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German Pages 351 [356] Year 1999
Dieter Teichert Personen und Identitäten
W DE G
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Jürgen Mittelstraß, Günther Patzig, Wolfgang Wieland
Band 48
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2000
Personen und Identitäten von Dieter Teichert
Walter de Gruyter · Berlin · New York
2000
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Etnheitsaufnahme Teichert, Dieter: Personen und Identitäten / von Dieter Teichert. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1999 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 48) Zugl.: Konstanz, Univ., Habil.-Schr., 1996/97 ISBN 3-11-016405-1
© Copyright 1999 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen Printed in Germany Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss-Offsetdruck Mörlenbach
Inhalt Einleitung
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I. Hatten die Griechen einen Personbegriff?
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1.1. Personen in der archaischen Periode? 1.1.1. Archaische Körperfragmente 1.1.2. Überlegung und Entscheidung
16 16 21
1.2. Personen in der antiken Philosophie 1.2.1. Piaton 1.2.2. Aristoteles 1.2.2.1. Grundbegriffe 1.2.2.2. Individuation und Identifizierung 1.2.2.3. Identität 1.2.2.4. Psychologie 1.2.2.5. Ethik 1.2.2.6. Was fehlt noch? 1.2.3. Rätsel und Paradoxien personaler Identität 1.2.3.1. Epicharms Diskontinuitätsparadoxie 1.2.3.2. Dion und Theon I.2.3 3. Referenz und Eigenschaftsaussage
25 25 33 34 39 47 52 58 74 76 77 82 84
1.3. Zusammenfassung
86
II. .Person': Wort- und Begriffsgeschichte
90
II. 1. Lexikologie und Etymologie
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11.2. ,Persona' als Terminus der Stoischen Philosophie
93
11.3. ,Persona' als Fachterminus
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11.4. .Persona' als theologischer Begriff 11.4.1. Problemstellung der frühchristlichen Theologie 11.4.2. Augustinus: Trinitätstheologie und Anthropologie 11.4.3. Boethius II.4.3.1. Das Problem der Trinität II.4.3.2. Die Definition von .persona'
99 99 102 106 107 110
VI
Inhalt
II.4.4. .Persona' in der Zeit nach Boethius 11.4.4.1. Singularität, Individualität, Personalität bei Gilbert von Poitiers 11.4.4.2. Identität bei Abaelard 11.4.4.3. Richard von St. Viktor: Jenseits der Substanz 11.4.4.4. Thomas von Aquin: Würde und Freiheit II.5. Zusammenfassung III. Locke und seine Kritiker
117 117 119 121 123 125 130
III.l. Lockes Modell personaler Identität III. 1.1. Fragestellung und Problemhorizont III.1.2. Identität, Individuation, Substanz III. 1.3. Organismen: Pflanzen, Tiere, menschliche Körper III. 1.4. Denken, Bewußtsein, Person III. 1.5. Suspendierung der Substanzfrage III. 1.6. Körpertausch III. 1.7. Handlung und Verantwortung
130 130 131 134 136 143 145 147
111.2. Leibniz 111.2.1. Substanz, Individuum und Identität 111.2.2. ,Nouveaux Essais sur l'entendement humain'
152 153 165
111.3. Butler, Reid und Hume über die Identität der Person III.3.1. Butler oder die Zirkularität des Lockeschen Modells III.3-2. Reid oder das Problem der Intransitivität der Erinnerung III.3-3. Hume im Labyrinth personaler Identität
176 176 181 183
111.4. Zusammenfassung
194
111.5. Exkurs: Kants Begriff der Person
197
IV. Personbegriff und Reduktionismus
207
IV. 1. Rahmenbedingungen
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IV.2. Personen und ihre Identitäten bei Parfit IV.2.1. Personale Identität durch psychische Kontinuität IV.2.1.1. Reduktion, Apersonalismus, Relation R IV.2.1.2. Acht Einwände gegen Relation R IV.2.2. Psychologische Kontinuität und Erinnerung IV.2.2.1. Erinnerung IV.2.2.2. Zirkularität und Quasi-Erinnerung IV.2.3- Die Lehre der Gedankenexperimente: Identität ist irrelevant
225 227 227 236 241 242 254 258
Inhalt
IV.3· Zusammenfassung V. Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
VII
264 266
V. 1. Reschers normativer Anti-Minimalismus
268
V.2. Willensfreiheit als essentielle Eigenschaft
273
V.3. Sechs notwendige Bedingungen von Personalität
277
V.4. Da capo: Menschsein als hinreichende Bedingung?
288
V.5. ,Wesen, die sich selbst als Personen verstehen'
290
Bibliographie
297
Sachindex
338
Personenindex
341
Abkürzungsverzeichnis
343
Vorbemerkung Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Studie, die im Wintersemester 1996/97 von der Philosophischen Fakultät der Universität Konstanz als Habilitationsschrift angenommen wurde. Die Arbeit wurde durch zahlreiche Personen und Institutionen in konstruktiver Weise gefördert. Ich danke Gottfried Gabriel (Jena), Wolfram Hogrebe (Bonn), Kuno Lorenz (Saarbrücken), Joseph Margolis (Philadelphia), Martha C. Nussbaum (Chicago), Amelie O. Rorty (Boston), Carol Rovane (New Haven) und Marya Schechtman (Chicago) für Kritik und Anregung. Jürgen Mittelstraß (Konstanz) hat als Leiter des Zentrums für Philosophie und Wissenschaftstheorie dankenswerter Weise den institutionellen Rahmen für die Durchführung des Arbeitsprogramms zur Verfügung gestellt. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die Gewährung eines Habilitationsstipendiums und für die finanzielle Förderung eines Forschungsaufenthaltes in den USA. Den Herausgebern der «Quellen und Studien zur Philosophie» danke ich für die Aufnahme des Texts, insbesondere danke ich Günther Patzig (Göttingen) für Hinweise und Anmerkungen. Schließlich will ich zwei Personen gegenüber meinen lebhaft empfundenen Dank zum Ausdruck bringen: Johanna Seibt (Austin/Texas) hat in schwierigen Phasen richtungweisende Vorschläge gemacht und in vielen Gesprächen mein Verständnis der behandelten Probleme entscheidend bereichert. Christiane Schildknecht (Konstanz) hat mehrere Fassungen des Buches gelesen und ausführlich mit mir diskutiert. Ihr Scharfsinn hat mir geholfen, Wege in einem unübersichtlichen Gelände zu finden. Konstanz, März 1998
Dieter Teichert
Einleitung Innerhalb der angelsächsischen analytischen Philosophie wird seit Mitte der siebziger Jahre intensiv über die Identität von Personen diskutiert. Die Brisanz und Bedeutung des Themas verdanken sich gleichermaßen der fundamentalen Funktion sowie der exponierten Stellung, die sowohl dem Begriff der Person als auch dem Begriff der Identität zukommt. Der Begriff der Person ist ein Grundbegriff der Praktischen Philosophie. In Ethik und Moralphilosophie, in Politischer Philosophie und Philosophie der Psychologie spielt er ebenso eine zentrale Rolle wie in den Theorien der Geistes- und Sozialwissenschaften. Allerdings ist die Relevanz des Personbegriffs keineswegs mit Transparenz und Übersichtlichkeit verbunden. So unterschiedliche Charakteristika wie Menschsein, Körperlichkeit, Affektivität, Handlungsfähigkeit, Freiheit, Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Erkenntnisfähigkeit, Erinnerung gelten als konstitutiv für den Begriff der Person. Die Vielfalt der Gebrauchsweisen des Personbegriffs in den unterschiedlichen philosophischen Disziplinen, in den Einzelwissenschaften (Anthropologie, Ethnologie, Jurisprudenz, Kulturwissenschaft, Literaturwissenschaft, Ökonomie, Politologie, Psychologie, Soziologie, Theologie) und in den außertheoretischen Diskursen ist verwirrend. In manchen Kontexten ist der Personbegriff gleichbedeutend mit dem Begriff des menschlichen Körpers oder bestimmten Eigenschaften eines menschlichen Körpers. Wenn eine Vorschrift besagt, daß in einem Aufzug 12 Personen oder 900 kg befördert werden können, so wird damit auf eine bestimmte Eigenschaft von Körpern durchschnittlicher Erwachsener Bezug genommen. In anderen Kontexten ist der Personbegriff in keiner direkten Weise auf materielle Eigenschaften bezogen. So etwa in dem Fall, in dem man einem Menschen den Status der Person im strafrechtlich relevanten Sinn abspricht, weil die Bedingung der Zurechenbarkeit von Handlungen und Handlungsfolgen nicht erfüllt ist. Während der Begriff der Person ein Grundbegriff der Praktischen Philosophie ist, handelt es sich bei dem Begriff der Identität um einen Grundbegriff der Theoretischen Philosophie. Identität wird meist als eine zweistellige Relation definiert. Man sagt: Identität bezeichnet die Relation, in der jede Entität zu sich selbst steht. Der umgangssprachlichen Feststellung, daß
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Einleitung
Identität jedem Einzelding als solchem zukommt, entspricht auf der Ebene der Logik die Reßexivität der Identität. Ein weiteres Merkmal der logischen Identität ist Substitutivität. Damit ist gesagt, daß unter der Voraussetzung der Identität von a und b jede Eigenschaft (,F') von a (,Fa') auch eine Eigenschaft von b ist (,Fb'). Wenn die Identitätsrelation durch Symmetrie bestimmt wird, so bezieht man sich darauf, daß die Aussage ,a ist identisch mit b' den Satz ,b ist identisch mit a' impliziert und umgekehrt. Der Transitivität der Identität zufolge kann aus ,a ist identisch mit b' und ,b ist identisch mit c' auf ,a ist identisch mit c' geschlossen werden. Durch das Merkmal der Transitivität unterscheidet sich die Identität in charakteristischer Weise von der intransitiven Ähnlichkeit. Es ist daher problematisch, Identität durch Verweis auf Ähnlichkeit, beispielsweise als maximale Ähnlichkeit, zu explizieren. Der Identitätsbegriff ist ein fundamentaler logischer Begriff. Identität wird als Selbigkeit oder als eine Art der Gleichheit, nämlich als vollkommene Gleichheit bestimmt. Außerhalb formallogischer Modellbildungen erscheint es problematisch, den Identitätsbegriff aus fundamentaleren und allgemeineren Konzepten zusammenzusetzen oder abzuleiten. Jede Bezugnahme und Rede über beliebige Entitäten scheint immer schon den Begriff der Identität vorauszusetzen. Der Identitätsbegriff wird daher mitunter als primitiver, das heißt ursprünglicher oder nicht analysierbarer Begriff bezeichnet. Philosophiehistorisch betrachtet spielt der Identitätsbegriff eine wichtige Rolle. Nicht nur logische, erkenntnistheoretische oder sprachphilosophische Erörterungen im engeren Sinn befassen sich mit den Konzepten der Identität und Selbigkeit. Diese sind seit der Antike zentrale Themen spekulativen metaphysischen Denkens. In der hier vorgelegten Untersuchung werden die Begriffe von Identität und Personalität vorwiegend im Rahmen der Unterscheidungen von Individuation und Identität einerseits sowie der den Identitätsbegriff ausdifferenzierenden Unterscheidungen von numerischer, qualitativer und diachroner (transtemporaler) Identität gebraucht. Individuation und Identität hängen insofern unmittelbar zusammen, als die Identitätsaussage ,a ist identisch mit b' (,a = b') einer Erläuterung bedarf. Man kann mit gutem Grund auf diese Aussage mit der Rückfrage reagieren , Dasselbe wa§'. Offensichtlich sind ,a' und ,b' nicht dieselben Zeichen. Die Identitätsaussage bedarf zu ihrem Verständnis einer Spezifizierung der Art von Gegenständen, auf die sich die durch das Identitätszeichen miteinander verbundenen Ausdrücke beziehen. Erst aufgrund einer Festlegung der relevanten Gegenstandsart können Identitätsaussagen sinnvoll formuliert und angemessen beurteilt werden. In diesem Zusammenhang ist es wesentlich zu sehen,
Einleitung
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daß die Rede von der Identität oder Selbigkeit von Gegenständen in Handlungszusammenhängen und alltäglichen Situationen aufgrund gewohnheitsmäßiger Gebrauchsregeln und bewährter Standards funktioniert. Die hier maßgeblichen Standards weisen einen gebrauchsangemessenen Grad der Präzision auf. Sie sind nicht in einem absoluten Sinn als strenge Identitätskriterien zu begreifen: Wenn Odysseus nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt nach Hause kommt und aus dem Fenster seines Schlafzimmers blickend denkt, daß er denselben Baum wie damals dort draußen sieht, so bezieht er sich mit dem Konzept,derselbe Baum' nicht auf dieselben Äste, Zweige, Blätter, dieselbe Wurzel und denselben Stamm. Dieses Beispiel macht den Zusammenhang von Individuation und Identität greifbar. Würde Odysseus, entgegen den im Alltag maßgeblichen Auffassungen, das Wort ,Baum' so verwenden, daß nur dann ,derselbe' Baum vorhanden ist, wenn die den Baum bildenden Teile (Wurzel, Stamm, Zweige, Blätter) unverändert sind, dann käme er zu anderen Identitätsaussagen über Bäume als seine Zeitgenossen. Bei seiner Rückkehr würde er nicht denken, daß derselbe Baum vor seinem Fenster steht. Anders gesagt, er wüßte nicht, wie man über Bäume spricht. Für die Klärung der Kriterien, auf die sich Aussagen über die Identität von Gegenständen stützen, ist also eine Erläuterung der zugrundegelegten Individuationsprinzipien notwendig. Für eine Explikation des Identitätsbegriffs ist die Unterscheidung numerischer, qualitativer und diachroner (transtemporaler) Identität hilfreich : Unter numerischer Identität ist die zahlenmäßige Einheit zu verstehen, die Selbigkeit im Sinn der Zählbarkeit als ein einzelner Gegenstand. Qualitative Identität bezieht sich auf die Gleichheit von Beschaffenheit, Qualität oder Eigenschaften. Beide Konzeptionen lassen sich am besten kontrastiv erläutern. Zwei Produkte dergleichen Serie, etwa zwei Billardkugeln desselben Fabrikationstyps, sind qualitativ identisch. Sie haben dieselbe Farbe, dieselbe Form und Oberflächenbeschaffenheit, sie bestehen aus demselben Material und haben dasselbe Gewicht. Zwei Kugeln sind aber nicht numerisch identisch. Jede Kugel wird als ein Gegenstand gezählt. Die diachrone oder transtemporale Identität bezieht sich auf den Zusammenhang von Selbigkeit und Zeit. Falls eine Welt denkbar wäre, in der nur ein einziger unveränderlicher und unvergänglicher Gegenstand (eine Billardkugel) existierte, gäbe es keine Gelegenheit, den Begriff diachroner Identität in seiner charakteristischen Weise zu gebrauchen. Die Pointe des Begriffs diachroner Identität besteht darin, die Anfangs- und Endpunkte der Existenz eines Gegenstands zu markieren. Der Gegenstand wird auf seiner Laufbahn durch die Welt verfolgt, ohne daß er mit anderen Entitäten verwechselt wird oder aus dem Blickfeld verschwindet. In einem Universum, das
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durch natürliche und technische Wandlungs- und Veränderungsprozesse charakterisiert ist, kommt dem Begriff diachroner Identität eine zentrale Funktion zu. Die Aussagen über die diachrone Identität von Gegenständen sind durch spezifische Individuationsverfahren charakterisiert: Die diachrone Identität eines Organismus ist nicht identisch mit der diachronen Identität seiner Teile. Das Ende des Lebens eines Organismus koinzidiert nicht notwendigerweise mit der Abtrennung bestimmter Teile oder Materiepartikel. Ungeachtet der vergleichsweise überschaubaren Grundzüge des logischen Identitätsbegriffs besteht kein Zweifel daran, daß es eine verwirrende Vielzahl von Gebrauchsweisen und Bedeutungen von ,Identität' gibt. Um Mißverständnisse und falsche Erwartungen zu vermeiden, ist es daher zweckmäßig, die spezifische Blickrichtung der folgenden Überlegungen zu betonen. Es handelt sich nicht darum, einen primär auf die Selbstrepräsentationsmodi von Individuen ausgerichteten Identitätsbegriff zu untersuchen. Im Alltag, in soziologischen, psychologischen und politologischen Diskursen wird Identität meist als ein Begriff gebraucht, der sich auf das Selbstverständnis, die Einstellung zur je eigenen Lebensform, das Verhältnis zu grundlegenden Bedürfnissen und Fähigkeiten eines Menschen sowie auf normative Orientierungen bezieht. Man spricht von der Identität eines einzelnen Menschen und eines Kollektivs, man redet davon, daß jemand seine Identität sucht oder findet, man akzentuiert die Bedeutsamkeit der Anerkennung der eigenen Identität durch andere. Mit solchen Redeweisen sind komplexe Formen des Selbstbezugs, des Selbstverhältnisses, der expliziten Selbstrepräsentation und der Bewertung angesprochen. Der dabei gebrauchte Identitätsbegriff kann teilweise mittels eines relationslogischen Modells als eine Beziehung bestimmt werden, in der das einzelne Individuum zu sich selbst steht, wobei die Relation über externe Instanzen (Bezugspersonen, Gesellschaft, Normen, Werte) verläuft. Der Selbstbezug ist durch den Fremdbezug vermittelt. Alternativ kann die Rede von der Identität auch als einstellige Prädikation konzipiert werden. In diesem Fall wird Identität zugeschrieben, um Formen des Lebens, in denen das Individuum entsprechend seinen grundlegenden Bedürfnissen und Fähigkeiten lebt, von Existenzweisen abzuheben, in denen jemand seine eigentlichen Anlagen vernachlässigt oder an ihrer Entwicklung gehindert ist. Hier wird Identität in engem Zusammenhang mit Konzepten wie ,Selbstverwirklichung', ,Authentizität' oder .Wesen des Individuums' gebraucht. Jemandem in diesem Sinn das einstellige Prädikat,identisch' zuzuschreiben, bedeutet, von ihm zu sagen, daß er seine grundlegenden Bedürfnisse und Fähigkeiten erkannt hat und sein Leben entsprechend führt. Möglicherweise ist es ein Spezifikum dieser Form von Identität, daß sie nicht extern zugeschrieben werden kann, son-
Einleitung
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dem auf die Artikulation des jeweiligen Individuums d.h. auf einen Akt der Selbstbeurteilung angewiesen ist. Solche Konzeptionen stehen hier zunächst nicht zur Debatte. Im Abschlußkapitel werden im Zusammenhang mit den Konzepten reflexiver Rationalität und kritischer Bewertung eigener Überzeugungen und Wünsche Fragen behandelt, die eine Anschlußmöglichkeit zu dem weiten Feld der Selbstverhältnisse und Selbstrepräsentationen eröffnen. Entsprechend der Auffächerung des Identitätsbegriffs in die Konzepte numerischer, qualitativer und diachroner Identität kann man das umfassende Thema der hier vorliegenden Untersuchung in zwei Teilschritte untergliedern: Es gilt zunächst zu klären, ob und wie Personen als Mitglieder einer besonderen Gegenstandsart von anderen Entitäten unterschieden werden. Diese Frage zielt darauf ab, Bedingungen von Personalität anzugeben. Der zweite Fragenkomplex betrifft die Bezugnahme auf einzelne Mitglieder der Gruppe der Personen: Wie können einzelne Personen synchron und diachron zuverlässig identifiziert und reidentifiziert werden? Wann beginnt die Existenz einer Person, wann endet sie, und wie wird eine Person von anderen Personen unterschieden? Im Zusammenhang mit der diachronen Identität und der Reidentifizierung eines Individuums spielt das Konzept des Identitätskriteriums eine zentrale Rolle. Denn hier gilt es zu unterscheiden zwischen den Veränderungen eines Gegenstands (der im Sommer belaubte Baum als ein mit dem im Winter laublosen Baum identischer Gegenstand) und Veränderungen, die das Werden und Entstehen, den Beginn und das Ende der Existenz des einzelnen Gegenstands darstellen (das Fällen des Baums als Ende des Lebens eines Organismus und Beginn des Vorhandenseins von Brennholz). Das Problem der Kriterien von Identität steht in den Debatten über personale Identität, wie sie insbesondere innerhalb der angelsächsischen analytischen Philosophie derzeit geführt werden, im Mittelpunkt des Interesses. Mit großer Akribie und teilweise beachtlichem terminologischen und technischen Aufwand werden Anstrengungen unternommen, eine möglichst präzise Fixierung der Identitätskriterien zu erreichen. Der Zusammenhang von Individuation und Identität wird hierbei bis auf wenige Ausnahmen nicht explizit behandelt. Die Mehrzahl der Autoren befaßt sich nicht mit Fragen der Explikation des allgemeinen Personbegriffs. Dies kann durch die Überzeugung motiviert sein, daß der Begriff der Person ohne weiteres verständlich ist und in seiner Bedeutung für die Diskussion der Identitätskriterien von Personen keiner Explikation bedarf. Möglicherweise spielt aber auch die entgegengesetzte Überzeugung eine Rolle, dergemäß der Personbegriff zu opak, zu vieldeutig und zu unübersichtlich ist, um eine
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gründliche Analyse zu gestatten. Wie dem auch sei, es ist eines der Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung, daß die Ausklammerung einer Explikation des Personbegriffs in den Diskussionen über die Identität der Person zu schwerwiegenden Problemen führt. Der Aufbau der Studie ist durch die Absicht bestimmt, den Zusammenhang von Individuation und Identität hinsichtlich des Personbegriffs mit angemessener hermeneutischer Sorgfalt in den Blick zu bringen. Das Fundament für die Diskussion über die Identität der Person wird durch eine Darstellung der Begriffsgeschichte von ,Person' gelegt, weil die Klärung der Identitätsbedingungen auf eine plausible Konzeption von Personalität angewiesen ist. Da der Personbegriff kein theoretischer Begriff im engen Sinn ist, kann keine einzelwissenschaftliche Theorie oder philosophische Teildisziplin als solche den Anspruch erheben, einen gleichermaßen allgemeingültigen und gehaltvollen Personbegriff aus eigenen Ressourcen zu formulieren. Es ist nicht abzusehen, wie die Entscheidung, eine der theoretischen Personkonzeptionen als Basis zu gebrauchen, anders als willkürlich ausfallen könnte. Auf der anderen Seite ist die Anlehnung an das umgangssprachliche und alltägliche Konzept der Person insofern nicht unproblematisch, als es sich hierbei weder um einen abgeschlossenen und scharf definierten Begriff noch um ein Konzept handelt, dessen Kernbedeutungen sich mühelos von eher peripheren Aspekten trennen lassen. Das Vertrauen in die Autorität des alltäglichen Personbegriffs wird zudem dadurch eingeschränkt, daß nicht alle wichtigen mit diesem Konzept verbundenen Intuitionen widerspruchsfrei miteinander zu vereinbaren sind. Trotz dieses Umstands bildet ein alltägliches und weites Vorverständnis des Personbegriffs den Ausgangspunkt der vorgelegten Überlegungen. Dieser Personbegriff erfaßt in seinen unterschiedlichen Varianten jeweils als zentral angesehene Eigenschaften und Fähigkeiten der Menschen wie Vernünftigkeit, Handlungsfähigkeit, Selbstbewußtsein und Empfindungsfähigkeit. Die Begriffsgeschichte zeigt in welcher Weise die Tradition heute als bedeutsam angesehene Bestimmungen entwickelt und welche Funktion den jeweiligen Begriffsbildungen zukommt. Am Ausgangspunkt steht die Frage, ob mit Blick auf die griechische Antike von der Verfügbarkeit eines Begriffs der Person gesprochen werden kann. Für ein Verständnis der begriffsgeschichtlichen Ausführungen in Kapitel I ist es wesentlich, Begriffsgeschichte nicht einfach mit Wortgeschichte gleichzusetzen. Von einem philosophischen Standpunkt aus betrachtet ist nicht die Geschichte des Lexems ,Person' als solches von Interesse. Das Wort ,Person', beziehungsweise sein lateinisches Äquivalent ,persona', tritt erst relativ spät auf. Die griechischen Autoren verwenden keinen Terminus, der auf direkte Weise als Synonym zu .Person' fungiert. Sie verfügen aber
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über wesentliche Unterscheidungen, die den späteren begrifflichen Gebrauch von .Person' bestimmen. Für den ausschließlich wortgeschichtlich interessierten Historiker besteht kein Anlaß, den der Verwendung von .persona' vorausgehenden Sprachgebrauch zu beachten. Für die Begriffsgeschichte sind die vorausgehenden Redeweisen und Konzeptionen durchaus relevant. Würde Begriffsgeschichte rein wortgeschichtlich konzipiert, käme man zu dem Ergebnis, daß die griechische Antike keinen Begriff der Person kannte. Das erste Kapitel zeigt, weshalb und inwiefern diese Auffassung unzutreffend ist. Im einzelnen wird die Frage nach der Verfügbarkeit der für den Personbegriff charakteristischen begrifflichen Unterscheidungen und Konzeptionen mit Blick auf die Homerischen Epen, auf Piaton und Aristoteles sowie hinsichtlich der in der Antike behandelten Identitätsparadoxien erörtert. Welches sind die Unterscheidungen, die hier von Interesse sind? Und womit ist die Auswahl gerade dieser Unterscheidungen begründet? Bei den fraglichen Unterscheidungen handelt es sich um die Erfassung derjenigen Eigenschaften und Fähigkeiten, durch die handelnde Wesen im Gegensatz zu anderen Entitäten bestimmt werden. Im Fall des Personbegriffs stehen diejenigen Unterscheidungen zur Debatte, die den Vollzug von Handlungen betreffen. Die Konzeption der Person als Akteur bildet gewissermaßen den gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Konzeptionen. Dadurch ist ein vereinheitlichendes Gegengewicht zur Kontextabhängigkeit und Vagheit des Begriffs gegeben. Es ist wichtig zu beachten, daß auch bei vagen und kontextabhängigen Begriffen einzelne Unterscheidungen einen Kernbereich der Begriffsbedeutung darstellen können. In diesen Fällen impliziert der Kontextualismus und die Vagheit keine vollständige Unübersichtlichkeit. Auf den historischen Bereich vor der Verwendung der Wörter ,Person' oder ,persona' bezogen bedeutet dies, daß danach gefragt wird, welche Bestimmungen des handelnden Subjekts in der griechischen Antike maßgebend sind. Dabei zeichnen sich drei Dimensionen ab. Die Handelnden werden als Wesen gefaßt, die Wissen bilden. Sie werden als Akteure bestimmt, die überlegen, entscheiden und Handlungen vollziehen können. Schließlich werden affektive oder emotionale als handlungsbestimmende Momente (Affekte und Emotionen als Motive, als Ergebnisse, als Ziele des Handelns) ausgezeichnet. Entsprechend wird im folgenden von einer epistemischen Dimension, einer praktischen Dimension sowie einer psychologischen Dimension des Personbegriffs die Rede sein. Wie steht es mit dem Einwand, der besagt, daß diese triadische Strukturierung des Personbegriffs genuin neuzeitlich ist und lediglich eine Rückprojektion der Distinktion von .Erkenntnisvermögen', .Begehrungsvermö-
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gen', .Gefühl der Lust und Unlust' oder von ,Kognition', ,Volition' und ^ m o tion' darstellt? — Dieser Einwand ist insofern berechtigt, als die antiken Autoren die vorgeschlagene Untergliederung tatsächlich nicht explizit vertreten. Dies wird hier allerdings auch nicht behauptet. Die These ist vielmehr, daß im Vorfeld des terminologischen Gebrauchs des Personbegriffs grundlegende Unterscheidungen ausgearbeitet werden, die in den später entwickelten Begriff eingehen und seinen Bedeutungskern konstituieren. Der Blick auf Piaton und Aristoteles zeigt, daß der epistemischen, der praktischen und der psychologischen Dimension des Handelns jeweils ausdrücklich Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die begriffsgeschichtlichen Analysen behandeln nicht nur die für den Personbegriff insgesamt einschlägigen Unterscheidungen und Konzeptionen, sondern sie berücksichtigen auch die Frage, inwieweit in der griechischen Antike Ansätze zur Formulierung und Beantwortung der Frage nach dem Zusammenhang von Individuation und Identität sowie nach der Bestimmung von Identitätskriterien aufgrund eines Konzepts von Personalität anzutreffen sind. Die Arbeit bietet in ihren ersten drei Kapiteln eine Darstellung der Geschichte der in der zeitgenössischen Diskussion zentralen Gedankenexperimente. Leser, die mit der jüngeren Diskussion vertraut sind, kennen die vielfältigen Duplikations-, Spaltungs- und Verschmelzungsszenarien, die als Testfälle für unterschiedliche Identitätskonzeptionen gebraucht werden. Vorformen und Analoga bei Piaton, Aristoteles, in der späteren philosophischen Literatur der Antike sowie bei Locke und Leibniz werden vorgestellt. Von mehr als historischem Interesse sind in diesem Zusammenhang insbesondere diejenigen Überlegungen, die, wie etwa im Fall der in 1.2.3. behandelten Puzzles, systematische Verbindungen zum Identitätsbegriff, zum Problemkomplex von Prädikation und Referenz oder zum Begriff der Vagheit aufweisen. Das bekannteste hier behandelte Rätsel ist die von Plutarch überlieferte Frage nach der diachronen Identität des Theseus-Schiffs. Kapitel //führt die begriffsgeschichtlichen Erörterungen fort und behandelt die mit dem Gebrauch des Lexems ,persona' verbundenen Entwicklungen. Zunächst werden die ursprünglichen Wortbedeutungen von ,persona' erläutert. Der Ausdruck ,persona', dessen Etymologie nicht vollständig geklärt ist, bezeichnet zu Beginn der Wortgeschichte die Theater- oder Ahnenmaske. In mehreren Etappen wandelt sich der Sprachgebrauch und weist dem Terminus .persona' eine immer bedeutsamere begriffliche Funktion zu. In der lateinischen Antike ist ein soziologischer Personbegriff und seine Verwendung innerhalb der Stoischen Philosophie festzustellen. Die Darstellung berücksichtigt kurz die unterschiedlichen Gebrauchsweisen von .persona' als Fachterminus und stellt schließlich die für die christliche Anti-
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ke und das Mittelalter maßgebliche theologische Bedeutung des Personbegriffs dar. Auch hier gilt die Aufmerksamkeit nicht allein den unterschiedlichen Definitionen und Explikationen des Personbegriffs, sondern dem Zusammenhang von Individuation, Identität und Personalität. Die theologische Diskussion des Personbegriffs ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil sie explizit das Problem der Identität von Personen zur Diskussion stellt. Das Problem zerfällt in zwei Teilprobleme: Die christologische Frage nach der Identität Christi gilt dem Verhältnis des Menschen Christus und des mit Gott identischen Christus. Die trinitätstheologische Frage betrifft das Verhältnis von Vater, Sohn und Heiligem Geist als den drei unterschiedlichen Personen des einen Gottes. Blickt man allein auf die Probleme der Logik des Identitätsbegriffs, so kann man lax gesprochen sagen, daß der theologische Personbegriff den ältesten dokumentierten Fall von multipler Persönlichkeit erörtert. Ernsthafter gesprochen ist dieser Abschnitt der Begriffsgeschichte von systematischem Interesse, weil hier nicht mehr ein durch einen übergreifenden Artbegriff bereitgestellter Begriff des Individuums die Identitätsurteile reguliert. Das an Aristotelischen Auffassungen der Identifizierung von Entitäten aufgrund allgemeiner Gattungs- und Artbegriffe sowie an einem nicht unproblematischen Substanzbegriff orientierte Denken stößt hier auf eine Grenze, da Unterschiede, die nicht über eine Rasterung durch Artbegriffe laufen, erfaßt werden sollen. Insgesamt gilt für den Personbegriff der christlichen Spätantike und des Mittelalters, daß er nicht den Menschen als denkendes, handelndes und fühlendes Wesen in den Mittelpunkt der Analyse stellt, sondern primär im Dienst der theologischen Diskussion steht: Menschen sind Personen lediglich in indirekter Weise, aufgrund ihrer durch die Autorität der Heiligen Schrift beglaubigten Gottebenbildlichkeit. Wirkungsmächtige Definitionen wie die des Boethius, der die Person als unteilbare Substanz einer vernünftigen Natur (,naturae rationabilis individua substantia') bestimmt, gelten primär den göttlichen Personen und reinen Geistwesen. Menschliche Personen gehören unter anderem und gleichsam am Rande zur Extension dieses Konzepts. Retrospektive Interpretationen, die die Formel des Boethius als Definition des Begriffs der menschlichen Person lesen, sind historisch blind. Erst am Ende der mittelalterlichen Entwicklung des Personbegriffs tritt die praktische Dimension der Person als handelndes Subjekt deutlicher hervor. Thomas von Aquin sagt von Personen, daß sie die Herrschaft über ihre Handlungen besitzen. Damit setzt ein Prozeß ein, der die praktische Dimension des Personbegriffs immer stärker betont. Kapitel III führt die Untersuchungen mit einer ausführlichen Darstellung der Lockeschen Theorie personaler Identität fort. Lockes Interesse am Per-
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sonbegriff ist primär moralphilosophischer und theologischer Natur. Unter welchen Bedingungen kann jemand für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden? Wann kann man in Hinblick auf eine einzelne Person sagen, sie sei identisch mit einer Person, die eine bestimmte Handlung in der Vergangenheit ausgeführt hat? Identitätsaussagen der hier thematisierten Art sind von elementarer Bedeutung in Handlungszusammenhängen, insbesondere im Hinblick auf Fragen der Zurechenbarkeit von Handlungen und Handlungsfolgen. Das Spezifische an Lockes Behandlung des Problembestands besteht in einer Akzentuierung der Bedeutung von Bewußtseinszuständen und der Erinnerung an vergangene Ereignisse. Die diachrone Identität der Person kann nach Locke nicht entschieden werden, ohne darauf zu achten, welche Bewußtseinszustände ein Wesen hat. Personale Identität ist nicht durch die externe Identifikation eines Körpers feststellbar. Der Grund für diese Betonung des Bewußtseins, des Selbstbewußtseins und der Erinnerung hängt mit der hier maßgeblichen Funktion des Begriffs der Person zusammen. Ein Wesen, auch wenn es sich um einen lebenden menschlichen Organismus handelt, wird nicht als eine Person betrachtet, wenn es unfähig ist, sein eigenes Verhalten zu kennen, Handlungen zu planen und auszuführen sowie vergangene Handlungen in der Erinnerung zu vergegenwärtigen und sich selbst zuzurechnen Locke bestreitet, daß die diachrone Identität einer Person in der Beobachterperspektive mit letzter Gewißheit zu fixieren ist, weil die Identität der Person durch Bewußtsein, Selbstbewußtsein und Erinnerung konstituiert ist. Diese Bedingungen sind jedoch dann nicht erfüllt, wenn ein Wesen etwa die Fähigkeit verloren hat, sich an vergangene Handlungen zu erinnern. In Fällen totaler Amnesie oder bei menschlichen Organismen, die in Zukunft keinerlei Bewußtseinszustände mehr aufweisen werden, ist entsprechend der Sichtweise Lockes die Voraussetzung diachroner personaler Identität nicht erfüllt. Mehr noch, es handelt sich in solchen Fällen überhaupt nicht um Entitäten, die als Personen anzusprechen wären. Die der Lockeschen Argumentation zugrundeliegende Unterscheidung zwischen den Begriffen des Menschen und der Person steht einerseits in voller Übereinstimmung mit dem älteren theologischen Personbegriff. Andererseits sind sowohl diese Unterscheidung wie auch die Suspendierung der Substanzproblematik, die die Frage danach offen läßt, ob eine materialistische, eine immaterialistische, eine monistische oder eine dualistische Ontologie überzeugt, umstritten. Lockes Theorie der personalen Identität und die Betonung der Erinnerung als identitätsentscheidender mentaler Funktion wurde von seinen Zeitgenossen kontrovers diskutiert. Nicht der Wirkungsgeschichte nach, aber in der Sache ist die ausführlichste und hell-
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sichtigste Kritik Lockes diejenige von Leibniz. Die Orientierungen beider Autoren unterscheiden sich in grundlegender Weise, besonders hinsichtlich ihrer Stellung zur Substanzfrage. Aus diesem Grunde ist eine Skizze des allgemeinen Rahmens der Leibnizschen Überlegungen zweckmäßig. Dies ist darüber hinaus auch durch die zentrale und wirkungsmächtige Stellung des Begriffs des Individuums sowie der des Identitätsbegriffs bei Leibniz angezeigt. Die Ausführungen zu Leibniz greifen systematisch gesehen die im Zusammenhang mit der Behandlung der Überlegungen des Aristoteles gewonnenen Einsichten hinsichtlich des Verhältnisses von Individuation und Identität wieder auf. Bei Leibniz werden die außerordentlich starken Anforderungen deutlich, die an den Gebrauch des strengen Identitätsbegriffs gestellt sind. Im Rahmen seiner metaphysischen Gesamtkonzeption und auf der Basis seines Individuenbegriffs sind diese Bedingungen erfüllt. Werden die metaphysischen Grundannahmen nicht aufrecht erhalten, so ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten. Mit Blick auf das Problem personaler Identität ist Leibniz in erster Linie deshalb bedeutsam, weil er Lockes unzureichenden Erinnerungsbegriff in mehreren Hinsichten ausdifferenziert. Locke stellt die Lage so dar, als ob die Identität der Person an die Erinnerung aller vergangenen Erfahrungen gebunden sei. Dies ist natürlich in hohem Maß kontraintuitiv: Falls Sokrates als erwachsener Mann sich nicht mehr daran erinnert, wie er seinen fünften Geburtstag verbracht hat, ist er nach Locke nicht dieselbe Person wie das fünfjährige Kind. Mit Leibniz können unterschiedliche Formen von Erinnerung unterschieden werden. Zunächst ist die Unterscheidung zwischen direkter Erinnerung (Erinnerung aus der Innenperspektive) und Erinnerung aus der Beobachterperspektive (Vergangenheitswissen) zentral. Zudem unterscheidet Leibniz zwischen der vollständigen Erinnerung im Sinne des Verfügens über ein lückenloses Gedächtnis vergangener Erfahrungen und psychischer Kontinuität, die auf der direkten Erinnerung an den jeweils unmittelbar vorangegangenen Bewußtseinszustand basiert, ohne weiter zurückliegende Erfahrungen zu erfassen. Die Behandlung der Überlegungen von Leibniz ist auch deshalb von Bedeutung, weil Leibniz eine eigentümliche Konzeption der Substanz ausarbeitet. Für die Art der Suspendierung der Substanzproblematik bei Locke zeigt Leibniz kein Verständnis. Für ihn ist die Frage nach der Identität der Person kein empirisches, sondern ein metaphysisches Problem. ,Populäre' Auffassungen der Substanz als des passiven oder eigenschaftslosen Dinges, das als Träger von Eigenschaften gilt, finden bei Leibniz keine Anhaltspunkte. Er bestimmt die Substanz unter Bezugnahme auf die Aristotelische Konzeptionen der substantiellen Formen und der Entelechie als Kraft, als
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genuine Aktivität. Autonomie und Spontaneität sind zentrale Momente der Substanzkonzeption von Leibniz, die im Spätwerk mit dem Begriff der Monade ihre markante Fassung gewinnt. Auch J. Butler und T. Reid reagieren ablehnend auf Lockes Modell personaler Identität. Butler formuliert einen bekannten Einwand, der besagt, daß Erinnerung nicht als Kriterium für die Identität der Person funktionieren könne, weil Erinnerung die Identität der Person bereits voraussetze. Es wird gezeigt, daß dieser auf den ersten Blick plausibel wirkende Einwand nicht durchschlagend ist. Reid bringt einen bereits im Zusammenhang mit Leibniz behandelten Einwand gegen den Erinnerungsbegriff bei Locke vor. Die Kritik ist vollkommen berechtigt und macht geltend, daß psychische Kontinuität im Leben von Personen auch dann als gewährleistet anzusehen ist, wenn einzelne Gedächtnisinhalte vergessen werden. Reid zeigt, daß es sich bei der Identität um eine transitive Relation handelt, während Erinnerung intransitiv ist. Als letzter Autor des 18. Jahrhunderts wird D. Hume diskutiert. Hume behandelt die Identität der Person oder des Selbst ebenfalls als eine Frage, die auf der Ebene psychischer oder mentaler Inhalte entschieden wird. Dabei formuliert er den Befund, daß das Selbst nicht beobachtet werden kann und folglich eine bloße Fiktion ist. Mit dieser Diagnose verstrickt er sich allerdings in große Schwierigkeiten, die ihn zu dem Eingeständnis zwingen, das Problem der personalen Identität als ungelöstes Rätsel auf sich beruhen lassen zu müssen. Nachdem die Konsequenzen, die Kant angesichts der Problemlage Humes zieht, in einem Exkurs dargestellt sind, setzt Kapitel TVmit einem Überblick über die Rahmenbedingungen der Gegenwartsdiskussion ein. Das Problem der Identität von Personen wird an den Schnittpunkten unterschiedlicher philosophischer Disziplinen diskutiert: Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Philosophie des Geistes und Praktische Philosophie sind die maßgeblichen Teilnehmer an den Diskussionen über die Begriffe der Person und der personalen Identität. Die Problemlandschaft ist nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Teildisziplinen unübersichtlich. Ein Überblick sorgt an dieser Stelle für Orientierung und markiert gleichzeitig die Breite der unter dem Stichwort der Identität derzeit verhandelten Probleme (IV.l.). Eine ausführliche und detaillierte Auseinandersetzung mit einem der wichtigsten Vertreter reduktionistischer Theorien personaler Identität schließt sich an: Derek Parfits Modell psychischer Kontinuität. Die Grundlagen von Parfits Darstellung der Zustände, die eine Person definieren, sowie die Modi der diachronen Verbindungen dieser Zustände werden vorgestellt. Acht
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Einwände gegen Parfits Definition psychischer Kontinuität weisen auf gravierende Unterbestimmungen, Undeutlichkeiten und implausible Unterscheidungen hin, durch die diese Theorie belastet ist (IV.2.1.). Die Auseinandersetzung mit Parfit bietet nochmals Gelegenheit, den Zirkularitätseinwand Butlers zu diskutieren, der generell gegen Modelle psychischer Kontinuität und Erinnerungstheorien gerichtet ist. Der Erinnerungsbegriff ist nicht nur in seiner möglichen Rolle als Kriterium der personalen Identität, sondern grundsätzlich als eine notwendige Bedingung für Personalität ein für den behandelten Problemzusammenhang wesentlicher Begriff. Zwei Argumentationsweisen gegen Butler werden vorgestellt. Zunächst wird das Argument behandelt, demzufolge erstpersönliche Erinnerung personale Identität nicht voraussetzt, weil bei dieser Form der Erinnerung Fehlidentifikationen des Subjekts aus begrifflichen Gründen ausgeschlossen sind. Anschließend wird der Versuch diskutiert, den Zirkularitätseinwand mit Hilfe des Begriffs der ,Quasi-Erinnerung' zurückzuweisen (IV.2.2.). Der dritte Teil des dem Modell Parfits gewidmeten Abschnitts behandelt eine Reihe von Gedankenexperimenten, die Reduplikations- und Spaltungsszenarien präsentieren. Zentral ist hier Parfits These, daß die Identitätsrelation und ihre formalen Eigenschaften nicht bestimmen, worauf es beim Überleben von Personen ankommt. Anstelle von Identität ist hier ausschließlich psychische Kontinuität relevant. Dabei vertritt Parfit eine radikale Version dieser Konzeption, insofern als er körperliche Kontinuität nicht zu den notwendigen Bedingungen personaler Identität rechnet. Angesichts der Probleme, die durch die Berücksichtigung logischer Möglichkeiten für eine Explikation personaler Identität entstehen, besitzt die allgemeine These Parfits hinsichtlich der Unerheblichkeit der Identitätsrelation für eine Klärung der Frage, worauf es beim Überleben von Personen ankommt, eine gewisse Plausibilität. Allerdings verdankt sich diese nicht den Gedankenexperimenten Parfits selbst. Denn diese weisen mehrere Unklarheiten, Doppeldeutigkeiten und Schwächen auf. Die oben angesprochene Verbindung der Individuationsproblematik und der Identitätsfrage ist bei Parfit nicht adäquat geklärt. Seine Überlegungen verfügen nicht über einen hinreichend explizierten Personbegriff (IV.2.3 ). Kapitel V kehrt vor dem Hintergrund der bei Parfit diagnostizierten und für weitere Modelle personaler Identität exemplarischen Schwäche zurück zu der Frage der Definierbarkeit und Explikation des Personbegriffs. Vier unterschiedliche Vorschläge zur Bestimmung der Bedingungen von Personalität werden erörtert. Dabei ist zu klären, ob eine Definition durch Angabe notwendiger und hinreichender Bedingungen möglich ist. Der erste Vorschlag stammt von N. Rescher, der Personalität durch sieben notwendige
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und gemeinsam hinreichende Bedingungen bestimmt (V.l.). Der zweite Vorschlag charakterisiert Personen durch die Fähigkeit, Volitionen zweiter Stufe zu bilden. Damit ist gemeint, daß Personen nicht nur Wünsche haben, sondern höherstufige Wünsche ausbilden und sich auf dieser Grundlage mit bestimmten Wünschen identifizieren können: sie können wünschen, einen bestimmten Wunsch zu haben. Diese Explikation des Personbegriffs durch den Begriff der Willensfreiheit wurde von H. Frankfurt vorgelegt (V.2.). Der dritte Vorschlag zur Bestimmung des Personbegriffs stammt von D. Dennett. Er nennt sechs notwendige Bedingungen und kommt zu dem Ergebnis, daß es sich gemeinsam um gute Kandidaten für eine hinreichende Bedingung von Personalität handelt. Im Zentrum seiner Überlegungen steht der Begriff der reflexiven Rationalität (V.3.). Der vierte Vorschlag bestimmt den Begriff der Person über die hinreichende Bedingung der Zugehörigkeit zu einer natürlichen Art. Menschsein ist in dieser Perspektive betrachtet gleichbedeutend mit Personalität (V.4.). Der erste und der vierte Vorschlag werden als ungenügend zurückgewiesen. Der zweite Vorschlag benennt in erhellender Weise einen zentralen Aspekt des Personbegriffs, der von Dennett aufgegriffen wird. Dennetts Position stellt den überzeugendsten und differenziertesten Beitrag dar. Auf der Basis der Analyse der vier Definitionsvorschläge wird gezeigt, daß der Personbegriff nicht abschließend durch eine gleichermaßen allgemeingültige, gehaltvolle und präzise Definition bestimmt werden kann. Der allgemeine Personbegriff ist offen, kontextabhängig und vage. Er läßt sich aber gleichzeitig, einem Vorschlag A.O. Rortys folgend, in regionale Konzepte untergliedern, die kontextspezifischen Präzisierungen zugänglich sind. Auf der Grundlage dieser Präzisierungen sind ebenfalls Antworten auf Fragen nach der Identität von Personen formulierbar, die sich wiederum als kontextabhängig erweisen. Personen sind Wesen, die sich selbst als Personen verstehen und andere als Personen behandeln können. Dem Anspruch gegenüber, den Personbegriff allgemeingültig und präzise zu definieren, der seinerseits durch Inhaltsleere oder permanente Reparaturbedürftigkeit erkauft wird, erweist sich diese scheinbar vitiös zirkuläre Bestimmung als philosophisch überlegen.
I. Hatten die Griechen einen Personbegriff? Zwei Extreme markieren das Spektrum möglicher Antworten auf die Frage nach der Verfügbarkeit eines Personbegriffs in der griechischen Antike. Die eine Auffassung besagt, daß ein Begriff der Person als erkennendes und autonom handelndes Wesen in der Antike vorliegt. Diese Position steht in enger Verbindung mit der anthropologischen Universalismusthese, die behauptet, daß die epistemische und ethische Natur des Menschen ein allgemeingültiges, nicht historisch eingegrenztes oder kulturabhängiges Faktum ist. Die universale menschliche Vernunftfähigkeit als Basis aller Erkenntnisleistungen und Handlungen stellt den harten Kern des Personbegriffs dar: Menschen sind in der Lage, Wissen zu bilden und zu handeln. Ein wesentlicher Aspekt der universalen epistemischen Natur des Menschen besteht darin, daß Menschen (immer) ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Wissen über sich selbst als kognitive und handelnde Subjekte ausbilden. Diese Momente bestimmen den Personbegriff, der damit als weitgehend bedeutungsgleich mit dem Begriff des Menschen angesehen wird. Die historistische Diskontinuitätsthese behauptet demgegenüber, daß die Griechen zwar einen Begriff des Menschen besaßen. Für diesen ist unter anderem die Abgrenzung des Menschen gegenüber Tieren und Göttern konstitutiv. Die Griechen verfügten aber nicht über den Personbegriff, denn einige für diesen Begriff unverzichtbare Konzeptionen — wie etwa die Begriffe der Entscheidung, des Willens oder des Selbstbewußtseins — waren ihnen unbekannt. Manche Autoren betonen die grundlegenden Differenzen zwischen modernen und antiken Vorstellungen so stark, daß der Eindruck entsteht, die Griechen hätten in einer gänzlich anderen Welt gelebt und seien in grundsätzlicher Weise andere Wesen als die heutigen Menschen. Die in diesem Sinn argumentierenden Autoren knüpfen die Verfügbarkeit des Personbegriffs an bestimmte historische Bedingungen und heben eine tiefgreifende Diskontinuität von Begriffssystemen und Erfahrungsformen im Verlauf der Geschichte hervor. Im folgenden wird die skizzierte Kontroverse in zwei Schritten entfaltet. Zunächst steht die Frage nach der Verfügbarkeit des Personbegriffs im Hinblick auf die archaische Zeit zur Diskussion (I.I.), anschließend wird sie mit Blick auf die klassische Periode erörtert (I.2.).
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Hatten die G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
1.1. Personen in der archaischen
Periode?
Die historistische Diskontinuitätsthese wird in ihrer schärfsten Form von B. Snell vertreten. In kontrovers diskutierten Studien hat Snell versucht, die Vorstellungswelt und das Begriffsrepertoire dieser Periode darzustellen. Dabei geht Snell lexikographisch vor: Bestimmte Wortfelder werden untersucht und ihre wesentlichen Unterscheidungen mit denjenigen der modernen Sprachen kontrastiert. Das Fehlen einzelner lexikalischer Einheiten oder markanter Oppositionen zweier Lexeme innerhalb eines Wortfelds stellt für Snell in der Regel einen Beweis für das Fehlen des entsprechenden Begriffs dar. Dieses Vorgehen führt zu spektakulären Befunden. Ein Beispiel hierfür ist Snells Auffassung hinsichtlich der Veränderungen des Wortfelds ,sehen' beim Übergang vom älteren zum klassischen Griechisch.1 Für den Personbegriff sind insbesondere zwei Behauptungen Snells entscheidend: Snell behauptet, daß die Menschen der archaischen Zeit nicht das Konzept des eine Ganzheit bildenden menschlichen Körpers kannten, und er will zeigen, daß in der archaischen Periode kein Begriff der Entscheidung nachzuweisen ist.
1.1.1. Archaische Körperfragmente Die These über das Fehlen einer ganzheitlichen Körpervorstellung begründet Snell mit der lexikologischen Feststellung, "[d]aß der substantielle Körper des Menschen nicht als Einheit sondern als Vielheit begriffen wird" und mit der weitergehenden Beobachtung, "[d]aß die frühen Griechen weder in der Sprache noch in der bildenden Kunst den Körper in seiner Einheit erfassen".2 Zur Erläuterung des Gesagten führt Snell ergänzend aus:
]
Hinsichtlich des Verbums öeiopeiv schreibt Snell: „Betont wird die Tätigkeit, daß das Auge einen Gegenstand wahrnimmt. Dieses neue Verbum bringt gerade zum Ausdruck, was in den früheren Verben nicht hervortrat, was aber eben die Sache ausmacht [...] Selbstverständlich dienten auch den homerischen Menschen die Augen wesentlich zum .Sehen', das heißt, optische Wahrnehmungen zu machen; aber eben dies, was wir mit Recht als die eigentliche Funktion, als das .Sachliche' des Sehens auffassen, war ihnen offenbar nicht das Wesentliche - ja, wenn sie kein Wort dafür hatten, existierte es für ihr Bewußtsein nicht. In diesem Sinne kann man also sagen, daß sie ein Sehen noch nicht kannten oder, um es vollends paradox und provozierend zu formulieren und damit das hier vorliegende Problem ganz scharf ins Auge zu fassen, daß sie noch nicht sehen konnten". B. Snell, Die Auffassung des Menschen bei Homer; in: ders., Die Entdeckung des Geistes - Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen; Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1986, 13-29; hier: 16
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Selbstverständlich haben die homerischen Menschen einen Körper gehabt w i e die späteren Griechen auch, aber sie wußten ihn nicht ,als' Körper, sondern nur als Summe von Gliedern. Man kann also auch sagen, die homerischen Griechen hatten noch keinen Körper im prägnanten Sinn des Wortes [.. J.3
Für Snell scheint der entscheidende Punkt also darin zu bestehen, daß die Griechen den Körper zwar als Aggregat von Teilen, als ein Kompositum, denken konnten, aber nicht über die Vorstellung einer mehr als bloß additiv zusammengesetzten Ganzheit (totum) verfügten. Von hier aus geht Snell weiter zu einer Charakterisierung des radikal von dualistischen Vorstellungen späterer Epochen abweichenden Denkens der archaischen Frühzeit: Entsprechendes gilt im Bereich von Geist und Seele, denn Geist-Körper, LeibSeele sind Gegensatz-Begriffe, von denen jeder durch sein Oppositum bestimmt ist. Wo es keine Vorstellung v o m Leib gibt, kann es auch keine von der Seele geben und umgekehrt. 4
Die Grundlage dieser Ausführungen Snells bildet der lexikalische Befund, daß die beiden Nomina φυχή und σώμα bei Homer niemals mit Bezug auf lebende Menschen gebraucht werden, σώμα. ist eine Bezeichnung für Leichen, während φυχν sich auf den Hauch oder Atem bezieht, der einen sterbenden Menschen durch den Mund oder eine Wunde verläßt. Beide Wörter bezeichnen in der Homerischen Welt Phänomene des Sterbeprozesses. Zweifellos handelt es sich um einen interessanten Befund, wenn man feststellt, daß eine Sprache mit einem differenzierten lexikalischen Bestand keinen Ausdruck zur Bezeichnung des menschlichen Körpers besitzt. Dennoch erscheint es schwer vorstellbar, daß die Sprecher einer solchen Sprache bei ihren Wahrnehmungen und in ihrem Verhalten nicht über mehr verfügen als die Vorstellung einer bloß additiven Summe von Körperteilen. Man kann davon ausgehen, daß sie einen, wenn auch nur rudimentären, Begriff des funktionalen Zusammenhangs von einzelnen Körperteilen haben und implizit einen Begriff des Körpers als eine die Einzelglieder integrierende Gesamtheit anwenden. Dies läßt sich entgegen Snells Ausführungen anhand der Werke Homers erhärten. Die Darstellung von Handlungen bei Homer, die auch den maßgeblichen Bezugspunkt der Überlegungen Snells bilden, sprechen gegen seine These. Wenn Hektor im XXII. Gesang der ,Ilias' Achill auf sich zukommen
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Snell (1986), 17.
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Snell (1986), 18.
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Snell (1986), 18.
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Hatten die Griechen einen Personbegriff?
sieht, so sähe er gemäß der radikalen historistischen Diskontinuitätsthese Snells zwei Beine, zwei Arme, einen Kopf und einen Rumpf auf sich zukommen. Diesem Aggregat von Teilen könnte er den Namen Achill geben. Man weiß aber nicht recht, weshalb er genau dieses Aggregat aus allen möglichen Gegenstandsabgrenzungen auswählt, wenn er keine Vorstellung von Achill als Menschen mit einem Körper hätte. Weshalb gehören der Schild, die Lanze, das Schwert und der Wagen in anderer Weise zu Achill als die Augen, die Beine und die Arme? Hektor unterscheidet zweifellos zwischen Achill und den Ausrüstungsgegenständen, die dieser besitzt. Er konnte ja zuvor auch erkennen, daß nicht Achill selbst, sondern Patroklos die Rüstung des Achill getragen hatte (XVI, 818-821). Unüberbrückbare Probleme der Identifizierung treten in solchen Fällen offensichtlich nicht auf. In diesem Zusammenhang ist ein Hinweis A. Leskys von entscheidender Bedeutung: „Der einfachste, aller Abstraktion vorausliegende Ausdruck für die durch alle Phasen der Handlung festgehaltene Identität der Person ist der Eigenname."5 Tatsächlich ist es ein wesentlicher Umstand, daß die Menschen bei Homer Eigennamen, Pronomina, hinweisende Ausdrücke und Kennzeichnungen in einer Weise verwenden, die es ihnen erlaubt, Einzelwesen vergleichsweise verläßlich zu individuieren. Gerade im Blick auf zeitgenösssische Überlegungen, die in den beiden abschließenden Kapiteln untersucht werden, ist Leskys Hinweis bedenkenswert. Er betont mit Bezug auf den Vollzug von Handlungen, daß über deren unterschiedliche Phasen hinweg die diachrone Identität des durch den Eigennamen bezeichneten Handelnden gewährleistet ist. Der Gebrauch von Eigennamen, Personalpronomina und
A. Lesky, Göttliche und menschliche Motivation im homerischen Epos (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Jahrgang 1961, 4. Abhandlung); Heidelberg, Winter, 1961, 1-52; hier: 11. Im Hinblick auf den Personbegriff ist zwischen dem allgemeinen logischen und sprachphilosophischen Begriff des Eigennamens und den speziellen kulturhistorischen und ethnologischen Konzeptionen zu unterscheiden. Bei den letzteren handelt es sich um kulturrelative Systeme der Individuierung. Die soziologische und ethnologische Literatur behandelt diese variierenden kulturellen Praktiken des Benennens. Dabei können die Namen komplexe Funktionen kultureller Differenzierung erfüllen. Die Arten der Identifizierung einzelner Individuen mit teilweise im Verlauf ihres Lebens wechselnden Namen in Abhängigkeit von Stammes- und Familienzugehörigkeit, Geschlecht, Alter, sozialer Position und Rolle im Kollektiv dienen wesentlich anderen Zwecken als der bloßen Sicherstellung erfolgreicher Referenz in pragmatischen Kontexten. Vgl. zu diesem, im folgenden nicht weiter behandelten Problem M. Mauss, A Category of the Human Mind - The Notion of Person, the Notion of Self; in: M. Carrithers u.a. (eds ), The Category of the Person; Cambridge, Cambridge University Press, 1985, 1-25; C. Geertz, Person, Time and Conduct in Bali; in: ders., The Interpretation of Cultures - Selected Essays; New York, Basic Books, 1973, 360-411.
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zahlreicher indexikalischer Ausdrücke in Handlungszusammenhängen impliziert, daß durch den Handelnden ein gleichbleibender Referenzpunkt der Rede trotz mannigfaltiger Veränderungen gegeben ist. Darüber hinaus sind bestimmte kausale Annahmen über die Beziehungen der Körperteile integraler Bestandteil der Verwendung von Eigennamen bei Menschen. Wenn die Beine des Achill sich Hektor nähern, dann weiß Hektor, daß auch die Hand des Achill, die die Lanze umfaßt, näher kommt. Es scheint also höchst problematisch, Sprechern, die Eigennamen und Personalpronomina benutzen, um aufeinander wechselseitig Bezug zu nehmen, den Begriff des Körpers als einer funktionalen Gesamtheit einzelner Glieder abzusprechen. Im Gegenteil: Gute Gründe sprechen dafür, solchen Wesen, die komplexe motorische Koordinationsleistungen (Malen, Fechten, Wagenlenken, Segeln) ausführen und diese sprachlich erfassen können, die begriffliche Unterscheidung zwischen einzelnen Körperteilen und der die Teile integrierenden Gesamtheit des Körpers zuzuschreiben. Die Fähigkeit zu motorischer Koordination allein ist hier zweifellos nicht hinreichend, denn Tiere verfügen über diese in eminenter Weise, ohne daß man ihnen deshalb notwendigerweise ein begriffliches Wissen der fraglichen Art zuschreiben muß. Wesentliche Bedeutung kommt vielmehr dem Umstand zu, daß die Körperbewegungen auch sprachlich erfaßt werden und durch sprachliche Interaktion gesteuert werden können. Die Möglichkeit motorischer Koordination ist beim Menschen verbunden mit der Fähigkeit kommunikativ vermittelter Kooperation.6 Die bisher formulierten Einwände gegen Snell haben nicht den Zweck zu bestreiten, daß unterschiedliche Kulturen sehr verschiedenartige Formen der Wahrnehmung, der Interpretation und des praktischen Umgangs mit dem menschlichen Körper haben. Dies ist ohne Frage der Fall. Wichtig ist an dieser Stelle allein die Triftigkeit der Behauptung, daß das Fehlen eines einschlägigen Lexems für den Körper als Ganzes das Ausbleiben der entsprechenden begrifflichen Unterscheidung belegt. Ein weiterer Punkt spricht ebenfalls gegen Snells These: Der Text Homers stellt eine charakteristische Weise des Umgangs mit den Körpern von Toten dar. Nachdem Hektor durch Achill tödlich verwundet worden ist, bittet er sterbend seinen Gegner, den Leichnam nicht den Hunden zu überlassen und von diesen
Ein Gepard, der eine Gazelle jagt, koordiniert seine Körperbewegungen, um sein Ziel zu erreichen. Der Jäger, der den Geparden jagt, tut dies ebenfalls. Aber er kann darüber hinaus die eigenen Bewegungen mit anderen Jägern beispielsweise durch Gesten oder sprachliche Kommunikation so abstimmen, daß durch Kooperation seine Erfolgschancen erhöht werden.
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zerreißen zu lassen.7 Achill möge die Leiche den Eltern Hektors übergeben, damit diese den "Toten in Ehren verbrennen". Achill aber, in seinem Zorn, bleibt unerbittlich: "[E]s werden dich ganz die Hunde und Vögel zerreißen". 8 Als entscheidende Motive stehen hinter der Bitte Hektors bestimmte Vorstellungen von Ehre und Schande sowie eine grundlegende Dichotomie des Sakralen und Profanen. Insgesamt ist es für den heutigen Leser offensichtlich, daß Hektor und Achill einen Begriff von einem Körper als Ganzheit besessen haben. Die Ankündigung Achills, den Körper seines getöteten Gegners den Hunden zum Fraß vorzuwerfen, scheint nur deshalb eine Drohung zu sein, weil sie die Einheit des Körpers, und nicht nur die einzelnen Teile, in unwürdiger Weise zerstört. Fraglos weiß Hektor, daß das, was von den Hunden zerrissen und auf erniedrigende Weise seiner Einheit beraubt würde, sein eigener Körper ist. Die Verbrennung der Leiche zerstört deren Einheit zwar auch, allerdings tut sie dies in ehrenvoller, rituell sanktionierter Form, und darin liegt für das Mitglied einer Lebensform, in der der Ehrbegriff im Zentrum steht, ein elementarer Unterschied. Genauer betrachtet ist diese Lesart noch zu schwach. Nicht nur die Frage, ob jenseits der einzelnen Körperteile eine Vorstellung von einem einheitlichen Körper vorhanden ist, kann bejaht werden. Es ist ebenfalls deutlich, daß der Körper als ganzer den Handelnden konstituiert und mit ihm identifiziert werden muß. Achill droht Hektor nicht nur damit, eine Menge von zusammenhängenden Körperteilen auf unehrenhafte Weise zerteilen zu lassen, was der Snellschen Konzeption entspräche. Er sagt "[E]s werden dich ganz die Hunde und Vögel zerreißen". Hektor selbst wird zerstört werden. Der Körper wird mit dem durch den Eigennamen bezeichneten handelnden und sprechenden Menschen identifiziert.9 Es kann keine Rede davon sein, daß die Handelnden nicht als wie auch immer intern differenziert zu gliedernde Einheiten aufgefaßt werden. Diese Sicht der Dinge kann sich auf Überlegungen H. Fränkels stützen. Er betont im Gegensatz zu Snell die Einheitlichkeit des Menschen bei Homer. Die Menschen zerfallen nach Fränkel gerade nicht wie in späteren Zeiten in zwei Teile, Körper und Seele, sondern sie bilden ein Ganzes.
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Homer, Ilias XX, 326-354; im folgenden mit Angabe der Gesangs- und der Versnummern zitiert nach der griechisch-deutschen Ausgabe, ed. und trad. Η. Rupe, Artemis & Winkler, Zürich, 1994.
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Homer, Ilias, XX, 354. Bemerkenswert an dieser Wendung ist die Identifizierung der Person mit dem toten Körper.
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Vgl. die damit vollkommen übereinstimmenden Einleitungsverse der Ilias, I, 1-5.
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Dieses Ganze ist anders gegliedert als in späteren Perioden: Bestimmte körperliche oder psychische Vorgänge erscheinen als selbständige Prozesse, die nicht von einem festen Kern der Person her gesteuert sind. Dies bedeutet nach Fränkel aber gerade nicht, daß ein Begriff von der Gesamtheit des Menschen nicht vorhanden ist, vielmehr handelt es sich um eine andere Ganzheitsvorstellung als die einer von einem Zentrum aus gelenkten Person. 1 0
1.1.2. Überlegung und Entscheidung Die zweite T h e s e Snells besagt, daß der Begriff der Entscheidung in der archaischen Periode nicht nachzuweisen ist. Diese T h e s e ist im Hinblick auf den Personbegriff von ausschlaggebender Bedeutung. D e n n es ist mit Sicherheit problematisch, den Personbegriff auf Wesen anzuwenden, die keine Überlegungen anstellen und keine Entscheidungen treffen können, und somit zwei wesentliche Bedingung für den Vollzug von Handlungen nicht erfüllen. Snell interpretiert die Homer-Texte so, daß die Menschen nicht als überlegende, entscheidende und selbständig handelnde Personen verstanden werden können. Einen ausschlaggebenden Grund hierfür glaubt er darin erkennen zu können, daß die Menschen in ihrem Tun durch Interventionen der Götter oder Impulse quasi-selbständiger Instanzen wie θυμός, κρα,ΰ'νη oder φρην bestimmt sind: [E]chte, eigene Entscheidungen des Menschen kennt Homer noch nicht, auch in den Überlegungsszenen spielt deshalb das Eingreifen der Götter solche Rolle. Der Glaube an solches Wirken der Gottheit ist also das notwendige Komple-
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H. Fränkel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts; München, Beck, 1962, 84f.: „Das Wort ψυχή (psyche) wird nur von der Seele des Gestorbenen gebraucht, und das Wort σώμα., das im Griechischen nach Homer den ,Leib' bezeichnet, bedeutet bei Homer .Leichnam'. Nicht im Leben, sondern erst im Tode (und in der leblosen Ohnmacht) fiel der homerische Mensch in Leib und Seele auseinander. Er fühlte sich nicht als eine gespaltene Zweiheit, sondern als ein einheitliches Selbst. Und da er sich so fühlte, war er auch ein einheitliches Selbst. [...] Der homerische Mensch ist nicht eine Summe von Leib und Seele, sondern ein Ganzes. Aber an diesem Ganzen können jeweils bestimmte Teile, oder besser: Organe, besonders hervortreten. Alle Einzelorgane ressortieren unmittelbar von der Person her. [.. .] Der ganze Mensch ist überall gleich lebendig; jene Aktivität, die wir .seelisch' nennen würden, kann jedem seiner Glieder zugeschrieben werden".
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Hatten die Griechen einen Personbegriff? ment für die Vorstellungen Homers vom menschlichen Geist und von der menschlichen Seele. 11
Auch hier zieht Snell wiederum lexikologische Evidenzen heran. Das Vokabular der archaischen Griechen hat tatsächlich keine Ausdrücke für ,Entscheidung', ,Wahl', ,Wille', ,Intention', ,Selbstbewußtsein'. Der Hinweis auf die wichtige Funktion, die den Überlegungen und Entscheidungen der Götter im Hinblick auf die Ereignisse zukommt, in die die Menschen verstrickt sind, hat eine unübersehbare Berechtigung. Tatsächlich wird das Tun der Menschen bei Homer oft durch die Entscheidungen und Interventionen der Götter bestimmt. Damit wird aber fraglich, ob das Tun der Menschen bei Homer überhaupt als Handeln zu qualifizieren ist. Denn für den Begriff der Handlung ist eine Unterscheidung wichtig, die unkontrolliertes Tun (Körperreflexe), durch Manipulationen oder andere Faktoren vollständig determiniertes Verhalten einerseits von zielgerichtetem, aktiven Handeln andererseits abhebt. Handeln vollzieht sich in einem Raum von Gründen, die als Überzeugungen, Wünsche oder Intentionen spezifiziert werden können. Für eine Handlung ist wesentlich, daß der Handelnde zwischen der Ausführung und der Unterlassung der Handlung wählen kann. Zudem ist die Möglichkeit und Fähigkeit der Wahl zwischen mehreren Optionen bedeutsam. Bei einer rationalen Entscheidung spielt die Miteinbeziehung der Handlungskonsequenzen eine große Rolle. Snell aber sieht die Menschen Homers durch unterschiedliche Triebkräfte in ihrem Verhalten bestimmt. Sie bewegen sich nicht in dem für Handlungen konstitutiven Raum von Gründen und Konsequenzen. Zahlreiche Kritiker haben demgegenüber zu zeigen versucht, daß die Texte Homers Fälle echter Überlegung und Entscheidung von Menschen enthalten. Bei Homer gibt es viele Szenen, in denen die Beteiligten überlegen, was zu tun ist. Sie haben mehrere Optionen vor Augen und entscheiden sich schließlich für eine bestimmte Handlungsweise. Berühmte Beispiele hierfür sind die Entscheidung Achills, sich nach dem Tod des Patroklos wieder am Kampf zu beteiligen (Ilias XVIII, Iff.), oder die folgende Passage der .Odyssee': Da kamen die Frauen aus der Halle, die sich auch sonst mit den Freiern vereinigten, und schufen einander Lachen und Heiterkeit. Da wurde sein Mut aufge-
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B. Snell (1986), 28. Ähnlich wie Snell argumentieren C. Voigt, Überlegung und Entscheidung. Studien zur Selbstauffassung des Menschen bei Homer; Meisenheim, Anton Hain, 1972 und A.W.H. Adkins, From the Many to the One - A Study of Personality and Views of Human Nature in the Context of Ancient Greek Society, Values and Belief; London, Constable, 1970.
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bracht in seiner Brust, und er überlegte vielfach in seinem Sinne und Gemüte, ob er ihnen nacheilen und einer jeden den Tod bereiten oder ob er sie sich noch einmal mit den übermütigen Freiern vereinigen lassen solle zum letzten und äußersten Mal. Und es bellte ihm das Herz in seinem Inneren [...] Da schlug er gegen seine Brust und schalt sein Herz mit dem Worte : ,Halte aus, mein Herz! Einst hast du noch Hündischeres ausgehalten an dem Tage, als mir der Kyklop, der Unbändige in seinem Ungestüm, die trefflichen Gefährten verzehrte. Du aber hieltest aus, bis dich ein kluger Einfall aus der Höhle führte, der du schon wähntest, daß du sterben müßtest!' So sprach er und schalt sein Herz in der Brust. Da verharrte ihm das Herz ganz im Gehorsam und hielt aus unablässig. 12
Odysseus steht vor der Wahl, entweder sofort gegen die Mägde vorzugehen oder dies zu unterlassen. Er gibt dem starken affektiven Impuls nicht nach. Sein Grund ist nicht moralischer Art, sondern er besteht in dem Wissen, daß planvolles, strategisches Handeln seinen Zwecken förderlicher ist. Snells Position stützt sich, wie bereits festgestellt wurde, auf den Umstand, daß das Vokabular, mit dem die Szenen des Überlegens bei Homer beschrieben werden, keine Ausdrücke enthält, die direkte Äquivalente zu ,überlegen', entscheiden', ,intendieren' oder ,Wille' sind. Der Leser Homers wird dennoch angesichts der oben zitierten Stelle ohne Bedenken davon sprechen, daß Odysseus hier überlegt und entscheidet. Diese Sichtweise wird von einer großen Zahl einschlägiger Untersuchungen gestützt, die unterschiedliche Argumente gegen Snell vorlegen.13
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Homer, Odyssee, XX, 7-23; zitiert nach der deutschen Übersetzung von W. Schadewaldt: Homer, Die Odyssee; Zürich, Artemis & Winkler, 1966, 352f.
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E.R. Dodds stimmt Snell dahingehend zu, daß das Begriffsarsenal der Griechen fundamental von demjenigen späterer Zeiten verschieden ist. Er betont insbesondere, daß die Griechen der archaischen Zeit keinen Begriff des Willens als einer gegenüber kognitiven und affektiven Aspekten unabhängigen Instanz hatten. Aber auch hier führt die Zustimmung zum lexikographischen Befund Snells nicht zur Akzeptanz seiner umfassenden These. Dodds führt aus, daß die Konzepte des Handelns und der das Handeln tragenden Entscheidung gleichwohl den in den Texten dargestellten Ereignissen zugrunde gelegt werden können; vgl. E.R. Dodds, The Greeks and the Irrational; Berkeley, University of California Press, 1951, 20, Anm. 31. Von A. Lesky stammen Einwände gegen Snell, die zwar Unterschiede der Persönlichkeitsauffassungen zwischen der archaischen Zeit und späteren Epochen anerkennen, aber gerade den Personbegriff für die Menschen Homers festhalten. Wesentlich erscheint Lesky dabei der Umstand, daß das Verhalten der Akteure bei Homer nicht durchgängig durch den Beschluß der Götter bestimmt ist; vgl. Lesky (1961), 6 und 9- R.W. Sharpies schreibt, daß zwar kein Ausdruck zur Bezeichnung eines Handlungssubjekts nachweisbar sei. Dieser Umstand bedeute indes nicht, daß der Handlungsbegriff insgesamt ausfalle; vgl. R.W. Sharpies, ,But why has my spirit spoken with me thus?'- Homeric Decision-making; Greece & Rome XXX/1 (1983), 1-7. S.D. Sullivan und J.H. Sautel, die von einem sprachwissenschaftlichen Standpunkt aus das psychologische Vokabular Homers eingehend untersuchen, kommen zu negativen Ergebnissen hinsichtlich der These Snells; S. Darcus Sullivan, Psychological Activity in Homer - Α Study of
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Hatten die G r i e c h e n einen Personbegriff?
Ein bemerkenswerter Punkt der herangezogenen Passage aus der Odyssee' besteht darin, daß die Vorgänge des Überlegens und Entscheidens in Form eines Selbstgesprächs dargestellt sind. Odysseus redet sein Herz so an, wie man ein unwilliges Kind oder ein aufgeregtes Haustier überredet und beruhigt. Das für die Person konstitutive Überlegen und Entscheiden wird als ein Gespräch zwischen ungleichen Partnern beschrieben: das Herz bellt, Odysseus antwortet mit klaren Gedanken. Diese Differenz beeinträchtigt den Prozeß des Überlegens in keiner Weise. Im Gegenteil, gerade die Tatsache, daß Odysseus nicht in unmittelbarer Emotion verhaftet bleibt und besinnungslos seinem Zorn freien Lauf läßt, sondern mit Überlegungen auf seine affektiven Zustände reagiert, zeichnet ihn aus. Im Selbstgespräch gewinnt die Person Distanz zu sich selbst. Dieser Freiraum wird erreicht und erfüllt durch sprachliche Interaktion. Die Verhältnisse im Innenraum der Person sind nach dem Muster intersubjektiver Kommunikationsbeziehungen strukturiert. Als solche bilden sie die Grundlage von Überlegen, Entscheiden und Handeln. Insgesamt sind Snells Thesen über die Fragmentierung des Körpers und die Abwesenheit der für den Handlungsbegriff konstitutiven Konzepte des Überlegens und Entscheidens also nicht zu halten. Im Bereich der Homerischen Epen ist die Vorstellung eines einheitlichen, Handlungen vollziehenden Akteurs nachweisbar sowie eine Konzeption von Handlungen als komplexen Prozessen grundlegend, die in Phasen des Überlegens, Entscheidens und der Umsetzung des Entschlusses untergliedert werden. Die Problematik der Überlegungen Snells zeigen deutlich die Schwäche einer auf Lexikographie eingeschränkten Begriffsgeschichte. Trotz der offengelegten
Phren; Ottawa, Carlton University Press, 1988; J.-H. Sautel, La genese d e l'acte volontaire chez le heros homerique: les syntagmes d'incitation ä Taction; Revue des etudes grecques 104 (1991), 346-366. K. Wilkes macht den systematisch entscheidenden Unterschied von Wort- und Begriffsgeschichte gegen die historistische Diskontinuitätsthese geltend; K. Wilkes, Real People - Personal Identity without Thought Experiments; O x f o r d , Clarendon, 1988, 209. R. Gaskin kritisiert Snells Position mit ausdrücklichem Bezug auf die herangezogenen Passagen aus den Werken Homers; vgl. R. Gaskin, D o Homeric Heroes M a k e Real Decisions?; C Q 40 (1990), 1-15. B. Williams konstatiert deutlich Defizite der Ausführungen Snells. Ein Argument von Williams akzeptiert im ersten Schritt den für Snell entscheidenden Punkt, d e m z u f o l g e die Götter das Verhalten der Menschen bei H o m e r oft in ausschlaggebender Weise bestimmen. A m bemerkenswertesten hinsichtlich der Darstellung dieses Tuns der Götter ist nach Williams aber, d a ß man in der Welt Homers sehr w o h l einen Begriff v o n Entscheidung u n d Handlung finden kann. D e r einfache Grund besteht darin, d a ß die anthropomorph dargestellten Götter selbst Entscheidungen fällen und handeln. Damit verfügen die archaischen Griechen über ein grundlegendes Modell des Handelns; vgl. B. Williams, Shame and Necessity; Berkeley, University of California Press, 1993, 31 u n d 40f.
Personen in der antiken Philosophie
25
Defizite besitzt Snells Sicht der Dinge bei wohlwollender Interpretation eine gewisses Recht. Denn es besteht tatsächlich ein signifikanter Unterschied zwischen dem bloßen Gebrauch bestimmter inhaltlicher Unterscheidungen und einem expliziten Bewußtsein von den jeweiligen Unterscheidungen und ihrer Relevanz. Snell beachtet ausschließlich das zuletzt genannte Moment. Dadurch bekommt seine Sichtweise eine nicht nachvollziehbare Einseitigkeit. Verzichtet man auf diese falsche Radikalität, so wird ein plausibler Kern erkennbar. Das Bewußtsein von der Verwendung bestimmter Unterscheidungen — im Gegensatz zum bloßen Gebrauch — stellt einen Fortschritt in Richtung auf eine explizite Begrifflichkeit dar.
