Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945 9783598440922, 9783598117671

This is the first comprehensive and comparative survey of resistance to National Socialism and Fascism in Europe. The Ha

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German Pages 383 [395] Year 2010

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Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
I. Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“
II. Widerstand im besetzten Nord- und Westeuropa
III. Widerstand im besetzten Ostmittel- und Osteuropa
IV. Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa
V. Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil
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Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945
 9783598440922, 9783598117671

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Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945

Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945

Herausgegeben von

Gerd R. Ueberschär unter Mitarbeit von Peter Steinkamp

De Gruyter

Bildnachweis Cover: Straßensperre beim Volksstreik in Nørrebrogade, Kopenhagen, 30. Juni 1944, während der deutschen Besatzung Dänemarks. Frihedsmuseet /The Museum of Danish Resistance 1940–1945. Kopenhagen, Dänemark.

Kartennachweis Karte 1: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 4: Horst Boog, Jürgen Förster, Joachim Hoffmann, Ernst Klink, Rolf-Dieter Müller und Gerd R. Ueberschär. Der Angriff auf die Sowjetunion. Stuttgart 1983. Karte 2: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 5: Bernhard R. Kroener, Rolf-Dieter Müller und Hans Umbreit. Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs. Halbbd. 2: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942 bis 1944/45. Stuttgart 1999.

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus / herausgegeben von Gerd R. Ueberschär ; unter Mitarbeit von Peter Steinkamp. p. cm. Includes bibliographical references. ISBN 978-3-598-11767-1 (acid-free paper) 1. Anti-fascist movements–Europe–History–20th century. 2. Anti-Nazi movement–Europe–History–20th century. 3. Europe–Politics and government–19181945. 4. Europe–Politics and government–1945- I. Ueberschär, Gerd R. II. Steinkamp, Peter, 1968D726.5.H32 2011 940.53–dc22 2010048119 ISBN 978-3-598-11767-1 e-ISBN 978-3-598-44092-2 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

© 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York. Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und buchbinderische Verarbeitung: Strauss GmbH, Mörlenbach ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort des Herausgebers Mehrere Staaten und Völker Europas gerieten in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkrieges zu verschiedenen Zeiten unter die Herrschaft von Faschismus und Nationalsozialismus. Abgesehen von den beiden Ursprungsländern der faschistischen Diktaturen, Italien und Deutsches Reich, kamen die meisten Nationen erst im Krieg unter die faschistische und NS-Gewaltherrschaft. Dies geschah überwiegend aufgrund der Besetzung der einzelnen Länder, nachdem sie militärisch besiegt worden waren, wobei die Niederlage und der damit verbundene Verlust der Souveränität besondere, sich auf die Haltung der Bevölkerung negativ auswirkende Ereignisse waren, so dass den unterworfenen Völkern in besonderem Maße ihre Machtlosigkeit gegenüber den Besatzern demonstriert wurde. Dies hatte zweifellos Einfluss auf die Herausbildung erster Widerstandsformen. Zudem befand sich jede Zivilbevölkerung, die sich gegen die Besatzungsmacht auflehnte, auf äußerst gefährlichem Terrain, denn die Haager Landkriegsordnung von 1899 (1907 modifiziert) räumte den Bewohnern eines besetzten Gebietes kein festgeschriebenes Widerstandsrecht ein. Nur im Falle von Partisanentätigkeit wurde der Kombattantenstatus anerkannt, wenn bestimmte Regularien offen eingehalten wurden. Ansonsten musste mit der Todesstrafe gerechnet werden. Ein Erlass des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, vom 16. September 1941 über die „Bekämpfung kommunistischer Aufstandsbewegungen in den besetzten Gebieten“1 machte dies auch in Bezug auf den Aufruhr „nationalistischer und anderer Kreise“ sehr deutlich. Keitel befahl die Anwendung „schärfster Mittel“ und „ungewöhnlicher Härte“, „um die Autorität der Besatzungsmacht durchzusetzen“ und verfügte darüber hinaus, dass für jeden durch mögliche Anschläge getöteten deutschen Soldaten 50 bis 100 sogenannte Kommunisten erschossen werden sollten. Vor dem Hintergrund der wiederholten Androhung der Todesstrafe für Spionagehandlungen und Sabotageakte war die Entscheidung der einheimischen Bevölkerung zu bestimmten Formen des Widerstandes gegen die Besatzungsmacht oft eine lebensgefährliche Gratwanderung. Schon bald nach dem Kriegsende im Mai 1945 war es gerade für jene Staaten wichtig, die während des Zweiten Weltkrieges unter deutscher oder italienischer Besatzungsherrschaft gestanden hatten, den Nachweis zu bringen, dass sie die Okkupationsmacht nicht nur geduldet, akzeptiert oder gar mit ihr kollaboriert hatten, sondern dass es auch einen umfangreichen und effektiven Widerstand gegen die faschistische oder nationalsozialistische Besatzung gegeben hatte. Nicht selten hat man deshalb den Widerstand gegen die deutsche und italienische Herrschaft als überaus aktive Bewegung dargestellt, die wesentlichen Anteil an der Niederlage der beiden Regimes von Mussolini und Hitler hatte. Es entwickelte sich ein Mythos vom mächtigen nationalen Widerstand, dessen Formen und Handlungen sehr weitgehend und vielfältig definiert wurden. Allerdings entsprachen viele heroische Darstellungen des jeweiligen nationalen 1

Abdruck des Erlasses in: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. „Unternehmen Barbarossa“ 1941. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär und Wolfram Wette. Frankfurt am Main 1997, S. 305 f.

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Vorwort

Widerstandes nicht immer den Fakten oder dem realen Anteil der Widerstandsgruppierungen am Zustandekommen des Sieges über Mussolini und Hitler. Nach wie vor wird über die Beteiligung der Widerstandsgruppen an der Befreiung der einzelnen Länder von der NS-Herrschaft gestritten. Schon bei zwei früheren internationalen Konferenzen in den Jahren 1958 und 1960 wurde die Bewertung des Wirkungsvermögens der jeweiligen Auflehnung gegen die Besatzer und die Problematik der Beziehung der nationalen Widerstands- und Partisanengruppen zu den Alliierten und deren Kriegsanstrengungen erörtert.2 Denn die Alliierten nutzten die Möglichkeiten von Partisaneneinsätzen als operativer Teil ihrer eigenen Kriegführung nur sehr selten. Sicher haben auch die unterschiedlichen Formen des Widerstandes in den einzelnen Ländern eine reale und vergleichbare Einstufung der Wirksamkeit des Kampfes gegen Hitler und Mussolini erschwert. Denn als es Hitler innerhalb von zwei Jahren nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 gelang, große Teile Europas nach entsprechenden Siegen der deutschen Wehrmacht unter seine Herrschaft zu bringen, wurden diese Staaten von den Besatzungsmächten mit Hilfe ganz unterschiedlicher Formen der Besatzungsherrschaft verwaltet und regiert. Die verschieden aufgebauten Verwaltungssysteme riefen auch ganz unterschiedliche Formen des Widerstandes hervor. Von Beginn an stand der Widerstand gegenüber den Besatzungsdienststellen und deren Anordnungen und Erlassen in den einzelnen Ländern in einem Spannungsverhältnis zur Politik der Anpassung und Kollaboration. Regierungen und Bevölkerungen der besetzten Länder mussten sich zwischen Duldung und Konfrontation gegen die neue NS-Herrschaft entscheiden. Dies geschah nicht einheitlich. Widerstand und Kollaboration lagen dabei sehr dicht beieinander; sie erfolgten manchmal parallel zur gleichen Zeit oder auch im engen zeitlichen Wechsel. Im Mittelpunkt der in diesem Handbuch zusammengestellten Beiträge steht die Darstellung des Widerstandes und nicht so sehr die Formen der Kollaboration mit den Besatzern während der Kriegsjahre 1939 bis 1945. Gleichwohl werden in den Beiträgen auch Aspekte der Kooperation und Anpassung an die Besatzungsmacht vergleichend herangezogen. Auch die unterschiedlichen Besatzungsformen der deutschen und italienischen Okkupationsherrschaft können hier nicht detailliert analysiert und beschrieben werden. Vielmehr werden in vergleichender Betrachtungsweise die unterschiedlichen Widerstandsmöglichkeiten und -formen in den einzelnen europäischen Ländern untersucht und dargestellt. Der Widerstand in den einzelnen Ländern reichte dabei von symbolischen Verweigerungs- und Protestformen sowie direkten Streikformen bis zu organisierten Untergrundtätigkeiten und bewaffneten Kämpfen von Partisanenorganisatio-

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European Resistance Movements 1939–1945. First International Conference on the History of the Resistance Movements held at Liège-Bruxelles-Breendonk 14–17 September 1958. London 1960; European Resistance Movements 1939–1945. Second International Conference on the History of the Resistance Movements, Milan 1960. London 1964; ebenso: Europäischer Widerstand im Vergleich. Die internationalen Konferenzen Amsterdam. Hrsg. v. Ger van Roon. Berlin 1985.

Vorwort

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nen mit Attentaten und Sabotageanschlägen gegen Personen und Einrichtungen der Besatzungsmächte. Der Band kann dazu beitragen, das Selbstverständnis europäischer Gesellschaften, die sich auf die Geschichte in der NS-Epoche beziehen, präziser zu erfassen. Es war und ist jedoch nicht möglich, eine feste Definition vom Widerstand in den besetzten Ländern als Regelform vorzugeben, an dessen Inhalt dann das oppositionelle Verhalten einer Bevölkerung als konkrete Widerstandsform nach einer Skala eingeteilt und bewertet werden kann. Zudem ist zu beachten, dass sich manche oppositionelle Handlungen nicht nur gegen die NS-Besatzungsherrschaft, sondern ebenso gegen das Kollaborationsverhalten im eigenen Land richteten. Ähnlich wie im Deutschen Reich stammten auch in vielen europäischen Ländern die Gegner des Nationalsozialismus und Faschismus aus unterschiedlichen Bevölkerungskreisen. Auch die Motive ihres Handelns waren sehr vielfältig; nicht selten bündelte sich in der Widerstandstätigkeit eine Vielzahl von Motiven, die durch verschiedene Erfahrungen mit der fremden Besatzungsmacht bestimmt waren. Mehrere dieser Problematiken und Fragen werden in den Beiträgen des Sammelbandes aufgegriffen und beschrieben. Inzwischen gibt es einige Veröffentlichungen, die detailliert den Widerstand einzelner Länder untersuchen. Eine Reihe von Publikationen präsentiert die Besatzungszeit der betroffenen Länder in Verbindung mit den Holocaust-Verbrechen3 oder als „Leben mit dem Feind“ im Spannungsverhältnis zwischen Kollaboration und Widerstand; darunter ist die umfassende Arbeit von Werner Rings zu nennen.4 Ferner liegt ein von Bob Moore herausgegebener Sammelband zum Widerstand in Westeuropa vor – allerdings nur in englischer Sprache.5 Der vorliegende Band beschäftigt sich mit allen Teilen Europas, die vor dem Zweiten Weltkrieg oder im Verlauf des Krieges unter Besetzung durch Nationalsozialismus und Faschismus gerieten. Die Beiträge bieten einen Zwischenbericht zum derzeitigen Forschungsstand; zugleich können sie mit Hilfe der in den Einzelbeiträgen aufgeführten Archiv- und Literaturhinweise eine weitere Beschäftigung mit dem Thema „Widerstand in Europa“ ermöglichen. Nicht immer konnte diese Absicht auf der Grundlage gesicherter und veröffentlichter Forschungsergebnisse in den einzelnen Ländern erfolgen; teilweise kann das Thema nur in Form einer Forschungsskizze umrissen werden, da detaillierte Studien noch nicht vorliegen. Dies gilt insbesondere für die Situation der Historiographie in den ehemaligen „Ostblockstaaten“ Ostmittel-, Ost- und Südosteuropas, wo die Ge3

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Anpassung – Kollaboration – Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation. Hrsg. v. Wolfgang Benz, Johannes Houwink ten Cate und Gerhard Otto. Berlin 1996; Besatzung, Kollaboration, Holocaust. Neue Studien zur Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Hrsg. v. Johannes Hürter und Jürgen Zarusky. München 2008; Widerstand in Europa. Zeitgeschichtliche Erinnerungen und Studien. Hrsg. v. Michael Kißener, Harm-Hinrich Brandt und Wolfgang Altgeld. Konstanz 1995. Werner Rings: Leben mit dem Feind. Anpassung und Widerstand in Hitlers Europa 1939–1945. München 1979 (Schweizer Ausgabe u. d. T.: Europa im Krieg 1939–1945; holländische Ausgabe: Amsterdam 1981; engl. Ausgabe u. d. T.: Life with the Enemy. Collaboration and Resistance in Hitler’s Europe 1939–1945. London, New York 1982). Resistance in Western Europe. Ed. by Bob Moore. Oxford 2000.

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Vorwort

schichtsschreibung erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetherrschaft 1990 wissenschaftliche Standards zugrundelegt. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bandes für die Kooperationsbereitschaft während der zeitlich langen und gelegentlich schwierigen Phase des Entstehens dieses mit vielen ausländischen Beiträgen ausgestatteten Sammelwerkes. Mein Dank gilt auch Herrn Dr. Peter Steinkamp, Freiburg, der mich tatkräftig bei der Herausgabe des Werkes in der Schlussphase unterstützt hat. Dem K. G. Saur und Walter de Gruyter Verlag danke ich für die entgegengebrachte geduldige Unterstützung beim Sammeln der Beiträge sowie Frau Barbara Fischer und Dr. Julia Brauch für die engagierte verlegerische Betreuung, ebenso Frau Frederike von Sassen für die redaktionelle Arbeit.

Freiburg, Oktober 2010

Gerd R. Ueberschär

Inhaltsverzeichnis I. Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“ Deutsches Reich: Gegner des Nationalsozialismus im „Dritten Reich“ 1933–1945 Gerd R. Ueberschär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Italien: „Resistenza“ gegen Faschismus und Nationalsozialismus 1943–1945 Steffen Prauser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Österreich: Gegen den Nationalsozialismus 1938–1945 Wolfgang Neugebauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Rumänien: Forschungsskizze zum Widerstand gegen den eigenen „Faschismus“ Hans-Christian Maner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Bulgarien: Die Widerstandsbewegung 1941–1944 Nikolaj Poppetrov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Ungarn: Zwischen Anpassung und Auflehnung Georg Kastner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

II. Widerstand im besetzten Nord- und Westeuropa Dänemark: Widerstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit – der Mythos vom dänischen Volk im Freiheitskampf gegen die Deutschen Karl Christian Lammers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Norwegen: Der Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht 1940–1945 Dirk Levsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Frankreich: Résistance gegen Kollaboration und Besatzungsmacht 1940–1944 Steffen Prauser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Niederlande: Anpassung – Opposition – Widerstand Bob Moore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Belgien: Der Widerstand gegen die NS-Okkupation 1940–1945 Benoît Majerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Luxemburg: Widerstand während der deutschen Besatzungsherrschaft 1940–45 Paul Dostert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Britische Kanalinseln: Der Widerstand gegen die deutsche Okkupation 1940–45 Olaf Schröter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

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Inhaltsverzeichnis

III. Widerstand im besetzten Ostmittel- und Osteuropa Protektorat Böhmen und Mähren: Widerstand im besetzten tschechischen Gebiet 1939–1945 Jaroslava Milotová . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Polen: Der nationale Widerstandskampf 1939–1945 Krzysztof Ruchniewicz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Besetzte Westgebiete der Sowjetunion (Russland, Ukraine, Weißrussland) Bernd Bonwetsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Transnistrien: Legende und Wirklichkeit des Kampfes gegen die rumänisch-deutsche Besatzungsherrschaft Herwig Baum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Litauen: Zwischen Scylla und Charybdis 1940–1945 Joachim Tauber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Lettland: Kommunistischer und „nationaler“ Widerstand 1940/41–1945 Kārlis Kangeris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Estland: Zwischen zwei Besatzern: Dissens und nationale Opposition 1940–1945 Karsten Brüggemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Besetzte Kaukasus-Gebiete Daniel Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Slowakei: Widerstand gegen Tiso-Regime und nationalsozialistische Vorherrschaft Martin Zückert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

