruck genau dann eine Konstituente in Szabós Sinne ist, wenn er eine in meinem Sinne ist.17 Auf der einen Seite sollte Szabó diese Verteidigung von (Komp) willkommen heißen, schließlich ist er ein Freund von (Komp1), welches ebenfalls nur mit einer Verteidigung wie dieser gegen die Redewendung geschützt werden kann. Auf der anderen Seite sollte man dann aber den regen-englischen Satz „Elephants are gray“, wenn er von Caesar handelt, ebenfalls als strukturlos einstufen. Er ist in diesem Fall ebenfalls ein Element des Lexikons wie die Redewendung. Unter Szabós Konzeption einer Konstituente ist (Komp) also entweder falsch oder sein Argument gegen die notwendige Gültigkeit von (Komp) schlägt fehl. Szabó wendet sich in einem anderen, aber sehr ähnlichen argumentativen Kontext gegen die Assimilierung des regen-englischen Satzes (wenn er von Caesar handelt)18 an idiomatische Redewendungen. Sein Einwand baut auf der Annahme auf, dass man ganz allgemein Idiome einzeln erlernen muss, weshalb es auch nur eine begrenzte Anzahl von ihnen in einer bestimmten Sprache gibt. Man kann aber ihm zufolge eine Variante des Englischen einführen, in dem unendlich viele Sätze eine andere Bedeutung haben als im Englischen: [...] one could define another language, Crypto-English∞ using a permutation function p∞ which changes the meanings of infinitely many English sentences. Let us say, for example, that the permutation function p∞ leaves the meaning of every expression unaltered, except that it switches the meaning of sentences synonymous with ‘There are two times N apples on the table’ with the meaning of sentences synonymous with ‘There are two times N plus one apples on the table’, where N is a schematic letter for the numeral whose denotation is the natural number n. Speakers of English can easily understand CryptoEnglish∞. (In fact, you have already mastered it by the time you are reading this sentence.) Since we do not think that one can pick up (and so quickly!) a language with infinitely many idioms, we are forced to reject the idea that all sentences whose meanings are not mapped to themselves by p∞ are idioms of Crypto-English∞. By parity of reasoning, we should reject the suggestion that [“Elephants are gray”] is an idiom of [Rain]-English: if such a suggestion does not work in general against the type of argument I made, why try it in the specific case of [Rain]-English?19

|| 17 In der Tat sind die gängigen syntaktischen Tests dafür, dass eine Phrase eine Konstituente ist, zugleich Tests dafür, dass die Phrase ihre Bedeutung zur Bedeutung des Ausdrucks, der sie enthält, beisteuert. 18 Da es hier nur dann um den regen-englischen Satz geht, wenn er von Caesar handelt, erspare ich mir die Klammerbemerkung im Folgenden. 19 Szabó 2000: 487f.

Das Kompositionalitätsprinzip | 15

Das Problem mit Szabós Argument liegt darin, dass es gute Gründe gibt zu zweifeln, ob die einschlägigen Sätze des Krypto-Englischen dem regen-englischen Satz (in relevanter Hinsicht) ähnlich sind. Die unendlich vielen kryptoenglischen Sätze, deren Bedeutung im Englischen von der Permutationsfunktion nicht auf sich selbst abgebildet wird, sind genauso wie der Satz „Tim beißt ins Grass“ syntaktisch komplex. Letzterer Satz hat den Eigennamen „Tim“ als Konstituente, eine Konstituente in Szabós Beispielen ist der Zahlausdruck, für den N Platz hält. Bei der Abbildung der Bedeutung dieser Beispiele auf die Bedeutung von Sätzen der Form ‘There are two times N plus one apples on the table’ bleibt daher die Bedeutung des Zahlausdrucks erhalten – so wie auch die Bedeutung von „Tim“ in die idiomatische Bedeutung von „Tim beißt ins Grass“ eingeht. (Es ist diese Konservierung der Bedeutung des Zahlausdrucks, die es uns erst ermöglicht, unendlich viele Sätze des Krypto-Englischen zu verstehen, deren Bedeutung sich von ihrer Bedeutung im Englischen unterscheidet.) Im Falle der Abbildung der Bedeutung des englischen Satzes „Elephants are gray“ scheint hingegen keine Bedeutung einer Konstituente die Permutation zu überleben. Genauso wenig also, wie wir daraus, dass „Tim beißt ins Grass“ ein komplexer Ausdruck ist, schließen dürfen, dass dasselbe von „Der Groschen ist gefallen“ gilt, so wenig folgt aus der Annahme, dass „There are two times 2 apples on the table“ ein komplexer Ausdruck im Krypto-Englischen ist, dass „Elephants are gray“ ebenfalls einer im Regen-Englischen ist.20 Szabós Einwand gegen die Assimilierung des Elephanten-Satzes an amorphe Idiome (in einem Kontext, in dem es regnet) schlägt fehl. Sein Argument gegen die notwendige Geltung von (Komp) leuchtet daher nicht ein. In der Tat gibt es vielmehr Gründe, die nahelegen, dass (Komp) mit Notwendigkeit gilt, wenn es denn überhaupt gilt. Denn wie ich im Folgenden zeigen werde, gibt es gute Gründe, dies in Bezug auf (Komp1) anzunehmen. Insofern (Komp1) mit (Komp) metaphysisch äquivalent ist, gilt dasselbe dann von (Komp). Unter meinem Verständnis von „Konstituente“ ist die folgende Implikation von (Komp1) eine begriffliche Wahrheit: Die Bedeutungenk der Konstituenten eines komplexen Ausdrucks tragen zu seiner Bedeutungk bei. Schließlich verstehe ich eine Konstituente als einen Ausdruck, dessen Bedeutungk zur Bedeu-

|| 20 In persönlicher Unterhaltung hat Szabó den Einwand erhoben, dass mein Vorschlag die unplausible Konsequenz hat, dass der regen-deutsche Satz „Elephants are gray“ seine Syntax mit dem Kontext der Äußerung ändert. Jedoch ändert sich auch die Syntax von syntaktisch mehrdeutigen Ausdrücken mit dem Kontext der Äußerung. Auch die Syntax von „Der Groschen ist gefallen“ variiert zwischen seiner idiomatischen und seiner nicht-idiomatischen Verwendung. Die Konsequenz an sich bildet daher noch keinen guten Grund gegen meinen Vorschlag.

16 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

tungk des komplexen Ausdrucks beiträgt, der ihn enthält. Eine weitere definitorisch begründete Implikation von (Komp1) besagt, dass die Art und Weise der Zusammensetzung der Konstituenten eines komplexen Ausdrucks zu seiner Bedeutungk beiträgt. Denn die einschlägige Weise der Zusammensetzung der Konstituenten eines komplexen Ausdrucks habe ich genauer als diejenige Weise der Zusammensetzung der Konstituenten festgelegt, die (neben anderen Dingen als Weisen der Zusammensetzung) ein Faktor für die Bedeutungk des komplexen Ausdrucks ist. Also trägt die Weise der Zusammensetzung der Konstituenten zur Bedeutungk des komplexen Ausdrucks bei. Es ist daher unter meinem Verständnis von „Konstituente“ und „Weise der Zusammensetzung“ in (Komp1) begrifflich und notwendigerweise wahr, dass sowohl die Bedeutungenk der Konstituenten eines komplexen Ausdrucks als auch die Weise ihrer Zusammensetzung zur Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks beitragen. Die Lücke zu (Komp1) wird von der folgenden Annahme gefüllt: Es gibt keinen von den Bedeutungenk der Konstituenten und der Weise ihrer Zusammensetzung unabhängigen Faktor für die Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks. Die Frage, wie es um den modalen Status von (Komp1) bestellt ist, kann man also unter meinem Verständnis von (Komp1) auf die Frage reduzieren, wie es um den modalen Status dieses Lückenfüllers bestellt ist. Der einzig ernstzunehmende Kandidat für einen von (Komp1) ignorierten Faktor für die Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks ist der Kontext. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch (Komp1) zufolge spielt der Kontext für die Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks eine Rolle, aber nur insofern er zur Bedeutungk der Konstituenten beiträgt. Unabhängig von der Bedeutungk der Konstituenten hat der Kontext (Komp1) zufolge hingegen keinen Einfluss auf die Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks. Bestimmte Versionen des Kontextualismus gehen im Kontrast dazu davon aus, dass der Kontext ein dritter Faktor für die Bedeutungk (neben den beiden in (Komp1) erwähnten) ist.21 Wenn sie recht haben, ist der Lückenfüller und damit (Komp1) falsch. Liegen sie hingegen falsch, tun sie es wohl notwendigerweise. Denn wenn all die Argumente der Kontextualisten für einen dritten Faktor in Bezug auf tatsächliche Sprachen scheitern, dann ist schwer zu sehen, warum dies in Hinblick auf bloß mögliche Sprachen anders sein sollte. Schließlich sind all die Argumente in Bezug auf bloß mögliche Sprachen bloße Varianten von Argumenten in Bezug auf tatsächliche Sprachen.

|| 21 Siehe zum Beispiel Travis 1997 und Bezuidenhout 2002, 2006.

Ersetzbarkeit | 17

Illustrieren wir dies anhand eines Beispiels. Aus dem Fenster blickend sage ich zu einem Freund: „Es regnet.“ Kontextualisten argumentieren nun folgendermaßen: 1. Die Bedeutung dieses Satz im geäußerten Kontext ist dasselbe wie die Bedeutung von „Es regnet (jetzt) hier“ im selben Kontext. 2. Der geäußerte Satz enthält den Ausdruck „hier“ nicht. Also steuert der Kontext der Äußerung und nicht eine Konstituente des geäußerten Satzes die Bedeutung von „hier“ zur Bedeutung des Satzes bei.22 Freunde von (Komp1) stehen verschiedene Strategien offen, auf diese Überlegung zu reagieren. Sie könnten die erste Annahme bestreiten und darlegen, dass die Bedeutung des geäußerten Satzes vielmehr die minimale Proposition, dass es irgendwo irgendwann regnet ist, oder gar keine Proposition ist, sondern nur das Fragment einer solchen.23 Sie könnten aber auch der zweiten Annahme entgegenhalten, dass der geäußerte Satz „hier“ als verstecktes indexikalisches Element enthält, das erst auf der Ebene der logischen Form sichtbar ist. Wenn (Komp1) korrekt ist, dann ist also mindestens eine dieser beiden Annahmen falsch. Geht es nun nicht um einen tatsächlich geäußerten Satz, sondern um einen bloß möglichen Satz (einer bloß möglichen Sprache) werden sich Kontextualisten auf Gegenstücke zu den beiden Annahmen verlassen müssen. Wenn (Komp1) wahr ist, dann scheitert aber mindestens einer dieser Gegenstücke aus denselben Gründen wie sein Pendant in Bezug auf „Es regnet“. Ist der Kontext also de facto kein dritter Faktor, ist er es notwendigerweise nicht. Falls also der Lückenfüller und damit (Komp1) wahr ist, dann notwendigerweise. Da (Komp1) mit (Komp) steht und fällt, gilt dasselbe von (Komp).

1.2 Ersetzbarkeit Unter welchen Bedingungen lassen sich unter dem dargelegten Verständnis (Komp) zufolge synonyme Konstituenten in einem Satz salva veritate füreinander ersetzen? Fragen wir zunächst, wann bei der Ersetzung einer Konstituente in einem Satz S durch einen beliebigen anderen Ausdruck die Bedeutungk von S erhalten bleibt. (Komp) zufolge bleibt sie genau dann erhalten, wenn die folgenden zwei Bedingungen erfüllt sind: Erstens, die Bedeutungenk der unmittelbaren Konstituenten bleibt erhalten und zweitens, die Weise, wie die unmittelbaren Konstituenten zusammengesetzt sind, bleibt erhalten.

|| 22 Siehe Perry 1986: 172. 23 Für die erste Option siehe Cappelen & Lepore 2005; 2007. Für die zweite Alternative siehe zum Beispiel Bach 1994: 127 und Pagin & Pelletier 2007.

18 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

Einige Erläuterungen hierzu werden nicht schaden. Die Ersetzung einer Konstituente in S durch einen anderen Ausdruck erhält die Bedeutungk von S genau dann, wenn der Satz, der aus der Ersetzung allein hervorgeht, dieselbe Bedeutungk wie S hat. Und die Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten von S bleibt mit der Ersetzung genau dann erhalten, wenn es für jede unmittelbare Konstituente von S eine unmittelbare Konstituente im resultierenden Satz mit derselben Bedeutungk gibt und umgekehrt. Sowohl bei der Ersetzung von „Geige“ durch „Violine“ in unserem Eingangsbeispiel „Anna spielt Geige“ als auch beim Übergang von (3)

Anna sieht Enteriche

nach (4)

Anna sieht männliche Enten

sind die beiden angegebenen Bedingungen offensichtlich erfüllt. (Komp) zufolge bleibt bei beiden Ersetzungen also die Bedeutungk erhalten. Bislang haben wir lediglich von (Komp) auf Bedingungen dafür geschlossen, wann die Ersetzung einer Konstituente von S durch einen beliebigen Ausdruck die Bedeutungk von S erhält. Wie steht es nun mit der Ersetzung einer Konstituente durch ein Synonym? Es gibt vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen kontextunabhängiger und kontextueller Bedeutung zwei Optionen, Synonymie genauer zu verstehen: als Gleichheit in der kontextunabhängigen Bedeutung und als Gleichheit in der Bedeutungk. Für gewöhnlich folgen wir vermutlich eher dem erstgenannten Verständnis, denn wir würden Ausdrücke wie „dort“ und „da“, „einst“ und „vormals“, „bald“ und „demnächst“ wohl auch dann als synonym klassifizieren, wenn sie in ihrer Bedeutungk auseinanderfallen. Wie dem auch sei, in den später diskutierten Beispielen werden immer Ausdrücke mit derselben Bedeutungk füreinander ersetzt. Wir können daher, abweichend vom gewöhnlichen Gebrauch, Synonymie hier getrost als Gleichheit in der Bedeutungk verstehen. Es folgt nicht, wie fast alle Autoren annehmen, dass für die Erhaltung der Bedeutungk nach dem Austausch von Synonyma weniger strikte Bedingungen gelten als für die Erhaltung der Bedeutungknach dem Austausch einer Konstituente durch irgendeinen anderen Ausdruck. Jedenfalls nicht, wenn wir diese Bedingungen aus (Komp) statt aus (Komp1) ableiten. Mit (Komp1) als unserem Ausgangspunkt und Synonymie als Gleichheit in der Bedeutungk bräuchten wir für die Erhaltung der Bedeutungk nach Austausch einer Konstituente durch ein Synonym als erste Bedingung lediglich fordern, dass die Ersetzung die Bedeu-

Ersetzbarkeit | 19

tungk der Konstituenten abgesehen von der substituierten Konstituente erhält. Doch eine ähnliche Aufweichung folgt nicht, wenn wir auf die erste Bedingung von (Komp) statt von (Komp1) schließen. Auch im Falle des Austauschs eines Ausdrucks durch ein Synonym müssen wir fordern, dass die Ersetzung die Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten erhält. Von der Erhaltung der Bedeutungk zur Erhaltung des Wahrheitswertes gelangen wir mithilfe der definitorisch begründeten Wahrheit über Bedeutungk, dass die Bedeutungk eines (deklarativen) Satzes relativ zu einem Bewertungskontext seinen Wahrheitswert festlegt. Da all die später diskutierten Ersetzungen von Synonyma keine Änderung des Bewertungskontextes involvieren, werde ich im Folgenden von der Relativität auf den Bewertungskontext absehen. Wir können nun die bisherige Diskussion um die Bedingungen für eine wahrheitswerterhaltene Ersetzbarkeit von Synonyma im folgenden Ersetzbarkeitsprinzip zusammenfassen: (ER) Die Ersetzung einer Konstituente eines deklarativen Satzes S durch ein Synonym erhält dann den Wahrheitswert von S, wenn (i) die Ersetzung die Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten erhält und (ii) die Ersetzung die Weise der Zusammensetzung der unmittelbaren Konstituenten von S erhält.

(ER) folgt aus (Komp) (zusammen mit der erwähnten Annahme zur Determination des Wahrheitswertes) und erbt daher seinen epistemischen und modalen Status von (Komp). Vorausgesetzt, (ER) kann nicht aus einem noch einleuchtenderem Prinzip als (Komp) gefolgert werden, ist es auch nicht plausibler als (Komp). Ich habe zwar darauf hingewiesen, dass (Komp) eine gute Presse hat. Wie bereits angedeutet gibt es aber auch eine ernstzunehmende Alternative zu (Komp), der zufolge neben den beiden in (Komp) erwähnten Faktoren für die Bedeutungk eines komplexen Ausdrucks der Kontext ein dritter Faktor ist. Für die Diskussion in den nächsten Kapiteln ist es aber wohl gar nicht entscheidend, welche dieser beiden Optionen plausibler ist. Denn die kontextualistische Alternative legitimiert ein ganz ähnliches Ersetzbarkeitsprinzip wie (Komp). Der einzige Unterschied zu (ER) besteht darin, dass dieses Prinzip eine weitere Bedingung enthält, und zwar dass die Ersetzung den Kontext der Äußerung erhält. Die Beispiele, vor denen ich (ER) in den folgenden Kapiteln zu schützen versuche, sind aber auch mit diesem Prinzip nur schwer zu vereinen. Denn in keinem dieser Beispiele wird durch die Ersetzung einer Konstituente eines Satzes durch ein Synonym der Kontext der Äußerung des Satzes (unabhängig von der Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten) zwingend

20 | Kompositionalität und Ersetzbarkeit

verändert. Was sich zwingend mit der Ersetzung einer Konstituente eines Satzes durch ein Synonym ändert, ist lediglich der linguistische Kontext der übrigen Konstituenten des Satzes. Manchmal freilich ändert sich mit dem linguistischen Kontext bestimmter Konstituenten eines Satzes in der Tat auch der Kontext seiner Äußerung. Betrachten wir etwa den Satz: (7)

Die Eigenschaft, dionysisch zu sein, wird in Anspielung auf Dionysos so genannt.

Nehmen wir zugunsten des Beispiels an, dass „dionysisch“ synonym mit „ekstatisch und berauscht“ ist. Die Ersetzung von „dionysisch“ durch das Synonym ändert nicht bloß den linguistischen Kontext der übrigen Konstituenten des Satzes, sondern auch den Kontext seiner Äußerung. Denn allgemein wird etwas, auf das mit einem indexikalischen Element in einem Satz Bezug genommen wird, zum Kontext der Äußerung des Satzes gezählt. Demnach gehört zum Kontext seiner Äußerung der Bezug von „so“ und dieser ändert sich mit der Ersetzung. Der Ausdruck „dionysisch zu sein“ ist also sowohl Teil des Satzes als auch Teil des Kontexts seiner Äußerung. Jedoch hat hier die Änderung des Kontexts Auswirkung auf die Bedeutungk einer Konstituente des Satzes, nämlich „so“. Die kontextualistische Alternative zu (ER) ist aber nur dann leichter als (ER) mit den später besprochenen Beispielen vereinbar, wenn diese eine Änderung des Kontexts involvieren, die die Bedeutungk des Satzes aber nicht die seiner Konstituenten affiziert. Und dafür wiederum scheint es keine unabhängigen Gründe zu geben. Ich gehe daher davon aus, dass die um die dritte Bedingung angereicherte Alternative zu (ER) mit den späteren Problemfällen nicht weniger im Konflikt steht als (ER). Sowohl (Komp) als auch die einzig ernstzunehmende Alternative sind daher nur schwer mit den Problemfällen in Einklang zu bringen. Da wohl entweder (Komp) oder die kontextualistische Alternative wahr ist, liefert uns dies bereits einen guten Grund, nach einer Auflösung dieser Spannung zu suchen, ohne beide Prinzipien zugleich opfern zu müssen. Bevor wir uns dem Dilemma stellen, sollten wir versuchen, uns den Sinn der beiden Bedingungen in (ER) vor Augen zu führen – auch vor dem Hintergrund, dass insbesondere die erste der beiden Bedingungen in der einschlägigen Literatur standardmäßig ignoriert wird.24 Die erste Bedingung stellt sicher, dass viele Wahrheitswertwechsel nach einem Austausch von Synonyma mit

|| 24 Siehe zum Beispiel Dever 2006: 639, Hodges 2001: 12, Pagin & Westerståhl 2010: 268 und Pelletier 1994: 17. Eine erwähnenswerte Ausnahme ist Szabó 2000: 492ff.

Ersetzbarkeit | 21

(ER) verträglich sind. Dies gilt zum Beispiel von einem Wahrheitswertwechsel aufgrund des Austauschs von „dionysisch“ durch „ekstatisch und berauscht“ in (7), da der Austausch die Bedeutungk von „so“ und daher auch die einer unmittelbaren Konstituente affiziert. Ähnliches gilt von einem Wahrheitswertwechsel nach Austausch von Synonyma innerhalb eines Anführungskontexts. Denn mit der Ersetzung eines angeführten Ausdrucks ändert sich auch die Bedeutungk derjenigen Konstituente, die den Ausdruck anführt – sei es der angeführte Ausdruck selbst, wie Frege annimmt, der angeführte Ausdruck zusammen mit den ihn umschließenden Anführungszeichen oder ein verstecktes Demonstrativpronomen, wie Davidson glaubt. Es folgt, dass sich die Bedeutungk einer unmittelbaren Konstituente ändert.25 Es ist nicht leicht, einen Fall zu finden, in dem die zweite Bedingung unabhängig von der ersten nicht erfüllt wird. Manchmal ändert der Austausch von Synonyma zwar die Weise der Zusammensetzung der unmittelbaren Konstituenten. Nehmen wir zum Beispiel an, dass „ungenau“ mit „nicht genau“ synonym ist. Ersetzen wir in „Er hat ungenau auf jede Frage geantwortet“ den Ausdruck „ungenau“ durch „nicht genau“ erhalten wir einen Satz, in dem die in „ungenau“ enthaltene Negation (in der bevorzugten Lesart) plötzlich einen weiten Skopus hat und zur unmittelbaren Konstituente wird. Sie ist auf andere Weise mit der zweiten unmittelbaren Konstituente zusammengesetzt als die ursprünglichen unmittelbaren Konstituenten. (Falls Quantoren-Ausdrücke auf LF bewegt werden, sind die ursprünglichen Konstituenten „jede Frage“ und das Prädikat „er hat ungenau auf x geantwortet“). Doch offensichtlich ändern sich mit der Ersetzung auch die unmittelbaren Konstituenten und ihre Bedeutungenk. Manchmal macht ein Austausch durch ein Synonym aus einem wohlgeformten Satz eine ungrammatische Wortfolge wie die Ersetzung von „Laptop“ durch „kleiner tragbarer Computer“ in „Das Laptop ist abgestürzt“.26 Zwar erscheint es nicht völlig unplausibel, hier von einer strukturellen Änderung auszugehen,27 aber sie berührt nicht die Art und Weise der Zusammensetzung der unmittelbaren Konstituenten. Es ist unklar, ob es überhaupt Fälle gibt, in denen die zweite Bedingung unabhängig von der ersten Bedingung nicht erfüllt ist. In den folgenden Kapiteln wird jedenfalls nur die erste Bedingung eine Rolle spielen.

|| 25 Man kann auch zweifeln, ob der Austausch eines angeführten Ausdrucks überhaupt die Ersetzung einer Konstituente ist, siehe Lepore 1999. 26 Für weitere Beispiele dieser Art siehe Gazdar & Klein & Pullum & Sag 1985: 32. 27 Higginbotham (1985) scheint das Gegenteil nahezulegen.

2 Matesʼ Rätsel 2.1 Die metasprachliche Reformulierung zum Ersten Nicht alle Fälle von mutmaßlichen Wahrheitswertwechseln nach dem Austausch von Synonyma lassen sich auf einfache Weise mit (ER) in Einklang bringen. Betrachten wir etwa die folgenden Beispiele, die auf Benson Mates zurückgehen:1 (1)

Anna bezweifelt, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

(2)

Anna bezweifelt, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder Brüder sind.2

Setzen wir voraus, dass „Brüder“ mit „männliche Geschwister“ synonym ist. Mates zufolge können (1) und (2) nun in augenscheinlicher Unvereinbarkeit mit (ER) unterschiedliche Wahrheitswerte annehmen. Er selbst erläutert dies nicht näher, aber es scheint tatsächlich Situationen zu geben, in denen eine solche Differenz im Wahrheitswert vorliegen kann. Nehmen wir etwa an, dass Anna nicht bezweifelt, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder Brüder sind. Allerdings ist es in ihren Augen mehr als zweifelhaft, dass zwei verschiedene Ausdrücke synonym sein können. Wenn zwei Ausdrücke prima facie synonym sind, hält sie dies für bloßen Schein: Höchstwahrscheinlich gibt es Unterschiede in den Anwendungsfällen der beiden Ausdrücke, die sie bloß noch nicht entdeckt hat!3 Ihr tiefes Misstrauen macht auch vor den mutmaßlichen Synonyma „Bruder“ und „männliches Geschwister“ nicht halt. Sie glaubt daher zwar, dass alle, auf die das Prädikat „glaubt, dass Brüder männliche Geschwister sind“ zutrifft, auch das Prädikat „glaubt, dass Brüder Brüder sind“ zutrifft, bezweifelt aber, dass dies auch umgekehrt gilt. Vor diesem Hintergrund ist es prima facie nicht abwegig, dass sie bezweifelt, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder männliche Geschwister sind. Die Ersetzung des letzten Vorkommnisses von „männliches Geschwister“ in (4) durch „Bruder“ würde in diesem

|| 1 Mates 1950: 215. 2 Legen wir für das Folgende fest, dass S genau dann bezweifelt, dass p, wenn S glaubt, dass es nicht der Fall ist, dass p. 3 Siehe Steven Rieber 1992: 226.

Die metasprachliche Reformulierung zum Ersten | 23

Fall aus Wahrem Falsches machen. Wenn Mates recht hat, wirft dies ein schlechtes Licht auf (ER). Wir können uns Annas kognitive Situation auch anders ausmalen. Anna könnte zum Beispiel eine gewisse Sympathie für eine sehr unplausible Theorie über Meinungen (bzw. propositionale Einstellungen ganz allgemein) hegen. Die Theorie besagt, dass niemand, der einen Ausdruck α nicht versteht, Propositionen glauben kann, die durch Instanzen des folgenden Schemas bezeichnet werden: ˹dass … α …˺. Wer etwa den Satz „Brüder sind männliche Geschwister“ nicht versteht, kann nicht die Proposition glauben, die von „dass Brüder männliche Geschwister sind“ bezeichnet wird. Aus dieser Theorie ergibt sich, dass es eine Person geben kann, die zwar glaubt, dass Brüder Brüder sind, aber nicht glaubt, dass Brüder männliche Geschwister sind, schlicht und ergreifend, weil sie den Satz „Brüder sind männliche Geschwister“ nicht versteht.4 Anna selbst pflichtet dieser Konsequenz aus vollem Herzen bei, ohne im Geringsten zu bezweifeln, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder Brüder sind. Auch in diesem Fall hätten (4) und (5) unterschiedliche Wahrheitswerte. Wir können ähnliche Beispielsätze wie (1) und (2) generieren, in denen die relevanten Synonyma weniger tief eingebettet sind. Nehmen wir an, während der Lektüre eines Märchens begegnet Tom der unbekannte Ausdruck „Bruder“. Dann kann doch von ihm gelten: (3)

Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

Doch Tom ist so wie die meisten von uns, und deshalb besagt (4) etwas Falsches: (4)

Tom bezweifelt, dass Brüder Brüder sind.

Die Ersetzung der Pluralform von „männliches Geschwister“ durch die von „Bruder“ macht offenbar aus einer harmlosen Aussage eine Absurdität. Nachdem Tom seine Zweifel kundtut, kann es zudem offenkundig der Fall sein, dass (5)

Anna erklärt Tom, dass Brüder männliche Geschwister sind.

|| 4 Diese Tatsache allein reicht noch nicht für eine Widerlegung von (ER). Dafür müsste u. a. gelten: Aus dieser Theorie ergibt sich, dass es eine Person geben kann, die glaubt, dass Brüder Brüder sind und es ist nicht der Fall, dass sich aus dieser Theorie ergibt, dass es eine Person geben kann, die glaubt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

24 | Matesʼ Rätsel

Doch wohl niemand kommt auf die Idee, daraus abzuleiten, dass (6)

Anna erklärt Tom, dass Brüder Brüder sind.

Wie lässt sich (ER) angesichts dieser potenziellen Gegenbeispiele aufrechterhalten? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, (ER) vor den mutmaßlichen Gegenbeispielen zu schützen. Man könnte zum Beispiel den Wahrheitswertwechsel zwischen den Beispielsätzen für vereinbar mit (ER) erklären. Die Idee hinter dieser Verteidigung von (ER) besteht darin, in all den aufgezählten Beispielen eine Nicht-Erfüllung der Bedingung, dass die Ersetzung einer Konstituente die Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten erhält, auszumachen. So enthalten die Beispielsätze einigen Analysen von Zuschreibungen von propositionalen Einstellungen zufolge eine versteckte indexikalische Konstituente, mit der auf den Inhaltssatz der Zuschreibung Bezug genommen wird. Wird ein Ausdruck in dem Inhaltssatz durch einen anderen ersetzt, ändert sich (ähnlich wie in (7) aus dem ersten Kapitel) die Bedeutungk der indexikalischen Konstituente und damit auch die Bedeutungk einer unmittelbaren Konstituente.5 Einem ähnlichen (und damit kompatiblen) Vorschlag zufolge ist die Bedeutungk des intensionalen Operators in den Beispielsätzen („Tom bezweifelt, dass“, „Anna erklärt, dass“) von der Formulierung des Inhaltssatzes abhängig. Auch in diesem Fall ändert die Ersetzung einer Konstituente in dem Inhaltssatz durch ein Synonym die Bedeutungk einer unmittelbaren Konstituente des Satzes und erfüllt die erste Bedingung in (ER) nicht. Allerdings macht man mit dieser Verteidigung (ER) von einer kontroversen Analyse von Einstellungszuschreibungen abhängig. Um Neutralität in Bezug auf die korrekte Analyse von Einstellungszuschreibungen zu wahren, ist es sinnvoll, (ER) auf andere Weise vor den Problemfällen zu schützen. Ich werde daher im Folgenden davon ausgehen, dass in all den mutmaßlichen Gegenbeispielen die erste (und zweite) Bedingung in (ER) erfüllt ist. Unter dieser Voraussetzung folgt aus (ER) und der Synonymie zwischen „Brüder“ und „männliche Geschwister“, dass in den Beispielen der Ausgangssatz und der resultierende Satz denselben Wahrheitswert haben.

|| 5 Siehe zum Beispiel Forbes 1990. Für Kritik an Forbesʼ Analyse siehe Crimmins 1993 und Richard 1993. Forbes hat seine Analyse inzwischen erheblich modifiziert (Forbes 2006: 151ff.). Für einen guten Überblick über Einwände gegen die Annahme versteckter Indexikalität in Einstellungszuschreibungen im Allgemeinen siehe Schiffer 2006: 276f.

Die metasprachliche Reformulierung zum Ersten | 25

Die aussichtsreichste Strategie, um (ER) gegen die Beispiele zu verteidigen, besteht darin, diejenigen Beispielsätze, die auf den ersten Blick einleuchten, so zu reformulieren, dass die Reformulierungen vereinbar mit (ER) sind.6 Dieser Strategie zufolge sind die fraglichen Beispielsätze zwar falsch, aber es gibt für jeden von ihnen einen Satz, der semantisch in der Nähe liegt und wahr ist. Auf diese Weise wird man der anfänglichen Plausibilität der Sätze gerecht, ohne ihnen unumwunden zustimmen zu müssen. In den folgenden Kapiteln werde ich mit unterschiedlichen Reformulierungen versuchen, diversen Problemfällen für (ER) den Stachel zu ziehen. Es ist zweifelhaft, dass es eine Reformulierungsstrategie gibt, die mit allen diesen Fällen fertig wird. Aber für alle augenscheinlichen Gegenbeispiele gibt es eine Reformulierung, die auf sie anwendbar ist. Der vermutlich prominenteste Reformulierungsansatz für die vorliegenden Beispiele liegt in einer metasprachlichen Reformulierung.7 Zunächst eine Bemerkung zur Terminologie: Metasprachlich nenne ich hier einen Satz genau dann, wenn in ihm ein Ausdruck vorkommt, der erwähnt wird. Mit dieser Stipulation sollen auch Fälle versteckter Erwähnung eingefangen werden. Metasprachliche Propositionen sind solche Propositionen, die mit metasprachlichen Sätzen ausgedrückt werden können. Alle anderen sind objektsprachliche Propositionen. „Metasprachliche Reformulierung“ bezeichnet im Folgenden zumeist das Resultat der Transformation eines objektsprachlichen Satzes in einen metasprachlichen Satz, manchmal aber auch den Vorgang des Transformierens. Wir können nun folgendermaßen für eine metasprachliche Deutung der Beispiele argumentieren: Die Attraktivität der Beispiele rührt aus einer Verwechslung zwischen objekt- und metasprachlichen Aussagen her. Nicht (3), sondern lediglich die folgende metasprachliche Reformulierung drückt eine buchstäbliche Wahrheit aus: (3')

Tom bezweifelt, dass „Bruder“ auf männliche Geschwister zutrifft.8

|| 6 Eine weitere Strategie liegt darin, eine Mehrdeutigkeit in den fraglichen Sätzen auszumachen und die Lesart, in der die Sätze wahr sind, für vereinbar mit (ER) zu erklären. Mehr dazu im Abschnitt 3.4.1. 7 Siehe zum Beispiel Church 1954, Pap 1955: 13f; 1957: 127, Prior 1971: 55f., Katz 1972: 267ff, Bealer 1982 166ff., Künne 1983: 219ff., Crane 1991: 20, Fodor 1994: 112 und Davis 2003: 358f. Auch einige Anhänger der Theorie der direkten Referenz setzen auf eine metasprachliche Reformulierung. Siehe zum Beispiel McKay 1981: 293ff., Salmon 1986: 78ff. und Soames 1987: 107ff.; 1995: 522ff. 8 Andere metasprachliche Reformulierungen mögen genauso angemessen sein.

26 | Matesʼ Rätsel

In (3') wird „Bruder“ erwähnt und nicht verwendet. Die Ersetzung eines erwähnten Ausdrucks durch einen anderen Ausdruck erfüllt aber nicht die erste Bedingung in (ER).9 Die komplexeren Beispiele (1) und (2) lassen sich auf ähnliche Weise traktieren. So wie wir uns Annas Situation vorgestellt haben, erscheint eine metasprachliche Reformulierung nicht unplausibel. In beiden konstruierten Szenarien kreisen Annas Gedanken um Ausdrücke. In einem Fall geht es um ihre Bedeutung, im anderen um Konsequenzen aus ihrem Nicht-Verstehen. Demnach ist es nicht abwegig, dass auch die aus diesen Gedanken resultierenden Zweifel in Wirklichkeit von Ausdrücken handeln.

2.2 Burges Replik Tyler Burge hat den folgenden Einwand gegen eine metasprachliche Reformulierung unserer Beispiele ins Feld geführt.10 Nehmen wir an, dass Tom nicht bloß glaubt, dass Brüder Brüder sind, sondern auch die folgende Binsenweisheit („most obvious truism“11) über den Zusammenhang zwischen objektsprachlichen und metasprachlichen Sätzen für wahr hält: (7)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister genau dann zu, wenn Brüder männliche Geschwister sind.12

Zudem bezweifelt Tom, dass (8)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister zu.

Doch aus der Negation von (8) folgt mithilfe von (7): (9)

Es ist nicht der Fall, dass Brüder männliche Geschwister sind.

Wenn er diesen Schluss vollzieht, kann Tom also sehr leicht dazu kommen zu bezweifeln, dass

|| 9 Siehe Abschnitt 1.2. 10 Burge 1978 : 123. Seine Überlegungen gehen von solch komplexen Beispielen wie (1) und (2) aus. Anhand der einfacheren Beispielsätze (3) und (4) lässt sich allerdings transparenter argumentieren. Ein Vorläufer seines Arguments findet sich übrigens in Baldwin 1975: 80f. 11 Ebd. 12 Interpretieren wir dies und alle folgenden Bikonditionale so, dass sie schon (und nur) dann wahr sind, wenn die eingebetteten Sätze wahr sind.

Yagisawas Duplik | 27

(10)

Brüder sind männliche Geschwister.

Damit sind wir genau bei dem Zweifel angelangt, der mit der Strategie der metasprachlichen Reformulierung umgangen werden sollte. Toms sprachliche und logische Kenntnisse vorausgesetzt, liefert eine metasprachliche Rekonstruktion also nichts, woran Tom statt an dem Gedanken, dass (10), zweifelt.13 Es kommt bei Burges Argument nicht darauf an, dass die Proposition über den Zusammenhang zwischen Objekt- und Metasprache wahr ist. Entscheidend ist lediglich, dass sie geglaubt werden kann. Laut Burge ist jeder Versuch zum Scheitern verurteilt, einen Ausweg aus dem Problem mithilfe einer metasprachlichen Paraphrase zu finden. Denn für jede metasprachliche Reformulierung lässt sich ein Prinzip formulieren, welches analog zu (7) die Brücke zu den entsprechenden objektsprachlichen Sätzen schlägt und geglaubt werden kann.

2.3 Yagisawas Duplik Takashi Yagisawa14 hat versucht zu demonstrieren, dass Tom, so wie Burge ihn sich in seiner Replik vorstellt, entweder explizit widersprüchliche Einstellungen hat, oder dass Burge voraussetzt, was erst gezeigt werden soll, nämlich die Falschheit von (ER).15 Angenommen, Tom glaubt, dass (11)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister genau dann zu, wenn männliche Geschwister männliche Geschwister sind.

Zudem bezweifelt Tom, dass (8)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister zu.

Doch aus der Negation von (8) folgt mithilfe von (11): (12)

Es ist nicht der Fall, dass männliche Geschwister männliche Geschwister sind.

Mithilfe dieser Folgerung kann Tom also sehr leicht dazu kommen zu bezweifeln, dass

|| 13 Ich setze voraus, dass Tom genau dann daran zweifelt, dass p, wenn er bezweifelt, dass p. 14 Yagisawa 1984. 15 Wie Burges Überlegungen übertrage ich auch Yagisawas Argument auf die etwas überschaubareren Beispielsätze (3) und (4).

28 | Matesʼ Rätsel

(13)

Männliche Geschwister sind männliche Geschwister.

Wir haben aber bereits vorausgesetzt, dass Tom nicht bezweifelt, dass (13).16 Toms logische Fähigkeiten vorausgesetzt, gilt laut Yagisawa daher: Wenn Tom glaubt, dass (11), dann gelangen wir zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass er bezweifelt, dass (13), und dass er nicht bezweifelt, dass (13). Yagisawa fährt nun folgendermaßen fort: Um diesen Widerspruch zu vermeiden, muss Burge davon ausgehen, dass Tom nicht glaubt, dass (11). Aus (ER) und der Annahme, dass Tom glaubt, dass (7)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister genau dann zu, wenn Brüder männliche Geschwister sind,

folgt allerdings, dass Tom glaubt, dass (11). Also setzt Burge die Falschheit von (ER) voraus, die er mit seinem Argument erst zeigen will. Die Schwäche von Yagisawas Einwand liegt bereits im ersten Teil seiner Argumentation. Daraus, dass Tom glaubt, dass (11), und bezweifelt, dass (8), folgt nicht, dass er bezweifelt, dass (13). Dafür gibt es zwei verschiedene Gründe. Tasten wir uns zunächst an den ersten heran. Burges Tom schließt aus der Negation von (8) mithilfe von (7) auf (9). Damit demonstriert er, dass er prinzipiell in der Lage ist, aus der Negation von (8) mithilfe von (11) zu folgern, dass (12). Schließlich werden in beiden Folgerungen dieselben logischen Fähigkeiten beansprucht. Dies allein ist aber noch kein zwingender Grund dafür, dass Tom letztere Folgerung tatsächlich durchführt – selbst wenn er glaubt, dass (11), und bezweifelt, dass (8). Wenn er es nicht tut, bezweifelt er vermutlich nicht, dass (13). Yagisawas Argument käme in diesem Fall nicht in Gang. Yagisawa könnte erwidern, dass Tom gar nicht umhin kann, letztere Folgerung zu vollziehen und auf diese Weise dazu kommen zu bezweifeln, dass (13), weil die Proposition, dass (12), in offensichtlicher Weise aus seinen übrigen Meinungen folgt. Dieser Entgegnung zufolge sind Meinungen unter offensichtlicher Folgerung abgeschlossen: Alles, was aus Sʼ Meinungen in offensichtlicher Weise folgt, ist selbst eine Meinung von S.17 Setzen wir voraus, dass klar ist, wann etwas in offensichtlicher Weise aus etwas folgt. Doch selbst mit dieser Voraussetzung erhebt sich eine Reihe von Einwänden gegen die Abgeschlossenheitsthese. Illustrieren wir den ersten Ein-

|| 16 „(13)“ fungiert hier nicht als Name für einen Satz, sondern als dessen Abkürzung. 17 Siehe Field 1978: 16ff. und Dennett 1975: 410; 1983: 216ff. Für Kritik siehe Lycan 1986: 67ff. und Crimmins 1992: 63ff.

Yagisawas Duplik | 29

wand anhand des Vorwortparadoxes:18 Wenn man die Abgeschlossenheitsthese auf die Meinungen der Protagonistin in dieser Aporie iteriert anwendet, gelangt man früher oder später zu einer Meinung, die die Protagonistin überhaupt nicht hat. Nehmen wir an, dass Anna glaubt, dass H1 und glaubt, dass H2 …. und glaubt, dass H10, aber nicht glaubt, dass H1 und H2 … und H10. Anna glaubt also, dass H1 und sie glaubt, dass H2. Zudem gilt: Daraus, dass H1 und dass H2, folgt in offensichtlicher Weise, dass H1 und H2. Aus der Abgeschlossenheitsthese folgt also, dass Anna glaubt, dass H1 und H2. Sie glaubt zudem, dass H3. Daraus, dass H1 und H2 und dass H3 folgt aber in offensichtlicher Weise, dass H1 und H2 und H3. Aus der Abgeschlossenheitsthese ergibt sich also, dass Anna glaubt, dass H1 und H2 und H3. Wenn wir dieses Spiel noch einige Male weiterspielen, dann gelangen wir mit dieser These zum Ergebnis, dass Anna glaubt, dass H1 und H2 … und H10. Die Vorwortparadoxie besteht aber gerade darin, dass Anna eine solche Meinung nicht hat. Der Einwand lässt sich verallgemeinern. Das Problem mit der Abgeschlossenheitsthese liegt in der Intransitivität der Relation, die „folgt in offensichtlicher Weise aus“ ausdrückt. Nehmen wir an, dass B in offensichtlicher Weise aus A und C in offensichtlicher Weise aus B folgt. Daraus folgt nicht, dass C in offensichtlicher Weise aus A folgt. Wenn wir aber die Abgeschlossenheitsthese auf eine Person iteriert anwenden, die A glaubt, dann glaubt sie der Abgeschlossenheitsthese zufolge auch C, obwohl C nicht in offensichtlicher Weise aus A folgt. Aus der Abgeschlossenheitsthese folgt also absurderweise, dass auch die entferntesten Folgen aus unseren Meinungen zu unseren Meinungen gehören. Hier ist ein weiterer Einwand gegen die Abgeschlossenheitsthese. Nehmen wir an, dass Bernd ein Pflanzenliebhaber ist. Er rühmt sich unzähliger Gewächse, die in seinem Haus gedeihen. Besonders stolz ist er auf eine seltene tropische Pflanze. Er glaubt, dass sie als einzige im Schlafzimmer steht. Eines Morgens wähnt er nach getaner Arbeit, alle Pflanzen in seinem Haus gegossen zu haben. Aus diesen beiden Meinungen folgt (zusammengenommen) in offensichtlicher Weise, dass er die Pflanze im Schlafzimmer gegossen hat. Doch Bernd war an diesem Morgen noch im Halbschlaf und hat daher schlicht vergessen, sich um die Pflanze im Schlafzimmer zu kümmern. Vor diesem Hintergrund wäre es absurd, ihm den Glauben zu unterstellen, die Pflanze im Schlafzimmer gegossen zu haben. In diesem Fall verweigern wir Bernd die Zuschreibung einer Meinung, obwohl sie in offensichtlicher Weise aus seinen übrigen Meinungen folgt.

|| 18 Siehe David Makinson 1965: 205–7.

30 | Matesʼ Rätsel

Übrigens sollte man nicht der Versuchung erliegen, Bernd seit seinem leicht verunglückten Start in den Tag die Meinung abzusprechen, dass im Schlafzimmer genau eine Pflanze steht, bloß weil er sie beim Gießen vergaß. Sein Gedächtniszustand an diesem Morgen ist nämlich nicht derart dramatisch, als dass er sich nicht mehr an die Pflanze im Schlafzimmer (als eben solche) bei vollem Besitz seiner geistigen Kräfte erinnern würde. Er ist lediglich zu schlaftrunken, um sich sein Wissen um sie ins Bewusstsein zu rufen. Bei dieser eher bedeutungslosen Gedankenlosigkeit handelt es sich demnach um ein lediglich partielles Vergessen und nicht um so etwas wie ein Löschen aus dem Gedächtnis. Nur im letzten Fall aber wäre die Weigerung gerechtfertigt, ihm seit der kleinen morgendlichen Panne die Meinung zuzugestehen, dass im Schlafzimmer genau eine Pflanze steht. Bernd ist anscheinend deshalb nicht der Meinung, dass er die Pflanze im Schlafzimmer gegossen hat, weil er sie nicht aus den Meinungen, aus denen sie folgt, gefolgert hat, und er hat sie nicht gefolgert, weil er eine der Meinungen, aus denen sie folgt, partiell vergessen hat. Es scheint generell unmöglich, aus dem Gehalt einer Einstellung, die man partiell vergessen hat, etwas zu schließen.19 Dies zeigt, inwiefern es möglich ist, dass Tom sowohl glaubt, dass (11)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister genau dann zu, wenn mänliche Geschwister männliche Geschwister sind,

als auch bezweifelt, dass (8)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister zu,

aber nicht bezweifelt, dass (13)

Männliche Geschwister sind männliche Geschwister.

Denn sein Gedächtnis kann sich in einer ähnlich getrübten Verfassung befinden wie Bernds. Wenn er aber seine Meinung, dass (11), oder seinen Zweifel, dass (8), partiell vergisst, kann er aus den entsprechenden Gehalten20 nichts folgern und a fortiori nicht via Folgerung aus ihnen dazu kommen, zu bezweifeln, dass

|| 19 Für eine Einschränkung dieser Annahme siehe die übernächste Fußnote. Für einen weiteren Einwand gegen die Abgeschlossenheitsthese siehe Künne 1995: 376f. 20 Gemeint ist hier die Proposition, dass (11), und die Proposition, dass es nicht der Fall ist, dass (8).

Yagisawas Duplik | 31

(13).21 Es ist demnach möglich, dass Tom sowohl glaubt, dass (11), als auch bezweifelt, dass (8), ohne eine geeignete Folgerung aus den entsprechenden Gehalten dieser Einstellungen vorzunehmen, die ihn dazu bringt zu bezweifeln, dass (13). Es gibt einen weiteren Grund, warum Burges Tom mit der Meinung, dass (11), entgegen Yagisawas Behauptung nicht darauf festgelegt ist zu bezweifeln, dass (13) (und damit gibt es auch einen weiteren Grund gegen die Abgeschlossenheitsthese). Ironischerweise bereitet uns dieser zugleich auf einen Makel in Burges eigenen Überlegungen vor. Die Frage kommt nämlich auf, ob Tom denn dazu verdammt ist zu bezweifeln, dass (13), gegeben er vollzieht die Schlussfolgerung. Statt aufgrund der Schlussfolgerung zu bezweifeln, dass (13), könnte er an der Legitimität der Schlussfolgerung zweifeln. Der Weg von (11) und der Negation von (8) zur Negation von (13) ist zugegebenermaßen kurz und lässt sich mit einmaliger Anwendung von MTT im Handumdrehen zurücklegen. Er ist aber nicht derart selbstverständlich, als dass sich seine Rechtmäßigkeit nicht infrage stellen lässt – unabhängig davon, ob man sich auf diese bereits während dieser und anderer Ableitungen implizit verlassen hat.22 Vielleicht lässt Toms stures Festhalten an seinen übrigen Einstellungen, also an der Meinung, dass (11), an dem Zweifel, dass (8), und an der Meinung, dass (13), ihn hier auf logische Abwege geraten. In diesem Fall glaubt er, dass (11), und bezweifelt, dass (8), aber bezweifelt nicht, dass (13), obwohl er daraus, dass (11), und dass es nicht der Fall ist, dass (8), gefolgert hat, dass es nicht der Fall ist, dass (13). Tom ist also entgegen Yagisawas Überlegungen mit der Meinung, dass (11), nicht dazu genötigt, zu bezweifeln, dass (13). Sein Argument kommt daher gar nicht erst in Gang und wir sollten uns nach einer besseren Verteidigung einer metasprachlichen Reformulierung gegen Burges Konter umsehen.

|| 21 Freunde der Annahme, dass es unbewusste Einstellungen gibt, würden vielleicht einwenden, dass aus den Gehalten partiell vergessener Einstellungen unbewusst etwas geschlossen werden kann. Allerdings hilft dies Yagisawa für die Generierung eines Widerspruchs aus der Annahme, dass Tom glaubt, dass (11), nicht weiter. Denn mit dieser Sicht lässt sich höchstens die Annahme rechtfertigen, dass Tom unbewusst bezweifelt, dass (13). Dies muss Burge nicht weiter stören. Er könnte sich darauf zurückziehen, dass es falsch ist, dass Tom bewusst bezweifelt, dass (13), dennoch aber bewusst bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind. Und dies steht wiederum im Widerspruch zu (ER). 22 Laut einer Untersuchung von Rips & Marcus (1977) hielten insgesamt 43% der Probanden einen durch MTT legitimierten Übergang in einem gegebenen Argument nicht für zwingend. 4% gaben ihr zufolge sogar an, dass dieser Schluss immer zu einer falschen Konklusion führt, vorausgesetzt, die beiden gegebenen Prämissen sind wahr.

32 | Matesʼ Rätsel

2.4 Einstellungen und Schlussfolgerungen Burgeʼs Argument wirkt zunächst einleuchtend, weil es in der Tat möglich ist, dass Tom die Negation des Satzes (10)

Brüder sind männliche Geschwister

aus anderen Sätzen ableitet, denen er zustimmt. Aber dies lässt die Frage offen, ob Tom nach der Ableitung einen Zweifel bezüglich der Proposition, dass (10), erwirbt. Der metasprachlichen Strategie zufolge verbindet Tom mit (10) nicht die Proposition, dass (10), sondern eine metasprachliche Proposition. Dasselbe gilt auch, wenn (10) als Bestandteil des Brückensatzes (7)

„Bruder“ trifft auf männliche Geschwister genau dann zu, wenn Brüder männliche Geschwister sind,

vorkommt. Tom assoziiert mit (7) daher nicht das Prinzip aus, welches (7) de facto ausdrückt, sondern ein triviales Prinzip über die Relation einer metasprachlichen Proposition zu sich selbst. Mit der Ableitung der Negation von (10) aus (7) und der Negation von (8) wird er also nicht von einem metasprachlichen Zweifel zu einem objektsprachlichen Zweifel gelangen, sondern beim metasprachlichen Zweifel verharren. Um auszuschließen, dass Tom beim selben Zweifel landet, bei dem er startet, muss man Burges Argument so verstehen, dass es keine Ableitung der Negation des Satzes (10) aus anderen Sätzen involviert, sondern eine Folgerung der Negation der Proposition, dass (10), aus unter anderem der Proposition, dass (7). Nehmen wir zu Burges Gunsten an, dass Tom seinen Glauben an die Proposition, dass (7), zwar nicht auf Basis seiner Zustimmung zu (7) gewinnt, aber auf Basis seiner Zustimmung zu einem anderen Satz, der dieselbe Proposition ausdrückt. Das Problem mit dem so verstandenen Argument liegt in der Annahme, dass Tom nach seinem Schluss auf die Negation der Proposition, dass (10), bezweifelt, dass (10), ohne zu bezweifeln, dass Brüder Brüder sind. Denn der metasprachlichen Reformulierungsstrategie zufolge ist das Bezweifeln, dass (10), identisch mit dem Bezweifeln, dass Brüder Brüder sind. Burge liefert kein Argument dafür, dass Tom den ersten Zweifel ohne den zweiten Zweifel erwirbt. Vorausgesetzt, dass Tom zu keinem Zeitpunkt bezweifelt, dass Brüder Brüder sind, gibt Burge keine Gründe dafür, warum Tom nach der Schlussfolgerung nicht gezwungen ist, an der Korrektheit seiner Schlussfolgerung zu zweifeln oder (wahrscheinlicher) eine der Meinungen aufzugeben, aus denen er auf die Negation der Proposition, dass (10), geschlossen hat.

Das Argument aus der philosophischen Debatte um (ER) | 33

Für Freunde der metasprachlichen Reformulierung ist die Situation nach Toms Schlussfolgerung dieselbe wie in folgender Geschichte: Annas MatheLehrer behauptet in einem Augenblick der Verwirrtheit, dass es nicht der Fall 4 4 ist, dass 5 = 625, und nährt auf diese Weise Zweifel bei Anna, dass 5 = 625. 4 Mithilfe ihrer mathematischen Kenntnisse, dass 5 = 5 x 5 x 5 x 5, und dass 5 x 5 x 5 x 5 = 625, schließt Anna nun aus der Behauptung ihres Lehrers, dass es nicht der Fall ist, dass 625 = 625. Anna bezweifelt aber auch nach der Ableitung nicht im Geringsten, dass 625 = 625, und gibt daher eine der Annahmen auf, aus denen sie die absurde Konklusion abgeleitet hat, und zwar die Annahme, dass es nicht der Fall ist, dass 54 = 625. Weil sie ungeachtet ihrer Ableitung an der Ablehnung der Konklusion festhielt, revidierte sie ihre Einstellung zu einer der Annahmen. Anna hätte den Zweifel, dass 625 = 625, nur mit einer Änderung ihrer Einstellung zur Konklusion erwerben können. Burge liefert keine Gründe, warum Analoges nicht auch auf Tom zutrifft.

2.5 Das Argument aus der philosophischen Debatte um (ER) In den bisherigen Überlegungen ging es fast ausschließlich um die recht überschaubaren Sätze (3)

Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind

(4)

Tom bezweifelt, dass Brüder Brüder sind.

und

Solche aufgeblähten Satzgefüge wie (1)

Anna bezweifelt, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder männliche Geschwister sind

(2)

Anna bezweifelt, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder Brüder sind

und

wurden hingegen weitestgehend gemieden. Doch vielleicht wurde mit dieser Strategie nur einem unangenehmen Einwand ausgewichen. Denn selbst zugestanden, dass Synonyma in Sätzen wie (3) und (4), die nur einen Einstellungsoperator enthalten, salva veritate ersetzbar sind, zeigt die philosophische Debatte um Sätze wie (3) und (4) etwa nicht, dass es jemanden geben kann, der

34 | Matesʼ Rätsel

zwar glaubt, dass (3), aber nicht glaubt, dass (4)? Ist Burge nicht das beste Beispiel für eine solche Person? In diesem Fall sucht man das Band der Wahrheit zwischen den folgenden beiden Sätzen vergebens: (14)

Burge glaubt, dass Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

(15)

Burge glaubt, dass Tom bezweifelt, dass Brüder Brüder sind.

Eine Differenz im Wahrheitswert der beiden Sätze ist für (ER) aber genauso problematisch wie eine solche Differenz zwischen den eingebetteten Sätzen (3) und (4). Diesem Schachzug zufolge hat Burge also durch die Hintertür doch noch (ER) diskreditiert, wenn auch vielleicht in anderer Weise als beabsichtigt. Doch für Anhänger einer metasprachlichen Reformulierung spricht genau so wenig dafür, dass (14) buchstäblich eine Wahrheit ausdrückt, wie dafür spricht, dass mit (1) buchstäblich etwas Wahres gesagt wird. Sowohl Anna als auch Burge gewinnen ihre Einstellungen aus Überlegungen zur Ersetzbarkeit von Synonyma. Wenn Annas Zweifel metasprachlicher Natur ist, dann ist es auch Burges Meinung. Also sollten wir (14) metasprachlich paraphrasieren. Burge würde seine Meinungen natürlich anders beschreiben. Doch sind wir nicht immer die besten Beschreiber unserer eigenen Einstellungen, vor allem dann nicht, wenn die Wahl für eine Formulierung und gegen eine andere theoretisch motiviert ist. Burges Entscheidung für eine bestimmte Formulierung für seine Einstellung rührt aus seiner Theorie über die Ersetzbarkeit von synonymen Ausdrücken, eine Theorie, die mit (ER) unvereinbar ist. Man sollte sich daher auf die Formulierung, die er favorisiert, nicht verlassen und die fraglichen Einstellungen metasprachlich charakterisieren, was immer er selbst auch über seine Einstellungen behaupten mag.

2.5.1 Owensʼ Argument Der letzte Nebensatz könnte aber vielleicht einen besseren Einwand gegen (ER) inspirieren, der ganz in der Nähe liegt. Burges Schüler Joseph Owens hat versucht, einen solchen auszuarbeiten.23 Wieder geht es darum, die philosophische

|| 23 Owens 1986: 372–5. Wiederum modifiziere ich das Argument ein wenig. Owensʼ Überlegungen drehen sich nicht um einen Zweifel von Tom, sondern um eine Meinung von Burge. Dies ist für das Argument allerdings irrelevant.

Das Argument aus der philosophischen Debatte um (ER) | 35

Debatte um ein Ersetzungsprinzip wie (ER) als Beleg gegen (ER) zu deuten. Bisher kreiste die Debatte meist um Sätze wie (3)

Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind

(4)

Tom bezweifelt, dass Brüder Brüder sind.

und

Betrachten wir nun die folgenden beiden Sätze: (16)

Burge behauptet aufrichtig, dass Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

(17)

Burge bestreitet aufrichtig, dass Tom bezweifelt, dass Brüder Brüder sind.

Die beiden Sätze sind gewiss korrekte Beschreibungen von Burges sprachlichen Handlungen. Wenn wir (ER) auf (17) anwenden, erhalten wir: (18)

Burge bestreitet aufrichtig, dass Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

Aus (ER) ergibt sich also, dass Burge sowohl aufrichtig bestreitet als auch aufrichtig behauptet, dass Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind. Dieses Resultat wäre dann nicht weiter beunruhigend, wenn Burge zwischen diesen sprachlichen Handlungen seine Meinung geändert hätte. Doch eine solche Annahme wäre eine grobe Verkennung von Burges kognitiver Situation. Wenn wir aber davon ausgehen, dass kein Meinungsumschwung stattfand, legen wir uns offenbar mit (ER) darauf fest, dass Burge irrational ist. Doch nichts ist weiter entfernt von der Wahrheit als dieses Resultat. Also sollten wir zu dem Prinzip, dass zu solch einem Vorwurf führt, auf Distanz gehen. Wie lässt sich der Vorwurf der Irrationalität umgehen? Owens weist der Verteidigerin von (ER) fairerweise den Weg: Synonyms may be interchanged salva veritate in all belief contexts, and so [(17)] and [(18)] are necessarily equivalent. Burge, however, is mistaken about the logic of belief, and so simply failed to see this. His mistake about the logic of belief blinded him to the fact that

36 | Matesʼ Rätsel

in denying that [4], he was really denying that [3]. Thus, one can retain both [16] and [17] without impugning his rationality.24

Da Burge sich im Irrtum über die Ersetzbarkeit von Synonyma befindet, weiß er nicht, dass er mit dem Bestreiten, dass (4), bestreitet, dass (3). Wir sollten daher davon ausgehen, dass er nicht weiß, dass er aufrichtig bestreitet, dass (3). Weil er dies nicht weiß, weiß er auch nicht, dass er genau das aufrichtig bestreitet, was er aufrichtig behauptet. Solange er aber nicht weiß, dass er ein und dasselbe sowohl aufrichtig bestreitet als auch aufrichtig behauptet, ist er nicht irrational. Die nichts ahnende Freundin von (ER) wähnt sich mit dieser Verteidigungsstrategie schon auf der sicheren Seite. Doch nun öffnet sich Owensʼ trojanisches Pferd. Betrachten wir: (19)

Burge weiß, dass er aufrichtig bestreitet, dass Tom bezweifelt, dass männliche Geschwister männliche Geschwister sind.

(20)

Burge weiß, dass er aufrichtig bestreitet, dass Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

(19) ist gewiss wahr, (20) scheint aber falsch zu sein. Entscheidender aber ist: The defender of this strategy must maintain that [20] is false.25

Schließlich legt man sich mit dieser Strategie darauf fest, dass Burge nicht weiß, dass er aufrichtig bestreitet, dass Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind. Die Lage für (ER) ist offenbar hoffnungslos. Owens reibt sich die Hände und zieht folgendes Fazit: This argument, I think, decisively demonstrates the failure of synonymy interchange in multiply embedded contexts.26

2.5.2 Einstellungen vs. sprachliche Handlungen Owensʼ Résumé ist voreilig. Zum Glück kann man (Burge) vom Vorwurf der Irrationalität freisprechen, ohne (ER) zugleich Owens ans Messer zu liefern. Der

|| 24 Owens 1986: 375. 25 Ebd. 26 Ebd.

Das Argument aus der philosophischen Debatte um (ER) | 37

Schlüssel dafür liegt im Unterschied zwischen sprachlichen Handlungen und propositionalen Einstellungen – ein Kontrast, den Owens in unserem Zusammenhang übergeht.27 Burge ist in unserem Fall nur dann irrational (im hier intendierten strengen Sinn), wenn er ein und dieselbe Proposition sowohl glaubt als auch bezweifelt.28 In (16) und (18) ist aber nicht die Rede von Einstellungen (wie Glauben und Bezweifeln), sondern von sprachlichen Handlungen. Wir könnten nur dann auf die besagten Einstellungen schließen, wenn Burge das, was er aufrichtig behauptet, auch glaubt, und das, was er aufrichtig bestreitet, auch bezweifelt. Doch es gilt nicht ganz generell, dass man das, was man aufrichtig behauptet, auch glaubt.29 Denn manchmal weiß man (in einem gewissen Sinne) nicht, was man aufrichtig behauptet. Wer einen Satz „p“ missversteht, der kann aufrichtig behaupten, dass p, ohne zu glauben, dass p. Eine solche Person weiß nicht, dass sie aufrichtig behauptet, dass p, und muss daher nicht glauben, dass p. Und wenn Anne im Museum hinter sich auf ein Bild zeigt, ohne es wahrzunehmen, kann sie aufrichtig behaupten, dass dies ein großes Meisterwerk ist, ohne zu glauben, dass dies ein großes Meisterwerk ist, etwa weil sie das ohne ihr Wissen inzwischen aufgehängte Bild ganz grässlich findet.30 Wiederum weiß die Person in einem solchen Fall (in einem gewissen Sinne) nicht, was sie behauptet. Und aus prinzipiell denselben Gründen bezweifelt man nicht immer das, was man aufrichtig bestreitet. Nun versteht Burge die Sätze, die er verwendet, um etwas zu behaupten oder zu bestreiten,31 und sie enthalten auch keine indexikalischen Elemente. Aber auch für Burge gilt Ähnliches: Burge weiß (in einem anspruchsvollen Sinn) nicht, was er aufrichtig behauptet. || 27 Wenn er etwa der Frage nachgeht, wie man als Freundin von (ER) auf Burges Akt des Behauptens, dass (3), und Bestreitens, dass (4), reagieren sollte, schreibt er: „One might argue that he is mistaken in claiming (and believing) that [3] […] This response charges Burge with a mistake in his present claims and beliefs: […] he is mistaken in his present beliefs“ (Owens 1986: 374, die Ausdrücke für Meinungen habe ich hervorgehoben). 28 Salmon und andere Anhänger der Theorie der direkten Referenz würden bestreiten, dass hier nicht bloß eine notwendige, sondern de facto auch hinreichende Bedingung für Irrationalität angegeben wird und bereits aus diesem Grund den Vorwurf der Irrationalität abtun. 29 In der Tat glaube ich, dass ganz allgemein Gehalte des Glaubens nicht dasselbe sind wie Gehalte des Behauptens. Siehe Abschnitt 4.4. Meine Verteidigung von (ER) gegen Owens ist auf diese weitergehende These allerdings nicht angewiesen. 30 Siehe Kaplan 1978: 239. 31 Dies gilt jedenfalls dann, legt man gewöhnliche Maßstäbe für das Verstehen zugrunde. Für die Unterscheidung zwischen Verstehen nach gewöhnlichen Standards und Verstehen gemäß anspruchsvoller Standards siehe Abschnitt 4.5.

