Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und die Maßregeln der Besserung und Sicherung [1 ed.] 9783428498925, 9783428098927

Der Autor behandelt die Anwendung des strafprozessualen Verschlechterungsverbots auf die strafrechtlichen Maßregeln der

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German Pages 308 Year 1999

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Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und die Maßregeln der Besserung und Sicherung [1 ed.]
 9783428498925, 9783428098927

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JOACHIM KRETSCHMER

Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und die Maßregeln der Besserung und Sicherung

Strafrechtliche Abhandlungen . Neue Folge Herausgegeben von Dr. Eberhard Schmidhäuser effi. ord. Professor der Rechte an der Universität Hamburg

und Dr. Dr. h. c. (Breslau) Friedrich-Christian Schroeder ord. Professor der Rechte an der Universität Regensburg

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtsiehrem der deutschen Universitäten

Band 122

Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und die Maßregeln der Besserung und Sicherung Von

Joachim Kretschmer

Duncker & Humblot . Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Klaus Geppert, Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kretschmer, Joachim: Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und die Maßregeln der Besserung und Sicherung / von Joachim Kretschmer. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Strafrechtliche Abhandlungen; N.F., Bd. 122) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09892-7

D 188 Alle Rechte vorbehalten

© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 3-428-09892-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im August 1998 abgeschlossen und vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 1998/ 99 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind im wesentlichen bis zum März 1999 berücksichtigt. An dieser Stelle möchte ich insbesondere meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Klaus Geppert, herzlich danken. Er hat mich zu dem Thema der vorliegenden Arbeit angeregt und ihr Entstehen stets unterstützt. Für die persönliche und fachliche Förderung, die ich bis heute an seinem Lehrstuhl genossen habe, möchte ich ganz besonders danken. Zu danken habe ich auch Herrn Professor Dr. Axel Montenbruck für zahlreiche Anregungen und die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Ein herzlicher Dank gebührt allen Kollegen und Kolleginnen des Lehrstuhls, die mich auf dem Weg begleitet haben. Insbesondere möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, meinen beiden Freunden Christian Barz und Lutz Garbers zu danken, mit denen ich Freud und Leid des lurastudiums geteilt habe. Ich wünsche den beiden auch weiterhin viel Erfolg in ihrer juristischen Laufbahn. Den Herren Profs. Dres. Eberhard Schmidhäuser und Friedrich-Christian Schroeder bin ich zu besonderem Dank für die Aufnahme in die Reihe "Strafrechtliche Abhandlungen / Neue Folge" verpflichtet. Herrn Professor Norbert Simon und seinen Mitarbeitern danke ich für die verlegerische Betreuung. Berlin, im April 1999

Joachim Kretschmer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

13

ERSTER TEIL

Allgemeine Grundlagen zum System der Zweispurigkeit und zum Verbot der reformatio in peius Erstes Kapitel: Das System der Zweispurigkeit . .. . .. . . .. . . .. . .. . . . .. . . . . .. . . .. . . .. . .

16

I. Die Systematik der Rechtsfolgen ................................................

16

lI. Grundzüge der gesetzlichen Entwicklung des Maßregelrechts ...................

19

IlI. Von Sinn und Zweck des Strafens . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. . . .. . .. . . . .. .. . . . . . . .. . . .. .

22

1. Der Gedanke der Vergeltung ................. . ................................

23

2. Die Spezialprävention als Strafzweck .........................................

25

3. Der generalpräventive Ansatz .................................................

26

4. Die Rechtsprechung ..........................................................

28

5. Das Schrifttum................................................................

32

6. Ein Resümee ................. . ...............................................

34

N. Grund und Zweck der Maßregeln der Besserung und Sicherung .................

35

1. Der tragende Grund für das Maßregelrecht ....................................

35

2. Zweck und Ziel der Maßregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

V. Die Rechtfertigung der Maßregeln der Besserung und Sicherung. .. . ... ...... .. .

39

VI. Tendenz zur Einspurigkeit? .....................................................

44

1. Wirkungseinheit von Strafe und Maßregel.. . .. .. .. .. .. . . .. .. . . .. . .. . . .. . . . .. . .

44

2. Gegenläufige Entwicklungen .................................................

48

8

Inhaltsverzeichnis

Zweites Kapitel: Das Verbot der reformatio in peius ................................

52

I. Der Inhalt des Verschlechterungsverbots ....................................... .

53

ll. Die historische Entwicklung ....................................................

55

Ill. Die dogmatische Einordnung des Verschlechterungsverbots .....................

58

1. Die Rechtskraftlehre ..........................................................

58

2. Die Idee der Verwirkung ......................................................

61

IV. Das Verbot der reforrnatio in peius als notwendiges Element des Rechtsstaats oder "nur" eine Rechtswohltat ..................................................

63

1. Art. 103 Abs. 3 GG - ne bis in idem ..........................................

65

2. Der "fair trial"-Grundsatz .....................................................

68

3. Die zu erwartenden Einwände

79

V. Der Begriff des "Nachteils" ....................................................

84

1. Die Frage nach einem möglichen Maßstab ....................................

85

2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs ..........

87

a) Der generell-objektive Maßstab in der Rechtsprechung - RGSt. 69, 76 (2 D 1384/34) und BGHSt. 25, 38 (2 StR 422/72) .............................

87

b) Die konkret-individuelle Betrachtungsweise - BGHSt. 24, ll (4 StR 66/70)

90

c) Die subjektive Tendenz - RGSt. 69,129 (1 D 1326/34) und BGHSt. 5, 312 (4 StR 755/53) .............................................................

92

3. Der Begriff des "Nachteils" im Schrifttum ....................................

94

a) Generell-objektive Ansichten ..............................................

95

b) Konkret-individuelle Ansichten............................................ 109 4. Eigener Standpunkt........................................................... 110 a) Der Vorzug der generell-objektiven Betrachtungsweise .................... 110 b) Die Verschiedenartigkeit der Maßregeln ................................... 111 c) Bedenken hinsichtlich der Legitimation der Ausnahmeregelung in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO .............. 113 d) Würdigung des bisherigen Ergebnisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Rechtsfehlerhafte Erstanordnung einer Maßregel ...................... 117 bb) Rechtsfehlerfreie Erstanordnung einer Maßregel ...................... 118

VI. Der Verzicht ....................................................................

119

Inhaltsverzeichnis

VII. Die Rechtsmittelbeschränkung ..................................................

9 122

VIII. Die Berücksichtigung eines Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius von Amts wegen. . . . . . . . . .. . . . .. . . . .. . . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 125 IX. Sechs Thesen zum Verbot der SchlechtersteIlung in bezug auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung....................................................... 126

Drittes Kapitel: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots in den wichtigsten verfahrensrechtlichen Konstellationen im Hinblick auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung ...................................... 127 I. Das Verschlechterungsverbot im anhängigen Verfahren

127

11. Im neuen Verfahren nach vorheriger Einstellung..... . .................... . .....

130

III. § 357 StPO - Revisionserstreckung auf Mitverurteilte ...........................

135

Iv. Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

V. Die" isolierte" Maßregel bei verminderter Schuldfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

VI. Das unbeschränkte Rechtsmittel des Angeklagten neben einem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft............. 137 VII. Das Sicherungsverfahren .......................................................

138

VIII. Das Strafbefehlsverfahren ............................................ . .... . .....

139

IX. Das Beschwerdeverfahren

143

X. Zusammenfassung ..............................................................

147

ZWEITER TEIL

Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung Viertes Kapitel: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung .................................... ......................................... 148 I. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§ 61 Nr. I, 63 StGB) und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§§ 61 Nr. 2, 64 StGB) ...... 148

10

Inhaltsverzeichnis 1. Die Ausnahmeregelung in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO............................................................ 150

a) Eine verfassungsrechtlich fragwürdige Begründung........................ 151 b) Das Verhältnis zu den Länderunterbringungsgesetzen ...................... 157 aa) Vollzugsrechtliche Regelungen........................................ 157 bb) Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu den landesrechtlichen Unterbringungsmöglichkeiten .................................. 158 0:) Die Rechtsprechung ............................................... 159

ß) Das Schrifttum .................................................... 160 ,) Stellungnahme

164

c) Forderung an den Gesetzgeber............................................. 167 2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus .................... 168 a) Die künftige Gefährlichkeit der Täters ..................................... 168 b) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und das Verbot der reformatio in peius anhand des Verhältnisses zur Maßregel der Sicherungsverwahrung .......................................................... 173 aa) Eine Gegenüberstellung der Rechtsprechung .......................... 173 bb) Das Schrifttum........................................................ 176 0:) Zustimmung..... . .......... . ........ . ............................. 177

ß) Ablehnung ........................................................ 180 ce) Der eigene Standpunkt................................................ 181 3. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt................................ 183 a) Zu den Voraussetzungen einer Anordnung nach § 64 StGB ................. 183 aa) Zweck und Ziel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt in verfassungsrechtlicher Betrachtung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Der Begriff des Hanges ............................................... 186 b) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und das Verbot der reformatio in peius ................................................................ 188 aa) Keine nachträgliche Anordnung bei einer Rechtsmittelbeschränkung des Angeklagten...................................................... 188 bb) Das Verhältnis von Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung am Beispiel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ............ 192 0:) Keine stellvertretende Erledigung der Straffunktionen durch den

Maßregelvollzug .................................................. 194 ß) Beeinflussung des Strafmaßes durch die Maßregelanordnung ...... 197

Inhaltsverzeichnis

11

4. Das Verhältnis der Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu den sonstigen Maßregeln ................................................................ 203 5. Ergebnis............. . ..................... . .................................. 208 Il. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§§ 61 Nr. 3, 66 StGB) ........

209

1. Zweck und Ziel der Sicherungsverwahrung ................................... 209

2. Die Sicherungsverwahrung in ihrer verfassungsrechtlichen Bedeutung ........ 210 a) Die Entwicklung zu § 66 StGB ............................................ 211 b) Die Sicherungsverwahrung als Rechtsinstitut ........... . .................. 213 c) Die vollzugsrechtliche Ausgestaltung...................................... 217 3. Die Sicherungsverwahrung und das Verbot der reformatio in peius ............ 220 a) Die Rechtsprechung....................................................... 221 b) Das Schrifttum ............................................................ 224 4. Ergebnis ........... . ........ . ................................................. 227

Fünftes Kapitel: Die freiheitsbeschränkenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ....................................................................... 228 l. Die Führungsaufsicht (§§ 61 Nr. 4, 68 StGB) ....................................

228

1. Die Führungsaufsicht in ihrer Doppelfunktion ................................. 228

2. Die Führungsaufsicht und das Verschlechterungsverbot in einer Gesamtbetrachtung ................................................................... 232 3. Ergebnis...................................................................... 238 Jl. Die Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 61 Nr. 5, 69 StGB) .......................

238

1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis und das strafprozessuale Verbot der Verschlechterung ................................................................. 241

a) Problemlose Anwendungsfälle ............................................. 241 b) Die nachträgliche Einziehung des Führerscheins in erweiterter Sicht ....... 246 c) Die Entziehung der Fahrerlaubnis im Austausch mit der Geldstrafe und der Nebenstrafe des Fahrverbots............................................... 250 d) Die Berücksichtigung der Zeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zwischen Ersturteil und Berufungsurteil bei der Festsetzung der Sperrfrist .............................................................. 263 aa) Die gegenwärtige Gesetzeslage ....................................... 264 bb) Die Problematik des Verbots der reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 266 cc) Ein Ausweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 272

12

Inhaltsverzeichnis e) Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis im Revisionsverfahren - ein Sonderproblem des § 111 a Abs. 2 StPO .................. 276 2. Ergebnis ...................................................................... 280

ll/. Das Berufsverbot (§§ 61 Nr. 6, 70 StGB) .............................. . .........

281

1. Die Voraussetzungen einer Anordnung nach § 70 StGB ....................... 282

2. Das Berufsverbot und das Verbot der reformatio in peius ...................... 284 a) Die Berücksichtigung des vorläufigen Berufsverbots im Berufungsurteil ... 284 b) Aufhebung des vorläufigen Berufsverbots nach § 132 a Abs. 2 StPO wegen Zeitablaufs im Revisionsverfahren ......................................... 286 c) Die Änderung des Berufsverbots........................................... 287 d) Der Austausch mit anderen Maßregeln unter Berücksichtigung außerstrafrechtlicher Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 288 3. Ergebnis ...................................................................... 292

Zusammenfassendes Ergebnis

293

Schrifttumsverzeichnis

295

Namen- und Sachregister

304

Einleitung "Die dogmatische Durcharbeitung des Maßregelrechts entspricht, unbeschadet verdienstlicher Einzelbeiträge aus Praxis und Lehre, nicht dem wünschenswerten Stand".l Der Verfasser will mit der vorliegenden Arbeit ein weiteres Mosaiksteinehen in das große dogmatische Puzzle des Maßregelrechts setzen, um dessen Bild zu ergänzen. "Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und die Maßregeln der Besserung und Sicherung". Der Titel macht deutlich, daß der Gegenstand der Arbeit aus zwei großen Themenbereichen gebildet wird, von denen jeder für sich genommen Gegenstand einer eigenen Arbeit sein könnte: das Verbot der reformatio in peius, das strafprozessuale Verschlechterungsverbot und die Maßregeln der Besserung und Sicherung als zweite Spur im Sanktionensystem des StGB neben der Strafe. Das Verbot der reformatio in peius ist schon in der Vergangenheit hinsichtlich anderer Rechtsfolgen umfassend behandelt worden. "Das Verbot der reformatio in peius im strafprozessualen Beschlussverfahren" von Wittschier (1984), "Die Bedeutung des Verschlechterungsverbots für Geldstrafenerkenntnisse nach dem Tagessatzsystem" von Kadel (1983), "Problematik des Verschlechterungsverbots im Hinblick auf die besonderen Maßnahmen des Jugendrechts" von Grethlein (1963), "Das Verbot der reformatio in peius im Jugendstrafrecht" von Kretschmann (1968), das sind die einschlägigen Titel, und auch der hier besprochene Themenbereich hat einen Vorgänger mit "Das Verbot der reformatio in peius bei den Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln der Sicherung und Besserung" von Gerhardt (1970). Die letztgenannte Münchener Dissertation, die vor nunmehr über einem Vierteljahrhundert erschienen ist, behandelt das Verschlechterungsverbot unter dem Aspekt der Maßregeln der Besserung und Sicherung - die Voranstellung der Besserung in der gesetzlichen Formulierung erfolgte mit dem 2. StrRG vom 4. 7. 1969 (BGBL I, 717) - nicht in allen Einzelfragen und enthält keine erschöpfende Darstellung und Diskussion aller Problemfelder. So manche Frage wird nur ansatzweise angesprochen oder gar ausgeklammert, was aber seinen Grund in der Weite des von Gerhardt gewählten Rechtsfolgenbereichs haben mag. Daher harrt das Verschlechterungsverbot im Hinblick auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung noch einer umfassenden und erschöpfenden Erörterung. Die vorliegende Arbeit soll diese Lücke schließen. I

Diese Feststellung trifft Hanack, LK, Rdn. 36 Vor §§ 61 ff.

14

Einleitung

Zwei Wege standen zur Bearbeitung des Themenbereiches offen: zum einen das Verschlechterungsverbot in bezug auf eine einzelne ausgewählte Maßregel zu behandeln, zum anderen das Verschlechterungsverbot gleichsam in einer Gesamtschau auf alle Maßregeln zu beziehen. Der Verfasser hat sich für den zweiten Weg entschieden, insbesondere um in einem Schwerpunkt das weithin vernachlässigte Feld des Verhältnisses der Maßregeln untereinander zu bearbeiten. Auf diesem Weg muß notgedrungen der Gesamtkomplex von tatbestandlichen Voraussetzungen und Wirkungen der einzelnen Maßregeln beiseite gelassen werden, um in einer betont rechtsfolgenorientierten und dogmatischen Sicht die Maßregeln in dem Teilbereich des Verschlechterungsverbots zu behandeln. Vor allem die inhaltliche Ausgestaltung des Maßregelrechts kann nicht vollständig gezeichnet werden, sondern muß sich auf zentrale Voraussetzungen und Prinzipien beschränken. Die Arbeit soll bezogen auf das strafprozessuale Verschlechterungsverbot und die Maßregeln der Besserung und Sicherung die damit zusammenhängenden Fragen einerseits von einer allgemeinen, eher abstrahierenden Sicht aus begutachten, andererseits aber auch konkret unter der Darstellung der vielfältigen Einzelprobleme das Thema erfassen. So wird beispielsweise der Begriff des "Nachteils" in den strafprozessualen Vorschriften zum Verbot der reformatio in peius unter Erfassung der mannigfachen Ansichten in Rechtsprechung und Schrifttum erarbeitet, und so soll der rechtsstaatliche Gedanke bezüglich des Verschlechterungsverbots eine Wiederbelebung erfahren. Dagegen erhebt der Verfasser keinen Anspruch darauf, und es ist auch nicht sein Ziel, eine Arbeit über das Maßregelrecht als solches zu liefern. Wenn auch Grund und Rechtfertigung der Maßregeln als die zweite Sanktionsspur neben der Strafe eine tragfähige Begründung finden müssen, so bilden dennoch den Gegenstand dieser Arbeit nicht allumfassend der Sinn und Zweck der Maßregeln in ihrem Verhältnis zu den Strafen, nicht die Frage nach Sinn oder Sinnlosigkeit der Maßregeln hinsichtlich der Individualprävention und nicht all die Fragen, die mit dem System der Zweispurigkeit der Rechtsfolgen zusammenhängen. Die beiden Bereiche aus dem Sanktionen- und dem Verfahrensrecht sollen rechtsdogmatisch in der Bearbeitung verbunden werden. Empirische und kriminologische Aspekte aus dem Maßregelrecht erscheinen nur am äußersten Rande. Demzufolge werden im ersten Teil der Arbeit die allgemeinen Grundlagen des Systems der Zweispurigkeit im geltenden Recht (1. Kapitel) und des Verbots der reformatio in peius unter dem besonderen Aspekt der Maßregeln der Besserung und Sicherung (2. Kapitel) zu bearbeiten sein. Ein weiteres Kapitel zeigt den Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots im Maßregelrecht. Im zweiten Teil werden die beiden Sachgebiete miteinander verzahnt und wird schwerpunktmäßig eine Vielzahl von Einzelproblemen anhand des hier erarbeiteten Ergebnisses, das in Teilen von der Linie der Rechtsprechung und des Schrifttums abweicht, erörtert und gewürdigt. Wenn die maßregelrechtlichen Eingriffe in die grundrechtlich verbrieften Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Betroffenen von erheblicher Bedeutung sind, so bewirkt dies einen erhöhten Rechtfertigungsdruck auf Anordnung, Vollstrek-

Einleitung

15

kung und Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Mit der vorliegenden Arbeit will der Verfasser die Aufmerksamkeit auf ein strafprozessuales Problem hinblicklich der Maßregeln lenken, auf die Frage nämlich, ob im Rechtsmittelverfahren unter dem Verbot der reformatio in peius Maßregeln der Besserung und Sicherung nachträglich angeordnet oder aber gegen andere schon verhängte Rechtsfolgen, Strafen oder Maßregeln, ausgetauscht werden dürfen. Diese Frage zu beantworten, wird der Leser der Arbeit zum Schluß hoffentlich imstande sein. Auf dem Weg dorthin wird eine allgemeingültige Antwort auf die Wirkweise des strafprozessualen Verschlechterungsverbots im Maßregelrecht gesucht.

Erster Teil

Allgemeine Grundlagen zum System der Zweispurigkeit und zum Verbot der reformatio in peius Erstes Kapitel

Das System der Zweispurigkeit I. Die Systematik der Rechtsfolgen Das heute geltende Strafrecht in Deutschland kennt als Möglichkeiten strafrechtlicher Sanktionen die Strafen, die Maßregeln der Besserung und Sicherung und Rechtsfolgen besonderer Art, deren Charakter als Strafe oder Maßregel nicht immer eindeutig zu bestimmen ist. Die im StGB vorgesehenen Strafen lassen sich in Hauptstrafen und Nebenstrafen unterteilen. Als Hauptstrafe gilt zum einen die Freiheitsstrafe, die nach § 38 StGB nach der Abschaffung der Zuchthausstrafe mit dem 1. StrRG I eine sog. Einheitsstrafe ist, zum anderen die Geldstrafe gemäß § 40 StGB, die seit dem 2. StrRG 2 gemäß dem Tagessatzsystem verhängt wird. Außerhalb des StGB gilt als Hauptstrafe der Strafarrest gegen Bundeswehrsoldaten (§ 9 WStG). Seit dem OrgKG 3 vom 15. 7. 1992 kennt das StGB die nicht unumstrittene Vermögensstrafe nach § 43 a StGB 4 . Ihrer Struktur nach ist die Vermögensstrafe eine Nebenstrafe 5 . Die Gesetzessystematik ordnet sie als Hauptstrafe ein. Im Un1. StrRG vom 25.6. 1969, BGBL I, 645. 2. StrRG vom 4.7. 1969, BGBL I, 717. 3 BGBL I, 1302. 4 Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vermögensstrafe als konfiskatorische Geldstrafe betreffs des Schuldgrundsatzes, des Eingriffs in das Eigentum nach Art. 14 GG und des Bestimmtheitsgrundsatzes werden genannt bei Lackner / Kühl, Rdn. 1 zu § 43 a und Tröndle, Rdn. 3 b zu § 43 a: jeweils m. w. N.; speziell zur Eigentumsgarantie siehe Perron, JZ 1993, 918. Das LG Bad Kreuznach StV 1994, 140, 141 schließt sich diesen Bedenken an. Für die Verfassungsmäßigkeit der Vermögensstrafe in einer verfassungskonformen Auslegung aber BGHSt. 41, 20 = NStZ 1995, 333; vgl. auch BGHSt. 41, 278; BGH NStZ 1994,429; BGH StV 1995, 16; 17. Barton/Park, StV 1995, 17 und Dierlamm, NStZ 1995, 335 halten in ihren Anmerkungen zu den vorgenannten Entscheidungen des BGH die verfassungsrechtlichen Bedenken aufrecht. Jescheck/Weigend, § 73 IV. 5. c) (S. 780) bezeichnen die Vermögensstrafe als kriminalpolitisch verfehlt und fordern deren Abschaffung. 5 Siehe Lackner / Kühl, Rdn. 3 zu § 43a. 1

2

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

17

terschied zu Hauptstrafen, die jeweils selbständig für sich verhängt werden können, kann das Gericht eine Nebenstrafe nur bei gleichzeitiger Anordnung einer Hauptstrafe verhängen. Unter diesem Gesichtspunkt· und nach der Gesetzessystematik ist das Fahrverbot (§ 44 StGB) eine Nebenstrafe. Das StGB nennt zudem gesetzlich bestimmte Nebenfolgen, deren Einordnung als Strafe oder Maßregel nicht eindeutig ist. In diesem Bereich ist mit § 45 StGB der Verlust der Amtsfähigkeit, der Wählbarkeit und des Stimmrechts zu nennen, der unter bestimmten Voraussetzungen automatisch an eine Hauptstrafe anknüpft. Zu diesem Bereich gehört auch die Bekanntgabe der Verurteilung nach den §§ 165 und 200 StGB. Nach § 11 Nr. 8 StGB kennt das StGB darüber hinaus Maßnahmen: zum einen den Verfall und die Einziehung (§§ 73 ff. StGB), deren Zuordnung in das System von Strafen, Maßregeln und Rechtsfolgen besonderer Art offen ist6 . Zum anderen kennt das geltende StGB die Maßregeln der Besserung und Sicherung, die in § 61 StGB abschließend aufgezählt werden. An dieser Sanktionsart der Maßregeln knüpft der Begriff der Zweispurigkeit an, der Begriff des Dualismus. Gemäß dem geltenden Recht ist es möglich, einerseits neben einer Strafe eine Maßregel der Besserung und Sicherung anzuordnen; andererseits ist es auch möglich, eine Maßregel als alleinige Sanktion zu verhängen. Beispielhaft sei hierfür § 63 StGB angeführt, der die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus regelt. Handelte der Täter im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), tritt die Maßregel, sofern ihre Voraussetzungen gegeben sind, neben die Strafe. Handelte der Täter dagegen im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB), ist die Anordnung der Maßregel die einzige Sanktion. Zu beachten ist bereits an dieser Stelle, daß im System der Zweispurigkeit zu differenzieren ist. Eine unbedingte Zweispurigkeit zeigt sich bei der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB), wenn deren Anordnung nur kumulativ zu einer Freiheitsstrafe möglich ist und ihre Anordnung stets im Anschluß an diese vollstreckt wird. Von einer bedingten Zweispurigkeit kann man sprechen, wenn neben einer Freiheitsstrafe auf Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) erkannt wird. Hier bestimmt § 67 StGB das sogenannte Vikariieren, d. h., daß die freiheitsentziehende Maßregel grundsätzlich vor der Freiheitsstrafe vollzogen wird, und zwar in diesem Fall unter teil weiser Anrechnung der Vollzugsdauer auf die Freiheitsstrafe7 • Da6 So nennt Eser in Sch.l Sch., Rdn. 12 zu § 73 Vorbem ihren Charakter ambivalent; vgl. auch E 1962, S. 240. Wie dort wird auch heute für Verfall und Einziehung ein besonderer Titel im StOB festgesetzt und ihre Rechtsnatur nicht bestimmt. Zipf, JuS 1974, 273, 279 stimmt der Lösung, Verfall und Einziehung als eigenständige Sanktionen zu betrachten, zu, da sich beide Rechtsinstitute nicht in die Kategorien der Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung einordnen ließen. 7 Das BVerfOE 91, 1,35 f. = StV 1994,594,597 hat bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter anderem entschieden, daß die auf zwei Drittel begrenzte Anrechnung des Maßregelvollzuges auf die Dauer der Strafe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Bei dem in § 67 Abs. 4 Satz 1 StOB von der Anrechnung ausgenommenen Strafrest handelt es sich um den Teil, mit dessen Aussetzung zur Bewährung

2 Kretschmer

18

1. Teil: Allgemeine Grundlagen

nach liegt auf der Ebene der Anordnung eine Zweispurigkeit vor, während auf der Ebene des Vollzugs eine Annäherung an die Einspurigkeit gegeben ist. Eine unbedingte Einspurigkeit bezüglich der Maßregeln der Besserung und Sicherung liegt vor, wenn auf Grund vom Gericht festgestellter Schuldunfähigkeit des Betroffenen die Strafe letztendlich durch die alleinige Anordnung einer Maßregel "ersetzt" wird, was gemäß der gesetzlichen Regelung bei den schon genannten freiheitsentziehenden Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB, bei der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) und bei dem Berufsverbot (§ 70 StGB) möglich ist. Im Gegensatz zu einem einspurigen System, das entweder nur die Strafe oder nur die Maßregel als Sanktion auf strafbares Verhalten anwendet, sind im geltenden StGB beide Sanktionsmöglichkeiten verankert, und beide Sanktionen können auch kumulativ, eben zweispurig, angeordnet werden. An dieser Stelle sei zum Unterschied zwischen diesen beiden Sanktionen nur soviel gesagt, daß die Strafe an die in der Vergangenheit liegende Straftat anknüpft und in ihrer Anordnung durch den Schuldgrundsatz begrenzt wird, während die Maßregeln der Besserung und Sicherung sich an der individuellen Tatergefährlichkeit in der Zukunft orientieren und zum Schutz der Allgemeinheit durch den rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt werden. Jedoch ist auch für die Maßregel Anknüpfungspunkt eine Straftat als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Anlaßtat, in der die Gefährlichkeit des einzelnen Taters zum Ausdruck kommt. Auch wenn die Maßregeln in ihren gesetzlichen Voraussetzungen an die individuelle Sozialgefährlichkeit anknüpfen, so erscheinen doch Haltungen und Neigungen des einzelnen als Privatsache und gehen den Strafrichter nichts an 8 . Die Gefährlichkeit des Täters muß sich deliktisch nach außen gezeigt haben. Das Vorliegen einer Tat als strafgesetzwidrige Handlung hat bereits Exner9 als Voraussetzung einer Sicherungsmaßnahme genannt. Der Grundsatz nulla poena sine crimine sei auch für Sicherungsmittel anzuerkennen. Genauso wie eine Strafe ohne Tat wegen des Freiheitsinteresses nicht möglich sei, könne die Theorie der sichernden Maßnahmen darauf nicht verzichten. Hier zeigt sich das rechtsstaatliche Verbot eines Gesinnungsstrafrechts. Will die staatliche Gemeinschaft außerhalb des Strafrechts an die Sozialgefährlichkeit des Individuums anknüpfende Maßnahmen verhängen, muß sie den öffentlichrechtlichen Weg beschreiten. Zu verweisen ist auf § 3 - dem vormaligen § 4 StVG, auf § 35 GewO und speziell bezogen auf psychisch Kranke und Suchtabhängige auf die Länderunterbringungsgesetze wie das Berliner PsychKG IO .

nach § 57 Abs. 1 StGB der Verurteilte rechnen kann, so daß Teilanrechnung und Strafaussetzung zur Bewährung nach dem BVerfG zu einer verfassungsrechtlich einwandfreien Regelung führen. 8 Vgl. Nowakowski, Festschrift für Hellmuth von Weber, 1963, S. 98,112. 9 In "Die Theorie der Sicherungsmiuel", 1914, S. 108 ff. 10 Gesetz vom 8. 3.1985, GVBI., 586.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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11. Grundzüge der gesetzlichen Entwicklung des Maßregelrechts Das System der Zweispurigkeit der Rechtsfolgen, das gleichzeitige Neben- und Miteinander von Strafen und Maßregeln als strafrechtliche Sanktionen einer Straftat, ist im deutschen Strafrecht jedoch nicht immer verankert gewesen. Die Maßregeln als geltendes Recht sind vielmehr das Ergebnis einer jahrzehntelangen kontroversen Auseinandersetzung und Diskussion. Die namhaftesten Befürworter einer gesetzlichen Regelung waren schon im vorigen Jahrhundert der Schweizer Carl Stooß (1849-1934), ein Strafrechtslehrer, der die Zweispurigkeit in seinen Entwürfen für das Schweizer Strafgesetzbuch gefordert hatte, und in Deutschland insbesondere Franz von Liszt (1851-1919)11, der jedoch ursprünglich noch eine zeitlich unbestimmte Sicherungs strafe anstelle einer Sicherungsmaßregel für Gewohnheitstäter gefordert hatte. Die Diskussion in der Frage eines zweispurigen Sanktionensystems war maßgeblich von Sinn und Zweck der Strafe und von dem Problem bestimmt, ob ein an der Schuld orientiertes Strafensystem einer Ergänzung im Sanktionenkatalog bedarf, einer Ergänzung eben durch die Maßregeln der Besserung und Sicherung, um einen ausreichenden Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu erreichen. Diese Reformbewegung kam jedoch zu spät für das StGB von 1871 12 , in dem die Strafe in ihren unterschiedlichen Strafarten von Todesstrafe, Zuchthaus, Gefängnis, Festungshaft, Haft und Geldstrafe die einzige Sanktionsmöglichkeit bildete. Eine Ausnahme stellte die Polizeiaufsicht in § 38 StGB (a. E) dar, die als fakultative Sicherungsmaßnahme zur Überwachung verurteilter Täter nach ihrer Entlassung möglich war. Darüber hinaus enthielt das damalige StGB keine Maßregeln und war daher ein einspuriges Strafrecht. Die Auseinandersetzungen wurden jedoch fortgesetzt und die Forderung nach einem zweispurigen Sanktionenkatalog fand zunehmend Anklang mit dem Ergebnis, daß mit dem "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. 11. 1933 13 erstmals ein Maßregelkatalog Eingang in das deutsche Strafrecht fand. Wenn auch dieses Gesetz in Einzelpunkten nicht frei von faschistischem Gedankengut war - so beinhaltet der damalige § 42 k StGB die fakultative Möglichkeit der heute als menschenrechtswidrig angesehenen Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher -, so ist damals dennoch mit der Normierung von Maßregeln einer jahrzehntelangen Reformbewegung stattgegeben worden l4 . Das 11 Den Einfluß der Gedanken von Liszt's auf das Maßregelrecht unter seiner Idee der Zweckstrafe erörtert umfassend W. Frisch in ZStW 94 (1982), 565. 12 RGBI. 1871, 127. 13 Gesetz vom 24. 11. 1933, RGBI. I, 995. 14 Überwiegend findet sich die Ansicht, daß mit diesem Gesetz nicht in Gesamtheit nationalsozialistisches Gedankengut verwirklicht wurde. Vgl. W. Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 347 in Fußnote 16; LK-Hanack, Rdn. 6 Vor §§ 61 ff.; Müller-Christmann, JuS 1990, 801,

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

System der Zweispurigkeit von Strafe und Maßregeln ist von diesem Zeitpunkt an unter mannigfachen inhaltlichen Modifizierungen beibehalten worden. Der maßgebende Grund für die Maßregeln der Besserung und Sicherung besteht auf der Basis eines Schuldstrafrechts, das die Strafe als Sanktion für eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige Tat an die Individualschuld des Täters knüpft, darin, daß die Schuld in ihrer Strafbegründung auch ein strafbegrenzender Faktor l5 ist. Sie läßt eine Orientierung des Strafmaßes an präventive Zwecksetzungen insoweit nicht zu, als die individuelle Schuld zumindest nicht überschritten werden darf, um sozialisierend oder abschreckend auf den Täter oder die Allgemeinheit zu wirken. Dem Präventionsinteresse wird durch das Schuldprinzip eine enge Grenze gesetzt. Ein einspuriges Maßregelrecht, das sich einzig nach der Gefahrlichkeit des Täters richtet, würde dagegen ohne Rücksicht auf die Schuld als strafbegrenzenden Faktor den Betroffenen zum Objekt staatlicher Einwirkung machen l6 . In dieser Divergenz der beiden Sanktionen obliegt den Maßregeln die Aufgabe, die Präventionszwecke, die allein mit einer schuldangemessenen Strafe nicht zu erreichen sind, zu verfolgen. Es ist daher sinnvoll, beide Sanktionsarten in ein strafrechtliches System aufzunehmen, um die ihnen innewohnenden Zwecksetzungen im jeweiligen Einzelfall bestmöglich zu erzielen. Dabei richtet die Strafe sich nach der Tatschuld des Täters, wobei die Schuld die Strafe gleichzeitig begründet und begrenzt 17, während dagegen die Maßregeln der Besserung und Sicherung, deren Anordnung die fortdauernde Gefährlichkeit des Individuums in der Zukunft bedingt, ihre Begrenzung in der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) finden. Nach der erstmaligen Kodifizierung der Maßregeln mit dem Gesetz vom 24. 11. 1933 galt das dualistische Sanktionensystem im deutschen Strafrecht. Der damalige Maßregelkatalog des § 42 a StGB hatte folgenden Wortlaut l8 : "Maßregeln der Sicherung und Besserung sind: 1. die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, 802; Roxin, AT, § I, Rdn. 4. Siehe zur Stellung des Gesetzes in seiner Ausgestaltung in der nationalsozialistischen Rechtssetzung Kammeier, Maßregelrecht, 1996, S. 105 ff., der das GewVerbrG, das aus seiner Sicht als ein zentraler Baustein der rassenpolitischen Konzeption in das Strafrecht eingefügt wurde, als typisch nationalsozialistisches Unrecht ansieht, vgl. S. 173 ff. Hinzuweisen ist auf den wenig beachteten Umstand, daß dieses Gesetz auf der Grundlage des sog. Ermächtigungsgesetzes vom 24. 3. 1933 durch die Reichsregierung ohne parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren beschlossen worden ist. 15 Vgl. in diesem Sinne BGHSt. 20, 264, 267. 16 So LK-Hanack, Rdn. 7 Vor §§ 61 ff. 17 Aus der Würde des Menschen ist das Prinzip abzuleiten, daß keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf; so BVerfGE 20, 323, 331 (auf das Rechtsstaatsprinzip abstellend); 45, 187,259 f; 57, 250, 275; 80, 244, 255; von Münch/Kunig-Kunig, Art. I, Rdn. 36; Sch./ Sch./Lenckner, Rdn. 103 Vorbem §§ 13 ff.; siehe auch BGHSt. 2, 194,200; Jescheck/Weigend, § 4 I. (S. 23 ff.); Tröndle, Rdn. 28 Vor § 13. 18 RGBI. 1933 I, 995, 996.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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2. die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt, 3. die Unterbringung in einem Arbeitshaus, 4. die Sicherungsverwahrung, 5. die Entmannung gefährlicher Sittlichkeitsverbrecher, 6. die Untersagung der Berufsausübung, 7. die Reichsverweisung ." Im einzelnen folgten in den §§ 42 b bis n die Ausführungsbestimmungen zu diesen einzelnen Maßregeln. In der Folgezeit wurden bis zum heute geltenden § 61 StGB im einzelnen folgende Änderungen im Maßregelkatalog vorgenommen: - Die Reichsverweisung von Ausländern nach § 42 m StGB (a. E) wurde schon durch das Gesetz über Reichsverweisungen vom 23.3. 1934 19 beseitigt und als Verwaltungsmaßnahme ausgestaltet. Heute beinhaltet das Ausländergesetz in seinen §§ 45 ff. besondere Ausweisungstatbestände. Diese tragen den Charakter von Verwaltungsmaßnahmen ohne eine gleichzeitige Verankerung im Strafrecht. - Die fakultative Möglichkeit der Kastration in § 42 k StGB (a. E) ist durch Art. 1 des Kontrollratsgesetzes Nr. 11 vom 30. 1. 194620 aufgehoben worden. Heute ist gemäß dem Gesetz über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden vom 15. 8. 196921 nur eine freiwillige Kastration erlaubt. - Die Maßregel der Unterbringung in einem Arbeitshaus wurde mit dem 1. StrRG vom 25.6. 1969 aufgehoben. - Mit Gesetz vom 19. 12. 195222 fand die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis Eingang in den Maßregelkatalog. - Zusammen mit dem 2. StrRG vom 4.7. 1969 (BGBI. I, 717 ), das dem heutigen § 61 StGB seine geltende Fassung gab, wurden die Maßregeln der Führungsaufsicht und die der Einweisung in einer sozialtherapeutischen Anstalt geschaffen. Gleichzeitig wurde die noch geltende Polizeiaufsicht nach § 38 StGB (a. E) für wirkungslos erklärt (Art. 304 EGStGB). - Nach einem mehrmaligen zeitlichen Aufschub sollte die Regelung bezüglich der sozialtherapeutischen Anstalt zum 1. 1. 1985 in Kraft treten. Dies geschah nicht. Zuletzt wählte der Gesetzgeber unter Aufhebung des die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt regelnden § 65 StGB mit § 9 StVollzG die sog. Vollzugslösung 23 . 19

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RGBL 1934 1,213. Amtsblatt, S. 55. BGBL 1969 1,1143. BGBL 1952 I, 832. Gesetz zur Änderung des StVollzG vom 20. 12. 1984, BGBL I, 1654.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Nach dieser gesetzlichen Entwicklung hat der heutige § 61 StGB als Maßregelkatalog diese Fassung: "Maßregeln der Besserung und Sicherung sind: 1. die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus,

2. die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, 3. die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, 4. die Führungsaufsicht, 5. die Entziehung der Fahrerlaubnis, 6. das Berufsverbot." § 61 StGB zählt abschließend der Art nach die gesetzlich zulässigen Maßregeln des StGB auf, während dann in den §§ 62 bis 72 StGB die Voraussetzungen und Folgen der Maßregeln in Einzelbestimmungen normiert sind. Hinzuweisen ist darauf, daß es auch außerhalb des StGB im Nebenstrafrecht Maßregeln gibt, und zwar das Verbot der Tierhaltung in § 20 TierschutzG und die Entziehung des Jagdscheins in § 41 BundesjagdG24 •

Auf Grund dieses Neben- und Miteinanders von Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung im heute geltenden Strafrecht in Deutschland25 erscheint es angebracht, nicht vom Strafrecht, sondern umfassend von einem Straf- und Maßregelrecht 26 oder von einem Kriminalrecht zu sprechen.

III. Von Sinn und Z)Veck des Strafens Aus dem Mit- und Nebeneinander von Strafe und Maßregel ergibt sich hinsichtlich der Frage nach der Rechtfertigung und nach dem Zweck der Maßregeln der Besserung und Sicherung zunächst die Frage nach dem Sinn und Zweck der Strafe. Ohne eine vorrangige Antwort auf diese Frage kann auch die Frage nach Rechtfertigung und Zweck der Maßregeln nicht beantwortet werden, da die beiden Sanktionsmöglichkeiten nicht ohne einen gegenseitigen Einfluß wie zwei unverbundene Säulen nebeneinander stehen, sondern derart miteinander verflochten sind, daß sie sich in ihrer Ausgestaltung in einzelnen Bereichen vorsichtig der Einspurigkeit annähern. Allerdings soll die Theorie der Strafzwecke hier ausdrücklich nicht unter 24 Siehe zum einen Lorz, Tierschutzgesetz, Rdn. 1 ff. zu § 20; zum anderen Mitzschkel Schäfer, Bundesjagdgesetz, Rdn. 2 f. zu § 41. 25 Das System der Zweispurigkeit im strafrechtlichen Sanktionensystem existiert auch in anderen Staaten. Siehe in "Die Freiheitsstrafe und ihre Surrogate im deutschen und im ausländischen Recht", herausgegeben von Jescheck, Band 1, 1983, die Landesberichte für Österreich von Dearing, S. 599,659 ff. und für die Schweiz von Beckmann I Wagensonner, S. 861, 888 ff.; siehe zur Entwicklung in Polen den Beitrag von Buchala in ZStW 102 (1990),394. 26 So Roxin, AT, § 1, Rdn. 4.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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Ausschöpfung aller Literatur vollständig und kritisch unter Berücksichtigung der Rechtswirklichkeit erörtert werden, da das Thema dieser Arbeit nicht die Straftheorien als solche sind. Aus diesem Grund beschränkt sich der folgende Abschnitt auf eine Vor- und Darstellung der Strafzwecke in ihren Grundzügen, auf eine Darstellung, die den Vergleich mit dem Zweck der Maßregeln zuläßt, ohne den Anspruch auf eine allumfassende Vollständigkeit erheben zu wollen. Die Frage nach dem Strafzweck ist so alt wie die Geschichte des Strafens und führt hinein in die unterschiedlichsten Weltanschauungen. Ganze Bibliotheken lassen sich mit der einschlägigen Literatur füllen 27 . Bei aller Vielfalt der philosophischen und rechtlichen Wertanschauungen zu den Strafzwecken lassen sich letztendlich doch zwei allen Anschauungen zugrundeliegende Grundgedanken finden. Die beiden Grundgedanken, aus denen der Zweck der Strafe als Reaktion auf eine Straftat entwickelt wird, sind die Vergeltung und die Vorbeugung.

1. Der Gedanke der Vergeltung

Losgelöst von einem gesellschaftlich nützlichen Zweck sieht die Idee der Vergeltung den Sinn des Strafens allein in der Auferlegung eines Übels, wodurch der Tater die durch die Tat auf sich genommene Schuld in gerechter Weise ausgleichen und auch sühnen soll. Dabei ist in Abgrenzung zur Vergeltung als Auferlegung eines äußeren Übels Sühne als ein innerer sittlicher Akt des Täters zu verstehen, in dem er sich mit seiner Tat auseinandersetzt und sich läutert. In ihrer Ausgleichsfunktion für die begangene Tat soll die Strafe dieser in ihrem Maß entsprechen: ein Prinzip, das schon im Talionsprinzip als Vergeltung des Gleichen durch Gleiches niedergelegt ist. Diese Idee von ausgleichender Vergeltung und Gerechtigkeit frei von sozialen Nützlichkeiten wie der Prävention für den einzelnen und für die Allgemeinheit wurde durch die philosophischen Abhandlungen von Kant und Heget untermauert, die beide darin übereinstimmten, daß präventive Zielsetzungen nicht Zwecke des Strafens seien. So heißt es bei Heget (1770 - 1831 )28: "Es ist mit der Begründung der Strafe auf diese Weise, als wenn man gegen einen Hund den Stock erhebt, und der Mensch wird nicht nach seiner Ehre und Freiheit, sondern wie ein Hund behandelt." Kant (1724-1804) untermalt in seiner Schrift "Die Metaphysik der Sitten" den Sinn von Strafe in der Vergeltung von Schuld frei von gesellschaftlichen Zwecken mit seinem berühmten Inselbeispiel der Auflösung eines Gemeinwesens, wenn dann auch der letzte Mörder noch hingerichtet werden müßte. Kant29 schreibt: "Richter27 Beachte hierzu nur die Fülle der Nachweise bei Roxin, AT, zu § 3 und bei Jescheckl Weigend, zu § 8. 28 Hegel in Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz zu § 99, in Ausgabe Suhrkamp, 1975, S. 190. 29 Kant, Die Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, in Ausgabe Suhrkamp, 1982, S. 452 ff.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

liche Strafe, ... , kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gut zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wo wider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt .... " Nach Kant wird Art und Grad der Bestrafung durch das Prinzip der Gleichheit bestimmt; nur das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis)3o könne die Qualität und die Quantität der Strafe bestimmt angeben. Dies gipfelt in der Aussage 31 : "Hat er aber gemordet, so muß er sterben". Hier gebe es kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. "Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen, und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefangnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, ... ", heißt es bei Kant in dem schon erwähnten Inselbeispiel32 . Der rechtfertigende Sinn der Strafe liegt danach nicht in einem durch sie zu erreichenden Zweck, sondern allein in der Verwirklichung einer Idee: der vergeltenden Gerechtigkeit. Nach dem Vergeltungsgedanken bestimmt die begangene Tat Grund und Maß der Strafe. Sie muß dem Grad des Unrechts und des Verschuldens angepaßt sein, d. h. nach Art und Höhe verdient sein 33 . Der Gedanke der ausgleichenden Vergeltung für begangenes Unrecht hat auch heute noch Anklang in der Rechtsprechung, wenn auch andere Strafzwecke daneben Anerkennung finden. Das BVerfG34 betont, daß jede Kriminalstrafe ihrem Wesen nach auch Vergeltung für begangenes Unrecht durch Zufügung eines Übels ist. Die Strafe ziele, wenn auch nicht ausschließlich, auf Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten 35 . Daneben ist in der Rechtsprechung in der repressiven Funktion der Strafe von einem gerechten Schuldausgleich die Rede 36 . Eine Strafe, allein und ausschließlich gerichtet auf Vergeltung und Gerechtigkeit - letzteres wohl ein Ideal, das zu vermitteln der Staat nicht imstande ist- - frei von allen sozialen Zwecksetzungen, ist mit dem sozialen Rechtsstaat, den das Grundgesetz heute begründet, schwer vereinbar. Es ist und kann nicht die Aufgabe des Staates sein, die Gerechtigkeit auf Erden zu verwirklichen. Des Staates Aufgabe 30 31 32

A. a. 0., S. 454. A. a. 0., S. 455. A. a. 0., S. 455.

Siehe dazu Jescheck/Weigend, § 8 H. 2. (S. 66 f). BVerfGE 21, 391, 403 f; 22, 125, 132. Den Vergeltungszweck betonen auch RGSt. 58, 106, 109 und BGHSt. 6, 125, 127. 35 So BVerfG JZ 1997,142, 146. 36 BGHSt. 24, 132, 134; 29, 319, 320; BGH NStZ 1988, 497; BGH NStZ 1990, 334; OLG Düsseldorf NJW 1988,325,326. 33

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1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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ist darauf beschränkt, einer im Staatsverbund zusammengefaßten Gruppe die Bedingungen einer ihren Lebensbedürfnissen gerecht werdenden Existenz zu schaffen und zu sichern und allen Bürgern ein ungefahrdetes Zusammenleben in Frieden und Freiheit zu gewährleisten 3? In diese Funktion ist auch das Strafrecht als die schärfste Reaktionsform der Rechtsgemeinschaft eingebunden. Das erfordert neben der von einem Zweck losgelösten ausgleichenden Vergeltung auch eine zweckgerichtete Einwirkung der Strafe auf die Gesellschaft und bzw. oder auf das straffällig gewordene Individuum. Die Einwirkung gerichtet auf den einzelnen Straftäter führt direkt zu einem zweiten Zweck der Strafe.

2. Die Spezialprävention als Strafzweck Die Spezialprävention bezweckt, den Täter als Individuum von künftigen Straftaten abzuhalten. Diese Idee zieht sich von Platon zu von Liszt, wenn erster im Protagoras diesen sagen läßt: "Wer auf vernünftige Weise zu strafen gedenkt, der züchtigt nicht wegen des schon begangenen Unrechts ... , sondern um des zukünftigen willen, damit hinfort weder der Täter selbst wieder Unrecht begehe, noch auch die anderen, welche sehen, wie er bestraft wird,,38. Nach von Liszt kann die Spezialprävention auf drei unterschiedliche Weisen in der Sicherung durch Einsperrung, in der Abschreckung des einzelnen oder in dessen Besserung liegen. Im Marburger Programm von 1883 "Der Zweckgedanke des Strafrechts,,39 nimmt er in diesem Punkt eine entsprechende Dreiteilung der Straftäter vor: Der nichtbesserungsbedürftige Gelegenheitstäter ist durch einen Denkzettel aufzuschütteln, um ihn abzuschrecken. Den besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Verbrecher hat die Strafe durch Erziehung im Vollzug zu resozialisieren, den unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher durch "Strafknechtschaft,,40 unschädlich zu machen. Heute finden sich spezialpräventive Zielsetzungen in § 46 Abs. 1 S. 2 StGB, wenn "die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind", bei der Strafzumessung zu berücksichtigen sind, und insbesondere in § 2 StVollzG, der die bessernde Komponente der Spezialprävention ausdrücklich als Vollzugsziel benennt. Die vorbeugende Resozialisierung des einzelnen findet zudem einen bedeutenden Widerhall in der Rechtsprechung. Das BVerfG41 hat diesem Gedanken den Charakter eines grundrechtlichen Anspruchs des Bürgers gegen den Staat verliehen, und zwar begründet in Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 GG und in dem Sozialstaatsprinzip, das den Staat zur Fürsorge verpflichtet. Der BGH42 betont, daß der Gesetzgeber durch den vormaligen § 13 So Roxin, JuS 1966, 377, 381; ebenso in AT, § 3, Rdn. 8. Zitiert nach Jescheck/Weigend, § 8 IV. 1. (S. 72). 39 von Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 (1883),1,33 ff. 40 von Liszt, a. a. 0., S. 40. 41 BVerfG NJW 1998,3337; BVerfGE 35, 202, 235 f. (Lebach). 37 38

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I. Teil: Allgemeine Grundlagen

Abs. 1 S. 2 StGB - heute der entsprechende § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB - in der Bemessung der Strafe eine bedeutsame Schwerpunktverlagerung auf den spezialpräventiven Gesichtspunkt im weitesten Sinne erkennen lasse. Dabei sei die Strafe nur gerechtfertigt, wenn sie sich neben ihrer Aufgabe als Schuldausgleich zugleich als notwendiges Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweise. Wer jedoch ausschließlich auf individuelle Präventionsinteressen abstellt, für den ist die Tat des einzelnen nur der äußere Anstoß zur staatlichen Reaktion und nicht ihr innerer Grund. Danach erhält der Täter als Strafe nicht das, was er nach seiner Schuld verdient, sondern das, was er zu seiner Resozialisierung bed~3. Einer Strafe, die allein unter dem Aspekt der Spezialprävention angeordnet würde, mangelt es jedoch an einem hinreichenden strafbegrenzenden Faktor. Auch im Fall einer nur geringen Schuld müßte der Täter so lange festgehalten und "gebessert" werden, bis der spezialpräventive Erfolg beim Betroffenen eingetreten ist. Eine Verurteilung zu unbestimmter Dauer abhängig von der Erfolgserzielung wäre eine zwangsläufige Forderung. Der Strafzweck der Spezialprävention beinhaltet keine Beschränkung des Strafmaßes in sich. Zudem ist zu fragen, was mit dem Täter zu geschehen hat, der sich nicht "bessern" lassen will oder überhaupt nicht besserungsfähig bzw. nicht besserungs bedürftig ist. Es besteht unter dem Aspekt der Spezialprävention die diesem Ansatz innewohnende Gefahr, daß der einzelne dem staatlichen Zugriff unbegrenzt ausgesetzt wird, und eine (re)sozialisierende Behandlung würde folgerichtig auch schon zu einem prädeliktischen Zeitpunkt naheliegen, wenn der einzelne sich als schwer kriminalitätsgefährdet erweist. Ein solches Behandlungsrecht muß zu Widrigkeiten führen, die ein liberaler Rechtsstaat nicht hinnehmen darf und will. Die Spezialprävention kann in ihrer Verabsolutierung den Strafzweck unter diesen Gesichtspunkten nicht umfassend erklären.

3. Der generalpräventive Ansatz

Den Zweck der Strafe als Einwirkung, jedoch auf einen anderen Adressaten gezielt, und zwar auf die Allgemeinheit, verfolgt die Generalprävention44 . Historisch verbunden mit Anselm von Feuerbach (1775 -1833), der das bayerische Strafgesetzbuch von 1813 maßgebend beeinflußt hat, zielt dieser Erklärungsansatz innerhalb der Strafzwecktheorien darauf, durch Strafdrohung, Strafverhängung und Strafvollzug das Vertrauen der Gesellschaft in die Geltung der Rechtsordnung zu BGHSt. 24, 40, 42. Vgl. Jescheck/Weigend , § 811. 3. (S. 67). 44 Jescheck/Weigend, § 8 H. 3. a) (S. 68) stellen in Fußnote 27 unter vielen Nachweisen die Behauptung auf, daß die Generalprävention -wohl in ihrer positiven Ausrichtung- heute bei der Sinngebung der Strafe der herrschende Ansatz ist. Das meint auch Roxin, AT, § 3, Rdn. 24 in Fußnote 27. 42

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1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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stärken. Der positive Gesichtspunkt ist stärker ausgeprägt als der negative Aspekt der Generalprävention, der die Abschreckung vor der Begehung von Straftaten erfaßt. Die Bestrafung des einzelnen soll in der Gesellschaft das allgemeine Rechtsbewußtsein manifestieren. Die Allgemeinheit soll sich nach dem Rechtsbruch beruhigen und erneut Vertrauen in das Rechtssystem finden (sog. Integrationsgrundsatz). Jabobs 45 als Vertreter einer Theorie der positiven Generalprävention durch Einübung in Normanerkennung sieht die Aufgabe der Strafe in der Bestätigung der Normgeltung, in der Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster für den sozialen Kontakt; bei der Bestrafung ginge es um Einübung in Normvertrauen und Rechtstreue. Nach ihm gibt diese Theorie einen Strafrahmen vor, der von der schon ernst zu nehmenden Reaktion zu der noch nicht übertrieben scharfen Reaktion reicht. In diesem Rahmen seien dann auch die spezialpräventiven Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wobei das Mindestmaß durch die schon ernst zu nehmende Reaktion gebildet werde 46 • In einer Definition der Schuld vom Zweck der positiven Generalprävention her sieht Jakobs 47 die schuldadäquate Strafe gerade in der zur Normstabilisierung erforderlichen Strafe. Wie der Spezialprävention fehlt es auch der Generalprävention an einem die Strafe begrenzenden Element. Mit dem Ziel der Abschreckungswirkung bezogen auf die Allgemeinheit wohnt der Generalprävention die Tendenz zu harten und hohen Strafen inne. Dieser Aspekt verdeutlicht, daß das Individuum zum Objekt staatlichen Strafens zwecks Erreichung eines außerhalb seiner selbst liegenden Ziels gemacht würde. Auf der anderen Seite kann die Generalprävention einen Erklärungs ansatz dafür nennen, daß Täter, die mangels einer Wiederholungsgefahr für kriminelles Verhalten nicht besserungsbedürftig im Sinne des spezialpräventiven Zweckansatzes sind, entgegen der Spezialprävention dennoch zu bestrafen sind. Zu denken ist beispielhaft an die Täter nationalsozialistischer Verbrechen oder, ohne eine Gleichwertigkeit oder Vergleichbarkeit behaupten zu wollen, an Täter im Zusammenhang mit dem Unrecht in der DDR, etwa den sog. Mauerschützen oder den politisch Veranwortlichen. Betreffs dieses Personenkreises kann der spezialpräventive Ansatz nicht erklären, warum die heute oftmals sozial integrierten Personen zu bestrafen sind, obgleich von diesen Personen in der Regel keine zukünftige Gefahr ausgeht. Das gilt wohl auch für einen Großteil von Tötungsdelikten, die häufig aus spontanen Konflikt- und Erregungssituationen herrühren. Eine abschreckende oder (re)sozialisierende Einwirkung auf den einzelnen ist oftmals nicht notwendig. Nach der Generalprävention bedarf auch dieser Täterkreis zwecks Stärkung des allgemeinen Rechtsbewußtseins einer Bestrafung, um die Geltungskraft des Rechts in der Gesellschaft zu demonstrieren.

Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auflage, 1991, 1. Abschnitt, Rdn. 4 ff. Jakobs, a. a. 0., Rdn. 50. 47 Jakobs, a. a. 0., 17. Abschnitt, Rdn. 31. Dagegen und für die Beibehaltung des Schuldgedankens mit einem eigenständigen Inhalt aber Arthur Kaufmann in Auseinandersetzung mit der Ansicht von Jakobs in JURA 1986,225,229 f. 45

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Kritisch muß sich die Theorie der Generalprävention allerdings die Frage nach ihrer Wirkungskraft entgegenhalten lassen. Jeder Rechtsbruch an sich ist ein Zeichen für ihr Versagen, wobei aber die Mehrheit der Bevölkerung sich rechtstreu verhält. Inwieweit letzteres auf eine generalpräventive Wirkweise der Strafe zurückzuführen ist und inwieweit vordringlich die Verfolgungsintensität und das Entdeckungsrisiko eine Rolle spielen, ist empirisch nicht bewiesen. Zudem ist äußerst zweifelhaft, ob härtere Strafen zu einer Reduzierung der Kriminalität führen würden. Die Möglichkeit der Todesstrafe in den USA48 macht dieses Land auch nicht frei von Schwerkriminalität. Der immer wieder verlautende populistische Ruf nach "law and order" erscheint als ein zweifelhafter Ruf nach Strafverschärfung bezogen auf die Kriminalitätsbekämpfung.

4. Die Rechtsprechung

In der Rechtsprechung werden die soeben besprochenen Strafzwecke insoweit zusammengefaßt, daß von einer vergeltenden Vereinigungs theorie gesprochen werden kann, innerhalb der die drei Elemente gleichberechtigt sich einander ergänzend zusammenwirken. Das BVerfG49 bezeichnet umfassend Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht als Aspekte einer angemessenen Strafsanktion. Teilweise wird der Vergeltungsgedanke besonders hervorgehoben, wenn ausgesprochen wird, daß die Kriminalstrafe, unbeschadet ihrer Aufgabe, abzuschrecken oder zu resozialisieren, Vergeltung für begangenes Unrecht ist50 ; dennoch treten die präventiven Zwecksetzungen zunehmend in den Vordergrund. So heißt es in BGHSt. 24, 40 (42), daß die Strafe nicht die Aufgabe habe, Schuldausgleich um ihrer51 selbst willen zu üben, sondern nur gerechtfertigt sei, wenn sie sich zugleich als Mittel zur Erfüllung der präventiven Schutzaufgabe des Strafrechts erweise. Weiter wird in dieser Entscheidung der wesentliche Akzent der Spezialprävention betont, der in dem damaligen § 13 Abs. 1 Satz 2 StGB (a. E), dem heutigen § 46 StGB, im Gegensatz zum Strafzweck der Generalprävention niedergelegt ist. Andererseits ist der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung (nicht nur des Täters, sondern auch) anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher ein anerkannter Zweck staatlichen Strafens 52 . Stets wird aber in der Rechtsprechung betont, daß die Schuld des Täters die Grenze in der Strafzumessung bildet, während die übrigen anerkannten Strafzwecke, etwa Abschrek48 Siehe zur Todesstrafe in den USA auch unter dem Gedanken der Abschreckung Frankowski, ZStW 100 (1988), 951. 49 So BVerfGE 45, 187,253 ff. 50 So BVerfGE 21,391,404; ebenso BVerfG JZ 1997, 142, 146. 51 Richtig wohl: seiner. 52 So BGHSt. 6, 125, 126 f.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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kung und Sicherung, berücksichtigt werden sollen53 . Grundlagen der Strafzumessung sind die Schwere der Tat in ihrer Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung und der Grad der persönlichen Schuld des Täters. Unter Berücksichtigung und gegenseitiger Abwägung dieser Gesichtspunkte soll das Gericht die gerechte, d. h. die schuldangemessene Strafe finden 54 . Der Schuldgrundsatz ist verfassungsrechtlich abgesichert. Jede Strafe für begangenes Unrecht setzt Schuld voraus. Das gebietet zum einen der Grundsatz der Menschenwürde und gilt zu anderen als Element des Rechtsstaats. Die Strafe wäre eine mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare Vergeltung, wenn einem strafrechtlichen Vorwurf nicht die individuelle Vorwerfbarkeit, also Schuld, zugrundeliegen würde 55 . Daraus folgt, daß der Umfang der individuellen Schuld den Rahmen für die Berücksichtigung der Strafzwecke: ausgleichende Vergeltung, Spezialprävention und Generalprävention bildet. Die Höhe der schuldangemessenen Strafe deckt sich oftmals nicht mit der aus spezial- oder generalpräventiven Gründen erforderlichen Strafe. So kann die Resozialisierung des Täters eventuell Sanktionen nach Art und Dauer erfordern, die über das Maß des Schuldangemessenen hinausreichen. Den widerstreitenden Tendenzen der unterschiedlichen Strafzwecke versucht die Rechtsprechung 56 mit der sog. Spielraumtheorie Herr zu werden. Dabei gilt als Ausgangspunkt, daß sich nicht punktgenau 57 bestimmen läßt, welche Strafe schuldangemessen ist. Es besteht ein Spielraum, der nach unten durch die schon schuldangemessene Strafe und nach oben durch die noch schuldangemessene Strafe begrenzt ist. Innerhalb dieses Rahmens der schuldangemessenen Strafe wird den anerkannten Strafzwecken Raum gegeben. Die Ermittlung des Schuldrahmens bildet ausgehend vom gesetzlichen Strafrahmen ein Durchgangsstadium zum Endstrafmaß. Seine Breite bildet den Bereich, innerhalb dessen im konkreten Fall die anerkannten Präventionsbedürfnisse berücksichtigt werden. So gelangt man von den mehreren unter Schuldgesichtspunkten gerechten Strafen zu der einzigen unter Präventionsgesichtspunkten richtigen Strafe. Durch dieses Modell wird zum einen der in § 46 Abs. 1 StGB angelegte Widerspruch aufgelöst, zum anderen verschafft es den Tatrichtern ein gewisses Maß an Flexibilität. Es überrascht nicht, wenn das Vgl. BVerfGE 21,391,404; BGHSt. 20, 264, 267; 24,132,133 f. So BGHSt. 20, 264, 266 f; 24, 132, 133. 55 Vgl. BVerfGE 20,323,331; BVerfG NStZ 1995, 76 begründet den Schuldgrundsatz aus Art. I I und Art. 2 I GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip; siehe auch die Nachweise in Fußnote 17. 56 BGHSt. 7, 28, 32; 20, 264, 266 f; 24, 132, 133; 29, 319, 320; BGH NStZ 1982,464, 465; BGH NJW 1987,2685,2686; OLG Hamburg NJW 1955, 1938, 1939; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 325, 326. 57 So aber die Theorie der Punktstrafe. Vgl. auch Dreher, JZ 1967,41,45 f, der die Zumessung der Strafe als sozialen Gestaltungsakt des Richters ansieht. Dabei habe der Richter sich zu einer einzigen Strafe zu bekennen, die nach seiner Ansicht die schuldangemessene vor der Rechtsgemeinschaft ist. Gegen die Spielraumtheorie spricht sich auch Jescheck in der 4. Auf!. seines Lehrbuches aus; siehe § 82 III. 3. (S. 786). Auch Jescheck versteht dort die Strafzumessung als sozialen Gestaltungsakt. 53

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Modell des Schuld-"Spielraums" im Schrifttum58 auf Zustimmung trifft. Die aus der Spielraumtheorie ableitbare These lautet "Prävention im Rahmen der Repression,,59. Ausgangspunkt für die Strafzumessung ist danach das Maß der Schuld, wie es auch das StGB in § 46 Abs. 1 Satz I bestimmt. Die im Einzelfall schuldangemessene Strafe liegt innerhalb eines Spielraums (Schuldrahmens ), innerhalb dessen jede Strafhöhe schuldangemessen ist. Einigkeit60 herrscht darin, daß aus präventiven Gründen die schuldangemessene Strafe nicht überschritten werden darf. Dagegen hat zipf' die Öffnung der Schulduntergrenze in solchen Fällen, bei denen wegen einer günstigen Sozialprognose eine Unterschreitung der der Tatschuld angemessenen Strafe erwägenswert erscheint, als den kriminalpolitisch umstrittensten Punkt bezeichnet. Das Problem, ob die tatschuldangemessene Strafe aus Präventionsgründen unterschritten werden darf, hat auch Bedeutung, wenn aus individualpräventiven Gründen neben einer Strafe eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird. Bevor auf diese Wechselwirkung zwischen Strafe und Maßregel eingegangen wird, ist das angesprochene Problem der Schuldunterschreitung einer generellen Antwort zuzuführen. Im Schrifttum stehen sich zwei Meinungen gegenüber. Die eine 62 erlaubt aus spezialpräventiven Gründen eine Unterschreitung der Schulduntergrenze, die andere Ansicht63 lehnt eine solche Möglichkeit ab. Auch wenn im Einzelfall eine Strafe ausgesprochen werden muß, die annehmen läßt, daß sie in ihrer schuldangemessenen Höhe den Täter sozial desintegriert, stellt dies dennoch gegenüber einer 58 Jescheck/Weigend, § 82 IV. 6. (S. 880 f); Günther, JZ 1989, 1025 f, 1029; Streng, JuS 1993,919,920 f; Zipf; Strafzumessung, S. 43 ff., der von einer Schuldrahmentheorie spricht; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 105 ff.; LK-Gribbohm, Rdn. 17 - 20 zu § 46: alle m. w. N. Einen anderen Ansatz stellt die sog. Stellenwert-Theorie dar. Nach dieser soll im Gegensatz zur Spielraumtheorie die Strafhöhe ausschließlich nach dem Schuldmaß bestimmt werden, während präventive Gedanken erst bei der Auswahl der Strafart eine Bedeutung haben sollen. Dieser Ansatz übersieht, daß nach § 46 Abs. I Satz 2 StGB zumindest spezialpräventive Gesichtspunkte auch bei der Strafzumessung i. e. S. zu berücksichtigen sind. Siehe als Vertreter der Stellenwerttheorie insbesondere SK-StGB-Hom, Rdn. 33 ff. zu § 46; Kritik findet sich bei: Günther, JZ 1989, 1025, 1027 f; Schäfer, Rdn. 344; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 28 f. 59 So Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 105; Streng, JuS 1993,919,920. 60 Siehe BGHSt. 7, 28, 32; 20, 264, 267; ebenso Schäfer, Rdn. 339; Jescheck/Weigend, § 82 IV. 5. a) (S. 879) und 7. b) (S. 881); Günther, JZ 1989, 1025, 1029; Bruns, MDR 1987, 177,178; LK-Gribbohm, Rdn. 13 zu § 46; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 29. 61 Die Strafzumessung, S. 45. 62 So Günther, JZ 1989, 1025, 1029; Schäfer, Rdn. 346; Roxin, AT, § 3, Rdn. 50, 55; ders., JZ 1966,377,385; Sch./Sch.lStree, Rdn. 18 a zu §§ 38 ff. Vorbem; Horstkotte, JZ 1970, 122,124; Theune, StV 1985, 162; Marquardt, S. 158 f. 63 So Jescheck I Weigend, § 82 IV. 5. b) (S. 879 f); Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 92, 95 f; ders., MDR 1987, 177, 178; LK-Gribbohm, Rdn. 14, 29 zu § 46; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 29 und S. 72.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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schuldunterschreitenden Strafe das kleinere Übel dar64 • Nur so lasse sich dem Gerechtigkeitsgefühl entsprechen und erreiche die Strafe ihren sozialen Zweck, meinen Jescheck/Weigend. In einer Strafe, die durch die Größe der Schuld nach oben und nach unten begrenzt ist, kommt die sozial-ethische Mißbilligung der Tat zum Ausdruck. Darauf sollte man nicht verzichten 65 . Daneben besteht auch kriminalpolitisch kein Bedürfnis für eine Schuldunterschreitung. Diejenigen, die an einem Vorrang des Schuldprinzips gegenüber der Spezialprävention festhalten, verweisen auf hinreichende gesetzliche Möglichkeiten (§§ 47, 56, 57, 59, 60 StGB und §§ 153 ff. StPO), mit denen eine schuldgerechte Milde zu erreichen ist66 . Für die Gegenansicht bestimmt die Tatschuld nur das Höchstmaß der Strafe. Diese nur limitierende Funktion der Schuld lag in § 59 dem Alternativentwurf von 1966 zugrunde. Das Höchstmaß durfte nach dem dortigen Abs. 2 allein aus spezial- oder general präventiven Gründen ausgeschöpft werden, wodurch dem Vergeltungsgedanken vorgebeugt werden sollte67 . In dieser Regelung liegt aber auch die Möglichkeit einer schuldunterschreitenden Strafe. In Absage an den Vergeltungsgedanken soll das Maß der schuldangemessenen Strafe aus spezial präventiven Gründen unterschritten werden dürfen. Auch diese Ansicht verweist auf die §§ 47, 56, 59 und 60 StGB. Wenn § 60 StGB die Möglichkeit gibt, aus präventiven Gründen gänzlich von der Strafe abzusehen, so müsse es ebenfalls möglich sein, strafmildernd auf einen Teil der schuldangemessenen Strafe zu verzichten 68 • Anstelle des Schuldprinzips soll die Generalprävention das Korrektiv nach unten bilden69 . Dieser Ansicht folgt die Rechtsprechung nicht. Die Rechtsprechung steht im Lager einer strengen Schuldbindung und gewährt dem Schuldprinzip Vorrang vor der Präventionsaufgabe des Strafrechts. Dazu führt der BGH aus, daß sich die Strafe von ihrer Bestimmung als gerechter Schuldausgleich weder nach oben noch nach unten inhaltlich lösen dürfe 70. Danach darf das Bestreben, dem Angeklagten eine Strafaussetzung zur Bewährung zu bewilligen, nicht zu einer Unterschreitung des Schuldmaßes führen 71. Ebensowenig darf die gleichzeitige Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung neben einer Strafe zur Unterschreitung derschuldangemessenen Strafe führen 72 . Der Punkt der Vgl. Jescheck/Weigend, § 82 IV. 5. b) (S. 8790. So Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 92. 66 So Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 96; ders., MDR 1987, 177, 178; auch Jescheck/Weigend, § 82 IV. 5. b) (S. 880 in Fußnote 62). 67 Siehe Begründung des AE zu § 59, S. 115. 68 So Sch. / Sch. / Stree, Rdn. 18 a zu §§ 38 ff. Vorbem. 69 Siehe Günther, JZ 1989, 1025, 1029; Roxin, AT, § 3, Rdn. 55; Marquardt, S. 158. 70 BGHSt. 29, 319, 321; 24, 132, 134; BGH NStZ 1990, 334; BGH NStZ 1988,497; BGH NJW 1978,174,175. Siehe aber BGH NStZ 1986, 162 und BGH NStZ 1995,506,507: Tatprovokation durch polizeiliche Lockspitzel und Unterschreitung der sonst schuldangemessenen Strafe; ablehnend: Tröndle, Rdn. 35 c zu § 46; Bruns, MDR 1987, 177, 181. 71 So BGHSt. 29, 319, 321 f; ebenso BGHSt. 32,60,65. 72 So BGHSt. 24, 132. 64 65

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

strafmildernden Wechselwirkung einer Maßregelanordnung bedarf einer späteren Vertiefung. Bis jetzt hat sich deutlich der Vorrang der schuldangemessenen Strafe gezeigt, in deren Rahmen die spezialpräventiven Erwägungen der §§ 56 ff. StGB oder der Maßregelanordnung Beachtung finden können. Das Schuldprinzip hat nicht nur eine limitierende Funktion. Als ein bestimmbares Maß gibt das Schuldprinzip der Strafe konstitutiv einen tragenden Sinn und legitimiert sie. Die schuldgerechte Strafe verdeutlicht dem betroffenen Einzelnen, daß er gerade für seine Tat zur Verantwortung gezogen wird.

