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German Pages 468 Year 2023
Thomas K. Hoffmann · Jürgen Hoffmann Daniel Hänggi · Jens Peter Klußmann Hrsg.
Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie
Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie
Thomas K. Hoffmann • Jürgen Hoffmann • Daniel Hänggi • Jens Peter Klußmann (Hrsg.)
Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie
Hrsg. Thomas K. Hoffmann Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie Universitätsklinik Ulm Ulm, Deutschland Jürgen Hoffmann Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsklinik Heidelberg Heidelberg, Deutschland
Daniel Hänggi International Neuroscience Institute Hannover, Deutschland Jens Peter Klußmann Kopf- und Halschirurgie, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde Universitätsklinik Köln Köln, Deutschland
ISBN 978-3-662-58251-0 ISBN 978-3-662-58252-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlaggestaltung: © iMrSquid / istock.com Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
V
Vorwort Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Versorgung von Defektzuständen im Kopf-Hals-Bereich gehört zu den täglichen Aufgaben der chirurgischen Praxis in verschiedenen Fachbereichen. Trotz ausgezeichneter Veröffentlichungen über die rekonstruktiven Techniken im Kopf-Hals-Bereich existiert bislang kein deutschsprachiges zusammenfassendes Werk, das die große Zahl der infrage kommenden Lappenplastiken umfassend beschreibt und interdisziplinär betrachtet. Diese Lücke zu schließen, ist ein wichtiges Anliegen dieses Werks. Autoren der verschiedenen in der Kopf-Hals-Chirurgie tätigen Fachdisziplinen zeigen klinische Problemstellungen und deren chirurgische Lösungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf. Flankiert wird der umfangreiche Text durch eine Vielzahl von intra- und perioperativen Fotos sowie systematischen Zeichnungen zur besseren Visualisierung der vorgeschlagenen Vorgehensweise. An dieser Stelle möchten wir dem Springer Verlag mit Herrn Dr. Klaus Richter für die großzügige Ausgestaltung des Werkes danken wie auch Frau Diana Kraplow mit ihrem Team für die langjährige und geduldige Begleitung. Frau Karin Dembowsky sind wir für die konsequente Systematisierung der z. T. sehr unterschiedlichen Beiträge zu außerordentlichem Dank verpflichtet. Besonderen Respekt zollen wir den vielen Experten, die sich neben ihrer klinischen Tätigkeit mit hoher Motivation an die Beschreibung ihres operativen Spezialgebiets gemacht haben. Schließlich seien unsere Familien erwähnt, die mit großem Verständnis die Schreibarbeit und viele Herausgebersitzungen toleriert haben. Wir hoffen, dass mit diesem interdisziplinären Werk viele chirurgisch tätige Kollegen aus allen Disziplinen eine Orientierung finden und über den Tellerrand ihres Fachs hinausblicken, um unseren Patienten optimale Behandlungsverfahren in der rekonstruktiven Kopf-Hals-Chirurgie anbieten zu können. Die Herausgeber: Thomas K. Hoffmann, Jürgen Hoffmann, Daniel Hänggi, Jens Peter Klußmann
Ulm, Heidelberg, Hannover und Köln im Herbst 2023
VII
Inhaltsverzeichnis 1
Skalp und Schädelkalotte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Farhad Farzaliyev, Frauke Deneken und Oliver Müller 2 Augenlider. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
Stefan Lang, Hans Mittelviefhaus 3 Orbita. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Sven Holger Baum, Christopher Mohr 4
Äußere Nase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Joachim Quetz, Nicole Rotter, Mark O. Scheithauer
5
Innere Nase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Fabian Sommer, Mark O. Scheithauer, Jörg Lindemann
6 Rhinobasis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Thomas K. Hoffmann, Daniel Hänggi, Patrick Schuler 7
Äußeres Ohr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Ralph Magritz, Ralf Siegert
8 Laterobasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Jörg Schipper, Katharina Schaumann 9
Faziale Hautdefekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Katinka Kansy, Jürgen Hoffmann
10 Wange. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
Michael Krimmel, Siegmar Reinert 11 Lippe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Siegmar Reinert, Michael Krimmel 12 Oberkiefer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Kolja Freier, Jürgen Hoffmann, Dominik Horn 13 Unterkiefer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Tobias Ettl, Johannes K. Meier, Torsten E. Reichert 14
Kaufunktionelle Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Christian Mertens, Jürgen Hoffmann
15
Mundhöhle und Zunge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Christian Freudlsperger, Dominik Horn
16 Oropharnx. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
Claus Wittekindt, Philipp Streckbein, Jens Peter Klußmann 17 Halsweichteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
Jens Greve, Thomas K. Hoffmann 18 Larynx. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
Hans Edmund Eckel, Christoph Arens
VIII
Inhaltsverzeichnis
19 Pharynx . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Markus Jungehülsing 20
Laryngotrachealer Übergang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Christian Sittel
21
Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Frans J. M. Hilgers, Michiel W. M. van den Brekel, Kai J. Lorenz
22
Rekonstruktion des gelähmten Gesichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 Orlando Guntinas-Lichius
23 Epithetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449
Philippe A. Federspil, Johannes A. Veit
Serviceteil Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462
IX
Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Christoph Arens HNO-Klinik, Justus-Liebig-Universität Gießen, Gießen, Deutschland PD Dr. med. Dr. med. dent. Sven Holger Baum Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Helios St. Josefshospital Uerdingen, Krefeld, Deutschland Dr. med. Frauke Deneken Klinik für Hand- & Plastische Chirurgie, Brandverletzungen, BG Klinikum Duisburg, Duisburg, Deutschland Prim. Univ.-Prof. Dr. med. Hans Edmund Eckel Abteilung Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Klinikum Klagenfurt am Wörthersee, Klagenfurt am Wörthersee, Österreich Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Tobias Ettl Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg Deutschland Dr. med. Farhad Farzaliyev Klinik für Hand-, Plastische, Rekonstruktive und Verbrennungschirurgie, BG Klinikum Tübingen, Tübingen, Deutschland Prof. Dr. med. Philippe A. Federspil HNO-Klinik, Westpfalz-Klinikum, Kaiserslautern, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Kolja Freier Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Christian Freudlsperger Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Prof. Dr. med. Jens Greve Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Deutschland Prof. Dr. med. Orlando Guntinas-Lichius Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Jena, Jena, Deutschland Prof. Dr. med. Daniel Hänggi INI - International Neuroscience Institute® Hannover GmbH, Hannover, Deutschland Prof. Dr. Frans J. M. Hilgers Department of Head and Neck Oncology and Surgery, The Netherlands Cancer Institute / Antoni van Leeuwenhoek, Amsterdam, Niederlande Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Jürgen Hoffmann Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Prof. Dr. med. Thomas K. Hoffmann Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Deutschland PD Dr. med. Dr. med. dent. Dominik Horn Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg, Deutschland Prof. Dr. med. Markus Jungehülsing Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Ernst von Bergmann Klinikum, Potsdam, Deutschland
X
Autorenverzeichnis
Dr. med. Dr. med. dent. Katinka Kansy Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Prof. Dr. med. Jens Peter Klußmann Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Köln, Köln, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Michael Krimmel Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Deutschland Prof. Dr. med. Stefan Lang Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland Prof. Dr. med. Jörg Lindemann Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Deutschland Prof. Dr. med. Kai J. Lorenz Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz, Koblenz, Deutschland Dr. med. Ralph Magritz Fachabteilung Hals-Nasen-Ohrenheilkunde in Hennigsdorf, Oberhavel Kliniken, Hennigsdorf, Deutschland Dr. med. Dr. med. dent. Johannes K. Meier Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Deutschland Prof. Dr. med. dent. Christian Mertens Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinik Heidelberg, Heidelberg, Deutschland Prof. Dr. med. Hans Mittelviefhaus Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Christopher Mohr KEM – Evang. Kliniken Essen-Mitte, Universitätsklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Essen, Essen, Deutschland Prof. Dr. med. Oliver Müller Klinik für Neurochirurgie, Klinikum Dortmund, Dortmund, Deutschland Dr. med. Joachim Quetz Kiel, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Torsten E. Reichert Klinik und Poliklinik für Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Siegmar Reinert Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Deutschland Prof. Dr. med. Nicole Rotter Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinikum Mannheim, Mannheim, Deutschland Dr. med. Katharina Schaumann Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland Prof. Dr. med. Mark O. Scheithauer Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Schipper Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf, Deutschland
Autorenverzeichnis
XI
Prof. Dr. med. Patrick Schuler Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. h.c. Ralf Siegert Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Prosper-Hospital, Recklinghausen, Deutschland Prof. Dr. med. Christian Sittel Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Plastische Operationen, Klinikum Stuttgart, Katharinenhospital, Stuttgart, Deutschland Prof. Dr. med. Fabian Sommer Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Deutschland Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Philipp Streckbein IZI Zentrum für Zahnimplantate & MKG-Chirurgie, Limburg, Deutschland Prof. Dr. Michiel W. M. van den Brekel Department of Head and Neck Oncology and Surgery, The Netherlands Cancer Institute / Antoni van Leeuwenhoek, Amsterdam, Niederlande Prof. Dr. med. Johannes A. Veit Nasenchirurgie München, München, Deutschland
1
Skalp und Schädelkalotte Farhad Farzaliyev, Frauke Deneken und Oliver Müller
Inhaltsverzeichnis 1.1
Skalp-Rekonstruktion – 2
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4
Einleitung – 2 Chirurgisch relevante Anatomie – 2 Rekonstruktive Operationstechniken – 3 Gewebeexpander – 5
1.2
Rekonstruktion der Schädelkalotte – 7
1.2.1 1.2.2 1.2.3
Einleitung – 7 Knöcherne Anatomie des Schädels – 7 Defekte der Schädelkalotte – 9
Literatur – 19
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_1
1
2
1
Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
1.1 Skalp-Rekonstruktion 1.1.1 Einleitung
Die Kopfhaut bedeckt das Schädeldach und ist daher nicht nur für ein normales Erscheinungsbild, sondern auch für den Schutz der intrakraniellen Strukturen von entscheidender Bedeutung. Sie muss rekonstruiert werden, wenn sie geschädigt wurde, z. B. durch die Entfernung eines gut- oder bösartigen Tumors, eine Infektion, ein Trauma, eine Strahlennekrose, thermische oder elektrische Verbrennungen, angeborene Läsionen oder die Sanierung einer kosmetisch unschönen Narbe oder aufgrund von Alopezie. Dank moderner chirurgischer Techniken kann der rekonstruktive Chirurg die meisten Kopfhautdefekte erfolgreich wiederherstellen und potenziell fatale Komplikationen durch freiliegenden Knochen, wie z. B. Austrocknung der Schädeldecke, Sequestrierung und Sepsis, verhindern (Leedy et al. 2005; Desai et al. 2015). 1.1.2
Chirurgisch relevante Anatomie
Die Kopfhaut ist mit einer Dicke von 3–8 mm das dickste Integument des Körpers. Sie besteht aus 5 Gewebeschichten: 1. Haut, 2. subkutanes Gewebe, 3. Galea aponeurotica/Muskel, 4. lockeres Bindegewebe (Subgalealfaszie), 5. Perikranium. 1.1.2.1
Topographie des Weichteilgewebes und des knöchernen Schädels
Die Blutgefäße, das Lymphsystem und die Nerven der Kopfhaut verlaufen oberflächlich der Galea aponeurotica in den subkutanen Geweben. Die Galea aponeurotica verleiht dem darüberliegenden Integument Festigkeit und verschmilzt mit mehreren anderen Kopfhautstrukturen: Sie verläuft anterior mit der Faszie des M. frontalis, posterior mit der Faszie des M. occipitalis und lateral mit der Fascia temporoparietalis. Sie ist unelastisch und der Grund für die „festen“ und „losen“ Teile der Kopfhaut. Vom Scheitelpunkt der Kopfhaut nach kaudal ist die Galea maximal ausgebildet, und die Haut ist straff und unelastisch. Dort, wo die Ränder der Galea in die temporoparietale Faszie und die Faszie der Skalpmuskulatur übergehen, ist die Haut dagegen beweglicher und lässt sich leichter neu anordnen. Unterhalb der Galea befindet sich lockeres Bindegewebe, das für einen Großteil der Beweglichkeit der darüberliegenden Kopfhaut verantwortlich ist. Diese Schicht wird auch als Subgalealfaszie oder subaponeurotische Ebene bezeichnet. Kopfhautlappen werden am häufigsten
innerhalb dieser Schicht gehoben, da sie leicht zu sezieren ist und die kritischen neurovaskulären Strukturen oberflächlich und unversehrt bleiben (Carstens et al. 1991). Das Perikranium (kraniales Periost) ist fest mit dem Kranium verwachsen und stellt die tiefste Schicht der Kopfhaut dar. >>Das Perikranium ist von entscheidender Bedeutung für
die Aufrechterhaltung der Blutversorgung des darunterliegenden Schädelknochens. Diese Schicht wird i. d. R. bei der Rekonstruktion intakt gehalten und kann je nach Rekonstruktionsplan als vaskularisierte Oberfläche für Hauttransplantate dienen.
1.1.2.2
Gefäßversorgung, Lymphabfluss, Innervation
Die Kopfhaut ist ein hochgradig vaskularisiertes Organ, das durch kutane Arterien versorgt wird, die aus 4 separaten Systemen aus der inneren und äußeren Carotis-Arterie entspringen. Diese Gefäße verlaufen in der subkutanen Ebene oberhalb der Galea und bilden ein ausgedehntes kollateralisiertes System. >>Dies ist bei der Planung lokaler Lappen von großer
Bedeutung, da das Heben eines Lappens oberhalb der Galea die Vaskularisierung des Lappens beeinträchtigen kann.
Die Gefäßversorgung des hinteren Teils der Kopfhaut hängt von der Nackenlinie ab. Oberhalb der Nackenlinie erfolgt die Gefäßversorgung durch die Okzipitalarterien. Unterhalb dieser Linie bilden perforierende muskulokutane Äste durch den M. trapezius und den M. splenius capitis die Hauptversorgung. >>Die Kenntnis der arteriellen Hauptversorgung der
Kopfhaut ist wichtig für die Gestaltung lokaler Lappen der Kopfhaut, da die axiale Blutversorgung mit einbezogen werden muss.
Die Lymphdrainage der Kopfhaut befindet sich ebenfalls in der subkutanen Ebene der Kopfhaut. Die Innervation der Kopfhaut erfolgt durch den N. trigeminus, die zervikalen Spinalnerven und Äste des Plexus cervicalis. Der N. supraorbitalis und der N. supratrochlearis innervieren die Haut der Stirn, den vorderen Haaransatz und die frontoparietale Kopfhaut. Die sensible Innervation der Region seitlich der Stirn bis hinauf zur Schläfenlinie erfolgt durch den N. zygomaticotemporalis. Ein Großteil der Sensorik in der seitlichen Kopfhaut wird durch den N. auriculotemporalis vermittelt, und im hinteren Bereich erfolgt dies durch den großen und den kleinen Hinterhauptnerv (Nn. occipitales minor et major). Diese Nerven entstehen aus den dorsalen Ästen der zervikalen Spinalnerven bzw. aus dem Plexus cervicalis. Der N. occipitalis major ver-
3
1.1 • Skalp-Rekonstruktion
läuft typischerweise durch den M. semispinalis etwa 3 cm unterhalb des Hinterhaupthöckers und 1,5 cm seitlich der Mittellinie. 1.1.3
Rekonstruktive Operationstechniken
1.1.3.1
Wahl der Technik
>>Die erfolgreiche Rekonstruktion der Defekte erfordert
eine interdisziplinäre Herangehensweise und adäquate Techniken. Der Defekt ist kritisch zu bewerten, und es sollte basierend auf der Art des Defekts und den Bedürfnissen des Patienten ein Behandlungsplan entwickelt werden.
-
Die Hauptziele bei der Rekonstruktion der Kopfhaut sind zweierlei, funktionell und kosmetisch: Zu den funktionellen Erwägungen gehört der Schutz der Schädelkalotte, um Austrocknung und Infektionen zu verhindern, indem eine angemessene Blutversorgung mit vaskularisiertem Gewebe gewährleistet wird. Ein solcher Schutz sollte eine angemessene Abdeckung der Implantat-Hardware (z. B. alloplastische Implantate) gewährleisten und die Morbidität der Spenderstelle begrenzen. Zusätzlich zu den üblichen Grundsätzen der plastischen Chirurgie, ausschließlich „Gleiches durch Gleiches“ zu ersetzen, gehören zu den besonderen kosmetischen Erwägungen bei der Rekonstruktion der Kopfhaut auch die Beibehaltung eines angemessenen Haaransatzes und die Begrenzung der Alopezie und des Narbenbildes durch ästhetisch platzierte Schnitte und die Beachtung der Haarwuchsmuster. Das Konzept, Gleiches durch Gleiches zu ersetzen, schließt ein, dass auf die Übereinstimmung von Hautfarbe und -dicke geachtet wird. Während der Planung einer Rekonstruktion müssen die besonderen Eigenschaften der Kopfhaut und ihre Behaarung berücksichtigt werden, um eine ästhetisch ansprechende Rekonstruktion zu ermöglichen.
-
Patienten, die sich einer Rekonstruktion unterziehen, wurden oft mit zahlreichen Krebsabtragungen oder neurochirurgischen Eingriffen mit multiplen Kopfhautwunden behandelt. Bei einer sorgfältigen körperlichen Untersuchung lässt sich eine beeinträchtigte Gefäßversorgung feststellen, die die Auswahl des Kopfhautlappens einschränken kann. Tiefere Wunden mit Schädelzerstörung werden häufig mit individuell angefertigten alloplastischen Kranioplastikprothesen bestehend aus Polyetheretherketon (PEEK), Hartgewebeersatzmaterialien wie Polymethylmethacrylat (PMMA) oder Kryptonit-Knochenzement, Knochentransplantaten, resorbierbaren Materialien oder Titanplatten rekonstruiert.
Kranioplastische Rekonstruktionen erfordern eine Abdeckung mit gut vaskularisiertem Gewebe. Dura-Defekte mit möglichem Austritt von Liquor sind ebenfalls zu versorgen, da die Wundheilung durch Liquorfisteln gerstört wird und durch mögliche Infektionen beeinträchtigt werden kann. Bei Patienten mit komplizierten mehrschichtigen Wunden, z. B. Calvaria-Defekt, Dura-Defekt oder Liquorfistel, kann ein gut vaskularisierter freier Lappen die ideale Wahl sein, um das Rekonstruktionsergebnis zu sichern. Eine frühere Bestrahlung der Kopfhaut führt zur Hautfibrose und kann intrinsische Veränderungen des Integuments hervorrufen, was eine Neigung zu nichtheilenden Wunden verursacht. >>Dies ist ein kritischer Punkt, denn der Einsatz lokaler
Lappen oder von Wundverschlüssen unter Spannung, die bei unbestrahlter Kopfhaut überleben würden, können bei Patienten mit einer Bestrahlungsanamnese letztendlich zu katastrophalen Ergebnissen führen (Newman et al. 2004).
1.1.3.2
Primärer Wundverschluss
Der primäre Verschluss ist die einfachste Methode der Rekonstruktion von Defekten >Entsprechend sollten Entlastungsinzisionen mit Be-
dacht vorgenommen werden, und es empfiehlt sich, stehende kutane Deformierungen (dog ears) vorübergehend zu tolerieren. Ihre Exzision kann die Gefäßversorgung des Lappens beeinträchtigen, und i. d. R. flachen sie mit der Zeit ohne weitere Intervention ab.
Sollte eine Exzision erforderlich sein, kann diese ambulant durchgeführt werden. Im Allgemeinen spielen Verschiebelappenplastiken aufgrund ihrer unelastischen Beschaffenheit nur eine
5
1.1 • Skalp-Rekonstruktion
untergeordnete Rolle bei der Rekonstruktion der Kopfhaut. Sie werden hauptsächlich im Bereich der temporoparietalen Kopfhaut bei kleinen Defekten (>Es muss sorgfältig darauf geachtet werden, dass die
Schnitte möglichst hinter die Haargrenze gelegt werden, insbesondere in Bezug auf den vorderen Haaransatz. Mobile Hautpartien, wie etwa die Stirn, dürfen bei der Rotation nicht verschoben werden.
Mehrere kombinierte Rotationslappen- und Transpositionslappenplastiken bieten die Möglichkeit, die Spannung auf mehrere Inzisionslinien zu verteilen. Sie sind besonders bei mittleren bis großen Defekten hilfreich. Die Hebedefekte können mit einer Spalthauttransplantation gedeckt werden – vorausgesetzt, ein entsprechendes Hautbetttransplantat ist vorhanden (. Abb. 1.2). >>Bei Rotationen und Verschiebungen ist darauf zu ach-
ten, dass die Galea an der Linea temporalis im lateralen Frontalbereich mit dem Perikranium verschmilzt (Moss et al. 2000).
gefäße aus Ästen der A. maxillaris, seltener der A. facialis, sowie die äußere Jugularvene, ggf. auch die Halsgefäße. Bei freien Lappenplastiken stellt das kosmetische Ergebnis aufgrund von Alopezie sowie Farb- und Konturabweichungen nach wie vor ein Problem dar. Der Latissimus-dorsi-Lappen ist eine hervorragende Option für die Rekonstruktion großer oder totaler Kopfhautdefekte (Goertz et al. 2015). Weitere Lappenoptionen für mittelgroße bis große Defekte sind: der Radialis-Lappen, der anterolaterale Oberschenkellappen, der M.-gracilis-Lappen, der laterale Oberarmlappen, der Paraskapularlappen, der M.-rectus-abdominis-Lappen und der Omentus-Lappen (Chana und Odili 2010). Es ist zu beachten, dass beim Latissimus-dorsi- oder Rectus-abdominis-Lappen nur der Muskel und nicht die darüberliegende Haut entnommen wird, da das subkutane Fett oft zu voluminös ist und eine schlechte Kopfhautkontur ergibt. Aus diesem Grund wird eine Hauttransplantation auf dem Muskel durchgeführt (. Abb. 1.3). Der Radialis- und der anterolaterale Oberschenkellappen weisen dagegen häufig nur minimales subkutanes Fett im Hautpolster auf, das für eine angemessene Kopfhautkontur sorgt (. Abb. 1.4). Nach Durchsicht der Literatur wird deutlich, dass der freie Lappentransfer eine geringe Komplikationsrate mit sehr guten Ergebnissen aufweist. Zahlreiche Studien haben auch seine Sicherheit und Wirksamkeit bei älteren Menschen gezeigt (Sosin et al. 2015).
Dies ist wichtig für die Rekonstruktion, da bei vielen lokalen Lappen versucht wird, den Skalp von diesen lockeren Stellen zu mobilisieren, was je nach Lage des Spendergewebes die Lösung von Bandansätzen oder eine erhebliche Unterminierung erforderlich machen kann.
>>Bei der Planung einer Rekonstruktion bei onkologi-
1.1.3.5
1.1.3.6 Behandlungsalgorithmus für Skalp-Rekonstruktionen
Mikrochirurgische Techniken
Bei Patienten mit großen Kopfhautdefekten ist eine mikrochirurgische Rekonstruktion indiziert. Mikrovaskuläre freie Lappen sind die am häufigsten verwendeten Rekonstruktionen für mittelgroße bis große Kopfhautdefekte. Insbesondere bei schwierigen Wundverhältnissen, wie beispielweise nach Bestrahlung, freiliegenden neurokranialen Strukturen oder der Verwendung von alloplastischen Materialien oder auch bei chronischen Infektionenm ist eine vaskularisierte Deckung zumeist erforderlich (Steiner et al. 2018). Der freie Gewebetransfer kann teils großflächig vaskularisiertes Gewebe bieten, das sich gut an das Calvarium anpassen kann. Im Falle von reinen Muskellappen bietet der Gewebetransfer eine gesunde Empfängerstelle für Hauttransplantate. Die A. und V. temporalis superficialis sind in aller Regel ausreichend dimensionierte Empfängergefäße für die Anastomosen. Wenn der Gefäßstiel nicht lang genug ist, kann ein Veneninterponat erforderlich sein, um einen spannungsfreien Anschluss zu ermöglichen. Weitere Optionen für die vaskuläre Anastomose sind die Gesichts-
schen Patienten sollte auch eine mögliche postoperative Bestrahlung bedacht werden, weshalb der freie Gewebetransfer eher in Betracht gezogen werden sollte als lokale Lappenplastiken (Newman et al. 2004).
Einen Überblick über die Möglichkeiten der Rekonstruktion von Skalp-Defekten unterschiedlicher Größe gibt . Abb. 1.5. 1.1.4 Gewebeexpander
Die kontrollierte Gewebeexpansion hat sich zu einem wertvollen Instrument für die Rekonstruktion mittelgroßer bis großer Defekte der Kopfhaut entwickelt, insbesondere in Fällen, in denen lokale Lappenplastiken keine ausreichende Deckung bieten können oder der Haaransatz verzerrt ist. >>Gewebeexpansionen sollten nur bei stabilen, nicht-
bestrahlten Wunden eingesetzt werden, da es Berichten zufolge bei Patienten nach vorheriger Bestrahlung, Infektionen und/oder einliegenden alloplastischen Materialien eine hohe Komplikationsrate gibt.
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Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
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..Abb. 1.2 a Infizierte Wunde mit dem freiliegenden Knochentransplantat nach Resektion des Astrozytoms und adjuvanter Strahlentherapie. b Verschluss des knöchernen Defekts nach der Resektion des Astrozytom-Rezidivs mithilfe des lokalen Rotationslappens ohne
Knochenersatzplastik. Der Hebedefekt des Lappens wurde mit einer Spalthauttransplantation versorgt. c Zustand 2 Wochen postoperativ mit gut eingewachsener Spalthaut auf dem Hebedefekt. d Zustand 3 Monate postoperativ
Die kontrollierte Gewebeexpansion initiiert einen Prozess des biologischen und mechanischen „Kriechens“. Beim biologischen Kriechen erfolgt eine Zellproliferation
und -expansion bei langsamer, anhaltender Belastung des Gewebes. Dies führt zu einer Zunahme der Epidermisdicke, einer vorübergehenden Ausdünnung der Haut und
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1.2 • Rekonstruktion der Schädelkalotte
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..Abb. 1.3 a Chronische Wunde mit Osteomyelitis bei Z. n. Entfernung des malignen Melanoms und Strahlentherapie. b, c Zustand 3 Monate nach der Resektion der chronischen Wunde mit Entfernung
des infizierten Knochens und Defektdeckung mit einem freien Latisimus-dorsi-Lappen und Spalthauttransplantation. Der Latisimusdorsi-Lappen wurde an die A. und die V. temproalis angeschlossen
einer verstärkten Durchblutung der expandierten Haut (Dinis et al. 2021). Es kann vorübergehend eine Alopezie beobachtet werden, die sich jedoch i. d. R. mit der Zeit zurückbildet. Mechanisches Kriechen beinhaltet die Ausdehnung des Gewebes infolge der Neuausrichtung der Kollagenbündel als Reaktion auf akute Spannung (Cox et al. 1999). Gewebeexpander können präoperativ vor einer Resektion platziert werden, sofern es hierdurch keine Verzögerung der Behandlung gibt. Die Größe der Implantatbasis sollte das 2,5-Fache der Defektfläche betragen (Handschel et al. 2013).
kulatur geprägt wird. Das Schädelskelett schützt das Gehirn und die Sinnesorgane. Topographisch lassen sich an der Schädelkalotte verschiedene Regionen unterscheiden: Regio frontalis über dem Os frontale der Stirn, Regio temporalis über der Schläfe, Regio parietalis um das Gebiet des Os parietale (Scheitelbein), Regio occipitalis um das Hinterhaupt herum.
1.2
Rekonstruktion der Schädelkalotte
1.2.1 Einleitung
Die Knochen der Kalotte sind Plattenknochen, die bereits im Jugendalter nicht mehr aktiv an der Hämatopoese beteiligt sind. Verletzungen durch chirurgische Eingriffe oder Traumata heilen über eine enchondrale, also indirekte Ossifikation. Dieser Umstand ist bei der chirurgischen Rekonstruktion der Schädelkalotte zu berücksichtigen. 1.2.2
Knöcherne Anatomie des Schädels
Der knöcherne Schädel, das Kranium, wirkt wesentlich an der Gestaltung der Kopfform mit, während die Gesichtsform entscheidend durch die Weichteile von Haut und Unterhaut sowie der mimischen und der Kaumus-
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Das Kranium wird unterteilt in das Neurokranium, den Hirnschädel, und das Viszerokranium, den Gesichtsschädel.
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Neurokranium Die einzelnen Knochen des Neurokrani-
ums sind miteinander verbunden durch Suturen, Knochennähte und Synchondrosen oder Knochen (Synosten). Den Schädelknochen liegt das Periost auf, es wird an der Außenseite als Perikranium bezeichnet. Die innere Bedeckung ist das Endokranium. Es besteht eine enge Beziehung zur harten Hirnhaut, Dura mater encephali. Am Foramen magnum trennt sich diese Verbindung, sodass die Dura mater spinalis keinen zweiblättrigen Aufbau zeigt. Die Innenseite des knöchernen Schädeldachs (Calvaria) ist ebenfalls von Periost überzogen. Im Laufe der Ontogenese verschmilzt es mit der harten Hirnhaut (Dura mater) zu einer makroskopisch einheitlichen, derben Schicht. Die Dura spielt vor dem Schluss der Schädelnähte, also solange die Schädelknochen noch verschieblich sind, eine wichtige Rolle als einheitliches Halte- und Verspannungssystem des Schädeldachs.
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Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
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..Abb. 1.4 a Zustand nach Entfernung des Rezidivs eines Oligodendroglioms in der linken Großhirnhemisphäre und adjuvanter Strahlentherapie. Aktuell: ausgedünnte Haut am linken Oberkopfbereich. b Titanmesh-Implantation und Darstellen der A. und V. temporalis.
c Lappenplastische Deckung mittels freier anterolateraler Oberschenkellappen. Gefäßanschluss End-zu-End an die Temporalgefäße. d Zustand 2 Wochen postoperativ
Beim Kind lassen sich Dura und inneres Periost noch leicht voneinander lösen. Nur im Bereich der Wachstumsfugen entlang der Schädelnähte verschmelzen die Schichten von Dura, Periost und chondroidem Kno-
chen, sodass eine Trennung hier nicht möglich ist, Im Zuge der Entwicklung verwachsen inneres Periost und Dura mater miteinander. Intraoperativ lassen sich Dura und Periost stumpf vom Inneren des Schädeldachs lö-
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1.2 • Rekonstruktion der Schädelkalotte
..Abb. 1.5 Algorithmus zur Rekonstruktion des Skalps in Abhängigkeit von der Größe des Defekts
Skalpdefekte
< 3cm
3–6cm
6–9cm
> 9cm
Primärer Wundverschluss
LokaleLappenplastik
Lokale Lappenplastik mit Spalthauttransplantation
Mikrochirurgische Lappenplastikmit/ohne lokale Lappenplastik/ Spalthauttransplantation
SekundäreIntervention
Spalthauttransplantation (Voraussetzung: Intaktes Perikranium)
Gewebeexpander und lokale Lappenplastik oder Spalthauttransplantation
Spalthauttransplantation (Voraussetzung: Intaktes Perikranium)
sen. Bei Kindern ist die Gefahr einer Dura-Verletzung minimal, da sich die Dura sehr gut vom Knochen lösen lässt; man kann z. B. durch Instillation von Wasser ein Kissen zwischen Kranium und Dura bringen, sodass die Kraniotomie auch im Bereich der Sinus ungefährlich ist. Lediglich im Bereich der Epiphysenfugen, also der Nähte, besteht eine derbe Verwachsung zwischen dem chondroiden Knochen und der Dura, die an dieser Stelle kaum zu lösen ist.
näle, die Vv. diploicae, die eine Verbindung zwischen den venösen Blutleitern des Schädelinneren und dem äußeren Venenetzwerk darstellen. Ihnen kommt eine besondere Bedeutung für Infektionsausbreitungen aus dem orodentalen sowie dem Gesichtsbereich zu, da verzweigte Anastomosen zwischen den venösen Abflussgebieten bestehen (V. angularis – V. ophthalmica – Vv. diploicae – Vv. emissariae; Fanghänel et al. 2003). >>Bei zerebralen Abszessen und subduralen Empyemen
>>Mit fortschreitendem Alter kommt es zu einer allmähli-
chen Verwachsung der inneren Kortikalis und dem äußeren Dura-Blatt. Daher entstehen Verletzungen der Dura während der Kraniotomie wesentlich häufiger im höheren Lebensalter.
Beim Neugeborenen und beim Kleinkind finden sich langstreckige Verzahnungen der Dura im Bereich der Fontanellen und der Schädelnähte. Hier kann es u. U. schwierig sein, die harte Hirnhaut von den knöchernen Strukturen zu lösen. Mit fortschreitender Entwicklung und dem Schluss der Fontanellen und Nähte ist die Dura mater leicht vom Inneren der Kalotte zu lösen. Mit steigendem Lebensalter treten jedoch adhärente Verwachsungen auf, die bei Verletzungen des knöchernen Schädelskeletts oder neurochirurgischen Trepanationen ein Zerreißen der harten Hirnhaut bedingen. Die durale Defektdeckung kann sich dann u. U. als schwierig erweisen. Die Knochen des Hirnschädels sind aus zwei kompakten Knochenschichten aufgebaut, der Lamina externa und der Lamina interna, die zwischen sich spongiösen Knochen (Diploe) fassen. Das knöcherne Schädeldach ist in begrenztem Maße elastisch verformbar. Bei umschriebener Gewalteinwirkung kann die Lamina interna splittern, während die Lamina externa intakt bleibt. In der Diploe verlaufen die weiten klappenlosen Venenka-
muss eine fortgeleitete Entzündung ausgeschlossen werden.
1.2.3
Defekte der Schädelkalotte
1.2.3.1
Isolierte, nichttraumatische, nichtneoplastische Knochendefekte
„Fenestrae parietales“ sind rundliche oder ovale, im Röntgenbild scharf ausgestanzte angeborene Schädeldachdefekte von wenigen Millimetern bis zu mehreren Zentimetern Größe, die vorwiegend in der hinteren Scheitelbinnenregion meist symmetrisch paramedian lokalisiert sind. In ihnen finden sich zumeist ausgedehnte Pacchionische Granulationen. Sie stellen somit keinen pathologischen Befund dar. Ausgeprägte Defektzonen können jedoch u. U. einer Deckung durch ein allogenes Transplantat (calvarian split) bedürfen. 1.2.3.2 Frakturen
Die isolierte Schädeldachfraktur beim geschlossenen Schädel-Hirn-Trauma (SHT) bedarf keiner chirurgischen Versorgung, solange die Fraktur nicht um oder über Kalottenbreite disloziert ist und der Bruchspalt nicht klafft. In klaffende Bruchspalten können sich meningeale Aussackungen vorwölben und durch ihren
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Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
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..Abb. 1.6 Wachsende Fraktur. a Initialer Befund, Fraktur im CCT. b Klaffender Frakturspalt im Verlauf, Röntgen und CCT. c Intraoperativer Befund vor Osteosynthese. d Intraoperativer Befund nach Osteosynthese. e Postoperativer Röntgenbefund
pulsatilen Druck zu einer Vergrößerung des Bruchspalts führen. Beim Kind wird diese Sonderform des Schädelbruchs als „wachsende Fraktur“ bezeichnet. Daher ist es beim Kind erforderlich, dass Schädelbrüche verlaufskontrolliert werden. Diagnostisch ist eine native Röntgenaufnahme zum Ausschluss einer wachsenden Fraktur im Verlauf ausreichend (. Abb. 1.6). Dislozierte Frakturen müssen chirurgisch versorgt werden, da oft die harte Hirnhaut im Frakturspalt liegt und eine Verletzung derselben nicht ausgeschlossen werden kann. Eine Frakturheilung an der Schädelkalotte in Fehlstellung findet nicht statt, da die Knochen des Kraniums nicht zur Kallusbildung befähigt sind. Eine knöcherne Durchbauung des dislozierten Frakturspalts erfolgt nicht. Es ist daher erforderlich, dass der Fraktur-
spalt dargestellt und die Stufe zwischen den Fragmenten reponiert wird. Dies erfolgt gilt mithilfe eines Dissektors, der als Hebel in den Frakturspalt eingesetzt werden kann. Ist eine Reposition nicht möglich, ist ein Stück aus der Kalotte herauszusägen, das den Frakturspalt einbezieht. Somit lässt sich auch gleich die darunterliegende Dura mater inspizieren und eine mögliche Verletzung der harten Hirnhaut direkt versorgen. >>Da der Frakturspalt meist keine glatte Begrenzung auf-
weist, empfiehlt es sich, ihn mit Stanzen oder Fräsen zu begradigen. Das entnommene Stück der Schädelkalotte lässt sich dann problemlos wieder in sein Bett einfügen.
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1.2 • Rekonstruktion der Schädelkalotte
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..Abb. 1.7 Groteske Tumormanifestation eines knöchernen Lymphoms. a Präoperatives MRT und CT. b Posteroperativer Kraniektomiedefekt. c Rekonstruktion mit CAD-Titanimplantat
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Die Fixierung kann auf unterschiedliche Weise vorgenommen werden. Bewährt hat sich die Befestigung mit Mini-Osteosyntheseplatten (1,3–1,7 mm Schraubenund Plattensysteme, sog. Thin-flap-Mini-Osteosynthesen), Klammersystemen (CranioFix®) oder nichtresorbierbaren Haltefäden, die durch Bohrungen im Knochendeckel und im angrenzenden Knochen geführt werden. Mehrfragmentfrakturen des Kraniums sollten chirurgisch versorgt werden, da die Knocheninseln häufig nicht adäquat einheilen. Auch bei nichtdislozierten Frakturen sollten die Fragmente wieder aneinandergefügt und analog zur o. g. Fixierung befestigt werden. 1.2.3.3
Angeborene und erworbene Defekte
Isolierte Knochendefekte sind entweder angeboren oder erworben:
1.2.3.3.1 Benigne Knochenläsionen
Deratige Läsionen, die eine radikale Resektion in einem umschriebenen Bereich erforderlich machen, sollten zur Diagnosesicherung unbedingt chirurgisch behandelt werden, da in seltenen Fällen, Tumoren aus dem Formenkreis der Histiozytosis X, eine weitere systemische Behandlung erforderlich sein kann. Der osteoklastische Defekt kann jedoch in gleicher Sitzung gedeckt werden. 1.2.3.3.2 Erworbene Knochendefekte
Die meisten isolierten erworbenen Knochendefekte entstehen traumatisch oder durch chirurgische Eingriffe. Bei Décollement des Schädels, einer Skalpierungsverletzung, können Teile des Neurokraniums derart verletzt werden, dass sie entweder primär mit abgerissen werden oder sekundär im Rahmen eines Débridements abgetragen werden müssen. Primäre und sekundäre Knochentumoren sowie Infiltrationen des Schädelknochens durch Tumoren von angrenzenden Strukturen (etwa der Meningen) können eine chirurgische Resektion von ausgedehnten Kalottenstücken erforderlich machen. Der kosmetische Defekt kann dabei ganz erheblich sein (. Abb. 1.7, 1.8).
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Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
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b ..Abb. 1.8 Tumoröse knöcherne Kalottendestruktion parietal. a Präoperativer Befund. b Rekonstruktion der Kalotte mit Knochenzement
Wenn ein primärer Verschluss erfolgen soll, kann eine Plastik durch PMMA (Knochenzement) intraoperativ anmodelliert werden (. Abb. 1.9). Je nach Dringlichkeit der chirurgischen Sanierung kann im Vorfeld eine CADKnochendeckelplastik angefertigt werden, die dann intraoperativ eingepasst wird. Hier richtet sich die Größe der Kraniotomie nach der zuvor festgelegten Größe der Plastik (. Abb. 1.10). Allerdings können Tumorinfiltrationen der Kalotte und Kopfhaut eine primäre Deckung des knöchernen Defekts auch unmöglich machen, oder eine primäre Deckung kann onkologisch nicht sinnvoll sein, sodass eine zeitlich gestaffelte Deckung in Abstimmung mit der adjuvanten onkologischen Behandlung erforderlich ist. Auch ist es bei Hirndruckkrisen, verursacht etwa durch ein SHT (. Abb. 1.11) oder einen ausgedehnten
Apoplex, u. U. erforderlich, durch eine dekompressive Kraniektomie den Hirndruck akut zu senken. Dies kann durch eine unilaterale oder eine bifrontale Kraniektomie erreicht werden. Hierbei werden große Stücke aus der Schädelkalotte herausgesägt (Empfehlung mindestens 12 cm Durchmesser, 144 cm2), und die darunterliegende Dura wird eröffnet. Der entnommene Knochendeckel kann entweder tiefgefroren (Empfehlung −80 °C) oder im Subkutangewebe des Abdomens auf der Muskelfaszie gelagert werden. Eine Überlegenheit des einen oder anderen Verfahrens konnten aktuelle Metaanalysen und RCTs nicht zeigen (Corliss et al. 2016; Shafiei et al. 2021). Der Plattenknochen des Neurokraniums heilt allerdings nach dem Jugendalter nicht mehr desmal ein, sondern durch chondrale Ossifikation. Wird der Knochen-
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1.2 • Rekonstruktion der Schädelkalotte
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c ..Abb. 1.9 Kalottendurchwachsenes Meningeom. a Aufsicht auf die Infiltrationszone. b Aufsicht auf die Innenseite der Kalotte. c Intraoperativer Knochendeckelersatz mit Knochenzement (PMMA)
deckel zurückgelegt, kommt es beim Erwachsenen daher nur noch zu einer partiellen knöchernen Integration oder zu einer pseudarthrosenartigen Verbindung durch eine derbe Narben-Knorpel-Platte. >>Probleme
nach Knochendeckel-Reimplantationen können zum einen durch Wundheilungsstörungen entstehen, die aber weniger durch die verwendete Lagerung des Knochendeckels (s. oben) als vielmehr durch die betroffene Region bedingt sind.
So weisen bifrontale Knochendeckel die höchste Infektions- und Wundheilungsstörungsrate auf. Zum anderen ist die aseptische Knochendeckelnekrose, verursacht durch mangelnde Vaskularisierung des nicht vollständig ossär integrierten Knochenstücks ein Problem, das bei beiden Lagerungsverfahren etwa gleich groß ist. Tritt eine aseptische Knochendeckelnekrose auf, bleibt meist nur der Griff zum plastischen Knochendeckelersatz.
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Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
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..Abb. 1.10 Intraoperativer Direktersatz der Kalotte. a, b Planung der Kraniotomie anhand einer CAD-Plastik. c, d Kraniotomie und Einbringen der CAD-Plastik. e Fixierte CAD-Plastik
1.2.3.4 Osteomyelitis
Primäre Osteomyelitiden an der Schädelkalotte sind eine Rarität. Bei primären Osteomyelitiden des Kraniums ist eine großzügige chirurgische Sanierung des betroffenen Knochenareals erforderlich (. Abb. 1.12). Hier kann es u. U. erforderlich sein, den entstandenen Defekt zunächst nur zu sanieren, um zuerst die Entzündung auszuheilen. Dabei können serielle Eingriffe zum Débridement erforderlich sein (. Abb. 1.12b,c). Die Wundfläche lässt sich passager mit Verbänden (z. B. Schaumstoff und Vlies) versiegeln, bevor eine sekundäre Deckung erfolgt (. Abb. 1.12e). Wesentlich häufiger entstehen Osteomyelitiden iatrogen nach neurochirurgischen oder sonstigen chirurgischen Eingriffen an Skalp oder Knochen. Das infizierte
Knochenareal, z. B. der infizierte Knochendeckel nach neurochirurgischen Eingriffen, muss entfernt und verworfen werden. Da eine dauerhafte Kontamination des Knochens auch nach geraumer Zeit der Tieffrierung und antibiotischer Behandlung nicht ausgeschlossen werden darf, steht das Risiko eines erneuten Aufflammens der Infektion in keinem Verhältnis zu einer plastischen Defektdeckung. >>Nach entzündlichen Prozessen sollte wenigstens
6–9 Monate gewartet werden, ehe der knöcherne Defekt sekundär gedeckt wird. Manche Autoren empfehlen, bis zu einem Jahr zu warten.
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1.2 • Rekonstruktion der Schädelkalotte
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d ..Abb. 1.11 Schweres Schädel-Hirn-Trauma. a CCT-Befund präoperativ: epidurales Hämatom rechts temporal. b CCT-Befund präoperativ: akut subdurales Hämatom links temporoparietal und
begleitende temporale Kontusion. c Postoperativer Defekt nach Trepanation. d Z. n. Reimplantation des Knochendeckels
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1.2 • Rekonstruktion der Schädelkalotte
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..Abb. 1.12 (Fortsetzung)
Kleinere Defekte können durch autologe Knochentransposition (calvarian split) gedeckt werden. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass sich nach dieser Zeit die angrenzenden Knochenränder umbauen. Es kommt zu einer regressiven Veränderung der Knochenränder mit narbigen Umbauten. Da der Schädelknochen desmal und nicht chondral wächst, werden Knochendefekte schlechter überbaut als bei den Extremitätenknochen. Knochentransplantate werden also wesentlich schlechter einheilen. >>Da beim Erwachsenen eine vollständige knöcherne
Integration von Knochentransplantaten (auch zuvor entnommener eigener Schädeldachstücke) fast nie beobachtet wird, sollte in diesen Fällen auf plastische Materialien ausgewichen werden.
1.2.3.5
Defekte mit Verlust des Knochendeckels
Kommt es zu einem Verlust des Knochendeckels, so entscheiden Lokalisation und Größe des Schädeldachdefekts über das weitere rekonstruktive Vorgehen:
..Abb. 1.12 Ausgedehnte Osteomyelitis auf dem Boden einer Hautatrophie nach langjähriger Sonneneinstrahlung und Diabetes mellitus. a, b Ausgedehnte superinfizierte aktinische Keratose mit Affektion von Skalp und Kalotte. c, d Débridement von Haut und Knochen.
Möglichkeiten der Rekonstruktion eines Schädeldachdefekts
-
Kleinere Defekte: – Calvarian split (autologe Knochentransplantation [Rippe, Scapula etc.]) Größere Defekte: – CAD-gefertigte Knochendeckelplastiken
1.2.3.5.1 Autologe Knochentransplantation
Kleinere Defekte lassen sich in diesen Fällen gut durch eine Knochentransposition decken. Hierbei wird an einer anderen Stelle des Schädelknochens ein adäquat großes Knochenfragment entnommen. Bedarfsweise kann die Entnahmestelle mithilfe von CAD-Programmen und einer Navigationssoftware im Vorfeld geplant werden. Dies bietet sich insbesondere dann an, wenn der zu deckende Defekt an kosmetisch exponierter Stelle liegt (Orbita, Stirnhöcker). Der entnommene Knochen wird mit einer oszillierenden Säge in seine beiden Schichten, Lamina externa und interna, gespalten. Die Lamina externa kann dann in den Defekt eingepasst und vorzugsweise mit Mini-Osteosyntheseplatten fixiert werden. Fixierungen mit selbsthaltenden Klemmen oder Haltefäden bieten sich aufgrund der unterschiedlichen Knochendicke des calvarian split und
e, f Weiteres Débridement im Verlauf, bereits verbesserte Vaskularisation 2 Wochen nach Erst-OP. g, h Zunehmende Epithelisierung und Konsolidierung der Entzündung 4 Wochen nach Erst-OP. i, j Intraoperative Defektdeckung mit Spalthaut-Mesh. k, l Z. n. erster Spalthautdeckung mit guter Epithelisierung, weitere Deckung erforderlich
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Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
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g ..Abb. 1.13 Fibröse Dysplasie unter Beteiligung des Orbita-Rings. a–c Präoperativer Befund. d–g Postoperativer Befund: knöcherne Rekonstruktion mittels calvarian split
des angrenzenden Knochenrandes nicht an. Die Lamina interna des calvarian split wird dann gedreht und wieder in die kosmetisch weniger bedeutende Schädelregion eingefügt. Auch hier erfolgt die Fixierung mit Mini-Osteosyntheseplatten und schrauben (. Abb. 1.13). Beim Kind kann der calvarian split aufgrund des relativ weichen Knochens mit Zangen zusätzlich bearbeitet und vorsichtig in die gewünschte Form gebogen werden. Dies wird durch die plastischen Eigenschaften des kindlichen Schädelknochens möglich. Jenseits des 2.–3. Lebensjahres nach Verschluss der Fontanellen ver-
liert sich diese Plastizität des Knochens an der Kalotte fast vollständig. Der Verwendung von autologer Rippe oder Scapula ist zwar technisch machbar, aus der Erfahrung der Autoren allerdings heutzutage aufgrund der sekundären Morbidität durch die entfernte zusätzliche Entnahmestelle von untergeordneter Bedeutung. 1.2.3.5.2 Knochendeckelplastik
Bei ausgedehntem Substanzdefekt des Kraniums werden zur plastischen Deckung CAD-gefertigte Implantate ver-
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Literatur
wendet. Die Knochendeckelplastiken werden aus vielen verschiedenen Werkstoffen angeboten. Titan, Keramik, PEEK (Polyetheretherketon) und Knochenzement (PMMA, Polymethylmethacrylat) sind nur einige der eingesetzten Materialien. Die Überlegenheit eines der verwendeten Stoffe ist bislang in keiner Studie nachgewiesen. Sie unterscheiden sich jedoch z. T. ganz erheblich im Preis. Ein weiterer Punkt ist die Röntgendurchlässigkeit der Werkstoffe, da z. T. erhebliche Artefakte durch die Implantate erzeugt werden, die eine Verlaufsbeurteilung von defektnahen Prozessen wie Tumoren der Meningen erschweren oder unmöglich machen. Dies muss bei der Auswahl des Implantats im Vorfeld berücksichtigt werden. Die Herstellung erfolgt nach Anfertigung eines 3D-CT-Volumendatensatzes. Die Implantate zeichnen sich durch eine sehr gute Passgenauigkeit aus. Die Fixierung erfolgt zumeist durch bereits vorgearbeitete Bohrungen oder Flügel mit Mini-Osteosyntheseschrauben. 1.2.3.6
Kombinierte Gewebedefekte mit Eröffnung der Schädelhöhle
Offene SHT müssen stets chirurgisch versorgt werden, wobei vorrangiges Ziel der Verschluss der Dura mater ist. Bei einfachen Frakturen wird ein Knochendeckel unter Einbeziehung des Bruchspalts herausgesägt, sodass die Dura im Bereich der Fraktur überblickt werden kann. >>Es muss eine intradurale Inspektion erfolgen, um ver-
schleppte Fragmente zu entfernen und subdurale Blutungsquellen zu stillen.
Die harte Hirnhaut sollte, wann immer möglich, durch eine primäre Naht (Monofiles oder beschichtetes Nahtmaterial der Stärke 4.0 oder feiner) verschlossen werden. Bei ausgedehnten Dura-Defekten kann eine Dura-Plastik aus dem Galea-Periost präpariert und auf den Defekt genäht werden. Ein gestielter Galea-Periost-Lappen bringt zusätzlich den Vorteil einer eigenen Gefäßversorgung mit sich. Es besteht unter den Neurochirurgen jedoch kein Konsens über die Notwendigkeit einer Lappenstielung. Ist aufgrund einer begleitenden Skalpverletzung ein Galea-Periost-Lappen nicht verfügbar, kann zur Defektdeckung ein freies Fascia-lata-Transplantat oder Muskelfaszie vom M. temporalis verwendet werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit der Defektdeckung durch Dura-Ersatzstoffe aus kollagenen oder synthetischen nichtresorbierbaren Materialien. Der autologen Defektdeckung sollte jedoch stets der Vorzug gegeben werden. Die chirurgische Frakturversorgung erfolgt analog zu der Behandlung des geschlossenen SHT. Bei ausgedehnter Defektverschmutzung muss jedoch erwogen werden, die Bruchfragmente nicht wieder einzusetzen, sondern zu verwerfen. In diesem Fall kann zu einem späteren Zeitpunkt der knöcherne Defekt durch autologe Knochentransposition (calvarian split), Knochenzement (PMMA) oder CAD-Implantate gedeckt werden.
Bei fehlender Dura, mit freiliegendem Gehirn und freiliegender Arachnoidea, steht die Notwendigkeit der Lappenplastik außer Frage, allerdings ist der gleichzeitige Verschluss des Dura-Defekts erforderlich. Dies geschieht in der Regel mittels einer autologen Transplantation der Fascia lata oder der Temporalis-Faszie bzw. dem Einbringen von alloplastischem Material, welches an die freiliegenden Dura-Ränder genäht wird.
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Zusammenfassung Die ideale Rekonstruktion von Kopfhautdefekten setzt voraus: – ein umfassendes Verständnis der Anatomie der Kopfhaut, – das Beherrschen des gesamten Arsenals an chirurgischen Techniken, – eine genaue Einschätzung der Faktoren und Erwartungen des Patienten. Kopfhautdefekte variieren in Größe, Lage, lokaler Gewebequalität und Haaransatzverzerrung. Die Rekonstruktion von Skalp und Schädel muss individuell auf den Patienten zugeschnitten sein. Die Art der Defektdeckung richtet sich dabei an der zugrundeliegenden Pathologie aus. Da selten isolierte Defekte entweder des Skalps oder des Schädels auftreten, empfiehlt sich eine interdisziplinäre Abstimmung der Vorgehensweise, da die Synergie unterschiedlicher Deckungsmöglichkeiten eine optimale Rekonstruktion für den Patienten erlaubt.
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Literatur Carstens MH, Greco RJ, Hurwitz DJ, Tolhurst DE (1991) Clinical applications of the subgaleal fascia. Plast Reconstr Surg 87:615–626 Chana JS, Odili J (2010) Perforator flaps in head and neck reconstruction. Semin Plast Surg 24:237–254 Cox AJ 3rd, Wang TD, Cook TA (1999) Closure of a scalp defect. Arch Facial Plast Surg 1:212–215 Corliss B, Gooldy T, Vaziri S et al (2016) Complications after in vivo and ex vivo autologous bone flap storage for cranioplasty: a comparative analysis of the literature. World Neurosurg 96:510–515 Desai SC, Sand JP, Sharon JD et al (2015) Scalp reconstruction: an algorithmic approach and systematic review. JAMA Facial Plast Surg 17:56–66 Dinis J, Junn A, Kahle K, Alperovich M (2021) Extended scalp expansion for larger defects during staged cranioplasty. J Craniofac Surg 33:787–789 Fanghänel J et al (2003) Venen des Kopfes und des Halses. In: Fanghänel J, Pera F, Anderhuber F, Nitsch R (Hrsg) Waldeyer: Anatomie des Menschen, 17. Aufl. de Gruyter, Berlin, S 249–252 Goertz O, von der Lohe L, Martinez-Olivera R et al (2015) Microsurgical reconstruction of extensive oncological scalp defects. Front Surg 2:44 Handschel J, Schultz S, Depprich RA et al (2013) Tissue expanders for soft tissue reconstruction in the head and neck area – requirements and limitations. Clin Oral Investig 17:573–578 Johnson MB, Wong KA (2016) Integra-based reconstruction of large scalp wounds: a case report and systematic review of the literature. Plast Reconstr Surg Glob Open 4:e1074
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Kapitel 1 • Skalp und Schädelkalotte
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21
Augenlider Stefan Lang, Hans Mittelviefhaus
Inhaltsverzeichnis 2.1
Einleitung – Besonderheiten der rekonstruktiven periorbitalen Lidchirurgie – 22
2.2
Anatomische Grundlagen – 22
2.2.1 2.2.2 2.2.3
Anatomische Besonderheiten bei Defekten im Ober- und Unterlidbereich – 22 Gefäßversorgung, Lymphabfluss, Innervation – 22 Ästhetische Prinzipien – 23
2.3
Abklärung und Zeitmanagement – 23
2.4
Anästhesie – 23
2.5
Resektionstechniken bei Lidtumoren – 24
2.5.1 2.5.2
Benigne Lidtumoren – 24 Maligne Lidtumoren und Lidtumoren unklarer Entität – 24
2.6
Rekonstruktive Operationstechniken – 24
2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4
Unterliddefekte – 24 Äußerer Lidwinkel – 26 Oberlid – 28 Medialer Lidwinkel – 29
2.7
Komplikationen und Komplikationsmanagement – 31 Literatur – 33
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_2
2
Kapitel 2 • Augenlider
22
2.1
2
Einleitung – Besonderheiten der rekonstruktiven periorbitalen Lidchirurgie
Die Rekonstruktion bei periorbitalen Tumor- und Verletzungsdefekten stellt für den geübten ophthalmoplastischen Chirurgen in der Regel kein Problem dar. Der weniger geübte Operateur bedarf oft fachkundiger Unterstützung. Ziel dieses Kapitels ist ein praktischer Leitfaden der periorbitalen Lidchirurgie. 2.2
Anatomische Grundlagen
2.2.1
Anatomische Besonderheiten bei Defekten im Oberund Unterlidbereich
Aufwand, Risiko und Schwierigkeitsgrad der Rekonstruktion bei periorbitalen Defekten richten sich nach der Ausdehnung und Lokalisation der durch die Entfernung von Tumoren oder durch Unfälle entstandenen Defekte. Entscheidend sind hierbei v. a. eine Beteiligung der Lidkanten, der Lidwinkel oder der ableitenden Tränenwege (. Abb. 2.1; Beyer-Machule und Riedel 1993). Die Rekonstruktion bei Defekten im Bereich des Unterlides und des lateralen Lidwinkels ist weniger problematisch als die Rekonstruktion bei Oberliddefekten, Defekten des inneren Lidwinkels und der ableitenden Tränenwege. Die Wiederherstellung des Unterlides und des lateralen Lidwinkels ist deshalb einfacher, weil dabei lediglich ein statisch den Augapfel schützendes Unterlid mit einem unbeweglichen hinteren Schleimhaut- und vorderen Lidblatt wiederhergestellt werden muss. Gleiches gilt für den lateralen Lidwinkel, der auch nur die statische Fixation des oberen und unteren Lides gewährleisten muss (Jordan und Anderson 1989). Ganz anders ist die Situation bei der Rekonstruktion des Oberlides und des medialen Lidwinkels. Während die medial im oberen Lidwinkel gelegenen Gefäße und Nerven der supraorbitalen Gefäßnervenscheide in der elektiven Tumorchirurgie meist geschont und die ableitenden Tränenwege bei adäquater Behandlung in der Regel zumindest einer späteren sekundären Rekonstruktion zugänglich gemacht werden können, ist dies bei Verletzungen der Periorbita erschwert (Collin 2006). Bei der Rekonstruktion des Oberlides reicht die statische Wiederherstellung eines schleimhauttragenden hinteren Lidblatts und eines vorderen Hautblattes, wie das am Unterlid möglich ist, nicht aus. Vielmehr muss eine filigrane Rekonstruktion des M. orbicularis oculi einen ausreichenden Lidschluss sowohl beim spontanen Blinkschlag als auch beim willkürlichen Lidschluss sicherstellen. Andernfalls droht eine Expositionskerato-
pathie, die die Sehfähigkeit des Patienten kosten und die Lebensqualität gravierend beeinträchtigende permanente Beschwerden und Schmerzen verursachen kann (Tyers und Collin 2018). Auch die Rekonstruktion des medialen Lidwinkels stellt hohe Anforderungen. Tiefe Verletzungen, insbesondere Pfählungsverletzungen, können signifikante Blutungen im inneren Lidwinkel verursachen. Diese Blutungen haben gravierenden Einfluss auf das Zeitmanagement der Versorgung der verletzungsbedingten Defekte. Missmanagement bei der Verletzungsversorgung, eine inadäquate Behandlung von Verletzungen der Tränenwege oder gar übersehene Tränenwegverletzungen können eine sekundäre Rekonstruktion wesentlich erschweren oder sie sogar unmöglich machen. >>Ist aufgrund der Anamnese des Patienten, des Verlet-
zungsmechanismus, der Lokalisation und der Ausdehnung des Defekts eine Verletzung des Augapfels möglich oder sogar wahrscheinlich, muss in jedem Fall eine zeitnahe ophthalmologische Untersuchung erfolgen. >>Bei der Versorgung von Defekten im Oberlidbereich gilt
noch viel mehr als bei der Rekonstruktion der Unterlider, dass eine gerichtete, meist zentripetal orientierte Wundkontraktur im weiteren Heilungsverlauf den Lidschluss gefährdet.
Deshalb sind besondere operative Techniken erforderlich, um Spätkomplikationen vorzubeugen. 2.2.2
Gefäßversorgung, Lymphabfluss, Innervation
Die Blutversorgung der sehr gut vaskularisierten Periorbitalregion erfolgt durch Äste der A. facialis sowie der A. und V. ophthalmica. Bei der Verletzungsversorgung sind v. a. die Gefäße im Bereich der medial oberen Orbita wegen ihrer verstärkten Blutungsgefährdung bei Pfählungsverletzungen und die orbitalen Gefäße von Bedeutung. Bei der Rekonstruktion sollte auf den Erhalt der A. marginalis geachtet werden. Der Lymphabfluss erfolgt sowohl nach lateral über die parotidealen Lymphknotenstationen als auch medial direkt in die submandibulären Lymphknotenstationen. Während die Motorik für den spontanen Blinkschlag und den willkürlichen Lidschluss durch Äste des N. facialis erfolgt, sind die Beweglichkeit des Augapfels sowie die Lidhebung und Pupillomotorik durch Hirnnerven aus dem Orbitatrichter gesteuert. Pfählungsverletzungen und Tumoren im Oberlidbereich und v. a. in der medial oberen Orbitaloge können zu einer Oculomotorius-Läsion mit permanenter Ptosis oder einer Trochlearis-Parese mit permanenten Doppelbildern, die insbesondere die Lesefähigkeit stören, führen (Chen 2001).
23
2.4 • Anästhesie
..Abb. 2.1 Anatomie der periorbitalen Region
Augenbraue Sulcus palpebralis superior Zilien und Oberlidkante
Oberes Tränenpünktchen Plica semilunaris Karunkel
Lateraler Kanthus
Medialer Kanthus
Unterlidkante
Unteres Tränenpünktchen
Sulcus palpebralis inferior
2.2.3
Ästhetische Prinzipien
Die Wiederherstellungschirurgie der Lider und der Periorbita hat zum Ziel, möglichst Symmetrie zum Partnerauge herzustellen. Neben der korrekten Position des Unter- und Oberlides und dem Erhalt der ästhetisch wichtigen Wimpern, v. a. am Oberlid, muss insbesondere auch der Position des inneren Lidwinkels besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden (Chen et al. 2009).
noch akute Blutungen vor, besteht kein Grund für eine übereilte Versorgung unter erschwerten oder nichtoptimalen Bedingungen. Die Versorgung kann nach Wundreinigung und, sofern notwendig, nach eingeleiteter antibiotischer Abschirmung und Infektionsprophylaxe sowie nach Einleitung abschwellender Maßnahmen mit einer Karenz von 12–24 Stunden unter elektiven Bedingungen geplant werden. Antibiotische Behandlung Bei zeitnaher Versorgung wer-
2.3
Abklärung und Zeitmanagement
Das Zeitmanagement bei der Behandlung von Lidtumoren ist klar vorgegeben und kann vom Operateur elektiv geplant werden. Maligne Lidtumoren und Lidtumoren, deren Dignität unklar ist, müssen stets zweizeitig operiert werden. Die Defektdeckung sollte erst nach vollständiger R0-Resektion des Tumors und mit ausreichenden Sicherheitsabständen erfolgen. Anders ist die Situation in der Verletzungschirurgie. Bei Schussverletzungen, einer „Hammer-Meißel-Verletzung“ (Schlag auf Metallteile), Pfählungsverletzung oder Drahtstichverletzung muss stets eine bildgebende Untersuchung folgen, wenn nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden darf, dass kein orbitaler oder intraokulärer Fremdkörper verblieben ist. Eine Unterblutung der Conjunctiva bulbi und Störungen der Pupillomotorik müssen ebenso wie eine Sehverschlechterung stets zu einer augenärztlichen Untersuchung führen, um eine Verletzung des Augapfels auszuschließen. Eine evtl. notwendige Bindehaut‑/Sklera-Exploration zum Ausschluss einer Perforation des Augapfels und v. a. jede Versorgung von perforierenden Augenverletzungen muss innerhalb von 2–6 Stunden, in der Regel in Allgemeinnarkose, vorgenommen werden. Das gilt ebenso für die Versorgung stark blutender Verletzungen im inneren Lidwinkelbereich. Besteht kein Verdacht auf eine Verletzung des Augapfels und liegen weder ein erhöhtes Infektionsrisiko
den Verletzungen der Periorbita postoperativ lediglich prophylaktisch lokal mit einer antibiotischen Augensalbe behandelt. Ausnahmen sind tiefe Stich- oder Pfählungsverletzungen, Tierbissverletzungen, tiefe Verletzungen, bei denen der periorbitale Knochen freigelegt wurde, oder Orbitafrakturen mit Beteiligung der Nasennebenhöhlen. Diese Verletzungen werden stets auch systemisch mit Antibiotika behandelt. Die systemische Antibiotikagabe erfolgt auch bei landwirtschaftlichen Verletzungen, Fahrradsturzverletzungen insbesondere, wenn sie im Gelände erfolgt sind, und allen tiefen, verschmutzten Wunden, die erst mehr als 24 Stunden nach der Verletzung versorgt werden können. 2.4 Anästhesie
Kleine und oberflächliche Defekte nach Tumorexzision sowie Verletzungen der Periorbita >Grundsätzlich sollte immer versucht werden, die ablei-
tenden Tränenwege zu schonen, um die Komplikation einer Tränenwegstenose zu vermeiden. Daher ist eine Sondierung und temporäre Schienung der Tränenwege bei tränenwegnahen Eingriffen oft sinnvoll.
Ein häufiger benigner Tumor des Lides ist das Chalazion (Hagelkorn). Dabei handelt es sich um eine granulomatöse Entzündung, die von den Meibom-Drüsen des Augenlides ausgeht. Bei diesem Tumor ist nur selten eine Exzision in toto notwendig. Meist genügt es, den Tumor zu spalten, das entzündliche Material zu entfernen und die Pseudokapsel auszuschneiden. Wenn möglich, sollte dies unter Zuhilfenahme einer Chalazion-Klemme von konjunktival heraus erfolgen. Zum Ausschluss der wichtigen Differenzialdiagnose eines hochmalignen MeibomDrüsen-Karzinoms muss jedoch immer eine histologische Untersuchung des entnommenen Gewebes erfolgen (Gladstone et al. 2002).
2.5.2
Maligne Lidtumoren und Lidtumoren unklarer Entität
---
Zu den häufigsten malignen Lidtumoren zählen das Basaliom und das Plattenepithelkarzinom. Seltener sind das maligne Melanom, das Meibom-Drüsen-Karzinom und das Merkelzellkarzinom. Grundsätzlich ist das Auftreten aller malignen Hauttumoren auch im Lidbereich möglich (Rohrbach et al. 1998). Wie bereits erläutert, erfolgt die Resektion von malignen Tumoren und von Tumoren unklarer Dignität immer mehrzeitig. Im ersten Schritt wird eine Resektion des Tumors mit einem ausreichenden Sicherheitsabstand vorgenommen. Diese sollte zu allen Seiten 5 mm, in Ausnahmefällen am Lid nur 3 mm betragen. Auf anatomische Strukturen wie die Lidkante oder die Tränenwege kann leider oft keine Rücksicht genommen werden, was häufig eine aufwändige Rekonstruktion notwendig macht. >>Bei einer Beteiligung der ableitenden Tränenwege lohnt
es sich, den verbliebenen Tränenwegstumpf durch eine Tränenweg-Silikonschlauchintubation zu schienen, um dessen dauerhafte Vernarbung zu vermeiden.
Wird bei der histologischen Aufarbeitung eine R1-Resektion festgestellt, muss vor der endgültigen Defektdeckung eine Nachresektion mit erneuter histologischer Untersuchung erfolgen. Erst bei Vorliegen einer R0-Resektion mit ausreichendem Sicherheitsabstand darf die operative Rekonstruktion durchgeführt werden (Gladstone et al. 2002). 2.6
Rekonstruktive Operationstechniken
2.6.1 Unterliddefekte
Bei der Operationsplanung unterscheidet man zunächst reine Weichteildefekte, die auf die Orbita beschränkt sind und die nicht über die Orbitakante reichen, von größeren Defekten, die über die knöcherne Grenze der Orbita hinausreichen. Unmittelbar im Orbitabereich sind Defekte, bei denen der Knochen exponiert wird, die Ausnahme. 2.6.1.1
Verletzungen der Lidkante
Verletzungen der Lidkante entstehen nicht nur durch scharfe Traumen, sondern häufig auch durch Dehnungsverletzungen, die zu einer Zerreißung des Gewebes führen.
25
2.6 • Rekonstruktive Operationstechniken
>>Es darf nicht übersehen werden, dass es auch bei Ge-
webezerreißung im lateralen Liddrittel durch Überdehnung der medialen Lidaufhängung zu Defekten der ableitenden Tränenwege und Canaliculi kommen kann.
Die operative Versorgung von Lidkantendefekten, sowohl nach Tumorchirurgie als auch nach Verletzungen, erfordert etwas mehr Geschick als die Behandlung von einfachen isolierten Weichteildefekten der Lider. >>Besondere Aufmerksamkeit muss darauf gerichtet wer-
den, dass jegliche vertikale Traktion der stets folgenden Narbenschrumpfung vermieden und in horizontale Richtung gelenkt wird. Lidkantendefekte werden deshalb schichtweise verschlossen.
Der Tarsus wird mit geflochtenem, allerdings resorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 6.0 exakt und stufenfrei genäht. Mit dem gleichen Nahtmaterial wird der vor dem Tarsus gelegene M. orbicularis readaptiert. Das orbitale Septum wird nicht genäht. Das prätarsal gelegene Orbicularis-Gewebe wird allerdings nur genäht, wenn ausreichend Haut und subkutanes Gewebe vorhanden ist, um das sparsam zu verwendende subkutan gelegene Nahtmaterial zu verdecken (Hartstein et al. 2009). Idealerweise sollte die Lidkante nach der Naht leicht erhaben sein. Um dem Patienten Beschwerden zu ersparen und um die Hornhaut zu schützen, wird die Lidkante mit weichen, geflochtenen 7.0- oder 6.0-Seidenfäden exakt adaptiert. Die Lidkantennähte sollten, anders als bei anderen Nähten im Gesicht, nicht vor dem 10. postoperativen Tag entfernt werden. Substanzdefekte an der Lidkante nach Tumorchirurgie oder nach Verletzungen (z. B. nach Tierbissverletzungen) können mit Techniken der Tumordefektdeckung rekonstruiert werden (Tenzel 1991). Kleine Defekte, welche ein Drittel der Unterlidlänge nicht überschreiten, sind meist direkt zu verschließen. Bei größeren Defekten muss auf Techniken zurückgegriffen werden wie seitliche Verschiebeplastiken der Lidkante, die Bogenverschiebeplastik nach Tenzel oder die tarsokonjunktivale Transposition nach Hughes oder Mustardé.
--
2.6.1.1.1
Seitliche Verschiebeplastiken der Lidkante
Ist der Unterliddefekt durch alleinige horizontale Dehnung des Gewebes nicht zu verschließen, können durch eine Durchtrennung des Lig. canti laterale inferior weitere 1–2 mm Gewebe gewonnen werden. Ist die horizontale Gewebespannung auch dann noch zu groß für einen mehrschichtigen Wundverschluss, kann darauf aufbauend durch eine Bogenverschiebeplastik nach Tenzel noch sehr viel mehr Gewebe gewonnen werden.
2.6.1.1.2
Bogenverschiebeplastik nach Tenzel
Bei der Bogenverschiebeplastik nach Tenzel erfolgt zunächst eine laterale Kantholyse. Danach wird der Größe des Defekts entsprechend ein halbrunder Haut- und Orbicularis-Lappen präpariert (Tenzel und Steward 1978; Tenzel 1975). Der vertikale Durchmesser des Bogens sollte größer sein als der horizontale. Außerdem sollte der Lappen nicht größer sein als die periorbitale Region (nach lateral nicht weiter als die Brauenaußengrenze, . Abb. 2.2, 2.3; Levine und Buckman 1986). Danach kann der Liddefekt durch Verschiebung des Gewebes verschlossen werden. Zuletzt muss der laterale Lidwinkel mit resorbierbaren Fäden der Stärke 5.0 in der Tiefe fixiert werden. >>Auf eine ausreichende Verankerung am Bindegewebe
der lateralen Orbita muss geachtet werden, um ein postoperatives Ektropium zu vermeiden.
2.6.1.1.3 Lappenplastiken nach Hughes
und Mustardé
Die tarsokonjunktivale Transposition nach Hughes eignet sich für größere Unterliddefekte (. Abb. 2.4). Dem Defekt entsprechend wird am ipsilateralen Oberlid zunächst ein gestielter Tarsus-Lappen präpariert. Hierbei sollte zur Lidkante ein Abstand von mindestens 3–4 mm gelassen werden. Anschließend wird das Tarsus-Gewebe mit resorbierbaren Fäden der Stärke 6.0 in den Defekt eingenäht. Da das hintere Lidblatt dann durch einen gestielten Lappen rekonstruiert ist, kann der Verschluss des vorderen Hautdefekts mit einem freien Hauttransplantat erfolgen. 4–6 Wochen nach der Rekonstruktion kann das vernähte Lid dann wieder eröffnet werden (Hewes et al. 1976; Mittelviefhaus 1992). Die Lappenplastik nach Mustardé eignet sich besonders für sehr große Oberliddefekte (. Abb. 2.5). Hierbei wird eine Rotationsplastik des Unterlides durchgeführt, um sowohl die anteriore als auch die posteriore Lidlamelle gleichzeitig zu rekonstruieren. Bei sehr großer vertikaler Komponente muss ggf. das posteriore Lidblatt durch eine zusätzliche Schleimhauttransplantation ersetzt werden (Mustardé 1970, 1971). 2.6.1.2 Weichteildefekte
Reine Weichteilverletzungen, insbesondere wenn sie nicht über die knöchernen Grenzen der Orbita reichen, sind in der Regel durch eine horizontal orientierte Verschiebung des Gewebes oder durch streng horizontal gerichtete Verschiebelappen zu decken. Dabei sind Defekte, bei denen der Knochen exponiert wird, die Ausnahme. Bei Verletzungen im Bereich der Periorbita (. Abb. 2.6) kommt es aufgrund der leichten Zerreißbarkeit des Gewebes nur selten zu Substanzverlusten. Auch in der Tumorchirurgie werden kleine Weichteildefekte bevorzugt durch horizontal angelegte lokale Verschiebelappen verschlossen.
2
26
Kapitel 2 • Augenlider
2
a
d
b
c
e
..Abb. 2.2 Verschiebung nach Tenzel. a Ulzeriertes noduläres Basaliom im medialen Lidbereich. b Unterliddefekt nach R0-Resektion, der proximale Stumpf des Canaliculus inferior ist mit einem Silikonschlauch (0,63 mm) intubiert (Pfeil). c Schnittführung der Präparation
..Abb. 2.3 Schnittführung des Tenzel-Lappens (gepunktete Linie)
Für große Gewebedefekte stehen freie Hauttransplantate zur Verfügung (. Abb. 2.7). Ausgedehnte Gewebedefekte, die über die knöchernen Grenzen der Orbita reichen, können in der Regel durch eine Lateralverschiebung des Wangengewebes verkleinert werden. Für die Deckung eines verbleibenden Restdefekts sind dann ebenfalls Hauttransplantate geeignet.
f des halbrunden Haut- und Orbicularis-Lappens. d Laterale Kantholyse. e Kulissenartige Verschiebung des gesamten Unterlides nach medial. f Postoperativer Befund nach Lateralverschiebung nach Tenzel
Für die Entnahme des Hauttransplantats kommen diverse Quellen in Betracht. Je nach Lokalisation des eigentlichen Defekts können sie noch innerhalb des Orbitarings, bevorzugt vom ipsilateralen oder kontralateralen Oberlid, oder von prä- oder retroaurikulär entnommen werden (. Abb. 2.8). Bei Defekten, die weit über den orbitalen Ring hinausgehen, kommen die Oberarminnenseite oder die supraklavilular gelegene Haut für die Entnahme in Betracht (Dryden und Wulf 1985). Z-Plastiken und Fricke-Lappen sind zeitaufwändige Alternativen, die eine starke Tendenz zur vertikalen Gewebeschrumpfung und ein beträchtliches Risiko für eine Unterlidretraktion oder sogar für ein Ektropium mit sich bringen. Sie sind deshalb nur selten indiziert. 2.6.2
Äußerer Lidwinkel
Die Rekonstruktion des äußeren Lidwinkels hat zum Ziel, das Unterlid mechanisch zu stabilisieren und einen ästhetisch ansprechenden spitzwinkligen Lidwinkel wiederherzustellen.
27
2.6 • Rekonstruktive Operationstechniken
a
b
c
..Abb. 2.4 Tarsokonjunktivale Transposition. a Präoperativer Befund eines ulzerierten Basalioms des Unterlides. b Befund nach tarsokonjunktivaler Transposition. c Befund nach Lideröffnung
..Abb. 2.5 Mustardé-Lappen. a Ersatz eines großen Oberliddefekts durch einen Rotationslappen aus dem Unterlid nach Mustardé. b Postoperativer Befund nach Rückverlagerung des Lappenstiels
a
b
>>Am Oberlid muss besonderes Augenmerk auf die
Erhaltung der neuronalen und muskulären Wiederherstellung der lokalen Orbicularis-Schürze gelegt werden.
Bei Verletzungen im lateralen Oberlidbereich erfolgt der Wundverschluss stets mehrschichtig. Zunächst wird die Aufhängung des lateralen Lidwinkels an Resten des Lig. canti laterale oder am Periost der lateralen Orbita, und zwar unmittelbar oberhalb der Fissura zygomatica, fixiert. Als Nahtmaterial verwendet man resorbierbares geflochtenes Nahtmaterial der Stärke 5.0 oder monofile, nichtresorbierbare 4.0-Nähte. >>Geflochtenes, nichtresorbierbares Nahtmaterial birgt
das Risiko von Granulomen und muss deshalb stets tief verborgen werden.
Die Raphe des M. orbicularis des Oberlides sollte immer genäht werden, und zwar mit resorbierbarem, geflochtenem Nahtmaterial der Stärke 6.0. Dies ist zwingend erforderlich, um die wichtige spontane Blink- und die willkürliche Lidschlussfunktion wiederherzustellen. Die Haut wird mit 6.0-Nahtmaterial und an der Lidkante stets mit geflochtener weicher Seide genäht (6.0 oder 7.0).
..Abb. 2.6 Periorbitale Verletzung durch Bohrstange
>>Iatrogene Schäden an peripheren Ästen der Rr. palpae-
brae des N. facialis müssen durch sparsamen Einsatz von Nähten und anatomisch adäquater Readaptation des Gewebes vermieden werden.
2
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Kapitel 2 • Augenlider
2
a
b
..Abb. 2.7 Freie Hauttransplantation. a Präoperativer Befund eines multilokulären, infiltrativ wachsenden Basalioms im medialen Lidwinkel (Pfeil). b Erst nach mehrmaliger Nachresektion vollständig
c entfernter Tumor. c Postoperativer Befund: der Defekt wurde mit einer freien Hauttransplantation gedeckt
Levator-Aponeurose des durch den N. oculomotoris innervierten M. levator palpaebrae. >>Bei der horizontalen Naht von Tarsus-Gewebe ist
noch mehr als am Unterlid besonderer Wert auf eine Eversion der Lidkante zu legen, damit auch bei inadäquater Re-Insertion der Oberlidhebestrukturen kein „gotischer“ Bogen oder Knick in der Oberlidkurvatur entsteht, sondern ein harmonischer „romanischer“ Lidbogen.
..Abb. 2.8 Lokalisation eines präaurikulären Hauttransplantats
2.6.3 Oberlid
Verletzungen und tumorbedingte Defekte des Oberlides bergen ein hohes Risiko einer Retraktion des Oberlides oder für eine funktionell wie ästhetisch ungünstige Kerbenbildung in der Kontur der Oberlidkante. Jede Öffnung des Lides und Anhebung des Oberlides unterstützt eine vertikale Wundkontraktur und erhöht damit selbst bei oberflächlichen Verletzungen und Defekten das Risiko einer ungünstigen Beeinflussung des spontanen Blinkschlages und des willkürlichen Lidschlusses. Bei ausgedehnten, tiefen Defekten oder Verletzungen des Oberlides müssen die Lidhebestrukturen identifiziert und rekonstruiert werden. Hierzu zählen der sympathisch innervierte M. tarsalis (Müller-Lidhebemuskel) und die
Die Orbicularis-Muskulatur des Oberlides sollte stets streng horizontal mit geflochtenem, resorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 6.0 genäht werden. Auch die Hautnähte werden unabhängig von Richtung und Verlauf der Verletzungswunde möglichst immer horizontal genäht. Abgelederte Hautfetzen werden mit langstreckig durch das Gewebe laufenden dünnen monofilen, nichtresorbierbaren Nähten der Stärke 7.0 ohne Spannung möglichst glatt auf die Wundfläche aufgelegt und adaptiert. Bei Defekten, die nach Verletzungen oder in der Tumorchirurgie im Bereich des Oberlides oder der Brauenregion entstanden sind, muss besonderer Wert auf die lückenlose Readaptation von Zilien bzw. Brauenhaaren gelegt werden. Die Ausrichtung der Brauenhaare und Haarschäfte ist nach Wundreinigung und Blutstillung in der Regel gut zu identifizieren. Die Readaptation der Gewebe im Bereich der Braue erfolgt praktisch immer unter horizontaler Spannung mit ausreichend starkem (4.0 oder 5.0) monofilem, weit gestochenem, nichtresorbierbarem Nahtmaterial. >>Versenkte Nähte und subkutane Nähte sollten ebenso
wie intrakutane Nähte gemieden werden, um keine Haarwurzeln zu zerstören.
29
2.6 • Rekonstruktive Operationstechniken
Bei tiefen Verletzungen und Defekten können evertierende Rückstichnähte einer unvorteilhaften Einziehung der Narbe oder einer Kerbenbildung vorbeugen. Den Wimpern des Oberlides kommt funktionell wie ästhetisch eine weitaus größere Bedeutung zu als denen des Unterlides. Bei jungen dunkelhaarigen Patienten gilt das noch sehr viel mehr als bei älteren Patienten, bei Frauen mehr als bei Männern. Bei der Rekonstruktion von Oberliddefekten muss deshalb nach Verschluss des Tarsus-Defekts durch streng tarsale Nähte auf einen lückenlosen Verschluss des vorderen Lidblatts mit dichter Adaptation der Zilien geachtet werden. Durch geeignete Stichführung kann eine iatrogene Schädigung der Wimpernwurzeln in aller Regel vermieden werden. >>Bei der Readaptation muss stets darauf geachtet wer-
den, dass keine Wimpernlücken und keine Fehlausrichtung des Wimpernschaftes mit nachfolgender Trichiasis entstehen.
Gegebenenfalls hilft eine minimale Rücklagerung der vorderen Lidlamelle mithilfe von tarsal verankerten U-Nähten, die zu einer leichten Eversion der Zilienreihe führen. Die dafür verwendeten resorbierbaren geflochtenen Nähte der Stärke 6.0 werden dann möglichst über 4–6 Wochen belassen. Größere Substanzdefekte am Oberlid können mit verschiedenen Techniken verschlossen werden. Reine Weichteildefekte werden je nach Größe durch eine streng horizontale Verschiebung versorgt. Sofern dies alleine nicht ausreicht, kann analog zu den oben beschriebenen Techniken auch am Oberlid auf ein freies Hauttransplantat zurückgegriffen werden. Defekte im Bereich der Lidkante, die nicht direkt verschlossen werden können, werden mithilfe einer Lappenplastik aus dem Unterlidbereich verschlossen. Bei der Lappenplastik nach Cutler-Beard (. Abb. 2.9) wird Gewebe in der erforderlichen Breite des Defekts mit einem Sicherheitsabstand von 5 mm zur Unterlidkante in der vollen Dicke des Unterlides präpariert (Cutler und Beard 1955). Der Gewebelappen wird unterhalb des verbliebenen Lidkantenstegs des Unterlides nach oben geführt und schichtweise in den Defekt eingenäht. Der Unterlidsteg wird nicht genäht. Nach 6–12 Wochen kann der gestielte Lappen durchtrennt werden. Im Bereich des Oberlides werden Haut und Schleimhaut entsprechend der Lidkantenhöhe adaptiert. Dabei muss auf eine Eversion der tarsusfreien neuen Oberlidkante geachtet werden, um eine Trichiasis durch Lanugohaare zu vermeiden. Im Unterlidbereich werden die Wundränder angefrischt und dann ebenfalls schichtweise verschlossen (Fischer et al. 2001).
2.6.4
Medialer Lidwinkel
Verletzungen des medialen Lidwinkels betreffen viel häufiger das Unterlid als das Oberlid. Durch Scherkräfte oder durch direkte Einwirkung kommt es häufig zu einem Abriss des unteren Lidbändchens und des Canaliculus. Seltener sind der obere Canaliculus oder beide zusammen betroffen. Pfählungsverletzungen führen dagegen typischerweise zu einer Verletzung im medialen Oberlidbereich (Olver 2002). >>Bei Pfählungsverletzungen müssen Fremdkörperein-
sprengungen im Bereich der Nasennebenhöhlen und offene Hirnverletzungen stets durch die Anamnese sowie die klinische Untersuchung und Bildgebung ausgeschlossen werden.
Verletzungen der ableitenden Tränenwege lassen sich durch Inspektion und Sondierung sowie durch eine Spülung meist leicht identifizieren. Distale Verletzungen des Canaliculus können sich oft einfach mit einer monokanalikulären Schienung mit einem Stent (. Abb. 2.10) oder durch Naht des Canaliculus mit resorbierbarem, geflochtenem Nahtmaterial der Stärke 7.0 readaptiert werden. Die Naht der Lidkante erfolgt mit 7.0-Seide. Das Lig. canti mediale muss stets ausreichend gestrafft und angehoben werden. Hierfür verwendet man resorbierbares geflochtenes Nahtmaterial der Stärke 5.0 oder 6.0. Bei vollständiger Desinsertion oder Verlust des Lig. canti mediale commune und bei Verletzung beider Canaliculi erfolgt die Rekonstruktion vorzugsweise mit einer bikanalikulären Silikonschlauchintubation in die Nase. Die bikanalikuläre Tränenwegintubation unterstützt die Refixation des inneren Lidwinkels nach medial. Das Lig. canti mediale commune muss dabei ausreichend hoch und v. a. im Bereich des Crus posterior adäquat weit hinten mit geflochtenem, und zwar resorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 5.0 refixiert werden. Gegebenenfalls erfolgt die Nahtfixation periostal im Bereich der Crista lacrimalis posterior. Eine transnasale Refixation ist dagegen primär nie indiziert. Fällt die Identifikation eines sehr weit proximal abgetrennten Canaliculus-Stumpfes schwer, kann eine Insufflation von Luft in den verbliebenen Anteil der Tränenwege unter gleichzeitiger wässriger Überdeckung den Stumpf durch das Aufsteigen von Luftblasen identifizieren. Weichteildefekte im medialen Lidwinkel, die nach Tumorexzision oder beispielsweise bei Tierbissverletzungen auftreten, können bei älteren Patienten durch regionale Verschiebelappen, Glabella-Lappen, und bei jungen Patienten durch retroaurikuläre Transplantate oder Oberarmtransplantate gedeckt werden. Verschiebelappen und freie Transplantate werden immer in der Tiefe des medialen Lidwinkels auf dem Ansatz des Lig.
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Kapitel 2 • Augenlider
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..Abb. 2.9 Oberlidrekonstruktion nach Cutler-Beard. a Verschlepptes Plattenepithelkarzinom am Oberlid. b Oberliddefekt nach R0-Resektion. c Schnittführung für die Präparation eines Cutler-Beard-Lappens aus dem Unterlid. d Präparation des Tunnellappens mit
5 mm Abstand zur Lidkante unter Erhalt der A. marginalis. e Führen des gestielten Unterlidlappens unter der Lidkantenbrücke. f Schichtweiser Wundverschluss. g Befund nach Lideröffnung. h Postoperativer Befund nach vollständigem Oberlidersatz
canti mediale fixiert. Dadurch kann die Ausbildung einer physiologischen Lidwinkelgrube gewährleistet werden. Zudem kann Traktionen vorgebeugt werden, die die Tränenpunkte und das mediale Unterlid vom Augapfel abziehen. Defekte, die auf den Lidapparat übergreifen, werden aus dem gleichen Grund immer durch zusätzliche Verschiebelappen vom Ober- und Unterlid rekonstruiert. Bei der Nachsorge wird großer Wert auf eine mechanische Salbenmassage zur Ausformung der Lidgrube
gelegt. Die Massage kann 2 Wochen nach der letzten Fadenentfernung beginnen, 3- bis 5‑mal täglich über 3–6 Monate fortgeführt und, falls notwendig, durch steroidhaltige Augensalben unterstützt werden. Die Tränenwegschienung wird frühestens nach 3 Monaten entfernt (Sullivan und Collin 1991).
2.7 • Komplikationen und Komplikationsmanagement
..Abb. 2.10 Mini-Monoka®. Monokanalikuläre Schienung des oberen Tränenweges mit Mini-Monoka®
2.7 Komplikationen
und Komplikationsmanagement
Die wichtigsten Komplikationen nach Unterlidrekonstruktion sind ein Unterlidtiefstand und ein Ektropium (. Abb. 2.11). Weitere Komplikationen sind Einkerbungen der Lidkante oder eine inadäquate Rekonstruktion des inneren Lidwinkels und eine inadäquate Wiederherstellung der ableitenden Tränenwege (Mauriello 2000). Problematisch sind insbesondere eine fehlerhafte Naht und Adaptation des Lig. canti mediale und eine insuffiziente Readaptation der verletzten Canaliculi oder schlichtweg eine übersehene Tränenwegverletzung. Die Ursachen von Lidfehlstellungen und einer Wunddehiszenz sind fast immer eine fehlerhafte Zuordnung der oft lappigen Wundränder, eine inadäquate Readaptation und eine ungeschickte Nahttechnik (Mittelviefhaus 1993). Oft ist die horizontale Straffung des Unterlides mangelhaft, und es kommt durch eine inadäquate Nahttechnik iatrogen zu einer Eversion der verletzten Lidkante. Da die folgende Narbenreifung immer mit einer Wund- und Narbenkontraktur einhergeht und diese stets entweder linear oder zentripetal gerichtet ist, wird der weiche Lidapparat des Unterlides vom Augapfel weg und zur Wange hingezogen (Mittelviefhaus 1995).
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auszubreiten und die Unterlidkante zu stabilisieren. Dies ist sehr effektiv mit transtarsalen Traktionsnähten, die bis an die Braue reichen, möglich. Sie dehnen das Wundbett, ermöglichen freien Hauttransplantaten oder Verschiebelappen einen ungestörten Wundkontakt und können einer frühen Wundkontraktur vorbeugen (Mittelviefhaus 1996). Fehlstellungen im inneren Lidwinkel und Beschwerden durch Epiphora lassen sich mit dieser Technik und durch eine adäquate primäre Unfallversorgung oft verhindern. Verletzungen im inneren Lidwinkel gehen häufig mit Verletzungen der ableitenden Tränenwege und der Canaliculi einher. Die Tränenwege sind nicht nur bei direktem Trauma, sondern auch bei einer Überdehnung des Lig. canti mediale gefährdet. Eine Verletzung der Canaliculi kann deshalb selbst bei Zerreißung des Unterlides im lateralen Lidwinkel erfolgen, wenn dabei das mediale Lidbändchen überdehnt wird. Komplikationen nach Verletzungen der ableitenden Tränenwege, die die Lebensqualität später erheblich einschränken können, lassen sich meist jedoch vermeiden. >>Bei jeder Lidverletzung sollte eine Tränenwegverletzung
routinemäßig durch Inspektion und in Zweifelsfällen auch durch Sondierung ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich gemacht werden. Dies sollte schon aus forensischen Gründen auch stets dokumentiert werden.
Wird die Zerstörung der ableitenden Tränenwege übersehen, insbesondere die des unteren Canaliculus, sind zeitlebens permanente Beschwerden zu erwarten, die schlimmstenfalls selbst mit aufwändigen sekundären Rekonstruktionsmaßnahmen wie einer Conjunctivorhinostomie nach Lester‑Jones nur unzureichend behandelbar sind (Murphy et al. 2000). Der Abriss des medialen Unterlides geht praktisch immer mit einer schräg von medial oben nach lateral unten, der medialen unteren Orbitakante entlang verlaufenden, muskulokutanen Rissverletzung einher. Die Rekonstruktion derartiger Verletzungen erfordert eine Readaptation der zerrissenen unteren Canaliculis-Stümpfe. Zusätzlich ist auch eine adäquate Refixation des medialen Lidbändchens erforderlich.
>>Bei der Versorgung von Verletzungen des Unterlides
>>Häufige Ursache einer insuffizienten Rekonstruktion
sollten stets alle vertikalen Traktionen beseitigt und eine ausreichende horizontale Spannung gewährleistet werden. Aus dem gleichen Grund sollten Lidkantendefekte immer mit einer geringen Anhebung der Lidkante readaptiert werden.
ist eine zu tiefe und zu weit anterior inserierende Refixation des Unterlides. Zur Vorbeugung sollte das Unterlid mit einem leichten Übereffekt nach oben, wenn möglich, am Crus posterior des Lig. canti mediale, fixiert werden.
Bei ausgedehnten Weichteildefekten des Unterlides, die über die knöchernen Grenzen der Orbitakante hinausgehen, empfehlen die Autoren, das Wundbett zunächst
Bei gleichzeitiger Fixation der Tränenwege kann die Fixation des Unterlides nach medial durch eine bikanalikuläre Tränenwegintubation unterstützt werden. Die
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Kapitel 2 • Augenlider
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..Abb. 2.11 a Ektropium und Lagophthalmus nach inadäquater Primärversorgung einer Unterlidverletzung, bei der die Durchtrennung des unteren Tränenkanals übersehen wurde. b Entfernen der Naht und Dilatation der Tränenpünktchen. c Sondieren der Tränenwege und bikanalikuläre Tränenwegintubation. d Ausreichend hohe
und posteriore mediale Fixierung des Lidbändchens. e Postoperativer Befund mit adäquat hoher Refixation des Unterlides und Rekonstruktion des Tränengangsystems ohne Ektropium und mit vollständigem Lidschluss
bikanalikuläre Intubation ist deshalb der einfacheren monokanalikulären Intubation vorzuziehen (Kellnar 1960; Murube de Castillo 1973). Die komplexe Aufgabe, eine ausreichende Lidöffnung und gleichzeitig auch einen ungestörten und suffizienten, willkürlichen Lidschluss sowie den oft unterschätzten spontanen Blinkschlag wiederherzustellen, können auch den erfahrenen ophthalmoplastischen Chirurgen immer wieder vor eine schwierige Aufgabe stellen, ebenso wie die funktionell wie ästhetisch befriedigende Wieder-
herstellung eines symmetrischen inneren Lidwinkels mit funktionsfähigen ableitenden Tränenwegen. Bei ausgedehnten Defekten nach tumorchirurgischen Maßnahmen oder Verletzungen sollte deshalb der weniger erfahrene Kollege nicht zögern, einen erfahrenen ophthalmoplastischen Chirurgen hinzuzuziehen, um die Probleme gemeinsam zu lösen und um die für den Patienten möglicherweise ohnehin oft nicht zu vermeidenden aufwändigen Nachoperationen auf ein Minimum zu reduzieren (Leibovitch et al. 2005).
Literatur
-
Zusammenfassung Die Versorgung von Verletzungen und plastische Rekonstruktionen des Lidapparats weisen aufgrund der Schutzfunktion für den Augapfel und des Vorhandenseins der ableitenden Tränenwege zahlreiche Besonderheiten auf. Bei Verletzungen im Lidbereich muss eine Verletzung des Augapfels durch eine ophthalmologische Untersuchung ausgeschlossen werden. Durch Narbenbildung nach inadäquater Versorgung von Verletzungen im Lidbereich kann ein Lidschlussdefizit entstehen, welches das Auge gefährden kann. Besonders anspruchsvoll ist die operative Versorgung im Bereich des Oberlides und des medialen Lidwinkels. Die Versorgung von malignen Lidtumoren sollte immer zweizeitig erfolgen. Eine Defektdeckung sollte erst bei gesicherter R0-Resektion des Tumors erfolgen. Die ableitenden Tränenwege sollten, wenn möglich, bei jeder Form der operativen Versorgung geschont werden, um postoperative Epiphora zu vermeiden. Ist eine Schonung nicht möglich, sollte eine Tränenweg-Silikonschlauchintubation durchgeführt werden. Zur Rekonstruktion bei Liddefekten stehen verschiedene etablierte Techniken zur Verfügung, die je nach Ort und Größe des Defekts gezielt eingesetzt werden können.
-
Literatur Beyer-Machule CK, Riedel K (1993) Plastische Chirurgie der Lider. Wundversorgung, Stellungskorrektur und Rekonstruktion, 2. Aufl. Bücherei des Augenarztes, Bd. 92. Enke, Stuttgart Chen WP (2001) Oculoplastic surgery: the essentials. Thieme, Stuttgart Chen WP, Kahn JA, McCord CD (2009) Color atlas of cosmetic oculofacial surgery, 2. Aufl. Saunders, Philadelphia Cutler NL, Beard C (1955) A method for partial and total upper lid reconstruction. Am J Ophthalmol 39:1–7 Collin JRO (2006) A manual of systematic eyelid surgery, 3. Aufl. Elsevier, London Dryden RM, Wulf A (1985) The preauricular skin graft in eyelid reconstruction. Arch Ophthalmol 103:1579 Fischer T, Noever G, Langer M et al (2001) Experience in upper eyelid reconstruction with the Cutler-Beard technique. Ann Plast Surg 47:338–342 Gladstone GJ, Black EH, Myint S et al (Hrsg) (2002) Oculoplastic surgey atlas – eyelid disorders (inkl. 2 CD-ROMs). Springer, Berlin, Heidelberg, New York Hartstein ME, Holds JB, Massry GG (2009) Pearls and pitfalls in cosmetic oculoplastic surgery. Springer, Berlin, Heidelberg, New York Hewes EH, Sullivan JH, Beard C (1976) Lower eyelid reconstruction by tarsal transposition. Am J Ophthalmol 81:512–514 Jordan DR, Anderson RL (1989) The lateral tarsal strip revisited. Arch Ophthalmol 107:604 Kellnar W (1960) Die Versorgung von Verletzungen der Tränenröhrchen mit Hilfe der Retrogradsonde. Klin Monatsbl Augenheilkd 137:93–96
33
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Orbita Sven Holger Baum, Christopher Mohr
Inhaltsverzeichnis 3.1
Einleitung – 36
3.2
Anatomie der Orbita – 36
3.2.1 3.2.2 3.2.3
Topographie und knöcherne Anatomie – 36 Öffnungen der Orbita und Leitungsbahnen – 36 Orbitales Weichgewebe – 36
3.3
Rekonstruktion der Orbita nach Trauma – 37
3.3.1 3.3.2 3.3.3
Operatives Ziel – 37 Therapieentscheidung und Operationszeitpunkt – 38 Therapie – 39
3.4
Rekonstruktion der Orbita bei Orbitatumoren – 56
3.4.1
Exenteratio orbitae – 57
3.5
Benigne intraorbitale Raumforderungen – 66 Literatur – 68
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_3
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Kapitel 3 • Orbita
36
3.1 Einleitung
3
Gewebedefekte der Orbita resultieren aus posttraumatischen, postchirurgischen oder kongenitalen Erkrankungen. Daraus ergeben sich unterschiedlichste Krankheitsbilder mit hochgradig individuellen Ausgangssituationen, sodass in der Regel multimodale und patientenadaptierte Konzepte im Rahmen der Rekonstruktion notwendig sind (Baum et al. 2018). Ferner wird die Rekonstruktion erschwert durch die heutzutage zu Recht hohe Erwartungshaltung der Patienten sowie die komplexe Anatomie der Orbita. Aufgrund der unterschiedlichen Ätiologien, Pathogenesen und Ausprägungen orbitaler Erkrankungen differieren auch die Ziele im Rahmen der Rekonstruktion. So steht im Rahmen von Verletzungen die Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik im Vordergrund, während bei Tumorerkrankungen v. a. die Tumorfreiheit, der Erhalt der maximal möglichen Lebensqualität und die Wiedereingliederung des Patienten in die Gesellschaft vorrangig sind. Einheitliche Konzepte existieren somit nicht, sodass eine Langzeitkooperation von Kopf-HalsChirurg, Augenarzt, Onkologe, Kinderarzt, Epithetiker, Patient und Familie obligat sind. 3.2
Anatomie der Orbita
3.2.1
Topographie und knöcherne Anatomie
Die Orbita ist eine im oberen Gesichtsdrittel angelegte knöcherne Höhle in Form einer 4-seitigen Pyramide. Die Basis dieser Pyramide korrespondiert mit der frontalen Öffnung, dem Aditus orbitalis, wohingegen der Apex der Pyramide in Richtung der mittleren kranialen Fossa zeigt. Die Orbita beinhaltet und schützt den Bulbus oculi und den N. opticus, welche von verschiedenen weichgewebigen Hilfsstrukturen umgeben sind. Dazu zählen der Lidapparat, das Tränensystem, die extraokuläre Muskulatur, die versorgenden Nerven und Gefäße, das orbitale Fett sowie ein komplexes System aus netzartigen Bindegewebssepten (Cornelius et al. 2014).
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Der äußere stabile und prominente Orbitaring wird aus den Fortsätzen von Os frontale, Os zygomaticum und Maxilla gebildet. Im Bereich des Orbitarings beträgt die Höhe der Orbita durchschnittlich 35 mm, die Breite 40 mm. Das orbitale Volumen beträgt etwa 30 cm3. Der Orbitaring dient neben der Formgebung auch als krafttragender Pfeiler.
Die knöcherne innere Orbita wird von insgesamt 7 Knochen begrenzt (. Abb. 3.1): 1. Os frontale, 2. Os sphenoidale, 3. Os zygomaticum, 4. Maxilla, 5. Os lacrimale, 6. Os ethmoidale, 7. Os palatinum.
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Die mediale Orbitawand wird hierbei in anterior- posteriorer Richtung gebildet durch: den Proc. frontalis maxillae, den Os lacrimale, die Lamina papyracea des Os ethmoidale, die Ala minor des Os sphenoidale. Sie verläuft nahezu parallel zur Sagittalebene. Die viereckige Lamina papyracea ist papierdünn (0,3–0,5 mm) und bedeckt die mittleren und hinteren Siebbeinzellen. Der Orbitaboden ist hingegen kürzer als die mediale Wand und wird gebildet durch: die Facies orbitalis corporis maxillae, die Facies orbitalis ossis zygomatici, den Proc. orbitalis ossis palatini.
--
3.2.2
Öffnungen der Orbita und Leitungsbahnen
Im Bereich der inneren Orbita treten verschiedene Leitungsbahnen durch multiple Öffnungen ein, welche das Sehorgan und andere Strukturen im Kopfbereich versorgen. Eine grobe Übersicht gibt . Tab. 3.1. Die arterielle Versorgung der Orbita erfolgt größtenteils über die A. ophthalmica. Daneben finden sich mehrere Kollateralen zu Gefäßen der A. carotis externa (A. temporalis superficialis – A. supraorbitalis/A. supratrochlearis; A. ethmoidalis – A. sphenopalatina; A. angularis – A. dorsalis nasi/A. palpebralis). Weitere Zuflüsse finden sich über die A. transversa faciei, die A. temporalis profunda und einen Ast der A. meningea media (. Abb. 3.2). 3.2.3
Orbitales Weichgewebe
Das orbitale Fettgewebe füllt den gesamten Raum zwischen der Periorbita, dem Augapfel, den glandulären Strukturen, der Muskulatur, den Leitungsbahnen und den Bindegewebssepten aus. Neben der Periorbita findet sich eine weitere faszienartige Membran (Tenonsche Kapsel, Vagina bulbi), welche den Bulbus oculi vom Limbus corneae bis zum N. opticus umhüllt. Die extraokuläre Muskulatur besteht aus den geraden Augenmuskeln (Mm. recti medialis, lateralis, superior et inferior) und den schrägen Augenmuskeln (Mm. ob-
37
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
..Abb. 3.1 Knochen und Fissuren der rechten Orbita sowie Muskelansätze. (Aus Grehn 2008)
..Tab. 3.1 Öffnungen und Leitungsbahnen der Orbita Öffnung
Lokalisation
Leitungsbahn
Canalis opticus
Übergang mediale Wand – Orbitadach (Os sphenoidale)
N. opticus A. ophthalmica
Fissura orbitalis superior
Übergang Ala major – Ala minor (Os sphenoidale)
N. oculomotorius N. trochlearis N. ophthalmicus N. abducens V. ophthalmica superior
Fissura orbitalis inferior
Übergang Ala major ossis sphenoidalis – Pars orbitalis maxillae
N. infraorbitalis N. zygomaticus A./V. infraorbitalis V. ophthalmica inferior
Foramen ethmoidale anterior
Übergang Facies orbitalis ossis frontalis und Lamina orbitalis ossis ethmoidalis
A./V. ethmoidalis anterior N. ethmoidalis anterior
Foramen ethmoidale posterior
Übergang Facies orbitalis ossis frontalis und Lamina orbitalis ossis ethmoidalis
A./V. ethmoidalis posterior N. ethmoidalis posterior
Foramen cranioorbitale
Lateral der Fissura orbitalis superior
Anastomose A. meningea media – A. lacrimalis
Canalis nasolacrimalis
Zwischen Os lacrimale, Maxilla, unterer Nasenmuschel
Ductus nasolacrimalis
Foramen infraorbitale
Corpus maxillae
N. infraorbitalis A./V. infraorbitalis
Foramen zygomaticofaciale
Os zygomaticum
R. zygomaticofacialis
Foramen zygomaticotemporale
Os zygomaticum
R. zygomaticotemporalis
liqui superior et inferior), wobei alle Muskeln bis auf den M. obliquus inferior ihren Ursprung vom Anulus tendineus communis nehmen (. Abb. 3.1). Des Weiteren hebt der M. levator palpebrae das Oberlid. 3.3
Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
3.3.1
Operatives Ziel
Die Rekonstruktion nach orbitalem Trauma ist eine der herausforderndsten Aufgaben für den Kopf-Hals-Chi-
rurgen. Neben der Indikationsstellung, dem Zeitpunkt der Operation und dem operativen Zugangsweg gibt es auch viele Kontroversen bezüglich der Rekonstruktionsart. Trotz dieser unterschiedlichen Operationstechniken, individuellen Erfahrungen und Präferenzen sind die Ziele der Rekonstruktion klar definiert:
--
Ziele der Rekonstruktion Lösung und Reposition von herniertem Weichgewebe Reposition dislozierter Knochenfragmente Rekonstruktion der regelrechten Anatomie und Form („true to original“) und Erhalt des Orbitavolumens
3
Kapitel 3 • Orbita
38
..Abb. 3.2 Gefäßversorgung der Orbita. (Aus Tillmann 2016)
A. supraorbitalis Arcus palpebralis superior
Ramus diploicus
A. palpebralis medialis A. supratrochlearis A. dorsalis nasi
A. palpebralis lateralis
3
Aa. ciliares anteriores Ramus meningeus anterior A. lacrimalis
Aa. ciliares posteriores longae A. ethmoidalis anterior Aa. ciliares posteriores breves A. ethmoidalis posterior
Ramus anastomoticus cum A. meningea media Ramus orbitalis A. centralis retinae A. meningea media
A. muscularis N. opticus A. carotis interna
A. muscularis A. ophthalmica
-
Wiederherstellung/Erhalt der Funktion und Integrität der Orbita („Restitutio ad integrum“) Vermeidung von Langzeitkomplikationen (z. B. Enophthalmus, Funktionsstörungen, Sensibilitätsstörungen) Wiederherstellung/Erhalt der Ästhetik mit Schaffung von symmetrischen Verhältnissen in sagittaler, vertikaler und transversaler Dimension sowie Vermeidung von Narben
Trotz perfekter originalgetreuer Rekonstruktion kommt es in manchen Fällen postoperativ zu einer Asymmetrie mit Enophthalmus aufgrund einer Fettatrophie. Ursächlich hierfür können Folgen der Verletzung, z. B. durch Einklemmung von orbitalem Fett, oder der operativen Revision sein. >>Das Ausmaß der Atrophie kann weder gemessen noch
antizipiert werden, sodass eine routinemäßige Überkorrektur nicht empfohlen wird.
3.3.2 Therapieentscheidung
und Operationszeitpunkt
Die Indikationsstellung zur operativen Revision und Rekonstruktion bei Orbitafrakturen wird von vielen KopfHals-Chirurgen unterschiedlich bewertet; sie ist weder
von der klinischen Situation noch von der radiologischen Bildgebung alleine abhängig und daher individuell mit dem Patienten zu besprechen. Einflussfaktoren für die Therapieentscheidung bei Orbitafrakturen
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Funktionelle Störungen Bulbusverlagerungen Ästhetische Beeinträchtigungen Dislokationsgrad Begleitverletzungen Allgemeinerkrankungen Patientenalter Funktion des kontralateralen Auges
Neben der Indikation ist auch der Operationszeitpunkt entscheidend für den Erfolg. Hier werden unter schieden: die unmittelbare Notfallversorgung, die Sofortversorgung innerhalb von 24 Stunden, die primäre Frühversorgung innerhalb von 1–14 Tagen, die Spätversorgung nach 14 Tagen.
---
Als absoluter Notfall gilt das Retrobulbärhämatom (. Abb. 3.3) mit Kompression des Bulbus oculi oder des N. opticus ggf. in Kombination mit einem Visusverlust. Eine Dekompression sollte innerhalb der ersten 6 Stunden erfolgen (Gerbino et al. 2005).
39
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
> 2 mm, persistierende funktionelle Einbußen wie Doppelbilder, Motilitätseinschränkungen oder Sensibilitätsstörungen oder aber ausgedehnte Frakturen (> 1–2 cm2 oder > 50 % der Fläche) bei eröffneter Periorbita (Liss et al. 2010), bei denen Spätkomplikationen zu erwarten sind. Auch Patienten mit einer Einklemmung von orbitalem Fett ohne klinische Symptomatik profitieren von einer Frühversorgung aufgrund einer reduzierten Fett atrophie. Sekundärversorgungen sind bei persistierenden Doppelbildern, Spätmanifestationen eines Enophthalmus oder eines Hypoglobus, zur Re-Osteotomie einer in Fehlstellung verheilten Fraktur sowie zur Narbenkorrektur oder Neurolyse notwendig. >>Grundsätzlich sollten primäre Versorgungen angestrebt
werden, da sekundäre Korrekturen mit erhöhtem Aufwand verbunden und deren Erfolgsaussichten reduziert sind (DGMKG 2014).
. Tab. 3.2 gibt eine modifizierte Übersicht bzgl. der Empfehlungen zum Operationszeitpunkt nach Burnstine (Burnstine 2002). ..Abb. 3.3 Retrobulbärhämatom links mit Exophthalmus (CT axial)
3.3.3 Therapie 3.3.3.1
Operative Zugangswege
Schwierig wird die Entscheidung bei Panfazialfrakturen und/oder Hochgeschwindigkeitsverletzungen (Verkehrsunfälle/Pferdetrittverletzungen; . Abb. 3.4). Hierbei kann es durch direkte Verletzungen des Bulbus oculi oder des Sehnervs oder durch indirekte Verletzungen wie Knochensplitter oder Hämatome zu einem Visusverlust kommen, sodass eine Dekompression zunächst sinnvoll erscheint. Dem steht allerdings das Risiko einer zusätzlichen iatrogenen Schädigung durch die chirurgische Manipulation gegenüber, sodass die Indikation zur notfallmäßigen Operation immer erst nach einer ophthalmologischen Mitbeurteilung und der individuellen Situation getroffen werden sollte. Des Weiteren sollten Kinder und Jugendliche >Orbitafrakturen mit Inkarzeration sind insbesondere
Die häufigste isolierte Orbitawandfraktur betrifft den Orbitaboden. Grundsätzlich kann hier zwischen transkutanen und transkonjunktivalen Zugängen unterschieden werden.
im Kindesalter gesichtschirurgische Notfälle, die sofort versorgt werden müssen.
Die meisten operativen Revisionen erfolgen jedoch regelhaft innerhalb von 14 Tagen. Hierunter fallen Patienten mit einem Enophthalmus oder einer Bulbusdislokation
---
Diese Zugänge weisen jeweils spezifische Vor- und Nachteile auf. 3.3.3.1.1 Orbitaboden
3
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Kapitel 3 • Orbita
3
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e ..Abb. 3.4 Erheblich dislozierte zentrolaterale Mittelgesichtsfraktur rechts bei Z. n. Pferdetritt und drohendem Visusverlust. a Klinische Ausgangssituation mit Monokelhämatom, erheblicher Schwellung, Ptosis und versorgten Weichteilwunden. b Klinische Ausgangssituation bei Rechtsblick mit eingeschränkter Motilität des rechten Auges, Hypoglobus, entrundeter Pupille und Hyposphagma. c CT (koronal): erheblich dislozierte zentrolaterale Trümmerfraktur rechts (Ausschnitt). d Eingezeichneter zickzackförmiger koronarer Zugang. e Intraoperativer Situs von kranial nach Darstellung der Fossa temporalis (1), Wechselschnitt (2), Reponierung und osteosynthetischer Versorgung des lateralen Orbitapfeilers sowie des Jochbogens (Pfeil). f Intraoperativer Situs von anterior mit Zugang über eine bestehende
f Riss-Quetsch-Wunde mediopalpebral sowie Reponierung und osteosynthetischer Versorgung des Orbitarings. g Digitale Volumentomographie (DVT; koronal): postoperative Bildgebung mit regelrechter Reponierung und osteosynthetischer Versorgung (Ausschnitt lateroorbital und Orbitaboden). h Klinische Situation 6 Wochen nach Trauma mit deutlicher Narbenbildung, Weichteilasymmetrie und Ptosis. i Klinische Situation 1 Jahr nach Trauma nach erfolgter Narbenkorrektur und Weichteilaugmentation mittels freiem Fettgewebetransplantat mit annähernd symmetrischen Verhältnissen. j Klinische Situation (Rechtsblick) 1 Jahr nach Trauma mit uneingeschränkter Motilität des rechten Auges sowie regelrechtem Visus
41
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
g
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i
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..Abb. 3.4 (Fortsetzung)
..Tab. 3.2 Empfehlungen zum Operationszeitpunkt bei orbitalen Frakturen Zeitpunkt
Indikationen
Notfallversorgung
Sofortversorgung
Frühversorgung
Spätversorgung
2 mm
Persistierende Doppelbilder
Persistierender okulokardialer Reflex
Persistierende funktionelle Störungen
Spätmanifestationen eines Enophthalmus oder Hypoglobus
Ausgedehnte Frakturen (> 1–2 cm2 oder > 50 % der Fläche)
Re-Osteotomie einer in Fehlstellung verheilten Fraktur Narbenkorrektur Neurolyse
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Kapitel 3 • Orbita
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..Abb. 3.5 Dislozierte Orbitabodenfraktur rechts bei einem 8-jährigen Mädchen. a Klinische Ausgangssituation mit eingeschränktem Aufblick rechts. b CT (koronal): dislozierte Orbitabodenfraktur rechts mit inkarzeriertem Gewebe (cave: M. rectus inferior nicht abgrenzbar). c Intraoperativer Situs über transkonjunktivalen Zugang mit Lösung des hernierten Gewebes (gepunkteter Pfeil) und Darstellung
der Fraktur (Pfeil). d MRT (koronal): regelrechte knöcherne Reponierung mit leichter Narbenbildung. e Klinische Situation mit regelrechter Motilität beim Aufblick rechts. f Klinische Situation 6 Jahre nach der Operation mit symmetrischen Verhältnissen (keine funktionellen Beeinträchtigungen). g Klinische Situation 6 Jahre nach der Operation mit nichtsichtbarer Narbe konjunktival
43
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
f
g
..Abb. 3.5 (Fortsetzung)
a
b
c
..Abb. 3.6 Transkutane Zugänge zur Orbita. a Schematische Darstellung der Zugänge in der Supratarsalfalte, am medialen Orbitarand und der lateralen Augenbraue im Oberlid rechts sowie subziliarer Zugang im Unterlid rechts. (Aus Hausamen et al. 2012) b Darstellung der Zugänge in der Supratarsalfalte, am medialen Orbitarand und der
lateralen Augenbraue im Oberlid rechts sowie subziliarer, mediopalpebraler und infraorbitaler Zugang im Unterlid rechts in situ. c Schematische Darstellung der Hautinzisionen (durchgehende Linien) und der Präparation durch den M. orbicularis oculi (gestrichelte Linien). (Aus Hausamen et al. 2012)
zz Transkutane Zugänge
durch den M. orbicularis oculi parallel zum Faserverlauf. Diese Technik ist relativ einfach und mit wenigen Komplikationen verbunden, allerdings ist die – wenn auch zarte – Narbe besser sichtbar als beim subziliaren Zugang. Zudem sollte die Inzision nach lateral nicht über den Limbus corneae erfolgen, um eine persistierendes Lymphödem zu vermeiden.
Zu den transkutanen Inzisionen zählen der subziliare, der mediopalpebrale (subtarsale) und der infraorbitale Zugang (. Abb. 3.6). Subziliarer Zugang Bei der subziliaren Inzision wenige
Millimeter unter der Lidkante erfolgt die Durchtrennung des M. orbicularis oculi parallel zum Faserverlauf unterhalb des Hautschnitts (. Abb. 3.6c). Vorteile dieser Technik liegen in der unauffälligen Narbe, wohingegen das Risiko eines postoperativen narbigen Ektropiums besteht. Mediopalpebraler Zugang Chirurgen, die einen trans-
kutanen Zugang wählen, nutzen daher meist eine mediopalpebrale Inzision in einer vorbestehenden Hautfalte (. Abb. 3.6b). Bei ausgeprägten Lidschwellungen können die Hautfalten des kontralateralen Augenlides zur Positionierung der Inzision beurteilt werden. Anschließend erfolgt die stumpf-spreizende Präparation
Infraorbitaler Zugang Dieser Zugang wird heute kaum
mehr verwendet. Grund hierfür sind die postoperative Narben- und Ödembildung, sodass daraus für den Patienten indiskutable ästhetische Einbußen resultieren können. Bei allen beschriebenen Techniken erfolgt die Präparation zum Orbitaring vor dem Septum orbitale. Daraufhin wird der Infraorbitalring dargestellt und das Periost etwas unterhalb der Kante inzidiert. Anschließend erfolgt die subperiostale Dissektion über den Orbitaring in den Orbitaboden. Die Fraktur wird unter Knochenkontakt zirkulär dargestellt, und ggf. wird herniertes Weichgewebe gelöst und z. B. mit einem Spatel eleviert.
3
44
Kapitel 3 • Orbita
3
a
b
c
..Abb. 3.7 Transkonjunktivaler Zugang. a Schematische Darstellung des transkonjunktivalen Zugangs mit medialer und lateraler Extension. (Aus Hausamen et al. 2012) b Inzision der Konjunktiva links. c Revision des Orbitabodens links mit Darstellung der Fraktur und Elevation des orbitalen Weichgewebes
In vielen Fällen kann der N. infraorbitalis unter Sicht neurolysiert werden, kleine einspießende Knochenfragmente werden dabei entfernt. >>Grundsätzlich gilt: Je weiter kranial die Hautinzision
und je älter der Patient, desto größer ist das Risiko eines Ektropiums.
zz Transkonjunktivale Zugänge
Beim transkonjunktivalen Zugang (. Abb. 3.7) unterscheidet man die präseptale und die retroseptale Technik. Retroseptaler Zugang Bei der retroseptalen Technik er-
folgt die Inzision auf direktem Weg zum Infraorbitalring. Diese Technik ist simpel und schnell. Der eröffnete Fettkörperprolaps kann allerdings die weitere Präparation deutlich erschweren.
zz Bewertung
Im Vergleich zu den transkutanen haben sich die transkonjunktivalen Zugänge aufgrund der hervorragenden ästhetischen Ergebnisse aktuell durchgesetzt, auch wenn die transkutanen Techniken in einigen Fällen nach wie vor ihre Berechtigung haben. Ein weiterer Vorteil des transkonjunktivalen Zugangs liegt in der Möglichkeit der Erweiterung des Zugangs. Diesbezüglich kann die Inzision nach retrokarunkulär erweitert werden, sodass dadurch auch die mediale Orbitawand dargestellt werden kann. Über eine laterale Kanthotomie ist zudem eine Präparation der lateralen Orbitawand möglich. Der transkonjunktivale Zugang ist somit, insbesondere bei einem kombinierten Verletzungsmuster, die Technik der Wahl. Über einen transkonjunktivalen Zugang mit medialer und lateraler Extension kann eine 270°-Dissektion der Orbita mit Darstellung des Orbitabodens sowie der lateralen und medialen Orbitawand erfolgen.
Präseptaler Zugang Bei der präseptalen Technik erfolgt
nach der Schleimhautinzision die Durchtrennung des Periosts vor dem orbitalen Septum, sodass der orbitale Fettkörper nicht exponiert wird. Anschließend folgt die Präparation des knöchernen Augenbodens. Der Vorteil der Präparation liegt in der besseren Übersicht durch den fehlenden Fettprolaps.
>>Zu beachten ist jedoch, dass es trotz der fehlenden sicht-
baren Narbe zu narbigen Verziehungen mit Entropium kommen kann, was nur schwer zu korrigieren ist. In dieser Hinsicht ist beim Wundverschluss auf eine exakte Adaptation der korrespondierenden konjunktivalen Wundflächen zu achten.
45
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
Manche Chirurgen verzichten daher bei kleineren Inzisionen gänzlich auf eine Naht. 3.3.3.1.2 Mediale Orbitawand
Isolierte Frakturen der medialen Orbitawand sind deutlich seltener als Orbitabodenfrakturen, können aber aufgrund eines Weichgewebeprolapses in den Sinus ethmoidalis zu einem erheblichen Enophthalmus oder funktionellen Problemen führen. Auch bei diesem Verletzungsmuster sind transkutane und transkonjunktivale Zugänge möglich (s. oben). Über einen medialen Blepharoplastikschnitt oder einen medialen Augenbrauenschnitt (. Abb. 3.6a,b) können die kranialen Anteile der medialen Orbitawand exploriert werden. Nach der Hautinzision erfolgt die subkutane Präparation auf den Orbitaring mit Spreizung des M. orbicularis oculi in Faserverlaufsrichtung. Anschließend wird das Periost inzidiert und die kraniale mediale Orbitawand im Übergang zum Orbitadach inspiziert. Daneben existieren viele weitere modifizierte transkutane Inzisionen (z. B. W-förmiger medialer Orbitaschnitt), die aufgrund der ästhetisch besseren Ergebnisse anderer Techniken nur noch selten angewendet werden. Die kaudalen Anteile der medialen Orbitawand können über einen transkonjunktivalen Zugang (. Abb. 3.7a) exploriert werden. Dahingegen kann die gesamte mediale Orbitawand über den transkonjunktivalen Zugang mit Extension durch eine bogenförmige, retrokarunkuläre Inzision erreicht werden. Die tränenabführenden Strukturen sind hierbei sicher zu schonen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Präparation eines koronaren Zugangs, über den eine 270°-Darstellung der Orbita mit Inspektion des Orbitadachs sowie der lateralen und medialen Orbitawand möglich ist. Aufgrund der größeren Wundfläche und möglicher einschränkender Komplikationen wird dieser Zugang allerdings nur bei Kombinationsverletzungen der laterosuperomedialen Wände oder aber im Rahmen von Panfazialfrakturen gewählt. Hierbei erfolgt die Schnittführung in der behaarten Kopfhaut (. Abb. 3.8) und anschließend die subgaleale Präparation bis etwa 2 cm oberhalb des Brauenwulstes. Der Verlauf des Stirnastes des N. facialis wird mit dem elektrischen Nervstimulator bestimmt, anschließend wird die äußere oberflächliche Temporalmuskelfaszie unter Schonung des Nervs inzidiert. Die Präparation zwischen den temporalen Faszienblättern ermöglicht die sichere Nervenschonung des Facialis-Stirnastes mit nachfolgender Periost-Inzision und Darstellung des knöchernen Orbitarings. Daraufhin wird der N. supraorbitalis neurolysiert, und die Periorbita kann über 270° von kranial her gelöst werden.
..Abb. 3.8 Schematischer bogenförmiger koronarer Zugang mit präaurikulärer Schnittführung. (Aus Hausamen et al. 2012)
kann hier ein transkutaner Augenbrauenrandschnitt als Zugang erfolgen (. Abb. 3.6), wobei sich hier häufig ästhetisch ungünstige Narben im Verlauf zeigen. Eine bessere Abheilung findet sich hingegen beim lateralen Oberlidschnitt/Blepharoplastikzugang. Alternativ zu den transkutanen Inzisionen können auch transkonjunktivale Zugänge genutzt werden (. Abb. 3.7). Hierbei stehen die transkonjunktivale Technik mit lateraler Kanthotomie sowie der laterale retrokantale Zugang zur Verfügung, wobei diese Zugänge technisch anspruchsvoller sind. 3.3.3.1.4 Orbitadach
Auch wenn isolierte Frakturen des Orbitadachs vereinzelt vorkommen, so sind sie doch meist als Begleitverletzung bei Frakturen der Stirnhöhle, des nasoorbitoethmoidalen Komplexes, bei Le-Fort- oder anderen Verletzungen der Orbita zu finden. Frakturen des Orbitadachs können über die bereits beschriebenen Inzisionen im Bereich der medialen oder lateralen Augenbraue sowie über den medialen und lateralen Oberlidrandschnitt oder Blepharoplastikzugang exploriert werden (. Abb. 3.6). Ist eine suffiziente Darstellung über einen transkutanen Zugang nicht zu erwarten, bei ausgedehnten Frakturen oder bei angrenzenden Begleitverletzungen sollte hingegen ein koronarer Zugang erwogen werden (. Abb. 3.8). 3.3.3.1.5 Weitere Zugänge zur Orbita
3.3.3.1.3 Laterale Orbitawand
Als Alternative stehen endoskopische Techniken und der offene Zugang über die Kieferhöhle zur Verfügung.
Isolierte Frakturen der lateralen Orbitawand sind selten, in der Regel ist die laterale Orbitawand im Rahmen von Jochbeinfrakturen involviert. Wie bei der medialen Wand
Endoskopische Technik Die endoskopische Technik kann
transnasal oder transantral erfolgen und ermöglicht so
3
46
Kapitel 3 • Orbita
>>Bei der Präparation sollten das mediale und laterale
Lidband, der Ductus nasolacrimalis, der N. infraorbitalis, die Fissura orbitalis superior und der M. obliquus inferior nicht verletzt werden.
3
..Abb. 3.9 Transantraler Zugang rechts über ein gestieltes Knochenfenster mit Darstellung von herniertem orbitalem Gewebe (Pfeil)
die Exploration der medialen Orbitawand oder des Orbitabodens. Vorteile dieser Methodik sind der direkte Zugang zur Fraktur bei fehlender Hautinzision, die exzellente Exposition des dorsalen Drittels des Orbitabodens sowie die mögliche Inspektion von angrenzenden Strukturen im Sinus maxillaris und Sinus ethmoidalis. Die endoskopische Untersuchung setzt allerdings eine besondere Expertise in dieser Technik voraus. Zudem kann in vielen Fällen auf einen transkutanen oder transkonjunktivalen Zugang nicht verzichtet werden, sodass die endoskopische Technik in Kombination zu o. g. Verfahren genutzt wird.
Sind eine Lösung des M. obliquus inferior oder der Trochlea nicht zu vermeiden, so sollte dies subperiostal durchgeführt werden, um eine spätere Re-Insertion zu ermöglichen. Bei der Präparation wird die Fraktur schließlich zirkulär dargestellt, und ggf. wird herniertes Weichgewebe gelöst. Anschließend erfolgt die Reponierung knöcherner Fragmente. Sind diese im Bereich des Orbitabodens nach kaudal in die Kieferhöhle disloziert, so spricht man von einer Blow-out-Fraktur. Oft zeigt sich hierbei auch eine falltürartige Dislokation, sodass von einem Trap-door-Mechanismus gesprochen wird. Sehr viel seltener finden sich Verlagerungen des Knochens in die Orbita, wobei diese als Blow-in-Frakturen bezeichnet werden. Kleinere Knochensplitter, insbesondere wenn sie in den N. infraorbitalis einspießen, müssen entfernt werden, um persistierende Sensibilitätsstörungen zu vermeiden. Im Rahmen der Präparation sollten ferner folgende Hinweise beachtet werden:
-
Anatomische Landmarken bei der Präparation
Offener Zugang über die Kieferhöhle Als weitere hilfreiche
Option ist der intraorale transantrale Zugang zu nennen. Bei ausgedehnten Dislokationen des Orbitabodens mit Schwierigkeiten der knöchernen oder weichgewebigen Reposition kann diese Technik unterstützend eingesetzt werden. Hierbei erfolgt über einen vestibulären Schnitt in der kaudalen beweglichen Schleimhaut die vorsichtige Präparation der fazialen Kieferhöhlenwand. In Projektion auf den Boden des Sinus maxillaris wird dann ein etwa 1,5 cm großes Knochenfenster angelegt, welches weichteilgestielt bleibt und den Zugang zur Kieferhöhle ermöglicht (. Abb. 3.9). Die nach kaudal dislozierten Knochenfragmente und das hernierte Weichgewebe können so übersichtlich von kaudal her gelöst und reponiert werden. Der gestielte Knochendeckel wird im Anschluss reponiert und bei Bedarf über resorbierbare Nähte oder eine Mikroplatten-Osteosynthese refixiert. 3.3.3.2
Reposition und Rekonstruktion unter funktionellen Aspekten
Nach Inzision des Periosts wird zunächst der Orbitaring dargestellt. Frakturen des Rings können nach anatomisch korrekter Reponierung mittels Adaptationsplatten-Osteosynthese stabilisiert werden. Bei Frakturen der Orbitawände erfolgt daraufhin die subperiostale Dissektion.
-
Bei der Exploration des Orbitabodens kann ab einer Tiefe von 25–30 mm ein Druck auf den Bulbus oculi/N. opticus entstehen, was sich durch eine einseitige Mydriasis und/oder Anisokorie zeigt. Daher ist die Pupillenweite bei Präparation im Übergang zum distalen Drittel des Orbitabodens regelmäßig zu eruieren. Zudem kann durch diesen Druck ein okulokardialer Reflex ausgelöst werden, sodass der Anästhesist bei einer tiefgehenden Präparation zu informieren ist. 24-12-6-Regel: Bei der Präparation im kranialen Anteil der medialen Orbitawand sind die Ethmoidalgefäße zu beachten, da diese intraoperativ äußerst starke Blutungen hervorrufen und auch postoperativ zu einem visusgefährdenden Retrobulbärhämatom führen können. Zudem verläuft der Canalis opticus 4–9 mm hinter dem posterioren Ethmoidalgefäß. Grob orientierend verläuft das vordere Ethmoidalgefäß in 24 mm Tiefe des Orbitarings, das hintere Ethmoidalgefäß weitere 12 mm posterior und der Canalis opticus erneut 6 mm dahinter. Die Fissura orbitalis superior liegt etwa 25 mm posterior der Sutura frontozygomatica und sollte ebenfalls sicher geschont werden. Als anatomische Rarität entspringt die A. ophthalmica aus dem Foramen cranioorbitale (Foramen meningoorbitale), welches selbst nur in 55 %
47
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
..Tab. 3.3 Therapiealgorithmus nach knöcherner Reponierung Reponierung
Stabile Reponierung + Kein Defekt
Stabile Reponierung + Defekt 0,5 cm2
Weitere Rekonstruktion
Keine weitere Maßnahme
Abdeckung mittels Folie/Faszie oder stabile Rekonstruktion
Stabile Rekonstruktion
der Fälle vorhanden ist (Turvey und Golden 2012). Bei einer Unterbindung dieser Arterie würde der Patient erblinden, sodass im Zweifel darauf verzichtet werden sollte.
Nach der knöchernen Reponierung muss eruiert werden, ob eine weitere Rekonstruktion mittels Transplantat oder Implantat notwendig ist. Grundsätzlich werden hierbei die Stabilität der Reponierung, Verletzungen der Periorbita, vorliegenden Defekte und die Lokalisation beurteilt. Ziel ist neben der Schaffung einer Gleitschicht des orbitalen Gewebes zum Erhalt der Motilität auch der Volumenerhalt, um einen konsekutiven Enophthalmus zu vermeiden. Die Behandlungsalgorithmen, Konzepte und chirurgischen Techniken variieren allerdings extrem von Chirurg zu Chirurg, sodass allgemeingültige Empfehlungen nicht festgelegt werden können. . Tab. 3.3 gibt daher lediglich eine grobe Übersicht. In den meisten Fällen ist erfahrungsgemäß eine weitere Rekonstruktion notwendig. Bei dieser sollten neben den bereits genannten Empfehlungen folgende funktionelle Aspekte beachtet werden: Vom Infraorbitalring verläuft der Orbitaboden zunächst nach kaudal und anschließend ansteigend bis zum nach kranial konvexen Proc. orbitalis ossis palatini. In der Sagittalen zeigt sich daher ein S-förmiger Verlauf (lazy S-shape), was bei der Rekonstruktion beachtet werden muss (. Abb. 3.10a). Durch diese Konfiguration wird der Bulbus von dorsal unterstützt. Gleichzeitig stellt der Proc. orbitalis ossis palatinum (posterior ledge) bei Orbitabodenfrakturen häufig die dorsale Auflage dar und ist daher bei ausgedehnten Frakturen eine wichtige anatomische Landmarke (. Abb. 3.1 und 3.10a). Des Weiteren ist anzumerken, dass im Bereich des Orbitabodens 3 sagittale Pfeiler verlaufen. Der wichtigste ist der am weitesten medial gelegene inferomediale Pfeiler, welcher sich am Übergang des Orbitabodens zu medialen Orbitawand befindet. Dieser Bereich der sog. Transitionszone (. Abb. 3.10b) wird von einigen Chirurgen auch als key area bezeichnet
-
-
(Hammer 1995), da er einen enormen Einfluss auf das ästhetische und funktionelle Ergebnis hat. >>Der Bereich der Transitionszone hat einen enormen
Einfluss auf das orbitale Volumen und die Bulbusstellung, sodass diese exakt rekonstruiert werden sollte.
3.3.3.3 Rekonstruktionstechniken, Transplantate und Biomaterialien
In den meisten Fällen liegen nach der knöchernen Reponierung keine ausreichend stabilen Verhältnisse vor, sodass eine zusätzliche Rekonstruktion erfolgen muss. Hierfür existiert eine unübersichtlich große Anzahl an verschiedenen Rekonstruktionstechniken, Transplantaten und Implantaten mit diversen Vor- und Nachteilen (Dubois et al. 2016; Potter et al. 2012). Die folgende Übersicht gibt nur eine Auswahl wieder: Transplantate und Biomaterialien im Rahmen der orbitalen Rekonstruktion
-
Autologe Transplantate – Knochen (Kalotte, Becken, Rippe, intraoraler Knochen) – Knorpel (Nasenseptum, Ohr, Rippe) – Faszie (Fascia lata, Temporalmuskelfaszie) – Periost Xenogene Transplantate – Kollagenmembran – Boviner Knochen Biologische Keramiken – Hydroxylapatit – Bioaktive Gläser Metalle – Titan – Kobaltlegierungen Polymere – Nichtresorbierbare glatte Implantate – Silikon – Nylon – Polytetrafluorethylen (PTFE, Teflon) – Polyaryletheretherketon (PEEK) Resorbierbare glatte Implantate – Carboxymethylzellulose
3
Kapitel 3 • Orbita
48
3
a
b
..Abb. 3.10 Anatomische Aspekte bei der orbitalen knöchernen Rekonstruktion. a CT (sagittal) mit Darstellung des S-förmigen Verlaufs des Orbitabodens. b Transitionszone am Übergang des Orbitabodens zu medialen Orbitawand (Kreis)
-
Nichtresorbierbare poröse Implantate – Polyethylen (PE, Medpor) Resorbierbare poröse Implantate – Polylactid (PLA) – Polydioxanon (PDS) – Polyglactin 910 Komposite – Titanverstärkte PE-Implantate – Hydroxylapatit-PE-Komposit
Über Jahrzehnte wurden v. a. biologische Transplantate in der orbitalen Rekonstruktion genutzt. Mit der Entwicklung von neueren biokompatiblen Materialien ergeben sich heutzutage aber noch weitere Möglichkeiten einer patientenadaptierten individuellen Rekonstruktion. Somit erscheint die vorliegende Übersicht nicht nur unvollständig, sondern es sind in Zukunft durch Fortschritte im Tissue Engineering weitere Rekonstruktionsalternativen zu erwarten. Die Anforderungen an das ideale Orbitatransplantat oder -implantat sind dabei hoch. Aus wissenschaftlicher Sicht werden biologische, chemische, physikalische, mechanische, anatomische/defektbezogene, patientenspezifische, ökonomisch/technologische und operationsspezifische Faktoren definiert (. Abb. 3.11). Bei dieser Komplexität an Faktoren kann nicht ein einziges Rekonstruktionsmaterial alle Anforderungen derzeit oder künftig erfüllen. Dies resultiert allein aus der Tatsache, dass autologe Transplantate immer mit einer Morbidität der Spenderregion einhergehen, während alle weiteren Transplantate oder Implantate Fremdkörper darstellen. Aus theoretischer Sicht sollte das ideale Orbitatransplantat oder -implantat daher chemisch
inert, biokompatibel, stabil, einfach zu bearbeiten, in der Größe variabel, passgenau, immer verfügbar, günstig und radioopak sein. Der Großteil der rekonstruktiv tätigen Chirurgen nutzt daher lediglich autologen Knochen sowie alloplastische Titanimplantate und nur in Ausnahmefällen andere Techniken. Autologer Knochen Über Jahre war autologer Knochen
das meistgenutzte Transplantat und galt als Goldstandard. Dabei hat sich Knochen der Schädelkalotte für die Orbita besonders bewährt. Neben der natürlichen Form und Möglichkeit der navigationsgestützten Entnahme resultiert gerade aus der embryonalen Ähnlichkeit des Kalottenknochens als Belegknochen eine hohe Resorptionsstabilität in der Orbita. Als Nachteile sind eine limitierte Verarbeitung, die diffizile Dicken- und Volumenbestimmung des Transplantats sowie mögliche gefährliche Komplikationen in der Spenderregion zu nennen. Autologer Knorpel Alle Vorteile eines körpereigenen
Transplantats bietet ebenfalls autologer Knorpel. Daneben erscheinen Hebung, Flexibilität und niedrigere Morbidität in der Entnahmeregion vorteilhaft im Vergleich zum Knochen. Dem stehen die Tendenz zur Schrumpfung und Verkrümmung sowie die geringere Stabilität im Vergleich zu anderen Materialien gegenüber. Zudem ist bei größeren und dreidimensionalen Defekten eine suffiziente Rekonstruktion nicht möglich. Autologe Faszie Zur Abdeckung von kleineren Defekten
kann ebenfalls autologe Faszie genutzt werden. Von Vorteil sind sicherlich, neben den allgemeinen Vorzügen autologer Transplantate, die einfache Hebung und geringe
49
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
..Abb. 3.11 Einflussfaktoren auf die Wahl der Rekonstruktionstechnik
Entnahmemorbidität sowie die im Falle der Temporalmuskelfaszie versteckte Narbe im Haarbereich. Als großer Nachteil gilt hingegen die fehlende Stabilität und Fixierungsmöglichkeit, sodass der Indikationsbereich dadurch deutlich eingeschränkt wird. Poröses Polyethylen (Medpor) Zur orbitalen Rekonstruk-
tion ist das Material in verschiedenen Größen, Dicken (0,25–3 mm), Formen und Konfigurationen erhältlich. Die zur Verfügung stehenden Platten können einfach angepasst werden, sie sind biokompatibel, unlöslich, werden nicht resorbiert und zeigen eine hohe Stabilität. Daneben ermöglichen die variablen oberflächlichen Poren ein fibrovaskuläres Einwachsen des umgebenden Gewebes in das Implantat, und Fremdkörperreaktionen werden reduziert. Resorbierbare alloplastische Polymere Diese Materialien
werden zudem häufig verwendet. Polydioxanon (PDS) ist ein aliphatischer Polyester, der durch Hydrolyse innerhalb von 10–12 Wochen abgebaut wird. In der Regel werden präformierte Folien eingesetzt, welche einfach einem Defekt angepasst und auch mit Schrauben oder Nähten fixiert werden können. Auch wenn resorbierbare
Materialien kaum Langzeitkomplikationen aufweisen, finden sich in histologischen Studien Wirtsreaktionen – von leichten Entzündungen bis hin zu Dislokationen, Extrusionen und erheblichen Entzündungsreaktionen –, sodass der Einsatz dieser Folien mittlerweile seltener erfolgt. Polyglactin 910, besser als Nahtmaterial Vicryl bekannt, ist ein synthetisches resorbierbares Material. Es wird als Folie und Mesh eingesetzt. Es kann ohne Probleme an den Defekt angepasst werden, ist biegsam und benötigt keine Fixation. Alloplastische Titanimplantate Diese haben die Rekon-
struktion im Kopfbereich revolutioniert und für viele Indikationen die autologen Knochentransplantate abgelöst. Neben Mikro- und Miniplatten-Osteosynthesen im Bereich der Orbitaringfrakturen werden auch Titanimplantate unterschiedlichster Art im Bereich der Orbitawandfrakturen eingesetzt. Diese alloplastischen Materialien sind dünn, einfach zu konturieren, sie behalten ihre Form, können Volumen wiederherstellen, werden nicht resorbiert, sind stets in allen Größen und Dicken verfügbar, sterilisierbar sowie radioopak mit weniger Artefakten als andere Metalle. Nachteile beinhalten das Risiko der Dislokation, Extrusion, Infektion, möglicher Verletzungen
3
50
Kapitel 3 • Orbita
3
a
b
c
d
e
f
..Abb. 3.12 Orbitabodenrekonstruktion mit Titanimplantaten. a Dislozierte Orbitabodenfraktur links mit hängendem Tropfen. b Eingliederung und Adaptation eines Titan-Meshes. c Postoperative DVT-Aufnahme (koronal) mit einliegendem Titan-Mesh. d Präformiertes Titan-Mesh. e Geplantes funktionelles patientenspezifisches
Implantat mit Drainagesystem, metrischer Tiefenangabe, Trajektorien und Navigationsleisten. f Eingebrachtes und fixiertes patientenspezifisches Implantat. g Postoperative DVT-Kontrolle (sagittal) nach Rekonstruktion mit patientenspezifischem Implantat
51
3.3 • Rekonstruktion der Orbita nach Trauma
transferieren und Funktionen übernehmen (Tavassol et al. 2012). Hierfür wurden bei den patientenspezifischen Implantaten ein Drainagesystem, metrische Tiefenangaben, Trajektorien zur intraoperativen Orientierung, Navigationsleisten und Pfeilerverstärkungen implementiert (. Abb. 3.12e–g). Diese Funktionalisierung optimiert das Operationsergebnis, ist aber sicherlich mit erhöhtem technischem Aufwand, präoperativer Planung und Kosten verbunden. Individuell hergestellte patientenspezifische Implantate stellen heutzutage die modernste Technik in der traumatologischen Orbitarekonstruktion dar. g ..Abb. 3.12 (Fortsetzung)
orbitaler Strukturen bei einem erneuten Trauma sowie Schwierigkeiten bei einer notwendigen Entfernung. Gerade in den letzten Jahren wurden die Titanimplantate stetig weiterentwickelt: So stellt die 1. Generation eine Gruppe von Titan-Meshes mit variabler Größe, Dicke und Konfiguration dar, welche manuell zurechtgeschnitten, gebogen und an den Defekt angepasst werden (. Abb. 3.12a–c). Die 2. Generation beinhaltet präformierte Meshes, welche in Größe und Konfiguration anhand von durchschnittlichen CT-Datensätzen erstellt wurden. Diese Formation sollte das operative Handling verbessern, die Operationszeit verkürzen und das Weichgewebemanagement optimieren (. Abb. 3.12d). Die 3. Generation ermöglicht bereits eine präoperative individuelle Anpassung der Meshes. Hierbei wird der patienteneigene Datensatz ausgelesen und ein Stereolithographiemodell mit dem Prinzip des Rapid-Prototyping erstellt. Mit diesem 3D-Modell kann ein Titan-Mesh präoperativ individuell vorgebogen, adaptiert und schließlich sterilisiert werden. Auch die 3D-Modelle können sterilisiert werden und im Operationssaal als Matrize dienen. Patientenspezifische Implantate (PSI) stellen die 4. Generation dar. Hierbei erfolgt nach der CT-Diagnostik die virtuelle Planung und Herstellung der Implantate durch Computer-Aided-Design (CAD) und Computer-Aided-Manufacturing (CAM). Diese können entweder über additive Verfahren wie dem Laserschmelzen oder über subtraktive Verfahren wie dem 3D-Fräsen aus Titan hergestellt werden. Nach der Sterilisation werden die Implantate im Rahmen der Operation passgenau eingebracht, und der korrekte Sitz wird ggf. zusätzlich durch ein vorhandenes Navigationssystem kontrolliert. Die 5. Generation wertete die PSI zu funktionellen Implantaten auf. Dadurch sollten diese nicht nur Knochen ersetzen, sondern auch Informationen
-
>>Ungeachtet dessen bleibt das Rekonstruktionsmaterial
aber sekundär, da die Operationstechnik mit korrekter Positionierung des Materials unter Schonung der Weichgewebe entscheidend ist.
. Tab. 3.4 gibt eine Übersicht über die meistgenutzten Transplantate und Implantate sowie die wichtigsten Kriterien im Rahmen der Wahl des Rekonstruktionsmaterials. 3.3.3.4 Sekundärrekonstruktion
Sekundärrekonstruktionen der Orbita sind aufgrund von Narben und fixierten Fehlstellungen deutlich schwieriger als die Primärversorgung. Die Indikation zur sekundären Rekonstruktion besteht dennoch bei in Fehlstellung verheilten Frakturen mit persistierenden funktionellen und/ oder ästhetischen Beeinträchtigungen (. Abb. 3.13). Die operativen Zugangswege und Rekonstruktionstechniken entsprechen i. d. R. denen der Primärversorgung. Grundsätzlich ist jedoch stets die aufwändige Re-Osteotomie gegenüber Knochen- und Weichteiltransplantaten abzuwägen. 3.3.3.5
Innovative Technologien in der orbitalen Rekonstruktion
Wie in vielen anderen Fachdisziplinen haben sich in den letzten Jahren auch in der Kopf-Hals-Chirurgie neue Technologien entwickelt und durchgesetzt, woraus neue Herausforderungen ergeben. Das gilt insbesondere für die traumatologische Rekonstruktion knöcherner Kopfverletzungen. Diese v. a. computerbasierten Techniken (Wilde und Schramm 2014) betreffen alle Phasen der chirurgischen Behandlung mit präoperativer Diagnostik, Auswertung und Planung, intraoperativer Durchführung der zuvor geplanten Operation mit Qualitätssicherung sowie die postoperative Kontrolle, Dokumentation und Nachsorge (. Abb. 3.14a). >>Der Kopf-Hals-Chirurg muss sein Spektrum durch
kontinuierliche Fortbildungen stetig erweitern. Dieses beinhaltet auch Aspekte einer interdisziplinären Weiterbildung, da die virtuellen Techniken insbesondere radiologische und profunde Computerkenntnisse erfordern.
3
Kapitel 3 • Orbita
52
..Tab. 3.4 Eigenschaften, Vor- und Nachteile der häufigsten Transplantate und Implantate im Rahmen der traumatologischen orbitalen Rekonstruktion
3
Transplantattyp
Stabilität
Fixierung
Konturierung
Biokompatibilität
Entnahmemorbidität
Radioopazität
Verfügbarkeit
Autologer Knochen
++
++
o
++
o
+
+
Autologer Knorpel
+
o
+
++
+
–
o
Autologe Faszie
–
–
++
++
+
–
+
PE-Implantat
++
o
++
+
–
–
++
Resorbierbare Polymere
o
–
++
+
–
–
++
Titan-Mesh
++
++
++
+
–
++
++
PSI
++
++
++
+
–
++
+
++ sehr gut; + gut; o mäßig; − schlecht PE Polyethylen, PSI patientenspezifisches Implantat
Voraussetzung dafür sind hochauflösende CT-Geräte. Diese ermöglichen zusammen mit der multiplanaren Reformation (MPR) und 3D-Rekonstruktion eine optimale Visualisierung und Analyse knöcherner Strukturen und Verletzungen (. Abb. 3.14b). Neben der digitalen Darstellung der bestehenden Anatomie kann auch der operative Zugangsweg geplant werden. Die CT-Datensätze werden zudem als DICOM-Standard (Digital Imaging and Communication in Medicine) exportiert und mithilfe von speziellen Softwareprogrammen zur computerassistierten Planung (CAP, Computer-AidedPlanning), zum Design (CAD, Computer-Aided-Design) und zur Herstellung (CAM, Computer-Aided-Manufacturing) von Rekonstruktionstechniken und patientenspezifischen Implantaten (PSI) genutzt (Essig et al. 2013). Bei der virtuellen Planung wird die gewünschte anatomische Regionen segmentiert, die nichtbetroffene kontralaterale Orbita gespiegelt und die Rekonstruktion der knöchernen Verletzung virtuell simuliert (. Abb. 3.14b). Die virtuelle Rekonstruktion dient schließlich als Vorlage für die intraoperative Navigation. Zum anderen können diese Daten im STL-Format (Stereolithographie) exportiert und mithilfe eines 3D-Druckers zur Analyse, Präformierung von Titan-Meshes und als intraoperative Matrize genutzt werden sowie zur Herstellung von PSI dienen (Zimmerer et al. 2016). Intraoperativ hat sich die Nutzung von kamerageführten Real-Time-Navigationssystemen sehr bewährt. Hierbei kann nicht nur das reale Verletzungsmuster mit der präoperativen Bildgebung verglichen werden, sondern es kann auch die korrekte Lage von eingebrachten Biomaterialien überprüft und die Rekonstruktion somit validiert werden. Nach der Kalibrierung des Systems wird der Patient mithilfe von Referenzierungspunkten, z. B. über einen Navigationsstern an der Schädelkalotte und einer mit Schrauben versehenen Schiene im Oberkiefer, registriert (. Abb. 3.14c). Anschließend kann die Operation unter
Navigationskontrolle erfolgen (. Abb. 3.14d). Die Genauigkeit bei den heutigen Infrarot-basierten Systemen liegt bei >Bei malignen Prozessen sollte die Diagnose grund-
sätzlich vor der Indikationsstellung zur Exenteration bioptisch gesichert werden.
----
Diagnostik bei Orbitatumoren Spezielle und allgemeine Anamnese Klinische Untersuchung Ophthalmologische Untersuchung MRT CT bei knöcherner Mitbeteiligung Weiterführende Diagnostik im Rahmen von eventuellen Staging-Untersuchungen Biopsie bei malignen Prozessen
3.4.1.4 Indikation
Die Indikation zur orbitalen Exenteration hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer weiter zu bulbuserhaltenden Therapien hin verschoben. Aufgrund der deutlich verbesserten Diagnostik, verfeinerten chirurgischen Techniken und rekonstruktiven Verfahren sowie der optimierten Nachsorge können heute mehr bulbuserhaltende Operationen durchgeführt werden (Pfortner et al. 2014). >>Die Indikationsstellung zur Exenteration des Orbitain-
halts ist nur gerechtfertigt, wenn hieraus eine signifikante Prognoseverbesserung für den Patienten resultiert.
Periorbitale Tumoren mit Invasion in die Orbita stellen den häufigsten Grund für eine Exenteration dar. Dies liegt an der weltweiten Zunahme an bösartigen Hauttumoren (Tyers 2006). Zu diesen zählen v. a. das Basaliom
59
3.4 • Rekonstruktion der Orbita bei Orbitatumoren
(Shi et al. 2017) sowie das Plattenepithelkarzinom der Lidhaut und der Konjunktiva (Kiratli und Koc 2017). Eine Sonderform der konjunktivalen Tumoren ist das Konjunktiva-Melanom. Bei fast allen Patienten erfolgte zuvor eine bulbuserhaltende chirurgische Therapie mit oder ohne adjuvanter Behandlung (Lommatzsch und Werschnik 2002). Dennoch sind Rezidive häufig, sodass nur eine Exenteration als kurativer Ansatz bleibt. Primäre Orbitatumoren sind für 10–20 % der Exenterationen verantwortlich (Ali et al. 2016). Sie kommen sowohl extrakonal, z. B. bei Malignomen der Tränendrüse (Esmaeli et al. 2004), als auch intrakonal vor, wobei hier Sarkome die häufigsten Tumoren darstellen (Gunalp et al. 1995). Eine weitere Gruppe stellen Tumoren des Bulbus oculi wie das Aderhautmelanom und das Retinoblastom dar. In einigen Fällen ist trotz etablierter Differenzialtherapien einen Erhalt des Augenhöhleninhalts nicht möglich. Die häufigste gutartige Indikation zur Exenteration ist das funktionslose schmerzhafte Auge, z. B. nach einer vorherigen Radiatio oder aber als Endzustand eines chronisch inflammatorischen Pseudotumors. Die Ausräumung der Augenhöhle dient dann der Verbesserung der Lebensqualität. Weitere benigne Erkrankungen wie ausgedehnte Traumata oder Infektionen im Rahmen einer Mukormykose, einer nekrotisierenden Fasziitis, von Orbitalphlegmonen oder parasitären Erkrankungen sind heutzutage in Westeuropa Einzelfälle.
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Indikationen zur Exenteration Periorbitale Tumoren mit Infiltration orbitaler Strukturen Konjunktiva-Melanome Tumoren des Bulbus oculi bei extraokulärem Wachstum Ausgedehnte Mittelgesichtstumoren/Schädelbasistumoren mit Beteiligung der Orbita Schmerzhaftes funktionsloses Auge Infektionen
3.4.1.5
Orbitale Rekonstruktion
Die Indikation zur orbitalen Rekonstruktion ist aus heutiger Sicht nahezu immer gegeben. Diese bietet dem Patienten nicht nur aus ästhetischer Sicht Vorteile, sondern schafft schnell und nachhaltig ein besseres Weichteillager mit guten Reinigungsmöglichkeiten für den Patienten und somit ein erhöhtes Maß an Lebensqualität. Zudem bietet ein optimiert rekonstruiertes Weichteillager bessere Voraussetzungen für eine langfristige orbitale Rehabilitation. >>Nur in seltenen Fällen sollte auf eine Rekonstruktion
verzichtet und der Defekt einer sekundären Granulation überlassen werden.
Die orbitale Rekonstruktion kann primär oder sekundär durchgeführt werden. In der Regel ist eine primäre Rekonstruktion im Rahmen der Exenteration möglich. Eine sekundäre Rekonstruktion sollte insbesondere bei großen Tumoren und/oder klinisch schwer zu bestimmenden Resektionsgrenzen in Erwägung gezogen werden. In diesen Fällen kann zunächst die definitive Histologie abgewartet werden, sodass die Defektdeckung nach Bestätigung einer R0-Resektion sekundär durchgeführt werden kann. Neben dem Zeitpunkt der wiederherstellen Maßnahmen sollte auch die Rekonstruktionstechnik vor der Exenteration bestimmt werden. Dies bedarf einer detaillierten präoperativen Analyse, in welche die anatomischen Voraussetzungen, die Ziele der Operation sowie allgemeine und spezielle Einflussfaktoren einfließen (. Abb. 3.16). Die anatomischen Voraussetzungen beinhalten die Art der Exenteration, einen möglichen Liderhalt, die Größe des Defekts sowie eine mögliche Eröffnung von Nasennebenhöhlen, der Nasenhöhle oder der Schädelhöhle. Die operativen Ziele umfassen die geplante orbitale Rehabilitation, die Ausfüllung der Orbita (ausgefüllte vs. konkave Orbita – open versus closed orbit), den Wunsch des Patienten.
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Einflussfaktoren auf die orbitale Rekonstruktion nach Exenteration
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Allgemeine Einflussfaktoren: – Allgemeinerkrankungen – Durchblutungsstörungen – Immunsuppression – Antikoagulationstherapien – Alter des Patienten Spezielle Einflussfaktoren: – Zustand nach oder vor geplanter Radiatio – Einnahme von antiresorptiven Medikamenten (z. B. Bisphosphonate) – Regionale Voroperationen – Neigung zu Keloiden oder hypertrophen Narben – Lokale Hauterkrankungen – Begleitende chirurgische Therapien (z. B. Parotidektomie) – Technischer und zeitlicher operativer Aufwand – Sehkraft des kontralateralen Auges – Mögliche Nachsorgefähigkeit
Die komplexe präoperative Analyse in der Theorie lässt erahnen, dass die optimale Rekonstruktion patientenadaptiert getroffen werden muss. Einheitliche Konzepte oder Rekonstruktionsalgorithmen existieren nicht und sind aufgrund der vielen Faktoren schwer implementier-
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Kapitel 3 • Orbita
60
3
..Abb. 3.16 Präoperative Analyse und Einflussfaktoren auf die Rekonstruktionstechnik nach orbitaler Exenteration
bar. Auch die Sorge, dass eine Weichteilrekonstruktion die Tumornachsorge behindert, ist unbegründet (Pfortner et al. 2014). Grundsätzlich stehen daher 5 verschiedene Gruppen von Haupttechniken, welche vornehmlich alleine eingesetzt werden, und multiple unterstützende Hilfstechniken, welche v. a. mit den Haupttechniken kombiniert werden, zur Verfügung: Chirurgische Rekonstruktionstechniken nach Exenteration
-
Haupttechniken: – Sekundäre Granulation – Spalthautauskleidung – Adaptation der Lider – Lokale und regionale Lappenplastik – Mikrochirurgisch anastomosiertes Transplantat Hilfstechniken: – Dermis-Fetttransplantat – Mundschleimhaut – Nasolabial(umkipp‑)lappen
– Galea-Periost-Lappen – Skalp-Rotationslappen – Osteosynthese
3.4.1.5.1 Sekundäre Granulation
In Fällen, in denen keine Defektdeckung durchgeführt wird, erfolgt eine Abheilung über sekundäre Granulation. Diese nimmt in der Regel 8–12 Wochen in Anspruch und Bedarf einer erhöhten Nachsorge, da die Augenhöhle zu Beginn tamponiert wird. Zudem ist bei einer erweiterten Exenteration mit Eröffnung des Nasennebenhöhlensystems oder bei akzidenteller Eröffnung, insbesondere im Bereich der dünnen medialen Orbitawand, mit einer vollständigen Abheilung nicht zu rechnen. Dieses geht einher mit erhöhter Sekretion, einer erhöhten Infektionsrate sowie einem veränderten Luftstrom und somit mit einer Reduzierung der Lebensqualität für den Patienten. Aus diesen Gründen wird heutzutage eine orbitale Defektdeckung angestrebt. Des Weiteren sollte bei einer geplanten adjuvanten Radiatio der Knochen gedeckt werden. Daneben ist vor
61
3.4 • Rekonstruktion der Orbita bei Orbitatumoren
adjuvanten Therapien eine Abheilungsphase von mehreren Wochen nicht tolerabel. Dennoch ist in Einzelfällen eine Abheilung über sekundäre Granulation zu diskutieren, wenn Kontraindikationen bezüglich einer Defektdeckung bestehen, der Allgemeinzustand des Patienten diese nicht zulässt oder die Operationszeit kurz gehalten werden muss. >>Vor einer geplanten adjuvanten Radiatio sollte die knö-
cherne Orbita weichgewebig gedeckt werden.
3.4.1.5.2 Spalthaut
Die freie Spalthauttransplantation ist eine häufig durchgeführte Defektdeckung, welche den Abheilungsprozess deutlich verkürzt. Diese Technik ist simpel, schnell und mit wenigen Komplikationen behaftet. Die Spalthaut kann mit einem elektrischen oder manuellen Dermatom (z. B. Trommeldermatom) entnommen werden. Als Entnahmestellen können der Unterbauch, das Gesäß oder der Oberschenkel dienen. Die Dicke der Spalthaut beträgt 0,2–0,8 mm, je nachdem ob dünne (Thiersch-Lappen 0,2–0,4 mm), mitteldicke (0,4–0,6 mm) oder dicke (0,6–0,8 mm) Transplantate gewünscht sind. Nach der Verpflanzung muss diese schließlich mit einem Kompressionsverband an den Knochen angedrückt werden, um ein Hämatom zu verhindern und ein Anwachsen der Haut zu gewährleisten. Bei Eröffnung des Nasennebenhöhlensystems ist die Spalthaut zu Defektdeckung als alleinige Maßnahme ungeeignet, da in diesen Fällen mit einer persistierenden Fistelbildung und den o. g. Folgen zu rechnen ist (. Abb. 3.17). Eine Radiatio nach erfolgreicher Defektdeckung mittels Spalthaut ist prinzipiell möglich, jedoch wäre eine weichgewebige Deckung mit eigenständiger Durchblutung wünschenswert. 3.4.1.5.3 Adaptation der Lider
Der primäre Wundverschluss der Lidhaut nach Resektion der Konjunktiva und der Wimpernreihe ist die einfachste Rekonstruktionstechnik nach orbitaler Exenteration. Als End-zu-End-Plastik ist sie zudem zeitsparend durchzuführen und aufgrund der exzellenten Durchblutungsverhältnisse komplikationsarm. Dennoch ist die Anwendung dieser Technik in den meisten Fällen nicht möglich, da das Gewebe trotz Mobilisation nicht ausreicht, um die gesamte Orbita abzudecken. Somit beschränkt sich diese Rekonstruktion häufig auf subtotale Exenterationen bei älteren Patienten mit erschlaffter Haut. Bei liderhaltenden Exenterationen können häufig Teile der Konjunktiva adaptiert werden (. Abb. 3.18). Ist die erhaltene Bindehaut nicht ausreichend, können zusätzlich Mundschleimhauttransplantate genutzt werden. Bei Bedarf kann der Orbitatrichter zudem durch gestielte Temporalmuskellappen oder Dermis-Fetttransplantate aufgefüllt werden, wobei bei Letzteren die Dermis ebenfalls als Ersatz von Teilen der Konjunktiva dienen kann.
..Abb. 3.17 Chronische (naso‑)orbitoethmoidale Fistel nach totaler Exenteration links und Spalthauttransplantation
3.4.1.5.4 Lokale Lappenplastiken
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Zu lokalen Lappenplastiken werden in der Orbita hauptsächlich 3 Techniken genutzt: der gestielte Stirnlappen, die Wangenrotation, die gestielte Temporalmuskel-Lappenplastik. Gestielter Stirnlappen Die Stirnlappenplastik wurde
wahrscheinlich erstmalig in der indischen Textsammlung Sushruta Samhita beschrieben (Menick 2002). Anfang des 19. Jahrhunderts wurde diese Technik dann schließlich von europäischen Chirurgen übernommen und ist auch heute noch etablierte Methode in der plastischrekonstruktiven Chirurgie. Insbesondere in der rekonstruktiven Chirurgie der Nase gilt dieser Lappen nach wie vor als Standard (Rohrich et al. 2004). Der Stirnlappen kann median (A. dorsalis nasi/A. centralis/A. supratrochlearis) oder besser paramedian (A. supraorbitalis/A. supratrochlearis) gestielt sein. Nach Bestimmung der Lappenlänge, die ein Längen-Breiten-Verhältnis von 4 : 1 nicht überschreiten sollte, erfolgen Einzeichnung und Inzision. Der Lappen wird daraufhin subgaleal bis zur Glabella präpariert. Anschließend erfolgen die Tunnelierung und die Transposition des Stirnlappens in den orbitalen Defekt. Die Haut der Stirn wird mobilisiert und primär verschlossen, der Stirnlappen zirkulär eingenäht und mit einem leichten Druckverband redressiert. Die Lappenstielrückverlagerung erfolgt in der Regel nach
3
62
Kapitel 3 • Orbita
3
a
c
b
d
e
f
..Abb. 3.18 Liderhaltende Exenteration, Rekonstruktion und Rehabilitation bei retrobulbärem, malignem Melanom. a Klinisch unauffällige Ausgangssituation. b MRT (axial): retrobulbäre, intrakonale Raumforderung rechts mit fraglicher Infiltration des N. opticus und des Bulbus oculi. c Exenterat nach liderhaltender Exenteration mit Darstellung des M. rectus medialis (*) und des N. opticus (gestrichelter Pfeil) sowie angedeutetem Tumor (Pfeil). d Klinische Situation
4 Wochen postoperativ. e Sekundäre Rekonstruktion mittels DermisFett-Transplantat zur Weichteilaugmentation 3 Monate nach Exenteration. f Sekundäre Zügelungsplastik mit Fascia lata 4 Monate nach Exenteration. g Orbitale Rehabilitation mittels Kunstauge 1 Jahr nach Exenteration. h Klinische Situation nach Herausnahme des Kunstauges 1 Jahr nach Exenteration
4–6 Wochen. Bei Eröffnung des Nasennebenhöhlensystems > 1 cm2 sollte jedoch eine zweischichtige Deckung erfolgen. Hierbei kann beispielsweise ein nasolabialer Umkipplappen genutzt werden.
Wangenrotation Bei der Wangenrotation in der Technik
nach Esser wird der orbitale Defekt durch eine bogenförmige Lappenverschiebung verschlossen. Die Blutversorgung der Wangenregion erfolgt v. a. über Äste der
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3.4 • Rekonstruktion der Orbita bei Orbitatumoren
g
h
..Abb. 3.18 (Fortsetzung)
A. facialis, A. infraorbitalis, A. buccalis und A. transversa faciei. Die Schnittführung beginnt am Defektrand und läuft leicht ansteigend bogenförmig nach temporal. Anschließend wird die Schnittführung präaurikulär nach kaudal fortgeführt und kann je nach Bedarf um das Ohrläppchen herum nach zervikal extendiert werden. Die Präparation des Lappens schließt Haut und subkutanes Fettgewebe ein und kann zur Eruierung der korrekten Dicke am besten unter Diaphanoskopie erfolgen. Die tiefer liegende Muskulatur und der N. facialis sollten sicher geschont werden. Anschließend wird die gesamte Wange in den Defekt rotiert und mehrschichtig verschlossen. Gestielte Temporalmuskel-Lappenplastik Eine Temporal-
muskel-Lappenplastik wird erforderlich, um nach Erhalt der Lider und der Bindehaut in der Orbita ein durchblutetes Fundament für den Konjunktivalsack zu schaffen. Über einen Hemikoronarschnitt oder eine präaurikuläre Inzision mit Extension bis zur Linea temporalis wird der Temporalmuskel dargestellt, epiperiostal gehoben und nach medial eingeschlagen. Die Hebung aus dem mittleren Drittel wird empfohlen, um ein ästhetisch sichtbares „temporal hollowing“ zu vermeiden (. Abb. 3.19), ggf. muss eine sekundäre Korrektur mittels Fetttransplantat erfolgen. Die Blutversorgung erfolgt hierbei über Äste der Aa. temporalis profunda et media. Die vorbeschriebenen lokalen Lappenplastiken können auch miteinander kombiniert werden. Bei größeren Defekten bietet sich insbesondere ein Stirnlappen in Kombination mit einer Wangenrotation an. Zudem können auch Dermis-Fetttransplantate, Spalthauttransplantate, Galea-Periost-Lappen, Mundschleimhauttransplantate und Skalp-Rotationslappen additiv genutzt werden. 3.4.1.5.5 Mikrochirurgisch anastomosierte
Transplantate
Die mikrovaskulär anastomosierten Transplantate sind neben den lokalen Lappenplastiken die zweite Stütze der
..Abb. 3.19 Schematische Darstellung der Freilegung des M. temporalis rechts und mögliche Einzeichnung des zu hebenden Muskelanteils aus dem mittleren Drittel. (Aus Hausamen et al. 2012)
orbitalen Rekonstruktion. Sie stellen die aufwändigsten chirurgischen Techniken dar und benötigen einen erhöhten zeitlichen, instrumentellen, technischen und personellen Einsatz. Dennoch sind diese Transplantate bei großen Resektionen, erweiterter Exenteration mit Eröffnung des Nasennebenhöhlensystems bis hin zu ausgedehnten Mittelgesichtsresektionen oftmals die einzige suffiziente Rekonstruktionsmöglichkeit. Für die unterschiedlichen Indikationen steht daher eine Reihe von Transplantaten mit unterschiedlichen Eigenschaften zur Verfügung: der Radialis-Lappen, der Latissimus-dorsi-Lappen, der anterolaterale Oberschenkellappen (ALT)/Vastuslateralis-Lappen, der Rectus-abdominis-Lappen, der Skapular- und der Paraskapularlappen.
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3
64
Kapitel 3 • Orbita
Als Anschlussgefäße dienen, wenn möglich, die A./V. temporalis, ansonsten muss der Anschluss zervikal erfolgen, was hinsichtlich der Gefäßstiellänge kritisch sein kann. Radialis-Lappen Das am häufigsten genutzte mikrochirur-
3
gische Transplantat ist der radiale Unterarmlappen. Dieser fasziokutane Lappen ist perfekt für die Auskleidung der Augenhöhle geeignet und kann auch einschichtig kleinere knöcherne Defekte abdecken. Der Radialis-Lappen ist äußerst sicher mit wenigen Transplantatverlusten und kann problemlos zeitgleich zur Resektion gehoben werden. Als Lappengefäße dient die A. radialis mit den beiden Begleitvenen. Perfekt für die Lokalisation ist zudem der lang präparierbare Lappenstiel. Latissimus-dorsi-Lappen Bei voluminösen Defekten
..Abb. 3.20 Orbitale Rehabilitation mittels Brillenepithese nach Exenteration rechts
bis hin zu kompletten Mittelgesichtsresektionen kann ein Latissimus-dorsi-Lappen eingesetzt werden. Das muskulokutane Transplantat kann auch mit zwei Hautinseln oder zusammen mit Rippenanteilen als osteomuskulokutaner Lappen gehoben werden. Als Nachteile sind sicherlich die notwendige Umlagerung des Patienten und das fehlende simultane Arbeiten anzumerken. Als Lappengefäß dient die A./V. thoracodorsalis.
3.4.1.5.6 Hilfstechniken
Anterolateraler Oberschenkel‑/Vastus-lateralis-Lappen Al-
Dermis-Fetttransplantate Zum Ausgleich orbitaler Vo-
ternativ kann bei volumenfordernden Defekten ein ALT/ Vastus-lateralis-Lappen gehoben werden. Auch hierbei handelt es sich um ein muskulokutanes Transplantat, wobei auch ein alleiniger Muskellappen genutzt werden kann. Die Hebung kann parallel zur Resektion durchgeführt werden, die Gefäßversorgung erfolgt durch die A./V. circumflexa femoris lateralis. Allerdings zeigen sich in bis zu 20 % der Fälle Variationen in der Gefäßanatomie, wobei hier die A./V. circumflexa femoris lateralis im Septum intermusculare verläuft und somit ein Muskelanteil nicht gehoben werden kann.
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Neben den bereits beschriebenen Rekonstruktionen können zusätzlich weitere Techniken angewandt werden: Dermis-Fetttransplantate, Mundschleimhauttransplantate, nasolabiale Umkipplappen, Galea-Periost-Lappen, Skalp-Rotationslappen, Osteosynthese-Verfahren. lumendefizite sind Dermis-Fetttransplantate indiziert. Diese können nahezu an jeder Körperregion entnommen werden, prädestinierte Spenderregionen finden sich aber v. a. im Bereich des Unterbauchs, gluteal, iliakal oder sakral. Das Dermis-Fetttransplantat kann in gewünschter Größe gehoben werden, die De-Epithelisierung erfolgt manuell mit dem Skalpell oder mithilfe eines Dermatoms. Nach der Hebung kann das Transplantat frei verpflanzt werden, wobei die Dermis entweder vollständig bedeckt werden oder aber an eine erhaltene Konjunktiva oder an die Hautgrenze adaptiert werden kann, mit nachfolgender Re-Epithelisierung.
Rectus-abdominis-Lappen Dieser kann als weiteres
muskulokutanes Transplantat genutzt werden. Die Indikation ist wie bei den beiden zuvor beschriebenen muskulokutanen Lappen, als Gefäß dient die A./V. epigastrica inferior. Das Transplantat kann parallel zur Resektion gehoben werden, jedoch besteht durch die Eröffnung der Rektusscheide die Gefahr einer Hernienbildung.
Mundschleimhauttransplantate Diese können auf ein-
Skapular- und Paraskapularlappen Weitere selten genutzte
Nasolabiale Umkipplappen Knöcherne Defekte, ins-
Lappen sind Skapular- und Paraskapularlappen. Beide Transplantate können als Haut-Fett-Lappen genutzt werden, als Gefäße werden die A./V. circumflexa scapulae präpariert. Auch mithilfe dieses Lappens können größere Defekte ausgeglichen werden. Als Nachteil ist die notwendige Umlagerung und somit das fehlende parallele Arbeiten zu nennen.
besondere im Bereich der dünnen medialen Orbitawand mit Eröffnung des Ethmoidalsystems, müssen oftmals zweischichtig verschlossen werden, um eine chronische Fistelbildung zu vermeiden. Hierfür bieten sich nasolabiale Umkipplappen an, die kranial gestielt bleiben und um 180° in den Defekt umgekippt werden. Eine TeilDeepithelisierung kann dabei notwendig werden.
fache Weise zur Komplettierung des Bindehautsacks genutzt werden. Die Transplantate können aus dem Planum buccale unter Erhalt des Stenon-Ganges entnommen werden, bei Bedarf auch beidseitig. Breiten bis zu 2,5 cm sind in der Regel ohne Probleme primär verschließbar, Schäden des N. facialis sind äußerst selten.
65
3.4 • Rekonstruktion der Orbita bei Orbitatumoren
..Abb. 3.21 Orbitale Rehabilitation mit magnetgetragenen Epithesen. a Eingeheilte Implantate, Orbita rechts nach Defektdeckung mittels Stirnlappen. b Hergestellte Epithese von vorne. c In situ befindliche Epithese
a
b
c
Galea-Periost-Lappen Bei größeren Resektionen, in
denen auch ein bikoronarer Zugang durchgeführt wird (z. B. bei Kraniotomien mit Resektionen des Orbitadachs/der Schädelbasis), kann auch ein Galea-PeriostLappen gebildet und orbital eingeschlagen werden. Dieser gut durchblutete Lappen kann neben der Abdeckung auch als Ernährungsgrundlage für andere Rekonstruktionstechniken dienen. Skalp-Rotationslappen Im Rahmen von erweiterten
Resektionen der Stirnhaut kann ein Radialis-Lappen u. U. nicht ausreichend sein, um den gesamten Effekt abzudecken. In diesen Fällen kann ein lateral gestielter Skalp-Rotationslappen den Defekt ausreichend verkleinern. Der kranial am Haaransatz entstehende Defekt kann daraufhin mit einer Spalthaut abgedeckt werden, ist aber durch die kraniale Lokalisation unauffälliger und durch die Haare deutlich besser kaschierbar, sodass diese Technik Vorteile aus ästhetischer Sicht bietet. Osteosynthese-Verfahren Zur Rekonstruktion orbitaler
Pfeiler, orbitaler Wände oder von knöchernen Strukturen im Mittelgesicht können auch osteosynthetische Verfahren (Platten, Mesh) eingesetzt werden. Osteosynthesematerial sollte allerdings weichgewebig bedeckt sein. 3.4.1.6
Orbitale Rehabilitation
Die orbitale Rehabilitation schließt sich der Rekonstruktion an. Die Indikation zur Rehabilitation ist ausnahmslos gegeben, jedoch wünschen erstaunlicherweise 30–50 % der Patienten keine weiteren Maßnahmen (Hanasono et al. 2009). Dieses Kollektiv entscheidet
sich für das Tragen einer Augenklappe oder verzichtet ganz auf eine Abdeckung. Weitere Möglichkeiten bestehen in der Anfertigung einer Klebeepithese, Brillenepithese (. Abb. 3.20) oder implantatgetragenen Epithese (. Abb. 3.21). Diese bieten dem Patienten ein hohes Maß an Komfort und Ästhetik und vermeiden eine Stigmatisierung. Voraussetzung für das Tragen einer Epithese ist eine nichtausgefüllte konkave Orbita (open cavity). Nach Abheilung der rekonstruktiven Maßnahmen erfolgt bei der implantatgetragenen Epithese zunächst die Inserierung von periorbitalen Implantaten (. Abb. 3.21a). Diese können prinzipiell zirkulär gesetzt werden, jedoch ist aufgrund des besseren Knochenangebotes die Inserierung von (3–)4 Implantaten kraniolateral, lateral und kaudolateral zu empfehlen und ausreichend. Titanimplantate mit einer Länge von 4 mm haben sich bewährt. In der Regel erfolgt ein zweizeitiges Vorgehen, sodass die Implantate nach Einheilung freigelegt und mit Heilungs-Abutments versorgt werden. Diese können nach 2 Wochen durch Magnet-Abutments ersetzt werden, wobei diese je nach Weichteilsituation eine Länge von 3,5–10 mm haben. Anschließend kann durch einen Epithetiker eine implantatgetragene Epithese mit magnetischer Retention hergestellt werden (. Abb. 3.21). Diese bietet höchste Ästhetik, Komfort, Passgenauigkeit und Halt bei maximaler Patientenzufriedenheit (. Abb. 3.21c). >>Die Versorgung mit Kunstaugen bei liderhaltenden
Exenterationen und mit implantatgetragenen Epithesen bei nichtliderhaltenden Exenterationen stellen den Goldstandard in der orbitalen Rehabilitation dar.
3
Kapitel 3 • Orbita
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..Tab. 3.5 Vor- und Nachteile verschiedener Rehabilitationstechniken
3
Technik
Vorteile
Nachteile
Augenklappe
Keine weiteren rekonstruktiven Maßnahmen Reinigung
Ästhetik
Klebeepithese
Keine weiteren chirurgischen Maßnahmen Bessere Ästhetik als bei der Augenklappe
Schlechte Retention, insbesondere bei fettiger Haut oder Feuchtigkeit Hautreizung durch Adhäsiv Komfort Passgenauigkeit
Brillenepithese
Keine weiteren chirurgischen Maßnahmen Komfort Bessere Retention als bei der Klebeepithese Reinigung
Schlechtere Retention als bei implantatgetragenen Epithesen Nur mit Brillengestell einsetzbar Passgenauigkeit Gewicht
Implantatgetragene Epithese
Ästhetik Komfort Passgenauigkeit Retention
Chirurgischer Aufwand Kosten Aufwändigere Pflege/Reinigung Implantate im Strahlenfeld
Aufgrund von Materialverschleiß, Farbveränderungen und einem möglichen Verlust der Augenbrauen sollten die Epithesen etwa alle 2 Jahre ausgetauscht werden. Daneben ist eine regelmäßige professionelle Reinigung und Nachsorge der Implantate dringend zu empfehlen. Zusammenfassend können durch die Schaffung einer vorherigen suffizienten Weichteilrekonstruktion und einer regelmäßigen Nachsorge auch bei bestrahlten Patienten 5-Jahres-Implantat-Überlebensraten von 85–95 % erreicht werden (Guedes Junior et al. 2015; Visser et al. 2008). Eine Übersicht der Vor- und Nachteile der zur Verfügung stehenden Rehabilitationstechniken gibt . Tab. 3.5. 3.5
Benigne intraorbitale Raumforderungen
Benigne größenprogrediente oder funktionell relevante Raumforderungen der Orbita sollten operativ entfernt werden. Aufgrund der meist retrobulbären Lokalisation, der Größe und der engen räumlichen Beziehung bedeutsamer Strukturen besteht allerdings ein erhebliches Komplikationsrisiko bei operativen Eingriffen (. Abb. 3.22). >>Es sollte ein übersichtliches Operationsfeld geschaffen
werden, um das Komplikationsrisiko zu senken und eine unnötige Kompression orbitaler Strukturen zu vermeiden.