1.2. Personen in der antiken Philosophie Die Untersuchung des Schrifttums der vorklassischen Zeit liefert gute Gründe für die Behauptung, daß die Griechen bereits vor dem 5. Jahrhundert zumindest über einen rudimentären Personbegriff verfügten. Wie ausführlich dargelegt wurde, gilt dieser Befund unbeschadet der lexikologischen Hinweise, die zeigen, daß bestimmte Lexeme (Äquivalente zu Person', ,Wille') in der Sprache dieser Zeit noch nicht vorhanden waren. Der für die archaische Periode in Anschlag zu bringende Personbegriff ist durch zwei fundamentale Züge charakterisiert: Personen sind erkennende und handelnde Wesen. Ihre Psychologie ist durch nicht leicht überschaubare und heterogene Impulse und affektive Kräfte bestimmt. Entscheidend ist die Frage, ob dieser Affektivität, Handeln und Wissen berücksichtigende Personbegriff tatsächlich, wie von Williams behauptet, als hinreichend akzeptiert werden kann oder ob Erweiterungen und Ergänzungen notwendig sind. Um diese Frage beantworten zu können, ist es sinnvoll, einen Blick auf die Entwicklung des Personbegriffs in der klassischen Periode der griechischen Antike zu werfen.
1.2.1. Piaton In Piatons Schriften wird ein ältere Vorstellungen der früheren Zeit stark vereinheitlichendes und systematisierendes Modell des Menschen erkennbar. Dieses Modell ist deutlich dualistisch geprägt. Der Mensch wird als ein Wesen begriffen, das aus einem Körper (σώμα) und einer Seele (φυχ-η) be-
26
Hatten die G r i e c h e n einen Personbegriff?
steht.14 Den psychischen Prozessen wird gegenüber den physischen Vorgängen Eigenständigkeit und ein klarer Vorrang zugebilligt. Die Seele als das Organ der Vernunft ist wertvoller als der Körper.15 Der Körper bedarf der Lenkung und Beherrschung durch die vernünftige Seele. Die folgenden Überlegungen stellen die im Rahmen dieser Modellbildung vorgenommenen begrifflichen Unterscheidungen, soweit sie für den Personbegriff relevant sind, umrißhaft dar. Einen guten Eindruck von den Veränderungen gegenüber der archaischen Periode vermittelt Piatons Lehre von den drei Teilen der Seele. Es handelt sich hierbei um ein zentrales Stück der Platonischen Philosophie, das im .Staat' entwickelt wird.16 Die Seelenlehre steht im Rahmen von Überlegungen zum Begriff der Gerechtigkeit und zum Problem der Aufgabenverteilung innerhalb eines idealen Gemeinwesens.17 Piaton behandelt die Sphäre des Politischen in Analogie zu der Gliederung der menschlichen Seele.18 Er fragt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit der Staat und der einzelne Mensch gerecht sind. Ebenso wie die Verhältnisse zwischen den sozialen Schichten (Herrscher, Krieger, Erwerbstätige) bei Piaton hierarchisch gedacht werden, sind die intrapsychischen Verhältnisse als Subordinationsbeziehungen modelliert. Die Überlegungen über die Innenarchitektur der Seele sind nicht Selbstzweck. Sie verfolgen vielmehr die Absicht, die Motivationsstruktur menschlichen Handelns zu durchleuchten. Wichtige Fragen, die Piatons Theorie über die drei Teile der Seele zu beant-
14
Zum Begriff der Psyche vgl. J.O. Urmson, The Greek Philosophical Vocabulary; London, Duckworth, 1990, I44f. sowie die klare Darstellung der Differenzen antiker und neuzeitlicher Konzeptionen von S. Everson, Introduction; in: S. Everson (ed.), Psychology (Companion to Ancient Thought II); Cambridge, Cambridge University Press, 1991, 1-12.
15
Phaidon, 78c-81a. Nach dieser Auffassung kommen der Seele Einfachheit, Unveränderlichkeit oder Selbigkeit, Unsichtbarkeit, Weisheit und Göttlichkeit zu.
16
Piaton, Staat IV, 436a-442e; vgl. Plato, The Republic, I-II; griech.-engl., ed. und trad. P. Shorey, LCL, 1963, 380-410; Der Staat; dt., trad. Ο. Apelt, Hamburg, Meiner, 1961, 158-170.
17
Zur Lehre von den drei Seelenteilen vgl. A. Graeser, Probleme der platonischen Seelenteilungslehre - Überlegungen zur Frage der Kontinuität im Denken Piatons; München, Beck, 1969; R. Robinson, Plato's Separation of Reason and Desire; Phronesis 16 (1971), 38-48; B. Williams, The Analogy of City and Soul in Plato's ,Republic'; in: E.N. Lee u.a. (eds.), Exegesis and Argument - Studies in Greek Philosophy Presented to Gregory Vlastos (Phronesis SV I); Van Gorcum, Assen, 1973, 196-206; G. Lesses, Weakness, Reason, and the Divided Soul in Plato's .Republic'; History of Philosophy Quarterly 4 (1987), 147-161; M. Woods, Plato's Division of the Soul; Ρ BA 73 (1987), 23-47; S. Lovibond, Plato's Theory of Mind; in: Everson (1991), 35-55; T. Irwin, Plato's Ethics; Oxford; Oxford University Press, 1995, insbesondere Kap. 13: .Republic' IV: The Division of the Soul; 203-222.
18
Piaton, Staat, 4 3 5 b l ; Apelt 157.
Personen in der antiken Philosophie
27
worten hat, lauten: Wie ist das Verhältnis von Körper und Seele zu fassen? Weshalb ist die Seele nicht eine ungeteilte Entität, sondern besteht aus unterschiedlichen Teilen? Welche Gründe sprechen dafür, daß der einzelne Mensch eine einzige aus Teilen zusammengesetzte Seele und nicht mehrere Seelen besitzt? Wenn die Seele aus Teilen besteht, weshalb sind es gerade drei und nicht zwei (Verstand und Begehren) oder mehr als drei Teile? Es ist zweifelhaft, ob Piatons Text auf alle diese Fragen überzeugende Antworten gibt. Wichtig ist zunächst einmal, daß solche Fragen überhaupt gestellt werden können. Piaton unterscheidet einen erkenntnisfähigen Teil (λογιστικόν) von einem impulsiven, affektgeladenen (θυμ,οεώές)19 und einem begehrenden Seelenteil (έτηθνμητικόν).20 Tatsächlich scheint die Unterscheidung dieser psychischen Komponenten die Lösung bestimmter Probleme der Handlungserklärung zu ermöglichen. Hierbei ist insbesondere an Fälle zu denken, die oberflächlich betrachtet durch einen Widerspruch bestimmt sind: Wie ist es möglich, daß jemand durstig ist, gleichzeitig aber nicht trinken will? Piatons Modell kann eine einleuchtende Rekonstruktion einer solchen Situation geben. Man muß zeigen, daß die betreffende Person etwas nicht in derselben Hinsicht wünscht und nicht wünscht.21 Wenn die Wünsche als Wünsche einer Sache unter verschiedenen Gesichtspunk-
19
Die Übersetzung bereitet notorische Schwierigkeiten. Manche Autoren sprechen von dem .Muthaften', andere vom ,sich ereifernden' oder ,zornigen' Seelenteil. In der angelsächsischen Literatur findet sich die Übersetzung ,spirited part', .courage'. Man sieht, daß die Übersetzung durch ein Einzelwort nicht in der Lage ist, die Bedeutung des griechischen Ausdrucks befriedigend wiederzugeben. Hier hilft nur eine Explikation der relevanten Verwendungsweisen und der Abgrenzung gegenüber angrenzenden Ausdrücken. „[...] in Plato, Aristotle and later authors [.. .1 thumos seems to mean ,anger' [...] why is the tbumoeides regarded in the Republic as a desirable element in the soul and the state [...]? It would appear that the notions of thumos and to thumoeides carry with them some notion of manliness, spiritedness and sense of honor [...]" (Urmson (1990), l67f.). A. Graeser stellt fest, daß das thymoeides "[...] in seiner Abgrenzung gegen das logistikon (440b8) nicht ebenso präzis bestimmt zu sein [scheint] wie in seiner Differenz gegenüber dem epithymetikon (439e7) [...] Unklar bleibt dementsprechend auch, ob der mutartige Teil in der Tat so strukturiert ist, daß er in Fällen des Konflikts zwischen Vernunft und Begierde stets der Vernunft zu Hilfe kommt" (A. Graeser, Plato; in: ders., Die Philosophie der Antike II Sophistik und Sokratik, Plato und Aristoteles (W. Rod (ed.), Geschichte der Philosophie II); Beck, München, 1993, 125-202; hier: 186).
20
„epithumia•. the non-rational appetite for pleasure, particularly the simple bodily pleasures, such as eating, drinking and sex, which man shares with other animals, [...] epithumetikon: concerned with appetite [. ..]"; Urmson (1990), 60.
21
„Offenbar wird ein und dasselbe nicht zugleich sich dazu hergeben, Entgegengesetztes zu tun oder zu leiden in demselben Sinn und in Beziehung auf dieselbe Sache [...]"; Piaton, Staat, 436b; Apelt 159. Mit diesem Prinzip argumentiert Piaton für die Unterschiedenheit der Teile der Seele.
28
Hatten die G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
ten spezifiziert werden können, dann löst sich der Schein des Widerspruchs auf. Der folgende Fall ist ein Beispiel hierfür: Ein Mensch ist in der Wüste ausgesetzt. Er ist durstig und hat eine Flasche Wasser bei sich. Er vermutet, daß das Wasser vergiftet ist. Der Betroffene hat gleichzeitig den Wunsch zu trinken (seinen Durst zu stillen) und nicht zu trinken (sich nicht zu vergiften). Piaton siedelt den ersten Impuls (.Trinken, jetzt!') im begehrenden Seelenteil an, während der zweite Impuls (,Ich will mich nicht vergiften, deshalb will ich jetzt nicht trinken') im vernünftigen Seelenteil verortet wird.22 Mit diesem Beispiel ist die Unterscheidung von Vernunft ( λ ο γ ι σ τ ι κ ό ν ) und Begehren (έπιθυμητικόν) erläutert. Piaton führt aber noch eine dritte Komponente ein. Er muß muß also zeigen, daß es eine Form der psychischen Aktivität gibt, die weder auf den appetitiven noch auf den rationalen Seelenteil reduzierbar ist. Zu diesem Zweck rekurriert Piaton auf den oben bereits besprochenen Passus aus der .Odyssee'. 23 Er liest diese Stelle als Darstellung eines Konflikts zwischen der Vernunft und dem dritten, affektgeladenen und impulsiven Seelenteil. Odysseus spürt einerseits den Impuls, die Dienerinnen zu strafen, über deren Verhalten er erbost ist. Aber er erkennt andererseits, daß dieses Verhalten für ihn selbst schädlich wäre. Der Impuls zur Bestrafung ist nach Piaton keine rein rationale Seelenregung. Er tritt spontan und mit großer Intensität auf: Homer schreibt, daß das Herz im Leib des Odysseus wie ein Hund bellt. Dieses Drängen ist nicht das Resultat eines Reflexionsprozesses, sondern wird im Gegenteil durch die Reflexion gebändigt und beschwichtigt. Odysseus spricht zu seinem zornigen Herzen: "Herz, halt aus! Schon anderes Hündisches hast du ertragen [.. .]".24 Symptomatisch für die Regungen des θνμοειδές ist der Umstand, daß das der Vernunft widerstreitende Streben mit der Selbstachtung und dem Ehrgefühl eines Menschen zusammenhängt. Um die Eigenständigkeit des dritten Teils zu erweisen, ist es in der Tat erforderlich, ihn gegen das Begehren abzugrenzen. Diesem Zweck dient ein zweites Beispiel: Leontios ärgert sich über sein Bedürfnis, Leichen zu
22
Das ist plausibel, aber nicht zwingend: Ein Gegner der Platonischen Theorie könnte sehr wohl behaupten, es handle sich um zwei einander widersprechende Überzeugungen, die als solche zwar eine Entscheidung erschweren, aber nicht die Postulierung unabhängiger Seelenteile notwendig machen.
23
Piaton, Staat, 44lb-c. Das Homer-Zitat ist dem zwanzigsten Gesang der .Odyssee' entnommen (XX, 17). Piaton zitiert dieselbe Stelle bereits im dritten Buch des .Staats' (390d).
24
,,[...] hier läßt ja Homer deutlich das über das Bessere und Schlechtere durch Überlegung Entscheidende dem sich ohne Überlegung Ereifernden als ein von dem anderen Verschiedenes Vorwürfe machen"; Piaton, Staat, 441c, Apelt, 176.
Personen in der antiken Philosophie
29
betrachten.25 Ein solches Tun steht nicht in Einklang mit bestimmten Vorstellungen von angemessenem Verhalten.26 Die dabei ins Spiel kommenden Vorstellungen sind nicht mit der Vernunft zu identifizieren. Denn es muß sich nicht um Resultate expliziter Reflexion handeln. Die relevanten Auffassungen können sich auf einer tieferen Stufe als affektive, spontane Abwehr gegen einen gegenläufigen Impuls bemerkbar machen. Ebensowenig wie sie mit der Vernunft ineins gesetzt werden können, sind sie als rein appetitive Regungen zu interpretieren, denn sie setzen ein gewisses Konzept des Selbst und der eigenen Person voraus. Nur auf dieser Basis sind Emotionen wie Scham oder Reue möglich, deren Bezugspunkt das Selbst ist. Durch den Nachweis von Konflikten zwischen θυμοειδες und λογιστικόν einerseits und θυμοβιδές und επιθυμ'ητικόν andererseits hat Piaton seine Lehre von den drei Seelenteilen abgesichert. Die zentrale Instanz ist der vernünftige Seelenteil. Mit diesem Zentrum wird die Person insgesamt bei Piaton identifiziert. Es besteht dabei eine starke Tendenz, die nicht-vernünftigen Lebensregungen des Menschen als mehr oder weniger defizitäre und folglich sekundäre Begleiterscheinungen zu behandeln.27 Die vereinheitlichende Konzeption der Seele wurde mit Recht als die Erfindung der ideengeschichtlich äußerst wirksamen Vorstellung des zentrierten und integrierten Subjekts beschrieben.28 Die einschneidenden Unterschiede zu den in Homers Texten nachweisbaren älteren Vorstellungen sind unübersehbar. Piatons Auffassung ist zentriert, hierarchisch abgestuft und abgeschlossen. Diejenige seiner Vorgänger erscheint als Topographie heterogener Instanzen der Person, denen jeweils eine relative Selbständigkeit zukommt. Würde Odysseus seinem Zorn freien Lauf lassen, so wäre dies für Piaton ein Beweis für die verwerfliche Unvernunft dieses Menschen. Dem Horaeri-
25
„Leontios [...] bemerkte, wie es heißt, als er vom Peiraieus hinauf nach der Stadt außen an der nördlichen Mauer hinging, daß Leichname da lagen, w o der Scharfrichter seine Stätte hatte. Da erfaßte ihn die Begierde, sie zu sehen, gleichzeitig aber regte sich in ihm der Unwille und hieß ihn sich abwenden; und eine Zeit lang kämpfte er mit sich und verhüllte sein Gesicht; dann aber lief er von der Begierde überwältigt, die Augen weit aufgerissen, an die Leichen heran mit dem Ruf: ,Nun habt ihr euern Willen, ihr Unholde, seht euch satt an dem herrlichen Anblick'."; Piaton, Staat, 439e-440a; Apelt, 165.
26
Vgl. hierzu auch die Interpretationshypothese von J. Annas, An Introduction to Plato's Republic; Oxford, Clarendon, 1981, 129. Sie schreibt Leontios ein sexuelles Motiv zu.
27
Für eine ausführliche Untersuchung dieses Problemkomplexes wären neben dem ,Staat' auch andere Dialoge zu beachten. Vgl. beipielsweise das Gleichnis von der Seele als einem von zwei Pferden gezogenen Wagen im ,Phaidros' (245a-c), das oft als eine Veranschaulichung der Lehre von den drei Seelenteilen interpretiert wird.
28
Vgl. Lovibond (1991), 35-55; hier: 50.
30
Hatten die Griechen einen Personbegriff?
sehen Epos ist ein solcher wertender Gestus fremd: Achill beispielsweise ist gänzlich durch seinen unbezwingbaren Zorn geprägt, ohne daß dies den herausragenden Rang seiner Person beeinträchtigt. Die zentrale Bedeutung, die Piaton gutem Handeln und vernünftiger Rechtfertigung zuweist, ist dem Homerischen Weltbild unbekannt. Die archaischen Personen sind zwar dazu fähig, über Handlungsmöglichkeiten nachzudenken, zwischen konkurrierenden Optionen zu wählen und entsprechend zu handeln. Aber die Vorstellung, daß die Lebensvollzüge der Menschen insgesamt vernunftbestimmt und rational begründbar sein sollten, läßt sich in der Homerischen Welt nicht nachweisen. Die Homerischen Menschen sind Personen, aber sie sind nicht in dem emphatischen Sinn rationale oder moralische Personen, in dem in Piatons Schriften die Gestalt des sein Leben ganz auf die Vernunft abstellenden Sokrates modellhaft dargestellt ist. Bei Piaton erscheinen die nicht durch rationale Überlegung bestimmten oder mit den Prinzipien der Vernunft in Einklang stehenden Verhaltensweisen als wertlos, schädlich oder gefährlich. Dies bedeutet gleichzeitig eine massive Ausdehnung des Zuständigkeitsbereichs der intellektuellen Fähigkeiten des Menschen.29 In Anbetracht dieser wesentlichen Unterschiede zwischen Homer und Piaton ist die Intention der historistischen Diskontinuitätsthese verständlich, einen radikalen Einschnitt zwischen den archaischen und den klassischen Anschauungsformen zu betonen, auch wenn die These insgesamt nicht zu überzeugen vermag. In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Moment der Platonischen Texte zu beachten. Durch die Identifikation der Person mit einer immateriellen, vernünftigen Seele verliert diese zumindest tendenziell alle persönlichen oder idiosynkratischen Eigentümlichkeiten. Nichts Individuelles scheint in einer solchen Perspektive wertvoll genug zu sein, um in den Kern der Person einzugehen. Denn charakterliche Eigenheiten hängen mit spezifischen appetitiven oder affektiven Eigenschaften und den auf ihnen beruhenden Verhaltensweisen und Gewohnheiten eines Menschen zusammen. Die Struktur der rationalen und moralischen Person bei Piaton scheint der Idee nach in der Überwindung und Abstoßung des Individuellen oder zumindest in seiner gänzlichen Beherrschung durch die Vernunft zu beste-
29
Für Piatons Anschauungen über die intellektuellen Fähigkeiten ist insbesondere die Unterscheidung von verschiedenen Formen und Objekten des Wissens bedeutsam, die in der Gleichnisserie des ,Staat' (504a-509b) sowie in den einschlägigen Passagen der die klassische Ideenlehre formulierenden Dialoge .Phaidon', ,Phaidros', ,Symposion' diskutiert wird. Vgl. hierzu Wieland (1982), C. Schildknecht, Philosophische Masken - Literarische Formen der Philosophie bei Piaton, Descartes, Wolff und Lichtenberg; Stuttgart, Metzler, 1990.
Personen in der antiken Philosophie
31
hen.30 Angesichts dieser ungebremsten Einseitigkeit mag man in der Platonischen Konzeption der Person kaum mehr als das zu erkennen, was umgangssprachlich als eine bloße Idee abgewertet wird. Andererseits löst sich das Individuelle nicht vollständig in der dünnen Luft der Ideenwelt auf. Die Platonischen Dialoge gehören mit ihrer intensiven Prosopographik zu den frühesten literarischen Formen einer nicht schematisierenden Personendarstellung. Neben den zahlreichen Nebenfiguren wird gerade Sokrates als exemplarische Verkörperung der philosophierenden Aktivität keineswegs als farblose, nur umrißhaft skizzierte Gestalt dargestellt. Piatons Sokrates ist, jenseits der Frage historischer Exaktheit, eine der wirkungsmächtigsten literarischen Darstellungen des in seiner Eigentümlichkeit prägnant gekennzeichneten Individuums. Es wäre ein Irrtum, diesen Punkt als systematisch nebensächlich zu vernachlässigen. Die individuierenden Aspekte der Person werden im Rahmen einer hohen Bewertung der allgemeinen Vernunftfähigkeit in ihrem Rang unzweideutig heruntergestuft. Andererseits treten im Zuge der Betonung einer allgemeinen Vernunftnatur des Menschen die individuellen und idiosynkratischen Züge erst deutlich hervor. Im Fall des Sokrates, der sich ganz der Vernunft verbindet, wird das Individuelle nicht schlechthin negiert oder destruiert. In der Reflexion entfaltet sich eine Spannung zwischen den kontingenten, idiosynkratischen Zügen des Menschen und seiner Vernunftnatur. Diese Spannung konstituiert die Person als Individuum. Reflexive Rationalität, als Bewegung zwischen dem Allgemeinen der Begriffswelt und den kontingenten, idiosynkratischen Ausgangspunkten des Denkens, bildet die grundlegende Bestimmung von Personalität. Im abschließenden Kapitel wird diese Konzeption wieder aufgegriffen und im Zusammenhang mit Überlegungen D. Dennetts als zentrales Moment des Personbegriffs hervorgehoben. Überlegen, Entscheiden, Handeln als Grundbestimmungen sowie die nicht auf Handlungszusammenhänge eingeschränkte Fähigkeit reflexiver Rationalität prägen den Personbegriff. Piatons Philosophie integriert diese Momente in ein komplexes und der Idee nach vollständiges System. Die Person ist wesentlich ein rationales Wesen. Sie wird als ein zentriertes, abgeschlossenes und hierarchisch gegliedertes Gefüge unterschiedlicher physischer und psychischer Instanzen vorgestellt. Als solches ist sie ein Element des in der philosophischen Spekulation vergegenwärtigten Gesamt-
30
G. Bien schreibt in diesem Zusammenhang von dem „Verschwinden des Menschlichen zwischen dem Animalischen und dem Ewigen"; vgl. ders., Die Grundlegung der politischen Philosophie bei Aristoteles; Freiburg, Alber, 1980, 179f.
Hatten die Griechen einen Personbegriff?
32
Zusammenhangs vergehender und unvergänglicher Entitäten. Der Hinweis auf diese Totalperspektive der Platonischen Philosophie macht auch verständlich, daß das Verhältnis von Identität und Person kein eigentliches Thema ist: Die Begriffe der Identität und der Differenz sind zweifellos fundamentale Probleme der Philosophie Piatons, aber eine spezifische Einengung auf die Konstellation von Identität und Personalität findet nicht statt. Eine beiläufig scheinende Passage des ,Symposion' macht deutlich, weshalb dies so ist: Zwar tragen die Menschen ihr gesamtes Leben lang denselben Namen. Ihre körperlichen und psychischen Eigenschaften aber sind dauerndem Wandel unterworfen. Der Körper des Kleinkinds hat kaum eine Gemeinsamkeit mit demjenigen des Jugendlichen, des Erwachsenen oder des Alten. Und auch auf der Ebene der psychischen Zustände herrscht ständiger Wechsel. Hier geht es um stetige Veränderungen, die nicht nur die Empfingungen, Gefühle und Wünsche, sondern auch und gerade Überzeugungen und Wissen betreffen. Nichts, was dem Individuum als solchem eigentümlich ist, garantiert Identität, nur das Allgemeine, der Gattung insgesamt Zukommende bleibt als Identisches erhalten.31 Im Hinblick auf die in der Gegenwart im Zusammenhang mit dem Problem der Identität von Personen oft gebrauchte Methode der Gedankenexperimente sind zwei einschlägige Platon-Stellen zu erwähnen: Im ,Kratylos' findet sich die Konzeption der Verdoppelung einer Person. Damit ist eine Situation gemeint, in der eine vorhandene Person dupliziert wird, so daß schießlich zwei numerisch unterschiedene und qualitativ identische Entitäten vorhanden sind.32 Diese Passage nimmt Piaton allerdings nicht zum Anlaß die Frage personaler Identität zu behandeln. Der Kontext dieses Gedankenexperiments ist vielmehr durch die Untersuchung der Begriffe der Darstellung oder Nachahmung und der Beziehung von Bild und Abbild vorgegeben. Das Doppelgänger-Gedankenexperiment verdeutlicht, daß Nachahmungen selektive Darstellungen sind. Der zweite für eine Geschichte der Gedankenexperimente über die Identität von Personen relevante Passus findet sich in der bekannten Rede des Aristophanes im ,Symposion'. Aristophanes erzählt einen Mythos über die Entstehung der Menschen. Dieser Mythos hat wie alle im Symposion wiedergegebenen Reden die Aufgabe, den Begriff und das Wesen des Eros zur Sprache zu bringen. Aristophanes berichtet, daß die Menschen in ihrer heutigen körperlichen Gestalt Produkte einer Spaltung sind. Jeder Mensch entspricht lediglich einer Hälf-
31
Symp. 207d - 208b.
32
Krat. 432b-c.
Personen in der antiken Philosophie
33
te der ursprünglichen menschlichen Ganzheit. Weil die Menschen wieder ihre ursprüngliche Einheit wiederfinden wollen, sehnen sie sich nach der fehlenden Hälfte. In der Liebe, so der Mythos, erfüllt sich diese Sehnsucht teilweise.33 Spaltungs- und Fusionsszenarien der skizzierten Art spielen in der gegenwärtigen Diskussion eine große Rolle bei der Erörterung der Identität von Personen. Der Mythos des ,Symposion' stellt ein strukturelles Analogon zu diesen in Kapitel IV behandelten Überlegungen dar.
1.2.2. Aristoteles Im Vergleich zu Piaton zeichnen sich die Schriften des Aristoteles unter anderem durch eine stark wissenschaftsbezogene Orientierung aus. Für den Personbegriff ist dies insofern wichtig, als Aristoteles in umfassenderer Weise als Piaton die Frage ,Was ist ein Mensch?' behandelt. Er bemüht sich, das Wesen der Menschen nicht nur in epistemologischer und moralphilosophischer Perspektive zu erfassen. Vielmehr stellt er empiriegesättigte Überlegungen an, die ihre Grundlage in biologischen Studien haben und den Menschen als eine spezifische Tierart in den Blick rücken. Diese starke Hervorhebung der naturalen Seite des Menschen bedeutet allerdings nicht, daß es bei der Darstellung des Menschen als einer besonderen Tierart unter Ausklammerung anderer Problemstellungen sein Bewenden hätte. Die Schriften zur Ethik, Politik, Rhetorik und Kunst erweitern das Spektrum der in den naturphilosophischen Abhandlungen beachteten Aspekte durch Hervorhebung der kulturellen Lebensform des Menschen. Wie auch schon bei Piaton, so wird vollends bei Aristoteles deutlich, daß gute Gründe gegeben sind, um von einem nun in den wesentlichen Hinsichten entfalteten Personbegriff zu sprechen. Zwar verwendet Aristoteles ebensowenig wie Piaton und andere Autoren der klassischen griechischen Philosophie einen anderen Ausdruck als die allgemeine Bezeichnung für ,Mensch' (άνθρωπος). Aber angesichts der differenzierten epistemischen, psychologischen, ethischen und naturphilosophischen Studien stellt sich die Frage, welche Unterscheidung oder Fragestellung es denn sein könnte, deren Ausbleiben den Grund dafür darstellen könnte, Aristoteles einen voll entwickelten Personbegriff abzusprechen. Um diese Frage beantworten zu können, ist ein Blick auf wichtige Partien des Aristotelischen
»
Symp 189c-193e.
34
Hatten die Griechen einen Personbegriff?
Werks erforderlich. Dabei wird im Sinne der übergreifenden Problemstellung neben einer Skizze des Aristotelischen Personbegriffs insbesondere der Zusammenhang des Begriffs der Person mit dem Begriff der Identität behandelt. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Philosophie des Aristoteles, die über den Rahmen dieser speziellen Fragestellung hinausgeht, ist nicht beabsichtigt. Es handelt sich im wesentlichen um drei Teile der Aristotelischen Philosophie, die für die thematisierte Problematik von Bedeutung sind: die Erörterung metaphysischer und logischer Grundbegriffe, die Lehre von der Psyche sowie die Ethik.34
1.2.2.1. Grundbegriffe Im Zentrum der Aristotelischen Philosophie steht der Substanzbegriff (ούσια).35 Die Bedeutung dieses Ausdrucks, der in terminologischer Verwendung erstmals bei Aristoteles auftaucht, ist unklar. Grob gesprochen kann die als ουσία bezeichnete Entität als eigenständiger Bestandteil dessen, was es gibt, bestimmt werden. Die Substanz wird als ein bestimmtes Etwas bezeichnet (Cat. 3b 10). Aristoteles denkt hierbei sowohl an die konkreten Einzeldinge als auch an das begrifflich gefaßte Wesen eines konkreten Individuums. Es ist demnach möglich, zwischen primären und sekundären Substanzen zu unterscheiden: Während konkrete Einzelwesen als Substanzen im primären Sinn gelten, können Arten (,Mensch', ,Pferd') und Gattungen (,Lebewesen') als sekundäre Substanzen behandelt werden (Cat. 2al3-
54
Griechische Zitate soweit nicht anders vermerkt nach den Bänden der LCL. Aus der .Metaphysik' wird nach der deutschen Übersetzung von H. Bonitz und H. Seidl zitiert: Aristoteles, Metaphysik; I-II, gr.-dt., ed. W. Christ, trad. Η. Bonitz, Η. Seidl, Hamburg, Meiner, I: 1989/II: 1991. ,De Anima' wird nach der deutschen Übersetzung von W. Theiler zitiert: Aristoteles, Über die Seele (Werke in Deutscher Übersetzung XIII); trad. W. Theiler, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1983.
35
Maßgebliche Bezugspunkte sind neben den ,Kategorien' die Bücher VII-IX der ,Metaphysik'. Vgl. J.L. Ackrill, .Categories' and ,De Interpretatione' (Clarendon Aristotle Series); Oxford, Clarendon, 1963; W. Sellars, Substance and Form in Aristotle; in: Philosophical Perspectives, Springfield, Thomas, 1967, 125-136; M. Frede, Substance in Aristotle's ,Metaphysics'; in: ders. Essays in Ancient Philosophy; Oxford, University of Oxford Press, 1987, 72-80; C. Stead, Substance after Aristotle; in: Divine Substance; Oxford, Clarendon, 1977, 110-130; ders., The Word ,ousia' in Late Antiquity; in: Shields (1977), 131-156; M. Frede, G. Patzig, Aristoteles ,Metaphysik Ζ' - Text, Übersetzung und Kommentar; I-II, München, Beck, 1988, hier: Band II, l6f.; D. Bostock, Aristotle .Metaphysics' Books Ζ and Η (Clarendon Aristotle Series); Oxford, Clarendon, 1994.
P e r s o n e n in d e r antiken Philosophie
35
18; 2b5-ll). Damit wird die Rede von der Substanz sowohl auf der Ebene des Partikularen wie des Universalen anwendbar.36 Der Substanzbegriff ist für die Erklärung von Veränderungen wesentlich: Er bezieht sich auf die Träger von Veränderungsvorgängen, auf dasjenige, was den Entwicklungsprozessen im Bereich der Natur zugrunde liegt und in gewisser Weise dasselbe bleibt. Terminologisch schlägt sich dieser Substrat-Gedanke im Gebrauch des Ausdrucks ΰποκείμενον nieder (Met. 1028b36-37; Phys. 190a35 - b6). Die Substanz ist die eigenständige Grundlage, welche wechselnde und teilweise gegensätzliche Eigenschaften aufnimmt. Sie ist unabhängig und letzter Bestandteil, insofern sie ohne die einzelnen Eigenschaften sein kann, die Eigenschaften aber auf sie als Grundlage angewiesen sind: Koriskos kann die Eigenschaft haben, blauäugig zu sein oder nicht. Aber es gibt' die Eigenschaft ,blauäugig' nicht, wenn es keinen Träger für sie gibt.37 In der Kategorienschrift wird gesagt, daß die Substanzbezeichnungen im Aussagesatz an der Subjektstelle stehen, wobei die Beschaffenheit durch verschiedene Prädikate charakterisierbar ist. Beispiele für Substanzen sind einzelne Lebewesen. Der Name eines bestimmten Menschen (,Koriskos') oder Pferdes (.Bukephalos') kann also niemals in prädikativer Funktion gebraucht werden. Dieser Sachverhalt wird als Imprädikabilität (der Substanz oder des Individuums) bezeichnet. Zudem wird festgestellt, daß das Koriskos-Sein keine inhärente oder individuelle Eigenschaft eines Subjekts ist: Es gibt zwar den Koriskos, und er ist ein Subjekt, aber das Koriskos-Sein ist nicht ein Teil eines Subjekts (Cat. 2all-13). Es wäre eher angemessen zu sagen: Koriskos und Koriskos-Sein sind dasselbe. Vorsicht ist hier allerdings aus folgendem Grund angezeigt: Wenn das Koriskos-Sein als das Wesen des Koriskos aufzufassen ist, dann ist die Behauptung der Identität von Koriskos mit dem Wesen des Koriskos falsch. Denn Koriskos hat akzidentelle Eigenschaften und diese gehören nicht zu seinem Wesen (Met. 1031al7-24). Ein bekanntes Lehrstück der Aristotelischen Substanztheorie ist die Liste der zehn Kategorien. Es handelt sich hierbei um eine Reihe von Bedeu-
36
Im übrigen ist es für die Differenz der Auffassungen Piatons und Aristoteles charakteristisch, daß letzterer über die Unterscheidung von partikularen und universalen Gegenständen hinaus auch universale (,Gerechtigkeit') und partikulare Eigenschaften (.Solons Gerechtigkeit') annimmt. Vgl. M. Frede, Individuals in Aristotle; in: Frede (1987), 49-71.
37
Jedenfalls spricht nichts dafür, Aristoteles die Überzeugung zuzuschreiben, daß es nichtinstantiierte Eigenschaften gibt.
36
Hatten die G r i e c h e n einen Personbegriff?
tungsmöglichkeiten von Einzelwörtern. Im wesentlichen erfährt man, welche Möglichkeiten der Prädikation, der Spezifizierung der Substanz gegeben sind. Diese Liste wird oft als eine umfassende und abschließende Systematisierung derjenigen Gesichtspunkte interpretiert, unter denen Seiendes überhaupt ausgesagt werden kann. Ob dies dem Sinn und Zweck dieser Einteilung tatsächlich gerecht wird, ist umstritten. Im einzelnen nennt Aristoteles die folgenden Momente: (1) Substanz (,Was ist x?'); (2) Quantität (,Wie groß ist x?'); (3) Qualität (.Welcher Art ist x?'); (4) Relation (,In welcher Beziehung steht x?'); (5) Ort (,Wo ist x?'); (6) Zeit (,Wann ist x?'); (7) Position (,Welche Position hat x?'); (8) Zustand (,In welchem Zustand ist x?0; (9) Aktivität (,Was tut x?'); (10) Affiziertwerden (,Was geschieht mit x?') (Cat. Ib25-2a3). 38 Im Hinblick auf die Beschreibung und Erklärung von Einzeldingen kommt dem Raster der Gattungs- und Artbegriffe eine wichtige Funktion zu. Einzeldinge können durch Zuordnung zu einer bestimmten Gattung und Art bestimmt werden. Mitunter schreibt Aristoteles so, daß als Antwort auf die Frage „Was ist dies da für ein Ding?" die Angabe der Art („Das ist ein Mensch") als vollkommen hinreichend erscheint (Met. 1028al3-19). Diese Form der Eingrenzung von Einzelnem wird bei sortalen Begriffen im allgemeinen als Individuierung des Gegenstands bezeichnet. Der Art- oder Gattungsbegriff kann selbst als (sekundäre) Substanz angesehen werden: Das Menschsein ist das Substanzielle an Koriskos, es bezeichnet das Wesentliche dieses Einzelnen. In den biologischen Schriften operiert Aristoteles mit einer Einteilung der Tiere nach natürlichen Arten. Dabei arbeitet er mit einer Mehrzahl von Merkmalen.39 J e nach Untersuchungsinteresse kann die Charakterisierung ein und derselben Tierart unterschiedlich ausfallen. Die Fortbewegungsart, die Aufenthaltsorte, die Lebensweise oder die Reproduktionsformen können abwechselnd als Grundlage der Einteilung dienen. Die innerhalb einer Gattung zu verzeichnenden Arten werden durch spezifische Differenzen voneinander unterschieden. Anders als es die Bekanntheit des in der Regel auf Aristoteles zurückgeführten Topos ,animal rationale' suggeriert, steht bei Aristoteles das Merkmal der Sprachfähigkeit oder Vernunft hinsichtlich der klassifikatorischen Bestimmung des Menschen keineswegs im Vorder-
38
Vgl. M. Frede, Categories in Aristotle; in: Frede (1987), 29-48.
39
Eine scharfe terminologische Unterscheidung zwischen .Gattung' und ,Art' findet sich bei Aristoteles selten, vgl. D.M. Balme, GENOS and EIDOS in Aristotle's Biology; CQ 12 (1962), 81-94; ders., Aristotle's Use of Differentiae in Zoology; AoA I, 183-193.
Personen in der antiken Philosophie
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grund. Unter klassifikatorischen Gesichtspunkten spielen gemeinsam mit anderen die folgenden Gesichtspunkte eine wesentliche Rolle: (1) der Mensch ist das einzige Tier, das aufrecht steht (PA 656al2-l4; 686a26-28; 690a29-30) und zwei Beine hat (Met. 1006a30-31); (2) er ist dasjenige Tier, das im Verhältnis zu seiner Körpergröße die größten Füße hat (PA 690a28); (3) er kann seine Hand als vielseitiges Instrument verwenden (PA 687al0-ll; 687b28); (4) er ist praktisch das einzige Lebewesen, das aufgrund von Hoffnung oder Erwartung Herzklopfen hat (PA 669al9-21) ; (5) er ist das einzige Tier, das lacht (PA 673a2-10). Hier ist nicht von Interesse, inwiefern diese Beobachtungen gemessen am heutigen Wissensstand haltbar sind. Wesentlich ist der Umstand, daß Aristoteles die Klassifikation nicht als Selbstzweck betreibt und — trotz seiner im ,Organon', der .Metaphysik' und im Buch I der ,Historia animalium' formulierten Kritik an den Defiziten der ihm vorliegenden Klassifikationsverfahren — keine abgeschlossene Gesamtklassifikation für die Zoologie erarbeitet.40 Offensichtlich ist, daß die klassifikatorischen Feststellungen sehr stark durch teleologische Konzeptionen gelenkt sind. So bringt Aristoteles die Merkmale (1) und (3) unmittelbar mit der Intelligenz des Menschen in Verbindung. Die Natur hat den Menschen mit den vielseitig brauchbaren Händen ausgestattet, weil er das intelligenteste Lebewesen ist (PA 687a8-687b24). Der Mensch steht aufrecht, weil seine Natur und sein Wesen am Göttlichen teilhaben (PA 686a26-28). Der ,animal rationale'-Topos ist also bei Aristoteles nicht ein Bestandteil der Klassifikation, im Gegenteil: Die Idee vom Menschen als oberster Stufe der ,scala naturae' ist in gewisser Weise die Grundlage der Klassifikation. Eine solche Konzeption unterscheidet sich fundamental von heutigen Auffassungen. Und das betrifft nicht nur die Rolle der Teleologie innerhalb klassifikatorischer Systeme, sondern den Begriff der natürlichen Art. Diese wird nicht mehr über essentielle Eigenschaften definiert, sondern als Verwandtschaftsbeziehung zwischen den eine Population konstituierenden Organismen bestimmt.41 Die Natur der Dinge und die Natur des Menschen
40
Vgl. hierzu D. Morrisons Kritik an einer taxonomischen Interpretation der .Kategorien'; D. Morrison, The Taxonomical Interpretation of Aristotle's .Categories' - A Criticism; in: A. Preuss, J.P. Anton ( e d s ) , Essays in Ancient Greek Philosophy V - Aristotle's Ontology; Albany, State University of N e w York Press, 1992, 19-46.
41
Die für das Konzept der über Merkmale definierten natürlichen Arten heikle Frage, o b es natürliche Arten gibt oder ob es sich lediglich um revidierbare Konzeptualisierungen handelt, hat im Werk des Aristoteles noch keinen Platz.
38
Hatten die Griechen einen Personbegriff?
sind für Aristoteles in gewisser Weise unveränderlich. Auch wenn der Bereich der Lebewesen und insbesondere die Sphäre der menschlichen Angelegenheiten als veränderlich im Gegensatz zur Unveränderlichkeit und Beharrlichkeit etwa der Bewegungsabläufe der Himmelskörper aufgefaßt wird, so wird bei ihm die Instabilität im Bereich des Werdens und Vergehens durch die Lehre vom gleichbleibenden Wesen der Gattungen und Arten kompensiert. Unter heutigen Bedingungen betrachtet ist dies ein kritischer Punkt der Aristotelischen Konzeption: Wie überzeugend ist die grundsätzliche Unterscheidung essentieller und akzidenteller Eigenschaften, wenn unklar ist, w o die Natur der Dinge selbst historischem Wandel unterliegt? Gegenwärtig liefern die tiefgreifenden Veränderungen des Naturbegriffs, in deren Verlauf die Grenzen zwischen Naturprodukten und Artefakten verschoben werden, indem etwa gentechnische Interventionen neue Varianten von Lebewesen herstellen, augenfällige Argumente gegen eine naive, ahistorische Konzeption essentieller Eigenschaften natürlicher Arten. Die heutige Konstellation — Historisierung des Naturbegriffs und wissenschaftsgestützte Technologie — ist mit ihren weitreichenden Konsequenzen dem Aristotelischen Denken fremd. Einige Folgerungen und Implikationen dieser Entwicklung werfen gerade im Hinblick auf die Begriffe des Menschen und der Person tiefgreifende Fragen auf. Die Frage, ob der Personbegriff als Begriff einer biologischen Art bestimmt werden kann, wird im Zusammenhang mit den in der analytischen Philosophie diskutierten Auffassungen im vierten und fünften Kapitel behandelt. Aus Aristotelischer Sicht scheint die Frage "Was ist χ für ein Gegenstand?" durch Angabe der Spezies angemessen beantwortet zu sein. Die Frage "Wie läßt sich das richtige System der Gattungs- und Artbegriffe finden?" hat Aristoteles zwar angeschnitten, aber nicht in der praktischen Arbeit gelöst.42 Neben den artspezifischen Eigenschaften können kontingente oder akzidentelle Eigenschaften entweder permanent (.blauäugig', cholerisch') oder nur zeitweise (.sitzend', ,laufend', ,faul') an Gegenständen auftreten (Top. 102b4-26). Der Ausdruck .akzidentell' ist im übrigen nicht so zu verstehen, daß es sich um irrelevante Eigenschaften handelt. Auch wenn der Sieger im Marathonlauf aufgrund der artspezifischen Eigenschaft der Sprachbeherrschung ein Mensch ist, so ist es die akzidentelle Eigenschaft, ein ausgezeichneter und ausdauernder Läufer zu sein, die ihn treffend charakterisiert. Die artspezifischen Eigenschaften sind in Aristotelischer Sicht
42
G.E.R. Lloyd, The Development of Aristotle's Theory of the Classification of Animals; Phronesis 6 (1961), 59-81.
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allerdings insofern essentiell, als sie die notwendige Grundlage für das Auftreten auch der relevanten akzidentellen Eigenschaften darstellen. Die Rede von dem Akzidenz einer Sache bezieht sich darauf, daß Eigenschaften dem betreffenden Gegenstand sowohl zu- als auch abgesprochen werden, ohne daß er durch den Verlust einer solchen Eigenschaft aufhört zu sein: Wenn Kallias die Eigenschaft, faul zu sein, verliert, so verändert er sich. Wenn Kallias seine essentiellen Eigenschaften (beispielsweise die Fähigkeit, denken zu können) verliert, so hört er auf (ein Mensch) zu sein. Die artspezifische Eigenschaft ist mit Aristoteles nicht so zu verstehen, daß jede Lebensregung von Kallias als Denkakt beschrieben werden muß, damit er in dem relevanten Sinn als ein denkendes Lebewesen gilt. Würde das Kriterium in dieser Weise aufgefaßt, so wäre die Extensionsklasse leer. Wesentlich ist, daß Kallias das Denk vermögen zugeschrieben werden kann. Mitglieder der Art .Mensch' beispielsweise müssen demnach potentiell denkende Wesen sein. Im Zusammenhang mit der kriterialen Funktion bestimmter Eigenschaften oder Dispositionen für die Zugehörigkeit einer Entität zu einer Gattung oder Art ist es wesentlich, das Verhältnis von Allgemeinbegriff (Gattungsoder Artname) und kriterialen Qualitäten zu beachten. Angenommen, etwas sei dann ein Mitglied einer bestimmten Art K, wenn eine bestimmte Anzahl von Bedingungen erfüllt ist (,x ist ein Κ genau dann, wenn χ die Eigenschaften PI...Pn besitzt'): Die Kenntnis der Bedeutung von ,ΡΙ.,.Ρη' und die Fähigkeit, das Vorhandensein der fraglichen Eigenschaften festzustellen, sind nicht gleichbedeutend mit der Kenntnis der Bedeutung des Artbegriffs (,K').43 Allgemeinbegriffe sind also nicht synonym mit Eigenschaftsbündeln und haben eine von diesen abweichende Semantik.
1.2.2.2. Individuation und Identifizierung Wie unterscheidet Aristoteles verschiedene Entitäten, beispielsweise die einzelnen Mitglieder einer Art? Diese Frage steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der grundlegenden Frage nach der Bestimmung der Substanz als der grundlegenden Entität schlechthin. Grundsätzlich gibt es drei unterschiedliche Kandidaten zur Erläuterung des Substanzbegriffs: die Materie,
43
W. Sellars (1967), 132. Seilars weist darauf hin, daß Gattungsnamen nicht temporal indexikalisiert gebraucht werden, während dies für Eigenschaftsbezeichnungen sehr w o h l der Fall ist.
40
Hatten die G r i e c h e n einen Personbegriff?
die Form sowie das Resultat von Materie und Form (Met. 1029al-3,1042a2631). Obwohl Aristoteles alle drei Varianten diskutiert, gibt er selbst keine endgültige und wichtige Einwände insgesamt ausräumende Antwort. Wie steht es mit der ersten These, derzufolge die Substanz die Materie ist und Einzeldinge durch die Materie individuiert werden? — Koriskos und Kallias sind zwei Menschen. Sie sind unterschieden und unterscheidbar, aber es ist nicht die artspezifische Differenz, welche die Unterscheidung innerhalb der Art ermöglicht. Koriskos ist der Mensch, der er ist, aufgrund der ihn konstituierenden Materie. Die Koriskos-Materie ist eine andere Materie als die Kallias-Materie. Aus diesem Grund kann man die beiden Menschen unterscheiden. Die Bedeutung der Materie kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß man sagt: Die spezifischen und akzidentellen Eigenschaften bedürfen der Materie, um manifest zu werden. Die Materie kann ohne einzelne Formbestimmungen sein. In den Passagen, in denen Aristoteles eine Gleichsetzung von Substanz und Materie ernsthaft erwägt, spielt der Substrataspekt der Substanz eine wesentliche Rolle. Von diesem Konzept her läßt sich in der Tat für die Materie als grundlegende Entität argumentieren.44 Wenn die Substanz als konkretes Einzelding in Betracht kommt, erscheint es ungleich problematischer, von den Formeigenschaften abzusehen. Entsprechend besteht gegen die These von der Materie als Individuationsprinzip eine ganze Reihe von Einwänden. Zwei von ihnen seien hier angeführt: (1) Zunächst gibt es eine Venus-Statue aus Bronze. Dann wird diese eingeschmolzen und aus demselben Material wird anschließend eine MarsStatue hergestellt. Beide Gegenstände (Venus-Statue, Mars-Statue) gehören zu derselben Art (Statue). Wäre Materie das Individuationsprinzip, so müßte man sagen, es handele sich um denselben Gegenstand. Dies ist offensichtlich unvereinbar mit den Fakten. Materie kann nicht das Individuationsprinzip sein. (2) Der zweite Einwand geht auf die spezifische Beschaffenheit von Lebewesen, im Gegensatz zu unbelebten Naturdingen und Artefakten, ein. Mit Blick auf Menschen kann man das folgende Gedankenexperiment als Variante des oben angeführten Beispiels entwerfen: Die Materie, die Koriskos zu tj konstituiert, wird durch die Stoffwechselprozesse des Organismus schrittweise ausgetauscht. Zum Zeitpunkt t besteht Koriskos daher aus vollkommen veränderter Materie. Sein Körper enthält keines der Partikel
44
In diesem Sinn wird in Phys. 190bl5-17 gesagt, daß im Fall einer Statue das jeweilige Material (Bronze, Marmor, Gold) das Substrat ist.
Personen in der antiken Philosophie
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aus t,. Aufgrund kontingenter Ereignisse besteht aber der Körper von Kallias zum Zeitpunkt t genau aus denjenigen Materiepartikeln, die Koriskos zu tj besaß.45 Auch hier wird deutlich, daß Materie nicht als einziges Individuationsprinzip gelten kann, denn sonst wären Koriskosu und KalliastUn identisch.46 Aristoteles selbst sagt, daß ohne Rückgriff auf einen die undifferenzierte Materie näher charakterisierenden und vereinheitlichenden Begriff eine Individuierung von Gegenständen nicht möglich ist (De An. 4l2a6-9; Met. 1029a7-30; 1042a27-28; 104lb4-9). 47 Man kann folglich festhalten, daß ein allgemeiner Materiebegriff als Individuationsprinzip für Aristoteles nicht hinreichend ist. Der zweite Kandidat zur Bestimmung der Substanz, die Form, scheint insofern Schwierigkeiten zu bereiten, als konkrete Dinge wie Menschen und Bronzekugeln offensichtlich nicht reine Formen sind, sondern aus Materie bestehen. Von daher ist es wenig überzeugend, den materiellen Aspekt im Hinblick auf die Bestimmung der Substanz ganz außer acht zu lassen. Andererseits sagt Aristoteles aber, daß bestimmte Entitäten, wie etwa Teile eines Organismus (Hände, Füße), nicht aufgrund ihrer Materie das sind, was sie sind, sondern nur als Teile eines Ganzen, einer Form (Met. 1035bl4-19). Die Form scheint in diesen Fällen das die Substanz auszeichnende Moment der Bestimmtheit und Partikularität besonders gut zur Geltung zu bringen.48 Ohne Frage ist der Begriff der Form für die Aristotelische Metaphysik von zentraler Bedeutung. Wie bei anderen Grundbegriffen bestehen allerdings im einzelnen beträchtliche Schwierigkeiten, wie er genau aufzufassen ist.
45
Vgl. K. Fine, A Puzzle concerning Matter and Form; in: T. Scaltsas, D. Charles, M L. Gill (eds.), Unity, Identity, and Explanation in Aristotle's Metaphysics; Oxford, Oxford University Press, 1994, 13-40.
46
Zu den Einzelheiten des Materiebegriffs mit Bezug auf das erste Buch der .Physik' und die .Kategorien' vgl. T.H. Irwin, Aristotle's First Principles; Oxford, Clarendon, 1988, 88f.
47
Vgl. auch G.E.M. Anscombe, The Principle of Individuation; AoA III (1979), 88-95; hier: 91.
48
Vgl. J.E. Whiting, Form and Individuation in Aristotle; History of Philosophy Quarterly 3 (1986), 359-377. Aristoteles selbst stellt bei der Diskussion von Form und Materie fest, daß der Formbegriff große Schwierigkeiten bereitet, vgl. Met. 1029a33. Die jüngere Forschung stimmt ihm hierin zu: ,,[T]here is hardly a statement about form in the Metaphysics that is (at least verbally) contradicted by some other statement"; P.T. Geach, Aquinas; in: G.E.M. Anscombe, P.T. Geach, Three Philosophers; Oxford, Blackwell, 1963, 65-125; hier: 75; schärfer noch Anscombe: ,,Ι do not understand Aristotle's ,form', and I do not yet know whether he got clear about it himself"; Anscombe (1974), 10.
42
Hatten die Griechen einen Personbegriff?
Die dritte Variante mag manchem am überzeugendsten scheinen. In ihrem Rahmen wird die Frage nach dem Individuationsprinzip folgendermaßen beantwortet: Sowohl bei Koriskos als auch bei Kallias ist die Materie in der artspezifischen Form konfiguriert. Es ist das Compositum von Materie und Form, welches die Substanzen, die primären, eigenständigen und abtrennbaren Bestandteile des Wirklichen bildet. Koriskos ist ein Mensch und auch Kallias ist ein Mensch. Beide sind räumlich diskontinuierliche, jeweils eine Einheit bildende Gegenstände. Anders als Siamesische Zwillinge hängen sie nicht räumlich zusammen und bilden nicht gemeinsam eine Einheit. Aus diesem Grund kann man beide als einzelne Wesen unterscheiden. Es handelt sich um abzählbare Instantiierungen einer artspezifischen Form. Sie sind letzte, unteilbare Bestandteile der Art, weil sie bei einer weitergehenden Zerlegung in Bestandteile ihre Selbständigkeit verlieren und ihres Status als Mitglieder der Art verlustig gehen würden. Sie verlieren diesen Status aber nicht, wenn sie akzidentelle Eigenschaften verlieren. Von diesen sind sie prinzipiell unabhängig. Im Zusammenhang mit solchen Überlegungen zur Substanz führt Aristoteles in der Kategorienschrift den Begriff des Individuums ein (Cat. Ib6; 3a34, 3a38-39; 3b2, 3b7, 3bl2). 49 Die Untauglichkeit eines gänzlich undifferenzierten Materiebegriffs zur Lösung von Individuierungsaufgaben motiviert eine begriffliche Unterscheidung, die in der Tradition als Differenzierung von ,materia prima' und ,materia secunda' weitergegeben wurde. Als ,materia prima' wird ein potentielles, vollkommen eigenschaftsloses Substrat bezeichnet. Der Stoff empirischer Gegenstände scheint demgegenüber jeweils durch bestimmte Merkmale geprägt (Met. 1044bl-3): Menschen bestehen nicht einfach aus eigenschaftsloser Materie, sondern, in Aristotelischer Diktion gesprochen, aus Fleisch und Knochen. Die Unterscheidung von ,materia prima' und ,materia secunda' ist iterierbar. Im Bereich der in hierarchischer Abstufung und Komplexitätssteigerung gedachten Naturdinge kann ein und derselbe Stoff als die .materia secunda' eines Objekts und als ,materia prima' eines komplexeren Gegenstands betrachtet werden (Met. 10l4b27-32; 1049al9-36).
49
Vgl. Frede (1987), 51. Im allgemeinen steht die Individuation von konkreten und abzählbaren Entitäten im Mittelpunkt des Interesses. Diese an den klassischen Beispielen von Aristoteles ( e i n einzelner Mensch .Koriskos', eine Hand, eine Kugel aus Bronze) deutlich werdende Sichtweise ist zu erweitern durch die Berücksichtigung der Individuation von nicht zählbaren Entitäten, die durch Stoff- oder Massenterme bezeichnet werden (,Erde', Wasser'). Mit ihnen und auf sie bezogene Identitätsaussagen hat Aristoteles Schwierigkeiten; vgl. Top. I, 7, 15-23. Für eine Diskussion der hierbei auftretenden Probleme vgl. J. Seibt, Non-countable Individuals - Why One and the Same is Not One and the Same; Southwest Philosophy Review 12 (1996), 225-237
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Im Rahmen einer solchen Konzeption kann man tatsächlich erklären, wann zwei unterschiedene Instantiierungen desselben Typs oder derselben Artform gegeben sind. Diese Sichtweise bietet sich als eine plausible Lösung des Individuationsproblems an: Objekte werden aufgrund bestimmter Formen oder Strukturmerkmale als Mitglieder einer Art erkannt. Es ist die artspezifisch geformte Materie, die als Individuationsprinzip fungiert.50 Aufgrund der griechischen Ausdrücke für Materie oder Stoff (ίίλτ?) und Form (μορφή) wird diese Position als Hylemorphismus bezeichnet. Man weiß auf der Basis eines solchen Prinzips, wann die Art,Mensch' in zwei Exemplaren vorhanden ist. Man weiß aber über die Ebene der Singularität hinausgehend nichts über charakteristische Eigenschaften, die zwei Einzeldinge wie Koriskos und Kallias voneinander unterscheiden. Mit anderen Worten: Die Instantiierung der Artform erlaubt nicht, das Vorhandensein zweier unterschiedlicher Personen Koriskos und Kallias vom Fall der Reduplikation eines Individuums (Koriskos und Koriskos,^) zu unterscheiden.51 Eine Strategie, die an diesem Punkt möglicherweise weiterhilft, besteht in der Berücksichtigung der akzidentellen Eigenschaften einer Entität. Akzidentelle Eigenschaften sind, wie bereits festgestellt wurde, solche Eigenschaften, die einem Einzelding sowohl zu- als auch abgesprochen werden können, ohne daß sich sein Status als Mitglied der Art verändert (Met. 1025al4-15). Eine entscheidende Schwäche akzidenteller Bestimmungen besteht darin, daß unklar ist, auf welche akzidentellen Eigenschaften zu Identifizierungszwecken zurückzugreifen ist. Eine Maximalforderung würde verlangen, sämtliche Eigenschaften, also alle artspezifischen und alle akzidentellen Eigenschaften, anzuführen. Aufgrund einer solchen Vorgehensweise könnte ein Gegenstand eindeutig und unmißverständlich aus der Menge aller Entitäten herausgegriffen werden. Man kann eine solche Position als Pan-Essentialismus bezeichnen. Aristoteles selbst greift im Gegensatz zu Leibniz nicht auf diese Möglichkeit zurück. Das hat gute Gründe, denn offensichtlich ist eine solche Völlständigkeitsanforderung problematisch. Denn was wäre unter einer vollständigen Auflistung der akziden-
50
„Form is the formal cause - the what it is to be or the essence - of an individual. To be an individual is simply to be a certain form. And this is just what we should expect given Aristotle's identification of each thing with its form or essence"; Whiting (1986), 373· Form und Materie können als interdependente Faktoren betrachtet werden. Nicht die von der Materie isolierte Form erlaubt es, einen Gegenstand zu individuieren, sondern die mit der Materie verbundene Form erfüllt diese Aufgabe.
51
Vgl. B. Williams, Hylomorphism; OSAP 4 (1986), 189-199. Der Index ,k' in ,Koriskos,/ besagt, daß es sich um eine Kopie oder Reduplikation von .Koriskos' handelt. Vgl. auch Anscombe (1979), 93f.
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teilen Eigenschaften eines Gegenstands (,Gib alle Eigenschaften Kleopatras an') zu verstehen? Selbst wenn man von Eigenschaften eines Gegenstands absieht wie etwa der Eigenschaft der Kleopatra, sich niemals in New York oder an einem beliebigen anderen Ort aufgehalten zu haben, bleiben viele Unklarheiten. Dabei handelt es sich keineswegs nur um kontingente epistemische Beschränkungen, die den möglichen Zugriff auf Eigenschaften einer Entität betreffen. Außerhalb explizit eingegrenzter Zusammenhänge ist der Bereich möglicher Eigenschaftsbezeichnungen prinzipiell unbeschränkt und offen. Es ist ebenfalls nicht möglich, eine abgeschlossene Liste der Eigenschaftswörter natürlicher Sprachen aufzustellen, weil diese Sprachen im Gegensatz zu Kalkülsprachen durch nicht geregelte Innovationsprozesse neue Eigenschaftsbezeichnungen hinzugewinnen können. Ein weiteres Argument, das Probleme des Pan-Essentialismus benennt, verweist darauf, daß Beschreibungen eines Objekts stets Beschreibungen von einem bestimmten Standpunkt oder aus einer spezifischen Perspektive heraus sind. Da es nicht möglich ist, eine Konzeption des alle Standpunkte integrierenden Standpunkts oder der alle Perspektiven umfassenden Perspektive zu unterstellen, wäre es verfehlt, im allgemeinen das Konzept einer vollständigen Beschreibung von Einzelgegenständen vorauszusetzen. Vollständigkeitsforderungen hinsichtlich der Bestimmung von Eigenschaften sind demnach sinnvoll nur unter der Spezifizierung einer Fragestellung und nach Maßgabe eines eingeschränkten Erkenntnisinteresses. Der PanEssentialismus sieht alle Eigenschaften einer Entität als wesentlich an. Aristoteles wendet sich zumindest implizit gegen eine solche Auffassung, wenn er schreibt, daß das Wesen eines Gegenstands nur erkennbar ist, solange die Anzahl der ihm zuzuschreibenden Prädikate begrenzt ist (An. post. 82b36-83al). Eine von Aristoteles nicht ausdrücklich erwähnte, aber von seinen Nachfolgern im Mittelalter diskutierte Abschwächung des Pan-Essentialismus ist die Bündeltheorie der Individuation. Sie verlangt die Kennzeichnung von Entitäten durch eine endliche Menge von akzidentellen Bestimmungen. Eine Minimalversion der Bündeltheorie ist die Akzidenztheorie, die den Gegenstand über ein einzelnes Merkmal (beispielsweise seine Raumposition) herausgreift. Über den Erfolg der Akzidenz- und der Bündeltheorie entscheiden offensichtlich die Art des Bezugsrahmens und seine Stabilität: Wenn sich nur eine Person in einem Zimmer aufhält, so ist ein Herausgreifen dieser Person aus der Menge vorhandener Gegenstände durch die Kennzeichnung ,Die am Fenster stehende Person' unproblematisch (Top. 102b20-26). Selbst wenn 17012 Menschen in einem Fußballstadion sind, kann die Sache einfach sein, falls die relevante Person mittels einer Sitzordnung in Block 12,
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Reihe 17, Sitz F verortet werden kann. Aber sobald die Zuschauer sich von ihren Plätzen erheben und das Stadion verlassen, wird es schwierig, die Bezugnahme eindeutig zu halten. Beide Strategien scheinen sich insofern grundsätzlich zu unterscheiden, als die Bündeltheorie grundsätzlich relativ zum Beobachter operiert und epistemisch orientiert ist, während das Projekt des Pan-Essentialismus die Individuation als direkt gegenstandsbezogenen Vorgang, ohne Beachtung epistemischer Beschränkungen konzipiert. In der Kategorienschrift behandelt Aristoteles eine weitere wichtige Art von Eigenschaften (Cat. Ia20-b9). 52 Der leitende Gesichtspunkt ist dabei derjenige der Nicht-Abtrennbarkeit bestimmter Eigenschaften von ihren Trägern: Die in ,Sokrates ist weise' ausgesagte Eigenschaft kann nicht von ihrem Träger abgekoppelt werden und selbst zum Subjekt einer Aussage gemacht werden. Dieser Befund läßt zwei gegensätzliche Lesarten zu: Die erste Lesart versteht die Aussagen ,Sokrates ist weise' und , Piaton ist weise' so, daß beiden Philosophen dieselbe Eigenschaft zugesprochen wird. Das Weisesein ist dann zweimal instantiiert. Dies ist eine platonische oder universalistische Interpretation der Inhärenz von Eigenschaften. Verallgemeinert führt sie dazu, daß Sokrates und Piaton jeweils als unterschiedliche Mengen der Instantiierung von Universalien zu bestimmen sind. Dabei wäre sprachlich die Eigenschaft nicht abtrennbar und könnte nicht die Subjektfunktion im Satz übernehmen. Ontologisch wäre sie aber in gewisser Weise unabhängig von ihrem Träger.53 Die zweite Lesart begreift die Eigenschaften als individuelle Eigenschaften: Den beiden Philosophen sind jeweils eigentümliche Formen des Weiseseins zuzusprechen. Beide, Sokrates und Piaton, sind der zweiten Lesart entsprechend weise. Aber ihre individuelle Art des Weiseseins kann sich durchaus voneinander unterscheiden. Das Weisesein des Sokrates ist nicht identisch mit dem Weisesein des Piaton. Individuelle Eigenschaften sind untrennbar mit ihrem Träger verbunden und können nicht wie ein Allgemeinbegriff von mehreren Entitäten ausgesagt werden. Der individualistischen Lektüre entsprechend verschwindet die Sokratische Weisheit gleichzeitig mit ihrem Träger aus der Welt. Der universalistischen Lesart gemäß exemplifiziert Sokrates neben anderen Men-
52
Aristoteles behandelt die Inhärenz von Eigenschaften ausschließlich in den .Kategorien'; vgl. J. Annas, Individuals in Aristotle's .Categories' - Two Queries; Phronesis 19 (1974), 146-152.
53
Diese universalistische Interpretation wird von G.E.L. Owen, Inherence; Phronesis 10 (1965), 97-105, und M. Frede, Individuals in Aristotle; in: Frede (1987), 49-71, vertreten.
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sehen die allgemeine Eigenschaft weise zu sein.54 Nicht zu verwechseln mit der skizzierten Annahme individueller Eigenschaften ist die Individualität des Einzelnen im stärkeren Sinne der haeeeeitas. Hierunter ist die Eigenschaft einer notwendigen, unanalysierbaren Einzigkeit zu verstehen, etwa die Eigenschaft der ,Sokrateshaftigkeit' des Sokrates. Diese Möglichkeit der Individuierung wurde erst seit Boethius diskutiert. Charakteristischerweise scheint Aristoteles eine weitere Anwendung des Konzepts der Individualität nicht ernsthaft erwogen zu haben: Sokrates kann möglicherweise durch individuelle Eigenschaften identifiziert werden, aber man könnte ihn auch von anderen Personen unterscheiden, indem man sagt: Sokrates besitzt eine von den Mitgliedern der Art unterschiedene individuelle Form (Met. 1071a27-29). Die Annahme individueller Formen innerhalb der Art scheint Aristoteles aber nicht überzeugt zu haben.55 Viele Entitäten können in Raum und Zeit lokalisiert werden. Daher erscheint es als naheliegend, Einzeldinge durch ihre Raum-Zeit-Position zu identifizieren. Damit wäre ein einheitliches, die Komplikationen einer Individuation über problematische Eigenschaftskategorien umgehendes Verfahren vorgeschlagen. Für Aristoteles stand das Konzept eines einheitlichen Raum-Zeit-Kontinuums, in dem Gegenstände verortet werden, nicht zur Verfügung.56 Man kann dennoch überlegen, inwiefern ein solches Verfahren Individuationsprobleme zu lösen ermöglicht. Alles, was man durch die Angabe der Raum-Zeit-Stelle einer Entität erfährt, ist, daß etwas sich zu einer bestimmten Zeit an einem Ort befindet. Aber woher weiß man, daß es sich bei dem fraglichen Etwas X, um eine Entität und nicht um eine Hälfte eines Gegenstands C handelt, der aus dem fraglichen Etwas und der benachbarten Entität Y besteht?57 Wenn die Raumstellen aneinandergren-
54
Die Individualitätsthese im Hinblick auf Eigenschaften wird von folgenden Autoren gestützt: W.D. Ross, Aristotle; London, Routledge, 1995; G.E.M. Anscombe, Aristotle; in: Anscombe/Geach (1963), 1-63; Ackrill (1963); J.M.E. Moravcsik, Aristotle on Predication; PR 76 (1967), 80-96; G.B. Matthews, S M. Cohen; The One and the Many; RM 21 ( 1 9 6 7 / 68), 630-655; R E. Allen, Individual Properties in Aristotle's Categories; Phronesis 14 (1969), 31-39.
55
Vgl. C. Stead, Individual and Specific Form; in: Stead (1977), 77-88; Frede/Patzig (1988), I, 48-57; M. Woods, Universale and Particular Forms in Aristotle's .Metaphysics'; OSAP SV 1991, 41-56.
56
N.P. White, Aristotle on Sameness and Oneness; PR 80 (1971), 177-197; hier: 195 (deutsche Übersetzung: Dasselbesein und Einessein bei Aristoteles; in: Κ. Lorenz (ed.), Identität und Individuation I; Suttgart-Bad Cannstatt, Frommann-Holzboog, 1982, 149-168).
57
Der Index ,1' bezeichnet eine Raumposition, der Index ,t' einen Zeitpunkt.
P e r s o n e n in der antiken Philosophie
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zen, dann ermöglicht die raum-zeitliche Fixierung keineswegs eine Identifizierung, weil hierfür bereits eine Individuierung gelungen sein muß. Eine weitere Unklarheit betrifft die Frage, ob es sich bei V, und W um denselben über die Zeit hinweg fortdauernden Gegenstand (Kontinuant) oder um zwei unterschiedliche Gegenstände am gleichen Platz zu verschiedenen Zeitpunkten handelt. Bloße Raum-Zeit-Koordinaten sind bis auf eingeschränkte Problemlagen untauglich, um Individuierung zu ermöglichen. Dennoch kommt den Raum-Zeit-Bestimmungen eine herausgehobene Bedeutung im Hinblick auf Identifizierungsfragen zu. Daß räumliche (und zeitliche) Positionen von Entitäten die Unterscheidung von Individuen derselben Art ermöglichen, hat im Rahmen eines Aristotelischen Ansatzes beispielsweise Boethius klar gesehen.58 Bisher wurde der Begriff der Individuation und der Begriff der Identifizierung so gebraucht, daß Individuation auf die Einordnung einer Entität in ein Raster von Gattungs- und Artbegriffen bezogen ist und Identifizierung als Unterscheidung von Entitäten innerhalb einer Art behandelt wurde. Mit Blick auf die neuere Diskussion des Personbegriffs, die stark auf den Begriff der Identität der Person abhebt, stellt sich nun die Frage, ob und gegebenenfalls wie Aristoteles im Rahmen seiner logischen Überlegungen den Begriff der Identität bestimmt hat.
1.2.2.3. Identität Im Zusammenhang mit der Erläuterung des Begriffs der Identität wird mitunter darauf verwiesen, daß sich bei Aristoteles eine Konzeption der Identität nachweisen lasse, die im wesentlichen dem Leibniz-Satz der Identität entspricht. Dabei ist an den von Leibniz erstmals in formaler Notation formulierten Satz gedacht, der sagt: Wenn α und b identisch sind, dann ist jede Eigenschaft von α auch eine Eigenschaft von b. Leibniz gebraucht zwar nicht den Akzidenz-Begriff, aber abgesehen von diesem Punkt stimmt der Satz der Identität bei Leibniz in der Tat mit einer Aussage überein, die Aristoteles in einer vergleichsweise ausführlichen Auseinandersetzung mit dem Identitätsbegriff macht (Top. 103a5-b20).59 Man kann Aristoteles so verstehen, daß Identität Übereinstimmung in allen, auch den akzidentellen Eigenschaften impliziert. 58
Vgl. unten II.4.3.
w
White (1971); F.D. Miller, Did Aristotle have the Concept of Identity?; PR 82 (1973), 483490.
48
Hatten d i e G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
In der philosophiehistorischen Retrospektive kann diese Feststellung wie eine Antizipation des Leibniz-Satzes durch Aristoteles erscheinen. Gleichwohl kann man nicht davon sprechen, daß Aristoteles über einen klaren Begriff der Identität verfügt. Die marginale Rolle, die den akzidentellen Eigenschaften in seiner Logik und Ontologie zukommt, verhindert, daß die angesprochene Überlegung zur Grundlegung eines konsistenten Identitätsprinzips wird. Es ist vor dem Hintergrund der Grundlinien seines Ansatzes folgerichtig, daß die Identitätskonzeption der vollkommenen Übereinstimmung akzidenteller Eigenschaften bei Aristoteles außerhalb der ,Topik' keine Rolle mehr spielt. Wie faßt Aristoteles den Identitätsbegriff im allgemeinen? Identität wird maßgeblich als Übereinstimmung gemäß der Zahl, der Gattung oder der Art verstanden (Top. 103a5-15). Der Umstand, daß Gleichheit der Gattung (,Menschen und Känguruhs sind Lebewesen') und der Art (,Koriskos und Kallias sind Menschen') nach in gleicher Weise als Identität behandelt werden, zeigt, daß Aristoteles keine scharfe Unterscheidung zwischen dem intransitiven Ähnlichkeitsbegriff und dem transitiven Identitätsbegriff macht. Die Rede vom Identischen der Zahl nach kann als Anwendung des Begriffs numerischer Identität erscheinen. Aber auch hier ergeben sich Komplikationen. Gegen die Vermutung, Aristoteles verfüge über einen klaren Begriff numerischer Identität, spricht der Umstand, daß er die folgenden Fälle nicht klar unterscheidet: (1) χ ist eine Entität (im Gegensatz etwa zu einer Menge); (2) χ ist eine Einheit (konstituiert durch die Komponenten Y und Z).60 Diese Unklarheit hängt auch zusammen mit einer speziellen Auffassung des Zahlbegriffs. Dieser ist bei Aristoteles im wesentlichen durch die Vorstellung des Messens von Größen oder des Zählens der Elemente von Mengen bestimmt und an vergleichsweise konkreten Vorgängen orientiert. Bei solchen Zählhandlungen spielen aber qualitative Aspekte der Gegenstände durchaus eine Rolle. Insofern sind sie nicht geeignet, rein numerische Identität zu exemplifizieren. Die große Bedeutung des Zählens von Gegenstandsmengen für den Zahlbegriff bei Aristoteles erhellt auch aus seiner Auffassung, daß 0 und 1 keine Zahlen sind, da es sich ja in der Tat hierbei nicht um Anzahlen von etwas handelt (Met. 1056b23-24; 1057a2-3; 1088a48; Phys. 220a27).61
60
Vgl. White (1971); Annas (1974), 148f.
61
Vgl. B. Jones, Individuals in Aristotle's Categories; Phronesis 17 (1972), 107-123.
Personen in der antiken Philosophie
49
Das Ausbleiben einer klaren Unterscheidung von Identität und Ähnlichkeit sowie das Fehlen einer grundsätzlichen Trennung von numerischer und qualitativer Identität sind Symptome eines unsicheren Identitätsbegriffs. Identität oder Selbigkeit wird von Aristoteles gemeinsam mit Ähnlichkeit und Gleichheit als Unterbegriff von Einheit aufgefaßt (Met. 1054a30-33). Insgesamt ist deutlich, daß der Identitätsbegriff bei Aristoteles auf der Basis eines durch Gattungs- und Artbegriffe vorgegebenen Individuationsverfahrens funktioniert und ein solches nicht etwa begründet. Neben der Eigenschaft der Transitivität besitzt die Identität die Eigenschaft der Reflexivität. In der .Metaphysik' (Met. 104lal8) berührt Aristoteles diesen Aspekt des Identitätsbegriffs. Mit Reflexivität der Identität ist die Tatsache angesprochen, daß jede Entität mit sich selbst und nur mit sich selbst identisch ist (x = x). Dieser Satz ist nicht das Ergebnis empirischer Forschung, sondern ein transzendentales Prinzip. Bemerkenswert ist die folgende Überlegung des Aristoteles: Man untersucht aber das Warum immer so, daß man fragt, warum etwas einem anderen zukommt; denn wenn man untersucht, weshalb der gebildete Mensch gebildeter Mensch ist, so heißt dies entweder das Ausgesprochene selbst untersuchen, weshalb der gebildete Mensch gebildeter Mensch ist, oder etwas anderes. Untersuchen nun, weshalb etwas es selbst ist, heißt nichts untersuchen. Denn das Daß und das Sein muß als bekannt und offenbar gegeben sein [...]. 62
Der Zusammenhang dieser Ausführungen ist epistemologischer Art. Zur Debatte stehen die Möglichkeiten der Beantwortung der Frage ,Warum ist etwas?' oder ,Warum ist etwas so, wie es ist?'. Aristoteles betont, daß man eine solche Frage sinnvollerweise nicht auffassen kann als ,Warum ist χ χ?', sondern als ,Warum ist χ F?'. Im Hinblick auf den Identitätsbegriff ist dieses Ergebnis zweideutig: Zwar sieht Aristoteles, daß es sich bei der reflexiven Identitätsrelation, in der eine Entität zu sich selbst steht, nicht um einen beliebigen empirisch feststellbaren Sachverhalt handelt. Aber er macht diesen Umstand nicht fruchtbar im Hinblick auf die explizite Formulierung der Reflexivität von Identität.63 Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen wird man bei Aristoteles keinen expliziten Begriff (trans)temporaler oder diachroner Identität erwarten. Obwohl sein Denken konkrete, empirisch faßbare Einzeldinge und die Frage nach den Veränderungsprozessen, denen diese Entitäten
62
Met. 1 0 4 1 a l 0 - 1 5 .
63
Vgl. White ( 1 9 7 1 ) ; W. Charlton, Aristotle and the Principle of Individuation; Phronesis 17 ( 1 9 7 2 ) , 2 3 9 - 2 4 9 ; hier: 242; Frede/Patzig ( 1 9 8 8 ) , II, 3 0 7 - 3 1 2 , B o s t o c k ( 1 9 9 4 ) , 2 3 8 .
50
Hatten die G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
unterliegen, eindringlich behandelt, fehlt ein ausgearbeiteter Begriff (trans)temporaler oder diachroner Identität in expliziter Absetzung zu instantaner oder synchroner Identität. Dies schließt nicht aus, daß Fragen der Persistenz sowie des Entstehens und Vergehens von Entitäten ausführlich behandelt werden. Die ,Topik' etwa stellt fest, daß etwas nicht dasselbe bleiben und gleichzeitig seine Artzugehörigkeit verändern kann (Top. 125b36-40). Demnach kann dasselbe Tier nicht zu einem Zeitpunkt ein Mensch sein und zu einem anderen Zeitpunkt der Spezies .Mensch' nicht angehören. Zudem wird ausgeschlossen, daß ein lebender Organismus und ein toter Organismus als dieselbe Entität anzusehen sind. Tatsächlich ist damit der wichtige Zusammenhang von Individuationsprinzipien und Identitätskriterien in einer angemessenen Weise beachtet: Die Frage nach der Selbigkeit spezifischer Entitäten läßt sich nicht durch die transzendentalen Bestimmungen des Identitätsbegriffs (Reflexivität, Symmetrie, Transitivität) beantworten, sondern nur auf dem Weg einer Berücksichtigung der für die Gegenstandsart wesentlichen Gesichtspunkte behandeln: Der sprechende Koriskos und der tote Koriskos sind zwar (grob gesprochen) dieselbe Materie, aber es gibt nur im ersten Fall ein Lebewesen.64 Der Aristotelische Hylemorphismus ist aufgrund seiner anti-dualistischen Implikationen verantwortlich dafür, daß mit Blick auf die Identität der Person die beiden in der Neuzeit und der Gegenwart im Zentrum stehenden Identitätskriterien (Körperkriterium und Kriterium psychischer Kontinuität) nicht miteinander konkurrieren. Im Hinblick auf die Problematik der Identität der Person zeichnet sich der Befund ab, daß Aristoteles die Unterscheidung von zwei Personen grundsätzlich für unproblematisch hielt. Weder die synchrone Differenzierung zweier Personen, noch die Feststellung der diachronen Identität einer Person werden von ihm einer gründlichen Analyse unterzogen. Dies hängt mit der Auffassung zusammen, daß ein Einzelding durch die Artzugehörigkeit in seinem Wesen bestimmt ist. Vielfältige Formen der Kontextabhängigkeit der Bezugnahme und die Variabilität der zur Identifizierung benötigten akzidentellen Bestimmungen beunruhigten ihn nicht in besonderer Weise. Zwar ist Aristoteles kein Piatonist, der die Ideen als das Wirkliche schlechthin gegenüber dem Bereich der konkreten Einzeldinge auszeichnet. Aber er sieht das sinnlich faßbare Einzelne insofern als wirklich an, als es ein Allgemeines — die Form einer bestimmten Art — exemplifiziert.