5. Das Schrifttum Im Schriftum73 wird im Sinne einer ausgewogenen "Vereinigungstheorie" unter Modifizierungen in der Grundtendenz die Auffassung vertreten, daß Vergeltung und Vorbeugung keine unversöhnlichen Gegensätze bilden. Nur die gerechte, an der ausgleichenden Schuld orientierte Strafe kann der Abschreckung der Allgemeinheit und der Stärkung ihres Rechtsbewußtseins wie auch der Abschreckung und Besserung des einzelnen Täters dienen. Wenn auch die Wirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Verurteilten in der Gesellschaft, der Gedanke der mit der Strafe zu verbindenden sozialen Hilfe in den Vordergrund getreten ist, so sind die anderen Strafzwecke nicht zu verdrängen. Das ausgewogene Verhältnis von Schuldausgleich, Spezialprävention und Generalprävention unter Betonung einer spezialpräventiven Tendenz, wobei das Maß der Schuld Orientierungsmaßstab der Strafe bleibt, ist wohl mit der in der Rechtsprechung angeklungenen Schwerpunktverlagerung auf den spezialpräventiven Gedanken vereinbar. Einen anderen Ansatz entwickelt namentlich Roxin74, der diesen anfangs "dialektische Vereinigungstheorie" nannte und heute als "präventive Vereinigungstheorie" bezeichnet. Er wirft der in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassung vor, sie addiere mit den Strafzwecken zugleich auch deren Mängel, ohne gleichzeitig ein theoretisches Fundament zu schaffen75. Vielmehr würde sie in den einzelnen Zielen hin und her schwanken. Nach der Ansicht Roxins kann der Zweck der Strafe allein von präventiver Natur sein, wobei Spezialprävention und Generalprävention nebeneinander bestehen. Erstere verdiene jedoch den Vorrang, da auch die nach spezialpräventiven Aspekten bemessene Strafe eine generalpräventive 73 V gl. in Sinn der Vereinigungstheorie Sch. / Sch. / Stree, Rdn. 6 ff. zu §§ 38 ff. Vorbem; Bockelmann/Volk, S. 6 ff.; Stratenwerth, Strafrecht, § 1, Rdn. 28 ff.; Lackner/Kühl, Rdn. 1 ff. zu § 46; Arthur Kaufmann, FS für Rudolf Wassermann, 1985, S. 889, speziell S. 893; Jescheck/Weigend, § 8 V. (S. 75 ff.); vgl. auch Koriath, JURA 1995,625,634 f. 74 Anfangs in JuS 1966,377,387; heute in AT, § 3, Rdn. 37 ff. Hierzu Koriath, JURA 1995, 625, 630 f. mit der berechtigten Frage, ob Roxin das Vergeltungsprinzip wirklich überwunden hat. 75 Roxin, AT, § 3, Rdn. 35.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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Wirkung habe. Jedoch dürfe die Strafe nicht soweit reduziert werden, daß ihre generalpräventive Funktion verloren gehe. Im Widerstreit der beiden Präventionszwecke komme jedoch der Spezialprävention der Vorrang zu. Doch könne auch die Generalprävention die Strafe als Sanktion tragen, wenn die Spezialprävention etwa wegen fehlender Wiederholungsgefahr nicht gefordert sei, da die Nichtverfolgung etwa von NS-Gewaltverbrechern das Rechtsgefühl der Allgemeinheit erschüttern würde. Roxin lehnt allerdings den Gedanken der Vergeltung im Rahmen der Strafzwecke ab, läßt jedoch die Schuld als Element der Vergeltungslehre zwecks Begrenzung der Strafe zu. Ein Überschreiten der Schuld zur Erreichung präventiver Zielsetzungen sei unzulässig - dies in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung -, da es zur Eingrenzung der staatlichen Strafgewalt eines limitierenden Elements bedürfe. Jedoch will er im Gegensatz zur Rechtsprechung eine Unterschreitung der Schuld aus individualpräventiven Gründen zulassen 76. Die Begrenzung durch das Schuldprinzip sei dem Gerechtigkeitsgefühl entsprechend, wonach niemand höher bestraft werden dürfe, als er es verdiene, und verdienen würde der Täter allein eine schuldentsprechende Strafe. Unter dem Aspekt eines eingrenzenden Faktors bedürfe es auch nicht der Lösung der immerwährenden Frage nach der Willensfreiheit des einzelnen Menschen. Wenn das Schuldprinzip der Einschränkung der staatlichen Macht diene, könne die Frage nach der Willensfreiheit unbeantwortet bleiben, was bedenklich sei, wenn der Schuldgrundsatz zur Rechtfertigung der Strafe herangezogen werde. Gegen die gleichzeitige Anerkennung von Repression und Prävention sprechen sich auch Ansätze aus, die eher einseitig den einen oder den anderen Präventionszweck als Strafzweck betonen. Indem die spezialpräventive Klausel in der Strafzumessungsvorschrift des § 13 (a. E) bzw. § 46 StGB (n. E) hervorgehoben wird, gelangt man zu dem Ergebnis 77, daß auf der Basis der Schuld aus spezialpräventiven Gründen in geringen Grenzen eine Überschreitung des Schuldmaßes erlaubt ist. Aus denselben Gründen kommt nach dieser Wertung auch eine Unterschreitung des Schuldmaßes in Betracht; der spezialpräventiv indizierten Schuldunterschreitung wird jedoch durch die Generalprävention eine Schranke gesetzt. Bei der Strafbemessung steht demnach dem Schuldausgleich kein Vorrang vor der Spezialprävention zu. Im Gegensatz zu der nur grenzsetzenden Aufgabe der Generalprävention steht das schon genannte Modell einer Strafe, deren Aufgabe die Einübung in Normanerkennung ist, das Modell der positiven Generalprävention78 . Dieses Modell zeigt ein generalpräventives Verständnis von Schuld. Nach einem Normbruch erfolgt die Strafe zur Einübung in Normvertrauen bei jedermann. Das SchuldprinSo ausdrücklich in AT, § 3, Rdn. 50, 55. Für die Beibehaltung der Schuldbindung im Verhältnis zur Individualprävention tritt auch W. Frisch, ZStW 102 (1990), 343,391 f. ein, da darin zum Ausdruck komme, was die Tat nach den Maßstäben der Rechtsordnung wert sei, wie bedeutsam die in ihr zum Ausdruck kommende personale Fehlleistung nach den Maßstäben der Rechtsordnung sei. 77 So Horstkotte, JZ 1970, 122, 124 f. 78 Bei Jakobs, 1. Abschnitt, Rdn. 4 ff.; ähnlich Schmidhäuser, AT, 2/14 ff. 76

3 Kretschmer

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

zip bildet danach ein Derivat der positiven Generalprävention79. Die beiden zuletzt genannten Ansätze lösen sich bei der Strafbemessung vom Schuldprinzip. Sie ersetzen dieses durch präventive Strafzwecke, wodurch die strafbegründende und begrenzende Funktion der Schuld als persönliche Verantwortung verloren zu gehen droht.

6. Ein Resümee

"Denn der Entwurf sieht den Sinn der Strafe nicht allein darin, daß sie die Schuld des Täters ausgleicht. Sie hat damit zugleich auch den allgemeinen Sinn, die Rechtsordnung zu bewähren. Außerdem dient sie bestimmten kriminalpolitischen Zwecken, in erster Linie dem Zweck, künftige Straftaten zu verhüten. Das kann dadurch geschehen, daß der Täter und andere davon abgeschreckt werden, derartige Taten zu begehen. Es kann nachhaltiger dadurch geschehen, daß auf den Täter eingewirkt wird, um ihn der Gemeinschaft wieder zu gewinnen und ihn gegen neue Versuchungen innerlich widerstandsfähiger zu machen. Es kann schließlich auch dadurch geschehen, daß die Allgemeinheit vor dem gefährlichen Täter gesichert wird. Alle diese Zwecke werden zum Teil von selbst durch die Strafe erreicht. Sie können aber auch im einzelnen Falle durch Art und Maß der Strafe besonders angestrebt werden"so. Mit diesen Worten drückt der Entwurf 1962 anschaulich die unterschiedlichen Sinn- und Zwecksetzungen der Strafe aus. Der letzte Abschnitt zeigt in wesentlichen Zügen die unterschiedlichen Ansätze der Strafzwecke, um im folgenden Vergleich dazu den Zweck oder die Zwecke der Maßregeln der Besserung und Sicherung zu ergründen. Wie schon einleitend erwähnt, ist das in dieser Arbeit verfolgte Ziel nicht eine umfassende Diskussion über die Strafe und die Strafzwecktheorien. Das wäre ein eigenes Thema. Es soll allein die gedankliche Grundlage für einen Vergleich der Strafe in ihrem Verhältnis zu den Maßregeln gelegt werden. Nur soviel soll zum Abschluß gesagt werden: Es ist nicht abzustreiten, daß in der Gesellschaft faktisch ein Bedürfnis für die Vergeltung begangenen Unrechts herrschtSI. Der Straftäter verletzt die gesetzten Regeln der Rechtsgemeinschaft und Rechtsordnung. Diese Verletzung soll und muß ausgeglichen, eben vergolten werden. Wenn daneben auch präventive Zielsetzungen verfolgt und erreicht werSiehe Jakobs, I. Abschnitt, Rdn. 34. E 1962, S. 96. 81 Siehe Arthur Kaufmann, PS für Rudolf Wassermann, 1985, S. 889, 894: "Ohne Zweifel wird die Strafe immer ein gut Teil Tatvergeltung bleiben; da soll man sich gar keine Illusionen machen"; derselbe spricht diesen Gedanken auch in JURA 1986,225,231 aus. Ebenso spricht Stratenwerth, Strafrecht, § 1, Rdn. 16 von einem Bedürfnis nach Vergeltung, das sich nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen läßt. 79

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1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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den und wenn angesichts des Sozialstaatsprinzips der Gesellschaftsordnung die Resozialisierung des Täters als positiver Aspekt der Spezialprävention Vorrang gebührt, so soll dieses in der Gesellschaft bestehende Vergeltungsbedürfnis nicht geleugnet werden, erhebt es aber auch nicht absolut beherrschend über die anderen Strafzwecke. Im Sinne einer Vereinigungstheorie unter Betonung der Gleichwertigkeit der drei genannten Zwecksetzungen - schuldangemessene Vergeltung, Generalprävention, Spezialprävention - ist der Zweck der Strafe im Einklang mit der Rechtsprechung zu bestimmen, wobei die individuell vorwerfbare Schuld die begründende Limitierung nach oben und nach unten für die Strafe bildet. Dabei ist z~ betonen, daß die Strafe in den verschiedenen Phasen ihrer Realisierung der Gesetzgebung, der rechtsprechenden Gewalt und des Strafvollzugs ihre Zwecksetzungen im unterschiedlichen Maß akzentuiert. Wenn der gesetzgebende Akt in erster Linie generalpräventiv zu betonen ist, so ist der Vollzug der Strafe, was ausdrücklich mit Vorrang in § 2 StVollzG genannt wird, spezialpräventiv zu gestalten. Insgesamt ist es nicht verwunderlich, daß die Institution der Strafe keine einseitige Fixierung auf einen sie tragenden Gedanken zuläßt, sondern ein vielschichtiges Gebilde darstellt, das keiner Absolutierung unterliegt.

IV. Grund und Zweck der Maßregeln der Besserung und Sicherung 1. Der tragende Grund für das Maßregelrecht

"Hat ein vermindert Zurechnungsfähiger eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen und erfordert die öffentliche Sicherheit nach Verbüßung der schuldangemessenen Strafe seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, so kann hiervon nicht abgesehen werden und stattdessen aus Sicherheitsgründen auf eine übermäßige, der Schuld nicht entsprechende Freiheitsstrafe erkannt werden". Dieser Leitsatz in BGHSt. 20, 264 aus dem Jahre 1965, als der Maßregelkatalog des § 42 a StGB (a. F.) noch Geltung hatte, zeigt den tragenden Berechtigungsgrund der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Eine am Schuldprinzip orientierte und daher auch begrenzte Strafzumessung ist nicht immer in der Lage, die berechtigten Sicherungsbedürfnisse der Gesellschaft in vollem Umfang zu erfüllen 82 . Die Selbstbeschränkung der staatlichen Eingriffsgewalt, bestehend in der Bindung an den im Verfassungsgrundsatz der Rechtsstaatlichkeit verankerten Schuldgrundsatz, ermöglicht im allgemeinen einen angemessenen Ausgleich zwi82 Vgl. BVerfGE 91, 1,31 f; ebenso in diesem Sinne Kaiser, Die Maßregeln in der Krise?, S. 35; Schütz, JURA 1995, 399, 401; Müller-Christmann, JuS 1990,801,802; Roxin, AT, § 3, Rdn. 56; Marquardt, S. 29; Geppert, Die Bemessung der Sperrfrist, S. 31; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 70; Eisenberg, Strafe und freiheitsentziehende Massnahme, 1967, S. 6. Siehe auch E 1962, S. 97.

3*

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schen den staatlichen Schutzbelangen und den Freiheitsinteressen des Rechtsunterworfenen. Im Einzelfall kann die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit jedoch so groß sein, daß die Schuldstrafe nicht ausreicht, um die Allgemeinheit vor den von ihm ausgehenden Gefahren zu schützen. Es ist nur auf den geistig beschränkten, vermindert schuldfähigen Straftäter hinzuweisen, der zwar schwere Straftaten begeht, aber nach § 21 StGB wegen geringer Schuld nur eine geringe Strafe verdient. Ein solcher Fall lag der obigen Entscheidung zugrunde. Ein gleichgelagertes Problem ergibt sich bei den Alkohol- und Drogensüchtigen, die infolge ihrer Sucht oftmals nur ein geringes Maß an Schuld auf sich laden, von denen aber nichtsdestotrotz möglicherweise eine erhebliche Gefährdung in Form der Beschaffungskriminalität auszugehen vermag. Der Schutz der Allgemeinheit und gegebenenfalls auch ihre eigene Interessenlage erfordern im Einzelfall eventuell die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt. Deren Anordnung ist aber abstellend auf eine Strafe, die sich nach dem Schuldprinzip als Limitierung bemißt, bei einem solchen Auseinanderklaffen von Schuldrnaß und individueller Gefährlichkeit nicht möglich. Die Schuldstrafe vermag die Aufgabe des Gesellschaftsschutzes nur bedingt zu erfüllen. Wenn die Strafe an die Individualschuld anknüpft, ist die Sicherung der Gesellschaft vor diese erheblich gefährdenden Tätern im Einzelfall oftmals nicht möglich, da es immer Fälle geben wird, bei denen eine geringe Tatschuld mit einer besonderen Gefährlichkeit des Täters zusammenfällt. Danach bleibt die Verfolgung der Präventionszwecke, die mit einer schuldangemessenen Strafe nicht in jedem Einzelfall zu erreichen sind, den Maßregeln der Besserung und Sicherung vorbehalten. Darin liegt ihr innerer Berechtigungsgrund. Die Maßregeln haben die spezielle Aufgabe, die Gefährlichkeit des Täters zum Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten individualpräventiv zu bekämpfen, also die spezielle Funktion auszuüben, die die primär schuldorientierte Strafe im Einzelfall nicht übernehmen kann. Einem auf dem Gedanken der Schuld aufgebauten Strafrecht entspricht folgerichtig zu dessen Ergänzung ein auf dem Gedanken der Gefährlichkeit beruhendes Maßregelrecht 83 .

2. Zweck und Ziel der Maßregeln Wenn bezogen auf den Strafzweck eine Vielzahl von theoretischen Erklärungsansätzen existiert, so ist mit Kaiser84 darin übereinzustimmen, daß es eine vergleichbare Theorie der Maßregeln nicht gibt. Anknüpfend an die Sozialgefährlichkeit des Täters ist der allgemeine Maßregelzweck der der Verhütung von Straftaten, ihr Zweck ist präventiver - vorbeugender - Natur85 . Bezogen auf den von der 83

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So E 1962, S. 97. Kaiser, Die Maßregeln in der Krise?, S. 6 in Fußnote 15.

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Maßregel Betroffenen ist ihr Wirkungsziel ausschließlich ein spezialpräventives 86 . Der Schutz der Allgemeinheit vor zukünftig drohenden (erheblichen) Straftaten durch den gefährlichen Straftäter ist der allen Maßregeln der Besserung und Sicherung zugrundeliegende Zweck. Sie sollen Gefahrfreiheit vor dem Täter verschaffen. Die zur Erreichung dieses im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks angewandten Mittel und Wege liegen in der Besserung und / oder Sicherung der Betroffenen durch die jeweilige Maßregel, also ausschließlich in der Spezialprävention. Mit Hilfe der Maßregeln soll der Betroffene daran gehindert werden, in Zukunft weitere Straftaten zu begehen. Dies kann geschehen, indem er geheilt oder gebessert wird - hier ist der bei von Liszt87 genannte besserungsfähige und besserungsbedürftige Tater angesprochen -, indem die Allgemeinheit vor ihm gesichert wird - hier ist der bei von Liszt genannte unverbesserliche, nicht besserungsfähige Täter gemeint - oder indem er vor der Begehung weiterer Straftaten abgeschreckt wird der nicht besserungsbedürftige Täter nach der Dreiteilung bei von Liszt. Dabei kann und muß angesichts der Vielgestaltigkeit der Gefährdungen jeweils ein anderer Aspekt der Besserung oder Sicherung bei den unterschiedlichen Maßregeln aus dem Maßregelkatalog des § 61 StGB in den Vordergrund treten. Eine Unterscheidung in Besserungsmittel, die Ursachen der Gefährlichkeit beim Individuum werden behoben, und in Schutzmittel, die Gesellschaft wird durch Veränderung der äußeren Bedingungen vor dem Individuum geschützt, zeigt Exner88 schon 1914 in seinem Buch "Die Theorie der Sicherungsmitte1" auf, in dem er schon lange vor der Kodifizierung der Maßregeln im StGB einige der später in den Maßregelkatalog aufgenommenen Maßregeln bespricht. Heute betont die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung als wohl strengste Maßregel der Besserung und Sicherung den Sicherungsgedanken der Individualprävention, während der Erziehungsgesichtspunkt hinter diesem Gedanken zurücktritt, ohne ganz auszuscheiden. Bei der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) in unterschiedlicher Betonung und bei der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) im besonderen ist der Besserungszweck im Verhältnis zur Sicherung der Rechtsgemeinschaft vorrangig. Das kommt bei der Maßregel gemäß § 64 StGB eher zum Ausdruck, wenn die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 67 d StGB auf zwei Jahre beschränkt ist bzw. in dessen Absatz 2, wonach die Unterbringung bei der Aussichtslosigkeit einer Entziehungskur zu unterbleiben hat 89 . Auf der Seite der nicht die Freiheit entziehenden Maß85 Vgl. Kaiser, Die Maßregeln in der Krise?, S. 48; Roxin, AT, § 3, Rdn. 57; Müller-Christmann, JuS 1990, 801, 803; Lackner / Kühl, Rdn. I f. zu § 61. 86 Siehe nur: LK-Hanack, Rdn. 20 f. Vor §§ 61 ff.; Roxin, AT, § 3, Rdn. 57; Kaiser, Die Maßregeln in der Krise?, S. 48; Geppert, Die Bemessung der Sperrfrist, S. 34 f, S. 88; W. Frisch, ZStW 102 (1990) 343, 360. 87 Siehe von Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 (1883), 1,36 ff. 88 Siehe S. 69 f., S. 91 ff. mit zusammenfassender Tabelle auf S. 107. 89 Die Bedeutung der Unterbringung nach § 64 in ihrer therapeutischen Funktion wird in BVerfGE 91, 1 deutlich, wenn Anordnung und Vollzug der Unterbringung an die Voraus-

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

regeln soll bei der Führungsaufsicht (§ 68 StGB) der Sicherungs- und Besserungsaspekt miteinander verschlungen sein9o . Bei der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis dominiert der Sicherungszweck. Dieser Maßregel wird häufig infolge ihrer praktischen Auswirkungen der Charakter einer Nebenstrafe mit besonderer spezial- und generalpräventiver Funktion zugesprochen. Dieser dogmatischen Zweckentfremdung soll jedoch durch das Fahrverbot (§ 44 StGB) entgegengewirkt sein9l . Das Berufsverbot (§ 70 StGB) hat als Maßregel eher eine dominierende Sicherungsfunktion. Neben der Betonung ihrer spezialpräventiven Seite kommt den Maßregeln in der faktischen Wirkung im Einzelfall auch eine generalpräventive92 Kraft zu. Die zeitlich unbestimmte Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird im Kreis der betroffenen SchwerkriminelIen sicherlich mehr gefürchtet als die Strafe im Normalvollzug. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wird bei der großen Bedeutung des Kraftfahrzeuges für den geschäftlichen und privaten Verkehr in der Gesellschaft eher gefürchtet und als abschreckend empfunden als etwa die einhergehende Geldstrafe. Da die Maßregeln nicht an der Schuld des Täters, sondern an dessen individueller Sozialgefährlichkeit anknüpfen, ist ihnen bei der Verfolgung der Präventionsinteressen keine vergleichbare Limitierung im Sanktionsmaß eigen, wie sie der Strafe mit dem Schuldgrundsatz innewohnt. Doch auch das Maßregelrecht bedarf eines begrenzenden Elements, um den von ihm Betroffenen im Spannungs verhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft nicht unter spezialpräventiven Gesichtspunkten zum bloßen Objekt zu degradieren. Dieses begrenzende Element zeigt sich in der Verhältnismäßigkeit des § 62 StGB wie auch in den Regelungen der einzelnen Maßregeln, etwa in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB für die Sicherungsverwahrung. Dabei ist das Element der Verhältnismäßigkeit ein Element der Rechtsstaats 93 , das alle öffentliche Gewalt begrenzt. In dieser Begrenzung müssen von der Gesellschaft die Gefahren und Schäden durch den Täter geduldet werden, die geringer als der vorbeugende Eingriff in die Freiheitsinteressen durch die Maßregelanordnung sind. Der in § 62 StGB festgesetzte Proportionalitätsgrundsatz bestimmt, daß eine Prosetzung geknüpft werden, daß eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Süchtigen zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren. 90 So LK-Hanack, Rdn. 24 Vor §§ 61 ff. 91 So Baumann-Weber, AT (9. Auf!. 1985), § 44 111.2. (S. 730). Im Gegensatz zur 9. Auf!. wird in der 10. Auf!. des Baumann-Weber-Mitsch (1995) das Maßregelrecht nur noch am Rande behandelt. 92 Siehe Roxin, AT, § 3, Rdn. 57 und Marquardt, S. 31 f. 93 Vgl. BVerfGE 23, 127, 133. Beachte die wichtige Entscheidung des BVerfG in E 70, 297 zur Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und auch BGH StV 1995, 75 betreffs einer Nichtanordnung der Unterbingung in einer Entziehungsanstalt wegen Verstoßes gegen den Grundsatz derVerhältnismäßigkeit.

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portionalität zwischen der Maßregel im Verhältnis zur begangenen Anlaßtat, zu den zu erwartenden Taten und zum Gefährdungsgrad bestehen muß. Eine gesetzliche Ausnahmeregelung sieht im Maßregelrecht § 69 Abs. 1 Satz 2 StGB vor, der für die Entziehung der Fahrerlaubnis von einer Prüfung des § 62 StGB absieht, wenn die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben ist. Der Grund für diese gesetzliche Regelung ist, daß Gedanken der Verhältnismäßigkeit schon in die Prüfung der Ungeeignetheit einfließen 94 . Im Maßregelrecht kommt so im Interesse des Rechtsunterworfenen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die begrenzende Schutzfunktion zu, die das Schuldprinzip bei der Strafe erfüllt. Zum Schluß soll noch einmal der Blick auf den Zweck der Maßregeln der Besserung und Sicherung gerichtet werden, der zusammenfassend so festgelegt werden kann: Der Zweck der sichernden Maßnahmen sei, die im Individuum liegende soziale Gefahr zu beheben, hat Exner95 zeitlos formuliert. Die strafrechtlichen Maßregeln dienen der Vorbeugung gegenüber künftigen Straftaten und bedienen sich dazu der Mittel der Individualprävention von Besserung und Sicherung.

v. Die Rechtfertigung der Maßregeln der Besserung und Sicherung Trotz ihrer Beschränkung durch das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip ermöglichen die Maßregeln einen in ihrer Wirkung weitaus schwerwiegenderen Eingriff in die Freiheitsrechte des einzelnen als die am Schuldgrundsatz orientierte und dadurch auch begrenzte Strafe. Das wird besonders an der Unbestimmheit der Anordnungsdauer der freiheitsentziehenden Maßregeln offensichtlich. Von unbestimmter zeitlicher Dauer ohne eine Höchstfrist ist die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, deren Vollzug zu weitgehenden Eingriffen in die Freiheit und körperliche Integrität führen kann, etwa zur Duldung von medizinischen Untersuchungen und Heilrnaßnahmen. Bestand bisher für die erste Unterbringung in der Sicherungsverwahrung eine Höchstfrist von zehn Jahren, so wurde die Regelung des § 67 d StGB durch das "Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten" vom 26. 1. 1998 (BGBL I, 160) modifiziert. Der neue § 67 d Abs. 3 StGB bestimmt, daß die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach einem Vollzug von zehn Jahren für erledigt zu erklären ist, "wenn nicht die Gefahr besteht, daß 94 Siehe dazu LK-Geppert, Rdn. 67 zu § 69; LK-Rüth, 10. Aufl., Rdn. 33 zu § 69; Sch. / Sch. / Stree, Rdn. 56 zu § 69; Himmelreich / Hentschel, Band I, Rdn. 64. Kritisch BaumannWeber, AT (9. Aufl. 1985), § 44 III. 2. (S. 732 in Fußnote 85) unter Hinweis auf die Alternative des Fahrverbots nach § 44 StGB; ebenso skeptisch das AG Bad Homburg NJW 1984, 2840,2841, das in § 69 Abs. 1 Satz 2 keine pauschale Befreiung von der Beachtung des verfassungsrechtlich verbürgten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sieht. 95 Die Theorie der Sicherungsmittel, S. 141.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt werden". Mit dieser Neuregelung erscheint für eine bestimmte Tätergruppe auch die Sicherungsverwahrung als zeitlich absolut unbestimmt. Die Maßregeln stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen den Grund- und Freiheitsrechten des betroffenen Einzelnen und dem Allgemeininteresse, die Gefahren abzuwehren, die von der Gefährlichkeit des Täters für die Zukunft ausgehen. Dieses Spannungs verhältnis bewirkt einen erhöhten Legitimationsdruck auf das Maßregelrecht, eine innere Rechtfertigung für die Maßregeln der Besserung und Sicherung zu finden. Die Sozialnützlichkeit und Zweckmäßigkeit allein vermag die Maßregeln als Institution nicht zu rechtfertigen 96 . Eine Person darf niemals bloß als Mittel zu einem beliebigen Zweck benutzt werden. Die sittliche Zulässigkeit der schuldgelösten Maßnahme gegenüber der betroffenen Person ist zu ermitteln. Für die materielle Legitimation der Maßregeln wird in einem differenzierten Ansatz von einer Seite für die verschiedenen Maßregeln eine unterschiedliche Legitimation vertreten. So seien die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und die in einer Entziehungsanstalt durch die Aufgabe des Staates gerechtfertigt, körperlich oder seelisch defekte Personen, die kriminell gefährlich seien, nicht nur zu sichern, sondern auch zu heilen. Die Betroffenen sollten einer medizinischen, psychotherapeutischen oder bewahrenden Behandlung zugeführt werden, um ihren Zustand zu bessern, zu lindern oder wenigsteI16 zu neutralisieren. Diesen rechtfertigenden Gedanken der Heilbehandlung nennen Jescheck/Weigencf7 . Dagegen seien etwa die Entziehung der Fahrerlaubnis und das Berufsverbot durch den Gedanken der Verwirkung legitimiert, heißt es bei ihnen weiter. Letzterer Gedanke findet sich auch bei Stree 98 , der zu diesem Punkt ausführt, daß die durch die Grundrechte des Grundgesetzes garantierte Freiheit des einzelnen eine gemeinschaftsbezogene Freiheit sei. Wer sein Freiheitsrecht nicht in. der ihm verliehenen Art, sondern in gemeinschaftswidriger Art ausübe, verdiene keinen Schutz durch die Gemeinschaft. Nach Stree verwirkt der einzelne sein Freiheitsrecht, von dem er in gemeinschaftswidriger Art und Weise Gebrauch macht. Danach, so Stree weiter, berechtige die Gefahr des Mißbrauchs der äußeren Freiheit dazu, Gewohnheitsverbrechern diese Freiheit zu entziehen, wobei jedoch zwischen der Gefahr und den Belangen des einzelnen sehr sorgfältig abgewogen werden müsse. Unerheblich sei es letztendlich, ob das sozial widrige Verhalten auf mangelndes Können oder Wollen zurückzuführen sei99 . Sowohl derjenige, der nicht gewillt sei, sich einzuordnen, als auch derjenige, der nicht fähig sei, die Gebote eines geordneten Zusammenlebens zu befolgen, habe keinen Anspruch auf die uneingeschränkte Teilnahme am sozialen Leben. Der Gedanke der Verwirkung erlaube demnach die Anordnung der Siche96

Vgl. Welzel, Strafrecht, § 32 III. (S. 244 f); Jescheck/Weigend, § 9 11. 1. (S. 86); ebenso

W. Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 364 m. w. N. 97 98 99

Jescheck/Weigend, § 9 11. 1. (S. 86). Stree, Deliktsfolgen, S. 222 f. Stree, a. a. 0., S. 223.

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rungsverwahrung und rechtfertige auch die anderen Maßregeln mit Sicherungscharakter, die die Entziehung eines Rechtes erlaubten, das voraussichtlich infolge fehlenden Könnens oder Wollens mißbraucht werden würde, so bezugnehmend auf das Berufsverbot und die Entziehung der Fahrerlaubnis 100. Dagegen seien die Maßregeln mit Besserungscharakter wie die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht allein durch den Sicherungsgedanken zu legitimieren; hier werde die Freiheit nicht beschnitten, um lediglich vor deren Mißbrauch zu schützen, sondern es werde eine Heilungs- oder Besserungswirkung verfolgt. Einen solchen Eingriff habe der Betroffene als verantwortliches Mitglied der Gemeinschaft zu dulden, da dieser der Förderung des Zusammenlebens diene lO1 . Auch Welzel 102 rekurriert auf den sozialethischen Gedanken der Verwirkung, wenn auch mit einem von Stree abweichenden Ansatzpunkt. Nach Welzel rechtfertigt sich alle äußere oder soziale Freiheit letztlich aus der inneren oder sittlich gebundenen Freiheit. Wer dieser inneren Freiheit nicht fähig oder mächtig sei, könne die entsprechende äußere Freiheit nicht beanspruchen, da nur der ungeschmälert am Gemeinschaftsleben teilnehmen könne, der sich auch von dessen Normen leiten lasse. Hier ist jedoch mit Stree lO3 zu fragen, ob es dem "Gewohnheitsverbrecher" wirklich an der inneren, sittlichen Freiheit mangelt - er dieser Freiheit also nicht mächtig oder fähig ist - oder ob es nicht dessen freier Wille sein kann, fortwährend Straftaten gegen die Rechtsordnung zu begehen. Darüber hinaus kann eine Maßregel auch gegen Vollverantwortliche verhängt werden, so die Sicherungsverwahrung oder die Entziehung der Fahrerlaubnis, was mit dem Gedanken der fehlenden inneren Freiheit nicht zu erklären ist. In jedem Fall liegt der Idee der Verwirkung der Ausgangspunkt zugrunde, daß der Anspruch des einzelnen Menschen auf Freiheit vermindert ist. Das aber entspricht nicht dem Menschen- und Wertbild einer rechtsstaatlichen Rechtsordnung lO4 • Der Wert des Menschen darf und kann wegen einer Eigenschaft der Person nicht durch den Verlust von Freiheitsrechten relativiert werden. Welche Fehler der Mensch auch haben mag bzw. begeht, ihm gebühren die Menschenwürde und die Grundfreiheiten, die das Menschsein als solches auszeichnet. Im übrigen ist auf Art. 18 GG hinzuweisen. Art. 18 GG nennt die Grundrechte, die bei einem Mißbrauch zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verwirkt werden können. Es besteht ein Entscheidungsmonopol des BVerfG. In dieser Norm kommt zum Ausdruck, daß die Verwirkung von grundrechtlichen Freiheiten eine Ausnahmeerscheinung in der Werteordnung des Grundgesetzes ist. WiderStree, a. a. 0., S. 224. Stree, a. a. 0., S. 226. 102 Welzel, Strafrecht, § 32 III. (S. 245). 103 Deliktsfolgen, S. 221 f. 104 So Nowakowski, FS für Hellmuth von Weber, 1963, S. 98, S. 107 f; siehe auch Schroth, FS für Horst Schüler-Springorum, 1993, S. 595, 601 f. 100 101

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spricht der Gedanke der Verwirkung und der damit einhergehenden Abwertung der Persönlichkeit des Individuums dem grundgesetzlich vorgegebenen Menschenbild, so vermag der Gedanke der Fürsorge oder Heilbehandlung ebenfalls keine staatlichen Zwangsmaßnahmen zu rechtfertigen 105. Der BGH 106 führt beispielhaft zu § 64 StGB aus, daß die spezielle Gesundheitsfürsorge nicht die vorrangige Aufgabe des Strafrechts, insbesondere des Maßregelrechts sei. Die Verhängung der Maßregel nach § 64 StGB habe sich vielmehr an den Belangen der öffentlichen Sicherheit auszurichten und diene in erster Linie dem Schutz der Öffentlichkeit vor gefahrlichen Tatern, auch wenn sich dieser Zweck durch Besserung erreichen lasse. Daher sei die Maßregel nach § 64 StGB weder ein Mittel der bloßen Suchtfürsorge, noch dürfe die Fürsorge unsachgemäß in den Vordergrund treten. Besserung und Heilung des einzelnen durch die Anordnung von Maßregeln kann nur das Ziel im Interesse des allgemeinen Zwecks der Maßregeln sein, künftigen Straftaten vorzubeugen. Als ein alle Maßregeln rechtfertigender Grund läßt sich nur der Gedanke der Güterabwägung nennen 107; dieser Gedanke wird auch Idee oder Prinzip des überwiegenden Interesses genannt lO8 • Danach kann die Freiheit entzogen werden, wenn ihr Gebrauch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beeinträchtigungen anderer führt, die in ihrer Gesamtheit weit schwerer wiegen als die Einschränkungen, die der Verursacher der Gefahr durch die Anordnung der Maßregel auf sich nehmen muß. Das überwiegende öffentliche Interesse besteht nach Kaiser 109 im Sicherungsbedürfnis der staatlichen Gemeinschaft, demgegenüber die Individualrechte des Taters zurücktreten müssen, wenn die von ihm ausgehende Bedrohung so erheblich ist, daß der Schutz der Allgemeinheit Vorrang hat. Das öffentliche Interesse überwiegt demzufolge, wenn die möglichen Delikte schwer sind und die Begehungswahrscheinlichkeit hoch ist. Hier wird eine weitere dem vorgenannten Verwirkungsgedanken innewohnende Gefahr deutlich. Unter Beachtung des überwiegenden Interesses und einer Abwägung der widerstreitenden Interessen wird eine entschiedene Begrenzung gezogen. Die Gesellschaft hat unter diesem Aspekt die Gefahr von Straftaten geringerer oder gar mittlerer Kriminalitätsschwere in Abwägung zu den Persönlichkeitsinteressen des Betroffenen zu dulden. Gesellschaftliche Auffalligkeiten wie Stadtstreicherei oder Bettlerei können unter der Güterabwägung nicht zum Anlaß für Maßregeln genommen werden. Eine solche Begrenzung zieht die Verwirkungsidee nicht. 105 Vgl. Roxin, AT, § 3, Rdn. 59; Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 365; Stree, Deliktsfolgen, S.224. 106 BGHSt. 28, 327, 332. 107 So Roxin, AT, zu § 3, Rdn. 59. 108 Vgl. Kaiser, Die Maßregeln in der Krise?, S. 48 f; Nowakowski, FS für Hellmuth von Weber, 1963, S. 98, S. 103 ff.; LK-Hanack, Rdn. 28 Vor §§ 61 ff.; Müller-Christmann, JuS 1990,801,803; Schroth, FS für Horst Schüler-Springorum, 1993, S. 595, 602. 109 Die Maßregeln in der Krise?, S. 48 f.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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Im Prinzip der Güterabwägung konkretisiert sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ll o. Dieser ist Teil des Rechtsstaatsgedankens und hat daher VerfassungsrangllI. Danach sind bei staatlichen Maßnahmen die Erfordernisse der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit i. e. S. zu beachten. Eine Maßnahme ist dann verhältnismäßig i. e. S., wenn die Bedeutung des zur Geltung zu bringenden Rechtsguts unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs nicht außer Verhältnis zu dem Rechtsgut steht, das zurücktreten muß lI2 . Die einschränkende Begrenzung der individuellen Freiheit muß in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung dieser Freiheit stehen. Es bedarf danach einer konkreten Rechtsgüterabwägung. Unter dem Prinzip der Güterabwägung stehen also zwei Interessen zueinander im Widerstreit, von denen aber nur eine zu schützen ist. In einem solchen Interessenwiderstreit verlangt die Rechtsordnung, sich für das höherwertige Interesse zu entscheiden ll3 . Eine solche Kollision liegt konkret dem Maßregelrecht zugrunde. Steht auf der einen Seite das Sicherungs bedürfnis der Gesellschaft, so steht auf der anderen Seite das Persönlichkeitsrecht des von der Maßregel Betroffenen, in das eingegriffen wird. Durch die Beachtung der Persönlichkeitsrechte ist gleichzeitig eine verfassungsrechtliche Grenze vorgegeben. Keiner Abwägung und keines Eingriffs zugänglich ist der unantastbare Kernbereich des Persönlichkeitsrechts 114. Insoweit wäre heute eine entsprechende Wiedereinführung des § 42 k StGB (a. F.), die Entmannung als Maßregel, verfassungswidrig. Da jedoch die Verbrechensverhütung keinen absoluten Höchstwert in der Kriminalpolitik darstellt, bedarf es einer Abwägung des kriminalpolitischen Bedürfnisses gegen das Gewicht der mit einer Anordnung einer Maßregel einhergehenden Rechtsguts- und Persönlichkeitsbeeinträchtigungen. Dabei sind Wert und Würde des Menschen im vollen Umfang zu berücksichtigen, um den einzelnen nicht zu einem bloßen Objekt staatlichen Zugriffs herabzustufen. Im Interesse des öffentlichen Anliegens der Verbrechensbekämpfung darf die Persönlichkeit des Straffälligen nicht aufgeopfert werden 1I5 . Je höher daher die Rechtsordnung den So Roxin, AT, § 3, Rdn. 60. Siehe BVerfGE 23, 127, 133; 57, 250, 270; 59, 275, 278; Roxin, AT, § 3, Rdn. 60; Görisch, JuS 1997,988,991; Jarass I Pieroth-Jarass, Art. 20, Rdn. 56; andere leiten den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit direkt aus den Grundrechten ab: siehe von Münch I KunigSchnapp, Art. 20, Rdn. 27; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 350 ff. 112 So Görisch, JuS 1997,988,991; vgl. auch Jarass I Pieroth-Jarass, Art. 20, Rdn. 61. 113 Einen von der Notwehr ausgehenden Ansatz entwickelt Sax, S. 960, 965 f. Er betrachtet die Maßregeln unter dem notwehrrechtlichen Gesichtspunkt der erforderlichen Sozialverteidigung gegenüber rechtswidrigen Angriffen durch verbrecherisches Verhalten. Dagegen W. Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 367 mit dem Argument, irgendwann zu erwartende Straftaten und ein gegenwärtiger Angriff seien reichlich verschiedene Dinge; skeptisch auch Nowakowski, FS für Hellmuth von Weber, 1963, S. 98, 108 f. und Schroth, FS für Horst Schüler-Springorum, 1993, S. 595, 601. 114 Siehe Nowakowski, FS für Hellmuth von Weber, 1963, S. 98, 104; vgl. hierzu etwa die Tagebuchentscheidung in BVerfGE 80, 367, 373. 115 Vgl. BGHSt. 5, 332, 334 (Lügendetektor). 110

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Persönlichkeits wert achtet, um so enger wird der Kreis der Gefahren zu ziehen sein, gegen den vorbeugende Maßregeln in Betracht kommen. Die Rechtfertigung der Maßregeln aus dem Prinzip des überwiegenden Interesses macht deutlich, daß das von einer Maßregel betroffene Individuum nicht Objekt staatlich verfolgter Zweckmäßigkeit im Dienste der Allgemeinheit zur Straftatenvorbeugung ist. Auch im Maßregelrecht ist der einzelne als individuelle Persönlichkeit unter Wahrung seiner Menschenwürde zu achten und zu behandeln.

VI. Tendenz zur Einspurigkeit? In der gesetzlichen Ausgestaltung des heute geltenden StGB ist das System der Zweispurigkeit der Rechtsfolgen verankert. Dennoch stellt sich die Frage, ob Strafen und Maßregeln in ihren Voraussetzungen und Zielsetzungen, in Vollstreckung und Vollzug nicht die Tendenz zur Einspurigkeit aufweisen, ob sich Strafe und Maßregeln in Theorie und Praxis nicht inhaltlich nivellieren.

1. Wirkungseinheit von Strafe und Maßregel

Der Grundsatz der Zweispurigkeit zeigt sich an dem jeweiligen Anknüpfungspunkt der Sanktionsart. Die Strafe orientiert sich an der Schuld des Täters, die Maßregeln setzen an der Sozialgefährlichkeit des einzelnen Straftäters an. Diese Differenzierung machen zwei Entscheidungen des BGH deutlich: In dem BGHSt. 20, 264 zugrundeliegenden Fall aus dem Jahr 1965 sah das vorinstanzliche Landgericht Kassel in seinem Urteil davon ab, den vermindert Zurechnungsfähigen in die damalige Heil- oder Pflegeanstalt einzuweisen, und gab an, daß der Unterbringungszweck zugleich mit der Strafe zu erreichen sei; die im konkreten Fall verhängte Gesamtstrafe stünde im engen Zusammenhang mit dem Sicherungsgedanken nach § 42 b StGB, so das Landgericht nach den Mitteilungen des BGH. Hierzu führt der BGH aus, daß das Landgericht bei der Bemessung der zu verhängenden Strafe das entscheidende Gewicht nicht dem Gedanken der Sicherung beilegen durfte. Diesem diene bei einem vermindert Zurechnungsfähigen die in § 42 b StGB vorgesehene Sicherungsmaßregel. Dieser Präventionszweck dürfe nicht zu einer Überschreitung der schuldangemessenen Strafe führen. Die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt sei anzuordnen, wenn die Sicherheit der Allgemeinheit dies erfordere. Die Bedeutung der Zweispurigkeit zeigt auch BGHSt. 24, 132 aus dem Jahr 1971, dessen Leitsatz lautet, daß die Anordnung einer Maßregel nicht zur Unterschreitung der schuldangemessenen Strafe führen dürfe. In dem vorinstanzlichen Urteil des Landgerichts Heilbronn war gegen den Angeklagten als gefährlichen Gewohnheitsverbrecher die Sicherungsverwahrung angeordnet worden, wobei das Gericht unter diesem Aspekt die daneben angeordnete Freiheitsstrafe nied-

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riger festgesetzt hatte, da das Landgericht glaubte, einen Teil der an sich verwirkten Strafe durch die Sicherungsverwahrung ersetzen zu können. Hier stellt der BGH klar, daß innerhalb des Spielraums der schuldangemessenen Strafe andere Strafzwecke berücksichtigt werden könnten. Das dürfe aber weder zur Über- noch zur Unterschreitung einer schuldangemessenen Strafe führen, da sich die Strafe von der Aufgabe als gerechter Schuldausgleich auch neben der Anordnung einer Maßregel nicht lösen lasse. Der BGH betont, daß klar zwischen den Aufgaben der Strafe und der Maßregel zu unterscheiden ist. Strafe und Maßregel hätten verschiedene sachliche Anknüpfungspunkte. Der BGH ist es aber auch, der auf eine diesen Grundsätzen scheinbar widersprechende Praxis hinweist. Diese zeige, daß häufig auf eine mildere Strafe erkannt werde, wenn gleichzeitig mit der Strafe eine Unterbringung angeordnet wird" 6 . Das eröffnet mit dem Problem einer "Wechselwirkung" die Frage, ob und wie sich mehrere gleichzeitig verhängte Sanktionen gegenseitig beeinflußen. Für den schuldbezogenen Strafenbereich ist eine solche Wirkung anerkannt. Die Aufteilung der Gesamtreaktion in Freiheitsstrafe und zusätzlicher Geld- oder Vermögensstrafe darf zu einer Verminderung der verwirkten Freiheitsstrafe führen 117. Beide Sanktionen zusammen dürfen das Höchstmaß der schuldangemessenen Strafe nicht überschreiten. Im Verhältnis von Strafe und Maßregel steht der BGH einer Wechselwirkung ablehnend gegenüber. Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung sollen seiner Ansicht" 8 nach unabhängig voneinander bemessen und verhängt werden. Eine Wechselwirkung, erkennt man sie aber an, kann zum einen dazu führen, daß die gleichzeitige Anordnung einer Maßregel einen strafmildernden Einfluß hat. Zum anderen kann das Unterlassen einer angezeigten Maßregelanordnung den Tatrichter veranlassen, eine höhere Strafe anzuordnen, um dadurch eine Sicherungs wirkung zu erzielen 119. Das System der Zweispurigkeit der Rechtsfolgen spricht an sich gegen eine wechselseitige Beeinflußung auf der Anordnungsebene. Bei den Erwägungen über die Höhe der schuldangemessenen Strafe soll der Tatrichter sich nicht von dem Gedanken an die Maßregel leiten lassen l2o . Wenn die täterbezogenen Maßregeln die Gefährlichkeit des Täters bekämpfen und damit die spezialpräventive Funktion übernehmen sollen, die mit der schuldorientierten Strafe nicht zu erreichen ist, dürfte eine spezial präventive Maßregelanordnung grundsätzlich keine Auswirkung 116 So BGHSt. 38, 362, 365; 37, 5,10; 28, 327, 330; ebenso BayObLG JR 1996,79,80: in allen Fällen ging es um eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Siehe auch Schmidt, MDR 1993, 199,205 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BGH in Fußnote 79. 117 Siehe BGHSt. 32, 60, 66 f. für die Geldstrafe nach § 41 StGB und BGHSt. 41, 20, 26 f. wie auch BGHSt. 41, 278, 279 f. für die zusätzliche Vennögensstrafe. 118 BGHSt. 38, 362, 365. 119 Dies zeigt BGH MDR 1973,727,728: der BGH beanstandet, daß der Tatrichter bei der Strafbemessung nicht von der Regel des § I3 StGB (a. E) ausgegangen ist, sondern die Strafe deshalb erhöht hat, da er keine Unterbringung nach § 42 e StGB (a. E) anordnen durfte. 120 Vgl. Hennke, GA 1956,41,45 f. zur Sicherungsverwahrung.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

auf die Festsetzung der schuldangemessenen Strafhöhe haben. Eine nähere Betrachtung läßt jedoch eine Wechselwirkung annehmen. Im Rahmen des Schuldangemessenen werden bei der Festsetzung der Strafe präventive Gesichtspunkte mitberiicksichtigt. Die Strafe kann im Einzelfall aus spezialpräventiven Griinden an die Grenze des noch Schuldangemessenen nach oben hin ausgeschöpft werden. Wird nunmehr aus individualpräventiven Griinden zur Gefahrenabwehr eine Maßregel angeordnet, kann die tatbezogene Strafe von ihrer spezialpräventiven Funktion entlastet werden. Die Strafe wird in ihrer Funktion weitgehend auf den Ausgleich der verletzten Rechtsordnung reduziert. Wenn die Aufgabe der Spezialprävention durch Besserung oder Sicherung von der Maßregel übernommen wird, ist die Verhängung einer schon schuldangemessenen Strafe ausreichend. Insoweit stünde einer strafmildernden Beeinflußung durch eine gleichzeitige Maßregelanordnung nichts entgegen. Für den umgekehrten Fall, daß eine Maßregelanordnung unterlassen wird, müßte die Strafe im Rahmen des Schuldrahmens die bessernde und sichernde Aufgabe der Spezialprävention selbst übernehmen. Es ist Bruns l2l , der mit Recht eine Wechselwirkung auf der Präventionsebene feststellt. Das gemeinsame Bindeglied zwischen Strafe und Maßregel ist der Präventionszweck beider Sanktionen. Als ein anerkannter Strafzumessungsaspekt gilt die negative Seite der Spezialprävention, die Sicherung der Allgemeinheit vor dem Täter 122 . Wenn diese Sicherungsfunktion aber von der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder dem Berufsverbot 123 übernommen wird, kommt dieser strafschärfende Umstand bei der Strafzumessung nicht mehr in Betracht 124 . Gleiches hat für die positive Seite der Spezialprävention, für die Besserung des Täters zu gelten. Die aufgezeigte Wechselwirkung von Strafe und Maßregel auf der Präventionsebene ist nachvollziehbar. Einen anderen Aspekt ergibt die Frage, ob man den Maßregeln eine nebenstrafartige Wirkung zuschreiben kann, die auch auf der Repressionsebene im Schuldausgleich eine Wechselwirkung in der Strafzumessung erlaubt. Die Maßregeln knüpfen in ihrer spezialpräventiven Funktion an die Gefährlichkeit an und sind in ihrer Anordnung schuldunabhängig; es fehlt demzufolge auf der Repressionsebene an einem die beiden Sanktionen verbindenden Gesamtnenner 125 . Da insbesondere der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis ein nebenstrafartiger Charakter 126 zugeschrieben wird, wird diese Frage dort erörtert.

121 Strafzumessungsrecht, S. 224 f; ders., Das Recht der Strafzumessung, S. 85 ff.; ebenso Zipf, Die Strafzumessung, S. 62. 122 So BGHSt. 20, 264, 267; ebenso LK-Gribbohm, Rdn. 28 zu § 46. 123 Siehe zur strafmildernden Berücksichtigung eines Berufsverbots bei der Strafbemessung BGH wistra 1990,98,99. 124 Siehe dazu LK-Gribbohm, Rdn. 28 f. zu § 46. 125 Siehe skeptisch Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 225 ff.; ders., Das Recht der Strafzumessung; S. 86 f. Gribbohm in LK, Rdn. 26 b, 29 zu § 46 meint, daß eine Maßregel die Strafempfindlichkeit beeinflußen könnte und daher eine strafmildernde Wirkung habe. 126 Siehe OLG Stuttgart NJW 1968, 1792, 1793; OLG Frankfurt NJW 1968, 1793, 1794; ebenso Lienen, NJW 1960, 1507, 1508.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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Wenn im Grundsatz zutreffend anerkannt 127 wird, daß eine Maßregelanordnung mit einer daneben verhängten Strafe abzustimmen ist, stellen sich einer solchen Strafhöhenbeeinflußung nichtsdestotrotz Grenzen und Bedenken entgegen. Der Wirkungseinheit von Strafe und Maßregel ist darin eine strenge Grenze zu setzen, daß die schuldangemessene Strafe aus Präventionsgründen nicht über- oder unterschritten werden darf. Der in der Gefährlichkeit des Taters begründete Gesichtspunkt der Sicherung der Allgemeinheit vor künftigen Straftaten ist den Maßregeln vorbehalten. Es ist zwischen den Aufgaben der Strafe und denen der Maßregeln zu unterscheiden. Es gilt, daß Übermaßstrafen nicht durch den Sicherungszweck gerechtfertigt, zu milde Strafen nicht durch Maßregeln ausgeglichen werden können 128. Wer der Strafe zutreffenderweise auch einen Vergeltungs gedanken als Schuldausgleich zugrundelegt, der betont die Unterschiedlichkeit zwischen Strafe und Maßregeln. Wahrend letztere zur Gefahrenabwehr allein individualpräventive Ziele verfolgen, bildet die Individualprävention im Schuldrahmen der Strafe nur eines von mehreren Zielen. Zweck der Maßregeln ist die Verhinderung weiterer Straftaten, die von einer bestimmten Person zukünftig drohen, sonstige Zwecksetzungen wie die Einwirkung auf die Allgemeinheit, die Wiederherstellung des Rechtsfriedens oder Schuldausgleich werden durch Maßregeln nicht verfolgt 129 • Darin zeigt sich ihre dogmatische Verschiedenartigkeit zur Strafe als Sanktion, was die Begründung einer Wechselwirkung erschwert. Im übrigen ergeben sich aus der inhaltlichen Ausgestaltung des Maßregelrechts Bedenken gegen eine Wechselwirkung, die sich maßgeblich bei den freiheitsentziehenden Maßregeln offenbaren. Eine strafmildernde Wirkung der Maßregelanordnung wird insbesondere vermutet, wenn ein teilweiser Vorwegvollzug der Strafe gemäß § 67 Abs. 2 StGB in Betracht kommt 130 . Ebenso kann nach dem Gesagten unabhängig davon aus Präventionsgründen die Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel neben einer Strafe mildernde Einflüße haben. Wenn man in der Unterbringung eine zu berücksichtigende Zusatzbelastung des Taters sieht, kann es trotzdem zu krassen Ungerechtigkeiten kommen 13 1: Wenn die für eine Strafmilderung verwertete Unterbringung nicht vollstreckt wird, da sie zur Bewährung ausgesetzt wird (§§ 67 b, 67 c StGB), ergibt sich ein Vorteil für den Angeklagten. Wenn dagegen die Maßregelanordnung vom Tatrichter bei der Strafbemessung unberücksichtigt geblieben war, da sie unmittelbar mit ihrer Anordnung zur Bewährung (§ 67 b StGB) ausgesetzt wurde, ergibt sich bei einem späteren Widerruf (§ 67 g StGB) ein Nachteil für den Betroffenen. Die aufgezeigten Unwäg127 So auch LK-Hanack, Rdn. 16 Vor §§ 61 ff.; LK-Horstkotte, 10. Aufl., Rdn. 99 zu § 67 b; SK-StGB-Hom, Rdn. 140 zu § 46 jedenfalls für das Berufsverbot und die Entziehung der Fahrerlaubnis; Günther, IZ 1989, 1025, 1030; Loos, IR 1996, 80; Terhorst, IR 1989, 184, 186. 128 So Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 224. 129 Vgl. W. Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 358. 130 So BGH StV 1985, 10 f; BGH StV 1994,80; siehe auch Theune, StV 1985, 162, 163. 131 Siehe SK-StGB-Hom, Rdn. 140 zu § 46.

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I. Teil: Allgemeine Grundlagen

barkeiten einer strafmildernden Zusatzbelastung durch den Maßregelvollzug lassen eine summarische Kompensation als zweifelhaft erscheinen. Eine strafmildernde Unterbringungsanordnung nach den §§ 63 und 64 StGB unterliegt darüber hinaus einem zweiten Kritikpunkt. Tolksdor/32 weist darauf hin, daß das Gesetz selbst mit dem Vikariieren das Nebeneinander von Strafe und Maßregel in diesem Bereich löst. Danach ist für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt der Vorwegvollzug vor der Strafe der Regelfall und nach § 67 Abs. 4 StGB wird der Maßregelvollzug weitgehend auf die Strafe angerechnet. Tolksdorf erblickt in einer zusätzlichen strafmildernden Berücksichtigung einer Maßregel der §§ 63 und 64 StGB eine nicht gerechtfertigte Doppelbegünstigung des Taters. Die Anordnung dieser beiden Maßregeln ist für ihn kein zulässiger Strafzumessungsgesichtspunkt. Nach alldem erscheint eine Wirkungseinheit von Strafe und Maßregel nur in engen Grenzen möglich. Strafe und Maßregel werden, darin ist Bruns l33 zuzustimmen, nur relativ selten auf einen Generalnenner zu bringen sein. Zu beachten ist mit einem Blick auf das strafprozessuale Verschlechterungsverbot ein weiteres. Unabhängig von den Ansichten, ob und in welchem Umfang eine Wirkungseinheit zwischen Strafe und Maßregel besteht, stellt sich für das Verbot der reformatio in peius eine davon strikt unterscheidbare Frage l34 . In diesem Bereich ist zu klären, ob im Rechtsmittelverfahren bei Wegfall einer angeordneten Maßregel die daneben verhängte Strafe erhöht werden darf, um den etwaigen Strafmilderungseffekt auszugleichen. Die Antwort ist davon abhängig, nach welchen Maßstäben ein "Nachteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen" zu bestimmen ist.