Dies kann trotz des chirurgischen Aufwandes am besten über einen koronaren Zugang mit temporärer, erweiterter frontolateraler Orbitotomie erfolgen (. Abb. 3.22d). Der Orbitainhalt kann dann nach lateral mobilisiert werden. Anschließend lassen sich Tumoren in allen Quadranten
und auch im hinteren Orbitadrittel intra- und extrakonal schonend entfernen (. Abb. 3.22e), wodurch sich eine 1 : 1-Wiederherstellung des Volumens unter Vermeidung eines Enophthalmus erreichen lässt (. Abb. 3.22f–h). Dieses Vorgehen bietet eine hervorragende Übersicht, sodass Komplikationen reduziert werden können, auch wenn diese niemals ausgeschlossen sind. Ein bikoronarer Zugang mit temporärer frontolateraler Orbitotomie bietet eine exzellente Übersicht mit Reduktion von Komplikationen bei retrobulbären Tumoren. Zur Rekonstruktion der Orbita und zur Nachsorge sind Mikro-Osteotomien essenziell. Durch die MikroOsteotomie und den Facettenschnitt kann eine hohe Primärstabilität des orbitalen Knochenrings mit minimalem Materialaufwand (Mikroschrauben-Osteosynthese) erreicht werden. Dadurch entfallen zudem relevante Störungen der postoperativen CT- und MRT-Bildgebung.
-
Zusammenfassung Gewebedefekte der Orbita resultieren aus posttraumatischen, postchirurgischen oder kongenitalen Erkrankungen. Daraus ergeben sich unterschiedlichste Krankheitsbilder mit hochgradig individuellen Ausgangssituationen, sodass in der Regel multimodale und patientenadaptierte Konzepte im Rahmen der Rekonstruktion notwendig sind. Im Rahmen der Rekonstruktion nach Verletzungen steht die Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik im Vordergrund; es können über verschiedenste operative Zugangswege diverse Transplantate sowie eine Vielzahl an alloplastischen Biomaterialien genutzt werden. Vorrangig bei Tumorerkrankungen sind v. a. die Tumorfreiheit, der Erhalt der maximalen Lebens-
-
-
67
3.5 • Benigne intraorbitale Raumforderungen
a
c
b
d
e
f ..Abb. 3.22 Funktionelle Rekonstruktion durch Entfernung eines orbitalen Hämangioms links über frontolaterale Orbitotomie. a Klinische Ausgangssituation mit Bulbusdystopie links und Exopthalmus. b Klinische Ausgangssituation mit eingeschränkter Motilität bei Aufblick. c MRT (sagittal): ausgedehnte retrobulbäre, intrakonale Raumforderung links mit Eindellung des Bulbus obuli. d Frontolaterale Orbitotomie (1) links über koronaren Zugang nach Auslösung des
M. temporalis (2). e Darstellung des Tumors (*) der Orbita links nach temporärer Entnahme des Orbitarings und Inzision der Periorbita. f MRT (axial): postoperative Verlaufskontrolle nach totaler Entfernung des Tumors. g Klinische Situation 2 Jahre postoperativ mit Normalisierung der Bulbusstellung und symmetrischen Verhältnissen. h Klinische Situation 2 Jahre postoperativ mit regelrechter Motilität bei Aufblick
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Kapitel 3 • Orbita
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3
g
h
..Abb. 3.22 (Fortsetzung)
qualität und die Wiedereingliederung des Patienten in die Gesellschaft. Die orbitale Rekonstruktion bei malignen Orbitatumoren beinhaltet v. a. einen Gewebeersatz durch die vorausgegangene radikale Resektion. Bei gutartigen Tumoren steht hingegen v. a. die funktionelle Rekonstruktion durch die Tumorentfernung im Mittelpunkt. Im Rahmen der orbitalen Rekonstruktion nach Exenteration können neben der sekundären Granulation und chirurgischen Adaptation der Augenlider auch Spalthauttransplantate, lokale Lappenplastiken und mikrochirurgisch anastomosierte Transplantate eingesetzt werden. Die anschließende Versorgung mit Kunstaugen bei liderhaltenden Exenterationen und mit implantatgetragenen Epithesen bei nichtliderhaltenden Exenterationen stellt den Goldstandard in der orbitalen Rehabilitation dar und bietet dem Patienten exzellente ästhetische Ergebnisse.
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3
71
Äußere Nase Joachim Quetz, Nicole Rotter, Mark O. Scheithauer
Inhaltsverzeichnis 4.1
Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten – 72
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5
Einleitung – 72 Anatomische Besonderheiten – 72 Lappenplastiken – 72 Nahlappen, regionale Lappen und deren Planung – 75 Rekonstruktionsbeispiele verschiedener ästhetischer Untereinheiten der Nase – 78
4.2
Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten – 93
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5
Einleitung – 93 Vor der Operation – 93 Operative Konzepte – 97 Operative Techniken – 102 Rekonstruktionsbeispiele bei großen und totalen Defekten der Nase – 120 Umgang mit Komplikationen – 136
4.2.6
Literatur – 141
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_4
4
Kapitel 4 • Äußere Nase
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4.1
Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
Nicole Rotter, Marc O. Scheithauer
4.1.1 Einleitung
4
Die Haut, die Kutis und die Subkutis der Nase haben einerseits eine Schutzfunktion, andererseits spielt die Volumenverteilung für die Ästhetik eine relevante Rolle. Störungen betreffen in erster Linie die Schutzfunktion bei Narben und Defekten. Liegen diese im delikaten Bereich der Naseneingänge, können Stenosen die Nasenlöcher einengen und verziehen. Daraus resultieren häufig kombinierte funktionelle und ästhetische Defizite. Die Prinzipien der operativen Korrektur sind daher: minimale Narbenbildung durch Beachtung der speziellen Schnittlinien im Gesicht (sog. relaxed skin tension lines, kurz RST-Linien), Bevorzugung lokaler Hautlappen zur Defektdeckung, die Berücksichtigung der ästhetischen Untereinheiten der Nase.
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4.1.2
Anatomische Besonderheiten
4.1.2.1 RST-Linien
Die RST-Linien sind Faltenlinien, die bei kompletter Entspannung der Haut entstehen. Sie sind weitgehend mit den natürlichen, altersbedingten Hautfalten identisch (Borges und Alexander 1962). Nur im Bereich der lateralen Lidwinkel kann es zu Abweichungen kommen. Faltenlinien entstehen durch Kontraktionen der mimischen Muskulatur, die mit den Korium der Haut verbunden ist. So entstehen über die Lebensjahre typische Faltenmuster im Gesicht. Diese Falten liegen in der Regel senkrecht zum Verlauf der Muskelfasern. Beispiele hierfür sind die quer verlaufenden Stirnfalten (M. frontalis), die vertikalen Glabella-Falten (M. procerus), die sog. „Krähenfüße“ periorbital (M. orbicularis oculi) und die radiären Lippenfalten (M. orbicularis oris). Die nasolabiale Falte entsteht durch direkte Einstrahlung der Muskulatur des Nasenabhangs (M. levator labii superioris alaeque nasi) in den zirkulär verlaufenden M. orbicularis oris. Faltenlinien im Gesicht des älteren Patienten oder RST-Linien bei jüngeren Patienten sind Vorgaben für Inzisionen oder Exzisionen der Gesichtshaut. Die verbleibenden Narben sind nur wenig auffällig, da sie in der existierenden Hautfalte „versteckt“ liegen. Außerdem klaffen die Wundränder am wenigsten auf, sodass
der Wundverschluss die geringste Spannung verursacht (Scheithauer und Rettinger 2005). 4.1.2.2
Ästhetische Untereinheiten
Im Gesichtsbereich stellen ästhetische Einheiten Areale dar, die durch die natürliche Formgebung definiert werden. Die natürliche Form des Gesichts wiederum wird durch die darunterliegenden Knochen ausgebildet. Ein Dogma der plastisch-rekonstruktiven Gesichtschirurgie ist die Wiederherstellung einer gesamten ästhetischen Einheit. >>Im Idealfall sollte eine ästhetische Einheit als Fläche
rekonstruiert werden, ohne durch Narbenlinien unterbrochen zu werden. Bei Defekten, die sich über mehrere ästhetische Einheiten ausdehnen, sollte jede Einheit einzeln rekonstruiert werden.
Naturgemäß sind diese Vorgaben nicht immer einzuhalten und abhängig von der Defektlage, der Größe und der Umgebung. Der komplexe Aufbau des knöchernen und knorpeligen Stützskeletts der Nase spiegelt sich in der speziellen Situation der ästhetischen Untereinheiten wider. Während die Oberflächen der Nasenspitze, der Flügelknorpel, des Nasenrückens und der Columella konvex ausgebildet sind, finden sich am Nasenabhang und am weichen Dreieck konkave Flächen. Genau diese Kuppen und Mulden charakterisieren die ästhetischen Untereinheiten, die bei entsprechender Lichteinstrahlung Reflexionen und Schatten in den Transitionszonen erzeugen (Burget und Menick 1985). Neben der individuellen Ästhetik der Nase ist die einwandfreie Funktion für die Lebensqualität entscheidend. Dem knorpeligen Stützgerüst (kaudales Septum, septodorsaler Komplex, Flügelknorpel) kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da es für ausreichend weite Spalträume der vorderen Nasenabschnitte verantwortlich ist. >>Das Prinzip der ästhetischen Einheiten gilt nicht nur für
die Empfängerregion, sondern auch für die Spenderregion. Auch hier sollte, wann immer möglich, eine ungestörte ästhetische Einheit zurückbleiben.
4.1.3 Lappenplastiken
Neben lokalen Besonderheiten (Elastizität der Haut, Narben durch Voroperationen oder Z. n. Radiatio) müssen die Wünsche und Erwartungen des Patienten in die individuelle Planung der Defektrekonstruktion einbezogen werden. Es besteht Klarheit, dass lokale oder regionale Lappenplastiken im Gesichtsbereich die günstigsten Resultate im Hinblick auf Funktion und Ästhetik dar-
73
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
stellen. Dies begründet sich im gleichartigen Farbton, der gleichartigen Dicke des Unterhautgewebes sowie im gleichartigen Faltenrelief. Daher werden Nahlappen im Regelfall bei der Rekonstruktion bevorzugt. Ein optimal geplanter Nahlappen mit gut durchbluteter Basis heilt rasch, ist gegenüber Infektionen höchst resistent, zeigt kaum Kontraktionen und kann meistens einzeitig in den Defekt transportiert und eingenäht werden. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass zahlreiche Nahlappenplastiken in Lokalanästhesie operiert werden können. 4.1.3.1
Behandlung von Funktion und Ästhetik
Die Wiederherstellung von Funktion und Ästhetik an der Nase ist im Bereich des Naseneingangs evident. Stenosierte und narbig verzogene Naseneingänge sind ein optisches Stigma und verursachen eine Behinderung der Nasenatmung. Die Nasenbasis besteht aus fünf ästhetischen Untereinheiten: der Columella, dem beidseitigen freien Nasenflügelrand sowie den beiden Anteilen der Oberlippe.
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Sowohl diese komplexe Zusammensetzung verschiedener Untereinheiten als auch die physiologischerweise querovale Geometrie der Nasenlöcher stellt höchste Anforderungen an deren Rekonstruktion; dies umso mehr, wenn ein mehrschichtiger Defekt vorhanden ist. In diesem Fall müssen exakt die fehlenden Schichten durch morphologisch adäquates autologes Gewebe ersetzt werden. Zusätzlich spielt hier auch die Dicke der Haut für die Formgebung eine Rolle, v. a. dort, wo subkutanes Fettgewebe fehlt und die Haut unmittelbar mit dem darunterliegenden knorpeligen Stützelement formgebend ist (Columella und Nasenflügel). >>Die Verwendung von zu dicker Haut bei der Rekon-
struktion von Columella und Nasenflügel wird zu Form- und Funktionsstörungen führen.
Die Weichteilbedeckung sowohl des mittleren Nasenrückendrittels als auch der knöchernen Pyramide stellen hingegen selten Probleme bei der Wiederherstellung dar. 4.1.3.2 Alternativen für Nahlappenplastiken 4.1.3.2.1 Sekundäre Wundheilung
Es gibt Situationen, in denen Nahlappen nicht für einen Defektverschluss herangezogen werden müssen. So kann in Ausnahmefällen bei kleinflächigen Wunden die Sekundärheilung abgewartet werden. Pathophysiologisch versteht man unter sekundärer Wundheilung die Kom-
bination aus Narbenkontraktur und Reepithelisierung. Aus diesem Grund eignen sich auch nur konkave anatomische Regionen der Nase: der laterale Nasenabhang/mediale Lidwinkel, der laterale Flügelknorpel, die nasolabiale Falte (Zitelli 1984; Hoffmann et al. 2012).
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Die Vorteile dieser Methode liegen in der Simplizität und in den geringen Kosten. Zudem können Tumorrezidive früher erkannt werden, als wenn sie unter aufwändigen Rekonstruktionen lange unerkannt wachsen können. Nachteilig wirkt sich aus, dass Wunden von bis zu 2,0 cm Größe durchschnittlich 4–6 Wochen bis zum kompletten epithelialen Verschluss benötigen. 4.1.3.2.2 Transplantation freier Hautlappen
Freie Hauttransplantate werden anhand ihrer Dicke unterteilt in Spalthaut (0,2–0,5 mm) und Vollhaut (0,5– 1,0 mm). Vollhaut besteht makroskopisch aus dem Verbund von Epidermis und Dermis, das subkutane Fettgewebe fehlt. Obwohl die Einheilungstendenz im Gesichtsbereich auf einem gut durchbluteten Wundgrund aus Granulationsgewebe optimal ist, limitiert aber die ausgeprägte Schrumpfungstendenz den routinemäßigen Einsatz der freien Hauttransplantate. Dies gilt in erster Linie für Spalthaut, die im Bereich der Nase deshalb nicht verwendet werden sollte. In Ausnahmefällen würde also die Wahl auf Vollhaut fallen. Geeignete Spenderareale finden sich retroaurikulär und supraklavikulär, seltener auch in der Inguinalregion. Da die ästhetischen Resultate nur mäßig ausfallen, sind Vollhauttransplantate nur bei Patienten denkbar, die keine komplexen oder mehrzeitigen Rekonstruktionsverfahren wünschen. Die Entnahme eines Vollhauttransplantats ist der Defektgröße anzupassen. Es ist bei der Hebung darauf zu achten, dass das gesamte Fettgewebe entfernt wird, da sonst die Einheilung störend beeinflusst wird. Da sich der Entnahmedefekt nicht spontan reepithelisiert, muss ein primärer Wundverschluss durchgeführt werden. Alternativ bietet sich eine Nahlappenplastik oder die Abdeckung mit einem Spalthauttransplantat an. Die Spalthautentnahme sollte aufgrund der geringen Dicke mit einem Dermatom erfolgen. Es ist darauf zu achten, dass das Transplantat aufgrund der zu erwartenden Schrumpfung etwa 2–3 mm größer geplant wird. Die Versorgung der Entnahmestelle kann am besten durch wasserundurchlässige, aber gasdurchlässige, selbstklebende Folien (OP-Site, Smith & Nephew Ltd., England) erfolgen. Nach etwa 3 Tagen hat sich darunter ein Schorf gebildet, der die Wunde abdichtet. Ab diesem Zeitpunkt kann zur „offenen Wundbehandlung“ übergegangen werden.
4
74
Kapitel 4 • Äußere Nase
>>Es ist zu beachten, dass freie Transplantate in den ersten
Tagen nur durch Diffusion ernährt werden. Deshalb müssen diese etwa 7–10 Tage durch einen moderaten Druckverband stabil auf den Wundgrund gedrückt werden.
4.1.3.2.3 Haut‑/Knorpeltransplantate
4
(composite grafts)
>>Immer wenn an der Nase ein dreischichtiger Defekt ent-
steht, muss dieser auch dreischichtig versorgt werden.
Hält sich der Chirurg nicht an dieses Dogma, droht die narbige Verziehung der ästhetischen Untereinheit. Außerdem droht der Untergang des Nahlappens durch die perfusionsbedingte Minderversorgung der fehlenden Unterfläche. Das Haut‑/Knorpeltransplantat aus dem Cavum der Ohrmuschel ist geeignet, die fehlenden morphologischen Schichten, meist im Naseneingangsbereich gelegen, zu ersetzen und simultan auch die konvexe Form zu gestalten. Ein weiterer Vorteil ist die Stabilität des Transplantats, bedingt durch den Knorpel. Die Ernährung findet über die Transplantatränder statt, da eine Neoangiogenese vom Wundgrund durch den dazwischenliegenden Knorpelanteil nicht möglich ist. Entsprechend ist die Größe des composite grafts auf 1,5 bis maximal 2,0 cm limitiert. Da die Haut des composite grafts etwas schrumpft, sollte sie immer größer als der Defekt und somit auch größer als der entnommene Knorpel geschnitten werden. >>Die Einheilungschancen sinken rapide, wenn der Pa-
tient Raucher und/oder Diabetiker ist oder wenn eine perkutane Strahlentherapie stattgefunden hat. Diese Punkte müssen in der präoperativen Planung unbedingt berücksichtigt werden und ggf. einen alternativen chirurgischen Therapieplan favorisieren.
Zur Rekonstruktion der Hautoberfläche sind composite grafts, v. a. aus ästhetischen Gründen, nicht empfehlenswert (Scheithauer et al. 2013). 4.1.3.3
Spezifische Blutversorgung der verwendeten Lappen
Die lokale oder regionale Lappenplastik ist im Bereich der Nase am besten geeignet, Defekte im Hinblick auf Funktion und Ästhetik zu versorgen. Sie setzt allerdings eine genaue Planung, die Kenntnis der chirurgischen Anatomie und der verschiedensten chirurgischen Möglichkeiten voraus. Die Ernährung der verlagerten Haut erfolgt über den Lappenstiel. Hier existieren zwei unterschiedliche Varianten der Durchblutung: die axiale Blutversorgung, die willkürliche („randomisierte“) Blutversorgung.
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4.1.3.3.1 Axiale Blutversorgung
Als Synonym dafür dienen die Begriffe axial versorgter Lappen und Arterienlappen (axial pattern flap). Gemeint ist damit die Versorgung eines Lappens über eine definierte Arterie. Als Beispiele lassen sich anführen: der kaudal gestielte nasolabiale Lappen (Ast der A. facialis), der paramediane Stirnlappen (A. supratrochlearis), die Esser-Wangenrotation (A. facialis).
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Der Vorteil dieser ausgezeichneten Perfusion lässt sich in der Lappengeometrie erkennen. In diesen Fällen kann das Verhältnis Lappenlänge zu Lappenbreite von 3 : 1 oder sogar 4 : 1 gewählt werden. Damit verbessert sich der Aktionsradius des gesamten Lappens erheblich. >>Wichtig ist die Hebung des Lappenstiels zusammen
mit der subkutanen Faszie, um die definierte Arterie zu schützen.
In unkomplizierten Fällen darf der Rand des Lappens kurz vor dem Einnähen auch „ausgedünnt“ werden. Dies geschieht durch Resektion des subkutanen Fettgewebes. Somit kann gleich im ersten Schritt ein harmonischer Übergang vom Lappen auf die Umgebung geschaffen werden. 4.1.3.3.2 Willkürliche („randomisierte“)
Blutversorgung
Die willkürlich durchblutenden Hautlappen (random pattern flaps) werden aus dem ubiquitär vorkommenden subdermalen Plexus über subkutan gelegene Arterien perfundiert. Da diese statistisch zufällig verteilt sind, bedingt dies eine im Gegensatz zum Arterienlappen limitiertere Lappengeometrie. Nur aufgrund der im Gesichtsbereich vorliegenden sehr guten Durchblutung lassen sich die Lappen im Verhältnis 2 : 1 bis maximal 3 : 1 (Länge:Breite) planen, heben und einnähen. Stets müssen dabei aber individuelle Gegebenheiten (Alter, Rauchen, vorbestehende Narben) berücksichtigt werden. Manchmal kann die sog. Präkonditionierung oder Autonomisierung eines Lappens das spätere Einheilen verbessern und die Chancen für das Überleben des Lappens erhöhen. Zu diesem Zweck wird eine der Lappenverlagerung zeitlich vorangehende Umschneidung des Hautlappens durchgeführt. In dieser Phase wird der Lappen teilweise oder vollständig von der Unterfläche abgehoben und anschließend sofort wieder in sein Entnahmebett eingenäht. Die Zeitspanne, die für den Autonomisierungsprozess i. Allg. zu veranschlagen ist, beträgt 8–12 Tage und ist auch von den lokalen Faktoren (vorangegangene Strahlentherapie) abhängig. Die Optimierung der Wundheilung durch Präkonditionierung wird durch zwei Faktoren erklärt: Dilatation der Blutgefäße in Richtung Lappengrenze, Bildung arteriovenöser Shunt-Gefäße durch Regulation des autonomen Nervensystems (Milton 1969).
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75
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
Sollte sich die Vitalität des Lappens nach dessen Hebung entlang einer Zeitachse von rosa nach dunkelblau (venöse Stase) oder von rosa nach weiß (arterielle Minderperfusion) verändern, wird die unmittelbare Rückführung des Lappen in die Spenderzone empfohlen. Eine komplette Nekrose kann so häufig verhindert werden. Etwa 3 Wochen später kann ein erneuter Transpositionsversuch unternommen werden. 4.1.4
Nahlappen, regionale Lappen und deren Planung
Zur Rekonstruktion nasaler Defekte sind, je nach ästhetischer Untereinheit, die verschiedensten Nahlappenplastiken in der internationalen Literatur vorgestellt worden. Das Präfix „nah“ bezieht sich dabei auf Lappen, die aus der unmittelbaren Defektumgebung stammen. Regionale Lappen haben einen Lappenstiel und können auch aus einer entfernteren ästhetischen Einheit an den Defektort transportiert werden.
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Das Gespräch mit dem Patienten steht am Anfang der Planung und gibt dem Arzt die Gelegenheit, über Möglichkeiten und Grenzen der Rekonstruktion zu sprechen. Gleichzeitig erfährt er, wie die Erwartungshaltung seines Patienten ist. Die genaue Inspektion des Defekts und der Umgebung sowie die Palpation der Haut schließen sich an. Bereits zu diesem Zeitpunkt können mit einem Lineal entscheidende Messungen (z. B. Höhe der Stirn, Länge eines möglichen Kipplappens, Höhe des Cavum conchae bei Verwendung eines composite grafts etc.) vorgenommen werden. Dies sollte immer am sitzenden Patienten durchgeführt werden, um den Verlauf von typischen Faltenlinien zu erkennen (Nasolabialfalte, Stirnfalten) und ggf. auch einzuzeichnen. Die individuelle Lappengeometrie wird am einfachsten mit einer zurechtgeschnittenen Kompresse simuliert. Diese Sequenz ist die wohl wichtigste im gesamten Planungsprozess. Der gedachte Lappen wird anhand der Kompresse in Länge und Breite geformt und im Gesicht oder an der Nase aufgelegt und um einen Drehpunkt in den Defekt bewegt. Auf diese Weise lässt sich frühzeitig erkennen, welcher Lappen am ehesten für die Rekonstruktion infrage kommt, aber auch welcher Lappen auf keinen Fall verwendet werden kann. Der erfahrene plastisch-rekonstruktiv tätige Gesichtschirurg wird im Rahmen dieser präoperativen Planung intuitiv den am besten geeigneten Lappen auswählen. Zusätzlich wird er aber auch eine entsprechende chirurgische Alternative wählen, die er im Ernstfall, d. h. bei Versagen des ursprünglichen Plans, einsetzen kann.
..Abb. 4.1 Verschiebelappen. (Mod. nach Theissing et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung)
Nach Art der Hautverschiebung werden folgende Lappenarten unterschieden:
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Einteilung von Nahlappen und regionalen Lappen Verschiebelappen (7 Abschn. 4.1.4.1) Transpositionslappen (7 Abschn. 4.1.4.2) Rotationslappen (7 Abschn. 4.1.4.3) Zweizipfliger Lappen (bilobed flap; 7 Abschn. 4.1.4.4) Insellappen (7 Abschn. 4.1.4.5) Kipplappen (7 Abschn. 4.1.4.6)
4.1.4.1 Verschiebelappen
Bei einem Verschiebelappen (. Abb. 4.1) gelingt die lineare Hautbewegung in den Defekt durch eine großzügige Unterminierung (allseits etwa 1,0 cm) der angrenzenden Haut. So können dreieckige, elliptische oder viereckige Wunden verschlossen werden. >>Es muss beachtet werden, dass das Verhältnis Defekt-
länge:Lappenlänge etwa 1 : 2 beträgt. Das Verhältnis Lappenbasis:Lappenbreite sollte nicht größer als 1 : 2 sein.
Die Unterminierung hat jedoch zur Folge, dass auch die angrenzende Haut angezogen wird. Daraus resultieren an der Basis des Hautlappens zwei Stauchungszonen, die auch als „Hundeohr“ (dog ear) bezeichnet werden. Die ästhetisch auffälligen „Hundeohren“ lassen sich durch Exzision von 2 „Burow-Dreiecken“ vermeiden (Burow 1855). Eine besondere Art der Hautverschiebung ist die V-YPlastik, die 1845 zuerst von Dieffenbach beschrieben wurde (Dieffenbach 1848). Dabei wird z. B. eine Narbe
4
76
Kapitel 4 • Äußere Nase
4
..Abb. 4.2 Transpositionslappen. (Mod. nach Theissing et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung)
elliptisch exzidiert, die Schnittführung endet in einer V-förmigen Hilfsinzision. Nach Unterminierung der Haut wird am unteren Ende der Wunde durch ein Einzinkerhäkchen eine Streckung der V-förmigen Inzision in Längsrichtung erzeugt. Die nun Y-förmige Wunde wird primär verschlossen und verlängert sich dadurch. Beispiel Die lineare Hautverschiebung wird häufig bei
klaffenden Wundrändern durch Unterminierung der angrenzenden Haut angewendet. 4.1.4.2 Transpositionslappen
Das Erkennungsmerkmal eines Transpositionslappens (. Abb. 4.2) ist, dass er über eine Brücke gesunden Gewebes in den Defekt hineinbewegt wird. Dabei kann der Lappenstiel eine Rotation von 90° oder mehr durchführen. >>Es ist zu bedenken, dass dadurch der Lappen insgesamt
kürzer wird und es im Rahmen der Wundheilung zu unschönen Verziehungen am distalen Lappenende kommen kann. Im Rahmen der Planung muss diesem Punkt Rechnung getragen und der Lappen eher etwas zu lang umschnitten werden.
Ist der Lappen tatsächlich zu kurz gewählt worden, lässt sich mithilfe eines cut back (Verschmälerung der Lappenbasis) an der Lappenbasis eine limitierte Lappenverlängerung erzielen. Eine weitere Indikation für den cut back ist eine Zugspannung, die diagonal durch den Lappen verläuft und distal dieser Linie eine Ischämie begünstigt. Dadurch wird die Beweglichkeit der Rotation und der Transposition verbessert. Dabei darf aber die Lappenbasis nicht zu stark verschmälert werden, da dies wiederum die Perfusion reduziert. Es wird empfohlen, den Schnitt schrittweise zu verlängern, bis eine adäquate Mobilität des Lappens gegeben ist. Der Hebedefekt kann im Regelfall primär verschlossen werden. Dies geschieht
..Abb. 4.3 Rotationslappen. (Mod. nach Theissing et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung)
direkt nach Hebung des Hautlappens, damit dieser nicht unnötigen Zugspannungen ausgesetzt ist (Jackson 1985). Da jeder Transpositionslappen einen Stiel hat, muss dieser konsequenterweise nach 3–6 Wochen in einer weiteren Operation durchtrennt und der Lappen an dieser Stelle ausgedünnt werden. Transpositionslappen eignen sich im Besonderen für die Wiederherstellung der Hautoberfläche im Bereich der Nase. Beispiel Der paramediane Stirnlappen sowie der kranial
gestielte Nasolabiallappen sind klassische Transpositionslappen. 4.1.4.3 Rotationslappen
Der Rotationslappen (. Abb. 4.3) ist der am häufigsten verwendete Lappen im Gesichtsbereich. Er wurde durch Imre im Jahr 1928 erstmals publiziert. Im Bereich der Nase wird er v. a. als bilobed flap (7 Abschn. 4.1.4.4) eingesetzt (Imre 1928). Die Haut wird aus der unmittelbaren Nachbarregion bogenförmig in den Defekt hineinrotiert. Deshalb entspricht die Haut in Farbe und Textur exakt der Empfängerregion. Da es nicht zur Ausbildung eines Lappenstiels kommt, ist dieses Verfahren einzeitig. Bei geeigneter Schnittführung ist eine Rotation bis 180° möglich. Der Hebedefekt kann in der Regel durch eine ausreichende Hautmobilisation erzielt werden. Dabei wird es fast immer zur Bildung eines „Hundeohres“ kommen, welches durch die Resektion eines Burow-Dreiecks behandelt wird. Durch eine Verschmälerung der Lappenbasis (cut back) lässt sich das Rotationsausmaß in gewissen Grenzen noch steigern.
77
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
>>Im Hinblick auf die damit verbundene schlechtere
Durchblutung ist dieses Manöver aber nicht unkritisch.
An der Nase wird der oben beschriebene Rotationslappen als „zweizipfliger“ Lappen (bilobed flap) benutzt. Dies ist durch geringere Mobilität der Haut im Bereich der Nasenspitze und an den Nasenflügeln begründet. 4.1.4.4
Zweizipfliger Lappen (bilobed flap)
Dieser Lappen geht auf Esser zurück und wurde ursprünglich für die Versorgung von Defekten im Bereich der Nasenflügelregion eingesetzt (Esser 1918). Der bilobed flap besteht aus zwei Lappen, die eine gemeinsame Lappenbasis besitzen. Der erste Lappen wird als Rotationslappen konzipiert, während der zweite Lappen als Transpositionslappen geplant wird. Der Winkel zwischen beiden Lappen kann zwischen 45 und 180° gewählt werden. Je kleiner der Winkel ist, desto leichter gelingt die Rotation. Größere Winkel benötigen größere Lappenlängen und verursachen stärkere Hautstauchungen. Im Bereich der Nase kommt der bilobed flap dann zum Einsatz, wenn die Haut in der unmittelbaren Defektumgebung nur wenig mobil ist. Die Elastizität der Haut muss daher präoperativ manuell geprüft werden. Deshalb muss der Hebedefekt des Rotationslappens (= Primärdefekt) durch den Transpositionslappen versorgt werden. Der Sekundärdefekt (= Hebedefekt durch den Transpositionslappen) wird abschließend durch Mobilisation primär verschlossen. Der erste Lappen (= Rotationslappen) kann etwas kleiner als der zu verschließende Defekt umschnitten werden, während der zweite Lappen (= Transpositionslappen) wiederum etwas kleiner als der erste Lappen sein darf. Folgende ästhetische Untereinheiten bieten sich dafür an: 1. Nasenabhang, 2. Nasenspitze. 4.1.4.5 Insellappen
Ein Insellappen besteht entweder aus einer Hautinsel mit einem subkutanen Stiel (randomisierte Gefäßversorgung) oder aus einer Hautinsel mit einem definierten arteriellen Gefäßstiel (axiale Blutversorgung; 7 Abschn. 4.1.3.3). Nachdem die Defektgröße feststeht, kann die umschnittene Hautinsel entweder direkt in einen angrenzenden Defekt verschoben oder in einen entfernter liegenden Defekt unter einem Hauttunnel durchgezogen werden. >>Dabei muss der Rotationsbogen beachtet werden. Die-
ser beträgt bei einem subkutanen Stiel maximal 90°, bei einem arteriell definierten Stiel etwa 180°. Bei der Präparation des Tunnels muss dieser entsprechend breit sein, um die Perfusion des Lappens nicht zu kompromittieren.
..Abb. 4.4 Kipplappen. (Mod. nach Theissing et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung)
Im Bereich der Nase bieten sich einige Indikationen an: Defekte des lateralen Nasenflügels am Übergang zum Sulcus alaris oder am lateralen Nasenabhang. Da die Insellappen in diesen skizzierten Fällen aus benachbarten ästethischen Einheiten (Wange und Glabella) in die Defektzone gelangen, sind möglicherweise Hautkolorit und Textur nicht identisch. Die ersten Erfahrungen mit arteriell gestielten Insellappen aus der A. temporalis und der A. supratrochlearis wurden 1961 von Kernahan und Little-Wood publiziert (Kernahan und Little-Wood 1961). 4.1.4.6 Kipplappen
Der kutane Kipplappen (. Abb. 4.4) kann dann zum Einsatz kommen, wenn ein mehrschichtiger Defekt mit Verlust der Innenauskleidung versorgt werden muss. Millard erwähnte bereits 1966 die Notwendigkeit einer adäquaten Innenauskleidung um Ozaena-artige Beschwerden zu vermeiden (Millard 1966). Die Besonderheit dieses Nahlappens ist, dass die Bewegungsachse im Hautniveau liegt und der Rotationswinkel 180° beträgt. Die direkt an den Defekt grenzende Nasenhaut wird adaptiert, umschnitten und im Niveau der Subkutis präpariert. Wenn möglich, erfolgt die Verbindung zwischen der einwärts gekippten Haut mit der nasalen Schleimhaut durch resorbierbare Nähte. Der dadurch entstandene Hautdefekt muss im Regelfall durch einen angepassten Stirnlappen ersetzt werden (Burget und Menick 1989).
4
78
Kapitel 4 • Äußere Nase
4
..Abb. 4.5 Defekt der Glabella nach Resektion eines Plattenepithelkarzinoms
4.1.5 Rekonstruktionsbeispiele
verschiedener ästhetischer Untereinheiten der Nase
4.1.5.1 Glabella
Die Rekonstruktion der Glabella im Bereich der Nase kann typischerweise mit Gewebe aus der angrenzenden Stirn- und der kranialen Glabella-Region zwischen den Augenbrauen durchgeführt werden, da die Haut in diesem Bereich in der Regel sehr gut verschieblich ist. Dabei kann der Glabella-Lappen als Rotationslappen mit einer V-Y-Verschiebung geplant werden. In . Abb. 4.5 ist ein Glabella-Defekt eines 79-jährigeren Patienten nach der In-sano-Resektion eines Plattenepithelkarzinoms gezeigt. Der Lappen wird entsprechend der Defektgröße geplant und unmittelbar auf der Muskulatur gehoben. In . Abb. 4.6 erkennt man den bereits rotierten Glabella-Lappen und das entstandene dog ear vor der Resektion von Burow-Dreiecken, auf der rechten Seite den eingenähten Lappen nach der Resektion von Burow-Dreiecken. Der Hebedefekt kann problemlos verschlossen werden, und das postoperative Ergebnis nach 3 Monaten ist funktionell und ästhetisch zufriedenstellend (. Abb. 4.7). Falls gewünscht, kann hier im gleichen Schritt eine Z-Plastik geplant werden, um die Narbe im Bereich des Hebedefekts unauffälliger zu gestalten. Die gleichzeitige Anlage einer Z-Plastik ist jedoch komplizierter und birgt das Risiko stärkerer Verziehungen der Augenbrauen. Alternativ kann bei kleinen Defekten der Glabella ein subkutan gestielter Gleitlappen aus der Stirn verwendet werden. Liegt der Defekt weiter lateral, ist die Anlage
eines fingerförmigen Lappens aus der Glabella vorteilhaft, der noch etwas vielfältiger angelegt werden kann. Für größere Defekte der Glabella-Region, die auch den angrenzenden medialen Augenwinkel und die Lidhaut betreffen, können Modifikationen des GlabellaLappens oder ein modifizierter Stirnlappen verwendet werden, wie bei einem 75-jährigen Patienten nach Resektion eines sklerodermiformen Basalioms gezeigt (. Abb. 4.8, 4.9, 4.10). Mithilfe derartiger Modifikationen können auch sehr ausgedehnte Defekte, die neben der Glabella auch die Lider und den lateralen Nasenabhang betreffen, rekonstruiert werden. Der Teil des Defekts, der die Wange betrifft, sollte jedoch getrennt, z. B. mithilfe einer Wangenrotation nach Esser, gedeckt werden. So können die anatomischen Einheiten Nase und Wange getrennt voneinander rekonstruiert und die Grenzen der anatomischen Einheiten erhalten werden, was wesentlich zu einer unauffälligen Rekonstruktion beiträgt. 4.1.5.2 Nasenrücken
Die Rekonstruktion des Nasenrückens kann in Abhängigkeit von der Defektgröße, ebenso wie die Defekte der Glabella, sehr gut mit Gewebe aus der Glabella selbst und dem übrigen Stirnbereich gedeckt werden. Für kleinere Defekte eignet sich im gesamten Bereich des Nasenrückens in der Medianen sehr gut eine V-YVerschiebung aus der Glabella (Rieger-Lappen). In . Abb. 4.11 ist ein 69-jähriger Patient nach Resektion eines Basalioms gezeigt. Die intraoperative Planung und Hebung des Rieger-Lappens zeigt . Abb. 4.12, die postoperative Situation nach 8 Wochen findet sich in . Abb. 4.13.
79
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
a
b
..Abb. 4.6 Defektdeckung mittels Glabella-Lappen, vor der Resektion von Burow-Dreiecken (a), eingenähter Glabella-Lappen nach Resektion der Burow-Dreiecke (b)
..Abb. 4.8 Defekt der Glabella, der angrenzenden Nasenflanke, des Oberlides und der Wange ..Abb. 4.7 Eingeheilter Glabella-Lappen
Für größere Defekte im Bereich des gesamten Nasenrückens kommt je nach Defektgröße ein Kaskadenlappen nach Emmet infrage, oder ein Stirnlappen, wenn der Defekt noch ausgedehnter ist. >>Die Verwendung von Verschiebelappen aus der Wange
führt in der Regel zu einem Verstreichen des nasofazialen Übergangs, die Grenzen der anatomischen Einheiten des Gesichts sind durch dieses Vorgehen nicht mehr voneinander getrennt, weshalb diese Methoden nur in Ausnahmefällen, z. B. wenn bereits Narben und Gewebedefizite im Bereich der Nase durch Voroperationen vorliegen, zur Anwendung kommen sollte.
4.1.5.3 Nasenabhang
Der Nasenabhang kann im kranialen Anteil mithilfe des Glabella-Lappens rekonstruiert werden, weiter kaudal
..Abb. 4.9 Intraoperativer Situs nach Defektverschluss mittels modifiziertem Stirnlappen, composite graft und Wangenrotation nach Esser
4
80
Kapitel 4 • Äußere Nase
..Abb. 4.10 a, b Zustand nach Durchtrennung des Lappenstiels und Ausdünnung, 12 Wochen postoperativ
4
a
b
>>Dies resultiert in nicht zufriedenstellenden kosmeti-
schen Ergebnissen, die später möglicherweise nachkorrigiert werden müssen.
Die Lappenbasis sollte medial liegen, und es sollte die Haut aus der ästhetischen Einheit Nase für die Rekonstruktion verwendet werden. Dabei kann der bilobed flap in verschiedenen Variationen gehoben werden, häufig wird im Bereich der Nase der zweite Zipfel spitz zulaufend umschnitten werden, wobei die Winkel zwischen den Lappenzipfeln variiert werden können. Zu den Einzelheiten der Planung eines bilobed flap wird auf 7 Abschn. 4.1.5.5 (Nasenflügel) verwiesen. 4.1.5.4 Nasenspitze
..Abb. 4.11 Defekt des Nasenrückens nach Resektion eines Basalzellkarzinom: intraoperative Planung bei Eingriff in Lokalanästhesie
eignet sich, ähnlich wie im Bereich der Nasenflügel, der bilobed flap sehr gut für die Rekonstruktion. Dabei muss berücksichtigt werden, dass lateral gelegene Defekte nicht durch bilobed flaps aus der Wangenregion gedeckt werden sollten, da sonst auch in diesem Fall der nasoalare Sulcus verstreicht und die Trennung der ästhetischen Untereinheiten Nase und Wange verloren geht (s. auch oben, Nasenrücken).
Die Haut im Bereich der Nasenspitze ist einerseits wenig verschieblich, andererseits meist v. a. bei Männern relativ dick, weshalb sich auch mutmaßlich ideale freie Transplantate z. B. aus der Nasolabialfalte deutlich vom Gewebe des Defekts unterscheiden. Defekte der Nasenspitze können wie Defekte des Nasenrückens durch V-Y-Verschiebungen gedeckt werden, wenn diese Defekte nicht zu groß sind. Eine exzellente Alternative stellt der bilobed flap dar, der verlässlich und einfach zu planen ist, ohne dass es zu Verziehungen der Nase kommt. Der Nasolabiallappen kommt insbesondere bei Frauen als Alternative in Betracht. Aufgrund der Notwendigkeit der Stieldurchtrennung bevorzugen die Autoren jedoch, soweit möglich, den bilobed flap. Bei größeren und weiter in Richtung Nasenspitze gelegenen Defekten ist der paramediane Stirnlappen die Methode der Wahl (. Abb. 4.14, 4.15, 4.16). In diesem Beispiel ist eine Patientin nach Resektion eines Plattenepithelkarzinoms im Bereich der Nasenspitze gezeigt, die zu einem etwa 2,5 × 2,5 cm großen Defekt geführt
81
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
..Abb. 4.12 Hebung des Rieger-Lappens (a), eingenähter Lappen intraoperativ (b)
a
hat und somit für die Rekonstruktion mittels bilobed flap oder Nasolabiallappen zu groß war. Der paramediane Stirnlappen wurde gestielt in den Defekt eingearbeitet. In einem zweiten operativen Schritt nach etwa 3 Wochen wurde der Lappenstiel durchtrennt und eingearbeitet. Das Hebeareal im Bereich der Stirn wurde der Sekundärheilung überlassen, da diese im Bereich der Stirn häufig zu unauffälligeren Ergebnissen führt als die Deckung z. B. mit freier Haut des Lappenstiels. Voraussetzung für die Sekundärheilung ist jedoch ein intaktes Periost. Ein Stirnlappen ist exzellent zur Deckung von größeren Defekten im Bereich der Nase geeignet. Er ist einfach zu planen und sehr verlässlich. Da eine Narbe im Bereich der Stirn unvermeidlich ist, sollte, wenn die Größe des Defekts dies erlaubt, jedoch auf Alternativen zurückgegriffen werden. Von Park wurde 2002 die einzeitige Durchführung eines Stirnlappens beschrieben, die infrage kommt, wenn dem Patienten mehrere Eingriffe nicht zugemutet werden können oder sollen (Park 2002, 2013). Zu den Details der Planung wird auf 7 Abschn. 4.2 (totale Nasenrekonstruktion) verwiesen.
b
..Abb. 4.13 Eingeheilte V-Y-Verschiebung, postoperatives Ergebnis nach 8 Wochen
4
82
Kapitel 4 • Äußere Nase
..Abb. 4.14 Defekt der Nasenspitze nach Resektion eines Plattenepithelkarzinoms
4
..Abb. 4.15 Defektdeckung mittels paramedianem Stirnlappen, 2 Wochen postoperativ (a); Ansicht von der Seite (b)
a
..Abb. 4.16 Ergebnis 8 Wochen postoperativ, 5 Wochen nach Lappenstieldurchtrennung
b
83
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
..Abb. 4.18 Eingearbeiteter bilobed flap zur Rekonstruktion eines Nasenflügeldefekts ..Abb. 4.17 Defekt des Nasenflügels nach Resektion eines soliden Basalioms
a
b
..Abb. 4.19 Postoperatives Ergebnis nach 8 Wochen; a Ansicht von der Seite und b von unten
4.1.5.5 Nasenflügel
Für die Rekonstruktion eines Nasenflügels kann Gewebe häufig gut aus der ästhetischen Einheit Nase gewonnen werden, da die Haut über der Nasenflanke und dem Nasenrücken gut verschieblich ist, während die Haut des Nasenflügels nur wenig verschieblich ist. Hierfür kommt in erster Linie der bereits 1918 von Esser beschriebene zweizipflige Lappen, bilobed flap, in Betracht (. Abb. 4.17, 4.18, 4.19), der für Rekon-
struktionen der seitlichen Nase exzellent geeignet ist. Bei diesem Beispiel wurde bei einer 72-jährigen Patientin ein Defekt nach In-sano-Resektion eines Basalioms gedeckt. Gezeigt ist die intraoperative Planung und der intraoperativ eingearbeitete bilobed flap sowie das Ergebnis 8 Wochen postoperativ. Der bilobed flap kann in Abhängigkeit von der exakten Lage des Defekts in verschiedener Weise modifiziert werden. Je näher der Defekt an der Medianen liegt, desto größer müssen die Winkel zwischen den Lappenzipfeln
4
84
Kapitel 4 • Äußere Nase
..Abb. 4.20 Kleiner Defekt des Nasenflügels nach Resektion eines soliden Basalioms
4
a
b
..Abb. 4.21 Präparation und Einarbeitung eines subkutanen Gleitlappens
85
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
a
b
..Abb. 4.22 Postoperatives Ergebnis nach 8 Wochen; a Ansicht von der Seite und b von vorne
gewählt werden, um Distorsionen der Haut zu vermeiden. Grundsätzlich werden die beiden Zipfel des Lappens jeweils etwas kleiner als der ursprüngliche Defekt bzw. der zweite Zipfel etwas kleiner als der erste Zipfel geplant. Dies ermöglicht den direkten Verschluss des zweiten Lappenzipfels. >>Wichtig ist die weite Unterminierung der Lappenbasis,
die eine spannungsfreie Einarbeitung ermöglicht. Subkutane Nähte sind meist überflüssig.
Wenn der Defekt in unmittelbarer Nähe der Wange liegt und nicht zu groß ist, kann auch daran gedacht werden, Gewebe aus der Wange zu verwenden, z. B. im Sinne eines subkutanen Gleitlappens (. Abb. 4.20, 4.21, 4.22, 4.23, 4.24, 4.25). Bei dieser Rekonstruktion wird die nasale Anatomie und insbesondere der nasoalare Sulkus erhalten. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass das Ausmaß der Verschiebung limitiert ist und gut geplant werden muss. Beide gezeigten Defekte sind nach Resektion von Basaliomen entstanden, sie sind relativ klein und liegen in unmittelbarer Nachbarschaft der Wange, sodass in diesen Fällen der subkutane Gleitlappen eine ideale Möglichkeit zur Rekonstruktion darstellt. Für größere Defekte und insbesondere für Defekte des freien Nasenflügelrandes kommt der Nasolabiallappen in Betracht, der jedoch in einem zweiten operativen
Schnitt eingearbeitet und dessen Stiel durchtrennt werden muss. >>Ein einzeitig ausgeführter Nasolabiallappen führt
zum Verlust des nasolabialen Übergangs und zu sehr ungünstigen kosmetischen Ergebnissen. Der Nasolabiallappen sollte somit nur zweizeitig durchgeführt werden, dabei kann er kranial oder kaudal gestielt werden.
Bei Männern ist es nachteilig und im Rahmen der präoperativen Planung zu bedenken, dass die Haut des nasolabialen Areals behaart ist und diese Haare ggf. später z. B. mithilfe laserchirurgischer Verfahren dauerhaft entfernt werden müssen.
4
86
Kapitel 4 • Äußere Nase
4
..Abb. 4.24 Eingearbeiteter subkutaner Gleitlappen 2 Wochen postoperativ
..Abb. 4.23 Lateral gelegener Defekt des Nasenflügels nach Resektion eines soliden Basalioms bei Gorlin-Goltz-Syndrom
Der Nasolabiallappen kann auch als Kipplappen zur Rekonstruktion der Innenauskleidung verwendet werden. 4.1.5.6
Mehrschichtige Defekte
>>Für die Rekonstruktion mehrschichtiger Defekte ist es
zur Wiederherstellung einer adäquaten Funktion unabdingbar, alle resezierten Areale getrennt zu rekonstruieren.
..Abb. 4.25 Eingearbeiteter subkutaner Gleitlappen 8 Wochen postoperativ
Die Innenauskleidung kann in Abhängigkeit von der Defektlokalisation sowohl durch Verschiebeplastiken aus der Nasenschleimhaut wiederhergestellt werden als auch durch Kipplappen aus dem Bereich der Nasolabialfalte oder dem angrenzenden Defektbereich der Nase, wodurch der ursprüngliche Defekt vergrößert wird. Dies kann man sich jedoch zur Rekonstruktion ganzer ästhetischer Untereinheiten zunutze machen, die eine unauffälligere Rekonstruktion ermöglichen (Park 2000). Eine weitere Alternative für die Rekonstruktion der Innenauskleidung ist die Verwendung eines composite grafts der Ohrmuschel, das aus Knorpel und Haut zusammengesetzt ist. Mithilfe dieser freien Transplantate können dann sowohl die Innenauskleidung als auch der knorpelige Defekt der Flügel- oder Lateralknorpel rekonstruiert werden. Für die Rekonstruktion des Hebedefekts eines composite grafts empfiehlt sich ein retroaurikulärer Insellappen, der sehr sicher und mit exzellentem kosmetischen Ergebnis den Hebedefekt zu decken in der Lage ist. Diese Technik wird im folgenden Abschnitt „Hebedefekte von composite grafts aus dem
87
4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
..Abb. 4.26 Traumatischer Defekt des Nasenflügels
a
..Abb. 4.27 Rekonstruktion der Haut und Schleimhaut des Vestibulum nasi und des Flügelknorpels mittels composite graft
b
..Abb. 4.28 Planung und Einarbeitung des Nasolabiallappens
Cavum conchae – retroaurikulärer Insellappen“ beschrieben. Für die Rekonstruktion der Flügel- oder Lateralknorpel können auch freie Knorpeltransplantate aus dem Nasenseptum (s. unten, . Abb. 4.32) oder der Ohrmuschel verwendet werden. Diese kommen immer dann zum Einsatz, wenn die Innenauskleidung durch Kipplappen (s. unten, . Abb. 4.31) oder Schleimhaut-
lappen rekonstruiert wurde. Die Rekonstruktion der äußeren Haut erfolgt dann typischerweise, wie oben dargestellt, mithilfe eines Nasolabiallappens oder eines Stirnlappens. . Abb. 4.26 zeigt einen traumatischen Defekt des Nasenflügels. Die Replantatation des abgetrennten Nasenflügels hatte zur Nekrose des abgetrennten Areals geführt. Die dreischichtige Defektrekonstruktion
4
88
Kapitel 4 • Äußere Nase
4
..Abb. 4.29 Ergebnis nach Lappenstieldurchtrennung, 12 Wochen postoperativ
wurde mithilfe eines composite graft der Ohrmuschel (. Abb. 4.27) und einem kranial gestielten Nasolabiallappen durchgeführt (. Abb. 4.28). Das Ergebnis nach Lappenstieldurchtrennung zeigt . Abb. 4.29. >>Bei der Rekonstruktion mehrschichtiger Defekte
des Nasenflügels muss beachtet werden, dass die Rekonstruktion des Flügelknorpels weit bis zum freien Nasenflügelrand reichen muss, um eine Retraktion des Nasenflügels zu vermeiden. Diese Rekonstruktion entspricht somit nicht dem natürlichen lateralen Flügelknorpel, der nicht bis an den freien Nasenflügelrand reicht.
Ein weiteres Beispiel einer vergleichbaren Rekonstruktion wird in . Abb. 4.30, 4.31, 4.32 und 4.33 gezeigt. Bei diesem Patienten wurde auswärts ein Basaliom in sano reseziert, jedoch keine Rekonstruktion vorgenommen. Dies führte zu einem nichtakzeptablen ästhetischen und funktionellen Ergebnis. Es wurde deshalb zunächst das narbige Areal reseziert und dann die Innenauskleidung ..Abb. 4.30 Dreischichtiger Nasenflügeldefekt nach auswärtiger Basaliomresektion ohne Rekonstruktion
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4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
a
b
..Abb. 4.31 Rekonstruktion des Vestibulum nasi mittels Kipplappen vom Nasenflügel (a: Kipplappen umschnitten; b: Kipplappen in den Defekt eingeschwenkt)
Ύ
..Abb. 4.32 Rekonstruktion des lateralen Flügelknorpels mittels Septumknorpeltransplantat (*) und Planung des Nasolabiallappens ..Abb. 4.33 Ergebnis nach Lappenstieldurchtrennung, 4 Wochen postoperativ
4
90
Kapitel 4 • Äußere Nase
mithilfe eines Kipplappens wiederhergestellt, der Flügelknorpel wurde mit einem Septumknorpeltransplantat rekonstruiert und die Haut mithilfe eines Nasolabiallappens ersetzt. 4.1.5.7
4
Hebedefekte von composite grafts aus dem Cavum conchae – retroaurikulärer Insellappen
Da die Verwendung von composite grafts in der Rekonstruktion mehrschichtiger nasaler Defekte einen hohen Stellenwert hat und durchaus häufig notwendig wird (Scheithauer et al. 2013), wird das Vorgehen zum Defektverschluss nach Entnahme eines composite graft aus Knorpel und Haut aus der Ohr-Concha auch an dieser Stelle besprochen. Die durch die Entnahme von composite grafts der Ohr-Concha entstehenden zweischichtigen Defekte der Ohrmuschelvorderfläche (. Abb. 4.34) werden am besten durch einen retroaurikulär gestielten oder retraurikulären Insellappen gedeckt. Hierzu wird der zunächst zweischichtige Defekt durch die Durchtrennung der Haut der Ohrmuschelrückseite etwa in der Hälfte des Defekts dreischichtig gemacht (. Abb. 4.35). Diese Schnittkante stellt die spätere Vorderkante der Defektrekonstruktion dar. Von hier aus können Größe und Form des Lappens geplant werden. Dieser wird anschließend umschnitten, wobei streng darauf geachtet werden muss, dass eine Mobilisation lediglich in der Umgebung des Lappens (. Abb. 4.36) für den späteren Verschluss retroaurikulär erfolgen darf, deshalb erfolgt die Schnittführung auch senkrecht am umschnittenen Lappen und dessen Stiel auf das Periost des Mastoids.
a ..Abb. 4.35 Zunächst wird der Defekt etwa in der Hälfte durchtrennt
..Abb. 4.34 Defekt der Ohr-Concha nach Entnahme eines composite graft
>>Eine Mobilisation unter die retroaurikuläre Haut würde
die Blutversorgung kompromittieren und das Einheilen gefährden.
Der so umschnittene Lappen wird schließlich durch den Defekt ohne jegliche Torsion nach vorne durchgezogen (. Abb. 4.37) und kann mittels fortlaufender Naht eingenäht werden. Eine subkutane Naht ist hier nicht erforderlich, lediglich retroaurikulär erfolgt ein subkutaner Verschluss sowie die spannungsfreie Naht der retroaurikulären Haut nach Resektion von BurowDreiecken kranial und kaudal, soweit erforderlich. . Abb. 4.38 zeigt den Lokalbefund 8 Wochen postoperativ.
b
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4.1 • Rekonstruktion bei kleineren und mittleren Nasendefekten
a
b
..Abb. 4.36 Die Umgebung des Lappens wird nach der Planung der Lappengröße und -konfiguration (a) mobilisiert, der subkutan gelegene Stil jedoch nicht berührt (b)
a
b
c
d
..Abb. 4.37 Der Lappen wird angehoben (a) und in den Defekt nach vorne durchgezogen (b). Der Hebedefekt kann primär verschlossen werden (c). Mittels fortlaufender Naht eingenähter Insellappen (d)
4
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Kapitel 4 • Äußere Nase
4
..Abb. 4.38 Eingeheilter subkutaner Insellappen 8 Wochen postoperativ
4.1.5.8
..Abb. 4.39 Defekt nach Basaliomresektion, der Teile der ästhetischen Untereinheiten Nasenflanke, Nasenflügel und Nasenrücken umfasst
Das Prinzip der Defektvergrößerung
Seit Burget und Menick (1985) das Konzept der ästhetischen Untereinheiten beschrieben und Park (2000) die „aggressive Anwendung“ des Prinzips der ästhetischen Untereinheiten der Nase im Rahmen der Rekonstruktion größerer Defekte näher untersuchte, haben diese Prinzipien einen festen Stellenwert in der Planung der Rekonstruktion größerer Defekte der Nase. >>So kann durch die Vergrößerung eines Defekts auf die
gesamte ästhetische Untereinheit erreicht werden, dass die Narben an den Grenzen der ästhetischen Untereinheiten zu liegen kommen und somit wesentlich unauffälliger werden, als wenn dieses Prinzip nicht angewendet würde.
Ein Beispiel der Anwendung dieses Konzepts ist in . Abb. 4.39, 4.40 und 4.41 gezeigt. Der ursprüngliche Defekt nach Resektion eines Basalioms im Bereich des Nasenflügels und der lateralen Nasenwand (. Abb. 4.39) einschließlich der Resektion von Teilen des lateralen Flügelknorpels und des Dreiecksknorpels wurde so vergrößert, dass die anatomischen Untereinheiten des Nasenrückens und der Nasenflanken sowie ein Großteil des Nasenflügels in einem Stück rekonstruiert werden konnten (. Abb. 4.40). So können die Narben an den Grenzen der anatomischen Untereinheiten platziert werden, und somit lässt sich ein möglichst unauffälliges postoperatives Ergebnis erzielen (. Abb. 4.41).
..Abb. 4.40 Der initiale Defekt wurde auf den Nasenrücken, die Nasenflanke und den Nasenflügel vergrößert, der Flügelknorpel mittels Septumknorpel rekonstruiert und der Defekt mithilfe eines paramedianen Stirnlappens versorgt
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a
b
..Abb. 4.41 a, b Sehr unauffälliges kosmetisches Ergebnis 12 Monate nach Lappenstieldurchtrennung
4.2
Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
Joachim Quetz
4.2.1 Einleitung
Die Rekonstruktion einer Nase ist mit erheblichem chirurgischem Aufwand verbunden, sie setzt große chirurgische Erfahrung voraus und ist für Patienten eine kaum zu überschätzende Belastung. Auch für junge, gesunde und gut motivierte Patienten ist die komplette Neubildung einer Nase, mit bis zu 5 geplanten Eingriffen und der Dauer einzelner Operationen von bis zu 10 Stunden, eine große Anstrengung. Zudem gelingt es nicht immer, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Die Wahrscheinlichkeit operativer Revisionen ist entsprechend hoch. Bei alten Menschen, Patienten mit stark erhöhtem Narkoserisiko, aktiven Rauchern und Patienten mit mangelnder Compliance ist grundsätzlich eine epithetische Versorgung angezeigt. Patienten mit moderat erhöhtem Narkoserisiko, Zustand nach Bestrahlung der Defektregion sowie Patienten, die ihren Tabakkonsum erst kurz zuvor eingestellt haben, sollten mit Nachdruck über das erhöhte Risiko von Komplikationen aufgeklärt werden. In manchen dieser Fälle sollte eine chirurgische Wiederherstellung ohne Zögern abgelehnt werden. Wurde die Nase wegen einer Krebserkrankung abladiert, sollte vor der Rekonstruktion eine Beobachtungszeit von rund 2 Jahren eingehalten werden. Dies gilt in jedem Fall für Plattenepithelkarzinome, in vielen Fällen aber auch für ausgedehnte Basalzellkarzinome. Je nach Größe des Defekts ist diese Zeit mit einer Epithese zu überbrücken. Erst nach diesen 2 Jahren lassen sich
Lokalrezidive und Metastasierungen beim Plattenepithelkarzinom fast vollständig ausschließen. Eine frühere oder sogar primäre Wiederherstellung wäre mit der Gefahr eines sehr spät erkennbaren Lokalrezidivs unterhalb der aufwändigen Rekonstruktion belastet – eine doppelte Katastrophe, onkologisch wie chirurgisch. Bei vielen Patienten ist die Epithese von so guter Qualität, dass sie nicht als solche erkannt wird. Ein solches Maß an Unauffälligkeit ist kaum chirurgisch zu erreichen. Nicht wenige dieser Patienten entscheiden sich gegen eine Operation und für ein Leben mit der Epithese, nachdem sie umfassend und fair aufgeklärt wurden. 4.2.2
Vor der Operation
4.2.2.1 Patientenaufklärung
Vor seiner endgültigen Einwilligung zur Rekonstruktion muss ein Patient in die Lage versetzt werden, diese Entscheidung überhaupt fällen zu können. Dazu sollte ein gesonderter Termin von 30–60 Minuten Dauer eingeplant werden. Es hat sich bewährt, dieses Gespräch im Beisein von Angehörigen zu führen und dabei Fotos aus dem eigenen Fundus zu zeigen – und zwar nicht nur gute Resultate, um die Erwartungen im realistischen Rahmen zu halten. Diese Fotos sollten detaillierte Informationen zu allen operativen Schritten illustrieren, auf einem großen Bildschirm oder per Projektion. Der Patient soll dabei die Dimension einer solchen Rekonstruktion im Vergleich zur knochenverankerten epithetischen Versorgung verstehen, er muss auf bevorstehende, zeitweise bizarre Erscheinungsbilder (Hautexpander, Lappenstiel) vorbereitet und auch über sichtbare Narben durch Hebedefekte informiert werden. Bei einer solchen Aufklärung werden nach Erfahrung des Autors auch intraoperative Beispielfotos von Patienten und Angehörigen ausnahmslos geschätzt.
4
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Kapitel 4 • Äußere Nase
4
a
b
c
..Abb. 4.42 a–c Planung des zweiten Schritts nach Rekonstruktion des Flügels mit paramedianem Stirnlappen und Septumknorpel. Dafür werden die Konturen von der intakten auf die defekte Seite kopiert
(ppt-tool „Freihandform“ und Spiegelung). a Flügel seitlich zu breit und medial zu konvex (Lichtreflex statt Schatten). b, c Hängender rechter Flügelrand im Vergleich zur intakten linken Seite
Auch sind Belastungsmomente und Risiken durch die Serie langer Operationen darzulegen, von schmerzhaften Folgen der Lagerung über erhebliche Beschwerden nach Rippenentnahme bis hin zu Knorpelverlust durch Infektion. Patienten, bei denen vorab eine Hautexpansion erfolgen soll, müssen mit 4–6 Operationen rechnen, von denen zwei eine Operationszeit von 8 Stunden erreichen und überschreiten können. Der Zeitraum bei derartigen Rekonstruktionen ist ohne Hautexpansion mit mindestens 4 Monaten, bei vorheriger Hautexpansion mit mindestens 7 Monaten zu kalkulieren. Schließlich muss der Patient erfahren, dass besonders nach Knorpeltransplantationen Komplikationen auftreten können, sodass eine Zahl von 6 Eingriffen auch überschritten werden kann (7 Abschn. 4.2.3, Operative Konzepte).
Ohne diese Arbeit am Bildschirm ist die notwendige Detailplanung, insbesondere bei Folgeeingriffen, nicht in der notwendigen Genauigkeit möglich. Der Autor hat dafür im Laufe der Jahre ein Vorgehen entwickelt, das man am PC mit den üblichen „Tools“ für Zeichnungen anwenden kann, z. B. mit dem Microsoft PowerPoint (Quetz 2015). Voraussetzung für eine präzise Analyse ist die Justierung der Bilder: Dazu wird das Foto auf einen relevanten Ausschnitt eingeblendet (z. B. Kinn bis Haaransatz). Dabei wird die korrekte horizontale Ausrichtung überprüft und korrigiert. Hilfreich ist dabei ein fein liniertes, punktiertes und halbtransparent eingestelltes Rechteck, das auf verlässliche Landmarken der Gesichtsanatomie gelegt wird, z. B. Lidwinkel und Columella-Basis. Durch identische Rechtecke für beide Nasenhälften („kopieren“) erschließen sich Asymmetrien und Seitendifferenzen (. Abb. 4.42a). Bei den seitlichen Ansichten ist auf gleiche Größe und – bei Vergleichsserien – auf identische Kopfneigung zu achten. Auch hier sind Hilfslinien erforderlich, z. B. Tangenten oder Konturlinien („Freihandform“), die von der Stirn bis zum Kinn verlaufen. Solche Linien lassen sich nur schwer mit der permanent gedrückten linken Maustaste zeichnen. Besser gelingt dies durch ein Kontinuum kurzer gerader Strecken, die durch wiederholte Einzelklicks an der Kontur des dafür vergrößerten Bildes entlanggeführt werden. Diese Kontur wird auf das Vergleichsbild gelegt und lässt ggf. den Korrekturbedarf erkennen: Meist ist eine Drehung des Bildes in den meist angebotenen 1°-Schritten erforderlich. Mit einem bildüberschreitenden Rechteck, das
4.2.2.2
Planung am Computer
Die Analyse digitaler Fotos hat der präoperativen Planung eine neue Dimension beschert: Am Bildschirm erschließen sich Details, die bei der körperlichen Untersuchung nicht genau oder gar nicht erkennbar sind. Der Untersuchung am sitzenden und liegenden Patienten folgt eine eingehende Analyse des Defekts am Bildschirm, und zwar mithilfe standardisierter Fotos. Wenn diese Fotos bereits vor dem Gespräch mit dem Patienten vorliegen, sollte die Planung am Bildschirm bereits vor der Begegnung mit dem Patienten beginnen, um mit einem bereits überdachten Konzept aufwarten zu können. Die anschließende körperliche Untersuchung und das Gespräch führen dann zur Bestätigung, zu Modifikationen oder auch zur kompletten Änderung des Plans.
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a
b
..Abb. 4.43 a Flügelrand zu dick, Ostium eingeengt, Übergang zur Spitze konvex statt – wie linksseitig – konkav. b 2 Wochen nach zweitem Schritt (Weichteil- und etwas Knorpelreduktion von unten über Flügelrandschnitt): Eine Verbesserung nach erster Abschwellung ist bereits erkennbar
z. B. durch die lateralen Lidwinkel und Columella-Basen gelegt wird, kann eine identische Größe der Seitansichten erreicht werden. Das Ergebnis nach einer solchen Justierung zeigen . Abb. 4.42b,c. Ist eine Seite der Nase intakt, dient sie als Modell für die Rekonstruktion. Dann können beide lateralen Ansichten gegenübergestellt werden. Die Konturen werden auf der unversehrten Seite umfahren, gespiegelt und auf die Gegenseite gelegt (. Abb. 4.42b,c). Spiegelsymmetrie entsteht, wenn die Kontur an einer Seite gegriffen und horizontal durch die 0-Ebene gezogen wird. Die gespiegelte Version wird auf der anderen Seite dieser 0-Linie bis zur identischen Größe „entfaltet“. Bei der Ansicht von vorne und von unten ist das Manöver etwas einfacher: Die intakte Hälfte wird umfahren und eine spiegelsymmetrische Kopie auf die Gegenseite desselben Fotos gelegt (. Abb. 4.43a,b). Auf den Bildern ist zu sehen, wie die chirurgische Zielsetzung durch die Linien deutlich wird (hier vor dem zweiten von 3 operativen Schritten). Später zeigt die postoperative Kontrolle, dass die Ziele annähernd erreicht wurden (. Abb. 4.43b). Das Ergebnis 10 Monate nach Stieldurchtrennung macht u. a. deutlich, dass Detailanalyse und -korrektur am rechten Flügelrand erfolgreich waren. Ein moderater Tiefstand der erhaltenen rechten Flügelbasis war vorbestehend (. Abb. 4.44b). Durch Messung fester Bezugspunkte am Patienten, z. B. Pupillenabstand, kann das Bild auf dem Schirm sogar 1 : 1 justiert werden. So lassen sich Maße bei Bedarf direkt auf dem Schirm abgreifen und überprüfen. >>Der relativ große Zeitaufwand mit dieser Methode ist
gut investiert, weil erst durch genaue Betrachtung und Justierung wichtige Details erkannt werden, die sich auf anderem Weg nicht erschließen.
Am Ende einer solchen Vorbereitung hat der Operateur die bestmögliche Vorstellung von der anstehenden Aufgabe und i. d. R. die besten chirurgischen Lösungen erarbeitet. Während des Eingriffs muss dem Operateur das Bildmaterial auf einem guten und ausreichend großen Bildschirm zur Verfügung stehen. Wertvolle Informationen erschließen sich auch durch die halbtransparente Überlagerung von Bildern, die dafür zuerst auf identischen Maßstab gebracht werden müssen. Die Fotobeispiele (. Abb. 4.45a–d) demonstrieren dies am Fall einer Sattelnase durch Granulomatose mit Polyangiitis (GPA) als Grunderkrankung: Hier wurde der mediane Sagittalschnitt der DVT (digitale Volumentomographie) auf die photographische Seitansicht der Patientin gelegt. Das Fusionsbild zeigt sehr genau die radiologisch erkennbaren Destruktionen in ihrer Lagebeziehung zur äußeren Nase. Die Planung des neuen Knorpelgerüsts wird so erleichtert und die cm-Skala des DVT kann zur genauen Vermessung der Elemente genutzt werden (s. auch 7 Abschn. 4.2.4.4, Knorpelgerüst, präoperative Planung). 4.2.2.3 Schablonen
Die Anfertigung großer Schablonen unterscheidet sich von der bei kleineren Rekonstruktionen: Bei kleineren Defekten steht die intakte Gegenseite als Modell zur Verfügung. Somit ist die intraoperative Anfertigung von Schablonen unproblematisch. Bei heminasalen bis subtotalen Rekonstruktionen ist dagegen die präoperative Anfertigung einer Standardschablone unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen einer korrekten Lappenform und -größe. Bei kleineren Defekten genügt meist eine ausreichend feste, möglichst etwas plastische Kunststofffolie, z. B. Teile eines sterilen Einweg-Lineals. Für dreidimensional anspruchsvollere Defekte reichten bisher die inzwischen selten gewordenen Nahtpäckchen aus Aluminium aus, die weitgehend durch Kunststoff ersetzt worden sind. Der Autor bevorzugt deshalb inzwischen auch für kleine bis heminasale Defekte sterilisiertes Aluminium von einer dafür angeschafften Rolle (Aluminium-Hartmetallfolie, 0,07 mm). Bei großen Rekonstruktionen ist grundsätzlich ein anderes Vorgehen erforderlich: Der Einsatz von fertig geschnittenen und sterilisierten Schablonen. Ein solches Modell kann die komplette Oberfläche einer größeren männlichen Nase abdecken. Der Autor bedient sich einer leicht modifizierten Version der von Burget und Menick im 1 : 1-Format publizierten Grundform (Burget und Menick 1994, S. 334). Diese vom Autor in immer gleicher Weise vorgeschnittene Folie wird steril angereicht (. Abb. 4.46a) und bei starken Abweichungen hin zu kleineren Größen (Frauen und Kinder) in Gänze nach Bedarf getrimmt. Wird der Lappen ohne Hautexpansion gehoben, kann die Schablone ohne Veränderung auf die Stirnhaut übertragen werden. Gleiches gilt bei großvolu-
4
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Kapitel 4 • Äußere Nase
..Abb. 4.44 a, b 10 Monate nach Stieldurchtrennung mit Volumenreduktion von oben. Auch dieser Eingriff wurde, wie jeder Schritt, am Bildschirm geplant, und die Planung wurde während der OP auf Bildschirmen gezeigt
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a
a
b
b
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..Abb. 4.45 a–d Aufbau einer Sattelnase mit Rippenknorpel bei Granulomatose mit Polyangiitis. a Seitaufnahme als Grundlage der Planung. b Digitales Volumentomogramm (DVT), medianer Sagittalschnitt, mittels Profillinie auf gleichen Maßstab und durch Bildrotation in die gleiche Kopfneigung gebracht. c Halbtransparente Überlagerung beider Bilder, z. B. durch gehaltenen Doppelklick auf dem
Eckpunkt des vorderen Bildes (ppt). Das Fusionsbild kann gleichzeitig als Screenshot (Taste „Druck“) erfasst und durch „Einfügen“ direkt weiterbearbeitet werden. d Fusionsbild mit Patho-Anatomie und cm-Skala des DVT sind nun Grundlage der weiteren Planung. Wunschprofil und Skizze der Konstruktion machen die Statik und den Knorpelbedarf ablesbar
miger Hautexpansion mit Walzenform der Stirnpartie. Hier wird die Schablone zur Übertragung der Kontur in leicht gewölbter Form aufgelegt. Wurde die Stirnhaut jedoch in sphärischer Form expandiert, ist eine Ausformung der Schablone zum 3D-Modell vorteilhaft. Sie ist sogar notwendig, wenn es um eine partielle Rekonstruktion geht. Dazu wird die Folie auf eine weiche Unterlage gelegt und mit einem konvex gewölbten Instrument (z. B. ein stark geboge-
nes Raspatorium oder ein größerer, rundlich geformter Griff eines Instruments) geformt, vergleichbar mit der Treibarbeit eines Feinblechners. Die Arbeit beginnt naturgemäß im Bereich der stärksten Prominenz, also der Nasenspitze. Von hier ausgehend werden Nasenrücken und Flügelränder entwickelt, wobei man immer wieder zur Spitze zurückkehrt. Am Ende steht ein vollständiges 3D-Modell bereit (. Abb. 4.46b,c). Erst jetzt wird bei partiellen Rekonstruktionen das Modell dem
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a
b
c
..Abb. 4.46 a–c Standardschablone für die komplette Neubildung der äußeren Nase. a Die Standardschablone, hier aus Aluminium eines sterilen Nahtpäckchens, kann bei totalen Rekonstruktionen plan auf die Stirn übertragen werden (7 Abschn. 4.2.4.3, . Abb. 4.51). b Für subtotale Rekonstruktionen sollte die Schablone dreidimensional
ausgeformt werden: Die erhaltenen Teile der Nase werden danach abgeschnitten und die Schablone so dem Defekt angepasst (s. auch 7 Abschn. 4.2.5.1.3, Fallbeispiel 3, . Abb. 4.64a–e). c Auch bei sphärischer Hautexpansion, hier mit einem Volumen von 90 ml, wird eine dreidimensionale Version benötigt
Defekt angepasst. Dazu gehören Reduktionen mit der Schere, wobei erhaltene Teile der Nase vom Modell abgeschnitten werden. Zurück bleibt ein 3D-Modell des Defekts. Oft geht es auch um Erweiterungen einzelner Randbereiche bis hin zu erheblichen Verlängerungen, wenn z. B. Teile der Auskleidung (7 Abschn. 4.2.4, Auskleidung) ersetzt werden müssen. Dann kann der Stirnlappen teilweise auf sich selbst gefaltet werden. Für diese Verlängerungen sollten so exakt wie möglich zusätzliche Folien hergestellt werden. Bei Übertragung der Kontur auf die Stirn muss, wie in Fallbeispiel 3, eine kleine Distanz von rund 5 mm addiert werden, um eine ausreichende Hautreserve für die Faltung zu haben (7 Abschn. 4.2.5.1.3, . Abb. 4.64f,g).
4.2.3
>>In allen Fällen gilt, dass die Dimensionen in allen Ebe-
nen mehrfach überprüft und möglichst noch mit einem flexiblen Lineal an vorhandenen Strukturen oder bekannten Standardmaßen abgeglichen werden müssen.
Zum Schluss wird das Modell zur Übertragung auf expandierte Haut partiell, zur Übertragung auf die ebene Stirn vollständig (. Abb. 4.46c und 7 Abschn. 4.2.4.3, . Abb. 4.51b) wieder in die zweidimensionale Dimension gebracht. Dazu sind meist zahlreiche kleine und größere Einschnitte an den Rändern erforderlich. Das so ausgebreitete Modell entspricht dann dem Schnittmuster für den Lappen, die Vergrößerung durch die Einschnitte einer willkommenen Größenreserve, die die Schrumpfung ausgleicht. Bei der Schablone für die Totalrekonstruktion der äußeren Haut misst der Abstand zwischen den äußersten Enden der Flügelbasen maximal 9 cm (. Abb. 4.46a).
Operative Konzepte
Operative Verfahren zur Rekonstruktion bei großen bis totalen vollschichtigen Nasendefekten unterscheiden sich in vielen Details. Ihnen gemeinsam sind mindestens 3 operative Schritte und die Verwendung eines meist paramedianen Stirnlappens zur Wiederherstellung der äußeren Oberfläche. Das Spektrum der Techniken zur Auskleidung ist groß und reicht von Spalthaut zur Prälaminierung der Rückseite des Lappens (Gassner et al. 2013) bis zum Unterarmlappen (Haack et al. 2014; Burget und Walton 2007). Die Kombination der operativen Techniken folgt keinem starren Bauplan. Sie wird, abhängig vom Defekt, dem Einzelfall angepasst. Dabei gelten, unabhängig von den Verfahren, folgende Grundregeln, um gute Ergebnisse zu erzielen:
-
Grundregeln der Nasenrekonstruktion
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Die Ränder der teil- oder totalrekonstruierten neuen Nase sollten auf den Linien der nasalen ästhetischen Einheit und Untereinheiten liegen. Dazu muss der Defekt in der Regel durch Resektionen oder Hauttranspositionen modifiziert werden (Burget und Menick 1994, S. 315–323). Die innere Oberfläche der neuen Nase muss komplett ausgekleidet werden. Diese Innenauskleidung muss robust sein und großzügig dimensioniert werden. Die verbreitete Vorstellung, dass die Auskleidung überwiegend aus Schleimhaut bestehen sollte, ist falsch und kontraproduktiv.
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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4
-
Es muss ein statisch sehr belastbares und dabei formschönes Nasengerüst geschaffen werden, das dem erheblichen Narbenzug der rekonstruierten Weichteilschichten widerstehen kann (Burget und Menick 1989). Der Stirnlappen ist so weit vertikal wie möglich zu bilden, sein Stiel auf eine Breite >Bei Heilungsstörungen müssen insbesondere Revisio-
nen der Auskleidung sofort durchgeführt werden, da sonst eine irreversible Schrumpfung droht. Die Nase ist zu diesem Zeitpunkt noch recht unförmig.
4.2.3.1.2 2. Schritt
Der äußere Teil des Stirnlappens wird von den inneren Weichteilen gelöst und vollständig abgehoben. Dank des Intervalls (delay) von 3–6 Wochen (s. oben) ist der Lappen sehr gut durchblutet. So kann die Lappenhaut nun relativ dünn präpariert und sehr leicht vom unvernarbten subkutanen Fettgewebe gelöst werden. Dabei ist Zurückhaltung geboten im Bereich des Stiels, der Nasenspitze und der distalen Enden, also der Flügelbasen und der Columella-Basis. Das Subkutangewebe bleibt mit der Innenauskleidung in situ und wird nur sehr vorsichtig reduziert, symmetrisch geformt und als gut durchblutetes Lager für die Transplantate vorbereitet (7 Abschn. 4.2.5.2.1, Fallbeispiel 5, . Abb. 4.74a,b). Es folgt die Rekonstruktion des Nasengerüsts, das aus einem, meist aber aus 2 Rippenknorpelsegmenten (etwa 5 cm lang) angefertigt wird (7 Abschn. 4.2.4.4, Knorpelgerüst). Nach etwa 6–8 Wochen kann der 3. und meist letzte Schritt erfolgen, sofern eine unkomplizierte Heilung eingetreten und kein Revisionsbedarf erkennbar ist.
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a
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..Abb. 4.47 a–j Ein Septumrotationslappen wird gebildet (gezeigt ist dieselbe Patientin wie in 7 Abschn. 4.2.4.2, . Abb. 4.49 und in 7 Abschn. 4.2.5.2.1, Fallbeispiel 5). a, b Die septalen Äste der A. labialis superior verlaufen beidseits der Spina nasalis anterior in die Schleimhautblätter des verbliebenen Septums. Dieses wird mit gerader Schere unter endoskopischer Sicht von der Rhinobasis abgetrennt. Die unterbrochene Linie markiert den noch fixierten Lappenanteil. Alle Instrumente werden mit Strichen markiert, an denen die Eindringtiefe ablesbar ist – etwa 6 cm. Der Strich ist hier auf dem Transversalmeißel zu sehen, mit dem das knöcherne Septum vertikal durchtrennt wird. c, d Der Lappen wurde umschnitten, c d dabei wurden 15 mm breite Schleimhautbrücken mit den axialen Gefäßen konsequent geschont. Die Rotation des nun doppelt gestielten Lappens wird durch Resektion eines knorpeligen Keils ermöglicht. Dabei helfen ein Zugfaden vorne oben am Lappen und ein stumpfer Drahthaken, der das dorsale Ende umgreift und nach vorne zieht. e, f Für die Rotation muss das Septum evtl. gebogen und eine kleine Öffnung in das Nasenbein gemeißelt werden. Die Septumvorderkante wird um 90° nach unten rotiert (Sternchen). Durch die Schleimhautbrücken ist der Lappen kaudal und durch Verzahnung kranial fixiert. Nähte sichern die Position. g, h Die Septumschleimhäute werden soweit abgelöst und lateralisiert, wie dies c zur Profilbildung nötig ist. Die unterbrochene d Linie markiert das ang h gestrebte Profil. i, j Dann wird der knöchern-knorpelige Überschuss getrimmt. Die Schleimhautüberschüsse bilden den oberen Teil der Auskleidung, können aber meist nur wenig zu den seitlichen Auskleidungen der Ostien beitragen. (Zeichnungen: Dr. J. Quetz)
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niveau granulierten Hebedefekte. Die Eingliederung des distalen Stumpfes an der Nasenwurzel erfolgt am besten in trapezförmigem Zuschnitt, den RSTL-Linien entsprechend. 4.2.3.2
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4.2.3.1.3 3. Schritt
Dieser besteht aus der Durchtrennung des Stiels, der Eingliederung des proximalen Endes und der Verwendung der Stielhaut zur Deckung der auf Umgebungs-
Rekonstruktion bei großen Defekten
Bei kleineren Defekten, die 2 Untereinheiten nicht überschreiten, steht meist die Frage nach der besten lokalen im Vordergrund. Notg oder regionalen Lappentechnik h wendige Modifikationen des Defekts, etwa die Erweiterung auf eine ganze Untereinheit im Bereich von Spitze oder Flügel, sind schnell geklärt. Bei großen Defekten, die 3–4 Untereinheiten einschließen, etwa bei fehlender Nasenhälfte, ist v. a. die Frage nach der richtigen Grenze von Bedeutung. Als Lappentechnik findet fast ausnahmslos der paramediane Stirnlappen Verwendung. >>Besonders die Gestaltung des Nasenrückens muss
genau bedacht werden. Dieser Bereich und die Nasenspitze sind wegen ihrer Prominenz und ständigen Lichtexposition stets mit allen ihren Details sichtbar.
Ist die Haut des Nasenrückens weitgehend erhalten und in gutem Zustand und ist der gerade Lichtreflex des Rückens kaum gestört, steht der Erhalt dieser Haut außer
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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..Abb. 4.48 a–c Auskleidung größtenteils mit Hauttransplantaten (gezeigt ist derselbe Patient wie in 7 Abschn. 4.2.4.3, . Abb. 4.51 und in 7 Abschn. 4.2.6, . Abb. 4.87–4.92). a, b Marginale Kipplappen und partieller Septumrotationslappen (7 Abschn. 4.2.6, . Abb. 4.87 nach Mobilisierung) können nur wenig zur Auskleidung beitragen. Eine Schablone (b) stellt die Innenflächen der Neonase dar. Links liegt der Folie dünne Vollhaut (0,7 mm) auf, provisorisch durch Heft-
a
b
..Abb. 4.49 a–c Auskleidung größtenteils mit eingefalteten Extensionen des expandierten Stirnlappens (Patientin wie in . Abb. 4.47, 7 Abschn. 4.2.4.5, . Abb. 4.55 und 7 Abschn. 4.2.5.2.1, Fallbeispiel 5). a Das innere Septum ist weitgehend erhalten. Es wird durch Rotation zusammen mit marginalen Kipplappen fast die Hälfte der Auskleidung bilden (Bildserie in . Abb. 4.47). b Durch Septumrotation ist ein komplettes Neoseptum entstanden. Dessen Schleimhaut-
c fäden mit den Kipplappen rechts verbunden. c Die Heftfäden wurden durch ein zweites Hauttransplantat ersetzt. Damit ist die Auskleidung komplett. Im oberen Drittel sind die Transplantate mit dem rotierten Neoseptum verbunden. Durch Matratzennähte wird die transplantierte Haut am Ende der OP an der Rückseite des Stirnlappens fixiert und mit Wattetamponade angedrückt (kein Bild)
c überschüsse bilden die Auskleidung im oberen Teil der Nase. Weiter unten stehen keine Schleimhautüberschüsse zur Verfügung. Auch die marginalen Kipplappen können hier kaum zur Auskleidung beitragen. c Der größere Teil wird durch große, eingefaltete Extensionen des expandierten Stirnlappens gebildet. Deren Form und Größe wird durch Schablonen ermittelt – hier rechtsseitig eingesetzt
101
4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
Frage. Ist der Nasenrücken jedoch partiell Teil des Defekts und die Haut der erhaltenen Seite z. B. grobporig und von bläulich-rötlichem Kolorit, stellt sich die Frage, ob nicht wenigstens die Haut des Rückens einschließlich der Nasenspitze ersetzt werden sollte.
Chirurgische Optionen bei Verlust des inneren Nasenseptums
-
>>Ein Textur- und Farbwechsel im Bereich des Nasen-
rückens und der Nasenspitze kann sehr auffällig sein und sollte vermieden werden.
Eine solche Konstellation lag bei dem Patienten in Fallbeispiel 3 vor. Der vorgeschlagene Ersatz der Nasenrückenhaut wurde aber von ihm abgelehnt und ein maximal konservatives Vorgehen gewünscht. Der Übergang von diesen Hautqualitäten war am Ende weniger auffällig als befürchtet (7 Abschn. 4.2.5.1.3, . Abb. 4.63a,b und 4.66a,b). Bei einem heminasalen Defekt durch Hundebiss (Fallbeispiel 4) wurde das Problem folgendermaßen gelöst: Schon vor der Wundversorgung wurde der Patientin erläutert, dass sich die teilweise zerstörte und absehbar narbig veränderte Haut von Rücken und Spitze am besten durch einen Totalersatz der äußeren Haut wiederherstellen ließe. Somit wurde der Hautrand der erhaltenen Nasenhälfte sehr großflächig an Haut und Schleimhaut des linken Septums genäht, um die äußere Haut von rechts später als Kipplappen (auch: turn-over flap oder hinge flap) für die Auskleidung der neuen linken Innenseite nutzen zu können (7 Abschn. 4.2.5.1.4, . Abb. 4.67a,b und 4.68a,b). 4.2.3.3
Rekonstruktion bei Totaldefekten
Steht eine mehr oder weniger totale Rekonstruktion einer Nase an, kommen verschiedene Baupläne in Betracht, deren technische Variationen von mehreren Faktoren abhängig sind: dem Erhaltungszustand des verbliebenen Septums, der Höhe der Haarlinie, der Belastbarkeit und den Ansprüchen des Patienten.
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In jedem Fall sind Art der Auskleidung und profilgebende Statik der Mittelachsen der anspruchsvollste und wichtigere Teil der Planung; die Außenhaut wird in nahezu standardisierter Form gebildet. Für die Neubildung der inneren Oberfläche ist der Zustand des verbliebenen inneren Nasenseptums von großer Bedeutung: Ist es komplett erhalten, kann es sehr effektiv bereits beim 1. Schritt der Wiederherstellung sowohl für die Auskleidung als auch für die Statik mobilisiert und genutzt werden (7 Abschn. 4.2.4.1, Septumrotationslappen). Ist dies nicht der Fall, müssen robuste Alternativen für innere Oberflächen und Statik gewählt werden. Dabei gibt es verschiedene Optionen:
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Option 1: Sicher und statisch belastbar ist ein parallel gehobener zweiter Stirnlappen, der durch sein großes Gewebeangebot sehr stabil und durch seine autarke Perfusion robust ist. Bei der Rekonstruktion mit 2 Stirnlappen ist eine vorgeschaltete großvolumige und entsprechend großflächige Hautexpansion der gesamten Stirn zu empfehlen, wenn die typischen, sekundär heilenden Hebedefekte vermieden werden sollen. Option 2: Ein anderer Weg ist die Auskleidung durch Hauttransplantate. Bei einer Prälaminierung wird der Stirnlappen in einem gesonderten Eingriff angehoben, rückwärtig mit dem Hauttransplantat belegt und in seinem Hebedefekt refixiert. Erst im nächsten Schritt wird der nun beidseitig hautbedeckte Stirnlappen in den Defektbereich verlagert. Der Autor bevorzugt Hauttransplantate, die direkt am Defekt die Lücken der Auskleidung schließen und mit feinen Matratzennähten rückwärtig am Stirnlappen fixiert werden. Bis zum Gerüstaufbau im Folgeschritt ist in beiden Fällen meist eine innere Abstützung erforderlich. Option 3: Ein freier Unterarmlappen. Das Gewebeangebot ist damit zwar unbegrenzt, Aufwand und Risiken aber größer als mit den anderen Verfahren.
Die Erstellung des Knorpelgerüsts folgt in aller Regel erst im 2. rekonstruktiven Schritt, sobald eine gut durchblutete Auskleidung für sich alleine stehen und den Transplantaten ein zuverlässig perfundiertes Bett bieten kann. In idealer Weise ist dies nach einer Septumrotation möglich: Das Neoseptum bietet bereits nach dem 1. Schritt eine statisch belastbare Mittelachse, auf die nur noch ein ästhetisch ansprechender Rückenspan aufgebracht werden muss. Bei Auskleidung mit einem zweiten Stirn- oder dem Unterarmlappen kann bereits im 1. Schritt z. B. eine L-förmige Grundstruktur aufgebaut werden. Dadurch wird der neu geschaffene Weichteilmantel in das angestrebte Profil gehoben und eine innere Abstützung überflüssig. Die äußere Oberfläche wird meist durch einen paramedianen Stirnlappen gebildet. Der Autor führt immer öfter eine Expansion der Stirnhaut im Bereich des Lappens durch (rund 100 ml in 2–3 Monaten). Dadurch werden einige große Vorteile erreicht: Gewinnung unbehaarter Haut für die äußere Nase, primäre Deckung des Hebedefekts, Extensionen für Einfaltungen (Auskleidung und Neoseptum).
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Kapitel 4 • Äußere Nase
Stehen paramediane Stirnlappen nicht zur Verfügung, etwa weil sie bereits gehoben oder weil die Gefäße durch operative Zugänge obliteriert wurden, so können auch laterale Stirnlappen mit einem Stiel um die A. supraorbitalis eingesetzt werden.
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4.2.4
Operative Techniken
4.2.4.1 Septumrotationslappen 4.2.4.1.1 Historischer Hintergrund
Zur Wiederherstellung bei großen Nasendefekten hat Hett bereits 1917 vollschichtige, kaudal gestielte Lappen des vorderen Nasenseptums beschrieben (Hett 1917). 1920 berichtete Gilles von einem ähnlichen Lappen des kaudal gestielten Mukoperichondriums, den er zur Rekonstruktion bei großen Defekten der äußeren Nase eingesetzt hat (Gilles 1920). Rund 50 Jahre später wurden diese Techniken von Burget und Menick aufgegriffen und dabei in entscheidender Weise modifiziert. In ihrer Variante wird der gesamte erhaltene Anteil des vorderen Nasenseptums mobilisiert und nach vorne rotiert. Es handelt sich damit um einen dreischichtigen „Composite-Lappen“, bei dem beide mukoperichondrialen Schleimhautblätter seitengetrennt von den septalen Ästen der A. labialis superior versorgt werden. Somit besteht eine doppelte axiale Gefäßversorgung, die sich als sehr zuverlässig erwiesen hat, sofern keine größeren Läsionen im Bereich von Philtrum und Spina bestehen. Das Ergebnis ist ein robuster Lappen, der das Septum und einen Teil der Auskleidung der äußeren Nase ersetzten kann (Burget und Menick 1989). Der Autor hat diese Lappentechnik seit 2004 erfolgreich eingesetzt, bis 2014 insgesamt 9-mal ohne Verlust (Quetz 2014). Diese Zahl hat sich in der Zwischenzeit auf 19 Fälle ohne nennenswerte Komplikationen erhöht. 4.2.4.1.2
Operative Technik
Mit seinem knöchern-knorpeligen Anteil leistet der Septumrotationslappen einen wichtigen Beitrag zur Statik. Mit seinem beidseitigen Schleimhautangebot stellt er einen Teil der Innenauskleidung bereit, und zwar septal vollständig und lateral anteilig. Die Septumrotation steht in der Regel am Anfang des ersten von 3 rekonstruktiven Schritten (7 Abschn. 4.2.3.1). In allen 19 Fällen (s. oben) gelang die Rotation ohne Probleme, und die mitunter erheblichen Schleimhautüberschüsse konnten in unterschiedlichem Umfang zur Auskleidung der neuen Nase genutzt werden. Dabei wurde jeweils mit diesem „Neoseptum“ bereits im 1. Eingriff eine gute Projektion und Protektion erzielt. Im 2. Schritt, dem Knorpelaufbau, bot es eine sehr stabile und kalkulierbare Grundlage für die Formung von Nasenrücken und -spitze.
Die septalen Äste der A. labialis superior verlaufen beidseits der Spina nasalis anterior. Hier werden beidseitig Schleimhautbrücken erhalten, die die Blutversorgung sichern und die Umschneidung fast des gesamten Septums erlauben (. Abb. 4.47a). Dazu wird das Septum zuerst unter endo- oder mikroskopischer Sicht und mit ausreichendem Sicherheitsabstand von der Rhinobasis abgetrennt. Es empfiehlt sich, auf der dafür notwendigen langen Schere (z. B. Nasen- oder Turbinektomieschere) einen Strich bei 7 cm aufzutragen. Der Schnitt ist unproblematisch und gelingt fast ohne Widerstand. Schwieriger gestaltet sich die vertikale Abtrennung, die überwiegend durch das knöcherne Septum vorgenommen wird. Dafür sollte eine Kombination aus einem um 60° abgewinkelten Skalpell mit runder Spitze (z. B. Beaver angled 60 degree) für die Schleimhautschnitte und einem Meißel für transversale Osteotomie gewählt werden. Beide Instrumente müssen mit der gewählten Distanz markiert werden (7 cm, nicht weniger als 6 cm), denn die Schneide- und Meißelarbeit lässt sich endonasal optisch kaum kontrollieren (. Abb. 4.47a,b). Schließlich wird das Septum unter streifenförmiger Mitnahme der Prämaxilla mit geradem Skalpell und Meißel oder Osteotom kaudal abgetrennt. Dabei muss um die Spina herum beidseitig eine Schleimhautbrücke von etwa 15 mm zuverlässig gesichert und erhalten werden (. Abb. 4.47a). Nach umschriebener Ablösung dieser Schleimhautblätter in der bekannten submukoperichondrialen Schicht kann ein knöchern-knorpeliger Keil herausgetrennt werden. Der Drehpunkt ist nun mechanisch freigestellt, die Rotation kann vollzogen werden. Dabei ist ein reißfest fixierter Zugfaden am oberen Septum hilfreich und ein stumpfer Einzinkerhaken (sog. „Drahthaken“) nötig, der das dorsale (vertikale) Ende des Lappens umgreift und mit kräftigem Zug die Rotation wesentlich unterstützt. In manchen Fällen müssen Weichteile und Nasenbein in der Mittellinie aufgetrennt werden, und zwar dann, wenn der Lappen trotz vorsichtiger Biegung dort blockiert wird (. Abb. 4.47c–f). >>In den meisten Fällen ist der Lappen durch die kaudal
etwas gestreckten Schleimhautbrücken gut fixiert. Eine vorsichtig eingebrachte Naht sollte diese Verbindung zwischen Spina-Region und rotierter Septumbasis absichern. Auch kranial ist das rotierte Septum in seiner neuen Position meist gut verzahnt, sollte aber auch hier mit einer Naht fixiert werden.
Nun kann das angestrebte Profil gebildet werden, wobei zu beachten ist, dass der Weichteilmantel hinzukommt und im Folgeeingriff der formgebende Rückenspan. Dazu werden die Schleimhautblätter soweit wie nötig vom harten Septum abgelöst und beidseits nach lateral geschlagen, bevor der knöchern-knorpelige Überschuss
4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
im erforderlichen Maß mit der Schere getrimmt wird (. Abb. 4.47g–j). Die Schleimhautüberschüsse werden feucht verpackt und je nach Durchblutung und Bedarf im selben Eingriff Teil der Auskleidung. Die Statik des Neoseptums ist ausreichend, um den Stirnlappen bis zum Folgeeingriff (Knorpeltransplantate nach 3–6 Wochen) in einer Position zu halten, die der endgültigen sehr nahekommt. 4.2.4.2 Auskleidung
Die neue innere Oberfläche muss großzügig dimensioniert, lückenlos gestaltet und sehr gut durchblutet sein. Nur so wird sie ihre Funktion erfüllen und ein geeignetes Lager für die empfindlichen Knorpeltransplantate bereitstellen. Die Auskleidung ist das Fundament einer Rekonstruktion, ihre Planung meist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich und dabei zeitaufwändigster Teil bei der Vorbereitung. Die gewählten Lappen und Transplantate müssen dabei innerhalb weniger Wochen eine geschlossene, eigenständig perfundierte und sehr robuste Oberfläche bilden. Entsprechend groß müssen Sorgfalt und Sicherheit bei der chirurgischen Ausführung sein. >>Technisch schwierige Revisionen auf der Innenseite
sollten, wenn irgend möglich, ausgeschlossen werden.
In den postoperativen Phasen muss die Auskleidung engmaschig und mit bestmöglicher technischer Ausstattung kontrolliert werden. Der Autor bevorzugt dafür ein Binokularmikroskop am liegenden Patienten bei überstrecktem Kopf. Sollten Nekrosen auftreten, müssen diese Areale intensiv gepflegt und in der Regel revidiert werden. Solche Revisionen sind wegen der engen anatomischen Verhältnisse anspruchsvoll. Wenn bereits Knorpeltransplantate eingebracht wurden, ist die Revision frühzeitig und kompromisslos durchzuführen, denn nicht selten nehmen Komplikationsketten und Misserfolge durch Knorpelexposition ihren Anfang. >>In solch problematischen Notlagen bieten oft Lappen
aus der Nasolabialregion eine ideale Lösung; dieser Bereich sollte also unberührt bleiben und exklusiv für Komplikationen zur Verfügung stehen.
Die Gestaltung der Auskleidung richtet sich nach den individuellen Gegebenheiten und ist, mehr als bei Knorpelgerüst und äußerer Haut, von den Präferenzen des Operateurs und den Umständen der Operation abhängig. So kommt es vor, dass einem Patienten mit Subtotaldefekt von dem einen Operateur die Prälaminierung eines Stirnlappens mit Spalthaut oder die innere Beschichtung mit ausgedünnter Vollhaut vorgeschlagen wird, ein anderer Operateur dagegen die Auskleidung mit einem sehr viel aufwändigeren Unterarmlappen vorschlägt. Beide Wege können zu vergleichbar guten Ergebnissen führen,
103
obwohl sie sich erheblich in Aufwand und Risikoprofil unterscheiden. Mit den erweiterten Möglichkeiten der Hautexpansion setzt der Autor dagegen beide Verfahren selten ein. Er bevorzugt mittlerweile Kombinationen von Techniken, sodass sich am Ende meist ein „Mosaik“ aus den lokal zur Verfügung stehenden Materialien den wesentlichen Teil der Auskleidung bildet. Dabei muss jedoch, wie oben erwähnt, die Verwendung lokaler Lappen aus der Nasolabialregion vermieden werden, die mit ihrer Länge und Vielseitigkeit im Fall einer Komplikation oder von notwendigen Formkorrekturen zur Verfügung stehen sollten. Im Folgenden werden die vom Autor bevorzugten und empfohlenen Techniken dargestellt. 4.2.4.2.1 Haut- und Schleimhautkipplappen
Reste der ehemaligen Nase, Wundflächen, die durch Hauttransplantate epithelisiert wurden, oder Teile misslungener Rekonstruktionen können zur Bildung von Kipplappen genutzt werden und mitunter große Anteile der Auskleidung bilden. Dabei ist zu beachten, dass die Gefäße oft durch ein Narbenareal laufen, womit die Perfusion unsicher ist. Dieser Schwäche kann durch vorausschauende Planung begegnet werden, wie bei der Patientin nach Hundebiss (Fallbeispiel 4): Hier sollte die narbig geschädigte Haut der rechten Restnase bei der Rekonstruktion zur Neubildung der linken Auskleidung genutzt werden. Sie wurde deshalb bei der primären Wundversorgung großflächig an die Weichteile der exponierten linken Innenseite genäht (7 Abschn. 4.2.5.1.4, . Abb. 4.67a,b). Eine solche großvolumige Anbindung kann aber auch nachgeholt werden, z. B. im Rahmen der Implantation eines Expanders oder anderer vorbereitender Schritte. >>Bei unsicheren Perfusionsverhältnissen sollte der Lap-
pen durch vorgeschaltete Umschneidungen bis hin zur vollständigen Autonomisierung abgesichert werden. Solche Eingriffe lassen sich meist gut in örtlicher Betäubung und ambulant durchführen.
Oft stehen für Kipplappen verbliebene Stümpfe der Flügel zur Verfügung: Sie bilden die lateralen Fußpunkte der neuen Nase, und es lassen sich meist Kipplappen aus der äußeren Haut bilden, die sonst für einen guten Anschluss des Stirnlappens abgetragen werden müsste. Die Kipplappen aus diesem Bereich können also einen Beitrag zur Auskleidung der neuen Ostien leisten, ihre elastische Stellkraft nach lateral hilft außerdem, das neue Ostium offen zu halten, und sie unterstützen durch diese Kraft die bauchige Form der Nasenflügel. Nachteile sind die – großzügig zu erhaltenden – „Scharnierwülste“, ohne die der distale Lappenanteil untergehen würde. Sie engen bis zur späteren Ausdünnung die Ostien ein.
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Kapitel 4 • Äußere Nase
. Abb. 4.48a und 4.49a zeigen kleine Stümpfe, . Abb. 4.49b den präparierten, aber noch nicht gekippten Lappen, . Abb. 4.48b den gekippten Lappen, dessen Rückstellkraft durch provisorische Fäden auf der Schablone für die Innenauskleidung überwunden wird. Die erwähnte, besonders große Variante eines Kipplappens bei der o. g. Patientin wird gezeigt in 7 Abschn. 4.2.5.1.4, Fallbeispiel 4, . Abb. 4.68a,b: Hier wurde die gesamte äußere Haut der Restnase von rechts zur Auskleidung nach links geschlagen und dort mit einem kleinen Kipplappen aus dem linken Flügelstumpf verbunden. Das ist nur bei großflächiger Anbindung der Lappenbasis in einem solchen einzeitigen Vorgehen möglich. Es sollte im Zweifel durch Autonomisierung in mindestens einem vorgeschalteten Schritt abgesichert werden. >>Schleimhautlappen werden in fast allen Fällen durch
Rotation des inneren Septums nach außen generiert. Eine weitergehende Reduktion der inneren Nasenanatomie wäre funktionell ungünstig und sollte unterbleiben.
Gleiches gilt für ausgedehnte Defekte des inneren Septums. . Abb. 4.47j zeigt die großen Überschüsse nach der Rotation, in . Abb. 4.49b,c sind diese auf das sicher vitale Maß getrimmt und integriert. Eine Schablone (rechts) demonstriert den noch beidseits fehlenden Anteil der Auskleidung. Dieser wird später im selben Eingriff durch eingefaltete Verlängerungen des expandierten Stirnlappens gebildet (7 Abschn. 4.2.5.2.1, Fallbeispiel 5, . Abb. 4.73). Andere Nah- oder Regionallappen für die Auskleidung verwendet der Autor selten. Von einer primären Verwendung der Nasolabiallappen rät der Autor, wie erwähnt, sogar ab: Diese Technik hatte in der Vergangenheit ihren berechtigten Platz und wird deshalb in manchen Büchern auch heute noch empfohlen. Sie sollten aber für die nicht seltenen Komplikationen zur schnellen und unkomplizierten Revision aufgespart werden. 4.2.4.2.2 Eingefalteter Stirnlappen
Ein korrekt vertikal geplanter Stirnlappen kann ohne Risiko weit nach distal verlängert werden. So ist es naheliegend, ihn mit einer distalen Verlängerung zur Neubildung der Auskleidung zu versehen und dazu auf sich selbst zu falten. Diese Methode wurde von Menick 2006 beschrieben (Menick 2006). Bei der Verkleinerung des Hebedefekts muss ohnehin ein Dreieck entfernt werden, um eine stehende Falte in Richtung Haargrenze aufzulösen. Also empfiehlt es sich, das Gewebe am Lappen zu belassen und mit einer zweiten Schablone in die Form der Auskleidung zu bringen. Dieses Konzept lässt sich besonders gut bei hohem Haaransatz und bei kleinen bis mittleren Defektgrößen realisieren, da nur wenig oder keine störenden Haare in
das Naseninnere verlagert werden müssen. Eine solche Situation liegt bei dem Patienten mit heminasalem Defekt (Fallbeispiel 3) vor und wird dort näher beschrieben (7 Abschn. 4.2.5.1.3, . Abb. 4.64). Zwischen den beiden Schablonen für die äußere und innere Oberfläche muss eine mindestens 5 mm breite Strecke addiert werden, um die Faltung des noch nicht oder kaum ausgedünnten Lappens auf sich selbst möglich zu machen. Im 2. Schritt folgen dann in der Regel die Trennung des inneren vom äußeren Lappenanteil, die Ausdünnung und die Knorpeltransplantation. Bei kleinen Defekten kann in manchen Fällen auf den Zwischenschritt verzichtet werden; dann müssen die Ausdünnung des inneren Anteils und die Knorpeltransplantation bereits im 1. Schritt erfolgen. Durch den Einsatz von Hautexpandern haben sich bei dieser Methode neue Möglichkeiten ergeben, die in Fallbeispiel 5 direkt ablesbar sind (7 Abschn. 4.2.5.2.1, . Abb. 4.73): Die expandierte Haut distal der Standardschablone wird bis in die Haargrenze hinein vollständig genutzt und kann die Lücken der Auskleidung zwischen dem rotierten Septum und den Kipplappen aus den Flügelstümpfen schließen. 4.2.4.2.3 Hauttransplantat
Von Fett befreite Haut (oder dicke Spalthaut) bietet eine gute und leicht zu realisierende Möglichkeit, die Rückseite des vollschichtig gehobenen Stirnlappens abzudecken und damit für die Auskleidung zu sorgen. So können verbliebene Lücken im beschriebenen „Mosaik“ geschlossen oder fast die gesamte innere Oberfläche rekonstruiert werden. . Abb. 4.48b,c zeigt einen solchen Fall, bei dem Vollhaut zwischen den Kipplappen der Flügelstümpfe die gesamte Auskleidung bildet. Eine zweiteilige Schablone verdeckt das nach außen rotierte, nur lückenhaft erhaltene innere Septum, das hier zur Auskleidung keinen Beitrag leisten kann. Zwei Transplantate werden spannungsfrei aufgelegt und allseitig eingenäht. Entscheidend ist dann die anschließende Fixierung der Haut an der Rückseite des Stirnlappens mit zahlreichen Matratzennähten, für die der Autor Stärken von 7.0 oder 6.0 wählt, um strangulierende Effekte und Narbenbildung zu minimieren. Die Transplantate sollten mit einem halbdurchlässigen Okklusionsverband belegt und mit steriler Watte relativ stramm antamponiert werden (7 Abschn. 4.2.4.2, Auskleidung, Composite graft). Frühestens ab dem 5. Tag kann die Tamponade sehr vorsichtig gewechselt und die Haut dabei mit einer sehr guten Optik über einen Bildschirm oder dem Mikroskop in liegender Position kontrolliert werden. Diese Methode ist jedoch nur dann erfolgreich, wenn die Haut spannungsfrei aufgebracht und später die Verbundebene mit dem subkutanen Fettgewebe des Stirnlappens unberührt bleibt. Sonst kann es im Verlauf zu unerwünschten Kontraktionen und Nekrosen kommen.
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
>>Das Verfahren sollte nicht bei expandierter Haut ein-
gesetzt werden, weil die Schichtdicken für den zweiten Schritt (Wiederanhebung, Knorpelgerüst) nicht ausreichen.
In 7 Abschn. 4.2.4.3, . Abb. 4.51c wird der Zustand 4 Wochen nach dem Eingriff (. Abb. 4.48c) gezeigt: Die Haut ist auf der Innenseite komplett angewachsen. Etwa 2 Wochen später ist der 2. Schritt in üblicher Weise geplant, bei der der äußere Lappen relativ dünnschichtig gehoben und damit von der nun autark perfundierten Auskleidung mit subkutanen Gewebeschichten vom Stirnlappen getrennt wird. Es folgen im selben Eingriff die formende Ausdünnung, das Einbringen der Knorpeltransplantate und die Readaptation des äußeren Lappens. Bei dieser Methode ist in etwa 20 % der Fälle mit kleineren Heilungsstörungen zu rechnen. Entsprechend groß ist der Revisionsbedarf, bei dem Nekrosektomien durchgeführt und weitere Hauttransplantate eingebracht werden müssen. Durch Prälaminierung kann man dieses Problem umgehen – eine Methode, auf deren Nachteile hier nicht näher eingegangen werden kann. 4.2.4.2.4 Composite graft
Bei großen Rekonstruktionen spielen composite grafts meist erst am Ende eine Rolle, wenn Asymmetrien und andere Defizite ausgeglichen werden sollen. In den weitaus meisten Fällen geht es dabei um die Vergrößerung und Aussteifung der inneren Oberflächen. >>Präzision und behutsamer Umgang mit Wundrändern
und Transplantaten sind dabei Voraussetzung für den Erfolg.
Der Autor bevorzugt relativ eng gesetzte, locker geknotete Einzelknopfnähte aus resorbierbarem geflochtenem Nahtmaterial, Stärke meist 7.0. Der postoperative Umgang mit dem Transplantat variiert zwischen erfahrenen Operateuren stark und reicht von Kühlung über prophylaktische Behandlung mit Heparin bis zum halbdurchlässigen Okklusionsverband, den der Autor bevorzugt: Halbdurchlässiger Okklusionsverband Silikongewebe, ma-
ger mit antiseptischer Salbe präpariert, wird dem Transplantat mehrlagig aufgelegt. Mit steriler Baumwollwatte wird der Situs von beiden Seiten relativ fest tamponiert, um guten Kontakt zu garantieren und potenzielle Sekret räume zu obliterieren. In Fallbeispiel 5 wird ein großes zweischichtiges composite graft vom Cavum conchae gezeigt, das den inneren Nasenflügel vergrößert und stabilisiert (7 Abschn. 4.2.5.2.1, . Abb. 4.78b). Die mobilisierte äußere Haut wurde dadurch abgesenkt. Es wird aber auch deutlich, dass – trotz leichter Überdimensionierung der
Schablone – der Effekt etwas hinter den Erwartungen zurückbleibt. Diese Korrektur erfolgte zusammen mit der Stieldurchtrennung. 4.2.4.2.5 Zweiter Stirnlappen
Die Auskleidung kann auch durch einen zweiten Stirnlappen gebildet werden. Diese Lösung bietet sich bei großen Rekonstruktionen an, wenn eine Septumrotation nicht möglich ist und besonders in der Mittelachse eine andere robuste und autarke Unterstützung benötigt wird. Einige weitere Gründe, um sich für einen zweiten Stirnlappen zu entscheiden: fehlende Kipplappen, starke Vernarbungen, Strahlenfibrose, Notfall durch Nekrosen auf der Innenseite, Vermeidung eines aufwändigeren Unterarmlappens.
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Ist die Stirn nicht voroperiert, stehen vier axial gestielte Lappen zur Wahl. Zwei davon können gleichzeitig gehoben werden. Neben dem paramedianen Stirnlappen für die Außenfläche kann gleichzeitig ein Stirnlappen der Gegenseite für die Auskleidung genutzt werden. Ist der Bedarf kleinflächig, kann dies der zweite paramediane sein. Ist der innere Defekt groß, steht der laterale Stirnlappen der Gegenseite zur Verfügung. Letzterer hat den Nachteil eines längeren, versetzten Stiels. Dieser Nachteil wird jedoch durch eine meist längere unbehaarte Entfernung vertikal bis zur Haargrenze kompensiert. Ein kleiner Längengewinn ergibt sich in jedem Fall, da der Stiel für die Auskleidung nicht gedreht werden muss. Nachteilig ist die zusätzliche Narbenbildung an der Stirn; auch wird später, im Falle von Revisionen und Rezidiven, ein weiterer vollwertiger Stirnlappen fehlen. Beide Nachteile können jedoch durch Hautexpansion ausgeglichen werden, wenn sie vor der synchronen Lappenhebung erfolgt. Günstig ist in diesen Fällen eine großvolumige Expansion der gesamten Stirn über etwa 3 Monate. Ab einem Expansionsvolumen von 100 ml ist ein weitgehender oder sogar vollständiger primärer Verschluss möglich. So kann bei Bedarf später mindestens noch ein dritter Stirnlappen gewonnen werden. Die Planung und Hebung des Lappens entspricht dem in 7 Abschn. 4.2.4.3 (Außenhaut mittels Stirnlappen) beschriebenen Vorgehen. Dazu gehört auch der genaue Zuschnitt des Lappens mittels einer exakt angefertigten Schablone. Diese wird jedoch auf der Stirn nicht um 180° gedreht, wie dies für den äußeren Hautersatz notwendig ist. Nach der Schwenkung des Lappens um 180° nach kaudal entfällt also die Drehung, da die Haut nach innen gewendet bleibt – ein Vorteil für Länge und Durchblutung des Stiels. Wurde die gesamte Stirn zuvor expandiert, passen die Lappen durch ihre reduzierte Schichtdicke gut zueinander und werden nicht ausgedünnt. Der innere Stirnlappen bietet eine besonders gut durchblutete und sehr sichere Basis für das Knorpel-
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Kapitel 4 • Äußere Nase
gerüst. Der Gedanke liegt deshalb nahe, schon beim 1. Schritt mit der Gerüstrekonstruktion zu beginnen. Dies bietet sich besonders dann an, wenn keine tragfähigen Strukturen erhalten sind und der rekonstruierte Weichteilmantel bis zum Gerüstbau im Folgeeingriff von innen gestützt werden muss. Der Autor bevorzugt und empfiehlt dennoch die Trennung von Weichteil- und Gerüstrekonstruktion: Erst durch ein Intervall von mehreren Wochen ist ein lückenloser Verbund der Auskleidung mit bestmöglicher Perfusion garantiert. Auch kann erst durch die Anhebung des äußeren Stirnlappens im Folgeschritt ein homogenes und konsolidiertes Bett für das empfindliche Gerüst geschaffen werden. Außerdem lässt sich so die Gefahr von Sekretansammlungen in Toträumen besser abwenden: Die robustere Durchblutung erlaubt eine größere Kompression und Obliteration durch Matratzennähte. Sollte dennoch die Entscheidung für eine synchrone Gerüstrekonstruktion getroffen werden, wäre eine Beschränkung auf die statisch wichtige L-Konstruktion in der Mittellinie ein guter Kompromiss. Die Nase kann so dem endgültigen Profil nahegebracht und der Weichteilmantel bei der Schrumpfung gebremst werden. Die ungenutzten Knorpelanteile können in einem Depot, z. B. im Bereich der lateralen Brustumschlagfalte, bis zum kompletten Aufbau im Folgeeingriff aufbewahrt werden. Ob der Stiel des inneren Lappens bereits im Folgeschritt, also im Rahmen der Gerüstrekonstruktion, durchtrennt werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Länge des Intervalls, Größe des Lappens, Vitalität des Umgebungsgewebes, Qualität der Integration.
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Falls die Durchblutung bei prä- und intraoperativen Drosselungsversuchen nachlässt, muss der Stiel erhalten bleiben und das Gerüst in diesem Bereich ggf. ausgespart werden. Bei dem Patienten aus Fallbeispiel 6 ist es zu einer schweren Komplikation durch massive eitrige Infektion gekommen (7 Abschn. 4.2.5.2.2, . Abb. 4.80). Deshalb wurde hier die Auskleidung in der Mittellinie durch einen zweiten Stirnlappen von paramedian links ersetzt; eine fortbestehende Infektion mit tertiärer Nekrose im Nasenspitzen- und Columella-Bereich hat schließlich Gewebeersatz durch einen zweizeitig operierten Nasolabiallappen erforderlich gemacht. 4.2.4.2.6 Radialis-Lappen
Bei ausgedehnten Defekten, stark vernarbtem oder strahlenfibrotisch verändertem Gewebe können mitunter die bisher vorgestellten Techniken nicht angewendet werden, oder sie reichen nicht aus für die Neubildung von Auskleidungen und den Ausgleich von Substanzdefekten.
In diesen Fällen sind freie Transplantate die Lösung. Damit kann gut durchblutetes Gewebe in fast jedem Umfang und in annähernd passender Form für Fundament und Auskleidung der neuen Nase bereitgestellt werden. Der Radialis- oder Unterarmlappen ist durch seine dünne, gut formbare Struktur und seinen langen Stiel für Rekonstruktionen im Mittelgesicht prädestiniert. >>Für die Neubildung der äußeren Nase eignen sich die
Hautqualitäten freier Transplantate allerdings nicht. Dafür sollte stets ein Stirnlappen gewählt werden. Muss die blasse Haut der freien Transplantate dennoch in sichtbaren Bereichen verwendet werden, sollte dies nach Möglichkeit nur eine Interimslösung sein.
Auch vor einer Rekonstruktion mit freien Transplantaten ist darauf zu achten, dass Defekte der angrenzenden ästhetischen Einheiten vorab behoben werden. Dazu sind meist separate Operationen erforderlich, deren Ziel eine rekonstruierte „Plattform“ für die neue Nase ist, also ein symmetrischer Defekt, der auf die ästhetische Einheit der Nase beschränkt ist. Präoperative Planung am Bildschirm und am Patienten Diese ist wie immer Voraussetzung für einen guten
Bauplan. Eine genaue, dreidimensionale Schablone für Auskleidung und Substanzdefekt sollte vorab angefertigt, angepasst und auf dem Unterarm ausgebreitet werden. Oft gelingt es erst nach einigen Versuchen, eine „ideale“ Schablone zu schneiden und zu biegen. Diese kann dann im OP, z. B. steril in chirurgische Inzisionsfolie eingeklebt, als Vorlage für ein Modell aus sterilem Material dienen und helfen, Operationszeit zu sparen. Chirurgisches Ziel Mittels einer derart entwickelten Lap-
penform sollen alle fehlenden Strukturen unterhalb der äußeren Nasenhaut rekonstruiert werden: die fehlende Auskleidung, statisch wichtige Septumanteile, Volumendefekte sowie die Übergänge zu angrenzenden ästhetischen Einheiten. Der meist einteilige Radialis-Lappen soll statisch wichtige Knorpeltransplantate ummanteln, die im selben Eingriff angefertigt und eingesetzt werden. So entsteht eine neue, standfeste, aber noch unförmige Nase, deren Außenfläche – die Rückseite des Lappens – passager mit Spalthaut gedeckt wird. Lappenhebung und Gefäßanschluss Diese erfolgen nach
den üblichen Konzepten: Per Duplexsonographie werden präoperativ die Gefäßqualitäten ermittelt, die Gefäßausrichtung zur Schablone und die Anschlussgefäße festgelegt. Während der Operation Es sollten zwei Teams tätig sein,
sodass der Lappen sofort in ein vorbereitetes Bett eingenäht und der Stiel über einen präformierten Tunnel an das faziale, das superfizielle temporale oder ein zervikales
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
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..Abb. 4.50 a–c Auskleidung mit freiem Unterarmlappen (gezeigt ist derselbe Patient wie in 7 Abschn. 4.2.5.2.3, Fallbeispiel 7). a Ausgedehnter Mittelgesichtsdefekt nach Radiochemotherapie, totaler Ablatio nasi und Teilresektion von Oberlippe und Oberkiefer. b Eine Schablone aus zusammengefügten Nahtpäckchen hilft beim Design eines 18 cm langen Unterarmlappens. Rekonstruiert werden Teile von
Gefäßbündel angeschlossen werden kann. Im nächsten Schritt wird die Spalthaut abgetragen werden, die Weichteile werden getrimmt, der Stirnlappen gehoben und meist gleichzeitig, also abweichend vom sonst üblichen Konzept, das oberflächliche Knorpelgerüst rekonstruiert und mit dem Stirnlappen abgedeckt. In . Abb. 4.50a wird der Patient aus Fallbeispiel 7 gezeigt, bei dem ein marginales Segment des Oberkiefers mit Vestibulum oris und Oberlippe reseziert werden musste. Es war zu einem zweiten Rezidiv eines primär bestrahlten, rezidivierten und resezierten Karzinoms des Nasenseptums gekommen. . Abb. 4.50b zeigt eine mögliche Form der Schablone, die Oberlippe, Nasenboden, Auskleidung und ventrokraniale Anteile eines Neoseptums einschließt (s. auch 7 Abschn. 4.2.5.2.3, . Abb. 4.83a). Im Neoseptum soll eine Knorpelplatte für inkomplette vorläufige Stabilität sorgen. Der Beispielfall zeigt eine typische Konstellation: Ein großer Mittelgesichtsdefekt überschreitet zu den Wangen hin knapp, zur Oberlippe hin ausgedehnt die ästhetische Einheit der Nase. Ein Septumrotationslappen steht nicht zur Verfügung, weil die gesamte Anatomie der vorderen und mittleren Nasenhöhle abgetragen wurde. Das umgebende Gewebe bietet keine Reserven für die beschriebenen Lappentechniken. Die Fibrose nach Strahlentherapie erschwert jede Mobilisation. Zur freien Lappenplastik gibt es hier keine zeitgemäße technische Alternative.
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c Oberlippe, Nasenboden und -wänden sowie die Auskleidung der Neonase mit oberem Septum. c 3 Wochen später: Der Lappen ist eingeheilt und wird am integrierten Rückenspan angehoben, um die maximal mögliche Projektion zu demonstrieren. Die passagere Spalthautabdeckung ist nach Infektion teilnekrotisch abgetragen worden und soll umgehend erneuert werden
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Der Radialis-Lappen ersetzt – fehlendes Volumen, – Auskleidung, – Teile des Septums und – in diesem Fall zusätzlich einen Teil der Oberlippe. Die somit vollzogene Überschreitung der ästhetischen Einheit widerspricht zwar den oben beschriebenen Regeln, ist aber hier ein akzeptabler Kompromiss.
Die unpassende Lappenhaut im Verbund mit der männlichen Oberlippe soll später nach Bedarf und Möglichkeit durch Verschiebung oder Transplantation von Gesichtshaut ersetzt werden. Der Gefäßanschluss war in diesem Fall an die A. thyreoidea superior und die V. jugularis interna möglich. Das Fallbeispiel 7 demonstriert intraoperative Schritte mit dem Unterarmlappen, der hier in einer fast maximal großen Variante ausgeführt ist. Am Ende ist neben der Neoseptumplatte auch schon ein Rückenspan aufgelegt, der knapp mit subkutanem Fettgewebe abgedeckt werden kann (7 Abschn. 4.2.5.2.3, . Abb. 4.83). . Abb. 4.50c zeigt das Ergebnis nach einigen Wochen; das infizierte Hauttransplantat zur provisorischen äußeren Abdeckung musste kurz zuvor abgetragen und soll durch neue Spalthaut ersetz werden. Nach weiteren 6 Wochen folgt der 2. planmäßige Schritt mit Stirnlappen und endgültigem Knorpelgerüst, das in Fallbeispiel 7 (7 Abschn. 4.2.5.2.3, . Abb. 4.84) noch inkomplett ist.
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Kapitel 4 • Äußere Nase
4
a
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..Abb. 4.51 a Die A. supratrochlearis (großer Punkt) zieht oberhalb des Lidwinkels (kleiner Punkt) in der medialen vertikalen Kanthus-Linie von der Orbita nach oben. Die Linie markiert den Verlauf des Gefäßes für die Planung des paramedianen Stirnlappens. Die A. supraorbitalis (großer Punkt) verlässt die Orbita etwas medial der vertikalen Pupillenlinie (kleiner Punkt) und ist das axiale Gefäß des lateralen Stirnlappens. Die unterbrochene Linie markiert einen paramedianen Stirnlappen zur Neubildung der ganzen äußeren Nase. b Nach Identifizierung und Markierung der A. supratrochlearis durch Dopplersonographie wurde der paramediane Stirnlappen rechts mittels Standardschablone streng vertikal auf die Stirn übertragen. Der neue Steg liegt teilweise im behaarten Skalp. Der Stiel ist relativ
4.2.4.3
Außenhaut mittels Stirnlappen
Stirnlappen bieten rekonstruktive Lösungen für nahezu alle Lokalisationen und Defektgrößen an der Nase. Das Spektrum reicht von der Neubildung distaler Untereinheiten wie Flügel, Spitze und Columella bis hin zu großen heminasalen und totalen Rekonstruktionen, um die es hier geht. Ist die Stirn nicht voroperiert, stehen 4 Varianten dieser axial gestielten Lappen zur Wahl: der paramediane Stirnlappen mit der A. supratrochlearis und der laterale Stirnlappen mit der A. suprorbitalis auf beiden Seiten.
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Der paramediane Stirnlappen ist dabei erste Wahl. Die Technik wurde von Burget und Menick in den 1980er Jahren aus den damals gängigen Varianten der Stirnlappen weiterentwickelt und Anfang der 1990er Jahren publiziert (Burget und Menick 1989, 1994). Viele Nachteile, Grenzen und Risiken wurden dadurch überwunden. Ihre detaillierte Anleitung mit präzisen anatomischen Bezügen ist bis heute maßgeblich.
c breit ausgelegt und misst an seiner schmalsten Stelle am Unterrand der Augenbraue 15 mm. Aus den Nasenresten innerhalb der ästhetischen Einheit werden kleine Kipplappen gebildet. c Nach Rotation des partiell erhaltenen inneren Septums (7 Abschn. 4.2.6, . Abb. 4.87) und Vorbereitung dicker Spalthaut auf Schablonen zur Auskleidung (. Abb. 4.48a–c) erfolgte die Neubildung der äußeren Nase mit dem Stirnlappen. Die Stielbasis wurde durch die Augenbraue hindurch verlängert. Zur Verstärkung der inneren Nasenspitze wurde das Periost mitgenommen (dunkles Areal). Foto Tag 7: Die Matratzennähte zur Fixierung der Hauttransplantate sind entfernt. Der Okklusionsverband an der Stirn wurde für das Foto kurz entfernt
Paramedianer Stirnlappen nach Burget und Menick – wesentliche Aspekte 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Axiales Gefäß Vertikale Lappenausrichtung Große Dimensionen Schmale Stielbasis (>Cave: In älteren Lehrbüchern werden sog. „schräge
Stirnlappen“ beschrieben, die auch in neueren Auflagen ohne adäquate Korrektur zu finden sind. So werden Spielarten dieser veralteten und riskanten Methode bis heute angewendet und führen oft zu Komplikationen und schlechten Ergebnissen.
Beschrieben wird dabei oft eine breite Basis über der Nasenwurzel, die mit breitem Stiel im 45°-Winkel von der Vertikalen abweichend nach laterokranial zieht. Dadurch werden aber die vertikalen Gefäßverläufe in Serie durchtrennt: Statt eines axial pattern flap entsteht ein random pattern flap. Wegen der breiten und zu hoch gelegenen Basis ist zudem die Mobilisierung stark eingeschränkt. Ein solcher Lappen ist obsolet. 4.2.4.3.1 Planung des paramedianen
Stirnlappens
Die Auswahl der Seite richtet sich nach der Lokalisation des Defekts und den Verhältnissen an der Stirn: Diese sollen als unverletzt, anatomisch normal und symmetrisch angenommen werden. Für den Fall, dass Columella und Flügelbasis nur mit behaarter Lappenhaut rekonstruiert werden können, sollte mit dem Patienten die Möglichkeit einer vorherigen Hautexpansion (7 Abschn. 4.2.4.5) besprochen werden. Ist ein symmetrischer distaler Defekt zu decken, etwa Nasenspitze und Columella, kann der Lappen auf beiden Seiten gehoben werden. Folgende Aspekte sind jedoch zu berücksichtigen: Bei seitendifferentem Sehvermögen sollte der Stiel auf der „schlechteren“ Seite liegen. Bei asymmetrischer Frisur kann jene Seite gewählt werden, auf der der Hebedefekt durch die Haare oder deren Schatten besser kaschiert wird. Es könnte auch die Seite mit stärker ausgeprägter „Zornesfalte“ gewählt werden: Diese wäre dann am Ende durch eine weniger auffällige Narbe ersetzt.
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Im Fallbeispiel 1 (7 Abschn. 4.2.5.1.1) wurde die rechte Seite gewählt, weil dort die „Geheimratsecke“ etwas größer
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ausgebildet war. Im Fallbeispiel 2 (7 Abschn. 4.2.5.1.2) wurde der Lappen rechts gehoben, weil links das Sehvermögen besser war. Heminasale Defekte werden mit einem ipsilateralen Lappen gedeckt: So kann die Stielbasis dem Defekt so nahe wie möglich angenähert und die Strecke bis zur Haargrenze gleichzeitig verlängert werden. Das ist besonders dann wichtig, wenn die Haarlinie tief liegt und der Defekt bis zur Basis von Nasensteg oder -flügel reicht. Im Fallbeispiel 3 (7 Abschn. 4.2.5.1.3) wird ein solcher Defekt bei sehr hoher Haarlinie gezeigt. An der Extension für die Auskleidung wird deutlich, wie langstreckig der Bedarf an möglichst unbehaarter Haut ist – was in diesem Fall wegen der „hohen Stirn“ unproblematisch war. Besonderheit: Ein sonographisch dominanter Gefäßast liegt weit medial, der Seitenbezug ist dadurch fast aufgehoben. Soll die gesamt äußere Haut ersetzt werden, verhält es sich ähnlich wie bei den eingangs genannten symmetrischen Defekten: Hier kommen beide Seiten in Betracht. Bei solchen großflächigen Lappen kommt es gelegentlich vor, dass störende Hautbefunde oder Narben die Wahl der Seite beeinflussen. Ansonsten richtet sich die Wahl nach Details wie Sehvermögen, Frisur, Falten etc. Das Fallbeispiel 4 (7 Abschn. 4.2.5.1.4) zeigt eine totale Neubildung der äußeren Haut bei ausgedehntem heminasalem Defekt. Wegen der tiefen Haarlinie musste die Stirnhaut zuvor expandiert werden. Die linke Seite wurde wegen der von der Patientin bevorzugten rechtsseitigen Schlafposition gewählt. Ausschlaggebend für die Wahl der Seite kann u. a. auch die Hautqualität sein. Präoperativ sollte der genaue Verlauf des axialen Lappengefäßes (A. supratrochlearis) ermittelt und markiert werden. Dies gelingt am besten mit einer DopplerStiftsonde (cw-Doppler), weniger gut mittels der DuplexSonographie (pw-Doppler im B-Bild). Der Gefäßverlauf wird mit Duplex-Technik bis etwa 1 cm oberhalb der Augenbraue verfolgt. Steht diese Technik nicht zur Verfügung, kann die mediale vertikale Kanthuslinie zur Orientierung herangezogen werden (. Abb. 4.51a). Der tatsächliche Gefäßverlauf weicht nach Erfahrung des Autors höchstens 2 mm nach rechts oder links von dieser Linie ab. Im weiteren Verlauf bis zur Haarlinie kann ein vertikaler, zunehmend verzweigter Verlauf angenommen werden. Die Arbeit mit Schablonen beginnt, sobald der Defekt operativ vorbereitet und die geplante Auskleidung (7 Abschn. 4.2.4.2) so weit wie möglich ausgeführt ist. Damit ist nun der Bedarf an äußerer Haut genau erkennbar und die Anfertigung und Bearbeitung von Schablonen ist möglich. Die dreidimensional geformte Schablone (7 Abschn. 4.2.2.3) wird auf der Stirn ausgebreitet und ihre ideale Position gesucht: Eine möglichst vertikale Ausrichtung sichert die axiale Blutversorgung, eine weit kraniale Po-
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Kapitel 4 • Äußere Nase
sition die ausreichende Länge des Stiels. Bei hoher Haarlinie oder unbehaartem Skalp ist dies unproblematisch. Bei normaler Haarlinie müssen ggf. marginale Lappenanteile im Bereich des behaarten Schädels positioniert werden. Bei tiefer Haarlinie sollte in diesem Moment eine ausreichend große unbehaarte Hautfläche durch Hautexpansion zur Verfügung stehen. Nun muss überprüft werden, ob die Länge des Stiels ausreicht. Dazu wird vom geplanten Drehpunkt aus (mediale Augenbraue) die Länge des Lappens abgegriffen. Dafür wird am besten eine dünn ausgezogene Kompresse genommen. Über diesen Drehpunkt wird die Distanz auf den Defekt rotiert und – mit etwas Reserve – die spannungsfreie Einnaht abgeschätzt. Wenn die Länge nicht ausreicht und der Drehpunkt bereits am tiefsten Punkt (unter der Augenbraue) angenommen wurde, muss die distale Lappengrenze weiter in den behaarten Skalp hinein verschoben werden. Am Defektsitus ist nun zu prüfen, an welchen Stellen und in welchem Umfang zusätzliches Gewebe benötigt wird, etwa zur Korrektur eines Oberlippendefekts oder, eingefaltet, zur Vervollständigung der inneren Oberfläche. Auch dafür sollten Schablonen angefertigt werden. Der Stirnlappen wird um diese zusätzlichen Areale (hier „Extensionen“ genannt) verlängert und erweitert. Es folgt die Übertragung der Schablonenkontur mitsamt Extensionen auf die Stirnhaut. Der Übergang vom schmalen Stiel zur Schablonenkontur sollte dabei V- oder tütenförmig gestaltet sein, um die Durchblutung der Lappenperipherie abzusichern und Weichteilreserven für den Fall peripherer Probleme zu schaffen. . Abb. 4.51b zeigt eine ideale vertikale Ausrichtung. Notwendiger Kompromiss: Die Neocolumella liegt im Bereich der behaarten Kopfhaut, die so weit wie nötig intraoperativ rasiert wird. Ein behaarter Nasensteg ist bei einem männlichen Patienten unproblematisch. Auch in Fallbeispiel 1 wird eine ideale Ausrichtung gezeigt, die es erlaubt, das axiale Gefäß in einem Stiel von nur 10 mm Breite zu heben – ein wichtiges Detail, um den distal gelegenen Defekt zu erreichen (7 Abschn. 4.2.5.1.1, . Abb. 4.57a). Eine dreieckige Extension an der Stegbasis dient der Erweiterung des verengten Naseneingangs und sorgt zudem für robuste Einbindung der Neocolumella. Es handelt sich dabei um das Burow-Dreieck, das bei Raffung des Hebedefekts zur Vermeidung einer stehenden Falte ohnehin hätte reseziert werden müssen. Exakt vertikal wurde auch der Lappen in Fallbeispiel 3 ausgerichtet (7 Abschn. 4.2.5.1.3, . Abb. 4.64g). Hier wurde das distale Burow-Dreieck ebenfalls zunächst am Lappen belassen, in diesem Fall also als Extension der Auskleidung. Dieser Überschuss, eine distale Reserve, wurde erst bei Einnaht der Auskleidung, soweit erforderlich, getrimmt. Auch der expandierte Stirnlappen zur Rekonstruktion der gesamten äußeren Haut in Fallbeispiel 4 folgt
dem vertikalen Gefäßverlauf (7 Abschn. 4.2.5.1.4, . Abb. 4.68b). Er muss keinen Beitrag zur Auskleidung leisten und kann daher knapp außerhalb der Haarlinie bleiben. Lediglich das Burow-Dreieck an der Columella-Basis ist behaart: Die haartragende Haut wird einschließlich der Haarwurzeln desepithelisiert und die verbleibende kleine „Fettschürze“ unter die Oberlippe gezogen. Resultat: Bessere vaskuläre Anbindung und harmonischer Übergang zur Oberlippe im Vergleich zur „stumpf“ aufgenähten Neocolumella. Ein weiteres Beispiel für genaue axiale Lappenausrichtung bietet in Fallbeispiel 5 die Totalrekonstruktion mit expandiertem Stirnlappen (7 Abschn. 4.2.5.2.1, . Abb. 4.73a). Neben dem Burow-Dreieck an der Columella-Basis sind Extensionen an den Flügelrändern eingezeichnet: Der Stirnlappen wird damit distal auf sich selbst gefaltet („eingefaltet“) und bildet so einen großen Teil der Auskleidung. 4.2.4.3.2 Hebung des paramedianen
Stirnlappens
Der Einzeichnung folgt die zügige Umschneidung und Auslösung des Lappens von distal nach proximal. In dieser Richtung gelingt die Blutstillung am besten, und die Operation wird wenig durch Blutungen gestört. Der Autor bevorzugt eine vollschichtige Hebung unter Schonung des Periosts. Annäherung und Verschluss der Ränder des Hebedefekts gelingen so besonders gut. In Richtung Stielbasis wird die Präparation mit Lupenbrille oder Mikroskop fortgesetzt. Dies erfolgt von der Hautoberfläche zu den tiefen Schichten und von kranial nach kaudal, durch die Augenbraue hindurch in Richtung Oberlid. Alle Strukturen werden vor der Durchtrennung identifiziert. Die Lappengefäße werden in ihrem schützenden Weichteilmantel möglichst nicht exponiert. Besondere Vorsicht ist grundsätzlich bei Venen geboten: Sie sind durch Momente der Entspannung an ihrer Füllung zu erkennen und sollen so weit wie möglich erhalten werden. >>Eine oft empfohlene Inzision und Hebung des Periosts
zum „Schutz der Gefäße“ sollte unterbleiben: Dadurch würde die Präparation behindert und Mobilisation und Länge des Lappenstiels eingeschränkt.
Im ersten von 3 rekonstruktiven Schritten erfolgt eine Reduktion des Subkutangewebes, die sog. Ausdünnung nur, soweit es zur Bildung der Nasenform notwendig ist. Dies ist unvermeidlich, um die U-Form der Columella zu bilden und die Ränder zu den Ostien hin einige Millimeter einzufalten. Große Zurückhaltung ist im Bereich der Flügelbasen angebracht, weil es insbesondere auf der dem Stiel opponierenden Seite zu Perfusionsstörungen kommen kann. Materialreserven sind hier zudem bei der späteren Ausformung hilfreich. Auch im Bereich der Nasenspitze sollte der Lappen nicht ausgedünnt werden:
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
Die Folgen von Perfusionsstörungen können an diesem exponierten und statisch belasteten Ort zu kaum reparablen Problemen und Schäden an der Haut führen. Bei expandierter Lappenhaut entfällt eine Ausdünnung meist komplett. Der Lappen kann nun in den Defekt eingegliedert werden. Die Fixierung beginnt beim eingefalteten Stirnlappen meist auf der Innenseite mit Einnaht der Extensionen. Bei Totaldefekten wird der neue Hautmantel nach symmetrischer Ausrichtung an beiden Wangen und der Columella-Basis fixiert. Nach Prüfung und Korrektur der Position folgt die endgültige Subkutan- und Hautnaht. Die Nähte entlang der Flügelränder werden meist zuletzt gesetzt, einschichtig und mit resorbierbaren Fäden wie bei einer offenen Rhinoplastik. Sollte der Lappen während der Operation übermäßig anschwellen, kann ein solches Ödem vor der Einnaht ausmassiert werden. Ist der Lappen danach trotzdem noch aufgetrieben und zu steif, kann die Flexibilität durch locker adaptierende Positionsnähte erreicht werden, die dann etwas später durch strammer gesetzte endgültige Nähte ersetzt werden. Der Autor empfiehlt, die Flügelbasen nicht zu vernähen, sondern wie in Fallbeispiel 5 als lockere Faltung dem Defektgrund und der angrenzenden Haut offen aufzulegen (7 Abschn. 4.2.5.2.1, . Abb. 4.77a). Dies bietet folgende Vorteile: weniger Spannung, Öffnung für venöse Drainage, Aufschub der schwierigen Formgestaltung bei meist günstiger Formentwicklung durch sekundäre Heilung dieser offenen Flügelbasen.
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Die Rückseite des Stiels kann mit Spalthaut oder einer Hautersatzfolie bedeckt werden, um die Versorgung zu erleichtern und stärkere Schrumpfung zu verhindern. Auch eine semiokklusive Umwicklung mit Silikongewebe und antiseptischer Salbe ist möglich, wobei jedoch mit etwas stärkerer Schrumpfung und Verkürzung des Stiels gerechnet werden muss. Ein primärer Verschluss des Hebedefekts an der Stirn ist bei großen Rekonstruktionen nicht möglich. Großzügige beidseitige Mobilisation der Stirnhaut erlaubt einen spannungsarmen Verschluss nur im Bereich des Lappenstiels. Mit evertierender Nahttechnik und feinem Fadenmaterial für die Haut (6.0 oder 7.0) sind die Narben nahezu unsichtbar. Der verbleibende Defekt kranial davon wird mit mäßiger Spannung und resorbierbarem Fadenmaterial (3.0) so weit wie möglich verkleinert. Die subkutan bis direkt an den Hautrand durchgestochenen Fäden werden dabei ähnlich wie bei einer Korsettschnürung geführt (7 Abschn. 4.2.5.1.1, . Abb. 4.57). Durch diese Raffung kommt es meist zu einer stehenden Falte am behaarten Kopf, die als Burow-Dreieck exzidiert und in manchen Fällen als haartragendes Replantat gleich wiederverwendet werden kann.
Postoperativ wird der verbliebene Restdefekt permanent mit einem semiokklusiven Verband abgedeckt (7 Abschn. 4.2.4.2, Composite graft). Darunter wächst nun auf dem Periost ein Granulationsbeet, das in der Regel bald das Hautniveau erreicht und überschreitet. Die dann einsetzende Epithelisierung führt in vielen Fällen zu guten Ergebnissen. Bei weniger günstigen Heilungsverläufen kann man den Defekt im letzten Eingriff (Stieldurchtrennung) knapp in der unversehrten umgebenden Haut umschneiden. Das Narbengewebe wird dann partiell oder komplett auf Schichtdicke eines Hauttransplantats abgetragen. Das Transplantat wird aus dem Lappenstiel gewonnen. Dies führt in der Regel zu sehr guten Ergebnissen. Alternativ kann diese „Korsettnaht“ mit einem kräftigen Nylonfaden gesetzt und an einer Stelle perkutan nach außen geleitet und dort verknotet werden. Durch tägliches Nachspannen kann der Restdefekt nach Tagen oder Wochen ganz verschlossen werden. Diesen Prozess kann der Patient durch mobilisierende Massage der Kopfhaut beschleunigen. Im Folgeeingriff ist dann meist eine Exzision der so entstandenen Narbe zur endgültigen ästhetischen Wiederherstellung notwendig. 4.2.4.3.3 Wiederanhebung des Stirnlappens
Nach 3–6 Wochen folgt der 2. operative Schritt: Die Wiederanhebung des Stirnlappens zur Ausdünnung und Neubildung des Knorpelgerüsts. In der Zwischenzeit hat sich die Lappenperfusion durch das Stielgefäß erheblich verbessert. Nun kann der Lappen relativ dünnschichtig von der Auskleidung abgehoben werden. Die Präparation in der unvernarbten subkutanen Fettschicht der Stirnhaut gelingt schnell und sicher. Im Bereich von Nasenspitze und Flügelbasen ist zur Sicherheit die Schicht etwas dicker zu belassen. Soll der Lappen komplett gelöst werden, empfiehlt es sich, seine Position durch Striche auf Lappen und Wange beidseits zu markieren. So ist die Readaptation am Ende des Eingriffs unkomplizierter, und vorgesehene Verschiebungen – meist nach kaudal – können ggf. daran genau abgemessen werden. Die Auskleidung wird nun vorsichtig und unter mikroskopischer Kontrolle der Durchblutung ausgedünnt, Asymmetrien und Formdefizite werden dabei korrigiert. Nach Hautexpansion sind Ausdünnungen meist nur in sehr geringem Umfang erforderlich. Nun folgt die Neubildung des Gerüsts. 4.2.4.4 Knorpelgerüst
Mit dem 1. rekonstruktiven Schritt sollen innere und äußere Oberflächen vollständig wiederhergestellt werden. Erst beim 2. Schritt erhält die Nase ihre endgültige Form durch Knorpeltransplantate. Dieser Schritt erfolgt, sobald die Auskleidung eine geschlossene, gut vaskularisierte und belastbare Oberfläche bildet, frühestens nach 3 und spätestens nach 6 Wochen. Wird länger gewartet,
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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wird die Entfaltung der narbig schrumpfenden Weichteile durch die Transplantate immer schwieriger. In der Regel folgt der 2. Schritt mit Anhebung des äußeren Lappens und Neubildung des Gerüsts also nach 3–6 Wochen. Existiert schon ein tragfähiges Teilgerüst, z. B. durch ein rotiertes Septum, kann man ggf. bis zu 8 Wochen warten. Für ein gutes Langzeitergebnis muss das Gerüst folgende Kriterien erfüllen und konstruktive Merkmale aufweisen: Kriterien für gute Langzeitresultate bei der Rekonstruktion des Knorpelgerüsts
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Es muss der narbigen Schrumpfung ohne Deformation widerstehen. Seine Form muss ohne Resorption ein Leben lang halten. Dafür muss es – im Bereich von Nasenbein und Spina fest verankert, – im Bereich der Nasenspitze zuverlässig mechanisch verzahnt und – großflächiger als die normale Knorpelanatomie ausgelegt werden. Gestaltung und Position der Elemente müssen eine gute Nasenatmung und eine ästhetisch ansprechende Erscheinung sicherstellen.
Der Autor verwendet in nahezu allen Fällen autologen Rippenknorpel für die Komponenten des Gerüsts. Knöcherne Transplantate sind unnatürlich hart und den Eigenschaften des Rippenknorpels unterlegen. Ohrknorpel kann bei großen Rekonstruktionen den Kräften der narbigen Schrumpfung kaum ausreichenden Widerstand bieten. Ohnehin ist zu wenig davon vorhanden – er sollte Detailkorrekturen bei Revisionen vorbehalten bleiben. Kunststoffe sind, so der Konsens unter erfahrenen rekonstruktiven Chirurgen, nicht geeignet. Die präoperative Planung erfordert aktuelle Fotos, die den Zustand des Weichteilmantels dokumentieren. Diese Bilder werden in eine fortlaufende, maßstabsgerechte Serie von Frontal- und Seitaufnahmen eingereiht, die neben dem aktuellen Defektzustand das intakte Gesicht vor dem Verlust zeigen. Die Umrisse des ursprünglichen Zustands werden auf die aktuellen Bilder kopiert, und das operative Ziel wird mit dem Patienten am Bildschirm besprochen (7 Abschn. 4.2.2.2). Falls größere knöcherne Defekte vorliegen, meist an Nasenbein oder Spina, ist eine digitale Volumentomographie hilfreich. Ein Screenshot der median-sagittalen Ebene wird auf den Maßstab des Profilfotos gebracht und in die identische Kopfhaltung rotiert (. Abb. 4.45a,b). Das Bildbeispiel zeigt eine Patientin mit Sattelnase und subtotaler Septumperforation bei GPA (ehemals M. Wegener). Mit PowerPoint kann nun das DVT-Bild über
..Abb. 4.52 Rippenknorpel wird zu Beginn der OP gehoben und sofort zerteilt, um während der weiteren Bearbeitung genug Zeit zu haben, auf Biegemomente reagieren zu können. Jeder Arbeitsschritt wird auf dem abgetrockneten Knorpel genau vorgezeichnet: Aus dem Kern soll ein „balancierter“ Vierkantstab für den Nasenrücken entstehen, der dann zum „Halbrundstab“ geformt wird (. Abb. 4.53a,c). Das Stück ist mit 4 cm Länge knapp bemessen. Für einen Rückenspan reicht das nur, wenn das Nasenbein erhalten ist. Aus den Oberflächen entstehen zunächst zwei Scheiben, die sich in der Regel etwas wölben und – jeweils längs halbiert – spiegelbildlich die Seitengerüste bilden (. Abb. 4.52a,c)
das Profilbild gezogen werden. Es ist bei dieser Verschiebung halbtransparent und kann im Moment der Überlagerung als weiterer Screenshot aufgenommen werden. Dieses Fusionsbild wird auf eine neue Folie kopiert (. Abb. 4.45c). Nun wird mithilfe der Millimeterskala auf dem DVT der Knorpelbedarf ermittelt, und mit den Zeichentools werden Entwürfe für die wichtige Tragkonstruktion in der mittleren Sagittalebene skizziert und Details zu deren Fixierung geplant (. Abb. 4.45d). Dieses Verfahren wurde vom Autor durch die Arbeit mit PowerPoint entdeckt und entwickelt. Es ist eine zeitgemäße Alternative zur konventionellen Planung mit einem FernröntgenSeitenbild. Intraoperativ dient diese Planung zur Bemessung der Knorpeltransplantate, die ganz am Anfang des Eingriffs gewonnen werden. Ihr endgültiger Zuschnitt und Formdetails werden mit Schablonen direkt am Situs entwickelt und überprüft. Schablonen können aus Abschnitten der sterilen Einweg-Lineale angefertigt werden. Mit diesen Schablonen werden Details des Gerüsts, insbesondere der L-Konstruktion, der Verzahnung von Columella- und Rückenspan und deren Fixierung an Nasenbein und Spina simuliert. Am Anfang der Operation sollte die Hebung des Rippenknorpels und seine Zerteilung stehen (. Abb. 4.52). So gewinnt man die nötige Zeit, um die Biegeeigenschaften der „Rohlinge“ über Stunden zu beobachten und kann
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a
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d
..Abb. 4.53 a–d Beispiel zweier großer Rekonstruktionen bei partiell erhaltenen Septen mit unterschiedlicher Profilhöhe. a Abhebung eines expandierten Stirnlappens zur Gerüstrekonstruktion. Das initial flache Profil wurde bereits in der Voroperation aufgebaut. Jetzt reicht ein Satz relativ dünner „Formteile“ aus, die mit dünnen monofilen Nähten auf das Neoseptum und die narbig stabile Auskleidung gegurtet werden. b Gewünschte Formentwicklung 10 Tage später bei noch
erheblicher Schwellung. c Wiederanhebung eines expandierten Stirnlappens zur Gerüstrekonstruktion. Zum Aufbau der unterprojizierten Nase ist hier der Rückenspan groß dimensioniert. Alle Elemente sind mit feinen, meist permanenten Einzelknopfnähten auf die Unterlage genäht und gegurtet. d Günstige Formentwicklung 2 Monate nach Gerüstrekonstruktion und 8 Tage nach Stieldurchtrennung
darauf planerisch und handwerklich reagieren. Die Haut inzision von bis zu 5 cm Länge wird meist auf der rechten Seite gesetzt. Der Autor bevorzugt die 4. bis 6. Rippe, um den Schnitt bei Frauen und auch, je nach Brustanatomie, bei Männern in der – angedeuteten – Brustumschlagfalte zu verbergen. Aber auch die 7. bis 10. Rippe können verwendet werden. Die Materialstärke nimmt kaudal ab, das Ausmaß unerwünschter Verkalkungen ist bei unteren Rippen meist weniger ausgeprägt als bei den oberen. Die Schichten werden durchtrennt, die Muskulatur möglichst nur auseinandergedrängt. Die Rippe kann, je nach Bedarf, mit oder ohne Perichondrium ausgelöst werden. Mit einem stark gebogenen Raspatorium lässt sich die Rippe meist gut vom Perichondrium lösen, das als stabilisierende Schutzschicht auf der Pleura parietalis verbleibt. Das Knorpelsegment wird mit dem Skalpell aus dem Verbund geschnitten, während z. B. ein Raspatorium die Pleura schützt. Bei Ossifikation muss u. U. die oszillierende Säge verwendet werden. Die freien Enden sollten abgerundet werden, damit im Fall stumpfer Thoraxtraumata die Lunge ausreichend vor Einspießungen geschützt ist. Vor Verschluss der Thoraxwunde muss das entnommene Material genau begutachtet und vermessen, vorsichtig gebogen, um Festigkeit und elastische Eigenschaften zu ermitteln, und auf mögliche Schäden untersucht werden. Nun ist zu entscheiden, ob das Material für die geplante Konstruktion geeignet ist und in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Kommen Zweifel auf, muss ein weiteres Rippenstück entnommen werden. Überschüsse können am Ende in einem Depot subkutan z. B. seitlich am Thorax eingenäht werden.
Große und totale Rekonstruktionen: Existiert in der Mittelachse bereits eine statisch belastbare Auflage, reicht ein Satz relativ dünner „Formteile“ aus, die den Septumresten oder dem Neoseptum (Rotation im ersten Schritt) und der Auskleidung aufgelegt werden. Alle Elemente werden mit feinen permanenten und resorbierbaren Einzelknopfnähten fixiert (. Abb. 4.53a,c). Es ist – wie der englische Begriff subsurface framework beschreibt – ein oberflächliches Knorpelgerüst. Fehlt eine belastbare Auflage, muss ein kräftiger Balken die äußere Haut in das endgültige Profil heben und außerdem die an ihm aufgehängte Auskleidung tragen. Dieser Rückenspan ist Teil einer L-Konstruktion. Bei diesen Patienten ist es im Intervall seit dem ersten Schritt meist zu einer etwas stärkeren Schrumpfung gekommen. Das ganze Gerüst muss deshalb sehr tragfähig ausgelegt werden (. Abb. 4.54 und 7 Abschn. 4.2.5.2.3, . Abb. 4.84). Andere Konstruktionen sind möglich. Sind etwa größere Teile des Septums erhalten, könnte der Aufbau des Rückens durch zwei kräftig ausgelegte extended spreader grafts die bessere Lösung sein. Wenn sich ein einteiliger Rückenspan intraoperativ zu stark verbiegt, kann es notwendig werden, ihn zu zerteilen. Die konkav gewölbten Oberflächen werden dann zueinander gewendet vernäht oder verdrahtet und damit ein formstabiles Element geschaffen. Um späteren Verbiegungen des Rückenspans vorzubeugen, kann zentral ein Kirschner-Draht eingebracht werden, eine im angloamerikanischen Raum als K-wire beliebte Methode. Derlei statisch unterschiedlichen Bauformen müssen bei Dimensionierung und Anfertigung der „Rohlinge“ berücksichtigt werden. Bei großen bis totalen Rekonstruktionen werden in der Regel 6–12 Elemente benötigt:
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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4 a
b
..Abb. 4.54 a–c Beispiel einer großen Rekonstruktion mit fehlendem Nasenbein und ohne Septum. Hier muss ein kräftiger Balken die Haut des Stirnlappens in das gewünschte Profil bringen, außerdem trägt er die an ihm aufgehängte Auskleidung. a Typische L-Konstruktion, die das Profil definiert und die erheblichen Lasten trägt. Sollte sich der einteilige Span intraoperativ verbiegen, wird er ggf. zerteilt, und die konkav gewölbten Oberflächen werden zueinander gewendet vernäht. b Knorpelblock, mit zwei Titanschrauben (verdeckt) an der
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ein Nasenrücken- und Columella-Span, zwei gebogene Streifen für die Formung der Flügelränder, zwei flächige Elemente zum Ersatz der lateralen Flügelknorpel, zwei flächige Elemente zur Aussteifung der Nasenflanken als Ersatz für die Dreiecksknorpel.
Sind die neuen Flügelknorpel sehr groß ausgefallen, können sie möglicherweise als formende Aussteifung der Ränder dienen. Mit ummanteltem gewürfeltem Knorpelmaterial werden am Ende des Eingriffs Hohlräume obliteriert und Unebenheiten ausgeglichen. Die Bearbeitung des Knorpels erfolgt durch schneidende oder schabende Bewegung mit einem Skalpell oder einem rotierenden Instrument, am bestem einem groben Diamant- oder Lamellenbohrer. Bei Verkalkungen sind Schnitte mit kleiner Kreissäge oder oszillierender Säge auszuführen. >>Vor jedem Arbeitsschritt sollte die geplante Aktion mit
präzisen Linien auf dem gut abgetrockneten Knorpel markiert werden. Schnitte auf einer Linie und Materialabtrag an eine Linie heran müssen engmaschig optisch und palpatorisch kontrolliert werden.
Der Autor bevorzugt für den Nasenrücken in fast allen Fällen einteilige Knorpelelemente, die zu Beginn der Bearbeitung 10–15 mm breit sind und je nach Umfang des Defekts und angestrebter Länge des Naserückens 4–7 cm messen. Die Höhe (Dicke) eines Rückenspans ist abhängig von der o. g. statischen Belastung und reicht von 5–15 mm.
c knöchernen Glabella fixiert. Der Rückenspan liegt mit einer Stufe auf. Eine versenkte lange Titanschraube durch beide Knorpel verhindert Seitbewegungen. Eng gesetzte Nähte (semipermanent, monofil, Stärke 6.0) fixieren die Auskleidung lückenlos an der Unterseite. c Nut-Feder-Verbindung von Rücken- und Columella-Span. Für Auskleidung und Ostien wurde ein bogiger Übergang geformt. Die neuen Flügelund Randknorpel werden von der Seite her dünn auslaufend aufgelegt
Zunächst wird ein „Vierkantstab“ gebildet. Dieser wird zum „Halbrundstab“ umgearbeitet. Die halbrunde Oberfläche wird mit der bedeckenden Haut den neuen Nasenrücken bilden. Sie muss exakt symmetrisch, gut proportioniert und glatt ausgearbeitet werden, und der Anschluss zum Nasenbein(rest) muss präzise angeformt sein. Die Unterseite wird der Kontur der Auflagefläche angeglichen – meist eine leichte konkave Rinnenform. Die Nasenspitze bringt der Autor erst am Ende des Eingriffs in die gewünschte Länge und Form, wenn die Verbindung mit dem Columella-Span und das restliche Gerüst fixiert sind. Der Columella-Span ist ein stab- bis scheibenförmiges Knorpeltransplantat, etwa 2–5 mm dick, das als balanciertes zentrales Element aus der Rippe gewonnen werden sollte. Als Teil der L-Konstruktion hat der Span unterschiedliche Funktionen und Dimensionen: Wurde durch Rotation ein Neoseptum geschaffen, bildet der Span die kaudale Randverstärkung. Er definiert somit die Exposition der Columella und sichert die Projektion der Nasenspitze. In diesen Fällen ist eine Fixierung des Spans an seinem Fußpunkt nur selten erforderlich, weil Neoseptum und Neocolumella beim zweiten Schritt narbig schon fest verankert sind. So reicht eine genau mittig eingespreizte und knapp ausgelegte Tasche, in die der Span stramm eingesetzt wird – Zugang wie bei offener Rhinoplastik. Die Verbindung mit dem Rückenspan ist keinen großen Belastungen ausgesetzt und kann auf eine kleine zentrierende Verzahnung beschränkt werden. Diese Verbindung sollte mit einer Permanentnaht gesichert werden. Eine ungleich größere statische Aufgabe kommt dem Columella-Span zu, wenn er bei freitragender L-Kon-
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
struktion den Rückenspan alleine tragen muss. Fehlen Spina und Knochenmaterial auf der Maxilla, kann eine Länge von bis zu 4 cm erforderlich werden. Dann sollte er als Scheibe ausgebildet werden und – wenn es die Hautreserven der Neocolumella zulassen – um die Neubildung eines vorderen Septumanteils erweitert werden. Die Ableitung der Last ist so besser verteilt und die Verzahnung mit dem Rückenspan als Nut-Feder-Verbindung größer und robuster (. Abb. 4.54). Auch diese Verbindung sollte mit Permanentnaht gesichert werden. Neue Dreiecks- und Flügelknorpel sowie Randverstärkung und -formung der Flügelränder werden durch mindestens 2 bis zu 5 dünn ausgearbeitete Elemente pro Seite gebildet. Möglichst lückenlos zwischen Auskleidung und äußerer Haut eingefügt, stützen und formen sie die Nase beidseits der L-Konstruktion. >>Wichtig ist ihre Resistenz gegenüber der narbigen
Schrumpfung der flächigen Weichteile: Ohne ein komplettes, über die normale Anatomie hinausgehendes Knorpelgerüst der Oberflächen lässt sich kein gutes Langzeitergebnis erreichen.
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Dabei haben die Transplantate von kranial nach kaudal unterschiedliche Aufgaben: Dünne, plane Scheiben am Nasenabhang, als Ersatz der Dreiecksknorpel, werden dem Rückenspan und Nasenbein angenähert oder angelagert. Sie stabilisieren die Weichteile nach innen, ähnlich der Nasenklappe, und auch nach außen für den Fall, dass eine große Brille getragen wird. Die Neo-Flügelknorpel werden meist nur den intermediären und lateralen Schenkeln nachgebildet. Sie werden dem Rückenspan an- oder aufgelagert, in Einzelfällen, abhängig von Form und ästhetischer Wirkung des Rückenspans, auch untergeschoben. Hilfreich ist eine leicht gebogene Form, die sich besonders bei Spänen aus den Randbereichen der Rippe gewinnen lässt. Hier ist die seitliche Fixierung wichtig; die Elemente sollten durch Überlänge möglichst bis auf die Apertura piriformis geführt werden. Durch eine solche abgestützte Wölbung wird die Schrumpfung der Auskleidung verhindert und der Querschnitt der Ostien gesichert. Dadurch wird meist auch die Ästhetik positiv beeinflusst. Sind die Elemente sehr breit, können sie bis hinunter zu den Flügelrändern eingestellt werden, wo sie funktionell und ästhetisch die Funktion der Randspangen mit übernehmen: Erscheinung von Nasenflügeln und -ostien, Symmetrie und respiratorischer Querschnitt werden durch Form und Statik dieser Knorpelkante entscheidend geprägt. Reicht der Neoflügelknorpel nicht so weit nach unten oder soll die Form stärker hervorgehoben werden, muss ein separates, etwas stärker gebogenes Element die gesamte Flügelkante von der Basis bis zur Nasenspitze aussteifen.
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Die Fixierung aller Elemente sollte so weit wie möglich als mechanische Verankerung und Verzahnung ausgelegt werden, die durch Nähte in Position gehalten und gesichert werden. Dazu werden die Oberflächen so kongruent wie möglich geformt. Nasenrücken- und Columella-Span werden durch passgenaue Stufen- oder Nut-Feder-Verbindung verzahnt und mit Permanentfaden gesichert. Die Basis des Columella-Spans erhält bei freitragender L-Konstruktion eine Aushöhlung, die die Spina bzw. deren Rest aufnehmen kann. Fehlt die Spina, kann eine mittig in die Maxilla gesetzte Titanschraube diese Funktion übernehmen. Solche Verbindungen werden durch Permanentnähte gesichert, und zwar über Bohrlöcher durch Knochen und Knorpel. Ist die knöcherne Unterlage plan und durch Knochenverlust reduziert, bevorzugt der Autor die Fixierung durch eine 4-Loch-Titanminiplatte: Diese wird zu einem asymmetrischen eckigen U gebogen und mit Schraube mittig fixiert. Der große Span wird zwischen die Titanschenkel gedrückt und mit Permanentnähten fest gegurtet, die den Span möglichst nur je einmal perforieren. Für solche mechanisch belasteten Nähte sollte man atraumatische, möglichst dünne Nadeln und geflochtene Fäden verwenden. Damit wird die Gefahr von Spaltung und Durchschneidung des Knorpels minimiert. Durchstiche sollten auf das notwendige Minimum reduziert werden, eine stramme „Gurtung“ zur Schonung des Knorpels ist, wo immer möglich, vorzuziehen. Einstiche, soweit unvermeidbar, sollten möglichst weit entfernt von den Rändern erfolgen, um die die Gefahr der Knorpelschädigung durch Nadel und Zugkräfte der Fäden zu vermindern. Der Autor bevorzugt trotz etwas erhöhter Infektionsgefahr geflochtene 4.0- oder 5.0-Permanentfäden: Sie schneiden weniger in den Knorpel ein, weil sie sich unter Zug etwas ausbreiten, und die Haltbarkeit ist auf Dauer im Vergleich zum bruchgefährdeten monofilen Faden größer. Die äußere Erscheinung ist nun unter dem provisorisch fixierten Hautmantel erkennbar und letzte Formkorrekturen sind möglich und meist auch nötig. Techniken der ästhetischen Rhinoplastik finden in dieser letzten Phase der Gerüstrekonstruktion Anwendung: Kürzung und Formung der Nasenspitze durch Resektion, aber auch durch Aufnähen von Applikationen (tip graft, cap graft), Glättung von Unebenheiten durch Knorpelabtrag oder Ausgleich mit ummantelten gewürfelten Knorpelpäckchen, die nach endgültigem Verschluss vorsichtig in die gewünschte Form gedrückt werden.
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Dieser zweite von drei rekonstruktiven Schritten ist am stärksten durch Infektionen gefährdet. Desinfektion und antibiotische Prophylaxe müssen deshalb mit großer Sorgfalt ausgeführt werden. Es drohen Infektionen, die durch intraoperative Kontaminationen und stehende Sekrete in Toträumen an und zwischen den Knorpeln aus-
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Kapitel 4 • Äußere Nase
gelöst werden. Knorpeltransplantate sind empfindlich, ihre vollständige Einbettung in gut durchblutetes Gewebe ist Voraussetzung für eine unkomplizierte Heilung. Dazu erhält der Patient systemisch ein knorpelgängiges Antibiotikum, und zwar peri- und mindestens eine Woche lang postoperativ. Intraoperativ werden die Hautund Wundflächen wiederholt engmaschig antiseptisch behandelt. Die Transplantate werden im Laufe ihrer Bearbeitung in 1 : 1 verdünnte und vor der endgültigen Fixierung 5–15 Minuten in unverdünnte GentamicinLösung eingelegt. Am Ende der Gerüstrekonstruktion steht die konsequente Obliteration von Toträumen durch ummanteltes gewürfeltes Knorpelmaterial, das (s. oben) auch zur Formkorrektur verwendet wird. Als Ummantelung bevorzugt der Autor Kollagenmatrix, die mit Fibrinogen und Thrombin imprägniert ist (TachoSil). Die fertige „Packung“ mit der Knorpelmasse wird vor der Positionierung ebenfalls mit Gentamicin beträufelt. Nach Readaptation des Stirnlappens werden die restlichen Toträume zwischen Weichteilmantel und Knorpelgerüst durch feine Matratzennähte verschlossen (Monofil 7.0). Diese werden bis nach innen durchgestochen, außen geknotet und etwa 5 Tage belassen. Eine feste Tamponade der Nasenhöhlen mit steriler Baumwollwatte bildet den Abschluss der Operation. . Abb. 4.52 zeigt die Einzeichnung vor Anfertigung der Rohlinge für eine relativ kleine weibliche Nase mit erhaltenem Nasenbein. Die Länge des Rückenspans ist mit 4 cm entsprechend kurz bemessen. Marginal sind Elemente für die Flügelränder eingezeichnet, die auf der einen Seite sehr dünn auslaufen und dabei die Länge von ebenfalls knapp 4 cm erreichen. Sie werden sich nach der Abtrennung wahrscheinlich zur äußeren Oberfläche hin verbiegen, ein Effekt, der für die Formgebung günstig ist. Der „balancierte“ Rückenspan aus dem Zentrum wird dagegen weitgehend formstabil sein und ist so dimensioniert, dass mögliche Verbiegungen in den Stunden vor der endgültigen Implantation durch Nachbearbeitung ausgeglichen werden können. Zwei weitere Scheiben aus dem rückwärtigen Randbereich werden zur Belegung der noch freien Weichteile benötigt. 4.2.4.5 Hautexpansion durch Langzeitdehnung
Durch Implantation eines Gewebeexpanders kann Haut zu chirurgischen Zwecken gedehnt werden. Eine Kurzzeitdehnung (für Stunden oder mehrere Tage) nutzt nur die viskoelastischen Reserven der Haut. In diesem Abschnitt wird die Langzeitexpansion der Haut dargestellt. Dabei wird durch einen Expander über die Dauer von Wochen bis Monaten eine echte Zellvermehrung erreicht und damit ein ausreichender Gewebezuwachs für große Rekonstruktionen. Eine solche Expansion erweitert zu enge Lappengrenzen, kann Ergebnisse erheblich verbessern und He-
bedefekte minimieren. In vielen Revisionsfällen gibt es zur Expansion keine brauchbare Alternative. >>Bedenken wegen des großen Aufwands und der psy-
chischen Belastung der Patienten werden durch Erfahrung mit den tatsächlichen Verläufen entkräftet.
Die Indikation zur Expansion ergibt sich aus dem Bedarf an unbehaarter Lappenhaut, der Distanz zwischen Defekt und Stielbasis sowie den ästhetischen Ansprüchen von Patient und Operateur. Bei großen Rekonstruktionen, tiefliegender Haargrenze oder reduziertem Hautangebot durch Voroperationen ist die Indikation meist fraglos gegeben. Auch bei weit distal liegenden Defekten, z. B. solchen, welche die Oberlippe einschließen, kann durch Hautexpansion die nötige Verlängerung erzielt werden. Größere Rekonstruktionen mit lateralen Stirnlappen setzen oft ebenfalls eine Hautexpansion zur spannungsfreien Verlagerung des Lappens voraus. Auch in Grenzfällen favorisiert der Autor oft die Expansion: die Vorteile unauffälliger Hebedefekte, langer Lappenstiele und haarloser Haut im Überschuss können kaum überschätzt werden. >>In solchen Fällen müssen die Vor- und Nachteile be-
sonders detailliert besprochen, an Fotos verdeutlicht und dann dem Patienten die Entscheidung überlassen werden.
Bei der Aufklärung sollte neben den üblichen Risiken eines chirurgischen Eingriffs auf folgende Punkte hingewiesen werden: Zur Implantation des Hautexpanders ist eine zusätzliche Operation erforderlich, und die Gesamtzeit der Rekonstruktion verlängert sich um rund 3 Monate. Dieser Zeitraum ist – je nach Berufstätigkeit und Lebenssituation – gegen Ende der Befüllung mit größeren Einschränkungen verbunden. In dieser Zeit ist mindestens einmal wöchentlich die sukzessive Befüllung aus ärztlicher Hand erforderlich. Dadurch kann es kurzzeitig zu Spannungs‑, Druckgefühl und leichten Kopfschmerzen kommen. Mit zunehmender Hautexpansion nimmt die insgesamt niedrige Komplikationsrate etwas zu: – Infektion, – übermäßige Ausdünnung der Haut bis hin zur Extrusion, – Verlust des Expanders durch äußeres Trauma.
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Konventionelle Gewebeexpander sind füllbare Silikonhüllen zur vorübergehenden (meist für rund 3 Monate) subkutanen Implantation. Derartige Hautexpander werden leer oder mit geringer Füllung implantiert. Ein solcher Hautexpander ist mit einem selbstdichtenden Ventil ausgestattet, dem Port. Durch diesen Port wird sterile isoto-
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
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..Abb. 4.55 a Broken-Line-Inzision zur Schonung der Haarwurzeln und für gute Ästhetik. Der Schnitt sollte außerhalb der späteren Dehnungszone liegen, und seine Richtung sollte möglichst zum Mittelpunkt des Expanders zeigen. b Rechteckiger Hautexpander, Basis 5 × 6 cm, Projektion 4,5 cm, Füllmenge 95 ml, Oberfläche glatt, mit separat geliefertem Distanz-Port. Die Schläuche werden während
der OP auf Wunschlänge gekürzt, mit einem Konnektor verbunden, und vier Ligaturen an ihm fixiert. c Nach 2–3 Wochen beginnt die Befüllung. Der Distanz-Port wird dazu ertastet (weißer Ring), die Injektionsnadel wird senkrecht am Zenit eingestochen. Kontakt mit dem metallischen durchstichfesten Boden signalisiert die korrekte Nadelposition
nische Kochsalzlösung perkutan instilliert, durch die das Expandervolumen sukzessive zunimmt. Diese Befüllung beginnt nach einer Einheilungszeit von 2–3 Wochen. Sie nimmt meist 2–3 Monate in Anspruch. Sobald eine ausreichende Hautexpansion erreicht ist, wird der Expander chirurgisch entfernt. Expander werden in ganz unterschiedlichen Formen und Größen angeboten. Welches Modell der Operateur wählt, hängt von der Größe des Defekts und dem rekonstruktiven Plan ab.
Hautexpanders angeschlossen wird. Die Schlauchenden müssen mit jeweils einem, besser mit zwei nichtresorbierbaren Ligaturen am Konnektor fixiert werden. Nach der perkutanen Fixierung kann der Distanz-Port ertastet werden (. Abb. 4.55b,c).
>>Dabei ist zu beachten, dass die Wahrscheinlichkeit von
Komplikationen mit der Größe und Zahl der implantierten Expander zunimmt.
Dies ist in der Fachliteratur belegt und entspricht auch der Erfahrung des Autors, der deshalb solitär implantierte Modelle mittlerer Größe bevorzugt. Dies sind meist Modelle mit ovaler bis abgerundet rechteckiger Form, einem Volumen von 60–120 ml, Projektion 3–5 cm. Nur in Ausnahmefällen wird ein größerer oder ein zweiter Expander eingesetzt, der dann möglichst weit entfernt vom ersten positioniert wird. Der Autor schätzt die vergleichsweise große Auswahl der Modellreihe Integra® tissue expanders. Empfehlenswert sind externe Ports, sog. DistanzPorts, die über einen Schlauch mit dem Expanderlumen verbunden sind. Sie reduzieren im Vergleich zu einem integrierten Port die Gefahr einer Verletzung der Expanderhülle bei den Injektionen, und die expandierte Haut muss nicht durchstochen werden. Ein Distanz-Port hat eine durchstichfeste Unterseite und eine selbstabdichtende Membran, die vielen Injektionen standhält. Er verfügt über einen auf Wunschlänge kürzbaren Verbindungsschlauch, der mittels Konnektor am Schlauch des
>>Cave: Die Ports sind meist nicht MR-tauglich.
Plastische Chirurgen bevorzugen mitunter großvolumige Expansionen der gesamten Stirnhaut. Dabei wird die Haut weniger gedehnt und jeder Quadratzentimeter muss für den angestrebten Hautgewinn weniger wachsen. Dieser kann dadurch größer sein, schneller erreicht werden, oder die Expansion kann langsamer erfolgen. Die Ausdünnung der Haut und die Atrophie des subkutanen Fettgewebes durch den geringeren Dehnungsdruck pro Flächeneinheit mögen geringer ausfallen. Dennoch bevorzugt der Autor die weniger traumatisierenden mittleren Volumina, denn der operative Zugang kann kleiner ausgelegt werden, und Reservelappen der Gegenseite bleiben unberührt. Die o. g. Absenkung der Komplikationsrate ist ein weiterer Grund. Der Autor bevorzugt, wie in Fallbeispiel 4 und 5 zu sehen, eine möglichst mittige Position des Expanders, vertikal zur Stielbasis und meist etwas oberhalb des geplanten Lappenstiels (7 Abschn. 4.2.5.1.4, . Abb. 4.68b und 7 Abschn. 4.2.5.2.1, . Abb. 4.73a). Es ist für die spätere Präparation der Stielbasis vorteilhaft, wenn die Augenbraue nicht von der Expansion erreicht wird. Der größte Umfang des Expanders im maximalen Füllungszustand sollte dort liegen, wo der größte horizontale Bedarf an unbehaarter Haut zu erwarten ist. Bei Totalrekonstruktionen mit möglichst langem Stiel liegt dieser Bereich direkt an einer normal bis tief liegenden Haargrenze und misst rund 9 cm (. Abb. 4.46a, 4.51a–c;
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s. auch 7 Abschn. 4.2.5.1.4, . Abb. 4.68b). Diese Position kann zur Sicherheit präoperativ mit einem unsterilen Modell auf der Stirn ermittelt und eingezeichnet werden. Daraus ergibt sich meist eine Lage des Expanders mit 3/4 unterhalb der Haarlinie und 1/4 unter des behaarten Skalps (. Abb. 4.55a,c). Position von Port und Expander müssen weit genug entfernt voneinander gewählt werden, um eine zu große Annäherung oder gar Berührung im Zuge der Befüllung auszuschließen. Die bedeckende Haut, auch die des Ports, muss dick und robust sein, um die Belastungen zu überstehen. >>Das Mastoid mit seiner dünnen bedeckenden Haut
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etwa wäre ein ungeeigneter Ort für den Port, die Extrusionsgefahr ist dort stark erhöht.
Bei der Präparation sind folgende Regeln zu beachten: Um die Zugwirkung auf die Narbe gering zu halten, sollte der Schnitt so weit wie möglich im 90°-Winkel zur Mitte des Expanders gelegt werden. Er sollte zudem außerhalb der Dehnungszone liegen, um die Gefahr einer mechanisch verursachten Narbenatrophie oder gar -dehiszenz mit Infektionsfolge auszuschließen. Diese Vorgaben sind auf . Abb. 4.55a knapp erfüllt. Die Kopfbehaarung sollte frisch gewaschen sein und in die übliche Desinfektion vor der Abdeckung einbezogen werden. Der Autor bevorzugt vor der Abdeckung zusätzlich eine Behandlung mit wasserlöslicher antiseptischer Salbe und sterilem Kamm, sodass der der Patient eine scharf gescheitelte „Gelfrisur“ erhält. Das Areal der Inzision sollte durch Injektion von physiologischer Kochsalzlösung und örtlichem Betäubungsmittel mit Adrenalinzusatz in der Art einer Tumeszenz-Lokalanästhesie (TLA) vorbereitet werden. Haut und subkutanes Fettgewebe werden dabei durch Infiltration einer relativ großen Menge eines verdünnten Lokalanästhetikums aufgedehnt. Dazu dient üblicherweise physiologische Kochsalzlösung. Das infiltrierte Areal hebt sich durch Anschwellung und einen „Blanching-Effekt“ (Abblassung durch Adrenalin-Zusatz und Gewebedruck) deutlich von der Umgebung ab. Die Haarwurzeln werden dadurch auseinandergedrängt und können mit Lupenbrille oder Mikroskop weitestgehend geschont werden. Eine Broken-Line-Inzision kann besonders bei dünner Behaarung vorteilhaft sein, um den Haarwurzeln dabei noch besser ausweichen zu können und die Ästhetik zu optimieren (. Abb. 4.55a). Die Präparation einer engen, distal etwas erweiterten Tasche sichert die Position des Expanders. Eine kleine, separate Höhle für den Port sollte zum Schutz des Expanders ausreichend weit entfernt liegen, gerne kontralateral, aber nahe genug am Areal der späteren Lappenhebung, um die Explantation nicht zu erschweren.