64
Vgl. M.J. Woods, Identity and Individuation; in: R.J. Butler (ed.), Analytical Philosophy Second Series; Oxford, Blackwell, 1965.
Personen in der antiken Philosophie
51
Schließlich ist für die Frage nach der Identität und der Identifizierung von Elementen einer Spezies auch der Umstand von Bedeutung, daß Aristoteles den Doppelgängergedanken nicht erwogen hat: Die Vorstellung, daß es zwei in allen Eigenschaften übereinstimmende, also ausschließlich numerisch unterschiedene Individuen einer Art geben könnte, scheint ihn nicht beschäftigt zu haben. In dieser Hinsicht stellt die mittelalterliche Konzeption des Dividuums als eines Vorkommnisses zweier qualitativ identischer Entitäten eine Verbesserung der begrifflichen Erfassung von Identität dar.65 Angesichts der seine Fragestellung leitenden Orientierung an den Erscheinungen der erfahrbaren Naturdinge erscheint die Position des Aristoteles plausibel: In alltäglichen Zusammenhängen sind es nicht Fälle der Reduplikation und vollkommener qualitativer Identität, die Schwierigkeiten bereiten. Dieser Umstand ist im Hinblick auf die noch zu behandelnden zeitgenössischen Modelle personaler Identität nachdrücklich zu betonen. Ob die Überlegungen des Aristoteles damit in einem inhaltlichen Sinn ergänzungsbedürftig sind, ob der Personbegriff durch die noch zu behandelnden Reduplikationsszenarien und die Fusions- und Spaltungsmodelle tatsächlich wesentlich bereichert wird, bleibt in der Folge zu klären. In der Aristoteles-Literatur wird der hier angesprochene Zusammenhang der Individuations- und Identitätsbegriffe mit der Frage nach der Identität von Personen nicht ausführlich erörtert. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt E. Hartman dar.66 Er stellt ausdrücklich fest, daß Aristoteles weder Körpertausch noch Spaltungsszenarien behandelt.67 Obwohl Hartman keine weitere Erklärung für diesen Befund anbietet, behandelt er Aristoteles im Verlauf seiner Ausführungen wie einen Autor, der den Cartesischen Substanzdualismus hinter sich hat und ein materialistisches Körperkriterium der Identität von Personen verteidigt. Ein solches Vorgehen ist interessant, um die argumentativen Möglichkeiten eines Aristotelischen Ansatzes zu testen. Es scheint aber angebracht, solche Aktualisierungen deutlich von der authentischen Position des Aristoteles abzuheben.68 Entscheidend ist im
65
Vgl. dazu die Ausführungen zu Gilbert v o n Poitiers unter II.4.4.X.
66
E. Hartman, Continuity and Personal Identity, in: ders., Substance, Body, and Soul. Aristotelian Investigations; Princeton, Princeton University Press, 1977, 88-130.
67
Hartman (1977), 104 und 119.
68
Dies tut Hartman dann nicht, wenn er Aristoteles eine deutliche Unterscheidung v o n numerischer und qualitativer Identität zuschreibt: ,,Aristotle will allow any number of things to be o n e in color, or size, or in any of the accidental properties without being o n e in number. So there might be some other person with all or virtually all of your psychological properties w h o is nevertheless not you [...]"; o p cit., 118.
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Hatten die Griechen einen Personbegriff?
Hinblick auf den Personbegriff bei Aristoteles tatsächlich, daß der Hylemorphismus den materiellen und den psychischen Aspekt zusammen sieht. Rein logische Möglichkeiten von Reduplikationen, Spaltungen, Verschmelzungen sind für Aristoteles nicht Gegenstand des Überlegens. Dies hängt sicherlich mit den Aufgaben zusammen, die der Personbegriff seiner Ansicht nach zu erfüllen hat. Bei Aristoteles steht außer Frage, daß die mit der Zugehörigkeit zu einer biologischen Art gegebenen Bestimmungen die wesentlichen Fragen über die Beschaffenheit eines Lebewesens beantworten. In diesem Sinn ist die kontinuierliche Existenz einer Entität als Mitglied einer Art eine notwendige, möglicherweise eine hinreichende Bedingung für die Identität des Gegenstands.69 Erwägungen über logische Möglichkeiten abseits dieser als verläßlich angesehenen Annahmen widmet er keine Aufmerksamkeit. 1.2.2.4. Psychologie70 Die Psyche wird von Aristoteles als "Grund aller Lebewesen" gekennzeichnet und als "Ursache (.αιτία) und Grund (αρχή)" des lebenden Körpers bestimmt.71 Der deutlichste Unterschied zu allgemein verbreiteten Gebrauchsweisen des Ausdrucks ,Seele' besteht darin, daß Aristoteles auch einfachen Pflanzen eine Psyche zuschreibt. Der Begriff der Psyche impliziert also nicht notwendigerweise spezifisch kognitive oder rationale Kompetenzen, sondern benennt ein allen Lebewesen gemeinsames Prinzip: Belebte Dinge haben eine Psyche, unbelebte Dinge nicht. Die aristotelische Psychologie ist demnach keine Theorie des Geistes, sondern eine allgemeine Philosophie des Lebendigen. Die grundlegenden Bestimmungen der lebendigen Wesen insgesamt sind Ernährung, Reproduktion, Wachsen und Vergehen (De An. 4l5a23-26). Diese Prozesse definieren den Bereich der Lebewesen: Kein Wesen, das diese
69
Vgl. M.C. Nussbaum, Aristotle on Human Nature and the Foundations of Ethics; in: J.E.J. Altham, R. Harrison (eds.), World, Mind, and Ethics - Essays on the Ethical Philosophy of Bernard Williams; Cambridge, Cambridge University Press, 1995, 86-131; hier: 91.
70
Aristoteles, De anima; deutsche Übersetzung mit Erläuterungen: Aristoteles, Ober die Seele (Werke in Deutscher Übersetzung XIII); trad. W. Theiler, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1983; griechischer Text mit englischer Übersetzung: Aristotle, On the Soul - Parva Naturalia - On Breath; ed. und trad. WS. Hett, LCL, 1957; englische (Teil-) Übersetzung mit Kommentar: Aristotle's ,De anima' (Clarendon Aristotle Series); ed. und trad. D.W. Hamlyn, Oxford, Clarendon 1968.
71
De An. 402a7; 4l5b9; Theiler, 5 und 30.
Personen in der antiken Philosophie
53
Fähigkeiten nicht besitzt, ist ein Lebewesen.72 Anders als manche Pflanzen, die lediglich über die genannten konstitutiven Fähigkeiten verfügen, besitzen andere Lebewesen viele weitere Fähigkeiten. Bei den Vermögen, die hier eine Rolle spielen, handelt es sich um die Fähigkeiten, Wahrnehmungen zu machen, Vorstellungen zu haben, Lust oder Schmerz zu fühlen, etwas anzustreben, sich im Raum fortzubewegen73 und zu denken. Ein großer Teil der Ausführungen der Aristotelischen Psychologie ist der Frage nach den wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen zwischen den genannten Fähigkeiten gewidmet. Aristoteles macht hier erhellende Feststellungen und führt wichtige Unterscheidungen ein. Er stellt etwa fest, daß das Streben nach etwas notwendigerweise eine Vorstellung des Erstrebten impliziert. Die Vorstellung aber ist entweder (wie manchmal beim Menschen) mit dem Denken oder (wie beim Menschen und anderen Lebewesen) mit der Sinneswahrnehmung verbunden (De An. 433b28). Darüber hinaus ist die Fähigkeit zur Wahrnehmung von entscheidender Bedeutung, weil mit ihr Lust und Schmerz einhergehen. Und w o diese sind, da trifft man notwendigerweise auch das Streben an (De An. 4l3b24). Insgesamt stimmt die Lehre von der Psyche mit dem in den sonstigen biologischen Schriften des Aristoteles vertretenen Stufen-Modell überein. Die Lebewesen werden in einer hierarchischen Ordnung nach zunehmender Komplexität, Leistungsfähigkeit und Vollkommenheit angeordnet: Die Pflanzenseele ist maßgeblich durch Stoffwechsel und Reproduktionsfähigkeit bestimmt. Die Tierseele wird durch die Momente der Sinnesempfindung, der Vorstellung, des Begehrens und der Ortsbewegung charakterisiert. Die Seele des Menschen ist durch Vernunftfähigkeit ausgezeichnet. Die geistige Natur des Menschen wird in einer kontrovers diskutierten und unklaren Weise in eine passiv-rezeptive und eine aktive Komponente untergliedert.74 Die Rede von den unterschiedlichen Seelen ist nicht als disjunktive Klassifikation, sondern als ein System zunehmender Differenzierung und Komplexität zu verstehen. Allen Lebewesen gemeinsam ist eine
72
Tatsächlich hat Aristoteles mit diesen Momenten die wesentlichen Merkmale getroffen. Aus biologischer Sicht wird zur Schärfung der Unterscheidung von Belebtem und Unbelebtem der Gesichtspunkt der zellulären Struktur eingebracht. Nach heutiger Auffassung stellt er das entscheidende Abgrenzungskriterium dar.
73
Der allgemeine Begriff der Bewegung - im Gegensatz zum Begriff der Ortsbewegung - ist der Zentralbegriff der Aristotelischen Naturphilosophie insgesamt und bezieht sich auf sämtliche Arten quantitativer und qualitativer Veränderung an Dingen der Natur.
74
De An. 430al0-430a25. Zum νους vgl. auch Met. XII, 7; EN VI, 2-3; EN X, 6-9.
54
Hatten die G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
ernährende Psyche (θρεπτική ψυχή).75 J e d e r Organismus, der sich ernährt und Nahrung verwerten kann, überlebt. Das Leben als Überleben ist nach Aristoteles eine Angelegenheit ohne graduelle Abstufungen. 7 6 Bei den einfachsten Organismen, Bakterien und ähnlichen Lebewesen, ist vor allem die Frage nach ihrem Lebendig- oder Totsein interessant. 77 Aristoteles spricht aber darüber hinausgehend von unterschiedlichen qualitativen Formen des Lebensvollzugs: Das Wohlergehen oder das gute Leben ist im Gegensatz zu bloßem Überleben eine graduelle Angelegenheit. Entscheidend für die qualitativen Unterschiede der Lebensvollzüge ist die Fähigkeit des jeweiligen Organismus, wahrzunehmen und insbesondere Lust und Schmerz zu fühlen (De An. 434b25, 4 3 5 b l 9 ) . In einem elementaren Sinn kann man auch von dem Wohlergehen eines Bakteriums oder einer Alge sprechen, wenn die jeweiligen Organismen in reichlicher Menge das für ihren Stoffwechsel Notwendige aufnehmen können. Aber es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen solchen einfachen Organismen und denjenigen Lebewesen, die Schmerzen, Mangelzustände oder Wohlergehen als solche erleben. Diese knappe Darstellung von Grundkonzeptionen der Seelenlehre zeigt, daß die Analysen des Aristoteles im Vergleich mit Piatons Überlegungen zum Begriff der Seele in einem grundsätzlich veränderten Rahmen angesiedelt sind. Bei Aristoteles dominiert ein naturwissenschaftliches oder biologisches Interesse. Dadurch kann auch die Bedürfnisnatur der Lebewesen zur Sprache gebracht werden. Aristoteles verdeutlicht, daß menschliches Leben unter den vorgegebenen Rahmenbedingungen der naturbedingten Bedürfnisse und Fähigkeiten abläuft. Diese Einsicht zwängt den Begriff des Menschen nicht in das unangemessen e n g e Raster eines falsch verstandenen Biologismus. Die Konzeption der kognitiven Fähigkeiten und der spezifisch menschlichen Lebensform sorgen an den jeweils einschlägigen Punkten für Gegengewichte. Im Gegensatz zu vielfältigen und irreführenden Dualismen der Philosophie vor und nach ihm begreift Aristoteles den Men-
75
„Notwendig hat jedes Wesen, das lebt, die Ernährungsseele, und es hat sie von der Geburt bis zum Tode"; De An. 434a23; Theiler 67; GC 736bl3.
76
Während der common sense hier nach wie vor in Übereinstimmung mit Aristoteles steht, vertreten in der gegenwärtigen Diskussion einige Autoren ein gradierbares Konzept des Überlebens, vgl. D. Parfit, Reasons and Persons; Oxford, Clarendon Press, 1992, 298f. Gradierbarkeit des Überlebens und Indeterminiertheit/Vagheit der Geburts- oder Todeszeitpunkte sind zu unterscheiden.
77
Die Beispiele der Tuberkulosebakterien oder der Alge zeigen, wie merkwürdig die Übersetzung von ψυχή durch ,Seele' in manchen Fällen ist.
Personen in der antiken Philosophie
55
sehen und seine Kultur als Teile der Natur und nicht als Gegenwelt zur natürlichen Welt. Während Piatons Texte verschiedentlich von der Seele als einer körperunabhängigen oder unvergänglichen Entität handeln und die Psyche primär als den Ort der Erkenntnis auffassen, schlägt Aristoteles einen anderen Weg ein. Er beantwortet die Frage nach dem Verhältnis von Körper und Psyche dahingehend, daß die Psyche zwar nicht mit dem Körper identisch ist. Sie kann aber auch nicht unabhängig von einem Körper existieren. Der entscheidende Grund für diese Auffassung liegt darin, daß Aristoteles in Übereinstimmung mit dem bereits erläuterten Gedanken des Hylemorphismus die Psyche als die Form eines Lebewesens begreift. Form wird hier verstanden als Struktur oder funktionale Organisation im Gegensatz zu dem bloßen Stoff, aus dem ein Organismus besteht.78 Plausibilität kann diese These etwa aufgrund der Überlegung gewinnen, daß eine Venus-Statue nicht deshalb eine Darstellung der Venus ist, weil sie aus einem bestimmten Bronzeklumpen hergestellt wurde. Derselbe Stoff hätte auch als Material für eine Mars-Statue dienen können. Die Venus-Statue ist wegen ihrer Form oder Gestalt das, was sie ist. Analoges gilt nach Aristoteles für Lebewesen: Sie sind spezifische Entitäten aufgrund der Organisation ihrer Teile. Den Primat der Form stützt Aristoteles durch den Hinweis ab, daß Organismen durch Stoffwechselprozesse sehr wohl ihre Materie verändern können, ohne deshalb aufzuhören zu sein.79 Der Formbegriff ist ein wichtiges Element der teleologischen Erklärungsstrategie, die Aristoteles in den naturphilosophischen Schriften verfolgt. Sein Verfahren besteht allgemein darin, in die Naturprozesse Ordnung zu bringen, indem die einzelnen Gegenstände nach Maßgabe der vier Ursachen untersucht werden. Im Gegensatz zum heutigen Sprachgebrauch behandelt Aristoteles unter dem Begriff der Ursache verschiedene Formen der Erklärung. Umrißhaft kann dieses Lehrstück folgendermaßen zusammen-
78
„Notwendig ist also die Seele Wesenheit im Sinn der Form des natürlichen Körpers, der seiner Möglichkeit nach Leben hat"; De An. 4l2a20; Theiler 24. ,,[...] da die Seele das ist, dank dem wir zuerst leben, wahrnehmen und überlegen, so muß sie Begriff und Form sein, und nicht Materie und Unterlage. Denn wenn Wesenheit, wie wir bemerkten, ein Dreifaches bedeutet, die Form, den Stoff, das Zusammengesetzte, und wenn der Stoff Möglichkeit ist, die Form Erfüllung, so ist, da das Zusammengesetzte der beseelte Körper ist, nicht der Körper die Erfüllung der Seele, sondern diese die eines bestimmten Körpers. So ist die Meinung derer richtig, denen die Seele weder ohne Körper noch ein Körper zu sein schein. Körper nämlich ist sie nicht, aber etwas am Körper, und deswegen ist sie in einem Körper und zwar in einem so und so beschaffenen Körper"; De An. 4l4al3-19, Theiler, 28.
79
GC 321b22-28.
56
Hatten die Griechen e i n e n Personbegriff?
gefaßt werden: (1) Unter dem Stichwort ,Stoffursache' (causa materialis) werden Gegenstände erklärt, indem man ihren Stoff oder ihr Material betrachtet: Die Mars-Statue schmilzt, weil sie aus Eis ist. Wenn sie aus Eisen wäre, schmölze sie nicht. (2) Die zweite Art der Erklärung wird als ,Formursache' (causa formalis) bezeichnet: Die Mars-Statue ist eine Darstellung des Mars nicht aufgrund ihres Materials, sondern aufgrund ihrer Gestalt und Form. (3) Die ,Wirkursache' (causa efficiens) betrifft in der Regel das Verhältnis zwischen zwei Entitäten: In ihrem Sinn ist der Bildhauer die Ursache der Statue. Das Vorhandensein der Statue ist die Wirkung der Tätigkeit des Bildhauers. (4) Die ,Zweckursache' oder ,Finalursache' (causa finalis) bestimmt den Zweck oder das Ziel sowohl von Handlungen als auch von Naturvorgängen. Sprachlich werden Zweckursachen mit der Wendung ,um zu' beschrieben: Wozu haben Tiere Zähne? — Um ihre Nahrung zu zerkleinern. Zu welchem Zweck stellt der Bildhauer die Statue her? — Um Geld zu verdienen. 80 Die Lebewesen werden im Hinblick auf die ihnen eigentümlichen Verhaltensweisen und Funktionen beschrieben. Die Finalursache stellt hier den leitenden Gesichtspunkt dar. Ohne Bezug auf die Funktionen läßt sich nach Aristoteles kein Begriff eines Organs oder eines Gesamtorganismus bilden. Die Augen eines Lebewesens dienen der visuellen Wahrnehmung. Die Hand ist ein vielseitiges Instrument, das der ausgezeichneten Stellung entspricht, die der Mensch als am meisten mit Intellekt begabtes Lebewesen innerhalb der Naturordnung einnimmt.81 Hätte man keinen Begriff des Sehens, wäre man außerstande, einen angemessenen Begriff von Tieren zu bilden, die visuelle Wahrnehmungen haben. Besäße man kein Konzept eines Werkzeugs, dann hätte man keine Aussicht, einen adäquaten Begriff des Menschen zu bilden, dessen Hände ein vorzügliches und vielseitig einsetzbares Instrument darstellen. Aristoteles scheint kein Dualist — im Sinn eines Cartesischen Substanzdualismus — zu sein. Über die Seele ohne Bezug auf einen (beseelten) Körper zu sprechen, ist sinnlos.82 Er ist aber ebensowenig ein reduktiver
80
Vgl Phys. 194b23-195a3; Phys. 198bl0-199a8; PA 639bl2-21 ; GA 715al-l6; GA 789b3-22. Zur Teleologie vgl. auch Barnes (1982), 73-77. In den naturphilosophischen Schriften geht Aristoteles selbstverständlich von einem Primat der Finalursache aus. Damit steht er in grundsätzlichem Gegensatz zur heute leitenden Wissenschaftsauffassung.
81
De An. 432al-3 bezeichnet die Hand als das „Werkzeug der Werkzeuge"; vgl. auch PA 687a7-ll.
82
Dieser Befund gilt nicht ohne Ausnahme, vgl. De An. 430al0-430a25
Personen in der antiken Philosophie
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Materialist, der glaubt, alle Aussagen über Lebewesen auf Aussagen über die Beschaffenheit und Konfiguration elementarer Materiepartikel zurückführen zu können. Der Rückzug auf die Position eines harten Materialismus ist durch die zentrale Position des Organismusgedankens versperrt. Daß die funktionale Organisation und nicht das organisierte Material als solches für ein Verständnis von Lebewesen von Interesse ist, kann man Aristoteles folgend mit dem Hinweis darauf illustrieren, daß ein abgehackter Finger nur noch dem bloßen Namen nach ein Finger ist. Insofern dieses Stück Fleisch die Fähigkeiten nicht mehr besitzt, die den Finger eines Lebewesens auszeichnen, hat es aufgehört, Finger zu sein.83 Innerhalb der Forschungsdiskussion spielt die Frage nach einer Zuordnung der Überlegungen des Aristoteles zu gegenwärtig vertretenen Positionen eine große Rolle. Solche Zuordnungen sind mit der Hoffnung verknüpft zu klären, inwieweit die Erörterungen des Aristoteles systematisch fruchtbar sind. Tatsächlich erweisen sich solche Einordnungen im einzelnen aber als äußerst problematisch.84 Im Hinblick auf die Aristotelische Psychologie schwanken die Interpreten zwischen gegensätzlichen Auffassungen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die Aristoteles als systematisch ernst zu nehmenden Autor begreifen, wobei er dem Lager des Funktionalismus oder anderen Positionen zugerechnet wird.85 Andere halten solche Interpretationen für forcierte Aktualisierungen. So verweist etwa
83
Met. 1035b24.
M
Entsprechend schreibt R. Sorabji, Body and Soul in Aristotle; in: M. Durrant (ed.), Aristotle's De Anima in Focus; London, Routledge, 1993, 162-196; hier: 163: „The most popular alternatives have been to regard Aristotle as some kind of materialist, or as some kind of Cartesian. But, as we shall see, there have been other assimilations. I believe that all these interpretations are mistaken, and that Aristotle's view is something sui generic.
85
Zu den Befürwortern der Funktionalismus-These gehören: Η. Putnam, Philosophy and our Mental Life; in: Mind, Language and Reality - Philosophical Papers II; Cambridge, Cambridge University Press, 1975, 291-303; M. C. Nussbaum, Aristotle's ,De Motu Animalium'; Princeton, Princeton University Press, 1985; M. C. Nussbaum, Η. Putnam, Changing Aristotle's Mind; in: M.C. Nussbaum, A O. Rorty (eds.), Essays on Aristotle's De Anima; Oxford, Clarendon, 1992, 27-56; K.V. Wilkes, Physicalism; Atlantic Highlands, Humanities Press, 1978; T. Irwin, Aristotle's Philosophy of Mind; in: Everson (1991), 56-83. K. Wilkes (1992), 109 stellt fest: ,,[M]any psychologists today are working in a theoretical framework that is recognizably Aristotelian". Wilkes behauptet eine sachliche Überlegenheit des Aristotelischen Psyche-Begriffs gegenüber dem gegenwärtig in der Philosophie benutzen Konzept des Geistes (,mind'): ,,[...] the psyche is theoretically superior to the mind; .superior' in the sense that it provides a better framework within which contemporary study should proceed". (116). C. Shields, Soul and Body in Aristotle; Oxford Studies in Philosophy 6 (1988), 103-137; hier: 106 interpretiert Aristoteles hingegen als einen ,,[...] nonCartesian dualist, [.. .] a supervenient dualist in the philosophy of mind".
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Hatten die Griechen e i n e n Personbegriff?
Burnyeat darauf, daß die Ansichten des Aristoteles in ,De anima' auf dem Materiebegriff seiner Physik beruhen. Dieser sei aber systematisch unter den Bedingungen gegenwärtiger Theoriebildung nicht haltbar.86 Eine eingehende Diskussion der hier aufgeworfenen Probleme ist für den vorliegenden Zusammenhang nicht erforderlich. Wesentlich ist der Umstand, daß Aristoteles den Begriff der Psyche im Rahmen naturphilosophisch-biologischer Untersuchungen verortet. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich grundlegend von derjenigen Piatons. Auch mit Blick auf Piatons Lehre von den drei Teilen der Seele geht Aristoteles in ,De anima' auf Distanz.87 Ohne den Namen seines Lehrers zu nennen, führt er Gründe auf, die gegen eine solche Konzeption sprechen, und weist darauf hin, daß nach Maßgabe der jeweils leitenden Untersuchungsinteressen unter Umständen mehr oder weniger als drei Teile der Seele angenommen werden können. Zusammenfassend kann man festhalten, daß die Ausführungen der Aristotelischen Psychologie im Hinblick auf den Personbegriff wesentlich sind, weil sie gemeinsam mit den anderen naturphilosophischen Untersuchungen die Rahmenbedingungen für das menschliche Leben behandeln. Aristoteles sieht den Menschen mitsamt seinen kognitiven Fähigkeiten als ein Element des Kontinuums der Naturdinge. Die Naturforschung sagt nicht alles über den Menschen, aber sie sagt Grundlegendes.
1.2.2.5. Ethik88 Die Praktische Philosophie des Aristoteles schließt in gewisser Weise an die naturphilosophischen Betrachtungen an, indem sie die aus biologischer
86
M F. Burnyeat, Is an Aristotelian Philosophy of Mind still credible?; in: Nussbaum/Rorty (1992), 15-26. Die Antwort auf die im Titel gestellte Frage ist ein klares Nein. Die Interpretation des Aristoteles als Funktionalist wird abgewiesen. Entscheidend hierfür ist die Unhaltbarkeit des Materiebegriffs: „Aristotle's physics is no longer credible, and the fact of that physics being incredible has quite a lot to do with there being such a thing as the mind - body problem as we face it today". Burnyeats Fazit lautet: ,,[...] new functionalist minds do not fit into old Aristotelian bodies" (26). Burnyeat zählt auch Sorabji (1993) zu den Vertretern der Funktionalismus-These. Sorabji weist dies zurück; vgl. Sorabji (1992) und Sorabji (1993), 186f.
87
De An. 432a22-432b7; vgl. aber auch EN 1102a26-31, 1139a3-5; MM 1182a23-31; 1185bl5; EE 1219b25-1220a5.
88
Deutsche Zitate der EN nach der Übersetzung von F. Dirlmeier: Aristoteles, Nikomachische Ethik; in: E. Grumach (ed.), Aristoteles Werke; VI, Berlin, Akademie-Verlag, 1964.
Personen in der antiken Philosophie
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Sicht gemachten Aussagen aufgreift und für eine umfassende Darstellung der spezifisch menschlichen Lebensform heranzieht. Die wesentlichen Bestandteile des biologischen Begriffs des Menschen seien nochmals genannt: Der Mensch ist ein Lebewesen, das Wahrnehmungen und Vorstellungen hat, Lust oder Schmerz empfindet und infolgedessen bestimmte Zustände oder Dinge begehrt und anstrebt. Für die Überlegungen über den Bereich menschlichen Handelns sind zudem folgende Momente bedeutsam: Der Mensch ist fähig, Artefakte herzustellen und Wissen zu erwerben, wobei er nicht nur anwendungsbezogenes Wissen sucht, sondern auch Erkenntnis um ihrer selbst willen anstreben kann. Menschen zeichnen sich dadurch aus, daß ihr Wollen in Übereinstimmung mit der Vernunft stehen kann. Als rationale Wesen können sie aufgrund von Überlegungen vernünftige Entscheidungen treffen. Ein wichtiges Moment der Entscheidungsfindung besteht in der Überprüfung von Begehren und Wünschen im Lichte von Überzeugungen. Spontane Begierden gehen naturgemäß auf das Lustvolle, das vernünftige Wollen zielt auf das Gute ab. Da Menschen Voraussicht haben, allgemeine natürliche Regelmäßigkeiten kennen und dank der Erinnerung über Erfahrung verfügen, sind sie in der Lage zu überlegen, zu planen, vernünftig zwischen mehreren Optionen zu wählen und entsprechend zu handeln. Eine bekannte Formulierung markiert einen Übergang und Zusammenhang zwischen der naturwissenschaftlichen und der ethischen Perspektive: der Mensch wird als ein in Gemeinschaft mit anderen lebendes Tier bezeichnet.89 Diese Formel wurde oft mißverstanden. Wesentlich ist, daß Aristoteles hier von einem biologischen Hintergrund her den Menschen als ein Herden- oder Gemeinschaftstier bestimmt. Er benennt mit dieser allgemeinen Formel nicht ein ausschließlich dem Menschen zukommendes Merkmal, etwa das Leben in politischen Verbänden und Staatsgemeinschaften. In direktem Anschluß an die Rede von der ,politischen' Natur des Menschen verwendet Aristoteles eine weitere Formulierung, die sich in der Tradition zu einem Topos verfestigte. Er charakterisiert den Menschen da-
,,άνθρωπος φύσ-ei πολιτικού ζώον"; Pol. 1253a3. Vgl auch die folgenden Stellen: Pol. 1278bl5ff.; EE 1242a22ff.; EN 1097bll; I l 6 2 a l 7 ; I l 6 9 b l 8 ; H A 487b33ff. Zur Geschichte und Interpretation des Topos vgl. O. H ö f f e , Grundaussagen über den Menschen bei Aristoteles; ZphF 30 (1976), 227-245; W. Kulimann, Der Mensch als ein politisches Wesen bei Aristoteles; Hermes 18 (1980), 1-24; D. O'Meara, Der Mensch als politisches Lebewesen; in: O. H ö f f e (ed.), Der Mensch - ein politisches Tier? - Essays zur politischen Anthropologie; Stuttgart, Reclam, 1992, 13-25.
60
Hatten die G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
durch, daß er das den ,logos' besitzende Lebewesen ist.90 An dieser Stelle ist mit,logos' auf die Sprachfähigkeit des Menschen verwiesen. In der latinisierten Übersetzung dieses Gedankens findet eine Akzentverschiebung statt: Im Topos ,animal rationale' tritt der linguistische oder kommunikative Aspekt der Vernunft in den Hintergrund. Grundsätzlich kann .logos' sich ebenso auf das nicht-artikulierte Denken, die kognitiven Fähigkeiten beziehen. Beide, Sprache und Intellekt, sind grundsätzlich zusammen zu denken. Aber an dieser Stelle steht ausdrücklich die Sprachfähigkeit zur Debatte. Aristoteles stellt fest, daß die anderen Tiere zwar Laute von sich geben. Aber diese Artikulationsform besitzt nicht die Differenziertheit der menschlichen Sprache. Sie kann beispielsweise nicht zwischen dem Guten und Schlechten oder dem Gerechten und Ungerechten unterscheiden. Er bezieht sich also nicht im allgemeinen auf die kognitiven Fähigkeiten des Menschen im Vergleich zu denjenigen anderer Tiere, sondern zielt direkt auf die Sprachfähigkeit als exklusives Merkmal des Menschen ab.91
90
,,λόγον Si μόνον άνθρωπος 'έχει των ζώων"; Pol. 1253al0f. Vgl. auch den Kontrast der durch die sprachliche Kommunikationsfähigkeit des Menschen möglichen Lebensform mit derjenigen der Tiere in EN 1170bll-15. Hier hebt Aristoteles die Mitteilung von Gedanken zwischen befreundeten Menschen als ein nicht zweckgebundenes, weder der Wissensgewinnung noch der Lebensbewältigung dienliches Verhältnis hervor. Als mögliche Bezugspunkte der Aristotelischen Kennzeichnung des Menschen als Vernunft- und sprachfähiges Wesen gelten die folgenden Autoren: Epicharm („Der Mensch unterscheidet sich von den übrigen Geschöpfen dadurch, daß er allein begreift, während die übrigen zwar wahrnehmen, aber nicht begreifen", Fragment la, in: H. Diels, W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker I; Zürich, Weidmann, 1985, 215; Isokrates, Panegyricus, 48 (ed. G. Norlin, Isocrates I; griech.-engl., LCL, 1961, 146-149); Antidosis, 253-257 (ed. G. Norlin, Isocrates II; griech.-engl., LCL, 1962, 326-329); Xenophon, Memorabilia IV, 3, 11-12 (ed. E C. Marchant, Xenophon IV; griech.-engl., LCL, 1968, 302-305). Zur Wirkungsgeschichte des Topos vgl. Cicero, De inventione I, 4, 5 (ed. H.M. Hubell, Cicero - De inventione, De optimo genere oratorum, Topica; lat.-engl., LCL, 1955, 12f ); De oratore I, 3 2 , 1 4 6 (ed. E.W. Sutton, Η. Rackham, Cicero - De oratore I; lat.-engl., LCL, 1959, lOOf ). Den Unterschied von Vernünftigkeit und Vernunitfähigkeit hat Kant deutlich hervorgehoben: Er charakterisiert den Menschen ,,[...] als mit Vernunftfähigkeit begabtes Tier (animal rationabile) [, das] aus sich selbst ein vernünftiges Tier (animal rationale) machen kann [...]"; I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht; Β 313 und Β 316; Werkausgabe XII, ed. W. Weischedel, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1988, 673. Aristoteles ist der Entdecker des anschließend von Kant mitgeteilten Zusammenhangs: „Die Charakterisierung des Menschen, als eines vernünftigen Tieres, liegt schon in der Gestalt und Organisation seiner Hand, seiner Finger und Fingerspitzen !...]"; Kant (1988), 675.
91
Für die Frage, inwieweit Aristoteles und andere antike Autoren anderen Tieren als dem Menschen Intelligenz oder Sprache zuschreiben vgl. die ausgezeichneten Ausführungen von R. Sorabji, Animal Minds and Human Morals - The Origins of the Western Debate; London, Duckworth, 1993, insbesondere Kapitel VII: Speech, Skills, Inference and Other Proofs of Reason, 78-96.
P e r s o n e n in d e r antiken Philosophie
61
Die Eigenheit der Menschen im Vergleich mit anderen Tieren besteht nach Aristoteles nicht nur in der allgemeinen Sprach- und Erkenntnisfähigkeit. Menschen sind die einzigen Lebewesen, die handeln.92 Und sie können im Gegensatz zu den anderen Lebewesen ethische Unterscheidungen (gut vs. schlecht, gerecht vs. ungerecht) treffen.93 Diese Unterscheidungsfähigkeit ist ausschlaggebend im Hinblick auf die praktischen Entscheidungen zwischen konkurrierenden Handlungsoptionen. Der Mensch kann Handlungen, Absichten und Handlungsmittel daraufhin beurteilen, ob sie gut oder schlecht sind. Nach Aristoteles ist es eine wesentliche Aufgabe der theoretischen Arbeit, nicht nur für eine deskriptive Aufarbeitung menschlichen Handelns zu sorgen, sondern zu gutem Handeln anzuleiten.94 Mit Blick auf den Zusammenhang von Naturphilosophie und Praktischer Philosophie stellt sich die Frage, ob beide in dem Sinn unmittelbar zusammengehören, daß der biologische Begriff des Menschen in der Praktischen Philosophie grundlegend bleibt und lediglich weiter differenziert wird. Neben einer Interpretationsrichtung, die bemüht ist, die Philosophie des Aristoteles als geschlossenes System zu rekonstruieren und seine Einheitlichkeit zu betonen, werden auch Auffassungen vertreten, die der Unterscheidung von Theoretischer und Praktischer Philosophie fundamentale Bedeutung zuschreiben. Dabei spielt der Gegensatz zwischen der Platonischen Philosophie des Guten und der Aristotelischen Ethik eine zentrale Rolle.95 Ohne der Frage nach dem Gewicht und den Konsequenzen der Untergliederung des Philosophiebegriffs im einzelnen nachzugehen, kann man festhalten, daß Aristoteles zur Erfassung der menschlichen Lebensweise einen umfangreichen Begriffsapparat einführt, der auf der Ebene seiner Metaphysik und Naturphilosophie keine Rolle spielt. Die Person wird nicht allein als das durch naturale Fakten über die Spezies ,homo sapiens' fixierte Lebewesen verstanden. Sie ist ein Wesen, dessen Begriff evaluative oder normative Gesichtspunkte impliziert. Letzteres schließt ein, daß nicht alle Menschen als Mitglieder einer biologischen Spezies auch Personen oder Handlungssubjekte im Sinn der Praktischen Philosophie sind. Den Unter-
92
EN 1139a20; EE 1222bl5-20.
93
Pol. 1253al6-18.
9i
„Der Teil der Philosophie, mit dem wir es hier zu tun haben, ist nicht wie die anderen rein theoretisch - wir philosophieren nämlich nicht, um zu erfahren, was ethische Werthaftigkeit sei, sondern um wertvolle Menschen zu werden. Sonst wäre dieses Philosophieren ja nutzlos"; EN 1103a27-29.
95
Vgl. etwa Bien (1980); H G. Gadamer, Die hermeneutische Aktualität des Aristoteles; in: ders., Wahrheit und Methode; Tübingen, Mohr, I960, 295-307.
62
Hatten die Griechen einen Personbegriff?
schied beider Perspektiven kann man daran erkennen, daß die Frage, ob eine Entität zur natürlichen Art ,Mensch' gehört, eine eindeutige Antwort verlangt. Auf die Frage, ob jemand eine Person ist, sind dagegen gradierbare Antworten denkbar. Bei gewissen Schädigungen scheint es plausibel zu sagen, jemand sei nicht (mehr) im vollen Sinn des Begriffs eine Person.96 Die in diesem Fall relevanten Fakten (Ausfall bestimmter physischer Merkmale oder Funktionen) sind selbst auf der Ebene biologischer Beschreibung verfügbar. Von größerer Bedeutung für die begriffslogischen Verhältnisse ist ein weiterer Punkt. Im Rahmen der Praktischen Philosophie wird bekanntlich ein grundlegender Unterschied zwischen den freien Männern einerseits und Frauen, Kindern und unfreien Menschen andererseits gemacht. Die antiken Ethiken richten sich fast ausschließlich an die freien Bürger männlichen Geschlechts: ihnen allein kommt der Status der Person im vollen Sinn zu. Zu den universalistischen Konzeptionen späterer Epochen besteht daher ein Spannungsverhältnis.97 Der begriffslogisch wichtige Aspekt der Differenz von .Mensch' und ,Person' bei Aristoteles und in der Antike besteht nicht so sehr in der von einem universalistischen Standpunkt aus inakzeptablen Selektivität bezüglich der Extension von ,Person'. Vielmehr ist von Interesse, daß der Personbegriff zwar mit dem Begriff des Menschen zusammenhängt, aber nicht in eins fällt. Aristoteles gebraucht den Personbegriff nicht durchgängig als Begriff einer natürlichen Art. Eine auf natürliche Regelmäßigkeiten und Prinzipien allein gestützte Begrifflichkeit würde ihm nicht erlauben, die lebensformspezifischen Aspekte der Person zu berücksichtigen. Von einer klaren Anerkennung des Umstands, daß .Person' kein Name einer natürlichen Art ist, kann allerdings bei Aristoteles keine Rede sein. Die Praktische Philosophie legt ihre Schwerpunkte auf zwei Fragen: Worin besteht die Vortrefflichkeit oder das Gutsein (apemj) von Menschen? Wie kann man das Wohlergehen oder die beste Lebensweise des Menschen bestimmen? Beide Begriffe (Wohlergehen, ευδαιμονία, und Vortrefflichkeit/ Gutsein, ä p e r r j ) bedürfen der Erläuterung: Mitunter wird βύδαιμωνία mit .Glückseligkeit' verdeutscht. Das ist insofern irreführend, als Aristoteles keineswegs an einen angenehmen oder ekstatischen Gefühlszustand denkt. Eher ist das Wohlergehen und Gedeihen eines Lebewesens gemeint.98 Auch die 96
Vgl. hierzu Nussbaum; in: Altham/Harrison (1995) und Williams; in: Altham/Harrison (1995).
"
Vgl. Williams (1993), 103-129.
98
T. Nagel, Aristotle on .Eudaimonia'; in: A.O. Rorty (ed.), Essays o n Aristotle's Ethics; Berkeley, University of California Press, 1980, 7-14; J.L. Ackrill, Aristotle on .Eudaimonia'; in: Rorty (1980), 15-34; J. McDowell, The Role of .Eudaimonia' in Aristotle's Ethics; in: Rorty (1980), 359-376; Nussbaum (1986), 318-342.
Personen in der antiken Philosophie
63
Übersetzung von αρετή bedarf eines Kommentars. Die häufig anzutreffende Übersetzung durch ,Tugend' ist unbefriedigend, denn das Wort hat keineswegs ausschließlich moralische Bedeutung. Es ist möglich, von der αρετή eines Gebrauchsgegenstandes oder eines Tieres zu sprechen. Man bezieht sich dabei auf dessen Vorzüglichkeit oder vorzügliche Qualität, auf das Gutsein einer Entität." Für die Aristotelische Konzeption menschlicher Vortrefflichkeit ist der Umstand von ausschlaggebender Bedeutung, daß eine große Vielfalt unterschiedlicher Fälle beachtet wird.100 Im Gegensatz zu Piaton hält Aristoteles nichts davon, das Gutsein als Allgemeinbegriff zu bestimmen.101 Wenn von einer Handlung (,eine gute Tat'), einem Handelnden (,ein guter Mensch'), einer Absicht (,eine gute Absicht'), einem Motiv (,ein guter Beweggrund'), der Wahl eines Mittels zur Realisierung eines Zwecks (,eine gute Strategie') oder einer guten Lebensform (,ein gutes Leben') gesagt wird, das Betreffende sei gut, so haben diese unterschiedlichen Gegenstände nicht eine bestimmte Eigenschaft gemeinsam.102 Gegen die Platonische Konzeption des Guten gewendet schreibt Aristoteles, daß die Idee des Guten an sich ohne Interesse ist, solange sie nicht in bezug auf "die Güter steh[t], die sich tatsächlich erwerben und verwirklichen lassen".103 Ebenso wie der Arzt sich nicht für die Idee der Gesundheit an sich interessiert, sondern für die Gesundheit jeweils konkreter Patienten, ebenso interessieren die Menschen sich eigentlich nicht für eine unveränderliche Idee des Guten, sondern für das für sie jeweils zu erreichende Gute. Um die Fragen nach dem guten Leben und nach dem Wesen menschlicher Vortrefflichkeit zu beantworten, behandelt Aristoteles daher ein außerordentlich breites Spektrum von Problemen. Er erörtert sowohl individualpsychologische Fragen und handlungstheoretische Begriffe als auch sozialpolitische und institutionelle Probleme. Auch im Fall der Praktischen Philosophie kann es hier nicht darum gehen, diese komplexen und teilweise unklaren Begriffsbildungen im Detail zu untersuchen. Es kommt vielmehr darauf an, einen Überblick über die für den Personbegriff relevanten
99
Vollständig läßt sich der Gebrauch von .Tugend' nicht vermeiden, da ethische Theorien, die dem Aristotelischen Modell entsprechen, allgemein als Tugendethiken bezeichnet werden.
100
Vgl. hierzu J.L. Ackrill, Aristotle on .Good' and the Categories; AoA II, 17-24.
101
Zum Verhältnis der Praktischen Philosophie des Aristoteles zur Moralphilosophie Piatons vgl. H. Flashar, The Critique of Plato's Theory of Ideas in Aristotle's Ethics; AoA II, 1-16.
102
EN 1096a23ff.
103
EN 1097al.
64
H a t t e n die G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
Konzeptionen zu gewinnen. Daher ist es zweckmäßig, zunächst den Begriff der Handlung zu betrachten. Die Erläuterungen des Handlungsbegriffs nennen als elementare Aspekte: (1) das Handlungssubjekt (,Wer handelt?'); (2) die Tat (,Was tut er?'); (3) das Handlungsziel (,In bezug auf was tut er es?'); (4) den Interaktionspartner (,Mit/An wem tut er es?'); (5) das Handlungsmittel (,Womit tut er es?'); (6) die Handlungsweise (,Wie tut er es?').104 Ein Beispiel hierfür ist der Satz: ,[(1) Odysseus] [(2) bohrt] [(5) den glühenden Pfahl] [(6) grimmig entschlossen] [(4) dem Polyphem ins Auge], [(3) um ihn zu blenden und sich mit den Gefährten zu befreien]'. Zu den für die Handlungstheorie relevanten Konzepten gehören: Wünsche (in den Unterformen des affektiven Begehrens oder des rationalen Wollens), Überlegung, Absicht, Freiwilligkeit, rationale Wahl oder Entscheidung und Willensschwäche. 105 Die Untersuchungen operieren sowohl auf der Ebene einzelner Handlungen als auch auf der Ebene der Beurteilungen einzelner Handlungen sowie der Begründung der Urteile über menschliches Handeln. Auffällig ist der Umstand, daß Aristoteles bei der Diskussion der rationalen Entscheidung (προαίρεσις) nicht so sehr die Ziele des Handelns thematisiert, sondern vorrangig die Wahl der Mittel erörtert. Die Überlegung in praktischen Angelegenheiten betrifft in seiner Konzeption ausschließlich die Mittel.106 Er sagt damit keineswegs, daß man über die Ziele des Handelns oder über einen Lebensentwurf nicht nachdenken kann. Er betont aber den Umstand, daß das Konzept der rationalen Wahl eine Vorstellung davon voraussetzt, was für ein Leben der Handelnde leben will. Wenn einer das Leben eines Karrieristen leben will, dann fallen seine vernünftigen Entscheidungen anders aus als diejenigen einer Person, die das Leben eines Gottesfürchtigen leben will. Aristoteles selbst unterscheidet (1) das Leben, das nach Genuß strebt, (2) das Leben, das öffentliche Anerkennung und Ehre sucht und (3) das der Kontemplation, theoretischer Betrachtung gewidmete Leben. 107 Der unter-
104
EN l l l l a 2 - 5 . Zum Handlungsbegriff vgl. J.L. Ackrill, Aristotle on Action; in: Rorty (1980), 93-102.
105
Der Gebrauch so gut wie aller Begriffswörter in dieser Serie wirft Schwierigkeiten auf. Eine gute Darstellung der Problemlage findet sich in Graeser (1993), 243-266; vgl. auch Nussbaum (1986), 269-289.
106
EN 1 1 1 2 b l l - 2 0 .
107
EN 1095bl4-1096a5. Zum der Theoria gewidmeten Leben vgl. 1 1 7 7 a l l - 1 1 7 8 a 8 sowie A.O. Rorty, The Place of Contemplation in Aristotle's .Nicomachean Ethics'; in: Rorty (1980), 377-394.
Personen in der antiken Philosophie
65
schiedliche Rang und Wert dieser Lebensformen steht für ihn außer Frage. Der archaische Ehrbegriff hat als oberster ethischer Wert ausgedient: Nicht das öffentliche Leben, sondern das dem Wissen und der Erkenntnis als ein dem Gottähnlichen im Menschen gewidmetes Leben steht an oberster Stelle. Das Genußleben als ein den Menschen mit den anderen Tieren verbindendes Leben steht an unterster Stelle. In ihm spielen die spezifisch menschlichen Fähigkeiten keine besondere Rolle und kommen nicht eigentlich zur Entfaltung. Es scheint infolgedessen nicht so sehr das Problem der Auswahl der Lebensform oder des umfassenden Handlungsziels zu sein, das bei den Erörterungen des Begriffs der Entscheidung dringlich ist, sondern eher die Frage nach der rationalen Bestimmung der Mittel bei gegebenen Zielsetzungen. Die dem menschlichen Handeln gewidmeten Analysen machen nachdrücklich klar, daß auf dem ethischen und politischen Feld nicht dieselben Ansprüche an begriffliche Präzision und an die Form der Begründungen zu stellen sind, wie auf anderen Gebieten, beispielsweise in der Theoretischen Philosophie. Dies ist allerdings nicht der einzige Unterschied zwischen Theoretischer und Praktischer Philosophie. Auch die Gegenstände beider Disziplinen unterscheiden sich. Die Ethik hat es nicht mit dem zu tun, was unwandelbar und ewig ist und sich immer gleich verhält. Die menschlichen Angelegenheiten können sich so oder so verhalten. Hier steht gerade dasjenige zur Diskussion, was in gewissen Grenzen von den Menschen selbst gestaltet werden kann. Und die interessante Frage geht nun darauf, wodurch das Handeln der Menschen gut wird.108 Der Zusammenhang der Fragen nach dem guten Leben und nach der Vortrefflichkeit wird mit der These hergestellt, daß das Gute im Fall des Menschen in der vortrefflichen Aktivität der dem Menschen eigentümlichen Seelenkräfte besteht. 109 Eine Klärung der Vorzüglichkeit der spezifisch menschlichen Vermögen erscheint damit als Voraussetzung für eine Bestimmung des guten Lebens. Mit Bezugnahme auf die Unterscheidung eines rationalen und eines nicht-rationalen Seelenteils schreibt Aristoteles, daß die entsprechenden psychischen Vermögen jeweils spezifische Formen der Vortrefflichkeit aufweisen.110 Er unterscheidet das dianoetische (kognitive oder intellektuelle) und das ethische (charakterliche oder sittli-
108 109 1,0
EN 1139b20-25, ll4lal-2. EN 1098al7. EN 1102a29-
66
Hatten die G r i e c h e n einen Personbegriff?
che) Gutsein. Hinsichtlich der intellektuellen Formen menschlicher Vortrefflichkeit sondert er diejenigen Fähigkeiten aus, die keinen direkten Bezug zur menschlichen Praxis haben. Aufgrund dieses Kriteriums entfallen die theoretischen Wissensformen (επιστήμη, Wissen; διάνοια, Denken; σοφία Weisheit; νοΰς, Verstand). Einsicht oder praktische Klugheit (φρόνησις) bleibt als einziges intellektuelles Vermögen übrig. Sie ist der Inbegriff der dianoetischen Vorzüglichkeit des Menschen. Die genauere Bestimmung der praktischen Klugheit bereitet Schwierigkeiten, da die Probleme im Feld menschlicher Praxis außerordentlich verschiedenartig sind und ihre Bewältigung unterschiedliche Fähigkeiten zu verlangen scheinen.111 Praktische Klugheit wird als vernünftige Disposition oder als Habitus bestimmt, der sich auf das für Menschen Gute und Schlechte in Handlungszusammenhängen bezieht.112 Als Beispiel für einen klugen Menschen nennt Aristoteles Perikles, der als Staatsmann in herausragender Weise politische Urteilsfähigkeit und einen Sinn für das Angemesssene und Tunliche hatte.113 Die ethischen Vortrefflichkeiten, denen die Bücher II-V der EN gewidmet sind, werden ebenfalls als dauerhafte Dispositionen zu einem bestimmten Verhalten erläutert. Das ethische Gutsein wird durch Gewöhnung und Training erworben. Durch das wiederholte Handeln in einer bestimmten Art und Weise entsteht eine dauerhafte Disposition zu diesem Verhalten. Ethische Vortrefflichkeit ist eine feste Disposition, in situationsangemessener Weise handeln zu wollen und tatsächlich zu handeln.114 Das Erlernen einer bestimmten Vörtrefflichkeit vergleicht Aristoteles mit dem Erwerb eines Könnens: Man lernt ein Musikinstrument spielen, indem man es spielt.115 Der Begriff des ethischen Gutseins wird begrifflich konkretisiert, indem er als Zwischenposition zwischen je zwei Extremen beschrieben wird. Dadurch versucht Aristoteles das heterogene Feld menschlicher Verhaltensweisen und Orientierungen zu gliedern. So wird beispielsweise der Mut als Mitte zwischen den beiden entgegengesetzen Extremen (Mangel: Feigheit; Übermaß: Tollkühnheit) bestimmt.116 Das schematische Verfahren der Zwi-
1.1
EN 1140a24-b30; 1141b8-20.
1.2
EN 1140b4.
1.3
EN 1140b8-ll.
,H
EN 1106bl4.
115
Vgl. M F. Burnyeat, Aristotle on Learning to Be Good; in: Rorty (1980), 69-92.
116
Vgl. hierzu J O. Urmson, Aristotle's Doctrine of the Mean; in: Rorty (1980), 157-170; D. Pears, Courage as a Mean; in: Rorty (1980), 171-188.
P e r s o n e n in d e r antiken P h i l o s o p h i e
67
schenstellung der unterschiedlichen Formen ethischen Gutseins zwischen Extremen, ist aber nicht so zu verstehen, daß die jeweiligen Arten des Gutseins als feste, situations- und kontextunabhängige Begriffe expliziert werden könnten. Was mutiges Verhalten abgesehen von dem allgemeinen Unterschied von Feigheit und Tollkühnheit ist, läßt sich, ohne auf die Einzelheiten der Handlungssituation einzugehen, nicht sagen. Die Gerechtigkeit wird ebenfalls als eine Form ethischen Gutseins von Individuen behandelt.117 Allerdings orientieren sich die Ausführungen tatsächlich vorwiegend am Paradigma der Güterverteilung. Nicht völlig klar ist, weshalb Aristoteles die Gerechtigkeit nicht als dianoetisches Gutsein einstuft. Denn anders als im Falle anderer ethischer Vortrefflichkeiten (Mut, Mäßigung, Freigiebigkeit, Hochherzigkeit, Sanftmut, Freundlichkeit, Scham) scheint bei der Gerechtigkeit ein charakteristischer Affektbezug zu fehlen. Im Hinblick auf partikulare Gerechtigkeit118 unterscheidet Aristoteles zwischen einer distributiven, verteilenden119 und einer kommutativen, ausgleichenden Form des Gerechtseins.120 Für die distributive Gerechtigkeit ist die Vorstellung einer geometrischen oder proportionalen Gleichheit maßgebend. Hier werden einzelne relevante Unterschiede der beteiligten Handlungssubjekte berücksichtigt: Ein Kuchen wird etwa nach Maßgabe des Hungers, der Leistung oder des Alters aufgeteilt. Die kommutative Gerechtigkeit ist bestimmt durch arithmetische Gleichheit. Damit ist gemeint, daß Nutzen oder Lasten gleichmäßig, ohne Ansehung spezifischer Unterschiede der beteiligten Personen aufgeteilt werden. Im Zivil- und Strafrecht versucht der Richter, Gleichheit herzustellen, indem er dem Delinquenten eine seinen unrechtmäßigen Nutzen zunichte machende Strafe auferlegt.121 Die spezifischen Eigenheiten der Personen werden dabei zunächst nicht in Anschlag gebracht. Wie im Fall der Bestimmung des Gutseins als Mitte zwischen Extremen, ist Aristoteles auch hier bemüht, die komplexe Sachlage durch die begriffliche Konstruktion der Quantifizierung zu rekonstruieren. Tatsächlich ist dies einer der ersten Versuche, ethische Probleme durch ein solches Verfahren zu formulieren.122
117
EN 1130b6ff. Vgl. B. Williams j u s t i c e as a Virtue; in: Rorty (1980), 189-200.
118
EN 1130b30.
"» EN 1131b9-15. 120
EN 1132al4-19, 24-30.
121
EN 1132al0.
122
Gegenwärtig erfreuen sich Verfahren der Quantifizierung besonders in utilitaristischen Ethiken großer Beliebtheit. Eine gewisse Nähe zwischen der Praktischen Philosophie des Aristoteles und dem Utilitarismus scheint aufgrund der zentralen Bedeutung von Wohler-
68
Hatten die Griechen einen Personbegriffr 1
Eine formal durchsichtige Beschreibung und Erklärung von Handlungen wird mit dem Praktischen Syllogismus angestrebt. Dabei handelt es sich um ein Stück Aristotelischer Theoriebildung, das die Aufgabe hat, zur Handlungserklärung beizutragen und das Konzept praktischer Überlegung näher zu erläutern.123 In der Logik stellt der Syllogismus das Verhältnis mehrerer Sätze zueinander dar und zeigt notwendige Folgerungsbeziehungen zwischen Prämissen und Konklusion auf. Der PS behandelt Überzeugungen und Wünsche als Voraussetzungen für Handlungen. In EN VII, 3 und De An. III, 11 diskutiert Aristoteles den PS in direktem Zusammenhang mit dem Problem der Willensschwäche (άκρασία). Dabei handelt es sich beispielsweise um den Fall eines Autofahrers, der weiß, daß erheblicher Alkoholkonsum die Fahrtüchtigkeit gefährdet. Er will sich auch verantwortungsvoll verhalten. Trotzdem trinkt er viel und überfährt bei der anschließenden Heimfahrt einen Fußgänger. Weil er nicht in Übereinstimmung mit seinen eigenen Überzeugungen zu handeln scheint, kann man einen solchen Menschen willensschwach nennen: zwar will er das Richtige, aber er tut es nicht. Sein (guter) Wille ist nicht stark genug. Es stellt sich die Frage, wie so etwas sein kann. Wie ist es möglich, daß Handlungen einerseits durch Überzeugungen und Wünsche bedingt sind, mit einer gewissen Notwendigkeit aus ihnen folgen, und daß andererseits das Handeln nicht in
g e h e n o d e r Glückseligkeit g e g e b e n zu sein. O b dies m e h r als e i n e o b e r f l ä c h l i c h e G e m e i n s a m k e i t ist, b e d ü r f t e einer e i n g e h e n d e n U n t e r s u c h u n g . D e r quantifizierende Ansatz d e s Utilitarismus wird erstmals v o n J . B e n t h a m a n p r o m i n e n t e r Stelle vertreten; vgl. J . B e n t h a m : An Introduction to the Principles o f Morals and Legislation ( T h e Collected Works o f J e r e m y B e n t h a m I); ed. J.H. Burns, H.L.A. Hart; London, Athlone Press, 1970. 123
Im f o l g e n d e n wird .Praktischer Syllogismus' als ,PS' abgekürzt. Vgl. die Erörterungen in: D J . Allan, T h e Practical Syllogism; in: Autour d'Aristote - Recueil d ' e t u d e s d e p h i l o s o p h i e a n c i e n n e et m e d i e v a l e offert ä A. Mansion; Louvain, Publications Universitaires d e Louvain, 1955, 3 2 5 - 3 4 0 ; G. Santas, Aristotle o n Practical I n f e r e n c e , the Explanation o f Action, a n d Akrasia; Phronesis 14 ( 1 9 5 9 ) , 1 6 2 - 1 8 9 ; G.H.v. Wright, Practical Inference; PR 72 ( 1 9 6 3 ) , 1 5 4 - 1 7 9 ; ders., T h e Varieties o f G o o d n e s s ; London, Routledge & K e g a n Paul, 1963; A. K e n n y , Practical R e a s o n i n g ; in: ders., Aristotle's T h e o r y o f t h e Will; N e w Haven, Y a l e University Press, 1979, 1 1 1 - 1 6 6 ; D. Charles, Desire, A c c e p t a n c e a n d the Practical Syllogism; in: ders., Aristotle's P h i l o s o p h y o f Action; Ithaca, Cornell University Press, 1984, 8 4 96; M C. Nussbaum, Practical Syllogism a n d Practical S c i e n c e ; in: N u s s b a u m ( 1 9 8 5 ) , 1652 2 0 . B e m e r k e n s w e r t ist der Umstand, d a ß der PS nicht ausschließlich im Hinblick auf m e n s c h l i c h e s H a n d e l n h e r a n g e z o g e n wird. Tierisches Verhalten wird in MA explizit durch S c h l u ß v e r f a h r e n erläutert. Es k o m m t nicht a u f die p r o p o s i t i o n a l e F o r m d e r Konklusion im PS an. Allein das b e o b a c h t b a r e Verhalten e i n e s L e b e w e s e n s und die Möglichkeit s e i n e r Erklärung durch die Z u s c h r e i b u n g v o n Ü b e r z e u g u n g e n und W ü n s c h e n ist relevant. Im Hinblick a u f e i n e Klärung der unterschiedlichen Versionen des PS in EN, Met., MA vgl. insbesondere Nussbaum (1985).
Personen in der antiken Philosophie
69
Übereinstimmung mit den Überzeugungen und Wünschen des Handelnden steht? Auch wenn hier keine Antwort auf das Problem der Willensschwäche gegeben werden kann, erkennt man an der Fragestellung, daß die Rede von Überzeugungen, Wünschen und aus diesen mit einer gewissen Notwendigkeit folgenden Handlungen große Plausibilität besitzt und eine zentrale Rolle in Handlungserklärungen spielt.124 Daß Handlungen nicht nur aufgrund von Überzeugungen allein zustande kommen, sondern eine Grundlage sowohl in vernünftigem als auch nicht-rationalem Wollen haben, erscheint für Aristoteles offensichtlich. Eine Theorie, die ausschließlich auf die Überzeugungen der Akteure blickt, hat demnach eine unzureichende Konzeption menschlichen Handelns.125 Wesentlich ist es, die Wechselbeziehungen von Überzeugungen und Emotionen oder Wünschen zu beachten. Menschen wünschen bestimmte Dinge, weil sie davon überzeugt sind, daß diese Dinge gut sind. Veränderungen von Überzeugungen stehen damit in direkter (kausaler) Verbindung zu Veränderungen von Wünschen.126 Im Aristotelischen Modell menschlichen Handelns spielt die Interdependenz von Wünschen, Gefühlen und Überzeugungen eine wesentliche Rolle. Der Handelnde wird nicht als ein Subjekt bestimmt, das die jeweilige
124
Zum Problem der Willensschwäche vgl. J.H. Walsh, Aristotle's Conception of Moral Weakness; New York, Columbia University Press, 1963; A. Kenny, The Practical Syllogism and Incontinence; Phronesis 11 (1966), 163-184; R. Robinson, Aristotle on Akrasie; AoA II, 7991; D. Wiggins, Weakness of Will, Commensurability, and the Objects of Deliberation and Desire; in: Rorty (1980), 241-265; A.O. Rorty, .Akrasia' and Pleasure - .Nicomachean Ethics' Book 7; in: Rorty (1980), 267-284; W.F.R. Hardie, Aristotle's Ethical Theory; Oxford, Clarendon, 1980, 258-293; Charles (1984), 109-160; D. Davidson, How Is Weakness of the Will Possible?; in: ders.: Essays on Action and Events; Oxford, Clarendon, 1980, 21-42; J.O. Urmson, Aristotle's Ethics; Oxford, Blackwell, 1988, 89-96; Graeser (1993) 254-258; F. Sparshott, Taking Life Seriously - A Study of the Argument of the ,Nicomachean Ethics'; Toronto, University of Toronto Press, 1994, 241-252.
125
Ein Grund besteht darin, daß die Überzeugungen allein nicht ausreichen zu erklären, weshalb jemand tatsächlich handelt; vgl. EN 1139a35: „Das Denken allein [...] setzt nichts in Bewegung [...]". Zur Analogisierung des Bejahens einer Proposition mit dem Erstreben einer Sache sowie des Verneinens einer Proposition mit dem Ablehnen einer Sache vgl. De. An. 431a8-l4; EN 1139a21-26.
126
Die Interdependenz läßt sich plausibel belegen: Im Bus wird Α angerempelt. Zwei unterschiedliche Verläufe sind denkbar: (1) Α glaubt, daß die betreffende Person ihn unabsichtlich gerammt hat; (2) Α glaubt, die betreffende Person habe ihn absichtlich angerempelt. Α wird sich in den beiden Fällen jeweils anders fühlen und anders reagieren. Die dem ersten Verlauf entsprechende Überzeugung, daß jemand ihn unabsichtlich belästigt, wird in der Regel damit einhergehen, daß er weniger verägert ist als im Fall (2). — Die kausale Bedeutung von Wünschen für die Handlung wird betont in: EN 1139al7-18; De An. 433a21ff.
70
Hatten die G r i e c h e n einen Personbegriff?
Handlung aus allgemeinen, normativen Sätzen ableitet. Bedürfnisse und Wünsche werden als wichtige Motive anerkannt und gleichzeitig als durch Überzeugungen kritisierbar dargestellt. Der PS basiert auf einer Vorstellung von etwas Gutem oder einem anzustrebenden Ziel. Diese Vorstellung kann als die erste Prämisse des Syllogismus betrachtet werden. Die Person hat zudem eine weitere Überzeugung, die durch eine zweite Prämisse fixiert ist. Sie bezieht sich auf eine bestimmte Situation und auf Weisen der Realisierung des betreffenden Guten. Aus beiden Prämissen folgt ein Schlußsatz beziehungsweise eine Handlung: W e n n z.B. gilt: ,Von allem Süßen m u ß m a n kosten', u n d w e n n gilt ,Dies hier — als Einzelgegenstand — ist süß', s o m u ß w e r dazu in der Lage u n d nicht gehindert ist, dies gleichzeitig a u c h in die Tat umsetzen. 1 2 7
Zwei Möglichkeiten sind zu erwägen: Entweder ist die Konklusion mit der Handlung identisch 128 oder Konklusion des PS und Handlung sind zwei Momente. Letztere Möglichkeit könnte sich für Fälle von Akrasie empfehlen: Zwar kommt der Handelnde zu einer Konklusion, aber er tut etwas anderes. Damit scheint aber gerade eine wichtige Leistung des PS vernichtet, die darin besteht, den notwendigen Konnex von Überlegen und Handeln aufzuweisen. Allerdings kann man die Differenz von Konklusion und Handlung auch so auffassen, daß eine Person die Konklusion des PS formuliert und diese (gleichzeitig oder anschließend) in Handlungen übersetzt.129 Selbstverständlich berücksichtigt Aristoteles den Umstand, daß praktische Überlegungen mit komplexeren Voraussetzungen zu tun haben als der angeführte Beispielfall. Insbesondere weiß er, daß es moralische Konflikte gibt, in denen unterschiedlich starke Wünsche und Überzeugungen konkurrieren und verschiedenartige Beurteilungsgesichtspunkte eine Rolle spielen. 130 Eine starke Interpretation des PS sagt, daß jede Handlung durch einen PS zustande kommt und erklärt werden kann. Das Verhalten von Personen insgesamt läßt sich deduktiv aus den jeweils relevanten Prämissen ableiten. Es gibt ein geschlossenes und hierarchisch geordnetes Gesamtsystem der Überzeugungen und Wünsche einer Person. Die allgemeinsten Sätze dieses
127
EN 1147a29-31; Nussbaum sagt völlig zu Recht, daß es verrückt wäre, diesen PS wörtlich aufzufassen, vgl. Nussbaum (1985), 197. Weitere Beispiele: EN 1147a5-7; Il47a25; EE 1227b30; De An. 434a8ff.; MA 701al3; 701al6; 701al7-25; 701a32; Met. 1032b6-9; 1032bl8ff.
128
Vgl. MA 701al0-34.
129
Vgl. EN Il47a31.
130
Vgl. z.B. Met 1048a21- 24: hier werden zwei inkompatible Handlungen gewollt.
P e r s o n e n in der antiken P h i l o s o p h i e
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Systems können etwa nicht-empirische Aussagen über das Wesen des Menschen sein. Sie funktionieren als zentrale Ordnungsmittel für die niederstufigeren Überzeugungen. In diesem System läßt sich das jeweilige Handeln lückenlos ableiten. Eine schwache Interpretation besagt, daß der PS die Art und Weise praktischer Überlegung verdeutlicht und zeigt, inwiefern einzelne Handlungen mit einer eigentümlichen Notwendigkeit aus bestimmten Überzeugungen und Wünschen folgen. Dadurch wird es möglich, einen Unterschied zwischen konsistentem, rationalem Verhalten und inkonsistentem, irrationalem Verhalten zu erläutern. Die erste Prämisse eines PS ist selbst nicht das Resultat eines vorausgehenden PS, sondern entspringt der Einsicht in das praktisch Gute.131 In Verbindung mit der Entscheidung für eine der beiden Versionen ist auch die Frage zu beachten, ob jeder Entscheidungsprozeß in einem Lebewesen tatsächlich in der Form des PS abläuft oder ob der PS eine Verhaltensweise lediglich retrospektiv rekonstruiert und verständlich erscheinen läßt.132 Handlungsziele werden bei Aristoteles nicht aus einer allgemeinen Idee des Guten oder einem universalen Handlungsprinzip abgeleitet. Die Praktische Philosophie ist in der Lage, in ungleich stärkerem Maß als die Moralphilosophie Piatons die spezifischen Anforderungen einzelner Handlungssituationen und die Eigenheiten der handelnden Personen zu beachten. So können Charakterzüge durch Beachtung einzelner ethischer Vorzüge oder Defekte erfaßt werden. Sie gelten nicht nur als nebensächliche individualpsychologische Eigenheiten, sondern sie werden im Hinblick auf das Gelingen des Lebens berücksichtigt und für die Handlungserklärung gebraucht. Für die Handlungserklärung sind Charakterzüge besonders deshalb relevant, weil sie mit bestimmten Überzeugungen und Wünschen korrelieren.133
131
Nussbaum (1985), 184 und 210 argumentiert gegen die starke Interpretation des PS; ähnlich auch Charles (1984), 96.
132
Vgl.: J.M. Cooper, Reason and Human Good in Aristotle; Cambridge, Harvard University Press, 1975, 24-58; hier: 46f.; B. Inwood, Ethics and Human Action in Early Stoicism; Oxford, Clarendon, 1985, 13f.; G.E.M. Anscombe, Intention; Oxford, Blackwell, 1966, 78f. Für die Konzeption des PS als Darstellung tatsächlich ablaufender Denkprozesse vgl. Charles (1984), 136f. ; Nussbaum (1985), 174 und 207f.; Gill (1991), 178.
133
Der Charakter ist nicht einfach mit den Überzeugungen und Wünschen identisch, weil beispielsweise auch Eigenheiten eines Menschen unter den Begriff des Charakters fallen, die von der Humoralpathologie und der Temperamentenlehre behandelt werden. Das Melancholischsein des Melancholikers hat möglicherweise mehr mit seiner schwarzen Galle als mit seinen Wünschen und Überzeugungen zu tun. Auch bei veränderten medizinischen Grundlagen (Hormone statt schwarzer Galle) bleibt der Befund insgesamt gültig
Hatten die Griechen einen Personbegriff?
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Für die Konzeption und das Gelingen eines Lebens im Ganzen sind die charaktedichen Eigenschaften bedeutsam, weil der allgemeine Wunsch nach einem gelungenen Leben leer und unbestimmt ist. Erst im Zusammenhang mit einem konkreten Charakter läßt sich die Konzeption eines gelungenen Lebens entwickeln. Nur wenn einer weiß, wer er ist, kann er vernünftige Ziele für sein Handeln erkennen und in Handlungssituationen überlegte Entscheidungen treffen. Wenn man die substanzontologischen Konzeptionen des Aristoteles zugrunde legt, so erscheint das Leben einer Person als die Aktivität einer Entität, die durch eine spezifische hylemorphische Struktur ausgezeichnet ist. In jedem Moment des Lebens ist diese Aktivität gegeben: jeder Teil des Lebens ist selbst Leben.134 Im Hinblick auf das gute Leben gilt, daß es keinen bestimmten Zweck realisiert, sondern in sich selbst vollendet ist. In handlungstheoretischer Perspektive erscheint personales Leben allerdings in anderer Weise, da Handlungen gewissen Zielsetzungen untergeordnet sind. Nicht jeder Teil einer Reise ist selbst eine Reise, nicht jede Teilhandlung eines Mords ist selbst ein Mord. Eine Handlungserklärung, die die Handlung in keinerlei Zusammenhang mit irgendwelchen Zielen und Zwecken bringen kann, ist keine Handlungserklärung mehr, sondern die Beschreibung eines unverständlichen Verhaltens. Insofern als das Leben von Personen durch Handlungen sowie durch Handlungspläne und Absichten gegliedert ist, läßt es sich nicht in beliebige, gleichförmige Teile zerstückeln. Dementsprechend gilt, daß das Leben selbst zwar als Aktivität konzipiert werden kann, das Leben einer Person als Subjekt von Handlungen aber im Hinblick auf die einzelnen Handlungen das Schema gegliederter Prozesse impliziert.135 Eine Entscheidung für eine bestimmte Form des Lebens, ein Lebensentwurf verlangt, daß man weiß, welche Entscheidungen und Handlungen mit der jeweiligen Lebensform vereinbar sind und welche nicht. Dabei kann die Orientierung an einem konkretisierten Konzept des gelungenen Lebens als dem Leben eines so und so näher charakterisierten Menschen sinnvoll sein. Ein solches Konzept ist möglicherweise eine Voraussetzung dafür, daß Personen einen Blick für die eigenen Möglichkeiten
13'1
Für d i e U n t e r s c h e i d u n g v o n kvepyeια ( A k t i v i t ä t ) u n d κηεσις ( P r o z e ß ) v g l . Met. 1048bl8-35;
135
Dies gilt nicht ausschließlich im Hinblick auf p e r s o n a l e s Leben. A u c h d i e Verhaltenswei-
1050a23-b2; EN 1173a29-b7; 1 1 7 4 a l 3 - b l 3 . sen v o n a n d e r e n h ö h e r e n T i e r e n w e i s e n unterschiedliche F o r m e n d e r Zielgerichtetheit auf.
P e r s o n e n in der antiken P h i l o s o p h i e
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und Begrenzungen gewinnen, ί ο daß sie ihr eigenes Leben nicht nur leben, sondern führen. Eine Beurteilung bestimmter Lebensentwürfe oder Lebensformen ist mit Aristoteles nach Maßgabe der Frage sinnvoll, inwieweit das jeweilige Leben spezifisch menschliche Fähigkeiten zur Entfaltung bringt.136 Da Aristoteles die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen hoch einschätzt, ist für ihn die Frage wesentlich, ob ein Leben rational vertretbare Zielsetzungen aufweist und nach Maßgabe der Ziele vernünftige Entscheidungen zeigt. Die Überlegungen des Aristoteles legen die Erwartung nahe, daß ein in den praktischen Angelegenheiten vortrefflicher Mensch nicht ständig seine Pläne und Ziele verändert. Weil er eine vernünftige Vorstellung von sich selbst und seinem Leben hat, ist er mit sich selbst im reinen. Einen Charakter zu haben meint eben auch dies: wiederkehrende und wiedererkennbare Muster des Handelns zu besitzen. Der ethisch vortreffliche Mensch identifiziert sich mit seinem Lebensentwurf nicht nur verstandesmäßig, sondern vertritt ihn mit seinen psychischen Vermögen insgesamt. Deshalb kann er sowohl in der Erinnerung als auch in der Erwartung sein Leben bejahen.137 Das Individuelle muß demnach nicht zugunsten der Realisierung einer abstrakten Idee des Guten abgestoßen, sondern kann auf rationale Weise nach Maßgabe der vielfältigen Formen des für den jeweiligen Menschen Guten entfaltet werden. Aristotelisch gesehen ist es notwendig anzuerkennen, daß Personen unterschiedlich sind und verschiedenartige Vorstellungen von dem haben, was für sie das gute Leben ist.138 Vernünftige Entschei-
,36
Die Relevanz dieser Auffassung unter gegenwärtigen Bedingungen arbeitet M.C. Nussbaum heraus; vgl. M.C. Nussbaum, Human Functioning and Social Justice - In Defense of Aristotelian Essentialism; Political Theory 20 (1992), 202-246; M.C. Nussbaum und A. Sen (eds): The Quality of Life; Oxford, Clarendon, 1993; M.C. Nussbaum: Non-Relative Virtues - An Aristotelian Approach; in: Nussbaum/Sen (1993), 242-269; dies., Aristotle on Human Nature and the Foundations of Ethics; in: Altham/Harrison (1995), 86-131.
137
EN ll66al4-30. Daß Aristoteles hier ein idealisiertes Bild zeichnet, ist offensichtlich. Rationalität in praktischen Angelegenheiten garantiert keineswegs, daß eine Biographie frei von schmerzlichen und auch retrospektiv beklagenswerten Geschehnissen oder Handlungen ist. Vgl. dazu mit aller wünschenswerten Klarheit Nussbaum (1985), 217-219·
138
Im Zusammenhang mit diesem Gedanken ist auch die außerordentlich große Bedeutung zu sehen, die Aristoteles den Nahbeziehungen zwischen Freunden im Vergleich zu den Beziehungen zwischen den Bürgern einräumt. Der Aristotelische Freundschaftsbegriff nimmt die Bedürfnisseite des Menschen in die Praktische Philosophie auf, insofern der Mensch als Gemeinschaftswesen nicht nur aus Gründen der Lebensfristung, sondern gerade im Hinblick auf sein Wohlergehen auf Beziehungen angewiesen ist, in denen sowohl intellektuelle wie affektive Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigt sind und ein zweckfreies Zusammensein mit anderen Menschen möglich ist. Vgl. die Bücher VIII und IX der EN; J.M. Cooper, Aristotle on Friendship; in: Rorty (1980), 301-340; Urmson (1988), 109-117; N. Sherman, The Fabric of Character - Aristotle's Theory of Virtue; Oxford, Clarendon, 1989, 118-156; Hardie (1980), 317-335.
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Hatten die Griechen einen Personbegriff?
düngen werden jeweils nach Maßgabe solcher Konzeptionen getroffen. Dabei wird vorausgesetzt, daß die einzelnen eine Vorstellung davon haben, wer sie sind und daß sie bei ihren Entscheidungen nicht nur den gegenwärtigen Augenblick, sondern möglicherweise ihr Leben als Ganzes im Blick haben. 139 Die Bedeutung der intellektuellen Fähigkeiten, auch und gerade im Hinblick auf Handlungsfragen und die Abwägung von Überzeugungen und Begehren, wird durch eine Formulierung verdeutlicht, dergemäß der denkende Teil des Menschen das eigentliche Selbst ist.140
1.2.2.6. Was fehlt noch? Zu Beginn wurde festgestellt, daß die zentralen Aspekte des Personbegriffs im Rahmen der ausfuhrlichen Erörterung der Frage ,Was ist ein Mensch?' in den Untersuchungen des Aristoteles berücksichtigt sind. Die epistemische, die ethische und die psychologische Dimension sind bei Aristoteles nachweisbar. Dieser Befund kann aber nicht so gelesen werden, als ob die späteren begriffsgeschichtlichen Entwicklungen insgesamt retrospektiv auf Aristoteles zurückdatiert werden könnten, so daß nach Aristoteles eigentlich nichts Neues mehr gekommen wäre. Es ist nicht sinnvoll, eine Liste aufzustellen, die alle seit Aristoteles die Begriffsgeschichte anreichernden Momente beinhaltet. Einige zentrale Stichworte seien dennoch kurz genannt: Aristoteles kennt keinen Begriff einer universalen, nicht auf bestimmte Merkmale des Menschen eingeschränkten Würde, und er hat ebensowenig einen universalen, auf alle Menschen gleichermaßen ausgerichteten Personbegriff. Die Subjekte seiner Praktischen Philosophie sind in erster Linie die freien Männer der griechischen Polis. Dementsprechend kennt er keinen Universalismus der Würde des Menschen als Person. Diese Konzeption steht maßgeblich in christlicher Tradition und kommt erst in der Moderne in der politischen Dimension zur Geltung.141 Ein weiterer von Aristote-
139
EN 1177b25.
140
EN I l 6 6 a l 7 .