38 | Matesʼ Rätsel

Setzen wir voraus, dass er bezweifelt, dass (4).32 Dann weiß er nicht, dass was er aufrichtig behauptet (nämlich, dass (3)), nichts anderes ist als was er bezweifelt (nämlich, dass (4)). Da er dies nicht weiß, behauptet er aufrichtig, dass (3), obwohl er nicht glaubt, dass (3). Nur wenn er glauben würde, was er aufrichtig behauptet, könnte man ihm auf der Grundlage seiner sprachlichen Handlungen zu Recht nachsagen, dass er ein und dieselbe Proposition sowohl bezweifelt als auch glaubt. Ohne solche konträren Einstellungen zu derselben Proposition ist Burge nicht irrational. Wenn man Burge auf diese Weise vom Vorwurf der Irrationalität freispricht, hat (ER) vor (19) und (20) natürlich nichts mehr zu fürchten: (19)

Burge weiß, dass er aufrichtig bestreitet, dass Tom bezweifelt, dass Brüder Brüder sind.

(20)

Burge weiß, dass er aufrichtig bestreitet, dass Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind.

Sowohl (19) als auch (20) ist wahr. Burge würde sein Wissen natürlich nur unter Rückgriff auf (eine 1. Person-Singular-Variante von) (19) beschreiben (sofern er überhaupt deutsche Sätze äußert). Seine Zurückweisung von (20) ist seiner Abneigung gegen (ER) geschuldet. Dies allein ist aber noch kein guter Grund, seine Ablehnung von (20) zur Beschreibung seines Wissens zu teilen. Im Gegenteil, sobald es seinem Widerwillen gegen (20) an Berechtigung fehlt, ist die Wahl zwischen (19) und (20) eine bloße Frage des Stils – was auch immer er selbst über sein Wissen behaupten mag … Halten wir kurz inne, bevor wir mit dem nächsten Einwand gegen das Ersetzbarkeitsprinzip fortfahren. Mates Beispiele verlieren ihre Sprengkraft gegen (ER), sobald man sie metasprachlich reinterpretiert. Burges Einwand gegen eine solche Reinterpretation besagt, dass die Protagonistin der Beispiele von einem metasprachlichen Zweifel ausgehend mithilfe eines simplen Schlusses leicht zu dem objektsprachlichem Zweifel gelangen kann, den ihr die metasprachliche Reinterpretationsmethode abspricht. Doch entweder schließt die Protagonistin aus Sätzen auf andere Sätze oder aus Propositionen auf Propositionen. Im ersten Fall werden Anhänger der metasprachlichen Lösung darauf bestehen, dass Anna eine andere Proposition mit der Konklusion verbindet, als diese aus-

|| 32 Diese Voraussetzung liegt zwar äußerst nahe. Doch auch unter der Annahme, dass er glaubt, dass (4), oder weder glaubt noch bezweifelt, dass (4), ergibt sich aus analogen Gründen wie den folgenden, dass er nicht sowohl glaubt, was er aufrichtig behauptet, als auch bezweifelt, was er aufrichtig bestreitet.

Das Argument aus der philosophischen Debatte um (ER) | 39

drückt. Im zweiten Fall übersieht Burge, dass Schlussfolgerungen nicht immer (bloß) zu neuen Einstellungen führen, sondern manchmal (zudem) in der Aufgabe von Einstellungen resultieren, von denen die Ableitung abhing. Owens hat bereits die Debatte um (ER) als ein Beleg gegen (ER) gedeutet. Denn Burges Behauptungen zu Matesʼ Beispielen würden Burge Owens zufolge zur Irrationalität verdammen, wenn man (ER) nicht aufgibt. Allerdings ignoriert Owens den Umstand, dass man aus aufrichtigen Behauptungen nicht immer auf eine entsprechende Meinung schließen darf. Genau davor sollte man sich auch in Burges Fall hüten, will man ihm keine widersprüchlichen Einstellungen nachsagen.

3 Partielles Verständnis und eigenartige Theorie 3.1 Die metasprachliche Reformulierung zum Zweiten In vielen der bisher betrachteten Beispiele lag die Annahme nahe, dass ihre Protagonisten die relevanten Synonyme lediglich partiell verstehen. In einem bekannten Gedankenexperiment von Burge, das wir für unsere Zwecke leicht modifizieren, ist diese Annahme ein expliziter Bestandteil.1 Betrachten wir aber zunächst andere Fälle. Ein schlechter Einwand gegen die wahrheitswerterhaltende Substituierbarkeit von „Geige“ durch „Violine“ in (1)

Marie glaubt, dass Tim Geige spielt

bestände im Hinweis, dass Marie ja möglicherweise das Wort „Violine“ überhaupt nicht kennt und daher auch nicht weiß, dass es dieselbe Bedeutung wie „Geige“ hat.2 Angenommen, Marie ist eine monolinguale Deutsche, dann müsste ganz analog das Folgende falsch sein: (2)

Marie believes that Tim plays the violin.

Schließlich versteht Marie weder „violin“ noch „plays“ noch „the“. Ganz allgemein würde keine Übersetzung von (1) in irgendeine andere Sprache eine Wahrheit ausdrücken. Diese Schlussfolgerung ist aber absurd. Wenn wir (1) oder einen synonymen Satz in einer beliebigen Sprache äußern, wird nichts über Maries Beherrschung der Sprache mitgeteilt, in der wir die Äußerung machen und mit der wir ausdrücken, was Marie glaubt. Marie kann das, was sie glaubt, vielleicht nur in einer anderen Sprache, vielleicht aber auch gar nicht ausdrücken. Jedenfalls legen wir uns nicht bereits mit der Äußerung von (1)

|| 1 Burge 1979: 78. Burge beabsichtigt mit seinem hier leicht variierten Gedankenexperiment nicht, gegen (ER) zu argumentieren. (ER) hat er an anderer Stelle bereits kritisiert, wie wir wissen. Sein Ziel hier ist die Etablierung einer These, die unter dem Titel „Antiindividualismus“ und „Externalismus hinsichtlich mentaler Zustände“ firmiert. Burges These besagt, dass viele unserer mentalen Zustände und Akte nicht allein von intrinsischen Eigenschaften, sondern zum Teil von externen Faktoren festgelegt werden. Einige der Einwände, die gegen sein Gedankenexperiment erhoben werden können, sprechen auch gegen die hier formulierte Variante. Seine Diskussion dieser Einwände ist daher auch für diese Variante wichtig. 2 Rieber (1997) macht darauf aufmerksam, dass jemand, der glaubt, „Geige“ sei in solch einem Fall nicht salva veritate durch „Violine“ ersetzbar, (1) so versteht, dass „Geige“ in dem Satz angeführt wird.

Die metasprachliche Reformulierung zum Zweiten | 41

darauf fest, dass sie dazu in der Lage ist, und erst recht nicht darauf, dass sie dafür ausgerechnet auf das Deutsche zurückgreift. Es gibt allerdings eine moderatere Position, laut der eine wahrheitswerterhaltende Substitution von Synonyma aufgrund eines lediglich partiellen Verständnisses von Ausdrücken fehlschlagen kann.3 Variieren wir dafür das bereits erwähnte Gedankenexperiment von Burge: Angenommen, Paul äußert beim Arztbesuch einige Dinge über seine Arthritis. Um der Ärztin ein korrektes Bild von seiner Situation zu geben, sagt er zum Beispiel: „Meine Arthritis im Handgelenk und den Fingern ist schmerzhafter als meine Arthritis in den Fußgelenken“, „Meine Arthritis im Kniegelenk schränkt meine Beweglichkeit enorm ein“ und „Meine Arthritis verschlimmert sich, wie ich anhand der zunehmenden Versteifung meiner Gelenke feststelle. Auch verschlimmern sich die für Arthritis charakteristischen Schmerzen.“ Zudem kommt es zu folgender überraschenden Äußerung: „Ich glaube, dass ich eine Arthritis in den Oberschenkeln habe.“ Schmunzelnd fragt ihn die Ärztin, ob er denn glaube, dass er eine Gelenkentzündung in den Oberschenkeln habe. Paul ist brüskiert: „Was erlauben Sie sich?! Natürlich glaube ich nicht, dass ich eine Gelenkentzündung in den Oberschenkeln habe.“ Angesichts der unerwarteten Äußerung über sein Leiden liegt es nahe, Paul eine Lücke im Verständnis von „Arthritis“ zu attestieren – wir setzen voraus, dass er alle anderen Ausdrücke, die er in dieser Geschichte verwendet, perfekt beherrscht. Schließlich heißt „Arthritis“ so viel wie „Gelenkentzündung“ und ist nicht korrekt auf schmerzhafte Phänomene in den Schenkeln anwendbar. Immerhin scheint es ihm nicht vollständig am Verständnis des Ausdrucks zu ermangeln, wie sich an seinen ersten Äußerungen zeigt. Dieser Befund allein bringt (ER) noch nicht in Schwierigkeiten. Die Wolken über (ER) verdichten sich jedoch, sobald die folgenden Kommentare zu Pauls Geschichte im Wahrheitswert differieren: (A)

Paul glaubt, dass er eine Arthritis in den Oberschenkeln hat.

(B)

Paul glaubt, dass er eine Gelenkentzündung in den Oberschenkeln hat.

(A) scheint wahr zu sein, (B) ist aber falsch. Zusammen mit der Voraussetzung, dass „Arthritis“ und „Gelenkentzündung“ synonym sind (und „er“ jeweils auf Paul Bezug nimmt), erhalten wir anscheinend ein Gegenbeispiel zu (ER).

|| 3 Siehe etwa Horwich (1998: 100).

42 | Partielles Verständnis und eigenartige Theorie

Sicherlich klingt diese für (ER) unbequeme Interpretation von Pauls Geschichte beim ersten Hören plausibel. Die Falschheit von (B) steht gewiss auch bei näherer Prüfung außer Diskussion. Umstritten ist lediglich (A). Denn es ist zweifelhaft, ob Pauls Äußerung „Ich glaube, dass ich eine Arthritis in den Oberschenkeln habe“ die buchstäbliche (de dicto)4 Lesart von (A) stützt. In dieser Äußerung verwendet Paul den Ausdruck „Arthritis“, den er nicht völlig versteht. Also ist es fraglich, ob er im Zuge der Äußerung vom Begriff der Arthritis Gebrauch macht.5 Falls nicht, gibt seine Äußerung keine Grundlage ab, ihm eine Einstellung zuzuschreiben, in deren Gehalt der Begriff der Arthritis hineinspielt. Doch mit (A) – buchstäblich verstanden – schreibt man Paul eben genau eine solche Einstellung zu. Wenn Paul mit seiner Äußerung keine Einstellung kundtut, in deren Gehalt der Begriff der Arthritis eingeht, welche Einstellung gibt er dann mit der Äußerung zu erkennen? Da wir bisher noch keinem schlagkräftigen Einwand gegen die metasprachliche Reformulierungsstrategie begegnet sind, bietet sich auch hier eine metasprachliche Charakterisierung der fraglichen Einstellung geradezu an. Um einen konkreten Vorschlag vor Augen zu haben, nehmen wir an, dass sich Freunde einer metasprachlichen Lösung auf folgende Reformulierung von (A) verständigen: (Amesp) Paul glaubt, dass er das, was „Arthritis“ genannt wird, in seinen Oberschenkeln hat.6

|| 4 Möglicherweise ist die de dicto Lesart nicht die einzige buchstäbliche Lesart von (A). Übergehen wir dies aber zunächst einmal. Ich komme darauf im Abschnitt 3.4.1 zurück. 5 Burge zufolge erfasst Paul mit seiner Verwendung von „Arthritis“ den Begriff der Arthritis (und keinen anderen Begriff), wenn auch nur teilweise (so wie er „Arthritis“ auch nur teilweise versteht). Da diese These aber voraussetzt, dass (ER) falsch ist, muss sie selbst unabhängig motiviert werden, um mit ihr (ER) in Schwierigkeiten zu bringen. 6 Darauf läuft in etwa Donellans (1993: 167) Vorschlag hinaus. Burge (1979: 93) hat im Wesentlichen dieselbe Reformulierung (bzw. ihr englisches Gegenstück) im Sinn. Internalisten sollten übrigens nicht auf eine metasprachliche Reformulierung von (A) setzen. Denn damit würden sie sich unter anderem absurderweise darauf festlegen, dass Paul in einem hypothetischen Szenario, in dem seine intrinsischen Eigenschaften dieselben sind und seine Sprachgemeinschaft „Arthritis“ genauso versteht wie er, dieselbe metasprachliche Einstellung kundtut wie im tatsächlichen Szenario. Merkwürdigerweise macht meines Wissens weder Burge noch sonst ein Kritiker einer metasprachlichen Reformulierung auf diese Konsequenz aufmerksam. Für den Internalismus bietet sich jedenfalls eher der Rückgriff auf einen alternativen Begriff an (siehe Abschnitt 3.4.2). Mir geht’s hier natürlich nicht in erster Linie um die Rettung des Internalismus, sondern um die Verteidigung von (ER).

Die metasprachliche Reformulierung zum Zweiten | 43

Burge hat mehrere Einwände gegen eine Reinterpretation von (A), wie sie (Amesp) ausdrückt. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen: Er bestreitet nicht, dass man mit (Amesp) etwas Wahres behauptet, sondern dass (A) etwas Falsches besagt und man deshalb (A) metasprachlich reformulieren muss. Zunächst beobachtet er, dass eine solche Reformulierung nicht von unserer gewöhnlichen Zuschreibungspraxis gestützt wird: When we encounter the subjectʼs incomplete understanding in examples like ours, we do not decide that all the mental contents which we had been attributing to him with the misunderstood notion must have been purely metalinguistic in form.7

Burge unterstellt hier, dass laut der metasprachlichen Reinterpretationsstrategie jeder Zuschreibungssatz, mit dem Paul buchstäblich verstanden eine Einstellung zugeschrieben wird, in deren Gehalt der Begriff der Arthritis eingeht, uminterpretiert werden muss. Lassen wir diese Voraussetzung für einige Absätze auf sich beruhen. Insofern Burge hier unter anderem zu verstehen geben will, dass wir im Alltag an (A) trotz unserer Kenntnis von Pauls eingeschränktem Verständnis festhalten, hat er gewiss recht. Genau dieser Umstand verleiht (A) als Kommentar auf Pauls Arztbesuch die anfängliche Plausibilität. Wie Burge allerdings selbst bemerkt,8 ist unsere Alltagspraxis keine heilige Kuh. Es könnte gute Gründe für ihre Revision geben. Tatsächlich ist auf unsere Alltagspraxis oft wenig Verlass, wenn es um die Frage nach der Zuschreibung einer metasprachlichen oder einer objektsprachlichen Einstellung geht. Betrachten wir etwa folgenden Fall: In einer Quizshow wird Karl die Frage gestellt, was eine Ataraxie ist. Karl versteht den Ausdruck „Ataraxie“ allerdings nicht im Geringsten. Dennoch wählt er eine der ihm angebotenen Antworten aus und stammelt: „Ich vermute, dass eine Ataraxie eine Turnübung ist.“ Später spottet ein Freund, der die Show verfolgt hat, über ihn mit den Worten: (3)

Karl vermutete, dass Ataraxie eine Turnübung ist.

Sicherlich ist solch eine Äußerung nicht ungewöhnlicher als eine Äußerung von (A) und wird im Alltag nicht bereits aus semantischen Gründen auf Ablehnung stoßen – ausgenommen vielleicht bei pedantischen Philosophen und Semanti-

|| 7 Burge 1979: 96. 8 Burge 1979: 102.

44 | Partielles Verständnis und eigenartige Theorie

kern.9 Im Gegenteil könnte der Spott im Alltag als buchstäblich korrekte Wiedergabe von Karls kognitiver Situation gebilligt werden. Dennoch gibt es triftige Gründe, (3) nicht als korrekte Interpretation von Karls Äußerung zu akzeptieren. Denn da er den Ausdruck „Ataraxie“ noch nicht einmal teilweise versteht, gibt sein Gestammel keine Grundlage ab, ihm eine Einstellung zuzuschreiben, in deren Gehalt der Begriff der Ataraxie alias Unerschütterlichkeit eingeht. Doch genau dies tut der Spötter mit der Äußerung von (3) – buchstäblich interpretiert. Wir sind demnach gezwungen, unsere Alltagspraxis in Bezug auf (3) zu korrigieren und die spöttische Äußerung zu reformulieren. Eine angemessene Alternative zu (3) ist eine metasprachliche Formulierung. Wir wären demnach schlecht beraten, würden wir uns in der Frage, ob die Einstellung einer Person einen objekt- oder metasprachlichen Gehalt hat, immer auf unsere alltägliche Zuschreibungspraxis verlassen. Der Umstand, dass eine metasprachliche Reformulierung von (A) nicht von dieser Praxis gestützt wird, ist also ein schwacher Einwand gegen eine solche Paraphrase.

3.2 Der Einwand aus der mangelnden Eleganz Burge hat jedoch noch andere Argumente gegen eine metasprachliche Reinterpretation. Nähern wir uns seinem nächsten Einwand in drei Stufen. Er schreibt zunächst: If the metalinguistic reinterpretation account is to believed, we cannot say that a relevant English speaker shares a view (for example) that many old people have arthritis, with anyone who does not use the English word ʻarthritisʼ. For the foreigner does not have the word ʻarthritisʼ to hold beliefs about, though he does have attitudes involving the notion arthritis. And the attribution to the English speaker is to be interpreted metalinguistically, making reference to the word, so as not to involve attribution of the notion arthritis.10

Burge setzt in diesem Einwand ein Szenario voraus, in dem der relevante Sprecher, also Paul,11 kein Synonym für „Arthritis“ vollständig versteht. Andernfalls sollten auch Freunde von (ER) ihm viele Meinungen, in deren Gehalt der Begriff

|| 9 Denken wir auch an die scheinbare Harmlosigkeit von Äußerungen wie: „Manche Leute glauben ja immer noch, dass es sich bei der Paraphrasie um die Lehre von der korrekten Umschreibung handelt“, „Max weiß, dass Clara die Unbestechliche genannt wird“ und „Max glaubt, dass ihr Name Josephine ist.“ 10 Burge 1979: 96. 11 Tun wir so, als ginge es Burge hier um einen deutschen und nicht um englischen Sprecher.

Der Einwand aus der mangelnden Eleganz | 45

der Arthritis einfließt, zugestehen. (ER) garantiert nämlich, dass er über diesen Begriff verfügt, sofern er ein Synonym vollständig versteht. Nun ist Paul ja genau in dieser tröstlichen Lage. Da er das Synonym „Gelenkentzündung“ perfekt versteht, verfügt er über den Begriff der Gelenkentzündung. Aus (ER) folgt, dass er unter dieser Bedingung über den Begriff der Arthritis verfügt (aus der Annahme, dass der Begriff der Gelenkentzündung identisch ist mit dem Begriff der Gelenkentzündung, folgt mithilfe von (ER) darüber hinaus, dass der Begriff der Gelenkentzündung identisch ist mit dem Begriff der Arthritis).12 Er mobilisiert ihn allerdings nicht mit der Verwendung von „Arthritis“, sondern im Zuge des Gebrauchs des Synonyms. Wenn er demnach eine Meinung mit einer Äußerung eines Satzes Ausdruck verleiht, in der er den Ausdruck „Arthritis“ verwendet, sollten wir der metasprachlichen Reformulierungsstrategie zufolge der geäußerten Meinung zwar einen metasprachlichen Gehalt zuschreiben. Dies ist allerdings damit vereinbar, dass er auch das buchstäblich mit der Äußerung Gesagte glaubt. Falsch ist es lediglich, ihm eine solche Meinung auf Grundlage seiner Äußerung zu attestieren. In Pauls Fall gibt es also der metasprachlichen Reinterpretationsmethode zufolge nicht zwingend ein solches Auseinanderklaffen zwischen seinen Meinungen und denen jeder anderen Person, die keinen deutschen Ausdruck kennt, wie es Burge beschreibt. Entgegen Burges Unterstellung muss der Reinterpretationsstrategie zufolge nicht jeder Satz, mit dem wir ihm buchstäblich eine Einstellung zuschreiben, in deren Gehalt der Begriff der Arthritis eine Rolle spielt, metasprachlich paraphrasiert werden. Variieren wir Pauls Situation daher ein wenig in Burges Sinne. Nehmen wir an, dass er jedes Synonym zu „Arthritis“ auch lediglich partiell versteht. Zum Beispiel hat er neben wahren Meinungen über die Anwendungsbedingungen von „Gelenkentzündung“ zusätzlich die Meinung, dass „Gelenkentzündung“ auch auf einen Verschleiß der Gelenke zutrifft. Darüber hinaus gibt es keinen von seinem partiellen Verständnis dieser Ausdrücke unabhängigen Grund dafür, dass er über den Begriff der Arthritis verfügt. In diesem veränderten Szenario nun gilt laut der Reinterpretationsstrategie, dass Paul keine Meinung hat, in deren Gehalt der Begriff der Arthritis eingeht und er demzufolge auch keine solche Meinung mit einer anderen Person teilen kann. Darüber hinaus teilt er auch keine entsprechende metasprachliche Meinung über „Arthritis“ mit einer Ausländerin (oder Inländerin), die den Ausdruck „Arthritis“ nicht kennt. An dieser Stelle setzt Burges Kritik ein:

|| 12 Erinnern wir uns an die Voraussetzung, dass eine Ersetzung von Synonyma im Kontext von „Der Begriff der …“ die erste Bedingung in (ER) erfüllt.

46 | Partielles Verständnis und eigenartige Theorie

This result is highly implausible. Ascriptions of such that-clauses as the above [that many old people have arthritis], regardless of the subjectʼs language, serve to provide single descriptions and explanations of similar patterns of behaviour, inference, and communication. To hold that we cannot accurately ascribe single content-clauses to English speakers and foreigners in such cases would [...] substantially weaken the descriptive and explanatory power of our common attributions.13

Folgen wir unseren gewöhnlichen Zuschreibungen („common attributions“), ist es auch in unserem veränderten Szenario möglich, dass Paul mit der monolingualen Französin Cécile eine Meinung teilt, in deren Gehalt der Begriff der Arthritis eingeht, zum Beispiel die Meinung, dass Arthritis durch die Wundersalbe Arthronex geheilt werden kann. Sollten sowohl Paul als auch Cécile sich die Salbe kaufen, können wir ihr gleiches Verhalten unter Berufung auf dieselbe Meinung erklären. Mit ein und derselben Einstellungszuschreibung beschreiben wir demnach nicht bloß Pauls und Céciles kognitiven Zustand, sondern können auch ihr gleiches Verhalten (teilweise) erklären. Das beschreibende und erklärende Potenzial dieser Zuschreibung verringert sich allerdings, sobald wir auf die Reformulierungsmethode setzen. Denn dann erklärt sie weder Pauls Verhalten noch beschreibt sie seinen kognitiven Zustand. Diese Einbuße im Beschreibungs- und Erklärungspotenzial unserer gewöhnlichen Zuschreibungen kann allerdings nicht zum Nachteil der Reformulierungsstrategie ausgelegt werden. Der Grund für eine metasprachliche Reformulierung liegt im variiertem Szenario laut der Reinterpretationsstrategie ja gerade darin, dass unsere gewöhnlichen Zuschreibungen im Falle eines lediglich partiellen Verständnisses deskriptiv nicht adäquat sind, dass also die Person, der die Einstellung buchstäblich zugeschrieben wird, diese Einstellung gar nicht hat.14 Man kann diese Inadäquatheit bestreiten, doch ohne ein geeignetes Argument liefert man keinen guten Grund gegen die Reinterpretationsstrategie, sondern setzt voraus, was erst gezeigt werden muss. Wenn eine Zuschreibung deskriptiv unangemessen ist, ist es auch um ihr Potenzial schlecht bestellt, das Verhalten der entsprechenden Person zu erklären. Inwiefern ist diese Konsequenz aber ein Manko für die Reinterpretationsstrategie? Burge macht seine eigentliche Kritik erst am Ende des Einwandes explizit:

|| 13 Ebd. 14 Erinnern wir uns, dass es in dem veränderten Szenario keinen von seinem partiellen Verständnis von „Arthritis“ unabhängigen Grund dafür gibt, dass Paul den Begriff der Arthritis in seinem Repertoire hat, sodass dieser Begriff der Reformulierungsstrategie zufolge auch nicht Teil des Gehalts einer seiner Einstellungen ist.

Der Einwand aus der mangelnden Eleganz | 47

In countless cases, unifying accounts of linguistically disparate but cognitively and behaviorally similar phenomena would be sacrificed.15

Eine einheitliche Erklärung für Pauls und Céciles gleiches Kaufverhalten, die sich auf die gleichen Meinungen von Cécile und Paul beruft, steht der Anhängerin einer metasprachlichen Lösung offenbar nicht zur Verfügung, denn ihr zufolge hat Paul keine Meinung, in deren Gehalt der Begriff der Arthritis einfließt und Cécile keine über den Ausdruck „Arthritis“. Natürlich verhalten sich manchmal zwei Personen auch auf der Basis von unterschiedlichen Meinungen gleich und genau dies mag in unserem Beispiel vor sich gehen. Die Unmöglichkeit für die Reinterpretationsstrategie, eine einheitliche Erklärung für Pauls und Céciles gleiches Verhalten zu liefern, ist demnach noch kein zwingender Grund, diese Strategie aufzugeben. Dennoch könnte in der Bewertung einer Theorie auch eine gewisse, wenn auch untergeordnete Rolle spielen, ob sie mit Sekundärtugenden wie Einfachheit und Eleganz gesegnet ist oder nicht. Doch selbst in Bezug auf die Eleganz der Erklärung von Verhalten steht die Reinterpretationsstrategie nicht schlechter da als Burges Theorie. Denn zwar kann sie nicht wie seine Theorie Pauls und Céciles gleiches Verhalten mit derselben Meinung, dass Arthritis durch die Wundersalbe Arthronex geheilt werden kann, erklären. Dafür ist ihre Erklärung für ein unterschiedliches Verhalten von Paul und Cécile eleganter: Nehmen wir pro tem zugunsten von Burge an, dass Paul trotz seines mangelhaften Verständnisses von „Arthritis“ und aller Synonyme des Ausdrucks die Meinung hat, dass Arthritis durch die Wundersalbe Arthronex geheilt werden kann. Er hat damit dieselbe Meinung wie Cécile und wünscht sich eine Heilung seiner Arthritis genauso, wie sie sich nach der Befreiung von ihrer Last sehnt. Während Paul sich aber die Salbe kauft und sowohl auf seine Gelenke als auch auf seine Oberschenkel aufträgt, salbt sich Cécile lediglich ihre Gelenke ein. Dieses unterschiedliche Verhalten muss nun mit anderen Unterschieden in den Meinungen oder Absichten von Paul und Cécile erklärt werden, zum Beispiels Pauls Meinung, dass Arthritis in den Oberschenkeln auftreten kann, auf der einen und Céciles gegenteiliger Meinung auf der anderen Seite. Laut einer metasprachlichen Lösung ist solch eine komplexe Erklärung für das unterschiedliche Verhalten nicht nötig. Paul und Cécile teilen ihr zufolge von Anfang an nicht die Meinung, dass Arthritis durch die Wundersalbe Arthronex geheilt werden kann. Die Frage kommt demnach gar nicht erst auf, warum Paul und Cécile trotz dieser geteilten Meinung und derselben Absicht,

|| 15 Burge 1979: 96.

48 | Partielles Verständnis und eigenartige Theorie

etwas für die Heilung der eigenen Arthritis zu tun, sich unterschiedlich verhalten. Im Gegenteil liegt die Erklärung für ihr unterschiedliches Verhalten zum Teil darin, dass Paul und Cécile von Anfang an unterschiedliche Meinungen (und Absichten) haben. Fassen wir zusammen. Burges Einwand übersieht, dass eine Person, die einen Ausdruck nicht völlig versteht, auch der Reinterpretationsstrategie zufolge in vielen Fällen Meinungen hat, in deren Gehalten der vom betreffenden Wort ausgedrückte Begriff eingeht (und diese Meinungen mit monolingualen „Fremdsprachlern“ teilt). Dafür reicht es bereits hin, dass sie ein Synonym zu dem Ausdruck perfekt versteht. Doch selbst wenn sie keinen – über ein Synonym oder sonst wie vermittelten – makellosen Zugang zu dem Begriff hat, übersieht Burges Vorwurf, dass die Reinterpretationsmethode gleiches Verhalten nicht auf dieselben Meinungen zurückführen kann, dass seine eigene Theorie unterschiedliches Verhalten umständlicher erklärt, als nach der Reinterpretationstheorie nötig ist. Was Vorzüge wie Einfachheit und Eleganz in der Erklärung von Verhalten angeht, ist es um die Reinterpretationsstrategie nicht schlechter bestellt als um Burges Ansatz.

3.3 Der Einwand aus der semantischen Unreife Sein entscheidendster Einwand gegen eine metasprachliche Reformulierung steckt in einer Passage, der Burge selbst kein allzu großes Gewicht zu verleihen scheint. Er schreibt: In fact, there appears to be a general presumption that a person is reasoning at the object level, other things being equal. The basis for this presumption is that metalinguistic reasoning requires a certain self-consciousness about oneʼs words and social institutions. This sort of sophistication emerged rather late in human history. (Cf. any history of linguistics.) Semantical notions were a product of this sophistication.16

Angenommen, wir befinden uns in einer Phase der Geschichte, in der die Menschen noch keine Gedanken denken, die von Wörtern handeln. Erst recht verfügen sie nicht über semantische Begriffe wie wird „Arthritis“ genannt. Nennen wir dieses Stadium den Zustand der semantischen Unreife. Dennoch ist es sicherlich möglich, dass in diesem Stadium einige Menschen Ausdrücke nur eingeschränkt verstehen. In diesem Fall können wir offenbar keinen Satz, mit dem einer Person eine Einstellung zugeschrieben wird und der einen Ausdruck ent-

|| 16 Burge 1979: 97.

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hält, den die Person unzureichend versteht, zu Recht metasprachlich paraphrasieren. Denn auf diese Weise würden wir der Person eine Einstellung zuschreiben, deren Gehalt einen semantischen Begriff enthält.17 Da die Person jedoch über keinen semantischen Begriff verfügt, kann ein solcher auch nicht in den Gehalt einer ihrer Einstellungen eingehen. Es gibt in diesem Punkt eine Analogie zwischen der Menschheitsgeschichte und der Geschichte eines einzelnen Menschen. Denn kleine Kinder verfügen vermutlich ebenso wenig über semantische Begriffe wie unsere frühen Vorfahren. Wir können uns also ein analoges Szenario ausmalen, in dem eine metasprachliche Reinterpretation die Einstellung eines Kindes, das einen Ausdruck nicht völlig versteht, ungebührlich intellektualisieren würde. Tatsächlich spielen in dem häufiger vorgetragenen Einwand aus der semantischen Unreife meistens Kinder statt Urahnen die Hauptrolle.18 Stellen wir uns also vor, dass Pauls Arztbesuch in frühester Kindheit stattfindet. Wem das Schicksal bereits im zartesten Kindesalter Arthritis beschert, dem lässt man gewiss so manche Äußerung durchgehen. Doch ganz unabhängig davon wäre eine metasprachliche Reformulierung seiner unerwarteten Äußerung offenbar allein schon aufgrund seiner semantischen Unreife unangebracht. Ziehen wir zunächst andere Fälle heran, um dem Einwand begegnen zu können. Nehmen wir an, ich frage meinen vierjährigen Neffen Tim, was ein Anker ist. Er antwortet: „Ich vermute, dass ein Anker ein Unkraut ist.“ Welche Einstellung können wir Tim auf der Basis seiner aufrichtigen Äußerung zuschreiben? Tim ist in semantischer Hinsicht noch unreif, sodass wir mit der Zuschreibung einer metasprachlichen Einstellung seine Vermutung falsch spezifizieren würden. Vorausgesetzt, dass Tim noch nicht über den Begriff des Ankers verfügt, kommt aber auch eine Zuschreibung der Vermutung, dass ein Anker ein Unkraut ist, nicht infrage. Was also tun? Variieren wir das Beispiel ein wenig. Angenommen, Tim fragt mich, nachdem er das erste Mal das Wort „Anker“ vernimmt: „Was ist ein Anker?“ Ich antworte zum Spaß: „Anker sind gebundene Bücher.“ Tim kann mit der Antwort offenbar nichts anfangen. Da ich ihn mit meiner Antwort nicht in die Lage versetze, den Begriff des Ankers zu erwerben, kann er die von mir ausgedrückte Proposition nicht erfassen. Das Gleiche gilt von einer korrespondierenden metasprachlichen Proposition, da ihm auch für deren Erfassen die begrifflichen Res-

|| 17 Ich setze voraus, dass in jeder einigermaßen plausiblen metasprachlichen Reformulierung der betreffenden Person ein semantischer Begriff zugeschrieben wird. 18 Siehe zum Beispiel Bealer 1994: 159–60 und Künne 2003: 370–1.

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sourcen fehlen. Welche Proposition erfasst Tom dann, wenn er meine Antwort hört? Es gibt viele ähnliche Fälle. Nehmen wir an, die vierjährige Clara hört ihre Mutter gegenüber ihrem älteren Bruder mit ernster Miene äußern: „Rauchen ist schlecht für die Lunge.“ Fortan äußert sie in aufrichtiger Besorgnis diesen Satz gegenüber ihren Bruder, wann immer sie ihn rauchen sieht. Sie verfügt allerdings weder über den Begriff der Lunge noch über semantische Begriffe. Drückt sie mit ihren Worten dennoch eine genuine Einstellung aus? Ein letztes Beispiel: Nehmen wir an, dass die mit semantischen Begriffen unvertraute Berta ernsthaft und aufrichtig behauptet: „Keilriemen sind keine Tomaten“, um ihre Meinung kundzutun. Sie hat nicht die geringste Ahnung, was Keilriemen sind. Sie sagt schlicht zu sich selbst: „Bei der unzähligen Menge an Dingen, die es im Universum (bei Verwendung eines geeigneten Zählkriteriums) gibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Keilriemen nun gerade Tomaten sind, äußerst gering“ und tut aufgrund der mit diesem inneren Monolog verbundenen Überlegung ihre Meinung kund. Da sie weder über den Begriff des Keilriemens noch über semantische Begriffe verfügt, geraten wir in Schwierigkeiten, den Gehalt ihrer Einstellung anzugeben. Das Gemeinsame all dieser Fälle liegt darin, dass wir in jedem den Eindruck haben, dass die Protagonistin eine propositionale Einstellung hat. Dennoch ist es offenbar unmöglich, diese korrekt zu spezifizieren. Dieser Befund hing anscheinend lediglich von zwei relativ unkontroversen Annahmen ab. Eine der beiden Voraussetzungen ist die Annahme, dass man, um eine Einstellung, dass p, zu haben, über die Begriffe verfügen muss, die in die Proposition, dass p, eingehen. Nennen wir diese Annahme die „Kompetenzthese“, weil sie eine bestimmte begriffliche Kompetenz zur Bedingung für das Haben von propositionalen Einstellungen macht. Abgesehen davon spielte nur die Voraussetzung eine Rolle, dass die Protagonistinnen über die relevanten Begriffe nicht verfügen. Demnach scheinen sich zwei Möglichkeiten anzubieten, die Fälle zu traktieren. Die erste besteht darin, die Kompetenzthese aufzugeben. Der zweiten Option zufolge ist die Beschreibung der Beispiele inkohärent, da in allen geschilderten Fällen die betreffende Person sehr wohl über metasprachliche Begriffe verfügt. Die erste Option zu wählen, wäre ein sehr drastischer Schritt.19 Darüber

|| 19 Christopher Peacocke (1992: 29) gibt die Kompetenzthese auf. Er setzt dabei aber die Korrektheit von (A) in dem von Burge beschriebenen Szenario voraus. Genau diese Korrektheit steht hier natürlich zur Debatte. Einige Autoren hegen zudem Bedenken gegen die Kompetenzthese im Zusammenhang mit subdoxastischen Einstellungen (siehe z.B. Crimmins 1992: 258ff

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hinaus würde sie das aufgeworfene Problem nicht wirklich lösen. Es gibt nämlich ganz ähnliche Beispiele wie die eben beschriebenen, in denen die Kompetenzthese keine Rolle spielt. Nehmen wir an, dass mein Neffe Tim aus dem ersten Beispiel zweisprachig aufwächst und die englische Übersetzung für „Anker“ und „ein Anker ist ein Unkraut“ perfekt versteht. Er lehnt den englischen Satz ab und beteuert aufrichtig in Englisch, dass er natürlich niemals vermuten würde, dass ein Anker ein Unkraut ist. Auch in diesem Szenario haben wir Schwierigkeiten, die mit „Ich vermute, dass ein Anker ein Unkraut ist“ kundgetane Einstellung anzugeben. Unser Problem besteht aber nicht darin, dass Tim in diesem Szenario nicht über den Begriff des Ankers verfügt (schließlich versteht er perfekt den englischen Ausdruck „anchor“). Die Aufgabe der Kompetenzthese löst die Schwierigkeiten bei der Widergabe von Tims Einstellung in diesem Fall also nicht. Die plausibelste Lösung des Problems liegt daher darin, die Beschreibung der ursprünglichen Beispiele als inkohärent zu verwerfen und den Protagonisten trotz ihres zarten Alters metasprachliche Begriffe zu attestieren. Zugestanden, es gibt im Leben jedes Einzelnen von uns (wie auch in der Menschheitsgeschichte) einen Zustand der semantischen Unreife. Doch die Protagonisten in den obigen Beispielen haben diese Phase bereits überwunden. Sie könnten sonst nicht ernsthaft einen Behauptungssatz äußern und dabei eine Einstellung kundtun, wenn der Satz einen Ausdruck enthält, den sie überhaupt nicht verstehen. Woran denkt Tim, wenn er ernsthaft äußert „Was ist ein Anker“ oder „Ich vermute, dass ein Anker ein Unkraut ist“ und dabei eine Frage stellt bzw. eine Behauptung macht? Er denkt nicht an Anker, er muss sich stattdessen kognitiv auf das Wort „Anker“ und eine semantische Eigenschaft beziehen. Er muss nicht wissen, wie man den Gehalt seiner Einstellung, die er indirekt kundtut mit „Ich vermute, dass ein Anker ein Unkraut ist“, am besten beschreibt. Das heißt, er muss nicht wissen, wie man den Gehalt seiner Einstellung, die er inkorrekt beschreibt mit „Ich vermute, dass ein Anker ein Unkraut ist“, korrekt beschreibt. Er verfügt zwar bereits über metalinguistische Begriffe, aber versteht noch keine Ausdrücke für diese Begriffe, so wie Kleinkinder bereits IchGedanken denken können, ohne bereits ein Synonym zu „ich“ in irgendeiner Sprache zu verstehen, mit dem sie auf sich selbst Bezug nehmen können. Lediglich das Bewusstsein von der richtigen Beschreibung der metalinguistischen Gehalte unseres Denkens ist erst relativ spät in der Menschheitsgeschichte entstanden, nicht das Denken metalinguistischer Gehalte. Der Einwand aus der || und Davis 2001: 8127. Doch ist weder Pauls Einstellung noch die der Protagonisten aus den obigen Beispielen von dieser Sorte.

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semantischen Unreife schlägt deshalb fehl. Auch Burges Argument aus dem partiellen Verständnis liefert also keine überzeugenden Gründe, (ER) fallen zu lassen.

3.4 Das Argument aus der eigenartigen Theorie Adaptieren wir wiederum ein Beispiel von Burge.20 Anna ist eine kompetente Sprecherin des Deutschen. So befindet sich in ihrem Wortschatz auch der Ausdruck „Sofa“, den sie vor allem durch Ostension gelernt hat. Sie kann sogar eine gute Explikation des Begriffs des Sofas geben, da sie glaubt, dass Sofas nichts anderes sind als gepolsterte Möbelstücke mit Rückenlehne, die zum Sitzen für mehrere Menschen da sind. Nach ihrem Eintritt in eine religiöse Sekte findet aber offenbar ein Sinneswandel statt. Sie lehnt sich gegen die landläufige Meinung auf und behauptet gegenüber anderen aufrichtig: „Sofas sind nicht zum Sitzen da.“ Sie belässt es aber nicht bei dieser seltsamen Behauptung, sondern begründet sie mit einer Theorie, die sie folgendermaßen formuliert: „Die meisten Sofas würden unter bereits geringem Gewicht zusammenbrechen und alle gegenteiligen Gedächtniseindrücke sind nur Täuschungen. Sofas sind in Wirklichkeit religiöse Artefakte und die üblichen Bemerkungen über Sofas sollen nur eine bestimmte religiöse Praxis verschleiern.“ Nehmen wir an, dass „Sofas“ mit „gepolsterte Möbelstücke mit Rückenlehne, die zum Sitzen für mehrere Menschen da sind“ synonym ist. Nun liegt ein weiteres potenzielles Gegenbeispiel gegen (ER) zum Greifen nahe. Denn offenbar erhalten wir beim Übergang von (C) nach (D) nicht den Wahrheitswert: (C)

Anna glaubt, dass Sofas nicht zum Sitzen da sind.

(D)

Anna glaubt, dass gepolsterte Möbelstücke mit Rückenlehne, die zum Sitzen für mehrere Menschen da sind, nicht zum Sitzen da sind.

Diese Differenz in den Wahrheitswerten zusammen mit der Annahme, dass „Sofas“ mit „gepolsterte Möbelstücke mit Rückenlehne, die zum Sitzen für mehrere Menschen da sind“ synonym ist, steht allerdings im Widerspruch zu (ER). Da die alte Tante der metasprachlichen Reformulierung uns bisher gute Dienste geleistet hat, könnte man sie auch in diesem Fall in Anspruch nehmen.

|| 20 Burge 1986. Auch in dem hier für unsere Zwecke zurechtgelegten Beispiel geht es Burge nicht um die Diskreditierung von (ER), sondern um die Verteidigung seines Antiindividualismus. Siehe Fußnote 1.

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Sicherlich unterscheidet sich Anna in nicht unerheblicher Hinsicht zum Beispiel von Paul, dem Protagonisten des Einwandes aus dem partiellen Verständnis. Paul hat es nie zu einem tadellosen Verständnis von „Arthritis“ gebracht. Anna konnte hingegen sogar eine gute Explikation des Begriffs des Sofas geben. Jedenfalls hat sie den Ausdruck „Sofa“ perfekt verstanden. Doch ganz generell kann einem das Verständnis eines Ausdrucks wieder abhandenkommen, zum Beispiel weil man die Bedeutung eines Ausdrucks wieder vergisst, oder aufgrund ständiger Indoktrination seitens böswilliger Zungen, die einem angeblich lediglich die richtige Gebrauchsweise eines Ausdrucks nahebringen wollen, oder einfach weil man das inkorrekte Verständnis einer anderen Person übernimmt. Das (vollständige) Verständnis eines Ausdrucks ist nicht so robust wie die Fähigkeit zu schwimmen: Wer es einmal erwirbt, dem kann es auch recht einfach wieder abhandenkommen.21 Vielleicht ist Anna also bloß Opfer der Flüchtigkeit des sprachlichen Verständnisses. In diesem Fall kann ihre merkwürdige Meinung, von der mit (C) berichtet werden soll, mit demselben Recht metasprachlich beschrieben werden wie die Meinung, die Paul zur Überraschung seiner Ärztin kundtut. Das Problem für (ER) wäre dann in beiden Fällen auf prinzipiell dieselbe Weise gelöst. Burge wendet gegen diese Strategie ein, dass Annas seltsame Meinung „focus[es] on empirical facts and [is] to be tested by empirical methods.“22 Burge führt diesen Einwurf nicht weiter aus. Zumindest folgende Überlegung scheint dahinterzustecken: Sollte Anna über Sofas herausfinden, dass sie doch nicht unter bereits geringem Gericht zusammenbrechen und man problemlos auf ihnen sitzen kann, würde Anna ihre sonderbare Meinung wieder aufgeben.23 Dennoch bleibt unklar, wie Burge seinen Einwand genau verstanden wissen will. Freunde einer metasprachlichen Reformulierung können Burge jedenfalls

|| 21 Burge stimmt im Wesentlichen zu, wenn er schreibt: „[…] a personʼs degree of competence [with a word] may vary over time and with the case at hand, and may develop or regress“ (Burge 1986: 702). 22 Burge 1986: 711. 23 Folgende Fortsetzung der Überlegung liegt vielleicht nahe: Anna würde nicht zu dem Schluss kommen, dass die auf ihre Sitzmöglichkeiten untersuchten Gegenstände keine Sofas sind. Annas seltsame Meinung ist also als falsche empirische Meinung zu interpretieren, und nicht als falsche begriffliche Meinung, die ein mangelndes Verständnis von „Sofa“ nahelegt. Doch erstens ist Annas merkwürdige Meinung auch laut der metasprachlichen Reformulierungsstrategie als empirische Meinung einzustufen, wie ich oben ausführe. Zweitens scheint Burge die in dieser Fortsetzung gemachte Voraussetzung ohnehin nicht zu teilen, dass es begriffliche Meinungen gibt, die nicht zugleich empirische Meinungen sind. Siehe Burge 1986: 700.

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ohne Weiteres zustimmen. Ihnen zufolge ist Annas Meinung ja eine kontingente Meinung über den Ausdruck „Sofa“ und durchaus empirischer Natur: Würde sie über Sofas (an die sie als Gegenstände, auf die „Sofa“ zutrifft, denkt) herausfinden, dass man auf ihnen problemlos sitzen kann, würde sie ihre sonderbare Meinung über den Ausdruck „Sofa“ wieder aufgeben.

3.4.1 Die de re Reformulierung Burges Vernachlässigung der metasprachlichen Reformulierungsmethode ist zwar unberechtigt, mit der Konzentration auf sie als Ausweg aus den Problemfällen übergeht man aber möglicherweise zu Unrecht andere gleichermaßen plausible Strategien, den problematischen Beispielen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Man könnte vielleicht folgendermaßen argumentieren: Ein Satz wie (C) ist in gewisser Weise mehrdeutig und die Lesart, in der (C) wahr ist, steht im Einklang mit (ER). Was ist damit gemeint? Betrachten wir zunächst ein anderes Beispiel. Nehmen wir an, auf einer Geburtstagsfeier äußert Knut: (4)

Jitka glaubt, dass der Mann mit dem Toupet einen ausgesprochen kräftigen Haarwuchs auf dem Kopf hat.

Was Kurt mit (4) zu verstehen gibt, ist sicherlich, dass Jitka über den Mann mit dem Toupet glaubt, dass er einen ausgesprochen kräftigen Haarwuchs auf dem Kopf hat. Mit anderen Worten gibt Knut Folgendes mit (4) zu verstehen: Was den Mann mit dem Toupet angeht, so glaubt Jitka über ihn, dass er einen ausgesprochen kräftigen Haarwuchs hat. Ist diese de re Auslegung neben dem de dicto Verständnis eine buchstäbliche Deutung der Äußerung, ist wohl auch (C) mehrdeutig. Demnach gäbe es ein buchstäbliches Verständnis von (C), dem zufolge gilt: (Cdere) Anna glaubt über Sofas, dass sie nicht zum Sitzen da sind. In (Cdere) lässt sich aber „Sofas“ durch „gepolsterte Möbelstücke mit Rückenlehne, die zum Sitzen für mehrere Menschen da sind“ ersetzen, ohne dass wir bei einer Falschheit landen. Die de re Auslegung von (C) bringt (ER) also nicht in Bedrängnis, sondern nur die de dicto Lesart von (C).24 Burge hält lediglich die de

|| 24 Diesen Vorschlag macht Bach 1988: 99f; 1994a: 272ff. Siehe auch McKinsey (1993: 332ff) für einen analoge Idee in Bezug auf (A) aus Kap.1. Seine Überlegungen würden auch auf die Interpretation von (C) durchschlagen.

Das Argument aus der eigenartigen Theorie | 55

dicto Auslegung für eine buchstäbliche Interpretation, die de re Auslegung ist ihm zufolge eine Reinterpretation von (C). Gestehen wir Burge entgegen der Mehrdeutigkeitstheoretikerin diese Voraussetzung zu. Die Reformulierungstheoretikerin wird Burge in diesem Punkt beipflichten. Ihr zufolge ist (C) ja buchstäblich falsch und nicht in einer Lesart wahr. Auch wenn es keine buchstäbliche de re Lesart von (C) gibt, kann (Cdere) daher als Paraphrase völlig angemessen sein, verstanden als Reformulierung von (C). Dieser Option zufolge offenbart Anna mit ihrer Äußerung zwar die Meinung über Sofas, dass sie keine Möbelstücke sind, aber eben nicht die Meinung, dass Sofas keine Möbelstücke sind, die zum Sitzen da sind. Bach25 motiviert eine de re Auslegung anhand folgender Analogie: Angenommen, „Hexen“ bedeutet dasselbe wie „Frauen im Bunde mit dem Teufel“. Stellen wir uns nun vor, dass zu Zeiten der Hexenverfolgung die kompetente Sprecherin Frida zur Überzeugung gelangt, dass die Frauen, die als Hexen gelten, keine Hexen sind und sich daher auch nicht im Bunde mit dem Teufel befinden. Sie tut ihre Überzeugung einem hexengläubigen Publikum mit den Worten kund: „Hexen sind nicht im Bunde mit dem Teufel.“ Ihr Publikum deutet die Äußerung folgendermaßen: (5)

Frida glaubt, dass Hexen nicht im Bunde mit dem Teufel sind.

(5) ist allerdings nicht buchstäblich korrekt. Wenn Frida in ihrer Äußerung „Hexen“ verwendet, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Frauen zu lenken, die ihr Publikum für Hexen hält und um eine Meinung über diese Frauen zu äußern, dann beutet sie lediglich auf elaborierte (wenn auch recht missverständliche) Weise die Meinung ihrer Hörer aus, dass diese Frauen Hexen sind. Mit ihrer Äußerung gibt sie daher zwar eine Meinung über die Frauen kund, die ihr Publikum für Hexen hält. Sie selbst glaubt allerdings nicht, dass die Frauen, über die sie eine Meinung äußert, Hexen sind. (5) ist daher nicht buchstäblich korrekt und sollte in einen de re Zuschreibungssatz transformiert werden. Bevor wir mit der Darstellung des Arguments fortfahren, sollten wir einen Unterschied zwischen den de re Interpretationen von (5) und (4) nicht unerwähnt lassen. Die de re Auslegung von (4) können wir wiedergeben, indem wir „der Mann mit dem Toupet“ aus dem dass-Satz von (26) exportieren: Was den

|| 25 Bach 1988: 99f. Bach hält allerdings wie erwähnt die de re Auslegung für eine buchstäbliche Deutung von (C). Meine Präsentation der Analogie weicht auch in anderer Hinsicht leicht von Bachs eigener Darstellung ab.

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Mann mit dem Toupet angeht, so glaubt Jitka von ihm, dass er einen ausgesprochen kräftigen Haarwuchs hat. Die de re Auslegung von (5) ist elaborierter. Mit einer analogen Exportation von „Hexen“ würde man der vorgeschlagenen de re Auslegung von (5) nicht gerecht werden.26 Fahren wir nun mit dem Argument fort: Eine de re Reinterpretation von (C) könnte aus ähnlichen Gründen wie im Fall von (5) angemessen sein. Mit der Verwendung von „Sofas“ in ihrer merkwürdigen Äußerung möchte Anna die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Gegenstände lenken, die ihr Publikum für Sofas hält. Sie nutzt also lediglich die Meinung des Publikums aus, dass die Gegenstände, über die sie etwas äußern will, Sofas sind. Sie selbst ist in Bezug auf diese Gegenstände allerdings völlig anderer Auffassung. Wir können (C) daher folgendermaßen reformulieren: (DeRe) Anna glaubt über die Gegenstände, die das Publikum ihrer Äußerung für Sofas hält, dass sie keine Möbelstücke sind, die zum Sitzen da sind. Wenn wir nun in Disanalogie zum Hexenbeispiel zusätzlich annehmen, dass die Gegenstände, die das Publikum ihrer Äußerung für Sofas hält, Sofas sind, gelangen wir zu (Cdere): (Cdere) Anna glaubt über Sofas, dass sie nicht zum Sitzen da sind. In (DeRe) und (Cdere) kann nun aber „Sofas“ salva veritate durch ein Synonym ersetzt werden. Um (Cdere) zu motivieren, sind wir allerdings weder darauf angewiesen, dass Anna sich eine Meinung ihres Publikums zunutze macht, noch, dass sie ihre Äußerung überhaupt an ein Publikum richtet. Wir könnten eine de re Reformulierung auch dann in Anschlag bringen, wenn wir das Beispiel variieren und annehmen, dass Anna zu sich selbst spricht. In diesem Fall ist sie sich lediglich nicht wie Frida darüber im Klaren, dass ihre Äußerung keine buchstäblich korrekte Kundgabe ihrer Meinung ist. Burge hat indirekt auch gegen eine de re Charakterisierung von Annas Einstellung argumentiert.27 Auch an dieser Stelle sollte noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es Burge nicht darum geht zu zeigen, dass die angebotene

|| 26 Die Annahme, dass es sich bei einer de re Auslegung um eine buchstäbliche Interpretation handelt, ist im Lichte von (5) daher auch unplausibler als im Lichte von (4). 27 Eigentlich richtet er sich gegen eine de re Charakterisierung von Pauls Einstellung in Bezug auf seine Arthritis. Sein Einwand betrifft aber auch den vorliegenden Fall.

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Reformulierung nichts Wahres besagt, sondern dass (C) nicht auf diese Weise gedeutet werden soll. Dies lässt sich seiner Ansicht nach daran erkennen, dass „Sofas“ in (C) opak auftritt: The subject will probably have a [de re] belief in this case. But it hardly accounts for the relevant attributions. In particular, it ignores the oblique occurrence of [‘Sofas’] in the original ascription. Such occurrences bear on a characterization of the subjectʼs viewpoint. [...] It [the appeal to de re attitudes] simply overlooks what needs explication.28

Mit „oblique occurrence of [‘Sofas’] in the original ascription“ ist gemeint, dass sich „Sofas“ in (C) nicht salva veritate durch jeden extensional äquivalenten Ausdruck ersetzen lässt. Er kommt hier opak vor. Vertreter einer de re Reformulierung werden Burge in diesem Punkt nur allzu bereitwillig beipflichten. Denn ersetzt man in (C) den extensional äquivalenten Ausdruck „Gegenstände einer Sorte von Gegenständen, die die meisten Leute für Sofas halten“ für „Sofas“ geht man ihnen zufolge von etwas Falschem zu etwas Wahrem über. Zeigt dies, dass eine Äußerung von (C) nicht de re verstanden werden sollte? Die Frage ist rhetorisch. Werfen wir noch einmal einen Blick auf (4)

Jitka glaubt, dass der Mann mit dem Toupet einen ausgesprochen kräftigen Haarwuchs auf dem Kopf hat.

Das Vorkommnis von „der Mann mit dem Toupet“ ist opak (unter der Voraussetzung, dass es keine buchstäbliche de re Lesart dieses Satzes gibt). Denn zwar äußert Knut mit dem Satz (buchstäblich) etwas Falsches. Doch wenn man in ihm „der Mann mit dem Toupet“ durch den extensional äquivalenten Ausdruck „der Brillenträger mit der bunten Krawatte“ ersetzt, kann man ihn damit in einen Satz überführen, mit dem etwas Wahres gesagt wird. Obwohl Knut buchstäblich etwas Falsches behauptet, kann er mit seiner Äußerung zugleich etwas Wahres zu verstehen geben, indem er Jitka indirekt eine Einstellung über den Mann mit dem Toupet zuschreibt, ohne die Art und Weise zu spezifizieren, in der sie an diesen Mann denkt. Tatsächlich wird es kaum jemanden geben, der seine Äußerung de dicto statt de re versteht. Dies steht im Einklang mit der Tatsache, dass das Vorkommnis von „der Mann mit dem Toupet“ in der Äußerung opak ist. Das opake Vorkommnis eines Ausdrucks α in einem Satz, mit dem eine Einstellung zugeschrieben wird, ist also contra Burge allein noch kein guter Grund, den Satz nicht de re in Bezug auf α’s Extension zu reformulieren.

|| 28 Burge 1979: 92.

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Dieses Resultat scheint der verbreiteten Annahme zu widersprechen, dass man mit der Äußerung eines Einstellungssatzes der Form: „x Vʼt, dass/ob p“, dann eine de dicto Einstellungszuschreibung vornimmt, wenn alle Ausdrücke in der Einsetzungsinstanz für „p“ opak vorkommen. Dieser Schein trügt allerdings dann, wenn mit der Annahme nur eine (hinreichende) Bedingung dafür angegeben wird, wann man buchstäblich eine de dicto Einstellungszuschreibung vornimmt. Freunde einer de re Lösung gestehen zu, dass ein opakes Vorkommnis von „der Mann mit dem Toupet“ (und der restlichen Ausdrücke in dem dassSatz) in (4) buchstäblich eine de dicto Meinungszuschreibung anzeigt. Dies lässt schließlich die Möglichkeit offen, dass indirekt eine de re Meinungszuschreibung vorgenommen wird. Wäre der Ausdruck „Sofas“ in (C) nicht bloß opak, sondern gäbe es eine Ersetzung von „Sofas“ durch einen extensional äquivalenten Ausdruck, die eine Wahrheit in eine Falschheit transformiert statt umgekehrt, gäbe uns dies einen triftigen Grund, die Äußerung von (C) nicht als indirekte de re Meinungszuschreibung zu verstehen. Doch in diesem Fall wird bereits vorausgesetzt, dass (C) etwas Wahres ausdrückt. Genau dies steht aber ja zur Debatte. Burges Argument gegen eine de re Reinterpretation von (C) schlägt zwar fehl. Aber vielleicht ist eine de re Reinterpretation von Sätzen wie (C) aus anderen Gründen nicht immer angebracht. Es liegt zum Beispiel nahe, dass man nur dann eine Meinung über α haben kann, wenn man in der Lage ist, an α zu denken. Oft wird auch eine bestimmte epistemische Beziehung (etwa die der russellschen Bekanntschaft)29 zwischen Einstellungssubjekt und den relevanten Gegenständen zur Bedingung für das Haben einer Einstellung über diese Gegenstände gemacht. Kritiker einer de re Reinterpretation könnten jedenfalls versuchen, Beispiele zu konstruieren, in denen Anna zwar „Sofas“ verwendet, um eine Meinung kundzutun, aber dabei nicht an Sofas denkt (bzw. nicht in der geforderten epistemischen Beziehung zu Sofas steht) und daher auch keine Meinung von Sofas zum Ausdruck bringt. Allerdings ist es sehr unklar, genau wann man an (so) etwas (wie Sofas) denkt bzw. welche epistemische Verbindung genau erforderlich ist. Ich werde diesen dunklen Pfad daher nicht weiterverfolgen. Das vielleicht größte Problem für eine de re Reinterpretation von (C) ist das folgende: Daraus, dass S von Fs glaubt, dass … Fs …, folgt doch offenbar, dass Fs existieren. Stellen wie uns nun ein Szenario vor, in dem es weder Sofas noch die Außenwelt ganz allgemein gibt. In solch einer Situation kann man zwar mit

|| 29 Siehe Russell 1925: 209ff.

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(C) etwas Wahres zu verstehen geben, aber offenbar ist keine de re Interpretation von (C) angemessen.30 Die einfachste Lösung dieses Problems scheint mir schlicht im Bestreiten der Voraussetzung zu liegen, dass daraus, dass S eine Meinung von Fs hat, folgt, dass Fs existieren. Daraus, dass ich einen Begriff oder eine Vorstellung oder einen Traum von Hexen habe, folgt sicherlich nicht, dass Hexen existieren. Und daraus, dass die Odyssee von Zyklopen handelt, folgt wohl nicht, dass Zyklopen existieren. Also folgt vermutlich auch daraus, dass Anna eine Meinung von Sofas hat, nicht, dass Sofas existieren.31 Auf dieselbe Weise sollte man auf die Annahme reagieren, dass daraus, dass S eine Meinung von x hat, folgt, dass x existiert. Angenommen, nach der Lektüre eines Kriminalromans behauptet Frida über Peter, der erst bei der Hälfte des Romans angelangt ist und mit seinen Mutmaßungen über den Täter noch im Dunkeln tappt: „Peter glaubt, dass der heimtückische Mörder unschuldig ist.“ Sicherlich ist eine de re Interpretation dieser Zuschreibung nicht bereits deshalb verfehlt, weil es nicht der Fall ist, dass der Mörder existiert.32

3.4.2 Der Rückgriff auf einen alternativen Begriff Es gibt eine weitere aussichtsreiche Weise, (C) zu reformulieren. Von der Reformulierung, die ich im Sinn habe, hängt zwar eine de re Refomulierung ab, sie ist aber umgekehrt nicht selber von der Korrektheit einer de re Reformulierung abhängig. Was ist damit gemeint?

|| 30 Wer nicht an die Möglichkeit eines solchen skeptischen Szenarios glaubt, der möge sich schlicht vorstellen, Burge hätte für sein Gedankenexperiment nicht den Ausdruck „Sofas“, sondern „Äther“ oder einen anderen leeren Term gewählt. In meiner Formulierung des Problems habe ich von Sʼs Meinung von Fs gesprochen. Bisher habe ich bei einer de re Zuschreibung immer von einer Meinung über etwas geredet. Die Von- und die Über-Wendung sind vermutlich keine bloßen stilistischen Varianten voneinander. Ich kann zwar einen Begriff von Fs haben, aber wohl keinen Begriff über Fs. Dennoch sind sowohl Zuschreibungen einer Meinung von etwas als auch Zuschreibungen einer Meinung über etwas de re Zuschreibungen. 31 Dies steht zumindest prima facie im Kontrast zu Quine 1956: 181f. Searle (1983:17) unterscheidet zwischen verschiedenen Sinnen von „über“ und „von“. Nur im extensionalen, aber nicht im intensionalen Sinn impliziert es laut Searle die Existenz des Gegenstandes, über den man eine Meinung oder andere propositionale Einstellung hat. Die Basis seiner Unterscheidung macht er allerdings nicht ganz klar. Ob daraus, dass ich einen Traum von Hexen habe, folgt, dass es Hexen gibt, hängt davon ab, ob es (meinongianische) nicht-existierende Gegenstände gibt. 32 Dieses Argument verdanke ich Lisa Grunenberg.