IV. Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa Besetzte jugoslawische Gebiete Kroatien, Serbien, Montenegro und BosnienHerzegowina Holm Sundhaussen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Besetztes jugoslawisches Gebiet Slowenien Sabine Rutar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Besetztes jugoslawisches Gebiet Makedonien Heinz Willemsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Albanien: Widerstand gegen die italienische Besetzung und die deutsche Besatzung Peter Bartl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Griechenland: Das Land der „Versklavten Sieger“ Hagen Fleischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299

Inhaltsverzeichnis

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V. Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil Das deutsche Exil in der Sowjetunion 1933–1945 Gerhart Hass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Die deutschsprachige politische Emigration nach 1933 in Mittel-, West- und Nordeuropa sowie in Übersee Hartmut Mehringer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Widerstandsaktivitäten des italienischen Exils Leonardo Rapone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Emigrierte und vertriebene Hitlergegner im militärischen Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus auf alliierter Seite Gerd R. Ueberschär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

VI. Anhang Auswahlbibliographie zum Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus in Europa 1933/39–1945 (zusammengestellt von Gerd R. Ueberschär) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Orts- und Länderregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377

I. Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

Deutsches Reich: Gegner des Nationalsozialismus im „Dritten Reich“ 1933–1945 Gerd R. Ueberschär Aus Erkenntnis während der politischen Gegnerschaft zur NS-Bewegung vor 1933 formulierten die „links“ stehenden Parteien die Parole „Hitler bedeutet Krieg“.1 Trotz dieser klaren Losung ging die oppositionelle Einstellung gegen Hitler nach dessen Machtantritt als Reichskanzler am 30. Januar 1933 erst einmal zurück. Sozialdemokratische und kommunistische Arbeiterkreise spekulierten nach der Machtübernahme der NSDAP über die Dauer der neuen Reichsregierung. Sie waren überzeugt, Hitlers Kabinett werde wie die früheren Präsidialregierungen alsbald scheitern. Vor dem Hintergrund dieser Erwartung sahen Kommunisten und Sozialdemokraten anfangs keine Notwendigkeit, sogleich eine illegale Kampfgemeinschaft gegen die Hitler-Regierung zu bilden. Es unterblieb jegliche Absprache zwischen den politischen Gruppierungen der Arbeiterbewegung. Dagegen nutzte die NS-Regierung die neue Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933, um politische Gegner wie Sozialdemokraten und Kommunisten sogleich rücksichtslos zu verfolgen und zu verhaften. Zudem kam es zur umfassenden Gleichschaltung vieler politischen Parteien, Vereine sowie sonstiger Berufs- und Gesellschaftsorganisationen, so dass es zum Nationalsozialismus kritisch und ablehnend eingestellten Bürgern schwer fiel, politischen Rückhalt zu finden. Getrennt gingen KPD und SPD in die Illegalität, nachdem viele führende Funktionäre verhaftet und die Parteien verboten worden sowie mehrere Hitlergegner ins Exil gegangen waren.2 Die KPD konnte dabei auf die immerhin örtlich vorbereitete Bildung illegaler Kader und kleiner Zellen zurückgreifen. Ziel des verdeckten Kampfes war nicht der Sturz der NS-Regierung, sondern die politische Information durch Verteilung von Handzetteln und Flugblättern sowie das Aufmalen po1itischer Parolen gegen Hitler, um den Propagandalügen des seit 13. März 1933 neugeschaffenen Reichsministeriums für Volksaufklärung unter Joseph Goebbels entgegenzutreten. Für einen umfassenden Widerstand mit Massenaktionen, etwa einen Generalstreik, fehlte in diesen Jahren die Basis in der Bevölkerung. Diese begrüßte überwiegend den neuen NS-Aufbruch in Staat und Gesellschaft. Nach mehreren Verhaftungswellen durch die Gestapo ab 1933 und durch die durchgeführten Prozesse war der kommunistische Untergrund erheblich dezimiert und auf sich allein gestellt. Auch nach dem Bündnisangebot der KPD an die SPD im August 1935, den illegalen Kampf gegen den Nationalsozialismus als gemeinsame Volksfrontpolitik fortzuführen, kam es zu keinem organisatorisch vereinten Widerstand beider Arbeiterparteien. Zudem waren 1

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Detaillierte Belege zu den einzelnen Widerstandsgruppen finden sich für den nachfolgenden Überblick bei Ueberschär, Für ein anderes Deutschland. Vgl. dazu auch die Beiträge von Gerhart Hass und Hartmut Mehringer in diesem Band, S. 311 ff. und S. 325 ff.

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Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

Bemühungen zur Bildung einer innerdeutschen Volksfront wenig aussichtsreich, da Hitler beeindruckende Erfolge in der Außen- und Revisionspolitik des Versailler Vertrages vorweisen konnte. Der Diktator fand dadurch in der deutschen Bevölkerung überwiegend Zustimmung. Bei der SPD hatte man es vor 1933 versäumt, sich frühzeitig auf die Illegalität vorzubereiten. Nach Hitlers Machtantritt zogen sich viele Mitglieder resigniert aus der politischen Arbeit zurück. In kleinen Gesinnungsgemeinschaften wartete man die politische Entwicklung ab und spekulierte auch nach dem Verbot der politischen Betätigung der SPD am 22. Juni 1933 auf ein baldiges Ende der NS-Herrschaft. Der Parteivorstand wich ins Ausland aus. Nur allmählich kam es über die alten persönlichen Kontakte zu neuen Kristallisationspunkten für eine geheime Arbeit gegen das NS-Regime. Ansätze für einen organisierten Widerstand aus der Arbeiterbewegung wurden durch erfolgreiche Verhaftungsaktionen der Gestapo gegen ehemalige Sozialdemokraten immer wieder verhindert und zerstört. Deren Mitglieder wurden durch den seit dem 24. April 1934 neu eingerichteten „Volksgerichtshof“ zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.3 Auch die vielfältigen illegalen Tätigkeiten der kleineren sozialistischen Gruppierungen, wie der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP, SAPD), des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK), der Gruppe „Neubeginnen“ und der Revolutionären Sozialisten Deutschlands konnten von der NS-Führung bis zum Kriegsbeginn 1939 weitgehend ausgeschaltet werden. Ein flächendeckendes und übergreifendes Widerstandsnetz konnte dadurch nicht aufgebaut werden. Ebenso blieb oppositionelles Verhalten im Kreis der ehemaligen Mitglieder des am 5. Mai 1933 verbotenen ADGB nur auf wenige Personen konzentriert, wie z. B. die führende Rolle des früheren stellvertretenden Vorsitzenden des ADGB und hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner in linken Widerstandskreisen belegt. Letztlich bestand bis 1939 kein zielgerichteter politischer Kampf aus Arbeiterkreisen gegen die NS-Herrschaft als Ganzes. Unmittelbar nach Kriegsbeginn wurden Tausende ehemaliger SPD- und KPD-Funktionäre anhand vorbereiteter Verhaftungslisten vorübergehend oder für längere Zeit inhaftiert, um so jeglichen Protest oder möglichen Widerstand gegen Hitlers Kriegspolitik konsequent zu unterbinden. In den ersten Kriegswochen bestand dann auch weder ein geschlossener „Arbeiterwiderstand“ noch eine über das gesamte Reich verbreitete „Volksopposition“.4 Viele illegale kommunistische Gruppen warteten zudem nach dem Schock des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 wegen des neuen Moskauer Bündnisses mit Hitler irritiert und demotiviert neue Direktiven von der Kremlführung ab.5 Außerdem befand sich ein Teil bekannter und früher aktiver Kommunisten 3

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Isabel Richter: Hochverratsprozesse als Herrschaftspraxis im Nationalsozialismus. Männer und Frauen vor dem Volksgerichtshof 1934–1939. Münster 2001; Widerstand als „Hochverrat“ 1933–1945. Hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte. München 1988. Zu Literaturhinweisen zur „Volksopposition“ siehe Gerd R. Ueberschär: Gegner des Nationalsozialismus 1933–1945. Volksopposition, individuelle Gewissensentscheidung und Rivalitätskampf konkurrierender Führungseliten als Aspekte der Literatur über Emigration und Widerstand im Dritten Reich zwischen dem 35. und 40. Jahrestag des 20. Juli 1944. In: MGM, Bd. 35/1984, S. 141–196. Vgl. u. a. Wolfgang Leonhard: Der Schock des Hitler-Stalin-Paktes. München 1989.

Deutsches Reich

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und Sozialdemokraten auf der Flucht im Ausland oder im Exil. Der Rückgang formeller Widerstandsaktionen bei der Arbeiterschaft bis 1941/42 deutet auf eine deutliche Resignation hin, zumal der Alltag mit den restriktiven Zwangsmaßnahmen ab Kriegsbeginn eine Konzentration auf familiäre und häusliche Belange nahe legte. Die in den Stimmungsberichten von Gestapo und SD konstatierten Hauswandbeschriftungen und Unmutsäußerungen sind weniger politischen Widerstandsaktionen zuzuordnen als vielmehr Ausdruck einer im eingeschränkten Kriegsalltag zu registrierenden privaten Missstimmung und allgemeiner Meckerei. Nach den militärischen Erfolgen über Polen, Dänemark, Norwegen, Frankreich und den Benelux-Staaten 1939/40 waren oppositionell eingestellte Bürger weitgehend gesellschaftlich isoliert; denn man bejubelte vielmehr vehement die großen Siege. Einige ehemalige sozialdemokratische und gewerkschaftliche Funktionäre wie Wilhelm Leuschner, Ernst v. Harnack, Julius Leber, Carlo Mierendorff, Theodor Haubach, Emil Henk, Hermann Maaß und Adolf Reichwein waren allerdings in die Widerstandsgruppe um den früheren Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler, General Ludwig Beck und Hans Oster eingebunden und an deren Umsturzplänen beteiligt. Dabei bestanden auch Verbindungen zu Vertretern aus der katholischen Arbeiterbewegung und den ehemaligen christlichen Gewerkschaften, wie u.a. zu Jakob Kaiser, Josef Wimmer, Bernhard Letterhaus und Nikolaus Groß. Als Einzelaktion einer gewerkschaftlichen Arbeitersolidarität war der öffentliche Protest „arischer“ Berliner Fabrikarbeiterinnen in der Rosen- und Hamburger Straße anzusehen, die im Februar/März 1943 bei ihrer „Fabrik-Aktion“ durch tagelange Arbeitsverweigerungen die Inhaftierung und den Abtransport ihrer jüdischen Ehemänner und jugendlicher Arbeitskollegen nach Auschwitz aufzuhalten vermochten. Gleichwohl bestanden – auch in den Kreisen der militärischen Widerstandsgruppen – immer wieder erhebliche Zweifel, ob die Arbeiterschaft angesichts der bedrückenden Gestapo-Herrschaft und vielfachen positiven Einbeziehung in die NS-Volksgemeinschaft überhaupt für eine direkte Widerstandsaktion aktiviert werden könnte. Von Seiten der oppositionell eingestellten ehemaligen Arbeiterführer wurde zur gleichen Zeit die auslösende und entscheidende Umsturzaktion beim Kampf gegen das NS-Regime vom militärischen Widerstand erwartet. Es war bezeichnend für den unorganisierten Zustand der kritisch eingestellten ehemaligen linken Arbeiterschaft, dass das fast gelungene Attentat eines Arbeiters auf Hitler im November 1939 ohne Kontakt zu illegalen oppositionellen Arbeiterkreisen der früheren SPD und KPD oder der Gewerkschaften erfolgte. Dem am 8. November 1939 von dem Heidenheimer Tischler Johann Georg Elser ausgeführten Anschlag im Münchener Bürgerbräukeller entkam Hitler nur durch Glück und Zufall, da er früher den Saal verließ als dies bei den früheren alljährlichen Versammlungen zum Gedenken an den NS-Umsturzversuch vom 8. November 1923 in München üblich war.6 Elser hatte sein Bombenattentat mit Akribie vorbereitet und den selbst besorgten Sprengstoff nach mehrmonatiger Bastelei in einer Säule des Bürgerbräusaales deponiert. Mit seinem Anschlag auf Hitler, den er als „Kriegstreiber“ und „Exponenten“ des von ihm 6

Zu Literaturhinweisen siehe Ueberschär, Für ein anderes Deutschland, S. 62 ff.

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Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

abgelehnten NS-Staates ansah, wollte Elser einen neuen Weltkrieg verhindern. Seine Bombe explodierte wenige Minuten nach Hitlers Weggang. Sie tötete acht Personen im Saal und verletzte 63 schwer. Der Diktator erfuhr erst im Zug nach Berlin von dem beinahe gelungenen Attentat. Elser wurde noch am gleichen Tag beim versuchten Grenzübertritt in die Schweiz am Bodensee verhaftet und danach als Sonderhäftling in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. Kurz vor Kriegsende wurde er am 9.4.1945 auf Anordnung Hitlers und Himmlers im Konzentrationslager Dachau, ohne jemals vor Gericht gestellt worden zu sein, ermordet. Elsers Anschlag zählt zu den herausragenden Attentatsversuchen eines „Durchschnittsbürgers“, der aus eigener Überzeugung und Verantwortung gegen Hitlers verbrecherisches Regime aktiv gehandelt hat. Die militärischen Hitlergegner hatten sowohl bei der Vorbereitung eines ersten Staatsstreichversuches im Herbst 1938 als auch bei einem geplanten Umsturzversuch im Herbst/Winter 1939/40 die Erfahrung sammeln können, dass nicht nur die Frage der Eidesverpflichtung auf Hitler als Staatsoberhaupt und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, sondern auch die besonderen Erfolge seiner Kriegführung es erschwerten, selbst kritisch eingestellte Offiziere zur Beteiligung am militärischen Widerstand gegen den Diktator gewinnen zu können. 1938 und 1939/40 hatte eine kleine Gruppe von Offizieren unter Beteiligung von Generalstabschef General Franz Halder und der Generale Erwin v. Witzleben und Erich Hoepner versucht, die von Hitler geplanten Angriffe auf die ČSR und Frankreich zu verhindern. Der geplante Staatsstreich blieb allerdings jeweils aus, da in beiden Fällen die dafür gewünschte günstige außenpolitische Situation dafür nicht eintrat. Denn Hitler konnte vielmehr mit seiner Politik oder Kriegführung entsprechende Erfolge verzeichnen. Erst als sich nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad die militärische Situation des Dritten Reiches im Krieg verschlechterte und neue Siege ausblieben, verbreiterte sich die Basis der bisherigen militärischen Widerstandsgruppe um Generaloberst a. D. Ludwig Beck. Jüngere Offiziere um Henning v. Tresckow, Claus Schenk Graf v. Stauffenberg, Cäsar v. Hofacker, Hellmuth Stieff und Fritz-Dietlof Graf v. d. Schulenburg bildeten mehrere Widerstandszentren in Paris, Berlin, Wien, im Mittelabschnitt der Ostfront und auch im „Führerhauptquartier“. Parallel dazu trafen sich jüngere zivile Hitlergegner ab 1942/43 auf dem Gut der Familie v. Moltke bei Kreisau in Niederschlesien zu mehreren konspirativen Zusammenkünften. Unter Leitung von Helmuth James Graf v. Moltke und Peter Graf Yorck v. Wartenburg sowie mit Beteiligung von NS-Gegnern aus verschiedenen politischen Gruppierungen, auch aus evangelischen und katholischen Kreisen, wie z. B. Adam v. Trott zu Solz, Eugen Gerstenmaier, Paulus v. Husen, Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp und Augustinus Rösch, erörterte man als oppositionelle „Denkfabrik“ in Kreisau, Berlin und Klein-Oels neue Vorstellungen über die deutsche Nachkriegsgesellschaft nach Beseitigung von Hitlers Diktatur. Ende 1943 kam der „Kreisauer Kreis“ in Kontakt mit der Gruppe um Claus Schenk Graf v. Stauffenberg, der zur treibenden Kraft der militärischen Widerstandsgruppe im Allgemeinen Heeresamt in Berlin unter General Friedrich Olbricht wurde.