141
Vgl. P. Kondylis, V. Pöschl, Artikel .Würde'; in: O. Brunner u.a. (eds.): Geschichtliche Grundbegriffe - Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland VII; Stuttgart, Klett-Cotta, 1992, 637-677. Die Bezugnahme auf die „christliche Tradition" ist problematisch. Verläßt man die Ebene geistesgeschichtlicher Klischeereproduktion werden die Verhältnisse komplex. Bemerkenswert hinsichtlich des Gedankens personaler Würde ist der historische Befund, daß in Gesellschaften, die sich als christlich verstanden, immer wieder Formen der Sklaverei als legitim betrachtet wurden. Einen in dieser Hinsicht aufschlußreichen Fall, der mit der gegenwärtig als grundlegend betrachteten Unter-
Personen in der antiken Philosophie
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les kaum beachteter Aspekt kommt in der selbstreflexiven Frage des Subjekts ,Wer bin ich?' zum Ausdruck. Gemeinhin wird diese Frage im Zusammenhang mit dem fundamentalen Dualismus von Descartes' Konzeption der körperlichen und der geistigen Substanz gesehen. Und ohne Zweifel ist es die neuzeitliche, nach-cartesische Philosophie, die den Begriff des Selbstbewußtseins in einer eigentümlichen, die Epistemologie fundierenden Form entwickelt. Bewußtsein und Selbstbewußtsein werden zum Kern der Person und stellen notwendige Bedingungen von Personalität dar.142 Es wäre falsch, Aristoteles einen Bewußtseinsbegriff prinzipiell abzusprechen. Er hat eingehende epistemologische und psychologische Überlegungen angestellt, die man ohne wesentliche Verzerrung unter die Rubrik des Bewußtseinsbegriffs rücken kann. Einschlägig sind etwa die Ausführungen, die die Wahrnehmung als wesentliches Moment behandeln.143 Insbesondere bei der Erörterung der epistemischen Natur des Menschen werden die für den menschlichen Organismus eigentümlichen Formen der Sinneswahmehmung im Hinblick auf die Wissensgewinnung beachtet.144 Dabei ist die Aristotelische Sichtweise im Gegensatz zu Cartesianischen Vorstellungen dadurch bestimmt, daß das Denken an Lebensprozesse gebunden ist.145 Zwei spezielle und wirkungsmächtige Differenzierungen des Be-
scheidung von Sachen und Personen kollidiert, stellt die Gesetzgebung Konstantins dar: Derjenige, der ein ausgesetztes Kind aufnimmt, kann selbst darüber entscheiden, ob der Findling ein freier Mensch oder ein Sklave ist. Vgl. P. Veyne, Römisches Recht und Gesellschaft: freie Männer als Sklaven und die freiwillige Sklaverei; in: ders., Die römische Gesellschaft; trad. Η. Jotho, München, Fink, 1995, 237-269; hier: 243 (Original: Societä romana; Roma, Laterza, 1990). 142
,,[T]he Stoics, like Aristotle [...] see the capacity to reason rather than to be self-conscious as the crucial one". - ,,[T]here is probably not a (post-Cartesian) concept of ,person' in Greek philosophy. But there is a concept of rational animal, at least in Aristotle and the Stoics; and, given the problems that some people find with the (post-Cartesian) concept of .person', this may be as positive a conclusion as one could hope to reach"; C. Gill, Is there a Concept of Person in Greek Philosophy?; in: Everson (1991), 166-193; hier: 186 und 193). Die römische Philosophie und die christlich Theologie (Augustinus) markieren zweifellos für die Geschichte des Begriffs des Selbstbewußtseins wichtige Etappen. Diese Konzeptionen stellen allerdings nicht den epistemologischen Aspekt in den Mittelpunkt.
143
C.H. Kahn, Sensation and Consciousness in Aristotle's Psychology; Archiv für Geschichte der Philosophie 48 (1966),43-81; L.A. Kosman, Perceiving that we perceive - ,Οη the Soul' III, 2; PR 84 (1975), 499-519; G.B. Matthews, Consciousness and Life; Philosophy 52 (1977), 13-26; W.F.R. Hardie, Concepts of Consciousness in Aristotle; Mind 85 (1976), 388-411; D.K. Modrak, An Aristotelian Theory of Consciousness?; Ancient Philosophy 1 (1981), 160-170.
144
Vgl. beispielsweise Met. 980a22-27.
145
Matthews (1977), l6f.
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wußtseinsbegriffs kommen freilich erst in der Neuzeit und Moderne auf die Einführung eines allgemeinen Begriffs des Unbewußten bei Leibniz sowie die weiterführende Konzeption eines dynamischen Unbewußten durch die Psychoanalyse. Was die Frage nach dem Selbstbewußtsein betrifft, so behandelt Aristoteles eine reflexive Form des Gewahrseins von psychischen Aktivitäten. Er erfaßt die Reflexivität gewisser Formen der Sinneswahmehmung. Selbstbewußtsein ist hier nicht als ein Bewußtsein eines Selbst zu verstehen, sondern als Bewußtsein davon, bewußt zu sein. Ein solches Selbstbewußtsein ist kein genuin menschliches Phänomen, sondern kommt Lebewesen mit entsprechenden Sinnesorganen ebenfalls zu.146 Schließlich fehlt bei Aristoteles eine mit dem neuzeitlichen Begriff des Selbstbewußtseins und Modellen der Selbstkonstitution unmittelbar verknüpfte Unterscheidung: diejenige zwischen einer Perspektive der ersten Person (Ich-Perspektive), einer Perspektive der zweiten Person (Du-Perspektive) und einer Perspektive der dritten Person (Er-Perspektive, Beobachterperspektive). Man wird im einzelnen sehen müssen, wie wichtig die bei Aristoteles nicht behandelten Unterscheidungen und Konzeptionen für die Erläuterung des Personbegriffs und die Diskussion personaler Identität sind.
1.2.3. Rätsel und Paradoxien personaler Identität Aristoteles behandelt die Probleme der Veränderung und des Wandels der Dinge, indem er versucht, im Fliessen und in der Variabilität der phänomenalen Welt die sich selbst gleichbleibenden Substanzen als Einzelheiten zu erkennen. Damit soll es möglich werden, ein mannigfaltiges und ungeordnetes Geschehen als einen überschaubaren Prozeß vielfältigen Entstehens und Vergehens zu begreifen. Grob gesprochen kann man sagen, daß Piaton die Debatten seiner Vorgänger über Gleichheit (Parmenides) und Wandel (Heraklit) dahingehend auflöst, daß er die immerwährende Selbigkeit der Ideen dem ständigen Wandel der Sinnenwelt gegenüberstellt, während Aristoteles bemüht ist, den unaufhörlichen Wandel in der sublunaren Sphäre durch den Substanzgedanken als begreifbaren Veränderungsprozeß darzustellen. Aristoteles hat, wie bereits festgestellt wurde, seine Aufmerksamkeit nicht primär auf die Erläuterung der Identität einzelner Mitglieder innerhalb ei-
146
Kosman (1975), 515f.
Personen in der antiken Philosophie
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ner Art gerichtet. Seine Philosophie hebt die invarianten Strukturen einer Ordnung der natürlichen Dinge heraus. Dabei wird den als unveränderlich angenommenen Arten der Vorrang vor den durch kontingente Merkmale charakterisierbaren Einzeldingen eingeräumt. Die Unterscheidung von artgleichen Entitäten ist deshalb problematisch, weil in diesem Fall die essentiellen oder artspezifischen Eigenschaften nicht zu Unterscheidungszwekken herangezogen werden können. In diesen stimmen die fraglichen Entitäten ja überein. Den schwierigsten Fall der Unterscheidung von Mitgliedern einer Art stellt das Problem der Doppelgänger dar. Gemeint ist der Fall zweier Gegenstände, die in allen Eigenschaften miteinander übereinzustimmen scheinen. Ein ebenfalls innerhalb einer Art auftretendes Problem betrifft die Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine einzelne Entität über die Zeit hinweg ihre Identität bewahrt. Schließlich ist auch das Verhältnis der metaphysischen oder ontologischen Perspektive auf die Identität von Entitäten zu den epistemologischen Problemen der Identifizierung von Gegenständen ein wesentlicher Punkt. Die genannten Fragen wurden bereits in der Antike in einer Art und Weise behandelt, die auffällige Parallelen mit den in jüngster Zeit diskutierten Gedankenexperimenten und .puzzle cases' aufweist. Im folgenden werden einige markante Fälle vorgestellt.
1.2.3.1. Epicharms Diskontinuitätsparadoxie Der Komödienautor Epicharm stellt die folgende Szene dar: Ein Mann wird von seinem Gläubiger aufgefordert, seine Schulden zu begleichen. Anstatt das verlangte Geld zu bezahlen, stellt er seinem Gläubiger folgende Frage: ,Ist es nicht richtig, daß jeder Gegenstand, der ständigem Wandel unterworfen ist, niemals derselbe bleibt, sondern heute ein anderer als gestern und morgen ein anderer als heute ist?' Der Gläubiger stimmt ihm zu. Der Schuldner formuliert sofort die Konsequenz aus dem Gesagten: Er sei heute nicht mehr derselbe Mensch wie derjenige, dem der Gläubiger das Geld gegeben hätte, folglich sei er ihm auch nichts schuldig. Der Gläubiger holt daraufhin kräftig aus und schlägt seinen spitzfindigen Gegner. Dieser protestiert. Aber der Gläubiger antwortet ihm, das Klagen sei umsonst. Er sei jetzt bereits ein anderer als derjenige, der ihn kurz zuvor geschlagen hätte.147 147
Plutarch, De sera numinis vindicata - On the Delays of the Divine Vengeance; 559 B; in: Plutarch's Moralia VII; lat.-engl., trad, und ed. P H. de Lacy, Β. Einarson, LCL, 1959, 244247. Das Original des Epicharm-Textes ist nicht erhalten. Eine weitere Variante behandel-
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Hatten die Griechen einen Personbegriff?
Die Szene scheint im Miniaturformat das Problem der Identität von Personen über die Zeit hinweg zu präsentieren. Insbesondere die praktischen oder ethischen Implikationen dieses Problems treten deutlich zutage. Tatsächlich spielt die Selbigkeit von Personen im Zusammenhang mit Handlungs- und Zurechnungsproblemen sowie in bezug auf Vorstellungen von Pflichten und Rechten eine ganz entscheidende Rolle. Es wäre indes irreführend, würde man in die von Plutarch erwähnte Szene die Fragestellungen des neuzeitlichen Problems personaler Identität projizieren. Plutarch verweist ausdrücklich auf den Zusammenhang der geschilderten Komödienszene mit den Kontroversen der Philosophen hinsichtlich des Arguments über das Wachsende. Bei diesem Argument handelt es sich darum, im Hinblick auf die Veränderung von Gegenständen oder Mengen durch Hinzufügen oder Wegnehmen einzelner Teile präzise anzugeben, wann der jeweilige Gegenstand aufhört zu existieren. Am bekanntesten ist das Beispiel des Sandhaufens: Der Fragende fordert sein Gegenüber auf sich vorzustellen, daß einzelne Sandkörner sukzessive aufeinandergehäuft werden. Ein einzelnes Sandkorn ist kein Haufen. Aber wenn eine beträchtliche Menge von Körnern aufeinandergehäuft ist, dann hat man einen Sandhaufen. Der Antwortende soll nun genau bestimmen, ab welcher Menge aus einer Ansammlung einzelner Körner ein Haufen wird. In der umgekehrten Richtung lautet die Frage, wann genau durch das Wegnehmen einzelner Körner ein Haufen aufhört, ein Haufen zu sein. Gleichgültig wie der Antwortende reagiert und bei welcher Anzahl er den entscheidenden Unterschied markiert, die Willkürlichkeit seiner Grenzziehung läßt sich leicht aufweisen: Sein Opponent entfernt oder fügt ein einzelnes Sandkorn hinzu und fragt dann, weshalb man nun nicht mehr bzw. erst jetzt von einem Sandhaufen sprechen könne. Wie ist es möglich, daß der Unterschied von nur einem Sandkorn dafür verantwortlich ist, daß eine Menge von η Körnern nicht als Haufen gilt, während eine Menge von n+1 Sandkörnern ein Haufen ist?148
te den folgenden Fall: Α wird von Β für den nächsten Tag zum Essen eingeladen. Als A am folgenden Tag erscheint, ist er nicht mehr identisch mit dem Eingeladenen (d.h. er ist nicht eingeladen). Die hier gegebene Paraphrase orientiert sich an den Ausführungen von D. Sedley, The Stoic Criterion of Identity; Phronesis 27 (1982), 255-275. 148
R.M. Sainsbury, Vagueness - The Paradox of the Heap; in: ders., Paradoxes, Cambridge, Cambridge University Press, 1995, 23-51.
Personen in der antiken Philosophie
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Strukturell weist die oben beschriebene Szene des Epicharm eine Ver bindung mit Sorites-Problemen auf. Auch bei Epicharm spielen quantitative Unterschiede für die Identität oder Nicht-Identität eines Gegenstands eine wichtige Rolle: Der Schuldner operiert mit vergleichsweise großen zeitlichen Abständen (beispielsweise Tageszyklen), innerhalb derer eine Person als identische betrachtet wird. Die Pointe des Gläubigers besteht darin, daß er die Strategie seines Gegners steigert und personale Identität entweder nur über minimale Zeitabstände hinweg garantiert sieht oder sie ausschließlich als in einem einzelnen Moment gegeben betrachtet. Der letzten Variante zufolge wären Personen instantane Entitäten. Daß diese Option mit der Semantik des Personbegriffs selbst kaum zu vereinbaren ist, wird im weiteren Verlauf der Überlegungen deutlich werden. Der Grundgedanke der Szene betont, daß jede noch so geringe Veränderung in der materiellen Beschaffenheit eines Körpers — beispielsweise die Aufnahme einer einzigen Partikel durch einen Organismus — als das Ende der jeweiligen Entität und gegebenenfalls als Anfang eines neuen Wesens aufgefaßt werden kann. Von Wachstums- und Schrumpfungsprozessen kann folglich nicht mehr die Rede sein. Denn es ist keine in der Zeit fortdauernde Entität gegeben, an der sich das Wachsen oder Schrumpfen vollziehen könnte. Statt dessen hat man es mit Sequenzen einer Vielzahl von Gegenständen zu tun, die eine minimale Lebensdauer haben. Diese Position stellt eine Radikalisierung des Pan-Essentialismus dar: der klassifikatorische Rahmen des Sortal-Essentialismus wird aufgelöst und eine unbeschränkte Berücksichtigung aller Eigenschaften ohne vorgegebene Relevanzgesichtspunkte gefordert. Daß die Szene aus einer Komödie überliefert ist, erscheint keineswegs zufällig. Die Übertragung der naturphilosophischen Spekulationen über die invarianten Bestandteile der Welt auf alltägliche Fälle des Umgangs von Personen miteinander führt zu grotesken und komischen Situationen. Die Szene zeigt, daß in der Praxis kein Handelnder die Annahme einer diachronen Kontinuität von handelnden Personen suspendieren oder in radikaler Weise gegenüber den allgemein anerkannten Standards einschränken kann, ohne sich eines performativen Widerspruchs schuldig zu machen. Ein weiterer, klassischer Fall eines Sorites-Paradoxons bezieht sich auf die diachrone Identität von Artefakten und wird am Beispiel des TheseusSchiffs behandelt. In Piatons ,Phaidon' ist die kulturelle Bedeutung dieses Schiffs erwähnt: Alljährlich findet zum feierlichen Gedenken an Theseus eine Fahrt des Schiffs von Athen nach Delos und zurück statt. Bei Piaton wird auf diesen Brauch ausschließlich zum Zweck der zeitlichen Datierung bestimmter Ereignisse in der Biographie des Sokrates Bezug genommen. Er
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H a t t e n die G r i e c h e n e i n e n Personbegriffr 1
erwähnt die sophistische Identitätsdiskussion mit keinem Wort.149 Diese wird durch Plutarch überliefert.150 Nach der Darstellung Plutarchs handelt es sich auch in diesem Fall um die Frage nach den Konsequenzen des Verlusts oder Zugewinns einzelner Teile für die Identität eines mehrteiligen Gegenstands. Als Extrempositionen stehen sich die folgenden Auffassungen gegenüber: (1) Sobald eine Planke des Theseus-Schiffs ausgetauscht wird, hört das originale Schiff auf zu sein; (2) Es können beliebig viele, möglicherweise alle, Planken des originalen Theseus-Schiffes durch neue Elemente desselben Materials und derselben Form ersetzt werden, ohne daß das Theseus-Schiff seine Identität verliert. Eine über die von Plutarch überlieferte Fassung hinausgehende Variante des Problems der Identität des Theseus-Schiffs hat T. Hobbes formuliert. Bei Hobbes taucht der Gedanke der Reduplikation eines Gegenstands auf. Die Überlegungen gelten der Frage, ob die artspezifische Form — im Gegensatz zur Materie oder der Summe der bloß akzidentellen Bestimmungen — als Individuationsprinzip gelten kann: A c c o r d i n g t o [this] o p i n i o n , t w o b o d i e s existing b o t h at o n c e , w o u l d b e o n e a n d t h e s a m e n u m e r i c a l b o d y . F o r if, for e x a m p l e , that ship o f T h e s e u s , c o n c e r n i n g t h e d i f f e r e n c e w h e r e o f m a d e by continual r e p a r a t i o n in taking out the o l d p l a n k s a n d putting in n e w , t h e s o p h i s t e r s o f A t h e n s w e r e w o n t t o dispute, w e r e , after all t h e planks w e r e c h a n g e d , the s a m e n u m e r i c a l ship it w a s at t h e b e g i n n i n g ; a n d if s o m e m a n h a d k e p t the o l d p l a n k s as t h e y w e r e t a k e n out, a n d b y putting t h e m a f t e r w a r d s t o g e t h e r in t h e s a m e order, h a d again m a d e a s h i p o f t h e m , this, w i t h o u t d o u b t , h a d a l s o b e e n t h e s a m e n u m e r i c a l ship with that w h i c h w a s at the b e g i n n i n g ; a n d s o t h e r e w o u l d h a v e b e e n t w o ships n u m e r i c a l l y t h e s a m e , w h i c h is absurd. 1 5 1
Die Pointe dieser Variante besteht in der Verdoppelung des Gegenstands: Die ausgetauschten Schiffsplanken werden gesammelt und anschließend
149
Phaidon, 58a-c.
150
„Das Schiff, auf dem Theseus mit den jungen Menschen ausfuhr und glücklich heimkehrte, den Dreißigruderer, haben die Athener bis auf die Zeiten des Demetrios Phaleron aufbewahrt, indem sie immer das alte Holz entfernten und neues, festes einzogen und einbauten, derart, daß das Schiff den Philosophen als Beispiel für das vielumstrittene Problem des Wachstums diente, indem die einen sagten, es bleibe dasselbe, die anderen das verneinten"; Plutarchus, Theseus; in: ders., Grosse Griechen und Römer I; ed. und trad. Κ. Ziegler, Artemis, Zürich, 1954, 41-75; hier: 60. Zum Problem der diachronen Identität insbesondere von Artefakten vgl.: B. Smart, How to Reidentify the Ship of Theseus; Analysis 32 (1972), 145-148; ders., The Ship of Theseus, the Parthenon and Disassembled Objects; Analysis 34 (1973), 24-27; D. Wiggins, Sameness and Substance; Oxford, Blackwell, 1980, 90ff.
151
T. Hobbes, De corpore; II, 11: Of Identity and Difference; W. Molesworth (ed.), The English Works of Thomas Hobbes I; Aalen, Scientia, 1962, 132-138; hier: 136f.
Personen in der antiken Philosophie
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wieder zusammengesetzt, so daß schließlich zwei Schiffe vorhanden sind: ein aus den alten Planken bestehendes und ein aus Ersatzteilen bestehendes. Hobbes weist darauf hin, daß nach Maßgabe formaler Eigenschaften als einzigem Individuationsprinzip — unter Ausschluß materieller und akzidenteller Eigenschaften — die beiden Objekte identisch sind. Dies ist seiner Auffassung nach eine reductio ad absurdum der These rein formbezogener Individuation. Ein weiterer wichtiger Aspekt seines Beispiels besteht darin, daß die Antworten auf Fragen nach der Identität eines Objekts in bestimmten Fällen davon abhängig sind, welche Tatsachen hinsichtlich anderer relevanter Objekte zutreffen: Solange die alten Planken als Brennholz verwertet werden, taucht das von Hobbes vorgebrachte Problem überhaupt nicht auf. Als relevantes Kriterium neben der Materie, der Form oder der Summe aller akzidentellen Eigenschaften könnte auch die Funktionsfähigkeit des Gegenstands herangezogen werden. Bei einem Boot, das kein Museumsstück oder Kultgegenstand ist, kann man sagen: Es handelt sich um dasselbe Boot, solange es seine Funktion erfüllt, solange es kontinuierlich vorhanden ist und die es konstituierenden Teile nur sukzessive durch material- und formgleiche Elemente ersetzt werden. Diese Lösung wird unter anderen Rahmenbedingungen als denjenigen der antiken Autoren oder auch der Ausführungen von Hobbes, von D. Hume erwogen. 152 In den meisten der genannten Fälle steht in Frage, ob die Identitätsbedingungen für den Gegenstand unmittelbar durch die Identität der ihn konstituierenden materiellen Teile festgelegt sind oder nicht. Nach Sedley war es das Ziel des Stoikers Chrysipp gegen die skeptischen Angriffe der Akademiker zu zeigen, daß etwas dasselbe Ding bleiben kann, auch wenn seine Konstitutionselemente sich verändern.153 Chrysipp selbst führt in diesem Zusammenhang das Konzept einer jedes Individuum kennzeichnenden, einmaligen Qualität ein.154
152
,,A ship, of which a considerable part has been chang'd by frequent reparations, is still consider'd as the same; nor does the difference of the materials hinder us from ascribing an identity to it. The c o m m o n end, in which the parts conspire, is the same under all their variations, and affords an easy transition of the imagination from one situation of the body to another"; D. Hume, A Treatise of Human Nature, I, 4, 6; ed. L.A. Selby-Bigge, Oxford, Clarendon, 1896, 257.
153
Sedley (1982), 260.
154
Es handelt sich um eine zur .haecceitas' bei Duns Scotus parallele Begriffsbildung, vgl. Sedley (1982), 264.
82
Hatten die Griechen einen Personbegriff
1.2.3.2. Dion und Theon Das Problem diachroner Identität wird von den Stoikern durch ein weiteres Gedankenexperiment bearbeitet. Wie allgemein hinsichtlich der Überlegungen der älteren und mittleren Stoa ist auch in diesem Fall die Überlieferung lückenhaft. Die einschlägige Quelle ist Philon von Alexandria, der offensichtlich nicht viel von den dialektischen Gefechten zwischen den Vertretern der Akademie und der stoischen Lehre hält: Jedenfalls entwickelt Chrysipp [...] in seinen Untersuchungen ,Über Wachsendes (das Argument vom Wachsenden)' folgenden abenteuerlichen Gedanken: Nachdem er die These begründet hat, daß ,an derselben Substanz auf keinen Fall zwei individuelle eigenschaftsmäßige Bestimmtheiten zugleich bestehen können', sagt er: ,Zur Erläuterung stelle man sich zwei Männer vor, von denen der eine im Besitz aller seiner Glieder ist, während dem anderen ein Fuß fehlt; nun soll der unversehrte Dion heißen und der Versehrte Theon, und dann stelle man sich vor, dem Dion werde einer seiner beiden Füße amputiert.' Wenn nun gefragt wird, wer von beiden hier zugrunde gerichtet wurde, so sei es angemessener, ,Theon' zu sagen. Diese Auskunft stammt jedoch eher von jemandem, der paradox redet, als von jemandem, der die Wahrheit sagt. [...] Denn wieso wurde der hinweggerafft, der an keinem Glied verstümmelt wurde, nämlich Theon, und wieso wurde nicht Dion zugrunde gerichtet, obwohl er den Fuß abgehauen bekam? .Notwendigerweise [ist das so]', erklärt Chrysipp; ,denn Dion ging, als er seinen Fuß amputiert bekam, auf die unvollständige Substanz von Theon über; und an demselben Zugrundeliegenden kann es nicht zwei eigenschaftsmäßige Bestimmtheiten geben. Notwendigerweise bleibt daher Dion erhalten und muß Theon zugrunde gerichtet worden sein.' 155
Aus Philons Text geht die Versuchsanordnung nicht klar hervor. Deutlich wird, daß die Konzepte qualitativer Identität und numerischer Identität sowie bestimmte Vorstellungen über das Verhältnis von Substanz und Eigenschaften relevant sind.156 Das ,puzzle' handelt von zwei Menschen, Dion und Theon. Beide stimmen bis auf eine Eigenschaft vollkommen miteinander überein. Dion verändert sich in bezug auf diese ihn von Theon unterscheidende Eigenschaft. Beide sind nun im Hinblick auf alle qualitativen Eigenschaften identisch. Weshalb aber sollte man im Hinblick auf eine Veränderung, die das einzige Unterscheidungsmerkmal zweier Entitäten zum Verschwinden bringt, sagen, sie mache aus zwei Dingen ein Ding?
155
Philo, De aetern. mundi; § 48f., Vol. VI, 87f.; vgl. FDS III, 845, 1050-1051.
156
Eine die Überlieferungslücken überbrückende Rekonstruktion des Gedankengangs wird bei Sedley (1982) gegeben; vgl. auch A.A Long, D.N. Sedley, The Hellenistic Philosophers; I-II, Cambridge, Cambridge University Press, 1987; hier: I, 166-176 und II, 169-178.
Personen in der antiken Philosophie
83
Eine erste mögliche Antwort besteht darin zu sagen, daß Fälle vo:i ununterscheidbaren Entitäten prinzipiell als Fälle des Vorkommens einer identischen Entität aufgefaßt werden müssen. Unglücklicherweise ist die Darstellung des ,puzzles' bei Philon und in den anderen Quellen nicht deutlich. Denn es scheint unklar, weshalb die Raumposition von Dion und Theon nicht als eine beide Entitäten unterscheidendes Merkmal in Anschlag gebracht werden kann. Nimmt man an, daß Dion und Theon jeweils Körper haben und daß diese Körper undurchdringlich sind, so sind sie sowohl vor als auch nach der Amputation Dions unterschieden und als zwei Entitäten zu zählen. Der Witz der ganzen Veranstaltung scheint also darin zu liegen, daß die spezifischen Raumpositionen nicht als Positionen zweier selbständiger Körperdinge zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufzufassen sind. Aber wie denn sonst? Eine die unvollständige Tradierung ergänzende Interpretation des DionTheon-Paradoxons hat M.B. Burke vorgeschlagen.157 Er interpretiert die Ausdrücke ,Dion' und ,Theon' nicht als Eigennamen von gleichermaßen selbständigen Individuen. Vielmehr situiert er die Überlegungen des p u z zles' in einem mereologischen und sortenlogischen Kontext: ,Dion' ist der Name einer Person, die alle Gliedmaßen besitzt. Ein Teil von Dion, nämlich sein gesamter Körper mit Ausnahme des linken Fusses, wird durch den Ausdruck ,Theon' bezeichnet. ,Dion' bezeichnet den Körper einer Person. ,Theon' bezieht sich auf einen Teil des Körpers von Dion. Wesentlich für Burkes Lösung, die an die bereits behandelten Aristotelischen Konzeptionen anschließt, ist die Auffassung des Personbegriffs als eines maximalen Sortais: Personen bestehen aus Teilen, welche selbst nicht Personen sind. Die durch Sortenzugehörigkeit bestimmte Identität ist für einen Gegenstand essentiell: Personen sind wesentlich Personen. Dieser sortenlogische Ansatz unterscheidet Dion von Theon. Theon ist Teil einer Person und selbst keine Person. Wenn er sich so verändert, daß er selbst die einzige Eigenschaft verliert, durch die er sich von Dion unterscheidet (fehlender linker Fuß), dann hört er auf, als Teil einer Person zu existieren. Wenn die Artzugehörigkeit die Identität eines Dings bestimmt, dann führt die Amputation Dions tatsächlich dazu, daß Theon aufhört zu existieren. Liest man das ,puzzle' mit Burke als eine Etüde in Aristotelischem Sortal-Essentialismus, dann ist auch die eingangs erwähnte Frage, inwiefern Dion und The-
157
M.B. Burke, Dion and Theon - An Essentialist Solution to an Ancient Puzzle; JP 91 (1994), 129-139.
84
Hatten die G r i e c h e n e i n e n Personbegriff?
on sich am selben Ort befinden können, unproblematisch: Teile eines Organismus sind innerhalb des Körpers zu lokalisieren, zu dem sie gehören.
I.2.3.3. Referenz und Eigenschaftsaussage Im 24. Kapitel der .Sophistischen Widerlegungen' erwähnt Aristoteles ein Sophisma, das unter dem Namen ,Der Verhüllte' bekannt ist.158 Die Eigenart dieses Paralogismus besteht darin, daß jemand auf eine Reihe von Fragen entweder mit Ja' oder ,Nein' antworten muß. Der Fragende wählt die Fragen so aus, daß der Antwortende schließlich gezwungen ist, eine widersprüchliche Aussage zu bejahen. Aristoteles behandelt den Paralogismus des .Verhüllten' als einen Schluß, der die Unterscheidung zwischen akzidentellen und substantiellen Eigenschaften vernachlässigt. Verhülltsein ist lediglich eine akzidentelle Eigenschaft des Koriskos. Man kann Koriskos nach Aristoteles sehr wohl kennen, ohne Koriskos zu erkennen, wenn er verhüllt, z.B. unter einem Tuch versteckt ist. Um eine widersprüchliche Behauptung würde es sich im Fall des ,Ich kenne den Koriskos' nur dann handeln, wenn jemand Koriskos zwar in einer Situation aufgrund einer substantiellen Eigenschaft identifiziert, aber in einer anderen Situation aufgrund der Unkenntnis einer anderen substantiellen Eigenschaft unfähig ist, den Koriskos zu erkennen. Die Unterscheidung von substantiellen und akzidentellen Eigenschaften ist für Aristoteles fundamental. Das Sophisma kann widerlegt werden, wenn man zeigt, daß die beiden Zuschreibungen nicht gleichermaßen substantielle Eigenschaften betreffen. Die Identifikation von Einzeldingen läuft nach Aristoteles über die substantiellen Eigenschaften, die Kenntnis aller akzidentellen Eigenschaften ist nicht erforderlich. Eine alternative Auflösung des Paralogismus wird von Aristoteles ebenfalls erwähnt. Man kann sagen: der Befragte kennt zwar den Koriskos in einer bestimmten Hinsicht, in einer anderen Hinsicht (als Verhüllten) kennt er ihn aber nicht. Der Widerspruch ,x kennt Koriskos und er kennt Koriskos nicht' wäre damit aus der Welt geschafft. Diese Option lehnt Aristoteles allerdings ab, weil sie zwar im Fall des .Verhüllten' überzeugt, bei anderen Paralogismen aber versagt. Immerhin ist bemerkenswert, daß Aristoteles
158
Diogenes Laertius nennt als Erfinder dieses und anderer bekannter Fragespiele den Milesier Eubulides (II, 108), er erwähnt auch, daß manche seinen Schüler Apollonios als Autor des .Verhüllten' bezeichnen (II, 111); vgl. Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen; trad. Ο. Apelt, Hamburg, Meiner, 1967.
Personen in der antiken Philosophie
85
mit der Aspekthaftigkeit der Gegenstände einen Punkt streift, der in der Fregeschen Unterscheidung von Sinn und Bedeutung zentral wird. Die Bedeutung eines Eigennamens, den Referenten, zu kennen impliziert demnach nicht, alle Arten des Gegebenseins des Gegenstands zu überblicken. Ein späterer Text, der vermutlich fälschlich dem Aristoteles-Kommentator Alexander von Aphrodisias zugeschrieben wird, teilt eine andere Version des ,Verhüllten* ausführlich mit: Die Sophisten verhüllten den Musiker Koriskos mit einem Linnen oder mit etwas anderem und fragten dann: ,Ist dir bekannt, daß Koriskos Musiker ist?' Ja.' ,Was nun: Ist dir bekannt, wer der Verhüllte ist?' ,Nein.' Anschließend entfernten sie die Verhüllung und fuhren dann fort: ,Was nun: Ist dir bekannt, wer dieser ist?' Ja.' ,Also ist dir dieser bekannt, und daß er Musiker ist. Nun aber ist dir das auch nicht bekannt; denn von wem du, als er verhüllt war, nicht wußtest, wer er war, von dem wußtest du auch nicht, ob er Musiker war. Also ist dir derselbe sowohl als Musiker als auch nicht als Musiker oder als Musiker und als Nichtmusiker bekannt, so daß du ihm eben die Bezeichnung, die du ihm abgesprochen hast, zugesprochen hast, nämlich die Bezeichnung >Musiker(A = C)'. Es besteht also ein Widerspruch zwischen der Transitivität der Identitätsbeziehung und der Intransitivität der Erinnerung nach Locke. 370 Dieses Argument gegen Locke läßt durchaus Revisionen an der ursprünglichen Konzeption zu. Die Lockesche Erinnerungsbeziehung kann neu definiert werden, wozu bereits Leibniz' kritische Ausführungen Anlaß gegeben hatten. Die starke These Lockes PIdE, wurde durch die abgeschwächten Varianten PIdB oder PIdE2 ersetzt.371 Demnach ist nicht die lückenlose Erfassung der gesamten Vergangenheit verlangt, über die eine Biographie sich erstreckt. Vielmehr ist hinreichend, daß jeweils Verbindungen zwischen den einzelnen Momenten im Bewußtsein der Person bestanden haben. Reids Argument stimmt mit Leibniz' Überlegungen überein. Jede Theorie der Identität von Personen, die an Locke anknüpft, wird diesem Einwand Rechnung tragen müssen. Da Menschen nicht über ein unbegrenztes Gedächtnis verfügen und da der Personbegriff ein solches Gedächtnis nicht voraussetzt, ist es verfehlt, personale Identität
369
Reid, in: Perry (1975); hier: ll4f.
370
Neben dem bereits behandelten Einwand von Leibniz hat G. Berkeley in seinem philosophischen Gespräch ,Alciphron or the Minute Philosopher' (1732) eine gleichartige Kritik formuliert; vgl. G. Berkeley, Alciphron or The Minute Philosopher; in: A.A. Luce, T.E. Jessop (eds.), The Works of George Berkeley; III, London, Nelson, 1964, 299. Berkeleys Erörterungen berücksichtigen ausdrücklich den älteren trinitätstheologischen Personbegriff.
371
Vgl oben III.2.2.; Lowe (1995), 113, weist darauf hin, daß eine solche Revision zwar die Erinnerungstheorie Lockes als vereinbar mit den formalen Eigenschaften der Identitätsrelation erscheinen läßt. Dieser Fortschritt wird aber mit einem Verstoß gegen eine für Locke wichtige Vorstellung erkauft: der ethische Aspekt seines Personbegriffs betont die Bedeutung tatsächlicher Erinnerung an vergangene Handlungen für die Selbstzuschreibung der fraglichen Handlungen. In diesem Fall ist die Verbindung durch überlappende Erinnerungen nicht hinreichend.
Butler, Reid und Hume über die Identität der Person
183
davon abhängig zu machen, ob die Person ihre gesamte Vergangenheit in der Erinnerung vergegenwärtigt.372 Um die Bedeutung von Erinnerungsprozessen richtig einzuschätzen, ist es sinnvoll, eine extreme Abschwächung von PIdE, zu erwägen. Das Postulat der totalen Erinnerung (PIdEj) könnte durch die wesentlich schwächere Forderung der bloßen Möglichkeit von Erinnerung ersetzt werden: Personale Identität durch Erinnerungsfähigkeit (PIdEj: I ist zum Zeitpunkt t n diesselbe Person wie zum Zeitpunkt t,, wenn gilt: Itn ist prinzipiell in der Lage, sich an I zu erinnern.
Diese Fassung ist in problematischer Weise unscharf. In der Regel wird die Rede von der Identität einer Person so verstanden, daß es prinzipiell eine eindeutige Antwort auf die folgende Frage geben muß: ,Ist diese Person heute dieselbe Person wie jene Person gestern?'. Wenn die prinzipielle Erinnerungsfähigkeit der Person von heute zum Kriterium der Beantwortung gemacht wird, dann hat man faktisch überhaupt kein Entscheidungskriterium zur Hand. Denn es ist nicht klar, wie die grundsätzliche Fähigkeit sich zu erinnern in einem konkreten Fall eine Entscheidung darüber ermöglicht, ob eine bestimmte Person heute identisch oder nicht identisch ist mit einer Person gestern.
III.3.3. Hume im Labyrinth personaler Identität Der letzte Autor des 18. Jahrhunderts, dessen Überlegungen zur Identität der Person hier untersucht werden, ist David Hume. Er behandelt das Problem der Identität von Personen in einem gesonderten Abschnitt seines .Treatise on Human Nature' (1739/40). 373 Hume arbeitet den Begriff der Person nicht im einzelnen aus, sondern bezieht sich in sehr allgemeiner
372
Für die Darstellung eines e x t r e m e n Falls fast g r e n z e n l o s e r Gedächtnisleistungen eines Menschen vgl. den Bericht des Neurologen A R. Luria, T h e Mind o f a Mnemonist; Cambridge, Harvard University Press, 1 9 8 7 ; vgl. J.L. B o r g e s , Funes el m e m o r i o s o ; in: ders., Obras completas I; B u e n o s Aires, E m e c e , 1974, 4 8 5 - 4 9 0 ( d e u t s c h e Übersetzung: Das unerbittliche Gedächtnis; in: ders., Blaue Tiger und a n d e r e Geschichten; ed. G. Haefs, München, Hanser, 1988, 9 3 - 1 0 2 ) . Beide Darstellungen zeigen, d a ß der Ausfall v o n üblichen Selektions- u n d Relevanzprinzipien im Hinblick auf die .Speicherung' v o n Gedächtnisinhalten Folgen hat, die eine A n w e n d u n g des Personbegriffs problematisch m a c h e n .
373
D. Hume, A Treatise o f H u m a n Nature; ed. L.A. Selby-Bigge, Oxford, Clarendon, 1 8 9 6 u . ö . (im folgenden abgekürzt als ,ΤΗΝ'). H u m e s Ausführungen zur Identität der P e r s o n w e r den u.a. diskutiert von: L. Ashley, Μ. Stack, H u m e ' s T h e o r y of t h e Self and its Identity; Dialogue 13 ( 1 9 7 4 ) , 2 3 9 - 2 5 4 ; J . Bennett, Locke - B e r k e l e y - Hume: Central T h e m e s ; O x ford, Clarendon, 1971, 3 3 3 - 3 5 3 ; J. Biro, H u m e on Self-Identity and M e m o r y ; RM 3 0 ( 1 9 7 6 ) ,
184
L o c k e und seine Kritiker
Weise auf mentale Zustände sowie Entitäten, die durch solche Zustände ausgezeichnet sind. Die mentalen Zustände werden durch das Auftreten von Perzeptionen bestimmt: .perceptions' (Bewußtseinsinhalte) sind im wesentlichen als ,impressions' (Eindrücke) und ,ideas' (Vorstellungen) gegeben. Die ,impressions' können entweder als Sinneseindrücke von außen kommen oder auch als innere Wahrnehmung aus dem Subjekt selbst stammen. Die ,ideas' sind Abbilder von Eindrücken oder Kombinationen von solchen Abbildern. Alle Vorstellungen sind damit zumindest indirekt aus der äußeren oder inneren Erfahrung abgeleitet. Um den Abstand seiner Überlegungen zum Problem der Identität von Personen gegenüber Locke deutlich zu machen, ist es angebracht, Humes Überlegungen nicht so sehr als Untersuchungen der personalen Identität, sondern als epistemologische Analyse der mentalen Identität zu begreifen. Die für Locke entscheidenden Fragen bezüglich der ethischen und moralischen Dimension des Personbegriffs werden im ersten Buch des ΤΗΝ überhaupt nicht berührt. Hume diskutiert die Probleme in erkenntnistheoretischer, nicht in psychologischer oder ethischer Perspektive.374 Während er den Personbegriff nicht eigens problematisiert, kommentiert Hume den Identitätsbegriff, wobei er auf vorausgegangene Ausführungen zurückgreift.375 Identität wird als ein epistemologischer Begriff vorgestellt. Mit dem Hinweis darauf, daß der Satz Jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch' nichtssagend sei, läßt Hume die logische Dimension des Identitätsbegriffs außen vor. Er fragt zunächst, wodurch ein Betrachter die Vorstellung der Identität eines Gegenstands gewinnt. Ein einzelner und
19-38; ders., Hume's Difficulties with the Self; Hume Studies 5 (1979), 45-54; D. Garrett, Hume's Self-Doubts About Personal Identity; PR 90 (1981), 337-358; H. Noonan, Hume; in: Noonan (1989), 77-103; D. Pears, Hume's Account of Personal Identity, in: ders., Questions in.the Philosophy of Mind; London, Duckworth, 1975, 208-223; ders., Hume's System - An Examination of the First Book of his .Treatise'; Oxford, Oxford University Press, 1990, 120-151; T. Penelhum, Butler and Hume; Hume Studies 14 (1988), 251-276; ders., Hume on Personal Identity; PR 64 (1955), 571-589; ders., Hume's Theory of the Self Revisited; Dialogue 14 (1975), 389-409; ders., Hume's Moral Psychology; in: Norton (1993), 117-147; N. Pike, Hume's Bundle Theory of the Self - A Limited Defense; American Philosophical Quarterly 4 (1976), 159-165; B. Stroud, The Idea of Personal Identity; in: ders., Hume; London, Routledge, 1977, 118-140; S. Wolfram, Hume on Personal Identity; Mind 83 (1974), 586-593. 374
Hume (1896), 253. Die Identität der Person, insofern ihre Affekte (,passions') und die Sorge um sich selbst in Frage stehen, wird hier ausdrücklich ausgeklammert. Hume behandelt im ersten Buch ausschließlich die das Denken und die Einbildungskraft betreffende Identität.
375
Vgl. den Abschnitt ,Of scepticism with regard to the senses', ΤΗΝ 1,4,2; Hume (1896), 199218.
Butler, Reid und H u m e über die Identität der Person
185
isolierter Gegenstand vermittelt nach seiner Auffassung lediglich eine Vorstellung der Einheit (.unity'), nicht der Identität. In Humes Sichtweise läßt sich die Rede von der Identität eines Gegenstands im strengen Sinn nur in temporaler oder diachroner Perspektive plausibel machen: Das Identitätsprinzip besteht in nichts anderem als: [T]he invariableness and uninterruptedness of any object, thro' a s u p p o s ' d variation of time, b y w h i c h the mind can trace it in different periods of its existence, without any break of v i e w , and without being oblig'd to form the idea of multiplicity or number. 3 7 6
Im strengen Sinn sind also nur solche Objekte identisch, die über eine bestimmte Zeit hinweg keinerlei Veränderungen durchmachen. Identitätsaussagen hätten nicht die Form ,A = A' oder ,A = B'. Sie wären nur als Feststellungen diachroner Identität möglich: ,Atl = Α β ', wobei der mit ,A' bezeichnete Gegenstand selbst keine Veränderung aufweist. Der Identitätsbegriff, den Locke im Hinblick auf Organismen gebraucht, oder das in der Alltagssprache gebrauchte Konzept der Selbigkeit, das auf einer groben Unterscheidung wesentlicher und unwesentlicher Eigenschaften basiert, können von Hume also nicht als Identitätsbegriffe akzeptiert werden, weil hier Veränderungen von Gegenständen toleriert werden. Humes enger Identitätsbegriff ist unbefriedigend, weil er zentrale Weisen der Rede über Gegenstände als trotz bestimmter Veränderungen identischer Gegenstände ausschließt. Die terminologische Entscheidung, Identität prinzipiell nur in diachroner Perspektive zu gebrauchen, ist zumindest deshalb fragwürdig, weil damit die Rede von der Identität zeitunabhängiger oder instantaner Entitäten beispielsweise mathematischer Gegenstände nicht als sinnvoll erscheint. Für eine Auflösung der Schwierigkeiten durch den Hinweis, daß Humes ,unity' synonym mit atemporaler, instantaner oder synchroner Identität und identity' synonym mit transtemporaler oder diachroner Identität sei, bietet der Text des ΤΗΝ selbst keinen Anhaltspunkt. Humes Auffassung entsprechend kann einem gegebenen Gegenstand (A) oder der entsprechenden Gegenstandsvorstellung (PzA) Einheit zugeschrieben werden, während die ununterbrochene und unveränderte Existenz des Gegenstands (A) oder die entsprechende Vorstellung (PzA) während einer bestimmten Dauer (A,ti - Α u,/Pz.Ali, - ΡζA ΛtZ,) als Identität zu bezeichnen ist.
376
Hume (1896), 201.
186
Locke und seine Kritiker
Unterbrochenen Wahrnehmungen (PzAtl - PzBt2 - PzAt3) wird nach Hume oftmals Identität zugeschrieben, wenn sie unverändert zu sein scheinen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um Identität im strengen Sinn. Wie Butler und Reid, die beide zwischen einem strengen und einem lockeren oder populären Konzept der Identität unterscheiden, spricht Hume von ,perfect' und .imperfect identity'.377 Die Tendenz, unverändert erscheinende oder ähnliche Vorstellungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten für identisch zu halten, ist durch den Umstand begründet, daß die Einbildungskraft sehr leicht und ohne Mühe dazu in der Lage ist, Verbindungen oder Assoziationen zwischen ähnlichen Vorstellungen herzustellen. Der skizzierte Identitätsbegriff zeitigt bei der Analyse der personalen oder mentalen Identität weitreichende und problematische Resultate. Zunächst formuliert Hume einen bekannten Befund, der sich sowohl gegen eine Substanztheorie des (menschlichen) Geistes als auch gegen die Vorstellung einer Beobachtbarkeit des Ich oder Selbst richtet: For my part, when I enter most intimately into what I call myself, I always stumble on some particular perception or other, of heat or cold, light or shade, love or hatred, pain or pleasure. I never can catch myself at any time without a perception, and never can observe any thing but the perception. When my perceptions are remov'd for any time, as by sound sleep; so long am I insensible of myself, and may truly be said not to exist. And were all my perceptions remov'd by death, and cou'd I neither think, nor feel, nor see, nor love, nor hate after the dissolution of my body, I shou'd be entirely annihilated, nor do I conceive what is farther requisite to make me a perfect non-entity. If any one upon serious and unprejudic'd reflexion, thinks he has a different notion of himself, I must confess I can reason no longer with him. All I can allow him is, that he may be in the right as well as I, and that w e are essentially different in this particular. He may, perhaps, perceive something simple and continu'd, which he calls himself, tho' I am certain there is no such principle in me. 378
Vor dem Hintergrund der allgemeinen Überlegungen zum Identitätsbegriff scheint diese Feststellung einleuchtend. Wenn Identität in der ununterbrochenen Unveränderlichkeit eines Gegenstands oder der Gegenstandsvorstellung besteht, so muß die Identität einer Person, eines Ich oder eines Selbst in der unveränderten und ununterbrochenen Existenz der jeweiligen Entität oder ihrer Vorstellung bestehen. Nach Humes Befund läßt sich aber kein solcher Gegenstand oder die entsprechende Vorstellung auffinden. Seine Schlußfolgerung lautet:
377
Vgl. Hume (1896), 203 und 256.
378
Hume (1896), 252.
Butler, Reid und Hume über die Identität der Person
187
I may venture to affirm of [...] mankind, that they are nothing but a bundle or collection of different peceptions, which succeed each other with an inconceivable rapidity, and are in a perpetual flux and movement. [T]here [is not] any single power of the soul, which remains unalterably the same, perhaps for one moment. The mind is a kind of theatre, where several perceptions successively make their appearance; pass, re-pass, glide away, and mingle in an infinite variety of postures and situations. There is properly no simplicity in it at one time, nor identity in different; whatever natural propension we may have to imagine that simplicity and identity.379
Der menschliche Geist ist ein Bündel von Perzeptionen. Dieses Bündel ist vielgestaltig und weist kein konstantes Element auf. Wie auf dem Theater herrscht ein reges Kommen und Gehen unterschiedlicher Gestalten. Hume gebraucht das Motiv des Theaters, das bereits zu Beginn der lateinischen Wortgeschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Dabei werden aber nicht die interpersonalen Beziehungen mit Hilfe der Theatermetapher präsentiert. Vielmehr bezieht er sich auf die mentalen Prozesse innerhalb einer Person und vergleicht diese mit dem Bühnengeschehen. Während die ältere Version der Theatermetapher (,persona' als Maske oder soziale Rolle) die Unterscheidung zwischen Maske und Gesicht oder zwischen Rolle und Träger der Rolle impliziert, besteht in Humes Modell keine Möglichkeit einer solchen Unterscheidung. Hume selbst weist auf die Grenzen der metaphorischen Veranschaulichung hin. Es gibt für ihn keine Möglichkeit, unabhängig von den auftretenden Perzeptionen einen Schauplatz zu kennzeichnen.380 Mentale Zustände bestehen aus einer Vielzahl von Perzeptionen unterschiedlicher Deutlichkeit und Lebhaftigkeit. Diese verändern sich mit großer Geschwindigkeit und bilden unterschiedliche Konfigurationen. Dabei stellt sich die Frage, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt einzelne Perzeptionen identifiziert werden. Wodurch sind sie als isolierte und gegen andere Entitäten abgegrenzte Einheiten erkennbar? Insbesondere jüngere Konzeptionen eines Bewußtseinsstroms, der nicht eigentlich aus diskreten Elementen besteht, sondern einen mehr oder weniger klar gegliederten Zusammenhang bildet, lassen die Aufgabe der Identifizierung von Einzelelementen als ein Problem erscheinen. Gerade die Unterscheidung und Abgrenzung undeutlicher Perzeptionen durch bloße Introspektion oder De-
H u m e (1896), 252f. 380
H u m e (1896), 253: „ T h e c o m p a r i s o n of the theatre must not m i s l e a d us. They are the s u c c e s s i v e perceptions only, that constitute the mind; nor h a v e w e the most distant notion of the place, where these s c e n e s are represented, or of the materials, of which it is compos'd"
188
Locke und seine Kritiker
skription stellt ein aussichtsloses Unterfangen dar. In Leibniz' Modell ist eine entsprechende Unterscheidung zwar nicht immer vom Standpunkt desjenigen Individuums aus möglich, das die entsprechenden Vorstellungen hat, aber sie kann prinzipiell durch einen unbegrenzten Verstand durchgeführt werden. Diese Möglichkeit entfällt bei Hume im Rahmen einer allgemeinen empiristischen Orientierung. Hume geht davon aus, daß eine beliebige Perzeption PzA in t1 von anderen Perzeptionen (PzB ... Pzz) unterscheidbar ist. Alle Perzeptionen sind nach seiner Auffassung selbständige und diskrete Entitäten. Die Perzeptionen werden als grundlegende Bausteine der Theorie angesehen. Dabei wird eine systematische Nicht-Unterscheidung von Gegenstand und Perzeption des Gegenstands praktiziert. Dies hat hinsichtlich des Identitätsbegriffs gravierende Folgen. Identität wird als reine Gegebenheit eines einheitlichen Gegenstands der Erfahrung konzipiert. Unterscheidungen zwischen dem Objekt, der Vorstellung des Objekts und erkenntniskonstitutiven Bezeichnungsweisen unterbleiben. Vergleicht man das bisher Gesagte mit Leibniz' Vorstellungen und Lokkes Modell, so fällt auf, daß alle drei Autoren das Bewußtsein oder die Perzeptionen in den Mittelpunkt rücken. Ebenso wie Leibniz und Locke verneint auch Hume die Möglichkeit, unabhängig von Bewußtseinszuständen oder Vorstellungen sinnvoll von einer Person, einem Ich oder Selbst zu sprechen. Die Unterschiede zwischen den drei genannten Autoren sind aber offensichtlich: Leibniz individuiert die Person im Rahmen eines metaphysischen Systems durch die Totalität ihrer Perzeptionen. Dieser Modellbildung liegt eine immaterialistische Substanzkonzeption zugrunde. Locke läßt die Substanzfrage offen und arbeitet die Bedeutung der bewußten Erinnerung an vergangene Vorstellungen heraus. Hume weist substanztheoretische Überlegungen grundsätzlich zurück und akzentuiert den permanenten Wandel der Vorstellungen und das Fehlen unveränderlicher und ununterbrochener Perzeptionen. Nur solche unveränderlichen Einheiten könnten nach seiner Ansicht dazu berechtigen, von der identischen Person oder demselben Ich zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu sprechen. Statt dessen betont Hume den Umstand, daß sich eine große Mannigfaltigkeit von kognitiven, volitiven und affektiven Vorstellungen im Geist des Menschen ablöst, ohne daß sich unter ihnen eine stabile und gleichbleibende Vorstellung des Ich oder Selbst befände. Immerhin weist ein Bündel von Perzeptionen im Gegensatz zu einer Mannigfaltigkeit frei flottierender Perzeptionen einen gewissen Zusammenhalt auf. Die Teile des Bündels werden irgendwie zusammengehalten. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Perzeptionen durch reale Verbindun-
189
Butler, Reid und Hume über die Identität der Person
gen miteinander verkoppelt sind oder o b die Verbindung der Perzeptionen lediglich in der Vorstellung zustande kommt.381 Diese Frage wird v o n H u m e unter Bezugnahme auf seine Überlegungen zum Kausalitätsbegriff beantwortet. Dieser w a r auf die gewohnheitsmäßige Assoziation v o n Vorstellungen zurückgeführt worden. 382 Mit Bezug auf die Identität der Person stellt H u m e fest, sie sei allein durch die Vorstellung einer lückenlosen Sequenz von Perzeptionen garantiert. Bei Leibniz wird der Zusammenhang der Perzeptionen eines Individuums aufgrund metaphysischer Annahmen durch den Begriff des ums garantiert. Bei Locke w e r d e n die Beziehungen
zwischen
Individu-
Bewußtseins-
zuständen als ausschlaggebend gekennzeichnet, die durch die Erinnerungsprozesse des Individuums selbst konstituiert werden. H u m e kennt drei natürliche Verbindungsformen v o n Perzeptionen: Kausalität, (räumliche oder zeitliche) Kontiguität
und Ähnlichkeit.
Im Fall der das Selbst bildenden
Perzeptionen schließt H u m e Verknüpfungen durch Kontiguität k o m m e n tarlos aus.383 Damit verbleiben Ähnlichkeit und Kausalität als mögliche Verbindungen. Verknüpfungen durch Ähnlichkeit können vielfältiger Natur sein. H u m e hebt eine bestimmte Art der Ähnlichkeit besonders hervor, diejenige, die durch Erinnerung gebildet wird. Erinnerungsvorstellungen (Pz p z A in t3) sind den erinnerten Vorstellungen (Pz A in t,) ähnlich. Weil die Erinnerungen als Generatoren von Perzeptionen fungieren, die vorausgegangenen Perzeptionen ähnlich sind, stellt Erinnerung ein wesentliches Konstitutionsmoment der Identität von Personen in Humes Sinn dar.384
381
Hume (1896), 259: „ T i s evident, that the identity, which we attribute to the human mind, however perfect we may imagine it to be, is not able to run the several different perceptions into one, and make them lose their characters of distinction and difference, which are essential to them. 'Tis still true, that every distinct perception, which enters into the composition of the mind, is a distinct existence, and is different, and distinguishable, and separable from every other perception, either contemporary or successive. But, as, notwithstanding this distinction and separability, we suppose the whole train of perceptions to be united by identity, a question naturally arises concerning this relation of identity; whether it be something that really binds our several perceptions together, or only associates their ideas in the imagination. That is, in other words, whether in pronouncing concerning the identity of a person, we observe some real bond among his perceptions, or only feel one among the ideas we form of them".
382
Hume (1896), 260.
383
Hume (1896), 260: „The only question, therefore, which remains, is, by what relations this uninterrupted progress of our thought is produc'd, when we consider the successive existence of a mind or thinking person. And here 'tis evident we must confine ourselves to resemblance and causation, and must drop contiguity, which has little or no influence in the present case".
384
Hume (1896), 260f.: „[Sluppose we cou'd see clearly into the breast of another, and observe that succession of perceptions, which constitutes his mind or thinking principle,
190
Locke und seine Kritiker
Kausalität wird als wechselseitige Beeinflussung von Perzeptionen beschrieben. 385 Humes Kausalitätsbegriff besagt, daß Ursache und Wirkung aufgrund der vorausgegangenen Erfahrung regelmäßiger Zusammenhänge identifiziert werden. B. Stroud stellt fest, daß unsere Erfahrungen nicht durchgängig die für Humes Kausalitätskonzept geforderte Gleichförmigkeit zeigen. Dies schließt die Verbindung von Perzeptionen durch Kausalität nicht aus. Aber eine kausale Verbindung aller Perzeptionen eines Bündels ist bei der außerordentlichen Vielfältigkeit des mentalen Lebens, von der Hume selbst ausgeht, auszuschließen. 386 Erinnerung und Kausalität hängen insofern miteinander zusammen, als ohne eine Erinnerung an eine vergangene Perzeption die Verbindung der verursachenden mit der verursachten Perzeption überhaupt nicht erkannt werden könnte. Weil die Erinnerung die ,Ununterbrochenheit und [zeitliche] Ausdehnung der Aufeinanderfolge der Perzeptionen in uns' bezeugt, wird sie als ,Quelle der persönlichen Identität' bezeichnet. 387 Aufgrund des Wissens über Kausalverbindungen zwischen Perzeptionen können auch Vermutungen und Hypothesen über mögliche Verbindungen zwischen nur sehr allgemein und unbestimmt spezifizierten Perzeptionen angestellt wer-
and suppose that he always preserves the memory of a considerable part of past perceptions; 'tis evident that nothing cou'd more contribute to the bestowing a relation on this succession amidst all its variations. For what is the memory but a faculty, by which we raise up the images of past perceptions? And as an image necessarily resembles its object, must not the frequent placing of these resembling perceptions in the chain of thought, convey the imagination more easily from one link to another, and make the whole seem like the continuance of one object? In this particular, then, the memory not only discovers the identity, but also contributes to its production, by producing the relation of resemblance among the perceptions". 385
Hume (1896), 261: ,,[W]e may observe, that the true idea of the human mind, is to consider it as a system of different perceptions or different existences, which are link'd together by the relation of cause and effect, and mutually produce, destroy, influence, and modify each other. Our impressions give rise to their correspondent ideas; and these ideas in their turn produce other impressions". Zur Verbindung von Perzeptionen durch Kausalität vgl. Stroud (1977), 126.
386
Stroud (1977), 126f.: „It is not true that we get an experience of a certain sort only when we have just had an experience of a certain other sort, or that experiences of the first sort are always followed by experiences of another sort. Our experience does not exhibit such uniformities. [...] This is not to say that there are no causal connections among our perceptions. Obviously there are [...] The novelty and lack of uniformity that we find in our inner life make it difficult to see how Hume's appeal to resemblance and causality could possibly be enough to explain why we come to have an idea of an individual mind or self that endures through time".
387
Hume (1989), 338.
Butler, Reid und Hume über die Identität der Person
191
den.388 Die Beachtung der Erinnerungsvorstellungen zeigt, daß es sich bei Kausalität und Ähnlichkeit nicht um unabhängige Konzepte handelt.389 Die Betrachtungen über die Erinnerung kommen einer Distanzierung gegenüber Locke gleich. Hume lehnt, wie nicht anders zu erwarten, Lockes starke These über Personale Identität durch Erinnerung (PIdEj) ab.390 Er unterscheidet zwischen Erinnerung als Reproduktion einer vergangenen Perzeption einerseits und Erinnerung als Rückschluß auf vermutete (aber nicht reproduzierte) Perzeptionen als Elementen eines durch kausale Beziehungen verknüpften Bündels von Perzeptionen andererseits. Im Hinblick auf die erste Form der Erinnerung kann man auch von direkter Erinnerung oder Erinnerungserfahrung sprechen. Die zweite Variante betrifft einen allgemeineren Begriff von Erinnerungswissen. Weil die direkte Erinnerung offensichtlich begrenzt ist, betont Hume die Bedeutung von Erinnerungswissen. Dieses wird von Locke aber nicht beachtet. Vergessenes kann Locke in keiner Weise in sein Modell integrieren — ein für Hume nicht akzeptabler Sachverhalt.391 Das Resultat der Überlegungen Humes besagt: der Begriff der Identität einer Person ist — im Gegensatz zum strengen Begriff der Identität eines ununterbrochen existierenden und unveränderlichen Gegenstands — als ein lockerer Identitätsbegriff zu verstehen. Es handelt sich aber nicht nur um einen lockeren Begriff, im Sinn eines Begriffs mit variierenden Anwendungsbedingungen, sondern um einen unscharfen Begriff. Denn es steht kein eindeutiges Kriterium zur Verfügung, um zu entscheiden, wann die Verbindungen zwischen Perzeptionen Identität garantieren und wann dies nicht der Fall ist. Nur eine Fiktion oder ein imaginiertes Einheitsprinzip könnte die Frage nach der Identität der Person zu einer klar entscheidbaren
388
Hume (1896), 262.
389
Darüber hinaus besteht ein von D. Pears angesprochenes Problem darin, daß das Humesche Kausalitätskonzept Kontiguität impliziert; vgl. Pears (1990), 136.
390
Hume (1896), 262: „Who can tell me, for instance, what were his thoughts and actions on the first of January 1715, the 11th of March 1719, and the 3d of August 1733? Or will he affirm, because he has entirely forgot the incidents of these days, that the present self is not the same person with the self of that time; and by that means overturn all the most establish'd notions of personal identity?".
391
Hume (1896), 262: „[...] memory does not so much produce as discover personal identity, by shewing us the relation of cause and effect among our different perceptions. 'Twill be incumbent on those, who affirm that memory produces entirely our personal identity, to give a reason why we can thus extend our identity beyond our memory"
192
Locke und seine Kritiker
Angelegenheit machen. 392 Dieser Befund ist aber nicht das letzte Wort Humes zum Problem der personalen Identität. In einem Anhang übt Hume an der skizzierten Auffassung der Identität von Personen scharfe Kritik: [U]pon a more strict review of the section concerning personal identity, I find myself involv'd in such a labyrinth, that, I must confess, I neither know how to correct my former opinions, nor how to render them consistent.393 Als Grund für diese massive Unzufriedenheit mit den eigenen Ergebnissen wird der Widerstreit zweier Prinzipien angegeben: In short there are two principles, which I cannot render consistent; nor is it in my power to renounce either of them, viz. that all our distinct perceptions are distinct existences, and that the mind neverperceives any real connexion among distinct existences394 Das Eigenartige an dieser Begründung besteht darin, daß die beiden genannten Prinzipien sich nicht widersprechen. Humes Problem muß entweder in einer Inkonsistenz bestehen, die aus der Verbindung der beiden Grundsätze mit mindestens einer weiteren (ungenannten) Annahme herrührt, oder es hat mit einer Unergiebigkeit der beiden Grundsätze für die Beantwortung der gestellten Frage nach der Identität von Personen zu tun.395 Obwohl Humes Formulierung des Problems nicht ganz klar ist, kann man bei genauerer Betrachtung erkennen, daß seine Bündeltheorie der Identität von Personen in der Tat nicht zu halten ist. Um die Schwierigkeiten richtig einzuschätzen, ist es wesentlich, sich daran zu erinnern, daß Hume die substanztheoretische Annahme eines Trägers der Vorstellungen sowohl bezüglich ihrer materialistischen als auch ihrer immaterialistischen Versionen verwirft. Zudem verbietet sich im Rahmen der Bündeltheorie eine Identifizierung der Person durch Rückgriff auf eine Bindung der Perzeptionen an einen bestimmten Körper. Ein solcher, unabhängig von Perzeptionen identifizierbarer Träger scheidet ebenso wie eine immaterielle Substanz bei Hume aus. Nun impliziert aber der Begriff
3,2
Hume (1896), 262: „Identity depends on the relations of ideas; and these relations produce identity, by means of that easy transition they occasion. But as the relations, and the easiness of the transition may diminish by insensible degrees, we have no just standard, by which we can decide any dispute concerning the time, when they acquire or lose a title to the name of identity. All the disputes concerning the identity of connected objects are merely verbal, except so far as the relation of parts gives rise to some fiction or imaginary principle of union [...]".
393
Hume (1896), 633.
394
Hume (1896), 636.
395
Vgl. hierzu Stroud (1977), 128ff. und Pears (1990), 146-151.
Butler, Reid und Hume über die Identität der Person
193
der Person die Möglichkeit der Unterscheidung verschiedener Personen. Die entscheidenden Fragen lauten: Auf welche Weise trägt Humes Ansatz einer solchen Unterscheidung Rechnung? Wie kann er zwei Personen unterscheiden, wenn es keine Möglichkeit gibt, unabhängig von Perzeptionen auf Körper zu verweisen? Falls eine Vielzahl simultaner und sukzessiver Perzeptionen gegeben ist, stellen sich die beiden folgenden Alternativen: Entweder handelt es sich insgesamt um ein einziges Bündel von Perzeptionen ( B l ) , welches eine Person bildet ( B l = PI), oder die Perzeptionen sind zu mehreren unterschiedlichen Bündeln vereinigt und konstituieren folglich mehrere Personen (Bl = PI, B2 = P2 ... Bn = Pn). Hume sieht vor, Ähnlichkeits- und Kausalitätsbeziehungen als Verbindungen zwischen den eine Person konstituierenden Perzeptionen zuzulassen. Aber dieser Vorschlag bringt die folgenden Schwierigkeiten mit sich. Angenommen, es sind zwei Wahrnehmungen von geringfügig unterschiedenen Farben gegeben. Die beiden Perzeptionen PZj und Pz2 werden durch Ähnlichkeit (abgekürzt: , s ' ) miteinander verbunden (Bündel B l ) : B l : PZj
s
Pz 2
Zusätzlich sind zwei weitere Perzeptionen vorhanden, auch in diesem Fall handelt es sich um Farbwahrnehmungen. Sie sind einander ebenfalls ähnlich: B 2 : P z ,3
s
Pz, 4
Die Beschreibung der Lage aufgrund der Ähnlichkeitsbeziehungen allein läßt die Frage offen, ob die beiden Bündel ( B l , B2) jeweils eine Person konstituieren oder ob sie Teile eines größeren Bündels sind und somit zu einer einzigen Person gehören. Aufgrund von Ähnlichkeiten allein kann Hume diese Frage nicht beantworten. Er kann also zwischen Vorstellungsbündeln oder Personen nicht konsistent unterscheiden. Damit bleibt die Verbindung durch Kausalität als einzige Möglichkeit zur Fundierung einer solchen Unterscheidung. Angenommen, es liegt eine dreimalige Sequenz eines Paars von Perzeptionen vor: dem Affekt der Enttäuschung folgt jeweils ein Zustand von Wut. Aufgrund der Regelmäßigkeit der Konstellation kann man mit Hume sagen, daß in diesem Fall Wut durch Enttäuschung verursacht wird: B 3 : [PZE, P z w ] . . . [PzE, P z J ... [PZE, P z J
Nichts schließt den Fall aus, daß solche regelmäßigen Verknüpfungen sowohl innerhalb als auch zwischen unterschiedlichen Bündeln oder Personen auftreten:
194
Locke u n d seine Kritiker B 3 / P 3 : [ P z E ] . . . [ P z E ] . . . [PzE] B 4 / P 4 : ...[Pzw]...tPzw]...[Pzw]
Immer wenn Person P3 enttäuscht ist, wird Person P4 wütend: P4 erträgt nicht die Art des Enttäuschtseins von P3. Das Problem für Humes Ansatz besteht darin, daß eine Unterscheidung zwischen dem ersten Fall, in dem die Kausalkette innerhalb einer Person verläuft, und dem zweiten Fall, in dem die kausale Verbindung zwischen zwei Personen besteht, nicht durchgeführt werden kann. Damit ist aber ebenso wie im Fall der Ähnlichkeitsbeziehungen keine Möglichkeit in Sicht, wie auf der Basis des Grundbegriffs der Perzeption und der Verbindung durch Ähnlichkeit und Kausalität in allen Fällen zuverlässig zwischen unterschiedlichen Personen unterschieden werden kann; schlimmer noch, ob überhaupt das Konzept einer Mehrzahl von Personen auf der Grundlage dieser Theorie gebildet werden kann. Nur wenn sämtliche Perzeptionen, die überhaupt auftreten, Perzeptionen eines einzigen Subjekts sind, würde Humes Theorie nicht in Schwierigkeiten geraten. Die aufgezeigten Probleme machen eine fatale Diskrepanz zwischen Humes Modell und dem allgemeinen Personbegriff deutlich: Ohne seine grundlegenden Annahmen über den Vorstellungsbegriff zu revidieren, besteht für Hume in der Tat keine Möglichkeit, zu einer befriedigenden Lösung des Problems der Identität von Personen zu gelangen. Die grundlegende Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Personen kann mit den Begriffen seines Modells nicht durchgeführt werden.396 Es spricht für ein hohes Maß an intellektueller Redlichkeit, daß Hume selbst dieses Scheitern seiner Denkbemühungen offen eingesteht: ,1 must confess, I neither know how to correct my former opinions, nor how to render them consistent'.397 In den späteren Schriften kommt er auf dieses Problem nicht mehr zurück.
III.4. Zusammenfassung Eine eingehende Untersuchung zeichnet ein vielschichtiges und raschen Schematisierungen widerstrebendes Bild der häufig als Gründungsdokument der neuzeitlichen Philosophie der Person angesehenen Konzeption Lockes. Das ethische Problem der Zurechenbarkeit von Handlungen und 396
Vgl. auch Noonan (1989), 102: ,,[...] his account is radically defective in so far as it rests on the mistaken views that identity is incompatible with change and that perceptions are ontologically independent entities".
3,7
Hume (1896), 633.
Zusammenfassung
195
Handlungsfolgen wird von Locke in einer Weise behandelt, die eine grundsätzliche Anschließbarkeit an theologische Erörterungen gewährleistet. Für heutige Leser besteht die Attraktivität Lockes aber zweifellos darin, daß seine Konzeption auch unabhängig von theologischen Thesen lesbar ist und einen Begriff in den Mittelpunkt rückt, dem in der Folgezeit eine schwer überbietbare Stellung eingeräumt wird, gemeint ist der Begriff des Selbstbewußtseins. Das Selbstbewußtsein bildet in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Begriff der Zurechnung das Gravitationszentrum der Lockeschen Personalitätskonzeption. Als Spezifikum der Person wird Selbstbewußtsein in der temporalen Dimension einerseits in Form der Erinnerung an eigene Erfahrungen entfaltet, andererseits als Planen und Sorge um die eigene Zukunft bestimmt. Die diachrone, in der Erinnerung realisierte Form des Selbstbewußtseins steht in direkter Verbindung mit dem Bereich des Handelns: Kognition, Aktion und Reflexion sind miteinander verknüpfte Konzepte, die die Grundstruktur der Person bei Locke kennzeichnen und das Fundament für die Zurechnung von Handlungen und Handlungsfolgen darstellen. Die Behauptung, daß Erinnerung als Kriterium der Identität bei Personen gelten muß, trifft bis auf den heutigen Tag sowohl auf Zustimmung als auch auf entschiedene Kritik. Um die These richtig zu verstehen, bedurfte es einer sorgsamen Rekonstruktion ihres Kontexts. Besondere Beachtung verdient dabei die Tatsache, daß Locke keine Metaphysik der Person betreiben will. Er bemüht sich darum, ein erfahrungsbezogenes Konzept der personalen Identität zu formulieren. In Absetzung von traditionellen Vorstellungen legt er sich daher auch nicht auf eine bestimmte Substanztheorie fest, sondern suspendiert die seit der Cartesischen Bestimmung der Denktätigkeit virulente Problematik des Substanzdualismus. Bedenkenswerte Einwände und Kommentare zu Locke wurden von Leibniz, Butler, Reid und Hume formuliert. Der Begriff der Erinnerung und die These, derzufolge Erinnerung das Kriterium personaler Identität ist, bilden die Hauptbezugspunkte dieser kritischen Stellungnahmen. Auch an diesem Punkt ergab sich ein vorschnellen Verdikten widersprechender Befund. Einerseits wurde deutlich, daß Lockes Erinnerungsbegriff rudimentär und unzureichend entfaltet ist. Insbesondere die Überlegungen von Leibniz, aber auch die Kritiken von Butler und Reid arbeiten Schwachstellen in Lockes eher skizzenartigen Äußerungen über Erinnerung heraus und ermöglichen eine differenzierte Darstellung unterschiedlicher Formen der Erinnerung. Allerdings wurde ebenfalls deutlich, daß aus der unzureichenden Explikation des Erinnerungsbegriffs bei Locke entgegen der Intention Butlers und Reids nicht auf die generelle Untauglichkeit einer These ge-
196
Locke und seine Kritiker
schlossen werden kann, die Erinnerungszustände und Erinnerungsaussagen als Kriterien der Identität von Personen geltend macht. Ein wesentlicher Aspekt der Lockes Ausführungen zugrundeliegenden Definition der Person besteht darin, daß die Identitätskonzeption der Individuierungsfrage nicht nachgeordnet ist. Bei Locke sind die Fragen .Welche Entitäten gelten als Personen?' und , Unter welchen Bedingungen liegt diachrone Identität einer bestimmten Person vor?' nicht strikt zu trennen. Das Bewußtsein der diachronen Identität wird von Locke als Konstitutionsmoment von Personalität angesetzt. Man kann also die Individuierung als allgemeinere Konzeption von der Identitätsproblematik als speziellerem Problem nicht abheben, ohne den Boden der Lockeschen Konzeption zu verlassen. Humes Beitrag zur Bearbeitung des Problembestands bezieht sich auf den seit Locke für den Personbegriff als grundlegend anerkannten Begriff des Selbstbewußtseins. Die praktische Dimension des Personbegriffs, die Person als Akteur und verantwortliches Subjekt, wird im .Treatise' nicht behandelt. Der spektakuläre Befund Humes, demzufolge das Selbst als eine unveränderliche und stabile Entität in der Erfahrung niemals gegeben ist, führt zu der bekannten Konzeption des menschlichen Geistes als eines Bündels unterschiedlicher Vorstellungen. Daß diese Konzeption mit massiven Schwierigkeiten und Inkonsistenzen belastet ist, hat Hume selbst gesehen und eingestanden. Locke, Leibniz, Butler, Reid und Hume bilden insofern einen einheitlichen Diskussionszusammenhang als die Beziehung von Personalität und Identität im Mittelpunkt des Interesses steht. Eine abschließende Klärung des Problembestands wird bei diesen Autoren allerdings nicht erreicht. Verfolgt man die Geschichte des Personbegriffs nach Locke weiter, ohne den speziellen Konnex von ,Person' und .Identität' ins Zentrum zu rücken, so erscheint Kant als das alles überragende Zentralmassiv der Philosophie der Person. Angesichts der großen Bedeutung, die dem Personbegriff bei Kant eingeräumt wird, mag es überraschen, daß die Diskussion über die Kriterien personaler Identität sich weitgehend ohne Rücksicht auf Kant vollzieht. Auch die vorliegende Studie, die keine umfassende Philosophie der Person formuliert, sondern das speziellere Verhältnis von Personalität und Identität behandelt, diskutiert Kant nicht ausführlich. Immerhin soll aber der folgende Exkurs kurz die sachlichen Gründe für dieses Vorgehen durch Hinweise auf die Verhältnisse in Kants Theoretischer Philosophie auf der einen und der Praktischen Philosophie auf der anderen Seite darlegen.
Exkurs: Kants Begriff der Person
197
III. 5. Exkurs: Kants Begriff der Person Die Theoretische Philosophie Kants behandelt die für die Frage nach der Identität der Person einschlägigen Probleme im Zusammenhang mit dem Begriff einer transzendentalen Apperzeption.m Diese Kantische Begriffsbildung kann als Versuch einer Auflösung der aporetischen Situation verstanden werden, in die Humes erkenntnistheoretischer Blick auf den Begriff des Selbst führt. Zwar erwähnt Kant den Namen Humes an den einschlägigen Stellen der ,Kritik der reinen Vernunft' nicht ausdrücklich, aber der inhaltliche Bezug liegt klar zu Tage. Hume zufolge bedarf die Zuschreibung einer Wahrnehmung oder eines Denkinhalts zu einem Subjekt einer Begründung. Die Zuschreibung eines Denkakts zu einem korrespondierenden Subjekt ist in dieser Sichtweise ebenso begründungsbedürftig wie die Prädikation einer bestimmten Eigenschaft hinsichtlich eines gegebenen Objekts. Diese Begründungsanforderung gilt nicht nur für den Fall der Zuschreibungen aus der Perspektive der dritten Person (A behauptet, daß Β gegenwärtig eine Rotwahrnehmung hat, Zahnschmerzen empfindet oder eine Additionsaufgabe löst). Auch wenn ich mir selbst die Zahnschmerzen, die Rotwahrnehmung oder die Rechentätigkeit zuschreibe, bedarf ich in Humescher Sichtweise einer Grundlage, um das Ich oder Selbst, dem die Aktivitäten und Zustände zugeordnet werden, zu identifizieren. Mit dem Begriff der transzendentalen Apperzeption löst Kant diese Schwierigkeiten auf. Der Gebrauch des Ausdrucks .Apperzeption' steht in der Nachfolge von Leibniz. Leibniz unterscheidet grundsätzlich diejenigen Perzeptionen einer Monade, die äußere Dinge repräsentieren, von den Apperzeptionen, die eine reflexive Struktur aufweisen und als reflexives Bewußtsein der inneren Zustände der Monade bestimmt sind.399 Bei Kant ist die Apperzeption nicht als Spezialfall der Perzeption konzipiert. Als solcher wäre sie lediglich durch eine reflexive Inhaltskomponente spezifiziert. Kant
3,8
Aus der umfangreichen Kant-Literatur seien die folgenden Titel genannt, die für die hier im Vordergrund stehenden Probleme von Bedeutung sind: C.W. Gowans, Intimacy, Freedom, and Unique Value - A .Kantian' Account of the Irreplaceable and Incomparable Value of Persons; American Philosophical Quarterly 33 (1996), 75-89; W. Hogrebe, Kant und das Problem einer transzendentalen Semantik; Freiburg, Alber, 1974; P. Kitcher, Kant on Self-Identity, PR 91 (1982), 41- 72; C M. Korsgaard, Personal Identity and the Unity of Agency - A Kantian Response to Parfit; Philosophy and Public Affairs 18 (1989), 101-132; W.P. Mendorfs, Die Person als Zweck an sich; Kant-Studien 84 (1993), 167-184; D. Sturma, Kant über Selbstbewußtsein; Hildesheim, Olms, 1985.
399
Leibniz, Principes de la nature et de la grace, fondes en raison, §4; EHH I, 420; vgl. auch oben III.2.1 .