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Wenn wir (C) de re reformulieren, haben wir den Gehalt von Annas Meinung nicht vollständig spezifiziert. Dafür müssen wir nämlich angeben, welcher Begriff von Sofas den Gehalt von „sind nicht zum Sitzen da“ zum vollständigen Gehalt von Annas Meinung ergänzt. Wir müssen dafür (C) also durch eine de dicto Reformulierung ersetzen, mit der wir die relevante Weise spezifizieren, in der Anna an Sofas denkt. In dieser Weise hängt eine de re Reformulierung mit einer de dicto Reformulierung zusammen, die eine andere Weise als die Ausgangssätze angibt, in der das Einstellungssubjekt an den oder die fraglichen Gegenstände denkt: Wenn eine de re Reformulierung korrekt ist, dann gibt es auch eine korrekte de dicto Reformulierung, die einen alternativen Begriff von den fraglichen Gegenständen spezifiziert, vorausgesetzt, der betreffende Begriff lässt sich überhaupt sprachlich eindeutig spezifizieren. Wer also eine de re Reformulierung befürwortet, legt sich auch darauf fest, dass es eine korrekte de dicto Reformulierung unter Rückgriff auf einen alternativen Begriff gibt. Es gilt aber nicht umgekehrt: Wer auf eine de dicto Reformulierung unter Berufung auf einen alternativen Begriff setzt, legt sich darauf fest, dass es auch eine korrekte de re Reformulierung gibt. Eine solche kann zum Beispiel aus den oben genannten Gründen fehlschlagen. Doch dies ficht die Freundin einer de dicto Reformulierung unter Angabe eines alternativen Begriffs nicht an. Die de re Reformulierung hängt also einseitig von einer de dicto Reformulierung unter Rekurs auf einen idiosynkratischen Begriff ab. Da eine de dicto Reformulierung bereits für eine Verteidigung von (ER) hinreicht, ist eine Zuflucht zur voraussetzungsreicheren de re Reformulierung überflüssig. Welche alternative Art und Weise des Denkens an Sofas geht in den Gehalt von Annas Meinung ein und vervollständigt den Gehalt von „… sind nicht zum Sitzen da“? Vielleicht ist es schlicht der Sinn von „Gegenstände einer Sorte von Gegenständen, die die meisten Leute für Sofas halten.“33 Wir könnten den Gehalt von Annas Meinung demnach folgendermaßen angeben: (Calter) Anna glaubt, dass Gegenstände einer Sorte von Gegenständen, die die meisten Leute für Sofas halten, nicht zum Sitzen da sind. In (Calter) lässt sich natürlich „Sofas“ salva veritate durch ein Synonym ersetzen.34

|| 33 Siehe Bach 1988: 94f; 1994a: 272f. 34 Burges Bedenken, dass die korrekte Interpretation von „Sofas“ in diesem Satz Probleme für den vorgeschlagenen Reformulierungsansatz aufwirft, ist daher unberechtigt (siehe Burge 1986: 711). Möglicherweise steht hinter seinem Bedenken die falsche Annahme, dass die

Das Argument aus der eigenartigen Theorie | 61

Natürlich könnte Anna auch einen anderen alternativen Begriff von Sofas mobilisieren. Entscheidend ist lediglich, dass sie von irgendeinem alternativen Begriff Gebrauch macht, ob es nun der ist, der ihr mit (Calter) zugesprochen wird oder ein anderer.35 Burge hat wie gegen alle bisher vorgestellten Reinterpretationsstrategien auch gegen eine Reformulierung unter Rückgriff auf einen alternativen Begriff Einwände erhoben. Er hat dabei zwei konkrete Vorschläge über den Charakter des verwendeten alternativen Begriffs im Visier. Gegen den Vorschlag, dass der alternative Begriff der Begriff der Gegenstände ist, die die meisten Leute für Sofas halten, wendet er ein, dass Anna ja glauben kann, dass (6)

Gegenstände einer Sorte von Gegenständen, die die meisten Leute für Sofas halten, sind Sofas.

Sie kann nun anhand der von der Reformulierungsstrategie ins Spiel gebrachten Meinung, dass (7)

Gegenstände einer Sorte von Gegenständen, die die meisten Leute für Sofas halten, sind keine Möbelstücke, die zum Sitzen da sind,

daraus schließen, dass (8)

Sofas sind keine Möbelstücke, die zum Sitzen da sind,

und auf diese Weise die Meinung erwerben, dass Sofas keine Möbelstücke sind, die zum Sitzen da sind. (Calter) liefert uns daher keine Meinung, die Anna statt ihrer Meinung hat, dass Sofas keine Möbelstücke sind, die zum Sitzen da sind.36 Burges Argument ist eine Variante seines Einwandes gegen eine metasprachliche Reformulierung von Sätzen wie (3) aus Abschnitt 2.2. Burge formuliert es zwar lediglich als Einwand gegen den Vorschlag, dass Anna den Begriff der Gegenstände, die die meisten Leute für Sofas halten, verwendet. Doch es lässt sich anscheinend gegen jeden Vorschlag über den infrage kommenden alternativen Begriff in Anschlag bringen.

|| Reformulierungsstrategie voraussetzen muss, dass Anna nicht über den Begriff des Sofas verfügt. 35 Für eine Auflösung des Problems unter Berufung auf einen alternativen Begriff siehe zum Beispiel Elugardo 1993: 373ff. und Segal 2007: 10ff. Für analoge Vorschläge in Bezug auf (A), die sich meist leicht auf unseren Fall übertragen lassen, siehe zum Beispiel Fodor 1982: 107ff., Woodfield 1982, Crane 1991: 18ff und Segal 2000: 65ff. 36 Burge selbst macht dieses Argument nicht völlig explizit (siehe Burge 1986: 711).

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Burges Argument ist allerdings kaum überraschend prinzipiell denselben Problemen ausgesetzt wie sein Einwand aus Abschnitt 2.2. Denn es ist fraglich, ob sich Annas Fall kohärent durch die Annahme erweitern lässt, dass sie glaubt, dass die Gegenstände, die alle anderen für Sofas halten, Sofas sind. Sie kann zwar vielleicht (6) behauptend äußern. Doch der Begriff, den sie mit dem zweiten Vorkommnis von „Sofas“ in diesem Satz ausdrücken würde, wäre genau derselbe alternative Begriff, den sie mit „Sofas“ in ihrer Äußerung von „Sofas sind keine Möbelstücke, die zum Sitzen da sind“ ausdrückt. Sie würde demnach mit ihrer Äußerung von (6) die harmlose Meinung kundtun, dass die Gegenstände, die die meisten für Sofas halten, Gegenstände sind, die die meisten Leute für Sofas halten. Ganz analog zu (C) ergänzt nicht der Begriff des Sofas den Gehalt von „Gegenstände einer Sorte von Gegenständen, die die meisten für Sofas halten, sind …“ zum Gehalt ihrer Meinung, sondern der alternative Begriff.37 Selbst wenn wir Burge zugestehen, dass Anna glauben kann, dass (6), bleibt das Problem, dass Burge keine guten Gründe dafür liefert, dass Anna nach ihrem Schluss auf die Proposition, dass (8), die Meinung, dass (8) erwirbt, statt eine der Annahmen ihrer Ableitung zu verwerfen oder den Übergang zur Konklusion infrage zu stellen. Unter der Voraussetzung, dass Anna auch nach der Ableitung nicht glaubt, dass Möbelstücke, die zum Sitzen da sind, keine Möbelstücke sind, die zum Sitzen da sind, ist sie der Reformulierungstheoretikerin zufolge aber gezwungen, genau das tun. Gehen wir zum zweiten Vorschlag über den verwendeten alternativen Begriff über. Gemäß diesem Vorschlag ist der alternative Begriff „tied to perspectual aspects of sofas“.38 Worin ein an Wahrnehmungszüge gebundener Begriff genau besteht, ist wohl nicht völlig klar. Folgende Annäherungen mögen aber für die folgenden Überlegungen ausreichen. Der Begriff, den Burge im Blick hat, erlaubt es Anna, in der Wahrnehmung Sofas von Nicht-Sofas zu unterscheiden. Nehmen wir an, dass Anna mithilfe ihres Wahrnehmungsapparates bei optimalen Wahrnehmungsbedingungen sowohl die Fähigkeit besitzt, alle wahrgenommenen Zusprechungsfälle von „Sofa“ als zusammengehörig zu klassifizieren als auch zugleich wahrgenommene Absprechungsfälle von „Sofa“ als nicht zu den als zusammengehörig klassifizierten Fällen zugehörig zu klassi-

|| 37 Siehe auch Bach 1988: 94f. und Bach & Elugardo 2003: 153f. Letzterer Aufsatz ist eine Reaktion auf Goldberg 2002, der anhand einer Erweiterung des Beispiels im obigen Sinne argumentiert. 38 Burge 1986: 711.

Das Argument aus der eigenartigen Theorie | 63

fizieren.39 Sie hat einen an Wahrnehmungsaspekten von Sofas gekoppelten Begriff von Sofas (kurz: Wahrnehmungsbegriff von Sofas) genau dann, wenn sie diese Fähigkeit besitzt.40 Dieser Begriff allein versetzt sie noch nicht in die Lage, zu erkennen, wozu die Gegenstände, die sie als zusammengehörig klassifiziert, da sind. Insofern aber der Begriff des Sofas Anna in diese Lage versetzt, kann der Wahrnehmungsbegriff zu Recht als alternativer Begriff von Sofas betrachtet werden. Ist es dieser Begriff, der in die Meinung eingeht, die Anna mit „Sofas sind keine Möbelstücke, die zum Sitzen da sind“ kundtut? Burge formuliert genaugenommen drei Kritikpunkte gegen diese Idee: [A] Clearly, this notion need not be what A[nna] utilizes. [S]he may be unwilling to commit [her]self to how all sofas look [B] or to there being no counterfeits. [C] [S]he may rely on others in determining whether some samples are sofas.41

Man kann Burges Kritik nun begegnen, auch ohne dem Begriff des Wahrnehmungsbegriffs scharf umrissene Konturen gegeben zu haben. Von Begriffen ganz allgemein scheint zu gelten, dass man über sie verfügen kann, ohne in der Lage sein, sie zu explizieren. Wir müssen daher bis auf Weiteres davon ausgehen, dass dies auch von dem Wahrnehmungsbegriff von Sofas gilt. Annas Zurückhaltung, sich darauf festzulegen, dass ein Sofa genau soundso aussieht, ist mithin nicht als Fehlen eines solchen Begriffs zu interpretieren, sondern höchstens als Unvermögen (oder Unwillen, siehe „unwilling“), diesen zu explizieren. Der Einwand in [A] greift daher nicht.42 In [B] wird offenbar ein Szenario anvisiert, in dem Anna es für möglich hält, dass es Fälschungen von Sofas gibt, die sinnlich so erscheinen, als ob sie Sofas sind. In den Gehalt dieser Erwägung geht der Wahrnehmungsbegriff von Sofas offensichtlich nicht ein. Denn eine Person, die den Wahrnehmungsbegriff von Sofas verwendet, richtet sich in der Beurteilung, ob ein Gegenstand ein Sofa ist,

|| 39 „Fähigkeit“ soll hier natürlich nicht in einem so weiten Sinne interpretiert werden, dass jeder Mensch mit funktionierendem Wahrnehmungsapparat diese Fähigkeit besitzt, sondern ist so zu verstehen, dass diese Fähigkeit erst auf Basis der Fähigkeit im weiten Sinne erworben werden kann. 40 Dies ist eine Idealisierung. Sicherlich kann man auch dann über einen Wahrnehmungsbegriff von Sofas verfügen, wenn man Grenzfälle von Sofas und Standardfälle von Sofas nicht als zusammengehörig klassifiziert und einem daher Annas Fähigkeit abgeht. 41 Ebd. 42 Ich ignoriere die Tatsache, dass Burge sich hier nur gegen einen visuellen Wahrnehmungsbegriff wendet. Sicherlich kann auch eine blinde Person über einen Wahrnehmungsbegriff von Sofas verfügen.

64 | Partielles Verständnis und eigenartige Theorie

ausschließlich danach, wie der Gegenstand sinnlich erscheint. Sie kann es nicht für möglich halten, dass es Fälschungen von Sofas gibt, die sinnlich so erscheinen, als ob sie Sofas sind. Dies zeigt allerdings nicht, dass Anna den Wahrnehmungsbegriff nicht verwendet, wenn sie ihre eigenartige Theorie über Sofas aufstellt. Laut der Reformulierungsidee geht in den Gehalt ihrer Meinung, die sie mit „Sofas sind nicht zum Sitzen da“ kundtut, zwar nicht der Begriff des Sofas ein. Dennoch verfügt Anna über den Begriff des Sofas (wie auch Paul über den Begriff der Arthritis verfügt). Schließlich versteht sie den Ausdruck „gepolsterte Möbelstücke mit Rückenlehne, die zum Sitzen für mehrere Menschen da sind“. Demnach verfügt Anna über unterschiedliche Begriffe von Sofas und kann an einer Stelle diesen Begriff mobilisieren, an anderer Stelle wiederum einen anderen. Die Tatsache, dass der Wahrnehmungsbegriff nicht in den Gehalt ihrer Erwägung über mögliche Fälschungen einfließt, spricht also nicht dagegen, dass er Teil des Gehalts ihrer weitaus bedenklicheren Überzeugungen über Sofas ist. Anders steht es vielleicht mit der in [C] angedeuteten Erweiterung des Beispiels. Annas regelmäßiges Vertrauen auf andere in der Frage, ob „Sofa“ auf diesen oder jenen wahrgenommenen Gegenstand zutrifft, weist auf ein Misstrauen gegenüber der eigenen Fähigkeit hin, mithilfe ihres Wahrnehmungsapparates Sofas von Nicht-Sofas zu unterscheiden. Das heißt nicht, dass sie diese Fähigkeit nicht hat. Wenn sie über den Begriff des Sofas verfügt, wird sie vermutlich auch diese Fähigkeit besitzen. Doch angesichts ihres tief sitzenden Misstrauens wendet sie diese Fähigkeit einfach nicht an. Wenn sie diese Fähigkeit nie einsetzt, dann verwendet sie wohl auch nie den Wahrnehmungsbegriff. In diesem Fall geht er auch nicht in die Gehalte ihrer Einstellungen ein. Vielleicht waren wir hier aber auch ein wenig vorschnell. Annas regelmäßiges Vertrauen auf andere könnte aus der Angst herrühren, dass ihre Sinne sie im Stich lassen und sie etwas für ein Sofa nimmt, das in Wirklichkeit eine Maus ist. Wen wundert bei Anna überhaupt noch etwas – vielleicht ist sie ja Philosophin. Ohne fremden Zuspruch kann sie nicht entscheiden, ob ihr Sinneseindruck täuscht oder sich tatsächlich vor ihren Augen ein Sofa befindet. Man kann nun aber dafürhalten, dass sie in dieser Situation dennoch vom Wahrnehmungsbegriff Gebrauch macht. Die Fähigkeit, mithilfe ihres Wahrnehmungsapparates Sofas von Nicht-Sofas zu unterscheiden, wendet sie nämlich bereits an, um den sinnlichen Eindruck zu gewinnen, dass sich vor ihr ein Sofa befindet. Wir können dieses Szenario sicherlich mit der zusätzlichen Annahme ausschließen, dass Anna von wahrgenommenen standardmäßigen (Ab- oder) Zusprechungsfällen noch nicht einmal den sinnlichen Eindruck hat, dass sie (kei-

Das Argument aus der eigenartigen Theorie | 65

ne) Sofas sind.43 Doch selbst wenn wir mit dieser Erweiterung des Szenarios sicherstellen, dass Anna nicht vom Wahrnehmungsbegriff Gebrauch macht, bleibt davon die Idee unberührt, dass Anna von irgendeinem alternativen Begriff Gebrauch macht. Wenn Anna keinen Wahrnehmungsbegriff von Sofas verwendet, dann ist es eben ein anderer alternativer Begriff, den Anna in ihrer eigenartigen Äußerung über Sofas mobilisiert. Tatsächlich lässt sich ja allein anhand der ursprünglichen Beschreibung des Beispiels nicht vielmehr als spekulieren, von welchem alternativen Begriff Anna Gebrauch macht. Burges Erweiterungen des Beispiels um weitere Beschreibungen mögen helfen, den Wahrnehmungsbegriff als möglichen Kandidaten für den verwendeten Begriff auszuschließen. Sie sind aber vereinbar damit, dass es irgendeinen alternativen Begriff gibt, den Anna verwendet. Um diese Idee zu diskreditieren, müsste es eine Erweiterung geben, die ähnlich wie die oben bereits kritisierte Erweiterung des Beispiels um (6) eine allgemeine Waffe gegen jeden Vorschlag über den verwendeten alternativen Begriff ist. Und gegen eine solche Erweiterung würden Freunde von (ER) vermutlich den Vorwurf der Inkohärenz erheben. Sobald man zugesteht, dass Annas kognitive Situation im ursprünglichen Beispiel nicht völlig klar auf der Hand liegt, sollte es einem jedenfalls schwerfallen zu entscheiden, ob das Beispiel durch eine Ergänzung um weitere Beschreibungen von Annas kognitiver Situation, die mit einem Schlag jede Berufung auf einen alternativen Begriff ins Leere laufen lässt, inkohärent wird oder nicht. Fassen wir zusammen. Das Beispiel aus dem mangelnden Verständnis lässt wie Mates Beispiel eine metasprachliche Reformulierung zu. Burge formuliert zwei Einwände gegen eine solche Reformulierung: Der Einwand aus der mangelnden Eleganz macht geltend, dass man einer metasprachlichen Reformulierung zufolge im Gegensatz zur buchstäblichen Interpretation oft gleiches Verhalten mit unterschiedlichen Meinungen erklären muss. Doch dieser Mangel an Eleganz in der Erklärung von gleichem Verhalten hat auch eine Sonnenseite. Denn unterschiedliches Verhalten lässt sich gemäß der Reformulierungsmethode oft einfacher erklären als mit einer buchstäblichen Interpretation. Dem Einwand aus der semantischen Unreife zufolge versagt der metasprachliche Reformulierungsansatz in Bezug auf kleine Kinder oder Urahnen, die noch über keine semantischen Begriffe verfügen. Allerdings zeigen andere Beispiele, dass der Eindruck semantischer Unreife meist trügt: Kleine Kinder

|| 43 Allerdings fragt sich, wie sie unter dieser Annahme überhaupt über den Begriff des Sofas verfügen kann. Burge setzt natürlich voraus, dass Anna auch ohne einen Wahrnehmungsbegriff von Sofas über den Begriff des Sofas verfügen kann.

66 | Partielles Verständnis und eigenartige Theorie

verfügen über semantische Begriffe, sobald sie aufrichtig Sätze der Form „Was ist ein F?“ äußern, ohne über den Begriff des F zu verfügen oder über ihn verfügen, aber bereits wissen, was Fs sind. Burges Beispiel aus der eigenartigen Theorie kann mit demselben Recht wie die bisherigen Beispiele metasprachlich reformuliert werden. Ein zweiter gangbarer Weg ist die Reformulierung unter Rekurs auf einen alternativen Begriff. Burges Einwände gegen diese Idee in Form von Erweiterungen des ursprünglichen Beispiels um weitere Beschreibungen greifen nicht. Das Resultat dieser Erweiterungen ist entweder eine inkohärente Beschreibung des Beispiels oder eine, der es an allgemeiner Schlagkraft gegen die Idee fehlt, dass Anna irgendeinen alternativen Begriff mobilisiert. Auch Annas abseitige Überzeugungen über Sofas geben uns also keinen Grund, (ER) aufzugeben, statt ihre Gehalte im Einklang mit (ER) zu beschreiben.

4 Kripkes Einwand 4.1 Verschiedene Weisen, die Bedeutung eines Ausdrucks zu erlernen Das folgende Szenario ist im Wesentlichen eine Variante von Kripkes London/Londres Beispiel. Kripke selbst deutet sie an, wenn er schreibt: Another consideration, regarding natural kinds: […] [A] speaker of English alone may learn ‘furze’ and ‘gorse’ normally (separately), yet wonder whether these are the same, or resembling kinds. […] It would be easy for such a speaker to assent to an assertion formulated with ‘furze’ but withhold assent from the corresponding assertion involving ‘gorse.’ […] Yet ‘furze’ and ‘gorse’, and other pairs of terms for the same natural kind, are normally thought of as synonyms.1

Verlegen wir das Geschehen nach Deutschland, genauer nach einem Landesteil, der bedauerlicherweise fast alle seiner Einwohner in seinen Staatsgrenzen gefangen hält. Nennen wir diesen Staat „Schleyern“ (um Verwechslungen mit einem ehemaligen deutschen Staat vorzubeugen). Aufgrund der klimatischen Bedingungen gibt es in Schleyern keine Apfelsinen. Dennoch hat die dort lebende Gaby profunde Kenntnisse über Apfelsinen. So weiß sie zum Beispiel von ihnen, dass sie Zitrusfrüchte aus der Familie der Rautengewächse sind, dass die Obstsorte, zu der sie gehören, aus einer Kreuzung aus Mandarine und Pampelmuse entstanden ist, dass sie in China ihren Ursprung haben, dass sie pro 100g etwa 50mg Vitamin C enthalten und Früchte sind, die sich in drei süße und eine bittere Sorte aufteilen. Sie kennt sogar die (typische) chemische Zusammensetzung von Apfelsinen. Ihr stehen aufgrund dieses Wissens Beschreibungen zur Verfügung, die einzig und allein auf Apfelsinen zutreffen. Setzen wir für das Folgende zum Beispiel voraus, dass die Beschreibungen „enthält pro 100g etwa 50mg Vitamin C“ und „ist eine Frucht, die sich in drei süße und eine bittere Sorte aufteilt“ einzig und allein auf Apfelsinen zutreffen. Ist ihr Wissen über Apfelsinen hinsichtlich Herkunft und Art auch noch so bewundernswert, es ist allemal nicht vollkommen. Denn weder hat Gaby jemals eine Apfelsine sinnlich wahrgenommen noch ein Bild einer solchen gesehen. Sie hat auch in keiner anderen Weise Informationen über das Aussehen von Apfelsinen oder ihrer Form erlangt und weiß nichts darüber – abgesehen viel-

|| 1 Kripke 1979: 269.

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leicht vom Umstand, dass sie nicht größer als Melonen sind.2 Denn in Schleyern gibt es nicht bloß keine Apfelsinen, auch die Weitergabe von Informationen zu ihrem Aussehen ist strengstens untersagt. Tatsächlich leiden die dortigen Machthaber unter dem paranoiden Wahn, dass allein der Anblick eines Bildes oder das (durch Informationen angeregte) Ausmalen einer Apfelsine in der Fantasie der Einwohner deren etwaigen Flucht- oder Aufstandstendenzen befördern könnte. Es ist nämlich dort ein offenes Geheimnis, dass Apfelsinen besonders wohlschmeckend sind. So behauptet Gaby wie die Mehrzahl ihrer Mitbürger im Brustton der Überzeugung: „Apfelsinen schmecken gut.“ Dank glücklicher Umstände gelingt es Gaby nun, ihrer bisherigen Heimat zu entfliehen und sich in einem anderen Teil Deutschlands niederzulassen. Sie lebt sich sehr schnell ein. Dies ist unter anderem dem Umstand zu verdanken, dass dort genau dieselbe Sprache gesprochen wird wie in ihrer alten Heimat. Allerdings taucht in Gesprächen hin und wieder das ihr unbekannte Wort „Orange“ auf, ein Ausdruck, den ihre ehemaligen Landsleute nie verwendeten. Auf Nachfrage wird ihr daher ein Sack voller Orangen gezeigt und ihr mitgeteilt, dass es sich um gewisse Früchte handelt. Sie nimmt mehrere Orangen in die Hand und begutachtet sie ausführlich haptisch, olfaktorisch und visuell. In der Folge trifft sie beim regelmäßigen Einkaufen immer wieder auf Orangen in den Auslagen von Obsthändlern und kann sie zielsicher identifizieren. Irgendwann nun wird ihr eine Orange zum Verzehr angeboten. Skeptisch behauptet sie aufrichtig und etwas gestelzt: „Es ist nicht der Fall, dass ich glaube, dass Orangen gut schmecken.“3 Die Geschichte legt nahe, dass der Übergang von (E) nach (F) den Wahrheitswert nicht bewahrt: (E)

Gaby glaubt, dass Apfelsinen gut schmecken.

(F)

Gaby glaubt, dass Orangen gut schmecken.

Aber natürlich sehen Freunde von (ER) in dieser Interpretation der Geschichte nicht zu Unrecht einen unverhohlenen Affront.

|| 2 Zu dieser Kenntnis könnte sie vielleicht auf Basis ihres Wissens über Apfelsinen gelangen, dass sie zu einer Obstsorte gehören, die aus einer Kreuzung aus Mandarine und Pampelmuse entstanden ist – falls ihr Wissen von diesen Früchten (oder von Melonen) wiederum nicht ganz analoge Defizite aufweist, sondern ein Wahrnehmungswissen von diesen Früchten enthält. 3 Mit dieser Formulierung will Gaby deutlich machen, dass sie sich eine (positive) Meinung über Orangen abspricht und nicht eine (negative) Meinung zuspricht.

Was heißt hier „der Begriff der Orange“?! | 69

4.2 Was heißt hier „der Begriff der Orange“?! Bisher habe ich versucht, auf den ersten Blick widerspenstige Beispiele für (ER) durch Reformulierungen zu zähmen. Hier werde ich einen anderen Weg bestreiten und dafür argumentieren, dass sowohl (E) als auch (F) buchstäblich wahr ist und insbesondere (F) mit (G)

Gaby glaubt nicht, dass Orangen gut schmecken

vereinbar ist, wenn man (G) auf die richtige Weise versteht. Als Vorbereitung für eine Auflösung des Problems sollte man geltend machen, dass Gaby offenbar über zwei verschiedene Begriffe von Orangen alias Apfelsinen verfügt. Den einen erwirbt sie im Zuge ihrer sinnlichen Wahrnehmung von Orangen, den anderen auf davon unabhängige Weise. Der eine versetzt sie prinzipiell in die Lage, Orangen in der Wahrnehmung als Orangen zu identifizieren, der andere nicht. Dafür befähigt sie dieser wiederum, gewisse Aussagen über Art und Herkunft von Orangen zu beurteilen, der andere hingegen kaum. Wir sollten den Begriff von Orangen, den Gaby anhand ihrer Wahrnehmung von Orangen erwirbt, also tunlichst vom Begriff von Orangen unterscheiden, über den sie bereits vor ihrer Ausreise verfügt. Nennen wir den einen daher den Wahrnehmungsbegriff von Orangen und den anderen den wahrnehmungsunabhängigen Begriff von Orangen. Hier ist allerdings eine gewisse Vorsicht geboten. Wenn ich von Gabys Wahrnehmungsbegriff von Orangen spreche, meine ich nicht, dass in diesen ausschließlich bestimmte Weisen, Orangen wahrzunehmen, eingehen, sondern lediglich, dass solche Wahrnehmungsweisen prominente Komponenten dieses Begriffs sind. Es sei nämlich hier vorausgesetzt, dass in ihren Wahrnehmungsbegriff ferner eine Art des Denkens an Orangen als an Früchte eingeht. (Erinnern wir uns, dass Gaby während ihrer ersten perzeptuellen Begegnung mit Orangen mitgeteilt wurde, dass es sich um Früchte handelt.)4 Nun gibt es unendlich viele Begriffe von Orangen, d. h. es gibt unendlich viele Begriffe, die von einem Prädikat ausgedrückt werden, das ausschließlich auf Orangen zutrifft. Aber natürlich ist nicht jeder dieser Begriffe der Begriff der Orange. Nehmen wir zum Beispiel an, dass Apfelsinen die einzigen Früchte sind, die es nicht in Schleyern gibt. Dann ist der Begriff der Frucht, die es nicht in Schleyern gibt, ein Begriff von Orangen. Aber er ist gewiss nicht der Begriff

|| 4 Der Sinn dieser Voraussetzung wird in Kürze deutlich. Ich verwende hier und im Folgenden übrigens „Art des Denkens an x“ so weit, dass eine Art des Wahrnehmens von x auch als eine Art des Denkens an x zählt.

70 | Kripkes Einwand

der Orange. Ist einer der beiden vorgestellten Begriffe von Orangen, über die Gaby verfügt, der Begriff der Orange? Die Antwort fällt nicht leicht, da Gabys wahrnehmungsunabhängiger Begriff von Orangen offenbar gleiches Anrecht auf den Titel „der Begriff der Orange“ hat wie ihr Wahrnehmungsbegriff. Denn intuitiv würden wir Gaby nicht bloß angesichts ihres ausgiebigen Wahrnehmungskontakts mit Orangen nach ihrer Ausreise den Begriff der Orange zubilligen.5 Wir würden ihr diesen Begriff angesichts ihres enormen Wissens von Orangen intuitiv auch vor ihrer Ausreise zusprechen. Gewiss, Gaby kennt vor ihrer Ausreise nicht den Ausdruck „Orange“, dies sollte uns aber genauso wenig davon abhalten, ihr den Begriff der Orange zuzusprechen wie die Unkenntnis des deutschen Wortes „Schnee“ seitens einer kompetenten Verwenderin von „snow“ uns daran hindern sollte, dieser den Begriff des Schnees zu attestieren. Der Begriff, den wir Gaby aufgrund ihrer Wahrnehmung von Orangen bescheinigen, ist der Wahrnehmungsbegriff, derjenige, den wir ihr vor der Ausreise zugestehen, ist hingegen der wahrnehmungsunabhängige Begriff. Natürlich können aber streng genommen nicht beide Begriffe der Begriff der Orange sein. Mit unseren intuitiven Zuschreibungen des Begriffs der Orange gibt es demnach ein Problem: Entweder gibt es entgegen unseren Zuschreibungen nicht den Begriff der Orange oder einer von beiden Begriffen erhebt unseren Zuschreibungen zum Trotz zu Unrecht Anspruch auf den Titel: „Der Begriff der Orange“. Wie immer wir dieses Problem auch auflösen, wir müssen offenbar in der einen oder anderen Weise von unseren intuitiven Zuschreibungen Abstand nehmen. Wir könnten etwa unsere intuitive Zuschreibung des Begriffs der Orange vor Gabys Abreise in Zweifel ziehen. Schließlich weicht ihr wahrnehmungsunabhängiger Begriff vom gewöhnlichen Begriff der Orange ab. Im Normalfall lernt man die Bedeutung von „Orange“ und „Apfelsine“ ja durch eine hinweisende Erklärung und der Begriff der Orange, den wir (wenn alles gut geht) dank einer solchen Erläuterung erwerben, ist wahrnehmungsabhängig. Später kann detailliertes Wissen über Eigenschaften wie Herkunft, chemische Zusammensetzung

|| 5 Wie in der Diskussion von Burges Argument aus der eigenartigen Theorie im Abschnitt 3.4 deutlich wurde, kann jemand über einen Wahrnehmungsbegriff von Sofas verfügen, ohne dass wir der Person intuitiv den Begriff des Sofas zusprechen würden, weil die Person von Sofas nicht weiß, wozu sie da sind. In ähnlicher Weise kann jemand über einen Wahrnehmungsbegriff von Orangen verfügen und wir uns vermutlich intuitiv dennoch weigern, der Person den Begriff der Orange zu bescheinigen, weil sie von Orangen nicht weiß, dass sie Früchte sind. Wäre Gaby in einer solchen Situation, wäre dies wohl ein Grund, (F) zuzustimmen und (G) unter Rückgriff auf ihren Wahrnehmungsbegriff zu reformulieren. Allerdings ist Gaby nicht in einer solchen Situation. Ihr Wahrnehmungsbegriff der Orange ist kein reiner Wahrnehmungsbegriff, da in ihm ja eine Weise des Denkens an Orangen als an Früchte eingeht.

Was heißt hier „der Begriff der Orange“?! | 71

usw. hinzukommen. Doch haben wir bereits Meinungen, in deren Gehalt intuitiv der Begriff der Orange eingeht, bevor wir ein solch umfangreiches Wissen erwerben. Für unser Verfügen über den Begriff der Orange scheint die Kenntnis dieser Dinge nicht erforderlich. Diese Abweichung vom Standardbegriff spielt normalerweise für die Kohärenz unserer Einstellungszuschreibungen keine Rolle und lässt sich daher getrost übergehen. Vor einer solch großzügigen Haltung muss allerdings in Ausnahmefällen, wie Gabys einer ist, gewarnt werden – so jedenfalls die Überlegung. Eine solche Ungleichbehandlung der beiden Begriffe allein auf der Basis statistischer Daten über den Erwerb der beiden Begriffe ist allerdings nicht sonderlich plausibel. Wir könnten uns ausmalen, dass genau eine Hälfte der Menschen den Wahrnehmungsbegriff erwirbt, die andere hingegen den wahrnehmungsunabhängigen. In einem solchen Szenario würde die Annahme eines Exotenstatus für einen der beiden Begriffe nicht greifen. Vielleicht gibt es einen plausibleren Grund dafür, den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange den Titel „Begriff der Orange“ streitig zu machen. Wenn es einen gibt, dann umso besser für (ER). Denn dann lässt sich (ER) mit einer entsprechenden Reformulierung von (E) unter Rekurs auf den nicht-standardmäßigen wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange verteidigen. Ich jedenfalls kann allerdings keinen solchen Grund erkennen. Das Problem scheint mir daher am besten gelöst, wenn man sich von der Annahme trennt, dass es so etwas wie den Begriff der Orange gibt. Sowohl Gabys Wahrnehmungsbegriff als auch ihr wahrnehmungsunabhängiger Begriff ist ein Begriff der Orange und nicht bloß wie so viele andere Begriffe ein Begriff von Orangen. Wann ist ein beliebiger Begriff ein Begriff der/des F? Die folgende Antwort sollte für unsere Zwecke genügen: (BEG) Der Begriff b ist ein Begriff der/des F genau dann, wenn: Das Subsumieren eines Gegenstandes unter b ist ein Denken an ihn als an (ein(e)) F.6

Vom Begriff der Frucht, die nicht in Schleyern erhältlich ist, gilt nicht: Das Subsumieren eines Gegenstandes unter diesen Begriff ist ein Denken an ihn als an eine Orange. Vom Begriff der Zitrusfrucht, die zur Familie der Rautengewächse

|| 6 In diesem Schema sollen für „b“ Namen für Begriffe eingesetzt werden. Da die meisten Begriffe keine Namen im engeren Sinne haben, müssen wir solche stipulativ einführen.

72 | Kripkes Einwand

gehört und in China ihren Ursprung hat und pro 100g etwa 50mg Vitamin C enthält und sich in drei süße und eine bittere Sorte aufteilt und von der chemischen Zusammensetzung XYZ ist, gilt dies hingegen durchaus. Dasselbe trifft auf Gabys Wahrnehmungsbegriff von Orangen zu. (BEG) zufolge sind daher sowohl Gabys wahrnehmungsunabhängiger Begriff als auch ihr Wahrnehmungsbegriff Begriffe der Orange. Dasselbe gilt auch von Begriffen, die man aus Gabys wahrnehmungsunabhängigen Begriff durch Hinzufügen oder Entfernen einer deskriptiven Komponente gewinnt. Und da von all diesen Begriffen gilt: Das Subsumieren eines Gegenstandes unter diesen Begriff ist ein Denken an ihn als an eine Apfelsine, sind diese Begriffe Begriffe der Apfelsine.

4.3 Unvollständig spezifizierte Gehalte Betrachten wir die folgenden Sätze: (E)

Gaby glaubt, dass Apfelsinen gut schmecken.

(G)

Gaby glaubt nicht, dass Orangen gut schmecken.

Folgen wir dem Vorschlag des letzten Abschnitts, so gehen in die Gehalte der Einstellungen, von denen (E) und (G) handeln, verschiedene Begriffe der Orange alias der Apfelsine ein.7 In den Gehalt der Einstellung, die (E) wiedergeben soll, geht der wahrnehmungsunabhängige Begriff der Orange ein. In den Gehalt der Einstellung, um die es in (G) geht, fließt hingegen der Wahrnehmungsbegriff der Orange ein. Keiner dieser Begriffe hat mehr Recht als der andere auf den irreführenden Titel „Der Begriff der Orange.“ (E) und (G) fordern also eine symmetrische Behandlung: Entweder reformulieren wir beide Sätze oder lassen beide unangetastet. Denn wenn wir (E) reformulieren und explizit machen, welcher Begriff der Orange in den Gehalt der Meinung eingeht, von der mit (E) berichtet werden soll, dann sollten wir auch (G) ganz analog paraphrasieren. Halten wir hingegen im Lichte unseres Vorschlags an (E) fest, gibt es auch gegen (G) nichts einzuwenden. Betrachten wir zunächst die erste Alternative. Wir könnten (E) und (G) so reformulieren, dass die Differenz in den beiden Begriffen der Orange in den Formulierungen sichtbar wird. Zum Beispiel könnten wir verschiedene Ausdrücke einführen, die den jeweils eingehenden Begriff ausdrücken und unter Rückgriff auf diese Ausdrücke (E) und (G) reformulieren. || 7 Ich verwende „Einstellung“ hier in einem liberalen Sinne, sodass (G) von einer Einstellung handelt, obwohl mit (G) niemandem eine Einstellung zugeschrieben wird.

Unvollständig spezifizierte Gehalte | 73

Eine Reformulierung von (G) ist allerdings nur dann gerechtfertigt, wenn mit (G) nichts buchstäblich Wahres gesagt werden kann. Doch mit (G) kann etwas buchstäblich Wahres gesagt werden (wie auch immer es um (E) steht).8 In den Gehalt der Einstellung, über die (G) eine Aussage trifft, geht Gabys Wahrnehmungsbegriff der Orange ein. Gabys Wahrnehmungsbegriff der Orange ist der, über den auch Gabys („Orange“-kompetenten) Mitmenschen standardmäßig verfügen und der in den Gehalt vieler Einstellungen von ihnen Eingang findet. Wenn (G) einer Revision bedarf, dann auch alle Berichte von diesen Einstellungen. Doch dies ist gewiss abwegig.9 Also sollten wir nicht an (G) rütteln und mithin die erste Alternative verwerfen. Es bleibt demnach nur die zweite Option. Doch verlangt die buchstäbliche Korrektheit von (E) und (G) nicht die Aufgabe von (ER)? Folgt nicht aus (G), dass (F)

Gaby glaubt, dass Orangen gut schmecken

falsch ist? Ich glaube nicht. Im Folgenden möchte ich zeigen, dass (F) entgegen dem Anschein korrekt ist (vorausgesetzt, (E) ist korrekt) und sich zudem mit (G) vereinbaren lässt. Betrachten wir dazu zunächst eine Variation unserer Geschichte. Angenommen, während ihrer Umsiedlung wird Gaby von verschiedenster Seite sehr eindringlich vor den sprachlichen Besonderheiten der neuen Umgebung gewarnt. Obwohl die Ausdrücke dieselben sind wie in ihrer alten Heimat, versichert man ihr fälschlicherweise, dass mit ihnen in ihrem neuen Zuhause nur allzu oft eine ganz andere Bedeutung verbunden ist. Gaby nimmt die haltlose Warnung ernst und hütet sich davor, den Ausdrücken, geäußert von ihren neuen Landsleuten, vorschnell ihre gewohnte Bedeutung beizulegen. In den Auslagen der Gemüsehändler ihres neuen Wohnortes sieht sie nun regelmäßig Apfelsinen, auf die jedes Mal ein kleines Schild mit der Aufschrift „Apfelsinen“ verweist. Sie lernt auf diese Weise, was ihre neuen Landsleute mit „Apfelsine“ meinen. Sie enthält sich allerdings des Urteils hinsichtlich der Frage, ob diese dasselbe damit meinen wie ihre ehemaligen Mitbürger. Nach allem,

|| 8 Mit dieser vorsichtigen Formulierung wird Raum für die Möglichkeit gegeben, dass (G) mehrdeutig ist. Und genau diese Option wird in Kürze auch ausgeschöpft. 9 Man kann die vorangegangenen Überlegungen zur Variabilität von Begriffen der/des F auf die Spitze treiben und behaupten, dass Gaby und ihre Mitmenschen jeweils ihre eigenen Wahrnehmungsbegriffe der Orange haben, die sie mit niemand anderem teilen. Doch auch diese Annahme liefert uns keinen Grund, die alltäglichen Berichte von Einstellungen, in deren Gehalt diese verschiedenen Begriffe eingehen, als streng genommen falsch zu erachten und sie deshalb zu reformulieren.

74 | Kripkes Einwand

was sie weiß, kann mit „Apfelsine“ jeweils eine andere Frucht gemeint sein. Schließlich ist der Begriff, den sie bisher mit „Apfelsine“ verknüpfte, wahrnehmungsunabhängig. Sie bekommt nun eine Apfelsine zum Verzehr angeboten und erwirbt daraufhin die Meinung, dass Apfelsinen gut schmecken. Ihre bereits vor der Ausreise erworbene Meinung, dass Apfelsinen gut schmecken, kann nun freilich nicht identisch mit dieser Meinung sein. Wie gesagt, jene Meinung hat sie vor ihrer Ausreise erworben und nicht erst in ihrer neuen Heimat. Zudem geht in sie der wahrnehmungsunabhängige Begriff der Orange ein – im Gegensatz zur erst jüngst erworbenen Meinung. Dennoch sagt man mit (E)

Gaby glaubt, dass Apfelsinen gut schmecken

jeweils etwas buchstäblich Wahres. Daraus folgt offenbar, dass wir mit diesem Zuschreibungssatz den Gehalt von Gabys Meinung nicht vollständig spezifizieren. Denn welcher Begriff der Orange in den Gehalt ihrer Meinung eingeht, lässt (E) offen. Die Wahrheitsbedingungen dieses Satzes lassen sich besser mit der folgenden Existenzquantifikation angeben: (E´)

(Ǝx) (x ist ein Begriff der Orange & x ˆ [schmecken gut] ist der Gehalt einer Meinung von Gaby).10

Der Mangel an vollständiger Spezifizierung des Gehalts einer Einstellung ist nun kein besonderer Zug von (E). Jeder Zuschreibungssatz, der einen (verwendeten) Ausdruck „a“ in dem dass-Satz enthält, der mit verschiedenen Begriffen der/des a verbunden werden kann, weist diese Eigenschaft auf.11 Konsequenterweise kann Gaby mit „Apfelsinen schmecken gut“ vor ihrer Ausreise eine andere Proposition ausdrücken als nach ihrer Ausreise, wenn sie mit der Verwendung von „Apfelsinen“ nach ihrer Ausreise den Wahrnehmungsbegriff der Orange verbindet und die jeweils ausgedrückte Proposition

|| 10 Ein Ausdruck mit rechteckigen Klammern bezeichnet den Gehalt des eingebetteten Ausdrucks. Was das Verknüpfungszeichen „ˆ“ angeht, hilft die folgende vorläufige Charakterisierung: Sind a und b zwei Ausdrücke, die Gehalte bezeichnen, bezeichnet ˹a ˆ b˺ einen komplexen Gehalt bestehend aus dem Gehalt, den a bezeichnet, und dem Gehalt, den b bezeichnet. Man kann sich angesichts unserer vorangegangenen Überlegungen fragen, ob es nicht auch mehrere Begriffe des Gut-Schmeckens geben kann. In diesem Fall müssten wir zusätzlich über Begriffe des Gut-Schmeckens quantifizieren. Ich vernachlässige aber hier diese zusätzliche Komplikation. 11 In diesem Schema wird nicht der erste Buchstabe des Alphabets angeführt. „a“ soll vielmehr durch einen Ausdruck substituiert werden.

Unvollständig spezifizierte Gehalte | 75

identisch mit dem jeweiligen Gehalt ihrer Meinung ist. Es scheint also nicht die Proposition zu geben, die der deutsche Satz „Apfelsinen schmecken gut“ ausdrückt Punkt, sondern lediglich die Proposition, die eine Sprecherin mit einer Äußerung des deutschen Satzes „Apfelsinen schmecken gut“ zum Zeitpunkt t ausdrückt. Dasselbe gilt von Sätzen mit Eigennamen oder indexikalischen Ausdrücken. Die ausgedrückte Proposition variiert mit dem Begriff, der jeweils mit dem Eigennamen oder dem indexikalischen Ausdruck verbunden wird.12 Stellen wir der eben geschilderten Abwandlung von Gabys Geschichte eine zweite Variation beiseite: Nachdem Gaby eine Apfelsine gekostet hat, erwirbt sie die Meinung, dass Apfelsinen nicht gut schmecken. Da sie glaubt, dass „Apfelsine“, so wie der Ausdruck in ihrer alten Heimat verwendet wurde, auf besonders wohlschmeckende Früchte zutrifft, zieht sie daraus die Konsequenz, dass „Apfelsine“, wie sie es in ihrer alten Heimat gebraucht hat, nicht dasselbe bedeutet wie „Apfelsine“ im Munde ihrer neuen Landsleute. Zudem kann sie glauben, dass Apfelsinen nicht dasselbe sind wie Apfelsinen. Ihre kognitive Situation lässt sich in diesem Fall völlig kohärent wie folgt beschreiben: (1)

(Ůx) (Ůy) (x ist ein Begriff der Apfelsine & y ist ein Begriff der Apfelsine & ¬ x = y & [Es ist nicht der Fall, dass] ˆ x ˆ [ist identisch mit] ˆ y ist der Gehalt einer Meinung von Gaby).

Dabei ist einer von den beiden Begriffen x und y der Wahrnehmungsbegriff und der andere der wahrnehmungsunabhängige Begriff der Apfelsine. Der Satz „Apfelsinen sind nichts anderes als Apfelsinen“ ist also nicht trivial, wenn gilt: Ein Satz S ist genau dann trivial, wenn man S nicht (nach gewöhnlichen Maßstäben) verstehen kann, ohne S zuzustimmen.13 Gaby verwendet den Ausdruck „Apfelsine“ in den beiden eben dargestellten Varianten der Geschichte auf unterschiedliche Weise. Wenn sie mit diesem Ausdruck den Wahrnehmungsbegriff der Apfelsine verknüpft, wendet sie ihn

|| 12 Vergleiche die berühmte Fußnote in Frege 1892a: 27 über den verschiedenen Sinn, den kompetente Sprecher mit „Aristoteles“ verknüpfen können. 13 Den Unterschied zwischen Verständnis nach gewöhnlichen Maßstäben und eines nach höchst anspruchsvollen Maßstäben, denen man dann (aber nicht nur dann) genügt, wenn man über die richtige semantische Theorie über den betreffenden Ausdruck verfügt, wird im Abschnitt 4.5 näher erläutert. Da Gaby in den beiden geschilderten Szenarien auch den Satz „Alle Apfelsinen sind Apfelsinen“ ablehnen kann, sind auch nicht alle Sätze der Bauart: „Alle F sind F“, im angegebenen Sinne trivial. Wie sich im Abschnitt 4.5 zeigen wird, ist vermutlich sogar kein Satz dieser Form im erläuterten Sinn trivial. Um der Trivialität nicht ihre paradigmatischen Beispiele zu nehmen, werde ich dort einen schwächeren Sinn einführen, in dem solche Sätze durchaus trivial sind.

76 | Kripkes Einwand

auf wahrgenommene Apfelsinen an. Das tut sie aber in dem Fall nicht, in dem sie mit diesem Ausdruck den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Apfelsine verbindet. In der ersten Variante zweifelt sie in diesem Fall, ob dieser Ausdruck auf die Früchte zutrifft, die in ihrer neuen Heimat „Apfelsinen“ genannt werden. In der zweiten Variante ist sie in diesem Fall der Überzeugung, dass der Ausdruck nicht auf diese Früchte zutrifft. Sie versteht den Ausdruck „Apfelsine“ aber sowohl tadellos, wenn sie ihn auf die eine Weise als auch, wenn sie ihn auf die andere Weise verwendet. Folgt daraus, dass der Ausdruck „Apfelsine“ mehrdeutig in dem Sinne ist, dass die Bedeutungk des Ausdrucks mit dem Begriff variiert, den Gaby mit ihm ausdrückt? Wenn ja, würde dasselbe natürlich auch für den Ausdruck „Orange“ folgen. Ich habe bislang vorausgesetzt, dass dies nicht folgt. Denn wenn die beiden Ausdrücke aus dem genannten Grund mehrdeutig sind, dann scheint es im Gegensatz zu meinem Vorschlag durchaus so etwas wie den Begriff der Apfelsine alias Orange zu geben. Der wahrnehmungsunabhängige Begriff von Orangen ist dann der Begriff der Orange in einer Bedeutungk des Ausdrucks „Orange“. Der Wahrnehmungsbegriff der Orange ist hingegen der Begriff der Orange in einer anderen Bedeutungk des Wortes „Orange“. Wenn die Ausdrücke mehrdeutig sind, lässt sich (ER) leicht verteidigen. Denn dann sind die beiden Ausdrücke, so wie sie in (E) bzw. (F) verwendet werden, nicht synonym (d. h. Träger derselben Bedeutungk). Schließlich werden sie in diesen Sätzen verwendet, um unterschiedliche Begriffe auszudrücken (insofern (E) und (F) wahr sind): In (E) drückt „Apfelsine“ den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange aus. In (F) drückt „Orange“ hingegen den Wahrnehmungsbegriff der Orange aus. Da (ER) nicht von Ausdrücken mit unterschiedlicher Bedeutungk handelt, wäre ein Wahrheitswertunterschied zwischen (E) und (F) für (ER) ohne Belang. Sind „Apfelsine“ und „Orange“ wirklich mehrdeutig im angegebenen Sinne? Man könnte für eine Mehrdeutigkeit ins Feld führen, dass „Apfelsine“ in den unterschiedlichen Verwendungsweisen Gabys zwar dieselbe Extension hat, doch jeweils einen anderen Begriff ausdrückt: In der einen Verwendungsweise drückt er den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange aus, in der anderen den Wahrnehmungsbegriff. Auf der anderen Seite ist es nicht klar, inwiefern der ausgedrückte Begriff mit der Bedeutungk eines Ausdrucks zusammenhängt. Kompetente Sprecher können mit demselben Eigennamen anscheinend unterschiedliche Begriffe ausdrücken, ohne dass der Eigenname deshalb mehrere Bedeutungenk hat. Es gibt weitere Bedenken. Die Bedeutungk eines Ausdrucks wird von zwei Faktoren festgelegt: Den Elementen des Kontexts, mit denen seine Extension

Unvollständig spezifizierte Gehalte | 77

variiert, und seine kontextunabhängige Bedeutung. Der Ausdruck „Apfelsine“ hat in beiden Verwendungsweisen Gabys dieselbe Extension. Ein Unterschied in seiner Bedeutungk kann also nicht auf einen Unterschied derjenigen Elemente des Kontexts beruhen, mit denen seine Extension schwankt, sondern ist auf einen Unterschied in seiner kontextunabhängigen Bedeutung zurückzuführen. Hätte „Apfelsine“ in beiden Verwendungsweisen aber unterschiedliche kontextunabhängige Bedeutungen, würden die meisten von Gabys neuen Landsleuten, die den Ausdruck lediglich mit dem Wahrnehmungsbegriff der Apfelsine verknüpfen, ihn nicht vollständig (das heißt: in allen seinen Bedeutungen) verstehen. Sie wären prinzipiell in derselben Lage wie jemand, der den Ausdruck „Bank“ nicht vollständig versteht und nur eine seiner beiden (kontextunabhängigen) Bedeutungen erfasst. Doch gewiss verstehen sie den Ausdruck tadellos. Wäre es eine Bedingung für das vollständige Verstehen von „Apfelsine“, über den anspruchsvollen wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Apfelsine zu verfügen, würden lediglich Apfelsinen-Experten den Ausdruck vollständig verstehen. „Apfelsine“ hat also in beiden Verwendungsweisen dieselbe Bedeutungk. Zusammen mit dem Kompositionalitätsprinzip (Komp) hat dies zur Konsequenz, dass der Satz „Apfelsinen schmecken gut“ in einem Kontext, in dem Gaby den Wahrnehmungsbegriff der Orange mit „Apfelsine“ verknüpft, dieselbe Bedeutungk hat wie in einem Kontext, in dem Gaby mit dem Ausdruck den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange verknüpft. Gaby sagt also in der ersten Variation der Geschichte vor ihrer Ausreise dasselbe mit der Äußerung des Satzes wie danach, insofern das mit der Äußerung des Satzes Gesagte mit der Bedeutungk des Satzes übereinstimmt. Doch daraus folgt nicht, dass Gaby vor und nach ihrer Ausreise dieselbe Meinung mit dem Satz kundtut. Welchen Begriff der Orange Gaby mit „Apfelsine“ verbindet, ist zwar irrelevant dafür, was sie mit der Äußerung des Satzes buchstäblich sagt.14 Doch der mit „Apfelsine“ assoziierte Begriff spielt eine Rolle für den Gehalt ihrer Meinung. Er geht nicht in den Gehalt ihrer Behauptung ein, aber in den Gehalt der mentalen Einstellung, die sie mit der Äußerung kundtut. Zurück zu (E). Dem gerade entwickelten Ansatz zufolge teilt sich (E) die Wahrheitsbedingungen mit (F). Wenn (E) offen lässt, welcher Begriff der Apfelsine alias Orange in den Gehalt von Gabys Meinung eingeht, dann tut es auch (F). Ist (E) buchstäblich korrekt, so ist es also auch (F). (E) ist (laut der hier verfolgten Option) buchstäblich korrekt. Also ist auch (F) buchstäblich korrekt.

|| 14 Analoges gilt von Sätzen mit Eigennamen oder mit indexikalischen Ausdrücken.

78 | Kripkes Einwand

Steht dies im Widerspruch zu (G)? Nein, denn gemäß den gerade angestellten Überlegungen ist (G) genauso mehrdeutig wie andere Sätze, in denen Quantifikation und Negation aufeinandertreffen. In einer Lesart ist (G) genau dann wahr, wenn (G1)

(Ůα) (α ist ein Begriff der Orange & ¬ (α ˆ [schmecken gut] ist der Gehalt einer Meinung von Gaby)).

In der zweiten Lesart ist (G) hingegen genau dann wahr, wenn (G2)

¬ ((Ůα) (α ist ein Begriff der Orange & α ˆ [schmecken gut] ist der Gehalt einer Meinung von Gaby)).

In der zweiten Lesart, in der die Negation weite Reichweite hat, erhalten wir nicht bloß einen Widerspruch zu (F), sondern auch zu (E). Dies ist natürlich nicht mit der Voraussetzung verträglich, dass (E) und (F) beide buchstäblich korrekt sind. Also sollten wir (G) im Sinne von (G1) verstehen. Doch (G1) ist mit (F) (und (E)) vereinbar.15

4.4 Epistemologische und modale Bedenken Die vorgestellte Lösung basiert auf der Idee, dass es verschiedene Begriffe der Orange gibt. Diese Idee ist nun aber mit einem Einwand konfrontiert. Betrachten wir zum Beispiel den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange, also die Art und Weise des Denkens an Orangen als an Zitrusfrüchte, die in China ihren Ursprung haben (und Exemplare einer Sorte sind, die aus einer Kreuzung aus Mandarine und Pampelmuse entstanden ist etc.). Laut der vorgestellten Idee drückt Gaby ihn mit Äußerungen von „Apfelsine“ aus. Dies hat zur Konsequenz, dass Gaby mit Äußerungen von (2)

Apfelsinen haben in China ihren Ursprung

eine notwendig wahre und a priori gerechtfertigte Proposition ausdrückt. Schließlich drückt sie gemäß dieser Idee die Proposition aus, dass Zitrusfrüchte, die in China ihren Ursprung haben (und aus einer Kreuzung aus Mandarine und Pampelmuse entstanden sind etc.) in China ihren Ursprung haben. Doch, so der

|| 15 Künne (2010a: 481ff.) entwickelt einen verwandten Ansatz für Einstellungssätze mit Eigennamen in den eingebetteten dass-Sätzen. Kripkes London/Londres- und Paderewski-Beispiel lässt sich demnach ganz ähnlich interpretieren.

Epistemologische und modale Bedenken | 79

Einwand, ist die mit (2) ausgedrückte Proposition ganz gewiss a posteriori statt a priori gerechtfertigt und kontingenterweise statt notwendigerweise wahr. Folgt man der vorgestellten Idee, gibt man demnach der mit (2) ausgedrückten Proposition ein falsches epistemisches und modales Profil. Man sollte also die Idee von dem wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange, den Gaby mit „Apfelsine“ ausdrückt, fallen lassen.16 Diese Bedenken sind natürlich bloß Varianten wohlbekannter Argumente Kripkes gegen die sogenannte Beschreibungstheorie von Eigennamen (und Ausdrücken für natürliche Arten).17 Das Problem mit dieser Kritik liegt in der stillschweigenden Voraussetzung, dass die mit einer Äußerung eines deklarativen Satzes ausgedrückte Proposition mit dem semantischen Gehalt des Satzes im Äußerungskontext, i.e. seiner BedeutungK, identisch ist. Der semantische Gehalt von (2) ist in der Tat weder notwendigerweise wahr noch a priori gerechtfertigt.18 Doch wie bereits im letzten Abschnitt angedeutet, sollte man von der Identifikation des semantischen Gehalts mit der ausgedrückten Proposition Abstand nehmen. Die Proposition, die Gaby mit einer Äußerung von (2) ausdrückt, variiert mit dem Begriff der Orange, den sie jeweils ausdrückt. Der jeweils ausgedrückte Begriff geht in die ausgedrückte Proposition ein. Wie ich aber bereits argumentiert habe, spielt es für die Bedeutungk von (2) keine Rolle, welchen Begriff der Orange die Sprecherin mit „Apfelsine“ ausdrückt. Der semantische Gehalt von (2) im Äußerungskontext bleibt demnach von den Schwankungen im ausgedrückten Begriff unberührt: Ob Gaby nun den Wahrnehmungsbegriff oder den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange mit „Apfelsine“ ausdrückt, in beiden Fällen ist der semantische Gehalt von (2) derselbe. Dasselbe scheint auch von dem mit ihrer Äußerung von (2) Behaupteten zu gelten. Der semantische Gehalt von (2) in einem Kontext, in

|| 16 Analoge Überlegungen treffen auf den Wahrnehmungsbegriff der Orange zu. 17 Siehe Kripke 1980. 18 Robin Jeshion (2002) hat in Bezug auf den analogen Einwand gegen die Beschreibungstheorie von Eigennamen versucht zu zeigen, dass es bis dato keine plausible Rechtfertigung für die Annahme gibt, dass das mit „Wenn Gödel existiert, dann ist er der Entdecker des Unvollständigkeitsbeweises“ Gesagte nicht a priori gerechtfertigt werden kann. Vermutlich würde er dasselbe wohl auch von der entsprechenden These über (2) behaupten. Seine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Begründungen für diese Annahme liegt der Umstand zugrunde, dass etwas, das a priori gerechtfertigt ist, auch a posteriori gerechtfertigt oder in Zweifel gezogen werden kann (zum Beispiel durch das Zeugnis Dritter). Er übersieht allerdings die folgende Begründung: Das mit dem Gödel-Satz (mit (2)) Gesagte kann deshalb nicht a priori gerechtfertigt werden, weil es ausschließlich empirische Gründe für das mit dem Satz Gesagte geben kann.

80 | Kripkes Einwand

dem Gaby (2) äußert, ist folgerichtig auch derselbe wie der semantische Gehalt von (2), wenn eine andere Sprecherin (2) äußert, welchen Begriff der Orange diese Sprecherin auch immer mit „Apfelsine“ ausdrückt. Andernfalls stände der semantische Gehalt von (2) im Kontext von Gabys Äußerung und der semantische Gehalt von „Es ist nicht der Fall, dass Apfelsinen in China ihren Ursprung haben“ im Munde einer anderen Sprecherin nicht zwingend in einem formalen Gegensatz zueinander: Ein formaler Gegensatz bestände nur dann, drückten beide Sprecherinnen denselben Begriff mit „Apfelsine“ aus. Betrachten wir auch den Satz „Apfelsinen sind dasselbe wie Apfelsinen“. Wenn Gaby mit dem einen Vorkommnis von „Apfelsinen“ den Wahrnehmungsbegriff der Orange, mit dem anderen aber den wahrnehmungsunabhängigen Begriff der Orange ausdrückt, drückt sie mit dem ganzen Satz keine a priori gerechtfertigte und notwendig wahre Proposition aus. Doch der semantische Gehalt des Satzes im Kontext ihrer Äußerung ist durchaus notwendigerweise wahr und a priori gerechtfertigt. Weder in den semantischen Gehalt dieses Satzes noch in dem von (2) gehen also Begriffe der Orange ein.19 Er ist daher keine Proposition in dem fregeschen Sinne, in dem ich „Proposition“ hier verwende. Denn in diesem Sinne sind Propositionen mentale Gehalte, i.e. Gehalte von mentalen Zuständen oder Akten, und enthalten Begriffe. Der mit der Äußerung eines Satzes ausgedrückte mentale Gehalt sollte also nicht mit dem semantischen Gehalt des Satzes im Kontext der Äußerung verwechselt werden. Der Begriff der Orange, den Gaby mit „Apfelsine“ ausdrückt, geht in den Gehalt ihrer kundgetanen Meinung statt in den semantischen Gehalt des geäußerten Satzes ein.

4.5 Gewöhnliches Verständnis und korrekte Verwendung Die Entgegnung auf Kripkes Einwand hing unter anderem davon ab, dass man zwei synonyme Ausdrucke makellos verstehen und zugleich unterschiedliche

|| 19 Man könnte vielleicht dagegenhalten, dass Gaby mit „Orange“ mehrere Begriffe der Orange ausdrückt, dabei ist einer der Begriffe der wahrnehmungsabhängige oder -unabhängige Begriff, ein anderer ist ein gemeinsam mit anderen kompetenten Sprechern geteilter Begriff, zum Beispiel der metalinguistische Begriff der Gegenstände, auf die „Apfelsine“ zutrifft, und dieser geht in den semantischen Gehalt ein. Ich halte es allerdings für unplausibel, dass man mit Ausdrücken für natürliche Arten mehrere Begriffe gleichzeitig ausdrücken kann. Zudem hätte der Vorschlag die unerfreuliche Konsequenz, dass der semantische Gehalt von „Apfelsinen schmecken gut“ in einem Kontext K nicht derselbe ist wie der von „Orangen schmecken gut“ in K, weil der jeweilige semantische Gehalt von unterschiedlichen Wörtern handelt.