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Die Präparation erfolgt abwechselnd digital und mit stumpfer Schere, die Ebenen liegen supraperiostal und subgaleal. Wird die Präparation weit nach kaudal geführt, sind Endoskop und Mikroskop zur Schonung von Gefäßen und Nerven hilfreich.
Zur Vorbereitung und Implantation der Expander-PortEinheit müssen alle scharfen und spitzen Instrumente in sichere Entfernung gebracht werden. Die Schlauchenden an Expander und Port werden auf das gewünschte Maß gekürzt und beide Komponenten durch Auffüllung mit geringer Menge steriler Kochsalzlösung entlüftet. Dazu dienen Einweg-Ohrsauger. Die Schlauchenden werden mit Klemmen verschlossen: Dabei sollten die Maulenden zum Schutz mit Manschetten aus dem abgeschnittenen Schlauchmaterial überzogen werden. Die Enden werden über einem Konnektor miteinander verbunden und mit 1–2 permanenten Ligaturen pro Seite auf ihm fixiert. Vor der Implantation muss die Redon-Drainage eingebracht und der Spieß als letztes scharfes Instrument in sicherer Entfernung abgelegt werden. Erst dann darf die Expander-Port-Einheit implantiert werden. Die Wundränder werden mit stumpfem Instrumentarium möglichst weit aufgezogen und Haare konsequent aus der Passage herausgehalten. Die Implantation erfolgt manuell, evtl. von Stieltupfern unterstützt. Dabei ist auf eine korrekte Ausrichtung aller Teile und einen unverdrehten und barrierefreien Verlauf des Schlauches zu achten. Abschließend müssen meist einige verschleppte Haare aus der Wunde geborgen werden. Beim engmaschigen mehrschichtigen Wundverschluss sollte der Expander nicht mehr im Wege sein; andernfalls muss er mit größter Sorgfalt z. B. durch biegbare sog. OrbitaSchoner vor Nadelstichen geschützt werden. Sollte der Expander durch die Form der Höhle nicht ausreichend in Position gehalten werden, sind fixierende Verbände notwendig. Dies kann z. B. mit 30 cm breiten elastischen Pflasterstreifen gelingen, die im großen Bogen von der einen zur anderen unbehaarten Halspartie gespannt werden und dabei den Expander nach ventrokaudal unter die Stirnhaut drücken. Bei solchen Pflasterverbänden ist eine Entfettung der Haut essenziell. Die Befüllung des Expanders kann bei komplikationsloser Einheilung nach 14 Tagen beginnen. Falls die Narbe unplanmäßig den Bereich des Expanders tangiert, sodass Zug- oder Dehnmomente auf sie einwirken könnten, sollte besser 3 Wochen gewartet werden. Eine wöchentliche Befüllung hat sich als praktikabel erwiesen. 2-mal pro Woche mit entsprechend kleineren Quantitäten würde die Haut weniger belasten und wäre physiologischer, ist aber den Patienten meist nicht zuzumuten. Die erste Befüllung sollte vom Operateur selbst durchgeführt werden: Er (sie) kann mögliche Probleme wie subkutane Faltenbildungen der Hülle am besten entdecken und während der ersten Injektion durch vorsichtige Manipulation auflösen. Falten unter der gespannten
4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
und zunehmend dünneren Haut können zur Extrusion führen. Da die Haut nicht nur gedehnt wird, sondern auch wachsen muss, sollten als reine Expansionszeit mindestens 2 Monate eingeplant werden: Während der ständigen Vergrößerung der Hautoberfläche kommt es langsam zu einer erhöhten Mitoserate der Epidermis und zu einer vorübergehenden Verdickung, während die gesamte Dermis eine vorübergehende Verdünnung erfährt. Ein Zeitrahmen von etwa 3 Monaten für Implantation und Befüllung ist meist ein guter Kompromiss zwischen einem möglichst langsamen Expansionstempo und der endlichen Geduld des Patienten. Eine Tabelle mit den voraussichtlichen Injektionsmengen dient der Übersicht und kann mit den tatsächlich injizierten Mengen überschrieben werden (z. B. Excel). Von einer solchen Tabelle lässt sich gut ablesen, welches Volumen jeweils erreicht ist und ob der angestrebte Zeitrahmen bis zur OP eingehalten werden kann. Das Injektionsvolumen ist anfangs wegen der elastischen Hautreserven groß, nimmt aber mit zunehmender Hautspannung über die Wochen hinweg ab. Während anfangs meist > 10 ml injiziert werden können, endet die Serie der wöchentlichen Injektionen bei >Eine gelegentlich beschriebene Füllung bis zum „Blan-
chieren“ belastet die Haut übermäßig und sollte vermieden werden.
Ggf. müssen einige Milliliter wieder abgelassen werden. Nach kurzer Beobachtungszeit kann der Patient Praxis oder Ambulanz wieder verlassen. Klagt der Patient über verstärktes Druckgefühl oder Kopfschmerz, muss er ein adäquates Schmerzmittel erhalten. Mittels Ultraschalldiagnostik ist die Hautdicke gut kontrollierbar. Dafür wird eine ausreichend hohe Frequenz von 10–15 MHz gewählt, der Fokus korrekt justiert und das Bild mit Zoom stark vergrößert. Nur so lassen sich Details der Hautschichten in ihrer La-
119
gebeziehung zur Silikonhülle und der wässrigen Füllung erkennen. Die Stirnhaut der Gegenseite kann als Referenz dienen, wenn sie unberührt ist und nicht von der Expansion tangiert wird. Die Hautdicke wird durch Mittelung der Messwerte an verschiedenen Punkten errechnet. Diese Untersuchung sollte vor der anstehenden Injektion durchgeführt werden. Schichtdicken >Größte Vorsicht und antibiotische Langzeitbehandlung
sind im Umgang mit diesem geschädigten und kontaminierten Gewebe angezeigt.
Weitere, sehr seltene Komplikationen sind der Verlust durch spontane Leckage und die Zerstörung des Expanders durch Anprall oder scharfe Verletzung. In diesen Fällen ist meist die Implantation eines neuen Expanders erforderlich.
und umgreift die dorsale Kante. b Die Rotation des Septums ist vollzogen. Die 25 mm lange Schnittkante von der Rhinobasis wird, um 90° gedreht, nun zur neuen vorderen Septumkante und Stütze für Nasenspitze und neuen Steg. Die neue Stegbasis drängt die medianen Inzisionskanten (s. oben) auseinander
4.2.5 Rekonstruktionsbeispiele
bei großen und totalen Defekten der Nase
4.2.5.1
Fallbeispiele: Defekte von 2–4 Untereinheiten 4.2.5.1.1 Fallbeispiel 1: Columella mit vorderem Septum Die . Abb. 4.56, 4.57, 4.58 und 4.59 zeigen eine Nasensteg-Rekonstruktion mit vorderem Septum. Anamnese T1-Pattenepithelkarzinom des vorderen Sep-
tums. Nasensteg mit -basis und -spitze sowie vorderem Septum wurden reseziert. 18 Monate lang, bis zur Rekonstruktion, wurde der Defekt mit einer magnetverankerten Epithese abgedeckt. Operativer Plan Verbreiterung der resektiv und narbig
verschmälerten Eingangsschwelle durch mediane Inzision und Lateralisierung der Flügelbasen. Die fehlenden Teile sollen innen durch eine Septumrotationsplastik und außen mit einem langen paramedianen Stirnlappen rekonstruiert werden.
121
4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a
b
..Abb. 4.57 a Die A. supratrochlearis wurde mit Doppler geortet, Stiel 10 mm breit, Lappenform mittels Schablone auf die „hohe“ Stirn übertragen. Der Lappen wird also den Steg mit Anschluss zum Neoseptum ersetzen und außerdem auch die weichen Dreiecke. Ein Burow-Dreieck zum Verschluss des Hebedefekts wurde am distalen Ende belassen und soll desepithelisiert werden – die Hautinzision ist erfolgt. Diese kleine „Schürze“ wird zur subkutanen Verankerung der
a
b
c
..Abb. 4.58 a–e Eine begleitende Dokumentation aller rekonstruktiven Schritte ist Bedingung für korrekte Planung – hier die Profilserie. Wichtig dabei: Genaue Profileinstellung, identische Kopfposition (ggf. Korrektur in 1°-Schritten durch „Drehen“) und exakt gleiche Größe (durch horizontale Linien überprüft). a Septumkarzinom, im linken Ostium etwas sichtbar, vor Resektion. b Profil Monate nach Resek-
neuen Stegbasis genutzt. b 6 Wochen später ist der neue Steg kaudal gut angewachsen. In einem Zwischenschritt soll die Anbindung an Neoseptum und Oberlippe verbessert werden. Kritik: Hier hätte eine Stielbasis durch die Augenbraue hindurch mehr Länge und größere Nähe zum Defekt ergeben. Damit würde die Position in der Mittellinie entspannter und der anstehende Eingriff einfacher
d
e
tion, Epithese abgenommen. Punktlinie macht Ausmaß des Defekts deutlich. c Profilansicht zu . Abb. 4.57b. Die Nasenspitze ist passager eingedrückt. d Nach Stieldurchtrennung. Wegen grenzwertiger Perfusion (ehemaliger Raucher) wurde die Ausdünnung auf eine Folge-OP verschoben. e 1 Jahr nach sekundärer Ausdünnung in Lokalanästhesie über Inzision in der Mittellinie. Eine letzte kleine Korrektur ist geplant
4
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Kapitel 4 • Äußere Nase
4
a
b
..Abb. 4.59 a Design bei normaler bis tiefer Haarlinie, vom Autor vor Einführung der Gewebeexpansion entwickelt: Der Stirnlappen wird L-förmig als Brückenlappen angelegt und durch ambulante Drosselungen auf seine distale Abtrennung vorbereitet. b Bei angehobenem Lappen wird die Stiellänge deutlich. Der horizontale Defekt
a
wird durch leichten Hochzug der Stirnhaut und Absenkung des behaarten Skalps verschmälert – Effekt durch paramedian gesetzte Naht erkennbar. Das Vorgehen ist sonst wie im geschilderten Fallbeispiel 1. Der granulierende Restdefekt wird bei der letzten OP mit Vollhaut vom Stiel gedeckt
b
..Abb. 4.60 a Kompletter Nasenspitzendefekt mit partiell fehlendem Nasenflügel rechts und marginal auch links. Auch Nasensteg und vorderes Septum wurden reseziert. b Die Septumrotation ist erfolgt, wie in der Bildserie in . Abb. 4.47 beschrieben. Ein Rest der alten Spitze wird als kaudaler Anhang bis zur zweiten OP belassen, weil sein
4.2.5.1.2 Fallbeispiel 2: Nasenspitze
In . Abb. 4.60, 4.61 und 4.62 ist eine Rekonstruktion der Nasenspitze mit Teilen der angrenzenden Untereinheiten dargestellt. Anamnese Ausgedehntes Basaliom an der Nasenspitze.
Nach R0-Resektion fehlt die Nasenspitze nebst angrenzenden Strukturen.
Abtrag die Lappendurchblutung gefährden könnte. Schleimhautüberschüsse, vom Septum abgelöst, hier mit Häkchen gehalten, bilden die Auskleidung. Der Knorpel wird auf typisches Nasenprofil getrimmt (unterbrochene Linie)
Operativer Plan Wegen des fortgeschrittenen Alters der
Patientin ist die Rekonstruktion in zwei relativ kurzen Operationen geplant. Wie im vorangegangenen Fall (7 Abschn. 4.2.5.1.1) sind eine Septumrotationsplastik und ein paramedianer Stirnlappen vorgesehen.
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a ..Abb. 4.61 a, b Der dicke Knorpelüberschuss vom Septum wurde in zwei dünne Scheiben gespalten und für die Fertigung neuer Flügelknorpel verwendet. Die neuen intermediären und lateralen Flügel-
a ..Abb. 4.62 a Seitansicht 2 Wochen postoperativ: Gutes Zwischenergebnis, Septumrotations- und Stirnlappen sind vital, der häutige Nasensteg des Stirnlappens ist provisorisch am atypischen Anhang des Neoseptums fixiert. Die Stieldurchtrennung wird nach 2 weiteren
b knorpel sind, trotz des Alters der Patientin, elastisch. Sie werden aufrecht an das Neoseptum genäht, gegen die erwünschte Federkraft zu den Flügelstümpfen gebogen und an ihnen fixiert
b Wochen erfolgen. b 1 Woche nach Stieldurchtrennung. Der Septumanhang wurde abgetragen und der häutige Steg an typischer Stelle integriert. Schwellung endonasal gering, Nasenatmung gut
4
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Kapitel 4 • Äußere Nase
4
a ..Abb. 4.63 a, b Die Planung beginnt mit der Bildanalyse (7 Abschn. 4.2.2.2, Planung am Computer): Grundsätzlich werden zwei identische Rechtecke eingezeichnet. Damit werden Symmetrie des Gesichts, Justierung des Fotos und Position der eingezeichneten Konturen kontrolliert. Landmarken sind u. a. die medialen Lidwinkel,
4.2.5.1.3 Fallbeispiel 3: Laterale Nasenhälfte
– Ersatz der Untereinheiten
Die . Abb. 4.63, 4.64, 4.65 und 4.66 zeigen die Rekonstruktion bei einem heminasalen Defekt links, Septum und Steg sind erhalten. Anamnese Nach heminasaler Resektion bei ausgedehn-
tem Basaliom wurde der Defekt ohne weiteren Aufbau mit Spalthaut gedeckt. Operativer Plan Heminasale Rekonstruktion mit ein-
gefaltetem paramedianem Stirnlappen und Gerüstrekonstruktion aus Ohrknorpel. Wegen venös geprägter Hautveränderungen des Nasenrückens wurde zum kompletten Ersatz der Nasenrückenhaut geraten. Der Patient wünschte jedoch eine auf den Defekt begrenzte Rekonstruktion.
b hier mit weißen Punkten markiert. Die Spiegelung der unversehrten Nasenhälfte auf die Defektseite macht die Größe deutlich und legt den Ersatz der ganzen Nasenrückenhaut nahe. Narbige Verziehungen werden sichtbar, hier die linke Flügelbasis in medialer Fehlposition
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
a
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g
e ..Abb. 4.64 a, c Das alte Hauttransplantat wurde abgetragen, und die lateralen Defektränder wurden den Linien der ästhetischen Einheit angenähert. Auf dem Nasenrücken wurde die Mittellinie als Anschlussstrecke gewählt. Eine kleine separate Schablone macht den Hautbedarf für die Auskleidung deutlich. b, d Die ebenfalls dreidimensional geformte Folie für die äußere Hautdeckung wurde gefertigt, wie in 7 Abschn. 4.2.2.3 und . Abb. 4.46a,b beschrieben. e Durch wiederholte Messungen werden Fehler vermieden. Der äußere Umfang des Nasenflügels bis zur Mittelinie wird hier mit 45 mm vermessen. Dies entspricht einem mittleren männlichen Normbereich. f Mittels Dopplersonde wurde ein kräftiges arterielles Gefäß links an der Mittelinie gefunden und der weniger gut perfundierten A. supratrochlearis vorgezogen. Der 12 mm breite Stiel liegt deshalb paramedian links. Er konnte wegen fehlender Kopfbehaarung sehr lang ausgelegt werden. Die 3D-Schablonen wurden, durch kleine Einschnitte an den Rändern erleichtert, wieder planiert und in axialer Richtung des Gefäßverlaufs auf der Kopfhaut ausgelegt. Die Schablone für die eingefaltete Auskleidung wird distal angefügt. Dazwischen werden bis zu 5 mm zusätzlich für die Kurvenstrecke, dem neuen Flügelrand, ergänzt. g Die Kontur der Schablonen wurde auf die Haut übertragen. Durch die kleinen Einschnitte ist die entstandene Fläche geringfügig größer als die der 3D-Schablone auf dem Defekt. Wird nun der Schnitt entlang der Außenseite der blauen Konturlinie geführt, ergibt sich eine weitere leichte Vergrößerung des Lappens. Eine solche leichte Übergröße ist meist eine willkommene Reserve zum Ausgleich kleiner Fehler
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Kapitel 4 • Äußere Nase
4
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..Abb. 4.65 a 4 Wochen nach Wiederherstellung des Weichteilmantels. Wie zu erwarten war, ist die Grenze auf dem Nasenrücken zwischen alt und neu nicht zu übersehen. Die Anhebung des Lappens zur Ausdünnung und eine Gerüstrekonstruktion stehen noch bevor.
a
b Der Blick von unten verrät Probleme mit der Passform am Übergang zum Nasensteg. Hier waren nur locker adaptierende Subku tannähte gesetzt worden – in solchen Fällen eine legitime Zwischenlösung
b
..Abb. 4.66 a, b Ein Jahr nach Stieldurchtrennung und eine Woche nach kleiner Revision zur Ausdünnung und Augmentation des linken Flügelrands ist eine positive Veränderung zu erkennen. Eine Matrat-
zennaht (Stärke 7.0) ventralseitig am linken Sulcus ist noch in situ. Die unterschiedlichen Hautqualitäten haben sich über die Monate etwas angeglichen und fallen weniger ins Auge
4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
127
4.2.5.1.4 Fallbeispiel 4: Laterale Nasenhälfte
konnte dabei die spätere Rekonstruktion berücksichtigen.
Die . Abb. 4.67, 4.68, 4.69, 4.70 und 4.71 zeigen die Rekonstruktion bei einem heminasalen Defekt links, Septum und Steg sind teilweise erhalten.
Operativer Plan Rekonstruktion der gesamten äußeren
– Ersatz der ganzen Einheit
Anamnese Verlust der halben Nase links durch Hun-
Haut mit expandiertem paramedianen Stirnlappen, Auskleidung der linken Nasenhälfte mit einem Kipplappen aus der rechten äußeren Nasenhaut, Gerüstrekonstruktion aus Ohr- oder Rippenknorpel.
debiss. Der Autor übernahm die Wundversorgung und ..Abb. 4.67 a Typische Destruktion durch Hundebiss mit multiplen Risswunden bis in die angrenzenden Weichteile hinein. Die linke Seite fehlt komplett, vorderes Septum und Steg sind stark geschädigt. b Schon bei der Wundversorgung wurde die neue Auskleidung links durch einen Kipplappen vorbereitet: Großflächige und robuste Anbindung der rechten äußeren Nasenhaut an das verletzte Relief des Septums links – hier 2 Monate später
a
a
b
b
c ..Abb. 4.68 a Der vorgeschnittene Kipplappen (turnover flap) wird mobilisiert und bei anhaltend guter Perfusion an einen marginalen Kipplappen aus den Nasenresten links genäht. Die neue Auskleidung ist damit fertiggestellt. b Gleich zu Beginn der OP wurden rund 30 % der Expanderfüllung abgesaugt. Auf der dadurch entspannten Haut
wurde eine angepasste Standardschablone in 3D-Form (. Abb. 4.46a– c) ausgerichtet und die Kontur übertragen. c Der paramediane Stirnlappen wurde bis durch die Augenbraue umschnitten, nach unten geschwenkt und auf die Auskleidung gelegt. Der Expander ist noch von der dünnen Kapsel bedeckt
4
128
Kapitel 4 • Äußere Nase
..Abb. 4.69 a Abgeschwollene Nase nach 3 Wochen. Dank der autarken Auskleidung kann bereits jetzt die Gerüstrekonstruktion erfolgen b Der Stirnlappen wurde weitgehend abgelöst und angehoben, das Gerüst aus Cavum-Knorpel von beiden Ohren neugebildet, rechts nur den Bestand ergänzend. Es fehlen noch weitere Nähte zur Formung der Nasenspitze und ein modifiziertes shield graft, das mit unterbrochener Linie skizziert ist und aus Ohrknorpel angefertigt werden soll, der am unteren Bildrand sichtbar ist c Unauffällige Nase 1 Jahr später. Lichtreflexe und Ostien sind annähernd symmetrisch, der proximale Stumpf des Stiels ist unsichtbar vernarbt. Eine kleine Revision ist geplant: Reduktion des Stegs, Verstärkung des linken Flügelrands durch rim graft, Korrektur von Nasolabialfalte und Nasenabhang links
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
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..Abb. 4.70 Defekt: Flügelstümpfe und Nasenbein sind erhalten. Das innere Septum ist kranial teilreseziert. Nach 7 Wochen ist der Expander mit 80 der geplanten 100 ml befüllt (Patientin wie in . Abb. 4.55a–c). Die grüne Konturlinie vom Drehpunkt der Stielbasis bis zur Haarlinie zeigt, dass der Hautgewinn für die äußere Nase knapp ausreichen würde, nicht jedoch für die geplanten Einfaltungen zur Auskleidung
4.2.5.2
Fallbeispiele: Subtotale bis totale Defekte 4.2.5.2.1 Fallbeispiel 5: Inneres Septum erhalten In . Abb. 4.70, 4.71, 4.72, 4.73, 4.74, 4.75, 4.76 und 4.77 ist die Rekonstruktion bei einem Subtotaldefekt der Nase dargestellt, das innere Septum ist weitgehend erhalten. Anamnese Ablatio nasi wegen eines T2-Plattenepi-
thelkarzinoms des Vestibulums 2 Jahre vor der Rekonstruktion.
Operativer Plan Neubildung des äußeren Septums durch
Septumrotationslappen, Rekonstruktion der restlichen Auskleidung und der äußeren Nase durch paramedianen Stirnlappen, expandiert und eingefaltet, Neubildung des Gerüsts aus Rippenknorpel. Die Dokumentation aller rekonstruktiven Schritte – hier die Frontal- und Profilserie – ist Voraussetzung für strukturierte und kontrollierte Planung.
4
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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b ..Abb. 4.71 a Zu Beginn der OP wurden, um die Haut zu entspannen, 25 ml der 105 ml aus dem Expander abgesaugt, eine angepasste 3D-Standardschablone (. Abb. 4.46a–c) wurde auf haarloser Haut ausgerichtet und die Kontur übertragen. Unten im Bild: Schleimhaut vom rotierten Septum bildet den oberen Teil der Auskleidung (Patientin wie in . Abb. 4.47). Der Hautbedarf für den unteren Teil der Auskleidung wurde durch separate Schablonen für beide Nasenhälften ermittelt (. Abb. 4.49b,c) Die Umrisse sind als Verlängerung der großen Kontur an den Flügelrändern eingezeichnet. Eine geringe distale Behaarung der späteren linken Auskleidung muss in Kauf genommen werden. b Der Stirnlappen wurde umschnitten, verlagert und dem Neoseptum aufgelegt. Nun soll der Expander mit Port und Kapselgewebe entfernt werden. Die Verlängerungen der Flügelränder für die Auskleidung sind noch mit dem künftigen Steg verbunden. Die Trennlinien sind weiß, die Faltlinien weiß unterbrochen eingezeichnet; weiß schraffiert: geplante Desepithelisierung
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
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c
..Abb. 4.72 a Nach 5 Wochen ist der äußere Teil des Stirnlappens von seinen distal eingefalteten Teilen, der neuen Auskleidung, getrennt. Die autarke Perfusion dieser distalen Lappenanteile wurde zuvor durch Drosselung des Stiels überprüft. Der Zugang ähnelt dem zur offenen Rhinoplastik, mit umgekehrtem V und Flügelrandschnitten. Weil eine Verschiebung nach kaudal notwendig war, wurde der Lappen hier komplett abgelöst. b Die eingefalteten Anteile des Stirnlappens, links durch eine unterbrochene Linie markiert (. Abb. 4.49b,c), sind gut durchblutet. Ihre Anbindung an die marginalen Kipplappen, rechts größer als links, ist klar zu erkennen. Ein Knorpelspan definiert
Form und „show“ des Stegs. Der Rückenspan, entscheidend für Nasenform und Definition der Spitze, wurde mit zahlreichen monofilen Permanentnähten (Stärke 6.0) aufgegurtet. c Das laterale Gerüst ist durch 2 × 2 Elemente gebildet, die mit feinen permanenten und resorbierbaren Fäden teils gegurtet und teils mit Einzelknopfnähten fixiert sind. Die oberen sind dünn, stabilisieren die Nasenwand und ersetzen die Seiten- und partiell auch die Flügelknorpel. Die unteren, aus Randbereichen des Rippenstücks gefertigt, sind spiegelsymmetrisch gewölbt und für den Typus der Flügelränder entscheidend. Gemeinsam mit der Rückstellkraft der Kipplappen optimieren sie Form und Funktion
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..Abb. 4.73 a–j Die Dokumentation aller rekonstruktiven Schritte – hier die Frontal- und die Profilserie – ist Voraussetzung für strukturierte und kontrollierte Planung. a, f Private Fotos sind Grundlage der rekonstruktiven Planung; präoperative Fotos waren hier ungeeignet. b, g Die Konturen der alten Nase sind auf den Defekt
übertragen. c, h 4 Tage nach dem ersten rekonstruktiven Schritt, die Matratzennähte sind noch nicht entfernt (. Abb. 4.71). d, i Abschwellung und beginnende Schrumpfung nach 3 Wochen. e, j 3 Tage nach Gerüstrekonstruktion, die Matratzennähte sind noch nicht entfernt (. Abb. 4.72). Eine Überrotation ist erkennbar
4
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Kapitel 4 • Äußere Nase
..Abb. 4.74 Zwischenschritt zur Korrektur der Überrotation: Über seitlichen Zugang wurde der Rückenspan etwas nach unten verschoben und die dadurch entstandene Stufe zu Steg und Randelementen durch Knorpeltransplantate vom Ohr ausgeglichen
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..Abb. 4.75 a, b Seitansicht vor und nach der in . Abb. 4.74 gezeigten Operation: Die Überrotation ist aufgehoben und die alte Nase fast wiederhergestellt. Zu beachten sind die unvernähten Flügelbasen, die durch Sekundärheilung meist eine günstige Form entwickeln und im Folgeschritt dann leichter integriert werden können
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
..Abb. 4.76 a, b Korrektur eines zu hoch stehenden Flügelrandes links: Ein zweischichtiges composite graft vom Ohr auf der Innenseite senkt den Rand ab
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..Abb. 4.77 a–d Gutes, unauffälliges Ergebnis 1 Jahr nach Stieldurchtrennung: Symmetrie der Ostien und Lichtreflexe von vorne. Gute Funktion. Kritik: Kleine Knorpelprominenz links neben der Spitze, Ostien etwas asymmetrisch und die Querschnitte nur knapp ausreichend
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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..Abb. 4.78 Beide Expander wurden entfernt, die Haut mit Stirnlappen von rechts und die Auskleidung durch Umnutzung des ersten Rekonstruktion realisiert. Wegen Infektion und Teilnekrose musste die Auskleidung später entfernt und durch einen dritten Stirnlappen ersetzt werden: Dies war wegen der Expansion und einem dopplersonographischen Gefäßnachweis möglich. Hier sind beide Lappen noch mit ihrem Stiel verbunden. Eine weitere Nekrose am Steg wurde mit einem Nasolabiallappen von rechts gedeckt. Der linksseitige war schon früher zur Behandlung einer Komplikation verwendet worden
..Abb. 4.79 Die Stiele des Nasolabial- und des linken Stirnlappens wurden durchtrennt und eingegliedert. Fehlende Teile des Gerüsts wurden durch Rippenknorpel aus einem Depot an der Brust angefertigt und ergänzt
..Abb. 4.80 a, b Der Vergleich mit einem privaten Foto zeigt die Ähnlichkeit mit dem ursprünglichen Gesicht. Die Rekonstruktion ist vollendet, auch der rechte Stiel soll nun durchtrennt werden
4.2.5.2.2 Fallbeispiel 6: Inneres Septum
reseziert
Die . Abb. 4.78, 4.79 und 4.80 zeigen die Rekonstruktion eines Subtotaldefekts – inneres Septum reseziert. Anamnese Zustand nach Rekonstruktionsversuch an-
dernorts: Ablatio nasi mit weitgehender Resektion auch des inneren Septums wegen eines T2-Plattenepithelkar-
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zinoms. Unzureichende Rekonstruktion mit Stirn- und Nasolabiallappen, Ohr- und Rippenknorpel. Operativer Plan Implantation von zwei Hautexpandern,
der eine zur Vorbereitung eines paramedianen Stirnlappens rechts, der zweite, um Haut zum Ersatz der Stirnnarben links zu schaffen. Neubildung des Gerüsts aus Rippenknorpel.
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
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..Abb. 4.81 a Eine Schablone aus zusammengefügten Nahtpäckchen hilft beim Design eines 18 cm langen Unterarmlappens (Patient wie in . Abb. 4.50a–c). b Der Unterarmlappen deckt Teile von Oberlippe, Nasenboden und -wänden. Die Anteile für die Auskleidung der Neonase mitsamt dem oberen Septum sind auf der Wange ausgebrei-
tet und werden in Kürze eingenäht. c Die Auskleidung der Neonase wird gebildet und, zur Stabilisierung des Nasenrückens, wird ein Rippenspan integriert. Er wird am Ende komplett vom Subkutangewebe des Lappens bedeckt sein
4.2.5.2.3
Operativer Plan Rekonstruktion von Oberlippe, Nasen-
Die . Abb. 4.81 und 4.82 zeigen die Rekonstruktion eines über die Nasengrenzen hinausgehenden Defekts.
boden und -wänden sowie Auskleidung der Neonase mitsamt dem oberen Septum durch Unterarmlappen. Danach Neubildung der Nase mit paramedianem Stirnlappen von rechts und Rippenknorpel.
Fallbeispiel 7: Totaldefekt – über die Nase hinausgehend
Anamnese T3-Plattenepithelkarzinom der Nase. An-
dernorts: Primäre Radiochemotherapie, Frührezidiv, Ablatio nasi, erneutes Frührezidiv. Die R0-Resektion durch den Autor ergab einen ausgedehnten Mittelgesichtsdefekt auch an Teilen von Oberlippe und Oberkiefer.
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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..Abb. 4.82 Auf der „Plattform“ des Unterarmlappens wird die äußere Nase in typischer Weise in 3–4 Schritten rekonstruiert. Der formgebende Rückenspan ist dem ersten (. Abb. 4.83c) aufgelagert,
4.2.6
Umgang mit Komplikationen
4.2.6.1 Perfusionsstörungen
Venöse Stauungen mit der Gefahr nachfolgender Nekrosen sind die häufigste Komplikation nach Lappenplastiken: Der arterielle Einstrom ist in diesen Fällen größer als der venöse Abfluss. Das liegt an der Durchtrennung, Kompression bzw. Torsion des venösen Systems und führt häufig zu einer schließlich irreversiblen Thrombosierung. Damit die Stase nicht zur Nekrose führt, muss der venöse Abstrom sofort wiederhergestellt werden (Talbot und Pribaz 2010; Conforti et al. 2002). Übliche chirurgische Methoden sind das Öffnen von Nähten, um Spannung zu reduzieren und Querschnitte für den venösen Abfluss wiederherzustellen, kombiniert mit lokalen Nadelstichelungen und mechanischem Ausmassieren in distale Richtung. Diese Maßnahmen können aufgeschoben werden, wenn die – meist erfolgreiche – Injektion von Heparin vorher zum Einsatz kommt. Bei unzureichendem Erfolg aller dieser Maßnahmen muss innerhalb von Stunden eine vorübergehende Lappenrückverlagerung erwogen werden. Esser begann 1932 mit dem Einsatz von Blutegeln (Hirudo medicinalis; Goedkoop et al. 2000). Diese Methode wird bis heute angewandt, hat aber entscheidende Nachteile: Die Beschaffung dauert zu lange und die Aufnahme der Tiere ist begrenzt und nicht steuerbar. Die Egel können zudem abwandern, Infektionen verursachen und Narben im Bissareal hinterlassen. W. W. Wong beschrieb 1951 die Injektion von Heparin in den Nahtbereich zwischen Lappen und Empfängerregion bei venösen Stauungen, durch die er einen guten Blutabfluss erzielte (Wong 1951). Die subkutane Anwendung von Heparin in Fingerreplantaten mit venöser Stauung wurde in Kasuistiken zuerst von Barnett 1989
der Columella-Span rückwärtig mit einem Streifen aus der Neo-Oberlippe abgedeckt. Der Lippendefekt wird später zu Ausbildung eines Philtrums genutzt
beschrieben. Er prägte den Begriff „chemical leech“ – „chemischer Egel“ (Barnett et al. 1989). Intrakutane Heparin-Stichelung Der Autor hat folgende
Vorgehensweise entwickelt: 2006 wurde erstmals eine intrakutane Heparin-Stichelung mit sehr gutem Effekt durchgeführt. Dabei wurden, je nach Größe des gestauten Areals, zwischen 1.000–25.000 IE Heparin verwendet. >>Wichtig dabei ist die streng oberflächliche Injektion von
vielen kleinen Depots am stielfernen Ende der Stauung. Nur so wird sichergestellt, dass arterielles Blut das gesamte kritische Areal durchströmt.
Das distal applizierte Heparin wirkt retrograd in den gestauten Bereich hinein und hält die venöse Drainage weit über 12 Stunden lang im Fluss. Die erste Injektionsserie wird niedrig dosiert und die Wirkung abgewartet. Nach etwa 30 Minuten wäre bei unzureichendem Effekt die Injektionsserie zu wiederholen. Die Dosierung (Summe der kleinen Depots) beträgt bei kleinen Stauungsarealen 1000–2000 IE. Bei kleinen Lappen sollten Insulinspritzen mit feiner Injektionsnadel verwendet werden. Das kritische Areal wird, um Austrocknung und Verkrustung zu vermeiden, semiokklusiv mit durchlässigem Gitterverband abgedeckt, der zuvor mager mit antiseptischer Salbe imprägniert wurde. Die „Perlenkette“ der kleinen Depots blutet nun kontinuierlich bis zu 24 Stunden lang. Die Verbände werden nach Bedarf erneuert. Die Injektionen müssen so lange wiederholt werden, bis sich der Lappen und sein venöses System vollständig erholt haben. Beispielhaft wird ein 69-jähriger Patient vorgestellt (. Abb. 4.83), bei dem zuvor bereits der rechte Nasenflügel mit einem paramedianen Stirnlappen von rechts und
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
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..Abb. 4.83 a Stark gestauter Stirnlappen 24 Stunden nach Neubildung der Nasenspitze. Blutstropfen aus Nadelstichen zeigen, dass noch keine finale Thrombosierung eingetreten ist. Sofortiges Handeln ist geboten! b 1 × tägliche Injektion von rund 4000 IE Heparin-Na-
..Abb. 4.84 3 Tage nach Durchtrennung des Stiels. Innerhalb von 5 Wochen hat sich der Lappen bis auf schmale distale Nekrosezonen erholt. Die Sekundärheilungen sind fast abgeschlossen. Weitere Aspekte: Der Nasenspitzendefekt wurde vor der Rekonstruktion bis auf die Grenzen der ästhetischen Untereinheit erweitert. Der rechte Flügel wurde 1 Jahr zuvor mit einem paramedianen Stirnlappen von rechts vollschichtig rekonstruiert
Septumknorpel in zwei Schritten rekonstruiert worden war. Ein Jahr später musste ein Basalzellkarzinom der Nasenspitze paramedian links reseziert werden. Die ästhetische Untereinheit wurde, nach Defekterweiterung, mit einem medianen Stirnlappen und Septumknorpel gedeckt. In Erwartung weiterer Defektdeckungen wurde die Stielbasis nur 9 mm breit angelegt. Am Operationstag war der Lappen diskret livide gestaut, Kapillarzeichen positiv, am folgenden Tag zu 30 % schwarz-blau verfärbt und ohne Kapillarzeichen (. Abb. 4.83a). Die tägliche Injektion von rund 4000 IE Heparin-Natrium in der geschilderten Weise (distale oberflächliche Mikro-Depots; . Abb. 4.83b) sicherte die permanente Drainage. Der Lappen wurde mit einem durchlässigen Gitterverband antiseptisch abgedeckt. Am 9. postoperativen Tag waren 95 % des Stirnlappens vital, lediglich am distalen Rand bestanden zwei schmale Nekrosezonen, die sekundär
trium (weiße Kreise) als kleine intrakutane Depots am distalsten Ende bewirken eine permanente Blutung. Nur so durchfließt das oxygenierte Blut die gesamte kritische Zone. Hier deutliche Besserung nach 6 Tagen. Wegen noch livider Stauung werden die Injektionen fortgesetzt
heilten. Die Stieldurchtrennung konnte in üblicher Weise erfolgen (. Abb. 4.84). Zur Behandlung gestauter Lappenplastiken ist nach Erfahrung des Autors die intrakutane Injektion von Heparin in Verbindung mit der sog. Stichelung – „chemischer Blutegel“ – dem Einsatz medizinischer Blutegel deutlich überlegen, denn die Therapie kann sofort beginnen, die venöse Drainage erfolgt exakt am gewünschten Ort, sie ist permanent anhaltend, gut steuerbar und ohne besonderes Infektionsrisiko, der Einsatz medizinischer Blutegel ist obsolet.
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. Abb. 4.85 zeigt ein intraoperatives Anwendungsbeispiel: Nach Rotationsplastik des – hier inkomplett erhaltenen – Septums war auf Stichelung hin kein Blutfluss erkennbar. Es wurden kleine distale Heparin-Depots gesetzt, in deren Bereich sich nach rund einer Stunde eine progressive Blutung einstellte (in der Abbildung nicht dargestellt) – mit entsprechend guter Prognose für den ganzen Lappen. 4.2.6.2 Infektionen
Mit primären oder sekundären Kontaminationen ist bei rekonstruktiven Eingriffen an der Nase immer zu rechnen. In der Regel wird jedoch die körpereigene Abwehr zusammen mit der stets durchgeführten antibiotischen Prophylaxe (z. B. Clindamycin, anfangs i. v.) eine Ausbreitung verhindern. Kommt es dennoch zu einer ausgedehnten Infektion, ist dies meist auf stehende Sekrete in kleinen oder größeren Hohlräumen zurückzuführen, die von der antibiotischen Prophylaxe nicht adäquat erreicht werden. Besondere „Hotspots“ sind Lücken zwischen Knorpeltransplantaten, die bei großen Gerüstrekonstruk-
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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..Abb. 4.85 Partiell erhaltenes inneres Septum nach Rotationsplastik (gezeigt ist derselbe Patient wie in . Abb. 4.48, 4.51 und 7 Abschn. 4.2.6.2): Der Lappen wirkt vital, die Nadelstiche sind jedoch anfangs trocken. Kleine distale Heparin-Depots (weiße Kreise, ca. 2000 IE) am stielfernen Ende führten in Stundenfrist zu progressiver Blutung (kein Foto). Die Nasenreste sind zur Inversion (Kipplappen) umschnitten
tionen kaum vermeidbar sind. Kontaminierte Sekrete haben hier Kontakt mit antimikrobiell inkompetenten Knorpeloberflächen und können relativ leicht eine lokale Entzündung auslösen. Kommt eine Minderdurchblutung oder gar Nekrose angrenzender Weichteile hinzu, brechen die körpereigene Abwehr und der Spiegel des Antibiotikums in diesem Bereich zusammen. Nun kann sich die Infektion lokal ungehemmt ausbreiten, und die Abbauprodukte des zunehmend geschädigten Knorpels nehmen progressiv am Entzündungsgeschehen teil. zz Minderperfusion, Infektion, Nekrose
Dies wird hier am bereits vorgestellten Patienten (. Abb. 4.48a–c, 4.51a–c und 4.85) gezeigt. Durch ungünstige Umstände konnte der zweite rekonstruktive Schritt erst nach 9 statt der geplanten 4 Wochen durchgeführt werden. So konnte die kaum reversible Schrumpfung der fast gerüstlosen Nase fortschreiten. Der Widerstand des inkompletten Septumrotationslappens reichte nicht aus, um die Schrumpfung aufzuhalten (s. unten, Profilserie in . Abb. 4.89, Teilbild d). Die eingebüßte Länge und Größe des Lappens sollte nun durch Verlängerung des Lappenstiels und verstärkte Ausdünnung kompensiert werden. Beides wurde unter
..Abb. 4.86 Komplikationskette nach Gerüstrekonstruktion (2. von 3 Schritten, Patient in . Abb. 4.48, 4.51 und 4.85): Beim Versuch einer Stielverlängerung rechts wurden Lappengefäße verletzt. Folge: Hautnekrose über der knorpeligen Neonasenspitze. Der Defekt nach Nekrosektomie wurde durch einen paramedianen Stirnlappen von links gedeckt. Die dennoch fortschreitende Infektion mit sekundären Nekrosen (Foto an Tag 7) ist Zeichen einer schweren Infektion der Knorpeltransplantate
mikroskopischer Sicht durchgeführt. Dennoch kam es zur irreversiblen Schädigung einer großlumigen Vene und einer kleineren Arterie im Lappenstiel. Der zweite Schritt wurde trotzdem in der ursprünglich geplanten und üblichen Weise durchgeführt. Die Reposition des etwas lividen Lappens gelang durch Mobilisation der Wangenweichteile und Offenlassen eines kleinen Areals an der Nasenwurzel. Obwohl postoperative Lappenkontrollen positive Kapillarzeichen ergaben, entwickelte sich rasch eine Nekrose der Nasenspitze, die umgehend exzidiert und durch einen kleinen paramedianen Stirnlappen von links gedeckt wurde (. Abb. 4.86). Wegen unzureichender Perfusion in den stielfernen Randbereichen konnte sich jedoch von dort aus eine rasch fortschreitende Infektion ausbreiten, die zu sekundären Nekrosen führte. Da das gesamte Knorpelgerüst von der eitrigen Entzündung erfasst war, musste es nahezu vollständig explantiert und verworfen werden (s. unten, . Abb. 4.88a und Profilserie in . Abb. 4.89, Teilbild e). Die autodestruktiven Defekte durch knorpeleigene Enzyme, ausgelöst und verstärkt durch externe Entzündungsprodukte, sind in typischer Weise gut zu erkennen (. Abb. 4.87).
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4.2 • Rekonstruktion bei großen und totalen Nasendefekten
..Abb. 4.87 Rasche Abheilung erfolgt erst nach Entfernung fast aller Knorpeltransplantate. Hier: Nasenrückenspan mit typischen Schäden durch Infektion, eitriges Sekret, Entzündungsprodukte sowie Abbau durch knorpeleigene Enzyme
a
b
..Abb. 4.88 a Transposition des linken Stirnlappens zum Wiederaufbau der linken Flügelbasis. b 8 Monate nach der Komplikation: Der linke Stiel wurde retrograd zur partiellen Neubildung des linken Ostiums verwendet. 10 Wochen lang wurde die Stirnhaut mit zwei Expandern auf das notwendige Volumen gedehnt, rechts 28 ml zur Beseitigung der Narben, links 75 ml für einen lateralen Stirnlappen.
c c Erneute Nasenrekonstruktion, jetzt mit dem lateralen expandierten Stirnlappen von links. Die Auskleidung wurde durch Kipplappen aus Resten der ersten Rekonstruktion gebildet. Hier 6 Tage nach zweitem Schritt: Rekonstruktion des Knorpelgerüsts. Durch die Expansion rechts konnte die große Narbe des ersten Lappens minimiert werden
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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..Abb. 4.89 a–g Profilserie, die begleitend zu allen rekonstruktiven Eingriffen geführt und laufend aktualisiert wird. Korrekte Profileinstellung, identische Kopfposition (ggf. Korrektur in 1°-Schritten durch „Drehen“) und exakt gleiche Größe (horizontale Linien) sind Bedingung für korrekte Planung. a Privates Bild vor Ablatio nasi. b Das Profil der Epithese dient als Planungsmodell (unterbrochene Linie). c Steht keine Epithese zur Verfügung, kann mit alten privaten Fotos geplant werden. d Nach unplanmäßig langem Intervall (10 statt 4 Wochen zwischen dem 1. und 2. Schritt) ist eine erhebliche Schrump-
fung eingetreten. e Verlust des erreichten Profils durch Komplikation. Zustand nach Zwischenschritten und Expansion des lateralen Stirnlappens links vor zweiter Totalrekonstruktion (. Abb. 4.88b). f Nach Vervollständigung der Auskleidung durch Kipplappen aus dem ersten Stirnlappen und neuer Haut mittels expandiertem lateralen Stirnlappen von links. g Profil nach erneutem 2. Schritt mit Ausdünnung und Rekonstruktion des Gerüsts (. Abb. 4.88c): Das Wunschprofil ist erreicht
zz Hautexpansion und erneute Rekonstruktion in 3 Schritten (derselbe Patient)
Erneuter 2. Schritt Lappenanhebung, Ausdünnung und
Nach Knorpelexplantation kam es rasch zur Abheilung der Weichteile. Der Zusatzlappen von links wurde nun mitsamt seinem Stiel zum Ersatz des linken Nasenflügels „umgenutzt“. Dabei wurde auf möglichst symmetrische Gestaltung geachtet (. Abb. 4.88a,b). Nun wurde folgendes Konzept verwirklicht: Vorbereitung eines lateralen Stirnlappens links durch Hautexpansion, zusätzlich kleine Expansion der rechten Stirn zur Reduktion der Narben, Ersatz der kaudal verlorenen Auskleidung durch Kipplappen nach kaudal aus dem erhaltenen Rest des ersten Stirnlappens.
-
Im Laufe der dreimonatigen Hautexpansion folgten weitere kleine Modifikationen in Lokalanästhesie. Erneuter 1. Schritt 20 % des Expander-Inhalts wurden
abgezogen, der Verlauf der A. supraorbitalis wurde mit Duplexsonographie ermittelt und ein Lappen mit besonders langem und schmalem Stiel gehoben. Zusammen mit dem Kipplappen konnte ein kompletter und ausreichend großer neuer innerer und äußerer Weichteilmantel geschaffen werden (. Abb. 4.89f).
Gerüstrekonstruktion mit neuem Rippenknorpel mit knöchernem Anteil (. Abb. 4.88c, 4.89g). Erneuter 3. Schritt mit Stieldurchtrennung und Eingliederung der Stümpfe Dieser konnte bei guter Form
und Funktion regulär nach 8 Wochen durchgeführt werden. Die chronologische Serie der Profilbilder zeigt die Entwicklung über alle Stadien bis zu diesem Moment (. Abb. 4.89). Der Stiel wurde in diesem Fall weit distal durchtrennt und in voller Länge in die Stirn reintegriert. 8 Monate später zeichnete sich ein gutes Ergebnis ab (. Abb. 4.90a–c). Die Nasenatmung wurde später durch Reduktion der Kipplappenwülste („Scharnierwülste“) optimiert. Zusammenfassung Nasendefekte stellen nicht zuletzt aufgrund der exponierten Lage des Organs eine besondere rekonstruktive Herausforderung dar. Es müssen genaue anatomische Kenntnisse der Untereinheiten, eine subtile präoperative Vorbereitung (Bildanalyse, Schablone) und eine breite Expertise der rekonstruktiven Möglichkeiten vorgehalten werden, um Funktion und Ästhetik wiederherzustellen.
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Literatur
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..Abb. 4.90 a–c 8 Monate nach Durchtrennung des Stiels zeigt sich eine weitgehend abgeschwollene und unauffällige Nase in annähernd gewünschter Form und Größe. a, b Relativ unauffällige Narben an der Stirn trotz Hebung zweier großer und eines kleinen Stirnlappens.
Auffällig ist die starke Anhebung der Augenbrauen mit nachlassender Tendenz. c In einer letzten OP (örtliche Betäubung) wurden später die hier noch sichtbaren „Scharnierleisten“ der Kipplappen reduziert. Nasenatmung und Riechvermögen sind danach sehr gut
Das operative Rekonstruktionskonzept muss sich u. a. an der individuell unterschiedlichen Anatomie, den Komorbiditäten und dem Patientenwunsch orientieren. Im Idealfall sollte eine ästhetische Einheit als Fläche rekonstruiert werden, ohne durch Narbenlinien unterbrochen zu werden. Bei Defekten, die sich über mehrere Einheiten ausdehnen, sollte jede einzeln rekonstruiert werden. Bei kleinen Defekten besteht u. a. in Abhängigkeit von der Lage das operative Portfolio in Nahlappen bis hin zu mehrschichtigen Transplantaten (z. B. composite graft). Bei den besonders herausfordernden (sub)totalen Defekten bedarf es eines mehrschrittigen Verfahrens, das häufig in einer kompletten Neubildung der äußeren Nasenhaut (der gesamten ästhetischen Einheit) mit stabilisierender Unterkonstruktion und Innenauskleidung zum optimalen Ergebnis führt. Hierfür eignet sich idealerweise ein expandierter paramedianer Stirnlappen mit autologem Rippenknorpel und einem „inner lining“. Nicht selten muss vor der Rekonstruktionen eine Verlagerung der Defektgrenzen durchgeführt werden, um sie dem typischen Muster der Untereinheiten oder der ästhetischen Einheit anzunähern. Die Rekonstruktion einer vitalen und belastbaren Haut- oder Schleimhautauskleidung ist für Schutz und
Ernährung der tragenden Knorpeltransplantate essenziell. Das neue Knorpelgerüst sichert durch robuste Statik die Funktion und bestimmt die Ästhetik der rekonstruierten Nase.
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Kapitel 4 • Äußere Nase
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Innere Nase Fabian Sommer, Mark O. Scheithauer, Jörg Lindemann
Inhaltsverzeichnis 5.1
Einleitung – 144
5.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 144
5.2.1 5.2.2
Anatomischer Aufbau der inneren Nase – 144 Gefäßversorgung und Innervation der inneren Nase – 144
5.3
Septumperforationen – 145
5.3.1 5.3.2
Therapien – 145 Operatives Vorgehen – 146
5.4
Empty-Nose-Syndrom – 149
5.4.1 5.4.2
Therapien – 149 Operatives Vorgehen – 149
Literatur – 151
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_5
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Kapitel 5 • Innere Nase
144
5.1 Einleitung
5
Die innere Nase und ihre Schleimhaut sind als oberster Teil des Respirationstrakts von hoher Bedeutung für die Klimatisierung der eingeatmeten Luft. Pathologische Veränderungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Physiologie der Schleimhaut. Anzutreffende Läsionen sind entweder Folge einer Schleimhauterkrankung (z. B. infolge häufiger Manipulationen durch die betroffenen Patienten, Infektionen oder traumatische Veränderungen) oder iatrogen verursacht (Septumplastik, Nasennebenhöhlenoperationen, Turbinoplastiken). Bei einer Vielzahl der Beschwerden ist die primäre Therapie konservativ. Pathologien der inneren Nase, für die eine operative Therapie infrage kommt, sind z. B. die Nasenseptumperforation und das Emtpy-Nose-Syndrom. Mögliche operative Therapieansätze dieser beiden pathologischen Zustände werden im Folgenden behandelt. 5.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
5.2.1
Anatomischer Aufbau der inneren Nase
Die knöchern-knorpelige Nasenscheidewand (Septum nasi) teilt die innere Nase in zwei etwa gleich große Nasenhöhlen. Mehrere Knochenanteile des Gesichtsschädels und Knorpel der äußeren Nase begrenzen die Nasenhöhle. Die Nasenlöcher, als äußerer Zugangsweg zur inneren Nase, führen zum mit äußerer Haut, Haaren und Talgdrüsen überzogenen Nasenvorhof. Eine bogenförmige Schleimhautfalte (Limen nasi) an der lateralen Nasenwand, die sog. Nasenklappe, trennt Nasenvorhof und Nasenhaupthöhle. Nasenseptum und Nasenklappe, welche durch den Oberrand des Flügel- und den Unterrand des Seitenknorpels aufgeworfen wird, bilden die Nasenklappenregion. Sie wird als inneres Nasenloch bezeichnet und stellt die engste Stelle der Nase dar. Über die Nasenklappe hinaus erweitern sich die Luftwege zur eigentlichen Nasenhöhle (Cavitas nasi propria). Sie reicht vom Übergang des Nasenvorhofs bis zur Öffnung in den Nasen-Rachen-Raum (Choana). Das Nasenseptum besteht aus knöchernen und knorpeligen Teilen. Der hintere Anteil des Septums setzt sich aus zwei knöchernen Elementen, der Lamina perpendicularis des Siebbeins einerseits und dem dicken Pflugscharbein (Vomer) andererseits, zusammen. Im Gegensatz zum Pflugscharbein handelt es sich bei der Lamina perpendicularis um eine dünne Knochenlamelle mit einer Verdickung am Übergang zum knorpeligen
Septum. Der sich nach vorn hin fortsetzende Septumknorpel (Cartilago septi nasi) liegt basal fest in einer Knochenrinne der Oberkieferknochen. Das knorpelige Septum besteht aus dem dorsal gelegenen schmalen Keilbeinfortsatz (Proc. sphenoidalis), der zwischen Siebbein und Pflugscharbein eingeschoben ist, und der breiteren Lamina quadrangularis. Cottle teilte die Nasenscheidewand in die Regionen bzw. Area I–V ein (. Abb. 5.1). Die vorderen Regionen I, II und teilweise III umfassen die knorpeligen Septumanteile, während sich die Regionen IV, V und der dorsokaudale Teil von Region III ausschließlich knöchern zusammensetzen. Septumperforationen finden sich am häufigsten in Area I und II, insbesondere nach Voroperationen am Nasenseptum. Das Nasenseptum sorgt für eine Stabilisierung der knorpeligen und teilweise knöchernen Anteile der Nase. Des Weiteren ist das Nasenseptum durch seine Höhe maßgeblich an der Form der äußeren Nase beteiligt. Die seitliche Nasenwand weist einen komplexen Aufbau aus mehreren Knochen, Nasengängen und Ausführgängen der Nasennebenhöhlen auf. Der seitliche Anteil der Nasenhaupthöhle wird zudem durch die drei Nasenmuscheln – obere, mittlere und untere Nasenmuschel – untergliedert. Lediglich bei der unteren Muschel (Concha nasalis inferior) handelt es sich um einen eigenständigen Knochen. Obere und mittlere Muschel (Concha nasalis superior et media) sind Fortsätze des Siebbeins. Unter den Nasenmuscheln münden die Ausführgänge der Nasennebenhöhlen und des Tränennasengangs. 5.2.2
Gefäßversorgung und Innervation der inneren Nase
Die innere Nase wird aus den Strömungsgebieten der A. carotis externa und A. carotis interna versorgt. Die aus der A. ophthalmica (Ast der A. carotis interna) entspringenden Aa. ethmoidales anterior et posterior gelangen durch kleine Aussparungen im Siebbein in die Nasenhöhle und versorgen den oberen Teil der Nasenhöhle. Die A. maxillaris (Ast der A. carotis externa) entlässt die kräftige A. sphenopalatina, deren Endäste Aa. nasales posterior lateralis et septi die Versorgung von lateraler Nasenwand, Septum und hinterer Nasenhöhle übernehmen. Die Nasenmuscheln sind Organe mit sehr starker Vaskularisation. Im anterioren Teil wird die untere Muschel durch die Rami laterales nasi der A. facialis versorgt, welche mit Ästen der A. ethmoidalis anterior anastomosieren. Die mittleren und hinteren Anteile der Muschel werden von Abgängen der A. sphenopalatina (aus A. maxillaris) durchblutet. Der oberflächliche Gefäßplexus Locus Kiesselbachi am knorpeligen Septum wird durch beide Endstromgebiete gut durchblutet und ist bei Epistaxis nasi häufig
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5.3 • Septumperforationen
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Beschwerden ist von der Größe und Lage der Septumperforation abhängig. Symptomatisch sind im Wesentlichen Perforationen im Bereich des anterioren Septums (Area I/II). Sie sind verursacht durch eine veränderte intranasale Luftströmung mit einem Cross-Flow der Luft durch die Perforation und einer Klimatisierungsstörung der intranasalen Atemluft (Elad et al. 2006; Garcia et al. 2007; Lindemann et al. 2001a, b, 2013, 2016; Pless et al. 2004). 5.3.1 Therapien
..Abb. 5.1 Regionen des Nasenseptums. Sagittale Schnittführung, Ansicht von links-lateral. Die Regionen I und II umfassen ausschließlich das knorpelige Nasenseptum. Region III besteht aus knorpeligen Anteilen und einem Teil des knöchernen Vomer. Region IV und V setzen sich aus der knöchernen Lamina perpendicularis des Siebbeins und Region V zudem aus dem Vomer zusammen. (Mod. nach Kasterbauer und Tardy 1999; © Thieme Gruppe, mit freundlicher Genehmigung)
die Blutungsquelle.. V. ophthalmica und V. facialis sorgen für den venösen Abfluss. Nervenaufzweigungen des N. opthalmicus und des N. maxillaris sind für die sensible Versorgung der Nasenhöhle zuständig. Die im N. canalis pterygoidei gemeinsam verlaufenden vegetativen Fasern lagern sich den sensiblen Trigeminusästen an, aber sie stammen aus anderen Nerven. Der parasympathische N. petrosus major (Ast des N. facialis) innerviert die seromukösen Drüsen. Der N. petrosus profundus versorgt sympathisch Gefäße in der Nasenhöhle, wodurch bei Stimulation über Minderung der Plexusfüllung eine Abschwellung der Nasenschleimhaut resultiert. 5.3 Septumperforationen
Nasenseptumperforationen können durch einen Schädigung des Knorpels entstehen. Verletzungen des darüber liegenden, den Knorpel versorgenden Perichondriums beeinträchtigen die Blut- und damit die Nährstoffzufuhr, was zu einer Schädigung und Nekrose des darunter liegenden Knorpels führen kann. Auch heute noch sind Nasenseptumperforationen zu weit mehr als der Hälfte durch eine ärztliche Behandlung verursacht, allem voran durch eine Septumplastik. Ein weiterer Grund ist die Manipulation durch den Patienten. Die typischen Symptome sind behinderte Nasenatmung, Pfeifgeräusche, Krustenbildung, eine trockene Nase und rezidivierende Epistaxis. Die Intensität der
Die Behandlung einer Septumperforation ist nur notwendig, sofern sie dem Patienten subjektiv Beschwerden bereitet. Als Behandlungsmöglichkeiten stehen sowohl konservative und epithetische als auch operative Eingriffe zur Verfügung. Ein chirurgischer Septumperforationsverschluss führt - sofern die Größe der Perforation diesen zulässt - zu einer Normalisierung der Luftströmung und der Atemluftkonditionierung mit dadurch bedingter Beschwerdebesserung für den Patienten. Bei leichter Symptomatik oder um eine Progredienz der Beschwerden zu vermeiden, können schleimhautpflegende Maßnahmen durchgeführt werden. Schleimhautschädigende Substanzen wie z. B. Nikotin, inhalativ toxischen Substanzen und abschwellenden Nasensprays müssen vermieden werden. Eine Befeuchtung und Reinigung der Schleimhaut wird mit Inhalationen und Spülungen mit physiologischer Kochsalzlösung erreicht. Dexpanthenolhaltige Nasensalben oder -sprays verbessern den Zustand der Nasenschleimhaut und reduzieren die Krustenbildung. 5.3.1.1 Septum-Button
Der sog. Septum-Button („Septumknopf“) ist eine Epithese zum Verschluss von Septumperforationen. Er besteht in der Regel aus Silikon und wird in die Perforation eingepasst, um den Cross-Flow und damit verbundene Turbulenzen zu verhindern. Diese Therapiealternative eignet sich für Patienten mit operationstechnisch nicht verschließbaren Perforationen, erhöhtem anästhesiologischem Narkoserisiko oder bei Ablehnung einer Operation (van Dishoeck und Lashley 1975; Moergeli 1982; Neumann et al. 2010; Zaki 1980). Der Septum-Button findet auch Anwendung bei grundsätzlich nicht heilbaren Grunderkrankungen wie z. B. Autoimmunerkrankungen (M. Wegener, systemischer Lupus erythematodes, Sarkoidose etc.). Neben industriell gefertigten Produkten in verschiedenen Standardgrößen stehen inzwischen auch individuell auf den Patienten zugeschnittene Septum-Epithesen zur Verfügung, die nach Abformung in Lokalanästhesie von einem Epithetiker angefertigt werden (. Abb. 5.2; s. auch 7 Abschn. 23.3.5).
5
146
Kapitel 5 • Innere Nase
Schnittführung (Hemitransfixion) durchgeführt werden. Bei größeren und schlecht zugänglichen Perforationen kann ein offener Zugang wie zur Septorhinoplastik mit umgekehrt V-förmiger Columella-Inzision den Zugang erleichtern. 5.3.1.4
5 ..Abb. 5.2 Individuell abgeformte Septum-Epithese (Nasenendoskopie linke Seite)
>>Nach der Erfahrung der Autoren werden Septum-But-
tons häufig nicht vom Patienten toleriert und können die Symptome in manchen Fällen sogar verschlimmern. Sie stellen daher nur eine Reservetherapie dar.
5.3.1.2
Operativer Verschluss
Da es sich um einen dreischichtigen Defekt des Nasenseptums handelt, ist der operative Verschluss in Abhängigkeit von Lage (anterior/posterior, kaudal/kranial) und Größe der Perforation technisch schwierig. Daher sind über die Jahre zahlreiche Operationsmethoden beschrieben worden. In Abhängigkeit von Größe und Lage der Perforation, dem endonasalen Schleimhautzustand, den technischen Möglichkeiten und der Erfahrung des Operateurs kann eine Technik ausgewählt werden. Die Vielzahl der Techniken weist bereits darauf hin, dass ein bleibender operativer Verschluss nicht immer erreicht werden kann. Die Verschlussraten liegen trotz des komplizierten operativen Verfahrens und der Vielzahl an Techniken in den meisten in der Literatur gefundenen Studien mit Werten zwischen 80 und 95 % recht hoch (Ribeiro und da Silva 2007; Pedroza et al. 2007). Viele Studien wurden einerseits nur an einer kleinen Patientenzahl durchgeführt, andererseits wurden Patienten nicht klinisch nachuntersucht, sondern retrospektiv nach Aktenlage beurteilt, oder es gab keine konkreten Angaben zu Methodik und Nachuntersuchung. Der Nachuntersuchungszeitraum des Kollektivs lag bei den meisten Studien im Bereich von wenigen Monaten, sodass keine Aussage zu Langzeitergebnissen getroffen werden kann. In einer prospektiven Studie mit einem medianen Nachbeobachtungszeitraum von > 5 Jahre konnte ein langfristiger Verschluss der Perforation bei 72 % der Patienten (n = 187) erreicht werden (Lindemann et al. 2014). 5.3.1.3
Operativer Zugangsweg
In der Mehrzahl der Fälle kann der Perforationsverschluss über einen geschlossenen Zugang mit endonasaler
Transplantate als Interponat
Da bei einer Septumperforation nicht nur die Schleimhaut im betroffenen Areal, sondern auch der Septumknorpel fehlt, empfiehlt sich generell die Anwendung von autologen Transplantaten zur Rekonstruktion des Septums. Zu den in der Literatur beschriebenen eingesetzten autologen Transplantaten gehören Ohrknorpel des Cavum conchae mit Perichondrium, Rippenknorpel, die Muskelfaszie des M. temporalis, Septumknorpel, Nasenmuschel, Perikranium, Siebbein, Warzenfortsatz mit Periost, Knochen vom Darmbeinkamm und Fascia lata vom Oberschenkel. Favorisiert wird autogener Knorpel des Cavum conchae als Interponat. Wenn dieser nicht mehr vorhanden ist, können allogene Materialen wie z. B. azelluläre Dermis (AlloDerm™) verwendet werden. >>Alloplastische Materialien (Implantate) neigen zu einer
hohen Extrusionsrate und sollten nur im Ausnahmefall Verwendung finden.
5.3.1.5
Operative Techniken
Prinzipiell lassen sich die in der Literatur beschriebenen Techniken in verschiedene Kategorien einteilen, wobei sich nahezu jede publizierte Methode in ihrer Ausführung, im gewählten Transplantat und Zugangsweg von den anderen unterscheidet. Die nachfolgend aufgelisteten Operationstechniken können im Rahmen des Septumperforationsverschlusses auch kombiniert werden: Operative Techniken zur Behandlung von Septumperforationen
---
Lokale Septumschleimhautlappen Umfangreiche endonasale Schleimhautmobilisation Mundvorhofschleimhautlappen Unterer Muschelschleimhautlappen Verschiedenartige freie Transplantate
5.3.2
Operatives Vorgehen
Als Referenzmethode des Septumperforationsverschlusses hat sich die (Vier‑)Brücken-Lappentechnik nach SchultzCoulon etabliert (. Abb. 5.3; Schultz-Coulon 1989, 1997, 2005, 2006; Neumann et al. 2011).
a
2
8 c
5
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5.3 • Septumperforationen
b
2
2
8
2
8
8 d
e
2
8 f
..Abb. 5.3 a–f Schematische Darstellung der Operationsschritte (a–d) beim operativen Septumperforationsverschluss mittels 4-(c)oder 2-Brückenlappentechnik. Frontokoronare Schnittführung mit Ansicht der Nasenbasis. a Frontokoronare Darstellung der Nasenseptumperforation: Im Defekt fehlen das knorpelige Nasenseptum und die beidseitige Bedeckung mit Nasenschleimhaut. b Anlage von vollständigen oberen und unteren Tunneln, hierbei wird die Septumschleimhaut entlang dem Nasenseptum, -boden und -dach freipräpariert. Die Perforationsränder werden aufgetrennt. Das weitere Vorgehen ist abhängig von der Defektgröße und der zur Verfügung stehenden Schleimhaut, um einen spannungsfreien Verschluss zu erreichen. Bildung von oberen und unteren Brückenlappen (c–f): Je nach Lage und Größe der Perforation kann je ein Brückenlappen pro
Seite ausreichend sein. Zur Mobilisation des oberen Brückenlappens wird eine sagittale Entlastungsinzision durchgeführt, dabei bleibt der Lappen anterior und posterior gestielt. Gleiches Vorgehen beim unteren Brückenlappen mit Längsinzision im unteren Nasengang. Die gebildeten Brückenlappen werden in den Septumdefekt bewegt und mit resorbierbarem Nahtmaterial fixiert. Dann wird das knorpelige Interponat eingebracht. c Bildung eines oberen und unteren Brückenlappens beidseitig (4-Brückenlappentechnik). d Bildung eines oberen Brückenlappens rechts und eines unteren links. e Bildung eines unteren Brückenlappens beidseitig. f Bildung eines oberen Brückenlappens beidseitig (2-Brückenlappentechnik). O oberer Brückenlappen, U unterer BrückenlappenIInterponat
Diese verknüpft drei der o. g. Methoden miteinander: 1. Beidseitige Mobilisation der septalen Schleimhaut bis über den Nasenboden zur lateralen Nasenwand und unter das Dach der Nase, 2. Bildung von beidseitigen Brückenlappen, 3. Interposition von autologem Knorpel.
Bei größeren und schlecht zugänglichen Perforationen kann ein offener Zugang hilfreich sein. Die Ränder der Perforation werden zunächst nicht aufgetrennt, um die Perforation noch stabil zu belassen. Dabei erfolgt die Schleimhautmobilisation nach unten über den Nasenboden zur lateralen Nasenwand bis zum Ansatz der unteren Nasenmuschel. Nach kranial wird bis unter das Nasendach und weiter nach lateral getunnelt.
Bei kleineren Septumdefekten kann je nach Lage der Perforation ein Brückenlappen pro Seite ausreichend sein. Eine perioperative antibiotische Therapie wird empfohlen. Septum-Buttons sollten vor der Operation entfernt werden. Eine intensive Schleimhautpflege durch den Patienten erleichtert die Präparationen. Der Eingriff erfolgt in der Regel in Intubationsnarkose. 5.3.2.1
Beidseitige endonasale Mobilisation der septalen Schleimhaut
Es erfolgen ein Hemitransfixionsschnitt rechts und das Anlegen von rechten und linken oberen/unteren Tunneln bis zu den Rändern der Perforation (. Abb. 5.3b).
>>Es sollte sehr vorsichtig getunnelt werden, um das noch
intakte Mukoperichondrium nicht zu perforieren.
Eine subperichondrale Präparation dabei ist entscheidend, insbesondere nach Voroperationen. Hierzu kann die Einlage von Adrenalin-getränkten Spitztupfern sinnvoll sein. Auch der Einsatz von Lupenbrille oder Endoskopen können hilfreich sein. Wenn obere und untere Tunnel beidseits angelegt sind, wird der Perforationsrand vorsichtig scharf mit Skalpell oder Schere durchtrennt und die Tunnel werden
148
Kapitel 5 • Innere Nase
5 ..Abb. 5.5 Wundheilungsstörung und Granulationen im Bereich der intranasal liegenden Fäden
..Abb. 5.4 Mobilisation des oberen und unteren Brückenlappens links. Gelber Kreis: Septumperforation, grün: Entastungsinzisionen kaudal und kranial, rot: Schnittführung für die Brückenlappen linksseitig
nach dorsal vervollständigt. Sofern deviierte Septumknorpel- oder -knochenanteile vorhanden sind, werden diese im Sinne einer Septumplastik reseziert und korrigiert. 5.3.2.2
Bildung von beidseitigen Brückenlappen
Nach vollständiger Mobilisierung der Septumschleimhaut bis über den Nasenboden und das Nasendach hinaus werden die oberen und unteren Brückenlappen auf beiden Seiten gebildet. Zur Mobilisation des oberen Brückenlappens wird eine sagittale Entlastungsinzision unter dem Nasendach durchgeführt, sodass der Lappen anterior und posterior gestielt bleibt. In der Regel ist in diesem Bereich noch Septumknorpel und -knochen vorhanden, sodass kein neuer Defekt im Verschiebebereich des Lappens entsteht. Zur Präparation des unteren Brückenlappens geht man mit einer Längsinzision im unteren Nasengang oder besser im Bereich der lateralen Nasenwand identisch vor (. Abb. 5.4). Der obere und der untere Brückenlappen werden dann in den Septumdefekt verschoben und mit resorbierbarem Nahtmaterial fixiert. Hierzu können evertierende Nähte angebracht werden. Die Perforationsränder der linken und der rechten Seite werden nacheinander vernäht.
Der Einsatz eines schmalen Nasenhalters ist hilfreich und die Nadel sollte nach jedem Stich neu gefasst werden, damit das Mukoperichondrium nicht einreißt. In der Regel sind 2–3 Nähte je Seite je nach Größe der Perforation ausreichend. Aufgrund von intranasal liegenden Fäden kann es zu Fibrinbelägen und Granulationen mit Wundheilungsstörungen im Bereich der ehemaligen Perforationen kommen (. Abb. 5.5). Eine alternative Nahttechnik sind intraseptal liegende invertierende Nähte, die technisch etwas aufwändiger sind, aber zu einer Reduktion von Granulationen auf der Schleimhaut führen (. Abb. 5.6). 5.3.2.3
Interposition von autologem Knorpel
Im Anschluss wird das knorpelige Interponat eingebracht. >>Damit der sich verwendete Knorpel möglichst wenig
resorbiert, sollte dieser möglichst nicht mechanisch begradigt („gecrusht“) werden.
Bei kleineren Septumdefekten (>Hierbei ist darauf zu achten, dass die beiden Seiten
der Mukosa nicht versehentlich miteinander vernäht werden.
>>Nach der Operation sollten digitale Manipulationen
durch den Patienten unbedingt unterlassen werden.
149
5.4 • Empty-Nose-Syndrom
Luft mit der Nasenschleimhaut zu ermöglichen. Zudem wirken sie als Diffusor, um den eingeatmeten Luftstrom möglichst breit „aufzufächern“ und den Schleimhautkontakt damit zu verlängern. Der Begriff Empty-Nose-Syndrom (ENS) wurde 1994 von Kern und Stenkvist geprägt. Er wurde als iatrogen verursachter Zustand gewertet und auch als sekundäre atrophe Rhinitis bezeichnet (Barton und Sibert 1980). Neben der iatrogenen Genese sind chronische Rhinosinusitis, chronisch granulomatöse Erkrankungen, nasale Traumen oder eine Radiotherapie als Ursache möglich (Scheithauer 2010; Kuan et al. 2015). Typische Beschwerden von Patienten mit Empty-Nose-Syndrom
..Abb. 5.6 Intraseptal liegende invertierende Nähte beidseits zum Verschluss der Perforation
Ein Schnäuzverbot für 4 Wochen und eine langfristige und intensive Schleimhautpflege sind empfehlenswert.
5.3.2.4
Zusätzliche Eingriffe
Sollte zusätzlich zum Septumperforationsverschluss eine Septorhinoplastik erforderlich sein, empfiehlt sich ein zweizeitiges Vorgehen. Hierbei sollte zunächst die Perforation verschlossen werden. Sollte die Perforation für einen vollständigen Verschluss zu groß sein, kann eine Verkleinerung und Verlagerung der Perforation durch die beschriebene Technik zu einer Symptomverbesserung führen. Manchmal kann auch ein zweitzeitiges Verfahren sinnvoll sein, um die Perforation vollständig zu verschließen, allerdings sollte der zweite Schritt nach eine ausreichen großen zeitlichen Intervall (> 6 Monate) durchgeführt werden. 5.3.2.5
Operative Perforationsvergrößerung
Entgegen dem Prinzip des operativen Septumperforationsverschlusses werden auch operative Perforationsvergrößerungen vorgeschlagen. Hierbei erfolgt eine Erweiterung der Perforation nach posterior und eine Schleimhautnaht am posterioren Rand der Perforation, um eine Re-Epithelialisierung zu ermöglichen. Die Schleimhaut der Perforationsränder sollte erhalten und um die Ränder geschlagen werden, damit glatte Ränder ohne freiliegenden Knorpel entstehen. Diese Technik sollte jedoch nur bei symptomatischen Perforationen in Erwägung gezogen werden, die operativ nicht verschlossen werden können (Eng et al. 2001; De Gabory und Stoll 2008). 5.4 Empty-Nose-Syndrom
Die Nasenmuscheln dienen der Oberflächenvergrößerung, um möglichst viel Kontakt der eingeatmeten
--
Verkrustungen der Nasenschleimhaut Rezidivierende Blutungen Paradoxe nasale Obstruktion
Die paradoxe nasale Obstruktion ist auf ein Fehlen der taktilen Perzeption und deren Übertragung in das Gehirn zurückzuführen. Der inspiratorische Flow erhöht sich interessanterweise trotz eines deutlich vergrößerten nasalen Querschnitts bei ENS-Patienten nicht (Lindemann et al. 2005). 5.4.1 Therapien
Zahlreiche operative Verfahren zur Reduktion der Muschelkörper bei Muschelhypertrophie sind in der aktuellen Literatur aufgeführt. Komplette oder subtotale Muschelresektionen sind heute – abgesehen von onkologischen Eingriffen – nicht mehr üblich. Aufgrund einer früher gebräuchlichen, radikaleren Operationstechnik existieren heute immer noch Patienten, bei denen die untere und ggf. auch die mittlere Muschel aufgrund von Nasenatmungsbehinderung subtotal oder vollständig reseziert wurden (. Abb. 5.7). >>Die primäre Therapie besteht aufgrund der irrever-
siblen Situation des ENS v. a. aus konservativen Maßnahmen wie tägliche Inhalationen, Salbeninstillationen und Nasenspülungen.
5.4.2
Operatives Vorgehen
Eine Rekonstruktion oder Transplantation der fehlenden nasalen Mukosa ist unmöglich. Alle Therapieverfahren, die bei ENS eingesetzt werden, haben die Verringerung des nasalen Querschnitts durch Augmentationen von autologem, homologem bzw. alloplastischem Material (z. B. Knorpel, AlloDerm™, Medpor®) als Grundlage (Chang
5
150
Kapitel 5 • Innere Nase
5
..Abb. 5.8 Rest der unteren Nasenmuschel auf der rechten Patientenseite. Rot gekennzeichnet ist die Stelle einer möglichen submukösen Ohrknorpelimplantation
..Abb. 5.7 Computertomographie eines Patienten mit Empty-Nose-Syndrom
und Watson 2015; Bastier et al. 2013; Modrzyński 2011). Die dadurch gewonnene Erhöhung des nasalen Atemwegswiderstandes zeigt bei vielen Patienten eine Besserung des nasalen Fötors und der subjektiven Perzeption der Nasenatmung. Die Krustenbildung scheint aber nicht beeinflusst zu werden. Die Studienlage hinsichtlich operativer Verfahren ist aufgrund des inzwischen selten vorkommenden Krankheitsbildes und der eingeschränkten operativen Möglichkeiten als unzureichend zu bezeichnen. Obwohl der Nutzen des „Cotton-Wool-Tests“ nach wie vor nicht validiert ist, bleibt er die einzige Möglichkeit, den Erfolg einer operativen Verengung des nasalen Eingangsquerschnitts vorab zu simulieren und damit geeignete Patienten zu identifizieren. Hierbei wird dem Patienten ein rundlich modellierter Wattebausch, der mit Natriumchlorid befeuchtet ist, an der Stelle platziert, an der später die Implantation erfolgen soll. Die Nasenschleimhaut darf für diesen Test nicht abgeschwollen bzw. anästhesiert werden. Das provisorische Implantat sollte über einen Zeitraum von 30 Minuten verbleiben. Anschließend sollte der Patient befragt werden, ob eine Veränderung der subjektiven Beschwerden zu bemerken war. Der am häufigsten durchgeführte Eingriff ist die Implantation von Augmentationsmaterial in einer sub-
mukösen Tasche über einen transnasalen, vestibulären Zugang. Zur Anwendung kommen dezellularisierte Dermis (AlloDerm™) und poröses Polyethylen (Medpor®), homologer Rippen- (Tutoplast®) oder autologer Septum- bzw. Ohrknorpel. Einige Studien zeigen, dass die Anwendung von Hyaluronsäure am Rest des unteren Muschelkopfs sowie dem unmittelbar benachbarten Septumabschnitt zu einer Beschwerdebesserung bei den Patienten führen kann. Ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2015 zeigte bei der Analyse unterschiedlicher Verfahren eine Besserung der ENS-Symptome bei den meisten Patienten (Leong 2015). Sofern Rudimente der unteren Muschel vorhanden sind, empfiehlt sich die Implantation in diesem Bereich, um diesen Teil der Nasenklappe zumindest ansatzweise zu rekonstruieren (. Abb. 5.8). Im Fall einer vollständigen Resektion der unteren Nasenmuschel kann die Augmentation in einer submukösen Tasche entweder am Nasenboden, an der lateralen Nasenwand oder unter der Nasenseptumschleimhaut erfolgen (. Abb. 5.9). Der Zugang wird für die Nasenseptumschleimhaut über einen modifizierten Hemitransfixionsschnitt und für die Implantation am Nasenboden bzw. an der lateralen Nasenwand im Bereich der Nasengangschleimhaut durchgeführt. Eine weitere Möglichkeit ist die Implantation am Nasenboden bzw. an der lateralen Nasenwand über eine Gingiva-Inzision im Mundvorhof. >>Grundsätzlich sollte die Implantation zu einer sicht-
baren Vorwölbung der Schleimhaut von ca. 3–4 mm führen und die gewählte Menge des zu implantierenden Materials sollte entsprechend gewählt werden. Das Material wird submukös, besser subperiostal bzw. subperichondral (am Nasenseptum), implantiert.
151
5.4 • Literatur
– Septum-Buttons können verwendet werden, wenn die Größe der Perforation einen operativen Verschluss nicht zulässt. – Im Fall einer sehr großen und symptomatischen Perforation kann in Einzelfällen die Erweiterung nach posterior erfolgen. Empty Nose-Syndrom: – Es kann iatrogen, aber auch durch chronisch granulomatöse Erkrankungen, nasale Traumata oder eine Radiotherapie verursacht werden. Es wird auch als sekundäre atrophe Rhinitis bezeichnet. Typisch ist die paradoxe nasale Obstruktion, die auf das Fehlen taktiler Rezeptoren zurückgeführt wird. – Therapeutisch stehen die intensive Befeuchtung und Pflege der nasalen Schleimhaut im Vordergrund. – Operative Verfahren haben die Verringerung des nasalen Querschnitts durch Augmentation des Restes des unteren Muschelkopfes mittels z. B. autologem Material zum Ziel. – Aufgrund der geringen Fallzahlen existieren keine umfangreichen Studien, die den Therapieerfolg untermauern. Da die o. g. Zustände häufig iatrogen verursacht sind, sollte bei Eingriffen an und in der Nase möglichst schleimhautschonend gearbeitet und auf die Intaktheit der anatomischen Strukturen geachtet werden.
-
..Abb. 5.9 Mögliche Implantationsstellen zur Naseneingangsaugmentation
Ziel des Eingriffs ist die Verengung des Naseneingangs bzw. der Nasenklappe. Die hierdurch veränderten Strömungsverhältnisse sind der physiologischen Strömung deutlich ähnlicher und werden von den Patienten häufig als angenehmer empfunden als die turbulente Luftströmung, die nach radikaler Muschelresektion auftritt. Fazit Wie bereits eingangs erwähnt, existieren aufgrund
der niedrigen Fallzahlen keine umfangreichen Studien, die den Operationserfolg untermauern. Alle vorliegenden Daten basieren auf retrospektiven Analysen, denen ein Bias unterstellt werden muss. Trotzdem besteht außer der genannten konservativen Therapie keine weitere operative Behandlungsmöglichkeit, sodass die Durchführung der Augmentation bei entsprechenden Beschwerden des Patienten und dessen Wunsch nach weiterer Therapie diskutiert werden kann.
-
Zusammenfassung Die Intaktheit der Nasenhaupthöhle und der darin enthaltenen anatomischen Strukturen inklusive der Schleimhautoberfläche ist für eine funktionierende Klimatisierungsfunktion unerlässlich. Septumperforationen: – Sie sollten behandelt werden, wenn der Patient von Beschwerden wie Verkrustung, Atemgeräuschen, rezidivierender Epistaxis oder starker Nasenatmungsbehinderung berichtet. – Der operative Verschluss wird in der Regel mittels Schleimhautverschiebelappen und Interposition von z. B. Ohrknorpel durchgeführt. In der aktuellen Literatur sind Erfolgsraten zwischen 72 und 95 % beschrieben.
-
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5
152
5
Kapitel 5 • Innere Nase
foration before and after surgical closure. Clin Otolaryngol Allied Sci 26(5):433–437 Lindemann J, Kuhnemann S, Stehmer V et al (2001b) Temperature and humidity profile of the anterior nasal airways of patients with nasal septal perforation. Rhinology 39(4):202–206 Lindemann J, Keck T, Wiesmiller KM et al (2005) Numerical simulation of intranasal air flow and temperature after resection of the turbinates. Rhinology 43(1):24–28 Lindemann J, Rettinger G, Kröger R, Sommer F (2013) Numerical simulation of airflow patterns in nose models with differently localized septal perforations. Laryngoscope 123(9):2085–2089 Lindemann J, Scheithauer M, Hoffmann TK et al (2014) Long-term results after surgical closures of septal perforations. Laryngorhinootologie 93(11):751–755 Lindemann J, Reichert M, Kröger R et al (2016) Numerical simulation of humidification and heating during inspiration in nose models with three different located septal perforations. Eur Arch Otorhinolaryngol 273(7):1795–1800 Modrzyński M (2011) Hyaluronic acid gel in the treatment of empty nose syndrome. Am J Rhinol Allergy 25(2):103–106 Moergeli JR (1982) An improved obturator for a defect of the nasal septum. J Prosthet Dent 47(4):419–421 Neumann A, Schneider M, Tholen C, Minovi A et al (2010) Inoperable nasoseptal defects: closure with custom-made silastic prostheses. HNO 58(4):364–370 Neumann A, Morales-Minovi CA, Schultz-Coulon H-J (2011) Closure of nasal septum perforations by bridge flaps. Acta Otorrinolaringol Esp 62(1):31–39 Pedroza F, Patrocinio LG, Arevalo O (2007) A review of 25-year experience of nasal septal perforation repair. Arch Facial Plast Surg 9(1):12–18 Pless D, Keck T, Wiesmiller KM et al (2004) Numerical simulation of airflow patterns and air temperature distribution during inspiration in a nose model with septal perforation. Am J Rhinol 18(6):357–362 Ribeiro JS, da Silva GS (2007) Technical advances in the correction of septal perforation associated with closed rhinoplasty. Arch Facial Plast Surg 9(5):321–327 Scheithauer MO (2010) Nasenmuschelchirurgie und „Empty Nose“ Syndrom. Laryngorhinootologie 89(S 01):S79–S102 Schultz-Coulon HJ (1989) The bridge flap concept in closure of large defects of the nasal septum. HNO 37(4):123–127 Schultz-Coulon HJ (1997) Nasal septum repair-plasty with pedicled flap technique in 126 patients – an analysis. Laryngorhinootologie 76(8):466–474 Schultz-Coulon H-J (2005) Three-layer repair of nasoseptal defects. Otolaryngol Head Neck Surg 132(2):213–218 Schultz-Coulon H-J (2006) Comments on septoplasty. HNO 54(1):59– 69 (quiz 70) van Dishoeck EA, Lashley FO (1975) Closure of a septal perforation by means of an obturator. Rhinology 13(1):33–37 Zaki HS (1980) A new approach in construction of nasal septal obturators. J Prosthet Dent 43(6):654–657
153
Rhinobasis Thomas K. Hoffmann, Daniel Hänggi, Patrick Schuler
Inhaltsverzeichnis 6.1
Einleitung – 154
6.2
Chirurgisch relevante Anatomie und (Patho‑)Physiologie – 154
6.2.1 6.2.2
Topographie – 154 Endoskopische Rhinobasis-Chirurgie – 156
6.3
Identifikation der Defekte – 156
6.4
Materialien – 157
6.4.1 6.4.2
Avitales Gewebe – 157 Vitales Gewebe – 159
6.5
Kleine und frische Defekte – 159
6.6
Größere Defekte und Rezidive – 161
6.6.1 6.6.2 6.6.3 6.6.4
Lokale Schleimhautlappen – 161 Temporoparietaler Muskel-Faszien-Lappen – 162 Galea-Periost-(Knochen‑)Gewebetransfer – 163 Mikrovaskuläres Transplantat – 165
6.7
Risiken und Nachsorge – 165 Literatur – 167
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_6
6
154
Kapitel 6 • Rhinobasis
6.1 Einleitung
6
Die operative Versorgung von Defekten im Bereich der Rhinobasis stellt ein gutes Beispiel einer interdisziplinären diagnostischen und operativen Versorgung von Patienten dar. Durch diese Zusammenarbeit ist es in den letzten Jahren zu einer Veränderung und Verbesserung der Therapie gekommen. Dies basiert im Wesentlichen auf einer besseren bildgebenden Darstellung des Defekts präoperativ, aber auch intraoperativ, und einem breiterem Spektrum der einzelnen operativen Techniken mit der Tendenz zur minimalinvasiven Versorgung der Patienten. Weiterhin bleibt fast dogmatisch zu erwähnen, dass Defekte in der Rhinobasis abgedichtet werden müssen. >>Insbesondere im Rahmen der Onkochirurgie entstehen
häufig ausgedehnte Defekte an der Rhinobasis, die zuverlässig abgedeckt werden müssen. Ziel ist es, eine mechanische Barriere der Kompartimente zur Prävention einer Rhinoliquorrhö mit konsekutiver aszendierender Infektion und ad extremum einen Hirngewebeprolaps zu verhindern.
Dazu sind viele verschiedene Techniken beschrieben worden, was immer auch ein Hinweis darauf ist, dass in der Mehrzahl der Fälle nicht eine Methode allen klinischen Anforderungen gerecht wird. Da die Situation nach einer Tumorresektion interindividuell sehr unterschiedlich sein kann, wird ein Repertoire verschiedener Techniken benötigt, aus denen in der konkreten Situation die am besten geeignete Methode ausgewählt werden kann. Durch die ständige Weiterentwicklung in den letzten Jahrzehnten auf dem Feld der Operationstechniken und der Materialwissenschaft ist heute ein sicherer Verschluss fast aller Schädelbasisdefekte möglich. >>Mit der Vielzahl von Techniken, die zur Verfügung ste-
hen, ist in jedem Fall eine individualisierte Abwägung der Vor- und Nachteile notwendig.
Als Entscheidungsgrundlage dienen neben Größe, Lage und Ursache des Defekts auch Anamnese und klinische Verfassung des Patienten. So scheinen Morbidität und Lebensqualität bei rein endoskopischen Eingriffen besser zu sein als bei Eingriffen mit transkraniellem Zugang. >>Bereits vor der Operation muss entschieden werden,
welche Art der Rekonstruktion gewählt wird, da die meisten der beschriebenen vaskularisierten Lappen nach erfolgter Resektion nicht mehr zu heben sind.
Frische und kleine Defekte können in der Regel problemlos durch das alleinige Einbringen von avitalem autologem (z. B. Muskel, Fett), allo- oder xenogenem sowie alloplastischem Material verschlossen werden. Bei größeren Defekten und bei Rezidiven ist diese Maßnahme
oft unzureichend und verlangt nach zuverlässiger Versorgung der Rhinobasis mithilfe eines vaskularisierten lokalen oder distalen Gewebetransfers (7 Abschn. 6.6). Selbst komplexe Rhinobasisdefekte lassen sich durch ein interdisziplinär abgestimmtes Konzept unter Integration des gesamten plastisch-rekonstruktiven Repertoires mit unterschiedlichen Materialen sowie lokalem und distalem vaskularisiertem Gewebetransfer sicher verschließen. Das vorliegende Kapitel behandelt die Therapie von Schädelbasisdefekten inklusive der Diagnostik, die zur Verfügung stehenden Materialien, einen Stufenplan zur Versorgung der Defekte und eine Diskussion der möglichen Komplikationen. 6.2
Chirurgisch relevante Anatomie und (Patho‑)Physiologie
6.2.1 Topographie
Die Rhinobasis (syn. Frontobasis) stellt eine wichtige Grenzschicht zwischen Neurokranium auf der einen und Nasenhaupthöhle bzw. den Nasennebenhöhlen auf der anderen Seite dar (. Abb. 6.1a). Die knöchernen Grenzen liegen zwischen den Orbitae lateral, der Stirnhöhlenhinterwand ventral und dem Keilbeinhöhlenboden dorsal. Unterschieden werden kranial die Pars cribrosa, das Planum sphenoidale, die Sella und im weiteren Sinne der Clivus und die Pars odontoidea (. Abb. 6.1).
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Durchdrungen wird die knöcherne Grenze durch Riechfasern des kranial gelegenen Bulbus olfactorius im kribiformen Anteil. Diesem benachbart liegen Dura, Subarachnoidalraum und Frontalhirn mit den versorgenden paarigen Aa. cerebri anteriores (A. frontopolaris). An der Unterseite ist die knöcherne Rhinobasis mit Schleimhaut der Nasenhaupt- bzw. Nasennebenhöhlen ausgekleidet, welche ventral durch Äste der Aa. ethmoidales anterior und posterior (A. ophthalmica – A. carotis interna) und dorsal von der A. sphenopalatina (A. maxillaris – A. carotis externa) versorgt werden (. Abb. 6.2). Die Rhinobasis verhindert aszendierende Infektionen der bakteriell besiedelten Nasenhaupthöhle/Nasennebenhöhlen sowie den Austritt von Liquor und den Prolaps von Hirnweichgewebe. Aus diesen Gründen ergibt sich eine zwingende Versorgungspflicht von Rhinobasisdefekten, nicht zuletzt aufgrund des Risikos einer Meningitis-Entstehung. Waren die Defekte Mitte des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen spontan oder posttraumatisch auftretend, so sind diese mit der Entwicklung der Rhinobasis-Chirurgie zunehmend operativ generiert.
155
6.2 • Chirurgisch relevante Anatomie und (Patho‑)Physiologie
..Abb. 6.1 Knöcherne Grenzen und Unterteilung der Rhinobasis
Ramus septi der A. labialis superior
Canalis incisivus A. nasopalatina
Locus Kiesselbach
Rami septales anteriores der A. ethmoidalis anterior
Rami septales posteriores A. ethmoidalis posterior
A. ethmoidalis anterior Rami nasales anteriores laterales äußerer Endast der A. ethmoidalis anterior
Ramus alaris inferior der A. facialis Anastomose der A. palatina major im Canalis incisivus mit den Rami septales posteriores
Aa. nasales posteriores laterales A. sphenopalatina Foramen sphenopalatinum A. palatina descendens im Canalis palatinus major
Rami nasales der A. palatina descendens Foramen palatinum majus A. palatina major A. palatina minor
..Abb. 6.2 Gefäßversorgung der Nasenhaupthöhle/Nasennebenhöhlen mit Stromgebiet der A. carotis externa (A. sphenopalatina) und der A. carotis interna (A. cerebri anterior – A. ophthalmica – Aa. ethmoidales). (Aus Tillmann 2016)
6
Kapitel 6 • Rhinobasis
156
6
..Abb. 6.3 Endonasale endoskopische, binostril geführte Vierhandtechnik unterstützt von einer optoelektrischen Neuronavigation
6.2.2
Endoskopische Rhinobasis-Chirurgie
Die Möglichkeit, auch komplexen Rhinobasis-Pathologien (Tumor, Trauma, Fehlbildung) nicht nur konventionell transkraniell, sondern auch mono- oder binostril endoskopisch begegnen zu können (. Abb. 6.3), haben neue z. T. aufwändige Rekonstruktionstechniken entstehen lassen. Nur durch diese parallele Entwicklung war es möglich, den „extended endoscopic endonasal approach“ überhaupt erfolgreich durchführen zu können, und nicht selten ist die Rekonstruktion der eröffneten Rhinobasis der aufwändigste Anteil. >>Die (endoskopische) Chirurgie der Rhinobasis erfor-
dert ein eng aufeinander abgestimmtes Vorgehen von kooperativ denkenden und handelnden Operateuren der HNO-Heilkunde und Neurochirurgie.
Vor jedem Eingriff sollte neben präziser anatomischer Analyse auch immer die Reihenfolge der jeweiligen Einsätze festgelegt werden. Typischerweise liegt beim endoskopischen Vorgehen die Domäne des Zugangs beim HNO-Arzt und die Resektion beim Neurochirurgen. Der rekonstruktive Teil sollte durch beide Operateure prinzipiell beherrscht werden. 6.3
Identifikation der Defekte
Vor einer Rekonstruktion der Rhinobasis muss die genaue Analyse der Lokalisation, Dimension und Ursache
des Defekts erfolgen. Frische und kleine Defekte, welche beispielsweise iatrogen im Rahmen der Nasennebenhöhlenchirurgie oder bei Resektionen umschriebener Schädelbasistumoren entstehen, können in der Regel unmittelbar identifiziert werden. Bei dem Verdacht auf eine spontane chronische Rhinoliquorrhö ohne direkte Visualisierungsmöglichkeit empfiehlt sich zunächst der Provokationstest sowie der Nachweis liquorspezifischer Markerproteine wie dem „Beta-Trace“ über ein in die betroffene Nasenhaupthöhle eingelegtes Schwämmchen (Scheithauer et al. 2007). Parallel wird der Wert im abgenommen venösen Blut bestimmt (Huber et al. 2008). War früher die Zysternographie noch eine etablierte Methode zur Bestimmung verdeckter Liquorleckagen, wurde diese weitestgehend durch die hochauflösende CT- und MRT-Technik (fettsupprimierte T1-Wichtung und CISS-Sequenz – constructive interference in steady state) mit einer Sensitivität von 76–100 % abgelöst (. Abb. 6.4). Ein weiteres Hilfsmittel ist bei versteckten Liquorfisteln die präoperative intrathekale Applikation von Fluoreszein (5 %ige Na+-Fluoreszein-Lösung, 0,5– 1,0 ml), welches intraoperativ die exakte Lokalisation des Schädelbasisdefekts erlaubt. Die Applikation entspricht nicht der aktuell zugelassenen Indikation und erfolgt daher nur mit schriftlichem Einverständnis des Patienten. Intraoperativ kann die endoskopische Visualisierung unabhängig von der Fluoreszein-Applikation durch eine Steigerung des intrakraniellen Drucks (z. B. Kopftieflagerung oder Erhöhung des PEEP/Beatmungs-
6.4 • Materialien
157
..Abb. 6.4 Hochauflösende Computertomographie in koronarer Schichtung zur Darstellung eines ventralen Rhinobasisdefekts und das Pendant als MRT mit CISS-Sequenz
drucks) erleichtert werden. Zudem kann der Defekt mithilfe der angepassten intraoperativen Navigation endoskopisch kontrolliert identifiziert und freigelegt werden (. Abb. 6.5). 6.4 Materialien
Prinzipiell ist jeder Defekt der Rhinobasis mit konsekutiver Liquorrhö zu verschließen, wobei unterschiedliche Materialien und Rekonstruktionsprinzipien zur Anwendung kommen. 6.4.1
Avitales Gewebe
Materialien zum suffizienten Verschluss von frischen und kleinen Defekten
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Avitales autologes Material (z. B. Muskel, Fett, Faszie, Knochen, Schleimhaut) Allogenes Material (z. B. Tutoplast®) Xenogenes Material (z. B. TachoComb®, TachoSil®) Alloplastisches Material (z. B. Ethisorb®, NeuroPatch®, Tabotamp®, Titan-Mesh)
Der Vorteil der autogenen/autologen Gewebetransplantate, z. B. periumbilikales Fett, Fascia lata (. Abb. 6.6), M. temporalis, Septumknorpel, Calvaria-Knochen, liegt darin, dass Fremdkörperreaktion und Virusübertragung ausgeschlossen werden. Nachteilig wirkt sich die Hebemorbidität durch eine zusätzliche Entnahmestelle und die begrenzte Verfügbarkeit von autologen Transplantaten aus (Schick et al. 2003). Xenogenes Material, welches prinzipiell unbegrenzt zur Verfügung steht, ist wahlweise mit Thrombin beschichtet, das bei Kontakt mit Blut, Liquor oder Wasser zu einer Fibrin-Polymerisation führt (Nistor et al. 1997). Das potenzielle Risiko für eine Übertragung von pathologischen Erregern (z. B. BSE) wird in diesen Materialien durch die industrielle γ-Bestrahlung reduziert, aber nicht ausgeschlossen. Auch können aseptische Meningitiden im Rahmen einer Fremdkörperreaktion auftreten (Caroli et al. 2004; Maher et al. 2003). Die Effektivität von Tachosil zum Verschluss der Dura mater bei Schädelbasisdefekten wurde in einer europäischen Studie (n = 726) untersucht und hat hierbei eine leicht geringere Rate von Liquorlecks bei der Einlage von Tachosil® gezeigt. Die Verwendung von allogenem Material (lyophilisierte Dura) wurde aufgrund der potenziellen Infektionsgefahr durch Viren verlassen (Seidl et al. 2000). Bei den alloplastischen Transplantaten wird grundsätzlich zwischen resorbierbaren und nichtresorbierbaren
6
158
Kapitel 6 • Rhinobasis
6
..Abb. 6.5 Optoelektrische Neuronavigation mit CT-Bildgebung in verschiedenen Schichten im Bereich Schädelbasis
..Abb. 6.6 Defekt der Rhinobasis mit freiliegendem Frontalhirn nach endoskopischer Rhinobasis-Onkochirurgie (a) und Deckung mit autologer Fascia lata (b)
-
a
Materialien unterschieden. Beide haben den Vorteil, dass sie durch ihre industrielle Fertigung absolut steril sind. Die resorbierbaren Materialien bestehen hauptsächlich aus Polyglactin 910 (Vicryl und Ethisorb®) oder Poly-P-Dioxanon (PDS), welche in Bezug auf die Gewebeakzeptanz unbedenklich einsetzbar sind (Arndt et al. 2006). Technisch wird, sofern möglich, der jeweilige Dura-Ersatz zunächst durch Einzelknopfnähte (z. B. Vicryl 4.0, atraumatisch) in seiner Lage fixiert. Die fortlaufende Naht kann insbesondere bei weit nach hinten reichendem Dura-Defekt häufig unmöglich sein. Ein zuverlässiger, wasserdichter Dura-Verschluss kann durch zusätzliche Auflage von
b
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resorbierbarem xenogenen Kollagenvlies dennoch in den meisten Fällen erzielt werden. Nichtresorbierbare alloplastische Materialien beherbergen allerdings das Risiko der verzögerten Fremdkörperreaktion und Blutungskomplikation (Maher et al. 2003).
>>Alloplastisches Material zur Knochenrekonstruktion
wird in erster Linie aus funktioneller und/oder ästhetischer Indikation eingesetzt.
Eine funktionelle Indikation besteht dann, wenn große Defekte der Rhinobasis und des Orbitadachs vorliegen.
159
6.5 • Kleine und frische Defekte
Die Rekonstruktion soll den Prolaps von Hirngewebe und funktionelle Sehstörungen durch Doppelbilder und Enophthalmus verhindern. Eine ästhetische Indikation besteht bei knöchernen Defekten des Orbitarandes oder des Stirnbeins. Zur Rekonstruktion komplexer kraniofazialer Knochendefekte kann die präoperative Planung und Anfertigung eines patientenspezifischen CAD-Implantats insbesondere aus ästhetischen Aspekten erwogen werden. Zur alloplastischen Rekonstruktion knöcherner Defekte werden in erster Linie eingesetzt: Kunststoffe, Metallimplantate, Keramiken.
--
Polymethylmethacrylat (PMMA), wahlweise mit Zusatz von Antibiotika (z. B. Gentamicin), war das in der Vergangenheit sicherlich am weitesten verbreitete Kunststoffimplantat. Die Biokompatibilität von PMMA, aber auch der anderen genannten alloplastischen Materialien ist insgesamt reduziert und die Infektionsrate insbesondere an der Grenzzone zu den Nasennebenhöhlen erhöht (Arnaud 2000), weshalb gerade bei großflächigeren Rekonstruktionen – wenn möglich – autologes und/oder vaskularisiertes Gewebe in den Defekt eingebracht werden sollte. Metallimplantate finden v. a. als intraoperativ modellierbare Titannetze (Titan-Mesh) Verwendung. Diese können dem Knochendefekt aufgelegt und beispielsweise am lateralen Orbitadach mit Schrauben fixiert werden. Keramiken, wie Hydroxylapatit, weisen eine hohe Biokompatibilität auf, lassen sich allerdings einschränkend vorwiegend als präoperativ geplante und angefertigte Implantate verwenden. Diese Materialien müssen mit vitalem Gewebe bedeckt werden. 6.4.2
Vitales Gewebe
>>Für größere Defekte, Defektrezidive oder bei Zustand
nach Bestrahlung der Rhinobasis ist die alleinige Verwendung von avitalem Material häufig unzureichend und macht den Einsatz von vaskularisiertem Gewebe notwendig.
Hierfür eignen sich in besonderer Weise die lokalen Schleimhautlappen der Nasenhaupthöhle, wie sie bereits von Oskar Hirsch in den 1950-er Jahren und von anderen Autoren in den Folgejahren beschrieben wurden (Hirsch 1955; Samii und Draf 1978; Schreiner und Herrmann 1967). Diese random pattern flaps sind jedoch aufgrund ihres sehr breiten Lappenstiels in ihrem Rotationsradius deutlich eingeschränkt. Eine Weiterentwicklung stellt daher der von Hadad et al. beschriebene Septumschleimhautlappen dar, da
dieser die Stielpräparation mit versorgendem A.-sphenopalatina-Ast über die Choane hinaus vorsieht und damit einen ausgedehnten Rotationsradius gewährleistet (. Abb. 6.7; Hadad et al. 2006). Hierdurch können die bei erweiterter endoskopischer Rhinobasischirurgie gesetzten Defekte selbst im weit anterior gelegenen Segment suffizient verschlossen werden, und die Rate der Patienten mit postoperativer Rhinoliquorrhö lässt sich signifikant senken. Steht die Septumschleimhaut aufgrund von Tumorbefall oder aufgrund von vorausgegangenen Eingriffen nicht mehr zur Verfügung, kann ein Schleimhautlappen der unteren Muschel verwendet werden. Bei lateral gelegenen Defekten können die von Fortes beschriebene Lappenplastik der temporoparietalen Faszie oder Teile des M. temporalis verwendet werden (. Abb. 6.8; Fortes et al. 2007; Schick et al. 2000). Größere Rhinobasisdefekte, wie sie typischerweise nach transkraniellem Vorgehen entstehen, können durch Galea-Periost-Lappen mit oder ohne Knochentransplantate versorgt werden (. Abb. 6.9). Für den Fall, dass im Rahmen der Vorbehandlungen dieser Lappen bereits aufgebraucht wurde, stehen verschiedene freie Lappenplastiken mit Gefäßanastomisierung als Ultima Ratio zur Verfügung, wie z. B. das Radialis-Transplantat (. Abb. 6.10; Besteiro et al. 1994), der Latissimus-dorsi(Eufinger et al. 1999) oder das M.-rectus-abdominisTransplantat (Teknos et al. 2002). 6.5
Kleine und frische Defekte
Die gezielte Versorgung von Defekten der Rhinobasis stellt hohe Anforderungen: Voraussetzungen für die Versorgung von Rhinobasisdefekten
-
Neben entsprechender operativer Erfahrung der beteiligten Chirurgen (HNO, Neurochirurgie – verbunden mit der Möglichkeit, endonasal endoskopisch wie auch transkraniell vorzugehen) sollte auch ein interventioneller Neuroradiologe als Backup bei Gefäßverletzungen zur Verfügung stehen, und die Beteiligten sollten in einem kooperativen interdisziplinären Setting agieren (. Abb. 6.3). Die apparative Ausstattung inkludiert in der (endoskopischen) Rhinobasis-Chirurgie – verschiedene Endoskope von 0–90°, – ein Spül-Saug-System, – ein mindestens High-Definition-Kamera‑/Monitorsystem, – geeignet lange Instrumente, – eine elektromagnetische oder optoelektrische Navigation (. Abb. 6.5) und
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160
Kapitel 6 • Rhinobasis
6
..Abb. 6.7 Verwendung eines mukoperichondrialen-/periostalen vitalen Septumlappens. Präparationsschritte und Schonung des Stiels mit Ästen der A. sphenopalatina (A. dorsalis septi). (Mod. nach
– nach Möglichkeit die Anwendung einer intraoperativen Bildgebung (z. B. C-Bogen, DVT, CT, MRT).
Hirsch 1955 und Hadad et al. 2006, mit freundlicher Genehmigung; Fotos aus Hoffmann et al. 2013)
Blutungen und behinderte Sicht sind die Hauptursachen für eine schlechte operative Technik. Neben einer behutsamen, aber adäquaten Exposition mit einem gefensterten Sauger (geringes Trauma bei freiliegendem Hirngewebe) kommt daher der Hämostase eine besondere Bedeutung zu. Diese kann wie folgt erreicht werden: Die konsequente Abschwellung kann mit topischen Vasokonstringenzien wie Adrenalin 1 : 10.000 auf einem armierten Tupfer erfolgen. Der Mitteldruck des normothermen Patienten sollte nach Möglichkeit bei ~ 60 mmHg liegen. Venöse Blutungen können durch Anwendung von Spülungen mit auf 40 °C angewärmten Lösungen und durch sanften Druck mit einer feuchten Neurowatte beherrscht werden. Die gezielte bipolare Koagulation oder ein Clipping wie auch die Anwendung von Floseal bleiben arteriellen Blutungen vorbehalten.
schriebener Schädelbasistumoren (Bumm et al. 2009). Diese können in der Regel unmittelbar identifiziert, sauber dargestellt und operativ durch avitale Materialien gedeckt werden. Bei spontaner chronischer Rhinoliquorrhö ohne direkte Visualisierungsmöglichkeit empfiehlt sich eine Bildgebung mittels Dünnschicht-CT und/ oder MRT mit CISS-Sequenz. Selten ist diesbezüglich zusätzlich eine intraspinale Injektion von Fluorescein notwendig. Anschließend kann der Defekt u. U. mithilfe von intraoperativer Navigation endoskopisch kontrolliert identifiziert und in seiner gesamten Ausdehnung freigelegt werden (. Abb. 6.6). Dabei kann eine Erweiterung des Defekts notwendig werden, um die knöchernen Grenzen zirkumferent gut einzusehen. Hierfür muss dieser von sämtlichem Weichteilgewebe und losen Knochenfragmenten befreit werden, um einen stabilen Halt des Deckungsmaterials zu gewährleisten. Angepasst an den Durchmesser des Defekts erfolgt die möglichst minimalinvasive Entnahme von autologem Gewebe: Fettgewebe aus dem Ohrläppchen oder periumbilikal, Muskel aus dem M. temporalis, Faszie von M. temporalis oder Fascia lata (Amit et al. 2013) oder Schleimhaut von der unteren Nasenmuschel.
Frische und kleine (>Insbesondere für die endonasale endoskopische Vor-
gehensweise im Bereich der Rhinobasis ist die adäquate Visualisierung entscheidend.
-
--
161
6.6 • Größere Defekte und Rezidive
Bath plug Eine Fett- oder Muskelplombe wird durch
den Defekt nach intrakranial vorgeschoben und anschließend in diesen zurückgezogen. Der „Stöpsel“ dichtet den Defekt suffizient ab (Draf 1980; Draf und Samii 1989). Die erstmals durch Draf beschriebene Technik wurde später durch Wormland verfeinert, aber auch zwischen Schädelbasis und Mukosa bei externem transethmoidalem Zugang eingesetzt (Simmen und Bischoff 1998). Underlay In der Regel wird ein Faszientransplantat
durch den Defekt nach intrakranial zwischen Knochendefekt und randständig abgehobener Dura platziert. Das Transplantat sollte spannungs- und faltenfrei eingebracht werden. Das aufliegende Hirngewebe bzw. der Liquordruck bewegt das Transplantat gegen den Defekt und dichtet diesen ab (. Abb. 6.6). Overlay Das Overlay-(= Onlay‑)Transplantat wird von
kaudal auf den Defekt aufgebracht und mit Fibrinkleber adaptiert. Bei alleiniger Anwendung dieser Technik besteht ein erhöhtes Risiko der Dislokation mit rezidivierendem Liquorfluss und aufsteigender Infektion. Diese Gefahr kann durch eine Fixation mit Nähten minimiert werden. Bei der Verwendung von Schleimhaut muss auf die korrekte Ausrichtung geachtet werden, um einer potenziellen Mukozelenbildung vorzubeugen. >>Auch eine Kombination aus Underlay- und Overlay-
Technik kann an der vorderen Schädelbasis sinnvoll sein, insbesondere dort, wo sich nach medial aufgrund der Riechfasern eine Abhebung der Dura verbietet.
6.6
Größere Defekte und Rezidive
Für größere Defekte (> 2,5 cm), beispielsweise nach ausgedehnter endoskopischer Rhinobasis-Onkochirurgie, Defektrezidiven oder bei Zustand nach Bestrahlung der Rhinobasis ist das in 7 Abschn. 6.5 beschriebene Vorgehen häufig unzureichend und macht den Einsatz von vaskularisiertem Gewebe notwendig. Hierfür eignen sich in besonderer Weise die lokalen Schleimhautlappen der Nasenhaupthöhle. Besonders große Rhinobasisdefekte, wie sie typischerweise nach transkraniellem Vorgehen entstehen, können durch Galea-Periost-Lappen (6.6.3) mit oder ohne Knochentransplantate versorgt werden. Für den Fall, dass dieser Lappen im Rahmen der Vorbehandlungen bereits aufgebraucht wurde, stehen verschiedene freie Lappenplastiken mit Gefäßanastomose (6.6.4) als Ultima Ratio zur Verfügung. Nachfolgend wird eine rekonstruktive Stufentherapie unterschiedlicher Rhinobasisdefekte vorgestellt und systematisiert (. Tab. 6.1).
..Tab. 6.1 Übersicht über die verschiedenen Techniken zu Defektverschlüssen der Rhinobasis Defektart
Gewebe Avital
Vital
Nach endonasaler RhinobasisChirurgie
Underlay Overlay Bath plug
Schleimhautlappen (Septum, Nasenmuschel)
Nach extranasaler RhinobasisChirurgie
CAD-Implantat Titan-Mesh Hydroxylapatit
GAP-CAS Temporoparietaler Muskel-FaszienLappen Mikrovaskuläres Transplantat
GAP-CAS Galea-Periost-Calvarian-Split-Sandwich
6.6.1
Lokale Schleimhautlappen
Der mukoperiostale Septumschleimhautlappen kann zu Recht als robustes „Arbeitspferd“ für die Rekonstruktion der Rhinobasis bezeichnet werden. Er eignet sich aufgrund seiner Größe (bis zu 25 cm2) für größere Defekte/Defektrezidive der anterioren Schädelbasis, des Planum, der Sella und des Clivus, insbesondere nach erweiterter endonasal-endoskopischer Schädelbasischirurgie. Die Größe des Schleimhautlappens wird in Abhängigkeit von der Größe und der Form des Defekts an der Rhinobasis gewählt. Aufgrund einer Schrumpfungstendenz sollte bei der Planung ein gewisser Überschuss berücksichtigt werden (s. auch 7 Abschn. 6.7). Es empfiehlt sich, die Schleimhautseite mit Tusche zu markieren, um bei der Rekonstruktion diese hirnabgewandt zu positionieren (. Abb. 6.7). Bei der Schleimhautinzision, z. B. mit einer elektrischen Nadel im Niederenergiebereich, wird kranial nach Möglichkeit ein Abstand von 1–2 cm zum olfaktorischen Epithel eingehalten, um die Riechfasern zu schonen. Anschließend erfolgt die Hebung der Schleimhaut mit einem Dissektor von anterior (maximal im Bereich des mukokutanen Übergangs) nach posterior bis der neurovaskuläre Lappenstiel posterolateral in Erscheinung tritt (. Abb. 6.7). >>Bei der Präparation des relativ dünnen Gefäßstiels
(zwischen Keilbeinboden und Choanaloberrand) sollte von der Verwendung thermischer Dissektionsverfahren abgesehen werden.
Die arterielle Versorgung des Septumlappens erfolgt über Äste der A. sphenopalatina, welche aus der A. maxillaris entspringt (. Abb. 6.2; Padgham und Vaughan-Jones 1991). Da die Lappenpräparation vor der eigentlichen Rhinobasis-Operation vorgenommen wird, muss der
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6
Kapitel 6 • Rhinobasis
Schleimhautlappen während der nachfolgenden Manipulation in den Nasopharynx verlegt („geparkt“) und schützend abgedeckt werden. Um einen sicheren Verschluss des Rhinobasisdefekts zu gewährleisten, wird eine Multilayer-Technik verwendet. Subdural wird eine Kollagenmatrix falten- und spannungsfrei installiert, welche die Grenzen des knöchernen Defekts vollständig überschreitet. Der septale Schleimhautlappen kommt direkt auf der restlichen Dura bzw. der Kollagenmatrix (onlay) zu liegen und wird mit Fibrinkleber und/oder Tabotamp fixiert. Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein Septumschleimhautlappen auch von beiden Seiten gehoben und für die Deckung der Rhinobasis herangezogen werden kann, was insbesondere bei Defekten sinnvoll ist, bei denen ohnehin ein Großteil des kranialen Septums zur Schaffung eines optimalen Zugangs reseziert werden muss.
wird die Hinterwand der Kieferhöhle abgetragen und in der Fossa pterygopalatina der Abgang der A. palatina aufgesucht. Nach Abschieben der Schleimhaut des Nasenbodens wird der knöcherne Kanal eröffnet und der Lappen kann in die Nase verlagert werden. Der Lappen hat einen langen Stiel und eine große Fläche (12–18 cm2) und lässt sich daher auch für größere Defekte an Planum, Sella oder Clivus einsetzen. Damit erscheint er insbesondere in den wenigen Fällen, bei denen der Hadad-Lappen nicht anwendbar ist, gut geeignet. Allerdings bestehen mit dem potenziellen Risiko einer Verschleppung von Keimen der Mundflora in das Operationsgebiet und dem Auftreten von oronasalen Fisteln auch Nachteile.
6.6.1.1
Bei lateral gelegenen Defekten können die von Fortes beschriebene Lappenplastik der temporoparietalen Faszie (Fortes et al. 2007) oder Teile des M. temporalis verwendet werden (Schick et al. 2000). Der temporoparietale Muskel-Faszien-Lappen (nachfolgend kurz: Temporalis-Lappen) wird über einen nach kranial verlängertem präaurikulären Hautschnitt freigelegt. Die tiefe Fascia temporalis wird inzidiert und im weiteren Verlauf geschont, um eine Verletzung des N. facialis zu vermeiden. Die arterielle Versorgung des Temporalis-Lappens erfolgt über die anterioren und parietalen tiefen Aa. temporales (A. temporalis superficialis), welche meist im inferioren posterioren Bereich in den Muskel eintreten und aus der A. maxillaris entspringen. Die Dissektion wird dabei nach inferior bis an den lateralen Anteil des Jochbogens gezogen. Um eine Transposition bis in die Nasenhöhle zu ermöglichen, wird ein transpterygoidaler Korridor geschaffen (Fortes et al. 2007). Dazu wird die Fossa pterygopalatina über die Hinterwand der Kieferhöhle eröffnet, die A. sphenopalatina ligiert und durch eine Fortführung der Knochenresektion der Kieferhöhlenhinter- und -seitenwand eine breite Öffnung zur Fossa infratemporalis geschaffen. Der anterioren Anteile der PterygoidFlügel werden mit der Fräse reduziert, um den Korridor zu erweitern. Nach erfolgreicher Revision der Rhinobasis wird der mobilisierte Temporalis-Lappen für die Wundversorgung nach frontal verlagert (Fortes et al. 2007). Der voluminöse temporoparietale Muskel-Faszien-Lappen und der lange, mobile Stiel erlauben die Abdeckung von Defekten des Planums, der Sella, des Clivus und des kraniozervikalen Übergangs. Besonders eignet sich dieser nach Exenteratio orbitae zur Abdeckung der lateralen Rhinobasis (. Abb. 6.8).
Untere Muschel
Steht die Septumschleimhaut aufgrund von Tumorbefall oder vorhergegangenen Eingriffen nicht mehr zur Verfügung, kann ein Schleimhautlappen der unteren Muschel verwendet werden. Dieser ist bei einer Fläche von etwa 4,5 cm2 relativ schmal und lang mit einem kurzen Stiel, der daher in erster Linie bei kleineren Defekten im dorsalen Bereich wie dem Clivus oder der Sella angewandt werden kann. Das denudierte Os turbinale unterliegt nachfolgend der sekundären Epithelialisierung. 6.6.1.2
Mittlere Muschel
Zum einen kann von der mittleren Muschel, die ebenfalls von einem Ast der A. sphenopalatina versorgt wird, ein im Vergleich zur unteren Muschel größerer (etwa 5,6 cm2; Marks 1998; Prevedello et al. 2009) Schleimhautlappen gehoben werden. Die Präparation ist relativ aufwändig, da Knochen und Mukoperiost nur schrittweise voneinander gelöst werden können. Er wird zur Defektdeckung an der Lamina cribrosa, dem Siebbeindach, dem Planum sphenoidale oder der Sella eingesetzt. 6.6.1.3 Gaumen
Weiterhin kann ein gestielter Gaumenlappen in die Rhinobasis eingebracht werden. Dieser Lappen besteht aus dem Mukoperiost des Hartgaumens und wird durch die A. palatina major (Foramen palatinum majus) versorgt. Von der Mundhöhle aus kann der Lappen beidseits bis knapp an die Alveolarkämme und an die Hinterkante des Hartgaumens geschnitten werden. >>Beim Abschieben muss eines der beiden Gefäßnerven-
bündel erhalten werden.
Das Foramen wird mit dem Bohrer erweitert, um den Durchzug des Lappens zu ermöglichen. Von endonasal
6.6.2 Temporoparietaler
Muskel-Faszien-Lappen
163
6.6 • Größere Defekte und Rezidive
..Abb. 6.8 Temporoparietaler M.-temporalis-Lappen, eingebracht in einen linksseitigen Rhinobasisdefekt bei Z. n. Exenteratio orbitae links. (Aus Hoffmann et al. 2013)
a
b
c
d
e
f
6.6.3 Galea-Periost-(Knochen‑)
Gewebetransfer
Ausgedehnte Schädelbasis- und Dura-Defekte entstehen häufig nach transkranieller (kombinierter) Resektion von Tumoren der vorderen Schädelbasis mit intraduraler und/oder zerebraler Beteiligung, wie z. B. Ästhesioneuroblastome, frontobasale Meningeome mit intra- und extraduralem Wachstum. Die alleinige Rekonstruktion mit avitalen Materialien ist hier meist unzureichend und wird deshalb regelmäßig mit anderen Rekonstruktionstechniken kombiniert, wie beispielsweise dem gestielten Galea-Periost-Lappen, der über den in der
Regel angebrachten Bügelschnitt einfach zu präparieren ist (. Abb. 6.9). Gestielte Galea-Periost-Lappen eignen sich aufgrund der Position des Lappenstiels insbesondere zum Verschluss von Defekten im Bereich von Lamina cribrosa, Siebbeindach und Planum. Galea-Periost-Calvarian-Split-Sandwich Das zusätzliche Einbringen eines Calvarian-Knochentransplantats (GAP-CAS-Technik) zwischen zwei dividierte GaleaPeriost-Lappen ist Situationen vorbehalten, in denen nach transkranieller Vorgehensweise ein besonders großer Rhinobasisdefekt entstanden ist, um eine autologe (im Gegensatz zum Titan-Mesh) mechanische Barriere
6
164
Kapitel 6 • Rhinobasis
..Abb. 6.9 Defektdeckung mit Galea-Periost-Calvarian-SplitSandwich (GAP-CAS), noch Beschreibung der einzelnen Schritte – Bügelschnitt – Tabula interna – Calvaria-Transplantat – Division des Galea-Periost-Lappens – Sandwich. (Aus Hoffmann und Sandalcioglu 2011, mit freundlicher Genehmigung)
a
b
c
d
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g
h
6
bei drohendem Hirnprolaps zu generieren. Dabei scheinen Calvaria-Transplantate besser zu sein als anderes Knochenmaterial (Beckenkamm/Spongiosa), da sie recht resorptionsstabil sind (Kruger et al. 1998). Über einen koronaren Bügelschnitt wird der Stirnschädel freigelegt. Der myofasziale Galea-Periost-Lappen wird mit basal gelegenem vaskulärem Stiel aus der Innenseite des Stirnlappens präpariert (. Abb. 6.9). Hierfür werden Periost und Galea auf einer Breite von bis zu 14 cm parallel inzidiert, bis das Subkutangewebe zum Vorschein kommt. Die arterielle Versorgung des
Galea-Periost-Lappens erfolgt über die A. supraorbitalis, welche aus der A. ophthalmica entspringt, sowie aus dem frontalen Anteil der A. temporalis superficialis. Nach Abschluss der frontalen Kraniotomie wird aus der Tabula interna des Knochendeckels das Knochentransplantat mittels Calvarian-Split-Technik gewonnen (. Abb. 6.9). Zwischenzeitlich wird der myofasziale Galea-Periost-Lappen in der Mitte längs eingeschnitten und der Knochendeckel auf die erste Hälfte des Lappens gelegt. Dieser Galea-Periost-Lappen wird nach Obliteration der Eingänge zur Stirnhöhle mit autologem Material
165
6.7 • Risiken und Nachsorge
a ..Abb. 6.10 a Postoperativer Zustand mit Vitalität des freien gefäßanastomisierten Unterarmtransplantats, aufgezeigt durch einen temporalen Monitorlappen und den sicheren Verschluss der Rhinobasis (MRT). Sowohl eine Deckung des traumatischen Schädelbasisdefekts
mit avitalem Gewebe als auch der Galea-Periost-Lappen waren zuvor mehrfach gescheitert. (Aus Hoffmann et al. 2013) b Ausgeprägter Pneumenzephalus nach Defektdeckung mit Indikation zur operativen Revision
a
delte Fälle mit komplexen Rhinobasisdefekten dar. In der Regel ist hier bereits das gesamte Rekonstruktionsarsenal zur Anwendung gekommen. Als eingebrachtes Material kommen infrage: das desepithelialisierte Unterarmtransplantat (Besteiro et al. 1994), der M. latissimus dorsi (Bootz und Gawlowski 1995) oder der M. rectus abdominis (Teknos et al. 2002).
b
b ..Abb. 6.11 Ausgeprägter Pneumozephalus nach Defektdeckung mit Indikation zur operativen Revision
nach endonasal geschlagen und der Knochendeckel mit selbstschneidenden Schrauben am Orbita-Dach fixiert. Nachfolgend wird das Calvarin-Split-Graft durch die zweite Hälfte des Galea-Periost-Lappens i. S. der „Sandwich-Technik“ bedeckt und dieser mithilfe von resorbierbarer Naht im Randbereich fixiert. Nach dieser dreischichtigen („Sandwich“-)Rekonstruktion der gesamten Rhinobasis erfolgt der Verschluss der Kraniotomie und des Bügelschnitts (Hoffmann 2011). 6.6.4
Mikrovaskuläres Transplantat
Die Verwendung eines mikrovaskulär anastomosierten Transplantats stellt die ultimative Lösung für vorbehan-
Das freie Unterarmtransplantat wird von der palmaren Unterarmseite gewonnen. Die arterielle Versorgung erfolgt über die A. radialis, welche bis zur Armbeuge freipräpariert wird, um eine spannungsfreie Anastomose zu ermöglichen. Zur Versorgung des Rhinobasisdefekts wird das Radialis-Transplantat vorzugsweise an einen Endast der A. carotis externa End-zu-End anastomosiert. Die venöse Anastomose erfolgt in der Regel End-zu-Seit an die V. jugularis interna (Mattheis und Hoffmann 2011; Teknos et al. 2002). Der desepithelialisierte Anteil wird in die defekte Rhinobasis eingebracht. Im Verlauf des Transplantatstiels kann eine Epithelinsel als temporal ausgeleiteter Monitorlappen belassen werden (. Abb. 6.10a). Ein sicherer Abschluss kann mithilfe des beschriebenen freien Gewebetransfers selbst in multipel vorbehandelten Fällen erreicht werden. Allerdings ist das Verfahren von allen das zeitaufwendigste und es sollte, wenn möglich, durch den Einsatz von zwei Teams (Schädelbasispräparation, Transplantathebung) erfolgen. 6.7
Risiken und Nachsorge
Wie in 7 Abschn. 6.6 erwähnt, kann der mukoperiostale Septumschleimhautlappen zu Recht als robustes „Arbeitspferd“ für die Rekonstruktion der Rhinobasis bezeichnet werden – die Verlustquote ist extrem gering. Dennoch muss eine gewisse Schrumpfungstendenz einkalkuliert werden, die in seltenen Fällen zu einer Lappen-
6
166
Kapitel 6 • Rhinobasis
..Abb. 6.12 Technik zur Deckung von Rhinobasisdefekten mit avitalem, autologem Gewebe bei endonasalem Zugang nach dem Underlay‑, Overlay- und Bath-plug-Prinzip. (Aus Hoffmann et al. 2014, mit freundlicher Genehmigung)
6
dislokation mit operativer Revisionsnotwendigkeit führt (Schipper et al. 2013). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, den Septumschleimhautlappen deutlich über den Defektrand hinauszulegen. Um eine Dislokation des Lappens zu verhindern, werden nichtadhärente, z. B. Gummifingerlingstamponaden für einige/mehrere Tage eingebracht. >>Eine übermäßige Kompression muss vermieden wer-
den, da dies die Schädigung durch die Nasentamponade intrakranialer Strukturen oder des Lappenstiels zur Folge haben kann.
Der Septumdefekt wird für mindestens 10 Tage mit Silikonschienen versorgt, was eine gute sekundäre Epithelialisierung gewährleistet. In größeren Fallserien konnte gezeigt werden, dass sich die im Rahmen der ausgedehnten endonasalen Schädelbasischirurgie induzierte postoperative Rhinoliquorrhö-Rate durch Verwendung der beschriebenen lokalen vaskularisierten Schleimhautlappen (im Vergleich zu avitalem Gewebe) auf >Eine postoperative Kontroll-CT-Bildgebung ist ebenso
obligat wie die postoperative Überwachung auf einer Intensiv‑/Intermediate-Care-Station und das streng einzuhaltende Schnäuzverbot.
-
Zusammenfassung Durch ein interdisziplinär abgestimmtes Konzept lassen sich auch komplexe Rhinobasisdefekte sicher verschließen. Hierzu wird regelmäßig das gesamte plastisch-rekonstruktive Repertoire mit unterschiedlichen Materialien und vaskularisiertem Gewebetransfer benötigt. In den letzten Jahren konnte eine deutlich verbesserte Therapie erreicht werden durch – eine bessere bildgebende Darstellung des Defekts präoperativ, aber auch intraoperativ, und – ein signifikant breiteres Spektrum der einzelnen operativen Techniken mit der klaren Tendenz zur minimalinvasiven Versorgung der Patienten. Mit der Vielzahl von Techniken, die zur Verfügung stehen, ist in jedem Fall eine individualisierte Abwägung der Vor- und Nachteile notwendig. Insbesondere im Rahmen der Onkochirurgie an der Rhinobasis entstehen häufig ausgedehnte Defekte, die zuverlässig abgedeckt werden müssen. – Kleine Defekte werden durch avitales autologes, allo- oder xenogenes sowie alloplastisches Material verschlossen.
-
• Literatur
– Größere Defekte bedürfen einer Defektdeckung mittels lokalem oder distalem vaskularisiertem Gewebetransfer. Bereits vor der Operation muss entschieden werden, welche Art der Rekonstruktion gewählt wird, da die meisten der beschriebenen vaskularisierten Lappen nach erfolgter Resektion nicht mehr zu heben sind.
-
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6
169
Äußeres Ohr Ralph Magritz, Ralf Siegert
Inhaltsverzeichnis 7.1
Einleitung – 170
7.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 170
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4
Topographie – 170 Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation – 171 Anthropometrie der Ohrmuschel – 171 Ästhetische (Unter)Einheiten der Ohrmuschel und ihre Bedeutung für die rekonstruktiv-ästhetische Ohrmuschelchirurgie – 172
7.3
Rekonstruktion schwerer Ohrmuschelfehlbildungen – 173
7.3.1 7.3.2 7.3.3
Ohrmuschelrekonstruktion bei der typischen Mikrotie – 173 Ohrmuschelrekonstruktion bei atypischen Mikrotien – 176 Elevation der Ohrmuschel und Konstruktion des retroaurikulären Sulkus – 177
7.4
Rekonstruktion schwerer Ohrmuscheldefekte – 178
7.5
Nachsorge – 183 Literatur – 186
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_7
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170
Kapitel 7 • Äußeres Ohr
7.1 Einleitung
7
Die Ohrmuschel besitzt eine dreidimensionale Architektur und ist hierbei, wenn harmonisch geformt und normal aussehend, ein recht unauffälliges Organ. In gleichem Maße führen Abweichungen hiervon – durch Fehlbildungen, erworbene Deformitäten und Defekte – zu teilweise erheblichen Beeinträchtigungen der Selbstwahrnehmung und des Selbstwertgefühls der Betroffenen und damit zu einem mehr oder minder ausgeprägten psychischen Leidensdruck. Dieser wird zusätzlich verstärkt durch den allenthalben anzutreffenden körperlichen Optimierungsdruck, suggeriert doch körperliche Makellosigkeit ein gleichsam erfolgreiches, unbeschwertes und glückliches Leben und vice versa. Neben dem insbesondere bei Fehlbildungen regelmäßig anzutreffenden funktionellen Defizit begründet allein dieses die Notwendigkeit der plastischen Rekonstruktion. Bis in die späten 1950er Jahre galten Rekonstruktionen der Ohrmuschel als ein frustrierendes und erfolgloses Unterfangen. Erst die Arbeit von Tanzer konnte richtungsweisende Aspekte liefern und stabile Resultate zeigen (Tanzer 1959). Methodisch verbesserte Burt Brent die autologe Rekonstruktionstechnik in den 1970er und 1980er Jahren entscheidend (Brent 1974, 1992, 1999). Sein vierzeitiges Vorgehen galt für viele Jahre als Standard und wird auch noch heute von einigen Kollegen bevorzugt. Anfang der 1990er Jahre präsentierte Satoru Nagata seine zweizeitige Technik, bei der die Gerüstgestaltung sehr viel aufwändiger, hierdurch aber detaillierter und stabiler wurde (Nagata 1993, 1994a, b, c, d). Auch die systematische Entwicklung komplexerer, fast mathematischer Inzisionen, die Präparation mehrerer delikater Hautlappen im Rudimentbereich zur Aufnahme des Ohrmuschelgerüsts und das Konzept zur konsequenten Erhaltung eines subkutanen Stiels, die die Vaskularisation der umgeformten Haut gewährleisten, sind ohne Zweifel sein Verdienst. Das vom ihm beschriebene Vorgehen ist nicht materialsparend, Knorpel der 6.–9. Rippe und ein TPF-Lappen werden grundsätzlich verwendet, und es kann deshalb erst ab einem Alter von etwa 10 Jahren angewendet werden. >>Die erzielbaren Ergebnisse sind jedoch hervorragend
und in spezialisierter Hand regelmäßig reproduzierbar. Es ist das heute international favorisierte Vorgehen, an dem sich seither alle nachfolgenden Techniken, zumeist Modifikationen, messen müssen.
Es dürfen die Arbeiten und Verdienste von Françoise Firmin nicht fehlen, die in den 1980er Jahren zunächst die Schule von Burt Brent durchlief und später, Anfang der 1990er Jahre, durch die Arbeiten von Nagata nachhaltig beeinflusst wurde. So entwickelte sie in ihrer Karriere nicht nur einen sehr eleganten und zeiteffizienten
Stil bei der Durchführung von Ohrmuschelrekonstruktionen, sondern auch Systematiken zu unterschiedlichen Hautinzisionen und Gerüstformen in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Fehlbildung oder Deformität (Firmin 1998, 2010; Firmin und Marchac 2011). In Deutschland widmete sich ab den 1980er Jahren v. a. Hilko Weerda (Weerda 1972, 1982a, b, c, d; Weerda und Siegert 1995, 1998) dem Thema der Ohrmuschelrekonstruktion. Initial besonders inspiriert von Brent, entwickelte er u. a. eigene Klassifikationen zu den Traumata und Defekten der Ohrmuschel und modifizierte bestehende Einteilungsschemata der Ohrmuscheldysplasien. Zusammen mit Ralf Siegert änderte er in den späten 1990er Jahren unter dem Einfluss von Nagata sein chirurgisches Vorgehen v. a. bei der Gerüstgestaltung, aber auch der Hautlappenpräparation. Zum Ende der 1990er Jahre entwickelte Ralf Siegert eine vielbeachtete Technik, die die ästhetische und funktionelle Korrektur der Mikrotie in einem drei- bis vierzeitigen Konzept miteinander kombinierte (Siegert und Weerda 1998). In Recklinghausen entwickelten die Autoren diese Technik weiter, die bei strenger Indikationsstellung noch heute Verwendung findet (Siegert und Weerda 2001). Die Perfektionierung der Ohrmuschelrekonstruktion, die ständige Weiterentwicklung bestehender Techniken und die hierbei im Bedarfsfall möglichst optimale Kombination aus ästhetischer und funktioneller Rehabilitation war über mehr als 20 Jahre ein wesentlicher klinischwissenschaftlicher Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit der Autoren (Siegert et al. 2009; Siegert und Magritz 2007, 2009a, b; Duvdevani et al. 2013; Magritz und Siegert 2013, 2014). Zusammen wurden in dieser Zeit weit mehr als 1500 Ohrmuscheln rekonstruiert. 7.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
7.2.1 Topographie
Das äußere Ohr bezeichnet die Ohrmuschel (. Abb. 7.1) und den äußeren Gehörgang. An der Ohrmuschel kann die das charakteristische Relief zeigende Vorderseite von der Ohrmuschelrückseite, die ebenfalls ein – viel weniger beachtetes – Relief aufweist, unterschieden werden. Mit Ausnahme des knorpelfreien Lobulus wird die statische Grundlage der Ohrmuschel durch einen elastischen Knorpel gebildet, der eine Dicke von 1–3 mm besitzt. Die Haut im Bereich der Ohrmuschelvorderseite ist fest und annähernd unverschieblich mit dem Perichondrium verbunden. Sie besitzt eine Dicke von 0,8–1,2 mm. Im Gegensatz hierzu befindet sich auf der Ohrmuschelrückseite eine subkutane Fettschicht, die die Haut nicht
171
7.2 • Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
..Abb. 7.1 Anatomie der Vorderfläche der Ohrmuschel. (Aus Tillmann 2016)
Helix
Fossa triangularis Crura antihelicis Crus helicis Spina helicis Cymba conchae Cavitas = Cavum Concha auriculae conchae Tragus Incisura intertragica Antitragus
Scapha Antihelix
Sulcus posterior auriculae Lobus auricularis
Rami auriculares der A. auricularis posterior
Rami perforantes der A. auricularis posterior
Rami auriculares anteriores A. temporalis superficialis
A. auricularis posterior ..Abb. 7.2 Arterielle Gefäßversorgung der Ohrmuschel. (Aus Tillmann 2016)
nur dicker (1,2–3 mm), sondern auch verschieblich gegen ihre Unterlage macht. Die Ohrmuschelmuskulatur hat beim Menschen entwicklungsgeschichtlich bedingt praktisch keinerlei Bedeutung und ist deshalb nur rudimentär vorhanden. Dennoch lassen sich intraoperativ regelmäßig insbesondere zwei Muskeln, der M. auricularis posterior und der M. auricularis superior, darstellen. Zusätzlich besitzt die Ohrmuschel einen ligamantären Aufhängeapparat, bestehend aus einem rückseitigen und zwei vorderseitigen Ligamenten. 7.2.2
Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation
Die arterielle Blutgefäßversorgung der Ohrmuschel erfolgt durch in Anzahl und Lokalisation sehr variable Äste der A. temporalis superficialis und der A. auricularis posterior (. Abb. 7.2). Die sensible Innervation der Ohrmuschel erfolgt durch Äste des N. auricularis magnus, des N. auriculotemporalis und des N. occipitalis minor (. Abb. 7.3).
A. carotis externa
Der Lymphabfluss der Ohrmuschel erfolgt in die oberflächlichen und tiefen Halslymphknoten, präaurikulär in die Gl. parotis und nach submandibulär, daneben in die postaurikulären und mastoidalen Lymphknoten. 7.2.3
Anthropometrie der Ohrmuschel
Ebenso wie die sichere Kenntnis der Anatomie ist das Wissen um die normale Position der Ohrmuschel am Kopf sowie die Lage- und Größenverhältnisse ihrer Reliefstrukturen für die konstruktive und rekonstruktive Chirurgie von entscheidender Bedeutung. In Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Körpergröße werden diese Daten für die individuelle chirurgische Planung benötigt. So ist die erwartete Körpergröße v. a. bei der Planung von Ohrmuschelrekonstruktionen im Kindes- und Jugendalter zu ermitteln. Dieses kann anhand der relativen Körpergröße vergleichend zu Gleichaltrigen oder der Körpergröße der Eltern erfolgen. Die Ohrmuschellänge ist von der Körpergröße wie vom Lebensalter gleichermaßen abhängig. Mit ca. dem 6. Lebensjahr erreicht sie im Mittel 85 % und im 15. Le-
7
172
Kapitel 7 • Äußeres Ohr
..Abb. 7.3 Sensible Innervation der Ohrmuschel. 1 Hinterer Ast, 2 R. mastoideus, 3 N. auriculotemporalis (vom äußeren TrigeminusAst), 4 R. mastoideus, 5 N. occipitialis minor (Plexus cervicalis), 6 vorderer Ast, 7 N. auricularis magnus, 8 M. sternocleidomastoideus
7 bensjahr 95 % ihrer Endlänge. Im weiteren Leben und v. a. im Alter führen Weichteilveränderungen insbesondere im Lobulus-Bereich zu einem Längenzuwachs der Ohrmuschel, welcher jedoch nicht mit echtem Wachstum verwechselt werden darf. Die horizontale Ohrposition ist ebenfalls von der Körper- und damit auch der Kopfgröße abhängig. Sie nimmt annähernd linear mit der Körpergröße zu. >>Wichtig für die Operationsplanung und ein ansprechen-
des ästhetisches Ergebnis ist hierbei, dass die Symmetrie bzw. Asymmetrie des Kopfes wie z. B. bei den nicht seltenen kombinierten Ohrmuschel- und Gesichtsfehlbildungen (z. B. hemifaziale Mikrosomie) dringend zu berücksichtigen ist.
Die Ohrmuschelbreite zeigt ebenso eine Abhängigkeit zu Körpergröße und Lebensalter, ist jedoch weniger stark ausgeprägt. Bereits im 6. Lebensjahr sind 95 % der endgültigen Ohrmuschelbreite erreicht. Die Ohrmuschelprojektion hingegen, sprich: die streng von anterior sichtbare Ohrmuschelbreite (= Distanz von der Otobasis bis zu dem am weitesten nach lateral ausladenden Punkt der Helix), ist weitgehend alters- und größenunabhängig, weist aber deutliche individuelle Variationen auf. Sie beträgt im Mittel 20 ± 4 mm. Der Normbereich (× ± 2 SD) der Ohrmuschelprojektion beträgt damit 12–28 mm. Diese Werte sind wichtig für die Indikation und Planung der Otopexie.
+HOL[ &UXVVXSHULXV )RVVDWULDQJXODULV )RVVDVFDSKRLGHD
&UXVLQIHULXV
$QWKHOL[ &\PEDFRQFKDH &DYXPFRQFKDH
7UDJXV
$QWLWUDJXV
/REXOXV ..Abb. 7.4 Ästhetische Untereinheiten der Ohrmuschel
7.2.4
Ästhetische (Unter)Einheiten der Ohrmuschel und ihre Bedeutung für die rekonstruktiv-ästhetische Ohrmuschelchirurgie
Ähnlich wie auch im übrigen Gesichtsbereich ästhetische Einheiten definiert werden, finden sich an der Ohrmuschel ästhetische Untereinheiten. Sie sind gekennzeichnet durch die das vordere Ohrmuschelrelief bildenden Strukturen bzw. Falten (. Abb. 7.4). Ihre Bedeutung für die Chirurgie liegt darin, dass Inzisionen im Grenzbereich zwischen benachbarten ästhetischen Untereinheiten optisch unauffällig erscheinen. Sie sind Inzisionen quer zu den insbesondere vertikal ausgerichteten ästhetischen Untereinheiten vorzuziehen.
173
7.3 • Rekonstruktion schwerer Ohrmuschelfehlbildungen
a
b
c
..Abb. 7.5 a–c Typische Mikrotien. a Lobulus-Typ. b Regulärer Concha-Typ. c Kleiner Concha-Typ
7.3
Rekonstruktion schwerer Ohrmuschelfehlbildungen
7.3.1 Ohrmuschelrekonstruktion
bei der typischen Mikrotie
7.3.1.1
Planung, Inzisionen und Hautlappenpräparation
Als typische Mikrotien (. Abb. 7.5) werden die Lobulusund die Concha-Typ-Mikrotie bezeichnet, wobei beim Concha-Typ zwei Unterformen, der kleine und der reguläre Concha-Typ, zu unterscheiden sind. Nach exakter Planung und Markierung der Ohrmuschelposition unter Zuhilfenahme einer durchsichtigen und idealisierten Ohrmuschelschablone, die sich ausschließlich in der Höhe und Breite unterscheiden und hierbei allein die Dimensionierung des im Regelfall normal aussehenden Gegenohrs kopieren, erfolgt der operative Zugang regelmäßig über eine Z-Plastik-artige Inzision im Bereich des kaudalen Rudiments (. Abb. 7.6). Je nach Größe des Rudiments, auch der hierin enthaltenen, teilweise zu erhaltenen knorpeligen Strukturen (z. B. Antitragus beim Concha-Typ) und der Größe und Position der zu konstruierenden Ohrmuschel, muss diese Z-Plastik individuell unterschiedlich gestaltet werden, auch in unterschiedlicher Höhe des Rudiments. Ziel ist es, die Haut des unteren Rudiments optimal für die Konstruktion besonders des Lobulus zu nutzen und die Haut des übrigen Rudimentanteils optimal für die Bedeckung der beiden oberen Drittel der Ohrmuschel vorzubereiten. Ein praktisch nur beim Concha-Typ vorhandener, in seiner Größe und Form sehr variabler Tragus sollte, wenn – ästhetisch günstig – belassen werden. Passen jedoch
Größe und Form des vorhandenen Tragus nicht in das zu konstruierende Gesamtbild, muss er ausgelöst und entfernt werden. Ebenso werden die übrigen knorpeligen Rudimentanteile möglichst vollständig ausgelöst, wobei die Hautlappen auf einem dünnen subkutanen Niveau präpariert werden. >>Entscheidend für eine uneingeschränkte Vaskularisa-
tion der in dieser Weise präparierten Hautlappen ist das Belassen eines subkutanen Stiels im Bereich der späteren Concha (. Abb. 7.7).
Um eine Kompromittierung der Hautlappendurchblutung zu verhindern, sollte deshalb auf eine vollständige Entfernung knorpeliger Rudimentstrukturen in genau diesem Stielbereich bei Bedarf verzichtet werden. Das Unterminieren der Haut sollte, mit Ausnahme des unteren Drittels, die markierte Ohrmuschelposition allseitig um etwa 1 cm überschreiten, wobei die untere mastoidale Haut nicht mobilisiert wird und mit der Unterlage verbunden bleibt. Der Lobulus-Hautlappen wird dann nicht nur die Ventralfläche des unteren Ohrmuschelgerüsts abdecken, sondern sich auch perfekt und harmonisch um den unteren Rand herum formen. 7.3.1.2 Gerüstgestaltung
Für die Konstruktion eines stabilen, dreidimensionalen Ohrmuschelgerüsts werden die knorpeligen Anteile der 7.–9. Rippe benötigt, wobei die Rippen 7 und 8 als Block und die 9. Rippe frei entnommen werden (. Abb. 7.8). Das lungenseitige Perichondrium wird hierbei geschont und verbleibt intakt. Die Rippenknorpelentnahme erfolgt in der Regel vom ipsilateralen Thorax, nur in Ausnahmefällen (Voroperationen, Revisionen, schwere ipsilaterale Brustfehlbildungen) kontralateral.
7
174
7
Kapitel 7 • Äußeres Ohr
a
b
..Abb. 7.6 a, b Planung der exakten Position der Ohrmuschel mittels Schablone und Markieren der Inzisionen im Bereich des unteren Rudiments. a Ansicht von ventral. b Ansicht von posterior
..Abb. 7.7 Subkutaner Stiel mit der Klemme unterfahren
Einzelteile eines vollständigen Ohrmuschelgerüsts 1. Basisplatte 2. Anthelix 3. Tragus-Antitragus-Komplex 4. Helix
Die Basisplatte wird aus den synchondrotisch z. T. fest miteinander verbundenen Rippen 7 und 8 geformt. Das Perichondrium sollte, der besseren und vorhersehbareren Formbarkeit wegen, entfernt werden. Mithilfe spezieller Schnitzmesser werden die typischen Vertiefungen, Scapha und Fossa triangularis, angelegt, und
..Abb. 7.8 Entnommener Rippenknorpel (7. und 8. Rippe als Block und 9. Rippe separat entnommen)
das Basisgerüst wird im Bedarfsfall insgesamt auf eine Dicke von maximal 8 mm ausgedünnt. Die Anthelix wird zusammen mit den Crura aus Resten der 8. Rippe und der Tragus-Antitragus-Komplex aus Resten der 7. Rippe geschnitzt. Das Formen der Helix, ihre Höhe sollte 4 mm nicht überschreiten, erfolgt aus der knorpeligen 9. Rippe. Alle Einzelteile werden abschließend mit dünnen Drahtnähten fest unter- und miteinander verbunden (. Abb. 7.9). 7.3.1.3
Gerüstimplantation und Trimmen des Hautmantels
Das Ohrmuschelgerüst wird mit dem Tragus voran um den subkutanen Stiel des vorbereiteten Empfängerbettes
175
7.3 • Rekonstruktion schwerer Ohrmuschelfehlbildungen
a
d
b
c
e
f
..Abb. 7.9 a–f Gerüstgestaltung. a Planung der Basisplatte. b Markierter Tragus-Antitragus-Komplex. c Markierte Anthelix mit Crura d Geschnitzte Gerüstkomponenten. e Alle Einzelteile des Gerüsts werden mit Drahtnähten untereinander fixiert. f Fertiggestelltes Ohrmuschelgerüst
geführt und exakt positioniert. Eine subkutane Fixierung des Gerüsts durch Nähte erfolgt nicht. Allein zwei Redon-Drainagen, die für 3–4 Tage verbleiben, halten das Gerüst in seiner vorbestimmten Position. Praktisch immer findet sich nach Implantation und Positionierung des Ohrmuschelgerüsts ein unterschiedlich stark ausgeprägter Hautüberschuss, besonders im Bereich des oberen Hautlappens. Dieser Hautüberschuss darf und sollte sorgfältig und spannungsfrei entfernt werden (. Abb. 7.10). >>Um praktisch unsichtbare Narben zu erzielen, muss
das Trimmen der überschüssigen Haut im Verlauf angrenzender ästhetischer Untereinheiten der Ohrmuschel erfolgen.
Teilweise müssen die Hautinzisionen hierfür erweitert werden, was jedoch unkritisch ist, da der Concha-seitige subkutane Stiel die Hautlappenperfusion auch im oberen Hautlappen sicher gewährleistet. Die Erfahrung zeigt, dass eine Naht hinter der vorderen oberen Helix, im Grenzbereich zur Cymba concha, den auslaufenden Crura anthelicis, der Fossa triangularis
..Abb. 7.10 Hautüberschuss im oberen Hautlappen nach Gerüstimplantation, gefasst mit der Pinzette
7
176
Kapitel 7 • Äußeres Ohr
..Abb. 7.11 a, b Situation nach Resektion des Hautüberschusses. a Situation nach Resektion des Hautüberschusses und resultierende, „versteckte“ Nahtlinie. b Situation nach 6 Monaten
a
7
und der oberen Scapha die besten ästhetischen Resultate liefert, da die resultierende Narbe hier im Schatten der Helix versteckt wird. In ähnlicher Weise sollte die Haut im Bereich der Concha und des Tragus getrimmt werden (. Abb. 7.11). 7.3.2 Ohrmuschelrekonstruktion
bei atypischen Mikrotien
7.3.2.1
Charakteristika und Problematik der Konstruktion
Atypische Mikrotien lassen sich nicht eindeutig dem klassischen Lobulus- oder Concha-Typ zuordnen. Nicht selten finden sich Übergänge zur schweren Tassenohrdeformität. Allen atypischen Mikrotien gemeinsam ist eine begleitende skelettale, respektive weichteilige Fehlbildung des ipsilateralen Gesichts, insbesondere des Unterkiefers und des Jochbein-Jochbogen-Komplexes, meist in Gestalt einer variabel ausgeprägten hemifazialen Mikrosomie (. Abb. 7.12). Gleichzeitig findet sich eine ausgeprägtere Fehlbildung des Felsenbeins, vergleichend mit den typischen Mikrotien. Die rudimentären Ohrmuschelanlagen sind in der Regel ventrokaudal in einer dystopen Position lokalisiert. Hiermit wird auch die temporale Haarlinie in unterschiedlicher Ausprägung nach ventrokaudal verschoben und es resultiert eine sog. tiefe Haarlinie. Um die Ohrmuschel von der Position her symmetrisch zur Gegenseite zu konstruieren, muss sie in individuell sehr unterschiedlichem Maße in die behaarte Temporalregion der fehlgebildeten Seite geplant werden. Allerdings wäre ein ästhetisch ungünstiger und darüber hinaus heute permanent nicht zu verhindernder Haarwuchs auf dem konstruierten Ohr die Folge eines solchen Vorgehens bei Verwendung der eingangs beschriebenen Standardtechnik.
b
Nicht weniger ungünstig ist es, die Konstruktion der Ohrmuschel im unbehaarten, wangenseitigen Bereich des dystopen Rudiments vorzunehmen, da hierdurch keinerlei Ausgleich der Dystopie in Richtung Symmetrierung erfolgt und diese auch in optimistisch geplanten nachfolgenden Operationen nicht erreicht werden kann. Gleichzeitig muss der retroaurikuläre Sulkus bei einem solchen Vorgehen instabil bleiben, da ein knöchernes Widerlager für den im Rahmen des 2. Operationsschritts einzusetzenden knorpeligen Abstützkeil im weichteiligen Wangenbereich fehlt. 7.3.2.2
Planung und Operationstechnik
Die Planung der gewünschten Ohrmuschelposition erfolgt in gleicher Weise wie bei den typischen Mikrotien mithilfe einer transparenten Schablone, die von der gesunden Gegenseite angefertigt und auf die zu konstruierende Seite übertragen wird. >>Wichtig ist die exakte Markierung der temporalen
Haarlinie, denn erst hierdurch wird das Ausmaß der tiefen Haarlinie sichtbar. Nicht selten muss mehr als die Hälfte der neuen Ohrmuschel im behaarten Bereich konstruiert werden.
Ausgehend von der markierten Ohrmuschelposition im behaarten Kopfbereich wird zunächst ein dünnes Spalthauttransplantat entnommen, welches allseitig etwa 1,5–2 cm größer geplant wird. Anschließend werden die haartragende Dermis und die darunterliegende Subkutis aus der markierten oberen Ohrmuschelposition entfernt. >>Wenn immer möglich und erreichbar, sollte das dys-
top gelegene Rudiment v. a. für die Konstruktion des Lobulus Verwendung finden.
Das Umformen des kaudalen Rudiments und die benötigten Hautinzisionen sind hierbei zwar sehr individuell, sie ähneln jedoch prinzipiell denen, die bei den typischen
177
7.3 • Rekonstruktion schwerer Ohrmuschelfehlbildungen
a
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..Abb. 7.12 a–c Patient mit einer atypischen Mikrotie auf der rechten Seite kombiniert mit einer hemifazialen Mikrosomie und resultierender „tiefer Haarlinie“. a Ansicht von vorn. b Ansicht von schräg vorn. c Ansicht von lateral
Mikrotien Verwendung finden. Die übrige nichtbehaarte Haut wird auf dünnem subkutanem Niveau präpariert und der dysplastische Ohrmuschelknorpel entfernt. Auch hier sollte, wenn möglich, ein subkutaner Stiel im Bereich der späteren Concha erhalten bleiben. Anschließend wird über eine treppenförmige temporale Inzision ein gestielter temporoparietaler Faszienlappen präpariert und nach kaudal in den zu konstruierenden Ohrmuschelbereich verlagert. Ein in identischer Weise wie in 7 Abschn. 7.3.1 beschrieben gefertigtes Ohrmuschelgerüst aus Rippenknorpel wird hierauf in der markierten Ohrmuschelposition implantiert und mit den vorpräparierten lokalen, unbehaarten Hautlappen teilweise bedeckt. In der Regel muss die deutlich größere Fläche des Ohrmuschelgerüsts mit dem zuvor präparierten und verlagerten temporoparietalen Faszienlappen abgedeckt werden. Überschüssige Rudimenthaut wird sorgfältig und spannungsfrei entfernt und der über das Ohrmuschelgerüst verlagerte Faszienlappen seinerseits mit dem initial entnommenen dünnen Spalthauttransplantat epithelisiert (. Abb. 7.13). Zwei Redon-Drainagen bewirken wiederum nicht nur das sichere Ableiten von Wundflüssigkeit aus der Wunde, sondern auch eine sichere Retention des Ohrmuschelgerüsts in der geplanten Position. Gleichzeitig wird hiermit der temporoparietale Faszienlappen in die Vertiefungen des Ohrmuschelgerüsts eingezogen, was nicht nur eine zusätzliche Fixation, sondern auch eine suffiziente Ernährung des Ohrmuschelgerüsts gewährleistet.
7.3.3
Elevation der Ohrmuschel und Konstruktion des retroaurikulären Sulkus
Der retroaurikuläre Sulkus ist ein zentrales, formgebendes und ästhetisches Element der Ohrmuschel. Seine harmonische Konstruktion ist essenziell, um stabile und optisch ansprechende Resultate zu erzielen. >>Es ist im Sinne des Gesamtresultats sehr bedeutsam,
auch diesem Operationsschritt uneingeschränkte Aufmerksamkeit und operative Sorgfalt zu gewähren.
Die Konstruktion des retroaurikulären Sulkus erfolgt etwa 6 Monate nach dem 1. Operationsschritt, unabhängig davon, ob initial eine typische Mikrotie korrigiert oder eine komplexere Konstruktion bei Vorliegen einer „tiefen Haarlinie“ vorgenommen wurde. Operationstechnik Die konstruierte Ohrmuschel wird se-
mizirkulär in etwa 1 cm Entfernung von der Helix, beginnend vor dem Crus inferius und endend vor dem Lobulus, umschnitten und ein dünner Hautlappen, verbunden mit dem Ohrmuschelrand und in seine Richtung präparierend, gebildet. Anschließend wir das Ohrmuschelgerüst unter strikter Schonung einer gefäßführenden bindegewebigen Schicht auf dem Gerüst von der Unterlage gelöst. Die konstruierte Ohrmuschel gleicht nunmehr einer ventral gestielten, präfabrizierten Lappenplastik. Medialseitig wird hiernach eine Faszienschicht sichtbar, die eine Fortsetzung der temporoparietalen Faszie und damit der SMAS-Schicht darstellt (SMAS: superficial muscular aponeurotic system, superfizielles muskuloaponeurotisches System). Diese Faszienschicht wird in Verlaufsrichtung
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Kapitel 7 • Äußeres Ohr
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..Abb. 7.13 a–f Rekonstruktion einer atypischen Mikrotie kombiniert mit einer hemifazialen Mikrosomie und begleitender „tiefer Haarlinie“. a Planung der exakten Ohrmuschelposition (Haarlinie gepunktet). b Situation nach Hebung eines Spalthauttransplantats aus der haartragenden Region und Resektion der verbliebenen haartragenden Dermis und Subkutis. c Situation nach Präparation und Hebung eines temporoparietalen Faszienlappens und nach Gestaltung des
Ohrmuschelgerüsts. d Situation nach Implantation des Ohrmuschelgerüsts und Abdecken des unteren Anteils mit dem umgeformten kaudalen Rudiment. e Abdecken des oberen Ohrmuschelgerüsts mit dem temporoparietalen Faszienlappen und Resektion der überschüssigen Rudimenthaut ventral der neu konstruierten Ohrmuschel. f Situation nach Abdecken des temporoparietalen Faszienlappens mit dem initial entnommenen Spalthauttransplantat am Ende der Operation
der Anthelix inzidiert und in posteriorer Richtung von der tiefen Temporalis-Faszie und dem Periost des Planum mastoideum gelöst. Hiermit erhält man eine uneingeschränkt gut vaskularisierte und dünne Lappenplastik, die ihrerseits sowohl einen rippenknorpligen Abstützkeil abdecken und gleichzeitig ein später einzusetzendes Hauttransplantat revaskularisieren kann. Aus einem Stück Restrippenknorpel (6. Rippe), welches am Ende des 1. Operationsschrittes in einer subkutanen Tasche der Rippenwunde gelagert wurde, wird ein zweiteiliger Abstützkeil geschnitzt, und die Einzelteile werden fest mit Drahtnähten untereinander verbunden.
Die rückseitige Ohrmuschel und die verbleibende retroaurikuläre Wunde werden abschließend mit einem Spalthauttransplantat vom Kopf oder alternativ mit einem Vollhauttransplantat von der Brust epithelisiert (. Abb. 7.14, 7.15, 7.16, 7.17).
>>Die Höhe des zusammengesetzten Stützknorpels und
damit die benötigte Projektion der Ohrmuschel richten sich nach der kontralateralen, im Regelfall gesunden Ohrmuschel.
Der Stützknorpel wird anschließend mit wenigen Drahtnähten unter und mit dem Basisgerüst fixiert und mit dem zuvor präparierten und elevierten SMAS-Lappen abgedeckt.
7.4
Rekonstruktion schwerer Ohrmuscheldefekte
Die Rekonstruktion subtotaler und vollständiger Verluste der Ohrmuschel ist immer anspruchsvoll. Standardisierte Vorgehensweisen wie im Rahmen der Mikrotie-Korrektur existieren nicht. >>Vielmehr kommt dem Zustand des den Defekt bilden-
den und umgebenden Narbengewebes eine besondere Bedeutung zu, denn der Erfolg einer Rekonstruktion mit der noch vorhandenen ortsständigen Haut wird gleichsinnig mit dem Ausmaß der Vernarbung des Defektbereichs eingeschränkt.
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7.4 • Rekonstruktion schwerer Ohrmuscheldefekte
a
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f ..Abb. 7.14 a–h Abheben der Ohrmuschel und Konstruktion des retroaurikulären Sulkus. a Situation vor Beginn des 2. Operationsschritts. b Situation nach Abheben der Ohrmuschel und Markierung der Inzision auf dem darunterliegenden SMAS. c gehobener SMASLappen. d Gestalten einer zweiteiligen Knorpelstütze unter Ver-
e
g wendung der 6. Rippe. e Fixieren beider Komponenten mit Drahtnähten. f Fixieren der Knorpelstütze unter und mit dem Basisgerüst mit Drahtnähten. g Abdecken des Stützknorpeltransplantats mit dem SMAS-Lappen. h Abdecken der retroaurikulären Wunde mit einem Hauttransplantat
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Kapitel 7 • Äußeres Ohr
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..Abb. 7.14 (Fortsetzung)
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..Abb. 7.15 a–e Patientin mit einer typischen Mikrotie vom kleinen Concha-Typ. a Präoperativ, Ansicht von lateral. b Präoperativ, Ansicht von schräg seitlich. c Ergebnis nach 1 Jahr, Ansicht von schräg
e seitlich. d Ergebnis nach 1 Jahr, Ansicht von lateral. e Ergebnis nach 1 Jahr, konstruierter retroaurikulärer Sulkus
181
7.4 • Rekonstruktion schwerer Ohrmuscheldefekte
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..Abb. 7.16 a–e Patient mit einer typischen Mikrotie vom LobulusTyp. a Präoperativ, Ansicht von schräg seitlich. b Präoperativ, Ansicht von seitlich. c Ergebnis nach 1 Jahr, Ansicht von schräg seitlich.
d Ergebnis nach 1 Jahr, Ansicht von seitlich. e Ergebnis nach 1 Jahr, konstruierter retroaurikulärer Sulkus
Hieraus lassen sich folgende Prinzipien ableiten: 1. Ist die Vernarbung im Defektbereich milde ausgeprägt und liegt das Narbenareal möglichst zentral im Bereich des Cavum conchae, dann sind die Aussichten auf einen Rekonstruktionserfolg bei einem mehrzeitigen, dem der Ohrmuschelrekonstruktion bei Mikrotien prinzipiell gleichenden Operationskonzept unter Verwendung ortsständiger Haut und einem aus Rippenknorpel hergestellten Grundgerüst als gut einzustufen (. Abb. 7.18). 2. Bei einer stärkergradigen Vernarbung ist es möglich, die Fläche an nichtvernarbter Haut durch die vorbereitende Implantation eines Gewebeexpanders unter das unverletzte Hautareal zu vergrößern. Die Befüllung des Expanders mit physiologischer Kochsalzlösung erfolgt erstmalig 2 Wochen nach der Implantation und wird dann in wöchentlichem Rhythmus über mindestens 8–12 Wochen fortgesetzt. Gleichzeitig mit der Entnahme des Expanders wird ein rippenknorpeliges Ohrmuschelgerüst gefertigt und an orthotoper Position unter die expandierte Haut eingesetzt.
Die weiteren Operationsschritte gleichen denen des Ohrmuschelaufbaus bei schwergradigen Mikrotien (. Abb. 7.19). 3. Eine prinzipiell einzeitige Alternative zur Expandervorbehandlung bei ausgeprägten Vernarbungen im Defekt- und Rekonstruktionsbereich ist durch die Verwendung eines an den oberflächlichen temporalen Stammgefäßen gestielten temporoparietalen Faszienlappens gegeben. So lässt sich mit diesem Faszienlappen ein rippenknorpeliges Ohrmuschelgerüst, welches im Gegensatz zu den mehrzeitigen Rekonstruktionen bereits seine retroaurikuläre Stütze beinhaltet, vollständig umkleiden. Der Faszienlappen seinerseits wird abschließend mit Vollhauttransplantaten aus der Retroaurikularregion der Gegenseite oder mit Spalthauttransplantaten vom behaarten Kopf epithelisiert (. Abb. 7.20). 4. Sollte aufgrund ausgeprägter Vernarbungen im Defekt- und Rekonstruktionsbereich eine Vorbehandlung mit einem Hautexpander nicht möglich sein und gleichzeitig ein temporoparietaler Faszienlappen auf
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Kapitel 7 • Äußeres Ohr
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g ..Abb. 7.17 a–g Patientin mit einer atypischen Mikrotie auf der rechten Seite, kombiniert mit einer hemifazialen Mikrosomie und begleitender „tiefer Haarlinie“ (dieselbe Patientin wie in . Abb. 7.13). a Präoperativ, Ansicht von vorn. b Präoperativ, Ansicht von schräg
seitlich. c Präoperativ, Ansicht von lateral. d Ergebnis nach 1 Jahr, Ansicht von vorn. e Ergebnis nach 1 Jahr, Ansicht von schräg seitlich. f Ergebnis nach 1 Jahr, Ansicht von lateral. g Resultat nach 1 Jahr, konstruierter retroaurikulärer Sulkus
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7.5 • Nachsorge
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..Abb. 7.18 a–f Patientin nach 4-maliger Voroperation einer traumatischen Teilamputation der rechten Ohrmuschel nach Pferdebiss in einer anderen Klinik mit suboptimalem Ergebnis, milder Vernarbung und Resultat nach konsequenter Revision in 2 Operationsschritten. a Ansicht von lateral, präoperativ. b Ansicht von schräg vorn, prä-
der Defektseite verletzungs- oder voroperationsbedingt nicht mehr zur Verfügung stehen, dann ist es möglich, den temporoparietalen Faszienlappen der Gegenseite als freie Lappenplastik mit mikrochirurgischer Reanastomosierung an die oberflächlichen temporalen Gefäße der Defektseite zu verwenden. In ähnlicher Weise können axial gestielte Lappenplastiken anderer Regionen (freier radialer Unterarmlappen) verwendet werden (. Abb. 7.21). Im klinischen Alltag finden sich derartig schlechte Ausgangsbedingungen wie oben skizziert extrem selten, sodass freie Lappenplastiken im Bereich der Ohrmuschelrekonstruktion nur eine untergeordnete klinische Relevanz besitzen. Für den sehr seltenen Einzelfall muss jedoch auch diese Möglichkeit bedacht und beherrscht werden.
c
f operativ. c Entnommenes insuffizientes Ohrmuschelgerüst. d Mehrteiliges Ohrmuschelgerüst aus Rippenknorpel. e Resultat nach Revision in 2 Operationsschritten, Ansicht von lateral. f Resultat nach Revision in 2 Operationsschritten, Ansicht von schräg vorne
7.5 Nachsorge
Um die rekonstruierte Ohrmuschel effektiv vor Druck und tangentialer mechanischer Belastung zu schützen und damit Druckläsionen und Hautnekrosen vorzubeugen, ist es empfehlenswert, für die ersten 4 postoperativen Wochen ganztags einen speziellen Schaumstoffverband zu tragen (. Abb. 7.22). Die Haut wird in dieser Zeit mit einem Gemisch aus Betaisodona-Salbe und Vaseline gepflegt. Etwa eine Woche nach der Operation ist das Waschen der Haare grundsätzlich möglich, es sollte jedoch mit Hilfe erfolgen und die Ohrmuschel selbst hierbei nicht mit Wasser in Kontakt kommen. Eine Befreiung vom Schulsport attestieren die Autoren für etwa 6–8 Wochen. Ein leichtes Fitnesstraining ist nach 4–6 Wochen, je nach persönlicher Belastbarkeit und Schmerztoleranz, möglich. Das Tragen von festsitzenden Kopfbedeckungen, z. B. Motorradhelmen, ist nach der Erfahrung der Autoren auch nach Jahren nicht zu empfehlen, da die mechanische Belastbarkeit der rekonstruierten Ohrmuschel nicht mit der normalen Ohrmuschel vergleichbar ist. Im
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Kapitel 7 • Äußeres Ohr
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..Abb. 7.19 a–f Patientin nach radikaler Resektion eines ausgedehnten Lymphangioms der rechten Kopf- und Halsregion mit subtotaler Resektion der Ohrmuschel in der Kindheit, Vorbehandlung mittels Hautexpander und Resultat nach Ohrmuschelrekonstruktion in 2 Operationsschritten. a Situation präoperativ, Ansicht von lateral. b Situation präoperativ, Ansicht von schräg vorne. c Situation nach 12-wöchiger Expandervorbehandlung. d Situation intraoperativ, nach
Bedarfsfall müssen deshalb Helme individuell angefertigt werden, um die rekonstruierte Ohrmuschel ein Leben lang formschön und stabil zu erhalten. Besteht der Wunsch nach Ausübung von Kontaktsportarten, sollte auch hierbei ein Ohrenschutz getragen werden. Die rekonstruierte Ohrmuschel sollte etwa 3 Monate nach jedem Operationsschritt vor direkter Sonneneinstrahlung, Minusgraden und größerer Hitze geschützt werden. Da das Wiedererlangen einer hinreichenden Schutzsensibilität etwa 3 Monate in Anspruch nimmt, sollte ein Schaumstoffverband für weitere 6–8 Wochen auch zum Schlafen getragen werden. Die täglich 1- bis 2-mal zu erfolgende Pflege und milde Massage der Ohrmuschel mit einer Panthenol-Salbe hilft nicht nur der Regeneration der Haut, sondern führt erfahrungsgemäß auch zu einer schnelleren zentralen Integration der rekonstruierten Ohrmuschel in den sensiblen Kortex.
f Expanderentnahme und vor Implantation der Ohrmuschelgerüsts (der Rippenknorpel war hier vollständig kalzifiziert und die Einzelteile des Gerüsts mussten durch Fräsen angefertigt werden; die Fixierung der Einzelteile untereinander erfolgte nach Platzierung multipler Bohrungen mit Drahtnähten). e Resultat 1 Jahr nach zweizeitiger Ohrmuschelrekonstruktion, Ansicht von lateral. f Resultat 1 Jahr nach zweizeitiger Ohrmuschelrekonstruktion, Ansicht von schräg vorne
-
Zusammenfassung Das Formen einer Ohrmuschel aus körpereigenem Material gehört zu den anspruchsvollsten Aufgaben in der rekonstruktiven Chirurgie überhaupt. Galt es bis vor wenigen Jahrzehnten noch als praktisch unmöglich, so lassen sich heute natürlich wirkende und langzeitstabile Operationsergebnisse regelmäßig erzielen. Nach wie vor ist hierbei die Verwendung von Rippenknorpel von zentraler Bedeutung und international favorisiert, um die anlagebedingt nicht vorhandenen oder verlorengegangenen Knorpelgerüststrukturen neu zu konstruieren bzw. zu ersetzen. Gleichermaßen bedeutsam ist das subtile Umformen und Konstruieren des bedeckenden Haut- und Weichteilmantels, wobei gerade dieser Aspekt der
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7.5 • Nachsorge
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f ..Abb. 7.20 a–g Patientin nach vielfacher Voroperation einer typischen Mikrotie links in einer anderen Klinik mit suboptimalem Ergebnis und ausgedehnten, annähernd zirkulären Narben aurikulär und Resultat nach einzeitiger Revision mit einem gestielten temporoparietalen Faszienlappen und Spalthauttransplantaten vom Kopf. a Ansicht von lateral, präoperativ. b Ansicht von schräg vorne, präoperativ. c Mehrteiliges Ohrmuschelgerüst aus Rippenknorpel inklusive
Abstützkeil, Ansicht von lateral. d Mehrteiliges Ohrmuschelgerüst aus Rippenknorpel inklusive Abstützkeil, Ansicht von hinten. e Situation nach Implantation des Ohrmuschelgerüsts und Hebung des temporoparietalen Faszienlappens. f Resultat nach einzeitiger Ohrmuschelrekonstruktion, Ansicht von lateral. g Resultat nach einzeitiger Ohrmuschelrekonstruktion, Ansicht von schräg vorne
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Kapitel 7 • Äußeres Ohr
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..Abb. 7.21 a–f Patient nach vielfachen Voroperationen bei atypischer Mikrotie links und knochenverankerter Epithesenversorgung in einer anderen Klinik, Ohrmuschelrekonstruktion mit einem prälaminierten radialen Unterarmtransplantat. a Situation präoperativ, Ansicht von lateral (ausgedehnteste Vernarbungen der seitlichen Kopf-
f region). b Ohrmuschelgerüst vor der Implantation in den linken Unterarm. c Situation 6 Monate nach Gerüstimplantation. d Situation nach Entnahme der Lappenplastik inklusive vaskulärem Stiel. e Situation nach Positionierung der Lappenplastik und mikrochirurgischer Revaskularisation. f Resultat nach 6 Monaten, Ansicht von lateral
methodenreichste ist und alle plastisch-chirurgischen Techniken, bis hin zur freien mikrovaskulären Lappenplastik, umfasst. Im vorliegenden Beitrag wird ein aktueller Überblick über die Strategien der Autoren bei der Mikrotiekorrektur und der Rekonstruktion schwerer Ohrmuscheldefekte gegeben.
-
Literatur
..Abb. 7.22 Schaumstoffverband nach Siegert
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187
7
189
Laterobasis Jörg Schipper, Katharina Schaumann
Inhaltsverzeichnis 8.1
Einleitung – 190
8.2
Dura-Plastik – 190
8.3
Weichteilgewebe – 190
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4
Abdominales Fettgewebe – 190 Lokale Lappen – 191 Regionale Lappen – 191 Freie mikrovaskuläre Lappen – 192
8.4
Stützgewebe – 192
8.4.1 8.4.2
Autologes Stützgewebe – 192 Alloplastisches Stützgewebe – 193
8.5
Tuba Eustachii – 194
8.6
Hörrehabilitation – 194
8.7
Ohrmuschel – 195
8.8
N. facialis – 195
8.8.1 8.8.2
Dynamische Verfahren – 195 Statische Verfahren – 195
8.9
Fallbeispiele – 197 Literatur – 198
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_8
8
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Kapitel 8 • Laterobasis
8.1 Einleitung
8
Rekonstruktionen im Bereich der Laterobasis sind in der Regel nach iatrogenen Defekten und im Rahmen der Resektion gutartiger und bösartiger Tumoren notwendig. Weitaus seltener sind Infektionen oder Traumata die Ursache für Defekte an der Laterobasis. Entsprechend variabel gestaltet sich das Ausmaß der notwendigen Rekonstruktion. Ausgedehnte, dreidimensionale Volumendefekte mit irregulären Rändern und Toträumen stellen dabei eine Herausforderung dar. Häufig muss zudem die Dura eröffnet werden, und kritische neurovaskuläre Strukturen wie die A. carotis interna oder N. facialis sind freizulegen. Weiterhin ist nach der chirurgischen Intervention oftmals eine adjuvante Therapie mit Radiatio notwendig. Der Defekt muss also liquordicht und mit ausreichend vaskularisiertem und resistentem Gewebe verschlossen werden, um eine Protektion für den intrakraniellen Raum und die neurovaskulären Strukturen der Laterobasis zu bieten. Das Prinzip der rekonstruktiven Chirurgie im Bereich der Laterobasis ist die mehrschichtige Rekonstruktion des Defekts zur Wiederherstellung der Trennung des intra- und extrakraniellen Raums sowie der Funktion und Form. Schrittweise erfolgt dies durch Dura-Plastik, Obliteration von Tot- und Hohlräumen sowie durch plastische Rekonstruktion von Stütz- und Weichteilgewebe (Thurnher et al. 2007). Eine weitere Herausforderung im Bereich der Laterobasis ist die funktionelle Wiederherstellung, insbesondere die Hörrehabilitation, die Funktion der Tuba auditiva und des N. facialis. 8.2 Dura-Plastik
Kleine Dura-Defekte im Bereich der Schädelbasis können durch Auflage selbstklebender allogener Materialen wie Fibrinogen/Thrombin (TachoSil®) und mittels Fibrinkleber verklebt werden. Größere Defekte müssen entweder primär vernäht oder durch Patches gedeckt werden. Als autologes Gewebe stehen hierfür körpereigene Faszien, z. B. des M. temporalis, Galea-Periost oder Fascia lata zur Verfügung. Bei größeren Defekten, wenn ausreichendes autologes Material nicht gewonnen werden kann oder weitere Entnahmedefekte vermieden werden sollen, kommen Fremdmaterialen infrage. Dazu können Materialen wie avitales Transplantat aus bovinem Perikard (Tutopatc®) oder allogene Fascia lata (Tutoplast®) eingesetzt werden. Auch alloplastische Materialien wie Composite-Vlies (Ethisorb®) kommen für einen Dura-Patch in Betracht. Das Composite-Vlies ist liquordicht und resorbierbar, zusätzlich besitzt es eine Stützfunktion. Die Materialien können entsprechend dem DuraDefekt individuell zugeschnitten werden.
>>In jeden Fall sollten Fremdmaterialien und avitales
Gewebe durch gut vaskularisiertes Weichteilgewebe gedeckt und Toträume abgedichtet werden, da es sonst zu Nekrosen, Liquorleck und potenziell letalen Infektion kommen kann. Daher ist bei großen Defekten der primäre Einsatz lokoregionaler und freier Lappen zur Dura-Plastik und Weichteildeckung notwendig.
8.3 Weichteilgewebe
Für die Weichteildefektdeckung kommen sowohl lokoregionale Lappen (Schwenk‑, Rotations‑, Verschiebelappen) als auch freie mikrovaskuläre Lappen zum Einsatz (Richmon et al. 2015). Die Auswahl des geeigneten Lappens ist abhängig von Größe und Lokalisation des Defekts sowie von der Beschaffenheit des umgebenden Gewebes. In speziellen Fällen können die Lappen auch präkonditioniert werden, um sie für den geplanten Gewebstransfer stabiler zu machen. Dabei werden reine Muskel- oder Hautlappen oder die Kombination beider eingesetzt, aber auch Fettgewebe zur Defektauffüllung oder zur Stabilisierung einer Dura-Plastik werden verwendet. >>Aufgrund der Ausrichtung der Laterobasis und der
einwirkenden Schwerkraft ist auf eine sicherere Aufhängung der Lappen zu achten, um postoperative Dehiszenzen zu vermeiden. Essenziell sind daher der mehrschichtige Wundverschluss und die sorgfältige Einnaht des Lappens.
Zusätzlich können die Lappen beispielsweise durch Suspensionsfäden am umgebenden Knochen befestigt werden. 8.3.1
Abdominales Fettgewebe
Bei ausgedehnten Eingriffen an der Schädelbasis können unerwünschte autonome Hohlräume entstehen. Da solche Räume überwiegend von bradytrophem Stütz- oder Narbengewebe umgeben sind, besteht ein erhebliches Risiko für die postoperative Morbidität. Sie stellen zum einen idealen Nährboden für sekundäre bakterielle Besiedelungen dar, weiterhin besteht die Gefahr der Entstehung von Seromen sowie Hämatomen. Aus diesem Grund sollten solche autonom abgeschotteten Hohlräume mit körpereigenem Material obliteriert werden. Für kleine Hohlräume, wie sie beispielsweise nach translabyrintärem Zugang entstehen, bietet sich dazu in idealer Weise Fettgewebe an. Es lässt sich sehr leicht modellieren und an die unterschiedlichen Morphologien anpassen. Mangels ausreichendem Fettgewebe im Bereich der Laterobasis bedarf es in diesen Fällen eines Zwei-Höhlen-Eingriffs. Dazu wird im Bauchnabelbereich ein halbmondförmiger Schnitt beidseits von der unter der
191
8.3 • Weichteilgewebe
Haut gelegenen Linea alba gesetzt und das Fett entsprechend exstirpiert. Wenn die Schnittführung innerhalb des sehr weit dehnbaren Bauchnabels zu liegen kommt, ist ein kosmetisch günstiges Ergebnis ohne sichtbare Narbe zu erzielen. Körpereigenes Fettgewebe hat zudem den Vorteil, dass es zwar durch die Kolliquationsnekrose schrumpfen kann, jedoch keine ungewollten Narbenzüge entstehen. >>Fettgewebe wird bevorzugt zur Stabilisierung der Dura
oder einer Dura-Plastik oder zur Obliteration autonomer Höhlen im Bereich der Felsenbeinspitze oder des inneren Gehörgangs eingesetzt. Neben dem reinen Defektverschluss wird auch die Inzidenz postoperativer Zephalgien und Liquorfisteln signifikant reduziert.