198
Locke und seine Kritiker
begreift die Apperzeption als eine notwendige Bedingung aller möglichen Perzeptionen. Damit übernimmt der Begriff der Apperzeption eine Fundierungsfunktion hinsichtlich aller Vorstellungs- und Denkinhalte des Subjekts. Da er diese Grundfunktion erfüllt, kann er selbst aber nicht zirkelfrei durch irgendwelche inhaltlichen Momente charakterisiert werden. Das Ich, dessen ich mir aufgrund der reflexiven Dimension meiner Apperzeption bewußt bin, ist keineswegs identisch mit dem empirischen Ich, dessen Eigenschaften einem Wandel in der Zeit unterworfen sind. Das transzendentale Ich ist selbst überhaupt kein Gegenstand der Erkenntnis und kann niemals zu einem solchen werden. Es läßt sich nichts über seine Beschaffenheit behaupten. Denn es handelt sich um eine [...] einfache und für sich an Inhalt gänzlich leere Vorstellung: Ich, von der man nicht einmal sagen kann, daß sie ein Begriff sei, sondern ein bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet. Durch dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denket, wird nun nichts weiter, als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorgestellt = x, welches nur durch Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird, und wovon wir, abgesondert, niemals den mindesten Begriff haben können; um welches wir uns daher in einem beständigen Zirkel herumdrehen, indem wir uns seiner Vorstellung jederzeit schon bedienen müssen, um irgendetwas von ihm zu urteilen.400
Das transzendentale Ich, das im ,Ich denke' Ausdruck findet, begleitet potentiell alle meine Vorstellungen. Als solches ist es mit allen Vorstellungen als etwas Identisches verbunden. Gleichgültig um welche meiner verschiedenartigen Vorstellungen und Zustände (,Ich habe Zahnschmerzen', ,Ich fühle mich wohl', ,Ich sehe etwas Rotes') es sich handelt, das potentiell begleitende ,Ich denke' bleibt selbst unverändert. Die Identität des transzendentalen Ich ist nun aber keine inhaltlich fixierte Identität. Es gibt kein transzendentales Du oder transzendentales Sie/Er, das eine Opposition zu dem transzendentalen Ich bilden und es inhaltlich charakterisieren würde. Von ,meinem' transzendentalen Ich im Gegensatz zum transzendentalen Ich einer anderen Person zu sprechen, würde einem Mißverständnis der Bedeutung und Funktion der Kantischen Konzeption gleichkommen. Anders gesagt, die Identität des transzendentalen Ich ist keine numerische Identität, durch die unterschiedliche Entitäten derselben Art voneinander unterschieden werden können, sondern lediglich so etwas wie eine qualitative Identität, eine Form der Identität, die eine bestimmte Beschaffenheit,
400
KrV, A 345f. (kursiv im Original gesperrt)
Exkurs: Kants Begriff der Person
199
hier eine spezifische kognitive Struktur, zuzuschreiben erlaubt. 401 Allen empirischen Apperzeptionen (,Ich habe Zahnschmerzen', ,Ich fühle mich wohl') ist die transzendentale Apperzeption begrifflich vorgeordnet. Sie ist auf einer fundamentalen Stufe angesiedelt und kann niemals zu einer empirischen Apperzeption transformiert werden. Entscheidend an der Konzeption einer reinen, ursprünglichen oder transzendentalen Apperzeption ist nicht nur der Sachverhalt, demzufolge alle Vorstellungen potentiell durch das ,Ich denke' begleitet sind. Wesentliche Bedeutung kommt der synthetisierenden Struktur des im ,Ich denke' vorhandenen Selbstbewußtseins zu. Mit Synthesis ist hier gesagt, daß die Vorstellungen nicht als atomistische Einzelentitäten gegeben sind, die erst nachträglich in einen Zusammenhang gesetzt werden müssen. Kant betont im Gegensatz zu einer solchen, wiederum Humeschen, Sichtweise, daß die Vorstellungen immer schon in einem Zusammenhang stehen: [N]ur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle, d.i. die analytische Einheit der Apperzeption ist nur unter der Voraussetzung irgend einer synthetischen möglich. [...] nur dadurch, daß ich das Mannigfaltige derselben [i.e. Vorstellungen] in einem Bewußtsein begreifen kann, nenne ich dieselben insgesamt meine Vorstellungen, denn sonst würde ich ein so vielfarbiges verschiedenes Selbst haben, als ich Vorstellungen habe, deren ich mir bewußt bin.402
Ein Bewußtsein von der Strukur des Selbstbewußtseins wird von Kant als ein a priori-Bewußtsein der notwendigen Synthesis der Vorstellungen des Ich bestimmt. 403 Den Stellenwert der Spezifizierung der transzendentalen Apperzeption durch deren Synthesis-Funktion betont Kant mit großem Nachdruck: [D]ie synthetische Einheit der Apperzeption [ist] der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr, die Transzendental-Philosophie heften muß [.. .].404
401
Vgl. KrV, A 363. Die transzendentale Apperzeption beweist „[...] gar nicht die numerische Identität meines Subjektes [...]". Später scheint Kant allerdings davon auszugehen, daß die transzendentale Apperzeption numerische Identität zwar nicht beweist, aber in gewisser Weise ihre Annahme nahe legt: „Beharrlichkeit [der Seele] ist uns vor der numerischen Identität unserer selbst, die wir aus der identischen Apperzeption folgeren [sie!], durch nichts gegeben, sondern wird daraus allererst gefolgert [.. .]" (KrV, A 365).
402
KrV, Β 134f. (kursiv im Original gesperrt).
405
KrV, Β 134.
404
KrV, Β 134, Anmerkung.
200
Locke und seine Kritiker
Der Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption weist aus begrifflichen Gründen die Humesche Problemdarstellung zurück. Das Gegebensein einer Vorstellung läßt sich nach Kant nicht abkoppeln von dem der Vorstellung korrespondierenden potentiellen Gedanken ,Ich denke'. Darüber hinaus hat eine solche Vorstellung immer schon einen Platz innerhalb eines Zusammenhangs.405 Die empirische Apperzeption ist außer Stande, eine Einheit des Selbstbewußtseins zu begründen, weil sie selbst das Ich als Gegenstand der Erfahrung thematisiert. Als ein solcher empirischer Gegenstand ist das Ich aber vielfältigen Veränderungen unterworfen und zeigt keine einheitsbildende Struktur und nichts Unveränderliches. Alle empirischen Momente, deren sich das Subjekt der Vorstellung reflexiv bewußt sein mag, sind ,,[...] an sich zerstreut und ohne Beziehung auf die Identität des Subjekts".406 Kant unterscheidet das bestimmende Ich der transzendentalen Apperzeption und das bestimmte Ich, das ein Objekt der inneren Anschauung ist. Diese erkenntnistheoretisch motivierte Ich-Spaltung entspricht der Unterscheidung eines transzendentalen und empirischen Ich. Daß es ein bestimmendes Ich im Sinn der transzendentalen Apperzeption gibt, beweist aber in keiner Weise, daß das Ich als eine selbständige Substanz, als eine objektive Entität besteht. Behauptungen über das Ich als einfache und selbständige Substanz sind synthetische Sätze und stellen andere Begründungsanforderungen als der analytische Satz, demzufolge aus dem Begriff des Denkens auf ein einfaches logisches Subjekt geschlossen werden kann: [Die Identität des logischen Ich] betrifft nicht die Anschauung desselben, dadurch es als Objekt gegeben ist, kann also auch nicht die Identität der Person bedeuten, wodurch das Bewußtsein der Identität seiner eigenen Substanz, als denkendes Wesens [sie!], in allem Wechsel der Zustände verstanden wird [...] Also ist durch die Analysis des Bewußtseins meiner selbst im Denken überhaupt in Ansehung der Erkenntnis meiner selbst als Objekt nicht das mindeste gewonnen. Die logische Erörterung des Denkens überhaupt wird fälschlich für eine metaphysische Bestimmung des Objekts gehalten.407
405
„Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objektive Bedingung aller Erkenntnis, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Objekt zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um für mich Objekt zu werden, weil auf andere Art, und ohne diese Synthesis, das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde." (KrV, Β 138, kursiv im Original gesperrt).
406
KrV, Β 133.
407
KrV, Β 408 (Hervorhebung D.T.).
Exkurs: Kants Begriff der Person
201
Personale Identität wird hier als das Bewußtsein der Identität der eigenen Substanz gefaßt. Ein solches Bewußtsein kann sich nach Kant niemals in der transzendentalen Apperzeption verankern. Die empirische Apperzeption ist aber ebensowenig in der Lage die fragliche substantielle Einheit auszumachen: Nun haben wir aber in der inneren Anschauung gar nichts Beharrliches, denn das Ich ist nur das Bewußtsein meines Denkens; also fehlt es uns auch, w e n n wir bloß beim Denken stehen bleiben, an der notwendigen Bedingung, den Begriff der Substanz, d.i. eines für sich bestehenden Subjekts, auf sich selbst als denkend [sie!] Wesen anzuwenden, und die damit verbundene Einfachheit der Substanz fällt mit der objektiven Realität dieses Begriffs gänzlich w e g , und wird in eine bloß logisch qualitative Einheit des Selbstbewußtseins im Denken überhaupt, das Subjekt mag zusammengesetzt sein oder nicht, verwandelt. 408
Eine gewisse Übereinstimmung dieser Überlegungen mit Lockes Konzeption personaler Identität wird insofern erkennbar als Kant ebenso wie Locke auf die Rede von einer substantiell verankerten Identität der Person verzichtet. Allerdings setzt Kant an die Stelle der substanzbezogenen Identitätskonzeption kein alternatives Modell. Über den Hinweis auf die psychologisch-empirische Unauffindbarkeit personaler Identität einerseits und die rein formale, inhaltlich unbestimmte Identität des transzendentalen Ich andererseits gehen Kants Überlegungen im Rahmen der Theoretischen Philosophie nicht hinaus. Vom Standpunkt der ersten Person aus gilt zwar mit Notwendigkeit, daß jede Vorstellung als meine Vorstellung bewußt sein kann. Entsprechend bin ich überzeugt, daß ich in allen Momenten, die ich bewußt erlebe, mit mir selbst identisch bin. Nach Kant läßt sich daraus aber keine objektive Identität gewinnen. In einer an Lockes Gedankenexperiment des Körpertauschs erinnernden Anmerkung verdeutlicht Kant, daß aus der subjektiven Gewißheit der Existenz als diachron identische Person nicht auf das objektive Faktum eines über die Zeit hinweg substantiell identischen Wesens geschlossen werden darf: Nehmet nun [...] Substanzen an, deren die eine der anderen Vorstellungen, samt deren Bewußtsein einflößete, so wird sich eine ganze Reihe derselben denken lassen, deren die erste ihren Zustand, samt dessen Bewußtsein, der zweiten, diese ihren eigenen Zustand, samt dem der vorigen Substanz, der dritten und diese eben so die Zustände aller vorigen, samt ihrem eigenen und deren Bewußtsein, mitteilete. Die letzte Substanz würde also aller Zustände der vor ihr veränderten Substanzen sich als ihrer eigenen bewußt sein, weil jene zusamt
408
KrV, Β 4l3f.
202
Locke und seine Kritiker
dem Bewußtsein in sie übertragen worden, und, dem unerachtet, würde sie doch nicht eben dieselbe Person in allen diesen Zuständen gewesen sein.409
Blickt man zurück auf Humes Überlegungen, so ergibt sich, daß Kant mit Hume darin übereinstimmt, daß das Ich oder Selbst nicht als Substanz aufzufassen ist. Anders als Hume betrachtet Kant diesen Umstand aber nicht als Aporie, denn die Konzeption der transzendentalen Apperzeption scheint in der Lage zu sein, die für das Geschäft der Theoretischen Philosophie notwendigen Fundamente bereit zu stellen. Im Bereich der Praktischen Philosophie ergibt sich ein in wesentlicher Hinsicht verändertes Bild. Hier ist ausschlaggebend, daß vernünftige Wesen einen Begriff des Guten kennen. Menschen als endliche Vernunftwesen bleiben in ihrem faktischen Verhalten immer wieder hinter den Standards zurück, die sie selbst als rationale Wesen anerkennen. Dies mindert aber nach Kants Auffassung nicht die Bedeutung und die Verbindlichkeit der rational zu gewinnenden Einsichten in das moralisch Gebotene. Personen werden als Wesen bestimmt, die ihr Wollen frei und vernünftig bestimmen können. Sie haben die Fähigkeit, selbständig Zwecke zu setzen. Diese Zwecke können subjektiver oder objektiver Natur sein und die Zwecksetzungen können vom Subjekt selbst bewertet und kritisiert werden. Insofern ein Wesen das eigene Wollen nicht ausschließlich an (kontingenten) subjektiven Bedürfnissen allein ausrichtet, sondern seinen Willen durch Orientierung an objektiven Zwecken und Normen bestimmen kann, überschreitet es seine unmittelbar gegebenen egozentrischen Bedürfnisse. Es ist die mit der Transzendierung rein subjektiven Begehrens verbundene Fähigkeit der Erfassung einer schlechthin geltenden Norm, des allgemein und mit Notwendigkeit geltenden moralischen Gesetzes, durch welche Personen sich über den Bereich einer reinen Zweck-Mittel-Rationalität erheben. Im Bereich instrumenteller Rationalität kann jeder beliebige Zweck selbst wiederum zu einem bloßen Mittel für neu hinzukommende Zwecke betrachtet werden. Nach Kant sind aber die Wesen, deren Handeln sich am Maßstab des moralischen Grundprinzips ausrichtet, als Zwecke an sich oder Selbstzwecke zu betrachten. Sie können nicht als bloße Mittel angesehen werden. Überall da, w o etwas nicht als Zweck an sich aufzufassen ist, hat man es mit einer bloßen Sache zu tun. Die Unterscheidung von als Personen bestimmten endlichen Vernunftwesen, die Handlungen vollziehen können, und als Sachen bezeichneten vernunftlosen Naturwesen, die als bloße Mittel betrachtet werden können, ist für Kants Denken fundamental:
KrV, A 364, Anmerkung.
Exkurs: Kants Begriff der Person
203
Person ist dasjenige Subjekt, dessen Handlungen einer Zurechnung fähig sind. Die moralische Persönlichkeit ist also nichts anderes als die Freiheit eines vernünftigen Wesens unter moralischen Gesetzen (die psychologische aber bloß das Vermögen, sich seiner selbst in den verschiedenen Zuständen, der Identität seines Daseins bewußt zu werden), woraus dann folgt, daß eine Person keinen anderen Gesetzen, als denen, die sie (entweder allein, oder wenigstens zugleich mit anderen) sich selbst gibt, unterworfen ist. Sache ist ein Ding, was keiner Zurechnung fähig ist.410
Für die Befolgung des obersten Grundsatzes der Moral läßt sich nicht dadurch argumentieren, daß die Zweckmäßigkeit einer moralischen Handlungsweise etwa im Sinn eines konsequentialistischen oder utilitaristischen Profits demonstriert wird. Das Moralprinzip besitzt nach Kant eine von solchen Nutzenerwägungen unabhängige Evidenz und Dignität. Dies hängt in entscheidender Weise damit zusammen, daß der oberste Grundsatz des moralischen Handelns allgemeingültig ist und mit Notwendigkeit gilt. Er ist nicht inhaltlich fixiert (,Sei stets bescheiden, tapfer und mildtätig'), sondern beschreibt die Form des Handelns, die auf ausnahmslose Billigung und Zustimmung Anspruch erheben kann und der Forderung nach Universalisierbarkeit gerecht wird. Der kategorische Imperativ lautet in der bekannten Formulierung des § 7 der ,Kritik der praktischen Vernunft': „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne."411 Der praktische Imperativ der ,Grundlegung der Metaphysik der Sitten' stellt die Selbstzweckhaftigkeit der Person in den Vordergrund und verbietet, Personen ausschließlich als Mittel zu gebrauchen d.h. als bloße Sachen zu behandeln: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest."412 Daß es für vernunftfähige Wesen geboten ist, die eigenen Handlungen grundsätzlich nach Maßgabe rationaler Überlegungen zu bestimmen, erscheint im Rahmen von Kants Überlegungen als unmittelbar einsichtig. Dabei
410
MS, A 22f. (kursiv im Original gesperrt). Vgl auch GMS, A 64 (kursiv im Original gesperrt): „Die Wesen, deren Dasein zwar nicht auf unserm Willen, sondern der Natur beruht, haben dennoch, wenn sie vernunftlose Wesen sind, nur einen relativen Wert, als Mittel, und heißen daher Sachen, dagegen vernünftige Wesen Personen genannt werden, weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst, d.i. als etwas, das nicht bloß als Mittel gebraucht werden darf, auszeichnet, mithin so fern alle Willkür einschränkt (und ein Gegenstand der Achtung ist)".
411
KpV, A 54
412
GMS, BA 66f. (im Original gesperrt).
204
L o c k e u n d s e i n e Kritiker
ist der Umstand berücksichtigt, daß der rationalen Willensbestimmung nichtrationale Bedürfnisse und Wünsche entgegenstehen können. Die Spannung zwischen naturwüchsigen Wünschen und vernünftigem Wollen ist kein Einwand gegen Kants Konzeption des moralischen Subjekts, diese Spannung macht in Kants Augen gerade das Wesen des moralischen Subjekts aus, das sich durch Distanzierung und Freiheit vom unmittelbaren Zwang der natürlichen Impulse auszeichnet. Ein nicht-relativierbarer, absoluter Wert und das Charakteristikum der Selbstzweckmäßigkeit kommt bei Kant sowohl dem Moralgesetz als auch der Person zu. Dabei hat das Moralprinzip einen sachlichen Vorrang, denn die Person gewinnt ihre Dignität gerade als Subjekt des Moralgesetzes. Menschen, als Mitglieder einer biologischen Art, besitzen als solche keinen absoluten Wert.413 Nur dank ihrer Vernünftigkeit, ihrer Erkenntnishandlungen, werden Wesen zu Personen. Nicht-vernünftige Menschen, wie etwa Demente oder Kleinkinder, sind nach Kant keine Personen. Die nicht-vernünftigen Naturwesen sind nicht in der Lage, sich selbst als Subjekte des Moralgesetzes anzusehen. Der absolute Wert des Moralprinzips überträgt sich folglich auch nicht auf sie. Das Erkennen eines absoluten Werts geht einher mit einer spezifischen Einstellung, die Kant als Achtung bezeichnet. 414 Achtung richtet sich in erster Linie auf das moralische Gesetz, dann auch auf Personen als Exponenten des Moralgesetzes. Die Achtung bezieht sich auf die Unbedingtheit der Geltung und die Ausnahmslosigkeit der moralischen Forderung. Es handelt sich um kein Gefühl der Lust, Liebe oder Bewunderung, sondern um eine direkt vernunftentsprungene Einstellung. Kant rechnet konsequenterweise mit Fällen, in denen eine Person, die in ihrem Handeln dem Sittengesetz folgt, zwar geachtet, aber nicht geliebt oder bewundert wird.415 Die Gesamtanlage der Praktischen Philosophie schließt aus, daß die Rede von Personalität als deskriptive Rede über empirische Sachverhalte verstanden wird. Ebenso beziehen sich die Bestimmungen der Autonomie
413
Um Mißverständnissen vorzubeugen ist es angezeigt, darauf hinzuweisen, daß Kant selbst den Ausdruck .Menschheit' - beispielsweise in der Formulierung des .praktischen Imperativs' der GMS - in der Regel nicht im Sinne einer empirischen Klassifikation gebraucht. Mit .Menschheit' bezieht er sich auf die Idee der Menschheit als normativen Begriff. Auf der Grundlage dieser Idee besitzen Menschen den Status der Personalität und sind dem Moralgesetz unterworfen. Im Sinn einer biologischen Klassifikation fallen Menschen mit anderen Lebewesen unter den Begriff der Tierheit.
414
KrV, 135f.
415
GMS, A 65; KpV, A 135ff. u.ö.
Exkurs: Kants Begriff der Person
205
und der Rationalität der Person nicht in direkter Weise auf empirische Eigenschaften konkreter Subjekte. Auch hier werden Forderungen zum Ausdruck gebracht, denen endliche Vernunftwesen faktisch in mehr oder weniger vollkommener Weise gerecht zu werden vermögen, wobei sie selbst als endliche Vernunftwesen diesen Forderungen eine unbedingte Gültigkeit zuschreiben. Wesentlich ist zunächst, daß es Wesen gibt, die sich selbst unter bestimmte, absolut geltende, moralische Anforderungen stellen. Durch diese selbständige Handlung werden sie zu Personen. Betrachtet man die Konturen und Funktionen des hier skizzierten Personbegriffs, so wird deutlich, daß Fragen der Identifizierbarkeit und ReIdentifikation einzelner Personen außerhalb des Problemhorizonts der Kantischen Überlegungen liegen. Für empirisch anwendbare Identitätskriterien interessiert sich Kant nicht. Seine Theoretische Philosophie zeigt, daß eine verläßliche Basis für eine diachrone Identitätsaussage im Rahmen einer Substanztheorie nicht gegeben ist. Eine Alternative zu einem Substanzmodell wird nicht gesucht, da der Begriff der transzendentalen Apperzeption die für die Erkenntnistheorie wesentlichen Aufgaben zu lösen erlaubt. Die Praktische Philosophie formuliert einen Begriff des Guten und die für endliche Vernunftwesen angemessene und ausnahmslos geltende Handlungsanweisung, die aus diesem Begriff abzuleiten ist. Die Person wird in diesem Kontext als das Subjekt des Moralprinzips bestimmt. Auch in diesem Bereich kommt der Frage nach der diachronen Identität der Person keine entscheidende Bedeutung zu. Die Person ist dadurch gekennzeichnet, daß sie Handlungen vollzieht und fähig ist, ihre Handlungen prinzipiell nach Maßgabe des Sittengesetzes zu gestalten. Handeln ist kein instantaner Akt, sondern eine in der Zeit sich erstreckende Aktivität, die aus Phasen des Planens, Überlegens, Entscheidens und Ausführens besteht. Die Identität des Handelnden für die Dauer des Handelns, bedarf nach Kantischer Auffassung in den paradigmatischen Fällen keines Beweises. Vielmehr stellt diese Identität eine Voraussetzung der Rede über Handlungen und handelnde Subjekte dar. Der Umstand, daß Personen nicht-instantane Wesen sind und daß die Identität des Handelnden im angesprochenen Sinn nicht beweisbedürftig ist, bildet die Grundlagen der Rede über handelnde Personen. Kants Konzeption entzieht sich damit in beträchtlichem Ausmaß skeptischen Überlegungen, die in der Tradition Lockes und Humes großes Gewicht haben und im Rahmen der zeitgenössischen Diskussion intensiv behandelt werden. Sicherlich kann man im Sinn nicht-kantischer Fragestellungen darauf hinweisen, daß eine über Phasen einer Einzelhandlung hinweg garantierte diachrone Identität noch keine Auskunft darüber gibt, wie es um die dia-
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Locke und seine Kritiker
chrone Identität der Person auf der übergeordneten Ebene steht, auf der die Frage zu beantworten wäre, ob auch den einzelnen aufeinander folgenden Handlungen ein einzelnes Handlungssubjekt zuzuordnen ist, dessen diachrone Identität ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Selbst wenn Handelnde nicht-instantane Wesen sind und wenn die Identität des Handelnden für die jeweils auszuführende Handlung garantiert ist, bleibt offen, ob die Subjekte zweier aufeinander folgender Handlungen identisch sind oder nicht. Auch dieses Problem wird von Kant nicht behandelt. Der Grund hierfür liegt in der strikten Ausrichtung des Personbegriffs auf das Moralgesetz. Psychologische Aspekte der Person, etwa charakterliche Eigenheiten, liegen im wesentlichen außerhalb des Rahmens des Kantischen Personbegriffs. Die diachrone Identität der Person wird bei Kant durch die Orientierung am Moralgesetz gewährleistet. Jenseits der ,oberflächlichen' Kontinuitäten oder Diskontinuitäten psychologischer Eigenschaften und Zustände bildet sich durch die Orientierung am Moralgesetz eine gleichbleibende Struktur der Handlungsvollzüge aus. Für Kant und den Kantianer ist auf der Ebene der Praktischen Philosophie nicht wesentlich, welche Identität im psychologischen und empirischen Sinn eine Person hat. Es kommt allein darauf an, daß die Person sich eine Identität gibt, indem sie sich in allen Handlungen als Subjekt des Moralgesetzes begreift und darum bemüht, ihr Verhalten in Übereinstimmung mit diesem zu bringen. Bei aller Heterogenität der einzelnen Handlungen zeichnet sich auf diese Weise ein das personale Leben kennzeichnendes Grundmuster ab. Nur in diesem Sinn stellt sich in Kantischer Perspektive ein philosophisches Problem der diachronen Identität von Personen. Daß diese Auffassung eine erhebliche Reihe von Fragen unbearbeitet läßt, macht ein Blick auf die zeitgenössische Diskussion deutlich. Diese Diskussion ist der Gegenstand der folgenden Überlegungen, die zunächst einen Überblick über das Spektrum der gegenwärtig vertretenen Positionen bieten, um anschließend insbesondere die an Locke anknüpfenden Arbeiten der Gegenwartsphilosophie einer kritischen Betrachtung zu unterziehen.
IV. Personbegriff und Reduktionismus Mit den vorausgegangenen ideen- und begriffsgeschichtlichen Untersuchungen zum Zusammenhang der Begriffe .Person', ,Identität' und ,Individualität' ist ein Fundament für die Analyse und Beurteilung der gegenwärtigen Vorschläge zur Explikation der Begriffe der Person und der personalen Identität gelegt worden. Locke und Hume markieren diejenige Etappe der Begriffsgeschichte, die für die angelsächsische analytische Philosophie der Gegenwart den maßgeblichen Bezugspunkt bildet. Vornehmlich seit Mitte der siebziger Jahre ist innerhalb der angelsächsischen Philosophie eine intensiv geführte Diskussion über die Begriffe der Person und der Identität im Gange.416 Diese übernimmt von Locke in vielen Fällen das für Personen als ausschlaggebend herausgestellte Moment der psychischen Kontinuität. Ebenfalls bedeutsam ist hier Humes .Entdeckung', daß das Selbst nicht beobachtbar und folglich eine bloße Konstruktion ist. Im folgenden werden die Argumentationsstrukturen und die Grundkonzeptionen derjenigen Theorien untersucht, die versprechen, in Anlehnung an Locke und Hume das Problem der Identität von Personen zu lösen. Es handelt sich dabei um reduktionistische Theorien der Person und ihrer diachronen Identität. Zur Anbindung der vorangegangenen ideen- und begriffsgeschichtlichen Ausführungen an die zeitgenössischen Überlegungen wird eine knap-
416
Zum Begriff der Person vgl.: P. Carruthers, Introducing Persons - Theories and Arguments in the Philosophy of Mind; London, Routledge, 1986; A. Peacocke, G. Gillett (eds), Persons and Personality - A Contemporary Inquiry; Oxford, Blackwell, 1987; Carrithers (1985); C. Gill (ed.), The Person and the Human Mind; Oxford, Clarendon, 1990; O. Flanagan, Varieties of Moral Personality - Ethics and Psychological Realism; Cambridge, Harvard University Press, 1991; D. Cockburn (ed.), Human Beings; Cambridge, Cambridge University Press, 1991· Für einen Überblick über die berücksichtigte Literatur zum speziellen Problem der personalen Identität vgl. die Bibliographie, die Beiträge zu allen derzeit innerhalb der analytischen Philosophie vertretenen Theorien über die Identität der Person enthält. Den besten Überblick über die leitenden Gesichtspunkte der Debatte geben die Sammelbände von J. Perry und A O. Rorty. Perry stellt die Tradition des englischen Empirismus als Bezugspunkt der gegenwärtigen Überlegungen heraus und präsentiert die einschlägigen Texte von Locke, Butler, Reid und Hume; vgl. Perry (1975); Rorty (1976).
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Personbegriff und Reduktionismus
pe Skizze der gegenwärtigen Diskussionslandschaft vorangestellt.417 Dies ist sinnvoll, um Differenzen zwischen den Überlegungen der Tradition und der Gegenwartsphilosophie richtig einzuschätzen (IV. 1.). Als prototypischer Vertreter der gegenwärtig äußerst einflußreichen reduktionistischen Versionen von Theorien psychischer Kontinuität wird anschließend das Modell D. Parfits diskutiert. Parfits Theorie der Identität von Personen ist mit beträchtlicher argumentativer Sorgfalt gestützt und gehört zu den profiliertesten Positionen der zeitgenössischen Diskussion. Eine detaillierte Analyse zeigt, daß Parfits Position gravierende Defizite aufweist (IV.2.). Im Anschluß an die Analyse von Parfits Modell wird im abschließenden, fünften Kapitel die Frage nach der Explikation des Personbegriffs wieder aufgegriffen. Wie versteht die zeitgenössische angelsächsische Philosophie den Begriff der Person? In welcher Weise unterscheidet er sich unter den veränderten Rahmenbedingungen der Gegenwart, insbesondere vor dem Hintergrund der gegenwärtigen neurowissenschaftlichen Theoriebildung, von den traditionellen Begriffskonzeptionen? Kann aus den Defiziten und Problemen des Parfit-Reduktionismus auf die Gültigkeit der häufig als Alternativmodell propagierten Substanztheorie personaler Identität geschlossen werden? Ist der Personbegriff ein präzise definierbarer Begriff? Können aussagekräftige, notwendige und hinreichende Bedingungen genannt werden?
IV. 1. Rahmenbedingungen Hinsichtlich des Personbegriffs zeichnet sich in der gegenwärtigen Diskussion ein außerordentlich vielfältiges und unübersichtliches Spektrum unterschiedlicher Positionen ab. Im folgenden wird eine Zusammenstellung häufig vertretener Auffassungen gegeben. Eine Bewertung der einzelnen Modelle unterbleibt an dieser Stelle. Es kommt lediglich darauf an, einen Überblick über die Spannweite derzeit diskutierter Positionen zum Begriff der Person und zum Problem personaler Identität zu gewinnen. Blickt man auf die inhaltlichen Differenzen, durch die sich die gegenwärtigen Auffassungen von den traditionellen unterscheiden, so fällt in erster Linie der massive Bedeutungsverlust immaterialistischer Vorstellungen in der gegenwärtigen Theoriebildung auf. Daß Personen — denkende, füh-
417
Mehr als eine knappe Skizze kann angesichts der Unübersichtlichkeit und Komplexität der Diskussionslage an dieser Stelle nicht geboten werden. Neben Erkenntnistheorie, Ontologie, Sprachphilosophie und Ethik ist insbesondere die Philosophie des Geistes für die Klärung des Personbegriffs zuständig
Rahmenbedingungen
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lende, wollende, freie Wesen — unabhängig von einem Körper existieren können, ist für Platonisten und Cartesianer, ebenso wie für Buddhisten und Christen eine Denkmöglichkeit oder sogar eine unbezweifelbare Gewißheit. In den genannten Traditionen spielen substantialistische Konzeptionen einer immateriellen Seele als Kern des Individuums die entscheidende Rolle. Diese immaterialistischen Konzeptionen sind entweder im Rahmen eines monistischen Idealismus oder im Rahmen unterschiedlicher Dualismen angesiedelt. Die These der immaterialistischen Substanztheorien lautet: Personen sind körperunabhängige Seelen oder geistige Entitäten. Immaterialistische Vorstellungen geraten in das Kreuzfeuer von Kritikern unterschiedlicher Provenienz. Humes Diagnose, daß das Selbst kein Gegenstand der Erfahrung ist, steht an einem entscheidenden Punkt dieser Debatte. Transzendentalphilosophische Überlegungen verlagern die Auseinandersetzung auf eine der Empirie vorgelagerte Ebene. Dieser Strategie ist allerdings kein dauerhafter und unbestrittener Erfolg beschieden. Die nachidealistische Philosophie einer metaphysik- und religionskritischen Moderne ist durch die Erfolge der sich rasch entwickelnden Naturwissenschaften beeindruckt. Infolgedessen werden mit zunehmender Schärfe Forderungen nach empirisch ausweisbaren Begründungen und Plausibilisierungen der Begriffsbildung gestellt. Im Zuge einer tiefgreifenden Verwissenschaftlichung nicht nur des philosophischen Diskurses, sondern auch der Alltags- und Bildungssprache geraten sowohl diejenigen Auffassungen in die Defensive, die nicht im Einklang mit empirisch bestätigtem Wissen und kausalen Erklärungen stehen, als auch diejenigen, die den Bereich empirisch beobachtbarer Phänomene in umfassende, transzendentalphilosophisch operierende oder offen spekulative Modelle einbetten. Von einer körperunabhängigen Seele zu sprechen oder die Person nicht in direktem Zusammenhang beziehungsweise in vollständiger kausaler Abhängigkeit vom Körper zu verstehen, gilt in der gegenwärtigen philosophischen Diskussion meist als obsolet.418 Entsprechend werden unterschiedliche Versio-
418
Dies betrifft nicht nur die monistischen Versionen des Immaterialismus, sondern ebenso die dualistischen Auffassungen. Bemerkenswerte Ausnahmen bilden die Überlegungen R. Swinburnes, der explizit eine immaterialistische Konzeption der Person präsentiert, s o w i e interaktionistische Versionen des Dualismus w i e sie von M. Carrier und J. Mittelstraß vertreten werden; vgl. R. Swinburne, T h e Structure of the Soul; in: Peacocke/Gillett ( 1 9 8 7 ) , 33-47; M. Carrier, J . Mittelstraß, Geist, Gehirn, Verhalten - Das Leib-Seele-Problem und die Philosophie der Psychologie; Berlin, de Gruyter, 1989; J R. Smythies, J . Beioff (eds ), T h e Case for Dualism; Charlottesville, University Press of Virginia, 1989; J. Foster, T h e Immaterial Self - A Defence of the Cartesian Dualist Conception of the Mind; London, Routledge,
1991.
210
Personbegriff und Reduktionismus
nen einer materialistischen Substanztheorie vertreten. Die Grundthese der materialistischen Substanztheorien besagt: Personen sind Körper oder Organismen. Immaterialismus oder Materialismus können entweder als Monismus oder Dualismus vertreten werden. Der Monist behauptet in der Regel, daß Personen geistige bzw. materielle Substanzen sind. Der Dualist kann die Person als Verbindung einer materiellen und einer geistigen Substanz bestimmen. Monismus und Dualismus können sich auch auf die Eigenschaften beziehen, die von Gegenständen ausgesagt werden. Der entsprechende Monismus kennt lediglich eine Art von Eigenschaften, während der Dualismus mit zwei genuinen Eigenschaftskategorien operiert.419 Neben den beiden genannten Versionen von Substanztheorien werden unterschiedliche Relationstheorien zum Personbegriff vertreten. Relationstheorien explizieren Personen als Wesen, die durch eine Sequenz von miteinander verbundenen Entitäten konstituiert werden. Bei den entsprechenden Entitäten handelt es sich entweder um materielle oder immaterielle Substanzen oder um substantiell nicht weiter qualifizierte Entitäten. Lockes Theorie der Identität der Person exemplifiziert eine Relationstheorie der letzten Art, insofern sie die Substanzfrage explizit ausklammert. Wenn Personen als Wesen betrachtet werden, die durch eine bestimmte Anzahl von Entitäten einer anderen Art oder durch deren Verbindung konstituiert werden, dann liegt ein Reduktionismus hinsichtlich des Personbegriffs vor. Der Reduktionist kann behaupten, daß eine vollständige Beschreibung der Realität möglich ist, ohne den Personbegriff zu gebrauchen. Da Personen in den Augen des Reduktionisten keine genuinen und irreduziblen Bestandteile des Universums sind, ist eine Beschreibung denkbar, in der lediglich die jeweils personkonstitutiven Elemente vorkommen. Hume
419
Einen die Dichotomie .Materialismus vs. Immaterialismus (Idealismus)' umgehenden neutralen Monismus vertritt W. James: ,,[...] La conscience, telle qu'on l'entend ordinairement, n'existe pas, pas plus que la Matiere, ä laquelle Berkeley a donne le coup de grace; [...] Ce qui existe et forme la part de verite que le mot de .Conscience' recouvre, c'est la susceptibilite que possedent les parties de l'experience d'etre rapportees ou connues; [...] les choses et les pensees ne sont point foncierement heterogenes, mais elles sont faites d'une meme etoffe, etoffe qu'on ne peut pas definir comme telle, mais seulement eprouver, et que l'on peut nommer, si on veut, l'etoffe de l'experience en general". W. James, La Notion de Conscience; in: ders., Essays on Radical Empiricism (The Works of William James III); Cambridge, Harvard University Press, 1976, 105-117; hier: 117. Dieser französisch verfaßte Text wurde von James 1905 beim V. Internationalen Kongreß für Philosophie in Rom vorgetragen. Ähnliche Überlegungen finden sich zur gleichen Zeit auch bei H. Bergson; vgl. Matiere et memoire; Paris, Presses Universitaires de France, 1972 (deutsche Übersetzung: Materie und Gedächtnis; trad. J. Frankenberger, Hamburg, Meiner, 1991).
Rahmenbedingungen
211
etwa hatte das Selbst reduktionistisch als Vorstellungssequenz behandelt. In einem Humeschen Modell können alle Aussagen über das Selbst oder die Person durch Aussagen über bestimmte Vorstellungen und Vorstellungskomplexe ersetzt werden. In der Gegenwart werden Personen allerdings häufiger als Körper beschrieben oder die Biographie einer Person wird als Sequenz einer Vielzahl von instantanen Körperzuständen konzipiert. In einem solchen Modell können alle Aussagen über Personen durch Aussagen über Körper und deren sukzessive Zustände ersetzt werden. Blickt man auf die Theorielandschaft insgesamt, so ist festzuhalten, daß der übergreifende Kontrast aller hier zu behandelnden Einzelpositionen durch die beiden Gegensatzpaare .Materialismus vs. Immaterialismus' und ,Reduktionismus vs. Anti-Reduktionismus' gebildet wird. Matenalismus-Physikalismus-Naturalismus: Die Grundvorstellung eines materialistischen Personbegriffs besteht darin, daß Personen materielle Entitäten oder Körper mit charakteristischen Merkmalen sind. Der menschliche Körper etwa als Standardinstantiierung einer Person ist in naturwissenschaftlichen Termini als ein geschlossenes, kausal determiniertes System zu beschreiben. Alle Eigenschaften, Zustände und Aktivitäten des menschlichen Körpers sind prinzipiell mittels materialistischer, physikalistischer oder naturalistischer Theorien zu erklären. Diese Position schließt einen ontologischen Dualismus, in dem neben dem Bereich der materiellen Dinge ein eigenständiger Bereich mentaler oder psychischer Entitäten angesetzt wird, grundsätzlich aus. Die wesentlichen argumentativen Ressourcen dieser Auffassung werden in Diskussionen über das Leib-Seele-Problem entfaltet. Der Materialismus-Physikalismus-Naturalismus hat in diesem Zusammenhang eine einflußreiche These über die Identität von Leib und Seele formuliert. Entsprechend dieser Position sind psychische Zustände nichts anderes als körperliche Zustände. Der Materialismus bestreitet mit Blick auf Personen keineswegs, daß diesen mentale und psychische Eigenschaften zugeschrieben werden können. Die These lautet vielmehr: Bei den für Personen charakteristischen mentalen und psychischen Eigenschaften handelt es sich um materielle Eigenschaften.420 420
Die Termini .materialistisch', .physikalistisch', .naturalistisch' sind in einem allgemeinen Sinn bedeutungsgleich. Historische, systematische und im Hinblick auf Schulbildungen relevante Differenzen werden hier nicht beachtet. Der wohl bekannteste Angriff auf nichtmaterialistische Vorstellungen des Mentalen wurde von G. Ryle formuliert; vgl. G Ryle, The Concept of Mind; London, Hutchinson, 1949 (deutsche Übersetzung: Der Begriff des Geistes; trad. Κ. Baier, Stuttgart, Reclam, 1969) Im einzelnen ist der Materialismus zu unterteilen in einen reduktiven und einen nicht-reduktiven Materialismus/Physikalismus
212
Personbegriff und Reduktionismus
Mit Bezug auf die Frage nach der Identität der Person ergibt sich in strikter Lesart folgende materialistische Auflösung: Personen sind Körper. Jede Veränderung der Zusammensetzung führt zum Ende des Körpers und gegebenenfalls zum Auftreten eines neuen Körpers. Der Materialist kann nicht ohne weiteres auf der Grundlage seiner eigenen Prämissen von Veränderungen eines Körpers oder einer Person sprechen. Vielmehr hat er einflußreichen Auffassungen entsprechend jede Veränderung der Materiekomposition als Konfiguration einer jeweils eigenständigen Entität zu interpretieren. Folglich ergibt sich innerhalb seiner Theorie, daß Personen keine Identität über die Zeit hinweg besitzen, falls irgendwelche Veränderungen ihrer materiellen Konstitution auftreten. Da solche Veränderungen bei Organismen im Rahmen des Stoffwechsels permanent gegeben sind, besitzen diese Entitäten keine problemlose diachrone Identität. Die hier skizzierte Problematik, die innerhalb der Platonischen und Aristotelischen Philosophie behandelte Überlegungen wieder aufgreift, wird von D. Lewis zum Anlaß genommen, den sogenannten ,perdurance-view' gegenüber scheinbar plausibleren Vorstellungen einer sich trotz des Wandels intrinsischer Eigenschaften durchhaltenden Selbigkeit eines Gegen-
(z.B. Davidsons .Anomalen Monismus')· Der reduktive Materialismus selbst tritt in zwei Varianten mit den Thesen der ,type-type identity' oder der ,token-token identity' auf; vgl. K.V. Wilkes, Physicalism; London, Routledge, 1987; D. Teichert, Personen als Körper? Überlegungen zu reduktiven Auffassungen des Personbegriffs; Synthesis philosophica 10 (1995), 113-126. Die Identitätsthese über die Begriffe des Körpers und des Mentalen vertreten u.a.: J.J. Smart, Sensations and Brain Processes; PR 68 (1959), 141-156; D.M. Armstrong, Α Materialist Theory of the Mind; London, Routledge & Kegan Paul, 1968; D. Lewis, Die Identität von Körper und Geist; trad. A. Kemmerling, Frankfurt am Main, Klostermann, 1989. Lewis bestimmt die Körper-Geist-Identitätstheorie durch die Hypothese, ,,[...] daß - nicht notwendigerweise, sondern faktisch - jedes Erlebnis mit irgendeinem physischen Zustand identisch ist [...]" (Lewis (1989), 7). Die Spezifikation der Identität als lediglich faktisch (nicht notwendig) vorliegender Sachverhalt divergiert von Kripkes Auffassung der Identität; vgl. S.A. Kripke, Naming and Necessity; Cambridge, Harvard University Press, 1980 (deutsche Übersetzung: Name und Notwendigkeit; trad. U.Wolf, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1981). Kripke macht bedenkenswerte Einwände gegen die Identitätsthese in der Philosophie des Geistes geltend. Der .Anomale Monismus' ist formuliert in: D. Davidson, Mental Events; in: Essays on Action and Events; Oxford, Oxford University Press, 1980, 207-227 (deutsche Übersetzung: Mentale Ereignisse; trad. Μ. Gebauer, in: P. Bieri (ed.), Analytische Philosophie des Geistes; Bodenheim, Athenäum - Hain - Hanstein, 1993, 73-92). Es handelt sich um eine der frühesten Verwendungen der Supervenienzthese. Diese besagt, daß es keine Veränderung mentaler Eigenschaften ohne Veränderungen der korrelierten basalen, physischen Eigenschaften geben kann. Diese Position ist materialistisch, aber nicht-reduktiv; vgl. J. Kim, Concepts of Supervenience, Philosophy and Phenomenological Research 68 (1984), 153-176; ders., Supervenience and Mind; Cambridge, Cambridge University Press, 1993; P. Hoyningen-Huene, Artikel .supervenient/ Supervenienz'; EPhW IV, 144-145.
Rahmenbedingungen
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stands (,endurance') zu vertreten. Der Personbegriff ist bei Lewis mit speziellen Annahmen einer Theorie der Raum-Zeit verknüpft. Die zentrale Unterscheidung zwischen ,perdurance' und ,endurance' wird folgendermaßen expliziert: Let us say that something persists iff, somehow or other, it exists at various times; this is the neutral word. Something perdures iff it persists by having different temporal parts, or stages, at different times, though no one part of it is wholly present at more than one time; whereas it endures iff it persists by being wholly present at more than one time. Perdurance corresponds to the way a road persists through space; part of it is here and part of it is there, and no part is wholly present at two different places. Endurance corresponds to the way a universal, if there are such things, would be wholly present wherever and whenever it is instantiated. Endurance involves overlap: the content of two different times has the enduring thing as a common part. Perdurance does not. (There might be mixed cases: entities that persist by having an enduring part and a perduring part. An example might be a person who consisted of an enduring entelechy ruling a perduring body; or an electron that had a universal of unit negative charge as a permanent part, but did not consist entirely of universals. But here I ignore the mixed cases. And when I speak of ordinary things as perduring, I shall ignore their enduring universals, if such there be.) [...] The principal and decisive objection against endurance, as an account of the persistence of ordinary things such as people or puddles, is the problem of temporary intrinsics. Persisting things change their intrinsic properties. For instance shape: when I sit, I have a bent shape; when I stand, I have a straightened shape. Both shapes are temporary intrinsic properties; I have them only some of the time. How is such change possible?421 Nach Lewis ist allein der Perdurance-Zugang ein gangbarer Weg zur Lösung des Problems des Wandels intrinsischer Eigenschaften. Zahlreiche Kritiker dieser Auffassung machen unterschiedliche Bedenken geltend. So schreibt M. Johnston, auf dessen Arbeit die ,endurance vs. perdurance'Unterscheidung zurückgeht, mit Bezug auf die Ausführungen von Lewis: [...] I wish to argue that the Humean worry about persistence through change is bogus, that any doctrine of temporal stages tailored to provide a response to this worry is unattractive and that although we can generate distinct substantive metaphysical models of persistence through change our practice of reidentifying objects through change does not itself embody a commitment to any one of these.422
421
D. Lewis, On the Plurality of Worlds; Oxford, Blackwell, 1986.
422
Μ. Johnston, Is there a Problem About Persistence?; AS SV 61 (1987), 107-135; hier: 110. Ebenfalls mit kritischem Ergebnis: S. Haslanger, Endurance and Temporary Intrinsics; Analysis 50 (1990), 119-125; hier: 124f. ,,[T]he temporal parts theory account does not offer a sufficiently compelling account of predication to rule out an account which is
214
Personbegriff und Reduktionismus
Realismus: Eine realistische Position behauptet, daß Personen reale Entitäten sind. Mitsamt ihren mentalen Zuständen gehören sie zu den genuinen Bestandteilen der Wirklichkeit. Realismus mit Bezug auf den Begriff der Person ist verbunden mit der Ablehnung der Fiktionsthese Humes oder des Modells der logischen/begrifflichen Konstruktion von Personen aus elementaren Elementen. Es gibt Personen unabhängig von spezifischen Beschreibungsweisen der Wirklichkeit. Der Realismus erklärt in seiner wissenschaftsorientierten Form, als wissenschaftlicher Realismus, die empirischen Wissenschaften zu Autoritäten in ontologischen Fragen: die besten wissenschaftlichen Theorien sagen, was es gibt. Mit Blick auf die mentalen und psychischen Eigenschaften von Personen sind realistische Auffassungen mit materialistischen Intuitionen verbunden. Introspektion und Alltagswissen gelten hier nicht als relevante Quellen der Erkenntnis.423 Funktionalismus: Der Funktionalismus bestimmt einen mentalen Zustand aufgrund der Funktion, die er im Zusammenspiel von Input, beobachtbarem Verhalten und anderen mentalen Zuständen des Subjekts erfüllt. Ein Funktionalist bestreitet, daß der Begriff der Person, insoweit als er maßgeblich mentale Eigenschaften betont, als Begriff einer natürlichen oder biologischen Art explizierbar ist. Er vertritt die Auffassung, daß das Auftreten bestimmter Funktionen allein maßgeblich ist. Immer dann, wenn die einschlägigen Zustände und Aktivitäten auftreten, kann vom Vorhandensein einer Person gesprochen werden. Im Gegensatz zu einem Naturalisten besteht für den Funktionalisten keine unauflösbare Verbindung zwischen dem Auftreten bestimmter Funktionen und besonderen materiellen Eigenschaften des Trägers der Funktionen. Wenn bestimmte kognitive Leistun-
consistent with a commitment to endurance. Although Lewis's concerns are rightly placed on the issue of predication, his argument rests on assumptions which the endurance theorist need not grant". Vgl. darüber hinaus die folgenden Arbeiten zum Problemkomplex: J J . Thomson, Parthood and Identity across Time; JP 80 (1983), 201-220; P. v. Inwagen, Four-Dimensional Objects; Noüs 24 (1990), 245-255; P. Simons, On Being Spread Out in Time - Temporal Parts and the Problem of Change; in: W. Spohn, B.C. van Fraassen, B. Skyrms ( e d s ) , Existence and Explanation - Essays presented in Honor of Karel Lambert; Dordrecht, Kluwer, 1991, 131-147; D. S. Oderberg, The Myth of Continuity: What's Wrong with Four-Dimensionalism?; in: ders., The Metaphysics of Identity over Time; New York, St. Martin's Press, 1993, 93-124; E. Runggaldier, Das vier-dimensionale Raum-Zeit-System; in: ders., Was sind Handlungen? Eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Naturalismus; Stuttgart, Kohlhammer, 1996, 186-196; T. Merricks, Endurance and Indiscernability; JP 91 (1994), 165-184. 423
Zum Begriff des wissenschaftlichen Realismus vgl. B.C. van Fraassen, The Scientific Image; Oxford, Clarendon, 1980; J. Leplin (ed.), Scientific Realism; Berkeley, University of California Press, 1984.
Rahmenbedingungen
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gen notwendige und hinreichende Bedingungen von Personalität sind, dann können unter Umständen außer Menschen auch andere Tiere oder auch informationsverarbeitende Systeme Personen sein.424 Eliminativismus: Der Eliminativismus ist eine extreme und polemische Unterform des Materialismus. Der Eliminativist ist überzeugt, daß der Personbegriff keine genuine Kategorie einer auf die natürlichen Bestandteile der Wirklichkeit gerichteten Theorie darstellt. Er bestreitet, daß der Begriff der Person mit den harten wissenschaftlichen Fakten über die Welt zu vereinbaren ist. Statt dessen geht er davon aus, daß die im außerwissenschaftlichen Bereich verbreiteten psychologischen Anschauungen über die Beschaffenheit von Personen und ihre Ausstattung mit Empfindungen und Intentionen (Überzeugungen, Wünschen, Absichten, Motiven), von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, unhaltbar sind. Folglich stellt sich für ihn überhaupt nicht die Aufgabe einer Klärung der Beziehung zwischen Mentalem und Physischem, sondern er argumentiert für die Abschaffung dieser Aufgabe. Im Rahmen einer programmatischen Skizze künftiger Enwicklungen der Neurowissenschaft plädiert der Eliminativismus für eine Liquidation des Mentalen. Das Motiv für diese Haltung besteht in der Überzeugung, daß die Alltagspsychologie mit ihrem mentalistischen Vokabular einem hartnäckigen Aberglauben ähnelt, der durch die neurowissenschaftliche Forschung ersetzt werden wird. Eine künftige Neurowissenschaft wird das mentalistische Vokabular verdrängen und eine rein materialistische Beschreibung der Funktionsweise des menschlichen Zentralnervensystems an seine Stelle setzen.425 424
K.V. Wilkes, Functionalism, Psychology, and the Philosophy of Mind; Philosophical Topics 12 (1981), 147-167; H. Putnam, Minds and Machines; in: Mind, Language and Reality - Philosophical Papers II; Cambridge, Cambridge University Press, 1975, 362-385; ders., Robots - Machines or Artificially Created Life?; in: Putnam (1975), 386-407; ders., The Mental Life of Some Machines; in: Putnam (1975), 408-428. Putnam hat später den Funktionalismus grundlegend kritisiert; vgl. Representation and Reality; Cambridge, MIT Press, 1988 (deutsche Übersetzung: Repräsentation und Realität; trad. J. Schulte, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1991).
425
P.M. Churchland, Eliminative Materialism and the Propositional Attitudes; JP 78 (1981), 6790; vgl. auch: P.S. Churchland, Neurophilosophy - Toward a Unified Science of the MindBrain; Cambridge, MIT Press, 1986; P. M. Churchland, A Neurocomputational Perspective - The Nature of Mind and the Structure of Science, Cambridge, MIT Press, 1989. Eine differenziertere Variante des eliminativen Materialismus vertritt R. Rorty in seinem Aufsatz, Mind-Body Identity, Privacy, and Categories; RM 19 (1965), 24-54 (deutsche Übersetzung: Leib-Seele Identität, Privatheit und Kategorien; trad. Τ. Lutz, in: Bieri (1993), 93-120). Es ist allerdings besonders die von Churchland vorgestellte radikalere Version, die in der wissenschaftsphilosophischen Diskussion Aufsehen erregte. Für eine Kritik an Eliminationsstrategien hinsichtlich des Personbegriffs vgl. J. Margolis, Minds, Selves, and Persons; Topoi 7 (1988), 31-45; G. Hunter, The Churchlands' Eliminative Materialism - or The Result of Impatience; Philosophical Investigations 18 (1995), 13-30.
216
Personbegriff und Reduktionismus
Essentialismus: Der Essentialist behauptet, daß die Bedeutung des Personbegriffs durch eine Menge unverzichtbarer Eigenschaftsprädikate festgelegt ist. Häufig genannte Kandidaten für essentielle Eigenschaften sind etwa ,rational', ,einen freien Willen besitzend', ,ein Selbstbewußtsein aufweisend'. Der starke Essentialismus behauptet: (1) daß die essentiellen Eigenschaften in eindeutiger Weise definiert und zugeschrieben werden, sowie (2) daß die Kombination bestimmter essentieller Eigenschaften notwendig und hinreichend für Personalität ist. Der Essentialist schließt Fälle aus, in denen eine Entität eine bestimmte essentielle Eigenschaft nicht besitzt und gleichwohl eine Person ist.426 Transzendentalismus: Der Transzendentalist behauptet, daß der Begriff der Person nicht aufgrund empirischer Beobachtung gebildet wird. Vielmehr ist der Personbegriff eine Voraussetzung für eine bestimmte Form der Erfahrung und der Praxis. Entsprechend der transzendentalen Auffassung ist es nicht sinnvoll, den Personbegriff als rein deskriptiven, nicht-evaluativen Begriff zu verstehen und Fragen zu stellen wie etwa ,Welche empirisch beobachtbaren Eigenschaften begründen die Zuschreibung von Personalität?' oder ,Aus welchen Elementen ist eine Person zusammengesetzt?'. Solche Fragen sind Symptome eines Unverständnisses für die Bedeutung und die konstitutiven Gebrauchsregeln des Personbegriffs.427 Normativismus: Die These, daß der Personbegriff ein normativer Begriff ist, wird zumeist in einem ethischen oder moralphilosophischen Sinn verstanden. Entsprechend sind bestimmte Handlungsanweisungen — Personen sind mit Achtung zu behandelnde Wesen', ,Personen sind in ihrer Autonomie zu respektierende Wesen', ,Personen dürfen nicht als bloße Mittel gebraucht werden', ,Über Personen darf niemand wie über Sachen nach Belieben verfügen' — genuine Bestandteile des Personbegriffs oder sind analytisch aus ihm zu gewinnen. Die ethische oder moralische Normativitätsthese besagt, daß vollständiges deskriptives Wissen über den Bereich natürlicher Dinge nicht die für den Personbegriff konstitutiven Gesichtspunkte enthält. Ein Wesen, das als Person anerkannt wird, besitzt Rechte und/oder muß selbst fähig sein, an einer bestimmten Lebensform teilzunehmen und andere als Personen zu behandeln. Die Zuschreibung von Personalität ist unmittelbar verbunden mit der Anerkennung eines morali-
426
Prominente Vertreter essentialistischer Intuitionen bezüglich des Personbegriffs sind D. Wiggins (1980) und M C. Nussbaum, Human Functioning and Social Justice - In Defense of Aristotelian Essentialism; Political Theory 20 (1992), 202-246; dies., Non-Relative Virtues - An Aristotelian Approach; in: Nussbaum/Sen (1993), 242-269.
427
Vgl. die Bemerkungen zu Kants Begriff der Person in III.5
Rahmenbedingungen
217
sehen Anspruchs des Subjekts auf Achtung. Sie ist in der Regel an die Fähigkeit geknüpft, bestimmten Normen zu entsprechen (,Eine Person behandelt andere als Personen und nicht als bloße Sachen') und Werte (,x ist Person impliziert χ besitzt Würde1) zu beachten. Läßt man die Ebene der Interaktion und ethisch-moralischer Beurteilung von Handlungen außer Acht, so zeigt sich, daß es einen weiteren, nicht spezifisch moralischen Sinn von Normativität gibt, der hinsichtlich des Personbegriffs von Bedeutung ist. Rationale Wesen sind idealiter bestimmten Normen verpflichtet wie der Widerspruchsfreiheit und Konsistenz ihrer Überzeugungen. Auch ein ausschließlich auf die Kognition eingeschränkter Personbegriff — die Person als denkendes Wesen — läßt sich in diesem Sinn als ein normativer Begriff auffassen. Deskriptivismus: Der Deskriptivist gebraucht charakteristischerweise den Personbegriff als Sortal.428 Bestimmte Entitäten werden nach Maßgabe spezifischer Merkmale als Personen bezeichnet. Im Zusammenhang mit deskriptiven und normativen Auffassungen des Personbegriffs spielen auch unterschiedliche Überzeugungen über die Aufgaben und Möglichkeiten von Begriffsexplikationen und Definitionen eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit einem normativen Verständnis des Personbegriffs werden oft Explikationen der Begriffsbedeutung angeboten, die eine zirkuläre Struktur zeigen. Personsein wird etwa an die Fähigkeit eines Wesens gebunden, sich selbst als Person zu begreifen (Reflexivität) und andere Wesen als Personen anzuerkennen (Kommunikativität/Reziprozität). Ein gewisses Verständnis dessen, was hierbei jeweils unter ,Person' verstanden wird, ist dabei schon vorausgesetzt. Der Personbegriff wird in diesen Fällen als ein primitiver oder unanalysierbarer Begriff gebraucht. Die These des Primitimsmus behauptet, daß der Personbegriff ein ursprünglicher Begriff ist. Er kann nicht aus einzelnen grundlegenderen Bestandteilen hergeleitet oder auf diese reduziert werden.429 Die Gegenposition behauptet die Reduzierbarkeit von Personen auf elementare Bausteine. 428
Der Begriff des Sortals wurde v o n P F. Strawson eingeführt. Ein Sortal stellt ein Unterscheidungs- und Zählprinzip für Einzeldinge bereit. Andere allgemeine Termini können ebenfalls derartige Prinzipien liefern, aber nur im Hinblick auf Einzeldinge, die bereits unterschieden oder unterscheidbar sind. Vgl. P F. Strawson, Individuals: An Essay in Descriptive Metaphysics; London, Methuen, 1959, l69f.
429
Prominentester Vertreter der Primitivitätsthese ist PF. Strawson. Er behauptet, daß der Personbegriff nicht aufgespalten w e r d e n kann in die beiden Komponenten ( 1 ) immaterieller Geist und ( 2 ) Körper; vgl. Strawson (1959) H. Ishiguro präzisiert die Bedeutung v o n Strawsons Primitivitätskonzept. Primitivität ist nicht zu verwechseln mit Einfachheit. Es mag sowohl einfache primitive Begriffe geben, etwa den Identitätsbegriff, als auch komplexe primitive Begriffe w i e den Personbegriff. Die Primitivität eines Begriffs steht in
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Personbegriff und Reduktionismus
In der Regel haben Anti-Reduktivisten transzendentalphilosophische und/ oder starke normative Überzeugungen. Die Einbettung des Diskurses über den Begriff der Person in eine Lebensform, in der Personen miteinander kommunizieren, gilt ihnen als eine Grundlage des Personbegriffs, die nicht ausgeklammert werden kann. In diesem Fall wird die Zirkularität von Begriffsexplikationen nicht als ein Defizit, sondern als ein unumgängliches Faktum betrachtet. Die Affirmation der skizzierten Zirkularität ist aber nicht unbestritten. Insbesondere in der zeitgenössischen Philosophie des Geistes gibt es eine starke Tendenz, die Thesen der Primitivität oder Zirkularität im Hinblick auf den Personbegriff auszuschalten.430 Tatsächlich ist es ein Teil der Konzeption zahlreicher neurowissenschaftlicher Forschungsprogramme, Personalität aus elementaren Bestandteilen und Funktionen zu konstruieren. Konventionalismus und Relativismus: Konventionalistische Auffassungen über den Personbegriff besagen, daß die Zusammenstellung der für die Zuschreibung von Personalität einschlägigen Prädikate sich nach den jeweils maßgeblichen Interessen und Vereinbarungen der Benutzer des Personbegriffs richtet. Die Begriffsbedeutung ist abhängig von den Erfahrungen, Entscheidungen oder Gewohnheiten einer Sprechergemeinschaft. Eine Vielzahl kultureller und sozialer Erwägungen spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. Die Bedeutung des Begriffs kann nicht vollständig durch sprecherunabhängige Fakten über die natürliche Welt determiniert sein. Diese können aber eine beträchtliche Rolle spielen. Der Relativist macht die Bedeutung des Personbegriffs abhängig von nicht unbeschränkt verallgemeinerungsfähigen Gesichtspunkten. Er bindet den Personbegriff nicht nur an Interessen und Konventionen von Sprechern. Vielmehr bestreitet er, daß der Begriff unabhängig von historisch oder kulturell spezifizierten Gegebenheiten überhaupt funktioniert. Welche Entitäten Personen sind und was es bedeutet, eine Person zu sein, ist für
enger Verbindung mit seiner Unverzichtbarkeit und der Unmöglichkeit, strikt notwendige und hinreichende Bedingungen für seine Zuschreibung anzugeben. Vgl. H. Ishiguro, The Primitiveness of the Concept of a Person; in: Z. v. Straaten (ed.), Philosophical Subjects Essays Presented to P.F. Strawson; Oxford, Clarendon, 1980, 62-75. 430
Zentral ist dabei das folgende, kaum haltbare, g e g e n Strawson gerichtete Argument: Es ist richtig, daß Personen zwei Arten von Prädikaten gleichermaßen zugeschrieben werden: M-Prädikate (materiespezifische Prädikate) und P-Prädikate (psychespezifische Prädikate). Aber dies bedeutet nicht, daß der Personbegriff irreduzibel ist. Denn P-Prädikate sind identisch mit M-Prädikaten. Nur die Oberflächenstruktur der Umgangssprache sorgt an diesem Punkt für Verwirrung, indem der Schein einer Autonomie der P-Prädikate entsteht.
Rahmenbedingungen
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den Relativisten abhängig von der jeweiligen Sprachpraxis und Lebensform.431 Konstruktionismus: Der Konstruktionist behauptet, daß es keinen interpretationsfreien, direkten Zugang zu Objekten der Erfahrung gibt. Jede Rede über beliebige Gegenstände operiert innerhalb eines umfassenden Interpretationsmodells. Entsprechend dieser Grundüberzeugung ist es unmöglich, sich auf Personen als unmittelbare Bestandteile der Realität unter Absehung von interpretativen Beschreibungsmodellen zu beziehen: Personen sind interpretationsabhängige Konstrukte. Eine schwache Variante des Konstruktionismus kann zwischen mehr oder weniger starken Formen der Interpretationsabhängigkeit von Entitäten unterscheiden. Diese Auffassungen stimmen weitgehend mit konventionalistischen und relativistischen Überzeugungen überein. Die Modellierung basaler Entitäten als Personen erfolgt im Konstruktionismus mit Hilfe logischer und begrifflicher Konstruktionen. Empirische Daten über natürliche Gegenstände ermöglichen nach Überzeugung des Konstruktionisten von sich aus jedoch nicht die Bildung des Personbegriffs. Unterstützung bezieht diese Position durch den Hinweis auf die Normativität und Selektivität des Personbegriffs. Nicht Bewußtheit oder Handlungsfähigkeit in einem allgemeinen Sinn, sondern spezifische, kulturabhängig spezifizierte Arten der einschlägigen Eigenschaften und Verhaltensweisen begründen die kontextuell variierenden Regeln der Zuschreibung von Personalität. In jüngerer Zeit werden konstruktionistische Auffassungen gemeinsam mit relativistischen Thesen insbesondere hinsichtlich geschlechtsspezifischer Konzeptionen des Personseins (,sex' vs. ,gender') behandelt. In diesem Zusammenhang wird die Auffassung vertreten, daß sich Menschen stets nach Maßgabe kulturell geprägter Muster in geschlechtsspezifischen Weisen zu Personen entwickeln. Die soziale und kulturelle Ordnung der Geschlechter nimmt dabei eine autonome Dimension ein, die nicht mit der
431
M. Hollis, S. Lukes ( e d s ) , Rationality and Relativism; Cambridge, M I T Press, 1982; J.W. Meiland, M. Krausz (eds ), Relativism - Cognitive and Moral; Notre Dame University Press, 1982; J. Margolis u.a. (eds.): Rationality, Relativism and the Human Sciences; Dordrecht, Nijhoff, 1986; M. Krausz (ed.), Relativism - Interpretation and Confrontation; Notre Dame, Notre Dame University Press, 1989; L Laudan, Science and Relativism - Some K e y Controversies in the Philosophy of Science; Chicago, University of Chicago Press, 1990; M. Dascal (ed.), Cultural Relativism and Philosophy - North and Latin American Perspectives; Leiden, Brill, 1991; J. Margolis, T h e Truth about Relativism; O x f o r d , Blackwell, 1991.
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Personbegriff und Reduktionismus
Differenz zwischen weiblichen und männlichen Mitgliedern der biologischen Art identifiziert werden kann.432 Gleichgültig welche der genannten Versionen des Personbegriffs vertreten wird, ist zu klären, ob auf die Frage ,Ist χ eine Person?' in jedem Fall eine eindeutig bejahende oder verneinende Antwort gegeben werden kann. Drei Positionen sind zu unterscheiden: (1) Absolutismus: Der Absolutist behauptet, daß die Frage ,Ist χ eine Person?' prinzipiell eine eindeutig bejahende oder verneinende Antwort erhalten kann.433 (2) Gradualismus: Der Gradualist vertritt die Auffassung, daß es Fälle gibt, in denen Gegenstände in mehr oder weniger hohem Maß als Personen bezeichnet werden. Auf die Frage ,Ist χ eine Person?' kann der Gradualist eindeutig antworten: ,X ist in erheblichem Ausmaß eine Person' oder möglicherweise in quantitativer Redeweise ,X ist zu 60% eine Person'. Gradualisten können sowohl deskriptive als auch normativ orientierte Personbegriffe vertreten.434 (3) Indeterminismus: Der Indeterminist argumentiert dafür, daß es Fälle gibt, in denen keine Tatsache als Basis für eine eindeutige Entscheidung über die Zuschreibung von Personalität zur Verfügung steht. Der Indeterminismus tritt in einer ontologischen und in einer epistemologischen Vari432
Konstruktionistische Auffassungen spielen insbesondere im Bereich historischer, sozialwissenschaftlicher und ethnologischer Untersuchungen zum Personbegriff eine herausragende Rolle; vgl. beispielsweise die oft angeführte Studie von C. Geertz (1973) sowie die Aufsatzsammlung: C. Levi-Strauss (ed.), L'Identite - Seminaire interdisciplinaire dirigee par Claude Levi-Strauss professeur au College de France; Paris, Presses Universitaires de France, 1983. Zu geschlechtsspezifischen Personkonstruktionen vgl. M. Ruse, Sexual Identity Reality or Construction?; in: Η. Harris (ed.): Identity - Essays Based on Herbert Spencer Lectures Given in the University of Oxford; Oxford, Clarendon, 1995; E. Stein (ed.), Forms of Desire - Sexual Orientation and the Social Constructionist Controversy; New York, Routledge, 1992; S. Benhabib, Situating the Self - Gender, Community and Postmodernism in Contemporary Ethics; Cambridge, Polity Press, 1992; H. Nagl-Docekal, H. Pauer-Studer (eds), Denken der Geschlechterdifferenz - Neue Fragen und Perspektiven der feministischen Philosophie; Wien, Wiener Frauenverlag, 1990; M. Griffiths, Feminism and the Self - The Web of Identity; London, Routledge, 1995.
433
Offensichtlich ist der Vertreter des sogenannten gesunden Menschenverstands ein Absolutist. Vertreter dieses Standpunkts in theoretischen Zusammenhängen sind u.a. D. Davidson, N. Rescher; vgl. D. Davidson, Rational Animals; Dialectica 36 (1982), 318-327; N. Rescher, What Is a Person?; in: ders., A System of Pragmatic Idealism II: The Validity of Values - A Normative Theory of Evaluative Rationality; Princeton, NJ, Princeton University Press, 1993, 113-128.
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Als Beispiel für einen nicht-quantifizierenden, gradualistischen Normativismus kann der Personbegriff Dennetts dienen. Er ist der Auffassung, daß faktisch der normative Personbegriff nur annäherungsweise realisiert wird; vgl. D. Dennett, Conditions of Personhood; in: Rorty (1976), 175-196.
Rahmenbedingungen
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ante auf. Entsprechend der ontologischen Version ist es unbestimmt, ob eine bestimmte Entität eine Person ist oder nicht: das Objekt selbst ist indeterminiert oder vage. Entsprechend der epistemologischen Version des Indeterminusmus steht kein Kriterium für eine eindeutige Zuschreibung oder Nicht-Zuschreibung von Personalität zur Verfügung. Hier wird nicht behauptet, daß das Objekt selbst indeterminiert oder vage sei. Vielmehr gibt es keine Grundlage für eine hinreichende Erkenntnis über die Beschaffenheit des Objekts.435 Auf diesen knappen Überblick über das Spektrum gegenwärtig vertretener Auffassungen könnte der personifizierte gesunde Menschenverstand unwillig einwenden, es handele sich hier lediglich um künstliche Probleme und um den Wortstreit professioneller Problemproduzenten. Der Begriff der Person sei ein zentraler und im Grunde keineswegs unklarer Begriff. Denn schließlich sind Personen Menschen. Und nur Menschen sind Personen. Und außerdem ist jeder Mensch eine Person. Folglich gibt es weder ein allgemeines Problem der Personalität noch ein spezielles Problem der Identität der Person. Ein Einwand dieser Art ist in Anbetracht der Unübersichtlichkeit der Diskussionslandschaft nicht unverständlich. Aber auch wenn der Einwand verständlich ist, so sind die vorgetragenen Meinungen nicht haltbar. Warum ist das so? — Der gesunde Menschenverstand und ihm nahestehende Autoren argumentieren dafür, daß der Personbegriff iden-
455
Im Zusammenhang mit der Indeterminismus-These sind insbesondere die Überlegungen zum Konzept der vagen Identität zu beachten. Von Bedeutung ist ebenfalls das Problem der Relativität der Identität: J. Broome, Indefiniteness in Identity; Analysis 44 (1984), 6-12; J A. Burgess, Vague Identity: Evans Misunderstood; Analysis 50 (1990),112-119; H.M. Cartwright, On Two Arguments for the Indeterminacy of Personal Identity; Synthese 95 (1993), 241-273; Μ. Cook, Indeterminacy of Identity; Analysis 46 (1986), 179-186; G. Evans, Can There Be Vague Objects?; Analysis 38 (1978), 208; F. Feldman, Geach and Relative Identity; RM 22 (1968), 547-555; F. Feldman, A Rejoinder; RM 22 (1968), 560-561; B.J. Garrett, Vagueness and Identity; Analysis 48(1988), 130-134; PT. Geach, Identity, RM 21 (1967); 312; P.T. Geach, A Reply, RM 22 (1968); 554-559; B. Johnsen, Is Vague Identity Incoherent?; Analysis 50 (1990), 103-112; D. Lewis, Vague Identity: Evans Misunderstood; Analysis 48 (1988), 128-130; E.J. Lowe, Impredicative Identity Criteria and Davidson's Criterion of Event Identity; Analysis 50 (1990), 178-181; T. Merricks, Endurance and Indiscernability; JP 91 (1994), 165-184; J. Nelson, Relative Identity; Nous 4 (1970), 241-260; H.W. Noonan, Indefinite Identity: A Reply to Broome; Analysis 44 (1984), 117-121; ders., Relative Identity: A Reconsideration; Analysis 46 (1986), 6-10; ders., Vague Identity Yet Again; Analysis 50 (1990), 157-162; ders., Indeterminate Identity, Contingent Identity and Abelardian Predicates; Philosophical Quarterly 41 (1991), 183-193; D.E. Over, Vague Objects and Identity; Analysis 50 (1990), 97-99; T. Parsons, Entities without Identity; Philosophical Perspectives 1 (1987), 1-19; J. Perry, The Same F; PR 79 (1970), 181-200; R.M. Sainsbury, What is a Vague Object; Analysis 50 (1990), 99-103; P. Simons, Vagueness and Ignorance II; AS SV 66 (1992), 163-177; R.H. Thomson, Identity and Vagueness; Philosophical Studies 42 (1982), 329-332; T. Williamson, Vagueness and Ignorance I; AS SV 66 (1992), 145-162.
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Personbegriff und Reduktionismus
tisch ist mit der Bedeutung der Speziesbezeichnung ,homo sapiens'.436 Um zu klären, inwiefern diese These berechtigt oder unsinnig ist, kann man zunächst im Sinn des Arguments annehmen, es ließe sich erweisen, daß sämtliche Eigenschaften, die mit Hilfe des Personbegriffs einem Wesen zugeschrieben werden können, auch Eigenschaften der Mitglieder der natürlichen Art ,homo sapiens' sind. Unter dieser Voraussetzung wäre aber keineswegs gezeigt, daß der Personbegriff der Begriff einer natürlichen Art wäre. Vielmehr wäre die Feststellung angebracht, daß die Extension des Begriffs kontingenterweise exakt mit derjenigen des Konzepts einer natürlichen Art übereinstimmt. Die Funktion und Bedeutung des Begriffs könnte gleichwohl eine andere als diejenige eines Artbegriffs sein.437 Die Vorstellung, daß Wesen anderer Arten als Personen zu behandeln sind, hat im Gegensatz zu der Annahme, daß nicht zur Spezies ,homo sapiens' gehörende Lebewesen als Mitglieder eben dieser Art gelten, nichts Paradoxes an sich. Wenn überhaupt, dann ist die These vom Personbegriff als Konzept einer bestimmten Art eine Diagnose der Extensionsgleichheit zweier Begriffe. Über die Bedeutung und die Signifikanz des Personbegriffs kann eine solche Auffassung keinen näheren Aufschluß geben. Die hier angesprochenen Probleme lassen sich konkretisieren: In der Regel ist mit der Auffassung des Personbegriffs als einer ausschließlich auf den Menschen zutreffenden Kategorie gemeint, daß bestimmte Eigenschaften des Menschen sein Personsein konstituieren. Im Zentrum stehen etwa die Rationalitat oder Intelligenz, das Bewußtsein und die Empfindungsfähigkeit des Menschen. Für den Personbegriff ist unwesentlich, welche Haarfarbe, welche Stoffwechselwerte, welche Körpergröße ein bestimmter Mensch oder der durchschnittliche Vertreter der Spezies hat. Nun ist es ein empirisches Faktum, daß bestimmte Menschen beispielsweise aufgrund von Organschäden die spezifischen Eigenschaften momentan oder in bestimmten Lebensphasen entbehren oder niemals aufweisen. Es gibt lebende menschliche Organismen, die weder rational handeln können, noch bei Bewußt-
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Die Gleichsetzung der Begriffe .Person' und .Mensch' ist vor allem bei Autoren anzutreffen, die einen normativen Naturbegriff haben oder bestimmte religiöse, ethische und juristische Überzeugungen als Grundnormen gegen Attacken von Revisionisten immunisieren wollen.
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Anders als zu Zeiten des Aristoteles gilt unter gegenwärtigen Bedingungen, daß der Begriff einer natürlichen Art selbst alles andere als unproblematisch ist. Auch dem Laien machen die Interventionsmöglichkeiten der Gentechnologien klar, daß die Zeiten vorüber sind, zu denen man den Begriff der natürlichen Spezies als unangreifbares Fundament der Begriffsbildung ansehen konnte. Zum Begriff der natürlichen Art vgl. die logischen und epistemologischen Analysen in: S P. Schwartz (ed.), Naming, Necessity, and Natural Kinds; Ithaca, Cornell University Press, 1977.
