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German Pages 126 Year 1998
THOMAS VON DANWITZ
Produktwerbung in der Europäischen Union zwischen gemeinschaftlichen Kompetenzschranken und europäischem Grundrechtsschutz
Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von
Siegfried Magiera und Detlef Merten
Band47
Produktwerbung in der Europäischen Union zwischen gemeinschaftlichen Kompetenzschranken und europäischem Grundrechtsschutz Zum Rechtsschutz gegen das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Tabakwerbung in Europa
Von
Thomas von Danwitz
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme
Danwitz, Thomas von: Produktwerbung in der Europäischen Union zwischen gemeinschaftlichen Kompetenzschranken und europäischem Grundrechtsschutz : zum Rechtsschutz gegen das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Tabakwerbung in Europa I von Thomas von Danwitz. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 47) ISBN 3-428-09480-8
Alle Rechte vorbehalten
© 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-09480-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Vorwort Entgegen landläufiger Vorstellung werfen Kompetenzfragen keineswegs nur formale, juristisch gehaltlose Abgrenzungsprobleme auf. Gerade die mit der fortschreitenden europäischen Integration untrennbar verbundene Frage nach dem Bestehen einer Gemeinschaftskompetenz belegt, daß die Beantwortung von Kompetenzfragen häufig gleichbedeutend ist mit der Zuweisung politischer Gestaltungsmacht Der von der EuropäischenKommission schon vor geraumer Zeit vorgelegte Vorschlag für ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung illustriert die schwierige kompetenzrechtliche Zuordnung zwischen der europäischen und der mitgliedstaatliehen Ebene besonders deutlich. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung konnte der gemeinsame Standpunkt des Rates vom 12. Februar 1998 im Hinblick auf den Erlaß einer Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring von Tabakerzeugnissen (ABI. EG 1998 Nr. C 91 vom 26. März 1998, S. 34 ff.) nicht mehr berücksichtigt werden. Während die neuen Rechtsfragen, die der gemeinsame Standpunkt gerade im Hinblick auf die veränderten Erwägungsgründe, die vorgesehenen Ausnahmen und Übergangsregelungen aufwirft, einer gesonderten Untersuchung bedürfen, bleiben die hier behandelten Grundfragen der Kompetenzverteilung und des Grundrechtsschutzes in Europa von unvermindert aktueller Bedeutung. Die vorliegende Studie, die auf einem Rechtsgutachten beruht, das der Verfasser für den FDW e.V. und den FAW e.V. erstattet hat, versteht sich als Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion um eine ausgewogene Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten. Bochum, im März 1998
Thomas von Danwitz
Inhaltsverzeichnis A. Gegenstand der Untersuchung
15
I. Entwicklung und Stand des Vorhabens zur Werbebeschränkung für Tabakwaren in der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
1. Die maßgebliche Kompetenzgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
2. Die wesentlichen Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
3. Die wichtigsten Bestimmungen der Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Il. Die unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen von Rat und Kommission . . . . . . . . .
18
1. Die Auffassung des Juristischen Dienstes des Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
2. Die Beurteilung der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
3. Die Position der deutschen Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
III. Marktstrukturen der betroffenen Werbewirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
1. Die wirtschaftliche Bedeutung der Tabakwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
2. Die Besonderheiten der Kino- und Plakatwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
IV. Die maßgeblichen Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
22
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1. Bereichsausnahmen gemäß Art. lOOa Abs. 2 EGV... . .. .. ................ . . .....
23
2. Vorrang spezieller Befugnisse nach Art. 100a Abs. 1 Satz 1 EGV . . . . . . . . . . . . . . . .
23
a) Das kompetenzrechtliche Grundverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
b) Die erforderliche Abgrenzung der fraglichen Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
c) Die maßgeblichen Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
aa) Die Titandioxid-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
bb) Die Kritik des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
cc) Die nachfolgende Rechtsprechungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
dd) Weitere Anwendbarkeit der Titandioxid-Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . .
30
d) Weitere Gesichtspunkte der Kompetenzqualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
8
Inhaltsverzeichnis e) Kompetenzielle Zuordnung der vorgeschlagenen Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Formale Zuordnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensbedingte Zuordnungsgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Inhaltliche Zuordnungsmaßstäbe . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. .. .. . . . . . . . .. . ..
32 32 33 35
f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
3. Der Umfang der Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV............ . . ... . .
36
a) Grenzüberschreitende Produktwerbung im Binnenmarkt
37
b) Der freiheitssichernde Kern der Binnenmarktkompetenz
37
c) Kompetenzbegründungkraft Wettbewerbswirkungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
d) Kompetenzbegrenzung durch die de minimis-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
e) Ergebnis . . .. . . . .. . . .. . . . . . . . .. . . . .. . . . . .. . . .. . . . .. . . .. . . . . . .. .. .. . . . . . . . . .. . .
44
li. Die Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips .. . . .. . . . . .. . .. . . . . .. . .. . . . . . . . . . . .. . .
44
1. Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
a) Nicht ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
b) Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
2. Die inhaltlichen Maßstäbe der Subsidiaritätsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
a) Die Maßstäbe des Subsidiaritätsprotokolls von Amsterdam............ .... ...
47
b) Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
III. Die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 3b Abs. 3 EGV .. . ....................... . ... . .................. . ... . ................... . .. ..
48
1. Der gemeinschaftsrechtliche Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
2. Erforderlichkeit zur Binnenmarktverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
a) Das Verbot der Gratisverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
b) Das Verbot indirekter Werbung .. . . . .. . . . .. . . . . . . . .. . .. .. . . .. . . . . .. . . . . .. . . . . aa) Geeignetheit des Verbots indirekter Werbung . . . . . . ... . . . . .. . . . .. .. .. . .... bb) Erforderlichkeit eines Verbots indirekter Werbung.... . ............. .. .. . .
50 51 52
c) Erforderlichkeit eines pauschalen Verbotes .. . .. . . . .. . . . .. . . .. . . . . .. . . .. .. . . . .
53
aa) Die Grenzen der Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV . . . . . . . . . . . bb) Grenzen für die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . .
53 54
3. Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
a) Eignung des Werbeverbots zum Gesundheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
aa) Die empirische Basis für die Eignungsbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
bb) Empirische Eignungsbewertung zum Schutz Heranwachsender . . . . . . . . . . .
57
b) Erforderlichkeit eines Werbeverbotes .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..
58
4. Gerichtliche Kontrolldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
Inhaltsverzeichnis
9
C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung
61
I. Der primärrechtliche Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
1. Die normative Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
2. Gewinnungsmethode und Bedeutung der Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
II. Niveau des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
Ill. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
1. Das Schutzniveau gemäß Art. 10 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
a) Kommerzielle Werbung als Schutzgut von Art. lO EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
b) Die Abwägungskriterien der Rechtsprechung des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
2. Die Rechtsprechung mitgliedstaatlicher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
a) Rechtsvergleichende Erkenntnisse zu Tabakwerbeverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
b) Weitere Elemente der verfassungsgerichtlichen Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
3. Der Grundrechtsschutz gegen Werbeverbote in der Judikatur des Canadian Suprerne Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
a) Die tragenden Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
b) Das Minderheitenvotum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
4. Werbeverbote in der Rechtsprechung des U.S. Suprerne Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
a) Der klassische Prüfungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
b) Vorsichtige Neuorientierung der plurality opinion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
c) Grundsätzliche Schutzverstärkung der cornrnercial speech . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
5. Zusammenfassende Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen
76
I. Die vorn EG-Vertrag gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
1. Keine Individualklagen gegen Normativakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
2. Rechtsschutz Privater im Vorabentscheidungsverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
a) Eingeschränkte Vorlageverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
b) Erhebliche Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
c) Inkongruenz der Gerichtsverfahren.. .. ... .......... ... .. ... .............. ... .
81
3. Die Stellung privilegierter Kläger in Art. 173 Abs. 2 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
10
Inhaltsverzeichnis
II. Die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
1. Gemeinschaftsrechtliche Bindungen . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . .
83
a) Unterschiede zur Aufsichtsklage nach Art. 169 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
b) Die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit . . .. . . . .. . . .. . . . .. . . .. . .. . . .. . .. .. .. .
84
c) Die mitgliedstaatliche Beteiligung an der Rechtswahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
2. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung . .. . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . .. . .
86
a) Die diplomatische Schutzverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
86
b) Die grundrechtliche Schutzpflicht .. . . . . . . . .. .. .. . . .. . . . . . . . .. .. .. . . . . .. . . . . . .
87
c) Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung . . . .. . . . . . .. .. .. . . .. . . .. . .. .. . . .. . . . . . .
89
d) Zulässige Ermessensgesichtspunkte . . . . . . . . . . . . .. . .. . . .. . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .
90
e) Einzelfallbezogene Ermessensausübung........ . ... . . . ................ . ...... aa) Ermessensreduzierung auf Grund öffentlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundrechtsbedingte Ermessensreduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92 92 93
E. Gesamtergebnis der Untersuchung in Thesen ·
96
I. Zuständigkeiten der Gemeinschaft für ein Tabakwerbeverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
II. EG-Grundrechtsschutz gegen vollständige Werbeverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 III. Rechtsschutzfragen eines Tabakwerbeverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Anhang 1: Summary ofthe study's principal results
103
I. The question of EC competences to ban tobacco advertisement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. EC-fundamental rights protection against advertising bans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Judicial protection against a comprehensive ban on tobacco advertising . . . . . . . . . . . . 107 Anhang 2: Le resume de Ia recherche
109
I. Les competences de Ja Communaute Europeenne pour l'interdiction de Ia publicite pour le tabac . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. La proposition de Ia directive en vue de Ia protection du droit fondamental communautaire .. . . . . .. . . . .. . . . . . . .. . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 111. La protection juridique contre I' interdiction de Ia publicite pour le tabac
113
Literatur- und Dokumentenverzeichnis
115
Sachverzeichnis
122
Abkürzungsverzeichnis a. a. 0.
am angegebenen Ort
ABI.
Amtsblatt
Abs.
Absatz
AETR
Europäisches Übereinkommen über die Arbeiten der im internationalen Straßenverkehr beschäftigten Fahrzeugbesatzungen vom 19. I. 1962
AfP
Archiv für Presserecht
AG
Aktiengesellschaft
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts
Art.
Artikel
Bd. BGBI.
Band Bundesgesetzblatt
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BMG
Bundesministerium für Gesundheit
BMI
Bundesministerium des Inneren
BR bsplsw.
Bundesrat
BT
Bundestag
beispielsweise
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
BVerwGE
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts
bzw.
beziehungsweise
CMLRev.
Common Market Law Review
DAJV
Deutsch-Amerikanische Juristen Vereinigung e.V.
ders.
derselbe
d. h.
das heißt
DIN
Deutsche Industrie-Norm
DIT Dok.
Deutscher Juristentag
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
Drs.
Drucksache
DVBI.
Deutsches Verwaltungsblatt
EC
European Community I Communities
ECU
European Currency Unit
Eds.
Editor
EG
Eurooäische Gemeinschaft I Gemeinschaften
Dokument
12 EGMR EGV EMRK ERT EUGEI EuGH EuGRZ EuR EUV EuZW e.V. EWGV
f. ff. Fn. GA GG GRUR Hrsg. HStR Inc JZ Kfz KOM lit.
Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) vom 7.2.1992 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 Elliniki Radiophonia Tileorassi AE Europäisches Gericht erster Instanz Gerichtshof der Eurpäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechts-Zeitschrift Europarecht Vertrag über die Europäische Union (EU) vom 7. 2. 1992 Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 25.3. 1957 folgende [Seite] folgende [Seiten) Fußnote Generalanwalt Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949
no. Nr. NVwZ
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Herausgeber Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Incorporated Juristen-Zeitung Kraftfahrzeug Dokumente der Kommission der Europäischen Gemeinschaft Iitera (Buchstabe) mit Ministres des Affaires Etrangeres Millionen Milliarden mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Newsletter Number Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
OECD ÖstVerfGH PCP Randnr. RIW
Organisation for Econornic Cooperation and Development Österreichischer Verfassungsgerichtshof Pentachlorphenol Randnummer Recht der internationalen Wirtschaft
m. MAE Mio. Mrd. m.w.N.
NJW
NL
Abkürzungsverzeichnis Rn. Rs. Rspr.
s.
S.C.R. S.Ct. Sec Slg. sog. std. TU
u. a. UAbs.
u.s.
USA v. v.a. vgl. Vol. VVDStRL WRP ZAW z. B. ZG Zif. ZLR
ZRP
Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Seite Canada Supreme Court Reports Supreme Court of the United States Section Sammlung sogenannte I sogenannten ständige Technische Universität unter anderem Unterabsatz United States Reports/United States Unites States of America versus vorallem vergleiche Volume Veröffentlichung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Wettbewerb in Recht und Praxis Zentralausschuß der Werbewirtschaft zum Beispiel Zeitschrift für Gesetzgebung Ziffer Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für Rechtspolitik
13
A. Gegenstand der Untersuchung Bereits seit 1986 widmet sich die Kommission der Europäischen Gemeinschaften dem Aktionsprogramm "Europa gegen den Krebs", in dessen Rahmen neben anderen Maßnahmen gemeinschaftsweite Werbebeschränkungen für Tabakwaren vorgesehen sind. Grundlage für die seither wiederholt vorgelegten Vorschläge ist eine Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 7. Juli 1986, die die Verbesserung der Gesundheit und der Lebensqualität der Bürger in der Gemeinschaft durch eine Verringerung der Zahl der Krebserkrankungen vorsieht und zu diesem Zweck die Bekämpfung des Tabakkonsums als vorrangig anerkannt hat. 1 Seit 1989 ist die Frage nach Einführung von gemeinschaftsweit einheitlich geltenden Werbebeschränkungen für Tabakwaren von der Kommission mit besonderem Nachdruck verfolgt worden.
I. Entwicklung und Stand des Vorhabens zur Werbebeschränkung für Tabakwaren in der Gemeinschaft Einen ersten Richtlinienvorschlag für die Einführung solcher Werbebeschränkungen legte die Europäische Kommission 1989 vor, in dem ein Tabakwerbeverbot für Presseerzeugnisse, die an Minderjährige gerichtet sind, und weitere Regelungen zur Art der werblichen Darstellung vorgesehen waren. 2 Im Verlauf der Beratungen sprachen sich in der Bundesrepublik nicht nur die Verbände der betroffenen Wirtschaft gegen die vorgeschlagenen Regelungen aus. Auch Bundestag und Bundesrat lehnten das Vorhaben ab. 3 Im Gegensatz zu dieser ablehnenden Haltung in I Vgl. dazu den Beschluß über ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften gegen den Krebs, ABI. EG Nr. C 184 vom 23. 7. 1986, S. 19 ff. 2 Siehe den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die Presse- und Plakatwerbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 124 vom 19. 5. 1989, S. 5 ff. sowie den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie betreffend die erlaubte Presse- und Plakatwerbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 116 vom 11. 5. 1990, S. 7 ff. 3 Siehe einerseits die Beschlüsse des Bundesrates von 1989 und 1991, BR-Drs. 243/91 und 425 I 91 und andererseits die Beschlüsse des Bundestages vom 8. 2. 1990, Plenarprotokoll 11/194 und vom 7. 5. 1992, Plenarprotokoll 12/91. Der Ausschuß des Deutschen Bundestages für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit begründete seine ablehnende Haltung in der Beschlußempfehlung vom 18. 12. 1989, BT-Drs. 11/6132, u. a. damit, die Richtlinie greife in grundrechtlich geschützte Positionen ein.
16
A. Gegenstand der Untersuchung
Deutschland hat sich das Europäische Parlament mehrheitlich für ein völliges Verbot "direkter und indirekter" Tabakwerbung ausgesprochen. 4 1. Die maßgebliche Kompetenzgrundlage
Vor diesem Hintergrund hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften 1992 erneut einen veränderten Vorschlag vorgelegt, der erstmals eine umfassende Harmonisierung der Vorschriften über die Tabakwerbung vorsieht. 5 Demzufolge soll die Harmonisierung der Vorschriften über die Tabakwerbung auf der Kompetenzgrundlage von Art. 1OOa des EG-Vertrages erfolgen. 6 2. Die wesentlichen Erwägungsgründe
Zur Begründung der angestrebten Rechtsangleichung führt der geänderte Vorschlag in den Erwägungsgründen an, daß in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Vorschriften für die Werbung für Tabakerzeugnisse gelten. Da diese Werbung über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinausreicht, könnten diese Unterschiede Handelshemmnisse für den freien Verkehr mit Produkten, die dieser Werbung dienen, und von Dienstleistungen in diesem Bereich bilden und so zu Wettbewerbsverzerrungen führen.7 Des weiteren geht die Europäische Kommission davon aus, daß die vorgeschlagene Harmonisierung wegen der gegenseitigen Abhängigkeit, die zwischen allen mündlichen und schriftlichen Werbemitteln in Druckwerken, Rundfunk, Fernsehen und Film besteht, zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und Umgehungen alle Formen und Mittel der Werbung abdecken muß, sofern sie nicht bereits von der Richtlinie 89 I 552 I EWG erfaßt werden. 8
4 Stellungnahme des Europäischen Parlaments vom 11. 2. 1992, vgl. ABI. EG Nr. C 67 vom 16. 3. 1992, S. 26 ff., dazu Hölscheidt I Baldus, Buroparechtliche Anforderungen an Werbebeschränkungen für legale Suchtmittel, Ausarbeitung Nr. 307/96 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, S. 7 f. s Siehe den geänderten Vorschlag für eine .Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 ff. 6 So der geänderte Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5. 7 So der I. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5. s So der 5. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 6.
I. Werbebeschränkung für Tabakwaren in der Gemeinschaft
17
Jenseits dieser wirtschaftlichen Gesichtspunkte geht der geänderte Vorschlag für die Richtlinie davon aus, daß die Bekämpfung des Tabakkonsums eine vorrangige Aufgabe im Rahmen des gemeinschaftlichen Aktionsprogramms zur Verringerung der häufig tödlichen Krebserkrankungen darstellt und die Werbung bei der Förderung des Rauchens, insbesondere bei Kindem und Jugendlichen, eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. 9 Auf Grund der besonderen Schädlichkeit des Tabakkonsums für die Gesundheit sollen Informationen der Tabakhersteller nur den tatsächlich am Konsum Interessierten zugänglich gemacht werden. 10 3. Die wichtigsten Bestimmungen der Richtlinie
Daher bestimmt Art. 2 Abs. 1 der vorgeschlagenen Richtlinie, daß alle Arten von Werbung für Tabakprodukte auf dem Gebiet der Gemeinschaft verboten sind. Gemäß Art. 3 des Entwurfs können die Mitgliedstaaten jedoch Werbung in Tabakgeschäften zulassen, sofern diese von außen nicht sichtbar ist. 11 Über das allgemeine Werbeverbot hinausgehend untersagt Art. 2 Abs. 4 des Entwurfs die Gratisverteilung von Tabakprodukten. Schließlich bestimmt Art. 5 der vorgeschlagenen Richtlinie, daß sie das Recht der Mitgliedstaaten unberührt läßt, unter Beachtung des Vertrages strengere Vorschriften zu erlassen, die sie zum Schutz der Volksgesundheit im Bereich der Tabakwerbung für erforderlich halten, sofern dadurch eine Beeinträchtigung der Richtlinie nicht bewirkt wird. Neben jeder direkten Werbung für Tabakprodukte umfaßt das vorgeschlagene Verbot nach Art. 2 Abs. 2a des Entwurfs der Richtlinie auch die Werbung für andere Erzeugnisse, die unter dieser Handelsmarke vertrieben werden. Eine Ausnahme ist nur vorgesehen, wenn die fragliche Handelsmarke ursprünglich nicht für Tabakerzeugnisse angemeldet wurde und der mit den Tabakerzeugnissen erzielte Umsatz nicht mehr als die Hälfte des Umsatzes bei anderen Erzeugnissen dieser Handelsmarke ausmacht. 12 Dieser Vorschlag bildet seither die Grundlage der andauernden Beratungen im Rat der Europäischen Gemeinschaften. Auf Grund von prinzipiellen rechtlichen 9 So der 7., 8. und 9. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabak:erzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 6. IO So der 13. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Ang1eichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabak:erzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 7. 11 So der geänderte Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 8. 12 So der geänderte Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabak:erzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 8.
2 von Danwitz
A. Gegenstand der Untersuchung
18
Bedenken und widerstreitenden politischen Beurteilungen einer solchen Regelung ist es bisher nicht zu einer Beschlußfassung über die vorgeschlagene Richtlinie gekommen. Gleichwohl verfolgt die Kommission das Vorhaben weiter. Derzeit stehen weitere Beratungen über ein solches Werbeverbot im Europäischen Parlament und im Rat an. 13 II. Die unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen von Rat und Kommission Der gegenwärtige Verfahrensstand ist maßgeblich dadurch bedingt, daß verschiedene rechtliche Einschätzungen zwischen der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Gemeinschaft in der grundlegenden Frage bestehen, ob der EG in Art. IOOa EGV eine Regelungskompetenz zur Verfügung steht, um die vorgeschlagene Richtlinie verabschieden zu können. 1. Die Auffassung des Juristischen Dienstes des Rates
Der Juristische Dienst des Rates der Europäischen Union ist in einem Rechtsgutachten vom 3. Dezember 1993 zu dem Ergebnis gelangt, daß der Richtlinienvorschlag in der 1992 vorgelegten Fassung vom Rat weder auf der Grundlage des Artikels IOOa EGV noch gemäß einer anderen Kompetenzgrundlage angenommen werden kann. Demgegenüber könne eine Richtlinie auf Art. IOOa EGV gestützt werden, wenn dadurch Hindernisse für den freien Verkehr von Werbeträgem beseitigt werden, die Gegenstand von umfangreichem Handel zwischen den Mitgliedstaaten sind. 14 Diese Konsequenz wird maßgeblich von der Erwägung getragen, daß keine zweifelsfreie Verbindung eines solchen Werbeverbots zum Handel zwischen den Mitgliedstaaten besteht und deswegen im günstigsten Fall davon die Rede sein könne, daß "nebenbei" eine Harmonisierung der Bedingungen des freien Warenverkehrs bewirkt werde. Eine solche Bestimmung von Ziel und Inhalt der beabsichtigten Regelung reicht für die Kompetenzgrundlage des Art. lOOa EGV indes nicht aus.15 Darüber hinaus äußert das Gutachten erhebliche Zweifel an der Wahrung des in Art. 3b Abs. 3 EGV enthaltenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Gemessen an dem Ziel eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes ginge ein völliges Verbot jeglicher Werbung über das erforderliche Maß hinaus. 16 13
Siehe dazu die Europäische Kommission, Öffentliche Gesundheit in Europa, 1997,
s. 38.
14 So lautet die Schlußfolgerung des Gutachtens des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Union, Nr. 10732/93 vom 3. 12. 1993, S. 11. 15 Siehe das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Union, Nr. 10732/93 vom 3. 12. 1993, S. 6.
II. Die unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen von Rat und Kommission
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2. Die Beurteilung der Europäischen Kommission
Entgegen dieser Rechtsauffassung geht die EG-Kornmission davon aus, daß sich eine Kompetenz der Gemeinschaft zum Erlaß der fraglichen Regelung aus Art. 100a EGV ergibt. Dazu stellt die Kommission entscheidend darauf ab, daß die unterschiedlichen Regelungen zur Tabakwerbung in den einzelnen Mitgliedstaaten Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt für alle Branchen zur Folge haben, die Einnahmen aus Werbung erzielen. Dies seien einerseits die verschiedenen Werbeträger und andererseits die Dienstleistungsunternehmen der Werbebranche selbst. 17 Im Hinblick auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips beruft sich die Kommission auf die zweifache Zielsetzung der Regelungen, Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und dabei ein hohes Maß an Gesundheitsschutz anzustreben.18 3. Die Position der deutschen Bundesregierung
Die ablehnende Haltung von Bundestag und Bundesrat gegenüber dem vorgeschlagenen Werbeverbot für Tabakwaren aus den Jahren 1991 und 1992 wird von der Bundesregierung weiterhin geteilt. Namentlich die Entscheidung des BVerfG, daß die Verpflichtung zum Aufdruck von Warnhinweisen verfassungsgemäß ist 19, begründet aus der Sicht des BMI keinerlei Veranlassung, seine maßgeblich auf verfassungsrechtliche Bedenken gestützte Ablehnung gegenüber dem von der EG-Kornmission vorgeschlagenen Werbeverbot für Tabakerzeugnisse zu revidieren. Mangels einer nachgewiesenen Eignung solcher Werbeverbote zum Schutz der Gesundheit hält das BMI in Übereinstimmung mit dem BMG auch weiterhin an der bisherigen Position der Bundesregierung fest, daß ein derart umfassendes Werbeverbot jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde. 20
16 Siehe das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Union, Nr. 10732/93 vom 3. 12. 1993, S. 8. 17 So Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour Je tabac - base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. 9f. 1s So Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour Je tabac- base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. 12f. 19 Vgl. BVerfG, Beschluß vom 22. l. 1997, 2BvR 1915/91, DVBI. 1997, S. 548ff. zo Vgl. dazu BMG, Schreiben vom 7. 7. 1997, 411-6040-2 und BMI, Schreiben vom 29. 7. 1997, K 1112-340 102/2.
2*
20
A. Gegenstand der Untersuchung
111. Marktstrukturen der betroffenen Werbewirtschaft In der Vergangenheit ist die Werbung zu einem eigenständigen Wirtschaftsfaktor von erheblicher Bedeutung herangewachsen, der 1995 in Deutschland ein Volumen von 56 Mrd. DM ausmachte. 21 1. Die wirtschaftliche Bedeutung der Tabakwerbung
Während die Automobilbranche mit einer Investitionssumme von über 2,4 Mrd. DM der werbeintensivste Markt ist, kommt die Tabakwerbung in der Bundesrepublik lediglich auf Investitionen in Höhe von rund 150 Mio. DM. 22 Den Angaben der Europäischen Kommission zufolge beliefen sich die Werbeausgaben 1991 gemeinschaftsweit auf 3% der gesamten Werbeinvestitionen für Güter und Dienstleistungen. 23 Dieser vergleichsweise geringe Marktanteil ist insbesondere durch die bestehenden Selbstbeschränkungsabkommen bzw. durch das gemeinschaftsrechtliche Verbot von Tabakwerbung im Fernsehen bedingt. Das von der Europäischen Kornmission nunmehr vorgeschlagene umfassende Werbeverbot für Tabakwaren betrifft daher vor allem die in Lichtspieltheatern und auf Plakaten dargebotene Werbung für Tabakwaren. Auch im Kino ist nach den Selbstbeschränkungsabkommen Zigarettenwerbung in Vorführungen von jugendfreien Filmen vor 18 Uhr untersagt sowie allgemein die Werbung für Zigaretten mit jugendtypischen Situationen und U mgebungen. 24 2. Die Besonderheiten der Kino- und der Plakatwerbung
Kennzeichnend für diese beiden Werbeformen ist zunächst ihre Ortsgebundenheit Ihre Wirkung erfolgt "stationär", d. h. sie ist auf eine bestimmte räumliche Ausstrahlung bzw. Ansicht beschränkt. Auf Grund der spezifischen Form, in der Werbung auf Plakaten und in Lichtspieltheatern den Zuschauern durch die auf das Kino bzw. die Umgebung einer Plakattafel räumlich beschränkte Ansicht des Werbemittels dargeboten wird, scheidet eine grenzüberschreitende Werbung, wie sie im Rundfunk und im Fernsehen möglich wäre, von vornherein aus. Siehe ZAW (Hrsg.), Werbung in Deutschland 1996, S. 9. So die Angabe für 1996; 1993 und 1995 wurden rund 126 Mio. DM, 1994 nur 87,5 Mio DM für Tabakwerbung ausgegeben; Comelia Wolber, Druck auf Tabakwerbung wächst, Die Welt vom 26. 6. 1997, S. 17 und Guido Perau, Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht, 1997, s. 29f. 23 So die Feststellung der Europäischen Kommission im Arbeitsdokument Nr. 0437EN91800 vom 8. 3. 1991. 24 Siehe dazu Ulrike Nickel, Kinowerbung - Der Film vor dem Film, Edition U.M., 1997, s. 78. 21 22
IV. Die maßgeblichen Fragestellungen
21
Darüber hinaus wird Kino- und Plakatwerbung auch heutzutage noch für die nationalen Märkte einzeln hergestellt und auch vermarktet. Die kulturell wie sprachlich verschiedenartige Ansprache des Publikums, die jeweils auf dessen Eigenheiten zugeschnitten ist, bedingt es, daß Werbefilme jeweils für die spezifischen Marktverhältnisse produziert werden. Dies gilt - zumal wegen der Warnhinweise vor den Gefahren des Rauchens in der jeweiligen Landessprache - auch, wenn die Übermittlung einer bestimmten Werbebotschaft in einer anderen Sprache als in der jeweiligen Heimatsprache erfolgt. Für die Außenwerbung auf Plakaten bedingt die besondere Kürze und Prägnanz der übermittelten Werbebotschaften, daß sie sich unmittelbar einprägen müssen. Daher sind sie durchgängig von kulturellen Eigenheiten geprägt, die in einem zusammenwachsenden Europa gleichwohl landesspezifisch bleiben. Aus diesem Grund weist die Werbung keine europäische Dimension auf. 25 Für die Plakatwerbung kommt hinzu, daß für die Anschlagbögen unterschiedliche Formate in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verwandt werden und sich bereits aus diesem technischen Grund eine grenzüberschreitende Verwendung von Plakatwerbung im Binnenmarkt bisher nicht hat etablieren können.Z6 Auch für die Kinowerbung bestimmen innerstaatliche Normen die spezifische Tonmischung und Lautstärke der Werbefilme, so daß aus diesem technischen Grund eine Verwendung so produzierter deutscher Kinowerbefilme im Binnenmarkt ebenfalls nicht in Betracht kommt. 27 IV. Die maßgeblichen Fragestellungen
Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission erfordert in erster Linie die Untersuchung, ob die in Anspruch genommene Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV als Rechtsgrundlage der beabsichtigten Regelung in Betracht kommt. Angesichts der inzwischen ergangenen Rechtsprechung zu vollständigen Werbeverboten für Tabakwaren und Alkoholika ist auch die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Regelung mit den europarechtlich gewährleisteten Grundrechten zu untersuchen. Angesichts der besonderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die durch ein solches Werbeverbot umgestaltet werden, ist die Frage nach einem adäquaten, d. h. vor allem nach einem zeitnah gewährten Rechtsschutz von besonderem Interesse.
25 So die Auskunft des FDW e.V., Hamburg, und die des Fachverbandes Außenwerbung e.V., Frankfurt. 26 Die Plakatanschlagbögen sind national verschieden genormt. Für Deutschland ergeben sich die Maße aus der DIN 683, branchenweit bekanntgemacht in: Media-Plakat 1997. 27 V gl. allgemein dazu Nickel (Fn. 24), Kinowerbung, S. 86 ff., 96 ff.
B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV Kaum ein Strukturprinzip des primären Gemeinschaftsrechts verfügt über eine derart solide normative Grundlage in den Vertragstexten wie das Prinzip begrenzter Ermächtigung. Nach der klassischen, in Art. 3, 3b, 4, 145, 155 und 189 EGV verwandten Formulierung erfolgt die Aufgabenerfüllung der EG "nach Maßgabe dieses Vertrages" bzw. auf Grund der "in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse".Z8 Die grundlegende rechtliche Bedeutung des Prinzips begrenzter Ermächtigung ist von Generalanwalt Lagrange bereits in den Gründungsjahren der Gemeinschaft mit großer Präzision auf den Punkt gebracht worden: "Es handelt sich hierbei um einen ganz wesentlichen Aspekt des Vertrages. Die Mitgliedstaaten haben sich nur unter der Bedingung eines Teils ihrer Souveränität zugunsten von Organen begeben, daß diese sich an festumrissene, in sich selbst verständliche Regeln halten. Keines der Organe kann daher Befugnisse ausüben, die ihm nicht durch den Vertrag verliehen worden sind." 29 Folglich kann die Gemeinschaft nur im Rahmen der ihr durch die Gründungsverträge von den Mitgliedstaaten übertragenen Befugnisse handeln. 30 28 Vgl. statt vieler Hans-Peter Kraußer, Das Prinzip begrenzter Ermächtigung im Gemeinschaftsrecht als Strukturprinzip des EWG-Vertrages, 1991, S. 17ff.; Gerhard Konow, Zum Subsidiaritätsprinzip des Vertrags von Maastricht, DÖV 1993, S. 405 ff.; Hans D. Jarass, EG-Kompetenzen und das Prinzip der Subsidiarität nach Schaffung der Europäischen Union, EuGRZ 1994, S. 209ff.; in dem thematischen Zusammenhang des Subsidiaritätsprinzips von Art. 3b EGV wird man ein "nur" zu ergänzen haben, siehe Europäische Kommission, The principle of subsidiarity, Sec (92) 1990 final, Kommunikation der Kommission an Rat und Parlament vom 27. 10. 1992, S. 3. 29 Schlußanträge in EuGH, Slg. 1957, 140 (167f.)- Algera; siehe auch Lagrange, Les Pouvoirs de Ia Haute Autorite et l'application du Traite de Paris, Revue du Droit Public 77 (1961), S. 40 (45): ,,N'oublions pas que Je fondement du Traite de Paris consiste en une ctelegation de souverainete "limitee, mais reelle" a-t-on dit souvent: il est tout aussi vrai de dire ,,reelle mais limitee". Les Etats membres n'ont accepte de se desaisir d'une part de leur souverainete qu'au profit d'institutions fonctionnant dans des conditions bien determinees. Le prinicipe juridique qui gouverne Je mecanisme de pouvoirs de ces institutions est un principe de competence d'attribution." 30 Aus verfassungsrechtlicher Sicht siehe einerseits Corte Constitutionale, Urteil vom 27. 3. 1973, Common Market Law Reports Vol. 2 (1974), S. 372 (385 ; Rn. 9)- Frontini; BVerfGE 89, 155 (188, 209f.) - Maastricht; dazu eingehend Wemhard Möschel, Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, NJW 1993, S. 3025; Thomas von Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 96 ff.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV
23
Wird der Erlaß einer bestimmten Regelung indes nicht von der übertragenen Regelungsbefugnis der Gemeinschaft umfaßt, führt dies zur Aufhebung des Rechtsaktes wegen Unzuständigkeit. 31 Vorrangig ist deshalb der Frage nachzugehen, ob die der EG in Art. lOOa EGV zugewiesene Regelungsbefugnis zur Errichtung des Binnenmarktes eine tragfähige Grundlage für das von der EG-Kommission vorgeschlagene Werbeverbot für Tabakwaren bildet.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art.lOOa EGV Die Kompetenzgrundlage in Art. lOOa EGV kommt für Rechtsakte zur Anwendung, die der Verwirklichung des Binnenmarktes gemäß Art. 7a EGV dienen. Die Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft steht jedoch unter einem zweifachen Subsidiaritätsvorbehalt: Einerseits kommt sie nur in Betracht, wenn keine der von Abs. 2 erfaßten Bereichsausnahmen eingreift und andererseits auch speziellere Regelungsbefugnisse der Gemeinschaft nicht vorrangig sind. 32 1. Bereichsausnahmen gemäß Art. 100a Abs. 2 EGV
Art. lOOa Abs. 2 EGV sieht Bereichsausnahmen für Bestimmungen vor, die zur Steuerharmonisierung dienen, die die Angleichung von mitgliedstaatliehen Vorschriften über die Herstellung der Freizügigkeit zum Gegenstand haben oder Rechte und Interessen der Arbeitnehmer regeln. Das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Tabakwerbung betrifft trotz der Unbestimmtheit der verwandten Rechtsbegriffe ersichtlich keinen der von Abs. 2 erfaßten Ausnahmebereiche der Regelungskompetenz, die Art. 1OOa Abs. 1 EGV zur Errichtung des Binnenmarktes verleiht. 2. Vorrang speziellerer Befugnisse nach Art. lOOa Abs. 1 Satz 1 EGV
Gemäß Art. lOOa Abs. 1 Satz 1 EGV kann die Regelungsbefugnis zur Verwirklichung des Binnenmarktes nur zur Anwendung kommen, soweit keine speziellere Zuständigkeit der Gemeinschaft in Betracht kommt. Vorrangige Rechtsetzungsbefugnisse dieser Art sind namentlich in den vertraglichen Bestimmungen über 31 Siehe Art. 173 Abs. 2 EGV; vgl. dazu jüngst EuGH, Slg. 1996, 5755 (5802; Rn. 22, 5805 f.; Rn. 37, 5808; Rn. 45) - Mindestvorschriften zur Gestaltung der Arbeitszeit. 32 Vgl. dazu übereinstimmend Bemd Langeheine, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Art. 100a EGV, Rn. 15 ff. und 25 ff. und Jöm Pipkom, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlerrnann, Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Auflage 1991, Art. lOOa Rn. 46 ff. und 52 ff.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
die Grundfreiheiten sowie über die verschiedenen Politiken der Gemeinschaft enthalten.33 Als speziellere Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinschaft kommt im vorliegenden Zusammenhang vor allem die Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Schutz der menschlichen Gesundheit nach Art. 129 EGV in Betracht. Deswegen ist von entscheidender Bedeutung, anband welcher Gesichtspunkte die jeweiligen Anwendungsbereiche der konkurrierenden Zuständigkeitsnormen voneinander abzugrenzen sind. Bevor die maßgebliche Weichenstellung zur Festlegung der für das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Werbung für Tabakwaren einschlägigen Kornpelenzgrundlage näher untersucht wird, ist es zunächst erforderlich, dem kompetenzrechtlichen Grundverständnis nachzugehen, auf dem diese Abgrenzungsfrage beruht.