2. Gegenläufige Entwicklungen Neben dem im System der Zweispurigkeit angelegten Wesensunterschied zwischen der Strafe und der Maßregel lassen sich auch andere Differenzierungen erkennen. Einen wesensmäßigen Unterschied zwischen den Sanktionen darin zu sehen, daß in der Strafe ein sozialethischer Vorwurf wegen der begangenen Tat liegt, dies aber im Maßregelbereich nicht der Fall ist, da dort dem anders gelagerten Gefährlichkeitszustand des Täters begegnet wird und in der Maßregelanordnung gerade kein beabsichtigter Vorwurf für die begangene Tat gegeben ist 135 , ist nicht unum132 FS für Walter Stree und Johannes WesseIs, 1993, S. 753, 755 f. In diesem Sinne ist auch Marquardt, S. 160 zu verstehen, wenn er durch die Geltung des Vikariierungsprinzps die Notwendigkeit verneint, das Schuldmaß aus Resozialisierungsgründen zu unterschreiten. 133 Das Recht der Strafzumessung, S. 87 f. 134 Vgl. den Hinweis bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 228. 135 So W. Frisch, ZStW 102 (1990), 343, 361 f; Bockelmann/Volk, § 43 I. 1.; Welzel, Strafrecht, § 32 (5. 238 ff.); Exner, Die Theorie der 5icherungsmiuel, S. 229 nennt die

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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stritten. Die Annahme, der Tadel werde nur durch die Strafe zum Ausdruck gebracht, soll der Lebenswirklichkeit widerstreiten 136, da in der Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis, im Berufsverbot und gerade in der Sicherungsverwahrung sowohl von der Allgemeinheit als auch vom Täter ein Vorwurf gesehen wird. Jedoch ist ein Unterschied zwischen der objektiv beabsichtigten Zwecksetzung und dem subjektiven Empfinden des Betroffenen in einer Sanktionierung zu machen. Es sei zudem auf § 2 Abs. 6 StGB verwiesen, der besagt, daß das Rückwirkungsverbot bei Maßregeln im Gegensatz zu Strafen grundsätzlich nicht gilt. Darin soll kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2. GG liegen 137. Die Strafjustiz soll im Interesse der Gefahrenabwehr auf dem Gebiet des Maßregelrechts über das zur Zeit der Entscheidung zweckmäßigste Mittel gegen den gefährlichen Täter verfügen dürfen. Darin zeigt sich auch eine notwendige Unterschiedlichkeit zwischen Strafe und Maßregeln in ihrer Zwecksetzung und Wesensart. Dennoch ist zuzugeben, daß sich die beiden unterschiedlichen Sanktionen in einzelnen Punkten angleichen und insoweit austauschbar erscheinen. Die Strafe hat einen erheblichen spezialpräventiven Aspekt, was besonders für den Strafzumessungsvorgang § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB zeigt, und nähert sich dadurch der individualpräventiven Maßregel an. Deutlich wird diese Tendenz auch durch die Möglichkeit der Aussetzung der Strafe zur Bewährung nach den §§ 56 ff. StGB 138, die spezialpräventiv zu erklären ist. In § 67 StGB zeigt sich gleichermaßen eine Angleichung beider Sanktionsarten. Dort ist das Vikariieren geregelt, wonach die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die in einem psychiatrischen Krankenhaus in der Regel vor der Freiheitsstrafe unter grundsätzlicher Anrechnung des Maßregel vollzugs auf den Strafvollzug vollzogen wird. Hierin zeigt sich eine Sicherungsmittel ethisch farblos, während die Strafe mit einer Mißbilligung für Tat und Täter verbunden sei. 136 So Roxin, AT, § 3, Rdn. 62. 137 Vgl. BGHSt. 24, 103, 106; ebenso Tröndle, Rdn. 4 zu § I, Rdn. 15 zu § 2; Stree, Deliktsfolgen, S. 33 ff.; Kulemeier, S. 140; kritisch: Roxin, AT, § 5, Rdn. 56; BaumannfWeberf Mitsch, Strafrecht, § 9, Rdn. 54; W. Frisch, ZStW 94 (1982) 565, 587 f. Für eine Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG im Maßregelrecht Jung, FS für Rudolf Wassermann, 1985, S. 875, insb. S. 884 ff., der das Sanktionensystem als ein Verbundsystem von Strafen und Maßregeln ansieht und wegen der nötigen Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der staatlichen Machtausübung eine Anwendung als verfassungsrechtlicher Garant der Begrenzung staatlicher Straf- oder Maßregelgewalt bejaht. Im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG kritisch auch NKBöllinger, Rdn. 49 zu § 61 wegen der tatsächlich übelszufügenden Komponenten der Maßregeln. Auch Nowakowski, FS für Hellmuth von Weber, 1963, S. 98, 118 ff. erhebt aus rechtsstaatlichen Gründen die Forderung nach Geltung des Rückwirkungsverbots für vorbeugende Maßnahmen. 138 Deren Rechtsnatur ist umstritten, siehe Sch.f Sch.f Stree, Rdn. 4 zu § 56 m. w. N. zu dieser Frage: zum einen wird die Aussetzung als Modifikation der Freiheitsstrafe, und zwar ihrer Vollstreckung angesehen (vgl. BGHSt. 7, 180, 184; Stree, a. a. 0.), zum anderen als ein Rechtsinstitut eigener Art (siehe SK-StGB-Hom, Rdn. 2 zu § 56). 4 Kretschmer

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

grundsätzliche Gleichwertigkeit der Sanktionen. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dagegen ist dem Vikariieren nicht zugänglich, was präventive Gründe hat I39 • Während die Strafe nach § 2 StVollzG in erster Linie spezialpräventiv zu vollziehen ist, gilt dieser § 2 nach § 129 StVollzG ausdrücklich nicht im Fall der Sicherungsverwahrung. Der Schwerpunkt der Sicherungsverwahrung liegt in der sichernden Verwahrung des Betroffenen, wobei nach § 130 StVollzG der Vollzug der Sicherungsverwahrung dem Vollzug der Strafe im Ablauf weitgehend angeglichen ist. Strafvollzug und Vollzug der Sicherungsverwahrung lassen sich im tatsächlichen Vollzug nicht eindeutig voneinander unterscheiden. Ein Umstand, der besonders an dieser Stelle den Vorwurf des "Etikettenschwindels" hervorgerufen hat 140. Was die freiheitsentziehenden Sicherungsmaßregeln angeht, insbesondere die Sicherungsverwahrung, kann mit Welzel 141 von einer Einspurigkeit des Vollzugs gesprochen werden. Als historische Reminiszenz sei auf die Zeit zurückgeblickt, in der die Maßregeln noch nicht gesetzlich verankert waren. Beleuchtet werden soll das Verhältnis der Verwahrungs anstalt für gemeingefährliche Verbrecher zu der damaligen Kerkerstrafe bzw. dem Zuchthaus. Dabei wird offensichtlich, daß obige Problematik so neu nicht ist. Anhand der österreichischen Bestimmungen, die damals im deutschsprachigen Raum einzig den Vollzug in der Verwahrung und im Kerker in einem Entwurf geregelt hatten, stellt Exner 142 die Frage der Vergleichbarkeit von Verwahrung und Kerker- bzw. Zuchthausstrafe. Zutreffend stellt er klar, daß dem Vollzug in der Unterscheidung zwischen der Verwahrungsanstalt als Schutzmittel und der Kerkerstrafe als Freiheitsstrafe entscheidende Bedeutung zukommt. In einer Gegenüberstellung von Vollzugsregelungen der damaligen Zeit gelangt Exner zu dem Ergebnis, daß beide sich in keinem einzigen Punkt von Bedeutung unterscheiden. Danach bestehe kein inhaltlicher Gegensatz zwischen Strafe und Schutzmittel. Exner fordert dann, daß der Vollzug der Verwahrung so zu gestalten sei, daß er sich von der Zuchthaus strafe wesentlich, d. h. für das Individuum empfindlich und für die Allgemeinheit erkennbar, unterscheide. Den Verwahrten solle nur jenes Übel treffen, das zur Erreichung des Haftzwecks unbedingt nötig sei, der bei der Verwahrung als Schutzmittel in der Sicherung der Gesellschaft liege. Die Freiheitsentziehung im Rahmen eines Schutzmit139 Kritisch zu dieser Ausnahme in § 67 StGB äußern sich unter anderem Eisenberg, Strafe und freiheitsentziehende Massnahme, 1967, S. 30 und Jescheck/Weigend, § 9 11. 2. (S. 87 in Fußnote 17 mit Bezug auf das Schweizer StGB). 140 Vgl. Jescheck/Weigend, § 911. 2. (S. 87); Kaiser, Die Maßregeln in der Krise?, S. 34; Müller-Dietz, Grundfragen, S. 77. Der Begriff geht auf Kohlrausch, ZStW 44 (1924), 21, 33 zurück. Dieser zitiert in seinem Beitrag seinerseits einen Strafanstaltspraktiker namens Schwandner bezüglich der Unmöglichkeit, Strafe und Sicherungsnachhaft zu unterscheiden. 141 Welzel, Strafrecht, § 32 IV (S. 247). Aus dem Grundsatz des Vikariierens in § 67 StGB und auch aus § 9 StVollzG, der Vollzugslösung für die sozialtherapeutische Anstalt, folgt für Rudolf Schmitt, FS für Thomas Würtenberger, 1977, S. 277, 280 ff., daß im Bereich des Freiheitsentzugs die Zweispurigkeit nahezu beseitigt ist. 142 Die Theorie der SicherungsmiueI, 1914, S. 153 ff., speziell S. 157 ff.

1. Kap.: Das System der Zweispurigkeit

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tels solle im Gegensatz zur Strafe gerade keine Übelszufügung mehr sein. Im wesentlichen kritisiert Exner die Einführung der gleichartigen Arbeitspflicht eines jeden Verwahrten, wodurch die Verwahrung ein zuchthausmäßiges Gepräge erhalte 143. Seine Forderung lautet, den Unterschied im Vollzug zwischen Strafe und Maßregel, die überhaupt nicht Strafe sein soll, hervorzuheben. Das zeigt, daß das Problem der Angleichung freiheitsentziehender Sanktionen, insbesondere in bezug auf die Sicherungsverwahrung, so neu nicht ist. In der Frage des Arbeitszwanges läßt auch das heutige StVollzG von 1977 144 keinen wesentlichen Unterschied erkennen, wenn § 41, der die grundsätzliche Arbeitspflicht bestimmt, nach § 130 auch für den in der Sicherungsverwahrung Befindlichen gilt, wenngleich § 133 eine Erleichterung bringt. Das bisher Gesagte ergibt, daß sich Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung wechselseitig vermischen, wenn auch nicht in den spezifischen Voraussetzungen ihrer Anordnung, so doch in Punkten der Vollstreckung und des Vollzugs. Das System der reinen Zweispurigkeit, also die kumulative Anordnung und der kumulative Vollzug von Strafe und Maßregel, ist bei den freiheitsentziehenden Sanktionen in einem erheblichen Umfang insbesondere durch das Prinzip des Vikariierens nach § 67 StGB durchbrochen, da unter dieser Voraussetzung die Freiheitsstrafe in ihrer spezialpräventiven Wirkungsweise im Vollzug durch die Maßregel weitgehend vertreten wird. Der Eindruck einer Gleichwertigkeit mag auch in der Gesellschaft vorhanden sein. Die Entziehung der Fahrerlaubnis trägt in den betroffenen Bevölkerungskreisen sicherlich auch den Charakter eines sozialethischen Tadels als ein auferlegtes Übel und wird bei der Bedeutung des Kraftfahrzeugs im privaten und beruflichen Bereich mehr gefürchtet werden als die Geldstrafe. Die zeitlich unbestimmte Sicherungsverwahrung wird wahrscheinlich eher gefürchtet als die Freiheitsstrafe. Diese nivellierenden Tendenzen lassen Strafe und Maßregel als austauschbar erscheinen. Wenn der Artunterschied zwischen den beiden Sanktionen ausfällt, könnte sich eine nur begrenzte Einschränkung in ihrer Austauschbarkeit durch das Verbot der reformatio in peius ergeben. Auf dem Boden des geltenden StGB ist trotz alledem von einem System der Zweispurigkeit der Rechtsfolgen auszugehen, und es sollte beibehalten werden. Die Strafe als Sanktion vermag infolge ihrer Begrenzung aus dem verfassungs143 A. a. 0., S. 162. Später steht Exner anscheinend dem System der Zweispurigkeit aus Strafen und Sicherungsmitteln kritisch gegenüber. In der FG für Eduard Kohlrausch, 1944, S. 24 ff. fordert er den Übergang zur Einspurigkeit in die eine oder andere Richtung mit einer gegebenenfalls unbestimmten Verurteilung zur Zuchthaus strafe gegen Gewohnheitsverbrecher, mag damit das Maß der Schuld auch weit überschritten sein, und wirft den Anhängern der Zweispurigkeit einen Formalismus vor, vgl. a. a. 0., S. 38 ff., ebenso Fußnote 17 auf S. 42, dabei betont er im Ganzen den Schutzgedanken der Strafe. Diesen Beitrag zitiere ich nur mit Bedenken, da er seiner Zeit entsprechend vom nationalsozialistischen Gedankengut beherrscht ist. 144 BGBI. 1976 1,581.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

rechtlich begründeten Schuldgrundsatz nicht alle präventiven Interessen zu erreichen. Der Schuldgrundsatz aber ist ein notwendiges Element des liberalen Rechtsstaats. Die Schuld als Grundlage und als Grenze der Strafe ist ein unentbehrliches Stück Rechtssicherheit. Nur in Ausnahmefällen darf wegen einer besonderen Sozialgefährlichkeit des Individuums im Schutzinteresse der Gemeinschaft und in ihrem berechtigten Begehren, sich vorbeugend vor schwerwiegenden Taten zu schützen, diese Grenze übersprungen und zu Maßregeln der Besserung und Sicherung als Sanktion gegriffen werden. Deren Anordnung bedarf stets einer besonderen Legitimation. In einem einspurigen Maßregelrecht wäre dem Präventionsinteresse nur durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Begrenzung gesetzt. Im Gegensatz dazu stellt das Schuldprinzip für die Prävention einen stärker begrenzenden Effekt dar. Ein einspuriges Maßregelrecht würde weit stärkere Eingriffe in die Freiheit des einzelnen ermöglichen, als sie auf dem Boden des Schuldprinzips erlaubt sind. Roxin 145 spricht VOn der Gefahr eines "totalen Wohlfahrtsstaats", wenn mit der schuldorientierten Strafe ein wichtiges Stück Liberalität abgeschafft würde. Im Interesse der Freiheitswahrung und der Rechtssicherheit ist das zweispurige System der Sanktionen aus der am Schuldprinzip gebundenen Strafe und den ergänzenden Maßregeln der Besserung und Sicherung beizubehalten und in seinen Unterschieden zu achten. Mag sich auch im Fall der freiheitsentziehenden Sanktionen vornehmlich im Vollzug eine weitgehende Angleichung ergeben, so kann doch eine Sanktionierung außerhalb des Schuldgrundsatzes im Einzelfall nur ausnahmsweise berechtigt sein. Im Wege der aufgezeigten Güterabwägung müssen die Freiheitsrechte des einzelnen vor dem öffentlichen Interesse, schweren Straftaten mit hoher Begehungswahrscheinlichkeit vorzubeugen, zurücktreten. Wert und Würde des betroffenen Individuums sind stets und umfassend zu achten. Einzig in einem zweispurigen System bleiben die Rechte des einzelnen gewahrt und dies ist Voraussetzung und Ziel des freiheitlichen Rechtsstaats.

Zweites Kapitel

Das Verbot der reformatio in peius Im folgenden Abschnitt wird das strafprozessuale Institut des Verbots der reformatio in peius zwar immer mit Bezug auf das Maßregelrecht dargestellt, dabei werden aber auch über die Maßregeln hinausgreifende Probleme berührt. Der Begriff des "Nachteils" soll umfassend erarbeitet werden, und es soll versucht werden, die rechtsstaatliche Grundlage für das Institut der reformatio in peius wieder145 Roxin, AT, § 3, Rdn. 64. Arthur Kaufmann, FS für Rudolf Wassermann, 1985, S. 889, S. 895 schreibt, daß das, was mit dem Schuldgedanken geopfert wird, nichts Geringeres sei als die Freiheitlichkeit des Strafrechts; ebenso in JURA 1986,225,230.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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zubeleben. Wenn auch der Blick auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung in diesem Abschnitt nicht verloren gehen soll, bleibt die Erörterung von Einzelproblemen im Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots auf die Maßregeln dem zweiten Teil vorbehalten, in dem das System der Zweispurigkeit im Rechtsfolgensystem und das an dieser Stelle behandelte Verschlechterungsverbot in seinem systematischen Zusammenhang Verbindung findet.

I. Der Inhalt des Verschlechterungsverbots Für das Strafverfahren findet sich im geltenden Recht das Verschlechterungsverbot in den strafprozessualen Vorschriften des § 331 StPO für die Berufung, des § 358 Abs. 2 StPO für die Revision und des § 373 Abs. 2 StPO für die Wiederaufnahme des Verfahrens. § 411 Abs. 4 StPO bestimmt für die Entscheidung über den Einspruch gegen einen Strafbefehl, daß das Verbot der Schlechterstellung keine Geltung hat. Außerhalb des Kriminalstrafrechts findet sich das Verbot der reformatio in peius für den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts in § 72 Abs. 3 Satz 2 OWiG für das Beschlußverfahren und in § 79 Abs. 3 OWiG i. V. mit § 358 Abs. 2 StPO für die Rechtsbeschwerde 1, dagegen hat das Verbot im Urteilsverfahren keine Geltung, wie der Verweisung des § 71 Abs. 1 OWiG auf § 411 Abs. 4 StPO zu entnehmen ist. Der Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts soll jedoch in Konzentration auf das strafrechtliche und strafprozessuale Gebiet nicht weiter verfolgt werden. "Das Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Berufung eingelegt hat." Mit diesem Wortlaut ist das Verbot der reformatio in peius in § 331 Abs. 1 StPO für die Berufung bestimmt. Die Vorschriften für die Revision und die Wiederaufnahme des Verfahrens enthalten in ihren §§ 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO eine ihrem Verfahrens abschnitt entsprechende Fassung. Das Verbot der Schlechtersteilung greift bei den Rechtsmitteln der Berufung und Revision bzw. bei dem Rechtsbehelf der Wiederaufnahme 2 zugunsten des Angeklagten, unabhängig davon, wer der Rechtsmittelführer ist. Das kann der Angeklagte selbst sein, die Staatsanwaltschaft, der diese Befugnis nach § 296 Abs. 2 StPO eingeräumt ist, oder der gesetzliche Vertreter des Angeklagten (§ 298 StPO). In Betracht kommt auch ein Rechtsmittel des Verteidigers (§ 297 StPO). Ebenso wie der gesetzliche Vertreter ein eige1 Zum Verschlechterungsverbot im Bußgeldverfahren bei einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 Satz I OWiG siehe OLG Oldenburg NStZ 1997,397. 2 Im folgenden wird in Konzentration auf Berufung und Revision weitgehend nur noch von Rechtsmitteln die Rede sein und die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 359 ff. StPO) als Rechtbehe1f eigener Art nicht mehr gesondert erwähnt werden.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

nes Recht zur Rechtsmitteleinlegung hat, steht auch dem Erziehungsberechtigten ein solches zu (§ 67 Abs. 3 JGG). Während die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel zuungunsten oder zugunsten des Angeklagten einlegen kann, können der gesetzliche Vertreter und der Erziehungsberechtigte dieses Recht allein zugunsten des Angeklagten gebrauchen, da ihnen dieses nur in dessen Interesse zusteht 3 . Allein zugunsten des Angeklagten wirkt auch die Rechtsmitteleinlegung des Verteidigers. Das Verbot der reformatio in peius hat dagegen keine Bedeutung bei einem Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten. Als staatliches Rechtspflegeorgan kann die Staatsanwaltschaft in beide Richtungen tätig werden, während von Seiten des Privatklägers und des Nebenklägers ein Rechtsmittel nach den §§ 390,400,401 StPO nur zuungunsten des Angeklagten eingelegt werden kann 4 . Das Verschlechterungsverbot will es dem Angeklagten, auf dessen Sicht sich die vorliegende Arbeit konzentriert, ermöglichen, gegen ein von ihm als zu hart oder ungerecht empfundenes Urteil von den ihm zustehenden Rechtsmitteln und -behelfen Gebrauch zu machen, ohne das Risiko eingehen zu müssen, daß sein Rechtsmittel oder -behelf nicht nur als unbegründet zurückgewiesen wird, sondern darüber hinaus auch noch eine Verschärfung der Rechtsfolgen in deren Art oder Höhe eintritt. Das zur Entscheidung berufene Gericht ist im Grundsatz immer dann an das Verbot der reformatio in peius gebunden, wenn es zur neuerlichen Entscheidung über dieselbe Tat allein aus dem Grund kommt, daß der Angeklagte oder zugunsten seiner die Staatsanwaltschaft bzw. ein anderer Rechtsmitte1berechtigter gegen ein Urteil vorgegangen ist. Das Verschlechterungsverbot soll dem Angeklagten die Freiheit in der Entschlußsituation bewahren, entweder das Urteil hinzunehmen oder aber ohne Risiko einer nachteiligen Veränderung dagegen vorzugehen 5 . Es wird noch zu zeigen sein, daß der neue Urteilsspruch im Vergleich zum angefochtenen Urteil sowohl im Schuldspruch als auch im Rechtsfolgenausspruch nicht zwingend gleichbleibend sein muß. Hier setzt die Bedeutung der Formulierung "in Art und Höhe der Rechtsfolgen" in den entsprechenden Vorschriften der StPO an. Bedeutsam für den Anwendungsbereich und Umfang des Verschlechterungsverbots ist die Erhaltung der Entschlußfreiheit auf Seiten des Angeklagten. Das Verbot ist insoweit ein "prozessuales Schutzrecht,,6, das etwaige einlegungshemmende Wirkungen verhindern soll. Der Entscheidung des Angeklagten liegt eine psychologische Zwangssituation zugrunde, in der er zu entscheiden hat, ob er das Urteil hinnehmen und erdulden oder ob er von dem ihm zustehenden Rechtsmittel mit der Besorgnis Gebrauch machen soll, einen Nachteil zu erleiden. Das Verbot der reformatio in peius gewährt dem Angeklagten einen Ausweg aus diesem Dilemma,

3 Vgl. LR-Gollwitzer, Rdn. 1,3 zu § 298; KK-Ruß, Rdn. 5, 6 zu § 298; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 1 zu § 298. 4 Vgl. KleinknechtiMeyer-Goßner, Rdn. 8 zu § 296; LR-Gollwitzer, Rdn. 36 zu § 296. 5 Siehe BGHSt. 7, 86, 87; 27, 176, 178;.29,269,270; LR-Gollwitzer, Rdn. 1 zu § 331; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 1 zu § 331; Frisch, JA 1974,91,92. 6 Grethlein, S. 29.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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indem jener darauf vertrauen kann, daß er seine Situation durch eine Rechtsrnitteleinlegung nicht nachteilig verändert.

11. Die historische Entwicklung Vorab soll ein kurzer historischer Überblick über die gesetzliche Entwicklung des Verschlechterungsverbots seit der RStPO von 1877 gegeben werden, da sich im Laufe der gesetzlichen Veränderungen bis zum heutigen Wortlaut der Vorschriften einige Streitpunkte erklären und auflösen lassen. In der RStPO vom 1. 2. 1877 7 hatten die das Verschlechterungsverbot regelnden Vorschriften folgenden Wortlaut: § 372: War das Urtheil nur von dem Angeklagten oder zu Gunsten desselben von der Staatsanwaltschaft oder von einer der im § 340 bezeichneten Personen angefochten worden, so darf das Urtheil nicht zum Nachteile des Angeklagten abgeändert werden.

§ 398 Abs. 2: War das Urtheil nur von dem Angeklagten oder zu Gunsten desselben von der Staatsanwaltschaft oder von einer der im § 340 bezeichneten Personen angefochten worden, so darf das neue Urtheil eine härtere Strafe als die in dem ersteren erkannte nicht verhängen. § 413 Abs. 2: Ist die Wiederaufnahme der Verfahrens nur von dem Verurtheilten oder zu Gunsten desselben von der Staatsanwaltschaft oder von einer der im § 340 bezeichneten Personen beantragt worden, so darf das neue Urtheil eine härtere Strafe als die in dem früheren erkannte nicht verhängen. § 372 regelte den Fall der Berufung, § 398 den der Revision, § 413 den der Wiederaufnahme des Verfahrens.

Schon bald wurde heftige Kritik an dem Institut des Verbots der reformatio in peius geäußert. Beispielhaft spricht Graf zu Dohna 8 von dem "durch und durch unmoralische(n) Verbot der reformatio in pejus, das den Verurtheilten vor verdienter härterer Strafe schütze, solange nicht der Ankläger die Annulierung fordere". Gleichlautende Vorschriften zum Verschlechterungsverbot fanden sich in der Bekanntmachung der StPO von 19249 , in der die vormaligen §§ 372, 398 und 413 zu den entsprechenden §§ 331, 358 und 373 StPO wurden. RGBI. 1877,253. Graf zu Dohna, Berufung in Strafsachen?, 1911, S. 7: eine lesenswerte "Kampfschrift" gegen die Berufung an sich. Siehe auch Lauckner, Zur Geschichte und Dogmatik der reformatio in peius, 1913, S. 86 ff. Dieser nennt das Verbot absolut unhaltbar in seiner Durchbrechung der objektiven Gerechtigkeit und hofft auf Beseitigung des Verbots im Interesse der Erforschung der materiellen Wahrheit. Weitere Hinweise auf das ältere Schrifttum bezüglich des Verbots finden sich bei LG Halle Neue Justiz 1948,233,236 und Gerhardt, S. 2 in Fußnote 4. 9 RGBI. 1924 I, 299, 322, 355 (§ 331), 358 (§ 358), 360 (§ 373). 7

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

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Mit der Einführung der Maßregeln durch das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. 11. 1933 wurde mit dem Ausführungsgesetz desselben Tages (RGB1.1933 I, 1000, 1002 f) in die Vorschriften zum Verschlechterungsverbot als jeweilige Ausnahmeregelung aufgenommen, daß die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und die in einer Trinkerheil- oder Entziehungsanstalt vom Verschlechterungsverbot nicht betroffen sind: "Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt durch das Berufungsgericht nicht entgegen", heißt es beispielhaft für die Berufung in § 331 als Abs. 2. Das Verschlechterungsverbot wurde im Nationalsozialismus im "Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsgesetzes" vom 28. 6. 1935 10 abgeschafft. Der § 331 StPO erhielt damals folgende Fassung: "Auch wenn das Urteil nur von dem Angeklagten oder seinem gesetzlichen Vertreter oder zu seinen Gunsten von der Staatsanwaltschaft angefochten worden ist, kann es zum Nachteil des Angeklagten geändert werden." Die das Verschlechterungsverbot enthaltenen Vorschriften der StPO im Zusammenhang mit der Revision in § 358 Abs. 2 StPO und mit der Wiederaufnahme in § 373 Abs. 2 StPO wurden entsprechend abgefaßt. Nach 1945 war die rechtliche Situation bezüglich der Geltung des Verbots der reformatio in peius in den vier Besatzungszonen uneinheitlich. In der französischen Zone galt das Verschlechterungsverbot nicht, in der amerikanischen und in der britischen hatte es Geltung, während es in der sowjetischen Zone der Rechtsprechung überlassen war, ob das Verbot Anwendung fand 11. Die Wiedereinführung des Verbots der reformatio in peius erfolgte mit dem Vereinheitlichungsgesetz vom 12.9. 1950 12, das den Vorschriften folgende neue Formulierungen gab: § 331 StPO (I) Das Urteil darf in Art und Höhe der Strafe nicht zum Nachteil des Angeklagten geän-

dert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Berufung eingelegt hat. (2) Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen.

RGBI. 1935 I, 844, 845. Zu dieser Frage der Uneinheitlichkeit vergleiche wegen der Einzelheiten Schmidt, JR 1950, 193, 195; siehe auch LG Halle Neue Justiz 1948,233,234. In der sowjetischen Zone sprach sich das OLG Gera Neue Justiz 1947, 104 für das Verbot der reformatio in peius aus, während das LG Halle Neue Justiz 1948, 233 eine reformatio zuließ, und zwar als einziges Gericht, wie in einer Redaktionsanmerkung vermerkt ist. 12 BGBI. 1950 I, 455,629,663 (§ 331), 665 (§ 358), 667 (§ 373). 10

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2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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Gleichlautenden Inhalts entsprechend ihres Verfahrensabschnitts waren die Vorschriften zur Revision in § 358 Abs. 2 StPO und zur Wiederaufnahme des Verfahrens in § 373 Abs. 2 StPO. Aus dieser gleichlautenden Formulierung "Art und Höhe der Strafe" ergab sich ein Streit, der freilich schon anläßlich der früheren Vorschriften herrschte. Dieser Streit bezog sich darauf, welche strafrechtlichen Sanktionen von dem Verschlechterungsverbot erfaßt werden. Für die vorliegende Arbeit stellt sich die Frage, ob das Verbot der reformatio in peius sich auch auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung bezieht, die im System der Zweispurigkeit nicht als Strafen einzuordnen sind. Seit der Einführung eines Maßregelkatalogs mit § 42 a StGB (a. E) durch das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. ll. 1933 war es einhellige Meinung 13, daß das Verbot der reformatio in peius auch für die Maßregeln Geltung hat. Der BGH 14 sieht auch in der Fassung von 1950 die Maßregeln vom Verbot der Schlechterstellung erfaßt. Argumentiert wird mit den jeweiligen Ausnahmevorschriften. So heißt es in der Fassung von 1950 in § 331 Abs. 2 StPO: "Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen". Eine solche Ausnahme vom Verschlechterungsverbot enthalten die §§ 358 und 373 StPO in ihren zweiten Absätzen jeweils in Satz 2 ebenfalls. Eine derartige Ausnahmeregelung wäre nicht erforderlich, wenn die Maßregeln vom Geltungsbereich des Verschlechterungsverbots schlechthin ausgenommen gewesen wären. Der Begriff "Strafe" in den Vorschriften zum Verschlechterungsverbot wurde seit jeher weit ausgelegt. Mit der Bekanntmachung der Neufassung der Strafprozeßordnung vom 7. 1. 1975 15 haben die Vorschriften zum Verschlechterungsverbot einen neuen Wortlaut erhalten: § 331

(I) Das Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Berufung eingelegt hat. (2) Diese Vorschrift steht der Anordnung der Unterbringung in einern psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht entgegen.

Die entsprechenden §§ 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO bezüglich der Revision und der Wiederaufnahme des Verfahrens enthalten eine gleichlautende Regelung. 13 Siehe RG JW 1935, 2135; weitere Hinweise zum älteren Schrifttum bei Gerhardt, S. 54 ff. 14 BGHSt. 4, 157, 158; 5, 168, 178. Siehe auch Grethlein, S. 31; Ganske, S. 19-21; Frisch, MDR 1973,715,716 ff. 15 BGB!. 1975 I, 129, 179 (§ 331), 182 (§ 358), 184 (§ 373) in der Bekanntmachung der Neufassung der StPO.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Mit dem heute verwendeten Begriff "Rechtsfolgen" ist ein weiter Anwendungsbereich bezüglich der vom Verschlechterungsverbot erfaBten strafrechtlichen Sanktionen vorgegeben. Erfaßt werden Haupt- und Nebenstrafen, Maßregeln der Besserung und Sicherung und sonstige Nebenfolgen 16 . Dem Verschlechterungsverbot unterliegen weitgehend alle Unrechtsfolgen des Urteils ohne Rücksicht auf ihre Rechtsnatur. Dieser weite Anwendungsbereich entspricht dem Zweck des Verschlechterungsverbots, den Angeklagten bei der Entschließung darüber, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis zu beeinträchtigen, es könne ihm ein Nachteil in Form einer härteren Sanktionierung treffen. Der angesprochene Streit zum Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots ist damit überholt.

III. Die dogmatische Einordnung des Verschlechterungsverbots Das Verbot durchbricht das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit. Es widerspricht dem Grundsatz, die materielle Wahrheit im Strafverfahren im Gegensatz zur formellen Wahrheit des Zivilprozesses zu ergründen. Wenn das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius gleichsam eine zwingende Bindungswirkung für das zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene Gericht hat, ist zu klären, wie das Verschlechterungsverbot dogmatisch zu qualifizieren ist.

1. Die Rechtskraftlehre

Die Rechtskraft eines Urteils bedeutet Endgültigkeit und Maßgeblichkeit der gefällten Entscheidung. Die Rechtskraft im materiellen Sinne bezieht sich auf den Inhalt der Entscheidung und besagt, daB eine Tat, die bereits Gegenstand eines durch Sachurteil abgeschlossenen Verfahrens war, nicht noch einmal Gegenstand eines Strafverfahrens werden darf. Die materielle Rechtskraft beinhaltet eine sog. Sperrwirkung. Die materielle Rechtskraft ist Folge der formellen Rechtskraft, die eintritt, wenn das Urteil im selben Verfahren nicht mehr anfechtbar ist. Denkbar ist auch eine Teilrechtskraft, wenn das Urteil in zulässiger Weise zum Teil angefochten wird. Dem Verschlechterungsverbot wird teilweise die Wirkung einer Teilrechtskraftl? zugunsten des Angeklagten bzw. eine dieser ähnliche Wirkung 18 16 Vgl. LR-Gollwitzer, Rdn. 30 zu § 331; KMR-Paulus, Rdn. 22 ff., insb. 40 ff. zu § 331; Kadel, S. 8; KleinknechtlMeyer-Goßner, Rdn. 15 ff. zu § 331; Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 9, 23. 17 Aus der Rechtsprechung: RGSt. 67, 63, 64; 69, 76, 77; BGHSt. 11,319,322; BGH GA 1970, 84, 85; OLG Köln VRS 50 (1976), 97, 98. Aus dem Schrifttum: Erbs, StPO, 1950, Anm. I zu § 331; KK-Pikart, Rdn. 23 zu § 358; Drees, StV 1995,669.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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zugesprochen. Oetker 19 spricht von einer modifizierten Rechtskraft. Er differenziert zwischen der Rechtskraft im üblichen Sinn und der modifizierten Rechtskraft des Verschlechterungsverbots. Während die erste es im Verfahren schlechterdings unzulässig mache, über die rechtskräftig entschiedene Frage wegen eines Mangels in einer Prozeßvoraussetzung nochmals zu entscheiden, trete bei der zweiten im Falle eines Verschlechterungsverbots nur eine Bindung bezüglich des Urteilsinhalts ein. Das Urteil als solches sei aber zu fallen. Die Ansicht einer einseitigen, nur zugunsten des Angeklagten wirkenden beschränkten Rechtskraft vermag die Wirkungen des Verschlechterungsverbots jedoch nicht zu erklären und stößt folgerichtig auf Ablehnung 2o • Zum Wesen der Rechtskraft gehört, daß sie gegen jedermann und nicht nur zugunsten einzelner Verfahrensbeteiligter wirkt. Noch gewichtiger spricht als Einwand gegen die Qualifizierung als eine irgendwie beschaffene Rechtskraft der Umstand, daß die Rechtskraft ihrer Wirkung nach jede Überprüfung des angegriffenen Urteils ausschließt. Das Instanzgericht darf das Ersturteil im Umfang der Rechtskraft nicht überprüfen. Eine solche Wirkung kommt dem Verbot der reformatio in peius nicht zu. Das Instanzgericht hat auch unter dem Einfluß des Verschlechterungsverbots die Möglichkeit, in der Beweisaufnahme und in der Beweiswürdigung von der Vorinstanz abzuweichen, insbesondere aber ist es dem Instanzgericht gestattet, den Schuldspruch zu berichtigen 21 . Der Angeklagte kann in der neuen Instanz bei gleichbleibender Sanktion statt wegen Unterschlagung wegen Diebstahls oder wegen Raubes oder statt wegen eines Vergehens wegen eines Verbrechens verurteilt werden. Einer Verschärfung im Schuldspruch steht das Verschlechterungsverbot nicht entgegen. Diese Verschärfung muß der Angeklagte in Kauf nehmen 22 • Das beruht auf dem vom BGH23 zutreffend erkannten Gedanken, daß das Rechtsmittelgericht im Rahmen seiner umfassenden Kognitionspflicht grundsätzlich einen dem materiellen Recht entsprechenden Schuldspruch zu erlassen hat. Die einschränkenVgl. BGHSt. 27, 176, 179. JW 1935, 1417. 20 So LR-Gollwitzer, Rdn. 3 zu § 331; Frisch, JA 1974,91,93; KMR-Paulus, Rdn. 9 zu § 331; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 2 zu § 331; Gerhardt, S. 11 in Fußnote 38. 21 Vgl. aus der Rechtsprechung: BGHSt. 2, 96, 98; 21, 256, 260; 37, 5, 8 f; 40, 218, 240; BGH MDR 1978,417. Aus dem Schrifttum: LR-Gollwitzer, Rdn. 7 zu § 331; Frisch, JA 1974,91,96; Gerhardt, S. 27; KK-Ruß, Rdn. 2 zu § 331; Kadel, S. 8; Ganslmayer, JZ 1978, 794; Wemer, DAR 1976, 7, 8 in Fußnote 7; Grethlein, S. 32; Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985, S. 287, 292; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 8 zu § 331; Ganske, S. 25 ff.; Schlüchter, Rdn. 627; Ostendorf, JGG, Rdn. ll zu § 55. Eine umfassende Arbeit über dieses Thema stammt von Batereau, Die Schuldspruchberichtigung, 1971. Anderer Ansicht ist Wittschier, StV 1986, 173 ff., der nach Sinn und Zweck des Verschlechterungsverbots eine Schuldspruchberichtigung für unzulässig hält, und zwar wegen des möglichen schwerwiegenden Eingriffs in die Lebensstellung des Verurteilten bei einer Verschärfung des Schuldspruchs, wobei er eine nachteilige Berichtigung nur bei einer Verschiebung zu einem Delikt mit höherem Strafrahmen annehmen will, vgl. a. a. 0., S. 178. 22 Vgl. BGHSt. 37, 5, 9; ebenso Kadel, S. 8. 23 BGHSt. 37, 5, 9. 18

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

de Fonnulierung in den Vorschriften zum Verschlechterungsverbot "in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat" bedeutet, daß Änderungen in der Tatsachenfeststellung, in der Beweiswürdigung und in einer Änderung des Schuldspruchs rechtlich möglich sind. Der Schuldspruch darf demzufolge ergänzt und auch verschärft werden. Das Verbot der refonnatio in peius untersagt dem Instanzgericht aber, aus diesen Änderungen nachteilige Folgerungen in der Sanktionierung des Angeklagten zu ziehen. Dem Verschlechterungsverbot die Wirkung einer Teilrechtskraft oder eine ihr ähnliche Wirkung zuzusprechen, sollte aus diesen Gründen vermieden werden. Ihm kommt in seinen Wirkungen nichts anderes als eine Bindung in der Strafzumessung ZU 24 • Der alte Streit hinsichtlich der Zu lässigkeit einer Schuldspruchberichtigung, der aus der divergierenden Fonnulierung des Verbots bezogen auf die einzelnen Rechtsmittel in der Gesetzesfassung vor 1950 herrührte 25 , hat heute wegen der in den §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO einheitlichen Fonnulierung nur eine historische Bedeutung. Hier soll nur noch aufgezeigt werden, daß das Verschlechterungsverbot auch im Fall einer Schuldspruchberichtigung zwingenden Strafzumessungsregeln vorrangig ist26 . Wenn beispielsweise das Erstgericht den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe verurteilt hat, darf das Instanzgericht den Angeklagten im Wege der mit dem Verschlechterungsverbot im Einklang stehenden Schuldspruchberichtigung wegen Raubes schuldig sprechen. Es darf aber wegen des Verbots - also nur, wenn der Angeklagte, sein gesetzlicher Vertreter oder zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft Berufung oder Revision eingelegt haben - daraus keine nachteiligen Folgen ziehen und eine Freiheitsstrafe verhängen. Ohne nähere Erläuterungen zum Begriff des Nachteils ist es offensichtlich, daß die Umwandlung einer Geldstrafe in eine Freiheitsstrafe eine nachteilige Änderung in der Art der Rechtsfolgen wäre; hier ist das Vennögen betroffen, dort die Freiheit. Es muß in einer solchen Konstellation bei der Geldstrafe bleiben, die unter den gegebenen Umständen auch nicht erhöht werden darf und dies, obgleich der Raub als Verbrechenstatbestand die Geldstrafe als zulässige 24 So Frisch, JA 1974,91,93. Gerhardt, S. 11 in Fußnote 38 spricht von einer Sperrwirkung der verhängten Strafe zugunsten des Angeklagten. 25 Dargestellt in seinen unterschiedlichen Meinungen mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum bei Gerhardt, S. 27 f. und Wittschier, StV 1986, 173 f. Wenn der ursprüngliche § 331 StPO eine Abänderung zum Nachteil des Angeklagten verbot und die §§ 358, 373 StPO in ihrer ursprünglichen Fassung eine härtere Strafe untersagten, so wurden folgende drei Auffassungen vertreten: Unter Heranziehung des Wortlautes der §§ 358, 373 StPO galten die Vorschriften den einen einheitlich als bloße Strafschärfungsverbote, in Heranziehung des § 331 StPO als Grundnorm wurde von anderen jede nachteilige Veränderung, also auch eine Änderung des Schuldspruches untersagt. In Betrachtung des differierenden Wortlauts wurde von weiteren bei der Berufung jede nachteilige Änderung sowohl des Rechtsfolgenausspruchs wie des Schuldspruchs untersagt, während bei der Revision und der Wiederaufnahme nur eine Verschärfung im Rechtsfolgenausspruch als reformatio in peius angesehen wurde. 26 Siehe OLG Oldenburg NJW 1956, 1730 f. Ebenso LR-Gollwitzer, Rdn. 10 zu § 331; Frisch, JA 1974,91,96. 27 Vgl. LR-Gollwitzer, Rdn. 4 zu § 331.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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Rechtsfolge nicht enthält. Insgesamt zeigt das bisher Gesagte, daß das Instanzgericht trotz des Verbots der reformatio in peius einen erheblichen Zugriff auf das angefochtene Urteil hat. Dieser Umstand steht der rechtlichen Qualifizierung des Verschlechterungsverbots als Teilrechtskraft, sei es in relativer oder in modifizierter Form, entgegen.

2. Die Idee der Verwirkung Über den Gedanken des Verzichts 27 , der im Nichtbetreiben des Verfahrens in Verfolgung einer strengeren Rechtsfolge durch die Strafverfolgungsorgane gesehen wird, gelangt man zum tragenden Gedanken für die dogmatische Einordnung des Verbots der reformatio in peius, der Verwirkung. Grethlein 28 legt den Gedanken der Verwirkung als dogmatische Grundlage in überzeugenden Ausführungen dar. Der staatliche Strafanspruch, so schreibt er, werde vom Gericht und der Staatsanwaltschaft ermittelt. Wenn diese staatlichen Organe den ersten Urteilsspruch hinnähmen, sei für sie der staatliche Strafanspruch verwirklicht. Das gelte insofern auch, wenn die Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten Rechtsmittel einlege. Sie verfolge dann nicht den staatlichen Strafanspruch weiter, sondern sähe diesen gerade durch das frühere Urteil überschritten. Wenn die staatlichen Organe den Strafanspruch als hinreichend erfüllt ansähen und dies durch Nichteinlegung von Rechtsmitteln bzw. durch Einlegung zugunsten des Angeklagten zu erkennen gäben, dann würde der Staat sich widersprüchlich zu diesem Verhalten zeigen, wenn er anläßlich eines Rechtsmittels zugunsten des Angeklagten dies zum Anlaß nähme, den Angeklagten härter zu bestrafen. Der über das Ersturteil hinausgehende Strafanspruch sei in diesem Fall verwirkt. Es sei nicht einzusehen, daß ein Urteil, das rechtskräftig geworden wäre, wenn es nicht als unbillig oder als zu hart empfunden und deshalb nur zu Gunsten des Angeklagten angefochten worden wäre, dennoch verschärft werden müßte, heißt es abschließend 29 . Die Verwirkung bildet einen Fall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung 3o . Das Institut der Verwirkung existiert in zwei Varianten: Unzulässig wird die Ausübung einer Rechtsposition, wenn der Berechtigte seine Befugnis längere Zeit hindurch nicht ausübt und dadurch bei einem anderen einen berechtigten Vertrauenstatbestand dahin begründet, er wolle seine Rechtsposition auch in Zukunft nicht in Anspruch nehmen 31 . In dieser Variante geht es um einen unredlichen Gebrauch einer redlich erworbenen Rechtsposition. Einen weite-

28 Grethlein, S. 27 ff. Dem Gedanken der Verwirkung stimmen zu: Frisch, JA 1974,91,92 wie auch Gollwitzer in LR, Rdn. 4 zu § 331. 29 Grethlein, S. 29. 30 Siehe dazu insgesamt Schlüchter, Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990, 445 ff. 31 Vgl. BGHZ 105,290,298; Palandt/Heinrichs, Rdn. 87 zu § 242: je m. w. N.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

ren Fall der Verwirkung bildet die Situation, wenn von Anfang an ein unredlicher Rechtserwerb gegeben ist. Es muß sich um ein bezogen auf die entsprechende Rechtsposition pflichtwidriges oder sonst mißbilligenswertes Verhalten handeln 32 . Der Gedanke des unredlichen Rechtserwerbs liegt etwa der Verwirkung von Grundrechten nach Art. 18 GG zugrunde. Verwirkung bedeutet damit zum einen den Rechtsverlust infolge eines unredlichen Gebrauchs einer redlich erworbenen Rechtsposition, zum anderen einen Rechtsverlust durch pflichtwidriges Verhalten. Im Strafprozeß hat der Gedanke der Verwirkung eine maßgebende Bedeutung in der Frage gefunden, ob der Angeklagte die Wahrnehmung von Verfahrensrügen verwirken kann 33 . In der Konstellation des Verschlechterungsverbots geht es um die Frage, inwieweit die Strafverfolgungsorgane einen über das Ersturteil hinausgehenden Strafanspruch verwirkt haben könnten 34 . In Betracht kommt die Variante der unzulässigen Ausübung einer redlich erworbenen Rechtsposition, da den Strafverfolgungsorganen der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens nicht zu machen ist. In dieser Variante ist zu beachten, daß durch die Nichtausübung einer Rechtsposition, also durch die Nichtausschöpfung des staatlichen Strafanspruchs während der ersten Instanz, beim Angeklagten ein berechtigter Vertrauenstatbestand des Inhalts entstehen muß, daß die Strafverfolgungsorgane ihre weitergehende Rechtsposition nicht mehr in Anspruch nehmen. Auf Grund der bestehenden Strafverfolgungspflicht der Staatsanwaltschaft und des Gerichts kann infolge der begrenzten Geltendmachung des Strafanspruchs im Ersturteil ein Vertrauenstatbestand entstehen. Die Staatsanwaltschaft ist Garantin für die Geltendmachung dieses Anspruchs. Mit dem Ersturteil bringen Gericht und Staatsanwaltschaft zum Ausdruck, ein unrechts- und schuldentsprechendes Urteil gefunden zu haben. Wird das Rechtsmittelverfahren von Seiten der Strafverfolgungsorgane nicht zu Lasten des Angeklagten betrieben, würden sie sich in Widerspruch zu ihren früheren Verhalten setzen, wenn sie bei einem Rechtsmittel des Angeklagten über das Ersturteil hinausgehen wollten. Der Angeklagte durfte auf seine Rechtsposition vertrauen. Gegen die dogmatische Einordnung als Verwirkung läßt sich der Einwand anführen, daß die Prozeßbeteiligten im Gegensatz zum Zivilprozeß auf Grund des Prinzips der materiellen Wahrheit im Strafprozeß keine Verfügungs befugnis über den staatlichen Strafanspruch haben 35 . Wenn auch wegen dieses Prinzips der materiellen Wahrheit die Verfügungs befugnis der Verfahrensbeteiligten im Gegensatz zu dem unter der Dispositionsmaxime stehenden Zivilprozeß zugegebenermaßen 32 Vgl. Schlüchter, Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990,445,451 f.; siehe auch Palandt/Heinrichs, Rdn. 88 zu § 242. 33 Siehe dazu Schlüchter, Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990,445,460 ff. (ablehnend); vgl. auch LR-Hanack, Rdn. 281 ff. zu § 337; KleinknechtlMeyer-Goßner, Rdn. 47 zu § 337. 34 Vgl. zu dem Problem der Verwirkung von Verfahrensrügen durch die Staatsanwaltschaft, der eine Mitwirkungspflicht an einem justizförmigen Strafverfahren obliegt: Schlüchter, Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990,445,462; LR-Hanack, Rdn. 286 zu § 331, der ein bewußtes Unterlassen verlangt; umfassend Schmid, "Verwirkung", S. 363 ff. 35 So Gerhardt, S. 1 in Fußnote 2.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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eingeschränkt ist, so gilt doch das Prinzip der materiellen Wahrheitserforschung im Strafprozeß nicht uneingeschränkt. Der Staat als Träger des Gewaltmonopols und als Träger des staatlichen Strafanspruchs kann, wenn auch in Grenzen, über diesen Anspruch verfügen, und er macht dies auch. Das Gebot der materiellen Gerechtigkeit hat aus vielfältigen Gründen eine Einschränkung erfahren. Die hierfür gegebenen Gründe müssen auf sachlichen Erwägungen beruhen und dem Gerechtigkeitsdenken entsprechen. Eine solche Einschränkung ist im sachlichen Interesse der Rechtssicherheit die formelle Rechtskraft, eine andere aus demselben Grund das ausdrücklich im Grundgesetz in Art. 103 Abs. 3 als Justizgrundrecht ausgestaltete Verbot "ne bis in idem", das Verbot der Doppelbestrafung, das für das Verschlechterungsverbot noch einer gesonderten Betrachtung bedarf. Aus Opportunitätsgründen schränken die §§ 153 ff. StPO das die materielle Gerechtigkeit verfolgende Legalitätsprinzip ein. Auch im Falle einer Nichteinlegung und im Falle eines Verzichts zustehender Rechtsmittel verfügen die Verfahrensbeteiligten im Strafverfahren über den staatlichen Strafanspruch, der dann kraft ihrer Herrschaft nicht weiterverfolgt wird. Wenn daher die Staatsanwaltschaft als strafverfolgende Anklagebehörde in einem Verfahren nicht zu Lasten des Angeklagten ein Rechtsmittel gegen das Ersturteil einlegt oder wenn sie dies ausdrücklich zugunsten des Angeklagten unternimmt, zeigt sich in diesem Verhalten, daß die Strafverfolgungsorgane die getroffene Entscheidung in der bestimmten Richtung als endgültige Entscheidung in dem konkreten Fall hingenommen haben. Darin äußert sich die Verwirkung des Rechts auf eine härtere, eben eine nachteilige, Sanktionierung des Angeklagten. Dieses Recht ist verbraucht und darf anläßlich eines Rechtsmittels zugunsten des Angeklagten nicht wieder geltend gemacht werden.

IV. Das Verbot der reformatio in peius als notwendiges Element des Rechtsstaats oder "nur" eine Rechtswohltat Allgemein wird das Verbot der reformatio in peius als eine dem Angeklagten durch den Gesetzgeber gewährte Rechtswohltat bezeichnet, und zwar sowohl in der Rechtsprechung 36 als auch im Schrifttum37 . Das Verschlechterungsverbot folge nicht zwangsläufig aus dem Rechtsstaatsprinzip, heißt es immer wieder 38 . Es stehe 36 BGHSt. 9, 324, 332; BGHSt. 29, 269, 270; OLG Schleswig SchlHA 1985, 142, 143; OLG Köln, VRS 50 (1976), 97, 98. 37 So KK-Ruß, Rdn. I zu § 331; auch Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985, 287,293,295; Kadel, S. 7; Pfeiffer I Fischer, Rdn. 1 zu § 331. 38 Vgl. BayVerfGH NJW 1959,285,287; HansOLG Hamburg MDR 1980,598,599; KKRuß, Rdn. 1 zu § 331; Frisch, JA 1974,91,92; Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,297; Geppert, Die Bemessung der Sperrfrist, S. 124 in Fußnote 110; LR-Goll-

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

dem Gesetzgeber frei zu bestimmen, in welchem Umfang es gelten soll, spricht beispielhaft für viele das HansOLG Hamburg 39 . Auch durch den Zweck des Verschlechterungsverbots, die Entscheidung über das Rechtsmittel ohne Furcht vor Nachteilen zu treffen, würden dem Gesetzgeber keine Einschränkungen bei der Bestimmung der Reichweite auferlegt. Dieser Normzweck zwinge nicht dazu, das Verschlechterungsverbot auf jeglichen richterlichen Rechtsfolgenausspruch anzuwenden, fährt das HansOLG Hamburg fort. Im aktuellem Schrifttum und in der aktuellen Rechtsprechung wird nirgends das Verschlechterungsverbot dem Rechtsstaatsprinzip zugeordnet. Solches geschah ansatzweise teilweise in der Nachkriegszeit40 und auch später nur vereinzelt 41 . Wenn der Verurteilte die Verschlechterung seiner Lage beim Gebrauch ihm zustehender Rechtsmittel befürchten müsse und dadurch im Gebrauch gehemmt werde, bilde das Verbot eine wichtige Schutzbestimmung zugunsten des Verurteilten, das im Zuge eines rechtsstaatlichen Neuaufbaus um der Gerechtigkeit willen wieder hergestellt werden müsse, äußerte Mülwitzer, Rdn. 2 zu § 331; Drees, StV 1995,669,670; Kadel, S. 7; KleinknechtlMeyer-Goßner, Rdn. 1 zu § 331. 39 MDR 1980,598,599. 40 Vgl. OLG Gera Neue Justiz 1947, 104, 105. Das Gericht erachtet die Möglichkeit der reformatio als einen Verstoß gegen den Grundgedanken des demokratischen Staatsaufbaus. Anderer Ansicht aber ist das LG Halle Neue Justiz 1948,232, das gegen das OLG Gera angeht und die Konsequenzen eines Verbots für die Rechtspflege als untragbar und mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein für unvereinbar ansieht, a. a. 0., S. 235. Das LG Halle erachtet in dezidierter Prüfung die Zulassung der reformatio durch die NS-Gesetzgebung mit dem Gesetz vom 28. 6. 1935 als Ergebnis einer vom nationalsozialistischen Gedanken unabhängigen Rechtsentwicklung und daher als geltendes Gesetzesrecht. Beachte auch OLG Tübingen DRZ 1947, 101, das sich gegen eine Anwendung der reformatio in peius ausspricht, da ihre Zulasssung auf rein nationalsozialistischen Gedankengängen beruhe. 41 Aus dem Schrifttum: Für Peters, JZ 1957,482, 483 f. geht es bei dem Grundsatz des Verbots der SchlechtersteIlung nicht nur um eine Rechtswohltat, sondern um die Freiheit der Rechtsmitteleinlegung. Er erachtet das Verbot ganz eindeutig als einen Grundsatz der Sicherung eines rechtsstaatlich durchgeführten Verfahrens in Verfolgung der Freiheit der Rechtsmitteleinlegung. Ohne das Verbot würde dem Anfechtenden ein nicht zu billigendes Risiko auferlegt. Ebenso Ostler, NJW 1968,486,487, der den § 331 Abs. 1 StPO als eine Art Teilrechtskraft pro reo im Rechtsstaat für notwendig erachtet. Schorn, S. 19 f. äußert rechtsstaatliche Bedenken bezüglich der Nichtanwendung des Verbots der SchlechtersteIlung im Strafbefehlsverfahren (heute § 411 Abs. 4 StPO) und nennt das Verbot einen Grundrechtssatz, da diese Regelung gegenüber dem Angeklagten möglicherweise einen unzulässigen Zwang, auf einen Einspruch zu verzichten, bedeute und damit eine Einschränkung seiner Verteidigung sei. Eberhard Schmidt, Lehrkommentar, 1957, Rdn. 2 zu § 331 erachtet die Möglichkeit einer reformatio in peius in einem rechtsstaatlichen Strafverfahrensrecht für unfair. Er verweist auf die Möglichkeit, daß auch die Staatsanwaltschaft Berufung einlegen könne, damit dem Angeklagten die mit dem SchlechtersteIlungsverbot gebotene Vergünstigung versagt bleibe. Ders. aber stimmt 1967 in Rdn. 1 der Ergänzung des Kommentars dem VerfGH München NJW 1959,285 zu, der es ablehnt, das Verschlechterungsverbot aus dem Rechtstaatsprinzip abzuleiten. Aus der späteren Rechtsprechung ist allein der BayVGH DÖV 1953,93 Nr. 73 zu nennen, der sich nach der rechtsstaatlichen Neuordnung für das Verbot der reformatio im Verwaltungsbeschwerdeverfahren ausspricht.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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ler42 damals. Derzeit erhebt wohl niemand die Forderung, das Verbot der reformatio in peius abzuschaffen. Das enthebt aber nicht von der Frage, ob das Verbot rechts staatlich, also aus der Verfassung selbst herzuleiten' ist, was auch für die Tragweite des Verschlechterungsverbots Bedeutung haben könnte. Als eine Rechtswohltat, deren Umfang der Gesetzgeber bestimmen kann, stünde das Verschlechterungsverbot in Geltung und Umfang zu dessen steter Disposition. Das wäre bei einer rechts staatlichen Absicherung nicht ohne weiteres der Fall. So beschränkt die sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG die zulässige Änderung des Grundgesetzes, indem sie unter anderem die Grundprinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung einer möglichen Verfassungsänderung entzieht. Wenn auch nicht alle Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips Bestandteil dieser Klausel sind43 , so doch das in Art. 20 GG lokalisierte Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung der Gewaltenteilung 44 , der Verfassungsbindung der Gesetzgebung und der Gesetzesbindung von Exekutive und Judikative. Insgesamt läßt sich feststellen, daß ein rechtsstaatliches Element auch als Teil des "schlichten" Verfassungsrechts stärker verfestigt ist als eine nur "gnadenweise" erwiesene Rechtswohltat. Im folgenden soll untersucht werden, ob das Verbot der reformatio in peius eine rechtsstaatliche Grundlage hat, und in Vorwegnahme des Ergebnisses soll schon jetzt und hier angekündigt werden, daß dem nach der Ansicht des Verfassers so ist.

1. Art. 103 Abs. 3 GG - ne bis in idem

"Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden." Der Wortlaut verbietet ausdrücklich nur die mehrfache Verhangung von Strafe wegen derselben Tat. Bei näherer inhaltlicher Betrachtung verbietet die Norm ein 42 Müller, DRZ 1947, 101, der aber auch der gegenteiligen Ansicht rechtsstaatliche Überlegungen zugrundelegt, da das Verbot gegebenenfalls den obersten Grundsatz des Strafverfahrens, zu einem gerechten Urteil zu kommen, verletze. 43 Siehe zur eher engen Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG Bryde in von Münch, Art. 79, Rdn. 28 ff., 42 ff. und Maunz/Dürig in Maunz-Dürig-Herzog, Art. 79 Abs. III, Rdn. 31, 48 ff.: beide m. w. N. Hinzuweisen ist auf das sog. Abhörurteil mit dem ersten veröffentlichten Sondervotum in der Geschichte des BVerfG in BVerfGE 30, 1, in dem die Verfassungsänderung durch die Ergänzung des Grundgesetzes um Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG anhand des Art. 79 Abs. 3 GG zu prüfen war und in dem entgegen dem -von meiner Seite Zustimmung verdienenden- Sondervotum der Richter Geiler, v. Schlabrendorff und H. Rupp die Mehrheitsentscheidung diese Änderung für mit Art. 79 Abs. 3 GG vereinbar gehalten hat. 44 Mit dieser Festlegung sind heute sog. Ermächtigungsgesetze, mit denen die Legislativgewalt auf die Exekutive delegiert wird, ausgeschlossen. Auf der Grundlage des sog. Ermächtigungsgesetzes vom 24.3. 1933 ist das "Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" vom 24. 11. 1933 durch die Reichsregierung ohne parlamentarisches Gesetzgebungsverfahren beschlossen worden.

5 Kretschmer

1. Teil: Allgemeine Grundlagen

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Dreifaches 45 : Sie untersagt eine erneute Bestrafung nach Ausschöpfung des Unrechts- und Schuldgehalts durch die erste Strafe. Das beruht auf dem Schuld- und Gerechtigkeitsprinzip. Dieser Grundsatz erscheint als selbstverständlich46 . Der Grundsatz von "ne bis in idem" untersagt eine erneute Bestrafung aber auch, wenn sich herausstellt, daß die erste rechtskräftige Strafe den Unrechts- und Schuldgehalt nicht ausgeschöpft hat. In diesem Fall würden die Grundsätze von Schuld und Gerechtigkeit gerade für eine erneute Bestrafung sprechen. Aber auch nach einem rechtskräftigen Freispruch, selbst wenn er zu Unrecht erfolgt sein mag, ist nach Art. 103 Abs. 3 GG kein neues Strafverfahren zulässig47 • Letzteres beruht auf dem Gedanken der Rechtssicherheit, dem durch die Vorschrift der Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit eingeräumt wird. Diese Regelung kann im Einzelfall zu einem erheblichen Widerspruch mit der Gerechtigkeit führen. Das Verbot "ne bis in idem" beinhaltet somit über seinen Wortlaut hinaus den allgemeinen Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgungsmaßnahmen 48. Demzufolge ist die mehrfache Entscheidung in derselben Sache verboten, wenn das Verfahren wegen der Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist, vollständig mit verurteilender oder freisprechender Entscheidung abgeschlossen ist. Das Gericht ist gehindert, im Schuldspruch oder in der Straffolge neu zu entscheiden. Dogmatisch bildet das Verbot ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis 49 • Nicht nur die erneute Aburteilung, sondern bereits die erneute Einleitung eines Strafverfahrens ist durch die Verbotsvorschrift untersagt. Das Verbot entfaltet seine Wirkung mit der formell rechtskräftigen Entscheidung. Durch Art. 103 Abs. 3 GG ist das Verbot, eine verbrauchte Strafklage zu wiederholen, in den Rang eines Verfassungsgrundsatzes erhoben worden 5o . In dem Grundsatz "ne bis in idem" zeigt sich das Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit, zwischen dem Freiheitsschutz des einzelnen und dem staatlichen Strafanspruch, der für eine tat- und schuldangemessene Strafe streitet. Nach rechtskräftiger Aburteilung entscheidet Art. 103 Abs. 3 GG für die Rechtssicherheit und für den Rechtsfrieden. Der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit, eine tat- und schuldentsprechende Bestrafung für begangene Straftaten zu erreichen, wird teilweise durchbrochen. Das Verbot der Doppelbestrafung des Art. 103 Abs. 3 GG wird als Prozeßgrundrecht bezeichnet5 !. Als Justizgrundrecht bildet es eine aus dem Wesen des Rechtsstaats herrührende Bestimmung52 . Siehe F. - C. Schroeder, JuS 1997, 227 f. Siehe F. - C. Schroeder, JuS 1997,227; von Münch/Kunig-Kunig, Art. 103, Rdn. 35. 47 So Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rdn. 1112; von Münch/Kunig-Kunig, Art. 103, Rdn. 35; Jarass I Pieroth-Pieroth, Art. 103, Rdn. 60. 48 Siehe KG JZ 1997, 629, 630. Vgl. umfassend F. - C. Schroeder, JuS 1997, 227, 228; Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig-Herzog, Art. 103 Abs. II1, Rdn. 301; Bonner-KommentarRüping, Art. 103 Abs. 3, Rdn. 25 f; KK-Pfeiffer, Rdn. 170 Einleitung. 49 Siehe BGHSt. 20, 292, 293; Jarass/Pieroth-Pieroth, Art. 103, Rdn. 63; Maunz-DürigHerzog I Schmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. II1, Rdn. 301. 50 Siehe nur BVerfGE 12,62,66; ebenso Roxin, Strafverfahrensrecht, § 50, Rdn. 7. 45

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2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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Der für die vorliegende Untersuchung maßgebende Gedanke ist aus der Formulierung "mehrmals zu bestrafen", wie es zum Schluß in Art. 103 Abs. 3 GG heißt, herzuleiten. Selbstverständlich liegt keine unzulässige Mehrfachbestrafung vor, wenn der Angeklagte im laufenden Rechtsmittelverfahren in nächster Instanz oder nach erfolgter Zurückweisung der Sache eine erhöhte Strafe oder eine sonstige nachteilige Sanktion wie etwa die Anordnung einer Maßregel erhält, sofern die Staatsanwaltschaft zu Lasten seiner ein Rechtsmittel einlegt. Die Grenze für das Verbot nach Art. 103 Abs. 3 GG bildet die Rechtskraft. Solange diese nicht formell eingetreten ist, bleibt eine Verschlechterung in den Rechtsfolgen möglich. Das Ziel materieller Gerechtigkeit kann auf diesem Weg erreicht werden, wenn zu Lasten des Angeklagten Rechtsmittel erhoben werden. Diese Aufgabe obliegt der Staatsanwaltschaft. Anders stellt sich die Situation dar, wenn lediglich der Angeklagte mittels ihm zustehender Rechtsmittel gegen das Urteil vorgeht und daher das Verbot der reformatio in peius Geltung beansprucht. Wie schon erläutert, findet das strafprozessuale Institut des Verschlechterungsverbots seine dogmatische Grundlage nicht im Begriff der Rechtskraft, sondern eher im Verwirkungsgedanken. Infolge der Nichteinlegung eines Rechtsmittels zu Lasten des Angeklagten von Seiten der Strafverfolgungsbehörde wird der staatliche Strafanspruch als verbraucht, verwirkt oder eben als erfüllt angesehen. Eine Verschärfung anläßlich eines Rechtsmittels des Angeklagten wäre in bezug auf diesen zum Ausdruck gebrachten Verbrauch ein widersprüchliches Verhalten staatlicherseits. Es besteht somit das Verbot, den Angeklagten im konkreten Fall wegen derselben Tat schwerer, eben zum Nachteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen zu sanktionieren, da der staatliche Strafanspruch über das VOn der Staatsanwaltschaft als gerecht hingenommene Ersturteil hinaus verbraucht ist. Für ein darüberhinausgehendes Maß an Sanktionierung besteht kein Anlaß, sondern es gilt das Verbot einer nochmaligen sachlichen Aburteilung in Form der Bindung des Rechtsmittelgerichts an das ausgesprochene Rechtsfolgenmaß. Das Verfahren wird, wenn nur mit Wirkung zugunsten des Angeklagten ein Rechtsmittel erhoben wird, allein in seinem Interesse geführt. Der frühere Strafausspruch kann entweder Bestätigung finden oder gemildert werden. Einen "Nachschlag" in der Sanktionierung darf es nicht geben. Es besteht gleichsam ein modifiziertes, inhaltlich eingeschränktes Verbot der "Doppelbestrafung" in dem Sinn eines Verbots der nachteiligen Bestrafung, d. h., niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze zum Nachteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen sanktioniert werden, wenn nicht zu Lasten seiner ein Rechtsmittel eingelegt wird. Genauso wie der Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit im Interesse der vorrangigen Rechtssicherheit durchbrechen kann, durchbricht auch das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius 51 So BVerfGE 56, 22, 32; von Münch/Kunig-Kunig, Art. 103, Rdn. 35; Maunz-DürigHerzog/Schrnidt-Aßmann, Art. 103 Abs. III, Rdn. 271. 52 Vgl. BGHSt. 9, 324, 332; ebenso Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig-Herzog, Art. 103 Abs. III, Rdn. 258, 275; Drees, StV 1995,669,670; Görisch, JuS 1997,988,990.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

in seinem Geltungsbereich dieses Prinzip. Unzulässig ist eine mehrfache Strafverfolgung unter dem Verbot des Art. 103 Abs. 3 GG, aber als ein darin enthaltenes "minus" unter den Voraussetzungen des Verbots der reformatio in peius auch eine nachteilige Verurteilung in Art und Höhe der Rechtsfolgen. In beiden Fällen ist ein Teil des staatlichen Strafanspruchs aufgebraucht und darf nicht weiter verfolgt werden. Stellt sich heraus, daß die erste Strafe dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht entspricht, darf eine zusätzliche Strafe weder nach Eintritt formeller Rechtskraft in einem neuen Verfahren noch unter dem Verbot der reformatio in peius im laufenden Rechtsmittelverfahren angeordnet werden. Daß das Verschlechterungsverbot seinerseits ein Element des Rechtsstaats, und zwar die Forderung nach materieller Gerechtigkeit durchbricht, vermag nicht gegen dieses Ergebnis zu sprechen. In Art. 103 Abs. 3 GG zeigt sich gerade das Spannungsverhältnis zwischen der Rechtssicherheit und der Forderung nach materieller Gerechtigkeit, welches mit Eintritt der Rechtskraft zugunsten der ersten entschieden wird. Die Tatsache, daß der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit eine Einschränkung erfährt, vermag dem einschränkenden Prinzip nicht die Eigenschaft der Rechtsstaatlichkeit zu nehmen. Die Durchbrechung eines so maßgebenden Grundprinzips wie die materielle Gerechtigkeit bedarf vielmehr einer sachlichen und verfassungsrechtlich fundierten Begründung. Der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit darf nicht ohne eine verfassungsrechtlich getragene Legitimation im Wege einer zur steten Disposition des Gesetzgebers stehenden "Rechtswohltat" durchbrochen werden. Das Verbot der reformatio in peius ist danach als "minus,,53 aus dem Verbot "ne bis in idem" des Art. 103 Abs. 3 GG herzuleiten, das als Justizgrundrecht ein Element der Rechtsstaats ist. "Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden", das bedeutet auch, niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze in Art und Höhe der Rechtsfolgen zum Nachteil bestraft werden, wenn nur zu seinen Gunsten Rechtsmittel eingelegt sind.