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Schwierig war es in den Jahren 1942/43, Kontakt zu kommunistischen Widerstandsgruppen herzustellen, da diese keine eigene inländische geheime Reichsleitung der früheren KPD aufbauen konnten und durch wiederholte Spitzel- und Gestapoaktionen immer wieder zerschlagen; unregelmäßig war auch deren Verbindung zu ihrer Zentrale in Moskau. Letztlich scheiterte dann auch die Kontaktaufnahme des Kreisauer Kreises und der Gruppe um Graf v. Stauffenberg durch Julius Leber und Adolf Reichwein mit den KPD-Funktionären Anton Saefkow und Franz Jacob am 22.6.1944, da alle Beteiligten kurz darauf von der Gestapo verhaftet wurden, nachdem ein Spitzel sie verraten hatte. Zum Nationalsozialismus kritisch eingestellte Geistliche beider Kirchen hatten es zu Beginn der neuen NS-Regierung schwer, bei ihren vorgesetzten Stellen entsprechend Gehör zu finden, da man in den Kirchenleitungen anfangs von einer durchaus möglichen positiven Zusammenarbeit mit dem Nationalsozialismus ausging und dabei auch auf die Übereinkunft der Hitler-Regierung im Reichskonkordat mit der katholischen Kirche am 20. Juli 1933 oder auf den symbolischen Staatsakt in der evangelischen Garnisonkirche von Potsdam am 21. März 1933 verweisen konnte. Allerdings führten repressive Maßnahmen der NS-Regierung wie die Auflösung der katholischen Zentrumspartei Anfang Juli 1933 oder weitere Einschränkungen der gesellschaftspolitischen Arbeit beider christlichen Kirchen ab 1935/36 sowie rassenpolitische Aktionen des NS-Regimes zu entsprechendem Widerspruch in den Kirchen. Deutliche Kritik äußerten dabei die Bischöfe Clemens August Graf v. Galen und Konrad Graf v. Preysing. Vorerst wagte sich das Regime nicht an diese höheren Würdenträger heran, sobald jedoch lokale Pfarrer und Priester ähnliche Kritik öffentlich äußerten, wurden sie – wie z. B. der Berliner Domprobst Bernhard Lichtenberg – verfolgt und verhaftet oder sogar umgebracht. Mehrere Klöster und einige andere Organisationen der Kirchen, wie die Caritas oder das Kolpingwerk, wurden von SD und Gestapo fortlaufend beobachtet, um jeglichen Widerspruch oder Protest sofort erkennen und im Keim ersticken zu können. Vor dem Hintergrund des abgeschlossenen Konkordats kam es zu einem Rückzug der katholischen Kirche aus dem politischen Bereich, d. h. Kritik und Widerstand gegen NS-Maßnahmen waren aus Sicht der Kirchenleitung unangebracht, da sie zu politischen Verstrickungen mit der NS-Regierung führen mussten, die das Konkordat als ganzes letztlich gefährden konnten. Ein von Katholiken ausgehender konspirativer Kampf gegen Hitlers Herrschaft musste dadurch auf die Unterstützung der katholischen Kirchenleitung verzichten. Immerhin kritisierten einzelne Bischöfe, wie Kardinal Michael v. Faulhaber von München, die „Neuheidentums-Politik“ des Nationalsozialismus öffentlich und in mehreren Hirtenbriefen. Als Reaktion darauf kam es dann auch zu Gestapo-Maßnahmen gegen kirchliche Verlautbarungen in Broschüren, deren Verbreitung verhindert wurde. Deutlicher Widerspruch des Episkopats gegenüber dem NS-System entstand, als die NS-Führung versuchte, die Konkordatsvereinbarungen zu umgehen. Der Breslauer Erzbischof Kardinal Adolf Bertram richtete deswegen als Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz mehrere Eingaben an die Reichsregierung. Mit dieser kritischen

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„Eingabepolitik“ konnte man allerdings nicht verhindern, dass die katholischen Jugend- und Arbeitervereine Anfang 1939 verboten wurden. In seiner mit den deutschen Bischöfen abgestimmten und in deutscher Sprache formulierten Enzyklika „Mit brennender Sorge“ hat Papst Pius XI. die NS-Vorstellungen von Rasse und Volk als „Formen des Irrtums“ kritisiert. Die Enzyklika ermutigte die deutschen Katholiken, an ihren religiösen Grundsätzen trotz repressiver Aktionen des NS-Regimes festzuhalten und sie gegen staatliche Eingriffe zu verteidigen. Das Regime verstand die päpstliche Enzyklika dann auch als „offene Kampfansage“ und antwortete mit zusätzlichen Repressionsmaßnahmen. Gleichwohl unterblieb ein konsequenter oppositioneller Kurs der katholischen Kirche, wie ihn Berlins Bischof Graf v. Preysing empfahl. Populäre Prediger und Jesuitenpatres, die wie Rupert Mayer Kritik am NS-Regime äußerten, wurden konsequent verfolgt, angeklagt und verurteilt. Als Hitler am 1. September 1939 den Krieg gegen Polen begann, mussten die Kirchen die Einigkeit des Volkes in der Krisen- und Kriegssituation unterstützen und der eigenen Regierung ihre Loyalität bekunden. Nur sehr zaghaft setzte der seit März 1939 regierende Papst Pius XII. die Politik öffentlicher Verurteilungen ein, um bekannt gewordene NS-Verbrechen, wie z. B. den Holocaust an den Juden, zu kritisieren und anzuprangern. Bis zum Kriegsende behielt der Papst die später umstrittene Politik der politischen Neutralität gegenüber den Kriegsparteien bei. Allerdings hat sich Pius XII. mehrmals zu geheimen Vermittlungsgesprächen für ein Ende des Krieges bereit gefunden – auch als die militärische Widerstandsgruppe um General Halder und Oberst Oster sich im Winter 1939/40 um eine Kontaktaufnahme mit den Westmächten in Rom bemühte. Offen prangerte der Bischof von Münster Graf v. Galen in mehreren Predigten im Juli und August 1941 die Tötung von Geisteskranken und Invaliden als „Mord an Unschuldigen“ an. Mehrmals wiederholte er auch seine Kritik an willkürlichen Gewaltaktionen der Gestapo. Seine Predigten wurden sowohl im Reich als auch im Ausland heimlich verteilt und fanden umfangreiche Zustimmung. Hitler und Goebbels kamen danach in geheimer Absprache überein, gegen Graf v. Galen erst nach erfolgreichem Kriegsende vorzugehen und ihn dann vor Gericht zu zerren. Bei der evangelischen Kirche fanden die Erneuerungsvorstellungen des Nationalsozialismus bei den 1932 gegründeten nationalorientierten „Deutschen Christen“ positive Aufnahme. Dagegen formierten sich einige kleinere Gruppierungen, wie z. B. der „Pfarrernotbund“ von Martin Niemöller, die sich dann 1934 zur „Bekennenden Kirche“ zusammenschlossen und als theologische Oppositionsgruppe gegen die „Deutschen Christen“ Stellung bezogen. Die von der „Bekennenden Kirche“ propagierte Verteidigung der christlichen Freiheiten und Kirchenrechte wurde vom NS-System als offener Widerspruch und Verweigerungshaltung verstanden und verfolgt. Zahlreiche Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ wurden in ihrer geistlichen Tätigkeit behindert und zum Teil verhaftet. Einzelne evangelische Geistliche, wie z. B. der Berliner Studentenpfarrer und Dozent Dietrich Bonhoeffer sowie Hans Schönfeld und Friedrich Perels, fanden den Weg zum aktiven Widerstand. Sie arbeiteten im „Kreisauer Kreis“ und bei der Widerstandsgruppe um Generalmajor Hans Oster und um Graf v. Stauffenberg mit.

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Während des Krieges verstummte die „Bekennende Kirche“ als aktionsfähige Oppositionsgruppe immer mehr. Sie wurde zur „schweigenden Kirche“ und blieb im Großen und Ganzen auch gegenüber den Ereignissen des Holocausts stumm. Dagegen protestierten der Landesbischof Theophil Wurm von Württemberg und die Anstaltspfarrer Paul Braune und Ludwig Schlaich sowie Pastor Friedrich v. Bodelschwingh und Pfarrer Ernst Wilm gegen die durchgeführten Morde an Geisteskranken (Euthanasie-Morde). Auf humanitärem Gebiet kam es durch den Kaulsdorfer Pfarrer Allrich Gruber, die Pfarrer Harald Poelchau aus Berlin, Pfarrer Karl-Heinrich Reimer aus Naseband sowie die Stadtvikarin Katharina Staritz aus Breslau zu Hilfsaktionen für NSVerfolgte und Juden. Deutliche Auflehnung gegen den NS-Staat bekundeten jene Priester und Pfarrer, die sich in ihren Predigten von der Kanzel kritisch über den Nationalsozialismus äußerten. Mehrere dieser Priester wurden als Hitlergegner – wie der Donaueschinger Stadtpfarrer Heinrich Feuerstein, die Lübecker Geistlichen Johannes Prassek, Hermann Lange, Eduard Müller und der evangelische Pastor Josef Losch aus Bayern sowie der Klosterneuburger Chorherr Karl Roman Scholz und der Pater Max Josef Metzger – verhaftet und zum Tode verurteilt oder in Konzentrationslagern umgebracht. Einige gläubige Christen, wie Franz Jägerstätter, Josef Mayr-Nusser, Josef Maurus, Michael Lerpscher, Franz Reinisch sowie Hermann Stöhr, und Angehörige der Quäker, Mennoniten, Mormonen, Baptisten, Adventisten verweigerten aus religiösen Gründen den Eid auf Hitler oder generell den Kriegsdienst. Sie wurden streng bestraft und durch Wehrmachtsgerichte meistens zum Tode verurteilt. Ebenso desertierten einzelne christlich geprägte Hitlergegner als Soldaten, um sich der NS-Kriegspolitik zu entziehen. Einen konsequenten Schritt gingen auch jene Soldaten, die sich wie Wolfgang Abendroth, Stefan Hampel, Peter Schilling, Hans Heisel, Kurt Hälker, Ludwig Gehm und Falk Harnack aus politischer Überzeugung oder aufgrund selbst gesehener NSVerbrechen auf die Seite der Alliierten oder zu europäischen Résistance- und Partisanenorganisationen begaben, um entweder einem Todesurteil auf deutscher Seite zu entgehen oder dadurch gegen das NS-Regime weiterkämpfen zu können.7 So kämpften desertierte Soldaten in Frankreich, Italien, Jugoslawien, Griechenland und auf dem Balkan in den Reihen der Partisanen. Auch schlossen sich kriegsgefangene deutsche Soldaten österreichischer Herkunft, die bei der Kapitulation in Nordafrika im Mai 1943 in die Hand der Westalliierten geraten waren, der französischen Armee unter General de Gaulle an und bildeten dort im Mai 1945 ein besonderes österreichisches Bataillon, das noch bis zum 31. Dezember 1945 in der französischen Besatzungszone Österreichs weiter bestand.8 Ein ähnlicher Truppeneinsatz – wenn auch ohne Dienst mit der Waffe an der Front – erfolgte beim „Nationalkomitee Freies Deutschland/Bund Deutscher Offiziere 7

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Karlheinz Pech: An der Seite der Resistance. Zum Kampf der Bewegung „Freies Deutschland“ für den Westen in Frankreich 1943–1945. Berlin-Ost 1974, 1987; Im Bunde mit dem Feind. Deutsche auf alliierter Seite. Hrsg. v. Stefan Doernberg. Berlin 1995. Christoph Hatschek und Alfred Palisek: Landesverräter oder Patrioten? Das österreichische Bataillon 1943 bis 1945. Graz, Wien 2001.

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(NKFD/BDO)“, die als zwei Organisationen deutscher Kriegsgefangener in der UdSSR gebildet worden waren und sich gegen Hitler und den Nationalsozialismus aussprachen. Dort erfolgte ab Januar 1944 eine „Wendung der politischen Linie“,9 als mehrere „Frontkommandos“ unter dem Befehl der Roten Armee eingeschlossene deutsche Truppenteile unmittelbar zum Überlaufen oder zur Kapitulation auffordern sollten, um letztlich den deutschen Kampfwillen zu schwächen. Einige NKFD-Frontbevollmächtigte10 fanden bei diesen Einsätzen den Tod. Eine größere Frontaktion erfolgte Anfang Februar 1944, als sich mehrere BDO-Mitglieder unter der Leitung von General Walther v. Seydlitz, dem Präsidenten des BDO, bemühten, die im Kessel von Korsun (Čerkassy) eingeschlossenen zwei deutschen Armeekorps zur Kapitulation zu bewegen, was jedoch nicht gelang. Seydlitz’ Vorschlag vom Frühjahr 1944, die Arbeit des NKFD effektiver zu gestalten und einen militärischen Freiwilligenverband aufzustellen, wies die Sowjetführung als nicht durchführbar zurück. Gegen Kriegsende tauchte an der Ostfront das Gerücht auf, es existiere auf Seiten der Roten Armee eine „Seydlitz-Armee“ aus kriegsgefangenen deutschen Soldaten, die am Kampf gegen die Wehrmacht teilnähme. Die Sowjetführung hatte jedoch die Idee von Seydlitz auch im April/Mai 1945 nicht aufgegriffen, so dass letztlich kein „deutsches Freiheits-Korps“ als Freiwilligenverband an der Seite der Alliierten auftrat. Äußerst rücksichtslos gingen die NS-Verfolgungsorgane bei Widersetzlichkeiten kleinerer religiöser Gruppen, wie bei den „Zeugen Jehovas“ (auch „Ernste Bibelforscher“ genannt), vor, da deren Mitglieder ebenso den Eid auf Hitler sowie Kriegs- und Waffendienst verweigerten. Ihre institutionelle Zentrale im Reich wurde schon im Frühjahr 1933 verboten, und über 2000 Anhänger der „Zeugen Jehovas“ fanden im Dritten Reich den Tod. Unter dem von der Gestapo formulierten Decknamen „Rote Kapelle“11 operierte seit Mitte der 30er Jahre eine Gruppe von Berliner Hitlergegnern um den Luftwaffenoberleutnant Harro Schulze-Boysen, dessen Frau Libertas Schulze-Boysen, Arvid Harnack vom Reichswirtschaftsministerium, dessen Frau Mildred Harnack-Fish, Adam und Greta Kuckhoff sowie dem Diplomaten des Auswärtigen Amtes Rudolf v. Scheliha. In diesem Widerstandskreis wirkten besonders viele Frauen mit. Die Gruppe verteilte illegale Flugblätter und Flugschriften, Informationen in Text und Bild über die völkerrechtswidrigen Verbrechen und die Judenmorde an der Ostfront; sie verhalf Juden und politischen Flüchtlingen zur Flucht und unterhielt Kontakte zur USA-Botschaft in Berlin und zum Ausland, wobei sie auch militärisch-politische Informationen an die UdSSR weiterleitete. Von Dezember 1941 bis zum Sommer 1942 konnte die militärische Abwehr einen mit der „Roten Kapelle“ zusammenarbeitenden sowjetischen Spionagering im besetzten Frankreich und Belgien enttarnen. Dies führte dann ebenso zur Aufdeckung der innerdeutschen Oppositionsgruppe „Rote Kapelle“. Über 9

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Wolfgang Leonhard: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Köln 1955, S. 297; siehe auch: Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der Bund Deutscher Offiziere. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Frankfurt (Main) 1995. Vgl. Gottfried Hamacher: Frontorganisation des Nationalkomitees „Freies Deutschland“. In: Im Bunde mit dem Feind, S. 288 ff. Vgl. die Literaturhinweise bei Ueberschär, Für ein anderes Deutschland, S. 133.

