Rückblicke auf Personen und Zustände [Reprint 2019 ed.] 9783111507910, 9783111140728


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German Pages 363 [364] Year 1836

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Table of contents :
Vorrede
Inhalt
Paris im Jahre 1825
Paris im Jahre 1830
Paris im Jahre 1835
Der Salon der Madame Recamier
Ein Abend zwischen Sieyes und Merlin
Brüssel am 26sten August 1630
Ein Besuch bei Jeremias Bentham
Die Stiftung der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik.
Die Schweiz am Ende des Jahres 1832
Goethe an seinem Geburtstage
Die Sitzung des Oberhauses vom 7ten zum 8ten October 1831
Die Deutschheit des Elsasses
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Rückblicke auf Personen und Zustände [Reprint 2019 ed.]
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Rückblicke auf

Personen und Zustande.

Rückblick­ auf

Personen und Zustände.

Non

Eduard Gans.

Berlin: ÜB f r l 3 und 18L>(.i, eine Uebersicht über den Gang der Literatur in den Jahrbüchern zu geben ver

237 sucht hatte, ging die Sitte, eine solche auszuarbeiten, unter dem folgenden Generalsecretariate vollkommen un­ ter; man hielt sie für unmöglich, und sie war es, nach der Weise, die man eingeschlagen hatte, auch durchaus geworden. Die ausgeschlossenen Predigten, Schulbücher, Handausgaben und Compcndien schlichen sich durch eine Hinterthür wieder ein, indem man das Princip geltend machte, daß unnütze Bücher durch gute Recensionen ge­ hoben werden könnten; die Vorbcurthcilung der Bücher ging mehr in eine bloße Nennung und in ein Anerbie­ ten von Seiten der Recensenten über; das Vorlesen der Kritiken verschwand nach einem Jahre ganz, namentlich wegen der vielen Zeit,

die darauf verwendet werden

mußte, und weil es bequemer schien, dem Urtheile zweier Referenten Glauben zu schenken;

endlich wurde

auch

zuletzt die Nennung der Namen angetastet, indem man für kleinere Anzeigen die Anonymität zu gestatten und beinahe zu fordern schien. Große Schwierigkeiten machte cs, dem Kinde einen passenden Namen zu geben.

Die Bezeichnung Jahr­

bücher für wissenschaftliche Kritik wurde end­ lich durchgesetzt, doch nicht ohne große Discussionen, ob das Wort Berliner nicht dabei flehen müßte. kam darin überein,

Man

die Zeitschrift nicht in Monatshef­

ten, sondern in wöchentlichen Lieferungen auszugeben, und nach einigem Zögern wurde auch darein gewilligt, sie in Augsburg drucken zu lassen.

Die Censursreiheit,

-----

238

deren wir dort genossen,

------

die größere Bequemlichkeit,

welche Cotta dadurch haben würde, waren die Gründe, welche uns endlich bewogen. So war denn alles Vorläufige eingerichtet, als ich im September 1826 von den redigirenden Mitgliedern der Gesellschaft Auftrag und Vollmacht erhielt, mich nach Stuttgart zu begeben, um dort mit Cotta definitiv abzuschließen, und die Zeitschrift, als im Januar 1827 erscheinend, ankündigen zu lassen. war nur dabei, dermalen befand.

Eine Schwierigkeit

man wußte gar nicht, wo sich Cotta Er hatte balh in München, bald in

Stuttgart zu thun, war eine Zeitlang in dem Wildbade Kreuth gewesen,

mochte sich auf seinen würtembergi-

schen, bairischen oder badischen Besitzungen aufhalten, und es konnte sich leicht ereignen, daß, indem ich ihn in seinem Wohnorte aufsuchte, er zum Trotze gerade anderwärts beschäftigt war.

Endlich lief ein Brief von

Cotta ein, der ebenfalls nichts Bestimmtes über seinen Aufenthalt meldete, mir aber etwas mysteriös anzeigte: ich würde von seinem Correspondenten, Herrn Küssn er in Nürnberg, das Weitere erfahren.

Am 11. Septem­

ber war ich mit meinem Freunde Hotho im Rcisewagen, um über Jena, Coburg und Bamberg nach Nürn­ berg zu gehen. Als ich dort angekommen war, kostete es mich zu­ vörderst eine gewaltige Mühe, den Herrn Küffner her­ auszufinden.

Da mir der Stand desselben in dem Cot-

239 laschen Briefe nicht angegeben war, so meinte ich zuerst, es würde wohl ein Buchhändler seyn, aber kein Buch­ händler kannte einen College» Namens Küffner.

Ich

glaubte nun, nach einem Privatgelehrten oder Kaufmann forschen zu müssen, geblich.

aber der Erfolg, war eben so ver­

Endlich erfuhr ich ganz zufällig durch einen

Kellner des Bairischen Hofes, in welchem wir wohnten, daß er zwar einen Herrn Küffner kenne, aber gewiß keinen solchen, mit dem ich zu thun haben dürfte, denn es sey ein Gewürzkrämcr.

Ganz verzweifelt darüber,

meinen Mann nicht finden zu können, wollte ich cs endlich mit dem Gewürzkrämer versuchen, und bat den Hausknecht, mich hinzuführen. Schritte vom WirthShausc.

Es waren nur einige

Ich trat in einen Laden

ein, der etwas KcUcrartiges an sich trug, und sah einen ziemlich allen Mann sitzen, der Pfeffer emsig zu wiegen schien.

Ganz betreten ging ich auf ihn los, und sagte

ihm: Herr von Cotta habe mich an einen Herrn Küff­ ner in Nürnberg gewiesen, von dem ich erfahren sollte, wo jener sich jetzt befinde.

Ich wüßte aber nicht, ob

ich mit dem rechten Mann spräche. ,,J bind wohl," sagte er lächelnd, und indem er mich mit abgenommener Brille ansah,

„ober i weiß

»it, wo er itzunder steckt." Der Correspondent des Herrn von Cotta bildete mir jetzt eine so komische Figur, daß ich nicht umhin konnte, mich weiter mit dem guten Manne einzulassen und bald

240 herausbrachte, daß er die Nürnberger Geldgeschäfte Cot las besorgte, die wahrscheinlich in besseren Handen sich befanden, als wenn sic ein großes Banquier!,aus, oder eine große Buchhandlung gehabt halte. So viel Trost schöpfte ich denn.auch für mich in diesen Reden, daß Herr Küffner meinte, Herr von Cotta müßte gewisser Gründe halber, die er mit feierlichem Tone verbarg, am 2qstcn September in Stuttgart seyn. I wünsch glückliche Reis, un gnttc Geschäft, sagte der Mann, als ich wegging, indem er sitzen blieb, und die Mütze abnehmend Pfeffer zu wiegen fortfuhr. Wir hatten bis zum il-Isten September noch einige Tage vor uns, und gedachten sie in Nördlingcn zuzu­ bringen, wo schöne Bilder von Hcrle und Scheiffelin sich vorfanden, und das gar nicht entfernt von der GalIcrie des Fürsten von Wallerstcin Tettingen lag, die für deutsche Kunst so bemcrkenswerth erschien. Bon dort wandten wir uns über Aalen nach Stuttgart, und hat­ ten das Glück, auch Cotta daselbst anzutreffen. Seit dem letzten Briefe, den ich von Cotta erhalten hatte, war inzwischen ein Jncidenzpunkt eingetreten, der für die eben entstehen wollenden Jahrbücher gefährlich zu werden drohte. König Ludwig von Baiern hatte seine neue Regierung mit dem Plane begonnen, die Uni­ versität Landshut nach München zu verlegen. Es war überall verbreitet worden, daß die neue Universität in einem Style erbaut werden solle, wie nie eine errichtet

241 gewesen. Männer wurden aus allen Gegenden des deutschen Vaterlandes verschrieben, und es hieß, sie hat­ ten den Ruf bereits angenommen: Kräfte und Geld­ mittel waren dem Gerüchte nach vollauf vorhanden, und wie für die Kunst in München ein neues Leben begonnen hatte, so sollte auch für die Wissenschaft das Gleiche geschehen. Die baierische Regierung hatte sich um dieselbige Zeit an Cotta gewandt, ihm die Erlaub­ niß zu einem artistisch buchhandlerischen Etablissement in München gegeben, und ihn aufgefordert, eine Litera­ turzeitung zu übernehmen, die von der Universität und der Akademie der Wissenschaften ausgehen sollte. Eotta fand sich somit im Gedränge zwischen den Bedingungen, welche er den Berliner Gelehrten gewährt hatte, und den Anforderungen, die, da sie in München vom höch­ sten Orte kamen, nicht gut abgelehnt werden konnten. Er wollte noch nicht mit mir abschließen, sondern laviren, und kam endlich auf den Gedanken, mir eine Ver­ einigung des Berliner und des Münchner Unternehmens vorzuschlagen. Sehr gern, sagte ich, werden wir darein willigen: was kann es uns schaden, in den Münchener Gelehrten tüchtige Mitarbeiter zu finden. Ueber die Weise, wie bald hier, bald dort die Herausgabe bewirkt werden könnte, dürften wir schon einig werden. Aber die Mün­ chener wollen sich erst zu einem solchen Unternehmen sammeln: wir sind fertig: zweimal kann ich nicht nach

16

242 Stuttgart kommen, und durch Corresponden; kann der ßontract nicht füglich geschlossen werden. Haben Sie die Güte, mich abzufertigen, und ich will nach beendig­ ter Sache nach München reisen, um die Vereinigung beider Recensiranstalten, zu einem gemeinsam gehenden deutschen Gerichtshöfe mit zweien Senaten, zu Stande zu bringe». Cotta besann sich eine Zeitlang, endlich willigte er in meinen Vorschlag ein. Hatte ich das Eintreten unserer Literaturzeitung von dem Münchener Anschluß abhängig gemacht, so würde dieselbe nie zu Tage geför­ dert worden seyn. Der Contract wurde nach den vor­ her brieflich bestimmten Bedingungen abgeschlossen und unterschrieben, und ich trat noch an btmfelbigen Tage meine diplomatische Reise nach München an. Hier werden der Erzählung von dem Erfolge oder dem Mißglücken der Unterhandlung einige Schilderun­ gen des damaligen Münchener Zustandes vorangehen müssen. Zum zweiten Male sollte sich die alte Ingolstädter *) Universität auf die Reise nach einem andern Orte, diesmal nach der Hauptstadt, begeben, und Alles war in den höchsten Erwartungen, welcher neue Glanz dieselbe hier auszeichnen möchte. Man konnte unter den Münchener Gelehrten zwei ganz verschiedene Raren un') Diese Universität war von Ingolstadt nach LandShul ver­ legt worden.

243 terscheiden, welche, wie die Mongolen und Tartaren in China, zwar neben einander wohnten, aber in Geist, in Sprache, in Sinn und Gemüth vollkommen von einander abstanden.

Es waren die Altbaiern, und die hinzuge­

kommenen, allen andern deutschen Landen angehörigen Männer, die der Ruf großer Freigebigkeit nach München gezogen hatte. Die Altbaiern hatten eine so eigenthümliche Bildung und waren auf das Autochthonische und Seltsame derselben so versessen, daß sie, wie die österreichischen Gelehrten, von dem übrigen Deutschland wie geschieden waren, und es kaum gelang, sich in einem wissenschaft­ lichen Gespräche mit denselben zu verständigen.

Sie

betrachteten die Fremden, die man herbeizuziehen bemüht war, wie Eindringlinge, deren man füglich entbehren könne, und sie waren stolz darauf, wie ein eigenes Bier, so auch eine eigene ihnen zusagende Wissenschaft zu besitzen. Als ich eines Tages mit einem jetzt verstorbenen altbaierischen Professor in dem englischen Garten spazieren ging, und die Universität glücklich schätzte, daß sie sich der An­ wesenheit Schellings zu erfreuen haben würde, antwortete dieser mir: „Ei, was haben wir denn den Schelling nö­ thig : wir besitzen ja einen weit klareren Philosophen." Und wen denn? fragte ich darauf verwundett. Kennen Sie den Meilinger nicht? Ich mußte allerdings gestehen, nie von ihm gchött zu baden.