2. Der "fair trial"-Grundsatz Neben dem in Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegten Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung läßt sich für das Verbot der reformatio in peius ein weiterer rechtsstaatlicher Ausgangspunkt begründen. Während Art. 103 Abs. 3 GG unter dem Gedanken des Verbrauchs des staatlichen Strafanspruchs steht, sei es nach formell rechtskräftiger Entscheidung, sei es aus dem Gesichtspunkt eines Nichtbetreibens des Verfahrens zu Lasten des Angeklagten, ist der zweite Herleitungsansatz 53 Wer dem Verschlechterungsverbot trotz der genannten Gegengründe die Wirkung einer Teilrechtskraft zusprechen will, der kann das Verbot als Teilverbrauch dem Verbrauch der Strafklage als der wichtigsten Wirkung der materiellen Rechtskraft zuordnen.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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auf die Sichtweise und Situation des Angeklagten selbst bezogen. Frisch 54 gibt das Stichwort, wenn er sagt, daß es zumindest nicht fair erscheine, dem Angeklagten die Einlegung eines Rechtsmittels zu verleiden, indem man ihm ein Risiko aufbürde und ihm die Möglichkeit eines Hereinfalls im Strafmaß schaffe. Damit weist er den Weg zu dem Grundsatz des "fair trial", dem Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren 55. Das BVerfG sieht im Rechtsstaatsprinzip ein Prinzip mit einem eigenständigen dogmatischen Gehalt. Das Rechtsstaatsprinzip bildet nach dieser Ansicht56 eine unmittelbar bindend wirkende Leitidee, die der Verfassungsgeber nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat, von der er aber ausgegangen ist, da sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt hat. Über die positivrechtlichen Konkretisierungen hinaus ist das Rechtsstaatsprinzip wegen der Vielfalt möglicher Inhalte nur behutsam zu konkretisieren (sog. intergrales Rechtsstaatsverständnis). Dieses Verständnis wird deutlich, wenn das BVerfG57 die Ansicht äußert, daß das Rechtsstaatsprinzip, das in der Verfassung nur zum Teil aus geformt sei, keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote und Verbote enthalte. Es bedürfe der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Als Verankerung und Herleitungssatz für das Rechtsstaatsprinzip im Grundgesetz werden überwiegend Art. 28 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 1 GG genannt58 . Gegen ein solch integrales Rechtsstaatsverständnis wendet sich eine Ansicht, die das grundrechtliche Rechtsstaatsprinzip nur als eine Sammelbezeichnung für die einzelnen normativen Gewährleistungen des Verfassungsrechts versteht (sog. summatives Rechtsstaatsverständnis). Die positiven Normierungen des Grundgesetzes sind danach umfassend und lassen für darüber hinausgehende Folgerungen aus einem allgemeinen überpositiven Rechtsstaatsprinzip keinen Raum 59 . Die nicht unmittelbar in der Verfassung positivierten Gebote werden in dieser Sichtweise weitgehend aus den Grundrechten abgeleitet 6o . Frisch, JA 1974,91,93. So auch schon Eberhard Schmidt, 1957, Rdn. 2 zu § 33l. Zur Bedeutung des Grundsatzes des "fairen Verfahrens" in den USA und in England siehe Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 5 ff. und S. 50 ff. 56 BVerfGE 2, 380, 403; in BVerfGE 20, 323, 331 wird das Rechtsstaatsprinzip als elementares Prinzip des Grundgesetzes bezeichnet. Die Sichtweise eines eigenständigen Rechtsstaatsprinzips vertreten auch: Schmidt-Aßmann, HdbStR I (hrsg. v. Isensee/Kirchhof), § 24, Rdn. 7 f; Herzog in Maunz-Dürig-Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdn. 3 f, 32; Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 20, Rdn. 21; Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 141; Tettinger, S. 7. 57 BVerfGE 65, 283, 290. 58 So BVerfGE 63,343,353; Schmidt-Aßmann, HdbStR I (hrsg. von Isensee/Kirchhof), § 24, Rdn. 3; ohne Begrenzung auf Abs. 1 des Art. 20 GG Maunz-Dürig-Herzog/Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdn. 34 f; dagegen entwickelt BVerfGE 2, 380, 403 das Rechtsstaatsprinzip aus einer Zusammenschau der Bestimmungen des Art. 20 Abs. 3 GG über die Bindung der Einzelgewalten und der Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 4, 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes. 59 Vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn. 184; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, zusammenfassend S. 457 ff.; von Münch I Kunig-Schnapp, Art. 20, Rdn. 2l. 60 Siehe Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 457 ff. 54 55

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Über die speziellen Gewährleistungen hinaus dient das Rechtsstaatsprinzip als allgemeiner Rechtsgrundsatz konstitutiv dem Ausdruck des Allgemeinen und des Systematischen61 . Auf diese Weise hat insbesondere das BVerfG das Rechtsstaatsprinzip fortentwickelt und nach zahlreichen Richtungen hin entfaltet. Das Rechtsstaatsverständnis des BVerfG ermöglicht in seiner Offenheit auch die Herleitung des fair trial, dem auf diese Weise Verfassungsrang gegeben wird. Der im Rechtsstaatsprinzip begründete gerichtliche Rechtsschutz ist in spezifischen Verfassungsbestimmungen abgesichert. Diese speziellen Verfassungsbestimmungen, etwa die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die Justizgrundrechte der Art. 101 ff. GG, die Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit in Art. 97 GG, versperren aber nicht die Ableitung weiterer Grundsätze aus dem allgemeinen Strukturprinzip des Rechtsstaats. Berechtigung und Herleitung des Anspruchs auf ein faires, rechts staatliches Strafverfahren sind umstritten. Zutreffend wird der Grundsatz des fairen Verfahrens im Rechtsstaatsprinzip anzusiedeln sein 62 . Er ist damit ein Element des objektiven Verfassungsrechts. Streitig ist, ob der Grundsatz auch grundrechtlich abgesichert werden kann, so daß er die Bedeutung eines Prozeßgrundrechts 63 hat. Diese Auffassung vertritt im wesentlichen der 2. Senat des BVerfG, der den Grundsatz des fairen Verfahrens aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) ableitet64 . Mit Dörr65 ist diesem Verständnis entgegenzuhalten, daß eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nicht ohne weiteres mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Der Betroffene kann eine Verletzung des objektiven Verfassungsrechts und damit auch eine Verletzung des fair trial nur geltend machen, wenn er eine Beeinträchtigung eines Grundrechts oder einer grundrechtsgleichen Position behaupten kann. Die Geltendmachung einer Verletzung objektiven Verfassungsrechts setzt einen Eingriff zumindest in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG voraus. Allein auf eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens als Element des objektiven Verfassungsrechts läßt sich eine Verfassungsbeschwerde nicht stützen. Im Strafverfahren erfolgt durch die Verhängung einer freiheitsentziehenden Sanktion ein Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person. AnSiehe Schmidt-Aßmann, HdbStR I, § 24, Rdn. 9. Siehe BVerfGE (1. Senat) 26, 66, 71; BGHSt. (3. Strafsenat) 24, 125, 131; Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 141 ff.; Geppert, JURA 1992,597,599; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 11, Rdn. 9-16; Tettinger, S. 2 ff. 63 So BVerfGE 57, 250, 275; BVerfG NStZ 1998, 363, 364; BVerfG NJW 1992, 2472. Laufhütte spricht von einem Grundrecht auf ein faires Verfahren, in "Das Grundrecht auf ein faires Verfahren aus der Sicht des Revisionsrichters", Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaften des DAV 1992, S. 181 ff. M BVerfGE39, 156, 163;39,238,243;41,246,249;46,202,209;57,250,274; 70,297, 322 f; BVerfG NStZ 1998, 363, 364; BVerfG NJW 1992,2472; NJW 1983, 1043; BVerfG JZ 1983,438; 659; ebenso BGHSt. (4. Strafsenat) 43,195,203 f; BGHSt. (2. Strafsenat) 32, 44, 47; OLG Hamm NStZ 1996,454; LG Bad Kreuznach NJW 1993, 1725, 1726; Kleinknechtl Meyer-Goßner, Rdn. 19 Einl; siehe auch SK-StPO-Rogall, Rdn. 101 Vor § 133 m. w. N. 65 Faires Verfahren, 1984, S. 143 ff. 61

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2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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knüpfungspunkt für eine grundrechtliche Überprüfung ist daher Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Wird eine Geldstrafe verhängt, richtet sich die Überprüfung zumindest nach der allgemeinen Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG. Die Beeinträchtigung einer grundrechtli;chen Position muß aber mit dem objektiven Verfassungsrecht vereinbar sein. Das bedeutet auch, daß ein gerichtliches Verfahren, das zu einer freiheitsentziehenden oder freiheits be schränkenden Sanktion führt, mit dem objektiven Verfassungsrecht und daher mit dem Rechtsstaatsprinzip in Einklang stehen muß. Jedoch kann nicht gesagt werden, daß das objektive Verfassungsrecht und daher auch der Grundsatz des fairen Verfahrens über Art. 2 Abs. 1 GG zu einem Grundrecht werden 66 . Der Grundsatz des fairen Verfahrens bildet in seiner Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip ein Element des objektiven Verfassungsrechts. Es soll nicht verschwiegen werden, daß nach einer abweichenden Auffassung dieser Grundsatz keine Existenzberechtigung als eigenständige Prozeßmaxime haben soll. Wenn auch das Recht auf ein faires Verfahren nur eine beschränkte Reichweite hat, da es nur zur Erfüllung systemimmanenter Kontrollund Berichtigungsfunktionen geeignet ist67 , so ist der Grundsatz doch nicht als rechtstheoretisch wie auch rechtspraktisch für entbehrlich zu erklären68 . Vielmehr verlangt der Gedanke des fairen Verfahrens die größtmögliche Optimierung verfassungsmäßiger Werte69 . Insbesondere wirkt das Faimeß-Gebot, das in der Rechtspraxis faktisch anerkannt ist, als Auslegungsdirektive für das Prozeßrecht. Es vermag in Einzelfällen eine Ergänzung des positiven Rechts zu begründen, um dem Beschuldigten die Garantie eines am rechtsstaatlichen Mindeststandard orientierten Verfahrens zu gewähren. Der Grundsatz des fairen Verfahrens für den Strafprozeß ist erstmalig 1969 in BVerfGE 26,66 (71) genannt worden. Als Anspruch sichert er dem Beschuldigten, der im Rechtsstaat nicht nur bloßes Objekt des Verfahrens sein darf, den erforderlichen Bestand an aktiven verfahrensrechtlichen Befugnissen, damit er zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Strafverfahrens Einfluß nehmen kann70. Es ist schwer zu ermitteln, welche einzelnen Verfahrensgrundsätze von so fundamentaler Bedeutung sind, daß sie als Bestandteil des "fair trial" verfassungsrechtliche Bedeutung haben. Vgl. Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 144. Vgl. SK-StPO-Rogall, Rdn. 102 Vor § 133; in diesem Sinne auch Tettinger, S. 61 ff. 68 So aber Heubel, der in einer Einzeluntersuchung von Entscheidungen aus der Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Einzelfälle schon anhand des Gesetzes in direkter oder entsprechender Anwendung zu lösen seien. Er nennt den Grundsatz des fair trial ein Begründungssurrogat. Siehe insbesondere S. 59 f, 73, 122 ff., 141 ff. Wenn Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, die Existenz eines allgemeinen ungeschriebenen Rechtsstaatsprinzips leugnet, ist es in seiner Sichtweise konsequent, wenn er auch die Ableitung eines eigenständigen Fairneßgrundsatzes ablehnt, da Verfahrens gerechtigkeit für ihn im wesentlichen "Grundrechtsschutz" ist; siehe S. 378 ff. 69 Siehe Roxin, Strafverfahrensrecht, § 11, Rdn. 11. 70 Vgl. BVerfGE 46,202,210; 57, 250, 275; BVerfG NJW 1983, 1043; BGHSt. 36, 305, 309. 66 67

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

"Das Recht auf ein faires Verfahren als eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, das in der Verfassung nur zum Teil näher konkretisiert ist, enthält keine in allen Einzelheiten bestimmten Gebote und Verbote; es bedarf daher der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten. Bei der Weite und Unbestimmtheit des Rechtsstaatsprinzips ist dabei mit Behutsamkeit vorzugehen; denn es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, zwischen möglichen Alternativen bei der normativen Konkretisierung eines Verfassungsgrundsatzes zu wählen. Erst wenn sich bei der Berücksichtigung aller Umstände und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten unzweideutig ergibt, daß rechts staatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, können aus diesem selbst konkrete Folgerungen für die Ausgestaltung des Strafverfahrens im Rahmen der vom Gesetzgeber gewählten Grundstruktur des Verfahrens gezogen werden,,7!. Seine Elemente lassen sich teilweise in Art. 6 MRK als dem menschenrechtlichen Leitbild in den Mindestanforderungen 72 für die Ausgestaltung des Strafverfahrens erkennen. Darüber hinaus sind auch andere Grundsätze von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als Elemente des "fair trial" anerkannt worden. Exemplarisch 73 sollen aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH einige Beispiele angeführt werden, die die Bedeutung des Prinzips verdeutlichen: - Der Grundsatz des "fair trial" ist verletzt, wenn die zuständige Behörde ohne ausreichende Begründung einen Zeugen (V-Mann) nur für eine Vernehmung unter Ausschluß des Angeklagten und $ines Verteidigers zur Verfügung stellt und sich das Gericht dadurch an einer flfi.re~ Verhandlungs leitung gehindert sieht74 . Das BVerfG75 hat entschieden, daß das Gebot einer rechtsstaatlichen, insbesondere auch fairen Verfahrensgestaltung sich nicht nur an die Gerichte wendet, sondern auch von allen anderen staatlichen Organen zu beachten ist, die auf den Gang des Strafverfahrens Einfluß nehmen, demgemäß auch von der Exekutive zu achten ist, soweit sie sich rechtlich gehalten sieht, bestimmte Beweismittel nicht freizugeben. Die Behörde ist daher verpflichtet, die Gründe ihrer Weigerung verständlich zu machen, um das Gericht in die Lage zu versetzen, auf die Beseitigung etwaiger Hindernisse hinzuwirken und auf die Bereitstellung des bestmöglichen Beweises zu dringen. Der Grundsatz der Prozeßfairneß ist danach verletzt, wenn die Behörde das bessere Beweismittel dem Gericht willkürlich, rechtsfehlerhaft oder ohne Angaben von Gründen vorenthält 76.

71 So BVerfGE 57, 250, 275 f. Ebenso BVerfG NJW 1983, 1043 f. Zustimmung findet diese Zurückhaltung bei Tettinger, insbesondere S. 62 ff. 72 Zu den Mindestanforderungen des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK gehört auch die Einräumung von Rechtsmitteln (§§ 296 ff. StPO), so Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 5 zu Art. 6 MRK. 73 Einen schnellen Überblick erhält man bei Geppert, JURA 1992, 597, der einzelne Fallgruppen mit Beispielen aus der Rechtsprechung nennt. 74 So BGH NStZ 1983, 228. 75 BVerfGE 57, 250, 283.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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In verfassungsrechtlich gebotener Ergänzung des § 140 Abs. 2 StPO gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens bei schwerwiegenden Fällen die Beiordnung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen und auf Staatskosten, wenn der Beschuldigte die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag 77 . Wie im strafprozessualen Hauptverfahren steht dem Betroffenen auch im Vollstreckungsverfahren ein Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren zu 78. Dem in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten ist danach von Verfassungs wegen im Aussetzungsverfahren nach den §§ 463 Abs. 3, 454 StPO i. V. mit § 67 d Abs. 2 StGB ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn es nach der konkreten Fallgestaltung, insbesondere bei Schwierigkeiten im Diagnose- und Prognosebereich, evident erscheint, daß der Betroffene sich angesichts seiner Erkrankung nicht selbst verteidigen kann 79 . - Der Grundsatz des fairen Verfahrens verpflichtet das Tatgericht, dem Angeklagten und Verteidiger Gelegenheit zur Kenntnisnahme von Ergebnissen verfahrensbezogener Ennittlungen zu geben, die es während, aber außerhalb der Hauptverhandlung angestellt hat (Telefonüberwachung), auch wenn das Ergebnis für das Tatgericht nicht entscheidungserheblich ist8o • Notwendig ist ein vorheriger Hinweis, wenn das Gericht von zuvor getätigten Zusicherungen abweichen Will 81 . Der BGH82 hat eine Verständigung im Strafverfahren, die ein Geständnis des Angeklagten und die zu verhängende Strafe zum Gegenstand hat, unter engen Voraussetzungen für zulässig erklärt. Im Rahmen einer solchen Absprache darf nach Ansicht des BGH das Gericht eine Strafobergrenze angeben, die es nicht überschreiten werde. An eine zulässige Verständigung ist das Gericht dann gebunden. Das folgt nach Auffassung des BGH83 aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens. Zu diesen gehöre es, daß sich das Gericht nicht in Widerspruch zu eigenen, früheren Erklärungen, auf die ein Verfahrensbeteiligter vertraut habe, setzen dürfe; die Vertrauenslage, die das Gericht dadurch geschaffen habe, verbiete ihm, von seiner früheren Erklärung abzuweichen. Eine solche Bindung 76 So BVerfGE 57,250,283 ff. Siehe zu diesem Urteil Steiner, Das Faimeßprinzip, S. 50 ff. m.w.N. 77 So BVerfGE 46,202,210 f, als in der Revisionsinstanz die Verhängung einer lebenslangen Strafe drohte. Zustimmung hierzu äußert Laufhütte, Schriftenreihe des DAV 1992, S. 181, 186 f. Heubel, Der "fair trial", S. 100 ff. meint, daß dieses Ergebnis schon durch eine entsprechende Interpretation des § 140 Abs. 2 StPO zu erzielen gewesen wäre. Einer Ergänzung des einfachen Rechts unter Rückgriff auf den "fair trial"- Grundsatz hätte es nicht bedurft. 78 Vgl. BVerfG 70,297,322 f. 79 Vgl. BVerfG 70,297,322 f; dazu Müller-Dietz, IR 1987,45,50. 80 So BGHSt. 36, 305. 81 Bei BGHSt. 36, 210. Es ging um die Zusicherung, nicht über das von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmaß hinauszugehen. 82 BGHSt. 43, 195. 83 BGHSt. 43,195,210.

1. Teil: Allgemeine Grundlagen

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könne aber entfallen, wenn sich in der Hauptverhandlung neue schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergeben. Eine beabsichtigte Abweichung sei in der Hauptverhandlung mitzuteilen. - Der Anspruch auf ein faires Strafverfahren gewährt dem Angeklagten das Recht, sich von einem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu lassen84 . - Aus dem Prinzip des "fair trial" folgt die Pflicht des Tatgerichts, sich im Urteil an eine im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO zugesagte Wahrunterstellung zu halten 85 • Der Angeklagte darf in der Regel darauf vertrauen, daß nach § 154 a StPO aus dem Verfahren ausgeschiedene Handlungsteile ihm nicht zum Nachteil gereichen, etwa im Rahmen der Strafzumessung. Von einer solchen Vertrauensgrundlage darf das Gericht nicht stillschweigend abweichen. Erforderlich ist nach dem BGH ein ausdrücklicher Hinweis, daß das ausgeschiedene Verhalten trotz Beschränkung der Strafverfolgung strafschärfend berücksichtigt werden kann 86 . - Aus dem Recht auf ein faires Verfahren folgt auch ein Recht auf eine angemessene Beschleunigung des Verfahrens. Der Richter darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für den Betroffenen nicht ableiten 87 . Die Verletzung des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer führt in der Regel zu einer mildernden Berücksichtigung auf der Ebene des Rechtsfolgenausspruchs und hat grundsätzlich nicht die Bedeutung eines Verfahrenshindernisses 88. Diese Beispiele zeigen, daß der Angeklagte nicht in einer Erwartung enttäuscht werden darf, die das Gericht selbst erzeugt hat. Das Gebot des fairen Verfahrens So BGH NStZ 1992, 247. Siehe BGHSt. 32, 44. Der BGH sieht darin sowohl einen Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO als auch einen Verstoß gegen das Verbot des fairen Verfahrens. Kritisch äußert sich hierzu Karlheinz Meyer, JR 1984, 173, der zwar den Anspruch auf ein faires Verfahren als einen auf der Ebene des Verfassungsrechts angesiedelten Verfahrensgrundsatz anerkennt, aber zugleich davor warnt, unzulässigerweise auf das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG auszuweichen, anstatt sich an das einfache Gesetz zu halten. Im gegebenen Fall sei der Rückgriff auf das faire Verfahren nicht notwendig gewesen. Das der Konkretisierung so wenig zugängliche Gebot des "fair trial" gestatte dem Richter, mit einem Mindestmaß an Begründung, das Gesetz zu ergänzen, auszulegen oder zu korrigieren. Vor dieser Verlockung warnt Karlheinz Meyer ausdrücklich. 86 So BGHSt. 30, 147. Eine Darstellung des Streitstandes zu dieser Problematik ist zu finden bei Geppert, JURA 1992,597,601 f. 87 Siehe BVerfG NJW 1992,2472. 88 Siehe BVerfG NJW 1992,2472; BGH wistra 1994, 344; BGH wistra 1994,345; BGH wistra 1994,346; BGH NStZ 1995, 335; BGH NStZ 1997,451; vgl. BGH NStZ 1996, 506 zur Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO bei überlanger Verfahrensdauer und Verletzung des Beschleunigungsgebots des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Siehe auch LG Bad Kreuznach NJW 1993, 1725, das für einen Extremfall einer überlangen Verfahrensdauer ein Verfahrenshindernis annahm. 84 85

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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gewährt einen strafprozessualen Vertrauensschutz, wobei sich der Anspruch auf ein faires Verfahren nicht darin erschöpft. Die Lebendigkeit des Rechts auf ein faires Verfahren ist zu bewahren und es ist vor Erstarrung zu schützen89 • Der Vertrauensschutz ist ein prägendes Element des Fairneßgebots9o . Wenn ein Verfahrensbeteiligter auf Erklärungen des Gerichts vertraut, darf das Gericht sich nicht in Widerspruch zu den eigenen, früheren Erklärungen setzen. Eine Bindung folgt aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens 91 . Hier schließt sich der Kreis in der Argumentation. Wenn der Vertrauens schutz ein charakteristischer Gesichtspunkt des fairen Verfahrens ist, trifft sich das mit der Aussage, daß das Rechtsstaatsprinzip ebenfalls den Vertrauens schutz als Element beinhaltet92 • Der rechts staatliche Vertrauensgrundsatz gewährt dem Betroffenen ein Vertrauen auf den Fortbestand einer ihm eingeräumten Rechtsposition, sofern sein Vertrauen sachlich gerechtfertigt ist. Das rechtsstaatliche Vertrauen gewährt Vertrauen gegenüber der Gesetzgebung Stichwort: Rückwirkung von Gesetzen 93 - und gegenüber der Verwaltung - Stichwort: Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten nach §§ 48 ff. VwVfG94 . Durch das allgemeine Rechtsstaatsprinzip ist ein schutzwürdiges Vertrauen gegen Änderungen in einer feststehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung dagegen insbesondere wegen der Unabhängigkeit des Richters nicht anzunehmen 95 . Ein schutzwürdiges Vertrauen des Bürgers in Rechtrnäßigkeit und Fortbestand eines ihn begünstigenden Hoheitsaktes macht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen dessen Beseitigung nur in Grenzen zulässig, da auch die Verläßlichkeit staatlichen Handeln für einen Rechtsstaat bedeutsam ist. Ein vergleichbarer Vertrauensschutz wird durch das strafprozessuale Verschlechterungsverbot geschaffen. Der AngeDer an diesem Komplex Interessierte wird erneut verwiesen auf Geppert, JURA 1992, 597, 602 f. und auf Kleinknecht / Meyer-Goßner, Rdn. 9 zu Art. 6 MRK mit den dortigen Hinweisen zu Rechtsprechung und Schrifttum. Zur Frage, ob Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip Prozeßhindernisse begründen, siehe verneinend Kleinknecht / Meyer-Goßner, Rdn. 148 Einl mit weiteren Hinweisen. 89 So schreibt Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 153. 90 Siehe Geppert, JURA 1992,597,600; Roxin, 40 Jahre Bundesgerichtshof, S. 92 f. 91 Vgl. BGHSt. 43,195,210. 92 So BVerfGE 63,343,358 f; BVerfGE 67, I, 14; BVerfG NJW 1993,3191; Bethge/Rozek, JuS 1997, 831, 833; Görisch, JuS 1997, 888, 890; Maunz-Dürig-Herzog/Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdn. 64; Jarass-Pieroth/ Jarass, Art. 20, Rdn. 47 ff. 93 Siehe dazu Görisch, JuS 1997, 888, 890 und Maunz-Dürig-Herzog/Herzog, Art. 20, Abschnitt VII, Rdn. 65 ff.: beide m. w. N. zu diesem Komplex. 94 Dazu Jarass-Pieroth/ Jarass, Art. 20, Rdn. 55 ffi. w. N. 95 Dazu Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 223, 431 ff.; vgl. ebenso Bunneister, insbesondere S. 26 ff., der betont, daß eine Bemühung, das Problem der sog. rückwirkenden Rechtsprechungsänderung durch Anerkennung von Vertrauensschutz auf gefestigte Rechtsprechung zu lösen, in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu den dem positiven Verfassungsrecht angehörenden Sätzen, daß richterliche Erkenntnisse ständig überprüfbar und änderungsfahig sind und Judikate jeglicher normativen Wirkung entbehren, steht. Ein Rückwirkungsverbot bei einem Rechtsprechungswandel im Strafrecht selbst unter Art. 103 Abs. 2 GG lehnt auch Tröndle, FS für Eduard Dreher, 1977, 117 ff. ab.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

klagte darf darauf vertrauen, daß sich die Rechtsposition, die durch das von ihm angegriffene Urteil geschaffen wurde, im Rechtsmittelverfahren nicht zu seinem Nachteil verschlechtert. Dieser im Instanzenzug fortwirkende Vertrauenstatbestand bindet das über das Rechtsmittel des Angeklagten entscheidende Gericht in seiner Sanktionierung. Ein wesentliches Element des Anspruchs auf ein faires Verfahren ist das Gebot der Waffengleichheit96 zwischen dem Ankläger auf der einen und dem Beschuldigten und seinem Verteidiger auf der anderen Seite. Der Grundsatz der Waffengleichheit gilt auch als Element eines "fair hearing" aus Art. 6 Abs. 1 MRK97 . Er besagt, daß jede Seite im Gerichtsverfahren gleiche und ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme haben muß und keine Seite gegenüber der anderen benachteiligt werden darf. Geboten ist die Ausstattung der betroffenen Verfahrensbeteiligten mit annähernd gleichen Rechten und Einflußmöglichkeiten. Das hat nicht nur seine Bedeutung im anglo-amerikanischen Strafprozeß, der als Parteienprozeß mit dem Ziel der Wahrheitsfindung durch Auseinandersetzung ausgestaltet ist98 , sondern soll auch im kontinentaleuropäischen Strafverfahren Geltung beanspruchen, was das BVerfG99 anerkennt, wenn das Prinzip der Waffengleichheit als Element des rechts staatlich gebotenen fairen Verfahrens genannt wird. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte sollen die gleichen Möglichkeiten zur Einflußnahme auf das Strafverfahren haben, ohne daß einer der beiden benachteiligt und ohne daß einer der beiden bevorteilt wird. Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist nach Ansicht des BVerfG 100 durch das Verlangen nach verfahrensrechtlicher Waffengleichheit von Ankläger und Beschuldigten gekennzeichnet und dient damit in besonderem Maße dem Schutz des Beschuldigten, für den bis zur Verurteilung die Vermutung seiner Unschuld streitet. Geboten ist bei Beachtung der jeweiligen unterschiedlichen Verfahrensrolle die Herstellung von "Chancengleichheit"IOI in der Beeinflußung des Verfahrens, geboten ist die Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Verfahrensbeteiligten. - Das Erfordernis der Waffengleichheit bedingt die Beiordnung eines Verteidigers für den Beschuldigten im Privatklageverfahren nicht schon deshalb, weil der Privatkläger anwaltlieh vertreten ist \02. Das BVerfG stellt erneut klar, daß das 96 Siehe BVerfGE 38, 105, 111; BVerfG NJW 1979, 1925 für den Zivilprozeß; BVerfG JZ 1983, 438; BVerfG NJW 1983, 1043; BGHSt. 36, 305, 309; BGH NStZ 1984, 419; OLG Hamm NStZ 1996,454,455. Siehe auch Hirsch in einem Sondervotum in BVerfGE 56, 185, 187, 189; Roxin, Strafverfahrensrecht, § ll, Rdn. 13; Geppert, JURA 1992,597,599 f; SKStPO-Rogall, Rdn. 106 Vor § 133; außerdem die umfassende Arbeit von Tettinger, Faimeß und Waffengleichheit, insbesondere S. 20 f. zu der Waffengleichheit als Element der Faimeß. 97 Vgl. Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 74 und Kohlmann, FS für Karl Peters, 1974, 311, 316f,321. 98 Vgl. Dörr, Faires Verfahren, 1984, S. 76 f. 99 BVerfGE 38, 105, Ill. 100 BVerfGE 38, 105, 111. 101 Vgl. SK-StPO-Rogall, Rdn. 107 Vor § 133; Geppert, JURA 1992,597,599.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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rechts staatliche Gebot fairer Verfahrensführung nicht abstrakt zu bestimmen ist, sondern nur in seiner Bedeutung im Blick auf das jeweilige verfahrensregelnde Prozeßrecht. Wenn auch die §§ 121 Abs. 2 ZPO und 11 a Abs. 1 ArbGG bestimmten, so das BVerfG in seinen Gründen, daß einer Partei ein Anwalt beizuordnen sei, wenn die Gegenpartei ihrerseits einen Anwalt habe, so liege das in der Natur des Parteiprozesses dieser Verfahren. Die Regelung sei aber nicht auf das Privatklageverfahren übertragbar, das trotz einiger Elemente eines Parteiprozesses nicht den Charakter eines Strafverfahrens mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Garantien verlöre. - Im Zusammenhang mit der verfahrensrechtlichen Behandlung sog. Spurenakten spricht das BVerfG lO3 aus, daß der Gesichtspunkt der Waffengleichheit es nicht erfordert, verfahrensspezifische Unterschiede in der Rollenverteilung von Staatsanwaltschaft und Verteidiger in jeder Beziehung auszugleichen. Die vorstehenden Beispiele zur Waffengleichheit zeigen bei genauerer Betrachtung, daß die Rechte des Angeklagten unter Achtung seiner verfahrens spezifischen Rolle genügend gewahrt bleiben, um die erforderliche Mitwirkung am Strafverfahren zu sichern. Eine gleichmachende Nivellierung der Rechte der Verfahrensbeteiligten ist unter dem Grundsatz der Waffengleichheit nicht gefordert. Das Gebot der Waffengleichheit bedingt keine schematische Gleichbehandlung von Anklage und Verteidigung. Grundsätzliche Waffengleichheit im Prozeß und gleichmäßige Verteilung des Risikos am Verfahrensausgang sind die verfassungsrechtlich gebotenen Erfordernisse des Gleichheitssatzes wie auch des Rechtsstaatsprinzips, fordert das BVerfG I04 . Zu fragen bleibt, ob dann aber nicht das Verbot der reformatio in peius, wenn es nicht schon gesetzlich verankert wäre, "erfunden" werden müßte, um dem Gebot eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens zu genügen und um Waffengleichheit im Sinne einer gleichmäßigen Risikoverteilung im Verfahren zu schaffen. Wenn die Antwort auf diese Frage ,ja" lautet, wäre das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius gesetzlicher Ausdruck des "fair trial". Das Verbot soll eine einseitige Begünstigung des Angeklagten als Ausgleich für die naturgemäß bestehende Ungleichheit der Position und Waffen darstellen 105. Als Inhaberin des staatlichen Aufklärungsapparates und getragen von staatlicher Autorität ist die Staatsanwaltschaft als Institution und in der Person des einzelnen Staatsanwalts institutionell, menschlich und psychologisch nicht in der für einen Angeklagten besonderen Weise von einem Strafverfahren in Vorbereitung, Durchführung und Folgen betroffen. Wenn die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel mit 102 So BVerfG JZ 1983, 438. Beachte hierzu auch den ablehnenden Beschluß nach § 32 BVerfGG vorn 5. 2. 1981 in BVerfGE 56, 185 mit dem gegenstimmigen Sondervotum von Hirsch, S. 187 ff. 103 BVerfG NJW 1983, 1043, 1045 =NStZ 1983, 273, 274 f. (Fall Oetker). Hierzu Schneider, JURA 1995, 337, 340 f. mit Literatur zum Problem. 104 BVerfGE 52, 131, 144. 105 So formuliert Seibert, MDR 1954, 340.

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I. Teil: Allgemeine Grundlagen

dem Ziel, die materielle Gerechtigkeit zu erreichen, einlegen will, geht sie nicht ein dem Angeklagten vergleichbares Risiko ein. Wie auch immer ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft im Ergebnis ausgehen mag, sie steht nicht unter derselben psychologischen Zwangssituation wie der betroffene Angeklagte. Insofern verschafft das Verschlechterungsverbot dem Angeklagten einen Ausweg aus dem ihn belastenden psychologischen Dilemma, und es schafft ein Stück Waffengleichheit im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft. Beide sollen gleichermaßen unbefangen überlegen und prüfen, ob sie von den ihnen zustehenden Rechtsmitteln unter Verfolgung ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen Gebrauch machen. Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die als Staatsorgan zur unparteiischen Mitwirkung an der Rechtspflege verpflichtet ist 106, im Interesse materieller Gerechtigkeit tätig zu sein. Sie ist dabei an Legalität und Objektivität gebunden. Diese Aufgabe kommt dem Angeklagten gerade nicht zu. Ohne das Verbot der reformatio in peius würde jedes Rechtsmittel des Angeklagten den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit gewährleisten, den das Verschlechterungsverbot im Spannungsverhältnis des Rechtsstaatsprinzips gerade durchbricht. Diese zu verfolgen ist aber nicht die Aufgabe des Angeklagten. Während die Staatsanwaltschaft das Ziel der materiellen Gerechtigkeit und das der rechtlichen Richtigkeit im Strafverfahren verfolgen muß, ist der Angeklagte insofern in seiner Entscheidung freier; sein Ziel darf es sein, allein ein für ihn günstigeres, eben milderes Urteil im Rechtsmittelverfahren zu erreichen. Das Risiko eines Nachteils soll er dabei nicht tragen müssen. Dieser Unterschied ist in der unterschiedlichen Rollengestaltung der Verfahrensbeteiligten im deutschen Strafverfahren bedingt. Indem das Verbot der reformatio in peius vom Angeklagten den psychologischen Druck nimmt, eine Verschärfung des Ersturteils befürchten zu müssen, gleicht das Verschlechterungsverbot die Situation des Angeklagten derjenigen der Staatsanwaltschaft an und schafft ein Stück Waffengleichheit als Teil des Anspruchs auf ein faires Verfahren. Das BVerfG!07 spricht in einer wegen ihrer allgemein-abstrakten Problematik für alle Prozeßarten bedeutsamen Entscheidung anschaulich von dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot des vorhersehbaren und fairen gerichtlichen Verfahrens. Das Verschlechterungsverbot gewährt dem Angeklagten ein bewahrendes Vertrauen dahingehend, im Rechtsmittelverfahren keinen Nachteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen zu erfahren. Das Risiko der Rechtsmitteleinlegung soll für ihn auch unter dem Aspekt eines weiten gerichtlichen Spielraums bei der Zumessung von Strafen und Maßregeln vorhersehbar sein, wenn er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch zu machen gedenkt. Durch eine solche Bindung der Rechtsmittelgerichte wird vermieden, daß beim Betroffenen der Eindruck entsteht, für seine Rechtsmitteleinlegung mit einem Sanktionszuschlag "bestraft" zu werden. Der bloße Anschein der "Sank106 Die Staatsanwaltschaft sei verpflichtet, "als Wachter des Gesetzes ebensosehr dem Schutz des Beschuldigten zu dienen, wie sie zu seiner Überführung beitragen soll". Diese hehren Worte finden sich bei BGH (Z) NJW 1956, 1028, 1029. 107 BVerfGE 87, 48, 65 (zu Beschwerdeverfahren in Asylsachen).

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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tionierung" einer Wahrnehmung von Beschuldigtenrechten ist in einer rechtsstaatlichen Rechtsordnung zu vermeiden. Gäbe es das Verbot nicht, müßte es als Ausdruck der Waffengleicheit aus Gründen der Fairneß "erfunden" werden. Somit findet das Verschlechterungsverbot neben Art. 103 Abs. 3 GG auch im rechts staatlichen Grundsatz des "fair trial" eine dogmatische Grundlage. Der Gesetzgeber hat daher mit dem strafprozessualen Verbot der reformatio in peius der an ihn aus dem Fairneß-Gebot gestellten Direktive Genüge getan. Diesem Gebot ist nunmehr als Auslegungsdirektive für das Prozeßrecht Folge zu leisten. Wenn dagegen die Charakterisierung des Verschlechterungsverbots als Rechtswohltat seit 1956 mit BGHSt. 9, 324 (332) in der Rechtsprechung und im Schrifttum vorgenommen wird, ohne eine rechtsstaatliche Ableitung zu erwägen, so mag man heute damit leben können, da eine Forderung nach Abschaffung des Verschlechterungsverbots nicht aktuell ist. Aber der Begriff "Rechtswohltat" wirft eben die ,,ketzerische" Frage auf, ob eine Beseitigung nicht ohne weiteres genauso wie die Gewährung möglich ist. Die Antwort auf diese Frage ist nach der Herleitung des Verschlechterungsverbots aus dem Rechtsstaatsprinzip eindeutig.

3. Die zu erwartenden Einwände Wenn mit dem Verbot der Doppelbestrafung und dem Fairneß-Gebot die rechtsstaatlichen Grundlagen für das strafprozessuale Verschlechterungsverbot gelegt sind, so soll auch auf die möglichen Gegenargumente eingegangen werden, wobei auf die Schwierigkeit hinzuweisen ist, daß für den Standpunkt, das Verschlechterungsverbot sei keine zwingende Konsequenz des Rechtsstaates, sondern nur eine Rechtswohltat, wenig argumentiert wird.

In BGHSt. 9, 324 (332) lautet das einzig sachliche Argument, daß das Verschlechterungsverbot in Staaten wie der Schweiz oder Großbritannien ganz oder weitgehend unbekannt ist und dennoch an dem rechtsstaatlichen Charakter dieser Länder keine Zweifel bestehen. Ebenso wird auf die Uneinheitlichkeit der Geltungskraft in den deutschen Ländern bis zum Vereinheitlichungsgesetz von 1950 verwiesen 108• Diese Punkte können jedoch keine überzeugenden Argumente gegen die rechts staatliche Herleitung sein. Allein der Hinweis auf die Rechtsordnung anderer Länder liefert keinen Grund, dem strafprozessualen Institut des Verbots der reformatio in peius die rechtsstaatliehe Grundlage unter der Geltung des Grundgesetzes zu verweigern. Die mangelnde Überzeugungskraft dieses Arguments sei an folgendem Beispiel veranschaulicht: In einem Urteil des BGH 109 zur Verlesbarkeit ausländischer, und zwar schweizerischer Vernehmungsniederschriften zum Zwekke der Beweisaufnahme über ein Geständnis zeigt sich, daß nach dem Gesetz über die Strafprozeßordnung des Kantons Luzern eine entsprechende Belehrung, wie 108 109

Vgl. hierzu nochmals Schmidt, JR 1950,193,195. BGH JR 1995, 251 mit einer Anm. von Hauser.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

sie bei der Vernehmung des Beschuldigten von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO vorgeschrieben ist, über dessen Aussagefreiheit dort nicht vorgesehen ist. Dieses Fehlen könne es jedoch schwerlich rechtfertigen, die schweizerischen Vernehmungen als den grundlegenden rechts staatlichen Anforderungen widersprechend zu beurteilen, schreibt der BGH. Dagegen betont der BGH 1IO in seinem bahnbrechenden Beschluß zum Verwertungsverbot bei einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, daß das Schweigerecht, wonach niemand im Strafverfahren gegen sich selbst auszusagen brauche, zu den tragenden Prinzipien des Strafprozesses gehöre und die Achtung vor der menschlichen Würde zum Ausdruck bringe. Die Anerkennung des Schweigerechts schütze das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten und sei notwendiger Bestandteil eines fairen Verfahrens. Die Belehrung über das Schweigerecht sichere daher auch ein faires Verfahren und sei zur Wahrnehmung des Rechts erforderlich. Nun ließe sich als Argument für eine Abschaffung der Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO anführen, daß der Kanton Luzern wie auch die meisten anderen Kantone in der Schweiz eine entsprechende Belehrung gerade nicht vorsehen lll und die Schweiz als solche dennoch als Rechtsstaat anzusehen ist. Was in der rechtsstaatlichen Schweiz nicht erforderlich sei, brauche auch in der rechtsstaatlichen deutschen StPO nicht aufgenommen zu werden, könnte gesagt werden. Ein Argument, das kaum die Abschaffung der Be1ehrungspflicht über die Aussagefreiheit des Beschuldigten rechtfertigen könnte. Das zeigt, daß allein mit dem rechtsvergleichenden Hinweis auf andere rechtsstaatliche Rechtsordnungen die Bestimmung rechtsstaatlicher Grundsätze nicht möglich ist. So weist auch der BGH 1l2 auf die Vorsicht hin, die wegen der unterschiedlichen strafprozessualen Prinzipien bei Rechtsvergleichen geboten ist. Das Rechtsstaatsprinzip ist ein sich in jeder spezifischen Rechtsordnung in der Fortentwicklung befindliches Prinzip, das nicht erstarrt und auf ewig festgeschrieben ist. Meyer-Goßner ll3 erwähnt eine Vielzahl von einschränkenden Punkten, die gegen das Verschlechterungsverbot in seiner Bedeutung als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz sprechen. Wenn sich die Richtigkeit dieser Behauptung auf Grund der vielfachen Durchbrechungen des Verbots der reformatio in peius ergeben sollte, wäre auch die Begründung im Rechtsstaatsprinzip erschüttert. Erstens 114 schränken die §§ 331, 358 und 373 StPO das Verschlechterungsverbot ihrerseits ein, indem sie es de lege lata jeweils gestatten, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt anzuordnen. Die beiden ge110 BGHSt. 38, 214, 220 f. Siehe zum "nemo tenetur"-Grundsatz insbesondere die sog. Gemeinschuldnerentscheidung BVerfGE 56,37,43 ff.; aber auch BVerfGE 38, 105, 113; 80, 109, 121. 111 Siehe hierzu Hauser, JR 1995,253,254 f. 112 BGHSt. 38, 214, 228. 113 FS für Theodor K1einknecht, 1985,287.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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nannten Maßregeln dürfen im Rechtsmittelverfahren nachträglich zusätzlich verhängt werden oder an die Stelle anderer Strafen oder Maßregeln der Besserung und Sicherung gesetzt werden. Das Verschlechterungsverbot setzt deren Anordnung keine Grenzen. Zuzugeben ist, daß diese Regelung eine Ausnahme von dem Verbot der reformatio in peius darstellt. Freilich können auch Verfassungsgrundsätze eine Einschränkung erfahren, wenn die einschränkende Vorschrift ihrerseits vom Verfassungsrecht getragen ist und im konkreten Einzelfall im Interesse einer höher einzustufenden Zielsetzung angeordnet wird. Auch die "Heilmaßnahmen" der §§ 63 und 64 StGB sind durch das Prinzip der Güterabwägung legitimiert. Wie alle Maßregeln dürfen auch sie nur angeordnet werden, wenn die Gefahrenprognose bezüglich des einzelnen Täters der Vorbeugung erheblicher Straftaten zum Schutz der Allgemeinheit erfordert, während allein Heilung oder Besserung um ihrer selbst willen dem Menschenbild der im Grundgesetz niedergelegten Werteordnung widerspricht. Andererseits zeigt sich aber auch die Schutzpflicht des Sozialstaates gegenüber seinen Bürgern darin, daß der Staat verpflichtet ist, den "Kranken" Hilfe und Heilung anzubieten. Diese verfassungsrechtlichen Interessen kollidieren mit dem rechtsstaatlichen Element des Verschlechterungsverbots und könnten im Einzelfall zu einer Durchbrechung dieses Grundsatzes führen, getragen von der Verpflichtung des Staates, erheblichen Straftaten vorzubeugen und zu Gunsten der "Kranken" Maßnahmen zu ergreifen. Zweitens ll5 hat der Gesetzgeber in § 411 Abs. 4 StPO eine dem Verschlechterungsverbot entgegengesetzte Entscheidung getroffen. Nach einem Einspruch gegen einen Strafbefehl hat das Verbot keine Geltung. Die Geltungskraft des Verschlechterungsverbots im Strafbefehlsverfahren ist dennoch umstritten. Daß das Gericht auch bei gleichem Schuldspruch und ohne sonstige Veränderung der Sachlage eine andere, insbesondere höhere Strafe oder auch eine andere (auch schärfere) Rechtsfolge verhängen kann, bildet die eine Ansicht ll6 . Eine einschränkende Ansicht geht dahin, daß das Gericht von einer verschärfenden Sanktionierung Abstand nehmen sollte, wenn sich keine neuen, schwerwiegenderen Umstände ergeben ll7 , bzw., daß das Gericht in diesem Fall keine Strafverschärfung vornehmen darf, da ansonsten das im Gleichheitssatz enthaltene Willkürverbot, gleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln, verletzt werde lls . Der Streit, ob eine Strafe verschärft werden darf, wenn die Hauptverhandlung gegenüber dem Akteninhalt des summarischen Verfahrens keinen schwerwiegenderen Sachverhalt ergeben hat, soll hier noch unbeantwortet bleiben. Die eingeschränkte Wirkung Vgl. Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,291 f. Vgl. Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,292. 116 Siehe KMR-Fezer, Rdn. 38 zu § 411; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 11 zu § 411; KK-Fischer, Rdn. 31 zu § 411: alle m. w. N. ll7 So die Formulierung bei Frisch, JA 1974, 91, 94. 118 Vgl. Gerhardt, S. 23. Für diese Einschränkung tritt auch Ostler, NJW 1968, 486, 487 ein. Schom, S. 19 f. äußert rechts staatliche Bedenken bezüglich der Nichtanwendung des Verbots im Strafbefehlsverfahren. 114 115

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

des Verschlechterungsverbots im Strafbefehlsverfahren läßt sich in jedem Fall damit legitimieren, daß in einem summarischen Verfahren wie dem Strafbefehlsverfahren der staatliche Strafanspruch durch den Strafbefehl gerade nicht verbraucht wird. Weder der Gedanke des Art. 103 Abs. 3 GG noch der Grundsatz der Waffengleichheit - nur der Angeklagte" 9 kann einen Einspruch einlegen, die Staatsanwaltschaft ist, um im Bild der Waffengleichheit zu bleiben, unbewaffnet - fordert im Strafbefehlsverfahren zwingend das Verschlechterungsverbot. Die einseitige Straffestsetzung in einem schriftlichen Verfahren ohne Hauptverhandlung und Urteil, ohne Einhaltung der Grundsätze der Öffentlichkeit, der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit zeigt die geringere Bestandsgarantie des Strafbefehls, was eine abweichende Behandlung erlaubt, wie umfangreich diese Abweichung auch sein mag. Drittens 120 wird von Meyer-Goßner angeführt, daß die Möglichkeit einer Schuldspruchverschärfung gegen die Geltung des Verschlechterungsverbots als allgemeinen Rechtsgrundsatz spricht. In dieser den Instanzgerichten zugestandenen Eingriffsmöglichkeit auf das frühere Urteil kommt jedoch zum Ausdruck, daß auch das Instanzgericht der sachlichen Richtigkeit des materiellen Rechts verpflichtet ist und aus diesem Grund nicht ein materiell unrichtiges Urteil fällen darf. Es ist ihm jedoch durch das Verbot der reformatio in peius untersagt, aus dem berichtigten Rechtsfehler im Schuldspruch für den Angeklagten nachteilige Folgerungen zu ziehen, wenn nur mit Wirkung zugunsten des Angeklagten Rechtsmittel erhoben sind. Die Schuldspruchberichtigung steht daher in Einklang mit dem Verbot der reformatio in peius. Diese habe der Angeklagte bei seiner Rechtsmitte1einlegung in Kauf zu nehmen 121 . Wenn man wie Meyer-Goßner l22 aus der Entstehungsgeschichte des Verschlechterungsverbots dessen Verallgemeinerung ablehnen und ihm nur eine Ausnahmeregelung zugestehen will, so ist ihm zwar darin zuzustimmen, daß die Geschichte des Verbots der reformatio in peius eine wechselvolle ist. Jedoch mit dem Vereinheitlichungsgesetz vom 12. 9. 1950 123 ist das Verschlechterungsverbot erneut in der StPO verankert, und unter dem Aspekt seiner rechtsstaatlichen Herleitung ist anzumerken, daß der Rechtsstaat eine sich entwickelnde Figur ist, die stets neue Elemente aufzunehmen weiß. 119 Einspruchsberechtigt sind auch der gesetzliche Vertreter und der Verteidiger, wie § 410 Abs. 1 Satz 2 StPO durch Verweis auf §§ 297, 298 StPO bestimmt. Wenn allein der gesetzliche Vertreter Einspruch einlegt, muß das Verschlechterungsverbot gelten, da ansonsten der Angeklagte die Gefahr einer Verschärfung des Urteils nicht dadurch verhindern könnte, daß er selbst keinen Einspruch einlegt, so zutreffend KMR-Fezer, Rdn. 39 zu § 411 und KK-Fischer, Rdn. 2 zu § 410. Anderer Auffassung ist KleinknechtlMeyer-Goßner, Rdn. 11 zu § 411. 120 Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,292. 121 So der BGHSt. 37, 5, 9. 122 FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,292 f. 123 BGB!. 1950 I , 455.

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Gegen das hier vertretene Ergebnis der Einordnung des Verschlechterungsverbots in das Rechtsstaatsprinzip spricht auch nicht, daß Art. 19 Abs. 4 GG keinen Instanzenzug gewährleistet. Art. 19 Abs. 4 GG gewährt Rechtsschutz durch, aber nicht gegen den Richter 124 . Das weckt den Gedanken, daß, wenn der tragende Instanzenzug nicht rechtsstaatlich erforderlich ist - nur bei einem Instanzenzug hat das Verbot der reformatio in peius eine Bedeutung -, könne auch das daran hängende Element des Verschlechterungsverbots nicht rechts staatlich begründet sein. Diese Schlußfolgerung ist ein Trugschluß. Wenn eine Verfahrensordnung einen mehrstufigen Rechtsweg eröffnet, muß dieser auch rechtsstaatlich gestaltet sein. Ansonsten wäre es möglich, jedes rechtsstaatliche Element ab der zweiten Instanz zu mißachten. Das aber widerspräche dem rechtsstaatlichen Prinzip, dem alles staatliche Handeln verpflichtet ist. Ein letzter Blick soll auf die anderen Verfahrens ordnungen gerichtet sein. Im Zivil- und im Verwaltungsprozeß stellt sich die Frage nach dem Verbot der reformatio in peius auf Grund der in diesen Prozeßordnungen herrschenden Dispositionsmaxime nicht in dem Umfang wie im Strafverfahren. Im Zivilprozeß 125 wird die Bindung des Gerichts an die Anträge der Parteien in § 308 ZPO und im Verwaltungsprozeß in § 88 VwGO vorgegeben. Beispielhaft sei angeführt, daß das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage eines Bürgers gegen einen Gebührenbescheid nicht zum Anlaß nehmen darf, bei der Abweisung der unbegründeten Klage den Bescheid in seiner Höhe zu verbösern. Dagegen steht gerade die Bindung an den Klageantrag nach § 88 VwGO. Zulässig dagegen, obgleich heftig umstritten, ist die Möglichkeit einer reformatio in peius im verwaltungs gerichtlichen Vorverfahren. Die mögliche Verschlechterung wird damit begründet, daß das Widerspruchsverfahren nicht nur ein Rechtsschutzverfahren, sondern im seI ben Zug auch ein Verwaltungsverfahren ist, in dem nach § 68 VwGO nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit zu überprüfen ist, so daß die Widerspruchsbehörde dieselbe Entscheidungskompetenz wie die Ausgangsbehörde haben soll. Die Zulässigkeit einer reformatio in peius in diesem noch außergerichtlichen Bereich zeigt sich auch in § 79 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wonach bei einer besonderen Beschwer durch den Widerspruchs bescheid dieser auch allein zum Klagegegenstand gemacht werden kann. Die Möglichkeit der reformatio in peius im Beschwerdeverfahren soll nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen, da die Behörde, wenn auch zuungunsten des Betroffenen, die materielle Rechtsordnung verwirklicht 126 . Die Regelung bildet keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, da sie sich aus der besonderen Rechtsnatur des Widerspruchsverfahrens, aus des124 Siehe nur BVerfGE 87, 48, 61; auch Bonner-Kommentar-Schenke, Art. 19, Rdn. 275; von Münch/Kunig-Krebs, Art. 19, Rdn. 57, 63; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdn.337. 125 Siehe dazu Zeiss, Zivilprozeßrecht, Rdn. 683,716. 126 Siehe Freitag, S. 44 f. Anderer Auffassung ist der BayVGH DÖV 1953,93 Nr. 73 unter Hinweis auf die rechts staatliche Neuordnung. Umfassende Nachweise zum Verbot der reformatio in peius im Widerspruchsverfahren bei Kopp, Rdn. 10 zu § 68.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

sen Doppelnatur als Rechtsschutz- und Verwaltungsverfahren, rechtfertigen läßt. Dagegen hat das Verschlechterungsverbot im gerichtlichen Verfahren umfassende Geltung, was sich jedoch infolge der Bindung an die Anträge der Parteien als Ausfluß der Dispositionsmaxime im Zivil- und Verwaltungsgerichtsverfahren nicht auswirkt. Zusammenfassend ist zu sagen, daß die vorgebrachten und die zu erwartenden Gegenargumente gegen die Herleitung des Verbots der reformatio in peius aus dem Rechtsstaatsprinzip sich mit sachlichen und von der Verfassung getragenen Gründen in Einklang mit dem Verschlechterungsverbot setzen lassen. Es liegt in dem rechtsstaatlichen Charakter des Verschlechterungsverbot selbst, daß es mit anderen verfassungsrechtlichen Grundsätzen kollidiert und in Ausgleich zu setzen ist. Als Ergebnis der Untersuchung ist festzuhalten daß das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius der §§ 331, 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO Verfassungsrang hat. Es bildet ein Element des Rechtsstaatsprinzips. Es läßt sich aus Art. 103 Abs. 3 GG und aus dem im "fair trial" angelegten Vertrauensgrundsatz herleiten. Das Verschlechterungsverbot ist mehr als eine zur Disposition des Gesetzgebers stehende Rechtswohltat zugunsten des Angeklagten. Es schafft ein Stück Waffengleichheit zwischen dem Ankläger und dem Angeklagten im Rechtsmittelzugang. Erst die verfassungsrechtliche Legitimation erlaubt, daß das Verbot dem Ziel und Zweck des Strafverfahrens, den schuldigen Angeklagten der gerechten Strafe zuzuführen, widerstreitet. Die Durchbrechung des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit allein durch eine im Belieben des Gesetzgebers gestellte Rechtswohltat zugunsten des Angeklagten erscheint dagegen bedenklich. Die möglichen Einschränkungen des Verschlechterungsverbots müssen ihrerseits an Verfassungsgrundsätzen gemessen werden. Die Herleitung des Verschlechterungsverbots aus dem Rechtsstaatsprinzip hat dabei insbesondere Bedeutung für seinen Umfang und für seine Auslegung.

v. Der Begriff des "Nachteils" "Das Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Berufung eingelegt hat", so heißt es in § 331 Abs. 1 StPO und entsprechend in den §§ 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO für die Revision und die Wiederaufnahme des Verfahrens. Im folgenden Abschnitt soll der Begriff des Nachteils unter Darstellung der unterschiedlichen Ansätze in Rechtsprechung und Schrifttum einer näheren Analyse unterzogen werden. Wie sich noch zeigen wird, wendet keine Seite für die Strafe und für die Maßregeln einen unterschiedlichen Bewertungsmaßstab für die Bestimmung des Nachteils im Sinne der strafprozessualen Vorschriften zum Verschlechterungsverbot an. Vielfach wird der Begriff des Nachteils bezüglich der Strafe breit und

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ausführlich erörtert, um dann in einem Nachsatz anzumerken, daß die Maßregeln der Besserung und Sicherung gleichzubehandeln sind. In dieser Arbeit soll der Begriff mit einem besonderen Augenmerk auf die Maßregeln behandelt werden, wobei an erster Stelle eine Darstellung der Rechtsprechung steht und in zweiter Reihe das Schrifttum in seinen unterschiedlichen Schattierungen Erörterung findet.

1. Die Frage nach einem möglichen Maßstab

Ob ein Nachteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen zuungunsten des Angeklagten gegeben ist, muß durch einen Vergleich der im angefochtenen Urteil enthaltenen Sanktionen mit denjenigen Sanktionen beurteilt werden, die von dem Gericht angeordnet werden wollen, das an das Verschlechterungsverbot gebunden ist. Klärungsbedürftig ist, nach welchem Maßstab die Verschlechterung in diesem Vergleich zu bestimmen ist: In Betracht zu ziehen ist ein genereller Maßstab, der insbesondere verfassungsrechtliche und gesetzliche Vorwertungen berücksichtigt. Es könnten die konkreten Umstände des Einzelfalles, insbesondere die Belastbarkeit und Leidensempfindlichkeit des einzelnen, bei der Bewertung Beachtung finden. Oder es ist allein ein subjektiver Maßstab entscheidend, der von vernünftigen Wünschen des einzelnen abhängig ist oder davon sogar unabhängig. Einen Hinweis auf einen Beurteilungsmaßstab für eine Verschlechterung findet man eventuell in § 72 StGB. Wenn man die Vorschrift, die die Maßregelkonkurrenz regelt, liest, stößt man in Absatz 1 Satz 2 auf die Bestimmung, daß unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben ist, die den Täter am wenigsten beschweren. Zu klären ist, welcher Maßstab zur Bestimmung anzuwenden ist, was am wenigsten beschwert, und ob dieser Maßstab aus § 72 StGB richtungweisend für das prozessuale Institut des Verschlechterungsverbots sein kann. Wenn wegen der Anlaßtat die Voraussetzungen für die Anordnung mehrerer Maßregeln erfüllt sind, ist vorrangig die Maßregel anzuordnen, die am geeignetsten ist, den Zweck, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu beschützen, zu erreichen. Nur wenn mehrere Maßregeln gleichermaßen geeignet sind, den Maßregelzweck zu erfüllen, hat das Gericht die Maßregel anzuordnen, die den Täter am wenigsten beschwert. Für den Fall, daß sich nach diesen Vorgaben keine Auswahl treffen läßt, bestimmt § 72 Abs. 2 StGB in der Anordnung die Kumulation der Maßregeln. Den Gedanken der Geeignetheit und Zweckmäßigkeit kommt bei der Maßregelkonkurrenz der Vorrang zu 127 • Mehrere Maßregeln kommen insbesondere in Betracht, wenn der Täter in verschiedener Hinsicht gefährlich ist und die Anordnung einer einzigen Maßregel den verschiedenen Gefahren nicht begegnen kann. Die Beurteilung nach der geringsten Beschwer steht damit nach der Geeig127 In diesem Sinne schon das RGSt. 73, 101, 102 f. Vgl. ebenso LK-Hanack, Rdn. 7 zu § 72; Bruns, JZ 1954,730,731; ders., ZStW 60 (1940), 474, 489 ff.; Tröndle, Rdn. 2 f. zu § 72.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

netheit und Zweckmäßigkeit bei der Maßregelkonkurrenz an letzter Stelle der Auswahlkriterien. Nur wenn die vorrangige Prüfung von Geeignetheit und Zweckmäßigkeit nicht zu einem abschließenden Ergebnis führt, entsteht die Frage, welche Maßregel den Tater am wenigsten beschwert. Was am wenigsten beschwert, soll jeweils anhand der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls nach der Persönlichkeit des Angeklagten und den gesamten Umständen zu beurteilen sein 128 . Diese Beurteilung ist nach objektiven Gesichtspunkten vorzunehmen, wobei aber auch etwaige Wünsche des Betroffenen mitberücksichtigt werden sollen, sofern dafür sachliche Gründe vorhanden sind. Eine generelle Regel, daß die eine Maßregel immer mehr beschwere als eine andere, soll es nicht geben, wie Hom 129 etwa bezogen auf Berufsverbot und Führungsaufsicht mit einem Tatigkeitsverbot oder bezogen auf die Sicherungsverwahrung und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus behauptet. Andererseits sollen sich gewisse objektive Gesichtspunkte für die Frage der geringsten Beschwer aufdrängen 130. So erachtet auch Hanack zwar die Führungsaufsicht als eine sehr belastende Maßregel, der gegenüber das Berufsverbot nicht zwingend eine schwerer wiegende Maßregel ist, dagegen erachtet er nicht-freiheitsentziehende Maßregeln auch in Kombination regelmäßig als weniger beschwerend als freiheits entziehende 131. Andere wollen dagegen generell die Anordnung der Führungsaufsicht bei gleichem Schutz einem Berufsverbot vorziehen 132. Entscheidend für Auswahl und Vorrang der einzelnen Maßregeln sind aber die Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls; eine generelle Antwort auf die Frage, ob eine oder mehrere und welche Maßregeln anzuordnen sind, ist nicht möglich, da die Maßregeln im einzelnen unterschiedlichen Gesichtspunkten und Gefahren Rechnung tragen 133. Die konkrete Betrachtungsweise bei der Auswahl der Maßregeln kommt auch in der Rechtsprechung des BGH zum Ausdruck, wenn das Gericht für die Auswahl oder Häufung konkurrierender Maßregeln die besonderen Umstände des Einzelfalls für ausschlaggebend erklärt 134. Speziell bezogen auf die Maßregeln der Sicherungsverwahrung und der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus stellt der BGH 135 fest, daß unter dem Gebot der geringsten Beschwer nach § 72 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht zwingend die Maßregel nach § 63 StGB angeordnet werden muß, da sie gegenüber der Sicherungsverwahrung "kein geringeres, sondern ein anderes Übel,,136 ist. Es ist von Ge128 Vgl. zu diesem konkreten Maßstab: LK-Hanack, Rdn. 13 zu § 72; SK-StGB-Hom, Rdn. 4 zu § 72; Tröndle, Rdn. 3 zu § 72; Bruns, JZ 1954,730,732; ders., ZStW 60 (1941), 474,496 f. 129 SK-StGB-Hom, Rdn. 4 zu § 72. 130 So LK-Hanack, Rdn. 14 zu § 72. 131 So LK-Hanack, Rdn. 14 zu § 72. l32 Sch. / Sch. / Stree, Rdn. 4 zu § 72. m So LK-Hanack, Rdn. 3 zu § 72. 134 BGHSt. 5, 312, 315. m BGH NStZ 1981, 390. In bezug auf die Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB verlangt der BGH NStZ-RR 1996, 162 nach § 72 Abs. 1 Satz 2 StGB die Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer

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setzes wegen nicht ausgeschlossen, daß die beiden freiheitsentziehenden Maßregel kumulativ angeordnet werden. Wenn sich bei der materiellen Vorschrift des § 72 StOB für die Auswahl und Häufung der Maßregeln in der Frage nach der Beschwer eine konkrete Betrachtung zeigt, so ist dieser am Einzelfall orientierte Maßstab nicht zwingend ungeprüft für das prozessuale Institut des Verschlechterungsverbots anzuwenden. Der Begriff des Nachteils in Art und Höhe der Rechtsfolgen in den §§ 331 Abs. 1,358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO ist aus deren Schutzzweck heraus zu bestimmen, um für den Angeklagten ein Maß an Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit bei der Rechtsmitteleinlegung zu setzen. Ob dies mit einer konkreten Betrachtungsweise möglich ist, bedarf einer gesonderten Prüfung, die nun ausgehend von der Rechtsprechung vorgenommen werden soll.

2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs Innerhalb der Rechtsprechung zeigen sich Anklänge an einen generell-objektiven, einen konkret-individuellen und auch an einen subjektiven Beurteilungsmaßstab für die Bestimmung des Nachteils im Verbot der reformatio in peius. Allerdings erscheint ein generell-objektiver Maßstab zur Beurteilung einer Verschlechterung in den Rechtsfolgen die anerkannte Orundtendenz, während die anderen angewandten Entscheidungsmaßstäbe eher Ausnahmeentscheidungen in der Rechtsprechung geblieben sind. Es sei nochmals gesagt, daß bis zum Jahr 1933 ein Maßregelkatalog im StOB nicht vorhanden war. Insofern beziehen sich die einschlägigen Urteile bis zu diesem Zeitpunkt auf den Stratbegriff. Mit der Abschaffung des Verbots der reformatio in peius im Jahre 1935 war das Nebeneinander der Maßregeln und des Verschlechterungsverbot wieder beendet. Erst mit dem Vereinheitlichungsgesetz im Jahre 1950 galt wieder das Nebeneinander und damit die erörterte Problematik. a) Der generell-objektive Maßstab in der Rechtsprechung RGSt. 69, 76 (2 D 1384/34) und BGHSt. 25, 38 (2 StR 422/72)

In einer Entscheidung des RO l37 heißt es, daß die Frage, welche von zwei im gegebenen Falle in Betracht kommenden Strafen als die härtere anzusehen sei, nicht nach einem subjektiven Maßstabe, etwa dem Empfinden des Angeklagten oder der Anschauung des gewöhnlichen Lebens oder dem Ermessen des Richters, sondern nur nach dem objektiven Maßstabe entschieden werden könne, welcher Entziehungsanstalt, da diese den Täter weniger als die Maßregel nach § 64 StGB beschweren soll. Diese Wertung nimmt auch Hanack, LK, Rdn. 14,21 zu § 72 vor. 136 So BGHSt. 5, 312, 314. 137 RGSt. 40, 411, 412.