Gewöhnliches Verständnis und korrekte Verwendung | 81

Begriffe mit ihnen verknüpfen kann. In ähnlicher Weise können zwei Sprecher denselben (nicht-indexikalischen und univoken) Ausdruck vollständig verstehen und dennoch unterschiedliche Begriffe mit ihm ausdrücken. Kenntnis der (kontextunabhängigen oder kontextuellen) Bedeutung eines Ausdrucks legt eine Sprecherin nicht immer auf einen bestimmten Begriff fest, den sie mit dem Ausdruck verknüpft. Man könnte aufgrund des Unterschieds im ausgedrückten Begriff dafürhalten, dass die Sprecher etwas Verschiedenes mit dem Ausdruck meinen. Aber ein Unterschied in der Sprecher-Bedeutung ist noch kein Unterschied in der Bedeutungk. Wenn die Überlegungen in meiner Verteidigung gegen Kripke korrekt sind, hat der Ausdruck im Munde beider Sprecher dieselbe Bedeutungk, selbst wenn die Sprecher-Bedeutungen differieren. Ein Unterschied im ausgedrückten Begriff eines (nicht-indexikalischen) Ausdrucks ist also mit Gleichheit in der Bedeutungk vereinbar. Im folgenden Exkurs möchte ich diese Unterscheidung zwischen Bedeutungk und Begriff durch den Aufweis weiter motivieren, dass sie sich nicht bloß auf Ausdrücke für natürliche Arten fruchtbar anwenden lässt. Ich habe bereits Eigennamen als weitere plausible Anwendungsfälle erwähnt. Im Folgenden möchte ich darlegen, dass beim Allquantor diese Unterscheidung ebenfalls zum Tragen kommt. In der Tat wirft die Unterscheidung Licht auf gewisse Aspekte der philosophischen Debatte um seine Bedeutung, die sonst unverständlich blieben. Wer lediglich an den Hauptzügen meiner Verteidigung von (ER) interessiert ist, kann die folgenden Ausführungen jedoch problemlos überspringen. Laut Aristoteles, Bolzano, Lotze und Strawson ist es eine notwendige Bedingung für die Wahrheit eines Satzes der Form „Alle F sind G“, dass der Subjekt-Term auf mindestens einen Gegenstand zutrifft.20 Laut Leibniz, Brentano und den meisten modernen Logikern im Anschluss an Frege hingegen ist dies jedoch keine notwendige Bedingung. Ein Satz der Form „Alle F sind G“ ist ihnen zufolge bereits (und nur dann) wahr, wenn gilt: Wenn etwas (ein) F ist, dann ist es (ein) G. Frege zufolge ist dieses generalisierte Konditional wiederum genau dann wahr, wenn eine generalisierte Subjunktion der Form: „∀x (x ist (ein) F →

|| 20 Aristoteles, De Interpretatione 7: 17B 16–26, Bolzano 1837: 105; 114; 399ff., Lotze 1880: §75. Strawson (1952: 173ff.) zufolge ist dies nicht bloß eine notwendige Bedingung dafür, dass der Satz (genauer: das mit dem Satz Gesagte) wahr ist, sondern auch dafür, dass er falsch ist. Die Allquantifikation impliziert ihm zufolge nicht, sondern setzt voraus, dass der Subjekt-Term auf mindestens einen Gegenstand zutrifft. In dieser Ansicht folgen ihm James McCawley (1972: 529f.), Franciska de Jong & Henk Verkuyl (1985: 28ff.) sowie Molly Diesing (1992: 59f.). Da diese Unterschiede innerhalb des aristotelischen Lagers für das Folgende irrelevant sind, lasse ich sie beiseite.

82 | Kripkes Einwand

x ist (ein) G)“ wahr ist.21 Frege hat also anscheinend eine deutlich andere Theorie von Allquantifikationen als Aristoteles.22 Verbinden Anhänger der aristotelischen Auffassung auch einen anderen Gedanken mit All-Sätzen als die Befürworter der fregeschen Theorie? Welchen Gedanken die einen oder anderen Theoretiker mit einer Allquantifikation ausdrücken, hängt davon ab, wie sie Allquantifikationen verwenden, genauer unter welchen Bedingungen sie eine Allquantifikation akzeptieren bzw. ablehnen. Wenn zum Beispiel die Anhänger der „existenziellen“ Deutung einer Allquantifikation der Form „Alle F sind G“ auch dann zustimmen, wenn sie nicht glauben, dass der Subjekt-Term auf mindestens einen Gegenstand zutrifft, verwenden sie die Sätze nicht im Einklang mit ihrer Theorie und können durchaus denselben Gedanken mit den Sätzen ausdrücken wie ihre fregeschen Opponenten – setzen wir hier und im Folgenden voraus, dass Fregeaner Allquantifikationen im Einklang mit ihrer eigenen Theorie verwenden. Verwenden Aristoteliker die Sätze hingegen in Übereinstimmung mit ihrer Theorie, verwenden sie die Sätze auf eine andere Weise als Fregeaner und drücken auch einen anderen Gedanken mit ihnen aus. Nun haben Aristoteliker in Konfrontation mit Allquantifikationen, bei denen sie den Subjekt-Term für leer hielten, an ihrer Theorie festgehalten und diesen Sätzen die Zustimmung verweigert. Sie drücken also mit diesen Sätzen einen anderen Gedanken aus als Freunde der fregeschen Auffassung. Dies geschieht weder aus Unachtsamkeit noch aus einem Mangel an Intelligenz. Sie sind bei wachem Verstand und im Gegensatz zu einem Fall wie „Es ist nicht der Fall, dass nur Monets Bedeutung nur schwerlich nicht unterschätzt werden kann“ müssen keine intellektuellen Hürden überwunden werden, um die Sätze zu verstehen. Die Differenz im ausgedrückten Gedanken ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass beide Parteien mit dem Allquantor einen unterschiedlichen Begriff ausdrücken. Folgt daraus, dass eines der beiden Lager den Allquantor nicht richtig versteht? Gemessen an den gewöhnlichen Standards für das Verstehen eines Ausdrucks verstehen beide Parteien in dem Streit den Allquantor ohne Fehl und || 21 Für Frege ist Wahrheit und Falschheit genaugenommen natürlich keine Eigenschaft von Sätzen, sondern von Propositionen. Da dies für das Weitere irrelevant ist, ignoriere ich im Folgenden diesen Zug seiner Theorie. 22 Trotz vieler eindeutigen Äußerungen Freges ist nicht völlig unzweifelhaft, ob er Aristoteles wirklich widerspricht. Denn zumindest an einer Stelle bezeichnet Frege sein antiaristotelisches Verständnis des Allquantors als eine bloße Festsetzung aus Gründen der Einfachheit (Frege 1906a: 106). Im Folgenden werde ich jedoch ohne Anspruch auf historische Korrektheit die fregeanische Theorie als Konkurrenten zur aristotelischen behandeln.

Gewöhnliches Verständnis und korrekte Verwendung | 83

Tadel. Die Vertreter beider Parteien beherrschen ihre Muttersprache und insbesondere den Allquantor nicht minder als ihre sprachkompetenten Landsleute.23 Vielleicht ermangelt es einer von beiden Seiten am theoretischen Verständnis des Allquantors, d. h. an der richtigen semantischen Theorie. Doch müssen wir gewiss nicht die Semantik eines Ausdrucks explizieren können, um die gewöhnlichen Standards für das vollständige Verstehen des Ausdrucks zu erfüllen.24 Legt man die gewöhnlichen Standards zugrunde, verstehen beide Parteien den Allquantor vollkommen, obwohl sie einen unterschiedlichen Sinn mit ihm ausdrücken. Könnte man nicht einwenden, dass beide Parteien die Bedeutung des Allquantors zwar genau so erlernt haben wie ihre sprachkompetenten Landsleute, aber einer der beiden Parteien mit dem Erwerb ihrer semantischen Theorie das Verständnis des Allquantors (nach gewöhnlichen Maßstäben) teilweise wieder abhandengekommen ist? Dafür gibt es allerdings keinen guten Grund. Betrachten wir: (3)

Alle sich bewegenden Körper, auf die keine äußeren Kräfte wirken, bewegen sich.

(4)

Alle Hexen sind Hexen.

Laut der aristotelischen Theorie sind (3) und (4) buchstäblich falsch, da es weder Hexen noch sich bewegende Körper gibt, auf die keine äußeren Kräfte wirken. Dieses Verdikt widerspricht dem ersten Eindruck, dem zufolge (3) und (4) wahr sind. Nur wenn Aristoteliker nicht glauben würden, dass es so scheint, als ob Sätze wie (3) und (4) wahr sind, gäbe es einen Anhaltspunkt für die Annahme, dass ihr Verständnis des Allquantors unter ihrer erworbenen Theorie leidet. Doch typischerweise bezweifeln Aristoteliker nicht, dass es prima facie Gegenbeispiele zu ihrer Theorie gibt. Sie warnen vielmehr davor, sich auf den trügerischen Schein zu verlassen, das dies ihnen zufolge zu einer Verwechslung zwischen dem mit diesen Sätzen buchstäblich Gesagten und etwas, das mit den Sätzen indirekt mitgeteilt werden kann, führt. So könnten sie etwa argumentie-

|| 23 Auf die Diagnose, dass Aristoteles und seine Parteigänger den Allquantor nicht vollständig verstehen, legt sich Nimtz 2009: 148ff. fest. 24 Schröder (2008: 87) verwischt die mooresche Distinktion zwischen dem Verstehen eines Ausdrucks und dem Verfügen über die korrekte semantische Theorie des Ausdrucks, wenn er von der Annahme, dass S über eine falsche Theorie von Allquantifikationen verfügt, unmittelbar zur Konklusion übergeht, dass S Allquantifikationen nicht vollständig versteht.

84 | Kripkes Einwand

ren, dass nicht das mit den Sätzen buchstäblich Gesagte wahr ist, sondern eine mit ihnen indirekt mitgeteilte kontrafaktische Aussage: (5)

Wenn etwas ein sich bewegender Körper wäre, auf den keine äußeren Kräfte wirkt, dann würde er sich bewegen.

(6)

Wenn etwas eine Hexe wäre, dann wäre es eine Hexe.

Im Zuge der Besprechung zweier Varianten von Kripkes Einwand habe ich bereits festgestellt, dass nicht alle Sätze der Form „Alle F sind F“ trivial sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Satz S genau dann trivial ist, wenn man S nicht nach gewöhnlichen Maßstäben verstehen kann, ohne S zuzustimmen. Nun darf man sich wohl noch etwas weiter aus dem Fenster lehnen: Anscheinend ist kein Satz der Form „Alle F sind F“ in diesem Sinne trivial. Schließlich kann es für jeden Satz dieser Bauart einen Aristoteliker geben, der ihn zwar nach gewöhnlichen Maßstäben versteht, aber ihm seine Zustimmung mit der Begründung verweigert, dass der Subjekt-Ausdruck auf nichts zutrifft.25 Auch wenn Sätze der obigen Bauart nicht in einem starken Sinn trivial sind, so sind sie es in einem schwächeren Sinne: Ein Satz ist in einem schwachen Sinne genau dann trivial, wenn es für ihn eine legitime Verständnisweise nach gewöhnlichen Maßstäben gibt, sodass man ihn nicht auf diese Weise verstehen kann, ohne ihm zuzustimmen. Kehren wir zu dem Einwand aus dem abhandengekommenen Verständnis zurück. Auch Fregeaner gestehen typischerweise ein, dass (7)

Alle sich bewegenden Körper, auf die keine äußeren Kräfte wirken, bewegen sich kreisförmig

|| 25 Das Argument basiert auf einem Gedankenexperiment von Williamson (2006: 9f., 2007: 86ff.). Williamson argumentiert darüber hinaus, dass es überhaupt keine trivialen Sätze (im erläuterten Sinn) gibt – und auch keine analytischen Sätze, wenn man ein Verständnis von „analytisch“ zugrunde legt, dem zufolge nur triviale Sätze analytisch sind. Allerdings sollte man sich ein solches Verständnis bereits dann nicht zu eigen machen, wenn man auch manche komplexe Sätze, die weit davon entfernt sind, auch nur den Anschein der Trivialität zu erwecken, als analytisch auszeichnen will. Williamson möchte mit dem Gedankenexperiment auch zeigen, dass der mit einem Satz der Form „Alle F sind F“ im Munde einer kompetenten Sprecherin ausgedrückte Gedanke nicht trivial ist. Für ihn läuft das darauf hinaus, dass man den ausgedrückten Gedanken erfassen kann, ohne ihn für wahr zu halten. Doch so etwas wie den Gedanken, den eine kompetente Sprecherin mit einem solchen Satz ausdrückt, gibt es nicht. Fregeaner drücken mit ihm einen trivialen, Aristoteliker hingegen einen informativen Gedanken aus.

Gewöhnliches Verständnis und korrekte Verwendung | 85

und (8)

Alle Hexen sind Engel

zumindest auf den ersten Blick nicht wahr sind, obwohl dieser Eindruck gegen ihre Theorie spricht. Ganz analog zu den Aristotelikern versuchen sie allerdings Misstrauen gegen den ersten Eindruck zu säen. Wer sich auf den ersten Eindruck verlässt, verwechselt ja vielleicht das mit diesen Sätzen Gesagte mit gewissen kontrafaktischen Propositionen, die mit den folgenden Sätzen ausgedrückt werden: (9)

Wenn etwas ein sich bewegenden Körper wäre, auf den keine äußeren Kräfte wirken, dann würde er sich kreisförmig bewegen.

(10)

Wenn etwas eine Hexe wäre, dann wäre es ein Engel.

Betrachten wir auch den folgenden Satz: (11)

Alle amerikanischen Könige lebten in New York.

Unter der Voraussetzung, dass Amerika niemals einen König hatte, scheint (11) nicht wahr zu sein. Fregeanern fehlt nicht das nötige Sprachgefühl, um dies einzusehen – obwohl ihrer Theorie zufolge (11) wahr ist. Aber sie geben dem ersten Eindruck nicht nach, sonst würden sie ihrer Ansicht nach etwas auf den Leim gehen, das lediglich indirekt zu verstehen gegeben wird, nämlich dass es mindestens einen amerikanischen König gegeben hat. Vielleicht täuschen sich Fregeaner oder Aristoteliker darin, was bloßer Schein ist und was nicht. In der Tat glaube ich, dass beide Seiten wohl einer falschen Theorie anhängen.26 Aber dies ist noch kein guter Grund, der einen oder anderen Fraktion (oder beiden) das vollständige Verständnis des Allquantors abzusprechen. Andernfalls müssten wir auch Burge oder Church das vollständige Verständnis von (12)

Anna bezweifelt, dass jeder, der glaubt, dass Brüder Brüder sind, glaubt, dass Brüder männliche Geschwister sind

bzw. seinem englischen Pendant absprechen. Schließlich scheint es eine mögliche Situation zu geben, in der (12) wahr ist.27 Doch während sich Burge auf die-

|| 26 Siehe dazu Abschnitt 7.5.1. 27 Siehe den Anfang von Kapitel 2.

86 | Kripkes Einwand

sen Schein verlässt, hält Church ihn für irreführend. Wenn jede semantische Debatte darüber, ob ein Satz bloß dem Schein nach wahr (falsch) ist oder nicht, ein mangelndes Verständnis einer der debattierenden Parteien anzeigen würde, wären viele Philosophen keine kompetenten Sprecher. Daraus, dass Aristoteliker und Fregeaner den Allquantor mit verschiedenen Begriffen verknüpfen, folgt nicht, dass er mehrere kontextunabhängige Bedeutungen hat.28 Ganz analog zum Ausdruck „Apfelsine“ gilt auch hier: Wenn der Allquantor mehrere kontextunabhängige Bedeutungen hätte, dann würden Aristoteliker und Fregeaner, die ihn lediglich mit genau einem Sinn verknüpfen, ihn ja gerade nicht vollständig (das heißt: in all seinen kontextunabhängigen Bedeutungen) verstehen. Sie wären prinzipiell in derselben Lage wie jemand, der mit dem Ausdruck „Bank“ lediglich einen Sinn verbindet und ihn daher nicht vollständig versteht. Vorausgesetzt, dass der Allquantor nicht äquivok ist, macht es auch wenig Sinn anzunehmen, dass er, ähnlich wie der indexikalische Ausdruck „ich“, im Munde der Fregeaner eine andere Bedeutungk hat als im Munde der Aristoteliker. Denn dann wäre absurderweise eine Allquantifikation wie (11) im Munde des Fregeaners wahr, im Munde des Aristotelikers hingegen falsch, obwohl (11) in beiden Fällen dieselbe kontextunabhängige Bedeutung hätte. Vielleicht hat der Allquantor verschiedene Bedeutungenk (ohne ambig zu sein), aber seine Bedeutungk variiert gewiss nicht mit der semantischen Theorie des Äußerungssubjekts. Von Ausdrücken für natürliche Arten gilt nun auch: Man kann sie korrekt, d. h. im Einklang mit ihrer kontextunabhängigen Bedeutung verwenden und sie mit unterschiedlichen Begriffen verknüpfen. Verhält es sich mit dem Allquantor ähnlich? Verwenden sowohl Aristoteliker als auch Fregeaner ihn im Einklang mit seiner kontextunabhängigen Bedeutung, wenn sie ihn mit einem jeweils anderen Sinn verknüpfen? Dies würde sich in der Tat aus ihrem gewöhnlichen Verständnis ergeben, wenn jeder, der einen Ausdruck gemäß gewöhnlicher Standards versteht, auch in der Lage ist, ihn im Einklang mit seiner kontextunabhängigen Bedeutung zu verwenden. Auf der anderen Seite hätte dies eine absurde Konsequenz zur Folge, die sich nur vermeiden lässt, wenn man davon ausgeht, dass aus dem Verständnis eines Ausdrucks nach gewöhnlichen Maßstäben noch nicht die Fähigkeit folgt, den Ausdruck im Einklang mit seiner Bedeutung zu verwenden. Die absurde Konsequenz ergibt sich im Zusammenspiel mit der bereits gemachten Annahme, dass Fregeaner und Aristoteliker den Allquantor im Einklang mit ihrer je-

|| 28 Den Vorschlag, dass All-Sätze mehrdeutig sind, macht Schröder (2009: 86).

Gewöhnliches Verständnis und korrekte Verwendung | 87

weiligen Theorie verwenden. Ihre Theorien sind miteinander unverträglich. Mindestens eine der beiden Theorien ist also falsch. Aus der Annahme, dass beide Parteien den Allquantor im Einklang mit seiner Bedeutung verwenden, folgt vor diesem Hintergrund demnach, dass mindestens eine der beiden Parteien den Allquantor sowohl im Einklang mit seiner Bedeutung verwendet als auch im Einklang mit einer falschen Theorie. Nehmen wir nun an, dass die aristotelische Theorie falsch ist. Gehen wir zudem davon aus, dass es de facto Sätze der Form „Alle Fs sind Gs“ gibt, die Aristoteliker ablehnen, weil sie glauben, dass es keine Fs gibt. Die Ablehnung dieser Sätze unter der Annahme, dass es keine Fs gibt, macht also einen Teil ihrer Verwendung des Allquantors aus. Wenn die aristotelische Theorie falsch ist, dann ist ihre Ablehnung dieser Sätze unter den angegebenen Bedingungen nicht korrekt, dann ist also diese Art und Weise der Verwendung des Allquantors nicht korrekt. Sie ist insofern inkorrekt, als dass sie nicht im Einklang mit der Bedeutung des Allquantors steht. Es ist daher offenbar unmöglich, den Allquantor, ja irgendeinen Ausdruck zugleich im Einklang mit einer falschen Theorie als auch im Einklang mit seiner Bedeutung zu verwenden, insofern die Verwendung Fälle einschließt, die die Theorie falsch beurteilt. Also sollte man davon ausgehen, dass Aristoteliker und Fregeaner den Allquantor zwar nach gewöhnlichen Maßstäben verstehen, ihn aber nicht beide Parteien korrekt verwenden. Dass nicht beide Parteien ihn korrekt verwenden, ist darauf zurückzuführen, dass er in ihrem Munde nicht bloß einen unterschiedlichen Begriff ausdrückt, insofern sie ihn im Einklang mit ihrer Theorie verwenden. Genauso wie ein All-Satz, der ihn enthält, hat er in ihrem Munde auch eine unterschiedliche Extension. Aber höchstens eine der beiden Extensionen steht im Einklang mit der kontextunabhängigen Bedeutung des Allquantors. Also verwendet mindestens eine der beiden Parteien den Allquantor nicht korrekt. Gaby hingegen verbindet mit dem Ausdruck „Orange“ („Apfelsine“) zwar verschiedene Begriffe, die Extension des Ausdrucks in ihrem Munde bleibt davon aber unberührt. Tragen wir die Resultate dieses Kapitels kurz zusammen. Die propere Antwort auf Kripkes Einwand besteht im Verweis auf die zwei unterschiedlichen Begriffe der Orange, die Gaby mobilisiert, und dem Umstand, dass die Zuschreibung (E)

Gaby glaubt, dass Apfelsinen gut schmecken

über verschiedene Begriffe der Orange quantifiziert. Die Zuschreibung (G)

Gaby glaubt nicht, dass Orangen gut schmecken

88 | Kripkes Einwand

ist wegen des Zusammentreffens einer solchen Quantifikation mit der Negation mehrdeutig: Sie besagt in etwa entweder, dass es einen Begriff der Orange gibt, unter dem Gaby von Orangen glaubt, dass sie nicht gut schmecken. Oder sie besagt in etwa, dass es keinen Begriff der Orange gibt, unter dem Gaby von Orangen glaubt, dass sie gut schmecken. In der zweiten Lesart steht (G) im Widerspruch zu (E). In der ersten Lesart hingegen ist (G) vereinbar damit, dass Gaby glaubt, dass Orangen gut schmecken. In keiner der beiden Lesarten lässt sich also aus (G) ein Gegenbeispiel zu (ER) konstruieren. Gegen die Idee verschiedener Begriffe der Orange gibt es (aus der Diskussion um die Semantik von Eigennamen wohlbekannte) epistemologische und modale Bedenken. Sie können allerdings zerstreut werden, indem man zwischen dem Gehalt von mentalen Akten und Zuständen auf der einen Seite und dem semantischen Gehalt von Sätzen (in einem gegebenen Kontext) auf der anderen Seite unterscheidet. Ein Satz kann einen bloß kontingenterweise wahren und a posteriori gerechtfertigten semantischen Gehalt im Kontext haben, wenngleich mit seiner Äußerung ein notwendigerweise wahrer und a priori gerechtfertigter mentaler Gehalt ausgedrückt wird. Neben Ausdrücke für natürliche Arten kann auch der Allquantor von kompetenten Sprechern mit unterschiedlichen Begriffen verknüpft werden. Die unterschiedlichen Begriffe müssen dabei noch nicht einmal dieselbe Extension festlegen. Daraus ergibt sich, dass man den Allquantor (gemäß gewöhnlicher Standards) verstehen kann, ohne ihn korrekt verwenden zu können.

5 Der Einwand aus der mangelnden Erklärung 5.1 Synonymie zwischen komplexen und einfachen Ausdrücken? Richard Sharvy1 hat (ER) mit den folgenden Gegenbeispielen konfrontiert: (H)

Alexej ist ein Bruder, weil Alexej ein männliches Geschwister ist.

(I)

Alexej ist ein Bruder, weil Alexej ein Bruder ist.

(I) liefert keine Erklärung und ist falsch, (H) scheint hingegen unbeschadet der Synonymie von „Bruder“ und „männliches Geschwister“ wahr zu sein und damit (ER) zu diskreditieren. Eine naheliegende und plausible Erklärung für diesen mutmaßlichen Unterschied im Wahrheitswert lautet, dass mit dem Explanans-Ausdruck in (H), „männliches Geschwister“, explizit auf die Eigenschaften Alexejs hingewiesen wird, die ihn zusammengenommen zu einem Bruder machen: die Eigenschaft, männlich zu sein, und die Eigenschaft, ein Geschwister zu sein. Mit der Äußerung von (H) erklärt man demnach Alexejs Besitz der Eigenschaft, ein Bruder zu sein, mit seinem Besitz dieser fundamentaleren Eigenschaften.2 In (I) fehlt der ausdrückliche Hinweis auf diese Eigenschaften hingegen, weshalb eine Äußerung von (I) als Erklärung fehlschlägt. Diese Erklärung zieht die Frage nach sich, wie der Unterschied zwischen „Bruder“ und „männliches Geschwister“, auf den es in ihr ankommt, genau zu verstehen ist. Haben die beiden Ausdrücke einen unterschiedlichen kognitiven Stellenwert? Drücken sie einen unterschiedlichen Begriff aus? Für diese Annahme sprechen vielleicht Überlegungen Leibnizens, die er im Zuge seiner Unterscheidung zwischen symbolischem und intuitivem Denken anstellt: In den meisten Fällen […], besonders bei einer längeren Analyse, überschauen wir nicht auf einmal die ganze Natur des Objekts, sondern wenden statt der Gegenstände selbst bestimmte Zeichen an, deren Erklärung wir im einzelnen Falle der Kürze halber zu unterlas-

|| 1 Sharvy 1972: 125. 2 Eine analoge Erklärung der Eigenschaft, ein Bruder zu sein (statt des Besitzes dieser Eigenschaft seitens eines bestimmten Bruders) kann man vielleicht in die folgende Form gießen: „Von jedem Bruders gilt: Er ist ein Bruder, weil er ein männliches Geschwister ist.“ Zur Semantik dieses Satzes siehe Abschnitt 7.5.1. Die Alexej-Sätze ziehe ich hier vor allem deshalb vor, weil sich an ihnen die Punkte, auf die es mir im Folgenden ankommt, eleganter zeigen lassen.

90 | Der Einwand aus der mangelnden Erklärung

sen pflegen, wobei wir indes wissen oder doch annehmen, dass wir sie, wenn notwendig, geben könnten. Denke ich etwa ein Tausendeck oder ein Vieleck von 1000 gleichen Seiten, so betrachte ich nicht stets die Natur der Seite, der Gleichheit und der Zahl Tausend – d.h. der dritten Potenz von 10 – sondern ich brauche jene Worte, deren Sinn mir zum mindesten dunkel und ungenau gegenwärtig ist, für die Ideen selbst, da ich mich entsinne, dass ich ihre Bedeutung kenne, ihre Erklärung aber jetzt nicht für nötig halte. Eine solche Erkenntnis pflege ich als blinde oder auch symbolische zu bezeichnen; man bedient sich derselben in der Algebra wie in der Arithmetik, ja fast überall. In der Tat können wir, wenn eine Vorstellung sehr zusammengesetzt ist, nicht alle in sie eingehenden Merkmale zugleich denken; wo dies dennoch möglich ist, und in dem Maße wie es möglich ist, nenne ich die Erkenntnis intuitiv. Von den distinkten primitiven Vorstellungen ist keine andere als intuitive Erkenntnis möglich, während das Denken der zusammengesetzten Vorstellungen für gewöhnlich nur symbolisch ist.3

Beim blinden Denken gebraucht man demnach eine zusammengesetzte Vorstellung, ohne sich ihre Teile zu vergegenwärtigen; ist man sich aber über ihre Teile im Klaren, denkt man intuitiv. Leibnizens Bemerkungen wirken zunächst plausibel, doch bei näherer Betrachtung bleibt unklar, inwiefern sich aus ihnen auf einen Unterschied zwischen dem Begriff Bruder und dem Begriff männliches Geschwister schließen lässt – jedenfalls unter einer Konzeption von Begriffen als Weisen des Denkens. Wenn wir Leibnizens Vorstellungen als Begriffe deuten, dann scheint Leibniz anzunehmen, dass das Fassen eines zusammengesetzten Begriffs nicht dasselbe ist wie das Fassen seiner begrifflichen Teile (in der Kombination, wie sie im zusammengesetzten Begriff zusammengefügt sind). Nun ist aber ein komplexer Begriff plausiblerweise nichts anderes als seine begrifflichen Teile in einer bestimmten Kombination. Daraus folgt (zusammen mit der sogenannten Ununterscheidbarkeit des Identischen), dass das Fassen eines komplexen Begriffs durchaus dasselbe ist wie das Fassen seiner Teile in einer bestimmten Kombination. Sollte man Leibniz besser so verstehen, dass man den Begriff des Bruders alias seine begrifflichen Teile in bestimmter Kombination fassen kann, ohne seine Teile als solche zu erfassen? Die Situation wäre ähnlich der visuellen Wahrnehmung einer komplexen Szenerie, die zwar zugleich die Wahrnehmung jeder Komponente der Szenerie ist, aber nicht notwendigerweise die Wahrnehmung jeder Komponente als Komponente (zum Beispiel wenn die Szenerie ein Gecko enthält, das sich zur Tarnung an einem Ast anschmiegt). Der Begriff des Bruders ist in einer solchen Situation, wie Frege schreibt, „nicht klar erfasst […],

|| 3 Leibniz 1684: 585–586.

Synonymie zwischen komplexen und einfachen Ausdrücken? | 91

sondern [erscheint] wie durch einen Nebel nur in verschwommenen Umrissen“.4 Dieser Idee zufolge fasst man zwar mit einer Äußerung von „Bruder“ und „männliches Geschwister“ denselben Begriff, aber nur bei einer Äußerung des letztgenannten Ausdrucks ist garantiert, dass man zudem die Teile des Begriffs als solche, d.h. intuitiv fasst. Doch dieser Vorschlag ist dem folgenden Dilemma ausgesetzt. Entweder geht das intuitive Erfassen des Begriffs des Bruders mit einer anderen Denkweise an Brüder einher als das blinde Erfassen dieses Begriffs oder nicht. Im ersten Fall wäre der Vorschlag in sich widersprüchlich, da aus ihm sowohl folgte, dass man denselben Begriff sowohl intuitiv als auch blind fassen kann, als auch, dass man beim intuitiven Erfassen einen anderen Begriff fasst als beim blinden Erfassen, insofern Begriffe eben Denkweisen sind. Im zweiten Fall liefert der Vorschlag keinen Unterschied zwischen dem Begriff Bruder und dem Begriff männliches Geschwister und es bleibt fraglich, wie sich auf Basis der Unterscheidung zwischen intuitiven und blinden Fassen eines Begriffs ein Wahrheitswertunterschied zwischen (H) und (I) erklären lässt. In der Tat bleibt in diesem Fall unklar, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen intuitiven und blinden Denken gibt. Denn dieser Unterschied betrifft dann weder das, woran gedacht wird, noch die Weise des Denkens daran. Aber wenn jedes Denken an etwas eindeutig durch diese beiden Faktoren bestimmt ist, ist in diesem Fall jedes symbolische Denken intuitiv und umgekehrt. Muss man Leibniz vielmehr so deuten, dass das Fassen eines komplexen Begriffs wie Bruder nicht zwingend ein Denken an Brüder als an männliche Gegenstände und als an Geschwister involviert, das Fassen des Begriffs männliches Geschwister hingegen schon? Doch auch diese Auslegung leuchtet sachlich nicht ein. Wenn der Begriff Bruder komplex ist und die Begriffe männlich und Geschwister enthält, enthält er eine Denkweise an Brüder als männlich und eine Denkweise an Brüder als Geschwister. Wer den Begriff Bruder fasst, fasst auch diese in ihm enthaltenen Denkweisen. Und wer eine Denkweise von einem Gegenstand x als F fasst, der denkt an x als F. Also denkt jeder, der den Begriff Bruder fasst, an Brüder als männlich und an Brüder als Geschwister. Wischen wir alle eben gegebenen Bedenken beiseite und nehmen an, es lässt sich auf die eine oder andere Weise ein Unterschied zwischen den Begriffen Bruder und männliches Geschwister plausibel machen (vielleicht indem man die Annahme aufgibt, dass Bruder ein komplexer Begriff ist). Die Erklärung für einen Wahrheitswertunterschied zwischen (H) und (I) lautet dann, dass der

|| 4 Frege 1914: 228.

92 | Der Einwand aus der mangelnden Erklärung

Wahrheitswert von (H) und (I) zum Teil von dem mit „männliches Geschwister“ einerseits und „Bruder“ andererseits ausgedrückten Begriff determiniert wird. Da diese Ausdrücke unterschiedliche Begriffe ausdrücken, variiert der Wahrheitswert zwischen (H) und (I). Allerdings ist fraglich, ob diese Erklärung im Widerspruch zu (ER) steht. Denn die Bedeutungk eines Ausdrucks im Äußerungskontext K bestimmt per definitionem die Extension des Ausdrucks relativ zu einem Bewertungskontext (siehe Abschnitt 1.1.1). Daraus folgt, dass wenn der von „männliches Geschwister“ in (H) ausgedrückte Begriff den Wahrheitswert von (H) zum Teil determiniert, er auch Einfluss auf die Bedeutungk von (H) hat. Und dies ist für Freunde von (Komp) wiederum ein sicheres Zeichen dafür, dass der von „männliches Geschwister“ ausgedrückte Begriff zur Bedeutungk des Ausdrucks gehört. Analoges gilt für den Ausdruck „Bruder“. Demnach haben die beiden Ausdrücke, wenn sie in einem Satz unterschiedliche Begriffe ausdrücken und der jeweils ausgedrückte Begriff Einfluss auf den Wahrheitswert des Satzes hat, auch eine unterschiedliche Bedeutungk und sind nicht synonym. Ein Wahrheitswertunterschied zwischen (H) und (I) stände dann natürlich nicht mehr im Widerspruch zu (ER), da in diesem Fall überhaupt keine Ersetzung einer Konstituente durch ein Synonym vorliegt. Im vorangegangenen Kapitel (Abschnitt 4.2.) bin ich implizit davon ausgegangen, dass die beiden Ausdrücke „Orange“ und „Apfelsine“ sich auch dann ihre Bedeutungk teilen, wenn Gaby unterschiedliche Begriffe mit ihnen ausdrückt (siehe auch Abschnitt 4.3.). Steht dies nicht im Gegensatz zum eben Gesagten? Nein, denn der Unterschied im ausgedrückten Begriff hat im Falle von „Orange“ und „Apfelsine“ keinen Einfluss auf den Wahrheitswert eines Satzes, der den einen oder anderen Ausdruck enthält. So ist sowohl „Orangen schmecken gut“ in Gabys Munde genau dann wahr, wenn „Apfelsinen schmecken gut“ es ist, als auch „Gaby glaubt, dass Orangen gut schmecken“ äquivalent mit „Gaby glaubt, dass Apfelsinen gut schmecken“. Nur wenn der Unterschied im Begriff, den Gaby mit den beiden Wörtern ausdrückt, eine Differenz im Wahrheitswert von sie enthaltenen Sätzen bewirkte, gäbe es einen guten Grund, den beiden Wörtern eine geteilte Bedeutungk abzusprechen. Es gibt noch einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen „Orange“ und „Apfelsine“ einerseits und „Bruder“ und „männliches Geschwister“ andererseits – unter der Voraussetzung, dass mit den letzten beiden Ausdrücken unterschiedliche Begriffe ausgedrückt werden. Denn kompetente Sprecher sind keineswegs darauf festgelegt, wie Gaby unterschiedliche Begriffe mit „Orange“ und „Apfelsine“ auszudrücken. Doch wenn die Erklärung des Wahrheitswertwechsels beim Übergang von (H) und (I) unter Berufung auf eine Differenz im

Synonymie zwischen komplexen und einfachen Ausdrücken? | 93

ausgedrückten Begriff zwischen „Bruder“ und „männliches Geschwister“ korrekt ist, dann kann man die beiden Ausdrücke nicht kompetent verwenden, ohne unterschiedliche Begriffe mit ihnen zu verknüpfen. Und dies würde ebenfalls darauf hindeuten, dass der mit ihnen ausgedrückte Begriff ihre Bedeutungk affiziert. Einen Wahrheitswertunterschied zwischen (H) und (I) mit einer Differenz zwischen dem Begriff Bruder und dem Begriff männliches Geschwister zu erklären, macht (H) und (I) als Gegenbeispiele zu (ER) also zahnlos. Wer (H) und (I) gegen (ER) in Anschlag bringen will, sollte die mutmaßliche Differenz im Wahrheitswert besser ohne einen Unterschied zwischen den von „Bruder“ und „männliches Geschwister“ ausgedrückten Begriff erklären. Wie eine mit (ER) unvereinbare Erklärung aussehen könnte, liegt – gelinde gesagt – nicht auf der Hand. Man könnte argumentieren, dass die Bedeutungk des Satzverknüpfers „weil“ von den Formulierungsweisen im Explanans- und Explanandum-Satz abhängt. Laut dieser Idee geht die Ersetzung von „männliches Geschwister“ durch „Bruder“ mit einer Änderung der Formulierungsweise einher und bewirkt so eine Änderung in der Bedeutungk von „weil“, die wiederum für die Differenz im Wahrheitswert sorgt.5 Doch laut dieser Erklärung erhält die Ersetzung nicht die Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten und ist daher im Einklang mit (ER). Zwar hat (ER) vor dieser Erklärung eines Wahrheitswertunterchieds zwischen (H) und (I) genauso wenig zu fürchten wie vor einer Berufung auf eine wahrheitswertrelevante Differenz zwischen Bruder und männliches Geschwister. Doch möchte ich mir als Freund von (ER) eine solche Erklärung genauso wenig zu eigen machen wie den Rekurs auf eine begriffliche Differenz. Schließlich habe ich mich bereits im Abschnitt 1.3.1 dagegen ausgesprochen, sich bei der Verteidigung von (ER) auf eine bestimmte Analyse von Einstellungszuschreibungen festzulegen. Aus denselben Neutralitätsgründen ist es ratsam, sich bei der Verteidigung von (ER) nicht von einer kontroversen Analyse von weilSätzen abhängig zu machen.

|| 5 Für Details siehe Schnieder 2010.

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5.2 Die Bedeutung von komplexen Prädikaten mit und ohne „und“ Gemäß der bisher besprochenen Erklärungen für den intuitiven Kontrast zwischen (H) und (I) haben die beiden Sätze tatsächlich unterschiedliche Wahrheitswerte. Doch dies lässt sich mit guten Gründen bezweifeln. Freunde von (ER) sollten nicht den Vorwurf der Pedanterie scheuen, sondern bestreiten, dass (H) streng genommen wahr ist. Ein Satz wie (H) wird in einem nichtphilosophischen Kontext vor allem dazu verwendet, jemandem die Bedeutung des Ausdrucks „Bruder“ zu erklären. Man könnte also auch bei diesem Satz eine metasprachliche Reinterpretation in Erwägung ziehen.6 Allerdings bietet sich bei (H) noch eine andere Option an: (H) ist buchstäblich falsch, obwohl mit der Äußerung von (H) dank des Ausdrucks „männliches Geschwister“ indirekt etwas Wahres zu verstehen gegeben werden kann, das mit der Äußerung von (I) nicht zu verstehen gegeben werden kann, nämlich (H')

Alexej ist ein Bruder, weil Alexej männlich ist und ein Geschwister ist.

Bei dieser Reformulierung von (H) habe ich die beiden Ausdrücke, aus denen die Nominalphrase „männliches Geschwister“ besteht, auseinandergetrieben. Wenn wir in (H') nun „Bruder“ durch „männliches Geschwister“ ersetzen, erhalten wir (J)

Alexej ist ein männliches Geschwister, weil Alexej männlich und ein Geschwister ist.

In (J) ist die Situation im Vergleich zu (H) genau umgekehrt: (J) ist buchstäblich wahr, aber irreführend, da mit der Äußerung des Satzes indirekt etwas Falsches zu verstehen gegeben werden kann: (J')

Alexej ist männlich und ein Geschwister, weil Alexej männlich und ein Geschwister ist.

(J') ist falsch, da das auf der linken Seite ausgedrückte Explanandum identisch ist mit dem auf der rechten Seite ausgedrückten Explanans. Diesem Lösungsvorschlag zufolge sind (H) und (H') nicht synonym. Der Grund liegt in der Nicht-Synonymie zwischen

|| 6 Für Kritik an einer metasprachlichen Lösung siehe ebenfalls Schnieder 2010.

Die Bedeutung von komplexen Prädikaten mit und ohne „und“ | 95

(1)

Alexej ist männlich und ein Geschwister

(2)

Alexej ist ein männliches Geschwister.

und

Betrachten wir die Begriffe männliches Geschwister und männlich und ein Geschwister.7 In den ersten Begriff gehen die Begriffe männlich und Geschwister ein, die in ihm auf konjunktive Weise zusammengesetzt sind. Die konjunktive Weise der Zusammensetzung ist selbst kein Bestandteil des Begriffs – genauso wenig, wie die Art und Weise, wie die Konstituenten eines Satzes miteinander verknüpft sind, selbst eine Konstituente des Satzes ist. Im Gegensatz dazu geht in den zweiten Begriff nicht bloß der Begriff männlich und der Begriff Geschwister ein, sondern auch der Begriff der Konjunktion.8 Also handelt es sich bei männliches Geschwister und männlich und ein Geschwister um verschiedene Begriffe. Um die Bedeutungk von „männliches Geschwister“ zu kennen, muss man den Ausdruck mit dem Begriff männliches Geschwister verknüpfen. Um die Bedeutungk von „männlich und ein Geschwister“ zu kennen, muss man den Ausdruck hingegen mit männlich und ein Geschwister verknüpfen. Die Bedingungen für die Kenntnis der Bedeutungk der beiden Ausdrücke sind daher verschieden. Also haben die beiden Ausdrücke eine unterschiedliche Bedeutungk und sind nicht synonym. Man könnte vielleicht entgegnen, dass der Konjunktor eine versteckte Konstituente in „männliches Geschwister“ ist und dieser Ausdruck daher sowohl denselben Begriff ausdrückt als auch dieselbe Bedeutungk hat wie „männlich und ein Geschwister“. Diese Entgegnung könnte folgendermaßen untermauert werden: Um die Bedeutungk des komplexen Prädikats „männliches Geschwister“ zu kennen, reicht es nicht hin, die Bedeutungk der in ihm enthaltenen einfachen Prädikate mit dem komplexen Prädikat zu verknüpfen.9 Erst wenn man || 7 Angesichts der Überlegungen im vierten Kapitel zu verschiedenen Begriffen der Orange kann man sich fragen, ob es nicht auch verschiedene Begriffe des männlichen Geschwisters gibt. Da es für das Folgende allerdings keine Rolle spielt, ignoriere ich diese Komplikation. 8 Wenn Begriffe Weisen des Denkens an etwas sind, welche Weise des Denkens an was ist dann der Begriff der Konjunktion? Vielleicht hilft der folgende Vorschlag weiter: Der Begriff der Konjunktion ist eine Weise des Denkens an die Funktion, die zwei Sätze genau dann auf einen wahren Satz abbildet, wenn sie beide wahr sind, als eben diese Funktion. 9 Um die Bedeutungenk der enthaltenen einfachen Prädikate mit dem komplexen Prädikat zu verknüpfen, muss man die Bedeutungk der einfachen Prädikate nicht kennen, d. h., man muss nicht wissen, was sie bedeutenk. Man verknüpft eine Bedeutungk eines Ausdrucks α mit einem Gegenstand (im weitesten Sinne) nämlich bereits dann, wenn man die Bedeutungk eines ande-

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zusätzlich in der Lage ist, die Bedeutungk der einfachen Prädikate auf eine bestimmte Art und Weise miteinander zu kombinieren (und die so kombinierten Bedeutungk mit dem komplexen Prädikat zu verknüpfen), kennt man die Bedeutungk des komplexen Prädikats. Und für diese Fähigkeit muss man über den Begriff verfügen, den der Konjunktor ausdrückt. Also geht die Bedeutungk des Konjunktors in die Bedeutungk des komplexen Prädikats ein.10 Dieses Argument eignet sich gut als Vorlage für eine Verteidigung meines Lösungsvorschlags. Das Argument geht korrekterweise davon aus, dass die Kenntnis der Bedeutungk des komplexen Prädikats nicht bloß seine Verknüpfung mit den Bedeutungenk der einfachen Prädikate erfordert. Es bedarf zusätzlich der Fähigkeit, diese Bedeutungenk miteinander zu kombinieren. Dies lässt sich anhand komplexer Sätze wie (3)

Alexej ist ein männliches Geschwister und Cecil ist eine alte Schildkröte

zeigen. Um die Bedeutungk von (3) zu kennen, ist nicht bloß die Verknüpfung von (3) mit den Bedeutungenk seiner Konstituenten nötig. Man muss ihre Bedeutungenk auch auf die richtige Art und Weise miteinander kombinieren können, und die so kombinierten Bedeutungenk mit (3) verknüpfen. Dann erst kennt man die Bedeutungk von (3). Zu der erforderlichen Fähigkeit gehört unter anderem, die Bedeutungk von „ist ein Geschwister“ auf eine andere (direktere) Weise mit der Bedeutungk von „ist männlich“ kombinieren zu können als mit der von „ist alt“.11 Wer die Bedeutungenk auf die falsche Weise kombiniert, der || ren synonymen Ausdrucks mit diesem Gegenstand verknüpft. Und dafür muss man nicht wissen, was α bedeutetk. Dies verdient deshalb Betonung, weil die Kenntnis der Bedeutungk der einfachen Prädikate für die Kenntnis der Bedeutungk des komplexen Prädikats nicht notwendig ist. Denn man kennt die Bedeutungk eines komplexen Prädikats x bereits dann, wenn man erstens weiß, dass es dieselbe Bedeutungk hat wie ein anderes Prädikat y und zweitens die Bedeutungk von y kennt. Das komplexe Prädikat gehört aber möglicherweise einer fremden Sprache mit einer völlig anderen Syntax als der der eigenen Sprache an, sodass man noch nicht einmal die einfachen Prädikate in ihm identifizieren, geschweige denn mit einer Bedeutungk verknüpfen kann. 10 Man könnte einwenden, dass nicht die Bedeutungk des Konjunktors, also des satzbildenden „und“, sondern eine andere Bedeutungk, nämlich die des prädikatbildenden „und“ in die Bedeutungk von (2) eingeht. Doch spielt dies für die weitere Diskussion keine Rolle, da ich dafür argumentiere, dass weder die Bedeutung des Konjunktors noch die des prädikatbildenden „und“ in die Bedeutungk von (2) eingeht. 11 Nach meinem Dafürhalten kombiniert man die Bedeutungk von „ist ein Geschwister“ auch dann, obgleich auf indirekte Weise mit der von „ist alt“, wenn man eine Bedeutungk, in die die Bedeutungk von „ist ein Geschwister“ eingeht, mit einer Bedeutungk kombiniert, in die die

Die Bedeutung von komplexen Prädikaten mit und ohne „und“ | 97

landet unter Umständen bei der Bedeutungk des Satzes „Alexej ist ein altes Geschwister und Cecil ist eine männliche Schildkröte“. Um die Bedeutungk von (3) zu kennen, muss man also in der Lage sein, die Bedeutungk von „ist männlich“ auf eine bestimmte (direkte) Weise mit der Bedeutungk von „ist ein Geschwister“ zu kombinieren. Diese Fähigkeit ist aber weder erforderlich, um die Bedeutungk des zweiten eingebetteten Satzes („Cecil ist eine alte Schildkröte“) zu kennen, noch bedarf es ihrer, um auf der Basis der Kenntnis der Bedeutungenk der beiden eingebetteten Sätze zur Kenntnis der Bedeutungk von (3) vorzustoßen. Daher ist sie zur Kenntnis der Bedeutungk des ersten Konjunkts, also (2), erforderlich.12 Doch Besitz dieser Fähigkeit verbürgt nicht das Verfügen über den vom Konjunktor ausgedrückten Begriff. Worin besteht diese Fähigkeit genauer? Man muss die Bedeutungenk auf dieselbe Weise kombinieren können, wie man sie kombinieren können muss, um zur Kenntnis der Bedeutungk von „ist männlich und ist ein Geschwister“ zu gelangen. Ich nenne diese Art und Weise der Kombination aus naheliegenden Gründen konjunktive Kombination. Man muss demnach die Fähigkeit besitzen, die Bedeutungk der einfachen Prädikate in (2) konjunktiv zu kombinieren, um die Bedeutungk von (2) zu kennen. Doch aus dem Besitz dieser Fähigkeit folgt nicht, dass man über den von „konjunktive Kombination“ ausgedrückten Begriff verfügt. Es gilt nicht generell, dass man über den Begriff des φʼens verfügt, wenn man die Fähigkeit zu φʼen besitzt. Babys haben die Fähigkeit zu atmen und Nahrung zu verdauen, ohne über den Begriff des Atmens oder des Verdauens zu verfügen. Um über den Begriff des φʼens zu verfügen, muss man in der Lage sein, ans φʼen (als ein φʼen) zu denken. Man muss das φʼen kognitiv repräsentieren können. Babys verfügen trotz ihrer Fähigkeit zu atmen nicht über den Begriff der Atmung, weil sie noch nicht in der Lage sind, ans Atmen (als ein Atmen) zu denken. Sie wissen gewissermaßen nicht, was sie tun, wenn sie atmen. Wer analog zwar die Fähigkeit hat, konjunktiv zu kombinieren, aber nicht in der Lage ist, an diese Tätigkeit zu denken, verfügt nicht über den Begriff des konjunktiven Kombinierens. Und wenn man nicht über den Begriff des konjunktiven Kombinierens verfügen || Bedeutungk von „ist alt“ eingeht. Dies leuchtet jedenfalls dann ein, wenn das Kombinieren von Bedeutungenk nichts weiter ist als das In-Beziehung-Setzen von Bedeutungenk. Meine Kritik an dem zur Debatte stehenden Argument hängt aber nicht von dieser Auffassung ab. 12 Man könnte vielleicht einwenden, dass es für die Kenntnis der Bedeutungk eines Satzes in dem Falle, in dem er in einem anderen Ausdruck eingebettet ist, ja höhere Anforderungen geben kann als in dem Falle, in dem er uneingebettet ist. Diese Möglichkeit ist allerdings nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Satz in einem hyperintensionalen Kontext eingebettet ist und dies ist hier nicht der Fall.

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muss, um die Bedeutungk von (2) zu kennen, dann muss man auch nicht über den vom Konjunktor ausgedrückten Begriff verfügen. Ein Vergleich kann hier nicht schaden. Betrachten wir (4)

Sokrates ist weise.

Nehmen wir zum Zwecke des Vergleichs an, dass das Prädikat in (4) eine Funktion bezeichnet, die jedem Gegenstand x aus der Menge der Einzeldinge den Sachverhalt zuordnet, dass x weise ist. Nehmen wir ferner an, dass der singuläre Term in (4) Sokrates bezeichnet. Unter diesen Voraussetzungen ist die Annahme plausibel, dass man, um zu wissen, welchen Sachverhalt (4) bezeichnet, das vom Prädikat Bezeichnete mit dem vom singulären Term Bezeichneten kombinieren können muss. Von welcher Art ist diese Kombination? Gemäß dem bisher Gesagten besteht sie in der Anwendung der Funktion, des vom Prädikat Bezeichneten, auf Sokrates, das vom singulären Term Bezeichnete. Ich nenne diese Art der Kombination funktionale Anwendung. Um das von (4) Bezeichnete zu kennen, muss man also in der Lage sein, die vom Prädikat bezeichnete Funktion auf Sokrates anzuwenden. Aber gewiss muss man für den Besitz dieser Fähigkeit nicht über den Begriff der funktionalen Anwendung verfügen. Funktionale Anwendung ist demnach ein grundlegendes Soundso-Kombinieren von Bedeutungen, das man beherrschen kann, ohne über den Begriff des SoundsoKombinierens zu verfügen. Das konjunktive Kombinieren ist ebenfalls eine Fähigkeit, die man blind beherrschen kann, d. h. ohne (auf die richtige Weise) kognitiv repräsentieren zu können, was man bei dem Gebrauch der Fähigkeit tut. (Kontrastiere dies mit der Fähigkeit, Schach zu spielen, oder der, ein Versprechen zu geben.) Doch wer nicht in der Lage ist, die (den, dass) F kognitiv (auf die richtige Weise) zu repräsentieren, verfügt nicht über den Begriff des Fs. Nach dem bisher Gesagten kann man die Bedeutungk von (2) kennen, ohne über den Begriff zu verfügen, den der Konjunktor ausdrückt. Denn wenn das Verfügen über diesen Begriff für das Kombinieren der Bedeutungenk der einfachen Prädikate in (2) keine Rolle spielt, dann spielt es insgesamt für die Kenntnis der Bedeutungk von (2) keine Rolle. Um die Bedeutungk von (1) zu kennen, muss man jedoch über diesen Begriff verfügen. Also hat (2) nicht dieselbe Bedeutungk wie (1). Vielleicht provoziert diese Verteidigung den Vorwurf, dass ich in ihr die fundamentale Rolle ignoriere, die der Begriff, den der Konjunktor ausdrückt, für das Kennen der Bedeutungk von Sätzen ganz allgemein hat. Möglicherweise gilt ja von Sätzen ganz generell, dass das Verfügen über diesen Begriff so etwas wie eine notwendige Vorbedingung für die Kenntnis ihrer Bedeutungk ist. Wer sich für diese These erwärmen kann, der sei darauf hingewiesen, dass die hier ange-

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stellten Überlegungen zumindest zeigen, dass man zur Kenntnis der Bedeutungk von (2) vorstoßen kann, ohne dabei von dem Begriff, den der Konjunktor ausdrückt, Gebrauch zu machen. Selbst wenn man über ihn verfügen muss, so muss man ihn doch nicht verwenden, um die Bedeutungk von (2) zu erfassen. Dies ist aber nötig, um die Bedeutungk von (1) zu erfassen. Wenn man aber für das Erfassen der Bedeutungk von A einen Begriff verwenden muss, den man für das Erfassen der Bedeutungk von B nicht verwenden muss, hat A nicht dieselbe Bedeutungk wie B. Also ist (1) nicht mit (2) synonym.

5.3

Überlegungen zum Zählen von Behauptungen

5.3.1 Sätze mit Konjunktor Es gibt einen weiteren Grund für einen Unterschied in der Bedeutungk zwischen (1)

Alexej ist männlich und ein Geschwister

(2)

Alexej ist ein männliches Geschwister.

und

Kurz gesagt macht man mit der Behauptung, dass (1), mehr Behauptungen als mit der Behauptung, dass (2). Wie viele Behauptungen macht man mit der Behauptung, dass (1)? Dem späten Frege zufolge lautet die Antwort: genau eine.13 Daraus, dass man behauptet, dass (1), folgt für Frege insbesondere nicht, dass man sowohl behauptet, dass Alexej ein Geschwister ist, als auch, dass Alexej männlich ist. Mit der Behauptung, dass (1), behauptet man laut Frege vielmehr weder, dass Alexej männlich ist, noch, dass Alexej ein Geschwister ist. Man macht ihm zufolge nicht zwei Behauptungen, sondern lediglich eine einzige, und zwar die, dass Alexej männlich ist und ein Geschwister ist. Dies gilt für ihn übrigens nicht bloß vom sprachlichen Akt des Behauptens, sondern auch vom mentalen Akt des Urteilens, dass (1). Frege sieht darin eine Analogie zum Fragen, ob (1). Denn daraus, dass man fragt, ob (1), folgt nicht, dass man sowohl fragt, ob Alexej ein Geschwister ist, als auch, ob Alexej männlich ist. Indem man fragt, ob (1), fragt man vielmehr weder, ob Alexej männlich ist, noch, ob er ein Geschwister ist. Man stellt nicht

|| 13 Siehe Frege (1923: 38f). Künne (2010a: 607) pflichtet ihm bei. Der frühe Frege (1892a: 44f) war noch anderer Ansicht.

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zwei Fragen, sondern eine einzige, nämlich ob Alexej männlich und ein Geschwister ist. Wer die Äußerung mit „Nein“ beantwortet, nimmt schließlich nicht auf einen Schlag zu zwei Fragen Stellung und legt sich also nicht darauf fest, dass Alexej weder ein Geschwister noch männlich ist. Darin liegt übrigens eine Gemeinsamkeit zwischen dem Fragen, ob p & q, und dem Bestreiten, dass p & q. Daraus, dass man bestreitet, dass p & q, folgt ganz analog zum Fragen, ob p & q, nicht, dass man sowohl bestreitet, dass p, als auch bestreitet, dass q. Indem man bestreitet, dass p & q, bestreitet man vielmehr weder, dass p, noch, dass q. Ähnliches trifft sowohl auf den sprachlichen Akt des Kritisieren und des Sich-dafür-Entschuldigens als auch auf den mentalen Zustand des Bedauerns, Bezweifelns, Darüber-Staunens und Darüber-Freuens zu. Frege erklärt nicht, warum man den Akt des Behauptens an den Akt des Fragens (Bestreitens, Kritisierens, Entschuldigens) assimilieren sollte. Womöglich liegt Freges Grund für diese Assimilierung in seinen Konventionen für bedeutungsvolle Sätze seiner Begriffsschrift. Ein solcher Satz wird von einem waagerechten Strich, dem Inhaltstrich, eingeleitet, der anzeigt, dass auf ihn ein Zeichen mit einem in der Dimension von Wahrheit und Falschheit „beurteilbaren Inhalt“14 folgt. Später lässt Frege diese Forderung fallen. Nun sollen dem „Inhalts“-Strich bedeutungsvolle Eigennamen folgen, zu denen Frege nicht bloß bedeutungsvolle Sätze rechnet, sondern auch bedeutungsvolle singuläre Terme wie „Hans“ oder „2“. Wenn man mit der Äußerung eines Satzes der Begriffsschrift etwas behaupten will, dann gibt man das zu erkennen, indem man dem Satz zusätzlich einen vertikalen Strich, den Behauptungsstrich,15 voranstellt. Der Behauptungsstrich ist ein Indikator der illokutionären Rolle des Satzes, der auf ihn folgt. Er selbst bezeichnet weder etwas noch drückt er einen Sinn aus. Wird ein begriffsschriftlicher Satz durch beide Striche eingeleitet, sind sie zu einem komplexen Symbol, „ “, vereint. Aus Freges Konvention ergibt sich, dass ein Zeichen wie„ 2+2=4& 5 > 2“ kein wohlgeformter Satz der Begriffsschrift ist, denn nach dem ersten Inhaltsstrich folgt weder ein Satz mit einem beurteilbaren Inhalt noch ein bedeutungsvoller Eigenname. Dafür müsste der Behauptungsstrich ja etwas bezeichnen und einen Sinn haben. In Freges Notation kann man demnach zwar zu erkennen geben, dass man eine Konjunktion behauptet, aber nicht, dass man bei dem Behaupten einer Konjunktion

|| 14 Frege 1879: 2. 15 Frege selbst nennt ihn Urteilsstrich. Aber man kann natürlich behaupten, dass p, ohne zu urteilen, dass p. Eine ausführliche Diskussion zum Behauptungs- und Inhaltsstrich findet sich in Künne (2010a: 331ff.).

Überlegungen zum Zählen von Behauptungen | 101

auch die Konjunkte behauptet.16 Dass man in einer bestimmten Notation nicht vermitteln kann, dass p, ist aber natürlich kein Grund dafür, dass ¬p. Sollte man dennoch das Behaupten, dass (1), an das Fragen, ob (1), assimilieren? Frege gibt jedenfalls keinen Grund dafür an, dass gilt: Wenn man mit dem Fragen, ob (1), genau eine Frage stellt, dann macht man mit dem Behaupten, dass (1), genau eine Behauptung. Tatsächlich gilt nicht generell: Wenn man mit dem Fragen, ob p & q, genau eine Frage stellt, dann macht man mit dem φʼen, dass p & q, genau eine φʼung („φ“ soll durch Verbstämme für sprachliche Handlungen ersetzt werden. Die Endung „ung“ steht stellvertretend für beliebige Suffixe eines Nomens). Mit dem Kundgeben (Vorschlagen, Versprechen, Bitten, Vorschreiben, Ausdrücken des Gedankens), dass p & q, macht man nicht genau eine Kundgabe (einen Vorschlag usw.). Man gibt vielmehr unter anderem sowohl kund, dass p, als auch, dass q. Man macht also mehrere Kundgaben (Vorschläge usw.), und zwar unabhängig davon, ob man mit dem Fragen, ob p & q, genau eine Frage stellt oder nicht. Man kann nun leicht erkennen, dass auch das folgende Argument zugunsten Frege nicht überzeugt: Dasjenige, über dessen Wahrheit oder Falschheit man mit dem Fragen, ob p & q, um Auskunft bittet, ist dasselbe wie dasjenige, was man mit dem Behaupten, dass p & q, behauptet. Mit dem Fragen, ob p & q, bittet man um Auskunft über die Proposition, dass p & q. Also ist sie dasjenige, was man mit dem Behaupten, dass p & q, behauptet. Daraus folgt, dass man mit dem Behaupten, dass p & q, nichts anderes behauptet als eben diese Proposition. Man behauptet also weder die Proposition, dass p, noch die Proposition, dass q. Dass etwas mit diesem Argument nicht stimmen kann, erkennt man bereits dann, wenn man in ihm nicht mehr vom Behaupten, sondern vom Kundgeben redet. Schließlich erhält man dann das absurde Resultat, dass man mit der Kundgabe, dass p & q, weder kundgibt, dass p, noch, dass q. Das Problem besteht bereits in der ersten Prämisse des Arguments. Sie unterstellt, dass es nur einen Gegenstand gibt, den man mit dem Behaupten, dass p & q, behauptet.17 Gewiss, manchmal reden wir von Behauptungen – ob sie nun konjunktiv sind

|| 16 „Konjunkt“ und „Konjunktion“ verwende ich in diesem Kapitel nicht für bestimmte (Teil)Sätze, sondern für das mit der Äußerung eines Konjunkts oder einer Konjunktion im SatzSinne Gesagte. 17 Diese Unterstellung ist auf die Verwendung des Ausdrucks „dasjenige, was man beim Behaupten, dass p & q, behauptet“ im Argument im Sinne einer Kennzeichnung zurückzuführen. Wenn ich von einer Unterstellung rede, die mit einer Kennzeichnung einhergeht, möchte ich es offen halten, ob sie als Voraussetzung oder als Implikation aufzufassen ist.

102 | Der Einwand aus der mangelnden Erklärung

oder nicht – in einer Art und Weise, als ob es nur eine einzige Entität gibt, die in ihrem Vollzug behauptet wird. Schließlich sprechen wir bei Behauptungen von dem mit ihnen Behaupteten. Doch auf dieselbe Weise reden wir auch von Kundgaben. Wir sprechen von dem mit ihnen Kundgegebenen. Wenn es sich dabei um eine konjunktive Kundgabe handelt, darf man diese Redeweise nicht so verstehen, dass es genau einen Gegenstand gibt, der mit ihr kundgegeben wird: Entweder darf man sie nicht buchstäblich nehmen oder ihre Semantik ist komplizierter, als es den Anschein hat, und sie ist buchstäblich so zu verstehen, dass es genau einen kundgegebenen Gegenstand gibt, der kontextuell relevant ist.18 Dasselbe gilt von der Rede von dem mit einer Behauptung Behaupteten. Was spricht dagegen, den Akt des Behauptens nicht an den Akt des Fragens (Bestreitens, Entschuldigens) zu assimilieren, sondern an den Akt des Kundgebens (Vorschlagens, Versprechens, Bittens, Vorschreibens, GedankenAusdrückens)? Wenn man kundgibt (vorschlägt usw.), dass p & q, muss man sich danach die Bemerkung gefallen lassen, dass man kundgegeben (vorgeschlagen usw.) hat, dass p. Man kann sich nicht mit Recht darauf zurückziehen, dass man zwar kundgegeben (vorgeschlagen usw.) hat, dass p & q, aber nicht, dass p. Wenn man fragt, ob p & q, darf man sich als Reaktion auf eine analoge Bemerkung hingegen durchaus darauf zurückziehen, dass man gefragt hat, ob p & q, aber nicht, ob p. Ich glaube, dass Behaupten, dass p & q, in diesem Punkt im selben Boot ist wie Kundgeben (Vorschlagen usw.), dass p & q. Es erscheint abwegig zu behaupten, dass p & q, und dann den Kommentar, dass man behauptet hat, dass p, mit der Bemerkung zu kontern, dass man zwar behauptet hat, dass p & q, aber doch nicht, dass p. Wenn man das Behaupten, dass p & q, an das Kundgeben (Vorschlagen usw.) assimiliert, ist die Erklärung dafür einfach: Es erscheint abwegig, weil es abwegig ist. Wenn man es dagegen mit Frege hält, ist die Erklärung allemal komplizierter. Man könnte vielleicht argumentieren, dass man sich mit dem Behaupten, dass p & q, darauf festlegt, dass p [q]. Wer sich nach seiner konjunktiven Behauptung bockig stellt und bestreitet, eines der Konjunkte behauptet zu haben, der scheint auch von dieser Festlegung nichts wissen zu wollen – und dies gibt dem störrischen Dementi den merkwürdigen Beigeschmack. Ich halte eine solche Erklärung nicht für völlig befriedigend. Ob man mit einer Behauptung auf etwas, das aus dem Behaupteten folgt, festgelegt ist,

|| 18 Wie die Semantik in diesem Fall genau aussehen muss, ist eine offene Frage. Alle Optionen, mit denen Anhänger einer russellschen Analyse von Kennzeichnungen im Umgang mit dem Problem der unvollständigen Kennzeichnungen spielen, sind jedenfalls auch hier einschlägig.