a) Das kompetenzrechtliche Grundverständnis Das Problem der Kollision konkurrierender Kompetenznormen ist im Bundesstaatsrecht eine seit langem bekannte Kategorie, die unter dem Stichwort der ambivalenten Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern behandelt wird. 34 Im Verhältnis von Bund und Ländern hat diese Frage für die Abgrenzung von Kartellrecht gegenüber dem Presserecht und des Steuerrechts gegenüber dem Rundfunkrecht auch rechtspraktisch große Bedeutung erlangt. 35 Derartige Kompetenzkonflikte sind allgemein durch den Umstand gekennzeichnet, daß der zur Regelung anstehende Sachbereich thematische Bezüge zu verschiedenen Kompetenztiteln aufweist, so daß eine Zuordnung erforderlich wird. 33 In Betracht kommen v.a. die Regelungsbefugnisse in Art. 43 für die Landwirtschaft vgl. dazu EuGH, Slg. 1994, 4973 (5059 Rn. 54f.) - Bananenmarktordnung; Slg. 1989, 3743 (3767; Rn. 10); Slg. 1988, 855 (896; Rn. 15 f.) und von Danwitz, Ende des Schutzes der geographischen Herkunftsangabe?, GRUR 1997, S. 81 (86), in Art. 49 und 51 für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, in Art. 56 Abs. 2 und 57 Abs. 2 für die Niederlassungsfreiheit, in Verbindung mit Art. 66 für die Dienstleistungsfreiheit, in Art. 69 und 70 für den Kapitalverkehr, in Art. 75 und 84 für den Transportsektor, in Art. 112 für Ausfuhrbeihilfen, in Art. 113 für die Handelspolitik, vgl. dazu EuGH, Slg. 1990, 1527 (l550f.; Rn. 16ff.)- Tschernobyl; in Art. 118a für die Sozialpolitik, vgl. dazu EuGH, Slg. 1996, 5755 (5802 ff.; Rn. 25 ff.)- Mindestvorschriften der Arbeitszeitgestaltung und in Art. 130s für den Umweltschutz, vgl. dazu EuGH, Slg. 1991 , 2867 (2900ff.; Rn. 17ff.)- Titandioxid; Slg. 1991, 4529 (4566; Rn. 17)Post-Tschernobyl; S1g. 1993, 939 (968f.; Rn. 18-20); Abfall-Richtlinie; S1g. 1994, 2857 (2882f.; Rn. 23 - 26) - Abfallverordnung; sowie in Art. 213 für die Erhebung statistischer Angaben, vgl. dazu EuGH, Slg. 1995, 3723 (3753 f.; Rn. 33)- Unternehmensregister. 34 Siehe dazu Wolfgang Löwer, Artikel Bundesrecht, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, 5/110, S. 4 ebenso wie Jost Pietzcker, Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht, in: Josef lsensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. IV, 1990, § 99 Rn. 26, der in diesem Zusammenhang von scheinbaren Doppelzuständigkeiten spricht, ebenda, Rn. 29. 35 Siehe BGHZ 76,55 (63ff.) zu Art. 74 Nr. 16 und BVerfGE 31,314 (331 ff.) zu Art. 105 Abs. 2GG.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. 1OOa EGV
25
Die Notwendigkeit einer solchen kompetenzrechtlichen Qualifikation stellt sich aber nicht nur zur Beantwortung der "formalen" Frage nach der jeweils einschlägigen Kompetenznorm im Rahmen von horizontal konkurrierenden Kompetenzen, sondern in besonderer Weise auch für die vertikalen Kompetenzkonflikte, wie sie vor allem für das Verhältnis von Bund und Ländern bzw. von Gemeinschaft und Mitgliedstaaten kennzeichnend sind. 36 Voraussetzung für die vorliegende Abgrenzungsfrage ist daher nur der thematische Bezug einer bestimmten Regelungsmaterie zu den tatbestandliehen Voraussetzungen der unterschiedlichen KompetenztiteL Damit darf jedoch die Frage nach dem Umfang der konkret bestehenden Rechtsetzungsbefugnisse ebenso wie die nach der Bestimmung des jeweiligen Trägers der fraglichen Kompetenz nicht vermengt werden. Diese stellt sich erst, wenn feststeht, welchem Kompetenztitel eine bestimmte Regelung letztlich unterfällt Sie betrifft die kompetenzrechtlich jeweils vorgesehenen Rechtsfolgen, die im Grundgesetz bzw. in den Gründungsverträgen vorgesehen sind. Als solche können sie nur eine Folgerung aus der Kompetenzzuordnung darstellen, nicht aber den Gegenstand für die erforderliche Qualifikation im Rahmen ambivalenter Zuständigkeiten bilden. Soweit demgegenüber im gemeinschaftsrechtlichen Schrifttum die Auffassung vertreten wird, die Frage nach der Zuordnung einer Regelungsmaterie unter konkurrierenden Kompetenznormen könne nur auftreten, wenn diese Kompetenztitel die erstrebte Harmonisierung in gleicher Weise ermöglichen37, handelt es sich schlicht um einen unzulässigen Schluß von der Rechtsfolge auf die tatbestandliehen Voraussetzungen im Rahmen der vorliegenden Qualifikationsfrage. Die Abgrenzung der Binnenmarktkompetenz in Art. 100a EGV von der Zuständigkeit der EG für den Gesundheitsschutz in Art. 129 EGV ist also unabhängig von der Tatsache erforderlich, daß eine vorgeschlagene Harmonisierung auf der Grundlage von Art. 129 Abs. 4, 1. Spiegelstrich EGV nicht zulässig ist und die entsprechende Regelungsbefugnis bei den Mitgliedstaaten verblieben ist. 38 Die Erforderlichkeit der kompetenzrechtlichen Qualifikation einer Regelung besteht also keineswegs nur im Rahmen von rein horizontal konkurrierenden Kompetenzen, sondern auch für die vertikalen Kompetenzkonflikte zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft. Gerade die vorliegende Konstellation einer Kompetenzkonkurrenz zwischen der Rechtsangleichungsbefugnis für den Binnenmarkt und der auf Fördermaßnahmen beschränkten EG-Kompetenz für den Gesundheitsschutz illustriert in aller Deutlichkeit, daß sich beide Ebenen nicht voneinander trennen lassen.39 Vgl. dazu näher von Danwitz (Fn. 30), Verwaltungsrechtliches System, S. 438 ff. Siehe RolfWägenbaur, Werberecht und Werbeverbote, EuZW 1995, S. 431 (434f.). 38 Vgl. die analoge Prüfung in EuGH, Slg. 1996, 5755 (5802 ff.; Rn. 25 ff., 37) - Mindestvorschriften der Arbeitszeitgestaltung. 39 Eingehend dazu von Danwitz (Fn. 30), Verwaltungsrechtliches System, S. 438 ff. 36 37
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
b) Die erforderliche Abgrenzung der fraglichen Kompetenzen Deshalb ist im folgenden zu bestinunen, ob das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Werbung für Tabakerzeugnisse auf der Grundlage der Rechtsangleichungskompetenz der EG für den Binnenmarkt gemäß Art. lOOa EGV erlassen werden kann oder der gemeinschaftlichen Zuständigkeit zur Koordinierung und Förderung des Gesundheitsschutzes in Art. 129 EGV thematisch unterfällt Der Europäische Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Bestimmung der zutreffenden Rechtsgrundlage im Zuständigkeitssystem der Gemeinschaft für einen Rechtsakt nicht von der jeweiligen Beurteilung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber abhängen kann. Vielmehr obliegt es dem EuGH selbst, die Bestimmung der gewählten Rechtsgrundlage vollinhaltlich nachzuprüfen. 40 Die zutreffende Rechtsgrundlage kann demgemäß nur anband von objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen ermittelt werden. 41 Im Gegensatz dazu sind die Beurteilungen oder subjektiven Zielvorstellungen der erlassenden Organe ebensowenig von Bedeutung wie ihre frühere Praxis ein Präjudiz schaffen kann, das die Organe bindet. 42 Auch die Tatsache, daß ein Rechtsakt an die Stelle eines anderen tritt, hat nicht zwangsläufig zur Folge, daß auch für diesen die entsprechende Rechtsgrundlage einschlägig ist. 43 Für die Bestinunung der einschlägigen Rechtsgrundlage sind nach der vom Europäischen Gerichtshof beständig verwandten Formel "insbesondere Ziel und Inhalt des Rechtsakts" heranzuziehen. 44 Wegen ihrer großen Unbestinuntheit ist diese Formel zu Recht im Schrifttum kritisiert worden. 45 Diesen Kriterien fehlen weithin die dogmatischen Konturen, um die erforderliche Kompetenzqualifikation vorzunehmen. Statt dessen besteht die eigentliche Funktion der verwandten Formel darin, Freiräume für die Rechtsfindung im Einzelfall offen zu halten. Die maßgeb-
40 Siehe dazu EuGH, Slg. 1987, 1493 (1520; Rn. 11)- Zollpräferenzen; Slg. 1988, 905 (933; Rn. 29)- Legehennen; Slg. 1990, 1527 (1549; Rn. 13)- Tschernobyl - std. Rspr. 41 So EuGH, Slg. 1991, 2867 (2898; Rn. 10) - Titandioxid; Slg. 1991, 4529 (4564f.; Rn. 9)- Post-Tschernobyl; Slg. 1993, 939 (966; Rn. 7)- Abfallrichtlinie; Slg. 1994, 2857 (2880; Rn. 17)- Abfallverordnung; Slg. 1995, 3723 (3752; Rn. 29)- Unternehmensregister; Slg. 1996, 5755 (5802; Rn. 25)- Mindestvorschriften der Arbeitszeitgestaltung- std. Rspr. 42 Vgl. dazu v.a. EuGH, Slg. 1987, 1493 (1520; Rn. 11)- Zollpräferenzen; Slg. 1988, 855 (898; Rn. 24)- Rinderhormone; Slg. 1995, 3723 (3750; Rn. 21) - Unternehmensregister. 43 So EuGH, Slg. 1994, 2857 (2883; Rn. 28) - Abfallverordnung. 44 So EuGH, Slg. 1991, 2867 (2898; Rn. 10) - Titandioxid; 1991,4529 (4564f.; Rn. 9)Post-Tschernobyl; auch Slg. 1994, 2857 (2880; Rn. 17)- Abfallverordnung; Slg. 1995, 3723 (3752; Rn. 29) - Unternehmensregister; Slg. 1996, 5755 (5802; Rn. 25) - Mindestvorschriften der Arbeitszeitgestaltung. 45 Vgl. dazu Siegfried Breier, Der Streit um die richtige Rechtsgrundlage in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, EuR 1995, S. 46 (52 f.); Andreas Middeke, Der Kompetenznormenkonflikt umweltrelevanter Gemeinschaftsakte im Binnenmarkt, DVBI. 1993, s. 769 ff.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. 100a EGV
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liehen Abgrenzungskriterien sind vielmehr auf einer nachfolgenden Konkretisierungsebene angesiedelt. c) Die maßgeblichen Abgrenzungskriterien
Die nachfolgende Untersuchung der maßgeblichen Kriterien, die der Rechtsprechung zur Bestimmung der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlage dienen, ist nur in ihrer vollen Tragweite zu erfassen, wenn man sich als Ausgangspunkt dieser Überlegungen vergegenwärtigt, daß die anstehende Qualifikation einen Akt wertender Rechtserkenntnis darstellt. Die Aufgabe rechtlicher Anleitung dieses Erkenntnisaktes kann demzufolge nicht in der Entwicklung einer Anleitung bestehen, anband derer die Lösung der Qualifikationsaufgabe gleichsam "im Blindflug" erfolgen kann. Es geht vielmehr "nur" um die Rationalisierung der zur Anwendung kommenden Regeln und ihre Offenlegung. 46 Vor diesem Hintergrund ist die bisher vom EuGH vollzogene Rechtsprechungsentwicklung zu betrachten. aa) Die Titandioxid-Entscheidung des EuGH In der bekannten Entscheidung des EuGH vom 11. 6. 1991 über die sog. Titandioxid-Richtlinie, die die Europäische Kommission zur entscheidenden Grundlage für ihre Auffassung gemacht hat, daß das vorgeschlagene Verbot der Tabakwerbung auf Art. 100a EGV zu stützen ist47 , hat der Gerichtshof festgestellt, daß die Richtlinie nach ihrem Ziel und Inhalt untrennbar sowohl dem Umweltschutz als auch der Beseitigung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen dient. 48 Bereits der Generalanwalt hatte in seinen Schlußanträgen dazu besonders festgestellt, daß beide Regelungs- und Schutzziele - Umweltschutz und die Beseitigung unterschiedlicher Wettbewerbsbedingungen - auf der gleichen Ebene angesiedelt sind.49 Auf Grund der in diesem Fall angenommenen Gleichwertigkeit sah sich der Gerichtshof offenbar nicht in der Lage, die von der Kommission und dem Parlament vorgeschlagene Abgrenzung aufzugreifen und die einschlägige Kompetenznorm gemäß dem "Hauptziel" und dem "Schwerpunkt" der Regelung zu bestimmen. 50 46 Vgl. allgemein dazu Josef Isensee, Vom Ethos des Interpreten - Das subjektive Element der Normauslegung und seine Einbindung in den Verfassungsstaat, in: Staat und Recht, Festschrift für Günther Winkler, 1997, S. 367 ff. 47 Siehe Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative ala publicite pour le tabac - base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. 7, 9, 11 und 12. 48 So EuGH, S1g. 1991, 2867 (2899; Rn. 13) - Titandioxid. 49 So GATesauro, Slg. 1991, 2878 (2884; Rn. 6) - Titandioxid. so Siehe EuGH, Slg. 1991, 2867 (2897 f.; Rn. 17)- Titandioxid.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Vielmehr erkannte der Gerichtshof in den unterschiedlichen Beteiligungsformen des Europäischen Parlaments nach Art. lOOa einerseits und Art. 130s andererseits den entscheidenden Gesichtspunkt für die erforderliche Kompetenzqualifikation, da sich darin das grundlegende demokratische Prinzip auf der Ebene der Gemeinschaft widerspiegele. 51 bb) Die Kritik des Schrifttums Selten ist eine Entscheidung des Gerichtshofs im Schrifttum so einhellig auf Ablehnung und weitreichende Kritik gestoßen. 5 2 In der Tat hat der Gerichtshof mit seiner Entscheidung zu der Titandioxid-Richtlinie eine dogmatisch sowie rechtspolitisch überaus angreifbare Argumentation verfolgt. Rechtslogisch ist zunächst festzuhalten, daß die Abgrenzung anband der verschiedenen Beteiligungsformen des Europäischen Parlaments einen Bestandteil der Rechtsfolgeseite auf die Ebene der tatbestandliehen Normvoraussetzungen verlagert und somit die Normauslegung schlicht am erstrebten Ergebnis orientiert. Als weiterer Aspekt kommt hinzu, daß das Urteil unausgesprochen von der Gleichwertigkeit beider Rechtsgrundlagen ausgeht und so die prinzipielle Subsidiarität der Binnenmarktkompetenz, wie sie in Art. lOOa Abs. 1 Satz 1 EGV zum Ausdruck kommt, bereits im Ansatz negiert. Jenseits der integrationspolitisch bedenklichen Zentralisierungswirkung dieser Rechtsprechung 53 ist aber vor allem als bedenklich empfunden worden, daß der EuGH für die Begründung der Binnenmarktkompetenz die bloße Feststellung ausreichen ließ, daß umweltschutzrechtliche Vorschriften die von ihnen betroffenen Unternehmen belasten können und mangels Angleichung auch geeignet sind, den Wettbewerb spürbar zu verfalschen. 54 Ein solches Verständnis vom Anwendungsbereich der in Art. lOOa EGV enthaltenen Binnenmarktkompetenz würde kaum noch Raum für die spezifische Umweltkompetenz lassen und wäre schon bei jeglicher Regelung einschlägig, die irgendwelche Rückwirkungen auf den Umweltschutz hat. EuGH, Slg. 1991,2867 (2900; Rn. 20)- Titandioxid. Siehe dazu v.a. Ulrich Everling, Abgrenzung der Rechtsangleichung zur Verwirklichung des Binnenmarktes nach Art. lOOa EWGV durch den Gerichtshof, EuR 1991, S. 179ff.; Thomas Schröer, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Umweltschutzes, 1992, S. 97 ff.; ders., Mehr Demokratie statt umweltpolitischer Subsidiarität?, EuR 1991, S. 356 ff.; Astrid Epiney, Gemeinschaftsrechtlicher Umweltschutz und Verwirklichung des Binnenmarktes - "Harmonisierung" auch der Rechtsgrundlagen, JZ 1992, S. 564 ff.; Middeke (Fn. 45), DVBI. 1993, S. 769 ff.; Martin Nettesheim, Horizontale Kompetenzkonflikte in der EG, EuR 1993, S. 243 ff.; Mo ritz Röttinger, Bedeutung und Rechtsgrundlage einer EG-Richtlinie und Folgen einer Nichtigkeit, EuZW 1993, S. 117ff.; Ulrike Voß/Gregor Wenner, Der EuGH und die gemeinschaftsrechtliche Kompetenzordnung-Kontinuität oder Neuorientierung, NVwZ 1994, s. 332ff. 53 Näher Everling (Fn. 52), EuR 1991, S. 182. 54 So EuGH, Slg. 1991, 2867 (2901; Rn. 23)- Titandioxid. 51
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I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. IOOa EGV
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cc) Die nachfolgende Rechtsprechungsentwicklung Angesichts der im Schrifttum deutlich gezeigten Konsequenzen dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof schon sehr bald ein verändertes Prüfungsraster verwandt. Bereits in seinem Urteil vom 4. 10. 1991 hat der Gerichtshof betont, daß die Binnenmarktkompetenz nach Art. 100a EGV nicht zur Anwendung gelangt, wenn der fragliche Rechtsakt "nur nebenbei eine Harmonisierung der Bedingungen für den freien Waren verkehr" bewirkt. 55 Diesen Ansatz hat der EuGH im Urteil vom 17. 3. 1993 zu einer Abfallrichtlinie weiterverfolgt und ausgeführt: ,,Hauptzweck der in Artikel 1 der Richtlinie vorgesehenen Harmonisierung ist es, im Interesse des Umweltschutzes die Effizienz der Bewirtschaftung von Abfällen gleich welchen Ursprungs in der Gemeinschaft sicherzustellen; nur nebenbei wirkt sie sich auf die Wettbewerbs- und die Handelsbedingungen aus."56 Eine jüngere Entscheidung des Gerichtshofs bestätigt diesen Ansatz mit der Feststellung: "Es ist nämlich ständige Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteil vom 17. März 1993, a. a. 0., Rn. 19), daß die bloße Tatsache, daß die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarktes betroffen ist, nicht genügt, damit Artikel 100a EWG-Vertrag anwendbar wird, und daß der Rückgriff auf diesen Artikel nicht gerechtfertigt ist, wenn die vorzunehmende Handlung nur nebenbei eine Harmonisierung der Marktbedingungen innerhalb der Gemeinschaft bewirkt. " 57 Gemäß dieser Kennzeichnung als ständige Rechtsprechung hat der Gerichtshof die begriffliche Unterscheidung zwischen dem Hauptzweck eines Rechtsaktes und den von ihm auch erzeugten Nebenfolgen nicht nur für die Abgrenzung von Art. lOOa und 130s EGV verwandt, sondern auf die Abgrenzung der Kompetenzen in Art. 213 und lOOa EGV sowie auf Art. 118a und 100a bzw. 100 EGV übertragen.58 Der Sache nach hat der EuGH damit zu seinen ursprünglich für die Abgrenzung konkurrierender Kompetenzgrundlagen verwandten Kriterien zurückgefunden. 59 Überdies stimmen diese wesentlich mit den Gesichtspunkten überein, die bei der Kompetenzqualifikation im deutschen Verfassungsrecht herangezogen werden. 60 55 So EuGH, Slg. 1991, 4529 (4566f.; Rn. 17)- Post-Tschernobyl in Übereinstimmung mit den Schlußanträgen von GA van Gerven, Slg. 1991, 4542 (4550f.; Rn. 14 und 16). 56 EuGH, Slg. 1993, 939 (968; Rn. 20) - Abfallrichtlinie - Hervorhebung nur hier. 57 So in EuGH, Slg. 1994, 2857 (2882; Rn. 25) - Abfallverordnung. 58 Siehe einerseits EuGH, Slg. 1995, 3723 (3753 f.; Rn. 33) - Unternehmensregister und andererseits EuGH, Slg. 1996, 5755 (5808; Rn. 45) - Mindestvorschriften der Arbeitszeitgestaltung. 59 Siehe EuGH, Slg. 1978, 2151 (2178f.; Rn. 31)- Objektschutz für Atomanlagen: "Mit anderen Worten, der Schwerpunkt des Übereinkommensentwurfs liegt in den Vorbeugungsmaßnahmen und in der Errichtung eines effektiven Objektschutzes... ".
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
dd) Weitere Anwendbarkeit der Titandioxid-Rechtsprechung? Angesichts dieser deutlichen Wandlung der Rechtsprechung und der Tatsache, daß kommentierende Hinweise im Europarecht zur Fortführung, Abweichung oder Aufgabe einer Rechtsprechung nicht üblich sind, stellt sich die Frage, ob die Titandioxid-Rechtsprechung, die die EG-Kommission zur maßgeblichen Stütze für die Wahl von Art. lOOa EGV als Rechtsgrundlage für das vorgeschlagene Tabakwerbeverbot gemacht hat, auch heute noch dem geltenden Gemeinschaftsrecht entspricht. Im Rahmen der Fortentwicklung seiner Rechtsprechung hat der Gerichtshof die Entscheidung über die Titandioxid-Richtlinie als einen anders gelagerten Fall bezeichnet61 , so daß Generalanwalt Jacobs diese Entscheidung nur dann noch für anwendbar hält, wenn die beiden Ziele einer Regelung "wirklich gleichwertig" sind. 62 In formaler Hinsicht mag dieser Standpunkt zwar einleuchtend scheinen, jedoch hält diese Auffassung einem genauen Abgleich der Prüfungsschritte in den jeweiligen Entscheidungen nicht stand. In der Titandioxid-Entscheidung begnügt sich der EuGH nämlich mit der Feststellung, daß die Richtlinie nach Ziel und Inhalt untrennbar sowohl den Umweltschutz als auch die Beseitigung der Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen betrifft, ohne diese Gemengelage unterschiedlicher Aspekte zu gewichten oder gar qualitativ zu bewerten. In der nachfolgenden Judikatur fügt der Gerichtshof diesen Akt wertender Erkenntnis gerade hinzu und beurteilt den fraglichen Rechtsakt danach, welches sein Hauptzweck, sein Schwerpunkt oder seine spezifische Eigenart ist. 63 Mit dieser qualitativen Beurteilung des jeweiligen Rechtsaktes verbindet die neuere Rechtsprechung im eindeutigen Gegensatz zu der Titandioxid-Entscheidung, die zum Ausmaß der für Art. lOOa EGV erforderlichen Wettbewerbsverzerrungen keine Aussage getroffen hatte64, nun eine Aussage darüber, daß die angestrebte Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen den Hauptzweck der Regelung bilden muß. 65 60 BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1986, S. 1743 und BGHZ 76, 55 (64 f.) stellen auf den unmittelbaren Regelungsgegenstand ab, BVerwGE 45, 1 (3 f.) auf das "vorrangige Regelungsziel" . 61 So EuGH, Slg. 1903, 939 (968 f. ; Rn. 20) - Abfallrichtlinie. 62 So GA Jacobs, Slg. 1994, S. 2859 (2868). 63 Zu den beiden letztgenannten Kriterien siehe den Vortrag des Europäischen Parlaments im Sitzungsbericht der Rs. C-70/ 88, EuGH, Slg. 1991, 4530 (4535) - Post-Tschernobyl. 64 Siehe EuGH, Slg. 1991, 2867 (2901; Rn. 23)- Titandioxid. 65 EuGH, Slg. 1993, 939 (968; Rn. 20) - Abfallrichtlinie; Slg. 1994, 2857 (2882; Rn. 25) - Abfallverordnung; Slg. 1995, 3723 (3753; Rn. 33) - Untemehmensregister; Slg. 1996, 5755 (5804, 5808; Rn. 30, 45) - Mindestvorschriften der Arbeitszeitgestaltung.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. 100a EGV
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Indem die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Bestimmung der einschlägigen Rechtsgrundlage im Kern auf der Überlegung beruht, die raison d'etre der jeweiligen Rechtshandlung in einem Akt wertender Rechtserkenntnis zu erfassen66, besteht ein unüberbrückbarer Gegensatz zum Prüfungsansatz des EuGH in der Entscheidung über die Titandioxid-Richtlinie. Derneueren Rechtsprechung zufolge ist die tatbestandsbezogene Qualifizierung eines Rechtsaktes selbst dann erforderlich, wenn tatsächlich gleichwertige Regelungsziele verfolgt werden sollten. Zusammenfassend wird man daher die in der TitandioxidEntscheidung vertretene Rechtsauffassung des EuGH als in der Sache überwunden ansehen können. d) Weitere Gesichtspunkte der Kompetenzqualifikation
Zur Bestimmung der einschlägigen Kompetenzgrundlage für das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Tabakwerbung ergeben sich aus der neueren Rechtsprechung indes zusätzliche Gesichtspunkte. So trifft das Urteil des Gerichtshofs zur Abfallverordnung eine deutliche Unterscheidung zwischen den normativ aufgestellten Voraussetzungen und den damit bewirkten Folgen, um für die Bestimmung der einschlägigen Rechtsgrundlage auf die normativ angeordeten Regelungen abzustellen. 67 Ganz auf der Linie dieser Unterscheidung liegt die vom EuGH wenig später getroffene Aussage, daß sich das Hauptziel eines Rechtsaktes maßgeblich danach bestimmt, ob sich die normativ erstrebten Wirkungen einer Regelung im Rahmen der Errichtung des Binnenmarktes halten oder "weit über das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes hinausgehen". 68 Schließlich wird die richtige Bestimmung der Rechtsgrundlage von sachbereichsspezifischen Besonderheiten geprägt, die von der Art und Struktur der in Betracht kommenden Kompetenzen gespeist werden. So ist unverkennbar, daß der Gerichtshof von einem umfassenden Anwendungsbereich des Art. 43 EGV ausgeht und für die Binnenmarktkompetenz des Art. lOOa demzufolge nur vergleichsweise wenig Raum bleibt. 69
66 Vgl. dazu GA Jacobs, Schlußanträge der Rs. C-426/93, Slg. 1995, 3726 (3737; Rn. 41) - Untemehmensregister; Hervorhebung im Original. 67 Siehe EuGH, Slg. 1994, 2857 (2882; Rn. 24): "Diese Schlußfolgerung kann nicht dadurch entkräftet werden, daß die angefochtene Verordnung aufgrund der Angleichung der Voraussetzungen, unter denen sich der Umlauf der Abfälle vollzieht, Folgen für diesen Umlaufhat und sich somit auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirkt". 68 EuGH, Slg. 1995, 3723 (3753; Rn. 32)- Untemehmensregister. 69 Vgl. dazu EuGH, Slg. 1994, 4973 (5059; Rn. 54 f.)- Bananenmarktordnung; Slg. 1989, 3743 (3767; Rn. 10); Slg. 1988, 855 (896; Rn. 15 f.) und von Danwitz (Fn. 33), GRUR 1997, s. 86.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Für das Verhältnis von Art. lOOa und Art. 129 EGV wird man daraus umgekehrt folgern dürfen, daß die strikte vertragliche Grenze, die Art. 129 Abs. 4, I. Spiegelstrich EGV jeglicher Harmonisierung von Rechtsvorschriften des Gesundheitsschutzes zieht, auch im Rahmen der Frage nach der Kompetenzabgrenzung zu beachten ist. e) Kompetenzielle Zuordnung der vorgeschlagenen Richtlinie Auf Grund der vorstehenden Überlegungen ist nunmehr zu untersuchen, ob die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV die zutreffende Rechtsgrundlage für die vorgeschlagene Richtlinie über ein Werbeverbot für Tabakwaren darstellt. 70 aa) Formale Zuordnungskriterien Zunächst stellt sich die Frage, ob die maßgebliche Feststellung des Hauptzwecks der vorgeschlagenen Richtlinie bereits anhand von formalen Gesichtspunkten erfolgen kann. In diesem Sinne hatte die deutsche Bundesregierung im Verfahren über die Verordnung zum Aufbau von Unternehmensregistern vor dem Gerichtshof vorgetragen, das primäre Ziel eines Rechtsaktes werde in der Regel in der ersten Begründungserwägung eines Rechtsaktes vorgebracht, so daß sich sein Hauptzweck bereits daraus ermitteln lasse. 71 Die erste Begründungserwägung der vorgeschlagenen Richtlinie über ein Werbeverbot für Tabakwaren stellt darauf ab, daß die grenzüberschreitende Dimension von Werbung Handelshemmnisse und Wettbewerbsverzerrungen bewirken kann, die die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarktes behindern können. Sie weist eindeutig auf die Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft nach Art. lOOa EGV hin. 72 Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat dieses Vorbringen der Bundesregierung indes explicit zurückgewiesen und seine kompetenzrechtliche Zuordnung auf eine Gesamtschau der in den Erwägungsgründen angegebenen Zielen der Regelung und ihrer konkreten Ausgestaltung im Normtext des Rechtsaktes selbst gestützt. 73 70 Gegenstand der kompetenzrechtlichen Zuordnung ist der geänderte Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, (92 /C 129/04) - KOM(92) 196 endg. - SYN 194, von der Kommission vorgelegt am 30. 4. 1992, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 ff. 71 So der Vortrag der Bundesregierung, zusammengefaßt in EuGH, Slg. 1995, 3723 (3752; Rn. 26) - Untemehmensregister. n Vgl. den ersten Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5. 73 So EuGH, Slg. 1995, 3723 (3752f.; Rn. 27, 30 - 33) - Untemehmensregister.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV
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Zudem würde eine Anerkennung der von der Bundesregierung zur Bedeutung der ersten Begründungserwägung vorgebrachten Indiz-Funktion die Kontrollaufgabe des Gerichtshofs darauf beschränken, nur die subjektive Motivation von Kommission und Rat nachzuvollziehen und damit Mißbrauchsmöglichkeiten Tür und Tor zu öffnen. Dies verstieße indes gegen den allgemeinen Grundsatz, daß die kompetenzielle Zuordnung eines Rechtsaktes nur von objektiven und gerichtlich vollständig nachprüfbaren Umständen bestimmt wird. 74 Betrachtet man entsprechend der Vorgehensweise des EuGH die verschiedenen Erwägungsgründe der vorgeschlagenen Richtlinie in einer Gesamtschau, ist rein quantitativ festzuhalten, daß sich von den 17 Erwägungsgründen des Kommissionsvorschlags 9 mit Fragen des Gesundheitsschutzes beschäftigen75, während 4 weitere Erwägungsgründe des Richtlinienvorschlags nicht auf die mit dem Werbeverbot verfolgten Ziele bezogen sind und daher für die kompetenzrechtliche Qualifikation des Rechtsaktes keine Relevanz entfalten. 76 Demgegenüber lassen sich nur die Erwägungsgründe 1, 3 und 5 mit Eindeutigkeit der Verwirklichung des Binnenmarktziels und damit der Kompetenzgrundlage des Art. 100a EGV zuordnen. 77 Bereits auf Grund dieser quantitativen Betrachtung erscheint der Binnenmarktbezug der vorgeschlagenen Richtlinie somit als untergeordnete Nebenfolge des umfassenden Tabakwerbeverbotes, das aus Gründen des Gesundheitsschutzes vorgeschlagen wird. bb) Verfahrensbedingte Zuordnungsgesichtspunkte Für die kompetenzrechtliche Qualiftkation der vorgeschlagenen Richtlinie ist des weiteren zu berücksichtigen, daß diese nun in der 4. Änderungsfassung vorliegt. 78 So auch EuGH, Slg. 1995, 3723 (3752; Rn. 29) - Untemehmensregister. Ebenso übereinstimmend schon Joseph Weiler/Bruno Simma, Der geänderte Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse und seine Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht, November 1993, S. 62f.; Rn. 7.19 und Wägenbaur (Fn. 37), EuZW 1995, S. 434: Es handelt sich um die Erwägungsgründe 3 und 4, 6-9, 13, 15 und 16. 76 Dies sind die Erwägungsgründe 10, 12, 14 und 17; vgl. den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 f; übereinstimmend gehen Weiler/Simma (Fn. 75), Der geänderte Vorschlag der Kommission, S. 62, Rn. 7.19 davon aus, daß sich insgesamt 13 Erwägungsgründe auf die Ziele der Richtlinie beziehen. 77 V gl. den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 f. 78 Siehe den 1. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die Presse- und Plakatwerbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 124 vom 19. 5. 1989, S. 5 ff.; den 2. geänder74
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3 von Danwitz
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Bereits die jeweiligen Bezeichnungen der vorgeschlagenen Rechtsakte lassen die qualitative inhaltliche Veränderung des Rechtsaktes erkennen, die im Laufe der Beratungen eingetreten ist. Während sich die beiden ersten Vorschläge sachlich auf die Presse- und Plakatwerbung und inhaltlich auf Vorgaben zur Darstellung und Gestaltung der Werbung beschränkten und daher hinsichtlich der in Anspruch genommenen Binnenmarktkompetenz im wesentlichen als unproblematisch beurteilt wurden79, ist der Richtlinienentwurf auf Veranlassung des Europäischen Parlaments in der 3. und 4. Fassung so verändert worden, daß er nunmehr ein vollständiges Verbot der direkten und der sog. indirekten Werbung für Tabakerzeugnisse vorsieht. 80 Daß sich die Frage der kompetenzrechtlichen Qualifikation mit diesen Veränderungen grundsätzlich neu stellt, belegt die nun veränderte Position des Juristischen Dienstes des Rates der Europäischen Union mit hinreichender Deutlichkeit. 81 Dieser qualitative Regelungszuwachs ist anband von Änderungen im Hinblick auf die binnenmarktbezogenen Erwägungsgründe der vorgeschlagenen Richtlinie nur durch den 5. Erwägungsgrund dokumentiert. Danach mache es die gegenseitige Abhängigkeit der einzelnen Werbeträger, mögliche Wettbewerbsverzerrungen und die Gefahr der Umgehung von Vorschriften erforderlich, alle Werbeformen und Mittel zu erfassen. 82 Zweifelsohne kann diese Erwägung Vorschriften motivieren, mit denen der Wettbewerb von Werbeträgem geregelt werden soll, soweit dieser im Binnenmarkt stattfindet. Das vollständige Verbot direkter und indirekter Werbung erlaßt aber stationäre Werbesegmente wie die Kino- und Plakatwerbung, deren einziger Sinnenmarktbezug sich daraus ergeben kann, daß sie auch von nicht ortsansässigen Personen wahrgenommen werden. Angesichts der Geringfügigkeit solcher Wirkungen erscheint zweifelhaft, ob sie die Harmonisierung binnenmarktferner ten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die erlaubte Presse- und Plakatwerbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 116 vom 11. 5. 1990, S. 7ff.; den 3. geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 167 vom 27. 6. 1991, S. 3 ff. und den 4. geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 ff. 79 So v.a. der Juristische Dienst des Rates der Europäischen Union, Gutachten Dok 8374/ 89 vom 30. 8. 1989; ebenso Perau (Fn. 22), Werbeverbote, S. 220f.; Bedenken aber bei Marie-Luise Würtenberger, Die Kompetenzen der EG auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, WRP 1990, S. 730ff.; Klaus Zapka, Gesundheitspolitik durch Harmonisierung?, RIW 1990, S. 814ff. 80 Zur Genese siehe Perau (Fn. 22), Werbeverbote, S. 220 f. sowie schon Weiler I Simma (Fn. 75), Der geänderte Vorschlag der Kommission, S. 29, Rn. 6.18. 81 Juristischer Dienst des Rates, Gutachten Dok. 10732/93 vom 3. 12. 1993, S. 1 f. und 11. 82 Siehe den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 (6).
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV
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Werbesegmente als Hauptzweck des vorgeschlagenen Werbeverbots zu rechtfertigen vermögen, während demgegenüber dem viel näherliegenden Aspekt des Gesundheitsschutzes nur untergeordnete Bedeutung zukommen soll. Der bisherige Ablauf der Beratungen legt es vielmehr nahe, daß die Ausweitung und qualitative Wandlung der im einzelnen vorgeschlagenen Werbeverbotsregelungen auch den Hauptzweck der Richtlinie so weitgehend verändert haben, daß nunmehr die ursprünglich wohl zutreffend beanspruchte Kompetenz von Art. lOOa EGV keine zureichende Rechtsgrundlage mehr darstellt. cc) Inhaltliche Zuordnungsmaßstäbe Entscheidend für die kompetenzrechtliche Qualifikation der vorgeschlagenen Richtlinie ist das inhaltliche Verständnis der von ihr erzeugten Rechtswirkungen. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben sich dazu zwei maßgebliche Kriterien: - Die Unterscheidung zwischen der Angleichung rechtlicher Voraussetzungen und den von ihr bewirkten Folgen und83 - die Reichweite der erzeugten Rechtswirkungen im Hinblick auf den Binnenmarkt.84 Gemessen an diesen Kriterien ist zunächst festzustellen, daß die Rechtswirkungen des vorgeschlagenen Werbeverbots weit über das Funktionieren des Binnenmarktes hinausreichen und namentlich das Konsumverhalten der Bevölkerung in allen Mitgliedstaaten einheitlich steuern sollen. Die vorgeschlagene Regelung reicht in ihren rechtlichen Wirkungen also weit über das auf Grund der Binnenmarktverwirklichung gebotene Maß der Rechtsangleichung hinaus. Entscheidende Bedeutung dürfte aber dem Umstand zukommen, daß die Angleichung der Bedingungen des Wettbewerbs in allen Mitgliedstaaten eine in zweiter Linie von einem Werbeverbot ausgelöste tatsächliche Konsequenz aus dieser Harmonisierung darstellt und daher als Nebenfolge anzusehen ist. Betrachtet man die einzelnen Verbotstatbestände unter diesen Vorzeichen, so erweist sich, daß weder das in Art. 2 Abs. 1 der vorgeschlagenen Richtlinie enthaltene allgemeine Verbot für Tabakprodukte noch das in Art. 2 Abs. 3 enthaltene Verbot von Gratisverteilungen binnenmarktspezifischen Bezug erkennen läßt. Gerade die Allgemeinheit und Einschränkungslosigkeit, die diese Verbotsregelungen inhaltlich kennzeichnen, weisen sie als Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit aus. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die kompetenzielle Qualifikation einen Akt wertender Rechtserkenntnis erfordert, der die raison d 'etre des jeweiligen Rechtsaktes zu erfassen hat. 85 83 84
3*
So EuGH, Slg. 1994, 2857 (2882; Rn. 24) - Abfallverordnung. So EuGH, Slg. 1995, 3723 (3753; Rn. 32)- Unternehmensregister.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Kennzeichnend für das vorgeschlagene Werbeverbot ist fraglos der Umstand, daß es absolut und ohne nennenswerte Ausnahmen gilt. Diese spezifische Eigenart der vorgeschlagenen Regelung ist allerdings nur aus Gründen des Gesundheitsschutzes schlüssig zu begründen.86 Das vorgeschlagene Verbotsniveau vollständiger Unzulässigkeit von Tabakwerbungen ist als Harmonisierungsniveau weder durch den Binnenmarkt gefordert noch auf Grund der Totalverbote in einzelnen Mitgliedstaaten angezeigt. Zur Verwirklichung der Ziele des Binnenmarktes, gerade bezüglich der Bedingungen des Wettbewerbs, wäre eine Regelung ebenso geeignet, die für diese Mitgliedstaaten die Lockerung ihrer umfassenden Verbote notwendig machen würde. Somit ist die spezifische Eigenart und damit der Hauptzweck der vorgeschlagenen Regelung nur mit Gründen des Gesundheitsschutzes plausibel zu erklären.
[)Ergebnis Ausweislich der formalen und verfahrensbedingten Umstände und vor allem auf Grund der konkret erzeugten Rechtswirkungen ist die vorgeschlagene Richtlinie in ihrer spezifischen Eigenart nur als ein Instrument des Gesundheitsschutzes vollständig zu erfassen. Jenseits dieses Hauptzwecks wirkt die vorgesehene Rechtsangleichung zwar auch auf die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt ein. Dabei handelt es sich aber lediglich um faktische Nebenfolgen, die die vorgesehene Verbotsregelung indes nicht wesensmäßig kennzeichnen. Die vorgeschlagene Richtlinie kann demzufolge nicht auf Grund der von Art. lOOa EGV gewährten Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft erlassen werden. 3. Der Umfang der Binnenmarktkompetenz nach Art.lOOa EGV
Obgleich die Binnenmarktkompetenz des Art. lOOa EGV auf Grund der vorstehenden Untersuchungen als taugliche Rechtsgrundlage für die von der EG-Kommission vorgeschlagene Richtlinie über Tabakwerbung wegen der im Schwerpunkt verfolgten Regelung von Belangen des Gesundheitsschutzes ausscheidet, stellt sich - gleichsam hilfsweise - die Frage, ob die von der Kommission vorgeschlagene Regelung ihrem Inhalt nach von der Kompetenz zur Verwirklichung des Binnenmarktes umfaßt wird.