8.3.2
Lokale Lappen
8.3.2.1 M.-temporalis-Lappen
Die klassische „Arbeitspferd“ in der Laterobasis-Chirurgie ist der M.-temporalis-Lappen in allen seinen Modifikationen und Variationen. Der M.-temporalis-Lappen ist ein gestielter lokaler Lappen, der von der A. temporalis profunda anterior und posterior aus der A. maxilliaris versorgt wird. Aufgrund seiner räumlichen Nähe eignet sich der gut durchblutete Muskellappen hervorragend für die Deckung kleinerer Defekte an der Laterobasis (Eldaly et al. 2008). Der Temporalis-Lappen kann sowohl mit als auch ohne die Temporalis-Faszie verwendet werden. Er findet in der täglichen Routine der Ohrchirurgie Anwendung, beispielsweise bei der Mastoidektomie als Standardprozedur. Dazu erfolgt eine Y-förmige Schnittführung auf dem Gehörgangschlauch durch den Temporalis-Muskel bzw. seine Faszie bis auf den Knochen des Mastoids, oder alternativ verläuft der Schnitt S- oder C-förmig mit zahlreichen Modifikationen. 8.3.2.2 Palva-Lappen
Beim sog. Palva-Lappen werden Teile des M. temporalis zur Defektdeckung in die Mastoidhöhle eingeschlagen, was sich insbesondere bei großen Radikalhöhlen sehr bewährt hat. Die Rate postoperativer Komplikationen wie Dehiszenzen, Hämatome oder Infektionen an der Entnahmeregion des Temporalis-Lappens ist minimal. >>Bei der Präparation des Lappens ist der Verlauf des
temporalen Astes des N. facialis in der temporoparietalen Faszie zu beachten, um sowohl eine direkte Verletzung während der Präparation als auch eine Verletzung durch Retraktion zu vermeiden.
Nachteilig ist zum einen die kosmetische Beeinträchtigung durch das fehlende Volumen und das Einsinken der Temporalregion, sodass eine Rekonstruktion der Entnahmeregion, z. B. mit Fett, lokalen Verschiebelappen
oder synthetischen Implantaten notwendig sein kann. Weiterhin muss beachtet werden, dass etwaige Hautdefekte zusätzlich durch Spalt- oder Vollhaut gedeckt werden müssen. Die räumliche Nähe des Lappens zur Pathologie kann auch einen Nachteil darstellen, sodass der Temporalis-Lappen bei ausgedehnten Tumoren oder vorhergehender Radiotherapie aufgrund einer Schädigung des Muskels oder der Blutversorgung, z. B. in der Fossa infratemporalis, oftmals nicht verwendet werden kann. 8.3.2.3
Weitere lokale Lappenplastiken des Skalps
Der Vollständigkeit halber seien hier neben dem Temporalis-Lappen die lokalen Verschiebelappen des Skalps, basierend auf den Angiosomen der Temporalarterien, und die Rotations- und Schwenklappen erwähnt. Diese finden aufgrund der limitierten Mobilisation, der geringen Reichweite und des entstehenden kosmetischen Defekts nur selten Verwendung zur Deckung der Laterobasis. 8.3.3
Regionale Lappen
8.3.3.1
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Myokutane gestielte Lappen
Als regionale Lappen können in Abhängigkeit von der Lage des Defekts verwendet werden: Lappen des M. latissimus dorsi (A. thoracodorsalis), Lappen des M. pectoralis major (A. thoracoacromialis), Lappen des M. trapezius (A. transversa colli; 7 Abschn. 8.9, Fall 1). Diese myokutanen gestielten Lappen bieten einen sicheren Gefäßstiel und ein ausreichendes Volumen zur Deckung großer Defekte. Die Größe der Hautfläche der Lappen als Deckschicht kann ebenfalls variabel gestaltet werden, sodass kein weiterer Entnahmedefekt entsteht. Die Reichweite dieser Lappen ist durch den Gefäßstiel limitiert, weshalb diese Lappen häufig in Variation oder in Kombination mit freien Lappen eingesetzt werden. Beispielsweise kann durch zusätzliche Entnahme der Rektusscheide die Reichweite des M. pectoralis major verbessert und als zusätzliche Aufhängung des Lappens oder als Dura-Plastik verwendet werden. Aufgrund der limitierten Rotation und des Stiels ist die Modellierbarkeit dieser Lappen an den dreidimensionalen Volumendefekt eingeschränkt. 8.3.3.2
Supraklavikulärer Insellappen
Zunehmend findet auch der supraklavikuläre Insellappen in der Rekonstruktion der Laterobasis Verwendung. Die gestielte Gefäßversorgung erfolgt durch die A. supraclavicularis, die in der Regel aus der A. transversa colli entspringt. Der fasziokutane supraklavikuläre Insellappen bietet zwar wenig Volumen, er eignet sich jedoch insbesondere für die Rekonstruktion von aus-
8
Kapitel 8 • Laterobasis
192
gedehnten Hautdefekten und stellt damit eine gestielte Alternative zum freien Radialis-Lappen dar. In der Literatur sind Größen des supraklavikulären Insellappens von bis zu 12 cm Breite und 30 cm Länge beschrieben. Damit kann die gesamte Region des Ohrs und der Laterobasis erreicht werden. Von Vorteil ist, dass die Hautkolorierung der Kopf-Hals-Region beibehalten wird (Kokot et al. 2013). 8.3.4
8
Freie mikrovaskuläre Lappen
Wenn ein Einsatz lokaler oder regionaler Lappen aufgrund lokaler Gewebeschädigung, unzureichendem Volumen oder limitierter Reichweite nicht sinnvoll ist, werden freie mikrovaskuläre Lappen verwendet. Als freie Lappen werden an der Schädelbasis eingesetzt: klassischerweise der freie transverse Rectus-abdominis-musculocutaneus-Lappen (TRAM-Lappen), zunehmend der anterolaterale Oberschenkellappen (ALT-Lappen) und der freie M.-latissimus-dorsi-Lappen.
-
Die Blutversorgung erfolgt bei dem TRAM-Lappen durch A. epigastrica inferior. Er kann als myokutaner Lappen – sowohl mit als auch ohne Hautdecke – als reiner Muskellappen präpariert werden. Als „PerforatorLappen“ wird der ALT-Lappen durch Perforatoren aus dem absteigenden Ast der A. circumflexa femoris lateralis perfundiert. Der ALT-Lappen und der LatissimusLappen können in Variationen als fasziokutane oder muskulokutane Lappen eingesetzt werden. Auch der freie A.-radialis-Unterarmlappen kann als fasziokutaner Lappen zur Defektdeckung an der lateralen Schädelbasis eingesetzt werden (7 Abschn. 8.9, Fall 1). Im Gegensatz zu gestielten Lappen können die freien Lappen dem Defekt entsprechend optimal modelliert werden, und dadurch lässt sich ein ästhetisch sowie funktionell hervorragendes Ergebnis erzielen. Die Muskelkomponente kann den dreidimensionalen Volumendefekt verschließen und an Unregelmäßigkeiten der Wundränder und Defekttaschen angepasst werden. Durch die Hautdecke der Lappen entsteht kein weiterer Entnahmedefekt. Jedoch benötigt die freie mikrovaskuläre Lappentransplantation eine Expertise in der Anastomosierung der Gefäße. Im Gegensatz zu gestielten Lappen ist die Operationszeit deutlich verlängert. Zudem besteht das Risiko der Anastomoseninsuffizienz und Lappennekrose. >>Im Vorfeld ist zu klären, dass in der Empfängerregion
adäquate arterielle und venöse Gefäße zur Anastomosierung bereitstehen. Dies kann nach ausgedehnten Operationen oder vorbestrahlter Empfängerregion ein Problem darstellen. Weiterhin ist zu beachten, dass das transplantierte Muskelgewebe atrophiert, während
sich das Volumen des subkutanen Gewebes in der Regel nicht signifikant ändert.
8.4 Stützgewebe
Im Bereich der Laterobasis ist es zwar in den meisten Fällen ausreichend, den Defekt mit Weichteilgewebe zur rekonstruieren, jedoch ist in speziellen Fällen die Wiederherstellung des Stützgewebes unabdingbar. Die Rekonstruktion von Stützgewebe kann zur Wiederherstellung von Knochenkontur und Schädelform zur Vermeidung von Deformationen notwendig sein. Bei großen Defekten kann das Stützgewebe zur weiteren Stabilisierung des rekonstruierten Weichteilgewebes, das zur Atrophie und Formveränderung neigt, erforderlich sein. Bei Defekten, die über die lateralen Mastoid-Grenzen hinausgehen, wie beispielsweise bei größeren Tumorresektion unter Beteiligung des Mastoids und der knöchernen Temporalis-Schuppe, wird zur Dura-Protektion der mittleren Schädelgrube zusätzlich Stützgewebe benötigt. 8.4.1
Autologes Stützgewebe
Als autologes Stützgewebe kann knocheneigenes Material in Betracht gezogen werden. 8.4.1.1
Gespaltene Knochentransplantate (split bone grafts)
Avaskulärer Knochen der Schädelkalotte kann als split bone graft, bei dem entweder nur die äußere Schicht (Tabula externa) oder die innere Schicht (Tabula interna) der Kalotte transplantiert wird, eingesetzt werden. Bei Verwendung der Tabula interna kann die Tabula externa in der Spenderregion re-implantiert werden. 8.4.1.2
Knochentransplantate in voller Dicke (full-thickness grafts)
Auch full-thickness grafts unter Verwendung der gesamten Kalotte können entnommen werden. Die Kalotte kann dann in zwei Transplantate gespalten werden. Als Spenderregion eignet sich insbesondere die Parietalregion, da dort die Schädelkalotte am dicksten ist und Transplantate von bis zu 8 × 10 cm gehoben werden können. Jedoch ist der Schädelknochen nur eingeschränkt modellierbar, sodass die Form und damit die Spenderregion im Vorfeld sorgfältig ausgewählt werden muss. Weiterhin ist zu beachten, dass zum einen die Dicke der Schädelkalotte variieren und die Dura an der Tabula interna fest anhaften kann (Elsalanty und Genecov 2009). >>Bei der Präparation der full-thickness grafts ist Vorsicht
geboten, um eine Dura-Verletzung zu vermeiden. Eine präoperative radiologische Messung der Kallottendicke sollte in diesem Fall durchgeführt werden.
193
8.4 • Stützgewebe
Neben Hebedefekt und -risiko sind Resorption und Infektion weitere Nachteile von avaskulärem Knochentransfer, sodass zunehmend auf inertes alloplastisches Material wie Keramik oder Titan zurückgegriffen wird (7 Abschn. 8.4.2). 8.4.2
Alloplastisches Stützgewebe
Alloplastisches Material in Form von Titan- und Keramikimplantaten wird an der Laterobasis zur Rekonstruktion konturbildender Defekte angewandt. Die Implantate können für die notwendige Individualisierung entweder intraoperativ zugeschnitten und modelliert oder bereits präoperativ vorgefertigt werden. 8.4.2.1
Titan- und Keramikimplantate
Titan-Meshes haben den Vorteil, dass sie sich in hervorragender Weise intraoperativ durch den Chirurgen an die jeweilige Defektsituation anpassen lassen. Wegen der ungünstigen manuellen Modellierbarkeit von Keramik wird dieses Material bevorzugt für präfabrizierte Implantate verwendet (Boghani et al. 2013). Durch modernste Techniken wie Computer-aided Design und Computer-aided Manufacturing (CAD/CAM) wird ausgehend von einem CT-Datensatz das Implantat korrespondierend zu dem Defekt geplant (CAD) und entsprechend der Planung gefertigt (CAM). Damit kann die Kontur exakt wiederhergestellt und ein kosmetisch hervorragendes Ergebnis erzielt werden. In den Randbereichen des CAD/CAM-Implantats lassen die Hersteller solche Implantate dünner bzw. schmaler auslaufen. Dies hat zum einen den Vorteil, dass sich die CAD/CAMKeramikimplantate für die Feineinpassung im Kantenbereich besser bearbeiten lassen und dass zum anderen die Implantate auf den Knochenrand im Defektbereich zur Vermeidung zusätzlicher Osteosyntheseplatten aufgesetzt und verschraubt werden können. Auch TitanmeshImplantate lassen sich nach dem CAD/CAM-Verfahren fertigen. Für die passgenaue Defektdeckung mit präoperativ angefertigten Implantaten bedarf es der Verwendung der intraoperativen Navigation. Vor allem bei der Verwendung von Titanmesh-Implanaten ist die Navigation ein wichtiges intraoperatives Messinstrument. Diese dient zur Sicherstellung und Realisierung der zuvor berechneten Implantatlage und erlaubt eine sichere Symmetrisierung der äußeren Konturen. Gerade bei Defekten an der Laterobasis ist dies sinnvoll, zumal aufgrund der Sterilisation des Operationsgebiets und der Kopflagerung – trotz moderner steriler Klarsichtfolien – nicht der gesamte Kopf für den Operateur sichtbar ist. Als Nachteil hat sich bei Verwendung von Titanimplantaten die unphysiologische Temperaturleitfähigkeit erwiesen. Dies kann insbesondere bei Patienten, die vorwiegend in Ländern außerhalb der gemäßigten Klima-
zonen leben, zu unangenehmen Missempfindungen und Schmerzen führen. Keramik bietet eine hohe Materialhärte und einen guten Schutz gegen Kopftraumata mit dem Nachteil, dass das Material schneller „springen“ kann, da die einwirkende Kraft im Fall eines Traumas durch die fehlende Elastizität der Keramik die Stoßenergie nur auf diese Weise abgeben kann. >>Das Stützgewebe muss immer mit gut vaskularisier-
tem Weichteilgewebe abgedeckt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich das Titan-Mesh durch die Weichteile „hindurcharbeitet“ und somit ein „Dochteffekt“ für eine bakterielle Superinfektion entsteht. Gerade bei vorbestrahlter oder voroperierter bradythropher Haut und Weichteilen ist eine solche Gefahr gegeben.
Insbesondre scharfe Implantatkanten stellen Prädilektionsstellen für einen Defekt dar. In diesen Fällen muss über eine Deckung mit lokoregionalen oder alternativ frei mikrovaskularisierten Lappen nachgedacht werden. 8.4.2.2
Knochenwachs, Knochenzement und Hydroxylapatit
Frei modellierbare alloplastische Materialien wie Knochenwachs, Knochenzement und Hydroxylapatit werden zur Obliteration von Fissuren, Mastoidzellen und kleinen Knochendefekten verwendet (Zanetti und Nassif 2003). Weiterhin kann mit diesen Materialien in Kombination beispielsweise mit Titan-Mesh eine Oberflächenversiegelung erfolgen (Bambakidis et al. 2010). Die Obliteration großer Defekte mit Knochenzement und Hydroxylapatit wurde aufgrund hoher Infektionsraten mit nachfolgender Osteomyelitis und Notwendigkeit der Explantation verlassen (Marzo et al. 2011). 8.4.2.3
Bioaktives Glas
Seit einigen Jahren werden auch biologisch abbaubare Materialien, z. B. bioaktives Glas, angeboten. Dabei handelt es sich um kleinste Glaskristalle, die zum einen bakteriostatische Eigenschaften zur Vermeidung von Infektion besitzen und zum anderen im Verlauf resorbiert und aufgrund von Osteostimulation durch knochenähnliche Substanzen ersetzt werden sollen. Dieser Umbauprozess kann jedoch bis zu 2 Jahre dauern. Für diese Zeit muss zur Überbrückung der Stabilität im Bereich der Laterobasis zusätzlich anderes Stützgewebe verbaut werden, welches dann in einem zweiten Schritt nach ausreichender Osteoneogenese wieder entfernt werden kann. 8.4.2.4
Zukünftige Entwicklungen
Moderne 3D-Druckverfahren sollen die Vor- und Nachteile aller Materialen vereinen. Durch Einsatz spezieller pulverisierter Kunststoffe soll es möglich werden, Im-
8
194
8
Kapitel 8 • Laterobasis
plantate mit der Festigkeit von Metallen, mit der Modellierbarkeit von Kunststoffen sowie fehlender Metallartefakte in der nachfolgenden Bildgebung herzustellen. Der Begriff „Rapid-Prototyping“ meint dabei die Herstellung von Implantaten in weniger als 24 Stunden. Eine intraoperative Herstellung innerhalb weniger Minuten nach einer intraoperativen Bildgebung und Planung bleibt noch Zukunftsmusik. Ungeklärt ist bisher auch die Problematik der Sterilität und die Frage der MPGZertifizierung. Mithilfe des Rapid-Prototyping lassen sich neuerdings auch Matrizen für bioaktive Implantate herstellen. Die Matrix dient dabei als Führungsschicht zur Besiedlung und zum Überwachsen körpereigener Stütz- (Knochen oder Knorpel) oder Weichteilzellen (Muskel oder Haut). Wenn die Biomatrix auf Zuckermolekülbasis aufgebaut wird, kann sie sogar vom Empfängerorganismus schrittweise degradiert und resorbiert werden, sodass das ursprüngliche allogene Implantat sich quasi zu einem isogenen Transplantat wandelt. Der Empfängerorganismus dient dabei als Bioreaktor und vermeidet somit aufwändige und komplizierte Zellkulturverfahren eines Reinraumlabors ohne Gefahr von ungewollten Kontaminationen. 8.5
Tuba Eustachii
Bei allen Eingriffen im Bereich des Felsenbeins ist die Funktion der Eustachischen Röhre (syn. Tuba Eustachii, Tuba auditiva) zu beachten. Bei Mittelohrerhalt sollte auch eine sichere Funktion der Tuba Eustachii gewährleistet sein. In ungünstigen Fällen, beispielsweise bei einer temporären Dysfunktion der Tuba auditiva, kann ein Paukenröhrchen Abhilfe schaffen. Versuche mit sog. Gold- oder Silberdrähten oder Silikon-Stents der Tuba auditiva in den 1970er Jahren haben sich nicht bewährt. Eine Tubendilatation bei einer infolge eines vorangegangen operativen Eingriffs im Bereich des Felsenbeins entstandenen Dysfunktion der Tuba auditiva hat sich nach der Erfahrung der Autoren wenig bewährt. Auch in der aktuellen Literatur kann ein Nutzen der Tubendilation nicht nachhaltig belegt werden. Wenn keine ausreichende Belüftung des Mittelohrs gegeben ist, kommt es zu einer allmählichen Luftresorption im Mittelohrbereich mit Bildung von Retraktionstaschen im Trommelfellbereich oder der verwendeten Weichteildeckungen. In ungünstigen Fällen können sich hieraus sekundäre Cholesteatome oder andere chronische Entzündungen bilden. In diesen Fällen kann eine Mittelohrobliteration auch bei Erhalt des Innenohrs vorteilhaft sein. Auch zur Prävention von postoperativer Rhinoliquorrhö kann eine Obliteration des Mittelohrs und der Tube, z. B. nach translabyrinthärem Zugangsweg, erfolgen (Taghi et al. 2015).
>>Die Mittelohrobliteration setzt eine vollständige akri-
bische Entfernung der Mittelohrschleimhaut voraus. Ansonsten könnten sich aus den verbliebenen Mittelohrschleimhautresten Muko- oder Pyozelen im Felsenbeinbereich ergeben.
Wie bereits in 7 Abschn. 8.3.1 beschrieben, erfolgt die Obliteration des Mittelohrs vorzugsweise mit körpereigenem Bauchfett. Im Verlauf von Monaten und Jahren kommt es bei über der Hälfte der Patienten zu einer Atrophie des Fetts und zu einer nachweisbaren Wiedereröffnung der Tube sowie zur Belüftung des Mittelohrs, jedoch ohne dass hieraus Komplikationen resultieren (Wareing und O’Connor 2000). 8.6 Hörrehabilitation
Bei Petrosektomien, Teilpetrosektomien mit Sakrifizierung des Mittelohrs oder der Tuba auditiva sowie weiteren ausgedehnten Eingriffen mit Obliteration des Mittelohrs kann es sowohl zur Zerstörung der Schallleitungsstrukturen als auch des Innenohrs kommen. In diesen Fällen bedarf es einer postoperativen Hörrehabilitation. Bei einer kompletten Destruktion des Mittelohrs ist eine erfolgreiche Rekonstruktion der Gehörknöchelchenkette häufig nicht möglich. Postoperativ veränderte anatomische Gegebenheiten wie z. B. Obliterationen des Gehörgangs oder das Fehlen einer Ohrmuschel erschweren das Tragen von konventionellen Hörgeräten. Bei gleichzeitig erhaltender Innenohrfunktion kann in diesen Fällen der Einsatz von knochenverankerten Hörgeräten oder aktiven Mittelohrimplantaten sinnvoll sein. Diese können neben dem Überbrücken der Schalleitungskomponente je nach Indikationsgrenze des jeweiligen Systems mittelgradige Innenohrschwerhörigkeiten von bis zu 60 dB HL suffizient ausgleichen. Bei der Wahl des Systems sollten neben der tonaudiometrischen Indikationsgrenze auch die Einschränkungen der MRT-Fähigkeit sowie der aus dem Magneten resultierende Artefakt berücksichtigt werden. Sollte eine MRT-Bildgebung dieses Bereichs im Rahmen der Nachsorge notwendig sein, sollte ggf. ein System mit einem transkutanen Knochenanker bevorzugt werden (Nospes et al. 2019). Bei einer höhergradigeren Innenohrschwerhörigkeit/ Ertaubung, welche sich mit anderen Systemen nicht ausreichend ausgleichen lässt, kann die Möglichkeit einer Kochlea-Implantatversorgung (CI) evaluiert werden. Voraussetzungen hierfür sind ein intakter, funktionierender Hörnerv und der weitgehend strukturelle Erhalt der Hörschnecke. Bei benignen Tumoren (z. B. Schwannomen) kann patientenspezifisch zu Gunsten der Hörrehabilitation eine inkomplette Tumoresektion zum Erhalt der anatomischen Innenohrstrukturen ggf. in Kauf genommen werden (Klenzner et al. 2019; Plontke et al.
195
8.8 • N. facialis
2021). Zudem kann es hilfreich sein, bereits im Rahmen der primären destruierenden Operation eine PlatzhalterCI-Elektrode einzusetzen, um eine narbige Obliteration der Kochlea im engen zeitlichen Verlauf zu vermeiden (Beutner et al. 2015). Nach Abheilen des Operationsgebietes erfolgt die CI-Einlage in einem zweiten Eingriff. Die neuesten Generationen der CI-Systeme besitzen aufgrund des sich im Magentfeld selbst ausrichtenden Magneten eine MRT-Zulassung bis zu einer Feldstärke von 3,0 T. Das resultierende Bildartefakt ist allerdings weiterhin zu beachten (Nospes et al. 2019). Durch Einsatz der modernen knochenverankerten Hörgeräte und aktiven Mittelohrimplantate können heute teilweise bessere Hörergebnisse erzielt werden als mit passiven Implantaten zur Gehörknöchelchenrekonstruktion. Bei Destruktion des Innenohrs sollte die Möglichkeit einer Kochlea-Implantatversorgung (CI) evaluiert werden. Dabei kann es hilfreich sein, bereits im Rahmen der primären destruierenden Operation eine Platzhalter-CI-Elektrode einzusetzen. Nach Abheilen des Operationsgebietes erfolgt die CI-Einlage in einem zweiten Eingriff (Marzo et al. 2011). 8.7 Ohrmuschel
Die Rekonstruktion der Ohrmuschel nach ausgedehnten Eingriffen an der Laterobasis ist eine Herausforderung (7 Kap. 7). Die Eingriffe führen sowohl zu einem Verlust von Weichteil- und Stützgewebe als auch zur postoperativen Vernarbung. Weiterhin ist nach tumorchirurgischen Resektionen eine Radiotherapie des Gewebes notwendig. Zwar besteht die Möglichkeit einer plastischen Rekonstruktion der Ohrmuschel in mehreren operativen Schritten, jedoch ist dies häufig aufgrund von Multimorbidität, Allgemeinzustand oder Tumorerkrankung und Prognose nicht indiziert. Stattdessen sollte eine Epithesenversorgung in Betracht gezogen werden (7 Kap. 23). Die Epithesen bestehen in der Regel aus Silikon und werden durch Kleber, Magneten oder Titanschrauben an der Laterobasis befestigt. Durch Anpassen an den Hautton und die kontralaterale Ohrform kann ein gutes kosmetisches Ergebnis erzielt werden. Vorteilhaft ist außerdem, dass die Epithesen für klinische und radiologische Nachsorgeuntersuchungen entfernt werden können. 8.8 N. facialis
Im Bereich der Laterobasis kann es sowohl durch Traumata, Entzündungen und Tumorinfiltration als auch iatrogen im Rahmen von Operationen zur Einschränkung der Funktion bis hin zur Parese des N. facialis kommen. Die Facialis-Parese ist für den Patienten eine dramatische Diagnose und hat erhebliche psychische, soziale und funktionelle Folgen. Bei der Planung der Rekonstruktion
müssen sowohl Ursache, Dauer und Schweregrad des Funktionsverlusts als auch die Gesamtsituation des Patienten mit Allgemeinzustand und Prognose der Grunderkrankung berücksichtig werden. Es stehen statische und dynamische Methoden zur Verfügung (7 Kap. 22): 8.8.1
Dynamische Verfahren
Ziel der dynamischen Reanimation ist die Wiederherstellung der Motorfunktion. Die Neurorraphie mit primärer End-zu-End-Anastomose des Nervs sollte unmittelbar nach der Nervenverletzung oder spätestens nach 3 Tagen erfolgen. Essenziell ist eine spannungsfreie Adaptation der Nervenenden, um eine optimale Perfusion und Nervenregeneration zur gewährleisten, sodass eine Interposition von Nerventransplantaten, beispielsweise aus dem N. auricularis magnus oder N. suralis, notwendig sein kann. Die Regenerationsphase nach Neurorraphie kann Monate bis Jahre betragen. Insbesondere bei Schädigungen im intratemporalen, proximalen Verlauf ist eine direkte Anastomosierung jedoch häufig nicht möglich. In diesen Fällen kommt eine Nerventransposition entweder von peripheren Facialis-Ästen der Gegenseite als cross-facial nerve graft oder des ipsilateralen N. hypoglossus oder MasseterAstes des N. trigeminus in Betracht. Die Transposition erfordert das aktive Erlernen der Motorfunktion. Für die Nerventransposition sind in der Literatur Erfolgsraten von über 90 % beschrieben (Harris und Tollefson 2015). Eine weitere Möglichkeit zur dynamischen Rehabilitation ist die Muskeltransposition. Hierzu können der M. temporalis, die Temporalis-Sehne oder der M. masseter rotiert und an die Facialis-Muskulatur angesetzt werden. Auch in diesen Fällen muss die Mimik aktiv wiedererlernt werden. In Einzelfällen kann auch die Anwendung freier Lappen, z. B. M.-latissimus-dorsi- oder M.-gracilis-Transplantate, in Kombination mit Nerventransposition notwendig sein. 8.8.2
Statische Verfahren
Wenn die dynamische Reanimation im individuellen Fall nicht indiziert ist, können kosmetische und funktionelle Defizite durch statische Verfahren ausgeglichen werden. Hierzu gehören die Zügelplastik des Mundwinkels durch Fascia lata oder synthetische Materialien. Weiterhin kann durch Tarsorraphie, laterale Kanthopexie und Gold- oder Platin-Oberlidimplantate ein Lidschluss wiedererreicht werden (Gordin et al. 2015; 7 Abschn. 8.9, Fall 2).
8
196
Kapitel 8 • Laterobasis
..Abb. 8.1 Computertomographie präoperativ
8 ..Abb. 8.2 Versuch der Rekonstruktion mittels M.-trapeziusLappen
..Abb. 8.3 Erfolgreiche Rekonstruktion mittels freiem RadialisTransplantat
197
8.9 • Fallbeispiele
8.9 Fallbeispiele zz Fall 1: 74-jähriger Patient mit ausgedehntem Rezidiv eines Plattenepithelkarzinoms des Felsenbeins, des Ohrs und der Parotis links nach primärer Radiochemotherapie
Im CT (. Abb. 8.1) mit i. v.-KM zeigt sich im Weichteilfenster linksseitig der ausgedehnte Tumor mit Infiltration Meatus acusticus externus und Erreichen der Schädelbasis. Weiterhin ist die linke A. carotis interna partiell von Tumorgewebe umgeben und infiltriert. Der Tumor erreicht die linke Vertebralarterie an der Atlasschleife und das Foramen jugulare. Die Schädelbasis ist arrodiert. Nach initialer Tumorresektion und adjuvanter Radiochemotherapie entwickelte sich ein ausgedehnter Defekt, sodass zunächst eine Rekonstruktion mittels gestieltem M.-trapezius-Lappen durchgeführt wurde (. Abb. 8.2). Postoperativ kam es zu einer Lappennekrose und Dehiszenz des M.-trapezius-Lappens. Durch einen freien Radialis-Lappen konnte der Defekt erfolgreich rekonstruiert werden (. Abb. 8.3). Postoperativ zeigte sich eine gute Wundheilung und Defektverschluss.
..Abb. 8.4 Präoperativer Befund: Facialis-Parese (House-Brackmann VI) mit sichtbarem Ektropium und Bell-Phänomen
zz Fall 2: 52-jährige Patientin mit M. Wegener (Granulomatose mit Polyangiitis) des Felsenbeins mit Beteiligung von Dura und Temporallappen sowie kompletter Parese der Nn. VII, IX, X und XII rechts
Der präoperative Befund zeigt eine komplette FacialisParese (House-Brackmann VI) mit sichtbarem Ektropium und Bell-Phänomen (. Abb. 8.4). Es wurde eine statische Rekonstruktion mittels Zügelplastik des Mundwinkels mit Fascia lata sowie eine Kanthorrhaphie mit Lidkantenexzision und Goldimplantation rechts durchgeführt. Postoperativ zeigen sich ein gutes ästhetisches Ergebnis und Symmetrie. Die Patientin kann das Auge vollständig schließen (. Abb. 8.5).
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Zusammenfassung Nach entstandenen Defekten im Bereich der Laterobasis ist eine plastische Rekonstruktion notwendig. Hierbei ist insbesondere auf einen liquordichten Verschluss des intrakraniellen Raumes zu achten, um Komplikationen wie Infektionen oder Liquorfisteln zu vermeiden. Im Rahmen der Rekonstruktion können autologe und alloplastische Materialien für Dura-Plastiken, Weichteildeckung und Stützgewebe zum Einsatz kommen. Kosmetische und funktionelle Aspekte sollten im Rahmen der Rekonstruktion Beachtung finden.
..Abb. 8.5 Postoperatives Ergebnis
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Kapitel 8 • Laterobasis
Literatur
8
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199
Faziale Hautdefekte Katinka Kansy, Jürgen Hoffmann
Inhaltsverzeichnis 9.1
Einleitung – 200
9.2
Gewebepräparation – 200
9.3
Techniken des Wundverschlusses – 200
9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5 9.3.6 9.3.7
Lokaler Wundverschluss – 202 Lokale Verschiebelappenplastiken – 202 Axial gestielte Lappen – 205 Spalt- und Vollhauttransplantate – 205 Gewebeexpander – 205 Mikrochirurgische Transplantate – 205 Wundnaht – 206
9.4
Narbenpflege – 206
9.5
Korrekturmöglichkeiten im Langzeitverlauf – 207
9.6
Besondere Herausforderungen – 207
9.7
Fallbeispiele – 209 Literatur – 215
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_9
9
200
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
9.1 Einleitung
Während der Operateur im Bereich des übrigen Körpers beim Verschluss von Hautdefekten in erster Linie einen stabilen, zuverlässigen und belastbaren Verschluss des Defekts erzielen möchte, treten im Gesicht neben den allgemeinen Prinzipien ästhetische Aspekte in den Vor‑ dergrund. >>Für das Erzielen möglichst unauffälliger Narben ist ein
spannungsfreier Wundverschluss unabdingbar.
--
Spannungen im Bereich der Wundränder führen im Langzeitverlauf zwangsläufig zu einer Verbreiterung der Narbe, einem erhöhten Risiko von Wunddehiszenzen und Wundheilungsstörungen und einem unbefriedigenden ästhetischen Ergebnis.
9
Ein spannungsfreier Wundverschluss gelingt durch die Platzierung von Narben parallel zu den Hautspannungslinien (. Abb. 9.1). Diese durch den Anatomen Karl Langer 1861 erstmals beschriebenen Linien sind durch den konstanten Verlauf von elastischen und kollagenen Fasern und das dadurch resultierende typische Falten‑ muster charakterisiert (Borges und Alexander 1962). Während diese Linien im jugendlichen Gesicht noch kaum zu erkennen sind, treten sie im gealterten Gesicht deutlich hervor (. Abb. 9.2). Ein weiterer wesentlicher Aspekt für den ästhetisch ansprechenden Verschluss von fazialen Hautdefekten ist die Berücksichtigung der ästhetischen Einheiten bei der Planung der Schnittführung (. Abb. 9.3). >>Ästhetische Einheiten sollten bei der Schnittführung
nicht überschritten werden.
9.2 Gewebepräparation
Der schonende Umgang mit dem Gewebe trägt wesent‑ lich zum Gelingen der Operation bei.
..Abb. 9.1 Hautspannungslinien des Gesichts. (Aus Vogt 2011)
Während die chirurgische Schnittführung auf der lo‑ cker fallenden Haut vor Injektion eines Lokalanästheti‑ kums eingezeichnet wird, ist die tatsächliche Durchtren‑ nung der Haut bei gespannter Oberfläche mit vertikal zur Oberfläche zeigender Klinge durchzuführen. Während die Durchtrennung der Haut in der Regel mittels Skalpell erfolgt, kann in Bereichen sehr dünner Haut (Augenlider, Lippe) eine Inzision mittels Schere zu präziseren Ergeb‑ nissen führen. Für die Präparation der Haut als lokaler Verschie‑ beschicht besteht neben der Dissektion mittels Skalpell und Präparierschere bei der Präparation im Bereich der Stirn und des Skalps auch die Möglichkeit der manuellen Präparation oder der Präparation mittels (Stiel‑)Tupfer.
>>Sowohl bei der Präparation als auch beim Wundver‑
schluss sollte die Haut möglichst wenig traumatisiert werden.
Auf das Greifen der äußeren Haut mit der Pinzette, welches zu Quetschtraumata führt, muss weitestgehend verzichtet werden. Während der Operation sollte das Gewebe so kurz und so wenig traumatisch wie möglich retrahiert werden, um Ischämien und mechanische Belastungen gering zu halten. Neben dem schonenden Umgang des Chirurgen sind hierbei scharfe Instrumente, insbesondere scharfe Skalpellklingen, notwendig, um unnötige Gewebetraumatisierungen zu vermeiden.
9.3
Techniken des Wundverschlusses
Für den Verschluss fazialer Hautdefekte steht eine Viel‑ zahl unterschiedlicher Techniken zur Verfügung: Lokale und systemische Einflussfaktoren für den Verschluss fazialer Hautdefekte
-
Lokal: – Defektgröße, Defektlokalisation
201
9.3 • Techniken des Wundverschlusses
-
– Voroperationen – Radiatio – Z. n. Trauma – singulär/multipel – Rezidivrisiko Systemisch: – Vorerkrankungen – Diabetes mellitus
-
– Nikotinabusus – Atherosklerose – Hypertonie – Antikoagulation – Immunsuppression – Chemotherapie Patientenalter
..Abb. 9.2 Faltenverlauf ent‑ sprechend den Hautspannungs‑ linien. Junges Gesicht. und Gesicht einer älteren Frau. (© dundanim / stock.adobe.com)
..Abb. 9.3 Ästhetische Einheiten des Gesichts
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9
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
202
..Tab. 9.1 Vor- und Nachteile unterschiedlicher Techniken zum Verschluss fazialer Hautdefekte Eignung
9
Methode Lokaler Wundverschluss
Lokale Verschiebelappen
Axial gestielte Lappen
Spalt- und Vollhauttransplantate
Mikrochirurgische Transplantate
Kleiner Defekt
+
(+)
(+)
−
−
Mittelgroßer Defekt
+/−
+
+
+
+/−
Großer Defekt
−
+/−
+
+/−
++
Textur
++
++
+/−
−
−
Narbenverlauf
+/−
+
+/−
+
−
Operativer Auf‑ wand
Gering
Mittel
Mittel
Gering
Hoch
Variabilität
Gering
Hoch
Eingeschränkt
Hoch
Sehr hoch
Zeitpunkt der Operation
Primär (sekundär)
Primär/sekundär
Primär/sekundär
Sekundär (aus‑ reichend Granu‑ lationsgewebe am Wundgrund)
Primär/sekundär
Ästhetik
+
+
+/−
+/− (Vollhaut) − (Spalthaut)
+/−
Besonders ge‑ eignet für
Multiple kleine Defekte, hohes Rezidivrisiko
Mittelgroße De‑ fekte, mehrzeitiges Vorgehen
Große Defekte, schwierige Gefäß‑ situation
Eingeschränkter Allgemeinzustand, mittelgroße Defekte
Große bis sehr große Defekte mit knöcherner und weichteiliger Mit‑ beteiligung
Nachteile
Für große Defekte nicht geeignet
Erweiterung der Narbe erforderlich
Meist mehrere Eingriffe erforder‑ lich (ästhetische Korrektur/Rück‑ verlagerung des Lappenstiels), Entnahmestelle
Entnahmestelle
Hoher operativer Aufwand, Textur‑ unterschied, Ent‑ nahmestelle
++ sehr gut, + gut, +/− mäßig, − nicht geeignet
Dabei spielen lokale und systemische Faktoren eine we‑ sentliche Rolle bei der Auswahl der verwendeten Ope‑ rationsmethode. Eine Übersicht über die verschiedenen Einflussfaktoren zeigt . Tab. 9.1 (Converse und Bauer 1964; Daniel und Kerrigan 1990). 9.3.1
Lokaler Wundverschluss
Für kleinere Defekte bis zu einer Größe von ca. 5 mm, bei älteren Menschen auch bis zu einer Größe von 10 mm, genügt in der Regel die spindelförmige Exzision mit Spindelachse parallel zu den Hautspannungslinien, die unterminierende Präparation und Mobilisierung des umgebenden Gewebes und der anschließende primäre Wundverschluss (. Abb. 9.4).
-
9.3.2
Lokale Verschiebelappenplastiken
Für größere und anatomisch anspruchsvoll gelegene Defekte ist eine große Variation unterschiedlicher lo‑ kaler Verschiebelappenplastiken von unterschiedlichen Autoren beschrieben worden (Fisher 1992; Jackson 1985; Jankauskas et al. 1991; McGregor et al. 2009; Lamberty und Healy 1994). Ihnen allen ist die Zielset‑ zung gemeinsam, den Narbenverlauf in ästhetisch unauffälligere Re‑ gionen zu legen, ausreichend Weichgewebe aus der Umgebung zu mo‑ bilisieren, um einen spannungsfreien Wundverschluss zu ermöglichen und ästhetische Einheiten zu respektieren oder wieder‑ herzustellen.
-
203
9.3 • Techniken des Wundverschlusses
..Abb. 9.4 Primärverschluss einer Wunde. (Aus Vogt 2011)
..Abb. 9.5 Z-Plastik. (Mod. nach McGregor 1987)
a
b
c
d
e
f
..Abb. 9.6 a–f V-Y-Plastik. (Aus Weyand 2011)
>>Ein Vorteil der lokalen Verschiebelappenplastiken be‑
steht in der Tatsache, dass die zum Wundverschluss ver‑ wendete Haut in ihrer Textur, Dicke und Pigmentierung der Haut des Defekts weitestgehend entspricht und so‑ mit die ästhetisch unauffälligste Art der Defektdeckung darstellt.
Im Folgenden werden die wichtigsten und gebräuchlichs‑ ten Techniken erläutert. 9.3.2.1 Z-Plastik
Durch eine Z-förmige Schnittführung mit Austausch zweier Gewebedreiecke kann der Hauptnarbenverlauf um 90° geändert werden. Primär orthogonal zu den Hautspannungslinien verlaufende Narben können so in parallel verlaufende Narben umgewandelt werden (. Abb. 9.5). 9.3.2.2 V-Y-Plastik
Durch eine V-förmige Schnittführung, die im Anschluss zu einer Y-Naht vernäht wird, kann zusätzliche Länge in Richtung der Längsachse gewonnen werden. Umge‑ kehrt kann durch eine Y-förmige Schnittführung mit an‑ schließender Naht zu einem V eine Streckenverkürzung herbeigeführt werden. Beide Techniken eigenen sich zur Harmonisierung bei Gewebeüber- und Unterschüssen (. Abb. 9.6). 9.3.2.3 Vorschublappen
Vorschublappen basieren auf der Präparation eines di‑ rekt an den Defekt angrenzenden Verschiebelappens, der durch „Vorschub“ in den Defekt mobilisiert wird. An der Lappenbasis durch den Vorschub auftretende Gewebe‑
..Abb. 9.7 Vorschublappenplastik. (Mod. nach Hausamen et al. 2012)
überschüsse, sog. Burow-Dreiecke, müssen in der Folge exzidiert werden. Bei dreieckigen Defekten kann durch die Präparation eines mobilen Hautanteils mit anschließender Entfernung des entstehenden gegenüberliegenden Burow-Dreiecks ein primärer Wundverschluss erzielt werden (. Abb. 9.7). Ein ähnliches Vorgehen ist bei rechteckigen Defekten möglich, hierbei wird der Vorschublappen als gestielter Lappen mit abschließender beidseitiger Resektion der Burow-Dreiecke präpariert (. Abb. 9.8a). Bei größe‑ ren Defekten, insbesondere im Bereich der Stirn, kann ein beidseitiger Vorschublappen durchgeführt werden (. Abb. 9.8b).
9
204
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
..Abb. 9.8 a, b Ein- und beidseitige Vorschublappen‑ plastik. (Aus Vogt 2011, S. 99)
a
b
..Abb. 9.9 Transpositionslappen‑ plastik. a Vorgehen bei runden Defekten, b Rhomboidlappen nach Limberg. (Aus Vogt 2011, S. 99)
a
9
b
..Abb. 9.10 a–c Bilobed flap. (Aus Vogt 2011, S. 117)
a
9.3.2.4 Transpositionslappen
Im Gegensatz zum Vorschublappen wird beim Transposi‑ tionslappen der entstehende Defekt durch die Verlagerung von Gewebe in den Defekt verschlossen. Das Hebeareal des Transpositionslappens kann dann durch die gewählte Technik und die Schnittführung primär adaptiert werden. Die Durchführung einer Gewebeverlagerung bei rhombenförmigen Defekten wurde durch Limberg be‑ schrieben (Limberg 1946; . Abb. 9.9 und 7 Abschn. 9.7, Fall 4), ein analoges Vorgehen ist auch für den Verschluss von runden Defekten möglich, beispielsweise im Bereich der Nasolabialfalte. Einen Sonderfall des Transpositionslappens stellt der sog. bilobed flap dar, bei dem zwei Transpositionslappen
b
c
gehoben werden, wobei der erste den primären Defekt und der zweite den Hebedefekt des ersten Lappens verschließt und der Hebedefekt des zweiten Lappens schließlich primär verschlossen wird (. Abb. 9.10 und 7 Abschn. 9.7, Fall 2). Durch die Dopplung der Technik wird der Verschluss größerer Defekte möglich. 9.3.2.5 Gleitlappen
Eine weitere Variante lokaler Verschiebelappen stellen die sog. Gleitlappen dar. Durch subkutan gestielte Präpara‑ tion mit Mobilisierung in Richtung der geplanten Verlage‑ rung in der Subkutis bei gleichzeitiger vollständiger Um‑ schneidung des zu verlagernden Hautareals sind weitere Variationen der Defektdeckung möglich (. Abb. 9.11).
205
9.3 • Techniken des Wundverschlusses
a
..Abb. 9.12 Axial gestielter Lappen. (Mod. nach Schiestl et al. 2017)
b
c
..Abb. 9.11 a–c Gleitlappen. (Mod. nach Hausamen et al. 2012)
9.3.3
Axial gestielte Lappen
Axial gestielte Lappen (. Abb. 9.12 und 7 Abschn. 9.7, Fall 5) basieren auf einem definierten Gefäß für den ver‑ wendeten Lappen. Der Lappen wird entlang des Gefäßes gehoben und bleibt am versorgenden Gefäß gestielt. Im Anschluss kann der Lappen in den Defekt eingebracht werden. Bis zu seiner Einheilung und der Einsprossung von Gefäßen aus dem ortsständigen Gewebe bleibt der Lappen gestielt. Nach 6–12 Wochen kann der Lappen‑ stiel an seine ursprüngliche Stelle zurückverlagert werden, wenn ausreichend Gefäße aus der Umgebung in den Lap‑ pen eingewandert sind. Probeweise kann der Lappenstiel abgeklemmt und die Durchblutung des Lappens beobach‑ tet werden. Häufig verwendete axial gestielte Lappen im Gesichtsbereich sind der an der A. trochlearis gestielte Stirnlappen zur Versorgung von Defekten im Bereich der Nasenspitze sowie der Pektoral- (A. thoracoacromialis) und der Latissimus-Lappen (A. thoracodorsalis) für De‑ fekte im Bereich des Halses und des Unterkiefers. 9.3.4
Spalt- und Vollhauttransplantate
Neben der Möglichkeit des lokalen Gewebeverschlusses besteht auch die Möglichkeit der Defektdeckung mittels Spalt- und Vollhauttransplantaten. Während Spalthauttrans‑ plantate ästhetisch unbefriedigende Ergebnisse liefern und
somit Ausnahmeindikationen vorbehalten sein sollten, kann für ausgewählte Indikationen ein Vollhauttransplantat eine valide Alternative zu Verschiebelappentechniken darstellen. Um eine möglichst ähnliche Hautqualität zu erhal‑ ten, sollte die Entnahme des Vollhauttransplantats nach Möglichkeit lokoregionär erfolgen, bewährt hat sich die Entnahme von retroaurikulär, alternativ auch von prä‑ aurikulär mit unauffälliger Narbengestaltung.
-
Wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Einheilung Gründliche Blutstillung im Bereich des zu versor‑ genden Defekts Vollständige Entfernung der Subkutis des Voll‑ hauttransplantats vor Transplantation Anbringen eines Überknüpfverbandes für 5 Tage, um – die transplantierte Vollhaut dauerhaft und stabil auf den Wunddefekt zu drücken, – eine Hämatombildung zwischen Defekt und Voll‑ hauttransplantat zu verhindern, – ein stabiles Anwachsen zu ermöglichen.
9.3.5 Gewebeexpander
Für die Deckung von Defekten der behaarten Kopfhaut hat sich neben den bisher genannten Techniken auch die Dehnung der Haut mit Gewebeexpandern mit an‑ schließendem Defektverschluss bewährt (De Filippo und Atala 2002; Neumann 1957). Für die Deckung umschrie‑ bener fazialer Hautdefekte spielen Gewebeexpander eine untergeordnete Rolle. 9.3.6
Mikrochirurgische Transplantate
Überschreiten faziale Hautdefekte die durch lokale Lap‑ penplastiken abdeckbaren Grenzen, so bietet die mikro‑
9
206
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
chirurgische Technik ein weites Spektrum operativer Al‑ ternativen. Defekte dieser Größe umfassen in der Regel jedoch auch in der Tiefe weitere Strukturen im Sinne von Muskulatur und Knochen und sollen daher in den jewei‑ ligen Unterkapiteln anhand der jeweiligen Indikation gesondert betrachtet werden. Hinsichtlich Textur und Pigmentierung sind mikrochirurgische Transplantate der ortsständigen Haut unterlegen und sollten daher nur bei entsprechender Indikation eingesetzt werden. 9.3.7 Wundnaht
9
Neben einer schonenden Präparation, der adäquaten Pla‑ nung und Durchführung von Gewebemobilisierungen im Sinne einer lokalen Verschiebelappenplastik oder weit‑ reichenderen Techniken (gestielte und mikrochirurgische Lappen) kommt dem korrekt durchgeführten Wundver‑ schluss bei der Versorgung von fazialen Hautdefekten eine entscheidende Rolle zu. >>Es ist zunächst auf einen spannungsfreien Wundver‑
schluss zu achten. Die Adaptation der Gewebeschichten und Aufnahme der postoperativ einwirkenden Kräfte sollte über die subkutan gelegenen Nähte erfolgen, wo‑ bei durch symmetrisch platzierte Nähte eine Verziehung der Gewebeschichten zu vermeiden ist.
Bei der Wahl des geeigneten Nahtmaterials im Gesichts‑ bereich kommen in der Regel für subkutane Nähte resorbierbare Nahtmaterialien der Stärke 3.0 und 4.0 zur Anwendung. Für den Verschluss der Haut werden je nach Lokalisation atraumatische, nichtresorbierbare Fäden der Stärken 4.0, 5.0 oder 6.0 verwendet. >>Hierbei ist auf eine äußerst präzise Readaptation der
Hautkanten zu achten, da sich einmal erzeugte Niveau‑ unterschiede in der Folge nicht korrigieren. Gewebe‑ überschüsse sollten gleichmäßig harmonisch verteilt und bei größeren Unregelmäßigkeiten durch Entfer‑ nung sog. Burow-Dreiecke reduziert werden.
Der Verschluss der Haut beginnt jeweils mit der Adap‑ tation von Eckpunkten und anatomisch bedeutsamen Strukturen (z. B. Grenze Lippenrot/-weiß), um optimale Ergebnisse zu erzielen. Für die Wahl der Nahttechnik spielt neben ästheti‑ schen Gesichtspunkten auch die Qualität der Wundrän‑ der und die erforderliche Präzision bei der Adaptation eine Rolle. So haben sich für die Durchführung lokaler Verschiebelappenplastiken Einzelknopfnähte bewährt, die die größtmögliche Flexibilität bei der Positionierung der Nähte bei gleichzeitig geringer Gewebetraumatisie‑ rung bieten. Alternativen stellen im Halsbereich (über‑ wendlig) fortlaufende, intrakutane und in Ausnahme‑ fällen Matratzennähte dar (Vogt et al. 2009).
9.4 Narbenpflege
Neben der Berücksichtigung der o. g. Prinzipien er‑ hält die richtige Behandlung und Pflege der Narbe bis zum Eintreten einer stabilen, reifen Narbe frühestens 12 Monate nach der Operation im Gesicht eine wichtige Bedeutung für das Erzielen des bestmöglichen Behand‑ lungsergebnisses (Parsons 1977; Mustoe et al. 2002; Morganroth et al. 2009). Daher sollten alle Patienten im Rahmen des präoperativen Aufklärungsgesprächs und des postoperativen Gesprächs sowie im Rahmen von Nachsorgeterminen über die Grundprinzipien der Narbenpflege aufgeklärt werden. Die folgenden Aspekte sind wesentlich: Ausreichender UV-Schutz: während der ersten 12 Mo‑ nate ist die Narbe vor Sonnenexposition zu schützen, um eine dauerhafte Hyperpigmentierung der Narbe zu vermeiden. Dies kann mittels Pflastern, Tüchern, Hüten und Sonnencreme mit einem Lichtschutzfak‑ tor ≥ 50 erfolgen. Narbenmassage: Narbengewebe besteht überwiegend aus kollagenen Fasern. Diese ziehen sich insbeson‑ dere bei ausbleibender Narbenmassage zusammen und bilden Adhäsionen mit den umliegenden Gewe‑ beschichten. Um die Verschiebeschichten und somit die Geschmeidigkeit des Gewebes zu erhalten und Ein‑ ziehungen zu vermeiden, sollte zumindest in den ersten 12 Monaten eine regelmäßige manuelle Narbenmas‑ sage seitens des Patienten durchgeführt werden. Hierzu genügt in der Regel ein leichter Druck mittels zweier Finger und das Durchführen kreisender, lockernder Bewegungen im Bereich der gesamten Narbe über mehrere Minuten, mindestens einmal täglich. Die Verwendung von Narbenpflastern kann bei Patienten mit bekannter auffälliger Narbenbildung einen positiven Effekt auf die Narbenentstehung ha‑ ben. Durch die meist auf Silikonbasis hergestellten Pflaster gelingt von Beginn an eine zusätzliche Span‑ nungsreduktion und Druckapplikation im Bereich der Narbe, welche zu einem unauffälligeren Narben‑ bild führt.
-
-
-
>>Wichtig ist hierbei eine frühzeitige, konsequente und
-
ausreichend lange Therapie der Narben mit Narben‑ pflastern und somit eine gute Compliance seitens der Patienten.
Auch für Narbensalben, die meist feuchtigkeitsspen‑ dende Inhaltsstoffe sowie unterschiedliche Wirkstoffe enthalten, ist teilweise ein positiver Effekt auf das Narbenbild feststellbar. Hierbei handelt es sich in der Regel um eine Kombination der Wirkung pflegender Salbenstoffe und der narbenmassierenden Wirkung durch Applikation der Salbe. Für Gesichtsnarben sollte auf eine ausreichende Verträglichkeit und An‑
207
9.6 • Besondere Herausforderungen
wendbarkeit speziell für den Gesichtsbereich geachtet werden, und Unverträglichkeitsreaktionen sollten ausgeschlossen werden. 9.5 Korrekturmöglichkeiten
im Langzeitverlauf
Verbleibt nach einer Dauer von 12 Monaten nach Erst‑ eingriff eine auffällige Narbe, bestehen verschiedene Möglichkeiten zur Narbenkorrektur. Die chirurgische Narbenkorrektur besteht aus einer Exzision der störenden Narbe und einer anschließen‑ den sorgfältigen, spannungsfreien Readaptation der Wundränder. Diese Art der Narbenkorrektur ist in erster Linie nach Traumata, Bissverletzungen, infizier‑ ten Wunden und Narbenverbreiterungen indiziert. Hypertrophe Narben können mittels Laser (Erbium/ CO2) abgetragen und somit geglättet werden. Nach Laserbehandlungen sollte analog zu frischen Narben auf hohen UV-Schutz geachtet werden. Ein ähnlicher Effekt kann mittels Dermabrasio – der Abtragung oberster Hautschichten mittels ro‑ tierender Instrumente unter sterilen Bedingungen – erzielt werden (Petres 1977). Zusätzlich eignet sich die Dermabrasio auch bei atrophen Narben, da das Hautbild insgesamt homogenisiert wird. Eine weitere Alternative, die die Hauterneuerung mittels chemischer Substanzen stimuliert und so zur Homogenisierung des Hautbildes führt, ist das chemische Peeling mittels Trichloracetat, Phenol oder Fruchtsäuren. Für die Behandlung von Keloiden kommt auch die Injektion von Steroiden zur Abschwächung der über‑ schießenden Narbenbildung zum Einsatz.
-
9.6
Besondere Herausforderungen
Bei sekundärer Wundversorgung ist der Zeitpunkt der Ver‑ sorgung kritisch abzuwägen. Häufig kann die Ausgangs‑ situation durch die körpereigenen Reparaturvorgänge ver‑ bessert werden. Damit ist in Einzelfällen der Verzicht auf eine operative Korrektur möglich. Im Bereich des Unter‑ lids sollten Defekte hingegen frühzeitig versorgt werden, um eine narbige Verziehung mit resultierendem Ektropium zu vermeiden. Sekundärkorrekturen führen hier häufig zu schlechteren Ergebnissen. Bei Sekundärkorrekturen nach ausgedehnten Verletzungen muss zusätzlich davon aus‑ gegangen werden, dass die Durchblutung der Haut gestört und die normale Gefäßanatomie verändert sein kann. >>Es besteht somit ein erhöhtes Risiko für Wundheilungs‑
störungen und Hautnekrosen.
Eine verminderte Durchblutung und verzögerte Wund‑ heilung zeigt sich auch bei Patienten nach Strahlentherapie, häufig in Kombination mit operativen Voreingriffen. Auch hier besteht ein erhöhtes Risiko von Hautnekrosen, Wunddehiszenzen und Infektionen. Für lokale Lappen‑ plastiken sollten breitbasige Lappen verwendet werden, am zuverlässigsten sind in dieser Situation lokal gestielte Lappen mit eindeutigem versorgendem Gefäß. >>Dem spannungsfreien Wundverschluss und einer gründ‑
lichen mehrschichtigen Adaptation der Wundränder kommt eine noch höhere Bedeutung zu.
Bei bekannter Keloidneigung sollte das operative Trauma möglichst gering gehalten und eine Spannung im Bereich der Narbe vermieden werden. Eine alleinige Exzision der Keloide führt häufig zu einem noch ausgedehnteren Re‑ zidiv. Bereits in der Frühphase der Narbenheilung sollten hier Narbenpflaster und Steroidinjektionen in Erwägung gezogen werden, um ein möglichst unauffälliges Resultat zu erzielen. zz Evidenz des Nutzens von Narbensalben
Im Folgenden wird auf Bedingungen eingegangen, die eine besondere Herausforderung im Rahmen der Be‑ handlung fazialer Hautdefekte darstellen. Defekte, die im Rahmen der Traumatologie ent‑ stehen, unterscheiden sich von Defekten nach chirurgi‑ schen Hautdefekten durch eine erhöhte Infektionsgefahr bei kontaminierten Wunden sowie die Beschaffenheit der Ränder. Diese verlaufen im Gegensatz zu Wund‑ rändern nach chirurgischen Eingriffen in der Regel nicht orthogonal zur Oberfläche und sind unregelmäßig kon‑ figuriert. >>Bei der primären Wundversorgung nach Traumata ist
v. a. die besonders gründliche Adaptation der Wund‑ ränder und das Vermeiden von Niveauunterschieden entscheidend für das spätere Ergebnis.
Das optimale Management von Narben und Keloiden ist aufgrund von verschiedenen Einflussfaktoren, wie z. B. genetischer Disposition, Größe, Alter, Lokalisation der Narbenbildung etc., komplex. Zum jetzigen Zeitpunkt existiert aufgrund von fehlender wissenschaftlich beleg‑ ter Evidenz keine einheitliche Standardtherapie. Lediglich für eine geringe Anzahl an Narbensalben sind Studien mit hohem Evidenzgrad verfügbar (Ebner et al. 2002; Gold et al. 2001). Am häufigsten in Narbensalben verwendete Inhaltsstoffe
--
Extractum Allii Cepae (Zwiebelextrakt) Heparin Olivenöl
9
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
208
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9
Vitamin E Panthenol Ethylnicotinat Silikon Campher Fibronektin Cyanoacrylat
Die Wirkung von Zwiebelextrakt basiert auf antiinflam‑ matorischen, bakteriostatischen und die Kollagensyn‑ these herunterregulierenden Eigenschaften. Heparin besitzt eine Kollagenase-fördernde Wirkung und inhibiert zu einem gewissen Grad die Vernetzung der Kollagenfasern (Tarvady et al. 1987). Bei Olivenöl und Vitamin E konnte keine über den Plazeboeffekt hinausreichende Wirkung festgestellt werden. Panthenol zeigt einen positiven Effekt auf die Elas‑ tizität der Haut durch Anregung der Fibroblasten zur Proliferation. Topische Anwendung von Ethylnicotinat steigert die Synthese von Keratin, beschleunigt die Differenzierung von Keratinozyten und führt dadurch zur Stabilisation der epidermalen Barrierefunktion. Campher als Zusatzstoff in einigen Narbensalben wirkt lokal schmerzreduzierend und antimikrobiell. Fibronektin fördert die Migration von epidermalen Zellen in das Granulationsgewebe während der Wund‑ heilung. Das topische Cyanoacrylat zeigt seine positive Wir‑ kung auf die Wundheilung durch den okklusiven Effekt und antibakterielle Eigenschaften. Für Silikon wurde in einer Reihe von randomisierten prospektiven verblindeten Studien festgestellt, dass die Applikation im Vergleich zur Kontrollgruppe zur Ver‑ besserung von Pigmentierung, Vaskularität, Elastizität, Größe, Schmerzsymptomatik und Juckreiz im Bereich der Wunde führt (Gold et al. 2001). Silikon kann in Form von Folie oder Gel auf Narben aufgetragen werden. Die meisten Autoren empfehlen, die Silikonapplikation be‑ reits ab der 2. Woche nach der Operation zu beginnen und mindestens 3 Monate lang fortzusetzen. Mehrere Studien haben zudem gezeigt, dass die Anwendung von Silikon auf frische Wunden das Auftreten von hyper‑ trophen Narben verringert.
209
9.7 • Fallbeispiele
9.7 Fallbeispiele zz Fall 1: Rotationslappen (. Abb. 9.13) ..Abb. 9.13 a–c 71-jährige Patientin, die im Rahmen eines zweizeitigen Eingriffs nach vollständiger Entfernung eines amelanotischen malignen Mela‑ noms der Wange zweizeitig mit einem extendierten Rotations‑ lappen nach Esser rekonstruiert wurde. a Defektsituation und angezeichnete Schnittführung. Der Rotationslappen wird weit nach temporal umschnitten, um infraorbital einen Gewebe‑ überschuss zu garantieren. b Präparation des Lappens unter Schonung der Facialis-Äste bei Sicherung einer ausreichenden Perfusion. c Klinisches Ergebnis, 6 Jahre nach dem Eingriff. Die Funktion des N. facialis wurde erhalten. Der Lidschluss ist komplett
a
b
c
9
210
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
zz Fall 2: Transpositionslappen (. Abb. 9.14)
a
b
c
d
9
..Abb. 9.14 a–d 67-jähriger Patient mit Defekt nach Exzisionsbiop‑ sie eines Basalzellkarzinoms auf dem Nasenrücken. a Ausgangsdefekt mit angezeichneter Schnittführung. b Umschnittenes Transplantat.
c Transponierter Lappen. d Spannungsfrei eingenähtes Transplantat. Hierbei ist auch auf eine mögliche Verziehung des Nasenflügels zu achten
211
9.7 • Fallbeispiele
zz Fall 3: Rotationslappen (nach Imre; . Abb. 9.15)
a
b
c
d
..Abb. 9.15 a–d 71-jähriger Patient nach Exzision eines Basalzell‑ karzinoms am Nasenabhang/infraorbital. Beim Defektverschluss muss eine Verziehung des Unterlids vermieden werden. a Defektsitua‑ tion mit SynthoGraft™ in situ. b Die Schnittführung orientiert sich
an der Nasolabialfalte, die Inzision sollte ggf. infraorbital erweitert werden. c Ergebnis nach Kranialrotation des weit nach bukkal unter‑ minierten Lappens. d Klinisches Ergebnis 6 Monate nach der Ope‑ ration
9
212
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
Fall 4: Limberg-Lappen (. Abb. 9.16)
a
b
9
c ..Abb. 9.16 a–c 82-jährige Patientin nach Resektion eines Platten‑ epithelkarzinoms präaurikulär rechts. a Der runde Ausgangsdefekt wird quadrangulär umschnitten; Anzeichnen der Schnittführung.
b Umschnittenes und präpariertes Transplantat. c Einschwenken des Transplantats in den Defekt. Der Donordefekt wird durch eine Deh‑ nungslappenplastik verschlossen
213
9.7 • Fallbeispiele
Fall 5: Axial gestielter Lappen (. Abb. 9.17)
a
b
c
d
f
g
e
..Abb. 9.17 a–g 87-jähriger Patient mit einem sklerodermiformen Basall‑ zellkarzinom am rechten Nasenabhang. a Ausgangssituation. b Z. n. Resektion mit histopathologischer Sicherung tumorfreier Ränder. SynthoGraft™ in situ. c Aus‑ messen des Defekts und Anzeichnen der Schnittführung zum Verschluss mit einem paramedianen Stirnlappen. d Umschnitte‑ nes Transplantat, bereits teilweise entepi‑ thelialisiert. e Anlage eines Tunnels zwi‑ schen Entnahme- und Empfängerstelle. Das Transplantat wird über diesen Tunnel in den Defekt eingebracht. f Eingenähtes Transplantat. Primärer Wundverschluss des Donordefekts. g Klinisches Ergebnis 4 Monate nach dem Defektverschluss
9
214
Kapitel 9 • Faziale Hautdefekte
Fall 6: Transpositionslappen (. Abb. 9.18)
a
b
9
c
e
d
f
..Abb. 9.18 a–f 22-jährige Patientin mit Mukormykose unter Im‑ munsuppression. a Ausgangsbefund. b Situation nach Abtragung der Hautnekrose und narbiger Abheilung mit Defektbildung und Ex‑ position des Unterkiefers. c Anzeichnen der Schnittführung. Es ist die Transposition eines axial gestielten Lappens vorgesehen. Dieser wird
ausreichend dimensioniert, um einer narbigen Retraktion der Un‑ terlippe vorzubeugen. d Das umschnittene Transplantat wird in den Defekt eingebracht. e Spannungsfreier Wundverschluss. f Klinisches Ergebnis 1 Jahr nach dem Defektverschluss
Literatur
-
Zusammenfassung In erster Linie muss dem Anspruch einer Wieder‑ herstellung von Ästhetik und Funktion Rechnung getragen werden. Die Therapieplanung berücksichtigt hierbei plas‑ tisch-chirurgische Grundkonzepte. In die Planung muss eine Bewertung der indivi‑ duellen Anatomie der betroffenen ästhetischen Einheit mit eingehen. Durch die Berücksichtigung der Hautspannungs‑ linien sowie ein atraumatisches Vorgehen wird die Wundheilung unterstützt. Die Wundheilung kann durch eine konsequente Nachsorge sowie eine individualisierte Nach‑ behandlung unterstützt werden. Sofern Korrektureingriffe erforderlich werden, sollte deren Planung und Durchführung frühestens 6–12 Monate nach dem letzten Eingriff erfolgen.
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9
217
Wange Michael Krimmel, Siegmar Reinert
Inhaltsverzeichnis 10.1
Einleitung – 218
10.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 218
10.2.1 Topographie – 218 10.2.2 Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation – 218 10.2.3 Ästhetische Prinzipien – 218
10.3
Resektion – 218
10.3.1 Indikation, Kontraindikation – 218 10.3.2 Operationsprinzipien – 219
10.4
Rekonstruktion – 219
10.4.1 10.4.2 10.4.3 10.4.4
Prinzipien – 219 Dehnungsplastik – 219 Freie Hauttransplantate – 220 Lokale Lappenplastiken – 221
10.5
Risiken und Nachsorge – 226
10.5.1 10.5.2 10.5.3 10.5.4
Lappennekrose – 226 Scleral Show und Ektropium, Lidödem – 226 Verziehung von Nachbarstrukturen – 227 Weitere Risiken – 227
Literatur – 227
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_10
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218
Kapitel 10 • Wange
10.1 Einleitung
Das Gesicht ist entscheidend an der menschlichen Kommunikation beteiligt. Eine Zerstörung führt zu einer massiven Einschränkung der sozialen Interaktion und der Lebensqualität. Die Wange gehört dabei zu den peripheren ästhetischen Einheiten des Gesichts (Menick 1987). Sie ist nicht primär im Blickpunkt des Betrachters wie die Nase oder die Lippen. Die Wange ist jedoch die größte ästhetische Einheit. Sie ist sehr breit und hat eine glatte, konvexe Oberfläche. Es ist damit im Vergleich zu anderen Regionen schwierig, Schnittführungen und Narben zu verstecken, da keine Einziehungen oder schattenwerfenden Zonen bestehen. Da bei der Betrachtung des Gesichts die kontralaterale Wange meist nicht vollständig sichtbar ist, ist die Wiederherstellung einer exakten Symmetrie nicht maßgeblich (Menick 2007). Entscheidend für den Erfolg einer Wangenrekonstruktion ist die Gleichmäßigkeit der Hautfarbe und -textur und nicht so sehr der Kontur oder des Profils.
10
10.2 Chirurgisch
relevante Anatomie und Physiologie
10.2.1 Topographie
Die Wange als eigenständige ästhetische Einheit grenzt nach anterior an die Nase, nach kranial an das Unterlid und die Schläfe und nach posterior an das äußere Ohr. Nach kaudal geht die Wange auf Höhe des Unterkieferrandes kontinuierlich in die Halsregion über. Die Nasolabialfalte begrenzt die Wange zur Ober- und Unterlippe hin. Die Wange kann in 3 Zonen eingeteilt werden: suborbital, präaurikulär, bukkomandibulär.
--
10.2.2
Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation
Die A. und die V. facialis kreuzen den Unterkiefer am Vorderrand des M. masseter und ziehen dann diagonal über die Wange in Richtung des medialen Lidwinkels. Die Wangenhaut ist damit sehr gut vaskularisiert. Der Lymphabfluss erfolgt nach kaudal in die bukkalen, mandibulären (entlang der Fazialgefäße), parotidealen und submandibulären Lymphknoten. Der N. facialis verläuft nach seinem Austritt aus dem Foramen stylomastoideum zunächst geschützt durch die Gl. parotis und trennt diese in einen oberflächlichen und einen tiefen Anteil. Weiter anterior verlaufen die Äste
des N. facialis auf dem M. masseter und noch weiter anterior in der Tiefe unmittelbar unter der mimischen Muskulatur. Die sensible Innervation der Wangenregion erfolgt hauptsächlich durch den N. trigeminus (N. infraorbitalis, N. zygomaticus mit R. zygomaticofacialis und R. zygomaticotemporalis, N. auriculotemporalis und N. buccalis), aber auch partiell durch den N. auricularis magnus und den N. transversus colli aus dem Plexus cervicalis. Als Hauptnerv tritt der N. infraorbitalis am Foramen infraorbitale ca. 1 cm unterhalb des Infraorbitalrandes in der Pupillarlinie aus, um sich dann sofort in seine Endäste aufzuteilen. 10.2.3
Ästhetische Prinzipien
>>Wie für alle ästhetischen Einheiten gilt zunächst das
Grundprinzip, dass bei der Rekonstruktion die Einheit isoliert betrachtet und, falls möglich, auch rekonstruiert werden sollte, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Die Schnittführung sollte nicht auf andere ästhetische Einheiten übergreifen.
Die Schnittführung sollte weiter in den Hautspannungslinien (RSTL, relaxed skin tension lines; 7 Kap. 9, . Abb. 9.1) oder in natürlichen Falten wie der Nasolabialfalte oder unmittelbar präaurikulär verlaufen, um die Narben möglichst unauffällig zu machen. Weiter gilt, dass Narben umso weniger sichtbar sein werden, je weiter posterior sie zu liegen kommen. Die Wangenhaut hat eine eigene und spezifische Farbe und Textur. Aus diesem Grund wird ein bestmögliches ästhetisches und funktionelles Rekonstruktionsergebnis nur bei der Verwendung von lokalem Gewebe erzielt. Ähnlich gute Ergebnisse lassen sich allenfalls noch mit freien Hauttransplantaten von retroaurikulär oder supraklavikulär erreichen, da sie eine ähnliche Beschaffenheit aufweisen. Bei der Präparation von Nahlappen im Bereich der Wange ist zu beachten, dass die Dicke des subkutanen Fettgewebes sehr unterschiedlich ist. An der Grenze zum Unterlid ist es sehr dünn, am Übergang zum M. masseter, insbesondere im kaudalen Bereich, ist es deutlich dicker. Dies ist auch bei der Nahttechnik zu beachten, und vertikale Diskrepanzen sind entsprechend auszugleichen. 10.3 Resektion 10.3.1
Indikation, Kontraindikation
Eine Resektion der Wangenhaut und in der Tiefe lokalisierter Strukturen ist bei malignen und benignen Hautveränderungen indiziert.
219
10.4 • Rekonstruktion
..Abb. 10.1 Patientin mit einem Plattenepithelkarzinom temporal/präaurikulär links. a Z. n. Resektion. b Früher Z. n. Defektdeckung mittels Spalthauttransplantat
a
-
Maligne und benigne Hautveränderungen Häufigste maligne Hautveränderungen: – Basalzellkarzinom – Plattenepithelkarzinom – Malignes Melanom Seltenere maligne Hautveränderungen: – Merkelzellkarzinom – Maligne Tumoren der Schweißdrüsen Benigne Tumoren: – Pigmentierte Nävi bis hin zum Tierfellnävus – Malformationen des Gefäßsystems
--
Die operative Entfernung dieser Veränderungen ist die Therapie der ersten Wahl. Die Vorteile sind der kurative Ansatz, die Dauer der Behandlung sowie in der Regel das ästhetisch überlegene Ergebnis. Strahlentherapie oder medikamentöse Therapien sind Tumoren vorbehalten, die aufgrund ihrer Größe nicht operativ vollständig entfernt werden können, oder sie werden eingesetzt, wenn Patienten wegen ihres Allgemeinzustands nicht operationsfähig sind. 10.3.2 Operationsprinzipien
Basalzellkarzinome und Plattenepithelkarzinome der Gesichtshaut sollen vollständig (R0) reseziert werden. Dazu sollte bei dem Basalzellkarzinom ein Sicherheitsabstand von 3–5 mm eingehalten werden (AMWF 2018). Für das Plattenepithelkarzinom werden Sicherheitsabstände von 4–10 mm angegeben (AWMF 2020a). Beim desmoplastischen Typ eines Plattenepithelkarzinoms soll der Sicherheitsabstand vergrößert werden. Auch das Melanom soll unter kurativer Intention radikal mit Sicherheitsabstand zum Tumorrand reseziert werden, um lokale Rezidive des Tumors zu vermeiden. Die sonst ge-
b
forderten Abstände von 1–2 cm können im Gesicht reduziert werden (AWMF 2020b). Ab einer Tumordicke von 1,0 mm soll zudem der Wächterlymphknoten biopsiert und untersucht werden. Defekte im Bereich der Wange können im Gegensatz zu Defekten im Bereich der Lippen und Lider mit einem temporären Wundverband gedeckt werden. Damit kann der Chirurg auf das Ergebnis einer in Paraffin eingebetteten Histologie warten und im Bedarfsfall nochmals nachresezieren. Als histologische Verfahren stehen die konventionelle histologische Untersuchung im Sinne der Brotlaib-Technik oder die 3D-Histologie zur Verfügung. Insbesondere vonseiten der Dermatologie wird die 3D-Histologie, im Sinne der Technik nach Mohs (Swanson et al. 1983) oder der „Tübinger Torte“ (Mohrle 2003), favorisiert. Vor der Rekonstruktion müssen die Defektränder histologisch frei von Tumorgewebe sein. 10.4 Rekonstruktion 10.4.1 Prinzipien
Die Größe, die Tiefe, die Lokalisation des Defekts und eventuell auch der ästhetische Anspruch bestimmen die Form der Rekonstruktion. Daneben müssen die Nachgiebigkeit der umgebenden Haut und mögliche Risikofaktoren für ein Lappenversagen, wie Rauchen oder eine vorausgegangene Bestrahlung oder Operation der Region, geprüft werden. 10.4.2 Dehnungsplastik
Aufgrund der, insbesondere bei älteren Patienten, elastischen Haut kann bei kleineren Defekten häufig eine Dehnungsplastik erwogen werden. Das Verfahren wird bis zu einer Defektgröße von 30 % der Wange (Mureau und Hofer 2009) oder auch für Defektbreiten > 3 cm
10
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a
Kapitel 10 • Wange
b
c
..Abb. 10.2 Patient mit einem Rezidiv eines Plattenepithelkarzinoms bukkomandibulär links. a Z. n. Resektion und Umschneidung eines bilobed flap von zervikal. b Z. n. Lappenverlagerung. c Ästhetisches Endergebnis
10
a
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d
..Abb. 10.3 Patient mit einem Plattenepithelkarzinom im Bereich der linken Schläfe. a Z. v. Resektion. b Z. n. Resektion und Planung eines Limberg-Lappens. c Intraoperative Transposition des Lappens. d Ästhetisches Ergebnis nach Naht
(Pontes et al. 2009) angegeben. Die Schnittführung sollte so gewählt werden, dass die Narbe in den Verlauf von Falten oder der RSTL zu liegen kommt. Der Defekt wird dazu zu einer elliptischen Form vergrößert.
10.4.3
Freie Hauttransplantate
>>Spalthauttransplantate (. Abb. 10.1) sollten für die Re-
konstruktion der Wangenhaut nur in Ausnahmefällen verwendet werden, da wegen der Textur und Farbe, aber auch wegen ihrer Tendenz zur narbigen Kontraktion, ästhetisch unbefriedigende Ergebnisse erzielt werden.
221
10.4 • Rekonstruktion
a
b
c
d
..Abb. 10.4 Patientin mit einem Basaliom infraorbital rechts. a Z. v. Resektion. b Z. n. Resektion und Planung einer anterior gestielten Wangenrotation (Esser). c Intraoperative Verlagerung des Lappens. d Ästhetisches Endergebnis
Vollhauttransplantate liefern bessere Ergebnisse. Sie sind aber nur für Defekte mit einer maximalen Tiefe von ca. 5 mm geeignet. Durch eine zeitlich verzögerte (2–3 Wochen) plastische Deckung kann der Wundgrund hochgranulieren und der Defekt sich damit abflachen. Als mögliche Transplantatentnahmestellen kommen die retroaurikuläre und supraklavikuläre Region infrage. Lokale Lappenplastiken sind im ästhetischen Resultat jedoch häufig besser (Ebrahimi et al. 2015). 10.4.4
Lokale Lappenplastiken
10.4.4.1 Transpositionslappen, Limberg-Lappen
Transpositionslappen werden über eine intakte Hautbrücke geschwenkt. Diese können ein oder zwei runde Lappen im Sinne eines „mono-lobed flap“ oder „bi-lobed flap“ (. Abb. 10.2) sein. Der rautenförmige Limberg-Lappen stellt eine geometrische Sonderform dar (Chu und Byrne 2008). Beim Limberg-Lappen (. Abb. 10.3) muss insbesondere auf Spannungsfreiheit geachtet werden, da die Lappenecken anfällig für Nekrosen sind. Bei allen „random pattern“
versorgten Lappen ist das Verhältnis von 1:3 von Lappenbreite zu Lappenlänge zu beachten. Diese Lappentypen sind für bukkomandibuläre Defekte, aber auch für die zentrale Wange oder präaurikulär geeignet. Die Autoren setzen den Limberg-Lappen gerne für temporale Defekte ein. >>Problematisch kann sein, dass die Schenkel der Lappen
nicht in den Verlauf der RSTL oder an die Grenze der anatomischen Einheit zu liegen kommen und damit zu auffälligen Narben führen. Ein weiteres Problem kann die kissenförmige Aufwerfung der Lappen bei der Abheilung durch zirkuläre, narbige Kontraktion sein, dies insbesondere bei dickeren Lappen. Eine solche Deformität ist ungünstig korrigierbar.
Beides führt zu ästhetisch unbefriedigenden Ergebnissen. 10.4.4.2 Anterior gestielter zervikofazialer Rotationsverschiebelappen
Der anterior gestielte Wangenrotationslappen (. Abb. 10.4) wurde erstmals 1918 von Esser beschrieben und stellt in seinen Modifikationen die am häufigsten verwendete
10
222
10
Kapitel 10 • Wange
Technik zur Deckung von Wangendefekten dar (Esser 1918). Im deutschsprachigen Raum wird diese Lappenform deshalb meist vereinfacht als Essersche Wangenrotation bezeichnet. Seit der Erstbeschreibung wurden mehrere Modifikationen u. a. von Mustardé (1980) und Converse (1977) beschrieben, um die Probleme sichtbarer Narben und des Sekundärdefekts zu verbessern. Juri und Juri kombinierten das Prinzip des zervikalen Verschiebelappens, wie von Stark und Kaplan (Stark und Kaplan 1972) beschrieben, mit dem Wangenrotationslappen. Es entstand ein zervikofazialer Rotationsverschiebelappen (Juri und Juri 1979). Der anterior gestielte Lappen wird von der A. facialis und der A. submentalis ernährt. Anterior gestielte zervikofaziale Rotationsverschiebelappen sind für die Deckung präaurikulärer und suborbitaler Defekte mittlerer Größe geeignet. Die Vorteile dieses Lappens sind, dass die resultierenden Narben unauffällig sind und der Entnahmedefekt durch Mobilisation der Wundränder primär verschlossen werden kann. Die Schnittführung beginnt medial in einer subziliaren oder mediopalpebralen Falte oder auf Höhe des Infraorbitalrandes. Je höher die Inzision gewählt wird, umso besser kann die Narbe verborgen werden. Allerdings steigt das Risiko eines Ektropiums. Bei einer infraorbitalen Schnittführung kann ein länger andauerndes Lymphödem des Unterlids resultieren. Der Chirurg muss deshalb zwischen diesen Vor- und Nachteilen abwägen. Jüngere Patienten mit einem höheren Gewebetonus tolerieren eine subziliare Inzision besser als ältere Patienten. In der Regel beginnt die Schnittführung auf Höhe des oberen Defektrandes. Seitlich des lateralen Lidwinkels muss die Schnittführung bogenförmig nach kranial geführt werden, um dann wieder auf Höhe des Helixansatzes zu enden. In Abhängigkeit von der Behaarung verläuft sie durch oder unterhalb der Koteletten. >>Die laterale Bogenform bei der Wangenrotation nach
Esser ist entscheidend, um nach Medialrotation des Lappens keinen Kaudalzug auf das Unterlid auszuüben.
Die Schnittführung verläuft dann nach kaudal in einer präaurikulären Falte und um das Ohrläppchen herum nach submandibulär oder nach okzipital entlang der Haut-Haar-Grenze. Der Lappen wird großflächig unter Einschluss des subkutanen Fettgewebes anterior auf der mimischen Muskulatur und posterior auf der Kapsel der Gl. parotis präpariert. In diesen Bereichen ist der N. facialis nicht gefährdet. >>Cave: In dem Bereich zwischen Drüse und Muskulatur
ist der N. facialis ungeschützt, sodass hier streng auf eine Einhaltung der Präparationsebene geachtet werden muss.
..Abb. 10.5 Röntgen: Schädel halbaxial mit Darstellung einer alloplastischen Rekonstruktion der fazialen Kieferhöhlenwand mittels Titan-Mesh
Wird der Lappen über den Unterkieferrand nach kaudal hinaus entwickelt, so wird die Präparation subplatysmal fortgesetzt. Der Einschluss des Platysmas macht den Lappen zu einem muskulokutanen Lappen und verbessert seine Durchblutung (Delay et al. 1999). Durch eine Verlängerung der Schnittführung nach zervikal wird die Präparation in der Ebene unterhalb des Platysmas erleichtert. Bei der Verlagerung des Lappens nach medial kann kaudal des Primärdefekts ein aufgeworfener Hautwulst („dog ear“) entstehen, der in Form eines Dreiecks vertikal exzidiert wird. Idealerweise verläuft die resultierende Narbe in der Nasolabialfalte. Knöcherne Defekte in der fazialen Kieferhöhlenwand können mit wenig Aufwand alloplastisch mit einem Titan-Mesh anatomisch exakt verschlossen werden (. Abb. 10.5). Volumendefizite in diesem Bereich lassen sich bei solch tiefen Defekten durch Verlagerung von gestieltem Fett aus dem lateralen Wangenbereich oder dem Bichat-Fettpropf ausgleichen (. Abb. 10.6). >>Es wird beim Wundverschluss empfohlen, die Lappen-
unterseite auf dem Wundgrund oder am Periost des Jochbeins aufzusteppen, um nach kaudal gerichtete Kräfte aufzufangen.
223
10.4 • Rekonstruktion
a
d
b
c
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..Abb. 10.6 Patientin mit einem Merkelzellkarzinom infraorbital links. a Z. v. Resektion. b Z. n. Resektion. c Z. n. Verlagerung eines gestielten Fettlappens aus dem Bichat-Fettpropf zur Volumenauffül-
lung. d Intraoperative Verlagerung eines anterior gestielten zervikofazialen Rotationsverschiebelappens. e Ästhetisches Endergebnis
Für größere Defekte bis zu 10 cm kann die Schnittführung zu einem zervikopektoralen Lappen erweitert werden. Wie von Crow und Crow (1976), Becker (1978) und Shestak et al. (1993) beschrieben, wird der Hautschnitt von der okzipitalen Haut-Haar-Grenze etwas posterior des Trapezius-Vorderrandes nach kaudal geführt. Sie verläuft lateral des Akromioklavikulargelenks und entlang des Lateralrandes des M. pectoralis und letztlich über die Brust nach medial, parallel zur Clavicula, 2–3 cm oberhalb der Brustwarze beim männlichen Patienten. Parasternal kann ein Back-cut angebracht werden. Der Lappen wird mit Platysma und der Faszie des M. deltoideus und M. pectoralis gehoben. Die Durchblutung erfolgt zusätzlich durch die Perforatoren der A. mammaria interna. Die Lappenhebung lässt sich sehr gut mit einer Parotidektomie oder einer Neck-dissection kombinieren.
nahe der Nase oder der Lippen geeignet. Mit der Lappenspitze kann der mediale Lidwinkel erreicht werden.
10.4.4.3 Posterior gestielter zervikofazialer Rotationsverschiebelappen
Der posterior gestielte zervikofaziale Rotationsverschiebelappen geht auf Imre zurück (Imre 1928). Kaplan und Goldwyn (1978), Stark und Kaplan (1972) sowie Beare (1969) haben Modifikationen entwickelt. Die Blutversorgung des Lappens erfolgt im Bereich des Gesichts durch die A. temporalis superficialis, im Bereich des Hals durch Äste der A. occipitalis. Der Lappen wird für kleinere bis mittlere anteriore Wangendefekte genutzt. Er ist insbesondere für Defekte
>>Der posterior gestielte Rotationslappen ist nicht für den
Unterlidersatz geeignet.
Die Schnittführung verläuft in der Nasolabialfalte nach kaudal entlang des Mundwinkels über den Unterkieferrand. In Abhängigkeit von der Defektgröße wird sie dann bei kleineren Defekten bogenförmig nach submandibulär, bei größeren Defekten weiter vertikal mittig bis zu den mittleren oder kaudalen Bereichen des Halses geführt, um dann parallel zum Unterkieferrand in Richtung M. sternocleidomastoideus und letztlich ebenfalls bogenförmig in Richtung Ohrläppchen oder Mastoid nach posterior und superior zu verlaufen. Bei sehr großen Defekten beschrieben Garrett et al. (1966) eine ausgedehnte Fortsetzung der vertikalen Schnittführung über den Hals hinaus nach kaudal entlang des Sternums, um dann nach lateral über die Brust oberhalb der Mamille in Richtung der Axilla zu ziehen. Der Lappen kann rein subkutan oder unter Einschluss des Platysmas präpariert werden. Die Präparation dieses Lappens sollte einige Zentimeter vor dem Ohr enden, um die Perfusion durch die A. temporalis superficialis nicht zu kompromittieren. Bei der Präparation bis über die Brust wird der Lappen zusätzlich durch Perforatoren des M. trapezius und die A. thoracoacromialis durchblutet.
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Kapitel 10 • Wange
b
c
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d
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..Abb. 10.7 Patientin mit einem Tierfellnävus der rechten Gesichtshälfte. a Z. v. Therapie. b Verwendeter Hautexpander. c Z. n. Expander-Implantation und Füllung. d Z. n. subtotaler Resektion der Wan-
genhaut und Verlagerung der expandierten Halshaut. e Ästhetisches Endergebnis
Der Entnahmedefekt kann durch Wundrandmobilisation verschlossen werden. Der Narbenverlauf über den Unterkieferrand kann sekundär mit einer Z-Plastik gebrochen werden.
>>Die Hautexpansion ist besonders für jüngere Patienten
10.4.4.4 Hautexpander
Hautexpander (. Abb. 10.7) sind v. a. dann sinnvoll, wenn die Nachgiebigkeit des lokoregionären Gewebes begrenzt ist, wie es insbesondere bei jüngeren Patienten oder nach vorausgegangenen Eingriffen der Fall ist, oder wenn die Verfügbarkeit von lokoregionärer Haut nicht ausreicht. Der große Vorteil der Hautexpansion ist, dass sie es erlaubt, Haut mit guter Passung der Farbe und Textur zu präformieren (Balaji 2015). Die Nachteile der Technik sind, dass es mehrere Wochen dauert, bis die Expansion abgeschlossen ist, und dass in dieser Zeit erhebliche ästhetische Beeinträchtigungen bestehen. Bei bestehenden Defekten kann sie schlecht eingesetzt werden. Die Komplikationsrate ist mit 30 % relativ hoch. Zu den spezifischen Komplikationen gehören die Extrusion, die Infektion und das Versagen (z. B. Perforation) des Expanders (Baker und Swanson 1990).
und bei benignen Veränderungen geeignet.
Das Prinzip der Gewebeexpansion beruht auf einer allmählichen biologischen Dehnung, bei der die Kollagenfasern frakturiert und neu angeordnet werden. Während des Expansionsvorgangs kommt es zu einer Verdickung der Dermis und zu einer Ausdünnung der Epidermis und des Subkutangewebes. Bei Einsatz der Technik sollte der Expander großzügig dimensioniert ausgewählt werden. Um die bestmögliche Wirkung zu erzielen, sollte – sofern möglich – der Expander auf einer festen Unterlage wie Knochen positioniert werden. Die gemessene Hautstrecke über dem aufgefüllten Expander sollte in etwa 2,5-mal so lang sein wie der erwartete Gewebedefekt. >>Ein entscheidender Faktor zur Vermeidung einer Ex-
pander-Extrusion ist die Präparation der Expandertasche in einer gleichmäßigen, nicht zu oberflächlichen Ebene.
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10.4 • Rekonstruktion
a
b
c
..Abb. 10.8 Patient mit Rezidiv eines Plattenepithelkarzinoms präaurikulär rechts. a Z. v. Resektion. b CT-morphologisch Infiltration des M. masseter. c Z. n. Resektion und Defektdeckung mittels ALT-Lappen
10.4.4.5 Pectoralis-major-Lappen
Der gedoppelte/bilobed Pectoralis-major-Lappen (Pectoralis-major-Transpositionslappen) ist ein unkompliziert zu hebender und zuverlässiger Lappen, mit dem sich große und perforierende Wangendefekte rekonstruieren lassen. Die Komplexität mikrovaskulärer Lappen lässt sich dabei vermeiden. Die Wangeninnenseite kann alternativ zur Lappendopplung mit einem Spalthauttransplantat ausgekleidet werden. 10.4.4.6
Mikrovaskuläre Lappen
Obwohl technisch komplex, sind mikrovaskuläre Lappen die erste Wahl bei der Rekonstruktion in Fällen sehr großer, kombinierter und perforierender Wangendefekte (Huang et al. 2002; Jeng et al. 2004). Die am häufigsten genutzten mikrovaskulären Lappen für die weichgewebige Wangenrekonstruktion sind der ALT-Lappen (anterolateral thigh) vom Oberschenkel (Ali et al. 2009; . Abb. 10.8) und der fasziokutane Radialis-Lappen vom Unterarm (Savant et al. 1995; Disa et al. 2001).
-
a
b
Mit dem ALT-Lappen können Wangendefekte bis zu einer Größe von 25 cm gedeckt werden (Kuo et al. 2008). Bei kombinierten knöchern-weichgewebigen Defekten werden der osteokutane Paraskapularlappen (Granick et al. 1986; . Abb. 10.9) oder zwei mikrovaskuläre Lappen (Wei et al. 1999), z. B. Fibula für den Knochen und ALT- oder Unterarmlappen für die Weichteile, genutzt. Die Vorteile mikrovaskulärer Lappen sind insbesondere die gute Durchblutung ohne Nekrose an den Lappenrändern, Revaskularisation eines evtl. kompromittierten Lagers, Unabhängigkeit von einem Lappenstiel.
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Die Auswahl an verschiedenen Lappentypen (weichgewebig oder weichgewebig-knöchern) lässt die Wiederherstellung bei nahezu jedem denkbaren Defekt, unabhängig von der Größe, zu. Leider hat dieses Gewebe nicht die gleiche Textur, Farbe oder Dicke wie die Gesichtshaut. Die funktionellen und ästhetischen Ergebnisse sind
c
..Abb. 10.9 Patient mit einem Basaliom der Wange, Oberlippe, Nase und Infiltration des Oberkiefers, a Z. v. Resektion. b Z. n. Resektion und Rekonstruktion mittels osteokutanem Paraskapularlappen. c Postoperatives 3D-CT
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Kapitel 10 • Wange
>>Die eigentliche Herausforderung dieser Rekonstruktion
stellt die korrekte Positionierung des Gewebes dar. Häufig wird am Übergang zwischen Unterkieferbasis und Hals zu viel Gewebe eingelagert und damit der markante Unterkieferrand in dieser Region unnatürlich nivelliert.
10.5 Risiken
und Nachsorge
10.5.1 Lappennekrose
a
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..Abb. 10.10 Patient mit M. Romberg, a Z. v. Korrektur. b Z. n. Augmentation der Wange mittels mikrovaskulärem entepithelisiertem Paraskapularlappen
10
deshalb insbesondere bei kombinierten Lappen mäßig (Posch et al. 2007). Um ein optimales ästhetisches Resultat zu erzielen, sollten diese Lappen, falls möglich, primär lediglich für die Volumenauffüllung von Defekten, Abdeckung von wichtigen Strukturen, Wiederherstellung von knöchernen Strukturen und die Auskleidung der Mundhöhle genutzt werden (Menick 1998). Der Ersatz der bedeckenden Wangenhaut sollte dagegen idealerweise mit den o. g. lokalen Lappen erfolgen. Dies kann bereits beim Primäreingriff durch Kombination von mikrovaskulärem Transplantat und lokalem Lappen geschehen oder sekundär nach Abheilung und ggf. adjuvanter Therapie im Intervall. Eine Sonderform stellt die Wangenaugmentation mittels entepithelisierter mikrovaskulärer Lappen dar. Autologe Fettinjektionen oder freie Fetttransplantate zeigen im Verlauf eine Atrophie, erfordern dann weitere Augmentationen und sind nur für kleinere Defekte geeignet. Erkrankungen wie M. Romberg (. Abb. 10.10), Lipodystrophie oder hemifaziale Mikrosomie erfordern große Mengen an Fettbindegewebe, um die Wangenkontur zu rekonstruieren. Der entepithelisierte mikrovaskuläre Skapular- oder Paraskapularlappen hat sich hier als das Transplantat der Wahl herausgestellt (Upton et al. 1992). Entepithelisierte Hautlappen zeigen im zeitlichen Verlauf eine gute Volumenkonstanz. Eine Überkorrektur ist nicht notwendig. Der Lappen kann entsprechend dem Volumendefizit entnommen und subkutan aufgespannt werden. Ein Absinken des Lappens ist durch Suspensionsnähte und eine postoperative Behandlung mit einer individuellen Kompressionsbandage zu vermeiden.
Die Vitalität eines Lappens hängt von der Vaskularisation und der Vermeidung übermäßiger Spannung beim Wundverschluss ab. Die Dicke des Transplantats beeinflusst die Vaskularisation der Haut. Der häufigste Grund für eine Lappennekrose ist deshalb zu große Spannung im Gewebe, die die Mikrozirkulation kompromittiert, verstärkt durch eine inkorrekte Präparation der Schichtdicke. Durch Einschluss des Platysmas kann die Hautperfusion beim zervikofazialen Lappen verbessert werden. >>Besonders gefährdet für eine Nekrose sind aufgrund
ihrer dünnen Beschaffenheit die mediale Unterlidhaut sowie die retro- und infraaurikuläre Haut.
Bei klinisch gestauten Lappen kann eine Rückverlagerung und zweizeitige, verzögerte Rekonstruktion das Lappenüberleben evtl. erlauben und sollte deshalb erwogen werden. Insbesondere bei mikrovaskulären Lappen ist ein engmaschiges Lappen-Monitoring in den ersten 48 Stunden nach Transplantation notwendig, um bei Bedarf eine Anastomosenrevision vornehmen zu können. 10.5.2
Scleral Show und Ektropium, Lidödem
Wangendefekte in der Nähe des Unterlids können durch narbige Kontraktion, Schwerkraft und/oder Spannung auf dem Lappen zu einer Verziehung des Lids führen. Das Ektropium tritt insbesondere beim älteren Patienten oder bei denervierter Lidmuskulatur ein, das Scleral Show eher beim jüngeren Patienten. Um diese Komplikation zu vermeiden, sollte der anterior gestielte Wangenlappen in der Verbindungslinie zwischen lateralem Lidwinkel und Helixansatz immer in einem hohen Bogen umschnitten werden, um einen Kaudalzug auf das Lid zu vermeiden. Jeder verlagerte Lappen kann weiterhin an knöchernen Strukturen, wie dem Jochbein, mittels Nähten aufgehängt werden. >>Vorsicht ist allerdings im Bereich des Verlaufs des
R. frontalis des N. facialis geboten.
227
Literatur
Ein mögliches Unterlidödem kann sehr lange anhalten und sich chronifizieren. Mit manueller Lymphdrainage und Selbstmassage des Unterlids kann das Ödem meist gebessert werden, allerdings sieht man auch therapierefraktäre Lymphödeme. 10.5.3
Verziehung von Nachbarstrukturen
Bei der Verlagerung von regionären Lappenplastiken kann es zu einer Verziehung von Nachbarstrukturen kommen. >>Hier ist insbesondere darauf zu achten, dass der ge-
wählte Lappen ohne Spannung in den Defekt eingelagert wird. Insbesondere eine Verziehung der Lippenpartie ist zu vermeiden.
In Abhängigkeit von dem gewählten Lappen, der Schnittführung und der Behaarung kann es beim männlichen Patienten auch zu einer Verlagerung von behaarten Hautarealen in die Wange kommen. Dies betrifft die Bartbehaarung und die präaurikuläre Behaarung. Dieser mögliche Nachteil einer Lappenplastik muss bei der Wahl des Rekonstruktionsverfahrens antizipiert werden und in der Gesamtschau gegen andere Verfahren abgewogen werden. Falls möglich, ist die Schnittführung entsprechend anzupassen. 10.5.4
Weitere Risiken
Auf die mögliche Aufwulstung insbesondere von Transpositions- und Limberg-Lappen aufgrund einer zirkulären narbigen Kontraktion wurde bereits hingewiesen (7 Abschn. 10.4.4, Transpositionslappen, LimbergLappen). Die Verletzung von Ästen des N. facialis, insbesondere bei falscher Präparationstiefe im Bereich des M. masseter, ist möglich (7 Abschn. 10.2, Anatomie).
-
Zusammenfassung Defekte der Wange entstehen meist als Folge der Resektion von benignen oder malignen Hauttumoren. Lokale Lappenplastiken liefern aufgrund der Farbe und Textur die besten ästhetischen Ergebnisse. Kleine Defekte können durch eine Dehnungsplastik entlang den Hautspannungslinien (RSTL) verschlossen werden. Größere Defekte lassen sich sehr gut mittels lokalen Lappenplastiken, wie z. B. dem anterior oder posterior gestielten Wangenrotationslappen, decken. Sehr große, tiefe oder perforierende Wangendefekte werden am besten mit einem mikrovaskulären Transplantat verschlossen.
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10
228
10
Kapitel 10 • Wange
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229
Lippe Siegmar Reinert, Michael Krimmel
Inhaltsverzeichnis 11.1
Einleitung – 230
11.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 230
11.2.1 Topographie – 230 11.2.2 Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation – 230 11.2.3 Ästhetische Prinzipien – 230
11.3
Resektion – 231
11.3.1 Indikation, Kontraindikation – 231 11.3.2 Operationsprinzipien – 232
11.4
Rekonstruktion – 232
11.4.1 Prinzipien – 232 11.4.2 Lippenrotdefekte – 233 11.4.3 Kombinierte Lippenrot-Lippenweiß-Defekte und vollschichtige Oberlippendefekte – 233 11.4.4 Kombinierte Lippenrot-Lippenweiß-Defekte und vollschichtige Unterlippendefekte – 235 11.4.5 Mundwinkel – 238
11.5
Risiken und Nachsorge – 239
11.5.1 Lappennekrose – 239 11.5.2 Funktionelle Defizite – 239 11.5.3 Sekundärchirurgie – 240
Literatur – 241
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_11
11
230
Kapitel 11 • Lippe
11.1 Einleitung
Die Lippen sind die Struktur der Gesichtsregion mit der komplexesten Funktion. Sie verleihen dem Gesicht durch ihre Dynamik einen individuellen Ausdruck. Eine Rekonstruktion von Lippenanteilen wird meist nach ablativer Tumorchirurgie, seltener nach einem Trauma, erforderlich. In den meisten Fällen ist die Unterlippe betroffen. >>Die rekonstruktive Lippenchirurgie muss sich an funk-
tionellen und ästhetischen Gesichtspunkten orientieren. Bei den Lippen ist, ähnlich wie bei den Lidern, die Motorik für die Funktion wie auch für die Ästhetik von größter Bedeutung.
11
Grundsätzlich gilt für die Lippen, dass die Nahlappenplastik wegen der Ähnlichkeit des Gewebes in Farbe und Textur das rekonstruktive Verfahren der Wahl darstellt. Im besonderen Fall der Lippenweichteile spielt dabei der Erhalt der Sensibilität und v. a. der Motorik eine entscheidende Rolle. In erster Linie gilt es, die Lippenkompetenz und eine befriedigende Mundöffnung zu erhalten, um einen kontinuierlichen Verlust von Speichel zu vermeiden und zugleich die Artikulation, die Nahrungsaufnahme sowie ggf. das Einsetzen von Prothesen zu gewährleisten. Die resultierenden Narben sollen möglichst unauffällig sein. Für die Ober- und Unterlippe wurde eine Vielzahl verschiedener rekonstruktiver Verfahren beschrieben, die z. T. überlappende oder ähnliche Indikationen haben. Das individuelle Vorgehen sollte im Vorfeld auch unter Berücksichtigung möglicherweise notwendiger Erweiterungen des ablativen Eingriffs mit dem Patienten abgestimmt werden, da aufgrund der besonderen Funktion der Lippen und der Kontamination durch die orale Flora ein einzeitiges Vorgehen mit Resektion und Rekonstruktion die Regel darstellt. 11.2 Chirurgisch
relevante Anatomie und Physiologie
11.2.1 Topographie
Die Lippen sind die Gesichtsregion mit der komplexesten Mobilität und verleihen mit ihrer mimischen Aktivität dem Gesicht einen individuellen, unverkennbaren Ausdruck. Zugleich sind sie für die Kontinenz bei der Nahrungsaufnahme, für die Artikulation und für Funktionen, wie beispielsweise das Pfeifen, verantwortlich. Makroskopisch-anatomisch werden die Lippen von drei Schichten gebildet: der Haut mit Subkutis, der Muskulatur (M. orbicularis oris), der Schleimhaut einschließlich Drüsenschicht.
--
Das subkutane Fettgewebe und die submuköse Drüsenschicht sind dünn, jedoch ebenfalls makroskopisch gut erkennbar. Extraoral befindet sich etwa in der Mitte der Unterlippe die verschieden ausgeprägte, horizontal verlaufende Supramentalfalte. An der Oberlippe sind die beiden erhabenen Philtrumkanten besondere Merkmale, die kaudal an den Kupidobögen enden. Die äußere Haut geht an der Lippenweiß-Lippenrot-Grenze (Vermillion) in das sichtbare Lippenrot über, intraoral wird die Lippe von der Lippenschleimhaut bedeckt. Unmittelbar unterhalb der Schleimhaut befindet sich eine Schicht kleiner Speicheldrüsen. Der zirkulär verlaufende M. orbicularis oris ist für die Lippenkompetenz verantwortlich, der lateral am Mundwinkel ansetzende M. depressor anguli oris regelt im Zusammenspiel mit dem M. zygomaticus die vertikale Position des Mundwinkels. In den Kinnweichteilen, in die die Unterlippe übergeht, befindet sich der M. mentalis, der z. T. am Periost des anterioren Unterkiefers ansetzt. Die Lippen sind aufgrund ihrer Mobilität sehr elastisch. Bei ausgedehnten intraoralen Schnittführungen sind zu beachten: die Papille des Parotis-Ausführungsgangs am Planum buccale gegenüber dem ersten Molaren und der N. mentalis mit seinen relativ dicht unter der Schleimhaut verlaufenden Faszikeln.
-
11.2.2
Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation
Die Blutversorgung der Lippen erfolgt über Äste der A. facialis. Für chirurgische Maßnahmen ist die etwa im Bereich der Lippenrot-Lippenweiß-Grenze zirkulär submukös verlaufende A. labialis bedeutsam. Der Lymphabfluss erfolgt nach kaudal bzw. kaudal-lateral zunächst in die submentalen, para- und submandibulären Lymphknoten und von dort zu den Lymphknoten in der Halsgefäßscheide. Für die Innervation der Lippen- und perioralen Muskulatur sind die Äste des N. facialis verantwortlich, insbesondere der in Höhe des Unterkieferrandes verlaufende R. marginalis mandibulae, der von dorsal kommend nach medial-kranial zur Lippenmuskulatur aufsteigt. Die sensible Innervation der Lippen erfolgt hauptsächlich durch den am Foramen mentale austretenden N. mentalis als Endast des N. alveolaris inferior bzw. N. mandibularis. 11.2.3
Ästhetische Prinzipien
Ober- und Unterlippe stellen eigene ästhetische Einheiten dar, die durch die Philtrumkanten und die Lippenrot-Lippenweiß-Grenze unterteilt werden. Die Perioralregion wird nach lateral-kranial durch die Nasolabialfalten und Nase und nach kaudal durch die
231
11.3 • Resektion
morerkrankungen, ein seltener Tumor. Klinisch handelt es sich meist um exophytische oder ulzerierende Tumoren, die Vorstadien stellen sich meist als aktinisch alterierte, schuppende oder erosive Lippenrotanteile dar. Männer erkranken im Durchschnitt im Alter von 63 Jahren, Frauen 5–7 Jahre später. In den meisten Fällen (95 %) ist die Unterlippe betroffen, nur in 5 % die Oberlippe (Bootz et al. 2002; Ishii und Byrne 2009; Adams und Beran 2001). Differenzialdiagnostisch kommen v. a. in Betracht: alle Vorstufen aktinischer Keratosen, das Carcinoma in situ, das hochdifferenzierte Karzinom (Keratoakanthom).
-..Abb. 11.1 Weitgehende Übereinstimmung der Hautspannungslinien (Langer-Linien, Relaxed skin tension lines, RSTL) (schwarz) und der ästhetischen Untereinheiten der Lippenregion und Umgebung (rot): Landmarken stellen die Nasolabialfalten, die Philtrumkanten und die Supramentalfalte dar. (Mod. nach Ehrenfeld und Cornelius 2012)
Supramentalfalte begrenzt (. Abb. 11.1). Für Schnittführungen sind insbesondere die RSTL (relaxed skin tension lines) relevant, die im Laufe des Alters sichtbar werden. Sie verlaufen in der Lippenmitte senkrecht zur Lippenrot-Lippenweiß-Grenze und nach lateral zunehmend schräg, analog den Speichen eines Rades (s. auch 7 Kap. 9, . Abb. 9.1). In ihren Verlauf können Schnitte unauffällig gelegt werden. Ferner können in der Supramentalfalte und den Nasolabialfalten Narben unauffällig verborgen werden. >>Grundsätzlich gilt für die Lippen, wie an der Gesichts-
und Halshaut allgemein, dass die Nahlappenplastik wegen der Ähnlichkeit des Gewebes in Farbe und Textur das rekonstruktive Verfahren der Wahl darstellt.
Im besonderen Fall der Lippenweichteile spielt dabei der Erhalt der Sensibilität und v. a. der Motorik eine entscheidende Rolle. Dies ist insbesondere bei vollschichtigen Defekten von Bedeutung. >>In erster Linie gilt es, die Lippenkompetenz und eine be-
friedigende Mundöffnung zu erhalten, um kontinuierlichen Speichelverlust zu vermeiden und zugleich die Nahrungsaufnahme und ggf. das Einsetzen von Prothesen zu gewährleisten. Die resultierenden Narben sollen ästhetisch möglichst unauffällig sein.
11.3 Resektion 11.3.1
Indikation, Kontraindikation
Das Lippenkarzinom ist mit einer Inzidenz von ca. 0,5 % für Männer und 0,1 % für Frauen, bezogen auf alle Tu-
An der Lippenhaut kommen auch benigne Hautveränderungen, Basalzellkarzinome und maligne Melanome vor, intramural werden an den Lippen auch Speicheldrüsentumoren sowie Malformationen des Gefäßsystems beobachtet. In einer Untersuchung von Visscher et al. (1996) wurde bei 78 % der Patienten mit einem Lippenkarzinom von einer erhöhten Sonnenexposition berichtet. Ein Zusammenhang mit Alkohol- und Tabakkonsum besteht im Gegensatz zum Mundhöhlen- und Oropharynxkarzinom nicht, auch bei Pfeifenrauchern besteht keine nennenswert erhöhte Inzidenz (Visscher et al. 1996). In der Regel wird das Unterlippenkarzinom in einem frühen Stadium diagnostiziert.
--
Primärdiagnostik Lippenkarzinom Klinische Untersuchung der Lippen und des Halses Kopf-Hals-Sonographie Biopsie
In besonderen Situationen (Staging mit Ganzkörper-CT oder MRT) können Kernspintomographie, PET-Computertomographie sowie bei gegebenen Noxen auch eine Spiegeluntersuchung oder Panendoskopie zum Ausschluss eines Zweittumors indiziert sein. Die Häufigkeit von Metastasen korreliert mit der Tumorgröße: 5 % bei T1- und T2-Tumoren, 67 % bei T3- und T4-Tumoren (Barnes et al. 2001). Als weitere Faktoren in diesem Zusammenhang werden die Tumordicke, das Invasionsmuster und ein perineurales Wachstum angesehen (Rodolico et al. 2004). Ein perineurales Wachstum führt meist zur Ausbreitung entlang des N. mentalis und zum Einwachsen in den Unterkiefer, was sich klinisch durch eine Sensibilitätsstörung und röntgenologisch durch die Erweiterung des Foramen mentale manifestieren kann (Bagatin et al. 1995). Bei entsprechenden klinischen Befunden ist daher eine Panoramaschichtaufnahme indiziert. Handelt es sich um einen klinisch eindeutigen malignen Tumor, dient die Biopsie lediglich der Bestätigung der Malignität. Häufig besteht jedoch insbesondere an der Unterlippe ein aktinisch geschädigtes Areal, das kli-
11
Kapitel 11 • Lippe
232
nisch nicht eindeutig abgegrenzt werden kann. In solchen Fällen sind eine Exzisionsbiopsie oder mehrere Biopsien erforderlich. Je nach Größe kann bereits im Rahmen der Exzisionsbiopsie eine Rekonstruktion erforderlich sein. 11.3.2 Operationsprinzipien
11
Die Wahl des Anästhesieverfahrens hängt von der Größe des resultierenden Defekts und dem geplanten Rekonstruktionsverfahren ab. Kleinere Tumoren können gut in Lokalanästhesie behandelt werden, allerdings hat die terminale Anästhesie aufgrund der Aufblähung des Gewebes den Nachteil, dass die Kontur der Lippe nicht optimal zu beurteilen ist. Die Leitungsanästhesie des N. mentalis oder des N. infraorbitalis hat diese Einschränkungen nicht, jedoch fehlt die lokale Hämostase. Größere Resektionen oder Rekonstruktionen erfordern eine Intubationsnarkose, wobei eine nasale Intubation mit Ableitung des Tubus nach kranial notwendig ist, um im Bereich der Lippen störungsfrei arbeiten zu können und eine Zugwirkung auf die perioralen Weichteile auszuschalten. Lippenkarzinome werden in der Regel mit einem Sicherheitsabstand von ca. 1 cm operativ entfernt. Die lückenlose pathohistologische Randschnittkontrolle mit Bestätigung einer R0-Resektion ist die Voraussetzung für die plastische Rekonstruktion. Erweist sich der Tumor nicht als im Gesunden reseziert, ist eine Nachresektion mit erneuter Randschnittkontrolle erforderlich, bevor ein Lappen umschnitten wird.
--
– pT1: Beobachtung – pT2: SND (selektive ND) oder Beobachtung – pT3-4: SND oder MRND (modifiziert-radikale ND) N1: SND oder MRND N2: SND oder MRND, in besonderen Fällen RND N3: RND, evtl. MRND oder ERND (extendiertradikale ND)
Beim Unterlippenkarzinom liegen bei durchschnittlich 15 % der Patienten Lymphnotenmetastasen bei Diagnosestellung vor. Beim Oberlippenkarzinomen ist die Rate primärer Lymphknotenmetastasen initial größer. Hier sind auch die bukkalen und parotidealen Lymphknoten zu beachten. Wegen der kreuzenden Lymphbahnen treten in 25 % der Fälle beidseitige Metastasen auf (Bootz et al. 2002). Nach primärer Radiotherapie der Lippenkarzinome der Stadien I und II wurden in 12,4 % der Fälle sekundäre Lymphknotenmetastasen beobachtet. Insgesamt wird die Prognose der Unterlippenkarzinome mit 5-Jahres-Überlebensraten von 90 % bei T1- und T2-Tumoren, 60 % bei T3- und 40 % bei T4-Tumoren angegeben. Bei höheren Tumorstadien wird die adjuvante Radiotherapie empfohlen (Visscher et al. 1996). 11.4 Rekonstruktion 11.4.1 Prinzipien
>>Da ein zweizeitiges Vorgehen im Lippenbereich wegen
der Kontamination der Wundränder in der Regel nicht in Betracht kommt, ist die Verfügbarkeit einer Schnellschnittuntersuchung erforderlich. Dies ist bei der Operationsplanung zu berücksichtigen.
Die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens hängt von der Lage und Größe des Defekts ab. In der Literatur wird eine auf den ersten Blick verwirrende Vielzahl rekonstruktiver Verfahren beschrieben. Als Ordnungsprinzipien geeignet erscheinen in erster Linie die Lokalisation und die Tiefenausdehnung des Defekts. Die Therapie der regionären Lymphknoten ist nach wie vor Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Ein systematischer Algorithmus findet sich bei Bootz und Howaldt (2000). Algorithmus zur Therapie der regionären Lymphknoten
-
N0: Vorgehen in Abhängigkeit von der pT-Klassifikation (Tumorgröße und Tiefeninvasion):
Die Lokalisation sowie die Ausdehnung des Defekts in der Fläche und in die Tiefe bestimmen die Art der Rekonstruktion. Wenn immer möglich, sollte diese mit Gewebe aus dem Lippenbereich erfolgen (Renner 1995). Dabei müssen die Gewebequalität der umgebenden Weichteile und mögliche Risikofaktoren für eine Lappeninsuffizienz – wie Rauchen, eine vorausgegangene Radiotherapie oder Operationen – eingeschätzt werden. >>Für alle Defekte, die die Lippenrot-Lippenweiß-Grenze
betreffen, ist es von großem Vorteil, bereits bei der Anzeichnung der Resektion und vor der lokalen Infiltrationsanästhesie die Lippenrot-Lippenweiß-Grenze zu markieren.
Bei den Autoren haben sich hierfür Methylenblau-Lösung und eine gerade Nadel bewährt. Die Naht wird jedoch später nicht genau auf die Grenze gelegt, sondern etwas kranial und etwas kaudal von der Markierung, um keinerlei Narbenbildung an der Lippenrot-LippenweißGrenze zu erzeugen.
233
11.4 • Rekonstruktion
a
b
d
e
c
f
..Abb. 11.2 a–f Bissverletzung der Oberlippe: Pseudodefekt durch Klaffen der Wundränder mit Ergebnis nach primärem Wundverschluss nach 3 (d) bzw. 4 (e) Jahren
>>Das postoperative Narbenbild ist günstig, wenn Schnitte
in vorgegebene Falten gelegt werden. An der Unterlippe sollte daher die Supramentalfalte nicht gekreuzt werden.
Unter Berücksichtigung des o. g. Ordnungsprinzips der rekonstruktiven Verfahren an der Lippe lassen sich folgende Arten von Defekten unterscheiden:
--
Lippendefekte – Einteilung Lippenrotdefekte Kombinierte Lippenrot-Lippenweiß-Defekte Vollschichtige Lippendefekte
mechanisch durch Unterkiefer- und Lippenbewegungen gefährdet, und der Patient muss sich ca. 3 Wochen lang mit flüssiger Kost ernähren. Aus diesem Grund werden diese Verfahren als Techniken der zweiten Wahl betrachtet. 11.4.3 Kombinierte
Lippenrot-Lippenweiß-Defekte und vollschichtige Oberlippendefekte
11.4.3.1 Defekte von einem Drittel bis zur Hälfte der Oberlippe
11.4.2 Lippenrotdefekte
zz Primärer Wundverschluss und Dehnungsplastik
Auf das Lippenrot begrenzte Defekte sind relativ selten und meist an der Unterlippe lokalisiert. Zur Rekonstruktion hat sich in diesen Fällen die Eversion der Schleimhaut der Lippeninnseite bewährt. Die Präparationsebene liegt zwischen Drüsenschicht und Muskulatur und muss so weit auf die Innenseite der Unterlippe extendiert werden, dass eine spannungsfreie Deckung erfolgen kann. Zur Prophylaxe einer Hämatombildung ist eine subtile Blutstillung erforderlich. Bei der Naht können der entstehende Hohlraum sowie die Restspannung durch feine versenkte Nähte der Lappenunterseite auf die Muskulatur abgefangen werden. Transpositionslappen von der gegenseitigen Lippe (cross-lip transfer) oder Zungenlappen haben den Nachteil des zweizeitigen Vorgehens, ferner ist der Lappenstiel
Aufgrund der Nachgiebigkeit der Oberlippe lassen sich Defekte von einem Drittel bis zur Hälfte der Oberlippenbreite durch Dehnungsplastik verschließen. Insbesondere bei Traumata, z. B. Bissverletzungen, entsteht häufig der Anschein eines Gewebedefekts, der jedoch lediglich auf einem Auseinanderweichen der Wundränder durch den Muskelzug beruht, sodass ein primärer Wundverschluss ohne weitere Maßnahmen mit sehr gutem funktionellem und ästhetischem Ergebnis vollkommen ausreichend ist (. Abb. 11.2). Bei Beteiligung des Mundwinkels am Oberlippendefekt lässt sich durch Dehnungsplastik mit Approximation der Wangenweichteile unter Eversion der Wangenschleimhaut und kaudaler Ausgleichsexzision eine symmetrische Konfiguration der Lippe erzielen (. Abb. 11.3).
11
234
Kapitel 11 • Lippe
..Abb. 11.3 a–d Rekonstruktion des lateralen Drittels der Oberlippe einschließlich Mundwinkel. Approximation der Wangenweichteile unter Eversion der Wangenschleimhaut und kaudaler Ausgleichsexzision
a
b
c
d
11 zz Abbé-Lappen
Abbé beschrieb im Jahr 1898 eine Versorgung von Oberlippendefekten bei Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten durch einen gestielten Lappen aus der Unterlippe. Dieser wird an der A. labialis, gestielt um 180 ° gedreht, in den Defekt der gegenseitigen Lippe eingelagert. Der Abbé-Lappen kann sowohl dreieckig als auch viereckig geschnitten werden. Der ernährende Lappenstiel kann 2–3 Wochen nach probeweisem schonendem Abklemmen durchtrennt und zurückverlagert werden (. Abb. 11.4).
a
c
b
d
11.4.3.2 Defekte von mehr als der Hälfte der Oberlippe
In der Oberlippenmitte gelegene Defekte lassen sich mit einer modifizierten Rotationslappenplastik nach Karapandzic (1974) versorgen, die weiter unten analog für die Unterlippe näher beschrieben wird (7 Abschn. 11.4.4). Die Schnittführung erfolgt hier bogenförmig um den Mundwinkel in Richtung Supramentalfalte und umschließt kaudal subtotal die Mundspalte. zz Advancement-Flaps aus der Wange
Die Rekonstruktion einer vollständig fehlenden Oberlippe ist technisch aufwändig und bleibt oft ein funktioneller und ästhetischer Kompromiss. Im vorliegenden Fall (. Abb. 11.5) wurden zwei Advancement-Flaps aus der Wange verwendet, die vollschichtig mit Schleimhaut aus dem Planum buccale auf der Lappenunterseite nach medial verlagert wurden. Im Bereich der äußeren Wange wurden jeweils Ausgleichsdreiecke exzidiert.
..Abb. 11.4 11-jähriger Patient mit Z. n. Radiochemotherapie eines Weichteilsarkoms der Naseneingangsregion im Kleinkindalter mit extremer Wachstumsstörung der Oberlippe, der Nase und des Oberkiefers. a, b Ausgangsbefund. c, d Nach Abbé-Plastik zur Rekonstruktion der Oberlippenmitte
235
11.4 • Rekonstruktion
..Abb. 11.5 a, b Patient mit großem Plattenepithelkarzinom der Oberlippe und vollständigem Oberlippendefekt. c, d Rekonstruktion durch zwei Advancement-Flaps aus den Wangen
a
b
c
11.4.4 Kombinierte
Lippenrot-Lippenweiß-Defekte und vollschichtige Unterlippendefekte
11.4.4.1 Defekte von einem Drittel bis zur Hälfte der Unterlippe zz Defekte der Unterlippenmitte – Dehnungsplastik
Aufgrund der Elastizität der Unterlippe lassen sich Defekte von einem Drittel bis zur Hälfte der Unterlippe ebenfalls unproblematisch und mit sehr gutem funktionellem und ästhetischem Ergebnis durch Dehnungsplastik verschließen (Klein 2012). In der Lippenmitte werden die Schnitte senkrecht zur Mundspalte orientiert. Hierbei sind verschiedene Modifikationen möglich: Der Defekt kann keil- oder angedeutet herzförmig, rechteckig oder W-förmig gestaltet werden (. Abb. 11.6). Die Supramentalfalte sollte möglichst geschont werden. Durch bogenförmige Extension des Schnittes in der Supramentalfalte lassen sich Defekte von etwas mehr als der Hälfte der Unterlippe versorgen. Eine Modifikation mit ähnlicher Indikation ist die treppenförmige Gestaltung der Ausgleichsexzision nach
d
Johanson et al. (1974). Dadurch entsteht ein gebrochener Narbenverlauf, der zwar nicht ganz dem Verlauf der Supramentalfalte entspricht, jedoch i. Allg. ein befriedigendes Narbenbild ergibt (. Abb. 11.7). zz Abbé-Lappen
Grundsätzlich kann der primär zur Deckung von Oberlippendefekten beschriebene Abbé-Lappen (7 Abschn. 11.4.3) auch umgekehrt zur Rekonstruktion der Unterlippe verwendet werden. Die Indikation besteht bei größeren Defekten, die in etwa ein Drittel bis die Hälfte der Unterlippe ausmachen. Die Größe des Spenderlappens sollte ca. die Hälfte des Empfängerdefekts und nicht mehr als ein Drittel der Oberlippe ausmachen. >>Es ist zu beachten, den medialen Lappenrand im Be-
reich der Philtrumkante zu positionieren, sodass dort die spätere Narbe zu liegen kommt. Wird der Mittelteil der Oberlippe als Lappen verlagert und geht damit verloren, hat dies eine deutliche ästhetische Einschränkung zur Folge (Trauner 1973).
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Kapitel 11 • Lippe
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..Abb. 11.6 20-jährige Patientin mit großer arteriovenöser Malformation (AVM) der Unterlippe. a, b Ausgangssituation. c Angiographie mit Darstellung des Nidus. d–f Z. n. vollschichtiger Unterlippenteilresektion und Dehnungsplastik
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..Abb. 11.7 a–e Patient mit medialem rechteckigem Unterlippendefekt nach Resektion eines Plattenepithelkarzinoms. Gutes funktionelles und ästhetisches Ergebnis nach Rekonstruktion mit treppenförmigem Lappen nach Johanson (d, e)
237
11.4 • Rekonstruktion
..Abb. 11.8 Patient mit fehlender Lippenkompetenz bei Defekt der Unterlippe links von knapp 50 % bei Z. n. Resektion eines Mundhöhlenkarzinoms und Rekonstruktion mit osteokutanem Paraskapulartransplantat (a). Ergebnis nach Rekonstruktion mit Estlander-Lappen aus der lateralen Oberlippe (b)
a
11.4.4.2
Defekte der seitlichen Unterlippe
zz Estlander-Lappen (Estlander 1877)
Beim Estlander-Lappen handelt es sich um einen dreieckigen bzw. V-förmigen, vollschichtigen Lappen aus der seitlichen Oberlippe lateral des Philtrums, der durch Schwenkung um 180 ° zur Rekonstruktion der lateralen Unterlippe und des Mundwinkels verwendet wird (. Abb. 11.8). Die laterale Begrenzung des keilförmigen, mit der Spitze in Richtung Apertura piriformis zeigenden Lappens wird von der Nasiolabialfalte gebildet. Der Defekt sollte nicht größer als ein Drittel der Unterlippe sein. Ein Vorteil ist, dass das Philtrum hierbei erhalten bleibt. Die Rotation des Spenderlappens führt zu einer Abrundung des Mundwinkels, die meist durch eine spätere Operation korrigiert werden muss. >>Eine funktionell gut rekonstruierte Unterlippe ist
jedoch wichtiger und rechtfertigt den Aufwand, da durch eine Verknappung des Unterlippengewebes die Nahrungsaufnahme und der Prothesenhalt relevant beeinträchtigt werden.
11.4.4.3 Defekte von mehr als der Hälfte der Unterlippe
Für die Rekonstruktion von mehr als der Hälfte der Unterlippe wurden zahlreiche Verfahren beschrieben, die sich in zwei Gruppen gliedern lassen: 1. Verlagerung bzw. Rotation von Lappen mit Lippenrotgewebe aus dem Mundwinkel- und Oberlippenbereich,
b
2. Verlagerung von Lappen aus der Wange oder der Nasolabialregion in die Unterlippe mit gesonderter Rekonstruktion des Lippenrots durch Schleimhaut vom Planum buccale. Bei ersterem Verfahren resultiert meist eine Abrundung des Mundwinkels, die erst sekundär korrigiert werden kann, bei großen Defekten besteht die Gefahr eines Mikrostomas. zz Karapandzic-Lappen
Zur ersten Gruppe gehört der modifizierte Rotationslappen nach Karapandzic (1974), mit dem subtotale Unterlippendefekte sehr gut versorgt werden können. Die Schnittführung erfolgt kreisförmig von der Nasolabialfalte um den Mundwinkel und umschließt kaudal bogenförmig die gesamte Mundspalte. Ästhetisch günstig ist die Lage des horizontalen Schnittes in der Supramentalfalte. Der M. orbicularis oris und der Gefäßstiel der A. labialis werden bei der Lappenmobilisierung geschont, sodass die Sphinkterfunktion des Mundes und die Lippenkompetenz erhalten werden (. Abb. 11.9). Bei sehr ausgedehnten Defekten besteht bei dieser Technik allerdings die Gefahr einer Mikrostomie. Der Lappen kann auch einseitig eingesetzt werden, was jedoch meist zu einer sichtbaren Lippenasymmetrie führt. zz Verschiebelappenplastik nach Bernard-Fries (Fries 1971)
Ein universell für subtotale und totale Unterlippendefekte einsetzbares Verfahren stellt die im Grundprinzip bereits
11
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Kapitel 11 • Lippe
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..Abb. 11.9 a–e Unterlippenkarzinom, Rekonstruktion mithilfe eines Karapandzic-Lappens
11
im Jahr 1852 von Claude Bernard beschriebene Verschiebelappenplastik aus der Wange dar. Diese Technik wurde mehrfach modifiziert, u. a. durch Rudolf Fries im Jahr 1971. Nach der ursprünglichen Technik wurde die Unterlippe nach keilförmiger Exzision durch einen dreischichtigen Transpositionslappen aus der Wange rekonstruiert. In der modifizierten Technik erfolgt die Rekonstruktion durch Eversion der Wangenschleimhaut, die sich am kranialen Rand des nach medial verschobenen vollschichtigen Wangenlappens befindet. Extraorale Schnittführung Sie erfolgt vom Mundwinkel
nach lateral leicht ansteigend bis über die Nasolabialfalte hinaus. Die beiden kranialen Burowschen Ausgleichsdreiecke werden so gelegt, dass der ventrale Schenkel in der Nasolabialfalte zu liegen kommt, der distale Schenkel lateral hiervon. Die Spitze der Ausgleichsdreiecke kommt in der Nähe des Nasenflügelansatzes zu liegen. Die Basis der der lediglich Haut und Subkutis, nicht Muskulatur umfassenden Burowschen Dreiecke soll der ipsilateralen Unterlippen-Defektlänge und somit dem erforderlichen Längengewinn des Verschiebelappens aus der jeweiligen Seite entsprechen. Die kaudale extraorale Schnittführung beginnt nach Möglichkeit in der Supramentalfalte und wird dann ggf. bogenförmig um das Kinn herumgeführt. Lateral-kaudal werden Burowsche Ausgleichsdreiecke geplant, die bei ausreichender Extension des bogenförmigen Schnittes kleiner sein können als die kranialen Burowschen Dreiecke. Intraorale Schnittführung Sie unterscheidet sich von der extraoralen Schnittführung dadurch, dass keine Burow-
schen Dreiecke geplant werden. Die horizontale Schnittführung vom Mundwinkel auf dem Planum buccale nach lateral muss im Vergleich zur extraoralen Schnittführung ca. 6–8 mm höher gelegt werden, um später die Schleimhaut zur Lippenrotrekonstruktion evertieren zu können. Hierbei ist der Ausführungsgang der Gl. parotis zu schonen. Im Unterkiefervestibulum sollte der Schnitt bukkal bzw. labial des Fornix vestibuli liegen, um die spätere Naht zu erleichtern. Die mimische Muskulatur muss an den Lappenrändern durchtrennt werden, um ausreichende Mobilität der Lappen zu ermöglichen. Beim Wundverschluss wird zunächst die Muskulatur im Bereich der rekonstruierten Unterlippe vereinigt, dann erfolgen die Schleimhautnaht und die extraorale Naht und schließlich die Eversion der Schleimhaut am kranialen Rand des lateralen Verschiebelappens zur Rekonstruktion des Unterlippenrots. Hier ist eine Trimmung der Wundränder mit subtiler Nahttechnik für ein gutes ästhetisches Ergebnis erforderlich. Das Verfahren nach Bernard-Fries gelangt überwiegend bei großen Defekten mit beidseitigen Lappen zur Anwendung, es kann jedoch auch einseitig eingesetzt werden (. Abb. 11.10 und 11.11). 11.4.5 Mundwinkel
Der Mundwinkel hat einen komplizierten anatomischen Aufbau. Die an der Lippenbewegung beteiligte Muskulatur inseriert oder entspringt im Bereich des Mundwinkels, und Veränderungen des muskulären Gleichgewichts, beispielsweise durch Resektion oder Verlagerung von Muskeln, führen meist zu einer asymmetrischen Motorik.
239
11.5 • Risiken und Nachsorge
..Abb. 11.10 Patient mit Rezidiv eines Plattenepithelkarzinoms der Unterlippe rechts (a, b) und narbig alterierter Unterlippe. Nach vollschichtiger Unterlippenresektion Rekonstruktion mit einseitiger Bernard-Fries-Plastik (c), um die Elastizität der Unterlippe zu erhalten. Ergebnis nach einem Jahr (d, e)
a
c
>>Insoweit kommt der bestmöglichen Rekonstruktion des
M. orbicularis oris große funktionelle und ästhetische Bedeutung zu.
Ausschlaggebend für die Wahl des Rekonstruktionsverfahrens ist neben der Defektgröße die Frage nach der Beteiligung der Schleimhaut. Ist bei der Resektion des Mundwinkels weiter lateral der Erhalt der Innenschicht möglich, lässt sich der rautenförmig gestaltete Defekt durch zwei symmetrische rautenförmige Lappen versorgen. Das schmale Lippenrot im Mundwinkelbereich wird aus evertierter Schleimhaut des Planum buccale gebildet (. Abb. 11.12). 11.5 Risiken
und Nachsorge
11.5.1 Lappennekrose
Die Vitalität eines Lappens hängt von der Vaskularisation und der Vermeidung übermäßiger Spannung beim Wundverschluss ab. Bei der Lippenrekonstruktion gelangen sowohl random pattern flaps als auch axial pattern flaps zur Anwendung, in besonderen Fällen mit Übergreifen auf Nachbarstrukturen mikrochirurgisch
b
d
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anastomosierte Lappen (Wei et al. 1999). Unmittelbar nach dem Umschneiden eines Lappens ist immer eine gewisse Blässe zu beobachten, die sich unter normalen Bedingungen wieder zurückbildet. >>Bei den gefäßgestielten Lappen ist der Gefäßstiel bei
der Präparation mit größter Vorsicht zu behandeln. Grundsätzlich sollte ferner auf eine subtile Blutstillung geachtet werden, da auch Hämatome die Lappenperfusion kompromittieren.
Okkludierende Verbände sind zu vermeiden, um das Hautkolorit und die Schwellung jederzeit beurteilen zu können. Kommt es dennoch zu einer venösen Insuffizienz, der häufigsten ernsten Komplikation neben der Infektion, kann das zeitnahe Lösen von Nähten zu Reduktion der Spannung hilfreich sein. Im Bereich der Lippen bestehen hierzu allerdings begrenzte Möglichkeiten. 11.5.2
Funktionelle Defizite
In der frühen Phase der Wundheilung besteht die größte Gefahr in der Dehiszenz, die zu einer Wundinfektion führen kann. Insbesondere am Mundwinkel ist dieses
11
240
Kapitel 11 • Lippe
..Abb. 11.11 a–e BernardFries-Plastik bei einem Patienten mit großem Unterlippenkarzinom und subtotalem Unterlippendefekt. a Anzeichnung der extraoralen Schnittführung mit modifiziertem Lappen nach Bernard-Fries bds. b Projektion der intraoralen Schnittführung (gestrichelt) auf die äußere Haut. Zu beachten ist insbesondere die intraorale horizontale Schnittführung lateral des Mundwinkels, die ansteigend und höher als die Schnittführung an der äußeren Haut verlaufen muss, um die Wangenschleimhaut zum Lippenrot evertieren zu können. Hierfür ist eine passende streifenförmige Exzision von Haut erforderlich (nicht eingezeichnet). c–e Ergebnis in Ruhe und Funktion nach 2 Jahren
a
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c
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Risiko durch die schwierige Adaptation der Wundränder gegeben. >>Es sollte daher hier auf eine ausreichend belastungsfä-
hige Naht, beispielsweise aufstellende Matratzennähte, geachtet werden.
Wie bei jeder Nahlappenplastik kann es bei erhöhter Spannung der Lappenplastik, Hämatombildung, Wundheilungsstörung oder Lappennekrose zu einer Verziehung und/oder ungünstigen Vernarbung von Gewebsstrukturen kommen. Bei einer nicht ausreichenden Muskelnaht besteht das Risiko einer Einsenkung oder Kerbe des Lippenrots, die erst nach Ausreifung der Narben sekundär korrigiert werden kann. Daher empfiehlt es sich, die Muskelnaht zur Mundspalte hin aufstellend zu gestalten. An der Lippe können dadurch funktionelle Defizite bei der Mundöffnung oder der Lippenkompetenz mit konsekutiven Problemen beim Einsetzen von Prothesen bzw. mit chronischem Speichelfluss entstehen. Diese Funktionsdefizite sind für den betroffenen Patienten von großer Bedeutung und können zur sozialen Iso-
d
lierung führen. Eine auffällige Narbenbildung ohne funktionelle Beeinträchtigung im engeren Sinn kann jedoch ebenso zu einer Entstellung mit entsprechenden Folgen führen. >>Der Planung der Resektion und insbesondere der Re-
konstruktion kommt im Bereich der Lippen größte Bedeutung zu. Der Patient sollte daher immer auch über Erweiterungen des Eingriffs sowohl bei der Resektion als der Rekonstruktion aufgeklärt werden.
11.5.3 Sekundärchirurgie
Kommt es zu einem funktionell und/oder ästhetisch unbefriedigenden Resultat, kann eine Korrektur frühesten nach 9–12 Monaten erfolgen. Bestehen gravierende funktionelle Defizite, z. B. eine fehlende Lippenkompetenz, ist dies für den Patienten sehr belastend, sodass eine Aufklärung und Führung des Patienten erforderlich ist. Bei stattgehabter adjuvanter Radiotherapie erschwert die Gewebsfibrose eine Korrektur zusätzlich.
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Literatur
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..Abb. 11.12 a–f Patient mit einem Plattenepithelkarzinom des Mundwinkels rechts. Nach Resektion des Mundwinkels kann die laterale Innenschicht der Wange erhalten werden (c). Rekonstruktion
>>Die Nachsorgeintervalle orientieren sich an den für das
Mundhöhlenkarzinom üblichen Intervallen und umfassen neben der klinischen Untersuchung insbesondere die Halslymphknotensonographie.
-
Zusammenfassung Bei der Rekonstruktion der Lippenweichteile ist der Erhalt der Sensibilität und v. a. der Motorik von größter Bedeutung, um Lippenkompetenz, eine befriedigende Mundöffnung, Artikulation und ggf. Prothesenfähigkeit zu erhalten. Die resultierenden Narben sollen ästhetisch möglichst unauffällig sein. Die Planung von Lippenrekonstruktionen sollte immer eine mögliche Erweiterung des Eingriffs in Betracht ziehen. Zur Beurteilung der Resektionsgrenzen ist eine Schnellschnittverfügbarkeit essenziell. Eine einzeitige Rekonstruktion von Lippendefekten ist wegen der Lippenmobilität und der Speichelexposition das Verfahren der Wahl. Bei zu erwartenden größeren Defekten, die eine Rekonstruktion mit komplexem Lappendesign erfordern, ist es im Zweifelsfall funktionell und ästhetisch günstiger, das aufwändigere rekonstruktive Verfahren zu wählen, da Funktionsdefizite für den Patienten sehr belastend sind und die Sekundärchirurgie vom Erfolg her Unwägbarkeiten aufweist.
-
f mit zwei symmetrischen rautenförmigen Haut-Fett-Transpositionslappen (d–f)
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11
242
Kapitel 11 • Lippe
Klein M (2012) Operationen des Gesichts und der Kopfhaut. In: Hausamen J, Machtens E, Reuther J et al (Hrsg) Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, 4. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, S 461–487 Langer K (1861) Zur Anatomie und Physiologie der Haut. Über die Spaltbarkeit der Cutis. In: Sitzungsbericht der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Classe der Wiener Kaiserlichen Academie der Wissenschaften. Abt. 44. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Classe, 1861 Apr. 25. Wien, K.K. Hof- und Staatsdruckerei 1862, 44: 19–45 Rodolico V, Barresi E, di Lorenzo R et al (2004) Lymph node metastasis in lower lip squamous cell carcinoma in relation to tumour size, histologc variables and p27kip1 expression. Oral Oncol 40(1):92–98 Renner G (1995) Reconstruction of the lip. In: Baker SR, Swanson NA (Hrsg) Local flaps in facial reconstruction. Mosby, St. Louis, S 345–396 Trauner R (1973) Kiefer- und Gesichts-Chirurgie. Urban & Schwarzenberg, München, S 687–700 de Visscher JG, Grond AJ, Botke G, van der Waal I (1996) Results of radiotherapy for squamous cell carcinoma of the vermilion border of the lower lip. A retrospective analysis of 108 patients. Radiother Oncol 39:9–14 Wei FC, Demirkan F, Chen HC, Chen IH (1999) Double free flaps in reconstruction of extensive composite mandibular defects in head and neck cancer. Plast Reconstr Surg 103(1):39–47
11
243
Oberkiefer Kolja Freier, Jürgen Hoffmann, Dominik Horn
Inhaltsverzeichnis 12.1
Einleitung – 244
12.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 244
12.2.1 Topographie – 244 12.2.2 Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation – 244 12.2.3 Ästhetische Prinzipien – 244
12.3
Resektion – 246
12.3.1 Indikation, Kontraindikation – 246 12.3.2 Operationsprinzipien – 246
12.4
Rekonstruktion – 247
12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4
Prinzipien – 247 Die horizontale Defektsituation – 248 Vertikale Defekte – Versorgung mit Obturatoren – 251 Horizontale Klasse-d-Defekte und vertikale Defekte der Klassen III und IV – 251
12.5
Risiken und Nachsorge – 255
12.5.1 Risiken – 255 12.5.2 Nachsorge – 256
Literatur – 257
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_12
12
244
Kapitel 12 • Oberkiefer
12.1 Einleitung
Der Oberkiefer im Zusammenspiel mit Nase, Mundhöhle, Unterkiefer und Naso- bzw. Oropharynx ist funktionell beteiligt am Schluckakt, an der Phonation und zum kleineren Anteil an der Geschmackssensorik. Die Oberkieferzähne sind im Zusammenspiel mit dem antagonistischen Unterkiefer für eine suffiziente Kaufunktion verantwortlich. Der Hartgaumen dient im Wesentlichen als Widerlager der Zunge und dem mobilen Unterkiefer beim Kau- und Schluckakt. Die Rekonstruktion dieser funktionellen Einheit stellt aufgrund der komplexen Zusammenhänge eine besondere Herausforderung dar. In der Regel sind Weich- und Hartgewebe zu rekonstruieren innerhalb einer komplexen funktionellen Einheit mit eingeschränktem chirurgischem Zugang und kleinem Arbeitsbereich. Die Gewebearchitektur der Kopf-Hals-Region lässt lokale und regionale Lappenplastiken z. T. zu, jedoch sind die Menge und die Beschaffenheit der lokalen und regionalen Gewebeplastiken limitierend. Die mikrovaskuläre Rekonstruktion stellt den Goldstandard dar. Die Auswahl der rekonstruktiven Vorgehensweise bei unterschiedlichen Defekttypen im Bereich des Mittelgesichts sowie die entsprechenden Limitationen werden im Folgenden ausführlich erläutert.
12
12.2 Chirurgisch
relevante Anatomie und Physiologie
12.2.1 Topographie
dieser knöchern kompakten Pfeilerzone ist die faziale Kieferhöhlenwand hingegen sehr dünn und gibt dem Mittelgesicht gemeinsam mit der Jochbeinprominenz und dem knöchernen und knorpeligen Nasenskelett Profil. 12.2.2
Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation
Die Blutversorgung wird einerseits durch die A. palatina descendens als Endast der A. maxillaris gewährleistet. Nach Durchtritt durch das Foramen palatinum majus (ca. 1 cm medial des 1. Oberkiefermolaren) wird sie zur A. palatinus majus und zieht nach anterior (. Abb. 12.1, 12.2). Im vorderen Oberkieferdrittel anastomosieren die Endäste mit den Aa. nasales posteriores septi aus der A. sphenopalatina über das zentral gelegene Foramen incisivum (. Abb. 12.2). Medial des lateralen Nasenbeinpfeilers ziehen von posterior die Aa. nasales posteriores laterales und tragen zur Blutversorgung des Nasen(nebenhöhlen)bodens bei. Weitere arterielle Zuflüsse erhält der Oberkiefer durch die A. palatina ascendens (A. facialis) und A. pharyngea ascendens (A. carotis externa). Venös drainieren die korrespondierenden Venen primär in den Plexus pterygoideus und zum kleineren Anteil über die V. facialis, die beide wiederum in die V. jugularis interna drainieren. Die lymphatische Drainage erfolgt primär über die tiefen Halslymphknoten entlang der Nervengefäßscheide der Level I, II und III und in geringerem Ausmaß im Bereich der retropharyngealen Lymphknoten. >>Zervikale Metastasen treten beim Plattenepithelkarzi-
Die Maxilla bildet die knöcherne Basis des unteren Mittelgesichts. Nach kaudal stellt sie mit dem Hartgaumen (Proc. palatinus) und dem Alveolarfortsatz den kranialen horizontalen Abschluss der Mundhöhle dar und bildet in der Sagittalebene eine der konvexen Form des Zungenrückens angepasste konkave Gegenfläche. Der Hartgaumen und der Alveolarfortsatz sind von Schleimhaut mit unverhorntem Plattenepithel überzogen, die straff an der knöchernen Unterlage fixiert ist (befestigte Gingiva). Sie geht im anterioren und lateralen Bereich in das mobile Vestibulum oris über. Die Spina nasalis anterior bildet die knöcherne kaudale Mittelgesichtsprojektion. Die Oberlippenprojektion wird zudem durch die Labialposition der Oberkieferfrontzähne mitbestimmt. Gleichzeitig trennt die Maxilla horizontal die Mundhöhle von Cavum nasi und Sinus maxillaris beidseits. Nach posterior schließt sich der Weichgaumen an. Er stellt anatomisch einerseits die sagittale Grenze zwischen Mundhöhle/Oropharynx dar und markiert andererseits funktionell den vertikalen Übergang zwischen Oro- und Nasopharynx. Statisch stellen der laterale Nasenbeinpfeiler und die Crista zygomaticoalveolaris die lasttragenden Mittelgesichtspfeiler dar, sie gehen nach kranial in das Jochbein über. Außerhalb
nom in bis zu 44 % der Fälle auf, sodass die selektive Lymphknotenausräumung der Level I–III der korrespondierenden Seite bzw. beidseits durchgeführt werden sollte (Berger et al. 2015).
Die Innervation wird im Bereich des Hartgaumens und basalen Nasen(nebenhöhlen)bodens durch den N. palatinus major, die Nn. palatini minores, den N. nasopalatinus und die Rami nasales posteriores als Äste des N. maxillaris des N. trigeminus gewährleistet. Das Periost der fazialen Kieferhöhlenwand hingegen wird durch den N. infraorbitalis des N. ophthalmicus des N. trigeminus innerviert. Die postganglionäre Innervation der kleinen mukösen Speicheldrüsen wird durch die mit dem N. facialis verlaufenden parasympathischen Fasern gewährleistet. 12.2.3
Ästhetische Prinzipien
>>Die Maxilla bildet durch die Spina nasalis anterior,
die Oberkieferfrontzähne und den Alveolarfortsatz die kaudale Mittelgesichtsprojektion und trägt damit maß-
245
12.2 • Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
..Abb. 12.1 Vaskuläre Anatomie des Hart‑/Weich-Gaumens. Palatinale Ansicht von intraoral. (Aus Tillmann 2016) N. nasopalatinus Anastomose mit den Rami septales posteriores der A. sphenopalatina Rami gingivales
Foramen incisivum
Glandulae palatinae N. palatinus major Aponeurosis palatina A. palatina major Nn. palatini minores
M. palatoglossus M. uvulae M. palatopharyngeus
..Abb. 12.2 Vaskuläre Anatomie des zentralen kaudalen Mittelgesichts in sagittaler Ansicht. (Aus Zilles und Tillmann 2010)
Aa. palatinae minores
A. ethmoidalis anterior
Aa. nasales posteriores laterales
Rami nasales anteriores laterales
A. sphenopalatina Foramen sphenopalatinum
äußerer Endast der A. ethmoidalis anterior
A. palatina descendens im Canalis palatinus major
Rami nasales der A. palatina descendens
Ramus alaris inferior der A. facialis
Foramen palatinum majus A. palatina major A. palatina minor
Anastomose der A. palatina major im Canalis incisivus mit den Rami septales posteriores
geblich zur fazialen Ästhetik bei. Es gilt, das knöcherne Profil in der Sagittalebene zu rekonstruieren, um eine Retraktion des Weichgewebes zu vermeiden.
Im Alltag ist die ästhetische Bedeutung dieser Projektion v. a. bei zahnlosen Menschen ohne oder mit insuffizienter prothetischer Versorgung erkennbar. Die fehlenden Zähne und der atrophierte Alveolarfortsatz ziehen weichteilig eine eingefallene Oberlippe nach sich, die dem Patienten ein greisenhaftes Aussehen verleiht. Weiterhin ist der Oberkiefer im Zusammenspiel mit Nase, Mundhöhle, Unterkiefer und Naso- bzw. Oropharynx funktionell beteiligt am Schluckakt, der Phonation und zum kleineren Anteil an der Geschmackssensorik. Die Zähne sind im Alveolarfortsatz im Zusammenspiel
mit dem antagonistischen Unterkiefer für eine suffiziente Kaufunktion verantwortlich. Der Hartgaumen dient im Wesentlichen als Widerlager der Zunge und dem mobilen Unterkiefer beim Kau- und Schluckakt.
-
Kau- und Schluckakt – Phasen Phase I: Die adäquate Nahrungszerkleinerung durch den zahntragenden Kiefer bildet den Ausgangspunkt der Nahrungsaufnahme und einer suffizienten Verdauung. Phase II: Es schließt sich die orale Transportphase an, wobei die konkave Form des Hartgaumens das Widerlager zur mobilen Zunge bildet.
12
Kapitel 12 • Oberkiefer
246
-
12
Phase III: Der funktionelle Verschluss von Oropharynx zu Nasopharynx durch das Gaumensegel und die Trennung von Luft- und Speisepassage durch die Zunge-Zungengrund-Epiglottis-Achse gewährleisten den Nahrungstransport. Phase IV: Durch diese ösophageale Phase geht der Schluckakt fließend in die weitere autonome intestinale Transport- und Verdauungsfunktion über.
Die Phonation ist ebenfalls ein komplexer Ablauf, der auf einer Veränderung des Luftstroms beim Ausatmen beruht und durch Atemhilfsmuskulatur, Kehlkopf, Zunge, Lippen und mimische Gesichtsmuskulatur erzeugt wird. Die Trennung von Mund- zu Nasen(neben)höhle durch den Oberkiefer trägt funktionell zur Resonanzbildung bei. Bei Defektsituation im Hartgaumenbereich entstehen Nasalitätsstörungen (Rhinophonia), die durch die Vermischung der Resonanzbereiche Nase, Nasopharynx, Mundhöhle und Oropharynx entstehen und in einer Hypernasalität („offenes Näseln“), wie es beispielsweise für Gaumenspalten typisch ist, resultieren. Der schleimhauttragende Oberkiefer ist weiterhin zum geringeren Anteil an der Geschmacksvermittlung durch freie Nervenenden im Bereich der befestigten Oberkieferschleimhaut und an der Speichelproduktion durch die zahlreichen kleinen mukösen Speicheldrüsen beteiligt. 12.3 Resektion 12.3.1
Indikation, Kontraindikation
Die wesentlichen Indikationen zu Resektionen im Bereich des Oberkiefers sind benigne und maligne Neoplasien und seltener arteriovenöse Malformationen oder Osteonekrosen. Weiterhin können traumatische oder angeborene Defektsituationen bestehen, die eine Rekonstruktion notwendig machen. Im Gegensatz zu den in Deutschland seltenen traumatischen Defektsituationen (wie z. B. Schussverletzungen) stellen angeborene Defekte (Gaumenspalten) eine relativ häufige Indikation zur Rekonstruktion dar, wobei der Gaumendefekt in der Regel zunächst weichgewebig durch Stiel- bzw. Brückenlappenplastiken verschlossen wird, um eine normale Entwicklung der Sprach- und Schluckfunktion zu ermöglichen. Spalten im Bereich des zahntragenden Oberkieferalveolarfortsatzes werden meist sekundär durch Auflagerungsosteoplastiken mit autologem Knochen verschlossen. Die Hauptindikationen für Resektionen im Bereich der Maxilla stellen Tumoren oder entsprechende Präkanzerosen des Epithels von Cavum oris und Sinus maxillaris dar. Andere benigne Läsionen wie beispielsweise Fibrome
können in der Regel ohne Sicherheitsabstand reseziert und primär verschlossen werden oder sekundär abheilen. Präkanzerosen stellen Leuko- oder seltener Erythroplakien dar. Die submuköse Fibrose hat in Deutschland eine untergeordnete Bedeutung, wohingegen der Stellenwert der lokalen Entfernung dieser Präkanzerose im asiatischen und indischen Raum deutlich höher ist (Arakeri und Brennan 2013). Die zunächst sparsame Exzision in diagnostischer Intention lässt in der Regel einen Primärverschluss oder eine sekundäre Wundheilung zu. Die Hauptindikation zur (Teil‑)Resektion des Oberkiefers stellen das Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle einerseits und seltener Karzinome der Kieferhöhle und maligne Speicheldrüsentumoren der kleinen palatinalen Speicheldrüsen, andererseits dar. In der Regel besteht beim lokalisierten Tumorstadium die Indikation zur primären chirurgischen Therapie im Sinne einer radikalen Entfernung mit klinischem Sicherheitsabstand in allen Dimensionen in Kombination mit einer Ausräumung der zervikalen Lymphknoten, sofern die R0-Resektion in der präoperativen Schichtbildgebung möglich erscheint. In Ausnahmefällen kann ein onkologisches Tumor-Debulking mit entsprechender weichgewebiger Rekonstruktion vor einer Strahlentherapie indiziert sein. Als Kontraindikationen für die Resektion gelten allgemein Faktoren wie ein reduzierter Allgemeinzustand des Patienten. Im Speziellen wird onkologisch von einem chirurgischen Vorgehen abgesehen, wenn der Tumor in relevante anatomische Regionen wie das Spatium masticatorium, den Proc. pterygoideus oder die Schädelbasis infiltriert oder die A. carotis interna umschließt/infiltriert (T4b). Eine systemische onkologische Erkrankung (Stadium IVc) gilt in der Regel ebenfalls als Kontraindikation für ein chirurgisches Vorgehen. 12.3.2 Operationsprinzipien
Die Grundlage des operativen Vorgehens besteht in der korrekten Indikationsstellung und der folgenden sorgfältigen Planung. >>Die allgemeine Erfahrung des Chirurgen mit der jeweils
verwendeten Technik bildet zusammen mit der klinischen Untersuchung und entsprechenden bildgebenden Verfahren die Basis der operativen Planung.
Prinzipiell sollte eine Schichtbildgebung, ggf. ergänzt mit einer entsprechenden 3D-Rekonstruktion, vorhanden sein. In der Regel ist für die Tumorresektion mit primärer Rekonstruktion zur korrekten Planung eine Computertomographie (CT) mit Kontrastmittel, ggf. ergänzt durch eine Magnetresonanztomographie (MRT) der Kopf- und Halsregion, notwendig. Insbesondere bei Verdacht auf einen bösartigen Befund der Mund- oder Kieferhöhle sollte die Schichtbildgebung mit Kontrastmittel vor
247
12.4 • Rekonstruktion
chirurgischer Manipulation (z. B. Probenentnahme) erfolgen. Auf Grundlage des Bilddatensatzes können nach 3D-Rekonstruktion und entsprechendem 3D-DruckSchnittschablonen („cutting guide“) und patientenspezifische Implantate geplant und hergestellt werden. Insbesondere bei komplexen vertikalen Defekten, die die Rekonstruktionen des Mittelgesichts erfordern, muss die korrekte Positionierung und Form der patientenspezifischen Osteosynthese gewährleistet sein. Sofern Ausgangsbilder mit korrekter knöcherner Projektion vorliegen, können diese verwendet werden, ansonsten kann die kontralaterale Seite, bei bestehender Defektsituation ohne Ausgangsbildgebung, gespiegelt werden. Hierbei findet die „Computer-aided-Design/Computer-aidedManufacturing-Technik“ (CAD/CAM) Anwendung. Weiterführende diagnostische Untersuchungen sind bei der Umfelddiagnostik von Malignomen durchzuführen, um das Risikoprofil abzubilden und mögliche Kontraindikationen zu erfassen. Zur Operationsplanung sollten folgende Gesichtspunkte maßgeblich berücksichtigt werden: 1. Der zu entfernende Befund sollte bei der präoperativen Beurteilung anhand von klinischer und radiologischer Untersuchung vollständig ohne vitale und möglichst ohne funktionelle Beeinträchtigung zu entfernen sein. Bei onkologischer Therapie ist zur R0-Entfernung ein Sicherheitsabstand einzuplanen (klinisch mindestens 1 cm). Das Belassen von mikroskopischen Tumoranteilen ist bei Plattenepithelkarzinomen mit einer signifikant verschlechterten Prognose verbunden (Kovacs 2004). Eine Nachresektion ist anzustreben, wenn diese unter Berücksichtigung relevanter anatomischer Strukturen zu einer R0-Situation führt, da so die Prognose verbessert wird. 2. Eine Beeinträchtigung von Schluck- und Sprachfunktion durch eine Resektion ist in der Planung zu berücksichtigen. Hierbei sollte die Wiederherstellung der zuvor genannten Funktionen adäquat erfolgen, um eine Abhängigkeit des Patienten von einer permanenten Tracheotomie und die Ernährung nach perkutaner endoskopischer Gastrostomie (PEG) zu vermeiden. Prinzipien hierbei sind primär die knöcherne Rekonstruktion der Transversalen zur suffizienten Trennung der Luftpassage über die Nase und die orale Nahrungspassage. Dies stellt die Basis der weiterführenden kaufunktionellen Rehabilitation mit zahn- oder implantatgetragenem Zahnersatz dar und verhindert eine Hypernasalität. In Ausnahmefällen (z. B. Salvage-Chirurgie) kann ein Teilverlust dieser Funktionen in Kauf genommen werden, wenn ein kurativer Therapieansatz abzusehen ist. 3. Generell sind dem Patienten im Rahmen der Risikound Alternativaufklärung das Ausmaß des Eingriffs und potenzielle funktionelle Einschränkungen zu verdeutlichen. Der Wunsch des Patienten sollte, wenn im onkologischen Setting vertretbar, umgesetzt wer-
den. Bei Differenz zwischen Patientenwunsch und chirurgischen Prinzipien muss die Sinnhaftigkeit der Therapieform infrage gestellt werden und ggf. auf Alternativen mit geringerer kurativer Erfolgswahrscheinlichkeit hingewiesen werden. 4. Der Allgemeinzustand muss einen Eingriff in Intubationsnarkose zulassen. Die Operationsdauer variiert in Abhängigkeit vom Resektionsausmaß und der geplanten Rekonstruktion zwischen einer und mehreren Stunden. Bei anästhesiologischem Risikoprofil muss, sofern onkologisch sinnhaft, u. U. das chirurgische Vorgehen deeskaliert werden. Konkret kann im Bereich des Oberkiefers zur Rekonstruktion auf lokale Stiel- oder Verschiebelappenplastiken zurückgegriffen werden bzw. kann bei perforierenden Defekten eine Obturatorprothese geplant werden, wenn die Möglichkeit zur suffizienten dentalen oder implantatgetragenen Verankerung gegeben ist. Die Generierung einer hohen wissenschaftlichen Evidenz durch kontrollierte prospektive Vergleichsstudien ist im chirurgischen Fachgebiet häufig schwierig zu realisieren. Dementsprechend gib es keine Studien, die unterschiedliche Resektionen und Rekonstruktionen vergleichend untersuchen. Aussagen werden zumeist auf Basis der Ergebnisse retrospektiver Kohortenanalysen und prospektiver Studien ohne ausreichende Randomisierung, niedrige Patientenzahlen oder andere Unzulänglichkeiten im Studiendesign getroffen. Insbesondere die relativ niedrige Fallzahl an Oberkieferrekonstruktionen erschwert die wissenschaftlich vergleichende Untersuchung (Clark et al. 2008). 12.4 Rekonstruktion 12.4.1 Prinzipien
Rekonstruktion bedeutet die Wiederherstellung von Form und Funktion (Restitutio ad functionem) unter Anwendung eines je nach Indikation eskalierenden rekonstruktiven Stufenschemas („rekonstruktive Leiter“), wobei von wenig invasiv nach invasiv jeweils abgewogen werden muss, ob die Relation von Vor- und Nachteilen im Sinne des Patienten in bestmöglichem Verhältnis stehen. Prinzipiell werden je nach Defektlokalisation und -ausmaß im Bereich des Gewebes unterschiedliche Anforderungen an das verwendete Transplantat gestellt. Zur Einteilung der maxillären Defektsituation muss sowohl die horizontale als auch die vertikale Ausdehnung berücksichtigt werden. Eine vielzitierte Einteilung, die hauptsächlich die horizontale Defektsituation und gleichzeitig die Versorgungsfähigkeit mit Obturatorprothesen berücksichtigt, stammt von Okay et al. (2001). Die aktuell verwendete Einteilung wurde 2010 durch Brown et al. veröffentlicht und erfasst v. a. die meist aufwändi-
12
Kapitel 12 • Oberkiefer
248
..Abb. 12.3 a–d Defekteinteilung vertikal (oben) und horizontal (unten). (Mod. nach Brown und Shaw 2010, mit freundlicher Genehmigung)
a
12
b
ger zu rekonstruierende vertikale Dimension neben den horizontalen Aspekten der Defektausdehnung (Brown und Shaw 2010). Defekte des Oberkiefers bzw. Teile des Mittelgesichts lassen sich in vier Klassen (I–IV) einteilen. Zwei weitere Klassen (V und VI) betreffen das zentrale bzw. laterale Mittelgesicht ohne Oberkieferbeteiligung und werden deshalb aus didaktischen Gründen in diesem Kapitel nicht weiter berücksichtigt. Die Defekte I–IV betreffen die Maxilla und beschreiben aufsteigend die zunehmende Defektgröße in vertikaler Dimension: Einteilung von Oberkieferdefekten – vertikale Defektausdehnung (. Abb. 12.3, oben)
-
Ein Klasse-I-Defekt bleibt auf den Alveolarfortsatz beschränkt und verursacht keine oronasale Fistel. Ein Klasse-II-Defekt umfasst Alveolarfortsatz, die faziale Kieferhöhlenwand und den kaudalen Aspekt der Jochbeinprominenz, jedoch ohne Beteiligung der Orbita. Klasse-III-Defekte umfassen den Alveolarfortsatz, die faziale Kieferhöhlenwand, Jochbein und Orbitaanteile bzw. -inhalt, jedoch ohne Enukleation bzw. Exenteratio. Klasse-IV-Defekte umfassen zusätzlich eine Exenteratio orbitae.
c
-
d
Defekte entsprechend einer unilateralen Hemimaxillektomie ohne Mittellinienüberschreitung (Klasse b) Mittellinienüberscheitende Defekte bis maximal 50 % der horizontalen Fläche (Klasse c) Defekte mit Ausdehnung über mehr als 50 % der horizontalen Fläche (Klasse d)
12.4.2
Die horizontale Defektsituation
12.4.2.1 Klasse-a-Defekte
Die Rekonstruktion von Klasse-a-Defekten (. Abb. 12.3) kann in der Regel durch Weichgewebe versorgt werden. Zentral gelegene Defekte können prinzipiell durch lokal gestielte Transplantate, die auf der Gefäßversorgung der A. palatina basieren, bzw. durch nasolabiale Transpositionsplastiken (A. facialis) gedeckt werden. Aus der Spaltchirurgie adaptierte palatinale Stiel- oder Brückenlappenplastiken können ebenfalls zur Deckung von kleinen Defekten verwendet werden (. Abb. 12.4). Für den primären Wundverschluss im Bereich des zentralen Defekts muss die lateral befestigte Gingiva nach medial mobilisiert werden. Der laterale Hebedefekt heilt in der Regel problemlos sekundär. >>Zu beachten ist der Verlauf des Hauptstamms der Pa-
Die horizontale Defektausdehnung kann ebenfalls systematisch gruppiert werden: Einteilung von Oberkieferdefekten – horizontale Defektausdehnung (. Abb. 12.3, unten)
-
Defekte des zentralen Hartgaumens ohne Alveolarfortsatzbeteiligung (Klasse a)
latinalgefäße, der ca. 10 mm medial der ersten beiden Oberkiefermolaren nach anterior verläuft.
Bei größeren Defekten sind in der Regel mikrovaskulär reanastomosierte Transplante notwendig, wobei das Transplantat vom radialen Unterarm einen hohen Stellenwert besitzt (10). Vorteilig ist der variabel lange Gefäßstiel, mit dem Anschlussgefäße im kaudalen Halsbereich erreicht werden können. Die Morbidität bei Entnahme eines fasziokutanen Transplantats für Klasse-a-Defekte (bis ca. 4 × 6 cm) ist relativ gering (. Abb. 12.5).
249
12.4 • Rekonstruktion
a
b
c
d
..Abb. 12.4 a-d Rekonstruktion bei Klasse-I-Defekt bei Z. n. Plattenepithelkarzinom (a) mittels gestielter Palatinallappenplastik intraoperativ (b, c) und 3 Wochen postoperativ (d)
>>Die viel zitierte erhöhte Entnahmemorbidität von
Transplantaten für Klasse-a-Defekte wird von Patienten häufig als nicht störend empfunden (Orlik et al., 2014).
12.4.2.2
Klasse-b- und -c-Defekte
Die Planung der Rekonstruktion von horizontalen Klasse-b- und -c-Defekten (. Abb. 12.3) wird durch die Faktoren Restzahnbestand und Allgemeinzustand maßgeblich mitbestimmt. Bei ausreichendem Restzahnbestand kann die Defektdeckung, der rekonstruktiven Leiter folgend, prinzipiell durch lokale Stiellappenplastiken erfolgen. In der rekonstruktiven maxillären Chirurgie sind unterschiedliche Lokal- und Fernlappenplastiken beschrieben worden, deren Anwendung und Erfolgschancen durch die Gewebemenge und die Stiellänge limitiert sind (Bakamjian und Poole 1977; Colmenero et al. 1991), wobei das myofasziale Temporalis-Transplantat in diesem Zusammenhang am häufigsten beschrieben wurde (Brown und Shaw 2010). Myofasziales Temporalis-Transplantat Die geringe Trans-
plantatdicke und rein muskulären Anteile zeigen Nachteile in der Füllung von Totraum in Projektion auf den Sinus maxillaris (v. a. vertikale Klassen III–IV), sodass in
der Regel mikrovaskulär reanastomosierte Gewebetransfers bevorzugt werden. Transplantat vom radialen Unterarm Dieses kann im haut-
inselnahen Stielbereich mit zusätzlichem Fettgewebe gehoben werden, sodass kleinere Toträume suffizient gefüllt werden können. Prinzipiell kann am radialen Unterarm ein osseofasziokutanes Transplantat gehoben werden, um Fälle mit kleineren ossären Defekten zu rekonstruieren. >>Nach Meinung der Autoren sollte die Indikation auf-
grund der größeren Entnahmemorbidität im Verhältnis zur geringen Knochenhöhe streng gestellt werden. (Myo)fasziokutanes Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel Es kann in Bezug auf die Gewebeeigenschaf-
ten variabel eingesetzt werden. Die Stiellänge von bis zu 16 cm eignet sich zur Überbrückung der Distanz zwischen Oberkiefer und zervikalem Gefäßanschluss (Horn et al. 2013). Rein weichgewebige Transplantate können bei ausreichendem Zahnbestand und stabiler Pfeilerverteilung der Gegenseite prinzipiell zahn- und schleimhautgetragen prothetisch versorgt werden (Okay et al. 2001). Bei reduziertem oder fehlendem Restzahnbestand ist die schleimhaut-/transplantatgetragene Prothese im
12
250
Kapitel 12 • Oberkiefer
des kaudalen Mittelgesichts zu vermeiden. Das mikrovaskulär reanastomosierte osseokutane Fibula-Transplantat und das myoosseo(kutane) Scapula-Transplantat bieten für diesen Zweck ausreichend Knochen, und sie eignen sich zur Rekonstruktion des intraoralen Weichgewebes. Bei kleineren ossären Defekten im anterioren Bereich kann u. U. die weichgewebige Rekonstruktion, gefolgt von einer sekundären Anlagerungsplastik mit freiem monokortikalem Knochen der Crista iliaca, erwogen werden. Osseokutanes Fibula-Transplantat Das osseokutane Fia
b
12
c ..Abb. 12.5 a-c Rekonstruktion bei Klasse-I-Defekt bei Z. n. adenoidzystischem Karzinom (a) mittels mikrovaskulärem Unterarmlappen (b, c)
bula-Transplantat zur mikrovaskulären Oberkieferrekonstruktion ist bei maxillären Rekonstruktionen am häufigsten beschrieben (Brown und Shaw 2010). Es zeichnet sich durch eine ausreichende und variable Stiellänge aus. Das Wadenbein bietet kortikalen Knochen zur horizontalen Rekonstruktion. Bei Notwendigkeit kann die Fibula zur sog. „Double-barrel-Form“ osteotomiert werden, um ausreichend vertikal zu rekonstruieren. Die Hautbeschaffenheit am distolateralen Unterschenkel eignet sich zur Rekonstruktion des Oberkieferplanums. Weiterhin lässt die simultane Transplantatentahme mit ausreichender Distanz der Arbeitsplätze eine zügige Operation und komfortable Bedingungen zu. Die Entnahmemorbidität ist bei Ruhigstellung der distalen Extremität in einer entsprechenden Orthese über 6 Wochen in Teilbelastung gering (Wei et al. 1986; Zhang et al. 2015). Myoosseo(kutanes) Scapula-Transplantat/Crista iliaca Alternativ zum Fibula-Transplantat kann Knochen aus der Scapula (A. thoracodorsalis oder A. circumflexa scapulae) oder der Crista illiaca (A. circumflexa iliaca profunda) entnommen werden. Im Vergleich zum Fibula-Transplantat ist der Gefäßstiel bei beiden Transplantaten relativ kurz, sodass zur Anastomosierung oberkiefernahe Halsgefäße (A. facialis) oder Temporalgefäße (A. temporalis superficialis) verwendet werden müssen, was bei onkologisch vorbehandelten Patienten Schwierigkeiten bereiten kann. Der bikortikale Knochen der Crista illiaca bietet eine optimale vertikale und horizontale Dimension für nachfolgende dentale Implantationen. >>Zur intraoralen Weichgewebsdeckung ist jedoch die an-
Oberkiefer keine Alternative, sodass eine knöcherne Abstützung zur zweizeitigen Implantation gewährleistet sein muss. Weiterhin geht bei nach anterior reichenden Defekten die laterale Nasenprojektion verloren, sodass eine suffiziente knöcherne Rekonstruktion notwendig wird. Bei Entfernung des anterioren Oberkiefers (Klasse c) entsteht einerseits eine oronasale Fistel in vertikaler Dimension, und es geht die kaudale Mittelgesichtsprojektion in der sagittalen Ebene verloren, was prinzipiell eine knöcherne Rekonstruktion notwendig macht, um eine Retraktion
teilige Mitnahme des M. obliquus internus notwendig. Bei geplanter Verwendung muss v. a. die Entnahmemorbidität in Bezug auf Hernien kritisch diskutiert und gegen die Alternativen abgewogen werden (Forrest et al. 1992).
Die variable osseokutane Gestaltung von Transplantaten auf Basis der A. thoracodorsalis oder der A. circumflexa scapulae lässt komplexe Rekonstruktionen zu. Die längere Operationszeit aufgrund der notwendigen Umlagerung und der relative kurze Gefäßstiel sind Nachteile im Vergleich zum Wadenbeintransplantat. Sofern die 3-Ge-
251
12.4 • Rekonstruktion
fäß-Versorgung des Unterschenkels gewährleistet ist, bieten sich bei Klasse-b(II–III)-Defekten nach Meinung der Autoren sowohl das Fibula- als auch das Scapulaspitzen-Transplantat an. Vor allem bei älteren Menschen muss jedoch zwischen zügiger Mobilisation (Vorteil: Scapula) und längerer Operationszeit (Vorteil: Fibula) abgewogen werden, wobei nach Meinung der Autoren die schnellstmögliche Mobilisation zur Vermeidung einer Hospitalisierung und des Verlustes der Eigenständigkeit, angestrebt werden sollte. 12.4.3
Vertikale Defekte – Versorgung mit Obturatoren
Der Obturator ist bei Defekten der Klasse IIb und IId eine sinnvolle Alternative, wobei die Grundvoraussetzung für eine langfristige Versorgung die suffiziente prothetische Abstützung am Restzahnbestand bzw. an Implantaten ist (. Abb. 12.6). Klasse-IIb-Defekte können bei strategischer Pfeilerverteilung mit akzeptablen funktionellen Ergebnissen durch Obturatoren versorgt werden. Bei Klasse-IId-Defekten bzw. zahnlosen Patienten ist die rein dentale Abstützung meist nicht ausreichend (Okay et al. 2001). Eine zusätzliche Abstützung kann im Restknochen über Implantation im Bereich des Os zygomaticum erreicht werden (Chrcanovic et al. 2016). Die Lebensqualität von Patienten mit Obturatorprothesen ist in der Regel mit der nach mikrovaskulärer Rekonstruktion vergleichbar (Breeze et al. 2016). Vorteile der Versorgung mit Obturatoren ist die in der Regel verkürzte Operationsdauer und damit auch der kürzere Krankenhausaufenthalt. Die direkte klinische Einsicht auf den Resektionsdefekt ermöglicht eine gute onkologische Nachsorge. Nachteilig ist die Notwendigkeit der regelmäßigen Prothesenanpassung, um Hypernasalität und Speise- bzw. Flüssigkeitsregurgitation zu vermeiden, insbesondere bei Patienten nach adjuvanter Bestrahlung (Gillespie et al. 1986). Die Defektsituation sowie die Obturatorprothese bedürfen weiterhin einer intensivierten Wund- bzw. Prothesenpflege zur Vermeidung von Infektionen und Druckstellen. >>Die Fähigkeit zur suffizienten Mundhygiene sollte bei
geplanter langfristiger Obturatorversorgung auch im höheren Alter des Patienten gewährleistet sein.
12.4.4
Horizontale Klasse-d-Defekte und vertikale Defekte der Klassen III und IV
Die Rekonstruktion geht bei ausgedehnten horizontalen Defekten (Klasse d) in der Regel mit höhergradigen vertikalen Defiziten (Klasse III–IV) einher.
a
b
c ..Abb. 12.6 a–c Implantatgetragene Obturatorversorgung bei Klasse IId. a Intraoperativer Resektionsdefekt bei Plattenepithelkarzinom. b Defekt bei klinischer Kontrolle nach 3 Monaten. c Individuell geplantes und gefrästes Steggerüst (CAD/CAM-Technik)
12.4.4.1
Horizontale Defekte der Klasse d
Mit dem Transplantat von der Scapulaspitze (A. thoracodorsalis) kann in horizontaler Ebene die Bogenform des anterioren Oberkiefers nachempfunden werden. Der intraorale Abschluss gelingt durch die Mitnahme von transplantatnahen Anteilen des M. subscapularis bzw. kann für komplexe Defekte durch Muskelanteile des M. serratus anterior, des M. teres major und des M. latissimus dorsi erweitert werden (Clark et al. 2008; Brown und Shaw 2010; Ugurlu et al. 2007). Die Muskelanteile
12
252
Kapitel 12 • Oberkiefer
a
b
d
12
g
c
e
h
f
i
j ..Abb. 12.7 a–j Oberkieferrekonstruktion mit mikrovaskulär reanastomosiertem myoossärem Transplantat der Scapulaspitze. Ausgedehntes, flächig wachsendes Plattenepithelkarzinom des Oberkiefers (a). Defektsituation nach Tumorentfernung im Sinne einer subtotalen Maxillektomie (b). Intraoperativer Situs: Vaskuläre Versorgung des Schulterblatts mit der A. thoracodorsalis und A. circumflexa scapulae aus der A. subscapularis (c). Transplantat der Scapulaspitze mit dem Gefäßstiel der A. thoracodorsalis (d). Postoperative Situation mit erhaltener Oberlippenprojektion (e) und intraorale Ansicht mit
epithelialisiertem Muskelanteil der horizontal positionierten Scapulaspitze (f). CT-basierte 3D-Rekonstruktion mit individueller virtueller Planung der Implantatpositionierung anhand des Gegenkiefers zur Wiederherstellung einer Klasse-I-Verzahnung (g). Postoperative Panoramaschichtaufnahme (h) mit regelrecht inserierten Mini-Implantaten. Intraoraler Situs nach Stegversorgung und Vestibulumplastik mittels Spalthaut vom Oberschenkel (i). Frontalansicht nach dentaler Rehabilitation durch implatatgetragene Totalprothese (j)
des Scapulatip-Transplantats epithelialisieren im postoperativen Verlauf meist komplikationslos und zeigen ästhetisch und funktionell gute Ergebnisse, sodass es sich für ausgedehnte Oberkieferdefekte eignet (. Abb. 12.7). Die Wahl des entsprechenden Transplantats hängt einerseits von der jeweiligen Expertise des Operateurs
und andererseits von der zervikalen Gefäßsituation ab. Beiden Transplantaten gemeinsam ist die Möglichkeit der Implantatversorgung zur kaufunktionellen Rehabilitation und zur ästhetisch korrekten Projektion der Oberlippe. Bei ossären Rekonstruktionen muss mit einer geringen Resorption der Knochenhöhe gerechnet wer-
12.4 • Rekonstruktion
den, die u. U. eine ergänzende Osteoplastik mit freiem monokortikalem Knochen notwendig macht. Das Transplantat vom Wadenbein kann durch die Perforatorversorgung variabel osteotomiert und dem Defekt entsprechend mit einer Plattenosteosynthese angepasst werden. Vorteile sind die variabel langen Stielgefäße, die reliable Gefäßanatomie, die Möglichkeit zur Verwendung einer Hautinsel im distalen Anteil, die geringe Entnahmemorbidität, das einzeitige Vorgehen und die Möglichkeit der implantologischen dentalen Rehabilitation bei suffizientem Knochenangebot (Wei et al. 1986; Zhang et al. 2015).
---
12.4.4.2
und IV
Vertikale Defekte der Klassen III
Die vertikalen Defekte (Klasse III und IV) betreffen in der Regel die faziale Kieferhöhlenvorderwand, den Alveolarfortsatz, Jochbeinanteile sowie den Orbitaboden. Aufgrund der komplexen Anatomie ist die adäquate Rekonstruktion durch ein einzelnes Transplantat nicht zu gewährleisten (Futran 2005). Die Obturatorversorgung wird den komplexen rekonstruktiven Ansprüchen nicht gerecht. Die korrekte Projektion des Bulbus, die Auffüllung des entstandenen Totraums und die Gewährleistung einer potenziellen dentalen Rehabilitation sind bei der Planung zu berücksichtigen. Die adjuvante Therapie im Sinne einer Radiochemotherapie erfordert suffizient weichgewebig gedeckte Wundverhältnisse in Kombination mit individualisierten Osteosynthesen zur Stabilisierung der Bulbus- (Klasse III) und der Jochbein‑/Nasenprojektion (Klasse IV). Bei diesen Defekten wird vermehrt Weichgewebe benötigt, um den Totraum zwischen Orbitaboden und zur Nasenhaupthöhle einerseits und zur Mundhöhle andererseits zu füllen. Dies ist insbesondere bei geplanter adjuvanter Bestrahlung zur Prophylaxe von Infektionen des alloplastischen Osteosynthesematerials von Bedeutung. Dieses Volumen kann bei entsprechender Präparation adäquat v. a. gewährleistet werden durch die Transplantate vom seitlichen Rücken (M. latissimus dorsi; Smolka und Iizuka 2005; Suga et al. 2007; Uglesic et al. 2000), die Transplantate vom Unterbauch (M. rectus abdominis) bzw. das (myo)kutane DIEP-Transplantat (deep inferior epigastric perforator flap; Bianchi et al. 2006; Cordeiro et al. 1999; Davison et al. 2004; Nakayama et al. 2004; Sakuraba et al. 2003; Yamamoto et al. 2004; Masia et al. 2011) oder einen Lappen vom anterolateralen Oberschenkel (ALT-Lappen; Nakayama et al. 2004).