Wie aber die Altbaiern einen ihnen allein

zuständigen Philosophen besaßen, so hatten sie auch ihre

16

*

Historiker, Juristen, Aerzte und Naturforscher.

Weil

sich in Oesterreich das Fremde nicht niederlaßt, betrach­ tet man cs wenigstens mit Milde; hier in Skiern, wo das ausländische Element von vielen Seiten herbeigezo­ gen wurde, wo ein Theil des Inlandes selbst, Franken, Schwaben und der Rhein für Ausland gehalten wurde, mußte es aber oft zu Collisionen mit dem eingebornen Elemente kommen.

Die Fremden, welche hier bei alle

dem das Bedeutendste leisten, Cornelius, Klenze, Schelling, Niethammer, Roth, Thiersch und Andere, sind da­ her genöthigt, eine Art von Gegensatz zu bilden, und befinden sich mehr in der Stellung hochstehender und gedrückter Ausländer, wenn sie cs nicht vorziehen, zu den anderen Fahnen überzugehen, und sich zu dem Biere und der Wissenschaft der Altbaiern zu bekennen.

Von

Seiten der Regierung hatte wenigstens während meines Aufenthaltes in München diese altbaierische Tendenz et­ was abgenommen.

Es gab keinen bedeutenden Mann

in Deutschland, auf den man nicht ausging. Tieck, Savigny, Raumer waren gerufen, und hatten-auch, wie man behauptete, bereits zugesagt; sie würden unfehlbar, hieß es, zu Ostern 1827 eintreffen. Als man nun nach dem Gehalte fragte, das diesen Männern geboten wor­ den wäre, so wurde bald ein erstaunlich hohes genannt, bald aber bemerkt, daß man dies späterhin reguliren möchte.

Aus Allem, was bereits unternommen worden

war, aus Allem, wovon man sprach, konnte man in-

245 dessen

absehen,

daß der Glanz

der Universität wohl

mehr in dem Wunsche, als in den Kräften, mehr in Reden, als in Thatsachen, mehr in Dem, was Mün­ chen schon besaß, als in Dem, was es noch erringen könnte, liegen dürfte. Fremdartigem, das

Man schmeichelte sich auch mit von

der Universität ganz ablag.

Man glaubte, die Nahe Italiens würde viele Norddeut­ sche hinziehen, als wenn der Werth der Münchener Hochschule in einer Entfernung von ihr liegen könnte, und als ob solche, die nach dem hesperischen Lande rei­ sen, es nicht noch vorziehen würden, München dazu zu sehen. Die Gegensatze des altbaicrischen und fremden Ele­ ments machten sich auch in dem Eindrucke bemerklich, den Unparteiische in Beziehung aus die geltenden Zu­ stande erhielten.

Wie, wenn im Monat April warmeS

und kaltes Wetter neben einander geht, so wanderten hier

Liberalismus

und Jesuitismus Hand

in

Hand.

Man konnte bisweilen ganz entzückt seyn, wenn man an die Worte freier Selbstständigkeit, welche der König aussprach, erinnert wurde, wenn man an die Munisicenz in der Kunst, an das Streben in der Wissenschaft dachte: aber damit konnte man wieder die den Klöstern, ja selbst den Redemtoristen zugewandte Gunst nicht ver­ einigen;

es widersprach der dunkle mittclaltrige Ton,

der allen diesen Unternehmungen beigelegt war, das Er­ halten der Particularitaten, und das Auffinden neuer

246 Besonderheiten, welche mehr als jemals im Schwungc waren

Späterhin hat sich das letztere Moment noci'

bedeutend vermehrt, und es sind sogar die Benediktiner als Stütze der Wissenschaft zu Hülfe gerufen worden. Diese Zustände mußten mich gleich davon überzeu­ gen, welchen Beistand ich hier für unsere Zeitschrift zu erwarten hätte.

Alles war noch anarchisch, und an ei­

nen Verein gleichgestimmter Männer, wie cs nöthig ge­ wesen wäre, gar nicht zu denken.

Obgleich Thiersch

in der damaligen Zeit nicht im Geringsten zur Opposi­ tion gehörte, und in mehr als einer Beziehung von dem künftigen Glanze

der Universität sich das Beste ver­

sprach, so konnte er doch nicht läugnen, daß in den er­ sten Zeiten eine Literaturzeitung in München nicht füg­ lich zu Stande kommen könne.

Die früher bei Fleisch-

mann erschienene war unbemerkt wiederum verschieden. Die Akademie der Wissenschaften, Unternehmen ausgehen durfte,

von der das neue

hätte sich mit der eben

entstehenden Universität darüber in Verständniß setzen müssen, dies konnte aber erst einige . Zeit nach dem Zu­ sammentreten derselben geschehen.

Niethammer war ganz

der gleichen Ansicht, und die Aufforderung der baierischen Regierung an Cotta schien mehr eine eventuelle Äünstigkcit, zwecken. dem

als ein jetzt zu Bewerkstelligendes zu be­

Eine einzige Zusammenkunft, welche ich mit

damaligen

Staatsrath,

späteren

Minister

von

Schenk hatte, bestätigte mich immer fester in dcr Mei-

247 nung von der Unfähigkeit der Münchener, ein solches Unternehmen kräftig zu unterstützen, oder selbst zu hal­ ten. Ich hatte Herrn von Schenk einen Brief von Cotta zu überbringen: ich fand einen noch jugendlichen, schönen, rothwangigen Mann, der von der entfernten Absicht der Regierung sprach, eine Literaturzeitung mit der Universität und der Akademie in Verbindung zu setzen, der auch mit diplomatischer Wendung hinzusetzte, daß er gar nichts dagegen haben würde, wenn die Ber­ liner Kräfte sich anschlössen, der aber weder zu mir, noch zu meiner Mission Vertrauen hatte. Dieser Man­ gel an Zutrauen lag darin, daß ich mich bisher als Gegner der historischen Schule gezeigt hatte, die nicht bloß bei Herrn von Schenk, sondern fast bei allen Mün­ chener Gelehrten in hohem Ansehen stand. Als ich Herrn von Schenk bemerklich machte, daß wir bereits fertig und geschlossen seyen, gab er mir den Rath: wir sollten nur anfangen und vorangehen: der Anschluß Münchens würde sich alsdann wohl finden. Diese Lage der Sachen veranlaßte mich, von Mün­ chen aus an Cotta zu schreiben, und ihm anzuzeigen, daß an eine Vereinigung des Südens lind Nordens von Deutschland gar nicht zu denken wäre, daß es noch lange dauern könnte, ehe man in München zu ei­ nem Entschlüsse und dessen Ausführung kommen würde, daß wir indessen gerüstet seyen, und am Isten Januar 1827 ins Zeug treten könnten. Was ich ihm von der

248 Verzögerung des

Münchener Unternehmens meldete, be­

währte sich späterhin aufs Glänzendste.

Erst vor weni­

gen Monaten, also zehn Jahre spater, ist die

Münche­

ner Literaturzeitung

farblos,

erschienen,

und

zwar

so

daß man ihr das Horoskop im Voraus stellen könnte. Während

dieses Münchner

w'.r die meisten Abende

Aufenthaltes

brachten

in Thierschs Hause zu, und

ich müßte undankbar seyn, wenn ich nicht der liebevol­ len Aufnahme,

der

freisinnigen

und

geistreichen Ge­

spräche, des offenen und bidcrben Wesens Erwähnung thun wollte, das uns hier entgegen kam. den Zweck

Ohne irgend

meiner Reise im Geringsten erreicht zu ha­

ben, kehrte ich nach Berlin zurück,

und der Anschluß

dreier Münchener Männer, Wening-Jngenheims, Niet­ hammers

und Thierschs waren

alle Früchte,

die

ich

nach Hause brachte. Auf diese

erste Zeit der Errichtung der Jahrbücher

für wissenschaftliche Äririk,

aus den Eifer, den Fleiß,

den Enthusiasmus, der hier herrschte, kann ich nur mit der Wehmuth zurücksehen, womit Jemand im Manncsalter seine durchlaufene Jugend betrachtet. wissenschaftlichen Arbeiten

und Geschäfte

Alle anderen standen

bei

mir für den Augenblick zurück, und die Eorrcspondenz, die Freude, Mitarbeiter angeworben zu haben, das Leid­ wesen, wenn Jemand abschrieb, waren die Alles ausfül­ lenden

Beschäftigungen

und

Es mußte für die Anzeige

Leidenschaften

geworden.

der Jahrbücher gesorgt und

249 dieselbe discutirt werden: Manuskript

sollte

beschafft

seyn, und die erste materielle Noth und Armuth eines solchen Unternehmens selbst ist ein so mächtiger Hebel und Anreiz,

daß die Freude, für den Augenblick gehol­

fen zu haben, unendlich befriedigender, wie das Gefühl, im reichsten Besitze zu seyn. ausfallt. Wenn in Frankreich Narional-UnternchmeN

oder in England

ein solches

angekündigt würde, so dürften

das Publikum, ja selbst die Gegner dasselbe zuvörderst erwarten,

seine Acta und seinen Geist sich entwickeln

lassen, und dann, wenn sie es nicht zustimmend begrü­ ßen,

ihr Urtheil

Deutschland.

fallen.

Anders verhielt

cs sich in

Kaum war die Anzeige in der Allgemei­

nen Zeitung erschienen, so wurde von einem sonst geist­ reichen

und

Schriftsteller

gesinnungsvollen,

hier

aber mißtrauischen

eine Warnungsbrochüre angekündigt und

verbreitet; der Staat wurde angeschuldigt,

hinter der

Literaturzeitung sich zu verbergen, die Freiheit der Wis­ senschaft

und des literarischen Strebens wurde als ge­

fährdet dargestellt; ja die Nennung

der Namen selbst

als ein Mittel betrachtet, alles Tüchtige zu unterdrücken. Ein in spateren Jahren zu dichterischem Rufe gelang­ ter Advocat, der vor seinem Ende diese poetische Errun­ genschaft wiederum

in schlechte Journalistik verzettelte,

Müllner griff mich und die Jahrbücher,

in seiner

neuen Zeitschrift, der Mitternacbtszeitung, durch endlose Artikel an; es

wurde auch lange vor dem Erscheinen

250 schon ein Name erfunden, um sie in den Augen unkundiger

und

gewöhnlicher Leser

herabzudrücken.

Man

nannte sie die Hegel; eitung, und die Hauptanklage bestand gegen

sie in den ersten Jahren darin, daß sie

nicht allen Systemen ihre Reihen eröffne, sondern nur einer bestimmten Lehre zugethan wäre. Wir wollen diese Beschuldigung hier einen Augen­ blick betrachten und aufweisen, daß'sie gar keinen Grund hatte.

In dem

ersten Hefte der Jahrbücher erschienen

Abhandlungen von Boeckh, Varnhagen von Ense und Streckfuß, im zweiten von Purkinje, Bopp und Hirt, das heißt von lauter Männern,

die mit Hegel zwar

in freundschaftlichen Beziehungen standen, aber mit dem System gar keine weitere Verbindung hatten.

Zu den

berühmten Namen, die bis zum ersten Januar 1S'J8 bei­ getreten waren, gehörten Goethe, Bessel, Wilhelm v. Humboldt, August v. Schlegel, v. Baer in Kö­ nigsberg, Carus, Boissere'e, Creuzer, Gesenius, Ewald, Meckel, v. Pfuel, Fr.Rückert Thibaut, v. Wangenheim, v. Stägemann, Welker und eine Menge Anderer, die senschaften

und Disciplinen

Ansichten gefolgt waren. ziehung

in

ihren verschiedenen Wis­ schwerlich den Hegelschen

Wir konnten freilich in Be­

auf Philosophie und

alle dahin

einschlägige

Seiten nicht gut eine zurückstehende Richtung zulassen. Unter

allen Disciplinen ist gerade die Philosophie die

nothwendig eifersüchtigste, nicht aus Neid, oder sonstigen

251 bösen Eigenschaften,

sondern

weil sie, wenn sic eine

wahre ist, die vorangegangenen Seiten ohnehin in sich aufgenommen hat, und diese nicht mehr allein auftreten lassen kann, ohne zu einer rückgängigen Bewegung zu schreiten.