85 So GA Jacobs, Schlußanträge der Rs. C-426/93, Slg. 1995, 3726 (3737; Rn. 41)- Hervorhebung im Original. 86 Siehe auch die von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour le tabac- base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 03. 1994, S. 6 angegebenen Gründe: Gefahren des Tabakkonsums, auch für Nichtraucher; wachsende Opposition gegen die Raucherwerbung; das Programm "Europa gegen den Krebs"; die Tatsache, daß Werbung einen Anlaß für den Konsum bildet.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV
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a) Grenzüberschreitende Produktwerbung im Binnenmarkt
Im System der gemeinschaftlichen Regelungszuständigkeiten ist die Binnenmarktkompetenz des Art. lOOa EGV zur Harmonisierung des Werberechts einschlägig, wenn sich aus den Unterschieden zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften einzelner Mitgliedstaaten Beschränkungen für den freien Warenverkehr ergeben. Daher wird eine Zuständigkeit der EG aus Art. lOOa EGV zur Harmonisierung des Werberechts für grenzüberschreitend in Verkehr gebrachte Waren allgemein angenommen.87 Voraussetzung ist hingegen, daß die Unterschiedlichkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften den freien Warenverkehr behindert. Im Bereich der verschiedenen Werberegelungen für Tabakwaren können derartige Wirkungen für grenzüberschreitend vertriebene Presseerzeugnisse bestehen.88 Für eine Werberegelung dieser Art wäre eine Regelungsbefugnis der Gemeinschaft aus Art. lOOa EGV gegeben, um etwa praktisch spürbare Handelshenunnisse im Binnenmarkt auszuräumen. b) Der freiheitssichemde Kern der Binnenmarktkompetenz
Wenn die Natur der vorgeschlagenen Regelung näher betrachtet wird, wirft eine Inanspruchnahme der Binnenmarktkompetenz gemäß Art. lOOa EGV indes die grundsätzliche Frage nach der besonderen Eigenart dieser gemeinschaftlichen Regelungsbefugnis auf. Im Gegensatz zu den zunächst vorgeschlagenen Werberegelungen für Tabakprodukte, stellt die nunmehr vorgeschlagene Regelung ein vollständiges Verbot der direkten und der sog. indirekten Werbung für Tabakerzeugnisse dar. Diese Form der Werbung wird damit schlicht verboten. 89 Im dogmatischen Ausgangspunkt ist dazu erforderlich, daß ein derart vollständiges Verbot der Produktwerbung von der Zuständigkeit der Gemeinschaft für die Errichtung des Binnenmarktes getragen wird. Obwohl gerade dieser Kompetenz oft kaum inhaltliche Begrenzungen entnommen werden können, ist unbestritten, 87 Siehe Perau (Fn. 22), Werbeverbote, S. 220; Torsten Stein, Freier Wettbewerb und Werbeverbote in der Europäischen Union, EuZW 1995, S. 435 (436),jeweils m.w.N. 88 Fraglich ist indes, ob diese Wirkungen nach Art und Umfang zu nennenswerten Beeinträchtigungen führen; siehe dazu Weiler I Simma (Fn. 75), Der geänderte Vorschlag der Kommission, S. 73 ff. Rn. 8.1400.6 - 8. 14. 12.; bezweifelt auch von Daniel Kevekordes, Tabakwerbung und Tabaketikettierung im deutschen und europäischen Recht, 1994, S. 186 m. Fn. 54. 89 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die vorgeschlagene Richtlinie in Art. 3 für die nicht von außen sichtbare Werbung in Tabakgeschäften und in Art. 2 Abs. 2a für besondere Konstellationen der sog. indirekten Werbung Ausnahmen zuläßt, siehe den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 ff.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
daß sie nur solche Maßnahmen erfassen kann, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben. Nach der durch Art. IOOa Abs. 1 Satz I EGV in Bezug genommenen Legaldefinition in Art. 7a umfaßt der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags gewährleistet ist. Auf Grund dieser Vorgabe ist unbestritten, daß der Gemeinschaftskompetenz zur Binnenmarktverwirklichung vor allem die Funktion zukommt, Marktschranken zu beseitigen. Es handelt sich also um eine Befugnis zur Durchsetzung der in Art. 3 c) EGV gesteckten Zielvorstellung, Hindernisse für den Binnenmarkt zu beseitigen und auf diese Weise wirtschaftliche Freiheitsräume zu eröffnen und zu sichern. Dadurch ist die Binnenmarktzuständigkeit der Gemeinschaft auf diese Funktion festgelegt, Marktfreiheiten zu eröffnen und zu sichern. Fraglos kommt der Binnenmarkt ohne ein gewisses Maß an Reglementierungen des Wirtschaftslebens nicht aus, so daß prinzipiell auch Bestimmungen auf Grund der Zuständigkeit für den Binnenmarkt getroffen werden können, die gerade dieser Freiheit Grenzen setzt.90 Die in der Eröffnung und Absicherung der im Vertrag gewährten Grundfreiheiten bestehende ratio der Binnenmarktzuständigkeit wirft indes die Frage auf, ob die der Gemeinschaft insoweit91 übertragene Regelungsbefugnis sie auch dazu ermächtigt, eine Ausübung der Marktfreiheiten durch Produktwerbung gänzlich zu untersagen. Es geht vorliegend nicht nur um den Nachweis, daß es eine Pervertierung des Grundgedankens des Binnenmarktes darstellen würde, wollte man eine vollständige Unterbindung einer wirtschaftlichen Freiheit, die der Gerichtshof explicit dem Schutz von Art. 30 EGV unterstellt hat92 , gerade auf die Regelungsbefugnis zur Verwirklichung der Ziele des Binnenmarktes stützen. 93 Vielmehr eröffnet diese kompetenzrechtliche Sichtweise den Blick für die eigentliche Absicht, die mit diesem Verbot der Produktwerbung in wirtschaftlicher Hinsicht verfolgt wird: Die Verfestigung der bestehenden Marktstrukturen.94 Ein 90 Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus Art. IOOa Abs. 3 EGV, vgl. Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Art. lOOa Rn. 51 ff.; Pipkom, GTE, Art. lOOa Rn. 69ff. 91 Eine Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Regelungen gemäß Art. 36 EGV oder ein Verbot auf Grund anderer Kompetenznormen blieben von dieser Überlegung, die nur die in Art. lOOa EGV gewährte Regelungsbefugnis betrifft, selbstverständlich unberührt. 92 So EuGH, Slg. 1991, 4151 (4183; Rn. 9-11)- Aragones de Publicidad Exterior; Slg. 1993,2361 (2390f.; Rn. 21 - 23)- Yves Rocher. 93 Siehe dazu schon Andreas Meyer, Produktspezifische Werberegelungen in Deutschland und der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S. 167 f. m.w.N. Nach Edzard Schmidt-Jortzig, Das Recht der Werbung und das Werberecht, in: Kommerzielle Kommunikation, Heft 8 I 1997, S. 1 (3) kann die Bedeutung der Werbung und des Werberechts für den Binnenmarkt "nicht hoch genug eingeschätzt werden". 94 So schon Ferdinand Kirchhof/ Karl Frick, Werbeverbot und Etikettierungszwang für Tabakwaren, AfP 1991, S. 677 (678); Stein, Gemeinschaftsregeln für den Werbemarkt und ihre Grenzen nach Gemeinschaftsrecht und Grundrechten, Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Vorträge und Berichte Nr. 18, 1992, S. 9.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV
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solches Ziel mag die Gemeinschaft auf Grund anderweitiger Handlungsermächtigungen legitimerweise verfolgen dürfen, auf Grund der Befugnis für die Verwirklichung der Grundfreiheiten im Binnenmarkt ist dies indes nicht angängig. c) Kompetenzbegründungkraft Wettbewerbswirkungen?
Das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Verbot der Tabakwerbung ist hingegen anders geartet. Es umfaßt nicht nur die im innergemeinschaftlichen Handel befindlichen Träger von Tabakwerbung, sondern gilt umfassend, so daß namentlich auch die in Deutschland allgemein übliche Kino- und Plakatwerbung für Tabakwaren erlaßt wird. Daher stellt sich die Frage, von welchem Binnenmarktbezug die Europäische Kommission für diese Werbemedien ausgeht. Das Arbeitspapier der Kommission vom 29. 3. 1994 stützt seine Ansicht, daß die vorgeschlagene Richtlinie der EG-Kompetenz zur Binnenmarktverwirklichung gemäß Art. lOOa EGV unterfällt, insoweit ausschließlich auf die Wettbewerbsverzerrungen, die aus unterschiedlichen Regelungen über die Tabakwerbung in den Mitgliedstaaten resultieren. 95 Im einzelnen erkennt die Kommission Wettbewerbsverzerrungen für die verschiedensten Werbeträger, beispielsweise für die Tagespresse, für Magazine und Plakatwerbung darin, daß ihre Produktionskosten auch von Einnahmen getragen werden, die mit Werbung für Tabakwaren erzielt werden. Auf Grund des Ortes ihrer Niederlassung und des belieferten Marktes ergäben sich aus den verschiedenen nationalen Gesetzen unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen. 96 Darüber hinaus benennt die Kommission Wettbewerbsverzerrungen unter den Dienstleistungsagenturen der Werbewirtschaft in den verschiedenen Mitgliedstaaten als Grund für die Notwendigkeit einer Harmonisierung im Binnenmarkt. 97 Mit diesen Wettbewerbsfaktoren sind jedoch keine direkt auf den freien Warenverkehr im Binnenmarkt einwirkenden Faktoren, sondern nur die allgemeinen standortbedingten Unterschiede in Bezug genommen, die ganz verschiedener Art sein können und die wirtschaftlichen Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen der einzelnen Mitgliedsländer prägen. Es stellt sich daher die Frage, ob solche standortbedingten Wettbewerbsfälschungen von der Binnenmarktkompetenz erlaßt werden.98 95 So Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative illa publicite pour Je tabac- base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. 9f. 96 So Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour Je tabac - base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. 10. 97 So die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ebenda, S. 10. 98 Siehe dazu Jöm Pipkom, in: GTE, Art. lOOa Rn. 20; Bemd Langeheine, in: Grabitz/ Hilf, Art. lOOa Rn. 94.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Soweit ersichtlich hat der Gerichtshof diese Frage lediglich in der bekannten Titandioxid-Entscheidung bejaht99, unter dem Eindruck der allgemein geäußerten Kritik an dieser Rechtsprechung jedoch in der Folgezeit nicht wiederholt. Eine unbefangene Auslegung der Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV vermag ein derartiges Kompetenzverständnis auch nicht zu begründen. Grund hierfür ist die erforderliche Abgrenzung der Binnenmarktkompetenz von der Rechtsaugleichung im gemeinsamen Markt nach Art. 100 EGV. Für Art. 100 EGV ist anerkannt, daß sich diese Kompetenz auf die Angleichung der allgemeinen Wettbewerbs- und Rahmenbedingungen erstreckt. 100 Da die Binnenmarktkompetenz in Art. lOOa EGV nach dem Willen der Regierungskonferenz die Rechtsangleichungkompetenz gemäß Art. 100 EGV nicht ersetzen soll, sondern dieser an die Seite gestellt wurde, verfügt die Zuständigkeit nach Art. 100 EGV auch weiterhin über einen substantiellen Anwendungsbereich. Durch den Verweis der Binnenmarktkompetenz auf die Definition in Art. 7a EGV ist diese gegenständlich auf den Erlaß solcher Rechtsakte beschränkt, die erforderlich sind, um den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital zu gewährleisten. 101 Dementsprechend hat sich der Rat der Europäischen Union in seiner Rechtsetzungspraxis bisher nicht dazu bereit gefunden, die Harrnonisierung standortbedingter Wettbewerbsbedingungen auf die Kompetenzgrundlage des Art. 100a EGV zu stützen. 102 Selbst die Autoren, die an der Titandioxid-Rechtsprechung des Gerichtshofs festhalten und keine klare Unterscheidung für die Anwendungsbereiche der beiden Kompetenzgrundlagen aufzeigen, halten Art. 100a EGV nur für die zutreffende Rechtsgrundlage, wenn ein Rechtsakt wegen seiner spezifischen Kostenrelevanz für die betroffenen Unternehmen dazu führt, daß ihre Wettbewerbssituation im Binnenmarkt geregelt wird. 103
EuGH, Slg. 1991, 2867 (2901; Rn. 23)- Titandioxid. Siehe dazu Everling, Probleme der Rechtsangleichung zur Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes, Festschrift für Steindorff, 1990, S. 1155 (1170); vgl. auch Hans Claudius Taschner, in: GTE, Art. 100 Rn. 28; indirekt bestätigt dies auch die von EuGH, Slg. 1991, 2867 (2901; Rn. 23)- Titandioxid- als Präjudiz in Bezug genommene Entscheidung EuGH, Slg. 1980, 1099 (1106; Rn. 8)- Detergentien. 101 Dazu eingehend Kevekordes (Fn. 88), Tabakwerbung, S. 168 ff., m. umfassenden Nachweisen. Soweit im Gegensatz dazu unter Hinweis auf die mitgliedstaatlich vereinbarte Verwirklichung des Binnenmarktprogramms mit weitergehenden Maßnahmen davon ausgegangen wird, daß der Umfang der Kompetenz nach Art. lOOa mit der nach Art. 100 EGV deckungsgleich sei oder sogar noch darüber hinaus gehe, wird indes verkannt, daß das Weißbuch zur Verwirklichung des Binnenmarktes eine Vielzahl von Maßnahmen nennt, die den einschlägigen Sondervorschriften des Vertrages unterfallen und nicht nach Art. 100 oder Art. lOOa EWG erlassen werden können, so schon Everling (Fn. 100), Festschrift für Steindorff, S. 1170 f. 102 So Pipkorn, in: GTE, Art. lOOa Rn. 20. 103 So Bernd Langeheine, in: Grabitz/Hilf, Art. lOOa EGV Rn. 94. 99
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I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV
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Dies setzt hingegen voraus, daß die Wettbewerbseffekte eines Rechtsaktes von der Kommission ermittelt und bewertet werden. Insoweit ist vor allem zu berücksichtigen, daß festgestellte Verzerrungen in den allgemeinen Wettbewerbsbedingungen nicht isoliert gesehen werden dürfen, da sie sich kumulieren oder aber einander aufueben können. 104 Gerade hierfür bietet die vorgeschlagene Richtlinie über ein Werbeverbot für Tabakwaren ein treffendes Beispiel. Auf Grund der unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten über die Tabakwerbung in Lichtspieltheatern und auf Plakaten mögen zwar die damit erzielten Werbeeinnahmen unterschiedlich hoch ausfallen, jedoch läßt dies allein noch keinerlei Schluß auf etwaige Wettbewerbsverzerrungen zu. Diese können überhaupt nur bestehen, wenn die unter derart ungleichen Bedingungen hergestellten Produkte bzw. erbrachten Dienstleistungen miteinander konkurrieren. Bereits für Presseerzeugnisse wird man dies trefflich bestreiten können, jedenfalls ist eine so zu erklärende Wettbewerbssituation zwischen Kinobetreibern - auch in grenznahen Gebieten - bisher nicht bekannt geworden. 105 Für die Außenwerbung auf Plakaten kommt hinzu, daß schon auf Grund der spezifischen Formate, die nur für die Plakatwerbung in Deutschland gelten, eine grenzüberschreitende Werbung auf Plakaten nicht stattfinden kann und deshalb auf dem Gebiet der Plakatwerbung bisher auch noch kein grenzüberschreitender Binnenmarkt entstanden ist. 106 Auch die unmittelbar von Einnahmen aus der Tabakwerbung betroffenen Unternehmen der Kino- bzw. der Plakatwerbung sind auf Grund der spezifisch sprachlichen und kulturellen Prägung dieser Branche bisher nur auf nationalen Märkten tätig. Auch für europaweit vertriebene Erzeugnisse werden in Kinos und auf Anschlagtafeln keine einheitlich für den Binnenmarkt hergestellten Werbefilme bzw. Plakatreihen verwandt. Vielmehr werden diese Produkte in einer Weise beworben, die auf den Verbraucherhorizont in den jeweiligen Mitgliedstaaten spezifisch zugeschnitten ist. 107 Diese Betrachtung der Binnenmarktrelevanz unterschiedlicher Standortbedingungen wird von einer erst vor kurzem ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 30 EGV bestätigt. Danach ist eine Regelung der Republik Österreich, die aus Gründen des Schutzes kleiner Presseunternehmen vor Konkurrenz prinzipiell einen Vertrieb von Zeitschriften mit kostenträchtigen Preisrätseln 104 So schon die klassische Formulierung im sog. Spaak-Bericht der Delegationsleiter vom Regierungsausschuß eingesetzt von der Konferenz von Messina an die Außenrninister, MAE 120 d/56, 1956, S. 66f. tos So die Angaben des FDW e.V., Hamburg. 106 So die Angaben des Fachverbandes Außenwerbung e.V., Frankfurt. Die Plakatanschlagbögen sind national unterschiedlich genormt. In Deutschland ergeben sich die Maße aus DIN 683, branchenweit bekanntgemacht in: Media-Plakat 1997. 107 So die Angaben des FDW e.V., Harnburg und des Fachverbandes Außenwerbung, Frankfurt.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
oder Gewinnspielen untersagt, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 30 EGV daraufhin zu untersuchen, ob das Verbot in einem angemessenen Verhältnis zur Aufrechterhaltung der Medienvielfalt steht. Diese gemeinschaftsrechtliche Anforderung setzt nach Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zunächst eine Untersuchung des Österreichischen Pressemarktes voraus. 108 Demgemäß ist eine gerichtliche Feststellung der spezifischen Wettbewerbssituation sowie der konkreten Nachfrageverlagerung als kumulative Voraussetzungen erforderlich, um ein solches Verbot gemeinschaftsrechtlich rechtfertigen zu können. Daraus wird man allgemein folgern dürfen, daß erst eine spezifische Untersuchung der konkret bestehenden Wettbewerbsfaktoren und ihrer Veränderungen zu erfolgen hat, bevor die EG-rechtlichen Regelungsnotwendigkeiten beurteilt werden können. Da für die Kino- und für die Plakatwerbung ein europäischer Binnenwerbemarkt mit einem regelrechten Wettbewerb zwischen den Herstellern von Werbung in verschiedenen Mitgliedstaaten bisher nicht besteht, bleibt festzuhalten, daß auch etwaige Wettbewerbsverzerrungen auf Grund unterschiedlich hoher Einnahmen aus der Werbung für Tabakerzeugnisse nicht zu besorgen sind.
d) Kompetenzbegrenzung durch die de minimis-Regel Hinzu kommt schließlich, daß nicht bereits jede Form etwaiger Wettbewerbsverzerrungen ausreichen könnte, um eine Kompetenz der Gemeinschaft gemäß Art. lOOa EGV zu begründen. Vielmehr müssen diese spürbar sein. 109 Dahinter steht die Erkenntnis, daß geringfügige Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen nicht binnenmarktrelevant sein können. Im Wettbewerbs- und Beihilfenrecht der EG wird dieser Grundsatz als de minimis-Regel von der Kommission beständig praktiziert. 110 In anderen Rechtsbereichen ist dieser Grundsatz als rule of remoteness vom Gerichtshof zur Begrenzung der Wirkungen des Gemeinschaftsrechts anerkannt worden. 111 108 " .•. daß Zeitschriften, die im Rahmen von Gewinnspielen, Rätseln oder Preisausschreiben, eine Gewinnchance eröffnen, mit kleinen Presseunternehmen im Wettbewerb stehen, von denen angenommen wird, daß sie keine vergleichbaren Preise aussetzen können, und daß eine solche Gewinnchance zu einer Verlagerung der Nachfrage führen kann", EuGH, Urteil vom 26. 6. 1997, Rs. C-368/95- Heinrich Bauer Verlag, in: Tatigkeiten des EuGH und des EuGEI Nr. 19/97, S. 15 (17). 109 So EuGH, Slg. 1991, 2687 (2901 ; Rn. 23) - Titandioxid für Art. 100a EGV; Slg. 1980, 1099 (1106; Rn. 8)- Detergentien für Art. 100 EWGV. uo Mitteilung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fallen, ABI. EG Nr. C 231 vom 12. 9. 1986, S. 2ff.; Mitteilung der Kommission über "de minimis"-Beihilfen, ABI. EG Nr. C 68 vom 6. 3. 1996, S. 9 ff. 111 EuGH, Slg. 1990, 583 (597; Rn. 11)- Krantz; S1g. 1993, 5009 (5020; Rn. 7)- CMC Motorradcenter; tendenziell anders Slg. 1993, 2361 (2390; Rn. 21) - Yves Rocher.
I. Die Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV
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Im Wettbewerbsrecht sind Verfälschungen des Binnenmarktes nach der einschlägigen Mitteilung der Kommission überhaupt erst von Bedeutung für eine nähere Prüfung, wenn sie 5 % des betroffenen Marktes ausmachen und einen Gesamtumsatz von 300 Mio. ECU pro Geschäftsjahr überschreiten. Dieser Grenzwert wird auch als gewahrt angesehen, wenn der jährliche Umsatz in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren um 10% über der Umsatzschwelle liegt. 112 Diese konkrete Ausformulierung der de minimis-Regel hat sich nach Ansicht der Europäischen Kommission nicht vollständig bewährt. Vielmehr hat die Kommission eine Revision der 1986 bekanntgemachten Schwellenwerte am 22. 1. 1997 angekündigt und alle Interessierten aufgefordert, sich zu ihrem Vorschlag zu äußern, auf das Gesamtumsatzkriterium gänzlich zu verzichten und die Marktanteilsschwelle für Vereinbarungen zwischen Unternehmen verschiedener Wirtschaftsstuten von 5% auf 10% anzuheben. 113 Eine dementsprechende Bekanntmachung ist nunmehr von der Europäischen Kommission erfolgt. 114 Für die Frage, ob die Einnahmen der Werbebranche aus der Tabakwerbung zu spürbaren Wettbewerbsverzerrungen führen, gelten diese für das private Kartellrecht entwickelten Werte zwar nicht unmittelbar, jedoch stellen sie einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Frage dar, ob unterschiedliche Einnahmen aus der Tabakwerbung konkret zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem europäischen Werbemarkt führen. Wendet man die genannten Werte auf die Werbung für Tabakwaren an, ist zunächst festzustellen, daß diese Ausgaben nach Angaben der Kommission nur 3 % der Gesamtausgaben für Werbung in der gesamten Gemeinschaft ausmachen. 115 Bereits daraus ergibt sich, daß sowohl der Schwellenwert der Kommissionsmitteilung aus demJahr 1986 als auch der nunmehr vorgeschlagene Schwellenwert von 10% deutlich unterschritten bleibt. Auch wenn der Gesamtumsatz nach dem Vorschlag der Kommission für die Bestimmung der Spürbarkeitsgrenze in Zukunft nicht mehr maßgeblich sein soll, so bestätigt der gemeinschaftsweit mit Tabakwerbung gemachte Gesamtumsatz das Ergebnis fehlender Spürbarkeit etwaiger Wettbewerbsverzerrungen eindeutig. 1994 wurden in der Gemeinschaft (ohne Griechenland, Luxemburg und Öster112 Mitteilung der Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die nicht unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fallen, ABI. EG Nr. C 231 vom 12. 9. 1986, S. 2 (3) geändert durch die Mitteilung der Kommission betreffend die Aktualisierung der Bekanntmachung von 1986 über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, ABI. EG Nr. C 368 vom 23. 12. 1994, S. 20. 113 Kommission ersucht um Stellungnahme zu der geplanten Revision der Bekanntmachung von 19.86 über Vereinbarungen von geringer Bedeutung ("de minimis"), DN: IP/97/ 41 vom 22. l. 1997. 114 Siehe F.A.Z. Nr. 234 vom 09. 10. 1997, S. 19. 115 So die Ermittlungen der Kommission, Dokument Nr. 0437 EN 91800 vom 8. März 1991.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
reich) für Tabakwerbung rund 250 Mio. U.S.-Dollar, also umgerechnet 230 Mio. ECU ausgegeben. 116 Der Schwellenwert mit einem Gesamtumsatz von 300 Mio. ECU dürfte demgemäß auch dann nicht erreicht werden, wenn man die Aufwendungen für die Tabakwerbung inden-relativ kleinen- Mitgliedsländern, für die keine genauen Angaben vorliegen, im Wege einer Schätzung einbezieht. Insgesamt bleibt zu vermerken, daß etwaige Verzerrungen des Wettbewerbs im Binnenmarkt allenfalls in einem marginalen Umfang auftreten können. Die Spürbarkeitsgrenze, die über das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht hinaus allgemein im EG-Recht als sog. rule of remoteness anerkannt ist, wird für die konkreten Wettbewerbswirkungen der Einnahmen aus Tabakwerbung im gesamten Werbemarkt der Gemeinschaft keinesfalls erreicht. Mangels spürbarer Verzerrungseffekte im Binnenmarkt können die fortbestehenden Rechtsunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten eine Zuständigkeit der Gemeinschaft nach Art. lOOa EGV zur Angleichung der Vorschriften über die Werbung für Tabakerzeugnisse nicht begründen. e) Ergebnis
Es ist festzuhalten, daß das vorgeschlagene Werbeverbot für Tabakerzeugnisse aus verschiedenen Gründen nicht auf die Regelungszuständigkeit zur Verwirklichung des Binnenmarktes gestützt werden kann. Bereits grundsätzlich läßt die Befugnis zur Errichtung des Binnenmarktes es nicht zu, eine dem Schutz von Art. 30 EGV unterfallende Form wirtschaftlichen Handeins nahezu vollständig zu unterbinden. Darüber hinaus ermächtigt die Befugnis zur Verwirklichung des Binnenmarktes die EG nicht dazu, allgemeine standortbedingte Wettbewerbsbedingungen einer Rechtsangleichung zu unterziehen. Schließlich fehlt es für die Tabakwerbung, die im wesentlichen auf Plakaten und in Kinos erfolgt, jedenfalls auch an der nennenswerten Spürbarkeit von etwaigen Rechtsunterschieden im Wettbewerb.
II. Die Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips Als Kompetenzausübungsregel setzt der Subsidiaritätsgrundsatz gemeinschaftlichen Handeins das Bestehen einer Zuständigkeit der Gemeinschaft voraus. 117 Zur Beurteilung der vorgeschlagenen Richtlinie für ein Verbot der Tabakwerbung 116 So die Mitteilung der European Association of Advertising Agencies nach Angaben der nationalen Werbeverbände vom 22. 9. 1997. 117 Inzwischen allgemeine Meinung, statt vieler: Markus Heintzen, Subsidiaritätsprinzip und Europäische Gemeinschaft, JZ 1991, S. 317ff.; Clemens Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, 1993, S. 177 ff.; Vlad Constantinesco, "Subsidiarität": Magisches Wort oder Handlungsprinzip der Europäischen Union, EuZW 1991, S. 561 ff.; Konow (Fn. 28), Subsidiaritätsprinzip, DÖV 1993, S. 405 ff.; Stefan Ulrich Pieper, Subsidiaritätsprinzip- Strukturprinzip der Europäischen Union, DVBI. 1993, S. 705 ff.
II. Die Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips
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kommt angesichts der vorstehenden Betrachtung eine Untersuchung des Subsidiaritätsprinzips nur in Betracht, wenn man gleichwohl das Bestehen einer Gemeinschaftskompetenz voraussetzt. 1. Anwendungsvoraussetzungen
Dem Wortlaut der Regelung in Art. 3b Abs. 2 EGV entsprechend kommt das Subsidiaritätsprinzip nur zur Anwendung, wenn es um die Ausübung nicht ausschließlicher Gemeinschaftskompetenzen geht. Daher ist zunächst zu klären, ob die von der Kommission in Anspruch genommene Binnenmarktzuständigkeit nach Art. lOOa EGV eine nicht ausschließliche Regelungsbefugnis darstellt. a) Nicht ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft
Zwar hat die Kommission in einer entsprechenden Mitteilung an Rat und Parlament den Bereich ausschließlicher Kompetenzen der Gemeinschaft so umschrieben, daß auch die Maßnahmen zur Errichtung des Binnenmarktes in den Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten fallen. 118 Im Gegensatz dazu ist im Schrifttum zutreffend hervorgehoben worden, daß gerade die Mitgliedstaaten zur Verwirklichung des Binnenmarktes beitragen können, indem sie bestehende Hemmnisse durch eigene Rechtsetzung und Rechtsanpassung beseitigen. 119 Auch die Kommission hat in ihrer fraglichen Mitteilung zur Handhabung des Subsidiaritätsprinzips hervorgehoben, daß eine Koordinierung mitgliedstaatlicher Rechtshandlungen gegenüber einer gemeinschaftlichen Harmonisierung bevorzugt zum Einsatz kommen sol1.120 Das setzt das Bestehen entsprechender Handlungsbefugnisse von seiten der Mitgliedstaaten indes voraus. Da die Kommission in ihrer kompetenzrechtlichen Begutachtung der vorgeschlagenen Richtlinie über ein Werbeverbot für Tabakwaren auch zur Frage ihrer Vereinbarkeil mit dem Subsidiaritätsprinzip Stellung bezieht 121 , wird einhellig angenommen, daß das Subsidiaritätsprinzip auf die vorgeschlagene Richtlinie Anwendung findet.
118 So die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 27. 10. 1992, Bulletin EG 10/1992, S. 118 (122f.). 119 So namentlich Ivo E. Schwartz, EG-Kompetenzen für den Binnenmarkt: Exklusiv oder konkurrierend I subsidiär, in: Festschrift für Everling, 1995, S. 1331 (1347). 12o So die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 27. 10. 1992, Bulletin EG 10/1992, S. 118 (122f.). 121 So Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour le tabac- base juridique, Document de travail des services de la Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. 11.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
b) Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips
Mangels einschlägiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Frage der Justitiabilität des Subsidiaritätsprinzips in der Vergangenheit lebhaft diskutiert worden. Während die Zweifel an der Leistungsfähigkeit einer gerichtlichen Kontrolle durch den EuGH, die notwendigerweise auf die rechtliche Nachprüfung der Erwägungen des Gemeinschaftsgesetzgebers beschränkt ist, weiterhin zu beachten sind 122, ist in der Zwischenzeit allgemein anerkannt, daß das Prinzip der Subsidiarität einen justitiableu Rechtssatz darstellt, der sehr wohl einer gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Die zur Intensität der Kontrolle vielfach geäußerte Zurückhaltung 123 betrifft mangels unmittelbar einschlägiger Rechtsprechung des EuGH eine bisher offene Frage. Die prozedurale Aufbereitung des Subsidiaritätsprinzips, wie sie zwischen Rat, Kommission und Europäischem Parlament vereinbart ist124, leitet die Rechtsprechung indes in einer Weise an, die dem Gerichtshof durchaus vertraut ist. 125 Deshalb ist von einer effektiven Rechtskontrolle des Prinzips der Subsidiarität durch den Gerichtshof auszugehen. 2. Die inhaltlichen Maßstäbe der Subsidiaritätsprüfung
Daher kann im folgenden der Frage nachgegangen werden, ob die vorgeschlagene Richtlinie über ein vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte den materiellen Anforderungen entspricht, die vom Subsidiaritätsprinzip gestellt werden. Die Europäische Kommission hat das vorgeschlagene Werbeverbot im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip mit der Überlegung gerechtfertigt, allein die Gemeinschaft sei zur Beseitigung der bestehenden Unterschiede im Rahmen des Binnenmarktes in der Lage. 126 Gerade im Hinblick auf diese Schlußfolgerung bestehen indes durchgreifende Zweifel, ob das vorgeschlagene Werbeverbot den normativen Vorgaben entspricht, die das Subsidiaritätsprinzip enthält.
122 Vgl. dazu die Mahnung in BVerfGE 89, 155 (211 f.); und Möschel, Politische Union für Europa: Wunschtraum oder Alptraum, JZ 1992, S. 877 (882); Josef Scherer, Subsidiaritätsprinzip und EG-Agrarreform, DVBI. 1993, S. 281 (284); Annin von Bogdandy /Martin Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3b Rn. 41. 123 Bsplsw. von Bogdandy/Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Art. 3b Rn. 41 m.w.N. 124 Vgl. die Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen Rat, Parlament und Kommission, EuGRZ 1993, S. 603 f. 12s Vgl. dazu EuGH, Slg. 1991, 5469ff. - TU München; zum ganzen Stefan Langner, Subsidiarität und Anerkennungsprinzip, Zur Operationalisierung des Subsidiaritätsprinzips, ZG 1993, s. 193 ff. 126 So Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour Je tabac - base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 03. 1994, S. 11 - Hervorhebung nur hier.
Il. Die Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips
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a) Die Maßstäbe des Subsidiaritätsprotokolls von Amsterdam
Ohne den Normtext des Subsidiaritätsprinzips in Art. 3b EGV zu modifizieren, hat die Regierungskonferenz in Amsterdam ein Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit angenommen, um die schon zitierte interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Parlament, der Kommission und dem Rat sowie die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Birmingham und Edinburgh normativ zu befestigen und inhaltlich zu konkretisieren.127 Dabei handelt es sich um eine authentische Interpretation des bereits im Maastrichter Unionsvertrag enthaltenen Prinzips der Subsidiarität, der auf Grund ihres deklaratorischen Charakters schon heute normative Geltungskraft zukommt, ohne daß es für diese Annahme einer besonderen Begründung über das Rechtsinstitut der Vorwirkung von Gesetzen bedürfte. 128 Das Subsidiaritätsprotokoll zum Amsterdamer Vertrag bestimmt, daß Maßnahmen der Gemeinschaft nur gerechtfertigt sind, wenn deren Ziele nicht zureichend mit Maßnahmen der Mitgliedstaaten erreicht werden können und daher besser von der Gemeinschaft bewirkt werden. Dazu nennt das Protokoll folgende Leitlinien: "Der betreffende Bereich weist transnationale Aspekte auf, die durch Maßnahmen der Mitgliedstaaten nicht ausreichend geregelt werden können, - alleinige Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder das Fehlen von Gemeinschaftsmaßnahmen würden gegen die Anforderungen des Vertrages (beispielsweise Erfordernis der Korrektur von Wettbewerbsverzerrungen, der Vermeidung verschleierter Handelsbeschränkungen oder der Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts) verstoßen oder auf sonstige Weise die Interessen der Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigen, Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene würden wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen im Vergleich zu Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten deutliche Vorteile mit sich bringen". 129 b) Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip
Wendet man diese inhaltlichen Kriterien auf den Vorschlag der Europäischen Kommission über das vollständige Werbeverbot für Tabakerzeugnisse an, wird deutlich, daß sie den Anforderungen der so verstandenen Subsidiaritätsidee gleich in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht werden. 127 Siehe die Erwägungsgründe des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zum Vertrag von Amsterdam, http: II ue.eu.int I Amsterdam I del treaty I citizen I main.htm., S. 15. 128 Dazu allgemein Michael Kloepfer, Die Vorwirkung von Gesetzen, 1972. 129 Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zum Vertrag von Amsterdam, http: II ue.eu.int I Amsterdam I de I treaty I citizen I main.htm., S. 15- Hervorhebung nur hier.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Erstens weist die Tabakwerbung transnationale Aspekte nur bei einer grenzüberschreitenden Verbreitung auf, die bei der Kino- und der Plakatwerbung nicht gegeben ist und für die Presse nur in bescheidenem Umfang in Betracht kommt. 130 Zweitens können sehr wohl ausreichende Regelungen für diesen Bereich der Werbung in Presseerzeugnissen auf der Ebene der Mitgliedstaaten erlassen werden, um nur die transnationalen Wirkungen zu erfassen. Drittens sind keinerlei Verzerrungen der Wettbewerbsverhältnisse festzustellen, die so bedeutsam sind, daß sie die Interessen der Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigen und daher eine Korrektur erforderlich machen. Schließlich bringt eine Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene gegenüber mitgliedstaatlichem Handeln nach Umfang und Wirkung keine deutlichen Vorteile für den Binnenmarkt mit sich. Etwaig entstehende Vorteile könnten sich möglicherweise für den Schutz der menschlichen Gesundheit ergeben. Solche Vorteile im Wege einer europäischen Harmonisierung zu erstreben, ist der Gemeinschaft im Harmonisierungsverbot des Art. 129 Abs. 4, 1. Spiegelstrich EGV indes primärrechtlich versagt geblieben. 3. Ergebnis
Die vorgeschlagene Richtlinie über ein vollständiges Verbot der direkten und der sog. indirekten Werbung für Tabakwaren verstößt mithin gegen die Anforderungen des Grundsatzes der Subsidiarität gemäß Art. 3b EGV. 131
111. Die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 3b Abs. 3 EGV Das Primärrecht der Gemeinschaft enthält neben dem Grundsatz der Subsidiarität eine zweite wichtige Schranke zur Ausübung ihrer Kompetenzen, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Wie das Prinzip der Subsidiarität setzt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit das Bestehen einer Gemeinschaftskompetenz voraus. Auf Grund der vorstehenden Untersuchung, nach der die von der Kommission beanspruchte Regelungsbefugnis der EG nach Art. lOOa EGV zum Erlaß des vorgeschlagenen Werbeverbots gerade nicht geeignet ist, wird die Verhältnismäßigkeit der vorgeschlagenen Regelung der Vollständigkeit halber geprüft.
130 Siehe die Angaben bei Weiler I Simma (Fn. 75), Der geänderte Vorschlag der Kommission, S. 73ff., Rn. 8.1400.6-8. 14. 12. 131 Im Ergebnis ebenso schon Weiler/Simma (Fn. 75), Der geänderte Vorschlag der Kommission, S. 84 Rn. 8.25; Manfred Dauses, Tabakrauch und Werbeverbot Neuer Institutionenkonflikt am Horizont?, EuZW 1994, S. 545; Stewing, Verfassungs- und europarechtliche Grenzen einer Werbebeschränkung für Tabakerzeugnisse, RIW 1993, S. 185 ff.
III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gern. Art. 3b Abs. 3 EGV
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1. Der gemeinschaftsrechtliche Prüfungsmaßstab
Während der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seinen Platz im Rahmen der Grundrechtsprüfung in der Rechtsprechung des EuGH als allgemeiner Rechtsgrundsatz gefunden hatte, ist gerade in der jüngeren Rechtsprechung eine normative Verselbständigung dieses Grundsatzes zu verzeichnen. 132 In Art. 3b Abs. 3 EGV ist dieser gleichsam "vor die Klammer" gezogen worden. Für die nachstehende Untersuchung hat das zur Folge, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung in ein spezifisch kompetenzrechtliches Ambiente eingebunden ist und unter dem Vorzeichen erfolgt, ob die mit dem beabsichtigten Werbeverbot erfolgte Ausschöpfung der Gemeinschaftskompetenzen über das Maß hinaus geht, das zur Erreichung der Ziele des Vertrages erforderlich ist. 133 Daher ist das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Tabakwerbung gleich in zweifacher Hinsicht daraufhin zu überprüfen, ob es zur Erreichung der Ziele des Vertrages in dieser spezifischen Form erforderlich ist. Demgemäß sind die vorgeschlagenen Verhotstatbestände daraufhin zu untersuchen, ob sie "zur Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen, ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen.'.J 34 Die Rigidität dieser Anforderungen, die mit dem Schutzniveau des deutschrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips durchaus vergleichbar sind, wird vom EuGH indes weitgehend relativiert, indem er sogleich dem Gemeinschaftsgesetzgeber einen seiner politischen Verantwortung entsprechenden Ermessensspielraum konzediert und daraus den Schluß zieht, eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit komme erst in Betracht, "wenn diese Maßnahme zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist". 135 Anband dieses Prüfungsmaßstabs stellt sich mithin die Frage, ob das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Werbung für Tabakwaren einerseits zur Verwirklichung des Binnenmarktes und andererseits zum Schutz menschlicher Gesundheit auf hohem Niveau nach Art. 1OOa Abs. 3, Art. 3 lit. o) EGV erforderlich ist.