Überlegungen zum Zählen von Behauptungen | 103

hängt davon ab, wie unmittelbar es aus dem Behaupteten folgt. Wir sind auf die unmittelbarsten, aber nicht auf die entferntesten Implikationen unserer Behauptungen festgelegt. Stellen wir uns nun vor, dass Carla erst ein Konditional und kurz darauf das Antecedens dieses Konditionals behauptet. Sie hat sich mit ihren beiden Behauptungen auf das Konsequens des Konditionals festgelegt und zwar in etwa demselben Maße, wie sich jemand mit der Behauptung einer Konjunktion auf ihre Konjunkte festlegt, denn in dem einen Fall ist es vom Behaupteten zur Implikation in etwa dieselbe logische Strecke wie im anderen Fall. Sollte dann gemäß der vorgeschlagenen Erklärung nicht auch der spätere Kommentar Carlas, nicht das Konsequens des geäußerten Konditionals behauptet zu haben, abwegig erscheinen? Aber Carlas Rückblick auf ihre Behauptungen erscheint alles andere als verstockt und abwegig. Im Gegenteil ist es prima facie höchst vernünftig anzunehmen, dass Carla zwar auf das Konsequens des geäußerten Konditionals festgelegt ist, es aber nun einmal nicht wirklich behauptet hat. Ihr Festgelegtsein auf eine Implikation ihrer Behauptungen allein rückt ihren späteren Kommentar noch nicht in ein zweifelhaftes Licht. Ich gehe daher davon aus, dass wer behauptet, dass p & q, sowohl behauptet, dass p, als auch behauptet, dass q. Daraus folgt, dass wer behauptet, dass (1), sowohl behauptet, dass Alexej ein Geschwister ist, als auch behauptet, dass Alexej männlich ist. Doch dies ist nicht alles: Indem man behauptet, dass p & q, behauptet man nicht bloß, dass p, und, dass q, sondern auch, dass p & q. Man macht also mit einer solchen Behauptung drei Behauptungen, die Behauptung, dass p, die Behauptung, dass q, und die Behauptung, dass p & q. Dies reizt vielleicht zum Widerspruch: Behauptet nicht jede Person, die behauptet, dass p, und behauptet, dass q, damit bereits, dass p & q? Anna aus der Vorwortparadoxie liefert allerdings den Gegenbeweis. Anna glaubt mit guten Gründen an jede der zehn Thesen ihres Buches. Doch eine Ikone auf ihrem Gebiet gibt ihr zu verstehen, dass in einer ihrer Thesen ein subtiler Fehler steckt. Bevor sie Anna mitteilen kann, welche der Thesen sie im Sinn hat, stirbt sie an einem Herzschlag. Anna glaubt nun, dass eine ihrer Thesen falsch ist, und teilt dies im Vorwort ihres Buches mit. Dennoch glaubt sie weiterhin an jede einzelne These ihres Buches – eben bloß nicht an die Konjunktion ihrer Thesen. In einem Vortrag soll sie die Thesen ihres Buches verteidigen. Sie ist sich darüber im Klaren, dass sie für jede ihrer Thesen gute Gründe hat. Sie hat daher keinerlei Skrupel, jede ihrer Thesen zu behaupten. Sie hütet sich aber davor, die Konjunktion ihrer Thesen als wahr hinzustellen. Schließlich ist sie davon überzeugt, dass in irgendeiner ihrer Thesen der Wurm drin ist. Wenn wir annähmen, dass daraus, dass man behauptet, dass p, und man behauptet, dass q, folgt, dass man behauptet, dass p & q, be-

104 | Der Einwand aus der mangelnden Erklärung

fände sich Anna in einer (logisch) unmöglichen Situation. Daraus, dass sie behauptet, dass T1 und behauptet, dass T2, kann man mit dieser Annahme ableiten, dass sie behauptet, dass T1 & T2.19 Aus diesem Resultat und der Annahme, dass Anna behauptet, dass T3, kann man dann ableiten, dass sie behauptet, dass (T1 & T2) & T3. Fährt man auf diese Weise fort, gelangt man bald zum Ergebnis, dass Anna behauptet, dass (T1 & T2) & … T10. Dies widerspricht allerdings der Beschreibung des Beispiels.20 Also folgt daraus, dass man behauptet, dass p, und dass man behauptet, dass q, nicht, dass man behauptet, dass p & q. Im Übrigen muss man für das Behaupten, dass p & q, den Begriff mobilisieren, den der Konjunktor ausdrückt. Doch selbst wer glaubt, dass „p“ oder „q“ synonym sein kann mit einer Konjunktion, sollte zugestehen, dass diese Möglichkeit nicht notwendigerweise realisiert ist und daher der Begriff, den der Konjunktor ausdrückt, für das Behaupten, dass p, und das Behaupten, dass q, nicht zwingend ins Spiel kommt.

5.3.2

Sätze ohne Konjunktor

Wenn man mit der Behauptung, dass (1), genau drei Behauptungen macht und (1) mit (2) synonym wäre, würde man auch mit der Behauptung, dass (2), genau drei Behauptungen machen. Dies folgt jedenfalls aus der plausiblen Annahme, dass wenn (1) mit (2) synonym ist, man mit der Behauptung, dass (1), dasselbe behauptet wie mit der Behauptung, dass (2). Synonymie habe ich als Gleichheit in der Bedeutungk festgelegt. Die Bedeutungk eines deklarativen Satzes determiniert den semantischen Gehalt eines Satz im Äußerungskontext. Der semantische Gehalt von (1) [(2)] ist dasselbe wie das mit der Behauptung, dass (1) [(2)], Behauptete. Also behauptet man mit der Behauptung, dass (1), dasselbe wie mit der Behauptung, dass (2), wenn (1) dieselbe Bedeutungk hat wie (2). Künne präsentiert in etwa folgendes Argument gegen die Verallgemeinerung dieser Annahme: Wenn wir in (5)

13 ist größer als 1 und für alle n, wenn sich 13 durch n teilen lässt, dann n = 13 oder n = 1.

jedes Vorkommnis von „13“ tilgen, erhalten wir das Prädikat || 19 „T1“ kürzt den Satz ab, der die erste These ausdrückt, „T2“ kürzt den Satz ab, der die zweite These ausdrückt usw. 20 Mit der Vorwortparadoxie wurde bereits im Abschnitt 2.3 das verwandte Prinzip widerlegt, dem zufolge Meinungen unter offensichtlicher Folgerung abgeschlossen sind.

Überlegungen zum Zählen von Behauptungen | 105

(P)

( ) ist größer als 1 und für alle n, wenn sich ( ) durch n teilen lässt, dann n = ( ) oder n = 1.21

Das Prädikat (P) ist synonym mit (Q)

( ) ist eine Primzahl.22

Bringen wir nun das Ersetzbarkeitsprinzip ins Spiel, dass die Ersetzung einer Konstituente k eines deklarativen Satzes durch ein Synonym seine Bedeutungk erhält, wenn (i) die Ersetzung die Bedeutungk der unmittelbaren Konstituenten erhält und (ii) die Ersetzung die Weise der Zusammensetzung der unmittelbaren Konstituenten von S erhält.23 Künne schließt daraus, dass (5) synonym ist mit (6)

13 ist eine Primzahl.

Allerdings drückt man mit (6) unter anderem den Begriff der Primzahl aus, mit (5) hingegen nicht. Also drückt man mit (5) und (6) verschiedene Propositionen aus und die Behauptung, dass (5), ist nicht identisch mit der Behauptung, dass (6). Künnes Argument, so wie hier rekonstruiert, dient den Gegnern von (ER) nicht, da es ein Ersetzbarkeitsprinzip voraussetzt, aus dem zusammen mit der Annahme, dass die Bedeutungk eines Aussagesatzes (relativ zu einem Bewertungskontext) seinen Wahrheitswert determiniert (ER) folgt (siehe Abschnitt 1.2). Das Hauptproblem mit seinem Argument ist allerdings die Annahme, dass der Übergang von (5) nach (6) von dem in Anspruch genommenen Ersetzbarkeitsprinzip legitimiert wird. Dafür müsste (P) eine Konstituente von (5) sein. Dies würde unter anderem ausschließen, dass (5) eine Konjunktion ist und den Satz „13 ist größer als 1“ sowie eine Allquantifikation als Konstituente enthält. Dies ist aber mehr als zweifelhaft. Falls (P) jedoch entgegen dem Anschein eine Konstituente von (5) ist und (5) daher keine Konjunktion, dann wird mit (5) auch der Begriff der Primzahl ausgedrückt, entgegen Künnes Versicherung. Die Annahme, dass mit der assertorischen Äußerung zweier synonymer Sätzen

|| 21 Der Gebrauch derselben Klammersorte für die Leerstellen zeigt an, dass sie durch denselben Ausdruck gefüllt werden müssen. 22 Künne erläutert nicht explizit, wann zwei Ausdrücke synonym sind. Es gibt aber keinen guten Grund, abzulehnen, dass (P) und (Q) synonym in meinem Sinne, d. h. Träger derselben Bedeutungk sind, insofern ihr Äußerungskontext derselbe ist. 23 Künnes Ersetzungsprinzip enthält weniger einschränkende Bedingungen (siehe Künne 2003: 369). Aus den im Abschnitt 1.2. genannten Gründen ziehe ich mein restriktiveres Prinzip vor.

106 | Der Einwand aus der mangelnden Erklärung

dasselbe behauptet wird, wird durch Künnes Argument demnach nicht wiederlegt. Im Folgenden werde ich auf der Basis dieser Annahme dafür argumentieren, dass (1) nicht mit (2) synonym ist, da man mit der Behauptung, dass (2), nicht wie mit der Behauptung, dass (1), drei Behauptungen macht. Prima facie macht man mit der Behauptung, dass (2), genau eine Behauptung und nicht mehrere. Betrachten wir auch (7)

Tom ist ein Junggeselle.

Nehmen wir an, dass „Junggeselle“ synonym ist mit „unverheirateter männlicher Mensch im heiratsfähigen Alter“ und „Mensch“ wiederum synonym ist mit „rationales Lebewesen“. Unter dieser Annahme ist (7) synonym mit (8)

Tom ist ein unverheiratetes, männliches, rationales Lebewesen im heiratsfähigen Alter.

Wenn nun (8) (und damit (7)) synonym ist mit (9)

Tom ist unverheiratet und Tom ist männlich und Tom ist rational und Tom ist ein Lebewesen und Tom ist im heiratsfähigen Alter,

dann macht man mit der Behauptung, dass (7), nicht eine Behauptung, wie es den Anschein hat, sondern – bitte einmal Luft holen – einunddreißig. Um eine grobe Begründung zu geben: Man behauptet jedes der fünf in (9) ausgedrückten Konjunkte. Doch für jedes Paar aus diesen fünf Konjunkten gilt: Daraus, dass man P behauptet und dass man Q behauptet, folgt nicht, dass man P & Q behauptet. Also behauptet man zudem all die komplexen Konjunkte, in denen jeweils zwei der fünf einfachen Konjunkte zusammengefügt sind. Das sind weitere zehn Behauptungen. Ferner behauptet man aus prinzipiell demselben Grund alle Konjunkte, die genau drei der fünf einfachen Konjunkte enthalten, das macht wiederum zehn zusätzliche Behauptungen usw. Dass man mit der Behauptung, dass (7), etwa dreißig Behauptungen macht, ist doch recht schwer zu schlucken. Um dieses Resultat zu vermeiden, sollte man davon ausgehen, dass (8) zwar synonym ist mit (7), nicht aber mit (9). Also ist auch (2) nicht synonym mit (1). Man könnte einwenden, dass (8) überhaupt nicht mit (7) synonym sei, weil zum Beispiel „Junggeselle“ nicht wirklich synonym sei mit „unverheirateter Mann im heiratsfähigen Alter“, sonst müsste man auch den Papst zu den Junggesellen zählen. Ich habe diesem Einwand nichts entgegenzusetzen, möchte aber zugleich darauf hinweisen, dass es nicht auf das ausgewählte Beispiel

Überlegungen zum Zählen von Behauptungen | 107

ankommt. Das Argument hängt lediglich davon ab, dass es möglich ist, dass es für einen komplexen generellen Term mit mehreren (sagen wir: mindestens drei) einfachen generellen Terme als Bestandteilen, deren Bedeutungenk man für das Verständnis des einfachen generellen Terms konjunktiv verknüpfen muss, einen synonymen einfachen generellen Term gibt. Die Existenz eines solchen synonymen einfachen generellen Terms ist aber nicht bloß möglich, sondern kann durch Stipulation problemlos herbeigeführt werden. Eine Behauptungspluralistin hinsichtlich (2) [(8)] kann den Schaden begrenzen, indem sie annimmt, dass man mit der Behauptung, dass (2) [(8)] zwar all diejenigen Konjunkte behauptet, die die einzelnen konjunktiv verknüpften Sätze in (1) [(9)] ausdrücken, aber keine komplexen Konjunkte, die mindestens zwei dieser einfachen Konjunkte enthalten. Allerdings folgt selbst daraus, dass (2) [(8)] nicht mit (1) [(9)] synonym ist. Schließlich stellt man mit der Behauptung, dass (1) [(9)] unter anderem eine konjunktive Behauptung auf. Dem eben vorgetragenen zweiten Argument für einen Bedeutungsunterschied zwischen (1) und (2) zufolge macht man mit der Behauptung, dass (9), einunddreißig Behauptungen. Ist dies nicht genau so schwer zu schlucken wie die Annahme, dass man mit der Behauptung, dass (7), einunddreißig Behauptungen macht? Warum sollte man die eine Annahme akzeptieren und die andere ablehnen? Dazu muss bemerkt werden, dass wir in der Frage nach der Anzahl der gemachten Behauptungen von Anfang an (7) aus zwei Gründen anders gegenüberstehen als (9). Erstens haben wir vortheoretisch keine feste Meinung dazu, wie viele Behauptungen man mit der Behauptung, dass (9), aufstellt. Sollten wir zu einer Antwort auf diese Frage genötigt werden, wird sie vermutlich zwischen 5 und 6 schwanken. Kein solches Schwanken aber lässt sich in unserer vortheoretischen Haltung zu (7) ausmachen. Zweitens gehen wir zunächst davon aus, dass man mit der Behauptung, dass (7), genau eine Behauptung macht und nicht mehrere. Ein solcher Behauptungssingularismus ist aber kein Bestandteil unserer vortheoretischen Einstellung zu (9). Angesichts unserer üblichen Praxis, jemandem, der eine Konjunktion behauptet, auch die Behauptung der einzelnen Konjunkte nachzusagen, finden wir nichts Überraschendes oder gar schwer Verdauliches in dem Gedanken, dass man mit der Behauptung, dass (9), mehrere Behauptungen macht. Es gibt demnach zwei Gründe, warum vor dem Hintergrund unserer ursprünglichen Einstellungen zu (7) und (9) die Annahme, dass man mit der Behauptung, dass (9), einunddreißig Behauptungen aufstellt, weniger abwegig ist als die analoge Annahme in Bezug auf (7). Erstens widerspricht sie keiner festen vortheoretischen Meinung in Bezug auf die genaue Anzahl der Behauptungen,

108 | Der Einwand aus der mangelnden Erklärung

die man mit der Behauptung, dass (9), macht. Ähnliches gilt von der Annahme, dass man mit der Behauptung, dass (7), einunddreißig Behauptungen aufstellt, nicht. Zweitens ist der Gegensatz zu den vortheoretischen Einstellungen nicht so schroff wie beim Analogon. Mein zweites Argument für einen Bedeutungsunterschied zwischen (1) und (2) ist jedenfalls wohl genau in dem Maße plausibel, in dem diese Annahme unsere vortheoretischen Einstellungen weniger beleidigt als ihr Gegenstück. Vielleicht ist dieses Maß nicht gar so gewaltig. In diesem Fall trägt die Hauptlast mein erstes Argument. Fassen wir zusammen. (ER) hat vor dem Einwand aus der mangelnden Erklärung nur dann etwas zu befürchten, wenn es einen Wahrheitswertunterschied zwischen (H)

Alexej ist ein Bruder, weil Alexej ein männliches Geschwister ist

(I)

Alexej ist ein Bruder, weil Alexej ein Bruder ist

und

gibt, der weder auf einen Unterschied zwischen Bruder und männliches Geschwister noch auf einen Unterschied in der Bedeutungk von „weil“ beruht. Worauf sich ein Wahrheitswertunterschied zwischen (H) und (I) aber dann zurückzuführen lässt, ist nicht zu erkennen. Ich habe stattdessen argumentiert, dass einen solchen Wahrheitswertunterschied nicht gibt, (H) strenggenommen falsch ist und mithilfe des ExplanansAusdrucks „ist männlich und ein Geschwister“ reformuliert werden sollte. Es gäbe nur dann einen zwingenden Einwand gegen eine solche Reformulierung, wenn „ist männlich und ein Geschwister“ mit „ist ein männliches Geschwister“ synonym wäre. Doch erstens geht nur in die Bedeutungk von „ist männlich und ein Geschwister“ die Bedeutung des Konjunktors ein, zweitens kann man unter Verwendung dieses Prädikats mehr Behauptungen machen als mit „ist ein männliches Geschwister“. Also ist der Einwand aus der mangelnden Erklärung lediglich eine scheinbare Bedrohung für (ER).

6 Church und das erste Paradox der Analyse 6.1 Churchs Auflösung des Paradoxes Das letzte Gegenbeispiel gegen (ER), das ich besprechen möchte, ergibt sich aus Alonzo Churchs Lösungsvorschlag für eine Aporie, die meist als das Paradox der Analyse bezeichnet wird. Allerdings gibt es zwei Paradoxa der Analyse, wie ich im nächsten Kapitel erläutern werde. Ich werde das Rätsel, um das es Church geht, deshalb das erste Paradox der Analyse nennen.1 Wir können es in die Form eines Arguments kleiden: (A1)

Wenn die in einem Analyse-Satz verwendeten Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans synonym sind, dann ist die Analyse trivial.

(A2)

Wenn die in einem Analyse-Satz verwendeten Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans nicht synonym sind, dann ist die Analyse inkorrekt.

(K1)

Jede korrekte Analyse ist trivial.

|| 1 Berühmt hat es Cooper Langford (1942: 323) im Zuge seiner Diskussion von Moores Konzeption der Analyse gemacht. Vor ihm haben bereits Frege (1984: 183) und Robin Collingwood (1933: 93) Varianten dieses Paradoxes präsentiert, die in der ersten Annahme nicht von Synonymie und Trivialität, sondern von Sinn- bzw. Begriffsgleichheit und Zirkularität handeln. Auch John Wisdom (1934: 79) scheint dem ersten Paradox bereits auf der Spur gewesen zu sein. Und Michael Beaney (1996: 138) glaubt es bereits bei dem Skeptiker Francisco Sanchez (1581) zu finden. Kurioserweise wird die Entdeckung des Paradoxes oft Moore zugeschrieben und manchmal dabei sogar von „Moores Paradox“ gesprochen, obgleich dieser Titel bereits für ein ganz anderes Rätsel von Moore reserviert ist (siehe zum Beispiel Lewy 1949: 236; 237, Feyerabend 1957/58: 239, Pap 1958: 275, Kutschera 1989: 84, Dale Jacquette 1990: 59, Fine 2007: 131 und Mills 2008: 302). Vermutlich brachte Carnap (1947: 63) diesen Irrtum in Umlauf. Anscheinend wird hier Moores Kritiker Langford mit dem von ihm Kritisierten verwechselt. Vielleicht rührt die falsche Namensgebung auch aus einer Konfusion von dem Paradox und Moores Argument der offenen Frage her. (Beaney (2011) fällt zum Beispiel einer solchen Verwechslung anheim, ohne allerdings Moore damit zum Entdecker des Paradoxes zu machen.) Lewy (1976: 72) und Slater (1999: 82) glauben es hingegen in einem Argument in Moores Aufsatz über Russells Theorie der Kennzeichnung zu erkennen (siehe Moore 1944: 177–225). Vielleicht schlummert das Paradox in diesen Argumenten, aber von einer expliziten Formulierung ist es in ihnen weit entfernt, sonst hätte Moore sie wohl auch nicht als Argumente verwendet, sondern als Rätsel eingestuft.

110 | Church und das erste Paradox der Analyse

Für die Zwecke dieses Kapitels darf man davon ausgehen, dass mit der Wendung „die Analyse“ in den beiden Annahmen die mit dem jeweiligen AnalyseSatz ausgedrückte Proposition gemeint ist. (Im nächsten Kapitel werde ich eine liberalere Interpretation zugrunde legen.) Unter dieser Interpretation besteht auch ein Klärungsbedarf in Bezug auf das Adjektiv „trivial“ in (A1) und (K1). Denn unter diesem Verständnis trifft es auf Propositionen zu, bisher habe ich es jedoch nur für eine Eigenschaft von Sätzen verwendet.2 Legen wir fest, dass die Proposition, dass p, genau dann trivial ist, wenn man sie nicht fassen kann, ohne zu glauben, dass p. Church macht sich für die Lösung des ersten Paradoxes der Analyse Freges Distinktion zwischen Sinn und (fregescher) Bedeutung (kurz BedeutungF) zunutze.3 In einem Beitrag zu der Kontroverse zwischen Max Black und Morton White zum ersten Paradox schreibt er: The paradox of analysis has an obvious analogy with Frege’s puzzle, as to how an equation, say ‘a=bʼ, can ever be informative […]. In the reviewer’s opinion this is not merely an analogy, but the paradox of analysis is a special case of Frege’s puzzle and is to be solved in the same way, on Frege’s theory of meaning, by the distinction of sense and denotation.4

Er argumentiert folgendermaßen: Begriffsanalysen sind Analysen eines Begriffs. Also handeln die Sätze, mit denen solche Analysen aufgestellt werden, von Begriffen. „Handeln von“ legt Church hier in einem sehr strengen Sinne aus, sodass ein Satz nur dann von einem Gegenstand handelt, wenn in dem Satz explizit auf ihn Bezug genommen wird. Eine Analyse des Begriffs des Bruders zum Beispiel sollte man demnach auf die folgende Form bringen: (1)

Der Begriff des Bruders ist identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters.5

Zunächst zur Terminologie in (1): Frege reserviert den Ausdruck „Begriff“ offiziell für die BedeutungF eines Prädikats. Church verwendet den Ausdruck (bzw.

|| 2 Siehe Abschnitt 4.3 und 4.5. 3 Siehe Frege 1892. Im Folgenden verwende ich für die fregesche Bedeutung die Abkürzung „BedeutungF“. 4 Church 1946: 133. Lewy (1976: 80–95) und Castañeda (1980, 62f.) schließen sich Churchs Vorschlag an. 5 Bereits Moore (1942: 664) hält dies für eine von mehreren adäquaten Formulierungen für eine Analyse. Siehe auch Pap 1955: 122f.

Churchs Auflösung des Paradoxes | 111

sein englisches Gegenstück) hingegen für Sinne.6 Im Einklang mit Churchs Verwendung meine ich mit „Begriff des F“ diejenige Art und Weise des Denkens an Fs, in der man an Fs als an Fs denkt. Ich möchte mit dieser Festlegung keine Analyse des Begriffs des Begriffs in Churchs Verstande des Ausdrucks liefern, auch wenn sie davon vielleicht nicht so weit entfernt ist. Der Zweck dieser Zurechtlegung liegt vielmehr darin, vom Begriff des F zu Recht als den Sinn von „F“ sprechen zu können. Demjenigen, der „Begriff“ zum Beispiel im Sinne einer Fähigkeit verwendet, bleibt dies verwehrt. Nun zur Sache: Nicht bloß ist Church zufolge die mit (1) ausgedrückte Proposition genauso informativ wie die Proposition, dass (2)

Der Morgenstern ist identisch mit dem Abendstern.

Auch der Grund dafür ist seiner Ansicht nach prinzipiell derselbe: Zwar haben die Ausdrücke für den Begriff des Bruders (alias männlichen Geschwisters) links und rechts vom Identitätsausdruck dieselbe BedeutungF, doch unterscheiden sie sich in ihrem Sinn. Man kann sich freilich fragen, ob die mit (1) ausgedrückte Propositionen nicht bereits deshalb informativ ist, weil sie die Existenz des Begriffs des Bruders impliziert. Aus analogen Gründen wäre jede Proposition informativ, in der es um die Identität zwischen Gegenstand A und Gegenstand B geht. Diese Art von Informativität würde die mit (1) ausgedrückte Proposition allerdings nicht informativer machen als die Identitätsproposition, dass der Begriff des Bruders identisch ist mit dem Begriff des Bruders. Mit dem Hinweis auf diese minimale Informativität würde man daher keine befriedigende Lösung des ersten Paradoxes liefern. Denn eine befriedigende Lösung muss dem Eindruck Rechnung tragen, dass manche Analysen wertvolle Informationen enthalten, die sich nicht auf fade Auskünfte über die Existenz gewisser Gegenstände reduzieren lassen. Im Folgenden ist „informativ“ daher in diesem substanziellen Sinn zu verstehen. Eine Konsequenz von Churchs Vorschlag im Rahmen seiner fregeanischen Semantik ist, dass in (1) auch „Bruder“ und „männliches Geschwister“ nicht denselben Sinn ausdrücken. Denn wenn sie es täten, hätten Freges Prinzip der Sinnkompositionalität zufolge auch „der Begriff des Bruders“ und „der Begriff des männlichen Geschwisters“ denselben Sinn. Church könnte diese Differenz im ausgedrückten Sinn mit Freges Theorie der indirekten Rede erklären, wie es

|| 6 Selbst bei Frege schleicht sich das ein oder andere Mal die Verwendung des Terms für Sinne ein (siehe Frege 1919a: 150; 1919b: 273).

112 | Church und das erste Paradox der Analyse

Morton White de facto tut:7 Wenn von der Äußerung eines Dritten in der Form „S sagte, dass …“ berichtet wird, haben Frege zufolge die Ausdrücke in dem dass-Satz nicht ihre gewöhnliche BedeutungF, sondern eine indirekte: Sie bedeuten das, was gewöhnlich ihr Sinn ist.8 Sie drücken hier auch nicht ihren gewöhnlichen Sinn aus, sondern einen indirekten Sinn. Sie sind also auf subtile Weise mehrdeutig (oder sollte man besser sagen „mehrsinnig“?). Welchen Sinn sie ausdrücken, hängt vom umgebenden Kontext ab. Kontexte, in denen sich die BedeutungF eines Ausdrucks auf die beschriebene Weise verschiebt, sind indirekte Kontexte. Hierzu zählt neben modalen Kontexten und Sätzen, mit denen mentale Zustände oder Akte zugeschrieben werden, auch der Kontext „Der Begriff des …“. In Churchs Augen unterscheidet sich der von den beiden Ausdrücken „Bruder“ und „männliches Geschwister“ im Kontext von (1) ausgedrückte indirekte Sinn, auch wenn ihr gewöhnlicher Sinn zusammenfällt.9 Der in diesem Kontext ausgedrückte indirekte Sinn von „Bruder“ (bzw. „männliches Geschwister“) ist kein anderer als der gewöhnliche Sinn der Phrase „Der Begriff des Bruders“ („Der Begriff des männlichen Geschwisters“).10 Zurück zu Churchs Grundidee. Sie besagt, dass die mit (1) ausgedrückte Proposition informativ ist, weil „der Begriff des Bruders“ und „der Begriff des männlichen Geschwisters“ – genauso wie „Bruder“ und „männliches Geschwister“ – in (1) zwar dieselbe BedeutungF haben, aber einen unterschiedlichen Sinn ausdrücken. Daraus folgt, dass (J)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters ist,

|| 7 Siehe White 1948: 306. 8 Frege selbst (1892: 37f.) spricht nicht von indirekter, sondern von ungerader BedeutungF. 9 Anthony Anderson (1987: 141–3) pflichtet Church bei. 10 Casimir Lewy fragt kritisch in Bezug auf diese Wendung: „[…] what is the sense of the word ‘Bruderʼ in it? White would have to claim that the word is here used obliquely, that is, that its sense is the sense of the phrase ‘Der Begriff des Brudersʼ. […] so what is the sense of the word ‘Bruderʼ here? White would have to claim that here the word has its oblique sense; and so on ad infinitum. A clear example of an infinite regress.“ (Lewy 1976: 91, ich habe offensichtlich die Beispiele geändert). Lewy ist jedoch gewiss unfair gegenüber White, wenn er ihm das geduldige Wiederholen seiner Antwort auf das beständige Stellen ein und derselben Frage als das Verwickeln in einen Regress vorwirft.

Churchs Auflösung des Paradoxes | 113

wahr ist.11 In (J) stehen „Bruder“ und „männliches Geschwister“ übrigens in einem indirekten Kontext zweiter Stufe. Gemäß der Standardauslegung von Freges Theorie bedeutenF diese Ausdrücke dann ihren indirekten Sinn erster Stufe und drücken ihren indirekten Sinn zweiter Stufe aus. Hiernach gilt ganz allgemein: Ein verwendeter Ausdruck in einem indirekten Kontext n-ter Stufe bedeutetF seinen Sinn n − 1-ter Stufe und drückt seinen indirekten Sinn n-ter Stufe aus.12 Auf diese Weise entsteht Freges Hierarchie von unendlich vielen indirekten Sinnen, auf die ich bald zurückkommen werde. Der Wahrheitswert von (J) steht offenbar im Gegensatz zum Wahrheitswert von (K)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des Bruders ist.

Denn (K) scheint falsch zu sein. Church ist wohl zudem darauf festgelegt, dass (K) falsch ist, da hier der Ausdruck links vom Identitätsausdruck derselbe ist wie rechts von ihm und daher auf seinen beiden Seiten derselbe Sinn ausgedrückt wird. Insofern „Bruder“ mit „männliches Geschwister“ synonym ist, stehen wir vor einem weiteren potenziellen Gegenbeispiel zu (ER). Nun kann man auf der Basis von Churchs Überlegungen bezweifeln, dass „Bruder“ und „männliches Geschwister“ synonym sind, d. h. dieselbe Bedeutungk haben. Wenn Church recht hat, bedeutenF „Bruder“ und „männliches Geschwister“ in (J) verschiedene Sinne, deren Unterschied Einfluss auf den Wahrheitswert von (J) hat. Daraus folgt aber, dass dieser Unterschied auch Einfluss auf die Bedeutungk von (J) hat (als diejenige semantische Eigenschaft von (J), die den Wahrheitswert des Satzes relativ zu einem Bewertungskontext determiniert). Dies wiederum spricht für eine Freundin von (Komp) dafür, dass dieser Unterschied mit einer Differenz in der Bedeutungk von „Bruder“ und „männliches Geschwister“ einhergeht und daher beim Übergang von (J) nach (K) ein für (ER) harmloser Austausch von nicht-synonymen Ausdrücken stattfindet (siehe die analoge Argumentation in Abschnitt 5.1). Daraus scheint übrigens zu folgen, dass „Bruder und „männliches Geschwister“ auch in (1) nicht synonym sind, schließlich drücken sie in (1) jeweils genau den Sinn aus, den sie in (J) bedeutenF. Falls die Prämissen des ersten || 11 Frege zufolge sind Wahrheitswertträger primär Propositionen und nicht Sätze. Da aber im Folgenden nichts davon abhängt, werde ich der Einfachheit halber auch weiterhin Sätzen Wahrheit und Falschheit zuschreiben. 12 Siehe Frege 1902: 236–7. In Frege 1892: 28 dagegen ist lediglich die Rede von der indirekten Bedeutung und dem indirekten Sinn. Dieser Unterschied ist Thema in Parsons 1981.

114 | Church und das erste Paradox der Analyse

Paradoxes von Synonymie als Gleichheit in der Bedeutungk handeln, muss demnach die zweite Prämisse aufgegeben werden.13 Die eben angestellten Überlegungen legen nahe, dass der ausgedrückte Sinn eines Ausdrucks, insofern er sich potenziell auf den Wahrheitswert eines ihn enthaltenden Satzes auswirken kann, auch Einfluss nimmt auf seine Bedeutungk. Sie legitimieren aber nicht den weitergehenden Schluss, dass die Bedeutungk eines Ausdrucks in einem Satz S dasselbe ist wie der Sinn, den er in S ausdrückt. Ausdrücke wie „und“ und „aber“ (oder „Köter“ und „Hund“) haben in Freges Augen denselben Sinn, aber sie haben nicht dieselbe Bedeutungk – so wie wir sie konzipiert haben. Denn in die Bedeutungk eines Ausdrucks geht seine kontextunabhängige Bedeutung ein (siehe Abschnitt 1.1.1) und diese variiert zwischen „und“ und „aber“. Auch Entscheidungsfragen und ihren deklarativen Gegenstücken sowie Sätzen mit und ohne vorangehendem Prolog „Es ist wahr, dass“ schreibt Frege denselben Sinn zu, doch wiederum teilen sie sich aus analogen Gründen nicht ihre Bedeutungk.14 Dieselben Beispiele illustrieren auch einen Unterschied zwischen ausgedrücktem Sinn und kontextunabhängiger alias sprachlicher Bedeutung. Church scheint sie zu übersehen, wenn er den ausgedrückten Sinn mit sprachlicher Bedeutung gleichsetzt: Briefly, the sense of a linguistic expression is its linguistic meaning, the meaning which is known to anyone familiar with the language and for which no knowledge of extralinguistic fact is required […].15

Falls Church hier sprachliche Bedeutung mit dem in einem Kontext ausgedrückten Sinn identifiziert und nicht mit gewöhnlichem Sinn, hat die Identifikation zudem die kontraintuitive Konsequenz, dass wann immer sich aufgrund einer Änderung im linguistischen Kontext der Sinn eines Ausdrucks verschiebt, auch seine sprachliche alias konventionelle Bedeutung variiert.

|| 13 Welche Prämisse des ersten Paradoxes Church zufolge fallengelassen werden muss, ist für die Bewertung von Churchs Lösungsvorschlag nicht entscheidend. Die Probleme mit seinem Vorschlag sind unabhängig von dem Verhältnis zwischen Sinngleichheit und Synonymie, wie von ihr in den Prämissen des Paradoxes die Rede ist. 14 Siehe dazu Künne 2010b: 535. Da „Köter“ und „Hund“ mit verschiedenen Weisen des Denkens an Canidae verbunden sind, sollte man den fregeschen Sinn eines Ausdrucks genauer als diejenige Art und Weise des Denkens an die BedeutungF des Ausdrucks konzipieren, die potenziell Einfluss nehmen kann auf den Wahrheitswert eines Satzes, der den Ausdruck als Konstituente enthält. 15 Church 1943: 301.

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Churchs Überlegungen zum indirekten Sinn liefern Anlass zu Zweifel, ob (K) das Resultat der Ersetzung eines Synonyms für „männliches Geschwister“ in (J) ist. Falls nicht, entsteht erst gar kein Problem für (ER). Im Folgenden möchte ich (ER) aber nicht verteidigen, indem ich auf der Basis von Churchs These vom Wahrheitswertunterschied zwischen (J) und (K) für die Nicht-Synonymie von „Bruder“ und „männliches Geschwister“ in (J) argumentiere, sondern indem ich Probleme für Churchs Begründung dieser These herausarbeite.

6.2 Ist der Begriff des indirekten Sinns unklar? Bevor ich mich diesen Problemen zuwende, möchte ich aber einen schlechten Einwand gegen seinen Vorschlag ausräumen. Gegen Freges Sinn-Hierarchie wurde oft vorgebracht, dass es unklar, ja mysteriös ist, was ein indirekter Sinn sein soll.16 Dieser Vorwurf schlägt natürlich auch auf Churchs Lösungsvorschlag durch. Nun mag man den Begriff des Sinns ganz allgemein für unklar halten und aus diesem Grunde auch den Begriff des indirekten Sinns. Diesen allgemeinen Vorwurf gegen den Begriff des Sinns werde ich hier nicht entkräften, obwohl ich einige erläuternde Winke zu diesem Begriff geben werde. Ich setze schlicht voraus, dass der Begriff des Sinns verständlich ist. Doch typischerweise speist sich der Einwand gegen den Begriff des indirekten Sinns nicht aus einem Unbehagen gegenüber dem Begriff des Sinns ganz allgemein. Der Begriff des gewöhnlichen Sinns wird für verständlich gehalten, lediglich der Begriff des indirekten Sinns bleibt angeblich im Nebel. Für eine solch unterschiedliche Haltung zum Begriff des gewöhnlichen Sinns einerseits und zum Begriff des indirekten Sinns andererseits gibt es allerdings keine Rechtfertigung. Der Sinn eines Ausdrucks ist eine Weise, an die BedeutungF des Ausdrucks zu denken. Diese Weise des Denkens an die BedeutungF eines Ausdrucks ist eine kognitive Perspektive auf die BedeutungF und wird durch den Ausdruck ausgedrückt. Das eben Gesagte gilt sowohl vom gewöhnlichen als auch vom indirekten Sinn. Wer es für noch weiter erläuterungsbedürftig oder gar dunkel hält, sollte also statt mit zweierlei Maß zu messen, sowohl an der Verständlichkeit des Begriffs des indirekten Sinns als auch an der des Begriffs des gewöhnlichen Sinns zweifeln. Ein indirekter Sinn eines Ausdrucks ist immer eine Art des Denkens an einen Sinn. Für „Der Sinn A ist eine Art und Weise des Denkens an die

|| 16 Siehe z. B. Carnap 1947: 129–30 und Dummett 1973: 267.

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BedeutungF B“ können wir abkürzend sagen: „A präsentiert B.17 Der gewöhnliche Sinn präsentiert im Gegensatz zum indirekten Sinn nicht immer einen Sinn. Der entscheidende Unterschied liegt also lediglich in der Art des Gegenstandes, an den auf eine bestimmte Weise gedacht wird, auf den man eine bestimmte kognitive Perspektive einnimmt. Man kann nicht die Rede von der Art des Denkens an etwas oder der kognitiven Perspektive auf etwas zwar im Allgemeinen verstehen, aber in Ahnungslosigkeit verfallen, wenn es um eine Art und Weise des Denkens an einen Sinn oder um eine kognitive Perspektive auf einen Sinn geht. Nicht bloß an Katzen, Schmerzen und Zahlen lässt sich auf eine bestimmte Art und Weise denken, sondern auch an Sinne. Man kann also nicht mit guten Gründen der Rede von der Art und Weise des Denkens an Katzen, Schmerzen oder Zahlen Verständlichkeit attestieren, aber die Rede von der Weise des Denkens an Sinne ins Reich der Mystik verbannen. Zudem präsentiert manchmal auch der gewöhnliche Sinn eines Ausdrucks einen Sinn, zum Beispiel der gewöhnliche Sinn des Ausdrucks „Der Begriff des Baums“. Wer die Rede vom gewöhnlichen Sinn dieses Ausdrucks für verständlich hält, sollte die Rede vom indirekten Sinn erster Stufe von „Baum“ nicht aus Gründen der Unklarheit schmähen. Der indirekte Sinn erster Stufe von „Baum“ ist schließlich kein anderer als der gewöhnliche Sinn von „Der Begriff des Baums“.18 Manchmal wird geklagt, dass wir vom indirekten Sinn erster Stufe, den ein Ausdruck in einem indirekten Kontext erster Stufe ausdrückt, in Freges Theorie bloß erfahren, dass er den gewöhnlichen Sinn des Ausdrucks präsentiert. Nun präsentieren aber unendlich viele Sinne ein und dieselbe BedeutungF. Russell schreibt dazu: „[…] there is no backward road from denotations to meanings.“19 Freges Theorie sagt uns also nicht, so das Lamento, genau welcher von all den Sinnen, die den gewöhnlichen Sinn des Ausdrucks präsentieren, der indirekte Sinn des Ausdrucks ist, er bleibt stattdessen unbestimmt. Vor dem Hintergrund

|| 17 Siehe Künne 2010a: 201. 18 Bereits Holland (1978) weist mit einer Überlegung dieser Art den Vorwurf der Unklarheit zurück. 19 Russell 1905: 487. „Meaning“ ist Russells Ausdruck für Sinn. Das Zitat ist Teil eines komplexen Arguments, das sich anscheinend gegen Freges Unterscheidung zwischen Sinn und BedeutungF richtet. Ich teile allerdings Dummetts Einschätzung, der das Argument für „extremely confused“ (1973: 267) hält, und glaube nicht, dass nach Beseitigung aller Unklarheiten ein stichhaltiger Einwand gegen Frege übrig bleibt. Simon Blackburn & Alan Code (1978: 65–77) sind anderer Auffassung. Seit einiger Zeit scheint übrigens die Meinung vorzuherrschen, dass Russells Argument nicht Frege trifft, sondern lediglich den frühen Russell der Principles of Mathematics, siehe etwa Michael Kremer 1994: 249–97.

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der Bemerkungen im letzten Absatz ist diese Beschwerde allerdings unberechtigt. Der indirekte Sinn erster Stufe eines generellen Terms „F“ ist der Begriff des Begriffs des F. Er ist von den unendlich vielen Weisen des Denkens an den Begriff des F (alias den gewöhnlichen Sinn von „F“) genau diejenige, in der man an ihn als an den Begriff des F denkt. Von Sätzen in indirekten Kontexten erster Stufe schreibt Frege, dass sie „den Sinn der Worte ‘der Gedanke, dass ….ʼ“20 ausdrücken. Der indirekte Sinn erster Stufe eines Satzes „p“ ist daher ganz analog der Begriff des Gedankens, dass p. Kripkes Reflexionen zur fregeschen Sinn-Hierarchie lässt sich eine zweite Antwort auf den Vorwurf der Unbestimmtheit entnehmen. Betrachten wir zunächst (3)

Der gewöhnliche Sinn von „Redundanz“.

(3) bezeichnet den gewöhnlichen Sinn von „Redundanz“ und drückt einen Sinn aus, der diesen Sinn präsentiert. Ist der gewöhnliche Sinn von (3) vielleicht der indirekte Sinn von „Redundanz“? Kripkes Antwort lautet völlig zu Recht nein. Um den gewöhnlichen Sinn von (3) zu kennen, muss man nicht den gewöhnlichen Sinn von „Redundanz“ kennen. Wäre der gewöhnliche Sinn von (3) der indirekte Sinn von „Redundanz“, könnte man daher „Redundanz“ in einem indirekten Kontext erster Stufe verstehen, ohne seinen gewöhnlichen Sinn zu kennen. Kripke schreibt dazu völlig zu Recht: „But this consequence is plainly absurd.“21 Er zieht daraus den folgenden Schluss: Etwas ist nur dann ein indirekter Sinn erster Stufe eines Ausdrucks, wenn er „immediately revelatory“ (unmittelbar enthüllend) ist. Der Sinn eines Ausdrucks „A“ ist genau dann unmittelbar enthüllend, wenn man ihn nicht fassen kann, ohne zu wissen, was A ist.22 Der gewöhnliche Sinn von „Die Anzahl der Todsünden“ ist zum Beispiel nicht unmittelbar enthüllend. Man kann ihn fassen, ohne zu wissen, was die Anzahl der Todsünden ist. Der gewöhnliche Sinn von „Sieben“ hingegen ist unmittelbar enthüllend. Wer ihn fasst, weiß, was Sieben ist. Der gewöhnliche Sinn von (3) ist demnach nicht unmittelbar enthüllend. Man kann ihn fassen, ohne zu wissen, was der gewöhnliche Sinn von „Redundanz“ ist. Vergleichen wir (3) mit (4)

Der gewöhnliche Sinn von „Redundanz“ ist Redundanz.

|| 20 Frege 1892: 37. 21 Kripke 2008: 186. 22 Künne (2010a: 288; 2010b: 539) bezeichnet Ausdrücke, deren gewöhnlicher Sinn unmittelbar enthüllend ist, als transluzent.

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Der kursivierte Ausdruck in (4) bezeichnet genauso wie (3) den gewöhnlichen Sinn von „Redundanz“.23 Der gewöhnliche Sinn des kursivierten Ausdrucks in (4) präsentiert also (wie auch der gewöhnliche Sinn von (3)) den gewöhnlichen Sinn von „Redundanz“. Der gewöhnliche Sinn des kursivierten Ausdrucks in (4) ist Kripke zufolge aber im Gegensatz zum gewöhnlichen Sinn von (3) unmittelbar enthüllend. Man kann ihn seiner Ansicht nach nicht fassen, ohne zu wissen, was der gewöhnliche Sinn von „Redundanz“ ist. Wir können die folgende Lehre ziehen: Der indirekte Sinn erster Stufe von α ist derjenige Sinn, der den gewöhnlichen Sinn von α präsentiert und unmittelbar enthüllend ist. Kürzer formuliert: Der indirekte Sinn erster Stufe von α ist der Sinn, der den gewöhnlichen Sinn von α unmittelbar enthüllt.24 Die Entgegnung auf den Vorwurf der Unbestimmtheit lautet also: Der indirekte Sinn erster Stufe eines Ausdrucks „A“ ist von all den Sinnen, die den gewöhnlichen Sinn dieses Ausdrucks präsentieren, derjenige, der den gewöhnlichen Sinn unmittelbar enthüllt, d. i. derjenige Sinn, den man nicht fassen kann, ohne zu wissen, was der gewöhnliche Sinn von „A“ ist. Die beiden angegebenen Antworten auf den Vorwurf der Unbestimmtheit konkurrieren nicht miteinander, sondern stehen in einer engen Beziehung zueinander: Man denkt an den Begriff des F als an den Begriff des F genau dann, wenn man denjenigen Sinn fasst, der den Begriff des F (den gewöhnlichen Sinn von „F“) unmittelbar enthüllt. Wie bereits gesagt wäre es absurd anzunehmen, dass es möglich ist, einen Ausdruck in einem indirekten Kontext, aber nicht in einem gewöhnlichen Kontext zu verstehen. Jede Theorie des indirekten Sinns muss erklären können, warum man den indirekten Sinn erster Stufe eines Ausdrucks nicht kennen kann, ohne seinen gewöhnlichen Sinn zu kennen. Die Konzeption des indirekten Sinns erster Stufe als Begriff eines Begriffs oder eines Gedankens liefert immerhin den ersten Schritt zu einer solchen Erklärung.25 Um zum Beispiel den indirekten Sinn erster Stufe des generellen Terms „F“ zu kennen, muss man den Begriff des Begriffs des F erfassen. Diesen kann man aber nicht erfassen, ohne zugleich den Begriff des F zu erfassen. Der Begriff des F ist der gewöhnliche Sinn von „F“. Wer den indirekten Sinn erster

|| 23 Das Beispiel stammt nicht von Kripke, sondern ähnelt einem Beispiel in Künne 2010b: 550. 24 Kripke behauptet nicht explizit, dass die unmittelbare Enthüllung des gewöhnlichen Sinns von α nicht bloß notwendig dafür ist, der indirekte Sinn erster Stufe von α zu sein, sondern auch hinreichend ist. Dass sie auch hinreichend ist, ist allerdings äußerst plausibel. 25 Kripkes Antwort auf den Vorwurf der Unbestimmtheit trägt nach meinem Dafürhalten indirekt über ihre Beziehung zu dieser Konzeption zu einer solchen Erklärung bei. Ich werde diesem Punkt aber hier nicht weiter nachgehen.

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Stufe von „F“ kennt, hat also auch die konzeptionellen Ressourcen, um den gewöhnlichen Sinn von „F“ zu kennen. Um den gewöhnlichen Sinn von „F“ zu kennen, bedarf es natürlich noch mehr als den Begriff des F zu erfassen. Man muss diesen Begriff zudem mit „F“ verknüpfen. Sowohl die Konzeption des indirekten Sinns erster Stufe als Begriff eines Begriffs oder eines Gedankens als auch die Konzeption des indirekten Sinns erster Stufe als Sinn, der den gewöhnlichen Sinn unmittelbar enthüllt, führen allerdings auch zu einem neuen Unbehagen. Der ersten Konzeption zufolge muss man den Begriff des Begriffs und des fregeschen Gedankens erfassen, um den Sinn von Ausdrücken in indirekten Kontexten zu kennen. Gemäß der zweiten, kripkeschen Konzeption hat die Kenntnis des indirekten Sinns erster Stufe von α das Wissen zur Folge, was der gewöhnliche Sinn von α ist. Es scheint aber, dass man dieses Wissen nur haben kann, wenn man weiß, dass der gewöhnliche Sinn von α [α] ist.26 Demnach muss man für die Kenntnis des Sinns von Ausdrücken in indirekten Kontexten erster Stufe den Begriff des gewöhnlichen Sinns erfassen. Verfügen aber kleine Kinder, sobald sie Zuschreibungen propositionaler Zustände oder Akte verstehen, bereits über die Fähigkeit, den Begriff des Begriffs und des fregeschen Gedankens oder den Begriff des Sinns zu fassen?27 Falls sich hier ein Problem für Freges Theorie anbahnt, ist es jedenfalls keines, woran lediglich seine Theorie leidet. Wohl die meisten gegenwärtigen Theorien des sprachlichen Verstehens, von Chomskys bis Davidsons Modell, setzen für das Verstehen das Erfassen höchst komplexer Begriffe voraus. In der Tat stellt Freges Theorie im Vergleich zu diesen Theorien noch recht bescheidene begriffliche Anforderungen für das Verstehen. Ob die Berufung auf implizites Erfassen relevanter Begriffe eine Lösung des aufgeworfenen Problems ist, kann hier nicht erörtert werden. Es gibt eine Reaktion auf den Vorwurf der Unklarheit, die sich für einen Anhänger von Churchs Lösung selbstredend verbietet, nämlich Michael Dummetts Vorschlag zu folgen und auf die Kategorie des indirekten Sinns zu verzichten.28 Dummett vereinfacht Freges Theorie mit der Annahme, dass ein Ausdruck in einem indirekten Kontext egal welcher Stufe seinen gewöhnlichen

|| 26 Ein Ausdruck in eckigen Klammern bezeichnet den gewöhnlichen Sinn dieses Ausdrucks. Schiffer 2003, Kap.3 tritt diesem Eindruck mit gewichtigen Argumenten entgegen. Siehe auch Evans 1981. 27 Das zugrunde liegende Problem ergibt sich offensichtlich auch dann, wenn man davon ausgeht, dass der indirekte Sinn erster Stufe eines Ausdrucks α der Begriff des gewöhnlichen Sinns von α ist. 28 Dummett 1973: 267.

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Sinn sowohl ausdrückt als auch bedeutetF. Dieser Vorschlag ist allerdings – wie Dummett später selbst einräumt – ohnehin nicht vereinbar mit Freges Konzeption des Sinns als etwas, „worin die Art des Gegebenseins enthalten ist“29 und das ich als Art des Denkens bezeichnet habe.30 Würde ein Ausdruck in einem bestimmten Kontext sowohl seinen gewöhnlichen Sinn ausdrücken als auch bedeutenF, würde er in diesem Kontext eine Art des Gegebenseins eben dieser Art des Gegebenseins ausdrücken. Dies ist jedoch absurd. Kein Gegenstand kann identisch mit einer Art sein, in der er jemandem gegeben ist. Mit anderen Worten: Keine Art des Denkens kann identisch sein mit dem, an das man in dieser Art des Denkens denkt. Insofern man Freges Annahme akzeptiert, dass Ausdrücke in einem indirekten Kontext erster Stufe ihren gewöhnlichen Sinn bedeutenF und einen Sinn ausdrücken, sollte man den ausgedrückten Sinn also nicht mit dem gewöhnlichen Sinn identifizieren.31

6.3 Das Erlernen indirekter Sinne Es gibt ernstere Probleme hinsichtlich indirekter Sinne als die eben besprochenen Einwände. Davidson hat gegen Freges Sinn-Hierarchie eingewendet, dass eine Sprache, in der Ausdrücke unendlich viele Sinne haben, und in der das Erlernen einer endlichen Menge von Sinnen nicht hinreicht, um alle Sinne zu erlernen, nicht von endlichen Wesen wie uns erlernt werden kann.32 Natürliche

|| 29 Frege 1892: 26. 30 Dummett schreibt: „On the […] conception of sense, as the mode of presentation of the referent, an expression which has different referents in different occurrences must also have different senses“ (1981: 99). Er setzt hier voraus, dass der Sinn eines Ausdrucks, konzipiert als Präsentationsweise, die BedeutungF des Ausdrucks determiniert. 31 Dummett schiebt Frege noch eine zweite Konzeption des Sinns als konventionelle Signifikanz unter, die Sinn in die Nähe der sprachlichen Bedeutung rückt und mit seiner Vereinfachung von Freges Theorie vereinbar ist. Aus den im Abschnitt 6.1. genannten Gründen halte ich eine solche Frege-Interpretation allerdings letztlich nicht für gerechtfertigt. 32 Siehe Davidson 1965: 14–5. Genau genommen befindet er lediglich eine Sprache mit unendlich vielen semantisch primitiven Ausdrücken für nicht erlernbar. Einen Ausdruck bezeichnet er als semantisch primitiv, wenn die Bedeutung von Sätzen, in denen er vorkommt, nicht von den Regeln für die Bedeutung von Sätzen, in denen er nicht vorkommt, festgelegt wird (1965: 9). Der Ausdruck „männliches Geschwister“ etwa wäre demnach nicht semantisch primitiv, da die Bedeutung von Sätzen, in denen er auftritt, von den Regeln für die Bedeutung (oder schlicht von der Bedeutung) von Sätzen, in denen „männlich“ aber nicht „Ente“ vorkommt und der Bedeutung von Sätzen mit „Ente“ aber nicht „männlich“ festgelegt wird. Davidsons Überlegung zur Nicht-Erlernbarkeit einer Sprache mit unendlich vielen primitiven Ausdrücken

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Sprachen können aber im Prinzip von uns erlernt werden. Also gibt es in ihnen keine Sinn-Hierarchie von der beschriebenen Art. Zwar ist Churchs Lösung genaugenommen nicht auf die Existenz einer unendlichen Hierarchie von indirekten Sinnen angewiesen. Church könnte Dummetts Vereinfachung von Freges Theorie auf der Ebene des indirekten Sinns erster Stufe kopieren, sodass ein Ausdruck in einem indirekten Kontext zweiter Stufe, wie „Bruder“ in (4), seinen indirekten Sinn erster Stufe sowohl bedeutetF als auch ausdrückt. Die Kritik an Dummetts radikales Zusammenstutzen indirekter Sinne überträgt sich jedoch auch auf diese Idee. Im Übrigen ist sie nichts Halbes und nichts Ganzes: Manche Verschiebungen der BedeutungF gehen ihr zufolge mit einer Sinnverschiebung einher, andere nicht. Sie ist ein fauler Ausweg aus Davidsons Dilemma. Kripke hat auf ein noch grundlegenderes Problem als Davidson aufmerksam gemacht: Für das Erlernen einer natürlichen Sprache muss man nicht zusätzlich zum gewöhnlichen Sinn einen völlig neuen Sinn, den indirekten Sinn von Ausdrücken, erlernen. Also ist eine Sprache, in der Ausdrücke neben dem gewöhnlichen Sinn noch einen indirekten Sinn haben, keine natürliche Sprache.33 Formulieren wir diesen Gedanken ein wenig aus. Nehmen wir an, dass wir bereits Sätze der Form „S φ’t, dass p“ verstehen. Der Platzhalter „φ“ soll durch Stämme von Verben für propositionale Akte (wie Denken, dass p, und Urteilen, dass p) oder Zustände (wie Glauben, dass p, und Bezweifeln, dass p) ersetzt werden. Die Ausdrücke in dem dass-Satz einer solchen Zuschreibung sind damit Teil eines indirekten Kontextes und drücken Frege und Church zufolge einen indirekten Sinn aus. Nehmen wir ferner an, dass wir auch einen bestimmten Ausdruck α verstehen, genauer: dass wir seinen gewöhnlichen Sinn erlernt haben. Wir wurden aber noch nie mit einem Satz der Form ˹S φ’t, dass … α …˺ konfrontiert. Dennoch sollten wir unter den gemachten Annahmen keine

|| lässt sich allerdings leicht auf eine Sprache mit unendlich vielen Sinnen, die nicht alle in endlicher Zeit erfasst werden können, übertragen. 33 Siehe Kripke 2008: 184–5. Während es eine diskussionswürdige Frage ist, ob Burge (2004: 167–210) einen Ausweg aus Davidsons Problem der Lernbarkeit findet, steht es wohl außer Frage, dass sein Ansatz Kripkes Einwand zum Opfer fällt. In seiner Formalisierung einer natürlichen Sprache mit einer Sinn-Hierarchie führt er zusätzlich zu semantisch primitiven Ausdrücken, die keinen Sinn bedeutenF, semantisch primitive Ausdrücke für die (gewöhnlichen) Sinne jener Ausdrücke ein. Wie ihm selbst klar ist, hat er auf diese Weise die Anzahl der primitiven Ausdrücke verdoppelt (Burge 2004: 174). Um einen natürlichsprachlichen Ausdruck in einem indirekten Kontext zu verstehen, muss man demnach einen neuen Sinn erfassen, so als wäre es der Sinn eines anderen primitiven Ausdrucks.

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Schwierigkeiten haben, den Ausdruck α in einem Satz dieser Form zu verstehen. Wir müssen dafür keinen neuen Sinn erlernen. Das Verständnis von Operatoren der Form „S φ’t, dass“ und des Ausdrucks α reicht für das Verständnis von α in Sätzen der Form: ˹S φ’t, dass … α …˺ völlig hin.

6.3.1 Kripkes Rettungsversuch Kripke glaubt, sowohl die von ihm selbst aufgeworfene Schwierigkeit als auch Davidsons Problem lösen zu können. Er versucht, mit beiden Problemen zugleich fertig zu werden, indem er Frege eine implizite Berufung auf russellsche Bekanntschaft zuschreibt: My suggestion […] is that Frege, like Russell, has a doctrine of direct acquaintance. Every time we determine a referent, we are introspectively acquainted with how the referent is determined, and that is the corresponding sense. And our introspective acquaintance with this sense gives us a way of determining it, and of referring to it, and this is the indirect sense. Thus the Fregean hierarchy of indirect senses, doubly indirect senses, and the like is given this way. Each level of the hierarchy is the acquaintance-sense of the previous level.34 […] Everyone who specifies a reference must do so in some way. Then, by her awareness of how she has specified the reference, she is aware of the way the reference is fixed, and hence is aware of the sense.35

Zu jedem Zeitpunkt, zu dem wir die gewöhnliche BedeutungF eines Ausdrucks bestimmen und so den gewöhnlichen Sinn eines Ausdrucks erfassen,36 sind wir Kripkes Frege zufolge den gewöhnlichen Sinn unmittelbar gewahr; wir sind mit ihm in russellscher Weise bekannt, kurz: bekanntR. BekanntschaftR ist für Kripke keine Disposition, sondern eine Beziehung, in der man nur zu dem Zeitpunkt, zu dem man die gewöhnliche BedeutungF eines Ausdrucks bestimmt, zu dem gewöhnlichen Sinn des Ausdrucks steht. Dies zeigt sich in Kripkes Diskussion von Jetzt-Gedanken (Gedanken, die mithilfe eines indexikalischen Elements (wie „jetzt“), mit dem man auf den Zeitpunkt der Äußerung und nur auf ihn Bezug nimmt, ausgedrückt werden). Er schreibt Frege die These zu, dass

|| 34 Kripke 2008: 199. 35 Kripke 2008: 215. 36 „Das Erfassen eines Sinnes“ soll im Kontext meiner Diskussion von Kripkes Vorschlag im Sinne eines Vorgangs und nicht etwa dispositional gedeutet werden. Zum unterschiedlichen Gebrauch von „Erfassen“ bei Frege siehe Künne 1995: 369–70.

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man, um einen zum Zeitpunkt t ausgedrückten Jetzt-Gedanken zu fassen, mit t bekanntR sein muss. Kripke zufolge kann man aber nur zu t mit t bekanntR sein.37 Kripke fährt folgendermaßen fort: „And our introspective acquaintance with this sense gives us a way of determining it […].“ 38 Dies scheint auf Folgendes hinauszulaufen: Wenn wir mit dem gewöhnlichen Sinn eines Ausdrucks bekanntR sind, dann kennen wir seinen indirekten Sinn erster Stufe, der den gewöhnlichen Sinn determiniert.39 Doch wie gelangen wir gemäß dieser Interpretation zum indirekten Sinn zweiter Stufe? Es scheint, dass wir dafür erst den indirekten Sinn erster Stufe fassen müssen, denn dann sind wir Kripke zufolge mit ihm bekanntR und kennen daher den indirekten Sinn zweiter Stufe. Das Problem besteht nun darin, dass wir mit diesem Vorschlag jedenfalls Davidsons Einwand weiterhin ausgeliefert sind. Wir müssten unendlich viele indirekte Sinne erfassen, um die indirekten Sinne, die sie determinieren, zu erlernen. Aber dies ist für endliche Wesen wie uns unmöglich. Um diesem Problem fürs Erste zu entgehen, muss man Kripke wohl folgendermaßen verstehen: Wenn wir mit dem gewöhnlichen Sinn bekanntR sind, dann erfassen wir den indirekten Sinn erster Stufe. Wenn wir ihn fassen, sind wir auch mit ihm bekanntR, und in der BekanntschaftR mit ihm erfassen wir wiederum den indirekten Sinn zweiter Stufe. Auch mit diesem sind wir bekanntR und fassen deshalb zudem den indirekten Sinn dritter Stufe usw. Laut dieser Interpretation ist Kripkes Vorschlag zugleich eine Antwort auf Davidsons als auch auf seinen eigenen Einwand. Wenn er mit dem so ausgelegten Vorschlag richtig liegt, kann er Davidson entgegenhalten, dass wir die unendlich vielen fregeschen Sinne alle auf einen Schlag erlernen können, und zudem erklären, wie das Fassen des gewöhnlichen Sinns eines Ausdrucks und das Verständnis von indirekten Kontexten hinreichen, um den Ausdruck in solchen Kontexten zu verstehen. Aber auch unter dieser Interpretation leuchtet Kripkes Vorschlag nicht ein. Er läuft so verstanden darauf hinaus, dass wir gleichzeitig mit unendlich vielen

|| 37 Siehe Kripke 2008: 202ff. 38 Sicherlich sind wir nicht auf introspektive Weise mit einem Sinn bekanntR, wie Kripke schreibt. Dafür müsste der Sinn ein psychischer und kein abstrakter Gegenstand sein. Siehe Künne 2010b: 547. 39 Wo ich bislang von der Präsentation einer BedeutungF eines Ausdrucks durch seinen Sinn gesprochen habe, redet Kripke von Determination. Solange es um die Diskussion von Kripkes Überlegungen geht, werde ich es ihm gleichtun, ohne mich damit auf die Korrektheit dieser Redeweise festzulegen.