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durch die Bestimmung des Strafgesetzbuches über das Verhältnis der zulässigen Strafen oder Strafarten zueinander an die Hand gegeben werde. Zur Zeit dieser Entscheidung, anno 1907, nannte das StGB 138 in seinem § 1 noch vier Arten von zulässigen freiheitsentziehenden Strafen: Zuchthaus, Festungshaft, Gefängnis, Haft. Aus dem desgleichen zur damaligen Zeit geltenden § 21 entnahm das RG 139 einen objektiven Bewertungsmaßstab für eine mögliche Verschlechterung und sah die Umwandlung einer fünfjährigen Zuchthausstrafe in eine sechseinhalbjährige Gefangnisstrafe nicht als eine Verschlechterung im Sinne des damaligen § 398 Abs. 2 StPO an, indem er den Umrechnungsmaßstab aus § 21 StGB (a. E)140 anwandte. Diesem Vergleichsmaßstab des § 21 StGB (a. E) hat sich später der BGH 141 angeschlossen, und zwar nach der Neufassung der Vorschriften zum Verschlechterungsverbot im Vereinheitlichungsgesetz vom 12.9. 1950 142 . Hinsichtlich der Maßregeln der Besserung und Sicherung liegt mit RGSt. 69, 76 (Urteil vom 7. 1. 1935) eine beachtenswerte Entscheidung vor. Das RG hatte darüber zu entscheiden, ob der Austausch der Maßregel der Entmannung nach § 42 k StGB (a. E) gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot bildet. Obgleich die Voraussetzungen beider Maßregeln vorgelegen hatten, wurde im ersten Urteil die Entmannung angeordnet. Nachdem dieses Urteil auf die Revision des Angeklagten hin aufgehoben war, wurde vom Landgericht auf die Sicherungsverwahrung erkannt, während das Gericht von der Anordnung der Entmannung abgesehen hatte. Nach dem RG boten das Gesetz und seine Begründung keine Lösung der Frage, wie die Sicherungsverwahrung gegenüber der Entmannung zu bewerten ist. Es käme deshalb darauf an, ob die beiden Maßnahmen miteinander vergleichbar seien, obgleich das Gesetz keinen Maßstab wie § 21 StGB (a. E) für den Strafenbereich biete. Im Vergleich beider Maßnahmen, so das RG, könne nicht gesagt werden, daß die eine oder andere Maßnahme an sich leichter oder schwerer sei als die andere. Jede Maßnahme wirke bei dem Betroffenen je nach seiner Persönlichkeit verschieden und werde verschieden empfunden und es lasse sich nicht übersehen, wie ihr Vollzug verlaufe und sich weiter gestalte. Im Ergebnis könne nicht allgemein festgestellt werden, daß die Sicherungsverwahrung leichter oder wenigstens nicht schwerer sei als die Entmannung. Es komme ganz auf die Lage des einzelnen Falles an und in diesem sei die spätere, bei der Anordnung der Maßnahmen nicht vorhersehbare Wirkung der Maßnahmen von entscheidender Bedeutung. Mangels einer Vergleichbarkeit beider Maßnahmen ist nach dem RG die Sachlage so anzusehen, als wenn im ersten RGBL 1871, 127, 128. RGSt. 40, 41l, 412 f. 140 § 21 lautete: "Achtmonatliche Zuchthausstrafe ist einer einjährigen Gefängnisstrafe, achtmonatliche Gefängnisstrafe einer einjährigen Festungshaft gleich zu achten." Fünf Jahre Zuchthausstrafe entsprechen demgemäß siebeneinhalb Jahre Gefängnis. 141 BGHSt. 2, 96. 142 BGBL I, 455. 138

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Urteil gar nicht auf Entmannung erkannt und im zweiten Urteil die Sicherungverwahrung neu ausgesprochen worden wäre. Das aber sei nach § 358 Abs. 2 Satz 1 und 2 StPO unzulässig. Damit lehnt das RG einen Austausch von der Entmannung zu der Sicherungsverwahrung unter der Geltung des Verschlechterungsverbots ab. Wenn auch dieser Entscheidung des RG eine mehr historische Bedeutung gebührt, da eine Maßregel der Entmannung heute als Eingriff in den Kernbereich der Persönlichkeit verfassungswidrig wäre, so hat sie insofern eine wesentliche Bedeutung, da in ihr die Unvergleichbarkeit der Maßregeln der Besserung und Sicherung untereinander zum Ausdruck kommt. Wenn die Maßregeln aber untereinander unvergleichbar sind, kommt ein Austausch miteinander nicht in Betracht. Auf der Linie des RG liegt die Entscheidung des BGH vom 25. 10. 1972 143 , deren Leitsatz lautet, daß es gegen das Verbot der Schlechterstellung verstoße, wenn die im ersten Urteil angeordnete Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt im zweiten Urteil durch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ersetzt werde 144 • In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte das LG Marburg/Lahn als Vorinstanz neben einer Freiheitsstrafe die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt (damals noch § 42 b StGB a. E) angeordnet, obgleich auch die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung vorgelegen hatten. Auf die Revision des Angeklagten wurde dieses Urteil aufgehoben und zur Neuentscheidung zurückverwiesen. In dem neuen Urteil ordnete das LG neben einer gleichlangen Freiheitsstrafe statt der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an, wobei das LG die Voraussetzungen beider Maßregeln als gegeben angesehen hatte. Der Angeklagte wandte sich mit der Revision auch gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Der BGH sprach aus, daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung keinen Bestand haben könne, da sie gegen das Verbot der SchlechtersteIlung gemäß § 358 Abs. 2 StPO verstoße. In der Entscheidung stellt der BGH klar, daß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO, der die Anordnung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und einer Trinkerheilanstalt oder einer Entziehungsanstalt in Durchbrechung des Verschlechterungsverbots zuläßt, sowohl die Fälle erfasse, in denen im Ersturteil noch keine Maßregel angeordnet sei, als auch die Fälle, in denen eine Maßregel gegen eine andere ausgetauscht werden solle. Damit habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß er neben anderen dort nicht genannten Maßregeln auch die Sicherungsverwahrung für ein Reaktionsmittel des Strafrechts halte, auf das in dem neuen Urteil nicht erkannt werden dürfe, wenn das Urteil lediglich zugunsten des Angeklagten angefochten sei. Würde man aber, so der BGH, den Wortlaut des § 358 Abs. 2 StPO zugunsten einer auf den Begriff des Nachteils im Sinne dieser Vorschrift abhebenden Auslegung außer acht lassen, würde ein Austausch an der Unmöglichkeit scheitern, die Vor- und Nachteile der ihrer Art und ihrem Zweck nach stark voneinander abweichenden ReBGHSt. 25, 38 =JR 1973, 161 mit Anmerkung Maurach. Weiter heißt es im Leitsatz, daß es dahingestellt bleibe, ob das auch dann gelte, wenn der Austausch dem Antrag des Angeklagten entspreche (BGHSt. 5, 312). Der BGH betont in den Gründen, daß ein gleichgelagerter Fall vorliegend nicht gegeben sei. 143

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aktionsmittel mit einem objektiv gesicherten Ergebnis gegeneinander abzuwägen. Für den Fall eines Austausches, im konkreten Fall der Ersetzung der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt durch die Anordnung der Sicherungsverwahrung ein umgekehrter Austausch wäre insofern nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO möglich gewesen und auch heute de lege lata zwischen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Sicherungsverwahrung erlaubt -, bedürfe es einer generell-objektiven Betrachtungsweise. Ebensowenig wie bei den Strafen dürfe auf eine konkret-individuelle Betrachtungsweise abgestellt werden, bei der es auf die Empfindlichkeit des Angeklagten für die eine oder die andere Reaktion auf sein mit Strafe bedrohtes Verhalten ankäme. Diese sei ungeeignet, da sich die für die Beurteilung maßgebenden Umstände im Laufe des Vollzuges, ja schon vor seinem Beginn während einer oft längeren Strafverbüßung entscheidend ändern könnten. Nach der generell-objektiven Betrachtungsweise im Vergleich der Maßregeln aber sei kein eindeutiges Ergebnis möglich, da die beiden Maßregeln je nach Lage des Einzelfalls und der Entwicklung des Verurteilten während des Vollzuges von einmal geringerer, einmal größerer Schwere für den Betroffenen seien, erklärt der BGH mit ausdrücklichem Hinweis auf die vorgenannte Entscheidung in RGSt. 69, 76. Der BGH untermauert sein Ergebnis mit einem Hinweis auf § 67 a StGB 145 , wenn die dortige Regelung für den Maßregelvollzug den Wechsel der Unterbringung von der Sicherungsverwahrung in ein psychiatrisches Krankenhaus oder in eine Entziehungsanstalt zuläßt, nicht aber den umgekehrten Weg. In den beiden Entscheidungen zeigt sich die Grundlinie der Rechtsprechung, die für die Bestimmung des Nachteils im Verbot der reformatio in peius als Vergleichsmaßstab eine generell-objektive Bewertung anlegt 146 . Soweit vorhanden, ist das gesetzliche Verhältnis der Sanktionen zueinander ohne die persönlichen Vorstellungen und Wünsche des Angeklagten und ohne Beachtung der Umstände des Einzelfalles entscheidend. Läßt sich auf dieser Basis kein Wertverhältnis zwischen den Maßregeln aufstellen, scheidet ein Austausch aus. b) Die konkret-individuelle BetrachtungsweiseBGHSt.24, 11 (4 StR 66/70) Ein von diesen grundsätzlichen Entscheidungen abweichender Beschluß liegt mit BGHSt. 24, 11 vor. Der BGH hatte über eine Vorlage nach §§ 79 Abs. 30WiG, 121 Abs. 2 GVG zu entscheiden. Die streitige Rechtsfrage war vom vorlegenden BayObLG formuliert: "Darf der Tatrichter, der eine Geldbuße und ein Fahrverbot verhängt hatte, nach Aufhebung des Bußgeldausspruchs und des Fahrverbots durch 145 Diese Vorschrift wurde durch das 2. StrRG vom 4.7. 1969 geschaffen, das ursprünglich am 1. 10. 1973 in Kraft treten sollte, aber auf den 1. 1. 1975 verschoben wurde. 146 Auch das OLG Oldenburg MDR 1976, 162 verwirft eine konkret-individuelle Betrachtungsweise und bekennt sich zu einer generell-objektiven Bewertung in den strafprozessualen Bestimmungen zum Verschlechterungsverbot; ebenso OLG Düsseldorf VRS 83 (1993), 441, 443 f.

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das Rechtsbeschwerdegericht und Zurückverweisung der Sache ohne Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot auf eine gegenüber dem ursprünglichen Betrag erhöhte Geldbuße erkennen (innerhalb des gesetzlichen Bußgeldrahmens; § 13 Abs. 1 und 2 OWiG), wenn er von der nochmaligen Verhängung eines FahrVerbots absieht ?" Das Verbot der reformatio in peius hat im Rechtsbeschwerdeverfahren nach den §§ 79 ff. OWiG, das weitgehend revisionsrechtlichen Vorgaben folgt, gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i. V. mit § 358 Abs. 2 StPO Geltung. Der BGH bestimmt in seinem

Beschluß vom 11. 11. 1970, daß ein Ahndungsmittel durch ein anderes ersetzt werden könne, wenn dieses milder sei. Bei der Beurteilung, welches Ahndungsmittel das mildere sei, müsse entscheidend auf die im Gesetz selbst zutage getretene Bewertung der in Frage stehenden Unrechtsfolgen abgestellt werden. In Auslegung des Gesetzes gelangt der BGH zu dem Ergebnis, daß die Geldbuße gegenüber dem Fahrverbot die mildere Form der Ahndung bilde. Das zeige sich im einzelnen in der Regelung des § 79 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG, wie auch darin, daß die Anordnung des Fahrverbots nach § 25 StVG im Gegensatz zu der Geldbuße qualifizierter Voraussetzungen bedürfe. Damit bejaht der BGH die vorgelegte Rechtsfrage und erlaubt eine Erhöhung der ursprünglich verhängten Geldbuße durch den Tatrichter, wenn er von der nochmaligen Verhängung eines Fahrverbots absieht. Die jeweiligen Umstände des Einzelfalls seien jedoch allein maßgebend, wenn es darum gehe, in welchem Ausmaß die Geldbuße als Ausgleich zum Wegfall des Fahrverbots erhöht werden dürfe. In einer Gesamtschau der verhängten Ahndungsmaßnahmen sei zu ermitteln, ob eine Veränderung zum Nachteil des Betroffenen vorliege, insbesondere sei dabei auf. die wirtschaftlichen Folgen abzustellen 147. Von diesen wirtschaftlichen Überlegungen abgesehen sei entscheidend, führt der BGH weiter aus, ob und inwieweit die angemessene Erhöhung der Geldbuße beim Wegfall des Fahrverbots für den Betroffenen weniger drückend sei als die bisherige Geldbuße bei gleichzeitigem Fahrverbot. In diesem Beschluß bekennt der BGH sich bezüglich der Bestimmung des Nachteils zu der konkret-individuellen Methode in einer Gesamtschau der verhängten Ahndungsmaßnahmen 148 unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Die Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Vergleich der individuellen Wirkung der Unrechtsfolgen ist auch von der obergerichtlichen Rechtsprechung 149 teilweise zur Bewertung anerkannt worden, ob eine Verschlechterung in Art und Höhe der Rechtsfolgen gegeben ist.

BGHSt. 24, 11, 14. Auf diese Gesamtschau bezieht sich auch BGHSt. 29, 269, 270. Der BGH legt dort dar, daß es gegen das Verbot der SchlechtersteIlung verstößt, wenn anstelle einer im ersten Urteil verhängten Jugendstrafe im zweiten Urteil auf eine gleich hohe Freiheitsstrafe erkannt wird. 149 OLG Köln NJW 1959, 161,162; OLG Frankfurt NJW 1968, 1793, 1795; OLG Frankfurt VRS 64 (1983), 12, 13; OLG Schleswig SchlHA 1985, 142, 143. 147 148

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

c) Die subjektive Tendenz - RGSt. 69, 129 (1 D 1326/34) und BGHSt. 5, 312 (4 StR 755/53)

In zwei Urteilen zeigt sich im Gegensatz zu den vorherigen Entscheidungen eine ausgeprägte subjektive Tendenz in der Beurteilung eines Nachteils. Beide Entscheidungen bezogen sich auf Maßregeln der Besserung und Sicherung. Diese Bewertung ist vordergründig unter dem Aspekt verständlich, daß im Bereich der Strafen sowohl zur Zeit des alten StGB mit seinen unterschiedlichen Haftarten als auch heute im Bereich der Einheitsfreiheitsstrafe ein wertungsmäßiger Maßstab für einen Vergleich der Strafarten aus dem Gesetz selbst zu bilden möglich war und ist, während im Bereich der Maßregeln mit deren unterschiedlichen Voraussetzungen und Zielsetzungen in ihrer individualpräventiven Ausprägung ein solcher Vergleichsmaßstab mit dem Ziel einer Rangordnung ungleich schwerer, wenn nicht sogar unmöglich zu bilden ist. Das Urteil des RG vom 11. 12. 1934 150 steht im strikten Gegensatz zu der im gleichen Band der amtlichen Entscheidungen veröffentlichen Entscheidung vom 7. 1. 1935 151 . In letzterer hatte der 2. Strafsenat den Wechsel von einer angeordneten Entmannung zu der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt, da nicht gesagt werden konnte, daß die eine oder andere Maßnahme an sich leichter oder schwerer ist als die andere. In dem im Jahre 1934 dem 1. Strafsenat zur Entscheidung vorliegenden Fall über die Revision des Angeklagten war gegen diesen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden, obgleich bei ihm auch die Voraussetzungen für die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und für die Entmannung gegeben waren. Der Angeklagte selbst hatte sich mit der Entmannung einverstanden erklärt und deren Anordnung beantragt. Nach der Entscheidung des 1. Strafsenats muß bei der Abwägung aller Umstände für und gegen die Entmannung auch der Wunsch des Betroffenen genügend berücksichtigt werden. Zum Schluß führt das RG aus, daß es, wenn in der Neuverhandlung die Anordnung der Entmannung angezeigt sei - unter Berücksichtigung des Wunsches des Angeklagten -, daneben nicht bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung bleiben könne. Dies würde gegen § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO verstoßen. Daraus ist die Schlußfolgerung zu ziehen, daß bei einem gleichzeitigen Wegfall der Sicherungsverwahrung die Anordnung der Entmannung möglich wäre, daß also die Maßregeln unter der Berücksichtigung des individuellen Wunsches des Betroffenen ausgetauscht werden könnten. Auch der BGH 152 hat die Berücksichtigung von Wünschen des Angeklagten bei der Auswahl oder Häufung der Maßregeln zugelassen, sofern dieser dafür sachliche Gründe geltend macht. Der Angeklagte war durch Urteil des LG Essen in

150 151 152

RGSt. 69, 129. RGSt. 69, 76. BGHSt. 5, 312.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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eine Heil- oder Pflegeanstalt eingewiesen worden, obgleich er selbst beantragt hatte, die Sicherungsverwahrung anzuordnen. In seiner Revision wendet er sich gegen die Unterbringung in der Heil- oder Pflegeanstalt und beantragt erneut die Anordnung der Sicherungsverwahrung, da er das Zusammenleben mit Geisteskranken als eine seelisch besonders schwere Belastung empfinde. Der BGH sagt zu dem Verhältnis beider Maßregeln, daß sie sich in ihrer freiheitsberaubenden und unbefristeten Wirkung deckten, in dem jedoch, was ihr Wesen ausmache, seien sie nach Ordnung und nach Behandlungsart so unterschiedlich, daß zwischen beiden kein bloßer Grad-, sondern ein echter Artunterschied bestehe; mit anderen Worten, so der BGH weiter: die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt sei kein geringeres, sondern ein anderes Übel gegenüber der Sicherungsverwahrung. Das Gesetz kenne keine grundsätzliche Abstufung, um eine Rangordnung der Maßregeln zu bilden. Bei der Auswahl oder Häufung zwischen mehreren zulässigen Maßregeln sei nicht allein der Gesichtspunkt, daß die Maßregel zum Schutz der Öffentlichkeit geeignet sei, entscheidend, sondern es seien auch die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, dabei neben den öffentlichen Belangen auch etwaige Wünsche des Angeklagten, sofern er hierfür "sachliche" Gründe geltend mache. Der BGH spricht dann aus, daß zu prüfen sei, ob in der erneuten Hauptverhandlung statt oder neben der Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt die Sicherungsverwahrung anzuordnen sei. Das Verbot der SchlechtersteIlung aus § 358 Abs. 2 StPO hindere dies nicht. Zwar sei eine Nachholung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO verboten, aber dieser Wortlaut könne dem nicht entgegenstehen, wenn sich der Tatrichter bei der Auswahl unter den rechtlich möglichen Maßregeln des § 42 a StGB von fehlerhaften Erwägungen habe leiten lassen und der Angeklagte aus einem sachlichen Grunde die angeordnete Maßregel als Beschwer empfinde. Anderenfalls würde sich die Rechtswohltat des Verschlechterungsverbots in das Gegenteil verkehren, ein Widersinn, der nicht rechtens sein könne, so erklärt der BGH 153 ausdrücklich. Die beiden Entscheidungen beinhalten eine ausgeprägte subjektive Tendenz, da die Wünsche und Empfindungen des Angeklagten starke Berücksichtigung finden, wenn es darum geht, unter dem Gesichtspunkt der Verschlechterung einen Vergleichsmaßstab für die Maßregeln zu finden. Der Austausch von Maßregeln der Besserung und Sicherung untereinander wird in beiden Urteilen bei Beachtung auch des subjektiven Wunsches des Angeklagten zugelassen. Besonders hinzuweisen ist darauf, daß in beiden Fällen, sowohl in der Entscheidung des RG als auch in der des BGH, der Angeklagte die konkrete Maßregel gewünscht hat. In RGSt. 69, 129 war er mit der Entmannung an Stelle der zuerst angeordneten Sicherungsverwahrung einverstanden und hatte sie beantragt. In BGHSt. 5, 312 hat der Angeklagte die Anordnung der Sicherungsverwahrung statt der Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt beantragt. Ob dieser ausschlaggebende subjektive Aspekt zwingend auf der Ebene des Vergleichsmaßstabes bei einer Rangordnung der Maß153

BGHSt. 5, 312, 316 f.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

regeln Berücksichtigung zu finden hat oder möglicherweise auf einer anderen Ebene - Stichwort: Verzicht - oder im Bereich der Maßregeln überhaupt ohne Beachtung bleiben muß, bedarf noch der Erörterung.

3. Der Begriff des "Nachteils" im Schrifttum Bei Durchforstung des Schrifttums zum Begriff "Nachteil" in deR strafprozessualen Vorschriften zum Verschlechterungsverbot ist übereinstimmend festzustellen 154 , daß eine rein subjektive Anschauung des Angeklagten über die Schwere der jeweiligen Sanktion nicht entscheidend sein soll. Auch die Rechtsprechung folgt wohl nicht einer solch extremen subjektiven Ansicht. In den genannten Entscheidungen ist deutlich zu erkennen, daß die persönlichen Wünsche und Empfindungen Mitberücksichtigung finden müssen, nicht aber, daß sie allein entscheidend sind. Mag der Angeklagte auch eine Freiheitsstrafe als leichter empfinden als eine Geldstrafe, die Geldstrafe ist und bleibt im Vergleich zur Freiheitsstrafe die mildere Sanktion. Das ergibt sich daraus, daß die persönliche Freiheit ein größeres Gut ist als das Vermögen und die Entziehung der ersteren unter allen Umständen als ein härteres Strafübel erscheint 155 . Diese Wertung ist damit zu begründen, daß bei einer vermögensrechtlichen Sanktion dem Verurteilten die Möglichkeit verbleibt, in Freiheit am sozialen Leben teilzunehmen, insbesondere vermag er seine berufliche Tätigkeit weiterauszuführen. Diese Tätigkeiten sind im Fall einer freiheitsentziehenden Sanktion als Eingriff in die freie Aufenthaltsbestimmung aufgehoben oder zumindest erheblichen Einschränkungen unterworfen. Besteht insoweit Einigkeit, so werden die unterschiedlichsten Meinungen dahingehend vertreten, wie der Vergleichsmaßstab zur Beurteilung des Nachteils zu bestimmen ist und welche Folgerungen aus dem herangezogenen Maßstab für einen möglichen Austausch der Maßregeln untereinander zu ziehen sind. So soll ein genereller Wechsel der Maßregeln genauso möglich sein wie ein Austausch untereinander generell unmöglich. Daß zwischen diesen beiden Extremen noch andere Ansätze vertreten werden, ist nicht überraschend. Im folgenden werden die Hauptströmungen in diesem Problemfeld dargestellt.

154 Vgl. Frisch, JA 1974,165,166; Ganske, S. 33; Oetker, JW 1935, 1417; Gerhardt, S. 30; Maurach, JR 1973, 162; Seibert, MDR 1954, 340, 341; Kretschmann, Das Verbot der reformatio in peius im Jugendstrafrecht, S. 108 f; Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 24; LR-Gollwitzer, Rdn. 34 zu § 331; KMR-Paulus, Rdn. 17 zu § 331; Kade1, S. 13. 155 So schon RGSt. 2, 205, 206 f; vgl. auch BGH StV 1997,465; BGH NStZ-RR 1998, 136. Siehe desgleichen Ganske, S. 50 und Frisch, JA 1974, 165, 167.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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a) Generell-objektive Ansichten

Beginnend mit Ganske liegt der Schlüsselgedanke seiner Auffassung darin, daß der Angeklagte nur geschützt ist, wenn er das mögliche Maß einer SchlechtersteIlung selbst errechnen kann, ehe er ein Rechtsmittel einlegt l56 . Wenn das Verbot der reformatio in peius die Entschlußfreiheit des Angeklagten hinsichtlich seiner eigenen Rechtsmittel sichern und die Verbots vorschrift das Vertrauen des Angeklagt~n auf den Fortbestand der im ersten Rechtszug erkämpften Rechtsstellung schützen solle, lasse die ratio der Verbotsvorschriften es zu, sie sehr weit auszulegen, führt Ganske aus. Sie verbiete daher jede dem Angeklagten ungünstige Veränderung des Entscheidungstenors erster Instanz durch das Rechtsmittelgericht 157. Um das Vertrauen des Angeklagten darauf zu schützen, daß ihm die vom Erstrichter als tatangemessen festgesetzte Rechtsstellung erhalten bleibe, müsse der Angeklagte vor Gebrauch seines Rechtsmittels genau wissen, in welchen Punkten des Urteils er mit einer Verschlechterung seiner Lage zu rechnen habe. Das Maß des Nachteils müsse für ihn vorher zu errechnen sein. Hierfür verlangt Ganske 158 einen allgemeinen, nicht nur für den Angeklagten geltenden Maßstab, um zu bestimmen, was als Nachteil anzusehen ist. Er plädiert für einen objektiven, d. h. einen an Hand äußerlich faßbarer, von einem dritten (unbefangenen) Beobachter auf Grund feststellbarer Umstände bestimmbaren, und generellen, d. h. von den Umständen des Einzelfalls abstrahierenden Beurteilungsmaßstab. Gegen eine subjektive Bewertung spreche, daß das bloße Empfinden des Angeklagten als Maßstab viel zu schwankend sei. Was der eine Angeklagte als Nachteil empfinde, erachte der andere als angenehm. Die Auslegung der Verbotsvorschrift würde in die Hand des Angeklagten gelegt. Gegen eine konkrete an den besonderen Lebensumständen des Angeklagten orientierte Methode lasse sich sagen, daß diese eine uneinheitliche Auslegung der Verbots vorschriften zur Folge haben könnte, da es nun in der Hand des Richters läge, den Nachteil im einzelnen Fall zu bestimmen, und dieser eventuell allzusehr eigene Maßstäbe anwende. Wenn die Verbotsvorschriften eine Ausnahme vom Grundsatz des gerechten Strafens bildeten, so verlange dies die strenge Bindung an einen gesetzlichen Maßstab. Allein die generell-objektive Betrachtungsweise 159 führe zu der anfangs genannten Schutzfunktion, daß der Angeklagte das mögliche Maß seines Nachteils im voraus errechnen könne. Ganske wendet sich dann den einzelnen Unrechtsfolgen zu und untersucht anhand eines generellen, objektiv am Gesetz ausgerichteten Maßstabes deren Verhältnis zueinander. Für die verschiedenen Hauptstrafarten mit den damals vier unterschiedlichen freiheitsentziehenden Strafen 160 und der Geldstrafe stellt er mittels 156 Ganske, Der Begriff des Nachteils bei den strafprozessualen Verschärfungsverboten, 1960, S. 33. 157 Ganske, S. 17 f. 158 A. a. 0, S. 29 ff. 159 In diesem Sinne auch Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 23 f.

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I. Teil: Allgemeine Grundlagen

im StGB niedergelegter gesetzlicher Wertungen eine Rangordnung fest 161 . Dieser kommt nach der mit dem 1. StrRG vom 25.6. 1969 eingeführten Einheitsfreiheitsstrafe keine Bedeutung mehr zu. Ganske befaßt sich auch mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung 162. Er spricht sich gegen die im folgenden zu besprechende Austauschtheorie aus, welche die Maßregeln nach ihrem Zweckgedanken als gleichwertig und damit austauschbar erachtet. Die beiden Urteile in RGSt. 69, 129 und BGHSt. 5, 312, die maßgebend in diese Richtung verstanden werden, beurteilt er unter dem Aspekt des Verzichts des Angeklagten auf die ihm gewährte Wohltat des Verschlechterungsverbots. Ganske will auch bei den Maßregeln den generell-objektiven Maßstab angewendet wissen. Unter dieser Wertung sind die Maßregeln für ihn wie die Nebenstrafen unvergleichbare und unauswechselbare Größen. Hier biete das Gesetz im Gegensatz zu den Hauptstrafen keine Anhaltspunkte für eine Rangordnung. Die Maßregeln seien untereinander jeweils ein aliud, stellt er fest 163 , wobei er sich auf die damals möglichen Maßregeln der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt, der Unterbringung in einem Arbeitshaus und in der Sicherungsverwahrung, der Untersagung der Berufsausübung und der Entziehung der Fahrerlaubnis bezieht. Mit Ausnahme der in den §§ 331 Abs. 2,358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO genannten Regelung, wonach die Anordnung der Maßregeln der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und der Unterbringung in einer Trinkerheiloder Entziehungsanstalt jederzeit neu, und zwar sowohl für sich als auch statt oder neben einer anderen Unrechtsfolge möglich ist, sei es dem Rechtsmittelgericht verboten, die sonstigen Maßregeln nachträglich auszusprechen, in ihrer Dauer zu verlängern oder die eine mit der anderen zu vertauschen, weil sie wegen ihrer Verschiedenartigkeit nicht zueinander in ein Verhältnis gesetzt werden könnten l64 . Mit dieser Ansicht einer Unvergleichbarkeit und fehlenden Austauschbarkeit der Maßregeln der Besserung und Sicherung ist Ganske Vertreter des einen Pols in diesem Problemkomiex. Den zu dieser Ansicht diametral entgegengesetzten Pol bildet die, wie sie hier genannt werden soll, Austauschtheorie, die ihren Ausgangspunkt bei Oetker 165 hat und diesem folgend in Grundzügen auch von Bruns 166 vertreten wird. Oetker nimmt zu dem schon bekannten Urteil des RG 167 Stellung, in dem das Gericht ei160 Zuchthaus, Gefängnis, Einschließung (früher Festungshaft), Haft: siehe dazu LKTröndle, 10. Aufl., Rdn. 16 ff. Vor § 38. 161 A. a. 0., S. 49 ff. Siehe die Tabelle auf S. 60 f. 162 A. a. 0., S. 68-71. 163 A. a. 0., S. 71. 164 A. a. 0., S. 106-109. 165 JW 1935,1417. 166 JZ 1954, 730. 167 RGSt. 69, 76.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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nen Wechsel von der angeordneten Entmannung zu der Sicherungsverwahrung untersagte, da sich nicht feststellen ließ, daß die eine oder andere Maßnahme an sich leichter oder schwerer ist als die andere. Wenn auch Oetker im Grundsatz dem RG in der Ansicht zustimmt, daß sich die beiden Maßregeln überhaupt nicht auf eine größere oder geringere Härte hin vergleichen ließen, so erachtet er die beiden Maßregeln dennoch als rechtlich äquivalent, da mit beiden eine sichernde Wirkung im Sinne einer mehr oder minder weitgehenden Erschwerung schädigenden Tuns verbunden sei. Ergibt weder die eine noch die andere Maßregel objektiv die größere Belastung, so liegt in der Substituierung von Sicherungsverwahrung für Entmannung und umgekehrt nicht eine Beschwerung nach Analogie der härteren Strafe, schreibt er 168 . Die beiden Maßregeln gleichermaßen innewohnende Zweckdienlichkeit begründet für Oetker deren rechtliche Äquivalenz, wobei er überhaupt das akkusatorische Strafverfahren nicht auf das Verfahren zur Prüfung der Voraussetzungen der Maßregeln anwenden will. Beschränkt Oetker sich noch auf die beiden Maßregeln der Entmannung und Sicherungsverwahrung, geht der Ansatz von Bruns, der ursprünglich 169 den Ansatz Oetkers als gescheitert erklärt und eine konkrete Beurteilung einer reformatio in peius unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit und der übrigen besonderen Umstände favorisiert hatte, in seiner Auseinandersetzung mit BGHSt. 5, 312 einen Schritt weiter. In dieser Entscheidung ließ der BGH einen Austausch der Anordnung der Unterbringung in einer (damaligen) Heil- oder Pflegeanstalt gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu, und zwar mit dem Argument, daß, wenn der Angeklagte bei fehlerhaften Erwägungen des Tatrichters aus sachlichen Gründen eine angeordnete Maßnahme als Beschwer empfinde, die Rechtswohltat des Verschlechterungsverbots sich ohne Austausch in das Gegenteil verkehre, was ein nicht zu duldender Widersinn sei. Der Fall wies die Besonderheit auf, daß der Angeklagte selbst die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beantragt hatte. Mag Bruns dem BGH zwar nicht in dessen Begründung für den möglichen Austausch der Maßregeln folgen, stimmt er doch dem Ergebnis zu. Ausgehend von einer generell-objektiven Betrachtungsweise im Verhältnis der Strafen zueinander, fragt er, ob derselbe Maßstab für die Maßregeln der Besserung und Sicherung maßgebend sei, um ein "peius" beurteilen zu können, obgleich im Gegensatz zu den Strafen ein gesetzlicher Maßstab wie in § 21 StGB (a. E) fehle und auch sonst eine gesetzlich fixierte Wertung nicht vorhanden sei, oder ob stattdessen eine andere Bewertungsmethode, eben eine konkret-individuelle Betrachtung mit subjektivem Einschlag, zwangsläufig aus dem Fehlen eines Abstufungsverhältnisses zu ziehen sei. Bruns 170 unterscheidet zwei Fallgruppen: Habe der Vorderrichter in dem früheren Urteil keine Maßregel angeordnet, könne später bis auf die Maßregeln nach den §§ 42 b, c StGB (a. E), die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt 168 169 170

Oetker, JW 1935, 1417, 1418. ZStW 60 (1941), 474, 544. JZ 1954, 730, 734 ff.

7 Kretschmer

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

und die Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt, keine andere Maßregel angeordnet werden. Ebensowenig dürfe zusätzlich zu einer erstinstanzlichen Maßregel eine zweite treten. Jede andere Maßregel bedeute in dieser Fallgruppe eine Verschlechterung. Die zweite Fallgruppe ist die, daß eine vom Vorderrichter angeordnete Maßregel, sei deren Anordnung zulässig oder unzulässig, gegen eine andere Maßregel ausgetauscht werden soll. Mit Hinweis auf RGSt. 69, 76 - kein Austausch zwischen Sicherungsverwahrung und Entmannung - spricht er von einem Mißkredit, in den das berechtigte Institut des Verschlechterungsverbots geraten sei. Wenn dem RG zu folgen sei, dann würde, so schreibt Bruns l7l , aus dem Verschlechterungsverbot ein Verbesserungs gebot. Das Auswechslungsverbot gestatte die Beseitigung der falschen, unzulässig angeordneten Maßregel, nicht aber die Nachholung der richtigen. Es sei ein unbefriedigendes Ergebnis, daß der Fehler des Tatrichters in Verbindung mit dem Verschlechterungsverbot es dem nach wie vor gefährlichen Verbrecher ermögliche, einen Vorteil zu erringen. Bruns zieht in diesem Punkt eine unzutreffende Schlußfolgerung. Wenn der Erstrichter eine unzulässige Maßregel angeordnet hat, wenn er rechtlich fehlerhaft gehandelt hat, ist es das Recht des Angeklagten, gar auf der anderen Seite die Pflicht der Staatsanwaltschaft, diesen Fehler mit dem Ziel eines materiell-rechtlich richtigen Urteils zu beseitigen. Eine Rechtsfolge, deren Voraussetzungen nicht erfüllt sind, darf nicht bestehen bleiben. Wenn aber in einem solchen Fall nur vom oder zugunsten des Angeklagten Rechtsmittel mit der Zielsetzung eingelegt werden, diesen Fehler zu beseitigen, darf dies nicht zum Anlaß genommen werden, eine andere Maßregel der Besserung und Sicherung zu verhängen. Soll dies geschehen, ist es der Staatsanwaltschaft ungenommen, zuungunsten des Angeklagten ein Rechtsmittel zu erheben. In diesem Fall entfaltet das Verbot der reformatio in peius keine Bindungswirkung. Es wäre jedoch widersprüchlich, eben unfair, wenn die Strafverfolgungsorgane eine Initiative zugunsten des Angeklagten gerichtet auf die berechtigte Fehlerbeseitigung zum Anlaß nehmen würden, nicht nur die fehlerhaft angeordnete Maßregel dem Gesetz entsprechend zu beseitigen, sondern auch erneut über eine Maßregelanordnung zu entscheiden. Hat dagegen der Erstrichter rechtmäßig eine Maßregel gegen den Angeklagten angeordnet, kann diese Anordnung ohne weiteres in der Rechtsmittelinstanz aufrechterhalten werden, auch wenn die Voraussetzungen weiterer Maßregeln vorgelegen haben, die der Erstrichter vielleicht übersehen hatte l72 . Trotz eines Auswechslungsverbots stünde der Betroffene nicht, wie Bruns 173 es ausdrückt, "weder im Regen noch in der Traufe". Bruns JZ 1954,730,736. So sieht es auch Ganske, S. 71. 173 JZ 1954, 730, 736. Das Bild stammt von Seibert, MDR 1954, 340 zur Charakterisierung des Verbots der reformatio in peius, das verhindern soll, daß der Beschwerdeführer auf Grund seines Rechtsmittels sozusagen aus dem Regen in die Traufe kommt und auf seinen Hilferuf hin noch schlechter gestellt wird als vorher; mochte er dies auch von Rechts wegen verdient haben. Als "Schöpfer" dieses Bildes hat Beling, JW 1925,2332 zu gelten, der die ratio des Reformationsverbots 171

l72

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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will in Abänderung seiner ursprünglichen Ansicht die Zulässigkeit der Auswechslung von Maßregeln der Besserung und Sicherung unter Heranziehung der Argumentation von Oetker rechtfertigen. Der Gedanke der Äquivalenz erlaube die Substituierung einer Maßregel durch eine andere, ohne daß das anzuwendende Verschlechterungsverbot dem entgegenstünde. Allein die Äquivalenz der wichtigsten Maßregeln eröffne ein befriedigendes Ergebnis, wobei er selbst diesen Vorschlag "recht kühn" nennt 174 . In den Auswechslungsfällen stelle nicht jede andere Maßregel ein peius dar, vielmehr nur diejenige, die auch tatsächlich eine Verschlechterung zur Folge habe, schreibt Bruns. Bei Beurteilung dieser Frage sei die bereits angeordnete Maßregel zu berücksichtigen und der Vergleich der verschiedenen Maßregeln erfolge nach einem allgemeinen Maßstab. Er selbst schränkt jedoch die Möglichkeit der Auswechslung ein. Das Verschlechterungsverbot mÜSSe verhindern, daß etwa das Berufsverbot oder die Unterbringung im Arbeitshaus gegen die Sicherungsverwahrung ausgewechselt werde 175 . Erst wenn sich wirklich keine allgemeine Abstufung zwischen den einzelnen Maßregeln der Besserung und Sicherung erzielen lasse, soll der Grundsatz der Gleichwertigkeit der Maßregeln gelten. Das Gesetz kenne zwar keine allgemeine Abstufung der Maßregeln des § 42 a StGB (a. E), aber im gewissen Umfang werde man sie nach der Lebenserfahrung oder nach richterlichem Ermessen vornehmen können. So soll im Verhältnis von Sicherungsverwahrung und Berufsverbot ein Verhältnis von maius und minus gegeben sein, ebenso zwischen der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und dem Berufsverbot wie auch zwischen diesem und der Entziehung der Fahrerlaubnis 176, desgleichen zwischen der Sicherungsverwahrung und der Entziehung der Fahrerlaubnis und zwischen den Maßregeln des § 42 a StGB (a. E) und der Polizeiaufsicht l77 . Im übrigen seien die Maßregeln als gleichwertig anzusehen und in diesem Fall sei davon auszugehen, daß die neu zu verhängende Maßregel "jedenfalls nicht schwerer" sei als die ursprünglich angeordnete, die "dafür" aufgehoben werde. Dies erlaubt nach Bruns das Festhalten an einem allgemeinen Maßstab und an objektiven Gesichtspunkten und vermeidet das Problem der Berücksichtigung konkret-individueller Elemente wie beispielsweise dem persönlichen Empfinden. Letztendlich formuliert er l78 , daß das Verbot der Schlechterstellung des Angeklagten der Anordnung der Sicherungsverwahrung dann nicht entgegensteht, wenn dafür die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt wegfällt. Die bisher vorgestellten Auffassungen zur Nachteilsbestimmung und deren Folgen für die Maßregeln der Besserung und Sicherung stellen die beiden extremen Pole im Schrifttum dar. Auf der einen Seite steht der in keiner Weise mögliche mit dem Worten beschreibt: "Der Angeklagte soll nicht zu gewärtigen haben, daß er auf seinen Hilferuf hin aus dem Regen in die Traufe kommt." 174 JZ 1954,730,736. 175 JZ 1954,730,736 f. 176 JZ 1954, 730, 737 unter Punkt 6). 177 JZ 1954,730,737 in Fußnote 49. 178 JZ 1954,730,737. 7*

100

1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Austausch von Maßregeln mangels ihrer Vergleichbarkeit, da sich eine Rangordnung im Rahmen des strafprozessualen Verschlechterungsverbots nicht bilden läßt. Auf der anderen Seite steht die weite Möglichkeit einer Auswechslung der Maßregeln untereinander auf Grund ihrer Gleichwertigkeit. Im folgenden werden Zwischenmeinungen zu diesen beiden Polen dargestellt. Gerhardt 179 legt ausgehend von den verschiedenen Hauptstrafen seiner Zeit einen objektiven Beurteilungsmaßstab zugrunde, um eine Verschlechterung zu bestimmen, und gestattet lediglich in einem beschränkten Umfang eine Auswechslung von Maßregeln der Besserung und Sicherung. Die Verbotsvorschriften bezwecken nach Gerhardt, das Vertrauen des Angeklagten zu schützen, nach Einlegung eines Rechtsmittels nicht härter bestraft zu werden. Der Angeklagte müsse schon vor der Rechtsmitteleinlegung wissen können, was als Strafverschlechterung anzusehen sei. Dies sei allein bei einem allgemeingültigen, also objektiven Maßstab möglich. Da die Verbotsvorschriften als ein dem Grundsatz der gerechten Strafe zuwiderlaufendes Prinzip einer einheitlichen Auslegung bedürften, könnten auch konkrete Umstände des Einzelfalls keine Berücksichtigung finden. Die Einheitlichkeit sei einzig durch einen generell-objektiven Maßstab gewährt, schreibt Gerhardt 180 • Eine konkrete Betrachtung würde darüber hinaus dem Richter ein Ermessen einräumen, was bei der Begrenzung der Strafrahmen nicht zulässig sei. Da die generell-objektive Betrachtungsweise es erfordere, für Umwandlungsfragen im Rahmen des Verschlechterungsverbots soweit wie möglich einen gesetzlichen Maßstab heranzuziehen, beurteilt Gerhardt die Hauptstrafen des damaligen StGB - Zuchthaus, Gefängnis, Haft, Einschließung und Geldstrafe - anhand der gesetzlichen Regelungen. Für den Bereich der heute zu vernachlässigenden verschiedenen Arten der Freiheitsstrafen will er in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung insbesondere § 21 StGB Ca. E) zur Wertbestimmung anwenden. Gerhardt 181 setzt sich mit der Entscheidung BGHSt. 5, 312 auseinander und fragt, ob sich der subjektive Einschlag dieser Entscheidung aus der im Gegensatz zu den Strafen unterschiedlichen Rechtsnatur der Maßregeln rechtfertigen lasse. Entscheidend auf den Schutzgedanken des Verbots der reformatio in peius abstellend, wonach der Angeklagte die ihn auf sein Rechtsmittel hin treffenden Maßregeln im voraus berechnen können soll, hält er auch bezüglich eines Wertverhältnisses für die Maßregeln einen objektiven Vergleichsmaßstab für erforderlich. Die im Vergleich zu den Strafen unterschiedliche Rechtsnatur der Maßregeln rechtfertige einen abweichenden Maßstab nicht, da für das Verschlechterungsverbot die Rechtsnatur der einzelnen Unrechtsfolgen nicht entscheidend sei und daher nicht zu verschiedenen Auslegungsrichtlinien führen könne. Wie für die Strafen gilt nach Gerhardt auch für die Maßregeln der Besserung und Sicherung beim Ver179 Gerhardt, Das Verbot der reformatio in peius bei den Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßregeln der Sicherung und Besserung des Strafgesetzbuches, S. 30 ff. 180 A. a. 0., S. 30. 181 A. a. 0., S. 81 ff.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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gleich mehrerer Unrechtsfolgen ein objektiver Maßstab. Er läßt im Ergebnis eine Auswechslung zu, wenn sich eine allgemeingültige Rangordnung mit leichteren und schwereren oder gleichwertigen Maßregeln aufstellen läßt. Da es aber an einer gesetzlichen Rangordnung fehlt, will er ein Wertverhältnis unter dem Aspekt der beeinträchtigten Rechtsgüter ermitteln l82 . Die Maßregeln beeinträchtigten das Rechtsgut der Freiheit; diese Einschränkung geschehe jedoch in unterschiedlichem Maße, so setzt Gerhardt seinen Ausgangspunkt. Freiheitsentziehende Maßnahmen sind die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, die Unterbringung in einer Trinkerheil- oder Entziehungsanstalt, die Unterbringung in einem Arbeitshaus und die Anordnung der Sicherungsverwahrung. Freiheitsbeschränkende Wirkungen enthalten das Berufsverbot bezogen auf Art. 12 GG, die Entziehung der Fahrerlaubnis hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 GG als Recht der Teilnahme am Straßenverkehr und die Polizeiaufsicht als Eingriff in die Freizügigkeit. Zur Zeit seiner Arbeit galt noch der Maßregelkatalog des § 42 a StGB (a. E). In Ermittlung einer Rangordnung führt Gerhardt aus, daß die Freiheitsbeschränkung im Verhältnis zur Freiheitsentziehung als der schwersten Maßnahme des Sanktionenkataloges von leichterer, minderer Natur sei. Dagegen seien innerhalb der freiheitsbeschränkenden und innerhalb der freiheitsentziehenden Maßregeln mangels möglicher Vergleichsmaßstäbe keine Abstufungen gegeben. Für den möglichen Austausch der Maßregeln der Besserung und Sicherung untereinander ist Gerhardt der Auffassung, daß ein solcher nur von einer freiheitsentziehenden zu einer freiheits beschränkenden Maßregel, nicht aber umgekehrt in Betracht komme. Das gelte auch für die Maßregeln der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und der in einer Trinkerheil- oder Entziehungsanstalt, da die §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO kein Wertverhältnis im Sinne der mildesten Maßnahmen schaffen würden, sondern als Ausnahme zum Verschlechterungsverbot die jederzeitige Zufügung dieser Maßregeln und deren Austausch zuließen. Gemäß dieser Wertung kann Gerhardt der Entscheidung BGHSt. 5, 312 mit dem Wechsel von der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt zur Sicherungsverwahrung nicht zustimmen, da nach seiner Auffassung innerhalb der freiheitsentziehenden Maßregeln keine Rangordnung und kein Austausch gegeben ist. Im Vorgriff soll nur angedeutet werden, daß er wie auch zuvor Ganske diese Entscheidung mit dem für ihn möglichen Verzicht des Angeklagten auf die Anwendbarkeit des Verschlechterungsverbots erklären will l83 . Im einzelnen läßt es Gerhardt l84 infolge seiner Rechtsgutsbetrachtung zu, statt der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt, statt der Unterbringung in einer Trinkerheil- oder Entziehungsanstalt oder in einem Arbeitshaus und statt der Sicherungsverwahrung, statt all dieser freiheitsentziehenden Maßregeln die Maßregel des Berufsverbots anzuordnen. Ebenso soll es dieser Wertung nach möglich 182 183 184

A. a. 0., S. 86 ff. A. a. 0., S. 91 ff., 11l. A. a. 0., S. 112.

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I. Teil: Allgemeine Grundlagen

sein, die freiheitsbeschränkende Entziehung der Fahrerlaubnis anstelle einer früheren freiheitsentziehenden Maßregel anzuordnen 185 , desgleichen soll der Austausch der Polizeiaufsicht gegen eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erlaubt sein 186 . Die Ansicht Gerhardts läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß er einen Übergang VOn freiheitsentziehenden zu freiheitsbeschränkenden Maßregeln zuläßt, nicht aber den umgekehrten Wechsel, desgleichen nicht einen Austausch innerhalb der jeweiligen Gruppierung, wobei er die gesetzlichen Ausnahmen in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO anerkennt. Diese in einem beschränkten Umfang zulässige Auswechslung begründet er damit, daß sich nur in wenigen Fällen der Maßregeln ein objektiver Bewertungsmaßstab für eine Vergleichsmöglichkeit finden läßt. Eine weitere Schattierung im Dschungel der generell-objektiven Betrachtungsweisen bei der Bestimmung des Nachteils in den strafprozessualen Vorschriften des Verschlechterungsverbots entwickelt Grethlein 187 , dessen Arbeit sich mit dem Verschlechterungsverbot im Hinblick auf die besonderen Maßnahmen des Jugendrechts befaßt. Das Verbot der reformatio in peius gilt auch im Jugendstrafverfahren 188 • Nach der heutigen Gesetzesfassung sind gegen Jugendliche (§ 1 Abs. 2 JGG) aus dem Maßregelkatalog des § 61 StGB nach § 7 JGG als Maßregeln die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und die in einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht und die Entziehung der Fahrerlaubnis möglich. Danach kommen das Berufsverbot (§ 70 StGB) und die Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) gegen jugendliche Straftäter nicht zur Anwendung. Dieselben Grundsätze gelten, wenn gegen Heranwachsende (§ lAbs. 2 JGG) nach § 105 Abs. I JGG Jugendstrafrecht Anwendung findet. Jedoch auch bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf den Heranwachsenden findet die Anwendung des Maßregelrechts eine Einschränkung, da auch in dieser rechtlichen Situation nach § 106 Abs. 2 JGG zumindest die Sicherungsverwahrung nicht angeordnet werden darf. Zur Zeit der Arbeit VOn Grethlein waren nach der damaligen Fassung des JGG von 1953 nach dessen § 7 allein die Anordnung der Unterbringung in einer Heil185 A. a. 0., S. 112 f. Von einer solch generell objektiven Wertung, wonach die freiheitsentziehenden Maßregeln schwerer wiegen als die freiheitsbeschränkenden Maßregeln, geht im Grundsatz auch Gollwitzer in LR, Rdn. 84 zu § 331 aus, bleibt aber im Gegensatz zu Gerhardt nicht bei dieser Wertung stehen. 186 Gerhardt, S. 116. 187 Grethlein, Problematik des Verschlechterungsverbotes im Hinblick auf die besonderen Maßnahmen des Jugendrechts, 1963. 188 Vgl. Brunner/Dölling, JGG, Rdn. 21 zu § 55; Eisenberg, JGG, Rdn. 24 zu § 55; LRGollwitzer, Rdn. 49 ff. zu § 331. Eine ausführliche Begründung bietet Grethlein, S. 33 ff. Siehe auch die aktuelle Dissertation von Baumann, Lars Anton, Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius und seine Besonderheiten im Jugendstrafrecht, 1999, die jedoch inhaltlich nicht mehr berücksichtigt werden konnte.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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oder Pflegeanstalt und die Entziehung der Fahrerlaubnis als Maßregeln möglich. Auf diese beiden Maßregeln bezieht er sich in seinen Ausführungen 189 . Grethlein behandelt zum einen das Problem der Austauschbarkeit der beiden gesetzlich möglichen Maßregeln untereinander und zum anderen das Problem der Austauschbarkeit der beiden Maßregeln mit den sonstigen jugendstrafrechtlichen Sanktionen. Nach den Ausnahmevorschriften in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO konnte die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt als Ausnahme vom Verschlechterungsverbot auch in der Fassung nach dem Vereinheitlichungsgesetz von 1950 jederzeit bis zur Rechtskraft angeordnet werden, und zwar neben allen anderen Maßnahmen oder im Austausch mit diesen. Daher stellte sich zur Zeit der Arbeit von Grethlein nur die Frage, ob im Jugendstrafrecht statt auf Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt auf Entziehung der Fahrerlaubnis erkannt werden konnte. Grethlein läßt einen solchen Wechsel zu, indem er an den beeinträchtigten Rechtsgütern orientiert argumentiert 190 . An die Stelle der freiheitsentziehenden Maßnahme der Unterbringung könne die nur freiheitsbeschränkende Maßnahme der Entziehung der Fahrerlaubnis treten. Dadurch werde der Angeklagte nicht benachteiligt. Der Freiheitsentzug bilde die schwerste Maßnahme und könne durch jede andere Maßnahme ersetzt werden. Der von Grethlein selbst dem Verschlechterungsverbot zugrunde gelegte Gedanke der Verwirkung stehe dem nicht entgegen, da sich diese gerade nur auf den über das Ersturteil hinausgehenden Teil des staatlichen Strafanspruchs beziehe, während in einem solchen Wechsel eine Milderung stecke. Grethlein folgt Bruns in der Argumentation, daß ein solcher Austausch auch erforderlich sei, da sich ansonsten das Verschlechterungsverbot in ein Verbesserungs gebot wandle, wenn zwar die unzulässige Maßregel aufgehoben werden könne, aber die richtige Entscheidung nicht an deren Stelle treten könne. Eine Argumentation, deren Überzeugungskraft in dieser Arbeit schon an früherer Stelle angezweifelt worden ist. Wenn somit zwischen der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und der Entziehung der Fahrerlaubnis ein Wechsel in jede Richtung möglich ist, ist abschließend zu fragen, ob auch ein Austausch mit den Strafen erlaubt ist. Grethlein plädiert grundsätzlich für eine Austauschbarkeit von Maßregeln und Strafen und beurteilt deren Zulässigkeit allein unter dem Gesichtspunkt einer tatsächlichen Verschlechterung der Lage des Angeklagten. Im einzelnen wendet er sich dann den jugendstrafrechtlichen Sanktionen der Erziehungsrnaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe zu. Erneut von der Seite der betroffenen Rechtsgüter her argumentierend, also generell-objektiv, erlaubt Grethlein 191 einen Austausch dahin, daß statt der freiheitsentziehenden Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt als Maßregel auf die die Freiheit belassenden jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen erkannt werden könne, wie damals beispielsweise auf Verwarnung, Erziehungsbeistand, besondere Pflichten und Weisungen. Grethlein, S. 137 ff. A. a. 0., S. 138 f. 191 A. a. 0., S. 139 f. Das Verhältnis der Entziehung der Fahrerlaubnis zu den jugendstrafrechtlichen Sanktionen erläutert er auf S. 143 f. 189 190

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Wenn man diese Argumentation auf die heutige Gesetzesfassung des JGG zu übertragen versucht, könnte statt der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt auf Verwarnung, Weisungen, Erziehungsbeistand nach § 12 JGG i.Y. mit § 30 SGB VIII und Auflagen erkannt werden. Selbst Jugendarrest als ein kurzer Freiheitsentzug (§ 16 JGG) und die damalige Fürsorgeerziehung seien in ihren Wirkungen statt der einschränkenderen Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt möglich, meint Grethlein. Dagegen lasse sich im Verhältnis zur Jugendstrafe als einzig echter Kriminalstrafe im JGG eine Abstufung zur Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt nicht errnitteln l92 . Daher könne die Jugendstrafe nicht an deren Stelle treten. Unter Erwähnung von BGHSt. 5, 312 erörtert Grethlein l93 die besondere Problematik, daß ein Jugendlicher ernstlich darum bittet, statt in eine Heil- oder Pflegeanstalt - heute: statt in ein psychiatrischen Krankenhaus oder eine Entziehungsanstalt - in die Jugendstrafanstalt eingewiesen zu werden. Nachdem er bisher rechtsgutsbezogen argumentieren konnte und damit dem von ihm im Anschluß an Ganske vertretenen generell-objektiven Maßstab zur Beurteilung eines peius gefolgt ist l94 , läßt dieser Maßstab aus seiner Sicht im Verhältnis von Jugendstrafe und Anstaltsunterbringung keinen Austausch zu, da nicht festzustellen sei, welche der beiden Unrechtsfolgen schwerer wiege. In einem solchen Fall sei im Grundsatz ein Austausch nicht möglich, weil sich nicht ausschließen ließe, daß diese Änderung ein Nachteil sei. Mit Blick auf BGHSt. 5, 312 soll der auf verständige Gründe gestützte Wunsch des Angeklagten jedoch dann Berücksichtigung finden und einen Austausch erlauben l95 . Dies gelte aber nur in dem Fall, daß die angeordnete Maßnahme fehlerfrei verhängt worden sei, ansonsten ginge der Wunsch des Angeklagten ins Leere, wenn die angeordnete Maßnahme schon aus anderen Gründen aufzuheben sei. Diesen Gedanken von Grethlein kann man gleichsam als Fehlen der Geschäftsgrundlage bezeichnen. Wenn der Angeklagte die Anordnung einer objektiv gleichrangigen Maßnahme statt der angeordneten wünscht, so geht er davon aus, daß die Erstanordnung wirksam ist. Müßte diese Erstanordnung sowieso aufgehoben werden, hätte er einen solchen Wunsch nicht geäußert und dieser Wunsch kann den Austausch nicht tragen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß Grethlein von einem generell-objektiven Maßstab für die Frage einer Verschlechterung ausgeht und im Prinzip im Wechsel von freiheits entziehenden zu freiheitsbeschränkenden Sanktionen keine Verschlechterung zu Lasten des Angeklagten sieht. Wenn sich aber objektiv nicht festA. a. 0., S. 140. A. a. 0., S. 141-143. Im einzelnen spricht er sich übrigens gegen einen möglichen Verzicht des Angeklagten auf die Wirkungen des Verschlechterungsverbots aus. 194 A. a. 0., S. 113, 142. Ganske zieht aus diesem Maßstab aber eine andere Schlußfolgerung, indem er sich gegen eine Vergleichbarkeit und Austauschbarkeit ausspricht. 195 A. a. 0., S. 143. Auf dieser Grundlage erlauben auch Brunner / Dölling, Rdn. 35 zu § 55 die Anordnung einer Jugendstrafe anstelle einer Unterbringung. 192 193

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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stellen läßt, welche Maßnahme schwerer wiegt, ist an sich ein Austausch nicht möglich. Für diesen Fall will er den verständigen Wunsch des Angeklagten berücksichtigt sehen und getragen von diesem Wunsch einen Austausch zulassen. Es soll nun in wenigen Sätzen versucht werden, die heute im Jugendstrafrecht erweiterte Zulässigkeit der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung auf die Sicht von Grethlein zu projezieren. Ist neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die der damaligen Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt entspricht, heute auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt möglich, sind gemäß der strafprozessualen Vorschriften diese beiden freiheitsentziehenden Maßregeln de lege lata vom Verschlechterungsverbot ausgenommen. Deren Anordnung ist jederzeit neben und statt einer Strafe oder sonstigen jugendstrafrechtlichen Maßnahme möglich. Als freiheitsentziehende Maßregeln können diese beiden Unterbringungsarten nach der Argumentation von Grethlein jedoch durch mildere, die Freiheit belassende jugendstrafrechtliehe Sanktionen ersetzt werden. Im jugendstrafrechtlichen Schrifttum 196 wird dazu die Ansicht vertreten, daß anstelle der Unterbringungsarten auf die jugendstrafrechtlichen Erziehungsrnaßregeln einschließlich der Hilfe zur Erziehung nach § 12 Nr. 2 JGG bis zur Höchstdauer der Unterbringung und auf alle Zuchtmittel erkannt werden kann. Die Maßregel der Führungsaufsicht ist wie die Entziehung der Fahrerlaubnis als nur freiheitsbeschränkende Maßregel im Verhältnis zu den die Freiheit entziehenden Unrechtsfolgen des JGG, insbesondere Jugendarrest und Jugendstrafe, als milder anzusehen; dagegen erscheint ihr Verhältnis zu den Weisungen des § 10 JGG problematisch, da beide im Einzelfall eine erhebliche Einschränkung in der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden zur Folge haben. Das Verhältnis der Maßregeln der Besserung und Sicherung in bezug auf die jugendstrafrechtlichen Reaktionsmittel wie Erziehungsrnaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe, die in ihrer Anordnung vom Erziehungsgedanken getragen sind, kann jedoch angesichts des Umfangs einer solchen Untersuchung begreiflicherweise in dieser Arbeit nicht geklärt werden 197 . Wenn Grethlein bei einer nicht möglichen Wertungsmöglichkeit im Sinne einer Abstufung zweier Rechtsfolgen die sachlichen Wünsche des Angeklagten heranzieht, um ausnahmsweise einen Austausch zuzulassen, so legt Frisch dagegen die konkrete Betrachtung als Ausnahme zu seiner generell-objektiven Beurteilungsmethode zugrunde, um eine Verschlechterung im Sinne der §§ 331, 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO zu ermitteln. Frisch geht von einer Risikobetrachtung 198 des Angeklagten aus. Dieser soll nicht durch die Befürchtung, daß gegen ihn ein schwere1% Siehe Brunner/Dölling, JGG, Rdn. 35 zu § 55 m. w. N.; aber auch Eisenberg, JGG, Rdn. 93 zu § 55. 197 Zu dem Komplex Verschlechterungsverbot und Jugendstrafverfahren siehe Brunner / Dölling, JGG, Rdn. 21 ff. zu § 55 und Eisenberg, JGG, Rdn. 73 ff. zu § 55: beide m. w. N. Beachte auch Kretschmann, Das Verbot der refonnatio in peius im Jugendstrafrecht. 198 Frisch, JA 1974, 165, 166.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

res Mittel verhängt werden kann, von der Einlegung eines Rechtsmittels abgehalten werden. Bei einer konkreten Ausgangsbetrachtung zur Beurteilung einer Verschlechterung wüßte der Angeklagte aber nicht, welche Umstände des Einzelfalls mit welchem Vergleichsergebnis das Gericht berücksichtigen würde. Das Risiko seiner Rechtsmitteleinlegung wäre ihm unklar. Dieses Risiko besteht nach Frisch nicht bei der Beurteilung nach dem vorgegebenen gesetzlichen Verhältnis der Sanktionen. Vorzug verdiene die generelle, an den Maßstab des Gesetzes angelehnte Methode der Betrachtungweise l99 . Anhand der generell-objektiven Bewertung benennt er gesetzliche Vorwertungen: Die Ausnahmevorschriften der §§ 331, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO besagten, daß die beiden dort genannten Maßnahmen per se keinen Nachteil, ihre Anordnung auf Grund dieser Ausnahmeregelung keine Verschlechterung darstellten. Verfassungsrechtliche Grundwertungen besagten, daß die Geldstrafe prinzipiell leichter sei als eine Freiheitsstrafe, daß der Übergang von einer zur Bewährung ausgesetzten 200 Freiheitsstrafe zu einer zu verbüßenden einen Nachteil darstelle, der umgekehrte Weg aber möglich sei, jedoch stets bei Beibehaltung der Strafhöhe. Mit der schon benannten Ansicht von Gerhardt trifft sich Frisch in seiner Auffassung201 , daß nach der Werteordnung der Verfassung freiheitsentziehende Rechtsfolgen schwerer wiegen sollen als nur die Handlungsfreiheit einschränkende Maßnahmen, etwa in der Beziehung zwischen Sicherungsverwahrung und Berufsverbot oder Entziehung der Fahrerlaubnis. Keine gesetzliche Vorwertung sei darin zu sehen, daß die eine Sanktion eine Strafe und die andere Sanktion eine Maßregel der Besserung und Sicherung sei. Dieser Umstand erlaubt Frisch, die Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) als die schwerere Sanktion gegenüber der Nebenstrafe des Fahrverbots (§ 44 StGB) einzuordnen. Wenn jedoch eine gesetzliche Vorwertung anhand eines generellen Maßstabes zwischen den unterschiedlichen Unrechtsfolgen nicht möglich ist, will Frisch auf eine konkrete Beurteilung 202 ausweichen, um eine sachgerechte Entscheidung im Einzelfall zu ermöglichen. Ferner soll der generelle Vergleichsmaßstab durchbrochen werden, wenn dessen Anwendung eine im Einzelfall für jedermann offensichtliche schwerere Belastung zementieren bzw. den Übergang zu einer solchen ermöglichen würde, also bei offensichtlicher Unbrauchbarkeit des generellen Maßstabes.

JA 1974, 165, 167. Die Rechtsnatur der Bewährungsstrafe ist nicht abschließend geklärt. Vgl. Lackner / Kühl, Rdn. 2 f. zu § 56 m. w. N. 201 JA 1974, 165, 168. 202 JA 1974, 165, 168. Auf dieser Linie liegt auch Schlüchter, Rdn. 629, 631. I, 632. Grundsätzlich ist nach ihr zwar eine abstrakt-objektive Betrachtungsweise im Gesamtvergleich der Rechtsfolgen geboten. Wenn aber Zweifel bestehen bleiben, ob das Erst- oder das Zweiturteil für den Angeklagten günstiger ist, dann spricht sie sich für eine ergänzende konkret-subjektive Abschichtung aus, in der die individuellen und konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls in die Betrachtung einbezogen werden. 199

200

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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Bei dieser konkreten Betrachtung werden dann die Umstände des Einzelfalls, die Belastbarkeit und Leidempfindlichkeit des einzelnen beachtet. Eine solche Ausnahme im letzteren Sinn erblickt Frisch 203 in BGHSt. 5, 312: In der Gegenüberstellung zweier gleichennaßen in die Freiheit eingreifender Maßnahmen werde man der unsinnigen psychischen Belastung des Angeklagten, der die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt als eine drückende Last empfinde, so großes Gewicht beimessen müssen, daß die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung letztlich als mildere Sanktion erscheine, obgleich nach der Wertung des Gesetzes deren Anordnung ein Nachteil im Vergleich zur fürsorgerischen Maßnahme nach § 42 b StGB (a. E) sei. Frisch 204 erörtert ferner die Frage, ob das Gericht bei einem Übergang zu einer milderen Sanktionsart in der Festsetzung deren Höhe frei ist, ob eine höhere Quantität der milderen Sanktionsart im Sinne des Verschlechterungsverbots härter sein kann als die geringere Quantität der im Verhältnis dazu schwereren Sanktionsart. Einschlägig ist zu diesem Punkt die schon angesprochene Entscheidung BGHSt. 24, 11, in der die Frage zu klären war, ob eine Geldbuße erhöht werden darf, wenn im Gegenzug dazu ein zuvor angeordnetes Fahrverbot aufgehoben wird. Der vom BGH herangezogene Maßstab einer Gesamtschau der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zur Beurteilung, in welchem Ausmaß die Geldbuße erhöht werden darf, ohne die Grenzen des Verbots der refonnatio in peius zu überschreiten, wird von Frisch anerkannt, da ein gesetzlicher Maßstab nicht gegeben und demzufolge eine konkrete Betrachtung erforderlich sei. Danach kann also auch in der Anordnung einer entsprechend hohen milderen Sanktionsart anstelle einer niedrig bemessenen schwereren Sanktionsart eine Verschlechterung liegen, wobei die Grenze nach BGHSt. 24, 11 in einer ganzheitlich-konkreten Betrachtung liegen soll. Frisch 205 stellt jedoch klar, daß diese Gesamtschau nicht dazu verleiten dürfe, eine mildere Sanktion größerer Quantität durch eine schwerere Sanktion kleinerer Quantität zu ersetzen, also beispielsweise eine hohe Geldstrafe durch eine niedrige Freiheitsstrafe, oder eine längere zur Bewährung ausgesetzte durch eine kürzere nicht ausgesetzte Freiheitsstrafe. Der generelle, gesetzliche Wertungsmaßstab sei stets vorrangig und dieser untersage auf Grund verfassungsrechtlicher Wertung den Übergang von einer Geldstrafe zu einer Freiheitsstrafe. Dies macht noch einmal den Ausgangspunkt von Frisch deutlich: Dieser besteht in einer vorrangigen generellobjektiven Betrachtung zur Bestimmung eines Nachteils anhand der gesetzlichen Wertungen. Allein in den Fällen, in denen ein solcher Maßstab nicht vorhanden ist oder aber zu unbrauchbaren Ergebnissen führt, ist die Beurteilung eines Nachteils anhand einer konkreten Betrachtung vorzunehmen.