132 So EuGH, Slg. 1989, 2237 (2267 f.; Rn. 13 ff. einerseits und 2269 f.; Rn. 21 ff. andererseits)- Schräder; Slg. 1994, 4937 (5065 ff.; Rn. 78 ff. einerseits und 5068 ff. ; Rn. 88 ff. andererseits)- Bananenmarktordnung; auch Slg. 1992, 35 (62 f.; Rn. 13) - Kühn. 133 Paradigmatisch ist die Prüfung des EuGH, Slg. 1994, 4973 (5068 ff.; Rn. 88 ff.) Bananenmarktordnung; zur Kritik siehe Everling, Will Europe slip on Bananas? The Bananas judgement of the Court of Justice and National Courts, CMLRev. 33 (1996), S. 401 (418 f.). 134 So EuGH, Slg. 1989, 2237 (2269; Rn. 21)- Schräder. 135 So EuGH, Slg. 1989, 2237 (2270; Rn. 22) - Schräder; auch Slg. 1990, 435 (481; Rn. 14)- Wuidart; Slg. 1990, 4023 (4063; Rn. 14f.)- Fedesa; Slg. 1994, 4973 (5068f.; Rn. 90 f.) - Bananenmarktordnung.
4 von Danwitz
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
2. Erforderlichkeil zur Binnenmarktverwirklichung
Das vorgeschlagene Verbot direkter und indirekter Werbung für Tabakerzeugnisse ist zunächst daraufhin zu untersuchen, ob es eine geeignete Maßnahme zur Verwirklichung des Binnenmarktes darstellt. Diese Frage läßt sich indes nicht integral für den gesamten Richtlinienvorschlag beantworten. Vielmehr sind die einzelnen Verbotstatbestände gesondert zu betrachten. a) Das Verbot der Gratisverteilung
Gemäß Art. 2 Abs. 4 der vorgeschlagenen Richtlinie soll jede Gratisverteilung von Tabakerzeugnissen verboten werden. Diese Gratisverteilungen können als spezifische Werbeform für den Tabakkonsum betrachtet werden, sie entfaltet aber ersichtlich keinen Bezug zum Binnenmarkt. Gemessen am geringen Wert der verteilten Proben sind direkte Wirkungen auf den gemeinsamen Markt im Tabakbereich eo ipso ausgeschlossen. Auch mittelbare Effekte können angesichts der punktuellen Werbewirkung dieser Gratisverteilungen nur als derart marginal angesehen werden, daß ein Binnenmarktbezug bereits offensichtlich ausscheidet. 136 Mangels ersichtlichen Binnenmarktbezuges kann das Verbot von Gratisverteilungen bereits offensichtlich nicht als Maßnahme angesehen werden, die in irgendeiner Weise erforderlich für die Verwirklichung des Binnenmarktes ist. b) Das Verbot indirekter Werbung
Das in Art. 2 Abs. 2 des geänderten Richtlinienvorschlags zur Angleichung der Vorschriften über die Tabakwerbung enthaltene Verbot der sog. indirekten Werbung ist im Hinblick auf seine Eignung zur Binnenmarktverwirklichung näher zu untersuchen. Zwar läßt sich allgemein kaum bestreiten, daß die Angleichung von Rechtsvorschriften über die Werbung mit Handelsmarken von Tabakprodukten für andere Erzeugnisse durchaus einen gewissen Harmonisierungseffekt im Binnenmarkt entfalten kann. Insoweit ist ein Binnenmarktbezug nicht bereits völlig ausgeschlossen. Jedoch beinhaltet die vorgeschlagene Richtlinie dieses Verbot nicht, um einheitliche Werberegeln für bestimmte Produkte zu erlassen. Ratio legis ist der von einer derartigen Werbeform "indirekt" ausgehende Werbeeffekt für Tabakerzeugnisse. Die indirekte Werbung wird im Richtlinienvorschlag mithin nur als besondere Erscheinungsform der Tabakwerbung angesehen. 137
So bereits Wägenbaur (Fn. 37), EuZW 1995, S. 434. Siehe dazu den 16. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 (7). 136 137
III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gern. Art. 3b Abs. 3 EGV
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aa) Geeignetheit des Verbots indirekter Werbung Thr Verbot dient also nicht der Harrnonisierung von Regelungen über Werbung für diese Produkte, sondern der Vereitelung von zusätzlichen Werbeeffekten für Tabakwaren. Für die in diesem Zusammenhang festzustellende Eignung dieser Bestimmung für die Verwirklichung des Binnenmarktes kann es daher nicht auf die Wirkungen in dem eigentlich betroffenen Markt ankommen. Vielmehr kann nur die Eignung des Verbots indirekter Werbung für die Binnenmarktverwirklichung im Bereich der Tabakwerbung in Betracht kommen. Der Richtlinienvorschlag trifft dazu die Feststellung: "Alle Formen der indirekten Werbung erzeugen die gleichen Wirkungen wie direkte Werbung. Es sind daher auch alle Formen der indirekten Werbung zu untersagen, in denen das Tabakerzeugnis zwar nicht direkt erwähnt wird, in denen aber eine Marke, ein Emblem, ein Symbol oder ein anderes unverwechselbares Erkennungszeichen benutzt wird, das gewöhnlich für Tabakerzeugnisse verwendet wird". 138
Zwar mag ein Werbeverbot für diese Produkte in gewisser Weise auch zur Bekanntheit einer Handelsmarke beitragen, die mit Tabakerzeugnissen gemeinhin in Zusammenhang gebracht wird. Ob eine solche Imagepflege von eingeführten Handelsmarken jedoch überhaupt Auswirkungen auf den Binnenmarkt der eigentlichen Tabakwerbung haben kann, ist zwar denkbar, aber zu ungewiß, um daran normative Wirkungen knüpfen zu können. 139 Darüber hinaus ist jedoch die von der Kommission aufgestellte Behauptung, alle Formen von indirekter Werbung erzeugten "die gleichen Wirkungen wie direkte Werbung" 140 in dieser Allgemeinheit nicht haltbar. Die Kommission bezieht sich dazu auf eine Studie, die von der mangelnden Fähigkeit Jugendlicher zur Unterscheidung zwischen den Werbebotschaften ausgeht. 141
Im Hinblick auf einzelne Erzeugnisse, die unter der Handelsmarke eines Tabakproduktes vertrieben werden, mag dies in Betracht kommen, andere Werbeformen haben sich weitgehend verselbständigt und streben eine einheitliche Werbebotschaft gar nicht an, so daß die Annahme einer übereinstimmenden Wirkung nicht recht nachvollziehbar ist. 142 138 So der 16. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 (7). 139 So die vom EuGH zum Binnenmarkt entwickelte rule of remoteness, Slg. 1990, 583 (597; Rn. 11) - Krantz; Slg. 1993, 5009 (5020; Rn. 7) - CMC Motorradcenter. 140 So der 16. Erwägungsgrund des geänderten Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 (7). 141 So die Feststellung der Europäischen Kommission im Arbeitsdokument Nr. 0437EN91800 vom 8. 3. 1991. 142 Zu denken ist bsplsw. an Parfumprodukte, die unter der Handelsmarke "Davidoff' beworben werden ("Cool Water"). Gleiches gilt für die "Lux"-Kosmetika, so schon Wägenbaur (Fn. 37), EuZW 1995, S. 434.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Auch wenn der Schutz Jugendlicher vor dem Rauchen insoweit von wesentlicher Bedeutung ist, so handelt es sich lediglich um eine bestimmte Zielgruppe dieser Werbung. Deswegen ist es schon aus methodischer Sicht unhaltbar, von den spezifischen Wirkungen der indirekten Werbung für diesen Adressatenkreis auf eine nach Art und Intensität identische Wirkung für alle Adressaten solcher Produktwerbung zu schließen. Hinzu kommt schließlich, daß die vorgeschlagene Regelung eine zielgerichtete Werbung für Tabakerzeugnisse in indirekter Art und Weise sehr wohl zuläßt, wenn diese nur ,,im Windschatten" eines schon länger angemeldeten und erheblich umsatzstärkeren Produktes erfolgt. Gemessen an dem generellen Ausschluß, den die vorgeschlagene Regelung unter bestimmten Voraussetzungen bewirkt, belegt diese offenkundige Lücke, wie ungeeignet das vorgeschlagene Verbot indirekter Werbung zur Angleichung der Rechtsvorschriften im Binnenmarkt ist. Insgesamt beruht die prinzipielle Gleichsetzung von direkter und indirekter Werbung auf einer Annahme der Kommission über die sich insgesamt ergebenden Wirkungen dieser Werbeformen, die nicht nachvollziehbar begründet und aus sich heraus auch nicht verständlich ist. Die pauschale Gleichsetzung von direkten und indirekten Werbeformen beruht letztlich auf einer offensichtlich irrigen Annahme der gleichen Wirkung eines solchen Verbots der indirekten Werbung. 143 Daher fehlt es bereits an der europarechtlich vorausgesetzten Geeignetheit des vorgeschlagenen Verbots indirekter Werbung für Tabakwaren. bb) Erforderlichkeit eines Verbots indirekter Werbung Darüber hinaus ist ein solch pauschales Verbot der indirekten Werbung auch nicht erforderlich, um eine Rechtsangleichung im Binnenmarkt der Tabakwerbung zu erreichen. Diese Vorgabe kann durch eine Regelung erreicht werden, die die Werbung für sog. Nichttabakprodukte weniger stark beschränkt, gleichwohl aber eine Umgehung des Werbeverbotes für Tabakerzeugnisse effektiv gewährleistet. 144 Gemessen am Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs ist die Verhinderung zusätzlicher Werbeeffekte und ihrer Konsequenzen im Binnenmarkt der eigentlich legitimierende Aspekt für diese Regelung. Vergleicht man dieses Ziel mit der tatbestandliehen Fassung der Verbotsnorm, sind indes wesentliche Unterschiede zu verzeichnen. Das Verbot indirekter Werbung in Art. 2 Abs. 2 des Richtlinienvorschlages findet jedoch nach Abs. 2a keine Anwendung, wenn der Umsatz für Tabakerzeugnisse nicht mehr als die Hälfte vom Umsatz der anderen Erzeugnisse ausmacht, die unter dieser Handelsmarke verkauft werden, und diese Marke für andere Erzeugnisse früher angemeldet wurde. Anband dieser Kriterien soll sichergestellt werden, daß eine solche Werbung nicht den Tabakprodukten, sondern tat143 144
So der Prüfungsmaßstab des EuGH, Slg. 1990,435 (481; Rn. 14) - Wuidart. So auch der Ansatz von Wägenbaur (Fn. 37), EuZW 1995, S. 434.
III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gern. Art. 3b Abs. 3 EGV
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sächlich den beworbenen Erzeugnissen dient. Dazu wäre jedoch eine Regel ausreichend, die auf die konkrete Werbung abstellt und solche Formen von indirekter Werbung zuläßt, für die keine Verwechslungsgefahr mit Tabakerzeugnissen besteht und die nicht darauf gerichtet sind, die Werbung für Tabakerzeugnisse zu ergänzen und ihren Absatz zu fördern. Eine solche Regelung der Richtlinie könnte z. B. lauten: "Die Bestimmungen von Absatz 2 berühren nicht das Recht eines Unternehmens, für andere Erzeugnisse unter seiner Handelsmarke zu werben, wenn a) die Gefahr der Verwechslung mit Tabakerzeugnissen auf Grund der Art des Produktes sowie der für es eingesetzten Werbung ausgeschlossen ist und b) diese ersichtlich nicht darauf gerichtet ist, Werbung für Tabakerzeugnisse zu ergänzen und so ihren Absatz zu fördern".
Deshalb ist festzuhalten, daß das vorgeschlagene Verbot einer indirekten Werbung nicht auf das erforderliche Maß beschränkt ist, um die Umgehung des allgemeinen Verbots für Tabakwerbung zu gewährleisten. c) Erforderlichkeif eines pauschalen Verbotes Abschließend erhebt sich die Frage, ob die Verwirklichung des Binnenmarktes als Ziel des EG-Vertrags auch ein vollständiges Verbot jeglicher Tabakwerbung erfordert. 145 aa) Die Grenzen der Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV Sofern man in Übereinstimmung mit dem vorstehend entwickelten Umfang der Binnenmarktkompetenz nach Art. lOOa EGV 146 von der Begrenzung dieser Regelungsmacht auf eine Beseitigung von Hemmnissen für die Verwirklichung der Grundfreiheiten im Binnenmarkt ausgeht, liegt es gleichsam auf der Hand, daß die Erstreckung des Werbeverbotes für Tabakerzeugnisse auf die standortgebundenen Werbeträger wie die Plakate und das Kino, die auf dem nationalen Markt beschränkt eingesetzt werden und nicht im Rahmen des Binnenmarktes zirkulieren, den Rahmen des Erforderlichen sprengt. 147 Der Verstoß des vorgeschlagenen Werbeverbotes für Tabakwaren gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedarf aus dieser Sicht keiner weitergehenden Darlegung mehr. 145 Zu diesem absoluten Verbot sieht die vorgeschlagene Richtlinie in Art. 3 lediglich die Ausnahme vor, daß die Mitgliedstaaten in Tabakgeschäften Werbung zulassen können, sofern diese von außen nicht sichtbar ist; siehe den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 (8). 146 siehe oben, B. I. 3. 147 So bsplsw. Kevekordes (Fn. 88), Tabakwerbung, S. 170ff.; ebenso auch Dauses, Europarechtliches Gutachten über die Frage eines totalen Verbots von Tabakwerbung, S. 22 f.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
bb) Grenzen für die Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen Demgegenüber ist es von besonderem Interesse, ob die vorgeschlagene Regelung eines vollständigen Verbotes der Werbung für Tabakprodukte erforderlich ist, wenn man vom Rechtsstandpunkt der Europäischen Kommission ausgeht und die Beseitigung standortbedingter Wettbewerbsverzerrungen als ein legitimes, von der Binnenmarktzuständigkeit des Art. lOOa EGV umfaßtes Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie ansieht und auch die bestehenden Wettbewerbsunterschiede für so wichtig hält, daß sie eine Rechtsangleichung notwendig machen. Diese von der Kommission im einzelnen dargelegte und bereits behandelte Voraussetzung 148 vermag nur eine Antwort auf die Frage nach der prinzipiellen Notwendigkeit einer Rechtsangleichung, also nach dem "Ob" der Harmonisierung der mitgliedstaatliehen Regelungen über die Tabakwerbung zu geben. Davon strikt zu unterscheiden ist aber die Frage nach der konkret erforderlichen Ausgestaltung einer solchen Rechtsangleichung, also nach dem "Wie" der konkreten Angleichungsmaßnahme. Zu dieser sachlich entscheidenden Frage führt die Kommission nur aus: .La Commission a legitimement considere qu'une proposition d'harmonisation calquee sur les lois nationales les plus strictes etait proportionee au double objectif de fonctionnement du marche commun et de protection de Ia sante publique qu'elle poursuit".149
Es mag aus der Sicht der Kommission durchaus ermessensgerecht erscheinen, ihre Harmonisierungsvorschläge nach Art. lOOa Abs. 3, Art. 3 lit. o) EGV am gemeinschaftsweit höchsten Schutzniveau zu orientieren. Diese Schutzverpflichtung vermag jedoch nicht von der primärrechtlichen Verpflichtung gemäß Art. 3b Abs. 3 EGV zu dispensieren, die Regelungen so zu gestalten, daß sie dem Erfordernis des geringstmöglichen Eingriffs entsprechen. Zur Rechtfertigung ihres Vorschlags weist die Kommission mit dieser Argumentation ersichtlich auf die Notwendigkeit eines hohen Gesundheitsschutzes hin. Zugleich steht damit aber auch fest, daß die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen als Begründung gerade für die Erforderlichkeit einer solchen, auf das vollständige Verbot der Tabakwerbung gerichteten Regelung nicht in Betracht kommt: Wettbewerbsverzerrungen würden auch durch jede andere Regelung der Tabakwerbung in Europa in gleicher Weise verhindert. Festzuhalten bleibt, daß die spezifische Rechtfertigungslast, die durch die besondere Eingriffsintensität eines umfassenden Werbeverbotes im Hinblick auf das Ver148 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour Je tabac- base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. 9 ff. sowie die Prüfung (B. I. 3. c). 149 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Directive relative a Ia publicite pour Je tabac- base juridique, Document de travail des services de Ia Commission, Sec (94) 566 vom 29. 3. 1994, S. II. Es bleibt anzumerken, daß die dafür in Anspruch genommene EuGHRechtsprechung, Slg. 1990, 2515 (2532f.; Rn. 10) - Zardi - die gemachte Aussage nicht zu stützen vermag.
III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gern. Art. 3b Abs. 3 EGV
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hältnismäßigkeitsprinzip in Art. 3b Abs. 3 EGV ausgelöst wird, ausschließlich durch Gründe des Gesundheitsschutzes getragen werden. Durch das Vertragsziel der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen nach Art. 3 lit. g) EGV läßt sich die konkret vorgeschlagene Regelung eines vollständigen Werbeverbotes indes nicht rechtfertigen.
3. Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes
Die vorgeschlagene Regelung eines vollständigen Werbeverbotes für Tabakerzeugnisse kann vor dem primärrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mithin nur bestehen, wenn sich dieses Werbeverbot nach Art und Umfang aus Gründen des Schutzes der menschlichen Gesundheit als erforderlich erweist. a) Eignung des Werbeverbots zum Gesundheitsschutz
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 3b Abs. 3 EGV stellt sich daher zunächst die Frage, ob ein umfassendes Werbeverbot für Tabakerzeugnisse geeignet ist, dem Schutz der menschlichen Gesundheit zu dienen. Konkret bedeutet dies, daß das vorgeschlagene Werbeverbot geeignet sein muß, den Konsum von Tabakwaren zu senken. So selbstverständlich es im Rahmen jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung sein mag, die Wirkungsweise der konkret überprüften Regelung zu untersuchen, so bedeutsam ist dies gerade im vorliegenden Zusammenhang. Demnach geht es also darum, ob ein Werbeverbot geeignet ist, den Tabakkonsum zu verringern. Erforderlich ist mithin die Feststellung, daß ein Werbeverbot einen negativen Effekt auf den Tabakkonsum zu bewirken vermag. aa) Die empirische Basis für die Eignungsbewertung Diese Feststellung läßt sich indes nicht durch den Hinweis auf den Zweck der Werbung erbringen, einen Anreiz zum Konsum der beworbenen Produkte zu bewirken. 150 Angesichts der spezifischen Konsumform von Tabakerzeugnissen, die maßgeblich von Gewohnheiten, sozialen Einflußfaktoren und sekundären Motivationselementen beeinflußt wird, ist vielmehr die Frage entscheidend, ob der Wegfall dieser Werbung auch zu einem verringerten Tabakkonsum führt. Die Plausibilität des üblicherweise vorgebrachten Arguments, daß der erhebliche finanzielle Aufwand für die Tabakwerbung nicht gemacht würde, wenn auf diese Weise keine 150 So aber EuGH, Slg. 1980, 2299 (2316; Rn. 17) - Werbung für alkoholische Getränke; Slg. 1991,4151 (4184; Rn. 15)- Aragonesa Publicidad Exterior.
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
positiven Konsumanreize geschaffen würden, so daß ein Wegfall dieses Stimulationsfaktors auch zu verringertem Konsum führen werde, mag für eine solch komplexe Prognose, die vom Einfluß unterschiedlicher Faktoren und der sachbedingten Unsicherheit geprägt wird, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden 151 , als plausible Alltagserfahrung eine zureichende Basis für die Bewertung durch den Gemeinschaftsgesetzgeber bilden, solange keine gegenteiligen Erkenntnisse über die Konsumauswirkungen von Werbeverboten vorliegen. Derartige Erkenntnisse werden -neben anderen Untersuchungen- insbesondere auf Grund einer vergleichenden ökonometrischen Untersuchung in 6 OECD-Mitgliedstaaten erbracht, in denen ein Verbot von Tabakwerbung seit längerer Zeit besteht. 152 Auf der Grundlage des ausgewerteten Datenmaterials, das der OECD von den Regierungen offiziell übermittelt wird, kommt die Studie zu folgendem Ergebnis: "When the data are analysed in an as neutral and unbiased way as possible, they do not show any negative effect of advertising bans on tobacco consumption. lndeed they suggest, but do not prove, that they may have had the opposite effect to that intended." .153
Dieses zunächst als unwahrscheinlich angesehene Ergebnis wird wie folgt erklärt: "It is not now possible to ban only tobacco advertising; what would be banned would be tobacco advertisements incorporating a health waring. (The mean year of introduction of health warnings in cigarette advertisements in the 16 OECD countries without advertising bans was 1979). Whereas tobacco advertisements themselves may have no effect on tobacco consumption (and they are not designed to do so, only to attract smokers from other brands), the hea1th warning is there to remind smokers of information already received from numerous sources concerning the risks associated with smoking. Health warnings in advertisements may thus have some different effect. If so, abo1ishing ,tobacco advertising' would have a positive effect on consumption. The minimum of 10 per cent ofthe space of each advertisement now required in the EC to be devoted to a health warning is the equivalent of millions of ECUs of ongoing anti-smoking advertising across the European Community.
That countries which continue to have government-backed health warnings widely disseminated through tobacco advertisements have reduced their tobacco consumption, relative to countries which have stopped doing so, is thus not really so implausible.'" 54 !51 Vgl. die wohl übereinstimmenden Argumentationstopoi des EuGH, Slg. 1994, 4973 (5068 f.; Rn. 90) - Bananenmarktordnung und des BVerfGE 50, 290 (332 f.) - Mitbestimmung; 88, 203 (262f.). !52 Michael Stewart, The Effect on Tobacco Consumption of Advertising Bans in OECD Countries, in: Luik/Waterson (Hrsg.), Advertising & Marktes - A collection of seminal papers, 1996, S. 275 ff. Bei den untersuchten Ländern, von denen drei Mitgliedstaaten der EG sind, handelt es sich um lsland, Finnland, Italien, Norwegen, Portugal und Kanada. !53 So Stewart (Fn. 152), The Effect on Tobacco Consumption, S. 289- Hervorhebung nur hier. !54 So Stewart (Fn. 152), The Effect on Tobacco Consumption, S. 289.
III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gern. Art. 3b Abs. 3 EGV
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Auf Grund dieser ökonometrischen Studie erscheint es durchaus möglich, daß der mit einem vollständigen Werbeverbot für Tabakerzeugnisse einhergehende Wegfall der Warnhinweise dazu beiträgt, daß der Tabakkonsum über längere Zeit zunimmt und aus sich heraus keinen Beitrag zum Gesundheitsschutz leistet. Für den Gemeinschaftsgesetzgeber kann die genannte Studie nun selbstverständlich nicht die allein maßgebliche Grundlage für seine Einschätzungen der Wirkungen eines Werbeverbots bilden. Angesichts derartiger Erkenntnisse zu den möglichen Wirkungen eines vollständigen Werbeverbotes für Tabakwaren ist es ihm hingegen verwehrt, seine Entscheidung über die Eignung eines Werbeverbotes für Tabakwaren auf die scheinbare Plausibilität der bloßen Vorstellung zu stützen, daß nach Beseitigung eines Konsumanreizes auch der Konsum selbst zurückgehen werde. Die vorliegenden Studien über gegenteilige Auswirkungen machen es vielmehr nun erforderlich, anband entsprechender Erhebungen festzustellen, daß ein Werbeverbot für Tabakwaren erkennbar zur Senkung des Tabakkonsums beiträgt und auf diese Weise das Regelungsziel des Gesundheitsschutzes fördert. Solange jedoch dem Gemeinschaftsgesetzgeber diesbezüglich kein Datenmaterial vorliegt, das auf einen konkreten Beitrag eines Werbeverbotes zur Verringerung des Tabakkonsums schließen läßt, kann auch die positiv festzustellende Eignung einer so einschränkenden Regelung nicht angenommen werden. bb) Empirische Eignungsbewertung zum Schutz Heranwachsender Da die vorstehenden Untersuchungsergebnisse nur allgemein auf eine Entwicklung des Tabakkonsums infolge von Werbeverboten bezogen sind, können sie nicht ohne weiteres auf die Wirkung von Tabakwerbung für die Adressatengruppe der Heranwachsenden übertragen werden. Jedoch ist der von der Kommission durch eine Studie belegten 155 , mit Alltagserfahrungen übereinstimmenden Annahme, daß Werbung für Tabakprodukte auch darauf abzielt, Heranwachsende neu als Raucher zu "gewinnen", ebenfalls durch eine ökonometrische Untersuchung der Wirkungen des Werbeverbots in Kanada auf den Tabakkonsum Jugendlicher widersprochen worden. 156 Gemessen an dieser Untersuchung kann auch für die Gruppe der Heranwachsenden nicht mehr davon ausgegangen werden, daß die Grundannahme des vorgeschlagenen Werbeverbots zutrifft und es tatsächlich zu einer Absenkung des 155 Siehe dazu das Arbeitsdokument der Europäischen Kommission Nr. 0437EN91800 vom 8. 3. 1991. 156 Siehe lohn Luik, The ,Smee Report' as a Contribution to the Tobacco Advertising Debate, in: ders. /Waterson (Hrsg.), Advertising & Markets, 1996, S. 303 (308), der unter Hinweis auf Survey on Smoldng in Canada (1994), Ottawa: Health Canada, feststellt: "FinalJy, and perhaps most significantly, prevalence for those aged 15- 19 actually increased by ,four percentage points since 1991, despite the absence of any tobacco advertising". Daraus zieht er den Schluß: "Indeed, if one were to postulate any relationship based on the Canadian experience it would be that there is an inverse relationship between the advertising ban and juvenile prevalence."
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
Tabakkonsums Jugendlicher beitragen wird. Für die weitere Prüfung, ob das beabsichtigte Werbeverbot für Tabakwaren auch erforderlich ist, d. h. dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs entspricht, wird daher die Eignung von Werbeverboten unterstellt, konkret zur Verringerung des Tabakkonsums beizutragen.
b) Erforderlichkeil eines Werbeverbotes Die Prüfung des vorgeschlagenen Werbeverbots am Maßstab der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 3b Abs. 3 EGV erfordert eine Untersuchung der Frage, ob ein umfassendes Werbeverbot unter den sonst in Betracht kommenden, gleich geeigneten Maßnahmen auch das mildeste, d. h. am wenigsten freiheitseinschränkende Mittel ist. 157 Wenngleich mit gewissen jugendspezifischen Einschränkungen, so ist für die Untersuchung dieser Frage von dem Leitbild des mündigen Verbrauchers auszugehen, dem Produktinformationen zugänglich sind und der zu eigenverantwortlichem Handeln befähigt ist. 158 Als zweiter Ansatzpunkt für eine Untersuchung von Maßnahmen, die gleich geeignet sind, aber weniger freiheitseinschränkend wirken, ist daran anzuknüpfen, daß eine gesundheitsfördernde, konsumsenkende Wirkung von Werbeverboten aus ökonometrischer Sicht bezweifelt werden muß und jedenfalls nicht verläßlich zu quantifizieren ist, sondern lediglich auf Erfahrungen des Alltags beruht. Daher ist auch die Feststellung der gleichen Eignung von alternativ in Betracht kommenden Regelungen auf dieser Beurteilungsgrundlage vorzunehmen. Als hoheitliche Regelungen, die weniger freiheitsbeschränkend wirken, zum Gesundheitsschutz aber in gleichem Maße geeignet erscheinen, sind zum besonderen Schutz Jugendlicher vor allem die folgenden Maßnahmen vorgeschlagen worden: - Verbot jugendspezifischer Werbung; - verstärkte Warnhinweise; - Verkaufsbeschränkungen in Jugendeinrichtungen; - Verkaufsverbote an Jugendliche; - Verbot des Automatenvertriebs; - Erhöhung der Tabaksteuer und Durchführung von Programmen zur Gesundheitserziehung mit diesen Mitteln. 159 157 Siehe dazu EuGH, Slg. 1990, 4023 (4063; Rn. 13)- Fedesa; Slg. 1989, 2237 (2269; Rn. 21) - Schräder; std. Rspr. 158 So allgemein für den Verbraucherschutz Everling, Der Einfluß des EG-Rechts auf das nationale Wettbewerbsrecht im Bereich des Tauschungsschutzes, ZLR 1994, S. 221 (234). 159 Siehe dazu im einzelnen Europäische Kommission (Hrsg.), Öffentliche Gesundheit in Europa, 1997, S. 37 einerseits und BVerfG, Beschluß des 2. Senats vom 22. 1. 1997, 2 BvR
III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gern. Art. 3b Abs. 3 EGV
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Des weiteren werden auch allgemeine Maßnahmen zum Zweck eines verbesserten Gesundheitsschutzes diskutiert, wie bsplsw. ein Rauchverbot am Arbeitsplatz, die kontinuierliche Senkung der Grenzwerte des Nikotin- und Kondensatgehalts und schließlich die Umwidmung der Anbausubventionen für Tabak zur Förderung der Umstellung des Tabakanbaus. 160 Demnach kommen verschiedene, auch werbespezifische Maßnahmen, gerade für einen verbesserten Gesundheitsschutz Jugendlicher zur Reduzierung des Tabakkonsums in Betracht, die fraglos geeignet sind. Jedenfalls eine Kombination jugendspezifischer Maßnahmen der vorgenannten Art erscheint besonders geeignet, um den Gesundheitsschutz zu fördern. Mithin erweist sich, daß ein vollständiges Werbeverbot für Tabakwaren gegenüber den in gleicher Weise zum Gesundheitsschutz geeigneten Maßnahmen der genannten Art weitergehende Freiheitseinschränkungen bewirkt und daher gegen die primärrechtliche Schranke in Art. 3b Abs. 3 EGV verstößt. 4. Gerichtliche Kontrolldichte
Ein anderes Ergebnis läßt sich auch nicht unter Hinweis auf den besonders weiten Gestaltungsspielraum rechtfertigen, den der Gerichtshof dem Gemeinschaftsgesetzgeber konzediert und der seine Kontrolle demzufolge auf ein Mindestmaß beschränkt. 161 So beruht die Erforderlichkeit der vorgeschlagenen Regelung über ein vollständiges Werbeverbot auf einer offenkundig irrigen Annahme bezüglich der Wirkung, die das vorgeschlagene Verbot einer Gratisverteilung und der indirekten Werbung für die Verwirklichung des Binnenmarktes entfalten kann. Darüber hinaus widersprechen ökonometrische Studien in substantieller Weise der auf Alltagserfahrungen basierenden Einschätzung des Richtlinienvorschlags über die Wirkung eines Werbeverbots auf den Konsum von Tabakwaren. Da auch weitere, diesen Gegensatz aufklärende Erkenntnisse über etwaig bestehende Zusammenhänge zwischen der Tabakwerbung und dem Tabakkonsum bisher nicht vorgelegt worden sind, obwohl Mitgliedstaaten und Kommission dies übereinstimmend für erforderlich halten 162, ist festzustellen, daß das von der Kommission vorgeschlagene Werbe1915/91, DVBI. 1997, S. 548 (550), 2. b) dd) und Eike von Hippel, Zum Kampf gegen die Tabak-Epidemie, ZRP 1995, S. 137 (138) andererseits. 160 Siehe auch die von der Kommission in Betracht gezogenen Präventionsmaßnahmen im Rahmen ihrer Politik zur Bekämpfung des Tabakkonsums, in: Europäische Kommission (Hrsg.), Öffentliche Gesundheit in Europa, 1997, S. 37. 161 Vgl. EuGH, Slg. 1994,4973 (5069f.; Rn. 94f.)- Bananenmarktordnung, die von den Besonderheiten dieser Materie so sehr geprägt wird, daß sie schon von daher nicht auf andere Problemkonstellationen übertragen werden kann; kritisch dazu, Everling (Fn. 133), The Bananasjudgement, CMLRev. 33 (1996), S. 418 f. 162 Siehe das Vorhaben der Kommission: "Bewertung von Strategien zur Reduzierung des Tabakkonsums, insbesondere von Einschränkungen der direkten und indirekten Werbung für
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B. Regelungskompetenzen für das vorgeschlagene Werbeverbot im EGV
verbot auf einem inzwischen überholten und durch weitere Erfahrungswerte nicht bestätigten Erkenntnisstand fußt. Daher beruht der Richtlinienvorschlag auch in dieser Hinsicht auf einer offenkundig fehlgehenden Annahme. 5. Ergebnis
Die vorgeschlagene Richtlinie über ein vollständiges Verbot der Tabakwerbung verstößt in verschiedener Hinsicht gegen den primärrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeitnach Art. 3b Abs. 3 EGV. Aus Gründen der Binnenmarktverwirklichung kann das Verbot der Gratisverteilung von Tabakwaren ebensowenig wie das Verbot indirekter Werbung gerechtfertigt werden. Auch der pauschale Ausschluß jeglicher Werbung weist keinen Bezug zur Binnenmarktverwirklichung auf. Daher können ausschließlich Gründe des Gesundheitsschutzes zur Rechtfertigung in Betracht kommen. Die Geeignetheit eines vollständigen Werbeverbots zur Senkung des Tabakkonsums beruht auf Alltagserfahrungen, denen jedoch durch neue ökonometrische Untersuchungen substantiell widersprochen worden ist. In dieser Situation, die maßgeblich von sich widersprechenden Erkenntnissen geprägt wird, verbleiben erhebliche Zweifel, ob das beabsichtigte Werbeverbot auf einer tragfähigen Grundlage beruht und als geeignete Maßnahme des Gesundheitsschutzes angesehen werden kann. Unabhängig davon sind hingegen ebenso geeignete Maßnahmen in großer Zahl verfügbar, gerade um einen besonderen Schutz für Jugendliche zu entfalten. Im Vergleich zu dem vorgeschlagenen vollständigen Werbeverbot wirken diese einzeln und im Zusammenwirken weniger freiheitseinschränkend und sind nach dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs daher vorzuziehen.
Tabakerzeugnisse, die in Mitgliedstaaten vorgenommen worden sind", in: Europäische Kommission (Hrsg.), Öffentliche Gesundheit in Europa, 1997, S. 37.
C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung Die vorgeschlagene Richtlinie über ein umfassendes Verbot der direkten und indirekten Werbung für Tabakprodukte wirft neben dem vorstehend untersuchten Problem, ob die Gemeinschaft über die dafür erforderliche Zuständigkeit verfügt, auch die Frage auf, ob eine solche Regelung in Einklang mit den Grundrechten steht, die vom primären Gemeinschaftsrecht geschützt werden.
I. Der primärrechtliche Befund
Nachdem sich der Gerichtshof anfänglich nicht bereit gefunden hatte, die Grundrechte im Rahmen der vertraglich begründeten Gemeinschaftsrechtsordnung umfassend zu schützen, wird die Notwendigkeit eines solchen Grundrechtsschutzes durch die EG seit 1969 anerkannt. 163 1. Die normative Ausgangslage
Obwohl die Gemeinschaftsrechtsordnung in ihren vertraglichen Grundlagen über einen geschriebenen Grundrechtskatalog nicht verfügt und der Gemeinschaft ein Beitritt zur EMRK durch den EuGH versagt wurde 164, hat der Gerichtshof den Schutz gemeinschaftlicher Grundrechte nicht nur anerkannt, sondern sie in seine Rechtsprechung als allgemeine Rechtsgrundsätze entfaltet und in vielfacher Hinsicht konkretisiert. 165 Im Maastrichter Unionsvertrag ist die Achtung der Grundrechte durch die Union in Art. F Abs. 2 EUV nun auch primärrechtlich verankert worden.
163 Die Kehrtwende erfolgte in einer knapp gehaltenen Feststellung der beriihmten Entscheidung EuGH, Slg. 1969, 419 (425; Rn. 7) - Stauder; ausführlicher zum Umfang des Grundrechtsschutzes EuGH, Slg. 1974, 491 (507; Rn. 13)- Nold. 164 Siehe EuGH, Slg. 1996, 1759 (1789; Rn. 34- 36)- EMRK-Beitritt. 165 Siehe hierzu die Gesamtdarstellungen von Hans-Wem er Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1992 und Ellen Chowlik-Lanfermann, Grundrechtsschutz in der europäischen Union, 1994.