Wir dursten uns, indem wir Hegel besaßen,

nicht weiter

darum gramen, wenn

uns der Beistand

von Salat und Meiling er entging, oder wenn die verschiedenen Philosophien, welche sogar, die Wölfische nicht abgerechnet, noch in irgend einem Schlupfwinkel von Deutschland

hausten,

ihren mehr grämlichen als

einschneidenden Haß gegen uns geltend machten. Eine Abneigung Hegels, irgend Jemanden zuzulassen, der mit seinem System wesen wäre,

nicht im Einverständnisse ge­

ist mir während der fünf Jahre, die wir

in der Redaction der Jahrbücher

zusammen verlebten,

nur ein einziges Mal vorgekommen.

Es war die

Er­

klärung, daß, wenn man Schleiermacher Antrage machte, er, Hegel, sich von der Gesellschaft zurückziehen würde.

Die Sitzung, in der dieses Thema besprochen

wurde, gehörte zu einer der stürmischesten, die wir über­ haupt gehabt haben, sie fand im December 1320 statt. Boeckh war, was späterhin sehr selten geschah, gegen­ wärtig,

und da wir bei der bevorstehenden Herausgabe

der Zeitschrift an eine Vermehrung der Mitarbeiter den­ ken mußten, so las Böckh den Univerfi'tätscatalog vor und

kam

auch

auf den

Namen Schlciermacher.

Biele Mitglieder, namentlich Varn Hagen, waren der

252 Ansicht,

daß

überhaupt Hegel

man

gar

aber

auch diesen auffordern müsse, daß

keine Ausschließung

stattfinden

dürfe.

sprang von seinem Sitze aus, ging mit

heftigen Schritten auf und ab,

und murmelte vor sich

hin, daß dies nichts Anderes heiße, als ihn selber ver­ treiben.

Nachdem hin und her, für und wider gestrit­

ten und geschrieen worden war, mer starker

wurde endlich der im­

werdende Lärmen dadurch beseitigt,

man darauf aufmerksam

machte,

es

sey

daß

gerathener,

Schlciermachern nicht einzuladen, weil dieser der Auf­ forderung nicht Folge leisten und somit die Gesellschaft sich etwas

vergeben möchte.

Auftritte der Art kamen

späterhin nie wieder vor, aber Hegels Widerwillen ge­ gen Schleiermacher beruhte gar nicht auf wissenschaft­ lichen Verschiedenheiten, sondern

lediglich aus persönli­

chen Verhältnissen, deren Initiative Schlcicrmacher zur Last fiel.

Es hatte dieser nämlich mit allen Mitteln,

welche ihm zu Gebote stauben, Hegel von der philoso­ phischen Elassc der Akademie der Wissenschaften fern gehalten, und die Aufnahme in die Akademie war nicht ohne Bezug aus diesen einen Mann durch Schleierma­ cher bedeutend erschwert, und selbst, wenn eine Minori­ tät sich widersetzte, unmöglich gemacht worden. Zeit

Kurze

vor Hegels Tode löste sich dieser Widerwillen in

etwas, und einige Monate vor demselben sah ich He­ gel und Schleiermacher im freundlichsten Gespräche den Rutschberg von Tivoli heruntcrfahren.

253 Nachdem wir ein Jahr lang, mit sparsamen Bor­ räthen, aber mit gutem Muth und Eifer unseren Haus­ halt geführt hatten, sah ich mich genöthigt, erst das Generalsecretariat, dann die Classendirection und end­ lich auch die Cassengeschäste, die ich anfänglich noch be­ halten hatte, niederzulegen. Die Menge dieser literarischökonomischen Geschäfte, die Masse der Briefe, die noch nicht lithographirt waren, sondern alle geschrieben wer­ den mußten, und zwar ohne Beihülfe eines späterhin erst angestellten Schreibers, zogen mich so sehr von al­ len eigenen, wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten ab, daß ich gar nicht mehr zu denselben gelangen konnte. Meine Geschäfte gingen an Herrn von Henning über, der sie seitdem mit nicht genug anzuerkennendem Eifer und mit den uneigennützigsten Zeitopfern verwal­ tet hat. In der Redaction der Jahrbücher blieb ich aber, nach wie vor, und bin noch heute nicht daraus geschieden. Die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik aber blie­ ben nicht, was sie im Anfange hatten seyn sollen, son­ dern veränderten vollkommen ihren Charakter. Anstatt über der Wissenschaft als besprechendes und zusammenziebendes Organ zu stehen, folgten sie derselben, wie jede andere literarische Zeitung, und überließen es der Gunst des Augenblicks, ob ein wichtiges Buch ange­ zeigt werden dürste oder nicht. Zum Theil waltete allerdings der Zufall oft auf verräterische Weise, und

254 zerstörte alle guten Plane und Einsichten. Recensenten,

auf die

Saumselige

man sich verlassen hatte,

ihre Kritiken niemals verabfolgen-,

ließen

inzwischen war daS

anzuzeigende Buch alt geworden, und ein neues an die Stelle getreten; Ucbcrfleißige überschwemmten uns theils mit bestellten,

theils mit unbestellten Beurtheilungen,

und drangen, wenn man Einiges abgewiesen hatte, dock mit Anderem durch.

Ein Hauptfehler

aber war, daß

man nicht alle Jahre einzelnen wissenschaftlichen Män­ nern den Auftrag gab, die Erscheinungen innerhalb ih­ res Faches zu einem übersichtlichen Rcsumc zusammen­ zuziehen,

wie

es

die Hallcschc Literaturzeitung in der

neuesten Zeit, freilich in höchst äußerlicher Weise, ver­ sucht hat,

und

wie

cs am Ende auch wohl noch bei

den Jahrbüchern zu Stande kommen muß.

Sonderbar

aber war cs, daß der Credit der Jahrbücher wuchs, je mehr sic ihrer eigentlichen Bestimmung untreu wurden, und daß sic es nur dann erlangen konnten,

als eben­

bürtig begrüßt zu werden, wie sie in das gewöhnliche Niveau der übrigen Schwestem zurücktraten.

Heut zu

Tage ist cs ungefähr die öffentliche Meinung, daß die Jahrbücher die gründlichste, am Besten unterstützte und ernsteste Literaturzeitung seien; der Haß hat sich gelegt, und eine ruhige Collegialitat ist an die Stelle getreten. Aber es

ist auch der Glanz der ersten Stiftung,

der

wissenschaftliche Eifer der früheren Zeiten, und die ab­ norme und unterscheidende Bederttung daraus verschwun-

255 den.

Drei Männer, Varnhagen, Marheincke und

Schulze,

haben sie durch Treue, durch fleißiges Be­

suchen der Sitzungen, und durch sonstige Emsigkeit ge­ halten. Als im Jahre

182!) Herr von Cotta

sich wegen

der Zollangelcgenheiten eine Zeitlang in Berlin aufhielt, wohnte er,

da er selbst Mitglied der Gesellschaft war,

häufig ihren Sitzungen bei.

Der Druck in Augsburg

hatte mehrere Unbequemlichkeiten gehabt;

die Correctu-

ren waren oft sorglos gemacht; bei dem noch nicht ge­ hobenen Mangel an Manuscript war es schwierig, ei­ nen Monat vorher Das, was man gedruckt haben wollte, nach Augsburg zu senden.

Viele Mitglieder verlang­

ten daher die Verlegung des Druckes nach Berlin, der ich mich aus manchen Gründen widersetzte.

Aber sie

geschah, und das Ministerium, welches die Zeitung nun­ mehr als eine vollkommen berlinische betrachten durste, gewährte einen Geldzuschuß, wie er in ähnlicher Weise in Wien,

in Heidelberg oder auch

an anderen Orten

erfolgt. Mit dem Tode Cotta's, der am Ende 1832 er­ folgte, löste sich das Freundschasts - und Pietätsverhält­ niß, das uns verbunden hatte.

Wir druckten die Jahr­

bücher jetzt in Berlin, und es trat das natürliche Ver­ langen ein, auch einen berliner Buchhändler dafür zu besitzen.

Der Contraet mit Cotta wurde freundschaft­

lich aufgehoben, und die Jahrbücher gingen an die eh-

256 rcnwerthe Handlung Duncker und Humblot über, deren eifrigem Bemühen

eine Vermehrung des Ab­

satzes, besserer Druck und schöneres Papier zu verdan­ ken ist.

Wie schon gesagt worden, trat für kleinere

Anzeigen, die sich nunmehr hausten, eine gewissermaßen geforderte Anonymität ein, die nur hin und wieder durch solche, welche den alten Ansichten treu blieben, gebrochen wurde. Wie die Jahrbücher entstanden sind, was daran das Zufällige, was das Nothwendige war, habe ich mit hi­ storischer Treue zu erzählen versucht.

-Ob sie den mehr

gewöhnlichen Kreis, in den sie zurücktraten, verlassen, und mit den riesenhaften Kräften, die sie eigentlich be­ sitzen, es wiederum unternehmen möchten, einen höheren Standpunkt zu gewinnen, wird ihrer weiteren Geschichte überlassen bleiben.

Ich wollte nur Das aufzeichnen,

worin sie sich mit meinen Lebensverhaltnissen begegnen, und wenn diese Erzählung außerdem einen literarhisto­ rischen Werth hätte, so wäre dieses ein Erfolg, den sie nur im Vorbeigehen erstrebt.

Die Schweiz am Ende des Jahres 1832. SEBenn man den Namen der Schweiz als Ueberschrift eines Aufsatzes gebraucht,

so

entsteht sogleich der Ge­

danke, daß es besonders die Naturschönheiten seyn dürs­ ten,

von denen man eine rühmende oder wenigstens

doch eine andeutende Erwähnung machen werde. wird aber Alles, was die Natur angeht,

Hier

verschwinden,

oder in den Hintergrund treten, und zwar aus der ein­ fachen Ursache,

weil ich nicht das geringste Talent zur

Landschaftsmalcrei besitze.

Hatte ich Zutritt zum Für­

sten Pück l er Muskau, so würde ich ihn ersuchen, die Landschafter« zu zun'lckzulassen,

übernehmen, und mir die Staffage

wie dies unter Malern in

neuen Zeiten wohl häufig geschehen ist.

alten und

Nur so viel

durfte hier vom Natürlichen durchscheinen, als dasselbe einen Einfluß auf die Bildung der Personen und Zu­ stande gehabt hat, und als die Politik von Berg und Thal an sich schon verschieden ist, von der, welche in großen Städten und in der weiten Ebene sich begiebt.

17

258 Um mich indessen nicht selbst zu

verläumden, will

ich anführen, daß, als int Spätsommer 1832 der Vorsatz in mir reif wurde, die Schweiz zu besuchen, die Men­ schen und die Staatskunst nichts dazu vermochten, ihn auszuführen, sondern gerade die Natur ihre Anziehungs­ kraft

bewährte.

Ich

wollte

einmal

abgewendet

von

Allem, was das Politische betraf, im vollkommen Hete­ rogenem meine Erholung suchen, und das Berner Ober­ land und der Genfer See schienen mir geeignet, aus die anmuthigftc Weise solche Metamorphosen hervorzubrin­ gen. Von Demjenigen, was einem im Durchreisen durch deutsche Städte Freundliches begegnet, kann man füglich schweigen,

weil

es ein

lieber,

immer wiederkehrender

Genuß ist, und weil die Freunde es sehr gern sehen, wenn man sie

nicht nennt.

Wir wollen also den An­

fangspunkt unserer Darstellung dicht vor die Thore der Schweiz, nach Freiburg

hin verlegen, jenen Hauptort

des ehemaligen Breisgaus, wo deutsche Civilisation sich schon mit schweizerischer Derbheit paart, und wo auf eigenthümliche Weise mit einer

ein

fester

constitutioneller Sinn

beibehaltenen Anhänglichkeit

für

das öster­

reichische Haus gemischt ist. Schon

auf dem

Wege

von Kehl

nach

Freiburg

hatte ich mich in dem Wagen neben einem Manne be­ funden,

der mir sehr guten Bescheid in allen Dingen

gab, über die ich ihn beftagte.