-
Das myofasziokutane Transplantat vom Unterbauch ist das in der Literatur am häufigsten beschriebene Trans-
253
plantat bei voluminösen Oberkiefer- und Mittelgesichtsdefekten (Brown und Shaw 2010). In Anbetracht der erhöhten Entnahmemorbidität bei Mitnahme des M. rectus abdominis sind nach Meinung der Autoren Alternativen zu favorisieren. Das (myo)kutane Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel bietet beispielsweise die Möglichkeit der zur Resektion simultanen Transplantatpräparation, eine hohe Variabilität in der Transplantatgestaltung und eine geringe Entnahmemorbidität bei suffizienter Stiellänge (Kimata et al. 2000; Wei et al. 2002). Die knöcherne Rekonstruktion von Orbitaboden bzw. Infraorbitalrand gelingt nur unter Zuhilfenahme von Osteosynthesematerial. In Bezug auf Orbitaanteile haben sich patientenspezifische präformierte Titan-Implantate (PSI) zur Unterstützung des Weichgewebes bewährt. Die Verwendung von freiem, nichtvaskularisiertem Knochen zur Rekonstruktion der Orbitaprojektion ist in der Literatur beschrieben, jedoch mit hohen Raten eines Ektropiums (77 %) verbunden (Bianchi et al. 2006). Nach Ansicht der Autoren ist eine primäre mikrovaskuläre knöcherne Rekonstruktion anzustreben, wobei für die Restitutio ad functionem infraorbital zusätzlich ein Titan-Mesh verwendet werden sollte. Für reine Maxillektomie-Defekte eignen sich je nach persönlicher Expertise zur horizontalen Rekonstruktion die revaskularisierten ossären Transplantate von Schulterblatt, Fibula und ggf. Becken. Die vertikale Rekonstruktion der fazialen Strukturen erfordert eine präzise präoperative Planung. Prinzipiell kann das Fibula-Transplantat mit Hautinsel durch Sägeschablonen und präformierte Osteosynthese gut vorbereitet werden. Die Positionierung der Hautinsel und die Notwendigkeit der Osteotomie erschweren jedoch die einfache Verwendung in der chirurgischen Routine (Chang und Langstein 2003) . Während die Verwendung für horizontale Defekte möglich ist (Brown 1996), eignet sich das mikovaskulär reanastomosierte Transplantat der Crista illiaca mit Haut- bzw. Muskelinsel aufgrund der geringen Mobilität des Weichgewebes und der geringen Stiellänge meist nicht für vertikale Rekonstruktionen des Mittelgesichts. Die Scapulaspitze kann als myoossäres Transplantat bei entsprechender virtueller Planung relativ sicher vertikal positioniert werden. Der muskuläre Anteil (M. subscapularis) oder Anteile des M. latissimus dorsi bzw. des M. teres major können zum Verschluss des intraoralen Defekts verwendet werden. Die vertikale Positionierung ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die Resektion das faziale knöcherne Mittelgesicht betrifft und eine Retraktion des Weichgewebes in Projektion auf die Kieferhöhle droht (. Abb. 12.8). Weiterhin eignet sich das myoossäre Transplantat von der Scapulaspitze in der Regel zur implantatgetragenen dentalen Rehabilitation (Mertens et al. 2016). Bei komplexen Defektsituationen erlaubt die vaskuläre Anatomie
12
254
Kapitel 12 • Oberkiefer
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..Abb. 12.8 a–k Oberkieferrekonstruktion mit vertikal positioniertem Transplantat der Scapulaspitze mit Hautinsel und patientenspezifischem Implantat (PSI) bei einem Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom des Oberkiefers rechts. Exophytisch wachendes Plattenepithelkarzinom mit horizontaler Ausdehnung bis an die Mittellinie (a). Frontalansicht in der Computertomographie mit totaler Verschattung des Sinus maxillaris rechts und exophytischem Wachstum nach intraoral (b). Hauptresektat (c) und intraoperativer
Situs nach transfazialem Zugang (d). Muskuloossäres Transplantat der Scapulaspitze mit Hautinsel mit Stiel der A. thoracodorsalis (e). Präformiertes patientenspezifisches Titan-Mesh zur Rekonstruktion des Orbitabodens (f). Postoperative Computertomographie in axialer, koronarer und sagittaler Schicht mit vertikal positionierter Scapula und PSI (g–i). Postoperative Frontalansicht bei Z. n. transfazialem Zugang (j) und intraoraler Befund mit reizfrei eingeheilter Hautinsel (k)
255
12.5 • Risiken und Nachsorge
..Tab. 12.1 Rekonstruktive Optionen entsprechend den Defektklassen I–IV Technik
I
II
III*
IV*
Prothetik
Obturator
+ (b,c)
+ (b)
(+/−)
−
Lokal gestielt
Temporalis
+ (b)
+ (b)
−
−
Weichgewebe (mikrovaskulär)
Radialis
+
+
−
−
ALT
+
+
+
+ mit PSI
Rectus abdominis
−
−
(+/−)
+ mit PSI
Latissimus dorsi
−
−
+
+ mit PSI
Radialis
(+)
(+) (b,c)
−
−
Fibula
−
+
(+/−)
−
Knöchern (+/− Weichgewebe) (mikrovaskulär)
DCIA
−
+
(+/−)
−
Scapulaspitze (myoossär)
−
+
+
+ mit PSI
Scapula (osseomyokutan)
−
+
+
+ mit PSI
* In der Regel mit alloplastischer Osteosynthese infraorbital + empfohlen, +/− in Einzelfällen sinnvoll, − nicht empfohlen. I–IV: vertikale Defekte, a–d: horizontale Defekte ALT anterolateral thigh (anterolateraler Oberschenkel), DCIA deep circumflex iliac artery, PSI patientenspezifisches Implantat
mit A. subscapularis bzw. A. circumflexa scapulae die Verwendung von Anteilen des lateralen bzw. medialen Schulterblatts mit bei Bedarf mehreren Hautinseln, um das intraorale und intranasale Kompartiment zu trennen (Uglesic et al. 2000). Die Orientierung des Transplantats kann intraoperativ aufgrund des Muskelmantels Schwierigkeiten bereiten, sodass eine adäquate faziale Projektion, eine räumliche Trennung des oralen und nasalen Kompartiments und die optimale prothetische Positionierung für die weiterführende Implantatversorgung häufig trotz komplexer Transplantatanatomie nicht immer möglich sind. zz Bewertung
Im Allgemeinen ist die Entscheidung bezüglich der maxillären Rekonstruktion nach wie vor häufig erfahrungsbasiert, die vorliegenden Studien haben einen geringen Evidenzlevel. Die komplexe Anatomie einerseits und die klinische wie individuelle Patientenhistorie andererseits machen eine eindimensionale Therapieentscheidung unmöglich (. Tab. 12.1). Bei onkologischen Resektionen ist beispielsweise häufig eine adjuvante Strahlentherapie mit entsprechenden Komplikationen notwendig, sodass u. U. die zunächst sichere Weichgewebsversorgung vorgezogen werden kann, um den onkologischen Therapieablauf nicht unnötig zu verzögern und damit die Prognose des Patienten zu reduzieren. Bei mittel- bis langfristiger Tumorfreiheit kann eine sekundäre ossäre Rekonstruktion im Intervall geplant werden.
12.5 Risiken
und Nachsorge
12.5.1 Risiken
>>Bei intraoralen Rekonstruktionen allgemein und bei der
des Oberkiefers im Speziellen haben Wundinfektionen mit oroantraler bzw. oronasaler oder orozervikaler Fistelbildung eine besondere Bedeutung.
Wundheilungsstörungen im Endstrombereich von gestielten oder mikovaskulären Transplantaten mit entsprechender Dehiszenz sind bei intraoralen Rekonstruktionen keine Seltenheit. Die proteolytische enzymatische Aktivität des Speichels kann eine Fistelung zusätzlich unterstützen, insbesondere dann, wenn ein simultaner operativer Zugang im Halsbereich notwendig ist. Durch entsprechende Maßnahmen im Sinne von intraoralen Tamponaden, granulationsfördernden Verbänden und ggf. sekundären chirurgischen Maßnahmen können diese jedoch gut behandelt werden. Große Relevanz besitzen Wundheilungsstörungen insbesondere dann, wenn simultan flächiges Osteosynthesematerial (z. B. Titan-Mesh) zum Erhalt der Mittelgesichts- bzw. der Bulbusprojektion verwendet wurde. >>Die Entscheidung zu sekundären lokalplastischen oder
mikrovaskulären Rekonstruktionen sollte zur Vermeidung des Verlusts von Fremdmaterial durch Infektionen in diesen Fällen zügig getroffen werden.
12
256
12
Kapitel 12 • Oberkiefer
Ein Transplantat(teil)verlust zählt zu den relativ seltenen Komplikationen. Bei vollständigem Verlust sollte das Repertoire des behandelnden Chirurgen über erfolgversprechende Alternativen zum Defektverschluss verfügen. Ist eine erneute Rekonstruktion nicht im gleichen Eingriff wie die Revision möglich, so kann der Defekt vorübergehend mit entsprechendem Verbandmaterial austamponiert werden oder, wenn möglich, mit funktionellen Einbußen bis zur erneuten zeitnahen Rekonstruktion primär verschlossen werden. In Anbetracht einer aus onkologischen Gründen erforderlichen adjuvanten Therapie gilt es, diese nicht zusätzlich zu verzögern, da dies mit einer reduzierten Prognose einhergeht (Murphy et al. 2016). In der Regel kann bei Resektionen im Bereich des Oberkiefers die äußere Haut als ästhetische Einheit in Kontinuität erhalten werden. Ausnahmen bilden ausgedehnte vertikale Defekte, die einen transfazialen Zugang erforderlich machen, oder maligne Tumoren mit Hautinfiltration. Beim transfazialen Zugang gilt es, infraorbital auf einen sorgfältigen Wundverschluss zu achten, um ein Ektropium des Unterlides bzw. ästhetische Einbußen zu vermeiden. Die knöcherne Projektion des Mittelgesichts hat maßgeblich Einfluss auf die ästhetische Wirkung, sodass eine insuffiziente knöcherne Rekonstruktion der Maxilla in der Sagittalebene zur Retraktion der Lippe, des Philtrums und u. U. zu einer Kaudalisierung der Nasenspitze führt. Die Erwartungshaltung des Patienten gilt es in Anbetracht der Rekonstruktionsmöglichkeiten zu relativieren, um die Unzufriedenheit aufgrund überhöhter Erwartungshaltung zu vermeiden.
bei Mundhöhlenkarzinomen, trotz R0-Resektion, ein generelles Risiko des lokalen und regionalen Erfolgs dar. Dieses ist als besonders hoch einzuschätzen, wenn die Resektion knapp im Gesunden erfolgt ist („close margin“), bei lokal fortgeschrittenem Tumorleiden (T3/ T4) und bei u. a. kapselüberschreitenden Lymphknotenmetastasen. 12.5.2 Nachsorge
Die Nachsorge und deren Frequenz ergeben sich wiederum aus der Wahrscheinlichkeit, dass eines der o. g. Risiken zum Tragen kommt. Die individuelle Betreuung geht von allgemeiner postoperativer klinischer Nachsorge in die spezielle onkologische Nachsorge über. Im Rahmen der regulären postoperativen Kontrolle werden in der Regel Wundkontrollen mit ggf. Verbandwechsel oder Fadenzug, die Feststellung etwaiger funktioneller Defizite und die Reevaluation der Arbeitsfähigkeit durchgeführt. Bei funktionellen Defiziten kann zwischen postoperativen temporären oder langfristigen unterschieden werden. Direkt postoperative schwellungs- und schmerzbedingte Einschränkungen sind nie vollständig zu vermeiden, jedoch ist die Wahrnehmung des Patienten durch die adäquate und realistische präoperative Aufklärung positiv zu beeinflussen. Defizite, die über das direkte postoperative Intervall hinaus andauern, wie Lymphödeme, Schluck- oder Sprachdefizite, müssen nach Abschluss der primären initialen postoperativen Wundheilung durch Lymphdrainage, manuelle Therapie und Logopädie therapiert werden.
>>Die ausführliche Aufklärung ist der Grundstein für die
Zufriedenheit des Patienten im Hinblick auf Funktion und Ästhetik.
Die dentale Rehabilitation mit implantatgetragenem Zahnersatz ist im onkologischen Setting als langfristiges Ziel zu sehen. Die Implantation birgt neben Implantatverlust aufgrund von Periimplantitis v. a. das Risiko, die Vaskularistation des ossären Transplantats bei zu großflächiger oder inadäquater Denudierung zu gefährden. Sie sollte durch einen Chirurgen mit onkologischer und implantologischer Erfahrung durchgeführt werden. Funktionell können oroantrale bzw. oronasale Fisteln eine veränderte Phonation zur Folge haben und bei insuffizienter horizontaler Rekonstruktion die Kau- und Schluckfunktion beinträchtigen, was u. U. zur Notwendigkeit einer permanenten Tracheotomie und/oder Abhängigkeit von einer PEG-Anlage führt. Spezielle onkologische Risiken bestehen darin, dass der zu resezierende Befund nicht vollständig mikroskopisch und makroskopisch (R1-, R2-Situation) entfernt wird. Dies resultiert in einer deutlich verschlechterten Prognose für den Patienten. Weiterhin stellen Rezidive
>>Die Nachsorge des rekonstruierten Patienten sollte
interdisziplinär erfolgen. Die Zusammenarbeit von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten, Radioonkologen, Hausarzt, Phoniater, Psychologen, Logopäden, Physiotherapeuten und MKG-Chirurgen ist entscheidend und sollte vom verantwortlichen Chirurgen koordiniert werden.
Die onkologische Nachsorge schließt sich den postoperativen Kontrollen an. Bei Plattenepithelkarzinomen sollte entsprechend der aktuellen Leitlinie der Fachgesellschaft (Leitlinie Mundhöhlenkarzinom der deutschen Gesellschaft für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie) nachgesorgt werden. Die rekonstruktive Nachsorge ohne onkologischen Hintergrund kann nach Erreichen eines für den Patienten adäquaten Zustands zur Ausführung seiner alltäglichen und beruflichen Verpflichtungen beendet bzw. bei Bedarf individualisiert werden.
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Zusammenfassung Ziel der rekonstruktiven Chirurgie im Bereich des Oberkiefers ist die bestmögliche Wiederherstellung des ästhetischen und funktionellen Normzustands.
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Literatur
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Die knöcherne Projektion der Maxilla in der Sagittalebene und die Trennung von Mund- und Nasenhöhle in der Transversalebene stellen die Hauptziele der maxillären Rekonstruktion dar. Die Zähne sind im Alveolarfortsatz im Zusammenspiel mit dem antagonistischen Unterkiefer für eine suffiziente Kaufunktion verantwortlich. Der Hartgaumen dient im Wesentlichen als Widerlager der Zunge und des mobilen Unterkiefers beim Kau- und Schluckakt. Die Hauptindikationen zur (Teil‑)Resektion des Oberkiefers stellen das Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle einerseits und seltener Karzinome der Kieferhöhle und maligne Speicheldrüsentumoren der kleinen palatinalen Speicheldrüsen andererseits dar. Als Kontraindikationen für eine Resektion gelten allgemein Faktoren wie ein reduzierter Allgemeinzustand des Patienten. Im Speziellen wird onkologisch von einem chirurgischen Vorgehen abgesehen, wenn der Tumor in relevante anatomische Regionen wie das Spatium masticatorium, den Proc. pterygoideus oder die Schädelbasis infiltriert oder die A. carotis interna umschließt/infiltriert (T4b). Zur Einteilung der maxillären Defektsituation muss sowohl die horizontale als auch die vertikale Ausdehnung berücksichtigt werden (Defektklassen I–IV). Rekonstruktion bedeutet die Wiederherstellung von Form und Funktion (Restitutio ad functionem) unter Anwendung eines je nach Indikation eskalierenden rekonstruktiven Stufenschemas („rekonstruktive Leiter“), wobei von wenig invasiv nach invasiv jeweils abgewogen werden muss, ob die Relation von Vor- und Nachteilen im Sinne des Patienten in bestmöglichem Verhältnis stehen. Prinzipiell werden je nach Defektklasse (I–IV) und -ausmaß unterschiedliche Anforderungen an das verwendete Transplantat gestellt. Für eine mikrovaskuläre Rekonstruktion von Weichgewebe kann aufgrund der günstigen Stiellänge bevorzugt der Unterarm- oder der Oberschenkellappen (ALT) verwendet werden. Das M.-rectus-abdominis- bzw. M.-latissimus-dorsiTransplantat kann bei voluminösen Defekten zur Totraumreduktion verwendet werden (z. B. KlasseIII- und -IV-Defekt) Für eine mikrovaskuläre Rekonstruktion von Knochen und Weichgewebe kann das Scapula-, das Fibula- oder das Beckenkammtransplantat verwendet werden.
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258
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Kapitel 12 • Oberkiefer
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259
Unterkiefer Tobias Ettl, Johannes K. Meier, Torsten E. Reichert
Inhaltsverzeichnis 13.1
Einleitung – 260
13.2
Chirurgisch relevante Anatomie, Physiologie und Biomechanik – 261
13.3
Rekonstruktion – 261
13.3.1 13.3.2 13.3.3 13.3.4
Klassifikation der Defekte des Unterkiefers – 261 Ziele der Unterkieferrekonstruktion – 263 Nichtvaskularisierte Rekonstruktion – 263 Vaskuläre Unterkieferrekonstruktion – 267
13.4
Risiken und Nachsorge – 279 Literatur – 280
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_13
13
260
Kapitel 13 • Unterkiefer
13.1 Einleitung
Substanzielle Defekte des Unterkiefers entstehen aufgrund von ausgedehnten Tumorresektionen benigner und maligner Tumoren, bei schweren maxillofazialen Traumata sowie bei der Entfernung von Knochennekrosen aufgrund chronischer Osteomyelitiden, infizierter Osteoradionekrosen (IORN) oder antiresorptivaassoziierter Osteonekrosen (ARONJ). >>Die Behandlung von Plattenepithelkarzinomen der
Mundhöhle ist mit Abstand die häufigste Ursache von Kontinuitätsdefekten des Unterkiefers. Die resultierenden Defekte sind von hoher klinischer Relevanz, da der Unterkiefer entscheidend zu einer harmonischen Formgebung des Gesichts beiträgt und gleichzeitig für lebensnotwendige Funktionen wie Kauen, Schlucken, Sprechen und Atmen verantwortlich ist.
13
Trotz des Bewusstseins für die hohe ästhetische und funktionelle Bedeutung der Integrität des Unterkiefers kann insbesondere bei ablativer Tumorchirurgie von malignen Tumoren im Bereich des Unterkiefers nicht auf eine Entfernung von größeren Abschnitten des Unterkieferknochens verzichtet werden, um das onkologisch entscheidende Prinzip der tumorfreien Resektionsgrenzen zu gewährleisten (Reichert und Meier, 2021). Dabei reichen die Defekte von kleineren isolierten Knochendefekten bis hin zu komplexen, funktionsrelevanten Defekten, welche den Unterkiefer, die Zunge, den Mundboden und umgebende Weichgewebe umfassen und in der Regel eine sofortige Rekonstruktion notwendig machen. Traumatisch bedingte Defekte des Unterkiefers sind häufig das Resultat von sog. Hochgeschwindigkeitstraumata wie Schussverletzungen oder Verkehrsunfälle mit hoher Aufprallgeschwindigkeit. Osteomyelitis, IORN und ARONJ können bei fortschreitender Nekrose des Knochens ebenfalls zu großen Kontinuitätsdefekten des Unterkiefers führen. Die oromandibuläre Rekonstruktion erfordert eine sorgfältige Analyse und Beurteilung des Defekts hinsichtlich der funktionellen und ästhetischen Bedeutung des verlorengegangenen Hart- und Weichgewebes mit dem Ziel, die Gewebe adäquat zu ersetzen. Für den Unterkiefer bedeutet dies, die relevante Anatomie, Biomechanik und den Zusammenhang mit den sehr bedeutsamen Funktionen des Schluckens und Kauens zu verstehen. Im Idealfall wird der Knochen des Unterkiefers mit einem vitalen Knochengewebe gleicher Dimension und Qualität ersetzt, die Ansätze der Mundboden- und Zungenbeinmuskulatur werden wiederhergestellt und die Basis für eine spätere kaufunktionelle Rehabilitation geschaffen. Die Wahl eines Rekonstruktionsverfahrens bei einem Unterkieferdefekt richtet sich nach verschiedenen Gesichtspunkten. Das geometrische Design des Unterkie-
ferrandes bestimmt die ästhetische Kontur des Untergesichts. Gleichzeitig mit dem Ersetzen des Knochens muss auch der Weichgewebedefekt ausgeglichen und sichergestellt werden, dass sowohl zur Mundhöhle als auch zur äußeren Haut eine epitheliale Bedeckung des Transplantats wiederhergestellt wird. Die mit dem Verlust des Unterkieferknochens verbundenen intraoralen Weichgewebeverluste betreffen am häufigsten den Mundboden und die Zunge, sodass das Transplantat neben dem Knochen auch das Volumen des resezierten Zungenanteils ausgleichen und die für das Schlucken notwendige Mobilität der Zunge ermöglichen muss. Die Wiederherstellung der verlorengegangenen Zähne sowie der Kaufunktion ist mittels einer prothetischen, oftmals implantatgestützten Versorgung möglich. Um Zahnimplantate in korrekter dreidimensionaler Position setzen zu können, ist die knöcherne Rekonstruktion des Unterkiefers in ausreichender vertikaler und horizontaler Dimension sowie regelrechter Orientierung zum Gegenkiefer erforderlich. Dieses Ziel wird häufig erst in weiteren operativen Schritten erreicht. Weitere wichtige Aspekte bei der Wahl des geeigneten Rekonstruktionsverfahrens sind vorausgegangene Operationen im Halsbereich, die mit einem Mangel an Anschlussgefäßen einhergehen, sowie eine frühere Bestrahlung der Transplantatempfängerregion und des Halses. Letzteres führt zu einer Kompromittierung der vaskulären Versorgung des Kieferknochens und der umgebenden Weichgewebe, weshalb in diesen Fällen eine autonome Blutversorgung des Transplantats durch eine mikrochirurgische Revaskularisation zu bevorzugen ist (Foster et al. 1999). Als patientenspezifische Gesichtspunkte sind v. a. vorhandene relevante Komorbiditäten sowie die patienteneigene Motivation und Compliance zu beachten. Die Zeitwahl der knöchernen Rekonstruktion des Unterkiefers nach ablativer Tumortherapie maligner Tumoren wird seit vielen Jahren ebenfalls kontrovers diskutiert. Für eine primäre knöcherne Rekonstruktion des Unterkiefers sprechen das häufig bessere funktionelle Ergebnis, die höhere Lebensqualität für den Patienten, die bessere Gewebesituation für die mikrovaskuläre Chirurgie und die Vermeidung des Zweiteingriffs. Nachteilig sind der erhöhte Zeitaufwand der Primäroperation und die mittels einer Schnellschnitttechnik stark eingeschränkte Beurteilbarkeit der knöchernen Absetzungsränder. Die Fixierung der Transplantate erfolgt in der Regel mit den heute üblichen, modernen Osteosyntheseverfahren, wobei aktuell die bilddatengestützt angefertigten patientenspezifischen Titan-Rekonstruktionsplatten zunehmend Verwendung finden (Deek und Wei 2016; Okay et al. 2016). Diese computerbasierte Planungssoftware dient außerdem dazu, individuelle Sägeschablonen für die Entnahme und Konturierung der Transplantate herzustellen. Kritisch wird in diesem Zusammenhang die für die Planung und Herstellung der 3D-Platten und Schablonen notwenige Zeit diskutiert, da nach Indikationsstellung zur chirurgischen Tumortherapie möglichst wenig
261
13.3 • Rekonstruktion
Zeit bis zum operativen Eingriff vergehen sollte. Nachteilig ist auch die geringere Flexibilität bei der Festlegung der Resektionsgrenzen entsprechend dem klinischen Erscheinungsbild (Deek und Wei 2016). Die Indikation zur computerbasierten Planung sollte daher von Fall zu Fall kritisch abgewogen werden. >>In den meisten Fällen segmentaler Unterkieferresek-
tionen können die Gelenkregionen geschont werden, wodurch die Biomechanik des Unterkiefers prinzipiell erhalten bleibt. Da die komplexen Bewegungsmuster des Kiefergelenks sehr schwer zu rekonstruieren sind, sollte die Integrität des Kiefergelenks, wenn möglich, erhalten bleiben.
Betrifft der Knochenverlust auch die Gelenkregion, werden moderne Verfahren der Kiefergelenkrekonstruktion unter Verwendung autologer Transplantate und alloplastischer Kiefergelenkprothesen angewendet (Cornelius et al. 2013).
Idealerweise müsste der Unterkiefer mit einem Kontinuitätsdefekt in seiner vollen Höhe, Breite und Struktur rekonstruiert werden, sodass er eine mindestens gleiche Frakturresistenz wie der originäre Unterkiefer besitzt, um eine frühzeitige Belastung und Kaufunktion zu ermöglichen. Die bevorzugten Rekonstruktionsmethoden beinhalten die Verwendung von freien oder mikrochirurgisch anastomosierten Knochentransplantaten, die aber zunächst mittels einer geeigneten Osteosynthese stabilisiert werden müssen. Hierfür werden in der Regel Rekonstruktionsplatten verwendet, die in der Einheilungszeit die gesamten auf den Unterkiefer einwirkenden Kräfte aufnehmen müssen. Die klinische Konsequenz besteht in einer mehrmonatigen Kaukraft- und Belastungsreduktion durch Anpassung von Ernährung und Kostform des Patienten. 13.3 Rekonstruktion 13.3.1
13.2 Chirurgisch
relevante Anatomie, Physiologie und Biomechanik
Der Unterkiefer stellt die knöcherne Basis für das Untergesicht dar und besitzt eine parabolische Bogenform. Er wird mit dem Viszerokranium durch das Kiefergelenk verbunden. Ramus und Corpus mandibulae bilden den Unterkieferwinkel (Angulus mandibulae), der sich altersentsprechend dem Zustand des Alveolarfortsatzes anpasst. Bei Neugeborenen beträgt der Unterkieferwinkel etwa 150 °, beim Erwachsenen zwischen 120 und 130 ° und beim zahnlosen Greis wieder etwa 140 °. Die Zähne, die für die Kaufunktion von essenzieller Bedeutung sind, sitzen in den Alveolarfortsätzen, die aufgrund der Zahnentwicklung im Laufe des Lebens starken Veränderungen unterliegen. In ästhetischer Hinsicht definiert der Unterkiefer die Kontur und Projektion des Untergesichts. Funktionell stellt der Unterkiefer die Basis für die Zähne dar und vermittelt über die ansetzende Kaumuskulatur die Kaufunktion. Die ansetzende Zungenbein- und Mundbodenmuskulatur gewährleistet die Sprech- und Schluckfunktion und hält den Atemweg offen. Während der Kaubelastung erfährt der Unterkiefer im Bereich des Alveolarfortsatzes eine Zug- und im Bereich der Unterkieferbasis eine Druckbelastung. Für den aufsteigenden Unterkieferast gilt die Vorderkante als Zug- und die Hinterkante als Druckzone mit der Tendenz, den Kieferwinkel zu öffnen. >>Die maximalen Belastungsstresszonen des Unterkiefers
befinden sich im Bereich von Gelenkhals, Symphyse, Kieferwinkel und Incisura semilunaris.
Klassifikation der Defekte des Unterkiefers
>>Die Klassifikation eines Defekts stellt einen kritischen
initialen Schritt für eine erfolgreiche Rekonstruktion dar. Sie ist außerdem hilfreich, um Langzeitdaten und Behandlungsqualität im eigenen Behandlungszentrum und zwischen verschiedenen Behandlungszentren besser vergleichen zu können und Behandlungsalgorithmen zu verbessern.
Für die Unterkieferdefekte wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Klassifikationssysteme vorgeschlagen. Prinzipiell werden unterschieden: Defekte im Bereich des anterioren Unterkiefers, Defekte im Bereich des lateralen Unterkiefers, Defekte im Bereich von Ramus und Kondylus.
--
Jewer und Mitarbeiter entwickelten das sog. HCLKlassifikationssystem, dass die Komplexität der Rekonstruktion mitberücksichtigte (Jewer et al. 1989). Zentrale Defekte unter Einschluss beider Eckzähne wurden mit „C“ und laterale Defekte ohne Beteiligung der Kondylusregion mit „L“ klassifiziert. Segmentale Defekte von Kondylus und lateralem Unterkiefer wurden im Sinne der Hemimandibulektomie mit „H“ bezeichnet. Mit diesem System konnten acht unterschiedliche Unterkieferdefekte (C, L, H, LC, HC, LCL, HCL und HH) klassifiziert werden. Der Bezug zur Rekonstruktion ergab sich aus der Tatsache, dass sich laterale Defekte mit einem geraden Knochentransplantat versorgen lassen, während zentrale Defekte des Unterkiefers in der Regel eine Osteotomie des Knochentransplantats erfordern. Die Jewer-Klassifikation wurde durch Hinzunahme der
13
Kapitel 13 • Unterkiefer
262
a
b
c
d
e
f
g ..Abb. 13.1 Unterkieferdefektklassifikation nach Brown basierend auf den vier Eckpfeilern des Unterkiefers. a Klasse-I-, b Klasse-Ic-, c Klasse-II-, d Klasse-IIc-, e Klasse-III-, f Klasse-IV-, g Klasse-IVc-Defekt. (Mod. nach Brown et al. 2016, mit freundlicher Genehmigung)
13
Bezeichnung für die Weichgeweberesektion („t“: substanzieller Zungendefekt; „m“: zusätzlicher Defekt der Mukosa; „s“: Defekt der äußeren Haut) ergänzt (Boyd et al. 1993). Eine neue Klassifikation wurde 2016 von Brown und Mitarbeitern vorgeschlagen (Brown et al. 2016). Dieses numerische Klassifikationssystem wurde auf der Basis einer Analyse der bis dahin zur Verfügung stehenden Literatur sowie unter Berücksichtigung der anatomischen Lokalisation, der Größe des Defekts und der Komplexität der Rekonstruktion entwickelt. Das Grundprinzip der Klassifikation basiert auf den vier Ecken des Unterkiefers. Die vertikalen Ecken werden durch die beiden Kieferwinkel repräsentiert, und die horizontalen Ecken bilden die Eckzahnregionen, wobei diese beim zahnlosen Unterkiefer auf beiden Seiten jeweils ca. 7 mm mesial des Foramen mentale liegen. >>Die vier Ecken bezeichnen die Abknickpunkte des Un-
terkiefers und bedeuten für die Rekonstruktion die Notwendigkeit einer zusätzlichen Osteotomie des Transplantats. Die beiden vorderen Ecken des Unterkiefers sind extrem bedeutsam sowohl für die ästhetische Form des Untergesichts als auch für seine funktionellen Aspekte.
Charakterisierung von Defekten auf Basis der Klassifikation von Brown et al. (2016)
-
Klasse-I-Defekte betreffen den seitlichen Unterkiefer unter Einschluss des Kieferwinkels, aber ohne Beteiligung von Eckzahn- und Kondylenregion (. Abb. 13.1). Mittlere Größe 70 mm, maximale Größe 123 mm.
-
Klasse-Ic-Defekte sind ebenfalls laterale Unterkieferdefekte, aber mit Einschluss der Kondylenregion. Mittlere Größe 84 mm, maximale Größe 138 mm. Klasse-II-Defekte betreffen den seitlichen Unterkiefer mit Beteiligung der Eckzahnregion und ohne Kondylenregion. Mittlere Größe 85 mm, maximale Größe 169 mm. Klasse-IIc-Defekte schließen die Kondylenregion ein, wodurch eine Hemimandibulektomie klassifiziert wird. Mittlere Größe 126 mm, maximale Größe 184 mm. Klasse-III-Defekte beziehen sich auf die Unterkieferfront unter Einschluss beider Eckzahnregionen, aber ohne Kieferwinkelregionen. Mittlere Größe 100 mm, maximale Größe 160 mm. Bei Klasse-IV-Defekten ist mindestens zusätzlich ein Kieferwinkel mit betroffen. Mittlere Größe 152 mm, maximale Größe 282 mm. Klasse-IVc-Defekte erreichen die höchste Komplexität, da bei diesen zusätzlich auch mindestens eine Kondylenregion reseziert wurde. Mittlere Größe 168 mm, maximale Größe 312 mm (. Abb. 13.1).
Das neue Klassifikationssystem zeigt mit steigender Defektklasse eine erhöhte Morbidität bezüglich Ästhetik und Funktion für den Patienten und bedeutet gleichzeitig eine erhöhte Komplexität des rekonstruktiven Aufwands. Mit zunehmender Klassifikation nehmen Segmentlänge und Anzahl an Osteotomien zu. Der Zusatz „c“ für einen gleichzeitigen Kondylendefekt impliziert eine weitere Steigerung der rekonstruktiven Komplexität (Brown et al. 2016).
263
13.3 • Rekonstruktion
13.3.2
Ziele der Unterkieferrekonstruktion
Die Rekonstruktion des Unterkiefers, der oralen Weichgewebe und ggf. der äußeren Haut richtet sich nach funktionellen, anatomischen und ästhetischen Gesichtspunkten und hat das Ziel, das äußere Erscheinungsbild des Patienten sowie seine Ess‑, Sprech- und Schluckfunktion wiederherzustellen. Im Einzelnen bedeutet dies:
--
Unterkieferrekonstruktion – Ziele Wiederherstellung der Unterkieferkontinuität mit ausreichendem Knochenvolumen, um eine spätere kaufunktionelle Rehabilitation zu ermöglichen Erhalt der Okklusion bei regelrechter Kondylenposition Erhalt der Kiefermobilität und Kaufunktion mit entsprechender Mundöffnung Wiederherstellung der oralen Lippenkompetenz Ausreichender Weichgewebsersatz zum Erhalt der Zungenmobilität mit Gewährleistung der Schluckund Sprechfunktion Wiederherstellung der Gesichtssymmetrie und Kinnprojektion
Nachfolgend werden die unterschiedlichen autologen nichtvaskularisierten und vaskularisierten Transplante mit ihren typischen Eigenschaften sowie Vor- und Nachteilen besprochen. 13.3.3
Nichtvaskularisierte Rekonstruktion
13.3.3.1 Alloplastische Unterkieferrekonstruktion
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurden Platten und Schrauben zur Unterkieferrekonstruktion verwendet. Aufgrund hoher Misserfolgsraten durch Infektionen und andere Komplikationen wurde diese Methode rasch wieder aufgegeben. Populär wurde die alloplastische Rekonstruktion zur Überbrückung von Kontinuitätsdefekten wieder in den 1970er und 1980er Jahren mit der Entwicklung der modernen Osteosynthesesysteme (Klotch und Prein 1987). Für die alloplastische Rekonstruktion des Unterkiefers nach Kontinuitätsresektion werden überwiegend Rekonstruktionsplatten und Schrauben aus Titan verwendet. Sie sichern auch bei nichtprimärer knöcherner Rekonstruktion die Kontur und Dimension des Unterkiefers und sind so dimensioniert, dass sie die volle Belastung der Kau- und Bewegungskräfte aufnehmen können. Zur Anwendung kommen mindestens 2,4 mm starke „NonLocking-“ und „Locking-Rekonstruktionsplatten“ mit bikortikal im Knochen verankerten Schrauben. Die Locking-Platten‑/Locking-Schraubensysteme funktionieren
nach dem Prinzip eines Fixateur interne und zeigen biomechanische Vorteile gegenüber konventionellen (NonLocking‑)Platten‑/Schraubensystemen (Wong et al. 2010). Aufgrund der Locking-Funktion, bei der die Schraube über das zweite Gewinde am Schraubenkopf in der Platte winkelstabil verriegelt wird, ergibt sich zum einen ein größerer Spielraum bei der Adaptation und Konturierung der Platten an den Knochen und zum anderen eine Schonung des plattennahen Knochens, da er durch die Platte nicht noch zusätzlich komprimiert wird. Bei komplexen Unterkieferdefekten, die auch den Kondylus betreffen, werden Osteosyntheseplatten mit einem Aufsatz in Walzenform, der dem Gelenkfortsatz einschließlich Gelenkkopf gleicht, verwendet. Allerdings bieten Gelenkkopfaufsätze bzw. sog. condylar add-ons immer nur eine temporäre Lösung, da Gelenkköpfe, die nicht nach kranial abgestützt sind, Gefahr laufen, in die mittlere Schädelgrube zu penetrieren. Daher wurden totale alloplastische Kiefergelenk-Endoprothesen entwickelt, die sowohl den Kondylus als auch die Kiefergelenkpfanne ersetzen (Cornelius et al. 2013). zz Ziel und Indikation
Ziel der alloplastischen Unterkieferrekonstruktion ist die Wiederherstellung der Kieferkontinuität bei Gewährleistung einer akzeptablen Ästhetik und Funktion. >>Grundsätzlich stellt die alloplastische Rekonstruktion
eine Reservealternative dar, wenn eine hohe medizinische Begleitmorbidität des Patienten einen freien, zumeist mikrovaskulären Knochentransfer nicht zulässt.
Daneben gilt als derzeitige Indikation die temporäre alloplastische Unterkieferrekonstruktion bei fraglichen histologischen Absetzungsrändern nach Unterkieferteilresektion. Dies ist der Fall bei Knochentumoren, wie z. B. einem Osteosarkom, deren intraossäre Ausdehnung in der präoperativen Bildgebung nicht abschließend zu beurteilen ist, weshalb zunächst das histopathologische Gutachten abgewartet werden muss. Ebenfalls ist es sinnvoll, bei abschließend unklar im Gesunden erfolgter Kieferresektion oder bei Tumoren mit ausgeprägter Rezidivneigung eine knöcherne Rekonstruktion im rezidivfreien Intervall von 1–2 Jahren nach initialer Resektion durchzuführen (sekundäre Rekonstruktion). Bezüglich der Lokalisation eignet sich die alloplastische Rekonstruktion eher für den Unterkieferkorpus- und -ramusbereich – entsprechend den Defektklassen I und II nach Brown oder H und L nach Jewer (7 Abschn. 13.3.1) –, da eine Anwendung im Kinnbereich aufgrund der kritischeren Weichgewebsdeckung eine erhöhte Plattenexposition und Infektionsrate erwarten lässt. Daneben ist auch mit einer enormen ästhetischen Beeinträchtigung der Kinnregion aufgrund der fehlenden vertikalen Dimension zu rechnen.
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Kapitel 13 • Unterkiefer
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..Abb. 13.2 Alloplastische Rekonstruktion nach Unterkieferteilresektion aufgrund eines Plattenepithelkarzinoms im Kieferwinkelbereich und Abdeckung mittels Pectoralis-major-Lappen. a Plattenepithelkarzinom im Kieferwinkelbereich. b Tumorresektat. c und
d Hebung des Pectoralis-major-Lappens. e Eingeheilter Lappen 1 Jahr postoperativ. f Patient en-face 1 Jahr postoperativ. g Panoramaschichtaufnahme (PSA) 1 Jahr postoperativ
>>Grundsätzlich ist auf eine sichere weichgewebliche Abde-
werten sind (Ettl et al. 2010). Bei lateralen Defekten des Unterkiefers von über 5 cm Länge wurden Komplikationsraten von über 80 % beschrieben. Als nachteilig erweisen sich trotz antibiotischer Abschirmung intra- und extraorale Dehiszenzen und Fistelungen, dies insbesondere nach adjuvanter Radio- oder Radiochemotherapie sowie bei persistierendem Nikotinabusus. Die Langzeitstabilität der alloplastischen Rekonstruktionsplatten/-schraubensysteme ist ebenfalls problematisch. Typische Langzeitkomplikationen sind in diesem Zusammenhang Schraubenlockerungen, Plattenexpositionen und Plattenfrakturen. Am häufigsten kommt es nach 1–2 Jahren zu einer Fraktur der Rekonstruktionsplatte im Bereich des Kieferwinkels, wobei die Plattenbiegung während der Anpassung der Rekonstruktionsplatte eine Fraktur begünstigt. Schraubenlockerungen waren am häufigsten im proximalen Segment sowie in Zonen mit hohem biomechanischem Stress wie der Kinn- und der Kieferwinkelregion zu beobachten (Wong et al. 2010). Mit dem Ziel, die Rate an Plattenbrüchen bei alloplastischer Unterkieferrekonstruktion zu senken, wurden präformierte Rekonstruktionsplatten entwickelt, bei de-
ckung der Osteosyntheseplatte durch lokales Gewebe bzw. Muskulatur oder insbesondere bei gleichzeitigen Weichgewebsdefekten durch ein lokoregionäres Transplantat (z. B. Pectoralis-major-Lappen, . Abb. 13.2) zu achten.
Aufgrund der erhöhten Belastung einer alleinigen alloplastischen Rekonstruktion sollte zumindest eine Rekonstruktionsplatte der Stärke 2,4 mm oder stärker mit Locking-Schrauben verwendet werden. >>Bei alloplastischer Rekonstruktion im Kinnbereich
ist zwingend auf eine Refixierung der suprahyoidalen Muskulatur an der Rekonstruktionsplatte zu achten, um ein Zurücksinken der Zunge (Glossoptosis) mit Verlegung des Atemwegs zu vermeiden.
zz Komplikationen
Größe und Lokalisation des Unterkieferkontinuitätsdefekts beeinflussen die Häufigkeit der auftretenden Komplikationen, wobei Defekte, die die Mittellinie des Unterkiefers überschreiten, als besonders kritisch zu
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13.3 • Rekonstruktion
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..Abb. 13.3 Unterkieferrekonstruktion mit monokortikalem Beckenkamm nach Kastenresektion. a Unterkiefer-Kastendefekt, b Weichgewebsrekonstruktion mit Unterarmlappen. c Monokorti-
nen die aufwändige intraoperative Anpassung der Platte mittels Biegung und damit auch eine Schwächung der Platte weitgehend entfällt. Sowohl biomechanische als auch klinische Untersuchungen bestätigen die Vorteile der präformierten Platten (Gutwald et al. 2017).
f kales Beckenkammtransplantat. d Z. n. Auflagerungsosteoplastik. e Panoramaschichtaufnahme (Ausschnitt) nach Implantat-Insertion. f Festsitzender Zahnersatz in Okklusion
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die Tabula externa, das Sternum.
Der Beckenkamm wird dabei mit Abstand am häufigsten verwendet (Moura et al. 2016).
>>Für temporäre alloplastische Rekonstruktionen des
>>Vom Beckenkamm können mehrere Zentimeter lange
Unterkiefers bei Kontinuitätsdefekten werden ausreichend dimensionierte, ggf. auch präformierte Locking-Platten‑/Locking-Schraubensysteme empfohlen, wobei die Dauer der Rekonstruktion, wenn möglich, 1–2 Jahre nicht überschreiten sollte, da dann vermehrt mit Plattenbrüchen und anderen Komplikationen gerechnet werden muss.
und dem Unterkiefer entsprechend hohe Transplantate mit für Zahnimplantate ausreichender Dicke gewonnen werden.
13.3.3.2 Autologe, avaskuläre Unterkieferrekonstruktion
Trotz zahlreicher Vorteile der vaskularisierten Knochentransplantate sind auch freie, nichtvaskularisierte autologe Knochentransplantate zur Rekonstruktion von Unterkieferdefekten noch relevant (van Gemert et al. 2009). Im direkten Vergleich mit mikrovaskulär-anastomosierten Transplantaten ist die Rekonstruktion mit freien, nichtvaskulariserten Transplantaten weniger aufwändig hinsichtlich der Kosten, des Komplikationsrisikos und der Krankenhausaufenthaltsdauer. Mögliche Entnahmeorte für freie, nichtvaskularisierte Knochentransplantate sind: der anteriore und posteriore Beckenkamm, die Rippen, die Tibia, die Fibula,
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Insbesondere bei nicht durch Bestrahlung kompromittiertem Lager sowie ausreichendem und gut durchblutetem umgebendem Weichgewebe ist das freie Beckenkammtransplantat sehr gut geeignet, kurzstreckige Unterkieferkontinuitätsdefekte und kastenförmige Resektionsdefekte auszugleichen (. Abb. 13.3; Moura et al. 2016). Außerdem kann das freie Beckenkammtransplantat genutzt werden, um den Alveolarfortsatz sekundär nach primärer Rekonstruktion der Unterkieferbasis mittels Fibula-Transplanten wiederaufzubauen, womit eine prothetisch orientierte Insertion von dentalen Implantaten in der korrekten Position möglich wird (. Abb. 13.4). zz Technik der freien avaskulären Beckenkammtransplantation
Freie Beckenkammtransplantate können prinzipiell vom anterioren oder vom posterioren Beckenkammbereich gehoben werden. Im direkten Vergleich zeigen Daten aus der Literatur eine geringere Entnahmemorbidität nach posteriorer Beckenkammentnahme (Kessler et al. 2005).
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Kapitel 13 • Unterkiefer
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..Abb. 13.4 Rekonstruktion eines anterioren Unterkieferdefekts mit mikrovaskulärer Fibula und anschließender Augmentation mit avaskulärem Beckenknochen. a Die Panoramaschichtaufnahme (PSA) zeigt die Fibula im Kinnbereich mit fehlender vertikaler Höhe und unzureichender Verknöcherung im Randbereich. b Auflagerungsplastik und Spongiosa-Plastik mit Beckenknochen. c PSA nach 6 Mo-
naten. d Z. n. erfolgter Lappenausdünnung und Vestibulumplastik mit Spalthaut vom Oberschenkel und implantatfixierter Verbandplatte; befestigte „Neo-Gingiva“ nach 1 Jahr. e PSA 1 Jahr postoperativ mit ausreichender Volumenstabilität. f Zahnersatz nach 1 Jahr. (Aus Ettl et al. 2016, mit freundlicher Genehmigung)
Allerdings ist auch die Entnahme des Beckenkammtransplantats vom anterioren Beckenkamm mit einer geringen Morbidität verbunden und besitzt den Vorteil des direkteren Zugangs bei Patienten in Rückenlage. Bei Gewinnung eines bikortikalen Blocktransplantats muss auf einen ausreichenden Abstand (> 2 cm) zur Spina iliaca anterior superior geachtet werden, um einer Fraktur der Spina durch Fehlbelastung vorzubeugen. Die Länge der Hautinzision orientiert sich prinzipiell an der Größe des zu entnehmenden Knochentransplantats, wobei sie nicht länger als 4–5 cm lang sein muss, da sich das Weichgewebe kulissenartig über dem Beckenkamm verschieben lässt. Neben dem Blocktransplantat können auch noch Spongiosa-Chips in ausreichender Menge mit einem scharfen Löffel gewonnen werden, um die Übergänge zwischen originärem Unterkiefer und dem Blocktransplantat harmonisch zu gestalten. Beim Wundverschluss wird darauf geachtet, dass das Periost wieder akkurat rekonstruiert wird. Der Patient darf anschließend, je nach Umfang der Knochenentnahme, das Bein auf der betroffenen Seite für etwa 2 Wochen nur teilbelasten.
turierung des Blocktransplantats muss in Bezug auf die spätere Ästhetik die untere Kante präzise dem Verlauf der Unterkieferbasis angepasst werden. In der Regel wird die Oberkante des entnommenen Beckenkamms nach unten gedreht und als neue Unterkante des Unterkiefers verwendet. Dabei sollte auch der vorgegebene kurvige Verlauf des Beckenkamms mitberücksichtigt und die Entnahmeseite entsprechend ausgewählt werden. Bezüglich der möglichen Größe eines Beckenkammtransplantats gilt der Grundsatz, dass die Prognose umso besser ist, je kleiner das Transplantat ist (Moura et al. 2016). Empfohlen werden Defektgrößen von maximal 5–6 cm.
>>Von besonderer Relevanz für eine erfolgreiche Verwen-
dung des freien Beckenkammtransplantats sind eine stabile Fixierung, eine gute Weichgewebeabdeckung und Infektfreiheit des Transplantatlagers.
Nur bei ausreichender Stabilität über die Schraubenfixierung an der Rekonstruktionsplatte oder über eine Zugschraubenosteosynthese kann der transplantierte Knochen von dem umgebenden Gewebe revaskularisiert und entsprechend knöchern durchbaut werden. Bei der Kon-
Bewertung Prinzipiell sind freie, nichtvaskularisierte Beckenkammtransplantate für laterale Defekte besser geeignet als für die Rekonstruktion von Defekten im Bereich der Symphyse (. Abb. 13.5). Durch die in diesem Bereich besonders hohen Torsionskräfte auf den Unterkiefer und den gleichzeitigen Verlust der Anheftung der Zungen- und Mundbodenmuskulatur kommt es häufiger zur Platten- und Transplantatexposition und damit zum Verlust des transplantierten Knochens (van Gemert et al. 2009). Bei geplanter oder schon erfolgter hochdosierter Radiotherapie des Defektbereichs sind freie, nichtvaskularisierte Beckenkammtransplantate ebenfalls weniger geeignet als vaskularisierte Knochentransplantate, da sie eine deutlich höhere Komplikationsrate und damit eine niedrigere Erfolgsrate aufweisen. >>Für bestrahlte Patienten gelten daher mikrochirurgisch
revaskularisierte autologe Knochentransplantate als Methode der Wahl (Moura et al. 2016).
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13.3 • Rekonstruktion
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..Abb. 13.5 Unterkieferkontinuitätsresektion bei Osteosarkom und Rekonstruktion mit freiem avaskulärem Beckenknochen. a Panoramaschichtaufnahme (PSA) präoperativ mit unscharfer Osteolyse des Tumors. b Unterkieferteilresektat. c PSA nach Unterkieferteilresektion
13.3.4
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f und temporärer alloplastischer Rekonstruktion. d PSA nach Interpositionsplastik mit avaskulärem Beckenknochen und Fixierung über vorhandene Rekonstruktionsplatte und zusätzliche Miniplatten. e PSA nach Implantation. f Klinische Situation mit festsitzendem Zahnersatz
Vaskuläre Unterkieferrekonstruktion Als Alternativen werden das freie Beckenkamm- und das
Die Einführung des mikrovaskulären Knochentransfers in den 1970er Jahren revolutionierte die Unterkieferrekonstruktion und hat die Verwendung von avaskulären Transplantaten deutlich in den Hintergrund gedrängt. (Taylor et al. 1975, 1979; Swartz et al. 1986; Hidalgo 1989). Dabei wurden zunächst freie Rippentransplantate oder metatarsale Knochentransplantate zur Unterkieferrekonstruktion beschrieben, die allerdings mit hoher Entnahmemorbidität bei zu geringem Knochenvolumen einhergingen (McKee 1978). Taylor et al. beschrieben 1979 das über die A. circumflexa ilium profunda anastomosierte Beckenkammtransplantat (Taylor et al. 1979). Soutar et al. kombinierten 1983 den seit 1981 bereits bekannten Radialis-Lappen mit der Entnahme eines Knochenstücks vom Radius (Soutar et al. 1983). Swartz und Kollegen führten 1986 das mikrovaskulär anastomosierte osteomyokutane Scapula-Transplantat zur Rekonstruktion von Ober- und Unterkiefer ein (Swartz et al. 1986). Nachdem Taylor und Kollegen bereits 1975 den Transfer einer freien Fibula zur Rekonstruktion einer Tibia beschrieben hatten, wurden von Hidalgo 1989 die ersten Fälle einer Fibula-Transplantation zur Unterkieferrekonstruktion publiziert (Taylor et al. 1975; Hidalgo 1989).
-
Das Fibula-Transplantat stellt derzeit aufgrund zahlreicher Vorteile das weltweit betrachtet beliebteste Verfahren zur Unterkieferrekonstruktion dar (Okay et al. 2016).
Scapula-Transplantat favorisiert (Barry et al. 2017). Das Radius-Transplantat besitzt durch die Gefahr pathologischer Frakturen eine relevante Entnahmemorbidität, zudem ist das Knochenvolumen zur Unterkieferrekonstruktion nicht ausreichend, weshalb diese Technik in der heutigen Praxis kaum Verwendung findet. Vor- und Nachteile der beschriebenen mikrovaskulären Transplantate sind in . Tab. 13.1 dargestellt. Während die Wahl des Transplantats mittlerweile etabliert zu sein scheint, liegt der Schwerpunkt der derzeitigen Forschung auf der Entwicklung dreidimensionaler Planungsmethoden zur Herstellung patientenspezifischer Modelle, Bohrschablonen und Osteosyntheseplatten, um das Ergebnis, die Passgenauigkeit, zu perfektionieren und die Operationszeit gleichzeitig zu verkürzen (Hayden et al. 2012; Deek und Wei 2016). 13.3.4.1 Das mikrovaskuläre Fibula-Transplantat
Das mikrovaskuläre Fibula-Transplantat gilt mittlerweile als erste Option und Goldstandard zur Rekonstruktion größerer Unterkieferdefekte, insbesondere bei bestrahlten Patienten. Nach der initialen Beschreibung von Taylor und Kollegen aus dem Jahr 1975 wurde die Fibula in den ersten Jahren als muskuloossäres Transplantat über einen posterioren Zugang gehoben (Taylor et al. 1975). 1983 beschrieben Chen und Yan erstmalig die Entnahme eines osteomyokutanen Transplantats über einen lateralen Zugang (Chen und Yan 1983). Wei demonstrierte 3 Jahre später die Konstanz und Verlässlichkeit
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Kapitel 13 • Unterkiefer
..Tab. 13.1 Entnahmeareale für die mikrovaskuläre Unterkieferrekonstruktion
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Transplantat
Fibula
Becken
Scapula
Radius
Knochen
Bis zu 25 cm
Bis zu 15 cm, gutes Knochenvolumen
Bis zu 12 cm, variable Dicke
Geringes Volumen
Gefäße
A. peronea, 2 Vv. comitantes
A. circumflexa ilium profunda (DCIA), 2 Vv. comitantes
R. profundus der A. circumflexa scapulae bzw. R. angularis der A. thoracodorsalis
A. radialis, V. radialis
Stiellänge bis 15 cm bei distaler Entnahme,Ø 2–3 mm
Stiellänge 5–7 cm, Ø 1,5–3 mm
Stiellänge CSA 4–8 cm, Scapula-Spitze 8–14 cm, Ø 2–3 mm
Stiellänge bis 15 cm, Ø 2–3 mm
Weichgewebe
Bis 200 cm2 Hautinsel, sicher, selten fehlender Perforator
Voluminös, limitierte Flexibilität, unsichere Blutversorgung
Bis 300 cm2, flexible, teils voluminöse Hautinsel, mehrere Hautinseln möglich
Flexible zuverlässige Hautinsel
Vorteile
Subtotale Unterkieferrekonstruktion möglich, Segmentierung möglich, Two-team-approach, geringe Entnahmemorbidität
Bestes Knochenangebot, Two-team-approach
Rekonstruktion von perforierenden Defekten durch Hebung von zwei Hautinseln, geringe Entnahmemorbidität
Two-team-approach
Nachteile
Fehlende vertikale Höhe, Angiographie notwendig
Höhere Entnahmemorbidität (Schmerzen, Hernien), voluminöse, unsichere Hautinsel, kurzer Gefäßstiel, keine segmentale Blutversorgung
Two-team-approach nicht möglich, manchmal unzureichendes Knochenvolumen, keine segmentale Blutversorgung
Relevante Entnahmemorbidität, Frakturgefahr Radius, fehlendes Knochenvolumen
Implantation
Gut möglich
Gut möglich
Oft möglich
Selten möglich
DCIA A. circumflexa ilium profunda (deep circumflex iliac artery), CSA A. circumflexa scapulae
der Hautperforatoren im posterioren Septum (Wei et al. 1986). Um dem Problem der geringen Knochenhöhe zu begegnen, doppelten Jones und Mitarbeiter 2 Jahre später die Fibula (double barrel; Jones et al. 1988). Hidalgo beschrieb schließlich 1989 die ästhetisch und funktionell zufriedenstellende Unterkieferrekonstruktion an 12 Patienten nach Verwendung segmentierter Fibula-Transplantate (Hidalgo 1989). In den Folgejahren wurde die Technik immer weiter verfeinert, so wurden etwa eine neuromuskuläre Reanastomosierung und das Heben von zwei voneinander getrennten Hautinseln zur Behandlung perforierender Defekte beschrieben. zz Indikationen
Das Fibula-Transplantat eignet sich sehr gut zur Rekonstruktion ausgedehnter Knochendefekte von Kieferwinkel zu Kieferwinkel mit der Notwendigkeit von Segmentierungen. Die Rekonstruktion des Kondylus bei Ramus-Defekten ist mit einem Fibula-Transplantat ebenfalls sehr gut machbar (. Abb. 13.6). Bei bestrahlten Patienten kann durch den mikrovaskulären FibulaTransfer gleichermaßen vitales Knochen- und Weichgewebe in das bestrahlte Gebiet gebracht werden und so eine gute Wundheilung begünstigen.
zz Anatomie
Die Fibula ist ein langer kortikaler Röhrenknochen, welcher im Alltag entbehrlich ist und ohne Ersatz entnommen werden kann. Der sensible N. peroneus superficialis läuft direkt unterhalb des Fibula-Köpfchens, weswegen die am weitesten kraniale Osteotomie ca. 7–8 cm unterhalb des Fibula-Köpfchens erfolgen sollte. Um die Stabilität des oberen Sprunggelenks nicht zu gefährden, sollte die kaudale Osteotomie wiederum 7–8 cm oberhalb des Malleolus lateralis erfolgen. Somit lässt sich bei einer durchschnittlichen Fibula-Länge von 40 cm ein bis zu 25 cm langes Transplantat sicher heben, was die Rekonstruktion nahezu des gesamten Unterkiefers möglich macht. Den hauptversorgenden Gefäßstamm des Unterschenkels bildet die A. poplitea. Diese teilt sich in drei Gefäße auf: Als erstes zweigt sich die A. tibialis anterior ab. Aus der resultierenden A. tibialis posterior zweigt sich weiter kaudal die A. peronea ab und zieht an der Innenfläche der Fibula dorsal der Membrana interossea zwischen M. tibialis posterior und M. flexor hallucis longus nach kaudal. Während ihres Verlaufs gibt die A. peronea (1,5–2,5 mm im Durchmesser) ernährende Gefäße in das Periost und die Kortikalis ab. Zudem erfolgt über separate muskulokutane und septokutane Perforatoren die
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13.3 • Rekonstruktion
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..Abb. 13.6 Rekonstruktion des Unterkiefer-Ramus mit Kondylus. a, b Virtuelle Planung in koronarer und lateraler Ansicht. Das distale Fibula-Ende ist 1,5 mm kürzer geplant als der alte Kondylus und wird abgerundet in der Fossa platziert. c Gehobenes und segmentiertes Fibula-Transplantat mit Monitorhautinsel fixiert an patientenspe-
zifischer Rekonstruktionsplatte. d Das Orthopantomogramm nach 8 Monaten zeigt das komplett eingeheilte Fibula-Transplantat mit abgerundetem distalem Ende in der anterioren Gelenkpfanne. e, f Klinischer Situs nach 8 Monaten mit schmerzfreier Mundöffnung von 35 mm und passender Okklusion ohne Mittellinienverschiebung
Blutversorgung der umgebenden Muskeln und der Haut (Wallace et al. 2010). Die Arterie wird von zwei Vv. comitantes begleitet, welche in die V. tibialis posterior ungefähr auf derselben Höhe münden, auf der die Arterie entspringt. Die der Fibula aufliegende Haut wird im Verlauf von 4–8 septokutanen oder muskulokutanen Perforatoren erreicht, welche an der Hinterseite der Fibula verlaufen. Sie können entweder innerhalb oder direkt neben dem hinteren intermuskulären Septum zwischen seitlichem und hinterem muskulärem Kompartiment verlaufen (Wallace et al. 2010). Die meisten Perforatoren sind zwischen dem mittleren und distalen Fibula-Drittel lokalisiert (Iorio et al. 2012), wobei die weiter proximal gelegenen muskulokutan durch den M. soleus und den M. flexor hallucis longus laufen und die distalen zumeist septokutan die Haut erreichen.
eignet. Als Alternativen stehen hier das mikrovaskuläre Becken oder die Scapula zur Verfügung. Sofern beide Unterschenkel anatomisch geeignet sind und die Position der Hautinsel (intra-/extraoral) klar ist, kann das Entnahmebein häufig nach folgenden Empfehlungen bestimmt werden (. Tab. 13.2). In der Regel wird der Gefäßstiel distal positioniert. Werden der Unterkiefer-Ramus und der Gelenkfortsatz rekonstruiert, muss der Gefäßstiel anterior verlaufen, um ein Abknicken zu vermeiden. Bei fraglichen Anschlussgefäßen einer Halsseite nach Voroperation oder Bestrahlung sollte der Gefäßstiel ebenfalls anterior positioniert werden, um die Option der Re-Anastomosierung auf der kontralateralen Halsseite zu bewahren. Bei der Oberkieferrekonstruktion wird die Fibula vom ipsilateralen Bein entnommen, die Gefäße werden auf der ipsilateralen Halsseite anastomosiert. Hierdurch kann die Hautinsel unter dem Knochen ausgeleitet und so zum Gaumenverschluss verwendet werden.
zz Präoperative Vorbereitungen
Vor einer geplanten Fibula-Transplantation ist eine medizinische Anamnese bzgl. Voroperationen an der betroffenen Extremität und ausgeprägter Varikosis zu erheben. Des Weiteren sind die Unterschenkelhaut auf Zeichen einer pAVK zu untersuchen und die Fußpulse zu tasten. Um eine Dreigefäßversorgung des Fußes sicherzustellen, empfiehlt sich die Anfertigung einer MR- oder CT-Angiographie (. Abb. 13.7). Häufig können hierdurch auch Perforatoren lokalisiert werden, wobei eine ergänzende Handdoppleruntersuchung die Verlässlichkeit des Perforators belegt (Rozen et al. 2008). Bei ca. 1–2 von 10 Patienten ist die Gefäßversorgung des Unterschenkels für einen Fibula-Transfer nicht ge-
zz Hebung des Transplantats
Um die Operationszeit möglichst gering zu halten, sollte das Fibula-Transplantat simultan zur Präparation im Kopf-Hals-Bereich gehoben werden (Two-team-approach), sofern passende Anschlussgefäße gefunden sind. Der Patient befindet sich hierbei in Rückenlage, wobei das ipsilaterale Becken mit einem Kissen leicht angehoben wird. Das Knie wird um 90 ° gebeugt, der Unterschenkel aufgestellt und z. B. mit einem Bauchtuch und sterilen Klebestreifen fixiert. Es werden die beiden Landmarken Fibula-Kopf und Malleolus lateralis mar-
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Kapitel 13 • Unterkiefer
..Tab. 13.2 Wahl der Entnahmestelle in Abhängigkeit von Defektlokalisation und Gefäßanschluss
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..Abb. 13.7 Diagnostik mittels Magnetresonanz-Angiographie. a Regelrechte Dreigefäßversorgung. b Anatomische Variante, die einer Fibula-Entnahme entgegensteht. Die A. tibialis posterior ist hypoplastisch und die Fußversorgung von der A. peronea abhängig
kiert und mit einer Linie verbunden. Ventral dieser Linie ist der N. peroneus superficialis zu schonen, dorsal davon der N. suralis. Ebenfalls dorsal ist das posteriore Septum mit den Perforatoren zwischen M. peroneus und M. soleus zu palpieren. >>Wenn eine Hautinsel benötigt wird, ist darauf zu ach-
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ten, dass ihr Zentrum über zumindest einem Perforator zu liegen kommt. Generell empfiehlt es sich, diese präoperativ mit einem Handdoppler zu markieren.
Die geplanten Osteotomien können nun ebenfalls angezeichnet werden, wobei jeweils 7–8 cm Knochen zum Fibula-Köpfchen und zum Malleolus lateralis verbleiben sollten. Um einen möglichst langen Gefäßstiel zu heben, sollte die Hautinsel über die distalen Perforatoren zwischen mittlerem und distalem Fibula-Drittel positioniert werden. Die Hautinsel kann bis zu einer Breite von 12 cm gehoben werden. Ein primärer Wundverschluss ist je nach Höhe der Entnahmestelle bis zu einer Breite von 4 cm möglich. Gelingt dies nicht, wird der Defekt über ein freies Hauttransplantat oder eine lokale Verschiebeplastik gedeckt. Der Hautschnitt erfolgt nun auf die Faszie des M. peroneus, etwa entlang der Linie zwischen Fibula-Köpfchen und Malleolus lateralis sowie um die Vorderkante der geplanten Hautinsel. >>Der N. peroneus superficialis verläuft direkt unter der
Faszie und ist zu schonen.
Nun wird die Faszie durchtrennt und von der PeroneusGruppe nach lateral abgehoben, bis das hintere intermuskuläre Septum mit den an der Fibula-Hinterkante verlaufenden Perforatoren erscheint. Die Perforatoren werden markiert, und die Hautinsel wird ggf. neu festgelegt. Sollte
Hautinsel
Empfängergefäße Hals
Entnahmebein
Intraoral
Ipsilateral
Kontralateral
Extraoral
Ipsilateral
Ipsilateral
Intraoral
Kontralateral
Ipsilateral
Extraoral
Kontralateral
Kontralateral
kein Perforator im Septum detektierbar sein, kann die fasziokutane Hautinsel von posterior abgehoben werden, um durch den M. soleus verlaufende muskulokutane Perforatoren aufzusuchen. Alternativ kann eine kräftig dimensionierte Muskelmanschette gehoben werden, welche der freien Granulation in der Mundhöhle überlassen wird. Sofern ein kürzeres Transplantat (>Hier hilft es dem Operateur, die richtige Schicht mit
dem nichtdominanten Daumen zu finden.
Die Peroneus-Muskeln werden mit Haken nach ventral gehalten, und das anteriore Septum wird dargestellt. Dieses wird nun direkt an der Fibula-Innenkante inzidiert, um die A./V. tibialis anterior nicht zu verletzen. Die jetzt sichtbaren M. extensor digitorum und M. extensor hallucis longus werden von der Fibula-Innenseite epiperiostal getrennt. >>Die Präparation sollte streng am Knochen erfolgen,
um die medial laufenden Strukturen (N. peroneus und A./V. tibialis anterior) nicht zu verletzen.
In der Folge wird die Membrana interossea sichtbar, unter der sich der M. tibialis posterior und die darunter verlaufende A. peronea befinden. Es erfolgt nun die proximale und distale Osteotomie nach subperiostaler Darstellung der Osteotomielinien. Das Periost muss zirkulär abgehoben werden, und die Weichgewebe sowie der Gefäßstiel sind mit einem subperiostal liegenden Raspatorium während der Osteotomie zu schützen.
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13.3 • Rekonstruktion
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..Abb. 13.8 a, b Das Fibula-Transplantat ist während der Segmentierung immer gefäßgestielt; die Anpassung und Fixierung der Segmente an die Rekonstruktionsplatte kann noch am Bein oder nach Absetzung am Unterkiefer erfolgen
Nach der Osteotomie wird die Membrana interossea ca. 1,5 cm medial der Fibula-Kante der Länge nach inzidiert. Nun kann das Knochensegment nach lateral mobilisiert und der Gefäßstiel im distalen Bereich unterhalb des M. tibialis posterior präpariert und ligiert werden. Anschließend wird der V-förmig verlaufende M. tibialis posterior von distal nach kaudal mittig, ca. 2 cm medial der Fibula-Innenkante durchtrennt. Es wird der Gefäßstiel mit der A. peronea und den zumeist großkalibrigen anterior verlaufenden Comitans-Venen sichtbar. Nun kann die Hautinsel dorsal unter Schonung des N. suralis und der V. saphena parva ebenfalls bis unter die Faszie umschnitten werden. Es folgt die subfasziale Präparation auf dem M. soleus nach medial. Im Bereich des Perforators wird eine Muskelmanschette des M. soleus mit eingeschlossen. Der nichtdominante Daumen und der Zeigefinger des Operateurs umschließen nun schützend den Gefäßstiel und das Septum mit den Hautperforatoren, während der M. flexor hallucis longus von distal nach proximal mit der Schere durchtrennt wird. Im Bereich der Hautperforatoren sollte wiederum eine Muskelmanschette verbleiben. Abschließend werden noch die Fasern des M. soleus sorgsam abgesetzt und das Transplantat so komplett mobilisiert. In der Folge wird der Gefäßstiel bis maximal auf Höhe der Bifurkation der A. tibialis posterior präpariert, und die Venen sowie die Arterie werden separiert, um die Anastomose im Anschluss zu erleichtern. Nach Darstellung der Empfängergefäße kann der Gefäßstiel abgesetzt und das Transplantat zur Anastomosierung übergeben werden. zz Osteosynthese >>Sofern die Unterkieferbasis nicht vom Tumor infiltriert
ist, empfiehlt es sich immer, die Rekonstruktionsplatte (load-bearing) in situ anzupassen.
Um das Transplantat ohne Ischämiezeit möglichst ideal an den Defekt anpassen zu können, kann die Platte desinfiziert und vom Kopf-Team an das Fibula-Team zum Segmentieren übergeben werden (. Abb. 13.8). Bei CAD/CAM-Planungen erfolgen die Osteotomien entlang den bereitgestellten Sägeschablonen. >>Bei fortgeschrittenen Tumoren ist allerdings häufig die
Außenfläche der Mandibula mitinfiltriert, sodass sich hier ein direktes Anpassen aus onkologischen Gründen verbietet.
Hier stehen nun folgende Möglichkeiten zur Verfügung: Anpassung der Platte während der Operation Eine Mög-
lichkeit besteht darin, mit einem Fixateur externe die verbliebenen Knochenstümpfe temporär dreidimensional in Position zu halten und die Platte individuell anzupassen (. Abb. 13.9). Die Rekonstruktionsplatte wird bikortikal, wenn möglich winkelstabil, an der Mandibula verschraubt, die Fibula-Segmente werden dagegen monokortikal an der Platte fixiert. Andere Autoren bevorzugen die Osteosynthese mit Miniplatten (load-sharing), wobei hier das Anpassen der Fibula-Segmente an eine vorbereitete Rekonstruktionsplatte nicht möglich ist, sondern die Segmente im Wesentlichen frei positioniert und osteosynthetisch fixiert werden. Vorteilhaft ist, dass die Miniplatten weniger Streustrahlung produzieren, einfacher zu entfernen sind und die Versorgung mit dentalen Implantaten einfacher gelingen kann. Im Oberkiefer werden mit Ausnahme der Patienten-spezifischen Implantate immer Miniplatten verwendet. Präoperative Anpassung der Platte Eine weitere Mög-
lichkeit besteht darin, anhand eines 3D-Druckers ein Unterkiefermodell gemäß den CT-Daten zu generieren, woran die Platte präoperativ angepasst werden kann. Sehr elegant und passgenau werden zudem seit einigen
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Kapitel 13 • Unterkiefer
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..Abb. 13.9 a–c Der Fixateur externe hält die Knochenstümpfe und damit die Kiefergelenke in Position, während der Tumor im Block entfernt und die Platte angepasst werden kann
Jahren unter Verwendung von CAD-/CAM-Verfahren hergestellte patientenspezifische Rekonstruktionsplatten mit entsprechenden Sägeschablonen industriell hergestellt (. Abb. 13.10). In diesen Fällen muss allerdings zusätzlich auch eine Computertomographie des Spendergebiets angefertigt werden, welche wiederum mit einer Angiographie zur Darstellung der Gefäßsituation kombiniert werden kann. Beide Modalitäten haben den Vorteil, die Unterkieferspange entweder anatomisch korrekt rekonstruieren oder bewusst eine Spangenverkleinerung vornehmen zu können. zz Verschluss des Entnahmedefekts und Nachsorge
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Bei schmalen Hautinseln ist ein primärer Verschluss möglich. In den meisten Fällen ist allerdings entweder ein freies Hauttransplantat oder eine lokale Lappenplastik nötig, um den Entnahmedefekt sicher verschließen zu können. In ausgewählten Fällen kommt auch ein sekundärer Wundverschluss nach vorhergehender Konditionierung der Wunde in Betracht. >>Grundsätzlich sollte immer eine Redon-Drainage ein-
gelegt werden, um einem Kompartmentsyndrom vorzubeugen. Hierzu sollte der Patient zum Ausschluss der typischen Zeichen (Schmerz, Gefühlsstörung an den Zehen, Schmerz bei passiver Bewegung und Lähmung) engmaschig klinisch überwacht werden.
Die Pulsoxymetrie ist immer am Entnahmefuß anzulegen. Zur Verbesserung der Wundheilung kann eine dorsale Fußschiene angepasst und so das Sprunggelenk in Ruhe bei 90 ° gehalten werden. Nach 3 Tagen Bettruhe mit erhöht gelagertem Spenderbein ist eine physiotherapeutische Beübung mit 15 kg Teilbelastung sinnvoll. Eine Vollbelastung ist erst nach 2 Wochen möglich, wobei das Entnahmebein so häufig wie möglich hochgelagert werde sollte, um eine Schwellung und Ödembildung zu minimieren. 13.3.4.2 Das mikrovaskuläre Beckenkammtransplantat
Durch die fundamentalen Arbeiten von Taylor (Taylor et al. 1979) im Jahr 1979 wurde dem rekonstruktiv tätigen Chirurgen ein vaskularisiertes Transplantat an
die Hand gegeben, womit sowohl die weichgewebige als auch die knöcherne Rekonstruktion von großen Teilen des Unterkiefers möglich wurden. In den folgenden Jahren wurden Modifikationen beschrieben und die klinische Anwendung verfeinert. >>Das wesentliche Problem des mikrovaskulären Becken-
kammtransplantats, die für die mukosale Auskleidung der Mundhöhle zu massige und unflexible Hautinsel, blieb allerdings ungelöst.
Urken etablierte das mikrovaskuläre osteomyokutane Beckenkammtransplantat mit Anteilen des M. obliquus internus für die Anwendung im Kopf-Hals-Bereich. Der dünne und flexible Muskelanteil des M. obliquus internus, perfundiert vom R. ascendens der A. circumflexa ilium profunda, wird hierbei zur mukosalen Auskleidung der Mundhöhle als besonders geeignet beschrieben. Die massige Hautinsel wird nach extraoral gebracht und dient entweder als Augmentat bei entsprechenden weichgewebigen Defekten (z. B. bei perforierenden Defekten) oder lediglich als Monitorinsel (Urken et al. 1989). Um das Volumen der Hautinsel zu verringern, präparierte Kimata die Hautinsel als Perforatorlappen, wobei ein adäquater Hautperforator nicht immer konstant vorhanden ist (Kimata et al. 2001). Grundsätzlich wird die Präparation gerade bei adipösen Patienten als anspruchsvoll eingestuft, was auch mit einer höheren Transplantatverlustrate als z. B. beim FibulaTransplantat einhergeht (Brown et al. 2017). zz Indikationen und Kontraindikationen
Aufgrund des eher voluminösen umgebenden Weichgewebemantels ist das mikrovaskuläre Beckenkammtransplantat v. a. für ausgedehnte Defekte geeignet. Die natürliche Kontur des Beckenkamms kommt der des seitlichen Unterkiefers sehr nahe, weswegen v. a. für den Unterkiefer-Seitenzahn-Bereich (Klasse-I- und -IIDefekte nach Brown; Brown et al. 2016) eine in Höhe und Dicke adäquate Rekonstruktion möglich ist. In der Länge können Knochenabschnitte bis zu einer halben Mandibel ersetzt werden. Während die Rekonstruktion der äußeren Haut gut möglich ist, bereitet die Wiederherstellung der Mukosa aufgrund der unflexiblen und
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13.3 • Rekonstruktion
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..Abb. 13.10 3D-CAD/CAM-gestützte Planung einer Unterkieferrekonstruktion bei Osteoradionekrose. Die Sägeschablonen werden mit Schrauben an der Mandibula und am Bein fixiert und ermöglichen so exakte Schnitte gemäß der 3D-Planung. Dadurch gelingt eine fast perfekte Passung der Segmente. a Präoperatives CT mit Destruktion des Unterkiefers. b Fistelung nach extraoral und Schnittführung. c Virtuelle Planung. d Sägeschablonen Unterkiefer. e Unterkiefermo-
o dell mit individueller Rekonstruktionsplatte. f Sägeschablone in situ. g Resezierter Unterkiefer. h Anpassung der Sägeschablone an die Fibula. i Fibula-Segmente passgenau in den Unterkieferdefekt eingefügt und osteosynthetisch fixiert. j Fibula-Hautinsel intraoral. k Bündig eingeheilte Fibula nach einem Jahr. l Panoramaschichtaufnahme nach Implantation. m Teleskopkronen. n Okklusion der Prothesen. o Extraorale En-face-Darstellung
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Kapitel 13 • Unterkiefer
massigen Hautinsel zumeist Probleme. Zur intraoralen Auskleidung empfiehlt sich deshalb die Verwendung des M. obliquus internus, welcher der freien Granulation überlassen werden kann und ca. 3 Wochen postoperativ eine gingivaähnliche Deckschicht aufweist (Urken et al. 1989). Theoretisch sind bis zu drei Osteotomien unter Erhalt des innerseitigen Periostschlauches möglich, wobei es in den meisten Fällen gelingt, den vorderen Unterkieferbogen (Klasse-III-Defekt nach Brown; Brown et al. 2016) mit lediglich einer Osteotomie des Beckenkamms wiederherzustellen. Die Gefahr einer fehlenden knöchernen Durchbauung nach Osteotomie ist gering. Das Problem des relativ kurzen Gefäßstiels (ca. 6 cm) sollte gerade beim voroperierten oder bestrahlten Hals bedacht werden. >>Grundsätzlich ungeeignet für die Transplantation eines
mikrovaskulären Beckenkamms sind Patienten nach Bauchwandhernien, vorangegangenen Operationen im Inguinalbereich und nach Hüftoperationen.
zz Anatomie
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Die großen Vorteile des freien mikrovaskulären Beckenkammtransplantats bei der Unterkieferrekonstruktion liegen in der dem Unterkiefer sehr ähnlichen Krümmung und Dicke. Zudem liefert es für die knöcherne Unterkieferrekonstruktion eine oftmals ausreichende Länge (bis zu einer halben Mandibel) bei nahezu frei wählbarer Höhe. Die Knochenqualität ist mit einer kortikalen Tabula externa und interna sowie dazwischenliegender qualitativ hochwertiger Spongiosa ebenfalls für den Unterkieferersatz sehr gut geeignet. Die Crista iliaca ist aponeurotisch in ein umgebendes Muskelgeflecht integriert, wobei der M. obliquus internus abdominis und der M. transversus abdominis an ihr entspringen und der M. obliquus externus abdominis an ihr ansetzt. Der M. iliacus entspringt an der Tabula interna, wohingegen an der Außenseite der Spina iliaca anterior superior der M. gracilis, etwas weiter dorsal der Spina der M. tensor fasciae latae und danach breitflächig an der Tabula externa der M. glutaeus medius und minimus ihren Ursprung haben. Der Gefäßstiel, bestehend aus A. circumflexa ilium profunda und zwei flankierenden Comitans-Venen, ist ca. 6–7 cm lang, konstant vorhanden und weist im Vergleich zur A. peronea des mikrovaskulären Fibula-Transplantats seltener atherosklerotische Veränderungen auf. Die A. circumflexa ilium profunda entspringt in den meisten Fällen unmittelbar kranial des Leistenbandes lateral aus der A. iliaca externa. In manchen Fällen ist ihr Ursprung direkt unterhalb des Lig. inguinale aus der A. femoralis etwas weiter kaudal zu finden. Von hier aus verläuft der Gefäßstiel, in einem fibrösen Kanal geschützt, parallel zum Lig. inguinale in Richtung Spina iliaca anterior superior. Unmittelbar davor penetriert er die Fascia transversalis und verläuft dann auf dem
M. iliacus zum Rand des Beckenkamms (. Abb. 13.11; Taylor et al. 1979). Im weiteren Verlauf anastomosiert die A. circumflexa ilium profunda mit der A. iliolumbalis und der A. glutea superior und gibt diverse Äste an die Bauchwandmuskulatur ab. Der R. ascendens ist der wichtigste ernährende Ast für eine mitgehobene Hautinsel und verlässt die A. circumflexa ilium profunda in den meisten Fällen 1 cm vor dem Erreichen der Spina iliaca anterior superior, um schließlich an der Unterseite des M. obliquus internus zu verlaufen (Urken et al. 1989). >>Bei der Präparation der A. circumflexa ilium profunda
kreuzt der N. cutaneus femoris lateralis den Gefäßstiel und ist, wenn möglich, zu schonen.
zz Hebung des mikrovaskulären Beckenkammtransplantats
Der Darm des Patienten sollte vollständig entleert sein. Die Transplantathebung ist in Rückenlage möglich. Wird eine Hautinsel für die extraorale Defektdeckung geplant, so ist aufgrund der Beckenkrümmung die Transplantathebung vom ipsilateralen Beckenkamm günstig (Gefäßstiel in Richtung Kieferwinkel, Crista iliaca kaudal orientiert). Soll die Hautinsel intraoral zu liegen kommen, empfiehlt sich das kontralaterale Becken. Am Patienten werden Tuberculum pubicum, Spina iliaca anterior superior, das Leistenband, die A. femoralis und der gebogene Verlauf der Crista iliaca eingezeichnet. Die versorgenden Perforatoren finden sich 2,5 cm oberhalb der Crista und ca. 6 cm dorsal der Spina (Taylor et al. 1979). Nach median sollte die Grenze durch den tastbaren Puls der A. iliaca externa/femoralis definiert sein, um den Gefäßstiel sicher präparieren zu können. Zuerst wird die Haut und das subkutane Fett zwischen der A. iliaca externa/femoralis und der Spina iliaca anterior superior durchtrennt, um das Lig. inguinale darstellen zu können. Kreuzende Gefäße der A. epigastrica superficialis können durchtrennt werden. Parallel zum Lig. inguinale wird der daran haftende M. obliquus externus durchtrennt und der zum Leistenband senkrechte Faserverlauf des M. obliquus internus sichtbar. Die Durchtrennung dieses Muskels erfolgt nun ca. 2 cm kranial zum Leistenband, wodurch der Puls der A. circumflexa ilium profunda im Fettgewebe zwischen M. transversus abdominis und M. iliacus tastbar wird und der Gefäßstiel (A. circumflexa ilium profunda und zwei Comitans-Venen) stumpf präparierbar werden kann (. Abb. 13.12). Die weitere Präparation erfolgt nun entlang des Gefäßstiels in Richtung Spina iliaca anterior superior, bis der R. ascendens auf der Unterfläche des M. obliquus internus sichtbar wird. Sofern keine Hautinsel und kein ausgedehnter Muskellappen benötigt werden, kann der R. ascendens nun ligiert und der Hautschnitt weiter auf dem Beckenkamm verlaufend bis auf das Niveau des M. obliquus externus geführt werden. Nach Darstellung der glutealen Seite werden nun die Muskeln auf der äu-
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13.3 • Rekonstruktion
M. obliquus internus Vasa circumflexa ilium profunda
M. obliquus internus
M. iliacus
M. transversus abdominis
M. obliquus externus aszendierender Gefäßast N. cutaneus femoris lateralis
N. femoralis Vasa femoralia
muskulokutaner Perforator M. iliacus enossale Blutversorgung
M. sartorius
Vasa circumflexa ilium profunda
..Abb. 13.11 Anatomie der A. circumflexa iliaca profunda. (Mod.nach Wolff und Hölzle 2018)
ßeren Beckenseite (M. tensor fasciae latae, Mm. glutaeus minimus und medius) durchtrennt und epiperiostal nach kaudal abpräpariert. Die Bauchwandmuskeln werden kranial des Beckenkamms und oberhalb des Gefäßstiels von ventral kommend unterminiert und mit der Schere durchtrennt, wobei aufsteigende ernährende Gefäße des M. obliquus internus ligiert werden sollten.
erst wird der M. iliacus mit tiefen Nähten an den M. tranversus abdominis genäht und dieser mittels Bohrlöchern am Beckenknochen aufgehängt. Nach Einlage einer Redon-Drainage werden die Mm. obliquus internus/externus an den Tensor und die glutealen Muskeln adaptiert. Daran schließt sich der subkutane und kutane Wundverschluss an. Nach 3 Tagen Bettruhe erfolgt die physiotherapeutische Beübung mit einer Bauchbinde für 6 Wochen.
>>Die A. circumflexa ilium profunda sollte während dieser
Präparation immer 2 cm unterhalb der Crista iliaca mit dem Zeigefinger getastet und so sicher geschont werden.
zz Morbidität >>Um die Spätfolgen für den Patienten möglichst gering
Nun wird das Peritoneum mit stumpfen Bauchhaken zurückgehalten und der M. iliacus 2 cm unterhalb der A. circumflexa ilium profunda durchtrennt. Sofern die Spina mit osteotomiert werden muss, wird der M. sartorius von der Spina iliaca anterior superior abgesetzt und die Osteotomie am distalen/dorsalen Ende des Beckenkammtransplantats begonnen. Die Osteotomie verläuft bikortikal unter sicherem Schutz der peritonealen Strukturen nach kaudal bis zur A. circumflexa ilium profunda. Das distale Ende des Gefäßstiels wird nun unterbunden und die Osteotomie nach kaudal vervollständigt. Dann wird die Osteotomie nach ventral unterhalb des Gefäßstiels (bis zu maximal 8 cm kaudal der Crista iliaca) fortgeführt, sodass das Segment mobilisierbar wird und verbliebende Muskelfasern abgesetzt werden können. Nun kann der Gefäßstiel problemlos weiter nach median in Richtung A./V. iliaca externa präpariert und schließlich abgesetzt werden. Alternativ kann die Spina iliaca anterior superior auch erhalten werden. In diesem Fall wird die A. circumflexa ilium profunda aus M. iliacus herauspräpariert, wodurch sich der Gefäßstiel verlängert. Der Wundverschluss erfordert höchste Aufmerksamkeit, um die postoperative Morbidität zu minimieren: Zu-
zu halten, ist auf einen peinlich genauen und mehrschichtigen Wundverschluss zu achten (s. oben).
Verglichen mit dem mikrovaskulären Fibula-Transplantat ist die langfristige Entnahmemorbidität höher, wobei v. a. bei bikortikaler Entnahme die Genesungszeit verlängert ist und chronische Schmerzen, Sensibilitätsausfälle, ein instabiles Gangbild, abdominale Hernierungen und ein Verlust der Beckenkammprominenz durchaus vorkommen (Forrest et al. 1992). Bezüglich der postoperativen Schluckfähigkeit wird das freie Beckenkammtransplantat aufgrund der größeren Weichgewebsmanschette als etwas schlechter eingestuft als das Fibula-Transplantat. Auch gilt es, bzgl. der Zusammensetzung des Transplantats zu differenzieren. Nach Hebung eines osteomyokutanen Beckenkammtransplantats mit relevanter Muskelentnahme ist eine größere Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit im Alltag zu erwarten, als dies bei Entnahme eines ausschließlich osteomuskulären Beckenkammtransplantats der Fall ist. Als ursächlich für häufig beobachtete Gangstörungen ist sicherlich der Verlust des Ursprungs der Mm. tensor fasciae latae, glutaeus medius und glutaeus minimus anzusehen (Forrest et al. 1992).
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Kapitel 13 • Unterkiefer
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..Abb. 13.12 a Panoramaschichtaufnahme (PSA) präoperativ bei Plattenepithelkarzinom mit Infiltration des anterioren Unterkiefers (Regio 32–45). b Darstellung des Gefäßstiels sowie der abgelösten glutealen Muskelgruppe. c CAD/CAM-geführte Osteotomie unter Erhalt der Spina iliaca anterior superior. d Mobilisiertes Beckenkammtrans-
plantat vor Stielpräparation in Richtung Vasa iliaca externa. e An eine Rekonstruktionsplatte fixiertes Beckenkammtransplantat mit Stielausleitung am rechten Angulus mandibulae. f PSA 18 Monate postoperativ: eingeheiltes Beckenkammtransplantat mit inserierten Implantaten und Teleskopaufbauten. g Teleskopgestützte Prothetik
zz Kauprothetische Rehabilitation
Beckenregion. Als wesentliche Nachteile gelten ein kürzerer Gefäßstiel bei Entnahme eines lateralen ScapulaSegments, ein limitiertes Knochenvolumen (v. a. Scapulaspitze) hinsichtlich einer späteren Implantation und v. a. die fehlende Möglichkeit des simultanen Arbeitens (Two-team-approach) aufgrund der für die Entnahme erforderlichen Umlagerung des Patienten. Die voluminöse Hautinsel kann bei intraoralem Defektverschluss zu Funktionseinschränkungen führen. Postoperativ können Schulterbeweglichkeit und -hebefunktion eingeschränkt sein (Swartz et al. 1986).
Aufgrund der geringen Resorptionsrate bei sowohl vertikal als auch horizontal großem Knochenangebot ist das mikrovaskuläre Beckenkammtransplantat für eine implantatprothetische Rehabilitation gut geeignet (Brown et al. 2017). Dem Problem der reduzierten Flexibilität aufgrund der nur von gluteal möglichen Osteotomie/Segmentbildung kann mit einer entsprechenden 3D-Planung begegnet werden. 13.3.4.3 Das mikrovaskuläre Scapula-Transplantat
Nach Etablierung der Fibula als Knochentransplantat der Wahl, gilt die Scapula als knöcherne, mikrovaskuläre Alternativoption, wenn eine Fibula-Entnahme aufgrund anatomischer Gegebenheiten nicht möglich ist oder ausgedehnte Defekte eine Versorgung mit mehreren Gewebeinseln erforderlich machen (Barry et al. 2017). Die Schulterregion besitzt durch die Versorgung über das subskapuläre Gefäßsystem verschiedene Optionen freier Composite-Transplantate (. Abb. 13.13). So können knöcherne Transplantate sowohl von der lateralen Scapula als auch von der Scapulaspitze mit skapulärer oder paraskapulärer Hautinsel gehoben werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, einen Latissimus-dorsiLappen zu präparieren. Durch diese Kombinationsmöglichkeiten eignet sich die Scapula insbesondere zur Versorgung komplexer, perforierender Unterkieferdefekte, welche sowohl den Ersatz von Knochen als auch von intra- und extraoralem Weichgewebe erfordern. Weitere Vorteile sind die frühere Mobilisation des Patienten sowie die geringere Atherosklerose des subskapulären Gefäßsystems im Vergleich zur Unterschenkel- und
zz Anatomie
Die Blutversorgung des freien osteokutanen ScapulaTransplantats basiert auf der A. circumflexa scapulae (CSA), welche aus der A. subscapularis bzw. der A. axillaris entspringt (. Abb. 13.13). Sie verläuft dorsal um den M. subscapularis und zieht durch das Muskeldreieck zwischen M. teres major, M. teres minor und dem langen Kopf des M. triceps brachii. Danach teilt sie sich in einen oberflächlichen, zur Haut ziehenden Ast und einen tiefen Anteil, der die laterale Scapula versorgt (Periost-Äste), auf. Der Hautast wiederum zweigt sich in einen transversal (R. transversus – skapulär) über das Schulterblatt verlaufenden und einen kaudal (R. descendens – paraskapulär) verlaufenden Endast auf. So können gleichzeitig zwei Hautinseln gehoben werden. Beim Scapula-Lappen können Weichgewebstransplantate bis zu einer Länge von 25 cm gehoben werden, wobei der Lappen nicht über die Mittellinie hinausreichen sollte, da dies mit einer erhöhten Nekrosegefahr der Lappenspitze verbunden ist. Bis zu einer Lappenbreite von 10 cm ist der primäre Wundverschluss möglich,
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13.3 • Rekonstruktion
tiefe periostale Äste
A. circumflexa scapulae
oberflächliche Haut-Äste
Schulterwinkel zur Rekonstruktion des Unterkiefers gilt die Rekonstruktion des Korpus‑, Kieferwinkel- und Ramus-Bereichs (Klasse I nach Brown) mit relevantem Weichgewebsdefekt. zz Lappenhebung
angulärer Ast Serratus-Ast A. thoracodorsalis A. subscapularis
A. axillaris
..Abb. 13.13 Gefäßsystem der A. subscapularis. (Mod. nach Wolff und Hölzle 2018)
ansonsten muss der Defekt mit einem Spalthauttransplantat gedeckt werden. Paraskapulär kann der Lappen sogar noch länger gestaltet werden. Die Blutversorgung der lateralen Scapula nimmt zur Spitze hin ab, die wiederum durch ein separates Gefäß, den R. angularis aus der A. thoracodorsalis versorgt wird (Swartz et al. 1986; Coleman und Sultan 1991). Alle Arterien werden von einer oder zwei Venen begleitet. Die zwei Begleitvenen der A. circumflexa scapulae vereinigen sich zumeist vor der V. subscapularis. Von der Margo lateralis der Scapula kann ein etwa 10–12 cm langes, 0,7–1,5 cm dickes und 2–3 cm breites kortikospongiöses Knochentransplantat gewonnen werden. Die Stiellänge beträgt dabei 4–8 cm bei einem Gefäßdurchmesser der A. und V. circumflexa scapulae von etwa 2–3 mm. Der Gefäßdurchmesser der A. subscapularis liegt bei ca. 3–4 mm. >>Da die Scapula im Gegensatz zur Fibula keine segmen-
tale Blutversorgung besitzt, sind multiple Osteotomien riskant und nicht empfohlen.
Der Einschluss des kaudalen Angulus-Segments mit versorgendem R. angularis aus der A. thoracodorsalis als zweites Angiosom ermöglicht Osteotomien bzw. die Entnahme eines separaten Knochentransplantats (Coleman und Sultan 1991). Die alleinige Entnahme eines osteomyokutanen Scapula-Transplantats vom Angulus scapulae ermöglicht unter Einschluss der A. subscapularis eine Stiellänge von bis zu 14 cm, wobei der R. angularis kalibervariabel angelegt sein kann. Die Knochendicke des Scapulaspitzen-Transplantats ist limitiert und häufig für eine spätere Implantation nicht geeignet. Als Hauptindikation für das Scapula-Transplantat vom
Grundsätzlich sollte der Gefäßstiel des Transplantats zu den Anschlussgefäßen in Richtung Kieferwinkel orientiert werden, weshalb oftmals der volumenstärkere laterale Anteil des Scapula-Transplantats basal zu liegen kommt. Befinden sich der Unterkieferdefekt und die Anschlussgefäße auf der gleichen Seite, erfolgt die Entnahme der Scapula idealerweise von der kontralateralen Schulter. Soll der Gefäßanschluss kontralateral erfolgen, so wird häufig die ipsilaterale Schulter als Spenderregion gewählt. Aufgrund der erhöhten Flexibilität der verschiedenen Lappenkomponenten ohne Kompression des versorgenden Gefäßes ist bei der Scapula im Vergleich zur Fibula und zum Becken die Seite der Entnahme nicht so kritisch. Die Präparation wird in der Regel in Seitenlage mit abduziertem, steril abgedecktem Arm zur freien Bewegung durchgeführt. Eingezeichnet werden auf der Haut: Spina scapulae, Angulus inferior, Margo scapulae lateralis und medialis, M. teres major und minor. Durch manuelle Palpation und ggf. Dopplersonographie wird nun die trianguläre Muskellücke mit Durchtritt von A. und V. circumflexa scapulae zwischen M. teres major, M. teres minor und dem langen Kopf des M. triceps aufgesucht. Per Dopplersonographie kann auch die Aufteilung in den transversal (R. transversus) und kaudal (R. descendens) verlaufenden Ast dargestellt werden. Die Hautinsel sollte die Muskellücke mit den austretenden Gefäßen mit einschließen. Sie wird elliptisch entweder über dem R. transversus (Skapularlappen) oder über dem R. descendens entlang der Margo lateralis scapulae (Paraskapularlappen) angelegt (. Abb. 13.14e). Klinisch liegt die transversale Achse des Skapularlappens etwas oberhalb der Mitte zwischen Spina scapulae und Angulus inferior scapulae. Zur Identifikation von A. und V. circumflexa scapulae wird der Hautlappen nun entweder von medial oder von lateral subfaszial abgehoben, bis sich das Gefäß aus der Muskellücke kommend darstellt (. Abb. 13.14f). Da die Hautgefäße subkutan ein dichtes Netzwerk an Gefäßanastomosen bilden (subkutaner Plexus), kann die initiale Lappenpräparation auch epifaszial, tief subkutan erfolgen. >>Vorsicht ist geboten im Bereich der Muskellücke, da
A. und V. circumflexa scapulae hier auf Faszienebene verlaufen, weshalb die Präparation in diesem Bereich subfaszial erfolgen sollte.
Der Hautlappen kann nun komplett umschnitten werden. Danach wird der Gefäßstiel durch die Muskellücke nach proximal verfolgt. Der Arm kann dabei abduziert
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Kapitel 13 • Unterkiefer
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..Abb. 13.14 Unterkieferrekonstruktion mit Scapula. a Ausgedehntes Plattenepithelkarzinom mit b Perforation der Haut. c UnterkieferOsteolyse im CT. d Defektsituation. e Anzeichnung der skapulären und paraskapulären Hautinsel nach Dopplersonographie. f Aufsuchen der A. circumflexa scapulae an der Margo lateralis nach Abheben der Hautinseln. g Osteotomie des Scapula-Segments. h Übergang der CSA mit 2 Vv. comitantes in die A. subscapularis nach Abgang der A. tho-
racodorsalis. i Scapula mit skapulärer und paraskapulärer Hautinsel. j Fixiertes Scapula-Transplantat. k Gefäßstiel anterior, Anastomosen an A. facialis und V. retromandibularis. Die Hautinseln sind über die Rekonstruktionsplatte in den Defekt eingeschlagen. l, m Intra- und extraorale Darstellung nach 7 Tagen; Scapula-Hautinsel intraoral, Parascapula-Hautinsel extraoral. n Postoperative Panoramaschichtaufnahme
279
13.4 • Risiken und Nachsorge
und nach innen rotiert werden, um die Axilla besser darzustellen. Die medialen Abgänge zur lateralen Scapula müssen erhalten werden. Es folgt die vertikale Durchtrennung des M. infraspinatus und des kaudal liegenden M. teres minor zur Darstellung der knöchernen Scapula parallel zur Margo lateralis mit einem Abstand von etwa 3 cm. Das Periost wird abpräpariert, dabei muss auf eine sorgfältige Blutstillung des gefäßreichen Areals geachtet werden. Je nach Transplantatlänge wird im kaudalen Anteil auch der M. teres major durchtrennt. Der kaudale Scapula-Anteil wird nun unterminiert, danach beginnt die Osteotomie 1–2 cm unterhalb des glenohumeralen Gelenks (. Abb. 13.14g). Nach der Osteotomie kann das Knochensegment unter Belassen einer Muskelmanschette mit den versorgenden Blutgefäßen nach proximal entlang der A. circumflexa scapulae verfolgt werden. Falls die Scapulaspitze entnommen werden soll, muss lateral der R. angularis dargestellt werden. Dieser wird dann entlang der A. thoracodorsalis präpariert. Je nach Länge des geforderten Gefäßstiels kann das Transplant an der A. circumflexa scapulae oder der A. subscapularis abgesetzt werden. Sollen laterale Scapula und Scapulaspitze separat über ein Anschlussgefäß transplantiert werden, muss die Gefäßpräparation an der A. subscapularis zusammengeführt und abgesetzt werden. Nach Entnahme des Scapula-Transplantats erfolgt zunächst die subtile Blutstillung. Danach werden Bohrlöcher in die laterale Scapula gesetzt, sodass der abgesetzte M. teres major wieder mit PDS 2.0 stabil readaptiert werden kann. Die Haut wird unterminiert, und nach Einlage von Redon-Saugdrainagen erfolgt der zweischichtige Wundverschluss. Abschließend wird ein Druckverband angelegt. Die Fixation des Scapula-Transplantats am Unterkiefer erfolgt über eine Rekonstruktionsplattenoder Miniplattenosteosynthese (. Abb. 13.14j). Dabei kann zur Osteosynthese das Periost auf der Scapula belassen werden, um eine maximale knöcherne Gefäßversorgung zu gewährleisten. Die Anastomosierung erfolgt in üblicher Weise. Die Schulter des Patienten wird für die ersten Tage vor dem Körper immobilisiert, danach beginnt die schmerzabhängige Physiotherapie. Der Arm wird dabei durch die Anlage einer Armschlinge für die folgenden 2–3 Wochen entlastet. 13.4 Risiken
und Nachsorge
Der wesentliche kritische Schritt in der Nachsorge bei Unterkieferrekonstruktionen besteht in der frühzeitigen Wiederherstellung der Schluck- und Sprechfähigkeit, um den Patienten von der häufig notwendigen Tracheotomie zu entwöhnen und insbesondere um eine Aspiration mit damit einhergehender Pneumonie zu verhindern. Sollte dies nicht gelingen, verschlechtert sich die Gesamtprognose des Patienten drastisch (Klingelhöffer et al. 2019).
Im Fall einer Tracheotomie, welche insbesondere bei anterioren Unterkieferrekonstruktionen, bei weit in die Zunge reichenden Defekten sowie bei Z. n. Bestrahlung großzügig gestellt werden sollte, bleibt die Kanüle nach der Operation zunächst etwa 5–7 Tage geblockt. Dann wird die Kanüle entblockt und der Patient nach einer Latenzzeit von etwa 12–24 Stunden der Phoniatrie zur Untersuchung der Schluckfähigkeit vorgestellt. Gilt diese als gegeben, wird in der Regel für 2–3 Tage eine Sprechkanüle eingesetzt, bevor das Tracheostoma abgeklebt und wenig später bei Bedarf verschlossen werden kann. Ist die Schluckfähigkeit nicht gegeben, verbleibt die Kanüle geblockt, und der Patient wird nach etwa 2–3 Tagen erneut vorgestellt. Begleitet werden die phoniatrischen Untersuchungen von regelmäßigen logopädischen Übungen zur Verbesserung der Schluck- und Sprechfunktion. Noch vor Entlassung des Patienten wird in Koordination mit einer eventuell notwendigen adjuvanten onkologischen Therapie eine etwa 3-wöchige Anschlussheilbehandlung zur Verbesserung der Schluck- und Sprechfähigkeit sowie zur Wiedererlangung der Koordination, z. B. nach Entnahme eines Wadenbein- oder Beckenkammtransplantats, organisiert. Je nach onkologischer Situation kann in der Regel nach etwa einemJahr die zumeist implantatgestützte prothetische Rehabilitation des Patienten geplant werden.
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Zusammenfassung Defekte des Unterkiefers aufgrund von Tumoren, Traumata, Entzündungen oder angeborenen Fehlbildungen führen zu schwerwiegenden funktionellen und ästhetischen Einschränkungen bezüglich der Schluck‑, Sprech- und Kaufunktion sowie der äußeren Kontur des Untergesichts. Unterkieferdefekte können auf den zahntragenden Anteil begrenzt sein oder aber auch den Unterkiefer in seiner gesamten Kontinuität betreffen. Aus funktioneller Sicht werden, unabhängig von bestehenden Klassifikationssystemen, Defekte im Bereich des Kinns, des Korpus sowie der Ramusund der Gelenkregion unterschieden. Darüber hinaus ist das Ausmaß des Weichgewebedefekts rekonstruktiv maßgebend. Die rein alloplastische Rekonstruktion des Unterkiefers ist bei Patienten mit hoher Komorbidität sowie zur temporären Defektüberbrückung, etwa bei unklarem R-Status, oder bei geplanter sekundärer Rekonstruktion indiziert. Bei Unterkieferkastendefekten oder bei kurzstreckigen (>Aus Stabilitätsgründen ist der Verankerung durch te-
leskopierende Verankerungselemente klar der Vorzug gegenüber klammerverankerten Verankerungselementen zu geben.
Ist die vorhandene Zahnverteilung nicht optimal, kann durch eine entsprechende Pfeilervermehrung die Belastungsverteilung des Zahnersatzes mittels enossaler Implantate verbessert werden. Hierfür muss jedoch präope-
285
14.2 • Defektarten und therapeutische Möglichkeiten
rativ das Restknochenangebot evaluiert werden, um zu beurteilen, ob in der entsprechenden Region Implantate noch primärstabil inseriert werden können. Eine Visualisierung der Defektsituation wird heute meist durch schichtbildgebende Verfahren wesentlich erleichtert. Ist das Knochenangebot nicht ausreichend, bleibt abzuwägen, ob die entsprechenden Regionen mithilfe von freien Knochenblocktransplantaten sekundär augmentiert werden können. Abhängig vom Defekttyp kommen dazu verschiedene Donorstellen in Betracht, wobei der freie Knochen der Crista iliaca am häufigsten Verwendung findet.
Klassifikation setzt sich aus zwei Anteilen zusammen: einer vertikalen und einer horizontalen Komponente. Klassifikation von Defekten des Oberkiefers und des Mittelgesichts Die vertikale Defektausdehnung wird mit römischen Zahlen dargestellt: Klasse I: Oberkieferdefekt ohne oronasale Fistel Klasse II: Oberkieferdefekt ohne Beteiligung des Orbitabodens Klasse III: Defekt mit Einbeziehung der knöchernen Orbita Klasse IV: Defekt mit Enukleation oder Exenteratio Klasse V: orbitomaxillärer Defekt Klasse VI: nasomaxillärer Prozess Bei den Klassen V und VI ist der Kieferkamm nicht betroffen.
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14.2.1.2 Unterkieferkontinuitätsdefekte
Bei der Rekonstruktion im Fall von Unterkieferkontinuitätsdefekten zeigen sich die Limitationen freier avaskulärer autologer Transplantate. Während sie bei der Therapie relativ kurzer Kontinuitätsunterbrechungen oder bei Auflagerungsosteoplastiken noch zu zuverlässigen Ergebnissen führen, ist bei längeren Unterbrechungen keine vorhersagbare Rekonstruktion mehr möglich. Zudem ist nach Vorbestrahlung keine sichere Vaskularisation der freien Transplantate aus der Umgebung gewährleistet. Daher ist heute v. a. bei Unterkieferkontinuitätsdefekten, welche länger als 5 cm sind, der freie mikrovaskuläre Gewebetransfer als Routineverfahren an den Kliniken etabliert. Damit gelingt eine zuverlässige und ausreichende Wiederherstellung der betroffenen Strukturen. Für knöcherne Rekonstruktionen hat sich dabei die Verwendung von mikrochirurgisch revaskularisierten Beckenkamm‑, Fibula- und Scapula-Transplantaten bewährt. Diese Transplantate ermöglichen über den Defektverschluss hinaus auch die Wiederherstellung der knöchernen Kontinuität, eine funktionelle Verbesserung sowie die Voraussetzung für eine anschließende implantatgetragene kaufunktionelle Rehabilitation. Bei allen Transplantattypen ist die Knochenmenge in der Regel ausreichend, um dentale Implantate zu inserieren. Die jeweiligen Vor- und Nachteile der Transplantate unter kaufunktionellen Gesichtspunkten werden nachfolgend dargestellt. 14.2.2 Oberkieferdefekte
Bei einer Resektion knöcherner Anteile des Oberkiefers resultiert meist ein Defekt, der zu einer Verbindung der Mundhöhle zur Nasenhaupthöhle und/oder zum Sinus maxillaris führt. Dies schränkt den betroffenen Patienten hinsichtlich Sprach‑, Kau- und Schluckfunktion erheblich ein. Des Weiteren kann sich je nach Ausmaß der Resektion eine fehlende knöcherne Unterstützung des Mittelgesichts mit Verlust von dessen Projektion und damit eine erhebliche ästhetische Beeinträchtigung des Patienten ergeben. Defekte des Oberkiefers und des Mittelgesichts werden meist nach dem Klassifikationssystem von Brown und Shaw (2010) eingeteilt (s. auch . Abb. 12.3). Diese
Die intraorale horizontale Defektausdehnung und Lokalisation wird durch eine zusätzliche Subklassifikation ergänzt: a: rein palatinaler Defekt ohne Beteiligung des Alveolarfortsatzes b: unilateraler Defekt, kleiner oder gleich groß wie die Hälfte der Maxilla c: maxillärer Defekt kleiner oder gleich groß wie die Hälfte der Maxilla, bilateral oder anterior lokalisiert d: Defekt größer als die Hälfte der Maxilla
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Abhängig von der Defektgröße und -lokalisation stehen zur Auswahl: der Einsatz von Obturatorprothesen (7 Abschn. 14.2.2.1), der Verschluss durch mikrovaskuläre Hautlappentransplantate (7 Abschn. 14.2.2.2) oder der Verschluss durch mikrovaskuläre Knochentransplantate (7 Abschn. 14.2.2.3). 14.2.2.1 Obturatoren
Wenngleich dentale Obturatoren nach Oberkieferteilresektionen Defekte ohne weitere operative Maßnahmen verschließen können, hat diese Therapieoption ihre entsprechenden Grenzen. Der Halt des Obturators ist stark abhängig von der Anzahl und Verteilung der Restzähne sowie der Größe und Lokalisation des Defekts (. Abb. 14.1). Ebenfalls kann die Abdichtung zum Defektrand oft nur durch regelmäßiges Anpassen und Unterfüttern des Obturators erreicht werden. Eine adjuvante Strahlentherapie mit resultierender Xerostomie kann dies zusätzlich erschweren. Die Vorteile der Verwendung von Obturatoren sind jedoch die bessere Nachsorgemöglichkeit des operierten Areals aufgrund der klinischen Einsehbarkeit des ehema-
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Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
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..Abb. 14.1 Versorgung eines Hemimaxillektomie-Defekts mit Obturatorprothese. a Klinische Situation nach Oberkieferteilresektion rechts; teleskopierend verankerte Obturatorversorgung unter Ein-
beziehung der verbleibenden Restzähne. b Obturatorprothese, c eingesetzter Obturator
ligen Tumorareals und die Vermeidung weiterer komplexer Eingriffe mit längeren stationären Aufenthalten.
plantate führen kann (. Abb. 14.3). Nach Brown und Shaw (2010; 7 Abschn. 14.2.2) wird dieses Verfahren ebenfalls für Defekte der Klassen I und II empfohlen. Ist der Defekt jedoch größer, kommt auch die Verwendung eines freien anterolateralen Oberschenkellappens (ALT) in Betracht. Jedoch fehlt auch dabei gleichermaßen die knöcherne Unterstützung des Prothesensattels für eine spätere prothetische Versorgung.
>>Gerade bei allgemeinmedizinisch kompromittierten
Patienten oder bei unsicherer Resektionsgüte stellt diese Therapievariante eine sinnvolle Alternative zur Rekonstruktion mittels mikrovaskulärer Transplantate dar.
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Bei stark reduziertem Restzahnbestand oder bei zahnlosem Kiefer mit ungünstiger Pfeilerverteilung sind die Stabilisierungsmöglichkeiten des Obturators jedoch limitiert. Der Einsatz enossaler Implantate kann hier Verbesserungen der Retention ermöglichen. Abhängig von der Defektgröße und vom residuellen Knochenangebot können diese Implantate jedoch meist nur unilateral platziert werden. Der daraus resultierende lange Hebelarm kann zu Überbelastungen der Implantate führen. Diese stellt sich dann in Form von Knochenabbau und erhöhten Implantatverlustraten dar. In Einzelfällen lassen sich ergänzende Verankerungselemente im ipsilateralen Jochbeinkörper fixieren (. Abb. 14.2). Nach dem Klassifikationssystem von Brown und Shaw (2010; 7 Abschn. 14.2.2) wird der Einsatz dentaler Obturatoren für Defekte der Klassen I und II empfohlen. 14.2.2.2 Mikrovaskulär revaskularisierte Weichteiltransplantate
Eine Behandlungsalternative zu dentalen Obturatoren stellt u. a. das mikrovaskuläre fasziokutane RadialisTransplantat dar. >>Dieses ermöglicht es, kleinere Defekte nach Ober-
kieferteilresektion dauerhaft zu verschließen und somit Einschränkungen beim Essen und Trinken zu eliminieren.
Nachteil dieser Behandlungsalternative ist jedoch die fehlende knöcherne Unterstützung, welche bei der Abstützung prothetischer Versorgungen, insbesondere in Fällen mit längeren Prothesensätteln, zu unverhältnismäßig starken Belastungen der Restzähne oder der Im-
14.2.2.3 Mikrovaskulär revaskularisierte Knochentransplantate >>Der Einsatz mikrovaskulär revaskularisierter Knochen-
transplantate ermöglicht nach Oberkieferteilresektion eine anschließende implantatgetragene Rekonstruktion zur kaufunktionellen Rehabilitation.
Eine knöcherne Resektion erlaubt hierbei insbesondere auch eine gleichmäßigere Implantatverteilung. Hierfür kommen z. B. Transplantate des Beckenkamms oder der Scapula in Betracht. Brown und Shaw (2010; 7 Abschn. 14.2.2) empfehlen bei Defekten der Klassen II und III den Einsatz mikrovaskulärer Knochentransplantate. Bei Klasse-III-Defekten fehlt resektionsbedingt neben Alveolarfortsatz und knöcherner Wangenunterstützung zusätzlich noch der Orbitaboden. Dies macht die ergänzende Verwendung alloplastischer Materialien z. B. in Form von patientenindividuellen Implantaten bei der Rekonstruktion erforderlich. Durch dieses Vorgehen kann insbesondere auch einem Weichgewebekollaps des Mittelgesichts vorgebeugt werden, welcher insbesondere nach einer Strahlentherapie der Region festzustellen ist. 14.3 Wahl
des Transplantats unter dem Aspekt der kaufunktionellen Rehabilitation
Beim Defektverschluss nach Ober- oder Unterkieferteilresektion ist der Verschluss mithilfe von freien mikro-
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14.3 • Wahl des Transplantats unter dem Aspekt der kaufunktionellen Rehabilitation
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..Abb. 14.2 Versorgung eines anterioren Maxillektomie-Defekts mittels Obturator auf implantatgetragener CAD-/CAM-gefräster Gerüststruktur. a Klinische Situation nach Oberkieferteilresektion. Zwei Drittel des Oberkiefer-Alveolarfortsatzes fehlen. Aufgrund der Defektgröße und der fehlenden Restzähne war der Halt des Obturators stark eingeschränkt. Daher bestand die Indikation für eine implantatgetragene Versorgung. b Intraoperative Situation bei Implan-
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..Abb. 14.3 Implantatbasierte steggetragene prothetische Versorgung nach Defektverschluss mittels mikrochirurgisch revaskularisiertem Weichteiltransplantat. a Klinische Situation nach weichgewebigem Defektverschluss mittels Radialis-Lappen bei Z. n. Oberkieferteilresektion rechts; Implantat-Insertion in den zahnlosen Restkieferkamm und stegtragende Versorgung. b Abnehmbare Ver-
tat-Insertion. Aufgrund der fehlenden Abstützung auf der Defektseite wurde zur Vergrößerung der Abstützung ein weiteres Implantat in den linken Jochbeinkörper inseriert. c Klinische Situation nach prothetischer Versorgung mit CAD/CAM-gefräster Gerüststruktur zur Verankerung des Obturators. d Eingesetzter Obturator mit gutem Defektverschluss
c sorgung in situ. Nachteil dieser Versorgung ist die fehlende knöcherne Unterstützung des Prothesensattels; durch Hebelkräfte können die Implantate ungünstig belastet werden. c Radiologische Situation (Panoramaschichtaufnahme) nach Oberkieferteilresektion rechts, weichgewebigem Defektverschluss und implantatgetragener Versorgung mit CAD/CAM-basiert gefrästem Steg
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Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
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..Abb. 14.4 Unterkieferrekonstruktion mit mikrochirurgisch revaskularisiertem Beckenkammtransplantat. a Intraoperativer Situs bei Unterkieferteilresektion. b Resektat des Myxom-Rezidivs. c Osteomuskuläres Beckenkammtransplantat mit guter vertikaler und horizontaler Dimensionierung. d Radiologischer Befund nach Unterkiefer-Rekonstruktion mit Beckenkammtransplantat; Transplantatdimension entsprechend der Ausgangssituation. e Intraorale Situation nach Rekonstruktion und Abheilung vor geplanter Implantat-Insertion. f In-
traoperative Situation nach Implantat-Insertion in das Beckenkammtransplantat. g Radiologische Situation (Panoramaschichtaufnahme) nach Entfernung des Osteosynthesematerials, Implantat-Insertion und festsitzender prothetischer Versorgung. Die bezüglich des Volumens stabile Transplantatdimensionierung ermöglicht die Insertion von Implantaten in ausreichender Länge und mit adäquatem Durchmesser. h Intraorale Situation nach implantatgetragener prothetischer Versorgung durch festsitzenden Zahnersatz
vaskulären Transplantaten als Routineverfahren im klinischen Alltag etabliert.
14.3.1 Gefäßgestieltes
Beckenkammtransplantat
>>Für Ober- und Unterkieferrekonstruktionen haben sich
v. a. mikrochirurgisch revaskularisierte Beckenkamm‑, Fibula- und Scapula-Transplantate bewährt, denn, verglichen mit reinen Weichteillappen, ermöglichen diese über den Defektverschluss hinaus auch die Wiederherstellung der knöchernen Kontinuität.
Neben der funktionellen Verbesserung schafft der Einsatz knöcherner Transplantate die Voraussetzung für eine anschließende implantatgetragene kaufunktionelle Rehabilitation. Bei allen drei Transplantattypen ist die Knochenmenge in der Regel ausreichend, um dentale Implantate zu inserieren. Dennoch haben die beschriebenen Transplantate ihre jeweiligen Stärken und Probleme.
Das gefäßgestielte Beckenkammtransplantat (DCIA), welches mit den Vasa circumflexa ileum profunda entnommen wird, bietet aufgrund seines Knochenvolumens eine gute Möglichkeit, die Gesamthöhe eines vollbezahnten Unterkieferkörpers vollständig zu rekonstruieren. Nachteil dieses Transplantats ist jedoch seine geringe Länge, weshalb nur Distanzen bis zu 12 cm überbrückt werden können. Weitere Einschränkungen ergeben sich ferner durch einen kurzen Gefäßstiel und dadurch, dass eine weichgewebige Rekonstruktion nur eingeschränkt möglich ist. >>Das gefäßgestielte Beckenkammtransplantat wird im
Oberkiefer aufgrund seiner Dimensionierung nur bei Patienten mit sehr großen Knochendefekten, wie z. B. nach totaler Maxillektomie, eingesetzt.
14.3 • Wahl des Transplantats unter dem Aspekt der kaufunktionellen Rehabilitation
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..Abb. 14.5 Unterkieferrekonstruktion mit mikrochirurgisch revaskularisiertem Fibula-Transplantat zum Ersatz vom Unterkorpus, aufsteigendem Unterkieferast und Kiefergelenk. a Intraoperative Situation nach Unterkieferrekonstruktion mittels osteoseptokutanem Fibula-Transplantat im Rahmen der Implantat-Insertion; gute Verknöcherung der einzelnen Fibula-Segmente und zum atrophen
rechtsseitigen Restkiefer. b Intraoperative Situation nach ImplantatInsertion. Die Transplantatdimensionierung ermöglicht die Insertion von kurzen Implantaten mit großem Durchmesser. c Klinischer und d radiologischer Befund (Panoramaschichtaufnahme) nach implantatgetragener prothetischer Versorgung mittels abnehmbarer Stegversorgung
Aufgrund der knöchernen Dimensionierung ist das Transplantat gut geeignet für die Insertion langer enossaler Implantate mit ausreichendem Durchmesser (. Abb. 14.4). Der Knochen ist zwar sehr spongiös, jedoch kann mit einem entsprechend angepassten, unterdimensionierten Bohrprotokoll eine gute Primärstabilität der Implantate erreicht werden (Mertens et al. 2013, 2014; Wilkman et al. 2017). Durch die Revaskularisation zeigt der knöcherne Anteil dieses Transplantats eine deutlich geringere Resorption als bei freien avaskulären Rekonstruktionen. Das ist für die marginale Knochenstabilität im Bereich der Implantate für den langfristigen Erfolg der Versorgungen von entscheidender Bedeutung. Hautlappenanteile kommen bei diesem Transplantat für gewöhnlich nicht zum Einsatz. Der zur Mundhöhle frei liegende Muskelanteil granuliert meist komplikationslos. Somit ist die Oberfläche des Transplantats mit Mundhöhlenschleimhaut bedeckt, und die Dicke der Schleimhaut befindet sich meist im üblichen Rahmen. Es liegt jedoch keine keratinisierte Schleimhaut vor.
14.3.2 Fibula-Transplantat
>>Mit dem gefäßgestielten Fibula-Transplantat ist es auf-
grund von dessen Anatomie möglich, besonders langstreckige Defekte zu überbrücken.
Seine Form und die Knochenqualität machen es möglich, das Kiefergelenk zu ersetzen (. Abb. 14.5). Ebenso ermöglicht sein sehr langer Gefäßstiel die gute Positionierbarkeit des Transplantats. Nachteilig ist jedoch die geringe vertikale Transplantatdimension. Während für einen atrophen Unterkiefer die vertikale Dimension ausreichend sein kann, tritt bei einem bezahnten Patienten ein deutlicher Niveauunterschied zwischen Restkieferkamm und Transplantat auf. Zur Kompensation dieses Problems kann das Transplantat entweder in „gedoppelter“ Form (double-barrel) eingesetzt werden (. Abb. 14.6), oder aber der Niveauunterschied muss sekundär augmentativ mit freiem Knochen ausgeglichen werden (. Abb. 14.7, 14.8).
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Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
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..Abb. 14.6 Unterkieferrekonstruktion mittels gedoppeltem FibulaTransplantat. a Die gedoppelte Verwendung des Fibula-Transplantats (double-barrel) ermöglicht eine Erhöhung der vertikalen Knochendimension bei gleichzeitiger Reduktion der maximal überbrückbaren Distanz. b Die gedoppelte Fibula ermöglicht beim teilbezahnten Pa-
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tienten die Rekonstruktion der kompletten vertikalen Höhe, sodass keine Niveauunterschiede zwischen Restknochen und Transplantat entstehen; in diesem Fall erfolgt eine festsitzende implantatgetragene prothetische Versorgung
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..Abb. 14.7 Unterkieferrekonstruktion mittels Fibula-Transplantat; Notwendigkeit der sekundären Augmentation zur Kompensation des Niveauunterschiedes zwischen Transplantat und Restkieferkamm. a Radiologischer Befund (Panoramaschichtaufnahme) nach Unterkieferteilresektion mit Exartikulation des Kiefergelenks; einzeitige Rekonstruktion des Unterkiefers mittels Fibula-Transplantat. b Radiologischer Befund nach sekundärer Augmentation mittels Kalotten-
transplantat zur Korrektur des Niveauunterschiedes zwischen bezahntem Restkiefer und Fibula-Transplantat. c Intraoperative Situation nach sekundärer Augmentation der Fibula. d Intraoperative Situation nach Metallentfernung und Implantat-Insertion, guter Höhenausgleich zum Restkiefer hin. e Klinische Situation nach Implantatfreilegung; nach vertikaler Augmentation ist eine festsitzende Einzelzahnversorgung mit natürlicher Kronenlänge möglich
>>Das Fibula-Transplantat ist aufgrund seines hohen An-
weitere Eingriffe durchgeführt werden, um reizlose periimplantäre Schleimhautverhältnisse zu erzielen, falls Implantate den Hautanteil perforieren. Diese Eingriffe werden in 7 Abschn. 14.5 noch weiter beschrieben.
teils an kortikalem Knochen gut geeignet, um Implantate primärstabil zu verankern, und es weist eine gute Resorptionsstabilität auf. Aufgrund seiner geringen Höhe kommen jedoch meist kürzere Implantate zum Einsatz.
Wird eine Hautinsel genutzt, um intraorale Weichgewebsdefekte zu verschließen, müssen im Verlauf oftmals
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14.3 • Wahl des Transplantats unter dem Aspekt der kaufunktionellen Rehabilitation
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..Abb. 14.8 Unterkieferrekonstruktion mittels Fibula-Transplantat; Notwendigkeit der sekundären Augmentation zur Kompensation des Niveauunterschieds zwischen Transplantat und Restkieferkamm. a Intraoperative Situation, Anpassung des Fibula-Transplantats am gedruckten Modell. b Radiologischer Befund nach Unterkieferteilresektion mit Exartikulation des Kiefergelenks; primäre Rekonstruktion mittels Fibula-Transplantat. c Radiologischer Befund nach
14.3.3 Scapula-Transplantat
Das gefäßgestielte Scapula-Transplantat ist sehr gut geeignet, sowohl Unterkieferkontinuitätsdefekte als auch den kompletten Oberkiefer zu ersetzen. Abhängig von der Defektart kann das Transplantat im Oberkiefer horizontal wie auch vertikal eingesetzt werden. Zusammen mit dem knöchernen Anteil kann außerdem auch ein nahezu beliebig großer Weichteillappen transplantiert werden. Die intraoral freiliegende muskuläre Bedeckung der Scapula wandelt sich durch sekundäre Granulation in Gewebe um, welches der Mundschleimhaut sehr ähnlich ist. Trotz dieser positiven Eigenschaft kann die Dicke der transplantatbedeckenden Schleimhaut weitere Eingriffe zur Reduktion der Schleimhauthöhe erforderlich machen. Ein Nachteil dieses Transplantats ist das geringe Knochenangebot. Zwar reicht der seitliche ScapulaRand aus, um Implantate zu inserieren, allerdings muss bei horizontaler Transplantatpositionierung im Oberkiefer auf eine genaue Ausrichtung zum Unterkiefer geachtet werden (. Abb. 14.9). Beim Einsatz im Unterkiefer mit vertikaler Transplantatorientierung ist häufig das horizontale Knochenangebot nicht über die komplette Länge des zu überbrückenden Defekts ausreichend, um Implantate zu positionieren. In diesen Fällen können sekundäre augmentative Maßnahmen erforderlich werden, falls Implantate in diesen Positionen inseriert werden sollen.
f sekundärer Augmentation mittels freiem Beckenkammtransplantat zur Korrektur des Niveauunterschieds zwischen Restkiefer und Fibula-Transplantat. d Radiologischer Befund nach Einbringen von 2 Implantaten in das Fibula-Transplantat. e Radiologischer Befund nach prothetischer Versorgung der Implantate. f Klinische Situation nach prothetischer Versorgung mit festsitzender Einzelzahnversorgung bei natürlicher Kronenlänge
Ähnlich wie beim mikrovaskulären Beckenkammtransplantat ist die Knochenqualität sehr spongiös. Es kann jedoch ebenfalls mit einem entsprechend angepassten Bohrprotokoll eine Primärstabilität der Implantate erreicht werden. Allerdings kommt zu der eingeschränkten Knochenqualität auch die geringe Knochenquantität hinzu. >>Meist können bei horizontaler Positionierung eher
kurze Implantate mit großem Durchmesser, bei vertikaler Transplantatposition meist schmale, aber längere Implantate inseriert werden.
14.3.4
Mediale Femurkondyle
Die mediale Femurkondyle kann als ein weiteres mikrovaskuläres Transplantat für die knöcherne Rekonstruktion des Alveolarfortsatzes verwendet werden (. Abb. 14.10). Aufgrund der Dimensionen ist der Anwendungsbereich jedoch im Vergleich zu den vorgenannten mikrovaskulären Transplantaten deutlich limitierter. Das Transplantat kann genutzt werden, um lokalisierte Kieferkammdefekte zu therapieren, wie z. B. Defekte nach Unterkieferkastenresektion, aber auch lokalisierte Defekte des Oberkiefers. In der Literatur wird eine maximale Länge von 3–10 cm, eine Breite von 1,5–4 cm und eine Höhe von
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Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
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..Abb. 14.9 Oberkieferrekonstruktion mittels Scapula-Transplantat. a Defektsituation nach Hemimaxillektomie links, aufgenommen im Rahmen der sekundären Rekonstruktion. b Klinische Situation nach sekundärer Oberkieferrekonstruktion mittels osteomuskulärem Scapula-Transplantat. c Klinische Situation nach sekundärer Epi-
thelialisierung der die Scapula bedeckenden Muskulatur. d Klinische Situation nach festsitzender implantatgetragener prothetischer Versorgung. e Klinische Situation nach ergänzender Vestibulum-Plastik mittels Spalthaut
1–1,5 cm angegeben (Gaggl et al. 2008). Damit ist das Volumen vergleichbar mit freien Knochentransplantaten aus dem Beckenkamm, jedoch ist die Vaskularisation durch den Gefäßanschluss zuverlässiger. Insbesondere bestrahlte Kieferbereiche oder Fälle mit stark kompromittierter Weichgewebssituation können davon profitieren. Vor allem bei vertikalen oder großvolumigen Augmentationen ist die Weichteildeckung ansonsten oftmals nur erschwert möglich. Ein Vorteil des Transplantats aus der medialen (oder auch lateralen) Femurkondyle ist die Möglichkeit eines intraoralen Gefäßanschlusses (Brandtner et al. 2015). Ein Nachteil besteht jedoch darin, dass die Transplantatform weniger frei angepasst werden kann als bei freiem Beckenknochen, mit welchem sich der Kiefer auch anhand von mehreren Segmenten rekonstruieren lässt, sodass ein bogenförmiger Alveolarfortsatz besser nachgebildet werden kann. Die Knochenqualität ist aufgrund der kortikospongiösen Struktur des Transplantats als gut zu bewerten, sodass die Implantatinsertion im transplantierten Bereich in der Regel problemlos möglich ist.
Neben der Verbesserung von kaufunktionellen Aspekten hat die dentale Rekonstruktion auch wesentlichen Einfluss auf das äußere Erscheinungsbild des Patienten, denn durch die Zahnbögen des Zahnersatzes werden ebenfalls die extraoralen Weichteile gestützt. Außerdem kann der Zahnersatz die Sprachfunktion verbessern, insbesondere im Rahmen der Rekonstruktion bei Oberkieferdefekten. Aufgrund der häufig stark veränderten anatomischen Situation nach Resektion und Rekonstruktion ist das Tragen von schleimhautgetragenen Teil- oder Vollprothesen in den meisten Fällen nicht möglich. Auch eine strahleninduzierte Xerostomie kann eine konventionelle Prothetik verhindern. Daher ist es in vielen Fällen nur durch die Insertion von dentalen Implantaten möglich, entsprechend betroffene Patienten wieder kaufunktionell zu rehabilitieren.
14.4 Dentale
Rehabilitation
14.4.1 Ziel
>>Bei der Planung einer knöchernen Rekonstruktion des
Gesichtsschädels sollte auch eine spätere dentale Rehabilitation berücksichtigt werden.
14.4.2
Präimplantologische Planung
Bei der Planung einer Versorgung mit dentalen Implantaten ist grundsätzlich eine Reihe von Faktoren zu beachten: Neben einem ausreichenden knöchernen Lager ist die Position des transplantierten Knochens entscheidend. Das ist insbesondere bei teilbezahnten Patienten, die noch über eine entsprechend hohe Zahl eigener Zähne verfügen, relevant. Abhängig vom vorhandenen Knochenangebot muss fallweise über sekundäre Augmentationen nachgedacht werden.
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14.4 • Dentale Rehabilitation
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g ..Abb. 14.10 Unterkieferrekonstruktion mit medialer Femurkondyle. a Klinische Situation nach Unterkieferkastenresektion bei multizystischem Ameloblastom und lokaler Defektdeckung. Deutliches Schleimhautdefizit. b Radiologische Situation (Panoramaschichtaufnahme) nach Lateralisation des N. alveolaris inferior rechts, Unterkieferteilresektion und Einbringen einer Protektionsplatte. Kastenförmiger Defekt. c Operationssitus der Entnahmestelle mit Darstellung des gestielten knöchernen Transplantats. d In den Kieferdefekt ein-
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Die Anzahl und Position der noch vorhandenen Restzähne hat wesentlichen Einfluss darauf, wie viele Implantate zu inserieren sind. Insbesondere bei bestrahlten Patienten gilt es immer, die Restzähne kritisch auf ihre Erhaltungsfähigkeit hin zu beurteilen.
Einfluss auf die konkrete Planung hat zunächst, ob eine festsitzende oder eine abnehmbare Versorgung gewünscht und realisierbar ist. Die abnehmbare Versorgung hat hinsichtlich der Reinigungsfähigkeit bei komplexen weichgewebigen Verhältnissen klare Vorteile. Falls jedoch, speziell bei jungen Patienten, eine festsitzende Versorgung erwünscht ist, werden primär verschraubte Versorgungen hergestellt (. Abb. 14.11, 14.12, 14.13). >>Die potenzielle Erweiterbarkeit einer prothetischen Ver-
sorgung sollte immer mitbedacht werden. Die Implantate müssen in Bezug auf das vorhandene Knochenangebot und unter Berücksichtigung der
gebrachtes und durch Stellschrauben fixiertes mikrochirurgisch revaskularisiertes Knochentransplantat der medialen Femorkondyle. e Intraoperative Situation nach Metallentfernung und Insertion von 3 Implantaten. f Intraorale Situation nach implantatgetragener prothetischer Versorgung durch festsitzenden Zahnersatz; Z. n. Vestibulum-Plastik mittels freiem Schleimhauttransplantat vom Gaumen. g Radiologische Situation (Panoramaschichtaufnahme) nach Eingliederung des Zahnersatzes
Antagonisten bestmöglich positioniert und orientiert sein. Dabei gilt es auch, die weichgewebige Situation einzubeziehen.
Um hierbei möglichst vorhersagbare Ergebnis erreichen zu können, erfolgt die präimplantologische Planung meist unter Verwendung von radioopaken Planungsschablonen (Bariumsulfat), welche dann von den Patienten im Rahmen der Schichtbilddiagnostik getragen werden. Diese Schablonen basieren auf individuellen Zahnaufstellungen (. Abb. 14.14). Damit können durch die Schichtbilduntersuchung das Knochenangebot des Restkiefers und des Transplantats, die bedeckende Schleimhautdicke und die ideale prothetische Position der späteren Versorgung sowie die Antagonisten beurteilt werden. Die Daten werden in eine entsprechende Planungssoftware eingelesen. Mit deren Hilfe kann nach virtueller Implantatplanung stereolithographisch eine Bohrschablone hergestellt werden, die je nach klinischer Situation entweder zahngetragen, knochengetragen oder schleimhautgetragen funktioniert.
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Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
a ..Abb. 14.11 Festsitzender implantatgetragener Zahnersatz (verschraubte Brücke). a Klinische Situation nach Unterkieferrekonstruktion mit Beckenkammtransplantat und anschließender Implantat-Insertion. b Festsitzender implantatgetragener Zahnersatz. Diese
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a ..Abb. 14.12 Abnehmbarer implantatgetragener Zahnersatz (teleskopierend). a Teleskopierend verankerter Zahnersatz auf 3 Restzähnen und 3 Implantaten als Pfeilervermehrung für eine größere Stützzone und gleichmäßigere Kräfteverteilung. b Teleskopierend ver-
a ..Abb. 14.13 Abnehmbarer implantatgetragener Zahnersatz (steggetragend). a Klinische Situation nach weichgewebigem Defektverschluss mit Radialis-Transplantat und anschließender implantatprothetischer Rehabilitation mit CAD/CAM-Steg. b Abnehmbare prothetische Ver-
b Versorgung sollte auf Patienten mit sehr guter Mundhygiene limitiert werden, da eine sehr aufwändige Reinigung notwendig ist. Zudem sollten diese Versorgungen immer als verschraubte Lösung hergestellt werden, um eine eventuelle Abnehmbarkeit zu gewährleisten
b ankerter Zahnersatz in situ. Knöcherne und weichgewebige Defizite können gut durch die abnehmbare Versorgung kompensiert werden; ebenfalls gute Reinigbarkeit
b sorgung zur Kompensation von Hart- und Weichgewebsdefiziten und Abstützung der perioralen Schleimhaut; gute Stabilisierung der Prothese, Pflege aufwändiger als bei Teleskopversorgung
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14.5 • Periimplantäres Weichgewebe
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..Abb. 14.14 Präimplantologische Planung. a Einprobe der individuellen Zahnaufstellung. b Eingesetzte radioopake Planungsschablone aus Bariumsulfat, die vom Patienten im Rahmen der Schichtbilddiagnostik getragen wird. Die Aufstellung basiert auf der einprobierten individuellen Zahnaufstellung. c Virtuelle Implantatplanung in der Planungssoftware; diese basiert auf den eingelesenen DICOM-Daten und beinhaltet das Knochenangebot des transplantierten Knochens,
die noch vorhandenen Restzähne und die ideale prothetische Position der späteren Versorgung. d Stereolithographisch hergestellte Bohrschablone basierend auf der virtuellen Planung der notwendigen Implantatposition. e Klinische Situation vor Abdrucknahme und nach Vestibulum-Plastik mit freiem Schleimhauttransplantat vom Gaumen zur Wiederherstellung einer periimplantär erforderlichen keratinisierten Gingiva
Auf Grundlage einer genauen präoperativen Planung ist es ebenfalls möglich, die Dimensionierung des Zahnersatzes so gering wie möglich zu halten. Da aufgrund der Hygienefähigkeit den Patienten primär abnehmbare Lösungen empfohlen werden, werden abhängig von der jeweiligen intraoralen Situation teleskopierende Techniken oder Stegversorgungen durchgeführt. Diese lassen eine optimale Kontrolle der Mundschleimhaut zu und ermöglichen zudem immer noch weitere operative Maßnahmen am Weichgewebe, ohne die Gesamtkonstruktion zu gefährden. Ferner ermöglichen diese meist auch eine gute Erweiterbarkeit der Versorgung.
welches von einer Hautinsel bedeckt ist, und wenn der Implantatdurchtritt durch diesen Hautanteil stattfindet (. Abb. 14.15). Problematisch ist hierbei besonders die Dicke des periimplantären Gewebes. Eine erhöhte vertikale Schleimhautdimension kommt meist durch einen hohen Fettgewebeanteil des Hautanteils zustande. Technische Probleme ergeben sich bei der Herstellung der für die Suprakonstruktion notwendigen Abutments. Für derart erhöhte Schleimhautdicken kann nicht auf ausreichend hohe Standardbauteile der Implantathersteller zurückgegriffen werden. Zudem resultieren aber aus dem langen Gewebedurchtritt auch biologische Probleme. Durch den hohen Anteil an Fettgewebe fehlt, anders als bei keratinisierter Schleimhaut, eine straffe Abdichtung zwischen Implantat-Abutment und dem periimplantären Gewebe.
14.5
Periimplantäres Weichgewebe
>>Nach Einheilung der Implantate und vor der protheti-
schen Versorgung der Implantate ist besonderes Augenmerk auf die Weichgewebssituation des Patienten zu legen.
Wenn Implantate in den ortsständigen Knochen inseriert wurden, dieser Bereich aber durch ein Weichgewebetransplantat (wie z. B. ein Radialis- oder ein ALT-Lappen) bedeckt ist, muss das Weichgewebe fast immer operativ korrigiert werden. Gleiches gilt, wenn die Implantate in ein mikrovaskuläres Transplantat inseriert worden sind,
>>Diese Situation stellt eine Prädilektionsstelle für Ent-
zündungen dar.
In Kombination mit der Mobilität des Gewebes in Funktion und der oftmals erschwerten Mundhygiene ist eine entzündliche Veränderung des periimplantären Gewebes absehbar. Häufig kommt es bei fehlender Intervention in dieser Situation zu rezidivierenden proliferierenden Gewebeveränderungen mit der Bildung von reaktivem Granulationsgewebe.
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Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
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..Abb. 14.15 Lappenausdünnung der Hautinsel eines osteoseptokutanen Fibula-Transplantats mit anschließender Vestibulum- und Mundbodenplastik. a Klinische Situation nach Unterkieferrekonstruktion mit Fibula-Transplantat; weichgewebiger Überschuss durch Hautinsel behindert eine prothetische Versorgung. b Klinische Situation nach Insertion und Freilegung der eingeheilten Implantate. Im Rahmen der Implantat-Freilegung wird der Hautlappen ausgedünnt, um die periimplantäre Schleimhautdicke zu reduzieren; die Wundränder werden dabei am Periost fixiert, um eine möglichst flache Ausheilung der Schleimhaut zu erreichen. c Postoperative Situation nach
Vestibulum- und Mundbodenplastik sowie simultaner Zungenlösung mit Spalthauttransplantat vom Oberschenkel; Annaht der Spalthaut an den Wundrändern sowie in der Mitte des Transplantats am Periost zur optimalen Schleimhautausformung; anschließend erfolgt zur weiteren Formgebung das Einsetzen einer auf den Implantataufbauten verschraubten Verbandplatte. d Postoperative Situation nach Vestibulum- und Mundbodenplastik sowie simultaner Zungenlösung; gute Mobilität der Zunge. e Klinische Situation mit implantatbasiert steggetragener prothetischer Versorgung. f Klinische Situation nach prothetischer Versorgung
>>Daher sollte bereits bei der Implantat-Freilegung der
Das freiliegende Periost sollte zur Verhinderung postoperativer Schrumpfungen mit Schleimhaut- oder Spalthauttransplantaten abgedeckt werden. Abhängig vom Ausmaß des zu deckenden Weichgewebsdefekts können bei kleineren Wundflächen freie Schleimhauttransplantate vom Gaumen entnommen und transplantiert werden. Bei der Wahl des Transplantats ist oralen Schleimhauttransplantaten immer der Vorzug zu geben, jedoch sind diese nur begrenzt verfügbar (7 Abschn. 14.7, Fall 1). Zur Deckung größerer Wundbereiche ist daher die Entnahme von Spalthaut, beispielsweise vom Oberschenkel, erforderlich. Der Einsatz von Spalthauttransplantaten ist insbesondere dann unumgänglich, wenn gleichzeitige Zungen- oder Narbenlösungen erforderlich sind. Um der narbigen Schrumpfung der Transplantate entgegenzuwirken, erfolgt der zusätzliche Einsatz von Verbandplatten. Diese werden über die Implantate verschraubt und dienen im Rahmen der Wundheilung als Formgeber (. Abb. 14.16). Außerdem verhindern sie zusätzlich zur Naht Bewegungen während der Einheilung, die eine Inkorporation des Transplantats verhindern könnten. Sie werden später herausnehmbar umgestaltet, sollten jedoch bis zur Eingliederung der prothetischen Versorgung getragen werden, um die Ausformung des Gewebes zu stabilisieren. Auch bei Patienten ohne intraorale Hautlappen muss das Weichgewebe fast immer operativ korrigiert werden,
Fettanteil des bedeckenden Hautlappens möglichst weit reduziert werden, um eine physiologische Schleimhautdicke zu erreichen und die Mobilität des Lappens zu reduzieren. Dabei sollte das Periost immer intakt bleiben.
Die Wundränder können zur Verringerung der Schleimhautmobilität am Periost mittels Naht fixiert werden, um eine möglichst flache Ausheilung der Schleimhautsituation zu erreichen. Diese Maßnahme kann simultan mit der Implantatfreilegung erfolgen und stellt somit für den Patienten keine zusätzliche Belastung dar (. Abb. 14.15b). Nach Abheilung erfolgt die Reevaluation der Schleimhautsituation, und es muss abgeklärt werden, ob zusätzliche operative Weichgewebskorrekturen im Sinne von Vestibulum- und Mundbodenplastiken erforderlich sind (. Abb. 14.15c,d). Im Rahmen dieser Eingriffe werden nach Spaltlappenpräparation – immer unter Erhalt des Periosts – und ggf. weiterer Lappenausdünnung die Lappenränder weiter nach apikal positioniert und mittels Naht fixiert. >>Die Wundränder des lokalen Gewebes dürfen das
Transplantat nicht überragen, da dieses sonst stark schrumpft oder vollständig vom umgebenden Gewebe überwachsen wird.
297
14.6 • Limitationen
a
b
d
e
c
..Abb. 14.16 Vestibulum- und Mundbodenplastik mit Spalthaut. a Klinische Situation nach Unterkieferrekonstruktion mit Beckenkammtransplantat und Radiatio; eine konventionelle prothetische Versorgung ist aufgrund der Weichgewebsverhältnisse nicht möglich; das Vestibulum fehlt vollständig. b Verschraubte Verbandplatte, die für eine gleichmäßige Adaptation und Immobilisierung des Spalthaut-
transplantats sorgt; Unterfütterung oder Verlängerungen der Schienenextension sind bei Bedarf möglich. c Klinische Situation nach Vestibulum-Plastik und Ausschrauben der Verbandplatte. d Klinische Situation mit implantatbasiert steggetragener Versorgung. e Klinische Situation mit eingesetzter prothetischer Versorgung
da nach Tumorresektionen im betroffenen Bereich meist keine keratinisierte Gingiva mehr vorliegt. Der Implantatdurchtritt befindet sich dann oft vollständig in der beweglichen Wangen- oder Mundbodenschleimhaut. Das führt schon frühzeitig zu periimplantären Entzündungen und Knochenresorptionen.
-
>>Somit ist in diesen Fällen die Schaffung keratinisierter
Schleimhaut durch freie Schleimhautransplantation unabdingbar.
Bei größeren Arealen kann auch hier die Verwendung von Spalthaut notwendig werden (. Abb. 14.16). Einen Überblick über das therapeutische Vorgehen bietet der Behandlungsalgorithmus in . Abb. 14.17. 14.6 Limitationen
Selbst wenn eine kaufunktionelle Rehabilitation bei entsprechender Planung sehr häufig möglich ist, gibt es Limitationen, die mit dem Patienten vorab besprochen werden sollten, um keine unrealistische Erwartungshaltung zu erzeugen. Insbesondere bei bestrahlten Patienten kann die Mundöffnung stark reduziert sein. Das erschwert dem Patienten oftmals die Handhabung und Reinigung eines Zahnersatzes, dies gerade bei abnehmbaren Versorgungen. Zwar kann mit Kieferöffnungsübungen und durch Resektionen der Muskelfortsätze die
-
Mundöffnung u. U. verbessert werden, sie bleibt aber dennoch meist limitiert. Es ist zu beachten, dass eine kaufunktionelle Rehabilitation zwar das Kauvermögen des Patienten verbessern kann, nicht aber eine eventuell eingeschränkte Schluckfunktion. Wenn im Rahmen einer Tumorresektion funktionelles Gewebe wie Zungen- und Mundbodenmuskulatur entfernt wird, kann dies einen Einfluss auf die Beweglichkeit der Zunge inklusive Nahrungstransport und Sprechvermögen haben. Auch wenn ein Weichgewebstransplantat den Defekt verschließen kann, handelt es sich dennoch nur um einen Defektverschluss mit Gewebe und nicht um einen Ersatz von funktionell relevantem Muskelgewebe. Der hygienische Aufwand, den der Patient nach seiner kaufunktionellen Rehabilitation betreiben muss, ist deutlich höher als zuvor. Gerade bei Patienten, die ihre Mundhygiene jahrelang vernachlässigt haben, ist die Umstellung zu einer intensiven periimplantären Reinigung mit Zwischenraumbürsten und Zahnseide groß.
-
>>Es sollten entsprechende Nachsorgeintervalle ein-
gehalten werden, um periimplantäre Entzündungen frühzeitig zur erkennen und entsprechend reagieren zu können. Diese Nachsorge kann mit der onkologischen Nachsorge kombiniert werden.
14
Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
298
Resektionsdefekt
Rezidivfrei? Implantatplanung
Rezidivfrei? Implantatplanung
Rezidivfrei? Implantatplanung
Implantatinsertion (Restkiefer? Transplantatbereich?)
Implantatinsertion (Restkiefer? Resektionsbereich?)
Restkiefer: genügend breite keratinisierte Gingiva?
Nach Implantateinheilung und -freilegung genügend breite keratinisierte Gingiva?
Ja
Mikrovaskuläres Knochentransplantat (Beckenkamm, Fibula, Skapula)
Mikrovaskuläres Weichgewebstransplantat (Unterarm Tx. /ALT)
Lokale Deckung
Nein
Ja
Nach Implantateinheilung und -freilegung
Ja
Nein
Vestibulumplastik mit FST oder Spalthaut
Vestibulumplastik mit FST oder Spalthaut
Ja
Ja
Implantatinsertion (Restkiefer? Transplantatbereich?)
Transplantatbereich: Lappendicke physiologisch?
Restkiefer / Becken: genügend breite keratinisierte Gingiva?
Nein
nach Implantateinheilung und -freilegung
Ja
Nein
Ja
Nein
Vestibulumplastik mit FST oder Spalthaut
Lappenausdünnung
Lappenausdünnung
Stabile periimplantäre Weichgewebeverhältnisse? Ja
Nein Vestibulumplastik mit FST oder Spalthaut
Transplantatbereich: Lappendicke physiologisch?
Stabile periimplantäre Weichgewebeverhältnisse? Ja
Unterkiefer: Kombination mit Zungenlösung möglich (nur bei Spalthaut)
Ja
Nein Vestibulumplastik mit FST oder Spalthaut
Unterkiefer: Kombination mit Zungenlösung möglich (nur bei Spalthaut)
Ja Prothetische Versorgung
Prothetische Versorgung
Prothetische Versorgung
..Abb. 14.17 Behandlungsalgorithmus Weichgewebemanagement
14 a
b
c
..Abb. 14.18 a Intraoperative Situation bei Implantation in das mikrovaskulär reanastomisierte Beckenkammtransplantat. b Implantate stehen vollständig in mobiler Schleimhaut; keine Keratinisierung peri-
implantär. c Klinische Situation nach Einheilung des FST nach prothetischer Versorgung mit teleskopierendem Zahnersatz; gute Keratinisierung der periimplantären Schleimhaut
14.7 Fallbeispiele
zz Fall 2: Klinische Situation nach Oberkieferrekonstruktion mit Scapula-Transplantat
Die Anwendung der Behandlungsalgorithmen wird im Folgenden anhand verschiedener Fallbeispiele illustriert.
Vestibulum-Plastik und Narbenlösung erfolgen mittels Spalthauttransplantat vom Oberschenkel (. Abb. 14.19).
zz Fall 1: Zustand nach Unterkieferkontinuitätsresektion und primärer Rekonstruktion mit mikrovaskulärem Beckenkammtransplantat
zz Fall 3: Klinische Situation nach Unterkieferkastenresektion und Defektverschluss mit Unterarmlappen
Nach Epithelialisierung des Transplantats fehlt die keratinisierte Schleimhaut. Da es sich um ein lokalisierten Defekt handelt, kann die Vestibulum‑/Mundbodenplastik mittels freiem Schleimhautransplantat (FST) vom Gaumen durchgeführt werden (. Abb. 14.18).
Vestibulum‑/Mundbodenplastik erfolgt mittels Spalthauttransplantat vom Oberschenkel (. Abb. 14.20).
-
Zusammenfassung Auch bei komplexen Kieferdefekten nach umfassender präoperativer Planung sowohl vor dem re-
299
14.7 • Fallbeispiele
a
b
c
d
..Abb. 14.19 a Klinische Situation nach Oberkieferteilresektion und primärer Rekonstruktion mit osteomuskulärem Scapula-Transplantat; deutliche überschießende Granulation der Muskulatur. b Ausgeprägte Narbenzüge und fehlende keratinisierte Schleimhaut nach Einheilung des Transplantats. Aufgrund des Ausmaßes der Vernarbung besteht
konstruktiven Eingriff als auch vor der ImplantatInsertion lassen sich zuverlässig und vorhersagbar gute Behandlungsergebnisse erreichen. Für die Rekonstruktionen des Ober- und Unterkiefers hat sich insbesondere die Verwendung von mikrochirurgisch revaskularisierten Beckenkamm‑, Fibula- und Scapula-Transplantaten bewährt, denn diese Transplantate ermöglichen, im Vergleich mit reinen Weichteillappen, über den Defektverschluss hinaus auch die Wiederherstellung der knöchernen Kontinuität. Jede Kieferkammrekonstruktion sollte auch eine dentale Rehabilitation ermöglichen. Nach Einheilung der Implantate und vor der prothetischen Versorgung der Implantate ist besonderes Augenmerk auf die Weichgewebssituation des Patienten zu legen. Die engmaschige Kontrolle ist, zum einen aus onkologischer Sicht, zum anderen zur Sicherung einer stabilen periimplantären Situation, obligat
-
die Indikation für eine Vestibulum-Plastik mit Spalthauttransplantat vom Oberschenkel. c Radiologischer Befund (Panoramaschichtaufnahme) nach Oberkieferteilresektion. d Klinische Situation mit stabilen periimplantären Verhältnissen nach Vestibulum-Plastik
14
300
Kapitel 14 • Kaufunktionelle Rehabilitation
a
c
b
d
..Abb. 14.20 a Klinische Situation nach Unterkieferkastenresektion und Rekonstruktion mit Unterarmlappen. Eine prothetische Versorgung ist aufgrund der weichgewebigen Situation (Lappendicke) nicht möglich. b Nach Lappenausdünnung im Rahmen der Implantatfreilegung ist die Schleimhautsituation noch nicht physiologisch, periimplantär fehlt die keratinisierte Schleimhaut. Daher besteht die
14
Literatur Brandtner C, Bürger H, Hachleitner J, Gaggl A (2015) The intraoral anastomosing technique in reconstructive surgery of the face – a consecutive case series of 70 patients. J Craniomaxillofac Surg 43(9):1763–1768 Brown JS, Shaw RJ (2010) Reconstruction of the maxilla and midface: introducing a new classification. Lancet Oncol 11(10):1001–1008 Gaggl AJ, Bürger HK, Chiari FM (2008) Free microvascular transfer of segmental corticocancellous femur for reconstruction of the alveolar ridge. Br J Oral Maxillofac Surg 46(3):211–217 Jewer DD, Boyd JB, Manktelow RT et al (1989) Orofacial and mandibular reconstruction with the iliac crest free flap: a review of 60 cases and a new method of classification. Plast Reconstr Surg 84:391–403 Mertens C, Decker C, Seeberger R et al (2013) Early bone resorption after vertical bone augmentation – a comparison of calvarial and iliac grafts. Clin Oral Implants Res 24(7):820–825 Mertens C, Decker C, Engel M et al (2014) Early bone resorption of free microvascular reanastomized bone grafts for mandibular reconstruction: a comparison of iliac crest and fibula grafts. J Craniomaxillofac Surg 42(5):e217–e223 Wilkman T, Apajalahti S, Wilkman E et al (2017) Comparison of bone resorption over time: an analysis of the free scapular, iliac crest, and fibular microvascular flaps in mandibular reconstruction. J Oral Maxillofac Surg 75(3):616–621
Indikation zur Vestibulum‑/Mundbodenplastik mittels Spalthauttransplantat vom Oberschenkel (klinische Situation 14 Tage postoperativ). c Klinische Situation nach prothetischer Versorgung mit teleskopierendem Zahnersatz auf Restzähnen und Implantaten; reizlose periimplantäre Schleimhautsituation. d Radiologischer Befund (Panoramaschichtaufnahme) nach prothetischer Versorgung
301
Mundhöhle und Zunge Christian Freudlsperger, Dominik Horn
Inhaltsverzeichnis 15.1
Einleitung – 302
15.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 302
15.2.1 Topographie – 302 15.2.2 Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation – 303 15.2.3 Ästhetische/funktionelle Prinzipien – 304
15.3
Resektion – 305
15.3.1 Indikation, Kontraindikation – 305 15.3.2 Operationsprinzipien – 306
15.4
Rekonstruktion – 306
15.4.1 15.4.2 15.4.3 15.4.4 15.4.5
Prinzipien – 306 Sekundäre Wundheilung – 307 Primärverschluss – 307 Spalthauttransplante zur Rekonstruktion der Mundhöhle – 307 Lokale und gestielte Lappenplastiken zur Rekonstruktion der Mundhöhle – 308 Mikrovaskulär anastomosierte Transplantate zur Rekonstruktion der Mundhöhle – 309 Mikrovaskulär anastomosiertes (fasziokutanes) Transplantat vom radialen Unterarm und mikrovaskulär anastomosiertes (myofasziokutanes) Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel (ALT) – 310 Weitere mikrovaskulär anastomosierte sowie kutane und muskuläre Transplantate – 315
15.4.6 15.4.7
15.4.8
15.5
Risiken und Nachsorge – 316
15.5.1 Risiken – 316 15.5.2 Nachsorge – 317
15.6
Fallbeispiel – 318 Literatur – 319
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_15
15
302
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
15.1 Einleitung
15
Die Rekonstruktion der Mundhöhle und der Zunge wird am häufigsten nach ablativen tumorchirurgischen Eingriffen notwendig und stellt den rekonstruktiv tätigen Chirurgen aufgrund der anatomischen Komplexität vor besondere Herausforderungen. Tumoren der Mundhöhle umfassen dabei Neubildungen im Bereich der Zunge, des Mundbodens und der Wangeninnenseite und bilden die Mehrheit der Neoplasien im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich. In dieser Gruppe stellt das Plattenepithelkarzinom die häufigste Tumorentität dar mit einer weltweiten Inzidenz im Jahr 2018 von 4 Fällen pro 100.000 Einwohner (Ferlay et al. 2019). Damit wird das Mundhöhlenkarzinom als achthäufigste Krebserkrankung weltweit betrachtet (7 https://gco. iarc.fr/today/data/factsheets/cancers/1-Lip-oral-cavityfact-sheet.pdf). Diese Tumoren kommen v. a. bei Patienten im mittleren bis höheren Lebensalter vor und werden durch Risikofaktoren wie den Konsum von Tabak und Alkohol, einseitige Ernährung sowie Infektionen in der Mundhöhle begünstigt (. Abb. 15.1). Die Behandlung der Wahl ist, trotz einer Verbesserung von Strahlentherapien und Chemotherapeutika, weiterhin die chirurgische radikale Tumorresektion mit dem Ziel einer vollständigen Tumorentfernung (R0-Resektion; Shah und Gil 2009). Die dabei entstehenden Defekte sind je nach Ausmaß der erfolgten Resektion mit schweren funktionellen und ästhetischen Einbußen verbunden und führen damit zwangsläufig zu einer signifikanten Reduzierung der Lebensqualität des Patienten. Die Einschränkungen für die Patienten zeigen dabei ein extrem breites Spektrum und reichen von Schwierigkeiten bei der Formung von bestimmten Lauten zur Sprachbildung bis hin zur Unmöglichkeit der oralen Nahrungsaufnahme und zum Verlust der Schluckfunktion. Hier kommt der rekonstruktiven Chirurgie bei der möglichst kompletten Wiederherstellung der funktionellen und ästhetischen Integrität und dem Erhalt der Lebensqualität eine besonders herausfordernde Rolle zu. Während der letzten Jahrzehnte konnten durch die Einführung mikrochirurgischer Rekonstruktionstechniken entscheidende Fortschritte erzielt werden (Futran und Aalsarraf 2000). Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick über die anatomischen Voraussetzungen der Mundhöhle und vermittelt den aktuellen Stand der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Rekonstruktion der Mundhöhle und der Zunge.
15.2 Chirurgisch
relevante Anatomie und Physiologie
15.2.1 Topographie
Die Mundhöhle stellt den Beginn des menschlichen Verdauungstrakts dar und ist funktionell zentraler Bestandteil der Sprach‑, Schluck- und Verdauungsfunktion. Man unterscheidet den Mundvorhof (Vestibulum oris) und die Mundhöhle (Cavitas oris). Das Vesitubulum oris wird nach anterior durch die Ober- und Unterlippe (M. orbicularis oris), nach lateral durch die Wangenschleimhaut (Planum buccale) und nach posterior durch die Zahnreihe bzw. den Alveolarfortsatz begrenzt. Durch den Umschlag von einerseits frei beweglicher intraoraler Lippenschleimhaut auf die befestigte Mundschleimhaut des Alveolarfortsatzes entsteht ein funktioneller Raum, der die benötigte Beweglichkeit der Lippen für Nahrungsaufnahme, Sprach- und Schluckfunktion sowie die Mundöffnung mit ermöglicht. Weiterhin münden im Bereich des Vestibulum oris in Projektion auf jeweils die Zähne 17 und 27 der Ausführungsgang des Ductus parotideus sowie ubiquitär zahlreiche kleine Speicheldrüsen (Gll. labiales und Gll. buccales). Die sich nach posterior anschließende Mundhaupthöhle wird nach anterior und lateral durch die Zahnreihe bzw. den Alveolarfortsatz begrenzt, nach kaudal durch den Mundboden, nach kranial durch den harten und weichen Gaumen des Oberkiefers sowie nach posterior durch die Schlundenge, die den Übergang zum Oropharynx darstellt. Sublingual im Bereich der Caruncula beidseits des Zungenbandes münden die Ausführungsgänge der Gl. submandibularis (Wharton-Gang) und der Gl. sublingualis. Der Mundboden wird primär durch eine mit Schleimhaut bedeckte muskuläre Einheit gebildet. Sie besteht aus der sog. suprahyoidalen Muskulatur, die sich aus den Mm. mylohyoideus, geniohyoideus, digastricus und stylohyoideus zusammensetzt (. Abb. 15.2). Der M. mylohyoideus bildet mit seinem flächigen Ursprung im Bereich der Linea mylohyoidea der Mandibula das Diaphragma oris. Kaudal liegt der M. digastricus, dessen zwei Muskelanteile über eine Zwischensehne im Bereich des Zungenbeins (Os hyoideum) verbunden sind. Der Raum kranial des M. mylohyoideus, zwischen lingualer Fläche der Mandibula und der Zungenmuskulatur wird kaudal von der A. und V. sublingualis, dem N. hypoglossus und kranial vom N. lingualis und dem Ductus submandibularis durchzogen. Weiterhin befindet sich der Drüsenkörper der Gll. linguales im anterioren Anteil dieses Raumes sowie der kraniale Anteil der Gll. submandibulares im posterioren Anteil. Der gemeinsame Ausführungsgang mündet im Bereich der Caruncula sublingualis im Bereich des anterioren Mundbodens.
303
15.2 • Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
..Abb. 15.1 Plattenepithelkarzinom im Bereich Zungenrand links (a) und Mundboden (b)
a
Die Zunge ist die anatomisch und funktionell zentrale Struktur der Mundhöhle. Anatomisch ist der Zungenkörper somit Bestandteil der Mundhöhle, während der Zungengrund den Übergang zum Oropharynx darstellt. Allgemein besteht die Zunge aus quergestreifter Muskulatur, die sich in die Binnen- und Außenmuskulatur unterteilt. Die Außenmuskulatur (M. genioglossus, M. hyoglossus und M. styloglossus) vermitteln durch Ursprünge an Mandibula, Zungenbein und Proc. styloideus die Fixierung zur umgebenden Anatomie. Die Kombination mit der Binnenmuskulatur, bestehend aus M. verticalis linguae, M. longitudinalis superior, M. longitudinalis inferior und M. transversus linguae ermöglicht die Beweglichkeit der Zunge, um die anspruchsvollen Aufgaben beim Schlucken und Sprechen wahrnehmen zu können. Die interindividuelle Zungenoberfläche unterscheidet sich von der restlichen Mundschleimhaut durch die Zungenpapillen (Papillae lingualis), die taktile Aufgaben haben und Geschmackseindrücke vermitteln. Zusammen mit den freien Nervenenden bilden sie das periphere Geschmacksorgan. Der nach posterior angrenzende Zungengrund unterscheidet sich funktionell-anatomisch durch das Vorhandensein der Tonsilla lingualis, die Bestandteil des Waldeyer-Rachenrings ist. 15.2.2
Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation
15.2.2.1 Vaskularisation
Die laterale Wangenschleimhaut wird posterior durch die A. buccalis aus der A. maxillaris versorgt und anterior durch die A. facialis aus der A. carotis externa zusammen mit dem R. mentalis aus der A. alveolaris inferior. Venöse Kapillaren drainieren v. a. in die V. facialis und V. submentalis. Der Mundboden wird primär durch die A. sublingualis (A. lingualis) und die A. submentalis (A. facialis) versorgt. Die arterielle Blutversorgung der Zunge erfolgt via A. lingualis aus der A. carotis externa. Der venöse Abfluss erfolgt durch die gleichnamige Vene, welche im
b
Bereich des anterioren Mundbodens sublingual ein submuköses Venengeflecht ausbildet und nach Verlauf lateral des M. hyoglossus in die V. jugularis interna mündet (. Abb. 15.3). 15.2.2.2 Lymphabfluss
Die Lymphe drainiert primär über die Filterstationen der Level I (Nodi submentales, Nodi linguales und Nodi submandibulares), Level II (Nodi profundi superiores und Nodus jugulodigastricus) und Level III (Nodi profundi inferiores). Der Lymphabfluss ist klinisch v. a. in Bezug auf Neoplasien wie das Mundhöhlenkarzinom von großer Relevanz. So sind Karzinome im Bereich der Mittellinie sowie des Mundbodens und der Zunge mit kontra- oder bilateraler Metastasierung assoziiert Selbst bei klinisch und radiologisch unauffälligem Halslymphknotenbefund (cN0) können nach histologischer Aufarbeitung in 20–40 % der Fälle Metastasen (sog. okkulte Lymphknotenmetastasen) gefunden werden (D’Cruz et al. 2015). 15.2.2.3 Innervation
Die Zunge wird durch den XII. Hirnnerven (N. hypoglossus) motorisch innerviert (Außen- und Binnenmuskulatur). Die Mundbodenmuskulatur wird durch den N. trigeminus (Endast: N. mylohyoideus; M. mylohyoideus und Venter anterior des M. digastricus), den N. facialis (M. stylohyoideus und Venter posterior des M. digastricus) und den zervikalen Plexus (C1/C2; M. geniohyoideus) innerviert. Die anterioren zwei Drittel der Zunge werden durch den N. lingualis (aus dem N. mandibularis des N. trigeminus) sensibel versorgt. Die Innervation des posterioren Drittels wird durch den N. glossopharyngeus und den N. vagus gewährleistet. Der Geschmack wird in den anterioren zwei Dritteln der Zunge über den N. facialis (via Chorda tympani und N. intermedius) und das posteriore Drittel hauptsächlich vom N. glossopharyngeus vermittelt. Die gustatorische Wahrnehmung im Gaumen- und Rachenbereich (geringe topographische Dichte) erfolgt durch den N. vagus.
15
304
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
..Abb. 15.2 Suprahyoidale Muskeln. Frontalschnitt durch den Kopf im Bereich der Prämolaren, Ansicht von vorn. (Aus Zilles und Tillmann 2010)
15.2.3
15
Ästhetische/funktionelle Prinzipien
Ästhetisch haben v. a. die Form und Veränderung des Gesichts, des Halses und des knöchernen Unterkiefers große Bedeutung. Generell gilt für die Mundhöhle (wie für alle zu rekonstruierenden Körperregionen) die Restitutio ad ..Abb. 15.3 Arterielle Versorgung der Zunge und der Mundbodenregion. Ansicht von seitlich rechts. (Aus Zilles und Tillmann 2010)
functionem im Sinne einer bestmöglichen funktionellen und ästhetischen Rekonstruktion des anatomischen Normzustands. Die Mundhöhle mit der Zunge im Speziellen ist zahlreichen exogenen Einflüssen ausgesetzt und an komplexen Abläufen wie dem Schluckakt, der Sprachbildung und der Geschmackswahrnehmung beteiligt. Sie nimmt deshalb funktionell eine besondere Rolle ein.
15.3 • Resektion
305
Das Schlucken ist ein kombiniert reflektorischer und willkürlicher sensomotorischer Vorgang, der es ermöglicht, Nahrung und Speichel vom Mundbereich sicher und rasch, unter Berücksichtigung der Trennung zwischen Luft- und Speisepassage, in den Magen zu transportieren. Der Schluckakt gliedert sich formell in 4 Phasen, wobei die Mundhöhle und die Zunge, neben der Gesichts- und Kaumuskulatur, an der oralen Vorbereitungsphase (I) und der oralen Transportphase (II) beteiligt sind. Diese sind wiederum Voraussetzung für die pharyngeale (III) und die ösophageale Phase (IV; s. auch 7 Abschn. 12.2.3). >>Der Schluckakt verläuft in den reflektorischen Phasen
(II und III) sehr schnell (jeweils ca. 1 s), weshalb funktionell und koordinativ hohe Ansprüche an Mundhöhle und Zunge gestellt werden, die es bestmöglich zu rekonstruieren gilt.
Die Phonation ist eine komplexe Funktion, die durch Veränderung des Luftstroms beim Ausatmen motorisch durch Atemhilfsmuskulatur, Kehlkopf, Zunge, Lippen und mimische Gesichtsmuskulatur erzeugt wird. Insbesondere die Zunge kann durch ihre außerordentliche Beweglichkeit koordinativ feinste Bewegungsabläufe ausführen und ist somit für eine verständliche Aussprache essenziell. Der Geschmack ist eine physiologisch komplexe Wahrnehmung, die ihren Beginn im Bereich der Geschmacksknospen der Zunge und des Gaumens hat. Taktile, chemisch-gustatorische, olfaktorische und thermische Faktoren haben Einfluss auf die Geschmackswahrnehmung. 15.3 Resektion 15.3.1
Indikation, Kontraindikation
Prinzipiell geben unterschiedliche Entitäten Anlass zum chirurgischen Vorgehen mit anschließender Rekonstruktion, wobei das primäre und rezidivierende Mundhöhlenkarzinom den größten Anteil darstellt. Im Falle von Resektionsdefekten nach Probenentnahme bzw. -exzision bei Verdacht auf Leukoplakie oder der Entfernung von klinisch benigne imponierenden Läsionen (Fibrome, Epulitiden) kann häufig eine primäre Rekonstruktion erfolgen oder in Ausnahmefällen eine sekundäre Wundheilung angestrebt werden. Eine im Vergleich zum Mundhöhlenkarzinom seltene Indikation, die weitreichende Resektionen und eine aufwändige Rekonstruktion notwendig macht, ist das Mundschleimhautmelanom, das jedoch im Vergleich zur lichtexponierten Haut deutlich seltener intraoral auftritt (. Abb. 15.4). Die submuköse Fibrose als Präkanzerose spielt v. a. im asiatischen und indischen Raum eine Rolle
..Abb. 15.4 Ausgedehntes Schleimhautmelanom im Bereich des Oberkiefers
und macht dann die lokale chirurgische Therapie notwendig (Arakeri und Brennan 2013). Eine weitere seltene Indikation für rekonstruktive Maßnahmen stellen arteriovenöse Malformationen (AVM) dar. Sofern ein Progress zu erkennen ist bzw. durch die Größe bedingte funktionelle Einschränkungen in den Vordergrund treten, ist meist eine kombinierte interventionell-radiologische und chirurgische Therapie notwendig. Bei traumatischen Schäden im Bereich der Mundhöhle kann, mit Ausnahme von relativ seltenen Defektverletzungen, häufig primär rekonstruiert werden. Eine Ausnahme stellen ausgedehnte Schussverletzungen dar, wobei isolierte Defektverletzungen von Mundhöhle und Zunge in Deutschland relativ gesehen eine Seltenheit darstellen. Bei einem primären Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle besteht in der Regel die Indikation zum chirurgischen Vorgehen, dies ggf. im fortgeschrittenen Stadium in Kombination mit adjuvanten Maßnahmen. Die chirurgische Behandlung des rezidivierenden Mundhöhlenkarzinoms ist nach bereits erfolgter Bestrahlung mit 60–70 Gy die einzige kurative Therapie, sofern eine R0-Resektion klinisch und bildmorphologisch in Aussicht steht. Das 5-Jahres-Überleben nach Therapie beträgt bis zu 43,4 %. 50 % der Patienten erlangen abhängig vom Tumorstadium und unabhängig von der Lokalisation die präoperative Lebensqualität zurück (Goodwin 2000). >>Prinzipiell gelten Mundhöhlenkarzinome mit Fern-
metastasen sowie eine lokal infiltrierende Ausdehnung im Bereich Mastikatorloge, Schädelbasis, Pterygoid und A. carotis interna (T4b) als Kontraindikation für einen chirurgischen Eingriff.
Der Allgemeinzustand des Patienten hat Einfluss auf das Ausmaß der Rekonstruktion, wenn durch die Dauer des Eingriffs intensivmedizinische Bedenken vonseiten der Anästhesie bestehen. Weiterhin sind, soweit onkologisch/
15
306
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
rekonstruktiv vertretbar, die Wünsche des Patienten nach Alternativaufklärung zu berücksichtigen. 15.3.2 Operationsprinzipien
>>Die Basis eines jeden chirurgischen Eingriffs beinhaltet
eine sorgfältige Planung. Neben der allgemeinen Erfahrung mit der jeweils verwendeten Technik sind die klinische Untersuchung und bildgebende Verfahren präoperativ unabdingbar.
15
Insbesondere bei Verdacht auf einen bösartigen Befund der Mundhöhle sollte eine Schichtbildgebung (Computer- oder Kernspintomographie) mit Kontrastmittel vor chirurgischer Manipulation (z. B. Probeentnahme) erfolgen. Weiterführende diagnostische Untersuchungen sind bei der Umfeld-Diagnostik von bösartigen Erkrankungen durchzuführen, um das Risikoprofil abzubilden und Kontraindikationen eines operativen Eingriffs zu erfassen. Anhand des klinischen und radiologischen Befunds müssen folgende maßgebliche Faktoren zur Operationsplanung berücksichtigt werden: 1. Der Befund sollte bei der präoperativen Beurteilung anhand von klinischer und radiologischer Untersuchung vollständig ohne vitale oder funktionelle Gefährdung zu entfernen sein. Bei onkologischer chirurgischer Therapie ist zur sicheren Entfernung (R0) ein Sicherheitsabstand (1 cm) in allen Dimensionen einzuplanen. Eine R1-Situation geht bei primären und rezidivierenden Mundhöhlenkarzinomen mit einer signifikant verschlechterten Prognose für den Patienten einher (Horn et al. 2016). Wenn eine Nachresektion potenziell unter Beachtung relevanter anatomischer Strukturen zu einer R0-Situation führt, verbessert dies die Prognose. 2. Das Ausmaß der Beeinträchtigung von Schluck- und Sprachfunktion nach Resektion ist in die Planung einzubeziehen. Hierbei sollte die Wiederherstellung der zuvor genannten Funktionen adäquat erfolgen, um eine Abhängigkeit des Patienten von permanenter Tracheotomie und eine Ernährung über eine perkutan in den Magen eingebrachte Sonde (PEG) zu vermeiden sowie um die orale Kompetenz in Bezug auf Speichelfluss zu gewährleisten. In Ausnahmefällen kann ein Teilverlust dieser Funktionen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Kauf genommen werden, wenn ein kurativer Therapieansatz bei beispielsweise rezidivierenden Tumoren nach Vorbehandlung abzusehen ist. 3. Der genannte Aspekt ist dem Patienten im Rahmen der Risiko- und Alternativaufklärung zu verdeutlichen. Der Wunsch des Patienten sollte, wenn im onkologischen Setting vertretbar, umgesetzt werden. Bei Dif-
ferenz zwischen Patientenwunsch und chirurgischen Prinzipien muss die Sinnhaftigkeit der Therapieform infrage gestellt und ggf. auf Alternativen mit geringerer Erfolgswahrscheinlichkeit hingewiesen werden. 4. Der Allgemeinzustand muss einen Eingriff in Intubationsnarkose zulassen. Je nach Ausmaß der Resektion und Rekonstruktion variiert dieser Zeitraum von unter einer Stunde bis zu mehreren Stunden bei mikrovaskulären Rekonstruktionen und muss in Rücksprache mit den verantwortlichen Kollegen der Anästhesie geplant werden. Bei anästhesiologischem Risikoprofil muss, sofern vertretbar, das chirurgische Vorgehen deeskaliert werden. Die Generierung von hoher Evidenz durch kontrollierte prospektive Vergleichsstudien ist im chirurgischen Fachgebiet häufig schwierig zu realisieren. Dementsprechend gib es keine Studien, die unterschiedliche Verfahren zur Resektion und Rekonstruktion vergleichend untersuchen. Aussagen werden zumeist beruhend auf retrospektiven Kohortenanalysen und prospektiven Studien ohne ausreichende Randomisierung, mit niedrigen Patientenzahlen oder anderen Unzulänglichkeiten im Studiendesign getroffen. Einigkeit besteht jedoch weitgehend in der Annahme, dass Resektion und Rekonstruktion in einem Eingriff erfolgen sollten. >>Die Zungenspitze gilt als funktionelle Einheit, die die
Verständlichkeit der Lautbildung maßgeblich beeinflusst. Sofern onkologisch sinnvoll, sollte diese erhalten werden.
Die vollständige bzw. subtotale Glossektomie erfordert eine besondere Indikationsstellung, da das Risiko einer Morbidität mit deutlichen Einschränkungen in der Lebensqualität und schweren Komplikationen sowie negativem Einfluss auf das Gesamtüberleben, erhöht ist. 15.4 Rekonstruktion 15.4.1 Prinzipien
Rekonstruktion bedeutet die Wiederherstellung von Form und Funktion (Restitutio ad functionem) unter Anwendung eines je nach Indikation eskalierenden rekonstruktiven Stufenschemas („rekonstruktive Leiter“; 7 Abschn. 17.3, . Abb. 17.3), wobei von wenig invasiv nach invasiv jeweils abgewogen werden muss, ob die Relation von Vor- und Nachteil im Sinne des Patienten in bestmöglichem Verhältnis stehen. Prinzipiell werden, je nach anatomischer Lokalisation, in der Mundhöhle (Zunge, Mundboden, Wange/Vestibulum, Kombinationen) unterschiedliche Anforderungen an das zu rekonstruierende Gewebe gestellt. Während für die Zungenrekonstruktion Volumen, aber auch formbares Gewebe
307
15.4 • Rekonstruktion
..Abb. 15.5 Primärverschluss zur Zungenrekonstruktion. a Plattenepithelkarzinom Zungenrand rechts. b Klinisches Bild 18 Monate nach Resektion und primärem Wundverschluss mit teilweiser Fixierung der Zungenbeweglichkeit
a
benötigt wird, ist für die Mundboden- und Wangenrekonstruktion meist eine weniger voluminöse und flächige Ausdehnung des Transplantats ideal. 15.4.2
Sekundäre Wundheilung
Die sekundäre Wundheilung stellt die körpereigene Wundheilung von Defektsituationen dar und ist deshalb nicht direkter Bestandteil der rekonstruktiven Leiter. Das fehlende Gewebe wird, wenn nicht chirurgisch rekonstruiert, narbig bzw. oberflächig im Sinne einer Defektheilung ersetzt, um die Barriere der Mundschleimhaut aufrechtzuerhalten. Die körpereigene Kompetenz, intraorale Defekte zu heilen, ist mitunter enorm, sodass in ausgewählten Einzelfällen eine sekundäre Wundheilung bei kleinen Defekten in funktionell wenig beanspruchten Arealen zugelassen werden kann. Dies kommt v. a. dann infrage, wenn durch weiterführende rekonstruktive Maßnahmen die Morbidität der jeweiligen Entnahmeregion in den Vordergrund rückt. 15.4.3 Primärverschluss
Der primäre Wundverschluss und die Verwendung des randständigen Gewebes ist bei entsprechender Indikation die einfachste Möglichkeit, um einen Defekt zu verschließen. Die Wundränder können mit oder ohne vorherige unterminierende Mobilisation adaptiert werden. Der primäre Verschluss stellt somit die Wiederherstellung der Barrierefunktion der Mundschleimhaut dar und zeigt bei geringer Defektgröße ein gutes funktionelles Ergebnis. Die Rekonstruktion unter Berücksichtigung funktioneller Aspekte, wie der Erhalt des Volumens und der Bewegungsfreiheit der Zunge, wird durch einen primären Wundverschluss häufig nicht erfüllt (. Abb. 15.5). >>Wenn das Volumendefizit alleine oder in Kombination
mit möglichen konsekutiven Narbenstrikturen die Funktion einschränken, sollte im Sinne des Patienten eine weitergehende rekonstruktive Maßnahme gewählt werden.
b
Eine Maßangabe, um dieses voraussichtliche Defizit zu definieren, ist mitunter schwierig, sodass die Entscheidung durch einen rekonstruktiv erfahrenen Kopf- und Halschirurgen getroffen werden muss. Klinisch überwiegen iatrogene Defekte durch die onkologische Chirurgie, sodass, abgesehen von höhergradigen Epitheldysplasien, das resezierte Gewebevolumen die Möglichkeiten der primären Rekonstruktion im onkologischen Setting fast immer überschreitet. 15.4.4
Spalthauttransplante zur Rekonstruktion der Mundhöhle
Bei ausgewählten Indikationen ist die Spalthauttransplantation eine sinnvolle und sichere Möglichkeit zur Rekonstruktion bei v. a. flächigen und wenig voluminösen Defekten der Mundschleimhaut (Chien et al. 2005). Bei Entfernung auffälliger Schleimhautareale, die nach Probeentnahme bzw. -exzision ohne histologischen Nachweis eines invasiven Malignoms bleiben, kann eine Spalthautdeckung sinnvoll sein, um eine narbige Striktur zu verhindern, die durch die sekundäre Wundheilung entstehen kann. Insbesondere bei oberflächlichen Resektionen im Bereich des Mundbodens kann eine Rekonstruktion mit einem Spalthauttransplantat sinnvoll sein (. Abb. 15.6). Die Entnahmemorbidität ist gering und die Operationsdauer im Vergleich zu gestielten oder freien mikrovaskulär anastomosierten Transplantaten relativ kurz (Chien et al. 2005). >>Technisch ist jedoch zu bedenken, dass die Spalthaut
auf die Perfusion von Kapillaren aus dem Wundgrund angewiesen ist.