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130 Mitglieder Personen wurden bis zum Sommer 1943 verhaftet; mehr als die Hälfte wurde danach zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die in den Prozessunterlagen überlieferten Aussagen der Verhafteten belegen die Zugehörigkeit der Harnack-/Schulze-Boysen-Gruppe zum deutschen Widerstand gegen Hitler und deren idealistischen Motive für ihr Handeln, so dass sie insgesamt nicht verkürzt als sowjetischer Spionagering hingestellt werden können. Während des Krieges beobachteten die SD- und Gestapo-Dienststellen das Handeln von Jugendlichen außerhalb der seit 1. Dezember 1936 allein zugelassenen Hitlerjugend (HJ) mit besonderer Sorgfalt. Ein jugendlicher Freundeskreis um Herbert Baum in Berlin war von kommunistischen Ideen inspiriert; er verübte 1942 einen spektakulären Brandanschlag auf die NS-Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ in Berlin. 15 Jugendliche der Herbert-Baum-Gruppe wurden danach verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet; weitere Angehörige dieser Gruppe erhielten hohe Haftstrafen. Umgebracht wurde auch Helmuth Hübener im Oktober 1942, der in Hamburg abgehörte Meldungen feindlicher Radiosender illegal weiter verteilt hatte. In mehreren Großstädten entstanden ab 1938/39 „wilde Jugendgruppen“, die sich dem Anpassungsdruck der NS-Staatsjugend zu entziehen suchten. Ihre Protesthandlungen führten nicht nur zum Verteilen von Flugblättern, sondern auch zu Anschlägen und Überfällen auf HJ-Heime sowie zu Sabotagaktionen. Die NS-Führung nahm das nicht von der HJ kontrollierte Agieren dieser illegalen Jugendgruppen, die als „Kittelbacher“, „Rote-Halstuch-Gruppen“, „Swing-Cliquen“, „Navajos“, „Platte“, „Schurf“, „Meuten“ „Totenkopf“- und „Edelweißpiraten“ auftraten, sehr ernst und bekämpfte sie mit aller Macht, da sie keinerlei Jugendtätigkeit außerhalb ihrer eigenen Organisation zulassen wollte. Viele Teilnehmer dieser Gruppen fanden dann auch den Tod. Spektakulär war die Hinrichtung von 13 Kölner Jugendlichen in Köln-Ehrenfeld am 10. November 1944 auf Anordnung von SD-Chef Ernst Kaltenbrunner ohne jegliches Gerichtsurteil, um hierdurch abschreckend auf die Bevölkerung und insbesondere andere Jugendliche zu wirken. Während des Jahres 1943 führten mehrere militärische Attentatsplanungen und versuche auf Hitler nicht zum Erfolg, da entweder die Sprengkapseln versagten oder die Anschläge kurzfristig abgesagt werden mussten. Kein Echo für eine mögliche verstärkte Widerstandsaktivität bildeten die schweren Niederlagen in Stalingrad am 3. Februar 1943 oder in Tunis am 12. Mai 1943, wo mehrere Armeen kapitulieren mussten. Zur gleichen Zeit fiel das Amt Ausland/Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris und Generalmajor Hans Oster als weitere zentrale Schaltstelle für Widerstandsplanungen aus, da mehrere Abwehrmitarbeiter des Amtes als Hitlergegner, so auch Oster, verhaftet wurden und das Amt schließlich im Februar 1944 aufgeteilt wurde und Canaris keine weitere dienstliche Verwendung erhielt. Der Untergang der 6. Armee in Stalingrad führte allerdings zu einer Flugblattaktion der oppositionellen Studentengruppe „Weiße Rose“ von Hans und Sophie Scholl, Willi Graf, Alexander Schmorell, Christoph Probst und Kurt Huber als „Manifest der Münchner Studenten“, deren Mitglieder jedoch danach verhaftet und mehrheitlich zum Tode verurteilt wurden.

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Im Sommer 1943 konnte Oberst i. G. Henning v. Tresckow während seines Urlaubes in Berlin durch Kontakte mit General Friedrich Olbricht und Hauptmann Hermann Kaiser im Allgemeinen Heeresamt die bisherigen Widerstandsplanungen vorantreiben. Dabei wurden die offiziell für das gesamte Ersatzheer als „Walküre-Plan“ bestehenden Alarmmaßnahmen, die gegen Fremdarbeiter-Unruhen im Reich gerichtet waren, so formuliert, dass sie generell auch für einen Staatsstreich der Verschwörer genutzt werden konnten. Nachdem v. Tresckow wieder an die Ostfront versetzt worden war, übernahm Oberstleutnant i. G. Claus Schenk Graf v. Stauffenberg als neuer Chef des Stabes des Allgemeinen Heeresamtes bei General Olbricht ab Mitte September 1943 die Fortschreibung dieser „Walküre“-Befehle für Verschwörerzwecke. Stauffenberg, und Tresckow wurden die wichtigsten Antriebskräfte für den militärischen Widerstand und die Vorbereitung des Anschlagsversuchs auf Hitler. Stauffenberg gelang es, zahlreiche kritisch eingestellte Offiziere für Widerstand und Attentatsplanung auf den Diktator zu gewinnen, so dass in mehreren militärischen Stäben und Dienststellen eingeweihte Verbindungsoffiziere saßen und sogar im Herbst 1943 eine Liste von Vertrauensleuten als militärisch-politische Beauftragte für die regionalen Partei- und Verwaltungsinstitutionen sowie für die Wehrkreise erstellt werden konnte. Ebenso stellte der als neuer Reichskanzler nach Hitler vorgesehene Carl Friederich Goerdeler Ende November 1943 eine geheime Minister- und Staatsekretärliste zusammen. Darüber hinaus wurden aktuelle Aspekte und politische Zielvorstellungen für die neuen Verfassungs-, Wirtschafts-, Agrar-, Gesellschafts- und Außenpolitik in verschiedenen Papieren entwikkelt. Insgesamt orientierten sich diese politischen Reformvorstellungen und Gesellschaftspläne allerdings nicht am demokratischen Staatsaufbau der früheren Weimarer Republik oder an Maßstäben westlicher Demokratien, sondern eher am Aufbau neuer Selbstverwaltungskörperschaften ohne Wirkungsmöglichkeiten von Parteien. Ziel war weder die Wiederherstellung der Monarchie noch der Weimarer Republik. Man strebte nach einem dritten Weg bei der Erneuerung der Gesellschaft mit enger Verknüpfung zum Christentum, aber auch mit Anlehnungen an konservativen Vorstellungen sowie ständestaatlichen und elitären Orientierungen. Besonderes Ziel war dabei die Wiederherstellung des Rechtsstaates, um die willkürliche und antirassistische Schreckensherrschaft Hitlers abzuschaffen. Als Oberst i. G. Claus Schenk Graf v. Stauffenberg am 2. Juli 1944 die neue Funktion als Chef des Stabes beim Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Friedrich Fromm übernahm, öffnete sich ihm die Möglichkeit, direkten Zugang zu Hitlers Lagebesprechungen im „Führerhauptquartier“ zu erhalten. Diese Chance bestärkte Stauffenberg in seinem Entschluss, das Attentat auf Hitler selbst auszuführen, obwohl er nach seiner schweren Verwundung als Generalstabsoffizier der 10. Panzerdivision an der Front in Nordafrika durch den Verlust des linken Auges, der rechten Hand und zweier Finger der linken Hand erheblich behindert war, so dass er ein Pistolenanschlag nicht durchführen konnte. Angesichts der aussichtslosen militärischen Lage im Sommer 1944 nach der westalliierte Invasion in der Normandie und dem Zusammenbruch der mittleren Ostfront kam in Widerstandskreisen die Überlegung auf, ob ein Attentat auf Hitler überhaupt noch einen Sinn habe, zumal man bisher keinerlei entgegenkommende Signale von den Regierungen der Fein-

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dmächte zugunsten einer neuen Nach-Hitler-Regierung erhalten hatte; vielmehr hielten die Alliierten an der öffentlich auf der Konferenz von Casablanca proklamierten Forderung nach „unconditional surrender“ (bedingungsloser Kapitulation) des Deutschen Reiches fest. Der Mitverschwörer Generalmajor Henning v. Tresckow ermutigte jedoch Stauffenberg nachdrücklich: „Das Attentat muss erfolgen, coûte que coûte (koste es, was es wolle). Denn es kommt nicht mehr auf einen praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte den entscheidenden Wurf gewagt hat“.12 Da nicht nur Hitler, sondern auch der Reichsführer-SS Heinrich Himmler und „Reichsmarschall“ Hermann Göring bei dem beabsichtigten Anschlag getötet werden sollten, ließ Stauffenberg erste Gelegenheiten zum Attentat am 6., 11., und 15. Juli, als er jeweils auf dem Berghof bei Berchtesgaden Hitler während der Lagebesprechungen über Neuaufstellungen von Divisionen vortrug, ungenutzt. Die nächste Chance zum Attentat bot sich am 20. Juli 1944, als Stauffenberg erneut im Auftrag von Generaloberst Fromm vortragen sollte. Obwohl Himmler und Göring auch an diesem Tag nicht in Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze“ bei Rastenburg in Ostpreußen anwesend waren, setzte Stauffenberg zusammen mit seinem Ordonnanzoffizier, Oberleutnant Werner v. Haeften, in einer Pause zwischen Vorgesprächen den Zeitzünder der Bombe in Gang. Da sie dabei gestört wurden, stellte Stauffenberg nur die Hälfte des mitgeführten Sprengstoffes zur Zündung ein. Die in seiner Aktentasche versteckte Sprengladung ließ er beim Betreten der Besprechungsbaracke am großen Kartentisch in der Nähe Hitlers abstellen. Danach verließ Stauffenberg wieder den Raum unter dem Vorwand, nochmals dringend telefonieren zu müssen. Etwa um 12:45 Uhr detonierte die Bombe. Die Explosion war jedoch zu schwach, um Hitler zu töten; er wurde nur leicht verletzt. Stauffenberg nahm jedoch an, Hitler sei wie auch einige andere Teilnehmer an der Besprechung tot. Es gelang ihm, mit Haeften aus dem „Führerhauptquartier“ herauszukommen und nach Rangsdorf in der Nähe Berlins zurückzufliegen. Sie kamen allerdings erst fast vier Stunden nach dem Attentat wieder in Berlin an. Dort hatten die Mitverschwörer um General Olbricht und dessen neuen Stabschef Oberst i. G. Albrecht Ritter Mertz v. Quirnheim bislang keine Alarmierung ausgelöst, da sie über Hitlers Tod widersprüchliche Meldungen erhalten hatte. Erst nach Stauffenbergs Versicherung, Hitler könne die beobachtete schwere Detonation nicht überlebt haben, gaben sie die Alarmbefehle gemäß „Walküre-Plan“ an die Wehrkreise und sonstigen unterstellten Verbände heraus und proklamierten den Tod Hitlers. Obwohl Stauffenberg auf die zahlreichen Rückfragen aus den Wehrkreisen und stellvertretenden Generalkommandos sowie aus den Frontkommandos stets erklärte, Hitler sei tot und Generaloberst Ludwig Beck und Generalfeldmarschall Erwin v. Witzleben hätten die Führung von Reich und Wehrmacht übernommen, konnte er die Zweifel an seiner Behauptung nicht beseitigen. Viele Dienststellen warteten erst einmal ab, bevor sie die Befehle der neuen Regierung in der Bendlerstraße befolgten. Als immer mehr Befehlshaber und Kommandeure aus dem „Führerhauptquartier“ erfuhren, dass Hitler lebte, und von dort di12

Bodo Scheurig: Henning von Tresckow. Hamburg 1973, S. 184 f.

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rekt ihre neuen Befehle entgegennahmen, kam der Staatsstreich der Verschwörer ins Stocken. Der Umsturzversuch war schließlich verloren, als der deutsche Rundfunk meldete, Hitler habe das Attentat überlebt. In Prag, Wien und Paris kam es allerdings zu Verhaftungen lokaler SS- und SDFührer durch Mitverschwörer. Sehr umfangreich gelang dies in Paris unter der Leitung von General Karl-Heinrich v. Stülpnagel, Oberstleutnant Cäsar v. Hofacker, Oberst i. G. Eberhard Finckh und Generalleutnant Hans Speidel. Nach dem Scheitern des Umsturzes nahm Generaloberst Fromm dann Generaloberst a. D. Beck, Generaloberst a. D. Hoepner, General Olbricht, Oberst Graf v. Stauffenberg, Oberst Ritter Mertz v. Quirnheim und Oberleutnant v. Haeften gefangen. Während Beck und Hoepner Gelegenheit erhielten, sich selbst zu erschießen, was Hoepner jedoch ablehnte, ließ Fromm die übrigen vier Verhafteten nach Mitternacht durch ein eilig zusammengestelltes Sonderkommando willkürlich im Hof des OKHGebäudes erschießen. Hoepner wurde später wie viele andere Mitverschwörer in den nächsten Monaten auch, nach einem Prozess vor dem „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und anschließend getötet. Bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 kam es – trotz gelegentlichem lokalem Aufbegehren gegen sinnlose NS-Haltebefehle und örtliche Zerstörungsaktionen in einzelnen Städten – zu keiner weiteren Widerstandsaktion, die den Sturz der NS-Gewaltherrschaft zum Ziele hatte.

Zur Rezeption und Würdigung nach 1945 Nach 1945 kam es sowohl im besetzten Deutschen Reich als auch in den beiden ab 1949 gebildeten deutschen Teilstaaten zu unterschiedlichen Auffassungen und heftigen Kontroversen über die Bewertung des deutschen Widerstandes.13 Rezeption und Würdigung reichen von amtlicher Anerkennung und feierlicher Verehrung bis zu kritischer Distanz und direkter Ablehnung. Dies hängt einerseits mit dem Desinteresse der alliierten Besatzungsmächte am Nachweis des „anderen, besseren Deutschland“ unmittelbar nach dem Ende des „Dritten Reiches“ zusammen. Denn sie wollten nicht, dass sich die besiegten Überlebenden der NS-Diktatur auf einen deutschen Widerstand berufen könnten. Andererseits wurden die Zeitgenossen der NS-Herrschaft durch besondere Hervorhebung der Schicksale einzelner Widerstandskämpfer an ihr eigenes Unvermögen oder ihre unterlassenen Hilfeleistungen erinnert. Dadurch wurde ihnen öffentlich oder indirekt vorgehalten, dass sie eben keine Retter oder aktiven Hitlergegner mit Mut und persönlicher Zivilcourage gewesen waren. Man näherte sich folglich dem Widerstand nur zögerlich und verhalten. Zudem erhob man die Frage, ob man nicht das „Vaterland im Stich ließ“, wenn man sich gerade im Krieg generell gegen Hitler gestellt hätte. So ging es bei den ersten grundlegenden Arbeiten von Hans Rothfels, Rudolf Pechel, Ulrich v. Hassell, Fabian v. Schlabrendorff und Hans Bernd Gisevius, die meist

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Zur Würdigung und kritischen Bewertung des Widerstandes mit Hinweisen zur Diskussion über den 20.7.1944 siehe die Literaturhinweise bei Ueberschär, Für ein anderes Deutschland, S. 240 ff.; ders.: Stauffenberg – Der 20. Juli 1944, S. 182 ff.; ders. (Hrsg.): Der 20. Juli 1944.