Er kannte die Freibur-

259 ger Professoren, die badischen Abgeordneten sehr genau, war

auch mit

den Landleuten auf familiärem Fuße,

und da er Freiburg selbst bewohnte, so erbot er sich so­ gleich, mir in Allem behülflich

zu seyn, was mir dort

wünschenswerth und erfreulich seyn dürste. entdeckte cs sich erst,

daß

Späterhin

ich einen Empfehlungsbrief

für denselben Mann, von einem meiner Zuhörer, Herrn Lobstcin aus Straßburg, in

der Tasche

trug,

daß es

der chemische Fabrikant Herr Schurzenbach war, von dem der Ruf verkündete, steigende

Erfindungen

daß er durch immer neu auf­

eben

so

bemerkenswerth,

als

durch Gutmüthigkeit und Gratsinn ausgezeichnet wäre. Der Hauptgegenstand

des Gesprächs

ging

den politi­

schen Sinn an, dessen die Bauern des Schwarzwaldes fähig seyn sollten. und

selbst mit

Man verglich sie mit den Franzosen

den Engländern,

und

die allgemeine

Meinung neigte sich dahin, daß die Ersteren es den bei­ den Letzteren zuvorthäten. sagte

man

Leuten,

was

Sie haben keine Vorstellung,

welche Bildung

welche die kleinen Uhren,

fabriciren, findet.

mir,

oder

sich

häufig

bei den

oder andre Waaren

selbst bei ganz gemeinen Bauern vor­

Nicht allein, daß sie schreiben und lesen können, hier

durchgängig

als

ein Gemeingut

betrachtet

werden muß, sondern selbst Kenntniß der Literatur, und vor

allen Dingen

der

politischen Zustände,

was sie verlangen können meisten Fallen angetroffen.

Dessen,

und was nicht, wird in den Eine vergleichende Ueber;

17

*

200 sicht der norddeutschen Bevölkerung, und des ihr itv wohnenden Geistes mit der süddeutschen war nun nicht mehr zu umgehen, und wenn ich als Norddeutscher Scharf­ sinn, Glatte, Beweglichkeit und Beredtsamkeit in An­ spruch nahm, so mußte ich dennoch zugeben, daß Tiefe, Gemüth, öffentliches Leben, und der Sinn für freie Staatsemrichtungcn, die unverkennbaren Gaben der Süddeutschen seyen. Der Universität Freiburg stand gerade, als ich hin­ kam, eine jener geschichtlichen Epochen bevor, die in dem Leben der Hochschulen die gröste Bedeutung haben, nämlich ihre Aufhebung, und die darauf folgende Wie­ dereinsetzung, wenn auch nicht in den vorigen Stand, doch in einen anderen. Daß diese Maaßregel von der badischen Regierung allein ausgegangen wäre, konnte Niemand annehmen; sie war durch ihre bundespflichtige Stellung dazu bewogen worden Uebrigens war kei­ nem der Professoren damals irgend Etwas von der be­ vorstehenden Umwälzung bekannt, und da man doch Alles, was erfolgen könnte, besprach, so gehörte trotz dem diese gar nicht zu den vorher berechneten Möglich­ keiten. Erst in Lausanne erfuhr ich durch die Allge­ meine Zeitung die rücksichtlich der Universität getroffe­ nen Maaßnehmungen, und zwar waren sie ungefähr um die Zeit meines Aufenthaltes in Freiburg beschlos­ sen gewesen. Auf Welker, den damals vielfach bespro­ chenen Mann, war ich besonoers gespannt. Er war

261 in Heidelberg Decan gewesen,

als ich bort promovier

wurde, und hatte mich, so zu sagen, in die erste Würde, die ich irgend besaß, eingeführt. dert und ernster als früher.

Ich fand ihn verän­

In Heidelberg war er

noch in den Flitterwochen seiner juristischen Laufbahn, mit dem Seynsollen der Staatseinrichtungen, mit Wün­ schen

und Hoffnungen

beschäftigt.

Seit dieser Zeit

hatte ihn das Schicksal mannigfach herumgeworfen, er hatte praktischen Antheil

an einer gesetzgebenden Be­

hörde genommen, und die Herausgabe einer Zeitschrift, des Freisinnigen, mit versucht.

Düttling er war da­

gegen, trotz Allem, was ihm begegnete, unmittelbar kräf­ tig und naiv geblieben: seine schwäbische Geradheit und Unbefangenheit

hatte

sich

erhalten,

und er freute sich

besonders darüber, daß doch im Landtage, neben vielem Zurückgegangenen Procedurgesetz

und

mit

durchgebracht worden nen Gesprächs war

schief Gewordenen,

Oeffentlichkeit wäre.

und

das

neue

Mündlichkeit

Gegenstand des allgemei­

die Berechtigung des Landesherrn,

ein Gesetz, wie das der Presse, das durch die Kammer gegangen war, auf dem Wege einer Ordonnanz zurück­ zunehmen, und wenn man auch sehr wohl die Gründe dieser Aufhebung kannte, so durfte es doch nicht fehlen, daß sie einer Diskussion unterworfen wurden. sah ich nur einmal,

Rottcck

und ich wunderte mich, daß

einfache und schlichte Mann

der

ein Gegenstand so großer

Verfolgungen und Bedrückungen

geworden war.

Er

262 übte neben seiner Professur praktisch die Landwirthschaft aus, besaß ein Gut auf der Höhe bei Freiburg, und seine meist aus Töchtern bestehende Familie war so länd­ lich gewöhnt, daß dieselben den Eindruck gebildeter Landmadchen hinterließen. Des Abends, als ich die Post erwartete, welche nach Basel fuhren sollte, saß ich,Duttlinger, Schurzenbach und der Doctor Zentner, ein Freiburger Advoeat, der ein gutes Buch über das Geschwornengericht geschrie­ ben hatte, im Zahringer Hof in Freiburg bei einer Fla­ sche Wein. Ich hatte unerwartet so viel Bekannte über­ all gefunden, wo ich hinkam, daß ich äußerte, es wür­ den wohl in der eben erhofften Diligence sich auch solche treffen, die ich kennen möchte. Und richtig war es so. Als die Insassen des Postwagens ins Gastzim­ mer traten, erkannten mich drei Berliner Studenten, ehemalige Zuhörer, welche eine Reise nach der Schweiz wahrend der Ferien zu machen gedachten Ich schloß mich ihnen an, und sie haben mich alsdann durch ei­ nen Theil der Schweiz wirklich begleitet. Basel bot damals ein betrübendes Bild des größten Zwiespaltes dar. Diese reichste Stadt der Schweiz und verhaltnißmaßig genommen, vielleicht Europas, dieser Ort, der in früherer Zeit so viele verdienstliche Männer, ja selbst Illustrationen besessen hatte, die Vaterstadt Eulers und der Bernouillis, war mit den Einwohnern der Landschaft in tiefe, unauflösbare Streitigkeiten ver-

263 wickelt.

Es war derselbe Kampf, welcher

schiedenen Gestalten

sich in ver­

in ganz Europa repwducirte, der

Irland zu einem Krebsschaden Englands machte, nämlich der Streit um Rechtsgleichheit.

In der Schweiz neh­

men solche Uneinigkeiten nun noch, neben dem Inhalte, welchen sie sonst haben,

den Charakter der Kleinlande-

rey, des Philisterthums und aller jener komischen Sei­ ten an,

welche

damit in Verbindung stehen.

Stadt Basel gab es

In der

bestimmte Wirthshäuser, die we­

gen ihres Zusammenhanges mit dem Lande verpönt wa­ ren, andere,

die im Gerüche der Rechtgläubigkeit stan­

den, wieder andere,

die mehr als gleichgültig betrach­

tet wurden, und in denen man weilen durfte, ohne den Baselern verdächtig ju werden.

In allen politischen Hoff­

nungen und Kannegießereycn,

welche damals in Basel

zu Tage gefördert wurden, lag so etwas bornirt Einfäl­ tiges, daß man es

kaum wiedererzählen möchte.

Ein

Haß gegen Alles das, was sich seit 1830 begeben hatte, ein spöttischer und kaum naher zu betrachtender Hohn gegen

Polen

und Belgien, seine

eine

Vorliebe

reine Sache, wie sic

für

Don

Miguel

und

trat in

den Redensarten jener reichen Kramer hervor,

die jetzt zum Erstenmale

sie nannten,

einen Widerspruch

in einem

Patriciat erfuhren, das

sie seit so vielen Jahren unge­

stört ausgeübt hatten.

Daß an

einem

solchen

Orte

eine Universität nicht gedeihen konnte, versteht sich von selbst.

Sic war damals die

einzige in der Schweiz:

264 ihre Mittel waren nicht ganz gering, sie hatte sich wah­ rend

der Jahrhunderte,

daß sie bestand, mancher be­

rühmter Lehrer zu erfreuen gehabt.

Trotz dem

war sie

jetzt so herunter gekommen, daß sic fast mehr Professo­ ren

als Studierende

Professoren Sache

besaß.

und Studenten

zwischen Stadt

Landschaftler

Dadurch gezwungen

man die

hatte, in

der

und Land, Dienste gegen die

zu leisten, hatte

man den letzten wissen­

schaftlichen Athemzug ausgelöscht. lich,

daß

Es ist wohl begreif­

daß in einer großen Periode der Aufregung und

Begeisterung, wie in unserer Geschichte von 1813, die Regierung sich an die gestimmte, also auch an die stu­ dierende Jugend wendet, nimmt.

und

Aber konnten die

schen Stadt

und Land

daß die Studierenden

ihre Hülfe in Anspruch

kleinen Streitigkeiten zwi­

jemals solche Höhe

dazu

erreichen,

gebraucht werden mußten,

als Trabanten der einen Seite gegen die andere aufzu­ treten? Hieß es nicht, sie

eben

in

ihrem Aufschwung

lahmen, daß man sie wie die dabei interessirten Stadt­ zünfte verwenden wollte? sel entfernte, nicht

weil

er

abwendig machen

Daß man Troxler von Ba­ die Studenten mochte,

ihren

gehörte

Arbeiten

ebenfalls

zu

jenen Fehlern, die auf immer geeignet sind, über eine Anstalt, von welcher Art sic auch sey, den Stab zu bre­ chen.

Daß späterhin Stadt und Land sich in die Uni­

versität theilten, daß man wissenschaftliche Erwerbungen wie gemeines Eigenthum betrachtete,

statt sie

als ein

265 gleichsam Heiliges und für sich Seyendes,

außerhalb

des Bereiches der gegenseitigen Ansprüche zu setzen, ist dann die letzte Handlung gewesen, wodurch das ganze Werk als gekrönt zu betrachten war. Von den Professoren der Baseler Universität sah ich damals nur Herrn Wilhelm Snell, Professor der Rechte. Er war eine kurze Zeit über Professor in Dorpat ge­ wesen,

lebte nun schon seit mehreren Jahren in Basel,

und befand sich in einer so unangenehmen Lebensstim­ mung, als nur irgend denkbar. sprüche

der Landschaft

Er hatte laut die An­

vertheidigt,

war ein genauer

Freund von Trorler, und der Haß der Baseler Stadtbe­ wohner war ihm somit rechtlich erworben, obgleich kein äußerer Grund vorlag, ihn von seinem Lehrposten zu entfernen.

Vorlesungen hielt er über Civil- und Crimi-

nalrecht redlich und ordentlich, obgleich nur vor weni­ gen Zuhörern.