So ist einerseits auf ausreichenden Druck gegen den Wundgrund zu sorgen, und andererseits muss der Wundgrund fähig sein, den Nährstofftransport durch Diffusion und die spätere kapilläre Blutversorgung zu leisten. Folglich ist ein ausreichender Druck intraoral meist nur durch nach extraoral ausgeleitete transfixierende Nähte zu erreichen.
15
308
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
..Abb. 15.6 Rekonstruktion des Mundbodens mit Spalthauttransplantat. a Plattenepithelkarzinom Mundboden. Eingeheiltes Spalthauttransplantat nach 18 Monaten (b) und nach 3 Jahren (c)
a
>>Bei einer vorangegangenen Bestrahlung müssen die
Notwendigkeit und der Nutzen genau evaluiert werden, da die Blutversorgung in bestrahlten anatomischen Regionen oft kompromittiert ist.
Die Spalthautrekonstruktion findet neben der Deckung der o. g. Defektarten zusätzlich bei der Rekonstruktion der befestigten Gingiva Verwendung. Das Vorhandensein der befestigten Gingiva ist notwendig, um die Hygienefähigkeit und damit das Langzeitüberleben von dentalen Implantaten zu gewährleisten. Diese werden zur kaufunktionellen Rehabilitation inseriert und dienen als Anker für prothetische Suprastrukturen. Die Rekonstruktion der befestigten Gingiva kann mittels gestielter oder mikrovaskulärer Transplantate meist nicht adäquat gewährleistet werden, sodass sekundär nach einer Versorgung mit dentalen Implantaten die periimplantäre Rekonstruktion mit Spalthaut sinnvoll ist, um Schmutznischen zu vermeiden (7 Abschn. 14.5). 15.4.5
15
Lokale und gestielte Lappenplastiken zur Rekonstruktion der Mundhöhle
Wenn ein intraoraler Defekt mittels primärem Wundverschluss nicht spannungsfrei und sinnvoll zu adaptieren ist, können intraorale Mukosa(Mukoperiost)-Verschiebelappenplastiken Anwendung finden. Hierbei wird durch Entlastungsinzisionen mit oder ohne Periostschlitzung ähnlich extraoralen lokalen Lappenplastiken Gewebe mobilisiert, welches zur Defektdeckung verwendet werden kann. Die intraoralen Lappenplastiken finden jedoch meist bei Defektverschlüssen im Bereich des Alveolarfortsatzes (Mukoperiostplastik nach Rehrmann, Wundverschluss mittels Bichat-Fettkörper) oder im Bereich der Spaltchirurgie (Hart- und Weichgaumenverschlussplastik) Verwendung. Im Bereich der Mundhöhle und der Zunge haben die oben beschriebenen lokalen intraoralen Plastiken aufgrund der Defektanatomie meist nur eine untergeordnete Bedeutung. Folgt man dem Stufenschema, so sind nach den bereits in 7 Abschn. 15.4.1 beschriebenen Methoden
b
lokal gestielte Transplantate eine weitere Möglichkeit zur Rekonstruktion. Wird die Kopf- und Halsregion als Entnahmeareal betrachtet, so wurden v. a. auf den Fazial- bzw. Submental- und Temporalgefäßen basierende gestielte Transplantate beschrieben. Die kutane Blutversorgung der A. submentalis macht es möglich, ein fasziokutanes submentales Transplantat (submental island flap, SMI) zu generieren, welches gestielt nach intraoral verlagert werden kann (Martin et al. 1993). Das SMI-Transplantat kann im Falle einer Rekonstruktion bei Mundhöhlenkarzinomen beispielsweise bei geringfügiger Änderung der Schnittführung in Kombination mit der notwendigen Halslymphknotenausräumung präpariert werden. Die Anatomie wird folglich bei geringer Entnahmemorbidität im Sinne der Grundsätze der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie bestmöglich genutzt (Genden et al. 2004). Die Bedenken einer erhöhten Rate lokoregionärer Metastasen bei Verwendung des SMI-Transplantats und eingeschränkter Lymphknotenausräumung konnten bislang nicht bestätigt werden. Die Hebung des Transplantats und die Erfolgsrate werden als gut beschrieben (Genden et al. 2004). >>Nichtsdestotrotz sei auf die Komplexität und Nähe
der anatomischen Strukturen im submentalen Bereich hingewiesen. Die Erfolgsrate des Transplantats ist somit an einen Stielverlauf ohne Kompression und ohne starke Rotation gebunden. Es erfordert folglich eine ausreichende Erfahrung mit der beschriebenen Technik, um die adäquate Größe des Hautareals abschätzen zu können.
Beim Vergleich mit den mikrovaskulär anastomosierten Transplantaten scheint die Verwendung des SMI-Transplantats zur intraoralen Rekonstruktion unter Berücksichtigung der aktuell gegebenen Evidenzlage zu einer Verkürzung des Krankenhausaufenthalts und gleichwertigem funktionellem Outcome zu führen. Die Indikationen für die Verwendung des Verfahrens sind jedoch sorgfältig auszuwählen. Das gestielte fasziokutane nasolabiale Transplantat bietet als vielseitiges Werkzeug Weichgewebe für die Rekonstruktion im Gesichtsbereich. Die Transposition der nasolabialen Hautinsel nach intraoral ist ebenso möglich
15.4 • Rekonstruktion
wie die rein intraorale Präparation des gestielten myomukosalen Transplantats basierend auf der Gefäßversorgung der A. und der V. facialis. In Anbetracht der Nachteile wie der Gefahr einer Schädigung des N. facialis und des Ductus parotideus sowie der extraoral ästhetisch kompromittierenden Schnittführung findet die nasolabiale Transpositionslappenplastik zur Mundund Zungenrekonstruktion nur in Ausnahmefällen neben den gestielten Submental- und Pectoralis-Transplantaten oder mikrovaskulären Transplantaten Anwendung. Das gestielte myofasziale Transplantat der Temporalregion wurde bereits bei einer Vielzahl von intraoralen Rekonstruktionen verwendet. Die Temporalregion bietet flaches, mit Faszie bedecktes Muskelgewebe, welches sich für flächige Defekte geringeren Volumens eignet (Zenga et al. 2015). Das Transplantat zeigt Einschränkungen bei der Anwendung, dies insbesondere aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit der Transposition (dies v. a. bei bezahnten Patienten), des erhöhten Risikos einer iatrogenen Schädigung des N. facialis und möglicher Schädigung der Haarfollikel mit konsekutiver Alopezie. Insgesamt lassen sich Indikationen bei größeren Defekten im Bereich des Planum buccale sowie Kontraindikationen für die Verwendung mikrovaskulärer Transplantate (7 Abschn. 15.4.6) stellen. Gestielte Fernlappenplastiken, insbesondere der myofasziokutane Pectoralis-Lappen, wurden vor der Ära der mikrovaskulären Chirurgie häufig u. a. zur intraoralen Rekonstruktion verwendet. Die Hauptvorteile liegen im Vergleich zur Verwendung freier mikrovaskulär revaskularisierter Transplantate in einer relativ kurzen Operationsdauer, der fehlenden Notwendigkeit einer mikrochirurgischen Expertise und der hierfür erforderlichen Ausstattung. Dennoch haben gestielte Fernlappenplastiken zur Mundhöhlenrekonstruktion heutzutage an Bedeutung verloren und werden meist in Situationen verwendet, in denen ein freier Gewebetransfer nicht möglich ist, und zwar aus folgenden Gründen: Es besteht eine gehäufte Komplikationsrate in Bezug auf periphere Teilnekrosen des Transplantats sowie auf Wundehiszenzen mit Fistelbildung. Weiterhin wurde gezeigt, dass Patienten, die mit einem Pectoralis-Lappen versorgt wurden, im Vergleich zur mikrovaskulären Rekonstruktion häufiger eine PEG-Sonde benötigten (Chepeha et al. 2004). Ästhetisch und funktionell hat eine gestielte Fernlappenplastik im Bereich der Mundhöhle den Nachteil, dass durch eine Rotation oder Transposition des Transplantatstiels neben der Gefahr einer Durchblutungsstörung der Hautinsel ein v. a. zervikal ästhetisch nicht zufriedenstellendes Ergebnis zur Folge hat. Insgesamt führt das Gewebe durch die Rotation meist zu Einschränkungen der Konturierung und u. U. zur Einschränkungen der Resektion, die bei chirurgischer Therapie maligner Erkrankungen zwingend notwendig ist.
-
309
-
Ferner konnte gezeigt werden, dass die Gesamtkosten einer Rekonstruktion mit einem gestielten Transplantat im Vergleich zur Verwendung freier mikrovaskulärer Transplantate ähnlich sind und diese z. T. durch die notwendigen Folgebehandlungen überschreiten. Weiterhin ist ein rein myofasziales Transplantat zur intraoralen Rekonstruktion beschrieben.
Weitere Anwendung findet bei entsprechender Kontraindikationen gegen zuvor beschriebene Lappenplastiken und den mikrovaskulären Gewebetransfer das gestielte myosfaszio(-kutane) Latissimus-dorsi-Transplantat. Die Indikation kann unter Berücksichtigung der in 7 Abschn. 15.4.5 beschriebenen rekonstruktiven Prinzipien im Einzelfall gerechtfertigt sein. Zur Rekonstruktion bei Weichgewebedefekten der Mundhöhle haben sich klinisch vielmehr die mikrovaskulär anastomosierten Transplantate durchgesetzt und finden aktuell hauptsächlich bei der intraoralen Rekonstruktion Anwendung. 15.4.6
Mikrovaskulär anastomosierte Transplantate zur Rekonstruktion der Mundhöhle
Die Evidenz der Überlegenheit der mikrovaskulären Rekonstruktion gegenüber gestielten Fernlappenplastiken wurde nicht in prospektiven randomisierten Studien untersucht. Dennoch zeigen die retrospektiven Studien eine solide Evidenz dafür, dass der mikrovaskuläre Gewebetransfer eine sichere und zuverlässige Technik zur intraoralen Rekonstruktion ist (Wei et al. 2002; Villaret und Futran 2003). Die Erfolgsrate von mikrochirurgisch anastomosierten Transplantaten schwankt in der Literatur. In großen monozentrischen retrospektiven Fallanalysen zur mikrovaskulären Rekonstruktion der Kopf-Hals-Region wird je nach Transplantat über Erfolgswahrscheinlichkeiten von 92–97 % (ALT), 97,4 % (Radialis) und 96,4 % (Rectus abdominis) berichtet (Shieh et al. 2000; Nakatsuka et al. 2003). >>Bei der Therapieplanung muss der Einfluss einer voran-
gegangenen Bestrahlung und weiterer adjuvanter Behandlungen auf die Erfolgsrate der mikrovaskulären Rekonstruktionen berücksichtigt werden.
Bei Patienten mit rezidivierendem Mundhöhlenkarzinom, die bereits multimodale Therapien (Bestrahlung, +/− Chemotherapie, +/− Chirurgie) erhalten haben, ist die mikrovaskuläre Rekonstruktion eine sichere Technik, allerdings ist, im Vergleich zu Primäreingriffen, von einer reduzierten Erfolgsrate auszugehen (Horn et al. 2016).
15
310
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
..Abb. 15.7 Mikrochirurgische Transplantate zur Rekonstruktion der Mundhöhle. a Mikrochirurgisches Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel (ALT-Transplantat). b Faszikotuanes mikrochirurgisches Transplantat vom radialen Unterarm (radial forearm flap)
a
b
..Abb. 15.8 Oberkieferrekonstruktion nach ablativer Tumorchirurgie mittels ALTTransplantat. a Plattenepithelkarzinom im Bereich des Oberkiefers. b Z. n. Rekonstruktion
a
15.4.7
15
Mikrovaskulär anastomosiertes (fasziokutanes) Transplantat vom radialen Unterarm und mikrovaskulär anastomosiertes (myofasziokutanes) Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel (ALT)
Die vielseitigsten und am häufigsten verwendeten Gewebe werden im Bereich des radialen Unterarms und des anterolateralen Oberschenkels entnommen (Yu 2004a). Die oberflächliche Hautbeschaffenheit ist bei beiden Transplantaten meist ähnlich, wobei die haartragende Haut aus der Spenderregion intraoral weiterhin Haarwachstum zeigt. Je nach Lokalisation und ästhetischem Bewusstsein des Patienten muss dieser Aspekt berücksichtigt werden.
a
b
b
Beiden gemeinsam ist weiterhin, dass die Transplantate simultan zu einer onkologischen Resektion gehoben werden können (Two-team-approach; . Abb. 15.7). zz Vor- und Nachteile
Das Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel (ALT) zeigt häufig ein größeres Volumen, welches durch das interindividuell unterschiedliche subkutane Fettgewebe und ggf. auch durch eine Entnahme muskulärer Gewebeanteile bedingt ist (. Abb. 15.8). Im Gegensatz zu der häufigen Verwendung im asiatischen Raum ist die Indikation zur Verwendung dieses Transplantats bei flachen Resektionsdefekten in der westlichen Bevölkerung, insbesondere bei Fettleibigkeit, oft eingeschränkt. Prinzipiell kann eine Ausdünnung des subkutanen Fettgewebes vorgenommen werden, um das Volumen bestmöglich zu konturieren (. Abb. 15.9). Dieser Schritt beinhaltet
c
..Abb. 15.9 Möglichkeit der Ausdünnung eines mikrochirurgischen Transplantats vom anterolateralen Oberschenkel (ALT-Transplantat) durch Reduktion des Fettgewebes. a Transplantat vor Ausdünnung. b Exzidiertes Fettgewebe. c Transplantat nach Ausdünnung
311
15.4 • Rekonstruktion
..Abb. 15.10 Primärverschluss im Bereich des Oberschenkels nach Entnahme eines mikrochirurgischen Transplantats vom anterolateralen Oberschenkel
a
b
..Abb. 15.11 Zweizeitiger Verschluss der Entnahmestelle im Bereich des radialen Unterarms nach Entnahme eines fasziokutanen mikrochirurgischen Transplantats mittels Vollhauttransplantat. a Be-
a
jedoch die Gefahr, Perforatoren zu schädigen und damit den Operationserfolg zu gefährden. Nach eigener Erfahrung eignet sich das Gewebe vom radialen Unterarm besser, um eine grazile vestibuläre Rekonstruktion zu gewährleisten (. Abb. 15.7b). Dies ist notwendig, sofern es die onkologische Resektion zulässt, um die orale Kompetenz zu erhalten sowie um unwillkürlichen Speichelfluss nach extraoral zu verhindern. Bezogen auf die Entnahmemorbidität ist die Möglichkeit des primären Verschlusses beim Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel von Vorteil (. Abb. 15.10). Dies relativiert sich jedoch, wenn eine großflächige Hautinsel zur intraoralen Zungen-/und Mundbodenrekonstruktion benötigt wird und ein Primärverschluss im Bereich des Oberschenkels nicht mehr sinnvoll möglich ist. Ein kleiner Defekt im Bereich der Entnahme am Unterarm kann grundsätzlich primär verschlossen werden, was jedoch nur selten zuverlässig gelingt. In den meisten Fällen wird ein Verschluss des Entnahmedefekts notwendig. Verschiedene Techniken mit z. T. gleichwertigen Ergebnissen finden weltweit Anwendung (einzeitige Spalthautdeckung oder ein-/zweizeitige Vollhautdeckung; Zuidam et al. 2005; . Abb. 15.11, 15.12), Vorbehandlung mit Gewebeexpandern, lokale Verschiebelappenplastik oder künstliche Haut. Insgesamt können nach Transplantatentnahme im Bereich des radialen Unterarms nach 2 Jahren leichte funktionelle Einschränkungen objektiviert werden. Das
ginnende Granulation im Bereich der Entnahmestelle 10 Tage postoperativ. b Entnahmestelle mit eingeheiltem Vollhauttransplantat
b
..Abb. 15.12 Einzeitiger Verschluss der Entnahmestelle im Bereich des radialen Unterarms nach Entnahme eines fasziokutanen mikrochirurgischen Transplantats mittels Spalthauttransplantat. a Ein-
geheiltes Spalthauttransplantat im Bereich der Entnahmestelle. b Laterale Ansicht mit erkennbarem Niveauunterschied im Bereich des Spalthauttransplantats
15
312
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
..Abb. 15.13 Sekundäre Wundheilung durch Granulation im Bereich der Entnahmestelle, unterstützt durch granulationsförderndes Verbandmaterial
..Abb. 15.14 Vergrößerung des Volumens eines fasziokutanen Transplantats vom radialen Unterarm durch Mitnahme von Fettgewebe (beavertail modification)
Patientenkollektiv nimmt diese jedoch nicht oder oft als nicht einschränkend wahr (Orlik et al. 2014). Abschließend sei erwähnt, dass auch die sekundäre Wundheilung (mit simultaner Behandlung mit granulationsfördernden Verbänden) eine Möglichkeit sein kann (. Abb. 15.13).
zz Rekonstruktion der Zunge
Bewertung Bei der rekonstruktiven Planung ist insofern
15
ein Transplantat vom radialen Unterarm bei Defekten bis ca. 50–60 % des Volumens der Zunge die erste Wahl. Das Volumen ist ausreichend und kann durch die Mitnahme von Fettgewebe um den distalen Transplantatstiel erhöht werden (Seikaly et al. 2009; . Abb. 15.14). Die feine Haut und Unterhauttextur am distalen Unterarm kann genutzt werden, um die grazile Beschaffenheit des Mundbodens bzw. des Alveolarfortsatzes nachzuempfinden. Auch für Rekonstruktionen im Bereich der Wangeninnenseite (Planum buccale) sind mikrochirurgische Transplantate vom radialen Unterarm ideal geeignet (. Abb. 15.15). >>Die Übergänge von Zunge zu Mundboden einerseits und
von Mundboden zu Alveolarfortsatz andererseits sind beim Großteil der intraoralen Resektionsdefekte fließend und dürfen funktionell nicht unterschätzt werden.
a
Die Restitutio ad functionem der Zunge stellt besondere Ansprüche an die rekonstruktive Chirurgie der Mundhöhle. So ist es heutzutage technisch nicht möglich, eine vollständige Restitutio der komplexen reflektorischen, sensorischen und motorischen Funktionen zu erreichen. Allgemein kann die Restzunge nach Teilresektionen bis Hemiglossektomien und entsprechender Gestaltung der Form und des Volumens die Funktion gut kompensieren, sodass die Patienten bezüglich Schluckfunktion in der Regel ein gutes Ergebnis zeigen, wobei die Aussprache z. T. funktionelle Einbußen zeigt (. Abb. 15.16). Die Beweglichkeit der Zunge ist maßgeblich von der zu rekonstruierenden Umschlagfalte im Bereich Alveolarfortsatz, Mundboden und Zunge abhängig. Im Hinblick auf weiterführende dentale Rehabilitation im Sinne einer häufig erforderlichen implantatgetragenen prothetischen Versorgung (7 Abschn. 14.4) ist ein Nachempfinden der dünnen befestigten Gingiva im Bereich des Alveolarfortsatzes zu berücksichtigen, um optimale Verhältnisse für eine orale Hygienefähikeit zu schaffen. Um diesen Ansprüchen bestmöglich gerecht zu werden,
b
..Abb. 15.15 Rekonstruktion der Wangeninnenseite nach ablativer Tumorchirurgie. a Plattenepithelkarzinom Wangeninnenseite (Planum buccale) links. b Rekonstruktion mittels fasziokutanem Transplantat vom radialen Unterarm
313
15.4 • Rekonstruktion
a
b
..Abb. 15.16 a, b Rekonstruktion des lateralen Zungenrandes nach ablativer Tumorchirurgie mittels fasziokutanem Transplantat vom radialen Unterarm mit gut erhaltender Zungenbeweglichkeit
wird ein bilobäres Design des Transplantats empfohlen (Urken et al. 1994; . Abb. 15.17). Die Übergänge zur Verwendung alternativer mikrovaskulärer Transplantate sind fließend, insbesondere in Bezug auf das (myo‑)fasziokutane Transplant vom anterolateralen Oberschenkel. Bei Zustand nach Glossektomie bei onkologischen primären oder Salvage-chirurgischen Eingriffen ist das Volumen des Transplantats vom Unterarm meist nicht ausreichend, um die Zunge adäquat zu rekonstruieren (. Abb. 15.18). ..Abb. 15.17 Rekonstruktion von Mundboden und Zunge nach ablativer Tumorchirurgie mittels bilobulärem ALTTransplantat. a Plattenepithelkarzinom Zungenrand rechts. b Z. n. Zungen‑, Mundbodenteilresektion. c Resektat. d Mikrochirurgisches bilobuläres ALT-Transplantat. e Rekonstruktionsergebnis
a
>>Das Ausmaß dieses Defekts bedarf besonderer Indi-
kationsstellung, die Indikation für ein rekonstruktives Verfahren sollte nur von rekonstruktiv erfahrenen Kopf- und Hals-Chirurgen gestellt werden.
Dabei wird weniger eine oberflächige Abdeckung eines Resektionsdefekts benötigt, sondern es muss versucht werden, die Funktion des resezierten Muskelgewebes durch ausreichend Volumen zu kompensieren. Hierdurch soll die Bewegungsmöglichkeit der Restzungenmuskula-
b
d
c
e
15
314
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
..Abb. 15.18 Subtotale Glossektomie und Rekonstruktion mit ALT-Transplantat. a Tumorresektion im Sinne einer subtotalen Glossektomie nach „Pull-through“. b Resektat. c ALT-Transplantat. d Rekonstruktionsergebnis. e Klinischer Verlauf 2 Monate postoperativ
a
b
c
d
e
15
tur ausgenutzt werden, damit ein suffizienter Kontakt von rekonstruierter Zunge zu Hart- und Weichgaumen möglich wird, um Funktionalität zu erreichen. Die Rekonstruktion einer voll funktionstüchtigen und beweglichen Zunge ist nach Glossektomie bislang trotz zahlreicher technischer Weiterentwicklungen in den letzten 30 Jahren nicht vollständig möglich. Zum jetzigen Zeitpunkt sind Patienten auf ein größeres Volumen der Neozunge angewiesen, um Schluck- und Sprechfunktion ausführen zu können (Kimata et al. 2003). In Bezug auf die Phonation hat sich v. a. die Fähigkeit des Anhebens des vorderen Anteils der Zunge als relevant gezeigt. Hierbei wurde ein Zusammenhang mit der subjektiven und objektivierbaren Verständlichkeit der Aussprache festgestellt (. Abb. 15.19). Die Resektion der Zungenspitze hingegen vermindert die Gesamtbewegungsfähigkeit der Zunge und schränkt die Fähigkeit, den Alveolarkamm bzw. Zähne und Gaumen zu berühren – was unabdingbar ist für eine klare und verständliche Aussprache ist – ein. Bei (sub‑)totaler Glossektomie und folglich voluminösen Rekonstruktionen scheinen sowohl Transplantate der Bauchmuskulatur (M. rectus abdominis) und des anterolateralen Oberschenkels dem radialen Unterarmlappen überlegen. Bei Hemiglossektomiedefekten hingegen konnte in einer kontrollierten klinischen Studie kein Unterschied
-
zwischen Transplantaten von radialem Unterarm und anterolateralem Oberschenkel in Bezug auf Sprachverständlichkeit, Zungenbewegung und Schlucken gefunden werden. Bislang unberücksichtigt ist die Wiederherstellung des sensorischen Defizits. Einige Kollegen haben die simultane mikrochirurgische Koaptation zur nervalen Versorgung intraoraler Transplantate durchgeführt und empfohlen. Der funktionelle Benefit dieser Technik in Abwägung zu Aufwand und Risiko für den Patienten durch eine verlängerte Operationsdauer ist bislang nicht bewiesen (Yu 2004b). Die simultane sensorische Koaptation zeigt im direkten Vergleich zum Verzicht auf eine nervale Rekonstruktion eine vermehrte sensorische Wahrnehmung, was z. T. durch histologische Untersuchungen dargelegt werden konnte (Yu 2004b; Biglioli et al. 2006). Insgesamt wird dem ALT ein höheres Regenerationspotenzial im Vergleich zum radialen Unterarmlappen (RFF) zugeschrieben (Kuriakose et al. 2001). Wenn ein Versuch der sensorischen Rekonstruktion im Bereich der Mundhöhle angestrebt wird, scheinen der N. alveolaris inferior und der N. lingualis dem N. auricularis posterior, zervikalen Plexus und N. hypoglossus überlegen zu sein.
315
15.4 • Rekonstruktion
..Abb. 15.19 Tumorresektion Zungenrand rechts und Rekonstruktion mit fasziokutanem Transplantat vom radialen Unterarm. a Plattenepithelkarzinom Zungenrand rechts. b Tumorresektion. c Resektat. d Mikrochirurgisches Transplantat. e Rekonstruktionsergebnis und klinischer Verlauf 3 Jahre postoperativ
a
b
c
d
e
>>Insgesamt kann gefolgert werden, dass die Evidenz
>>In Bezug auf Einschränkungen in der Verwendung
eines positiven Zusammenhangs zwischen nervaler Koaptation mit anschließender sensibler Regeneration und verbessertem funktionellem Ergebnis gering ist (Baas et al. 2015).
muss festgehalten werden, dass die Gefäße sehr grazil sind und besondere Sorgfalt bei der Präparation erfordern, was sich in der Regel in einer verlängerten Operationsdauer widerspiegelt.
15.4.8
Weitere mikrovaskulär anastomosierte sowie kutane und muskuläre Transplantate
Das mikrovaskulär anastomosierte (fasziokutane) Transplantat vom lateralen Oberarm stellt eine Alternative zur Rekonstruktion bei Mundhöhlendefekten dar. Das Transplantat wurde zahlreich zur intraoralen Rekonstruktion verwendet. Die vaskuläre Anatomie des lateralen Oberarms kann als konstant bezeichnet werden. Die Entnahme des Gefäßstiels, basierend auf den Vasa collateralis radialis posteriores, hat keine Durchblutungsstörungen des Unterarms zur Folge. Der Verschluss der Entnahmeregion gelingt häufig primär.
Bezogen auf die Entnahmeregion wurden in bis zu 60 % der Fälle Einschränkungen der Sensibilität sowie Narbenhypertrophie und seltener motorische Einschränkungen im Bereich des Handgelenks und des Ellbogens beschrieben. Die Transplantatverlustrate ist leicht erhöht im Vergleich zum Transplantat vom radialen Unterarm. Wenn man funktionelle Aspekte nach Zungenrekonstruktion mit dem Transplantat vom lateralen Oberarm im Vergleich zu dem vom radialen Unterarm betrachtet, kann das Outcome als gleichwertig erachtet werden. Im Vergleich beider Transplantate zeigte sich vielmehr, dass die resezierte anatomische Region ausschlaggebend für die spätere Schluck- und Sprechfunktion ist. Das mikrovaskulär anastomosierte faszioseptokutane Transplantat vom lateralen Oberarm kann bei entsprechender chirurgischer Expertise sicher zur intraoralen Rekonstruktion verwendet werden. Es eignet sich v. a. für flächige und nichtvoluminöse Defekte. Durch die Beschaffenheit in
15
316
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
Bezug auf Volumen und Textur tritt es am ehesten mit dem radialen Unterarmtransplantat in Konkurrenz. Ein wesentlicher Vorteil ergibt sich bei primärem Wundverschluss aus einer reduzierten Entnahmemorbidität.
tats (Daniel und Taylor 1973). Initial war es als lokal gestieltes Transpositionstransplantat entwickelt worden. Die reliable Gefäßanatomie lässt jedoch auch den freien Gewebetransfer zu (Hsieh et al. 2009).
Bewertung Insgesamt ist nach Meinung der Autoren kein ausschlaggebender Vorteil festzustellen, der den Vorzug gegenüber dem radialen Unterarmtransplantat rechtfertigt. Bei erfolgter Glossektomie mit folglich großem Volumendefizit besteht die Möglichkeit, ein mikrovaskulär anastomosiertes (myofasziokutanes) Transplantat von der Bauchwand basierend auf der A. epigastrica inferior (TRAM) und deren Hautperforatoren (DIEP) zu heben und alternativ zum Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel zu nutzen. Die verlässliche Perforatorsituation zwischen Leistenband und Bauchnabel sorgt für ein großes Entnahmeareal für Hautanteile und die Möglichkeit der simultanen Operation an Mundhöhle und Unterbauch. Im Unterschied zum muskulokutanen (TRAM) Transplantat wird beim kutanen Transplantat (DIEP) der Transplantatstiel anhand eines kaliberstarken Perforators gebildet und dieser/diese aus dem M. transversus abdominis herauspräpariert, wodurch die Entahmemorbidität, inbesondere die Bauchwandschwächung und Hernienbildung, gesenkt werden konnte. Die größte Erfahrung mit dem DIEP-Transplantat liegt durch die häufige Verwendung im Bereich der rekonstruktiven Mammachirurgie vor. Das Risiko eines partiellen Hautoder Fettverlusts steigt bei Verwendung des DIEP (Man et al. 2009).
Bewertung Aufgrund der guten Erfahrung mit dem
Bewertung Die zeitintensive Präparation, Einschrän-
15
kungen bei Adipositas und die größere Erfahrung mit dem ALT-Transplantat machen das DIEP-Transplantat bei ähnlichen Eigenschaften im Kopf-Hals-Bereich eher zur Alternative. Das kutane Transplant der Leistenregion (groin thigh flap) bietet als das erstbeschriebene mikrovaskulär transferierte Transplantat dünne, wenig haartragende und relativ großflächig entnehmbare Haut für die Mundboden‑/Zungenrekonstruktion. Basierend auf der Gefäßversorgung der A. circumflexa iliaca superficialis wurde das Transplantat Anfang der 1980er Jahre erstmals beschrieben und zur intraoralen Rekonstruktion verwendet (Panje et al. 1977). Bewertung Aufgrund der Variationen der A. circum-
flexa superficialis, des dünnen Gefäßkalibers und der erhöhten Gefahr von Teilnekrosen, v. a. bei ausgedehnter Entnahme, zeigt das Transplantat trotz Weiterentwicklung zur perforatorbasierten Hebung keine Vorteile gegenüber den alternativ beschriebenen Techniken. Das mikrovaskulär anastomosierte myokutane Tensor-fasciae-latae-Transplantat (TFL-Transplantat) entstammt aus der Weiterentwicklung des Groin-thigh-Transplan-
ALT-Transplantat und der im Vergleich zum TFL-Transplantat relativ soliden Evidenz ist der Einsatz des TFLTransplantats am ehesten dann zu sehen, wenn sich keine sicheren Hautperforatoren im Bereich des anterolateralen Oberschenkels auffinden lassen. Intraoperativ kann über die gleiche Schnittführung die Gefäßanatomie des TFL exploriert werden, wenn keine entsprechenden Perforatoren zum anterolateralen Oberschenkel führen (Hsieh et al. 2009). Der Einsatz der präoperativen Dopplerdarstellung wird nach wie vor kritisch diskutiert und kann v. a. bei ausgeprägtem subkutanem Fettgewebe Diskrepanzen von prä- zu intraoperativen Befunden führen (Ao et al. 1999). Die Gewebebeschaffenheit ist dem des ALTTransplantats ähnlich, jedoch meist voluminöser. Alternativ kann ebenso die Gefäßanatomie (A. circumflexa femoris lateralis) nach medialen Perforatoren präpariert werden, um ein (myo‑)septokutanes Transplantat vom anteromedialen Oberschenkel als Alternative zu heben (Hsieh et al. 2009). Die intraorale Rekonstruktion kann bei unterschiedlichen Defekten (v. a. Mundboden und Hartgaumen) ebenfalls durch rein muskuläre Transplantate mit (Bos et al. 1991) und ohne Spalthaut erfolgen (Syme et al. 2012). Die häufig befürchtete insuffiziente Barriere der Muskulatur im Vergleich zur Mundschleimhaut scheint sich in der klinischen Anwendung nicht zu bestätigen. Insgesamt wurde eine geringe Komplikationsrate im Hinblick auf Fisteln oder intraorale Kontrakturen festgestellt (Syme et al. 2012). Die mikrovaskulär anastomosierten Transplantate von Jejunum und Kolon haben aufgrund der Entnahmemorbidität und psychologischer Faktoren (Geruchsbildung) heutzutage nahezu keine Bedeutung mehr. 15.5 Risiken
und Nachsorge
15.5.1 Risiken
Neben allgemeinen bekannten chirurgischen Risiken nach operativen Eingriffen stellen Wundinfektionen mit und ohne Fistelbildung im Bereich der Mundhöhle eine Besonderheit dar. Auf der einen Seite gilt die Mundschleimhaut als äußerst regenerativ. In physiologischem Zustand ist sie intensiv mechanischen, chemischen und thermischen Reizen ausgesetzt, wobei das Speichelsekret, neben einer Initiierung der Verdauungsfunktion und Herstellung der Gleitfähigkeit des Nahrungsbolus, v. a. eine Schutzfunktion darstellt. Bei Wundheilungsstörungen, insbesondere im kaudalen Bereich der Mundhöhle, kann
317
15.5 • Risiken und Nachsorge
der Speichelfluss durch die proteolytische enzymatische Aktivität im Bereich von Randinsuffizienzen ungewollt zur Fistelbildung (Speichelfistel) führen, die eine besondere und aufwändige Wundpflege erfordert und somit die Krankenhausdauer verlängert. Ein weiteres relevantes Risiko stellt im Bereich der Mundhöhle der Transplantat(teil)verlust dar, aus dem wiederum eine Speichelfistel resultieren kann. Insgesamt gesehen kommt es zwar relativ selten zu Komplikationen, die mit einem vollständigen Transplantatverlust einhergehen, dennoch stellen die Transplantatrandbereiche (sowohl bei gestielten als auch bei mikrovaskulär anastomosierten Transplantaten) ein Risikoareal der adäquaten Perfusion dar und sind zudem mechanisch besonders beansprucht. Ein Defekt, der durch Teilverlust aufgrund von Minderperfusion entstanden ist, kann bei kleinem Ausmaß und Einbezug des Allgemeinzustands bei entsprechender Wundpflege sekundär abheilen oder selten in einem erneuten Eingriff readaptiert werden. Ist dies jedoch nicht möglich oder kommt es zum vollständigen Verlust eines Transplantats, sollte das Repertoire des behandelnden Chirurgen über erfolgversprechende Alternativen zum Defektverschluss verfügen. Ist eine erneute Rekonstruktion nicht im gleichen Eingriff mit der Revision möglich, so kann der Defekt vorübergehend mit entsprechendem Verbandmaterial austamponiert werden oder, abhängig von der Lokalisation, mit funktionellen Einbußen bis zur erneuten zeitnahen Rekonstruktion primär verschlossen werden. Bei jedem Eingriff mit Entfernung von erkranktem Gewebe und anschließender Rekonstruktion besteht die Gefahr eines ästhetischen und/oder funktionellen Defizits. Die chirurgische Wahrnehmung eines OP-Erfolgs ist hierbei nicht zwingend mit der des Patienten gleichzusetzen. >>Die Erwartungshaltung des Patienten muss folglich
bestmöglich auf das zu erwartende Ergebnis vorbereitet werden. Die ausführliche Aufklärung ist häufig die Weichenstellung für die Zufriedenheit des Patienten im Hinblick auf Funktion und Ästhetik.
Wie bereits beschrieben, ist der funktionelle Aspekt der Rekonstruktion im Bereich der Mundhöhle und der Zunge ausschlaggebend. Eine unzureichende Rekonstruktion führt somit zur Notwendigkeit einer permanenten Tracheotomie und/oder Abhängigkeit von einer PEG-Anlage. Diese funktionellen Kompensationsmechanismen können in Ausnahmefällen im Einverständnis mit dem Patienten nach ausführlicher Aufklärung zur onkologischen Kontrolle, sprich bei potenziell kurativer Intention, indiziert sein. Der Grundsatz der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie zur Restitutio ad functionem sollte jedoch immer den Vorzug haben. Wo der Übergang zu funktioneller Insuffizienz liegt, ist nicht allein mit Größe und anatomischer Lokalisation des Defekts zu beantworten, sondern setzt sich vielmehr aus den genannten Aspekten sowie dem
Allgemeinzustand des Patienten und der Erfahrung und Expertise des behandelnden Chirurgen zusammen. Spezielle onkologische Risiken bestehen darin, dass der zu resezierende Befund nicht vollständig mikroskopisch und makroskopisch (R1-, R2-Situation) entfernt wird. Dies resultiert in einer deutlich verschlechterten Prognose für den Patienten. Weiterhin stellen Rezidive bei Mundhöhlenkarzinomen, trotz initialer R0-Resektion, ein generelles Risiko für den lokalen und regionalen Erfolg dar. Dieses Risiko ist als besonders hoch einzuschätzen, wenn die Resektion knapp im Gesunden erfolgt ist (close margin) und ist bei großen Tumoren bzw. Tumoren mit Infiltration relevanter umgebender Strukturen (T3/T4), bei kapselüberschreitenden Lymphknotenmetastasen und bei pathologisch nachgewiesener Lymphangiosis carcinomatosa festzustellen. 15.5.2 Nachsorge
Die Nachsorge und deren Frequenz ergeben sich wiederum aus der Wahrscheinlichkeit, dass einer der o. g. Risikofälle eintritt. Zur bestmöglichen individuellen Betreuung muss hierbei zwischen allgemeiner postoperativer Nachsorge, Nachsorge von Komplikationen und funktionellen Einschränkungen sowie der speziellen onkologische Nachsorge unterschieden werden. Im Rahmen der regulären postoperativen Kontrolle erfolgen die Wundkontrolle, der Fadenzug, die Feststellung etwaiger funktioneller Defizite und die Re-Evaluation der Arbeitsfähigkeit. Bei Wundkomplikationen in der Mundhöhle, am Hals oder im Bereich des Entnahmeareals bei Lappenplastiken sind Wundreinigung, Verbandwechsel und Kontrollen unter ärztlicher Beurteilung mehrmals pro Woche notwendig. Funktionelle Defizite können in postoperativ temporär oder langfristig unterschieden werden. Direkt postoperative schwellungs- und schmerzbedingte Einschränkungen sind nie vollständig zu vermeiden. Jedoch ist die Wahrnehmung des Patienten durch die adäquate präoperative Aufklärung positiv zu beeinflussen. Auf Defizite, die über das direkte postoperative Intervall hinaus andauern, wie im Falle eines Lymphödems, kann durch Lymphdrainage, manuelle Therapie und Logopädie Einfluss genommen werden. Gleiches gilt für die Kompensation von temporärem oder im schlimmsten Fall dauerhaftem Sprach- und/oder Schluckdefizit. >>Die Nachsorge des rekonstruierten Patienten ist nur
interdisziplinär in hoher Qualität zu gewährleisten. Hierbei spielt die Zusammenarbeit von Hals-NasenOhren-Ärzten, Radioonkologen, Hausärzten, Phoniatern, Psychologen, Logopäden, Physiotherapeuten und MKG-Chirurgen eine überaus wichtige Rolle.
Die genannten Nachsorgeeinheiten gehen häufig fließend in die onkologische Nachsorge über. Diese nimmt auf-
15
318
15
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
grund der langfristigen Kontrolle eine besondere Stellung ein. Beim Mundhöhlenkarzinom sollte entsprechend der aktuellen Leitlinie der Fachgesellschaft (Leitlinie Mundhöhlenkarzinom der Deutschen Gesellschaft für Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie) im 1. und 2. Jahr maximal alle 3 Monate und im 3.–5. Jahr alle 6 Monate mindestens ein Nachsorgetermin empfohlen werden. Die Funktionen Schlucken und Sprechen sollten gemeinsam mit der damit verbundenen Lebensqualität der Patienten regelmäßig überprüft werden. Die rein rekonstruktive Nachsorge ohne onkologischen Hintergrund kann nach Erreichen eines für den Patienten adäquaten Zustands zur Ausführung seiner alltäglichen und beruflichen Verpflichtungen beendet werden. In Absprache mit dem Patienten kann anschließend ein individuelles Nachsorgemuster bei Bedarf oder mit entsprechenden Intervallen festgelegt werden. Für das Mundhöhlenkarzinom sollten die empfohlenen Termine jedoch streng eingehalten werden und die klinische Untersuchung mit einer Schichtbildgebung (CT/MRT) alle 6 Monate innerhalb der ersten 2 Jahre und anschließend einmal jährlich ergänzt werden. Der Grund hierfür sind Rezidive bei bis zu 20 % der behandelnden Patienten. 76 % hiervon entwickeln ein Rezidiv innerhalb der ersten beiden Jahre postoperativ. Im 3. Jahr treten immerhin noch bis zu 11 % rezidivierende Befunde auf. Neben der Früherkennung eines wiederkehrenden Karzinoms ist die Identifikation etwaiger metachron vorkommender Zweittumoren im Bereich des oberen Aerodigestivtrakts Bestandteil der Tumornachsorge. Das Risikoprofil zur Entstehung eines weiteren Kazinoms der oberen Luftwege entspricht zum Großteil dem des Mundhöhlenkarzinoms und wurde folglich bei 4–33 % der Patienten beschrieben. Im Rahmen der regulären onkologischen Nachsorge können weiterhin notwendige sekundäre Rekonstruktionen oder plastische Korrekturen erfolgen. Zudem kann die häufig notwendige kaufunktionelle Rehabilitation im Intervall geplant und durchgeführt werden. Nach Rekonstruktionen bei onkologischen Erkrankungen können sich postoperativ nicht selten depressive Episoden ausbilden, die sich, bei Ausbleiben eines Rezidivs, im Verlauf einhergehend mit einer besseren Lebensqualität häufig zurückbilden (Hammerlid et al. 2001). Die mehrdimensionalen Folgen einer Rekonstruktion im Bereich der Mundhöhle machen insofern u. U. eine psychologische Betreuung notwendig. >>Es gehört zur Aufgabe des nachsorgenden Chirurgen,
nach etwaigen Hinweisen auf eine depressive Episode zu fragen und den Patienten ggf. an einen Kollegen mit psychologisch/psychiatrischem Schwerpunkt zu überweisen.
In die konservative Behandlung zur Wiederherstellung des Sprech- und Schluckvermögens sollten primär Logopäden und HNO-Ärzte mit phoniatrischer Speziali-
sierung einbezogen werden. Eine insuffiziente Schluckfunktion hat negativen Einfluss auf die Lebensqualität und begünstigt Aspirationspneumonien. Die logopädische und phoniatrische Mitbetreuung muss demnach zeitgerecht im Rahmen der Nachsorge initiiert werden, um die Wahrscheinlichkeit schwerer Komplikationen, die zu Minderung der Lebensqualität führen und die Sterblichkeit erhöhen, zu vermindern. >>Im Rahmen der Nachbetreuung sollen folglich Patienten
mit Funktionsdefiziten identifiziert werden. So soll möglichst früh die konservative Rehabilitation initiiert werden, um ggf. sekundäre chirurgische Eingriffe einzuleiten.
15.6 Fallbeispiel
Eine 36-jährige Patientin stellte sich mit einer seit mehreren Wochen bestehenden unklaren Schleimhautveränderung am rechten Zungenrand vor. Die histologische Sicherung ergab ein invasiv wachsendes Plattenepithelkarzinom. Es folgte die chirurgische Therapie im Sinne einer Zungenteilresektion, Neck-Dissection Level I–III beideits, sowie die Rekonstruktion mittels mikorchirurgischem fasziokutanem Transplantat vom radialen Unterarm (. Abb. 15.20).
-
Zusammenfassung Das Ziel der rekonstruktiven Chirurgie im Bereich der Mundhöhle ist die bestmögliche Wiederherstellung des ästhetischen und funktionellen Normzustands (Restitutio ad functionem). In Abgrenzung zu den extraoralen anatomischen Kompartimenten der Kopf- und Halsregion überwiegt der funktionelle Aspekt in der chirurgischen Rekonstruktion der Mundhöhle. Für eine exakte Wiederherstellung der Funktion ist eine genaue Kenntnis der komplexen Anatomie der Mundhöhle unabdingbar. Am häufigsten ist eine Rekonstruktion der Mundhöhle bzw. der Zunge nach ablativen tumorchirurgischen Eingriffen notwendig. Hierfür kommen unterschiedliche rekonstruktive chirurgische Techniken zur Anwendung, die sich je nach Indikation an dem eskalierenden rekonstruktiven Stufenschema orientieren sollen („rekonstruktive Leiter“). Für die Rekonstruktion der Mundhöhle und der Zunge kommen in der Regel mikrochirurgische Transplantate zum Einsatz, insbesondere das fasziokutane Transplantat vom radialen Unterarm (radial forearm flap) und das myofasziokutane Transplantat vom anterolateralen Oberschenkel (ALT-Transplantat).
319
Literatur
..Abb. 15.20 a Plattenepithelkarzinom im Bereich des Zungenrands links. b Zungenteilresektion rechts. c Resektat. d Mikrochirurgisches Transplantat. e Rekonstruktionsergebnis
a
b
c
d
e
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15
320
15
Kapitel 15 • Mundhöhle und Zunge
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321
Oropharnx Claus Wittekindt, Philipp Streckbein, Jens Peter Klußmann
Inhaltsverzeichnis 16.1
Einleitung – 322
16.2
Anatomie – 322
16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4
Vaskularisation – 322 Innervation – 324 Lymphabflusswege – 325 Muskulatur – 325
16.3
Schluckfunktion – 325
16.3.1 Fragebögen – 325 16.3.2 Fiberendoskopische Schluckuntersuchung – 329 16.3.3 Therapie der Dysphagie – 331
16.4
Präoperative Diagnostik – 331
16.4.1 Tumorendoskopie – 331 16.4.2 HPV/p16-Testung – 331 16.4.3 Bildgebende Verfahren – 332
16.5
Zugangswege zum Oropharynx – 332
16.5.1 Transoraler Zugangsweg – 334 16.5.2 Transmandibulärer Zugangsweg – 338 16.5.3 Transzervikaler Zugangsweg – 342
16.6
Rekonstruktion und Verschluss – 344
16.6.1 Sekundäre Wundheilung und primärer Wundverschluss – 344 16.6.2 Lokale und gestielte Lappen – 345 16.6.3 Freier Lappentransfer – 345
16.7
Postoperatives Management – 346 Literatur – 348
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_16
16
322
Kapitel 16 • Oropharnx
16.1 Einleitung
Für das Therapiemanagement des Oropharynx-Karzinoms (oropharyngeal squamous cell carcinoma/OSCC) sind Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte bedeutsam, in denen die neue Tumorentität des durch onkogene humane Papillomviren (HPV) hervorgerufenen OSCC beschrieben wurde. Die Inzidenz dieser Tumorerkrankung ist zunehmend und die Prognose der Patienten mit HPV-assoziierter OSCC signifikant besser, resultierend in geschätzt 30–40 % mehr Gesamtüberleben 5 Jahre nach der Therapie. Die Therapiemodalitäten werden aktuell durch die Einführung robotergestützter transoraler Chirurgie zusätzlich zur länger etablierten transoralen Laserchirurgie ergänzt. Daneben haben weiterhin transzervikale Zugangswege für die lokale Tumorkontrolle ihren Stellenwert. Gemeinsam mit den modernen Verfahren der intensitätsmodulierten Strahlentherapie und Chemotherapien dient die Summe der verfügbaren Therapieoptionen zukünftig v. a. der Reduktion der therapieassoziierten Morbidität bei gleichbleibend hoher Tumorkontrolle. Dies ist beim OSCC von besonderer Bedeutung, denn im Oropharynx überkreuzen sich Luft- und Speiseweg. Funktionseinschränkungen betreffen also lebenswichtige Grundbedürfnisse. In diesem Kapitel werden die chirurgisch relevante Anatomie, die präoperative Diagnostik inkl. HPV, Zugangswege und Rekonstruktionsverfahren inkl. freier Gewebstransfer nach Operationen zur Tumorkontrolle beschrieben.
grenzende Gewebe häufig nur schwer vom Tumor selbst zu unterscheiden. Intraoperative Schnellschnitte sind gerade bei endoskopischem Zugangsweg zu einem Tumor empfehlenswert. Seitlich senkt sich die Oberfläche in den Sulcus glossotonsillaris. Hier ist der endoskopische Zugang häufig eingeschränkt, wenn der Sulcus sich unzureichend entfalten lässt. Für ein aspirationsfreies Schlucken ist der Erhalt des Zungengrundes keine unbedingte Voraussetzung. >>Der Zungengrund palpiert sich eher derb. Tumorgren-
zen sind häufig nicht zuverlässig palpabel. Ein Tumorwachstum unterminiert häufig die scheinbar unauffällige Oberfläche. Weichgaumen Der Weichgaumen besitzt eine Schlüssel-
funktion für die Deglutition und Artikulation. Hierdurch wird die besondere Bedeutung für adäquate Rekonstruktionsverfahren untermauert. Nasales Überschlucken und offenes Näseln resultieren aus einem insuffizienten Verschluss im Nasopharynx. Ein komplexes Zusammenspiel aus dem V. (M. tensor veli palatini), IX. (M. salpingopharyngeus) und X. Hirnnerven (alle übrigen Muskeln des Weichgaumens) steuert die Muskulatur des Weichgaumens. >>Defekte des Weichgaumens bedürfen häufig rekon-
struktiver Maßnahmen, weil strukturelle Defizite häufig Funktionseinschränkungen von Artikulation und Deglutition verursachen. Seiten- und Hinterwand Seiten- und Hinterwand (Mu-
16.2 Anatomie
16
Der Oropharynx wird in 4 anatomische Regionen unterteilt (. Tab. 16.1): 1. die Vorderwand mit dem Zungengrund, 2. die Seitenwand, die die Gaumenmandeln sowie davor den Arcus palatoglossus und dahinter den Arcus palatopharyngeus enthält, 3. das Dach, das aus der Unterseite des Weichgaumens mit der Uvula besteht (. Abb. 16.1), 4. die Oropharynx-Hinterwand. Die Oropharynx-Wände reichen vom Hartgaumen (kranial) bis zur Höhe des Zungenbeins (kaudal). Vorderwand/Zungengrund Der Zungengrund beginnt im
hinteren Drittel der Zunge an der Linea terminalis und dem Foramen caecum und reicht bis zur Umschlagfalte in der Vallecula epiglottica. In der Mitte der Vallecula wirft sich eine Schleimhautfalte auf (Plica glossoepiglottica mediana). Die Schleimhaut enthält Lymphfollikel, ist derb und auf der Unterlage fixiert. Die Identifikation von Tumorgrenzen ist endoskopisch und auflichtmikroskopisch durch die unebene Oberfläche bekanntermaßen stark erschwert, auch palpatorisch ist das an einen Tumor an-
kosa, Submukosa und Muskularis) sind dreischichtig aufgebaut. Eine Faszie, die kaudalwärts dünner wird (Fascia pharyngobasilaris) trennt die Mukosa von der Muskularis und ist an der Schädelbasis fixiert. Die Muskulatur kann in obere, mittlere und untere Konstriktoren eingeteilt werden. In der Medianen besteht eine bindegewebige Raphe, an der die Muskulatur ansetzt. Der obere Konstriktur ist fest mit der pterygomandibulären Raphe verbunden. Zwischen dem oberen und mittleren Konstriktor sind lumenwärts die Gaumenbögen mit dem M. palatoglossus und dem M. palatopharyngeus lokalisiert. Von lateral zieht der M. stylopharyngeus in die Pharynx-Wand. Der Muskel hebt zusammen mit dem M. salpingopharyngeus und dem M. palatopharyngeus den Rachen beim Schluckakt an. Hinter der Muskularis ist eine gut verschiebliche bindegewebige Schicht (Fascia buccopharyngealis), die eine Verschieblichkeit des muskulären Pharynx-Schlauches gegenüber der Wirbelsäule sicherstellt. 16.2.1 Vaskularisation
>>Für den operativen Zugang zum Pharynx ist eine
Kenntnis der Gefäßlokalisation wichtig, weil Blutungen postoperativ fatal sein können.
323
16.2 • Anatomie
..Tab. 16.1 Anatomische Besonderheiten der 4 Unterbezirke des Oropharynx Merkmal
Seitenwand
Vorderwand
Hinterwand
Dach
Funktion
Immunologischer Kontakt
Stempelfunktion für die Deglutition
Sensible Triggerung des Schluckakts
Verschluss des Nasenraums
Organe
Tonsilla palatina
Zungengrund-Tonsille
Lymphfollikel
Uvula
Gefäße
A. pharyngea ascendens
A. lingualis
A. pharyngea ascendens
A. pharyngea ascendens, A. maxillaris
Nerven
N. lingualis
N. hypoglossus
Pharyngealer Plexus
Pharyngealer Plexus
Muskulatur
Mm. constrictores pharyngis superior et medius
M. genioglossus
M. constrictor pharyngis
Mm. tensor et levator veli palatini
..Abb. 16.1 Anatomische Regionen. 4 anatomische Regionen des Oropharynx werden entsprechend der Wandlokalisationen unterschieden, die kraniokaudalen Begrenzungen sind Hartgaumen und Zungenbein. (Mod. nach Tillmann 2016)
Recessus pharyngeus = Rosenmüller’sche Grube Torus tubarius Ostium pharyngeum tubae auditivae Tonsilla pharyngea
Palatum molle = Velum palatinum
Plica salpingopharyngea Uvula palatina Arcus palatopharyngeus Tonsilla palatina
Arcus palatoglossus Plica triangularis Ligamentum hyoepiglotticum Os hyoideum
M. constrictor pharyngis
Ligamentum thyreohyoideum medianum
Plica aryepiglottica
Cartilago epiglottica
Corpus adiposum preepiglotticum
Die Wahrscheinlichkeit für operationsbedürftige Nachblutungen ist in retrospektiven multizentrischen Arbeiten zwar nur mit Nur Tumoren der Seitenwand drainieren ipsilateral,
alle anderen Regionen des Oropharynx sind durch gekreuzte Lymphabflusswege gekennzeichnet.
16.2.4 Muskulatur
Die Muskulatur des Weichgaumens und die pharyngealen Konstriktoren (. Abb. 16.5) werden beim Zugang typischerweise nicht präpariert, sondern mit dem Tumor reseziert. Der M. orbicularis oris wird bei der Durchscheidung der Unterlippe durchtrennt und postoperativ unproblematisch durch Nähte wieder vereint. Der Unterkiefer ist in die Mundboden- und Gesichtsweichgewebe eingebettet und besteht aus einer kräftigen Kortikalis mit nur geringen Anteilen von Spongiosa. Der lingualen Oberfläche liegt im Seitenzahnbereich unterhalb der Ansatzlinie des zeltförmigen M. mylohyoideus lockeres Bindegewebe mit einer dünnen Periost-Schicht an. Im Kinnbereich finden sich an der Innenseite die Ansatzpunkte für die kräftigen Mm. genioglossus und geniohyoideus und im Kieferwinkelbereich diejenigen des M. pterygoideus medialis. Bei der Exkorporation der Zunge ist der auf der Innenseite inserierende M. genioglossus unbedingt an der Spina mentalis posterior zu erhalten. Der M. mylohyoideus wird bei transmandibulärem Zugang und der Exkorporation der Zunge entweder ein- oder beidseitig unterkiefernah durchtrennt und postoperativ durch Naht refixiert (. Tab. 16.2). 16.3 Schluckfunktion
Die Dysphagie ist ein Leitsymptom bei Tumoren des Oropharynx, weil der Tumor immer in der Nähe der anatomischen Überkreuzung von Luft- und Speiseweg entsteht. Unmittelbar nach einer Operation und während einer Strahlentherapie stehen Dysphagie und Mukositis und deren Management im Vordergrund. Nach der Therapie ist die Einschränkung der Schluckfunktion das wichtigste Symptom für die Einschränkung der Lebensqualität. Einschränkungen der Schluckfunktion verlässlich zu evaluieren, ist daher von besonderer Bedeutung für das Therapiemanagement beim OSCC. 16.3.1 Fragebögen
Ein praktikables Instrument zur Erfassung von Einschränkungen sind patienten- oder arztbezogene Fragebögen. In aktuell rekrutierenden internationalen kli-
16
326
Kapitel 16 • Oropharnx
a
M. palatoglossus (res.) Processus styloideus Venter posterior des M. digastricus M. constrictor pharyngis superior
16
M. styloglossus M. stylopharyngeus Caruncula sublingualis
M. styloyhoideus
M. longitudinalis inferior
M. constrictor pharyngis medius
M. genioglossus
M. hyoglossus Cornus majus des Os hyoideum
M. geniohyoideus
Oberes Horn des Schildknorpels
Raphe des M. mylohyoideus
Sehne des M. digastricus (res.)
b ..Abb. 16.3 Die nervale Versorgung der Konstriktoren und Schlundheber erfolgt über einen Nervenplexus, der aus SympathikusGrenzstrang, N. glossopharyngeus und N. vagus gebildet wird. Für die offenen Zugangswege zum Oropharynx sind von oben nach unten der
N. lingualis, der N. hypoglossus und der N. laryngeus superior bedeutsam (a). Die muskulären Strukturen des Oropharynx sind: der obere und mittlere Konstriktor sowie die Pharynx-Heber (b). (Aus Tillmann 2016)
16.3 • Schluckfunktion
..Abb. 16.4 Die Lymphabflusswege des Oropharynx sind durch Überkreuzung gekennzeichnet und durch eine Drainage in retropharyngeale Lymphknoten. Einseitig lokalisierte Tumoren drainieren aber überwiegend nach ipsilateral, sodass in frühen T-Stadien bei ei-
327
nem Abstand zur Mittellinie, der mindestens 1 cm betragen sollte, auf eine elektive Lymphadenektomie der Gegenseite verzichtet werden kann. (Aus Tillmann 2016)
16
328
a
16
b
Kapitel 16 • Oropharnx
16
329
16.3 • Schluckfunktion
Tuba auditiva Tonsilla pharyngea Pharynx:
Pars nasalis
Bursa pharyngealis M. levator veli palatini M. stylohyoideus M. stylopharyngeus M. constrictor pharyngis superior
Torus tubariu s M. digastricus (venter posterior) Plica salpingopharyngea M. pterygoideus medialis
M. salpingopharyngeus Fasciculus posterio r Fasciculus anterio r
Palatum molle Arcus palatopharyngeus Pars oralis
Uvul a
M. palatopharyngeus
M. uvulae M. constrictor pharyngis medius
Tonsilla palatina Vallecula epiglottica
M. aryepiglotticus Plica aryepiglottic a Pars laryngea
M. stylopharyngeus M. arytenoideus transversus
Plica nervi laryngei superioris
M. constrictor pharyngis inferior
Incisura interarytenoidea
M. cricoarytenoideus posterio r
Recessus piriformis
Ligamentum cricopharyngeum Tunica mucosa des Oesophagus
Tunica muscularis des Oesophagus
c ..Abb. 16.5 (Fortsetzung)
nischen Studien wird auch in Europa häufig der MD Anderson Dysphagia Inventory (MDADI) angewendet. Die Entwicklung erfolgte mit Fokus auf Kopf-HalsTumoren, eine Validierung der Testergebnisse liegt für zahlreiche Landessprachen vor. Die 19 Items erfassen: Emotion (6 Fragen), Funktion (5 Fragen), Körperfunktion (8 Fragen), eine Globalfrage.
16.3.2 Fiberendoskopische
Schluckuntersuchung
---
Die fiberendoskopische Schluckuntersuchung (fiberendoscopic evaluation of swallowing/FEES) ist eine StandardUntersuchungstechnik für Patienten mit Dysphagie. Hierfür wird eine indirekte Laryngoskopie flexibel transnasal durchgeführt (. Abb. 16.6). Larynx und Oropharynx werden in Ruhe und bei Schluckversuchen mit verschiede-
..Abb. 16.5 Der pharyngeale Konstriktor ist in 3 Abschnitte unterteilbar (a: Sicht von außen seitlich). Die Muskeln verlaufen zirkulär ab einem Band, welches posterior von der Schädelbasis bis zum Ösophagus zieht, und überlappen sich dachziegelförmig. Der wichtigste außen sichtbare Schlundheber ist der M. stylopharyngeus (b: Sicht von
hinten). In der Innenansicht (c: Sicht von hinten) sind die Ansätze der Mundhöhlenmuskulatur an der Mandibula sichtbar. An der Innenseite des Konstriktor-Schlauches sind die beiden weiteren Schlundheber, M. palatopharyngeus und M. salpingopharyngeus, lokalisiert. (Aus Tillmann 2016)
330
Kapitel 16 • Oropharnx
..Tab. 16.2 Muskelgruppen und Innervation im oberen Aerodigestivtrakt Alle Muskeln dieser Lokalisation/Funktion
Innervation durch
Ausnahme
Innervation durch
Pharynx
Pharyngealer Plexus aus IX, X und Sympathikus
M. stylopharyngeus
Hirnnerv IX
Gaumen
Pharyngealer Plexus aus Hirnnerv IX, X und Sympathikus
M. tensor veli palatini
Hirnnerv V.3
Zunge
Hirnnerv XII
M. palatoglossus
Pharyngealer Plexus aus Hirnnerv IX, X und Sympathikus
Gesicht
Hirnnerv VII
M. levator palpebrae (tarsalis)
Hirnnerv III (Sympathikus)
Kauen
Hirnnerv V
M. buccinator
Hirnnerv VII
Larynx
N. recurrens
M. cricothyroideus
N. laryngeus superior
..Abb. 16.6 a Nach Resektion eines Tumors im Zungengrund und der Epiglottis besteht nach Abschluss der adjuvanten Therapie eine ausgedehnte laryngeale Penetration ohne Reinigung. b–d In der Nachbeobachtung ist die Penetration dann im 3-, 6- und 9-Monats-Followup rückläufig
a
b
c
d
16
nen Konsistenzen beobachtet. Auswertungskriterien sind wesentlich die Quantifizierung von Penetration (Eintritt von Material in den Larynx bis zur Glottis) und Aspiration (Eintritt von Material unter die Glottis-Ebene). Zur Vereinheitlichung der Auswertung wird in Deutschland meist die Penetrations-Aspirations-Skala nach Rosenbek angewendet (Rosenbek et al. 1996). Die Skalenniveaus wurden mittels FEES validiert (Colodny 2002).
Ob die FEES der radiologischen Evaluierung von Aspiration mittels klassischem Breischluck überlegen ist, kann so nicht beantwortet werden, beide Verfahren werden im Ergebnis stark vom Probanden als auch vom Untersucher beeinflusst und sind daher naturgemäß nur eingeschränkt valide.
331
16.4 • Präoperative Diagnostik
16.3.3
Therapie der Dysphagie
Die beste Therapie für Schluckstörungen sind Schluckübungen. Eine Modifikation der Nahrungszufuhr hat wesentlich zum Inhalt, liquide Substanzen anzudicken, um perorale Hydratation zu sichern und harte Konsistenz aufzuweichen und somit einer oralen Dysphagie zu begegnen. Eine funktionelle Therapie unter Anleitung beinhaltet zahlreiche Komponenten. Wichtig sind das Erlernen von Kompensationsmechanismen durch Haltungsänderung beim Schlucken oder das Erlernen modifizierter Schlucktechniken:
-
Kompensationsmechanismen bei Dysphagie
-
Haltungsänderungen: – Kopfdrehung zur erkrankten Seite (verschließt die erkrankte Seite der Pharynx-Seitenwand) – Kopfkippung zur gesunden Seite (Unterstützung des Vorschubs durch Gravitation) – Vorneigen des Kopfes (Chin-down: bringt die Vorder- und Hinterwand zusammen, nach Zungengrundrekonstruktion) Schlucktechniken: – Mendelsohn-Manöver (Anheben des Larynx nach dem Schlucken) – Supraglottisches Schlucken (Luft anhalten, Schlucken, Husten, Nachschlucken) – Super-supraglottisches Schlucken (Pressen, Schlucken, Husten, Nachschlucken)
Ein weiterer Schwerpunkt funktioneller Techniken ist das Training der am Schluckakt beteiligten Muskulatur. Über den respektiven Stellenwert einzelner Maßnahmen oder die erforderliche Dauer einer Therapie liegen keine belastbaren Daten vor, dennoch kann von einem signifikanten Benefit der funktionellen Therapie für die Schluckrehabilitation nach einer Operation ausgegangen werden. Über die Prognose einer postoperativen Dysphagie liegen keine prospektiven Daten vor. Beschriebene Risikofaktoren für ein schlechtes funktionelles Outcome sind u. a.: Perinueralscheideninvasion, Tumorstadium, Performance, Lebensalter, Aspiration zu Beginn der Rehabilitationsmaßnahme.
---
>>Vorhersagen für ein gutes oder schlechtes Ergebnis an-
hand von Zugangsweg, anatomischem Ausmaß der Resektion und Art der Rekonstruktion sind jeweils nicht sicher möglich.
Operative Verfahren zur Therapie einer Schluckstörung (Myotomie des Ösophagus-Eingangs, Larynx-Elevation) haben anerkannt einen eingeschränkten Stellenwert. 16.4 Präoperative
Diagnostik
16.4.1 Tumorendoskopie
Verbreitet ist die Durchführung einer Endoskopie in Narkose zur Gewinnung einer Biopsie und zur Sicherung des Primärtumors. Alternativ kann eine Probenentnahme auch ambulant beim wachen Patienten erfolgen; dies hat den Vorteil, dass die Diagnosestellung in der Regel schneller gelingt. Der Vorteil der Probenentnahme in Narkose ist jedoch, dass die Biopsie schmerzfrei und eine suffiziente Blutstillung fast immer möglich ist. Ein weiterer Vorteil besteht in der Möglichkeit zur Evaluation von Zweittumoren. Die Auftretenswahrscheinlichkeit kann jedoch mit 70 %) der Tumorzellen festgemacht. Bei p16-positiven Karzinomen fällt in der Kategorie T4 die Unterteilung in T4a und T4b
16
332
Kapitel 16 • Oropharnx
weg. Wichtig sind die Unterschiede in der N-Klassifikation, bei der beim p16-positiven Oropharynx-Karzinom klinisch in die Gruppen N1–N3 eingeteilt werden kann, die pathologische Klassifikation aber bis maximal pN2 reicht. Das pathologische Staging beim p16-positiven Oropharynx-Karzinom ist abhängig von der Anzahl der betroffenen Lymphknoten, wobei die Grenze zwischen N1 und N2 bei > 5 betroffenen Lymphknoten liegt. Das Stadium pN3 ist bei diesen Tumoren entfallen. Genauso wird das extranodale Wachstum nicht berücksichtigt (Wittekindt 2017). Insgesamt ist der alleinige p16-Test zur Identifikation HPV-assoziierter Oropharynx-Karzinome als kritisch anzusehen, da p16-positive HPV-DNAnegative Karzinome nicht selten vorkommen und eine ungünstige Prognose aufweisen (Wagner et al. 2020). >>HPV-getriebene Karzinogenese lässt sich valide durch
ein zweischrittiges Testverfahren zeigen. Zunächst erfolgt die p16-Immunhistochemie, bei positivem Testergebnis folgt ein HPV-DNA-Test und ggf. eine Typspezifizierung. Erst dann ist hinreichend sicher von HPVgetriebener Karzinogenese auszugehen.
16.4.3
16
Bildgebende Verfahren
Die CT-Untersuchung mit intravenöser Kontrastapplikation ist die Standard-Untersuchungstechnik bei OSCC. Halslymphknoten können auch sonomorphologisch sicher beurteilt werden, der Primärtumor jedoch nicht. Bei der Kernspintomographie besteht u. U. ein verbesserter Weichteilkontrast, dies kann insbesondere hilfreich sein bei Tumoren des Zungengrundes und der Pharynx-Seitenwand zur Abschätzung einer Tiefeninfiltration. Als Screening-Verfahren zur Detektion pulmonaler Metastasen ist ebenfalls die CT-Untersuchung Standard, sie kann bei einer Kontrastgabe gemeinsam mit der Abdomen-CT und der Hals-CT durchgeführt werden. Dabei ist auf ein abgestimmtes Protokoll mit der
a
zuständigen radiologischen Abteilung zu achten, denn die Umlagerung der Arme (wie bei getrennter Untersuchung von Körperstamm und Hals üblich) muss dabei entfallen. Die PET-CT-Untersuchung ist insbesondere bei V. a. Halsmetastasen ohne Hinweis auf einen Primärtumor etabliert. Seit der von H. Mehanna publizierten PET-CTStudie ist die PET-CT (. Abb. 16.7) auch in der Nachsorge von OSCC nach definitiver Radiochemotherapie etabliert und dient effektiv der Vermeidung einer unnötigen Salvage-Neck-Dissection (Mehanna et al. 2016). Insbesondere für kleine Tonsillenkarzinome ist jedoch eine geringe Sensitivität für die Detektion durch die PETCT beschrieben. 16.5 Zugangswege
zum Oropharynx
Kleine Tumoren des Oropharynx können sowohl mittels Chirurgie als auch alleine mittels Radiotherapie kontrolliert werden, die onkologischen Ergebnisse sind bekanntermaßen annähernd gleichwertig. Welches Verfahren eine bessere Funktion liefert, wird aktuell in kontrollierten randomisierten Studien untersucht. Fortgeschrittene Tumoren können entweder mittels definitiver Radiochemotherapie behandelt werden, oder es wird zunächst eine tumorsanierende Operation durchgeführt, gefolgt von einer risikoadaptierten adjuvanten Radiotherapie oder Radiochemotherapie. Welche Strategie onkologisch und funktionell bessere Ergebnisse liefert, wird ebenfalls aktuell in klinischen Studien überprüft. Es ist keinesfalls sicher, dass der Stellenwert der tumorsanierenden Operation hiernach geklärt sein wird. Die verfügbaren nationalen Leitlinien (z. B. 7 http://www.nccn.org) erlauben jeweils beide Strategien. Derzeit wird im deutschsprachigen Raum bei der Mehrzahl der Patienten mit OSCC, unabhängig vom Tumorstadium, eine tumorsanierende Operation vor einer adjuvanten Therapie durchgeführt (Preuss et al. 2006).
b
..Abb. 16.7 PET-CT-Scan eines HPV-negativen (a) und eines HPVassoziierten OSCC (b). HPV-negative OSCC weisen üblicherweise große Primärtumoren (PT) und kleine Metastasen auf, während HPV-
positive OSCC in der Regel deutliche kleinere Primärtumoren (PT) und Metastasen (M) mit höherem N-Status haben
333
16.5 • Zugangswege zum Oropharynx
-
Die wichtigsten Ziele der Operation Tumorfreie Resektionsränder werden erreicht durch: – Ausreichend gute Exposition – Intraoperative Schnellschnittdiagnostik – Orientiertes Aufspannen des Präparates Funktionserhalt wird erreicht durch: – Erhalt des supralaryngealen Sphinkters – Intaktheit des N. laryngeaus superior – Rekonstruktion von Weichgaumendefekten Kontrolle der Lymphknotenmetastasierung wird erreicht durch: – Elektive Neck-Dissection einseitig bei Seitenwandbefall – Elektive Neck-Dissection beidseitig bei Tumoren, die dichter als 1 cm an die Mittellinie reichen – Therapeutische Neck-Dissection bei klinischer Lymphknotenmetastasierung
Chirurgische Zugangswege zum Oropharynx bestehen entweder transoral für die endoskopisch oder mikroskopisch unterstützte Resektion oder konventionell von außen: transmandibulär oder transzervikal. Offene Zugänge haben den Nachteil einer hohen therapiebedingten Morbidität, und sie sind zeitlich aufwändig und technisch anspruchsvoll. Sie bieten jedoch häufig den Vorteil für die Möglichkeit einer En-bloc-Resektion in gesunden Grenzen, und es können Regionen erreicht werden, die endoskopisch unzugänglich sind. Aufgrund der hohen Morbidität und dem nicht gesicherten Benefit einer tumorsanierenden Operation werden diese Eingriffe an vielen Standorten nur selten oder gar nicht durchgeführt. Einflussfaktoren auf den Zugangsweg 1. Patientenwunsch 2. Tumorgröße und -lokalisation 3. Erreichbarkeit 4. Organinfiltration (Nerven, Gefäße) 5. Vorbehandlung 6. Alter und Komorbidität 7. „Skills“ und „Comfort“ des Operateurs 8. Begleitprozeduren (Tracheotomie, Neck-Dissection, PEG-Anlage)
zz Besonderheiten bei chirurgischem Zugang zum Oropharynx
Der offene chirurgische Zugang in die Region des Oropharynx ist besonders anspruchsvoll und wird v. a. durch die Mandibula effektiv eingeschränkt. >>Die Extension von Tumoren kann erheblich weiter in
die Submukosa oder die Tiefe reichen, als dies prä-
operativ angenommen wird, denn die Beurteilbarkeit präoperativer Schnittbilddiagnostik ist häufig durch Bewegungs- und Zahnartefakte eingeschränkt.
Die Erreichbarkeit einer kompletten Exzision mit ausreichendem Sicherheitsabstand ist daher seltener als beispielsweise in der benachbarten Mundhöhle. Hinzu kommt, dass Defekte häufig mit signifikantem Funktionsverlust einhergehen, weil sich im Oropharynx Luftund Speiseweg kreuzen. Submukös liegen außerdem ausgiebige Verbindungen zum lymphatischen System, einhergehend mit rascher lymphogener Metastasierung. Nicht zuletzt ist die Inzidenz, bedingt durch HPV-getriebene Tumoren, stark ansteigend – eine Entität, bei der der Benefit tumorsanierender Operationen angezweifelt wird. Bei frühen Karzinomen wird der operative Zugang wesentlich von der Möglichkeit adäquater Exposition bestimmt. Bei der Operation von Tumoren, die den muskulären Schlauch der Konstriktoren durchwachsen, ist v. a. eine Kontrolle über die Äste der A. carotis externa notwendig, um lebensbedrohliche Blutungen zu vermeiden.
--
Besonderheiten des Situs Oropharynx Die Erreichbarkeit ist durch die Mandibula stark eingeschränkt R0 ist schwierig zu erreichen, weil pT häufig ausgedehnter ist als cT Aus kleinen Strukturdefekten können signifikante Funktionsverluste resultieren Häufig ist eine okkulte Metastasierung Der Benefit tumorsanierender Operation ist nicht gut belegt Nachblutungen können ein fatales Outcome verursachen
zz Anästhesie
Maskenbeatmung und Intubation sind, wie bei einem Tumor im Oropharynx zu erwarten, erschwert. Die Intubationstechnik ist individualisiert. Gemeinsam sollten Anästhesist und Operateur vor der Operation die geplante Sicherung des Atemweges und einen sog. „Plan B“ bei Misserfolg besprechen. Häufig ist die Problematik aus der Tumorendoskopie bekannt. Moderne Geräteunterstützung für den Anästhesisten ist beispielsweise das GlideScope. Die transnasale Intubation kann vorteilhaft und nachteilig für den Chirurgen sein; bei nachteiligem Effekt sollte keine Scheu vor Umintubation bestehen. Daher sollten Chirurg und Anästhesist vor Beginn der Einleitung das Atemwegsmanagement diskutieren (Tubus transzervikal, transoral oder transnasal? Intubation beim wachen oder sedierten Patienten?).
16
334
Kapitel 16 • Oropharnx
16.5.1
Transoraler Zugangsweg
Die Möglichkeiten für eine Exposition des Oropharynx durch die Mundhöhle sind erheblich variabel. Häufig kann dies durch alleinige Inspektion beim wachen Patienten nur unsicher antizipiert werden. Einen Eindruck über mögliche Exposition gewinnt man durch Anteposition der Zungenspitze und die Inspektion des Oropharnx: Wenn der Tumor inspektorisch und palpatorisch erreichbar ist, dann ist häufig eine Möglichkeit für endoskopisches Vorgehen gegeben (. Abb. 16.8). Gesicherte negative Risikofaktoren für eine Exposition sind eine intakte Oberkieferbezahnung und eine geringe Mundöffnung. Weiterhin sind die Unterbezirke in absteigender Reihenfolge gut erreichbar: Dach/Weichgaumen → Hinterwand → Seitenwand → Vorderwand/Zungengrund.
a
>>Die Exposition eines Tumors bei endoskopischer The-
rapie kann sich während der Operation, nachdem eine Hälfte des Tumors von der Unterlage abgehoben wurde, typischerweise verbessern.
16
Tumoren der Seitenwand lassen sich beispielsweise in die Mundhöhle luxieren, Tumoren des Zungengrundes werden nach kompletter Durchschneidung des Epithels häufig überhaupt erst mobil. Die Mundöffnung wird während der Operation typischerweise durch einen Retraktor sichergestellt, hierbei sind zahlreiche Produkte verfügbar (Crow-Davis, McIvor, Dingman etc.). Für die endoskopische Therapie im Zungengrund werden Retraktoren mit kurzen Spateln oder breite kurze Laryngoskope sowie Spreizlaryngoskope eingesetzt (. Abb. 16.9). Es kann erforderlich sein, durch starke Traktion am Zungenkörper die Exposition zu erhöhen, dies kann unproblematisch mit einer temporären Zügelung erreicht werden. 16.5.1.1 Transorale laserchirurgische Mikorchirurgie (TLM)
Die Technik der Operation bei einem kleinen Tonsillenkarzinom entspricht der einer Tonsillektomie. Tumoren des Oropharynx-Daches können ebenfalls unproblematisch mithilfe eines CO2-Lasers oder anderem heißschneidendem Instrumentarium reseziert werden. Der Nachteil des Lasers ist die sog. „unability to work around the corner“; je weiter kaudal die Tumoruntergrenze lokalisiert ist, desto deutlicher wird dieser Nachteil. Der CO2-Laser bietet den anerkannten Vorteil der geringsten Koagulationszone (. Abb. 16.10). Auch kaltschneidend kann vorgegangen werden, aber Blutungen führen dann häufig zu Verzögerungen und Einschränkung der Sicht. Erforderlicher Sicherheitsabstand zur Seite und zur Tiefe Ge-
nerell sind 0,8–1 cm Abstand zum Tumor in alle Rich-
b ..Abb. 16.8 a, b Kleines Tonsillenkarzinom. Bei möglicher Inspektion der Tumorgrenzen beim wachen Patienten kann die Chance für eine erfolgreiche endoskopische Operation antizipiert werden
tungen anzustreben. Nach Schrumpfung des Präparates wären dann sicher 5 mm in alle Richtungen erreicht. Dies ist naturgemäß nicht immer möglich, und die Literaturdaten belegen auch kein Erfordernis bzw. einen sicheren Zugewinn oder Verlust an Heilungschance, wenn der Abstand größer oder kleiner ist. Die umfangreichsten Literaturdaten hierzu wurden für die Mundhöhle publiziert. Randabstände zur Tumorinvasion von Die korrekte Indikation, Schnellschnittdiagnostik und
die gute Zusammenarbeit mit dem Pathologen können als entscheidende Instrumente für das Erreichen kompletter Exzisionen hervorgehoben werden.
337
16.5 • Zugangswege zum Oropharynx
-
Regeln, die beim Resektat zu beachten sind Piecemeal- oder En-bloc-Resektionen sind gleichermaßen erlaubt Intraoperativ ggf. Schnellschnittdiagnostik, bis Tumorfreiheit erreicht ist Aufspannen der Gewebe, sodass durch den pathologischen Befund ggf. eine orientierte Nachresektion ermöglicht wird
16.5.1.2
Transorale roboterassistierte Chirurgie (TORS) Der DaVinci-Roboter der Firma Intuitive erhielt in den USA im Jahr 2000 die Zulassung für Operationen im Fachgebiet Allgemeinchirurgie und 2009 für die KopfHals-Onkologie. Die Verbesserungen in der aktuell verfügbaren Generation, dem DaVinci-Xi-System, sind eine verbesserte 3D-HD-Sicht, dünnere Instrumentenarme und der schnellere Wechsel des Blickwinkels. Ein weiteres verfügbares System ist das Flex-Robotic-System der Firma Medrobotics. Der wesentliche Vorteil der roboterunterstützten Chirurgie im Oropharynx ist, im Gegensatz zum Laserstrahl, die Möglichkeit „um die-Ecke“ beweglich zu sehen und zu arbeiten. Insbesondere in schwer zugänglichen Bereichen wie z. B. dem Zungengrund ergeben sich hier Vorteile. In den publizierten Serien wurden gute lokale Kontrollraten, hoher Funktionserhalt und die Möglichkeit für En-bloc-Resektionen hervorgehoben. In einer vergleichenden Arbeit mit TORS und Laserchirurgie waren jedoch keine bedeutsamen Unterschiede, beispielsweise in der lokalen Tumorkontrolle herauszuarbeiten (Kass et al. 2016). Die größten Vorteile sind an der Vorderwand des Oropharynx mittels TORS zu erwarten – hier ist die Laserchirurgie eingeschränkt einsetzbar, weil Läsionen dann überwiegend tangential abgetragen werden, mit erhöhtem Risiko für inkomplette Exzisionen. Die Nachteile von TORS sind geringe Verfügbarkeit (z. B. nur 12 Trainingszentren von Intuitive in ganz Europa) und hohe Anschaffungskosten sowie die Kosten der Verbrauchsmaterialien, die den Krankenhauserlös für eine Operation alleine verschlingen können.
---
Spezifische Kontraindikationen für TORS Extension in den Schildknorpel oder die Mandibula Infiltration der Zungenmuskulatur der Mundhöhle > 50 % des Zungengrundes müssen reseziert werden Resektionsnähe zur A. carotis interna Tumorbedingte Mundöffnungseinschränkung Notwendigkeit für Rekonstruktion zum Funktionserhalt
Bezüglich der onkologischen Ergebnisse finden sich in der Literatur zahlreiche Hinweise auf Vorzüge der transoralen robotergestützten Chirurgie; hier ist ein gewisser Enthusiasmus spürbar, der einer kritischen Überprüfung wahrscheinlich nicht immer standhält. Für frühe Karzinome wurde in einer ausgewählten Serie von 30 Patienten 100 % Gesamtüberleben nach 2 Jahren und 97 % progressionsfreiem Überleben (1/30 Patient mit Tumorrezidiv) nach alleiniger TORS berichtet (Weinstein et al. 2012). In einer multizentrischen retrospektiven Auswertung von 410 Patienten (364 OSCC) wurden Tumorkontrollraten nach 2 Jahren von > 90 % berichtet (de Almeida et al. 2015). In einer weiteren Arbeit wurde eine reduzierte Morbidität nach TORS im Vergleich zu offenen Operationen berichtet, die Patientengruppen waren jedoch naturgemäß nicht gleichwertig (Chung et al. 2015). Eine vergleichende Analyse von TORS bei frühen OSCC vs. alleiniger Radiotherapie kommt zum Ergebnis, dass die onkologischen Ergebnisse gleichwertig sind (Morisod und Simon 2016) und die funktionellen Ergebnisse bei TORS möglichweise besser (Hutcheson et al. 2015). In der kanadischen ORATOR-Studie und in der europäischen Best-of-1420-Studie werden beide Verfahren aktuell prospektiv randomisiert verglichen. Für Tumorrezidive wurden ebenfalls vielversprechende Daten zu TORS bei 64 Patienten publiziert (White et al. 2013).
-
Zukünftig wird sich die Überlegenheit von TORS gegenüber anderen transoralen Verfahren noch zeigen müssen. Weiterhin sind überzeugende Langzeitergebnisse notwendig, um eine breitere Akzeptanz und weitere Verbreitung der Methode zu ermöglichen. Bis dahin ist der Einsatz im deutschsprachigen Raum auf wenige Zentren begrenzt. zz Technik
Nach der transnasalen Intubation werden Retraktor und Arbeitsarme (Optik, Kauter und Greifarm) transoral eingeführt. Die gängigen Retraktoren von Storz und Gyrus haben multiple Spatel zur Verbesserung der Exposition und um eventuelle Neueinsetzungen möglichst zu vermeiden. Eine 0-Grad-Optik und eine 30-Grad-Optik werden für die Seitenwand bzw. den Zungengrund verwendet. Beim DaVinci-System sitzt der Chirurg an einer räumlich getrennten Konsole und steuert die Arme artefaktfrei, jedoch ohne haptische Rückkopplung. Direkt am Patienten ist ein weiterer Chirurg nötig, der den Arbeitsablauf unterstützt, beispielsweise bei der Exposition und der Blutstillung. Typischerweise wird eine En-bloc-Resektion angestrebt. Bei Seitenwandtumoren beginnt die Resektion typischerweise kranial mit der Durchschneidung des
16
338
Kapitel 16 • Oropharnx
N. trigeminus A. buccalis marginale Mandibulektomie
N. alveolaris inferior
vorderer Gaumenbogen Tonsille hinterer Gaumenbogen Trigonum retromolare
Sulcus amygdaloglossus Foramen mentale
Foramen mentale
..Abb. 16.12 Segmentale und marginale Mandibulektomie (links). Die Indikation zur Segmentresektion besteht selten bei OropharynxKarzinom, und marginale Mandibulektomien sind bei zahnlosem Unterkiefer und vorbestrahltem Kiefer ebenfalls nur eingeschränkt
möglich. Die Indikation zur marginalen Mandibulektomie besteht bei Tumoren, die das Trigonum retromolare infiltrieren (Mitte). Ein Erhalt des N. lingualis ist dann nicht möglich (rechts)
Weichgaumens inkl. des oberen Konstriktors. Abwärts verläuft die Resektion auf der Oberfläche des M. pterygoideus medialis bis zur Identifikation und zum Erhalt des N. lingualis.
kaufunktionelle Rehabilitation der Patienten eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit onkologisch tätiger Kopf-Hals-Chirurgen beider Fachrichtungen (HNO und MKG) notwendig.
>>Besondere Aufmerksamkeit muss auf den Verschluss
16.5.2.1
der zuführenden Arterien mittels Monopol oder Clips gelegt werden, da bei der Versorgung offener Blutungen eine eingeschränkte Handlungsfreiheit besteht.
16
marginale Mandibulektomie des Trigonum retromolare
Segmentale Mandibulektomie
Nach dem Absetzen der unteren Begrenzung im Zungengrund wird das Präparat nach medial gedreht und die hintere Begrenzung des Tumors an der PharynxHinterwand in kraniokaudaler Richtung durchtrennt. Einige Autoren führen die Neck-Dissection zweizeitig durch, andere verwenden ein einzeitiges Verfahren vor oder nach TORS mit der Möglichkeit für die Ligatur der zuführenden Arterien. 16.5.2
Transmandibulärer Zugangsweg
Die Mandibula ist eine wirksame knöcherne Barriere für die Exposition des Oropharynx. Die Mandibula kann temporär durchtrennt (mediane, paramediane und laterale Mandibulotomie) oder kontinuitätserhaltend reseziert werden (marginale Mandibulektomie). Die chirurgischen Zugangswege werden durch die Exkorporation der Zunge und den transmandibulären Zugang mit Resektion eines kompletten mandibulären Segmentes (segmentale Mandibulektomie) vervollständigt. Bei transmandibulärem Zugang ist für ein erfolgreiches Komplikationsmanagement und die effektive
Segmentale Mandibulektomie
Bei Tumorinvasion in die Spongiosa der Mandibula besteht die Indikation zur Segmentresektion der Mandibula. Die Segmentresektion kann auch indiziert sein bei ausgedehntem Primärtumor der Mundhöhle, der die Mandibula umfasst, ohne die Spongiosa zu infiltrieren. Die Segmentresektion hat aktuell jedoch keinen Stellenwert beim Zugang zu Tumoren des Oropharynx. Das Konzept der sog. Kommando-Operation ist nicht mehr zeitgemäß, weil lymphatische Abflusswege anerkannt nicht durch eine intakte Mandibula passieren. Im Übrigen wird auf die Ausführungen in 7 Kap. 15 verwiesen. 16.5.2.2
Marginale Mandibulektomie
Bei Tumoren, die der Mandibula anliegen oder adhärent sind, ohne die Spongiosa zu infiltrieren, besteht die Indikation zur marginalen Mandibulektomie. Bei der marginalen Mandibulektomie ist in der Regel kein Transfer von Gewebe zur Defektdeckung notwendig. Im zahnlosen Unterkiefer sind die Möglichkeiten zur kontinuitätserhaltenden Mandibula-Resektion jedoch eingeschränkt (7 Kap. 15). Bei Tumoren des Oropharynx kommt die marginale Mandibula-Resektion für Tumoren in Betracht, die über den Sulcus amygdaloglossus die Mundhöhle infiltrieren und an der lingualen Gingiva oder im Trigonum retromolare der Mandibula anliegen (. Abb. 16.12). Die Indikation zur Mandibula-Resektion ergibt sich gemeinsam aus Bildgebung und palpatorischem Befund.
339
16.5 • Zugangswege zum Oropharynx
Foramen mentale
a
b
lateral
paramedian
median
..Abb. 16.13 a Hautinzision in Broken-line-Technik vor medianer Mandibulotomie. b Für die gängigen Osteotomielinien bei transmandibulärem Zugang werden der anteriore Zugang (median/para-
median) vom posterioren oder lateralen Zugang anhand der Position zum Foramen mentale unterschieden
Nicht nur Röntgen-, sondern auch MRT-Diagnostik kann hierzu herangezogen werden; die Tiefeninvasion wurde in einem prospektiven Setting mittels Diffusionssequenz mit hoher Sicherheit bestimmt. Die Knochenresektion muss tangential zum R. mandibulae unter Erhalt des Foramen mandibulae erfolgen. Eine marginale Mandibulektomie im posterioren Segment wird durch eine zuvorige Mandibulotomie (s. unten) erheblich erleichtert. Die Indikation zu dieser Operation ist jedoch selten, häufig liegt ein Tumorstadium vor, in dem eine komplette Resektion nicht erreichbar ist. In der größten publizierten Serie von Mundhöhlenkarzinomen mit Infiltration des Oropharynx wurden >Eine Indikation zur partiellen Resektion der Mandi-
bula bei OSCC besteht v. a. dann, wenn Tumoren der Seitenwand über den Sulcus amygdaloglossus auf das Trigonum retromolare in die Mundhöhle einwachsen.
16.5.2.3 Mandibulotomie
Der transmandibuläre Zugangsweg via Mandibulotomie ist als Zugang insbesondere zu Tumoren des posterioren Oropharynx und der Seitenwand geeignet. >>Zu beachten ist die bedeutsame Rate an Komplikatio-
nen wie Nervenverletzung, Infektion, Pseudarthrose und Fraktur der Mandibula. Zahlreiche Modifikationen zur Reduktion der Komplikationsraten sind daher in der Literatur beschrieben.
zz Technik
Im Anschluss an die Lymphadenektomie wird die Haut inzision in die Unterlippe erweitert und die Unterlippe in der Mittellinie durchtrennt. Die Schnittführung in der Unterlippe kann in Broken-line-Technik erfolgen, um das postoperative kosmetische Ergebnis zu optimieren (. Abb. 16.13). Blutungen aus der A. labialis inferior können mittels Ligatur kontrolliert werden. Zahlreiche Modifikationen für die Mandibulotomie als Zugangsweg sind in der Literatur beschrieben: Die Osteotomie kann anterior (median/paramedian) sowie posterior (lateral) des Foramen mentale durchgeführt werden (. Abb. 16.13). kAnteriorer k Zugang (median/paramedian)
Nach der Durchtrennung der Lippe wird die Osteotomie durch Inzision und Abheben des Periosts mit einem Elevatorium vorbereitet. Die Mobilisation des Periosts kann bis zum Foramen mentale erfolgen. Eine paramediane Mandibulotomie ist in der Nähe des Foramen mentale durchzuführen und endet zwischen zweitem Incisivus
16
Kapitel 16 • Oropharnx
340
reichend. Bedarfsweise kann eine 6-Loch-Platte auf der Hinterseite der Mandibula platziert werden. Anschließend wird die Osteotomie mit rotierender oder oszillierender Säge durchgeführt (. Abb. 16.14). >>Auf die Verwendung eines möglichst dünnen Sägeblat-
tes ist zu achten.
..Abb. 16.14 Mediane Mandibulotomie mit oszillierender Säge, die Inzisionslinie wird zur Zahntasche eines extrahierten Incisivus geführt
und Caninus. Im Vergleich zur medianen Mandibulotomie bietet der Zugang den Vorteil einer besseren Exposition auf der tumorbefallenen Seite und den Erhalt der Adhärenz des M. geniohyoideus und des M. digatricus auf einer Seite. Auch die Durchtrennung des M. mylohyoideus ist weniger ausgedehnt. Zahnkomplikationen sind bei paramedianem Zugang ebenfalls seltener. In der Literatur dominiert daher der paramediane Zugang (s. unten, Übersicht zu Vor- und Nachteilen). Die mediane Mandibulotomie bietet den wichtigen Vorteil von weniger Komplikationen im Bereich der Osteosynthese.
Die Osteotomielinie kann streng vertikal oder stufenförmig verlaufen; hierdurch wird ein stabiler Verschluss am Ende der Operation erleichtert. Die Autoren führen dabei die Osteotomie inkomplett durch und verwenden für den letzten „Schlag“ zur Durchtrennung einen Rhinoplastik-Meißel; hierdurch entsteht eine Bruchkante, die den idealen Wiederverschluss am Ende der Operation zusätzlich erleichtert. Unter Durchtrennung des Mundbodens werden dann die Mandibula-Körper schrittweise auseinandergezogen, bis schließlich ein breiter Zugang zunächst zur Mundhöhle und danach zum Oropharynx erreicht wird (. Abb. 16.15). Etwa 1 cm des M. mylohyoideus sollte an der Mandibula verbleiben, um den Schleimhautverschluss zu erleichtern. Im nächsten Schritt werden der N. lingualis, der N. hypoglossus und die A. lingualis dargestellt. Insbesondere der N. lingualis begrenzt dabei die Distraktion des Corpus mandibulae. Wenn möglich, kann der N. lingualis erhalten werden (. Abb. 16.15). Nach der Tumorresektion und Defektrekonstruktion wird der Mundboden mittels fortlaufender Vicrylnaht verschlossen, und die Osteotomie-Platten werden fixiert. >>Bei der Tumorresektion muss insbesondere fortlaufend
Vor- und Nachteile des medianen/paramedianen Mandibulotomie-Zugangsweges
16
-
Vorteile: – Erhalt der Sensibilität der Lippe – Exzellente Exposition der oberen Hälfte des Oropharynx – En-bloc Resektion von Tumor und Neck-Dissection Nachteile: – Operationsdauer verlängert – Pseudarthrose/Osteomyelitis – Erhalt des N. lingualis häufig nicht möglich – Zerteilung der extrinsischen Zungenmuskulatur – Eingeschränkte Exposition der unteren Hälfte des Oropharnx
Die Osteotomie wird bedarfsweise durch eine Zahnextraktion vorbereitet. Bei zahntragendem Unterkiefer werden Miniplatten vorgeformt und die Bohrlöcher vorgebohrt, um einen optimale Okklusion postoperativ zu erreichen. Zwei inkompressible 4-Loch-Platten, eine am Unterrand und eine darüber liegend, sind hierfür aus-
Kontrolle über den Verlauf der A. carotis interna bestehen. Leitstruktur ist der palpierbare Proc. styloideus.
Die gingivobukkale und gingivolinguale Mukosa wird mittels resorbierbarer Einzelknopfnähte verschlossen. >>Hier ist auf einen sorgfältigen Verschluss zu achten um
der wichtigsten Komplikation, der Osteomyelitis des Unterkiefers, vorzubeugen.
kPosteriorer k Zugang (lateral)
Die posteriore oder laterale Mandibulotomie ist ebenfalls als Zugangsweg zum Oropharynx beschrieben, jedoch besteht aktuell kein signifikanter Stellenwert. Die Literaturberichte hierzu sind über 2 Jahrzehnte alt. Ein Verlust der neurovaskulären Versorgung ist immanent, und die Osteosynthese ist komplikationsreich. Die wichtigste Komplikation der Operation ist die Pseudarthrosenbildung mit Malokklusion und Osteomyelitis. Die Komplikationsrate ist erhöht, wenn die Osteosynthese im Strahlenfeld liegt. Komplikationsraten zwischen 10 und 50 % sind in der Literatur beschrieben. Daher wurden zahlreiche Modifikationen der Osteosynthese zur Reduktion der Komplikationsraten
341
16.5 • Zugangswege zum Oropharynx
a
b
..Abb. 16.15 a Nach der Mandibulotomie für tongue drop-out wird der Mundboden durchtrennt, und die Mandibula-Enden werden schrittweise separiert, bis eine breite Exposition zum Tumor gelingt.
b Wenn möglich, wird unter Erhalt des N. lingualis und des N. hypoglossus der Tumor kaudalwärts entwickelt
vorgeschlagen. Die wichtigsten sind: Stair-step-Osteotomie, dünnes Sägeblatt und bikortikale Fixation. Weitere, seltene Komplikationen sind Nervenverletzung, Fraktur, und Fistelbildung.
zz Technik
16.5.2.4
Exkorporation der Zunge
Die Exkorporation der Zunge (mandibular lingual release) kommt als Zugangsweg bei unzureichender transoraler Exposition von Tumoren in Betracht, die Pharynx und Mundhöhle betreffen, typischerweise der Zunge (Zungengrund und Zungenrand). Die Operation wurde in 1982 zuerst von Stanley beschreiben (Stanley 1984) und wird in der Literatur auch als visor drop down approach oder tongue drop-out und im deutschen Sprachraum als Exkorporation der Zunge beschrieben. Dieser Zugang erlaubt einen breiten Zugang zu Mundhöhle und Oropharynx durch die Verlagerung des gesamten Zungenkörpers in die Halsweichteile (s. unten, Übersicht zu Vor- und Nachteilen). Damit die wichtige Refixation der Zungenmuskulatur am Tuberculum geniale (Spina mentalis) gelingt, wurde eine wichtige Modifikation mit Bildung einer gestielten Osteotomie mit Inklusion der Spina mentalis publiziert (Merrick et al. 2007).
-
Vor- und Nachteile der Exkorporation der Zunge
-
Vorteile: – Exzellente Exposition der oberen Hälfte des Pharynx – Intaktheit der Lippe – Kontinuität der Mandibula und Okklusion bleiben erhalten – Refixation des mandibulären Segments mit einer Osteosyntheseschraube möglich Nachteile: – Operationsdauer verlängert – Einschränkung der Exposition durch den N. lingualis
Der typische transzervikale Beginn der Exkorporation schließt sich an eine beidseitige Neck-Dissection an, die über einen Zugang wie zur beidseitigen supraomohyoidalen Neck-Dissection erfolgt. Nach Freilegung des Periosts des Unterkiefers erfolgt das Abheben nach kranial bis zum Austrittspunkt des N. mentalis. Ein mandibuläres Segment wird mit einer suffizienten Breite und Höhe angezeichnet, welches an seiner Rückseite die Insertion des gesamten M. geniohyoideus und M. genioglossus trägt (Merrick et al. 2007). Danach wird die vertikale Osteotomie beidseits leicht nach auswärts und die sagittale Osteotomie leicht einwärts geführt (. Abb. 16.16). Hierdurch wird ein sich selbst verriegelndes mandibuläres Segment gewonnen, welches sich bei Reinsertion bajonettartig selbst verriegelt. Nach Mobilisation des mandibulären Segmentes erfolgt die intraorale komplette Durchtrennung des Mundbodens mit 1 cm Abstand zur Mandibula. Danach kann der Zungenkorpus schrittweise nach kaudal in die Halsweichteile mobilisiert werden. Auf der tumorbefallenen Seite wird typischerweise der N. lingualis geopfert – hierdurch wird eine exzellente Exposition zur Zunge und zur Vorderwand des Oropharynx erreicht (. Abb. 16.16). Am Operationsende wird dann eine einzelne Zugschraube von kaudal durch das Segment in die Mandibula platziert (. Abb. 16.17). Als vorteilhaft sind in der Literatur v. a. ein reduzierter Wundschmerz und die uneingeschränkte kaufunktionelle Rehabilitation beschrieben. In einer Metaanalyse von 6 publizierten Serien an 309 Patienten wurde für diesen Zugang weiterhin eine niedrigere Rate an kutanen Fisteln im Vergleich zum Mandibulotomie-Zugang beschrieben (Pang et al. 2016).
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342
Kapitel 16 • Oropharnx
werden. Hierdurch wird der transmandibuläre Zugang vermieden. Postoperativ ist häufig ein primärer Wundverschluss möglich. Die Pharyngotomie wird häufig über einen kombiniert endoskopisch/transzervikalen Zugang durchgeführt, dabei beginnt die Umschneidung des Primärtumors transoral, und nach der Pharyngotomie kann die Tumorresektion von außen fortgeführt werden. Nachdem der Tumor so weit wie möglich endoskopisch mobilisiert ist, erfolgt die Hebung des Präparates über die Neck-Dissection-Inzision und die Pharyngotomie (pullthrough; Sinha et al. 2017). Die transzervikalen Zugangswege beinhalten auch die selten durchgeführte mediane Pharyngotomie via supra- und infrahyoidalen Zugang. 16.5.3.1 Mediane supra- und infrahyoidale Pharyngotomie
M. geniohyoideus
a
hinterer Digaster-Bauch M. stylohyoideus
vorderer Digaster-Bauch
16
Supra- und infrahyoidale Pharyngotomie dienen häufiger dem Zugang zum supraglottischen Larynx. Über die Pharygnotomie-Inzision in der Medianen lassen sich jedoch auch kleine Tumoren des Zungengrundes und des angrenzenden Hypopharynx erreichen. zz Technik
Die Vorbereitung zur medianen Pharyngotomie erfolgt über einen Schürzenlappenschnitt. Anschließend erfolgt in der Regel eine Schutztracheotomie, hierdurch wird der Tubus aus dem chirurgischen Feld beseitigt. Nach der Neck-Dissection wird das Zungenbein expositioniert und ggf. exzidiert. Der Eintritt in den Pharynx erfolgt dann nach Darstellung des Epiglottis-Knorpels auf Höhe der Vallecula epiglottica (. Abb. 16.18). Die Pharynx-Vorderwand kann anschließend schrittweise nach zervikal mobilisiert werden. Nach der Tumorresektion wird der Defekt häufig durch weitere Mobilisation primär verschließbar. Die Exposition ist limitiert, eine genaue Patientenselektion ist entscheidend. >>Bei der Operation sollte der N. hypoglossus und min-
b ..Abb. 16.16 a, b Gestielter myoossärer Zugang zur Exkorporation der Zunge. Das knöcherne Segment wird vertikal nach unten einwärts inzidiert und sagittal nach dorsal, ebenfalls einwärts (a). Hierdurch entsteht ein sich selbst verriegelndes Segment bei erhaltener Verbindung von M. geniohyoideus und M. genioglossus an der Spina mentalis. Nach Umschneidung des Mundbodens kann der Zungenkörper in die Halsweichteile entwickelt werden (rechts)
16.5.3
Transzervikaler Zugangsweg
destens eine A. lingualis erhalten bleiben. Vorteilhaft sind die Vermeidung einer Mandibulotomie und ausbleibende Vernarbungen in der Mundhöhle.
Die Indikation für diesen Zugangsweg sind lokalisierte Tumoren der Pharynx-Vorderwand/Zungengrund, die über einen transoralen Zugangsweg bei unzureichender Exposition nicht sicher im Gesunden resektabel sind. Ggf. kann der Tumor zunächst am Oberrand von enoral umschnitten werden. 16.5.3.2
Lokalisierte Tumoren des Oropharynx können insbesondere dann, wenn sie im Bereich der Seitenwand relativ weit kaudal lokalisiert sind oder von dort in Hypopharynx oder Zungengrund infiltrieren, über einen transzervikalen Zugang, die sog. Pharyngotomie, erreicht
Laterale Pharyngotomie
Die Operation wurde erstmals 1920 in einer sehr invasiven Variante (u. a. mit lateraler Mandibulotomie) von Trotter beschrieben. Danach wurde in zahlreichen Arbeiten die schrittweise Reduzierung der operationsbedingten Morbidität durch Strukturerhalt publiziert.
343
16.5 • Zugangswege zum Oropharynx
a
b
..Abb. 16.17 a Am Operationsende wird das knöcherne Segment mit einer einzelnen Zugschraube refixiert und der Mundboden mit einer fortlaufenden Naht verschlossen. b Das postoperative Orthopantomogramm zeigt die Zugschaube in Position
der Pharynx-Seitenwand, die über einen endoskopischen Zugang nicht oder nur unzureichend erreichbar sind. zz Technik
Nach der Neck-Dissection wird die Ansa hypoglossi durchtrennt und der N. hypoglossus nach kranialwärts verlagert sowie der N. laryngeus superior dargestellt (. Abb. 16.19). Die Durchtrennung der pharyngealen Konstrikoren erfolgt von außen oberhalb des Zungenbeins, idealerweise erfolgt in Position auf dessen Höhe auch die Durchtrennung der Oropharynx-Schleimhaut. Die lateralen Anteile des Zungenbeins werden reseziert. Die Äste der A. carotis externa (A. thyroidea superior, A. lingualis, A. facialis und A. pharyngea ascendens) werden ligiert. Die Durchtrennung des M. digastricus und das Ablösen von M. stylohyoideus und M. mylohyoideus vom Zungenbein schafft bedarfsweise zusätzlich Exposition. Die Durchtrennung des Zungenbeins wird von einer Vorverlagerung des Schildknopels mittels Einzinker-Häkchen gefolgt.
suprahyoidale Pharyngotomie infrahyoidale Pharyngotomie ..Abb. 16.18 Leitstruktur bei der medianen Pharyngotomie. Wahlweise erfolgt die Pharyngotomie ober- oder unterhalb des Zungenbeins auf Höhe der Vallecula epiglottica
Über den Zugang kann insbesondere die Seitenwand des Oropharynx erreicht werden. Dennoch besteht beim seitlichen Zugang zum Oropharynx eine nicht zu vernachlässigende postoperative Morbidität, und die Operation ist technisch anspruchsvoll. Im Jahr 2013 wurden anhand einer Serie von 91 Patienten technische Details und postoperative Komplikationen publiziert (Laccourreye et al. 2013). Weitere aktuelle Berichte liegen über den kombinierten endoskopischen Beginn und die anschließende laterale Pharyngotomie an 20 Patienten vor (Sinha et al. 2017) sowie über 64 Patienten aus einer italienischen Arbeitsgruppe (Bertolin et al. 2017). Über die Indikation zur Operation herrscht Einigkeit: lokalisierte Tumoren
>>Es ist hilfreich, die Höhe der kranialen Pharyngotomie
endoskopisch zu markieren.
Nach der Erfahrung der Autoren hat sich die Positionierung eines Fadens mittels Lichtenberger-Instrumentarium bewährt. So kann die Pharyngotomie in einer optimalen Position mit ausreichend Sicherheitsabstand zum Primärtumor begonnen werden. Der N. laryngeus superior kann bei der Tumorresektion aus onkologischen Gründen nicht immer erhalten bleiben. Eine erfolgreiche Schluckrehabilitation ist deswegen aber nicht ausgeschossen (Laccourreye et al. 2013). Auf eine Tracheostomie kann nur in Ausnahmefällen bei Erhalt des N. laryngeus superior und bei unproblematischen Wundverschluss ggf. verzichtet werden.
16
344
Kapitel 16 • Oropharnx
N. XII Ansa hypoglossi
a
Digaster
Anatomische Strukturen, die mit der lateralen Pharyngotomie dargestellt werden
Zungenbein
--
---
Zungenbein N. laryngeus superior N. hypoglossus und Ansa hypoglossi A. carotis externa, A. facialis, A. lingualis und A. thyroidea superior M. digastricus und M. mylohyoideus
Die wichtigsten Komplikationen der Operation sind Nervenläsionen, postoperative Schluckstörung und Speichelfistel. Schilddrüse N. laryngeus superior
Die publizierten Raten für bleibende Schluckstörungen liegen jedoch unterhalb von 10 %. 16.6
Rekonstruktion und Verschluss
Der Pharynx ist eine entscheidende funktionelle Einheit für Deglutition, Ventilation und Artikulation. >>Die Entscheidung für oder gegen eine Rekonstruktion
hat nach klinischen Kriterien zu erfolgen und sollte, wenn möglich, nicht ad-hoc während der Operation erfolgen, sondern die Wahrscheinlichkeit für einen Benefit rekonstruktiver Maßnahmen ist vorher kritisch abzuwägen und mit dem Patienten zu erörtern. b
16
c ..Abb. 16.19 Laterale Pharyngotomie. a Vor der Pharyngotomie werden der N. laryngeus superior und der N. hypoglossus dargestellt. Meist kann der N. hypoglossus nach Durchtrennung der Ansa hypoglossi weit nach kranial verlagert werden. b Die Pharyngotomie erfolgt nach sicherem Erhalt oberhalb des N. laryngeus superior. c Nach Wegnahme des lateralen Anteils des Zungenbeins kann die Pharyngotomie so weit wie nötig nach oben erweitert, und die Pharynx-Seiten- und Vorderwand expositioniert werden
Bedarfsweise muss jedoch das Für und Wider für eine Rekonstruktion an das Ausmaß der Resektion angepasst werden. Die Rekonstruktion sollte, wenn möglich, zeitgleich mit der Resektion erfolgen. Die persönliche Erfahrung des Operateurs anhand von Erfolgen und Misserfolgen beeinflusst die klinische Entscheidung. Eine unzureichende Rekonstruktion kann in schwerwiegenden Funktionseinschränkungen resultieren. An der Seitenwand und im Zungengrund kann jedoch auch sekundäre Wundheilung ohne Funktionsverlust eintreten, beispielsweise wenn nur ein Unterbezirk betroffen ist. Die Seitenwand sollte auf jeden Fall bei freiliegender Mandibula rekonstruiert werden. Signifikante Defekte des Oropharynx-Daches sollten mit dem Ziel eines ausreichenden Weichgaumenverschlusses ebenfalls, wenn möglich, rekonstruiert werden. 16.6.1
Sekundäre Wundheilung und primärer Wundverschluss
Eine sekundäre Wundheilung kann bei Defekten einer Oropharynx-Vorderwandhälfte und bei isolierten Defekten der Pharynx-Seitenwand abgewartet werden; hier
345
16.6 • Rekonstruktion und Verschluss
sind gleichwertige funktionelle Ergebnisse zu erreichen. Meist wird sekundäre Wundheilung bei endoskopischem Vorgehen angestrebt. Auch bei tiefen Defekten mit Verbindung in die Halsweichteile kann u. U. sekundäre Wundheilung erfolgreich sein. Aus großen publizierten Serien nach laserchirurgischen Resektionen ist bekannt, dass überwiegend sekundäre Wundheilung erfolgt und zu akzeptablen funktionellen Ergebnissen führt, zu TORS liegen noch keine umfangreichen Zahlen vor. Eine endoskopische Therapie ist jedoch keine Kontraindikation für freien Gewebstransfer (Haughey et al. 2011). Ein primärer Wundverschluss kann ebenfalls erfolgen, wenn die Gewebsverlagerung eine günstige postoperative Schluckfunktion erwarten lässt und die Adaptation spannungsfrei erfolgen kann. Dies ist v. a. am kranialen und kaudalen Ende einer erweiterten sog. Tumortonsillektomie oder bei kleinen Defekten des Weichgaumens zu erwarten. Primäre Wundverschlüsse in PharynxWanddefekten können jedoch auch ein schlechteres Outcome für die Schluckfunktion bedeuten als sekundäre Wundheilung. Im Zungengrund wurde zwar beschrieben, dass Wundverschluss bessere Schluckergebnisse liefert als freier Gewebstransfer, die Ergebnisse sind jedoch zweifelhaft, insbesondere im Zungengrund sind primäre Wundverschlüsse kaum zur erreichen und nur selten anzustreben, beispielsweise nach medianer Pharyngotomie. 16.6.2
Lokale und gestielte Lappen
Ein gut designter lokaler Lappen kann einen Gewebedefekt möglicherweise bedecken, entscheidend ist jedoch die postoperative Schluckfunktion. >>Lokale Lappen haben ein hohes Risiko für Wundde-
hiszenz und nachfolgenden Lappenverlust, weil der Infektionsdruck hoch ist und bei jedem Schluckakt der Lappen und sein Wundbett bewegt werden.
Der myomukosale Buccinator-Lappen kann posterior gestielt auf Defekte der Pharynx-Wand bis annähernd zur Mittellinie platziert werden. Vorteile des Lappens sind die Schleimhautbedeckung und die ausreichende Dicke des Transplantats, nachteilig ist die Entnahmemorbidität mit Gefahr für die Verletzung des Ductus parotideus. Der Lappen wurde v. a. für den Defektverschluss in der Mundhöhle beschrieben (Rahpeyma und Khajehahmadi 2013). Ein uvulopalataler Lappen kann Defekte des Weichgaumens bei intakter Uvula durch dessen Verlagerung verschließen. Eine Entlastungsinzision am intakten Weichgaumen ist meist nötig. Das wichtigste Risiko ist die hohe Wahrscheinlichkeit für Dehiszenz und zweizeitigen Verlust. Der gestielte Pectoralis-major-Lappen kann als myofasziales und myokutanes Transplantat in den Oropharynx transferiert werden und wurde vor der Einführung
des freien Gewebstransfers häufig für eine Rekonstruktion verwendet. Zur Defektdeckung im Dach des Oropharynx ist der Lappen wenig geeignet, und die erforderliche Stieldicke ist eine erhebliche Einschränkung beim Defektverschluss an der Seitenwand. Sein Einsatzerfolgt daher v. a. als Therapie zweiter Wahl, wenn ein freier Gewebstransfer nicht möglich ist. Erreichbare Defekte sind v. a. der Zungengrund und segmentale Defekte der Mandibula, die anders nicht rekonstruierbar sind. Weitere Nachteile sind die eingeschränkte Formbarkeit und die signifikante Dicke des Transplantats, was v. a. im Transplantatbett zu unzureichender postoperativer Funktion und Entstellung führen kann. Vorteile sind die einfache Hebung und die zuverlässige Blutversorgung. Zwei weitere gestielte Lappen, für die ein Transfer in Defekte des Oropharynx publiziert ist, sind der PlatysmaLappen (Koch et al. 2012) und der temporoparietale Faszienlappen (Jaquet et al. 2011). Der Platysma-Lappen birgt ein hohes Risiko für einen Verlust der Hautinsel, und beide Lappen haben eine Einschränkung, was die Erreichbarkeit der Defekte betrifft. 16.6.3
Freier Lappentransfer
Bei ausgedehnten Defekten sollte eine Defektrekonstruktion mittels freiem Gewebetransfer angestrebt werden, wenn sonst ein funktionelles Defizit droht. Arbeitspferd der rekonstruktiven Kopf-Hals-Chirurgie ist der fasziokutane Unteramlappen (Radialis-Lappen). Die Defektdeckung hat keine Verbesserung der Prognose zur Folge, Ziel ist ein verbesserter Funktionserhalt. Sowohl retrospektiv (Pohlenz et al. 2012) als auch in prospektiven Untersuchungen (Bozec et al. 2009) konnte der Benefit für die Patienten durch Rekonstruktion mittels freiem Gewebstransfer gezeigt werden. Die geringste Entnahmemorbidität haben die fasziokutanen Unterarm- und die anterolotateralen Oberschenkellappen (ALT-Lappen) (. Abb. 16.20). Die Lappengröße ist weit individualisierbar, und die Stiellänge erlaubt bei ausgedehnter lymphogener Metastasierung sogar einen Anschluss an kontralaterale Halsgefäße. zz Vergleich ALT- und Radialis-Lappen
Die Auswahl des primär geeigneten Transplantats richtet sich v. a. nach der gewünschten Transplantatdicke. Bei durchgreifenden Wanddefekten oder Zungendefekt ist der ALT-Lappen vorteilhaft; wenn eine gute Verformbarkeit wichtig ist, hat der Unterarmlappen Vorteile gegenüber dem ALT-Lappen (. Abb. 16.21). Der ALTLappen ist anspruchsvoller, was die Entnahme betrifft. Insbesondere die vaskuläre Anatomie ist weniger konstant als beim Unterarmlappen (. Abb. 16.22). Der ALT-Lappen ist ein an den R. descendens der A. circumflexa femoris gestielter myokutaner oder fasziokutaner Lappen. Die Vorteile des Lappens sind ein
16
346
Kapitel 16 • Oropharnx
a
b
..Abb. 16.20 Die Entnahmemorbidität beim Oberschenkel(ALT)und beim Unterarmlappen ist gering. a Beim ALT-Lappen kann die Dicke des muskulären Cuffs um den Perforator herum frei gewählt
a
und die Haut anschließend primär verschlossen werden. b Der Entnahmedefekt am Unterarm wird durch ein Vollhaut- oder Spalthauttransplantat abgedeckt
b
c
..Abb. 16.21 a Bei ausgedehnten und tiefen Wanddefekten des Oropharynx kann mittels Oberschenkellappen (ALT-Lappen) mehr Volumen in den Defekt transferiert werden. b Hierdurch wird eine günstige Wirkung auf das funktionelle Outcome erreicht. c Wenn Ver-
a
16
b
formbarkeit die wichtigste Eigenschaft des Transplantats ist wie bei Tumoren, die das Trigonum retromolare infiltrieren, dann besitzt der Unterarmlappen bessere Eigenschaften
c
..Abb. 16.22 a Die dominanten Perforatorgefäße liegen vom Mittelpunkt einer geraden Linie zwischen Spina iliaca anterior superior (SIAS) und äußerem Patella-Rand innerhalb eines Radius von 4 cm.
b Mittels Farbduplex kann das Perforatorgefäß ebenfalls dargestellt werden. c Intraoperativer Situs mit lokalisiertem Perforator
relativ frei wählbares Lappenvolumen, weil der Operateur in der Menge des M. vastus lateralis, der zusätzlich zur Hautinsel transferiert wird, einen großen Spielraum hat. Weitere Vorteile sind der geringe Hebedefekt und der primäre Wundverschluss am Oberschenkel. Große Serien mit geringen Raten von Lappenverlust wurden publiziert (Wei et al. 2002). Die Dicke der Haut und Unterhaut kann nachteilig sein, ein Ausdünnen des Lappens ist aber intraoperativ möglich. In der Mitte beider Transplantatdicken liegt der Oberarmlappen (. Abb. 16.23). Von der Hauttextur her ist der Oberarmlappen gleichfalls gut geeignet. Die Indikation besteht beispielsweise bei negativem Allen-Test oder wenn ein dickeres Transplantat als vom Unterarm benötigt wird. Ein weiterer beschriebener Vorteil ist der PCNF (posterior cutaneous nerve of forearm). Durch die-
sen Hautnerv können sensible Anastomosen, beispielsweise zum N. lingualis, hergestellt werden. Der Erfolg für sensible Anastomosen hinsichtlich des Funktionsgewinns ist jedoch nicht gesichert. Wesentlicher Nachteil des Transplantats ist der anspruchsvolle Lappenstiel (8–12 cm lang – 0,8–1,2 mm dicke Arterie). 16.7 Postoperatives
Management
Nach einer Operation mit Eröffnung des Pharynx ist eine Antibiotikatherapie indiziert. >>Eine Single-shot-Gabe ist nach Ansicht der Autoren
nicht ausreichend, weil die primär unsterilen Räume Mundhöhle und Pharynx nach einer Tumorresektion
347
16.7 • Postoperatives Management
a
b
..Abb. 16.23 a Der Oberarmlappen wird auf einer Verbindung zwischen Incisura deltoidea und Epicondylus lateralis humeris eingezeichnet. b Die Transplantatdicke macht den Lappen v. a. für Re-
konstruktionen im Dach und an der Vorderwand geeignet, wenn mehr Volumen benötigt wird, als der Unterlappen bietet
in den meisten Fällen immanent Anschluss an die Halsweichteile haben. Weiterhin ist die Osteomyelitis eine schwerwiegende bakterielle Komplikation nach Eröffnung der Kortikalis der Mandibula. Lediglich bei endokospischer Resektion ohne Eröffnung des M. constrictor pharyngis ist eine Kurzzeit-Antibiotikagabe ausreichend.
Seitenwand, zum Kostaufbau nahezu immer notwendig sein. Bei zu erwartender lang andauernder Rekonvaleszenz kann bereits präoperativ eine perkutane Ernährungssonde (PEG) in die Bauchwand gelegt werden. Häufig wird dies im Rahmen der adjuvanten Therapie notwendig, und bei Antizipation der Notwendigkeit sollte die PEG-Versorgung frühzeitig erfolgen, um erstens die Tumortherapie hierdurch nicht zu verzögern und zweitens eine katabole Stoffwechsellage zu vermeiden. Nach Defektdeckung mittels freiem Lappentransfer kann der Kostaufbau nach 5–7 Tagen initiiert werden, und das Entfernen der nasogastralen Sonde kann häufig vor Abschluss des Kostaufbaus erfolgen, weil die Sonde selbst eine Einschränkung im Kostaufbau darstellt.
Die Antibiotikatherapie sollte ein ausreichend breites Spektrum mit Wirksamkeit im Gram-positiven und Gram-negativen Bereich haben und anaerobe Keime ebenfalls abdecken (z. B. Sultamicillin 3 × 3 g für 5–7 Tage). Die Drainagen in den Halsweichteilen werden je nach Fördermenge entfernt. Sowohl Saugdrainagen als auch passive Drainagen können verwendet werden. Es kann sinnvoll sein, zusätzlich passive Drainagen nach intraoral auszuleiten, um Hämatome unter transferiertem Gewebe auszuleiten. Die Entscheidung für oder gegen eine Tracheotomie hat sorgfältig zu erfolgen, unter Abwägung der zusätzlichen Morbidität gegenüber der Sicherheit für das postoperative Atemwegsmanagement. >>Die Entscheidung sollte im Konsil mit dem zuständigen
Intensivmediziner erfolgen. Dabei ist insbesondere die Frage zu erörtern, wann und unter welchen Bedingungen die Extubation stattfindet, wenn keine Tracheostoma-Anlage bei der Operation erfolgt.
Nach persönlicher Erfahrung der Autoren kann eine Verlängerung der Intubationsnarkose um 24 oder 48 Stunden erfolgen, wenn eine Extubation dann erwartbar gelingt. Wenn eine Aspiration postoperativ zu erwarten ist, kann die Tracheostomie und Umintubation auch vor Beginn der operativen Maßnahmen erfolgen. Die wichtigsten Risikofaktoren, die für eine Tracheostoma-Anlage bei der Operation sprechen, sind hohes Lebensalter, Komorbidität, Lungenerkrankung sowie Lokalisation und Ausmaß der Tumorresektion. Die Platzierung einer nasogastralen Sonde wird außer bei lokalisierten Tumorresektionen, z. B. der Pharynx-
>>Nasogastrale Sonden gehen häufig in der Aufwach-
phase verloren; eine Fixation am Naseneingang mittels durchgreifender Naht durch das Nasenseptum ist zur Vermeidung hilfreich.
Unterstützend zur allgemeinen Schluckrehabilitation können in Einzelfällen in Absprache mit dem Epithetiker enoral fixierte Obturatoren angefertigt werden. Ein gutes Zusammenspiel zwischen Epithetiker und dem Team für die kaufunktionelle Rehabilitation ist notwendig, um beide Ziele konzertiert zu erreichen.
-
Zusammenfassung Die wichtigste Besonderheit beim Zugang zum Oropharynx ist die hier lokalisierte Kreuzung von Schluckweg und Atemweg. Nach Operationen zur Tumorkontrolle sind Funktionsdefizite zu erwarten – für die Wahl eines geeigneten Zugangswegs ist also die präoperative Beurteilung und Antizipation postoperativer Funktionsdefizite besonders wichtig. Die technische Besonderheit beim Zugang zum Oropharynx ist wesentlich durch die Mandibula bedingt, die die Exposition einschränkt. Gelegentlich sind Inzision und/oder Resektion an der Mandibula – sei es für den Zugang oder für die
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Kapitel 16 • Oropharnx
348
Tumorresektion – erforderlich. Hierdurch wird die Notwendigkeit für ein interdisziplinäres Vorgehen beim Oropharynx-Karzinom erklärt. Eine detaillierte Kenntnis der Anatomie ist weiterhin unabdingbar, um die Wahrscheinlichkeit operationsbedürftiger Nachblutungen zu reduzieren. Die neuartige Tumorentität HPV-positiver Oropharynx-Karzinome mit günstiger Prognose beeinflusst abschließend sowohl die Auswahl der Therapie (mit oder ohne Chirurgie) als auch die des operativen Zugangswegs.
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Literatur
16
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349
Halsweichteile Jens Greve, Thomas K. Hoffmann
Inhaltsverzeichnis 17.1
Einleitung – 350
17.2
Chirurgisch relevante Anatomie – 350
17.2.1 Topographie – 350 17.2.2 Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation – 350
17.3
Operative Rekonstruktion – 351
17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.3.4 17.3.5
Primärer Wundverschluss und Z-Plastik – 353 Freie Hauttransplantate – 353 Lokale Lappenplastiken – 354 Regional gestielte Lappenplastiken – 354 Freie mikrovaskulär anastomosierte Transplantate – 357
17.4
Risiken und Nachsorge – 358 Literatur – 358
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_17
17
350
Kapitel 17 • Halsweichteile
17.1 Einleitung
Für die Rekonstruktion im Bereich des äußeren Halses eignen sich, falls ein Primärverschluss oder eine lokale Lappenplastik nicht möglich sind, sowohl gestielte Lappen als auch freie, mikrovaskulär anastomosierte Transplantate. Für tiefgreifende Defekte stehen myokutane und für oberflächlichere fasziokutane Lappen zu Verfügung. Bei den gestielten Lappen sind deren eingeschränkte Reichweite und das Entstehen von ausgedehnten Wundflächen limitierende Faktoren. Die freien Transplantate entsprechen meist in Farbe und Textur nicht der den zu deckenden Defekt umgebenden Haut. Strahlentherapie oder Voroperationen erschweren die Möglichkeit einer Mikrogefäßanastomose, sodass in solchen Fällen nicht selten auf gestielte Lappenplastiken zurückgegriffen werden muss. Die ideale Rekonstruktionsmethode sollte mit einer niedrigen Komplikationsrate verbunden, möglichst in einer Sitzung durchführbar sein und die verlorene Funktion so gut wie möglich wiederherstellen. 17.2 Chirurgisch
relevante Anatomie
17.2.1 Topographie
17
Der Hals verbindet den Kopf mit dem Rumpf, gewährleistet dessen Beweglichkeit gegenüber dem Rumpf und enthält lebenswichtige Verbindungs- und Versorgungsstrukturen wie arterielle und venöse Blutleiter (A. carotis, V. jugularis interna), Strukturen des Nervensystems (Rückenmark, Plexus cervicalis, Halsnerven) sowie Pharynx/ Ösophagus, Larynx und Trachea. Weiterhin finden sich die endokrinen Organe Schilddrüse und Nebenschilddrüsen vor Luftröhre und Kehlkopf (Zilles und Tillmann 2010). Durch die drei Blätter der Halsfaszie wird die Verschieblichkeit der einzelnen Bindegewebsräume gegeneinander und zur Haut gewährleistet. Aufgrund der fehlenden Abgrenzung der Faszienräume gegenüber dem Mediastinum können sich Infektionen ungehindert und lebensbedrohlich ausbreiten. 17.2.2
Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation
Die Halsweichteile werden von Ästen der A. carotis communis und der A. subclavia auf deren Weg zum Kopf bzw. Arm versorgt (. Abb. 17.1). A. subclavia: – Entspringt rechts aus Truncus brachiocephalicus, links direkter Ast des Aortenbogens. – Ihre Äste sind:
-
– A. vertebralis – A. thoracica interna – Truncus costocervicalis – Truncus thyrocervicalis, der sich in die A. thyroidea inferior, die A. transversa colli (mit R. superficialis und R. profundus) und A. suprascapularis verzweigt. A. carotis communis: – Steigt ohne Abgabe von Ästen hinter dem M. sternocleidomastoideus auf. – Teilt sich auf Höhe des Oberrandes des Schildknorpels in die Aa. carotis interna und externa. Die A. carotis interna gibt vor dem Eintritt in den Schädel keine Äste ab. Die Äste der A. carotis externa im Bereich des Halses sind: – A. thyroidea superior mit der A. laryngea superior – A. lingualis – A. facialis – A. pharyngea ascendens – A. occipitalis – A. auricularis posterior – A. temporalis superficialis – A. maxillaris
-
Die Venen verlaufen in zwei Schichten: Die oberflächliche V. jugularis externa und die V. jugularis anterior münden beide in den Venenwinkel. In der Tiefe, parallel zur A. carotis, verläuft die V. jugularis interna als Fortsetzung des Sinus sigmoideus und bildet mit der V. subclavia den Venenwinkel zur V. brachiocephalica. In den Venenwinkel münden außerdem links der Ductus thoracicus und rechts der Ductus lymphaticus dexter. Es gibt ungefähr 300 cervicofaziale Lymphknoten, die sich u. a. in einem tiefen System entlang der der V. jugularis interna und einem oberflächlichen System auf dem M. sternocleidomastoideus zusammen gruppieren (. Abb. 17.2). 17.2.2.1
Plexus cervicalis
Der Plexus cervicalis besteht aus den ventralen Halsnervenästen von C2 bis C4/C5 und versorgt sensibel die Haut des Halses, hinter dem Ohr (N. occipitalis minor) und der Ohrmuschel (N. auricularis magnus). Nach kaudal wird ein 2–3 Finger breiter Streifen der Brustwand kaudal der Clavicula sensibel versorgt. Die motorischen Äste sind die Ansa cervicalis, Äste zu den tiefen Halsmuskeln sowie Verbindungsäste zum N. accessorius und der N. phrenicus. Der N. phrenicus gelangt lateral des Gefäßnervenstrangs auf der Vorderfläche des M. scalenus anterior in den Brustkorb. 17.2.2.2
Plexus brachialis
Der Plexus brachialis besteht aus den ventralen Nervenästen von C4/5 bis Th1/2 und gibt in der Pars supraclavi-
351
17.3 • Operative Rekonstruktion
..Abb. 17.1 Arterielle Versorgung des Halses. (Aus Zilles und Tillmann 2010)
cularis Äste ab, die alle motorisch sind und für den Hals keine funktionelle Bedeutung haben.
-
17.2.2.3
Hirnnerven im Bereich des Halses
Der N. facialis gelangt nur mit seinen am weitesten kaudal gelegenen Ästen in den Halsbereich. Der R. marginalis mandibulae zieht nach seinem Austritt aus der Gl. parotis entlang dem Unterkiefer zum Mundwinkel und der R. colli zum Platysma. N. glossopharyngeaus, N. vagus und N. accessorius verlassen mit der V. jugularis interna durch das Foramen jugulare den Schädel. Über den Canalis hypoglossi gelangt der N. hypoglossus hinzu. Gemeinsam verlaufen sie im Spatium lateropharyngeum in enger Nachbarschaft zu A. carotis interna und Ganglion superius des Sympathikus. Der N. glossopharyngeus zweigt sich im Bereich der seitlichen Rachenwand auf. Der N. vagus verläuft in der Gefäß-NervenScheide mit der A. carotis und der V. jugularis interna zum Mediastinum. Im Halsbereich gibt er den N. laryngeus superior ab. Der N. accessorius gibt einen inneren Ast zum N. vagus ab und zieht dann mit seinem äußeren Ast zum M. sternocleidomas-
toideus, durchquert die seitliche Halsgegend und gelangt unter den M. trapezius. Am Hinterrand des M. sternocleidomastoideus liegt der Nerv sehr dicht unter der Halshaut. Der N. hypoglossus verläuft zwischen A. carotis interna und V. jugularis interna von dorsal nach ventral, überquert die A. carotis externa und gelangt lateral vom M. hyoglossus zum Mundboden. Der Truncus sympathicus liegt an den prävertebralen Muskeln im tiefen Blatt der Halsfaszie. Das Ganglion cervicale superius liegt auf Höhe des 2. bis 3. Halswirbels, das Ganglion cervicale medium auf Höhe des 6. Halswirbels und das Ganglion stellatum vor dem Kopf der 1. Rippe.
-
17.3 Operative
Rekonstruktion
Defekte im Halsbereich können infolge von Hauttumoren, ausgedehnten Lymphknoten- oder Weichgewebsmetastasen, Infektionen oder Traumen wie Verbrennungen entstehen.
17
Kapitel 17 • Halsweichteile
352
..Abb. 17.2 Lymphsystem des Halses. (Aus Zilles und Tillmann 2010)
Defekte im Halsbereich und ihre chirurgische Behandlung
17
-
Gutartige Hauttumoren lassen sich meist entfernen, ohne dass ein großer Resektionsdefekt entsteht, sodass ein Primärverschluss möglich ist. Bei malignen Hauttumoren sollte in der Regel ein ausreichender Sicherheitsabstand zum Tumor mit in die Resektionsfläche einbezogen werden. Dieser ist nicht nur abhängig von der Tumorentität, sondern im Falle des maligen Melanoms auch von Tumorgröße und Tumordicke. Ausgedehnte Lymphknoten- oder Weichgewebsmetastasen am Hals entstehen größtenteils als Absiedlungen von Tumoren der Epithelien der oberen Atem- und Schluckstraße. Bei einem Kapseldurchbruch des Lymphknotens ist im Rahmen der i. d. R. (modifiziert) radikalen Neck-Dissection nicht nur die Resektion infiltrierter Haut, sondern auch darunter liegender Gewebeschichten inkl. Muskulatur (z. B. M. sternocleidomastoideus) notwendig, sodass ggf. die Rekonstruktion tiefgreifender Defekte erforderlich sein kann. In
-
palliativer Intention kann bei großen Tumoren/ Metastasen auch eine R2-Resektion und eine Überdeckung des Resttumors mit einem gestielten Lappen erfolgen, um das Durchbrechen des Tumors durch die Haut mit nachfolgender Infektion und rezidivierender Blutung und Sekretion zu verhindern. Eine nekrotisierende Fasziitis macht eine breite Eröffnung des Halses mit umfangreichem WundDebridement und Resektion von Haut sowie Bindegewebe erforderlich, was nicht selten nach Abheilung der Infektion eine Rekonstruktion nach sich zieht (Elander et al. 2016). Bei Verbrennungen wird möglichst frühzeitig ebenfalls das gesamte nekrotische Gewebe entfernt, wobei die freiliegenden Areale umgehend i. d. R. mit Spalthauttransplantaten abgedeckt werden.
Die Rekonstruktion erfolgt unter funktionellen und ästhetischen Gesichtspunkten.
353
17.3 • Operative Rekonstruktion
Für die Planung der Rekonstruktion sollten Parameter wie Vorerkrankungen (z. B. periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus), Voroperationen in der betreffenden Region sowie durchgeführte Bestrahlungen Berücksichtigung finden. Es sollte Gewebe aus nichtvorbestrahlten Regionen zur Rekonstruktion verwandt werden, da dies sonst zu erheblichen Wundheilungsstörungen führen könnte. ..Abb. 17.3 Rekonstruktive Leiter
17.3.1 >>Die Spannungslinien (RSTL) der Haut verlaufen am
Hals nahezu horizontal, Nähte sollten möglichst parallel dazu angelegt sein.
Narben, die senkrecht zu den RSTL verlaufen, werden mechanisch stark beansprucht und gedehnt, was zu einer vermehrten Bildung von Myofibroblasten führt, deren kontraktile Aktivität eine zunehmende Schrumpfung des Narbengewebes und damit ein schlechtes ästhetisches Ergebnis und auch eine Beeinträchtigung der Beweglichkeit des Halses zur Folge hat. Diese Beweglichkeit wird auch durch die Faszienräume des Halses gewährleistet, sodass dies auch bei einer Rekonstruktion berücksichtigt werden sollte. Kleinere Defekte lassen sich am Hals aufgrund der guten Hautverschieblichkeit problemlos primär oder durch eine Z-Plastik verschließen (7 Abschn. 17.3.1). Größere Defekte bedürfen lokaler Lappenplastiken (7 Abschn. 17.3.3). Bei ausgedehnten Läsionen sollte der Defektverschluss mittels gestielter (regionaler) Lappenplastiken erfolgen (7 Abschn. 17.3.4). Die Voll- oder Spalthauttransplantation, sog. Grafts (7 Abschn. 17.3.2), sollte nur ausgesuchten Einzelfällen vorbehalten sein, da sie eine intensive und langwierige Nachbehandlung erfordert, um Narbenkontrakturen zu verhindern. Weiterhin ist das ästhetische Ergebnis häufig nur sehr unzureichend, da die transplantierte Haut in Farbe und Textur der das Empfängerareal umgebenden Haut wenig ähnlich ist. Sollten auch gestielte Lappenplastiken zur Rekonstruktion nicht möglich sein, kann eine Defektdeckung mittels mikrovaskulär anastomosierter, vornehmlich fasziokutaner Transplantate (7 Abschn. 17.3.5) erfolgen (. Abb. 17.3).
a
b
Primärer Wundverschluss und Z-Plastik
Die primäre Naht ist die einfachste Möglichkeit, einen Defekt nach Tumor- oder Narbenresektion zu verschließen. Dies gelingt bei kleinen Defekten meist problemlos. >>Ein nahezu spannungsfreies Aneinanderlegen der
Wundränder ist hier Voraussetzung und kann häufig durch ein ausreichendes Unterminieren des umliegenden Gewebes erreicht werden.
Der Wundverschluss erfolgt mehrschichtig, und die Hauptspannung muss von den subkutan gelegenen Nähten aufgefangen werden. Die Naht sollte in Richtung der Spannungslinien der Haut verlaufen. Ist dies nicht möglich und besteht eine Narbenkontraktur, kann eine Z-Plastik durchgeführt werden. Hierbei kann eine Umorientierung der Narbe um bis zu 90 ° erreicht werden. Nach Exzision der Narbe werden an beiden Enden in entgegengesetzter Richtung zwei Inzisionen in Winkel von 60 ° zur ursprünglichen Narbe (möglichst parallel zu den RSTL) vorgenommen, sodass zwei gleichschenklige Dreiecke entstehen. Diese werden knapp oberhalb der Faszie mit möglichst dicker Subkutis mobilisiert und gegeneinander verschoben und zweischichtig vernäht. Bei langen Narben können mehrere aneinanderhängende Z-Plastiken durchgeführt werden (. Abb. 17.4; Walter 1977). 17.3.2
Freie Hauttransplantate
Bei größeren Defekten, bei denen ein Primärverschluss nicht möglich ist, stellt das freie Voll- oder Spalthauttrans-
c
..Abb. 17.4 Z-Plastik eines Narbenstrangs am Hals. a Präoperativ. b Am 2. postoperativen Tag. c Am 14. postoperativen Tag
17
354
Kapitel 17 • Halsweichteile
a
b
c
d
..Abb. 17.5 Behandlung einer ausgeprägten Strahlennekrose des zervikalen Haut- und Bindegewebes (a), zunächst mit einem Vakuumsaugverband (b). Nach Bildung von ausreichend Granulationsgewebe (c) erfolgte die Deckung mit Spalthaut (d)
plantat unter Berücksichtigung der o. g. Einschränkungen die einfachste Möglichkeit der Defektdeckung dar. Spalthauttransplantate werden in dünne (0,2–0,3 mm) und dicke (0,4–0,5 mm) Transplantate eingeteilt (Walter 1977). Vollhauttransplantate bestehen aus der gesamten Kutis. Je dicker die Transplantate, desto länger dauert die Einheilung. Spalthauttransplantate heilen mit einer ausgeprägten Narbenbildung ein, wodurch es zu Kontrakturen kommt. Eine langwierige Schienenbehandlung kann dem entgegenwirken.
-
>>Die freien Transplantate sollten adäquat groß gewählt
werden, um ein spannungsfreies Einnähen zu ermöglichen und die Narbenbildung an den Stoßrändern so gering wie möglich zu halten, weshalb diese möglichst parallel zu den RSTL verlaufen sollten.
17
Die Transplantate sollten oberhalb der Mamillenlinie entnommen werden, da sie in diesem Bereich der Empfängerregion von Farbe und Textur noch am ähnlichsten sind. Trotzdem sind die Ergebnisse meist nicht ästhetisch zufriedenstellend. Der Wundgrund muss frei von Infektionen und gut durchblutet sein, um eine gute Einheilung zu garantieren. Bei Substanzdefekten muss eine ausreichende Bildung von Granulationsgewebe abgewartet werden. Dies kann durch die Verwendung eines Vakuumpumpenverbandes gefördert werden (. Abb. 17.5; Thierauf et al. 2018). Eine Hämatombildung unter den Hauttransplantaten muss vermieden werden, da die Transplantate durch Diffusion ernährt werden und ein Hämatom dies verhindern würde. Daher muss eine sorgfältige Blutstillung im Bereich des Wundgrundes, vor Einnähen des Transplantats, vorgenommen werden. Gegebenenfalls kann das Transplantat gestichelt werden, um einen Abfluss von Sekret und Blut zu erleichtern – dies geht jedoch auf Kosten der Ästhetik. 17.3.3
Lokale Lappenplastiken
Aufgrund der guten Verschieblichkeit und Elastizität der Haut ist insbesondere die laterale Halsregion für lokale Lappenplastiken geeignet. Auch Defekte mit einer
größeren Tiefenausdehnung kommen hierfür infrage, da eine Rekonstruktion durch alle Schichten der Haut und Unterhaut möglich ist. Es kommen Verschiebe‑, Transpositions- oder Rotationslappenplastiken in Betracht. Bei größeren Defekten könnten beidseitige Lappenplastiken durchgeführt werden (Walter 1977). >>Die umgebene Haut soll bei einer derartigen Defekt-
deckung möglichst nicht vorgeschädigt sein, da eine Narbenbildung die Durchblutung negativ beeinflusst und es so zu Lappennekrosen kommen kann.
17.3.4
Regional gestielte Lappenplastiken
Als regionalen Lappenplastiken kommen reine Muskellappen, myokutane und fasziokutane Lappen infrage. Alle diese Lappen haben einen definierten Gefäßstiel. Versorgende Gefäße für die wichtigsten regional gestielten Lappenplastiken im Bereich des Halses sind die A. transversa colli, A. supraclavicularis, A. thoracoacromialis und Abgänge der A. thoracica interna.
---
Für tiefgreifende Defekte eignen sich am besten mykokutane Lappen, da diese ein ausreichendes Volumen aufweisen, wohingegen die deutlich dünneren und damit auch besser modellierbaren fasziokutanen Lappen für oberflächlichere Defekte vorteilhaft sind. 17.3.4.1
Supraklavikulärer Insellappen
Der Halshaut am ähnlichsten bzgl. Farbe und Textur ist die Haut im Bereich der Schulter, weshalb diese für kutane und fasziokutane Lappenplastiken sehr gut infrage kommt. Die angrenzende Haut in Richtung Thorax und Rücken lässt sich ausreichend weit mobilisieren, sodass ein Primärverschluss des Entnahmedefekts in der Regel gut möglich ist. Die häufigste Form der Lappenplastik in diesem Bereich ist der supraklavikuläre Insellappen und kommt bei der Defektdeckung im Bereich des Halses und des Gesichtes zum Einsatz (. Abb. 17.6; Pallua und Magnus Noah 2000). Die versorgende supraklavikuläre
355
17.3 • Operative Rekonstruktion
a
b
c
..Abb. 17.6 Verschluss eines ausgedehnten infraaurikulären Hautdefekts mittels eines supraklavikulären fasziokutanen Lappens. a Präoperativer Befund mit Tumorausdehnung bis weit unter das einge-
brachte Transplantat b Intraoperativ eingezeichnete Schnittführung. c Befund 6 Monate postoperativ
Arterie aus der A. transversa colli und ihre Begleitvene können dopplersonographisch identifiziert werden. Auffinden kann man ihren Ursprung in einem Dreieck zwischen dem Hinterrand des M. sternocleidomastoideus, der V. jugularis externa und dem mittleren Anteil der Clavicula. Der Abstand zwischen Arterie und Clavicula beträgt ca. 2–3 cm. Der versorgte Anteil reicht bis auf den ventralen Anteil des M. deltoideus. Die maximale Breite des Lappens kann – in Abhängigkeit von der Statur des Patienten – 14 cm und die maximale Länge 30 cm betragen (Lamberty 1979). Die Lappenhebung beginnt lateral und setzt sich nach medial fort. Der Lappen besteht aus Haut, dem darunterliegenden Fettgewebe und der Faszie.
Vor- und Nachteile Der supraklavikuläre Insellappen
entspricht in Farbe und Textur der der Halsregion, ist gut formbar und hat eine große Reichweite. Die Morbidität des Hebedefekts ist gering. Gelegentlich werden von den Patienten Parästhesien beschrieben. 17.3.4.2 Deltopektorallappen
Der Lappenstiel sollte nicht maximal skelettiert werden, um einen Schutz der Gefäße und einen ausreichenden Lymphabfluss zu gewährleisten. Die Einnaht des Lappens in den Defekt erfolgt zweischichtig. Im Bereich der Spenderregion muss die umgebende Haut sorgfältig unterminiert werden, um einen spannungsfreien mehrschichtigen Primärverschluss zu erreichen. Zuvor werden sowohl Empfänger- als auch Spenderregion mit einer Wunddrainage versorgt.
Der Deltopektorallappen wurde erstmalig Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieben und gehört mit zu den ältesten Lappenplastiken in der rekonstruktiven Chirurgie des Kopf-Hals-Bereichs. Er ist parasternal gestielt und wird über die ersten 3–4 Perforans-Gefäße der A. mammaria interna mit Blut versorgt. Er erstreckt sich über die obere vordere Brustwand und die Clavicula über den M. deltoideus bis zur Schulter. Die Lappenbreite beträgt bis zu 8–12 cm und die Länge bis zu 18–22 cm (Vartanian et al. 2004). Als fasziokutaner Lappen besteht er aus Haut, subkutanem Fettgewebe und der Faszie des M. pectoralis major. In der Regel kann die Entnahmestelle nicht primär verschlossen werden und muss mit Spalthaut abgedeckt werden. Der Lappen eignet sich sehr gut zur Rekonstruktion am äußeren Hals (. Abb. 17.7). Bei der Rekonstruktion des oberen Atem- und Speiseweges sollte er nur zum Einsatz kommen, wenn andere Rekonstruktionsmög-
a
c
>>In der Nähe des proximalen Anteils des Gefäßstiels ist
der N. accessorius zu schonen.
b
..Abb. 17.7 Verschluss eines ausgedehnten Hautdefekts bei pharyngokutaner Fistel nach Salvage-Laryngektomie mittels beidseitigem Deltopektorallappen. a Präoperativer Befund. b Mobilisation des rechtsseitigen und Umschneidung des linksseitigen Deltopekto-
d
rallappens. c Rekonstruktion des Pharynx mit dem Deltopektorallapen der linken Seite. d Nach Rekonstruktion des anterioren äußeren Halses und des Tracheostomas mit dem Deltopektorallappen der rechten Seite
17
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Kapitel 17 • Halsweichteile
17.3.4.3 M.-pectoralis-major-Lappen
a
b
c
d
17
..Abb. 17.8 Defektdeckung rechts zervikal mit einem myokutanem M.-pectoralis-major-Insellappen. a, b Mobilisation des Lappens. c Durchzug über der Clavicula in den Defekt. d Einnaht des Lappens zervikal und primärer Verschluss des Hebedefekts
lichkeiten nicht mehr zur Verfügung stehen, da die Stieldurchtrennnung dann in einer zweiten Sitzung erfolgen muss. Vor- und Nachteile Der Deltopektorallappen kann leicht
und schnell gehoben werden, und die ortstypische Textur der Haut stellt gegenüber Fernlappen einen ästhetischen Vorteil dar. Es kommt im Vergleich zum M.-pectoralismajor-Lappen nicht zu einer Funktionsstörung des M. pectoralis major. Ein Nachteil ist die Deckung der Donorregion, da diese häufig deformiert und mit unschönen Narben versehen ist.
Zur Protektion der großen Halsgefäße und ggf. Auffüllung der nach radikaler Neck-Dissection eingefallenen Halskontur eignet sich der M.-pectoralis-major-Lappen. Er kommt entweder als reiner Muskellappen (myofaszial) oder als myokutaner Insellappen mit einer entsprechenden, bis zu handtellergroßen Hautinsel zum Einsatz (. Abb. 17.8). Zu Beginn sollte sich der Verlauf der A. throracoacromialis als Orientierungslinie (nach Arian), die das Acromion mit dem Xiphoid verbindet, eingezeichnet werden. Danach folgen das Anzeichnen der medial der Mamille gelegenen Hautinsel und das Umschneiden derselben bis auf den Muskel. Nach Aufsuchen des Gefäßstiels und stumpfer Präparation unterhalb der Faszie (die A. thoracoacromialis verläuft zwischen Muskel und Faszie) lässt sich das Gefäßbündel gut palpatorisch, aber auch visuell identifizieren. Um ein Abscheren der Haut vom Muskel und damit Gefäßverletzungen zu vermeiden, erfolgt das Anbringen von Verbindungsnähten zwischen Haut und Faszie. Der Präparation des Muskelstiels nach proximal bis an die Clavicula folgt die Durchtrennung des Muskels 3 cm lateral und medial des Gefäßbündels, um eine maximale Mobilisation des Lappens, aber auch einen genügenden Schutz des Gefäßbündels zu gewährleisten. Für den Durchzug in den zu verschließenden Halsdefekt erfolgt die Untertunnelung der Haut kranial der Clavicula. Der Lappen kann unter oder über der Clavicula in den Halsdefekt rotiert werden, indem der Muskelstiel gekippt und um 90 ° gedreht wird. Die Entnahmestelle lässt sich meist primär nach ausreichender Unterminierung der angrenzenden Haut verschließen, ggf. muss eine Rotationsplastik durchgeführt werden. Ein infraklavikulärer Durchzug führt zu einem Streckengewinn, sodass auch weiter kranial gelegene Defekte verschlossen werden können (Hoffmann et al. 2006). Der freie Transfer des M.-pectoralis-major-Lappens ist aufgrund der ausreichenden Gefäßkaliber ebenfalls möglich, wird aber bisher nicht häufig durchgeführt (Trainotti et al. 2019). Vor- und Nachteile Vorteile des M.-pectoralis-majorLappens sind die einfache Präparation, seine zuverlässige Gefäßversorgung über die A. thoracoacromialis und sein umfangreiches Weichteilangebot. Er kann je nach Bedarf myokutan oder myofaszial verwendet werden. Aufgrund seiner schnellen und einfachen Präparation ist er auch v. a. für Risikopatienten geeignet. Nachteile können eine Funktionseinschränkung der Armbeweglichkeit im Schultergelenk und eine mangelnde Reichweite sein, die jedoch, wie bereits oben erwähnt, durch einen infraklavikulären Durchzug erhöht werden kann.
357
17.3 • Operative Rekonstruktion
..Abb. 17.9 Defektdeckung im Bereich des rechten Halses und der Wange mit einem freien fasziokutanen anterolateralen Oberschenkeltransplantat (ALT). a Resektionsdefekt mit freiliegendem Unterkieferknochen (Kreuz) und A. carotis (Stern). b ALT-Transplantat nach Entnahme. c verschlossener Defekt 2 Wochen postoperativ
a
b
17.3.5
c
Freie mikrovaskulär anastomosierte eigentliche Gefäßstiel besteht aus den Perforans-Gefäßen Transplantate des R. descendens der A. circumflexa femoris lateralis.
Auch hier gibt es rein mikrovaskuläre, myokutane und fasziokutane Transplantate, und es gilt, dass die Muskelund die myokutanen Transplantate eher nach umfangreicheren Resektionen mit deutlichen Volumendefekten zum Einsatz kommen. Geeignet für den freien Transfer sind myokutane Transplantate von M. latissimus dorsi oder M. rectus abdominis. Für oberflächlichere Resektionen kommen die freien fasziokutanen Unter- oder Oberarmtransplantate oder für tiefgreifendere Defekte das frei anteriolaterale Oberschenkeltransplantat infrage (Bootz und Preyer 1994). Bei 5 % dieser Transplantate kann es zu Komplikationen kommen. Diese umfassen Blutungen und Infektionen sowie Wundheilungsstörungen bis hin zur Totalnekrose des Transplantats. Auch Heilungsstörungen im Bereich des Donor-Areals zählen dazu. Farbe und Textur der Transplantate entsprechen meist nicht der das Empfängerareal umgebenden Haut im Bereich des Halses. Freie Lappenplastiken kommen meist dann zum Einsatz, wenn andere Möglichkeiten zu Rekonstruktion nicht zu Verfügung stehen, weshalb ihr Einsatz im Bereich des äußeren Halses eher selten ist. zz Freies anterolaterales Oberschenkeltransplantat (ALT)
Hierbei handelt es sich um ein fasziokutanes Transplantat des lateralen Oberschenkels, welches über die A. circumflexa femoris lateralis versorgt wird und eine Größe von bis zu 40 × 20 cm haben kann (Wei et al. 2002). Der
Selten gehen diese auch aus dem R. transversus hervor (. Abb. 17.9). Präoperativ werden diese Perforatoren dopplersonographisch aufgesucht und markiert. Dies erfolgt anhand einer Linie, die zwischen Spina iliaca anterior superior und Patella-Außenseite eingezeichnet wird. Um die Mitte dieser Linie sind die Gefäße in der Regel lokalisiert und treten hier durch die Fascia lata hindurch. Entsprechend der Defektgröße wird das Transplantat nun eingezeichnet, wobei sich die markierten Perforans-Gefäße in der Transplantatmitte befinden sollten. Die Inzision wird am lateralen Transplantatrand durchgeführt, und es erfolgt die Präparation bis auf die Fascia lata. Die Faszie wird durchtrennt, und die dominanten Perforatoren werden aufgesucht und nach proximal verfolgt, bis eine entsprechende Stiellänge erreicht ist. Dann erfolgt unter Schonung des Stiels die weitere Transplantathebung. Der Entnahmedefekt kann nach Einlage einer Saugdrainage primär schichtweise verschlossen werden. Vor- und Nachteile Vorteile des ALT-Transplantats sind
der lange und großkalibrige Gefäßstiel sowie die geringe Donorareal-Morbidität, bei in der Regel möglichem Primärverschluss mit unauffälliger Narbenbildung. Nachteile entstehen durch die meist bei männlichen Patienten ausgeprägte Behaarung des Oberschenkels, das differente Hautkolorit im Vergleich zur Empfängerregion am Hals sowie durch die Transplantatdicke bei adipösen Patienten, die eine zweizeitige Ausdünnung des Transplantats notwendig machen kann. Ein weiterer Nachteil kann
17
Kapitel 17 • Halsweichteile
358
die große anatomische Variabilität der A. circumflexa femoris lateralis und ihrer Perforatoren sein. 17.4 Risiken
und Nachsorge
Aufgrund der guten Perfusion des Halses sind Wundheilungsstörungen selten, wenngleich bei Vorbestrahlung damit häufiger zu rechnen ist und eine aufwändige Nachbehandlung, beispielsweise bei Nahtdehiszenzen, nach sich ziehen kann (Jones et al. 1996). Der postoperative Verband sollte die Lappenperfusion nicht einschränken, aber eine gute Verbindung/ Adaption zwischen Transplantat/Lappen und Wundgrund gewährleisten. Abscherungen vom Wundgrund können zur Serom- oder Hämatombildung und damit ebenfalls zu Wundheilungsstörungen führen. Eine Drainagen-Einlage beugt der Serombildung vor. >>Um Nachblutungen zu verhindern, sollte vor Defektde-
ckung auf eine sorgfältige Blutstillung geachtet werden.
Postoperativ muss die Perfusion der Lappenplastik regelmäßig, mitunter dopplersonographisch (v. a. bei gefäßanastomisierten Transplantaten), kontrolliert werden. Dies kann am besten im Rahmen einer postoperativen Überwachung der Patienten auf einer Intensiv- oder Wachstation erfolgen. Ein blasses Erscheinungsbild mit schlechter bis keiner Rekapillarisierung weist auf eine arterielle Durchblutungsstörung hin, ein livides Hautkolorit mit sofortiger Rekapillarisierung findet sich bei einer venösen Stauung. Hier muss eine umgehende Revisionsoperation durchgeführt werden (Horch 2007).
-
Zusammenfassung
17
Für die Rekonstruktion im Bereich des äußeren Halses eignen sich, falls ein Primärverschluss oder eine lokale Lappenplastik nicht möglich sind, sowohl gestielte Lappen als auch freie, mikrovaskulär anastomosierte Transplantate. Für tiefgreifende Defekte stehen myokutane und für oberflächlichere fasziokutane Lappen zu Verfügung. Bei den gestielten Lappen sind deren eingeschränkte Reichweite, ihre postoperative Schrumpfungstendenz und das Entstehen von ausgedehnten Wundflächen limitierende Faktoren. Die freien Transplantate entsprechen meist in Farbe und Textur nicht der den zu deckenden Defekt umgebenden Haut. Eine vorausgegangene Strahlentherapie erschwert die Möglichkeit einer Mikrogefäßanastomose, sodass nicht selten gestielte Lappenplastiken bevorzugt werden.
-
Die ideale Rekonstruktionsmethode sollte mit einer niedrigen Komplikationsrate verbunden, möglichst in einer Sitzung durchführbar sein und die verlorene Funktion so gut wie möglich wiederherstellen.
Literatur Bootz F, Preyer S (1994) Microvascular tissue transplantation in plastic reconstruction of the external head-neck area. Laryngorhinootologie 73(10):538–542 Elander J, Nekludov M, Larsson A et al (2016) Cervical necrotizing fasciitis: descriptive, retrospective analysis of 59 cases treated at a single center. Eur Arch Otorhinolaryngol 273(12):4461–4467 Hoffmann TK, Balló H, Hauser U, Bier H (2006) The subclavicular route for the pectoralis major myocutaneous flap. HNO 54(7):523– 527 Horch H-H (2007) Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Urban & Fischer, München Jones NF, Johnson JT, Shestak KC et al (1996) Microsurgical reconstruction of the head and neck: interdisciplinary collaboration between head and neck surgeons and plastic surgeons in 305 cases. Ann Plast Surg 36(1):37–43 Lamberty BG (1979) The supra-clavicular axial patterned flap. Br J Plast Surg 32(3):207–212 Pallua N, Noah EM (2000) The tunneled supraclavicular island flap: an optimized technique for head and neck reconstruction. Plast Reconstr Surg 105(3):842–851 (discussion 852–854) Trainotti S, Hoffmann TK, Rotter N et al (2019) Pectoralis major muscle free flap: anatomical studies on pedicle length and vessel diameter. Ear Nose Throat J 98(7):431–434 Thierauf J, Wiggenhauser PS, Hoffmann TK et al (2018) Application of vacuum wound therapy with split thickness skin grafts in head and neck area. Laryngorhinootologie 97(7):474–479 Vartanian JG, Carvalho AL, Carvalho SM et al (2004) Pectoralis major and other myofascial/myocutaneous flaps in head and neck cancer reconstruction: experience with 437 cases at a single institution. Head Neck 26(12):1018–1023 Walter C (1977) Plastische Chirurgie im Bereich des Gesichts und des Halses (mit Ausnahme der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten). In: Berendes R, Zöller F (Hrsg) Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in Praxis und Klinik. Obere und Untere Luftwege. Thieme, Stuttgart, S 25–46 Wei FC, Jain V, Celik N et al (2002) Have we found an ideal soft-tissue flap? An experience with 672 anterolateral thigh flaps. Plast Reconstr Surg 109(7):2219–2226 Zilles K, Tillmann BN (2010) Anatomie. Springer, Berlin, Heidelberg, New York
359
Larynx Hans Edmund Eckel, Christoph Arens
Inhaltsverzeichnis 18.1
Einleitung – 361
18.2
Chirurgisch relevante Anatomie – 361
18.2.1 Topographie – 361 18.2.2 Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation – 361 18.2.3 Ästhetische Prinzipien – 361
18.3
Grundlegende Prinzipien der Kehlkopfchirurgie – 361
18.3.1 18.3.2 18.3.3 18.3.4
Zugangswege – 361 Besonderheiten der Anästhesieführung – 362 Funktionelle Aspekte – 363 Komplikationen – 363
18.4
Rekonstruktion des Larynx bei angeborenen Fehlbildungen – 364
18.5
Rekonstruktion des Larynx bei Verletzungen – 365
18.5.1 Indikation, Kontraindikation – 365 18.5.2 Erstdiagnostik und Atemwegsmanagement – 365 18.5.3 Operationsprinzipien – 366
18.6
Rekonstruktion des glottischen und supraglottischen Atemwegs – 366
18.6.1 Indikation, Kontraindikation – 367 18.6.2 Diagnostik – 368 18.6.3 Operationsprinzipien – 369
18.7
Rekonstruktive Phonochirurgie – 371
18.7.1 18.7.2 18.7.3 18.7.4
Stimmlippenchirurgie – 372 Framework surgery – 373 Neuromuskuläre Chirurgie – 374 Rekonstruktive Chirurgie bei teilweisem oder vollständigem Organverlust – 374
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_18
18
18.8
Rekonstruktion bei ablativer Chirurgie – 374
18.8.1 Sofortige Rekonstruktion – 375 18.8.2 Sekundäre Rekonstruktion – 376 18.8.3 Versorgung von Wundheilungsstörungen und pharyngokutanen Fisteln nach Laryngektomie – 378 18.8.4 Rekonstruktion von prälaryngealen Hautdefekten – 379 18.8.5 Larynx-Transplantation – 379
18.9
Chirurgische Schluckrehabilitation – 380
18.9.1 Grundlagen – 380 18.9.2 Indikationen, Kontraindikationen – 380 18.9.3 Chirurgische Behandlung des sog. Schlucklähmungssyndroms – 380
Literatur – 383
361
18.3 • Grundlegende Prinzipien der Kehlkopfchirurgie
18.1 Einleitung
Plastisch-chirurgische Maßnahmen streben häufig eine Optimierung der Form (damit verbunden auch der ästhetischen Situation) und/oder eine Verbesserung/Wiederherstellung eingeschränkter Funktionen an. In der rekonstruktiven Chirurgie des Larynx liegt der Fokus ganz eindeutig auf der Wiederherstellung der wichtigsten Funktionen des Kehlkopfes: Trennung von Atem- und Nahrungswegen beim Schluckakt, Stimmbildung, Gewährleistung eines stabilen oberen Atemwegs.
--
Dementsprechend werden im Folgenden die unterschiedlichen Techniken der rekonstruktiven Larynx-Chirurgie entsprechend der jeweils angestrebten funktionellen Rehabilitation geordnet und abgehandelt. Weil die Funktion des Kehlkopfes von einer intakten Nervenversorgung abhängt, werden dabei auch neurofunktionelle Verfahren mitdiskutiert. 18.2 Chirurgisch
relevante Anatomie
18.2.1 Topographie
Der Larynx besteht aus einem Knorpelskelett (Schildknorpel, Ringknorpel, Stellknorpel), das durch innere und äußere Kehlkopfmuskeln gegeneinander bewegt wird. Der Kehldeckel bildet einen Teil des Verschlussmechanismus beim Schluckakt. Topographisch liegt der Kehlkopf in der Sagittalebene des Halses, am Eingang der Atemwege. Beim Erwachsenen liegt sein oberer Rand auf der Höhe des 5. Halswirbelkörpers, seine untere Grenze etwa in Höhe des Unterrandes des 6. Halswirbels. Beim Neugeborenen steht der Kehlkopf höher. 18.2.2
Vaskularisation, Lymphabfluss, Innervation
Die arterielle Versorgung des Larynx erfolgt durch die A. laryngea superior (aus der A. thyroidea superior) und durch die A. laryngea inferior (aus der A. thyroidea inferior). Die V. laryngea superior leitet beidseits das Blut des kranialen Kehlkopfanteils in die V. thyroidea superior ab, das Blut der kaudalen Kehlkopfanteile wird über die unteren Schilddrüsenvenen abgeleitet. Die Lymphe wird in die Nodi lymphoidei cervicales anteriores profundi und in die Lymphknoten entlang der V. jugularis interna drainiert, wobei eine weitgehende Trennung des supraglottischen vom glottischen und subglottischen lymphatischen System des Larynx besteht. Der Kehlkopf wird beidseits von je einem oberen (N. laryngeus superior) und einem unteren (N. laryn-
geus inferior, N. recurrens) Kehlkopfnerv – beide Äste des N. vagus – motorisch und sensibel innerviert. Der N. laryngeus superior und der N. laryngeus inferior stehen über den R. externus des oberen Kehlkopfnerven und die sog. Ansa Galeni miteinander in Verbindung. Die sensible Innervation erfolgt bis zur Glottis durch den N. laryngeus superior, im Bereich der Glottis und kaudal davon durch den N. laryngeus inferior. 18.2.3
Ästhetische Prinzipien
Die Mehrzahl der operativen Eingriffe am Larynx wird heute endoskopisch (mikrolaryngoskopisch) durchgeführt. Dabei können Zahnverletzungen, insbesondere im Oberkieferfrontzahnbereich auftreten. Weitere ästhetische Beeinträchtigungen sind bei diesen Eingriffen nicht zu befürchten. >>In der offenen Halschirurgie ist darauf zu achten, die
Hautinzisionen möglichst horizontal in die sog. relaxed skin tension lines zu legen.
18.3 Grundlegende
Prinzipien der Kehlkopfchirurgie
18.3.1 Zugangswege
Die überwiegende Mehrzahl aller operationsbedürftigen Veränderungen ist im Bereich der Schleimhautbedeckung oder des submukösen Raums des Kehlkopfs lokalisiert und daher der endoskopischen Manipulation besonders gut zugänglich. Daneben bietet die endoskopische Chirurgie den Vorteil, keine zusätzliche Morbidität durch den chirurgischen Zugang selbst (Hautschnitt, Durchtrennung des Schildknorpels, begleitende Tracheotomie) zu erfordern. Offene chirurgische Eingriffe am Kehlkopf sind heute nur noch dann indiziert, wenn Maßnahmen an den Knorpelstrukturen des Kehlkopfs erforderlich werden, die Position des Kehlkopfs verändert werden soll oder eine ausreichende endoskopische Darstellung der anatomischen Strukturen durch besondere anatomische Gegebenheiten nicht möglich ist.
--
Insbesondere bei manchen phonochirurgischen Eingriffen (Framework surgery, 7 Abschn. 18.7.2), offenen Kehlkopfteilresektionen und zur totalen Laryngektomie sind offene Zugänge zum Larynx jedoch weiterhin unverzichtbar (wenngleich mittlerweile bereits über eine weitgehend endoskopisch durchgeführte Total-Exstirpation des Larynx berichtet wurde [Lawson et al. 2012]; die Technik hat sich allerdings bislang noch nicht
18
362
a
Kapitel 18 • Larynx
b
c
..Abb. 18.1 Typische Hautinzisionen für die offene Kehlkopfchirurgie (rot). Incisura thyroidea superior und Ringknorpelbogen (blau). a Horizontale Hautinzision unterhalb des Ringknorpelbogens. Ästhetisch meist vorteilhafter, Narbenbildungen durch Beachtung der relaxed skin tension lines, ausreichender Überblick über den gesamten Larynx. b Laterale prälaryngeale Inzision: Schnittführung für die Medialisations-Thyroplastik. c Mediane Schnittführung: Erlaubt einen raschen und übersichtlichen Zugang zum Larynx, führt aber zu einer
d
e
ästhetisch ungünstigen Narbenbildung (Verlauf perpendikular zu den relaxed skin tension lines). d Kranial basierter Schürzenlappen: Häufig verwendete Schnittführung für offene Kehlkopfteilresektionen. e Erweiterter kranial basierter Schürzenlappen mit Entlastungsinzision nach supraklavikulär: Standardinzision für die totale Laryngektomie und die in diesem Zusammenhang erforderlichen rekonstruktiven Maßnahmen. Getrennte Hautinzision für die Tracheostoma-Anlage.
durchsetzen können). Typische Hautinzisionen sind in . Abb. 18.1 wiedergegeben. Endoskopische Eingriffe am Kehlkopf werden praktisch immer in der von Kleinsasser beschriebenen Technik (Mikrolaryngoskopie) durchgeführt. Sie erlaubt die Betrachtung der anatomischen Strukturen des Kehlkopfs unter mikroskopischer Vergrößerung (mit dem Operationsmikroskop) und zugleich die bimanuelle Manipulationen während der Durchführung des Eingriffs (. Abb. 18.2). 18.3.2 Besonderheiten
der Anästhesieführung
18
Früher wurde die offene Kehlkopfchirurgie häufig in Lokalanästhesie durchgeführt, etwa die Thyreotomie oder die offene Chordektomie. In den letzten 30 Jahren hat sich aber für die meisten Eingriffe am Kehlkopf die Allgemeinnarkose durchgesetzt. Ausnahmen sind endolaryngeale Biopsien oder kleine endolaryngeale phonochirurgische Eingriffe, wie etwa Stimmlippenaugmentationen oder laserchirurgische Behandlungen von Schleimhautveränderungen mit flexiblen Lichtleitern, die sich allerdings in den USA weit mehr durchgesetzt haben als in Europa. >>Bei kehlkopfchirurgischen Eingriffen in Allgemeinnar-
kose besteht die besondere Herausforderung darin, dass Operateur und Anästhesist sich beide in einer gemeinsamen anatomischen Region, nämlich Pharynx, Larynx und Trachea, bewegen müssen.
Die Intubation mit herkömmlichen oder speziellen laserlichtgeschützten Tuben ist bei vielen Eingriffen das
..Abb. 18.2 Mikrolaryngoskopie nach Kleinsasser: Endoskopischer Zugang zum Larynx
Standardverfahren zur Sicherstellung eines zuverlässigen Atemwegs. Da Beatmungstuben jedoch die Sicht auf die endolaryngealen Strukturen erschweren können, hat sich die sog. Jet-Beatmung für eine Reihe von Eingriffen in Kehlkopf und Trachea mittlerweile fest etabliert. Der Vorteil dabei liegt auf der Hand: Die für die Beatmung benutzten dünnen Jet-Sonden verstellen nicht die Sicht auf die anatomischen Strukturen und behindern chirurgische Manipulationen nur sehr gering. Die supraglottischen Jet-Behandlungsverfahren kommen sogar ganz ohne Beatmungssonden aus und sind daher für einzelne Eingriffe besonders gut geeignet. Vereinzelt ist auch über transkutane Verfahren zur Jet-Beatmung berichtet worden. Dabei wird eine Beatmungskanüle von außen in die Trachea oder durch das Lig. cricothyreoideum in den Atemwege eingeführt und auf diesem Weg eine Jet-Be-
363
18.3 • Grundlegende Prinzipien der Kehlkopfchirurgie
atmung durchgeführt. Das Verfahren ist besonders dann geeignet, wenn anatomische Veränderungen im Larynx die Einführung eines Tubus oder einer Jet-Beatmungssonde nicht erlauben. Allerdings ist bei Operationen mit Jet-Beatmung die Lunge nicht vor eintretendem Blut geschützt, weil die tiefen Trachealabschnitte und die Lunge nicht durch einen „gecufften“ Tubus geschützt sind. Für Eingriffe mit zu erwartender deutlicher Blutung in Kehlkopf und Trachea sind Jet-Verfahren daher nur eingeschränkt geeignet. Eine weitere Herausforderung für die Zusammenarbeit zwischen Laryngologen und Anästhesisten stellt die Chirurgie bei Kehlkopf- und Trachealstenosen dar: >>Hier muss präoperativ eine exakte Absprache über die
Art der Beatmungsführung und über ggf. erforderliche Wechsel der Tubusführung zwischen transoraler Tubuslage und Einführung durch ein Tracheostoma getroffen werden.
Bei laserchirurgischen Eingriffen besteht durch die prinzipiell mögliche Entzündung von Beatmungsgasen mit erhöhter Sauerstoffkonzentrationen (ab etwa 30 %) ein Entflammungsrisiko für das Beatmungsgasgemisch. Zur Vermeidung von Tubusbränden und Atemwegfeuern ist daher die Verwendung von laserlichtgeschützten Tuben (alternativ die Abdeckung von konventionellen Tuben mit angefeuchteten Kompressen) und ggf. die Absenkung der Sauerstoffkonzentrationen im Beatmungsgas gemeinsam zu verabreden und einzuhalten. 18.3.3
Funktionelle Aspekte
Die physiologisch bedeutendste Funktion des Larynx besteht in der zuverlässigen Trennung von Atem- und Nahrungsweg beim Schluckakt. Störungen dieser Funktion führen zu einer chronischen Aspiration mit nachfolgender Lungenentzündung und potenziell lebensbedrohlichen respiratorischen Einschränkungen. Als weitere Funktion des Larynx hat sich während der phylogenetischen Entwicklung des Menschen die Stimmbildung entwickelt. Diese beiden Funktionen kann der Larynx nur durch seine anatomische Lage im Atemweg erfüllen. Erkrankungen und Verletzungen des Kehlkopfs können daher zu Störungen des Schluckakts, zur Stimmstörungen und zu Atemwegsverengungen führen. Von besonderer Bedeutung für die rekonstruktive LarynxChirurgie ist die Überlegung, dass Maßnahmen zur Verbesserung einer dieser Partialfunktionen des Larynx zu Beeinträchtigungen der anderen funktionellen Aufgaben führen können: So können Verengungen des GlottisSpalts bei unvollständigem Stimmlippenschluss zwar die Stimmqualität verbessern, zugleich aber den glottischen Atemweg verengen und somit behindern. Bei der Operationsplanung muss daher stets darauf geachtet werden,
mögliche funktionelle Verbesserungen eines Teilaspekts nicht durch gravierende Verschlechterungen anderer Kehlkopffunktionen zu erkaufen. >>Für den Patienten bedeutend ist am Ende immer eine
ausgewogene Betrachtung der bestmöglichen Wiederherstellung sämtlicher Funktionen des Kehlkopfs und der häufig hierzu erforderlichen chirurgischen Kompromisse.