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C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung 2. Gewinnungsmethode und Bedeutung der Rechtsvergleichung
Den gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz hat der EuGH im Wege wertender Rechtsvergleichung entwickelt. Seinen methodischen Ansatz kennzeichnet der Gerichtshof selbst wie folgt: "Dabei läßt sich der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. In diesem Rahmen kommt der Konvention, wie der Gerichtshof ausgeführt hat, besondere Bedeutung zu (vgl. insbesondere Urteil vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 41)." 166
Diese Verwendung der gemeinsamen Verfassungstraditionen, der völkerrechtlichen Verträge der Mitgliedstaaten zum Schutz der Menschenrechte und der EMRK als Rechtserkenntnisquellen, ohne daß ihnen eine formelle Bindung beigelegt würde, vermittelt dem gemeinschaftlichen Grundrechtsschutz einerseits zwar eine gewisse Solidität, gewährt aber andererseits gerade dem EuGH ein Höchstmaß institutioneller Autonomie. 167 II. Niveau des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzes
Da dem Grundrechtsschutz der Gemeinschaft maßgeblich auch die Funktion zukommt, den Vorranganspruch des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten effektiv abzusichern, ist die Ernsthaftigkeit des Grundrechtsschutzes von seiten des Gerichtshofs in der Vergangenheit immer wieder angezweifelt worden. 168 Gerade für das Eigentumsgrundrecht ist festzuhalten, daß ein deutlicher Niveauunterschied zwischen dem nationalrechtlichen Schutz von Art. 14 GG und dem gemeinschaftsrechtlichen Schutz des Eigentums besteht. 169 EuGH, Slg. 1996, 1759 (1789; Rn. 33)- EMRK-Beitritt. Dies dürfte der eigentliche Grund dafür sein, warum der EuGH der Gemeinschaft einen Beitritt zu EMRK versagt hat, siehe Giorgio Gaja, Annotation of Opinion 2/94, CMLRev. 33 (1996), S. 973 (988): "Hence in a sensitive area, although conceivably in a very limited nurober of cases the roJe for the Court of Justice as the supreme judge within the Community system would be put in question". 168 Zusammengefaßt und zugespitzt vor allem von Jason CoppellAidan 0 'Neill, The European Court: Ta.king rights's seriously ?, CMLRev. 29 (1992), S. 669ff.; dagegen Weiler/ Lockheart, "Ta.king rights seriously". The European Court and its fundamental rights jurisprudence, CMLRev. 32 (1995), S. 51 ff.; 579 ff. 169 Übereinstimmend Christian Tomuschat, Umweltschutz und Eigentum. Die europäische Sicht, in: Ossenbühl (Hrsg.), Eigentum und Umweltschutz, 1990, S. 47 (55 ff.); Rudolf Streinz, Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S. 407 ff.; Leisner, Der europäische Eigentumsbegriff, Festschrift Carl Heymanns Verlag, 1995, S. 395 ff.; von Danwitz (Fn. 33), GRUR 1997, S. 81 ff. 166 167
III. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
63
Die primäre Funktion der bekannten Solange-Rechtsprechung des BVerfG 170 besteht aus dieser Perspektive gerade darin, den Gerichtshof auf Grund der Auffangfunktion dieses verfassungsgerichtlichen Grundrechtsschutzes dazu anzuhalten, das menschenrechtliche Schutzniveau des Grundgesetzes in seiner Rechtsprechung nicht spürbar zu unterschreiten. In dieser konstruktiven Konkurrenz und Verpflichtung steht der Europäische Gerichtshof besonders gegenüber der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs für Menschenrechte. Deshalb achtet der EuGH besonders darauf, den dort etablierten Schutz nicht zu unterschreiten, auch wenn er in seiner Rechtsprechung das Schutzniveau der EMRK bezüglich der Unverletzlichkeit der Wohnung nicht erreicht hat. 171 Im allgemeinen sieht der Europäische Gerichtshof das zur EMRK entwickelte Schutzniveau aber auch für das Gemeinschaftsrecht als verbindlich an, wenn er unter Bezugnahme auf den Schutz der Grundrechte durch die EMRK ausführt: "Wie der Gerichtshof im Urteil vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 5/88 (Wachauf, Slg. 1989, 2609, Randnr. 19) bekräftigt hat, ergibt sich daraus, daß in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als Rechtens anerkannt werden können, die mit der Beachtung der so anerkannten und gewährleisteten Menschenrechte unvereinbar sind". 172
Diese für das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 10 EMRK eingenommene Position des Gerichtshofs bedeutet also, daß das vom Straßburger Menschenrechtsgerichtshof zur EMRK entfaltete Schutzniveau prinzipiell auch für die Gemeinschaft maßgeblich sein dürfte. 111. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
Daher wird im folgenden untersucht, ob das von der Kommission vorgeschlagene vollständige Werbeverbot für Tabakerzeugnisse mit dem Grundrechtsschutz vereinbar ist, den die Werbung im primären Gemeinschaftsrecht genießt. Als Ausgangspunkt dieser Betrachtungen ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof die spezifische Bedeutung der grundrechtliehen Gewährleistungen, die in die EMRK Eingang gefunden haben, gerade für die gemäß Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Meinungsfreiheit besonders hervorgehoben hat.I73 Deswegen wird man gerade für den Schutz der Meinungsfreiheit in Art. 10 EMRK davon ausgehen können, daß der Rechtsprechung des EGMR in dieser Frage von seiten des EuGH eine besondere Beachtlichkeil beigemessen wird, die BVerfGE 37,271 ff.; 73, 339ff.; 89, 155 (174f.). So EuGH, Slg. 1989,2859, (3080; Rn. 13)- Hoechst gegenüber EGMR, EuGRZ 1993, 65 (66 f.)- Niemitz. Es ist indes zu beachten, daß der EuGH in diesem Fall die zeitlich erste Entscheidung fällte. 172 EuGH, Slg. 1991, 2925 (2963 f.; Rn. 41) - ERT. 173 EuGH, Slg. 1991, 2925 (2963 f.; Rn. 41) - ERT. 11o 171
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C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung
im Ergebnis einer quasi-formellen Präjudizwirkung gleichkommen dürfte. 174 Daher ist zunächst der vom Straßburger Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK entwickelte Schutzumfang von vorrangiger Bedeutung für die Frage, ob das vorgeschlagene Werbeverbot für Tabakwaren gegen die gemeinschaftsrechtlich geschützten Grundrechte verstößt. 1. Das Schutzniveau gemäß Art. 10 EMRK
Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der EMRK gewährt jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Die Ausübung dieser Freiheit ist nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen, wenn diese in einer demokratischen Gesellschaft u. a. im Interesse des Schutzes der Gesundheit unentbehrlich sind. In den amtlichen Sprachfassungen der Konvention wird die Formel "necessary in a democratic society" bzw. "qui constituent des mesures necessaires, dans une societe democratique" verwandt.
a) Kommerzielle Werbung als Schutzgut von Art. 10 EMRK In der Rechtsprechung des EGMR ist in Übereinstimmung mit dem Schrifttum anerkannt, daß die durch Art. 10 EMRK geschützte Freiheit der Meinungsäußerung auf die sog. commercial speech Anwendung findet, also auch für die Verbreitung von Werbung gilt. Hierzu führt der EGMR aus: "The Court would first point out that Article 10 guarantiees freedom of expression to "everyone". No distinction is made in it according to whether the type of aim pursued is profit-making or not". 175
Jenseits dieser eindeutigen Aussage, daß auch die Werbung dem Schutz der Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK unterfällt, ist dieser Entscheidung des EGMR implicit eine zweite wesentliche Aussage für das von Art. 10 EMRK gewährleistete Schutzniveau zu entnehmen. Während im Schrifttum bisher, gestützt auf eine Entschließung der beratenden Versammlung des Europarats, davon ausgegangen wurde, daß der Schutz der kommerziellen Rede nach Art. 10 EMRK weniger weit reiche als der Schutz politischer Vorstellungen 176, hat der Gerichtshof für 174 Darauf deutet auch die Bezugnahme auf EuGH, Slg. 1991, 2925 (2963 f.; Rn. 41) ERT in EuGH, Slg. 1996, 1759 (1789; Rn. 33)- EMRK-Beitritt hin. 175 EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 16, § 35 m.w.N.; ebenso bereits Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar Art. 10 Rn. 9; lrene Laeuchli Bosshard, Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK, 1989, S. 19. 176 Siehe Laeuchli Bosshard (Fn. 175), Meinungsäußerungsfreiheit, S. 22 mit Hinweis auf die Recommendation 952 (1982) on international means to protect freedom of expression by regulation commercial advertising.
III. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
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Menschenrechte eine solche Abstufung nach dem Gewährleistungsgehalt der Meinungsfreiheit in seiner Entscheidung vom 24. 2. 1994 nicht aufgegriffen und im weiteren darauf hingewiesen, daß Art. 10 keinen Raum für so geartete Unterscheidungen lasse. 177 Auch die sachlichen Aussagen zur Reichweite der staatlichen Einschränkungsbefugnis im Rahmen der Meinungsfreiheit belegen ein hohes Niveau des Schutzes von Werbeaussagen gemäß Art. 10 EMRK. Im einzelnen führt der Gerichtshof für Menschenrechte zu dieser Frage aus: ,,For the citizen, advertising is a means of discovering the characteristics of services and goods offered to him. Nevertheless, it may sometimes be restricted, especially to prevent unfair competition and untruthful or misleading advertising. In some contexts, the publication of even objective, truthful advertisements might be restricted in order to ensure respect for the rights of others or owing to the special circumstances of particular business activities and professions."178
Dieses hohe Schutzniveau gewährleistet der Gerichtshof, indem er auch für die Werbung eine intensive gerichtliche Kontrolle der einzelstaatlichen Regelungen verlangt: "Any such restrictions must, however, be closely scrutinised by the Court, which must weigh the requirements of those particular features against the advertising in question". 179
Mithin bleibt festzuhalten, daß auch Werbeaussagen dem Schutz der freien Meinungsäußerung von Art. 10 EMRK unterliegen. Für die Beurteilung des von der Kommission nun vorgeschlagenen Verbots der direkten und indirekten Tabakwerbung stellt sich, da es durch hoheitliche Verbote auf Grund mitgliedstaatlicher Gesetze zu einem legitimen Zweck, dem Schutz der menschlichen Gesundheit, durchgesetzt werden soll 180, daher die maßgebliche Frage, ob ein derart umfassendes Verbot der Tabakwerbung sich als "notwendig in einer demokratischen Gesellschaft" erweist.
111 EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 16 f., § 35 m.w.N.: ,,Article 10 does not apply solely to certain types of information or ideas or forms of expression ( . .. ), in particular those of a political nature; it also encompasses artistic expression ( . . . ), information of a commercial nature ( . . . ) - as the CornInission rightly pointed out- and even light music and commercials transmitted by cable". 178 EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 20, §51. 179 EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 20, §51- Hervorhebung nur hier. 180 Das sind die in Art. 10 EMRK aufgestellten formalen Voraussetzungen für einen Grundrechtseingriff, vgl. die dementsprechende Prüfungsabfolge in EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 17 f., §§ 38-46.
5 von Danwitz
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C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung
b) Die Abwägungskriterien der Rechtsprechung des EGMR Der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte hatte bis dato keine Gelegenheit, über die grundrechtliche Zulässigkeil von vollständigen Werbeverboten nach Art. 10 EMRK zu entscheiden, so daß seiner Rechtsprechung keine unmittelbar verwertbaren Aussagen entnommen werden können. Gleichwohl Jassen sich der bisherigen Judikatur des EGMR wichtige Präjudizien für eine Beantwortung dieser Frage entnehmen. In seiner Entscheidung vom 24. 2. 1994 betont der Gerichtshof für Menschenrechte besonders, daß die angewandten Regelungen des spanischen Rechts kein absolutes Werbeverbot beinhalten, sondern eine Werbung in bestimmten Fällen und unter gewissen Voraussetzungen zulassen und kommt daher zu dem Ergebnis, daß sie eine nach Art. 10 Abs. 2 EMRK zulässige Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit darstellen. 181 Die Bedeutung dieser Feststellung zum Umfang des untersuchten Werbeverbots für das vom EGMR erzielte Ergebnis wird jedoch erst vollends deutlich, wenn man weitergehend berücksichtigt, daß die dissentierenden Richter ihre gegenteilige Ansicht auf das von der Menschenrechtskommission vorgebrachte Argument gestützt haben, es handle sich um ein nahezu vollständiges Werbeverbot. 182 Die Bedeutung dieser Unterscheidung für die Reichweite des in Art. 10 EMRK tatsächlich enthaltenen Grundrechtsschutzes wird durch das Urteil des EGMR vom 29. 10. 1992 zum irischen Verbot von Informationen über die Möglichkeit von Abtreibungen im Ausland klar bestätigt. Im Rahmen der insoweit vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung, ob diese Einschränkung der von Art. 10 EMRK geschützten Meinungsäußerungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft auch notwendig sei, stützte der Gerichtshof für Menschenrechte seine ablehnende Entscheidung auf die umfassenden Wirkungen des fraglichen Verbots. In der Entscheidung heißt es: ,,Der Gerichtshof ist zunächst von der absoluten Natur der Verfügung des Supreme Court überrascht, welche eine .,ewige" Beschränkung im Hinblick auf die Verbreitung von Informationen an schwangere Frauen betreffend Abtreibungsmöglichkeiten im Ausland auferlegte, unabhängig von ihrem Alter, ihrem Gesundheitszustand oder den Gründen, 181 EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 20f., § 52: .,The Court notes that those rules allowed advertising in certain cases - namely when a practice was being set up or when there was a change in its membership, address or telephone number - and under certain conditions ( ... ). The ban was therefo_re not an absolute one". 1s2 Der Richter Vilhjalmsson und die Richterin Palm, EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 23 verweisen zur Begründung ihrer dissenting opinion auf den Bericht der Menschenrechtskommission in den Paragraphen 54 bis 65. Dort, ebenda, S. 30, § 61 heißt es: .,The Commission considers that an almost complete restriction, such as this, of the possibility of imparting inforrnation of a commercial nature through advertising is scarcely compatible with the right to freedom of expression". - Hervorhebung nur hier.
III. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
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aus denen sie um eine Beratung wegen einer Schwangerschaftsbeendigung nachgesucht haben". 183
Daraus zieht der EGMR die Schlußfolgerung: "Schon aus diesem Grund erscheint eine Beschränkung zu weit und unverhältnismäßig".184
Da der EGMR es nun abgelehnt hat, die zu kommerziellen Zielen dienenden Meinungsäußerungen in einem geringeren Umfang dem Schutz von Art. 10 EMRK zu unterstellen, bildet dieses Urteil ein wichtiges Präjudiz für die europarechtliche Bewertung des von der EG-Kommission vorgeschlagenen Verbotes jeder direkten und indirekten Tabakwerbung. 185 Wendet man die in dieser Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe auf die Beurteilung des vorgeschlagenen Verbots einer Werbung für Tabakprodukte an, gewinnt die Wirkungsweise des konkreten Verbots entscheidende Bedeutung. Das gemäß Art. 2 Abs. I des Richtlinienvorschlags vorgesehene Werbeverbot gilt für "alle Arten der Werbung für Tabakprodukte" und stellt daher fraglos ein umfassendes Verbot dar. Dennoch ist zu berücksichtigen, daß die Mitgliedstaaten nach Art. 3 des Richtlinienvorschlags eine Werbung in Tabakgeschäften zulassen können, sofern diese von außen nicht sichtbar sind. 186 Diese Ausnahmeregelung vermag aber an der Qualifizierung des gesamten Werbeverbots als absolut wirkende Verbotsnorm nicht zu ändern. Bereits in formaler Hinsicht handelt es sich nicht um eine europarechtliche Beschränkung des umfassenden Verbots in Art. 2 des Richtlinienvorschlags, sondern um einen bloßen Regelungsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten, wie er auch in Art. 5 des Richtlinienvorschlags enthalten ist. Die einschränkungslose Wirkung der gemeinschaftsrechtlichen Verbotsnorm bleibt folglich unangetastet; sie läßt lediglich Ausnahmebestimmungen des mitgliedstaatliehen Rechts zu. Auch eine inhaltliche Betrachtungsweise bestätigt diesen Befund, selbst wenn man unterstellt, daß die Mitgliedstaaten von dem in Art. 3 vorgeschlagenen Regelungsvorbehalt Gebrauch machen. Für die Bewertung der Wirkungen eines Werbeverbots stellt die Rechtsprechung des EGMR auf den betroffenen Sachbereich, die traditionell bestehenden Beschränkungen und die international vorherrschenden Auffassungen ab. 187 Das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Verbot der Tabakwerbung betrifft nicht die spezielle Dienstleistung von höherer Art wie bei Werbebeschränkungen für Anwälte, sondern den Verkauf eines Massenprodukts an Kon183 EGMR, EuGRZ 1992, S. 484 (489; § 73). 184 EGMR, EuGRZ 1992, S. 484 (489; § 74). 185 Dahingehend auch Stein (Fn. 87), EuZW 1995, S. 438. 186 Siehe den geänderten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 (8). 187 EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, EGMR 1994, Series A Nr. 285, S. 21, §54. 5*
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C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung
sumenten, mit dem hohe Umsätze erzielt werden. Werbung ist in diesem Bereich - trotz aller (Selbst-)Beschränkungen aus Gründen des Jugend- und des Gesundheitsschutzes - ein traditionelles Element des Vertriebs und der Vermarktung. Das vorgeschlagene Verbot betrifft somit einen Markt, in dem die Werbung als ein gängiges Instrument des Produktmarketings eingesetzt und auch weithin akzeptiert wird. Dieser Bruch mit den bisherigen Vermarktungsformen, der ein vollständiges Werbeverbot bewirkt, unterscheidet es von den traditionellen Werbebeschränkungen für die freien Berufe, die durch das nicht kommerziell geprägte Berufsbild in diesen Bereichen bedingt sind. Bedenkt man diese Besonderheiten des betroffenen Sachbereichs, so dürfte außer Zweifel stehen, daß das vorgeschlagene Werbeverbot für Tabakwaren rechtlich als ein absolutes Werbeverbot zu qualifizieren ist. Gemessen an dem besonderen Schutz, den Art. lO EMRK in der Rechtsprechung des EGMR gegen absolut wirkende Werbeverbote entfaltet, dürfte das von der Kommission beabsichtigte Verbot der Tabakwerbung auf Grund seiner umfassenden und gleichsam absoluten Wirkung mit dem Schutz der Meinungsfreiheit in Art. lO EMRK nicht zu vereinbaren sein. 2. Die Rechtsprechung mitgliedstaatlicher Gerichte
Für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der Frage, ob das von der Kommission nunmehr vorgeschlagene Werbeverbot gerade wegen seiner absoluten Verbotswirkung mit den primärrechtlich geschützten Grundrechten vereinbart werden kann, ist neben dem von Art. lO EMRK gewährten Schutzniveau insbesondere der sich aus den jeweiligen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergebende Grundrechtsschutz von maßgeblicher Bedeutung. a) Rechtsvergleichende Erkenntnisse zu Tabakwerbeverboten Während der Conseil Constitutionnel das mit der sog. loi Evin in Frankreich erlassene Werbeverbot am Eigentumsgrundrecht gemessen hat und für verfassungsrechtlich zulässig hielt 1ss und das Schrifttum für das in Italien bestehende Werbeverbot auch von seiner Verfassungsmäßigkeit auf Grund eines obiter dictums ausgeht, obwohl eine ausdrückliche Entscheidung der Corte Constitutionale aussteht1s9, ist diese verfassungsrechtliche Frage in Portugal bisher noch nicht aufgeworfen worden. 190 188 Decision no. 90-283 du 8. janvier 1991, dazu Michel Fromont, The Constitution and Advertising Activities in France, in: Wassilios Skouris (Eds.), Advertising and Constitutional Rights in Europe, 1994, S. 91 (116f.). Eine Prüfung am Grundrecht der Meinungsfreiheit wurde offenbar nicht vorgenommen. 189 Siehe Alessandro Pace, The Position of Advertising according to the Italian Constitution, in: Skouris (Eds.), Advertising and Constitutional Rights in Europe, 1994, S. 213 (235 m. Fn. 90).
III. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
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Eine rechtsvergleichende Analyse zur verfassungsrechtlichen Situation im Europa der Zwölf kommt insgesamt zu dem Schluß, daß ein Verbot der direkten und indirekten Tabakwerbung aus den unterschiedlichsten Gründen in Dänemark, Irland, England, Frankreich, auch in Italien und Portugal sowie möglicherweise in Belgien und Spanien nicht als Grundrechtsverstoß angesehen werden würde. Ein solches Verbot würde jedoch in Deutschland, den Niederlanden, Griechenland und für die indirekte Werbung wohl auch in Spanien als Eingriff in Grundrechte gewertet werden. 191
b) Weitere Elemente der verfassungsgerichtlichen Judikatur Von weiterer Bedeutung für die Beurteilung des beabsichtigten Werbeverbotes ist die unmittelbar auf Art. 10 EMRK fußende Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs. So hat er in seiner Erkenntnis vom 30. 9. 1993 ein umfassendes und undifferenziertes Werbeverbot für Ärzte als einen Verstoß gegen Art. 10 der EMRK angesehen und es aus diesem Grund für verfassungswidrig erklärt. 192 Nunmehr hat der Österreichische Verfassungsgerichtshof diese Rechtsprechung für ein absolutes Werbeverbot im Kabelrundfunk bestätigt und dazu ausgeführt: "Dabei war zum einen der Umstand von Bedeutung, daß das absolute Werbeverbot eine äußerst gravierende Beeinträchtigung der Meinungsäußerungsfreiheit und der Erwerbsausübungsfreiheit darstellt und daß die Situation zu Lasten der Grundrechtsträger ginge und zu einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führen kann. Zum anderen war die für den Österreichischen Gesetzgeber bestehende Anpassungspflicht an die schon erwähnte Fernsehrichtlinie 89 I 552 I EWG zu bedenken". 193
Aus deutscher Sicht ist weitergehend zu berücksichtigen, daß das BVerfG in seinem Beschluß vom 22. I . 1997 die Verpflichtung zum Aufdruck von Warnhinweisen vor den Gefahren des Rauchens auf Packungen von Tabakwaren als verfassungsgemäß angesehen hat. 194 Im Rahmen der vom BVerfG vorgenommenen Prüfung, ob derartige Aufdruckpflichten mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sind, hat das Bundesverfassungsgericht zwar die nicht näher spezifizierte Möglichkeit eines Werbeverbotes als stärker freiheitsbeschränkende I90 lose Carlos Vieira de Andrade, Tobacco Advertising in the Portugese legal and Constitutional System, in: Skouris (Eds.), Advertising and Constitutional Rights in Europe, 1994, S. 259 (281 ). 19 1 Wassilios Skouris, Advertising and Constitutional Rights in Europe: A Comparative Report, in: ders. (Eds.), Advertising and Constitutiona1 Rights in Europe, 1994, S. 9 (58). 192 So ÖstVerfGH, Erkenntnis vom 30. 9. 1993, EuGRZ 1994, S. 573 (574). 193 ÖStVerfGH, Erkenntnis vom 8. 10. 1996, EuGRZ 1997, S. 252 (254). 194 Siehe BVerfG, Beschluß des 2. Senats vom 22. 1. 1997-2 BvR 1915191, DVBl. 1997, s. 548ff.
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C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung
Maßnahme genannt 195 , jedoch läßt sich daraus nicht schließen, das BVerfG hätte ein vollständiges Werbeverbot als verfassungsrechtlich zulässige Regelungsform ansehen wollen. 196 Folglich ist für das deutsche Verfassungsrecht auch weiterhin davon auszugehen, daß ein vollständiges Verbot der direkten wie der indirekten Werbung für Tabakerzeugnisse gegen die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Freiheit der Meinungsäußerung verstoßen würde. 197 Substantielle Aussagen zur Beurteilung von Werbeverboten sind darüber hinaus vor allem der Rechtsprechung des Supreme Court of Canada und des U.S. Supreme Court zu entnehmen. 3. Der Grundrechtsschutz gegen Werbeverbote in der Judikatur des Canadian Supreme Court
Gegenstand der Entscheidung des kanadischen Supreme Court vom 21. 9. 1995 war der Tobacco Products Control Act aus dem Jahre 1988, dessen § 4 jede Form einer Werbung für Tabakerzeugnisse in den kanadischen Medien untersagte. Der Oberste Gerichtshof erklärte dieses vollständige Werbeverbot für unvereinbar mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach § 2 (b) der Kanadischen Charta über Rechte und Freiheiten. 198 Ausgangspunkt für diese verfassungsrechtliche Beurteilung des Obersten Gerichtshofs bildet auch im kanadischen Rechtssystem die grundlegende Feststellung, daß die sog. commercial speech ein vom Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit in gleicher Weise wie andere Meinungen umfaßtes Rechtsgut darstellt. 199
195 So BVerfG, Beschluß des 2. Senats vom 22. 1. 1997-2 BvR 1915/91, DVBI. 1997, S. 548 (550 sub C. II. 2. b) dd)). 196 So die Einschätzung des BMI in seinem Schreiben vom 29. 7. 1997, K III- 340 102/2, S. 2 an das BMG: "Zwar erwähnt das Gericht ein Werbeverbot unter Zif. C. II. 2. b) dd) im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Allerdings weist das Gericht nur auf die mögliche faktische Eignung einer solchen Maßnahme anstelle der Warnhinweise hin, ohne diese mögliche Maßnahme rechtlich zu würdigen" . 197 Statt vieler siehe dazu nur Udo Steiner, The Constitutional Framework for Commercial Advertising in the Federal Republic of Germany, in: Skouris (Eds.), Advertising and Constitutional Rights in Europe, 1994, S. 123 (144; Nr. II und 12). Insoweit bleibt die Maßstabsfrage der Solange-Rechtsprechung außer Betrachtung. 198 Siehe Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attomey General), (1995), 3 S.C.R. 199; dazu Stein, Oberster Gerichtshof in Kanada erklärt das Werbeverbot für Tabakerzeugnisse für ungültig, ZLR 1996, S. 1 ff. 199 Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attomey General), (1995), 3 S.C.R. 199, Rn. 4; so bereits in Ford v. Quebec (Attomey General), (1988) 2 S.C.R. 712; lrwin Toy Ltd. v. Quebec (Attcimey General), (1989) I S.C.R. 927 und Rocket v. Royal College of Dental Surgeons of Ontario, ( 1990) 2 S.C.R. 232.
III. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
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a) Die tragenden Entscheidungsgründe Für den Supreme Court kam es deshalb entscheidend auf die Frage an, ob der durch das Werbeverbot gemäß § 4 des Tobacco Products Control Act bewirkte Grundrechtseingriff auf Grund von § 1 der Charta als vernünftig und "demonstrably justified in a free and democratic society" gerechtfertigt werden kann.Z00 Die grundrechtliche Eingriffsrechtfertigung prüft der Oberste Gerichtshof Kanadas in ständiger Rechtsprechung daraufhin, ob das grundrechtsbeschränkende Gesetz ein Ziel von wesentlicher Bedeutung verfolgt und die gesetzlichen Maßnahmen das Recht der freien Meinungsäußerung so wenig wie vernünftigerweise möglich beeinträchtigen, um das gesetzliche Ziel zu erreichen. 201 Im Gegensatz zu der in kontinentaleuropäischen Rechtssystemen üblichen Eingriffsprüfung wird zunächst lediglich die Frage erörtert, ob das gesetzliche Ziel von hinreichender Bedeutung ist, um den normativ bewirkten Grundrechtseingriff überhaupt legitimieren zu können.Z02 Das nahm der Oberste Gerichtshof mit folgender Begründung an: "Whi1e the 1imited objective of reducing tobacco-associated hea1th risks by reducing advertising-related consumption and providing warnings of dangers is less significant than the broad objective of protecting Canadians generally from the risks associated with tobacco use, it nevertheless constitutes an objective of sufficient importance to justify overriding the right of free expression guaranteed by the Charter. Even a small reduction in tobacco use may work a significant benefit to the health of Canadians and justify a properly proportioned Iimitation ofright offree expression". 203 Im Rahmen der eigentlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung faßt der Oberste Gerichtshof die Frage nach der Erforderlichkeil des Werbeverbotes dahingehend zusammen, daß es zwar nicht seine Aufgabe sein könne, übermäßige Eingriffe schon festzustellen, sobald sich für das Gericht eine vernünftige Alternative anbietet, die ein günstigeres Verhältnis zwischen der Eingriffsschwere und dem verfolgten Ziel aufweist. Jedoch können Gesetze keinen Bestand haben, für die eine Erklärung fehlt, warum erkennbar mildere und gleich wirksame Maßnahmen nicht ergriffen wurden.Z04 2oo So Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attomey General), (1995), 3 S.C.R. 199 Rn. 5. Aus rechtsvergleichender Sicht ist vor allem die mit Art. 10 EMRK nahezu wortgleiche Fassung des Einschränkungsvorbehalts besonders hervorzuheben. 2o1 So der Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attomey General), (1995), 3 S.C.R. 199 Rn. 6 mit Verweis auf R. v. Oakes, (1986), 1 S.C.R. 103, Rn. 40 sowie Rn. 74f. der dissenting opinion. 2o2 Vgl. dazu Stein (Fn. 198), ZLR 1996, S. 5. 203 Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attomey General), (1995), 3 S.C.R. 199 Rn. 26. 204 Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attomey General), (1995), 3 S.C.R. 199 Rn. 40.
C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung
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Weiterhin betont der Supreme Court den qualitativen Unterschied, der in grundrechtlicher Hinsicht zwischen Werbebeschränkungen und einem vollständigen Werbeverbot besteht und führt hierzu im einzelnen aus: "As this Court has observed before, it will be more difficult to justify a complete ban on a form of expression than a partial ban. ( ... ) A full prohibition will only be constitutionally acceptable under the minimal impairment stage of the analysis where the govemement can show that only a full prohibition will enable it to achieve its objective. Where, as here, no evidence is adduced to show that a partial ban would be less effective than a total ban, the justification required by s. I to save the violation of free speech is not established"?05
Auf dieser Grundlage betont der Oberste Gerichtshof, daß u. a. ein auf bestimmte Werbeformen beschränktes Verbot als mildere und die freie Meinungsäußerung weniger beschränkende Maßnahme in Betracht zu ziehen gewesen wäre, und gelangt daher zu der abschließenden Feststellung, daß das vollständige Verbot der Tabakwerbung den Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs verletzt. 206 Zum besseren Verständnis der Entscheidung des Supreme Court ist abschließend auf eine Besonderheit des Gerichtsverfahrens um das vollständige Werbeverbot für Tabakwaren hinzuweisen: Im Gerichtsverfahren hatte die Regierung weder Untersuchungen vorgelegt, die ein vollständiges Werbeverbot als erforderlich belegten noch eine vergleichende Betrachtung seiner Wirkungen gegenüber weniger einschränkenden Maßnahmen. Dies überraschte den Supreme Court um so mehr, als eine solche Studie über die Wirksamkeit alternativer Werbebegrenzungen zwar durchgeführt, ihre Vorlage im gerichtlichen Verfahren aber verweigert worden
war.zo1
b) Das Minderheitenvotum
Die gegenteilige, im Minderheitenvotum vertretene Auffassung, daß ein umfassendes Tabakwerbeverbot mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung vereinbar sei, stützte ihre Folgerung auf einen grundverschiedenen Ansatzpunkt, demzufolge es sich bei einem solchen Werbeverbot nicht um eine gewöhnliche Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit handele. Vielmehr komme für diese Frage sozialen Faktoren eine ausschlaggebende Rolle zu, so daß auch eine geringere Bedeutung 205 Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attorney General), (1995), 3 S.C.R. 199 Rn. 43- Hervorhebung nur hier. 206 Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attorney General), (1995), 3 S.C.R. 199 Rn. 44: "In my view, any of these alternatives would be a reasonable impairment of the right to free expression, given the important objective and the legislative context". 207 Dies kommentiert der Canadian Supreme Court, RJR-MacDonald Inc. v. Canada (Attorney General), (1995), 3 S.C.R. 199 Rn. 46 mit dem Bemerken: "In face of this behaviour, one is hard-pressed not to infer that the results of the studies must undercut the government's claim that a less invasive ban would not have produced an equally salutary result".
III. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
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der Meinungsfreiheit in der Werbung berücksichtigt werden müßte. Deshalb seien auch die Kriterien der Oakes-Rechtsprechung "flexibel" anzuwenden. Dieser Ansatz bewirkt insgesamt eine deutlich geringere Kontrolldichte, für die es genügte, daß der Gesetzgeber über eine nachvollziehbare Grundlage für seine Maßnahmen verfügt. 208 4. Werbeverbote in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court
Auch in der Rechtsprechung des U.S. Supreme Court ist bereits seit geraumer Zeit anerkannt, daß die sog. commercial speech vom Schutz des 1. Verfassungszusatzes erfaßt wird. 209 In einer neueren Entscheidung aus dem Jahr 1996 ging es um ein in Rhode Island geltendes Werbeverbot für Alkohol, demzufolge - in bemerkenswerter Parallele zu dem von der EG-Kommission nun vorgeschlagenen Werbeverbot für Tabakwaren - jede Werbung für Preise von Alkoholerzeugnissen außerhalb des Verkaufsraums vollständig untersagt worden war. Der Supreme Court änderte seine bisher entwickelte Rechtsprechung und befand zunächst, daß die durch den 21. Verfassungszusatz bestehende Möglichkeit, den Verkauf alkoholischer Getränke zu untersagen, wegen des spezifischen Schutzes der freien Meinungsäußerung durch den 1. Verfassungszusatz nicht als argurnenturn a majore ad minus verwandt werden kann, um die Werbung für solche Produkte zu untersagen. 210 Zum Schutz der Meinungsfreiheit befand der Supreme Court im Ergebnis einstimmig, daß ein solches Werbeverbot gegen die im 1. Verfassungszusatz geschützte Meinungsfreiheit verstößt. 211 Wahrend das Ergebnis der Verfassungswidrigkeit der in Rhode Island praktizierten Regelung die Richter einigte, verwandten sie indes durchaus verschiedene Argumentationstopoi, um ihre Entscheidung zu begründen. a) Der klassische Prüfungsansatz
In den eingefahrenen Bahnen der bisherigen Rechtsprechung des Supreme Court argumentiert die von Justice O'Connor für 4 der 9 Richter vorgetragene Auffassung. Danach verstoße das Gesetz gegen den Grundsatz des geringstrnöglichen Eingriffs, denn für das mit diesem Werbeverbot verfolgte Regelungsziel, den Preis 2os Siehe im einzelnen dazu Stein (Fn. 198), ZLR 1996, S. 9 f. 209 Seit Virginia State Board of Pharmacy v. Virginia Citizens Consumer Council, 425 U.S. 748, 761 ff. (1976); siehe dazu Winfried Brugger, Einführung in das öffentliche Recht der USA, 1993, S. 142. 210 44 Liquormart Inc. v. Rhode Island, 116 S. Ct. 1495, 1501 (1996), siehe dazu Brugger, Neue Entwicklungen im U.S.-amerikanischen Recht. Entscheidungen des U.S. Supreme Court, DAJV-NL 3/1996, S. 89. 211 44 Liquormart Inc. v. Rhode Island, 116 S. Ct. 1495, 1501 (1996).
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C. Der europarechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung
für Alkoholika hoch und den Konsum auf diese Weise niedrig zu halten, stünden ersichtlich weniger freiheitseinschränkende Maßnahmen zur Verfügung: Staatlich festgesetzte Mindestpreise oder erhöhte Verkaufssteuem. 212 b) Vorsichtige Neuorientierung der plurality opinion
Gegenüber dieser klassischen Argumentation bedeutet die durch Justice Stevens vorgetragene plurality opinion eine deutliche Verstärkung des grundrechtliehen Schutzes für die commercial speech' des 1. Verfassungszusatzes. Als materielle Begründung für einen geringeren grundrechtliehen Schutz der commercial speech gegenüber dem Grundrechtsschutz nicht-kommerzieller Meinungsbekundungen führt die plurality opinion zunächst an, nur das staatliche Interesse an einem Schutz der Verbraucher vor schädlicher Werbung könne diese Unterscheidung allgemein rechtfertigen. Wenn eine gesetzliche Regelung, wie in dem vom Supreme Court zu beurteilenden Werbeverbot für Alkoholika in Rhodes lsland, aber nicht dem Verbraucherschutz dienen solle, sei vielmehr eine strikte gerichtliche Nachprüfung geboten? 13 Wenn der Staat indes eine nicht irreführende Werbung gänzlich untersagt, sei die gerichtliche Feststellung geboten, daß der verfolgte Zweck auch materiell gefördert werde.Z 14 c) Grundsätzliche Schutzverstärkung der commercial speech
Gegenüber dieser nur tastenden Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zum Schutz der commercial speech fand Justice Thomas zu einer grundsätzlichen Neubestimmung und Verstärkung des bisher gewährten Schutzes der commercial speech. Demgemäß sei zunächst die Unterscheidung zwischen commercial und noncommercial speechverfassungsrechtlich unhaltbar und daher aufzugeben. 215 Demzufolge sei die Verhältnismäßigkeitsprüfung in Gestalt des sog. Central Hudson test nicht anzuwenden, wenn eine Regelung staatlicherseits den Zweck verfolge "to keep legal users of a product or service ignorant in order to manipulate their choices in the marketplace". 216 In der Konsequenz bedeutet dieser Ansatz, 212 44 Liquorrnart lnc. v. Rhode lsland, 116 S. Ct. 1495, 1521 f.(1996). Dieser Meinung schlossen sich die Richter Souter, Breyer sowie Chief Justice Rehnquist an. 213 44 Liquorrnart Inc. v. Rhode Island, 116 S. Ct. 1495, 1508 f.(1996): "The First Amendment directs us tobe specially sceptical of regulations that seek to keep people in the dark for what the government perceives to be their own good." 214 44 Liquorrnart Inc. v. Rhode Island, 116 S. Ct. 1495, 1509 (1996). Nach der dort benutzten Formel müsse die Förderung "to a material degree" gegeben sein. 215 "I do not see a philosophical or historical basis for asserting that ,commercial' speech is of ,lower value' than ,noncommercia1' speech, Justice Thomas, in: 44 Liquorrnart Inc. v. Rhode Is1and, 116 S. Ct. 1495, 1518 (1996).
III. Der europarechtliche Grundrechtsschutz der Werbung
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daß die Verfolgung solcher Gesetzeszwecke "per se illegitimate" sei und deswegen vor dem Grundrecht der Meinungsfreiheit keinen Bestand haben könnte. 217 Trotz der unterschiedlichen Begründungsansätze der einzelnen Richter des U.S. Supreme Court belegt diese Fortentwicklung seiner bisherigen Rechtsprechung, daß der grundrechtliche Schutz der Werbung deutlich verbessert wurde und vollständige Werbeverbote allenfalls gerechtfertigt sein könnten, wenn sie nachweislich dazu erforderlich sind, den mit ihnen verfolgten Zweck tatsächlich zu erreichen. 5. Zusammenfassende Beurteilung
Die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, von Verfassungsgerichten aus einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie aus Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika hat im Sinne wertender Rechtsvergleichung ergeben, daß die kommerzielle Werbung auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung den vollen Schutz der gemäß Art. I 0 EMRK geschützten Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen kann. Gemessen an der besonderen Funktion der EMRK als "der" bevorzugten, das Schutzniveau im Gemeinschaftsrecht prägenden Rechtserkenntnisquelle für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft ist davon auszugehen, daß dieser die elementare Bedeutung der freien Meinungsäußerung in der Demokratie auch für die Werbung zur Geltung bringen wird.Z 18 Ein vollständiges Verbot nicht irreführender, Wahrheitstreuer Werbung, wie es im Kommissionsvorschlag einer Richtlinie über die Werbung für Tabakprodukte vorgesehen ist, ließe sich also nur unter außergewöhnlichen Voraussetzungen rechtfertigen. Da weniger freiheitsbeschränkende Maßnahmen aber einsetzbar sind und von der Europäischen Kommission kein Nachweis erbracht worden ist, daß nur ein vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte geeignet ist, den angestrebten Gesundheitsschutz substantiell zu verbessern, liegen die Voraussetzungen nicht vor, um einen so weitreichenden Eingriff in die von Art. 10 EMRK geschützte Freiheit der Meinungsäußerung rechtfertigen zu können. Eine solche Richtlinie würde mithin auch materiellrechtlich gegen die primärrechtlichen Vorgaben verstoßen, die der Gesetzgeber in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu achten hat. 216 So Justice Thomas, in: 44 Liquorman lnc. v. Rhode lsland, 116 S. Ct. 1495, 1515f. (1996). 217 So Justice Thomas, in: 44 Liquorman Inc. v. Rhode Island, 116 S. Ct. 1495, 1516 (1996). "All attempts to dissuadelegal choices by citizens by keeping them ignorant are impermissible", ebenda, 1520. 21s Siehe dazu Europäische Menschenrechtskommission, in: EGMR, Case of Casado Coca v. Spain, Judgement of 24. 2. 1994, Series A Nr. 285 S. 29. Bereits aus diesem Grund dürfte der nur zum Eigentumsgrundrecht ergangenen Entscheidung des Conseil Constitutionnel in Frankreich keine maßstäbliche Funktion zukommen; zur Kritik an dieser Entscheidung siehe Fromont, (Fn. 188), The Constitution and Advertising Activities in France, in: Skouris (Eds.), Advertising and Constitutional Rights in Europe, S. 116 f.
D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen Als Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung über bestehende Rechtsschutzoptionen ist festzuhalten, daß die Gemeinschaft nach dem vorstehenden Befund auf Grund von Art. 100a EGV zum Erlaß eines Werbeverbotes für Tabakerzeugnisse nicht befugt ist und die von der EG-Kommission vorgeschlagene Regelung darüber hinaus gegen das durch Art. 10 EMRK gewährleistete Grundrecht der freien Meinungsäußerung verstoßen würde. Daher stellt sich die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen solche Kompetenzüberschreitungen in Betracht kommen.
I. Die vom EG- Vertrag gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten Das Rechtsschutzsystem des EG-Vertrages gehört zweifelsohne zu den Besonderheiten dieser völkervertragsrechtlich begründeten Rechtsordnung. Es ist "eine an den Integrationszustand der EG angepaßte Synthese (bundes-)staatlicher und völkerrechtlicher Elemente".219 Daher räumt der EG-Vertrag den Mitgliedstaaten, dem Rat sowie der Kommission einerseits eine spezifische Verantwortung und Funktion für die Wahrung des Rechts bei der Rechtsetzung der Gemeinschaft ein, erkennt andererseits aber auch Klagerechte von natürlichen und juristischen Personen an, soweit sie in einer besonderen Weise von gemeinschaftlichen Handlungen betroffen werden.