Die Sorge für seine zahlreiche Familie,

die Unlust, in Basel zu verharren, die Mißstimmung, die in ihm

die abgeschmackte Wuth

der Gegner rege

machte, gaben ihm ein finsteres Ansehen, obgleich er ur­ sprünglich

der

Mann war.

heiterste

und

geistreich

aufgeweckteste

Was die Baseler der damaligen Epoche

in der That eigentlich charakterisirt, war, daß ich sehr häufig davon reden hörte, man wolle sich von der Schweiz lossagen, und zu dem deutschen Bunde, entweder als Republik, badischer

wie

die übrigen

öandestheil

freien Städte,

schlagen

lassen.

oder als

Der

eidqe-

266 noffenschastliche Sinn war

durch die neuesten Streitig-

feiten ebenfalls untergegangen. Wir gingen von Basel durch den Jura über Biel nach Bern,

und da diese Stadt zwar nicht in wissen­

schaftlicher Hinsicht, in welcher es Zürich und Genf zu weichen hat, noch in Rücksicht auf Vermögen, worin es Basel übertreffen würde, wohl aber in anderen Beziehun­ gen als der anerkannte Hauptort der Schweiz zu betrachten ist: so wird eine kurze Darstellung der Punkte, um die es sich damals in diesem Lande handelte, hier vorange­ hen müssen.

Die erste Umwandlung der schweizerischen

Verhältnisse im Jahre V9s, schen Republik

die Stiftung der helveti­

nach dem Muster der französischen, traf

das Land in einem an so allgemeine Gedanken nicht ge­ wöhnten Zustande.

So wenig, wie in England franzö­

sische Ideen und Abstraktionen leicht Platz greifen kön­ nen,

weil tief eingewurzelte und lang

derheiten sich wenig

so

gehegte Beson­

raschem Gange widersetzen,

eben so

war die Schweiz einer Einheit verfallen, weil

der Wille damaliger Machthaber diese Einheit decretirt hatte. Band,

Die Cantonalabtheilung, das

und das federalistischc

die Länder bisher mit einander verbunden

hatte, die Unterschiede des Landvolkes und der Städter, die eine Revolution nicht aufheben konnte,

und welche

die gegebene Rechtsgleichheit nicht sofort identisch machte: die in den einzelnen Staaten, auch oft unter der Maske der Freiheit

umherschleichendc,

und auf bessere Zeiten

267 hoffende Aristokratie waren Elemente,

deren Wichtigkeit

noch nicht beseitigt war, wenn auch ein anderer Deckel die Spitze des Gebäudes zierte.

In der bewegten Zeit

von 1798 bis 1803 zeigten sich diese unveränderten Particularitäten

theils

als irre

herumwandelnde Gestalten,

theils als Mächte, die heimlich sich schon wieder in den Besitz Dessen gesetzt hatten, ren.

Die

woraus sie vertrieben wa­

Consularregierung

darauf folgende Kaiserthum Mediationsactc.

in Frankreich brachten

und

das

der Schweiz die

Die untheilbare Republik, aus der die

Einzelnheiten geschwunden waren, wurde wieder in den Besitz dieser Einzelnheiten gesetzt: die Cantone, die der That nach eigentlich nie aufgehört hatten, erschienen wie­ der offenkundig, und der Bundesversammlung der Tag­ satzung

war ungefähr die Rolle zugetheilt, die in dm

vereinigten Staaten von Nordamerica rung besitzt.

die Centralregie­

Sie hatte di« Verhältnisse mit dem Aus-

lande zu ordnen,

ein Geschäft, das den einzelnen Can-

tonen für sich nicht mehr zukam.

In

der That

war

aber der Kern dieser Regierung die napoleonische Zeit. Wenn man es auch den Cantonen überließ, im Inneren al­ lerlei nützliche und wohl angeordnete Maaßregeln zu tref­ fen, so war der Kaiser

der Franzosm der Vermittler,

und der Zweck und das der Schweiz ausgepreßte Del der Mediation

die

zwölftausend Mann Hülfstruppcn,

die das Land den Kämpfen Frankreichs in allen Thei­ len Europas überliefern mußte.

Daß die Rechtsgleichheit

268 unangetastet blieb, daß die Privilegien der Ortschaften, der Familien und Personen noch nicht wieder eintraten, war wohl zu vermuthen,

und

stimmte ganz

napoleonischen Einrichtungen überein,

mit den

die ebenfalls die

materiellen Errungenschaften

der Revolution

vollendete Thatsache

und ihnen nur den freyen

ehrten,

als

eine

Athemzug nahmen, der sie begründet hatte. Mit der Restauration der Bourbonen in Frankreich kamen auch die

nie

ganz ausgerotteten Ansprüche des

alten Patriciats in den Schweizer Städten wieder zum Vorschein.

Zum Theil hatte

wahrend der napoleoni­

schen Zeit der Krieg auf den Schultern des Schweizer­ volkes gelastet, und die zu hoffende Neutralitätserklä­ rung

nahm diese Last ab; zum Theil waren die bishe­

rigen Regenten

als

eine

neue Aristokratie angesehen

worden, die der alten in Nichts nachstand.

Daher die

Gleichgültigkeit des Schweizervolkes, als es die Gefahr lief, seine neuen Einrichtungen gegen alte, wenn auch nicht vergessene, doch aber einstweilen aufgehobene wieder einzutauschen.

Daß

in

den

aliirten Mächten

ein be­

sonderer Hang vorgewaltet habe, die Schweizer Aristo­ kratie zu begünstigen, kann nicht füglich gesagt werden; sie stellte sich in Folge der Ereignisse

von

selber ein,

und setzte sich als Das, was dem vorrevolutionnairen Zu­ stande analog war.

Bern, in welchem die alte Aristo­

kratie am nacktesten und schaamloscsten auftrat, und wo diese nicht gerade durch die Umtriebe

der

katholischen

269 Geistlichkeit der anderen Cantone unterstützt zu werden brauchte, wollte sogar zu der alten Einrichtung des Bundes der dreizehn Orte, mit den dazu gehörigen be­ herrschten Unterthanen, zurückkehren, und machte seine Ansprüche an die Cantone Waadt und Aargau, als an Unterthanenlande, geltend. Aber da in Frankreich eine Charte gegeben worden war, welche aussprach, daß das Alte einen Umschwung genommen habe, und nicht in seiner Unmittelbarkeit wiederhergestellt werden könne, so durfte man auch nicht an eine Restauration in der Schweiz denken, die die republikanische Freiheit bloß in dem Maaße gewahrt hatte, in welcher sie im Mittelal­ ler, in Form der Abhänggigkeit und Unterwürfigkeit der Masse unter wenige Bevorzugte aufgetreten war. Der Wiener Congreß, der mit der Anordnung der großen weltgeschichtlichen Interessen und Abtheilungen beschäf­ tigt war, mußte allerdings auch die Schweiz in seine Thätigkeit einbegreifen; aber er konnte sie nicht aus dem Standpunkte der Privatinteressen fassen, welche die gnädigen Herren von Bern vor allen Dingen gern geltend gemacht hätten. In dem am 27sten Mai 1815 von der Tagsatzung genehmigten Bundesvertrag blieb zwar die Anzahl der bisherigen Cantone bestehen, Wallis, Genf und Neufchatel traten als neue hinzu, aber die Cantone wurden wieder so selbstständig und isolirt, als sie vor 1798 gewesen waren; Handelsfreihcil und Niederlassungsrecht wurden aufgehoben, inner-

270 halb der

Cantone

selbst gab

Wahlen und Besetzungen

in

man

die Mehrheit der

die Hände der Patricier,

und das Land, wenn auch nicht gänzlich der Theilnahme an der Verfassung beraubt, war auf ein solches Mini­ mum gestellt, daß es kaum genannt zu werden brauchte. Was

in

den

Jahren

von

1815—1831) in der

Schweiz erreicht wurde, kann in wenigen Worten zu­ sammengefaßt den großen

werden.

Die

römische

Curie,

die

in

europäischen Gebieten mit ihren Absichten

und Planen meist scheiterte, und da, wo sie glücklich zu seyn glaubte, aus anscheinendem Erfolg das Verderben selbst heraufbeschwor, konnte sich der ihr nicht abzuspre­ chenden Gewandtheit besser da bedienen, wo nicht bloß Cantonalintcrcssen, sondern auch persönliche Absichten in dem herbsten Widerspruche sich befanden. gegenüberstehende Element

Da das ihr

höchstens Derbheit war, so

konnte sie es mit den feinen Mitteln spalten und über­ winden, die die Kirche hatte.

Ihr Sieg von

niemals zu gebrauchen verlernt

1830 war vollständig, und die

Organisation des Bisthums Basel, das seinen Sitz in Solothum erhielt, das Resultat desselben. alten Tagen der Vorzeit gingen

Wie in den

die Schweizcrsoldaten

auf geschlossene Capitulationen hin in allerley Dienste, waren

gesinnungslos

der sie bezahlte,

und

für

jeden Herrn

bekundeten

eingenommen,

die dem Baterlande

zugestandene Neutralität auch dadurch,

daß sic sich in

alle Handel mischen mußten, und da gebraucht wurden,

271 wo anstatt der Meinung nur die gedungene Faust zu entscheiden hatte. Was in diesen fünfzehn Jahren etwa in den Verfassungen der einzelnen Cantone geändert wurde, im Waadtland, in Luzern und Tessin, war nur als ein Vorzeichen dessen, was sich späterhin ereignete, zu betrachten. Doch bildete sich in den zahlreichen Ver­ einen der Kern einer schon damals nicht uninteressanten Opposition, und im Cantone Appenzell hatte sich ein Widerspruch gegen die Oligarchie siegreich herausgestellt, der auf die veränderte Zeit und auf Das, was sie be­ gehrte, hinwies. So erschienen denn die Ordonnanzen von 1830, und zündeten in ihrem unglücklichen Ausgange überall, wo Stoff der Erregung aufgehäuft sich befand, in Bel­ gien, in Polen und in der Schweiz. Daß die Berner Aristokraten an ein so plötzliches und schmähliches Ende nicht glauben wollten, war eine Thatsache, die auch wohl anderswo vorkam, und in den davon abhängigen Begebenheiten nichts änderte. Der Verfassungswechsel in den verschiedenen Cantoncn war durch die Juliusre­ volution entschieden. Auch gingen sie beinahe alle in dem letzten Vierteljahre von 1830 vor sich. Thurgau eröffnete den Zug, dann folgten nach einigem Wider­ stände Zürich und Solothurn. In Freiburg, dem Je» suitencoblenz der damaligen Zeit, war die neue Verfas­ sung nur der gewissen Drohung des Bürgerkrieges zu verdanken; in Luzern setzte sich dieselbe trotz des katho-

272 lischen Einflusses ruhiger und schneller durch, weil da? Patriciat daselbst keine große Bedeutung hatte; in Aar­ gau und Waadt mußte offene Gewalt und das Ein­ dringen des Volkes den Entschluß zur Aenderung der Verfassung erzwingen: in Schaffhausen kam es sogar zu einem förmlichen Gefechte. Nur in den eigentlichen de­ mokratischen Cantoncn Uri, Unterwalden. Schwytz, ebenso in Basel und hauptsächlich in Bern, welches sich als Herz und Bollwerk der Schweiz betrachtete, wurden die Reformen aufgehalten, beseitigt, und man gab sich alle Mühe, sie auf ewige Zeiten zu verhindern. Das Patriciat von Bern, welches in seinem Wesen mit der alten Aristokratie, die Venedig beherrschte, ver­ glichen werden kann, und dem eine gewisse Kernhaftigkeit, und die Bedeutung,

die daraus entspringt, nicht

abgesprochen werden darf,

zögerte am längsten mit der

Aufhebung der alten Verfassung, und mit der Berufung eines Rathes zur Entwerfung einer neuen.

Nur erst

dann, als cs hart bedrängt von der Burgdorfer Partei, an deren Spitze die Familie Schnell stand, und von der Bevölkerung der übrigen Aemter, die Schranken gefal­ len sah, die es früher beschützt hatten, entschloß es sich zu einer Art von Abdication, in der mehr der Glaube an die Unmöglichkeit derselben, als die Einsicht in die Nothwendigkeit lag.