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noch im Ausland erscheinen mussten,14 darum, überhaupt den Nachweis für die deutsche Opposition und deren lauteren Motive zu bringen. Dabei stand der konservative Widerstand im Vordergrund der Betrachtungen. Obwohl die ersten offiziellen Gedenkfeiern bei den Jahrestagen des 20. Juli nach 1945 an Verpflichtung und Vermächtnis des „anderen und besseren Deutschland“ erinnerten und die erste Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer 1951 ein Bekenntnis zum Widerstand abgab, war es in der Folgezeit schwer, die praktische Umsetzung dieser positiven Würdigung zu erreichen. Ebenso erschwerte ein negatives Bild zum Exil im öffentlichen Meinungsbild den emigrierten Hitlergegnern die Rückkehr in Politik und Kultur der Bundesrepublik. Noch 1957 spielte die Hetze gegen Willy Brandt eine wesentliche Rolle im Bundestagswahlkampf. Andererseits setzte die richterliche Entscheidung im Braunschweiger Remerprozess von 1952, wobei jeglicher Vorwurf des Verrates gegenüber dem Widerstand zurückgewiesen wurde, ein wichtiges Fundament für die weitere positive Rezeption und wissenschaftliche Forschung über die Hitlergegner. Allerdings kam es immer wieder zu diskriminierenden Äußerungen über den Widerstand. Im Rahmen der offiziellen Würdigung und Forschungsförderung konzentrierte man sich auf die Ereignisse des 20. Juli 1944 und den nationalkonservativen Widerstand unter Vernachlässigung des kommunistischen Widerstands. Dieser wurde dann in der DDR singulär herausgehoben und erhielt dort heldenhafte Züge. Der Bezug auf den linken Antifaschismus hatte für die DDR förmlich konstitutiven Charakter. Andere Widerstandskreise wurden nur dann anerkannt, wenn sie die angeblich führende Rolle der Kommunisten unterstrichen. Wie leicht dadurch ein ganzer Widerstandskreis der Schwarz-Weiß-Malerei während des Kalten Krieges zum Opfer fiel, haben vielfältige Publikationen in Ost und West über die „Rote Kapelle“ gezeigt. Erst in den achtziger Jahren erkannte man auch in der DDR die Rolle von Graf v. Stauffenberg oder des Kreisauer Kreises an, die beide früher als “reaktionäre“ Gruppen abqualifiziert worden waren. 1953 wurde im Berliner Bendler-Gebäudeblock, dem Ort des Geschehens am 20. Juli, wo später auch die zentrale Gedenkstätte Deutscher Widerstand mit ihrer permanenten Ausstellung untergebracht wurde, das zentrale Denkmal für die Opfer des 20. Juli eingeweiht. Dort bekundete Bundespräsident Theodor Heuss die tief empfundene Dankesschuld der Nation für die Widerstandskämpfer. Nicht einhellig positive Anerkennung fand der Widerstand in der 1955 aufgestellten Bundeswehr, obwohl er fest in die Traditionspflege einbezogen wurde. Erst nach Wiedervereinigung beider deutschen Staaten konnte der Berliner Bendlerblock in der Stauffenbergstraße seit 1998 auch zentraler Ort für diese Traditionslinie sein. Positiv anzumerken ist, dass die Erinnerungspolitik an den Widerstand gegen Hitler seit dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wiedervereinigung nicht mehr in diesem Maße wie früher für politische Zwecke instrumentalisiert ist. Lange Zeit bestand trotz vieler offizieller Bekenntnisse zum 20. Juli 1944 in großen Teilen der Bevölkerung eine ambivalente Bewertung des deutschen Widerstands. An 14

Rothfels, Die deutsche Opposition; Rudolf Pechel: Deutscher Widerstand. Zürich 1947; Hassell, Vom andern Deutschland; Schlabrendorff, Offiziere gegen Hitler; Hans Bernd Gisevius: Bis zum bitteren Ende. 2 Bde. Hamburg 1947.

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mangelnder wissenschaftlicher Aufarbeitung des Widerstandsthemas konnte dies nicht liegen; auch nicht daran, dass viele Untersuchungen zeigten, wie eng manche Hitlergegner mit dem Aufstieg und der Machterhaltung des Nationalsozialismus bis 1939 verbunden waren und wie lang und schwierig der Weg und die Entwicklung der Motive bis zum 20. Juli 1944 waren.15 Denn seit den sechziger Jahren liegen mehrere historisch-kritische und ertragreiche Studien vor. Diese Arbeiten – so u. a. von dem Historiker Hans Mommsen – brachten den Nachweis, dass die politischen Zukunftsvorstellungen vieler Widerstandsgruppen nicht als Vorbild der heutigen demokratischen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gelten. Mit dem Hinweis auf den hohen prozentualen Anteil des Adels am nationalkonservativen Widerstand suchte man den 20. Juli gar zum „Aufstand des preußischen Adels“ gegen Hitler für ein besseres Deutschland zu stilisieren.16 Inzwischen zeigen weitere Forschungen, dass der Adel sich zu großen Teilen offen zum Nationalsozialismus hingewandt hat. Studien über das Verhalten der Eliten gegenüber Hitler und seinem Regime belegen nicht nur deren Ambivalenz, sondern auch die große Bereitschaft zur Kollaboration mit der NS-Bewegung.17 Für Widerstand war dann wenig Platz. Kritisch ist die Einstellung verschiedener Widerstandskreise zum Antisemitismus, zur Judenverfolgung und zum Holocaust zu betrachten. Neuere Untersuchungen zeigen, dass sich das Wissen über die Judenmorde sowohl in moralischer Empörung und als Anstoß für die Staatsstreichplanung als auch als leichtfertige Duldung mit Kenntnisnahme der entsprechenden Befehle und Anordnungen manifestieren konnte. Andererseits ist belegt, dass gerade die NS-Morde an den europäischen Juden bei mehreren militärischen Hitlergegnern die maßgebliche persönliche Motivation für den Widerstand gegen Hitler gewesen sind. Bei rückschauender Betrachtung der umfangreichen Widerstandsliteratur kann man feststellen, dass personelle Kontinuitäten in vielen gesellschaftlichen Bereichen gerade in den ersten Jahren nach 1945 eine verhängnisvolle Auswirkung hatten; denn es wurden Deutungsfelder des Widerstands negativ oder zumindest nicht grundsätzlich zustimmend besetzt, die später – auch durch neuere Forschung – nicht mehr so leicht positiv zu wenden waren. Inzwischen liegt eine Fülle von Arbeiten zum Widerstand vor. Als Beispiel der im Fluss befindlichen Widerstandsdiskussion ist auf die regionalgeschichtlich orientierte Forschung über Verfolgung und Widerstand im Alltag hinzuweisen. Hierbei wurden in den letzten Jahren sowohl wertvolle Erkenntnisse über die Verhaltensmuster der deutschen Bevölkerung in der NS-Zeit als auch positive Bewertungen über Teil- und Grenzbereiche – wie etwa über die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure, die „Edelweißpiraten“ und den Jugendwiderstand sowie zum Widerstandskreis „Rote Kapelle“ oder über das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ – präsentiert. Mehrere Gesamtdarstellungen und zahlreiche Einzeluntersuchungen vermitteln inzwischen die Vielfalt und Heterogenität der Widerstandsgruppen. Die Erkenntnis der 15 16

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Vgl. u. a. Hamerow, Die Attentäter; Fest, Staatsstreich. Außer vielen Zeitungsbeiträgen siehe u. a. Dönhoff, „Um der Ehre willen“; ferner BA-MA Freiburg, MSg 2/448: Entwurf zum ersten Artikel „In Memoriam 20. Juli 1944“ vom 3.7.1945. Siehe Stephan Malinowski: Vom König zum Führer. Frankfurt (Main) 2004.

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Komplexität des deutschen Widerstandes hat allerdings zur Folge, dass einzelne Kreise und ihre Widerstandstätigkeiten ganz unterschiedlich beachtet werden und der Streit um den „richtigen Widerstand“ immer wieder entfacht wird. Ein Widerstandsbild, das aus vielen neuen Studien über alltägliche Handlungen hervorgeht, kann immerhin jeglichen Alleinvertretungsanspruch einzelner Gruppen zurückweisen. Insgesamt zeigt sich die Geschichte des Widerstands ebenso wie die Geschichte des Dritten Reiches als schwierige Vergangenheit im deutschen Geschichtsbild.

Literaturhinweise Die inzwischen in großer Zahl erschienenen Studien über den deutschen Widerstand können aus mehreren bibliographischen Arbeiten entnommen werden. Nachfolgend sind nur einige zentrale Überblicksdarstellungen aufgenommen. Hilfreich ist auch die von der Gedenkstätte deutscher Widerstand in Berlin ins Internet eingestellte Bibliographie: www.gdw-berlin.de/Literat/bi-ueb-d.php. Aufstand des Gewissens. Der militärische Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime. 1933–1945. Hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Herford 1984, 4. Aufl. 1994 Bibliographie „Widerstand“. Hrsg. v. d. Forschungsgemeinschaft 20. Juli e.V.. Bearb. v. Ulrich Cartarius. München 1984 Büchel, Regine: Der deutsche Widerstand im Spiegel von Fachliteratur und Publizistik seit 1945. München 1975 Carsten, Francis L.: Widerstand gegen Hitler. Die deutsche Arbeiterbewegung und die Nazis. Frankfurt (Main) 1996 Deutsch, Harold C.: Verschwörung gegen den Krieg. Der Widerstand in den Jahren 1939–1940. München 1969 Dönhoff, Marion Gräfin: „Um der Ehre willen“. Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli. Berlin 1994 Ehlers, Dieter: Technik und Moral einer Verschwörung. Der Aufstand am 20. Juli 1944. Bonn 1964 Fest, Joachim: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli. Berlin 1994 Finker, Kurt: Stauffenberg und der 20. Juli 1944. Berlin-Ost 7. Aufl. 1987 Ders.: Der 20. Juli 1944. Militärputsch oder Revolution? Berlin 1994 Gegner des Nationalsozialismus. Wissenschaftler und Widerstandskämpfer auf der Suche nach historischer Wirklichkeit. Hrsg. v. Christoph Kleßmann und Falk Pingel. Frankfurt (Main) 1980 Hamerow, Theodore S.: Die Attentäter. Der 20. Juli – von der Kollaboration zum Widerstand. München 1999, 2004 Hassell, Ulrich von: Vom andern Deutschland. Aus den nachgelassenen Tagebüchern. 1938–1944. Zürich 1946, Hamburg, 1964, Neuausg. Berlin 1988 Hofmann, Peter: Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler. München 1969, 4. Aufl. 1985

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Ders.: Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Brüder. Stuttgart 1992, 3. Aufl. 2004 Ders.: Stauffenberg und der 20. Juli. München 1998 Lexikon des deutschen Widerstandes. Hrsg. v. Wolfgang Benz und Walter H. Pehle. Frankfurt (Main) 1994, 3. Aufl. 2004 Lexikon des Widerstandes 1933–1945. Hrsg. v. Peter Steinbach und Johannes Tuchel. München 1994, 1998 Mommsen, Hans: Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes. München 2000 NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2000 Ritter, Gerhard: Carl Goerdeler und die Widerstandsbewegung. Stuttgart 1956, 4. Aufl. 1984 Roon, Ger van: Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb des deutschen Widerstandes. München 1967 Rothfels, Hans: Die deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung. Frankfurt (Main) 1958, Neuausgabe 1986 Schlabrendorff, Fabian von: Offiziere gegen Hitler. Zürich 1946, durchgesehene und erweitere Auflage hrsg. v. Walter Bußmann. Berlin 1984 „Spiegelbild einer Verschwörung“. Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung. Geheime Dokumente aus dem ehemaligen Reichssicherheitshauptamt. Hrsg. v. Hans-Adolf Jacobsen. 2 Bde. Stuttgart 1984 Steinbach, Peter: Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen. Paderborn 1994, 2001 Ders.: Der 20. Juli 1944. Gesichter des Widerstands. München 2004 Ueberschär, Gerd R.: Stauffenberg – Der 20. Juli 1944. Frankfurt (Main) 2004, 2006, 2009 Ders.: Für ein anderes Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933–1945. Darmstadt 2005, Frankfurt (Main) 2006 Vollmacht des Gewissens. Hrsg. v. d. Europäischen Publikation e.V. 2 Bde. Frankfurt (Main) 1960–65 Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Vier historisch-kritische Studien. Hrsg. v. Walter Schmitthenner und Hans Buchheim. Köln 1966 Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Wahrnehmung und Wertung in Europa und den USA. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2002 Widerstand und Verweigerung in Deutschland 1933–1945. Hrsg. v. Richard Löwenthal und Patrik von zur Mühlen. Berlin 1982 Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. Hrsg. v. Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach. München 1985

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Widerstand gegen den NS-Staat. Hrsg. v. Peter Steinbach und Johannes Tuchel. Bonn 2004 Zeller, Eberhard: Geist der Freiheit. Der zwanzigste Juli. München 1952, 5. Aufl. 1965 Ders.: Oberst Claus Graf von Stauffenberg. Paderborn 1994 Der 20. Juli 1944. Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstandes gegen das NS-Regime. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Köln 1994, Neuauflage Berlin 1998

Italien: „Resistenza“ gegen Faschismus und Nationalsozialismus 1943–1945 Steffen Prauser

Entwicklung und Kampf der Resistenza Seit seinem Kriegseintritt auf deutscher Seite im Juni 1940 musste das faschistische Italien eine militärische Niederlage nach der anderen hinnehmen. Gleichzeitig verschlechterte sich die Ernährungslage im italienischen Mutterland dramatisch und die italienischen Städte waren alsbald den alliierten Bomberoffensiven schutzlos ausgeliefert. Es verwundert kaum, dass in dieser Situation die italienische Heimatfront Erosionserscheinungen bei Siegeszuversicht, Moral und Durchhaltewillen zeigte. Deutlicher Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit war eine Streikwelle, die im März 1943 alle größeren Industriestädte Norditaliens erfasste. Von einem organisierten Widerstand konnte aber nicht die Rede sein. Bis 1940 war es Mussolini weitgehend gelungen, in der Bevölkerung einen ausreichenden Konsens mit dem Regime herzustellen. Die aktiven Antifaschisten wurden aus der Sicht des Regimes erfolgreich nach scharfen Repressionen durch Inhaftierungen und Verbannungen kaltgestellt oder zumindest zur Emigration gezwungen.1 So waren es dann auch weder die Streiks vom März 1943 noch die sich seit 1942 im Untergrund langsam wieder- bzw. neukonstituierenden antifaschistischen Parteien, die Mussolini letztlich zu Fall brachten. Nachdem alliierte Truppen im Juli 1943 erfolgreich in Sizilien gelandet waren, entmachteten gemäßigte philomonarchistische Teile des faschistischen Regimes und führende Offiziere des Generalstabes am 25. Juli 1943 den Duce „in einer zwar nicht abgestimmten, aber aufeinander bezogenen“2 Parallelaktion. Ziel beider Gruppen war es, das Achsenbündnis mit dem Deutschen Reich aufzukündigen, um mit den Alliierten zu einem „würdigen“ Waffenstillstand zu kommen und gleichzeitig die „Errungenschaften“ des Faschismus ohne Mussolini beizubehalten.3 Hitler schenkte den öffentlichen Verlautbarungen des neuen italienischen Regierungschefs, Marschall Pietro Badoglio, der Krieg gehe auf deutscher Seite weiter, von Beginn an keinen Glauben. Noch am Abend des 25. Juli ließ er die für ein italienisches Ausscheiden aus dem Achsenbündnis vorbereiteten deutschen Gegenmaßnahmen anlaufen. In den folgenden Wochen nützten die Deutschen geschickt den formell weiter1 2

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Siehe dazu den Beitrag von Leonardo Rapone in diesem Band, S. 341 ff. Wolfgang Schieder: Wir erledigen das selbst. Vor 60 Jahren beseitigte sich der italienische Faschismus. In: SZ vom 25.7.2003, S. 15. Jens Petersen: Sommer 1943. In: Italien und die Großmächte 1943–1949. Hrsg. v. Hans Woller. München 1988, S. 23–48; Renzo de Felice: Mussolini l’alleato. Band I, 2: Crisi e agonia del regime. Turin 1996, S. 1168 ff.