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sein sind und auch keine Empfindungsfähigkeit besitzen. Manche Menschen sind aufgrund von Schädigungen, die bereits vor der Geburt vorhanden sind, überhaupt nicht in der Lage, jemals die einschlägigen Eigenschaften oder Funktionen des Personseins zu entwickeln. Folglich können die für Personalität essentiellen Eigenschaften nicht einmal als notwendige Eigenschaften eines menschlichen Lebewesens gelten: Es gibt Lebewesen, welche die personspezifischen Eigenschaften nicht haben, aber Menschen sind. Das Gegenargument des gesunden Menschenverstandes lautet an dieser Stelle: Faktisch haben manche Menschen nicht die personalitätskonstitutiven Eigenschaften, aber potentiell sind sie Träger dieser Eigenschaften und dies ist das entscheidende Faktum. Diese Replik ist einwandfrei, soweit sie trägt. Die Frage ist ,Wie weit trägt sie?'. — Der Gegner des gesunden Menschenverstandes verlangt nun nach Gründen (i) für die Selektion der essentiellen Eigenschaften von Personen aus der allgemeinen Menge der Eigenschaften von Menschen und (ii) für die These, daß ein Wesen, dem bestimmte Eigenschaften faktisch niemals zukommen, als ein Wesen behandelt wird, das diese Eigenschaften potentiell besitzt. Wenn der gesunde Menschenverstand für (i) nicht bei metaphysischen Wesenseinsichten sein Heil sucht, dann wird er vermutlich behaupten, daß es die für das Zusammenleben und die Lebenspraxis zentralen Eigenschaften sind, die für den Personbegriff relevant sind. Als solche kommen, wie gesagt, besonders Rationalität/Intelligenz, Bewußtsein/Selbstbewußtsein oder Empfindungsfähigkeit in Frage. An dieser Stelle kann man den Dialog mit dem Resultat beenden, daß der Begriff der Person hier als ein normativer Begriff verwendet wird und keineswegs mit dem allgemeinen Begriff des Menschen identisch ist. Die Ausgangsthese des gesunden Menschenverstandes ist widerlegt. Es trifft nicht zu, daß ohne massive transzendentalphilosophische oder normative Fundierung gesagt werden kann, jeder Mensch ist Person und nur Menschen sind Personen. Wird die Debatte fortgesetzt, so verschlechtert sich die Position des gesunden Menschenverstandes weiter. Es ist zwar ein triviales und unkontroverses Faktum, daß der normale erwachsene Mensch der Prototyp einer Person ist. Aber diese Feststellung allein erhellt noch nicht die Bedeutung des Begriffs der Person. Im Gegenteil, trotz ihrer oberflächlichen Plausibilität erscheint die Gleichsetzung der Begriffe ,Mensch' und ,Person' schlicht als verfehlt, wenn man die in der Regel als Kandidaten essentieller Eigenschaften von Personen ausgegebenen Eigenschaften näher betrachtet (Rationalität/Intelligenz, Bewußtsein/Selbstbewußtsein oder Empfindungsfähigkeit). Tatsächlich werden anderen Wesen als Menschen einige der einschlägigen Eigenschaften durchaus zugeschrieben. Zu denken ist hier an die aus
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Personbegriff u n d Reduktionismus
der Ideengeschichte bekannten nicht-menschlichen Kandidaten, als da sind reine Geistwesen wie Gott und die Engel. Gegenwärtig sind wenige Philosophen bereit, sich für diese Personengruppe stark zu machen. In jüngerer Zeit werden hingegen häufig künstliche Intelligenzen als Kandidaten des Personseins behandelt.438 Im Gegensatz zu diesen mit spekulativen Überlegungen verbundenen Anwendungsfällen des Personbegriffs wird der juristische Personbegriff nicht nur auf einzelne Menschen, sondern auch auf Artefakte wie Körperschaften und Verbände angewendet. Offensichtlich sind also die Entitäten, denen Handlungen und Handlungsfolgen zugerechnet werden, nicht notwendigerweise identisch mit einzelnen Menschen. Darüber hinaus wird die Frage nach dem Personenstatus von anderen Tieren als Menschen gestellt. Nach Auffassung zahlreicher Wissenschaftler verhalten sich Schimpansen und Delphine in einer Weise, die zur Zuschreibung von Überzeugungen und Absichten, von Bewußtsein und elementaren Formen des Selbstbewußtseins berechtigt. Die Intelligenz dieser und anderer höherer Tiere ist — im Gegensatz zu derjenigen juristischer Personen — ein auch dem Laien unmittelbar einsichtiger Sachverhalt.439 Die eindrücklichsten Belege für das Auftreten der vom gesunden Menschenverstand als personkonstitutiv bezeichneten Eigenschaften scheinen Fälle zu liefern, in denen Tiere ein bestimmtes Verhalten simulieren oder sich selbst, beispielsweise in einem Spiegel, wiedererkennen. Das hierbei als Verfolgen von komplexen Absichten, als Kommunikation mit anderen Wesen (Täuschung) sowie als eine elementare Form von Selbsterkennen zu interpretierende Verhalten wirft erhebliche Schwierigkeiten für die These des gesunden Menschenverstandes auf, daß nur Menschen Personen d.h. vernünftige Lebewesen sind und sein können. Die Evidenz gegen die These ist beträchtlich. An dieser Stelle wird das Problem der Klärung des Personbegriffs nicht weiter verfolgt. Die vorangegangenen Bemerkungen haben den allgemeinen Rahmen der gegenwärtigen Diskussion aufgezeigt und die spezifischen 43®
Vgl. u.a. J.L. Pollock, How to Build a Person - A Prolegomenon; Cambridge, MIT Press, 1989.
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Zu diesem Problemfeld vgl. P. Cavalieri, P. Singer (eds.), The Great Ape Project - Equality Beyond Humanity; London, Fourth Estate, 1993 (deutsche Übersetzung: Menschenrechte für die Großen Menschenaffen - Das Great Ape Project; trad. H.J. Baron Koskull, München, Goldmann, 1994); R.W. Mitchell, N.S. Thompson (eds.), Deception - Perspectives on Human and Nonhuman Deceit; Albany, State University of New York Press, 1987; R.W. Mitchell u.a. (eds ), Self-awareness in Animals and Humans - Developmental Perspectives; Cambridge, Cambridge University Press, 1994; T. Regan, P. Singer (eds ), Animal Rights and Human Obligations; Englewood Cliffs, Prentice-Hall, 1989; R.G. Frey, Interests and Rights - The Case Against Animals; Oxford, Clarendon, 1980.
P e r s o n e n u n d ihre Identitäten bei Parfit
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Probleme des Personbegriffs herausgestellt. Im folgenden wird eine maßgebliche Position des Reduktionismus behandelt, diejenige D. Parfits. Die Probleme der Explikation des Personbegriffs werden im abschließenden fünften Kapitel erneut aufgegriffen.
IV.2. Personen und ihre Identitäten bei Parfit Das Vorgehen analytischer Philosophen kann man karikierend als ein zweiteiliges Manöver beschreiben: Man nehme ein Problem und teile es in ein Pseudoproblem und in eine ,sinnvolle' Frage. Das Pseudoproblem kommt in den Müll; die ,sinnvolle' Frage kommt in den begriffsanalytischen Mixer und wird solange bei mittlerer Geschwindigkeit durchgerührt bis eine klare und deutliche Antwort herauskommt. Abschließend wird die Antwort so garniert, daß sie aussieht wie eine Antwort auf die Ausgangsfrage. Nicht-analytische Philosophen — Phänomenologen, Hermeneutiker, Poststrukturalisten, Diskursanalytiker, Dekonstruktivisten — widmen sich der Aporienverwaltung: Sie halten hartnäckig an den von den Analytikern als Pseudoprobleme ausgesonderten Fragen fest und sagen, daß die Analytiker gar nicht verstanden haben, um was es ,in Wahrheit' geht. Die nüchterne Ekstase angesichts ebenso karger wie deutlicher Antworten können sie nicht teilen. Sie argwöhnen, daß die ,eigentlichen' Probleme unter den Teppich gekehrt wurden. Das Rezept für Nicht-Analytiker lautet also: Man formuliere Fragen, von denen man glaubt, daß sie überhaupt nicht beantwortet werden können. Diese Fragen verrühre man gründlich zu einem synkretistischen Diskurs. Die erwünschte Wirkung auf Hörer oder Leser besteht in einem Zustand tiefer Verwunderung. D. Parfit steht in prototypischer Weise für den Geist der analytischen Methode. Er ist einer der prominentesten Vertreter desjenigen Theorietyps, der ein neo-Lockesches Modell psychischer Kontinuität von Personen vertritt und die diachrone Identität einer Person durch die Beziehungen zwischen einzelnen Personenstadien bestimmt. Die Theorie basiert auf in den siebziger Jahren erstmals publizierten Überlegungen. 440 In größerem Zusammenhang hat Parfit seine Auffassungen über personale Identität im dritten Teil seines 1984 veröffentlichten Buchs ,Reasons and Persons' vorge440
Personal Identity; PR 80 (1971), 3-27 (erneut in: Perry (1975), 199-223); On the Importance of Self-Identity; JP 68 (1971), 683-690; Later Selves and Moral Principles; in: A. Montefiore (ed.), Philosophy and Personal Relations; London, Routledge & Kegan Paul, 1973, 137169; Lewis, Perry, and What Matters; in: Rorty (1976), 91-107; Rationality and Time; PAS 84 (1983/84), 47-82.
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Personbegriff u n d Reduktionismus
legt.441 Die Grundlinien von Parfits reduktionistischer Theorie der Person und ihrer Identität blieben seit den ersten Aufsätzen unverändert. Details wurden mehrfach revidiert. Parfits Arbeitsweise ist äußerst sorgfältig und auf möglichst große Unterscheidungsschärfe angelegt.442 Die Erörterung der Überlegungen Parfits erfolgt in drei Teilschritten: Im ersten Abschnitt wird Parfits Konzeption psychischer Kontinuität untersucht.
441
Reasons and Persons; Oxford, Clarendon, 1984 u.ö. (im folgenden abgekürzt: ,RP'). 1997 erschien ein seit mehreren Jahren angekündigtes, von J. Dancy betreutes Buch mit ParfitKritiken. Die ursprünglich für diese Publikation erwarteten Repliken D. Parfits wurden nicht abgedruckt. Die Repliken sollen in drei Bänden erscheinen, deren Veröffentlichung für die nächste Zeit in Aussicht gestellt wird; vgl. J. Dancy (ed.), Reading Parfit; Cambridge, Blackwell, 1997. Der Band enthält unter anderem Beiträge von J.J. Thomson, J. McDowell und M. Johnston. Vgl. auch folgende Rezensionen von RP: A. Goldman, Reasons and Personal Identity; Inquiry 28 (1985), 373-398; D. Gordon, D. Parfit .Reasons and Persons'; International Philosophical Quarterly 25 (1985), 327-329; J. Margolis, D. Parfit .Reasons and Persons'; Philosophy and Phenomenological Research 47 (1986/87), 311327; M.A. McCloskey, D. Parfit .Reasons and Persons'; Australasian Journal of Philosophy 64 (1986), 381-389; I. Persson, D. Parfit .Reasons and Persons'; Theoria 51 (1985), 45-54; S. Shoemaker, D. Parfit .Reasons and Persons'; Mind 94 (1985),443-453; P. Simpson, D. Parfit .Reasons and Persons'; RM 39 (1985), 370-372.
442
Die Literatur zu Parfit ist umfangreich. Eine vollständige Übersicht kann hier nicht gegeben werden. Folgende Beiträge wurden berücksichtigt: R.M. Adams, Should Ethics Be More Impersonal? - A Critical Notice of Derek Parfit .Reasons and Persons'; PR 97 (1989), 439-484; M. Beizer, Notes on Relation R; Analysis 56 (1996), 56-62; Q. Cassam, Kant and Reductionism; RM 43 (1989), 72-106; ders., Parfit on Persons; PAS 83 (1993), 17-37; D. Ehring, Survival and Trivial Facts; Analysis 47 (1987), 50-54; R. Elliot, Personal Identity and the Causal Continuity Requirement; Philosophical Quarterly 41 (1991), 55-75; L. Fields, Parfit on Personal Identity and Desert; Philosophical Quarterly 37 (1987), 432-441; G. Gillett, Reasoning about Persons; in: Peacocke/Gillett (1987), 75-88; H. Harris, An Experimentalist Looks at Identity; in: Harris (1995), 47-63; M. Johnston, Reason and Reductionism; PR 101 (1992), 589-618; C.M. Korsgaard, Personal Identity and the Unity of Agency - A Kantian Response to Parfit; Philosophy and Public Affairs 18 (1989), 101-132; D. Lewis, Survival and Identity; in: Rorty (1976), 17-40 (erneut in: Lewis (1983), 55-72); G. Madell, Derek Parfit and Greta Garbo; Analysis 45 (1985), 105-109; H. Noonan, Parfit and what Matters in Survival; in: Noonan (1989), 192-210; L.N. Oaklander, Parfit, Circularity, and the Unity of Consciousness; Mind 96 (1987), 525-529; P. Ricoeur, L'identite narrative; Esprit 7/ 8 (1988), 295-304 (englische Übersetzung: Narrative Identity; Philosophy Today 35 (1991), 73-81); C. Rovane, The Epistemology of First-Person Reference; JP 84 (1987), 147-167; J. Ryberg, Parfit's Repugnant Conclusion; Philosophical Quarterly 46 (1996), 202-213; M. Schechtman, Personhood and Personal Identity; JP 87 (1990), 71-92; M. Schechtman, The Same and the Same - Two Views of Psychological Continuity; American Philosophical Quarterly 31 (1994), 199-212; dies., The Truth about Memory; Philosophical Psychology 7 (1994), 3-18; M. Siderits, Ehring on Parfit's Relation R; Analysis 48 (1988), 29-32; E. Sosa, Surviving Matters; Nous 24 (1990), 297-322; L. Sowden, Parfit on Self-interest, CommonSense Morality and Consequentalism - A Selected Critique of Parfit's .Reasons and Persons'; Philosophical Quarterly 36 (1986), 514-535; J.J. Thomson, Ruminations on an Account of Personal Identity; in: dies, (ed.), Being and Saying - Essays for Richard Cartwright; Cambridge, MIT, 1987, 215-240; S. Wolf, Self-interest and Interest in Selves; Ethics 96 (1986), 704-720.
P e r s o n e n u n d ihre Identitäten bei Parfit
227
Dabei wird nach der für dieses Modell grundlegenden Auffassung der miteinander in Verbindung stehenden Grundeinheiten (Personenstadien) sowie der begrifflichen Erläuterung der Relation zwischen diesen Basiselementen gefragt (IV.2.1.)· Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Parfits Theorie von dem Zirkularitätsvorwurf Butlers betroffen ist (IV.2.2.)· Der dritte Abschnitt thematisiert die These Parfits, nach der Identität für die diachrone Existenz von Personen nur indirekt von Bedeutung ist. Die Relevanz der Identitätsrelation verdankt sich allein einer weitgehenden Koinzidenz mit psychischer Kontinuität bei Personen. Parfit zieht aus diesem Befund die Konsequenz, den Identitätsbegriff hinsichtlich der diachronen Existenz von Personen zu marginalisieren. Anstelle der Identitätsrelation ist für das Überleben einer Person allein die bereits spezifizierte Relation psychischer Kontinuität relevant. Für diesen Strang der Überlegungen Parfits spielen verschiedene Gedankenexpenmente eine zentrale Rolle. Diese sollen logische Möglichkeiten aufweisen, in denen psychische Kontinuität und Identität divergieren. Insbesondere handelt es sich dabei um Szenarien, in denen eine Person redupliziert wird oder Spaltungen/Verschmelzungen von Personen auftreten (IV.2.3.).
IV.2.1. Personale Identität durch psychische Kontinuität IV.2.1.1. Reduktion, Apersonalismus, Relation R Die Konzeption Parfits ist reduktionistisch. Personale Identität besteht in nichts anderem als bestimmten Verbindungen zwischen psychischen Zuständen, die in angemessener Weise verursacht sind. Parfit stellt sich mit diesem Ansatz in die Tradition Lockes. Er rückt also nicht die Frage nach einer Substanz, mit der die Person identifiziert wird, in den Mittelpunkt. Statt dessen interessiert er sich primär dafür, ob diejenigen relevanten psychischen oder mentalen Zustände gegeben sind, die die Zuschreibung von Personalität und Identität der Person begründen. Der Personbegriff selbst wird nicht ausführlich erörtert. Eine in der Tradition Lockes anzusiedelnde Feststellung sagt das Wesentliche. Eine Parfit-Person (PP) wird als ein Wesen bestimmt, das Selbstbewußtsein besitzt und die eigene Identität und kontinuierliche Existenz über die Zeit hinweg erkennt.443
443
RP, 202: ,,[T]o be a person, a being must be self-conscious, aware of its identity and its continued existence over time".
228
Personbegriff und Reduktionismus
Diese Skizze eines Personbegriffs fordert nicht, daß eine Person einen Körper hat. Sie schließt aber ebensowenig aus, daß Personen nichts anderes sind als ganz bestimmte, mentaler und psychischer Zustände fähige Körper. Mit Blick auf eine solche Konzeption stellt sich die bereits im Zusammenhang mit den Überlegungen Lockes und Humes erörterte Frage, wie die unterschiedlichen momentanen psychischen Zustände sowohl synchron als auch diachron zu Zuständen einzelner unterscheidbarer Personen verbunden werden. Bei Locke besteht diese Verbindung in der Beziehung zwischen unterschiedlichen momentanen Bewußtseinszuständen. Insbesondere der Erinnerung kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Humes Bündeltheorie konnte an dieser Stelle keine befriedigende Antwort geben und ist folglich als gescheitert zu betrachten. Wie geht Parfit mit diesem Problem um? — Die eine Hälfte des Problems wird ausgeklammert. Die zweite Hälfte erfährt eine ausführliche Bearbeitung. Ausgeklammert oder als unwesentlich betrachtet wird die Frage danach, wie die Einheit des Betvußtseins in der Synchronie konstituiert und begrifflich erfaßt wird. Bearbeitet wird die Frage nach den Verbindungen, die in der Diachronie die einzelnen Bewußtseinszustände einer Person verbinden. Angesichts zahlreicher kritischer Nachfragen stellt Parfit im Hinblick auf die Einbettung seiner Überlegungen wiederholt klar, daß er sich dem Problem der Identität der Person in spezifisch moralphilosophischer Absicht widmet. Diese Absicht koinzidiert allerdings nicht mit der allgemeinen, seit jeher in enger Verbindung mit dem Personbegriff stehenden Problematik der Verantwortlichkeit und Zurechenbarkeit von Handlungen. Ziel der Arbeit Parfits ist eine Revision verbreiteter und tief verwurzelter Überzeugungen bezüglich des Wesens von Personen und ihrer diachronen Identität. Parfit argumentiert mit Nachdruck für eine apersonale Sichtweise. Damit ist eine Perspektive gemeint, die ausschließt, daß Personen etwas anderes sind als psychische Zustände und deren Beziehungen. Insbesondere wird damit der Rede über Träger oder Besitzer der entsprechenden Zustände der Boden entzogen. Mit Hilfe von Gedankenexperimenten bemüht sich Parfit zu zeigen, daß alles, was man vernünftigerweise als für personales Leben relevant halten kann, auf der Basis spezifischer Verbindungen von psychischen Zuständen konstituiert werden kann. Und mehr: Insofern materialistische oder immaterialistische Substanzmodelle überzeugen, tun sie es, weil sie mit den Modellen psychischer Kontinuität übereinstimmen. Die Revision, die durch die Akzeptanz eines Modells psychischer Kontinuität erzielt wird, verdeutlicht Parfit mit Hilfe dramatischer Vergleiche. Wenn Personen nichts anderes sind als die momentanen Personenstadien
Personen und ihre Identitäten bei Parfit
229
und deren Beziehungen, dann gibt es kein empirisch unfaßbares Wesen der Person, keine Seele, keinen unsichtbaren Kern, kein substantielles Ich oder Selbst. Es gibt keinen stabilen, unveränderlichen Träger oder Besitzer von Zuständen, der gewissermaßen unter der Oberfläche verborgen ist. Alles, was es gibt, sind Personenstadien sowie deren Beziehungen. Die einzelnen Stadien unterscheiden sich in mehr oder weniger großem Ausmaß. Sie zeigen aber über die Zeit hinweg keine Unveränderlichkeit. Alles ist im Fluß. Den Gehalt dieser These vergleicht Parfit mit der Lehre Buddhas. Der Effekt der Annahme einer apersonalen und reduktionistischen Auffassung kommt seiner eigenen Erfahrung nach einer Konversion gleich: Überzeugungen, die der eigenen Person und dem eigenen Leben im Gegensatz zu den Zuständen anderer Personen eine weitaus größere Relevanz zusprechen oder die antizipierten Zustände der eigenen Person als in der Gegenwart bedeutsam gewichten, werden entkräftet. Das Projekt hat positive lebenspraktische Konsequenzen: The truth is very different from what w e are inclined to believe [...] Is the truth depressing? Some may find it so. But I find it liberating, and consoling. W h e n I believed that my existence was a such a further fact, I seemed imprisoned in myself. My life seemed like a glass tunnel, through which I was moving faster every year, and at the end of which there was darkness. When I changed my view, the walls of my glass tunnel disappeared. I now live in the open air. There is still a difference between my life and the lives of other people. But the difference is less. Other people are closer. I am less concerned about the rest of my own life, and more concerned about the lives of others. 444
444
281. Oberflächliche Analogien zwischen Parfits Apersonalismus und Formulierungen buddhistischer Texte sind herstellbar. Vgl. etwa den folgenden Passus aus dem .Majjhimanikaäya': „Sechs (an der Zahl), ο Mönche sind diese Irrlehren. Welche sechs? Da, ο Mönche, betrachtet der ungebildete Durchschnittsmensch, die Edlen ncht gewahrend, der edlen Lehren unkundig, in der edlen Lehre unausgebildet, gute Menschen nicht gewahrend, der Lehre guter Menschen unkundig, in der Lehre guter Menschen unausgebildet, den Körper: ,Das ist mein; das bin ich; das ist mein Selbst!' Er betrachtet die Wahrnehmung: ,Das ist mein; das bin ich; das ist mein Selbst!' Er betrachtet das Bewußtsein: ,Das ist mein; das bin ich; das ist mein Selbst!' Er betrachtet die Geistestätigkeit: ,Das ist mein; das bin ich; das ist mein Selbst!' Auch was gesehen, gehört, gefühlt, erkannt, erreicht, untersucht, vom Geist erforscht wurde, auch das betrachtet er: ,Das ist mein; das bin ich; das ist mein Selbst!' Und auch diese Lehrmeinung: ,Das ist die Welt; das ist das Selbst; das werde ich, dahingegangen, sein: unvergänglich, beständig, ewig, unveränderlich, immerdar derselbe, ebenso werde ich bleiben!' betrachtet er: ,Das ist mein; das bin ich; das ist mein Selbst' [. ..]". Gautama Buddha: Die vier edlen Wahrheiten - Texte des ursprünglichen Buddhismus; ed. und trad. Κ. Mylius, München, dtv, 1985, 132 (leichte Veränderung des Texts, D.T.); vgl. auch K. Lorenz: Artikel .Philosophie, buddhistische'; EPhW III, 147-157 (mit Bibliographie).
RP;
230
Personbegriff und Reduktionismus
Es geht an dieser Stelle nicht darum, über das Ziel eines apersonalen Konzepts des Lebens und Handelns zu urteilen.445 Diskutiert wird im folgenden die Frage, ob Parfit in der Lage ist, eine überzeugende Version eines Modells psychischer Kontinuität von Personen zu präsentieren. Den für sein Modell grundlegenden Begriff des Reduktionismus erläutert Parfit unter Bezugnahme auf zwei mögliche Versionen der Reduktion von Personen. Das reduktionistische Körper-Modell behauptet: die Identität der Person wird durch den Körper oder einen spezifischen Teil des Körpers (das Gehirn) gewährleistet. Das reduktionistische psychologische Modell besagt: die Identität der Person wird durch psychische Kontinuität garantiert. Beide Modelle sind gleichermaßen reduktionistisch, weil sie mit den beiden folgenden Grundsätzen des Reduktionismus übereinstimmen: Reduktion 2: Die diachrone Identität einer Person wird ausschließlich durch bestimmte partikulare Tatsachen konstituiert. Reduktion 2: Die relevanten Tatsachen können beschrieben werden, (i) ohne die Identität derjeweiligen Person vorauszusetzen, oder (ii) ohne ausdrücklich zu behaupten, daß die Erfahrungen im Leben dieser Person von dieser Person erfahren werden, oder (iii) ohne sogar ausdrücklich zu behaupten, daß diese Person existiert. Die Tatsachen können in einer apersonalen Weise beschrieben werden,446 Dem skizzierten Reduktionismus stellt Parfit eine anti-reduktionistische Anschauung gegenüber. Anti-Reduktion 1: Personale Identität besteht nicht ausschließlich in physischer und/oderpsychischer Kontinuität. Beispiele für diese Sichtweise sind Philosophien, die von reinen mentalen Entitäten sprechen, etwa spirituellen Substanzen, oder die Cartesianische Konzeption eines immateriellen Geistes (,Pure Ego'). Hier werden unabhängig existierende Entitäten als ausschlaggebend für die Identität der Person gesetzt. Eine weitere nicht-reduktionistische Variante ist der sogenannte ,Further Fact View':
445
Der Umstand, daß es vielen Lesern schwer fällt, das therapeutische Interesse Parfits ernst zu nehmen, liefert keinen Beweis für die Falschheit seiner Theorie. Aber er weckt den Verdacht, daß etwas an der Gesamtkonzeption schief ist. Möglicherweise hängt das auch mit der unten zu besprechenden Art der Gedankenexperimente zusammen. Diese erinnern eher an - mehr oder weniger gelungene - populäre Science-fiction-Filme denn an therapeutische oder buddhistische Strategien der Des-Identifizierung, der Distanzierung und Entwöhnung von tief verwurzelten Denkgewohnheiten und Überzeugungen.
446
RP, 210.
Personen und ihre Identitäten bei Parfit
231
Anti-Reduktion 2: Personen sind nicht vom Körper und psychischen Zuständen unabhängig existierende Entitäten. Aber ein weiteres Faktum, das nicht in physischer und/oder psychischer Kontinuität besteht, konstituiert die Identität der Person}47 Parfit verwirft anti-reduktionistische Positionen. Das Auftreten psychischer Zustände und die diachrone Verbindung dieser Zustände bestimmt, wer eine bestimmte Person ist. Die Strategie des Reduktionisten stimmt an diesem Punkt mit Hume überein. Parfit stellt fest, daß kein weiteres Faktum jenseits psychischer Tatsachen nachzuweisen ist.448 Personen sind keine von psychischen Zuständen unabhängig existierenden Entitäten. Die Gedanken von Personen können vollständig beschrieben werden, ohne zu behaupten, daß es Denker, d.h. Träger dieser Gedanken gibt. Die Erfahrungen von Personen und ihre Verbindungen können vollständig beschrieben werden, ohne zu behaupten, daß es Subjekte, d.h. Träger der Erfahrung gibt. 449
Zweifellos sind Vertreter eines Anti-Reduktionismus nicht gezwungen, die empirische Beobachtbarkeit des Ich, des Selbst oder der Person zu behaupten. Folglich werden sie Parfits Reduktionismus zurückweisen. Eine transzendentale Konzeption in Kantischer Manier etwa würde die Rede von der Beobachtbarkeit des Ich als ein Mißverständnis kritisieren. Phänomenologisch orientierte Philosophen würden die Reduktion Parfits ebenfalls ablehnen. Parfit selbst weist an dieser Stelle auf Strawson, Shoemaker und andere hin, die gegen den Apersonalismus argumentieren. Wiederholt stellt er aber fest, daß ihn die Kritiken des Apersonalismus nicht überzeugen. Zwar sieht er, daß der Apersonalismus eine Antwort auf seine Kritiker geben sollte. Parfit hat diese Antwort aber bislang noch nicht gegeben. 450
447
RP, 210.
448
„I believe that no one is aware of such a fact"; RP, 223.
449
RP, 225.
450
„If these claims [i.e. the views of Kant, Strawson, Shoemaker] are correct, they might refute my claim that we could redescribe our lives in an impersonal way. Because these arguments are at a very abstract level, I shall hope to discuss them elsewhere". (RP, 225); „Non-Reductionists have several other arguments which, in a longer discussion, I would need to try to answer [...]". (RP, 516). Diese in der revidierten zweiten Auflage von 1984 gemachten Aussagen sind in den bis 1992 erschienenen fünf Neuauflagen unverändert wieder abgedruckt. Es ist zu hoffen, daß Parfit in den seit langem angekündigten Antworten auf die in Dancy (1997) abgedruckten Kritiken Gelegenheit findet, auf diesen wichtigen Punkt einzugehen. Es ist allerdings nicht abzusehen, daß Parfit eine befriedigende Lösung findet, ohne wesentliche Prämissen seiner Arbeit aufzugeben.
232
Personbegriff und Reduktionismus
Mit Blick auf die Frage, ob eine Person überlebt, ist nach der Grundannahme der psychischen Relationstheorie nicht entscheidend, ob ein bestimmter Körper oder eine bestimmte Seele über die Zeit hinweg erhalten bleibt. Wesentlich ist allein die Frage, ob bestimmte psychische Zustände miteinander in einer angemessenen Verbindung stehen. Angemessen heißt hier nach Maßgabe der allgemeinen Explikation des Personbegriffs, daß ein Bewußtsein der kontinuierlichen diachronen Existenz einer Entität als eines selbstbewußten Wesens vorhanden ist.451 Im folgenden wird die Spezifizierung der einschlägigen psychischen Beziehungen behandelt. Das Ziel dieser Spezifizierung besteht in der Ausarbeitung eines leistungsfähigen Modells der Identität der Person. Mit Blick auf die Frage nach einem Kriterium für die personale Identität kann man erwarten, daß Parfit entsprechend seiner weitgehenden Suspendierung der Substanzproblematik in Lockescher Manier einem Bewußtseins- oder Erinnerungskriterium gegenüber einem Körper-Kriterium den Vorzug geben wird. Grundlegend für das gesamte Unternehmen ist die präzise Unterscheidung verschiedener Formen der Verbindung von psychischen Zuständen. Dieses Kernstück der Theorie Parfits wird im folgenden gründlich untersucht. Zwei Bewußtseinszustände werden als direkt psychologisch verbunden (DPV) bezeichnet, wenn sie denselben mentalen Gehalt haben. Ein Beispiel hierfür stellt die im folgenden schematisiert dargestellte Wahrnehmung eines Musters zu unmittelbar aufeinander folgenden Zeitpunkten dar. Während die Musterwahrnehmung (obere Hälfte beider Blöcke) identisch ist, verändert sich die begleitende Wahrnehmung (weiß vs. schwarz). Parfit nimmt also anders als Locke nicht primär die Erinnerungsbeziehung zwi-
451
Die Reflexivität des Bewußtseins ist zentral. Wüßte eine Entität von der diachronen Existenz beliebiger Gegenstände in nicht-reflexiver Form, so wäre sie nicht als Person qualifiziert. Entsprechend würde ein vollständiges Wissen über alle Entitäten des Universums personale Identität dann nicht gewährleisten, wenn die Frage .Welche von all diesen Entitäten bin ich?' nicht beantwortet ist. Ob die Antwort auf diese Frage durch eine Beschreibung oder einen prädikativen Satz beantwortet werden kann, wird in epistemologischen und ontologischen Diskussionen über die Bedeutung des Ichbegriffs und den Begriff des Selbstbewußtseins kontrovers diskutiert. Vgl. hierzu Shoemaker (1963); Ε. Tugendhat, Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung; Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1979; R. Clark, Seif Knowledge and Self Consciousness - Thoughts About Oneself; Topoi (1988), 47-55; Η.-Ν. Castafieda, Die Reflexivität des Selbstbewußtseins - Eine phänomenologische Untersuchung; in: Kienzle/Pape (1991), 85-136; M. Frank: Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis - Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität; Stuttgart, Reclam, 1991; M. Frank (ed.), Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre; Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1993; Metzinger (1993); Mitchell (1994); Q. Cassam (ed.), Self-Knowledge; Oxford, Oxford University Press, 1994.
P e r s o n e n u n d ihre Identitäten bei Parfit
233
sehen zwei Momenten personalen Lebens als grundlegend an, sondern sieht eine Vielzahl solcher Verbindungen vor:452
Zwei Bewußtseinszustände gelten als stark psychologisch verbunden (SPV), wenn die Anzahl direkter psychologischer Verbindungen zwischen tl und t2 mindestens die Hälfte der die jeweiligen Bewußtseinszustände konstituierenden Elemente ausmacht (strong psychological connectedness): Schema 2: SPV
«-J
452
„Other such direct connections are those which hold when a belief, or a desire, or any other psychological feature, continues to be had" (RP, 205). - Weshalb handelt es sich in Schema 1 um zwei Stadien und nur ein Mustervorkommnis? Weil das Auftreten unterschiedlicher Begleitwahrnehmungen (weiß, schwarz) die Unterscheidung von zwei Zuständen notwendig macht.
234
Personbegriff und Reduktionismus
Zwei Bewußtseinszustände sind psychologisch kontinuierlich
(PK), wenn
sie durch überlappende Ketten starker Verbindung miteinander verknüpft sind:453 Schema 3: PK
tl
t2
t3
Während psychologische Kontinuität eine nicht-gradierbare, transitive Beziehung von Personenstadien darstellt, ist starke psychologische Verknüpfung nicht-transitiv und gradierbar:
453
Parfit ist bei der Einführung der Terminologie ungenau - worauf er selbst hinweist. Ich folge hier dem Rekonstruktionsvorschlag von J. Seibt: Fission and Survival - Parfit's Branch Line Argument Revisited; Konstanzer Berichte Philosophie der Geistes- und Sozialwissenschaften 1993/5.
Personen und ihre Identitäten bei Parfit
235
Diese Unterscheidungen sind im Zusammenhang mit Lockes Modell personaler Identität sowie mit dessen Analyse durch Leibniz zu sehen. SPV ist offensichtlich ein Äquivalent zu PIdB (Konstitution personaler Identität durch Bewußtsein).454 Im Gegensatz zu Lockes nicht haltbarer Formulierung, die für die personale Identität die Bewahrung des gesamten früheren Bewußtseinsinhalts fordert, unterscheidet Parfit zwischen quantitativ unterschiedenen Formen psychischer Verbindungen. Des weiteren ist Parfits Relation R nicht mit Hilfe von Begriffen spezifizierter psychischer Prozesse und Zustände (Erinnerung, Erwartung) formuliert. Parfit selbst gibt seinem Leser keine schematische Darstellung der psychischen Beziehungen an die Hand. Die hier gewählte Darstellung des Bewußtseins als Schubladencontainer stützt sich auf die Formulierung, derzufolge die Identität nicht durch eine einzelne direkte Verbindung garantiert ist, sondern durch eine bestimmte Anzahl direkter Verbindungen. Parfit präsupponiert damit ohne Explikation oder Begründung, daß das Bewußtsein oder der psychische Gehalt in zählbare Einheiten gegliedert ist. Bei der Erläuterung der grundlegenden Unterscheidungen trifft Parfit die folgende gravierende Entscheidung: If there was only a single connection, X and Y would not be, on the revised Lockean View, the same person. For X and Y to be the same person, there must be over every day enough direct psychological connections. Since connectedness is a matter of degree, we cannot plausibly define precisely what counts as enough. But we can claim that there is enough connectedness if the number of direct connections, over any day, is at least half the number that hold, over every day, in the lives of nearly every actual person. When there are enough direct connections, there is what I call strong connectedness.455
Auf der Basis der genannten Unterscheidungen wird ein sches Kriterium der Identität der Person (PsKrit) formuliert:
psychologi-
The Psychological Criterion: (1) there is psychological continuity if and only if there are overlapping chains of strong connectedness. X today is one and the same person as Y at some past time if and only if (2) X is psychologically continuous with Y, (3) this continuity has the right kind of cause, and (4) it has not taken a .branching' form. (5) Personal Identity over time just consists in the holding of facts like (2) to (4).456
454
Vgl. oben III.2.1.
455
RP, 206.
456
RP, 207. Im folgenden wird die Abkürzung ,PsKrit' gebraucht.
236
Personbegriff und Reduktionismus
Entsprechend der reduktionistischen Konzeption wird die Identität einer Person über die Zeit durch das Bestehen von Fakten konstituiert, die in einer apersonalen Weise (d.h. ohne Gebrauch von dem Konzept der Person zu machen) bestimmt werden können. Die Basiselemente sind momentane Bewußtseinszustände oder Personenstadien. In weitgehender Übereinstimmung mit PK formuliert Parfit die für sein Modell der diachronen Existenz von Personen einschlägige Relation R. Diese besteht aus psychologischen Verbindungen und/oder Kontinuität mit einer Ursache der richtigen Art: ,.Relation R·. psychological connectedness and/or continuity, with the right kind of cause'.457 Im Zentrum der Theorie personaler Identität steht der Vorschlag, die diachrone Existenz einer Person durch diese Relation R zu bestimmen. Sie verbindet die einzelnen aufeinander folgenden Personenstadien miteinander. Parfit vertritt ein striktes mereologisches Kompositionsprinzip. Personen sind die Summe aus den sie konstituierenden Elementen.
IV.2.1.2. Acht Einwände gegen Relation R Im folgenden werden acht Einwände gegen Parfits Relation R formuliert: (1) In der Definition von Relation R verlangt Parfit, daß entweder direkte psychische Verbindungen (DPV) und/oder psychologische Kontinuität vorliegt. Die liberale Formulierung , und/oder' wirft Probleme auf. In dieser großzügigen Konzeption, die ein nicht-ausschließendes ,oder' gebraucht, ist die personkonstitutive Beziehung in folgenden Fällen erfüllt: (i) direkte psychische Verbindung (DPV); (ii) psychologische Kontinuität (PK); (iii) Kombination von (i) und (ii). In (i) ist Relation R aufgrund einer einzigen direkten psychologischen Verbindung (DPV) zu erfüllen.458 Entsprechend Schema 1 wäre die Relation, welche der Identität der Person entspricht, also bereits dann erfüllt, wenn der gesamte psychische Gehalt (Erinnerungen, Erwartungen, Überzeugungen), bis auf ein einziges Element (Musterwahrnehmung), einen vollständigen Austausch erfährt. Dies ist fatal, denn die Kontinuität einer
457
RP, 215.
458
Vgl. M. Beizer (1996).
Personen und ihre Identitäten bei Parfit
237
Musterwahrnehmung erfüllt nicht die durch die Definition des Personbegriffs (PP) gestellten Bedingungen. Tatsächlich macht Parfit in seinen Ausführungen von (i) auch keinen Gebrauch. Statt dessen wird Relation R entweder in der zweiten Version (PK) oder der dritten Variante (PK und DPV) aufgefaßt. Meist wird sowohl von Parfit als auch von seinen Interpreten die letztgenannte Variante von Relation R zugrunde gelegt. (2) Parfit macht keine Angaben darüber, auf welche Weise psychische Verbindungen in DPV, SPV, PK individuiert und gezählt werden können. (3) Parfit erläutert nicht, wie die quantitative Bestimmung von SPV {„at least half the number that hold, over every day, in the lives of nearly every actual person") begründet und präzise interpretiert werden kann. Die Rede von einem ungefähren Durchschnittswert läßt den in der Regel für quantifizierende Ansätze sprechenden Vorzug der Präzision vermissen. Die Formulierung erweckt den Eindruck eines ad hoc-Manövers. (4) Relation R rechnet mit Bewußtseinszuständen als Summe diskreter Einzelteile. Ein solcher Ansatz geht von einer vollständigen Erfaßbarkeit der Bewußtseinszustände aus. Eine solche Voraussetzung ist dann sinnvoll, wenn Wahrnehmungen und Erfahrungen durch ein optimal angepaßtes Begriffsvokabular vollständig beschrieben und erfaßt werden. Der einfache Fall einer je nach Situation mit unterschiedlichen Graden der Aufmerksamkeit ausgewerteten Gesichtswahrnehmung, die sich ja mit jeder leichten Bewegung der Pupille und des Körpers verändert, macht deutlich, daß von Vollständigkeit der sprachlichen oder begrifflichen Erfassung der Erfahrung nicht die Rede sein kann. Relation R ist mit dem holistischen Charakter des Mentalen oder mit der phänomenalen Qualität von Erfahrung nicht zu vereinbaren. (5) Parfit erläutert nicht, ob der Gehalt der Personenstadien (a) als bewußter psychischer Gehalt, (b) als möglicherweise unbewußter Inhalt oder (c) als zur Unterscheidung ,bewußt' vs. ,unbewußt' neutral konzipierter mentaler Inhalt aufzufassen ist. Nach der Definition des Personbegriffs (PP) sind Bewußtsein und Selbstbewußtsein notwendige Bedingungen von Personalität. Insofern ist zumindest (a) ein unverzichtbares Element des Inhalts eines Personenstadiums. Es ist möglich, daß der folgende Fall auftritt: mehr als die Hälfte der Elemente zweier psychischer Zustände sind direkt miteinander verbunden. Die Bedingungen der Persondefinition sind aber nicht erfüllt: Die Entitäten sind sich ihrer selbst nicht als in der Diachronie kontinuierlich existierende Wesen bewußt. Hier wird deutlich, daß der Begriff des Psychischen in problematischer Weise unterbestimmt bleibt.
238
Personbegriff und Reduktionismus
(6) Zum Zeitpunkt tl liest jemand ein langweiliges Buch. Zum Zeitpunkt t2 schweift er mit seinen Gedanken ab. Er hat einen Tagtraum (Sommertag), der seine ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Zum Zeitpunkt t3 kehrt er wieder zurück zu der eintönigen Lektüre. Der bewußte psychische Gehalt von t2 ist ohne jede direkte Verbindung zu tl und t3. Falls für Relation R allein die bewußten Inhalte der Personenstadien relevant sind, besteht keine Relation R zwischen tl, t2, t3. Weder zwischen tl und t2 noch zwischen t2 und t3 bestehen DPVs oder SPVs. Falls nicht-bewußte Inhalte der instantanen Personenstadien relevant sind, ist ungeklärt, ob die personenkonstitutive Form psychischer Verbindungen vorliegt. (7) Eine Art von reductio ad absurdum bildet der folgende Fall, in dem die Bedingungen von Relation R erfüllt sind: Zahlreiche pathologische Störungen der Erinnerung zeichnen sich durch spezielle schwerwiegende Einseitigkeiten und Ausfälle aus. So erscheint bei einigen Patienten mit Korsakoff-Syndrom, einer Form retrograder Amnesie, die Erinnerung auf weiter zurückliegende Zeiträume vergleichsweise ungestört, während die Fähigkeit zur Erinnerung an kurz zurückliegende Geschehnisse eingeschränkt ist. Die Verlaufsform der Krankheit ist in der Regel durch eine Zunahme der retrograden Amnesie charakterisiert. Zu Beginn ist das Kurzzeitgedächtnis nicht vollkommen zerstört, aber die psychischen Verbindungen sind lediglich über kurze Zeiträume hinweg gewährleistet. Bei extremen Formen wird die Handlungsfähigkeit des Betroffenen drastisch eingeschränkt. Komplexe Handlungen setzen eine Konstanz psychischer Inhalte über die Etappen der Planung und Durchführung hinweg voraus. Der Patient vergißt auf dem Weg von der Planungsphase zur Durchführungsphase der Handlung, was er geplant hat.459 In Parfits Modell kann ein solcher Fall nicht von durchschnittlichen Fällen der Erinnerungs- und Handlungsfähigkeit unterschieden werden. Dies stellt ein Problem dar, denn je nach Interpretation des allgemeinen Personbegriffs erscheint fraglich, ob der Patient noch im vollen Sinn als Person gelten kann. Seine Zurechnungsfähigkeit etwa kann erheblich eingeschränkt oder nicht mehr gegeben sein. Dennoch gilt mit Blick auf Relation R, daß beim Korsakoff-Syndrom zwar die Zeiträume, über die sich psychische Verbindungen erstrecken können, massiv eingeschränkt sind, die Verbin-
459
Eine anschauliche Darstellung eines solchen Falls gibt: O. Sacks, The Lost Mariner; in: ders., The Man Who Mistook His Wife For a Hat; New York, Simon and Schuster, 1985 (deutsche Übersetzung: Der verlorene Seemann; in: Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte; trad. D. van Gunsteren, Reinbek, Rowohlt, 1987, 42-68).
Personen u n d ihre Identitäten bei Parfit
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düngen als solche sind aber dennoch in einer die Relation R erfüllenden Weise vorhanden. (8) Im Containermodell der Personenstadien wird der psychische Gehalt als Aggregat atomistischer Einzelteile konzipiert. Dadurch wird eine vollständige Beschreibung des psychischen Inhalts, über den eine Person zu einem Zeitpunkt verfügt und der sie als Person konstituiert, gewährleistet. Parfit rechnet ausdrücklich damit, daß intentionale Zustände — Wahrnehmungen, Erinnerungen, Erwartungen, Wünsche — für Personen charakteristisch sind. Will man die genannten Zustände berücksichtigen, so ergibt sich ein Widerspruch zu der Annahme, die Personenstadien könnten jeweils als unabhängige Aggregate bestimmt werden. Um diesen Widerspruch deutlich zu machen, wird das Beispiel der Erinnerung gewählt. Entscheidend ist dabei, daß eine Erinnerung nicht einfach die Repetition eines vorangegangenen Erlebnisses ist — sonst wäre sie nicht unterscheidbar von der ununterbrochenen Wahrnehmung. Erinnerung ist, unter Voraussetzung einer repräsentationalen Erinnerungstheorie, die Repräsentation eines mentalen Zustande oder seines Gehalts als vergangener.460 Das Beispiel besteht aus drei Elementen: (i) am Montag sieht Ρ einen Baum im Sonnenlicht; (ii) am Mittwoch erinnert sich Ρ daran, am Montag einen Baum im Sonnenlicht gesehen zu haben; (iii) am Freitag erinnert sich Ρ daran, daß er am Mittwoch eine Erinnerung daran hatte, am Montag einen Baum im Sonnenlicht gesehen zu haben. Im Gegensatz zu DPV ist die Struktur des psychischen Inhalts im Fall der Erinnerung komplexer. Es kommt nicht nur darauf an, daß ein bestimmter Inhalt (,Baum im Sonnenlicht') als psychischer Gehalt vorhanden ist. Vielmehr ist zu klären, wie und als was dieser Inhalt als psychischer Gehalt gegeben ist. Handelt es sich um eine Wahrnehmung mit dem Inhalt ,Baum im Sonnenlicht' oder um eine Erinnerung mit dem Inhalt ,Baum im Sonnenlicht', oder um einen Traum mit dem Inhalt ,Baum im Sonnenlicht? Für den Fall der Erinnerung gilt, daß die beiden Personenstadien, die in der Erinnerung jeweils miteinander verbunden sind ((ii) und (i); (iii) und (ii)), in keinem symmetrischen Verhältnis zueinander stehen. Für Parfits Konzeption ist dieser Fall des Erinnerns ebenso problematisch wie andere intentionalen Zustände wie Erwarten, Planen, Beabsichtigen. Diese Zustände sind durch die Eigenschaft definiert, auf andere vorausgehende oder folgende Zustände Bezug zu nehmen. Ihr Gehalt kann demnach nicht in atomistischer Weise erfaßt werden. Da Erinnern, Erwar-
460
Zur Problematik des Erinnerungsbegriffs vgl. IV.2.3.
240
Personbegriff und Reduktionismus
ten, Planen und ähnliche Prozesse zentrale Vollzugsformen personalen Lebens sind und die Kontinuität im Leben von Personen konstituieren, stellt der Umstand, daß Parfits Konzeption von ihren Grundlagen her nicht in der Lage ist, diese einschlägigen Prozesse zu integrieren, einen starken Einwand dar. Der hier relevante Punkt der Unterbestimmtheit des Psychischen wird auch dadurch deutlich, daß es auf der Grundlage von Parfits Unterscheidungen nicht möglich ist, den Fall (iii) (P erinnert sich am Freitag daran, daß er am Mittwoch eine Erinnerung hatte, deren Inhalt die Wahrnehmung vom Montag Baum im Sonnenlicht war) von dem Fall zu unterscheiden, in dem Ρ sich am Freitag direkt an die Wahrnehmung Baum im Sonnenlicht vom Montag erinnert. Die genannten Einwände zusammenfassend kann man festhalten, daß das Modell Parfits nicht als befriedigende Lösung der Frage nach der Identität der Person betrachtet werden kann. Wenn eingangs gesagt wurde, daß Parfits Theorie zu den stärksten, derzeit im angelsächsischen Bereich vertretenen Positionen gehört, so wird dies durch die hier formulierten Einwände nicht dementiert. Denn für die Probleme, die mit diesen Einwänden angesprochen sind, werden derzeit von keinem anderen Autor insgesamt befriedigende Antworten gegeben. Der zentrale Punkt, der den Schwächen des Parfit-Modells zugrunde liegt, ist die fehlende Vermittlung der Individuationsproblematik (.Welche Entitäten sind Personen?': PP) mit der Identitätsproblematik (,Ist die heute als ,P' bezeichnete Person dieselbe Person wie die gestern als ,P' bezeichnete Person?': PsKrit, Relation R). Die Diskussion der Identitätskriterien und der an ihre Stelle tretenden Relation R basiert nicht auf einer hinreichend differenzierten Untersuchung der Bedingungen von Personalität und einem akzeptablen Begriff des Psychischen. Daß PP stark an Locke anknüpft, ohne die mit dieser Allianz verbundenen Probleme ausführlich zu erörtern, wirkt sich auf die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion in ungünstiger Weise aus. Ein Verteidiger Parfits könnte auf diese Kritik erwidern, daß Relation R hier im Sinn einer hinreichenden Bedingung von Personalität aufgefaßt würde. Dies entspräche aber nicht der Konzeption Parfits. Die Einwände, die zeigen, daß Relation R erfüllt sein kann, ohne daß PP erfüllt ist (Einwand (5)), stellen also gar keine berechtigte Kritik dar. Relation R ist lediglich eine notwendige Bedingung für PP. Diese Replik verbessert die Lage des Verteidigers allerdings nicht spürbar, da Einwand (6) einen Fall präsentiert, in der PP erfüllt ist, ohne daß Relation R besteht.
P e r s o n e n u n d ihre Identitäten bei Parfit
241
IV.2.2. Psychologische Kontinuität und Erinnerung Alle auf psychischer Kontinuität aufbauenden Theorien der Identität von Personen haben sich mit dem Zirkularitätsvorwurf zu befassen, den Butler gegen Locke erhoben hat. Butler hatte behauptet, daß das Lockesche Modell personaler Identität zirkulär sei. Erinnerung könne über die Identität der Person nicht entscheiden, weil Erinnerung die Identität der Person immer schon voraussetze. Gegen Lockes Konzeption greift Butlers Einwand nicht. Das Argument ist aber mit Blick auf zeitgenössische Modelle psychischer Kontinuität und insbesondere bezüglich der Position Parfits erneut zu behandeln, denn in diesen Fällen werden nicht alle Konzeptionen Lockes unverändert übernommen. Zwei Behauptungen sind mit Blick auf die angebliche Zirkularität der Definition personaler Identität durch Erinnerung zu unterscheiden. Bezogen auf eine allgemeine Definition des Begriffs der Person kann man mit guten Gründen sagen, daß Erinnerung oder Erinnerungsfähigkeit eine notwendige Bedingung von Personalität ist. Ein Wesen, das unfähig ist sich zu erinnern, wird nicht als Person behandelt werden. Erinnerung wird mit guten Gründen als ein Konstitutivum von Personalität betrachtet. In der über weite Strecken durch Dissens gekennzeichneten Debatte über die Identität der Person stellt die Anerkennung der Relevanz der Erinnerung für Personalität einen der wenigen Punkte dar, hinsichtlich dessen ein allgemeiner Konsens herrscht. Auf der Ebene der Erläuterung von Bedingungen der Personalität wird kein Einwand gegen Erinnerung als notwendige Bedingung erhoben. Die zweite Behauptung betrifft die Identität einer Person und besagt, daß die Erinnerung einer Person als das alleinige Kriterium oder als eines von mehreren Kriterien für die diachrone Identität anerkannt werden muß.461 Lockes Position impliziert die erste und formuliert, nach Auffassung zahlreicher Interpreten, explizit die zweite Behauptung.
461
Zu den Autoren, die den Zirkularitätseinwand gegen Modelle psychischer Kontinuität zurückweisen, gehören unter anderen: H P. Grice, Personal Identity; Mind 50 (1941), 330350 (erneut in: Perry (1975), 73-95); Quinton (1962); Shoemaker (1963); ders., Wiggins on Identity; PR 79 (1970), 529-544; ders., Personal Identity and Memory; in: Perry (1975), 119134; Hughes (1975); J. Perry, Personal Identity, Memory, and the Problem of Circularity; in: Perry (1975), 135-155; Mackie (1976), 173-203; Wiggins (1976). Die Gegenposition, die die Unhaltbarkeit oder Zirkularität eines durch psychische Kontinuität oder Erinnerung definierten Identitätskriteriums behauptet, wird u.a. vertreten durch: A. Flew, Locke and the Problem of Personal Identity; Philosophy 26 (1951), 53-68; Τ. Greenwood, Personal Identity and Memory; Philosophical Quarterly 17 (1967), 334-344; T. Penelhum, Artikel .Personal Identity'; in: P. Edwards (ed.), The Encylopedia of Philosophy VI; New York, Macmillan, 1967, 95-107; R. Pucetti, Remembering the Past of Another; Canadian Journal
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Personbegriff und Reduktionismus
IV.2.2.1. Erinnerung Erinnerung ist ein komplexer Begriff.462 Es ist zunächst nicht ohne weiteres klar, weshalb und in welcher Weise Erinnerungsvorkommnisse eine Identifizierung der erinnernden Person mit dem Wesen, das die vergegenof Philosophy 2 (1973), 523-532; Β. Williams, Personal Identity and Individuation; PAS 57 (1967/57), 229-252 (erneut in: ders., Problems of the Self; London, Cambridge University Press, 1978; deutsche Übersetzung: Personenidentität und Individuation; in: ders., Probleme des Selbst; trad., J. Schulte, Stuttgart, Reclam, 1978, 7-36). 462
Zum Erinnerungsbegriff sowie zur speziellen Problematik des Zusammenhangs von Erinnerung und personaler Identität vgl. G.E.M. Anscombe, The Reality of the Past; in: Μ. Black (ed.): Philosophical Analysis; Englewood Cliffs, Prentice Hall, 1950, 36-56; B.S. Benjamin, Remembering; Mind 65 (1956), 312-331; J. Campbell, Past, Space, and Self; Cambridge, MIT Press, 1995; D. Cockburn, The Problem of the Past; Philosophical Quarterly 37 (1987), 54-77; J.W. Cornman, Malcolm's Mistaken Memory; Analysis 25 (1965), 161-167; G. Evans, Memory; in: ders., The Varieties of Reference; Oxford, Clarendon, 1982, 235248; Flew (1951); C. Ginet, Knowledge, Perception, and Memory; Dordrecht, Reidel, 1975; T. Greenwood, Personal Identity and Memory; Philosophical Quarterly 17 (1967), 334344; Grice (1941); D. Haight und Μ. Haight, Time, Memory, and Self-Remembering; Journal of Speculative Philosophy 3 (1989), 1-11; R.F. Harrod, Memory; Mind 51 (1942), 53-68; R.F. Holland, The Empiricist Theory of Memory; Mind 63 (1954), 464-486; Hughes (1975); P. Ludlow, Social Externalism, Self-Knowledge, and Memory; Analysis 55 (1995), 157-159; Mackie (1976); N. Malcolm, Three Lectures on Memory (Memory and the Past, Three Forms of Memory, A Definition of Factual Memory); in: ders., Knowledge and Certainty Essays and Lectures; Englewood Cliffs, Prentice Hall, 1963, 187-240; ders., Memory and Representation; Noüs 4 (1970), 59-70; ders., Memory and Mind; Ithaca, Cornell University Press, 1977; J. Margolis, Remembering; Mind 86 (1977), 186-205; M.G.F. Martin, Perception, Concepts, and Memory; PR 101 (1992), 745-763; R. Martin, Memory, Connecting, and What Matters in Survival; Australasian Journal of Philosophy 65 (1987), 82-97; ders., The Past Within Us; Princeton, Princeton University Press, 1989; M. Miri, Memory and Personal Identity; Mind 82 (1973), 1-21; Noonan (1989), 169-191; A.B. Palma, Memory and Personal Identity; Australasian Journal of Philosophy 42 (1964), 53-68; T. Penelhum, Personal Identity, Memory, and Survival; JP 56 (1959), 882-903; J. Perry; in: Perry (1975), 135-155; R. Pucetti, Remembering the Past of Another; Canadian Journal of Philosophy 2 (1973), 523532; Quinton (1962); B. Russell, Memory; in: ders., The Analysis of Mind; London, Routledge, 1992, 157-187; J.T. Saunders, Does All Memory Imply Factual Memory?; Analysis 25 (1964/65), 109-115; M. Schechtman, The Same and the Same - Two Views of Psychological Continuity; American Philosophical Quarterly 31 (1994), 199-212; dies., The Truth about Memory; Philosophical Psychology 7 (1994), 3-18; Shoemaker (1963); ders., Artikel ,Memory'; in: P. Edwards (ed.): The Encyclopedia of Philosophy V; New York, Macmillan, 1967, 265-274; ders., Persons and their Pasts; American Philosophical Quarterly 7 (1970), 269-285; Shoemaker (1975); J.A. Singer, P. Salovey, The Remembered Self - Emotion and Memory in Personality; New York, Free Press, 1993; R. Smook, Does Remembering Doing the Deed Presuppose Personal Identity?; Dialogue 25 (1986), 363-365; R. Squires, Memory Unchained; PR 78 (1969), 178-196; M. Warnock, Memory; London, Faber and Faber, 1987; J. Williamson, The Persistence of Memory, PAS 80 (1979/80), 17-30; L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen; Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1971; Wiggins (1976). Für einen Überblick über Modelle der gegenwärtigen Theoriebildung vgl. S. Guttenplan, Artikel .Memory'; in: ders. (ed ), A Companion to the Philosophy of Mind; Oxford, Blackwell, 1994, 433-441.
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243
wältigte Wahrnehmung oder Erfahrung gemacht hat, voraussetzen sollen. Zweifellos muß für den Fall der Erinnerung die Anforderung erfüllt sein, daß ein Wesen in der Erinnerung auf seine vorausgegangenen Wahrnehmungen oder Erfahrungen bezogen ist oder diese vergegenwärtigt. Entsprechend ist es plausibel zu sagen, daß ein Wesen sich erinnern kann, wenn es in der Lage ist, sich auf ein vergangenes Ereignis oder einen früheren Zustand als eigene Erfahrung zu beziehen. Der Erinnerungsbegriff selbst aber verlangt nicht notwendigerweise, daß erinnernde Wesen Personen im Sinn des handlungs- und zurechnungsfähigen und/oder des epistemischen Subjekts sind.463 Dieser Umstand ist auch deshalb wichtig, weil anderen Tieren als Menschen seit Aristoteles elementare Formen der Erinnerung zugeschrieben werden. 464 Diese Entgegnung auf den Zirkularitätseinwand operiert auf einer grundlegenden Ebene. Deshalb nochmals zur Verdeutlichung: In einem schlechten Sinn zirkulär ist eine Definition dann, wenn das Definiendum Teil des Definiens ist. Theorien psychischer Kontinuität machen contra Butler nicht von einer zirkulären Definition Gebrauch: Wenn ,sich an vergangene Erfahrungen erinnerndes Wesen' oder , kontinuierliche Folge psychischer Zustände' als Definiens von ,über die Zeit hinweg identische Person' gebraucht wird, erscheint das Definiendum nicht im Definiens. Offensichtlich liegt hier kein Zirkel vor. Es ist wahrscheinlich, daß der Vertreter des Zirkularitätseinwands sich mit dieser Zurückweisung seines Arguments nicht zufrieden gibt. Er wird behaupten, seine Kritik sei nicht richtig verstanden worden. Es ist daher zweckmäßig, einige erläuternde Unterscheidungen hinsichtlich des Erinnerungsbegriffs und der in diesem Kontext relevanten psychischen Zustände anzuführen. Wesentlich ist zunächst die Feststellung, daß Erinnerungsvorkommnisse und Erinnerungsaussagen in der Regel keiner kriteriengeleiteten Begründung bedürfen. Wenn jemand sagt,Gestern hat es geregnet' und sich dabei auf eigene Erfahrungen bezieht, so ist diese Erinnerungsaussage im allgemeinen weder inferentiell noch explizit begründungsbedürftig. Falls der Sprecher mit der Frage konfrontiert wird ,Woher weißt Du das?', reicht
463
Für eine Zurückweisung des Zirkularitätseinwands auf der Basis dieser Tatsache vgl. Smook
(1986). 464
De mem. 449b29-30; 450al5-17.
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Personbegriff u n d Reduktionismus
es im Regelfall aus, wenn er antwortet ,Ich erinnere mich daran'. Es ist nicht notwendig, daß er Beweise für seine Aussage vorlegt.465 Erinnerungsaussagen der genannten Art und die ihnen zugrundeliegenden psychischen Zustände können als Erfahrungserinnerungen bezeichnet werden.466 Anders als im Fall der Erfahrungserinnerung liegen die Dinge, wenn jemand gestern den ganzen Tag lang anästhesiert war, keine bewußten Wahrnehmungen gemacht hat, und aufgrund von Informationen durch epistemische Autoritäten (Berichte von Zeugen der Wetterverhältnisse des Vortages usw.) die Aussage macht ,Ich weiß, daß es gestern geregnet hat'. Hier wird der Sprecher selbst die Aussage nur dann für gut begründet ansehen, wenn er seine Quellen für vertrauenswürdig hält und sicher ist, daß eine Überprüfung seiner Aussage zu einem positiven Ergebnis führen wird. Der skizzierte Unterschied kann als Differenz zwischen zwei Formen der Erinnerung bestimmt werden: (i) Erfahrungserinnerung, direkte Erinnerung, Erinnerung in der Innenperspektive, (ii) Faktenerinnerung, indirekte Erinnerung, Vergangenheitsluissen. Beispiele für Erfahrungserinnerungen sind meine Erinnerung an die Kopfschmerzen von gestern, meine Erinnerung an den Sommerabend, an dem ich als Kind zum ersten Mal das Meer gesehen habe, meine Erinnerung daran, wie es ist, wenn ich das Ruderboot allein vom Bootshaus zum See hinunter trage und ein plötzlicher Windstoß mich aus der Balance zu bringen droht. Beispiele für Vergangenheitswissen sind das Wissen, daß Aristoteles ein Schüler Piatons war, die Erinnerung an das Datum der Ermordung von J.F. Kennedy in Dallas oder die Kenntnis des Faktums, daß der Haupteingang zur Universitätsbibliothek sich vor einigen Jahren an anderer Stelle befand als heute. Die Unterscheidung zwischen beiden Erinnerungsformen ist auch deshalb wesentlich, weil der Begriff des Vergangenheitswissens den Begriff
465
„Ein Wort ohne Rechtfertigung gebrauchen, heißt nicht, es zu Unrecht gebrauchen". L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen; Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1971, 156, § 289. Vgl. auch Shoemaker (1963), Malcolm ( 1 9 6 3 ) ; auch Strawson betont, daß Erinnerung die Identifikation des Subjekts nicht voraussetzt: P F. Strawson, The Bounds of Sense; London, Methuen, 1959, 165 (deutsche Übersetzung: Die Grenzen des Sinns; trad. E M. Lange, Frankfurt am Main, Hain, 1992, 142).
466
Dabei ist es wesentlich, Erinnerung nicht mit Erinnerungsaussagen gleichzusetzen; vgl. L. Wittgenstein, PU, § 343: „Die Worte, mit denen ich meine Erinnerungen ausdrücke, sind meine Erinnerungsreaktionen".
Personen und ihre Identitäten bei Parfit
245
der Erinnerung voraussetzt. Ein Wesen, das sich nicht direkt erinnern kann, ist nicht fähig, den Begriff der Vergangenheit zu gebrauchen. 467 Ü b e r die genauere Bestimmung dessen, w a s unter Erfahrungserinnerung zu verstehen ist, bestehen unterschiedliche Auffassungen. Z w e i M o delle sind äußerst einflußreich. Die erste Konzeption bestimmt Erinnerung durch die Präsenz eines Bildes des erinnerten Gehalts. 468 Die zweite Konzeption expliziert Erinnerung als ein propositionales gangenheit.
Wissen über die Ver-
Beide Modelle übergreifend wird Erinnerung oft als ein Wissen
im Sinn des Verfügens über Repräsentationen bestimmt.469 Das Bild-Modell ist seit der Antike ein fester Bestandteil der unterschiedlichen Konzeptualisierungen von Erinnerung. Nach Aristoteles ist eine bildhafte Vorstellung konstitutiv für Erinnerung. 470 Das Bild allein ist allerdings ohne Ergänzung durch eine epistemische Komponente kein aussichtsreicher Kandidat für die Explikation des Erinnerungsbegriffs. D i e Überzeugung, daß das Bild ein Bild vergangener
Erfahrung ist, scheint unabdingbar, u m den Unter-
schied von Erinnerung und Imagination zu fixieren.471 Das Propositions-Modell w i r d häufig als ein starker Kandidat aufgefaßt. Erinnerung kann dementsprechend als das Verfügen über propositionales Wissen bezüglich vergangener Zustände bestimmt w e r d e n . Die Erinnerun-
467
,,[I]f one attempted to arrive at past-tense judgements only in the inferential way (in the absence, that is, of a capacity for direct memory), one would not be equipped to understand the conclusions of the supposed inferences"; Evans (1982), 245.
468
Die Konzeption der Erinnerung als Bild geht auf die Antike zurück. Der Vergleich der erinnerten Wahrnehmung mit dem Prägebild, das ein in Wachs gedrückter Siegelring hinterläßt, steht am Beginn einer Reihe von Konzeptualisierungen, die Erinnerung maßgeblich auf der Grundlage der Spur eines ursprünglichen Eindrucks bestimmen.
469
„The assumption of the necessity of a representation has been a staple of the philosophy of memory since Plato"; N. Malcolm, Memory and Representation; Nous 4 (1970), 59-70, hier: 61. Für die neuere Literatur vgl. exemplarisch: Μ. Deutscher, C.B. Martin, Remembering; PR 75 (1966), 161-196; hier: 166: ,,If someone remembers something, whether it be .public', such as a car accident, or .private', such as an itch, then the following criteria must be fulfilled: 1. Within certain limits of accuracy he represents that past thing. 2. If the thing was ,public', then he observed what he now represents. If the thing was .private', then it was his. 3- His past experience of the thing was operative in producing a state or successive states in him finally operative in producing his representations".
470
De mem. 450al3-14.
471
Daß eine einseitige Orientierung an den beiden Modellen und der Versuch einer Explikation des Erinnerungsbegriffs durch ihre Kombination problematisch sind, zeigen die Ausführungen Russells. Im Hinblick auf seine eigenen Bemühungen kommt Russell bekanntlich zu dem Ergebnis: „This analysis of memory is probably extremely faulty, but I do not know how to improve it"; Russell (1992), 187. Wittgensteins Überlegungen insistieren auf den Simplifikationen und Verzerrungen, die mit den tradierten Erinnerungsmodellen insbesondere mit dem Postulat der Bildhaftigkeit - verbunden sind.
246
Personbegriff u n d Reduktionismus
gen, über die eine Person verfügt und die ihre Identität ausmachen, sind in Analogie zu dem propositionalen .Wissen, daß p' als ,Erinnern, daß p' aufzufassen oder als eine Unterform des ,Wissens, daß p' zu spezifizieren, und zwar als diejenige Form des Wissens, die sich auf vergangene Zustände, Ereignisse, Erlebnisse bezieht. Diese Explikation von Erinnerung ist aber aus mehreren Gründen problematisch. Ein wesentlicher Punkt besteht darin, daß der Erinnerungsbegriff wesentlich schwächere Anforderungen stellt als der Gebrauch des allgemeinen Begriffs von Wissen. 472 Wenn der Sprecher sagt ,Gestern hat es geregnet' und dabei Erfahrungserinnerung artikuliert, so impliziert diese Aussage, daß eine direkte Verbindung zwischen dem Erinnerungsvorkommnis und der vergangenen Erfahrung gegeben ist. Es ist eine begriffliche Notwendigkeit, daß der wahren Erfahrungserinnerungsaussage , Gestern hat es geregnet' eine Erfahrung des Vortages vorangeht, deren Gehalt der Regen war. Da die Äußerung eine Erfahrurtgsennnerung artikuliert, hat der Sprecher den gestrigen Regen in der Regel erfahren. Für Theorien psychischer Kontinuität ist es an diesem Punkt von entscheidender Bedeutung zu vermeiden, daß der hier angesprochene Sachverhalt in einer Weise fixiert wird, die die Erinnerungsaussage als zirkulär darstellt. Dies wäre der Fall, wenn folgende Behauptung gilt: Zirkularitätsthese:
Die Artikulation einer direkten Erinnerung .Gestern hat es
geregnet' impliziert n o t w e n d i g e r w e i s e die Identifikation des Subjekts der erinnerten Erfahrung mit der sich erinnernden Person.
Dies ist die Zirkularitätsthese, die gegen Locke und die Neo-Lockeschen Theorien vorgebracht wird. Wenn Beatrice sich daran erinnert, gestern in ihrem Lieblingsbuch gelesen zu haben, muß sie die Erfahrungserinnerungs-
472
Vgl. hierzu die Überlegungen von N. Malcolm (1963), S. Shoemaker (1963) und J. Margolis, Remembering; Mind 86 (1977), 186-205; hier: 195: ,,[T]here is [...] every reason to believe that the justification for ascribing memory to B, that is, knowledge by virtue of remembering, may depend on grounds considerably weaker than those on which present knowledge that is not remembering could be sustained [...] It is entirely possible that Β now knows that ρ in spite of the fact that he either has no grounds for claiming that ρ or his sole grounds (such as they are) are no more than his unsupported belief that he remembers that p; so he need not have the same grounds for knowing that ρ (by virtue of remembering that p) that he had when he first knew that p. Again, this confirms how exceedingly weak the basis may be on which we sometimes ascribe remembering - and, therefore, knowledge". Vgl. zu diesem Problem: D. Teichert, Sind Erinnerungstheorien personaler Identität zirkulär?; in: G. Meggle, J. Nida-Rümelin (eds ), Analyomen II - Perspectives in Analytical Philosophy, Band III; Berlin, de Gruyter, 1997, 156-163. Der Text zeigt die Unhaltbarkeit einer Gleichsetzung des Erinnerungsbegriffs mit dem speziellen Begriff des Erinnerungswissens.
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aussage ,Ich erinnere mich, gestern in meinem Lieblingsbuch gelesen zu haben' nicht unter Bezugnahme auf ein Kriterium begründen. Die Frage .Woher weißt Du denn überhaupt, daß Du es warst, die gestern in ihrem Lieblingsbuch gelesen hat?' wäre ein Symptom für ein Unverständnis bezüglich des Gebrauchs des Erinnerungsbegriffs. Erfahrungserinnerung ist immun gegen Irrtum durch Fehlidentifikation des Erfahrungssubjekts. Die Aussage ,Ich habe gestern in meinem Lieblingsbuch gelesen' ist also nicht das Ergebnis der Verbindung zweier unabhängiger Komponenten ,Ein Mensch X hat gestern in seinem Lieblingsbuch gelesen' und ,Ich bin der mit X bezeichnete Mensch'. Im Erfahrungserinnerungsvorkommnis ist die Identifikation des Subjekts immer schon enthalten. Während bei den meisten Autoren über diesen Punkt Konsens herrscht, besteht Uneinigkeit darüber, ob es sich hierbei um ein kontingentes, der menschlichen Natur zu verdankendes Faktum oder um eine begriffliche Notwendigkeit handelt. Im folgenden wird zunächst die Argumentation gegen den Zirkularitätsvorwurf dargestellt, die die Immunität gegen Fehlidentifizierung des Subjekts im Fall von direkten Erinnerungsaussagen für eine begriffliche Notwendigkeit hält. Diese Position ist maßgeblich durch Wittgensteins Untersuchungen zur Bedeutung psychologischer Begriffe geprägt. Im Abschnitt IV.2.2.2. wird die alternative Strategie behandelt, die die Immunität gegen Fehlreferenz als kontingentes Faktum auffaßt. Selbstverständlich ist in alltäglichen Fällen die Möglichkeit von Irrtümern bezüglich des Gehalts der Erfahrungserinnerung gegeben. So ist denkbar, daß Beatrice in ihrem Lieblingsbuch gelesen hat. Sie irrt sich aber über den Zeitpunkt, denn sie hat nicht gestern, sondern vorgestern in dem Buch gelesen. Eine andere Irrtumsmöglichkeit bezieht sich darauf, daß Beatrice zwar gestern gelesen hat, aber nicht in ihrem Lieblingsbuch, sondern in einem anderen Buch. Für die Bildung von Wissen über die Vergangenheit ist es zentral, Fälle scheinbarer Erinnerung zu beachten. Bei scheinbarer Erinnerung formuliert der Sprecher eine Erinnerungsaussage; in Wirklichkeit bezieht er sich aber auf einen bloß imaginierten Sachverhalt, eine Fiktion: Beatrice hat gestern überhaupt nicht gelesen, sie glaubt aber irrtümlich, gestern gelesen zu haben. Hier ist die Schwelle von der partiell irrtümlichen Erinnerung zur reinen Imagination überschritten. Der Umstand, daß solche Fälle auftreten können, gibt dem Skeptiker Anlaß, grundsätzlich an der Autorität der Erfahrungserinnerung zu zweifeln. Er verlangt nach Kriterien zur Beurteilung von Erinnerungsaussagen, die Irrtümer der skizzierten Art ausschließen. Die Brisanz, die die Möglichkeit der bloß scheinbaren Erinnerung ins Spiel bringt, wird deutlich anhand der derzeit in den USA geführten Debatten über Pseudo-Erinnerung im Zusammenhang mit angeblichen Fällen von
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Kindesmißbrauch. Bei dem sogenannten .false memory syndrome' scheinen oftmals Aussagen über die vergangenen Erfahrungen der Betroffenen auf Einbildungen und Projektionen zurückzugehen. Die Mißhandlungs- und Mißbrauchserlebnisse sind mitunter Fiktion. Angesichts psychischer und möglicher strafrechtlicher Konsequenzen für die durch die scheinbaren Erinnerungsaussagen Belasteten wird deutlich, daß der Preis für irrtümliche Erinnerungsaussagen hoch sein kann.473 Der Unterschied zwischen genuiner direkter Erinnerung und scheinbarer Erinnerung besteht darin, daß im Fall der wahrhaftigen Erinnerung die Erfahrung des erinnerten Gehalts vorausgegangen ist (P hat erlebt, daß er/ sie mißbraucht wurde), während dies im Fall der Schein-Erinnerung nicht gegeben ist (P hat nicht erlebt, daß er/sie mißbraucht wurde). Wesentlich ist zu sehen, daß die Schein-Erinnerung nicht mit einer bewußten Täuschungsabsicht verbunden ist. Im Fall der Täuschung gilt: (i) Ρ hat Η nicht erlebt. (i) Ρ glaubt, Η nicht erlebt zu haben. (ii) Ρ glaubt nicht, sich an Η zu erinnern. (iii) Ρ behauptet, Η erlebt zu haben und sich an Η zu erinnern. Psychologisch interessanter ist der Fall, in dem sich Ρ tatsächlich über einen Bewußtseinszustand irrt: (iv) Q hat Η nicht erlebt. (y) Q glaubt, Η erlebt zu haben. (vi) Q glaubt, sich an Η zu erinnern. (vii) Q behauptet, Η erlebt zu haben und sich an Η zu erinnern. In diesem Fall fehlt die objektive Voraussetzung für die Erinnerung, ohne daß Q darüber Klarheit hat. Obwohl in den meisten Fällen von Erinnerung der Glaube des Subjekts sich zu erinnern gegeben ist, stellt (vi) keine notwendige Bedingung von Erinnerungsvorkommnissen dar: Ein Individuum kann sich an Η erinnern, ohne zu glauben, sich an Η zu erinnern. Die Möglichkeit des Irrtums bei Erinnerungserfahrungen und Erinnerungsvorkommnissen ist unbestreitbar. Allerdings kann daraus nicht die Konsequenz gezogen werden, die Autorität der ersten Person hinsichtlich der Erinnerung grundsätzlich zu bezweifeln. Mit Bezug auf einzelne Erfah-
473
Vgl. R. Ofshe, E. Watters, Making Monsters - False Memories, Psychotheraphy, and Sexual Hysteria; New York, Scribner's Sons, 1994 (deutsche Übersetzung: Die mißbrauchte Erinnerung - Von einer Therapie, die Väter zu Tätern macht; trad. Μ. Reiss, Β. Brandau, München, dtv, 1996); I. Hacking, Rewriting the Soul - Multiple Personality and the Sciences of Memory; Princeton, Princeton University Press, 1993.
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rungserinnerungen kann man grundsätzlich nicht mit Gewißheit sagen, daß sie frei von Irrtum sind. Die schwache Begründung für den Gebrauch des Erinnerungsbegriffs und das Vertrauen in Erinnerungsvorkommnisse basiert allein auf dem Umstand, daß Erinnerungserfahrungen in der Mehrzahl der Fälle verläßlich sind.474 Die inferentiell nicht gestützte, in einem pragmatischen Sinn gleichwohl verläßliche Erinnerung berechtigt im Hinblick auf ein partikulares Vorkommnis von Erfahrungserinnerung nicht zu der Behauptung, mit zweifelsfreier Gewißheit die Wahrheit des erinnerten Tatbestands zu erkennen. Es gilt demnach zu unterscheiden zwischen den im allgemeinen verläßlichen Erinnerungen und den durch sie gestützten Erinnerungsaussagen einerseits und einem begründeten Wissen und Behauptungen über die Vergangenheit andererseits. Vergangenheitswissen speist sich zwar auch aus Erfahrungserinnerung, ist aber mit dieser nicht restlos gleichzusetzen. Selbst wenn zwei Augenzeugen eines Verbrechens bestätigen, daß sie beide Zeugen der Tat waren, so hat der Skeptiker folgende Option: Er kann bezweifeln, daß es sich bei den Erinnerungsvorkommnissen der beiden Augenzeugen um authentische Erinnerungen handelt, und behaupten, die Zeugen seien Opfer eines Irrtums. Dies ist weder empirisch noch logisch ausgeschlossen. Beide können durch einen Hypnotiseur manipuliert sein. Dennoch wird niemand ohne spezielle Gründe die schwache und kontingente Begründung der Verläßlichkeit von Erinnerungsvorkommnissen in Frage stellen.475 Der zentrale Punkt im Hinblick auf die Frage nach der kriterialen Funktion der Erinnerung für die Identität der Person bezieht sich nicht auf den Gehalt der Erinnerung, sondern auf die Identität des Subjekts. Die Rede von der Immunität von Erinnerung gegen Fehlidentifikation des Subjekts stellt einen wesentlichen Punkt hinsichtlich des Erinnerungsvermögens heraus. Allerdings verleitet sie zu einem Zugeständnis an den Skeptiker,
474
Vgl. Shoemaker (1963), 229ff.; Malcolm (1963), 195ff. Malcolm argumentiert gegen die von Russell präsentierte, skeptische Gegenposition. Russell stellt fest, daß die Hypothese logisch möglich ist, derzufolge die Welt vor fünf Minuten entstanden ist, und zwar genau so wie sie zu diesem Zeitpunkt war, nämlich mit einer Bevölkerung, die sich an eine vollständig unwirkliche Vergangenheit .erinnert'. Russell stellt selbst fest, daß es sich um eine logisch mögliche, aber ansonsten uninteressante Hypothese handelt; vgl. Russell (1992), 159f.
475
Der Epistemologe mag angesichts eines solchen Pragmatismus Unbehagen verspüren. Allerdings ist zu bedenken: „If it is a conceptual truth that no one can remember that ρ when ρ is false, it is a psychological truth that you never remember"; Guttenplan (1994), 440.