Mit ihr stürzte ein letztes Fami­

lienregiment, das noch in Europa herrschte, und wenn auch damit

die Umtriebe der gefallenen Partei nicht be-

273 seitigt waren, wenn in der Stadt Bern selbst die Ma­ jorität ihr noch zugchörte, was sich am stärksten in der Abstimmung über die neue Verfassung bewies, so hatte sich

ihre

Macht

doch

nicht bloß

durch

die Einzel-

begebenheiten des bestimmten Staates, sondern in der Wclransicht verloren. Die Degeneration der einzelnen Hauptcantonc der Schweiz war allerdings höchst

wichtiges

ein

Ereigniß.

für diese Besonderheiten Die

Vormundschaft

der

Städte über das Land war aufgehoben, die Rechts­ gleichheit so

wie die Wahlvertheilung int Sinne der

allgemeinen Ansprüche

eingeleitet.

Aber

damit war

noch für das Ganze nichts gethan; wenn 17! 18 und die Mcdiationsacte nur das Haupt, und nicht die Glieder im Auge gehabt hatten,

so waren

wohl besorgt, und nach

ihren Wünschen eingerichtet;

heute die Glieder

aber sie ermangelten des Bandes, das nun auch nicht mehr das alte von 181,7, sondern ein den neuen Ver­ hältnissen entsprechendes seyn mußte.

Hier traten über­

haupt die Schwierigkeiten ein, wie sie immer die ge­ suchte Stellung des Allgemeinen zum Besonderen fin­ den wird.

Abgesehen von allen Parteiungen und In­

teressen, die diese Entwickelungen noch schwieriger ma­ chen, hielten sich die Einzelnheitcn für gefährdet, wenn eine große Ccntralgewall in die Hände des Bundes ge­ legt würde, und andrerseits war ohne die Macht der Allgemeinheit an eine würdige Repräsentation der Schweiz

274 in den europäischen Angelegenheiten, an eine ihrer geographischen Lage zukommende Stimme nicht zu denken. Wie

bei

einer gesetzgebenden

Versammlung die

erste

Frage wohl die fenn wird: wer soll wählen, so ist hier nothwendig das Erste, was ausgeworfen werden mußte: wer soll die neue Bundesacre oerfassen.

Soll sie von

der Tagsatzung ausgehen, soll ein eigener Versassungsrath berufen werden, und sollen hierzu die Eantone als solche, oder nach dem Verhältnisse ihrer Bevölkerung deputiren.

Nach dem alten Staatsrcchte der Schweiz hat­

ten die kleineren Eantone auf der Tagsatzung ein Recht wie die größeren; ob hier nun nicht die Zeit verändernd eingegriffen habe, ob, wie in England die verfaulten Flecken geschwunden waren, nicht auch hier die Eantone nur nach dem Maaßstabe ihres Werthes, das heißt ih­ rer Bevölkerung zu betrachten seyen,

war die politische

Frage, welche die ganze Schwei; in Bewegung sehte. Die Schutzvereine,

die sich im September 1831 zur

Aufrcchthaltung der gesetzlichen Freiheit und zur Revi­ sion der Bundesverfassung gebildet hatten, trugen das Ihrige dazu bei, diese Lebensfrage frisch zu erhalten. Außer England sind wohl in keinem Bernde von Europa Volksversammlungen wie in

der Schweiz

anzutreffen.

In Frankreich ist die Freiheit so sehr im Allgemeinen concentrirt, daß jede partikulare Aeußerung Furcht er­ regt und aufgehoben werden muß

Hier aber bei den

Bergbewohnern der Schweiz ist das Zusammenkommen

275 der Einzelnen ein so natürliches Recht, daß selbst die

aristokratischen Negierungen etwas

keine auch entgegen­

zusetzen hatten. Als wir mich Bern kamen, waren cs gerade die Fragen über die Bundesrevision, so wie der endlich zu erwartende Ausgang der Baseler Angelegenheit,

neben­

bei auch die Streitigkeiten zwischen dem äußeren und inneren Lande Schwytz, welche die allgemeine Aufmerk­ samkeit erregten.

Die Art

der Schweizer, über Das,

waS sie betraf, zu discutiren, war von der Weise ganz verschieden, die bei anderen Nationen gefunden ward. Sie legten einen Accent auf jede Kleinigkeit: Reden svllabirten sie,

in ihren

und die Aufmerksamkeit, welche

sie den eigenen Incidenzpunktcn zu schenken hatten, die oft mehr ein wirthschaftlichcs als ein historisches Interesse besaßen, zog ihren Blick von den großen Wcltverwandlungen ab, denen sie doch auch unterworfen waren. In Bern machte ich eigentlich nur

eine einzige be­

deutende Bekanntschaft, aber diese wog alle übrigen auf, die mir hatten zufallen können.

Es war die, des alte­

ren Professors der Rechte, Schnell von Burgdorf.

Die­

ser Mann, der nicht allein die Berner Akademie, son­ dern auch den großen Rath, wie den Regierungsrath beherrschte, gehörte zu Denen, welchen die wirkliche Sub­ stanz der Macht lieber ist, als ihre äußere Gestalt und ihre Eitelkeit.

Er zog es daher vor,

anscheinend von

den Ereignissen zurückgezogen zu leben, sich, wenn man

18*

276 cs gelten lassen wollte, in Wahrheit aber,

nicht mit denselben zu befassen,

hinter den Begebenheiten zu stehen,

sie nach seiner Einsicht und Willkübr zu leiten, und die bandelnden Personen als Puppen zu betrachten, denen sein Genie erst den Athemzug des Gebens einzuhauchen habe.

Als Jurist batte er

um das Recht und die Pro

ccdur des Staates Bern die Er batte

die

betreffenden

entschiedensten Verdienste.

Gesetzbücher

abgefaßt,

und

denselben ist das Vorherrschen einer verständigen Abstrac tion nickt

abzubrechen.

Seiner wissenschaftlichen Rieh

lung nac!> geborte er den älteren, philosophischen Juri-sten des

achtzehnten Jahrhunderts an.

liche Eleganz der historischen Juristen dentale

Idealismus

der

waren ihm gleich zuwider:

neuen

Die geschicht­

wie der transcen­

deutschen

er lebte in

Philosophen

einer Welt, in

der der Verstand seilt Reich aufgeschlagen

hatte,

und

Witz und Viumc waren die unterstützenden Machte.

Da

er die Geschickte

und die Bedürfnisse der Schweiz ge­

nau kannte, da die Gedanken der neueren Zeitgeschichte sich seiner bemächtigt batten, so konnte cs nicht fehlen, daß er durch Kenntnisse,

dtlrch eine schlagende Ironie,

und dtlrch die Mittel, die ihm immer offen und heim­ lich zu Gebote standen, eine Art von bedeutender Macht geworden war,

vor der man sich entweder beugte,

oder

die man doch nicht leicht zu behandeln die Absiebt haben konnte.

Sein Schwiegersohn, der Professor der Natur-

geschickte, S chnell, war damals einer der Hauptredner

277 in den Versammlungen der Schutzvereine, und eines der einrlußreichsten Mitglieder des großen Rathes von Bern. Die Umstande, die eine radicale Partei in der Schweiz um diese Zeit herausstellten, hatten die Schnclls gewis­ sermaßen zu Moderantisten gemacht, als welche sie da­ mals angesehen wurden; aber sie waren mit Leib und Seele dem neuen Wesen, wie es sich seit l s >1 gestaltet hatte, zugethan, und obgleich der altere Schnell, der Familie seiner Frau nach (er hatte eine geborne von Wattewvll geheirather) dem echten Berner Parriciate angehörte, so konnte nmn nirgends einem derberen Spott gegen das Schweizer Junkcrthum, wie bei ihm, begegnen. Auf unseren Spaziergangen wurde ich mehr, als ich hircb irgend ein Buch gekonnt harte, über den Gang der Angelegenheiten in der Schweiz belehrt, die ein Europäer, der sich selbst mir der Politik seines Welttheils speciell beschäftigt, in der Regel bei Seite lie­ gen läßt, wie denn auch die schweizerische Geschichte nichts so allgemein Anziehendes bat, daß man länger bei ihr verweilen mochte. Reben der Schweiz kam auch Deutschland, seine Zukunft und seine Wissenschaft, in Frage. Die Schweizer dürfen sich von uns nicht abwenden, denn sie gehören zu uns, und ihre Universitä­ ren haben durch Berufungen aus Deutschland diesen Zusammenhang öfters beweisen müssen. Damals war die Berner Akademie (erst später ist sie zur Universität erhoben worden) in Beziehung auf deutsche Professoren

278 so ziemlich verwittwet.

Henke war nach mehriahrigcr

Ausübung in fein Vaterland Braunschweig zurückgegangen,

und der Historiker Kort um war der einzige her­

vorstechende lehrte.

deutsche

Professor,

der

damals

in

Bern

Nicht in Bern, aber spater in Aarau lernte ich

ihn kennen:

er war finster, oder vielmehr vor sich her-

brummend: er hatte aber eine lebendige wissenschaftliche Ader,

und sein hinreißender Bortrag wurde von den

Berner Studenten dergestalt gelobt, daß sie ihm keinen zur Seite

sehen

mochten.

Haufe (er wohnte

In

des

in demselben, in

alteren

Schnells

welchem Albrecht

von -Faller gestorben war) sah ich auch einen alten und lieben Zuhörer,

den jüngeren St aprer,

wieder,

der

eben jetzt in bernische Staatsdienste eingetreten war. Auf einige Tage entfernte ich mich von Bern, über Thun einen Ausflug machen, das beißt, tigste Landschaft, worden war.

um

in das Berner Oberland zu

in die überraschendste und großar­

welche

mir bis dabin

noch geboten

Neben den Schönheiten der Gegend be­

schäftigte mich auch der Charakter des Volkes, von dem so vieles lieble

im übrigen Europa verbreitet ist.

Ich

glaube, solche Urtheile werden meist nur dadurch hervor­ gebracht,

daß man

sich damit begnügt, die Bewohner

der Wirthshäuser zu betrachten.

Hier ist

freilich

von

Naivität der Gesinnung, und von den schönen Zügen der Menschlichkeit keine Rede mehr.

Da Die, welche durch

die Forderungen der Besucher angewiesen sind, den hoch

279 sten Preis für Das, was sie bieten, zu fordern, und den vorübergehenden Aufenthalt so gut,

als es gehen

will, zu nutzen, wird Habsucht, Verschmitztheit und Ei­ gennutz

alles

auslöschen, was die Natur Gutes und

Gediegenes diesem Volke verliehen

hat.

Wenn man

sich aber einmal von den Straßen entfernt, und in die Hütten des Landmanncs tritt, wenn man ihm erlauben will, sich und seine Gedanken zu entwickeln, so dürste sich ein anderes Schauspiel offenbaren.

Mir ist niemals

so viel einfache und rührende Kindlichkeit, so viel un­ verdorbener Geist, und eine so unzersetzte Natürlichkeit der Gesinnung, als auf meinen Ausflügen in die Schweiz vorgekommen.

Diese Wandelung überrascht um so mehr,

als man die bestimmte Vorstellung von dem durchaus verderbten Eharakter des Volkes mitbringt, und in man­ cher Weise darin bestätigt wird, wenn man damit zu­ frieden ist, bei Dem stehen zu bleiben, was man auf der Oberflache findet. ter kommt,

Wie man in Italien bald dahin­

daß die schnellen und abstrakten Beurthei­

lungen der Nationalitäten sämmtlich falsch, ich will nicht sagen, erlogen sind, und ihren Grund in bequemen Mei­ nungen der Reisenden haben, so wird man auch seinen Sinn über den Eharakter der Schweitzer wesentlich an­ dern, wenn man ihren Boden betritt.

Eine Glatte und

abgeschlossene Bildung findet man bei ihnen freilich nir­ gends: sie sind in ihren Ausdrucksweisen noch unbehabiger wie die Süddeutschen: der Styl ihrer Bekannt-

280 machungen übertrifft anUnbcl)olfcnbcit selbst den österreichi­ schen und baierifchen Canzleistyl.

Alles Unbedeutende er­

scheint ihnen wichtig, und eine gewisse Philistern ist selbst ihren bewandertsten Staatsmännern nicht abzusprechen; aber Poesie, Gemüth, Scharfsinn, selbst große Gaben der Abstraetion ersetzen so vielfach die anderen Mehrfeiten, daß man sich dem Volke freudig zuwendet, und dasselbe bei langereut Aufenthalte immer lieber gewinnt.