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bestehenden Bündnisstatus und besetzten Oberitalien „auf kaltem Wege“.4 Die Regierung Badoglio tröstete sich mit der von Geheimdienstberichten genährten Hoffnung, die Deutschen könnten sich nach einer erfolgreichen Landung starker alliierter Kräfte in Süditalien auf den Apennin zurückziehen.5 Eine Initiative von Badoglios Truppen gegen die deutschen Verbände war deshalb nicht vorgesehen – nicht einmal dort, wo das Kräfteverhältnis die Italiener favorisiert hätte, wie z. B. in Rom. So konnte die Wehrmacht am 8. September 1943, als Badoglio den Abschluss eines Waffenstillstandes mit den Alliierten öffentlich bekannt gab und diese in Salerno Truppen landeten, die italienischen Verbände weitgehend kampflos entwaffnen. Während 620 000 in Norditalien und auf dem Balkan stationierte italienische Soldaten, die sich weigerten auf deutscher Seite weiterzukämpfen, als so genannte Militärinternierte in eine harte deutsche Kriegsgefangenschaft gingen,6 flüchteten Badoglio, König Vittorio Emanuele III. und die Führung der Streitkräfte in das von den Alliierten befreite Süditalien. Auf nennenswerten Widerstand stießen die vorrückenden deutschen Truppen allein in Rom und Pombino.7 Aber auch dieser, in letzter Minute spontan organisierte Widerstand konnte nach nur 48 Stunden gebrochen werden. Spätestens am 13. September kontrollierten die Deutschen ganz Mittel- und Norditalien, wo sie ein (neo)faschistisches Regime unter Mussolini einsetzten, den deutsche Truppen zuvor in einer spektakulären Luftlandeoperation aus seiner Haft auf dem Gran Sasso befreit hatten. Die von Mussolini geführte Repubblica Sociale Italiana (RSI) erlaubte es, die deutsche Besetzung Italiens zu verschleiern und am Mythos vom Weiterbestehen der deutschitalienischen Waffenbrüderschaft festzuhalten. Hauptaufgabe des Marionettenregimes war es, den deutschen Besatzungstruppen die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, die Verwaltung und wirtschaftliche Ausbeutung des Landes zu erleichtern.8 Die Führungskader der antifaschistischen Parteien in Rom fanden sich nach der Flucht Badoglios und des Königs völlig unerwartet in einer Situation des Machtvakuums wieder. Noch bevor deutsche Truppen Rom besetzen konnten, gründeten sie am 9. September nach französischem Vorbild das Comitato di liberazione Nazionale (CLN). Diesem gehörten die kommunistische (PCI), die sozialistische (PSIUP), die 4

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Lutz Klinkhammer: Zwischen Bündnis und Besatzung. Das nationalsozialistische Deutschland und die Republik von Saló 1943–1945. Tübingen 1993, S. 34 ff.; siehe vor allem auch Joseph Schröder: Italiens Kriegsaustritt 1943. Die deutschen Gegenmaßnahmen im italienischen Raum: Der Fall „Alarich“ und „Achse“. Göttingen 1969, S. 196–280. Elena Aga Rossi: Una nazione allo sbando. L’armistizio italiano del sttembre 1943. Bologna 1993, S. 112. Gerhard Schreiber: Die italienischen Militärinternierten im deutschen Machtbereich. Verraten, verachtet, vergessen. München 1990; Gabriele Hammermann: Zwangsarbeit für den „Verbündeten“: die Arbeits- und Lebensbedingungen der italienischen Militärinternierten in Deutschland 1943–1945. Tübingen 2002. Ivan Tognarini: Là dove impera il rebellismo: Resistenza e guerra partigiana dalla battaglia di Piombino (10 settembre 1943) alla liberazione di Livorno (19 luglio 1944). Neapel 1988; Emilio Lusso: La difesa di Roma. Cagliari 1987. Auf massiven Widerstand stießen die Deutschen allerdings einen Monat später in Neapel. Die versuchte Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften löste dort noch vor dem Eintreffen der Alliierten einen Volksaufstand aus. Vgl. Giacomo De Antonellis: Le Quattro giornate di Napoli. Mailand 1973. Hierzu grundlegend Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung.

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christdemokratische und die liberale Partei ebenso an, wie der radikal-demokratische Partito d’Azione (Pd’A) und die Pseudo-Partei9 Democrazia del lavoro. Eine direkte Kontrolle über diese Parteien übte das (nationale) CLN aber zunächst genauso wenig aus wie seine bald überall im besetzten Italien entstehenden regionalen und lokalen Ableger. Erst im Laufe des Jahres 1944 konnte sich das Mailänder Komitee unter der Bezeichnung CLNAI (Comitato di Liberazione Nazionale Alto Italia) zunehmend als Koordinationsorgan des bewaffneten Widerstandes in Norditalien etablieren.10 Das nationale CLN im römischen Untergrund war dagegen hauptsächlich damit beschäftigt, politische Kompromisse zu finden, die es erlaubten, trotz der völlig unterschiedlichen Weltanschauungen ihrer Mitglieder eine gemeinsame Position gegenüber den Alliierten zu finden und eine politische Ordnung für ein zukünftiges Italien zu skizzieren. Die Alliierten – hier besonders die Briten – unterstützten weiter die Regierung Badoglio als Garant des Status quo sowie des Waffenstillstandsvertrages.11 Von einer organisierten Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzungsmacht konnte zudem im Herbst 1943 noch keine Rede sein – geschweige denn von ihrer Kontrolle durch das CLN. In den Tagen unmittelbar nach dem 8. September irrten tausende, von ihren Kommandostellen im Stich gelassene, italienische Soldaten im deutschbesetzten Teil Italiens umher und versuchten, von den Deutschen unentdeckt in ihre Heimatorte zu gelangen. Einige wenige fanden sich in kleinen Gruppen zusammen und schlugen sich in die Berge und Wälder des Apennins und der Alpen, um der drohenden Deportation nach Deutschland zu entgehen. Diese Gruppen wurden durch alliierte Kriegsgefangene verstärkt, die das allgemeine Chaos in den Tagen nach dem 8. September genutzt hatten, um aus den von den Italienern aufgegebenen Kriegsgefangenenlagern zu fliehen. Viele dieser Gruppen lösten sich allerdings auch wieder schnell auf. Ende November 1943 waren es nach glaubwürdigen Schätzungen des italienischen Historikers Giorgio Bocca nur noch 3800 Mann, die die Grundlage für den italienischen „Maquis“ bildeten – 1650 davon im Piemont.12 Hier hatte sich nach dem 8. September die aus Frankreich zurückströmende 4. italienische Armee aufgelöst und versorgte den Maquis mit Rekruten, Waffen und Geld aus der vor den Deutschen geretteten Armeekasse. Diese Gruppen standen aber nur selten in Kontakt untereinander und wussten von der Existenz der lokalen sowie des nationalen CLN oft nichts. Eine politische Ausrichtung bekamen sie erst nach und nach durch einige wenige Antifaschisten, die sich nach dem 8. September zu den versprengten Soldaten und entflohenen alliierten Kriegsgefangenen gesellten.13 Ohne diese Antifaschisten hätte sich die Resistenza leicht in 9

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Der Partito del lavoro kann kaum als Partei bezeichnet werden, da ihm so gut wie jede Anhängerschaft abging. Ihr Frontmann, der ehemaligen Premierminister Ivanoe Bonomi, konnte allerdings als Chef des CLN zunächst dennoch großen Einfluss ausüben. Enzo Collotti: Natura e funzione storica dei Comitati di liberazione. In: Dizionario della Resistenza. Hrsg. v. Enzo Collotti/Renato Sandri/ Frediano Sessi. Bd. I: Storia e geografia della Liberazione. Turin 2000, S. 233. Giorgio Amendola: Lettere a Milano, ricordi e documenti 1939–1945. Rom 1974, S. 161. David W. Ellwood: Italy 1943–1945. Bath 1985, S. 73. Giorgio Bocca: Storia dell’Italia partigiana. Bari 1966, S. 93–97. Claudio Pavone: Una guerra civile. Turin 1991, S. 13 f., S. 25 f. u. S. 30 ff.

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spontanen Maßnahmen verlieren und sich – wie es im übrigen die Angloamerikaner wünschten – auf Sabotageakte kleiner, unmittelbar hinter den deutschen Linien operierenden Gruppen beschränken können. Am aktivsten bei der Politisierung des Maquis zeigten sich die Studenten und Intellektuellen des Pd’A sowie die kommunistischen Parteiaktivisten. Pd’A und PCI kontrollierten dann auch alsbald ca. 70 Prozent aller Partisanengruppen.14 Hauptrekrutierungsbasis des italienischen „Maquis“ sollte bald – ähnlich wie in Frankreich – das Heer derer werden, die sich dem deutschen Zwangsarbeitsdienst bzw. dem Einberufungsbefehl der neofaschistischen Regierung in Saló entzogen. Allerdings schloss sich auch in Italien nur eine Minderheit dieser „Fahnenflüchtigen“ den Partisanen an.15 Die weitverbreitete Verweigerungshaltung war eher Ausdruck allgemeiner Kriegsmüdigkeit als aktiver, politisch orientierter Widerstand gegen die Besatzer, hatte doch die Regierung Badoglio nicht minder Probleme Rekruten für ihr an der Seite der Alliierten kämpfendes Heer zu finden.16 Die ersten Schritte des Widerstandes in den Städten gestalteten sich noch schwieriger als in den Bergen und Wäldern. Die bevorzugte Ausdrucksform des Widerstandes war neben zahlreichen Untergrundzeitungen zunächst der Streik. Die großen Industriestädte Turin, Mailand und Genua erlebten im November und Dezember 1943 verschiedene Streikwellen, die bei der für das Deutsche Reich arbeitenden Rüstungsindustrie zu ernsthaften Einbußen führten. In der Forschung überwiegt inzwischen allerdings die Meinung, dass die Gründe für diese Streiks weniger in einem bewussten Antifaschismus oder einem gezielten Widerstandswillen gegen die Besatzungsmacht zu suchen sind, als vielmehr in der schlechten wirtschaftlichen Lage der Arbeiter.17 Die lokalen Widerstandskomitees und selbst die kommunistische Partei wurden von den Arbeitsniederlegungen nicht weniger überrascht als die Besatzungsmacht. Erst der von der PCI organisierte Generalstreik im März 1944 sollte eine deutliche politische Zielrichtung haben. Mindestens 200 000,18 laut Spirano sogar 500 00019 Arbeiter traten in der ersten Märzwoche in den Ausstand – eine einmalige politische Demonstration. Die Sozialisierungsbestrebungen der RSI, mit der die Arbeiterschaft für das neue neofaschistische Regime Mussolinis gewonnen werden sollte, waren damit desavouiert, und der PCI hatte erstmals erfolgreich seine Macht demonstriert. Allerdings wies die Streikbegeisterung starke regionale Unterschiede auf. Während der Streik in Mailand und Turin ein voller Erfolg war, blieb die Streikbeteiligung in Genua schwach. In anderen Gegenden – z. B. in Venetien – fiel der Streik sogar ganz aus. Zudem hatte offensichtlich die Deportation von ca. 1200 Arbeitern die von der

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Santo Peli: La Resistenza in Italia. Storia e critica. Turin 2004. Ebenda, S. 48. Nicola Labanca: Corpo italiano di liberazione. In: Dizionario della Resistenza; Pavone, Una guerra civile, S. 94–123. Pavone, Una guerra civile, S. 326 ff.; Peli, La Resistenza in Italia, S. 65; Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung, S. 266 ff. Peli, La Resistenza in Italia, S. 65. Paolo Spirano: Storia del Partito comunista italiano. Bd. V. Turin 1975, S. 257.

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Besatzungsmacht gewünschte abschreckende Wirkung. Der Streik brach zusammen und die Arbeitermassen ließen sich bis zum April 1945 nicht mehr mobilisieren.20 Eine Stadtguerilla konnte sich selbst in den streikfreudigen Industriestädten des Nordens nur schwer etablieren. Mehr noch als in den Bergen und in den Fabriken behauptete hier der PCI seine Führungsrolle. Mit einer kleinen Elite von „Berufsrevolutionären“ und jungen, hochmotivierten Studenten, die häufig wegen des Aktivismus des PCI den Weg in die Partei gefunden hatten,21 gelang es, eine effektive Untergrundorganisation aufzubauen. Speerspitze des militärischen Apparats der kommunistischen Partei waren im städtischen Gebiet die sogenannten Gruppi d’Azione Patriottica (GAP).22 Die GAP waren unabhängig voneinander operierende, vier bis fünf Mann starke Zellen, die als „wahre Vollstrecker des Volkes“ (Roberto Battaglia) der deutschen und faschistischen Gewaltherrschaft ihren eigenen Terror entgegenstellten. Ihre Gesamtzahl übertraf selten 40 Mann pro Stadt. Ab November 1943 nahmen die GAP in ganz Italien gezielt Attentate auf deutsche Soldaten und faschistische Funktionäre vor. Der größte innerhalb einer westeuropäischen Stadt verübte Anschlag sollte ebenfalls auf die Rechnung dieser waghalsigen Kämpfer gehen: Das Attentat in der Via Rasella in Rom, das am 23. März 1944 33 deutsche Ordnungspolizisten eines Südtiroler Polizeiregiments das Leben kostete.23 Dieser spektakuläre Anschlag und die darauf folgende deutsche Repressalie, bei der 335 politisch Verdächtige und völlig Unbeteiligte (darunter 75 Juden) erschossen wurden, verschärfte eine Debatte innerhalb des CLN, die schon vorher die „bürgerlichen“ Parteien gegen die Linke aufgebracht hatte. Während der PCI, der PSI und der Pd’A für eine Guerillakriegsstrategie eintraten, die auch Attentate gegen Deutsche und italienische Faschisten einschloss, plädierten die Vertreter der DC und des PLI dafür, den Widerstandskampf auf Propaganda und Sabotageakte zu beschränken und die militärische Befreiung des Landes den Alliierten zu überlassen. Diese von der Linken als „Attentismus“ kritisierte Haltung der gemäßigten Parteien wurde massiv vom Vatikan und dem höheren Klerus unterstützt.24 Uneinigkeit herrschte auch darüber, wie sich der Widerstand gegenüber dem König und der Regierung Badoglio verhalten sollte. Sozialisten, Aktionisten und Kommunisten setzten sich vehement für einen sofortigen Rücktritt des Königs und die Ausrufung einer Republik ein, während die Christdemokraten auf eine evolutionäre Demokratisierung und die Liberalen auf die Wiederherstellung des vorfaschistischen Staates setzten. Die Krise innerhalb des CLN wurde durch einen überraschenden Schwenk des PCI gelöst. Palmiro Togliatti, der bis dahin im Moskauer Exil lebende Parteichef des 20

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Ein Streikversuch im Juni 1944 wurde von den Deutschen im Keime erstickt, siehe Klinkhammer, Zwischen Bündnis und Besatzung, S. 301 ff. Vgl. u. a. Martha Musu: La ragazza di via Orazio. Vita di una comunista irrequieta. Mailand 1997, S. 9. Giovanni Pesce: Senza tregua. La guerra dei GAP. Mailand 1967. Steffen Prauser: Sanktion oder Mord? Die Erschießungen in den Fosse Ardeatine und der Anschlag in der Via Rasella in Rom (1944). In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 50 (2002) H. 2, S. 269–301; ders.: Rom/Fosse Ardeatine 1944. In: Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2003, S. 207–216. Vgl. Enzo Forcella: La Resistenza in convento. Turin 1999.

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PCI, kehrte vier Tage nach dem Anschlag in der Via Rasella in seine italienische Heimat zurück. Dort rief er zur Einheit aller nationalen Kräfte auf, um die Deutschen und ihre faschistischen Verbündete so schnell wie möglich aus Italien hinauszuwerfen. Alle Streitigkeiten über eine zukünftige Staatsform Italiens sollten auf die Zeit nach der Befreiung verschoben und dann durch eine Volksbefragung gelöst werden. Nicht die Revolution galt es zu erzwingen, sondern die nationale Freiheit und die Vernichtung des Faschismus – und das unter Einschluss der konservativen Kräfte. Im Rahmen dieser Strategie hatte die Sowjetunion am 14. März das Regno d’Italia, d. h. die königliche Regierung, diplomatisch anerkannt.25 Diese unter dem Begriff „Wende von Salerno“26 in die Geschichte eingegangene Wandlung des PCI entsprach der auch von den anderen kommunistischen Parteien Westeuropas verfolgten Politik einer „union sacrée“ aller antideutscher Kräfte. Im April trat Togliatti sogar trotz der Proteste des PSI, des Pd’A und der eigenen Parteibasis einer neuen Regierung unter Badoglio bei. Das Ende der Monarchie war zunächst einmal verschoben, die Krise innerhalb des CLN war behoben und die kommunistische Partei war binnen eines Jahres vom „Schmuddelkind der Nation“ zur Regierungspartei aufgestiegen. Allerdings dauerte der Kompromiss nicht lange. Nach der Befreiung Roms im Juni 1944 übernahm der CLN unter Ivanoe Bonomi trotz britischer Proteste die Regierung und der König zog sich in das Privatleben zurück, während sein Sohn Kronprinz Umberto einem schon vor der Wende von Salerno erzielten Kompromiss folgend als Statthalter die königlichen Aufgaben übernahm. Im selben Monat schuf das CLNAI in Mailand mit dem Freiwilligen Befreiungskorps (CVL) zumindest formell ein zentrales Organ zur Koordinierung der Partisanenformationen. Diese hatten mit Mühe die größeren Auskämmungsaktionen der Wehrmacht im Winter überstanden. Aber weder Repressionen noch eine Generalamnestie für Fahnenflüchtige27 konnten die Ausweitung der Resistenza stoppen. Der Juni 1944 ließ mit der Befreiung Roms durch die Alliierten, deren schnellen Vormarsch Richtung Florenz, günstigen Witterungsbedingungen und der Landung in der Normandie in ganz Italien die Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges aufkommen und motivierte tausende junger Männer, den Schritt in den Maquis zu wagen. Giorgio Bocca gibt die Gesamtzahl der Partisanen für Juli 1944 mit ca. 50.000 an, für August mit ca. 70.000; laut Santo Peli stieg diese im September auf ca. 80–100.000 Mann weiter an.28 Nach der Befreiung von Florenz im August, die tatkräftig vom toskanischen Widerstand unterstützt wurde,29 war die Errichtung von 18 sogenannten „Partisanenrepubliken“ ein weiteres Zeichen des Aufwinds, dessen sich die Resistenza im Sommer 1944 erfreute. In einigen abgelegenen Tälern und Bergdörfern übernahmen die Partisanen 25

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Aldo Agostino: Palmiro Togliatti. Torino 1996, S. 273 ff.; Elena Aga-Rossi/Victor Zaslavsky: Togliatti e Stalin. Il PCI e la politica estera staliniana negli archivi di Mosca. Bologna 1997, S. 55 ff.; De Felice, Mussolini l’alleato. Bd. II, S. 174 f. Die Regierung Badoglio hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Sitz in Salerno. Vgl. Giampaolo Pansa: Il gladio e l’alloro: l’esercito di Salò. Mailand 1991, S. 86. Bocca, Storia della guerra partigiana, S. 345; Peli, La Resistenza in Italia, S. 86. Carlo Francovich: La Resistenza a Firenze. Florenz 1961, S. 279–291.