18.3.4 Komplikationen
Die chirurgischen Komplikationen im Zusammenhang mit der rekonstruktiven Larynx-Chirurgie können kursorisch und kurz wie folgt aufgezählt werden: Zahnverletzungen sind eine der häufigsten Komplikationen der endolaryngealen Chirurgie. Typischerweise kommt es dabei zu Frakturen oder auch Avulsionen im Bereich der Oberkiefer-Frontzähne durch den Druck des Laryngoskops. Mit Zahnverletzungen muss bei etwa 6 % aller Patienten gerechnet werden. Hiervon betroffen sind jedoch nur Patienten mit vorgeschädigtem Gebiss durch Zahnkaries, vorbestehenden Lockerungen der Zähne, parodontalen Erkrankungen oder fest fixiertem Zahnersatz. Bei Patienten mit gesundem Gebiss werden nur sehr selten Zahnschäden beobachtet. Die Art der Zahnschäden reicht von einfachen Lockerungen über Zahnschmelzfrakturen bis zu Absprengungen und vollständigen Zahnluxationen. Ein geeigneter Zahnschutz, der die einwirkenden Kräfte des Laryngoskops auf mehrere Zähne verteilt, sollte regelmäßig zur Vermeidung von Zahnverletzungen verwendet werden. Schleimhautverletzungen im Bereich von Lippen, Zunge und Seitenwand des Oropharynx kommen ebenfalls häufig vor. Klussmann et al. fanden bei 339 konsekutiven Patienten kleinere Schleimhautläsionen im Bereich von Lippen, Mundhöhle und Oropharynx in 75 % aller Fälle, die zwar vorübergehende erhebliche Beschwerden verursachen können, im Laufe weniger Tage jedoch folgenlos ausheilen. Sie sind nicht immer vermeidbar. Nach Abschluss endolaryngealer Operationen ist kurz nach derartigen Verletzungen zu fahnden, um ggf. Blutungen versorgen zu können (Klussmann et al. 2002). Oberflächliche Wundinfektionen nach endolaryngealer Chirurgie (insbesondere nach laserchirurgischen Maßnahmen) sind relativ häufig, heilen aber in aller Regel rasch und ohne spezielle Therapie ab. Gefürchtet sind demgegenüber Infektionen des Knorpelgerüsts (Perichondritis, Chondritis). Wegweisende Symptome sind Schmerzen im Kehlkopfbereich beim Schluckakt und ein druckschmerzhafter Larynx. In diesen Fällen ist stets eine umgehende, ausreichend hochdosierte und langanhaltende antibiotische The-
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18
364
rapie erforderlich, um einen bleibenden Schaden am Knorpel (Chondronekrose) abzuwenden. In seltenen Einzelfällen, insbesondere nach vorangegangener Bestrahlungsbehandlung, kann eine hyperbare Sauerstofftherapie erforderlich werden. Pharyngokutane Fisteln nach tumorchirurgischen Eingriffen am Larynx werden ausführlich in 7 Abschn. 18.8.3 dargestellt. Atemwegsobstruktionen, Schwellungen und Ödeme mit nachfolgender Behinderung der Atmung und des Schluckakts können unter Berücksichtigung des geplanten operativen Eingriffs häufig vorhergesehen werden. In diesen Fällen ist dann ein vorübergehendes Tracheostoma zu planen oder ggf. sekundär nachzuholen. Die prä- oder intraoperative Gabe von hochdosierten Steroiden (z. B. 250 mg Methylprednisolon) kann das Risiko für derartige Schwellungen reduzieren. Generell besteht bei operativen Eingriffen an Kehlkopf immer das Risiko einer Atemwegsobstruktion (auch bei vorhandenem SchutzTracheostoma). Auf eine lückenlose Überwachung der Patienten in der postoperativen Phase ist daher besonders zu achten. Intraoperative Blutungen sind bei offenen chirurgischen Eingriffen praktisch immer problemlos kontrollierbar. Bei ausgedehnten endolaryngealen Eingriffen muss entweder mit der monopolaren Elektrokoagulation oder mit chirurgischen Clips eine zuverlässige Versorgung von Blutungen aus dem Wundgebiet erfolgen. In sehr seltenen Ausnahmefällen kann dies einmal unmöglich sein, dann ist eine offene Versorgung der Blutung von außen unumgänglich. Nachblutungen sind insgesamt selten, können aber besonders bei endolaryngealen Eingriffen gefährlich werden, wenn es zur Blutung aus dem Kehlkopf in die tiefen Atemwege kommt. In diesen Fällen ist eine notfallmäßige Revisionsoperation zur Blutstillung erforderlich. Vorübergehende postoperative Stimmstörungen sind nach allen operativen Eingriffen an den Stimmlippen zu erwarten und präoperativ mit dem Patienten zu besprechen. Bleibende Stimmstörungen treten regelmäßig ein, wenn umfangreichere Maßnahmen an den Stimmlippen erforderlich werden und im Anschluss Substanzdefekte oder Narbenbildungen den Schwingungsablauf der Stimmlippen beeinträchtigen. Insbesondere Narbenbildungen im Bereich der vorderen Kommissur führen regelmäßig zu erheblichen Beeinträchtigungen der Stimmqualität. Bei ausgedehnteren operativen Eingriffen am Kehlkopf kann es vorübergehend zu erheblichen Beeinträchtigungen von Atmung und Schluckakt kommen. Diese Operationsfolgen müssen durch eine temporäre Tracheotomie und ggf. Maßnahmen zur vorübergehenden künstlichen Ernährung (Magensonde, Gastrostomiesonde) kompensiert werden, bis eine
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Kapitel 18 • Larynx
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ausreichende Atmung und eine Normalisierung des Schluckakts eintreten. Über diese Konsequenzen der Kehlkopfchirurgie müssen die Patienten präoperativ entsprechend unterrichtet werden. In der Literatur sind eine Reihe von Operationskomplikationen für die endoskopische Laserchirurgie im Kehlkopf beschrieben worden. Überwiegend handelt es sich dabei um Entflammungen von Tubusmaterialien und Narkosegasgemischen während des Einsatzes chirurgischer Laser (Stuermer et al. 2013). Diese Komplikationsmöglichkeit muss bei jeder laserchirurgischen Operation vom Operateur bedacht werden und lässt sich durch entsprechende Vorkehrungen ausschließen. Die Entflammung von Tubusmaterialien kann durch die Verwendung entsprechender Laser-Tuben vermieden werden. Die Entzündung von Narkosegasgemischen während Eingriffen in Jet-Beatmung lässt sich dadurch vermeiden, dass zur Beatmung Raumluft (und nicht reiner Sauerstoff) verwendet wird, sowie durch Operation in intermittierender Apnoe. Insgesamt sind solche Zwischenfälle durch die Wahl geeigneter Materialien und Operations‑/Narkosetechniken heute zuverlässig vermeidbar. Wenn in der Literatur dennoch immer wieder über solche Komplikationen berichtet wird, lassen diese Berichte eher auf eine mangelnde Schulung des operierenden Personals denn auf prinzipielle Risiken der Laserchirurgie schließen. Vor dem Einsatz von chirurgischen Lasern im Operationssaal ist das gesamte beteiligte Personal zu schulen und ein Laserschutzbeauftragter zu bestimmen. Auch vorübergehende Funktionsbeeinträchtigungen des N. laryngeus superior et inferior, des N. hypoglossus und des N. lingualis werden nach larynxchirurgischen Eingriffen beobachtet. Insgesamt lassen sich solche Komplikationen bei der offenen und der mikrolaryngoskopischen Chirurgie nicht vollständig vermeiden, das Komplikationsspektrum ist jedoch bei der transoralen Chirurgie sicher begrenzter als bei der offenen Kehlkopfchirurgie.
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18.4 Rekonstruktion
des Larynx bei angeborenen Fehlbildungen
Kleinere Synechien der vorderen Kommissur und Asymmetrien der Schildknorpelplatten sind nicht ganz selten, in der Regel aber nicht behandlungsbedürftig. Die sog. Laryngomalazie ist eine angeborene Weichheit der Epiglottis. Bei der Inspiration kann der Kehldeckel dann in die Glottis hinein angesaugt werden und zu einem inspiratorischen Stridor führen. Da die Veränderung in aller Regel selbstlimitierend ist, werden chirurgische Maßnahmen nur bei ausgeprägter Symptomatik erforderlich, und zwar als Epiglottopexie. Nach Entepithelisieren der lingualen Epiglottis und des gegen-
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18.5 • Rekonstruktion des Larynx bei Verletzungen
Kehlkopfverletzungen sind heute sicher diejenigen durch Intubation. Allerdings kann es bei Notfallintubationen und unter ungünstigen Bedingungen auch zu bleibenden Verletzungsfolgen im Kehlkopf, insbesondere zu Stellknorpelankylosen, kommen. Dabei kommt es zu einer Fixierung des Stellknorpels im Krikoarytenoid-Gelenk und zur konsekutiven Immobilität der Stimmlippe. Klinisch kann der Befund manchmal nicht von der RecurrensLähmung unterschieden werden, wegweisend sind hier Anamnese, passive Beweglichkeit des Stellknorpels bei der mikrolaryngoskopischen Untersuchung in Narkose und nicht zuletzt die Elektromyographie mit Ableitung der Summenaktionspotenziale aus den vom N. laryngeus inferior innervierten Muskelgruppen. ..Abb. 18.3 Dorsale Larynx-Spalte mit fehlender Trennung zwischen Ösophagus und Trachea
überliegenden Zungengrundes wird die Epiglottis durch Nahttechniken an den Zungengrund angeheftet. Alternativ kommt eine transorale Resektion des suprahyoidalen Epiglottis-Anteils in Betracht (Koitschev und Sittel 2012). Subglottische Hämangiome können heute in der Regel durch die Gabe von Beta-Blockaden rückgebildet werden, sodass rekonstruktive Eingriffe am subglottischen Atemweg kaum noch erforderlich werden. Atresien des Kehlkopfs führen unmittelbar nach der Geburt zum Tod des Kindes durch Asphyxie, wenn die Fehlbildung nicht primär operativ erkannt und noch unter der Geburt durch Tracheotomie des Kindes korrigiert wird. Larynx-Spalten manifestieren sich fast immer dorsal, im Bereich der Interarytenoidregion und Ringknorpelplatte (. Abb. 18.3). Kleine Spalten sind in der Regel funktionell wenig bedeutsam. Tieferreichende Spalten können ggf. endoskopisch verschlossen werden. Reicht die Spaltbildung noch weiter nach kaudal herab, besteht eine offene Verbindung zwischen Trachea und Ösophagus. In diesen sehr seltenen Fällen werden komplexe kinderthoraxchirurgische Eingriffe zum Verschluss der Spaltbildung erforderlich, die nicht Gegenstand dieses Beitrags sein können. 18.5 Rekonstruktion
des Larynx bei Verletzungen
Stumpfe und scharfe Halstraumen können akut zu Kehlkopfverengungen führen. Eine notfallmäßige Intubation kann dann erschwert sein, sodass gelegentlich die Tracheotomie erforderlich werden kann. Besonders schwere Verletzungen werden nach suizidalem Erhängen und nach Schussverletzungen des Kehlkopfs beobachtet (Abriss der Trachea vom Kehlkopf). Die häufigsten, in der Regel jedoch spontan vollkommen abheilenden
18.5.1
Indikation, Kontraindikation
Das Management von Kehlkopftraumata kann komplex sein, da die Anzeichen und Symptome oft variabel und unberechenbar sind, wobei schwere Verletzungen manchmal mit leichten und harmlosen Symptomen auftreten. >>Der Erhalt stabiler Atemwege ist (neben der Kontrolle
lebensbedrohlicher Blutungen) das erste und wichtigste Ziel bei der Behandlung des Larynx-Traumas.
Zunächst muss anhand der Befunde entschieden werden, ob der operative Eingriff erfolgen soll und wenn ja, wann. Bei geringgradigen Verletzungen sind zunächst beobachtende Maßnahmen ausreichend. Stationäre Atemwegsbeobachtung für 24 Stunden wird für leichte Verletzungen empfohlen, da ein Risiko eines zunehmenden Ödems oder Hämatoms oftmals nicht ausgeschlossen werden kann. 18.5.2 Erstdiagnostik
und Atemwegsmanagement
>>Die flexible endoskopische Diagnostik ist das wichtigste
Instrument zur Beurteilung der Weichteilverletzungen im Kehlkopf inkl. der Funktion der Nn. laryngei inferiores beim wachen Patienten.
Wenn möglich, erfolgt eine notfallmäßige Akut-Computertomographie von Hals und Thorax (wenn nötig, Ganzkörper-Trauma-CT). Sie dient der Begutachtung möglicher Frakturen des Kehlkopfskeletts und der Erkennung von Rupturen der Trachea (Luft in Hals und/ oder Mediastinum; Schaefer 2014). Begleitmaßnahmen können bei der Behandlung von Patienten mit Larynx-Trauma hilfreich sein, z. B. die Erhöhung der Liegeposition von Kopf und Oberkörper (um ein laryngeales Ödem zu verhindern) und Stimmruhe (um die Verschlechterung des Larynx-Ödems auf-
18
366
Kapitel 18 • Larynx
zuhalten). Systemische Kortikosteroide reduzieren die Ödembildung. Anti-Reflux-Medikamente wirken einer stärkeren entzündlichen Veränderung entgegen. Wenn der Atemweg instabil ist, muss eine Tracheotomie (Koniotomie) beim wachen Patienten durchgeführt werden. Die Intubation sollte dann idealerweise vermieden werden, da der Tubus den Endolarynx weiter traumatisieren, Larynx-Frakturen destabilisieren oder zu einer akuten Verlegung der Atemwege führen kann (Schaefer 2014). Nichtgefensterte, blockbare Trachealkanülen werden bevorzugt, um den Luftstrom durch den verletzten Kehlkopf zu minimieren. 18.5.3 Operationsprinzipien
Sobald die Atemwege gesichert sind, wird die Kehlkopfverletzung konservativ und/oder operativ behandelt, um das langfristige funktionale Ergebnis bzgl. Atmung, Stimme und Schlucken möglichst gut zu erhalten. Verletzungen geringen Ausmaßes, wie etwa Ödeme oder Hämatome der Stimmlippen, können per Gabe von Steroiden, Antibiotika, Anti-Reflux-Medikamenten, Befeuchtungsmaßnahmen und Stimmruhe behandelt werden. Große Ödeme, Hämatome, kleine Schleimhautverletzungen ohne luxierte Knorpel oder nichtdislozierte Frakturen sollten engmaschig kontrolliert werden, da sich die Verletzungen verschlechtern oder mit der Zeit fortschreiten können. Gelegentlich können diese Verletzungen eine Tracheotomie erfordern. Auch hier können Steroide, Anti-Reflux-Medikamente, Befeuchtung, Stimmruhe und Antibiotika hilfreich sein. Bei massiven Ödemen, umfassenden Schleimhautverletzungen, freiliegenden Knorpeln, dislozierten Frakturen oder bei Stimmlippenimmobilität ist eine Tracheotomie meist unumgänglich. Operative Interventionen sind bei Einrissen in der vorderen Kommissur, großen endolaryngealen Weichteilverletzungen, Stimmlippenstillstand oder Aryknorpelluxation bzw. -subluxation notwendig. Dislozierte Schildknorpel- und Ringknorpelfrakturen sollten rekonstruiert und fixiert werden, um das Kehlkopfgerüst zu stabilisieren. Wenn die dislozierte Fraktur in Verbindung mit einer endolaryngealen Weichteilverletzung auftritt, sollten Rekonstruktion und Fixierung vor der endolaryngealen Weichteilrekonstruktion durchgeführt werden. Wenn keine Weichteilverletzung vorliegt, kann der Knorpel extern fixiert werden, ohne den Kehlkopf zu eröffnen. Nach operativer Rekonstruktion durch Chondrosynthese kann bei Bedarf ein Stent eingesetzt werden, um die Grundstruktur des Kehlkopfes zu stützen. LarynxFrakturen, die nichtdisloziert vorliegen, können beobachtet werden, obwohl auch hier langfristige Stimmveränderungen möglich sind.
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Fixierungen von Knorpelfrakturen mit resorbierbaren Miniplatten sind manchmal Draht- oder Nahtfixierungen vorzuziehen. Wenn Miniplatten im weichen Knorpel eines jüngeren Patienten positioniert und fixiert werden, ist es hilfreich, ein kleineres Schraubenloch zu bohren, was zu einem besseren Halt der Schraube führt. Krikotracheale Separationen sind die heterogensten und am häufigsten lebensbedrohlichen Kehlkopfverletzungen. Eine Tracheotomie kann jedoch aufgrund der veränderten Anatomie extrem schwierig sein, denn der Kehlkopf ist für gewöhnlich nach kranial verlagert, und die Luftröhre hat sich nach kaudal hinter das Sternum zurückgezogen, was eine tiefe Tracheotomie erfordert. Nach einer erfolgreichen Tracheotomie sind weitere radiologische Untersuchungen, einschließlich Thorax-CT-Untersuchung, nötig. Ein Pneumothorax kommt häufig kombiniert vor und muss unverzüglich diagnostiziert und behandelt werden. Bei der Rekonstruktion werden die abgetrennten Enden des laryngotrachealen Komplexes mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial adaptiert. Verletzungen des N. laryngeus inferior können infolge von stumpfen oder scharfen Kehlkopftraumata auftreten. Besteht nach stumpfem Trauma eine Stimmlippenimmobilität, sollte differenzialdiagnostisch eine Larynx-EMG-Untersuchung vorgenommen werden. Wenn der N. laryngeus inferior durchtrennt ist, kann eine primäre Rekonstruktion versucht werden, um eine Muskelatrophie zu verhindern. Auch die meisten Patienten mit laryngotrachealer Separation haben durch Dehnung oder Ruptur des N. laryngeus inferior bilaterale Stimmlippenlähmungen. Wenn sich die abgetrennten Enden der Nerven auffinden lassen, sollten sie mikroanastomisiert werden. Wenn eine primäre Reanastamose des abgetrennten Nervs nicht möglich ist, kann die Ansa hypoglossi zur Anastomose mit dem N. laryngeus inferior verwendet werden, um den Stimmlippenmuskeltonus zu erhalten.
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18.6 Rekonstruktion
des glottischen und supraglottischen Atemwegs
Der Kehlkopf bildet den engsten Abschnitt der zentralen Atemwege. Daher können anatomische Veränderungen am Kehlkopf besonders leicht zu klinisch relevanten Atemwegsverengungen führen. Die relative Enge der Atemwege im Bereich des Kehlkopfes ist bedingt durch seinen konstruktiven Aufbau als Weiche zwischen Atemund Nahrungswegen. Die beiden Funktionen des Kehlkopfs (Aspirationsschutz und Stimmbildung) erfordern die Möglichkeit, die Atemwege temporär zu verschließen. Störungen der hierzu erforderlichen Bewegungsabläufe können zu dauerhaften Verengungen des Atemweg-Lu-
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18.6 • Rekonstruktion des glottischen und supraglottischen Atemwegs
mens führen. Die Symptome zentraler Atemwegstenosen richten sich nach der Lokalisation der Stenose, dem Grad der Atemwegsverengung und der anatomischen Form der Stenose. Die häufigste klinisch relevante Verhängung des Kehlkopfs ist die beidseitige Recurrens-Lähmung. Sie führt zu einer Paramedianstellung beider Stimmlippen und dabei zu einer erheblichen Einengung des glottischen Atemwegs. Sie macht gelegentlich notfallmäßige Maßnahmen (etwa Intubation oder Tracheotomie) zur Verhütung einer akuten Asphyxie erforderlich. Häufiger wird jedoch bei langfristig fortbestehender Lähmung eine chirurgische Rekonstruktion des Atemwegs erforderlich, um die Folgen der hochgradigen Atemtwegstenosierung zu lindern.
tion nicht bemerkt. Erst nach der Entlassung aus der Krankenhausbehandlung kommt es zu einer langsam progredienten zentralen Atemwegsobstruktion.
Seltener können sich narbige Stenosen des laryngotrachealen Übergangs im Rahmen einer Wegenerschen Granulomatose entwickeln. Es handelt sich hierbei um eine Granulomatose mit sekundärer Ausbildung einer Vaskulitis. In der Regel beginnt die Erkrankung mit prolongierten entzündlichen Prozessen im Bereich der oberen Atemwege, insbesondere im Bereich der Nase, der Nasennebenhöhlen, häufig aber auch im Bereich des Kehlkopfs. Es kommt dann zu einer granulierenden, nicht abheilenden Entzündung im Bereich des subglottischen Kehlkopfs, die häufig zu einer späteren narbigen Stenosierung führt.
>>Glottiserweiternde Eingriffe bei der beidseitigen Re-
currens-Lähmung sind mit einer Beeinträchtigung der Stimme und der stimmlichen Leistungsfähigkeit verbunden, sodass Operateur und Patient stets gemeinsam nach einem akzeptablen Kompromiss bezüglich Atmung und Stimme suchen müssen.
18.6.1
Indikation, Kontraindikation
Lähmungen des N. vagus oder, häufiger des N. laryngeus inferior, treten am häufigsten nach operativen Eingriffen am Hals (speziell an der Schilddrüse) und im oberen Mediastinum auf. Sie können sich aber auch durch Infiltration von bösartigen Tumoren von Larynx, Hypopharynx, Ösophagus, Schilddrüse, Tracheobronchialbaum und anderen bösartigen Neubildungen im kaudalen Hals- und kranialen Mediastinalbereich entwickeln, im Verlauf viraler Entzündungen auftreten oder Folge zentralnervöser Prozesse (Hirn- oder Schädelbasistumoren, Verletzungen, nach operativen Eingriffen an der lateralen Schädelbasis) sein.
Nicht jede Stenosierung der zentralen Atemwege ist korrekturbedürftig. Mitentscheidend sind die Entstehungsbedingungen der Stenose (akut/chronisch) und die daraus resultierende Adaptation der Atemmuskulatur an den erhöhten zentralen Atemwegswiderstand (Training) und speziell das Ausmaß, in dem eine gewohnte körperliche Belastung durch das unphysiologische Atemhindernis eingeschränkt wird. Als empirisch festgelegter Grenzwert für eine behandlungspflichtige Stenose kann nach eigenen Untersuchungen eine inspiratorische Resistance von mehr als 2,5 kPa × s/l gelten (Wassermann und Eckel 1999). Letztlich wird die Entscheidung zur Operation ganz wesentlich durch die Frage beeinflusst, bis zu welcher körperlichen Belastung der Patient die Stenose respiratorisch kompensieren kann.
>>Die präoperative Abgrenzung einer begleitenden Läh-
>>In jedem Einzelfall ist abzuwägen, ob geplante chi-
mung des N. laryngeus superior einer Seite ist deshalb von Bedeutung, weil hier auf operative Maßnahmen, die zu einer Verstärkung der Aspiration führen könnten (insbesondere auf eine Arytenoidektomie), verzichtet werden muss.
rurgische Maßnahmen bezüglich des zu erwartenden funktionellen Ergebnisses und der operationsbedingten Gefährdung des Patienten einer einfachen und risikoarmen Tracheotomie vorzuziehen sind.
Narbenbedingte Stenosen sind am häufigsten Folge von Intubationen oder operativen Eingriffen an Kehlkopf und Trachea (Kehlkopf-Teilresektionen, Tracheotomien, Eingriffe bei Kehlkopfpapillomen). Besonders gefürchtet sind subglottische Stenosen und Stenosen des laryngotrachealen Übergangs im Gefolge von abgelaufenen Ringknorpelchondritiden. Solche schweren Verengungen machen regelmäßig aufwändige operative Maßnahmen zur Rekonstruktion der Atemwege erforderlich.
Der Vorteil einer Tracheotomie ist, dass bei späterer Wiederkehr der Stimmlippenbeweglichkeit das Tracheostoma wieder verschlossen werden kann und der Kehlkopf funktionell wieder vollständig intakt ist. Für manche Patienten ist aber eine Tracheotomie so wenig akzeptabel, dass sie einen frühzeitigen glottiserweiternden Eingriff auch dann vorziehen, wenn er mit dem Risiko einer bleibenden Stimmbeeinträchtigung sogar für den Fall einer späteren Funktionswiederkehr verbunden ist. >>In einer solchen Situation sollte nach sorgfältiger Auf-
>>Narbenstenosen entwickeln sich langsam im Laufe der
Zeit und werden daher häufig während der stationären Behandlung im Anschluss an eine Langzeitintuba-
klärung der Wunsch des Patienten entscheidend für das weitere Vorgehen sein. Jedenfalls ist eine frühzeitige Glottis-Erweiterung in derartigen Situationen keines-
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368
Kapitel 18 • Larynx
wegs kontraindiziert, wenn sie vom Patienten wirklich gewünscht wird.
Trotz aller Fortschritte in der Kehlkopfchirurgie gilt aber immer noch, dass eine Erweiterung des glottischen Atemspalts zu einer Beeinträchtigung der stimmlichen Leistungsfähigkeit führt (Nawka et al. 2015) und dass diese beiden Qualitäten zueinander in umgekehrt proportionalem Verhältnis stehen. >>Diese Zusammenhänge sollten mit dem Patienten vor
einer geplanten Operation diskutiert werden (wenngleich das stimmliche Ergebnis einer glottiserweiternden Operation nie zuverlässig vorausgesagt werden kann).
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Ziel des Gesprächs ist es, gemeinsam die Ansprüche des Patienten an seine körperliche Leistungsfähigkeit und an seine Stimme einschätzen und einen für die individuelle Situation geeigneten Kompromiss anstreben zu können. Eine definitive glottiserweiternde Operation sollte erfolgen, wenn die respiratorische Beeinträchtigung für den Patienten dauerhaft nicht akzeptabel ist oder wenn durch die Atemwegsverengung unmittelbare Gefahr droht und der Patient eine Tracheotomie ablehnt. Wenn die akute respiratorische Beeinträchtigung durch eine neu aufgetretene beidseitige Recurrens-Lähmung durch Adaptation der Atemmuskulatur überwunden ist, können die meisten Patienten in Ruhe und bei geringer körperlicher Belastung ausreichend atmen. Die Indikation zu glottiserweiternden Eingriffen ergibt sich dann einerseits aus dem Mangel an körperlicher Belastbarkeit, andererseits aus der potenziellen Gefährdung der Patienten durch sporadische Atemwegsentzündungen (grippale Infekte) mit nachfolgender Schwellung der ohnehin sehr engen Glottis. Mit wenigen Ausnahmen ist erfahrungsgemäß für die beidseitige Recurrens-Lähmung die Indikation zur glottiserweiternden Chirurgie gegeben, um die körperliche Belastbarkeit der Patienten jedenfalls teilweise wiederherzustellen und das Erstickungsrisiko im Rahmen von Atemwegsinfektionen zu vermindern. Im Laufe der Zeit werden fast immer operative Eingriffe zur Glottis-Erweiterung erforderlich, um den Patienten in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit wieder zu rehabilitieren. 18.6.2 Diagnostik 18.6.2.1
Endoskopische Diagnostik
Zur Beurteilung der beidseitigen Recurrens-Lähmung ist (insbesondere bei entsprechender Anamnese) in der Regel die transnasale flexible Laryngoskopie (oder die Lupenlaryngoskopie) ausreichend. In allen anderen Fällen ist eine Kombination aus transnasaler flexibler Laryngotracheoskopie am wachen Patienten und einer AtemwegsEndoskopie in Allgemeinnarkose empfehlenswert. Dabei ist die Untersuchung mit starren Endoskopen häufig aus-
sagekräftiger als die mikroskopische Untersuchung. Die Narkoseuntersuchung sollte idealerweise (mit intermittierender Maskenbeatmung) in Spontanatmung erfolgen, um dynamische, atemabhängige Prozesse erkennen zu können. Dabei sollen folgende Punkte geklärt werden: Ziele einer Atemwegs-Endoskopie in Allgemeinnarkose
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Beurteilung der beidseitigen Mobilität der Stimmlippen und der Stellknorpel Detektion von durch obstruktive Schlafapnoe (OSA) bedingten Atemwegseinengungen (beispielsweise Zungengrundhyperplasie) Sichtbarmachung von lokalisierten oder diffusen Instabilitäten der Trachea (besonders bei Kindern) Erkennung sekundärer Atemwegseinengungen
Die europäische Kehlkopfgesellschaft (ELS) hat eine Checkliste zusammengestellt, nach der die Ergebnisse der endoskopischen Untersuchungsverfahren in standardisierter Weise dokumentiert werden können (Monnier et al. 2015). 18.6.2.2
Bildgebende Diagnostik
Zur ätiologischen Abklärung von Recurrens-Lähmungen ist eine Computertomographie von Halsweichteilen und Thorax hilfreich, um tumoröse Ursachen der Parese auszuschließen. Die CT von Larynx und Trachea erlaubt in allen anderen Fällen (insbesondere bei Erwachsenen) eine Beurteilung der spezifischen anatomischen Situation. 18.6.2.3 Stimmdiagnostik
In der Regel sollte eine Beurteilung der Stimme auf perzeptiver Basis, nach dem RBH-Schema, unter Bestimmung der maximalen Tonhaltedauer für die Vokale /a/ und /e/ und ggf. durch eine Stimmfeldmessung erfolgen (DeJonckere et al. 2003). Weiterführende spezifische Stimmuntersuchungen sind nicht erforderlich. 18.6.2.4
Respiratorische Funktionsdiagnostik
Die Fluss-Volumen-Kurve und die Messung des inspiratorischen und des exspiratorischen Spitzenflusses (peak flow) sind einfache und zugleich aussagekräftige Funktionstests zur Diagnose einer zentralen Atemwegsobstruktion (Monnier et al. 2015; Wassermann und Eckel 1999). Stenosen der Glottis verändern die Fluss-Volumen-Kurve über den widerstandserhöhenden Effekt der im Bereich hoher Stromstärken entstehenden Turbulenz und auch über den Effekt der Querschnittsabnahme. Im Gegensatz zur anatomisch fixierten Narbenstenose der Subglottis oder der Trachea ist die Atemwegsverengung bei beidseitiger Recurrens-Lähmung durch eine druckpassive Weitstellung der Stimmlippen in der Ausatmung
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18.6 • Rekonstruktion des glottischen und supraglottischen Atemwegs
und eine Einwärtsbewegung (Medialisierung) über einen Sogeffekt (Bernoulli) während der Inspiration gekennzeichnet. Diesem Verhalten entspricht das charakteristische Flussprofil einer extremen inspiratorischen Abflachung mit einem oft weitgehend regelrechten normalen exspiratorischen Muster. 18.6.2.5
Elektrophysiologische Diagnostik
Die beidseitige Recurrens-Parese stellt wegen der ungewöhnlichen Kombination aus prinzipieller Reversibilität der Erkrankung und Irreversibilität (im Falle einer chirurgischen Glottis-Erweiterung) bzw. Invasivität (im Falle einer Tracheotomie) der therapeutischen Maßnahme in besonderem Maße hohe diagnostische Anforderungen: Einerseits sollen diejenigen Fälle selektiert werden, bei denen keine funktionell ausreichende Wiederherstellung der Stimmlippenbeweglichkeit eintreten wird, um durch eine endoskopische Glottis-Erweiterung die Atmung zu normalisieren. Dies soll zudem zu einem möglichst frühen Zeitpunkt nach Eintritt der Schädigung geschehen, um dem Patienten möglichst die Tracheotomie zu ersparen. Andererseits gilt es zu verhindern, dass Patienten einer definitiven Glottis-Erweiterung zugeführt werden, bei denen es ohne weitere Maßnahmen zu einer ausreichenden Erholung der Stimmlippenbeweglichkeit gekommen wäre.
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Die elektrophysiologische Diagnostik bietet die derzeit einzige Möglichkeit, die genannten Anforderungen in einer Vielzahl der Fälle mit ausreichender Zuverlässigkeit zu erfüllen (Sittel et al. 2001). Untersuchungstechnik und Auswertung der Befunde sind allerdings anspruchsvoll und nur in wenigen ausgewählten Zentren verfügbar. 18.6.3 Operationsprinzipien
Im Folgenden werden die Operationsprinzipien anhand der stimmlosen Lokalisation und Morphologie besprochen. 18.6.3.1
Supraglottische Kehlkopfstenosen
Sie sind selten und entwickeln sich gelegentlich durch Verätzungsverletzungen von Kehlkopf und Pharynx oder im Gefolge von operativen Eingriffen, insbesondere nach supraglottischen Kehlkopf-Teilresektionen. >>Laserchirurgische Durchtrennungen der zirkulären
Narbenzüge werden immer wieder versucht, sind aber nach eigenen Erfahrungen nur selten erfolgreich.
In der Regel werden offene chirurgische Verfahren, etwa eine Resektion der Stenose mit Re-Anastomosierung der unterbrochenen Kehlkopfzirkumferenz, oder eine Rekonstruktion des supraglottischen Atemwegs durch
einen Epiglottis-Verschiebelappen erforderlich. Infrage kommen dabei die aus der Tumorchirurgie bekannten Verfahren der horizontalen Teilresektionen (klassische supraglottische Teilresektion nach Alonso oder suprakrikoidale Teilresektionen) sowie die rekonstruktive Kehlkopfteilresektion nach Sedlacek-Kambic-Tucker (Kambic et al. 1976). 18.6.3.2
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Beidseitige Recurrens-Lähmungen
Zur Rekonstruktion des glottischen Atemwegs stehen prinzipiell verschiedene operative Strategien zur Verfügung: Tracheotomie zur Umgehung der Atemwegstenose und Versorgung mit einer Sprechkanüle: Eine Tracheotomie stellt natürlich eine zuverlässige Umgehung der Atemwegstenose dar und kann bei Benutzung einer Sprechkanüle auch zu einer zufriedenstellenden stimmlichen Leistungsfähigkeit führen. Allerdings werden die Behinderungen und Entstellung durch eine Tracheotomie von fast allen Patienten für so inakzeptabel gehalten, dass sich jedenfalls in der eigenen Praxis noch nie ein Patient, dem alle therapeutischen Optionen detailliert erläutert worden waren, für diesen Weg entschieden hat. Eine Tracheotomie als Dauerlösung der Atemwegsverengung bei beidseitiger Recurrens-Lähmung muss daher in der Regel als inakzeptable Versorgung bezeichnet werden. Laryngotrachealplastik zur Erweiterung des Kehlkopfskeletts (z. B. durch Implantation eines Rippenknorpelspans in die Ringknorpelplatte): Eine Laryngotrachealplastik mit Erweiterung des knorpeligen Kehlkopfskeletts ist ein bewährter operativer Eingriff zur Behandlung der narbigen Kehlkopfstenosen und, in Einzelfällen, auch der Stellknorpelankylosen. Auf eine detaillierte Beschreibung der hierbei benutzten Operationstechniken soll an dieser Stelle verzichtet werden, weil sich in 7 Kap. 20 (Laryngotrachealer Übergang) eine eigene Darstellung dieses Themenbereichs findet. Endoskopische oder offene (extralaryngeale) Lateralisationsverfahren: Extralaryngeale Lateralisierungsverfahren waren seit ihrer Einführung durch King 1939 weltweit die am häufigsten durchgeführten operativen Maßnahmen zur Erweiterung des Kehlkopfs bei beidseitiger Recurrens-Lähmung (Sapundzhiev et al. 2008). Sie ahmen dabei (einseitig) das natürliche Bild der Glottis in Inspirationsstellung nach (obwohl die statische Glottis-Erweiterung natürlich dem physiologischen Zustand des Kehlkopfs in keiner Weise entspricht). Im Laufe der Jahre wurden zahlreiche Modifikationen der ursprünglichen Operationstechnik angegeben. Alle zielen darauf ab, die glottischen Strukturen des Kehlkopfs (Stellknorpel und ligamentäre Glottis) nach lateral zu verlagern und so am Schildknorpel oder an den bindegewebigen Strukturen des Halses zu fixieren, dass eine erneute Verengung der Glottis möglichst ausgeschlossen ist. Da beim intakten
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Kapitel 18 • Larynx
..Abb. 18.4 Ausheilungszustand nach Arytenoidektomie rechts. Deutlich erweiterter glottischer Atemweg bei beidseitiger RecurrensParese
..Abb. 18.5 Posteriore Chordektomie links nach vollständiger Durchtrennung des Conus elasticus
Larynx eine solche Lateralisation zu den physiologischen Bewegungsmöglichkeiten gehört, ist die statische Herstellung einer solchen Abduktion der glottischen Strukturen relativ einfach zu erzielen. Ein besonderer Vorteil dieses Verfahrens besteht darin, dass die schwingenden Strukturen der Glottis (Mukosa der Stimmlippe, M. vocalis und Reinkescher Raum) anatomisch intakt bleiben und insofern nach dem durchgeführten operativen Eingriff weiter an der Phonation mitwirken können. Seit der Verbreitung der endolaryngealen Arytenoidektomie und insbesondere seit der Einführung der endolaryngealen Laserchirurgie haben endoskopische Verfahren die offene Kehlkopfchirurgie bei diesem Krankheitsbild allerdings weitgehend verdrängt. Von praktischer Bedeutung ist daher heute nur noch die endo-/extralaryngeale Laterofixation nach Lichtenberger. Durch die Einführung seines „endolaryngeal-extralaryngealen Nadelschiebers“ schuf er die Voraussetzungen dafür, eine Lateralisation auch endoskopisch vornehmen zu können. Dabei unterscheidet er zwischen einer reversiblen Lateralfixation (Lateralisation nur durch Naht) und einer irreversiblen, dauerhaften Variante (in Verbindung mit einer Arytenoidektomie; Lichtenberger 1999). Resektionsverfahren: Dabei werden Anteile einer oder beider Stimmlippen entfernt, um auf diese Weise den glottischen Atemspalt zu erweitern. Im Laufe der letzten Jahre sind eine Reihe von endolaryngealen Operationsverfahren zur Glottis-Erweiterung bei beidseitigen Recurrens-Lähmungen beschrieben worden (Lichtenberger 1999; Dennis und Kashima 1989). Die Besonderheiten der wichtigsten Operationstechniken lassen sich kurz zusammenfassend wie folgt darstellen(Eckel et al. 2003; Sapundzhiev et al. 2008): – Die Arytenoidektomie erlaubt eine sehr zuverlässige Atemwegserweiterung, wenn es dem Opera-
teur gelingt, den Stellknorpel vollständig zu entfernen und den Conus elasticus bis zum Ringknorpel vollständig zu durchtrennen (. Abb. 18.4). Die Arytenoidektomie kann unter Verwendung eines CO2-Lasers in der Regel ohne vorübergehende Tracheotomie durchgeführt werden. Zu den Nachteilen des Eingriffs zählt eine häufig zu beobachtende vorübergehende Aspiration und das Risiko einer Ringknorpel-Chondritis bei Patienten, bei denen eine Bestrahlungsbehandlung am Hals vorangegangen ist. Bei solchen Patienten sollte auf eine Arytenoidektomie verzichtet werden, ebenso bei Patienten, bei denen eine erhöhte Gefährdung durch eine temporäre Aspiration zu befürchten ist. – Die Chordektomie ist der Arytenoidektomie bezüglich der Verbesserung der respiratorischen Situation weitgehend ebenbürtig. Ein Aspirationsrisiko besteht bei diesem Eingriff nicht, jedoch kann die Stimmqualität stärker beeinträchtigt sein als nach Arytenoidektomie. – Die posteriore Chordektomie, bei der eine Durchtrennung der Stimmlippe im Bereich des Proc. vocalis des Stellknorpels mit gleichzeitiger Durchtrennung des Conus elasticus erfolgt, gilt heute vielen Laryngologen als der gelungenste Kompromiss zwischen Atemwegserweiterung und Bewahrung einer zufriedenstellenden Stimmqualität (. Abb. 18.5). Sie ist prinzipiell auch beidseits durchführbar, führt aber nach den Erfahrungen des Autors auch als einseitig vorgenommener Eingriff zuverlässig zu einer ausreichenden Atemwegserweiterung. – Re-Innervationsverfahren, Schrittmacher: Die Rehabilitation der glottischen Atemwegsverengung durch beidseitige Stimmlippenlähmung wäre eine funktionelle Re-Innervation, weil damit die natürlichen Verhältnisse wiederhergestellt würden
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18.7 • Rekonstruktive Phonochirurgie
(Müller und Förster 2013). Versuche einer einseitigen Re-Innervation des N. laryngeus recurrens zeigten jedoch bisher zwar elektromyographisch messbare Re-Innervationspotenziale, hierdurch wird aber lediglich eine Tonisierung der endolaryngealen Muskulatur erreicht und nicht, wie erhofft, eine Wiederherstellung der gerichteten Motorik. Eine funktionell vollständige Re-Innervation wäre nur dann zu erwarten, wenn ad- und abduktorische Fasern des zentralen Stumpfes des N. laryngeus recurrens an die jeweiligen Neurone des peripheren Teiles Anschluss fänden. Da dies sehr unwahrscheinlich ist, führen die bisher erprobten Re-Innervationsverfahren nicht zu einer physiologischen Stimmlippenbewegung (analog den Mechanismen des autoparalytischen Syndroms bei der Paralyse des N. facialis; Stennert 1982). Eine Lösung des Problems können aber Larynx-Schrittmacher sein, die derzeit tierexperimentell und klinisch erprobt werden (Müller und Förster 2013). >>Im Allgemeinen können heute die endoskopisch
durchgeführten laserchirurgischen glottiserweiternden Operationen als zuverlässig bezüglich der Atemwegswiederherstellung gelten. Sie sind in der Regel ohne vorübergehende Tracheotomie und somit insgesamt wenig belastend für den Patienten durchführbar.
18.6.3.3 Bewegungsstörungen der Stellknorpel
Die wichtigste Differenzialdiagnose der beidseitigen Recurrens-Lähmung ist die beidseitige Stellknorpelankylose (in seltenen Fällen auch die einseitige Lähmung bei Ankylose der Gegenseite). Ankylosen der Stellknorpel oder Fibrosen der bindegewebigen Kapsel des Krikoarytenoid-Gelenks entwickeln sich am häufigsten als Folge vorangegangener Intubationen. Daher ist es häufig nicht möglich, alleine von der Anamnese her zwischen Ankylose und Lähmung zu unterscheiden. Jedenfalls muss immer dann, wenn im Zusammenhang mit der Entstehung der Bewegungseinschränkung der Stimmlippe eine Intubation stattgefunden hat, an eine Stellknorpelankylose oder eine posttraumatische Fibrosierung der Gelenkkapsel als Ursache der Bewegungsstörung der Stimmlippe gedacht werden. Zur Differenzierung zwischen mechanischer Bewegungsstörung im Gelenk und Lähmung eignet sich einerseits die Elektromyographie des Kehlkopfs, andererseits die Prüfung der passiven Mobilität des Stellknorpels während einer mikrolaryngoskopischen Untersuchung des Kehlkopfs in Narkose. >>Die Unterscheidung zwischen Lähmung und Ankylose ist
wichtig, weil bei einer Ankylose eine Arytenoidektomie zur Glottis-Erweiterung unverzichtbar ist. Dabei wird in der Regel eine temporäre Tracheotomie erforderlich.
18.6.3.4 Andere glottische Atemwegsverengungen
Glottische Stenosen können außer durch Lähmungen oder Stellknorpelankylosen gelegentlich durch angeborene Missbildungen (Segelbildungen), durch Synechien (nach Operation oder Entzündung) und durch Entzündungen und Tumoren hervorgerufen werden. Synechien ohne Beteiligung der vorderen Kommissur können erfolgreich laserchirurgisch durchtrennt werden. Bei Synechien der vorderen Kommissur ist eine zusätzliche Splint-Einlage und ggf. eine freie Schleimhauttransplantation erforderlich, und selbst dann sind die stimmlichen Ergebnisse meist unbefriedigend. 18.6.3.5 Subglottische Stenosen und Stenosen des laryngotrachealen Übergangs
Subglottische Stenosen, Stenosen des laryngotrachealen Übergangs und Trachealstenosen werden in einem eigenen Kapitel (7 Kap. 20) besprochen. 18.7 Rekonstruktive
Phonochirurgie
Als Phonochirurgie werden alle chirurgischen Maßnahmen zur Verbesserung der Stimme (im weiteren Sinne auch zur Rehabilitation der Stimme nach Laryngektomie) bezeichnet. Nach einem Vorschlag der Europäischen Kehlkopf-Gesellschaft (European Laryngological Society, ELS) können vier Gruppen phonochirurgischer Eingriffe unterschieden werden (Friedrich et al. 2007): Phonochirurgie – Einteilung 1. Stimmlippenchirurgie (vocal fold surgery, VFS): Operative Eingriffe, die unmittelbar an den Stimmlippen erfolgen (in aller Regel endolaryngeal) und deren Ziel eine Verbesserung der Schwingungseigenschaften der Stimmlippen oder des GlottisSchlusses ist 2. Eingriffe am knorpeligen Stützgerüst des Kehlkopfs (laryngeal framework surgery, FWS): Eingriffe am knorpeligen Kehlkopfskelett oder an der Kehlkopfmuskulatur zur Korrektur der Stimmlippenposition, -form oder -spannung (Friedrich et al. 2007) 3. Neuromuskuläre Chirurgie (neuromuscular surgery, NMS): Eingriffe an den Nerven des Kehlkopfs mit dem Ziel, die Stimmlippenbeweglichkeit und/oder -spannung wiederherzustellen oder zu verbessern 4. Rekonstruktive Chirurgie nach totaler oder partieller Laryngektomie (reconstrutive surgery addressing partial or total laryngeal defects, RCS): Eingriffe zur Wiederherstellung oder Verbesserung der Stimme nach operativ bedingtem Funktionsverlust
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a
Kapitel 18 • Larynx
b
..Abb. 18.6 Stimmlippenaugmentation beidseits bei Presbylarynx. a Ausgangsbefund: Muskuläre Atrophie beider Stimmlippen, hierdurch bedingte Stimmschwäche. b, c Augmentation der Stimmlippe
c
d
links mit autologem Fett. d Abschließend ergänzende Augmentation der rechten Stimmlippe
18.7.1 Stimmlippenchirurgie
-
Rekonstruktive Eingriffe der Stimmlippenchirurgie lassen sich einteilen hinsichtlich der Veränderung der Stimmlippenposition (vertikal und horizontal), der Veränderung des Stimmlippenvolumens (z. B. durch Augmentation und Implantation), der Öffnungs- und Schließungsbeweglichkeit (z. B. durch Arytenoid-Adduktion), der Spannung der Stimmlippen (z. B. durch Re-Innervation).
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Bewegungseinschränkungen der Stimmlippen (z. B. Stimmlippenlähmungen, Subluxationen der Aryknorpel) werden häufiger direkt oder in offener Chirurgie bzw. perkutan behandelt. Die Wahl der Instrumente und des Materials ist stark abhängig vom Operateur, wobei die meisten Autoren, wie auch die Autoren dieses Beitrags, den Einsatz kalter Instrumente favorisieren. Die Stimmlippeninjektion, d. h. die Medialisierung der Stimmlippe durch einen Volumenaufbau (Augmentation), ist eine mittlerweile allgemein etablierte phonochirurgische Maßnahme, die einfach, relativ risikoarm und – richtig angewandt – effektiv ist (Sittel 2009). Sie kann zudem am wachen Patienten in indirekter Laryngoskopie durchgeführt und dadurch bzgl. des funktionellen Erfolges unmittelbar kontrolliert werden. Stimmlippeninjektionen können transoral und transzervikal durchgeführt werden. Sie kommen vorrangig bei der Behandlung von geringen bis mittelgradigen Glottis-Insuffizienzen zum Einsatz, etwa bei Stimmlippenlähmungen, Stimmlippenatrophien, Presbylarynx sowie Stimmlippennarben, oder in Kombination mit anderen Verfahren, z. B. mit der Larynx-Skelett-Chirurgie (. Abb. 18.6). Das Injektionsmaterial wird lateral in die Pars lateralis des M. vocalis bzw. tiefer zwischen Schildknorpel und M. vocalis injiziert, bei Glottis-Rekonstruktion selten auch in den medialen und lateralen Anteil des M. vocalis. Die heute zum Einsatz kommenden Injektionsmaterialien unterscheiden sich hinsichtlich folgender Merkmale:
..Abb. 18.7 Hochdruckspritze zur Injektion von autologem Fett in die Stimmlippe
---
Applizierbarkeit, Resorptionsverhalten (konstante oder passagere Augmentation), Materialeigenschaften, speziell Viskoelastizität, Verträglichkeit.
Bei der Entscheidung für das eine oder andere Material werden pathogenetische und -physiologische, prognostische Aspekte und individuelle Wünsche des Patienten in die Therapieplanung einbezogen. Komplikationen basieren heute eher auf Fehlern in der Implantationstechnik. Die durchschnittliche Effektdauer von bovinem Kollagen liegt bei 6–18 Monaten. Zur Vermeidung von Überempfindlichkeitsreaktionen sollte einer Injektion von humanem Kollagen aber der Vorzug gegeben werden. Zur Injektion von autologem Fett wird eine Hochdruckspritze benötigt (. Abb. 18.7). Autogene bzw. autologe Materialien, wie patienteneigenes Fettgewebe und Fascia lata, besitzen gute rheologische Eigenschaften und eine gute Verträglichkeit, aber autologes Fett wird schneller resorbiert und die Fascia lata lässt sich schlechter platzieren.
373
18.7 • Rekonstruktive Phonochirurgie
..Tab. 18.1 Larynx-Skelett-Chirurgie: Klassifikation und Nomenklatur Typ
Ziel
Approximations-Laryngoplastik
Medialisations-Thyroplastik
Erweiterungs-Laryngoplastik
Arytenoid-Adduktion
Lateralisations-Thyroplastik
Stimmlippen-Abduktion
Methode
Verfahren Thyroplastik Typ I
Rotation (Zug‑)Technik
Seitliche Krikoarytenoid-Zugtechnik
Fixationstechnik
Adduktions-Arytenopexy
Lateraler Zugang
Thyroplastik Typ IIa
Medialer Zugang
Thyroplastik Typ IIb, Erweiterung der anterioren Kommissur, Mittellinien-Lateralisations-Thyroplastik
Nahttechnik Resektionstechnik
Relaxations-Laryngoplastik
Verkürzungs-Thyroplastik
Spannungs-Laryngoplastik
Krikothyroid-Approximation Elongations-Thyroplastik
Lateraler Zugang
Thyroplastik Typ III
Medialer Zugang
Anteriore Kommissurenretrusion Thyroplastik Typ IVa, KrikothyroidSubluxation
Lateraler Zugang
Thyroplastik Typ IVb
Medialer Zugang
Springboard advancement, anterior commissure advancement, anterior commissure laryngoplasty
Kalziumhydroxylapatit-Mikrosphären als ebenfalls resorbierbares Material besitzen sehr gute Eigenschaften hinsichtlich Steifheit und Viskosität. Hyaluronsäure (als Hydrogel), die zwar nach 3–6 Monaten resorbiert, aber akzeptable Stimmverbesserungen bis zu einem Jahr bringt, stellt aus biomechanischer Sicht das optimale Material zur Therapie epithelialer Erkrankungen der Stimmlippen bzw. der Lamina propria dar. Zu den nichtresorbierbaren Substanzen zählen Polydimethylsiloxan-Partikel, die mit einem wasserlöslichen Trägermaterial weit lateral in den paraglottischen Raum ohne Überkorrektur injiziert werden und bei einseitigen Stimmlippenlähmungen zu einer Verbesserung aller Stimmparameter führen, vergleichbar der Larynx-Gerüst-Chirurgie (Sittel 2009) >>Injektionen bei Narben müssen mit narbenlösenden
Verfahren kombiniert werden.
18.7.2
Framework surgery
Friedrich et al. klassifizieren vier Typen der Larynx-Skelett-Chirurgie (. Tab. 18.1; Friedrich et al. 2001, 2007). Sie zielen auf die Verbesserung des Schwingungsverhaltens der Stimmlippen, die Verringerung der unmodulierten/turbulenten Atemluft oder die Modifizierung der Sprechstimmhöhe ab (. Abb. 18.8).
zz Thyroplastik
Der am häufigsten zum Einsatz kommende Typ der Larynx-Skelett-Chirurgie (laryngeal framework surgery) ist die Typ-I-Thyroplastik nach Isshiki (Friedrich et al. 2001). Als Medialisierungs-Thyroplastik wird sie vorrangig bei Lähmungen und Atrophien der Stimmlippen eingesetzt. Der Vorteil der Methode ist, dass die komplexe Struktur der für den Stimmklang relevanten Anteile der Stimmlippen nicht zerstört wird. Dabei wird nach Anlage eines definierten Schildknorpelfensters (transthyroidal) durch Einbringen und ggf. Verriegelung von körpereigenem oder körperfremdem Material, z. B Gore-Tex, Titanspange nach Friedrich, Silikonblöcke, körpereigener Knorpel (Septum- oder Schildknorpel), eine Verlagerung der entsprechenden Stimmlippe zur gedachten Glottis-Mittellinie hin oder darüber hinaus erreicht. Transorale Implantation: Bei der transoralen Implantation wird endolaryngeal das entsprechende Material (z. B. Fascia lata oder Septumknorpel) in eine präparierte Tasche lateral zwischen Schildknorpel und M. vocalis eingebracht. Diese Art der Medialisierung kann erfolgreich bei Stimmlippennarben angewandt werden. Aryknorpeladduktion: Nach vorn und seitlich gekippte Aryknorpel, die einen Spannungsverlust und Niveauunterschiede der Stimmlippen mit sich bringen, können mittels Adduktion aufgerichtet, medialisiert, fixiert und deren Muskelfortsätze per lateralen „Zug“ (pull) zur Mittellinie hin rotiert werden. Der ziehende Faden wird dabei am vorher angelegten ipsilateralen Schildknorpelfenster fixiert.
18
374
Kapitel 18 • Larynx
a
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b
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h
..Abb. 18.8 a Medialisations-Thyroplastik. b Arytenoid-Adduktion (Rotationstechnik). c Lateralisations-Thyroplastik (lateraler Zugang). d Lateralisations-Thyroplastik (medianer Zugang). e VerkürzungsThyroplastik. f Krikothyroid-Approximation. g Elongations-Thyroplastik (lateraler Zugang). h Elongations-Thyroplastik (medianer Zugang). (Mod. nach Friedrich et al. 2001)
>>Auch diese Verfahren sind irreversibel, sie sind kompli-
kationsreich, dauern länger, der Stimmfortsatz lässt sich nicht immer einfach finden, es besteht u. a. ein erhöhtes postoperatives Tracheotomierisiko. Deshalb muss die Indikation gerechtfertigt sein.
Für Patienten mit irreversiblen einseitigen Stimmlippenlähmungen in Lateralstellung, starker Exkavation und großem Niveauunterschied stellt die Arytenoid-Adduktion ein wichtiges Verfahren dar, durch das die breite hintere Glottis-Insuffizienz geschlossen und die vertikale Differenz zwischen den beiden Stimmlippen korrigiert werden kann.
18
18.7.3
Neuromuskuläre Chirurgie
zz Laryngeale Re-Innervationschirurgie
Wenn anatomisch und operationstechnisch möglich, soll ein intraoperativ durchtrennter N. recurrens durch direkte End-zu-End-Anastomose rekonstruiert werden. Ziel ist eine nachhaltige Tonuserhöhung der gelähmten Stimmlippe, die auch zur Vermeidung einer Atrophie beiträgt. Eine Wiederherstellung der zielgerichteten Stimmlippenbeweglichkeit (Abduktion bei der Atmung, Adduktion bei der Stimmbildung) kann jedoch durch Nervenrekonstruktion praktisch nie erreicht werden, weil unterschiedliche Nervenfasern antagonistisch wirkende
Muskelgruppen innervieren (sog. Autoparalyse). Für den Fall des Nichtauffindens eines brauchbaren distalen Stumpfes des N. recurrens wird die Nervenimplantation der Ansa cervicalis über ein Schildknorpelfenster in den ipsilateralen M. thyroarytenoideus beschrieben. Bei funktionsfähiger Ansa cervicalis und beweglichen Aryknorpeln besteht bei chronischen einseitigen Stimmlippenlähmungen bedingt durch den Funktionsausfalls des N. laryngeus recurrens die Möglichkeit der Re-Innervation durch Anastomose zwischen der Ansa cervicalis und N. laryngeus recurrens, durchaus auch in Verbindung mit einer Arytenoid-Adduktion. Eine weitere Technik ist die Nerv-Muskel-Stiel-Technik nach Tucker, wobei zur Re-Innervation der Kehlkopfadduktoren ein an der Ansa cervicalis gestielter Muskel des M. omohyoideus über ein Schildknorpelfenster an die gelähmte Muskulatur angeschlossen wird. Zukünftig wird durch implantierbare Systeme zur Stimulation der Kehlkopfmuskulatur (sog. larynx pacemaker), speziell bei beidseitigen Stimmlippenlähmungen, eine funktionswiederherstellende Behandlungsmethode zur Verfügung stehen. Diese Methode wird derzeit intensiv zur Stimulation des M. thyreoayrtenoideus posterior („Posticus“) erprobt, wodurch insbesondere das Problem der Dyspnoe gelöst werden kann (Müller und Förster 2013). 18.7.4
Rekonstruktive Chirurgie bei teilweisem oder vollständigem Organverlust
Bezüglich der Stimmrehabilitation nach totaler Laryngektomie wird auf 7 Kap. 21 (Wiederherstellung der Sprachfunktion nach totaler Kehlkopfentfernung) verwiesen. Im Übrigen wird auf 7 Abschn. 18.8.2 dieses Beitrags verwiesen. 18.8 Rekonstruktion
Chirurgie
bei ablativer
Da der Kehlkopf als eigenständiges Organ von seinen anatomischen Nachbarstrukturen gut abgrenzbar ist und Tumoren des Kehlkopfinneren durch das Knorpelgerüst des Larynx von einer Infiltration in die umgebenden anatomischen Strukturen während des natürlichen Krankheitsverlaufs lange behindert bleiben, ist mit einer Kehlkopf-Teilresektion oder einer vollständigen Exstirpation des Kehlkopfs bei fast allen Larynx-Karzinomen eine Tumorresektion in zuverlässig gesunden Grenzen möglich. Die lokalen Kontrollraten und das rezidivfreie Überleben nach Teilresektion oder Kehlkopfexstirpation sind bis heute unverändert ebenso gut oder besser als nach nichtchirurgischer Therapie. Rekonstruktive Maßnahmen im
375
18.8 • Rekonstruktion bei ablativer Chirurgie
a
b
..Abb. 18.9 a, b Möglichkeiten der Glottis-Rekonstruktion bei offenen Larynx-Teilresektionen durch lokale endolaryngeale Verschiebelappen. (Mod. nach Arens und Remacle 2010)
Zusammenhang mit der chirurgischen Therapie von Larynx-Karzinomen dienen einerseits dem Pharynx-Verschluss nach Laryngektomie, andererseits der Wiederherstellung von Stimmbildung, Schluckakt oder Atemweg. 18.8.1
Sofortige Rekonstruktion
Die Rekonstruktion des Pharynx nach totaler Laryngektomie erfolgt in der Regel durch primären Wundverschluss. Wenn zuvor keine Strahlentherapie erfolgt ist, ist der Pharynx-Verschluss unkompliziert und in den meisten Fällen primär erfolgreich. Ausgedehnte Defekte des Hypopharynx werden heute in der Regel mit mikrovaskulär anastomosierten Transplantaten, etwa dem freien Radialis-Lappen oder dem Jejunum-Interponat, rekonstruiert. Mikrovaskuläre Verfahren können jedoch undurchführbar sein, wenn nach früheren tumorchirurgischen Eingriffen am Hals geeignete Gefäße nicht mehr zur Verfügung stehen. Alternativ kann nach querer Pharyngektomie eine Pharynx-Rekonstruktion mittels stumpfer Ösophagus-Dissektion und retrosternalem Magenhochzug erfolgen. Eine ausführliche Darstellung der chirurgischen Verfahren zur Pharynx-Rekonstruktion findet sich in 7 Kap. 19 (Rekonstruktion des Pharynx). Larynx-Teilresektionen verfolgen, im Gegensatz zur totalen Laryngektomie, das Ziel eines besseren Funktionserhalts. In den beiden letzten Jahrzehnten haben sich dabei immer mehr endolaryngeale, meist laserchirurgische Operationsverfahren durchgesetzt. Der Vorteil dabei ist die Vermeidung einer zugangsbedingten Morbidität. Eine Rekonstruktion der resezierten anatomischen Strukturen ist dabei in der Regel nicht vorgesehen und technisch in den meisten Fällen auch nicht sinnvoll durchführbar.
Die primäre Rekonstruktion hat aber in Einzelfällen auch nach endolaryngealer Operation Vorteile: Da das verbliebene Gewebe weich ist, weil der Vernarbungsprozess noch nicht eingesetzt hat, wird durch einen Volumenausgleich eine bessere Voraussetzung für einen späteren Glottis-Schluss und damit eine Anregung der möglicherweise kontralateral erhaltenen Stimmlippe geschaffen. Dadurch wird der Vernarbungsprozess der rekonstruierten Stimmlippe günstig beeinflusst. Im Rahmen der Heilungsphase kann so ein kompletter Glottis-Schluss erreicht werden. Deshalb muss ein ausreichender Anteil des M. vocalis erhalten geblieben sein. Hierzu wird mikrolaryngoskopisch nach erfolgter partieller Chordektomie Fett lateral zwischen inneres Perichondrium und Muskelrest an zwei Punkten am Übergang vom vorderen zum mittleren Drittel und lateral des Proc. vocalis im Sinne einer Überkorrektur injiziert. Da noch keine Narben vorhanden sind, kann das Injektat problemlos expandieren. Weil die Resektionsfläche nicht verändert wird, sondern nur nach medial verschoben ist, können im Rahmen einer Kontrollmikrolaryngoskopie evtl. später auftretende histologisch nachgewiesene Veränderungen im Bereich des basalen Absetzungsrands problemlos abgetragen werden. Nach offenen vertikalen Teilresektionen (Zugangsweg: vertikale Thyreotomie in der Medianlinie des Schildknorpels) werden demgegenüber häufiger rekonstruktive Maßnahmen erforderlich. Dabei muss einerseits eine Rekonstruktion des Schildknorpels (in der Regel durch Knorpelnaht) erfolgen. Substanzdefekte im Bereich der Stimmlippen können darüber hinaus durch lokale Verschiebelappenplastiken ausgeglichen werden. Hierdurch soll eine Verbesserung der Stimmfunktion erreicht werden; insbesondere soll ein späterer insuffizienter GlottisSchluss vermieden werden. Auch Wangenschleimhaut-
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18
Kapitel 18 • Larynx
gewebe wird zur glottischen Rekonstruktion eingesetzt, etwa für den Ersatz der epithelialen Schicht der Stimmlippe. Dickere Muskel- oder Schleimhautlappen benachbarter Regionen des Larynx können größere Gewebsverluste im Bereich der Glottis rekonstruieren, beispielsweise einseitige oder beidseitige Taschenfaltenlappen; dabei wird der gestielte Taschenfaltenschleimhautlappen zur Stimmlippenebene hin rotiert (. Abb. 18.9). Es können zudem augmentierte Taschenfaltenlappen, kombinierte Taschenfalten-Epiglottis-Lappen oder bei offenen Teilresektionen Epiglottis-Verschiebelappen (. Abb. 18.10) zur Schaffung eines Widerlagers für die kontralaterale Stimmlippe bzw. Taschenfalte genutzt werden, je nach Größe des Glottis- bzw. Larynx-Defizits (Schröder et al. 1997). Es besteht auch die Möglichkeit, ein ipsilaterales Schildknorpelstück unter dem Lappen zu platzieren, um mehr Volumen in die rekonstruierte Struktur zu bekommen. Bei supraglottischen Kehlkopfteilresektionen (heute sog. open partial horizontal laryngectomy [OPHL] Typ I) muss der vordere Larynx wiederhergestellt werden. Dies geschieht in der Regel durch Approximation der verbliebenen Schildknorpel-Oberkante an das Zungenbein (Succo et al. 2014; . Abb. 18.11). Die früher in diesem Zusammenhang häufig durchgeführte Resektion des Zungenbeins aus onkologischen Gründen ist häufig nicht erforderlich. Wenn sie doch durchgeführt wird, ist die Rekonstruktion des supraglottischen Larynx deutlich erschwert: Sie muss dann durch Annäherung des Schildknorpels an den Zungengrund durchgeführt werden. Dabei entstehen häufig Wundheilungsstörungen und Fisteln. Sie haben ihre Bedeutung teilweise verloren, weil ein beträchtlicher Teil der kleineren supraglottischen Larynx-Karzinome ebenfalls endolaryngeal zuverlässig reseziert werden kann und die damit verbundenen funktionellen Beeinträchtigungen (Aspiration, temporäre Tracheotomie) wesentlich günstiger sind als nach offener supraglottischer Teilresektion. Bei den heute zunehmend gebräuchlichen suprakrikoidalen Teilresektionen (und den sehr selten durchgeführten supratrachealen Teilresektionen), bei denen der gesamte Schildknorpel, der paraglottische Raum beidseits (unter Erhalt von wenigstens einem Stellknorpel) und ggf. die infrahyoidale Epiglottis reseziert werden, erfordert eine Rekonstruktion der vorderen Begrenzung des Larynx durch eine sog. Crico-Hyoido-Epiglottopexie, also durch eine Annäherung des Ringknorpels (der zervikalen Trachea) an das Zungenbein mit mehreren kräftigen, durchgreifenden Nähten (Succo et al. 2014). Es handelt sich hierbei im Wesentlichen um die supracrikoidalen Kehlkopfteilresektionen mit Crico-Hyoido-Epiglottopexie (CHEP; heute sog. open partial horizontal laryngectomy [OPHL] Typ IIa) oder mit Crico-Hyoido-Pexie (CHP; heute sog. open partial horizontal laryngectomy [OPHL] Typ IIb; . Abb. 18.12),
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..Abb. 18.10 a–d Rekonstruktion des vorderen Larynx durch Epiglottis-Verschiebelappen. (Mod. nach Schröder et al. 1997)
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die subtotale Kehlkopfteilresektion nach Sedlaczek, Kambic und Tucker (mit Rekonstruktion der vorderen glottischen Anteile des Larynx durch eine Verschiebung der Epiglottis nach kaudal) und verschiedene Formen der rekonstruktiven Kehlkopfteilresektionen (teilweise unter Einsatz mikrovaskulärer Verfahren).
Sie schließen die Lücke zwischen der endolaryngealen Resektion kleinerer Tumoren und der totalen Laryngektomie bei fortgeschrittenen Karzinomen Die klassischen Hemilaryngektomien sind demgegenüber mehr aus funktionellen Gründen verlassen worden, weil es in ihrem Gefolge häufig zu einer schweren chronischen Aspiration und zu einer Verengung des laryngealen Atemwegs kam, die eine spätere Dekanülierung nicht erlaubte. 18.8.2
Sekundäre Rekonstruktion
Stimmstörungen nach Larynx-Teilresektionen können in Einzelfällen phonochirurgisch gebessert werden. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob die Stimmstörung durch eine mangelnde Schwingungsfähigkeit des verbliebenen Gewebes im Larynx bedingt ist oder aber durch einen unvollständigen Glottis-Schluss mit phonatorischem Verlust der Atemluft bei der Stimmbildung. Eine mangelnde Schwingungsfähigkeit mit herabgesetzter Stimmqualität ist in der Regel narbig bedingt und kaum jemals sinnvoll zu korrigieren. Dies trifft auch für narbige Synechien der vorderen Kommissur zu, die
377
18.8 • Rekonstruktion bei ablativer Chirurgie
..Abb. 18.11 Rekonstruktion des Larynx nach suprakrikoidaler Teilresektion durch Crico-Hyoido-Pexie. a Situs nach suprakrikoidaler Teilresektion. b Nahtführung um den Ringknorpelbogen (submukös geführt und das Zungenbein. Nähte vorgelegt). c Situs nach Abschluss der Pexie. Ringknorpel und das Zungenbein fixiert
a
zwar chirurgisch durchtrennt werden können, in der Regel aber ohne zuverlässige Verbesserung der Stimme. Bei operationsbedingter Glottis-Insuffizienz sind demgegenüber im Einzelfall glottisverengende Maßnahmen möglich. Durch die Rekonstruktion des Glottis-Schlusses (entweder durch eine Augmentation, oder – wesentlich effektiver – durch eine Medialisations-Thyroplastik, 7 Abschn. 18.7.1 und 18.7.2) kann eine erhebliche Verbesserung der Stimmleistungsfähigkeit (meist aber nicht eine Reduktion der Rauigkeit bei der Stimmbildung) erreicht werden. >>Dabei ist allerdings besondere Vorsicht geboten, wenn
der Patient zuvor am Kehlkopf bestrahlt wurde. Viele erfahrene Larynx-Chirurgen sehen in einem Zustand nach Radiotherapie eine klare Kontraindikation für phonochirurgischer Maßnahmen, jedenfalls für Eingriffe am Knorpelskelett des Kehlkopfs.
Bei endoskopischen transoralen Chordektomien besteht zur Medialisierung der defizitären Stimmlippe die Option der Injektionsthyroplastik mit autologem Fett. Als Alternative kann auch Polydimethylsiloxanelastomer (Vox Implants) injiziert werden (Sittel 2009). Die Behandlung von Stimmlippennarben konnte bislang aufgrund der Heterogenität der Erkrankung nicht standardisiert werden (Arens und Remacle 2010). Verschiedene Verfahren kommen derzeit zum Einsatz: Injektionslaryngoplastik (z. B. autologes Kollagen, Hyaluronsäure) oder Implantation von Faszie bzw. körpereigenem Knorpel. Einige Autoren empfehlen zeitversetzte Eingriffe. Remacle und Mitarbeiter warten mindestens 6 Monate nach endoskopischen subepithelialen, subligamentären oder auch transmuskulären Chordektomien ab, bevor sie eine Isshiki-Thyroplastik Typ I, vorzugsweise mit einer Friedrich-Prothese, durchführen (Remacle et al. 2006). Gezielt wird hier der Stimmlippe Zeit gegeben, eine später als Widerlager gedachte Narbenplatte und/bzw. eine fibröse Ersatzstimmlippe herauszubilden. Außerdem
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möchte man durch dieses Vorgehen zunächst den Erfolg einer konservativen Stimmtherapie, aber auch mögliche frühe Rezidive abwarten. >>Einschränkend muss gesagt werden, dass durch das
zeitversetzte Vorgehen mögliche narben- oder durch Glottis-Insuffizienz bedingte funktionelle Einbußen nicht ausgeschlossen werden können, die ohne eine konventionelle Stimmtherapie stimmfunktionelle Kompensationsmechanismen in Gang setzen können.
Außerdem verstreicht die Option, durch bestimmte phonochirurgische Eingriffe die Narbenbildung zu beeinflussen. Narbenaugmentationen mit autologem Knorpel (wegen der hohen Resorptionsstabilität mit Schild- oder Septumknorpel) können über einen transoralen oder transzervikalen Zugang erfolgen. Das Ziel dieses Verfahrens der Glottis-Rekonstruktion ist bei beiden Vorgehensweisen wieder die Schaffung eines Widerlagers für die intakte kontralaterale Stimmlippe. Arens und Remacle (2010) legen dazu über einen Zugang eine endolaryngeal vorgefertigte Tasche an, in die der Knorpel implantiert wird. Meist erfolgt jedoch eine Thyroplastik zur Medialisierung per Augmentation durch Implantation von autologem Knorpel oder von Implantaten über einen transzervikalen Zugang. Zur Verringerung von Glottis-Insuffizienzen nach ausgedehnten Chordektomien oder offener Chirurgie höheren Typs kann die Rekonstruktion der Glottis mit lokalen Verschiebelappen (meist von der Taschenfalte) auch nach längerer Zeit der Verheilung erfolgreich sein. Verfahren der Zelltherapie (Tissue-Engineering) stellen innovative Ansätze bei der Wiederherstellung des Reinke-Raums dar, z. B. eine Wachstumsfaktortherapie als Form der regenerativen Medizin oder die Stammzelltherapie (Gugatschka et al. 2012). Mittels dadurch ausgelöster Fibroblastenaktivität und einer Reorganisation der extrazellulären Matrix erhofft man sich eine signifi-
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Kapitel 18 • Larynx
kante Verbesserung der Schwingungseigenschaften der vernarbten Stimmlippen. Bei dünnen Narben können eine Auflösung derselben sowie die lokale Applikation von Mitomycin C erfolgreich sein. Für den evidenzbasierten Einsatz von Hyaluronsäure zur Optimierung der Viskoelastizität der Stimmlippen bedarf es jedoch zunächst noch größerer Untersuchungen, zumal es hierdurch auch selten zu lokalen entzündlichen Komplikationen kommen kann. Auch wenn die Stimme durch alle diese Verfahren der primären und sekundären Chirurgie v. a. bei Chordektomien höheren Typs immer weniger wieder normalisiert werden kann, so verbessern sich die aerodynamischen und auch klanglichen Aspekte der Stimmqualität zumeist doch deutlich, die Sprechpassagen werden durch die günstigeren aerodynamischen Verhältnisse länger, und die Patientenzufriedenheit steigt. Zumindest gelingt es oftmals, eine stabile Klangquelle herzustellen, die zur normalen Unterhaltung ausreicht (Arens und Remacle 2010).
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18.8.3 Versorgung
von Wundheilungsstörungen und pharyngokutanen Fisteln nach Laryngektomie e
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Pharynx-Fisteln nach totaler Laryngektomie bei nicht zuvor bestrahlten Patienten stellen in der Regel keine besondere Herausforderung dar. Sie heilen entweder spontan oder können, wenn erforderlich, im Rahmen einer Revisionsoperation primär verschlossen werden. Durch den zunehmenden Einsatz von organerhaltenden konservativen Therapieansätzen (Radiochemotherapie) kommt aber der Rettungschirurgie bei Therapieversagern heute eine zunehmende Bedeutung zu. Sie ist allerdings eine besondere chirurgische Herausforderung: das Risiko für schwere und schwerste Wundheilungsstörungen ist hoch, und aufwändige Formen des Pharynx-Verschlusses/der Pharynx-Rekonstruktion sind häufig erforderlich, um eine Wundheilung überhaupt zu ermöglichen (. Abb. 18.13).
..Abb. 18.12 Einteilung der supracricoidalen und supratrachealen horizontalen Teilresektionen mit Rekonstruktion des Larynx durch Crico-(Tracheo‑)Hyoidopexie nach Succo et al. (2014). a Supraglottische Kehlkopfteilresektion (OPHL Typ I). b Suprahyoidale Teilresektion mit Crico-Hyoido-Epiglottopexie (OPHL Typ IIa). c Suprahyoidale Teilresektion mit Crico-Hyoidopexie (OPHL Typ IIb). d Supratracheale Teilresektion mit Crico-Hyoido-Epiglottopexie (OPHL Typ IIIa). e Supratracheale Teilresektion mit Crico-Hyoidopexie (OPHL Typ IIIb). (Mod. nach Succo et al. 2014)
>>Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass Wund-
heilungsstörungen und Fistelbildungen nach Rettungslaryngektomie eine echte chirurgische Herausforderung darstellen, zu deren Bewältigung heute unterschiedliche Ansatzpunkte empfohlen werden.
>>Als Königsweg zur Vermeidung von Wundheilungs-
störungen und postoperativen Fisteln gilt heute die Verstärkung der Pharynx-Naht durch einen aufgelagerten, gut durchbluteten Faszien-Muskel-Lappen. Der Lappen muss aus einem Areal stammen, das ursprünglich nicht bestrahlt wurde.
Wiederholt konnte in der aktuellen Literatur gezeigt werden, dass bei routinemäßiger Verstärkung der PharynxNaht durch Auflagerung eines Pectoralis-major-Lappens die Fistelrate signifikant reduziert werden konnte, zugleich wurde die Zeit bis zum spontanen Verschluss der Fisteln deutlich verkürzt.
Aus der eigenen chirurgischen Erfahrung verspricht die frühzeitige Einarbeitung von gut durchbluteten Muskellappen (Standard: myokutaner oder myofaszialer Pectoralis-major-Lappen) die besten Aussichten auf unkomplizierte Wundheilung, auch wenn ein spannungsfreier Pharynx-Verschluss intraoperativ möglich ist. Der Lappen wird dann dem verschlossenen Pharynx aufgelagert (. Abb. 18.13). Die perioperative antibiotische Behandlung scheint keinen wesentlichen Einfluss auf die Rate der Wundheilungsstörungen zu haben. Wenn sie durchgeführt wird, sollte sie jedenfalls mit einem Breitspektrum-Antibiotikum und über mehrere Tage erfolgen.
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18.8 • Rekonstruktion bei ablativer Chirurgie
..Abb. 18.13 Rekonstruktion des Pharynx nach Rettungslaryngektomie wegen eines Tumorresiduums nach ursprünglicher Radiochemotherapie. a Pharynx-Defekt nach Abschluss der Laryngektomie. Es ist ausreichend Schleimhaut für einen primären Wundverschluss erhalten. b Myofaszialer Pectoralis-major-Lappen nach Hebung. c Myofaszialer Pectoralis-major-Lappen nach Auflagerung auf den primär verschlossenen Pharynx. d Myofaszialer Pectoralis-major-Lappen nach Deckung mit Spalthaut vom Oberschenkel
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Der Einsatz von sog. „Salivary-Bypass-Stents“ ist in der Literatur beschrieben worden, aber letztlich zu wenig überzeugend, um hieraus eine allgemeine Empfehlung herleiten zu können. Eine präoperative Substitution von Blut auf Hämoglobinwerte von > 12,2 g/dl und die Korrektur einer Hypalbmuminämie ist bei Patienten nach Radiochemotherapie sicher häufig erforderlich und soll signifikanten Einfluss auf die Wundheilung nach Laryngektomie haben (Erdag et al. 2013). Ob die Verwendung von antibiotisch imprägniertem Nahtmaterial, das sich bei allgemeinchirurgischen Eingriffen bewährt hat, auch für die Pharynx-Rekonstruktion nach Laryngektomie empfohlen werden soll, ist derzeit noch offen. Wenn eine solche Rekonstruktion im Rahmen der Rettungslaryngektomie unterblieben ist und postoperativ eine Fistel auftritt, sollte umgehend eine chirurgische Revision mit Rekonstruktion des Larynx-Defekts unter Einsatz eines Pectoralis-major-Lappens (oder eines alternativen Gewebsersatzes) erfolgen. 18.8.4
Rekonstruktion von prälaryngealen Hautdefekten
Nur bei sehr weit fortgeschrittenen Larynx-Karzinomen wird eine Resektion der prälaryngealen Haut erforderlich. Da in diesen Fällen häufig auch eine Rekonstruktion des Larynx erforderlich wird, muss eine entsprechende Planung für beide Rekonstruktionsmaßnahmen getroffen werden. Häufig müssen dabei Lokale Haut-MuskelLappen und mikrovaskulär anastomosierte Lappen kombiniert werden. Die Wahl der Rekonstruktionsmaßnahmen unterliegt dabei nicht festen Regeln, sie muss sich an der jeweiligen Situation im Einzelfall orientieren.
18.8.5 Larynx-Transplantation
Im Jahr 1969 erfolgte die erste Kehlkopftransplantation beim Menschen. Der Kehlkopf war wegen eines Stimmlippenkarzinoms entfernt worden. Unter entsprechender immunsuppressiver Therapie heilte der Larynx ein. 8 Monate nach der Transplantation kam es jedoch zu einem Tumorrezidiv und in weiterer Folge zu einer Fernmetastasierung, an der der Patient schließlich verstarb (Kluyskens und Ringoir 1970). >>Seither gilt die Larynx-Transplantation nach Laryn-
gektomie wegen bösartiger Erkrankungen als obsolet, weil die erforderliche immunsuppressive Behandlung nach Transplantation die Dissemination der zugrunde liegenden Tumorkrankheit fördert.
Im Jahr 1998 führte Strome nach Unfallverletzung des Larynx eine auch funktionell zunächst erfolgreiche Laryngektomie mit anschließender Transplantation eines Spenderorgans durch. Dabei konnten die Probleme der Gefäß- und Nervenanastomosierung technisch erfolgreich gelöst werden, sodass ein akzeptabel funktionierender Kehlkopf resultierte. Allerdings kam es durch eine chronische Abstoßungsreaktion nach 10 Jahren schließlich zu einer progredienten Verschlechterung der Kehlkopffunktion, sodass schließlich das transplantierte Organ wieder exstirpiert werden musste (Lorenz und Strome 2014). Wenngleich in der Folge weitere Larynx-Transplantationen beim Menschen durchgeführt wurden, sind die sich ergebenden immunologischen Probleme letztlich noch nicht zufriedenstellend gelöst. Da die überwälti-
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Kapitel 18 • Larynx
380
gende Mehrheit aller Laryngektomien aufgrund bösartiger Erkrankungen (Larynx-Karzinom) erfolgen muss und die Transplantation gerade bei dieser Indikation aus onkologischen Gründen nicht sinnvoll ist, spielt sie bis heute in der klinischen Routine keine wesentliche Rolle. 18.9 Chirurgische
Schluckrehabilitation
18.9.1 Grundlagen
Schluckstörungen können einerseits durch morphologische Veränderungen im Bereich von Mundhöhle, Pharynx, Larynx und Ösophagus bedingt sein; sie können aber auch als Folge von Störungen der sensiblen oder motorischen Innervation dieser Organe entstehen. Prinzipiell können Schluckstörungen dabei mit drei Hauptsymptomen einhergehen:
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Schluckstörungen – Hauptsymptome Obstruktion (Erschwerung des Bolus-Transports) Aspiration (Verschlucken von Nahrungsbestandteilen oder Speichel in die Luftröhre) Globusgefühl (unbestimmte Missempfindungen im Rachen, häufig subjektiv als „Schluckstörungen“ empfunden, obwohl der Schluckakt für feste Nahrung und Flüssigkeiten nicht wirklich erschwert ist)
18.9.2
18
Indikationen, Kontraindikationen
Für eine operative Behandlung kommen im Grunde nur die Obstruktion und die Aspiration in Betracht. Beim Globusgefühl ergibt sich kaum ein sinnvoller operativer Behandlungsansatz. Schluckstörungen durch morphologische Veränderungen im Bereich von Mundhöhle und Rachen sollen in diesem Kapitel nicht betrachtet werden. Die wesentliche physiologische Aufgabe des Kehlkopfes ist die Trennung von Atem- und Nahrungsweg beim Schluckakt. Störungen dieser Funktion führen zur Aspiration von Nahrung oder Speichel. Aspirationen können auf Substanzdefekte, insbesondere im Bereich des Kehlkopfs (beispielsweise nach supraglottischer Kehlkopf-Teilresektion), oder auf neurogene Ursachen zurückzuführen sein (Ey 1986). Dabei können sowohl isolierte Schädigungen des N. laryngeus superior oder des N. vagus (oft in Verbindung mit Läsionen des N. glossopharyngeus) als auch Funktionsstörungen im Bereich des zentralen Nervensystems, insbesondere des Hirnstamms, ursächlich sein. Isolierte Läsionen des N. laryngeus inferior (recurrens) führen demgegenüber nicht zu ernsteren Störungen des Schluckakts. Funktionsstörungen des N. laryngeus superior führen zu einer Sensibilitätsstörung im Bereich des supraglottischen Larynx, sodass
der Schluckreflex nicht zeitgerecht eingeleitet werden kann. Es kommt dann zu einem verspäteten oder ausbleibenden Abschluss des Kehlkopfs auf Glottis-Ebene. Bei einseitigen isolierten Läsionen sind operative Maßnahmen zur Schluckrehabilitation in der Regel nicht erforderlich. Durch entsprechendes logopädisches Schlucktraining können fast immer kompensatorische Schluckmechanismen erlernt werden. Bei beidseitigem Ausfall der oberen Kehlkopfnerven (etwa im Rahmen tumorchirurgischer Maßnahmen) ist die Schluckrehabilitation erheblich schwieriger, dennoch ist die funktionelle Therapie anfangs die Behandlung der Wahl. Besonders gefürchtet ist jedoch die Schlucklähmung als Folge eines Funktionsverlusts des N. vagus (besonders mit, aber auch ohne Beteiligung des N. glossopharyngeus; Ey 1986). Bei beidseitigem Schlucklähmungssyndrom, etwa bei ausgedehnten Schädelbasisprozessen, sind die u. g. Maßnahmen in aller Regel nicht aussichtsreich. Zum Schutz der tiefen Atemwege muss dann entweder ein Kehlkopfverschluss oder eine totale Laryngektomie mit zuverlässiger Trennung von Atem- und Nahrungsweg erfolgen. 18.9.3
Chirurgische Behandlung des sog. Schlucklähmungssyndroms
Bei chronischer Aspiration als Folge von einseitiger Lähmung des N. vagus (insbesondere bei gleichzeitiger Lähmung des N. glossopharyngeus) kann zur Behandlung der von den Autoren so genannten „Schlucklähmung“ das Rehabilitationskonzept von Denecke, das später ausführlich von Ey dargestellt wurde, indiziert sein (Ey 1986; Denecke 1980). Es besteht aus fünf einzelnen chirurgischen Schritten, die in Abhängigkeit von der klinischen Grundsituation in unterschiedlicher Weise kombiniert werden können: 1. Anlage eines vollständig epithelisierten Tracheostomas mit der Einlage einer geplagten Trachealkanüle: Ursprünglich hatte Denecke hier vorgeschlagen, durch das Tracheostoma hindurch und neben der Trachealkanüle einen intratrachealen Verband einzubringen, um die tieferen Trachealabschnitte zu schützen. Heute wird statt dieses Verbandes eine geblockte Kanüle eingesetzt. Auf diese Weise kann symptomatisch eine Aspiration in die tiefen Luftwege verhindert werden. Die Anlage eines epithelisierten Tracheostomas ist regelmäßig der erste operative Schritt im Rahmen der Schluckrehabilitation, auch bei denjenigen Patienten, bei denen zunächst durch funktionelle Maßnahmen der Schluckakt wiederhergestellt werden soll. 2. Myotomie des M. cricopharyngeus: Sie beseitigt die verzögerte Muskelerschlaffung des pharyngoösophagealen Sphinkters und führt damit zur Herabsetzung des pharyngealen Druckanstiegs beim Schluckakt. Dadurch wird das Abschlucken erleichtert und eine sekundäre Aspiration (durch Eintritt von Flüssig-
18.9 • Chirurgische Schluckrehabilitation
keitsretentionen aus dem Pharynx in den Larynx hinein) reduziert. Außerdem wird im Fall von weiterführenden Eingriffen an der Pharynx-Wand die Pharynx-Naht in der postoperativen Phase entlastet. Anstelle der Myotomie kann auch eine endoskopische Infiltration des M. cricopharyngeus mit Botulinumtoxin erfolgen. Dieses Vorgehen ist technisch simpel und bei sachgemäßer Handhabung des Toxins komplikationsarm. Allerdings hält der Effekt nur etwa 6–9 Monate an. Danach muss die Injektion entweder wiederholt werden, oder es fällt doch der Entschluss zur endoskopischen (transoralen) oder offenen Myotomie. Ein besonderer Vorteil der Botulinumtoxin-Injektion liegt darin, dass der Effekt einer chirurgischen Myotomie hierdurch simuliert und bezüglich seiner Wirksamkeit beurteilt werden kann, bevor chirurgische Maßnahmen am Muskel erfolgen. 3. Rekonstruktion des Glottis-Schlusses: Hierunter können alle glottisverengenden Maßnahmen gezählt werden: Der erweiterte Glottis-Spalt kann entweder durch eine Stimmlippenaugmentation verengt werden oder aber durch eine Medialisations-Thyroplastik. Dabei kommen die gleichen Verfahren zur Anwendung, die in der Phonochirurgie (7 Abschn. 18.7) verwendet werden. 4. Resektion der ausgebuchteten paralytischen PharynxWand: Die fehlende motorische Innervation der Pharynx-Muskulatur kann zu einer Aussackung im Bereich von Oro- und Hypopharynx führen. Sie stellt ein statisches Hemmnis im Schluckablauf dar und kann durch eine Resektion der paralytischen PharynxWandung (Pharynx-Teilresektion) korrigiert werden. Die sich im Anschluss bildende Vernarbung führt zu einem Widerlager des Pharynx beim Schluckakt und damit zu einer effizienteren Wirkung der PharynxMuskulatur auf der nichtgelähmten Gegenseite. 5. Fixation des weichen Gaumens der gelähmten Pharynx-Seite an die hintere Pharynx-Wand: Hierbei wird das gelähmte Gaumensegel der betroffenen Seite in die hintere Pharynx-Wand eingenäht. Dieser Schritt führt zu einem partiellen Nasopharynx-Verschluss und dient der Behebung der Gaumensegelinsuffizienz. Hierdurch soll das Verschlucken von Flüssigkeiten in die Nase hinein (zugleich aber auch eine eventuell vorhandene Rhinophonia aperta) beseitigt werden. Dieser Operationsschritt kann am einfachsten transoral durchgeführt werden. Ein in dieser Konzeption nicht vorgesehener Operationsschritt ist die Kranialverlagerung des Kehlkopfs. Die Methode wurde 1959 von Edgerton und Duncan angegeben (Edgerton und Duncan 1959) und in der Folgezeit mehrfach chirurgisch abgewandelt. Sie zielt darauf ab, den Kehlkopf möglichst weit nach kranial zu verlagern und somit ein Überschlucken in den Kehlkopf zu vermeiden. Bei erwachsenen Menschen hat sich der Kehlkopf physio-
381
..Abb. 18.14 Larynx-Hochzug mit Pexie des Schildknorpels an das Zungenbein und des Zungenbeins an die Mandibula mittels Drahtnaht
logisch soweit nach kaudal verlagert, dass eine große Lücke zwischen Weichgaumen und Epiglottis entsteht. Diese Konfiguration erlaubt es, den Pharynx als Teil des stimmbildenden Resonators einzusetzen und ermöglicht damit dem Menschen eine differenzierte Stimmbildung. Zugleich werden jedoch hierdurch die zentralen Atemwege anfälliger für das Auftreten einer Aspiration, wenn der Kehlkopfverschluss nicht mehr vollständig möglich ist. >>Das Konzept der Kranialverlagerung strebt eine
Wiederherstellung des Zustands an, wie er beim Neugeborenen besteht. Je weiter der Kehlkopf nach kranial verlagert werden kann, desto weniger besteht die Möglichkeit eines Überschluckens in Kehlkopf und Trachea.
Eine Fixierung des Schildknorpels an das Zungenbein unter Verkürzung der Distanz zwischen diesen beiden Strukturen ist hierzu in aller Regel nicht ausreichend. Vielmehr wird typischerweise nach Approximation des Schildknorpels an das Zungenbein die Fixierung des Hyoids an den Unterkiefer erforderlich, um eine ausreichende Kranialverlagerung zu erreichen (. Abb. 18.14). Obwohl die Kranialverlagerung bislang ganz überwiegend zur Rehabilitation des Schluckakts nach tumorchirurgischen Eingriffen an Larynx, Pharynx und Zungengrund Anwendung findet, ist sie doch auch erfolgreich zur chirurgischen Behandlung der sog. einseitigen Schlucklähmung einzusetzen. Allerdings ist die Kranialverlagerung des Kehlkopfs für sich alleine keine ausreichende Behandlung der chronischen Aspiration. >>Auch dieser Operationsschritt muss in ein chirurgisches
Gesamtkonzept zur Schluckrehabilitation eingebettet werden, das stets die Myotomie des M. cricopharyngeus und die Anlage eines epithelisierten Tracheostomas beinhalten muss.
Die Resektion der ausgebuchteten paralytischen Pharynx-Wand und die Fixation des weichen Gaumens der
18
382
Kapitel 18 • Larynx
gelähmten Pharynx-Seite an die hintere Pharynx-Wand können demgegenüber manchmal unterbleiben. Auch eine Rekonstruktion des Glottis-Schlusses ist nicht immer erforderlich, wenn es gelingt, den Larynx so weit anzuheben, dass beim Schluckakt ein Übertritt des Bolus in den Kehlkopfeingang unterbleibt. 18.10
Adjuvante Therapiemaßnahmen
Literatur sind erfolgversprechende Ergebnisse sowohl für die Verhütung von Restenosierungen als auch zur Rezidivprophylaxe nach Abtragung von idiopathischen Granulomen mitgeteilt worden. Logopädische Maßnahmen bilden regelmäßig einen wesentlichen Teil der Nachbehandlung nach phonochirurgischen Operationen und nach Eingriffen zur Schluckrehabilitation.
-
Zusammenfassung
18
Bei der mikrolaryngoskopischen und bei der offenen Larynx-Chirurgie ist neben der eigentlichen chirurgischen Behandlung in der Regel eine medikamentöse Begleittherapie indiziert. Sie soll hier kurz diskutiert werden. Bei allen Eingriffen, bei denen die Knorpelstrukturen des Kehlkopfs und/oder der Trachea freigelegt werden, ist eine präoperative Antibiotika-Prophylaxe zur Vermeidung von Wundinfektionen indiziert. Sie sollte mit einem bakteriziden Antibiotikum erfolgen und etwa 30 Minuten vor Beginn des Eingriffs appliziert werden. Infrage kommen in erster Linie Cephalosporine der zweiten Generation, Kombinationen aus Penicillinen mit Penicllinase-Hemmern, oder Clindamycin. Die Effektivität von Steroiden ist umstritten. Während der unmittelbaren perioperativen Phase haben hochdosierte Steroide (beispielsweise 250 mg Methylprednisolon) eine Reihe von erwünschten Effekten, insbesondere die Vermeidung operationsbedingter Gewebeschwellungen und eine Reduzierung des Operationstraumas insgesamt. Gelegentlich werden Steroide über einen längeren Zeitraum zur Vermeidung der Bindegewebsneubildung und damit der unerwünschten erneuten Narbenbildung nach Stenosenoperationen gegeben. Ob eine solche Steroidbehandlung tatsächlich sinnvoll ist, muss allerdings bezweifelt werden. Eine Verzögerung oder Verminderung der Bindegewebsneubildung bedeutet schließlich immer auch eine Verzögerung der Wundheilung. In jüngster Zeit ist wiederholt über die lokale Anwendung von Mitomycin C zur Verhütung und Behandlung von unerwünschten Narbenbildungen in Kehlkopf und Trachea berichtet worden. Mitomycin C hemmt die DNA-Synthese infolge Alkylierung und ist ein potenter Hemmer der Bindegewebsneubildung. Mitomycin C ist ein wirksames antineoplastisches Zytostatikum, das systemisch und lokal zur Behandlung von Karzinomen unterschiedlicher Lokalisation eingesetzt wird. Nach lokaler Anwendung werden hohe lokale Konzentrationen bei niedrigen Plasmaspiegeln erreicht. In der Laryngologie ist eine Anwendung sowohl nach laserchirurgischer endoskopischer Behandlung von Atemwegstenosen als auch nach offenen Eingriffen beschrieben worden. Dabei soll eine Watte, die mit 1 ml einer Lösung von 0,4 mg/ ml des Medikaments getränkt ist, lokal auf die zu behandelnde Wunde aufgelegt und dort für etwa 5 Minuten belassen werden. Einige Autoren empfehlen die anschließende Spülung der Wunde mit Kochsalzlösung. In der
Die rekonstruktive Chirurgie des Larynx hat die Aufgabe, tumorbedingte, posttraumatische, funktionelle oder neurogenene Behinderungen des Schluckakts, der Stimmbildung oder der zentralen Atemwege zu korrigieren. Hauptziele dabei sind regelmäßig die – Vermeidung eines permanenten Tracheostomas, – Wiederherstellung der Stimme oder ihre Adaptation an die individuellen Bedürfnisse des betroffenen Patienten, – Ermöglichung eines aspirationsfreien Schluckakts, – zuverlässige Sicherung der zentralen Atemwege. Neben strukturellen Veränderungen am knorpeligen Kehlkopfskelett, an der Muskulatur von Larynx und Pharynx und an der endolaryngealen Schleimhautauskleidung können chirurgische Maßnahmen zur Wiederherstellung oder Kompensation einer gestörten Nervenfunktion (in der Regel Funktionsstörungen des N. vagus und seiner Äste) erforderlich werden. Nach vollständigem Organverlust hat die rekonstruktive Chirurgie die Aufgabe, zuvor vom Kehlkopf wahrgenommene Aufgaben möglichst zufriedenstellend zu ersetzen. Die wichtigsten Verfahren der rekonstruktiven Larynx-Chirurgie untergliedern sich in die – wiederherstellende Traumatologie, – Rekonstruktion des supraglottischen, glottischen und subglottischen Atemwegs, – Phonochirurgie, – chirurgische Schluckrehabilitation, – rekonstruktive Chirurgie nach Organverlust. Adjuvante, insbesondere funktionelle Therapieverfahren bilden einen unverzichtbaren Teil der chirurgischen Behandlungskonzepte.
-
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18
385
Pharynx Markus Jungehülsing
Inhaltsverzeichnis 19.1
Einleitung – 386
19.2
Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie – 386
19.2.1 Anatomie – 386 19.2.2 Kompartimente – 386 19.2.3 Physiologie – 387
19.3
Möglichkeiten des Hypopharynx-Ersatzes – 389
19.3.1 19.3.2 19.3.3 19.3.4
Pectoralis-major-Lappen – 389 Infrahyoidaler Muskellappen – 390 Freie fasziokutane Transplantate – 391 Freies Jejunum-Transplantat – 393
Literatur – 394
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_19
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Kapitel 19 • Pharynx
19.1 Einleitung
Seitdem Mikulicz (1886) und Roux (1907) erstmals detailliert über den teilweisen bzw. vollständigen Ersatz des Hypopharynx berichtet haben, hat sich die wiederherstellende Pharynx-Chirurgie erheblich weiterentwickelt. Grundvoraussetzung hierfür war neben der Einführung der Asepsis und der Entwicklung der Antibiotika die Einführung der Ernährungssonde.
--
Die Weiterentwicklung gefäßgestielter lokoregionärer Schwenklappentechniken und die Inauguration der gefäßanastomisierten Fernlappen hat die chirurgischen Möglichkeiten noch einmal erheblich erweitert, sodass heute eine Fülle unterschiedlicher Rekonstruktionsmöglichkeiten von tangentialen und zirkumferenten PharynxDefekten zur Verfügung steht. 19.2 Chirurgisch
relevante Anatomie und Physiologie
19.2.1 Anatomie
-
Der Pharynx (. Abb. 19.1) als Ort der Überkreuzung des Luft- und Speiseweges gliedert sich in drei Etagen. Der Nasopharynx mit der Mündung der Choanen und der Tuba auditiva und der Tonsilla pharyngea bildet den obersten Anteil. Er geht über in den Oropharynx (Mesopharynx). Dieser öffnet sich über den Isthmus faucium zur Mundhöhle hin. Der Hypopharynx liegt dorsal des Kehlkopfes und reicht bis zum Ösophagusmund kaudal des Ringknorpels.
19
Wesentlicher Anteil des Hypopharynx sind die Sinus piriformes als Schluckstraßen und häufigster Ort der Manifestation von Plattenepithelkarzinomen des Pharynx. Während der Nasopharynx von respiratorischem Epithel ausgekleidet ist, weisen Meso- und Hypopharynx mehrschichtiges unverhornendes Plattenepithel mit kleinsten Speicheldrüsen auf. Der Muskelschlauch des Pharynx ist überwiegend zweischichtig und kann in eine ringförmige und eine Längsschicht unterteilt werden, wobei die Muskelschichten ineinander einstrahlen und dorsal in einer zarten Rhaphe inserieren. Die ventrale Insertion stellen die Schädelbasis, das Zungenbein und der Kehlkopf dar. Die Ringmuskelschicht wird untergliedert in die Mm. constrictor pharyngis superior, medius und inferior. Im Übergang zur Ösophagus-Muskulatur findet sich nach dorsal häufig ein muskelfaserarmes Areal, das Laimer-
sche Dreieck, als Prädilektionsort für den Zenker-Divertikel. Die äußere Muskelschicht wird gebildet durch die Mm. levatores pharyngis (M. stylopharyngeus, M. salpingopharyngeus und M. palatopharyngeus), sie durchweben aber die Ringmuskelschicht und fächern sich in ihr auf. Sensibel und motorisch wird der Pharynx vom Plexus pharyngeus innerviert, einem Nervengeflecht, das gebildet wird vom R. pharyngeus des N. hypoglossus (IX), pharyngealen Ästen des N. vagus (X) und sympathischen Fasern vom Ganglion cervicale superius. Dieses Nervengeflecht versorgt die quergestreifte Muskulatur des Rachens motorisch und die Rachenschleimhaut sensibel. Es steuert den Schluckreflex. 19.2.2 Kompartimente
Eine Übersicht über die Kehlkopfkompartimente gibt . Abb. 19.2. Dorsal liegt der gesamte Pharynx der tiefen Halsfaszie (Fascia colli praevertebralis) in einer bindegewebigen Verschiebeschicht auf, die ihrerseits Verschiebebewegungen des Pharynx während des Schluckens nach kranial und kaudal zulässt. Im Nasopharynx inserieren die Fasern der PharynxMuskulatur in die Schädelbasis, lateral finden sich die Tubae auditivae und die Rosenmüllersche Grube, nach ventral die nasale Fläche des weichen Gaumens. Der Mesopharynx mit den Tonsillen liegt medial des beidseitigen Gefäß-Nerven-Bündels mit Carotis-Bifurkation und Endästen, V. jugularis und Endästen, N. vagus, N. hypoglossus, N. glossopharyngeus und Sympathikus. Ventral finden sich Isthmus faucium, Valleculae und Zungengrund bis zu den Papillae vallatae. Das Zungenbein spannt den Mesopharynx nach lateral auf. Der Hypopharynx-Muskelschlauch grenzt lateral an den Gefäß-Nerven-Strang mit A. carotis, V. jugularis, N. vagus und N. hypoglossus, N. recurrens und Sympathikus an; im Bereich des Sinus piriformis wird er vom hinteren oberen Horn des Larynx aufgespannt, die Ringmuskulatur inseriert beidseits in den Larynx-Knorpel (Cornu superior, Cartilago laryngis, Cornu inferior). In diesem Bereich entsteht der ventrale Anteil des Hypopharynx durch die Aryknorpel, die Interarytenoidregion und die darunterliegenden posterioren Muskeln des Larynx, M. arytenoideus (posticus). Erst unterhalb beginnt der „tubuläre“ Anteil des Hypopharynx mit Übergang in den kranialen Ösophagus. Dies ist insofern wichtig, als dass eine tubuläre Rekonstruktion des Pharynx nur unter folgenden Bedingungen notwendig wird:
19
387
19.2 • Chirurgisch relevante Anatomie und Physiologie
Tuba auditiva Tonsilla pharyngea Pharynx:
Pars nasalis
Bursa pharyngealis M. levator veli palatini M. stylohyoideus M. stylopharyngeus M. constrictor pharyngis superior
Torus tubariu s M. digastricus (venter posterior) Plica salpingopharyngea M. pterygoideus medialis
M. salpingopharyngeus Fasciculus posterio r Fasciculus anterio r
Palatum molle Arcus palatopharyngeus Pars oralis
Uvul a
M. palatopharyngeus
M. uvulae M. constrictor pharyngis medius
Tonsilla palatina Vallecula epiglottica
M. aryepiglotticus Plica aryepiglottic a Pars laryngea
M. stylopharyngeus M. arytenoideus transversus
Plica nervi laryngei superioris
M. constrictor pharyngis inferior
Incisura interarytenoidea
M. cricoarytenoideus posterio r
Recessus piriformis
Ligamentum cricopharyngeum Tunica mucosa des Oesophagus
Tunica muscularis des Oesophagus
..Abb. 19.1 Facies pharyngea laryngis. Links: Schleimhautoberfläche, rechts: Muskel- und Skelettunterlage. (Aus v. Lanz und Wachsmuth 1955)
>>Dies ist nur dann erforderlich, wenn Zungenbein und
Kehlkopf entfernt wurden und das knorpelig-knöcherne ventrale Gegenlager des Pharynx mit seinen funktionellen Öffnungen fehlt oder z. B. bei Verletzungen/Strikturen des distalen Hypopharynx und proximalen Ösophagus durch Säure‑/Baseningestion.
Alle anderen Hypopharynx-Rekonstruktionen müssen nur einen Teildefekt des Pharynx verschließen.
19.2.3 Physiologie
Die Funktion des Pharynx ist der Transport eines Nahrungsbolus oder von Flüssigkeit aus dem Mund über den Kehlkopf hinweg in den Ösophagus. Während dem Kehlkopf hier die Funktion eines sicheren Verschlusses der Atemwege zukommt, hat der Pharynx die Aufgabe, den Nahrungsbolus vom Mund in den Ösophagus zu transportieren und dabei den Nasopharynx zu verschließen. Schlucken besteht aus einer willkürlichen und einer reflektorischen Komponente; die einzelnen Phasen des Schluckakts zeigt . Abb. 19.3. In der Vorbereitungsphase wird die Mundhöhle durch die Lippen geschlossen, das Gaumensegel (Mm. tensor
388
Kapitel 19 • Pharynx
..Abb. 19.2 Transversale Darstellung des Halses. (Aus Krmpotic-Nemanic et al. 1985)
19
und levator veli palatini) schließt den Nasopharynx gegen die Mundhöhle ab. Dabei wölbt sich die hintere Pharynx-Wand durch Kontraktion des M. constrictor pharyngis superior vor (Passavant-Wulst). Parallel kontrahiert sich die Mundbodenmuskulatur, insbesondere der M. mylohyoideus, und verlagert das Zungenbein mit Kehlkopf und Trachea schräg nach vorn oben. Die Zunge befördert den Bissen nach hinten. Es folgt der reflektorische Teil des Schluckakts. Die Zungenwurzel wird durch den M. styloglossus und den M. hyoglossus wie ein Spritzenstempel ruckartig nach hinten bewegt, der Bolus wird so durch den Isthmus faucium in den mittleren Oropharynx befördert. Die
Epiglottis wird durch den Zungengrund und eine Aufwärtsbewegung des Kehlkopfes nach dorsal flektiert und verschließt den Kehlkopf. Der Kehlkopf wird durch den M. thyreohyoideus zusätzlich nach ventral gekippt, der mediale Anteil des M. constricor pharyngis erschlafft und gibt den Rec. piriformis beidseits frei. Nach dieser pharyngealen Phase des Schluckakts erschlafft der Ösophagus-Mund, es folgen peristaltische Kontraktionswellen, die den Bolus in den Magen befördern.
389
19.3 • Möglichkeiten des Hypopharynx-Ersatzes
a
b
c
..Abb. 19.3 Orale (a), linguale (b) und pharyngeale Phase des Schluckens (c)
19.3 Möglichkeiten
des Hypopharynx-Ersatzes
Das Hypopharynx-Karzinom wird häufig in einem späten Stadium diagnostiziert, zeigt oft ein multifokales Wachstum, submuköse Infiltrationen, Lymphknotenmetastasen und synchrone bzw. metachrone Zweittumoren und hat dementsprechend eine eingeschränkte Prognose. Entscheidet man sich zu einer konventionell-chirurgischen Therapie, ist zum obligatorischen Erreichen einer R0-Resektion oft eine Rekonstruktion mit einem freien oder gestielten Transplantat erforderlich. Hui fordert eine Mindestfläche von 2,5 cm Schleimhaut für einen primären Verschluss der Pharynx-Schleimhaut; liegt weniger funktionelle Restschleimhaut vor, ist nicht mit einer freien Hypopharynx-Passage zu rechnen (Hui et al. 1996). Bis heute sind die eingesetzten Verfahren des Pharynx-Teilersatzes und des zirkumferenten Pharynx-Ersatzes vielfältig; jede Methode hat ihre Vor- und Nachteile:
-
Teilweiser oder zirkulärer Ersatz des Pharynx? Die Wahl der Methode richtet sich nach der Größe des zu deckenden Defekts, aber auch danach, ob es sich um eine primäre Operation handelt oder um Salvage-Chirurgie nach multimodaler Therapie. Es müssen Risiken wie Donordefekte, Fistelausbildung und Strikturen mitberücksichtigt werden, genauso wie die körperliche Konstitution des zu Operierenden. Es gilt zu entscheiden, ob der Patient einem ZweiHöhlen-Eingriff gewachsen ist; der Gefäßstatus des Patienten spielt sowohl um das Operationsgebiet als auch im übrigen Körper eine wichtige Rolle.
Mittlerweile bietet die Literatur auch eine Übersicht über zu erwartende funktionelle Ergebnisse bezüglich Schlucken, Ernährung, Fistelbildung nach den unterschiedlichen Rekonstruktionsverfahren (Piazza et al. 2012). 19.3.1 Pectoralis-major-Lappen
Der Pectoralis-major-Lappen (PML) ist der heute immer noch der am weitesten verbreitete gestielte Lappen zum Pharynx-Teilersatz oder zum zirkulären Pharynx-Ersatz (. Abb. 19.4). Er ist relativ einfach zu heben. Vor allem in der Salvage-Chirurgie bietet der M. pectoralis neben der transplantierten Haut für den Pharynx-Ersatz reichlich gut durchblutetes Muskelgewebe zum Schutz der A. carotis, und eine Gefäß-Mikroanastomose ist nicht erforderlich. In einer retrospektiven Studie von Chan et al. über 92 konsekutive Operationen liegt die perioperative Mortalität unter 1 %, allerdings ist die Häufigkeit pharyngokutaner Fisteln beträchtlich (24 %), und postoperative Stenosen werden bei 17 % der Patienten beschrieben; 35 % der Patienten zeigten Komplikationen im Bereich der Donorregion (Chan et al. 2012).
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Probleme beim Einsatz des Pectoralis-major-Lappens
Probleme entstehen bei der Rekonstruktion von Defekten länger als 12 cm und wenn der Lappen sehr hoch am Zungengrund oder an der lateralen Pharynx-Wand fixiert werden muss; hier kommt es durch das Gewicht des PML primär zu Dehiszenzen und später zur Einschränkung der Zungenmobilität (Vartanian et al. 2004). Ein weiteres Problem stellt die distale Anastomose dar; distale Stenosen sind häufig, auch wenn die von
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390
Kapitel 19 • Pharynx
..Abb. 19.4 a, b Pectoralismajor-Transplantat. 1 Clavicula, 2 M. pectoralis major, 3 A. thoracoacromialis, 4 A. thoracica lateralis, 5, 6, 7 mögliche Hautinseln (blaue Kontur). Der Pectoralis-major-Insellappen kann unter oder über die Clavicula geführt werden
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Spriano favorisierte Z-Naht angewandt wird (Spriano et al. 2002). Die Morbidität der Donorregion beinhaltet zunächst die Ausbildung von Seromen, Hämatomen und Wundinfektionen. Später kommt es neben der ästhetisch beeinträchtigenden Narbe nicht selten zu einer Einschränkung der Beweglichkeit des Armes und des Brustkorbs. Die Stimmrehabilitation ist schwierig; durch die Dicke des PML und seine Rigidität ist die Ösophagus-Ersatzstimme schwer zu erlernen und durch die verminderte Vibrationsfähigkeit des kompakten Transplantates schwerer zu verstehen (Juarbe et al. 1989). Die Anlage einer Stimmfistel durch den voluminösen Lappen ist aufwändig und das stimmliche Ergebnis insgesamt schlechter, wenn auch keine statistisch bedeutsamen Unterschiede im Vergleich zu anderen Verfahren in Bezug auf Lautstärke, Dynamik und Frequenz bestehen sollen (Deschler und Gray 2004). Hinzu kommt, dass durch die Dicke des Transplantats das Tracheostoma und die Stimmfistel verlegt werden können.
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>>Insgesamt ist der PML in Betracht zu ziehen zur
19
Deckung partieller Hypopharynx-Defekte und bei Patienten, bei denen wegen des Gefäßstatus oder des eingeschränkten Allgemeinzustands (Kachexie) ein freies, mikroanastomosiertes Transplantat nicht infrage kommt.
Zunehmende Bedeutung bekommt das Transplantat wieder in der Salvage-Chirurgie und bei (vorbestrahlten) Patienten nach multimodaler Therapie (Dubsky et al. 2007). 19.3.2
Infrahyoidaler Muskellappen
Deganello beschrieb diesen Graft kürzlich zurecht als „overlooked“ (Deganello und Leemans 2014). Es handelt sich um ein myokutanes oder myofasziales Transplantat
b
aus der gesamten infrahyoidalen Muskulatur einer Halsseite mit Gefäßversorgung durch die A. und V. thyroidea superior, die direkt vor ihrem Eintritt in die Schilddrüse abgesetzt werden (. Abb. 19.5). Zuerst beschrieben haben ihn Clairemont und Conley im Jahr 1977 (strap muscle flap; Clairmont und Conley 1977). 1978 wurde der Lappen erstmals zur Rekonstruktion der Trachea verwendet (Weerda 1978). Wang und Remmert beschrieben den Wiederaufbau der Zunge nach Teil- oder Totalresektion mit diesem Muskellappen (Wang et al. 1986; Remmert et al. 1994), und Wang hat 1989 eine Serie von 260 solcher Muskellappen unterschiedlicher einzeitiger Defektdeckungen nach Tumoroperationen im Kopf-Hals-Bereich mit einem Lappenüberleben von 97 % beschrieben (Wang 1991). Der Lappen bietet gegenüber anderen Rekonstruktionsmethoden einige Vorteile:
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Vorteile des infrahyoidalen Muskellappens
Es wird kein zweiter Zugang benötigt. Es besteht eine definierte Gefäßversorgung mit der A. und V. thyroidea superior. Der Lappen ist einfach zu heben. Er zeigt kaum Donorsite-Morbidität. Der Durchmesser beträgt bis zu 4 × 7 cm. Er kann sowohl als reiner Muskellappen als auch als myokutaner Lappen mit einer Hautinsel gehoben werden (Peng et al. 2013). Eine postoperative Morbidität in Bezug auf die Funktion der infrahyoidalen Muskulatur wurde in keiner der zitierten Studien beschrieben; dies deckt sich mit den Erfahrungen des Autors bei 223 Eingriffen (1998–2018).
>>Der infrahyoidale Muskellappen bietet sich als loko-
regionäres Transplantat bei kleinen und mittleren Defekten des Hypopharynx und des zervikalen Ösophagus als Alternative zu den mikrovaskulären Transplantaten an (Peng et al. 2013).
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19.3 • Möglichkeiten des Hypopharynx-Ersatzes
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..Abb. 19.5 a–e Infrahyoidales Muskeltransplantat. a, b Präparation von A. und V. thyroidea und ggf. der Ansa cervicalis profunda. Absetzen der infrahyoidalen Muskulatur einer Seite von Zungenbein und Sternum und von der Schilddrüse. Es resultiert ein etwa 4 × 7 cm messendes Muskeltransplantat, wenn erwünscht, mit Hautinsel vom
19.3.3
Freie fasziokutane Transplantate
Heute sind eine ganze Anzahl freier myokutaner Lappen bekannt; beschrieben sind u. a. die folgenden:
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Freie fasziokutane Transplantate Radialis Anterolateral vom Oberschenkel (anteriolateral thigh, ALT) Rectus-abdominis Ulnaris Tensor-fasciae-latae Posteriorer Tibia Peronaeus
Im Weiteren soll nur auf das Radialis-Transplantat und den ALT eingegangen werden. 19.3.3.1 Radialis-Transplantat
Nach den Erstbeschreibern Yang und Song (Yang et al. 1981; Song et al. 1982) beschrieb Harii (Harii et al. 1985) erstmals einen kompletten Pharynx-Ersatz durch ein tubulär geformtes Radialis-Transplantat (. Abb. 19.6). Die nächste Modifikation war die teilweise streifenförmige De-Epithelisierung des Transplantats an der Längsnaht, die Verbesserungen in Bezug auf Speichel-
e Hals. 1 A. thyroidea superior, 2 V. thyroidea superior, 3 Ansa cervicalis profunda, 4 Larynx, 5 Schilddrüse. c, d Vollständige Präparation des infrahyoidalen Muskellappens. e Einschwenken in einen großen Pharynx-Defekt nach Hemipharyngektomie wegen Sinus-piriformisPlattenepithelkarzinom
fisteln erbrachte (Chen und Tang 2000), und die U- oder Omega-förmige Einnaht des Transplantats (Hong et al. 2009) auf einen dorsalen Rest Pharynx-Schleimhaut oder die Fascia praevertebralis, in Verbindung mit einem Montgomery-Stent (Montgomery und Montgomery 1986). Piazza et al. (2012) haben ihrer Übersicht neuere Ergebnisse dieser Technik zusammengefasst: Speichelfisteln treten mit einer Häufigkeit von 2–53 % auf (20 %), distale Stenosen in 0–36 % (11 %), Transplantatnekrosen in 0–5 % (2 %) und Donorregion-Probleme in 0–64 % (9 %) der Fälle.
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Vorteile des Verfahrens im Vergleich mit anderen freien myokutanen Lappen
Die Präparation des Transplantats ist relativ einfach. Es stehen lange, große Gefäße zur Anastomosierung zur Verfügung (A. radialis und Vv. radiales, V. cephalica). Das Transplantat weist eine hohe Toleranz gegenüber Ischämie auf. Es besteht eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber der oft nachfolgenden Bestrahlung (im Vergleich mit dem freien Jejunum-Transplantat). Es können Hautareale von bis zu 14 cm Länge präpariert werden (Yang et al. 1981).
19
392
Kapitel 19 • Pharynx
..Abb. 19.6 a–c Tubuläres Radialis-Transplantat. a Heben des von der A. radialis und den Vv. concomitantes/V. cephalica versorgten freien Transplantats. b Einfalten und Anastomosieren des Transplantatats. c Es hat sich bewährt, den Hebedefekt mit Vollhaut zu decken: 14 Tage nach Implantation der multipel perforierten Vollhaut
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Auch bei adipösen Patienten ist das Transplantat gut faltbar. Die Dicke des Transplantats entspricht mehr der Dicke des Hypopharynx-Schlauches als z. B. die des Pectoralis-major-Lappens. Durch das geringe Volumen des Transplantats ist auch ein primärer Verschluss des Halses in der Regel ohne Probleme möglich. Haarfollikel fehlen in der Regel überwiegend auf der volaren Seite des Arms und stellen ohnehin durch die in der Regel nachfolgende Bestrahlung des Operationsgebiets kein Problem dar.
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Ein Problem stellen postoperativ distale Strikturen dar, deren Häufigkeit durch eine Annaht in Z-Plastik-Technik und durch den Gebrauch von Montgomery-Stents (Montgomery und Montgomery 1986) vermindert werden kann. In Bezug auf den Schluckakt zeigen Radialis-Lappen bei bis zu 90 % der Operierten eine akzeptable Funktion (Scharpf und Esclamado 2003), bei einer verlängerten Transitzeit ist bei bis zu 66 % der Operierten eine normale Nahrungsaufnahme möglich (Murray et al. 2007). Die Stimmrehabilitationsergebnisse sind vergleichbar mit denen von Patienten mit stattgehabter konventioneller Laryngektomie mit Neopharynx-Anlage (Alam et al. 2008). Auch die Versorgung mit einer Stimmfistel scheint genauso gut möglich zu sein wie bei konventionellem Neopharynx; allerdings empfehlen einige Autoren eine zweizeitige Insertion 4–8 Wochen nach primärer Operation (Deschler und Gray 2004).
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Die Morbidität der Donorregion stellt immer noch ein Problem dar. >>Essenziell ist der Allen-Test vor der Operation zur Si-
cherung der Funktion der A. ulnaris.
Zwar haben seit Einführung der Deckung des Unterarmdefekts mit Vollhaut und der passageren Immobilisation des Unterarms für 2 Wochen in einer Gipsschiene Probleme wie protrahierte Wundheilung, Sehnenexposition, Steifheit und schlechte ästhetische Ergebnisse erheblich abgenommen (Sleeman et al. 1994), aber es beklagen trotzdem 10 % der Operierten Funktionseinschränkungen und 35 % eine relative Schwäche der Hand (Liu et al. 2011). Außerdem kommt es nicht selten durch eine Verletzung des subkutanen N. radialis bei Präparation der V. cephalica zu einer permanenten Gefühllosigkeit des Daumens und eines Teils des Zeigefingers (Baumann et al. 1996). 19.3.3.2 ALT
Der anterolateral thigh flap (ALT; . Abb. 19.7) hat, nachdem er erstmals 1984 von Song et al. beschrieben wurde, einen Siegeszug zunächst in Asien, dann auch in den USA und Europa angetreten (Song et al. 1984); er ist zwar schwerer zu präparieren als das Radialis-Transplantat und erfordert eher als letzterer eine Zusammenarbeit zwischen Plastikern und HNO-Ärzten, ist aber fast nicht belastet durch Donorregion-Morbiditat, da in der Regel der Oberschenkeldefekt primär verschlossen werden kann. Er eignet sich hervorragend zur Deckung
393
19.3 • Möglichkeiten des Hypopharynx-Ersatzes
In der Literatur werden für Speichelfisteln Häufigkeiten von 0–25 % (15 %) angegeben, distale Strikturen treten in 0–30 % (9 %), Lappenverluste in 0–9 % (2 %), und Morbidität in der Donorregion in 0–10 % (7 %) der Fälle auf (Piazza et al. 2012). >>Kontraindikationen für den ALT: schlechter Gefäßsta-
tus (wie bei den anderen mikroanastomosierten freien Transplantaten) und (anders als bei diesen) Adipositas; subkutane Fettpolster können die Präparation erheblich erschweren und die Implantation durch das Transplantatvolumen unmöglich machen.
19.3.4
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..Abb. 19.7 a, b ALT, Heben des Transplantats (schematisch)
partieller Pharynx-Defekte, wegen seiner relativen Dicke aber weniger gut als der Radialis-Lappen zum zirkumferenten Pharynx-Ersatz. Hier wird die U- oder Omegaförmige Annaht an die prävertebrale Faszie empfohlen (Genden und Jacobson 2005). Der passagere Einsatz eines Speichel-Stents ist sinnvoll (Murray et al. 2007).
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Vorteile des Verfahrens im Vergleich mit dem Radialis-Lappen
Der ALT bietet eine große Hautfläche. Es ist möglich, zwei unabhängige Hautinseln an einem Lappen zu präparieren, wovon die eine dann als HypopharynxErsatz, die andere als Halshautersatz und gleichzeitig als Monitor genutzt werden kann (Tan et al. 2011). Die Identifikation der Perforatorgefäße ist zwar schwieriger als die Darstellung der Radialis-Gefäße, gelingt aber sicher mit dem intraoperativen Einsatz eines Doppler-Ultraschallgeräts (Rozen et al. 2009). Die Gefäße weisen ein gutes Anastomosenkaliber auf, sind aber im Vergleich mit dem Radialis-Lappen kürzer. Da die Entnahmestelle in der Regel primär verschlossen werden kann, ist die Morbidität in der Donorregion gering; außer der ästhetisch unproblematischen senkrechten Hautnaht kommt es zu keiner Einschränkung der Funktion des Beins (Liu et al. 2011). Die funktionellen Ergebnisse nach zirkumferenziellem Pharynx-Ersatz durch den ALT bezüglich Schlucken und Sprechen werden in einer Übersicht von Murray als besser als alle anderen freien Transplantate beschrieben (Murray et al. 2008). Die Zeit der Hospitalisation scheint kürzer zu sein als bei anderen Transplantaten.
Freies Jejunum-Transplantat
Das freie Jejunum-Transplantat (. Abb. 19.8) wurde erstmals 1959 von Seidenberg et al. beschrieben (Seidenberg et al. 1959) und erfreut sich seit den 1980er Jahren konstanter Beliebtheit in der Rekonstruktion tubulärer Pharynx-Defekte. Die Möglichkeit, einzeitig ein freies, tubuläres Transplantat proximal mit dem PharynxSchlauch und distal mit dem Ösophagus zu anastomosieren, war von Anfang an ein überzeugendes Konzept. Lumen und Wanddicke von Jejunum und Hypopharynx bzw. Ösophagus entsprechen sich weitgehend und sind daher ideal zu anastomosieren. Den Nachteil im Vergleich zu den Haut- und Haut-Muskel-Lappen stellt der Zwei-Höhlen-Eingriff mit der Notwendigkeit einer jejunojejunalen Anastomose im Abdomen und der damit verbundenen Morbidität dar; es wird eine Mortalität von 0–17 % beschrieben, im Mittel 2,5 % (Piazza et al. 2012), und Komplikationen wie Darmverschluss, abdominelle Blutung, A.-mesenterica-superior-Syndrom und schleichender Ileus werden berichtet (Sarukawa et al. 2006). Piazza et al. werteten die Ergebnisse von 1024 Transplantaten aus Publikationen zwischen 2001 und 2011 aus und beschreiben eine ähnlich hohe Rate an pharyngokutanen Fisteln (0–32 %, Mittelwert 12 %), Stenosen (0–40 %, Mittelwert 11 %), Lappenverlust (0–17 %, Mittelwert 4 %) und Donormorbidität (0–15 %, Mittelwert 3 %) wie bei mikrovaskulären fasziokutanen Transplantaten (Piazza et al. 2012). Der Gefäßstiel des freien Jejunum-Transplantats ist kürzer als der des Radialis-Transplantats; dies stellt allerdings in der Regel kein Problem bei der Anastomosierung an die Halsgefäße dar. Vom Durchmesser ist besonders die mesenteriale Vene besser zu anastomosieren als die Begleitgefäße der A. radialis. In Bezug auf die postoperative Versorgung des Patienten mit einer Stimmfistel kommen Yu et al. zu dem Ergebnis, dass durch eine distale Stenosierung des Neopharynx die Versorgung schwierig sein kann; sonst sind Ergebnisse vergleichbar mit denen freier Lappentransplantate (Yu et al. 2006), was sich mit eigenen Erfahrungen deckt.
19
Kapitel 19 • Pharynx
394
..Abb. 19.8 a–d JejunumInterponat. a Das JejunumInterponat hat den Nachteil einer Zwei-Etagen-Operation; zunächst wird das Jejunum mit den versorgenden Gefäßen gehoben, wobei die Gefäße gut diaphanoskopisch dargestellt werden können. 1 A. mesenterica, 2 V. mesenterica, 3 Jejunum, 4 Indikator. b Die Gefäße werden dann z. B. mit der A. und V. thyroidea mikroanastomosiert. Die kraniale und die distale Anastomose werden End-zu-Seit-anastomosiert, um Stenosen zu vermeiden, ein kleiner separierter Anteil des Jejunums wird als gefäßgestielter Indikator in die Halshaut eingenäht. 1 Proximale Endzu-Seit-Anastomose, 2 distale End-zu-Seit-Anastomose, 3 Indikator in der Halshaut. c, d Es empfiehlt sich, einen kleinen Teil des Jejunums zu separieren und passager als Durchblutungsindikator in die Halshaut einzunähen; dieser wird 2 Wochen später abgesetzt und entfernt
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Zusammenfassung Trotz der großen Fortschritte der Radio- und Chemotherapie und trotz der neusten Entwicklungen in der gezielten Tumortherapie durch Biologika (Tyrosinkinaseinhibitoren und Checkpoint-Inhibitoren) bleibt die chirurgische Therapie eine wesentliche Therapieoption der Behandlung pharyngealer Malignome. Durch die Vielzahl der verfügbaren Rekonstruktionsmethoden und ihrer Verfeinerung in den letzten Jahren ist es heute möglich, auch große Tumoren des Pharynx in sicheren R0-Grenzen zu resezieren und den entstandenen Defekt mit geringer Morbidität und guter Funktionalität zu verschließen. Für zirkumferenzielle Defekte des Pharynx und des zervikalen Ösophagus eignen sich besonders das freie Jejunum-Transplantat, aber auch der tubuläre Ersatz durch ein großes Radialis- oder ALT-Transplantat. Partielle Defekte lassen sich sowohl mit einem Radialis-Transplantat als auch mit dem infrahyoidalen Muskellappen hervorragend versorgen. Der sehr sichere und voluminöse gestielte Pectoralis-major-Lappen eignet sich besonders zur
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Deckung großer Defekte nach Salvage-Chirurgie und zur Deckung von Fistelformationen. Es gibt nicht die eine chirurgische Technik, die bei allen Defekten und bei allen Patienten anwendbar wäre; es ist erstrebenswert, dass der Tumorchirurg über ein breites Armamentarium an Möglichkeiten verfügt, damit er dem einzelnen Patienten die für ihn passende Therapie anbieten kann.
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19
397
Laryngotrachealer Übergang Christian Sittel
Inhaltsverzeichnis 20.1
Einleitung – 398
20.2
Klinische Anatomie – 398
20.3
Krankheitsbilder – 398
20.3.1 20.3.2 20.3.3 20.3.4
Intubationsassoziierte Stenose – 398 Idiopathische progressive subglottische Stenose – 398 Tracheotomie – 399 Systemerkrankungen – 399
20.4
Präinterventionelle Diagnostik – 399
20.5
Operative Verfahren – 400
20.5.1 Krikotracheale Resektion – 401 20.5.2 Tracheasegmentresektion – 404 20.5.3 Laryngotracheale Rekonstruktion – 404
Literatur – 406
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_20
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398
Kapitel 20 • Laryngotrachealer Übergang
20.1 Einleitung
Der Begriff des „laryngotrachealen Übergangs“ entspringt der klinischen Beobachtung einiger Besonderheiten, die dieser nur wenige Zentimeter lange Abschnitt des oberen Atemwegs bietet. Anatomisch handelt es sich um die Zone, die kranial am Unterrand des subglottischen Abhangs beider Stimmlippen beginnt und sich über den Ringknorpel auf die ersten Trachealspangen erstreckt. Die kaudale Begrenzung ist nicht eindeutig definiert. Besondere Bedeutung erhält dieser Bereich als Prädilektionsstelle einiger Krankheitsbilder, die sich entweder vorwiegend oder gar ausschließlich hier abspielen. Dazu gehören der kindliche Croup, der echte Croup im Rahmen einer Diphterie, Atemwegsmanifestationen der Granulomatose mit Polyangiitis (früher M. Wegener), die idiopathische progressive subglottische Stenose, die zahlenmäßig besonders bedeutsame narbige subglottische Stenose, etwa nach Langzeitintubation, Tracheotomie oder durch andere Traumata verursacht.
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20.2 Klinische
20
Anatomie
Der laryngotracheale Übergang beschreibt die eigentliche Subglottis sowie den Beginn der kranialen Trachea als biologisch homogene, aber anatomisch heterogene Einheit. Besondere Bedeutung scheint dabei dem submukösen Gewebe auf der Ringknorpelplatte zuzukommen. Das Krikoid weist die anatomische Besonderheit auf, als einziger Abschnitt im Atemweg über die komplette Zirkumferenz vollständig knorpelig durchbaut zu sein. Anders als sein Name suggeriert, ist der Ringknorpel meist elliptisch geformt mit einer V-förmigen Vertiefung der Ringknorpelplatte. Dorsal bildet er die Gelenkflächen für die Arytaenoid-Knorpel und stützt somit die dorsale Glottis. Über die Membrana cricothyroidea ist er elastisch mit dem Schildknorpel verbunden, mittels Kontraktion der Mm. cricothyroideii, als einziger Kehlkopfmuskel innerviert durch den M. laryngeus superior, kippt er die Arytaenoid-Knorpel nach dorsal und spannt somit die Stimmlippen vor (Rahmenspannung). Die Nn. recurrentes verlassen in Höhe des kranialen Ringknorpels ihren Sulcus zwischen Trachea und Ösophagus und streben nach variantenreicher Aufzweigung auf die Rückseite der Ringknorpelplatte, um über deren kranialen Rand das Larynx-Innere zu erreichen.
20.3 Krankheitsbilder 20.3.1
Intubationsassoziierte Stenose
Im Erwachsenenalter ist die Ausbildung einer Trachealstenose durch Intubation ein seltenes Ereignis. Neben der Länge der Tubus-Verweildauer (Pacheco-Lopez et al. 2014) ist v. a. ein eventuelles Intubationstrauma von Bedeutung, wie es insbesondere in Notfallsituationen auftreten kann. Der zugrundeliegende Pathomechanismus ist nicht abschließend geklärt, eine multifaktorielle Situation ist jedoch zu vermuten. Als zusätzliche Risikofaktoren gelten eine individuelle Disposition sowie ein ösophagolaryngealer Reflux. Die Abgrenzung insbesondere zur idiopathischen subglottischen Stenose kann schwierig sein. >>Als Grundregel gilt, dass bei einer Zeitspanne von mehr
als 2 Jahren zwischen stattgehabter Intubation und erstmaligem Auftreten von Symptomen ein Zusammenhang als unwahrscheinlich gelten muss.
Typischerweise manifestiert sich die intubationsassoziierte Stenose in Höhe des Ringknorpels und ist kurzstreckig. Im frühen Stadium der Stenosenbildung, vor Abschluss der vollständigen narbigen Durchbauung, kann eine endoskopische Therapie erfolgreich sein. 20.3.2
Idiopathische progressive subglottische Stenose
Die idiopathische progressive subglottische Stenose (IPSS) betrifft nahezu ausschließlich Frauen im gebärfähigen Alter. Die Symptomatik des inspiratorischen Stridors entwickelt sich zumeist über Jahre, akzelerierte Verläufe sind jedoch möglich (Valdez und Shapshay 2002). >>Ein auslösendes Ereignis ist durch sorgfältige Anam-
nese auszuschließen, eine länger als 2 Jahre zurückliegende Intubation kann als ätiologisch unbedeutend gelten. Besonderes Augenmerk sollte dem Ausschluss einer Systemerkrankung gelten, insbesondere einer Polyangiitis mit Granulomatose (M. Wegener).
Während Schwangerschaften sind beschleunigte Krankheitsverläufe typisch. In Kombination mit der eindeutigen Geschlechtsdisposition wurde dies von jeher als Hinweis auf einen möglichen Zusammenhang mit dem Stoffwechsel weiblicher Sexualhormone gewertet. Die Studienlage ist bislang hierzu widersprüchlich. In jüngster Zeit gibt es jedoch Hinweise, dass eine Dysbalance zwischen verschiedenen Typen von Östrogen- und Progesteronrezeptoren ätiologisch bedeutsam sein könnten,
399
20.4 • Präinterventionelle Diagnostik
deren Bedeutung für die Wundheilung an anderer Stelle dokumentiert werden konnte (Fiz et al. 2016). Das endoskopische Erscheinungsbild ist uneinheitlich, zeigt jedoch immer eine unauffällige epitheliale Oberfläche, zumeist mit submukösen, korkenzieherartigen Narbensträngen. Nahezu pathognomonisch ist eine Vermehrung des submukösen Gewebes insbesondere im Bereich der Ringknorpelplatte, das nosologisch nicht zuzuordnen ist. In der Literatur werden zahlreiche ätiologische Modelle diskutiert, die vom ösophagotrachealen Reflux über Mikrotraumen durch Hustenanfälle bis hin zu chronischen Mykoplasmeninfektionen reichen (Valdez und Shapshay 2002; Mark et al. 2008; Blumin und Johnston 2011; Damrose 2008). Keines dieser Erklärungsmodelle kann jedoch das klinische Erscheinungsbild, den Verlauf der Erkrankung und insbesondere die Geschlechtsverteilung plausibel erklären. Entsprechend uneinheitlich sind die Vorschläge zur Therapie. Einige Autoren interpretieren die IPSS als fibrosierende Entzündung im Sinne einer begrenzten oder lokalisierten Systemerkrankung, woraus gefolgert wird, dass eine operative Sanierung den pathophysiologischen Prozessen unzureichend gerecht werde. Die Anwendung endoskopischer Verfahren, üblicher weise bestehend aus laserchirurgischen Maßnahmen, ggf. in Kombination mit einer Hochdruck-Ballondilatation sowie intraläsionalen Injektionen mit Kortikosteroiden, zeigen sich in vielen Serien eher enttäuschende Ergebnisse mit insbesondere hoher Behandlungsfrequenz bei nur kurzen symptomfreien Intervallen (Nouraei und Sandhu 2013; Roediger et al. 2008). Die offene operative Rekonstruktion zielt darauf ab, die Zonen der Pathologie möglichst vollständig zu entfernen. Das Verfahren der Wahl ist die krikotracheale Resektion, entsprechende Daten in der Literatur zeigen überwiegend gute bis sehr gute Ergebnisse (Ashiku et al. 2004; Giudice et al. 2003). Dem stehen jedoch ein höherer Aufwand sowie ein nicht zu unterschätzendes Komplikationsrisiko gerade in dieser Patientengruppe gegenüber, die sich durch eine höhere Restenosierungstendenz von anderen Stenoseformen unterscheidet.
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20.3.3 Tracheotomie
Die häufigste Form der tracheotomieassoziierten Trachealstenose besteht in der sog. A-Frame-Deformation. Ursächlich ist ein Verlust von Trachealvorderwand, wie er sich iatrogen durch eine zu großzügige Resektion (insbesondere bei einem nekrotisierten Björk-Lappen) oder nach perioperativer Infektion mit nachfolgender Nekrose ausbildet. Die fehlende Vorderwandstabilität führt zu einer Instabilität der Trachealseitenwände, die sich dann
nach Art der Form des Buchstaben A medialisieren. Für diesen Zustand wurde auch der treffende Begriff der pseudoglottischen Stenose gefunden. Ein weiterer wesentlicher Risikofaktor ist die Verletzung des Krikoids im Rahmen der Tracheotomie, in deren Folge sich eine chronische Perichondritis mit anschließender Stenosierung ausbildet. Abhängig von der individuellen Situation sind selbstverständlich auch andere Schädigungsmuster anzutreffen. Die initial vermutete höhere Frequenz von laryngotrachealen Stenosen nach dilatativer Punktionstracheotomie lässt sich weder statistisch noch nach eigener Beobachtung verifizieren (Klemm und Nowak 2017). 20.3.4 Systemerkrankungen
In der Mehrzahl der Fälle lassen sich Systemerkrankungen durch eine ausführliche Anamnese bzw. durch das Vorliegen von weiteren Manifestationen bestätigen. Insbesondere bei der Polyangiitis mit Granulomatose kann es zu einem larvierten Erstbefund im Bereich des subglottischen Larynx kommen (Stone und Wegener’s Granulomatosis Etanercept Trial Research Group 2003). Die endoskopische Diagnostik zeigt in den meisten Fällen ein typisches Bild, hingegen können sowohl Biopsien als auch die serologischen Parameter gerade in der Frühphase nicht immer Klarheit schaffen. >>Zur Abklärung einer idiopathischen subglottischen
Stenose, die in der Abgrenzung zu larvierten Systemerkrankungen schwierig sein kann, ist eine vollständige Diagnostik im Sinne eines Ausschlussverfahrens obligat.
20.4 Präinterventionelle
Diagnostik
Leitsymptom der Erkrankungen des laryngotrachealen Übergangs ist der inspiratorische Stridor. Ein weiterer Rückschluss auf Art und Ausprägung der Stenose ist auditiv jedoch nicht möglich. Der einfachen indirekten Laryngoskopie entgehen subglottische Veränderungen häufig, die transnasale flexible Endoskopie bietet eine höhere diagnostische Sicherheit. Dennoch wird die korrekte Diagnose trotz typischer Symptomatik erstaunlich häufig erst spät gestellt, insbesondere die Fehldiagnose Asthma bronchiale ist nicht selten anzutreffen. Die zuverlässigste diagnostische Maßnahme ist die endoskopische Untersuchung in Kurznarkose mithilfe starrer Optiken. Nur auf diese Weise lassen sich sämtliche Einzelheiten umfassend erkennen und berücksichtigen. >>Die präoperative diagnostische Endoskopie ist die
wichtigste Maßnahme zur korrekten Diagnostik und demzufolge auch zur korrekten Auswahl des Rekon-
20
400
Kapitel 20 • Laryngotrachealer Übergang
struktionsverfahrens. Ihre Bedeutung sowie die Wichtigkeit der präzisen, akkuraten und reproduzierbaren Ausführung können daher kaum überschätzt werden.
Die einfachste und häufig ausreichende Technik besteht in der kurzen Inspektion in Apnoe. Bei komplexeren Situationen oder simultanen Interventionen sollte die katheterbasierte Jet-Ventilation als wenig aufwändiges und kostengünstiges Verfahren bevorzugt werden. Alternativ ist die intermittierende Intubation mit einem dünnen Tubus möglich, hierbei ist jedoch darauf zu achten, dass vor der ersten Intubation eine primäre Endoskopie erfolgt, um tubusbedingte Veränderungen zu vermeiden, die eine exakte Diagnose vereiteln können. Sofern Atemwegsstenosen in einer gewissen Regelmäßigkeit untersucht werden, sollten fortgeschrittenere Beatmungsverfahren zur Verfügung stehen, mit denen auch sehr komplexe Beatmungssituationen sicher beherrscht werden können. Zu nennen sind hier die tubuslose interpositionierte simultane hoch- und niederfrequente Jet-Beatmung, die Apnoe-Oxygenation mit Highflow-Sauerstoff, das Ventrain-System.
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Die Lagerung des Patienten entspricht dem Vorgehen bei der Mikrolaryngoskopie, der Kopf ist extendiert, der Hals flektiert (Schnüffelposition). >>Die oft zu beobachtende gleichzeitige Extension des
Halses sowie die Unterstützung der Schulterpartie mit einem Lagerungskissen sind zu vermeiden, da sie die Exposition des Larynx erschweren (Friedrich und Gugatschka 2009).
20
Mit dem Spatel-Laryngoskop des Anästhesisten wird der Kehlkopf eingestellt, die Visualisierung erfolgt mit einer 0°-Optik von 30 cm Länge, bei Kindern entsprechend kürzer. Sehr zu empfehlen ist die routinemäßige Videoprojektion und Aufzeichnung. Sie erlaubt allen Beteiligten die simultane Information über die aktuelle Untersuchung und somit über eventuelle Risikosituationen. Die interdisziplinäre Diskussion des Falls am aufgezeichneten hochauflösenden Video ist außerordentlich hilfreich für die exakte Diagnostik und Therapieplanung. Nach Optimierung der Bildparameter und Absaugen von Sekreten wird eine langsame Kamerafahrt von supraglottisch bis zur Carina und zurück ausgeführt. Die topographische Relation der Pathologie kann durch Markierungen am Endoskop über einen Fixpunkt (Zahnreihe) zuverlässig erfolgen. Die Beurteilung der Atemwegstenose sollte einem strukturierten und reproduzierbaren Verfahren folgen. Ein aktuelles Konsensus-Papier der ELS (European Laryngological Society) bietet einen guten Leitfaden für die Beurteilung von Atemwegstenosen (Monnier et al. 2015).
Wichtigste Parameter zur Beurteilung von Atemwegstenosen
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Stenosegrad Stenoselänge Beteiligung von Ringknorpel und Stimmlippenebene Konsistenz Aktivitätsgrad
Bei den bildgebenden Verfahren steht die DünnschichtComputertomographie im Vordergrund, insbesondere bei Stenosen des laryngotrachealen Übergangs. Besonderes Augenmerk liegt auf den Veränderungen des Ringknorpels und der Ringknorpelplatte. Die Kernspintomographie kann bei der progressiven idiopathischen subglottischen Stenose die nahezu pathognomonische submuköse Weichteilverdickung oft gut darstellen. Im Kindes- und insbesondere Kleinkindalter sind bildgebende Verfahren aufgrund des schwachen Kontrastes zwischen Knorpelstrukturen und umgebendem Weichteil von stark eingeschränkter Bedeutung. Dreidimensionale Rekonstruktionen können es erleichtern, die Topographie der Stenose rasch zu erfassen. 20.5
Operative Verfahren
Bis in die 1970er Jahre galt der Ringknorpel als „Niemandsland“, der tunlichst nicht operativ angegangen werden sollte. Hintergrund war die Beobachtung während der großen Diphterie-Epidemien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dass schon leichte Affektionen des laryngotrachealen Übergangs hochgradige Atemwegstenosen auslösen können, die mit den Mitteln der damaligen Zeit fast nie erfolgreich rekonstruiert werden konnten. Weiterhin wurde der Ringknorpel als das Fundament des Larynx apostrophiert, das zu schwächen mit dem hohen Risiko einer dauerhaften Kehlkopfinstabilität verbunden sei. Außerdem wurde das Risiko einer RecurrensSchädigung bei Eingriffen an der Ringknorpelplatte als nahezu obligat eingeschätzt. Bei Kindern wurden Operationen am Ringknorpel erst zu Beginn der 1990er Jahre gewagt, die herrschende Meinung war, dass die Gefahr von Wachstumsstörungen hoch sei. Grundsätzlich sind zwei verschiedene operative Strategien bei Eingriffen am larygotrachealen Übergang zu unterscheiden: die resezierenden und die augmentierenden Verfahren. Operative Verfahren am larygotrachealen Übergang
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Resezierende Verfahren (krikotracheale Resektion, Segmentresektion):
20.5 • Operative Verfahren
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– Ziel: vollständige Entfernung der Pathologie und Rekonstruktion des Atemweges durch eine End-zu-End-Anastomose – Technisch anspruchsvoll und mit ernsthaftem Komplikationspotenzial – Deutlich überlegene Erfolgsraten gegenüber allen anderen Techniken – Zumeist einzeitige Durchführbarkeit, d. h. mit simultaner Resektion eines vorbestehenden Tracheostomas Augmentierende Verfahren (laryngotracheale Rekonstruktion): – Ziel: Belassen des stenoseformenden Gewebes und Erweiterung durch das Einbringen von Knorpeltransplantaten, zumeist von der Rippe – Technisch weniger komplex – Breiteres Indikationsspektrum, jedoch im Vergleich zu den resezierenden Verfahren schlechtere Ergebnisse – Zumeist nur zweizeitige Durchführbarkeit, also mit perioperativem Tracheostoma, wodurch sich die Patientenbelastung erhöht
401
für eine Anastomose zur Verfügung stehen. In aller Regel wird der Eingriff einzeitig ausgeführt, d. h. ohne erneute Tracheostoma-Anlage. Wenn immer möglich, erfolgt die Beatmung zunächst über eine Larynxmaske. Über einen zervikalen Zugang werden Krikoid, Thyroid sowie Trachea penibel exponiert. Abhängig von der zu erwartenden Resektatlänge wird ein supralaryngealer Release durch Absetzen der infrahyoidalen Muskulatur ausgeführt. >>Die Präparation der lateralen Trachea erfolgt streng
entlang des Knorpels, wodurch Schädigungen der Nn. recurrentes zuverlässig vermieden werden können. Insbesondere für diesen Teilschritt ist die Verwendung einer Lupenbrille sehr zu empfehlen.
Unterhalb der Stenose wird die Trachea inzidiert und der distale Trachealstumpf intubiert. Die kraniale Inzision erfolgt in der Membrana cricothyroidea, der Ringknorpelbogen wird beidseits schräg abgesetzt (. Abb. 20.1, 20.2, 20.3), die Mukosa auf der Ringknorpelplatte abhängig von der Höhe der Stenose inzidiert. Die Ringknorpelplatte wird bis zu ihrem kaudalen Rand dargestellt, das stenotische Segment vom Ösophagus separiert und in toto reseziert (. Abb. 20.4).
Anmerkung Endoskopische Therapieverfahren haben
durch die Einführung der Hochdruck-Ballondilatation in den letzten Jahren wieder viel Beachtung erfahren und stellen eine wichtige Bereicherung dar (Shabani et al. 2017). Sie sind jedoch nicht Gegenstand dieses Kapitels. 20.5.1
Krikotracheale Resektion
Für laryngotracheale Stenosen mit Beteiligung des Ringknorpels, jedoch ohne Affektion der Glottis-Ebene, stellt die krikotracheale Resektion (CTR) das Verfahren der Wahl dar, nahezu unabhängig von der zugrundeliegenden Ätiologie und des Ausmaßes der Pathologie. Die CTR wurde für erwachsene Patienten erstmals nahezu zeitgleich und unabhängig voneinander von Pearson und Grillo beschrieben (Pearson et al. 1986; Grillo 2003). Die Übertragung auf die pädiatrische Population erfolgte erst Ende der 1980er Jahre durch Monnier (Monnier et al. 1993). Das Grundprinzip besteht in der vollständigen Resektion der laryngotrachealen Stenose unter Einschluss des Ringknorpelbogens mit vollständiger Exposition der Ringknorpelplatte (Vollrath et al. 1999b). Nach entsprechenden Mobilisationsmanövern wird die distale Trachea partiell an das verbleibende Krikoid, überwiegend an das Thyroid adaptiert (thyrotracheale Anastomose). Ein bereits vorhandenes Tracheostoma wird in der Regel in die Resektion eingeschlossen, es sei denn, zwischen kaudalem Stenosenrand und kranialem TracheostomaRand sind 2–3 gesunde Trachealspangen verblieben, die
>>Die vollständige Resektion der gesamten pathologischen
Anteile ist von hoher Bedeutung, ebenso wie die großzügige mediastinale Mobilisation der distalen Trachea.
Mit dem Diamantbohrer wird die Ringknorpelplatte ausgedünnt, um mögliche Reste von Pathologie zu entfernen sowie zusätzlich Platz zu gewinnen (. Abb. 20.5). Die distale Trachea wird nun spannungsfrei auf die Ringknorpelplatte gelegt und mit resorbierbarem Nahtmaterial mit den lateralen Aspekten von Krikoid, Mukosa der Interarytenoidregion sowie Thyroid anastomosiert (. Abb. 20.6). Hierdurch entsteht eine primär epithelisierte Anastomose unter Vermeidung freiliegender Knorpelflächen (. Abb. 20.7, 20.8). Vor dem abschließenden Knüpfen der Anastomosenvorderwand wird der Beatmungstubus aus der distalen Trachea entfernt und die noch einliegende Larynxmaske wieder zur Ventilation verwendet (. Abb. 20.9, 20.10). Wesentlicher Vorteil hierbei ist die unmittelbare Überprüfung auf eventuelle Luftlecks, die penibel geschlossen werden müssen. >>Bis auf wenige Ausnahmen wird die Atmung des Pa-
tienten spontanisiert, eine postoperative Intubation bringt keine Vorteile. Kinn-Brust-Nähte erschweren eine physiologische Atmung und bringen keine zusätzliche Sicherheit für die Anastomosenintegrität. Sie sind daher als obsolet anzusehen.
Die Erfolgsrate einer technisch akkurat ausgeführten und korrekt indizierten CTR sind mit gut über 90 % als
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402
Kapitel 20 • Laryngotrachealer Übergang
..Abb. 20.1 Ringknorpelbogen abgesetzt, Blick auf die Stenose. (© Prof. C. Sittel)
..Abb. 20.3 Absetzten des Ringknorpelbogens. (© Prof. C. Sittel)
20 ..Abb. 20.4 Blick auf die Ringknorpelplatte. (© Prof. C. Sittel)
..Abb. 20.2 Resektionsgrenzen der CTR. (© Prof. C. Sittel)
20.5 • Operative Verfahren
403
..Abb. 20.5 Zirkumferenziell mobilisierte Trachea. (© Prof. C. Sittel)
..Abb. 20.6 Vorbereitung der Eck- und Hinterwandnähte. (© Prof. C. Sittel)
..Abb. 20.8 Thyrotracheale Anastomose. (© Prof. C. Sittel)
..Abb. 20.9 Komplettierte Hinterwandanastomose, Vorbereitung der Vorderwandanastomose. (© Prof. C. Sittel)
..Abb. 20.7 Situs nach Resektion der Stenose. (© Prof. C. Sittel)
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Kapitel 20 • Laryngotrachealer Übergang
404
..Abb. 20.10 CTR: Abschluss-Situs. (© Prof. C. Sittel)
hervorragend anzusehen, was von verschiedenen Arbeitsgruppen reproduziert werden konnte (Sittel et al. 2008; Yamamoto et al. 2015; Hu et al. 2015). Dennoch handelt es sich um einen komplexen, dreidimensionalen Eingriff mit erheblichem Schwierigkeitsgrad, der eine nicht zu unterschätzende Lernkurve erfordert. Trotz der hervorragenden Endergebnisse sind Komplikationen nicht selten:
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Potenzielle Komplikationen bei CTR Kleinere endoskopische Korrekturen, etwa Abtragungen von Fibrinbelägen oder Granulationen, sind bei knapp 2/3 aller Patienten erforderlich, zumeist nur einmalig. Schwere Komplikationen wie Anastomoseninsuffizienzen oder Knorpelnekrosen sind sehr seltene Ausnahmefälle (Piazza et al. 2014). Trotz der anatomischen Nähe sind bei akkurater und präziser Operationstechnik Verletzungen der Nn. recurrentes seltene Ereignisse (Piazza et al. 2014).
20.5.2 Tracheasegmentresektion
20
Die Tracheasegmentresektion ist das Verfahren der Wahl bei Stenosen der zervikalen und mediastinalen Trachea ohne Ringknorpelbeteiligung, die im Vergleich zu subglottischen Stenosen allerdings viel seltener auftreten. >>Wenn das Krikoid involviert ist, stellt die Segmentre-
sektion eine Kontraindikation dar!
Die nicht erkannte und/oder nicht respektierte Ausdehnung der Pathologie in das Niveau des Krikoids führt regelmäßig zu Restenosierungen, wenn dennoch eine reine Segmentresektion anstelle der eigentlich indizierten CTR ausgeführt wird. Es handelt sich im engeren Sinne nicht
um eine Operation am laryngotrachealen Übergang, daher soll diese Operationstechnik nur knapp dargestellt werden. Da isolierte Trachealstenosen ohne Beteiligung des Ringknorpels vergleichsweise selten anzutreffen sind, die Tracheasegmentresektion als „Querresektion“ jedoch häufig als Synonym für Trachealchirurgie verwendet wird, steht zu vermuten, dass die Indikation häufig zu unkritisch gestellt wird. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass die Tracheasegmentresektion zu Unrecht den Ruf als wenig erfolgsträchtiges Verfahren hat. Bei korrekter Indikation und präziser technischer Umsetzung sind die Erfolgsraten hingegen hervorragend. Der Zugangsweg ist nahezu ausschließlich transzervikal, auch für Stenosen recht knapp oberhalb der Bifurkation. Die optimale Exposition des stenotischen Areals mit zirkumferenzieller Präparation des gesamten Trachealumfangs ist von essenzieller Bedeutung. Die Separation zwischen Ösophagus und Pars membranacea ist obligat. Auf eine ausreichende Mobilisation der distalen und proximalen Trachea zur Sicherstellung einer spannungsfreien Anastomose ist, abhängig von der Resektatlänge, streng zu achten. Nach vollständiger Resektion sämtlicher pathologischer Anteile erfolgt die Anastomose mit resorbierbarem Nahtmaterial (PDS 2.0 oder 3.0). >>Eine postoperative Intubation sollte nur im absoluten
Ausnahmefall erfolgen, Kinn-Brust-Nähte sind obsolet.
20.5.3
Laryngotracheale Rekonstruktion
Schon vor über 100 Jahren wurde bei den seinerzeit endemischen diphteriebedingten subglottischen Stenosen der Versuch unternommen, durch eine dauerhafte Einlage eines Platzhalters eine Erweiterung des verengten Atemwegs zu erreichen. Mit dem Namen Rethy ist die Technik der zusätzlichen Spaltung des Ringknorpels verbunden, durch welche die schienende Dilatation erleichtert werden sollte. In den 1970er Jahren beschrieb Cotton erstmals eine Technik, bei der die Spaltung des Ringknorpels anterior und posterior mit einem autologen Transplantat aus Rippenknorpel fixiert wurde (Koempel und Cotton 2008). Unter dem Begriff der laryngotrachealen Rekonstruktion (LTR) stellte dieses Verfahren für die folgenden 3 Jahrzehnte den Goldstandard in der Behandlung subglottischer und glottischer Stenosen dar. Durch Einführung der krikotrachealen Resektion auch bei Kindern hat sich die Bedeutung des Verfahrens relativiert. Es bleibt jedoch das Verfahren der Wahl für alle Fälle mit Beteiligung der Stimmlippenebene. Auch bei höhergradigen Interarytenoidfibrosen, die endoskopisch nicht erfolgversprechend zu behandeln sind, stellt die LTR weiterhin die beste Therapieform dar. Im Vergleich zur krikotrachealen Resektion stellt die LTR ein technisch weniger komplexes Verfahren dar, das
20.5 • Operative Verfahren
..Abb. 20.11 Laryngotracheale Rekonstruktion posterior mit Laryngofissur-Sperrer. (© Prof. C. Sittel)
wesentlich rascher erlernt werden kann (Vollrath et al. 1999a). Die möglichen Komplikationen sind zwar nicht weniger häufig, jedoch weniger dramatisch. Dies dürften auch die wichtigsten Gründe dafür sein, dass sich gerade im Kindesalter die grundsätzlich erfolgsträchtigere CTR nur an besonders spezialisierten Zentren zahlenmäßig gegen die laryngotracheale Rekonstruktion durchsetzen konnte. Ein weiterer Grund sind die zunehmenden Zahlen von komplexen Stenosen unter Beteiligung der Glottis-Ebene. Die autologe Transplantation von Rippenknorpel ist im Kindesalter sehr zuverlässig möglich, mit zunehmendem Lebensalter kommt es zunehmend zu Wundheilungsstörungen mit Resorptionen oder Abstoßungen. Dennoch kann die LTR bis in das 4. Lebensjahrzehnt eine durchaus sinnvolle Behandlungsoption darstellen, wenn resezierende Verfahren nicht möglich sind. Darüber hinaus ist die Indikation jedoch sehr streng zu stellen. Die Entnahme von Rippenknorpel ist nach dem vollendeten 2. Lebensjahr in aller Regel technisch gut möglich. In den ersten 18 Lebensmonaten kann eine Sonderform der LTR mit Verwendung von autologem Schildknorpel ausgeführt werden, die hier nicht näher beschrieben werden soll (Sittel 2012). zz Grundsätzliches Vorgehen bei LTR
Für die LTR gibt es je nach Autor verschiedene Modifikationen, daher sollen hier nur die Grundzüge beschrieben werden: Über einen Zugang von außen in Höhe des Ringknorpels werden Thyroid, Krikoid und kraniale Trachea dargestellt. Anders als bei der CTR ist eine zirkumfe-
405
..Abb. 20.12 Laryngotracheale Rekonstruktion anterior. (© Prof. C. Sittel)
renzielle Präparation nicht erforderlich, ein wesentliches Risiko für die Nn. recurrentes entsteht daher nicht. Nach penibler Exposition der laryngealen Strukturen erfolgt die mediale Inzision der Membrana cricothyroidea, des Krikoids sowie der oberen 1–3 Trachealspangen. Je nach genauer Lokalisation der Stenose muss zusätzlich eine partielle oder auch totale Laryngofissur erfolgen. Für die atraumatische Exposition bietet sich die Verwendung eines speziellen Laryngofissur-Sperrers an (. Abb. 20.11). Nach übersichtlicher Exposition der Ringknorpelplatte erfolgt die Inzision auf ganzer Länge, bis es zu einem deutlichen Auseinanderklaffen der beiden Ringknorpelhälften kommt. Gegebenenfalls muss eine zusätzlich bestehende Interarytenoidfibrose mit Mikroscheren aufgetrennt werden, wobei eine kraniale Schleimhautbegrenzung erhalten bleiben sollte. Das posteriore Transplantat wird siegerpodestartig präpariert, wobei der „1. Platz“ lumenwärts zeigt und mit Rippenperichondrium bedeckt bleiben sollte, um die Granulationsneigung zu verringern. Zur Aufnahme des Transplantats wird das posteriore Perichondrium der Ringknorpelplatte unterminiert. Dann gelingt das Einsetzen des Transplantats mit deutlicher Vorspannung, in den allermeisten Fällen ist eine zusätzliche Fixierung durch Naht nicht erforderlich und nicht sinnvoll. Durch die Eigenspannung des Ringknorpels kommt es zu einem primär stabilen Sitz des Rippenknorpels (. Abb. 20.11). In analoger Weise wird ein zweites Transplantat in das gespaltene Krikoid eingesetzt, das je nach individueller Situation in die kraniale Trachea oder das kaudale Thyroid hineinreicht (. Abb. 20.12).
20
Kapitel 20 • Laryngotrachealer Übergang
406
Die LTR ist ein modulares Verfahren, das auch nur anterior oder nur posterior eingesetzt werden kann. Die alleinige anteriore LTR bedarf keines Stentings und kann im Regelfall ohne Tracheostoma ausgeführt werden. Die posteriore LTR sowie die kombiniert anterior und posteriore LTR sollten hingegen in der Regel zweizeitig, d. h. mit passagerer Tracheotomie oder Erhalt eines bereits bestehenden Tracheostoma ausgeführt werden. Das postoperative Stenting zur Schienung des Rekonstruktionsergebnisses wird zunehmend zurückhaltend eingesetzt. Der Montgomery-T-Tubus führt durch Granulationsbildung und Druckläsionen nicht selten zu erheblichen Problemen. Der von Monnier entwickelte LT-Mold stellt eine deutliche Verbesserung in allen Belangen dar, ist jedoch leider weiterhin nicht kommerziell verfügbar. In unseren Händen hat sich für die Mehrzahl der Fälle eine einwöchige Einlage einer Gummifingerling-Tamponade als ausreichend bewährt. Insgesamt ist die Frage des postoperativen Stentings, gerade im Kindesalter, jedoch noch in vielen Aspekten nicht zufriedenstellend gelöst. An den lumenwärts gerichteten Transplantatflächen kommt es relativ regelmäßig zu Granulationen und Ödembildungen. Eine Kontroll-Endoskopie mit der Option auf Granulationsabtragung sollte regelmäßig nach etwa 3 Wochen erfolgen. Hartnäckige Granulationen können durch die topische Applikation von Mitomycin-C (Dosierung 2 mg/ml) häufig sehr gut beeinflusst werden. Wenn schließlich im Rahmen einer KontrollEndoskopie eine erfolgreiche Rekonstruktion des Atemwegs bestätigt ist, kann das schrittweise Dekanülement erfolgen. Üblicherweise wird hierfür zunächst die Kanülengröße schrittweise verkleinert (Downsizing), gefolgt vom Abstöpseln der Kanüle. Im letzten Schritt erfolgt das Abkleben des Tracheostoma vor dem operativen Tracheostomaverschluss. Im Erwachsenenalter kann dieser Prozess üblicherweise erheblich verkürzt werden.
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Zusammenfassung
20
Die präinterventionelle Diagnostik ist von entscheidender Bedeutung für die Wahl des korrekten Behandlungsverfahrens und damit für die Prognose. Die krikotracheale Resektion ist das Verfahren der Wahl für hochgradige Stenosen ohne Beteiligung der Glottis-Ebene. Trachea-Segmentresektionen sind technisch einfach und prognostisch günstig bei Stenosen ohne Beteiligung des Ringknorpels. Bei Beteiligungen der Glottis-Ebene und für Revisionen stellt die laryngotracheale Rekonstruktion das Verfahren der Wahl dar.
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407
20
409
Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie Frans J. M. Hilgers, Michiel W. M. van den Brekel, Kai J. Lorenz Inhaltsverzeichnis 21.1
Einleitung – 411
21.2
Physiologie der Stimme und Sprache bei Laryngektomierten – 411
21.3
Möglichkeiten der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie – 412
21.3.1 21.3.2 21.3.3 21.3.4
Ösophagusstimme und Sprache – 412 Elektrolarynxstimme und Sprache – 412 Tracheoösophageale Stimme und Sprache – 412 Stimmprothesentypen: Verweilprothesen und Wechselprothesen – 413
21.4
Chirurgische Aspekte der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie – 414
21.4.1 21.4.2
Chirurgische Techniken und Tricks – 414 Prävention einer Hypertonizität des pharyngoösophagealen Segments – 416 21.4.3 Schaffung eines optimalen Tracheostomas – 416 21.4.4 Vermeidung eines tiefen Tracheostomas – 417 21.4.5 Pharyngealer Schleimhautverschluss – 417
21.5
Postoperatives Management – 417
21.5.1 Ernährung – 417 21.5.2 Pulmonale Rehabilitation – 418
21.6
Sekundäre Stimmprothesenanlage – 420
21.7
Stimmprothesenwechsel und Pflege – 420
21.7.1 21.7.2
Indikationen zum Prothesenwechsel – 421 Prothesenwechsel bei Ventilversagen – transprothetische Leckage – 421 21.7.3 Prothesenwechsel – periprothetische Leckage – 421 21.7.4 Wechselprothesen – 421 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_21
21
21.8
Komplikationsmanagement – 422
21.8.1 21.8.2
Probleme im pharyngoösophagealen Segment – 422 Auf die tracheoösophageale Fistel bezogene Probleme – 423
21.9
Risikofaktoren – 427
21.9.1
Stellenwert des gastroösophagealen Refluxes als Risikofaktor für Stimmfistelprobleme – 427 21.9.2 Weitere Risikofaktoren – 428
Literatur – 429
411
21.2 • Physiologie der Stimme und Sprache bei Laryngektomierten
21.1 Einleitung
Die Geschichte der totalen Laryngektomie reicht weit zurück. Bereits am Silvestertag 1873 wurde durch den bekannten Wiener Chirurgen Theodor Billroth die erste komplette Kehlkopfentfernung wegen eines fortgeschrittenen Kehlkopfkarzinoms durchgeführt. Zur Wiederherstellung der Sprache verwendete er einen sog. künstlichen Kehlkopf, den er mit seinem Kollegen und Mitarbeiter Carl Gussenbauer entwickelt hatte, der auch die Laryngektomie und diesen Kehlkopfersatz erstmals publizierte (Gussenbauer 1874). Mit diesem Hilfsmittel, welches aus einer Trachealkanüle mit pharyngealem Kamin bestand, konnte der Patient unter Verwendung der pulmonalen Ausatemluft mit eingeschränkter Qualität phonieren. Dennoch wurde diese Methode aus verschiedenen Gründen bald verlassen. Neben der schlechten, mechanisch klingenden Stimme limitierten v. a. Wundheilungsstörungen und schwere aspirationsassoziierte Pneumonien, die in der vorantibiotischen Ära kaum beherrschbar waren, diese Methode der Stimmrehabilitation (Burger und Kaiser 1925). Erst durch die Einführung der kompletten Separation von Trachea und Ösophagus durch eine vollständige Pharynx-Naht durch Gluck, Zeller und Soerensen im Jahr 1894 konnte die Problematik beherrscht werden. Zusammen mit der Entdeckung und Weiterentwicklung der Ösophagusstimme (Ruktusstimme) wurde zweifelsohne das Interesse an chirurgischen Methoden der Stimmrehabilitation über Jahrzehnte geringer (Burger und Kaiser 1925). Erst in den 1950-er bis 1970-er Jahren wurde mittels rein chirurgischer Methoden eine Wiederherstellung der Stimme versucht. Neben verschiedenen anderen waren es v. a. Conley, Asai, Staffieri und Amatsu, die sich um diese Techniken verdient machten. Allerdings widerstand keine dieser Techniken den Kritikern über längere Zeit, da die chirurgisch kreierten Stimmshunts nicht in der Lage waren, eine optimale und zuverlässige Aspirationsprophylaxe zu bieten, die die wichtigste vitale Funktion des gesunden Larynx darstellt. Die Situation änderte sich 1980 mit der Einführung der ersten kommerziell erhältlichen Stimmprothese durch Blom und Singer (Singer und Blom 1980). Die Autoren stellten die tracheoösophageale Punktionstechnik (TEP) vor, bei welcher die chirurgisch angelegte Fistel zwischen Ösophagus und Trachea mithilfe eines Einwegventils aus Silikon offengehalten wird. Dieses Hilfsmittel erlaubt das Einblasen von Luft aus der Lunge in den oberen Ösophagus, die Erzeugung von pharyngealen Vibrationen und somit von Tönen, die zur Phonation genutzt werden, während es eine Aspiration zuverlässig verhindert. Seitdem wurde eine Vielzahl ähnlicher Stimmprothesen entwickelt und vielfach eingesetzt. Sowohl die Funktionalität als auch die Zuverlässigkeit dieses Verfahrens konnte in großen Studien gezeigt werden (Hilgers und Balm 1993).
Aus medizinhistorischer Sicht interessant ist die Tatsache, dass entgegen der allgemein verbreiteten Meinung nicht Blom und Singer die Erfinder der Stimmprothese sind, sondern dass der polnische HNO-Chirurg Mozolewski bereits 1973 seine Erfahrungen an 24 Patienten mit einer selbstentwickelten Stimmshunt-Prothese (. Abb. 21.1) in einem polnischen HNO-Fachjournal publizierte (Mozolewski et al. 1973). 1975 veröffentlichte er in der Zeitschrift Laryngoscope ebenfalls eine chirurgische StimmshuntMethode als Alternative zur Asai-Methode. In der Folge präsentierte er im Mai 1978 sowohl seine chirurgischen Ergebnisse als auch die stimmprothetischen Versuche auf einem internationalen Kongress in Boston, bei dem auch Blom und Singer ihre Arbeiten mit Stimmprothesen und der Asai-Technik vorstellten. Folglich müssen die Arbeiten Mozolewskis die Entwicklungen in der Stimmrehabilitation in der gesamten westlichen Welt befruchtet haben. In den frühen 1990er Jahren waren es v. a. rein chirurgische Methoden unter Verwendung von gestielten oder mikrovaskularisierten Lappen und Transplantaten, die besonders in Deutschland zur Stimmshunt-Anlage eingesetzt wurden. Allerdings konnten sich diese Techniken (Pectoralis-major-Lappentechnik nach Maier, Larynxplastik mit einem freien Radialis-Vorarmtransplantat nach Hagen und Jejunum-Interposition nach Ehrenberger/Remmert), ebenso wie die reinen Shunttechniken der 1950er bis 1970er Jahre, nicht durchsetzen, wenngleich sie in der Hand ihrer Entwickler offensichtlich erfolgversprechend waren. Aus diesem Grund wird sich dieses Kapitel im Weiteren auf die heute meistverwendeten Methoden zur Stimm- und Sprachrehabilitation nach Laryngektomie widmen. 21.2 Physiologie
der Stimme und Sprache bei Laryngektomierten
Die normale Stimmbildung erfordert einen Luftstrom, eine Tonquelle und einen Resonanzraum, in dem der Ton zu verständlicher Sprache artikuliert wird. Beim Gesunden wird der Luftstrom von der Lunge aufrechterhalten und erzeugt an den Stimmlippen durch den BernoulliEffekt Schleimhautschwingungen, die der Tonerzeugung dienen. Durch die Artikulationsorgane und Resonatoren im Vokaltrakt wird aus den laryngealen Tönen Sprache. Nach einer Laryngektomie fehlt nicht nur die natürliche Tonquelle, auch die Anatomie des Vokaltrakts verändert sich durch eine Verlagerung der Zungenbasis aufgrund des fehlenden Hyoids und Kehlkopfes. Insbesondere durch fehlerhafte Bildung stimmhafter und stimmloser Konsonanten kann die Verständlichkeit der Stimme eingeschränkt sein. Wesentlicher ist jedoch der Verlust des Lungenvolumens zum Unterhalt des Luftstroms nach Separierung von unterem und oberem Atemtrakt. Untersuchungen bei Ruktussprechern zu Beginn des letzten Jahrhunderts zeigten, dass nach Laryngektomie
21
412
Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
..Abb. 21.1 Stimmshunt-Prothese nach Mozolewski
..Abb. 21.2 Stimmbildung mithilfe der Ruktusstimme
das pharyngoösophageale Segment (PE-Segment) aus dem oberen Ösophagus-Sphinkter und kaudalen Anteilen des M. cricopharyngeus als Tonquelle fungieren kann (Burger und Kaiser 1925). Schleimhautvibrationen in diesem Segment können die zur Phonation notwendigen Töne erzeugen, wenngleich die Stimmqualität im Vergleich zur natürlichen Kehlkopfstimme signifikant schlechter ist.
eine gute Stimmqualität liegt. Nicht mehr als 40–60 % der laryngektomierten Patienten erreichen eine befriedigende Stimmqualität und nur ca. 10 % eine wirklich gute Stimme. Das Versagen der Speiseröhrenstimme ist wahrscheinlich auf eine Hypertonie im PE-Segment zurückzuführen (Doyle 2022).
21.3 Möglichkeiten
der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie
21.3.1
Ösophagusstimme und Sprache
Bei der Ösophagusstimme werden vom Patienten 60– 80 ml Luft aus dem Mund-Rachen-Raum in den oberen Ösophagus injiziert resp. eingeschluckt. Durch das willkürliche Aufstoßen dieser Luft lässt sich das PE-Segment in Vibration versetzen und ein Ton erzeugen, der zur Artikulation genutzt werden kann (. Abb. 21.2).
21
21.3.2
Elektrolarynxstimme und Sprache
Bei der Stimmerzeugung mittels externer Schwingungserzeuger (Elektrolarynx) werden die Muskulatur und das Weichteilgewebe im Hals- und Kehlbereich von außen in Vibration versetzt. Diese Schwingungen können dann im Artikulationstrakt in verständliche Sprache umgesetzt werden (. Abb. 21.3). Bewertung des Verfahrens Zwar ist diese Form der Stimm-
bildung für die Patienten nicht schwer zu erlernen, sie hat aber den Nachteil eines sehr monotonen, roboterartigen Klangs und des Umstands, dass eine Hand zur Bedienung des Elektrolarynx gebunden ist.
Bewertung des Verfahrens Durch das begrenzte Luft-
21.3.3
volumen von nur ca. 80 ml ist die Phonationsdauer auf ca. 1–2 Sekunden beschränkt und der Sprachfluss durch das ständig notwendige Nachschlucken von Luft unterbrochen. Abgesehen davon ist die Technik der Ösophagusstimme (Ruktusstimme) nur schwer und zeitaufwändig zu erlernen. Die in der Literatur genannten Erfolgsraten für die Ösophagusstimme variieren deutlich, was aber auch am Fehlen einer eindeutigen Definition für
Tracheoösophageale Stimme und Sprache
Die tracheoösophageale Stimmbildung beruht auf einer Wiederverbindung der tiefen Atemwege mit dem Ösophagus und erlaubt die Nutzung des Lungenvolumens zur Stimmbildung (. Abb. 21.4). Durch passageren Verschluss des Tracheostomas kann beim Ausatmen Luft über die tracheoösophageale Fistel in das
413
21.3 • Möglichkeiten der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie
..Abb. 21.3 Stimmbildung mithilfe externer Schwingungserzeuger (Elektrolarynx)
..Abb. 21.4 Tracheoösophageale Stimmbildung
21.3.4 Stimmprothesentypen:
PE-Segment geleitet werden und, wie bei der Ruktusstimme, Schwingungen der Schleimhaut induzieren, die der Tongenerationen dienen. Selbst bei ausgedehnten Pharynx-Resektionen und plastischer Rekonstruktion, die eine Ruktusrehabilitation fast unmöglich machen, ist der Einsatz von Stimmfistel und Stimmprothese möglich (Hilgers et al. 1995). Bewertung des Verfahrens Die Wiederherstellung der
verbalen Kommunikationskompetenz erfolgt so schnell (in vielen Fällen bereits innerhalb der ersten beiden postoperativen Wochen), und die Rehabilitationsquote von bis zu 90 % ist derart beeindruckend, dass sich diese Technik in den letzten 15 Jahren zum Goldstandard nach Laryngektomie entwickelt hat, zumal sie gegenüber dem Patienten eine Vorhersage zum Rehabilitationserfolg zulässt (Hilgers 2004). Als einer der wesentlichen Vorteile kann die maximale Phonationszeit (MPT) angesehen werden, viele Patienten erreichen normale Werte und mittlere Phonationszeiten von 16–17 Sekunden und sind keine Ausnahmen. Selbst bei COPD-Patienten reicht die pulmonale Kapazität noch für befriedigende Stimmleistungen aus. Als nachteilig hat sich jedoch der nur geringe Unterschied in der Grundfrequenz (ca. 100 Hz) zwischen Männern und Frauen erwiesen, da postoperativ keine signifikanten Geschlechterunterschiede in der Anatomie und Physiologie des neuen Stimmsegments bestehen. Während für Männer eine Grundfrequenz von 100 Hz durchaus akzeptabel ist, sind die Frauenstimmen häufig zu tief – ein Problem, dessen Lösung noch aussteht.
Verweilprothesen und Wechselprothesen
-
Prinzipiell existieren zwei Arten von Stimmprothesen, die Verweilprothesen und die Wechselprothesen: Wechselprothesen können vom Patienten selbst zum Reinigen aus der tracheoösophagealen Fistel genommen und wiedereingesetzt werden. Verweilprothesen hingegen bleiben permanent in der Fistel und werden nur bei Defekten oder Funktionsstörungen von geschultem medizinischem Personal ausgetauscht. In Europa hat sich die Verwendung von Verweilprothesen aufgrund einiger Vorteile im Vergleich zu Wechselprothesen durchgesetzt. Verweilprothesen – Bewertung Verweilprothesen können
mit robusteren Flanschen versehen werden, die einen zuverlässigen Halt in der Stimmfistel gewährleisten, und sie haben eine vergleichsweise höhere Lebensdauer. Weiterhin spielt die Geschicklichkeit des Patienten für die tägliche Prothesenpflege eine geringere Rolle, da lediglich der Prothesenshunt mittels einer Bürste oder eines flushing device (kleiner Blasebalg) gereinigt werden muss, ein regelmäßiges Wiedereinführen der Prothese aber entfällt (Hilgers und Balm 1993). Der Nachteil, dass der Prothesenwechsel durch medizinisches Personal im Rahmen von Krankenhausbesuchen erfolgen muss, wird durch den Vorteil aufgewogen, dass die Wahrscheinlichkeit
21
414
Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
..Abb. 21.5 Provox®-Stimmprothese Modell Provox® 2. (© Atos Medical GmbH, mit freundlicher Genehmigung)
selbstverursachter Fehlplatzierungen und die Gefahr von Prothesenaspirationen deutlich geringer ist. Abgesehen davon sind regelmäßige Nachkontrollen im Rahmen der onkologischen Nachsorge ebenso notwendig wie die ärztliche Kontrolle von Tracheostoma und Stimmfistel zur frühzeitigen Diagnose von Komplikationen wie Hypertrophie, Infektion oder Fistelerweiterung. Aus diesen Grund hat sich in weiten Teilen Europas der Einsatz von Verweilprothesen etabliert, wobei Provox®-Stimmprothesen das am häufigsten eingesetzte System darstellen (. Abb. 21.5, 21.6, 21.7; Hilgers et al. 2010). 21.4 Chirurgische
Aspekte der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie
Stimmrehabilitation (Annyas et al. 1984). Dieses Vorgehen verlängert die Operationszeit um nur wenige Minuten, und die notwendige Stimmprothesenlänge (in der Regel 8 mm) lässt sich problemlos mittels bimanueller Palpation bestimmen. Die Ergebnisse der primären Stimmprothesenanlage sind sehr zufriedenstellend und mit einer sehr geringen Komplikationsrate behaftet (Op de Coul et al. 2000). Ein wesentlicher psychologischer Vorteil besteht darin, dass die Patienten unmittelbar nachdem auch die orale Nahrungsaufnahme wieder möglich ist (in der Regel nach 7–10 Tagen) mit dem Phonationstraining beginnen können. Der aktuelle Trend einiger Zentren, die mit der oralen Ernährung deutlich früher, nämlich bereits nach 24–48 Stunden postoperativ beginnen, lässt sich gut mit der frühen Stimmprothesenanlage vereinen. 21.4.1
Chirurgische Techniken und Tricks
Selbstverständlich muss sich die Resektion bei der Laryngektomie an den onkologischen Notwendigkeiten orientieren, und die Vorgabe der Stimmrehabilitation darf keinen Einfluss auf die chirurgischen Resektionsgrenzen haben. Selbst nach ausgedehnten Laryngopharyngektomien mit plastischer Rekonstruktion ist allerdings die stimmprothetische Versorgung möglich, sofern der Ösophagus intakt und mit der Trachea verbunden ist (. Abb. 21.8, 21.9; Hilgers et al. 1995). Das Provox® Vega™ Puncture-Set (PVPS) hat die Stimmprothesen- und Fistelanlage wesentlich vereinfacht und gilt als das bevorzugte Instrument für diesen Eingriff (Lorenz et al. 2013; . Abb. 21.10). In den meisten Fällen kann eine 8- oder 10-mm-Stimmprothese beim primären Einsatz verwendet werden.
Die primäre Stimmfistelanlage und das Einbringen einer Verweil-Stimmprothese im Rahmen der Laryngektomie, wie erstmals 1984 für die Groningen-Prothese von Annyas et al. beschrieben, gilt zurzeit als Goldstandard der
>>Es ist darauf zu achten, dass keinesfalls eine zu kurze
a
b
Prothese verwendet wird, um Schleimhautschäden infolge des Drucks der Flansche zu verhindern. Im Zweifel sollte deshalb eher eine 10-mm-Prothese eingesetzt werden.
21
..Abb. 21.6 a, b Provox®-Stimmprothese Modell Provox® Vega™. (© Atos Medical GmbH, mit freundlicher Genehmigung)
415
21.4 • Chirurgische Aspekte der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie
..Abb. 21.8 Provox® insertion tools. Instrumentarium zum Einsetzen der Provox-Stimmprothese. (© Atos Medical GmbH, mit freundlicher Genehmigung)
..Abb. 21.7 Provox®-Stimmprothese Modell Provox® accessories. (© Atos Medical GmbH, mit freundlicher Genehmigung)
..Abb. 21.9 Primäre Provox®Einlage
a
b
c
d
e
f
21
416
Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
..Abb. 21.11 Kurze anteriore Myotomie des M. cricopharyngeus
®
..Abb. 21.10 Provox Vega™ Puncture-Set (PVPS). (© Atos Medical GmbH, mit freundlicher Genehmigung)
Wird eine Pharynx-Rekonstruktion mittels Magenhochzug durchgeführt, sollte die Stimmprothesenanlage für 4–5 Wochen zurückgestellt werden. Wegen der Dicke der Magenwand ist im Rahmen der sekundären Anlage eine 12,5- oder 15-mm-Prothese notwendig (Hilgers et al. 1995). Die primäre Stimmprothesenanlage ermöglicht auch bei notwendiger adjuvanter Strahlentherapie die Wiedererlangung der oralen Kommunikationsfähigkeit vor Beginn der Radiatio. Selbst wenn unter Therapie die Phonation zunächst eingeschränkt ist, fällt nach Abklingen der strahlenbedingten Ödeme die erneute Stimmanbahnung deutlich leichter. Wenngleich mit den verfügbaren Stimmprothesen eine Versorgung unabhängig von der Art des pharyngealen Verschlusses und der Ausdehnung des Defekts im Bereich des M. constrictor pharyngis möglich ist, empfiehlt sich doch eine Optimierung der chirurgischen Technik, um postoperative Probleme zu verringern oder zu vermeiden, wie z. B. eine Hypertonizität des pharyngoösophagealen Segmentes oder ein schrumpfendes bzw. ungleichmäßig geformtes Tracheostoma. 21.4.2
21
Prävention einer Hypertonizität des pharyngoösophagealen Segments
Ein erhöhter Tonus des M. constrictor pharyngis, der neben der Schleimhaut maßgeblich das PE-Segment bildet, ist die häufigste Ursache für das Versagen einer flüssigen Phonation, sowohl bei der stimmprothetischen Versorgung als auch bei der Ösophagusstimme. Diese Tonuserhöhung zeigt sich relativ rasch nach der Laryngektomie, sie kann aber auch erst nach Monaten auftreten und resultiert in einer Blockade des Luftstroms durch das PE-Segment, sodass die Schleimhautschwingungen, die zur Stimmbildung notwendig sind, erschwert werden.