Als ich nach

Bern zurückgekommen war, und in der Begleitung des einzigen mir noch treu gebliebenen Studenten nach Lau­ sanne auf einem eigcnds gemietheten Wagen geben wollte, fand ich zu meiner grüßten Verwunderung in demselben einen Engländer sitzen, hörend

sich

betrug.

der als zur Reisegesellschaft ge­

Der Mutscher hatte, nachdem er

mit uns allein contrahirt gehabt, auch noch den Englän­ der engagirt,

der, so viel wir nachher erfuhren, sogar

mehr, als wir Beide, bezahlte. manche

Hatte man nun, wie so

einen raschen Schluß von diesem Mutscher auf

das ganze Volk machen wollen, betrügerischste, infamste

so wäre es sofort das

und unzuverlässigste geworden.

Wir hatten zuvorderst einiges einzuwenden, nachher be­ ruhigten wir uns bei dem Gedanken, daß so ein drittes Reisesubject im Grunde nicht unangenehm sey, und be­ mühten uns

nur,

es zum Gespräche flott zu machen.

Anfangs wollte dies durchaus nicht geben: endlich, un­ gefähr in der Gegend von Murten, erfuhren wir, daß es der Hochtowpartei angehöre,

einen

unauslöschlichen

281 Haß auf das Greysche Ministerium habe, und an einen Sieg der Anhänger des Alten nicht im Geringsten ver­ zweifle. Werden Sie lange in Lausanne bleiben? fragte ich. Eine Viertelstunde. Und wo gehen Sie von dort hin? Nach Chillon. Wo Sie sich wahrscheinlich aufhalten? Auch

eine

Viertelstunde,

versetzte

er verdrießlich.

Ich mache die Tour von Europa, fügte er hinzu. zu gehört,

Da­

daß man in Chillon gewesen seyn müsse,

weil Lord Byron sich daselbst aufgehalten hat.

Im

Grunde ist mir aber das Reisen im höchsten Grade zu­ wider , und ich will Gott danken, wenn er mich unbe­ schädigt nach meinem alten guten und lieblichen Vaterlande zurückführt.

Verflucht seyen alle Die, welche das

Reisen als eine Nothwendigkeit aufgebracht haben, und gesegnet seyen unsere alten Gentlemen der Vorzeit, die so eingesessen auf ihren Schlössern waren, daß sic nicht einmal ein inländischer Krieg daraus vertreiben konnte. Auf diese Weise werden Sie auch wohl nicht viel auf Ihren Reisen beobachtet haben? Ich habe nur eine Beobachtung gemacht, daß man mich in ganz Europa geprellt hat, daß man einen Eng­ länder wie eine große Goldgrube betrachtet, man nehmen könne, was man eben will.

aus der

Was mich

betrifft, so soll ihnen meine Grube bald entwischen.

282 Ganz, wie dieses Gespräch cs mit sich brachte, be­ nahm sich der Engländer auf der Reise: er wollte in Pavernc

und Moudon die Alterthümer itidu besichtigen:

er ging

aus dem Wagen ins Wirthshaus, und dann

wieder in den Wagen zurück: auf den Murtener See warf

er

Blick, hin.

ein

einziges

Mal

einen

ganz

gleichgültigen

sonst brachte er brütend und schlafend seine Zeit

In Lausanne war er sofort verschwunden: er hatte

Wort gehalten, und war kaum eine Viertelstunde da selbst geblieben. In Lausanne dachte zu machen, Freund

denn

ich

ich

einen

hatte

längeren Aufenthalt

daselbst

einen sehr lieben

und Zuhörer, Herrn G ui sän den alteren, der

jetzt bereits die Stelle eines Tribunals bekleidete.

Präsidenten des

unteren

Er hatte Sinn und Neigung für

die philosophische Jurisprudenz, hatte durch ernste Stu­ dien in Berlin det,

sich nach dieser Richtung hin ausgebil­

und wünschte jetzt selbst sein

verlassen,

um

eine

praktisches 2smt zu

theoretische Laufbahn als Professor

an der Lausanner Akademie anzutreten. Bruder,

dem

war dagegen

Sein jüngerer

diese Unterlage deutscher Bildung fehlte, mehr von den praktischen Gedanken des

Tages erfüllt: er versah die Stelle eines Generalprocu rators und die

öffentlichen Anklägers,

französischen Tendenzen

eingearbeitet,

und gesprächig, und gehörte jenem sich um

diese Zeit

in der

hatte sich mehr in

Schweiz

war

lebhaft

milivu an, das zu bilden begann

283 Beide hier

nahmen mich vortrefflich

der große

auf, und mir wurde

Unterschied der deutschen und französi­

schen Schwei; klar. schon einmal an

In

der ersten

ist, wie ich auch

einem anderen Orte gesagt habe, in

der Natur wie in dein Geist,

die schwere Tieft, und

die Unbchülflichkeit der Bildungen offenbar. das Thal den Bergen abringt,

Wie sich

so entwindet sich auch

das Geistige schwer der massenhaften Erscheinung.

In

der französischen Schweiz dagegen ist Alles ruhig und gegeben: die großen Berge stehen rings herum; inner­ halb

des

Landes

bewegt man sich

auf Hügeln und

Seen, und der Geist nimmt die lieblichen und freundli­ chen Gestalten an, angicbt.

Daher

welche die Natur hier unterschieden sind

hier

Bildungsanstalrcn

und

Mädchcnpensionen zu finden, eine gewisse Feinheit, welche Tieft gerade nicht ausschließt, aber sie doch eigen modisicirt.

Von dem Derben und Unbeholfenen, das sich

in der deutschen Schweiz zeigt, wird man hier vollkom­ men entfernt, aber trotz dem, fehlt cs an Ton und Farbe nicht.

Durch einen Empfehlungsbrief,

Bemühungen

und durch die

beider Brüder Guisan wurde ich mit

dem General La Harpe, dem Erzieher des Kaisers Alcrandcr bekannt, und diese interessante Persönlichkeit darf darauf Anspruch machen, ausführlich geschildert zu werden. Mir waren bisher wenige Männer von so hohem Alter

(der General La Harpe

zahlte

damals achtzig

Jahre) vorgekommen, die noch so außerordentlich rüstig

284 und so sehr in dem ungeschmälerten Besitze ihrer Gei steseigenschasren geblieben waren. Seiner Bildung und seinen Studien nach gehörte er dem achtzehnten Jahr­ hundert an, jenem philanthropischen Zeitalter, das die tieferen Schachten des Geistes, welche man in unserer Lebensperiode gesunden hat, zu sehr verachten und über: sehen macht. Wenn diese Zeit auch in vielen Bezie­ hungen ungründlich gewesen ist, so hat sie dock das vor der heutigen voraus, daß die Gelehrsamkeit und Bildmtg einen Humanistischen Zweck besaßen, und daß Rohheit des Gemüthes nicht der dienende Begleiter gro­ ßer Geistesanlagen seyn konnte. In dieser menschlichen Weife, in diesem Philanthropismus der Wissenschaft, wenn ich mich so ausdrucken darf, war La Harpe auf­ erzogen. Reinheit und Weichheit der Gesinnung waren das Element, in dem er steh bewegte. Seine Biblio­ thek bestand mehr aus Dem, was man bis vor dreißig Jahren die Elasiker genannt hatte, doch sollte diese Liebe für eine entschwundene Zeit nicht zugleich eine Verachtung für die gegenwärtige enthalten. Er war vielmehr den Interessen der heutigen Periode noch sehr lebhaft zugethan, und fein Alter hatte nicht bewirkt, waS bei vielen Greifen eintritt, daß sie nämlich über einen gewissen Zeitpunkt hinaus, sich um die neuen Dinge nicht mehr bekümmern. In seinen politischen Ansichten war er wie in seiner Jugend liberal gesinnt, und dem Neuen nicht im Mindesten abgeneigt: er vev

285 gaß

es nicht,

daß er am Meisten zur Emancipation

des Waadtlandes von den Berner Voigten beigetragen harte, und daß gewesen war.

er Director der helvetischen Republik Daher geschahen die Veränderungen, im

Jahre 1830 wohl in seinem Sinne, denn er konnte den Reactionen von ben.

1M4 und 1-SI5 nicht zugethan blei­

Aber sein Verhältniß zum russischen Hose, seine

unzerstörliche Pietät

für

das Andenken

des

Kaisers

Alerander, seines Zöglings, Freundes und Wohlthäters, mischte einige Tropfen von Mäßigung in seine sonst repu­ blikanischen Ansichten, und ließ ihn ein Fortschreiten mit dem Bewußtsein desselben dem raschen Fortgezogenseyn vorziehen.

Wenn La Harpe vom Kaiser Alerander sprach,

traten ihm die Jbranen in die Augen; aber dann be­ merkte man wieder die Regungen von Ehrfurcht, sobald die Kaiserin Katherina an der Reihe

war.

Wie diese

Monarchin aus dem Nebenzimmer seinen Lectionen zugelausckt, wie sie ihn gegen die Denunciationen der mäch­ tigen Herren von Bern in Schutz genommen, und wie sie ihn mit Begeisterung und auffallendem Beifall allen Fremden empfohlen habe, erzählte er gern und

willig.

Nicht minder ließ er sich in die Darstellung seiner Ver­ hältnisse und

zum Kaiser Alerander in den Jahren

181 "> ein,

1814

und was er damals für die Schweiz

gewollt und erstrebt

hatte.

Seine Anhänglichkeit für

die ganze kaiserliche Familie war in jedem Augenblicke seines Lebens gleich stark geblieben, und da gerade um

286 diese Seit der Erbprinz von Weimar sich in Lausanne aufhielt, so war dieser als Neffe des Kaisers Alerandcr, nebst seinem Erzieher, Herrn Sore t, ein Gegenstand der freudigsten

und besorglicksten

Theilnahme.

Die Frau

des Generals La Harpe

war eine sein gebildete Lief-

landerin,

schon seit langer Zeit

die

sich

aber

in die

Schweizerwclt und ihre Sitten gefügt hatte: seine Nichte eine glühende

Spanierin,

die mit

brennendem Eiser

jede Schmach zurückwies, welche man etwa ihrem Baterlande ausbürden wollte, und mit höhnendem Spott über die Unbekanntschaft Mer doch Jeder sich ein Urtheil französische Journal,

zu

welches

nun seit Jahren hielt,

mit Spanien sprach, da haben anmaßte. der General

Das

La Harpe

war der (oimirr iVanrais.

Er

lobte mir hauptsächlich seine Aufrichtigkeit und Wahr­ heitsliebe: es ist das einzige Journal, sagte er, das nie­ mals übertreibt um Wirkung hervorzubringen, das keine jesuitische Nebenabsicht hat, und das doch wiederum nicht so gemein ist, bloß

den Kramern

der

St.

nw

Denis

anzugehören. Bei Tische, im Hause des Generals, wo ich das Glück hatte, mit mehreren ausgezeichneten Männern des Eantons Waadt zusammen zu das Gespräch chung,

daS

seyn,

wandte sich

auf den, Gegenstand damaliger Bespre­ heißt

Schweizeruniversität.

auf die

zu errichtende

allgemeine

Der wiffenschaftliche Zustand in

der Schweiz war damals so beschaffen, daß es in vie­ len

Eantonen

sogenannte Akademien

gab,

die

einen

287 Universitatsanstrich annahmen, ohne im Grunde einen solchen

zu

besitzen.

Alle Facultaten sollten vertreten

seyn, ohne daß die Kräfte, sic zu erhalten, eigentlich vor­ handen waren.

So hatten Bern, Lausanne und Genf

ihre Akademien, neben Basel, welches noch die einzige Universität in der Schweiz besaß.

Waren alle Fonds,

die auf diese Einzclanstaltcn gewandt wurden, in eine gemeinsame Kasse geflossen,

und würde man

daraus

eine allgemeine Schweizerunivcrsitat besoldet haben, so hatte

ein unübersehbarer Bortheil

Einrichtung entstehen daß diese

reich

können.

dotirte Anstalt

aus

einer

solchen

Denn abgesehen davon, berühmte Professoren

halte einladen und erwarten dürfen, wäre dadurch auch ein Bereinigungspunkl zwischen

deutscher und französi­

scher Wissenschaft gebildet worden, wie man ihn nie anders

würde gefunden haben.