Wer wie die Vertreter einer generell-objektiven Betrachtung zur Beurteilung eines Nachteils im Ausgangspunkt nicht die konkreten Umstände des Einzelfalls als 203

204 205

JA 1974,165, 168 f. JA 1974,165,169 f. JA 1974, 165, 171.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Vergleichsmaßstab heranziehen will, der sucht nach Kriterien allgemeiner Art, insbesondere orientiert an den gesetzlichen Vorwertungen, um eine Wert- und Rangordnung zwischen den einzelnen Sanktionsarten zu bilden. Bezogen auf den Bereich der Maßregeln der Besserung und Sicherung läßt sich folgendes sagen: Die beiden Pole im Meinungsstreit liegen darin, die Maßregeln untereinander als unvergleichbar und unauswechselbar anzusehen (vgl. Ganske), oder aber die Maßregeln als weitgehend gleichwertig und im Grundsatz austauschbar zu werten (vgl. Oetker; Bruns). Die dazwischen angesiedelten Auffassungen suchen von einem generell-objektiven Ausgangspunkt her Ausnahmen für den Fall, daß eine allgemeine Wertung, insbesondere anhand der gesetzlichen Regelungen nicht möglich ist. In ihrer Ausgangsbetrachtung kommen die unterschiedlichen Ansätze vielfach zu gleichen Ergebnissen. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Im Verhältnis der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) zu der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) läßt Gerhardr06 nach seiner rechtsgutsbezogenen Wertung zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung einen Wechsel von der Sicherungsverwahrung zur Entziehung der Fahrerlaubnis zu, ohne daß er darin einen Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot sieht. Unter Zugrunde1egung der Wertabstufung der Verfassung stimmt Frisch 207 dem zu, und auch Grethlein 208 argumentiert in diese Richtung. Selbst Brunio9 , dessen Ausgangspunkt in der Äquivalenz, d. h. in der Gleichwertigkeit der Maßregeln liegt, sieht im Verhältnis zwischen Sicherungsverwahrung und Entziehung der Fahrerlaubnis eine Rangordnung des maius-minus gegeben. Schwierig wird es, wenn sich eine Rangordnung zwischen den einzelnen Unrechtsfolgen nicht eindeutig bilden läßt. Welche Folgerungen daraus zu ziehen sind, ist umstritten. An dieser Stelle treten die unterschiedlichen Ansätze in Erscheinung. Von besonderer Bedeutung war bisher in der Rechtsprechung des BGH der Wechsel von der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu der Anordnung der Sicherungsverwahrung. An dieser Stelle scheiden sich die Geister, insbesondere auch angesichts der entgegengesetzten Entscheidungen in BGHSt. 5, 312 und BGHSt. 25, 38: Kein Austausch (v gl. Ganske, Gerhardt), jederzeitiger Austausch (vgl. Bruns), Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. Frisch), Berücksichtigung der verständigen Wünsche des Betroffenen (vgl. Grethlein). Jede dieser Möglichkeiten wird im Grundsatz vertreten.

Gerhardt, S. 112 f. JA 1974,165,168. 208 Grethlein, S. 138 bezogen auf die im damaligen JGG zugelassenen Maßregeln der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt und der Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn er im Freiheitsentzug die schwerste Maßnahme sieht. 209 JZ 1954, 730, 737 in Fußnote 49. 206

207

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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b) Konkret-individuelle Ansichten

Schon wiederholt wurde der konkrete, am Einzelfall orientierte Maßstab für den Vergleich von Sanktionen im Bereich des Verschlechterungsverbots angesprochen, so geschehen in der Entscheidung BGHSt. 24, 11 oder bei Frisch als Ausnahme und Ergänzung eines generell-objektiven Vergleichsmaßstabes. Die konkrete Betrachtungsweise wird jedoch auch als eine eigenständige Auffassung vertreten, als Ausgangspunkt für die Bewertung einer Verschlechterung im Vergleich der im angefochtenen Urteil enthaltenen zu den vom Rechtsmittelgericht für angebracht gehaltenen Sanktionen. Wenn auch für die Beurteilung einer Verschlechterung entscheidend auf die im Gesetz selbst zu Tage tretende Bewertung der zu beurteilenden Unrechtsfolgen abzustellen sei, so sei doch für die Frage, ob die Änderung des Rechtsfolgenausspruchs einen Nachteil darstelle, die Beurteilung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Abwägung der Nachteile vorzunehmen, die dem Angeklagten bei objektiver Würdigung seiner Belange zugefügt werden, ist bei KadeZ210 zu lesen. Eine Verschlechterung im Sinne der §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 StPO sei deshalb nur dann gegeben, wenn bei der Gesamtschau, die alle konkreten Umstände des Einzelfalls berücksichtige, die verhängte Strafe im Endergebnis zum Nachteil des Angeklagten verändert werde211 . Um die freie Entscheidung des Angeklagten betreffs einer Rechtsmitteleinlegung zu gewährleisten, soll nach KadeP12 sogar das subjektive Empfinden des Angeklagten Bedeutung haben, indem es für die Auslegung der Begriffe Art und Höhe der Rechtsfolgen Berücksichtigung finden soll. Maurach 213 tendiert unter Hinweis darauf, daß mit einer generell-objektiven Methode keine alle Maßregeln der Besserung und Sicherung umfassende Rangordnung zu ermitteln sei, ebenfalls zu einer konkreten Betrachtung. Danach solle die Rangwertermittlung zwar nach objektiven Gesichtspunkten vorgenommen werden, der persönliche Einschlag, die Wirkung der Maßregeln auf den Angeklagten, dürfe aber nicht außer acht gelassen werden. Unter Bezugnahme auf BGHSt. 5, 312 und die dortigen Ausführungen zur Auswahl zwischen mehreren Maßregeln nach den besonderen Umständen des Einzelfalls will Maurach 214 diesen Maßstab auch zur Beurteilung einer Verschlechterung anwenden. Das subjektive Empfinden könne als Indiz für die Beurteilung herangezogen werden, ob im konkreten Einzelfall ein Nachteil gegeben sei, heißt es an anderer Stelle 215 . 210 Kadel, S. 13 f. Für eine Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls bei objektiver Würdigung der Belange des Angeklagten plädieren auch LR-Gollwitzer, Rdn. 34 zu § 331 und KMR-Paulus, Rdn. 17 zu § 331. 2ll Kadel, S. 14. 212 Kadel, S. 16. 213 IR 1973, 162, 163 f. 214 IR 1973, 162, 163 f. 215 So KMR-Paulus, Rdn. 8,17 zu § 331.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Unter Hervorhebung des die jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen beherrschenden Erziehungsgedankens, der sich im besonderen Maße an der einzelnen Taterpersönlichkeit orientiert, wird im jugendstrafrechtlichen Schrifttum216 überwiegend der Umstand einer Verschlechterung danach bewertet, welcher Rechtsfolgenausspruch in seinen rechtlichen oder tatsächlichen Wirkungen den Angeklagten im konkreten Fall stärker belastet. Die einzelnen jugendstrafrechtlichen Reaktionsmittel des JGG (Strafen, Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel, Maßregeln) müssen in ihrer jeweiligen konkreten Gestaltung in einer Gesamtschau miteinander verglichen werden; die konkrete Belastung, die das jeweilige Reaktionsmittel bei vernünftiger objektiver Würdigung der Interessenlage des Verurteilten für diesen bedeutet, ist nach dieser Ansicht für die Bewertung einer Verschlechterung entscheidend217 .

4. Eigener Standpunkt

Bei der Überlegung, ein Rechtsmittel einzulegen, steht der Angeklagte vor der psychologischen Zwangssituation, beurteilen zu müssen, ob als Resultat seines Rechtsmittels möglicherweise eine Verschlechterung des Rechtsfolgenausspruchs herauskommen kann. Für den Bereich der Strafen läßt sich unter dem Gesichtspunkt des Verbots der reformatio in peius eine berechenbare Voraus schau anstellen, da in diesem Bereich der Sanktionen die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertungen deutlich sind, wenn Geld- und Vermögensstrafe als gegenüber der Freiheitsstrafe mildere Rechtsfolgen angesehen werden. Anders stellt sich die Lage bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung dar. Umstritten erscheint zum einen das Verhältnis der Maßregeln zueinander. Ebenso ist das Verhältnis der Maßregeln zu den Strafen ungeklärt218 • a) Der Vorzug der generell-objektiven Betrachtungsweise

Der Angeklagte soll voraussehen können, was ihn nach seiner Rechtsmitteleinlegung im Rechtsfolgenausspruch erwartet. Das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius gewährt ihm ein bewahrendes Vertrauen dahingehend, daß er im Ergebnis nicht "schlechter" als nach dem Ersturteil dasteht. Zur Beurteilung, was ein 216 Eisenberg, JGG, Rdn. 74 ff. zu § 55; Diemer I Schoreitl Sonnen-Schoreit, JGG, Rdn. 15, 18 zu § 55; Brunner/Dölling, JGG, Rdn. 22 zu § 55; Ostendorf, JGG, Rdn. 14 zu § 55. Für eine konkret-objektive Betrachtungsweise tritt ergänzend auch Kretschmann in seiner Dissertation "Das Verbot der reforrnatio in peius im Jugendstrafrecht" ein (vgl. S. 107 ff.). Einer anderen Ansicht ist bekanntlich Greth1ein, S. 113, 142, der sich ausdrücklich auf den generell-objektiven Standpunkt von Ganske (S. 28 - 35) bezieht. 217 Vgl. Brunner/Dölling, JGG, Rdn. 22 zu § 55; DiemerISchoreit/Sonnen-Schoreit, JGG, Rdn. 18 zu § 55. 218 Siehe dazu die Ausführungen zu der Maßregeln der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und der Entziehung der Fahrerlaubnis.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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"peius" im Sanktionenvergleich ist, kann allein ein generell-objektiver Maßstab Geltung beanspruchen. Das Verbot der reformatio in peius widerstreitet dem Prinzip der Verhängung materiell gerechter Strafen, widerstreitet also dem Prinzip der Erforschung materieller Gerechtigkeit im Strafverfahren. Zur Wahrung einer gleichen Gesetzesanwendung bedarf es einer einheitlichen Auslegung im Vergleich der Sanktionen. Dies ist auch im Interesse des Angeklagten geboten, um ihm einen Ausweg aus seiner Zwangssituation zu gewähren und um seine Entschlußfreiheit hinsichtlich der Rechtsmitteleinlegung umfassend zu sichern. Er kann bei einer konkret-individuellen Wertung der Sanktionen nicht voraussehen, welche Umstände seines persönlichen Einzelfalls von der Rechtsmittelinstanz zugrundegelegt und mit welchem Ergebnis die Besonderheiten seines Einzelfalls gegeneinander abgewogen werden. Bei der konkreten Betrachtung wäre die Vorausschau von Unwägbarkeiten geprägt, die der Berechenbarkeit die Grundlage entzögen. Die zu erwartende Unterschiedlichkeit in der Abwägung von Einzelfall zu Einzelfall wäre es auch, die eine Gefahr der Uneinheitlichkeit der Gesetzesanwendung begründet. Von Fall zu Fall würde eine neue Bestimmung des Nachteils vorgenommen werden. Die Nachteile der konkret-individuellen Betrachtungsweise sind spiegelbildlich die Vorteile der generell-objektiven Methode. Nur sie gewährt ein hinreichendes Maß an Berechenbarkeit und Rechtseinheitlichkeit. Mit diesem Maßstab zur Bestimmung einer Verschlechterung ist jedoch noch nichts gewonnen. Erforderlich ist nunmehr, in einer generell-objektiven Betrachtungsweise für die Maßregeln der Besserung und Sicherung nach einer Rangordnung anhand gesetzlicher Wertungen zu suchen, die möglicherweise eine Austauschbarkeit im Sinne eines maius-minus erlaubt. Ob eine solche Einteilung in mildere und schwerere oder auch gleichschwere Maßregeln möglich ist, erscheint angesichts ihrer Vielschichtigkeit äußerst zweifelhaft.

b) Die Verschiedenartigkeit der Maßregeln

Gleich zu Beginn soll dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der Maßregeln unter dem Aspekt ihrer Zweckdienlichkeit, wie er von Oetker und Bruns vertreten wird, eine Absage erteilt werden. Die einzelnen Maßregeln sind nach ihrer Ausgestaltung, ihrem Einzelzweck und ihrer individuellen Wirkung so verschieden, daß zwischen ihnen ein echter Artunterschied besteht und der allen Maßregeln innewohnende Präventionszweck sie nicht gleichwertig macht. Auf den ersten Blick erscheint eher die rechtsgüterbezogene Wertordnung überzeugend, die entscheidend auf Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung abstellt, da nicht abzustreiten ist, daß zwischen diesen Beeinträchtigungen eine verfassungsrechtlich vorgegebene Rangordnung vorliegt. Wenn aber die Sicherungsverwahrung mit ihrem überwiegend sichernden, verwahrenden Charakter im Verhältnis zu den anderen Maßregeln auch als schwerste und die Freiheitsrechte des Individuums einschränkendste Maßregel gewertet werden könnte, so ist doch deren Verhältnis zur Anordnung

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht so eindeutig. Trotz § 130 StVollzG, der für die Sicherungsverwahrung ausdrücklich nicht auf § 2 StVollzG verweist, wonach die Resozialisierung primäres Vollzugsziel ist, darf die Sicherungsverwahrung sich nicht in einem bloßen Verwahrvollzug erschöpfen, auf der anderen Seite spielt der Sicherungszweck auch bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine Rolle. Die Unterbringung erscheint zudem wegen der unbegrenzten Dauer ihrer Anordnung (§ 67 d StGB) nicht weniger belastend, und ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in der Vollzugsgestaltung in ihrer therapeutischen Zielsetzung weniger in die Individualrechte des Betroffenen eingreift als der Vollzug der Sicherungsverwahrung, das ist eine offene, von empirischen Untersuchungen zu klärende Frage. Das zeigt, daß anhand gesetzlicher Wertungen im Ansatz durchaus eine Rangordnung möglich ist, aber eine solche ziemlich schnell an ihre Grenzen 219 gerät. Die fehlende Möglichkeit einer alle Maßregeln der Besserung und Sicherung umfassenden Rangordnung anhand einer rechts guts bezogenen Wertung erscheint jedoch nicht von Bedeutung, da die Maßregeln infolge ihres Wesensunterschiedes zueinander im Verhältnis eines "aliud" stehen. Die Maßregeln knüpfen an die Täterpersönlichkeit und deren individuelle Gefährlichkeit für die Allgemeinheit an. Konkret gerichtet auf die spezifische Gefährlichkeit des einzelnen soll die jeweilige Maßregel der von dem Individuum ausgehenden Gefahr von (erheblichen) Straftaten vorbeugen. Die Verhinderung berufs spezifischer Gefahren durch ein Berufsverbot (§ 70 StGB) ist im Vergleich zur Vorbeugung drohender durch ungeeignete Kraftfahrzeugführer verursachte Gefahren mittels der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) etwas anderes, und beide Maßregeln sind in keine Rangordnung zu setzen. Die Sicherung der Allgemeinheit durch Besserung oder Heilung der Suchtkranken durch gezielte Behandlungsmaßnahmen ist anknüpfend an die Täterpersönlichkeit etwas anderes als die Sicherung der Allgemeinheit vor gefährlichen "Hangtätem" mittels der Sicherungsverwahrung. Der Zweck der vielgestaltigen Führungsaufsicht (§ 68 StGB), gefährliche oder gefährdete Tater in ihrer Lebensführung in der Freiheit über gewisse kritische Zeiträume hinweg zu unterstützen und zu überwachen, um sie von weiteren Straftaten abzuhalten, ist im Verhältnis zur Unterbringung gefährlicher Kranker nach § 63 StGB zwecks Sicherung und Heilung ein unvergleichbares "aliud". Die Maßregeln sind ausschließlich spezialpräventiv zweckgerichtete, auf den einzelnen Tater bezogene Maßnahmen zur Vorbeugung vor künftigen Straftaten. Die spezialpräventive Wirkung ist bei den einzelnen Maßregeln unterschiedlich auf Besserung oder Sicherung akzentuiert. Die Maßregeln orientieren sich ausgehend von den spezifischen Taterpersönlichkeiten an spezifischen Gefahren. Beispielhaft bezeichnet das AG Bad Homburg 220 den Charakter der Entziehung der Fahrerlaubnis als eine individuelle, auf den jeweili219 Für die Unterbringung in einer Entziehungsanstaltund das Berufsverbot wird die Wertung, daß die freiheitsentziehenden Maßregeln schwerer als die freiheitsbeschränkenden Maßregeln wiegen, durchaus angezweifelt. Vgl. LR-Gollwitzer, Rdn. 84 zu § 331. 220 NJW 1984,2840,2841.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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gen Einzelfall und somit auf den jeweiligen Täter bezogene Maßregel der Besserung und Sicherung. Diese Besonderheit der Orientierung der Maßregeln an die individuelle Tätergefährlichkeit ist der aufrechtzuerhaltende Unterschied zu der schuldorientierten Strafe. Die Strafen lassen sich auf Grund ihrer gleichbleibenden Anknüpfung an die in der Vergangenheit liegende Straftat in eine wesensähnliche Vergleichbarkeit zur Beurteilung der strafprozessualen Verschlechterung setzen. Anknüpfungspunkt der Strafe ist das nach seiner Schwere abstufbare Unrecht, das der Täter verschuldet hat. Ein derart für alle Maßregeln vergleichbarer Anknüpfungspunkt existiert nicht. Jede der sechs Maßregeln knüpft an eine spezifische Täterpersönlichkeit und deren Gefährlichkeit an. Wenn in der Erstinstanz die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wird und sich im Rechtsmittelverfahren die Frage stellt, ob nicht stattdessen ein Berufsverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden sollte, haben die unterschiedlichen Täterpersönlichkeiten mit ihrer spezifischen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zur Folge, daß eine wertende Rangordnung nicht möglich ist, da jede Maßregel gezielt einer von dem Individuum ausgehenden Gefahr vorbeugen soll. Der Täter ist nicht weniger, sondern anders gefährlich. Aus dieser Unvergleichbarkeit der einzelnen Maßregeln der Besserung und Sicherung, aus diesem "aliud"-Verhältnis folgt die Unauswechselbarkeit der Maßregeln. Der allen Maßregeln innewohnende Zweck der Gefahrenabwehr durch Individualprävention kann sie genausowenig austauschbar machen, wie der die Strafen innewohnende Schuldausgleich diese generell austauschbar macht. Bei letzteren aber ist eine Rangordnung zwischen vermögensrechtlichen Strafen und der Freiheitsstrafe im Gegensatz zu den Maßregeln möglich, auch um dadurch die unterschiedliche Größe des verschuldeten Unrechts auszudrücken. Das Auswechslungsverbot der Maßregeln zeigt eine klare Linie im Gegensatz zu möglichen Rangordnungen, die mittels unterschiedlicher Wertungen zu unwägbaren Vergleichen innerhalb der verschiedenen Maßregeln gelangen. Das Auswechslungsverbot der Maßregeln bewirkt daher sowohl im Interesse der Allgemeinheit als auch im Interesse des betroffenen Einzelnen ein begrüßenswertes Stück Rechtssicherheit im Sanktionierungsfeld. Als Ergebnis ist festzuhalten: Die Maßregeln der Besserung und Sicherung stehen zueinander in einem "aliud"- Verhältnis. Sie sind miteinander unauswechselbar.

c) Bedenken hinsichtlich der Legitimation der Ausnahmeregelung in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO

Die StPO nennt in ihren Vorschriften zum Verbot der reformatio in peius gleichzeitig Ausnahmen zu diesem Verbot, und zwar bezogen auf die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (§§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO). Früher bezog sich 8 Kretschmer

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

die Ausnahme auf die entsprechenden Maßregeln der Unterbringung in einer Heiloder Pflegeanstalt und der in einer Trinkerheil- oder Entziehungsanstalt221 . Die genannten Maßregeln können nach dieser Gesetzeslage im Rechtsmittelverfahren jederzeit sowohl anstelle einer Strafe oder anstelle einer Maßregel als auch nachträglich neben einer Strafe oder neben einer Maßregel angeordnet werden. Inwieweit diese Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot mit dem soeben erarbeiteten Grundsatz der wesensmäßigen Unvergleichbarkeit und Unaustauschbarkeit der Maßregeln vereinbar sind, erscheint zweifelhaft. Eine nicht jeden überzeugende Begründung findet die Ausnahme darin, daß es sich bei den beiden Maßregeln um medizinische Heilrnaßnahmen handle, die nicht nur zum Schutz der Allgemeinheit, sondern auch im wohlverstandenen Interesse des Verurteilten angeordnet würden 222 und damit dem Vorteil des Angeklagten dienten. Da alle Maßregeln der Besserung und Sicherung individualpräventiv wirken sollen, werden an sich alle auch im wohlverstandenen Interesse des Angeklagten angeordnet, wenn auch der verfolgte Zweck der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren (erheblichen) Straftaten ist. Das Mittel aber besteht in ausschließlich spezialpräventiv-zweckgerichteten Maßnahmen mit unterschiedlicher Akzentuierung auf Besserung und Sicherung. Selbst bei der Sicherungsverwahrung gegen einen unverbesserlichen Hangtäter darf das Sozialisierungsbemühen zugunsten des Betroffenen nicht außer acht gelassen werden 223 . Der die Ausnahme vom Verschlechterungsverbot tragende Gedanke der Einordnung der Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB als für den Betroffenen vorteilhafte Heilrnaßnahmen kann deren Sonderstellung nicht rechtfertigen. Wie auch die anderen Maßregeln des § 61 StGB kommen sie im "Gewande" des Strafrechts daher. Ihre nach der Ausnahmeregelung jederzeit mögliche, die Freiheit entziehende Anordnung, ob zusätzlich oder im Wechsel mit einer anderen angeordneten Unrechtsfolge, begründet eine tatsächliche Beschwer des Betroffenen. Daher kann der Angeklagte ein Urteil wegen der Anordnung der Unterbringung anfechten, und zwar auch beschränkt auf die Unterbringung selbst, sofern nicht im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch besteht224 . Ein Betroffener, der zuvor beispielsweise nur freiheitsbeschränkend mit der Geldstrafe und der Entziehung der Fahrerlaubnis belangt worden ist und im Rahmen des von ihm in Gang 221 Zugleich mit der Einführung eines Maßregelkataloges durch Gesetz vom 24. 11. 1933 (RGBl. I, 995) wurde durch ein Ausführungsgesetz (RGBl. I, 1000) in den Vorschriften zum Verbot der reformatio in peius die Ausnahmeregelung bezüglich dieser bei den Maßregeln getroffen. 222 Vgl. BGHSt. 7, 101, 103. Siehe ebenso LR-Gollwitzer, Rdn. 31 zu § 331; Gerhardt, S. 59; Meyer-Goßner, IR 1987, 173, 175. Dagegen meint Grethlein, S. 31 f, daß sich eine wirklich überzeugende Begründung für diese Regelung nicht finden lasse. Böllinger, in NK, Rdn. 69 zu § 61 lehnt die Regelung wegen des Übelscharakters der Maßregeln der Besserung und Sicherung kriminalpolitisch ab. Bruns, IZ 1954, 730, 737 nennt die bisherige Begründung, daß es sich bei diesen Maßregeln um Heilrnaßnahmen handle, nicht überzeugend. 223 Siehe LK-Hanack, Rdn. 19 zu § 66. 224 Siehe dazu die Angaben in BGHSt. 38, 362.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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gesetzten Rechtsmittelverfahrens in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert wird, steht nicht nur aus seiner im Rahmen des Verschlechterungsverbots unbeachtlichen subjektiven Sicht schlechter dar, sondern auch nach einer generell-objektiven Betrachtungsweise, da eine freiheitsentziehende Maßnahme mit welcher Zielsetzung auch immer die schwerste rechts guts beeinträchtigende Sanktion darstellt. Dieser generell-objektive Nachteil in der Art der Rechtsfolgen wird besonders deutlich, wenn der Angeklagte, der in der ersten Instanz nicht mit einer freiheitsentziehenden Sanktion beschwert worden ist, trotz des Verbots der reformatio in peius die zeitlich in der Anordnung an keine Grenzen gebundene Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus befürchten muß. Diese Möglichkeit der Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt kann einen Angeklagten davon abhalten, von dem ihm zustehenden Recht einer Rechtsmitteleinlegung Gebrauch zu machen. Die Charakterisierung als Heilmaßnahme vermag die einlegungshemmende Wirkung zuungunsten des Angeklagten nicht zu rechtfertigen. Der diese beiden Maßregeln tragende Gedanke ist nicht der Fürsorgegedanke, da dieser allein keinen staatlichen Zwang begründen kann. Gleichermaßen wie die anderen Maßregeln werden auch diese beiden durch die bereits erwähnte Idee des überwiegenden Interesses, um dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit zu genügen, legitimiert. Es erscheint daher sachgerecht, in den Fällen einer nachträglichen Anordnung der entsprechenden Maßnahmen de lege ferenda auf den Weg der öffentlichrechtlichen Maßnahmen, die gegen psychisch Kranke und Suchtabhängige nach den landesrechtlichen Vorschriften möglich sind225 , auszuweichen. Dadurch ist die auch nach generell-objektiver Betrachtung in der Freiheitsentziehung eintretende Beschwer in ihrer einlegungshemmenden Wirkung im Rechtsmittelverfahren zu vermeiden. Erhebliche Bedenken hinsichtlich der gesetzlichen Nichtgeltung des Verschlechterungsverbots bei den §§ 63 und 64 StGB äußert HanaclC- 26 . So würden die Belange des Angeklagten bezüglich einer unbefangenen Urteilsanfechtung erheblich gefährdet, wenn die u. U. sehr belastenden und von den Angeklagten vielfach besonders gefürchteten Maßregeln vom Schutzbereich des ansonsten bestehenden Verschlechterungsverbots ausgenommen seien. Im System des heutigen Prozeßrechts sei die Ausnahme widersprüchlich und unangemessen. Hanack äußert zuletzt gar verfassungsrechtliche Bedenken, wenn er ausführt, daß der Gleichheitssatz und das Willkürverbot es verböten, im Rahmen eines ansonsten einheitlich gestalteten Rechtsmittelzuges diejenigen Strafsachen, bei denen Maßregeln nach §§ 63, 64 StGB in Frage stünden, so anders zu behandeln als die übrigen, wenn es dafür überzeugende Gründe nicht gebe. Die Regelung erschwere somit den Zugang zum Rechtmittelgericht in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu 225 226

8*

Vergleiche nur BeriinerPsychKG vom 8.3.1985, GVBI. 1985,586. JR 1993, 430, 432.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

rechtfertigender Weise. Diese von Hanack geäußerten Bedenken, denen insbesondere bezogen auf Art. 3 Abs. I GG noch nachzugehen ist, treffen sich mit den in dieser Arbeit unter dem Dach der rechtsstaatlichen Begründung des Verbots der reformatio in peius genannten Zweifel an der Legitimation der Ausnahmeregelung. Aus diesem Grund kann es nicht die Forderung sein, den Grundgedanken der Ausnahmeregelung auf andere Maßregeln zu erweitern, wie dies für die Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis geschieht 227 . Vielmehr erscheinen die Ausnahmen selbst mit dem rechts staatlichen Verbot der reformatio in peius, aber auch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar, da der Angeklagte in seiner Entschlußfreiheit durch die drohende Unterbringung nach den §§ 63 und 64 StGB bezüglich seiner Rechtsmiueleinlegung unzulässig beeinträchtigt werden kann, während das Verschlechterungsverbot den Zweck verfolgt, umfassend jede einlegungshemmende Wirkung auf den Angeklagten zu vermeiden. In diesem Sinn ist an den Gesetzgeber die Forderung zu stellen, die Ausnahmen zum Verschlechterungsverbot bezüglich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der in einer Entziehungsanstalt abzuschaffen und die nicht mögliche Austauschbarkeit der Maßregeln im Gesetz selbst klarzustellen. Diese Gedanken, insbesondere die Frage, ob die Ausnahmerege1ung nicht sogar verfassungswidrig ist, verdienen und erhalten an späterer Stelle bei der Darstellung der Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt eine weitere Vertiefung.

d) Würdigung des bisherigen Ergebnisses

Ausgehend von einer generell-objektiven Betrachtungsweise in der Beurteilung des Nachteils im Rahmen der strafprozessualen Vorschriften zum Verbot der reformatio in peius, die unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und von den subjektiven Wünschen des Angeklagten zu erfolgen hat, stehen die Maßregeln angesichts ihres jeweiligen spezifischen Bezuges auf die individuelle Täterpersönlichkeit zueinander in einem Verhältnis des "aliud". Sie sind miteinander unauswechselbar, da sie in ihrem Wesen unvergleichbar sind. Dies muß auch für die Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt gelten. Deren Herausnahme aus dem rechtsstaatlichen Verschlechterungsverbot ist nicht durch ihren Charakter als Heilrnaßnahmen zu rechtfertigen. Als freiheitsentziehende Maßnahmen sind sie im Verhältnis zu den freiheitsbeschränkenden Maßregeln in ihrer Wirkung eine einlegungshemmende Verböserung. Betrachtet man in generellen Zügen die Folgen des Grundsatzes der Unauswechselbarkeit, so ist zu unterscheiden:

227 Vgl. Cramer, NJW 1968, 1764, 1765 f, der de lege ferenda eine Ergänzung des Ausnahmekatalogs der §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 StPO um die Entziehung der Fahrerlaubnis fordert.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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aa) Rechtsfehlerhafte Erstanordnung einer Maßregel Das Rechtsmittelgericht muß den Rechtsfehler des Tatgerichts korrigieren, da eine Rechtsfolge nicht bestehen bleiben kann, wenn deren Voraussetzungen nicht gegeben sind. Die fehlerhaft angeordnete Maßregel wird vom Rechtsmittelgericht aufgehoben. An die Stelle dieser aufgehobenen Maßregel soll nun im laufenden Rechtsmittelverfahren eine andere Maßregel der Besserung und Sicherung treten. In dieser Konstellation ist ein Austausch nicht angebracht. Wenn nur von oder zugunsten des Angeklagten ein Rechtsmittel mit dem Ziel eingelegt wird, ein milderes Urteil zu erreichen oder einen Rechtsfehler zu korrigieren, darf dies nicht zum Anlaß genommen werden, neben der gebotenen Korrektur die Gelegenheit zu nutzen, eine neue Entscheidung zu fallen. Die Korrektur des materiell-rechtlichen Fehlers und das Herbeiführen einer gerechten Entscheidung ist primär die Aufgabe der Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörde, die im Verfahren nicht Partei ist. Die Anklagebehörde hat von Beginn des Verfahrens an dahin zu wirken, daß dem Gesetz für und wider den Beschuldigten Genüge getan wird228 • Sie hat die Pflicht zu überwachen, ob die ergehende Entscheidung gesetzmäßig ist229 • Das RG 230 hat ausgeführt, daß die Staatsanwaltschaft nach pflichtgemäßem Ermessen von den zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch zu machen habe, um Entscheidungen entgegenzutreten, die, gleichviel ob sie jemanden beschweren, den Geboten der Rechtspflege, insbesondere den Gesetzen nicht entsprechen. Kommt die Staatsanwaltschaft dieser Aufgabe nicht nach, so zeigt sich, daß sie den staatlichen Strafanspruch durch das Ersturteil als erfüllt ansieht, und zwar auch in bezug auf den Ausspruch der präventiven Maßregeln im Interesse der Gefahrenabwehr. Dies kommt auch zum Ausdruck, wenn sie zugunsten des Angeklagten ein Rechtsmittelverfahren initiiert. Will die Staatsanwaltschaft die Anordnung einer Maßregel im Austausch mit einer anderen oder gar zusätzlich zu einer schon angeordneten erreichen, um ein gerechtes Urteil zu erzielen, muß sie wegen des Grundsatzes der Unaustauschbarkeit der Maßregeln unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots zuungunsten des Angeklagten Rechtsmittel einlegen. Es wäre aber widersprüchlich, eine zugunsten des Angeklagten geschaffene Situation zum Anlaß zu nehmen, dieses Ziel zu erreichen. Es ist danach erforderlich, daß die Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten Rechtsmittel einlegt, wenn gelegentlich der Korrektur einer rechtsfehlerhaften Anordnung einer Maßregel eine andere Maßregel gegen diese ausgewechselt werden soll. Solange das erhobene Rechtsmittel allein zugunsten des Angeklagten wirkt, ist ein Austausch der Maßregeln nicht möglich. Nochmals: Die Situation im Strafenbereich ist eine andere. Innerhalb dieses Bereiches ist ein Austausch in den Grenzen des Verbots zulässig, da die Strafen im Gegensatz zu den Maßregeln sich im Rahmen des Verschlechterungsverbots in ein vergleich228 229

So LR-Gollwitzer, Rdn. 30 zu § 296. Vgl. OLG Saarbrücken NJW 1973, 1010, 1011. Ebenso KMR-Pau1us, Rdn. 59 Vor

§ 296. 230

RGSt. 60,189,191.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

bares Verhältnis des "Schwerer" und "Milder" setzen lassen und nicht unaustauschbar sind. Dadurch wird dem unterschiedlichen Maß an verschuldetem Unrecht Rechnung getragen. bb) Rechtsfehlerfreie Erstanordnung einer Maßregel Ein Austausch im Rechtsmittelverfahren nach einem Rechtsmittel vom oder nur zugunsten des Angeklagten ist auch in diesem Fall nicht erforderlich und unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots rechtlich unzulässig. Wenn zwischen mehreren Maßregeln der Besserung und Sicherung rechtsfehlerfrei die Wahl getroffen worden ist, ist ein Austausch nicht mehr geboten. Mit der angeordneten Maßregel wird bezogen auf die spezifische Täterpersönlichkeit und dessen Gefährlichkeit eine individualpräventiv wirkende Maßnahme ergriffen, um den Gefahren, die der Allgemeinheit vom Straftäter drohen, vorzubeugen. Dieses allgemeine Ziel der Maßregeln soll mit einer anderen Maßregel auch verfolgt werden. Die Unaustauschbarkeit der Maßregeln führt hier zu keinem untragbaren Ergebnis, sondern mit der schon verhängten Maßnahme ist bezogen auf die spezifische Täterpersönlichkeit eine zweckmäßige Maßregel angeordnet worden. Ein Austausch oder gar eine zusätzliche Anordnung kann und darf allein im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens zuungunsten des Angeklagten geschehen. Die beiden Konstellationen zeigen, daß das Auswechslungsverbot der Maßregeln zu angemessenen und interessengerechten Ergebnissen führt. Das umfassende Verbot vermeidet eine einlegungshemmende Wirkung auf Seiten des Angeklagten. Wenn, um erneut bildlich zu sprechen, das Verschlechterungsverbot verhindern will, daß der Angeklagte vom "Regen" in die "Traufe" kommt 231 , mag er dies von Rechts wegen auch verdient haben, dann soll nach Bruni 32 das Auswechslungsverbot gerade zum Ergebnis haben, daß dem Angeklagten auch der "Regen" erspart bliebe, wenn die falsche Maßregel beseitigt, die richtige Maßregel aber nicht nachgeholt werden könne. Wird jedoch in dem Fall einer rechtsfehlerhaft angeordneten Maßregel von keiner Seite ein Rechtsmittel erhoben, wäre gegen den Angeklagten eine fehlerhafte Sanktion verhängt worden. Um dies zu vermeiden, gibt die StPO, um im obigen Bild zu bleiben, dem Angeklagten zur Beseitigung des Rechtsfehlers mit den ihm zustehenden Rechtsmitteln einen "Regenschirm" in die Hand, um ins "Trockene" zu kommen. Sofern der Angeklagte mit einem Urteilsspruch beschwert ist, kann er die nochmalige Überprüfung der Entscheidung herbeiführen, wenn er mit diesem Urteilsspruch unzufrieden ist. Eine Beschwer des Angeklagten liegt bei der Anordnung einer Maßregel unabhängig von deren Zielsetzung vor. Die Herausnahme der Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der in einer Entziehungsanstalt aus dem Verschlechte231 Dieses Bild stammt ursprünglich von Beling, JW 1925,2332 und wurde von Seibert, MDR 1954, 340 aufgegriffen. 232 JZ 1954, 730, 736.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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rungsverbot mit dem Argument, daß sie als Heilrnaßnahmen im Interesse des Verurteilten ergingen, müßte in letzter Konsequenz zu einer fehlenden Beschwer des Betroffenen führen, was aber nicht geschieht. Es ist auf der Seite des Angeklagten sein gutes Recht zu verlangen, daß eine ihn treffende Beschwer beseitigt wird, sei sie nun rechtsfehlerhaft oder rechtsfehlerfrei angeordnet worden. Es ist sein Recht, ins "Trockene" kommen zu wollen, mag die materielle Gerechtigkeit auch dagegen sprechen. War. die Maßregel erstinstanzlich rechtsfehlerfrei angeordnet worden, so bleibt er zu Recht im "Regen" stehen. War die Maßregel erstinstanzlich rechtsfehlerhaft angeordnet worden, so muß ihm dagegen Schutz gewährt werden. Zu Unrecht darf er nicht im "Regen" stehen bleiben. Der Vorwurf, daß das Auswechslungsverbot das Verbot der reformatio in peius zu einem Verbesserungsgebot233 umdeutet, ist nicht zutreffend. Das Anfechtungsrecht besteht auch, um dem Angeklagten die Möglichkeit der Korrektur einer fehlerhaften Entscheidung zu gewähren. Stellt sich heraus, daß die Entscheidung fehlerfrei war, ändert sich die Rechtsposition des Angeklagten weder zu seinem Nachteil noch zu seinem Vorteil. Die Aufhebung einer fehlerhaften Entscheidung ist dagegen notwendige Folge eines rechtsstaatlichen Verfahrens und stellt keine sachwidrige Verbesserung dar. Wenn auf Grund des Auswechslungsverbots die fehlerhaft angeordnete Maßregel nicht durch die richtige Maßregel ersetzt werden darf, mag das als Verbesserung der Position des Angeklagten verstanden werden. Das Recht der Anfechtung richterlicher Entscheidungen soll aber gerade durch das Verbot geschützt werden. Dieser Schutz kann nur umfassend sein, wenn dem Anfechtungsrecht jedes einlegungshemmendes Moment genommen wird. Wenn dieses Ergebnis verhindert werden soll, obliegt es der Staatsanwaltschaft, tätig zu werden. Diese Pflicht obliegt ihr als Strafverfolgungsbehörde mit der Aufgabe, gerechte und gesetzesmäßige Entscheidungen herbeizuführen. Die Worte Meyer-Goßneri34 zeigen diesen tragenden Gedanken noch einmal auf: "Um - den Angekl. begünstigende - Fehler des Tatrichters zu beheben, hat die dt. StPO der StA die uneingeschränkte Rechtsmittelbefugnis eingeräumt (im Gegensatz zu manchen anderen Prozeßordnungen, nach denen die StA gegen einen Freispruch des Angekl. kein Rechtsmittel einlegen kann). Ist eine Rechtsmitteleinlegung durch die StA versäumt worden, muß sich das RevGer. mit der (fehlerhaften) Entscheidung des Tatrichters zufriedengeben - mag das auch noch so unbefriedigend und für den Angekl. vorteilhaft sein."

VI. Der Verzicht Schon wiederholt wurde auf die Rechtsfigur des Verzichts hingewiesen. Dahinter verbirgt sich im Zusammenhang mit dem strafprozessualen Verschlechterungs233 234

So Bruns, JZ 1954, 730, 736. NStZ 1982,258,259.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

verbot die Frage, ob eine Maßnahme angeordnet werden kann, weil der Betroffene sich mit deren Anordnung einverstanden erklärt, auch wenn ihre Anordnung gegen das Verbot der reforrnatio in peius verstoßen würde. Die Frage der Vereinbarkeit des Verzichts mit Sinn und Zweck des Verschlechterungsverbots im Zusammenhang mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung hat sich maßgeblich an der Entscheidung BGHSt. 5, 312 entfacht. Hier ließ der BGH es zu, daß entgegen dem Wortlaut des § 358 Abs. 2 StPO die Anordnung der Sicherungsverwahrung nachträglich statt der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt ausgesprochen werden konnte, da der Betroffene die Unterbringung in letzterer als Beschwer empfunden hatte und seine verständigen Wünsche Berücksichtigung finden mußten. Hinzuweisen ist darauf, daß der BGH selbst den Verzicht mit keinem Wort erwähnt hat und die Entscheidung auf der Linie liegt, verständige Wünsche des Angeklagten bei der Beurteilung eines Nachteils zu beachten. In der Frage des Verzichts finden sich zwei Gruppierungen: die Befürworter und die Ablehnenden. Letztere 235 lassen jedoch bei der Bestimmung des Nachteils in ihrem generell-objektiven Ausgangspunkt Ausnahmen zu, sei es eine ergänzende konkrete Betrachtung wie bei Frisch und Schlüchter, sei es den verständigen Wunsch des Angeklagten wie bei Grethlein, bzw. sie gehen wie Paulus von vornherein von einer am Einzelfall orientierten Betrachtungsweise aus. Im Ergebnis kommen diejenigen, die einen Verzicht ablehnen, überwiegend zu einer Auswechslungsmöglichkeit der Maßregeln, insbesondere in bezug auf BGHSt. 5, 312236 . Sie benötigen die Figur des Verzichts nicht, da der sachliche Wunsch des Betroffenen schon auf der vorrangigen Ebene der Beurteilung einer Verschlechterung Beachtung findet. Frisch 237 nennt die Verzichtskonstruktion aus seiner Sicht folgerichtig eine Notlösung. Grethlein 238 verneint ausgehend von dem Verwirkungsgedanken als dogmatischer Grundlage des Verschlechterungsverbots die Möglichkeit des Verzichts. Der staatliche Strafanspruch sei dem Einfluß des Angeklagten entzogen, ein Paktieren mit ihm dahin, daß er über das vom Gesetz zugelassene Maß hinaus bestraft wird, sei unmöglich 239 . Wer dem Verschlechterungsverbot die Wirkung einer einseitigen, beschränkten Rechtskraft zuweist und diese als ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis ansieht, gelangt desgleichen zu dem Ergebnis, daß ein Verzicht auf eben dieses Verfahrenshindernis nicht möglich ist24o • 235 Siehe hierzu OLG Schleswig SchlHA 1985, 142, 143. Desgleichen: Grethlein, S. 29, 141 f; Frisch, JA 1974, 165, 171; Schlüchter, Rdn. 631. 2; KMR-Paulus, Rdn. 8 zu § 331; aber auch Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 14 als Vertreter eines generellobjektiven Maßstabes. 236 So KMR-Paulus, Rdn. 8 zu § 331. 237 JA 1974, 165, 171. 238 Grethlein, S. 141 f. 239 Diesen Gedanken nennt auch das OLG Schleswig in SchlHA 1985, 142, 143, zudem folgt der besondere Hinweis hinsichtlich Jugendlicher, bei denen es nicht vertretbar sei, auf deren Willen abzustellen, da sie häufig nicht in der Lage seien, die wirkliche Schwere einer Maßnahme zu übersehen. Ebenso Grethlein, S. 142. 240 So das OLG Köln VRS 50 (1976), 97, 98.

2. Kap.: Das Verbot der reformatio in peius

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Die Möglichkeit eines Verzichts wird dagegen von den "Objektivisten,,241 befürwortet, die ausgehend von einer generell-objektiven Beurteilung einer Verschlechterung entweder gar keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Austausch der Maßregeln erlauben. Ganske läßt die beiden Entscheidungen RGSt. 69, 129 und BGHSt. 5, 312 unter dem Aspekt des Verzichts gelten. Da der Verzicht auf die Wirkungen des Verschlechterungsverbots allein den Angeklagten belaste und ein Verzicht den Grundsatz tatangemessenen Strafens wiederherstelle, sei ein solcher möglich. Den Aspekt der strafprozessualen Vorschriften des Verschlechterungsverbots als Schutzvorschriften betont Gerhardt und erlaubt dem Angeklagten, auf das ihn begünstigende Schutzrecht zu verzichten, so daß das Gebot der gerechten Urteilsfindung wieder zum Tragen komme. Damit solle auch der Austausch unvergleichbarer Maßnahmen ermöglicht werden, um zu verhindern, daß sich das zu seinen Gunsten wirkende Verschlechterungsverbot nicht unter Umständen zu seinem Nachteil auswirke. An die Verzichtserklärung seien jedoch strenge Anforderungen zu stellen 242 . Auf das rechtsstaatlieh hergeleitete Verbot der reformatio in peius kann der Angeklagte jedoch nicht verzichten. Dem Staat werden durch das Verschlechterungsverbot bindende Grenzen im Sanktionsmaß gesetzt. Diese Grenzen zu verschieben, kann und darf nicht zur subjektiven Option des Angeklagten stehen. Das Gebot der voraussehbaren Rechtssicherheit im Interesse der Allgemeinheit und des betroffenen Einzelnen verdient Vorrang vor den individuellen Überlegungen des Rechtsmittelführers. Wer den Verzicht auf die Wirkungen des Verschlechterungsverbots zuläßt, muß sich nach dessen Grenzen fragen lassen. Das Verbot der reformatio in peius schützt den Angeklagten davor, daß statt einer Geldstrafe gegen ihn eine Freiheitsstrafe verhängt wird, selbst wenn diese zur Bewährung ausgesetzt wird. Das Verbot schützt davor, daß statt der Entziehung der Fahrerlaubnis die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wird. Wer die Möglichkeit eines Verzichts zuläßt, muß sich fragen lassen, ob er auch in diesen Fällen einen Wechsel erlauben würde. Die Verfahrenslage bei einem Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten von Seiten der Staatsanwaltschaft mag einen solchen Wechsel gestatten. Das ist aber in der besonderen Rolle der Staatsanwaltschaft als Staatsorgan zur unparteiischen Mitwirkung an der Rechtspflege begründet, deren Aufgabe es ist, mit ihren Rechtsmitteln eine dem Recht entsprechende Entscheidung zu erreichen, sei sie auch für den Angeklagten in Art und Höhe der Rechtsfolgen nachteilig. Die rechtsstaatliehe Schutzvorschrift des Verschlechterungsverbot steht jedoch nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten. Wenn man insbesondere mit Sicht auf BGHSt. 5, 312 den Verzicht für zulässig erklärt, um den Wechsel von der Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt zu der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zuzu241 Vgl. Ganske, S. 70; Gerhardt, S. 91 ff. Für die Möglichkeit des Verzichts auch Seibert, MDR 1954, 340, 341; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 51 VI., Rdn. 29. 242 So Ganske, S. 70 und Gerhardt, S. 93.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

lassen, ergeben sich Schwierigkeiten, von diesem Einzelfall aus allgemeine Grundlagen für den Verzicht zu bilden. Dies würde genauso wie die Bestimmung einer Rangordnung der Maßregeln in den unterschiedlichen Möglichkeiten zu einem unerfreulichen Maß an Rechtsunsicherheit führen.

VII. Die Rechtsmittelbeschränkung Beispiel: Das LG hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der Angeklagte allein wendet sich mit der Revision gegen das Urteil, wobei er diese auf den Strafausspruch mit Ausnahme der unterbliebenen Maßregelanordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beschränkt. Der BGH243 entschied in diesem Fall, daß die Revision des Angeklagten die Nichtanwendung des § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff gegen den Rechtsfolgenausspruch ausnehmen könne. Ausgangspunkt einer möglichen Rechtsmittelbeschränkung sind die §§ 318 und 344 StPO. Zugelassen wurde bisher von der Rechtsprechung 244 und dem Schrifttum245 , daß der Angeklagte seine Revision auf eine neben der Strafe angeordnete Maßregel beschränken kann, sofern nicht im Einzelfall eine untrennbare Wechselwirkung zum Strafausspruch bestehe. Ebenso kann die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf die Nichtanwendung einer Maßregel der Besserung und Sicherung beschränken246 . Die vorliegende Konstellation einer Herausnahme der unterbliebenen Maßregelanordnung durch den Angeklagten ist desgleichen möglich. Das Rechtsmittelsystem der StPO gewährt dem Angeklagten eine weitgehende Dispositionsfreiheit in der Frage, in welchem Umfang er ein ihn belastendes Urteil anfechten möchte. Eine Beschränkung der Rechtsmittel ist stets möglich, wenn der angegriffene Entscheidungsteil von dem übrigen Urteilsinhalt trennbar selbständig geprüft werden kann. Das rechtfertigt es, daß der Angeklagte dem Rechtsmittelgericht den Punkt einer unterlassenen Maßregelanordnung der Überprüfung entzieht. 243 BGHSt. 38, 362. Für eine Beschränkung des Rechtsmittels in diesem Sinn durch den Angeklagten ist auch Tolksdorf, FS für Walter Stree und Johannes Wesseis, 1993,753,765 f; ebenso Pfeiffer/Fischer, Rdn. 10 zu § 331. Anderer Auffassung ist Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 22 zu § 331 wegen einer fehlenden Dispositionsbefugnis des Angeklagten. Kritisch äußert sich zu dieser Entscheidung Hanack, JR 1993,430, der die Dispositionsbefugnis des Angeklagten in dieser Frage ebenfalls ablehnt, da die Ausnahmeregelung, nach der das Verschlechterungsverbot nicht für die Maßregeln der §§ 63, 64 StGB gelte, nicht disponibel sei. 244 Vgl nur BGHSt. 38, 362, 363; BGH NJW 1963, 1414; BGHSt. 5, 267. 245 Siehe nur KK-Pikart, Rdn. 12 zu § 344; Sch. / Sch. / Stree, Rdn. 28 zu § 63. 246 Siehe BGHSt. 38, 362, 363 m. w. N.

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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Zutreffend führt der BGH247 aus, daß das Rechtsmittelgericht diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen könne und dürfe, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt werde, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar, also losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt, selbständig geprüft und beurteilt werden könne. Belange der öffentlichen Sicherheit führten nicht zu einer anderen Sicht. Wenn keiner der Verfahrensbeteiligten ein Rechtsmittel einlege, würde das Urteil in dem Punkt einer Maßregelanordnung nicht überprüft werden, selbst wenn Belange der öffentlichen Sicherheit die Unterbringung eines gefährlichen Täters zwingend erforderten. Wenn also der Angeklagte gänzlich von der Anfechtung absehen könne, dann sei es ihm auch möglich, sein Rechtsmittel zu beschränken. Die Belange der öffentlichen Sicherheit wahrzunehmen, obliege der Staatsanwaltschaft. Auf dieser Linie entschied schon das BayObLG248 , indem es die Entscheidungsbefugnis des Berufungsgerichts infolge einer zulässigen Beschränkung der Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung trotz § 331 Abs. 2 StPO ausdrücklich nicht auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bezogen hat. Nach Auffassung des Gerichts begründet § 331 Abs. 2 StPO eine Ausnahme nur hinsichtlich der in Absatz 1 der Vorschrift getroffenen Regelung, nicht aber gegenüber § 327 StPO. Die weite Möglichkeit einer Rechtsmittelbeschränkung durch den Angeklagten ist auch unter dem Aspekt zu betrachten, daß eine zulässige Revision zur Folge hat, daß das Urteil im Rahmen einer umfassenden, unbeschränkten Sachrüge auch darauf überprüft wird, ob von der Anordnung einer Maßregel zu Recht abgesehen worden ist. Dies ist von Bedeutung, da die Unterbringungsanordnungen nach den §§ 63, 64 StGB in Ausnahme zum Verschlechterungsverbot de lege lata auch nachträglich ausgesprochen werden können. Zu beachten ist, daß nach überwiegender Ansicht der Angeklagte durch die Nichtanordnung einer Maßregel nicht beschwert ist. Die Anfechtung eines Urteils durch den Angeklagten allein wegen der Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ist mangels Beschwer als unzulässig zu verwerfen 249 . In BGHSt. 37, 5 war der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, dagegen hat das Gericht trotz gegebener Anhaltspunkte die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht angeordnet. Im Gegensatz zu einer beschränkten Revision führt die vom Angeklagten erhobene umfassende Sachrüge zu einer materiellen Überprüfung des Urteils im vollen Umfang. Die Beschwer bilde allein die Barriere für die Zulässigkeit, und das Revisionsgericht habe bei einer in zulässiger Weise eingelegten Revision die Pflicht zur umfasBGHSt. 38, 362, 364. JR 1987, 172. 249 Siehe BGHSt. 28, 327, 330; 37, 5, 7; 38, 4, 7. Für eine andere, zwischen dem therapiewilligen und -unwilligen Angeklagten differenzierende Ansicht tritt Tolksdorf in FS für Walter Stree und Johannes Wesseis, 1993,753,754 ff., 756 ff. mit umfassenden Hinweisen zu diesem Problemkreis ein. Beachte auch Loos, JR 1996, 80, 81, der es unter Bezugnahme auf BVerfGE 91, I zweifelhaft nennt, ob die Fixierung auf einen objektiven Beschwennaßstab noch berechtigt ist; ebenso Janssen/Kausch, JA 1981,202. 247 248

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

senden Kognition des ihm unterbreiteten Tatsachenstoffs, meint der BGH25o . Demnach ist der Angeklagte im Fall einer unbeschränkten Sachrüge auf Grund der §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht davor bewahrt, daß in der Rechtsmittelinstanz auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt erkannt wird. Diese Folge wie auch eine Schuldspruchberichtigung nehme der Angeklagte mit der Einlegung des Rechtsmittels in Kauf251 . Deren Nichtanordnung wird vom Rechtsmittelgericht im Rahmen einer Sachrüge unter dem Gebot umfassender sachlicher Prüfung gewürdigt. Das BayObLG252 bezieht diese Rechtsprechung auch auf die Berufungsinstanz und gestattet folgerichtig, daß die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt seitens des Berufungsgerichts angeordnet werden kann, wenn entweder das Rechtsmittel unbeschränkt aufrechterhalten oder nur auf den Rechtsfolgenausspruch im ganzen beschränkt worden ist. Um diese nachfolgende Entscheidung zu verhindern, kann der Angeklagte sein Rechtsmittel beschränken und die Nichtanordnung der Maßregel aus der Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs herausnehmen. Wer253 dagegen aus der Ausnahmeregelung der §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO als Grundgedanken schließen will, daß die Unterbringungsfrage unabhängig vom Beschwerdeführer grundsätzlich jederzeit durch das Rechtsmittelgericht geprüft werden könne und die Regelung nicht disponibel sei, der verkennt die auch in der Anordnung nach den §§ 63, 64 StGB liegende einlegungshemmende Wirkung zu Lasten des Angeklagten. Auf diesen möglicherweise abhaltenden Umstand weist der BGH254 in einem Beschluß vom 31. 7. 1992 hin, in dem er sich bei einer auf den Strafausspruch beschränkten Revision des Angeklagten einer Überprüfung des Absehens von der Unterbringung gemäß § 64 StGB durch den Tatrichter trotz § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO versagte: "Die Vorschrift (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO, der Verf.) nimmt zwar die Maßnahmen gemäß §§ 63, 64 StGB vom Verschlechterungsverbot aus. Aus ihr folgt aber nicht, daß das RevGer. ein nur vom Angekl. und lediglich hinsichtlich des Strafausspruchs angefochtenes Urteil auch dann aufheben darf, wenn dieses insofern nicht zu beanstanden ist und lediglich wegen der unterbliebenen Unterbringungsanordnung Bedenken bestehen." BGHSt. 37, 5,8. BGHSt. 37,5,9. 252 IR 1996,79. 253 So Meyer-Goßner, IR 1987, 173, 174; Hanack, IR 1993, 430; ebenso Kleinknechtl Meyer-Goßner, Rdn. 22 zu § 331. 254 NStZ 1992, 539. Ablehnend zu dieser Entscheidung, zu BGHSt. 38, 362 und desgleichen zu BayObLG IR 1987, 172 äußert sich Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 22 zu § 331. Der Richter am BGH Tolksdorf, FS für Walter Stree und Iohannes Wesseis, 1993, 753, 762 weist in Fußnote 41 darauf hin, daß es schon vorgekommen sein soll, daß Angeklagte nach Zustellung des Antrags des Generalbundesanwalts, mit dem die Aufhebung des Urteils wegen der unterbliebenen Unterbringung (in einer Entziehungsanstalt) beantragt wurde, die Rücknahme ihrer Revision erklärt hätten. 250 251

2. Kap.: Das Verbot der refonnatio in peius

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Der in BGHSt. 38, 362 zum Ausdruck gebrachten weitreichenden Dispositionsbefugnis des Angeklagten im Rechtsmittelsystem der StPO ist zuzustimmen, um im Interesse eines rechtsstaatlichen Verschlechterungsverbots jede mögliche Besorgnis, daß sich Angeklagte von dei Einlegung ihrer Rechtsmittel abhalten lassen, zu vermeiden. Der Angeklagte kann durch die Beschränkung des Rechtsmittels dem Risiko einer drohenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus entgehen und wird in der Einlegung eines im übrigen aussichtsreichen Rechtsmittels nicht gehindert. Ein irgendwie geartetes "Restrisiko", wie es von Meyer-Goßne?55 verlangt wird, muß der Angeklagte nicht tragen.

VIII. Die Berücksichtigung eines Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius von Amts wegen Von Bedeutung ist abschließend die Frage, ob ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot im Rechtsmitte1verfahren von Amts wegen zu beachten ist oder ob es einer Rüge des Angeklagten bedarf. Im letzteren Fall ist zu klären, ob für die Revision die allgemeine Sachrüge ausreicht oder eine an strenge inhaltliche Anforderungen gebundene Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erforderlich ist. Auf eine entsprechende Verfahrensrüge, die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entspricht, hat das Revisionsgericht die Einhaltung des Verschlechterungsverbots zu prüfen256 . Im Rahmen einer allgemeinen Sachrüge hat das Revisionsgericht das Verbot der reformatio in peius eb.enfalls von sich aus zu überprüfen 257 . Die Überschreitung der Strafgrenze, die durch das Verschlechterungsverbot gezogen ist, wird als eine Verletzung des materiellen Rechts gewertet. Problematisch ist der Fall, wenn eine Sachrüge nicht erhoben wird und die Verfahrensrüge diesen Fehler nicht nennt. Ob der Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot dann von Amts wegen vom Revisionsgericht zu prüfen ist, bedarf der Klärung. Eine solche Prüfung von Amts wegen fordert der BGH258 ohne eine weitere Begründung. Sofern dem Verbot der reformatio in peius eine irgendwie geartete Rechtskraft zugesprochen würde, spricht dies für eine zwingende Berücksichtigung, da die Einhaltung der Rechtskraftgrundsätze vom Rechtsmittelgericht von Amts wegen zu prüfen ist259 . Zutreffend jedoch ist die dogmatische Einordnung des Verbots der FS für Theodor Kleinknecht, 1985, 287, 298. Vgl LR-Gollwitzer, Rdn. 115 zu § 331. 257 Vgl. LR-Gollwitzer, Rdn. 115 zu § 331; Frisch, JA 1974, 91, 93; Pfeiffer/Fischer, Rdn. 11 zu § 331. 258 BGHSt. 29, 269, 270; 14,5,7; ebenso KK-Ruß, Rdn. 10 zu § 331; Drees, StV 1995, 669 in Fußnote 5; LR-Hanack, Rdn. 23 zu § 358; so auch KleinknechtiMeyer-Goßner, Rdn. 24 zu § 331, der in Rdn. 12 zu § 358 jedoch die Erhebung der Sachrüge voraussetzt. 259 So Oetker, JW 1935, 1417, den Begriff der modifizierten Rechtskraft prägend. 255

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

refonnatio in peius unter dem Gedanken der Verwirkung. Legt man dem Verschlechterungsverbot dagegen nur die Bedeutung einer Entscheidungsregel bei, kann ihm nicht die Eigenschaft eines von Amts wegen zu beachtenden Prozeßhindernisses zukommen 26o • Unter der Hervorhebung, daß das Verschlechterungsverbot seine rechts staatliche Grundlage auch in Art. 103 Abs. 3 GG findet, beinhaltet das Verbot mehr als eine bindende Entscheidungsregel und unter diesem Gesichtspunkt liegt die Berücksichtung als ein "modifiziertes" Prozeßhindernis nahe: modifiziert in der Hinsicht, daß dem Prozeß als solchem kein Hindernis entgegensteht, sondern daß das Verbot der refonnatio in peius dahingehend wirkt, das Rechtsmittelgericht im Rechtsfolgenspruch inhaltlich an das Ersturteil zu binden, da es davon in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten abweichen darf. Das verlangt im Rechtsmittelverfahren eine Berücksichtigung von Amts wegen.

IX. Sechs Thesen zum Verbot der SchlechtersteIlung in bezug auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung - Das Verbot der refonnatio in peius ist mehr als eine Rechtswohltat für den Angeklagten. Das Verbot läßt sich zwecks Sicherung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens aus dem Rechtsstaatsprinzip herleiten, und zwar zum einen als ein "minus" aus Art. 103 Abs. 3 GG und zum anderen aus dem rechts staatlichen Grundsatz des "fair trial". - Der Begriff des Nachteils in den strafprozessualen Vorschriften zum Verschlechterungsverbot ist nach generell-objektiven Maßstäben zu beurteilen. Diese Bewertung geschieht unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und unabhängig von den subjektiven Wünschen des Betroffenen. - Es ist nicht möglich, die einzelnen Maßregeln der Besserung und Sicherung nach allgemeingültigen Kriterien in eine Rangordnung zu setzen, um die Frage einer Verschlechterung im Fall eines Austausches beantworten zu können. In ihrer spezialpräventiven Zielsetzung stehen die Maßregeln zueinander in einem "aliud"-Verhältnis, welches es untersagt, sie untereinander zu gewichten oder auszuwechseln. - Die Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot bezüglich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO erscheinen verfassungsrechtlich unter dem Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz bedenklich. Sie sind aufzuheben, da deren Anordnung mit der verbundenen einschränkenden Freiheitsentziehung im Tatsächlichen eine Verschlechterung

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So KMR-Paulus, Rdn. 9, 51 zu § 331, wonach die Sachrüge verlangt wird.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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der Rechtsstellung des Betroffenen bedeutet, die ihn in der Einlegung eines Rechtsmittels hemmen kann. - Der Angeklagte hat nicht die Befugnis, auf die Wirkungen des Verbots der reformatio in peius zu verzichten. - Der Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot ist in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen zu beachten.

Drittes Kapitel

Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots in den wichtigsten verfahrensrechtlichen Konstellationen im Hinblick auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung Nach der Erarbeitung der dogmatischen, verfassungsrechtlichen und inhaltlichen Grundlagen des Verschlechterungsverbots soll das Verbot in Hinsicht auf diejenigen Verfahrenskonstellationen dargestellt werden, in denen im Strafverfahren Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet werden können.