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Sinnen bekanntR sind und unendlich viele Sinne erfassen. Dies ist aber unter einem nicht-dispositionalem Verständnis von „BekanntschaftR“ unmöglich. Die bisherigen Bedenken gegen Kripkes Verteidigung von Frege stellen sich zwar nicht, wenn man statt unendlich vieler nur einen indirekten Sinn annimmt. Doch auch als Unterstützung einer Theorie mit genau einem indirekten Sinn gegen seinen eigenen Einwand wirft sie eine Reihe von Problemen auf, unabhängig davon, welche der beiden besprochenen Interpretationen man zugrunde legt. Sie besteht im Wesentlichen aus einer Aneinanderreihung spekulativer und nicht weiter begründeter Annahmen. Was spricht zum Beispiel dafür, dass wir mit einem gewöhnlichen Sinn bekanntR sind, wenn wir ihn fassen? Kripke schweigt sich dazu aus. Führen wir uns auch den bereits mehrfach zitierten Satz von Kripke noch einmal vor Augen: „And our introspective acquaintance with this sense gives us a way of determining it, and of referring to it, and this is the indirect sense.“ Kripke erläutert nicht, warum uns die BekanntschaftR mit dem gewöhnlichen Sinn (in dem einen oder anderen erläuterten Sinn) eine Bestimmungsweise dieses Sinnes liefert. Vielleicht sind wir Kripke zufolge nur dann mit einem Sinn bekanntR, wenn wir an ihn denken. Die Weise, in der wir an ihn denken, wäre dann seine Bestimmungsweise, der Sinn, der ihn determiniert. Eine solche Erläuterung ist selbst mit Problemen behaftet.40 Wie dem auch sei, sie macht uns jedenfalls noch nicht verständlich, warum uns die BekanntschaftR mit dem gewöhnlichen Sinn von α ausgerechnet diejenige der unzähligen Bestimmungsweisen dieses Sinnes beschert, die zugleich der indirekte Sinn erster Stufe von α ist. Weder gibt Kripke Gründe für diese Annahme noch vermag ich gute Gründe für sie zu erkennen. Fassen wir zusammen: Wie man Kripkes noblen Beistand für Frege auch dreht und wendet, mit ihm räumt man weder Davidsons Einwand aus noch entkräftet man mit ihm seinen eigenen Einwand.41

|| 40 So scheint jedenfalls für Russell BekanntschaftR mit x nicht immer ein bestimmtes Denken an x zu sein. Die BekanntschaftR zu einer Universalie nennt er „conceiving“ (Russell 1925: 212). Mit „conceiving“ ist aber eher ein Erfassen als ein Denken an gemeint. Und vermutlich ist die These, dass ich in der Wahrnehmung zu t mit einem Sinnesdatum bekanntR bin, vereinbar damit, dass ich zu t nicht an dieses Sinnesdatum denke. Darüber hinaus ist es fraglich, ob BekanntschaftR mit x zu t verträglich damit ist, zu t an x unter einem bestimmten Begriff (Sinn) zu denken. Viele halten BekanntschaftR mit x für ein Gewahrsein von x, bei dem man x gerade nicht unter einen bestimmten Begriff subsumiert. 41 Kripke motiviert seinen Vorschlag anhand von Freges Theorie der Anführung. Denn auch dieser Theorie zufolge gibt es unendlich viele Sinne eines Ausdrucks, genauer unendlich viele Anführungssinne, und Kripke glaubt, dass auch für das Erfassen dieser unendlich vielen Sinne

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6.3.2 Ein zweiter Anlauf Man kann Frege einfacher zur Seite springen, als Kripke es tut. Frege sollte dem Eindruck entgegentreten, dass aus seiner Theorie folgt, dass das Verständnis eines bestimmten (nicht in einem indirekten Kontext eingebetteten) Ausdrucks und eines Operators der Form „S φ’t, dass“ noch nicht hinreicht, um den Ausdruck im Skopus dieses Operators zu verstehen und dafür vielmehr ein neuer Sinn, der indirekte Sinn erster Stufe, erlernt werden muss. Dieser Eindruck ist einem falschen Bild von indirekten Sinnen geschuldet, das ihnen eine größere Autonomie gegenüber gewöhnlichen Sinnen zuspricht, als sie de facto haben. Es stimmt zwar, dass Frege zufolge der indirekte Sinn erster Stufe eines Ausdrucks ein anderer ist als sein gewöhnlicher Sinn. Und es erscheint auch plausibel, dass man den indirekten Sinn erster Stufe eines Ausdrucks noch nicht kennt, bloß weil man seinen gewöhnlichen Sinn erlernt hat, d. h. den Ausdruck versteht, wenn er nicht in einem indirekten Kontext eingebettet ist (mehr dazu später). Aber dies schließt nicht aus, dass man den indirekten Sinn erster Stufe eines Ausdrucks erlernt, just indem man seinen gewöhnlichen Sinn und einen bestimmten weiteren gewöhnlichen Sinn erlernt. Freges Theorie ist damit vereinbar, dass man den indirekten Sinn erster Stufe eines Ausdrucks erlernt, indem man bestimmte gewöhnliche Sinne erlernt. Frege kann Kripke also ohne Mühe die folgende Annahme zugestehen: (Erlernen des indirekten Sinns erster Stufe) Für alle Ausdrücke α gilt: Die Kenntnis des gewöhnlichen Sinns von α und des gewöhnlichen Sinns eines Operators der Form „S φ’t, dass“ reicht hin, um den indirekten Sinn erster Stufe von α zu kennen.42

Ich glaube zwar nicht, dass es für die Auflösung von Kripkes Problem erforderlich ist, diese Annahme genau zu erläutern. Schließlich hat Kripke keinen guten

|| so etwas wie die Beziehung der BekanntschaftR ins Spiel kommt. Doch Kripkes Überlegungen zur Anführung helfen bei keinem der aufgeworfenen Probleme für seinen Vorschlag zur Verteidigung indirekter Sinne weiter. Wir dürfen sie daher in unserem Zusammenhang getrost übergehen. Ich halte sie gerade aufgrund des Rückgriffs auf den Begriff des Gewahrseins ohnehin für unplausibel. 42 Unter Rückgriff auf den Begriff des Verstehens formuliert: Für alle Ausdrücke α gilt: Wer α versteht, wenn α nicht in einem indirekten Kontext eingebettet ist, und einen Operator der Form „S φ’t, dass“ versteht, der versteht α im Skopus dieses Operators.

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Grund gegen sie geliefert. Aber eine nähere Erläuterung hilft uns, um Davidson etwas Wind aus den Segeln zu nehmen. Davidson bestreitet zu Recht, dass eine Sprache mit einer unendlichen Sinn-Hierarchie, in der die Kenntnis einer endlichen Anzahl von Sinnen nicht hinreicht, um alle Sinne zu kennen, von endlichen Wesen wie uns erlernt werden kann. Frege sollte demnach bestreiten, dass die Kenntnis einer endlichen Menge von Sinnen nicht hinreicht, um alle Sinne zu kennen. Vielmehr reicht die Kenntnis des indirekten Sinns erster Stufe eines Ausdrucks für die Kenntnis seines indirekten Sinns beliebiger Stufe hin. Das Gegenteil zu glauben, hieße, indirekten Sinnen zweiter und höherer Stufe eine größere Autonomie gegenüber indirekten Sinnen erster Stufe zu attestieren, als sie de facto haben. In der Tat ist die Abhängigkeit vom indirekten Sinn erster Stufe größer als dessen Abhängigkeit vom gewöhnlichen Sinn. Während man den gewöhnlichen Sinn eines Ausdrucks kennen kann, ohne zugleich seinen indirekten Sinn erster Stufe zu kennen, kann man seinen indirekten Sinn erster Stufe nicht kennen, ohne zugleich seinen indirekten Sinn n-ter Stufe (n > 1) zu kennen. Um uns an eine Untermauerung für diese Antwort auf Davidson heranzutasten, werfen wir zunächst mehr Licht auf (Erlernen des indirekten Sinns erster Stufe). Was ist für die Kenntnis des gewöhnlichen Sinns von Operatoren der Form „S φ’t, dass“ erforderlich? Um den gewöhnlichen Sinn eines solchen Operators zu kennen, muss man den gewöhnlichen Sinn eines Satzes der Form „S φ’t, dass p“ kennen, in dem dieser Operator eingebettet ist. Um den gewöhnlichen Sinn eines solchen Satzes zu kennen, muss man den Sinn kennen, den die Ausdrücke in dem dass-Satz haben. Man muss also den indirekten Sinn erster Stufe dieser Ausdrücke kennen. Um zu (Erlernen des indirekten Sinns erster Stufe) zu gelangen, benötigen wir nun die folgende Annahme: Wer den indirekten Sinn erster Stufe eines Ausdrucks kennt, kennt den indirekten Sinn erster Stufe jeden Ausdrucks, dessen gewöhnlichen Sinn sie oder er kennt. Mit anderen Worten: (Kenntnisausbreitung) Wer den indirekten Sinn erster Stufe irgendeines Ausdrucks kennt, kennt den indirekten Sinn erster Stufe jeden Ausdrucks, dessen gewöhnlichen Sinn sie oder er kennt.

Von allen indirekten Sinnen erster Stufe von Ausdrücken, dessen gewöhnlichen Sinn man kennt, gilt also: Kennt man einen, kennt man alle. Um den indirekten Sinn erster Stufe eines Ausdrucks „a“ zu kennen, muss man den Begriff des Begriffs des a erfassen können. Zusammen mit (Kenntnisausbreitung) folgt daraus, dass wer die Fähigkeit hat, den Begriff eines be-

Das Erlernen indirekter Sinne | 127

stimmten Begriffs [a] zu erfassen, auch die Fähigkeit hat, den Begriff jedes anderen Begriffs [b] zu erfassen, den man bereits in der Lage ist zu erfassen. Wie lässt sich diese Konsequenz rechtfertigen? Ganz allgemein gilt: (Begriffs-Kompo) Man verfügt über die Fähigkeit, einen komplexen Begriff zu fassen genau dann, wenn man über die Fähigkeit verfügt, seine Komponenten zu erfassen und sie zu dem komplexen Begriff zu kombinieren.

Wer also in der Lage ist, den Begriff des Begriffs [a] zu fassen, der ist in der Lage, sowohl den Begriff des Begriffs und den Begriff [a] zu erfassen, als auch die beiden Begriffe zum Begriff des Begriffs [a] zu kombinieren. Wer nun darüber hinaus einen beliebigen anderen Begriff [b] fassen kann, der ist demnach in der Lage, sowohl den Begriff des Begriffs und den Begriff [b] zu erfassen, als auch diese beiden Begriffs zum Begriff des Begriffs [b] so zu kombinieren wie den Begriff des Begriffs und den Begriff [a]. Dies reicht gemäß (Begriffs-Kompo) hin, um den Begriff des Begriffs [b] fassen zu können. Mithilfe der Fähigkeit, den Begriff des Begriffs zu erfassen und ihn mit anderen Begriffen zu kombinieren, gelangen wir vom Begriff A zum Begriff des Begriffs A. Auf diesen Begriff zweiter Stufe können wir (Begriffs-Kompo) wiederum anwenden: Wenn wir diesen Begriff und den Begriff des Begriffs erfassen können (sowie ihn mit einem anderen Begriff zu einem komplexen Begriff kombinieren können), dann gilt dies auch von einem Begriff dritter Stufe, nämlich dem Begriff des Begriffs des Begriffs A. Auch auf diesen Begriff lässt sich (Begriffs-Kompo) wieder anwenden usw. Der Begriff des Begriffs öffnet uns also die Tür zu Begriffen beliebiger Stufe all derjenigen Begriffe, die wir erfassen können. Fassen wir den bisherigen Gang der Argumentation zusammen: Um den gewöhnlichen Sinn eines Operators der Form „S φ’t, dass“ zu kennen, muss man den gewöhnlichen Sinn eines Satzes der Form „S φ’t, dass p“ kennen, in dem der Operator eingebettet ist. Dafür muss man die indirekten Sinne erster Stufe der Komponenten von „p“ kennen. Aus dieser Kenntnis folgt nun mithilfe von (Kenntnisausbreitung), dass man den indirekten Sinn erster Stufe jeden Ausdrucks kennt, dessen gewöhnlichen Sinn man kennt. Wer also den gewöhnlichen Sinn eines Operators der Form „S φ’t, dass“ kennt, kennt den indirekten Sinn erster Stufe jeden Ausdrucks, dessen gewöhnlichen Sinn er kennt. Kenntnis des gewöhnlichen Sinns von α und des gewöhnlichen Sinns eines Operators der Form „S φ’t, dass“ reicht

128 | Church und das erste Paradox der Analyse

demnach hin, um den indirekten Sinn erster Stufe von α zu kennen. Dies ist genau das, was (Erlernen des indirekten Sinns erster Stufe) besagt. Diese Erläuterung von (Erlernen des indirekten Sinns erster Stufe) hilft auch bei Davidsons Dilemma weiter. (Kenntnisausbreitung) muss lediglich durch die folgende Annahme ersetzt werden: (Kenntnisausbreitung*) Wer den indirekten Sinn erster Stufe irgendeines Ausdrucks kennt, kennt den indirekten Sinn n-ter Stufe jeden Ausdrucks, dessen gewöhnlichen Sinn sie oder er kennt.

(Kenntnisausbreitung*) ist genauso plausibel wie (Kenntnisausbreitung), da alles, was für eines der beiden Prinzipien spricht, auch das andere rechtfertigt. (Begriffs-Kompo) etwa stützt (Kenntnisausbreitung*) im selben Maße wie (Kenntnisausbreitung). Wer die Fähigkeit besitzt, den indirekten Sinn erster Stufe eines bestimmten Ausdrucks aufgrund seines Vorkommens in einem indirekten Kontext erster Stufe zu erfassen, verfügt über die Fähigkeit, den Begriff des Begriffs zu erfassen und ihn mit einem beliebigen anderen Begriff A zum Begriff des Begriffs A zu kombinieren. Aus (Begriffs-Kompo) folgt daraus, dass von allen Begriffen beliebiger Stufe, die eine Person S fassen kann, gilt: S kann auch die Begriffe dieser Begriffe erfassen. Wenn sie den Begriff A erfassen kann, ist sie gemäß der iterierten Anwendung von (Begriffs-Kompo) nicht bloß in der Lage, den Begriff des Begriffs A zu erfassen, sondern auch den Begriff des Begriffs des Begriffs A usw. Dies ist die Voraussetzung hinsichtlich des begrifflichen Vermögens dafür, dass S den indirekten Sinn n-ten Grades jeden Ausdrucks kennt, dessen gewöhnlichen Sinn sie kennt. Nicht bloß alles, was (Kenntnisausbreitung) in Bezug auf das begriffliche Vermögen erfordert, wird also durch (Begriffs-Kompo) garantiert, sondern auch alles, was (Kenntnisausbreitung*) in dieser Hinsicht verlangt. Mit (Kenntnisausbreitung*) statt (Kenntnisausbreitung) folgt aus den obigen Überlegungen, dass das Erlernen des Sinns erster Stufe eines Ausdrucks hinreicht, um unendlich viele Sinne zu lernen, nämlich all die indirekten Sinne beliebiger Stufe all derjenigen Ausdrücke, deren gewöhnlichen Sinn man kennt. Das Erlernen einer endlichen Menge von Sinnen, nämlich der Menge bestehend aus den gewöhnlichen Sinnen und einem indirekten Sinn erster Stufe, reicht also kontra Davidson hin, um alle Sinne zu erlernen. Diese Verteidigung Freges gegen Davidson hängt von (Kenntnisausbreitung*) ab. Zu einer befriedigenden Rechtfertigung dieser These bedarf es gewiss mehr als der oben gemachten Andeutungen. Mir ist unklar, ob eine solche Rechtfertigung möglich ist, aber ich bezweifle, dass eine plausible Verteidigung

Lewys Argument für Churchs Differenzannahme | 129

von Frege ohne eine ähnliche Annahme auskommt. Solange allerdings keine unabhängigen Gründe für sie sprechen, bleibt sie zugestandenermaßen spekulativ. Vielleicht sollte mich dies in meinem Urteil gegenüber Kripkes Versuch, für Frege die Kohlen aus dem Feuer zu holen, etwas milder stimmen. Immerhin scheint mir meine Verteidigung von Frege weniger zweifelhaft zu sein als Kripkes Beistand.

6.4 Lewys Argument für Churchs Differenzannahme Es gibt wohl noch ernstere Probleme mit Churchs Lösungsvorschlag als Davidsons Einwand gegen die in Anspruch genommene Theorie des indirekten Sinns. Churchs Vorschlag setzt folgende Annahme voraus: (Churchs Differenzannahme) Zwei Ausdrücke können sich in ihrem indirekten Sinn erster Stufe unterscheiden, obwohl ihr gewöhnlicher Sinn zusammenfällt

Schließlich basiert sein Vorschlag ja auf der Annahme, dass „Bruder“ und „männliches Geschwister“ sich zwar ihren gewöhnlichen, nicht aber ihren indirekten Sinn erster Stufe teilen. Aus ihr folgt im Rahmen von Freges Semantik, dass (J)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters ist,

wahr ist. Sowohl sein Lösungsvorschlag für das erste Paradox als auch die für (ER) problematische Schlussfolgerung, dass (J) und (K)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des Bruders ist,

sich im Wahrheitswert unterscheiden, hängt also wesentlich von ihr ab. Diskutieren wir zunächst einige Versuche, die Differenzannahme zu rechtfertigen. Casimir Lewy versucht uns, anhand des folgenden Szenarios von ihr zu überzeugen:43 Eine Person S kann die Ausdrücke „Bruder“ und „männliches

|| 43 Lewy 1976: 82–4.

130 | Church und das erste Paradox der Analyse

Geschwister“ korrekt verwenden.44 S versteht die Frage „Was ist die Analyse des Begriffs des Bruders?“, aber S kann keine korrekte Antwort auf diese Frage geben. Lewy interpretiert die Situation folgendermaßen: S verfügt über den Begriff des Bruders und daher auch über den Begriff des männlichen Geschwisters. S verfügt darüber hinaus über den Begriff des Begriffs des Bruders. Schließlich verfügt S sowohl über den Begriff des Begriffs – sonst verstünde S die Frage nach der Analyse eines Begriffs nicht – als auch über den Begriff des Bruders. S verfügt aus analogen Gründen über den Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters. Aber S weiß nicht, dass diese beiden höherstufigen Konzepte Begriffe ein und desselben Begriffs sind. Dieses Wissen erlangt S, wenn S gesagt wird: „Der Begriff des Bruders ist identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters“. In dieser Interpretation wird bereits vorausgesetzt, dass es sich bei dem Begriff des Begriffs des Bruders und dem Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters um zwei verschiedene Begriffe handelt. Daraus folgt, dass der indirekte Sinn ersten Grades von „Bruder“ ein anderer ist als der von „männliches Geschwister“. Diese Interpretation ist allerdings nicht zwingend. Wer nichts Besseres zu tun hat, als den ganzen Tag über die Natur von Begriffsanalysen zu grübeln, mag durchaus unfähig sein, die gestellte Frage zu beantworten: Wird die gesuchte Analyse am besten wiedergegeben mit „Ein Bruder ist nichts anderes als ein männliches Geschwister“, oder vielleicht mit „Ein Bruder zu sein besteht in nichts anderem als darin, ein männliches Geschwister zu sein“, oder doch in ganz anderer Weise? Ist die Analyse ein Satz oder eine Proposition? Wer über diese Fragen verzweifelt, kann dennoch wissen, dass der Begriff des Begriffs des Bruders und der Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters ein Begriff desselben Begriffs ist. Lewy hat solche lästigen Grübler und Zweifler wohl nicht einkalkuliert. Lassen wir sie deshalb außen vor und beschränken unsere Betrachtung auf die Glücklichen, die nichts in ihrem Glauben erschüttern kann, dass wenn es eine korrekte Analyse des Begriffs des Bruders gibt, sie mit einem Satz der Form: „Der Begriff des Bruders ist identisch mit dem Begriff des F“ ausgedrückt wird. („F“ ist hier ein Platzhalter für komplexe generelle Terme). Lewy hält es für möglich, dass so jemand sowohl die Frage nach der korrekten Analyse des Begriffs des Bruders als auch den Ausdruck „männliches Geschwister“ versteht, aber die Frage nicht so beantworten kann, wie Lewy es für korrekt hält (noch || 44 Lewy verwendet in seinem Argument nicht „Bruder“ und „männliches Geschwister“, sondern „vixen“ und „female fox“.

Lewys Argument für Churchs Differenzannahme | 131

nicht einmal im Geiste). Lewy hält es also offensichtlich für möglich, die Proposition, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters ist, zu fassen, ohne zu glauben, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters ist. Man kann Lewy in diesem Punkt zustimmen, ohne sich auf die Differenzannahme festzulegen. Vielleicht können Nominalisten in der Tat die fragliche Proposition fassen, sie aber ablehnen, um nicht die Existenz gewisser abstrakter Gegenstände wie Begriffe zugestehen zu müssen. Aber daraus würde nicht folgen, dass es sich bei dem Begriff des Begriffs des Bruders und dem Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters um zwei verschiedene Begriffe handelt. Selbst wenn also Lewy recht hat und man die fragliche Proposition fassen kann, ohne sie für wahr zu halten, folgt daraus allein noch nicht Churchs Differenzannahme. Lewy scheint sich nicht darüber im Klaren zu sein, dass seine Interpretation des Szenarios bereits voraussetzt, dass der Begriff des Begriffs des Bruders vom Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters unterschieden werden muss. Jedenfalls modifiziert er das Szenario nun, um das bereits Vorausgesetzte zu zeigen. Er nimmt nun an, dass seine Protagonistin S weder „männliches Geschwister“ noch sonst einen Ausdruck, der mit „Bruder“ synonym ist, korrekt verwenden kann. Ansonsten lässt Lewy alles beim Alten, S kann also „Bruder“ korrekt verwenden und versteht die Frage nach der Analyse des Begriffs des Bruders, ohne sie so beantworten zu können, wie Lewy es für korrekt hält. Lewy glaubt, dass in diesem Fall S zwar über die Fähigkeit verfügt, den Begriff des Begriffs des Bruders zu erfassen, aber nicht über die, den Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters zu erfassen.45 Allerdings bleibt unklar, warum er das glaubt. S besitzt in dem modifizierten Szenario die Fähigkeit, den Begriff des Bruders zu erfassen. Und da dieser Begriff kein anderer ist als der Begriff des männlichen Geschwisters, verfügt S über die Fähigkeit, den Begriff des männlichen Geschwisters zu erfassen. Diese Konsequenz betont Lewy sogar explizit. Da S dank ihres Verständnisses der Frage nach der Analyse des Begriffs des Bruders auch in der Lage ist, den Begriff des Begriffs zu erfassen, kann S ebenfalls den Begriff des Begriffs des Bruders erfassen. Lewy gibt aber keinen

|| 45 Lewys Terminologie ist eine etwas andere: Er spricht vom Verfügen über Begriffe. Dies macht Sinn, wenn Begriffe Fähigkeiten sind, denn über Fähigkeiten kann man verfügen. In meinem Jargon sind Begriffe aber keine Fähigkeiten, an einen Gegenstand auf eine bestimmte Art und Weise zu denken, sondern diese Art und Weisen des Denkens an einen Gegenstand. Das Verfügen über Begriffe in Lewys Sinne ist daher dasselbe wie das Verfügen über die Fähigkeit, Begriffe in meinem Sinne zu erfassen.

132 | Church und das erste Paradox der Analyse

Grund, warum dasselbe nicht vom Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters gilt. Aus der Annahme, dass S den Ausdruck „männliches Geschwister“ nicht korrekt verwenden kann, schließt er irrigerweise, dass S nicht den Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters erfassen kann.46 Vielleicht geht er hier nur seiner eigentümlichen Notation auf dem Leim. Er würde den Begriff des Begriffs des männlichen Geschwisters nämlich folgendermaßen bezeichnen (spräche er deutsch): „Der Begriff ‘Begriff des männlichen Geschwistersʼ“ (siehe Lewy 1976: 83). Anscheinend verführt ihn diese missverständliche Schreibweise zu der Annahme, dass man den so bezeichneten Begriff (dann und) nur dann erfassen kann, wenn man den Begriff des Ausdrucks „Begriff des männlichen Geschwisters“ erfassen kann. Um diesen Begriff erfassen zu können, muss man den Ausdruck „männliches Geschwister“ zwar nicht korrekt verwenden können, aber wohl zumindest kennen.

6.5 Kemps Argument für Churchs Differenzannahme Gary Kemp motiviert Churchs Differenzannahme mit einer davidsonianischen Analyse von Anführungskontexten, die er dann quasi-davidsonianisch auf indirekte Kontexte überträgt. Er hebt zunächst das Funktions-Argument-Paradigma in Freges Ideen zur BedeutungF und zum Sinn hervor. Gemäß diesem Paradigma sollte man für komplexe Ausdrücke zunächst nach einer semantischen Analyse unter Rückgriff auf den Begriff der Funktion und des Arguments suchen. Laut Kemp gilt nun von allen einstelligen Funktionszeichen F( ), die Teil eines komplexen singulären Terms FA sind: Sie bezeichnen eine Funktion, die auf die BedeutungF des Argumentzeichens A angewendet wird, und liefern als Wert die BedeutungF des komplexen singulären Terms FA.47 Wenden wir uns nun Anführungsausdrücken zu. Sie haben offensichtlich eine interne semantische Struktur, sonst ließen sich ihre Sinne nur unabhängig voneinander erlernen. Aber sie lassen sich Kemp zufolge nicht in einfacher Weise in Funktionszeichen und Argumentzeichen zerlegen. Für Kemp besteht das Problem darin, dass Anführungszeichen keine Funktionszeichen sind. Schließlich bedeuten sie in seinen Augen keine Funktion, die auf die BedeutungF des Arguments, also der BedeutungF der Zeichen zwischen den An-

|| 46 Lewy bringt noch ein zweites Argument vor, aber begeht in diesem genau denselben Fehler. 47 Kemp spricht hier nicht von BedeutungF, sondern von Denotation. Der Unterschied ist hier aber irrelevant.

Kemps Argument für Churchs Differenzannahme | 133

führungszeichen angewendet wird: Die BedeutungF eines Anführungsausdrucks hängt nicht von der BedeutungF der von Anführungszeichen eingeschlossenen Zeichen ab, sondern von den so umschlossenen Zeichen selbst. Kemp schlägt als Ausweg Davidsons parataktische Analyse von Anführungsausdrücken vor, der zufolge Anführungsausdrücke eine interne Struktur haben, auch wenn die Anführungszeichen selbst keine Funktionszeichen sind.48 Davidson betrachtet Anführungszeichen als Kennzeichnungen mit der Bedeutung von „The expression of which this is a token“.49 Sie enthalten also einen indexikalischen Ausdruck, mit dem auf die Zeichen zwischen den Anführungszeichen Bezug genommen wird. Die Zeichen, auf die Bezug genommen wird, werden aus dem Satz, in dem auf sie Bezug genommen wird, verbannt. Die Analyse von (5)

„Alice“ hat fünf Buchstaben

wäre dann: (6)

Alice. Der Ausdruck, von dem dies ein Vorkommnis ist, hat fünf Buchstaben.

Mit „dies“ wird dabei auf das Vorkommnis von „Alice“, welches kein Teil des Satzes in (6) ist, Bezug genommen. Die Kennzeichnung „Der Ausdruck, von dem dies ein Vorkommnis ist“ ist zwar selbst kein Funktionszeichen, aber wir können sie in ein Funktionszeichen („Der Ausdruck, von dem ( ) ein Vorkommnis ist“) und einem Argumentzeichen („dies“) zerlegen. Insofern ist in Kemps Augen auch mit Davidsons Analyse von Anführungsausdrücken dem FunktionsArgument-Paradigma Genüge getan. Kemp glaubt, dass indirekte Kontexte ganz analog analysiert werden sollten. Betrachten wir einen Ausdruck wie „dass Sokrates weise ist“, mit dem auf die Proposition, dass Sokrates weise ist, Bezug genommen wird. Er hat eine semantische Struktur, aber wiederum lässt sich diese Kemp zufolge nicht durch eine einfache funktionalistische Analyse zum Vorschein bringen. Der Ausdruck „dass“ in diesem komplexen singulären Term ist in Kemps Augen kein Funktionsausdruck, da er keine Funktion bezeichnet, die auf die BedeutungF des anschließenden Satzes angewendet wird. Die Bedeutung des komplexen singulä|| 48 Siehe Davidson 1979: 90–2. Für einen Überblick über die Diskussion um Davidsons Analyse und Literaturhinweise siehe Cappelen und LePore 2009. 49 Davidson 1979: 91. An früherer Stelle benutzt Davidson die Formulierung „the expression a token of which is here“ (1979: 90).

134 | Church und das erste Paradox der Analyse

ren Terms hängt nicht von der BedeutungF dieses Satzes, seinem Wahrheitswert, ab, sondern von seinem Sinn. Kemps Analyse von (7)

Mathilde behauptet, dass Brüder egoistisch sind

lautet daher in Analogie zu seiner davidsonianischen Analyse von Anführungsausdrücken: (8)

Brüder sind egoistisch. Mathilde behauptet die Proposition, die durch diesen Satz ausgedrückt wird.

Mit „diesen Satz“ wird hier auf den ersten Satz in (8) Bezug genommen.50 Wie bereits bei Davidsons Analyse von Anführungsausdrücken lässt sich auch hier die einschlägige Kennzeichnung („die Proposition, die durch diesen Satz ausgedrückt wird“) in einen Funktionsausdruck („die Proposition, die durch ( ) ausgedrückt wird“) und einem Argumentzeichen („dieser Satz“) zerlegen. Kemp hält daher auch diese Analyse für funktionalistisch. Er zieht aus ihr den folgenden Schluss: „We understand such phrases as ‘that pʼ or ‘the thought that pʼ in virtue of our apprehending the thoughts expressed by the embedded sentences, as the thoughts expressed by those sentences.“51 Dieser Schluss ist gerechtfertigt, wenn unterstellt wird, dass mit (8) u. a. der gewöhnliche Sinn von „dass Brüder egoistisch sind“ in (7) angegeben werden soll. Dann hätte dieser Ausdruck denselben gewöhnlichen Sinn wie „die Proposition, die durch diesen Satz ausgedrückt wird“, insofern mit „diesen Satz“ auf „Brüder sind egoistisch“ Bezug genommen wird. Der gewöhnliche Sinn des schwerfälligeren Ausdrucks ist aber eine Art und Weise des Denkens an die Proposition, dass Brüder egoistisch sind, als an diejenige Proposition, die durch „Brüder sind egoistisch“ ausgedrückt wird. Demnach ist diese Art und Weise des Denkens auch der gewöhnliche Sinn von „dass Brüder egoistisch sind“. Und sie ist zugleich der indirekte Sinn erster Stufe von „Brüder sind ego-

|| 50 Kemp gibt keine genaue Formulierung seiner Analyse an (siehe Kemp 1993: 157). In meiner Ausformulierung habe ich versucht, mich so weit wie möglich an der entsprechenden Analyse von Anführungsausdrücken zu orientieren. Diese Formulierung lässt genauso wie Kemp offen, ob mit dem indexikalischen Element in (8) auf ein Satzvorkommnis oder einen Satztypen Bezug genommen wird. Meine anschließende Diskussion von Kemps Vorschlag ist von dieser Frage unabhängig. Davidsons eigene Analyse von indirekter Rede (Davidson 1984: 93–108) ähnelt zwar auch seiner Analyse von Anführungsausdrücken, doch ist in ihr weder von Propositionen noch von anderen abstrakten Gegenständen wie Satztypen die Rede. 51 Kemp 1993: 158–9.

Kemps Argument für Churchs Differenzannahme | 135

istisch“, da der gewöhnliche Sinn von „dass Brüder egoistisch sind“ der indirekte Sinn erster Stufe des eingebetteten Satzes ist. Wenn diese Art und Weise des Denkens der indirekte Sinn erster Stufe des Satzes „Brüder sind egoistisch“ ist, dann hat dieser Satz einen anderen indirekten Sinn erster Stufe als „Männliche Geschwister sind egoistisch“. Denn der indirekte Sinn erster Stufe eines Satzes involviert Kemps Analyse zufolge ein Denken an eben diesen Satz. Mit dem Satz verändert sich also auch der indirekte Sinn erster Stufe: Ist Satz A von Satz B verschieden, so drückt A auch einen anderen indirekten Sinn erster Stufe aus als B. Der Unterschied im indirekten Sinn von „Brüder sind egoistisch“ und „Männliche Geschwister sind egoistisch“ kann aber nur auf den Unterschied zwischen dem indirekten Sinn erster Stufe von „männliches Geschwister“ und „Bruder“ beruhen. Also hat „männliches Geschwister“ einen anderen indirekten Sinn erster Stufe als „Bruder“ – und zwar unbeschadet der Tatsache, dass der gewöhnliche Sinn der beiden Ausdrücke zusammenfällt. Churchs Differenzannahme ist daher gerechtfertigt. Soweit Kemp. Seine Überlegungen haben zwei große Schwachstellen. Die erste besteht darin, dass Kemps Gründe für eine parataktische Analyse von (Anführungs- und) indirekten Kontexten bei näherer Betrachtung in sich zusammenfallen. Er diskreditiert eine einfache funktionalistische Analyse von Anführungsausdrücken und dass-Sätzen in Oratio obliqua mit dem Argument, dass in diesen Fällen die BedeutungF des gesamten Ausdrucks nicht von der BedeutungF der angeführten Zeichen bzw. des eingebetteten Satzes abhängt. Diese Begründung ist überraschend. Denn Kemp ist sich über Freges Ansicht im Klaren „that in quotation marks sentences denote themselves, and their senses when prefixed by devices such as ‘thatʼ“.52 Warum also nicht annehmen, dass die BedeutungF eines Anführungsausdrucks (einem dass-Satz in Oratio obliqua) von der BedeutungF des angeführten Ausdrucks (des eingebetteten Satzes) abhängt, die er im Kontext des Anführungsausdrucks (des dass-Satzes) hat? Auf diese Weise bliebe die Kompositionalität der BedeutungF gewahrt. Die BedeutungF des gesamten Ausdrucks wäre identisch mit der BedeutungF des angeführten Ausdrucks (des eingebetteten Satzes), die er als Teil des gesamten Ausdrucks hat. Es bleibt aus diesem Grunde unerfindlich, warum Kemp ohne weitere Begründung schreibt: „[…] clearly the denotation and hence the sense of the result of adding quotation marks or ‘thatʼ to a sentence differ from those of the sentence itself.“53

|| 52 Kemp 1993: 155. 53 Ebd., meine Hervorh.

136 | Church und das erste Paradox der Analyse

Mit der Annahme, dass sich die BedeutungF eines Ausdrucks in Anführungs- und indirekten Kontexten verschiebt, ist die Aufspaltung des gesamten Ausdrucks in Funktionszeichen und Argumentzeichen einfach. Die Anführungszeichen (bzw. der Komplementierer „dass“) sind Zeichen für eine Funktion, die die BedeutungF des angeführten Ausdrucks (bzw. des eingebetteten Satzes), die er als Teil des gesamten Ausdrucks hat, auf sich selbst abbildet. Kemp scheint den Nutzen der These von der Verschiebung der BedeutungF für eine funktionalistische Analyse zu übersehen, wenn er schreibt: „Merely to announce that sentences denote different things in certain contexts is no more than to pose the problem of how those instruments [as ‘thatʼ and quotation marks, which engender the results of indirect and direct quotation] are to be assimilated to the function-argument paradigm.“54 Eine parataktische Analyse von Anführungs- und indirekten Kontexten ist also überflüssig, wenn es allein darum geht, Anführungsausdrücke und dassSätze in Oratio obliqua unter das Joch des fregeschen Funktion-ArgumentParadigmas zu zwingen. Kemps Vorschlag für eine parataktische Analyse indirekter Kontexte ist zudem unplausibel – unabhängig von seiner Identifikation des semantischen Gehalts eines Aussagesatzes im Kontext mit der von ihm ausgedrückten Proposition. Dies ist die zweite Schwachstelle in seinem Argument. Werfen wir noch einmal einen Blick auf (6)

Alice. Der Ausdruck, von dem dies ein Vorkommnis ist, hat fünf Buchstaben.

Für das mit (6) Gesagte ist nicht die kontextunabhängige Bedeutung des freischwebenden Ausdrucks in (6) relevant, sondern der Ausdruck selbst als Bezug von „dies“. Dies spricht natürlich nur für die Analyse in (6), da für das mit (5)

„Alice“ hat fünf Buchstaben

Gesagte ebenfalls die kontextunabhängige Bedeutung dieses Ausdrucks irrelevant ist. In (8)

Brüder sind egoistisch. Mathilde behauptet die Proposition, die durch diesen Satz ausgedrückt wird

|| 54 Kemp 1993: 156.

Das Argument aus der kognitiven Inäquivalenz | 137

ist die Situation ähnlich. Das mit (8) Gesagte hängt nicht von der kontextunabhängigen Bedeutung des ersten Satzes ab. Als Bezug von „diesen Satz“ steuert der Satz nur sich selbst zu dem mit (8) Gesagten bei. Man darf (8) daher nicht im Sinne einer Konjunktion verstehen. Dies ist allerdings nicht zum Vorteil, sondern zum Nachteil der Analyse in (8). Eine monoglotte Italienerin kann glauben, was mit (8) gesagt wird (weil sie sich auf mein Wort verlässt), ohne das mit (7)

Mathilde behauptet, dass Brüder egoistisch sind

Gesagte zu glauben.

6.6 Das Argument aus der kognitiven Inäquivalenz Wenden wir uns einem letzten Argument für Churchs Differenzannahme zu. Das Argument nimmt seinen Ausgangspunkt bei Frege selbst. Er schreibt: (Frege) Zwei Sätze können in der Beziehung zueinander stehen, dass jeder, der den Inhalt von A als wahr anerkennt, auch den von B ohne weiteres als wahr anerkennen muss, und dass auch umgekehrt jeder, der den Inhalt von B [sc. als wahr] anerkennt, auch den von A unmittelbar [sc. als wahr] anerkennen muss (Äquipollenz), wobei vorausgesetzt wird, dass die Auffassung der Inhalte von A und B keine Schwierigkeiten macht.55

Das Bestehen dieser Beziehung der kognitiven Äquivalenz (um einen sprechenderen Titel als „Äquipollenz“ zu wählen) zwischen zwei Sätzen ist für Frege eine notwendige Bedingung dafür, dass die beiden Sätze dieselbe Proposition (denselben Gedanken) ausdrücken. In (Frege) ist genaugenommen vom Inhalt eines Aussagesatzes die Rede. Unter „Inhalt“ versteht Frege nun meist etwas anderes als den mit einem Satz ausgedrückten Gedanken. Frege zufolge „überragt der Inhalt eines Satzes nicht selten den in ihm ausgedrückten Gedanken“ um den poetischen Duft oder einem angedeuteten Nebengedanken, die kein Teil des ausgedrückten Gedankens sind.56 Allerdings macht er direkt im Anschluss an (Frege) klar: „Vom Inhalte eines Satzes wird also ein Teil auszuscheiden sein, der allein als wahr anerkannt oder als falsch verworfen werden kann. Diesen nenne ich den im Satz ausgedrückten Gedanken.“ Wir dürfen also in (Frege) getrost „Inhalt“ durch „Gedanke“ ersetzen. Dann scheint aber (Frege) unter der buchstäblichen Lesart lediglich eine mehr oder weniger triviale Be|| 55 Frege 1906b: 213. 56 Frege 1918: 64. An derselben Stelle heißt es: „[…] auch das Umgekehrte kommt oft vor […].“ Dies ist dann der Fall, wenn der Satz indexikalische Elemente enthält.

138 | Church und das erste Paradox der Analyse

dingung für Identität im ausgedrückten Gedanken anzugeben: Wenn der mit A ausgedrückte Gedanke identisch mit dem von B ausgedrückten Gedanken ist, kann man den mit A ausgedrückten Gedanken nicht als wahr anerkennen, ohne den mit B ausgedrückten Gedanken als wahr anzuerkennen. Ganz allgemein gilt schließlich, dass wenn Gegenstand A identisch mit Gegenstand B ist, jede Eigenschaft, die A zukommt, auch B zukommt und vice versa. Unter der buchstäblichen Lesart wird die Voraussetzung in (Frege), dass die Auffassung der Inhalte von A und B keine Schwierigkeiten macht, demnach überflüssig. Um dieser Voraussetzung eine Pointe zu geben und eine informativere Bedingung für Identität im ausgedrückten Gedanken zu gewinnen, empfiehlt es sich, nicht von Anerkennung des Inhalts (Gedankens) als wahr zu sprechen, sondern von der Akzeptanz von Sätzen, die Gedanken ausdrücken. Um aus (Frege) eine notwendige Bedingung dafür zu destillieren, wann zwei indexikalische Sätze denselben Gedanken ausdrücken, ist eine weitere Modifikation nötig, da man bei indexikalischen Sätzen nicht ohne Rücksicht auf den Kontext ihrer Äußerung vom ausgedrückten Gedanken sprechen kann. Nicht zuletzt scheint „unmittelbar“ in dem Zitat redundant zu sein. Für unsere Zwecke halte ich jedenfalls die folgende Reformulierung der fraglichen Beziehung für adäquat: (KognÄ) Zwei Sätze S und T sind genau dann kognitiv äquivalent, wenn für jeden Kontext K gilt, dass wer S [T] mit den mit S [T] in K ausgedrückten Gedanken verknüpft, nicht einen der beiden Sätze als Ausdruck einer Wahrheit in K akzeptieren kann, ohne bereit zu sein, den anderen ebenfalls als Ausdruck einer Wahrheit in K zu akzeptieren.57

Erinnern wir uns nun an die Debatte um den Austausch von Synonyma, die Mates ins Leben gerufen hat. In dieser Debatte spielten Sätze wie die folgenden eine Rolle: (9)

Tom bezweifelt, dass Brüder männliche Geschwister sind,

(10)

Tom bezweifelt, dass Brüder Brüder sind.

|| 57 Vergleiche die ähnlichen, aber aus jeweils anderen Gründen unterschiedlichen Formulierungen in Dummett 1989: 294; 1991: 171 und Künne 2003: 42; 2010: 650.

Das Argument aus der kognitiven Inäquivalenz | 139

Motiviert man (9) mit einer geeigneten Geschichte, gibt es Philosophen, die glauben, dass (9) etwas Wahres besagt, ohne zu glauben, dass (10) eine Wahrheit ausdrückt. Und spinnt man eine passende Geschichte um (11)

Anna erklärt Tom, dass Brüder männliche Geschwister sind,

gibt es Philosophen, die dafürhalten, dass (11) ins Schwarze trifft, während sie (12)

Anna erklärt Tom, dass Brüder Brüder sind

im Reich des Absurden ansiedeln.58 Betrachten wie schließlich (13)

Es ist informativ, dass Brüder nichts anderes sind als männliche Geschwister

(14)

Es ist informativ, dass Brüder nichts anderes sind als Brüder.

und

Einige Philosophen scheinen wie selbstverständlich von einer Wahrheitswertdifferenz zwischen den beiden Sätzen auszugehen. Sie akzeptieren (13), ohne auch nur den Hauch einer Bereitschaft zu zeigen, (14) zuzustimmen (falls sie deutsch sprechen).59 Sind sie etwa nicht in der Lage, die Sätze mit den in ihnen ausgedrückten Gedanken zu verknüpfen? Sie verstehen gewiss die Äußerungen der beiden Sätze (bzw. der Gegenstücke in ihrer Sprache). Wenn Verständnis der Äußerungen nicht für die Fähigkeit hinreicht, die Sätze mit den in ihnen ausgedrückten Gedanken zu assoziieren, liefert (KognE) jedenfalls kein Kriterium, d. h. keine wirkliche Entscheidungshilfe, dafür, ob zwei Sätze (in einem bestimmten Kontext) denselben Gedanken ausdrücken oder nicht. Die Frage, ob eine Person in der Lage ist, einen Satz mit dem Gedanken, den er ausdrückt, zu verknüpfen, wäre nicht viel leichter zu beantworten als die, ob zwei Sätze denselben Gedanken ausdrücken oder nicht. Nehmen wir daher vorläufig an, dass sie in der Lage sind, die Sätze mit den ausgedrückten Gedanken zu verbinden. Dann ist weder (9) mit (10) noch (11) mit (12) noch (13) mit (14) kognitiv äquivalent, woraus für Frege folgt, dass in allen drei Satzpaaren das erste Element einen anderen Gedanken ausdrückt als das || 58 Siehe zum Beispiel Pap: 1955a: 118f., Scheffler 1955: 40ff., Parsons 1981: 48, Rieber 1992: 226ff., Horwich 1998: 100 und Künne 2003: 370–1. 59 Siehe zum Beispiel Carnap 1947: 63. Linsky (1949: 346) scheint sich Carnap anzuschließen.

140 | Church und das erste Paradox der Analyse

zweite. Der Grund für die Differenz im ausgedrückten Gedanken kann nur darin liegen, dass „männliches Geschwister“ in (9), (11) und (13) nicht denselben Sinn ausdrückt wie „Bruder“ in (10), (12) und (14). In diesen Sätzen befinden sich diese beiden Ausdrücke aber in einem indirekten Kontext erster Stufe und drücken ihren indirekten Sinn erster Stufe aus. Also unterscheiden sie sich im indirekten Sinn erster Stufe, obgleich ihr gewöhnlicher Sinn zusammenfällt. Der Schwachpunkt dieses Arguments liegt in der Annahme, dass die fraglichen Philosophen die Sätze mit den in ihnen ausgedrückten Gedanken verknüpfen. Frege selbst sollte dieser Annahme skeptisch gegenüberstehen. Betrachten wir die folgenden Sätze: (15)

Das Attentat wurde verhindert.

(16)

Das Attentat wurde leider verhindert.

Es scheint, dass eine kompetente Sprecherin (15) zustimmen, (16) hingegen als Ausdruck einer Wahrheit ablehnen kann. Doch Frege zufolge wird mit beiden Sätzen derselbe Gedanke ausgedrückt. Eine kompetente Sprecherin, die von allgemeiner Hundeliebe beseelt ist, kann anscheinend (17)

Hunde sind rot-grün-blind

abnicken, aber (18)

Köter sind rot-grün-blind

als falsch verwerfen. Doch wiederum ist Frege zufolge der ausgedrückte Gedanke in beiden Fällen derselbe (solange der Kontext derselbe ist). Der ausgedrückte Gedanke erhält in seinen Augen nur jeweils eine unterschiedliche Färbung. Wie bereits bemerkt ist laut Frege der indirekte Sinn erster Stufe von „Schnee ist weiß“ identisch mit dem gewöhnlichen Sinn von „der Gedanke, dass Schnee weiß ist“. Es scheint demnach, dass in seinen Augen (19)

Henry glaubt, dass Schnee weiß ist

denselben Gedanken ausdrückt wie (20)

Henry glaubt die Proposition, dass Schnee weiß ist.

Das Argument aus der kognitiven Inäquivalenz | 141

Deutschsprachige Nominalisten werden nun vielleicht (19) akzeptieren, aber gegen (20) den schärfsten Protest einlegen.60 Es gibt unabhängig von Frege ähnliche Fälle. Werfen wir einen Blick auf die folgenden Satzpaare: (21)a. Jeden Abend fährt der Pastor mit dem Auto nach Hause und gönnt sich einen kräftigen Schluck Whisky. (21)b. Jeden Abend gönnt sich der Pastor einen kräftigen Schluck Whisky und fährt mit dem Auto nach Hause. (22)a. Eltern mit zwei Kindern haben es nicht so schwer wie Eltern mit mehr als zwei Kindern. (22)b. Eltern mit mindestens zwei Kindern haben es nicht so schwer wie Eltern mit mehr als zwei Kindern. (23)a. Der Schuldirektor fährt im Sommer in die Berge oder an die See. (23)b. Der Schuldirektor fährt im Sommer entweder in die Berge oder an die See. Prima facie können kompetente Sprecher den a-Sätzen applaudieren, ohne die b-Sätze für Vehikel von Wahrheiten zu halten – zum Beispiel dann, wenn sie glauben, dass der Pastor jeden Abend erst mit dem Auto nach Hause fährt und sich dann einen kräftigen Schluck Whisky gönnt, Eltern mit genau zwei Kindern es nicht so schwer haben wie Eltern mit mehr als zwei Kindern und der Schuldirektor im Sommer sowohl in die Berge als auch an die See fährt. Ein letztes Beispiel. Aristoteliker, die des Deutschen mächtig sind, werden wohl (24)

Wenn etwas eine Hexe ist, dann hat es Zauberkräfte,

ohne mit der Wimper zu zucken, ihren Segen geben, aber aufgeklärt, wie sie sind, (25)

Alle Hexen haben Zauberkräfte

|| 60 Darauf hat wohl zuerst Putnam (1954: 120) aufmerksam gemacht.

142 | Church und das erste Paradox der Analyse

aufgrund der angenommenen Existenzimplikation als Ausdruck einer Falschheit verdammen. Folgt daraus bereits, dass (24) und (25) verschiedene Gedanken ausdrücken? In all den aufgezählten Fällen ist es möglich, dass die fraglichen Sprecher in ihren ablehnenden Urteilen eine Färbung des Gedankens oder etwas bloß indirekt Mitgeteiltes mit einem Teil des buchstäblich ausgedrückten Gedankens verwechseln.61 Wer allein aus ihren Urteilen in Bezug auf die fraglichen Sätze auf eine Verschiedenheit des mit diesen Sätzen ausgedrückten Gedankens schließt, übergeht diese Möglichkeit. Das Argument aus der kognitiven Inäquivalenz muss daher zurückgewiesen werden. Das Problem liegt in der Annahme, dass die angeführten Philosophen die einschlägigen Sätze mit den ausgedrückten Gedanken verbinden. Diese Annahme ist voreilig. Denn wenn die Theoretiker etwas, das nicht buchstäblich ausgedrückt wird, mit einem Teil des buchstäblich ausgedrückten Gedankens verwechseln, verbinden sie mit den Sätzen nicht den buchstäblich ausgedrückten Gedanken, sondern einen anderen. Sie erfassen dann einen anderen als den buchstäblich ausgedrückten Gedanken. Doch wie ist die Möglichkeit einer solchen Verwechslung wiederum damit verträglich, dass die fraglichen Philosophen kompetente Sprecher sind? Sie verstehen doch gewiss die relevanten Sätze oder etwa nicht? Jein. Sie verstehen die relevanten Sätze gemäß der gewöhnlichen Standards für das Verstehen. Aber die Erfüllung dieser Standards lässt zuweilen eine Verwechslung eines bloß indirekt Mitgeteiltem (oder einer Färbung eines Gedankens) mit einem Teil des ausgedrückten Gedankens zu. Die Erfüllung der gewöhnlichen Standards dient der Verständigung im Normalfall. Für eine solche Verständigung ist es oft nicht nötig, die verschiedenen Bestandteile des insgesamt Mitgeteilten auseinanderhalten zu können. Sie verstehen die Sätze aber nicht gemäß anspruchsvollerer Standards, die man nur dann erfüllt, wenn man keiner Verwechslung zwischen indirekt Mitgeteiltem und Teil des ausgedrückten Gedankens unterliegt. Für das Verknüpfen eines Satzes mit dem in ihm ausgedrückten Gedanken bedarf es bisweilen mehr als das gewöhnliche Verständnis dieser Äußerung. Insofern hilft der Rekurs auf den Begriff des Gedankens nur teilweise für eine Erklärung des Verstehens von Äußerungen gemäß gewöhnlicher Maßstäbe. All dies scheint aus der Idee zu folgen, dass kompetente Sprecher manchmal die

|| 61 Ich habe die Beispielsätze so gewählt, dass die Annahme, es gebe den jeweils mit ihnen ausgedrückten Gedanken, nicht völlig abwegig erscheint.

Churchs Intuitionen | 143

Grenze zwischen buchstäblich ausgedrückten Gedanken und indirekt Mitgeteiltem nicht korrekt ziehen. Die Annahme, dass das gewöhnliche Verständnis für das Erfassen des ausgedrückten Gedankens hinreicht, verwirft Frege zumindest an einer Stelle selbst, womit er den Weg für einen anderen Ausweg aus dem ersten Paradox der Analyse ebnet.62 Sowohl Davidsons als auch Kripkes Problem stellen sich übrigens nicht so wie geschildert, wenn man diese Annahme aufgibt. Aus der Unfähigkeit, all die unendlichen Sinne [den indirekten Sinn erster Stufe] eines bestimmten Ausdrucks zu erlernen, würde dann ja nicht folgen, dass man diesen Ausdruck nicht in jedem Kontext [einem indirekten Kontext erster Stufe] versteht. Allerdings würde eine prinzipielle Unfähigkeit, alle Sinne eines Ausdrucks zu erfassen, für sich genommen bereits ein Kuriosum darstellen. Zumindest Davidsons Problem würde also in veränderter Form fortbestehen.

6.7 Churchs Intuitionen Führen wir uns die grundsätzliche dialektische Situation vor Augen, in der wir uns befinden. Es geht letztendlich um eine Rechtfertigung für die gegen (ER) gerichtete These, dass (J)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters ist

einen anderen Wahrheitswert hat als (K)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des Bruders ist.

Nur deshalb fragen wir nach der Rechtfertigung der Differenzannahme. Denn wenn diese Annahme gerechtfertigt ist, gibt es auch einen guten Grund für die These vom Unterschied im Wahrheitswertunterschied zwischen (J) und (K), um die es hier eigentlich geht. Church könnte den Spieß nun gewissermaßen umdrehen und die These vom Wahrheitswertunterschied unabhängig von der Differenzannahme motivieren, um dann mit dieser These die Differenzannahme zu rechtfertigen (statt umgekehrt mit der Differenzannahme die These vom Wahrheitswertunterschied zu verteidigen). Schließlich ist die Differenzannahme im

|| 62 Frege 1914: 227. Siehe dazu Abschnitt 5.1 und u.a. Nelson 2008.

144 | Church und das erste Paradox der Analyse

Rahmen von Freges Semantik die beste Erklärung für einen Wahrheitswertunterschied zwischen (J) und (K). Gibt es unabhängig von der Differenzannahme gute Gründe für einen Wahrheitswertunterschied zwischen (J) und (K)? Vielleicht würde sich Church einfach auf die Intuition berufen, dass (J) und (K) sich im Wahrheitswert unterscheiden. Diese Intuition liefert jedenfalls prima facie einen guten Grund für eine Wahrheitswertdifferenz zwischen (J) und (K). Einen solchen Unterschied im Wahrheitswert kann Church dann wie bereits gesagt mithilfe seiner Differenzannahme erklären. Allerdings ist es sehr zweifelhaft, ob (J) und (K) im Wahrheitswert auseinanderfallen. Mir jedenfalls geht jede derartige Intuition ab, und ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft. So schreibt Dummett: „Our intuitive inclination is to hold that whatever principles govern substitution salva veritate within single oratio obliqua must also govern it within double oratio obliqua.“63 Gewiss geht es Dummett nicht bloß um indirekte Rede im engeren Sinne, sondern um indirekte Kontexte ganz allgemein. Wenn „Bruder“ und „männliches Geschwister“ salva veritate in einem indirekten Kontext erster Stufe austauschbar sind, sind sie es Dummetts Intuition zufolge also auch in einem indirekten Kontext zweiter Stufe wie in (J) und (K). Wenn Dummett mit dieser Intuition richtig liegt, haben (J) und (K) aber denselben Wahrheitswert. Jedenfalls wird wohl jeder, der Churchs Intuition teilt, dass nicht sowohl (J) als auch (K) wahr ist, zugeben, dass sie nicht so ausgeprägt ist wie die Intuition, dass sich nicht sowohl (26)

Es ist informativ, dass der Mount Everest identisch mit dem höchsten Berg der Erde ist

als auch (27)

Es ist informativ, dass der Mount Everest identisch mit dem Mount Everest ist

mit dem Titel „wahr“ schmücken kann. Dieser Unterschied in der Robustheit oder Stärke der jeweiligen Intuition spricht dafür, Churchs Intuition nicht auf einen Unterschied im Wahrheitswert zurückzuführen (wie die entsprechende Intuition in Bezug auf (26) und (27)), sondern – pragmatisch – auf eine Differenz in den Informationen, die man mit einer Äußerung der in (J) und (K) eingebetteten Sätze (1) und (2) indirekt mitteilen kann. Es gibt etwas, dass man mit einer Äuße|| 63 Dummett 1981: 92.

Churchs Intuitionen | 145

rung von (J), aber nicht mit einer Äußerung von (K) indirekt mitteilen kann, nämlich dass „männliches Geschwister“ denselben Begriff ausdrückt wie „Bruder“. Darin kann jemand, dem es bislang an der Kenntnis des Sinns von „Bruder“ mangelte, eine wertvolle Information finden. Diese indirekt mitgeteilte Information könnte für Churchs Intuition, dass (J) und (K) im Wahrheitswert differieren, verantwortlich sein. Wer Churchs Intuition in Bezug auf (J) und (K) teilt, der wird wohl auch den Eindruck haben, dass (13)

Es ist informativ, dass Brüder nichts anderes sind als männliche Geschwister

(14)

Es ist informativ, dass Brüder nichts anderes sind als Brüder

und

im Wahrheitswert voneinander abweichen. Aber Church kann diese Intuition nicht wie die entsprechende Intuition in Bezug auf (J) und (K) mit einer Wahrheitswertdifferenz und einem Bedeutungsunterschied zwischen „Bruder“ und „männliches Geschwister“ in diesen Sätzen erklären. Denn in (13) und (14) bedeuten „Bruder“ und „männliches Geschwister“ nicht wie in einem Kontext wie (J) oder (K) ihren indirekten Sinn erster Stufe, sondern ihren gewöhnlichen Sinn, und diesen teilen sich beide Ausdrücke. (13) und (14) unterscheiden sich damit weder in der BedeutungF einer ihrer Konstituenten noch in der Zusammensetzung dieser Konstitutenten. Daraus folgt aber mithilfe des von Church vorausgesetzten fregeschen Kompositionalitätsprinzips der BedeutungF, dass (13) und (14) dieselbe BedeutungF, d. h. denselben Wahrheitswert haben. Church muss die Intuition, dass (13) und (14) nicht denselben Wahrheitswert haben, als bloßen Schein abtun. Aber entspringt diese Intuition nicht derselben Quelle wie das Analogon in Bezug auf (J) und (K)? Church kann keine einheitliche Erklärung für beide Intuitionen liefern, und dies spricht gegen ihn. Wer hingegen einer pragmatischen Erklärung des Gegenstücks zugeneigt ist, kann die entsprechende Intuition in Bezug auf (13) und (14) auf dieselbe Weise erklären und damit dem gleichen Ursprung der beiden Intuitionen gerecht werden. Natürlich könnte man die beiden Intuitionen auch dann einheitlich erklären, wenn man von einer Differenz sowohl im indirekten Sinn erster Stufe als auch im gewöhnlichen Sinn von „männliches Geschwister“ und „Bruder“ ausginge. Aber eine solche Erklärung verbietet sich für Church. Schließlich ist der

146 | Church und das erste Paradox der Analyse

Ausgangspunkt seiner Überlegungen, dass man eine korrekte Analyse des Begriffs des Bruders im Stil von (1) geben kann: (1)

Der Begriff des Bruders ist identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters.

(1) setzt aber Identität im gewöhnlichen Sinn von „männliches Geschwister“ und „Bruder“ voraus. Zudem halte ich eine solche Erklärung für unplausibel. Nicht bloß, dass sie der verschiedene Stärke der Intuitionen gegenüber (26) und (27) auf der einen Seite und (13) und (14) auf der anderen Seite nicht gerecht wird, sie läuft zudem darauf hinaus, dass keine zwei verschiedene Ausdrücke denselben gewöhnlichen Sinn haben können. Aber gewiss kann man einfach festlegen, dass ein Ausdruck denselben gewöhnlichen Sinn hat wie ein anderer.64 Die letzte Alternative für eine einheitliche Erklärung für beide Intuitionen wäre, sowohl eine Wahrheitswertdifferenz zwischen (J) und (K) als auch eine zwischen (13) und (14) anzunehmen. Aber unter der Annahme, dass „Bruder“ und „männliches Geschwister“ denselben gewöhnlichen Sinn haben, ist eine Wahrheitswertdifferenz zwischen (13) und (14) nicht mit Freges Kompositionalitätsprinzip der BedeutungF vereinbar. Und die Ablehnung dieses Prinzips scheidet für einen Anhänger von Freges Semantik wie Church als Option aus. Unter der Annahme, dass Freges Kompositionalitätsprinzip der BedeutungF korrekt ist, hat eine für (ER) unbedenkliche pragmatische Erklärung der Intuition, dass (J) und (K) im Wahrheitswert differieren, die Nase vorn. Fassen wir die Auseinandersetzung mit Churchs Vorschlag für eine Lösung des ersten Paradoxes zusammen: Die erste wirkliche, wenngleich nicht unüberwindbare, Hürde für diesen Vorschlag bildet Davidsons Einwand. Das Hauptproblem betrifft aber die für (ER) problematische These, dass Sätze wie (J) und (K) nicht denselben Wahrheitswert haben. Weder gibt die Differenzannahme ihr einen fundierten Halt noch wird sie im Rahmen von Freges Theorie durch eine Intuition gestützt, dass Sätze wie (J) und (K) nicht denselben Wahrheitswert haben. Vielmehr bringt der Rekurs auf solch eine Intuition im Rahmen von Freges Theorie einen guten Grund gegen diese These zum Vorschein und damit zugleich einen guten Grund dafür, dass die semantischen Gemeinsamkeiten zwischen „männliches Geschwister“ und „Bruder“ nicht beim gewöhnlichen Sinn enden und Churchs Lösungsvorschlag verfehlt ist. Doch selbst wenn (J) und (K) im Wahrheitswert und dementsprechend „Bruder“ und „männliches

|| 64 Siehe zu diesem Punkt Schnieder 2010: 336.

Churchs Übersetzungsargument | 147

Geschwister“ im indirekten Sinn erster Stufe differieren, hat (ER) wenig zu fürchten. Denn in diesem Fall spricht alles dafür, dass bei der Transformation von (J) zu (K) kein Ausdruck durch ein Synonym ersetzt wurde.

6.8 Churchs Übersetzungsargument Die Grundlage für einen weiteren Einwand gegen Churchs Lösungsvorschlag liefert ironischerweise niemand anderes als Church selbst. Der Einwand hat insofern generellere Bedeutung, als er sich nicht bloß gegen Churchs Auflösung des ersten Paradoxes, sondern auch gegen einige der zuvor besprochenen mutmaßlichen Gegenbeispiele richtet. Die Basis für den Einwand bildet Churchs Übersetzungsargument, das er acht Jahre nach seinem Lösungsvorschlag für das erste Paradox als Antwort auf Mates Beispiele gegen (ER) vorbrachte. Rekapitulieren wir den hier relevanten Teil von Matesʼ Argument. Angenommen, dass Bates nicht an die Austauschbarkeit von „fortnight“ und „period of fourteen days“ unter Wahrung des Wahrheitswertes glaubt. Mates würde daraus die Konsequenz ziehen, dass sich die Sätze (28)

Bates believes that whoever believes that the seventh consulate of Marius lasted less than a fortnight, believes that the seventh consulate lasted less than a fortnight

(29)

Bates believes that whoever believes that the seventh consulate of Marius lasted less than a fortnight, believes that the seventh consulate lasted less than a period of fourteen days

und

im Wahrheitswert unterscheiden. Church65 hält dagegen, dass bei der Übertragung der eingebetteten Sätze (30)

Whoever believes that the seventh consulate of Marius lasted less than a fortnight, believes that the seventh consulate lasted less than a fortnight

und

|| 65 Church 1954: 70f.