Der Elsaß,

welcher

vielleicht am berufensten wäre, diesen Zusammenfluß zu befördern, hat bis jetzt keine Beranlassung gegeben, eine solche Hoffnung entstehen zu lassen.

Das französische

volitischc Leben, und das deutsche literarische sind jedes für sich geblieben,

und wenn auch die Einzelnen an

beiden Theil nahmen, so haben sie sich nicht zu Indi­ viduen umgestalten können, die

ein concrctes Erzeug-

niß beider Bestandtheile waren.

Hier in der Schweiz

Durfte eben eine Hoffnung der Art entstehen, weil nicht von der Präpondcranz eines Elements sondern von der Coordinirung beider die Rede war, weil die französische

288 Sprache nicht als siegende

und die deutsche nicht alt

besiegte erschien, weil sic beide, als im Gemeinbesitze be­ findlich , ihren Werth und ihre Vorzüge gegen einander austauschen

konnten.

Doch

die Schwcizcruniversitat

beruhte ungefähr auf demselben Boden, wie der Gedanke einer

einigen Schweizcrrepublik.

die Particularitat und würde,

so sah

entgegen

der Eantone.

man schon voraus,

sich haben wollen. schaftlichkeit,

Eisersucht

Ihr

stand Jeder

die Universität bei

Zürich würde seine größere Wissen­

Bern sein Vermögen, Waadt seine Bil­

dung, und Basel endlich seine schon bestehende und alte Universität als Grund diese ginge

Weise möchte

des

nichts

dann ein Canton

Vorzuges ;u Stande

angeben. kommen,

Aus und

mit Errichtung einer Special­

hochschule für sich voran, so sey sofort der Gedanke an eine

allgemeine

Einrichtung

untergegangen.

In

der

That geschah cs nach einiger Zeit so; Zürich verkündete seine Universität; Bern

mußte folgen, und

von nun

an war Alles, was über eine Schweizeruniversitat ge­ sprochen worden war, als reine Ebimare zu betrachten. Durch die Güte und Bemühung des Generals L a Harpe erhielt ich Zutritt zu dem üausanner Strashause, einem der wenigen, welche aus dem Principe der Bes­ serung der Gefangenen,

und der dazu gebörigen Rein­

lichkeit und Ordnung beruhen. Daß die Wirkung, welche beabsichtigt wird, aus diesem Wege zum Theil erreicht werden kann, ist offenbar.

Arbeit und Stillschweigen

289 sind vortreffliche Ausrotter schlechter Eigenschaften, bö­ ser Gesinnungen, ein letztes Mittel, wenn es überhaupt noch eines giebt. fort auf, daß

Aber die Betrachtung drangt sich so­

solche Musterstrafhäuser nicht allein nur

für Verbrechen geringerer Natur, sondern auch nur für kleinere Staaten anwendbar sind.

Man muß ihnen alle

mögliche Aufmerksamkeit zuwenden: man muß sie nicht allein mit Fürsorge, sondern mit jener Art von Coquetteric behandeln, die ihnen hierzu theil wird: würde ihre Verwal­ tung von oben herab, und in Pausch und Bogen betrie­ ben, so dürften ähnliche Resultate immer schwieriger, und der Nutzen solcher reinlichen Detentionsanstalten immer problematischer werden.

Dann drängt sich auch die Be­

trachtung aus, ob durch die Ueberfeinheit dieser Einrich­ tung nicht die Strafhäuser selbst in Geschmack kommen, und ob nicht tbeit gewisse Verbrechen bloß in der Ab­ sicht begangen werden, in das Detentionshaus kommen zu können.

Wie durch die Ausrottung einer Krankheit

sofort andere Krankheitsformen entstehen, so bringt auch die Extirpirung eines moralischen Uebels andere morali­ sche Uebel hervor.

Die Menschen, welche zu einseitig

nur immer auf das Hinwegbringen

unangenehmer Er­

scheinungen sehen, bemerken nur oft nicht die neue Miß­ gestalt, die

sich

heimlich

unter

der

verschwundenen

bewegt. Ich will hier bei Gelegenheit meines Lausanner Auf­ enthalts

eines

komischen Jncidenzpunktes

19

Erwähnung

290 thun, der sich an dem Abend ereignete, an welchem ich von dem General La Harpe nach meinem Wirthshause zum Falken ging.

Ich

hatte mich hier kaum in der

großen Wirthsstube niedergesetzt, als ich am Tische mir gegenüber einen Mann erscheinen sah, der im Anmelde­ buche blätterte.

Endlich las er laut:

Eduard Gans.

Auch wohl ein Verbannter.

Aufmerksam durch diese Aeußerung geworden, stieß ich den neben mir sitzenden Studenten an, und bat ihn durch Zeichen, keine Verwunderung an den Tag zu le­ gen.

Der Mann, welcher geblättert, und die eben wie-

dergegebene Aeußerung gemacht hatte, ging, nachdem er gesehen zu haben schien,

welche Fremde sich in dem

Hause aufhielten, aus dem Zimmer, und kam nach einer Weile wieder. Auf mich zugehend fragte er mich: Sind Sie Herr Professor Gans? Allerdings! Und nicht verbannt? Richt im

allergeringsten;

ich wüßte

auch

nicht,

warum. Werden Sic in ihr Vaterland zurückreisen? In wenigen Wochen.

Aber mit wem habe ich die

Ehre, zu sprechen? Ich bin der ehemalige Finanzminister wahrend der polnischen Revolution Verbannter

Biernacki

ohne Heimath,

aus Kalisch,

ein

dem die Erinnerung des

201 vergangenen Jahres als Kiffen dienen muß, auf dem sich di« Oede und Leerheit des heutigen ausstreckt. Mir

schien

dieser

sich

so

sonderbar anmeldende

Mann eine gewisse- Geistes und Redefahigkekt zu besi­ tzen, und ich verweilte bis zwei Uhr des Nachts, um ihn wie einen alten trojanischen Kampfer über das Un­ glück und den Krieg der Polen reden zu hören. ich vermuthete, traf ein.

Was

Skrzyneck! wurde bitter we­

gen der Fehler, die er begangen habe, angegriffen.

Es

wurde gezeigt, daß er als Soldat allerdings die Fähig­ keiten besessen habe, welche einem Divisionair zuzuschrei­ ben sind, daß ihm aber alle höhere Einsicht, nament­ lich in die europäische Politik abgegaygen sey, und daß er durch Zaudern in einem Augenblick Erfolge habe er­ ringen wollen, in welchem nur schnelles Handeln, und ein entschiedenes Benehmen dieselben hatte sichern dür­ fen.

Er war« es, der der Sebastianischm Zusicherung

eines Beistandes, im Falle des Hinziehens der Streitig­ keiten, vertraut habe, und die einzige bedeutende Waffenthat beiDembe Wielke sey nicht seiner Entschlos­ senheit,son dern dem Rathe Anderer zuzuschreiben gewe­ sen.

Recriminationen der genannten Art sind zwar

nicht im Stande, einen einzigen Akt der Weltgeschichte ungeschehen zu machen, aber sie wirken wie ein beruhi­ gendes Pulver, um die unglücklichen Opfer solcher Be­ gebenheiten nickt ganz der Verzweiflung zu übergeben. Die Wirkungen des „hatte dieser" oder des „wäre die-

19*

202 sks geschehen" sind in

so fern als unbezahlbare Linde­

rungen eines gerechten Schmerzes anzusehen, denen man sich niemals zu sehr entgegensehen muß. Wir befuhren,

nach einigen Tagen Aufenthalt

Lausanne, den Genser See von Amhy bis Genf.

in

Viel­

leicht steht dieser Sec dem Comcr an großartiger Naturschonheit, an

an Reichthum der Niederlassungen,

bewegtem

Leben

nach;

dung haben auch ihrerseits

aber

Freiheit

und

und Bil­

einen Einfluß auf die Na­

tur selbst, und nach Betrachtung alles Dessen, war hier zusammen erscheint und geboten wird,

konnte

ich

die

Vorstellung nicht von mir weisen, daß eine stille Zurück­ gezogenheit an der

müßte.

und

für ein

gleichviel

wo,

durcharbeitetes Leben

seyn

Auf dem Dampfboote machte ich die Bekannt­

schaft zweier ren

den Ufern dieses Sees,

schönste Lohn

Männer,

zum Theil

Amt bekleideten.

die

noch

Beide Fürstenerzieher

wa­

in

daS

diesem Augenblicke

Der eine war, wie er sich mir ankün­

digte, der Baron Düpuyge, der Erzieher des Kaisers Ricolaus von Rußland, Insignien des

und

von demselben mit den

großen Annenordens .versehen (ich gebe

dieses lediglich nach seiner eigenen Aussage). In Sprache und Ausdrucksweise,

so wie im Inhalt der Gedanken,

war ein gewaltiger Unterschied zwischen ihm und dem General La Harpe.

Dagegen empfahl sich Herr Soret,

der Erzieher des Erbprinzen von Weimar,

welcher sich

auf demselben Dampfboote befand, durch edle Haltung,

203 freisinnige- Gespräch, und eine Betrachtung der Sachen, nicht nach ihrem äußeren Schein, sondern nach ihrer Sub­ stanz. Daß die ftanzösische Schweiz an Erziehern, Gouver­ nanten und Bonnen einen so guten Ausfuhrartikel besitzt, mag eben in der feinen gesellschaftlichen Bildung liegen, welche hier nicht durch das Störende eines großen nationellen und weltgeschichtlichen Inhalts verdunkelt wird. In einem französischen Schweizer hat man der Sprache nach einen Franzosen, ohne jenes Bedeutende und noth­ wendig Anmaßliche, das dieser dem Werthe seines Vol­ kes ohne Zweifel entlehnt. Genf war um diese Zeit von einer gewissen histo­ rischen Bedeutung. Der Karlismus hatte dort seinen Heerd errichtet. Der Krieg in der Vendee; der abentheuerliche Aufenthalt der Herzogin von Berry in diesem Theile von Frankreich stand in der nächsten Beziehung zu den Umtrieben, welche in Genf ihren Mittelpunkt hatten. In dem Wirthshause, in welchem wir uns be­ fanden, in dem Hölel des eirangcrs, wohnte eine carlistische ftanzösische Familie, Mann, Frau und Schwie­ gervater, welche mit einigen gleichgesinnten Landsleuten und Freunden an der lalile il’hbte sitzend ^ vor zweien Unbekannten, wie wir, sich nicht in ihren Herzensergirßungen stören ließen. Die bestehende Regierung in Franfteich wurde nicht einmal gewürdigt, als eine factische betrachtet zu werden: sie eristirte nach den Reden dcr Karlistcn eigentlich gar nicht: bisweilen kamen

294 Sarcasmen gegen Ludwig Philipp und sein Haus zum Vorschein: manchmal freute man sich sogar über den äußersten Liberalismus und die Wendung, welche er zu nehmen drohte. Mit den bestimmtesten Worten erklärten alle Anwesenden, es könne die Zuliregierung kaum noch ein Jahr aushalten, und Madame freute sich schon auf den Spektakel in Paris, wenn der Her­ zog von Bordeaur seinen Einzug Kalten würde Doch existirte in diesem karlistischen Familienkreise selber ein unheilbares Schisma. Der alte Schwiegervater war für den Karlismus in erster Potenz, das heißt für Karl X. selbst eingcnommeir, und behauptete die Nullität der Abdankung desselben und seines Sohnes, aus dem Grunde, weil Niemand vorhanden gewesen sey, der sie acceptirt hatte. Es gab alle Mittag die sonderbarsten und spaßhaftesten Streitigkcitm zwischen dem Alten und seinem Schwiegersohn, und die Wuth über diese Mei­ nungsverschiedenheit wurde so groß, daß der Alte end­ lich vom Tisch wegzubleiben drohte. Diese Wortkriege