I. Das Verschlechterungsverbot im anhängigen Verfahren Gesetzlich ist das Verbot für das Strafverfahren in den §§ 331, 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO geregelt. Bei einem normalen Verlauf eines Berufungsverfahrens entscheidet das Landgericht als Berufungsgericht (§ 74 Abs. 3 GVG) gemäß § 328 Abs. 1 StPO selbst in der Sache, bei einem normalen Verlauf im Rahmen der Revision wird die Sache vom OLG bzw. vom BGH (§ 121 Abs. 1 GVG und § 135 Abs. 1 GVG) als Revisionsgericht nach § 354 Abs. 2 StPO an die Vorinstanz zurückverwiesen. In diesen Fällen ist das Verbot der reformatio in peius nach den gesetzlichen Vorschriften eindeutig vorgegeben. In Ausnahmefällen entscheidet das Berufungsgericht in der Sache jedoch nicht selbst, sondern verweist diese nach § 328 Abs. 2 StPO im Fall örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit des Erstgerichtes an das zuständige Gericht. Eine weitere Ausnahme enthält die Regelung des § 354 Abs. 1 StPO, wonach das Revisionsgericht unter den dort genannten Voraussetzungen zur Selbstentscheidung ermächtigt ist. Die genannten Vorschriften sind in bezug auf die berufungs- und revisionsrechtlichen Verfahrensgrundsätze Ausnahmeregelungen im Interesse einer verfahrensökonomischen Erledigung. In diesen verfahrensrechtlichen Sonderkonstellationen hat das Verbot der reformatio in peius im gleichen Umfang wie im Normalfall des Verfahrensverlaufes Geltung'.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Der Schutzgedanke zugunsten des Angeklagten findet gleichermaßen Anwendung, unabhängig davon, ob das Berufungs- oder Revisionsgericht für das jeweilige Rechtsmittel "normal" handelt oder aber gemäß einer Ausnahmevorschrift entscheidet. In jedem Fall kommt es zu einer Entscheidung über dieselbe Sache, und zwar bedingt durch ein Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten. Das rechtfertigt das Verbot der reformatio in peius auf Grund der jeweils vorliegenden psychologischen Zwangssituation, in der sich der Angeklagte bei seinen Überlegungen über die Einlegung eines Rechtsmittels befindet. Auf eine gesonderte Problematik ist hinzuweisen: Die Strafgewalt des Amtsgerichts ist hinsichtlich der Maßregeln der Besserung und Sicherung eingeschränkt. Das Gericht darf nicht auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in der Sicherungsverwahrung entscheiden (§§ 24 Abs. 2, 74 Abs. I Satz 2 GVG). Die Beschränkung in der Strafgewalt setzt sich im Berufungsverfahren fort, wenn die Strafkammer des Landgerichts als Berufungsgericht entscheidet2 • Das bedeutet, daß das Landgericht als Berufungsgericht trotz der Ausnahmeregelung des § 331 Abs. 2 StPO nicht auf eine Unterbringung nach § 63 StGB entscheiden darf, da auch im Berufungsverfahren die Einschränkung fortwirkt. Die kleine Strafkammer des Landgerichts ist nach dem RpflEntlG vom 11. 1. 1993 3 gemäß § 76 Abs. 1 GVG heute grundsätzlich das alleinige Berufungsgericht. Entsprechend § 328 Abs. 2 StPO muß sie, wenn eine Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet werden soll, die Sache an die große Strafkammer zur erstinstanzlichen Verhandlung verweisen4 • Bei der Besetzung als erweiterte kleine Strafkammer nach § 76 Abs. 3 GVG wie eine große Strafkammer im Falle des § 76 Abs. 2 GVG ist jedoch auch das Handeln des Berufungsgerichts als Gericht des ersten Rechtszuges möglich 5 , sofern nicht ein Vorrang nach § 74 e GVG gegeben ist. Der Übergang vom Berufungsverfahren in das Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht, wenn das Berufungsgericht die gleiche Besetzung wie eine große Strafkammer aufweist, ist ohne besonderen Akt möglich 6 . Hier I Vgl RGSt. 8, 307, 309; ebenso Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 4 zu § 331, Rdn. 11 zu § 358; Frisch, JA 1974,91,93 f; Gerhardt, S. 18 f; KK-Ruß, Rdn. 9 zu § 331; Ganske, 9 f;

Wiuschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 16 f. 2 Siehe BGHSt. 34, 159, 160. Ebenso KK-Ruß, Rdn. 12 zu § 328; KK-Kissel, Rdn. 14 zu § 24 GVG; WiUschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 17. Ausdrücklich bezogen auf die in § 24 Abs. 2 GVG genannte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 22 zu § 331, Rdn. 9 zu § 328; LR-Gollwitzer, Rdn. 86 zu § 331 in Fußnote 169. 3 BGBI. I, 50. 4 Vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 22 zu § 331. 5 Vgl. KK-Ruß, Rdn. 12 zu § 328. Anderer Ansicht ist Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 10 zu § 328, Rdn. 6 zu § 76 GVG, wonach auch die erweiterte kleine Strafkammer nur als Berufungsgericht tätig sein kann; dieser Ansicht ist auch Steinmetz, JR 1993, 228, 232 trotz der Besetzungsidentität nach § 76 Abs. 2 und 3 GVG; ebenso Pfeiffer/Fischer, Rdn. 6 zu § 328. 6 Siehe nur KK-Ruß, Rdn. 14 zu § 328.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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setzt sich heute die frühere Rechtsprechung 7 aus der Zeit vor dem RpflEntlG zur großen Strafkammer fort, deren Besetzung als Berufungsgericht gegen Urteile des Schöffengerichts und als erstinstanzliches Gericht identisch war. Das OLG Hamm8 kommt zu dem Ergebnis, daß nur nach Überleitung des Berufungsverfahrens in ein erstinstanzliches Verfahren die große Strafkammer wegen der Bindung an § 24 Abs. 2 GVG die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen konnte. Aus § 331 Abs. 2 StPO lasse sich nicht ableiten, daß der Gesetzgeber damit von einer immer gegebenen Befugnis des Berufungsgerichts ausgegangen sei. Er habe eine solche Anordnungsbefugnis - in der Zeit vor dem RpflEntlG - in den §§ 74 Abs. 1 Satz 2, 76 Satz 1 GVG ausschließlich einer großen Strafkammer als dem erkennenden Gericht des ersten Rechtszuges vorbehalten. Wenn die kleine Strafkammer des Landgerichts in der erweiterten Besetzung nach § 76 Abs. 3 GVG solchennaßen nach der alleinigen Berufung des Angeklagten als. erstinstanzliches Gericht tätig ist, beruht das Urteil gleichwohl auf der Berufung des Angeklagten. Das Verbot der reformatio in peius bleibt bestehen. Insoweit kommt einem solchen Übergang, um der eingeschränkten Rechtsfolgenkompetenz der Amtsgerichts zu entgehen, keine Bedeutung zu, soweit das Verschlechterungverbot eine Sperrwirkung im Rechtsfolgenmaß zugunsten des Angeklagten bildet9 und daher eine nachteilige Änderung der Rechtsfolgen aus Rechtsgründen unzulässig ist. Wenn das Berufungsgericht bei Besetzungsidentität als erstinstanzliches Gericht entscheidet, ist zwar grundsätzlich die Bindung an die amtsgerichtliche Strafgewalt (§ 24 Abs. 2 GVG) aufgehoben, bei einer zugunsten des Angeklagten eingelegten Berufung ist das Gericht aber durch das Verschlechterungsverbot daran gehindert, die vom Amtsgericht verhängte Strafe zu erhöhen 10. Allerdings ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im weiteren Verfahren als Gericht des ersten Rechtszuges nach der Berufung nur vom oder zugunsten des Angeklagten möglich, wie § 331 Abs. 2 StPO in Durchbrechung des Verschlechterungsverbots ausdrücklich gestattet. Damit ist das Verbot der refonnatio in peius mit seiner Ausnahmeregelung nach § 331 Abs. 2 StPO unabhängig davon zu beachten, ob das Berufungsgericht als

Berufungsgericht oder als erstinstanzliches Gericht entscheidet, wobei das WeiterBORSt. 31, 63, 64 f; 34, 159, 164; 34, 204, 207. Kleinknecht/Meyer-Ooßner, Rdn. 10, 11 zu § 328 äußert die Ansicht, daß die Möglichkeit der Überleitung eines Berufungsverfahrens in ein erstinstanzliches Verfahren nach dem RpfiEntiO nicht mehr gegeben sei, da die erweiterte kleine Strafkammer nach § 76 Abs. 3 OVO nicht als erstinstanzliche große Strafkammer weiterverhandeln könne. 8 JMBI.NW 1990,91. 9 Vgl. BORSt. 31, 63, wo noch die besondere Konstellation vorlag, daß neben der unbeschränkten Berufung des Angeklagten eine auf das Strafmaß beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft vorlag; ein Fall, der hier noch zu besprechen ist. In diesem Sinn auch KKRuß, Rdn. 13 zu § 328; Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 17 -19. 10 Vgl. dazu Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 17 - 19; Schlüchter, Rdn. 681; KK-Ruß, Rdn. 14 zu § 328. 7

9 Kretschmer

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

verhandeln als erstinstanzliches Gericht nur bei der Besetzungsidentität nach den §§ 76 Abs. 2 und Abs. 3 GVG möglich ist.

11. Im neuen Verfahren nach vorheriger Einstellung Beispiel ll : Der Angeklagte ist vom Amtsgericht wegen Trunkenheit im Straßenverkehr nach § 316 StGB zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 DM verurteilt worden, und gleichzeitig wurde die Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer zweijährigen Sperrfrist (§§ 69, 69 a StGB) angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hin wurde das Verfahren, nachdem festgestellt worden war, daß kein Eröffnungsbeschluß vorgelegen hatte, vom OLG eingestellt 12 • Das Verfahren wurde erneut vor dem Amtsgericht eröffnet und der Angeklagte wurde nunmehr zu einer Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen zu je 20 DM und einer gleichzeitigen Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer Sperrfrist von zweieinhalb Jahren verurteilt. Mit dem Argument, das zweite amts gerichtliche Urteil verstoße gegen das Verschlechterungsverbot, legt der Angekiagte erneut Revision beim OLG ein. Diese Konstellation ist in ihrer Behandlung bezüglich des Verschlechterungsverbots sehr umstritten. Keiner Erklärung bedarf der Punkt, daß die Erhöhung der Geldstrafe und die Verlängerung der Sperrfrist einen Nachteil in der Höhe der Rechtsfolgen zu Lasten des Angeklagten bilden, daß also das zweite amtsgerichtliche Urteil im Verhältnis zum ersten eine Verschlechterung im Sinne der strafprozessualen Vorschriften bildet. Ob jedoch das Verbot der reformatio in peius gleichsam eine "Fernwirkung" auf das nach der Einstellung durch Prozeßurteil neu eingeleitete Verfahren hat, diese Frage wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum verschieden beantwortet. Eine Beschränkung des Verschlechterungsverbots auf das anhängige Verfahren soll bewirken, daß in dem neuen Verfahren nach Behebung des Prozeßhindernisses das Verbot einer schwereren Bestrafung wegen derselben Tat nicht entgegensteht 13 . Für den Fall, daß das Revisionsgericht das Verfahren mangels einer Prozeßvoraussetzung oder wegen eines Prozeßhindernisses einstellt, ist der BGH in einem obiter dictum in BGHSt. 20, 77 (80) der Auffassung, daß nach Heilung eines 11 Dieses Beispiel entspricht im Verfahrensgang dem Geschehen aus BayObLG NJW 1961,1487. 12 Das Fehlen eines Eröffnungsbeschlusses als unverzichtbare Prozeßvoraussetzung ist ein wesentlicher Verfahrensmangel, der zur Einstellung des Verfahrens in der Rechtsmittelinstanz führt: Vgl. BGH NStZ 1987, 239; 1986, 276; ebenso KK-Treier, Rdn. 2 zu § 203; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 3 zu § 203; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 40, Rdn. 12 f. 13 So BGHSt. 20, 77, 80. Ebenso KK-Ruß, Rdn. 9 zu § 331; KK-Pikart, Rdn. 21 zu § 358; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 4 zu § 331.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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solchen Mangels der Tatrichter in dem neuen Verfahren nicht an § 358 StPO gebunden sei. Meyer-Goßner 14 vertritt ebenfalls die Ansicht, daß das Verbot der SchlechtersteIlung bei erneuter Anklageerhebung nach einer erfolgten Verfahrenseinstellung in der Rechtsmittelinstanz nicht gelte. Er 15 hebt als entscheidungserheblichen Unterschied hervor, daß in den gesetzlich geregelten Fällen des Verschlechterungsverbots eine Urteilsüberprüfung auf Grund eines Rechtsmittels des Angeklagten vorgenommen werde. Dagegen werde in einem Verfahren nach Einstellung ein neues erstinstanzliches Verfahren durchgeführt. Wenn die Rechtsordnung die Einleitung eines neuen Verfahrens verlange, lasse sich auch nicht der Gedanke des Verzichts oder der Verwirkung zur Begründung des Verbots heranziehen. Halte der Staat das bisherige Verfahren für so fehlerhaft, daß er dessen Einstellung verlange, so wolle er sich im neuen Verfahren nicht in irgendeiner Weise eingeschränkt wissen. Da das Verbot der reformatio in peius nach seiner Ansicht infolge der vielfachen Durchbrechungen keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, sondern als Rechtswohltat allein eine Ausnahmeregelung darstelle, sei es nicht angebracht, den Angeklagten vor einer reformatio zu bewahren, wenn das gesamte bisherige Verfahren unzulässig gewesen sei und es nach der Einstellung zu einem neuen erstinstanzlichen Verfahren im Gegensatz zu einem Rechtsmittel- oder Wiederaufnahmeverfahren komme. Anderer Auffassung dagegen ist das BayObLG 16 , dessen Entscheidung in dem obiter dictum des BGH ausdrücklich angesprochen wird und dessen Auffassung vielfach Beifall erhalten hat und noch erhält 17 • Das BayObLG betont unter Hervorhebung des Zwecks des Verbots der Schlechterstellung die besondere Tragweite in seinem Anwendungsbereich. Dieser Zweck, dem Angeklagten den Gebrauch seiner Rechtsmittel zu ermöglichen, ohne daß dieser befürchten müsse, daß sein Rechtsmittel nicht nur als unbegründet verworfen werde, sondern im Gegenteil noch zu einer Verschärfung der Strafe führe, verbiete eine Schlechterstellung nicht nur, wenn das Rechtsmittelgericht selbst in der Sache entscheide oder aber die Sache unter Aufhebung des Ersturteils zurückverweise. Dieser Zweck gebiete das Verbot vielmehr auch, wenn das Rechtsmittelgericht das Verfahren wegen Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung oder wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einstelle und damit den Weg für ein neues Verfahren eröffne. Der Angeklagte habe, so führt das BayObLG aus, einen Anspruch darauf, nicht mehr zu einer schwereren als der in diesem ersten Urteil erkannten Strafe verurteilt zu werden, FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287. A. a. 0., S. 289 ff. 16 BayObLG NJW 1961, 1487, 1488 f. 17 Siehe dazu LG Zweibrücken StV 1997, 13=NStZ-RR 1997, 111; OLG Hamburg NJW 1975, 1473, 1475. Ebenso Gerhardt, S. 19 f; Frisch, JA 1974,91,94; Grethlein, S. 25 f; LRGollwitzer, Rdn.18 zu § 331; Pfeiffer/Fischer, Rdn. 3 zu § 389; zustimmend auch Ganske, S. 12 f. mit dem Hinweis, daß die Tat im neuen Verfahren in allen Einzelheiten dieselbe bleiben muß; Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 19 f; KMR-Paulus, Rdn. 7 zu § 331; Drees, StV 1995,669. 14

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

sobald die Anfechtung des gegen ihn ergangenen Urteils zu seinen Ungunsten ausgeschlossen sei. Wenn das Verbot, bei Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung oder bei Vorliegen eines Verfahrenshindernisses ein Strafverfahren durchzuführen, in der Hauptsache gerade dem Schutz des Angeklagten diene, so dürfe dies nicht dazu führen, daß er das sich aus dem Verbot der SchlechtersteIlung ergebende Schutzrecht verliere. Zuletzt weist das Gericht auf den Umstand hin, daß es weitgehend von Zufälligkeiten der prozeßtechnischen Gestaltung abhänge, ob bei den einer Beseitigung zugänglichen Mängeln das Verfahren einzustellen sei oder nicht, und diese Zufälligkeiten dürften nicht über die Anwendung des Verbots der SchlechtersteIlung entscheiden. Meyer-Goßner 18 weist in seiner ausführlichen Kritik an diesem Urteil darauf hin, daß die Behandlung eines Verfahrensmangels weniger eine prozeßtechnische Zufälligkeit darstelle, sondern eine zu beachtende gesetzgeberische Entscheidung. Erneut betont er, daß das Verbot eine Rechtswohltat zugunsten des Angeklagten sei und sich nicht zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebe, so daß sich kein Anspruch des Angeklagten auf Einhaltung des Verschlechterungsverbots in dem neuen Verfahren ergeben könne. Meyer-Goßner 19 spricht von einem gewissen "Restrisiko", wenn jedem Angeklagten bewußt sei, daß es in außerordentlich seltenen Ausnahmefällen zu einer reformatio in peius kommen könne. Das versöhne damit, daß das Verschlechterungsverbot den Rechtsmittelgerichten das Ziel des Strafverfahrens, die gerechte Aburteilung des Angeklagten, vielfach unmöglich mache.

Entscheidend für die Lösung der vorliegenden Frage ist ungeachtet des rechtsstaatlichen Erfordernisses der Gesichtspunkt, daß die Strafverfolgungsorgane allein durch die Initiative des Angeklagten die "Chance" erhalten, das Urteil zu verschlechtern. Wenn der Angeklagte sich mit dem Ersturteil abgefunden hätte, hätte ihn ein Urteil getroffen, das in einem Verfahren ergangen wäre, das etwa mangels eines Strafantrages oder mangels eines Eröffnungsbeschlusses oder wegen des Fehlens einer anderen Prozeßvoraussetzung formell rechtsfehlerhaft gewesen wäre. Der Angeklagte wäre in "unlauterer Weise" verurteilt worden. Wenn es nun auf Grund der Initiative des Angeklagten zu einer Korrektur des fehlerhaften Verfahrens durch Einstellung in der Rechtsmittelinstanz und Durchführung eines neuen Verfahrens kommt, soll und darf dies staatlicherseits nicht zum Anlaß genommen werden, das Urteil in dem neuen Verfahren in den Rechtsfolgen zum Nachteil des Angeklagten zu verändern. Das wäre widersprüchlich zu dem Verhalten der Staatsanwaltschaft, die das fehlerhafte Ersturteil als eine endgültige Sachentscheidung hinnehmen wollte. Das Ersturteil bildet damit die Obergrenze des staatlichen Strafverfolgungsinteresses, mit dem sich die Staatsanwaltschaft abgefunden hat. Dem Angeklagten ein "Restrisiko" bei Gebrauch seiner Rechtsmittel auferlegen zu wollen, ist unfair. Das Verbot der reformatio in peius muß umfassend beachtet werden, 18

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FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,293 ff. A. a. 0., S. 298.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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unabhängig davon, welches Schicksal das auf Grund eines zugunsten des Angeklagten in Gang gesetzte Rechtsmittelverfahren nimmt. Es macht keinen Unterschied, ob das Urteil wegen sachlicher Unrichtigkeit, wegen eines Verfahrensfehlers oder wegen des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses aufgehoben wird und welche Folgen dieser Fehler hat, wenn allein die Entscheidung des Angeklagten, Rechtsmittel zu ergreifen, das angefochtene Urteil zu Fall gebracht hat2o • Eine vergleichbare Problematik taucht im Privatklageverfahren auf. Das Privatklageverfahren ist nach § 374 Abs. I StPO bei bestimmten leichten Vergehen zulässig, die die Allgemeinheit in der Regel wenig berühren. Es ist ein Strafverfahren mit dem Ziel, gegen den Beschuldigten eine Strafe zu verhängen. Es handelt sich nicht um ein Parteiverfahren, da das Gericht wie in jedem Strafverfahren den Sachverhalt unabhängig von dem Vortrag der Beteiligten nach § 244 Abs. 2 StPO aufzuklären hat, was § 384 Abs. 3 StPO ausdrücklich bestimmt. Zu beachten ist, daß in einem Privatklageverfahren nicht auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung erkannt werden darf (§ 384 Abs. I Satz 2 StPO). Erscheint eine Maßregel zur Vorbeugung vor Straftaten im Allgemeininteresse erforderlich, muß das Gericht die Privatklage nach § 383 Abs. I StPO zurückweisen; nach Eröffnung des Hauptverfahrens stellt das Gericht das Verfahren nach § 206 a StPO ein, in der Hauptverhandlung nach § 389 StP021 . Wenn das Berufungsgericht als Zweitinstanz nach einer vor dem Amtsrichter (§ 25 Nr. I GVG) verhandelten Sache feststellt, daß im Gegensatz zu den §§ 374 ff. StPO statt eines Privatklageverfahrens ein Offizialverfahren geboten ist, ist das Verfahren nach § 389 StPO durch Urteil auch in der Rechtsmittelinstanz einzustellen. Hier ist fraglich, ob in einem neuen Offizialverfahren eine Bindung an das Urteil des Amtsrichters vorliegt22 • Auch in diesem Fall muß der entscheidende Gedanke der Situation des Angeklagten gelten. Dieser steht vor der psychologischen Zwangs situation, das ihn verurteilende Ersturteil aus dem Privatklageverfahren hinzunehmen oder aber ein Rechtsmittel einzulegen. Dabei hat er das Risiko vor Augen, daß ein vom Gericht begangener Rechtsfehler zur Einstellung nach § 389 StPO in der Rechtsmittelinstanz und zu einem neuen Verfahren führt. Ob im folgenden Offizialverfahren das Verbot der Schlechterstellung gilt, ist umstritten. Es ist nicht ohne weiteres verständlich, daß ein im Verantwortungsbereich des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft wurzelnder Fehler, dessen Korrektur auf die alleinige Initiative des Angeklagten durch sein Rechtsmittel geschieht, zum Anlaß genommen, das Urteil zum Nachteil des Angeklagten zu verändern. Sollte dies zulässig sein, würde der Angeklagte aus Furcht vor der Verschlechterung unter Umständen eher das Urteil hinnehmen, an statt von den ihm zustehenden Rechtsmitteln Gebrauch zu machen. Dieser in den Überlegungen zur Rechtsmitteleinlegung hemmend wirkende Umstand bedarf der Beseitigung durch 20 Siehe in diesem Sinne das LG Zweibrücken StV 1997, 13, 14 und Drees, StV 1995, 669 f. 21 Vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. II zu § 384; KK-Pelchen, Rdn. 1 zu § 384. 22 Siehe die Darstellung des Meinungsstandes bei KK-Pelchen, Rdn. 8 zu § 389 und bei Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,288.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

das Verbot der reformatio in peius. Bezüglich des Privatklageverfahrens ist darauf hinzuweisen, daß die Staatsanwaltschaft nach § 377 Abs. 2 StPO das Verfahren auch im Rechtsmittelzug übernehmen kann. In diesem Fall der Übernahme hat das Verbot der Schlechterstellung Geltung 23 . Meyer-Goßne?.4 wendet sich gegen die naheliegende und richtige Schlußfolgerung25 , daß die Frage der reformatio in peius bei beiden Verfahrensgestaltungen gleich zu behandeln und daher auch in dem neuen Offizialverfahren nach einer Einstellung gemäß § 389 StPO durch das Rechtsmittelgericht zu beachten ist. Er weist auch hier auf den Unterschied hin, daß bei der Übernahme nach § 377 Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittelverfahren fortgesetzt wird, während nach der Einstellung gemäß § 389 StPO ein neues Verfahren beginnt. Aber auch innerhalb des Privatklageverfahrens eröffnet in der genannten Konstellation erst das alleinige Rechtsmittel des Angeklagten nach einem verurteilenden Ersturteil den Zugang in den höheren Rechtszug und ermöglicht das Einstellungsurteil nach § 389 StPO. Für den umfassenden Schutzzweck des Verschlechterungsverbots, jede einlegungshemmende Wirkung in den Überlegungen des Angeklagten über ein Rechtsmittel zu vermeiden, muß es unbeachtlich bleiben, daß es nach einem Einstellungsurteil nach § 389 StPO zu einem neuen Offizialverfahren kommt. In diesem ist das Verbot der reformatio in peius zu beachten. Das bedeutet, daß die Maßregeln unter dem Verschlechterungsverbot in dem neuen Offizial verfahren nicht angeordnet werden dürfen, wobei de lege lata die Ausnahmeregelung bezüglich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der in einer Entziehungsanstalt (§§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO) derart zu berücksichtigen ist, daß diese beiden Maßregeln im folgenden Offizialverfahren wohl angeordnet werden dürften. Das Verschlechterungsverbot hat bei diesen beiden Maßregeln kraft gesetzlicher Regelung keine Geltung. Ein "Restrisiko" braucht der Angeklagte ansonsten aber nicht zu tragen. Diese Wertung zeigt, daß das Verbot der reformatio in peius auch dann Geltung haben muß, wenn bei einem Rechtsmittel nur vom oder zugunsten des Angeklagten das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz wegen eines behebbaren Prozeßhindernisses eingestellt und nach Beseitigung des prozessualen Mangels ein neues Verfahren durchgeführt wird.

23 Siehe KMR-Fezer, Rdn. 9 zu § 389; zustimmend Meyer-Goßner, FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,296. 24 FS für Theodor Kleinknecht, 1985,287,296 f. Ebenso spricht sich KleinknechtlMeyer-Goßner, Rdn. 6 zu § 389 gegen das Verbot der Schlechterstellung im folgenden Offizialverfahren aus. 25 So KMR-Fezer, Rdn. 9 zu § 389. Für das Verbot der Schlechterstellung im folgenden Offizialverfahren auch Gerhardt, S. 19; Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 20; Ganske, S. 11.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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III. § 357 StPO - Revisionserstreckung auf Mitverurteilte Wenn bei einer Gesetzesverletzung das Urteil auf Grund einer Revision des einen Angeklagten auch für den anderen Angeklagten, der keine Revision eingelegt hat, aufgehoben wird, so besagt die Fiktion des § 357 StPO, daß der andere so zu behandeln ist, als wenn auch er Revision erhoben hätte. § 357 StPO hat die Aufgabe, das Rechtsgefühl beeinträchtigende Ungleichheiten zu venneiden, die sich bei Aburteilung mehrerer Personen wegen desselben Tathergangs daraus ergeben können, daß ein sachlich rechtli~her Fehler des Urteils nicht von allen Angeklagten mit der Revision angegriffen worden ist. In Durchbrechung der Rechtskraft dient die Vorschrift als Ausnahmeregelung weniger dem Interesse des Nichtrevidenten, sondern eher der Idee der materiellen Gerechtigkeit 26 . Das Verschlechterungsverbot erstreckt sich dann ebenfalls auf den Nichtrevidenten im weiteren Verfahren 27 . Der Nichtrevident bedarf zwar nicht des Schutzes in seiner Entschlußfreiheit, da er das Urteil gerade hinnehmen wollte, aber es wäre unbillig, so zutreffend Ganske 28, einen nichtsahnenden Angeklagten schärfer zu bestrafen. Die Regelung des § 357 StPO ist nicht auf das Berufungsverfahren 29 anzuwenden. Eine vergleichbare Regelung enthalten die Vorschriften zur Berufung nicht, so daß die Berufung des einen Angeklagten keine Wirkung auf andere Angeklagte hat.

IV. Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Nach § 301 StPO hat jedes von der Staatsanwaltschaft ergriffene Rechtsmittel, auch wenn es zuungunsten des Beschuldigten eingelegt ist, die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zu dessen Gunsten abgeändert oder aufgehoben werden kann. Das Verbot der Schlechterstellung gelte auch, wenn und soweit das frühere Urteil auf eine Revision der Staatsanwaltschaft, die zuungunsten des Angeklagten eingelegt worden war, gemäß § 301 StPO zugunsten des Angeklagten aufgehoben werde, fonnuliert der BGH30 und erhält berechtigterweise Beifall im Schrifttum31 . Wenn dieses Ergebnis auch dem Wortlaut des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht entspricht, da in dieser Vorschrift nicht auf die Wirkung des Rechtsmittels, sondern auf das verfolgte Ziel abgestellt wird, so zeigt § 301 StPO doch die 26 Vgl. BGHSt. 12, 335, 341; ebenso KK-Pikart, Rdn. 1 zu § 357; kritisch LR-Hanack, Rdn. 1,2 zu § 357. 27 Vgl. dazu RGSt. 70, 229, 231; desgleichen Gerhardt, S. 21; Ganske, S. 12; LR-Hanack, Rdn. 25 zu § 357; KK-Pikart, Rdn. 21 zu § 357. 28 Ganske, S. 12. 29 So LR-Hanack, Rdn. 4 zu § 357 und Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 2 zu § 357. 30 Leitsatz von BGHSt. 13,41. In diesem Sinne auch schon RGSt. 45, 62, 64 f. 31 Frisch, JA 1974,91,95; LR-Gollwitzer, Rdn. 3 zu § 301; LR-Hanack, Rdn. 19 zu § 358; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 4 zu § 331; KK-Ruß, Rdn. 1 zu § 301; Gerhardt, S. 13.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Richtigkeit dieses Ergebnisses. Würde es § 301 StPO nicht geben, so müßte das zuungunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gegebenenfalls verworfen werden. Die nunmehr nach § 301 StPO bezweckte Begünstigung des Angeklagten kann nicht zum Anlaß genommen werden, diesen dann schlechter zu stellen. Mit der zutreffenden Ansicht, daß es ein Widerspruch in sich wäre, einerseits anzuerkennen, daß das angegriffene Urteil den Angeklagten beschwert und vom Rechtsmittelgericht zu dessen Gunsten abgeändert werden muß, andererseits aber diesen Umstand zu benutzen, um den Angeklagten schlechter zu stellen, hat das RG 32 den richtigen Weg gewiesen. Ein zuungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel führt somit zu einer Gesamtüberprüfung der angefochtenen Entscheidung 33 . Die Möglichkeit einer reformatio in peius ist jedoch nur bei einem erfolgreichen Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten gegeben. Betrachtet werden soll jetzt die Konstellation, daß neben dem Angeklagten auch die Staatsanwaltschaft zu dessen Ungunsten ein Rechtsmittel einlegt, das jedoch als unzulässig oder als unbegründet verworfen wird, die Situation also, daß nicht lediglich vom oder zugunsten des Angeklagten ein Rechtsmittel eingelegt ist. Die Staatsanwaltschaft darf es jedoch nicht in der Hand haben, durch ein erfolgloses Rechtsmittel ihrerseits dem Angeklagten den Vorteil des Verschlechterungsverbots zu nehmen. Im übrigen gibt das Gericht, wenn es das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als unbegründet verwirft, zum Ausdruck, das Urteil nicht verschlechtern zu wollen. Demnach bleibt über den Wortlaut der §§ 331 und 358 Abs. 2 StPO hinaus auch in den Fällen der Verwerfung des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels das Verbot der reformatio in peius bestehen34 . Ein verworfenes Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, ob als unzulässig oder als unbegründet, wirkt nicht zum Nachteil des Angeklagten. Die Situation stellt sich so dar, als wenn der Angeklagte von Anfang an allein Rechtsmittel eingelegt hätte.

V. Die "isolierte" Maßregel bei verminderter Schuldfähigkeit Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt treten bei Schuldunfähigkeit an die Stelle der Strafe, während deren Anordnung bei verminderter Schuldfähigkeit neben die Strafe tritt. Wenn der Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) nicht mit einer Strafe belegt werden kann und gegen ihn eine Maßregel nach § 63 StGB angeordnet wird und wenn nach alleiniger Revision des Angeklagten nach Aufhebung und Zurückverweisung in der erneuten Verhandlung nur die verminderte RGSt. 45, 62, 65. RGSt. 45, 62, 64 spricht von der doppelten Natur eines zuungunsten des Angeklagten verfolgten Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft. 34 So zutreffend Frisch, JA 1974, 91, 95; Gerhardt, S. 12; LR-Gollwitzer, Rdn. 26 zu § 331. 32 33

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) festgestellt wird, verhindert das Verschlechterungsverbot die nachfolgende Verhängung einer Strafe im Rechtsmittelverfahren. Es ist jedoch zu fragen, ob die Anordnung der Maßregel aufrechterhalten werden kann, da sie mangels einer Strafe nunmehr nicht neben diese treten kann, nachdem deren Verhängung aus rechtlichen Gründen unzulässig ist. Will man dies verneinen, würde das strafbare Verhalten des Angeklagten ohne Rechtsfolgen bleiben. Das Verbot der Verschlechterung würde sich in seiner Wirkung in ein Gebot der Verbesserung umkehren. Der dem Verschlechterungsverbot zugrundeliegende Gedanke, daß der Angeklagte bei der Entscheidung über eine Rechtsmitteleinlegung nicht durch die einlegungshemmende Besorgnis beeinträchtigt werden soll, es könne ihm ein Nachteil entstehen, rechtfertigt es nicht, ihm einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen 35 . Vom BGH wurde daher in dieser Frage der entscheidende Gesichtspunkt darauf gelegt, daß der Angeklagte eine Strafe verwirkt hat und allein eine verfahrensrechtliche Regelung, das Verschlechterungsverbot, deren Verhängung verhinderte 36 . Dieser Entscheidung aus dem Jahr 1958 lag noch der damalige § 42 b Abs. 2 StGB (a. E), der die Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt regelte, zugrunde. Dessen Wortlaut hat im Gegensatz zum heutigen § 63 StGB ausdrücklich angeordnet, daß "bei vermindert Zurechnungsfähigen die Unterbringung neben die Strafe tritt". Mit der Neuregelung des § 63 StGB, der das Gebot des Nebeneinanders von Strafe und Maßregel nicht ausdrücklich übernommen hat, ist dieses Problem der Gesetzeslage nach an sich ausgeräumt 37 . Der Gedanke der an sich verwirkten Strafe gilt aber fort, insbesondere für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, dessen § 64 StGB im Gegensatz zu § 63 StGB das Nebeneinander von Strafe und Unterbringung deutlicher betont.

VI. Das unbeschränkte Rechtsmittel des Angeklagten neben einem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Wenn die Staatsanwaltschaft ein auf die Rechtsfolgen beschränktes Rechtsmittel zuungunsten des Angeklagten einlegt und der Angeklagte selbst daneben ein unbeschränktes Rechtsmittel, stellt sich für den Fall, daß das Rechtsmittelgericht nach der unbeschränkten Berufung oder Revision des Angeklagten zulässigerweise den Schuldspruch berichtigend verschärft, das Problem, ob im Rechtsmittelverfahren auf Rechtsfolgen erkannt werden kann, die sich aus der nach der Schuldspruchberichtigung neuen Strafnorm ergeben. Das kommt in Betracht bei einer StrafrahVgl. BGHSt. 11,319,323. Siehe auch BayObLG NStZ 1982,258. BGHSt. 11,319,324. Zustimmend: Sch.lSch.lStree, Rdn. 21 zu § 63; Gerhardt, S. 22, 110; Meyer-Goßner, NStZ 1982,258,259; LK-Hanack, Rdn. 93 Vor § 61. 37 Siehe BGHSt. 26, 67, 69. 35

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

menerweiterung oder wenn sich in dem neuen Strafgesetz eine Symptomtat für die besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt, was bei der vom Erstgericht angenommenen Strafnonn nicht der Fall gewesen war, so beispielsweise für die Entziehung der Fahrerlaubnis in § 69 Abs. 2 StGB. In dieser Verfahrenskonstellation ist die Besonderheit zu beachten, daß ohne das gleichzeitige Rechtsmittel des Angeklagten auf die neue Strafnonn nicht zugegriffen werden könnte, da nach der auf die Rechtsfolgen beschränkten Berufung oder Revision der Staatsanwaltschaft zuungunsten des Angeklagten der frühere Schuldspruch bindend gewesen wäre. Erst das gleichzeitige Rechtsmittel des Angeklagten ennöglicht seine nachteilige Sanktionierung aus dem berichtigten Schuldspruch. Eine solche Benachteiligung wollen die §§ 331, 358 Abs. 2 und 373 Abs. 2 StPO verhindern. Das Verschlechterungsverbot hat hier die Wirkung, daß die Änderung des Rechtsfolgenausspruchs zum Nachteil des Angeklagten nicht über den Erfolg des staatsanwaltlichen Rechtsmittels hinausreichen darf. Dieser Zweck ist dadurch zu erreichen, daß im Rechtsmittelverfahren auf keine Rechtsfolge erkannt werden darf, die nicht auch das vom Erstgericht angenommene Strafgesetz vorsieht. Dieser Straftatbestand bildet die Obergrenze für den Sanktionsrahmen auch nach der Schuldspruchberichtigung, wenn das Verbot der refonnatio in peius für den Angeklagten streitet38 . Der Angeklagte darf nur in dem Maß nachteilig in Art und Höhe der Rechtsfolgen behandelt werden, als wenn allein die Staatsanwaltschaft erfolgreich zu seinen Ungunsten ein auf die Rechtsfolgen beschränktes Rechtsmittel eingelegt hätte 39 . Die Obergrenze des Sanktionsrahmens ergibt sich aus dem im angefochtenen Ersturteil angewandten Strafgesetz.

VII. Das Sicherungsverfahren Das Sicherungsverfahren ist das strafprozessuale Gegenstück zu den materiellrechtlichen Maßregeln der Besserung und Sicherung. Wenn das StGB ein zweispuriges Rechtsfolgensystem mit der repressiven Strafe und den präventiven Maßregeln bildet, so setzt sich in der StPO dieses zweispurige System mit dem eigentlichen Strafverfahren und dem Sicherungsverfahren fort. Das selbständige Sicherungsverfahren ist zeitgleich mit den Maßregeln durch das Gesetz vom 24. 11. 1933 40 mit den damaligen §§ 429 abis e StPO eingeführt worden. Durch Art. 21 Nr. 108 EGStGB 197441 wurde das Sicherungsverfahren in den §§ 413 ff. StPO 38 Vgl. BGH StV 1986,468 mit weiteren Angaben zur Rechtsprechung. So auch KK-Ruß, Rdn. 2 a zu § 331; KMR-Paulus, Rdn. 15 zu § 331; Ganske, S. 16; LR-Gollwitzer, Rdn. 27 zu § 331; Gerhardt, S. 13. 39 Der BGH StV 1986, 468 weist zutreffend darauf hin, daß Gleiches auch gilt, wenn die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel ursprünglich unbeschränkt eingelegt hat, dieses aber nur zum Strafausspruch Erfolg zeitigt. 40 RGBl. 1933 I, 1000, 1003. 41 Gesetz vom 2.3.1974, BGBl. 1974 I, 469, 502, 513 ff.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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geregelt. Das Sicherungsvetfahren ist nach § 413 StPO zulässig, wenn ein Strafverfahren wegen Schuldunfähigkeit oder wegen Verhandlungsunfähigkeit undurchführbar ist und wenn die Anordnung einer der in § 71 StGB genannten Maßregeln zu erwarten ist. Der Vergleich des § 71 StGB mit dem Maßregelkatalog des § 61 StGB zeigt, daß die Maßregeln der Sicherungsverwahrung und der Führungsaufsicht als Gegenstand des Sicherungsvetfahrens nicht genannt werden. Der Grund liegt darin, daß diese beiden Maßregeln nur gleichzeitig neben einer Strafe angeordnet werden können. Deren eigenständige Anordnung ohne einen gleichzeitigen Strafausspruch ist im Gegensatz zu den anderen vier Maßregeln, deren Anordnung auch bei Schuldunfähigkeit des Betroffenen zulässig ist, nicht möglich. Nach § 414 StPO gelten für das Sicherungsvetfahren sinngemäß die Vorschriften des Strafvetfahrens. Inwieweit dies auch auf das Verbot der reformatio in peius zutrifft, ist zu klären. Ein Urteil im Sicherungsvetfahren ist nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 312, 333 StPO anfechtbar. Der Beschuldigte steht demnach vor demselben "Dilemma" wie im Strafvetfahren, wenn er bei Gebrauch seiner Rechtsmittel eine Verschlechterung in Art und Höhe der Rechtsfolgen befürchten müßte. Innerhalb des Sicherungsvetfahrens findet das Verschlechterungsverbot über § 414 StPO Anwendung. Dies ist auch der Fall, wenn das Sicherungsvetfahren nach § 416 StPO in ein Strafvetfahren übergeht42 • Ergeht im Sicherungsvetfahren ein Urteil mit dem Inhalt, daß wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wird, und wird nach der Revision nur vom oder zugunsten des Angeklagten das Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen und dann nach Überleitung in das Strafvetfahren gemäß § 416 StPO die verminderte Schuldfähigkeit festgestellt, steht das Verschlechterungsverbot aus § 358 Abs. 2 StPO der nachträglichen Verhängung einer Strafe entgegen. Allerdings kann die Anordnung der Maßregel isoliert aufrechterhalten bleiben, da das Nebeneinander von Strafe und Maßregel im Gegensatz zu § 42 b StGB (a. F) in § 63 StGB nicht mehr ausdrücklich bestimmt ist und da darüber hinaus der Beschuldigte die Strafe verwirkt hat, deren Anordnung allein aus dem vetfahrensrechtlichen Grund des Verschlechterungsverbots aus Rechtsgründen unzulässig ist.

VIII. Das Strafbefehlsverfahren Von dem Grundsatz des deutschen Strafvetfahrensrechts, daß eine Kriminalstrafe nur auf Grund einer mündlichen Verhandlung verhängt werden darf, in welcher der Beschuldigte von dem erkennenden Gericht gehört worden ist und in welcher er Gelegenheit zur Verteidigung hatte, gibt es mit dem Stratbefehlsvetfahren 42 Siehe BGHSt. 11,319; ebenso KK-Fischer, Rdn. 8 zu § 416; LR-Gollwitzer; Rdn. 19 zu § 331; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 4 zu § 331; KMR-Pau1us, Rdn. 11 zu § 331; Pfeiffer / Fischer, Rdn. 2 zu § 331; Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 20 f.

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

(§§ 407 ff. StPO) eine Ausnahme. Das Strafbefehlsverfahren hat in letzter Zeit erhebliche erweiternde Veränderungen erfahren43 . In dieser besonderen Art des Verfahrens darf durch einen schriftlichen Strafbefehl wegen eines Vergehens unter anderem auf Geldstrafe oder gegen den Angeschuldigten mit Verteidiger auf Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bei gleichzeitiger Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung44 erkannt werden. Aus dem Katalog der Maßregeln darf nach § 407 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO die Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer zweijährigen Sperrfrist angeordnet werden. Der Beschuldigte kann gegen den Strafbefehl den Rechtsbehelf des Einspruchs einlegen und dadurch die Durchführung einer Hauptverhandlung erzwingen. Das Gericht ist bei der Urteilsfällung an den im Strafbefehl enthaltenen Ausspruch nicht gebunden, soweit Einspruch eingelegt ist (§ 411 Abs. 4 StPO). Nach dem Gesetzeswortlaut ist eine reformatio in peius zulässig. Der Strafausspruch darf durch das Gericht gegenüber dem Strafbefehl verschärft werden. Diese Durchbrechung ist mit der besonderen Rechtsnatur des Strafbefehlsverfahrens zu erklären. Wenn auch die richterliche Überzeugung von Taterschaft und Schuld für den Strafbefehl notwendig ist45 und die Ansicht46 , der hinreichende Tatverdacht sei für ihn genügend, mit dem Charakter des Strafbefehls als nach § 410 Abs. 3 StPO "urteilsgleicher Entscheidung" nicht zu vereinbaren ist, so rechtfertigen die Besonderheiten des Strafbefehlsverfahrens die Durchbrechung des Verschlechterungsverbots. In diesem Verfahren wird summarisch ohne Hauptverhandlung und ohne formelles Urteil unter Herabsetzung der Prüfungsvoraussetzungen, ohne dabei die elementaren Verfahrens grundsätze der Öffentlichkeit, der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit einzuhalten, durch einseitige Straffestsetzung entschieden. Wenn das Verbot der reformatio in peius nach einem Einspruch gegen den Strafbefehl nach § 411 Abs. 4 StPO aufgehoben ist, lebt im folgenden Verfahren die Sanktionsgewalt des Amtsgerichts nach § 24 GVG wieder auf, und es können alle Maßregeln der Besserung und Sicherung bis auf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Sicherungsverwahrung angeordnet werden.

Die amtsgerichtliehe Strafgewalt ist maßgebend, da nach § 407 Abs. 1 StPO der Erlaß eines Strafbefehls auf die Zuständigkeit des Amtsgerichts beschränkt ist. Mag der summarische Charakter des Strafbefehlsverfahrens die Durchbrechung des Verschlechterungsverbots auch tragen, so befindet sich der Angeklagte bei der Entscheidung über den Einspruch nichtsdestotrotz in derselben psychologischen Zwangs situation wie bei der Entscheidung über die Einlegung der Rechtsmittel der 43 Siehe dazu das StVÄG vom 27. 1. 1987, BGBI. I, 475 und das RpfiEntG vom 11. 1. 1993, BGBI. I, 50. Einen schnellen Überblick zu den Änderungen gewährt KMR-Fezer, Rdn. 5 ff. Vor § 407. 44 Die Möglichkeit einer Freiheitsstrafe im schriftlichen Strafbefehlsverfahren ist berechtigterweise heftiger Kritik ausgesetzt. Siehe hierzu kritisch Fezer in KMR, Rdn. 6 a, b Vor § 407m. w. N. 45 So KMR-Fezer, Rdn. 9 ff. Vor § 407 m. w. N. 46 So Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. I Vorbemerkungen zu § 407 m. w. N.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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Berufung oder Revision, wenn er eine Verschärfung des Urteils spruchs in seinen Rechtsfolgen zu befürchten hat. Der das Verbot beherrschende Grundgedanke, daß der Angeklagte bei seiner Entschließung darüber, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt werden soll, es könne ihm durch die Einlegung des Rechtsmittels ein Nachteil entstehen, muß auch bei der Auslegung des § 411 Abs. 4 StPO beachtet werden. Wenn sich in der Hauptverhandlung keine neuen erschwerenden Umstände ergeben, ist eine Verschlechterung, sei es im Bereich der Strafe oder im Bereich der Maßregeln, widersprüchlich. Bei derselben Entscheidungsgrundlage im Strafbefehlsverfahren und in der nach dem Einspruch folgenden Hauptverhandlung ist der Gedanke der Verwirkung insofern angebracht, daß der staatliche Strafanspruch schon im Strafbefehl hinreichend bestimmt worden ist und daß die im Strafbefehl angeordnete Rechtsfolge für diesen festgestellten Sachverhalt die Obergrenze bildet. Nur eine Änderung der Entscheidungsumstände, wenn sich das Ergebnis des summarischen Verfahrens gerade nicht bestätigt, kann eine Veränderung der Sanktionierung im Interesse der materiellen Gerechtigkeit rechtfertigen. Andernfalls könnte der zu vermeidende Eindruck entstehen, daß der Einspruch zum Anlaß genommen wird, den Urteils spruch in seinen Rechtsfolgen zum Nachteil des Angeklagten zu verändern. Die Durchbrechung des Verbots in § 411 Abs. 4 StPO soll aus diesem Grund seine Grenze darin finden, daß das Gericht, wenn sich in der folgenden Hauptverhandlung keine neuen schwerwiegenderen Umstände ergeben, von einer Verschärfung Abstand nehmen sollte47 bzw. muß48 . Diese einschränkende Auslegung des § 411 Abs. 4 (ehemals Abs. 3) stößt dagegen auf vielfache Ablehnung49 . Nach dieser Ansicht soll das Gericht auch bei unverändertem Sachverhalt nicht gehindert sein, eine im Vergleich zu dem Strafbefehl nachteilige Sanktion in Strafe oder Maßregel anzuordnen. Die Vorschriften, die eine reformatio in peius enthalten, seien als Ausnahmevorschriften eng auszulegen und einer Analogie nicht zugänglich 5o • Das mit dem Einspruch verbundene Risiko sei tragbar, wird behauptet51 • Mit dem Einspruch habe der Angeklagte bewußt das Risiko auf sich genommen, daß er dabei besser, aber auch schlechter wegkommen könne, als wenn er sich bei dem Strafbefehl, der seine Bedeutung als strafrichterliche Erkenntnis verliere, beruhigt hätte 52 . So schreibt Frisch, JA 1974,91,94. Das fordern Ostler, NJW 1968,486,487 und Gerhardt, S. 23. Ebenso Roxin, Strafverfahrensrecht, § 66, Rdn. 12. 49 Vgl. KK-Fischer, Rdn. 31 zu § 411; KMR-Fezer, Rdn. 38 zu § 411; KleinknechtiMeyer-Goßner, Rdn. 11 zu § 411; Ganske, S. 14; LR-Gössel, Rdn. 58 zu § 411. Das Verbot soll aber abweichend vom Wortlaut des § 411 Abs. 4 StPO bei einem Einspruch des gesetzlichen Vertreters gelten, da die Lage des Beschuldigten durch einen nicht von ihm selbst eingelegten Einspruch nicht verschlechtert werden dürfe: so LR-Gössel, Rdn. 4 zu § 410 und KMR-Fezer, Rdn. 39 zu § 411; anderer Ansicht aber KleinknechtiMeyer-Goßner, Rdn. 11 zu § 411. 50 So KK-Fischer, Rdn. 31 zu § 411. 51 So KMR-Fezer, Rdn. 38 zu § 411. 47

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Es bleibt jedoch die Frage, was es rechtfertigen kann, bei einem gleichbleibenden Sachverhalt im schriftlichen Strafbefehlsverfahren und im dem Einspruch folgenden Regelverfahren ungleiche Sanktionen verhängen zu wollen. Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, lautet das wiederkehrende Argument53 • Wenn auch der Angeklagte sich nach seinem Einspruch in der Situation befindet, als wenn sogleich Anklage gegen ihn erhoben worden wäre, so ist wohl nicht zu bestreiten, daß es eine einlegungshemmende Wirkung hat, wenn er beispielsweise entgegen der im Strafbefehl ausgesprochenen Freiheitsstrafe von einem Jahr (§ 407 Abs. 2 Satz 2 StPO) nach seinem Einspruch nunmehr in der Hauptverhandlung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren (§ 24 Abs. 2 GVG) befürchten muß oder die Verlängerung einer Sperrfrist nach § 69 a StGB bzw. die erstmalige Anordnung einer Maßregel mit Ausnahme der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der in der Sicherungsverwahrung. Wenn der Angeklagte ein Risiko tragen muß, muß er das allein in dem Umfang, daß sich im Vergleich zu dem summarischen Strafbefehlsverfahren im Regelverfahren ein schwerwiegenderer Sachverhalt ergibt, der eine nachteilige Änderung im Vergleich zum Strafbefehl erlaubt. Bei einem gleichbleibenden Sachverhalt ist eine Änderung zum Nachteil des Angeklagten in Art und Höhe der Rechtsfolgen aber unfair. Hinsichtlich der Maßregeln der Besserung und Sicherung ist von Bedeutung, daß in einem Strafbefehl einzig die Entziehung der Fahrerlaubnis mit einer höchstens zweijährigen Sperrfrist aus dem Maßregelkatalog möglich ist. Wenn daher der im Strafbefehlsverfahren vorliegende Sachverhalt schon Anhaltspunkte für andere Maßregeln nahelegt, muß das Gericht nach § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO verfahren und die Hauptverhandlung anberaumen, um damit die Möglichkeit zu erhalten, auch auf andere Rechtsfolgen zu erkennen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Möglichkeit einer dem Einspruch folgenden Anordnung von Maßregeln eingeschränkt. Wer dieser einschränkenden Auslegung des § 411 Abs. 4 StPO folgt, und unter der rechtsstaatlichen Herleitung des Verschlechterungsverbots geschieht das zu Recht, da der besondere Charakter des Strafbefehlsverfahrens nur in diesen Grenzen eine Durchbrechung des Verbots der reformatio in peius zuläßt, muß dennoch de lege lata entsprechend den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auch bei gleichbleibendem Sachverhalt zulassen. In diesen Vorschriften kommt zum Ausdruck, daß die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus - nach § 24 Abs. 2 GVG ist das Amtsgericht aber nicht zu einer solchen Anordnung ermächtigt - und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt jederzeit möglich sind. De lege lata sollen diese beiden UnterLR-Gössel, Rdn. 58 zu § 411. Bei Gerhardt, S. 23; Ostler, NJW 1968,486,487. Hierzu auch der Hinweis, daß Schorn, S. 19 f. rechtsstaatliche Bedenken hinsichtlich der Nichtanwendung des Verbots der SchlechtersteIlung im Strafbefehlsverfahren äußert, da die Regelung des § 411 StPO dem Angeklagten gegenüber möglicherweise einen unzulässigen Zwang bedeutet, auf den Einspruch zu verzichten, und damit eine Einschränkung seiner Verteidigung ergeben kann. 52 53

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

143

bringungsarten dem wohl verstandenen Interesse des Angeklagten dienen und dürfen trotz ihrer freiheitsentziehenden Wirkung in der Rechtsmittelinstanz nachträglich angeordnet werden. Dem Gedanken dieser gesetzlichen Ausnahmeregelung müßte, sofern er inhaltlich berechtigt ist, auch im Strafbefehlsverfahren trotz der eingeschränkten Bedeutung des § 411 Abs. 4 StPO der Vorrang gebühren.

IX. Das Beschwerdeverfahren Ein heftiger Streit tobt um die Problematik, ob und in welchem Umfang das Verbot der reformatio in peius neben dem Urteilsverfahren im Beschlußverfahren Geltung beansprucht54 . Das Gesetz schweigt diesbezüglich. Unter einer formalen Argumentation läßt sich eine Antwort in beiderlei Richtungen finden: Die positive Regelung des Verschlechterungsverbots einerseits in den Vorschriften über Berufung und Revision, den beiden anderen Rechtsmitteln neben der Beschwerde, und die eingeschränkte Geltung des Verschlechterungsverbots im Fall der Urteilsanfechtung sprechen gegen eine erweiternde Erstreckung des Verbots auf die Beschwerde. Andererseits aber gestattet § 411 Abs. 4 StPO die reformatio in peius ausdrücklich; die Beschwerde muß im übrigen genauso wie die anderen beiden Rechtsmittel behandelt werden. Entgegen dieser eher formalen Argumentation bejaht unter Hervorhebung des Verschlechterungsverbots als Fundamentalnorm der StPO Gerhardt55 die Erweiterung des Verschlechterungsverbots auf die Beschwerde. Von Bedeutung ist diese Frage insbesondere bei Kostenbeschlüssen, bei Bewährungsauflagen nach § 268 a StPO und bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Beschlußverfahren nach § 460 StPO. Im Zusammenhang mit dem hier behandelten Themenbereich der Maßregeln konzentriert sich die Problematik auf das Beschlußverfahren nach § 460 StPO. Dabei sind zwei Fragen zu unterscheiden: zum einen die Frage, inwieweit das Verschlechterungsverbot Einfluß auf die nachträgliche Gesamtstrafenbildung i.w.S. unter Einbezug der Maßregeln nach § 55 StGB und nach § 460 StPO hat, und zum anderen, inwieweit das Verbot sich auf das dem Urteil nach § 55 StGB bzw. dem Beschluß nach § 460 StPO folgende Rechtsmittelverfahren auswirkt. Diese Schnittstelle zwischen dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht kann hier nur in Grundzügen dargestellt werden, wobei insbesondere die Einzelheiten in der ersten Frage vernachlässigt werden müssen und können 56 . 54 Siehe Kadel, S. 9 f. und Gerhardt, S. 23 f: beide zeigen die unterschiedlichen Ansichten m. w. N. auf. 55 Gerhardt, S. 24; ebenso Ganske, S. 11. Auf Beschlüsse mit endgültiger Sachentscheidung wie etwa in § 460 StPO wendet Kadel, S. 10 das Verschlechterungsverbot an. 56 Dieser Problemkreis ist für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB oder § 460 StPO unter Einbezug von Geldstrafen und Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe besonders umstritten, während er im Zusammenhang mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung kaum Erörterung findet. Zusammenfassend zu dem Komplex Ge-

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über eine Gesamtstrafe nach § 55 StGB nicht beachtet worden, so muß in einem Beschlußverfahren nach § 460 StPO nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet werden. In den verschiedenen zusammenzufassenden Urteilen kann auch auf Maßregeln der Besserung und Sicherung erkannt worden sein. Wenn § 55 StGB im laufenden Verfahren Anwendung findet, dann sind wie bei der gleichzeitigen Aburteilung aller Taten Nebenstrafen, Nebenfolgen und die Maßregeln einheitlich durch das spätere Urteil zu bestimmen, wobei das spätere Urteil die bereits früher ausgesprochenen Folgen verschärfen bzw. eine früher angeordnete Folge durch eine schwerere ersetzen kann 57 • Die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB soll gewährleisten, daß tatmehrheitlich verwirklichte Delikte, die bei gemeinsamer Aburteilung nach den §§ 53 und 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren, so daß der Täter im sanktionsrechtlichen Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist. So kann eine Sperrfrist nach § 69 a StGB bei Hinzutreten eines weiteren Verkehrsdeliktes erhöht werden 58 . Das verstößt nicht gegen das Verschlechterungsverbot, da für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB das Verbot der reformatio in peius nicht in Betracht kommt59 . Dessen Grundgedanke, den Angeklagten nicht von der Erhebung eines Rechtsmittels abzuhalten, hat mit der Situation der nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Urteilsverfahren nach § 55 StGB, die von Amts wegen und unabhängig vom Angeklagten erfolgt, nichts gemeinsam. In bezug auf das Verschlechterungsverbot bei der Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB sagt der BGH6o, daß § 331 StPO kein über den Gesetzeswortlaut hinausgehendes, den Strafprozeß allgemein beherrschendes Rechtsprinzip enthält, und hält das Verbot bei der Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB selbst in der Berufungsinstanz für nicht anwendbar, sofern der erste Richter über die Bildung der Gesamtstrafe keine Entscheidung getroffen hat61 . Ein solches Verfahren ist mit dem Zweck der Maßregeln vereinbar. In der Situation des § 55 StGB muß sich der die Gesamtstrafe bildende Richter auf den Standpunkt des zuerst erkennenden Gerichts stellen, das die neue Straftat mitabzuurteilen gehabt hätte, wenn sie schon bei ihm zur Anklage gekommen wäre 62 . Dabei samtstrafe und Verbot der reformatio in peius siehe Bringewat, StV 1993, 47 mit vielen Nachweisen. 57 So Sch. I Sch.IStree, Rdn. 56 zu § 55; vgl. ebenso SK-StGB-Samson/Günther, Rdn. 21 zu § 55. Das RGSt. 75, 212 ließ im Rahmen des damaligen § 79 StGB in einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung den Wechsel von der Polizeiaufsicht zur Sicherungsverwahrung zu. 58 So Sch. I Sch. I Stree, Rdn. 56 zu § 55; Geppert, Die Bemessung der Sperrfrist, S. 146 ff. 59 Hierzu OLG Hamm NIW 1964, 1285; zustimmend OLG Zweibrücken NIW 1968,310, 312. Siehe auch Sch./ Sch./ Stree, Rdn. 40, 56 zu § 55; Lackner I Kühl, Rdn. 10 zu § 55; Geppert, Die Bemessung der Sperrfrist, S. 147; Himmelreich I Hentschel, Band I, Rdn. 150, 156. 60 BGH NStZ 1988,284 = IR 1989, 203 = BGHSt. 35, 208. 61 Zu dieser Entscheidung siehe die zustimmende Anmerkung von Böttcher, IR 1989, 205. Ebenso zu beachten ist in diesem Sinne BayObLG IR 1980, 378 und dazu die abweichende Ansicht von Maiwald, IR 1980, 353.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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hat er die mehreren Straftaten nach ihrer Art und Schwere sowie nach der Persönlichkeit des Täters zur Zeit seiner Entscheidung zu würdigen und sowohl die Gesamtstrafe festzusetzen wie auch über Nebenstrafen, Nebenfolgen sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung zu entscheiden. Die möglicherweise nachträgliche bessere Erkenntnis muß der Richter im Interesse des Sicherungsbedürfnisses der Gemeinschaft berücksichtigen. § 55 StGB sei demnach auch anzuwenden, wenn die Gesamtstrafenbildung zum Nachteil des Täters ausschlage, heißt es in einem Urteil des BGH63 . Grundlegend anders stellt sich die Rechtslage im Falle des § 460 StPO dar. Dieses Verfahren ist ein zusätzliches strafprozessuales Instrument zur Verwirklichung des Gesamtstrafenprinzips. Im Rahmen des Beschlußverfahrens ist es dem Gericht jedoch verwehrt, Maßregeln der Besserung und Sicherung nachträglich zu verhängen oder zu verschärfen. In diesem Verfahren sind nur die bisher in den einzelnen Urteilen verhängten Folgen zusammenzufassen 64 . Diese Beschränkung hat jedoch nichts mit dem strafprozessualen Verbot der reformatio in peius zu tun. Sie ist eine Folge der Tatsache, daß die Neuverhängung oder Verschärfung von Sanktionen dem Erkenntnisverfahren vorbehalten sein muß, während das Beschlußverfahren des § 460 StPO mit geringeren verfahrensmäßigen Garantien versehen ist65 . So trifft das Gericht die Entscheidungen nach Aktenlage durch einen zu begründenden Beschluß, wobei eine mündliche Verhandlung gemäß der Regelung des § 462 StPO nicht zulässig ist. Die mündliche Anhörung des Verurteilten ist jedoch zuweilen empfehlenswert66 . Wenn der BGH67 betont, daß 62 Vgl. BGHSt. 7, 180, 182. Der BGH ließ hier den Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe zu. Der Wegfall einer Aussetzung zur Bewährung ist eine Verschlechterung im Sinne der §§ 331, 358 und 373 StPO. Das zeigt, daß das Verschlechterungsverbot der Situation des § 55 StGB nicht entspricht. 63 NStZ 1993,235. 64 Vgl. Sch./Sch./Stree, Rdn. 75 zu § 55; KK-Fischer, Rdn. 22 zu § 460; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, Rdn. 18 zu § 460; Gerhardt, S. 95 f. 65 Vgl. Sch./Sch./Stree, Rdn. 75 zu § 55. Den Unterschied zwischen der förmlichen Hauptverhandlung und dem Beschlußverfahren zeigt deutlich BGHSt. (GrS) 12, I, 6 f. auf. Siehe auch Böttcher, JR 1989,205,206; ebenso Gollwitzer, JR 1983,165,167, der von einern mit weniger Rechtsgarantien ausgestatteten Nachverfahren spricht. Diesen Umstand mißachtend halten Geppert, Die Bemessung der Sperrfrist, S. 150 und Himmelreich/Hentschel, Band I, Rdn. 156 eine Verlängerung der Sperrfrist nach § 69 a StGB im Beschlußverfahren nach § 460 StPO für zulässig. 66 Vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. I ff. zu § 462. 67 BGH JR 1989, 203, 204 = BGHSt. 35, 208, 213 f. Auch das OLG Hamm NJW 1964, 1285 verneint die Geltung des Verschlechterungsverbots bei der Gesamtstrafenbildung, unabhängig davon, ob diese nach § 79 StGB (a. F.) oder nach § 460 StPO gebildet wird. Ein Verschlechterungsverbot für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO verneint auch das LG Halle / Saale NStZ 1996, 456. Das OLG Düsseldorf StV 1993, 34 nennt das Beschlußverfahren nach § 460 StPO dagegen einen Rechtsbehelf zugunsten des Verurteilten und spricht sich für die Geltung des Verschlechterungsverbots im Nachtragsverfahren nach § 460 StPO aus. Wie bei § 55 StGB geht es auch bei § 460 StPO schwerpunktmäßig um das Zusammentreffen von Freiheits- und Geldstrafe und die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe. Siehe OLG

10 Kretschmer

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1. Teil: Allgemeine Grundlagen

das Gesetz ein Verschlechterungsverbot für das Verfahren nach § 460 StPO nicht vorgesehen habe und ein solches der Vorschrift auch nicht im Wege einer Anwendung des in § 331 StPO enthaltenen Rechtsgedankens unterlegt werden könne, so daß sich in der Verwirklichung des Gesamtstrafenprinzips durchaus nachteilige Wirkungen für den Angeklagten ergeben könnten, verkennt der BGH diesen bedeutenden Umstand, der zumindest der Neuanordnung oder Verlängerung von Maßregeln der Besserung und Sicherung entgegensteht. Die für die Anordnung der Maßregeln erforderliche Prognose hinsichtlich der künftigen Gefährlichkeit des Taters, die eine eingehende Darlegung und Abwägung aller die künftige Gefährlichkeit des Taters begründenden Umstände bedarf, muß einer mündlichen Hauptverhandlung vorbehalten bleiben. Angesichts der teilweise erheblichen individuellen Auswirkungen einer Maßregelanordnung kann eine solche Feststellung allein auf Grund einer persönlichen Begegnung des erkennenden Gerichts mit dem Betroffenen gefällt werden, da der persönliche Eindruck sowohl für die Strafbemessung als auch für die Maßregelanordnung eine der wichtigsten Erkenntnisquellen darstellt. Diese Einschränkung bezüglich der Maßregeln im Beschlußverfahren (§ 460 StPO) hat besonders wegen der Funktion der Individualprognose für die Anordnung und für die Dauer der Maßregel sowohl für die Neuverhängung als auch für die Bestimmung der Dauer Bedeutung. Eine Sichtweise68 , die eine Neuverhängung der Maßregeln allein dem Urteilsverfahren vorbehält, bezüglich deren Dauer aber im Beschlußverfahren eine Verlängerung erlaubt, wird diesem Umstand nicht gerecht. Der Problemkreis der Anwendung des Verschlechterungsverbots im Beschlußverfahren ist einschlägig, wenn gegen den Beschluß nach § 460 StPO die sofortige Beschwerde nach § 462 Abs. 3 StPO allein vom Angeklagten oder zugunsten seiner von der Staatsanwaltschaft erhoben wird. Hier muß die Frage nach der Anwendung des Verbots der reformatio in peius für die Beschwerde beantwortet werden. Wenn es im Urteilsverfahren nach § 55 StGB zur nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe auch unter Einbezug der Maßregeln kommt, hat der Angeklagte das Recht, gegen dieses Urteil Berufung oder Revision einzulegen. Die Vorschriften der §§ 331 und 358 StPO kommen zur Anwendung. Das Nachtragsverfahren nach § 460 StPO steht zur Nachholung der unterlassenen Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB zur Verfügung. Der Verurteilte soll so gestellt werden, als habe der letzte Tatrichter die Gesamtstrafe gebildet. Wenn das Verschlechterungsverbot im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens nach § 55 StGB Anwendung findet, darf dem Angeklagten kein Nachteil aus dem Umstand erwachsen, daß die Gesamtstrafe ausnahmsweise im Beschlußverfahren (§ 460 StPO) und nicht im Urteilsverfahren (§ 55 StGB) gebildet wird, so daß das Verbot der reformatio in peius gleichermaßen eine entsprechende Geltung hat69 . Der auch dem Zufall unterliegende UmFrankfurt a. M. NStZ-RR 1996, 177; beachte zu dieser komplexen Materie neben Bringewat, StV 1993,47 auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 19 f. zu § 460 und KK-Fischer, Rdn. 21 f. zu § 460: alle m. w. N. 68 Vgl. in diesem Sinne Oske, MDR 1965, 13 f.

3. Kap.: Der Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots

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stand, ob die nachträgliche Gesamtstrafe im Urteil oder im Beschluß gebildet wird, darf nicht über die Geltung des Verschlechterungsverbots entscheiden. Ließe man eine Verschlechterung im Beschwerdeverfahren zu, könnte dieser Umstand den Angeklagten von der ihm zustehenden sofortigen Beschwerde abhalten. Der mit dem Verbot der reformatio in peius verfolgte Zweck kommt auch im strafprozessualen Beschwerdeverfahren nach §§ 460, 462 StPO zum Zuge.

x. Zusammenfassung Das bisher Gesagte zeigt den umfassenden Anwendungsbereich des strafprozessualen Verschlechterungsverbots, der sich weit über den eingeschränkten Bereich des anhängigen Verfahrens hinaus erstreckt. Jede den Angeklagten hemmende Wirkung bezüglich seiner Rechtsmittel- und Rechtsbehelfseinlegung muß vermieden werden. Der weite Geltungsbereich entspricht auch der rechtsstaatlichen Ableitung des Verbots der reformatio in peius. Gerade unter diesem Aspekt läßt sich der verfahrensrechtliche Geltungsumfang des Verschlechterungsverbots neben besonderen Konstellationen zu folgender These zusammenfassen: Das Verbot der reformatio in peius ist von dem erkennenden Gericht zu beachten, wenn es über dieselbe Tat, d. h. denselben Lebenssachverhalt zu entscheiden hat wie in dem früheren angefochtenen Urteil, sofern die neue Entscheidungsmöglichkeit im Ergebnis von einem nur vom oder zugunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel oder Rechtsbehelf ausgeht.