1. Keine Individualklagen gegen Normativakte Im Rahmen dieser Betrachtungen sind zunächst die vertraglich eingeräumten Rechtsschutzmöglichkeiten Privater nach Art. 173 Abs. 4 EGV in Betracht zu ziehen. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kann jede natürliche oder juristische Person gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen. Vor allem die von Art. 173 Abs. 4 EGV gewährte Möglichkeit, gegen solche Entscheidungen vorgehen zu können, die als Normativakt ergangen sind, hat Anlaß für vielfältige Auslegungsfragen zum Umfang der gewährten Rechts219
So die treffende Bezeichnung von Thomas Oppermann, Europarecht, 199 1, Rn. 618.
I. Die vom EG-Vertrag gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten
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Schutzbefugnisse Privater geboten. 220 Insbesondere wurde der Frage viel Aufmerksamkeit zuteil, wie die von Art. 173 Abs. 4 EGV gemachte Unterscheidung zwischen formellen Verordnungen, die als materielle Entscheidungen von Privaten angefochten werden können, und Verordnungen im Sinne von Art. 189 Abs. 2 EGV, die als Normativakte der Anfechtung Privater entzogen sind, zu verstehen ist. Im Rahmen dieser vom EG-Vertrag eingeräumten Befugnis ist auch befürwortet worden, materielle Entscheidungen in unmittelbar wirkenden Richtlinien der Anfechtung durch Private zu öffnen?21 Der Europäische Gerichtshof hat dazu klargestellt, daß der Begriff der "Entscheidung" in Art. 173 Abs. 2 EGV in dem technischen Sinne zu verstehen ist, der aus Art. 189 UAbs. 4 EGV folgt. Das maßgebliche Merkmal für die Unterscheidung eines Rechtsetzungsaktes von einer Entscheidung im Sinne von Art. 189 UAbs. 4 EGV ist demnach also darin zu sehen, ob die fragliche Maßnahme allgemeine Geltung hat?22 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verliert eine Maßnahme ihre allgemeine Geltung und damit ihren normativen Charakter nicht dadurch, daß die Normadressaten sich der Zahl nach oder sogar namentlich mehr oder weniger genau bestimmen lassen. Entscheidend ist vielmehr, daß die fragliche Maßnahme nach ihrer Zwecksetzung auf Grund eines objektiv festgelegten Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist. 223 Entscheidend sind also nicht die unterschiedlichen konkreten Auswirkungen einer Rechtshandlung gegenüber den Betroffenen, sondern, ob sie allgemeine Geltung in objektiv umschriebenen Situationen für abstrakt erfaßte Personengruppen entfalten. 224 Das von der Kommission vorgeschlagene Verbot der direkten und indirekten Werbung für Tabakerzeugnisse ist unabhängig von seiner spezifischen Wirkung für die Hersteller von Werbung, die Werbeträger und die Tabakproduzenten allgemein gefaßt und gilt auf Grund eines objektiv umschriebenen Tatbestands für eine abstrakt erfaßte Personengruppe. Gemessen an den von der ständigen Rechtsprechung des EuGH verwandten Kriterien bleibt mithin festzuhalten, daß die 22o Statt vieler siehe Hans-Wemer Rengeling I Andreas Middeke I Martin Gellennannl Michael Jakobs, Rechtsschutz in der Europäischen Union, 1994, Rn. 142 ff.; von Danwitz, Die Garantie effektiven Rechtsschutzes in der Europäischen Gemeinschaft, NJW 1993, s. 1108ff. 221 So z. B.: Friedrich von Burchhard, Der Rechtsschutz natürlicher und juristischer Personen gegen EG-Richtlinien gemäß Art. 173 Abs. 2 EWGV, EuR 1991, S. 140ff.; Jens-Peter Schneider, Effektiver Rechtsschutz Privater gegen EG-Richtlinien nach dem MaastrichtUrteil des Bundesverfassungsgerichts, AöR 119 (1994), S. 294ff. 222 So EuGH, Slg. 1993, 3871 (3977; Rn. 14) und 4009 (4014; Rn. 11)- Gibraltar. 223 So EuGH, Slg. 1993, 3871 (3977; Rn. 15) und 4009 (4014; Rn. 12)- Gibraltar; Slg. 1996, 1987 (1993; Rn. 10)- Kik; EuGEI, Slg. 1995, 421 (435 f.; Rn. 32 ff.) für den Fall eines einzigen Normbetroffenen in Spanien. 224 So EuGH, Slg. 1996, 1987 (1993; Rn. 10)- Kik; EuGEI, Slg. 1995, 421 (435f.; Rn. 32 ff.) für den Fall eines einzigen Normbetroffenen in Spanien; kritisch dazu bereits von Danwitz (Fn. 220), NJW 1993, S. 1108 ff.
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D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen
Art. 2 und 3 der vorgeschlagenen Richtlinie keine "Entscheidungen" im technischen Sinne gemäß Art. 189 UAbs. 4 EGV enthalten. Es handelt sich also um einen "echten" Normativakt, gegen die der EG-Vertrag für Private keinen Rechtsschutz im Wege der Nichtigkeitsklage eröffnet.225 2. Rechtsschutz Privater im Vorabentscheidungsverfahren?
Während der EG-Vertrag für Private also keine Möglichkeit des direkten Rechtsschutzes gegen normative Handlungen vorsieht, bleibt der mitgliedstaatlich gewährte Rechtsschutz unberührt. Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EGV erfüllt im Grundsatz zwar die objektive Funktion, die Rechtseinheit bei der Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts umfassend zu wahren. 226 Darüber hinaus hat der EuGH dem Vorabentscheidungsverfahren schon frühzeitig die Funktion zuerkannt, zur Gewährleistung des Rechtsschutzes Privater beizutragen. Dementsprechend hat der Gerichtshof die Verfahrensarten gemäß Art. 173 und 184 EGV einerseits und nach Art. 177 EGV andererseits als Elemente eines umfassenden Rechtsschutzgedankens verstanden und sie im Sinne der Kohärenz in eine einheitliche Ordnung gebracht. 227 In dieser Handhabung dient die Vorlage auch und gerade dem Zweck, "die unbefriedigende Einschränkung des Rechtsschutzes nach Artikel 173 teilweise auszugleichen"?28 Die mit diesem Gedanken verbundene Rechtsschutzkonzentration auf der Grundlage des Vollzugsaktes entspricht durchaus den Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und ist im Prinzip auch geeignet, um gegen normatives Unrecht vorzugehen?29 Es stellt sich indes die Frage, ob eine derartige Verlagerung des Rechtsschutzes von der Nichtigkeitsklage in Art. 173 EGV auf das Vorabentscheidungsverfahren des Art. 177 möglich ist, ohne allzu hohe Effektivitätseinbußen zu verzeichnen.
Siehe dazu EuGEI, Slg. 1994, 871 (879 f.; Rn. 17 f.)- Asocarne. Siehe bereits Tomuschat, Die gerichtliche Vorabentscheidung nach den Verträgen über die europäischen Gemeinschaften, 1964, S. 7 ff.; Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren nach Artikel 177 EWG-Vertrag, 1985, S. 25 ff. 227 Siehe namentlich EuGH, Slg. 1987,4199 (4231; Rn. 15 -18) - Foto-Frost; Slg. 1986, 1339 (1365 f.; Rn. 23 f.) - Les Verts. 228 So bereits Generalanwalt Roemer, Schlußanträge in der Rs. 73 und 74/63, Slg. 1964, 37 (47); in der Sache ebenso Riese, Über den Rechtsschutz innerhalb der Europäischen Gemeinschaften, EuR 1966, S. 24 (42) und Jürgen Schwarze, Rechtsschutz Privater gegenüber normativen Rechtsakten im Recht der EWG, Festschrift für Schlochauer, 1981, S. 927 (939 f.). 229 Siehe Everling, Stand und Entwicklungsperspektiven der Europäischen Gerichtsbarkeit, Festschrift für Arved Deringer, 1993, S. 40ff. 225
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a) Eingeschränkte Vorlageverpflichtung Als offene Flanke des Vorabentscheidungsverfahrens ist schon seit jeher die mangelnde Verpflichtung der Instanz- und Obergerichte zur Vorlage an den EuGH erkannt worden. Die national höchst ungleich gehandhabte Vorlagepraxis belegt insbesondere, daß die von Art. 177 EGV primär bezweckte Verwirklichung der Rechtseinheit in der Gemeinschaft noch nicht erreicht ist. 230 Trotz der richterrechtlichen Optirnierungen der Vorlagepflicht für Gültigkeitsfragen und im einstweiligen Rechtsschutz, die der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung entwickelt hat231 , steht die Entscheidung über eine Vorlage an den EuGH für die Instanzgerichte grundsätzlich im richterlichen Ermessen, ohne daß bis dato europarechtliche Gesichtspunkte anerkannt worden sind, die zu einer Ermessensreduzierung führen können. Daher bleibt die prinzipielle Kritik des Schrifttums an der fehlenden Möglichkeit der Parteien des Ausgangsrechtsstreits bestehen; auf die Vorlagebereitschaft der Untergerichte Einfluß nehmen zu können. 232 Die im Einzelfall mögliche Aussicht, erst nach Ausschöpfung des Instanzenzuges ein Vorlageverfahren nach Art. 177 EGV anschließen zu können, birgt angesichts der damit verbundenen zeitlichen und finanziellen Einbußen ein erhebliches Manko des Vorabentscheidungsverfahrens. b) Erhebliche Verfahrensdauer Zur Rechtsschutzeffektivität gehört nicht nur die allgemeine Möglichkeit, gegen belastende Akte der öffentlichen Gewalt überhaupt vorgehen zu können, sondern auch ihre tatsächliche Inanspruchnahme. Gerichtliche Verfahren müssen dazu gerade in zeitlicher Hinsicht so gestaltet sein, daß Rechtsschutz für Unionsbürger in angemessener Frist gewährt wird. Dogmatische Grundlage, um ein Mindestmaß an Rechtsschutzeffektivität in den bestehenden Verfahrensarten einfordern zu können, bildet Art. 19 Abs. 4 GG auf verfassungsrechtlicher Ebene und Art. 6 Abs. 1 EMRK auf europarechtlicher Ebene, den der EuGH bereits verschiedentlich als Anknüpfungspunkt für seine richterliche Rechtsfortbildung verwandt hat. 233 Das in einem Zwischenverfahren stattfindende Vorlageersuchen an den Gerichtshof bewirkt aber prinzipiell eine Verlängerung der ohnehin schon beträcht230 Siehe dazu näher die statistischen Angaben im 13. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts 1995, in: ABI. EG 1996 Nr. C 303 vom 14.10. 1996, s. 1 (178 ff.). 231 EuGH, Slg. 1987, 4199 ff.- Foto-Frost; Slg. 1990, 2433 ff.- Factortame; 1991, 415 ff. - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg. 1995, 3761 ff. und 3799 ff.- Atlanta Fruchthandelsgesellschaft; Slg. 1996, 6065 ff. - Port. 232 Siehe von Danwitz (Fn. 220), NJW 1993, S. 1113. 233 Siehe bsplsw. EuGH, Slg. 1987, 4097 (4117; Rn. 14f.) - Unectef; Slg. 1986, 1663 (1682; Rn. 18)- Johnston.
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liehen Verfahrensdauer. So wird man als grobe Faustregel gegenwärtig davon ausgehen können, daß zwischen dem Ersuchen eines mitgliedstaatliehen Gerichts um Vorabentscheidung und der Entscheidung durch den Gerichtshof eine Zeitspanne von rund 2 Jahren verstreicht. 234 Nachdem vom Gerichtshof über das Vorlageersuchen entschieden worden ist, erfolgt die abschließende Sachentscheidung durch das vorlegende Gericht in der Regel in einem weiteren Jahr?35 Bezieht man die Verfahrensdauer des Ausgangsrechtsstreits bis zum Beschluß über das Vorlageersuchen in diese Kalkulation mit ein, ist bereits für Vorlagen erstinstanzlieber Gerichte mit einer Zeitdauer zu rechnen, die zwischen 4 und 5 Jahren liegen wird. Für Vorlageersuchen letztinstanzlieber Gerichte nach Art. 177 Abs. 3 EGV dürfte eine Überschreitung der nach Art. 6 Abs. 1 EMRK jedenfalls kritischen Frist von 10 Jahren nicht nur auf krasse Ausnahmefälle beschränkt sein. 236 Wirft die streitbefangene gemeinschaftsrechtliche Regelung, wie dies auch für das vorgeschlagene Verbot der Werbung für Tabakprodukte der Fall ist, zugleich verfassungsrechtliche Fragen von erheblicher Bedeutung auf, so daß deshalb auch mit einer Befassung des BVerfG gerechnet werden muß, dürfte eine verbindliche Sachentscheidung innerhalb der für Art. 6 Abs. 1 EMRK entwickelten Rechtsschutzfrist von rund 10 Jahren nicht erreichbar sein. Die ohne ein vorangegangenes Gerichtsverfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG unmittelbar gegen die sog. KennzeichnungsVO erhobene Verfassungsbeschwerde ist auch ohne ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 177 Abs. 3 EGV durch das BVerfG erst am 22. 1. 1997 nach einer Verfahrensdauer von 6 Jahren zurückgewiesen worden.237
Bereits aus diesen zeitlichen Gründen erscheint es fraglich, ob der im Vorabentscheidungsersuchen mögliche Rechtsschutz im Einzelfall auch tatsächlich innerhalb der von Art. 6 Abs. 1 EMRK einzuhaltenden Frist gewährt wird. Diese Unsicherheiten an der Effektivität des Rechtsschutzes im Vorlageverfahren des Art. 177 EGV sind jedoch wegen der Unvorhersehbarkeit der Entwicklung jedes einzelnen Verfahrens bereits als erhebliche Rechtsschutzdefizite anzusehen. Daher haben sich auch der 46. und der 60. Deutsche Juristentag jeweils für eine Verbesserung des Individualrechtsschutzes ausgesprochen. 238 234 Bedeutsame Verfahren können mitunter auch bis zu 3 Jahren dauern, so bsplsw. EuGH, Slg. 1991, 415 ff. - Zuckerfabrik Süderdithmarschen. 235 In einer empirischen Untersuchung betont Schwarze, Die Befolgung von Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs durch deutsche Gerichte, 1988, S. 13 f., daß 75 % aller Verfahren in diesem zeitlichen Rahmen abgeschlossen werden. 236 Dem Tatbestand von BVerwGE 85, 24 (26) ist zu entnehmen, daß das erstinstanzliehe Verfahren bereits 1977 schwebte. Auch das Urteil des BVerwG vom 8. 3. 1990 brachte selbst nach 13 Jahren keine endgültige Sachentscheidung, sondern führte nur zur Zurückverweisung an den VGH. 237 Siehe BVerfG, DVBI. 1997, S. 548ff. 238 Siehe Beschlüsse des 46. DJT 1966, G 166f. Nr. 1 und 3 und die Beschlüsse des 60. DJT Nr. III. 1. -4.; zum Problem von Danwitz (Fn. 220), NJW 1993, S. 1111 m.w.N.
I. Die vom EG-Vertrag gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten
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c) Inkongruenz der Gerichtsveifahren
Ein weiteres Bedenken gegen die Annahme, das Vorlageverfahren in Art. 177 EGV könne das Fehlen einer Direktklagemöglichkeit kompensieren, resultiert schließlich aus der unzureichenden Verklammerung des Ausgangsrechtsstreits mit dem Verfahren der Vorabentscheidung vor dem EuGH. Wahrend in der Satzung des Gerichtshofs eine Beteiligung der Parteien des Ausgangsrechtsstreits, der Mitgliedstaaten und der betroffenen Gemeinschaftsinstitutionen möglich ist, fehlt eine Beteiligungsmöglichkeit für das vorlegende Gericht, so daß für die mitgliedstaatliehen Gerichte und für den EuGH ein verschiedener Rechtsstoff zur Entscheidung ansteht. Gerade in letzter Zeit ist dieses prinzipielle Verfahrensdefizit durch eine wiederholte Durchführung eines Vorlageverfahrens offen zu Tage getreten. 239 Faßt man die genannten Kritikpunkte zu einer Beurteilung des Vorabentscheidungsverfahrens zusammen, so bleiben erhebliche Rechtsschutzdefizite gegenüber der Nichtigkeitsklage Privater gemäß Art. 173 EGV zu vermerken. Diese stark eingeschränkte Rechtsschutzeffektivität im Vorabentscheidungsverfahren kann daher keine Kompensation für die fehlende Befugnis Privater zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 EGV bewirken. Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, daß der für Privatpersonen nur beschränkt gewährte Rechtsschutz gemäß Art. 173 EGV die erste und wichtigste Konstellation für den Solange-Vorbehalt des BVerfG bildet. 240 3. Die Stellung privilegierter Kläger in Art.173 Abs 2. EGV
Nichtigkeitsklagen der sog. privilegierten Kläger auf Grund von Art. 173 Abs. 2 EGV können demgegenüber erhoben werden, ohne daß eine spezifische Betroffenheit oder ein besonderes Rechtsschutzinteresse erforderlich wäre.Z41 Die unterschiedliche Rechtsstellung, die der EG-Vertrag gemäß Art. 173 EGV einerseits den Mitgliedstaaten, dem Rat und der Kommission als den sog. privilegierten Klageberechtigten nach Abs. 2 und andererseits den natürlichen und juristischen Personen auf Grund einer spezifischen Betroffenheit nach Abs. 4 zuweist, markiert nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, daß beide Verfahrensarten 239 Siehe die Verfahren EuGH, Slg. 1992, 3423 ff. - Paletta I und Slg. 1996, 2357 ff. - Paletta li; Slg. 1992, 341 ff.- Steen I und Slg. 1994, 2715 ff. - Steen li; Slg. 1989, 1591 ff.Allue I und Slg. 1993, 4309 ff. Allue II. 240 Dazu allgemein Paul Kirchhof, Das Maastricht-Urteil des BVerfG, in: Hammelhoff I Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, 1994, S. 11 (21 f.); von Danwitz (Fn. 33), GRUR 1997, S. 89; zu einem Aspekt näher Jens-Peter Schneider (Fn. 221), AöR 119 (1994), S. 294ff. 241 Siehe EuGH, Slg. 1988, 905 (927; Rn. 6)- Legehennen; Slg. 1987, 1493 (1518; Rn. 3) - Zollpräferenzen; Slg. 1985, 873 (888; Rn. 30)- British Telecomm.
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eine grundverschiedene Funktion im Rechtsschutzsystem der Gemeinschaft wahrnehmen.242 Wahrend die Nichtigkeitsklage spezifisch betroffener Privater als verwaltungsrechtliche Streitigkeit vom EuGEI entschieden wird, ist die Nichtigkeitsklage der privilegierten Kläger als Sonderform des verfassungsrechtlichen Organstreits anzusehen.243 Der Verzicht auf jegliches Rechtsschutzinteresse weist die in Art. 173 Abs. 2 EGV geregelte Nichtigkeitsklage vielmehr als ein rein objektives Verfahren aus, in dem die privilegierten Kläger nicht zur Durchsetzung von individuellen Rechten oder wirtschaftlichen Interessen handeln, sondern in Ausübung der ihnen in den Verträgen übertragenen, besonderen Verantwortung für eine kohärente Anwendung des Gemeinschaftsrechts. 244 Daher sind Nichtigkeitsklagen nach Art. 173 Abs. 2 EGV selbst für zulässig erachtet worden, wenn der klagende Mitgliedstaat im Rat für den angefochtenen Rechtsakt gestimmt hat. 245 Konsequenterweise sind die Mitgliedstaaten also berechtigt, Kommissionsentscheidungen einer rechtlichen Überprüfung durch den Gerichtshof zugänglich zu machen, die ein Unternehmen in einem anderen Mitgliedstaat betreffen?46 Dabei handeln die Mitgliedstaaten, die Kommission und der Rat fraglos im wohlverstandenen Eigeninteresse der Europäischen Gemeinschaft, die als Rechtsgemeinschaft nur ein Interesse an der Erhaltung des gemeinschaftsrechtlichen Besitzstandes, des acquis communautaire, haben kann, solange dieser auch mit dem Primärrecht der Gemeinschaft übereinstimmt. Zu der vorgeschlagenen Richtlinie der EG über ein umfassendes Werbeverbot für Tabakprodukte haben die Bundesregierung in den bisherigen Beratungen im Rat der Europäischen Union sowie die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik Deutschland in verschiedenen Entschließungen zum Ausdruck gebracht, daß sie sich u. a. aus Gründen fehlender Regelungskompetenz sowie wegen fehlender Vereinbarkeil mit dem gemeinschaftsrechtlich geschützten Grundrecht der freien Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK nicht in der Lage sehen, dem Vorschlag zuzustimmen. Gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV ist die Bundesrepublik ohne 242 Vgl. dazu EuGH, Slg. 1988, 905 (927; Rn. 6)- Legehennen; Slg. 1987, 1493 (1518; Rn. 3) - Zollpräferenzen; Rengeling I Middeke I Geilermann I Jakobs (Fn. 220), Rechtsschutz, Rn. 154. 243 So Rengeling I Middeke I Geilermann I Jakobs (Fn. 220), Rechtsschutz, ebenda. 244 Siehe dazu bereits EuGH, Slg. 1961, 281 (3l0f.)- Niederrheinische Bergwerks-AG; S1g. 1971, 263 (277; Rn. 38/42) - AETR: "Diese Klage soll dazu dienen, gemäß der Vorschrift von Artikel 164 die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages zu sichern. Eine die Zulässigkeitsvoraussetzungen dahin einschränkende Auslegung, ... , würde diesem Ziel zuwiderlaufen." 245 EuGH, Slg. 1979, 2575 (2596; Rn. 6)- Prämie für Kartoffelstärke. 246 So die Klage Italiens gegen eine Entscheidung der Kornmission zur Wettbewerbsstellung von British Telecornrn gemäß Art. 86 Abs. 1 EGV, EuGH, Slg. 1985, 873 (888; Rn. 29 f.) - British Telecornrn.
II. Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV
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weitere Voraussetzung befugt, diesen Rechtsstandpunkt im Rahmen der Frist nach Art. 173 Abs. 3 EGV im Wege einer Klageerhebung auch vor dem EuGH konsequent weiter zu verfolgen, wenn die vorgeschlagene Regelung verabschiedet wird.
II. Die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art.173 Abs. 2 EGV Angesichts eines defizitär ausgestalteten Rechtsschutzes für Private im Gemeinschaftsrecht und der gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV für alle Mitgliedstaaten bestehenden Möglichkeit zu einer privilegierten Klageerhebung gegen die vorgeschlagene Richtlinie über ein umfassendes Werbeverbot für Tabakprodukte erscheint eine Ausübung dieser Klagemöglichkeit gerade für die Bundesrepublik Deutschland zunächst als Frage eines konsequenten integrationspolitischen Verhaltens, da sie ihre Ablehnung der vorgeschlagenen Richtlinie über ihre Vertreter im Rat der Europäischen Gemeinschaft sowie in Entschließungen ihrer gesetzgebenden Körperschaften vor allem mit dem Fehlen einer Gemeinschaftszuständigkeit und einem Verstoß gegen die gemeinschaftlich geschützte Meinungsfreiheit begründet hat. Da es sich dabei um genuin rechtliche Erwägungen von großer Bedeutung für den weiteren Fortgang der Integration handelt, läßt sich eine verbindliche Klärung dieser Rechtsfragen nur als integrationspolitisch wünschenswert ansehen. Darüber hinaus stellt sich indes die Frage, ob sich die nach Art. 173 Abs. 2 EGV bestehende Möglichkeit der privilegierten Klageerhebung für die Bundesrepublik in concreto nicht schon zu einer Rechtspflicht verdichtet hat. 1. Gemeinschaftsrechtliche Bindungen
Der Vorschrift über die Zulässigkeit von Direktklagen in Art. 173 EGV sind Kriterien für die Beantwortung der Frage nicht zu entnehmen, unter welchen Bedingungen die Mitgliedstaaten von ihrer bevorrechtigten Möglichkeit zur Klageerhebung auch konkret Gebrauch machen müssen. a) Unterschiede zur Aufsichtsklage nach Art. 169 EGV Für die in gleicher Weise zur Klageerhebung privilegierte Kommission hat der Gerichtshof- allerdings zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens - entschieden, daß nach Sinn und Zweck der Aufsichtsklage ein Ermessen der Kommission zur Einleitung solcher Verfahren zwar besteht, jedoch schließe dies zugleich ein Recht einzelner aus, dies in einem bestimmten Sinne verlangen zu können?47 247 So EuGH, S1g. 1989, 291 (301; Rn. 11)- Star Fruit; auch S1g. 1990, 1555 (1557f.; Rn. 5 f.) - Emrich.
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Jedoch wird man diese Rechtsprechung, die lediglich mit der vertraglichen Aufgabenzuweisung an die Europäische Kommission erklärt werden kann, als unabhängige und nur dem Wohl der Gemeinschaft verpflichtete Hüterio der Verträge zu fungieren, nicht unbesehen auf die Befugnis der Mitgliedstaaten zu einer privilegierten Klageerhebung übertragen dürfen. Mit dem Klagerecht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV verfolgt der Vertrag jedoch keinen Aufsichtszweck, wie dies für das Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 169 EGV der Fall ist. Diese Befugnis gewährt den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchaus die Möglichkeit, einzelstaatliche oder andere partikulare Interessen gegenüber der Gemeinschaft zu verfolgen. Hinzu kommt, daß Art. 173 Abs. 1 EGV ohne jede Einschränkung betont, daß der Gerichtshof die Rechtmäßigkeit aller gemeinschaftlichen Handlungen, die Rechtswirkungen erzeugen können, umfassend überwacht. 248 Der EG-Vertrag geht mithin von dem Grundsatz einer möglichst umfassenden Kontrolle der gemeinschaftlichen Rechtshandlungen durch den Gerichtshof aus. Deswegen ist auch eine rechtliche Bindung der mitgliedstaatliehen Befugnis zur Erhebung einer Klage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV mit diesem Grundverständnis der vertraglichen Ermessensregelung durchaus vereinbar. b) Die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit Im Rahmen seiner Rechtsprechung hat der EuGH aus dem Prinzip der loyalen Zusammenarbeit, das sich aus Art. 5 Abs. 1 und 2 EGV ergibt, im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einzelne Verhaltenspflichten abgeleitet und als dogmatische Grundlage für die Neuentwicklung konkreter Rechtsinstitute verwandt. 249 Angesichts dieser fortgeschrittenen Rechtsprechung des EuGH erscheint eine Berücksichtigung von Art. 5 EGV als Kriterium einer rechtmäßigen Ermessensausübung ganz unspektakulär. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage durch die Bundesrepublik Deutschland würde eine schnelle Klärung der schwierigen und zwischen dem Rat und der Kommission sowie den Mitgliedstaaten umstrittenen Frage nach einer Gemeinschaftskompetenz für ein vollständiges Tabakwerbeverbot herbeiführen und allgemein für die Reichweite der Rechtsangleichungskomptenz im Binnenmarkt nach Art. IOOa 248 Siehe EuGH, Slg. 1996, 2169 (2195; Rn. 24) - Zugang der Öffentlichkeit zu den Ratsdokumenten; Slg. 1995, 1651 (1679f.; Rn. 20)- Gemeinschaftsrahmen für Beihilfen in der Kfz-Industrie. 249 Siehe bsplsw. EuGH, Slg. 1990, 2433 (2473; Rn. 19)- Factortame; Slg. 1989, 175 (192; Rn. 9)- Primäralurninium; Slg. 1990, 2879 (2907f.; Rn. 33)- Tafelweindestillation; Slg. 1990, 3437 (3457; Rn. 14) - BUG-Alutechnik; S!g. 1991, 415 (541; Rn. 19)- Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg. 1991, 5357 (5414; Rn. 36) - Francovich. Darin wird Art. 5 EGV als ,,Passepartout" verwandt, so zu Recht Georg Ress, Die richtlinienkonforme ,Jnterpretation" innerstaatlichen Rechts, DÖV 1994, S. 489 (490).
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EGV die Entscheidung über eine Rechtsfrage von großer Bedeutung für den weiteren Fortgang der Integration bedeuten. Die rechtliche Entscheidung solcher Zweifelsfragen herbeizuführen, stellt deswegen zweifelsohne eine spezifische Maßnahme gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EGV dar, um demgemäß die weiteren Verpflichtungen erfüllen zu können, die aus dem EG-Vertrag resultieren. c) Die mitgliedstaatliche Beteiligung an der Rechtswahrung
Die Mitgliedstaaten haben es seit jeher als eine wesentliche Aufgabe angesehen, die Entwicklung der Gemeinschaft zu einer echten Rechtsgemeinschaft zu fördern und dazu die Aufgabe des Gerichtshofs, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrages gemäß Art. 164 EGV zu sichern, durch eine aktive Beteiligung in laufenden Gerichtsverfahren sowie durch die Einreichung privilegierter Klagen zu unterstützen und inhaltlich anzuleiten. In diesem Sinne sind beispielsweise das Vereinigte Königreich und die Französische Republik am Gerichtshof sehr präsent, um auf diese Weise an der Rechtsentwicklung mitzuwirken. 250 Für die Bundesrepublik Deutschland, deren Verhalten über lange Zeit stark von der traditionell individual-rechtlichen Ausrichtung des Rechtsschutzes geprägt war, läßt sich eine vergleichbare Präsenz am Gerichtshof zwar nicht feststellen. Jedoch hat die Bundesrepublik Deutschland ihr privilegiertes Klagerecht nach Art. 173 Abs. 2 EGV immer konsequent genutzt, um in rechtlich und/oder wirtschaftlich wesentlichen Fragen für den Fortgang der Integration eine grundsätzliche Klärung zu erreichen. 251 Diese Vorgehensweise, die die Bundesrepublik gerade verfolgt hat, wenn rechtliche Gesichtspunkte den Schwerpunkt des im Rat der Europäischen Union vertretenen Standpunktes gebildet haben, bewirkt daher eine gewisse Selbstbindung der Bundesregierung, in vergleichbaren Fällen auch dementsprechend zu verfahren. Da die Bundesrepublik die vorgeschlagene Richtlinie über ein vollständiges Werbeverbot für Tabakerzeugnisse maßgeblich aus Rechtsgründen ablehnt, ist sie auf Grund der eingetretenen Selbstbindung ihres Ermessens an die bisherige Vorgehensweise in vergleichbaren Konstellationen auch für die Richtline über ein vollständiges Werbeverbot auf Grund von Art. 5 Abs. 1 EGV in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot gehalten, 250 Siehe für Großbritannien bsplsw. EuGH, Slg. 1996, 5755 ff. - Mindestvorschriften der Arbeitszeitgestaltung; für Frankreich bsplsw. Slg. 1994, 1841 ff. - PCP-Verbot gemäß Art. 100a Abs. 4 EGV. 251 Das gilt bsplsw. für die Verfahren EuGH, Slg. 1994, 4973 ff.- Bananenmarktordnung; Slg. 1995, 3723 ff.- Untemehmensregister; Slg. 1996, 5151 ff. - Staatliche Beihilfen; Slg. 1997, 645 ff.- Aufteilung von Einfuhrkontingenten für Bananen und die Beteiligung am Verfahren; EuGH, Slg. 1996, 1759ff. - EMRK-Beitritt. Vgl. auch die Klage, die die Bundesrepublik Deutschland neben dem Freistaat Sachsen gegen die Beihilferückforderung für die Werke Mosel und Chemnitz erhoben hat, ABI. EG 1996, Nr. C 336 vom 9. 11. 1996, S. 18 ff.
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D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen
die aufgeworfenen Rechtsfragen einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof zuzuführen. 2. Die verfassungsrechtliche Verpflichtung
Obgleich die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV von seiten der Mitgliedstaaten eine Rechtshandlung im Rahmen der organschaftliehen Beziehungen darstellt, die im Gemeinschaftsrecht wurzeln, unterliegt die Bundesrepublik bei Entscheidungen über gemeinschaftliche Rechtshandlungen nicht nur Bindungen des Gemeinschaftsrechts, sondern darüber hinaus auch den rechtlichen Verpflichtungen, die aus der staatlichen Verfassungsrechtsordnung resultieren. 252 a) Die diplomatische Schutzverpflichtung Zunächst geht es im folgenden darum, ob eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Bundesregierung, gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV eine Nichtigkeitsklage zu erheben, aus dem Rechtsinstitut der diplomatischen Schutzgewährleistung resultiert. Eine solche Verpflichtung der Bundesrepublik zur Schutzgewährleistung für deutsche Staatsangehörige und juristische Personen mit Sitz im Inland besteht gegenüber völkerrechtswidrigen Handlungen, die von einer ausländischen Hoheitsgewalt ausgeübt werden. 253 Eine Kompetenzausübung der Europäischen Gemeinschaft, die für ihre Mitgliedstaaten nach Art. 189 Abs. 3 EGV Verbindlichkeit beansprucht254 , gleichwohl aber die Grenzen der Gemeinschaftskompetenzen nicht einhält, beinhaltet einen Verstoß gegen diese völkerrechtlich nur beschränkte Bindung der Mitgliedstaaten 252 Siehe nur Art. 23 Abs. 4- 7 GG sowie v.a. die in §§ 6 und 7 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. 3. 1993, BGBI. I, S. 313 ff., geregelte Vertretung der Bundesrepublik durch Ländervertreter in Gremien der EG und die Verpflichtung zur Ausübung des Klagerechts nach Art. 173 Abs. 2 EGV auf Verlangen des Bundesrates. Zu der parallelen Problematik der Grundrechtsgeltung für Abstimmungen im Ministerrat vgl. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. V, 1992, § 111 Rn. 122; eingehend Heintzen, Zur Frage der Grundrechtsbindung der deutschen Mitglieder des EGMinisterrats, Der Staat 31 (1992), S. 367 ff. 253 Siehe Isensee (Fn. 252), Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. V, § 111 Rn. 123; Albrecht Randelzhofer, in: MD, Art. 16 Abs. 1 Rn. 60 f.; dazu auch Eckart Klein, Diplomatischer Schutz und grundrechtliche Schutzpflicht, DÖV 1977, S. 704 f., der noch auf Handlungen eines fremden Staates abstellt. 254 Die Verbotstatbestände in Art. 2 des Vorschlags der Kommission zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Werbung für Tabakerzeugnisse, ABI. EG 1992 Nr. C 129 vom 21. 5. 1992, S. 5 (8) sind darüber hinaus hinreichend bestimmt und unbedingt, so daß ihnen auch unmittelbare Wirkung nach Ablauf der Umsetzungsfrist zukommt, vgl. dazu EuGH, Slg. 1982, 53 (71; Rn. 25) - Ursula Becker; std. Rspr.
II. Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV
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an die von der EG ausgeübten Hoheitsrechte. Solche Rechtsakte der Gemeinschaft widersprechen dem Primärrecht der Gemeinschaft und sind daher als völkerrechtswidrige Handlungen anzusehen, die von einer eigenständigen, von der deutschen Staatsgewalt verschiedenen Hoheitsgewalt einer internationalen Organisation ausgeübt werden?55 Gegenüber solchen Handlungen besteht somit eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, ihren Staatsangehörigen sog. Auslandsschutz zu gewähren. 256 Auch wenn die Rechtsetzung im Rat der Europäischen Union mit den traditionell verwandten Kategorien des Völkerrechts nicht mehr adäquat erlaßt werden kann und namentlich die Konturen der auswärtigen Gewalt in wesentlichen Bereichen neu bestimmt werden müssen257 , hat die stetige "Globalisierung" von Wirtschaft und Politik zu einer verstärkten Schutzbedürftigkeit der Staatsangehörigen gegenüber Rechtsakten supra- und internationaler Provenienz geführt. Auch wenn die Begrifflichkeit eines diplomatischen Schutzes oder der Gewährung von Auslandsschütz auf die Frage der Verpflichtung zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen primär- und damit zugleich völkerrechtswidrige Rechtsakte der Gemeinschaft nicht recht passen will, so handelt es sich doch der Sache nach um eine völkervertragsrechtlich formalisierte, besondere Form der staatlichen Schutzgewährleistung gegenüber Grundrechtsverletzungen durch eine fremde Hoheitsgewalt b) Die grundrechtliche Schutzpflicht
Heute wird allgemein anerkannt, daß der diplomatische Schutz, ein traditionell genuin völkerrechtlich geprägtes Institut, im deutschen Verfassungsrecht einen zweiten Geltungsgrund in der sog. grundrechtliehen Schutzpflicht des Staates findet. 258 Die Grundrechte enthalten die Verpflichtung aller staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die so geschützten Rechtsgüter zu stellen und sie vor rechtswidrigen Eingriffen, auch durch Maßnahmen zur Risikovorsorge, zu bewahren. 259 Die grundrechtliche Schutzpflicht findet ihren Geltungsgrund in Art. 1 Abs. 1 GG, während der Gegenstand und das nach ihm bestimmte Maß des zu Siehe die Kennzeichnung von BVerfGE 89, 155 (175)- Maastricht. Vgl. dazu BVerfGE 55, 349 (364f.); 66, 39 (61). 257 Siehe dazu Kay Hailbronner I Rüdiger Wolfrum I Luzius Wildhaber ITheo Öhlinger, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, VVDStRL 56 (1997), S. 7 ff., 38 ff., 67 ff., 81 ff. 258 So /sensee (Fn. 252), Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders. /Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. V, 1992, § 111 Rn. 123; Randelzhofer, in: MD, Art. 16 Abs. I Rn. 60f.; Eckart Klein (Fn. 253), DÖV 1977, S. 704ff.; Heintzen, Auswärtige Beziehungen privater Verbände, S. 136 ff.; Stephan Eilers I Markus Heintzen, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen und die grundrechtliche Schutzpflicht, RIW 1986, S. 619 (622 ff.); Johannes Dietlein, Die Lehre von den grundrechtliehen Schutzpflichten, 1992, S. 122 ff. 259 BVerfGE 39, I (41); 46, 160 (164); 49, 89 (141); 53, 30 (57); 56, 54 (73 f.); 77, 214 (229); 77,381 (402f.); 88,203 (251 ff.); 92,26 (46). 255 256
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D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen
gewährleistenden Schutzes sich aus dem konkret betroffenen Grundrecht, hier der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, ergeben.260 Zum Umfang der staatlichen Schutzverpflichtung hat das BVerfG in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dieser hänge von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren sowie dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon bestehenden Schutzmöglichkeiten ab. 261 Obwohl ganz verschiedene Sachfragen zur Beurteilung gestellt waren, betrafen diese Entscheidungen des BVerfG alle die Frage, ob durch eine bestimmte gesetzliche Vorschrift ein ausreichender Schutz der betroffenen Grundrechte verwirklicht wird. Es liegt daher gleichsam auf der Hand, warum das BVerfG in diesen Fällen beständig entschieden hat, daß diese Pflicht zum Grundrechtsschutz den staatlichen Organen in erster Linie in eigener Verantwortung obliegt und sie deshalb entscheiden, welche Maßnahmen zweckdienlich und geboten sind, um einen wirksamen Schutz zu gewährleisten. 262 Die sachliche Komplexität der erforderlichen Abschätzung von Gefährdungswirkungen bestimmter Verhaltensweisen stellt sich im vorliegenden Fall bereits im Ansatz nicht. Vielmehr stehen die Rechtswirkungen der vorgeschlagenen Richtlinie fest. Auch geht die Bundesregierung seit geraumer Zeit von der rechtlich begründeten Auffassung aus, daß die Richtlinie über die der Gemeinschaft im EGVertrag übertragenen Hoheitsbefugnisse hinausgeht und auch materiellrechtlich gegen das Grundrecht der freien Meinungsäußerung verstößt. Demnach steht für die Bundesregierung fest, daß eine Grundrechtsbeeinträchtigung droht. Der die Schutzverpflichtung aktualisierende Tatbestand ist also gegeben. Auf Grund der völkervertraglichen Bindung, die die Bundesrepublik Deutschland im EG-Vertrag eingegangen ist, steht zugleich fest, daß sie zur Abwendung der drohenden Grundrechtsbeeinträchtigung und zum Schutz der ihr anvertrauten Grundrechtsberechtigten nur zu Maßnahmen des EG-vertraglich zugelassenen Rechtsschutzes greifen darf. Da nach der Rechtsprechung des BVerfG Maßnahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes nicht in Betracht kommen263 , eine verfassungsgerichtliche Kontrolle von EG-Rechtsakten gemäß der "Solange"-Rechtsprechung des BVerfG nur nachrangig in Betracht kommt264 und ein Individualrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht von Art. 173 Abs. 4 EGVausgeschlossen ist265 , sind auch die in Betracht kommenden Rechtsschutzformen auf die Entscheidung reduziert, ob die So BVerfGE 88, 203 (251) für Art. 2 Abs. 2 GG. Vgl. BVerfGE 49, 89 (142); 56, 54 (78); 88, 203 (254) unter Verweis auf das Untermaßverbot 262 So BVerfGE 56, 54 (80f.). 260 261
Siehe BVerfGE 80, 74 (79 ff.) und BVerfG, NJW 1990, 974. BVerfGE 73, 339 (386); 89, 155 (174f.); Kirchhof(Fn. 240), Das Maastricht-Urteil des BVerfG, in: Hornmethoff I Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 21 f.; von Danwitz (Fn. 33), GRUR 1997, S. 89f. 265 Siehe oben, D. I. 1. · 263
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II. Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV
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Bundesregierung von der ihr gewährten Befugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV Gebrauch macht oder nicht. Für diese Entscheidung verfügt die Bundesregierung sowohl auf Grund der ihr obliegenden Pflicht zur Gewährung diplomatischen Schutzes als auch auf Grund der genuin grundrechtlichen Schutzpflicht über ein pflichtgemäß auszuübendes Ermessen.Z66
c) Anspruch auffehlerfreie Entscheidung Eine in der Rechtsprechung des BVerfG verwandte Formulierung, nach der der grundrechtliche Anspruch auf Gewährleistung des grundrechtliehen Schutzes nur darauf gerichtet sei, "daß die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zum Schutze des Grundrechts trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind"267, hat die Frage entstehen lassen, ob der objektive Inhalt einer grundrechtliehen Schutzpflicht einerseits und der Gegenstand des grundrechtliehen Schutzanspruchs des Grundrechtsträgers andererseits inhaltlich auch tatsächlich deckungsgleich sind. Ein von dieser Fragestellung nahegelegtes Auseinanderklaffen von staatsgerichteter Handlungs- und verfassungsgerichtlicher Maßstabsnorm würde aber zu der im Verfassungsleben nur schwer erträglichen Konsequenz führen, daß diese Schutzpflicht zwar staatlicherseits verletzt werden könnte, dies aber gleichwohl nicht verfassungsgerichtlich sanktionierbar wäre. 268 Darüber hinaus ließe sich eine solche Divergenz zwischen dem Umfang der objektiven staatlichen Schutzverpflichtung und dem individuellen Verwirklichungsanspruch der Schutzberechtigten mit der dogmatischen Fundierung dieser Schutzpflicht als eine genuin grundrechtliche Gewährleistung des status positivus nicht vereinbaren. 269 Daher bleibt festzuhalten, daß der grundrechtlich Berechtigte vielmehr einfordern kann, was der Verpflichtete an konkreter Schutzgewährung zu leisten verpflichtet ist. Der Anspruch auf grundrechtliehen Schutz vermag indes nicht auf den jeweiligen Beurteilungsspielraum des zuständigen Staatsorgans verengend einzuwirken, sondern besteht nur nach Maßgabe pflichtgemäßer Ermessensausübung.270 266 Siehe /sensee (Fn. 252), Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. V, 1992, § 111 Rn. 123; Randelzhof er, in: MD Art. 16 Abs. 1 Rn. 60, 63; Eckart Klein (Fn. 253), DÖV 1977, S. 710. 267 So in BVerfGE 77, 170 (215) und 79, 174 (201 f.); relativierend BVerfGE 88, 203 (262f.). 268 So ausdrücklich Hans H. Klein, Die grundrechtliche Schutzpflicht, DVBI. 1994, S. 489 (495) in Entgegnung auf Isensee (Fn. 252), Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders. /Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. V, § 111 Rn. 162. 269 Siehe übereinstimmend Isensee (Fn. 252), Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders./Paul Kirchhof (Hrsg.), HStR Bd. V, § ll1 Rn. 123; Randelzhofer, in: MD, Art. 16, Abs. I Rn. 62f.; Eckart Klein (Fn. 253), DÖV 1977, S. 707; Hans H. Klein (Fn. 268), DVBI. 1994, S. 495.
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D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen
Den von dem vorgeschlagenen Werbeverbot für Tabakerzeugnisse betroffenen Werbeherstellern steht daher ein grundrechtlicher Anspruch gegen die deutsche Bundesregierung als zuständigem Staatsorgan zu, Schutz gegen die aus dieser EGRichtlinie drohende Grundrechtsbeeinträchtigung zu gewährleisten. d) Zulässige Ermessensgesichtspunkte Für die eingangs aufgeworfene Frage, ob die Bundesregierung zur Schutzgewährung durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV verpflichtet ist, kommt es nach der Rechtsprechung des BVerfG maßgeblich auf die Frage an, welche zulässigen Ermessenserwägungen die Bundesregierung im Rahmen ihrer Entscheidung über die Schutzgewährung anstellen kann. Allgemein verwendet das BVerfG in seiner Rechtsprechung dazu die bekannte Formel aus dem Mitbestimmungs-Urteil, wonach die Einschätzungsprärogative sich nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der jeweils auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter bemißt. 271 Gegenüber den in der Rechtsprechung bisher behandelten Fällen wird die anstehende Entscheidung über die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV durch maßgebliche Unterschiede gekennzeichnet. Diese beginnen bereits damit, daß nicht der Gesetzgeber das für die Schutzgewährleistung zuständige Staatsorgan ist, sondern die Bundesregierung. Auch ist daran zu erinnern, daß auf Grund der Rechtsprechung des BVerfG zum innerstaatlichen Rechtsschutz gegenüber drohenden Rechtsbeeinträchtigungen durch EG-Rechtsak.te272 für die Bundesregierung in der Sache nur die Alternative besteht, Schutz durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV zu gewähren oder auf eine Schutzgewährung schlicht zu verzichten und die Richtlinie - entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtung des EG-Vertrages - in nationales Recht umzusetzen, ohne daß ihr auf Grund der unbedingten und bestimmten Abfassung der Richtlinie irgendein inhaltlicher Ausgestaltungsspielraum verbliebe. Vielmehr kann die besonders weite Einschätzungsprärogative, die das BVerfG für die Gewährung von diplomatischem Schutz angenommen hat273 , für den vorliegenden Sachbereich nicht angewendet werden. Als tragenden Grund für diese Annahme hat das BVerfG 270 So explicit Hans H. Klein (Fn. 268), DVBI. 1994, S. 489 (495); vgl. auch- in umgekehrter Entsprechung- BVerfGE 48, 127 (161). 271 BVerfGE 50,290 (332f.); 77, 170 (214f.); 88,203 (262f.). 272 Siehe BVerfGE 80,74 (79ff.) und BVerfG, NJW 1990,974 zum vorbeugenden Rechtsschutz und BVerfGE 73, 339 (386); 89, 155 (174 f.); Kirchhof (Fn. 240), Das MaastrichtUrteil des BVerfG, in: Hornmethoff I Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 21 f.; von Danwitz (Fn. 33), GRUR 1997, S. 89 f. zur nachträglichen Kontrolle des BVerfG. 273 BVerfGE 55, 349 (364f.); 66, 39 (61).
II. Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV
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jeweils die spezifische Abhängigkeit der zu ergreifenden Schutzmaßnahmen vom Willen auswärtiger Staaten betont und daraus - zu Recht - gefolgert, daß außenpolitischen Opportunitätserwägungen daher eine besondere Bedeutung zukommen kann?74 Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV beruht jedoch nur auf der autonomen Willensentschließung der Bundesregierung im Rahmen eines EG-vertraglich vorgesehenen, integrationspolitisch nicht gesondert begründungsbedürftigen Verfahrens, das auf Grund des erreichten Integrationsstands in gleicher Weise schon zum europäischen Rechtsalltag gehört wie ein Bund-LänderStreit vor dem Bundesverfassungsgericht zum föderalen business as usual im deutschen Verfassungsleben. Gemäß der Kontrollformel des BVerfG im Mitbestimmungsurteil sind insbesondere die sachspezifischen Besonderheiten der jeweiligen Materie zu berücksichtigen. Vorliegend ist das die Einbindung der Bundesrepublik in den fortdauernden Prozeß der europäischen Integration. Aus dieser Perspektive stellt sich namentlich die Frage, ob integrationspolitische Belange es zwingend erforderlich machen können, von einer Klageerhebung abzusehen. 275 Da die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV eine EGvertraglich zur autonomen Ausübung u. a. durch die Mitgliedstaaten vorgesehene Rechtshandlung darstellt, erhebt sich zunächst die allgemeine Frage, ob im Gemeinschaftsrecht ein rechtlich geschütztes Interesse anerkannt werden kann, auf die Rechtmäßigkeitskontrolle eines Rechtsaktes zu verzichten. Für die als Rechtsgemeinschaft konstitutierte und diesem Ziel besonders verpflichtete EG läßt sich ein solches Interesse allgemein indes nicht erkennen. Die berechtigte Sorge um eine Sicherung des gemeinschaftlichen Normenbestands und des damit erreichten acquis comrnunautaire kann nur für die Rechtsakte in Frage kommen, die vertragsgemäß erlassen worden sind. Auch ist die Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft nur ein im Rahmen der europäischen Kompetenzordnung schutzwürdiges Rechtsgut.276 Etwaige integrationspolitische Belange, die nahelegen, von einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV abzusehen, könnten sich deswegen allenfalls aus spezifischen Umständen des Einzelfalles ergeben.
BVerfGE 55, 349 (364 f.); 66, 39 (61). Siehe namentlich § 7 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. 3. 1993, BGBl. I, S. 313 ff., wonach im Rahmen der Verpflichtung der Bundesregierung, auf Verlangen des Bundesrates von seinem Klagerecht Gebrauch zu machen, auch die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes einschließlich der außen-, Verteidigungs- und integrationspolitisch zu bewertenden Fragen zu wahren ist. 276 Dazu eingehend von Danwitz (Fn. 220), NJW 1993, S. 1112 im Hinblick auf den Sachvortrag des Rates im Sitzungsbericht zu EuGH, Slg. 1978, 845 (849) - Unicme. 274
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D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen
e) Einzelfallbezogene Ermessensausübung
Für die vorgeschlagene Richtlinie über ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung lassen sich derartige Besonderheiten jedoch nicht erkennen. Zwar ist diese Frage schon seit geraumer Zeit sachlich kontrovers diskutiert worden, sie hat indes nie eine besondere integrationspolitische Dimension erreicht. Auch ist die wirtschaftliche und gesundheitspolitische Bedeutung nicht so hoch zu veranschlagen, daß aus diesen Gründen zwingend von einer rechtlichen Überprüfung der Richtlinie durch den EuGH abgesehen werden müßte. Dies wird besonders deutlich, wenn man die integrationspolitische Bedeutung des vorgeschlagenen Tabakwerbeverbots mit der ungleich größeren integrations- und entwicklungspolitischen Relevanz der EG-Bananenmarktordnung vergleicht, ohne daß dies die deutsche Bundesregierung darin hätte beirren können, die Rechtmäßigkeit der Marktordnung für Bananen vom Gerichtshof überprüfen zu lassen. aa) Ermessensreduzierung auf Grund öffentlicher Interessen Vorliegend sind also keine ermessensgerechten Gesichtspunkte zu erkennen, die der Bundesregierung zur Wahrung besonderer integrationspolitischer Belange gestatten könnten, von einer Gewährung grundrechtliehen Schutzes durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV abzusehen. Dagegen sprechen gewichtige Gesichtspunkte für eine Verpflichtung der Bundesregierung, den grundrechtlich Betroffenen Schutz durch Eröffnung der Rechtmäßigkeitskontrolle von seiten des EuGH zu gewähren. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung zum Umfang der grundrechtliehen Schutzverpflichtung die Möglichkeit der Ermessensreduzierung auf eine bestimmte Maßnahme ausdrücklich vorgesehen?77 Eine solche Ermessensreduzierung ist vorliegend eingetreten. Eine konkretisierte Schutzpflicht, den Rechtsweg zum EuGH zu beschreiten, wird schon durch den Umstand nahegelegt, daß die rechtlichen Bedenken von Bundesregierung und gesetzgebenden Körperschaften gegen das vorgeschlagene Werbeverbot für Tabakwaren nicht von einem schlichten Verstoß gegen das EG-Primärrecht ausgehen, sondern namentlich eine Überschreitung der verbandskompetenziellen Grenzen zum Gegenstand haben, die der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft gezogen sind. Für solche Kompetenzüberschreitungen hat das BVerfG im Maastricht-Urteil hingegen entschieden, daß "in Zukunft bei der Auslegung von Befugnisnormen durch Einrichtungen und Organe der Gemeinschaft zu beachten sein (wird), daß der Unions-Vertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb in ihrem Ergebnis nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen darf; eine solche Auslegung von Befugnisnormen würde für Deutschland keine Bindungswirkung entfalten."278 m BVerfGE 77, 170 (215).
II. Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV
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Mithin würde die europarechtliche Klärung durch den EuGH, ob ein gemeinschaftlicher Rechtsakt die Kompetenzgrenzen der EG überschritten hat, zugleich zu der Klärung beitragen, ob eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik besteht. Eine in dieser Angelegenheit erhobene Nichtigkeitsklage beträfe also eine Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung und nicht eine individuelle Rechtsbetroffenheit. Dies gilt um so mehr, wenn man mit einer Entscheidung des EuGH279 davon ausgeht, daß die Primärrechtmäßigkeit der Richtlinie in einem späteren Vertragsverletzungsverfahren nicht mehr gerügt werden kann. Diese Rechtsprechung hat das BVerfG für das Bund-Länder-Verhältnis fortgeschrieben und für den Fall einer Überschreitung von Gemeinschaftskompetenzen als verfassungsrechtliche Verpflichtung der Bundesregierung in seinem Urteil zur Rundfunkrichtlinie nun festgeschrieben: "Kommt dennoch - gegen die Stimme der Bundesrepublik Deutschland - eine aus ihrer Sicht kompetenzrechtlich nicht gedeckte, die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder verkürzende Regelung zustande, so besteht die Pflicht der Bundesregierung fort, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf Gemeinschaftsebene für eine Aufhebung oder Änderung des Rechtsaktes einzutreten. Sie darf durch ihr Verhalten die Chance, durch eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs den eigenen Rechtsstandpunkt durchzusetzen, nicht rechtlich oder faktisch schmälern. " 280 Zum Schutz der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder hat das BVerfG demnach eine unbedingte verfassungsrechtliche Pflicht zur Erhebung der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV ohne jede Einschränkung durch integrationspolitische Belange anerkannt und die Verpflichtung zur Durchsetzung des eigenen Rechtsstandpunkts sogar auf ihr faktisches Verhalten auf der Ebene der Gemeinschaft ausgedehnt. bb) Grundrechtsbedingte Ermessensreduzierung Das von dieser Rechtsprechung geschützte Rechtsgut sind zwar nicht Grundrechte, sondern Gesetzgebungszuständigkeiten der Bundesländer gewesen, jedoch ist dieser Unterschied gerade im vorliegenden Zusammenhang nicht von Gewicht. Vielmehr ist die strukturelle Vergleichbarkeit zwischen der grundrechtliehen Freiheit und der hoheitlichen Regelungsbetungis zu bedenken, wie sie beispielsweise im Rechtsschutz gegen organschaftliehe Kompetenzverletzungen deutlich wird281 und umgekehrt durch die Erkenntnis auf den Punkt gebracht wurde, Grundrechte als negative Kompetenznormen anzusehen?82 BVerfGE 89, 155 (210); vgl. auch BVerfGE 155 (188). EuGH, S1g. 1992, 5437 (5466; Rn. 10)- MwSt.-Erhebung an Reisebüros. 280 BVerfGE 92, 203 (237)- Hervorhebung nur hier. 281 Grundlegend Gunter Kisker, lnsichprozeß und Einheit der Verwaltung, 1968; Dimitris Tsatsos, Der verwaltungsrechtliche Organstreit, 1969; Wemer Hoppe, Organstreitigkeiten vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten, 1970. 278 279
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D. Rechtsschutz gegen Kompetenzüberschreitungen
Jedenfalls wird man dem Schutz grundrechtlicher Freiheiten in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik keinen geringeren Stellenwert beilegen dürfen, als dem verfassungsrechtlichen Schutz der bundesstaatliehen Zuständigkeitsordnung. Vielmehr wird man davon auszugehen haben, daß die vom BVerfG für die Verletzung von Länderkompetenzen festgestellte Verpflichtung der Bundesregierung zur Durchsetzung ihres Rechtsstandpunkts auf europäischer Ebene auch für Grundrechtsverletzungen gilt, die durch Kompetenzüberschreitungen der Gemeinschaft zu Lasten der Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes bewirkt werden. Als weiterer Gesichtspunkt einer Ermessensreduzierung kommt schließlich hinzu, daß das BVerfG seinen Grundrechtsschutz im Maastricht-Urteil explicit für Rechtsakte der Gemeinschaft mit Wirkung für die Grundrechtsberechtigten in Deutschland bestätigt hat, obgleich diese von der Gemeinschaft als einer supranationalen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt erlassen werden. Die grundrechtsverpflichteten deutschen Staatsorgane können sich dementsprechend durch eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die öffentliche Gewalt der Europäischen Gemeinschaft nicht ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Grundrechte in Deutschland entledigen. 283 Diese Rechtsprechung beruht auf der einfachen Erkenntnis, daß die besondere Betroffenheit für die Grundrechtsberechtigten in Deutschland erst durch eine Übertragung von Hoheitsrechten deutscher Staatsorgane geschaffen wurde. Dieser Zusammenhang zwischen der Schaffung einer spezifischen Betroffenheilslage für die Grundrechtsberechtigten in Deutschland einerseits und einer fortwirkenden Verantwortlichkeit deutscher Staatsorgane andererseits besteht in besonderem Maße, wenn ein effektiver Rechtsschutz im Gemeinschaftsrecht aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht besteht und dieser nur durch die Erhebung einer privilegierten Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV zeitnah gewährleistet werden kann.284 Insgesamt bleibt daher festzuhalten, daß unter den gegebenen Umständen keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar sind, die die Bundesregierung berechtigen könnten, von der Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV abzusehen. Demgegenüber sprechen sämtliche relevanten Aspekte, besonders das öffentliche Interesse der Bundesrepublik an der Klärung, ob das umfassende Werbeverbot für Tabakprodukte außerhalb der Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft liegt und daher für die deutschen Staatsorgane keine Bindungswirkung zu 282 So Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 21. Auflage 1997, Rn. 290ff. 283 BVerfGE 89, 155 (175) in Abweichung von BVerfGE 58, 1 (27). 284 Zum Solange-Vorbehalt wegen fehlender Möglichkeit des Rechtsschutzes nach Art. 173 Abs. 4 EGV Kirchhof (Fn. 240), Das Maastricht-Urteil des BVerfG, in: Hommelhoff/Kirchhof (Hrsg.), Der Staatenverbund der Europäischen Union, S. 21 f.; von Danwitz (Fn. 33), GRUR 1997, S. 89; zu einem Aspekt näher Jens-Peter Schneider (Fn. 221), AöR 119 (1994), S. 294ff.
II. Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 2 EGV
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entfalten vermag, für eine solche Schutzgewährung durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage. Als die einzige ermessensgerechte und damit rechtmäßige Ausübung ihrer Entscheidungsfreiheit vermag die Bundesregierung also nur von ihrer Befugnis nach Art. 173 Abs. 2 EGV Gebrauch zu machen und eine Nichtigkeitsklage zur Klärung der Rechtsfragen zu erheben, die ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung gerade für die Kino- und Plakatwerbung mit örtlich radizierten Werbemedien aufwirft.
E. Gesamtergebnis der Untersuchung in Thesen I. Zuständigkeiten der Gemeinschaft für ein Tabakwerbeverbot
1. Die kompetenzrechtliche Zuordnung einer sekundärrechtlichen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts ist nicht nur zwischen horizontal konkurrierenden Kompetenzen, sondern in gleicher Weise im Rahmen von vertikalen Kompetenzkonflikten der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft erforderlich. Gerade die vorliegende Konstellation einer Kompetenzkonkurrenz zwischen der Rechtsangleichungsbefugnis für den Binnenmarkt und der auf Fördennaßnahmen beschränkten EG-Kompetenz für den Gesundheitsschutz illustriert in aller Deutlichkeit, daß sich beide Ebenen nicht voneinander trennen lassen. 2. Die zutreffende Rechtsgrundlage kann nach der Rechtsprechung des EuGH nur anband von objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen ermittelt werden. 3. Indem die neuere Rechtsprechung des EuGH zur Bestimmung der einschlägigen Rechtsgrundlage im Kern auf der Überlegung beruht, die raison d'etre einer Rechtshandlung im Wege wertender Rechtserkenntnis zu erfassen, besteht ein unüberbrückbarer Gegensatz zum Prüfungsansatz des EuGH in der Entscheidung über die Titandioxid-Richtlinie. Derneueren Rechtsprechung zufolge ist die tatbestandsbezogene Qualifizierung eines Rechtsaktes selbst dann erforderlich, wenn tatsächlich gleichwertige Regelungsziele verfolgt werden sollten. Zusammenfassend wird man daher die in der Titandioxid-Entscheidung vertretene Rechtsauffassung des EuGH als überwunden ansehen können. 4. Schon auf Grund einer quantitativen Betrachtung der einzelnen Erwägungsgründe des Richtlinienvorschlags erscheint der Binnenmarktbezug der vorgeschlagenen Richtlinie als eine bloß untergeordnete Nebenfolge, die mit dem Tabakwerbeverbot einhergeht. Dieses Verbot wird jedoch maßgeblich aus Gründen des Gesundheitsschutzes vorgeschlagen. 5. Der bisherige Verlauf der Beratung des Richtlinienvorschlags über ein Tabakwerbeverhot im Rat der Europäischen Union mit der Ausdehnung sowie der qualitativen Veränderung der konkret vorgeschlagenen Werbeverbotsregelung hat auch den Hauptzweck der Richtlinie so weitgehend verändert, daß die ursprünglich wohl zutreffend beanspruchte Kompetenz in Art. lOOa EGV keine hinreichende Rechtsgrundlage für den Erlaß des geänderten Richtlinienvorschlags mehr darstellt.
I. Zuständigkeiten der Gemeinschaft für ein Tabakwerbeverbot
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6. Das vollständige Verbot der Ausübung einer wirtschaftlichen Freiheit, die der Gerichtshof explicit dem Schutz von Art. 30 EGV unterstellt hat, ist auf Grund der Regelungsbefugnis zur Verwirklichung des Binnenmarktes gerade nicht zulässig. Diese kompetenzrechtliche Sichtweise schärft namentlich den Blick für die eigentliche Absicht, die mit diesem Verbot der Produktwerbung in wirtschaftlicher Hinsicht verfolgt wird: Die Verfestigung der bestehenden Marktstrukturen. Ein solches Ziel mag die Gemeinschaft auf Grund anderweitiger Handlungsermächtigungen legitimerweise verfolgen dürfen; auf Grund der Befugnis für die Verwirklichung der Grundfreiheiten im Binnenmarkt ist dies indes nicht möglich. 7. Da für die Kino- und für die Plakatwerbung ein europäischer Binnenwerhemarkt mit einem regelrechten Wettbewerb zwischen den Herstellern von Werbung in verschiedenen Mitgliedstaaten bisher nicht besteht, bleibt festzuhalten, daß auch etwaige Wettbewerbsverzerrungen auf Grund unterschiedlich hoher Einnahmen aus der Werbung für Tabakerzeugnisse nicht zu besorgen sind. 8. Gleichwohl unterstellte Verzerrungen des Wettbewerbs im Binnenmarkt können auf Grund ihres Umfangs allenfalls eine marginale Bedeutung entfalten. Die Spürbarkeitsgrenze, die über das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht hinaus allgemein im Gemeinschaftsrecht als sog. rule of remoteness anerkannt ist, ist für die Auswirkungen der Tabakwerbeeinnahmen auf den gesamten Werbemarkt der Gemeinschaft keinesfalls überschritten worden. Mangels spürbarer Verzerrungseffekte im Binnenmarkt können solche Rechtsunterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten eine Zuständigkeit der Gemeinschaft zur Rechtsangleichung auf Grund von Art. lOOa EGV jedenfalls nicht begründen. 9. Ausweislich der formalen und verfahrensbedingten Umstände und vor allem auf Grund der konkret erzeugten Rechtswirkungen ist die vorgeschlagene Richtlinie in ihrer spezifischen Eigenart nur als ein Instrument des Gesundheitsschutzes vollständig zu verstehen. Jenseits dieses Hauptzwecks wirkt die vorgesehene Rechtsangleichung zwar auch auf die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt ein. Dabei handelt es sich aber lediglich um faktische Nebenfolgen, die die vorgesehene Verbotsregelung nicht wesensmäßig kennzeichnen. Die vorgeschlagene Richtlinie kann demzufolge nicht auf Grund der von Art. lOOa EGV gewährten Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft erlassen werden. 10. Wendet man das Subsidiaritätsprinzip, so wie es durch das Protokoll zum Amsterdamer Vertrag konkretisiert worden ist, auf den Vorschlag der Europäischen Kommission über das vollständige Werbeverbot für Tabakerzeugnisse an, wird deutlich, daß dieses Verbot den Anforderungen der so verstandenen Subsidiaritätsidee gleich in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht wird. Zunächst weist Tabakwerbung transnationale Aspekte nur bei einer grenzüberschreitenden Verbreitung auf, die bei der Kino- und der Plakatwerbung nicht 7 von Danwitz
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E. Gesamtergebnis der Untersuchung in Thesen
gegeben ist und für die Presse nur in sehr bescheidenem Umfang in Betracht kommt. Des weiteren können sehr wohl ausreichende Regelungen für diesen Bereich der Werbung in Presseerzeugnissen auf der Ebene der Mitgliedstaaten erlassen werden, um nur die transnationalen Wirkungen zu erfassen. Darüber hinaus sind keine Verzerrungen der Wettbewerbsverhältnisse festzustellen, die so bedeutsam sind, daß sie die Interessen der Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigen und daher eine Korrektur erforderlich machen. Schließlich bringt eine Harrnonisierung auf Gemeinschaftsebene gegenüber mitgliedstaatlichem Handeln nach Umfang und Wirkung keine deutlichen Vorteile für den Binnenmarkt mit sich. Etwaig entstehende Vorteile könnten sich möglicherweise aber für den Schutz menschlicher Gesundheit ergeben. Derartige Vorteile auf dem Wege einer europäischen Harrnonisierung zu erstreben, ist der Gemeinschaft jedoch im Harrnonisierungsverbot von Art. 129 Abs. 4, 1. Spiegelstrich EGV primärrechtlich versagt geblieben. 11. Gemäß dem primärrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müssen die Maßnahmen der Gemeinschaft für die Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sein. Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen, ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen. a) Mangels eines ersichtlichen Binnenmarktbezugs kann das Verbot von Gratisverteilungen bereits offensichtlich nicht als Maßnahme angesehen werden, die in irgendeiner Weise erforderlich für die Verwirklichung des Binnenmarktes ist. b) Die prinzipielle Gleichsetzung direkter und indirekter Werbung beruht auf einer Annahme der Kommission über die sich insgesamt ergebenden Wirkungen dieser Werbeformen, die nicht nachvollziehbar begründet und aus sich heraus auch nicht verständlich ist. Die pauschale Gleichsetzung von direkten und indirekten Werbeformen beruht letztlich auf einer offensichtlich irrigen Annahme der gleichen Wirkung eines Verbots der indirekten Werbung. Daher fehlt es bereits an der europarechtlich vorausgesetzten Geeignetheit des vorgeschlagenen Verbots indirekter Werbung für Tabakwaren. c) Ein pauschales Verbot der indirekten Werbung ist auch nicht erforderlich, um eine Rechtsangleichung im Binnenmarkt der Tabakwerbung zu erreichen. Diese Vorgabe kann durch eine Regel erzielt werden, die die Werbung für Nichttabakprodukte weniger stark beschränkt, gleichwohl aber eine Umgehung des Werbeverbotes für Tabakerzeugnisse effektiv gewährleistet. Zu diesem Zweck wäre eine Regel zureichend, die auf die konkrete Werbung abstellt, indirekte Werbung zuläßt, wenn keine Verwechslungsgefahr mit Tabakerzeugnissen besteht und die nicht darauf abzielt, Werbung für Tabakerzeugnisse zu ergänzen und deren Absatz zu fördern. Deshalb ist
I. Zuständigkeiten der Gemeinschaft für ein Tabakwerbeverbot
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festzuhalten, daß das vorgeschlagene Verbot einer indirekten Werbung nicht auf das erforderliche Maß beschränkt ist, um die Umgehung des allgemeinen Verbots für Tabakwerbung zu gewährleisten. d) Die Verwirklichung des Binnenmarktes als zentrales Ziel des EG-Vertrages erfordert auch ein vollständiges Verbot der Tabakwerbung nicht. Zur Rechtfertigung ihres Vorschlags weist die Europäische Kommission auf einen hohen Gesundheitsschutz hin. Damit steht aber zugleich fest, daß die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen als Begründung für ein vollständiges Tabakwerbeverbot nicht in Frage kommt: Wettbewerbsverzerrungen würden auch durch jede andere Regelung der Tabakwerbung in Europa in gleicher Weise verhindert. Durch das Vertragsziel der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen in Art. 3 lit. g) EGV läßt sich die konkret vorgeschlagene Regelung eines vollständigen Werbeverbotes nicht rechtfertigen. e) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz macht die Feststellung notwendig, ob ein umfassendes Werbeverbot für Tabakwaren konkret geeignet ist, dem Schutz der menschlichen Gesundheit durch die Senkung des Tabakkonsums zu dienen. Dazu mögen plausible Alltagserfahrungen über den Einsatz von Werbung zur Verkaufsförderung eine zureichende Basis für die Bewertung des Gemeinschaftsgesetzgeber bilden, solange keine gegenteiligen Erkenntnisse über Konsumsteigerungen bei vollständigen Werbeverboten bestehen. Vorliegende ökonometrische Studien, die gegenteilige Auswirkungen allgemein und gerade auch für Heranwachsende belegen, machen es nun jedoch erforderlich, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, daß ein Tabakwerbeverbot zur Senkung des Tabakkonsums beiträgt und das Regelungsziel des Gesundheitsschutzes erkennbar fördert. Solange dem Gemeinschaftsgesetzgeber kein Datenmaterial vorliegt, das auf einen konkreten Beitrag solcher Werbeverbote zur Verringerung des Tabakkonsums schließen läßt, kann auch die positiv festzustellende Eignung einer so einschränkenden Regelung nicht angenommen werden. f) Darüber hinaus kommen unterschiedliche Maßnahmen, auch werbespezi-
fischer Art in Betracht, um einen verbesserten Gesundheitsschutz durch Reduzierung des Tabakkonsums zu bewirken. Jedenfalls eine Kombination gerade von jugendspezifischen Maßnahmen der genannten Art erscheint besonders geeignet, um den Gesundheitsschutz zu fördern. Zugleich wirken solche Maßnahmen weniger einschneidend als ein vollständiges Werbeverbot. Mithin erweist sich, daß ein vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte gegenüber den in gleicher Weise zur Förderung des Gesundheitsschutzes geeigneten Maßnahmen weitergehende Freiheitseinschränkungen bewirkt und aus diesem Grund gegen die primärrechtliche Schranke in Art. 3b Abs. 3 EGV verstößt.
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E. Gesamtergebnis der Untersuchung in Thesen
II. EG-Grundrechtsschutz gegen vollständige Werbeverbote 1. Ob das von der EG-Kommission vorgeschlagene vollständige Werbeverbot für Tabakerzeugnisse mit dem Grundrechtsschutz der Werbung nach primärem Europarecht vereinbar ist, hängt maßgeblich vom Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ab. Der Rechtsprechung des EGMR in dieser Frage wird von seiten des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften eine besondere Beachtlichkeit beigemessen, die einer quasi-fonnellen Präjudizwirkung im Ergebnis gleichkonunen dürfte.
2. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist gesichert, daß auch Werbeaussagen dem vollen Schutz der freien Meinungsäußerung von Art. 10 EMRK unterfallen. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EGMR konunt es entscheidend darauf an, ob ein Werbeverbot zur vollständigen Unterdrückung der konunerziellen Rede führt oder in gewissem Umfang Raum für die Werbung läßt. Wendet man die Maßstäbe dieser Rechtsprechung auf die Beurteilung eines vorgeschlagenen Verbots der Werbung für Tabakerzeugnisse an, liegt der Schluß nahe, daß dieses wegen seiner umfassenden und gleichsam absoluten Wirkung mit Art. I 0 EMRK nicht vereinbart werden kann. 3. Eine vergleichende Analyse zur verfassungsrechtlichen Situation im Europa der Zwölf konunt zu dem Schluß, daß ein vollständiges Verbot der Tabakwerbung aus unterschiedlichen Gründen in Dänemark, Irland, England, Frankreich, auch in Italien und Portugal sowie möglicherweise in Belgien und Spanien nicht als Grundrechtsverstoß angesehen werden würde. Ein solches Verbot würde demgegenüber in Deutschland, den Niederlanden, Griechenland und für die indirekte Werbung wohl auch in Spanien als Verletzung von Grundrechten gewertet werden. 4. Auch der Kanadische Supreme Court betont den qualitativen Unterschied, der in grundrechtlicher Hinsicht zwischen Werbebeschränkungen und einem vollständigen Werbeverbot besteht und hält ein vollständiges Verbot nur für verfassungsrechtlich zulässig, wenn der Gesetzgeber darlegen kann, daß nur ein vollständiges Werbeverbot in der Lage ist, den erstrebten Gesundheitsschutz zu erreichen. 5. Die jüngste Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprechung des U.S. Supreme Court belegt insgesamt, daß der grundrechtliche Schutz der Werbung deutlich verbessert wurde und vollständige Werbeverbote allenfalls gerechtfertigt werden können, wenn sie nachweislich dazu erforderlich sind, den mit ihnen verfolgten Zweck tatsächlich zu erreichen. Nach einer im Supreme Court vertretenen Auffassung verfolgt der Staat schon ein verfassungswidriges Ziel, wenn Verbraucher legaler Produkte unwissend gehalten werden, um sie dadurch in der Wahl ihrer Verbrauchsentscheidung zu beeinflussen. Nach dieser Ansicht kommt es dann sogar auf die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Bestimmung nicht mehr an. 6. Eine Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der Verfassungsgerichte aus verschiedenen Mitglied-
III. Rechtsschutzfragen eines Tabakwerbeverbotes
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staaten der Europäischen Union sowie aus Kanada und den Vereinigten Staaten von Amerika im Sinne wertender Rechtsvergleichung ergibt, daß kommerzielle Werbung auch in der Gemeinschaftsrechtsordnung den vollständigen Schutz der von Art. 10 EMRK geschützten Meinungsfreiheit in Anspruch nehmen kann. Ein vollständiges Verbot nicht irreführender Werbung, wie es im Kommissionsvorschlag der Richtlinie über die Werbung für Tabakerzeugnisse vorgesehen ist, ließe sich also nur unter ungewöhnlichen Voraussetzungen rechtfertigen. Da jedoch weniger freiheitsbeschränkende Maßnahmen einsetzbar sind und von der Europäischen Kommission der Nachweis nicht erbracht worden ist, daß nur ein vollständiges Werbeverbot für Tabakprodukte geeignet ist, den Gesundheitsschutz substantiell zu verbessern, liegen die Voraussetzungen nicht vor, um einen solch weitreichenden Eingriff in die von Art. 10 EMRK geschützte Freiheit der Meinungsäußerung rechtfertigen zu können. Eine solche Richtlinie würde mithin auch materiellrechtlich gegen die primärrechtlichen Vorgaben verstoßen, die der Gesetzgeber in der Gemeinschaftsrechtsordnung zu achten hat.