148 | Church und das erste Paradox der Analyse

(31)

Whoever believes that the seventh consulate of Marius lasted less than a fortnight, believes that the seventh consulate lasted less than a period of fourteen days

ins Deutsche die buchstäbliche Übersetzung der Ausdrücke „period of fourteen days“ und „fortnight“ in ein und demselben Ausdruck besteht, da es im Deutschen kein einzelnes Wort für den Zeitraum von 14 Tagen gibt. Übersetzen wir auf dieser Grundlage nun (32)

Bates believes that (30) and does not believe that (31),

dann erhalten wir eine explizite Kontradiktion. Korrekte Übersetzungen erhalten die semantischen Eigenschaften des Ausgangssatzes. Also ist auch (32) kontradiktorisch, woraus folgt, dass (28) und (29) kontra Mates denselben Wahrheitswert haben. Man kann das Argument noch etwas verschlanken. Denn aufgrund der besagten Ausdrucksarmut des Deutschen lassen sich (28) und (29) durch denselben Satz korrekt ins Deutsche übersetzen. Korrekte Übersetzungen erhalten den Wahrheitswert. Also teilen sich (28) und (29) den Wahrheitswert mit ein und demselben deutschen Satz. Dies ist aber nicht damit vereinbar, dass (28) und (29) im Wahrheitswert divergieren. Das Argument ist auch nicht darauf angewiesen, dass es de facto eine Sprache gibt, in der es lediglich ein Gegenstück für zwei Synonyme einer anderen Sprache gibt. Bereits die Möglichkeit einer solchen Sprache genügt, um das Argument in Gang zu bringen. Nun ist nicht klar, ob die buchstäbliche deutsche Übersetzung von (31) und (30) wirklich ein und derselbe Satz ist. An der Wahrheit von (31) zweifeln einige kompetente Sprecher des Englischen, doch die deutsche Übersetzung, die Church vorschlägt, lässt für Zweifel wohl keinen Raum. Vielleicht gibt es angesichts des Umstands, dass es im Deutschen keinen einfachen Ausdruck für den Zeitraum von 14 Tagen gibt, keine korrekte deutsche Übersetzung von (31) mit den vorhandenen Mitteln des Deutschen.66 Diese Entgegnung wirft allerdings die Frage auf, ob es eine korrekte deutsche Übersetzung von (31) gäbe, wäre das Deutsche um einen einfachen Ausdruck für den Zeitraum für zwei Wochen reicher. Bates könnte des Deutschen mächtig sein und der hypothetischen deutschen Übersetzung zustimmen statt ablehnen. In Bezug auf die deutschen Übersetzungen von „fortnight“ und „period of two weeks“ könnte er überzeugt sein, dass sie sich in Einstellungszu|| 66 Burge (1978 : 122) deutet diese Kritik an.

Churchs Übersetzungsargument | 149

schreibungen ohne Auswirkung auf die Bedeutung der Zuschreibung ersetzen lassen, genau dies in Bezug auf die englischen Ausdrücke aber bezweifeln. Bates kann der hypothetischen deutschen Übersetzung von (31) aus diesen Gründen im selben Brustton der Überzeugung wie im Falle von (30) zustimmen, während er zugleich (31) ablehnt. Gemäß der gegebenen Entgegnung auf Churchs Argument wäre in diesem Szenario auch die hypothetische deutsche Übersetzung nicht korrekt. Ganz unabhängig von der gegebenen Entgegnung gilt in dieser Situation: Wenn aufgrund Batesʼ Zustimmung zu (30) und Ablehnung von (31) sich (28) und (29) im Wahrheitswert unterscheiden, dann sollten dies auch (29) und die hypothetische deutsche Übersetzung tun. Eine korrekte Übersetzung von (29) bewahrt aber notwendigerweise den Wahrheitswert. Es folgt also aus Mates Argument, dass es keine korrekte deutsche Übersetzung von (29) gibt – selbst wenn das Deutsche einen einfachen Ausdruck für den Zeitraum für zwei Wochen enthielte. Natürlich hängt hier nichts an den Besonderheiten der deutschen Sprache. Mates Argument hat demnach die kontraintuitive Konsequenz, dass es keine korrekte Übersetzung von (29) in irgendeiner Sprache gibt. Was von (29) gilt, gilt von allen Einstellungszuschreibungen, die einen dass-Satz enthalten, den eine omnilinguale Sprecherin ablehnen [zustimmen] kann, während sie zugleich jeden Satz einer anderen Sprache zustimmt [ablehnt], der als Übersetzung infrage kommt. Selbst wenn wir Mates Argument nur auf Einstellungszuschreibungen mit mehreren Einstellungsoperatoren (wie in (29)) eingrenzen, folgt immer noch für eine Unzahl von solchen Zuschreibungen, dass es keine korrekte Übersetzung für sie in eine andere Sprache gibt (ohne die jeweilige Sprache künstlich zu erweitern). Nicht bloß Mates Argument hat diese äußerst unattraktive Konsequenz. Aus Burgeʼs Arthritis-Argument zum Beispiel folgt, dass es keine korrekte Übersetzung für „Paul glaubt, dass er eine Arthritis in den Oberschenkeln hat“ in eine beliebige Sprache gibt, denn Paul könnte jeden plausiblen Übersetzungsvorschlag tadellos verstehen und zugleich ablehnen. Ähnliches gilt für das Sofa-Beispiel. Churchs Differenzannahme hat ebenfalls diese Konsequenz, denn aus ihr folgt ja (im Rahmen von Freges Semantik) die Möglichkeit, dass sich zwei beliebige Ausdrücke (gleicher oder unterschiedlicher Sprache) in einem indirekten Kontext zweiter Stufe in ihrer BedeutungF unterscheiden und dies zu einem Wahrheitswertunterschied zwischen einem Satz wie (29) und einem beliebigen Übersetzungsvorschlag führt.

7 Die Paradoxa der Analyse 7.1 Einleitung Nachdem ich mich in den vorangegangenen Kapiteln bemüht habe, (ER) gegen Kritik zu verteidigen und durch gute Gründe zu stützen, möchte ich es nun auf ein philosophisches Problem anwenden. Ein Teil dieses Problems hat seinen Schatten bereits im Einwand aus der mangelnden Erklärung vorausgeworfen, von dem anderen Teil war explizit in der Diskussion um Churchs Gründe für die Ablehnung von (ER) die Rede. Es geht um die beiden Paradoxa der Analyse. Rufen wir uns zunächst das erste Paradox der Analyse in Erinnerung: (A1)

Wenn die in einem Analysesatz verwendeten Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans synonym sind, dann ist die Analyse trivial.

(A2)

Wenn die in einem Analysesatz verwendeten Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans nicht synonym sind, dann ist die Analyse inkorrekt.

(K1)

Jede korrekte Analyse ist trivial.

Mit der Phrase „die Analyse“ in den Annahmen des Arguments ist diejenige Analyse gemeint, die zu dem jeweiligen Analysesatz gehört. Dies lässt offen, um welche Sorte von Gegenständen es sich bei Analysen handelt und a fortiori, in welcher Relation genau ein Analysesatz zu einer Analyse steht. Wenn Analysen Propositionen sind, dann steht ein Analysesatz in der Beziehung des Ausdrückens zu einer Analyse, falls Analysen aber zum Beispiel Sätze sind, dann ist die fragliche Beziehung die der Identität.1 Ein Satz ist genau dann ein Analysesatz, wenn es eine korrekte oder inkorrekte Analyse gibt, die zu ihm gehört. Was zählt aber alles als eine inkorrekte Analyse? Legen wir für die Zwecke dieses Kapitels fest, dass eine inkorrekte Analyse sich von einer korrekten Analyse desselben Begriffs lediglich im Analysans unterscheidet.

|| 1 Meine Unterscheidung zwischen Propositionen als mentalen Gehalten und semantischen Gehalten im Abschnitt 4.4 legt den Verdacht nahe, dass Analysen vielmehr semantische Gehalte statt Propositionen sind. Da aber im Folgenden nichts von dieser Unterscheidung abhängt, ignoriere ich sie hier aus Gründen der Einfachheit.

Einleitung | 151

Betrachten wir nun das zweite Paradox der Analyse. Es lässt sich mit dem folgenden Argument illustrieren: (A3)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein männliches Geschwister zu sein, ist eine korrekte Analyse.2

(A4)

In (A3) lässt sich „männliches Geschwister“ salva veritate durch „Bruder“ ersetzen.

(K2)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein Bruder zu sein, ist eine korrekte Analyse.

(A3) scheint wahr zu sein, doch (K2) ist absurd, obwohl (K2) aus (A3) und (A4) folgt, insofern (A3) eine harmlose Einsetzungsinstanz des Schemas (Zitattilgung) Wenn „S“ wahr ist, dann S erzeugt. Allgemeiner formuliert lautet das paradoxe Argument, dass manche Analysesätze mit synonymen Ausdrücken für Analysans und Analysandum eine korrekte Analyse ausdrücken. Mithilfe der Annahme, dass sich der Ausdruck für das Analysans salva veritate durch den Ausdruck für das Analysandum (und vice versa) ersetzen lässt, gelangen wir zur absurden Schlussfolgerung, dass manche Analysesätze mit demselben Ausdruck für Analysans und Analysandum eine korrekte Analyse ausdrücken. Diese Aporie muss von dem bekannteren Paradox der Analyse strikt unterschieden werden. Denn jenes hängt unter anderem von der Annahme (A2) ab. Für das zweite Paradox der Analyse ist diese Annahme hingegen klarerweise irrelevant. Auch die erste Prämisse des ersten Paradoxes scheint für das zweite Paradox keine Rolle zu spielen.3

|| 2 In der Formulierung von (A3) folge ich pro tem der gängigen Annahme, dass Analysen Propositionen sind und zumindest manche Analysen von Sätzen der Form „Ein F sein ist nichts anderes als ein G zu sein“ ausgedrückt werden können. 3 Die Unterscheidung zwischen dem ersten und zweiten Paradox der Analyse geht auf Felicia Ackerman zurück. Sie hat allerdings nicht genau dasselbe Rätsel wie ich vor Augen, wenn sie vom zweiten Paradox der Analyse spricht. Sie legitimiert den Übergang von (A3) nach (K2) nicht mit (A4), sondern mit der Annahme, dass wenn ein Satz eine korrekte Analyse liefert, dann in ihm links und rechts des zweistelligen Prädikats „ist nichts anderes als“ derselbe Begriff ausgedrückt wird (Ackerman 1990: 536). Ich halte diese Annahme allerdings nicht im selben Maße für intuitiv plausibel wie (A4). Zudem ist sie eng verwandt mit der zweiten Annahme des ersten Paradoxes. Wer diese Annahme ablehnt, hat einen guten Grund, auch die analoge Annahme in Ackermans Paradox abzulehnen. Die von mir als zweites Paradox der

152 | Die Paradoxa der Analyse

Es gibt eine Variante des zweiten Paradoxes, in der nicht der Begriff der Analyse, sondern der des Analysans die tragende Rolle spielt. (A5)

Der Begriff des männlichen Geschwisters ist das Analysans für den Begriff des Bruders.

(A6)

In (A5) lässt sich „männliches Geschwister“ salva veritate durch „Bruder“ ersetzen.

(K3)

Der Begriff des Bruders ist das Analysans für den Begriff des Bruders.

(A5) ist prima facie plausibel. Schließlich werden in „Der Begriff des männlichen Geschwisters“ die Komponenten des Begriffs des Bruders aufgezeigt. Aber zusammen mit (A6) folgt die grell falsche Konklusion (K3). Wiederum stehen wir vor einem Paradox.4 Da sich alle Lösungsvorschläge für das zweite Paradox in der Standardvariante leicht auf dieses Rätsel übertragen lassen, werde ich es im Folgenden allerdings weitgehend ignorieren. Das zweite Paradox lässt sich leicht umgehen, wenn man (ER) fallen lässt. Denn ohne (ER) fehlt die Grundlage für (A4) und damit für den Übergang von (A3) nach (K2). Aber auch vom ersten Paradox wird häufig angenommen, dass die Aufgabe von (ER) der Schlüssel zur Lösung des Rätsels ist. Wir wissen bereits, dass Churchs Lösungsvorschlag für dieses Paradox mit einer Ablehnung von (ER) einhergeht – insofern man ungeachtet seiner Überlegungen zur Variabilität des indirekten Sinns daran festhält, dass „Bruder“ und „männliches Geschwister“ synonym sind.5 Es gibt einen weiteren Lösungsvorschlag für das erste Paradox, der auf der Zurückweisung von (ER) beruht. Ich werde darauf gleich zurückkommen. Daraus, dass es für beide Paradoxa Lösungsversuche gibt, die in der Aufgabe von (ER) bestehen, folgt nicht, dass die beiden Paradoxa gute Gründe gegen (ER) bilden. Ich habe bereits gezeigt, dass für die Aufgabe von (ER) bislang keine stichhaltigen Argumente vorgebracht worden sind und es vielmehr gute Gründe für (ER) gibt. Also sollte man nach einem anderen Ausweg aus den Paradoxa suchen. Für eine umfassende Verteidigung von (ER)

|| Analyse bezeichnete Aporie ist von dieser Annahme hingegen unabhängig. Wiggins (2007: 82) nennt dieses Rätsel das Paradox der Synonymie. Es findet sich übrigens schon bei Moore 1942: 665 und Pap 1958: 291. 4 Bereits Sellars (1964: 84) hat auf diese Variante des zweiten Paradoxes aufmerksam gemacht, ohne es allerdings vom ersten Paradox der Analyse zu unterscheiden. 5 Siehe 6.1.

Analysen ohne Synonymie | 153

kann es ohnehin nicht schaden, den Verdacht von (ER) abzulenken und die Aporien unter Wahrung von (ER) in Euporien aufzulösen. Ich werde im Folgenden dafür argumentieren, dass beide Prämissen des ersten Paradoxes und die erste Prämisse des zweiten Paradoxes falsch sind. Nicht bloß lässt sich mit nicht-synonymen Ausdrücken für Analysandum und Analysans eine korrekte Analyse liefern. Synonymie zwischen Analysandumund Analysans-Ausdruck schließt sogar die Korrektheit der Analyse aus. Der Grund dafür liegt grob gesagt darin, dass Analysen Erklärungen sind und man, wie sich mit (ER) zeigen lässt, mit synonymen Ausdrücken für Explanandum und Explanans keine korrekte Erklärung liefern kann. Nach der kritischen Diskussion anderer Konzeptionen von Analysen werde ich die Idee, dass Analysen Erklärungen sind, ausführlich ausbuchstabieren und verteidigen.

7.2 Analysen ohne Synonymie Beginnen wir bei dem ersten Paradox. Richten wir unsere Aufmerksamkeit zunächst auf die zweite Prämisse und werfen einen Blick auf (1)

Zu wissen ist nichts anderes als eine wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung zu haben.

Tun wir im Folgenden so, als wäre (1) ein wahrer Analysesatz und kürzen ihn durch den folgenden etwas handlicheren Ausdruck ab: (2)

Wissen ist nichts anderes als wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung.6

Die Ausdrücke links und rechts vom Identitätsausdruck in (2) scheinen nicht synonym zu sein, unabhängig davon, ob Synonymie im Kontext des ersten Pa|| 6 Die Abbreviatur hat auch einen Nachteil. Es ist nämlich nicht klar, ob diese Phrase (bzw. ihr englisches Pendant), die so häufig in der Literatur bemüht wird, überhaupt ein wohlgeformter Satz ist. Auf der rechten Seite des Identitätsprädikats steht ein sortaler Ausdruck. Wenn das Identitätsprädikat buchstäblich verstanden werden soll und nicht wie in „Peter ist nichts anderes als ein zu groß geratenes Baby“, dann sollte auf der linken Seite des Identitätsprädikats ebenfalls ein sortaler Ausdruck stehen. Wie sich „Wissen“ zu der Unterscheidung zwischen singulären und generellen Termen auch immer verhält, ein sortaler Ausdruck ist es nicht. Dies spricht umgekehrt dafür, den sortalen Ausdruck in (2) durch einen nicht-sortalen wie „das Haben einer wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung“ zu ersetzen. Die Handlichkeit ginge dann natürlich wieder verloren, außerdem scheint man sich damit darauf festzulegen, dass „Wissen“ ein singulärer Term ist.

154 | Die Paradoxa der Analyse

radoxes als Gleichheit in der kontextunabhängigen oder kontextuellen Bedeutung zu verstehen ist. Denn der Eindruck der Nicht-Synonymie ist unabhängig davon, ob sich die beiden Ausdrücke den Kontext der Äußerung teilen oder nicht. Sie haben anscheinend weder dieselbe kontextunabhängige noch dieselbe kontextuelle Bedeutung. Der Eindruck ist in der Tat gerechtfertigt. Wer die (kontextunabhängige) Bedeutung von „wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung“ kennt, der assoziiert den Begriff der wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung mit dem Ausdruck.7 Doch diesen Begriff muss man nicht mit „Wissen“ assoziieren, um die Bedeutung von „Wissen“ zu kennen. Man muss klarerweise nicht an Wissen als wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung denken, um „Wissen“ zu verstehen. Der Begriff des Wissens ist demnach nicht identisch mit dem Begriff der wahren, gerechtfertigten Meinung. Dies zeigt sich auch darin, dass man überzeugt sein kann, dass Wissen keine wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung ist. Aufgrund des Kontrasts in den Bedingungen für die Kenntnis der kontextunabhängigen Bedeutung der beiden Ausdrücke sind die beiden Ausdrücke nicht synonym. Also lässt sich mit nicht-synonymen Ausdrücken für das Analysandum und für das Analysans eine korrekte Analyse liefern. Dies spricht gegen die zweite Prämisse des ersten Paradoxes – und zwar selbst dann, wenn (2) zwar wahr, aber kein Analysesatz sein sollte, weil (2) nicht die richtige Form dafür hat. Von welcher Form ein Analysesatz, mit dem man eine korrekte Analyse des Begriffs des Wissens aufstellt, auch immer ist, „Wissen“ und „wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung“ sind in ihm die Ausdrücke für das Analysandum und das Analysans (solange (2) wahr ist). Also ist die zweite Annahme des Paradoxes, dass wenn die in einem Analysesatz verwendeten Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans nicht synonym sind, die dazugehörige Analyse inkorrekt ist, falsch.8

|| 7 Im Lichte der Pluralität von Begriffen, die kompetente Sprecher mit demselben Ausdruck assoziieren können, sollte man hier vielleicht vorsichtiger sagen, dass man als Kenner der Bedeutung des Ausdrucks einen Begriff der wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung mit dem Ausdruck assoziiert. Siehe die Abschnitte 4.2 und 4.5. 8 Meine Kritik an der zweiten Prämisse ähnelt der von Odegard 1967, Ayer 1971: 224f., Ackerman 1981; 1992, Künne 1990: 35–8 und Anderson 1993. Für andere Einwände gegen die zweite Prämisse siehe Black 1944; 1945a; 1945b, Carnap 1947: § 15, Sellars 1964, Chisholm 1982: 100– 6, Jacquette 1990 und Orilia 1998.

Analysen und Trivialität | 155

7.3 Analysen und Trivialität Gehen wir zur ersten Prämisse des ersten Paradoxes über. Ich werde sie später wie gesagt auf Basis der Annahme ablehnen, dass man mit synonymen Ausdrücken für das Analysandum und für das Analysans keine korrekte Analyse ausdrücken kann. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Vorläufig geht es mir stattdessen darum, sie vor voreiliger Kritik zu schützen, vor Verwechslungen zwischen der Informativität von Propositionen und der von Äußerungen zu warnen und mich gegen allzu seichte Auflösungen des ersten Paradoxes auszusprechen. Ein guter Aufhänger für die Diskussion ist Arthur Paps Ablehnung der ersten Prämisse, die auf der Zurückweisung von (ER) beruht. Paps Überlegungen lassen sich am besten vor dem Hintergrund eines Arguments für die erste Prämisse des Paradoxes verstehen: Nehmen wir an, dass die Proposition, dass (3)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein Bruder zu sein,

trivial ist. Da „Bruder“ mit „männliches Geschwister“ synonym ist, können wir aus der logischen Wahrheit, dass (4)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein Bruder zu sein, ist identisch mit der Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein Bruder zu sein,

mithilfe von (ER) ableiten, dass (5)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein Bruder zu sein, ist identisch mit der Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein männliches Geschwister zu sein.

Die triviale Proposition, dass (3), ist demnach identisch mit der Proposition, dass (6)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein männliches Geschwister zu sein.9

Mithin ist die Proposition, dass (6), trivial. (6) ist ein Analysesatz und drückt eine Analyse aus. Also drückt (6) eine triviale Analyse aus. Dasselbe lässt sich mit prinzipiell demselben Argument von jedem anderen Analysesatz zeigen, in

|| 9 An dieser Stelle des Arguments lugt das zweite Paradox der Analyse bereits hervor.

156 | Die Paradoxa der Analyse

dem die Ausdrücke für das Analysans und das Analysandum synonym sind. Also ist die erste Prämisse des ersten Paradoxes korrekt. Für Pap und viele andere frühe Kommentatoren des ersten Paradoxes ist bereits die Zwischenkonklusion dieses Arguments, dass die Proposition, dass (6), trivial ist, nicht hinnehmbar.10 Das Argument, welches zu dieser Konsequenz führt, hängt aber lediglich von intuitiv plausiblen Annahmen ab (jedenfalls dann, wenn man den Intuitionen Paps und vieler anderer folgt). Das Argument ist daher in Paps Augen ein eigenständiges Rätsel.11 Es kann nicht mit der Ablehnung der zweiten Prämisse des Paradoxes gelöst werden. Pap mag der Ablehnung der zweiten Prämisse seinen Segen geben, aber eine solche Ablehnung hilft ihm bei dem eben vorgestellten Argument nicht im Geringsten weiter.12 Die Aufgabe der zweiten Prämisse schützt zwar vor der Konklusion des ersten Paradoxes, dass jede korrekte Analyse trivial ist, sie ist aber mit der schwächeren These vereinbar, dass einige korrekte Analysen, zum Beispiel die mit (6) ausgedrückte, trivial sind. Mit dieser These kann sich Pap aber genauso wenig anfreunden wie mit der stärkeren Konklusion des ersten Paradoxes. Pap steht mit seiner Antipathie gegen die schwächere These nicht allein da. Vielen frühen Kommentatoren des ersten Paradoxes ist sie ein Stachel im Fleisch. Dies ist wohl auch der Grund, warum sich diese Autoren vornehmlich mit der ersten Prämisse beschäftigten und der zweiten Prämisse keine weitere Beachtung schenkten. Um das erste Paradox befriedigend zu lösen, muss ihnen zufolge die Annahme zurückgewiesen werden, die unausweichlich zur ersten Prämisse des Paradoxes führt, nämlich die Annahme, dass die Proposition, dass (6), trivial ist. Vor diesem Hintergrund muss man wohl die Konsequenz ziehen, dass für Pap und andere Autoren das erste Paradox, so wie ich es formuliert habe, streng genommen kein Paradox ist, insofern man jedes Paradox als Argument mit intuitiv plausiblen Prämissen und einer intuitiv inakzeptablen Konklusion darstellen kann. Denn da ihnen zufolge die erste Prämisse von der Annahme abhängt, dass die Proposition, dass (6), trivial ist, ist sie in ihren Augen genauso intuitiv unplausibel wie diese Annahme. Vielleicht lässt sich ihre Sichtweise also besser beschreiben, wenn man die erste Prämisse des Paradoxes als inak-

|| 10 Siehe zum Beispiel Moore 1942: 665, Black 1944: 265, Carnap 1947: 63, Cargile 1979: 153f. 11 Einige Autoren scheinen dieses Rätsel sogar mit dem ersten Paradox der Analyse zu identifizieren. Siehe zum Beispiel Carnap 1947: 63 und Davidson 1963: 340. 12 Siehe dazu auch Ayer (1971: 224ff.), der die zweite Prämisse des ersten Paradoxes ablehnt, aber diese Ablehnung offensichtlich noch für keine befriedigende Lösung des ersten Paradoxes hält.

Analysen und Trivialität | 157

zeptable Konklusion eines Arguments darstellt, das aus intuitiv plausiblen Prämissen besteht, nämlich der Prämisse, dass die mit (3) ausgedrückte Proposition trivial ist, der (vielleicht bloß scheinbaren) logischen Wahrheit, dass (4), dem Prinzip (ER) und der Prämisse, dass „Bruder“ mit „männliches Geschwister“ synonym ist. Aus diesen Prämissen folgt, dass die Proposition, dass (6), trivial ist. Daraus folgt wiederum mit den oben bereits genannten intuitiv plausiblen Annahmen die erste Prämisse des Paradoxes. Pap glaubt nun, die erste Prämisse des Paradoxes umgehen zu können, indem er (ER) fallen lässt und auf diese Weise den Übergang von (4) nach (5) blockiert: My own proposed solution of the paradox is simply that the principle of substitutivity does not hold without restriction for analytic synonyms. Universal interchangeability of analytic synonyms is actually an essential premise without which the paradox of analysis cannot be derived. For without it we could not derive from the identity [(4)] the counterintuitive consequence [(5)].13

Um es zu wiederholen: (5) ist für Pap eine „counter-intuitive consequence“, weil ihm zufolge die Proposition, dass (3), trivial ist, die Proposition, dass (6), allerdings nicht. Ein solcher Informativitätsunterschied ist aber nicht mit (5) vereinbar. Also gibt er (ER) auf, ohne das (5) nicht aus (4) abgeleitet werden kann. Die Aufgabe von (ER) ist, wie ich argumentiert habe, keine plausible Option. Ein weiteres Bedenken betrifft Paps Annahme, dass die mit (3) ausgedrückte Proposition trivial ist. Betrachten wir zunächst den Satz (3). Er ist jedenfalls nicht im starken Sinn trivial. Mit anderen Worten: Es ist nicht der Fall, dass man ihn nicht nach gewöhnlichen Maßstäben verstehen kann, ohne ihm zuzustimmen. Man kann ihn nach gewöhnlichen Maßstäben verstehen und ihn ablehnen, zum Beispiel wenn man sowohl glaubt, dass er nur dann wahr ist, wenn „ein Bruder zu sein“ eine existierende Eigenschaft bezeichnet, als auch, dass keine Eigenschaften existieren. Immerhin scheint (3) im schwachen Sinne trivi-

|| 13 Pap 1958: 290. Ich habe seine Beispielsätze durch meine eigenen ersetzt. Pap erläutert nicht, welche Funktion das Adjektiv „analytic“ vor „synonyms“ übernehmen soll. Vermutlich meint er mit „analytic synonyms“ Paare von Synonyma, deren Elemente zusammen in einem korrekten Analysesatz vorkommen können. Ich glaube, die Frage kann man in unserem Zusammenhang allerdings auf sich beruhen lassen. Vergleiche Pap 1955: 118: „[…] restriction of the rule of interchangeability of synonyms to extensional contexts would […] have in either case the merit of enabling a simple solution to the paradox of analysis.“ Hier taucht „analytic“ noch nicht auf. „analytic synonyms“ ist auch keine Anspielung auf Clarence Lewisʼ Begriff der Äquivalenz in der analytischen Bedeutung (Lewis 1944: 246), da Pap Lewisʼ Explikation des Synonymiebegriffs mithilfe dieses Begriffs für zirkulär hält (1958: 287).

158 | Die Paradoxa der Analyse

al zu sein. Es gibt nämlich ein legitimes Verständnis des Satzes gemessen an gewöhnlichen Maßstäben, dem zufolge seine Wahrheit nicht die Existenz der Eigenschaft voraussetzt, ein Bruder zu sein. Es gibt also anscheinend ein legitimes Verständnis von (3), sodass man den Satz nicht auf diese Weise verstehen kann, ohne ihm zuzustimmen. Wie steht es nun um den Informationswert der mit (3) ausgedrückten Proposition? Ein Problem mit ihrer Beantwortung besteht darin, dass (mir) nicht klar ist, welche Proposition (3) ausdrückt. Ist es eine Proposition, die nur dann wahr ist, wenn es die Eigenschaft gibt, ein Bruder zu sein? Oder ist es eine Proposition, die frei von jeder Existenzimplikation ist? Nur im letzten Fall ist die mit (3) ausgedrückte Proposition trivial, d. h., nur im letzten Fall kann man die mit (3) ausgedrückte Proposition nicht fassen, ohne zu glauben, dass (3). Nehmen wir zu Paps Gunsten an, dass (3) eine triviale Proposition ausdrückt. In diesem Fall irrt Pap sich, wenn er davon ausgeht, dass „universal interchangeability of analytic synonyms is actually an essential premise without which the paradox of analysis cannot be derived“. Denn für die erste Prämisse lässt sich dann wohl auch ohne Rekurs auf (ER) argumentieren: Wenn die Proposition, dass (3), trivial ist, dann ist auch die Proposition, dass (6), trivial. Schließlich gilt von ihr dann analog: Man kann sie nicht fassen, ohne zu glauben, dass (6). Wenn sie eine Analyse ist, ist sie in diesem Fall also eine triviale Analyse. Und wenn sie eine triviale Analyse ist, ist es auch jede andere Analyse, die von einem Satz der Form „Ein F zu sein ist nichts anderes als ein G zu sein“ ausgedrückt wird, in dem die Ausdrücke an der F- und an der G-Stelle synonym sind. Dies scheint für die erste Prämisse zu sprechen – unabhängig davon, ob (ER) korrekt ist oder nicht. In diesem Fall reicht die Aufgabe von (ER) kontra Pap für eine Auflösung des ersten Paradoxes ohnehin nicht aus. Wie lässt sich Paps Intuition erklären, dass die mit (3) ausgedrückte Proposition trivial, die mit (6) ausgedrückte aber informativ ist? Ähnlich wie Churchs Intuition in Bezug auf (7)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters ist

(8)

Es ist informativ, dass der Begriff des Bruders identisch mit dem Begriff des Bruders ist,14

und

|| 14 Siehe zu Churchs Intuitionen Abschnitt 6.7.

Analysen und Trivialität | 159

können wir uns auch Paps Intuition teilweise mit pragmatischen Überlegungen verständlich machen. Es gibt eine Information, die man mit einer Äußerung von (6), aber mit keiner von (3) indirekt mitteilen kann, nämlich dass „Bruder“ auf dieselben Gegenstände wie „männliches Geschwister“ zutrifft oder vielleicht auch, dass der Begriff Bruders die Begriffe Männlich und Geschwister als Komponenten hat. Dieser Unterschied ist womöglich für Paps Intuition verantwortlich, dass die mit (6) ausgedrückte Proposition informativ ist, die mit (3) ausgedrückte hingegen nicht. Ich will nicht verschweigen, dass es auch eine Information gibt, die man mit einer Äußerung von (3), aber nicht mit einer von (6) indirekt mitteilen kann, und zwar, dass „ist nichts anderes als“ links und rechts von ein und demselben Ausdruck flankiert werden darf. Darin kann jemand, der mit der Bedeutung von „ist nichts anderes als“ noch unvertraut ist, eine wertvolle Information finden. Pap ist allerdings wie anderen auch15 wohl schlicht entgangen, dass man einer Äußerung von (3) diese Information über den Identitätsausdruck indirekt mitteilen kann. Die zuvor erwähnten Informationen, die man mit einer Äußerung von (6) zu verstehen geben kann, liegen viel näher. Daher hat Pap lediglich die Proposition, dass (6), für informativ befunden. Einige Autoren haben mit bloßem Hinweis auf die Information über die (extensionale) Äquivalenz zwischen „Bruder“ und „männliches Geschwister“, die man mit einer Äußerung von (6) indirekt mitteilen kann, die erste Prämisse des Paradoxes abgelehnt.16 Dies ist vielleicht etwas unbedacht. Daraus, dass eine Äußerung von (6) informativ ist, folgt noch nicht, dass die Analyse des Begriffs des Bruders informativ ist. Äußerungen sind keine Analysen. Nun kann man wohl nicht bloß jeder Äußerung von (6) angesichts der mit ihr transportierten Informationen Informativität bescheinigen, sondern auch dem Satz (6) selbst. Wenn also der Satz (6) die Analyse des Begriffs des Bruders ist, dann folgt durchaus, dass die Analyse des Begriffs des Bruders informativ und die erste Prämisse falsch ist. Allerdings gibt es triftige Einwände gegen die Annahme, dass bestimmte Sätze Analysen sind, wie sich in Kürze zeigen wird. Aber selbst wenn Analysen Sätze wären, sollte man davon Abstand nehmen, unter Berufung auf die mit einer Analyse gelieferten Informationen über Ausdrücke das erste Paradox aufzulösen. Es wäre eine allzu oberflächliche Lösung. Wenn Philosophen Analysen durchführen, geht es ihnen im Allgemeinen nicht um einen Zugewinn an Information über Ausdrücke. Sie wollen vielmehr Einsicht in das Wesen von etwas erhalten. Eine Analyse des Begriffs des Bruders || 15 Siehe zum Beispiel Bradley & Swarts 1979: 192 und Cobb 2001: 421–2. 16 Siehe Ayer 1971: 231f., Bradley & Swarts 1979: 191f. und David OʼConnor 1982: 212.

160 | Die Paradoxa der Analyse

soll ihnen zum Beispiel Einsicht in das Wesen oder die Natur der Eigenschaft, ein Bruder zu sein, verschaffen. Informationen über Ausdrücke (oder Begriffe) werden sie nicht befriedigen. Wir könnten demnach den eigentlichen Kern des Problems sichtbar machen, indem wir die erste Prämisse des Paradoxes modifizieren, sodass in ihr nicht mehr von Trivialität die Rede ist, sondern davon, dass eine Analyse keine Einsicht in die Natur von etwas gewährt, wenn die in dem dazugehörigen Analysesatz verwendeten Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans synonym sind. Zusammen mit der zweiten Prämisse folgt daraus, dass eine korrekte Analyse keine Einsicht in die Natur eines Gegenstandes gewährt. Um diese Variante des Paradoxes zu lösen, ist es fruchtlos, auf die Informativität von Analysen in Bezug auf Sprachliches hinzuweisen. Auch die weiter oben erwähnten Gründe für die Informativität der mit (6) ausgedrückten Proposition scheinen nicht dafür zu sprechen, dass diese Proposition auf die gewünschte Art und Weise informativ ist und uns Erkenntnis über die Natur von etwas verschafft. Also scheint auch eine auf diesen Gründen basierende Ablehnung der ersten Prämisse am Kern des Problems vorbeizugehen. Wir sind in einer besseren Position, um die erste Prämisse zu beurteilen, wenn wir im Zuge der Auseinandersetzung mit dem zweiten Paradox geklärt haben, was für Entitäten Analysen sind und wann ein Satz ein Analysesatz ist.

7.4 Das zweite Paradox der Analyse 7.4.1 Erster Grund für die Zurückweisung der ersten Prämisse Das zweite Paradox lässt einer Freundin von (ER) wenig Spielraum für eine Lösung. Infrage kommt lediglich, die Annahme (A3)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein männliches Geschwister zu sein, ist eine korrekte Analyse

für das Paradox verantwortlich zu machen.17 Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten, (A3) die kalte Schulter zu zeigen. (A3) könnte falsch sein, weil überhaupt keine Proposition eine (korrekte) Analyse ist oder weil (A3) die falsche Proposition als eine korrekte Analyse hinstellt. Mein Herz schlägt für

|| 17 Die Alternative wäre zu bestreiten, dass „Bruder“ mit „männliches Geschwister“ synonym ist (siehe King 1998: 155 ff.; 2007: 197ff. und Wiggins 2007: 84f.). Angesichts der Möglichkeit, simple Ausdrücke als synonym mit komplexen Ausdrücken stipulativ einzuführen, halte ich allerdings nichts von dieser Idee als allgemeinem Lösungsansatz.

Das zweite Paradox der Analyse | 161

die zweite Option, doch zunächst möchte ich mich eingehender mit der ersten Alternative beschäftigen. In einem bestimmten Sinn sollte man der Ansicht, dass Analysen keine Propositionen sind, sofort beipflichten. Eine Analyse als etwas, das man durchführen und das scheitern kann, ist ganz gewiss keine Proposition, sondern ein Akt – der Akt des Analysierens. Um eine Analyse in diesen Sinn von „Analyse“ geht es in (A3) nun aber nicht. Die erste Option besagt deshalb genauer, dass (A3) falsch ist, weil in dem Sinn von „Analyse“, in dem von Analysen in (A3) die Rede ist, Analysen keine Propositionen sind. Im Folgenden soll es mir lediglich um diesen Sinn von „Analyse“ gehen. Wenn eine Analyse keine Proposition ist, was ist dann eine Analyse? Die spontane Antwort lautet vermutlich: Ein Satz! Wenn der Satz (6)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein männliches Geschwister zu sein

eine Analyse ist, löst sich das zweite Paradox in Luft auf, da (ER) aufgrund der ersten Bedingung keine Substitution von Synonyma in Anführungskontexten legitimiert. Sollten wir also von gewissen Sätzen als Analysen ausgehen? Vorausgesetzt, dass (6) ein wahrer Analysesatz ist, wäre in diesem Fall nicht bloß (6) selbst, sondern auch jede geeignete Übersetzung von (6) in einer anderen Sprache wie etwa der englische Satz „to be a brother is nothing other than to be a male sibling“ eine korrekte Analyse des Begriffs des Bruders.18 Dass es für einen Begriff im Prinzip mindestens so viele korrekte Analysen geben könnte wie Sprachen auf der Welt, ist ein befremdliches Resultat. Sollte die Analyse nicht in allen Sprachen dieselbe sein, solange der analysierte Begriff derselbe ist? Zudem gäbe es in einer Sprache, die kein einzelnes synonymes Wort zu „Bruder“ enthält, keine Analyse des Begriffs des Bruders, während es in einer Sprache mit mehreren einzelnen synonymen Wörtern zu „Bruder“ mehrere solcher Analysen gäbe. Die Anzahl der Sprachen und damit auch der wohlgeformten Sätze verändert sich über die Zeit. Verändert sich also auch die Anzahl korrekter Analysen für einen Begriff über die Zeit? Analysen sollen Antworten auf bestimmte Fragen bereitstellen. Aus einer Äußerung von (6) kann man zum Beispiel eine Antwort auf die sokratische Fra|| 18 Eine Übersetzung ist in diesem Zusammenhang nur dann geeignet, wenn sie die Verschiedenheit zwischen dem Analysans- und dem Analysandum-Ausdruck wahrt. Die Übersetzung von „being a fortnight is nothing other than being a period of two weeks“ ins Deutsche erfüllt diese Bedingung nicht.

162 | Die Paradoxa der Analyse

ge herausfiltern: Was ist ein Bruder? Ist mit „Antwort“ der Gehalt eines Aktes des Antwortens (und nicht der Akt selbst) gemeint, kennt diese Frage aber nur eine Antwort. Wenn die Methode des Analysierens ersonnen wurde, um eine Antwort (im Gehalt-Sinn) auf sokratische Fragen zu finden, warum entspricht dann nicht einer solchen Antwort genau eine Analyse? Entsprächen mehrere Analysen einer solchen Antwort, gäbe es Unterschiede zwischen Analysen desselben Begriffs, die für das Ziel des Analysierens dieses Begriffs völlig irrelevant sind. Dies sollte Grund genug sein, sich nach einer alternativen Konzeption umzusehen. Vielleicht sind wir mit der Annahme, dass Analysen Sätze sind, nur knapp über das Ziel hinausgeschossen. Dieser Annahme zufolge ist für die Frage, ob etwas eine Analyse ist, die Art und Weise, wie ein Analyse-Kandidat formuliert ist, relevant. Man kann an dieser Konsequenz festhalten, ohne den Analysesatz selbst als Analyse aufzufassen. Ich habe hier folgende Idee im Sinn: Eine Analyse ist kein Satz, sondern ein Komplex bestehend aus einer Proposition und der Art und Weise ihrer Formulierung. Vielleicht könnte man dieses Gebilde eine Proposition in dieser oder jener Formulierung nennen.19 Wenn Analysen solche hybriden Komplexe sind, ist (A3) falsch. Ob mit der Äußerung von (6) eine Analyse angegeben wird, hängt demnach nicht bloß von der mit (6) ausgedrückten Proposition ab. Diese ist in der Tat mit der von (3)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein Bruder zu sein

ausgedrückten Proposition identisch. Es hängt auch in einem bestimmten Maße von der Art ab, wie diese Proposition formuliert wird.20 Wenn etwa in der Formulierung dieser Proposition der Analysans-Ausdruck nicht komplexer ist als der Analysandum-Ausdruck, dann liefert man mit dieser Formulierung keine Analyse. In (3) steht aber im Gegensatz zu (6) auf der einen Seite des Identitätsausdrucks ein genauso komplexer, ja ein und derselbe Ausdruck wie auf der anderen Seite. Also stellt man mit (3) keine Begriffsanalyse auf. Das Hybrid-Modell hat nicht zur Konsequenz, dass es für jeden Begriff ungeheuer viele korrekte Analysen gibt. Dies hebt es positiv von der Konzeption von Analysen als Sätzen ab. Doch hat dieses Modell auch einen großen Nach|| 19 Unter Millianern wird gern von Propositionen in einer bestimmten Gestalt („guise“) gesprochen (Siehe zum Beispiel Braun 1998, Salmon 1989; 1995, Soames 1987; 1995). Allerdings glauben nicht alle Freunde dieser Redeweise, dass es sich bei einer Gestalt um etwas Sprachliches wie eine Formulierung handelt. 20 Eine ähnliche Grundidee (mit ähnlichen Vor- und Nachteilen) entwickelte bereits Langford (1949: 210–2).

Das zweite Paradox der Analyse | 163

teil. Dieser entsteht daraus, dass sich für manche Analysen das zweite Paradox überhaupt nicht stellt. Werfen wir einen Blick zurück auf (2)

Wissen ist nichts anderes als wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung.

Wie ich bereits argumentiert habe, sind die Ausdrücke links und rechts vom Identitätsausdruck nicht synonym. Wenn die Ausdrücke nicht synonym sind, kann man auch nicht von (B)

Die Proposition, dass Wissen nichts anderes ist als wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung, ist eine korrekte Analyse

mithilfe von (ER) zu (C)

Die Proposition, dass Wissen nichts anderes ist als Wissen, ist eine korrekte Analyse

übergehen. (2) wirft das zweite Paradox in der oben angegebenen Form also nicht auf. Es scheint daher keinen guten Grund dafür zu geben, dass die Art und Weise der Formulierung der Proposition, dass (2), eine Rolle dafür spielt, ob mit dieser Formulierung eine Analyse geliefert wird. Man könnte vielleicht einwenden, dass Beispiele wie (2) zu Merkwürdigkeiten Anlass geben, die dem zweiten Paradox nicht unähnlich sind. Setzen wir per Definition fest, dass „Wageme“ synonym ist mit „wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung“. Dann können wir aus (B) und (ER) schließen, dass (D)

Die Proposition, dass Wissen nichts anderes ist als Wageme, ist eine korrekte Analyse.

(D) steht die Falschheit wohl nicht im selben Maße ins Gesicht geschrieben wie (C). Gleichwohl hat man bei (D) ein ungutes Gefühl, schließlich steht auf der rechten Seite des Identitätsausdrucks kein komplexerer Ausdruck als auf der linken Seite. Man kann dieses Unbehagen nun aber erklären, ohne dabei anzunehmen, dass (D) falsch ist und demnach die Weise der Formulierung der mit (2) ausgedrückten Proposition eine Rolle dafür spielt, ob mit dieser Formulierung eine Analyse geliefert wird oder nicht. Das Unbehagen rührt aus unserer Erwartung, dass eine korrekte Analyse des Wissensbegriffs uns die Abhängigkeit der Eigenschaft, zu wissen, von mehreren Eigenschaften vor Augen führt. Aus der Formulierungsweise in (D) wird dies aber nicht bereits deutlich. Schließlich besteht der Analysans-Ausdruck in dem in (D) eingebetteten Satz

164 | Die Paradoxa der Analyse

(9)

Wissen ist nichts anderes als Wageme

aus einem einzigen Wort. Was nicht bereits anhand der Formulierung deutlich wird, lässt sich aber aus der Bedeutung der Formulierung erschließen. Das geschilderte Unbehagen beruht also lediglich auf einem pragmatischen und nicht auf einem semantischen Makel – was übrigens nicht heißt, dass (D) semantisch makellos ist, dazu später mehr. Auch mit Analysandum- und AnalysansAusdrücken gleicher Komplexität lässt sich also eine korrekte Analyse formulieren, obwohl die gegenteilige Auffassung in der Literatur zu Begriffsanalysen dominiert.21 Auf einer ähnlichen und gleichermaßen irrigen Ansicht baut Carnap übrigens sogar seine Lösung des ersten Paradoxes der Analyse auf, da er davon ausgeht, dass die Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysandum in der Formulierung einer korrekten Analyse eine unterschiedliche interne Struktur haben müssen und aus diesem Grunde in einem anspruchsvollen Sinn von „synonym“ nicht synonym sind.22 Nun haben „Wissen“ und „Wageme“ keine unterschiedliche interne Struktur und trotzdem lässt sich mit ihrer Hilfe eine korrekte Analyse liefern. Wenn wir die Forderung nach unterschiedlicher interner Struktur oder unterschiedlicher Komplexität allerdings auf prima facie synonyme Analysans- und Analysandum-Ausdrücke einschränken, scheint sie hingegen weitaus akzeptabler zu sein.23 Wie ein Satz, der die Proposition, dass (2), ausdrückt, formuliert ist, ist unerheblich für die Frage, ob dieser Satz eine korrekte Analyse liefert. Wenn (2) eine Wiedergabe einer Begriffsanalyse ist, ist es auch (9) sowie jede andere Formulierung derselben Proposition. Für das Hybrid-Modell ergibt sich daraus das Problem, dass es nicht auf alle Analysen anwendbar ist und die unangenehme Konsequenz hat, dass der Ausdruck „Begriffsanalyse“ mehrdeutig ist: In || 21 Sie findet sich zum Beispiel bei Langford 1942: 326; 1952: 117, Moore 1942: 666, Black 1945: 631, Sellars 1950: 92f.; 1964: 93f., Pap 1958: 275, Ayer 1971: 223f., Mackie 1973: 6 und Mills 2008: 314. Bereits Ackerman (1981: 315) weist diese Auffassung aus ähnlichen Gründen wie den oben genannten zurück. 22 Eine unterschiedliche interne Struktur ist nicht dasselbe wie eine unterschiedliche Komplexität. Aus einer unterschiedlichen internen Struktur folgt noch kein Unterschied in der Komplexität, jedoch folgt aus einer unterschiedlichen Komplexität auch eine unterschiedliche interne Struktur. Carnap formuliert seine Grundidee mithilfe des Begriffs der intensionalen Isomorphie aus (Carnap 1947: 63f.). Eine lesenswerte Kritik an Carnaps Lösungsvorschlag findet sich in Lewy 1949: 236f.; 1976: 73ff. Siehe auch Davidson 1963: 340ff. 23 Man kann den Anhängern dieser Forderung auch mit der Annahme etwas entgegenkommen, dass es zumindest immer möglich ist, eine korrekte Analyse mithilfe von Analysandumund Analysans-Ausdrücken unterschiedlicher Komplexität zu liefern.

Das zweite Paradox der Analyse | 165

einer Verwendung trifft er auf die beschriebenen Komplexe zu, in einer anderen nicht. Man könnte diese Konsequenz mit der folgenden Variation der Hybrid-Idee umgehen: Eine Analyse ist kein Hybrid aus einer Proposition und einer bestimmten Formulierungsweise, sondern aus einer Proposition und der Menge aller Sätze, die diese Proposition ausdrücken. Nach diesem Modell lässt sich sowohl mit (2) als auch mit (9) eine Analyse liefern. Doch entrinnt man mit ihm nicht dem zweiten Paradox. Wenn mit (6)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein männliches Geschwister zu sein

eine korrekte Analyse geliefert wird, dann diesem Modell zufolge auch mit (3)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein Bruder zu sein,

insofern (6) und (3) dieselbe Proposition ausdrücken. Wenn dieses Modell keinen Ausweg aus dem zweiten Paradox aufzeigt, bleibt unklar, warum man dieses Modell der einfacheren Alternative, dass Analysen Propositionen sind, vorziehen soll. Zudem ändert sich die Menge aller Sätze, die eine bestimmte Proposition ausdrücken, mit der Zeit, so wie auch die Anzahl der Sprachen und die Bedeutung von Sätzen nicht immer dieselbe bleibt. Aber es ändert sich gewiss nicht die mit einem Satz gelieferte Analyse.24

7.4.2 Zweiter Grund für die Zurückweisung der ersten Prämisse Angesichts der Probleme, die das Satz- und die vorgestellten Hybrid-Modelle aufwerfen, gibt es gute Gründe dafür, dass Analysen Propositionen sind. Davon werde ich im Folgenden jedenfalls ausgehen. Demnach bleibt nur noch eine Option, das zweite Paradox der Analyse zu lösen: (A3) ist falsch, weil nicht die Proposition, die (A3) als Analyse ausgibt, sondern eine andere eine Analyse ist. Daraus folgt nicht, dass Philosophen keine Analyse vermitteln, wenn sie einen Satz wie (6) äußern. Sie vermitteln durchaus eine Analyse, allerdings nicht auf buchstäbliche, sondern auf indirekte Weise. Will man aber eine Analyse weniger indirekt vermitteln, muss man auf Sätze anderer Bauart zurückgreifen. || 24 Aus demselben Grunde sollte man Analysen auch nicht mit einer Menge von Sätzen identifizieren, die eine bestimmte Proposition ausdrücken.

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Felicia Ackerman buchstabiert diesen Lösungsweg aus, in dem sie eine Bemerkung von Moore aufgreift. Moore war sich in seinem Kampf mit dem ersten Paradox nur in einem Punkt sicher, und zwar dass eine Analyse zum Teil von Ausdrücken handelt. Aber er konnte keinen Weg finden, dieser Idee mit einem tragfähigen Vorschlag, wie eine Analyse denn nun genau zu formulieren ist, Substanz zu verleihen. Er gab sich geschlagen und gestand ein: „Now I own I am not at all clear as to what the solution of the puzzle is.“25 Um Missverständnissen vorzubeugen: Moore zufolge ist eine Analyse kein sprachlicher Ausdruck und auch nicht etwas, worin etwas eingeht, was von Sprachlichem so abhängt, wie Formulierungsweisen es tun. Eine Analyse ist ihm zufolge eine Proposition, aber eine Analyse handelt in seinen Augen zum Teil von Sprachlichem.26 Moore ist sich völlig darüber im Klaren, dass in einer Analyse nicht ausschließlich von Sprachlichem die Rede sein kann. Sonst müsste nämlich ein Analysesatz für die Analyse, die mit (6) geliefert wird, Moore zufolge genauer so formuliert werden: (10)

Der Ausdruck „Bruder“ hat dieselbe Bedeutung wie der Ausdruck „männliches Geschwister“.27

Wer behauptet, dass (10), behauptet laut Moore jedoch lediglich „with regard to two verbal expressions, that the […] meaning they have is the same. [One is] not mentioning the meaning of either, or saying what the meaning of either is; but [is] merely making a statement, which could be completely understood by a person who had not the least idea what either expression meant“.28 (10) verschafft also jemandem, der (10) versteht, nicht notwendigerweise Aufschluss über die Bedeutung von „Bruder“ (genauer: den Begriff des Bruders). Genau dies soll aber ein entsprechender Analysesatz leisten.29

|| 25 Moore 1942: 665. 26 Ich werde im Folgenden nicht bloß von Propositionen, sondern auch von Sätzen sagen, dass sie von sprachlichen Gegenständen handeln. Diese Ambiguität ist meines Erachtens jedoch harmlos. 27 Franz von Kutschera (1989: 85) hält (10) tatsächlich für die korrekte Wiedergabe einer „sogenannten Begriffsanalyse. 28 Moore 1942: 662. 29 Damit hat Moore de facto auch Hares 10 Jahre später erschienenen Vorschlag widerlegt, (6) als elliptisch aufzufassen für: „Der Satz ‘Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein männliches Geschwister zu seinʼ ist analytisch“ (Hare 1952: 87ff.). Dasselbe gilt vom folgenden Vorschlag: „Der Satz ‘Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein männliches Geschwister zu seinʼ drückt eine Analyse aus.“ Man kann diese Sätze verstehen, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu haben, welchen Begriff „Bruder“ ausdrückt.

Das zweite Paradox der Analyse | 167

Eine Analyse handelt also nicht ausschließlich von Sprachlichem, aber tut sie es zumindest teilweise? Ein korrekter Analysesatz ist jedenfalls keine Konjunktion aus (6)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein männliches Geschwister zu sein

und (10). Denn aus (11)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein männliches Geschwister zu sein und der Ausdruck „Bruder“ dieselbe Bedeutung wie der Ausdruck „männliches Geschwister“ hat, ist eine korrekte Analyse

lässt sich mithilfe von (ER) ableiten: (12)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein Bruder zu sein und der Ausdruck „Bruder“ dieselbe Bedeutung wie der Ausdruck „männliches Geschwister“ hat, ist eine korrekte Analyse.

(11) umgeht das zweite Paradox also genauso wenig wie (A3). Aber wie lässt sich dann die Idee, dass eine Analyse teilweise von Sprachlichem handelt, ausbuchstabieren? Moore wirft an dieser Stelle das Handtuch: „[…] in what sense [statements of analysis] are about the expressions used I cannot see clearly; and therefore I cannot give any clear solution to the puzzle.“30 Ackerman hingegen glaubt, eine (konstruktive) Antwort auf diese Frage gefunden zu haben.31 Sie unterscheidet zunächst zwischen zwei Sorten von Analysen. Von Analysen der ersten, aber nicht der zweiten Sorte gilt ihr zufolge, dass in den Sätzen, mit denen sie geliefert werden, die Ausdrücke für das Analysans und für das Analysandum in Zuschreibungen propositionaler Zustände oder Akte salva veritate austauschbar sind.32 Ein Beispiel sind die synonymen Ausdrücke in (6), aber nicht die einschlägigen Ausdrücke in

|| 30 Moore 1942: 666. 31 Dasselbe gilt bereits von Black (1944: 66f.) und Richard Fumerton (1983). Alle Probleme mit Ackermans Ansatz bilden auch Schwierigkeiten für ihre Vorschläge. Ich werde sie deshalb nicht eigens besprechen. 32 Ackerman 1990: 540. Im Lichte der beiden Bedingungen in (ER) muss diese Aussage eingeschränkt werden.

168 | Die Paradoxa der Analyse

(2)

Wissen ist nichts anderes als wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung.

Mit (6) wird also eine Analyse der ersten Sorte geliefert, mit (2) hingegen eine der zweiten Sorte. Ackerman glaubt, dass lediglich Analysen der ersten Sorte zum Teil von Ausdrücken handeln. Dies scheint nicht völlig abwegig, da nur Analysen der ersten Sorte das zweite Paradox der Analyse aufwerfen. Analysen der zweiten Sorte werden von diesem Paradox hingegen verschont. Es scheint daher keinen guten Grund zu geben, warum sie zum Teil von Ausdrücken handeln sollten. Ihren Vorschlag für die korrekte Formulierung einer Analyse des Begriffs des Bruders können wir folgendermaßen wiedergeben: (13)

Der Ausdruck „ist ein Bruder“ drückt denselben Begriff aus wie die Konjunktion des Ausdrucks „ist männlich“, wenn er verwendet wird, um den Begriff der Männlichkeit auszudrücken, mit dem Ausdruck „ist ein Geschwister“, wenn er verwendet wird, um den Begriff des Geschwisters auszudrücken.33

Beseitigen wir zunächst ein mögliches Missverständnis. (13) ist Ackerman zufolge eine Formulierung für eine Analyse der ersten Sorte. Nun enthalten Formulierungen für Analysen der ersten Sorte wie gesagt Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans, die sich in Zuschreibungen propositionaler Zustände oder Akte salva veritate unter den in (ER) genannten Bedingungen austauschen lassen. Doch dies gilt von (13) anscheinend nicht. Zwar taucht der Analysandum-Ausdruck „Bruder“ hier auf, aber nicht der Ausdruck „männliches Geschwister“, durch den er sich salva veritate unter besagten Bedingungen ersetzen ließe. Ist (13) also doch keine Formulierung für Analysen der ersten Sorte? Ackerman muss offensichtlich so verstanden werden, dass lediglich eine indirekte, aber keine verbesserte buchstäbliche Formulierung für Analysen der ersten Sorte wie (13) Ausdrücke enthält, die die Austauschbarkeitsbedingung erfüllen. Formulierungen für Analysen der zweiten Sorte – ob nun indirekte oder buchstäbliche – enthalten solche Ausdrücke nicht.34

|| 33 Ackerman 1990: 539. Den Ausdruck „Konjunktion“ (bzw. sein englisches Pendant) versteht Ackerman in einem weiten Sinne, sodass nicht bloß komplexe Sätze, sondern auch komplexe Prädikate Konjunktionen sind. 34 Was, wenn überhaupt etwas, für Ackerman übrigens als indirekte Formulierung für eine Analyse der zweiten Sorte infrage kommt, ist unklar. (2) ist in ihren Augen jedenfalls eine

Das zweite Paradox der Analyse | 169

(13) liefert nicht bloß sprachliche Informationen. Lediglich zu wissen, dass „Bruder“ und „männliches Geschwister“ dieselbe Bedeutung haben, reicht nicht aus, um (13) zu verstehen. (13) entgeht also dem Problem, welches für (10) fatal ist. Zudem wird in (13) weder „Bruder“ noch „männliches Geschwister“ verwendet. Dies schützt (13) vor einer durch (ER) legitimierten Ersetzung einer der beiden Ausdrücke durch den anderen und damit vor den absurden Konsequenzen, die sowohl (6) als auch (11) als Vorschlag für die Formulierung einer Analyse diskreditieren. Doch wirft auch Ackermans Ansatz Fragen auf. Wenden wir uns noch einmal ihrer Unterscheidung zwischen zwei Sorten von Analysen zu. Wenn (2) und (13) buchstäbliche Formulierungen für Analysen verschiedener Sorten sind, sind sie a fortiori beide Formulierungen für eine Analyse. Aber was macht diese verschiedenartigen Formulierungen beide zu Formulierungen einer Analyse? Sollte es dann nicht auch eine Formulierung geben, mit der sich sowohl eine Analyse der ersten als auch der zweiten Sorte ausdrücken lässt? Ackerman schweigt sich zu diesen Fragen aus. Es gibt weitere Probleme. Vergleichen wir (13) mit (14)

Der Ausdruck „is a brother“ drückt denselben Begriff aus die Konjunktion des Ausdrucks „is male“, wenn er verwendet wird, um den Begriff der Männlichkeit auszudrücken, mit dem Ausdruck „is a sibling“, wenn er verwendet wird, um den Begriff des Geschwisters auszudrücken.

Da in (14) von anderen Ausdrücken die Rede ist als in (13), drückt (14) eine andere Proposition aus als (13). Dasselbe gilt von jedem anderen Satz, in dem die angeführten Ausdrücke in (13) durch Synonyme aus einer anderen Sprache ersetzt wurden. All diese Analoga zu (13) (oder zumindest die meisten) drücken Ackerman zufolge aber korrekte Analysen aus, und zwar korrekte Analysen desselben Begriffs, nämlich des Begriffs des Bruders.35

|| buchstäbliche Formulierung einer Begriffsanalyse der zweiten Sorte (vorausgesetzt (2) ist wahr). 35 Die Einschränkung in der Klammer spielt auf Analoga an, die die unterschiedliche Komplexität des Analysandum- und Analysans-Ausdrucks nicht wahren. Ein Beispiel dafür wäre das deutsche Gegenstück eines englischen Analysesatzes im Sinne Ackermans, mit dem der Begriff fortnight analysiert wird, da es im Deutschen keinen einzelnen Ausdruck für den Zeitraum von zwei Wochen gibt. Es ist nicht völlig klar, ob Ackerman ein solches Analogon als Ausdruck einer korrekten Analyse akzeptieren würde. Würde sie es, gäbe es ihr zufolge korrekte Analy-

170 | Die Paradoxa der Analyse

Ackermans Idee hat wie die Konzeption von Analysen als Sätzen zur Folge, dass es in etwa so viele korrekte Analysen eines Begriffs gibt wie Sprachen, in denen er ausgedrückt werden kann, und dies wären nach vorsichtiger Schätzung mindestens 3000. In der Tat, jeder Vorschlag, dem zufolge eine Analyse zum Teil von Ausdrücken einer bestimmten Sprache handelt, hat diese unliebsame Konsequenz.36 Manchmal freilich ist es plausibel, von mehreren korrekten Analysen desselben Begriffs auszugehen. Eine korrekte Analyse des Begriffs des Kreises zum Beispiel kann man, so scheint es, sowohl mit einer Äußerung von „Ein Kreis zu sein ist dasselbe wie die Menge aller Punkte einer Ebene zu sein, die denselben Abstand zu einem gegebenen Punkt haben“ transportieren als auch mit einer von „Ein Kreis zu sein ist dasselbe wie eine geschlossene Figur mit konstanter Krümmung zu sein“. Und sowohl mit einer Äußerung von „Ein Kubus zu sein ist dasselbe wie ein geschlossener Körper mit ausschließlich quadratischen Flächen zu sein“ als auch mit einer von „Ein Kubus zu sein ist dasselbe wie ein geschlossener Körper mit sechs deckungsgleichen Flächen zu sein“ lassen sich anscheinend verschiedene, aber korrekte Analysen des Begriffs des Kubus liefern.37 (Wenn ich hier und im Folgenden vom Transportieren oder Liefern einer Analyse rede, lasse ich offen, ob es sich bei diesem Transportieren oder Liefern um ein buchstäbliches Ausdrücken oder um ein indirektes Mitteilen handelt.) In den eben genannten Fällen stehen wir aber erstens jeweils lediglich vor zwei Analysen und nicht vor 3000. Zweitens wird hier mit den unterschiedlichen Analysen desselben Begriffs auf radikal unterschiedliche Weise Licht auf den jeweiligen Begriff geworfen. Dies gilt von den Analysen, die Ackerman zufolge mit (13), (14) und ihren Analoga ausgedrückt werden, nicht. Aus allen folgt, dass ein bestimmter (einfacher)38 Ausdruck denselben Begriff ausdrückt wie die Konjunktion aus einem bestimmten Ausdruck, wenn er verwendet wird, um den Begriff der Männlichkeit auszudrücken, und eines anderen Ausdrucks, wenn dieser verwendet wird, um den Begriff des Geschwisters auszudrücken. (13), (14) und ihre Analoga unterscheiden sich lediglich in den angeführten

|| sen, die mithilfe ein und desselben Ausdrucks für das Analysans und für das Analysandum ausgedrückt werden können. 36 Bereits Ayer (1971: 231) wendet sich gegen die Idee, dass eine Analyse von Ausdrücken einer bestimmten Sprache handelt. 37 Das letzte Beispiel stammt von Earl 2007: 198. Frege 1894: 183f. und Anderson 1993: 208f. halten ebenfalls dafür, dass es manchmal verschiedene korrekte Analysen desselben Begriffs gibt. 38 Siehe Fußnote 36.