69 Das LG Zweibrücken NJW 1954,934 ließ es offen, ob rechtsstaatliehe Grundsätze das Verbot der reformatio in peius in der Beschwerde erfordern, sondern entwickelt den Gedanken, daß die Ausnahme nach § 460 StPO den Angeklagten nicht schlechterstellen dürfe als bei einem normalen Verfahren. In diesem Sinne der Bindung für das Beschwerdegericht auch OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 1996,318 f; OLG Zweibrücken NJW 1968, 310, 312; ebenso: Gerhardt, S. 24 f; KleinknechtiMeyer-Goßner, Rdn. 24 zu § 460; Ganske, S. 11; KMR-Paulus, Rdn. 69 zu § 460; LR-Wendisch, Rdn. 41 zu § 460; Kadel, S. 10; KK-Fischer, Rdn. 32 b zu § 460; Geppert, Die Bemessung der Sperrfrist, S. 147 in Fußnote 73. Siehe auch Wittschier, Das Verbot im Beschlussverfahren, S. 99 ff. Wittschier hält das Verschlechterungsverbot im strafprozessualen Beschlußverfahren allgemein für anwendbar und erachtet eine reformatio in peius nur auf Grund einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung für zulässig, a. a. 0., S. 185 ff.

10*

Zweiter Teil

Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung Im folgenden zweiten Teil werden bezogen auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung Einzelprobleme der nachträglichen Anordnung und des Austausches mit anderen Rechtsfolgen dargestellt und unter dem Aspekt des hier vertretenen Standpunktes beurteilt. Die Darstellung folgt der Reihenfolge der Maßregeln in § 61 StGB. Zu jeder Maßregel werden neben ausgewählten Problemen die in der Diskussion befindlichen Fragen bezüglich des Verschlechterungsverbots erörtert. Dabei wird im einzelnen auf schon früher angesprochene Entscheidungen des RG und des BGH einzugehen sein. Darüber hinaus wird aber auch auf die Besonderheiten des Verhältnisses der Entziehung der Fahrerlaubnis zu Fahrverbot und Geldstrafe eingegangen werden müssen, desgleichen auf die noch nicht erwähnte Problematik, ob eine Verschlechterung gegeben ist, wenn eine vergleichbare Maßnahme auch außerhalb des Strafverfahrens in einem Verwaltungsverfahren angeordnet werden kann, wenn also der drohende Rechtsverlust durch eine Maßregelanordnung zeitlich nur vorgezogen werden würde. Von besonderer Bedeutung wird neben anderen Problemkreisen auch die Frage sein, ob und wie die Zeit einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis, die zwischen Ersturteil und Berufungsurteil vergangen ist, bei der Festsetzung einer Sperrfrist gemäß § 69 a StGB Berücksichtigung finden muß. Diese Problematik ergibt sich auch bei der Maßregel des Berufsverbots.

Viertes Kapitel

Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung I. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§§ 61 Nr. 1, 63 StGB) und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§§ 61 Nr. 2, 64 StGB) Die beiden Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB werden zu Beginn und zum Schluß der Darstellung in ihrer Problematik bezogen auf das Verbot der reformatio

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung

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in peius zusammenhängend behandelt. Diese Vorgehensweise ist in ihren teilweisen Gemeinsamkeiten gerechtfertigt. § 67 StGB bestimmt für diese beiden freiheitsentziehenden Maßregeln den Grundsatz des Vikariierens. § 67 a StGB erlaubt als Vollzugsregelung die wechselseitige Überweisung beider Unterbringungsformen. § 67 b StGB gibt die Möglichkeit, die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zugleich in ihrer Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen. Darüber hinaus bestimmen die strafprozessualen Vorschriften zum Verschlechterungsverbot ausdrücklich, daß das Verbot für die beiden genannten Maßregeln keine Geltung hat. Da sich so manches Problem seiner Zeit aus dem Wortlaut der jeweiligen Vorschriften erklären läßt, ist die gesetzliche Entwicklung voranzustellen: § 42 b StGB (a. F.):

,,(1) Hat jemand eine mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 51 Abs. 1, § 58 Abs. 1) oder der verminderten Zurechnungsfähigkeit (§ 51 Abs. 2. § 58 Abs. 2) begangen, so ordnet das Gericht seine Unterbringung in einer Heil- oder Pflegeanstalt an, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert. Dies gilt nicht bei Übertretungen. (2) Bei vermindert Zurechnungsfähigen tritt die Unterbringung neben die Strafe." § 42 c StGB (a. F.):

"Wird jemand, der gewohnheitsmäßig im Übermaß geistige Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich nimmt, wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das er im Rausch begangen hat oder das mit einer solchen Gewöhnung in ursächlichem Zusammenhang steht, oder wegen Volltrunkenheit (§ 330 a) zu einer Strafe verurteilt und ist seine Unterbringung in einer Trinkerheilanstalt oder Entziehungsanstalt erforderlich, um ihn an ein gesetzmäßiges und geordnetes Leben zu gewöhnen, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Unterbringung an."

Seit dem Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. 11. 1933 1, mit dem erstmals ein Maßregelkatalog in das deutsche Strafgesetzbuch Eingang fand, hatten die entsprechenden Vorschriften die soeben genannte Fassung. Mit dem 2. StrRG vom 4. 7. 19692 erfolgte die Fassung in die heutige Form. § 63 StGB:

"Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Taters und seiner Taten ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist." § 64 StGB: ,,(1) Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurI

2

RGBI. 1933 I, 995. BGBI. 1969 I, 717.

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

teilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, daß er infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. (2) Die Anordnung unterbleibt, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint."

In ihrer Grundstruktur stimmen beide Vorschriften überein, wenn die zwingende Anordnung der Unterbringung an drei begriffliche Voraussetzungen geknüpft ist: die Anlaßtat, der Grad der Schuldfähigkeit bzw. die Persönlichkeit des Taters und die individuelle Gefährlichkeitsprognose. Auf die damit verbundenen Probleme wird im weiteren einzugehen sein.

1. Die Ausnahmeregelung in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2

und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO Das Gesetz nimmt in den Vorschriften zum Verschlechterungsverbot die beiden Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt von der Geltung des Verbots aus. Die beiden freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nachträglich zusätzlich oder anstelle anderer Sanktionen verhängt werden, sei es anstelle einer Strafe oder einer Maßregel. Die Anordnung dieser Maßregeln ist jederzeit im Berufungs- und im Revisionsverfahren bzw. in der Neuverhandlung vor dem Tatrichter nach Aufhebung eines Urteils durch das Revisionsgericht sowie im Wiederaufnahmeverfahren möglich 3 • Betrachtet man einen Angeklagten, der von der Erstinstanz zu einer Geldstrafe oder zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden ist, oder einen Angeklagten, dem daneben als Maßregelanordnung die Fahrerlaubnis entzogen wurde, offenbart sich die folgenschwere Wirkung der Ausnahmeregelung. In die Überlegungen des Betroffenen, ein Rechtsmittel gegen das ihn beschwerende Urteil einzulegen, werden sich die Gedanken mischen, daß er zwar vor einer Erhöhung der Geld- oder Freiheitsstrafe geschützt wäre und daß ihm auch die Aussetzung zur Bewährung verbliebe, da anderes gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen würde4 • Auch eine Verlängerung der Sperrfrist nach § 69 a StGB verstieße gegen das Verbot der reformatio in peius. Das Verbot würde sicherstellen, daß der Angeklagte frei von der Befürchtung, möglicherweise Nachteile "in Art und Höhe der Rechtsfolgen" erleiden zu müssen, über eine Rechtsmitteleinlegung entscheiden könnte. Der Angeklagte wäre aber nicht vor der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt bewahrt. 3 Zu beachten ist die Bindung des Landgerichts an die begrenzte Sanktionsgewalt des § 24 Abs. 2 GVG, wenn es als Berufungsgericht entscheidet. 4 Zu dem Bereich Strafaussetzung zur Bewährung und das Verschlechterungsverbot siehe LR-Gollwitzer, Rdn. 75 ff. zu § 331.

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung

151

a) Eine verfassungsrechtlichfragwürdige Begründung

Der angeführte Grund für die Ausnahmeregelung ist, daß die beiden Maßregeln als medizinische Heilrnaßnahmen dem wohlverstandenen Interesse des Betroffenen dienten 5 ; die ärztlich geleiteten Einrichtungen sollen im Interesse des Betroffenen ausgenutzt werden6 . Schon an früherer Stelle sind Bedenken bezüglich einer solchen Ausnahmeregelung geäußert worden. Die Rechtfertigung für diese Regelung wird in Teilen der Literatur? angezweifelt. Wegen des Übelscharakters der Maßregeln der Besserung und Sicherung seien die Ausnahmeregelungen abzulehnen, meint Böllinger8 • Das strafprozessuale Verschlechterungsverbot bezweckt, den Angeklagten frei von einem psychologischen Zwang darüber entscheiden zu lassen, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel Gebrauch macht. Der Angeklagte verdient einen Schutz dahingehend, daß er im Laufe eines zugunsten seiner initiierten Rechtsmittelverfahrens keine Benachteiligung im Rechtsfolgenausspruch erfahrt. Als Maßstab für einen Nachteil in den Rechtsfolgen ist ein generell-objektiver anzuwenden, der sich entscheidend an der verfassungsrechtlich und gesetzlich vorgegebenen Wertung zu orientieren hat, und zwar frei von einer konkreten oder subjektiven Wertung, um eine hinreichende Berechenbarkeit hinsichtlich des zu Erwartenden zu gewährleisten. Die Ausnahmeregelung selbst geht von einer generell-objektiven Betrachtung aus. Der Angeklagte hat die Anordnung der Unterbringung hinzunehmen, auch wenn er diese als nachteilig empfindet. Findet sich ein solcher Wertungsmaßstab zwischen einer angeordneten und der vom Rechtsmittelgericht beabsichtigten Rechtsfolge nicht, darf keine Änderung vorgenommen werden, um einen möglichen einlegungshemmenden Nachteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen auszuschließen. Wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zusätzlich oder im Austausch mit einer anderen Sanktion angeordnet wird, liegt eine Änderung in der Art der Rechtsfolgen der Tat vor. Sofern die Erstinstanz mit den Maßregeln der Führungsaufsicht, der Entziehung der Fahrerlaubnis oder des Berufsverbots eine freiheitsbeschränkende Rechtsfolge angeordnet hat und das Gericht später im Zuge des Rechtsmittelverfahrens zugunsten des Angeklagten im Austausch dazu die freiheitsentziehende Unterbringung ausspricht, liegt in verfassungsrechtlicher Betrachtung nach einer generell-objekti5 Vgl. BGHSt. 7,101,103; siehe ebenso LR-Gollwitzer, Rdn. 31 zu § 331; Gerhardt, S. 59; Ganske, S. 106 f; Meyer-Goßner, IR 1987, 173, 175. 6 So LK-Hanack, Rdn. 92 Vor §§ 61 ff. 7 Bruns, IZ 1954, 730, 737 unter Nr. 2 nennt die Begründung nicht recht überzeugend; Grethlein, S. 31 meint, daß sich eine wirklich überzeugende Begründung nicht finden lasse. 8 NK, Rdn. 69 zu § 61, der alle Maßregeln in der Praxis als eine Erweiterung oder gar Verdoppelung der Übelszufügung erachtet, vgl. Rdn. 20 zu § 61. Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Bedenken gegen die im System des heutigen Prozeßrechts widersprüchliche und unangemessene Regelung äußert Hanack, IR 1993, 430, 432, da die Regelung den Zugang zum Rechtsmittelgericht in unzumutbarer und nicht zu rechtfertigender Weise für den Betroffenen erschwere.

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

yen Wertung ein Nachteil 9 in der Art der Rechtsfolgen vor. Eine Freiheitsentziehung, die im Fall der Maßregel nach § 63 StGB in ihrer Anordnung zudem von unbestimmter Dauer (§ 67 d StGB)1O ist, stellt im Vergleich zu einer bloßen Freiheitsbeschränkung einen erheblicheren Eingriff in die grundgesetzlieh geschützten Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Betroffenen dar. Anders mag dies im Verhältnis zur Sicherungsverwahrung sein, obgleich auch dieses Verhältnis nicht ohne weiteres in die Rangordnung eines "maius und minus" gebracht werden kann. Zum einen ist im Gegensatz zu der zeitlich absolut unbestimmten Unterbringung nach § 63 StGB die Vollzugsdauer der Sicherungsverwahrung für eine bestimmte Tätergruppe auch nach der Neuregelung des § 67 d Abs. 3 StGB 11 auf zehn Jahre beschränkt, zum anderen wecken die unter dem Aspekt des Heilungsgedankens erheblichen therapeutischen Eingriffe in die Rechte des nach § 63 StGB Untergebrachten Bedenken, diese Maßregel generell als "minus" anzusehen. Diese einlegungshemmenden Gedanken könnten einen Angeklagten davon abhalten, von der Berufung oder der Revision Gebrauch zu machen. In dieser psychologischen Zwangssituation muß er damit rechnen, kraft der gesetzlichen Ausnahmeregelung nachträglich mit der zeitlich unbestimmten Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbunden mit erheblich in die Freiheitsrechte eingreifenden therapeutischen Maßnahmen belangt zu werden. Daß ihn dieser Gedanke von der Einlegung eines Rechtsmittels abhalten könnte, erscheint auf den ersten Blick einsichtig. Auf diese abhaltende Wirkung weist in bezug auf die Unterbringung gemäß § 63 StGB Tolksdor/2 hin. Aus dieser Situation befreit das Verbot der reformatio in peius den Angeklagten nicht. Die §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO erlauben in Durchbrechung des Verbots die Anordnung der Unterbringung nach §§ 63 und 64 StGB. Die Frage ist, ob die Durchbrechung des Verschlechterungsverbots damit erklärt werden kann, daß die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wie auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine medizinische Heilmaßnahme im wohlverstandenen Interesse des Angeklagten ist. Nur wenn die Unterbringung gleichsam keinen Nachteil in der Art der Rechtsfolgen, sondern kraft gesetzlicher Anordnung einen Vorteil darstellt, obgleich die verfassungsrechtliche Wertung das Gegenteil aufzeigt, läßt sich diese Ausnahme legitimieren. Die Überzeugungskraft dieser Argumentation geht entscheidend dadurch verloren, daß es bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht auf die Hei9 Ganske, S. 22 in Fußnote 58 weist darauf hin, daß auch diese Maßregeln sachlich Nachteile sind und nur kraft der gesetzlichen Fiktion nicht so behandelt werden. 10 Insbesondere die zeitliche Unbestimmtheit ist für Schroth, FS für Horst Schüler-Springorum, 1993, S. 595, 597 ff. Anlaß, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die derzeitige Fassung des § 63 StGB zu äußern. Er fordert dann auch eine gesetzliche Neugestaltung der Vorschrift mit einer festen Höchstdauer der Unterbringung. 11 "Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten" vom 26. 1. 1998, BGBI. 1,160. 12 FS für Walter Stree und Johannes WesseIs, 1993, S. 753, 762.

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung

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lungs- und Besserungschancen beim von der Maßregel Betroffenen ankommen soll 13 . Bestehen diese Aussichten nicht, kann sich die Unterbringung im Interesse der Allgemeinheit auf Aufsicht, Betreuung und Pflege beschränken. Mangels einer konkreten Heilungschance tritt der Charakter einer medizinischen Heilmaßnahme in den Hintergrund und der Sicherungszweck der Unterbringung stärker in den Vordergrund, ohne daß sich die Unterbringung in einem Verwahrvollzug erschöpft. Der fürsorgliche Aspekt der Heilungsmaßnahme verliert für die Durchbrechung des Verbots der reformatio in peius an Überzeugungskraft. Es ist schwer verständlich, worin das wohlverstandene Interesse des Angeklagten liegt, wenn sich seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darauf beschränkt, daß er gepflegt, beaufsichtigt und betreut wird, ohne daß konkrete Heilungs- oder Besserungschancen vorliegen. Zu betonen ist, daß auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus allein der öffentlichen Sicherheit durch Vorbeugung gegenüber künftigen Straftaten dient. Diesem alle Maßregeln tragenden Zweck ist auch diese Unterbringungsart verpflichtet. Die zur Begründung der Ausnahme zum Verschlechterungsverbot angeführte Idee erscheint im Fall der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht tragend. Der Schutzgedanke des Verschlechterungsverbots zugunsten des Angeklagten erfordert auch hier Beachtung und unterliegt der verfassungsrechtlichen Gebotenheit. Wenn auch de lege lata die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vom Verbot der reformatio in peius ausgenommen ist, ist doch zu fordern, diese Ausnahme vom rechtsstaatlichen Verbot zu beseitigen, um den Schutz des Angeklagten umfassend zu garantieren. Zu klären bleibt, ob zumindest die Einordnung der Unterbringung ill einer Entziehungsanstalt als Heilmaßnahme zwecks Schutzes der Allgemeinheit vor zukünftigen erheblichen Straftaten des Taters die Durchbrechung dieses verfassungsrechtlichen Grundsatzes legitimiert. Im Sinne der Vorschriften des Verschlechterungsverbots bildet die Anordnung einer freiheitsentziehenden an Stelle einer nur freiheitsbeschränkenden Sanktion oder gar zusätzlich zu dieser nach der gebotenen generell-objektiven Betrachtungsweise einen tatsächlichen Nachteil in der Art der Rechtsfolgen. Der Charakter der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als Heilmaßnahme ist zuletzt in der Entscheidung des BVerfG zu § 64 StGB deutlich geworden, in der das Gericht aussprach, daß eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur durch eine hinreichend konkrete Chance für einen Behandlungserfolg gerechtfertigt werden kann. Anordnung der Unterbringung und deren Vollzug seien von Verfassungs wegen an die Voraussetzung geknüpft, daß eine hinreichend konkrete Aussicht bestehe, den Süchtigen zu heilen oder doch für eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren, bestimmt das BVerfG 14 • Nicht vergessen werden darf, daß auch die Maßregel der Unterbringung 13 So der BOH in MDR 1978, 110 bei Holtz unter § 63 und in MDR 1989, 1051 bei Holtz unter § 63 a); BOH NStZ 1995, 588; BOH NStZ 1998, 35; OLO Hamburg NJW 1995,2424; siehe ebenso Sch./Sch./Stree, Rdn. I zu § 63; Müller-Dietz, NStZ 1983,145,148. 14 BVerfOE 91, I=EuORZ 1994, 616=StV 1994,594.

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden darf, wenn dies zur Gefahrenabwehr, zum Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten geboten ist. Dieser von allen Maßregeln verfolgte präventive Zweck muß gerade durch die Behandlung des Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen erreicht werden können. Allein die individuelle Behandlungsbedürftigkeit vermag die Anordnung der strafrechtlichen Unterbringung nach § 64 StGB nicht zu rechtfertigen. Die bezweckte Besserung ist lediglich Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck und nicht Legitimation für die über die schuldangemessene Strafe hinausgehende Sanktion. Die Maßregel nach § 64 StGB ist kein Mittel der Suchtfürsorge, sondern die Anordnung der Unterbringung stellt neben der Freiheitsstrafe ein zusätzliches Übel dar l5 . Der zuletzt angesprochene Fürsorgegedanke, der eine Unterbringung legitimieren soll, kann nur im Rahmen der landesrechtlichen Unterbringungsgesetze außerhalb des Strafrechts verfolgt werden. Der freiheitsentziehende Vollzug der strafrechtlichen Maßregel ist auf eine Therapie hin ausgerichtet, die ihrerseits mit Mitteln rechtlichen Zwangs durchgesetzt werden kann. Die mit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verbundene Suchttherapie ist in der Regel mit erheblichen Eingriffen persönlichkeitsrechtlicher Art durch medizinische Behandlung verknüpft, die auf den einzelnen sehr belastend wirken können, mag auch ein Heilungszweck verfolgt werden. Die mit der Freiheitsentziehung von maximal zwei Jahren (§ 67 d Abs. 1 StGB) zusammenhängenden Eingriffe in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte des Angeklagten können es besorgen, daß der Angeklagte von der Einlegung eines Rechtsmittels absieht. Die erheblichen persönlichkeitsrechtlichen Eingriffe einer Suchttherapie wird der Angeklagte insbesondere scheuen, wenn bisher nur freiheitsbeschränkende Sanktionen angeordnet waren. Aber auch für den Fall, daß gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet ist, mag die mögliche Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB eine Rolle spielen. So ist es wohl zum einen das vorrangige Ziel des Betroffenen, die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufheben zu lassen, und es besteht bei deren fehlerhafter Anordnung kein begründeter Anlaß, bei der gebotenen Korrektur des vom Gericht begangenen Rechtsfehlers eine andere Maßregel anzuordnen. Zum anderen mag der Angeklagte darauf vertrauen, daß bei Aufrechterhaltung der Sicherungsverwahrung im Rechtsmittelverfahren diese nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Eine solche Entscheidung ist nach § 67 c StGB stets erforderlich, da nach der Fassung des § 67 StGB die Sicherungsverwahrung nicht dem Grundsatz des Vikariierens unterliegt. Mögen die Überlegungen im konkreten Einzelfall auch anderer Art sein, so ist nach dem erarbeiteten generell-objektiven Grundsatz zur Bewertung eines strafprozessualen Nachteils ersichtlich, daß trotz oder gerade wegen des mit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verfolgten therapeutischen Zieles die Wirkungen einer im Rechtsmittelverfahren möglichen Anordnung den Angeklagten verständlicherweise von der Einlegung eines Rechtsmittels abhalten könnten l6 . Diese Konfliktsituation generell aufzulösen, ist der Zweck des 15

So BGHSt. 28, 327, 331 ff.

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung

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Verbots der reformatio in peius. Bezogen auf die Maßregel der Entziehungsanstalt vermag das Verschlechterungsverbot diese Aufgabe zugunsten des Angeklagten infolge der gesetzlichen Ausnahme nicht zu erfüllen. Wenn der für die Ausnahmeregelung genannte Gedanke nicht überzeugen kann, verstößt eine solche Vorschrift bezogen auf die Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB im Rahmen eines ansonsten einheitlich gestalteten Rechtsmittelzuges gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz und gegen das Willkürverbot l7 . Wenn nach ständiger Rechtsprechung 18 der Gleichheitssatz es verbietet, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln, bedarf es zuerst eines gemeinsamen Oberbegriffs, unter den die rechtlich verschieden behandelten Sachverhalte fallen l9 . Bezogen auf das Verbot der reformatio in peius werden die Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB anders als die sonstigen strafrechtlichen Maßregeln der Besserung und Sicherung behandelt. Beide Sanktionsgruppen fallen aber unter den andere strafrechtliche Sanktionsarten ausschließenden Begriff der Maßregeln. Alle Maßregeln verfolgen den generellen Zweck der Vorbeugung gegenüber künftigen Straftaten. Sie alle sind ausschließlich spezialpräventiv-zweckgerichtete, auf den einzelnen Tater bezogene Maßnahmen. Dieser generelle Zweck der Gefahrenabwehr verbindet die verschiedenen Maßregeln, auch wenn ihre Mittel der Besserung und Sicherung bezogen auf die verschiedenen Taterpersönlichkeiten differieren. Eine rechtliche Ungleichbehandlung miteinander vergleichbarer Personengruppen ist gegeben. Diese Ungleichbehandlung bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Bei den Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung galt für lange Zeit als einziger Maßstab die sog. Willkürformel. Danach gilt der Gleichheitssatz als verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lasse, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden müsse 20. Diese die Rechtsprechung prägende Formel fand eine inhaltliche Weiterentwicklung, die im Verhältnis zu der bisherigen Willkürformel eine erhöhte Kontrolldichte durch einen inhaltlich klareren Maßstab bewirkte. Nach dem BVerfG21 ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem 16 Auf diese den Angeklagten in der Rechtsmitteleinlegung abhaltende Wirkung einer nachträglichen Anordnung nach den §§ 63 und 64 StOB weist Tolksdorf, FS für Walter Stree und Johannes Wessels, 1993, S. 753, 762 hin. 17 So bezeichnet Hanack, JR 1993, 429, 432 die Ausnahmeregelung zu Recht als verfassungswidrig. 18 Siehe BVerfOE I, 14,52; 49,148,165; 93, 319, 348. 19 Dazu Pieroth / Schlink, Staatsrecht II, Rdn. 431 ff. 20 So BVerfOE 1,14,52; 65,141,148; 78,104,121; 93, 386, 397. 21 Vgl. BVerfOE 88,87,96 f; 91, 389, 401.

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

Gesetz gleich seien, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindern solle, unterliege der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von P~rsonengruppen regelmäßig einer strengen Bindung 22 . Das hat zur FOlge 23 , daß bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder die sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, zu prüfen ist, ob für die vorgesehene Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Bei eher sach- oder verhaltensbezogenen Differenzierungen kommt als Maßstab dagegen weiterhin das Willkürverbot in Betracht, wonach ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nur festgestellt werden könne, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident sei 24 • Welcher Prüfungsmaßstab für die rechtliche Ungleichbehandlung der Maßregeln im Bereich des Verschlechterungsverbots anzulegen ist, ist nicht eindeutig bestimmbar. Wenn auch dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Ungleichbehandlung zusteht25 , so ist bei der Anwendung des Gleichheitsgebotes der jeweilige Lebens- und Sachbereich zu achten 26 . Letzteres bedingt die Frage, ob die gesetzliche Bestimmung in Widerspruch zu der Gesamtregelung steht, dem sie angehört. Im System des strafprozessualen Verschlechterungsverbots werden die Normadressaten, die von den Ausnahmeregelungen der §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO erfaßt werden, im Vergleich zu der Gruppe der Normadressaten, die von den sonstigen Maßregeln betroffen sind, verschieden behandelt. Für die erste Gruppe gilt das Verschlechterungsverbot nicht, für die zweite Gruppe hat es Geltung. Wenn man die Einlegung von Rechtsmitteln auch als Ausübung einer grundrechtlich geschützten Freiheit, und zwar unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG verstehen will, müßte man den strengen Maßstab des BVerfG zur Beurteilung der Ungleichbehandlung anwenden. Im übrigen droht dem Betroffenen im Rechtsmittelverfahren durch die Ausnahmeregelungen die Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung. Das wirkt nachteilig auf die grundrechtlich geschützte Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Ausnahmeregelungen wirken sich nachteilig auf die Wahrnehmung von Grundrechten aus. Zu fragen wäre, ob zwischen den So BVerfGE 91,389,401. So BVerfGE 55, 72, 88; 88, 87, 96 f; 89,69,89; 91, 389,401. Diese Differenzierung findet Zustimmung im Schrifttum: vgl. Pieroth I Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 438 ff.; Sachs, JuS 1997, 124, von Münch/Kunig-Gubelt, Art. 3, Rdn. 13 ff., 22; Jarass/Pieroth-Jarass, Art. 3, Rdn. 13 ff.; dagegen stellt Krugmann, JuS 1998,7,11 f. nur auf einen sorgsamen Umgang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Rechtfertigungsgebot ab und erklärt einen Rückgriff auf das Willkürverbot für überflüssig. 24 BVerfGE 55, 72, 89 f; 88, 87, 97; 91, 389,401. Zur Problematik der Abgrenzung des Anwendungsbereichs siehe Sachs, JuS 1997, 124, 128 f. 25 Siehe Pieroth I Schlink, Staatsrecht 11, Rdn. 444; von Münch I Kunig-Gubelt, Art. 3, Rdn.24. 26 Dazu BVerfGE 60, 123, 134; 71, 364, 384; Sachs, JuS 1997, 124, 125, 127. 22 23

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung

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von einer Maßregel nach § 63 oder § 64 StGB Betroffenen und den von den sonstigen Maßregeln Betroffenen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen. Dieser Grund kann nach dem oben Gesagten nicht in dem Umstand liegen, daß die beiden Maßregeln der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als Heilrnaßnahmen dem Interesse des Betroffenen dienen. Dieser Grund für die Ungleichbehandlung ist widerlegt. In einem einheitlich gestalteten Rechtsmittelverfahren unter der einheitlichen Geltung des Verbots der reformatio in peius läßt sich kein anderer Grund finden, die beiden Maßregeln der §§ 63 und 64 StGB, die wie die anderen Maßregeln der Gefahrenabwehr dienen, als einzige Rechtsfolgen vom Verbot auszunehmen. Danach verstoßen die Ausnahmeregelungen sowohl nach der bloßen Willkürformel als auch nach der strengen Bindung einer Ungleichbehandlung gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. I GG. Die damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG und auch gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßenden Regelungen der §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO sind zu korrigieren. Sowohl die Maßregel nach § 63 StGB als auch die Maßregel nach § 64 StGB ist in den Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbots einzubeziehen, um dem rechts staatlich abgesicherten Verbot zugunsten des Angeklagten umfassend Geltung zu verschaffen.

b) Das Verhältnis zu den Länderunterbringungsgesetzen Die sich aus einer solchen verfassungsrechtlich notwendigen Gesetzesänderung ergebenden Folgen sind nicht so folgenschwer, wie mancher befürchten mag. Wenn im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt nach hiesiger Auffassung untersagt werden müßte, kann doch, wie auch in anderen Fällen, der Betroffene unter den Voraussetzungen der öffentlich-rechtlichen Unterbringungsarten nach den landesrechtlichen Vorschriften 27 einer Behandlung unterworfen werden. Hierdurch wird besonders der sozialstaatliche Fürsorgecharakter betont, der eher Gegenstand des öffentlichen Fürsorgerechts als des Strafrechts ist. Dieser Gedanke erfordert einen Blick auf das Verhältnis der landesrechtlichen Unterbringungsgesetze zu den strafrechtlichen Unterbringungsformen der §§ 63 und 64 StGB. aa) Vollzugsrechtliche Regelungen Die bundesrechtliche Regelung zum Vollzug einer Unterbringung nach den §§ 63, 64 StGB erschöpft sich in den §§ 136 bis 138 StVollzG und verweist im 27

Siehe das Berliner PsychKG vom 8. 3. 1985, GVBI., 586.

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

übrigen auf das Landesrecht. Die Länder beschreiten zwei Wege, um eine Regelung zu treffen. Zum Teil wurden besondere Maßregeivollzugsgesetze 28 geschaffen, die die Sonderheiten der strafrechtlichen Maßregeln der Besserung und Sicherung betonen, zum Teil wurde das Modell des Unterbringungsrechts vorgezogen und der Maßregelvollzug wurde in diesen Unterbringungsgesetzen unter Bezugnahme rnitgeregelt 29 .

bb) Das Verhältnis der strafrechtlichen Unterbringung zu den landesrechtlichen Unterbringungsmöglichkeiten Von einem "wenig geklärten, erheblich umstrittenen und nach geltendem Recht kaum befriedigend lösbaren Problem" spricht Hom 30 , wenn es um das Verhältnis der strafgerichtlichen Unterbringung nach § 63 StGB zu den landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen geht. Das Verhältnis der beiden Unterbringungsformen ist zu erörtern, um die von Verfassung wegen erhobene Forderung, die Durchbrechung des Verbots der reformatio in peius für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt abzuschaffen, mit dem Verweis auf die landesrechtlichen Vorschriften zu untermauern. Die Unterbringungsgesetze 31 erfassen in ihren Voraussetzungen als betroffenen Personenkreis diejenigen, bei denen eine Unterbringung nach § 63 StGB geboten ist, aber in Erweiterung dessen auch andere Personen, die von § 63 StGB gerade nicht erfaßt werden. In § 8 Abs. 1 Satz 1 Berliner PsychKG heißt es, daß psychisch Kranke untergebracht werden können, " ... wenn und solange sie durch ihr krankheitsdingtes Verhalten ihr Leben, ernsthaft ihre Gesundheit oder besonders bedeutende Rechtsgüter anderer in erheblichem Maße gefährden und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann". Art. 1 des BayUnterbringG bestimmt in Absatz I: "Wer psychisch krank oder infolge Geistesschwäche oder Sucht gestört ist und dadurch in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet, kann gegen oder ohne seinen Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus oder sonst in geeigneter Weise untergebracht werden. Unter den Voraussetzungen des Satzes 1 ist die Unterbringung insbesondere auch dann zulässig, wenn jemand sein Leben oder in erheblichem Maß seine Gesundheit gefährdet." 28 Niedersächsische MVolIzG, Gesetz vom 1. 6. 1982, Nieders. GVBI., 131; Bremen, Gesetz vom 28. 6.1983, BremGBI., 407. 29 Berliner PsychKG, GVBI. 1985,586 über § 46. MülIer-Dietz, IR 1987,45,52 bedauert diese unterschiedliche Tendenz, da sich darin keine Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet der gesetzlichen Regelung des Maßregelvollzugs zeige. Zu der Regelung in den einzelnen Bundesländern siehe die Angaben bei LK-Hanack, Rdn. 129 zu § 63. 30 SK-StGB-Horn, Rdn. 33 zu § 63. 31 Neben dem schon genannten BeriinerPsychKG sei beispielsweise hingewiesen auf das Bayerische Gesetz über die Unterbringung Kranker und deren Betreuung (UnterbringG) in der Bekanntmachung vom 5. 4. 1992 (GVBI., 60).

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung

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Danach greifen die landesrechtlichen Vorschriften auch ein, wenn eine erhebliche Selbstgefährdung gegeben ist oder wenn Fremdgefährdungen unterhalb der Grenze des § 63 StGB, unterhalb der Erwartung erheblicher Straftaten gegeben sind. Der Personenkreis, den das landesrechtliche Unterbringungsrecht als psychisch Kranke erfaßt, ist ersichtlich weiter gezogen. Der von § 63 StGB erfaßte Kreis ist insoweit eine Teilmenge des von den Unterbringungsgesetzen erfaßten weiteren Kreises. Daraus ergibt sich die schon aufgeworfene Frage, wie sich die beiden Unterbringungsmöglichkeiten zueinander in Beziehung setzen lassen. 0:) Die Rechtsprechung

In dieser Frage zeigt sich eine unterschiedliche Tendenz im Hinblick auf die verschiedenen Gesetzesfassungen des § 42 b StGB (a. F) und des neuen § 63 StGB. Ob es die öffentliche Sicherheit noch erfordert, eine Maßregel der Sicherung und Besserung - so die alte Reihenfolge - anzuordnen, wenn der Angeklagte schon nach Landesrecht untergebracht war, war die tatbestandliche Fragestellung zu § 42 b StGB (a. E). Die Rechtsprechung des BGH zeigte in seinen Senaten in diesem Punkt unterschiedliche Auffassungen, wobei die zu beantwortende Frage stets lautete, ob die landesgesetzliche Unterbringung einen geringeren Grad der Sicherheit als die Unterbringung nach § 42 b StGB (a. E) bot. Diese Frage fand unterschiedliche Antworten. Eine Einheitlichkeit wurde durch das Urteil vom 10. 2. 1971 32 dahingehend hergestellt, daß die Auffassung einer Gleichwertigkeit beider Maßnahmen unzutreffend sei. Unter Betonung des unterschiedlichen Sicherungsgrades beider Maßnahmen stellt der BGH33 klar, daß die Erforderlichkeit der Maßregel nach § 42 b StGB (a. E) durch eine schon angeordnete landesrechtliche Unterbringung nicht beseitigt werde. Dabei wird neben anderen Punkten gesondert betont, daß nach den landesrechtlichen Vorschriften eine Beurlaubung möglich sei, was bei einer Unterbringung nach § 42 b StGB (a. F) nicht der Fall wäre. Die Konkurrenz der Unterbringungsforrnen, deren Problematik sich unter der Geltung des § 42 b StGB (a. E) daran entflammte, ob dieser überhaupt tatbestandlich unter dem Aspekt der öffentlichen Sicherheit eingriff, findet nunmehr nach der gesetzlichen Umgestaltung im Zusammenhang mit § 67 b StGB Beachtung. Die Vorschrift gestattet die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung zugleich mit dem anordnenden Urteil, wenn besondere Umstände den Zweck der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt auch dadurch erreichbar sein lassen. Ob derartige besondere Umstände in einer auf Landesrecht beruhenden Unterbringung liegen, darin liegt die entscheidende Frage, deren Beantwortung der 1. Senat des BGH in BGHSt. 34, BGHSt. (3. Senat) 24, 98. BGHSt. 24, 98, 102 f. Der bis dahin der Auffassung, daß der Sicherungszweck schon durch das gerichtliche landesrechtliche Unterbringungsverfahren erreicht werde, zuneigende 4. Senat, etwa in BGHSt. 12,50 und 17, 123, hielt an seiner abweichenden Ansicht auf Anfrage nicht fest. 32 33

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

313 versuchte. Entscheidend sei, so der BGH, welche Art der Unterbringung sich für die Heilung oder Pflege des Betroffenen im Einzelfall als günstiger erweise, sei es hinsichtlich der Behandlungsmethoden oder der Vollzugslockerungen. Das Gericht weist darauf hin, daß beide Unterbringungsformen im zu entscheidenden Fall in demselben Krankenhaus mit daher gleichen Heilmöglichkeiten zu vollziehen gewesen wären und daß das einschlägige Bayerische Unterbringungsgesetz für die strafrechtliche Unterbringung auf die Vollzugsregelungen der landesrechtlichen Unterbringung verweise - so macht es auch in § 46 das Berliner PsychKG. Daher erachtet der BGH34 den Gedanken einer geringeren Stigmatisierung durch die Unterbringung nach Landesrecht im Vergleich zum Maßregel vollzug für unbeachtlich und gestattet die Versagung der Aussetzung nach § 67 b StGB, da die Art der landesrechtlichen Unterbringung in diesem Einzelfall nicht besser geeignet sei, den Beschuldigten zu heilen oder zu pflegen. Der BGH gelangt bei einer schon angeordneten landesrechtlichen Unterbringung zu einer am Einzelfall orientierten Prüfung bezüglich einer Aussetzung nach § 67 b StGB. Da aber das Konkurrenzverhältnis erst bei § 67 b StGB auf der Ebene der Vollstreckung eine Erörterung findet, scheint der BGH bezogen auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der beiden Unterbringungsarten von einem unbeeinflußten Nebeneinander in der vorrangigen Anordnungsebene auszugehen. Das Problem hat sich in der Rechtsprechung von der Anordnungs- auf die Vollstreckungsebene verlagert. ß) Das Schrifttum

Im Schrifttum erscheinen die unterschiedlichsten Schattierungen in der Frage einer Konkurrenz der strafrechtlichen Unterbringung gemäß § 63 StGB und der Unterbringung nach Landesrecht mit den verschiedendsten Lösungen 35 . Global wird die Unabhängigkeit der strafrechtlichen von der landesrechtlichen Unterbringung vertreten 36. Demgegenüber vertritt Baumann 37 den Standpunkt, daß zwecks Vermeidung von Verfahrensverdoppelungen im Verhältnis der Unterbringung des § 42 b StGB BGHSt. 34, 313, 316 f. Ein erster, heute scheinbar nicht mehr vertretener Standpunkt ist der Prioritäts grundsatz in Anlehnung an § 12 StPO. Dieser findet einhellig Ablehnung, da er einerseits zu Zufälligkeiten führt und diese dann auch über das anzuwendende Recht entscheiden würden, so etwa Saage / Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, unter Teil 4, Rdn. 146; andererseits komme dem Strafverfahren auch eine Befriedungswirkung durch Verfahrensdurchführung zu, was bei den landesrechtlichen Verfahren nicht der Fall sei, und dieser Umstand müsse etwa bei schweren Verbrechen Geisteskranker gewahrt bleiben, so Baumann, Unterbringungsrecht, 1966, S. 51. 36 Vgl. Tröndle, Rdn. 11 zu § 63; Lackner/Kühl, Rdn. 8 zu § 63; Sch./Sch./Stree, Rdn. 1 zu § 63. 37 Unterbringungsrecht, 1966, S. 50 ff. Den Grundsatz der Subsidiarität bemüht Schütz, JURA 1995,460,463, wonach die Unterbringungen nach den Länderunterbringungsgesetzen 34 35

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung ,und Sicherung

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(a. F.) zu den Unterbringungsgesetzen der Länder der Gesichtspunkt der Spezialität herrsche. Die §§ 42 a ff StGB (a. F.) seien die spezielleren Vorschriften, da sie über die Voraussetzungen der Unterbringungsgesetze hinaus als Anknüpfung noch die Begehung einer rechtswidrigen Tat erforderten. Soweit § 42 b StGB (a. F.) in Anwendung komme, seien die Unterbringungsgesetze ausgeschlossen. Sei dagegen der repressive Anknüpfungspunkt entweder gar nicht vorhanden, etwa bei einer Se1bstgefährdung, oder nicht ausreichend, da etwa nur Lästigkeiten vorlägen, müßten die Unterbringungsgesetze der Länder in Anwendung kommen. Da zu Verfahrensbeginn eine derartig eindeutige Abgrenzung oft nicht möglich sei, bleibe es zunächst bei einer Mitzuständigkeit der Ordnungsbehörde, bis die alleinige Zuständigkeit des Strafrichters keinem vernünftigen Zweifel unterliege. Unterlegt wird der Grundsatz der Spezialität von Baumann 38 mit dem Argument des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dem verfassungsrechtlichen Gebot des gesetzlichen Richters, wonach Fälle, die dem § 42 b StGB (a. F.) unterfielen, dem bundesrechtlich zuständigen Strafrichter infolge landesrechtlicher Regelungen nicht entzogen werden dürften. Zur Vermeidung von Konflikten will Baumann 39 wider dem Gesetz, das hier keine Bindungswirkung enthält, eine Bindung des für die landesrechtliehe Unterbringung zuständigen Richters im Verhältnis zum Strafrichter annehmen, soweit dieser seine strafrechtliche Zuständigkeit nach § 42 b StGB (a. F.) bejaht oder verneint, was durch den allgemeinen Vorrang der Strafrichtereinschaltung und die Spezialität zu gewinnen sei. Sei also der für das Unterbringungsverfahren nach Landesrecht zuständige Landesrichter an die Zuständigkeitsentscheidung des Strafrichters gebunden, so trete umgekehrt eine Bindung nicht ein. Eher abstrahierend gelangt Montenbruck40 zu dem Ergebnis, daß eine Unterbringung gemäß § 63 StGB gegenüber der Unterbringung nach Landesrecht keine Nachteile, sondern vielmehr Vorzüge bringe. Er nennt diesbezüglich die Möglichkeit, die Vollstrekkung der Maßregel nach § 67 b StGB zur Bewährung auszusetzen. Diese Entscheidung werde dem Richter durch die gesetzlich folgende Führungsaufsicht nach § 67 b Abs. 2 StGB erleichtert. Die nach Landesrecht mögliche Beurlaubung sei dem nicht gleichwertig. Montenbruck erwähnt zudem, daß die strafverfahrensrechtlichen Gegebenheiten für den Täter günstiger seien. Einen genau entgegengesetzten Standpunkt nimmt Karl Peters41 ein. Er spricht sich für einen strikten Vorrang der Unterbringungsgesetze im Verhältnis zu dem Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO aus und lehnt ausdrücklich die vorgenannte Ansicht ab, die der von der StPO gewährten Zuständigkeit des Strafrichters gegenüber den Unterbringungsgesetzen den Vorrang einräumt. Dieser wirft er eigegenüber den gerichtlichen Maßregeln subsidiär, also nachrangig, sind; ebenso OLG DüsseldorfMDR 1984,71. 38 Unterbringungsrecht, 1966, S. 53. 39 Unterbringungsrecht, 1966, S. 55 ff. 40 Montenbruck, In dubio pro reo, 1985, S. 134 f. 41 Peters, Strafprozeß, § 64, S. 568 ff. 11 Kretschmer

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

nen Mangel an sozialrechtlichem Denken vor. Der betroffene Geisteskranke sei in erster Linie hilfsbedürftig, und in diesem Bereich liege nicht die primäre Aufgabe des Strafrechts. Das Sicherungsverfahren habe nur subsidiären Charakter. Erst wenn über familien- und vormundschaftsrichterliche oder verwaltungsrichterliche Maßnahmen die Sicherheit nicht hinreichend gewährleistet werden könne, komme das Sicherungsverfahren in Anwendung. Daraus sei zu folgern, daß die Durchführung des Sicherungsverfahrens unzulässig sei, wenn der Betroffene schon landesrechtlich in einer Anstalt untergebracht sei, meint Peters unter ausdrücklicher Ablehnung von BGRSt. 24, 98 und unter Zustimmung zu der damals noch vom 4. Senat vertretenen Auffassung. Das Sicherungsverfahren sei daher auf schwerwiegende Vorgänge beschränkt, wo mittels außerstrafrechtlicher Maßnahmen keine hinreichende Sicherheit gewährleistet sei und eine schwierige Sach- und Rechtslage ein formelles Verfahren gebiete. Wenn man Peters in seiner Auffassung folgt, muß der von ihm aus sozialrechtlichen Gesichtspunkten folgende Gedanke der Subsidiarität nicht nur für die Unterbringung nach § 63 StGB im Rahmen des Sicherungsverfahrens gelten, sondern auch für die Frage, ob eine strafrechtliche Unterbringung nach § 63 StGB im normalen Verfahren unter dem Aspekt einer landesrechtlichen Unterbringung möglich ist. Auch hier bedarf der betroffene Geisteskranke zuvörderst der Rilfe und sollte daher nicht den strafrechtlichen Maßnahmen zugewiesen werden, sondern den der Personenfürsorge dienenden Zuständigkeiten wie der des Amtsgerichts als Vormundschaftsgericht (§§ 35, 70 FGG) nach den landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen. In zustimmender Tendenz zu BGRSt. 34, 313 wird im Kommentar von Saage / Göppinger42 ausgehend von der Gleichberechtigung der Unterbringungsarten der Vorrang der besseren Unterbringungsform vertreten, wonach sich im Einzelfall entscheiden soll, welche Form der Unterbringung der festgestellten Gefahr am geeignetsten, wenig einschneidendsten begegnet und daher vorrangig anzuordnen ist. Dieser Grundsatz habe sowohl beim Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) wie auch bei jeder anderen Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung Geltung und sei zum einen auf der Ebene der Anordnung und zum anderen auf der der Vollstreckung zu beachten. Mit der beinahe resignativen Feststellung, daß es derzeit keine befriedigende Lösung des Konkurrenzverhältnisses zwischen den beiden Unterbringungsarten gebe43 , geht Hanack 44 im Grundsatz von einem echten Nebeneinander aus, wobei im Einzelfall zu klären ist, ob bei schon erfolgter Anordnung der einen Unterbringungsart gegebenenfalls die andere noch angeordnet werden kann. Dabei geht er wohl zu Recht von einem gleichen Sicherungswert beider Unterbringungsarten aus, so daß im Regelfall die eine angeordnete Maßnahme als ausreichender Schutz vor der Gefährlichkeit des Täters die andere Maßnahme überflüssig macht. Der Gedanke der Stigmatisierung, den der BGR in 42 43 44

Saage I Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, Teil 4, Rdn. 154-156, 160. LK-Hanack, 10. Aufl., Rdn. 113 zu § 63. LK-Hanack, Rdn. 113 -118 zu § 63.

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BGHSt. 34, 313 als unbeachtlich ansah, ist für Horstkotte 45 dagegen gerade ein entscheidender, wenn es darum geht, ob eine landesrechtliche Unterbringung ein besonderer Umstand für die Entscheidung nach § 67 b StGB sein kann. Der strafrechtliche Maßregelvollzug habe eine stärkere Stigmatisierung des Betroffenen als die Unterbringung nach Landesrecht zur Folge. Er erachtet den aus dem Maßregelvollzug Entlassenen regelmäßig für derart stigmatisiert, daß er nur schwer Unterkunft und Arbeit finden könne, ferner sei bei dem gegenwärtigen Stand des Maßregelvollzuges die Unterbringung nach § 63 StGB gegenüber der landesrechtlichen Unterbringung im Hinblick auf Therapiemöglichkeiten und Rehabilitation von einem erheblichen Nachteil. Wenn auch bei einer Reform des strafrechtlichen Maßregel vollzuges die Möglichkeit bestehen mag, daß der Maßregel vollzug die besseren Behandlungschancen bietet, so steht Horstkotte dem wohl skeptisch gegenüber. Bezogen auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wiederholt sich der soeben bei der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus diskutierte Streit. Wer nochmals das BerlinerPsychKG46 betrachtet, der erkennt, daß das Gesetz als psychisch Kranke nach § lAbs. 2 auch Personen erfaßt, "die an einer mit dem Verlust der Selbstkontrolle einhergehenden Abhängigkeit von Suchtstoffen leiden und bei denen ohne Behandlung keine Aussicht auf Heilung oder Besserung besteht". § 8 PsychKG nennt die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Unterbringung und zeigt, daß der Anwendungsbereich der landesrechtlichen Unterbringung weiter als in § 64 StGB gezogen ist, da auf der einen Seite die Selbstgefährdung ausreichend ist und auf der anderen Seite die Fremdgefährdung nicht die Qualität von erheblichen Straftaten erreichen muß. Die beiden Extrempositionen bezogen auf das Verhältnis der landesrechtlichen Unterbringung zu der strafrechtlichen nach § 64 StGB lassen sich erneut bei Baumann und Peters finden. Baumann47 nimmt zwecks Vermeidung von Doppelzuständigkeiten die Spezialität der strafrechtlichen Unterbringung und damit eine Einengung des landesrechtlichen Anwendungsbereichs an. Wenn man dagegen den Gedanken der Subsidiarität des Sicherungsverfahrens von Peters48 auf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt überträgt, ist zu folgern, daß die strafrechtliche Unterbringung nach § 64 StGB gegenüber der landesrechtlichen Unterbringung subsidiär ist. In Parallele zu § 63 StGB geht Hanack49 bei einem gleichen Sicherheitswert der landesLK-Horstkotte, 10. Aufl., 1985, Rdn. 66, 67 zu § 67 b. GVBI 1985, 586. 47 Unterbringungsrecht, 1966, S. 69 ff. Für einen Vorrang der strafrechtlichen Unterbringung gegenüber einer verwaltungsrechtIichen Unterbringung auch Maurach! Gössel! Zipf, Strafrecht, AT, Teilband 2, § 68, Rdn. 19. 48 Strafprozeß, § 64, S. 568 ff. Den Verzicht auf die strafrechtliche Unterbringung befürwortet Rudolf Schmitt, FS für Paul Bockelmann, 1979, S. 861, 867, da, wenn man mit den Voraussetzungen der §§ 64, 62 StGB Ernst mache, nur sehr wenige Trinker auf Grund des Strafgesetzbuches untergebracht würden, vgl. S. 864. Beibehalten werden müßte nur die verwaltungsrechtliche Unterbringung. 45

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

rechtlichen und strafrechtlichen Unterbringung von einem grundsätzlichen Nebeneinander auch dieser beiden Unterbringungsmöglichkeiten aus. ,) Stellungnahme Es ergibt sich ein eher konfuses Bild in der Konkurrenz der strafrechtlichen zur landesrechtlichen Unterbringung, die keiner befriedigenden Lösung zugänglich erscheint. In Erinnerung sei gerufen, warum diese Frage hier Erörterung findet. Wenn auch nach den strafprozessualen Vorschriften die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom Verschlechterungsverbot ausgenommen werden und ihre Anordnung daher jederzeit im Rechtsmittelverfahren möglich ist, so ist diese Ausnahme verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Das rechtsstaatliche Verbot der reformatio in peius und der allgemeine Gleichheitssatz erfordern die Streichung dieser Ausnahmen in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO, um den nach generell-objektiver Sicht im Freiheitsentzug liegenden möglichen Nachteil zuungunsten des Angeklagten zu vermeiden. Wenn aber im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens die nachträgliche Anordnung der Unterbringung nach § 63 oder § 64 StGB nicht mehr möglich ist, kann nach den jeweiligen landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen vorgegangen werden. Es wird deutlich, daß in dieser Konstellation im Rechtsmittelverfahren unter der Geltung des Verschlechterungsverbots keine Konkurrenz der Unterbringungsarten gegeben ist. Der angebotene Ausweg über außerstrafrechtliche Mittel zum Schutz der Allgemeinheit ist nicht ungewöhnlich. Dazu soll der Blick kurz auf das Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) gerichtet werden. Wenn ein Strafverfahren wegen Schuldoder Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten nicht durchgeführt werden kann, darf in einem Sicherungsverfahren selbständig auf die Maßregeln der Besserung und Sicherung erkannt werden. Das gilt gemäß § 71 StGB für alle Maßregeln bis auf die Sicherungsverwahrung und die Führungsaufsicht. Die zuletzt genannten Sanktionen können nur neben einer Strafe angeordnet werden und sind einer selbständigen Anordnung nicht zugänglich. Ein Sicherungsverfahren ist jedoch nur zulässig, wenn die Schuld- oder Verhandlungsunfähigkeit des Täters der alleinige Hinderungsgrund für das Strafverfahren ist. Verhindern auch andere Gründe die Durchführung des Strafverfahrens, ist auch die Durchführung eines Sicherungsverfahrens unstatthaft. Der BGH50 stellt klar, daß das Fehlen eines Strafantrags oder der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch nicht nur die Durchführung eines Straf49 LK-Hanack, Rdn. 112 zu § 64. Für ein Nebeneinander auch das BayObLG NJW 1956, 881, wenn es trotz rechtskräftiger Anordnung nach § 42 c StGB (a. E) eine Unterbringung nach Verwahrungsrecht gestattet. 50 BGHSt. 31, 132, 134 f. Siehe auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, Rdn. 7 ff. zu § 413; Lackner/Kühl, Rdn. 1 zu § 71; LK-Hanack,lO. Aufl., Rdn. 5 ff. zu § 71. Anders bezüglich eines fehlenden Strafantrags noch BGHSt. 5, 140; darauf bezugnehmend KMR-Paulus, Rdn. 6 Vor § 413.

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verfahrens verwehren, sondern daß diese Umstände eine strafrechtliche Sanktion überhaupt unterbinden und damit auch das Sicherungsverfahren. Der BGH51 weist ausdrücklich auf die Möglichkeit der landesrechtlichen Unterbringungs&esetze hin. Demzufolge ist auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) nur zulässig, wenn die Bestrafung wegen der rechtswidrigen Tat allein an der mangelnden Schuldfahigkeit des Taters scheitert und nicht auch aus Gründen wie einem strafbefreienden Rücktritt (§ 24 StGB) oder einem fehlenden Strafantrag 52 . Wenn aus diesen oder anderen Rechtsgründen die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus scheitert, kann der Schutz der Allgemeinheit allein über außerstrafrechtliche Maßnahmen erreicht werden. Ein Ausweg, der sich auch anbietet, wenn das strafprozessuale Verbot der reformatio in peius einer strafrechtlichen Unterbringung entgegensteht. Eine allgemeingültige Antwort auf das Verhältnis der strafrechtlichen und landesrechtlichen Unterbringungsarten kann und soll in dieser Arbeit nicht gesucht werden. Nur soviel ist zu sagen, daß das Strafrecht die "schärfste", die die Rechtgüter des einzelnen am erheblichsten treffende Waffe der Gesellschaft ist. Unabhängig von seinem Ausgang kann allein die Durchführung eines strafrechtlichen Verfahrens für den Betroffenen belastend und nach außen hin stigmatisierend wirken. Daraus folgt zwingend der ultimative Charakter des Strafrechts. Daher kommt bei einem grundsätzlichen Nebeneinander der landesrechtlichen Unterbringungsarten und der strafrechtlichen nach den §§ 63 und 64 StGB den ersten tier Vorrang zu, sofern der Besserungszweck unter gleichzeitiger Beachtung des Sicherungsgedankens gleichwertig auch durch diese Maßnahmen erreicht werden kann. Nur eine einzelfallorientierte flexible Betrachtung kann im Gegensatz zu allgemeingültigen Regeln im Interesse des einzelnen die richtige Behandlung gewähren, wobei der Vorrang in der Regel der weniger stigmatisierenden Maßnahme gebührt. Darin zeigt sich der allgemeine Vorrang der weniger belastenden landesrechtlichen Unterbringungsarten, in denen der Fürsorgecharakter stärker verkörpert ist. Das Strafrecht hat gegenüber den einen gleichen Schutz gewährenden Maßnahmen, die im Rahmen eines vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens nach den §§ 70 ff. FGG angeordnet werden können, im Grundsatz zurückzutreten. Dem steht nicht entgegen, daß einzelne landesrechtliche Vorschriften wie § 8 Abs. 2 Berliner PsychKG einen Vorrang der strafrechtlichen Unterbringungsformen bestimmen, wonach eine landesrechtliche Unterbringung gar nicht erst angeordnet werden darf oder aber wieder aufgehoben werden muß, wenn eine Unterbringung nach den §§ 63, 64 StGB, § 7 JGG oder §§ 81, 126 a StPO angeordnet worden ist. Es obliegt nicht dem Landesgesetzgeber, den Anwendungsbereich seines Rechtes gegenüber dem Bundesrecht zu bestimmen. Nur dort, wo das BundesBGHSt. 31, 132, 135. So der BGH in der genannten Entscheidung. Vgl. auch LK-Hanack, Rdn. 34 f. zu § 63 ffi. w. N.; ebenso Sch. / Sch. / Stree, Rdn. 6, 9 zu § 63; Lackner / Kühl, Rdn. 2 zu § 63; SKStGB-Horn, Rdn. 3, 8 f. zu § 63; NK-Böllinger, Rdn. 74 ff. zu § 63. 51

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

recht das Konkurrenzverhältnis genauso sieht, können diese Regelungen beachtlich sein. Jedoch ist infolge des subsidiären Charakters der strafrechtlichen Unterbringung in der Regel schon deren Anordnung nachrangig, da die landesrechtlichen Unterbringungsformen gleiche oder gar bessere Behandlungsmethoden bieten werden und stärker als die strafrechtlichen Unterbringungsarten vom Fürsorgecharakter getragen sind. Nun mag der Einwand erhoben werden, daß, wenn im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht möglich ist und wenn in dem folgenden landesrechtlichen Unterbringungsverfahren das Vormundschaftsgericht den Fall anders beurteilt, im Ergebnis trotz einer bestehenden Gefahr künftiger Straftaten gar keine Unterbringung angeordnet wird, da eine Bindung der Gerichte nicht möglich ist. Diesem Einwand ist mit dem Hinweis auf die Verantwortlichkeit der Gerichte zu begegnen. Die Gerichte werden im Bewußtsein ihrer Verantwortung für die zu schützende Gesellschaft und den zu schützenden Einzelnen die richtigen Entscheidungen treffen. Mögen Irrtümer auch nie auszuschließen sein, die Lösung kann nicht darin liegen, sicherheitshalber die strafrechtliche Unterbringung anzuordnen, wenn vorrangig weniger stigmatisierende Maßnahmen zur Hand sind. Mit dem Verweis auf die landesrechtlichen Unterbringungsgesetze soll dem Vorwurf entgegengewirkt werden, daß die Allgemeinheit nicht ausreichend vor Straftätern geschützt wird, wenn eine nachträgliche strafrechtliche Unterbringung im Rechtsmittelverfahren nicht möglich ist. Ein zweites Argument gegen den zu erwartenden Einwand des unzureichenden Schutzes der Allgemeinheit gegen drohende erhebliche Straftaten liegt darin, daß die Wahrung der Belange der öffentlichen Sicherheit der Staatsanwaltschaft anvertraut ist53 . Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft dahin zu wirken, dem Gesetz für und wider den Angeklagten Geltung zu verschaffen. Lassen sich Anhaltspunkte für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beim Angeklagten erkennen und unterläßt das Erstgericht die zum Schutz der Allgemeinheit notwendige Anordnung, obliegt es der Staatsanwaltschaft, Rechtsmittel zu erheben, und wenn dies zuungunsten des Angeklagten geschieht, entfaltet sich die inhaltliche Begrenzung des Verbots der reformatio in peius als Schutz des Angeklagten nicht. Wie alle anderen Maßregeln kann dann auch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Rechtsmittelverfahren angeordnet werden. Wird aber staatlicherseits kein Rechtsmittel zu Lasten des Angeklagten eingelegt, verwirkt die staatliche Strafverfolgung ihren Anspruch auf eine weitere Sanktionierung des betroffenen Angeklagten auch im Maßregelbereich. Gleiches gilt für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Als weiterer Einwand gegen die geforderte Gesetzesänderung ist der Hinweis zu erwarten, daß auch nach der in dieser Arbeit geforderten Korrektur der strafprozessualen Vorschriften zum Verbot der reformatio in peius die gesetzliche Möglichkeit besteht, den Betroffenen nachträglich in ein psychiatrisches Krankenhaus oder eine Entziehungsanstalt einzuweisen. Das gestattet § 67 a StGB, der aus Resozialisie53

Siehe BGHSt. 38, 362, 364.

4. Kap.: Die freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung

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rungsgründen einen nachträglichen Austausch dieser beiden Maßregeln untereinander erlaubt bzw. deren Anordnung im Austausch mit der Sicherungsverwahrung zuläßt. Diese gesetzliche Regelung gewährt die Möglichkeit, daß der Untergebrachte im Maßregelvollzug der individuell am besten geeigneten Behandlungsart zugewiesen wird. Die nach § 67 a StGB zulässige Überweisung in den Vollzug der anderen Maßregel bedeutet aber nicht deren Anordnung. Die ursprüngliche Anordnung ist weiterhin gesetzliche Grundlage für die Unterbringung. Stellt sich etwa heraus, daß die therapeutischen Möglichkeiten einer Entziehungsanstalt im Einzelfall nicht ausreichend sind, um einen mit Alkohol- oder Rauschmittelsucht verbundenen psychischen Krankheitszustand zu behandeln, kann nach § 67 a StGB der Betroffene in ein psychiatrisches Krankenhaus überwiesen werden, und zwar von der zuständigen Strafvollstreckungskammer (§§ 463 Abs. I, 5, 462 und 462 a StPO). Die eigentliche Grundlage der Unterbringung ist aber weiterhin § 64 StGB und nicht § 63 StGB, insbesondere die Dauer der Unterbringung bestimmt sich danach und verbleibt bei zwei Jahren (§ 67 d StGB). Dies wird ausdrücklich in § 67 a Abs. 4 StGB geregelt, wodurch eine Benachteiligung des Verurteilten wie auch eine Bevorteilung im umgekehrten Fall verhindert wird. Insgesamt betrachtet ist § 67 a StGB eine reine Vollzugsregelung, wie es auch die vergleichbare Regelung des § 9 StVollzG54 ist, durch den die Maßregel der Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt der Vollzugslösung zugeführt wurde. § 67 a StGB läßt einen Vollzugsaustausch allein aus Gründen der Resozialisierung zu. Er hat aber keinerlei Berührung mit dem Komplex des Rechtsmitte1verfahrens, zumal die Vorschrift in Abs. 4 gerade eine Benachteiligung verhindert. Abschließend läßt sich zusammenfassen, daß Hilfe und Fürsorge Geisteskranker, und zwar auch geisteskranker Straftäter, und Süchtiger zuerst eine Aufgabe der Gesundheits- und Sozialpolitik und daher zuerst eine Aufgabe des Fürsorge- und Sozialrechts und nicht des Strafrechts ist. Dies ist auch zu berücksichtigen, wenn es darum geht, ob die strafrechtliche Unterbringung nach § 63 oder § 64 StGB anzuordnen ist.

c) Forderung an den Gesetzgeber

Nach alldem ist die Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius nicht zu rechtfertigen. Sowohl hinsichtlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als auch hinsichtlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist klarzustellen, daß diese Maßregeln dem Verbot unterfallen und nach dem hier erarbeiteten Standpunkt untereinander und auch mit anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht austauschbar sind. Wenn im Laufe eines zugunsten des Angeklagten initiierten Rechtsmittelverfahrens nach diesem Ergebnis die Anordnung der Maßnahmen nach den §§ 63 und 64 StGB nicht mehr möglich ist, ist auf 54

Mit Gesetz zur Änderung des StVollzG vom 20.12. 1984, BGBI. 1,1654.

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2. Teil: Das Verschlechterungsverbot bei den Maßregeln

die Unterbringungsgesetze der Länder zurückzugreifen, die sowohl psychisch Kranke als auch Süchtige als Personenkreis erfassen. Die die Ausnahme vom Verbot der reformatio in peius regelnden Vorschriften in den §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 Satz 2 und 373 Abs. 2 Satz 2 StPO sind aus verfassungsrechtlichen Gründen zu korrigieren. Zur KlarsteIlung sollte vom Gesetzgeber stattdessen folgender Satz in die Vorschriften zum Verschlechterungsverbot eingefügt werden: Eine nachträgliche Anordnung der Maßregeln der Besserung und Sicherung ist weder im Austausch mit anderen Rechtsfolgen noch zusätzlich erlaubt.

2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Eine Arbeit, die sich mit den Maßregeln der Besserung und Sicherung befaßt, muß auch auf ausgewählte Fragestellungen der tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Maßregel eingehen. In diesen offenbart sich in anschaulicher Weise die grundlegende Verschiedenartigkeit und Unvergleichbarkeit der Maßregeln untereinander, was Auswirkungen für das Verschlechterungsverbot zeitigt. a) Die künftige Gefährlichkeit der Täters

Gleichlautend in allen drei Vorschriften zu den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung ist die Anordnung an die Erwartung erheblicher Straftaten gebunden. Die individuelle Gefährlichkeitsprognose muß auf solche Taten gerichtet sein. In allen drei Unterbringungsarten ist der Begriff der Erheblichkeit in seiner Bedeutung mit Schwierigkeiten behaftet und in seinem Umfang schwer zu erfassen, so daß der deliktische Anwendungsbereich der jeweiligen Maßregel strittig ist. Daß der Begriff bezüglich der drei freiheitsentziehenden Maßregeln nicht dieselbe Bedeutung haben kann, ist begreiflich, da die einzelnen Maßregeln unterschiedliche Formen der Gefährlichkeit und Persönlichkeit erfassen und in ihrem Präventionszweck bezogen auf das betroffene Individuum im Schwerpunkt der Besserung oder Sicherung in einem unterschiedlichen Maß akzentuiert sind. Für die Maßregel gemäß § 63 StGB verfolgt die Rechtsprechung 55 die Richtung, daß zumindest Straftaten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität zu erwarten sein müssen, um die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen, während zu erwartende Taten aus dem Bereich der Kleinkriminalität als bloße Belästigungen nicht ausreichen. Einen Fall von künftig zu erwartender Kleinkriminalität zeigt eine Entscheidung des Kammergerichts Berlin56 . SS

390.

BGH NStZ 1995, 228; BGHSt. 27, 246, 248; BGH JR 1977, 169; KG Berlin JR 1992,

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In einem Sicherungsverfahren (§§ 413 ff. StPO) mit dem Ziel der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus waren in der Antragsschrift 111 Fälle von Diebstählen aus Einzelhandelsgeschäften und 28 Fälle des Betruges, insbesondere Zechprellereien, in der Zeit von 1988 bis 1991 angeführt. Der jeweilige geringe wirtschaftliche Schaden der einzelnen Fälle veranlaßte das Kammergericht,