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das unbegründet ist. Denn nach der Lockeschen Konzeption wird das Subjekt der direkten Erinnerung überhaupt nicht als Person identifiziert, die mit dem Erinnernden identisch ist. Die direkten Erinnerungsvorkommnisse werden identifikationsfrei und kriterienlos anerkannt und artikuliert. Wenn Beatrice erkennt, einem Erinnerungsirrtum zum Opfer gefallen zu sein, so macht sie sich nicht daran, den wahren Träger des scheinbaren Erinnerungsvorkommnisses ausfindig zu machen. Sie sagt nicht ,Mein Erinnerungserlebnis Ich habe gestern in meinem Lieblingsbuch gelesen war eine Täuschung. Also muß gestern eine andere Person in meinem Lieblingsbuch gelesen haben'. Ein Vertreter der Zirkularitätsthese wird darauf beharren, daß, unbeschadet der Möglichkeit irrtümlicher Erinnerung, im Fall authentischer Erinnerungserfahrung die Identität des Erinnernden mit dem Subjekt der erinnerten Erfahrung vorausgesetzt ist. Zwar würden faktisch Erinnerungsaussagen oft identifikationsfrei und kriterienlos akzeptiert, aber in allen Fällen authentischer Erinnerung sei grundsätzlich vorausgesetzt, daß die einschlägigen Bedingungen erfüllt seien. Die Identität der Person könne nur durch die verifizierbaren Erinnerungsvorkommnisse konstituiert werden. Ein Verteidiger der psychischen Kontinuitätsthese, wie Locke oder Parfit, gegen den sich der Zirkularitätseinwand richtet, behauptet aber eine Gegenthese: Psychische Kontinuität: Die identitätsentscheidende psychische Kontinuität von Personen wird durch direkte Erinnerungen gebildet. Der Gegner hingegen ist der Auffassung, daß das skizzierte Konzept psychischer Kontinuität nur in folgender zirkulärer Version die Identität der Person gewährleistet: Zirkuläre Psychische Kontinuität: Bei der identitätskonstitutiven Form der Erinnerung handelt es sich um verifiziertes oder verifizierbares Erinnerungswissen. Dieses setzt die Identität der erinnernden Person mit dem Subjekt der erinnerten Erfahrung voraus. Der Dissens betrifft das Verhältnis der Begriffe des Wissens und der Erinnerung. Der Zirkularitätseinwand setzt Erfahrungserinnerung mit Erinnerungswissen gleich. Zwar wird anerkannt, daß die Quellen dieses Wissens anderer Art sind als im Fall der Faktenerinnerung, die auf epistemische Autoritäten zurückgreifen muß. Aber im Gegensatz zum Vertreter der Kontinuitätsthese werden Erinnerungsvorkommnisse als epistemische Zustände und Erinnerungsaussagen entsprechend als epistemische Sprechakte betrachtet. Der Vertreter der Kontinuitätsthese hingegen akzentuiert den grundlegenden Unterschied zwischen der im allgemeinen angenommenen Verläßlichkeit von direkten Erinnerungsvorkommnissen und verifizierba-
Personen u n d ihre Identitäten bei Parfit
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rem/verifiziertem Erinnerungswissen. Der Konflikt beruht in wesentlichen Stücken auf den leitenden Auffassungen des Begriffs personaler Identität. Wenn im Zusammenhang mit der Identität der Person im absolutistischen Sinn eine Antwort auf die Frage ,Ist Ρ heute dieselbe Person wie Ρ gestern?' gegeben werden soll, so sind allein diejenigen Modelle psychischer Kontinuität ernsthaft in Erwägung zu ziehen, die aus verifizierbaren oder verifizierten Erinnerungssequenzen aufgebaut sind. Für die Klärung von Fragen der Zurechnung von Handlungen ist diese Sichtweise ausschlaggebend. Der Indeterminist hingegen kann eine Verbindung von Elementen anerkennen, die nicht verifizierte oder nicht verifizierbare Elemente enthält. Dabei ist allerdings zu beachten, daß der Indeterminismus unvereinbar ist mit einer strikt realistischen oder verifikationistischen Auffassung der Identität von Personen. Der plausible Kern einer Auffassung, die psychische Kontinuität von Personen nicht ausschließlich aus verifizierten Elementen aufbaut, besteht darin, daß faktisch im Leben von Personen keineswegs unaufhörlich die Frage nach der Identität gestellt wird oder kriteriengestützt beantwortet werden muß. Psychische Kontinuität, die sich aus unverifizierter Erinnerung und anderen Beziehungen (wie denjenigen zwischen Zuständen des Erwartens und späteren Erfahrungen usw.) ergibt, garantiert in der Regel in unproblematischer Weise die Identität der Person. Wenn ich morgens aus einem traumlosen tiefen Schlaf erwache, so bin ich mir selbst vertraut und orientiere mich in meiner Welt aufgrund problemlos verfügbarer Erinnerungen. Ich muß nicht erst die Identitätsfrage ,Wer bin ich?' nach Maßgabe spezifischer Kriterien beantworten, um mit mir und meiner Umwelt in angemessener Weise umzugehen. In Konfliktfallen, insbesondere bei der Zurechnung von zu sanktionierenden Normverstößen, wird die Frage nach der Identifizierung der handelnden Person aber zu einer problematischen und teilweise aufwendigen Angelegenheit. Hier kommt es darauf an, die Identität einer Person gemessen an gängigen Standards begründet und irrtumsfrei festzustellen. Wenn der Angeklagte als Mörder identifiziert wird, kommt es auf verläßliche Zuschreibungsprozeduren personaler Identität an. Die alltägliche und juristische Praxis beruht darauf, daß zumindest für eine begrenzte Anzahl von Fällen personale Identität als absolut, erkennbar und entscheidbar behandelt werden kann. Die hier maßgebliche Form der Verläßlichkeit ist die einer über plausible Zweifel erhabene Sicherheit der Identifizierung. Es handelt sich nicht um eine gegen jeden möglichen Zweifel geschützte Gewißheit. Dieser Umstand sollte nicht dazu verleiten, an die Rede von der diachronen Identität einer Person generell und in allen Fällen die strengen Anforderungen der Bezugnahme auf Kriterien und der vollständigen Verifi-
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Personbegriff und Reduktionismus
zierbarkeit zu stellen. Eine solche Konzeption führt zu Verzerrungen des Verständnisses dessen, was es heißt, als Person über die Zeit hinweg zu existieren. Teilweise sind solche Verzerrungen einem begrifflichen Mißverständnis geschuldet. Mit Bezug auf die Diachronie personalen Lebens ist der allgemeine Gebrauch des Identitätsbegriffs keineswegs ausschließlich an der strengen Bedeutung von Identität orientiert, die etwa im Fall der Reidentifizierung des Mörders relevant ist. Nur dann, wenn man Erinnerungsvorkommnisse nicht grundsätzlich mit Erinnerungswissen im Sinn propositionaler Aussagen identifiziert, wird die Pointe der These psychischer Kontinuität erkennbar. Der Umstand, daß Erinnerungszustände auch als nicht-begriffliche Formen des Bezogenseins auf vergangene Zustände der Welt aufzufassen sind, bildet die Grundlage der Modelle, die personale Identität durch psychische Kontinuität konstituieren.476 Mit Blick auf die diachrone Dimension personalen Lebens ist ein weiterer Gesichtspunkt zu beachten. Unter der diachronen Identität der Person wird häufig nichts anderes als die Einheit eines Lebens verstanden. Dabei ist nicht an die bloße Chronik der Ereignisse in einem Lebenslauf gedacht. Was mit der Einheit eines Lebens gemeint ist, wird deutlich in Fällen, in denen eine solche Struktur fehlt oder zerstört ist: Biographien, die aus einer Aneinanderreihung zahlloser Ereignisse bestehen, die von den in sie verwickelten Individuen als zusammenhanglos, sinnleer, gleichgültig und fremd erfahren werden.477 Wenn der Vertreter einer absolutistischen Konzeption personaler Identität diese Fragen als nicht zu seinem Thema gehörend ausschließt, so ist dies eine problematische Reaktion. Denn offensichtlich kön-
476
Vgl. Evans (1982), 240.
477
Parfit und die meisten Teilnehmer an der Debatte über personale Identität im Bereich der angelsächsischen analytischen Philosophie operieren mit einem vergleichsweise abstrakten Begriff psychischer Kontinuität. In diesem Rahmen können die angesprochenen Probleme der Einheit des Lebens nicht berücksichtigt werden. Da der Begriff personaler Identität innerhalb der Sozialwissenschaften und der Psychologie zumeist im Sinn der Einheit des Lebens oder der Möglichkeit eines Individuums, sich mit seinem Selbstbild zu identifizieren, gebraucht wird, besteht eine beachtliche Divergenz zwischen den Diskursen der analytischen Philosophie und denen der Sozialwissenschaften oder der Psychologie über die Identität von Personen. Wenige Autoren nehmen diese Spannung zum Anlaß, Versuche der Vermittlung der Fragestellungen vorzulegen. Eine Ausnahme stellen die Arbeiten P. Ricoeurs dar; vgl. P. Ricoeur, Le Temps raconte; Revue de Metaphysique et de Morale 89 (1984), 436-452 (englische Übersetzung: Narrated Time; Philosophy Today 29 (1985), 259-272); L'identite narrative; Esprit 7/8 (1988), 295-304 (englische Übersetzung: Narrative Identity; Philosophy Today 35 (1991), 73-81); Temps et recit; I-III, Paris, Editions du Seuil, 1983-1985 (deutsche Übersetzung: Zeit und Erzählung; I-III, trad. R. Rochlitz (I, II), A. Knop (III), München, Fink, 1988-1991); Soi-meme comme un autre; Paris, Editions du Seuil, 1990 (deutsche Übersetzung: Das Selbst als ein Anderer; trad. J. Greisch, München, Fink, 1996).
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nen die Bedingungen psychischer Kontinuität und diachroner Identität auch in Fällen erfüllt sein, die mit guten Gründen nicht als Fälle der diachronen Identität von Personen akzeptiert werden. Der Vertreter eines strikten Prinzips diachroner personaler Identität kann nur auf Kosten der Tragfähigkeit seines eigenen Modells das Problem der Bedingungen von Personalität und der Individuierung von Personen ausklammern. Im Zusammenhang mit dem hier angesprochenen Konzept der Einheit des Lebens oder des Zusammenhangs einer Lebensgeschichte fällt auf, daß die analytischen Modelle der diachronen Identität von Personen nicht die Möglichkeit bieten, Identitätskrisen von Personen zu erfassen und zu beschreiben. Damit sind Fälle gemeint, die in mehr oder weniger ausgeprägter Form in den meisten Biographien auftreten.478 Eine Identitätskrise besteht in der Regel nicht darin, daß eine Frage bezüglich der diachronen Identität im Sinn einer kriteriengestützten, verifizierbaren Reidentifikation unbeantwortet bleibt. Die Identitätskrise setzt in ihrer klassischen Form diese diachrone Identität voraus: Eine Person schreibt sich selbst bestimmte Handlungen, Verhaltensweisen und Teile einer Lebensgeschichte zu. Aber die fragliche Episode der Lebensgeschichte erscheint ihr fremd, unverständlich oder kritikwürdig. Psychische Kontinuität im Sinn der Neo-Lockeschen Konzeption steht hier überhaupt nicht auf dem Spiel. Vielmehr wird auf einer anderen Ebene, derjenigen des Selbstverständnisses und der Selbstinterpretation, die Frage danach aufgeworfen, wie eine Person ihre eigene bisherige Lebensgeschichte bewertet und welche Erwartungen sie in bezug auf ihre künftige Lebensgeschichte hat. Falls die Stellungnahme zur eigenen Vergangenheit mit einer entschiedenen Ablehnung bisheriger Einstellungen, Verhaltensmuster und Überzeugungen einhergeht, spricht man davon, daß die betreffende Person eine andere oder ein anderer geworden ist. Damit ist nicht gesagt, daß die Vergangenheit des jeweiligen Individuums nicht mehr der Erinnerung zugänglich ist. Vielmehr kann die Vergangenheit über eine Zäsur hinweg als die eigene, von der Gegenwart aus betrachtet aber fremd gewordene Vergangenheit angeeignet werden. Ein literarisches Musterbeispiel solcher Brüche einer Biographie stellen die ,Confessiones' Augustins dar. Die bisherige Argumentation gegen den Zirkularitätseinwand ging in zwei Schritten vor. Die erste Antwort auf den Kritiker lautete, daß Modelle
478
Dieser Problembereich bildet einen zentralen Gegenstand der entwicklungspsychologischen und soziologischen Forschung zur Identität von Personen. Vgl. die klassischen Arbeiten E.H. Eriksons: Identity - Youth and Crisis; New York, Norton & Co., 1968; sowie: Identity and the Life Cycle; New York, Norton & Co., 1980.
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psychischer Kontinuität nicht zirkulär sind, weil sie für die Definition personaler Identität auf Erinnerungen rekurrieren, die selbst keinen Begriff der identischen Person voraussetzen. Die zweite Entgegnung auf den Zirkularitätseinwand bestand in einer Untersuchung des Erinnerungsbegriffs sowie der Bedingungen für die Zuschreibung von direkter Erinnerung. In diesem Zusammenhang wurde insbesondere die Immunität direkter Erinnerung gegen eine Fehlidentifikation des Subjekts herausgestellt. Der Zirkularitätseinwand ist hier unbegründet, weil das Subjekt der Erinnerung nicht notwendigerweise identifiziert werden muß und weil es sich nicht notwendigerweise um eine handlungs- und zurechnungsfähige Person handeln muß. Hinsichtlich der Konstitution personaler Identität durch Kontinuität von Erinnerungsvorkommnissen wurde hervorgehoben, daß die Kontinuität des Psychischen nicht ausschließlich durch verifizierte oder verifizierbare Erinnerungsvorkommnisse im Sinn eines begründeten Erinnerungswissens gebildet wird. Eine Konsequenz dieser Sichtweise besteht darin, daß die Identität der Person nicht in allen Fällen entschieden werden muß und kann. Der Vergangenheitshorizont einer Person ist umfassender als der durch das verifizierte Erinnerungswissen fixierte Bereich ihrer dokumentierbaren Biographie. Im folgenden Abschnitt wird eine weitere Argumentationslinie gegen den Zirkularitätsvorwurf vorgestellt, die die Immunität gegen Fehlreferenz nicht als begriffliche Notwendigkeit, sondern als ein kontingentes Faktum ansieht.
IV.2.2.2. Zirkularität und Quasi-Erinnerung Parfit selbst akzeptiert den Zirkularitätseinwand Butlers im Hinblick auf den allgemein gebrauchten Erinnerungsbegriff. Dies ist in Anbetracht der in IV.2.2.1. formulierten Ausführungen zwar unbegründet, trifft aber im Zusammenhang mit einem einseitig epistemologischen Erinnerungsbegriff oft auf Zustimmung. Um eine nicht-zirkuläre Definition personaler Identität durch psychische Kontinuität zu ermöglichen, ersetzt Parfit den orthodoxen Erinnerungsbegriff durch das weitere Konzept der Quasi-Erinnerung. Quasi-Erinnerungen ähneln üblichen Erinnerungen bis auf den Umstand, daß ein Quasi-Erinnerungsvorkommnis nicht notwendigerweise auf eine vergangene Erfahrung des Erinnernden bezogen ist, sondern auch auf eine vergangene Erfahrung eines anderen Subjekts zurückverweisen kann. Im Gegensatz zu Erinnerungen sind Quasi-Erinnerungen also nicht immun gegen Irrtümer durch Fehlreferenz. Die Referenz bleibt vielmehr offen und stellt mithin ein kontingentes Faktum dar.
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Gegen diese allgemeine Konzeption von Quasi-Erinnerung hat G. Evans eingewandt, daß hier eine Inkonsistenz vorliegt. Man könne von einem psychischen Vorgang nicht sagen, es handele sich um genau denselben Vorgang wie Erinnerung, bis auf den Umstand, daß offen bleibt, wessen Erfahrung erinnert werde. Die Immunität gegen Fehlidentifikation des Subjekts gehört nach Evans zum Erinnerungsbegriff selbst und läßt sich nicht von diesem abkoppeln. Der Erinnerungsbegriff ist dadurch gekennzeichnet, daß eine Erinnerungsaussage ,Ich war F' nicht aus zwei Komponenten ,Dieser Mensch war F' und ,Ich war dieser Mensch' zusammengesetzt ist.479 Evans folgt zunächst der Hypothese, man könne eine Quasi-Welt annehmen, in der die Subjekte Quasi-Erinnerungen haben und folglich nicht wissen, wessen Erinnerungsvorkommnisse sie erleben. Aus dieser Annahme ergibt sich, daß die Erinnerungszustände keinerlei Wissen über Vergangenheit konstituieren könnten. Jedes einzelne Erinnerungsvorkommnis kann auf ein anderes Subjekt verweisen. Es wäre den jeweils quasi-erinnernden Personen also unmöglich, kohärente Vorstellungen über vergangene Ereignisse oder einen Begriff von Vergangenheit zu bilden.480 Um diesem Einwand zu entgehen, wird eine engere Version der QuasiErinnerung diskutiert. Dabei wird vorausgesetzt, daß das Leben einer Person nur eine geringe Anzahl von Quasi-Erinnerungen aufweist, die auf Erfahrungen anderer Subjekte zurückzuführen sind. Ausgeschlossen wird hier also die Möglichkeit des weiten Konzepts der Quasi-Erinnerung, demzufolge spontan eine unkontrolliert hohe Anzahl von Quasi-Erinnerungsvorkommnissen im Leben einer Person auftreten, die auf Erfahrungen einer Vielzahl anderer Personen verweisen.481
479
Evans (1982), 241-248.
480
Evans (1982), 244.
481
Parfit selbst macht in einem frühen Aufsatz (Personal Identity; PR 80 (1971), 3-27) erstmals Gebrauch von dem ,quasi-memory'-Argument. Der Erfinder des Konzepts der Quasi-Erinnerung ist S. Shoemaker (1970), 269-285; hier: 271: „One way of characterizing the difference between quasi-remembering and remembering is by saying that the former is subject to a weaker previous awareness condition than the latter. Whereas someone's claim to remember a past event implies that he himself was aware of the event at the time of its occurence, the claim to quasi-remember a past event implies only that someone or other was aware of it". In RP gebraucht Parfit nur die eingeschränkte Version der Quasi-Erinnerung. Shoemaker macht ausdrücklich darauf aufmerksam, daß eine weite Version von Quasi-Erinnerung ohne Interesse ist, weil die entsprechenden psychischen Vorkommnisse keinerlei verläßliche Auskunft über eigene Erfahrungen oder die Erfahrungen anderer Personen geben würden; vgl. Shoemaker (1970), 277. Konstitutiv für personale Identität sind nach Shoemakers differenzierter Konzeption allein Quasi-Erinnerungen, die durch eine spezifische Kausalkette verbunden und nicht verzweigt sind.
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Quasi-memory I have an accurate quasi-memory of a past experience if (1) I seem to remember having an experience, (2) someone did have this experience, and (3) my apparent memory is causally dependent, in the right kind of way, on that past experience. 482
Durch die dritte Bedingung hebt sich der enge Begriff der Quasi-Erinnerung von dem allgemeineren Konzept ab, das lediglich durch (1) und (2) definiert ist. Offensichtlich unterscheiden sich die Zustände der Quasi-Welt in tiefgreifender Weise von den für die gewöhnliche menschliche Erinnerung wesentlichen Bedingungen. Parfits Plausibilisierungsversuch nimmt die Form eines Gedankenexperiments an: Jane has agreed to have copied in her brain some of Paul's memory-traces. After she recovers consciousness in the post-surgery room, she has a new set of vivid apparent memories. She seems to remember walking on the marble paving of a square, hearing, the flapping of flying pigeons and the cries of gulls, and seeing light sparkling on green water. One apparent memory is very clear. She seems to remember looking across the water to an island, where a white Palladian church stood brilliantly against a dark thundercloud. 483
Da Jane weiß, daß sie durch einen chirurgischen Eingriff Kopien der Erinnerungsspuren von Paul besitzt, kann sie ihren psychischen Zustand als Quasi-Erinnern identifizieren. Darüber hinaus kann sie auch annehmen, daß es sich um Erinnerungen von Paul handelt, die sie nun in der authentischen Innenperspektive erlebt.484 Die Quasi-Erinnerungen implizieren keine Referenz auf die quasi-erinnernde Person. Wenn Jane in der Quasi-Erinnerung eine Möwe näherkommen sieht, so fliegt die Möwe nicht auf Jane zu, sondern sie nähert sich dem Standort des Subjekts der Quast-Erinnerung 482
RP, 220. Es ist die dritte Bedingung, die den ursprünglich ohne Kausalannahmen konzipierten Begriff der Quasi-Erinnerung stark einschränkt; vgl. RP, 222: „In our Statement of our revised Psychological Criterion, we should not claim that, if I have an accurate quasimemory of some past experience, this makes me the person who had this experience. One person's mental life may include a few quasi-memories of experiences in some other person's life, as in the imagined case of Jane and Paul. Our criterion ignores few such connections. My mental life consists in a series of very varied experiences. These include countless quasimemories of earlier experiences. The connections between these quasi-memories and these earlier experiences overlap like the strands in a rope. There is strong connectedness of quasi-memory if, over each day, the number of direct quasi-memory connections is at least half the number in most actual lives. Overlapping strands of strong connectedness provide continuity of quasi-memory. Revising Locke, we claim that the unity of each person's life is in part created by this continuity. We are not now appealing to a concept that presupposes personal identity. Since the continuity of quasi-memory does not presuppose personal identity, it may be part of what constitutes personal identity".
483
RP, 220. Parfit betont in seinen Beispielen das bildhafte Moment der Erinnerung, um das Spezifikum direkter Erinnerung herauszuheben.
484
Personen und ihre Identitäten bei Parfit
257
und Jane weiß, daß sie nicht in allen Fällen mit diesem Subjekt identisch ist. Parfit selbst weist darauf hin, daß Jane in manchen Fällen die Differenz zwischen sich selbst als quasi-erinnerndem Subjekt und dem Subjekt, dessen Erfahrungen quasi-erinnert werden, rasch erkennen könnte: wenn sie quasi-erinnernd ein Männergesicht bei der Morgenrasur vergegenwärtigt, wird sie aus Gründen kognitiver Konsistenz schließen, daß sie Pauls Erfahrung quasi-erinnert.485 Parfit hält es für irrelevant, ob die in dem Gedankenexperiment skizzierten Ereignisse tatsächlich stattfinden könnten. Es kommt ihm allein darauf an, daß die Situation vorstellbar ist, und daß der Begriff der Erinnerung in der angedeuteten Weise anwendbar wäre. Der eingeschränkte Begriff der Quasi-Erinnerung zeigt nach Parfits und Shoemakers Überzeugung, daß das Modell der Konstitution personaler Identität durch Erinnerung oder psychische Kontinuität dem Zirkularitätseinwand nicht unterliegt. Zur Einschätzung der Argumentation gegen den Zirkularitätseinwand mithilfe des Begriffs der Quasi-Erinnerung ist anzumerken, daß gegen den Quasi-Erinnerungsbegriff kritische Vorbehalte bestehen. Evans und andere Kritiker sehen einen engen Zusammenhang zwischen den Begriffen und den in einer bestimmten Lebenspraxis verankerten Gebrauchsregeln. Ebenso wie im Hinblick auf den Erinnerungsbegriff lautet auch mit Bezug auf den Personbegriff die Entgegnung auf Parfit: Auch wenn die imaginierten Situationen möglicherweise realisierbar wären, würde damit nichts Wesentliches über die Begriffe, die innerhalb einer vorfindlichen Praxis funktionieren, ausgesagt. Es ist nicht klar, was aus dem allgemeinen Erinnerungsbegriff würde, wenn direkte Erinnerungen chirurgisch übertragbar oder wenn Personen reduplizierbar wären. Sicher ist nur, daß die gegenwärtig gebrauchten Begriffe sich stark verändern würden. Wenn einzelne Personen beliebig redupliziert werden könnten, gäbe es keine Gelegenheit mehr, den Personbegriff in dem Sinn zu verwenden, der heute seine wesentlichen Verwendungsweisen prägt. Die Argumentation mit dem Begriff der Quasi-Erinnerung ist nur mit einem sehr abstrakten und nicht spezifizierten Personbegriff durchzuführen. Keine der mit den kontingenten Zuständen menschlicher Handlungswelten verbundenen Konzeptionen kann in einem solchen, die epistemische, praktische und psychologische Dimensionen des Personbegriffs nicht ausdifferenzierenden Konzept berücksichtigt werden. Noonans Überzeugung, daß ,unser' Begriff der Person in anderen möglichen Welten, wie den von Parfit entworfenen, problemlos angewendet werden kann, erweist sich 485
RP, 221.
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Personbegriff und Reduktionismus
in Anbetracht der zahlreichen Konflikte solcher potentieller Anwendungsfälle mit den gängigen Gebrauchsregeln des Begriffs als nicht haltbar.486 Mit Bezug auf das Problem der Zirkularität von Theorien psychischer Kontinuität kann man abschließend festhalten, daß zwei Optionen zur Verteidigung gegen den Zirkularitätseinwand gegeben sind. Die Argumentation mit dem Konzept der Quasi-Erinnerung ist allenfalls mit starken Einschränkungen akzeptabel.487 Die in IV.2.1. formulierten Überlegungen zum Erinnerungsbegriff widerlegen den Zirkularitätseinwand erfolgreich.
IV.2.3. Die Lehre der Gedankenexperimente: Identität ist irrelevant Ein Verteidiger Parfits kann darauf hinweisen, daß die spezifische Stellung der Relation R in den bisherigen Überlegungen noch nicht mit hinreichender Klarheit herausgearbeitet wurde. Die Einwände aus IV.2.1.2. mögen zwar berechtigt sein, sie gehen aber an dem übergreifenden Problem vorbei. Denn sie tragen nicht der Perspektive Rechnung, in der Parfit selbst die Bedeutung der Relation R sieht. Im folgenden wird diesem Hinweis nachgegangen. Zur Debatte steht die folgende These Parfits: Unerheblichkeit der Identität (UI}. Für das Überleben von Personen ist Identität unwichtig. Entscheidend ist allein das Bestehen von Relation R ( D P V und/oder PK) mit einer Ursache der richtigen Art.488
Diese Marginalisierung des Identitätsbegriffs ist motiviert durch die Möglichkeit bestimmter Fälle, in denen man nach Parfit zwar davon sprechen kann, daß eine Person weiterlebt, in denen man aber den Begriff der Identität nicht problemlos verwenden kann. Die einschlägigen Fälle werden mit Hilfe von Gedankenexperimenten dargestellt. Daß in alltäglichen Zusammenhängen solche Konstellationen nicht auftreten, ist, wie bereits gesagt wurde, unumstritten. Ebensowenig wird unterstellt, daß künftige Entwicklungen die in den Gedankenexperimenten wesentlichen technischen Verfahren real werden lassen. Ausschlaggebend ist allein der Umstand, daß die beschriebenen Situationen vorstellbar sind, daß keinerlei logische Widersprüche in den Beschreibungen enthalten sind und daß die Überzeugun486
Vgl. Noonan (1989), 191.
487
Neben Evans kritisieren die folgenden Autoren den Begriff der Quasi-Erinnerung: Hughes (1975); Margolis (1986/87); McCloskey (1986); Schechtman (1990).
488
RP, 215: ,,iPlersonal identity is not what matters. I claim , What matters is Relation R: psychological connectedness and/or continuity, with the right kind of cause.' Since it is more controversial, I add, as a separate claim ,In an account of what matters, the right kind of cause could be any cause'. "
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gen der Leser bezüglich der wesentlichen Eigenschaften von Personen eine Basis dafür bieten, die Frage zu beantworten, ob eine Person in den jeweiligen Szenarien überlebt oder nicht.489 I enter the teletransporter. I have been to Mars before, but only by the old method, a space-ship journey taking several weeks. This machine will send me at the speed of light. I merely have to press the green button. Like others, I am nervous. Will it work? I remind myself what I have been told to expect. When I press the button, I shall lose consciousness, and then wake up at what seems a moment later. In fact I shall have been unconscious for about an hour. The Scanner here on Earth will destroy my brain and body, while recording the exact states of all my cells. It will then transmit this information by radio. Travelling at the speed of light, the message will take three minutes to reach the Replicator on Mars. This will then create, out of new matter, a brain and body exactly like mine. It will be in this body that I shall wake up. Though I believe that this is what will happen, I still hesitate. But then I remember seeing my wife grin when, at breakfast today, I revealed my nervousness. As she reminded me, she has been often teletransported, and there is nothing wrong with her. I press the button. As predicted, I lose and seem at once to regain consciousness, but in a different cubicle. Examining my new body, I find no change at all. Even the cut on my upper lip, from this morning's shave, is still there.490
Dieses Szenario (Teletransport I) soll zeigen, daß es logisch möglich ist und mit verbreiteten Intuitionen über das Wesen von Personen in Einklang steht, die Existenz der Replik auf dem Mars als einen Fall des Überlebens und Weiterlebens der Person auf der Erde zu werten. Alle Bedingungen, die für das Überleben des Ich im Gedankenexperiment relevant sind, sind nach dem Teletransport erfüllt. Zwar ist die Person auf dem Mars nicht mit der Person auf der Erde identisch, wenn man ein Körper-Kriterium personaler Identität zugrunde legt. Aber das ist irrelevant, da Parfit weder ein Körper-Modell der Person noch ein Körper-Kriterium ihrer Identität voraussetzt. Da er Reduktionist und Apersonalist ist, wäre es ebenso unverständlich, das Leben der Mars-Person nicht als vollwertige Fortsetzung der Existenz der Erden-Person zu betrachten, wie es unvernünftig wäre, einen tadellosen Kunstzahn nicht als adäquaten Nachfolger seines natürlichen 489
4W
,,We discover our beliefs about the nature of personal identity over time. Though our beliefs are revealed most clearly when we consider imaginary cases, these beliefs also cover actual cases, and our own lives" (RP, 200). Einige Gedankenexperimente sind nicht realisierbar, gleichgültig welche Fortschritte Wissenschaft und Technik zukünftig machen werden. Parfit unterscheidet: (1) Fälle, die Naturgesetzen widersprechen („deeply impossible") und (2) Fälle, die technisch unmöglich sind („merely technically impossible"). Auch die zu (1) zählenden Überlegungen hält er für sinnvoll, weil logisch mögliche Situationen eruiert werden. Zur Kritik an der Methode der puzzle cases vgl. vor allem H. Harris (1995), 47-63; K. Wilkes (1987). RP, 199.
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Vorgängers zu akzeptieren. Vorausgesetzt ist freilich, daß im Fall der Replik die psychische Kontinuität erfüllt ist. Sie ist das Äquivalent zur funktionalen und kosmetischen Qualität des Kunstzahns. Nach Parfit zeigt diese Überlegung, daß die Identität an sich keineswegs der relevante Punkt ist. Obwohl Parfit mit großer Sorgfalt für seine Position argumentiert, erscheinen seine Ausführungen in mehrfacher Hinsicht kontraintuitiv und anfechtbar. Nicht-Reduktionisten werden einwenden, daß es sich bei der Replik keineswegs um eine lebende Person handelt, die mit dem Original in der geforderten psychischen Beziehung steht. Ein Aristoteliker könnte argumentieren, daß das Resultat des Kopiervorgangs die Herstellung von zwei Leichen ist: das Lebewesen auf der Erde wird getötet und die übrigbleibende Leiche vernichtet. Auf dem Mars wird ein toter Körper produziert, dessen Zusammensetzung durch die Daten bestimmt ist, die aus dem Original vor der Ermordung gewonnen wurden. Die Leiche ähnelt dem Original in der Weise, wie ein Leichnam üblicherweise dem lebenden Organismus gleicht, dessen Überrest er ist. Es fehlt ein Prinzip des Lebens, um die Mars-Kopie zu animieren. Ein Cartesianischer Dualist könnte argumentieren, daß das Resultat des Kopiervorgangs ein vegetierender Organismus ohne jegliches mentales oder psychisches Leben ist.491 Andere nicht-reduktionistische Intuitionen könnten daran zweifeln, daß beliebige Kausalketten die psychische Kontinuität bewirken können. Auch wenn die Mars-Person psychisch kontinuierlich mit der Erden-Person ist, gibt es Gründe, die durch die üblichen Kausalverhältnisse garantierte psychische Kontinuität vorzuziehen. Dies läßt sich contra Parfit anhand einer Variante des TeletransportSzenarios (Teletransport II) zeigen: Bei dem Kopiervorgang wird der Körper der Person auf der Erde nicht zerstört. Nach kurzer Zeit erlangen daher zwei qualitativ identische Personen ihr Bewußtsein wieder: das Original auf der Erde und die Replik auf dem Mars.492
Es handelt sich hier um einen Fall von Spaltung oder Verdoppelung: aus einer Person scheinen zwei Personen zu werden, die beide in gleichwertigen Beziehungen psychischer Kontinuität zum Original stehen. Dieser Fall einer Verzweigung sprengt die Logik des Identitätsbegriffs, da Identität stets als zweistellige Relation konzipiert ist: keine Entitität El kann identisch mit einer Entität E2 und einer mit E2 nicht identischen Entität E3 sein. Dies ist der entscheidende Punkt, an dem Parfit den Identitätsbegriff marginalisiert. Relevant ist nach seiner Auffassung ausschließlich die Bewahrung psychischer Kontinuität. Es gibt also scheinbar keinen einsichtigen Grund, wes491
Vgl. Inwagen ( 1 9 9 3 ) , 181.
492
RP, 199.
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halb das Original eine der beiden Weisen der Fortsetzung seiner Existenz als Erden-Person oder als Mars-Person vorziehen sollte.493 Falls das Original aber anti-Parfitianische Intuitionen hat, wird es fraglos dem auf der Erde befindlichen Überlebenden den Vorzug geben oder sich auf andere konventionellere Transportmittel beschränken. Die Erfahrung der Anfälligkeit technischer Apparaturen und die Möglichkeit verborgener Defekte in Reduplikationsmaschinen, die erst langfristig sichtbare Schäden zeitigen, können dem Original gute Gründe an die Hand geben, um die Mars-Replik eindeutig als weniger vollwertigen Kandidaten einzustufen. Möglicherweise ist die psychische Kontinuität mit dem Original nur kurzfristig garantiert, weil Charakterdispositionen, unbewußte Strukturen etc. beim Kopiervorgang leicht in fehlerhafter Weise kopiert werden. Die Replik würde sich psychisch also rasch in unvorhersehbarer Weise entwickeln — ein für die Bezugspersonen des Originals erhebliches Risiko. Die Präferenz für das Original kann aber auch in einer Bevorzugung von Naturprodukten im Gegensatz zu Artefakten gründen. Möglicherweise impliziert der vom Original akzeptierte Begriff der Person, daß Personen keine Artefakte sind. Funktionalisten werden an diesem Punkt protestieren. Dieser Protest ist aber bis zur Ausarbeitung einer über begrenzte kognitive Prozesse hinausgehenden, die ethischen Aspekte des Personbegriffs abdeckenden funktionalistischen Theorie der Person nicht als durchschlagend zu bewerten. Ebenfalls relevant mag der Umstand sein, daß die Partnerin oder die Kinder es vorziehen könnten, mit der leibhaftigen Person anstelle eines Kunstprodukts umzugehen. Parfit wird zweifellos antworten, daß dies ein unvernünftig konservativer Standpunkt ist. Da das Artefakt alle relevanten psychischen Eigenschaften besitzt, stellt die Weigerung, seine Gleichwertigkeit anzuerkennen, einen üblen Akt der Diskriminierung dar. Die Insistenz auf der Unterscheidung zwischen Naturwesen und Artefakt ist nicht die einzige Begründungsmöglichkeit einer Präferenz für die Original-Person. Im Gegenteil, gerade wenn man Personen nicht als reine Naturwesen betrachtet, ist es möglich, mit einer Analogie einen relevanten 4,3
Um in Übereinstimmung mit alltäglichen Redeweisen die Allianz von Identität und psychischer Kontinuität zu bewahren, schlägt Lewis gegen Parfit den sogenannten .Multiple Occupancy View' vor. Dieser ermöglicht es, die scheinbare Spaltung (oder Fusion) in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Identitätsbegriffs zu interpretieren. Die von Lewis vorgeschlagene Konzeption behauptet, daß es sich im Fall des Originals vor dem Kopiervorgang um zwei ununterscheidbare und sich vollständig überlappende Entitäten handelt, die gleichzeitig am gleichen Ort existieren. Die Biographien dieser sich nicht unterscheidenden Wesen verzweigen sich erst im Moment des Kopierens und bilden von da an zwei unterscheidbare Laufbahnen. Vgl. D. Lewis, Survival and Identity; in: Rorty (1976), 17-40. Parfits Antwort findet sich in Parfit (1976).
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Personbegriff u n d Reduktionismus
Unterschied zwischen Original und Replik zu begründen. Die Ausdrücke ,Original' und .Replik' werden oft mit Bezug auf Kunstwerke und deren Reproduktionen gebraucht. Für die Diskussion über die Identität von Kunstwerken ist die Unterscheidung zwischen dem Original und der Replik oder Fälschung zentral. Geht man von dem Fall einer perfekten Fälschung aus, so würde ein Parfitianer argumentieren, es sei nicht einzusehen, weshalb jemand dem Original vor der ununterscheidbaren Fälschung den Vorzug geben oder womöglich einen Preisunterschied zwischen beiden Objekten akzeptieren sollte. Offensichtlich wird die Lage auf dem Kunstmarkt anders betrachtet als in Parfits Theorie. Das Fälschen wird nicht nur als kriminelle Handlung geahndet, sondern in den Augen jedes Sammlers büßt das Objekt seinen Wert (vollständig oder in erheblichem Maß) ein, wenn es als Fälschung identifiziert wird. Nach Parfit ist dies schierer Irrationalismus. Wenn die Kopie ununterscheidbar oder fast ununterscheidbar ist, so kann ein Wertunterschied nicht begründet werden. Der Sammler weist diesen Angriff zurück. Im Fall eines Gemäldes weiß er, daß auf das Original eine Menge von Prädikaten zutrifft, die nicht salva veritate von der ununterscheidbaren Fälschung ausgesagt werden können. Das Original befand sich im Atelier des Künstlers, wurde von ihm hergestellt, wanderte durch die Hände der unterschiedlichen Besitzer, war der Gegenstand zahlreicher in Anekdoten überlieferter Begebenheiten. Diese narrativen Prädikate treffen nur auf das Original zu, nicht auf die Fälschung. Aus diesem Grund zieht der Sammler das Original der Fälschung vor. Und er hat einen weiteren, guten Grund: Er ist gegenwärtig nicht in der Lage, durch bloße Betrachtung das Original von der Kopie zu unterscheiden, aber er hat die Erfahrung gemacht, daß sich sein Diskriminierungsvermögen verändert und erweitert. Daher schließt er nicht aus, künftig möglicherweise Unterschiede zwischen Original und Fälschung zu entdecken. Kunstwerke sind Individuen. Personen werden ebenfalls als Individuen behandelt.494 Das über Original und Fälschung bei Gemälden Gesagte läßt 494
Die Überlegungen zum Verhältnis von Original und Fälschung übernehmen die einschlägigen Argumente von N. Goodman; vgl. N. Goodman, Art and Authenticity; in: ders., Languages of Art - An Approach to a Theory of Symbols; Indianapolis, Bobbs-Merill, 1968 und Hackett, 1976, 99-123 (erneut in: Problems and Projects; Indianapolis, Bobbs-Merrill, 1972, 85-102). Den Zusammenhang zwischen dem Begriff der Person und dem Konzept des Kunstwerks oder kulturellen Artefakts stellt J. Margolis her; vgl. ders., Interpretation Radical But Not Unruly - The New Puzzle of the Arts and History; Berkeley, University of California Press, 1995; ders., Historied Thought, Constructed World - A Conceptual Primer for the Turn of the Millennium; Berkeley, University of California Press, 1995. Das Konzept narrativer Prädikate bildet den Übergang zur Behandlung der Identität der Person als narrativer Identität. Eine Auseinandersetzung mit diesem Begriff und der in seinem Zusammenhang gebrauchten Erinnerungskonzeptionen bleibt einer die vorliegende Abhand-
Personen und ihre Identitäten bei Parfit
263
sich auf den Fall der Reduplikationsszenarien bei Parfit übertragen. Wenn man die mit der Individualitätskonzeption zusammenhängenden Regeln außer Kraft setzt, dann ist es möglich, den Entwürfen Parfits zu folgen. Allerdings scheint es unangemessen zu behaupten, daß Parfit zeigt, man müßte notwendigerweise die mit dem Individualitätsbegriff zusammenhängenden Regeln des Begriffsgebrauchs aufgeben. Der Parfitianer reagiert auf diesen Einwand, indem er ihn als unspezifisch abtut. Er trifft schließlich nicht nur Parfits Theorie psychischer Kontinuität, sondern auch andere Versionen dieses Theorietyps sowie Theorien, die ein Körperkriterium der Person vertreten. Diese Replik ist allerdings keine Entschärfung des Einwands. Vielmehr zeigt sie, daß eine allgemeine Schwäche zahlreicher Theorien personaler Identität angesprochen ist. Eine dritte Variante des Teletransports macht nach Parfits Auffassung die entscheidende Bedeutung psychischer Kontinuität deutlich. Wie in ,Teletransport II' gibt es eine Panne. Die Original-Person wird nach d e m Kopiervorgang nicht zerstört. Es gibt jetzt zweimal dieselbe Person: einmal auf der Erde das Original und dann die Replik auf d e m Mars. Allerdings ist das Herzkreislaufsystem des Originals beim Kopieren beschädigt worden. Die Original-Person wird in den nächsten Tagen sterben. 4 9 5
Diese Variante (Teletransport III) gibt Parfit Anlaß, auf die bereits angesprochenen lebenspraktischen Konsequenzen seines Modells hinzuweisen. Anstatt in Verzweiflung und Todesangst zu versinken, ist die Original-Person vernünftigerweise gelassen, denn ihr Leben wird von der Replik auf dem Mars fortgesetzt werden. Zerstört und redupliziert zu werden ist in etwa ebenso gut wie in der üblichen Art zu überleben. 496 Mit Blick auf die Argumentation gegen die zweite Version des Teletransports kann der Parfilung fortführenden Studie vorbehalten; vgl. auch die einschlägigen Arbeiten von J. Margolis. P. Ricoeur, C. Taylor, A. Maclntyre, R. Schafer, A. Kerby. 4,5
RP, 200.
496
„[...] Being destroyed and Replicated is about as good as ordinary survival" (RP, 201). Da diese Überlegungen in außerordentlichem Maß kontraintuitiv sind, mag es aufschlußreich sein, Parfits erläuternde Worte anzufügen: ,,I later talk [...] to my Replica on Mars [...] Since my Replica knows that I am about to die, he tries to console me (...) My Replica then assures me that he will take up my life where I leave off. He loves my wife, and together they will care for my children. And he will finish the book that I am writing. Besides having all my drafts, he has all my intentions. I must admit that he can finish my book as well as I could. All these facts console me a little. Dying when I know that I shall have a Replica is not quite as bad as, simply, dying. Even so, I shall soon lose consciousness, forever". Gelassenheit wird hier nicht in Anlehnung an traditionelle Vorstellungen dadurch motiviert, daß das Ende des Bewußtseins und des Lebens als unverfügbares Geschehen hinzunehmen ist. Vielmehr erscheint das personale Leben in Parfits Szenario dank leistungsfähiger Supplemente prinzipiell endlos verlängerbar.
264
Personbegriff u n d Reduktionismus
tianer hier in folgender Weise erwidern: auch wenn das Original und die Replik weder identisch noch gleichwertig sind, so ist doch die Situation, in der eine vom Original ununterscheidbare Replik existiert, der Alternative vorzuziehen, bei der weder das Original noch eine Replik vorhanden sind. Parfit argumentiert dafür, daß alltägliche Überzeugungen von der Relevanz der Identität einer Person nicht konsistent sind. Identität an sich ist nicht direkt relevant. Eigentlich kommt es nur auf die psychische Kontinuität (Relation R) im Leben von Personen an. Identität koinzidiert in alltäglichen Fällen weitgehend mit dieser Beziehung. Und allein aus diesem Grund ist es berechtigt, die Identität der Person als relevant anzusehen. Worauf es im Zusammenhang mit der Überzeugung von dem Wert personaler Identität demnach ankommt, ist die Bewahrung psychischer Kontinuität. Die in den vorausgegangenen Abschnitten formulierte Kritik an Parfit zielt keineswegs auf eine grundsätzliche Zurückweisung der These über die herausragende Bedeutung psychischer Kontinuität als Basis einer Philosophie der Person. Vielmehr zeigt sie, daß Parfits Begriff psychischer Kontinuität und sein Konzept der Relation R in hoch problematischer Weise unterbestimmt und mit Schwierigkeiten behaftet sind.
IV.3-
Zusammenfassung
Ein Verständnis der Ausführungen Parfits wird durch die Methode der Gedankenexperimente nicht erleichtert, sondern erschwert. Trotz der Anschaulichkeit der zahlreichen Science-Fiction-Szenarien tauchen an wichtigen Punkten immer wieder Unklarheiten darüber auf, was nun eigentlich durch die phantastischen Geschichten bewiesen werden soll und tatsächlich bewiesen wird. Die ideengeschichtlichen Überlegungen haben gezeigt, daß Verdoppelungsszenarien in der Geschichte der Untersuchung des Identitätsbegriffs in unterschiedlichen Formen auftreten. Die Reduplikation eignet sich als Testfall des Identitätsbegriffs, weil hier Selbigkeit und Einzigkeit divergieren: dasselbe Ding tritt zweimal auf. Doppelgänger sind geeignet, das Problem der Identität auf der Grundlage der Differenz von numerischer und qualitativer Identität zu veranschaulichen. In alltäglichen Zusammenhängen treten zwar Probleme der Identifizierung von Personen auf, aber diese Probleme sind meist auf kontingente Beschränkungen epistemischer Art zurückzuführen. Doppelgänger im eigentlichen Sinn des Wortes sind kein reales Problem. Diese Feststellung ignoriert nicht den Umstand, daß durch gentechnische Verfahren, insbesondere das Klonen, die genetische Information von Lebewesen reduplizierbar ist. Trotz dieser bedeutsamen
Zusammenfassung
265
und problematischen Erweiterung der technischen Interventionsmöglichkeiten gilt aber, daß es in zahlreichen Fällen unproblematisch scheint, geklonte Individuen aufgrund von Eigenschaften, die sie im Lauf ihrer Lebensgeschichte erwerben, deutlich voneinander zu unterscheiden. Die logische Möglichkeit des Auftretens zweier qualitativ identischer Entitäten ist damit nicht ausgeschlossen. Es ist eine kontingente, zu einem erheblichen Teil den kausalen Verhältnissen geschuldete Tatsache, daß Personen als Individuen voneinander unterschieden werden können. Die in Anschluß an J. Margolis gewonnene Möglichkeit der Individuierung durch narrative Prädikate macht klar, daß selbst in Fällen der Identität aller materieller oder mentaler Eigenschaften zweier Entitäten differenzierende Bezugnahmen durch narrative Prädikate möglich sind. Parfit begnügt sich nicht mit der praktischen Unerheblichkeit des Verdoppelungsfalls oder den Möglichkeiten, Probleme scheinbarer Ununterscheidbarkeit aufgrund der Identität materieller oder mentaler Eigenschaften durch narrative Prädikate zu lösen. Er nimmt die logische Möglichkeit ernst, und zieht daher den Identitätsbegriff im Hinblick auf das diachron ausgedehnte Leben von Personen zurück. Dies ist ein ebenso legitimer wie plausibler Zug. Man kann Parfits These, daß im Hinblick auf Personen Identität im strengen Sinn nicht relevant ist, also zustimmen. Und es ist zweifellos sein Verdienst, diese These aufgestellt und kompromißlos vertreten zu haben. Mit Blick auf die von Parfit an Stelle der Identität angebotene Konzeption psychischer Kontinuität ergibt sich allerdings ein negativer Befund: Die in IV.2.1.2. vorgestellten Einwände gegen Relation R zeigen, (i) daß Parfit keinen hinreichend differenzierten Begriff des Psychischen hat, (ii) daß er die instantanen Personenstadien nicht angemessen expliziert und versäumt, sie als Zustände von Personen gegenüber Zuständen anderer Entitäten, denen ebenfalls psychische Eigenschaften zukommen, auszuzeichnen, (iii) daß er keine Verbindung zwischen der Ebene seiner allgemeinen Definition des Personbegriffs (PP) und der Modellierung personaler Identität herstellt, (iv) daß er nicht in der Lage ist, angesichts der von ihm vorgeführten Verdoppelungsszenarien, im Detail die Tragfähigkeit seiner Konzeption psychischer Kontinuität überzeugend darzustellen. In wesentlichen Teilen ist der Reduktionismus Parfits also unterbestimmt, inkonsistent und unplausibel. Dieses Ergebnis sollte nicht in dem Sinn verallgemeinert werden, daß neo-Lockesche Theorien personaler Identität und Konzeptionen personalen Lebens, die psychische Kontinuität als das entscheidende Moment dieses Lebens herausstellen, insgesamt als verfehlt anzusehen sind. Dies wäre eine unberechtigte und mit den hier vorgetragenen Argumenten nicht beabsichtigte Übertreibung.
V. Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion Parfits Theorie stellt zweifellos eine der stärksten und technisch differenziertesten Versionen neo-Lockescher Identitätsmodelle dar. Die Theorie Parfits zeigt in ihrer vorliegenden Form allerdings grundsätzliche Schwächen. Der Reduktionismus des Personbegriffs bei D. Parfit überzeugt insgesamt nicht. Somit stellt sich die Frage nach stärkeren Alternativmodellen. Zweifellos wäre es voreilig, von der Problematik des Reduktionismus bei Parfit auf die Gültigkeit alternativer Optionen, beispielsweise einer Substanztheorie der Person und ihrer Identität zu schließen. Angesichts der verworrenen Problemlage greifen einige Autoren zu dieser Notlösung. Eine wirkliche Lösung der Schwierigkeiten wird durch solche ad öoc-Manöver allerdings nicht erreicht. In Anbetracht der bei Parfit festgestellten Unterbestimmung des Personbegriffs wird zunächst die zu Beginn von Kapitel IV gestellte Frage nach der Struktur des Begriffs, insbesondere nach möglichen Bedingungen von Personalität, erneut aufgegriffen. Dabei ist es wichtig zu beachten, daß der Begriff der Person zumindest auf drei Ebenen eine wesentliche Rolle spielt. Auf der epistemischen Ebene werden Personen als Wesen bestimmt, die Wissen erwerben und verarbeiten können. Sie haben Meinungen und Überzeugungen. Letztere werden als wahre und falsche sowie begründete und unbegründete ausdifferenziert. Der Personbegriff ist auf der epistemischen Ebene insofern ein normativer Begriff, als Personen einer Idee von Rationalität verpflichtet und bestimmten Konzeptionen hinsichtlich der Konsistenz oder Begründbarkeit ihrer Überzeugungen zugänglich sind. Ein Wesen, das für keine Form rationaler Auseinandersetzung, für keinen dialogischen Austausch von Gründen und Argumenten offen ist, hat keine Chance, als Person zu gelten. Auf der ethischen Ebene werden Personen als Wesen bestimmt, die Handlungen ausführen. Handlungen können als Resultate von Überlegungen und Entscheidungen beschrieben werden. Eine handelnde Person wählt nach Maßgabe relevanter Überzeugungen und Wünsche zwischen mehreren Handlungsoptionen aus. Im einfachsten Fall handelt es sich um die Alternativen, einen bestimmten Handlungstyp zu realisieren oder die Realisierung zu unterlassen. Dabei werden die unterschiedlichen Motive, Zielsetzungen und Überzeugungen im Licht der konkreten Situation abgewogen. Das Spezifikum von Personen als rationalen und ethischen Subjekten
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
267
verdankt sich dem Umstand, daß bestimmte Handlungen oder Handlungstypen als ,gute', .vernünftige' oder ,begründbare' Handlungen ausgezeichnet werden können. Personen werden wegen ihrer Handlungen gelobt und getadelt. Folgen von Handlungen können den handelnden Personen zugerechnet werden. Insoweit als diese normativ-ethischen Gesichtspunkte nicht mit der epistemischen Qualifikation von Meinungen und Überzeugungen (wahr/falsch; konsistent/inkonsistent) koinzidieren, besitzt die ethische Dimension ein Eigenrecht. Vertreter eines minimalistischen Personbegriffs sind der Auffassung, daß Personalität auf der Basis einer eng begrenzten Kombination von Grundbegriffen definiert werden kann. Dabei kommt den genannten epistemischen und ethischen Konzeptionen herausragende Bedeutung zu. Eine minimalistische Auffassung muß sich allerdings mit dem Einwand auseinandersetzen, daß die genannten Bedingungen von Personalität entweder die Individuation von Entitäten nicht zuverlässig ermöglichen oder problematische Kandidaten in die Extension des Begriffs aufnehmen. Eine minimalistische Definition der Person als Wesen, das Überzeugungen und Wünsche hat, sieht sich mit dem Hinweis konfrontiert, daß anderen Tieren als Menschen möglicherweise Überzeugungen und Wünsche zuzuschreiben sind. Darüber hinaus wird der Funktionalist betonen, daß auch informationsverarbeitende Systeme Träger von Überzeugungen und Wünschen sein können. Der Gegner des minimalistischen Konzepts vertritt die Auffassung, daß das Wunsch-Überzeugungs-Modell nicht hinreicht, um die wesentlichen Eigenschaften von Personen zu erfassen. Daß die Begriffe der Überzeugung und des Wunsches wichtige Bestandteile der Explikation des Personbegriffs darstellen, wird von den Gegnern des Minimalismus in der Regel nicht bestritten. Der Anti-Minimalist behauptet aber, daß der Personbegriff notwendigerweise weitere Elemente beinhaltet. Da diese Elemente nicht durch die Begriffe der Überzeugung und des Wunsches allein erfaßt werden, verlangt der Anti-Minimalist eine reichhaltigere begriffliche Ausrüstung, um den Begriff der Person zu erläutern. Die anti-minimalistische Liste von Bedingungen der Personalität muß weder als abgeschlossen noch als abschließbar gelten. Sie hat u.a. die Aufgabe, die Menge der unter die Extension von ,Person' fallenden Entitäten stärker einzugrenzen als die minimalistische Konzeption. Ebenso wie der minimalistische Personbegriff ist das anti-minimalistische Personenkonzept vage, läßt zahlreiche Grenzfälle und je nach Kontext neue Formulierungen des Begriffs zu. Die Erweiterung der für den Personbegriff relevanten Konzeptionen durch den Anti-Minimalismus verweist auf eine weitere Dimension von Personalität: Auf der psychologischen Ebene werden Personen als
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Der P e r s o n b e g r i f f in der z e i t g e n ö s s i s c h e n D i s k u s s i o n
Wesen begriffen, die die Welt und sich selbst in einer charakteristischen Weise erfahren. Sie haben Bewußtsein und Selbstbewußtsein, sie empfinden Lust und Schmerzen, haben körpergebundene Bedürfnisse und erleben ihre Umwelt und sich selbst immer in bestimmten emotionalen Modalitäten (Stimmungen). Eine Interdependenz der psychologischen Dimension mit der epistemischen und ethischen Ebene wird beispielsweise deutlich anhand bestimmter moralischer Gefühle wie Mitleid, Empörung, Scham oder Stolz. Diese weisen eine epistemische und ethische Komponente auf, insofern sie mit (negativen oder positiven) Bewertungen des Verhaltens anderer (Empörung, Mitleid) oder des Selbst (Scham, Stolz) verbunden sind. Schließlich akzentuiert die psychologische Betrachtung Faktoren, die unmittelbar mit den epistemologischen Überlegungen zusammenhängen: Personen machen phänomenale Erfahrungen und gewinnen ihr Wissen vermittelt über ein hoch komplexes System, das einen subjektiven und perspektivisch zentrierten Erlebnisraum konstituiert. Wesentliche begriffliche Elemente der Versuche, die Psychologie von Personen zu erfassen, sind die Begriffe der Intentionalität, des Bewußtseins, des Selbstbewußtseins oder der Selbstrepräsentation, des dynamischen Unbewußten, des Charakters, der phänomenalen Qualität der Erfahrung und der Meinigkeit mentaler Zustände.497 Angesichts der Fülle von Aspekten und der Schwierigkeiten, die im Zug der Berücksichtigung dieser Begriffe ins Spiel kommen, macht sich das Bedürfnis nach einer übersichtlichen Explikation des Personbegriffs bemerkbar. Im folgenden wird zu prüfen sein, ob dieses Bedürfnis auf überzeugende Weise befriedigt werden kann.
V.l. Reschers normativer
Anti-Minimalismus
N. Rescher hat einen Vorschlag gemacht, den Personbegriff im Sinn des Anti-Minimalismus durch eine Reihe notwendiger und gemeinsam hinreichender Bedingungen zu explizieren.498 Dieser Anspruch ist außerordent-
497
Vgl. hierzu T. Metzinger, Subjekt und Selbstmodell - Die Perspektivität phänomenalen Bewußtseins vor dem Hintergrund einer naturalistischen Theorie mentaler Repräsentation; Paderborn, Schöningh, 1993; T. Metzinger (ed.), Bewußtsein - Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie; Paderborn, Schöningh, 1995; S. Krämer (ed.), Bewußtsein - Philosophische Beiträge; Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1996.
498
N. Rescher, What Is a Person?; in: ders., A System of Pragmatic Idealism II: The Validity of Values - A Normative Theory of Evaluative Rationality; Princeton, NJ, Princeton University Press, 1993, 113-128.
Reschers normativer Anti-Minimalismus
269
lieh stark. Die meisten Autoren beschränken sich darauf, notwendige Bedingungen für Personalität zu nennen. Es ist daher von Interesse zu sehen, welche Bedingungen Rescher im einzelnen anführt und wie er für die These argumentiert, die Bedingungen seien gemeinsam hinreichend: [W]hat is it to be a person? Seven conditions are essential. 1. Intelligence. One must be an intelligent being, able to acquire and process information - to acquire, maintain, and modify consciously held beliefs about the world and one's place within it. 2. Affectivity. One must be able to evaluate, to react to developments in the affective range of positive-negative, seeing the world's developments as good or bad, fortunate or unfortunate. A being who lacks preferences, who views everything with indifference (threats to its own very existence included), would not be a person. 3. Agency. One must be capable of goal-oriented action, seeing oneself as a free agent who is capable not only to pursue goals but to initiate them, to set them for oneself. As philosophers have insisted since Aristotle's day, persons are not only agents but autonomous agents whose goals proceed from within their own thought processes and who are accordingly responsible for their acts. 4. Rationality. One's actions (including mental actions like beliefs and evaluations) must proceed under the aegis of intelligence. They must by and large proceed from reasons that are grounded in aims and values to which one is committed. 5. Self-understanding. One must understand oneself in these terms, that is, conceive of oneself as an intelligent free agent, operating in the dimension of belief, action, and evaluation. 6. Self-esteem. One must value oneself on this basis, and see this aspect of oneself as an important and valuable feature. That is, one must have a selfrespect rooted in one's appreciation of oneself as an intelligent free agent. 7. Mutual recognizance. One must also acknowledge other duly qualified agents as persons and be prepared to value them as such. To see oneself as a person is coordinate with seeing others as such: persons must function in a context of community. Sociopaths and psychopaths who do not acknowledge other agents as persons thereby do not qualify as such themselves, though this of course does not prevent them being people (i.e., humans). These conditions are severally necessary and jointly sufficient conditions for qualifying as being ,a person' in the standard sense of that term [...I499 Alle von Rescher genannten Punkte bringen zentrale Motive zur Sprache. Reschers Personbegriff wird in Übereinstimmung mit seiner generellen Konzeption von Rationalität als normativer Begriff formuliert. Zwei Grundthemen tauchen leitmotivartig in den unterschiedlichen Bedingun-
4W
Rescher (1993), 113f
270
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
gen auf: Intelligenz/Rationalität sowie Handlungsfähigkeit. Rescher äußert sich nicht dazu, ob seine sieben Bedingungen als unabhängig und gleichrangig konzipiert sind oder ob es sich um eine Rangfolge von zunehmend komplexeren Anforderungen handelt. Für die zweite Lesart spricht unter anderem der Rekurs auf die Anforderung des Selbstverständnisses (5) auf der Ebene der Bedingung der Selbstachtung (6). Man kann mit Reschers Explikation darin übereinstimmen, daß der Schwerpunkt des Personbegriffs in der Tat auf den Begriffen der Rationalität und der Handlungsfähigkeit liegt. Beide bilden jeweils das Zentrum der epistemischen beziehungsweise der ethischen Ebene des Personbegriffs. Geht man von dieser Auffassung aus, so tritt die Frage auf, inwiefern das von Rescher als zweite Bedingung angeführte Moment der Affektivität notwendig ist: Zwar spielen im Verhalten und in den praktischen Überlegungen von Menschen moralische Gefühle und andere Affekte eine Rolle; ist dies aber schlechterdings für jedes rational handelnde Wesen unabdingbar? Sind rationale Handlungen nicht auch bei Wesen denkbar, die keine Affekte aufweisen? Und falls dies zutrifft, sind dann diese rational handelnden Wesen notwendigerweise keine Personen? Sicher ist, daß ein Wesen, das durch die Erfüllung seiner Wünsche nicht gefühlsmäßig affiziert wird, kein Motiv des Handelns in einem einsichtigen Sinn besäße. Es erscheint fraglich, ob in einem solchen Fall überhaupt von Wünschen gesprochen werden kann. Das die Realisierung eines Wunsches bewirkende Verhalten muß für den Handelnden selbst mehr als einen rein epistemischen Unterschied machen. Worauf es primär ankommt, ist die Befriedigung eines Bedürfnisses und ein Gefühl der Lust. Affektivität impliziert Präferenzen, Interessen und Bewertungen. Mit Rescher kann die Frage, ob affektlose Wesen Personen sind, also verneint werden. Diese Antwort kann man aber nur aufrechterhalten, wenn man die Bedingungen (1)(7) explizit als Analyse des Begriffs , menschliche Person' deklariert. Ansonsten würde das Problem entstehen, daß prototypische Mitglieder der Klasse von Personen wie juristische Personen (Verbände und Körperschaften) oder reine Geistwesen (Gott) nicht mehr als Personen bezeichnet werden könnten. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob Bedingung (2) unabhängig von den anderen Bedingungen, insbesondere von (3) und (4) ist, oder ob es sich um interdependente Bestimmungen des Personbegriffs handelt. Für eine Interpretation, die die einzelnen Bedingungen als unabhängig darstellt, finden sich in Reschers Text nur wenige Anhaltspunkte. Dagegen sprechen die Querverweise zwischen den einzelnen Bedingungen für eine enge Verflechtung der einzelnen Anforderungen. Damit wird die Relevanz
Reschers normativer Anti-Minimalismus
271
der Aussage, daß die Bedingungen für sich genommen jeweils notwendig sind, wesentlich geschwächt. Wichtiger ist allerdings die Frage, wie es um den von Rescher beanspruchten Status der Liste steht, insgesamt eine hinreichende Bedingung von Personalität zu formulieren. Wie bereits festgestellt wurde, kann nur davon die Rede sein, daß die genannten Anforderungen eine hinreichende Bedingung für die Zugehörigkeit zur Kategorie menschlicher Personen formulieren. Diese Feststellung läßt zu, daß nicht alle Menschen Personen sind. Tatsächlich formuliert Rescher diese Auffassung am Ende seiner Liste. Die Anforderung der Wechselseitigkeit verlangt, daß Personen fähig sind, andere Personen als Personen zu respektieren und zu behandeln. Menschen, die diese Fähigkeit nicht entwickeln können, sind nach Rescher nicht als Personen zu bezeichnen. Die Formulierungen Reschers deuten sogar auf eine noch schärfere Beschränkung hin. Ohne genauere Präzisierung spricht er davon, daß sozio- und psychopathologische Fälle, bei denen die Fähigkeit, andere Wesen als Personen zu behandeln, verloren ist, aus der Gruppe der Personen auszuschließen sind. In Anbetracht der Möglichkeit, daß bei solchen Formen der Erkrankung Personalität in früheren Phasen der Biographie gegeben war, kommt dies einer radikalen Affirmation der Lockeschen Konzeption der Person gleich. Ein gravierendes Problem der Konkretisierung dieser Konzeption besteht in Reschers Fall in der erforderlichen Gewißheit prognostischer Aussagen über die Möglichkeit, ob der Kranke in Zukunft die Bedingungen von Personalität jemals wieder wird erfüllen können. Mit dem angesprochenen Problem ist auch eine wichtige begriffslogische Frage verbunden: Wird der Personbegriff als ein eigenschaftsabhängiges Phasensortal gebraucht oder handelt es sich um eine irreversible, nicht temporal eingeschränkte kategoriale Einordnung eines Individuums? Die Frage läßt sich folgendermaßen konkretisieren: Ist es denkbar, daß ein Organismus in einer ersten Lebensphase die Bedingungen von Personalität nicht erfüllt, in der zweiten Phase die entsprechenden Bedingungen erfüllt und in einer dritten Phase die Bedingungen wieder nicht erfüllt' — Die Antwort ist ein eindeutiges, aber mit verbreiteten Intuitionen kollidierendes Ja'. Es ist nicht nur denkbar, daß solche Verläufe auftreten, sondern im Fall des Menschen ist dies die Regel. Neugeborene und kleine Kinder erfüllen die Personalitätsanforderungen nicht. Ebensowenig erfüllen alle Menschen in hohem Alter oder alle sterbenden Menschen die Personalitätsbedingungen. Der Personbegriff als eigenschaftsabhängiges Phasensortal stellt erhebliche Ansprüche an den Begriffsgebrauch. Im Hinblick auf Neugeborene beispielsweise kann man im Regelfall trotz der Abwesenheit personspezifischer Eigenschaften für die Zuschreibung von Personalität argumentie-
272
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
ren. Dabei kann die erwartbare Entwicklung der spezifischen Eigenschaften und Fähigkeiten als Grundlage dienen. Am anderen Ende des Lebens hingegen würde Personalität nach Maßgabe des irreversiblen Wegfalls der entsprechenden Fähigkeiten und Eigenschaften aberkannt. Diese Überlegungen sind revisionistisch. Sie weichen von der alltäglichen Gebrauchsweise des Begriffs ab. Der Vorschlag, .Person' als ein Phasensortal zu gebrauchen, kollidiert mit starken Intuitionen. Personalität wird nicht notwendigerweise temporal indexikalisiert zugesprochen. Man kann sich auf eine Person Ρ beziehen, ohne dies als verkürzte Redeweise für die Bezugnahme auf ein bestimmtes Stadium der Existenz einer Entität aufzufassen. Eine Konsequenz der Auffassung von .Person' als Phasensortal besteht darin, daß ein Erwachsener zwar in einem weiten Sinn derselbe menschliche Organismus wie das entsprechende Kleinkind ist. Da das Kleinkind aber keine Person ist, kann es nicht als identisch mit der erwachsenen Person angesehen werden. Diese Konzeption von Personalität ist von derjenigen der relativen Identität zu unterscheiden. Relativ identisch ist der Erwachsene und das Kleinkind, wenn beide als derselbe Organismus, aber als unterschiedliche Personen anzusehen wären. Im Fall relativer Identität sind beide Entitäten sowohl Personen als auch Menschen, aber nur hinsichtlich einer dieser Kategorien identisch.500 Alltägliche Vorstellungen gehen hingegen oft von einer Identität der erwachsenen Person sowohl mit dem entsprechenden Kleinkind als auch mit dem Senilen aus. Der Wegfall bestimmter Eigenschaften führt der Tendenz nach dazu, Personalität als eingeschränkt aufzufassen, ohne sie dem jeweiligen Individuum vollkommen abzuerkennen. Reschers Modell wurde als Beispiel für den Anti-Minimalismus vorgestellt. Der Eindruck, den die Untersuchung dieses Vorschlags zurückläßt, ist zwiespältig. Die Verwendung des Personbegriffs als Phasensortal hat den bemerkenswerten Vorteil klarer Kriterien für den Begriffsgebrauch. Ob die
500
Auf der Grundlage orthodoxer Vorstellungen ist das Konzept relativer Identität unhaltbar, weil es g e g e n das Leibniz-Gesetz verstößt. Dennoch erscheint der Begriff relativer Identität manchen Autoren hinsichtlich problematischer Individuations- und Identitätsfälle attraktiv; vgl. V. Chappell, Locke and Relative Identity; History of Philosophy Quarterly 6 (1989), 69-83; F. Feldman, Geach and Relative Identity; RM 22 (1968), 547-554; ders., A Rejoinder; RM 22 (1968), 560-561; P.T. Geach, Identity; RM 21 (1967), 3-12 (erneut in: ders.: Logic Matters; Berkeley, University of California Press, 1972, 238-247); ders., A Reply; RM 22 (1968), 555-559; ders., Ontological Relativity and Relative Identity; in: Munitz (1973), 287-302; N. Griffin, Relative Identity; Oxford, Clarendon, 1977; J. Nelson, Relative Identity; Nous 4 (1970), 241-260; H.W. Noonan, Relative Identity - A Reconsideration; Analysis 46 (1986), 6-10; L. Stevenson, Relative Identity and Leibniz's Law; Philosophical Quarterly (1972); E.M. Zemach, In D e f e n c e of Relative Identity; Philosophical Studies 26 (1974), 207-218.
W i l l e n s f r e i h e i t als essentielle Eigenschaft
273
Konflikte dieser revisionistischen Konzeption mit verbreiteten Intuitionen Reschers Konzeption inakzeptabel machen, müßte eine Spezialuntersuchung der ethischen Implikationen seines Vorschlags prüfen. Der Minimalismus und der Anti-Minimalismus sind bislang lediglich als konkurrierende Positionen vorgestellt worden, die gleichermaßen zu alltäglichen Sprechweisen und Intuitionen in Widerspruch stehen. Weder der Minimalismus noch der Anti-Minimalismus haben sich bislang als eindeutig überlegen erwiesen. Im folgenden werden in Fortführung der bisherigen Fragestellung zwei weitere Vorschläge der Explikation des Personbegriffs behandelt. Dabei stehen zwei Fragen im Mittelpunkt: Ist es möglich, eine abgeschlossene Liste notwendiger oder hinreichender Bedingungen des Personseins aufzustellen? Gibt es essentielle Prädikate, die Personen zugeschrieben werden müssen?
V.2. Willensfreiheit als essentielle Eigenschaft Ein bedenkensweiter Vorschlag zur Erläuterung des Personbegriffs stammt von H. Frankfurt. In dieser Konzeption wird der Personbegriff über das Konzept des freien Willens bestimmt. Diese Überlegungen sind insofern zentral, als sie den für Minimalisten wie Anti-Minimalisten gleichermaßen grundlegenden Begriff des Wünschens behandeln. Frankfurt äußert sich zu Beginn seines bekannten Aufsatzes über Willensfreiheit äußerst kritisch über maßgebliche Formen der Untersuchung des Personbegriffs innerhalb der angelsächsischen analytischen Philosophie. Im Hinblick auf einflußreiche Überlegungen Strawsons spricht er geradezu von einer verzerrenden Aneignung eines wertvollen Begriffs der Philosophie.501 Frankfurt selbst erwartet, daß philosophische Überlegungen zum Personbegriff das Verständnis davon vertiefen, was wir selbst eigentlich sind. Angesichts zahlreicher ,Analysen' des Personbegriffs vermißt er eine solche Selbstverständigung und hermeneutische Besinnung. Personen zeichnen sich nach Frankfurt dadurch vor anderen Wesen aus, daß sie in ihrem Wollen frei sind. Sie können wünschen, so zu handeln und so zu sein, wie sie sind. Aber sie können auch den gegenteiligen Wunsch haben, nämlich anders zu han-
501
,,[.. .1 the misappropriation of a valuable philosophical term". H. Frankfurt, Freedom of the Will and the Concept of a Person, JP 68 (1971), 5-20; hier: 5 (erneut in: ders., T h e Importance of What We Care About - Philosophical Essays; Cambridge, Cambridge University Press, 1988, 11-25; deutsche Übersetzung: Willensfreiheit und der Begriff der Person; trad. J. Kulenkampff, in: Bieri (1993), 287-302).
274
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
dein, als sie es faktisch tun oder anders zu sein, als sie tatsächlich sind. Dieser Spielraum, über den sie in ihrem Wollen und Wünschen verfügen, ist nicht identisch mit ihren faktischen Handlungsalternativen. Freiheit des Willens ist zu unterscheiden von der Freiheit des Handelns. Das freie Handeln betrifft den Fall, in dem eine Person durch nichts gehindert ist, eine gewollte Handlung zu realisieren. Ausschlaggebend ist für Frankfurt, daß Personen die Fähigkeit zukommt, Wünsche zweiter Stufe zu bilden. Sie können nicht nur den Wunsch haben zu x-en. Sie können darüber hinaus wünschen, den Wunsch zu haben zu x-en: Besides wanting and choosing and being moved to do this or that, men may also want to have (or not to have) certain desires and motives. They are capable of wanting to be different, in their preferences and purposes, from what they are. Many animals appear to have the capacity for what I shall call .firstorder desires' or ,desires of the first order', which are simply desires to do or not to do one thing or another. No animal other than man, however, appears to have the capacity for reflective self-evaluation that is manifested in the formation of second-order desires.502
Wesentlich für den Begriff der Person ist nicht das bloße Auftreten von Wünschen zweiter Stufe. Die bei Frankfurt relevante Art von Wünschen zweiter Stufe zielt darauf ab, daß der jeweilige Wunsch erster Stufe handlungsleitend und wirksam wird. Die Person wünscht sich (Wunsch zweiter Stufe), einen bestimmten handlungsrelevanten Wunsch (Wunsch erster Stufe) zu haben. In diesem Fall, den Frankfurt von dem bloßen Auftreten unqualifizierter Wünsche zweiter Stufe unterscheidet, spricht er von Volitionen zweiter Stufe. Diese Präzisierung ist wesentlich. Die Fähigkeit zu einer rationalen Reflexion über eigenes Handeln erfordert offensichtlich, daß die Person nicht nur einzelne Wünsche kritisch bewertet. Verlangt wird vielmehr, daß die Bedeutung des jeweiligen Wunsches im Zusammenhang mit ihren anderen Wünschen und Einstellungen beurteilt werden kann. Volitionen zweiter Stufe zu haben bedeutet, einen freien Willen zu haben. Die betreffende Person kann den Wunsch erfüllt sehen, den sie als handlungsrelevanten Wunsch haben will. Im Handeln ist man frei, wenn man tun kann, was man wünscht. Die Bedingung für Handlungsfreiheit ist dann erfüllt, wenn der Handelnde durch nichts gehindert ist zu tun, was er zu tun wünscht. Die Freiheit des Willens wird durch diese Bestimmung aber nicht abgedeckt. Der Begriff der Willensfreiheit betrifft die Frage, ob man wünscht, einen bestimmten Wunsch
502
Frankfurt (1971), 7.
Willensfreiheit als essentielle Eigenschaft
275
als handlungsentscheidenden Wunsch zu haben. Diese Unterscheidungen können am Beispiel dreier Fälle von Drogenabhängigkeit erläutert werden. Fall I: Α ist ein notorischer Alkoholiker. Er hat den Wunsch erster Stufe zu trinken. Es ist der wiederholte und starke Wunsch zu trinken, durch den Α zu dem wird, was er ist, nämlich ein Süchtiger. Ein wichtiger Unterschied wird erst mit Blick auf Volitionen zweiter Stufe deutlich. Es ist möglich, daß Α selbst den Wunsch hat, nicht zu wünschen, Alkohol zu trinken. Α lehnt für sich selbst das Suchtverhalten ab. Wenn er über seine Gewohnheiten nachdenkt, dann ist er unzufrieden und kritisiert seinen Alkoholkonsum. Α akzeptiert sich selbst als Trinker nicht. Wenn Α trinkt, dann kann man berechtigterweise sagen, daß es nicht seinem freien Willen entspricht zu trinken. Denn Α wünscht sich, nicht den Wunsch zu haben zu trinken. Und dieser Wunsch steht in Zusammenhang mit seinen vernünftigen Überlegungen über die für ihn wünschenswerten und verantwortbaren Weisen der Lebensgestaltung. Fall II: Β ist ebenso wie Α alkoholabhängig. Er ist seiner Drogenabhängigkeit gegenüber selbst aber gleichgültig. Β wünscht zu trinken. Und er tut dies häufig. Aber Β hat keinen höherstufigen Wunsch danach, den niederstufigeren Wunsch zu trinken zu haben oder nicht zu haben. Bei dem gleichgültigen Süchtigen spielt Willensfreiheit keine Rolle. Β hat keine Volitionen zweiter Stufe im Hinblick auf sein Trinken. Sein Verhalten ist gleichsam triebhafter Natur. Fall III: Der dritte Fall ist derjenige eines Alkoholikers, der seinen Alkoholismus will. C bejaht seine Sucht. Dieser Süchtige hat einen freien Willen, da er in Übereinstimmung mit seinen Volitionen zweiter Stufe handelt. C wünscht sich, den Wunsch zu haben zu trinken. Und C trinkt. Er erfüllt sowohl seine Volition zweiter Stufe als seinen Wunsch erster Stufe. Im Gegensatz zu Α ist in diesem Fall nicht unmittelbar erkennbar, inwiefern die Volitionen zweiter Stufe mit vernünftigen Erwägungen und rationaler Selbstbewertung in Einklang stehen können. Denn es ist vorausgesetzt, daß der Betroffene über den allgemeinen Begriff der Sucht verfügt. Bei starken Fällen der Abhängigkeit wird das faktische Verhalten aller drei Alkoholiker dasselbe sein. Es mag sein, daß keiner der drei Alkoholiker in seinen Handlungen frei ist. Ihr Verhalten mag gleichermaßen kausal determiniert sein. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen ihnen, die von einem ethischen oder psychologischen Standpunkt aus von Bedeutung sind. Der erste Alkoholiker trinkt mit Widerstreben oder Verzweiflung, der zweite Alkoholiker trinkt ohne weitere Selbstbeurteilung, der dritte Alkoholiker trinkt und beglückwünscht sich zu seiner Sucht. Diese Unterscheidungen machen nach Frankfurt deutlich, daß Personen nicht nur in ihrem Handeln,
276
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
sondern auch in ihrem Willen frei sein können. Und es kennzeichnet eine Person in ethisch oder psychologisch relevanter Weise, ob und wie sie zu ihren eigenen Wünschen Stellung bezieht. Der entscheidende Punkt Frankfurts ist also, daß eine Person, die faktisch keine Handlungsälternative hatte — was etwa bei einem schweren Fall von Drogenabhängigkeit gegeben scheint —, in gewisser Weise moralisch für ihre Handlungen verantwortlich sein kann. Von einem ethischen Standpunkt aus betrachtet ist der dritte Süchtige der problematischste Fall.503 Der wesentliche Punkt dieser Ausführungen für den Begriff der Person besteht darin, daß Personen im Gegensatz zu anderen, durch Wünsche und Bedürfnisse charakterisierten Wesen fähig sind, ihre Wünsche und Bedürfnisse sowie ihr eigenes Handeln kritisch zu bewerten. Personen können an einer Struktur ihres Handelns interessiert sein, die einer kritischen Selbstbeurteilung standhält. Die Person bestimmt ihre ethische oder moralische Identität nicht nur durch ihr faktisches Verhalten, sondern auch durch die Art ihrer reflexiven und evaluativen Stellungnahme zum eigenen Handeln. So macht es etwa einen wichtigen Unterschied, ob jemand sich in egoistischer Weise gemeinschaftsschädigend verhält und sich selbst über dieses Verhalten freut, oder ob er sein Handeln selbst für problematisch hält. Frankfurts Modell behandelt nicht die Frage, inwiefern die monologische Perspektive der Se/fos/beurteilung und 5e/ös/bewertung Beurteilungen und Bewertungen aus der Perspektive der zweiten und dritten Person voraussetzt.