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für mehrere Wochen die Verwaltung und etablierten lokale demokratische Institutionen. Diese ersten Experimente mit der Demokratie fanden zum Teil große Resonanz in der internationalen Presse und verdeutlichten ein weiteres Mal die Schwäche der RSI. Selbst nach Rückeroberung der befreiten Gebiete durch deutsche Truppen, konnten die italienischen Neofaschisten in den ehemaligen Partisanenrepubliken nicht mehr Fuß fassen.30 Diese Rückeroberungen machten aber auch die Schwäche des Widerstandes auf militärischem Gebiet deutlich. Den deutschen Auskämmungsaktionen, die bis Ende November zur totalen Auflösung aller Partisanenrepubliken führten, hatten die Widerständler nichts entgegenzusetzen. In offener Feldschlacht waren die Partisanen, die weder über Artillerie noch ausreichenden Munitionsnachschub verfügten, auch im Sommer 1944 den deutschen Truppen hoffnungslos unterlegen.31 Im Rahmen deutscher Auskämmungsaktionen kam es im Sommer 1944 auch zu den blutigsten Gräueltaten, die deutsche Truppen auf italienischem Boden anrichteten. Stellvertretend für viele weitere seien hier die beiden größten Massaker in Sant’Anna di Stazzema in der Toskana und Marzabotto bei Bologna mit 560 bzw. 770 Opfern genannt.32 Die deutschen Auskämmungsaktionen trafen zwar eher Zivilisten als Partisanen, stürzten aber letztere dennoch in eine Krise. Zusätzlich zu den Verlusten an Männern und Material mussten die Widerständler ihre angestammten Rückzugsgebiete in den Bergen aufgeben und sich in die von Deutschen und italienischen Faschisten kontrollierten Städte zurückziehen. In Folge von Verrat fielen in dieser Phase zahlreiche Führungspersönlichkeiten des Widerstandes, wie der Chef des CVL, Ferruccio Parri, der Mitbegründer des Pd’A, Duccio Galimberti, oder das gesamte lokale CLN von Ferrara in die Hände der Deutschen bzw. Faschisten.33 Bei diesem Rückzug in die gefährlichen Städte und die Ebene spielten auch der bevorstehende Winter und ein sich verschlechterndes Verhältnis zur Zivilbevölkerung eine wichtige Rolle. Hatte diese im Sommer dem Widerstand zumindest mit wohlwollender Neutralität gegenübergestanden, waren Partisanen nun eher ungern gesehene Gäste, erhöhte ihre Anwesenheit doch die Wahrscheinlichkeit einer deutschen Repressalie drastisch. In dieser Krise empfahl General Sir Harold Alexander, Oberbefehlshaber der alliierten Truppen in Italien, in seinem berühmt gewordenen Aufruf an die Partisanen vom 13. November 1944, sich über den Winter aller größeren militärischen Operationen zu enthalten und nach Hause zurückzukehren. Nicht umsonst wurde dieser Aufruf als antikommunistisches Manöver der Briten und „Schlag in den Rücken“ der Resistenza interpretiert.34 Die Order hatte einen vernichtenden Effekt auf die Mo-

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Auf deutsch siehe Hubertus Bergwitz: Die Partisanenrepublik Ossola: Vom 10. September 1944 bis zum 23. Oktober 1944. Hannover 1972. Peli, La Resistenza in Italia, S. 102–109. In deutscher Sprache u. a.: Carlo Gentile: Marzabotto 1944. In: Orte des Grauens. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2003, S. 136–146; ders.: Sant’Anna di Stazzema 1944. In: Ebenda, S. 231–236; Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. Täter, Opfer, Strafverfolgung. München 1996, S. 164 ff. Peli, La Resistenza in Italia, S. 122. Roberto Battaglia: Storia della Resistenza italiana. Turin 1953, S. 457 f.; Amendola, Lettere a Milano, S. 474; Spirano, Storia del Partito comunista. Bd. V, S. 439–443.

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ral der in einer Krise steckenden Partisanengruppen.35 Das wichtige Abkommen, das die Alliierten mit einer Abordnung des CLNAI nur wenige Tage nach Alexanders Aufruf schloss, legt allerdings eine positivere Interpretation der Intentionen des Generals nahe. Zwar mussten die Vertreter des CLNAI versprechen, dass sie bei Kriegsende keine „Gegenregierung des Volkes“ errichten und dem Hauptanliegen der Alliierten nachkommen würden, die Partisanenverbände nach Beendigung der Kampfhandlungen zu entwaffnen. Aber als Gegenleistung erhielten die Partisanenformationen massive finanzielle und materielle Unterstützung. Dies ermöglichte ihnen, sich später im Frühjahr 1945 – besser ausgerüstet denn je – neu zu konstituieren. Als die Alliierten im April 1945 die letzte deutsche Verteidigungsstellung auf dem Apennin durchbrachen, rief das CLNAI zum Volksaufstand auf. Entgegen der Abmachungen vom Dezember amtierte so in den meisten Städten der Po-Ebene bei Einmarsch der Alliierten ein Bürgermeister aus den Reihen des CLNAI. Dieser Höhepunkt des Widerstandes, die selbstständige Befreiung der norditalienischen Städte, ging allerdings auch mit einem der Tiefpunkte des Widerstandskampfes einher: Mindestens 10.000 Personen wurden in dieser Phase wegen ihrer Verbindungen und Verstrickungen mit dem faschistischen Regime meist ohne jede Gerichtsverhandlung getötet.36 Häufig waren diese Verstrickungen nicht so deutlich, wie im Fall Mussolinis, dessen Leichnam zusammen mit dem seiner Geliebten und weiteren 13 Faschisten auf dem Piazzale Loreto in Mailand aufgehängt zur Schau gestellt wurde, dem Ort an dem im August 1944 die faschistische Miliz 15 Widerstandskämpfer erschossen hatte.

Zur Bewertung der Resistenza Bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstand mit zahlreichen „Istituti Storici della Resistenza“ ein dichtes Netz von staatlich geförderten Instituten zur Erforschung des Widerstandes gegen Nationalsozialismus und Faschismus. Diese heute ca. 60 Institute, lose von dem nationalen Resistenza-Institut in Mailand koordiniert, monopolisierten geradezu die historische Auseinandersetzung mit den Jahren 1943–1945. Die große Mehrheit der Wissenschaftler und Direktoren dieser Institute waren meist selbst im Widerstand aktiv gewesen, was die Selbstzensur erklären mag, der sich die Forschung oft bis in die späten 80er Jahre unterwarf.37 Diese Geschichtswissenschaft deutete die Resistenza als einen Widerstand, der zwar nur von einer Elite auf militärischer Ebene geführt wurde, hinter dem jedoch nahezu die gesamte Bevölkerung gestanden habe. Außerdem überhöhte diese Resistenza-Geschichtsschreibung die militärische Bedeutung dieses Widerstandes und beschränkte sich vornehmlich auf die Geschichte der militärischen Aktionen und der politischen Formierung der Partisaneneinheiten. Grundlegende Themenbereiche wie die der Militärinternierten, der Implikationen des Partisanenkrieges für die Zivilbevölkerung oder die Rolle der Frauen in der Resistenza blieben weitgehend ausgeklammert. 35

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Ellwood, Italy 1943–1945, S. 163; Ennio Di Nolfo: Von Mussolini zu De Gasperi. Italien Zwischen Angst und Hoffnung 1943–1953. Paderborn 1993, S. 104–107. Hans Woller: Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948. München 1996. Siehe stellvertretend Battaglia, Storia della Resistenza italiana.

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Die 1970er Jahre sahen Schritte in Richtung einer etwas kritischeren Auseinandersetzung mit der Resistenza; eine „Revolution paxtonienne“ wie in Frankreich blieb aber aus. In dieser Phase fanden Untersuchungen der Rolle der Arbeiter, der Frauen sowie der links des PCI angesiedelten im CLN nicht vertretenen anarcho-trotzkistischen Gruppen Eingang in die Widerstandsforschung.38 An dieser Stelle ist auch die einflussreiche Gesamtdarstellung des italienischen Widerstandes von Guido Quazza von 1976 zu nennen, die allerdings einen neuen Mythos schuf: den von der Partisanengruppe als Mikrokosmos der Demokratie39 – eine im Hinblick auf die monarchistischen und kommunistischen Widerstandsgruppen wenig überzeugende These. Ein unvoreingenommener Historisierungsprozess wurde erst mit Beginn der 90er Jahre eingeleitet. Mit einem Paukenschlag leitete Claudio Pavone 1991 in seinem Werk „Una guerra civile“40 diese neue Phase ein. Pavone, ein ehemaliger Widerstandskämpfer in den Reihen des Pd’A und angesehener Professor für Zeitgeschichte, richtete seine Aufmerksamkeit auf die Vielfalt und Komplexität der Resistenza, in der er eine Verschränkung von drei Kriegen erkennen wollte: einen Befreiungskrieg gegen die Deutschen, einen Bürgerkrieg gegen die Neofaschisten und einen klassenkämpferischen Krieg gegen die wirtschaftlichen Machtgruppen. Besonders der Begriff „Bürgerkrieg“ löste eine heftige Debatte aus, war dieser doch bis dahin – von wenigen Ausnahmen abgesehen – allein von der extremen Rechten verwendet bzw. instrumentalisiert worden, um Partisanen und faschistische Kollaborateure auf eine Stufe zu stellen. Seit Pavones „Guerra civile“ sind eine Reihe wichtiger Arbeiten erschienen und zahlreiche neue Forschungsfelder erschlossen worden. Übertreibungen älterer Lokalstudien sind inzwischen weitgehend überwunden. Die 90er Jahre sahen aber auch die Polemik um Renzo de Felices „Rosso e nero“, in dem dieser der alten Konsensthese die Behauptung entgegenstellte, die große Mehrheit der Bevölkerung habe sich weder mit der einen noch mit der anderen Seite identifiziert.41 Die Geschichte der Italiener wäre demnach für die Jahre 1943–45 erst noch zu schreiben. De Felice beschrieb den 8. September zudem als unumkehrbare Katastrophe und erkannte der Resistenza ihren Charakter einer demokratischen Befreiungsbewegung ab, sondern wies dem CLN vielmehr die Rolle des Vorreiters jener Parteienherrschaft zu, die 50 Jahre später zur Krise der italienischen Republik führen sollte.42 Medienwirksame Angriffe auf das historische Erbe der Resistenza43 und ihre oft nicht minder polemische Verteidigung zeigen deutlich wie präsent die Besatzungszeit und Endphase des italienischen Faschismus 38

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Siehe z. B.: Romolo Gobbi: Operai e Resistenza. Turin 1973; Silverio Corvisieri: „Bandiera Rossa“ nella resistenza romana. Roma 1968. Zu den Arbeiten der 70er, die Frauen in der Resistenza betreffend, siehe die umfangreiche Bibliographie in Graziella Bonasea: Donne nella Resistenza. In: Dizionario della resistenza. Bd. II. S. 270–273. Siehe in dieser Phase auch Paolos Spiranos umfangreiches Werk, Storia del Partito comunista italiano, über den PCI. Guido Quazza: Resistenza e storia d’Italia. Problemi e ipotesi di ricerca. Mailand 1976, S. 241 ff. Pavone, Una guerra civile. Renzo De Felice: Rosso e nero. Mailand 1995. So auch Ernesto Galli della Loggia: Intervista sulla destra. Bari 1994. Siehe auch die Debatte um Gianpaolo Pansas: Il sangue dei vinti. Quello che accadde in italia dopo il 24 aprile. Mailand 2003.

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unter Mussolini noch heute im öffentlichen Diskurs in Italien ist. Die häufigen Fehden verdecken allerdings die Fortschritte sachlicher Auseinandersetzung mit der Resistenza der vergangenen Jahre, die vor allem in gewinnbringenden Lokal- und Detailstudien44 sowie in der von Santo Peli 2004 verfassten, wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Gesamtdarstellung45 Ausdruck fanden.

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Siehe z. B. Claudio Silingardi: Una provincial partigiana. Guerra e resistenya a Modena 1940– 1945. Mailand 1998; Giulio Guderzo: Neofascisti, tedeschi, partigiani, popolo in una provincial padana. Pavia 1943–1945. Bologna 2002; Santo Peli: Il primo anno della Resistenza. Brecia 1943–1944. Brecia 1994; siehe auch Roger Absalom: A Strange Alliance. Aspects of Escape and Survival in Italy 1943–1945. Florenz 1991; Giorgio Petracchi: „Intelligence“ americana e partigiani sulla Linea Gotica. I documenti segreti dell’OSS. Foggia 1992. Peli, La Resistenza in Italia (2004).

Österreich: Gegen den Nationalsozialismus 1938–1945 Wolfgang Neugebauer Dimensionen, Gruppierungen, Ereignisse Voraussetzungen und Besonderheiten Unmittelbar nach dem gewaltsamen „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich im März 1938 stieß die Organisierung des Widerstandes auf große Schwierigkeiten. Der kampflose Untergang Österreichs, die Passivität der Westmächte, die totale nationalsozialistische Machtergreifung, die brutalen Verfolgungsmaßnahmen und die erzwungene Flucht Tausender potentieller NS-Gegner wirkten sich ebenso negativ aus wie die weit über die NS-Sympathisanten hinausgehende pronazistische Jubelstimmung und die verschiedenen anschlussfreundlichen Erklärungen österreichischer Institutionen und Persönlichkeiten, unter anderem der österreichischen Bischöfe und des bekannten Sozialdemokraten Karl Renner.1 Im Unterschied zu anderen besetzten Ländern, wo von vornherein ein klares Feindbild bestand und der Widerstand zur Sache aller nationalen Kräfte wurde, hatten die österreichischen Widerstandskämpfer und -kämpferinnen in einer zum Teil feindlichen, von Denunzianten und fanatischen Regimeanhängern durchsetzten Umwelt zu wirken. Eine gemeinsame nationale Wurzel des Widerstandes, die – ungeachtet der auch dort bestehenden politischen Differenzierungen – für andere vom Dritten Reich besetzte Länder charakteristisch war, war aufgrund der besonderen „nationalen“ Situation Österreichs – weit verbreiteter Deutschnationalismus, sich erst entwickelnder Österreichpatriotismus – lange Zeit kaum vorhanden. Trotzdem kann man von einem „spezifischen österreichischen Widerstand“2 sprechen, nicht zuletzt, weil organisatorisch eine nahezu völlige Trennung zwischen österreichischen und deutschen Widerstandsgruppen bestand.3 Der politisch-gesellschaftlichen Struktur Österreichs entsprechend fand das NS-Regime zwei annähernd gleich starke potentielle Hauptgegnergruppen vor: die organisierte Arbeiterbewegung, hauptsächlich in den Industriezentren im Osten Österreichs konzentriert, und das katholisch-konservativ-bürgerliche Lager. Zu Recht stellt der Historiker Ernst Hanisch fest, dass die „für Österreich typische tiefe parteipolitische Fragmentierung“4 auch den Widerstand prägte. 1 2

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Vgl. Wolfgang Neugebauer: Der österreichische Widerstand 1938 –1945. Wien 2008, S. 21 ff. Siehe hierzu Ernst Hanisch: Gibt es einen spezifisch österreichischen Widerstand? In: Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte. Hrsg. v. Peter Steinbach. Köln 1987, S. 163–176. Vgl. Wolfgang Neugebauer: Der Widerstand in Österreich. In: Europäischer Widerstand im Vergleich. Hrsg. v. Ger van Roon. Berlin 1985, S. 141–170; ders.: Widerstand und Opposition. In: NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Hrsg. v. Emmerich Talos u.a. Wien 2000, S. 187– 212. Hanisch, Gibt es einen spezifisch österreichischen Widerstand?