Wenngleich verschiedene chirurgische Lösungen in der Literatur beschrieben werden, hat sich die kurze anteriore Myotomie des M. cricopharyngeus im Bereich des oberen Ösophagussphinkters bewährt. Hierbei wird der Muskel so weit myotomiert, bis sich bei digitaler Palpation eine komplette Relaxation feststellen lässt (. Abb. 21.11). Nach dieser Myotomie und der Protheseninsertion kann in üblicherweise der Verschluss des Pharynx erfolgen. 21.4.3
Schaffung eines optimalen Tracheostomas
Das ideale Tracheostoma ist stabil mit einem Durchmesser, der dem der Trachea entspricht oder nur geringfügig kleiner ist, um einen einfachen Zugang zur Stimmprothese zu gewährleisten und möglichst ohne Kanüle eine adäquate Atmung zu erlauben. Die chirurgische Technik sollte v. a. einer Schrumpfungstendenz vorbeugen. Ursachen für Stoma-Stenosen liegen häufig in lokalen Infektionen (Perichondritis) und einer Wunddehiszenz an der Haut-Stoma-Naht. Weiterhin spielt die Integrität der Trachealspangen am Stoma eine wesentliche Rolle. >>Eine schräge Schnittführung an den oberen Tracheal-
spangen führt zu einem Kollaps des Knorpels auf Höhe des Tracheostomas.
Dieser Problematik kann durch Einnähen der Trachea in ein separates Hautfenster und den Erhalt der Kontinuität der Knorpelspangen begegnet werden (. Abb. 21.12). Dieses Fenster sollte denselben Durchmesser wie die Trachea haben, und die Naht sollte so ausgeführt werden, dass die in ihrer Zirkumferenz intakte oberste Trachealspange mit Haut gedeckt wird. Besonders der letzte Aspekt ist der entscheidende Punkt zur Schaffung eines stabilen Stomas. Die Kollagenfasern in den Trachealspangen sind so angeordnet (dicht und parallel an der äußeren Seite und locker und ungeordnet im Inneren), dass die Tracheal-
417
21.5 • Postoperatives Management
a
b
..Abb. 21.12 a präoperative Planung des Tracheostomas mit Hautbrücke zum Schürzenlappen. b Tracheostoma postoperativ
spange als Feder funktioniert, die durch die Eigenelastizität die Trachea und somit das Stoma offen hält. Wird der Trachealknorpel durchtrennt, geht diese Elastizität verloren und die Trachea kollabiert, was zu einer Einengung des Stomas führt.
In der Mehrzahl der Fälle entsteht ein „tiefes Stoma“ jedoch durch eine Protrusion der sternalen Anteile des M. sternocleidomastoideus. Durch eine Inzision in Bereich des sternalen Ansatzes des Muskels kann dem entgegengewirkt werden Funktionelle Einschränkungen sind bei diesem Vorgehen nicht zu erwarten.
>>Die minutiöse Einnaht der Trachealspangen in die Haut
mit einer suffizienten Haut-Mukosa-Verbindung und einer kompletten Deckung des Trachealknorpels verhindert lokale Infektionen und die Ausbildung einer Knorpelfibrose.
Der schmale Hautstreifen zwischen dem separaten Stoma-Fenster und der Schürzenlappenschnittführung sollte ca. 10 mm betragen. Wundheilungsstörungen werden nur selten und meist nach Bestrahlung beobachtet. Weiterhin werden sich kreuzende Nahtlinien um das Tracheostoma vermieden, was sich bei der klassischen Stoma-Anlage im Bereich der Schürzenlappenschnittführung nicht vermeiden lässt. In den seltenen Fällen, in denen die Trachea soweit kaudal abgesetzt werden muss, dass eine Einnaht in ein separates Fenster nicht möglich ist, kann bei Erhalt einer kompletten oberen Trachealspange meist ein stabiles Stoma geschaffen werden, welches eine frühzeitige Dekanülierung erlaubt. Ohne Kanüle werden weniger tracheale und stomale Reizungen, eine geringere Schleimproduktion und eine verbesserte Wundheilung beobachtet. 21.4.4
Vermeidung eines tiefen Tracheostomas
Ein tiefes Tracheostoma erschwert die spätere Versorgung mit Rehabilitationshilfsmitteln wie HME (heat-moisture exchanger/künstliche Nasen) oder automatischen Tracheostoma-Ventilen erheblich. In wenigen Fällen kann ein tiefes Stoma nicht vermieden werden, nämlich, wenn mehr als 3–4 Trachealspangen reseziert werden müssen.
21.4.5
Pharyngealer Schleimhautverschluss
Die minutiös invertierte Naht der pharyngealen Schleimhaut dient in erster Linie der Vermeidung von Wundheilungsstörungen, hinsichtlich der Technik (Einzelknopfoder fortlaufende Naht, Schleimhaut- oder submuköse Naht) können keine besonderen Empfehlungen gemacht werden. >>Vermieden werden sollte ein unnötiger Zug auf die
Naht, wie er bei ausschließlich horizontaler oder vertikaler Ausführung entstehen kann.
Idealerweise wird die Naht in T-Technik ausgeführt, wobei die Länge der Schenkel von den anatomischen Vorgaben nach der Resektion abhängt. Durch die T-Naht kann auch die Ausbildung einer Pseudo-Vallecula verhindert werden, die häufig nach rein vertikaler Naht oder der Verwendung eines GI-Staplers auftritt. 21.5 Postoperatives
Management
21.5.1 Ernährung
Die spezielle postoperative Pflege des laryngektomierten Patienten umfasst die Ernährung über eine nasogastrale Sonde oder eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) sowie die Pflege des Tracheostomas. Auch wenn die Mehrzahl der Chirurgen die Sonde für 10–12 Tage belässt, scheint die frühzeitige Entfernung am 2. post-
21
418
Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
operativen Tag und der Ernährungsaufbau mit Flüssigkost bei nichtbestrahlten Patienten keine negativen Auswirkungen auf die Wundheilung zu haben. Nach 8 Tagen kann dann mit weicher Kost aufgebaut werden. 21.5.2
Pulmonale Rehabilitation
Die Separierung von oberem und unterem Atemtrakt mit endständigem Tracheostoma hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Lungenphysiologie (Scheenstra et al. 2011): Die Abkopplung der oberen Atemwege verhindert die Atemluftkonditionierung mit Anwärmen, Anfeuchten und Filtern der Luft. Weiterhin reduziert sich der Atemwegwiderstand bei verringertem Totraum, was ebenfalls negative Auswirkungen hat (Scheenstra et al. 2010).
-
Intratracheale Messungen konnten zeigen, dass nach totaler Laryngektomie sowohl die Luftfeuchtigkeit als auch die Lufttemperatur signifikant erniedrigt sind. Insbesondere endinspiratorisch liegen die intratracheale Temperatur (28 °C statt 32 °C) und die relative Luftfeuchtigkeit (70–80 % statt 100 %) deutlich unter den physiologischen Werten. Folglich leiden viele laryngektomierte Patienten an Atemproblemen wie Hustenreiz, exzessive Schleimproduktion, verstärktes Abhusten bis hin zu dyspnoeischen Beschwerden (Hilgers et al. 1990). Diese Probleme entwickeln und verstärken sich in den ersten 12 postoperativen Monaten, um sich dann zu stabilisieren. Die pulmonale Symptomatik hat tiefgreifenden Einfluss auf verschiedene Aspekte des täglichen Lebens wie zunehmende Schlaf- und Ermüdungsprobleme, eingeschränkte Stimmqualität, gestörte soziale Kontakte und verstärktes psychisches Leiden (Hilgers et al. 1990).
---
Weiterhin konnten die pulmonalen Einschränkungen Laryngektomierter in Studien objektiviert werden. So sind die Lungenfunktionswerte signifikant schlechter im Vergleich zu den Normwerten (alters-, geschlechts-, gewichts- und größenadjustiert). 21.5.2.1
21
Heat-moisture exchanger (HME)
HME werden eingesetzt, um die Klimatisierungsfunktion der Nase zumindest teilweise wiederherzustellen (. Abb. 21.13). Diese Hilfsmittel bestehen meist aus einem schaumstoffartigen, mit hygroskopischem Salz imprägnierten Schwamm, an dem während der Exspirationsphase Wasser kondensiert. Während der folgenden Einatmung wird die gespeicherte Feuchtigkeit an die Einatemluft abgegeben und kann die Luftfeuchtigkeit in der Trachea signifikant erhöhen. Die Verwendung von HME reduziert außerdem den täglichen Flüssigkeitsverlust über die Atemluft von ca. 500 ml um bis zu 60 %.
..Abb. 21.13 HME in StabilibBase™-Basisplatte
Verschiedene klinische Studien konnten die positiven Auswirkungen der HME-Verwendung auf die pulmonale Situation bestätigen. Zusammenfassend beschreiben diese Untersuchungen eine signifikante Verbesserung der respiratorischen und der damit verbundenen psychosozialen Problematik bei regelmäßigem Gebrauch:
-
Effekte von HME auf die pulmonale Situation Reduktion der täglichen Sputumproduktion, der Stomareinigungsfrequenz und der Expektorationsfrequenz Verbesserungen der pulmonalen Parameter (auch in Untersuchungen zur Lungenfunktion nachgewiesen) Infolgedessen positiver Effekt auf die Lebensqualität durch geringere Tagesmüdigkeit und ein vermindertes Krankheitsgefühl Verbesserung der Stimmqualität (Nachweis in allen Studien)
Präventionsaspekte Die möglichst frühzeitige Verwen-
dung von HME verhindert die Entwicklung und Schwere respiratorischer Probleme nach Laryngektomie. Langzeituntersuchungen an Populationen mit einer hohen HME-Trage-Compliance zeigen eine Reduktion von pulmonalen Infekten ebenso wie eine Verringerung der Rate schwerer Tracheitiden in der Winterzeit. Verschiedene klinische Studien konnten die positiven Auswirkungen der HME-Verwendung auf die pulmonale Situation bestätigen (Hilgers et al. 1991; Ackerstaff et al. 2003; Ackerstaff et al. 1993; Bien et al. 2010; Ward et al. 2023; Longobardi et al. 2022).
419
21.5 • Postoperatives Management
a
b
..Abb. 21.14 a, b Stoma mit HME postoperativ
a
b
..Abb. 21.15 a HME in LaryTube™ mit Halsband postoperativ. b HME in LaryTube™ mit Velcro Clips postoperativ
21.5.2.2 Postoperative pulmonale Frührehabilitation
Eine Weiterentwicklung der letzten Jahre liegt in der Verfügbarkeit von hydrokolloiden Haltepflastern (Adhesives), die eine kanülenlose Versorgung mit HME schon am 1. postoperativen Tag ermöglichen (. Abb. 21.14). Da, wie bereits beschrieben, ein stabiles Tracheostoma nicht durch eine Kanüle offengehalten werden muss, können diese Kolloidpflaster problemlos über dem Stoma aufgebracht werden. Aber auch in Situationen, in denen der Patient auf eine Kanüle angewiesen ist, kann durch geeignete Hilfsmittel ein HME mit Kanüle verwendet werden (. Abb. 21.15; Hilgers und Ackerstaff 2006).
--
Vorteile der HME-Frühversorgung Einsatz externer Luftbefeuchter überflüssig, da HME sowohl klinisch effektiver als auch kosteneffizienter Frühzeitiger Stomaschutz Schnelle Gewöhnung des Patienten an das HME
--
Permanente Luftkonditionierung (nicht wie beim externen Luftbefeuchter an das Bett gebunden) Schutz der Umgebung vor Sputum beim Husten Optisch abgedecktes Stoma Zeitiger Beginn der Stimmanbahnung möglich, da die Verwendung der aktuellen HME einen einfachen digitalen und hygienischen Verschluss des Stomas durch Fingerdruck ermöglicht, selbst wenn das Stoma noch nicht vollständig abgeheilt ist Dem Untergang zillientragender Zellen in der Trachea-Schleimhaut kann vorgebeugt werden, wodurch die Selbstreinigungskapazität der tiefen Atemwege erhalten bleibt
Diese Vorteile wurden in einer kanadischen Studie bestätigt (Foreman et al. 2016). Fazit Der Einsatz von HME trägt maßgeblich dazu bei,
psychische und physische Probleme nach einer Laryngektomie zu behandeln. Die Patienten sollten zu einem kontinuierlichen Gebrauch der Hilfsmittel sowohl tags-
21
420
Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
über als auch nachts angehalten werden, um einen optimalen pulmonalen Rehabilitationseffekt zu erzielen. Die Verwendung von hydrokolloiden Stomapflastern ermöglicht die unmittelbar postoperativ beginnende Versorgung mit HME und somit eine frühzeitige pulmonale Hygiene und Stimmanbahnung. Die frühe Versorgung verbessert kurz- und langfristig die Compliance für HME, da auch der digitale Stomaverschluss deutlich vereinfacht wird. Idealerweise sollte eine Kombination aus HME und automatischem Sprechventil angestrebt werden (. Abb. 21.16). Zu den neuen Entwicklungen im Bereich der HME gehört die Entwicklung eines Computermodells zur Vorhersage der Funktionsweise von HME. In diesem Modell wurde deutlich, dass der Durchmesser anstelle der Dicke vergrößert werden sollte und dass die Salzkonzentration mit den klimatischen Bedingungen variiert werden sollte (Leemans 2023). >>Zu betonen ist, dass HME notwendige medizinische
Hilfsmittel (Level-1-Evidenz) sind, die jedem laryngektomierten Patienten verschrieben werden sollten. Eine eingehende Beratung der Patienten und Angehörigen durch geschultes Personal sollte eine hohe Compliance und optimale Ergebnisse garantieren.
..Abb. 21.16 Automatisches Sprechventil FlexiVoice™
>>Wie auch bei der primären Stimmprothesenanlage darf
21.6 Sekundäre
21
Stimmprothesenanlage
Die sekundäre Stimmprothesenanlage ist an sich ein einfaches und schnell durchführbares endoskopisches Verfahren, welches allerdings, da sich in den meisten Kliniken die primäre Stimmprothesenanlage etabliert hat, nicht mehr so häufig durchgeführt wird. Wenn allerdings das Erlernen der Ruktusstimme als primäre Stimmrehabilitation versagte oder die Stimmfistel wegen Problemen verschlossen werden musste, ist die sekundäre Stimmprothesen(neu)anlage immer noch möglich. Bei Versagen der Ruktusstimme muss allerdings eine Hypertonizität des PE-Segments als Ursache bedacht werden. Dies bedeutet, dass sowohl der Arzt als auch die Patienten ggf. weitere Therapiemaßnahmen akzeptieren müssen, bevor ein flüssiger Sprachfluss erreicht werden kann. Idealerweise wird die sekundäre TEP mittels starrem Endoskop und einem Stimmprothesenpunktionsset durchgeführt. Neben dem Provox®-Trokar und PharynxProtektor kann auch das Provox® Vega™ Puncture-Set oder ein Punktionsset anderer Hersteller eingesetzt werden (. Abb. 21.10). >>Bei der Punktion ist darauf zu achten, die Fistel relativ
weit oben in der Trachea, nicht tiefer als 10 mm unterhalb des oberen Trachealrandes, anzulegen.
Damit werden auch die tägliche Reinigung für den Patienten sowie der Prothesenwechsel vereinfacht.
die Punktion nicht mit einem Skalpell angelegt werden, da andernfalls ein hohes Risiko für eine ovale und zu weite Fistel besteht.
Ebenso wie bei der primären Anlage ist in der Regel eine 8-mm-Prothese notwendig, in seltenen Fällen, wie nach Strahlentherapie, eine etwas längere Prothese. Die Dicke des Parius membranaceus kann einfach durch Palpation durch das Stoma auf das liegende Ösophagoskop bestimmt werden. Die orale Ernährung ebenso wie das Stimmrehabilitationstraining können am selben Tag aufgenommen werden. Eine präoperative Singleshot-Antibiose zur Infektionsprophylaxe ist empfehlenswert. 21.7 Stimmprothesenwechsel
und Pflege
Silikon-Stimmprothesen sind medizinische Hilfsmittel mit einer eingeschränkten Lebensdauer, die erheblichen Schwankungen unterliegt. Für die westliche Welt wird in der Literatur eine mittlere Lebensdauer von 4–6 Monaten angegeben, deutlich längere Zeiträume finden sich allerdings in den USA und den mediterranen Ländern (10–18 Monate). Wichtiger in diesem Kontext ist jedoch die mediane Prothesenlebensdauer, die eine gute Relation zu der täglichen klinischen Praxis zeigt, während die mittlerer Lebensdauer häufig durch einige wenige Patienten mit ungewöhnlich langer Prothesenhaltbarkeit verfälscht wird (Op de Coul et al. 2000).
421
21.7 • Stimmprothesenwechsel und Pflege
21.7.1
Indikationen zum Prothesenwechsel
Gründe für einen Prothesenwechsel können prothesenoder fistelbezogen sein. Alle fistelbezogenen Ursachen für den Prothesenwechsel sollten als Komplikationen betrachtet werden, abgesehen von dem heilungsbedingten Abschwellen des Gewebes mit folgender Verringerung der Dicke der Trachealhinterwand, die zu periprothetischen Leckage bei relativ zu langer Prothese führen kann (Op de Coul et al. 2000). 21.7.2 Prothesenwechsel
bei Ventilversagen – transprothetische Leckage
Der häufigste Grund für einen Prothesenwechsel ist die transprothetische Leckage bei inkomplettem Schluss des Ventildeckels. Auch wenn Patienten mit einen Stöpsel die Aspiration vorübergehend verhindern können, ist ein Prothesenwechsel häufig notwendig – ein Verfahren, welches einfach antegrad durchgeführt werden kann. Ursache ist in der Regel eine Biofilmbesiedlung auf der Prothesenoberfläche, besonders Candida-Spezies können den Ventilmechanismus beschädigen und den korrekten Verschluss verhindern. Einige Kollegen befürworten die lokale Anwendung von Antimykotika wie Diflucan oder Nystatin, um den Candida-Bewuchs zu verhindern, allerdings gibt es keine Evidenz hinsichtlich der klinischen Wirksamkeit. Jedoch gibt es Hinweise, dass sich der Verzehr bestimmter probiotischer Milchprodukte positiv auf die Biofilmbesiedlung auswirkt. Die Beschichtung des Silikons mit Teflon, Silberoxid oder ähnlichen Substanzen kann dieses Problem möglicherweise lösen wird weiterhin kann im klinischen Alltag die lokale Anwendung von Speiseessig oder antimykotischen Mitteln die Lebensdauer von Prothesen verlängert (Talpaert et al. 2015 und Pentland et al. 2020). Ein weiterer Aspekt für ein frühzeitiges Prothesenversagen ist ein Unterdruck im Ösophagus beim Atmen und Schlucken, der zum unwillkürlichen Öffnen der Ventilklappe führt (Hilgers et al. 2003). Insbesondere bei der tiefen Inhalation entsteht ein negativer Druck im Thorax und somit auch im Ösophagus. Normalerweise ist dies ohne Bedeutung, da der obere Ösophagussphinkter ein Einströmen von Luft in die Speiseröhre verhindert. Beim Stimmprothesenträger jedoch kann über die unterhalb des Sphinkters gelegene Prothese Luft in den Ösophagus einströmen. Die betroffenen Patienten leiden infolgedessen häufig an einer Aerophagie. Weiterhin führen diese Ventilöffnungen, teilweise auch in Verbindung mit einem verspäteten Schließen, zu einer Leckage, besonderes bei den Patienten, die in Lage sind, synchron zu schlucken und zu atmen.
Weiterhin bedingen die zusätzlichen Öffnungszyklen eine schnellere Materialermüdung. Eine Lösung für dieses Problem kann mit Spezialprothesen erzielt werden, wie z. B. der von Hilgers erstmals 2003 beschriebenen Provox® ActiValve®, die durch einen magnetgestützten Ventilmechanismus dem Unterdruckproblem vorbeugt und durch eine Teflon-Beschichtung eine höhere Candida-Resistenz aufweist (Hilgers et al. 2003). In einer selektierten Gruppe von 32 Patienten mit einem mittleren Prothesenwechselintervall von 21 Tagen konnte durch Verwendung dieser Prothese das Intervall auf durchschnittlich 336 Tage verlängert werden (Timmermans et al. 2016). In den Fällen, bei denen die Reinigung der Prothese mittels Bürste oder Flusher erfolglos ist, muss eine neue Stimmprothese eingesetzt werden. Bei jedem Wechsel ist es notwendig, die korrekte Prothesenlänge nochmals sorgfältig zu überprüfen, auch wenn keine Anzeichen einer periprothetischen Leckage vorliegen. Durch vorsichtiges Ziehen am trachealen Flansch mit einem Gefäßklemmchen ist einfach zu erkennen, ob die Prothesenlänge korrekt ist oder zu viel Spiel aufweist. Idealerweise hat die Prothese ein leichtes Spiel von ca. 1–2 mm, wobei bis zu 3 mm noch akzeptabel sind, da so kein Druck auf das umliegende Gewebe aufgebaut wird. Ein Spiel von mehr als 3 mm ist eine Indikation für den Prothesenwechsel und ein Downsizing um eine Größe (z. B. von 8 auf 6 mm). >>Die Prothese sollte nie zu straff sitzen, da sonst ein
druckbedingtes Ödem mit weiterer Kompression bis hin zur Nekrose auftreten kann.
Bei Patienten mit ungewöhnlich kurzen Wechselfrequenzen (zwischen 14 Tagen und 6 Wochen) kann die Verwendung einer Spezialprothese diskutiert werden. 21.7.3
Prothesenwechsel – periprothetische Leckage
Häufig ist eine periprothetische Leckage Folge einer normalen Abnahme der Gewebedicke der Paries membranaceus, sodass die Prothese relativ zum Fisteltrakt zu lang wird. Die Folge sind kolbenartige Bewegungen der Prothese in ihrem Lager und das Durchdrücken von Flüssigkeiten seitlich der Prothese. Durch die Verwendung einer kürzeren Prothese kann dieses Problem gelöst werden, allerdings muss die Verwendung einer zu kurzen Prothese vermieden werden, um Gewebeschäden zu verhindern. 21.7.4 Wechselprothesen
Wenngleich in Europa nicht sonderlich verbreitet, muss man wissen, dass Wechselprothesen (non-indwelling prosthesis) wegen ihrer wesentlich flexibleren Flansche ein höheres Risiko zur Dislokation aus der Stimmfistel auf-
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Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
weisen. Im Falle einer transprothetischen Leckage kann die Prothese vom Patienten selbst getauscht werden. Alle übrigen Probleme entsprechen denjenigen der Verweilprothesen und können, wie in 7 Abschn. 21.8 beschrieben, vergleichbar behandelt werden. 21.8 Komplikationsmanagement
Wie bei allen chirurgischen und prothetischen Maßnahmen müssen Komplikationen und Nebenwirkungen in Betracht gezogen werden. In den meisten Fällen führen Routinemethoden in Diagnostik und Therapie zum Erfolg. Das Auftreten von Problemen ist verbreitet, wie bereits z. B. von Schulz-Colon und Op den Coul und Lorenz an teilweise großen Patientenkollektiven mit langen Beobachtungszeiträumen beschrieben. Zusammenfassend zeigen etwa 10 % der Patienten im Laufe der Zeit Probleme mit der Stimmprothese (Op de Coul et al. 2000). Die Komplikationsrate ist für bestrahlte Patienten höher, allerdings nicht in dem Maße, dass dies gegen eine Stimmprothesenversorgung spräche. Im Gegenteil ist die prothetische Stimmrehabilitation bei den meisten Patienten, unabhängig vom Bestrahlungsstatus, erfolgreich. Bei der Analyse von Problemen mit der Stimmbildung kann die Störung auf verschiedenen Ebenen liegen: Der Luftstrom aus der Lunge muss zur Phonation ausreichend sein. Die Stimmprothese darf nicht blockiert sein (Borken etc.). Das PE-Segment muss in der Lage sein zu vibrieren und darf keine Hypertonizität aufweisen.
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Jedes dieser Probleme ist lösbar, und der beste Ansatz liegt hierbei im interdisziplinären Team. Falls die klinische Untersuchung inkl. flexibler Video-Endoskopie nicht zum Erfolg führt, ist die Video-Fluoroskopie die Methode der Wahl zur Analyse von Stimmbildungsproblemen. 21.8.1
Probleme im pharyngoösophagealen Segment
21.8.1.1 Hypertonizität
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Ein zu hoher Muskeltonus des M. constrictor pharyngis im Bereich des PE-Segments ist die häufigste Ursache für eine erschwerte und unmögliche Entwicklung einer flüssigen tracheoösophagealen Sprache und häufig auch ein Problem beim Erlernen der Ruktusstimme. Patienten mit diesem Problem lassen sich in der Regel an der angestrengten Stimme und der kurzen Phonationszeit identifizieren. In der Mehrzahl der Fälle setzt die Problematik bereits nach der Laryngektomie oder sekundären Stimmprothesenanlage ein. Wie bereits in 7 Abschn. 21.4.2 dargestellt, kann dieser Symptomatik mit einer kurzen Myo-
tomie des oberen ösophagealen Sphinkters im Rahmen der Laryngektomie vorgebeugt werden. >>Unabhängig vom Zeitpunkt des Auftretens und insbeson-
dere wenn auch eine intensive Stimmtherapie erfolglos ist, sollte eine Hypertonizität unverzüglich behandelt werden.
Die meisten Kliniker bevorzugen eine Chemodenervation mit Botulinumtoxin, die weniger invasiv, aber ebenso effektiv wie die chirurgische Myotomie ist. Das PE-Segment kann mittels Videofluoroskopie visualisiert werden, um die obere und untere Begrenzung des PE-Segments auf der Haut markieren zu können. Durch die Injektion von 10–20 ml 1–2 % Lidocain kann die Diagnose bestätigt und dem Patienten die Verträglichkeit der Prozedur verdeutlicht werden. Durch das Lokalanästhetikum wird die PE-Muskulatur relaxiert, und nach wenigen Minuten sollte eine flüssige Sprachbildung möglich sein. Im zweiten Schritt werden 100 MU Botox bzw. 400 MU Dysport in den Bereich des M. constrictor pharyngis z. B. mit einer hohlen EMG-Nadel injiziert. Interessanterweise hält der Therapieerfolg verglichen mit anderen Botox-Anwendungen deutlich länger an, bei einigen Patienten ist nur eine Anwendung notwendig. Ist der Patient einmal in der Lage, flüssig und ohne Anstrengung zu phonieren, wird möglicherweise über eine Art Biofeedback der Effekt erhalten. Dieses Phänomen wird manchmal auch nach einer Behandlung mit Lidocain beobachtet. Die Verwendung von Botulinumtoxin hat die chirurgische sekundäre Myotomie weitgehend verdrängt, wenngleich diese in therapieresistenten Verläufen noch eine Option darstellt. >>In diesem Fall sollte darauf geachtet werden, eine Myo-
tomie des kompletten Konstriktors und der krikopharyngealen Muskelgruppe durchzuführen, und besonders bei vorbestrahlten Patienten ist eine Fistelbildung zu vermeiden.
21.8.1.2 Hypotonizität
Ein zu geringer Muskeltonus im PE-Segment wird von den Patienten als sehr störend empfunden und führt zu einer flüsternden, aphonen Stimme. Dieser Umstand wird meist durch eine zu ausgedehnte Denervation der Konstriktorengruppe verursacht – ein Grund, warum die Plexus-pharyngeus-Neurektomie, die eine Zeitlang zur Hypertonizitätsbehandlung sehr populär war, nun mit Vorsicht zu betrachten ist. Als Therapieoption kann mit dem Patienten ein externer Druck (mittels Finger oder einem „Pressure-Band“) geübt werden, um das PE-Segment vorzuspannen und eine bessere Stimmqualität zu erzielen. Von Hilgers wurde 2006 eine chirurgische Methode vorgestellt, bei welcher der M. sternocleidomastoideus über das PE-Segment genäht wurde und als internes „Pressure-Band“ fungiert. Bei den Patienten zeigte sich
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21.8 • Komplikationsmanagement
eine Verbesserung der Stimmqualität, die sich auch in einer längeren Phonationszeit und einer Zunahme des Dynamikumfangs darstellen ließ. 21.8.2
Auf die tracheoösophageale Fistel bezogene Probleme
Probleme mit der tracheoösophagealen (TÖP) Fistel sind bei der Behandlung laryngektomierter Patienten am zeitaufwändigsten. Je besser sich das multidisziplinäre Team möglicher Problemfelder und deren Lösungen bewusst ist, desto besser werden die Gesamtergebnisse und die Patientenzufriedenheit sein.
Therapeutische Optionen bei periprothetischer Leckage
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Bei Fistelschrumpfung: 1. Zunächst Verwendung von a. Silikonunterlegscheibe und/oder b. Stimmprothese mit vergrößertem ösophagealem Flansch Wenn 1a und 1b nicht zielführend: 2. Tabaksbeutelnaht Wenn 2 nicht erfolgreich: 3. Augmentation des Gewebes um die Stimmfistel Ultima Ratio bei Versagen von 3: 4. Verschluss der tracheoösophagealen Stimmfistel
>>Diese Thematik sollte ein Kernpunkt regelmäßiger
Fortbildungen in jeder Klinik mit Laryngektomienachsorge sein.
21.8.2.1 Atrophie und Erweiterung der tracheoösophagealen Fistel
Op de Coul et al. beobachteten in ihrer Serie von 318 laryngektomierten Patienten eine Atrophie der Trachealhinterwand in 18 % der Fälle, die zu einem zeitweisen Verschluss der Fistel in 6 % der Fälle und bei einem Patienten zu einem dauerhaften Verschluss führte (Op de Coul et al. 2000). Wenngleich viele Studien nachweisen konnten, dass eine Strahlentherapie den Erfolg einer prothetischen Stimmrehabilitation nicht wesentlich beeinflusst, scheint sie dennoch mit einem höheren Risiko für das Auftreten von Komplikationen in der Nachsorge vergesellschaftet zu sein. Die sukzessive Abnahme der Dicke des tracheoösophagealen Gewebes ist ein normaler Prozess und führt nur bei einem kleinen Teil der Patienten zu einem derart kurzen Fisteltrakt, dass selbst die kürzeste Stimmprothese keine sichere Abdichtung mehr erlaubt. Das Problem der Atrophie wird dann schwierig zu behandeln, wenn zusätzlich eine Erweiterung der Fistel auftritt. Eine Erweiterung der Stimmfistel kann außerdem durch eine lokale Infektion, eine (Druck‑)Nekrose durch die Stimmprothese, eine Stenose im PE-Segment, mit erhöhter Flussgeschwindigkeit beim Schlucken und einen gastroösophagealen Reflux verursacht werden. Insbesondere das Refluxproblem bedarf hier einer besonderen Aufmerksamkeit (7 Abschn. 21.9.1). 21.8.2.2 Algorithmus für die periprothetische Leckage
Wenn der Parius membranaceus dünner als 4 mm ist, besteht die Gefahr, dass eine 4-mm- resp. 4,5-mm-Stimmprothese keine suffiziente Abdichtung mit Verhinderung einer periprothetischen Leckage zulässt. Wenn der folgende Algorithmus angewendet wird, benötigen Patienten nur selten die letzte therapeutische Option, nämlich den kompletten Verschluss der Stimmfistel:
kFistelschrumpfung k
Die Entfernung der Stimmprothese für einige Tage führt häufig zu einer Schrumpfung der Fistel mit Abnahme des Durchmessers, erfordert aber eine Ernährungssonde und eine geblockte Trachealkanüle zur Aspirationsprophylaxe. Auf diesem Grund sollten die folgenden beiden Optionen, alleine oder in Kombination, als schnelle Lösungsmöglichkeiten bevorzugt werden. kSilikonunterlegscheibe (1a) k
Eine dünne Silikonscheibe (als maßgefertigtes Hilfsmittel mit 18–20 mm Durchmesser, zentraler Öffnung von 7,5 mm und einer Dicke von 0,5 mm) kann mithilfe zweier Gefäßklemmchen hinter dem trachealen Prothesenflansch positioniert werden. Die Unterlegscheibe dient nicht dazu, einen zu langen Prothesenschaft auszugleichen, sondern soll durch Adhäsion an der Schleimhaut anhaften. Die Verwendung solcher Silikonunterlegscheiben ist, wie Hilgers et al. bei einer 3-jährigen klinischen Beobachtung an 32 Patienten zeigen konnten, ein zuverlässiges und einfaches Mittel, um das Problem der Leckage um die Prothese zu behandeln. In dieser Studie waren die Unterlegscheiben handgefertigt, zwischenzeitlich sind kommerzielle Produkte verfügbar. kStimmprothesen k mit vergrößertem ösophagealem Flansch (1b)
Zur Behandlung der periprothetischen Leckage können – sofern der Fisteldurchmesser 10 mm nicht übersteigt – Spezialprothesen mit vergrößertem ösophagealem und/ oder trachealem Flansch zum Einsatz kommen. Diese Spezialprothesen sind von mehreren Hilfsmittelherstellern erhältlich. Das Wirkungsprinzip entspricht dem der Silikonunterlegscheiben (s. oben). Eine Besonderheit weist die Provox® XtraSeal™ (. Abb. 21.17) auf, deren erweiterter ösophagealer Flansch konkav geformt ist und so eine bessere Anhaftung an der Schleimhaut gewährleistet. Die Prothesen können antegrad eingebracht werden, allerdings wird zur Sicherstellung der kompletten Entfaltung des erweiterten ösophagealen Flansches ein
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Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
..Abb. 21.17 Spezialprothese Provox® XtraSeal™. (© Atos Medical GmbH, mit freundlicher Genehmigung)
„Overshooting“, also ein komplettes Versenken der Prothese in der Speiseröhre, und nachfolgend die manuelle Ausfaltung des trachealen Anteils empfohlen. Wenn die Verwendung der beschrieben Silikonunterlegscheiben die periprothetische Leckage nicht dauerhaft behebt, kommen die nachfolgend beschriebenen Optionen zum Einsatz.
..Abb. 21.18 Tabaksbeutelnaht zur Behebung einer periprothetischen Leckage
kTabaksbeutelnaht (2) k
Falls das Gewebe nicht zu atroph und die tracheoösophageale Fistel nicht zu weit ist, kann eine Tabaksbeutelnaht mit einem atraumatischen 3 × 0 Vicryl-Faden eine effektive und schnelle Lösung darstellen (. Abb. 21.18). Die Prothese sollte vorher entnommen und die Naht ca. 1–2 mm von der Kante der Fistel entfernt mit 2–4 Einstichen um die Fistelöffnung gelegt werden. Nachdem eine neue Prothese eingesetzt wurde, wird die Naht vorsichtig angezogen. Die Methode ist über kurze Zeiträume immer erfolgversprechend, und die Resorption der Naht kann einen Augmentationseffekt auf das Fistelgewebe haben und somit auch langfristig zur Abdichtung führen. Sollten allerdings auch nach erneuten Umstechungen langfristig keine bleibenden Fortschritte zu erzielen sein, müssen die nächsten Schritte im Algorithmus erwogen werden. Eine Modifikation der Tabaksbeutelnaht mit einem versenkten nichtresorbierbaren Faden wurde von Jacobs 2008 beschrieben (Jacobs et al. 2008). kAugmentation k des Gewebes um die Stimmfistel (3)
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Die bleibende Augmentation des Parius membranaceus um die Stimmfistel mit permanentem Filler wie Bioplastique wird in verschiedenen Studien als erfolgreich beschrieben und soll die besten Langzeiteffekte zeigen, jedoch kann ein unreflektierter Einsatz zu Komplikationen führen, die eine chirurgische Intervention erfordern. Vergleichbar gute kurzzeitige Erfolge lassen sich auch mit der Injektion von autologem Fett oder Gax-Kollagen erzielen. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Injektion von GM-CSF (granulocyte-macrophage colony-stimulating factor) um eine abakterielle Entzündungsreaktion zur Gewebevermehrung um die Fistel zu induzieren.
kVerschluss k der tracheoösophagealen Stimmfistel (4)
Wenn alle bis hier aufgeführten Verfahren versagen, kann der Verschluss der Stimmfistel unvermeidbar sein. Da die Stimmfistel innerhalb von ca. 6 Monaten nach Anlage komplett epithelisiert ist, sollten eine Dissektion und ein Verschluss aller drei Gewebeschichten erfolgen. Eine Ω-förmige Inzision am oberen Tracheostoma-Rand ermöglicht den besten Zugang zur Fistel, dabei werden Trachea und Ösophagus so weit voneinander getrennt, bis der Fisteltrakt komplett freiliegt. Der Ösophagus sollte in zwei Schichten, die tracheale Fistel einschichtig und die Haut wieder zweischichtig übernäht werden. Bei stark fibrotischem Gewebe ist es vorteilhaft, den ster nalen Anteil des M. sternocleidomastoideus zwischen Ösophagus und Trachea zu schwenken oder ein Faszientransplantat zur Verstärkung der Nähte einzubringen. Im Allgemeinen können nach ca. 6 Wochen eine Repunktion und eine erneute Protheseninsertion erfolgen. Größere Stimmfisteln können in dieser Weise nicht verschlossen werden, sodass hier eine Gewebeaugmentation mittels eines M.-pectoralis-Lappens, ggf. mit Spalthaut zur Deckung der trachealen Seite, notwendig ist. In seltenen Fällen ist ein extensiveres Vorgehen notwendig, bei dem der Fistelverschluss z. B. mit mikroanastomosierten radialen Vorarm-Transplantaten oder einem Magenhochzug gelingt. >>In solchen Fällen gibt es keine Standardempfehlung,
und eine individuelle Planung ist höchst bedeutsam. Zu beachten ist weiterhin, dass ein gastroösophagealer Reflux eine maßgebliche Rolle bei der Entwicklung von Stimmfistelproblemen darstellt und entsprechend mit therapiert werden muss.
425
21.8 • Komplikationsmanagement
21.8.2.3 Vernarbung der tracheoösophagealen Fistel
Die Wahrscheinlichkeit von Narbenzügen im Bereich der Stimmfistel ist höher, wenn nicht mit einem Trokar oder einer Punktionskanüle, sondern mittels Skalpell eine vertikale Inzision zur Fistelanlage eingesetzt wurde. Dadurch entsteht häufig eine ovaläre Fistelöffnung, die ein größeres Risiko einer periprothetischen Leckage, meist an derselben Stelle, birgt. Die Behandlung folgt dem Algorithmus der periprothetischen Leckage mit Silikonunterlegscheibe, Spezialprothese mit vergrößertem Flansch sowie der Tabaksbeutelnaht und der Fistelaugmentation (s. oben). Gerade die letztere Option wird häufig angewendet, da nur im Bereich der narbigen Ausziehung augmentiert werden muss. 21.8.2.4 Infektionen der tracheoösophagealen Fistel
Infektionen im Bereich der Stimmfistel werden bei ca. 10 % der Patienten beobachtet und können mit einem Breitspektrum-Antibiotikum bei Belassen der Prothese behandelt werden. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die Prothese auch bei geschwollenem Fistelgewebe noch lang genug ist. Bei vielen Patienten muss aufgrund des Gewebeödems eine bis zu 2 Größen längere Prothese einsetzt werden, um eine Druckschädigung des entzündeten Gewebes zu verhindern und einen guten Prothesensitz im entzündeten Gewebe zu gewährleisten.
..Abb. 21.19 Anteriore Hypertrophie des Stimmfistelgewebes
>>Eine passagere Entfernung der Prothese sollte vermie-
den werden, da dies zum Verschluss der Fistel führen kann und den Patienten somit seiner Phonationsmöglichkeit beraubt.
ist es notwendig, das überschüssige Gewebe abzutragen, besonders dann, wenn der Luftweg eingeschränkt wird. >>Auf jeden Fall sollte eine Prothese der korrekten Länge
Ein Rückgang der Schwellung führt mittelfristig zu einer „zu langen“ Prothese mit dem Risiko einer periprothetischen Leckage. Da dieser Prozess jedoch einige Wochen bis Monate dauert, wird aufgrund der beschränkten Prothesenlebensdauer meist schon vorher ein Wechsel wegen transprothetischer Leckage notwendig. 21.8.2.5 Hypertrophie
Es können zwei Arten einer Hypertrophie des Stimmfistelgewebes unterschieden werden: die anteriore und die posteriore Hypertrophie. 21.8.2.5.1 Anteriore Hypertrophie
Überschießende fribromatöse oder granulierende Schleimhaut kann bis zum Überwuchern des trachealen Prothesenflansches führen (. Abb. 21.19). Besonders bei Patienten mit Trachealkanülenversorgung kann übermäßiger Druck auf die Prothese diese Gewebsreaktion induzieren. Auch aus diesem Grund sollte eine kanülenlose Versorgung angestrebt werden bzw., wenn dies nicht möglich ist, eine Tracheostomaplastik durchgeführt werden. Gelegentlich
eingesetzt werden, um den Fisteltrakt komplett zu überbrücken und eine Druckreizung auf das Fistelgewebe zu verringern.
21.8.2.5.2 Posteriore Hypertrophie >>Die gelegentliche Ausbildung von Granulationen am
ösophagealen Fistelbereich kann in der klinischen Routine zu erheblichen Problemen führen, da sie nicht auf den ersten Blick offensichtlich ist und die Diagnose darum oft erst spät gestellt wird.
Patienten mit diesem Problem beklagen häufig Stimmprobleme im Sinne einer vermehrten Anstrengung bei der Phonation bis hin zum Aussetzen der Stimme und über Blutauflagerungen auf dem Bürstchen nach Reinigung der Stimmprothese. Die Hypertrophie kann sich bis zu einer kompletten Tasche entwickeln, die den ösophagealen Anteil der Prothese überwuchert. Die Diagnose kann durch eine transprothetische Inspektion mit einem dünnen flexiblen Endoskop bestätigt
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Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
..Abb. 21.20 Posteriore Hypertrophie des Stimmfistelgewebes
21
werden bzw. nach Entfernung der Prothese auch oft mit bloßem Auge gestellt werden. Behandelt wird dieses Problem mit einer in der Regel 2 Nummern längeren Prothese, die das hypertrophe Gewebe komplett überbrückt (. Abb. 21.20). So lässt sich die Phonationsfähigkeit des Patienten sofort wiederherstellen. Das Einführen der längeren Prothese ist antegrad möglich, allerdings muss manchmal die Fistel etwas dilatiert werden. Weiterhin empfiehlt sich ein „Overshooting“, d. h., dass die Prothese ganz in den Ösophagus vorgeschoben und der tracheale Flansch dann mittels einer kleinen Gefäßklemme ausgekrempelt wird. Durch dieses Vorgehen kann die korrekte Prothesenlänge besser beurteilt werden, und es wird sichergestellt, dass der ösophageale Flansch richtig positioniert ist. Ein retrograder Stimmprothesenwechsel (in Allgemeinnarkose) mit Führungsdraht ist nur in den wenigsten Fällen notwendig, wenn die Fistel sehr tief liegt und über das Tracheostoma nicht sicher sondiert werden kann. Auch für die Hypertrophie kann Reflux eine Ursache darstellen. 21.8.2.6 Prothesenextrusion
Eine der gefährlicheren Komplikationen ist die (teilweise) Prothesenextrusion. Dieses Problem kann auftreten, wenn die Flansche einer zu kurzen Prothese zu einer Drucknekrose des Fistelgewebes führen (. Abb. 21.21). Zu kurze Prothesen werden gelegentlich fälschlicherweise
eingesetzt, um bei einer periprothetischen Leckage eine Abdichtung zu erreichen, oder es wird nach einer Entzündung des Fisteltrakts zu schnell eine kurzere Prothese eingesetzt. Dies kann passieren, wenn versucht wird, mit einer kurzen Prothese eine Abdichtung bei periprothetischer Leacke zu erreichen. Die Verwendung zu kurzer Prothesen bei einer Infektion und Ödem/Granulation des Stimmfisteltraktes kann ebenfalls zu Nekrosen führen. Eine partielle Extrusion mit starker Verkippung der Prothese tritt auch auf, wenn im Rahmen einer Fistelaugmentation punktuell zu viel Augmentationsmaterial injiziert wurde. In jedem Fall muss die zu kurze Prothese entfernt und das Problem mit einer längeren Prothese gelöst werden. Die längere Prothese, ggf. in Verbindung mit einer Unterlegscheibe, überbrückt den Fisteltrakt und dichtet den Sekundärdefekt ab. Überschüssiges Granulationsgewebe kann, um einen sicheren Prothesensitz zu gewährleisten, vorher abgetragen werden. Eine lokale Entzündung kann antibiotisch behandelt werden. Ist die Prothese nicht mehr in situ und kann der Patient keine Auskunft über deren Verbleib geben, muss eine Prothesenaspiration oder -ingestion flexibel tracheoskopisch oder radiologisch ausgeschlossen werden. Eine bronchial liegende Prothese kann bronchoskopisch geborgen werden, bei einer verschluckten Prothese kann zugewartet werden.
21.9 • Risikofaktoren
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..Abb. 21.21 Stimmprothesenextrusion
21.9 Risikofaktoren 21.9.1 Stellenwert
des gastroösophagealen Refluxes als Risikofaktor für Stimmfistelprobleme
Patienten mit einem Larynx- oder Hypopharynx-Karzinom leiden häufig an einer Refluxerkrankung. Eine Promotion der Krebserkrankung durch das Refluxat wird ebenso diskutiert wie eine erhöhte postoperative refluxbedingte Komplikationsrate. Gastroösophageale und supraösophageale Refluxereignisse erklären sich aus patienten- sowie therapieabhängigen Faktoren. So besteht bei Patienten mit Larynx- und Hypopharynx-Tumoren anamnestisch ein erheblicher Alkoholund Nikotinabusus. Diese Noxen fördern die Bildung von Magensäure und induzieren Motilitätsstörungen des unteren Ösophagussphinkters, wodurch ein Aufsteigen von Magensaft begünstigt wird. Auch therapieassoziiert kann der Reflux verstärkt werden. So bedingt die Myotomie der krikopharyngealen Muskulatur nach der Laryngektomie eine Barrierestörung im Bereich des oberen Ösophagus-Sphinkters, sodass eine der natürlichen Barrieren zum Schutz der pharyngealen Schleimhaut vor Refluxat deutlich ge-
schwächt wird. Die Entfernung des Kehlkopfes führt zu einer Gefügestörung der infrahyoidalen Halsmuskulatur. Eine Strahlentherapie schädigt die Speicheldrüsen und reduziert damit die Salivationsrate erheblich. Durch die verminderte Speichelproduktion wird weniger Bikarbonat und Phosphat zur Neutralisation von Magensaft exprimiert. Die Sekretion von epidermal growth factor (EGF), der in der Reparatur refluxbedingter Läsionen eine Rolle spielt, ist nach strahlenbedingter Speicheldrüsenschädigung ebenfalls herabgesetzt. Somit ist nach Laryngektomie und postoperativer Bestrahlung mit verlängerten Säureexpositionszeiten im Bereich des Ösophagus und des Neopharynx zu rechnen. >>Die Schleimhaut des Pharynx und der Trachea zeigen
sich gegenüber einer Magensäureexposition wesentlich empfindlicher als die Ösophagusschleimhaut; so können bereits wenige Refluxereignisse zu einer erheblichen Schleimhautschädigung führen.
Neben der Salzsäure spielt auch das Enzym Pepsinogen im Refluxat, welches bereits bei einem pH-Wert von 5 aktiv ist, eine wichtige Rolle bei refluxbedingten Schädigungen der Schleimhaut. Die Wirkung dieses proteolytischen Enzyms kann über Stunden anhalten und induziert an der ungeschützten Schleimhaut massive Gewebeschäden. Gerade nach lokalen Traumen, die beim Reinigen oder Wechseln der Prothese entstehen können, können tiefgreifende Ge-
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Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
webeläsionen und eine verzögerte Wundheilung induziert werden. Prinzipiell kann das Refluxat bei einer periprothetischen Leckage auch auf die tracheale Seite der Stimmfistel gelangen und im Bereich von Trachealschleimhaut und Bindegewebe über eine direkte säure- oder pepsinbedingte Autolyse Schäden mit nachfolgender Fistelerweiterung verursachen. Bei Patienten mit refluxinduzierter Laryngitis wurden außerdem Störungen auf molekularbiologischer Ebene mit Störung der Junction-Komplexe und Dilatation der interzellulären Zwischenräume bzw. abakterielle Entzündungsreaktionen beschrieben. Lorenz et al. konnten im Rahmen wiederholter 24-Stunden-pH-Metrien bei laryngektomierten und kehlkopfteilresezierten Patienten eine direkte Korrelation zwischen dem Auftreten einer übermäßigen Fistelweitung sowie einer pH-metrisch gesicherten Refluxerkrankung nachweisen (Pfaue et al. 2007). Ähnliche Ergebnisse finden sich auch bei anderen Arbeitsgruppen, die im Rahmen von Langzeit-pH-Metrien an laryngektomierten Patienten eine Inzidenz von 30 % für extraösophageale Refluxe und 40 % für ösophageale Refluxereignisse darstellen konnten (Marin Garrido et al. 2007). Auch konnte eine Zunahme des relativen Risikos für eine StimmshuntErweiterung auf das durchschnittlich 2,3-Fache bei Vorhandensein eines Refluxes gezeigt werden (Lorenz et al. 2009). Eine univariate, wie auch multivariate Analyse zum Einfluss von Reflux und Strahlentherapie auf die Ausbildung einer periprothetischen Leckage zeigte, dass Reflux im Gegensatz zur Strahlentherapie die Inzidenz der Stimmfistelerweiterung erhöht (Lorenz et al. 2010).
einen hohen EMT-Score oder einer Stimmfistelerweiterung gezeigt werden (Lorenz et al. 2015). Der Verlust der E-Cadherin-Expression bei pathologischem Reflux ist als erster Schritt in der Schädigung der Mukosa-Barriere zu sehen. In dieser Modellvorstellung führt die fortdauernde Magensäureexposition zur Störung der E-Cadherin-vermittelten Zelladhäsion der oberflächlichen Epithelschichten im Bereich der Stimmfistel, sodass saures Refluxat und Verdauungsenzyme schließlich die submukösen ungeschützten Gewebeschichten angreifen können. Schließlich kommt es zu einer Desintegration des Zellverbundes und zur Erweiterung der tracheoösophagealen Fistel. So besteht eine Korrelation zwischen dem Schweregrad der Refluxsymptomatik und dem Ausmaß der EMT, ebenso wie sich bei erfolgreicher medikamentöser Antireflux-Therapie mit Protonenpumpeninhibitoren der Prozess der EMT umkehren lässt.
zz Molekularbiologische Ursachen der refluxinduzierten Stimmfistelerweiterung
Diskrete Erhöhungen des Risikos für Stimmfistelerweiterungen fanden sich dabei nur für den Ernährungsstatus bei deutlicher Unter- und Mangelernährung, für den N-Status bei Operation (N2: RR = 3,4; N3: RR = 5,1), fortgesetzten Tabakkonsum (RR = 2,5) und den Follow-up-Zeitraum (RR = 1,9 pro 12 Monate Follow-up-Zeit; Hutcheson et al. 2011). Weiterhin scheint das Risiko bei Patienten mit ausgedehnter laryngopharyngealer Resektion höher zu sein als bei einfachen Laryngektomien.
Die molekularbiologische Grundlage für die refluxbedingte Induktion der Stimmfistelerweiterung ist noch weitgehend offen. Die alleinige autolytische Wirkung des Refluxates scheint unwahrscheinlich, zumal die meisten Stimmfistelerweiterungen vom Aspekt reizlos wirken. Folglich kann angenommen werden, dass auf zellulärer Ebene Prozesse angestoßen werden, die die Gewebeintegrität beeinträchtigen. Reichel et al. beschrieben bei Patienten mit refluxinduzierten Larynxsymptomen einen Verlust von Tight-junction-Komplexen auf der Zelloberfläche (Reichel et al. 2008). Lorenz et al. zeigten in immunhistochemischen Analysen der Tight-junction-Komplexe bei Patienten mit Fistelerweiterung einen Verlust der membranösen Panzytokeratin-Expression bei gleichzeitigen Anstieg der Vimentin-Expression, der als epithelial-mesenchymale Transition (EMT) bezeichnet wird. Die EMT ist folglich ein Prozess, bei dem Epithelzellen ihren epithelialen Phänotyp verlieren und mesenchymale Charakteristiken gewinnen. Gleichzeitig kommt es zu einer Verminderung zellulärer Junction-Proteine wie E-Cadherin. Die vermehrte Vimentin-Expression bei synchronem Verlust der E-Cadherin-Expression konnten in Biopsien von Patienten mit
21.9.2
Weitere Risikofaktoren
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Neben den o. g. Parametern werden als mögliche Risikofaktoren diskutiert: der Ernährungsstatus, Diabetes mellitus, Lymphknotenmetastasen, die Follow-up-Zeit, Tumorrezidive, eine Schilddrüsendysfunktion, Tabakexposition.
21.10
Stimm- und Sprachtherapie
Die Stimm- und Sprachrehabilitation nach Laryngektomie ist ein multidisziplinäres Teamwork, in dem Logopäden eine Schlüsselrolle in der Stimmanbahnung und der Optimierung der Stimm- und Sprechfähigkeit spielen. Die chirurgische Stimmrehabilitation endet nicht mit dem Einsetzen der Stimmprothese und dem ersten Anblasen der Prothese, sondern erfordert ein intensives Training, um eine optimale Stimmqualität und Sprachverständlichkeit zu erreichen. Die Stimmrehabilitation des Laryngektomierten erfordert auch eine besondere Erfahrung des Logopäden, besonders dann, wenn es
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Literatur
um die Optimierung der Sprachverständlichkeit und die Therapie spezifischer Stimmprobleme geht. Weiterhin führt eine enge Zusammenarbeit zwischen Logopäden, Ärzten, Pflege und Hilfsmittelversorgern zu schnelleren und besseren Lösungen möglicher Probleme. Für Leser, die sich detaillierter über die Rehabilitation von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren informieren möchten, seien die Bücher von Doyle und Keith sowie van As-Brooks und Ward empfohlen (Doyle und Keith 2005; Ward und Brooks-van As 2007). Ein Überblick über aktuelle Aspekte der Forschung zur Perzeption und Akustik der laryngektomierten Stimme und Sprache findet sich bei van As, Jongmans und Clapham (van As et al. 2003; van As-Brooks et al. 2005; Jongmans et al. 2006, 2010; Clapham et al. 2015).
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Zusammenfassung Die chirurgische prothetische Stimmrehabilitation ist der Goldstandard in der Stimmrehabilitation nach Laryngektomie Wenn es der Allgemeinzustand zu lässt und der Patient motiviert ist, die verbale Kommunikationsfähigkeit zurückzuerlangen, ist eine stimmprothetische Versorgung jederzeit möglich Die besten Erfolge hinsichtlich der Rehabilitation nach Laryngektomie werden im multidisziplinären Team aus Kopf-Hals-Chirurg, Logopädie und Fachpflege erreicht Die tracheoösophageale Stimmbildung erfordert einen ausreichenden pulmonalen Luftstrom, eine hinreichende Luftpassage durch die Stimmprothese und ein schwingungsfähiges PE-Segment; bei Berücksichtigung dieser 3 Aspekte können die meisten Probleme lokalisiert und behandelt werden Wenn eine gute Prothesenstimme gestört ist, sollte eine kurzfristige Klinikvorstellung erfolgen und der Patient entsprechend instruiert werden Ein Großteil der Probleme mit Stimmprothesen kann durch einen geschulten Arzt, Logopäden oder eine Pflegekraft relativ einfach und schnell gelöst werden Auch komplexe Rekonstruktionen der oberen Schluckstraße mit mikrovaskularisierten oder gestielten Lappen schließen eine stimmprothetische Rehabilitation nicht aus Die totale Laryngektomie beeinflusst die pulmonale Physiologie nachhaltig Durch den Einsatz von HME lässt sich der Funktionsverlust des oberen Atemtraktes kompensieren. Die umgehende postoperative Versorgung mit diesen Hilfsmitteln ist maßgeblich für eine optimale und nachhaltige pulmonale Protektion sowie Rehabilitation und essenziell für die bestmögliche Stimm- und Lebensqualität nach Laryngektomie
-
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21
430
Kapitel 21 • Wiederherstellung der Sprachfunktion nach Laryngektomie
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431
Rekonstruktion des gelähmten Gesichts Orlando Guntinas-Lichius
Inhaltsverzeichnis 22.1
Einleitung – 432
22.2
Erstellen des individuellen Therapiekonzepts – 432
22.3
Dynamische Rekonstruktionsverfahren – 434
22.3.1 22.3.2 22.3.3 22.3.4 22.3.5 22.3.6 22.3.7 22.3.8
Facialis-Facialis-Nervennaht – 434 Facialis-Interponat-Nervennaht – 434 Kreuznervennaht (mit N. hypoglossus oder N. massetericus) – 434 Cross-face-Nervennaht mit dem N. facialis der Gegenseite – 437 Kombinierter Wiederaufbau (combined approach) – 438 Regionaler Muskeltransfer – 438 Freies Muskeltransplantat – 441 Gesichtstransplantation – 442
22.4
Statische Rekonstruktionsmaßnahmen – 442
22.4.1 22.4.2 22.4.3 22.4.4
Verbesserung des Augenschlusses durch ein Oberlidgewicht – 442 Verbesserung der Funktion des Unterlids – 442 Mundwinkelzügelung mit einer Schlinge – 443 Andere statische Maßnahmen – 445
22.5
Adjuvante postoperative Rehabilitationsmaßnahmen – 446
22.6
Follow-up – 446 Literatur – 447
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_22
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Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
432
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22.1 Einleitung
Eine Schädigung des N. facialis mit der Folge einer bleibenden Paralyse der mimischen Muskulatur kann durch eine Tumorinfiltration oder bedingt durch die operative Therapie eines Tumors im gesamten Verlauf des N. facialis vom Hirnstamm bis hin zu den Endästen in der mimischen Muskulatur auftreten (Guntinas-Lichius et al. 2016). Die häufigste Schädigung durch einen bösartigen Tumor ist die extratemporale Infiltration des N. facialis durch ein Malignom der Gl. parotis. Etwa 12–15 % der Parotis-Malignome weisen bei Erstdiagnose eine Facialis-Parese auf (Guntinas-Lichius 2004). Eine weitere wichtige Ursache ist zum Beispiel die Schädigung des N. facialis im Kleinhirnbrückenwinkel im Rahmen der Chirurgie eines Vestibularis-Schwannoms (Muller et al. 2017). Letztendlich spielt die Ätiologie für die Planung der Facialis-Rekonstruktion eine untergeordnete Rolle. Dies wird in diesem Kapitel noch im Detail hergeleitet werden. Nur bei ursächlichen Erkrankungen mit geringer Lebenserwartung des Patienten hat die Ätiologie indirekt Einfluss auf die Planung der optimalen Rekonstruktion. Zunächst ist eine ausführliche präoperative Diagnostik notwendig, um das rekonstruktive Vorgehen optimal planen zu können. Die präoperative Diagnostik umfasst auch eine standardisierte Dokumentation der Schwere der funktionellen Störung, am besten unter Einbeziehung einer standardisierten Erfassung der Beschwerden aus Sicht des Patienten. Dieselbe Dokumentation sollte im postoperativen Verlauf verwendet werden, um das operative Ergebnis bewerten zu können. Die behandelnden Ärzte sollten ein umfassendes Repertoire an chirurgischen Techniken vorhalten, wie es weiter unten beschrieben wird, um der individuellen Situation gerecht zu werden (Guntinas-Lichius 2004; Volk et al. 2011; Muller et al. 2017; Guntinas-Lichius et al. 2016). 22.2 Erstellen
des individuellen Therapiekonzepts
Eine Übersicht über die wichtigen Rekonstruktionsverfahren gibt . Tab. 22.1. Die Arbeit in einem multidisziplinären Team erleichtert es, ein optimales Repertoire an chirurgischen Techniken vorzuhalten (Boahene et al 2014).Für die Indikationsstellung und Planung des individuellen Therapiekonzepts ist eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen.
22
Wichtigste Faktoren für die individuelle Planung der Rekonstruktion
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Lokalisation der Läsion des N. facialis Ausdehnung der Läsion
Zugänglichkeit des proximalen Stumpfs des N. facialis Sensible Funktion des N. trigeminus auf der betroffenen Seite Alter des Patienten und seine Komorbidität Denervationszeit und Zustand der mimischen Muskulatur Lebenserwartung und Wünsche des Patienten
Ziel der chirurgischen Rekonstruktion des gelähmten Gesichts ist die bestmögliche Wiederherstellung der Funktion der Gesichtsmuskulatur. Unter optimalen Voraussetzungen wäre dies die Wiederherstellung des Ruhetonus aller Gesichtsmuskeln zur Wiederherstellung der Gesichtssymmetrie in Ruhe. Darüber hinaus wäre dies die Wiederherstellung der mimischen Bewegungen im Gesicht, v. a. der wichtigsten Funktionen: – Stirnrunzeln mit Heben der Augenbrauen, – Augenschluss, – Zähne zeigen und Lachen mit Entwicklung einer symmetrischen Nasolabialfalte, – normaler Mundschluss beim Trinken und Essen.
-
Insbesondere eine umfassende Wiederherstellung der Bewegungsfunktionen im Gesicht ist häufig nicht möglich. Praktisch fokussiert sich die Wiederherstellung von Bewegungen v. a. auf die Wiederherstellung des Augenschlusses und die Hebung des Mundwinkels. >>Der Patient sollte durch eine gute präoperative Aufklä-
rung eine realistische Vorstellung von den funktionellen Möglichkeiten nach Rekonstruktion des gelähmten Gesichts und v. a. von den Limitationen bekommen.
Eine Nervenplastik ist aus funktioneller Sicht die erste Wahl. Die besten funktionellen Ergebnisse können erzielt werden, wenn der periphere Fächer des N. facialis bzw. dessen Endäste rekonstruiert werden können, weil dann die originäre Muskulatur mit ihrem gesamten Bewegungsumfang reanimiert wird. Bei einer frischen Läsion, also wenn der N. facialis zu Teilen z. B. bei einer Resektion eines Parotis-Malignoms entfernt wird, erbringt die Reanimation mit dem proximalen Stumpf des N. facialis über eine direkte Facialis-Facialis-Nervennaht (7 Abschn. 22.3.1) oder bei einem größeren Defekt über eine FacialisInterponat-Nervennaht (7 Abschn. 22.3.2) die besten Ergebnisse. Liegt die Läsion mehr als 6–12 Monate zurück, so gibt die Kreuznervennaht (7 Abschn. 22.3.3) oder alternativ die Cross-face-Nervennaht (7 Abschn. 22.3.4) in der Regel bessere Ergebnisse, weil ein frisch (teil-
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433
22.2 • Erstellen des individuellen Therapiekonzepts
..Tab. 22.1 Rekonstruktionsverfahren bei Patienten mit gelähmtem Gesicht. (Mod. nach Muller et al. 2017; Volk et al. 2010, 2011) Chirurgisches Therapieverfahren
Kommentar
Dynamische Rekonstruktionsverfahren Nervenplastik: Direkte Facialis-Facialis-Nervennaht
Selten, da nur bei scharfer Durchtrennung des N. facialis indiziert
Facialis-Facialis-Interponat
Mit N. auricularis magnus oder N. suralis, mit Fibrinkleber
Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht
Besser als klassische Hypoglossus-Facialis-Nervennaht
Massetericus-Facialis-Nervennaht
Wird neuerdings propagiert, Erfahrungen v. a. in Kombination mit freiem Muskellappen
Cross-face-Nervennaht
Klassische Technik in Kombination mit freiem Muskellappen
Kombinierter Wiederaufbau
Bei großen segmentalen Defekten
Regionale Muskeltransposition: M.-temporalis-Muskeltransfer
Muskel erster Wahl für eine Transposition zum Mundwinkel
M.-masseter-Muskeltransfer
Alternative für eine Transposition zum Mundwinkel
M.-digastricus-Venter-anterior-Muskeltransfer
Für die Behandlung der Depression des Mundwinkels
Freier Muskellappen: M.-gracilis-Transplantation M. pectoralis-minor-Transplantation
Innervation des Muskellappens über Kreuznervennaht oder Cross-face-Nervennaht
Statische Rekonstruktionsverfahren Oberlidgewicht
Besser als dynamische Muskelschlinge um das Auge
Zügelung des Mundwinkels
Autologes Material ist allogenem Material vorzuziehen
Multivektoriale Zügelung
Zusätzlich zu Wange und Kinnregion
Unterlidplastik (mediale und laterale Kanthoplastik)
Bei Ektropium
Augenbrauenplastik (brow lift)
Bei hängender Augenbraue
Facelift
Alternative für das gesamte Gesicht
Rhinoplastik
Bei Verziehung der Nase
Andere chirurgische Verfahren Gesichtstransplantation: Vollständige Gesichtstransplantation
Kein Standardverfahren, nur für komplexe Defekte des Gesichts
Partielle Gesichtstransplantation
-
weise) durchtrennter anderer motorischer Nerv für die Rekonstruktion verwendet wird. Die Kreuznervennaht ist auch bei einer frischen Läsion bis 6 Monate Denervationszeit die bessere Lösung, wenn die Läsionsstelle nicht gut erreichbar oder weit proximal liegt, wie z. B. bei Läsion des N. facialis im Rahmen der Resektion eines Vestibularis-Schwannoms.
Bei einer massiven Atrophie der mimischen Muskulatur nach langer Denervationszeit (in der Regel ab 2 Jahre nach Läsion) oder wenn die peripheren Facialis-Äste reseziert wurden oder die mimische Muskulatur selbst durch die Tumorresektion wesentlich entfernt wurde, ist
eine Nervenplastik nicht möglich, und es sind entweder ein regionaler Muskeltransfer (7 Abschn. 22.3.6) oder ein freier Muskellappen (7 Abschn. 22.3.7) indiziert. >>Zur Beurteilung des Zustands der mimischen Mus-
kulatur, ob überhaupt noch eine Nervenplastik nach längerer Denervation sinnvoll ist, liegen nur empirische Daten als Faustregeln und derzeit noch lediglich grobe Abschätzungsmöglichkeiten durch die Bildgebung vor.
Im Einzelfall kann mit einer Nervenplastik auch nach mehr als 2 Jahren Denervation ein gutes Ergebnis erzielt werden; in anderen Fällen kann auch bereits nach einem Jahr das Ergebnis schon unterdurchschnittlich sein.
22
434
Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
Sowohl bei einer Nervenplastik als auch bei einem Muskeltransfer kann zusätzlich eine Verbesserung des Augenschlusses mit einem Oberlidgewicht (7 Abschn. 22.4.1) empfohlen werden. Andere statische Maßnahmen zur Mundwinkelzügelung (7 Abschn. 22.4.3) sollten diskutiert werden, wenn keine Nervenplastik und auch keine Muskelplastik vorgenommen werden soll. Kleinere operative Maßnahmen (7 Abschn. 22.4.4) können mit den genannten größeren Eingriffen kombiniert werden oder schließen sich später im Follow-up an. >>Faustregel zur bestmöglichen Rekonstruktion: Nerven-
plastik > Muskelplastik > statische Maßnahmen.
22.3 Dynamische
Rekonstruktionsverfahren
Alle vorgestellten Nervenplastiken sollten bei Vergrößerung des Operationssitus mit Operationsmikroskop oder Lupenbrille vorgenommen werden. Verwendet werden Mikroinstrumentarium und nichtresorbierbares monofiles Nahtmaterial mit einer Fadenstärke 8.0–11.0. 22.3.1 Facialis-Facialis-Nervennaht
Die direkte Nervennaht ist nur möglich bei Defekten >Auf der Nahtstelle der Facialis-Facialis-Nervennaht
darf keine Zugspannung entstehen; im Zweifel ist eher ein Interponat einzusetzen.
22
22.3.2 Facialis-Interponat-Nervennaht
Bei Defekten > 1 cm oder bei segmentalem Defekt im Bereich des peripheren Facialis-Fächers führen Interpo-
nate zu befriedigenden bis guten funktionellen Ergebnissen (. Abb. 22.2). Spendernerv der 1. Wahl ist der ipsilaterale N. auricularis magnus, der sich vom Kaliber her gut an den N. facialis anpassen lässt. Selbst bei ausgedehnten Tumoroperationen mit Resektion der Endäste des N. auricularis magnus findet man in Richtung Plexus cervicalis in der Regel noch ausreichend Spendernerv. Alternativ kommen der N. auricularis magnus der Gegenseite oder der N. suralis infrage. Nach Gewinnung des Spendernervs erfolgt das Interponat nach denselben Grundsätzen wie die direkte Nervennaht (7 Abschn. 22.3.1). Bei segmentalen Defekten im Bereich des Facialis-Fächers muss der Chirurg eine numerische Diskrepanz (ein Hauptstamm vs. mehrere periphere Endäste) und eine Kaliberdiskrepanz (der Hauptstamm ist dicker als die peripheren Äste) überwinden. Dazu können sowohl die peripheren Äste Seitzu-Seit zusammengebracht als auch die Nervenstümpfe schräg angeschnitten werden, um den Durchmesser zu vergrößern. Als Alternative für körpereigene Spendernerven gibt es nun auch kommerziell erhältliche allogene Spendernerv-Ersatzmaterialen, die v. a. zur Überbrückung langer Strecken > 5 cm gedacht sind (Boahene et al. 2014). Diese bioresorbierbaren Nervenersatzröhrchen wurden für die Rekonstruktion des N. facialis in geringer Fallzahl eingesetzt, ohne dass eine Aussage über die funktionelle Effektivität dieser Methode getroffen werden kann (Inada et al. 2007).
---
Wichtigste Spendernerven für ein Interponat N. auricularis magnus, ipsilateral N. auricularis magnus, kontralateral N. suralis Bioresorbierbare allogene Materialien (werden heute noch selten verwendet)
22.3.3
Kreuznervennaht (mit N. hypoglossus oder N. massetericus)
Wenn der proximale N. facialis nicht zur Verfügung steht oder irreversibel geschädigt ist oder wenn die Denervationszeit mehr als 6 Monate und weniger als 2 Jahre beträgt, ist eine Kreuznervennaht mit einem anderen Nerven indiziert. Auch wenn der proximale N. facialis schlecht erreichbar ist (z. B. Schädigung im Kleinhirnbrückenwinkel), kann selbst bei kurzer Denervationszeit eine Kreuznervennaht indiziert sein. Intrakranielle, intratemporale Rekonstruktionen oder ein Re-Routing führen in diesen Fällen nicht zu besseren Ergebnissen, und daher werden diese alten Verfahren heute nur selten vorgenommen.
435
22.3 • Dynamische Rekonstruktionsverfahren
..Abb. 22.1 a–d FacialisFacialis-Nervennaht. a Scharfe iatrogene unbeabsichtigte Durchtrennung des N. facialis am Hauptstamm links (Pfeile) bei einer Parotidektomie. m Mastoid links. b End-zuEnd-Naht (Pfeile) links ohne relevanten Substanzverlust nach Trimmen der Nervenstümpfe. m Mastoid links. c Präoperative Facialis-Funktion 3 Monate nach Läsion. d Postoperative Facialis-Funktion 9 Monate nach Nervennaht
a
m
b
c
Wichtigste Spendernerven für eine Kreuznervennaht
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N. hypoglossus, in Jump-Technik N. massetericus N. facialis, kontralateral, periphere Äste in CrossNaht-Technik N. hypoglossus, in klassischer Technik Nicht zu empfehlen: N. accessorius, Ansa hypoglossi, N. phrenicus
22.3.3.1 N. hypoglossus
Die meisten Erfahrungen liegen für den N. hypoglossus vor (Stennert 1979; Hammerschlag 1999; Manni et al. 2001). Wenn der N. hypoglossus verwendet wird, ist heutzutage die Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht (. Abb. 22.3), bei der nur ein Teil der HypoglossusNervenfasern verwendet werden, der klassischen Hypoglossus-Facialis-Nervennaht vorzuziehen, da es hierbei nicht zu einer einseitigen Zungenlähmung kommt (Manni et al. 2001; Tos et al. 2003). Der Begriff „Jump“
m
d
wird verwendet, weil ein Nerveninterponat quasi auf den N. hypoglossus springt, um mit dem peripheren N. facialis verbunden zu werden. Operationsschritte bei der Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht
-
Falls notwendig, zusätzliche submandibuläre Erweiterung der Schnittführung zur Darstellung des N. hypoglossus Der N. hypoglossus wird weit peripher verfolgt über die Ansa hypoglossi hinaus Der Nerv wird zu einem Drittel eingeschnitten und klafft von alleine auf Das Interponat wird End-zu-Seit in den eingeschnittenen N. hypoglossus genäht Das andere Ende des Interponats wird End-zuEnd an den peripheren N. facialis angenäht
>>Bei der Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht darf
der N. hypoglossus nicht mehr als ein Drittel, eher weniger, eingeschnitten werden; ansonsten könnte es zu einer
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436
Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
..Abb. 22.2 a–d Facialis-Interponat-Nervennaht. a Defekt am Hauptstamm des N. facialis (gestrichelter Kreis) rechts nach Entfernung eines FacialisSchwannoms. m Mastoid rechts. b Interponat rechts aus dem N. auricularis magnus nach Nervennaht eingesetzt (Pfeile). m Mastoid rechts. c Präoperative Facialis-Funktion 3 Monate nach Entfernung eines FacialisSchwannoms. d Postoperative Facialis-Funktion 12 Monate nach Interponat
a
b
c
d
Zungenbewegungsstörung kommen und der Vorteil der Jump-Technik gegenüber der klassischen HypoglossusFacialis-Nervennaht ginge verloren.
22
m
m
Manchmal ist diese Rekonstruktion auch ohne Interponat möglich, nämlich wenn der periphere N. facialis komplett erhalten bleibt und noch retrograd in das Mastoid über eine Mastoidektomie verfolgt werden kann. Bei sehr komplexen Defekten des Facialis-Fächers kann die Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht auch helfen, wenn der proximale N. facialis noch erhalten ist: Es können die kranialen Anteile des peripheren N. facialis mit dem N. facialis selbst und zeitgleich die kaudalen Anteile des peripheren N. facialis mit einer Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht rekonstruiert werden (7 Abschn. 22.3.5). Diese funktionelle Trennung der Reanimation des oberen und des unteren Gesichts hat auch den Vorteil, dass Synkinesien zwischen oberem und unterem Gesicht vermieden werden.
22.3.3.2 N. massetericus
In letzter Zeit wird gehäuft über die Verwendung des N. massetericus (motorischer Ast des N. mandibularis) für die Kreuznervennaht berichtet (Collar et al. 2013). Hiermit kann ein direkter Anschluss an den peripheren N. facialis vorgenommen werden, oder dies kann auch in Kombination mit einer Cross-face Nervennaht (7 Abschn. 22.3.4; Bianchi et al. 2014a) und schließlich als motorischer Nervenanschluss für freie Muskellappenplastiken im Gesicht erfolgen (7 Abschn. 22.3.6). Ein Nachteil der Nutzung des N. massetericus kann sein, dass es zu ungewollten Gesichtsbewegungen beim Kauen kommt, ähnlich wie bei einem regionalen Muskeltransfer der Kaumuskulatur (Rozen und Harrison 2013). Andere Spendernerven für die Kreuznervennaht können nicht empfohlen werden, allenfalls wenn die o. g. Nerven nicht zur Verfügung stehen, da die funktionellen Ergebnisse mit dem N. accessorius oder dem N. phrenicus deutlich schlechter sind.
..Abb. 22.3 a–f HypoglossusFacialis-Jump-Nervennaht. a Gewinnen des N. auricularis magnus links als Interponat. d M. digastricus, m Mastoid. b End-zu-End-Nervennaht (Pfeile) des Interponats (i) an den distalen Facialis-Stumpf (f) am Hauptstamm links. c Endzu-Seit-Nervennaht (Pfeilköpfe) links des Interponats (i) auf den eingeschnittenen N. hypoglossus (h). d Übersicht nach Ende der Jump-Naht mit den beiden Nahtstellen (Pfeile und Pfleiköpfe). f N. facialis – peripherer Stumpf, h N. hypoglossus, m Mastoid. e Präoperative Facialis-Funktion 12 Monate nach Entfernung eines Vestibularis-Schwannoms. f Präoperative Facialis-Funktion 12 Monate nach Jump-Nervennaht
i d
m
a
b
f
h
h
i m
i
c
d
e
f
Operationsschritte bei der Massetericus-Facialis-Nervennaht
-
22
437
22.3 • Dynamische Rekonstruktionsverfahren
Vertikale Inzision 3 cm vor dem Tragus und 1 cm unterhalb des Jochbogens Falls hier noch funktionierende periphere FacialisÄste zu erwarten sind, verlaufen diese quer über den Jochbogen und müssen geschont werden Stumpfe Präparation in die Tiefe auf den M. masseter zu Der N. massetericus liegt in der Fossa infratemporalis zwischen Kiefergelenk und Proc. coronoideus
-
und innerviert den M. masseter von der Unterseite; Bestätigung mit dem Nervenstimulator Nach dem tiefen Absetzen kann der Nerv Endzu-End mit dem peripheren N. facialis verbunden werden
22.3.4 Cross-face-Nervennaht
mit dem N. facialis der Gegenseite
Bei komplexen segmentalen Defekten und/oder einer Denervationszeit > 6 Monate oder auch, wenn nur eine regionale Reanimation, z. B. des unteren Gesichts ge-
Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
438
plant ist, ist die Cross-face-Nervennaht eine Alternative, insbesondere in Kombination mit anderen Maßnahmen. Das liegt daran, dass hierfür einzelne Äste des N. facialis der gesunden Seite ausgewählt werden, die keine funktionelle Bedeutung auf der gesunden Seite haben sollten und damit auch nicht zu einer starken Re-Innervation führen können. Würde man den Nervenanschluss auf der gesunden Seite zu weit proximal wählen, so würde das zwar zu einer stärkeren Regeneration führen, aber dies würde gleichzeitig die Funktion auf der gesunden Seite schwächen oder gar eine Defektheilung auf der gesunden Seite hervorrufen. Ein funktioneller Vorteil der Cross-face-Nervennaht ist die symmetrische Aktivierung der Bewegung auf der erkrankten und der gesunden Seite. Die Cross-face-Nervennaht ist eine Standardtechnik zum nervalen Anschluss von freien Muskellappen im Gesicht. Da lange Interponate von der gesunden auf die erkrankte Seite verwendet werden, ist mit einer Regenerationszeit von 6–18 Monaten zu rechnen. Aufgrund der notwendigen Länge und auch weil zumeist mehrere Interponate notwendig sind, ist der N. suralis Spendernerv der 1. Wahl. Der N. auricularis magnus ist nur lang genug für eine Mini-Cross-face-Nervennaht, wenn weit peripher ein einzelner Nervenast und somit nur eine umschriebene Gesichtsregion reanimiert werden soll. >>Bei der Cross-face-Nervennaht darf auf der gesunden
Seite der N. facialis nicht zu weit proximal, v. a. nicht proximal der Verzweigungen der terminalen Endäste abgesetzt werden, ansonsten kann es auch auf der ursprünglich gesunden Seite zu einer Defektheilung kommen.
-
Operationsschritte bei der Cross-face-Nervennaht
22
-
Abhängig vom geplanten Ort der Reanimation des peripheren N. facialis wird die Hautinzision auf der gelähmten Seite gewählt: Schnittführung in der Nasolabialfalte bei geplantem peripherem Anschuss; Aufsuchen der peripheren Äste des N. facialis ventral der Gl. parotis Mit einer präaurikulären oder einer FaceliftSchnittführung kann ein proximaler Anschluss am Hauptstamm oder im Bereich der Bifurkation wie bei einer Parotidektomie erfolgen Ist eine Schnittführung in der Nasolabialfalte geplant, erfolgt diese symmetrisch zur Falte der Gegenseite Zugang auf der gesunden Seite zumeist über die Nasolabialfalte In der Regel werden von hier aus auf der gesunden Seite Facialis-Äste des Mittelgesichts dargestellt und nach peripher bis zur Muskulatur freigelegt; Testen der Funktion mit Elektrostimulation; Aus-
-
wählen und Absetzen der Äste, die für das Crossface verwendet werden sollen Genauso werden, falls nötig, auf der erkrankten Seite die peripheren Nervenenden abgesetzt Gewinnung des Spendernervs, in der Regel der N. suralis End-zu-End-Nervennaht mit dem Spendernerv oder mit mehreren Interponaten aus dem Spendernerven von der gesunden auf die erkrankte Seite Dabei wird das Interponat bzw. die Interponate in der Regel über die Philtrum-Region auf die andere Seite gezogen Theoretisch können die Interponate auch über die Stirn oder das Kinn auf die Gegenseite verlegt werden
22.3.5
Kombinierter Wiederaufbau (combined approach)
Bei einer akuten irreversiblen Parese in Kombination mit einem komplexen segmentalen Defekt im Bereich des Facialis-Fächers oder bei einer chronischen Parese > 6 Monate ist der kombinierte Wiederaufbau eine gute Alternative zum Versuch, den Nervenfächer durch eine Maßnahme allein, z. B. durch eine Facialis-InterponatNervennaht, eine Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht oder eine Cross-face-Nervennaht, wiederaufzubauen (. Abb. 22.4). Ein kombinierter Wiederaufbau des oberen Gesichts mit dem N. facialis selbst über ein Interponat und des unteren Gesichts über eine Hypoglossus-FacialisJump-Nervennaht hat zudem den funktionellen Vorteil, dass das obere und untere Gesicht getrennt voneinander innerviert werden. Dadurch kann es nicht zu Synkinesien zwischen oberem und unterem Gesicht kommen. Letztendlich sind den Kombinationsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt; alle vorgestellten Nervenplastiktechniken können miteinander kombiniert werden. 22.3.6
Regionaler Muskeltransfer
Ist keine Nervenplastik möglich oder erwünscht, ist der regionale Muskeltransfer eine schnelle Lösung zur Reanimation v. a. des Mundwinkels. Ein Muskeltransfer ist ferner nach Bestrahlung der Region sekundär möglich, auch wenn die funktionellen Ergebnisse in der Regel nach Bestrahlung schlechter sind (Griffin et al. 2012). Die wichtigsten Muskeln für einen regionalen ipsilateralen Muskeltransfer sind der M. temporalis und der M. masseter, da diese beiden Kaumuskeln nicht über den N. facialis, sondern über den N. mandibularis innerviert werden. Ein Nachteil können ungewollte Gesichtsbewegungen beim Kauen sein.
439
22.3 • Dynamische Rekonstruktionsverfahren
..Abb. 22.4 a–d Kombinierter Wiederaufbau. a Komplexer segmentaler Defekt des Facialis-Fächers nach radikaler Entfernung eines Parotis-Malignoms links. Peripher erhaltene Facialis-Äste zusammengelegt und teilweise auf einer Unterlage seitlich adaptiert mit 10.0-Nervennaht. b Reanimation des oberen Facialis-Fächers durch Facialis-Interponat und des unteren Facialis-Fächers mit Hypoglossus-Facialis-JumpNervennaht. Interponat jeweils aus dem N. auricularis magnus. c Präoperative Facialis-Funktion noch vor der Tumoroperation, präoperative Facialis-Parese links durch die Tumorinfiltration. d Postoperative FacialisFunktion 24 Monate nach dem Wiederaufbau
a
b
c
d
22.3.6.1 M.-temporalis-Transfer
Der M. temporalis ist aufgrund der Zugrichtung des transponierten Muskels 1. Wahl (. Abb. 22.5; Sidle und Simon 2013). Es gibt mehrere Techniken, den M. temporalis als Muskel-Sehnen-Einheit zur Zügelung des Mundwinkels zu verwenden. Der M. temporalis kann auch Konstruktion einer Schlinge um das Auge zur Besserung des Augenschlusses verwendet werden. Diese Technik wird hier nicht weiter betrachtet, da andere Maßnahmen zur Verbesserung des Augenschlusses einfacher und funktionell ergiebiger erscheinen (7 Abschn. 22.4.1). Zur Zügelung des Mundwinkels kann entweder ein Teil des Muskels oder der gesamte Muskel verwendet werden. Bei der erstgenannten Möglichkeit wird ein Teil des Muskels (das mittlere Drittel oder weniger) an der Temporalschuppe abgelöst, über den Jochbogen geschlagen und im Mundwinkel befestigt. Es kann alternativ auch der gesamte Muskel am Proc. coronoideus abgelöst und direkt ohne Umschlagen an den Mundwinkel ge-
näht werden (diese Technik wird nicht weiter dargestellt; McLaughlin 1953). Die Nutzung des gesamten Muskels verändert die Kaufunktion einseitig mehr, anderseits entsteht kein auffälliger Muskelwulst durch das Umschlagen des M. temporalis. Sollte der Muskel zu kurz sein, kann er mit angenähter autologer oder allogener Fascia lata verlängert werden. Intraoperativ kann die Zugrichtung des Muskels durch Elektrostimulation feinjustiert werden (Boahene et al. 2014). Operationsschritte beim M.-temporalis-Transfer (Transposition über den Jochbogen)
-
Markieren der Nasolabialfalte am wachen Patienten symmetrisch zur Gegenseite Hautschnitt in der geplanten Nasolabialfalte, von der Helix vertikal in die Parietalregion auf dem M. temporalis, und im Mundwinkel am Lippenrot
22
Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
440
..Abb. 22.5 a–d M.-temporalis-Transfer. a Gewinnen eines kaudal gestielten Muskellappens aus dem mittleren Drittel des M. temporalis links, erreicht über präaurikulär-temporalen Schnitt. b Durchziehen des Muskellappens zur ebenfalls durch Schnittführung gebildeten Nasolabialfalte; Vierteilung des kaudalen Muskellappens, um mehrere Regionen in Oberlippe und Unterlippe zu erreichen. c Präoperative Facialis-Funktion bei unklarer Facialis-Parese links seit der Kindheit ohne Regeneration. d Postoperative Facialis-Funktion 12 Monate nach Muskeltransfer
22
--
a
b
c
d
Darstellen der oberflächlichen Faszie des M. temporalis Tunneln der Haut temporal zur Nasolabialfalte Absetzen eines 4 cm langen Streifens aus der Mitte des M. temporalis kranial am Schädel mit dem darunterliegenden Periost, der nach kaudal durch den Tunnel zum Mundwinkel gezogen wird Das Ende wird zweigeteilt, um jeweils Ober- und Unterlippe zu erreichen Ggf. Verlängerung mit Faszie, die an den Muskel gesteppt wird, um den Mundwinkel zu erreichen Festnähen im oberen und unteren Mundwinkel subdermal mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 2.0 Dabei massive Überkorrektur, sodass der erste obere Molar zu sehen ist Hautverschluss mit nichtresorbierbaren Nahtmaterial der Stärke 5.0 Tapping des Gesichts zur Zugentlastung für 1 Woche
22.3.6.2 M.-masseter-Transfer
Die Alternative ist der Transfer des M. masseter. Das Bewegungsausmaß ist geringer als das des M. temporalis (Lesavoy et al. 2014). Die Muskelplastik kann von außen oder von enoral vorgenommen werden. Auch der M. masseter kann nur teilweise abgelöst und mit Fascia lata verlängert werden (Lesavoy et al. 2014). Operationsschritte beim M.-masseter-Transfer (Lexer-Technik)
--
Markieren der Nasolabialfalte am wachen Patienten symmetrisch zur Gegenseite Hautschnitt in der geplanten Nasolabialfalte und im Mundwinkel am Lippenrot Zur Exposition des M. masseter Hautschnitt entlang dem Muskelansatz am horizontalen Unterkiefer Hier wird der Muskel vom Unterkiefer abgesetzt Das freie Muskelende wird zweigeteilt, ohne die neurovaskuläre Versorgung zu verletzten Anlegen des Tunnels zur Nasolabialfalte und Durchziehen des Muskels
441
22.3 • Dynamische Rekonstruktionsverfahren
-
Festnähen im oberen und unteren Mundwinkel subdermal mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 2.0 Dabei massive Überkorrektur, sodass der erste obere Molar zu sehen ist Hautverschluss mit nichtresorbierbaren Nahtmaterial der Stärke 5.0 Tapping des Gesichts zur Zugentlastung für 1 Woche
22.3.6.3 M.-digastricus-Venter- anterior-Transfer
Bei Läsion des R. marginalis des N. facialis oder angeborener Gesichtsasymmetrie mit Depressorschwäche durch Fehlen des R. marginalis kann der Patient die Unterlippe nicht nach unten und lateral ziehen. Beim Lachen wird die Unterlippe auf der gelähmten Seite einwärts gezogen. Daran ändert eine Zügelung mit dem M. temporalis oder dem M. masseter nichts. Beim M.-digastricus-Transfer wird der vordere Muskelbauch so verlagert, dass ein vertikaler Zug auf die Unterlippe entsteht, der die Depressorfunktion ersetzt.
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Operationsschritte beim M.-digastricus-Transfer Durch submandibuläre Schnittführung wird der vordere Bauch des M. digastricus dargestellt und am vorderen Ansatz abgesetzt Zusätzliche Inzisionen in der Kinn-Lippen-Furche und entlang des Lippenrots Verlagerung des Muskelbauches und Fixierung in der Kinn-Lippen-Furche und am Lippenrot, um die Unterlippen wieder in die Neutralposition zu ziehen Fixierung mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 2.0, Verschließen der Haut wird mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 5.0
22.3.7
Freies Muskeltransplantat
Die größte Erfahrung mit freien Muskellappen besteht bei kongenitalen Facialis-Paresen. Hiervon haben sich die Konzepte für die rekonstruktive Chirurgie mit freien Muskellappen bei erworbener Facialis-Parese entwickelt (Terzis und Konofaos 2012). Die meisten Publikation liegen zur Verwendung des M. gracilis als Spendermuskel vor (Vakharia et al. 2012; Bianchi et al. 2014a), doch gibt es u. a. auch Beschreibungen zur Nutzung des M. pectoralis minor, M. abductor hallucis, M. extensor digitorum brevis, M. latissimus dorsi, M. rectus abdominis, M. rectus femoris und M. serratus anterior (Banks und Hadlock 2016). Zur Re-Innervation des freien Muskellappens wird ein Spendernerv wie bei der Kreuznervennaht benötigt. Im
Prinzip sind alle o. g. Spendernerven (7 Abschn. 22.3.2 und 22.3.3) geeignet. Eine klassische Kombination ist die Nutzung einer Cross-face-Nervennaht, was den Vorteil hat, dass die Bewegung des freien Muskellappen auf der gelähmten Seite an die Bewegung der gesunden Seite gekoppelt wird (Bianchi et al. 2014a). Dann erfolgt die Operation in zwei Schritten: zunächst die Cross-faceNervennaht und nach erfolgreicher Re-Innervation 6–9 Monate später die Muskeltransplantation. Neuerdings wird vermehrt über die guten Ergebnisse bei Nutzung des N. massetericus oder auch eines Teils des N. hypoglossus berichtet. Dies kann einzeitig erfolgen. Auch die Verwendung verschiedener Spendernerven (neural supercharging) ist beschrieben. Sollte eine nervale Re-Innervation über einen Spendernerv nicht gelingen, kann als Salvage Prozedur auch zu einem späteren Zeitpunkt nochmals die Re-Innervation durch einen anderen Spendernerven versucht werden (Eisenhardt et al. 2014). Operationsschritte beim freien Muskeltransfer mit dem M. gracilis
-
Ist eine Operation in zwei Schritten mit Crossface-Nervennaht geplant, erfolgt zunächst dieser Schritt (7 Abschn. 22.3.4) Hautinzision von der Temporalregion bis nach submandibulär Großflächiges Freilegen der Gesichtsregion bis vor die Gl. parotis auf den M. masseter und Freilegen des Modiolus Falls keine Cross-face-Nervennaht erfolgt ist, nun Darstellung des N. massetericus oder des N. hypoglossus (7 Abschn. 22.3.3) Gewinnen des mikrovaskulär-gestielten M. gracilis vom medialen Oberschenkel, der vorsichtig ausgedünnt wird (Harii et al. 1976) Verstärken des Lappenendes, das kranial in der Temporalregion aufgehängt werden soll, zu einer Neo-Sehne mit nichtresorbierbaren Steppnähten der Stärke 2.0; Anordnung des Muskels parallel zum M. zygomaticus major Vernähen des Muskels mit dem M. orbicularis oris und dem Modiolus Anlegen der arteriellen und venösen Anastomosen, in der Regel über die A. und V. facialis Es folgen die Nervennähte zwischen den Obturator-Nerven des M. gracilis und dem Spendernerv (s. oben) Vernähen der Neo-Sehne kranial mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 2.0 auf der Temporalis-Faszie mit Zug und Überkorrektur auf dem Mundwinkel Drainage, zweischichtiger Wundverschluss, Hautnaht mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 5.0
22
442
Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
22.3.8 Gesichtstransplantation
Bis Ende 2020 wurden mittlerweile 41 Gesichtstransplantationen weltweit (20 partielle und 17 vollständige Transplantationen) vorgenommen (Diaz-Siso et al. 2016; Sosin und Rodriguez 2016). 5 der 37 Patienten verstarben wegen eines sekundär nach Transplantation erworbenen Malignoms. Bislang wurde die Gesichtstransplantation als Rekonstruktionsform bei einem Patienten nach einer Tumoroperation im Gesicht gewählt. Dieser Patient ist an einem lokalen Tumorrezidiv verstorben (Diaz-Siso et al. 2016). Sicherlich bleibt daher diese aufwändige Rekonstruktionstechnik die große Ausnahme nach KopfHals-Tumorchirurgie. Bei den o. g. Patienten wurde der periphere N. facialis im Transplantat über Interponate mit verschiedensten Nerven reanimiert (N. vagus, Ansa cervicalis, N. hypoglossus, N. auricularis magnus oder Nn. thoracodorsales). Im Transplantat wird der N. facialis typischerweise am Hauptstamm entweder wie bei einem Parotidektomie Zugang dargestellt, oder es werden selektiv periphere Endäste distal der Gl. parotis dargestellt. Wie bei anderen Nervenrekonstruktionen auch, entwickeln die Patienten bei erfolgreicher Nervenregeneration eine Defektheilung. Zu berücksichtigen ist, dass viele der Patienten auch Sensibilitätsdefizite im transplantierten Gesicht aufweisen und einige der Patienten stark sehgeschwächt oder gar blind sind. Dies sind alles prognostisch schlechte Faktoren für eine funktionell gute Regeneration des N. facialis. Auswertungen zur Funktion der mimischen Muskulatur nach Gesichtstransplantation liegen bislang nur kasuistisch für wenige Fälle vor; bei diesen Fällen erkennt man, dass – verständlich aus den o. g. Gründen – die Funktion nicht die Güte erreicht, wie sie bei sonstigen Facialis-Rekonstruktionen erreicht werden kann. 22.4 Statische
Rekonstruktionsmaßnahmen
22.4.1
22
Verbesserung des Augenschlusses durch ein Oberlidgewicht
Die Wiederherstellung der Funktion des Oberlids zur Protektion der Kornea gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Rekonstruktion des gelähmten Gesichts (. Abb. 22.6). Uhrglasverbände sollten nur kurzfristig verwendet werden, da auf Dauer die Haut um das Auge unter dem Hautkleber leidet und die Sicht eingeschränkt wird. Als bessere und auch langfristig anwendbare konservative Maßnahmen zum Augenschutz dienen Kontaktlinsen, künstliche Tränenflüssigkeit und Augensalbe, v. a. zur Nacht (Bhama und Bhrany 2013), doch auch mit diesen Maßnahmen sind viele Patienten langfristig nicht zufriedenstellend versorgt.
>>Aufgrund der Einfachheit des Eingriffs und der Mög-
lichkeit, den Eingriff rückgängig zu machen, ist heute die Implantation eines Oberlidgewichts die Maßnahme der 1. Wahl.
Funktionell sind dynamische Maßnahmen wie eine dynamische Muskelschlinge aus dem M. temporalis dem Oberlidgewicht unterlegen. In kleineren Fallserien ergab die Implantation von Platinketten bessere Ergebnisse als von Goldimplantaten, die aus einem Stück ohne Kettenelemente gefertigt sind (Schrom et al. 2009; Bianchi et al. 2014b). Durch die Flexibilität der Kettenelemente fügen sich die Platinketten gut der Oberfläche im Oberlid an. Ob Platinketten auch festen Platinimplantaten überlegen sind, wurde bislang nicht untersucht. Operationsschritte zur Implantation eines Oberlidgewichts
---
Ausmessen des benötigten Gewichts am wachen Patienten im Stehen und Liegen; zumeist wird ein Gewicht von 1,2 oder 1,4 g benötigt Einzeichnen der Schnittführung in einer Supratarsalfalte Lokalanästhesie mit Epinephrin-Zusatz Schutz der Kornea mit Augensalbe oder Kontaktlinse Hautschnitt und nach Durchtrennen des M. orbicularis oculi Präparation präseptal bis auf die Tarsalplatte hinunter Hier Präparation einer Tasche für das Implantat Fixieren des Implantats auf der Tarsalplatte nahe am Lidrand mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 5.0–7.0 Ggf. Abdecken des Implantats mit Fett aus dem Raum vor dem M. levator palpebrae Zweischichtiger Wundverschluss mit resorbierbarem oder nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 5.0–6.0
22.4.2
Verbesserung der Funktion des Unterlids
Ist die Wiederherstellung des Augenschlusses trotz Oberlidgewicht unzureichend, liegt dies in der Regel nicht am Oberlidgewicht. Zumeist wird die unzureichende Funktion des schlaffen Unterlids vernachlässigt (Hontanilla und Marre 2013; Loyo et al. 2014). Die laterale Kanthopexie ist eine gute Rekonstruktionsmöglichkeit bei einem Ektropium (. Abb. 22.7). Genauso kann die mediale Kanthopexie hilfreich sein bei schlaffem medialen Unterlid und hiermit verbundenen Problemen des Abflusses der Tränenflüssigkeit bis hin zur Epiphora (Loyo et al. 2014). Platzhalter aus autologem Spendermaterial (z. B. Knorpelspangen oder Faszie) oder allogenem Material
443
22.4 • Statische Rekonstruktionsmaßnahmen
..Abb. 22.6 a–f Oberlidgewicht-Implantation und laterale Unterlidplastik. a Eingezeichnete Schnittführung linkes Auge für die Implantation des Oberlidgewichts in der Supratarsalfalte und der Schnittführung für die Keilexzision am Unterlid. b Oberlidgewicht lidkantennah auf der Tarsalplatte aufgenäht. c Wundverschluss mit 5.0-Nervennaht am Oberlid und Keilexzision am Unterlid. d Wundverschluss mit 5.0-Nervennaht am lateralen Unterlid. e Präoperative Facialis-Funktion mit Lagophthalmus und Bell-Phänomen 12 Monate nach schwerer Zoster-Otikus-Infektion links. f Postoperative Facialis-Funktion 12 Monate nach Operation rund um das linke Auge
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b
c
d
e
f
(z. B. Biodesign®), die unter den M. orbicularis oculi (steife Materialien) oder am Lidrand entlang oberflächlich (flexible weiche Materialien) platziert werden, sind ideal, um eine Lidretraktion, einen Tonusverlust und Verlust an vertikaler Höhe des Unterlids zu korrigieren (Hontanilla und Marre 2013). >>Ist der Augenschluss trotz suffizienter Implantation
eines Oberlidgewichts unbefriedigend, unbedingt die Unterlidfunktion überprüfen, bevor fälschlicherweise das Implantat im Oberlid gegen ein schwereres Gewicht ausgetauscht wird.
22.4.3 Mundwinkelzügelung
mit einer Schlinge
Statische Schlingen sind v. a. für das Mittelgesicht und hier für die Zügelung des Mundwinkels gut etabliert (. Abb. 22.8). Eine Schlingenplastik ist indiziert bei Patienten mit Facialis-Parese, die keine Kandidaten für eine Nervenrekonstruktion oder einen Muskeltransfer sind. Eine Muskelschlinge kann aber auch mit einer Nervenrekonstruktion kombiniert werden, wobei prinzipiell das Risiko besteht, die peripheren Endäste und die mimische Muskulatur im Bereich der Schlingenrekonstruktion zu
22
444
Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
..Abb. 22.7 a–d Augenbrauenplastik und Unterlidplastik. a Eingezeichnete Schnittführung für die offene Augenbrauenplastik links, geplante Oberlidgewicht-Implantation und Unterlidplastik. b Gestrafftes Unterlid nach Unterlidplastik. c Präoperative Facialis-Funktion 18 Monate nach Glomusjugulare-Tumoroperation links. d Postoperative Facialis-Funktion 12 Monate nach der Operation rund um das Auge
22
a
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schädigen, was dann zu einer schlechteren oder ausbleibenden Nervenregeneration über die Nervenrekonstruktion führen kann. Die Schlingenplastik ist eine gute Option bei Teilparesen, wenn also nur das Mittelgesicht einseitig gelähmt ist, oder wenn eine schnelle effektive Lösung gesucht wird (Leckenby et al. 2014). Für die Schlinge wird zumeist autologe Fascia lata, lyophilisierte Fascia lata oder die Sehne des M. palmaris longus verwendet. Es wird in der Regel ein Zugvektor rekonstruiert. Dazu wird die Schlinge zwischen Jochbogen und Modiolus straff aufgespannt. Vom Modiolus aus kann die Schlinge auch in die Ober- und Unterlippe verlängert werden (Yoleri et al. 2013). Prinzipiell können mit mehreren Schlingen auch mehrere, verschiedene Zugvektoren rekonstruiert werden (multivectorial approach), um neben Zug auf den Mundwinkel auch eine breite Nasolabialfalte und eine straffe Wange zu erzielen (Yoleri et al. 2013). Von Modiolus kann auch eine Schlinge nach kaudal an das Periost der Mandibula fixiert werden, um der Einziehung der Unterlippe entgegen zu wirken. Als Material für die Schlinge sollte bevorzugt autologes Material verwendet werden. Es gibt verschiedene allogene (z. B. azelluläre porcine Submukosa [Biodesign®], azelluläre humane Dermis [AlloDerm®]) oder synthetische Materialen (wie Gore-Tex®), wobei keines dieser Materialien einem anderen überlegen zu sein erscheint (Ibrahim et al. 2013).
Die Zugkraft der Schlingen lässt mit der Zeit nach; bei vielen Patienten ist ein Nachspannen im weiteren Verlauf notwendig. Operationsschritte für die Zügelung des Mundwinkels mit einer Schlinge
-
Markieren der Nasolabialfalte am wachen Patienten symmetrisch zur Gegenseite Hautschnitt in der geplanten Nasolabialfalte, präaurikulärer 2–3 cm in einer Hautfalte zur Darstellung des Jochbogens, und im Mundwinkel am Lippenrot Tunneln der Haut vom Jochbogen zur Nasolabialfalte Gewinnen des Materials für die Schlinge (Fascia lata vom Oberschenkel, Sehne des M. palmaris longus) oder Verwendung von allogenem Material Zurechtschneiden der Schlinge in der benötigten Länge, das distale Ende zweigeteilt Fixieren der Enden mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 4.0 in Ober- und Unterlippe Um die Nasolabialfalte zu betonen, Fixierung der Schlinge auch im Subkutangewebe des kranialen Randes der Nasolabialfalte Anziehen der Schlinge mit Überkorrektur und Fixierung am Jochbogen entweder mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 2.0 oder
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22.4 • Statische Rekonstruktionsmaßnahmen
..Abb. 22.8 a–f Mundwinkelzügelplastik. a Präaurikuläre Schnittführung rechts und Schaffung der Nasolabialfalte symmetrisch zur Gegenseite; Anpassen der Länge des ersten Zügels aus Biodesign für den Zug auf die Unterlippe. b Zügel für die Unterlippe in situ; Anpassen der Länge des zweiten Zügels aus Biodesign für den Zug auf Mittelgesicht und die Oberlippe. c Nach Vernähen der Zügel in Nasolabialfalte und Mundwinkel rechts Festnähen der Zügel mit Überkorrektur am Jochbogen rechts. d Deutliche Überkorrektur nach Wundverschluss sichtbar. e Präoperative Facialis-Funktion 24 Monate nach radikaler Parotidektomie rechts wegen eines Parotis-Malignoms. f Postoperative Facialis-Funktion12 Monate nach Zügelplastik; eine Operation zur Reanimation des Auges steht hier noch aus
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mit einer Miniplatte, deren mittlere Löcher frei bleiben, um hier die Schlinge einzuklemmen Verschließen der Haut wird mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial der Stärke 5.0 Tapping des Gesichts zur Zugentlastung für 1 Woche
22.4.4
Andere statische Maßnahmen
Die Paralyse der Stirn kann zu einem Absinken von Stirn, Augenbraue und Oberlid führen. Hierdurch kann auch
der Lagophthalmus verstärkt werden. Wenn der Augenschluss trotz Oberlidgewicht nicht optimal ist, kann das daran liegen, dass das Absinken der Stirnregion nicht behandelt wurde. Der Zugang für den Stirn- und den Augenbrauenlift (browlift) kann über einen koronaren Schnitt, am Haaransatz (prätrichial), in der Mitte der Stirn, über der Augenbraue (. Abb. 22.7), und endoskopisch erfolgen (McGuire und Gladstone 2009). Es gilt für alle Techniken, dass subdermaler Zug auf die Augenbraue durch Nähte nach kranial durch Verankerung am frontalen Periost ausgeübt und überschüssige Haut reseziert wird. Stattdessen kann auch, wenn indiziert, das gesamte
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Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
Gesicht mit einem Facelift gestrafft werden. Kommt es durch die Lähmung im Mittelgesicht zu einer Verlagerung der Nasenflügel und dadurch zu einer Nasenatmungsbehinderung, kann eine Nasenflügelplastik indiziert sein, bei welcher der Nasenflügel nach kranial und lateral symmetrisch zur Gegenseite verlagert wird. 22.5 Adjuvante
postoperative Rehabilitationsmaßnahmen
Auch die beste chirurgische Rekonstruktion des gelähmten Gesichts kann nur erfolgreich sein, wenn sich postoperativ weitere Rehabilitationsmaßnahmen anschließen. Nach einer Nervenrekonstruktion dauert es, abhängig von der Lokalisation der Nahtstelle, 4–9 Monate, bis die ersten Nervenfasern die Zielmuskulatur erreicht haben. Es dauert in der Regel 9–15 Monate, bis die Re-Innervation endgültig abgeschlossen ist. Es gibt bislang keine Maßnahmen, die die Re-Innervation beschleunigen könnten. zz Mimisches Training
Ein mimisches Training ist erst sinnvoll, wenn die ersten Nervenfasern die Zielmuskulatur erreicht haben; dies kann nur durch eine EMG-Untersuchung detektiert werden. Ob in der Zwischenzeit eine Elektrostimulation der mimischen Muskulatur hilfreich oder gar hinderlich ist, ist nicht ausreichend geklärt. Ein umfängliches mimisches Training kann erst erfolgen, wenn auch klinisch sichtbar Gesichtsbewegungen möglich sind.
>>Sind in der Nachsorge nach Facialis-Rekonstruktion
EMG-Untersuchungen geplant, kann eine parallel erfolgende Elektrostimulation die Ergebnisse verfälschen.
Erfolgte eine Kreuznervennaht, muss das mimische Training die Aktivierung des Spendernerven mit einbeziehen, damit das Training effektiv ist. So muss bei Einsatz des N. hypoglossus untersucht werden, welche Zungenbewegungen zu welcher Gesichtsbewegung beitragen, und dies muss für das Training genutzt werden. Ähnlich verhält es sich für den N. massetericus – hier müssen Kaubewegungen in das Training einbezogen werden. Bei einer CrossNervennaht wird die gesunde Seite mehr in das Training einbezogen. Nach einer Übungsphase mit einem Therapeuten sollte der Patient in die Lage versetzt werden, sein Trainingsprogramm alleine zu Hause fortsetzen zu können. Einen Standard zu Durchführung, Dauer und Intensität des Trainings gibt es nicht.
22
ansonsten frustriert vorzeitiges Training den Patienten nur, und es fehlt an Motivation genau dann, wenn das eigentliche Training einsetzen sollte. Mit zunehmender Re-Innervation wird auch, sichtbar v. a. durch die ungewollten Mitbewegungen (Synkinesien), die Defektheilung zunehmen, die individuell sehr verschieden ausgeprägt sein kann. Der endgültige Status der Defektheilung wird auch etwa nach 12–15 Monaten erreicht. Das mimische Training sollte Aspekte zur Minderung der Synkinesien beinhalten. Zur Minderung der Synkinesien kann ein Biofeedback-Training vor dem Spiegel, am besten als EMG-Biofeedback-Training, eingesetzt werden; bei dieser Form des Trainings werden dem Patienten durch das EMG die Bewegungen im Gesicht verdeutlicht, was zusätzlich hilfreich ist (Volk et al. 2014). Effektiv zur Behandlung der Synkinesien, v. a. eines ungewollten Augenschlusses bei anderen Gesichtsbewegungen, ist die Behandlung mit Botulinumtoxin (Laskawi 1997; Couch et al. 2014). Die Dosierung muss optimalerweise so erfolgen, dass der behandelte Muskel weiter willkürlich aktiviert werden kann (z. B. Augenschluss), aber bei Bewegungen anderer Gesichtsregionen (z. B. kein Augenschluss bei Mundbewegungen) keine Bewegung im behandelten Muskel auftritt. Aufgrund des nur temporären Effekts müssen die Patienten im Abstand von etwa 3–4 Monaten wieder behandelt werden. >>Störende Synkinesien lassen sich am besten mit Botu-
linumtoxin oder einen spezifischen Übungsprogramm, am besten mit Biofeedback, behandeln.
Die Übungsbehandlung nach einem regionalen Muskeltransfer kann beginnen, sobald die Wundheilung abgeschlossen ist. Da M. temporalis, M. masseter und der vordere Bauch des M. digastricus allesamt über motorische Äste des N. trigeminus versorgt werden, wird die neue Muskelfunktion über Kaubewegungen trainiert. Nach einem freien Lappentransfer ist die Situation mit der Rehabilitation nach Nervenplastik zu vergleichen: Zunächst muss der Spendernerv den freien Muskellappen re-innerviert haben, bevor eine Übungsbehandlung beginnen kann. Einer Atrophie des freien Muskellappens kann durch Elektrostimulation vorgebeugt werden; ob dies überhaupt funktionell zu besseren Ergebnissen führt, ist nicht untersucht. 22.6 Follow-up
>>Jede chirurgische Rekonstruktion zur Verbesserung
der Funktion der Gesichtsmuskulatur muss durch ein Rehabilitationstraining unterstützt werden.
Im Falle einer Nervenplastik sind Bewegungsübungen erst sinnvoll, wenn die Muskulatur re-innerviert ist;
Nach Rekonstruktion des gelähmten Gesichts sollte der Patient im Anschluss an eine Nervenplastik nachbetreut werden, zumindest so lange, bis die Re-Innervation das maximale Ergebnis erreicht hat, also wenigstens 12– 15 Monate. Nach einer Muskelplastik sollte die Nach-
Literatur
betreuung zumindest so lange erfolgen, bis der Patient in der Lage ist, die neue Muskelfunktion gut anzusteuern. Zu empfehlen ist eine längere Nachbetreuung, da sich im Lauf der Zeit immer wieder neue Fragen zur Rehabilitation stellen werden, so z. B. zur adjuvanten Behandlung mit Botulinumtoxin (7 Abschn. 22.5) oder auch bezüglich kleinerer weiterer operativer Eingriffe (7 Abschn. 22.4.4). Eine Schlingenplastik lässt mit der Zeit nach, sodass ein Nachspannen indiziert sein kann. Bei jeder Nachuntersuchung sollte die Funktion der Gesichtsmuskulatur über ein Grading klassifiziert werden und am besten auch eine standardisierte Foto- oder Videodokumentation erfolgen.
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Zusammenfassung Mit den vorgestellten Rekonstruktionsmaßnahmen lässt sich die Funktion des einseitig gelähmten Gesichts deutlich verbessern, wenngleich bis heute mit keiner Maßnahme das komplexe mimische Spiel der Gesichtsmuskulatur wiederhergestellt werden kann. Wenn feststeht, dass die Lähmung irreversibel ist, gibt es keinen chirurgischen Grund, die Rekonstruktion nicht auch umgehend zu planen und vorzunehmen. Der Gesichtschirurg und sein Team sollten eine Reihe von chirurgischen Verfahren beherrschen, die es erlauben, die Rekonstruktion individuell auf den Patienten und seine Wünsche zuzuschneiden. Nach der Rekonstruktion sollte sich der Gesichtschirurg verpflichtet fühlen, das endgültige Ergebnis selbst zu prüfen und standardisiert zu dokumentieren. Mit Standardfragebögen sollte zudem der Patient nach seiner Einschätzung des Ergebnisses befragt werden. Nur so wird es gelingen, die rekonstruktive Facialis-Chirurgie weiterzuentwickeln. Die rekonstruktive Facialis-Chirurgie alleine wird nicht alle Probleme des Patienten lösen. Die adjuvante Übungsbehandlung sorgt für die Stärkung der Funktion der Rekonstruktionsmaßnahme. Oft sind weitere kleine chirurgische und konservative Maßnahmen angezeigt. Die Lähmung des N. facialis führt nicht nur zu einer Bewegungsstörung, sondern auch zu einer emotionalen und kommunikativen Störung. Diese muss optimalerweise ebenso behandelt werden wie die Bewegungsstörung.
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Kapitel 22 • Rekonstruktion des gelähmten Gesichts
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449
Epithetik Philippe A. Federspil, Johannes A. Veit
Inhaltsverzeichnis 23.1
Einleitung – 450
23.1.1 23.1.2
Begriffsklärung und Historie – 450 Betreuung der Patienten – 450
23.2
Material und Technik – 450
23.2.1 23.2.2 23.2.3 23.2.4 23.2.5 23.2.6
Klebeepithese – 451 Defektverankerte Epithese – 451 Brillenverankerte Epithese – 451 Knochenverankerte Epithese – 451 Subkutanes Magnetsystem – 452 Implantationstechniken – 452
23.3
Anatomische Regionen – 454
23.3.1 23.3.2 23.3.3 23.3.4 23.3.5 23.3.6 23.3.7
Nase – 454 Orbita – 455 Ohr – 456 Komplexe Defekte – 457 Nasenseptum – 457 Tracheostoma – 457 Tracheoösophageale Fistel – 457
23.4
„Sofort-Epithese“ – 458
23.5
Dreidimensionale Epithesenplanung – 458
23.6
Komplikationen – 458 Literatur – 459
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7_23
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450
Kapitel 23 • Epithetik
23.1 Einleitung 23.1.1
Begriffsklärung und Historie
Unter einer Epithese (griechisch: epíthesis – Anfügung) wird im medizinischen Sinne ein künstliches Körperteil verstanden, das einen durch Unfall oder (Tumor‑)Ope‑ ration entstandenen Defekt auffüllt (Federspil 2009a). Meist steht hier die ästhetische und soziale Rehabilita‑ tion im Vordergrund. Der Begriff wird im Deutschen von der Prothese (altgriechisch: pro – vor/anstatt und thesis – das Setzen/Stellen) abgegrenzt, der für künst‑ liche Gliedmaßen oder Gelenke verwendet wird, wo‑ bei die funktionelle Rehabilitation im Vordergrund steht. Im angloamerikanischen Sprachraum ist diese Trennung meist nicht vorhanden, sodass beide Arten des Hilfsmittels als (craniofacial) prosthesis und dem Hinweis auf die betroffene Körperregion bezeichnet werden. Die Epithetik als solche wird als anaplastology bezeichnet. 23.1.2
23
Betreuung der Patienten
Die Versorgung von gesichtsversehrten Patienten stellt eine besondere Herausforderung für die behandelnden Ärzte und Epithetiker dar. Dies liegt v. a. darin begrün‑ det, dass Gesichtsoperationen mit z. T. ausgedehnten Resektionen für die Betroffenen einen massiven Eingriff in die körperliche Integrität, die Lebensqualität und das Selbstwertgefühl darstellen. Eine psychoonkologische Mitbehandlung sollte immer angeboten werden, und es sollten Information über bestehende Selbsthilfegruppen (wie z. B. TULPE e. V.) gegeben werden. Die Lebensqualität von Epithesenträgern ist im Vergleich zur Normalbevölkerung in der Regel reduziert, sie kann jedoch in vielen Teilbereichen gut rehabilitiert werden. Häufig gilt, dass ältere gesichtsversehrte Patienten eine subjektiv höhere Lebensqualität haben, die psychische Belastung bei Vorhandensein von Nasen- und Mittel‑ gesichtsepithesen am höchsten ist und bei Orbita- und Ohrepithesen abnimmt (Klein et al. 2005; Becker et al. 2016). Die Patienten werden meist in spezialisierten Sprech‑ stunden von den behandelnden Ärzten beraten. Hier kommt es häufig auch zum Erstkontakt mit dem Epi‑ thetiker. Dies sind z. T. spezialisierte Zahntechniker oder andere Feinmechaniker, welche nach einer Zusatzausbil‑ dung in der Herstellung künstlicher Gesichtsteile (Epi‑ thesen) geschult sind. Die Epithetik ist eine technische und zugleich künstlerische Tätigkeit, welche im Ergeb‑ nis eine optimale ästhetische und funktionelle Rehabi‑ litation der Patienten ermöglicht. Diese Sprechstunden finden meist in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde/KopfHals-Chirurgie oder Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie
durch spezialisierte Ärzte gemeinsam mit einem erfahre‑ nen Epithetiker statt. In diesem Rahmen sollte eine aus‑ führliche Beratung zu den verschiedenen epithetischen und chirurgisch-rekonstruktiven Optionen sowie über die zu erwartenden zeitlichen Abläufe erfolgen. Patien‑ ten können anhand von Beispielfotos oder auch durch ein persönliches Gespräch mit einem bereits epithetisch versorgten Patienten auf die Behandlung vorbereitet werden. 23.2
Material und Technik
Epithesen werden meist aus Spezial-Silikonen herge‑ stellt. Diese haben eine hohe Weichheit, dennoch sind sie stabil und elastisch und lange haltbar. Insbesondere die Randbereiche, die Übergänge zur Gesichtshaut, müssen extrem dünn gearbeitet werden, um den Über‑ gang möglichst gut zu camouflieren. Die Spezial-Si‑ likone werden dann im Hautkolorit an den Teint des Patienten angepasst (Brom und Löser 2011). Es können „Sommer-“ und „Winter-Epithesen“ mit unterschiedli‑ chem Teint angefertigt werden. Patienten brauchen in der Regel alle 2 Jahre eine neue Epithese. Bei OrbitaEpithesen kommt zusätzlich eine Augenschale aus Glas oder PVC/Acryl zum Einsatz. Bei kombinierten Epi‑ thesen mit Gaumen- oder Zahnanteilen werden diese gesondert von einem spezialisierten Zahnarzt abge‑ formt und z. B. mit einem Magnetmechanismus an die Epithese angeschlossen. Die Abformung der Epithese erfolgt als Positivab‑ druck des Gesichtsdefekts ebenfalls mit einer SpezialSilikonmasse. Die Abformung sollte ca. 6–8 Wochen nach chirurgischer und/oder radioonkologischer Be‑ handlung erfolgen. Dieses Zeitintervall sowie Lymph‑ drainage-Behandlungen sind notwendig, um die Ab‑ heilung eines temporären Weichteilödems abzuwarten, welches einem optimalen Sitz der Epithese entgegen wirken würde (Thiele et al. 2015; Wei et al. 2016). In der Regel kann die Abformung problemlos ohne Nar‑ kose oder Betäubung erfolgen. Ausnahmen hiervon stellen Spezialepithesen für tracheoösophageale Fisteln (Zaki et al. 2001), Nasenseptum-Epithesen (Taylor und Sherris 2015) und einige Formen von TracheostomaEpithesen dar (Doescher et al. 2016). In den letzten Jahren haben Digitalisierung und 3D-Technik weiter Einzug gehalten (. Abb. 23.1). Es existieren mehrere Pilotstudien zu 3D-Scan und 3D-Print von Silikon-Ge‑ sichtsepithesen. Erste Ergebnisse sind vielversprechend, wobei die gedruckten Epithesen der individuellen Fein‑ anpassung in Bezug auf die Farbe und insbesondere die Übergänge zum Gesicht bedurften. Da das Silikon der Epithese am Übergang zum Gesicht extrem dünn ausläuft und sehr präzise gearbeitet sein muss, ist hier bisher immer eine Nachbearbeitung notwendig (Un‑ kovskiy et al. 2018).
451
23.2 • Material und Technik
23.2.2
Defektverankerte Epithese
In geeigneten Fällen können Unterschnitte im Defekt zur Retention der Epithese benutzt werden. Die trifft am häufigsten im Bereich der Orbita zu. Die Tragestabilität derartig verankerter Epithesen kann im Einzelfall jedoch variieren, dennoch stellt diese Variante eine wichtige Alternative dar. Die Verankerung durch Unterschnitte kann auch mit den anderen genannten Befestigungs‑ systemen kombiniert werden. 23.2.3
..Abb. 23.1 Bildschirmaufnahme einer computerbasierten Epithe‑ senplanung im Bereich der Orbita und der angrenzenden Wange. (© Jörn Brom, Heidelberg, mit freundlicher Genehmigung)
Die brillenverankerte Epithese hat den Vorteil, dass auf Klebstoff im Gesichtsbereich verzichtet werden kann. Zudem kann durch eine gute Brillenverankerung hinter den Ohrmuscheln ein guter Sitz erzeugt werden, die Brille selbst – es kann sich auch um eine Fensterglasbrille han‑ deln – camoufliert zudem die Epithese selbst und verbes‑ sert meist das ästhetische Ergebnis. Meist kommt diese Form der Fixierung bei Nasenepithesen zum Einsatz (Tyers 2006; Qassemyar et al. 2014). 23.2.4
Verfahren zur Fixierung der fertigen Epithese am Gesicht des Patienten
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Befestigung durch hautverträglichen medizini‑ schen Klebstoff (Klebeepithese) Defektgetragene Epithese Brillenverankerte Epithese Knochenverankerte Epithese – der heutige Gold‑ standard
23.2.1 Klebeepithese
Die Befestigung des künstlichen Gesichtsteils durch Klebstoff hat den Vorteil, dass kein Knochenimplantat gesetzt werden und bis auf die Wundheilung keine War‑ tezeit beachtet werden muss. Zusätzlich zum Festkleben kann die Epithese an Gewebsvorsprüngen und Kanten fixiert werden. Nachteilig ist jedoch, dass die Veranke‑ rung meist nicht sehr fest und dauerhaft ist und die Haut mit Kontaktallergien oder toxischen Reizungen reagieren kann. Darüber hinaus reißen bei geklebten Epithesen die Silikonränder leichter ein: Die Epithese kann deshalb in der Regel nicht mit den dünnen transparenten Rändern gearbeitet werden, die bei den implantatgetragenen Epi‑ thesen die Camouflage im Defekt unterstützen. Die Kle‑ befixierung stellt daher häufig nur eine temporäre Lösung dar (Tyers 2006).
Brillenverankerte Epithese
Knochenverankerte Epithese
Den Goldstandard stellt die knochenverankerte Epithese dar (Brom und Löser 2011; Thiele et al. 2015; Wei et al. 2016; Ariani et al. 2013; Federspil 2009a; Sandner und Bloching 2004). Ein Vorteil ist der sehr stabile Halt, auch bei sportlicher Aktivität und Bewegung. Hierdurch wird eine möglichst gute Wiedereingliederung von Patienten in den Lebensalltag und den Beruf erleichtert. Die Kno‑ chenverankerung besteht entweder aus Titan-Einzelimplantaten – sehr ähnlich der in der Zahnheilkunde verwendeten Materialien (Wei et al. 2016) – oder verschie‑ denen Formen von Miniplattensystemen (Sandner und Bloching 2009; Lunenburger et al. 2016), die jeweils mit Titanschrauben im Gesichtsknochen verankert werden. Der erste Implantationsschritt erfolgt meist im Rahmen der primären abladierenden Tumoroperation, bei Fehl‑ bildungen oder bei Unfallopfern als elektive Operation. Bei den Einzelimplantaten wird das Implantat unter die Haut/Subkutis in eine möglichst solide Knochenregion gesetzt. Es werden Deckschrauben aufgebracht, um das Gewinde zu schützen. Bei beiden Implantatformen wird dann die Osseo‑ integration abgewartet. In der Literatur werden hierfür Intervalle von 6 Wochen bis zu 3 Monaten empfohlen. Wird eine adjuvante Strahlentherapie durchgeführt, sollte das Zeitintervall in der Regel auf 6 Monate ver‑ längert werden (Wei et al. 2016; Ariani et al. 2013). Traditionell wurde bei der Freilegung von Einzel‑ implantaten die Haut bis auf das Periost ausgedünnt, um periimplantäre Hautreaktionen zu vermeiden.
23
452
Kapitel 23 • Epithetik
..Abb. 23.2 Transfaziale Implantation einer Ti-Epiplating-Platte (Medicon) mit paranasaler Fixierung durch 6 Titanschrauben bds. bei aus‑ gedehntem Defekt nach Ablatio nasi und Teilresektion der Wange links
>>Nachdem dieses Vorgehen bei den knochenverankerten
Hörgeräten seit einigen Jahren ins Wanken geraten ist, bleibt gegenwärtig abzuwarten, ob sich dieser Trend auch in der chirurgischen Epithetik durchsetzen wird.
23
Je nach Hautdicke kann die Freilegung der Einzel‑ implantat-Pfosten ohne Ausdünnung durch eine Stanz‑ biopsie der Haut in örtlicher Betäubung erfolgen. Nun werden die Deckschrauben entfernt und sog. Abutments aufgebracht. Dies sind Abstandshalter, die in ihrer Länge individuell ausgewählt werden müssen (z. B. 3–10 mm) und entweder mit einem Magneten oder einer klassischen Stegkonstruktion belegt werden können. Alternativ wer‑ den auch direkt eindrehbare Magnete angeboten. Der Magnet soll nach Abheilung einige Millimeter über das Hautniveau herausragen, um den optimalen Halt der Epithese zu gewährleisten. Bei Ohrepithesen kommen häufig Stegkonstruktionen oder magnetische Retentionssysteme zum Einsatz. Bei den Plattensystemen können die Magnet-Abutments problemlos – ohne weiteren Operationsschritt – auf‑ geschraubt werden. Um einen optimalen Halt zu ge‑ währleisten, werden meist 3 aktive Magnet-Abutments angestrebt. Ein Halt durch 2 Magnete ist in einigen Fällen ebenfalls ausreichend. 1–2 Implantate können als „schlafend“ unter der Haut belassen werden, um sekundär freigelegt zu werden, falls aktive Implantate verlorengehen. Die Plattensysteme zeichnen sich durch eine extreme Haltbarkeit und Stabilität aus. Die Periimplantitis-Rate mit z. T. konsekutivem Implantatverlust wird bei Einzel‑ implantaten mit ca. 5–15 % angegeben; dies ist abhängig vom Zustand der umgebenden Haut, von der Qualität der unterliegenden Knochensub‑ stanz, vom Gewicht der Epithese, von der Höhe der Strahlenbelastung des Gewebes,
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von einem Nikotinkonsum, von endokrinen Stoffwechselstörungen, insbesondere Diabetes mellitus (Brom und Löser 2011; Wei et al. 2016; Ariani et al. 2013).
Platten-Implantatsysteme mit mehrfacher Knochenfixie‑ rung haben eine geringere Verlustrate (. Abb. 23.2). Als besonders effektiv und alltagstauglich haben sich trans‑ faziale Brückenplatten für Nasenepithesen und auch die relativ neuartigen gruppierten Implantate in Form der Orbitaplatte des Epiplating-Systems (Medicon) bewährt. 23.2.5
Subkutanes Magnetsystem
Eine Sonderform stellt die komplette subkutane Implan‑ tation eines Magneten im Ohrbereich dar, welcher dann den Vorteil bietet, dass keine Abutments auf der Haut erkennbar sind. Die Epithese wird nach Einheilung trans‑ kutan auf dem Magneten fixiert; das System ist ähnlich dem implantierbarer Hörgeräte Sophono® (jetzt Fa. Med‑ tronic), weist jedoch meist nicht die Stabilität klassischer Systeme auf und kann zu Druckschäden der Haut füh‑ ren. Nachteilig ist, dass Magnetresonanztomographien mit einem großen Artefakt überlagert sind. Das System hat sich daher nicht in der klinischen Praxis durchgesetzt. 23.2.6 Implantationstechniken
Die optimale Implantationstechnik und Positionierung ist von Bedeutung, um eine dauerhafte Stabilität sowie eine gute Abformbarkeit und Tragekomfort zu ermöglichen (Brom und Löser 2011; Wei et al. 2016; Ariani et al. 2013; Federspil 2009a; Sandner und Bloching 2004). Ungünstig gesetzte Implantate oder gebogene Platten können eine ästhetisch gute Rehabilitation gar unmöglich machen.
453
23.2 • Material und Technik
..Abb. 23.3 Implantationsschritte eines Einzelimplantat-Pfosten‑ systems (hier Colchear™ Vistafix® 3), das zunächst mit Bohrschab‑ lone vorgebohrt wird, dann mittels Drehmomentschlüssel in situ ge‑
>>Abteilungen mit geringer epithetischer Erfahrung wird
empfohlen, die Implantationsorte unbedingt mit dem Epithetiker zu planen und idealerweise die Implanta‑ tionen in seiner Anwesenheit im Operationssaal durch‑ zuführen.
Gesichtspunkte, die bei der Implantation beachtet werden sollten
-
Das Einzelimplantat oder die Platte sollten kei‑ nesfalls unnatürlich aus der Gesichtsebene heraus‑ ragen. Die erst später gefertigte Epithese sowie die Abut‑ ments müssen mit ihrem Volumen und ihrer Aus‑ dehnung „über“ das Implantat gesetzt werden können, ohne dass diese dann aus dem Gesichtsteil herausragen oder eine Asymmetrie zur Gegenseite erzwingen. Weiterhin sollten Einzelimplantate nicht zu stark in die Orbita hineinragen, da das Aufbringen einer Epithese dann fast unmöglich wäre. Implantate sollten idealerweise parallel zueinander in ausreichendem Abstand gesetzt werden, sodass das An- und Ablegen nicht zu Scherkräften oder Verbiegungen führt. Das ist jedoch im Bereich der Orbita in der Regel nicht möglich.
bracht wird; zuletzt wird vor dem Hautverschluss eine Deckschraube aufgebracht
-
Die Implantation sollte in möglichst kompakte Knochensubstanz erfolgen. Hier haben sich ins‑ besondere die paranasalen Anteile des Proc. fron‑ talis maxillae, die Infraorbitalspange und Teile des Mastoids bewährt. Die Implantation in die Orbita-Seitenwand sollte vermieden werden, weil dort in der Regel die not‑ wendige Aufbauhöhe für die Epithese fehlt. Die Supraorbital-Spange ist im lateralen Anteil ein sehr wichtiger Implantationsort. Wenn möglich, sollte man die Stirnhöhle, deren Lage durch vorherige Röntgenbildgebung eruiert werden kann, vermeiden. Die Implantat-Bohrung sollte mit wenigen tausend Umdrehungen pro Minute unter optimaler Wasser‑ spülung erfolgen. Das Einbringen der Implantate erfolgt nach Herstellerangabe meist mit einem Drehmomentschlüssel. Zur Versiegelung und Ver‑ meidung einer Periimplantitis können Medikamente vor dem Einschrauben der Deckschraube ein‑ gebracht werden (Nayak et al. 2014; . Abb. 23.3).
23
454
Kapitel 23 • Epithetik
a
b
..Abb. 23.4 Patient mit Z. n. Ablatio nasi bei ausgedehntem Karzinom des Vestibulum nasi. Es erfolgte eine Versorgung mit Ti-Epiplating System (Medicon), in a ohne Epithese, in b wird die Epithese getragen
23.3 Anatomische
Regionen
23.3.1 Nase
23
Die epithetische Versorgung von Nasendefekten stellt eine häufige Indikation dar. Hierbei kann es sich um Nasenteildefekte, Nasentotaldefekte oder komplexe Mit‑ telgesichtsdefekte mit Anteilen der äußeren Nase han‑ deln. Defekte im Bereich der Nase weisen für betroffene Patienten ein hohes Maß an Stigmatisierung auf (Klein et al. 2005; Becker et al. 2016). Als zentrales Element des Gesichts und damit der physischen Identität führen be‑ reits kleine Defekte zu einem hohen Maß an Entstellung. Neben der plastisch-rekonstruktiven Gesichtschirur‑ gie, die hier einen wichtigen Stellenwert einnimmt, bietet die Epithetik einige Vorteile: Liegt eine maligne Grunderkrankung vor, ergibt sich mit der epithetischen Versorgung ein hohes Maß an Sicherheit für die Tumornachsorge. Die Epithetik kann hier auch eine temporäre Lösung darstellen, um ein Nachsorgeintervall von ca. 1–2 Jahren – einen
-
Zeitraum, in dem die meisten Rezidive auftreten – abzuwarten. Bei kompletter Remission kann die chi‑ rurgische Rekonstruktion nach diesem Zeitintervall erfolgen, im Einzelfall ggf. auch früher. Die ästhetischen Ergebnisse einer epithetischen Reha‑ bilitation sind besser vorhersagbar als ein plastischchirurgisches Vorgehen. Bei älteren Patienten können durch die Epithetik mehrzeitige und aufwändige Operationen vermieden werden, und dennoch kann eine gute Lebensqualität ermöglicht werden.
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Liegt lediglich ein Nasenteildefekt vor, können häufig y-förmige Nasenplatten des Epiplating-Systems verwen‑ det werden, die am besten im lateralen Anteil der Aper‑ tura piriformis und der Infraorbitalspange mit Titan‑ schrauben mehrpunktfixiert werden. Liegen Total- oder Subtotaldefekte vor, hat sich der Einsatz der Brücken‑ platte des Epiplating-Systems bewährt, welche durch ihre beiderseitige Fixierung ein sehr hohes Maß an Stabilität und Haltbarkeit aufweist (Brom und Löser 2011; Ariani
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23.3 • Anatomische Regionen
a
b
..Abb. 23.5 Patient mit Z. n. Exenteratio orbitae bei Weichteil-Sarkom. a Hier sind 3 Einzelimplantat-Pfosten mit Abutments zu sehen, in b wird die knochenverankerte Epithese getragen
et al. 2013; Sandner und Bloching 2009; . Abb. 23.4). Prinzipiell können auch einzeln stehende Implantat‑ schrauben eingesetzt werden, was jedoch erfahrungs‑ gemäß deutlich schwieriger ist. Darüber hinaus existieren auch lange Jochbeinschrauben des Brånemark-Systems. Analog zu anderen knochenverankerten Epithesensyste‑ men hat sich eine ausreichende Osseointegrationszeit vor der physikalischen Belastung mit der Epithese etabliert (7 Abschn. 23.2.4). 23.3.2 Orbita
Neben Nasendefekten stellt die Orbita eine klassische Indikation zur epithetischen Versorgung dar. Im Gegen‑ satz zur Enukleation, bei der lediglich der Bulbus oculi entfernt wird und die Augenlider sowie das orbitale Fettgewebe mit den äußeren Augenmuskeln erhalten werden, wird eine epithetische Versorgung erst bei der sog. Exenteratio orbitae erforderlich. Ursächlich sind meist maligne Erkrankungen, wie Plattenepithelkarzi‑ nome der Lidhaut oder des Nasennebenhöhlensystems und Basalzellkarzinome, aber auch Sarkome der Orbita und maligne Melanome. Der Orbita-Inhalt wird kom‑ plett ausgeräumt – falls onkologisch vertretbar, unter Erhalt des Periosts für die Spalthautdeckung –, der N. opticus und die orbitalen Venen und Arterien an der Orbita-Spitze werden abgesetzt. Die Orbita selbst kann typischerweise mit Spalthaut ausgekleidet werden, al‑ ternativ, insbesondere bei offenem Kontakt zum Neben‑ höhlensystem oder der Nasenhaupthöhle, werden auch gestielte Lappen bzw. mikrovaskuläre Transplantate
(z. B. Unterarmlappen) zur Abdichtung verwendet (Hoffmann et al. 2016). >>Beim Einsatz von Lappen muss jedoch darauf geachtet
werden, dass die nötige Aufbauhöhe für die Epithese gewährleistet ist, da sonst die Versorgung des Patienten behindert wird.
Die Implantation eines epithetischen Systems erfolgt meist im Rahmen der Primäroperation. Zur Implantat‑ versorgung der Orbita können Einzelimplantate (Wei et al. 2016; s. . Abb. 23.3) oder gruppierte Implantate in Form der Orbita-Platte des Epiplating-Systems heran‑ gezogen werden. Vorteil des Plattensystems ist die Mehr‑ punktfixierung jedes Implantats. Einzelimplantate wei‑ sen trotz präziser Implantationstechnik und modernster Implantatsysteme eine gewisse Verlustrate auf (Schneider et al. 2014). Die Häufigkeit liegt bei bis zu 32 % bei nicht‑ bestrahlten und bei bis zu 54 % bei bestrahlten Patienten (Visser et al. 2008). Aus diesem Grund sollten auch bei der Erstimplantation mindestens 4 Implantate gesetzt werden, wobei ein Implantat als Reserve unter der Haut („schlafend“) belassen werden kann. Die ästhetischen Ergebnisse der orbitalen epithetischen Rehabilitation sind in einem hohen Maß von der Kunstfertigkeit des Epithetikers und des Herstellers der Glasaugenschale abhängig. Gerade in Verbindung mit einer Brille kön‑ nen jedoch hervorragende Ergebnisse erzielt werden (. Abb. 23.5). Nachteilig und unnatürlich, auch im Ver‑ gleich zum Glasauge bei erhaltenen Augenmuskeln, ist jedoch die Unbeweglichkeit des künstlichen Bulbus und der fehlende Lidschlag.
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456
Kapitel 23 • Epithetik
..Abb. 23.6 Patientin mit kongenitaler Ohrmuschelfehlbildung. Z. n. Implantation von 2 Einzelimplantaten, die über eine Steg-Konstruktion verbunden sind. Linke Bilder zeigen den Epithesen-Steg, rechts wird die Epithese getragen
23.3.3 Ohr
23
Das äußere Ohr mit seiner Ohrmuschel stellt die dritte klassische Domäne der fazialen Epithetik dar. Die Indi‑ kationen zur Ohrmuschelepithese sind in jeweils ca. der Hälfte der Fälle kongenitale hochgradige Ohrmuschelfehlbildungen und die radikale Tumorchirurgie. Insbesondere bei den Fehlbildungen besteht die Option der sehr an‑ spruchsvollen plastischen Ohrmuschelkonstruktion aus Rippenknorpel oder mithilfe eines porösen PolyethylenImplantats (Bauer 2009; Quatela et al. 2006; Siegert und Magritz 2007). Die Epithetik bietet jedoch eine zweite, deutlich weniger invasive Option (Brom und Löser 2011; Federspil 2009b). Neben der Herstellung des äußeren Ohres ist die Hörrehabilitation v. a. bei Fehlbildungen von
großer Bedeutung, hier kommen zusätzlich zur Epithese Knochenleitungshörgeräte und implantierbare Hörgeräte zum Einsatz, was jedoch nicht Inhalt dieses Beitrags ist. In der Tumorchirurgie liegen meist fortgeschrittene maligne Hauttumoren zugrunde. Bei der davon in der Regel betroffenen älteren Patientenklientel spielt die Epi‑ thetik eine größere Rolle, u. a. auch um das Tragen einer Brille wieder zu ermöglichen. Für die Knochenverankerung der Ohrmuschel epithese werden üblicherweise 2–3 Einzelimplantate gesetzt, die nach Freilegung entweder über einen Steg verbunden werden (Federspil 2015) oder Magneten tragen können. Hier kann die Epithese fixiert werden (. Abb. 23.6). Die Positionierung der Verankerung muss präoperativ präzise mittels einer Schablone und
457
23.3 • Anatomische Regionen
ggf. nach computertomographischer Prüfung der Kno‑ chendicke geplant werden. Die Position der Ohrmuschel der Gegenseite sollte mittels Schablone ausgemessen und gespiegelt werden. Problematisch kann eine tief sitzende Haarlinie sein, was ggf. operativ korrigiert werden sollte (Gault 2009). Bei hochgradigen Ohrmuschelfehlbildungen ist folgen‑ der Aspekt für die Planung von kritischer Bedeutung: Zur optimalen epithetischen Versorgung ist es meist besser, das Ohrmuschelrudiment chirurgisch zu entfernen. Dieses Manöver ist jedoch kontraproduktiv für einen möglichen rekonstruktiven Komplettaufbau der Ohrmuschel. >>Daher sollte dieser Schritt, insbesondere bei minder‑
jährigen Patienten, sehr kritisch betrachtet werden und allenfalls nach Erreichen der Volljährigkeit und bei weiter bestehendem Wunsch durchgeführt werden.
23.3.4
Komplexe Defekte
Defekte, die mehrere ästhetische Einheiten des Gesichts betreffen, müssen anhand von individuell erstellten Kon‑ zepten behandelt werden. Für die sichere und stabile Fixierung großer und schwerer Epithesen können ver‑ schiedene Befestigungsmöglichkeiten kombiniert werden. Es können lange Platten des Epiplating-Systems schräg aufgebracht werden und mit Einzelimplantaten, Brillen epithesen und „Verkantungen“ hinter Gewebsvorsprün‑ gen kombiniert werden. Falls der harte und/oder weiche Gaumen und die Alveolarkämme mit Zähnen betroffen sind, ist eine enge Zusammenarbeit mit einem speziali‑ sierten Zahnarzt wichtig. Vor einer operativen Therapie sollte dringend ein Zahnabdruck zur Dokumentation der Ausgangssituation erfolgen. Eine Obturatorprothese kann dann auch über einen Magnetmechanismus mit einer Mittelgesichtsepithese verbunden werden. 23.3.5 Nasenseptum
Vollschichtige Perforationen der Nasenscheidewand tre‑ ten iatrogen nach Septumplastik oder wiederholter Kaus‑ tik bei Nasenbluten auf. Zudem können diese infolge von digitaler Manipulation, Septumhämatomen, Granuloma‑ tose mit Polyangiitis (M. Wegener), Malignomen oder bei Substanzabusus auftreten. Große Perforationen sind teilweise durch wiederholte Epistaxis symptomatisch, kleinere Perforationen können auch durch Pfeifgeräu‑ sche beim Atmen störend wirken. Hier ist der operative Verschluss Standard. Bei symptomatischen größeren Perforationen kann bei fortgeschrittenem Patientenalter oder Rezidiv-Perforation die operative Therapie an ihre Grenzen stoßen. In diesen Fällen kann eine individuell abgeformte Septum-Epithese (Septum-Button, s. auch 7 Abschn. 5.3.1) Abhilfe schaffen (Taylor und Sherris
2015; Al Kadah et al. 2012). Die Abformung erfolgt meist in lokaler Betäubung. >>Besonders ist darauf zu achten, dass vor der Abformung
eine Abdichtung zum Nasen-Rachen-Raum erfolgt, sodass die Abformmasse nicht disloziert. Zudem sollte vermieden werden, auf beiden Seiten eine große Menge der Abformmasse einzubringen, weil das die Entfernung deutlich erschweren kann (Zaoui et al. 2016).
Alternativ kann auch eine virtuelle „Abformung“ an einem CT-Datensatz erfolgen. Die Epithese muss vom HNO-Arzt eingebracht wer‑ den. Sie kann für Jahre verbleiben und durch Salzwas‑ serspülungen gereinigt werden. Die Therapieerfolge sind leider individuell schlecht vorhersehbar, können aber im Einzelfall zu einer deutlichen Steigerung der Lebens‑ qualität führen. 23.3.6 Tracheostoma
Patienten mit einem dauerhaften Tracheostoma sind für die Stimmrehabilitation auf eine gute Abdichtung der Kanüle zur umgebenden Haut angewiesen. Bei Patienten nach Laryngektomie, Lappenplastiken und Strahlentherapie kann dies durch konventionelle Ka‑ nülen und Klebe-Buttons z. T. nicht möglich sein. Für diese Situation kann eine individuell abgeformte StomaEpithese angefertigt werden (Doescher et al. 2016). Der optimale Sitz der Epithese kann nun die Stimmrehabi‑ litation erleichtern und verhindert, dass Druckstellen zu wiederholten Blutungen und Hautreizungen führen (. Abb. 23.7). 23.3.7
Tracheoösophageale Fistel
Eine Spezialindikation zur Epithesenversorgung stellt die tracheoösophageale Fistel dar. Diese tritt typischerweise nach Salvage-Laryngektomie durch Wundheilungsstö‑ rungen auf. Liegt diese im Stomabereich, kann eine Epi‑ these eine Abdichtung ermöglichen und so das Schlucken ohne Aspiration sicherstellen. Weiterhin kann es bei Stimmfisteln mit Einlage eines Sprechventils durch Gewebeatrophie und Drucknekro‑ sen zu einer Aufweitung des Fistelkanals kommen. An erster Stelle steht selbstverständlich der operative Fistel‑ verschluss mit entsprechenden gestielten bzw. mikrovas‑ kulären Transplantaten. Es gibt jedoch Fälle, in denen die rekonstruktive Chirurgie ausgereizt ist, ein lokales Tumorrezidiv mit Fistelbildung den operativen Ver‑ schluss unmöglich macht bzw. Patienten keinen weite‑ ren operativen Schritten zustimmen. Das Ziel der Epi‑ thesenversorgung ist die Verbesserung der Lebensqualität durch das Ermöglichen von oraler Nahrungszufuhr so‑
23
458
Kapitel 23 • Epithetik
a
b
c
..Abb. 23.7 a Irregulär geformtes Tracheostoma. b, c Individuell abgeformte Tracheostoma-Epithese mit eingebrachtem Atemfilter (HeatMoisture-Exchanger, HME; Luftbefeuchter und Reiniger)
wie dem Verhindern von starker Speichelsammlung im Stomabereich. Fistel-Epithesen sind sehr individuelle Konstrukte, die meist in Allgemeinnarkose abgeformt werden müssen und nur von spezialisierten Epithetikern angeboten werden. 23.4 „Sofort-Epithese“
Die definitive epithetische Versorgung von Patienten erfolgt typischerweise ca. 6–12 Wochen nach Primär‑ operation, sofern keine Strahlentherapie angeschlossen wird. Die beiden Hauptgründe sind das Abwarten der Osseointegration vor physikalischer Belastung und das initial vorhandene Gesichtsödem, das eine optimale Ab‑ formung verhindern kann. Betroffene Patienten sind nun über 3–4 Monate provisorisch mit Verbänden bzw. einer Augenklappe versorgt. Es gibt Ansätze, eine Sofort-Epi‑ these unmittelbar intraoperativ abzuformen und nach wenigen Tagen als Provisorium mittels Klebstoff- und Brillenfixierung zu verwenden. Der Vorteil ist die früh‑ zeitige ästhetische Rehabilitation, Nachteile liegen in den zusätzlichen Kosten sowie einer Hautreizung durch Klebeepithesenfixierung, z. B. während einer Strahlen‑ therapie. 23.5 Dreidimensionale
23
Epithesenplanung
Die virtuelle und dreidimensionale Epithesenplanung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dies betrifft sowohl die Implantation als auch die Herstellung von Epithesen. Bei der Implantationsplanung kann am 3D-Datensatz eines Computertomogramms eine virtuelle Implantatplanung mithilfe einer entsprechenden Software durch‑ geführt werden (Veit et al. 2017; Huang et al. 2016). Mit dem Datensatz kann dann eine Bohrschablone erstellt werden, um die Implantatbohrung millimetergenau in kompakten Knochen zu ermöglichen. Diese Art der Im‑ plantatplanung ist in der dentalen Implantologie bereits
weit verbreitet und bei regelmäßiger Durchführung gut standardisierbar. Die Epithesenherstellung selbst ist bisher ein kunst‑ volles Handwerk, in welchem jede Epithese ein Unikat darstellt. Die 3D-Planung kann hier die gesunde Ge‑ sichtshälfte spiegeln, die fehlende Partie kann mittels 3D-Druckverfahren hergestellt werden. Insbesondere die Übergänge zur Gesichtshaut und die behaarten Regio‑ nen sind nach wie vor Gegenstand manueller Nachbear‑ beitung, ebenso die sichtbare Oberfläche. Die 3D-Druck‑ verfahren können jedoch die Grundlage der Herstellung von Epithesen bilden und somit die Herstellungszeit und die Kosten mittelfristig reduzieren. 23.6 Komplikationen
Die typische Komplikation einer knochenverankerten Epithese ist die Periimplantitis. Diese kann von einer leichten Rötung der umgebenden Haut bis zum Implan‑ tatverlust reichen (s. unten, Klassifikation nach Holgers 2000). Bei Risikopatienten kann es sinnvoll sein, nach Möglichkeit vorsorglich 1–2 Reserve-Implantate ein‑ zusetzen und unter der Haut „schlafend“ zu belassen. Bei vorbestrahlen Patienten kann es zu einer Gewebsund Hautatrophie mit freiliegenden Knochenarealen kommen. Hier sind individuelle chirurgische Verfahren notwendig, um die Hautintegrität wiederherzustellen. Klassifikation der Periimplantitis bei osseointegrierten Einzelimplantaten, vorgeschlagen nach Holgers (2000)
---
Grad 0: Keine Hautreaktion Grad 1: Rötung mit leichter Schwellung Grad 2: Rötung, Nässen und moderate Schwellung Grad 3: Rötung, Nässen und moderate Schwellung mit Gewebegranulation Grad 4: Schwere Entzündungszeichen mit Not‑ wendigkeit der Entfernung des Abutments
Literatur
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Zusammenfassung Epithetik sollte durch spezialisierte Kopf-HalsChirurgen gemeinsam mit einem erfahrenen Epi‑ thetiker durchgeführt werden. Patienten sollten vor Beginn chirurgischer Maß‑ nahmen im Gesicht über die plastisch-rekonstruk‑ tiven und epithetischen Möglichkeiten informiert werden. Behandlungsdauer und Osseointegrationszeit von Epithesenverankerungen sollten frühzeitig kom‑ muniziert werden. Bei Tumorresektionen im Gesichtsbereich sollte die Implantatversorgung so früh wie möglich erfol‑ gen, idealerweise bereits im Rahmen des Erstein‑ griffs. Bei Kindern mit Ohrfehlbildungen sollte vor einer Implantation so lange abgewartet werden, bis der junge Patient in der Lage ist, selbst zu entscheiden (Adoleszenz). Die Klebefixierung eine Ohrmu‑ schel-Epithese kann trotz Behinderung durch das Rudiment mit sehr akzeptablen Resultaten möglich sein. Sie kann als nichtinvasive Maßnahme auch als probatorische Behandlung durchgeführt wer‑ den, sobald das Kind einen Behandlungswunsch äußert. Bei der Implantation sind eine geringe Umdre‑ hungszahl der Bohrköpfe von 2000/min und eine sehr gute Irrigation zu beachten. Die Position der Implantate sollte sorgfältig ge‑ plant, mit dem Epithetiker abgesprochen und ggf. dreidimensional angelegt werden. Eine gute Pflege und Hygiene der Implantatpfosten ist für eine dauerhafte Nutzung unumgänglich.
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461
Serviceteil Serviceteil 461
Stichwortverzeichnis – 462 Directory-1_Backmatter
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2023 T. K. Hoffmann, J. Hoffmann, D. Hänggi, J. P. Klußmann (Hrsg.), Rekonstruktive Kopf-Hals-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-58252-7
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Stichwortverzeichnis 3D-Histologie 219
A Abbé-Lappen 234, 235 Abutment 65, 295, 452 Aderhautmelanom 59 Advancement-Flap 234 Allen-Test 392 Alveolarfortsatz 245, 261 Anterolaterales Oberschenkel Transplantat (ALT) –– Entnahmemorbidität 311 –– Hals-Weichteildefekt 357 –– Laterobasisdefekt 192 –– Oberkieferdefekt 249, 253, 286 –– Orbitarekonstruktion 64 –– Pharynx-Ersatz 392 –– Wangendefekt 225 Anterolotateraler Oberschenkellappen (ALT-Lappen) –– Oropharynx 345 Arteria circumflexa ilium profunda 274 Arteria circumflexa scapulae (CSA) 276 Arteria peronea 268, 270 Arteria subscapularis 277 Arytenoidektomie 370 Ästhetische Einheit 72, 90, 172, 200, 218, 230 Atemwegstenose –– glottisch 366, 369, 371 –– intubationsassoziiert 364, 367, 398 –– pseudoglottisch 399 –– subglottisch 371, 398 –– supraglottisch 366, 369 Augenbrauenplastik 444, 445 Augenlid 22, 36, 61 Ausgleichsexzision nach Johanson 235 autologe Faszie 439 Autologe Faszie 48, 158, 190, 444 Autologe Knochentransplantation –– Calvarian split 17 –– Laterobasisdefekt 192 –– Orbitarekonstruktion 48 –– Unterkieferrekonstruktion 265, 266 Autologe Knorpeltranplantation –– Nasendefekt 112 –– Nasenseptum-Rekonstruktion 146 Autologe Knorpeltransplantation –– laryngotracheale Rekonstruktion 404 –– Narbenaugmentation 377 –– Nasendefekt 86 –– Orbitarekonstruktion 48 Autologes Fett –– Defektauffüllung 61, 64, 190, 194 –– Stimmlippenaugmentation 372 Axial gestielter Lappen 74, 205, 213
B Bath-plug-Technik 161 Beckenkammtransplantat –– frei 265, 267 –– gefäßgestielt 288 –– Hebung 265, 274 –– mikrovaskulär 272, 286
Bernard-Fries-Plastik 238 Bichat-Fettpfropf 222, 308 Bilobed flap 77, 80, 83, 204, 220 Biofilm 421 Blinkschlag 28, 32 Blutegel 136 Bogenverschiebeplastik nach Tenzel 25 Botulinumtoxin 381, 422, 446 Brauenhaar-Readaptation 28 Brückenlappentechnik –– beidseitig 148 –– nach Schultz-Coulon 146 Buccinator-Lappen 345 Bulbusdislokation 39
C CAD-/CAM-Verfahren 51, 52, 159, 193, 247, 261, 271, 272 CAD-Knochendeckelplastik 12, 19 Calvaria 7. Siehe Schädelkalotte Calvarian split 17, 18 Chalazion 24 Chordektomie 370 Columella 73, 120 Columella-Span 114 Concha-Typ-Mikrotie 173, 180 Cotton-Wool-Test 150 Crico-Hyoido-Epiglottopexie 376 Crico-Hyoido-Pexie 376 Crico-(Tracheo‑)Hyoidopexie 378 Crista-iliaca-Transplantat 250 Cross-face-Nervennaht 438 Cross-lip transfer 233 Cutler-Beard-Lappenplastik 29
D Dehiszenz 239, 255, 264, 358 Dehnungsplastik 219 Deltopektorallappen 355 Dentale Rehabilitation 253, 292 DIEP-Lappen 253, 316 Distanz-Port 117 Dura mater 7 Dura-Patch 158, 190 Dura-Plastik 19, 190 Dysphagie 325 –– Kompensation 331
E Ektropium 31, 222, 226 Elektrolarynx 412 EMG-Biofeedback-Training 446 Empty-Nose-Syndrom 149 Endokranium 7 Enophthalmus 38, 39 Enossales Implantat 284 –– präimplantologische Planung 292 Entflammungsrisiko bei Kehlkopf-Laserchirurgie 363, 364 Epiglottis-Verschiebelappen 376 Epiplating-System 452, 454, 455 Epithese 450 –– 3D-Druck 458 –– brillenverankert 65, 451 –– computerbasierte Planung 451, 458 –– defektverankert 451
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Stichwortverzeichnis
–– implantatgetragen 65 –– Implantationstechnik 452 –– Klebefixierung 65, 451 –– knochenverankert 451 –– Material 450 –– Nase 93, 454 –– Nasenseptum 145, 457 –– Ohrmuschel 186, 195, 456 –– Sofort-Epithese 458 –– Tracheostoma 457 Estlander-Lappen 237 Exenteratio orbitae 57, 455 Exkorporation der Zunge 325, 341 Exophthalmus 39 Extended endoscopic endonasal approach 156
F Facialis-Facialis-Nervennaht 434 Facialis-Interponat-Nervennaht 434 Facialis-Parese 195, 197 –– freier Muskeltransfer 441 –– kombinierter Wiederaufbau 438 Facialis-Rekonstruktion 432 Fasziokutanes Transplantat 354 –– frei 391 –– nasolabial gestielt 308 –– submental (SMI) 308 Femurkondyle 292 Fibrinkleber 190 Fibrinogen/Thrombin 157, 190 Fibua –– Double-barrel-Form 289 Fibula 268 –– Double-barrel-Form 250 Fibula-Transplantat 267 –– Hebung 269 –– Oberkieferrekonstruktion 250, 253 –– Unterkieferrekonstruktion 267, 289 Fixateur externe 271 Fluoreszein 156 Framework surgery 373 Frontobasis 154. Siehe Rhinobasis Funktionsloses schmerzhaftes Auge 59
G Galea aponeurotica 2 Galea-Periost-Calvarian-Split-Sandwich 163, 164 Galea-Periost-Lappen 19, 65, 159, 163 Gaumen 245 Gaumenlappen 162 Gaumenspalte 246 Geschmackswahrnehmung 305 Gesichtshaut 200, 219 –– Wundverschluss 200 Gesichtslähmung 432 –– Rekonstruktionsverfahren 432 Gesichtstransplantation 433, 442 Gewebeexpander 5, 116, 181, 205, 224 –– Befüllung 118 –– Komplikationen 120 –– Präparation 118 Glabella-Lappen 78, 79 –– modifiziert 78 Gleitlappen 204 Glossektomie 306, 314, 316
Glottis-Erweiterung 368 Glottis-Insuffizienz 377 Glottis-Rekonstruktion 375 Granulomatose mit Polyangiitis 197 Groin-thigh-Transplantat 316
H Hals 350, 388 –– Gefäßversorgung 351 –– Innervation 350 –– Lymphsystem 352 –– Weichteildefekt 352 Hautexpansion 96, 140, 181, 205, 224 –– Langzeitdehnung 98, 105, 116 Haut‑/Knorpeltransplantat (composite graft) –– Nasendefekt 74, 86, 90, 105 Hautspannungslinien (RSTL) 72, 200, 218, 221, 231, 353, 361 Hauttransplantat 26. Siehe Spalthauttransplantat; Siehe Vollhauttransplantat –– Augenlid 26 –– Hämatombildung 354 –– Nasendefekt 73, 104 –– präaurikulär 28 Heat-moisture exchanger (HME) 418 Hemifaziale Mikrosomie 226 Hemitransfixion 146 Heparin-Stichelung 136 Herniation von Hirngewebe 166 Hirndruckkrise 12 Hochgeschwindigkeitsverletzung 39 Hörrehabilitation 194, 456 Humanes Papillomvirus (HPV) 322, 331 Hydrokolloidpflaster 419 Hypoglossus-Facialis-Jump-Nervennaht 435 Hypopharynx 342, 386 Hypopharynx-Karzinom 389
I Infrahyoidaler Muskellappen 390 Insellappen 77 –– retroaurikulär 86 –– supraklavikulär 191, 354 Interarytenoidfibrose 404 Intraoperative Bildgebung 52
J Jejunum-Interponat 393 Jet-Beatmung 362, 400 Jochbeinkörper 286 Jump-Technik 435
K Kalottendestruktion 12 Kantholyse 25 Kanthopexie 442 Karapandzic-Lappen 234, 237 Kaufunktionelle Rehabilitation 276, 284, 341 –– Limitationen 297 Kehlkopfatresie 365 Keloid 207 Keramikimplantat 159, 193 Kipplappen 64, 77, 86, 103 Koniotomie 366
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Stichwortverzeichnis
Kopfhaut 2 Kreuznervennaht 434 Krikoid 398, 404 Krikotracheale Resektion 401 –– Komplikationen 404 Krikotracheale Separation 366 Kunstauge 65
L Lagophthalmus 32, 445 Lappennekrose 226, 239 Laryngeale Re-Innervation 370, 374 Laryngektomie 411, 457 –– Komplikationsmanagement 422 –– postoperatives Management 417 Laryngomalazie 364 Laryngoplastik 373 Laryngoskopierohr 336 Laryngotracheale Rekonstruktion 404 Laryngotrachealer Übergang 398 –– Operationsverfahren 400 Laryngotrachealplastik 369 Larynx 361 –– Fraktur 365 –– Hochzug 381 –– Schrittmacher 370 –– Transplantation 379 –– Trauma 365 Larynx-Chirurgie –– adjuvante Therapie 382 –– Anästhesieführung 362 –– Hautinzisionen 362 –– Komplikationen 363 –– Operationsprinzipien 366 Larynx-Skelett-Chirurgie 373 Larynx-Spalte 365 Larynx-Teilresektion 375 –– supraglottisch 376 –– suprakrikoidal 376 Lateraler Oberarmlappen 315 Laterobasis 190 Laterofixation nach Lichtenberger 370 Latissimus-dorsi-Lappen 205 –– gestielt myosfaszio(-kutan) 309 –– Kopfhautdefekt 5 –– Laterobasisdefekt 191, 192 –– Oberkieferdefekt 253 –– Orbitarekonstruktion 64 Lexer-Technik 440 Lidkantendefekt 24, 31 Lidödem 227 Lidschluss 28, 32 Lidtumor 24 Lidwinkel 22 –– lateral 26 –– medial 29, 31 Limberg-Lappen 204, 212, 221 Lippe 230 Lippenkarzinom 231 Lippenrotdefekt 233 Lippenrot-Lippenweiß-Defekt 232, 233, 235 Lobulus-Typ-Mikrotie 173, 181 Lymphknotenmetastasierung 325 Lymphödem 317
M Magnet-Abutment 65, 452 Mandibula 261, 284, 338 Mandibulektomie 338 Mandibulotomie 323, 339 –– Zugangsweg 339, 340 Massetericus-Facialis-Nervennaht 437 Maxilla 244, 285 Mediale Femurkondyle 291 Mesopharynx 386 Mikrochirurgischer freier Lappen –– fazialer Hautdefekt 202, 206 Mikrolaryngoskopie 362 Mikrosomie 178 Mikrotie –– atypisch 176, 178, 182 –– typisch 173, 180 Mikrovaskulärer freier Lappen –– entepithelisiert 226 –– Hals-Weichteildefekt 357 –– Kopfhautdefekt 5 –– Laterobasisdefekt 190, 192 –– Mundhöhlenrekonstruktion 309 –– Orbitarekonstruktion 63 –– Pharynx-Rekonstruktion 375 –– Unterkieferdefekt 285 –– Wangenrekonstruktion 225 Mikrovaskulär revaskularisiertes Knochentransplantat 286 Mimische Muskulatur –– Muskelplastik 433 Mimisches Training 446 Mitomycin C 382 Mittelgesicht –– Gefäßversorgung 245 –– kaudale Projektion 244 Mittelohrimplantat 195 Mittelohrobliteration 194 Montgomery-Stent 391 Morbus Romberg 226 Mukosa(Mukoperiost)-Verschiebelappenplastik 308 Mundboden 302 Mundhöhle 302 –– Rekonstruktion 307 –– Transplantat(teil)verlust 317 –– Wundinfektion 316 Mundhöhlenkarzinom 305 Mundschleimhautmelanom 305 Mundwinkel 238 –– regionaler Muskeltransfer 438 Mundwinkelzügelung 195, 434, 439, 443 Musculus constrictor pharyngis 329, 416, 422 Musculus cricopharyngeus 380, 416 Musculus-digastricus-Transfer 441 Musculus-gracilis-Transfer 441 Musculus-masseter-Transfer 195, 440 Musculus-temporalis-Transfer 195, 439 Muskelschlinge 442 Mustardé-Lappenplastik 25 Myofasziales Transplantat der Temporalregion 309
N Narbenkorrektur 207 Narbenpflege 206 Narbensalbe 206, 207
Stichwortverzeichnis
Nase –– äußere Nase 72 –– innere Nase 144 Nasenabhang 79 Naseneingangsaugmentation 149 Nasenepithese 93, 454 Nasenflügel 73, 83, 87 Nasenmuschel 144 Nasenrekonstruktion 72, 93 –– Columella 120 –– Glabella 78 –– Grundregeln 97 –– heminasaler Defekt 124, 127 –– Infektion 137 –– Knorpelgerüst 101, 106, 112 –– Nasenabhang 80 –– Nasenflügel 83 –– Nasenrücken 78 –– Nasenspitze 80, 122 –– Perfusionsstörung 136 –– Planung am Computer 94 –– Schablone 95, 97, 109 –– Subtotaldefekt 129, 134 –– Totaldefekt 97, 101, 113, 135 Nasenrücken 78, 99 –– Rückenspan 102, 114, 135 Nasenschleimhautmobilisation 147 Nasenseptum 144 –– Ersatz 101, 134 Nasenseptum-Epithese 145, 457 Nasenseptumperforation –– operativer Verschluss 146 Nasenspitze 80, 122 Nasensteg 120. Siehe Columella Nasogastrale Sonde 347 Nasolabialfalte 231 Nasolabiallappen 74, 80, 85, 87 Nasopharynx 386 Navigation 52, 157, 193 Neck-Dissection 333, 341, 356 Nervenplastik 432 Nervus auricularis magnus 195, 434 Nervus facialis 195, 432 Nervus hypoglossus 195, 435 Nervus laryngeus inferior 361, 364, 366, 367 Nervus laryngeus superior 325, 343, 361, 364 Nervus massetericus 436 Nervus peroneus superficialis 268, 270 Nervus suralis 195, 434, 438 Neurokranium 7 Neurorraphie 195
O Oberkiefer 244 –– Resektion 246 Oberkieferdefekt –– horizontale Ausdehnung 248, 251 –– Klassifikation 248, 285 –– rekonstruktive Optionen 255 –– vertikale Ausdehnung 251, 253 Oberlid 22 –– Rekonstruktion 28 Oberlidgewicht 195, 434, 442 Oberlippendefekt 233 Oberlippenprojektion 244
465
Obturatorprothese 251, 285 Ohr 170 Ohrknorpeltransplantat 74, 86, 90, 124, 146, 148, 150 Ohrmuschel 170 –– Anthropometrie 171 –– ästhetische Untereinheiten 172 –– Entnahmedefekt 90 –– Gefäßversorgung 171 –– Innervation 172 –– Position 172, 173, 457 –– Projektion 172 Ohrmuschel-Epithese 186, 195, 456 Ohrmuschelgerüst 173, 178 Ohrmuschelrekonstruktion 170, 195 –– Mikrotie 173 –– Ohrmuschelverlust 178 Orbita 36 –– anatomische Landmarken 46 –– Blow-in-Fraktur 46 –– Blow-out-Fraktur 39, 46 –– Gefäßversorgung 38 –– Öffnungen und Leitungsbahnen 37 –– Sekundärrekonstruktion 51 Orbitaboden 36 –– Zugang 39 Orbitadach –– Zugang 45 Orbitafraktur 38 –– Operationszeitpunkt 39 Orbitale Exenteration 57 –– bulbuserhaltend 58 –– liderhaltend 61 –– Rekonstruktionstechniken 60 Orbitale Rehabilitation 65 Orbitales Trauma 37 Orbita-Platte 455 Orbitarekonstruktion –– bei Orbitaturmor 56 –– nach Exenteration 59 –– nach Trauma 37 –– Techniken 47 Orbitaring 36 Orbitatumor 56 Orbitawand 36 –– Zugang 45 Orbitotomie 66 Oromandibuläre Rekonstruktion 260 Oropharnx 322 Oropharynx 386 –– Innervation 324 –– Lymphabfluss 327 –– Muskulatur 325 –– Regionen 322 –– transmandibulärer Zugang 338 –– transoraler Zugang 334 –– transzervikaler Zugang 342 –– Zugangsweg 332 Oropharynx-Karzinom 322, 331 –– Klassifikation 331 –– PET-CT-Scan 332 Oropharynx-Rekonstruktion 344 –– Transplantatdicke 345 Ösophagusstimme 411, 412 Osteomyelitis 7, 14 Osteoradionekrose 273 Osteosarkom 267
466
Stichwortverzeichnis
Osteosynthesesystem 253, 263, 271 Overlay-Technik 161
P Palatinallappenplastik 249 Palva-Lappen 191 Panfazialfraktur 39 Paraskapularlappen –– Orbitarekonstruktion 64 –– Wangendefekt 225 Parotidektomie 435 Patientenspezifisches Implantat 52, 159, 247 –– Oberkiefer 254 –– Orbita 51, 253 Paukenröhrchen 194 Pectoralis-major-Lappen 205 –– Hals-Weichteildefekt 356 –– Larynx 378 –– myofasziokutan 309 –– Oropharynx 345 –– Pharynx-Ersatz 389 –– Unterkieferdefekt 264 –– Wangendefekt 225 PE-Implantat 49 Penetrations-Aspirations-Skala nach Rosenbek 330 Periimplantäre Schleimhaut 290 Periimplantäres Weichgewebe 295 –– Behandlungsalgorithmus 297 Periimplantitis 452, 458 Perikranium 2, 7 Periorbita 22, 39 Periorbitaler Tumor 57, 58 PE-Segment 412 Pharyngokutane Fistel 364, 389, 393 Pharyngoösophageales Segment (PE-Segment) 412 –– Hypertonizität 416, 422 –– Hypotonizität 422 Pharyngotomie 325 –– lateral 342 –– median 342 Pharynx 386 –– Vaskularisation 324 Pharynx-Ersatz 389 Pharynx-Fistel 378 Pharynx-Rekonstruktion 375, 392 Philtrumkante 230 Phonation 246, 305, 314, 411 Phonochirurgie 371 Platten-Implantatsystem 451, 452 Platysma-Lappen 345 Pneumatozephalus 166 Polyangiitis mit Granulomatose 367, 399 Primärer Wundverschluss 3, 203, 307, 345, 353 Pulmonale Rehabilitation 418
R Radialis-Transplantat –– Entnahmemorbidität 311 –– Laterobasisdefekt 192, 197 –– Mundhöhlenekonstruktion 310, 318 –– Nasenrekonstruktion 106, 135 –– Oberkieferdefekt 249, 286 –– Orbitarekonstruktion 64 –– Oropharynx 345 –– Pharynx-Ersatz 391
–– Rhinobasisdefekt 165 –– Wangendefekt 225 Radioopake Planungsschablone 293 Radius-Transplantat 267 Random pattern flap 221 –– Präkonditionierung 74 Rapid-Prototyping 194 Rectus-abdominis-Lappen –– Orbitarekonstruktion 64 Recurrens-Lähmung 367, 368, 369 –– elektrophysiologische Diagnostik 369 Reflux 423, 427 Rekonstruktive Leiter 247, 306, 353 Resorbierbare Polymere 49, 158 Restzahnverteilung 284 Retinoblastom 58, 59 Retroaurikulärer Sulkus 177 Retrobulbärhämatom 38, 46 Rettungslaryngektomie 379 Rhinobasis 154 –– knöcherne Grenzen 154 Rhinobasis-Rekonstruktion 156, 160 –– extranasal 162 –– Materialien 157 –– Voraussetzungen 159 Rhinoliquorrhö 154, 166, 194 Rieger-Lappen 78 Ringknorpel 398, 400, 401 Ringknorpelchondritis 367 Ringknorpelfraktur 366 Rippenknorpel 174, 178, 181 Rippenknorpel-Transplantation 369, 405 –– Nasenrekonstruktion 95, 112 Rotationslappenplastik –– Hals-Weichteildefekt 354 –– Kopfhautdefekt 4 –– Laterobasisdefekt 190 –– Nasendefekt 76 Rotationsverschiebelappen –– Kopfhautdefekt 5 –– zervikofazial anterior gestielt 222 –– zervikofazial posterior gestielt 211, 223 RSTL (relaxed skin tension lines) 218. Siehe Hautspannungslinien Ruktusstimme 411, 412, 422
S Scapulaspitzen-Transplantat –– Hebung 279 –– Oberkieferrekonstruktion 251 –– Unterkieferrekonstruktion 276 Scapula-Transplantat 267 –– gefäßgestielt 291 –– Hebung 277 –– Oberkieferrekonstruktion 250, 286, 291, 298 –– Unterkieferrekonstruktion 276 Schädelfraktur 9 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 15 –– geschlossen 9 –– offen 19 Schädelkalotte 1, 2, 7 –– Direktersatz 14 –– full-thickness graft 192 –– split bone graft 192 Schaumstoffverband nach Siegert 186 Schildknorpelfraktur 366 Schleimhaut-Everson 233
467
Stichwortverzeichnis
Schleimhautlappen der Nasenhaupthöhle 159 Schleimhauttransplantat 296 Schlingenplastik 444 Schluckakt 245, 305, 314, 363, 387, 392 Schlucklähmungssyndrom 380 Schluckstörung 247, 284, 306, 364, 380 Schluckübungen 331 Schluckuntersuchung 329 Schürzenlappen 417 Scleral Show 226 Sekundäre Wundheilung 73, 307, 344 Septorhinoplastik 149 Septum-Button 145, 457 Septumrotationslappen 98, 120 –– Technik 102 Septumschleimhautlappen 146 –– Rhinobasisdefekt 159, 161, 165 Sinus piriformis 386 Skalp 1, 2 –– Behandlungsalgorithmus zur Rekonstruktion 5 –– Operationstechniken 3 Skalp-Rotationslappen 65 Skapularlappen –– Orbitarekonstruktion 64 SMAS-Lappen 179 Spalthauttransplantat 296 –– fazialer Hautdefekt 202, 205 –– Hals-Weichteildefekt 354 –– Kopfhautdefekt 3 –– Mundhöhlenrekonstruktion 307 –– Ohrmuschelrekonstruktion 176 –– Orbitarekonstruktion 61 –– Wangenhautrekonstruktion 220 Speichelfistel 317, 391 Spendernerv –– Aktivierung 446 –– Facialis-Interponat 434 –– Kreuznervennaht 435 Sprachfunktion 247, 306, 314, 411 Sprachrehabilitation 428 Sprechventil 420 Stellknorpelankylose 365, 371 Stimmbildung 363, 411 Stimmdiagnostik 368 Stimmfistel 390, 411, 414 –– Hypertrophie 425 –– Laryngektomienachsorge 423 –– refluxinduzierte Erweiterung 428 –– Schrumpfung 423 Stimmlippeninjektion 372 Stimmlippennarbe 377 Stimmprothese 411 –– Extrusion 426 –– periprothetische Leckage 421, 423 –– primäre Anlage 414 –– sekundäre Anlage 420 –– Typen 413 –– Ventilversagen 421 –– Wechsel 420 Stimmrehabilitation 371, 374, 390, 392, 411, 428, 457 Stimmshunt 412 Stimmstörung 364, 376 Stirnlappen 61, 74, 79, 80, 87, 97, 99, 120, 205 –– expandiert 104 –– Hebung 110 –– modifiziert 78 –– Planung 109
–– Varianten 108 Subgalealfaszie 2 Suprahyoidale Muskulatur 304 Supramentalfalte 231, 233 Synkinesie 436, 446
T Tarsokonjunktivale Transposition nach Hughes 25 Temporalis-Lappen –– Laterobasisdefekt 191 –– Oberkieferdefekt 249 –– Orbitarekonstruktion 63 –– Rhinobasisdefekt 162 Temporoparietaler Faszienlappen 162, 177, 181, 345 Tensor-fasciae-latae-Transplantat 316 Tenzel-Lappen 26 Thyroplastik 373 Tiefe Haarlinie 176, 457 Tierfellnävus 224 Tissue Engineering 48, 377 Titanimplantat 49, 159, 253 Titan-Mesh 51, 193, 222, 253 Titan-Rekonstruktionsplatte 263, 265 Tonsillektomie 334 Tonsillenkarzinom 334 –– adjuvante Therapie 335 –– Bergung 336 Trachealspange 416 Trachealstenose 398 –– tracheotomieassoziiert 399 Tracheasegmentresektion 404 Tracheoösophageale Fistel 457 Tracheoösophageale Punktionstechnik (TEP) 411 Tracheoösophageale Stimme 412 Tracheostoma 347, 380, 412 –– Stenose 416 –– tief 417 Tracheostoma-Epithese 457 Tracheotomie 279, 347, 366, 367, 369 TRAM-Lappen 192, 253, 316 Tränenwegintubation 29 Tränenwegschienung 29 Tränenwegstenose 24 Tränenwegverletzung 22, 31 Transorale Laser-Mikrochirurgie (TLM) 334 Transorale robotergestützte Chirurgie (TORS) 322, 337 –– Kontraindikationen 337 –– Technik 337 Transplantatpositionierung 291 Transpositionslappenplastik –– fazialer Hautdefekt 204, 214 –– Hals-Weichteildefekt 354 –– Kopfhautdefekt 4 –– Nasendefekt 76, 210 –– Wangenhautrekonstruktion 221 Trap-door-Mechanismus 46 Trapezius-Lappen 191, 196 Tuba Eustachii 194 Tübinger Torte 219
U Underlay-Technik 161 Unterkiefer 260 Unterkieferdefekt –– Innenspangendefekt 284
468
Stichwortverzeichnis
–– Kastendefekt 284 –– Klassifikation 261, 284 –– Kontinuitätsdefekt 285 Unterkieferrekonstruktion 263 –– mikrovaskulär 267 –– nichtvaskularisiert 263 –– Transplantat-Entnahmeareal 268, 270 Unterlid 22 –– Abriss 31 –– Rekonstruktion 24 –– Tiefstand 31 –– Weichteildefekt 25, 31 Unterlidplastik 443 Unterlippe 230 Unterlippendefekt 235 Uvulopalataler Lappen 345
V Verbandplatte 296 Verschiebelappenplastik –– fazialer Hautdefekt 202 –– Hals-Weichteildefekt 354 –– Kopfhautdefekt 4 –– Laterobasisdefekt 190 –– Nasendefekt 75, 86 Vestibulum- und Mundbodenplastik 296, 298 Visusverlust 39, 56
Vollhauttransplantat –– fazialer Hautdefekt 202, 205 –– Hals-Weichteildefekt 354 –– Kopfhautdefekt 3 –– Wangenhautrekonstruktion 221 Vorschublappenplastik 203 V-Y-Plastik 75, 203
W Wachsende Fraktur 10 Wange 218 Wangenrotation nach Esser 62, 74, 79, 209, 222 Weichgaumen 322 Wimpern-Readaptation 29
Z Zahnprothetische Versorgung 276, 284, 287, 292, 312 –– implantatgetragener Zahnersatz 293 Zenker-Divertikel 386 Z-Plastik 203, 353 Zunge 302 –– Exkorporation 325, 341 –– Innervation 303 –– Rekonstruktion 312 Zungengrund 303, 322, 342