503
Diese Auffassung kollidiert natürlich mit einer verbreiteten Intuition, dergemäß Personen nur für das verantwortlich zu machen sind, was ihrer Kontrolle unterliegt. Frankfurt argumentiert für die Falschheit dieser Auffassung. Ein wesentlicher Aspekt der Konzeption Frankfurts besteht darin, daß er die Freiheit des Willens hinsichtlich der Frage nach kausaler Determination neutral hält. Kausale Determiniertheit schließt nach seiner Auffassung die Rede von einem freien Willen nicfotaus. Vgl. auch H. Frankfurt, Alternate Possibilities and Moral Responsibility; JP 66 (1969), 829-838 (erneut in: Frankfurt (1988), 1-10); ders., Three Concepts of Free Action II; AS SV 49 (1975), 113-125 (erneut in: Frankfurt (1988), 47-57). Differenzierende, mitunter kritische und ablehnende Stellungnahmen zu Frankfurt (1969) und Frankfurt (1971) finden sich bei. D. Locke, Three Concepts of Free Action I; AS SV 49 (1975), 95-112; G. Watson, Free Agency; JP 72 (1975), 205-220; M. Slote, Understanding Free Will; JP 77 (1980), 136-151; P.v. Inwagen, An Essay on Free Will; Oxford, Clarendon, 1983; D. Dennett, Elbow Room - The Varieties of Free Will Worth Wanting; Cambridge; MIT Press, 1984 (deutsche Übersetzung: Ellenbogenfreiheit - Die erstrebenswerten Formen freien Willens; Frankfurt am Main, Hain, 1986); C. Taylor, What is Human Agency?; in: ders., Human Agency and Language - Philosophical Papers I; Cambridge, Cambridge University Press, 1985, 15-44; R. Young, Personal Autonomy - Beyond Negative and Positive Liberty; New York, St. Martin's Press, 1986; J. Bishop, Natural Agency - An Essay on the Causal Theory of Action; Cambridge, Cambridge University Press, 1989; C. Ginet, On Action; Cambridge, Cambridge University Press, 1990; A R. Meie, Akrasia, Self-Control, and Second-Order Desires; Nous 26 (1992), 281-302; G Seebass, Wollen; Frankfurt am Main, Klostermann, 1993
Sechs notwendige Bedingungen von Personalität
277
Es ist einleuchtend, daß die Selbstbewertung einer Person kein autistisches Unternehmen ist. Vielmehr wurzelt sie in interpersonalen Beziehungen und den durch sie erworbenen Erfahrungen und Maßstäben. Der Personbegriff ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß die Person die Selbstbeurteilung eigenständig durchführt und nicht lediglich eine introjizierte Fremdbeurteilung ablaufen läßt. Diese Selbständigkeit stellt einen wesentlichen Aspekt dessen dar, was man unter der Autonomie einer Person versteht. Zusammenfassend kann man festhalten, daß Frankfurt eine wichtige Präzisierung des Minimalismus einbringt. Die ethische Ebene des Personbegriffs wird durch eine Unterscheidung von unterschiedlichen Ebenen von Wünschen bereichert und es wird gezeigt, daß die Fähigkeit zu höherstufigen Volitionen eine signifikante notwendige Bedingung von Personalität bildet.504
V.3. Sechs notwendige Bedingungen
von
Personalität
Ein zweiter Vorschlag der Explikation der Bedingungen von Personalität stammt von D. Dennett.505 Er charakterisiert Personen durch sechs Bedingungen oder Themen. Dennetts Einschätzung entsprechend ist der Begriff der Person ein komplexer Begriff, der möglicherweise inkonsistente Elemente enthält. Man muß damit rechnen, daß nicht alle wesentlichen Intuitionen, die mit dem Begriff verbunden sind, bewahrt werden können, wenn man eine systematische und konsistente Revision anpeilt. Dies ist ein vor dem Hintergrund der bereits untersuchten Begriffsgeschichte und angesichts des Scheiterns zahlreicher Versuche einer Systematisierung verständlicher Hinweis. Dennett stellt fest, daß es sich bei den von ihm vorgestellten Bedingungen des Personseins wohl nicht um gemeinsam hinreichende Bedingungen, aber um gute Kandidaten für notwendige Bedingungen von Personalität handelt: The first and most obvious theme is that persons are rational beings [...]. The second theme is that persons are beings to which states of consciousness are
504
Zu beachten ist, daß nicht das bloße Auftreten von Wünschen zweiter Stufe als notwendige Bedingung gilt, sondern Volitionen zweiter Stufe gefordert werden: ,,[I]t is having second-order volitions, and not having second-order desires generally, that I regard as essential to being a person" (Frankfurt (1971), 10).
505
D. Dennett, Conditions of Personhood; in: Rorty (1976), 175-196 (deutsche Übersetzungen: Bedingungen der Personalität; in: L. Siep (ed.), Identität der Person - Aufsätze aus der nordamerikanischen Gegenwartsphilosophie; trad. Τ. Nenon, Basel, Schwabe, 1983, 21-45, ebenfalls in: Bieri (1993), trad. Η.-P. Schütt, 303-324).
278
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
attributed, or to which psychological or mental or Intentional predicates, are ascribed [...] The third theme is that whether something counts as a person depends in some way on an attitude taken toward it, a stance adopted with respect to it. This theme suggests that it is not the case that once we have established the objective fact that something is a person we treat him or her or it a certain way, but that our treating him or her or it in this certain way is somehow and to some extent constitutive of its being a person [...] The fourth theme is that the object toward which this personal stance is taken must be capable of reciprocating in some way [...] This reciprocity has sometimes been rather uninformatively expressed by the slogan: to be a person is to treat others as persons, and with this expression has often gone the claim that treating another as a person is treating him morally - perhaps obeying the Golden Rule, but this conflates different sorts of reciprocity [...] The fifth theme is that persons must be capable of verbal communication. This condition handily excuses nonhuman animals from full personhood and the attendant moral responsibility, and seems at least implicit in all social contract theories of ethics [...] The sixth theme is that persons are distinguishable from other entities by being conscious in some special way: there is a way in which we are conscious in which no other species is conscious. Sometimes this is identified as self-consciousness of one sort or other [...].506
Diese Zusammenstellung ist der überzeugendste Versuch einer an der Benennung von notwendigen oder hinreichenden Bedingungen orientierten Explikation des Personbegriffs, der derzeit vorliegt. Damit wird nicht behauptet, daß Dennetts Ausführungen in jeder Hinsicht ohne Modifikationen übernommen werden können. Da seine Bedingungen auf einem hohen Abstraktionsniveau angesiedelt sind, nimmt es nicht Wunder, daß weitere Zusatzbedingungen eingeklagt wurden. So merkt K. Wilkes beispielsweise an, daß es sinnvoll ist, als weitere Bedingung die Fähigkeit zum Werkzeuggebrauch nachzutragen.507 Tatsächlich läßt sich im Hinblick auf den Gebrauch von Werkzeugen ein Unterschied zwischen vergleichsweise elementaren Formen und höheren Varianten erkennen. Wie bereits festgestellt wurde, weist Aristoteles auf den Umstand hin, daß Menschen dadurch vor anderen Tieren ausgezeichnet sind, daß sie einen Körperteil, etwa die Hand, als vielseitiges Instrument gebrauchen können. Die Werkzeugfunktion von Körperteilen zeigt, daß die Fähigkeit zur Konstruktion von Artefakten keine notwendige Voraussetzung für den Gebrauch von Werkzeugen bildet. Ebenso wie der Mensch können auch Tiere, beispielsweise Affen, ihre Hände als Werkzeuge einsetzen. Zudem sind sie in der Lage, mit Ge-
506
Dennett (1976), 177f.
507
Wilkes (1988), 23.
Sechs notwendige Bedingungen von Personalität
279
genständen, etwa Zweigen oder Ästen, als Instrumenten zu operieren. Der Mensch steht hinsichtlich der Vielfalt von Manipulationsmöglichkeiten dieser Art an der Spitze eines Kontinuums von Verhaltensweisen der Lebewesen. Er befindet sich aber nicht in einem von den anderen Naturwesen getrennten Bereich. Menschen zeichnen sich aber zweifellos vor allen anderen bekannten Arten in der Fähigkeit aus, Werkzeuge zu erfinden und gezielt herzustellen. Wilkes betont diese hochentwickelten Fähigkeiten der Menschen, den technischen Verstand. Der Mensch und keine andere Tierart hat das Rad, Fahrzeuge und eine Vielzahl von Werkzeugen und Instrumenten erfunden. Strittig ist also nicht, daß die Konstruktion und Verwendung von Werkzeugen eine entscheidende Leistung darstellt. Zur Frage steht, ob die entsprechenden Fähigkeiten durch Dennetts Liste implizit bereits berücksichtigt sind, oder ob sie, wie Wilkes glaubt, zusätzlich erwähnt werden sollten. Allgemein kann man die Fähigkeit zum Gebrauch von Werkzeugen durch die folgenden Momente in grober Form begrifflich bestimmen: Der Gebrauch eines Werkzeugs impliziert, daß der Benutzer: (i) eine Absicht hat und verfolgt; (ii) Zwecke des Handelns selbständig setzen kann; (iii) Mittel zur Realisierung seines Handlungszwecks findet oder erfindet, indem er beispielsweise ein vorhandenes Objekt als Mittel zur Realisierung seines Zwecks begreift; (iv) den entsprechenden Gegenstand mit Blick auf den gesetzten Zweck tatsächlich zur Anwendung bringt. Die zentralen, in dieser Skizze gebrauchten Begriffe (Absicht, Zweck/ Mittel, Handlungszweck) sind durch Dennetts Bedingungen (l)-(6) abgedeckt. Die Absichtlichkeit von Handeln ist in den die Intentionalität betreffenden Bedingungen (3)-(5) in unterschiedlichen Varianten und Komplexitätsgraden berücksichtigt. Das den Instrumentgebrauch ermöglichende rationale Moment ist von der ersten Bedingung an in Dennetts Liste enthalten. Wilkes' Einwand stellt also nicht so sehr eine berechtigte Kritik an Dennett dar. Er macht vielmehr darauf aufmerksam, daß mit den abstrakten Bedingungen Dennetts vielfältige Implikationen gegeben sind. Insgesamt fällt auf, daß Dennetts Ansatz in modifizierter Form mehrere prominente Prädikate der traditionellen Personkonzeptionen wieder aufgreift. Der Topos des ,animal rationale' kehrt wieder als Bedingung der Vernunftfähigkeit in (1) und als Bedingung der Sprachfähigkeit in (5). Die Reflexivität des Bewußtseins erscheint in (6) und das Moment der Vergemeinschaftung spielt in (3) und (4) eine Rolle. Die Pointe der Liste Dennetts besteht aber darin, daß nicht einfach irgendwelche wichtigen Topoi lose aneinandergereiht, sondern bestimmte Abhängigkeitsbeziehungen zwischen den einzelnen Elementen behauptet werden:
280
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion I will argue that the order in which I have given these six themes is - with one proviso - the order of their dependence. The proviso is that the first three are mutually interdependent; being rational is being Intentional is being the object of a certain stance. These three together are a necessary but not sufficient condition for exhibiting the form of reciprocity that is in turn a necessary but not sufficient condition for having the capacity for verbal communication, which is the necessary condition for having a special sort of consciousness, which is [...] a necessary condition of moral personhood. 508
Der wesentliche Punkt seiner Konzeption der Abhängigkeitsverhältnisse besteht in einer Zweiteilung, derzufolge die Bedingungen (1), (2) und (3) interdependente Bedingungen von Personalität bilden, die gemeinsam eine notwendige und nicht-hinreichende Bedingung für die Erfüllung der Bedingung (4) darstellen. Die Bedingungen (4), (5) und (6) hingegen sind nach Komplexitätsgraden geordnete unabhängige Elemente, wobei (4) eine notwendige, nicht-hinreichende Bedingung für (5), und (5) wiederum eine notwendige, nicht-hinreichende Bedingung für (6) ist. Der mit der ersten Trias thematisierte Komplex ist nach Dennett nicht für Personen, sondern für intentionale Systeme im allgemeinen wesentlich.509 Intentionale Systeme sind solche Systeme, die nicht allein kausal beschrieben und erklärt werden können, sondern deren Konstitution und Verhalten durch Rekurs auf Intentionen, insbesondere auf Überzeugungen/ Meinungen und Wünsche beschrieben, erklärt und prognostiziert wird. Dennett, der intentionale und kausale Erklärung nicht als unvereinbare Alternativen betrachtet, setzt intentionale Systeme bereits auf vergleichsweise niedrigem Niveau an. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, einem Mißverständnis vorzubeugen, das leicht durch Dennetts Gebrauch des Prädikats ,rational' für die unterste Stufe der von ihm genannten Bedingungen von Personalität entstehen kann. Dennett bezieht sich hierbei nicht auf hochentwickelte Formen von rationalem Verhalten, wie sie üblicherweise mit dem Topos animal rationale' verbunden sind. Das heißt, es ist nicht die ausschließlich bei Menschen beobachtbare Form des Überlegens, Abwägens von Gründen und des Entscheidens als potentiell bewußten Vorgängen des Nachdenkens gemeint. Diese Aktivitäten treten erst auf dem Niveau der letzten Personalitätsbedingung auf. Rationales Verhalten in einem sehr elementaren Sinn kann auch einfachen Organismen zugeschrieben werden. Von Pflan508
Dennett (1976), 193.
509
Zu den Begriffen des intentionalen Systems und der intentionalen Einstellungen vgl. D. Dennett, Intentional Systems; JP 68 (1971), 87-106; ders., The Intentional Stance; Cambridge, MIT Press, 1987.
Sechs n o t w e n d i g e B e d i n g u n g e n v o n Personalität
281
zen, die sich entsprechend der Umweltbedingungen an ihre Umgebung anpassen, kann man beispielsweise sagen, daß sie mehr Licht suchen. Solche Redeweisen — die Tradition gebraucht den Begriff der teleologischen Erklärung — sind nach Dennett keine leeren Worte, denn sie erlauben es, die Verhaltensweise von Objekten in einer Weise zu erklären und zu prognostizieren, die in bestimmten Fällen zuverlässig und befriedigend ist.510 Es ist möglich, von einer Pflanze, die durch eine Veränderung ihrer Position die eigenen Lebensbedingungen verbessert, zu sagen, daß das beobachtbare Geschehen vernünftig ist oder daß es mit intentionalen Prädikaten beschrieben werden kann (,Die Pflanze will mehr Licht')· Dennetts Auffassung widerspricht hier einer traditionellen Tendenz der Philosophie, die auf der Grundlage ihrer Vergangenheit als Geistmetaphysik und in Übereinstimmung mit religiösen Anschauungen über die in der Gottebenbildlichkeit verankerte Sonderstellung des Menschen einen tiefen Schnitt zwischen den Naturdingen einschließlich der höheren Tiere einerseits und dem Menschen andererseits vornimmt. Im Gegensatz zu dieser Tradition sieht Dennett ein kontinuierliches Spektrum von natürlichen Organismen, die nach Formen zunehmender Komplexität angeordnet werden können, ohne daß scharfe Brüche das Kontinuum in diskontinuierliche Blöcke auseinanderfallen lassen. Interdependent sind die Bedingungen (1), (2) und (3), weil die Zuschreibung von Rationalität in diesem allgemeinen Sinn mit der Zuschreibung von intentionalen Einstellungen einhergeht. Ein Wesen, daß keine Wünsche, Meinungen, Überzeugungen hat, kann nicht als ein rationales Wesen gelten. Ebenso hängt die Zuschreibung von Wünschen, Meinungen und Überzeugungen von der Einstellung dessen ab, der die jeweiligen Entitäten beschreibt. Nach Dennett kann man sowohl im Hinblick auf Pflanzen wie auch auf Menschen kausale, d.h. nicht-intentionale Erklärungen suchen und in vielen Fällen geben. Dabei wird der betreffende Gegenstand nicht als ein intentionales Wesen bestimmt. Einem harten Materialisten, der die These vertritt, daß Personen Körper und ohne jegliche intentionalen oder irreduzibel mentalen Prädikate zu beschreiben sind, antwortet Dennett nicht, daß eine solche Auffassung mit objektiven Fakten in Widerspruch steht. Vielmehr gesteht er zu, daß es erfolgreiche Erklärungsstrategi-
510
Zum Teleologiebegriff der Tradition vgl. die Ausführungen zur Aristotelischen Lehre der vier Ursachen oben 1.2.2.4. sowie insbesondere Kants dritte Kritik; I. Kant, Kritik der Urteilskraft; Werkausgabe X; ed. W. Weischedel; Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1968; erläuternd hierzu: D. Teichert, Immanuel Kant ,Kritik der Urteilskraft' - Ein einführender Kommentar; Paderborn, Schöningh/UTB, 1992.
282
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
en geben kann, die auf einer solchen Annahme basieren. Dies schließt aber nicht aus, daß alternative Beschreibungen und Prognosen mittels eines intentionalen Vokabulars ebenfalls erfolgreich, in bestimmten Kontexten vollkommen hinreichend und in spezifischen Fällen anderen Beschreibungsweisen eindeutig überlegen sind. Dennett schaltet also die Möglichkeit aus, durch Bezug auf objektive Fakten über die Legitimität von intentionalen oder nicht-intentionalen Konzeptionen zu entscheiden. Nur in Abhängigkeit von bestimmten Beschreibungen kann man von intentionalen Systemen sprechen. Das heißt nicht, daß die Beschreibungs- oder Einstellungsabhängigkeit den Gebrauch des Intentionalitätbegriffs oder des Personbegriffs reiner Willkür überliefert. Entscheidend sind nach Dennetts pragmatischer Auffassung die Erfolge der jeweiligen Beschreibungen und Erklärungen sowie ihr Beitrag zu einer gelingenden Praxis. Über diese kann mit Gründen gestritten und argumentiert werden. Aus der Interdependenz von (l)-(3) und der knappen Erläuterung dessen, was Dennett unter einem intentionalen System versteht, geht klar hervor, daß ein intentionales System zu sein nicht bedeutet, eine Person zu sein. Die auf diesen Ebenen gegebenen Eigenschaften und Fähigkeiten sind von sehr elementarer Art. Auf der Ebene der vierten Bedingung tritt eine Struktur der Höherstufigkeit intentionaler Einstellungen auf. Entscheidend ist, daß eine Entität dazu fähig ist, die ihr gegenüber eingenommene Einstellung zu erwidern. Dennett bestimmt Reziprozität zunächst als Fähigkeit eines Systems, Meinungen, Wünsche und andersartige Intentionen hinsichtlich der Intentionen eines anderen Systems zu haben. Bei Pflanzen ist dies eindeutig nicht der Fall. Zwar kann der Gärtner sagen, die Pflanze versuche, mehr Licht zu bekommen, indem sie in eine bestimmte Richtung wächst. Aber Pflanzen können auf die intentionalen Einstellungen des Gärtners nicht antworten. Sie gedeihen oder verkümmern, jedoch nicht in Reaktion auf die Einstellungen des Gärtners. Die Grundstruktur der Reziprozität kann folgendermaßen dargestellt werden: Α hat eine intentionale Einstellung mit dem Inhalt, daß ... Β eine intentionale Einstellung mit dem Inhalt hat, daß... Α eine intentionale Einstellung hat, daß [...].
Aus begrifflichen Gründen wird oft angenommen, daß Reziprozität der fraglichen Art nur bei Menschen in Verbindung mit der Fähigkeit zu sprachlicher Kommunikation gegeben ist. Dennett ist von diesen rein begrifflichen Überlegungen nicht sehr beeindruckt. Er glaubt, daß es sich hier um eine empirische Frage handelt. Offensichtlich ist das Verhalten von Tieren
Sechs n o t w e n d i g e Bedingungen v o n Personalität
283
kaum jemals derart, daß die Zuschreibung von Intentionen zweiter Stufe unabdingbar scheint. Aber dies berechtigt nach Auffassung Dennetts nicht zu der Behauptung, daß Tiere grundsätzlich keine intentionalen Systeme zweiter Stufe sein könnten. Als Beispiele tierischen Verhaltens, die höherstufige Intentionszuschreibungen der genannten Art zu legitimieren scheinen, nennt Dennett folgende Fälle: Ein Hund kratzt an der Tür. Sein Herr steht aus dem Sessel auf, um den Hund aus dem Zimmer zu lassen. Der Hund aber rennt zu dem frei gewordenen Sessel — seinem Lieblingsplatz — und legt sich dort hin. Das zweite Beispiel ist das eines Vogels, der vortäuscht, einen gebrochenen Flügel zu haben, um ein Raubtier von seinem Nest abzulenken und dieses dadurch zu schützen. In diesen Fällen liegen dem Anschein nach Absichten zweiter Stufe vor. Die Intention zweiter Stufe zielt darauf ab, den Herrn zum Aufstehen aus dem Sessel zu veranlassen oder in dem Raubtier eine Intention erster Stufe hervorzurufen, die verhindert, daß das Nest von ihm angegriffen wird. Das Raubtier soll glauben, der Vogel sei verletzt und daher eine leichte und lohnende Beute. Dennett unterstellt nicht, daß Tiere, die ein solch komplexes Täuschungsverhalten zeigen, explizit Überzeugungen bilden und bewußt Folgerungsbeziehungen zwischen Meinungen herstellen. Die These ist, daß die Zuschreibung von Meinungen zweiter Stufe das Verhalten in geeigneter Weise erklärt und prognostizierbar macht. Repräsentationen von Meinungen zweiter Stufe, etwa in propositionalem Format, müssen deshalb nach Dennetts Auffassung nicht notwendigerweise zugeschrieben werden. Die fünfte Bedingung nennt die für Menschen seit jeher als essentiell angesehene Fähigkeit zu sprachlicher Kommunikation. Dennett erläutert seinen Kommunikationsbegriff mit Bezugnahme auf die Theorie von H.P. Grice.511 Grice definiert Kommunikation durch ein dreistufiges Schema, das sich auf das Verhalten einer Entität Α gegenüber einer zweiten Entität Β bezieht. Α kommuniziert mit B, wenn gilt: (i) Α verfolgt mit seinem Verhalten die Absicht, daß Β eine bestimmte Reaktion R zeigt; (ii) Β erkennt, daß Α die in (i) enthaltene Absicht hat; (iii) Β realisiert (i) auf der Grundlage von (ii). Nach Maßgabe dieser Definition sind Kommunikationen dreistufige Intentionen. A will, daß Β erkennt, daß Α etwas will. Dennett folgert, daß die
511
H.P. Grice, Meaning; PR 66 (1957), 377-388 (deutsche Übersetzung: Intendieren, Meinen, Bedeuten; in: G. Meggle (ed.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung; trad. G. Dürselen u.a., Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1979, 2-15); ders., Utterer's Meaning and Intentions; PR 78 (1969), 147-177 (deutsche Übersetzung: Sprecher-Bedeutung und Intentionen; in: G. Meggle (1979), 16-51).
284
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
Hierarchie seiner Bedingungen insofern begründet ist, als Reziprozität (4) in zweistufigen Intentionen erfüllt sein kann, während Kommunikation (5) nur durch Intentionen dritter Stufe realisiert werden kann. Die Stufe (6) wird dann erreicht, wenn ein Wesen sich seines Verhaltens unter einer bestimmten Beschreibung bewußt und in der Lage ist, Gründe für sein Verhalten anzugeben. Bewußtheit war in (5) weder vorausgesetzt noch gefordert. Zwar ist verbale Kommunikation zwischen Menschen in der Regel mit bestimmten Graden von Bewußtheit verbunden; dies ist aber kein in der Definition von Kommunikation explizit geforderter Modus. Nach Dennetts Darstellung wird Bewußtheit dann relevant, wenn das Verhalten von Entitäten so komplex ist, daß diese selbst reflexiv ihr eigenes Tun bewerten können. Damit ist man auf einer Ebene angelangt, auf der Frankfurts Modell der höherstufigen Wünsche seinen Platz hat. Dennett bezieht sich ausdrücklich auf die Konzeption Frankfurts. Die Besonderheit der Volitionen zweiter Stufe besteht nach seiner Überzeugung darin, daß die Person sich ihrer selbst bewußt ist. Es handelt sich um eine spezifische Form von Selbstbewußtsein, nämlich um die Fähigkeit, sich selbst gegenüber die Rolle eines Rechenschaft fordernden Dialogpartners einzunehmen.512 Selbstverständlich ist die Fähigkeit zur kritischen Selbstbewertung nicht nur eine im Monolog angewendete Gabe. Vielmehr begründet sie den Bereich der Ethik oder Moral: Personen sind Wesen, die sich selbst und anderen gegenüber Rechenschaft über ihr Handeln ablegen und von anderen Personen Rechenschaft verlangen können. Personen sind Wesen, die in ihrem Handeln auf die Übereinstimmung mit höherstufigen und wertenden Intentionen Rücksicht nehmen können. Wegen der zentralen Bedeutung der Bedingung (6) ist Dennetts Personbegriff ein normativer Begriff. Durch die Erfüllung der sechsten Bedingung wird ein Wesen allen zentralen Bedingungen von Personalität gerecht. Wegen der Normativität des Begriffs hält Dennett es für nicht überzeugend, die Bedingungen (l)-(6) insgesamt als hinreichend auszugeben. Sein Grund besteht in der bereits erwähnten Auffassung, dergemäß die Zuschreibung von intentionalen Einstellungen nicht durch Rekurs auf objektive Fakten erzwungen werden kann, sondern im Rahmen einer bewährten Praxis sinnvoll ist. Mit Bezug auf die Frage, ob Menschen und nur Menschen im vollen Sinn als Personen gelten können, antwortet Dennett abschließend, daß nicht einmal bei Menschen sicher ist, ob sie dem normativen Personbegriff
512
Dennett (1976), 192f.
Sechs n o t w e n d i g e Bedingungen v o n Personalität
285
gerecht werden. Die sechste Bedingung bezieht sich auf ethisches oder moralisches Handeln. Menschen handeln aber nicht immer in Übereinstimmung mit ethischen oder moralischen Überzeugungen. Jeder Fall, in dem ein Mensch in seinem Handeln nicht auf Gründe und Argumente Rücksicht nimmt, die er auch selbst teilt, ist ein Fall, in dem es fraglich ist, ob dieser Mensch überhaupt eine Person ist. Denn Personen sind gemäß der gegebenen Erläuterung gerade dadurch ausgezeichnet, daß sie in ihrem Handeln höherstufige Intentionen, die rationale Norm der Konsistenz von Überzeugungen und handlungsleitenden Wünschen beachten. Das bisher dargestellte Modell Dennetts weist trotz seiner Überlegenheit über die konkurrierenden Konzeptionen einige problematische Punkte auf. C. Rovane zeigt, daß entgegen Dennetts Darstellung auf dem Niveau von (4) und (5) reflexive Rationalität bereits eine Rolle spielt. Damit wird die Anordnung der einzelnen Bedingungen nach Maßgabe zunehmender Komplexität problematisch.513 Rovane arbeitet die Normativität von Dennetts Ansatz deutlich heraus. Alle sechs Bedingungen enthalten rationale Normen. Mit Bezug auf Dennetts Erläuterung reflexiver Rationalität als personalitätskonstitutiver Eigenschaft (6) vertritt Rovane die These, daß die zentrale normative Komponente reflexiver Rationalität nicht berücksichtigt ist. Dieses zentrale Moment besteht in der Forderung, nach Maßgabe von alle Umstände berücksichtigenden Urteilen (,all-things-considered judgments') zu handeln.514 Dennetts Darstellung von (1), (2) und (3) als interdependente Momente ist, wie gezeigt wurde, überzeugend. Entgegen Dennetts Darstellung kritisiert Rovane aber die Auffassung von (4), (5) und (6) als aufeinander aufbauenden Stufen mit ansteigender Komplexität. Auch die zweite Trias ist als interdependent zu verstehen. Die Reziprozität intentionaler Einstellungen und verbale Kommunikation setzen reflexive Rationalität jeweils voraus. Bereits auf dem Niveau von (4) und (5) ist von spezifisch interpersonalen Relationen zu sprechen. Die Vorstellung einer gestuften Anordnung von (4), (5) und (6) sowie die These, daß interpersonale Beziehungen erst auf der höchsten Stufe erreicht werden, sind demnach verfehlt.515
513
C. Rovane, The Personal Stance; Philosophical Topics 22 (1994), 351-396. Dennett akzeptiert die in Rovanes außerordentlich instruktivem Aufsatz vorgeschlagenen Revisionen; vgl. die Replik Dennetts in: Philosophical Topics 22 (1994), 560-562.
5H
Rovane (1994), 364. Da kein Überlegender jemals alle Fakten und auch nicht alle seine Überzeugungen explizit berücksichtigen kann, ist die Formel nur als regulativ aufzufassen.
515
Vgl. Rovane (1994), 368-381.
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Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
In einem ersten Schritt wird nachgewiesen, daß reflexive Rationalität (6) in der Reziprozitätsbedingung (4) bereits vorausgesetzt ist. Das Täuschungsverhalten des Hundes und des Vogels muß nicht als Nachweis der Reziprozität intentionaler Einstellungen anerkannt werden. Der entscheidende Punkt wird ersichtlich durch die Unterscheidung zwischen einer kausalen Erklärung und einer Erklärung unter Rekurs auf Gründe. Das Verhalten des Hundes oder des Vogels muß den jeweils anderen (Hundebesitzer, Raubtier) nicht als ein rationales Wesen auffassen, das selbst intentionale Einstellungen hat und sein Verhalten mit Bezug auf Gründe bestimmt. Es reicht vollkommen aus, daß das Tier kausale Beziehungen erkennt und in der für es geeigneten Weise manipuliert und ausnutzt. Weder der Hund noch der Vogel unterstellt, daß das Verhalten des Interaktionspartners auf intentionalen Zuständen unter Einschluß rationaler Normen basiert. Allein die Fähigkeit eines Wesens zu rationaler Beeinflussung — im Gegensatz zu Manipulation, Berücksichtigung von Regelmäßigkeiten und kausalen Beziehungen — berechtigt zur Zuschreibung von Reziprozität.516 Denn nur Fälle rationaler Beeinflussung unter expliziter Bezugnahme auf die intentionalen Zustände des Kommunikationspartners zeigen zweifelsfrei, daß die Reziprozitätsbedingungen erfüllt sind. Im Fall des Austausche von Gründen beziehen sich zwei Personen wechselseitig auf ihre intentionalen Einstellungen, wobei sie unterstellen, daß die rationale Norm der Konsistenz verpflichtende Kraft besitzen kann. Rationale Beeinflussung findet statt in Form der Kundgabe von Zustimmung oder Ablehnung, des Ausdrucks von Lob und Tadel, sowie des Austausche von Argumenten. Argumente können insbesondere zeigen, daß eine Handlung in Übereinstimmung oder in Widerspruch zu den normativen Verpflichtungen des Handelnden selbst steht. Sie können den Charakter der Bestätigung von Handlungen oder der Aufforderung zur Änderung von handlungsleitenden Einstellungen haben. Der Unterschied von kausaler und rationaler Erklärung schließt nicht aus, daß für jeden Fall rationaler Erklärung möglicherweise kausale Erklärungsmöglichkeiten gefunden werden können. Dies ändert nichts an der fundamentalen Tatsache, daß es nur in einigen Fällen möglich ist, rationale Erklärungen, die die Erwiderung intentionaler Einstellungen implizieren, überhaupt zu geben. Gegenüber Steinen, Personalcomputern oder Fahrradlampen kann man sich nicht auf intentionale Einstellungen und Gründe beziehen oder Argumente austauschen. Gegenüber Personen ist dies unab516
,,I suggested that the only condition in which it is reasonable to suppose that something reciprocates the intentional stance is that it can engage in forms of rational influence"; Rovane (1994), 375.
Sechs notwendige Bedingungen von Personalität
287
hängig von der Frage kausaler Erklärungen möglich. Denn hier gibt es eine Praxis der rationalen Beeinflussung, die sich bewährt und funktioniert. Wegen der engen Verknüpfung der Reziprozitätsanforderung mit der reflexiven Rationalität, die in Argumentationen impliziert ist, interpretiert Rovane (4) und (6) als interdependente Bedingungen.517 Der zweite Schritt betrifft das Verhältnis der Bedingung sprachlicher Kommunikation (5) und reflexiver Rationalität (6). Hier behauptet Rovane, daß die Fähigkeit zu sprachlicher Kommunikation die reflexive Rationalität eindeutig voraussetzt. Das Argument stützt sich auf eine genaue Betrachtung des von Dennett als maßgeblich herangezogenen Kommunikationskonzepts von Grice. Die Gricesche Kommunikationsstruktur wird als eine Form der Argumentation interpretiert. Zu erwarten, daß der Hörer reagiert und zwar reagiert auf der Basis seiner Erkenntnis der diesbezüglichen Intention des Sprechers, bedeutet das Folgende: Der Sprecher erwartet, daß die Erkenntnis der Sprecher-Intention durch den Hörer einen Handlungsgrund für den Hörer selbst darstellt. Dennett könnte einwenden, daß sein Konzept reflexiver Rationalität nicht nur die Fähigkeit zur skizzierten Reflexivität der Kommunikationsintentionen betrifft, sondern eine genuin evaluative Komponente besitzt. Diese Argumentationslinie kann mit dem Hinweis zurückgewiesen werden, daß Dennetts reflexive Selbstbewertung durchaus in Termini von rationaler Selbst&rt/i& artikulierbar ist. Selbstkritik ist auf der Ebene reflexiver Rationalität unter Einschluß rationaler Normen zweifellos anzusetzen. Das Resultat lautet: Kein Wesen kann die fünfte Personalitätsbedingung erfüllen, ohne die sechste Bedingung ebenfalls zu erfüllen. Sprachfähigkeit impliziert die Fähigkeit zur kritischen Anwendung rationaler Standards auf eigene Zustände und Verhaltensweisen. Damit ist die Interdependenz von (4), (5) und (6) erwiesen. Anders als in Dennetts eigener Darstellung liegt die entscheidende Zäsur, die Personen von Nicht-Personen trennt, nicht zwischen (5) und (6), sondern zwischen (3) und (4). Nur Wesen, die durch Reziprozität intentionaler Einstellungen, verbale Kommunikation und reflexive Rationalität gekennzeichnet sind, können als Personen gelten. Entscheidend ist, daß sie sich wechselseitig als Personen behandeln können und in der Lage sind, einander durch die Angabe und das Einfordern von Gründen rational zu beeinflussen.
517
Da Rovane Dennetts Gradualismus akzeptiert, schließt sie nicht aus, daß Tieren prinzipiell eine Intentionalität höherer Stufe zugeschrieben werden kann: „My suggestion does not actually refute Dennett's claim that it is possible for unselfconscious creatures to adopt the intentional stance. What it shows, though, is that there is no compelling reason to suppose that it is possible"; Rovane (1994), 373.
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Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
Die hier zusammengefaßte Kritik Rovanes fuhrt zu einer Modifikation der Konzeption Dennetts und unterstreicht den normativen Charakter des Personbegriffs nachdrücklich. Die Grundlinien der Konzeption Dennetts erfahren durch diese Interpretation eine Stärkung. Dennett selbst nennt zwar seine sechste Bedingung der Personalität als einen möglichen Kandidaten für eine hinreichende Bedingung. Aufgrund seiner Konzeption von Intentionalität und Kausalität sowie des genuin normativen Charakters des Personbegriffs nimmt er aber Abstand davon, für mehr als die Notwendigkeit seiner Bedingungen zu argumentieren. Im folgenden wird die Frage gestellt, ob es aussichtsreiche Vorschläge gibt, über die Angabe notwendiger Bedingungen hinausgehend eine hinreichende Bedingung von Personalität zu formulieren.
V.4. Da capo: Menschsein als hinreichende Bedingung? Die Explikation der vorgeschlagenen Bedingungen von Personalität erweist sich als vergleichsweise aufwendig und umständlich. Das Ergebnis ergibt auch in Dennetts Fall, daß die Extension von ,Person' weitgehend mit derjenigen von ,Mensch' übereinstimmt. Trotz der bereits angeführten Argumente gegen eine simple Identifikation beider Begriffe wird infolge der fast vollständigen extensionalen Übereinstimmung beider Konzepte die Auffassung des gesunden Menschenverstandes wiederholt. So kommt J. Teichman nach einem kurzen Durchgang durch die Begriffsgeschichte zu dem Ergebnis, daß die Zugehörigkeit zur Spezies ,homo sapiens' eine hinreichende, wenn auch keine notwendige Bedingung von Personalität ist.518 Teichman trägt damit dem Umstand Rechnung, daß auch andere Entitäten als Menschen (Gott, Engel, juristische Personen wie Körperschaften und Verbände) zur Gruppe der Personen zählen. Für hinreichend hält sie das bloße Menschsein, weil sie keinerlei funktionale Kriterien oder aktuelle Eigenschaften für Personalität verlangt. Die Zugehörigkeit zur Art garantiert in ihrer Perspektive die Fähigkeit zur Entwicklung der relevanten Eigenschaften und reicht als solche aus, um die Personalität des jeweiligen Wesens zu begründen.519 Nach dieser Auffassung können Menschen in ihrem 518
J. Teichman, The Definition of .Person'; Philosophy 60 (1985), 175-185.
519
,,[I]nfants and mad p e o p l e are unquestionably juridical persons: as to ordinary use, there is no strangeness at all - still less any contradiction - in such sentences as: ,The person w e refer to is insane', ,... is an infant', ,... is in a terminal coma' ". - „ T h e most common sense of the w o r d .person' is .human being', and this is the sense which has moral import [...] Being a human being, i.e. a human animal, is a sufficient condition of being a person"; Teichman (1985), 182 und 184.
Da capo: Menschsein als hinreichende Bedingung?
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Personenstatus eingeschränkt sein und beispielsweise nur als beschränkt zurechnungsfähig gelten. Die Einschränkung des Personenstatus bedeutet aber nicht den Verlust dieses Status. Die an Locke anknüpfenden Autoren beurteilen die Sachlage anders. Gerade weil der ethische und moralische Aspekt des Personbegriffs ihrer Überzeugung nach der ausschlaggebende ist, erscheint es sinnwidrig, solche Entitäten als Personen anzusprechen, denen keine Handlungen zugerechnet werden können. Insofern es menschliche Organismen gibt, bei denen dies während aller Lebensphasen der Fall ist, kann das bloße Menschsein nicht als hinreichende Bedingung akzeptiert werden. Selbst wenn man vor der Konsequenz des Lockeschen Modells und den Revisionen, die mit ihm verbunden sind, zurückschreckt, muß man sehen, daß die These von Teichman falsch oder präzisierungsbedürftig ist: Sie ist falsch, insofern sie suggeriert, es gäbe irgendwelche objektiven Fakten, die die Zuschreibung von Personalität im Hinblick auf alle menschlichen Lebewesen begründen. Richtig ist, daß die normative Bewertung bestimmter Fakten, die allerdings in den relevanten Fällen nicht Fakten über die aktuellen Eigenschaften eines Organismus sind, ausschlaggebend ist. Eine solche Bewertung aber muß nicht als irreversibel gelten, sondern sie kann argumentativ gestützt und bestritten werden. Die häufig suggerierte und kritisierte Unmenschlichkeit einer Auffassung, die Personalität nicht grundsätzlich allen Menschen zubilligt, beruht oft auf einem Mißverständnis: Die Tatsache, daß alle Personen Rechte haben, impliziert nicht, daß ausschließlich Personen und keine anderen Wesen außer ihnen Rechte haben können. Zu sagen, daß ein bestimmter Mensch mit gravierenden organischen Schädigungen keine Person ist, bedeutet in keiner Weise, auf Verpflichtungen zu einer Behandlung, die auf die Interessen und Befindlichkeiten eines solchen Lebewesens Rücksicht nimmt, zu verzichten. Der Lockeaner wird die Begründung eines solchen Schutzanspruchs nicht im Personbegriff verankern, sondern beispielsweise in der Überzeugung, daß die Lebensmöglichkeiten eines Organismus nicht willkürlich einzuschränken sind und daß die Schmerzen von schmerzempfindenden Lebewesen gemildert werden sollen. Auch der Status der Personalität garantiert faktisch keineswegs, daß die Rechte jeder Person respektiert werden. Er gewährleistet dies schon gar nicht im Fall von Individuen, die nicht in der Lage sind, ihre Rechte selbst einzufordern und einzuklagen. Es ist nicht erwiesen, daß die Zuschreibung von Personalität als eine notwendige Bedingung für einen, an ethischen und moralischen Maßstäben gemessen, befriedigenden Umgang mit Lebewesen gelten muß. Die Lockeaner stellen die Zurechenbarkeit von Handlungen und Handlungsfolgen in den Mittelpunkt. Wo die Grenzen der Zu-
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Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
gänglichkeit für rationale Beeinflussung, für die Zurechenbarkeit von Handlungen und allgemein für die Handlungsfähigkeit eines Wesens erreicht sind, sind auch die Grenzen des Personbegriffs erreicht. Die Grenzen von Personalität koinzidieren keineswegs mit den Grenzen der recht verstandenen Würde eines Lebewesens. Die Tradition hat die Würde des Menschen primär an seine Vernunftfähigkeit und/oder seine Gottebenbildlichkeit gekoppelt. Demgegenüber bemühen sich Wandlungen des Vernunftbegriffs und veränderte Einstellungen zu nicht-menschlichen Formen des Lebens um eine veränderte Sicht der Dinge. Dabei wird die Würde eines Wesens oft als vollkommen unabhängig von Spezieszugehörigkeit, individuellen Leistungen, spezifischen Fähigkeiten und reflexiv-rationalen Handlungen gesehen. In dieser Perspektive wirkt der Verlust der in wesentlicher Hinsicht stark intellektualistisch konzipierten Personalität weitaus weniger dramatisch als in der durch die traditionelle Geistmetaphysik geprägten Sichtweise. Wegen der starken intellektualistischen und ethischen Implikationen des Personbegriffs erscheint die in jüngerer Zeit erhobene Forderung der Aufnahme bestimmter höherer Tierarten in die Gruppe der Personen zunächst absurd. Tatsächlich ist es die offenbare Unmöglichkeit, mit diesen Wesen Reziprozitätsverhältnisse der bereits erläuterten Art zu etablieren, sowie ihre Unfähigkeit, nicht nur Träger von Rechten, sondern auch von korrespondierenden Pflichten zu sein, welche die Personalitätszuschreibung in diesen Fällen zunächst als wenig plausibel erscheinen läßt. Entsprechend dem über Menschen mit extremen Schädigungen Gesagten gilt aber auch hier, daß die Unfähigkeit eines Wesens, im eigenen Verhalten auf normative Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen, selbstverständlich in keiner Weise zur Konsequenz hat, daß dieses Wesen als bloße Sache, als würdeloses Ding, behandelt werden kann. Auch hier wird man darauf zu achten haben, ob Bewußtsein, Schmerzempfindung und andere affektive Zustände auftreten. Insgesamt kann man festhalten, daß es wenig überzeugend ist, Würde, Schutzanspruch und Personalität in strenger und unauflöslicher Weise aneinander zu binden, selbst wenn die Begriffsgeschichte dies nahelegt.
V.5., Wesen, die sich selbst als Personen verstehen' Die Untersuchungen der Definitionsvorschläge zum Personbegriff zeigen, daß eine gleichermaßen gehaltvolle, allgemeingültige und präzise Definition des Begriffs nicht vorliegt und aufgrund der vielfältigen Funktionen, die der Begriff der Person erfüllt, nicht gegeben werden kann. Was in
, W e s e n , d i e sich selbst als P e r s o n e n v e r s t e h e n '
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plausibler Weise angegeben werden kann, sind notwendige Bedingungen von Personalität. Darüber hinausgehende Spezifizierungen durch die Benennung gehaltvoller, kontextunabhängiger und hinreichender Bedingungen von Personalität sind nicht zu formulieren. Für einen im strengen Sinn theoretischen Begriff wäre ein solches Fazit äußerst problematisch. Die vorliegende Untersuchung plädiert dafür, den Personbegriff nicht als einen theoretischen Begriff im engen Sinn aufzufassen. Zweifellos stößt eine solche Auffassung auf das Unbehagen systematisch orientierter Leser. Daher ist es sinnvoll, daran zu erinnern, daß der Personbegriff ursprünglich abseits speziell eingegrenzter Kontexte, und nicht aufgrund präziser, durch notwendige und hinreichende Bedingungen charakterisierte Gebrauchsregeln verwendet wird. In diesem Zusammenhang sind die Resultate der begriffs- und ideengeschichtlichen Kapitel dieser Arbeit wegweisend. Sie zeigen, daß die für den Begriff der Person maßgeblichen begrifflichen Unterscheidungen bereits im Vorfeld der Wortgeschichte von ,persona' nachzuweisen sind. In Homerischen Epen werden die für Personalität notwendigen Aktivitäten des Überlegens, Entscheidens und Handelns ebenso zur Darstellung gebracht wie die psychisch-affektiven Vorgänge und epistemischen Zustände der Person. Die drei Dimensionen des Wissens, Handelns und Fühlens bilden als notwendige Voraussetzungen von Personalität so etwas wie das Zentrum des Begriffs. Die vielfältigen Funktionen und Verwendungsweisen des Begriffs im vor- und außertheoretischen Bereich sowie innerhalb theoretischer Diskurse entziehen sich aber einer weitergehenden Disziplinierung. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, daß der Begriff im Rahmen spezieller Diskurse mit spezifischen, an konkreten theoretischen Interessen ausgerichteten Bedeutungen eingesetzt wird. In diesen Fällen können vergleichsweise strikte Definitionen des Begriffs als eines regionalen Konzepts entwickelt werden.520 An die Stelle der Vorstellung eines einheitlichen und allgemeinen Begriffs treten somit, neben die vor- und außertheoretischen Konzeptionen von Personalität, die unterschiedlichen Begriffsbildungen einzelner Disziplinen: der moralphilosophische Personbegriff, der psychologische Personbegriff, der soziologische Personbegriff, der juristische Personbegriff, der ökonomische Personbegriff, der politologische Personbegriff, der epistemologische Personbegriff usw. Diese regionalen Konzepte können ihrerseits nach Maßgabe der jeweiligen Interessen in speziellere Begriffe unter-
520
Vgl. A.O. Rorty, A Literary Postscript - Characters, Persons, Selves, Individuals; in: Rorty (1976), 301-323; hier: 321.
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Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
teilt werden. So kann etwa der juristische Personbegriff in einen strafrechtlichen Begriff der Person mit dem Schwerpunkt der Zurechnungsproblematik, in ein allgemeineres, die verfassungs- und menschenrechtlichen Grundlagen betreffendes Konzept und in den auf Kollektive und Verbände anzuwendenden Begriff der juristischen Person untergliedert werden. Der Ausdifferenzierung und immer weitergehenden Spezifizierung von Konzepten ist keine prinzipielle Schranke gesetzt. Die Rede von einer Vielzahl von Personbegriffen ist dadurch begründet, daß die regionalen Spezialbegriffe der Person nicht mehr als Unterbegriffe eines allumfassenden Oberbegriffs verstanden werden können. Das Verhältnis der unterschiedlichen regionalen Konzepte läßt sich nicht als Zusammenhang einer überschaubaren Begriffspyramide darstellen, an deren Spitze ein allgemeiner und übergreifender Begriff der Person stünde, den die Philosophen formulieren. Der Zusammenhang der regionalen Konzepte ist durch schwächere Verbindungen gegeben, etwa durch systematische Überlappungen historischer Teilbedeutungen (Personalität als Vernunftfähigkeit im mittelalterlich-theologischen und im neuzeitlichen Personbegriff) oder durch die Nähe und Koinzidenz der Anwendungsbereiche (Personen im Sinn der juristischen, soziologischen und moralphilosophischen Personbegriffe). Vor allem aber kommen die unterschiedlichen regionalen Begriffe miteinander darin überein, daß sie auf außertheoretische Bereiche und Probleme der Lebenspraxis bezogen sind. Sie erfüllen ihre Aufgaben und Funktionen im Hinblick auf diese Praxis und leisten — wenn es sich um brauchbare Begriffe handelt — in wesentlichen Stücken einen Beitrag zur Gestaltung und zum Verständnis der Lebensformen. Aufgrund dieser Bindung an vor- und außertheoretische Anwendungsbereiche unterscheidet sich die Funktion und Bedeutung des Personbegriffs von im engen Sinn theoretischen Begriffen der Wissenschaften, wie sie exemplarisch in den Konstruktionen der formalen Disziplinen anzutreffen sind. Die Einheit des Personbegriffs besteht, wie A. O. Rorty feststellt, in seiner Geschichte. 521 Mit dieser durch die vorausgegangenen Erörterungen insgesamt bestätigten These wird bestritten, daß die Einheit des Begriffs in ahistorischer Weise als systematisch geschlossenes Konzept bestimmt werden kann, als ein Konzept, das in unterschiedlichen systematischen und historischen Kontexten lediglich entfaltet wird, prinzipiell jedoch unabhängig von diesen zu begreifen ist. Offenheit, Kontextabhängigkeit und Unab-
521
Rorty (1976), 321: „[Ulnderstandung ,the' concept of a person is understanding history, just as understanding any particular individual is understanding his history".
,Wesen, die sich selbst als Personen verstehen'
293
geschlossenheit kennzeichnen den Begriff der Person. Daß die Geschichte dieses Begriffs, trotz seiner Offenheit und Kontextabhängigkeit, kein zusammenhangloses Sammelsurium heterogener Konzepte darstellt, wurde in den vorausgegangenen Kapiteln deutlich. Die Geschichte der vielfältigen Konzeptionen des Personbegriffs ist gekennzeichnet durch durchlaufende Motive und Problemstellungen. Wenn der Personbegriff, trotz all seiner vielfältigen Aufgaben und Versionen, inmitten der heterogenen Anwendungsbereiche und der unterschiedlichen Diskursformationen, in denen er auftaucht, überhaupt einen Mittelpunkt aufweist, so handelt es sich wohl um die von Dennett herausgearbeitete reflexive Rationalität. Auf der Grundlage der Überlegungen Dennetts kann man, anstelle einer Definition, folgende Explikation des Begriffs der Person geben: Personen sind Wesen, die sich selbst als Personen verstehen und einander als Personen behandeln können. Die Grenze des Personseins verläuft dort, wo die Versuche, ein Wesen als Person anzusprechen, erfolglos bleiben, wo es unmöglich ist, ein Gegenüber als rationales Wesen zu beeinflussen, mit ihm Gründe auszutauschen, von ihm selbst aufgefordert zu werden, Rechenschaft abzulegen oder Überzeugungen und Einstellungen aufgrund vorgebrachter Argumente zu verändern. Sich selbst als Person zu verstehen und andere als Personen zu behandeln, impliziert reflexive Rationalität. Die hier gegebene Explikation des Personbegriffs ist offensichtlich zirkulär. Diese Zirkularität muß jedoch nicht als ein Skandalon verstanden werden. Wenn man den Begriff der Person aus den angeführten Gründen als opak, kontextabhängig und in seinen vielfältigen außertheoretischen und theoretischen Funktionen nicht abschließend spezifizierbaren Begriff faßt, dann ist die Zirkularität nicht vitiös, sondern unausweichlich. Der Versuch, dieser Einsicht auszuweichen, führt entweder dazu, daß der Personbegriff inhaltsleer wird, oder bewirkt, daß beim Auftreten neuer Anwendungsfälle die allgemeine Definition beständig repariert werden muß. Wie stellt sich das Verhältnis von Identität und Personalität vor dem Hintergrund dieser Explikation des Personbegriffs dar? — Die Rede von der Identität der Person wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Theorie Lockes und den unterschiedlichen Stellungnahmen seiner Kritiker ausführlich behandelt. Für Locke stand das ethische Problem der Verantwortung und Haftung für begangene Handlungen im Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang kommt es auf eine verifizierbare Beantwortung der Frage nach der diachronen Identität einer Person an. Damit wird das Problem der Formulierung eines Kriteriums der personalen Identität zum Hauptthema der Diskussion. Der mit Locke fixierte exemplarische Anwendungsfall der
294
Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
Identifizierung und Reidentifizierung einer Person prägt die neuzeitliche Diskussion und das leitende Verständnis dessen, was es heißt, im Wandel der Zeit als identische Person zu überleben. Die zeitgenössischen Modelle, in denen die Identität der Person durch psychische Kontinuität bestimmt ist, knüpfen in wesentlichen Punkten an Locke an. Dabei kommt der Erprobung der Verläßlichkeit der vorgeschlagenen Konzeptionen personaler Identität und der entsprechenden Kriterien in empirisch zwar nicht auftretenden, aber logisch möglichen Situationen eine große Bedeutung zu. Der Personbegriff soll in einer von kontingenten Sachverhalten abstrahierenden Weise als allgemeiner Begriff formuliert werden, dessen Analyse mit der Angabe von Kriterien einhergeht, welche die Zuschreibung diachroner Identität regeln. Die Motivation für die Strategie, logisch mögliche Fälle zu beachten, ist leicht erkennbar: Es soll ausgeschlossen werden, daß die Identitätsaussagen auf kontingenten, wandelbaren und insofern nicht absolut verläßlichen Grundlagen beruhen. Die Gedankenexperimente mit logisch möglichen Ereignissen, wie Verdoppelungen, Überlappungen, Spaltungen und Verschmelzungen von Personen, zeigen, daß sich Situationen nicht ausschließen lassen, in denen keine begründete und eindeutige Antwort auf Identitätsfragen gegeben werden kann. Exemplarisch hierfür ist der Fall des Doppelgängers: Sollten jeweils ein Paar qualitativ identischer Personen PI und P2 gestern und heute vorhanden sein, so gibt es keine eindeutige Antwort auf die Frage, wie die Verbindungen zwischen den gestern existierenden Personen PI und P2 zu den identischen Personen heute zu ziehen sind; denn beide sind gleichermaßen qualifiziert. Der Einwand des gesunden Menschenverstands, daß das Experiment unsinnig ist, weil wir Personen durch Raum-Zeit-Stellen identifizieren und niemals zwei Personen hinsichtlich der Raum-Zeit-Stelle identisch sein können, ist aufgrund der starken Lesart von , logisch möglich' hier ausgeschlossen: Es ist nicht logisch ausgeschlossen, daß zwei Gegenstände gleichzeitig an der gleichen Raumstelle sind. Ebensowenig ist es ausgeschlossen, daß zwei Entitäten existieren, die nicht als Gegenstände in Raum und Zeit identifizierbar sind. Das Resultat in bezug auf die Erörterungen logischer Möglichkeiten besagt, daß der Ausschluß kontingenter Faktoren und vor allem der nicht logisch notwendigen kausalen Verhältnisse dadurch erkauft wird, daß der Personbegriff seinen Bezug zu außertheoretischen Anwendungsbereichen verliert und tendenziell gehaltlos wird. Insbesondere die Überlegungen zur psychischen Kontinuität von Personen, die durch Erinnerung konstituiert wird, argumentieren für eine Anerkennung der partiell kontingenten Grundlagen des Erinnerungs- und des Personbegriffs.
,Wesen, die sich selbst als Personen verstehen'
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Die Konsequenzen einer Anschauung, die den Personbegriff als offen, kontextabhängig und nicht im strikten Sinn definierbar anerkennt, sind im Hinblick auf die Frage der Identität von Personen erstaunlich konservativ. Hier bleiben die Verhältnisse weitgehend so, wie sie sich dem unbelasteten Beobachter darstellen. In den meisten Fällen bestehen keine Schwierigkeiten der Identifizierung von Personen und der Zuschreibung diachroner Identität aus der Beobachterperspektive oder aus der Ich-Perspektive. Diese gute Botschaft wird durch eine schlechte Nachricht ergänzt: Fälle der Vagheit und Unentscheidbarkeit von personaler Identität lassen sich nicht ausschließen. Für diesen Umstand ist die Offenheit der Explikation des Personbegriffs verantwortlich. Er ist weder abgeschlossen und fest begrenzt hinsichtlich seiner Extension noch ist die inhaltliche Füllung des Begriffs in eindeutiger Weise und trennscharf zu formulieren. Dieses Ergebnis mag Protest hervorrufen: ,Es ist doch absurd zu behaupten, ich könne nicht wissen, ob ich dieselbe Person wie vor zwanzig Jahren bin oder nicht'. Nun, vielleicht glaubt der Kritiker tatsächlich mit guten Gründen, daß er dieselbe Person wie vor zwanzig Jahren ist. Nach den plausiblen Versionen der Modelle psychischer Kontinuität kann er sich dessen aufgrund vergleichsweise schwacher Verbindungen durch überlappende Erinnerungen gewiß sein. Das heißt, er muß sich nicht einmal an ein einziges Ereignis aus seinem Leben vor zwanzig Jahren erinnern. Es genügt, daß eine kontinuierliche Kette vergangener Erinnerungen aus dieser Zeit bis in die Gegenwart reicht. Dennoch gibt es Fälle, in denen unbestimmt ist, ob man davon sprechen kann, daß eine Person dieselbe Person wie vor zwanzig Jahren ist. Zunächst sind hier die außerhalb des Horizonts der innerhalb der analytischen Philosophie behandelten Modelle liegenden Aspekte psychischer Kontinuität zu nennen, die etwa im Fall von Identitätskrisen oder Konversionen im Sinne von radikalen Persönlichkeitsveränderungen oder Neuorientierungen zu Tage treten. Die hier einschlägigen Erfahrungen müssen aber nicht immer in dramatisch krisenhafter Form vorliegen. Sie können als Erfahrung des Fremdwerdens der eigenen Vergangenheit auftreten, der Unverständlichkeit ehemaliger Einstellungen und Handlungsweisen zu verdanken sein, oder einfach darin zum Ausdruck kommen, daß einer sagt, er sei ein anderer als in seiner Jugend. Die Fraglichkeit der Berechtigung, die Identität einer Person über eine Zeitspanne hinweg zu behaupten, kann auch damit zusammenhängen, daß unklar ist, ob, wie in Fällen krankheitsbedingter irreversibler Schädigungen, der Nachfolger der urspünglichen Person überhaupt noch als Person bezeichnet werden kann. Es ist deutlich geworden, daß die Komplexität des Personbegriffs eine griffige Definition verhindert. Dies ist ein unspektakulärer Befund, der in
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Der Personbegriff in der zeitgenössischen Diskussion
ähnlicher Weise mit Bezug auf andere Grundbegriffe der Philosophie formuliert wird. Die Vielzahl von Gebrauchsweisen und Funktionen des Personbegriffs wird indes dadurch in gewisser Weise überschaubar, daß im Anschluß an Frankfurt und Dennett eine Explikation von Personalität angeboten wird, die Personen als Wesen bestimmt, die sich selbst als Personen verstehen und einander als Personen behandeln können. Hinsichtlich des Identitätsbegriffs ist deutlich geworden, daß psychische Kontinuität für die diachrone Identität von Personen von ausschlaggebender Bedeutung ist. Allerdings wird in der innerhalb der angelsächsischen analytischen Philosophie geführten Diskussion kein hinreichend differenziertes Konzept psychischer Kontinuität formuliert. Zudem wurde festgestellt, daß eine Ausklammerung der Explikation des Personbegriffs und eine Fokussierung auf die Identitätsproblematik gravierende Folgelasten mit sich bringt und die Resultate der Identitätsdebatte stark beeinträchtigt. Über ein Kriterium zur Feststellung eines Sachverhalts zu verfügen, garantiert keineswegs, daß man ein volles Verständnis für den fraglichen Sachverhalt gewonnen hat. Die vorgeschlagene Differenzierung unterschiedlicher regionaler Personbegriffe ermöglicht es, die Frage nach der Identität einer Person jeweils aufgrund der bereichsspezifisch einschlägigen und begründbaren Kriterien zu fixieren. Die Pluralität von Personbegriffen geht einher mit einer Mehrzahl bereichsspezifischer Kriterien.
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Sachindex A Absicht 6, 61, 63, 72,142,168,180, 215, 224, 239, 248, 279, 283 Affekte 7, 184 Ähnlichkeit 2, 49, 103, 104, 105, 119, 120, 121, 175, 189, 191, 193, 194 Akzidenz 39, 47, 108, 111, 112 Akzidenztheorie 44, 115 Amnesie 10, 148, l 6 l , 169, 171, 238 Anthropologie 1, 59, 60, 102, 104, 105, 111 Anti-Minimalismus 267, 268, 269, 271, 272, 273 Antike 2, 6, 8, 15, 25, 27, 29, 31, 33, 35, 37, 39, 41, 43, 45, 47, 49, 51, 53, 55, 57, 59, 61, 62, 63, 65, 67, 69, 71, 73, 75, 77, 79, 81, 83, 85, 87, 97 Apersonalismus 227, 229, 231, 236 Β Begriffsgeschichte 6, 9, 24, 74, 90, 91, 93, 95, 97, 99, 101, 103, 105, 107, 109, 111, 113, 115, 116, 117, 119, 121, 123, 125, 127, 129, 207, 277, 288, 290 Beobachterperspektive 139, 170, 171, 179, 180, 295 Bewußtsein 1, 10, 16, 25, 75, 76, 117, 136, 139, 140, 141, 143, 145, 147, 148, 149, 151, 157, 163, 167, 170, 172,175, 177, 178, 180, 182, 188, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 222, 223, 229, 232, 235, 237, 260, 268, 290 Bündeltheorie 44, 45, 115, 192, 228 D Definition 9, 13, 14, 110, 112, 113, 114, 116, 117, 120, 122, 123, 126, 136, 151, 156, 167, 172, 196, 236, 237, 241, 242,
243, 254, 265, 267, 283, 284, 288, 290, 293, 295 Denken 9, 26, 38, 49, 53, 60, 66, 69, 75, 100, 106, 136, 146, 147, 153, 164, 184, 200, 201, 202, 220 Dualismus 51, 56, 75, 87, 130, 195, 210 Ε Eigenschaft, akzidentelle 35, 38, 42, 84, 85, 86 Eigenschaft, artspezifische 38, 43, 77, 86, 118, 127, 153 Eigenschaft, essentielle 39, 126, 216, 223, 273, 275 Eigenschaft, individuelle 35, 45, 46 Eigenschaft, substantielle 84, 85, 86,109 Eliminativismus 215 Emotion 7, 8, 24, 29, 69 Entscheidung 15, 16, 21, 22, 59, 64, 71, 72, 74, 94, 125, 180, 266 Erinnerung 1, 10, 11, 12, 13, 59, 73, 104, 139, 141, 142, 149, l60, 161, 167, 168, 169, 171, 177, 179, 181, 182,183, 188, 189, 190, 191, 195, 228, 235, 238, 239, 240, 241, 242, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 294 Erwartung 37, 73, 142, 168, 235, 236, 239, 253 Ethik 1, 33, 34, 58, 61, 65, 91, 94, 95, 96, 99, 208, 284 Etymologie 8, 91, 92 F Freiheit 1, 123, 124, 128, l60, 203, 204, 274, 276 Funktionalismus 57, 58, 214, 215, 26l, 267
Sachindex G Gedankenexperiment 8, 32, 77, 82, 83, 88, 167, 172, 227, 230, 258, 259, 264, 294 Gefühle 32, 69, 268, 270 Gleichheit 2, 3, 48, 49, 67, 76, 121, 157 Η Handlung 10, 18, 22, 24, 63, 64, 69, 70, 72, 139, 147, 150, 205, 206, 238, 262, 274, 283, 286 I Identifizierung 9, 18, 20, 39, 47, 50, 51, 77, 86, 88, 89, 109, 132, 187,192, 230, 242, 251, 264, 294, 295 Identität, diachrone 2, 3, 4, 5, 8, 10, 18, 49, 50, 79, 151, 180, 185, 196, 205, 206, 212, 225, 228, 230, 241, 251, 252, 253, 293 Identität, numerische 2, 3, 5, 48, 49, 82, 119, 173, 174, 198, 264 Identität, personale 5, 13, 79, 145, 151, 161, 167, 169, 182, 225, 232, 235, 251, 252, 255 Identität, qualitative 2, 49, 51, 82, 173, 174, 198, 264 Identität, relative 272 Identität, transtemporale 2, 3, 185 Identitätskriterium 3, 5, 8, 50, 141, 195, 205, 235, 240 Immaterialismus 10, 139, 172, 188, 208, 209, 210, 211, 228 Imprädikabilität 35, 87, 106, 127 Individualität 46, 88, 94, 95, 96, 106, 107, 114, 116, 117, 118, 126, 128, 129, 207 Individuation 2, 5, 8, 9, 11, 39, 41, 42, 44, 45, 46, 47, 49, 50, 81, 89, 106, 107, 114, 131, 132, 242, 267 Individuum 4, 31, 32, 81, 86, 87, 92, 94, 107, 117, 118, 120, 125, 153, 154, 159, 168, 175, 179, 248, 272 Inkommünikabilität 87, 122, 127, 133 Innenperspektive 11, 139,169,170, 244, 25.6
339
Intention 105, 149, 215, 239, 268, 279, 280 Intransitivität 181, 182 Κ Kommunikation 121,125, 224, 282, 283, 284, 286, 287 Kontinuität, psychische 12,13,151, 227, 230, 241, 250, 251, 252, 254, 257, 260, 261, 264, 265, 294, 296 Körper 16, 17, 19, 20, 26, 27, 32, 40, 55, 56, 83, 87, 101, 108, 111, 124, 133, 134, 137, 138, 143, 145, 146, 165, 166, 172, 193, 209, 211, 228, 232, 260, 281 Körperkriterium 50, 51, 141, 263 Körpertausch 51, 145, 146, 173 L Leib 17, 21, 176, 209, 211, 215 Lexikologie 90, 91 Μ Materialismus 57, 210, 211, 215 Minimalismus 267, 277 Monismus 210, 212 Ν Naturalismus 130, 211 Normativität 116, 216, 217, 219, 220, 223, 269, 284, 285 Ρ Paradoxon 76, 79, 83, 88 Personalität 2, 5, 6, 8, 9, 13, 31, 32, 75, 116, 117, 118, 122, 124, 127, 136, 140, 151, 196, 204, 215, 216, 218, 219, 220, 221, 223, 227, 237, 240, 241, 253, 266, 267, 269, 271, 272, 277, 279, 280, 281, 283, 284, 285, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 296 Physikalismus 211 Praktischer Syllogismus 68, 70, 71 Primitivität, logische 2, 181, 217, 218 Proposition 86, 245, 283 Psychologie 1, 25, 52, 53, 57, 58, 87, 91, 105, 209, 252, 268
340
Sachindex
psychologisches Kriterium 235 puzzle. Siehe Siehe Gedankenexperiment
l 6 l , 162, 165, 167, 176, 178, 192, 200, 201, 202, 210, 227 Substitutivität 2, 156, 157
Q
Τ Tiere 19, 36, 56, 60, 116, 134, 149, 215, 224, 278, 281, 283 Transitivität 2, 49, 50, 155, 182 Trinität 100, 101, 103, 105, 107, 109, 110, 119, 122, 124, 126 Trinitätstheologie 101, 102, 113, 115, 121
Quasi-Erinnerung 13, 255, 256, 257 R Rationalität 5 , 1 4 , 31, 1 1 8 , 1 2 6 , 1 2 8 , 1 3 5 , 151, 202, 205, 222, 223, 266, 269, 270, 281, 285, 287, 293 Reduktion 227, 230, 231 Reduktionismus 207, 208, 209, 210, 211, 213, 215, 217, 219, 221, 223, 225, 227, 229, 230, 231, 233, 235, 237, 239, 241, 243, 245, 247, 249, 251, 253, 255, 257, 259, 261, 263, 265, 266 Referenz 8, 18, 84, 86, 89, 156, 157, 254, 256 Reflexivität 2, 49, 50, 76, 163, 217, 232, 279, 287 Relation 1, 4, 12, 36, 109,110, 124,132, 226, 227, 235, 236, 237, 238, 240, 258, 261, 264, 265 Relation R 226, 227, 235, 236, 237, 238, 240, 258, 264, 265 S Seele 17, 20, 26, 27, 28, 52, 53, 54, 56, 58, 65, 87, 102, 124, 143, 145, 146, 162, 166, 209, 211, 229, 232 Selbigkeit 2, 3, 26, 49, 50, 76, 78, 108, 119, 140, 141, 167, 185, 212, 264 Selbstbewußtsein 1, 6, 10, 15, 22, 75, 87, 139, 151, 172, 195, 199, 200, 216, 223, 227, 268, 284 Singularität 43, 117, 118, 127 Subsistenz 114, 115, 117, 127 Substanz 9, 11, 34, 35, 36, 39, 40, 41, 42, 75, 82, 101, 109, 111, 112, 114, 115, 119, 121, 122, 127, 130, 131, 133, 135, 137, 138, 140, 1 4 3 , 1 4 5 , 153, 155,
U Überlegung 21, 22, 30, 64, 71, 180, 270 Überzeugung 22, 32, 59, 68, 69, 70, 71, 74, 215, 217, 236, 266, 267, 280, 281, 283, 285, 293 Unbewußtes 76, 163, 268 V Vagheit 7, 8, 14, 221, 267, 295 Verantwortung 124, 147, 149, 176, 293 Vergangenheitswissen 11, 244, 249 W Willensfreiheit 14, 216, 273, 274, 275 Wortgeschichte 8, 24, 90, 91, 93, 95, 97, 99, 101, 103, 105, 107, 109, 111, 113, 115, 117, 1 1 9 , 1 2 1 , 123, 125, 127, 129, 187, 291 Wünsche 5, 14, 27, 32, 59, 64, 68, 69, 70, 71, 204, 215, 239, 266, 267, 270, 273, 274, 276, 280, 281, 285 Würde 3, 7, 29, 39, 74, 123, 124, 129, 217, 290 Ζ Zirkularität 176, 218, 241, 254, 258, 293 Zurechenbarkeit 1, 10, 142, 194, 228, 289
Personenindex A Abaelard, P. 117, 119, 120, 121, 127, 297 Alexandria, Philon von 82 Aphrodisias, Alexander von 85 Aquin, Thomas von 9, 117, 123, 124, 125, 128, 129 Aristoteles 7, 8, 11, 33, 34, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 84, 85, 87, 88, 90, 106, 107, 109, 121, 141, 153, 156, 174, 243, 244, 245, 278, 298, 299, 300, 301, 307, 308, 310, 313, 316, 322, 335 Augustinus 101, 102, 103, 104, 105, 106, 111, 126, 299, 306, 329 Β Boethius 9, 46, 47, 101, 106, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 117, 119, 122, 123, 124, 126, 301, 335 Burke, M. 83, 303 Butler, J. 12, 13, 1 7 6 , 1 7 7 , 178, 181, 186, 195, 196, 227, 241, 303, 325, 326, 336, 337
Frankfurt, H. 14, 296, 308 G Grice, H. P. 283, 287, 310 Η Hales, Alexander von 123, 297 Homer 7, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 28, 29, 30, 88, 98, 291, 309, 313, 330, 332, 333, 335 Hume, D. 12, 81, 120, 176, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 199, 200, 202, 205, 207, 209, 210, 211, 214, 228, 231, 299, 300, 301, 307, 309, 311, 312, 313, 322, 324, 325, 329, 333, 335, 336
J 107, 108, 115, 116, 127, 151,
179,180, 243, 254,
D Dennett, D. 14, 31, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 287, 288, 293, 296, 301, 305, 306 Descartes, R. 75, 130, 137, 300, 329 Ε Epicharm 77, 79
F
Johnston, M. 213, 314, 323 Κ Kant, I. 12, 196, 197, 1 9 8 , 1 9 9 , 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 231, 303, 310, 313, 315, 316, 320, 333, 334 L Leibniz, G. W. 8, 10, 11, 12, 43, 47, 48, 76, 119, 149, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 176, 182, 188, 189, 195, 196, 197, 235, 298, 303, 305, 312, 314, 315, 316, 318, 320, 328, 329, 333, 336 Lewis, D. 212, 213, 317, 324 Locke, J. 8, 9, 10, 11, 12, 109, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145,
342 146, 161, 173, 182, 201, 233, 266, 304, 318, 334,
Personenindex 147, 166, 174, 184, 205, 235, 271, 307, 319, 335,
148, 167, 176, 185, 207, 240, 289, 311, 320, 336,
149, 168, 177, 188, 210, 241, 290, 312, 321, 337
150, l69, 178, 189, 226, 243, 294, 313, 323,
151, 170, 179, 191, 227, 247, 298, 315, 327,
152, 171, 180, 195, 228, 250, 300, 316, 328,
l60, 172, 181, 196, 232, 253, 302, 317, 329,
Μ Magnus, A. 123, 297 Montaigne, M. de 129
Parfit, D. 12, 13, 208, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 250, 254, 256, 257, 258, 259, 260, 2 6 l , 262, 263, 264, 265, 266, 297, 303, 305, 307, 310, 316, 318, 319, 320, 323, 324, 325, 328, 330, 331, 332, 334 Piaton 7, 8, 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 45, 50, 54, 55, 58, 59, 62, 64, 72, 77, 81, 88, 92, 100, 101, 102, 109, 111, 120, 121, 129, 152, 214, 217, 249, 319, 328, 337 Poitiers, Gilbert von 117, 127, 314 Porphyrius 107
Q Quine, W. v. O.
156, 326
R Reid, T. 5, 12, 132, 133, 142, 166, 167, 175, 176, 181, 182, 186, 195, 196, 252, 253, 294, 298, 300, 310, 316, 327, 331 Rescher, N. 13, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 327 Rorty, A. O. 14, 292, 297, 303, 304, 305, 307, 308, 317, 320, 321, 323, 324, 325, 327, 328, 335, 336 Rovane, C. 285, 287, 288, 328 S Shoemaker, S. 146, 231, 257, 323, 327, 330, 331 Snell, B. 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 87, 332 St. Viktor, Richard von 121, 123 Strawson, P. F. 231, 273, 305, 321, 333, 335 Stroud, Β. 190, 333 Τ Teichman, J. 288, 289, 334 Tertullian 101, 102, 311, 312, 334 W Wilkes, Κ. 278, 279, 336 Wittgenstein, L. 247, 301, 302, 336
Abkürzungsverzeichnis Sammelwerke und Zeitschriften: AoA I-IV J. Barnes, M. Schofield, R. Sorabji (eds.), Articles on Aristotle, I-IV; London, Duckworth, 1975-1979 AS SV Aristotelian Society - Supplementary Volume A/T R. Descartes, Oeuvres, I-XI; ed. C. Adam, P. Tannery; Paris, Vrin, 1974-1986 CCCM Corpus Christianorum. Continuatio Medievalis; Turnhoult, Brepols CCSL Corpus Christianorum. Series Latina; Turnhoult, Brepols CQ Classical Quarterly CSEL Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum; Wien, Hoelder-PichlerTempsky EPhW Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, I-IV; ed. J . Mittelstraß; Stuttgart-Weimar, Metzler, I-III: 1995; IV: 1996 FDS Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker. Neue Sammlung der Texte mit deutscher Übersetzung und Kommentaren, I-IV; ed. K. Hülser; StuttgartBad Cannstatt, Fromann-Holzboog, I-III: 1987; IV: 1988 HWbPH Historisches Wörterbuch der Philosophie, I-XII; ed. K. Gründer, J . Ritter; Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, I-IX: 1971-1995; X-XII: in Vorbereitung JP Journal of Philosophy LCL Loeb Classical Library MPL Patrologia cursus completus, Series latina; ed. J.P. Migne; Paris, Garnier oder Migne, 1844-1971 OSAP Oxford Studies in Ancient Philosophy OSAP SV Oxford Studies in Ancient Philosophy - Supplementary Volume PAS Proceedings of the Aristotelian Society PBA Proceedings of the British Academy PR Philosophical Review RM Review of Metaphysics ZphF Zeitschrift für philosophische Forschung Platon-Texte: Krat. Kratylos Pol. Politeia, Staat Symp. Symposion, Gastmahl Aristoteles-Texte: An. post. Analytica posteriora Cat. Categoriae De An. De Anima De Mem. De Memoria et reminiscentia Ε Ε Ethica Eudemica
344 EN GA G C HA MA Met. MM PA Phys. Pol. SE Top.
Abkürzungsverzeichnis Ethica Nicomachea De Generatione Animalium De Generatione et Corruptione Historia Animalium De Motu Animalium Metaphysica Magna Moralia De Partibus Animalium Physica Politic a Sophistici Elenchi Topica
Leibniz-Texte: L. Couturat, Opuscules et fragments inedits de Leibniz; Hildesheim, Olms, C. 1961. Discours de Metaphysique. DM EHH W.v. Engelhardt, H. Herring, H.H. Holz (eds ), G.W. Leibniz, Philosophische Schriften, I-V; Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1985ff. F. Schmidt (ed.), G.W. Leibniz, Fragmente zur Logik; Berlin, AkademieFS Verlag, I960. F. Schupp (ed.), Generales Inquisitiones de Analysi Notionum et Veritatum Gl - Allgemeine Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten; lat.- dt., Hamburg, Meiner, 1982. GP C.I. Gerhardt (ed.), Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, I-VII; Hildesheim, Olms, 1978. Monadologie. Mo NE Nouveaux Essais sur l'entendement humain. SN Systeme nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l'union qu'il y a entre l'ame et le corps. Kant-Texte: GMS Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; Werkausgabe VII, ed. W. Weischedel, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1974. KrV Kritik der reinen Vernunft; Werkausgabe III-IV, ed. W. Weischedel, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1977. KpV Kritik der praktischen Vernunft; Werkausgabe VII, ed. W. Weischedel, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1974. KU Kritik der Urteilskraft; Werkausgabe X, ed. W. Weischedel, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1968. Metaphysik der Sitten; Werkausgabe VIII, ed. W. Weischedel, Frankfurt am MS Main, Suhrkamp, 1974. Sonstige Literatur: PU L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen; Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1971. RP D. Parfit, Reasons and Persons; Oxford, Clarendon, 1984. ΤΗΝ D. Hume, A Treatise of Human Nature; ed. L A. Selby-Bigge; Oxford, Clarendon, 1958.