111. Rechtsschutzfragen eines Tabakwerbeverbotes 1. Gemessen an den von der ständigen Rechtsprechung des EuGH verwandten Kriterien bleibt festzuhalten, daß die Art. 2 und 3 der vorgeschlagenen Richtlinie keine "Entscheidungen" im technischen Sinne von Art. 189 UAbs. 4 EGV enthalten. Die vorgeschlagene Richtlinie über ein vollständiges Werbeverbot stellt also einen "echten" Normativakt dar, gegen die der EG-Vertrag für Private keinen unmittelbaren Rechtsschutz im Wege der Nichtigkeitsklage eröffnet. 2. Die stark eingeschränkte Rechtsschutzeffektivität des Vorabentscheidungsverfahrens kann keine Kompensation für die fehlende Befugnis Privater zur Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 173 Abs. 4 EGV bewirken. Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, daß der für Privatpersonen nur beschränkt gewährte Rechtsschutz gemäß Art. 173 EGV die erste und wichtigste Konstellation für den Solange-Vorbehalt des BVerfG bildet. 3. Demgegenüber sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV ohne weitere Voraussetzung befugt, ihren Rechtsstandpunkt im Rahmen der Frist nach Art. 173 Abs. 3 EGV im Wege einer Klageerhebung vor dem EuGH konsequent weiter zu verfolgen, wenn die vorgeschlagene Regelung verabschiedet wird. 4. Eine gerichtliche Klärung der rechtlichen Bedenken, die die deutsche Bundesregierung vorbringt, erscheint integrationspolitsch nur wünschenswert. Daher stellt sich die Frage, ob sich die nach Art. 173 Abs. 2 EGV bestehende Ermessensentscheidung über eine privilegierte Klageerhebung für die Bundesrepublik in concreto nicht bereits zu einer Rechtspflicht verdichtet hat. a) Da die Bundesrepublik in der Vergangenheit immer dann von ihrem Recht nach Art. 173 Abs. 2 EGV Gebrauch gemacht hat, wenn rechtliche Gesichts-
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E. Gesamtergebnis der Untersuchung in Thesen
punkte den Schwerpunkt ihres im Rat der Europäischen Union vertretenen Standpunktes gebildet haben, ist eine Selbstbindung der Bundesregierung eingetreten, in vergleichbaren Fällen auch entsprechend zu verfahren. Die Bundesrepublik hat die vorgeschlagene Richtlinie über ein vollständiges Werbeverbot für Tabakwaren maßgeblich aus Rechtsgründen abgelehnt, so daß sie nun auf Grund der eingetretenen Selbstbindung ihres Ermessens gemäß Art. 5 Abs. 1 EGV in Verbindung mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot gehalten ist, ihre bisherige Vorgehensweise in gleichartigen Konstellationen fortzusetzen und auch die zur Richtlinie über ein umfassendes Tabakwerbeverbot aufgeworfenen Rechtsfragen einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof zuzuführen. b) Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, über die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ergibt sich darüber hinaus aus der Pflicht zur Gewährleistung diplomatischen Schutzes und aus der grundrechtliehen Schutzpflicht des Staates. c) Damit korrespondiert ein grundrechtlicher Anspruch der von diesem Verbot Betroffenen gegen die Bundesregierung als dem zuständigen Staatsorgan, Schutz gegen die Grundrechtsbeeinträchtigungen zu gewähren, die auf Grund dieser EG-Richtlinie drohen. d) Daraus ergibt sich, daß die Bundesregierung nach pflichtgemäßem Ermessen über die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV zu entscheiden hat. e) Vorliegend sind keine Ermessensgesichtspunkte erkennbar, die die Bundesregierung berechtigen könnten, von der Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß Art. 173 Abs. 2 EGV abzusehen. Sämtliche relevanten Aspekte, besonders das öffentliche Interesse der Bundesrepublik an der Klärung, ob das umfassende Werbeverbot für Tabakprodukte außerhalb der Binnenmarktkompetenz der Gemeinschaft liegt und daher für die deutschen Staatsorgane keine Bindungswirkung zu entfalten vermag, sprechen für eine solche Schutzgewährung durch Erhebung einer Nichtigkeitsklage. Als einzige ermessensgerechte und somit rechtmäßige Ausübung ihrer Entscheidungsfreiheit kann die Bundesregierung also nach Art. 173 Abs. 2 EGV eine Nichtigkeitsklage zur Klärung der Fragen erheben, die ein umfassendes Verbot der Tabakwerbung gerade für die Kino- und Plakatwerbung mit örtlich eingeschränkt wirkenden Werbemedien aufwirft. 5. Das Ermessen der deutschen Bundesregierung ist also nicht nur wegen ihres bisherigen Vorgehens auf Gemeinschaftsebene gebunden, sondern auch kraft ihrer grundrechtliehen Schutzpflicht Den betroffenen Grundrechtsberechtigten steht daher ein Anspruch auf grundrechtliche Schutzgewährleistung durch Klageerhebung der Bundesrepublik zum Europäischen Gerichtshof zu.
Anhang 1: Summary of the study's principal results I. The question of EC competences to ban tobacco advertisement
1. The need to determine the exercised competence of a legal act in EEC law is not limited to review the right choice of the Comrnunity between its different legislative powers, but is of particular importance, when competences are divided between the Comrnunity and the EC Member States. The given exarnple of conflicting competences between the Comrnunity's legislative power for the creation of the Single European Market and the exclusive right of EC Member States to legislate over health protection shows quite clearly that a clear cut distinction of competences is necessary in both cases. 2. According to the jurisdiction of the European Court of Justice the legal basis of a legislative act of the Comrnunity can only be determined by objective and judicially verifiable circumstances. 3. The Court's recent jurisdiction on how to determine the legal basis of a legislative act requires an overall evaluation of all factors decisive for the specific nature of the respective act. In essence this constitutes a principal difference to the anterior reasoning of the ECJ in his decision conceming the directive on titandioxide-waste. The Court's actual jurisprudence requires a determination of the legal basis according to these criteria even if the legislative aims of a particular measure are of equivalent importance. This shows that the legal reasoning of the ECJ in the titandioxide-case can no more be considered a valid jurisprudence. 4. Already a quantitative perception of the different considerations given for the proposal to ban tobacco advertisement shows that it's impacts on the creation of the Single European Market are merely factual side-effects going along with health protection which has to be considered the principal legislative aim of a ban on tobacco advertisement. 5. The Comrnission's proposal of a ban on tobacco advertisement has qualitatively been modified during the course of the debate to an extent, that it's principal aim has significantly been changed. As a consequence the actual proposition can no more be qualified a measure falling in the competence to create the Single European Market according to Art. 1OOa ECf as it has correctly been stated for the original proposal. 6. A complete ban of an economic freedom which has explicitly been recognized by the European Court as falling under Art. 30 ECT can legally not be estab-
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Anhang 1: Summary ofthe study's principal results
lished according to the competence given to the community for the development of the econornic freedoms within the Single European Market. This fundamental perspective explains that the ban on tobacco advertisement in reality is designed to preserve the existing market structures. This aim may legitimately be pursued on the ground of other competences, however it does not facilitate the Single European market. Therefore it cannot find a legal basis in Art. 1OOa ECT. 7. Since a Single European Market does so far not exist in the field of cinema and billboard advertisement between producing agencies in different Member States, an eventual surplus derived form tobacco advertisement cannot Iead to a distortion of competition within the Single European Market. 8. Due to the financial extent of tobacco advertisement in the overall advertisement market, even a supposed distortion in the competition between advertisement agencies would only have marginal effects on the Single European Market. The ceiling set by the so called de rninirnis perception, which has beyond EC-competition law generally been recognized in EC law as rule of remoteness, would by no means be exceeded by the market share of tobacco advertisement. 9. Taking the formal and procedural aspects and in particular the regulatory effects of the proposed directive into account, the ban on tobacco advertisement can by it's nature only be perceived as an instrument of health protection policy. Beyond this principal legislative goal, the proposed ban will have certain effects on the market structures in advertising. Nevertheless, these are only factual side-effects which cannot characterize the nature of the designated directive. Therefore the proposed ban cannot be passed on the ground of Art. 1OOa ECT. 10. The principle of subsidiarity as it has now been elaborated in the Amsterdam treaty makes obvious that the proposed ban on tobacco advertisement does not meet the requirements of subsidiarity in various respects. Transnational aspects of tobacco advertisement rnight be relevant for advertising in newspapers and magazines, but only to a very lirnited extent. To meet these challenges, sufficient regulations can be issued by the Member States. Additionally it appears that eventual distortions of market conditions for advertisement do not affect interests of Member States to such a significant degree, that Community legislation would appear indispensable. A European harmonization as proposed to a co-ordinated action taken by Member States would finally not produce considerable advantages for the Single European Market. A harmonization on the Community Ievel might eventually Iead to an improved protection of human health, but striving for such results by harmonization measures remains excluded by Art. 129 para. 4, stroke 1 ECT. 11. According to Art. 3b para. 3 ECT the principle of proportionality requires that all Community measures are suitable and necessary to achieve the aims pur-
I. The question of EC competences to ban tobacco advertisement
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sued by Community legislation. Therefore any legislative measure has to stand the. minimal impairment test in comparison to other suitable regulations. Furthermore the imposed restrictions will have to be considered adequate for reaching the aspired legislative goal. a) Evidently the interdiction of free tobacco distribution does not stand in any relation to the creation of the Single European Market. Therefore it cannot be considered necessary to achieve this legislative goal. b) The Commission's assumption that all forms of direct and indirect tobacco advertising produce identical effects, has not been substantiated in the proposal nor is it not self-explanatory. In the final analysis, this assumption proves to be evidently erroneous. Therefore the proposed ban on indirect advertising as foreseen by the European Commission is not a suitable measure to attain the legislative goal pursued. c) In addition a blanket ban on indirect advertising is not necessary foralegal harmonisation of tobacco advertising in the Single European Market. This aim can as well be achieved by a less restrictive directive which would nevertheless assure any evasion of a ban on direct tobacco advertisement. For this purpose, it would be sufficient to Iimit the proposed directive to forms of misleading advertisement hinting at tobacco products and thereby trying to advance their sale in an indirect manner. The proposed ban on indirect advertisement is therefore not limited to the degree necessary to prevent the circumvention of a general ban on direct tobacco advertisement effectively. d) The creation of the Single European Market does evidently not require a complete ban on tobacco advertisement. In this respect even the Commission's proposal only points at the promotion of health protection. Therefore the regulatory goal to prevent eventual distortions of concurrence in the Single European Market cannot justify a complete ban on tobacco advertisement. In it's particular shape it cannot be considered a possible measure to attain the goal formulated by Art. 3 lit. g) ECT. e) The principle of proportionality requires a proven effect of a comprehensive ban for the promotion of human health by lowering tobacco consumption. Everyday experience might therefore serve as a sufficient basis for a complete ban as long as there is no contradicting data available. But recent econometric studies have shown an increase of tobacco consumption in general and as well in juvenile consumption for countries with tobacco advertisement bans. These contradictory statements require an overall evaluation regarding the effects of a total advertisement ban on tobacco consumption. As lang as such data is not available to the Council, the proposed ban already fails it's suitability test. f) Finally there are other suitable measures to reduce tobacco consumption
available, even in the field of advertisement. This is particularly true for a
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Anhang 1: Summary of the study's principal results
combination of specific measures to reduce juvenile tobacco consumption and thereby promote health protection. Since suitable measures to promote health protection are available and less restrictive, a comprehensive ban on tobacco advertisement violates the principle of proportionality according to Art. 3 b para. 3 ECT.
II. EC-fundamental rights protection against advertising bans 1. Whether the proposed advertisement ban for tobacco products is compatible with fundamental rights granted by primary EC law will depend in particular on the degree of protection granted to the commercial speech by Art. 10 of the European Convention of Human rights. The jurisprudence of the ECJ attaches particular importance to the protection guaranteed by the ECHR which comes close to an almost formal prejudicial effect. 2. Under the jurisprudence of the ECHR commercial speech enjoys the full protection of Art. I 0 of the Convention. Within the reasoning of the ECHR it is essential to determine whether a regimentation Ieads to an entire suppression of any advertisement or leaves some space to address the consumer. Due to the complete nature of the proposed ban on tobacco advertisement, this distinction makes it most probable to conclude that a total ban has to be considered inconsistent with Art. 10 ofthe Convention. 3. A comparative analysis of the fundamentallaw situation in Europe shows that a complete ban on tobacco advertising would - for different reasons - be held compatible with fundamental rights in Denmark, Ireland, England, France, ltaly and Portugal as well as possibly in Belgium and Spain. To the contrary in Germany, the Netherlands, Greece and - as far as the indirect advertisement is concemed - possibly in Spain it would be considered a violation of fundamental rights. 4. The major difference existing between a restrictive regulation of tobacco advertisement and a complete ban has not only inspired the ECHR, but has been strongly emphasized by the Canadian Supreme Court. In his view a complete ban can only be considered constitutionally justified if the legislator can give sound reasons that the desired promotion of human health protection can only be realised by a complete ban on any tobacco advertising. 5. Recent developments in the jurisprudence of the U.S. Supreme Court show in general that the constitutional protection of the freedom of commercial speech has considerably improved. A complete ban on advertising can only be justified if it is verifiably necessary to reach the pursued aim. According to one concurring opinion in the U.S. Supreme Court the state already pursues an unconstitutional objective if his regulation keeps the consumer of a legal product uninformed and thereby influences his choice in the marketplace. Form this point of
III. Judicial protection against a comprehensive ban on tobacco advertising
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view, a regulation of this nature would be considered unconstitutional even before passing to the test of proportionality. 6. According to an overall analysis and final evaluation of the different positions held by the ECHR, the constitutional Courts in Europe and by the Supreme courts of Canada and the U.S. it appears tobe acquired that commercial advertising enjoys full protection within the Community legal order as granted under Art. 10 of the European Convention on Human Rights. In this perspective the proposal of a comp1ete ban on tobacco advertisement cou1d only be justified if high Standards are met. Since less restricting measures are availab1e and the Commission has failed to prove that only a comprehensive ban on tobacco advertisement will substantially improve the protection of human health, such a far reaching restriction of the freedom of commercial speech cannot be consideredjustified under Art. 10 ofthe European Convention on Human Rights.
111. Judicial protection against a comprehensive ban on tobacco advertising
1. According to the criteria constant1y applied by the ECJ to determine the nature of a decision according to Art. 173 para. 4 ECT, Art. 2 and 3 of the proposed directive cannot be qualified as decisions in the technical sense of Art. 189 subparagraph 4 ECT. These articles of the proposed directive are without any doubt of normative nature. In consequence the EC-Treaty does not foresee a direct form of judicial protection for individuals against these acts. 2. Since preliminary rulings provide legal protection for individua1s only to a limited extend, the procedure according to Art. 177 ECT cannot be judged as a full compensation for the missing right of individuals to bring an action according to Art. 173 para. 4 ECT. This illustrates clearly why this procedural deficit in judicial protection constitutes the most important case of the famous "Solange"-reservation established by the Federal Constitutional Court. 3. In contrast tothelegal protection of private individuals, the EC-Member States are entitled by Art. 173 para. 2 ECT tobring an action to the ECJ without meeting particular requirements, as long as the delay fixed by Art. 173 para. 5 ECT is respected. 4. For the further course of the European integration, it seems to be politically desirable to find out whether the legal points raised by the German govemment are justified. This Ieads to the question whether the discretionary power of the German govemment to bring an action according to Art. 173 para. 2 ECT has already become a legal duty under the specific circumstances of the present case. a) In the past the German govemment has generally proceeded to a judicial review of Council decisions when a legal position of some importance for the
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Anhang 1: Summary of the study's principa1 resu1ts
German government has primarily been at stake. This constant practice has created a certain obligation to treat comparable cases accordingly. Since legal questions, particularly on the competence claimed by the European Commission have been decisive for the German position in the EC Council, a general obligation of the German government to bring an action to the ECJ in this case can be derived from Art. 5 and 6 ECT. b) Additionally a constitutional obligation of the Federal Republic to take protective measures against unjustified legal acts can be found in the principle of diplomatic protection and in the protective duties of state granted by the fundamental rights. As a corresponding right to these obligations affected individuals can claim from the Federal govemment to take protective measures. c) In the present case no aspects are visible which might Iead the Federal Republic to abstain from an action according to Art. 173 para. 2 ECT. All relevant aspects, in particular the public interest to find out whether the EC is competent for the proposed ban and the directive is binding for the Federal Republic, favour a decision of the government to bring the action according to Art. 173 para. 2 ECT. The Federal government therefore is legally bound to proceed to a judicial review of the proposed directive.
Anhang 2: Le resume de Ia recherche I. Les competences de Ia Communaute Europeenne
pour l'interdiction de Ia publicite pour le tabac
1. La qualification d'une regle juridique selon la competence excercee n'est pas seulement necessaire entre les competences horizontales concurrentes de la CE, mais aussi de la meme fac;on pour les conflits verticaux entre les competences des Etats membres et la Communaute Europeenne. En espece, la concurrence de la competence communautaire pour la creation du Marche unique avec celle de la sante publique, qui est limitee aux mesures de developpement, illustre bien qu'il s'agit d'une question de portee generale.
2. D' Apres la jurisprudence de la Cour de Justice de la Communaute Europeenne (CJCE) la propre base juridique se deterrnine seulement pardes circonstances objectives et verifiables en justice. 3. Tandis que la nouvelle jurisprudence de la CJCE pour determiner la propre base juridique se fonde sur une evaluation de la raison d'etre de l'acte juridique en question, la Cour de Justice a resolument toume le dos a sa jurisprudence anteneure dans l'affaire Titandioxid. Des lors, les criteres encore utilises dans l'affaire Titandioxid ne semblent plus applicables.
4. Le rapport au marche interieur a la directive proposee apparait deja au nombre des considerants donnees comme consequence secondaire, qui va de pair avec l'interdiction de la publicite pour le tabac. Mais la protection de la sante publique demeure 1' objectif principal de la proposition.
5. Les modifications qualitatives de la proposition de directive, qui sont intervenues au cours des discussions et des deliberations dans la procedure legislative, ont change 1' objet principal et le caractere de la mesure en question. En consequence, la competence de l'art. lOOa CEE, sur laquelle la proposition etait justement fondee au debut de la procedure legislative, ne represente plus une base juridique suffisante. 6. L'interdiction generale de l'exercice d'une liberte economique, qui est explicitement garantie par la Cour en vertu de 1' art 30 CEE, ne peut pas se faire sur la base de la competence pour la realisation du Marche unique. Avec cette mise au point, l'intention veritablement poursuivi par l'interdiction de la publicite pour le tabac devient evidente: la preservation des structures economiques existantes dans le Marche unique. Un tel objectif juridique pourrait etre envisage legitimement par la Communaute sur d'autres bases juridiques, mais
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Anhang 2: Le resume de Ia recherche
cela n'est pas admissible en vertu de Ia competence pour Ia realisation du Marche unique. 7. Comme il n'y a pas de marche commun en Europe pour Ia publicite au cinema et les affiches publicitaires, ce qui entrafne une concurrence entre ]es producteurs de publicite dans divers Etats membres, il faut constater, qu'il n'existe pas de distorsions de concurrence a cause des differences de recettes d'entreprises qui resultent des publicites du tabac. 8. Meme si une distorsion de concurrence existait dans Je Marche unique, son ampleur n'aurait seulement une importance marginale. En consequence, la regle des effets aleatoires ne serait pas violee par les effets qui resultent des recettes de publicite pour le tabac dans le Marche unique. En raison de l'absence d'une distorsion verifiable dans le Marche unique, uneteile harrnonisation ne peut pas etre realisee sur Ia base de 1' art. lOOa CEE. 9. A l'egard des circonstances formelles et procedurales et, avant tout, en raison des effets juridictionnels de Ia directive proposee, son caractere specifique ne peut etre compris completement par ses effets economiques: Elle est surtout un instrument de protection de Ia sante. Au-dela de cet objectif principal, une teile harrnonisation produit certains effets sur les conditions de concurrence dans le Marche unique, mais cela est seulement une consequence aleatoire. En consequence, Ia directive proposee ne peut pas etre fondee sur Ia base de 1' art. lOOa CEE. 10. Si on applique le principe de subsidiarite, comme il etait concretise par le Traite d' Amsterdam, a Ia proposition de la Commission Europeenne sur l'interdiction de la publicite pour le tabac, on constate que l'interdiction ne satisfait pas aux conditions de ce principe aux plusieurs egards. En premier lieu, la publicite pour le tabac pourrait toucher Je Marche unique seulement dans Ia mesure de sa distribution transfrontaliere. Cela n'existe pas pour Ia publicite au cinema et non plus pour celle des affiches. A une importance minimale, elle pourrait se produire pour Ia presse ecrite. Pour Je secteur de Ia presse ecrite il est tout a fait possible d'elaborer des regles suffisantes de far;:on concertee au niveau national. De plus, il n'existe pas de distorsions de concurrence suffisament importantes pour reclamer une correction au nom des Etats membres. Enfin, une harrnonisation des reglementations nationales par Ia Communaute n'entraine pas d'avantages significatives pour Je fonctionnement du Marche unique par rapport a une action concertee des Etats membres. Mais des avantages pourraient se produire pour Ia protection de Ia sante. A cet egard, il convient de conclure que la poursuite de tels avantages par voie d'harrnonisation europeenne reste interdite par l'art. 129 alinea 4, tire 1 CEE. 11. D'apres le principe du droit primaire de 1a proportionnalite, 1es mesures communautaires doivent etre appropriees et necessaires pour atteindre I'objectif de l'acte legis1atif. A cet egard, s'il y a un choix entre plusieurs mesures pour Ia Communaute, elle doit retenir, a efficacite egale, Ia moins restrictive aux con-
I. Les competences de Ia Communaute Europeenne
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cemees. Ensuite, il y a lieu d'examiner si les charges de la directive proposee sont proportionnelles ä. 1' objectif envisage. a) A defaut d'une relation manifestee avec le Marche unique, l'interdiction de distribution gratuite ne peut evidemment pas etre consideree comme une mesure necessaire pour la realisation d'un Marche unique. b) Le traitement identique de la publicite directe et indirecte se fonde sur l'idee d'une importance similaire pour la consommation du tabac. Cette idee n'est pas motivee dans la proposition de la Commission et ne s'explique pas en soi. Au bout de compte, le traitement identique de la publicite directe et indirecte est fonde sur une idee evidemment erronee de 1'effet identique de la publicite directe et indirecte pour la consommation du tabac. A cause de cette hypothese centrale redoutable, l'interdiction de la publicite indirecte pour le tabac n' est pas une mesure appropriee au but poursuivi. c) L'interdiction totale de la publicite indirecte et directe ne paralt pas necessaire pour atteindre l'harmonisation du droit de la publicite pour le tabac au Marche unique. Pour realiser cette fin, une regle serait suffisante qui se Iimite ä. empecher tout contoumement de l'interdiction de la publicite directe pour les produits du tabac. Elle pourrait permettre la publicite indirecte, si les produits concemes ne peuvent pas etre confondus avec les produits du tabac. En plus, cette regle devrait exclure toute publicite indirecte lancee pour contribuer ä. la vente des produits du tabac. En consequence, la directive proposee ne se Iimite pas au necessaire pour eviter un contoumement de l'interdiction generale de la publicite pour le tabac. d) Au nom de 1' objectif principal du traite de la CEE visant ä. la realisation du Marche unique, l'interdiction generale de la publicite pour le tabac n'est pas necessaire. Meme la Commission Europeenne a justifie l'ampleur de l' interdiction pardes raisons de la protection de la sante. En consequence, le but d'eviter des distorsions de concurrence selon l'art. 3 lit. g CEE ne saurait justifier l'interdiction proposee dans 1' ensemble. e) Quant au principe de proportionnaHteil y a lieu d'examiner, si une interdiction generale de la publicite pour les produits du tabac est susceptible de proteger la sante par voie d'une reduction de la consommation du tabac. En depit des etudes approfondies les experiences quotidiennes sur les effets de la publicite ä. encourager la vente du tabac pourraient servir comme base suffisante pour justifier la legislation communautaire. Mais depuis des etudes econometriques recentes ont montre des effets positifs d'une teile interdiction de la publicite du tabac ä. la consommation, surtout entre les adolescents, un tel raisonnement ne paralt plus suffisante pour justifier l'interdiction proposee. Tant que le legislateur communautaire ne dispose pas de faites precises qui revelent une contribution positive d'une teile interdiction ä. la diminution de la consommation du tabac, la directive proposee ne dispose pas de base suffisante de faites pour etre jugee un moyen approprie.
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Anhang 2: Le resume de Ia recherche f) En outre, il est possible de choisir d'autres mesures moins restrictives,
meme en matiere de la publicite, pour ameliorer la protection de la sante publique par une reduction de la consommation du tabac. En tout cas, une combinaison des mesures designees aux adolescents apparait particulierement appropriee pour arriver a une diminution de la consommation du tabac. Par consequent, l'interdiction generale proposee par la Commission represente une restriction considerable, qui porte atteinte aux limites du principe de la proportionnahte de l'art. 3b, alinea 3 CEE.
II. La proposition de Ia directive en vue de Ia protection du droit fondsmental communautaire
1. La compatibilite de l'interdiction de la publicite pour le tabac proposee par la Commission avec la protection des droits fondamentaux depend notamment de la garantie de la liberte d'opinion selon l'art. 10 de la Convention des droits de l'homme. A cet egard, lajurisprudence de la CEDH s'est donnee une importance particuliere au raisonnement de la CJCE, qui semble proehe d'un effet precedent.
2. Selon la jurisprudence de Ia CEDH il est acquis que Ia publicite est protegee par Ia garantie de Ia liberte d' opinion conformement a1' art. 10 de Ia Convention des droits de l'homme. Pour juger Ia conformite d' une reglementation au principe de proportionnalite, il est decisif de determiner s'il s'agit d'une repression entiere des avis exprimes par Ia publicite ou s'il y reste encore une certaine possibilite de s'adresser aux gens. En appliquant les criteres de la jurisprudence de Ia CEDH, l'interdiction proposee de Ia publicite pour le tabac ne parait pas compatible avec l'art. 10 de la Convention des droits de l'homme en raison de ses effets absolus de l'interdiction. 3. Une analyse comparative de la situation constitutionnelle couvrant douze Etats membres de la Communaute avait conclut que l'interdiction generale de Ia publicite pour le tabac ne serait pas consideree comme une violation des droits fondamentaux pour des raisons differents au Danemark, en Irlande, en Angleterre, en France, en ltalie et au Portugal, eventuellement en Belgigue et en Espagne. Mais eile serait consideree comme une atteinte injustifiee au droits fondamentaux en Allemagne, aux Pays Bas, en Grece et aussi bien pour la publicite indirecte en Espagne. 4. Comme la CEDH, la Cour Supreme du Canada a souligne dans la meme fa9on la difference qualitative existant a 1'egard des libertes publiques entre des restrictions pour Ia publicite et une interdiction totale de Ia publicite. Au Canada, celle-ci serait consideree seulement admissible si Ia legislation prouve que seul l'interdiction totale est en mesure d' atteindre I' objectif vise: La protection de Ia sante.
III. La protection juridique contre l'interdiction de Ia publicite pour le tabac
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5. Le developpement recent de la jurisprudence de la Cour Supreme des Etats Unis a montre que la protection jurisprudentielle de la publicite a ete nettement amelioree. Selon un jugement recent, une interdiction generate de la publicite serait justifiable seulement si elle parait indispensable pour atteindre l'objectif vise de fac;on effective. D'apres une opinion concurrente a la Cour Supreme des Etats Unis, !'Etat poursuit deja un objectif inconstitutionnel en prenant des mesures pour maintenir les consommateurs dans l' obscurite vis-avis des produits legaux afin de les influencer dans leur choix de consommation. Au regard de cette opinion, il n'y a plus besoin d'examiner la proportionnaHte des reglements respectifs pour constater une Violation des droits fondamentaux. 6. L' analyse comparative des jurisprudences respectives de la Cour Europeenne des droits de l'homme, des Cours Supremes des Etats membres, ainsi que celles du Canada et des Etats Unis a revele que la publicite commerciale est generalement protegee par la liberte d'opinion. Pour la question ouverte de sa protection dans l' ordre juridique de la Communaute, il en resulte que la publicite sera protegee de la meme fac;on. En consequence, l'interdiction de la publicite pour le tabac visee par la directive proposee de la Commission serait a justifier seulement dans des conditions extraordinaires. Puisqu'il existe des mesures appropriees et moins restrictives et surtout parce que la Commission n'a pas justifie l'interdiction generate comme etant le seul moyen susceptible d'ameliorer Ia protection de Ia sante publique, une justification suffisante d'une telle atteinte a la liberte d'opinion n'existe pas. En somme, une telle directive devrait etre consideree comme une violation materielle de la liberte d'opinion en droit communautaire.
111. La protection juridique contre l'interdiction de Ia publicite pour le tabac 1. Les art. 2 et 3 de la directive proposee ne representent pas de decision au sens technique de 1' art. 189 alinea 4 CEE selon les criteres appliques par la jurispru-
dence de Ia CJCE. La directive proposee au sujet de l'interdiction de Ia publicite pour le tabac signifie par consequent un acte purement normatif. Pour cette raison, les individus n'ont pas la capacite de faire un recours d'annulation devant la juridiction europeenne.
2. A cause de son efficacite lirnitee, le recours prejudiciel ne peut pas servir comme un moyen de compensation du manque de protection juridictionelle selon l'art. 173 alinea 4 CEE. A cet egard, il n'est pas etonnant que Ia protection lirnitee qui est assuree par l'art. 173 CEE pour les individus, represente le cas le plus important de Ia fameuse reserve faite par la Cour Constitutionnelle de 1' Allemagne, titre SOLANGE. 8 von Danwitz
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Anhang 2: Le resume de Ia recherche
3. Contrairement a Ia situation juridique des individus, les Etats membres sont autorises par I' art. 173 alinea 2 CEE de faire un recours en justice dans le delai fixe par I' art. 173 alinea 5 CEE sans conditions specifiques. 4. Dans une perspective politique d'integration, il parait souhaitable de faire traneher les questions juridiques presentees par Ia Republique federale d' Ailemagne au Conseil des Ministres. Dans le cas de l'espece, il y a lieu d'examiner en meme temps si Ia faculte du gouvemement de faire un tel recours s'est deja transformee en une obligation. 5. Dans sa pratique anterieure, I' Ailemagne a toujours defendu sa position en justice, lorsque les arguments juridiques etaient decisifs pour son attitude au Conseil des Ministres. Cornme I' Ailemagne a motive son rejet de Ia directive proposee avec les arguments juridiques, eile est obligee de continuer sa pratique selon I' art. 5 alinea 1 et 6 alinea 1 CEE. 6. De meme, Je gouvemement ailemand est tenu par Je droit constitutionnel d'introduire un recours en annulation en vertu de I' art. 173 alinea 2 CEE, ce qui resulte de I' Obligation de Ia protection diplomatique ainsi que de I'Obligation de protection des droits fondamentaux. Les individus touches par Ia directive proposec peuvent reclamer une teile protection par le gouvemement. 7. Conformement a ces facteurs, Ia Republique federale d' Ailemagne est tenue d'apprecier Ia question de l'introduction d'un recours en annulation selon l'art. 173 alinea 2 CEE. 8. Parmi les circonstances de l'espece, il n'y a pas de raisons qui pourraientjustifier une decision du gouvemement federal de 1' Ailemagne de laisser les questions juridiques en suspense. Tous les aspects d'importance et surtout l'interet public ailemand de savoir si la directive proposee va au-dela de la competence cornmunautaire pour realiser le Marche unique et ne saurait pas lier les organes ailemands, amenent le gouvemement a faire usage de son droit d'introduire le recours en annulation selon I' art. 173 alinea 2 CEE. 9. L'appreciation de I' Ailemagne d'introduire un tel recours n'est pas seulement liee aux causes de sa pratique anteneure au sein de Ia Cornmunaute, mais aussi en vertu de son Obligation face a Ia protection juridique des droits fondamentaux pour les personnes concemees.
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Sachverzeichnis absolutes Werbeverbot, siehe vollständiges Produktwerbeverbot Aktionsprogramm ,,Europa gegen den Krebs" 15, 17 allgemeines Werbeverbot 17, 35 Aufsichtsklage (Art. 169 EGV) 79 f. Bereichsausnahmen 23 Binnenmarkt 38, 40 Binnenmarktkompetenz (Art. 100a EGV) 16, 18, 23ff., 27f., 30, 32ff., 39f. - Binnenmarkt 38, 40 - Binnenmarktverwirklichung 23, 50 ff. - Rechtfertigung für Tabakwerbeverbot 50ff. - nicht ausschließliche Gemeinschaftskompetenz 45 - Rechtsgrundlage Tabakwerbeverbot, siehe dort - Subsidiaritätsvorbehalt, siehe dort - Umfang der Binnenmarktkompetenz 36ff. commercial speech, siehe kommerzielle Werbung de minimis-Regel 42 ff. - rule of remoteness 42, 44 - Spürbarkeilsgrenze 44 diplomatische Schutzverpflichtung 86 f. - gegenüber völkerrechtswidrigen Handlungen 86f. direkte Tabakwerbung, siehe Verbot direkter Tabakwerbung Direktschutz 78, 81 Einschätzungsprärogative 90 Entscheidung 76 ff. Erkenntnisquellen 62 Ermessensausübung 89 ff.
- einzelfallbezogene Ermessensausübung 92ff. - Ermessensgesichtspunkte 90 f. - außenpolitische Opportunitätserwägungen 91 - Einschätzungsprärogative 90 - integrationspolitische Belange 92 - Kontrollformel 91 - Mitbestimmungs-Urteil90f. - Ermessensreduzierung 92 ff. - grundrechtsbedingte 93 f. - Rundfunkrichtlinien-Urteil 93 Ermessensgesichtspunkte, siehe Ermessensausübung Ermessensreduzierung, siehe Ermessensausübung Ermittlung zutreffender Rechtsgrundlage 26ff. - Beteiligungsformen 28 Hauptziel 27 Hauptzweck 29 f., 36 - Nebenfolgen 29, 35 f. - objektiv und gerichtlich nachprüfbare Umstände 26 - raison d'etre 31, 35 - Schwerpunkt 27 - Titandioxid-Entscheidung 27 f. , 30 f., 40 - Titandioxid-Rechtsprechung 30 f. Europäische Menschenrechtskonvention 61 ff. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 63 f., 66 ff. formale Zuordnungsgesichtspunkte 32 f. - quantitative Betrachtung 33 gemeinschaftlicher Grundrechtsschutz 61 ff. - der Werbung, siehe Grundrechtsschutz der Werbung - Erkenntnisquellen 62
Sachverzeichnis - Maastrichter Unionsvertrag 61 - Rechtsvergleichung 62, 68 ff. - Schutzniveau 62 f. - Solange-Rechtsprechung 63, 88 Gemeinschaftsrechtliche Bindungen 83 ff. - Rechtswahrung 85 f. - Selbstbindung 85 Gesundheitsschutz (Art. 129 EGV) 15, 19, 24, 25, 26, 33, 36, 48, 55 ff. - ökonometrische Studien 56 f. - Rechtfertigung für Tabakwerbeverbot 55 ff. - Senkung des Tabakkonsums 55 ff. Gleichsetzung direkter und indirekter Werbung 51 f. Gratisverteilung, siehe Verbot der Gratisverteilung Grundrechte, siehe gemeinschaftlicher Grundrechtsschutz grundrechtliche Schutzpflicht 87 ff. - grundrechtlicher Schutzanspruch 89 f. - pflichtgemäße Ermessensausübung, siehe Ermessensausübung - Umfang 88 Grundrechtsschutz der Werbung 61 ff. - Judikatur der EU-Mitgliedstaaten 61 ff. - Bundesverfassungsgericht 69 f. - Conseil Constitutionnel (Frankreich) 68 - Corte Constitutionale (Italien) 68 - Österreichischer Verfassungsgerichtshof69 - Judikatur des Canadian Supreme Court, siehe Kanadischer Supreme Court - Judikatur des U.S. Supreme Court, siehe U.S. Supreme Court - Meinungsäußerungsfreiheit (gern. Art. 10 EMRK), siehe dort Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs 52 Harmonisierung 16, 18, 37, 39f. Hauptzweck 29 f., 36 indirekte Tabakwerbung, siehe Verbot indirekter Tabakwerbung Individualklage (Art. 173 Abs. 4 EGV) 76 ff., 81 ff.
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- Entscheidung 76 ff. - Normativakt 76 ff. - Verordnung 77 inhaltliche Zuordnungsgesichtspunkte 35 f. - Rechtswirkungen 35 integrationspolitische Belange 92 Jugendschutz 17, 57 ff. Juristischer Dienst des Rates 18, 34 Kanadischer Supreme Court 70 ff. - grundrechtliche Eingriffsrechtfertigung 71 f. - Tobacco Products Control Act 71 f. Kinowerbung 20f., 39,41 f., 48 kommerzielle Werbung 64 f., 70, 73 ff. Kompetenzgrundlage, siehe Rechtsgrundlage Kompetenzkonflikte, siehe Kompetenzkonkurrenzen Kompetenzkonkurrenzen 24 f. - horizontale Kompetenzkonflikte 25 - vertikale Kompetenzkonflikte 25 Kontrollformel 91 Lagrange 22 Maastrichter Unionsvertrag 61 Maastricht-Urteil 92, 94 Marktfreiheiten 38 Marktstrukturen 20 f., 38 Meinungsäußerungsfreiheit (gern. Art. 10 EMRK)61 ff. commercial speech, siehe kommerzielle Werbung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, siehe dort - kommerzielle Werbung, siehe dort - Straßburger Menschenrechtsgerichtshof, siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte - Verhältnismäßigkeitsprüfung 66 ff. Meinungsfreiheit, 69, 71 ff., siehe auch Meinungsäußerungsfreiheit Mitbestimmungs-Urteil 90 f. Nebenfolgen 29, 35 f. Nichtigkeitsklage privilegierter (Art. 173 Abs. 2) 81 ff.
Kläger
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Sachverzeichnis
- Verpflichtung zur Erhebung 83 ff. - gemeinschaftsrechtliche Bindungen 83 ff. - verfassungsrechtliche Verpflichtung 86ff. Normativakt 76 ff. Oakes-Rechtsprechung 73 ökonomelfische Studien 56 f. Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit 84 f. Plakatwerbung 20f., 39,41 f., 48 plurality opinion 74 . Prinzip begrenzter Ermächtigung 22 f. - Lagrange 22 raison d'etre 31, 35 Rechtsangleichung (Art. 100 EGV) 40, 52 Rechtsgrundlage Tabakwerbeverbot 16, 18 f., 24, 27 f., 30, 32 ff., 36, 39 - Ermittlung, siehe Ermittlung zutreffender Rechtsgrundlage - formale Zuordnungsgesichtspunkte, siehe dort - inhaltliche Zuordnungsgesichtspunkte, siehe dort - verfahrensbedingte Zuordnungsgesichtspunkte, siehe dort Rechtsschutzmöglichkeiten 76 ff. Rechtsvergleichung 62, 68 ff. Rechtswahrung 85 f. rule of remoteness 42, 44 Rundfunkrichtlinien-Urteil 93 Schutzanspruch, siehe grundrechtliche Schutzpflicht Selbstbeschränkungsabkommen 20 Selbstbindung 85 Senkung des Tabakkonsums 55 ff. Solange-Rechtsprechung 63, 88 Spürbarkeilsgrenze 44 Subsidiaritätsprinzip 44 ff. - Anforderungen 44 f. - Justitiabilität 46 Subsidiaritätsprotokoll von Amsterdam 47
Subsidiaritätsvorbehalt 23 f. - Bereichsausnahmen 23 - Vorrang speziellerer Befugnisse 23 f. Titandioxid-Entscheidung 27 f., 30 f., 40 Titandioxid-Rechtsprechung 30 f. Tobacco Products Control Act 71 f. U.S. Supreme Court 73 ff. - Erster Verfasssungszusatz 73 f. - plurality opinion 74 Verbot der Gratisverteilung 17, 35, 50 Verbot direkter Tabakwerbung 16f., 23, 37, 50 Verbot indirekter Tabakwerbung 16f., 23, 37, 50ff. - Erforderlichkeil 52 f. - Geeignetheil 51 f. - Gleichsetzung direkter und indirekter Werbung 51 f. verfahrensbedingte Zuordnungsgesichtspunkte 33 ff. - qualitative Veränderungen 34 f. verfassungsrechtliche Verpflichtung 86 ff. - diplomatische Schutzverpflichtung, siehe dort - grundrechtliche Schutzpflicht, siehe dort Verhältnismäßigkeit des Tabakwerbeverbotes 19, 48, 50 ff. - Erforderlichkeil für Binnenmarktverwirklichung 50 ff. - Erforderlichkeil für Gesundheitsschutz 55 ff. Verhältnismäßigkeilsgrundsatz 48 ff. - gemeinschaftsrechtlicher Prüfungsmaßstab 49 - gerichtliche Kontrolldichte 59 f. - Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs 52 Verhältnismäßigkeitsprinzip, siehe Verhältnismäßigkeit des Tabakwerbeverbotes Verordnung 77 vollständiges Produktwerbeverbot 37 ff., 53 ff., 58 f., 66 ff., 70 ff. - Erforderlichkeil 53 ff., 58 f.
Sachverzeichnis Vorabentscheidungssverfahren 78 ff. - Rechtsschutzdefizite 81 - Verfahrensdauer 79 f. - Vorlageverpflichtung 79 - Zwischenverfahren 79 f. Vorlageverpflichtung 79
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Werbebeschränkungen 66 f., 72 standortbeWettbewerbsverfälschungen, dingte 39f. Wettbewerbsverzerrungen 16, 19, 32, 39, 41 f., 44, 48, 54f. Zwischenverfahren 79 f.