Das zweite Paradox der Analyse | 171

Ausdrücken. Dies ist prima facie noch kein guter Grund für die Annahme, dass es verschiedene korrekte Analysen des Begriffs des Bruders gibt. Ackerman macht auf das Problem der Vervielfachung korrekter Analysen selbst aufmerksam, es ist ihr zufolge aber bloß ein „apparent drawback“.39 Sie hält uns an, noch einmal einen Blick auf das Verhältnis zwischen (A3)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein männliches Geschwister zu sein, ist eine korrekte Analyse

(K2)

Die Proposition, dass ein Bruder zu sein nichts anderes ist als ein Bruder zu sein, ist eine korrekte Analyse.

und

zu werfen. Sie setzt genauso wie ich voraus, dass es Paare von Ausdrücken gibt, deren Elemente (unter den in (ER) genannten Bedingungen) salva veritate im Kontext von (A3) austauschbar sind.40 Wenn „Bruder“ und „männliches Geschwister“ zu solchen Ausdrücken zählen, wie können sich dann eine Äußerung von (A3) und eine von (K2) in der mitgeteilten Information unterscheiden? Ackerman antwortet: „In such cases it does seem that the information stated by such sentences as the one in [(A3)] (over and above information about the concept of an analysis) is linguistic information.“41 Man sollte Ackerman in diesem Punkt zustimmen. Eine Äußerung von (A3) transportiert zwar nicht buchstäblich, aber indirekt Informationen über Sprachliches. Doch reicht diese Beobachtung nicht aus, um uns mit der prima facie unakzeptablen Konsequenz ihres Vorschlags, nämlich dass es ungeheuer viele korrekte Analysen desselben Begriffs gibt, auszusöhnen. Dafür wäre die zusätzliche Annahme erforderlich, dass zum Teil aufgrund dieser mit einer Äußerung von (A3) – genauer mit einer des in (A3) eingebetteten Satzes (6)

Ein Bruder zu sein ist nichts anderes als ein männliches Geschwister zu sein

indirekt transportierten Informationen über Sprachliches (6) indirekt eine korrekte Analyse liefert. Wäre diese Annahme korrekt, wäre dies ein starker Grund für Moores und Ackermans Idee, dass der buchstäbliche Ausdruck einer Analy-

|| 39 Ackerman 1990: 541. 40 Sie schreibt: „the expressions of some pairs of analysanda and analysantia are interchangeable salva veritate whenever used in propositional attitude contexts“ (1990: 540). 41 Ackerman 1990: 541.

172 | Die Paradoxa der Analyse

se zum Teil von Sprachlichem handelt. Mit der Konsequenz dieses Ansatzes, dass es in etwa so viele korrekte Analysen eines Begriffs gibt wie Sprachen, in denen er ausgedrückt wird, könnte man angesichts der gewichtigen Gründe für diese Idee vielleicht leben. Allerdings liefert Ackerman uns für die entscheidende zusätzliche Annahme keinen guten Grund. Formulieren wir diese Kritik etwas aus. Zugestanden, mit einer Äußerung von (6) werden indirekt Informationen über Sprachliches transportiert, zum Beispiel dass der Ausdruck „Bruder“ auf dasselbe zutrifft wie der Ausdruck „männliches Geschwister“. Aber wird mit einer Äußerung von (6) unter anderem deshalb eine korrekte Analyse indirekt geliefert, weil man mit einer Äußerung von (6) indirekt diese sprachliche Information transportiert? Mit einer Äußerung von (6) lässt sich so manches indirekt transportieren. Wer mit einer Äußerung von (6) die Frage nach der Analyse des Begriffs des Bruders beantwortet, der kann mit einer solchen Äußerung zum Beispiel indirekt zu verstehen geben, dass der Begriff des Bruders aus dem Begriff der Männlichkeit und dem des Geschwisters aufgebaut ist. Warum ist zum Beispiel diese nichtsprachliche Information nicht dafür mitverantwortlich, dass (6) ein indirekter Ausdruck einer Begriffsanalyse ist? Ackerman liefert keinen guten Grund dafür, dass indirekt transportierte sprachliche Informationen und nicht andere indirekt transportierte Informationen eine Rolle dafür spielen, dass mit (6) indirekt eine korrekte Analyse geliefert wird. Ackerman gibt uns demnach keinen guten Grund, die Vervielfachung korrekter Analysen zu akzeptieren. Es gibt einen weiteren Einwand gegen die Idee, dass ein Analysesatz unter anderem Ausdrücke zum Thema hat. Wie bereits mehrfach betont, sollen mithilfe von Analysen Antworten auf sokratische Fragen gewonnen werden. Korrekte Antworten auf solche Fragen handeln nur dann von Ausdrücken, wenn ein F zu sein eine Eigenschaft von Ausdrücken ist oder ihr Besitz eine Beziehung zu Ausdrücken involviert. Um eine Information über Ausdrücke oder darüber, welchen Begriff ein Ausdruck ausdrückt, wird in allen anderen Fällen überhaupt nicht gebeten. Wenn Analysieren dem Zweck dient, Antworten auf sokratische Fragen zu finden, helfen sprachliche Informationen in diesen Fällen nicht weiter. Sie sind schlicht überflüssig. Man kann sich dies auch folgendermaßen klarmachen: Wenn eine Philosophin eine Begriffsanalyse durchführt, hat sie letztlich Einsicht in die Natur eines bestimmten Gegenstandes zum Ziel. Mit der Analyse des Begriffs des Wissens soll Einsicht in die Natur von Wissen gewonnen werden, mit der Analyse des Begriffs des Bruders wiederum Einsicht

Das zweite Paradox der Analyse | 173

in die Natur der Eigenschaft, ein Bruder zu sein. Erkenntnis über Sprachliches wird sie in diesen Fällen nicht zum Ziel führen.42

7.4.3 Analysen und Zerlegung Wenn eine Analyse nicht von Ausdrücken handelt, wie lässt sich dann das zweite Paradox umgehen? In einer Begriffsanalyse geht es um die Analyse eines Begriffs. Sollte ein Analysesatz dann nicht auch von einem Begriff handeln? Davon ging jedenfalls Church aus, wie wir aus dem letzten Kapitel wissen. Dieser Grundgedanke mündete gemäß Churchs engem Verständnis von „handeln von“ in folgendem Vorschlag für die Formulierung einer Analyse des Begriffs des Bruders: (15)

Der Begriff des Bruders ist identisch mit dem Begriff des männlichen Geschwisters.

Ich habe versucht zu zeigen, dass Church keine triftigen Gründe gegen (ER) liefert. (ER) vorausgesetzt, gerät die Annahme, dass die Proposition, dass (15), eine korrekte Analyse ist, in die Mühlen des zweiten Paradoxes. Aber vielleicht gibt es einen Vorschlag in der Nähe, der das zweite Paradox umgeht. Einen Begriff analysieren ist – so will es jedenfalls die klassische Konzeption – ein Zerlegen eines Begriffs in seine Komponenten.43 Wir können dies in einem Analysesatz explizit machen. Dabei sollten wir auch angeben, in welcher Weise die Komponenten miteinander verbunden sind. Eine Formulierung für die Analyse des Begriffs des Bruders könnte dann vielleicht so lauten: (16)

Der Begriff des Bruders ist identisch mit dem komplexen Begriff, der aus dem Begriff des Geschwisters und dem Begriff des Männlichen konjunktiv aufgebaut ist.44

|| 42 Diese Kritik hat als Erstes Feyerabend (1956: 95; 1957/58: 242f.) angedeutet. Er benutzt sie allerdings zu einem anderen Zweck, nämlich um Begriffsanalysen ihren wissenschaftlichen Erkenntniswert abzusprechen. Siehe auch Mills 2008: 307. 43 Siehe zum Beispiel Bolzano 1810: 42–3. Für Bolzanos Ausweg aus dem ersten Paradox der Analyse im Rahmen des Zerlegungsmodells siehe Stephan Krämer 2011. 44 Ein Begriff A ist genau dann aus den Begriffen B1, B2, … Bn konjunktiv aufgebaut, wenn A aus B1 und B2 … und Bn aufgebaut ist und ein Gegenstand genau dann unter A fällt, wenn er unter B1 und B2 … und Bn fällt.

174 | Die Paradoxa der Analyse

Steht (16) wirklich besser da als (15)? Wenn die Proposition, dass (16), eine korrekte Analyse ist, dann ist es (ER) zufolge auch die Proposition, dass (17)

Der Begriff des männlichen Geschwisters ist identisch mit dem komplexen Begriff, der aus dem Begriff des Geschwisters und dem Begriff des Männlichen konjunktiv aufgebaut ist.

Diese Konsequenz beschwört leicht Argwohn herauf. Schließlich wird uns in der Formulierung des Analysandums in (17) bereits vor Augen geführt, aus welchen Begriffen es aufgebaut ist, sodass dem Rest des Satzes etwas Redundantes anhaftet. Dieses Bedenken lässt sich jedoch zerstreuen. Zwar kann man anhand der Formulierung des Analysandums bereits auf seine Komponenten schließen. Aber mit der Formulierung des Analysandums wird nicht explizit gesagt, dass es aus dem Begriff des Geschwisters und dem Begriff des Männlichen aufgebaut ist. Der Rest des Satzes ist also vielleicht pragmatisch gesehen überflüssig, aber nicht in semantischer Hinsicht. (16) hat vor dem zweiten Paradox demnach wohl nichts zu befürchten. Nun mag man sich mit Blick auf die eingangs erwähnte alternative Variante des zweiten Paradoxes fragen, was in (16) eigentlich der Ausdruck für das Analysans ist. Doch wenn diese Frage irgendein Problem aufwirft, dann wohl nicht für (16) als Kandidat für einen Analysesatz, sondern für den Begriff des Analysans. Kann also jede korrekte Begriffsanalyse mit einem Satz der Form (18)

Der Begriff des F ist identisch mit dem komplexen Begriff, der aus dem Begriff des G und des Begriff des H … und des Begriffs des N soundso aufgebaut ist

ausgedrückt werden? Betrachten wir (2)

Wissen ist nichts anderes als wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung.

Wenn wir (2) gemäß (18) reformulieren, erhalten wir in etwa: (19)

Der Begriff des Wissens ist identisch mit dem komplexen Begriff, der aus dem Begriff der Wahrheit, des nicht zufällig Gerechtfertigtseins und der Meinung konjunktiv aufgebaut ist.

Doch wenn, wie ich in Abschnitt 7.2 argumentiert habe, der Begriff des Wissens nicht identisch mit dem Begriff der wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung ist, ist (19) offensichtlich falsch und die Proposition, dass (19), keine kor-

Das zweite Paradox der Analyse | 175

rekte Analyse (selbst wenn (2) wahr ist). Wenn jede Analyse von der Identität eines Begriffs A mit einem Begriff B handelte, könnte man mit (2) noch nicht einmal indirekt eine korrekte Begriffsanalyse liefern.45 In der Tat scheint keine Analyse von begrifflicher Identität zu handeln. Denn wenn der Begriff A das Analysans für Begriff B ist und A identisch mit B wäre, dann wäre (gemäß Leibnizʼ Gesetz) B das Analysans für B.46 Das ist natürlich absurd. Insofern sowohl das Analysandum als auch das Analysans einer Analyse ein Begriff ist, ist das Analysans ein anderer Begriff als das Analysandum. Lässt sich (19) vielleicht so reformulieren, dass nicht mehr explizit von der Identität eines Begriffs A mit einem Begriff B die Rede ist? Ich habe folgende Modifikation im Sinn: (20)

Der Begriff des Wissens ist konjunktiv aufgebaut aus den Begriffen der Wahrheit, des nicht zufällig Gerechtfertigtseins und der Meinung.

Doch auch dieser Vorschlag entgeht dem vorgebrachten Einwand nicht. Nehmen wir an, dass (20) wahr ist und der Begriff des Wissens aus besagten Begriffen in angegebener Weise aufgebaut ist. Der Begriff der wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung ist aus denselben Komponenten in derselben Weise aufgebaut. Wenn ein Begriff A und ein Begriff B aus denselben Komponenten auf dieselbe Weise aufgebaut ist, ist A aber doch wohl identisch mit B.47 Also umgeht man mit (20) nicht die Konsequenz, dass der Begriff des Wissens identisch ist mit dem Begriff der wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung. Welchen Schluss soll man aus diesen Überlegungen ziehen? Zwei Optionen kommen in Betracht: Entweder kann man unter Rekurs auf die Begriffe der Wahrheit, der nicht zufälligen Rechtfertigung und der Meinung durchaus eine Analyse des Begriffs des Wissens ausdrücken, auch wenn man den Begriff dabei nicht in seine Komponenten zerlegt, oder man kann auf diese Weise keine Begriffsanalyse ausdrücken, weil eine Begriffsanalyse nun einmal eine Zerlegung eines Begriffs ist.

|| 45 Steven Riebers Vorschlag für die Formulierung einer Analyse setzt ebenfalls voraus, dass eine Analyse von der Identität eines Begriffs A mit einem Begriff B handelt. Siehe Rieber (1994: 111). 46 Dieselbe Schlussfolgerung liefert die implizit auf (ER) gestützte Variante des zweiten Paradoxes. 47 Dieses Argument findet sich bereits in Sosa 1983: 696–7. Siehe auch Earl 2007: 194–5.

176 | Die Paradoxa der Analyse

Ob der Ausdruck „Begriffsanalyse“ nun ausschließlich auf Begriffszerlegungen zutrifft oder nicht, ist jedenfalls zum Teil eine terminologische Angelegenheit. Wer den Ausdruck nur für Begriffszerlegungen reservieren, dem sollte jedoch klar sein, dass viele Begriffe keine Komplexe aus einfacheren Begriffen sind, die eine Begriffszerlegung erlauben – man denke neben dem Begriff des Wissens zum Beispiel an Farbbegriffe wie dem Begriff rot. Das Analysieren von Begriffen im Sinne einer Begriffszerlegung wäre nur im Hinblick auf wenige Begriffe möglich und daher von begrenztem Wert. Ich glaube, dass sich Beispiele wie (2) und (6) unter einen Hut bringen lassen und dass man jedes von ihnen als indirekten Ausdruck einer Begriffsanalyse bezeichnen kann, ohne dem Ausdruck „Begriffsanalyse“ Gewalt anzutun. Ich bitte den Leser allerdings noch um ein wenig Geduld, bevor ich diese Annahme rechtfertige. Wenn man nicht bloß mit (6), sondern auch mit (2) indirekt eine Analyse liefern kann, dann ist eine Begriffsanalyse nicht immer eine Zerlegung eines Begriffs und (18) kein Schema für alle Sätze, die Analysen ausdrücken. Nun kann man an der Zerlegungsidee festhalten, ohne anzunehmen, dass es sich bei allen Begriffsanalysen um Zerlegungen von Begriffen handelt. Vielleicht geht es bei Begriffsanalysen vielmehr um die Zerlegung von Eigenschaften. Ersetzen wir in (18) die Rede von Begriffen durch die von Eigenschaften, erhalten wir: (21)

Die Eigenschaft, F zu sein, ist identisch mit der komplexen Eigenschaft, die aus der Eigenschaft, G zu sein, und der Eigenschaft, H zu sein … und der Eigenschaft, N zu sein, soundso aufgebaut ist.

Wenn wir (2) gemäß dem Schema in (21) reformulieren, setzen wir uns nicht dem Einwand aus, dass der Begriff des Wissens nicht identisch ist mit dem Begriff der wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung. Zwar handelt es sich hier nicht um denselben Begriff, aber die Eigenschaft, zu wissen, ist sehr wohl identisch mit der Eigenschaft, eine wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung zu haben (vorausgesetzt (2) ist wahr). Sind Analysesätze also Einsetzungsinstanzen von (21)? Ein Problem mit (21) liegt in der Rede von komplexen Eigenschaften. Sie ist noch problematischer als die Rede von komplexen Begriffen.48 Die Idee, dass es komplexe Eigenschaften gibt, die andere Eigenschaften als Komponenten haben, scheint zum Beispiel mit einer häufig angenommenen intensionalen

|| 48 Darauf, dass die Rede von komplexen Begriffen metaphorisch und erläuterungsbedürftig ist, macht zum Beispiel Quine (1951: 21) aufmerksam.

Analysen als Erklärungen | 177

Individuierung von Eigenschaften unverträglich zu sein. Gemäß einer solchen Individuierung ist eine Eigenschaft A genau dann identisch mit einer Eigenschaft B, wenn notwendigerweise gilt: Jeder Gegenstand hat A genau dann, wenn er B hat. Demnach ist die Eigenschaft, ein männliches Geschwister zu sein, identisch mit der Eigenschaft, ein männliches Geschwister zu sein und ein Hase oder kein Hase zu sein. Folgt man der Idee von komplexen Eigenschaften, ergibt sich hingegen das entgegengesetzte Resultat, denn dann hat die Eigenschaft, ein männliches Geschwister zu sein und ein Hase oder kein Hase zu sein, Komponenten, die die Eigenschaft, ein männliches Geschwister zu sein, nicht hat – zum Beispiel die Eigenschaft, ein Hase zu sein. Wenn A eine Komponente hat, die B nicht hat, ist A aber doch wohl verschieden von B. Sicherlich sollten wir den Ausgang der Debatte um eine intensionale Individuierung von Eigenschaften nicht bereits durch unsere Theorie von Begriffsanalysen vorwegnehmen. Zudem scheint die Rede von Identität in (21) ähnlich wie in (19) und (20) die Konsequenz zu haben, dass die Eigenschaft, F zu sein, das Analysans ist. Dieses Problem lässt sich nur umgehen, indem man Begriffsanalysen nicht als Identitätsaussagen versteht.

7.5 Analysen als Erklärungen 7.5.1 Einführung Es gibt ein weiteres Problem mit (21) als Schema für Analysesätze, das es mit den meisten der bisher vorgestellten Ansätze teilt. In fast allen bisher vorgeschlagenen Formulierungen (oder Schemata) taucht ein zweistelliges Prädikat auf, das eine symmetrische Relation signifiziert – angefangen von „ist nichts anderes als“ in (2) und (6), über „drückt denselben Begriff aus wie“ in (13) bis zu „ist identisch mit“ in (16) und (21).49 In den sokratischen Fragen, die Begriffsanalysen auf den Plan rufen, wird aber nicht nach dem Relat einer symmetrischen Beziehung gefragt. Wenn Sokrates einen Freund fragt, was das Gerechte ist, dürstet es ihm nicht bloß nach einer Auskunft darüber, womit das Gerechte identisch ist. Wenn der Freund antwortet, dass das Gerechte identisch mit demjenigen ist, was allgemein als das Gerechte gilt, bestreitet Sokrates diese Identitätsaussage nicht, aber hält sie

|| 49 Eine Ausnahme bildet (20), das aber wie besprochen mit anderen Schwierigkeiten belastet ist.

178 | Die Paradoxa der Analyse

als Antwort auf seine Frage für unbefriedigend.50 Denn das Gerechte besteht gewiss nicht darin, was allgemein als das Gerechte gilt. Worin das Gerechte besteht, ist aber genau das, worum es Sokrates in seiner Frage geht. Wenn er also fragt, was A ist, dann hat er genauer die Frage im Sinn, worin A besteht. Die Beziehung des Bestehens-In ist aber eine asymmetrische Relation: Wenn A in B besteht, dann besteht B nicht in A. Wenn eine sokratische Frage eine nach dem Relat einer asymmetrischen Relation ist, sollte eine Begriffsanalyse ebenfalls von einer asymmetrischen Relation handeln, will sie zu einer korrekten Antwort auf eine sokratische Frage führen. Als Ausgangspunkte für Formulierungen von Begriffsanalysen, mit denen man die bisherigen Probleme vermeidet, schlage ich folgende Sätze vor: (22)

Von jedem Fall von Wissen gilt: Er ist ein Fall von Wissen, weil er eine wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung ist,

(23)

Von jedem Bruders gilt: Er ist ein Bruder, weil er ein Geschwister und männlich ist.51

Mit (22) und (23) entgeht man den bisher gemachten Einwänden. Weder handeln die Sätze von Ausdrücken einer bestimmten Sprache und haben damit zur Konsequenz, dass es ungeheuer viele korrekte Analysen desselben Begriffs gibt und das Ziel des Analysierens fade Einsicht über Sprachliches ist. Mit (22) ist man nicht darauf festgelegt, dass der Begriff des Wissens identisch mit dem Begriff der wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung ist und mit keinem der beiden Sätze wird vorausgesetzt, dass es komplexe Eigenschaften gibt. Zudem lässt sich aus den beiden Sätzen eine Antwort auf die Fragen gewinnen, zu deren Beantwortung man überhaupt erst Begriffsanalysen aufstellt. Aus (22) kann man zum Beispiel die Information gewinnen, dass Wissen im Haben einer wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung besteht (dazu später mehr). Nicht zuletzt geht es in ihnen nicht um eine symmetrische, sondern um eine asymmetrische Beziehung. Die asymmetrische Beziehung, von der die beiden Sätze handeln, ist die Erklärungsrelation, also diejenige Relation, auf die das „weil“ in diesen Sätzen hinweist. Nun gibt es viele asymmetrische Beziehungen; warum sollte die asymmetrische Beziehung, von der Analysen handeln, ausgerechnet die Erklärungsrelation sein? Viel mehr als an allgemein geteilte Überzeugungen kann ich

|| 50 Platon, Von der Gerechtigkeit, 372A. 51 Auf den engen Zusammenhang zwischen Begriffsanalysen und weil-Aussagen weisen bereits Künne (2003: 154f.) und Schnieder (2010: 318ff.) hin.

Analysen als Erklärungen | 179

an dieser Stelle nicht appellieren. Es ist wohl eine Plattitüde, dass Begriffsanalysen Begriffserklärungen sind. Dass dieser Gemeinplatz noch nie die Basis für die Formulierung einer Begriffsanalyse wurde, lag vermutlich lediglich an der dogmatischen Konzentration auf notwendige und hinreichende Bedingungen und wurde gewiss durch den Umstand begünstigt, dass man Erklärungen ausdrücken kann, ohne auf einen weil-Satz zurückzugreifen.52 Selbst dem klassischen Zerlegungsmodell von Analysen zufolge sind Analysen Begriffserklärungen. Laut diesem Modell ist eine Begriffsanalyse ja nichts anderes als eine Erklärung eines Begriffs durch Zerlegung desselben in seine Komponenten. Zwar scheitert es an Analysen, in denen das Analysans nicht identisch mit dem Analysandum ist wie in der Analyse des Wissensbegriffs. Doch folgt daraus nicht, dass Analysen überhaupt keine Begriffserklärungen sind. Sie sind es durchaus, sie sind zwar nicht immer Erklärungen durch Zerlegung, aber immer Erklärungen durch Angabe von (näher zu bestimmenden) Gründen, warum von jedem Gegenstand, der unter den zu erklärenden Begriff fällt, gilt, dass er unter ihn fällt. Um diese Gründe wird es gleich in extenso gehen. So weit, so gut. Aber entkommt man mit (23) dem zweiten Paradox der Analyse? Folgt nicht daraus, dass die Proposition, dass (23), eine korrekte Analyse ist, dass die Proposition, dass (24)

Von jedem Bruder gilt: Er ist ein Bruder, weil er ein Bruder ist,

eine korrekte Analyse ist? Dies wäre jedenfalls dann der Fall, wenn die beiden Prädikate „ist ein Bruder“ und „ist ein Geschwister und männlich“ synonym wären. Im Kapitel 5.2–3 habe ich allerdings dafür argumentiert, dass sie es nicht sind. In die Bedeutungk des letzteren Prädikats geht die Bedeutungk des Konjunktors ein, doch diese spielt keine Rolle für die Bedeutungk von „ist ein Bruder“. Also stellt das zweite Paradox für (23) keine Bedrohung dar. Misslich an (22) und (23) ist, dass die Semantik dieser Sätze nicht völlig auf der Hand liegt. Dies liegt vor allem am Allquantor und am Ausdruck „weil“. Beginnen wir mit dem Allquantor. Interpretieren wir die beiden Sätze im Sinne von generalisierten Subjunktionen, also Sätzen der Form ∀x Fx → Gx, sind sie bereits dann wahr, wenn die jeweilige Antecedens-Bedingung nicht erfüllt ist, wenn es also keine Fälle von Wissen [Brüder] gibt. Diese Interpretation ist aber fehl am Platze. Gewiss drückt

|| 52 So kann man zum Beispiel jemandem die Bedeutung eines Wortes, eine Theorie oder eine subtile Unterscheidung korrekt erklären, ohne einen weil-Satz zu verwenden.

180 | Die Paradoxa der Analyse

(25)

Von jeder Hexe gilt: Sie ist eine Hexe, weil sie männlich und im Bunde mit Gott ist

keine korrekte Analyse des Begriffs der Hexe aus und ist falsch, doch unter der Interpretation als generalisierte Subjunktion ist (25) wahr, da es keine Hexen gibt.53 Man sollte daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen und sich die aristotelische Interpretation von Sätzen wie (22), (23) und (25) zu eigen machen, der zufolge (25) zum Beispiel nur dann wahr ist, wenn es Hexen gibt. Unter dem aristotelischen Verständnis ist nämlich nicht bloß (25) falsch, sondern auch (26)

Von jeder Hexe gilt: Sie ist eine Hexe, weil sie weiblich und im Bunde mit dem Teufel ist.

(26) scheint aber nicht bereits deshalb falsch zu sein, weil es keine Hexen gibt. Im Gegenteil hat (26) prima facie gute Chancen, wahr zu sein.54 Die Tatsache, dass sowohl die fregesche als auch die aristotelische Interpretation von (22) und (23) kontraintuitive Konsequenzen zeitigt, spricht zunächst einmal nicht gegen (22) und (23) als Analysesätze, sondern vielmehr gegen diese Interpretationen. Die Strategien beider Lager, uns mit den jeweiligen unliebsamen Konsequenzen auszusöhnen, halte ich zudem für unbefriedigend.55 Bevor man in den sauren Apfel beißt und diese Konsequenzen in Kauf nimmt, sollte man nach einer Theorie suchen, die unsere Intuitionen zu All-Sätzen besser einfängt. Eine Option ist, einen All-Satz zwar wie Frege als generalisiertes Konditional zu analysieren, aber den eingebetteten Wenn-dann-Ausdruck im Gegensatz zu Frege nicht im Sinne einer Subjunktion zu interpretieren. Freges Interpretation von Konditionalen beschwört ohnehin die bekannten Paradoxien der materialen Implikation herauf. Die Vermutung liegt nahe, dass es auch zu den kontraintuitiven Konsequenzen seines Verständnisses von All-Sätzen beiträgt. Einem alternativen Verständnis in Anlehnung an Stalnaker zufolge ist eine Instanz des Schemas „Von jedem Gegenstand x gilt, wenn Fx, dann Gx“ genau dann wahr, wenn in der nächstmöglichen Welt, in der der betreffende Gegenstand F ist, dieser Gegenstand G ist.56 Dieses Verständnis liefert wie gewünscht das Resultat, dass (25) falsch ist, da in der nächstmöglichen Welt, in der ein

|| 53 Siehe die Diskussion um die Interpretation von All-Sätzen im Abschnitt 4.5. 54 Vielleicht fehlt in (26) der Verweis auf Zauberkräfte, ohne die eine Frau möglicherweise keine Hexe ist. 55 Zu diesen Strategien siehe Abschnitt 4.5. 56 Siehe Stalnaker 1968.

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Gegenstand eine Hexe ist, er es nicht deshalb ist, weil er männlich und im Bunde mit Gott ist. (26) ist dieser Theorie zufolge hingegen wie gewünscht wahr, da in der nächstmöglichen Welt, in der ein Gegenstand eine Hexe ist, er es deshalb ist, weil er weiblich und im Bunde mit dem Teufel ist. Wie auch immer es um die Schwächen dieses Ansatzes bestellt ist – er zeigt, dass eine Ablehnung meiner Vorschläge für die buchstäbliche Formulierung einer Analyse auf Basis von Freges oder Aristotelesʼ Theorie von Allquantifikationen voreilig ist.57 (22) – (26) sollten nicht durch die verzerrende Brille der aristotelischen oder fregeanischen Theorie beurteilt werden, sondern gemäß dem intuitiven Verständnis, welches man vor dem Besuch von Logikkursen besaß. Der zweite Stolperstein für das korrekte Verständnis von (22) und (23) ist der in ihnen enthaltene Ausdruck „weil“.58 Er gibt Anlass zu einer Reihe von Missverständnissen. Die vielleicht fatalste Fehlinterpretation betrifft die Reichweite von „weil“. (22) zum Beispiel darf nicht missverstanden werden als Ausdruck einer Erklärung, warum das Folgende gilt: Jeder Fall von Wissen ist ein Fall von Wissen. So verstanden ist (22) offensichtlich falsch. Mit (22) erklärt man vielmehr warum von jedem Fall von Wissen gilt, dass er ein Fall von Wissen ist. Der Satzverknüpfer „weil“ wird manchmal in einem schlussfolgernden Sinn und manchmal in einem erklärenden Sinn verwendet. Wenn vor Gericht die Staatsanwältin triumphierend zum Angeklagten sagt: „Sie waren am Tatort, weil wir die Fußabdrücke ihrer Schuhe dort gefunden haben“, dann verwendet sie „weil“ im schlussfolgernden Sinne. Sie liefert Gründe für die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte am Tatort war, aber eben keine Erklärung dafür. Dies tut der Angeklagte, wenn er antwortet: „Ich war am Tatort, weil ich aus Versehen an der falschen Bushaltestelle ausgestiegen bin.“ In (22) und (23) als auch im Folgenden soll „weil“ im erklärenden Sinne verstanden werden. Meist wird mit der Äußerung eines weil-Satzes keine vollständige, sondern lediglich eine partielle Erklärung für etwas geliefert. Mit einer Äußerung von „Das Auto fuhr Marie an, weil das Auto die Ampel bei Rot überquerte“ wird nur eine partielle Erklärung für den Unfall geliefert. Für eine vollständige Erklärung wäre zumindest der Zusatz erforderlich, dass Marie sich in Fahrtrichtung des Autos befand. Wenn ich im Folgenden weil-Sätze verwende, dann sollen sie so verstanden werden, dass sie nur dann wahr sind, wenn mit ihrer Äußerung

|| 57 Eine weitere Alternative ist, (22) und (23) so zu verstehen, dass in ihnen nur über Fälle von Wissen [Brüder] quantifiziert wird und einen leeren Wertebereich zu erlauben. (22) und (23) wären dann von der Form: ∀x Fx . 58 Eine ausgearbeitete Semantik von weil-Sätzen kann ich hier nicht anbieten. Für einen Beitrag zu einer solchen Semantik siehe Schnieder 2011.

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vollständige Erklärungen geliefert werden – es sei denn, ich mache explizit, dass es sich um eine partielle Erklärung handelt. Mit weil-Sätzen kann man Erklärungen in sehr verschiedenen Sinnen liefern. Mit „Kant war Junggeselle, weil er nicht heiraten wollte“ liefert man zum Beispiel eine kausale Erklärung. „Kant war Junggeselle, weil er männlich und unverheiratet war“ hingegen vermittelt keine kausale, sondern eine begriffliche Erklärung. Auf der rechten Seite von „weil“ erklärt man den Begriff, der auf der linken Seite ausgedrückt wird. Mit „Dies ist Wasser, weil es H2O ist“ liefert man weder eine kausale noch eine begriffliche Erklärung, sondern eine mereologische Erklärung eines Ganzen durch seine Teile. Und mit „Mentale Zustände gibt es, weil es neurophysiologische Zustände gibt“ liefert man eine metaphysische Erklärung.59 (22) und (23) sollen natürlich so verstanden werden, dass mit ihnen begriffliche Erklärungen transportiert werden. Sollte man angesichts der Verschiedenartigkeit der Erklärungen, die man mit weil-Sätzen geben kann, davon ausgehen, dass „weil“ (im vollständig erklärenden Sinne) mehrdeutig ist? Oder lässt die Bedeutung von „weil“ in einem bestimmten Satzkontext schlicht offen, von welcher Art die mit dem Satz gelieferte Erklärung ist? In meinen Augen sprechen zwei Indizien gegen eine Mehrdeutigkeit von „weil“ (im vollständig erklärenden Sinn). Wäre „weil“ mehrdeutig, wäre er systematisch mehrdeutig, d. h. die einzelnen Bedeutungen wären eng miteinander verbunden. Bei den klaren Fällen von systematischer Mehrdeutigkeit lässt sich aber zwischen einer zentralen Bedeutung und aus ihr abgeleiteten Bedeutungen unterscheiden. Ein klassisches Beispiel für einen systematisch mehrdeutigen Ausdruck ist etwa „gesund“.60 In seiner zentralen Bedeutung wird der Ausdruck auf Lebewesen angewendet, in einer abgeleiteten Bedeutung auf Spaziergänge, Hautfarben, Diäten usw. All die abgeleiteten Bedeutungen können im Rückgriff auf die zentrale Bedeutung erläutert werden. Max hat zum Beispiel genau dann eine gesunde Hautfarbe, wenn seine Hautfarbe ein Zeichen dafür ist, dass er gesund ist. Keine solche Erklärung einer Bedeutung unter Rückgriff auf andere ist aber im Fall von „weil“ möglich. Keine der genannten Erklärungen lässt sich unter Rekurs auf eine der anderen Erklärungen erläutern. Es gibt keine unkontroversen Beispiele von systematischer Mehrdeutigkeit ohne zentrale Bedeutung und damit keine klaren Fälle von mehrdeutigen Ausdrücken, die als Modell für die Semantik von „weil“ (im erklärenden Sinn) dienen könnten.

|| 59 Siehe Correia & Schnieder 2012. 60 Aristoteles, Metaphysik IV, 2: 1003a–b.

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Das zweite Indiz gegen die Mehrdeutigkeitshypothese liegt darin, dass ihr zufolge ein Satz wie „Kant war ein Junggeselle, weil er nicht heiraten wollte“ mehrere Lesarten hat. Angenommen, der Satz hat zumindest eine Lesart, in der er wahr ist. Wenn „weil“ mehrdeutig ist, dann gibt es aber auch Lesarten des Satzes, in denen er falsch ist, nämlich dann, wenn er als Ausdruck einer begrifflichen, mereologischen oder metaphysischen Erklärung verstanden wird. Aber unter der Voraussetzung, dass der Satz zumindest eine wahre Lesart hat, ist es schwer ihn so zu interpretieren, dass er falsch ist. Es scheint (unter dieser Voraussetzung) einfach keine Lesart des Satzes zu geben, in der er falsch ist. Wenn das „weil“ in (22) und (23) nicht im einschlägigen Sinne mehrdeutig ist, dann drückt man mit (22) und (23) buchstäblich lediglich aus, dass es eine explanatorische Relation zwischen dem auf der linken Seite signifiziertem Explanandum und dem auf der rechten Seite signifiziertem Explanans gibt, ohne zu spezifizieren, um welche Relation es sich dabei genau handelt. Dies hat zur Konsequenz, dass man mit (22) und (23) buchstäblich keine begriffliche Erklärung, a fortiori keine Begriffsanalyse, ausdrückt. Ob „weil“ nun im einschlägigen Sinn mehrdeutig ist oder nur eine sehr allgemeine Bedeutung hat, in der man mit „weil“ Erklärungen ganz unterschiedlicher Art liefern kann – um eine buchstäbliche Formulierung für Begriffsanalysen zu erhalten, ist es das Beste, einen Ausdruck einzuführen, der allein für begriffliche Erklärungen reserviert ist. Legen wir fest, dass „weilb“ genau die Relation signifiziert, die besteht, wenn man mit der rechten Seite von „weilb“ den Begriff erklärt, der auf der linken Seite ausgedrückt wird. (22) und (23) sind dann so zu verstehen: (22*)

Von jedem Fall von Wissen gilt: Er ist ein Fall von Wissen, weilb er eine wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung ist,

(23*)

Von jedem Bruder gilt: Er ist ein Bruder, weilb er ein Geschwister und männlich ist.

Wenn (22*) und (23*) wahr sind, drücken sie korrekte begriffliche Erklärungen aus.

7.5.2 Die Relation zwischen Analysans und Analysandum Wann steht ein Begriff A zu einem Begriff B in der Analyse-Beziehung? Gemäß meinen Vorschlägen (22*) und (23*) ist A genau dann das Analysans für B, wenn A in einem wahren weilb-Satz derselben Form wie (22*) und (23*) auf der rechten

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Seite und B auf der linken Seite ausgedrückt wird. Ein weil-Satz ist nur dann ein weilb-Satz, wenn man mit der rechten Seite von „weil“ den auf der linken Seite ausgedrückten Begriff erklärt. Also folgt aus der gegebenem Antwort, dass A nur dann das Analysans von B ist, wenn man B mit dem A-Ausdruck erklärt. Doch wann man B mit A bzw. dem Ausdruck für A erklärt, ist keine andere Frage als die, wann A das Analysans für B ist. Ist A vielleicht genau dann das Analysans für B, wenn der Ausdruck für A in einer bestimmten semantischen Beziehung zu dem Ausdruck für B steht? Doch keine rein semantische Beziehung scheint der Beziehung zwischen Analysans und Analysandum zu entsprechen. Zwei Ausdrücke können zum Beispiel koextensional sein, ohne dass die mit ihnen ausgedrückten Begriffe in der Analyse-Beziehung zueinander stehen – siehe „Lebewesen mit Herz“ und „Lebewesen mit Niere“. Dasselbe gilt von Kointensionalität, wie „gleichseitiges Dreieck“ und „gleichwinkliges Dreieck“ demonstrieren. Synonymie zwischen zwei Ausdrücken geht auch nicht zwingend mit der Analyse-Beziehung zwischen den ausgedrückten Begriffen einher. Man denke etwa an die Beispiele aus dem vierten Kapitel „Orange“ und „Apfelsine“. Wichtiger noch ist Synonymie sogar unverträglich mit einer AnalyseBeziehung zwischen den ausgedrückten Begriffen. Denn wären die Ausdrücke für Analysandum und Analysans in einem Analysesatz synonym, ließen sie sich gemäß (ER) salva veritate füreinander ersetzen. Doch wie das zweite Paradox zeigt, führt eine solche Ersetzung zu einem absurden Resultat. Also sind ganz allgemein die Ausdrücke für Analysandum und Analysans nicht synonym. Daraus folgt, dass die erste Prämisse des ersten Paradoxes falsch ist: Die erste Prämisse besagt, dass wenn die in einem Analysesatz verwendeten Ausdrücke für das Analysandum und für das Analysans synonym sind, die dazugehörige Analyse trivial ist. Aus der Trivialität einer Analyse folgt ihre Korrektheit. Demnach ist es gemäß der ersten Prämisse möglich, dass man mit synonymen Ausdrücken für Analysans und Analysandum eine korrekte Analyse liefert – im Widerspruch zum obigen Resultat. Also ist die erste Prämisse des ersten Paradoxes genauso falsch wie die zweite Prämisse. Wenn Synonymie zwischen zwei Ausdrücken nicht für das Bestehen einer Analyse-Relation zwischen den ausgedrückten Begriffen hinreicht, dann gilt dies auch für die schwächere Beziehung der kognitiven Äquivalenz. Kognitive Äquivalenz ist zudem nicht für das Bestehen einer Analyse-Relation erforderlich, wie „Wissen“ und „wahre, nicht zufällig gerechtfertigte Meinung“ vor Augen führen. Es gibt keine rein semantische Beziehung, mit der man die AnalyseBeziehung erläutern lässt. Überhaupt ist der Versuch, die Analyse-Beziehung

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mithilfe einer besonderen Beziehung zwischen dem Ausdruck fürs Analysandum und dem fürs Analysans zu erläutern, unter anderem angesichts der bereits im Abschnitt 7.4.1 erwähnten Möglichkeit, einfache Ausdrücke als synonym mit komplexen Analysandum-Ausdrücke stipulativ einzuführen, nicht erfolgversprechend. Ich schlage stattdessen vor, die Analyse-Beziehung ohne Bezugnahme auf Ausdrücke zu erläutern: A ist genau dann das Analysans von B, wenn erstens A nicht identisch ist mit B, man zweitens unter Rekurs auf A die Bedingungen angeben kann, unter denen genau ein Gegenstand unter B fällt und drittens A ein komplexer Begriff ist, dessen nicht-logischen Bestandteile basaler als B sind. Die erste Bedingung vermeidet die absurde Konsequenz, dass B sein eigenes Analysans ist. Die zweite Bedingung läuft auf das einleuchtende Desiderat hinaus, dass A und B koextensional sind, d. h. dieselben Gegenstände unter sie fallen. Die dritte Bedingung gibt näher an, in welchem Sinn man mithilfe des Analysans das Analysandum erklärt. Der Begriff A ist genau dann basaler als der Begriff B, wenn man über A verfügen muss, um über B zu verfügen aber nicht vice versa. Wenn A in diesem Sinn basaler ist als B und die Extension von B in der Extension von A liegt, lässt sich B mit A teilweise erklären. Warum fordert die dritte Bedingung nicht, dass auch die logischen Bestandteile von A basaler sind als B? (23*) zufolge ist das Analysans für den Begriff Bruder der Begriff Geschwister und männlich. Dieser Begriff enthält als logischen Bestandteil den Begriff der Konjunktion. Aber ob der Begriff der Konjunktion basaler als der Begriff Bruder ist, scheint irrelevant für die Frage zu sein, ob der Begriff männlich und Geschwister das Analysans für den Begriff Bruder ist. Selbst wenn er nicht basaler als der Begriff Bruder ist, kann man mit dem Begriff männlich und Geschwister den Begriff Bruder erklären. Im fünften Kapitel habe ich dafür argumentiert, dass der Begriff der Konjunktion nicht in den Begriff des männlichen Geschwisters alias des Bruders eingeht. Wenn ich recht habe, ist es in der Tat fraglich, ob der Begriff der Konjunktion basaler als der Begriff Bruder ist.

7.5.3 Erklärungen und Propositionen Nach den bisherigen Erläuterungen darf man (22*) und (23*) guten Gewissens als Kandidaten für Analysesätze ins Rennen schicken. In den verbleibenden Abschnitten dieses Kapitels möchte ich meine Vorschläge von anderen Kandidaten für Analysesätze abgrenzen. Zunächst möchte ich jedoch ein grundsätzliches Bedenken zerstreuen. Ich habe mich bereits darauf festgelegt, dass Be-

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griffsanalysen Propositionen sind. Wenn ich nun hinzufüge, dass Begriffsanalysen Begriffserklärungen sind, setze ich voraus, dass die einschlägigen Begriffserklärungen Propositionen sind. Dies wiederum würde einleuchten, wären Erklärungen ganz generell Propositionen, aber dies erfreut sich nicht allgemeiner Zustimmung. Nehmen wir zum Beispiel an, dass Kim und Tessy in der Schule an unterschiedlichen Tagen erklären, warum das Quadrat über der Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks 5cm2 beträgt, wenn die Quadrate der Katheten 3cm2 und 4cm2 betragen. Beide geben als Erklärung den Satz des Pythagoras an und tun dies in denselben auswendig gelernten Worten. Tessys Erklärung verläuft reibungslos, doch Kims Erklärung wird durch lautes Gähnen unterbrochen, Tessys Erklärung findet an einem herrlichen Sommertag statt, Kims Erklärung hingegen bei Regenwetter. Wenn A eine Eigenschaft hat, die B abgeht, ist A nicht mit B identisch. Tessys Erklärung ist also nicht mit der von Kim identisch. Dies schließt offensichtlich aus, dass Erklärungen Propositionen sind, denn dann wäre Kims Erklärung dieselbe wie Tessys, da beide Schülerinnen als Erklärung dieselbe Proposition ausdrücken. So weit, so gut. Aber haben andererseits Kim und Tessy in einem bestimmten Sinne nicht doch dieselbe Erklärung gegeben? Die Lösung des Problems besteht darin, dass der Ausdruck „Erklärung“ mehrdeutig ist. In einem Sinne trifft er auf Akte des Erklärens zu, in einem anderen Sinne auf den propositionalen Gehalt dieser Akte. Im ersten Sinne haben beide Schülerinnen verschiedene Erklärungen gegeben, im zweiten hingegen ein und dieselbe. Demnach sind Erklärungen in einem bestimmten Sinne dieses Wortes Propositionen. Im Folgenden soll es mir nur um diesen Sinn gehen.61 Aber auch die Mehrdeutigkeitsthese bedarf noch der Verteidigung. Das folgende Gegenbeispiel stammt von Peter Achinstein.62 Nehmen wir an, dass Hendrik Bauchschmerzen hat. Dr. Klimm erklärt die Bauchschmerzen so:

|| 61 Wenn ich im Folgenden schreibe, dass (22) und (23) Erklärungen ausdrücken, meine ich damit genauer, dass man mit (22) und (23) Erklärungen (im Gehalt-Sinn) ausdrückt, insofern man mit ihrer Äußerung einen Akt des Erklärens vollzieht. Vollzieht man mit ihrer Äußerung keinen Akt des Erklärens, sondern zum Beispiel einen verabredeten Akt des geheimen Warnens vor dem Eintreffen der Polizei, drückt man mit ihnen auch keine Erklärung, d. h. keinen Gehalt eines Aktes des Erklärens, aus. 62 Achinstein 1983: 81 Achinstein liefert ein weiteres Argument gegen die Annahme, dass Erklärungen Propositionen sind (1983: 77f.). Dies lässt sich allerdings leicht entkräften, wenn man die Annahme unter Hinweis auf die Mehrdeutigkeit von „Erklärung“ als die These auffasst, dass Erklärungen in einem Sinn dieses mehrdeutigen Wortes Propositionen sind.

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(27)

Hendrik hat am Montag verdorbenes Fleisch gegessen.

Mit der Betonung auf „verdorbenes Fleisch“ signalisiert Dr. Klimm, dass das, was Hendrik am Montag gegessen hat, relevant für die Erklärung von Hendriks Bauchschmerzen ist. Dr. Meier erklärt das Bauchweh hingegen so: (28)

Hendrik hat am Montag verdorbenes Fleisch gegessen.

Mit der Betonung auf „am Montag“ signalisiert Dr. Meier, dass der Tag, an dem Hendrik verdorbenes Fleisch zu sich nahm, relevant für die Erklärung seiner Bauchschmerzen ist. Dr. Klimm und Dr. Meier geben also verschiedene Erklärungen für Hendriks Bauchschmerzen. Gemäß der einen ist es relevant, was Hendrik gegessen hat, gemäß der anderen hingegen, wann er es gegessen hat. Doch mit der Äußerung von (28) drückt man anscheinend dieselbe Proposition aus wie mit der von (29). Wenn die beiden Ärzte mit ihren Äußerungen dieselbe Proposition ausdrücken, aber verschiedene Erklärungen liefern, dann kann die gelieferte Erklärung in keinem Sinn des Ausdrucks in der ausgedrückten Proposition bestehen. Nun kann man dem Einwand bis zu diesem Punkt folgen, ohne akzeptieren zu müssen, dass Erklärungen weder in dem einen noch einem anderen Sinn Propositionen sind. Sie sind durchaus Propositionen, aber sie werden in Achinsteins Beispiel nicht buchstäblich, sondern indirekt mitgeteilt: Indirekt teilen die beiden Ärzte etwa Folgendes mit: (27*)

Hendrik hat am Montag verdorbenes Fleisch statt etwas anderes gegessen.

(28*)

Hendrik hat am Montag statt an einem anderen Tag verdorbenes Fleisch gegessen.

Diese Propositionen sind die gelieferten Erklärungen. Da die Propositionen sich unterscheiden, ist die Annahme, dass Erklärungen im einschlägigen Sinn Propositionen sind, vereinbar damit, dass die beiden Ärzte verschiedene Erklärungen liefern.

7.5.4 Aussagen, worin etwas besteht Gibt es nicht auch noch andere Formulierungen mit ähnlichen Vorzügen wie (22*) und (23*)? Warum sind zum Beispiel

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(29)

Wissen besteht in dem Haben einer wahren, nicht zufällig gerechtfertigten Meinung

(30)

Ein Bruder zu sein, besteht darin, ein Geschwister zu sein und männlich zu sein

und

keine Analysesätze? Sie genießen so gut wie alle bislang aufgezählten Vorteile von (22*) und (23*) und sie liefern anscheinend sogar ganz direkt eine Antwort auf die sokratischen Fragen, zu deren Beantwortung man die entsprechenden Begriffe analysiert. Man könnte den Vorschlägen (29) und (30) vorwerfen, dass nicht alle Sätze ihrer Form Begriffsanalysen liefern, wie der folgende Satz illustriert: (31)

Wasser zu sein, besteht darin, H2O zu sein.

Dasselbe Problem ergab sich jedoch bereits für (22) und (23). Man kann daher ähnlich wie bei „weil“ den Ausdruck „bestehtb darin“ einführen, mit dem man genau dann einen wahren Satz formt, wenn mit der rechten Seite von „bestehtb darin“ der auf der linken Seite ausgedrückte Begriff erklärt wird. (29) und (30) als Vorschläge für Analysesätze leiden jedoch noch unter einem ernsterem Problem: Daraus, dass A in B besteht, folgt, dass A identisch ist mit B. Zudem scheint zu folgen, dass A die Eigenschaft hat, in B zu bestehen. Nun gilt aber dem sogenannten Gesetz der Ununterscheidbarkeit des Identischen zufolge: Wenn A identisch ist mit B, dann hat A jede Eigenschaft, die B hat und umgekehrt.63 Wenn also A identisch ist mit B und A die Eigenschaft hat, in B zu bestehen, dann dürfen wir folgern, dass B die Eigenschaft hat, in B zu bestehen. Es kommt noch schlimmer. Denn da aus dieser abwegigen Konklusion wiederum zu folgen scheint, dass B die Eigenschaft hat, dass B in ihm besteht, können wir mit erneuter Anwendung des besagten Gesetzes schließen, dass A die Eigenschaft hat, dass B in ihm besteht; dass also B in A besteht. Diese Resultate sind natürlich nicht mit der Irreflexivität und Asymmetrie von „besteht in“ vereinbar.64

|| 63 Da es hier nicht um einen epistemischen, sondern um einen metaphysischen Sachverhalt geht, sollte man nicht von der Ununterscheidbarkeit, sondern von der Unterschiedslosigkeit des Identischen sprechen. 64 Robert Schwartzkopff hat mich auf ähnliche Probleme mit verwandten Sätzen aufmerksam gemacht.

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Die Lösung des Rätsels besteht vermutlich darin, dem Übergang von „A besteht in B“ zu „A hat die Eigenschaft, in B zu bestehen“ die Grundlage zu entziehen. Entweder wird mit dem ersten Satz nicht wirklich A eine Eigenschaft zugeschrieben, sondern dem Begriff des As. Dann muss man die Frage beantworten, welche Eigenschaft diesem Begriff mit dem Satz zugeschrieben wird. Es ist jedenfalls nicht die Eigenschaft, in B zu bestehen. Oder der Satz „A besteht in B“ enthält einen versteckten indexikalischen Ausdruck und bedeutet so viel wie „A, so konzipiert, besteht in B, so konzipiert“.65 Gemäß dieser Option wird mit dem Satz ebenfalls nicht einfach A eine Eigenschaft zugeschrieben, sondern A konzipiert als A.66 Die zugeschriebene Eigenschaft ist dann die Eigenschaft, in B konzipiert als B zu bestehen. Ich bin mir nicht völlig sicher, wie das Rätsel zu lösen ist. In jedem Fall scheinen (22*) und (23*) es nicht aufzuwerfen. Daher ziehe ich sie als Analysesätze (29) und (30) vor.

7.5.5 Analysen und epistemischer Status Damit ist meine Verteidigung meiner Lösung der Paradoxa der Analyse und meiner Konzeption von Begriffsanalysen abgeschlossen. Beenden möchte ich dieses Kapitel mit einigen Bemerkungen zum Wert einer Begriffsanalyse. Nicht immer hilft bei der Frage nach der Natur von etwas eine Begriffsanalyse weiter. Wenn wir etwa nach der Natur von Orangen fragen, bringt uns die Analyse des wahrnehmungsabhängigen Begriffs der Orange nicht weiter.67 Schließlich kann es Orangen geben, die weder rund noch orange sind. Generell scheint eine Begriffsanalyse fruchtlos, wenn es um die Frage nach der Natur einer natürlichen Art geht. Um eine alte Distinktion wiederzubeleben, könnte man sagen: Fragen nach der Natur von natürlichen Arten werden durch Realdefinitionen statt durch Nominaldefinitionen alias Begriffsanalysen beantwortet.68 Fragen wir hingegen nach der Natur von Wissen oder der Eigenschaft, ein Bruder zu sein, können Begriffsanalysen uns prinzipiell einer Antwort näherbringen. Das Analysieren von Begriffen hilft demnach zumindest manchmal, || 65 Vergleiche „2/3 hat einen ungeraden Nenner“. Der Satz besagt so viel wie: „2/3, so dargestellt, hat einen ungeraden Nenner.“ Siehe dazu Künne 2010: 303. 66 Man konzipiert A als A genau dann, wenn man an A als an A denkt. 67 Für den wahrnehmungsabhängigen Begriff der Orange siehe Abschnitt 4.2. 68 Feyerabend (1957/58: 1), Pap (1958: 270f.), Sosa (1983: 695) und Anderson (1993: 200) hingegen assimilieren Real- statt Nominaldefinitionen an Begriffsanalysen. Der Frage, welches Verständnis der in der Tradition intendierten Distinktion eher gerecht wird, kann ich hier nicht nachgehen.

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sokratische Fragen zu beantworten. Gewiss können Begriffsanalysen auch in Bezug auf natürliche Arten von Wert sein,69 aber dieser liegt dann eben nicht in der Beantwortung der Frage, worin es besteht, diese oder jene natürliche Art zu sein. In diesem Kapitel habe ich das Ersetzbarkeitsprinzip auf die beiden Paradoxa der Analyse angewandt. Da es keine guten Gründe für die Aufgabe des Ersetzbarkeitsprinzips gibt, muss man die Lösung der Aporien woanders suchen. Beiden Paradoxien liegt die irrige Vorstellung zugrunde, dass es möglich ist, mit synonymen Ausdrücken für das Analysandum und dem Analysans eine korrekte Analyse auszudrücken. Analysen sind Erklärungen; doch wenn (ER) korrekt ist, dann kann man mit synonymen Ausdrücken für das Explanandum und für das Explanans keine korrekte Erklärung ausdrücken. Diese Einsicht findet sich bereits in der Redensart wieder, dass man ein Wort nicht mit einem Synonym erklären kann – wenn man sie nicht metasprachlich interpretiert. Synonymie zwischen Analysandum- und Analysans-Ausdruck ist demnach mit der Korrektheit einer Analyse unvereinbar. Darin besteht sowohl die Lösung für das zweite Paradox, da dieses sich für nicht-synonyme Ausdrücke für Analysandum und Analysans überhaupt nicht stellt, als auch der Grund für die Falschheit der ersten Prämisse des ersten Paradoxes. Das Kapitel illustriert einmal mehr die philosophische Ergiebigkeit des Ersetzbarkeitsprinzips anhand eines grundlegenden philosophischen Problems. Auch für die Debatte zwischen Internalisten und Externalisten bezüglich mentaler Zustände (siehe Kapitel 3) und die Diskussion um die Bedeutung von Eigennamen spielt es eine entscheidende Rolle. Wie ich in extenso argumentiert habe, ist das Ersetzbarkeitsprinzip, richtig verstanden, zudem mit weit mehr augenscheinlichen Gegenbeispielen vereinbar als standardmäßig angenommen. Es wäre voreilig, auf dieses vielseitig einsetzbare Werkzeug aufgrund dieser Beispiele zu verzichten. Nicht zuletzt geht eine Ablehnung des Ersetzbarkeitsprinzips Hand in Hand mit der Aufgabe des Kompositionalitätsprinzip der Bedeutung, das sich als enorm fruchtbar für die moderne Semantik erwiesen hat. Es gibt keinen guten Grund, dieser Disziplin die Grundlage zu entziehen und auf sie zu verzichten.

|| 69 Frank Jackson (1998: 82) zum Beispiel motiviert mithilfe von Analysen von Begriffen für natürliche Arten seinen Physikalismus. Siehe auch die Kritik in Stephen Laurence & Eric Margolis 2003.

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Register Achinstein, P. 188 Ackerman, F. 153, 156, 166, 168ff. Allquantifikation 82ff., 87, 106 – aristotelische Auffassung 83ff., 182f. – fregesche Auffassung 83, 85ff., 182f. Alternativer Begriff 44, 60ff., 66f. Analysandum 152f., 155ff., 162ff., 166, 169ff., 177, 181, 185ff., 192 Analysans 152ff., 162ff., 169ff., 176f., 179, 181, 185ff., 192 Anderson, A. 113, 156, 172, 191 Aristoteles 76, 82ff., 183f. Äußerungskontext 4, 92, 105f., 156 Ayer, A. 156, 158, 161, 166, 172 Bach, K. 4, 17, 55f., 61, 63 Bealer, G. 26, 50 Beaney, M. 110 Bedeutung 1f., 41, 54, 71, 74, 77, 82ff., 87f., 91, 94, 97, 109, 155f., 161, 167ff., 171, 184f., 192 – fregesche Bedeutung 111ff., 115ff., 121ff., 133ff., 146f., 150 – kontextuelle Bedeutung 3ff., 15ff., 25, 77f., 80, 82, 87, 92ff., 96ff., 105f., 109, 181 – kontextunabhängige Bedeutung 3f., 10, 13, 18, 115, 137, 156 Begriffserklärung 180f., 184f., 188 Behauptungsstrich 101 Betonung 189 Bewertungskontext 2ff., 19, 92, 106, 114 Bezuidenhout, A. 16 Black, M. 156, 158, 166, 169 Blackburn, S. & Code, A. 117 Bolzano, B. 82, 175 Bradley, R. & Swarts, N. 161 Braun, D. 164 Burge, T. 27ff., 32ff., 51, 53ff., 60ff., 66, 71, 122, 149f. Cappelen, H. & Lepore, E. 17 Cargile, J. 158 Carnap, R. 110, 116, 140, 156, 158, 166 Castañeda, H. 111

Chisholm, R. 156 Chomsky, N. 12 Church, A. 26, 110ff., 122, 144ff. Cobb, J. 161 Collingwood, R. 110 Correia, F. & Schnieder, B. 184 Crane, T. 26, 62 Crimmins, M. 25, 29, 51 Davidson, D. 121f., 124, 127, 129, 134f., 158, 166 Davis, M. 52 Davis, W. 26 De Dicto 43, 55f., 58f., 61 de Jong, F. & Verkuyl, H. 82 De Re 55ff. Dennett, D. 29 Dever, J. 20 Diesing, M. 82 Donellan, K. 43 Dummett, M. 116, 120f., 139, 145 Earl, D. 172, 177 Eigenartige Theorie 41, 53, 65, 67 Eigennamen 4, 7, 76ff., 82, 89, 101, 192 Einstellungszuschreibungen 25, 47, 59, 72, 94, 150 Elugardo, R. 62f. Ersetzbarkeitsprinzip 2, 5, 19, 39, 106, 192 – (ER) 19 Evans, G. 120 Externalismus 41 Färbung 141, 143 Feyerabend, P. 110, 175, 191 Field, H. 29 Fine, K. 5, 110 Fodor, J. 26, 62 Forbes, G. 25 Frege, G. 2, 6, 21, 76, 82f., 91, 100ff., 110ff., 117f., 121ff., 125ff., 130, 138ff., 144 Fumerton, R. 169 Gazdar, G. & Klein, E. & Pullum 21

200 | Register

Gedanken 28, 83, 85, 118, 122ff., 138ff., 143f. Gewöhnliches Verständnis 81, 83f., 143f., 159 Goldberg, S. 63 Hare, R. 168 Heim, I. & Kratzer, A. 6 Higginbotham, J. 21 Hodges, W. 20 Holland, A. 117 Horwich, P. 42, 140 Indexikalischer Ausdruck 11, 17, 20, 25, 38, 76, 123, 134f., 138, 191 Indirekte Mitteilung 52, 84, 86, 95, 143ff., 160f., 167, 172ff., 189 Intuitives Denken 90 Jackson, F. 192 Jacquette, D. 110, 156 Jeshion, R. 80 Kaplan, D. 4, 38 Katz, J. 26 Kemp, G. 133ff. Kennzeichnungen 102f., 110, 134f. King, J. 162 Kognitive Äquivalenz 138ff., 186 Kompetenzthese 51 Kompositionalitätsprinzip 1f., 147, 192 – (Komp) 7 – (Komp1) 1 Konjunktion 96, 101, 103ff., 108, 138, 169ff., 187 Konjunktor 96, 98ff., 105, 181 Konstituente 3, 5ff., 9f., 13ff., 93ff., 106, 115, 146 – unmittelbare Konstituente 7ff., 17ff., 21, 25 Kontextualismus 16 Korrekte Verwendung 81, 88f., 131ff. Krämer, S. 175 Kremer, M. 117 Kripke, S. 68, 80, 82, 118f., 122ff. Künne, W. 11, 26, 31, 50, 79, 100f., 105f., 115, 117ff., 123f., 139f., 156, 180, 191 Kutschera, F. 110, 168

Langford, C. 164, 166 Langford. C. 110 Laurence, S. & Margolis, E. 192 Leibniz, G. 91f. Lepore, E. 21 Lewy, C. 110f., 113, 130ff., 166 Linsky, L. 140 Logische Form 6f., 10 Lotze, R. 82 Lycan, W. 29 Mackie, J. 166 Makinson, D. 30 Mates, B. 23, 39f. McCawley, J. 82 McKay, T. 26 McKinsey, M. 55 Mehrdeutigkeit 4, 10, 15, 26, 55, 74, 77f., 87, 89, 113, 184, 188 – systematische Mehrdeutigkeit 184 Mentaler Gehalt 81, 89, 152 Metasprachliche Reformulierung 25ff., 32, 34f., 43, 45, 47, 49f., 53f., 62, 66 Mills, E. 110, 166, 175 Moore, G. 110f., 153, 158, 166, 168f. Nelson, M. 144 Nimtz, C. 84 Nominaldefinition 191 Nunberg, G. & Sag, I. & Wasow, T. 13 OʼConnor, D. 161 Odegard, D. 156 Orilia, F. 156 Owens, J. 35ff., 40 Pagin, P. & Pelletier, F. 17 Pagin, P. & Westerståhl, D. 20 Pap, A. 26, 110f., 140, 153, 157ff., 166, 191 Parsons, T. 114, 140 Partielles Verständnis 41f., 46f., 53f. Peacocke, C. 51 Pelletier, F. 20 Perry, J. 17 Platon 180 präsentieren 117ff. Prior, A. 26

Register | 201

Putnam, H. 142 Quine, W. 60, 178 Realdefinition 191 Recanati, F. 3 Richard, M. 25 Rieber, S. 23, 41, 140, 177 Rips, M. & Marcus, S. 32 Russell, B. 59, 110, 117, 123, 125 Russell'sche Bekanntschaft 59, 123ff. Salmon, N. 26, 38, 164 Sanchez, F. 110 Scheffler, I. 140 Schiffer, S. 25, 120 Schnieder, B. 94, 147, 180, 183 Schröder, S. 84, 87 Searle, J. 60 Segal, G. 62 Sellars, W. 154, 156, 166 Semantische Unreife 49f., 52f., 66 Semantischer Gehalt 80f., 89, 105, 137, 152 Sharvy, R. 90 Sinn 84, 87, 101, 111ff., 123, 125, 133 – gewöhnlicher Sinn 113, 116ff., 135f., 141, 146f. – indirekter Sinn 113f., 116ff., 122, 124ff., 135f., 141, 144, 146, 148 – unmittelbar enthüllender Sinn 118ff.

Slater, H. 110 Soames, S. 26, 164 Sosa, E. 177, 191 Stalnaker, R. 182 Strawson, P. 82 Subjunktion 82, 181f. Symbolisches Denken 90 Synonymie 18, 25, 90, 93, 95f., 99, 105ff., 115f., 153, 155, 159, 186, 192 Szabó, Z. 2, 12ff., 20 Theoretisches Verständnis 76, 84, 143 Travis, C. 16 Trivialität 76, 85, 110f., 152, 156ff., 162, 186 Übersetzung 149f., 163 Verständnis nach anspruchsvollen Maßstäben Siehe Theoretisches Verständnis Vorwortparadoxie 30, 104f. White, M. 111, 113 Wiggins, D. 153, 162 Williamson, T. 85 Wisdom, J. 110 Woodfield, A. 62 Yagisawa, T. 28f., 32