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Sozialistischer Widerstand Die Führung der schon seit 1934 im Untergrund wirkenden Revolutionären Sozialisten (RS), der Nachfolgepartei der Sozialdemokratie, hatte nach dem „Anschluss“ die Weisung ausgegeben, alle Aktivitäten für drei Monate einzustellen, was im Zusammenspiel mit den Verfolgungsmaßnahmen zu einem organisatorischen Niedergang der Gruppierung führte. Die weiter aktiven RS-Mitglieder konzentrierten ihre Tätigkeit auf die Unterstützung von Angehörigen von Verfolgten, und die schon 1934 bestehende Unterstützungsaktion „Sozialistische Arbeiterhilfe“ (SAH) – ein Gegenstück zur kommunistischen „Roten Hilfe“ – wurde gleichsam zum Ersatz für die Parteiorganisation. Nicht zuletzt durch den Verlust der Verbindungen zum Exil nach Kriegsbeginn 1939 zerfiel der sozialistische Widerstand in einzelne, voneinander isolierte Gruppen. Einzelne Funktionäre, wie die späteren SPÖ-Politiker Felix Slavik und Alfred Migsch, unternahmen Versuche zum Neuaufbau von Organisationen. Von den noch weiter existierenden sozialistischen Widerstandsgruppen war die von dem Wiener Hauptschullehrer Johann Otto Haas geführte Gruppe der Revolutionären Sozialisten am bedeutendsten. Sie hatte bis zu ihrer Aufdeckung im Juli 1942 Stützpunkte in Wien, Salzburg und Tirol sowie Verbindungen zu sozialistischen Gruppen in Süddeutschland aufgebaut. Die gesamtdeutsche Linie, die im sozialistischen Exil vertreten wurde, war lange Zeit auch für die Widerstandsgruppen im Land maßgeblich. Erst im Laufe des Krieges und besonders nach der Moskauer Deklaration 1943, in der von den Alliierten die Unabhängigkeit Österreichs zum gemeinsamen Kriegsziel erklärt wurde, erfolgte ein Umdenken. Vertreter des deutschen Widerstandes versuchten mehrmals, österreichische Sozialdemokraten und Christlichsoziale zur Mitarbeit zu gewinnen, mussten aber erfahren, dass österreichischerseits der Wunsch nach Unabhängigkeit bereits stärker war als die Verbundenheit mit dem Deutschen Reich. Kommunistischer Widerstand Wenn man von den überlieferten Polizei- und Gerichtsmaterialien5 ausgeht, war der kommunistische Widerstand zahlenmäßig der weitaus stärkste von allen politischen Gruppen. Wie im Zuge eines von der Universität Marburg und dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) in Wien durchgeführten Projektes zur NS-Justiz erforscht werden konnte, waren nahezu 60 Prozent der vom Volksgerichtshof und den Oberlandesgerichten Wien und Graz verurteilten Österreicher und Österreicherinnen dem kommunistischen Widerstand zuzurechnen; mehr als 80 Prozent von ihnen hatten vor 1934 der Sozialdemokratie angehört. Auch die illegalen Druckwerke dieser Zeit waren an die 90 Prozent kommunistischer Provenienz. Diese Einflusszunahme war möglich, weil die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ) von Anfang an – ohne Rücksicht auf Verluste – die Parole des aktiven Widerstandes ausgab. Schon in der ersten, am 12. März 1938 in Prag beschlossenen Erklärung ihres Zentralkomitees trat die KPÖ für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs ein und gab ihrem Wi5

Siehe dazu die von Wolfgang Form, Wolfgang Neugebauer und Theo Schiller herausgegebene Mikrofiche-Edition: Widerstand und Verfolgung in Österreich 1938 bis 1945. Die Verfahren vor dem Volksgerichtshof und den Oberlandesgerichten Wien und Graz. München 2004 mit Erschließungsband. München 2005 sowie den dazu gehörigen Analyseband.

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derstand – unter Zurücksetzung klassenkämpferischer und revolutionärer Parolen – eine betont österreichisch-patriotische Orientierung. In Anlehnung an die 1935 von der Komintern eingeleitete Volksfrontpolitik propagierten die österreichischen Kommunisten – allerdings weitgehend erfolglos – die Bildung einer überparteilichen „Österreichischen Freiheitsfront“. Im Allgemeinen blieb der KP-Einfluss auf die einst sozialdemokratische Arbeiterschaft beschränkt. Etwa ab Sommer 1938 entstanden unzählige Lokal- und Betriebszellen, wurden immer wieder Bezirks-, Stadt- und zentrale Leitungen gebildet. Die von der KPÖ zur politischen und organisatorischen Steuerung aus dem Ausland nach Österreich entsandten Emissäre wurden infolge der Unterwanderung gerade der zentralen Parteikader mit Gestapospitzeln meist nach kurzer Zeit festgenommen und mit ihnen ganze Organisationen mit Hunderten Aktivisten und Aktivistinnen. Zu diesen todesmutigen Widerständlern gehörten auch die bei Clemens Holzmeister in der Türkei tätigen Architekten Margarethe Schütte-Lihotzky und Herbert Eichholzer. Sie standen für viele junge Intellektuelle, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie Künstler und Künstlerinnen6, die sich in den zwanziger und dreißiger Jahren in Europa der Linken, der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei zugewandt hatten. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Demokratie, Frieden und Kultur bedrohenden Nationalsozialismus ließ viele Intellektuelle die Augen vor den damals schon sichtbaren Entartungen und Verbrechen des Stalinismus verschließen. Gerade in diesem Milieu waren Menschen jüdischer Herkunft stark vertreten: Geflüchtet, vertrieben und vielfach von der NS-Herrschaft wieder eingeholt, spielten sie im europäischen Widerstand, vor allem in Frankreich, eine wichtige und aktive Rolle. So bauten aus dem französischen Exil respektive Untergrund 1943 als „Fremdarbeiter“ nach Wien zurückgekehrte kommunistische Aktivisten und Aktivistinnen ein umfangreiches Widerstandsnetz auf, das auch französische „Fremdarbeiter“ umfasste. Im Mittelpunkt der auf Massenwiderstand zielenden kommunistischen Aktivitäten stand die Verbreitung illegaler Druckwerke, die das Meinungsmonopol des NS-Regimes durchbrechen sollten. Viele der illegalen Aktivitäten, wie Streu- oder Schmieraktionen trug hauptsächlich der Kommunistische Jugendverband (KJV), wobei besonders die massenhaft an österreichische Frontsoldaten verschickten „zersetzenden“ Briefe die Aufmerksamkeit der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) hervorriefen. Bis Ende 1943 konnte die Gestapo mit brutalen Methoden die meisten bestehenden kommunistischen Gruppen aufdecken und zerschlagen. In einem Bericht der Gestapo Wien vom März 1944 wurde die Festnahme von 6300 kommunistischen Widerstandskämpfer und -kämpferinnen gemeldet. Kaum einer der von der Gestapo Festgenommenen wurde wieder entlassen; viele wurden hingerichtet oder kamen in Gefängnissen und Konzentrationslagern um.

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Vgl. Gerhard Botz: Künstlerische Widerständigkeit. „Resistenz“, partielle Kollaboration und organisierter Widerstand im Nationalsozialismus. In: Themen der Zeitgeschichte und der Gegenwart. Hrsg. v. DÖW. Wien 2004, S. 98–119.

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Andere linke Widerstandsgruppen Im Unterschied zu den aktivistischen Kommunisten kapselten sich die verschiedenen Kleingruppen, die in der Tradition des russischen Revolutionärs Leo Trotzki standen, weitgehend ab, verbreiteten ihre Publikationen nur im eigenen Kreis und blieben bedeutungslos. Auf die Existenz einer anarchistischen Gruppe kann nur aus dem Vorliegen illegaler Flugschriften geschlossen werden. Linke NSDAP-Absplitterungen in der Art der „Schwarzen Front“ wurden von der Gestapo als „nationalbolschewistisch“ verfolgt. Zu den aktivsten Widerstandsgruppen in den Jahren 1942 bis 1944 zählten die aus jugendlichen „Mischlingen“ im Sinne der Nürnberger Gesetze zusammengesetzte „Mischlingsliga Wien“ und die von dem slowenischen Kommunisten Karl Hudomalj initiierte Anti-Hitler-Bewegung Österreichs. Katholisch-konservativer Widerstand Die Katholische Kirche stand zwar nicht als Institution im aktiven Widerstand gegen das NS-Regime, da sie ihre legale Existenz nicht gefährden wollte; aber allein ihr Vorhandensein und ihre weltanschaulich-geistige Tätigkeit wirkten dem NS-Totalitätsstreben entgegen. Von den zahlreichen Widerstand leistenden katholischen Geistlichen, Ordensangehörigen und Laien seien an dieser Stelle nur drei Persönlichkeiten hervorgehoben: die Salzburger Ordensoberin der Barmherzigen Schwestern Anna Bertha von Königsegg, die 1940/41 mutig gegen die NS-Euthanasie protestierte und inhaftiert und aus dem Gau verwiesen wurde; die 1998 selig gesprochene Franziskanerin Schwester Maria Restituta (Helene Kafka), die in ihrem Mödlinger Spital ein österreichisch-patriotisches, kriegsgegnerisches Gedicht verbreitete und 1943 hingerichtet wurde; der oberösterreichische Bauer Franz Jägerstätter, der als Christ und österreichischer Patriot den Kriegsdienst in der Wehrmacht verweigert hatte und gleichfalls 1943 hingerichtet wurde. Antikatholische Maßnahmen, Diskriminierung und Verfolgung von „Ständestaats“Funktionären und die Unterdrückung alles Österreichisch-Patriotischen führten zur Bildung katholischer Widerstandsgruppen, die ebenso wie die zahlenmäßig nicht geringen monarchistischen Widerstandsgruppen meist großösterreichische Vorstellungen hatten. Ab Sommer/Herbst 1938 entstanden große konfessionelle und monarchistische Widerstandsgruppen, wie etwa die drei Österreichischen Freiheitsbewegungen (um Karl Roman Scholz, Jakob Kastelic und Karl Lederer) oder die Gruppe Hebra. Die wichtigsten Widerstandsorganisationen nach der Zerschlagung der großen katholischen Gruppen bis 1940 waren die Antifaschistische Freiheitsbewegung Österreichs und die 1942 bis 1944 operierende Gruppe um den Kaplan Heinrich Maier und den Semperit-Generaldirektor Franz Josef Messner, deren Bedeutung vor allem in den Kontakten zum US-Militärgeheimdienst „Office of Strategic Services“ (OSS) lag. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Grenzen zwischen Widerstandsaktivitäten und nachrichtendienstlichen Tätigkeiten für die Alliierten fließend waren und dass aus heutiger Sicht der militärische und geheimdienstliche Einsatz für die Alliierten, von NS-Gerichten und Gestapo sowie von heutigen Rechtsextremen als „Hoch-“ oder „Landesverrat“ diffamiert, als integrierender Bestandteil des Kampfes der AntiHitler-Koalition und des europäischen Widerstandes zu werten ist.

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Verbindungen bestanden zwischen früheren Funktionären der christlichen Arbeiterbewegung, namentlich Felix Hurdes und Lois Weinberger, zu deutschen christlichen Gewerkschaftern um Jakob Kaiser und damit zum Verschwörerkreis des 20. Juli 1944. Gegen Kriegsende formierten sich vielerorts neue Widerstandskreise im bürgerlichen Lager, so dass zu Recht vom Entstehen der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) im Widerstand gesprochen werden kann. Zeugen Jehovas7 Die in Österreich schon seit 1935/36 verbotene religiöse Gruppe „Internationale Bibelforschervereinigung“ setzte ihre Tätigkeit nach dem März 1938 unbeirrt fort. Die im NS-Jargon „Bibelforscher“ genannte, sich selbst „Zeugen Jehovas“ bezeichnende christliche Kleingruppe lehnte den nationalsozialistischen Staat kompromisslos ab, verweigerte den vorgeschriebenen „Deutschen Gruß“ ebenso wie den Dienst in der HitlerJugend. Das NS-Regime verfolgte die Zeugen Jehovas vor allem wegen ihrer Ablehnung von Kriegsdienst und Rüstungsarbeit konsequent und brutal. Nach eigenen Angaben sind von 550 Mitgliedern in Österreich 145 umgekommen, davon 54 wegen Kriegsdienstverweigerung oder Wehrkraftzersetzung. Widerstand und Solidarität in Gefängnissen und Lagern Auch in den Gefängnissen, Zuchthäusern und Konzentrationslagern des Dritten Reiches, in denen zehntausende Österreicher und Österreicherinnen inhaftiert waren, gab es – trotz der noch größeren Gefahren und Schwierigkeiten – Widerstand. Dabei standen die Organisierung der Solidarität, die Hilfe für die Gleichgesinnten und die Sorge um das nackte Überleben im Vordergrund. Aber auch politische Diskussionen, Schulungen und kulturelle Tätigkeiten wurden durchgeführt, Ausbruchsversuche unterstützt und andere illegale Aktivitäten vorgenommen. Innerhalb der internationalen Widerstandsbewegung im KZ Auschwitz nahm der österreichische Spanienkämpfer Hermann Langbein eine wichtige Rolle ein. Fünf Angehörige dieser Gruppe, drei Österreicher und zwei Polen, wurden am 30. Dezember 1944 hingerichtet. Aus nahezu allen Häftlingsberichten geht hervor, dass die meisten Österreicher und Österreicherinnen in ihren politischen Zukunftsvorstellungen an ein eigenständiges Österreich dachten. Aus dem gemeinsam erfahrenen Leid kam ein wichtiger Impuls zur Überwindung der großdeutschen Vorstellungen und für die Entwicklung eines österreichischen Nationalbewusstseins. Widerstand von Soldaten und Offizieren in der Wehrmacht Während die Führung der deutschen Wehrmacht an beispiellosen NS-Verbrechen beteiligt war und die meisten Offiziere und Soldaten bis zur Kapitulation am 8. Mai 1945 ihre „Pflicht“ erfüllten, wurden unzählige deutsche und österreichische Soldaten wegen verschiedener Widerstandsdelikte – wie z. B. Eid- und Kriegsdienstverweigerung, Desertion, Befehlsverweigerung, Selbstverstümmelung, Wehrkraftzersetzung und dergleichen – von Militärgerichten verurteilt. Insbesondere in der Zusammenbruchsphase im 7

Vgl. Zeugen Jehovas. Vergessene Opfer des Nationalsozialismus. Hrsg. v. DÖW. Wien 1998.

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April und Mai 1945 wurden tausende Todesurteile vollstreckt. So verurteilte noch am 9. Mai 1945 das Gericht der 6. Gebirgsdivision in Norwegen vier österreichische Wehrmachtsangehörige wegen „Fahnenflucht“ zum Tode und vollzog am nächsten Tag die Exekution. Die Hingerichteten gehörten einer Gruppe von Österreichern an, die nach Schweden flüchten wollten, um sich einem – rechtswidrigen – Befehl zum Weiterkämpfen zu entziehen. In Griechenland liefen in das Strafbataillon 999 gezwungene österreichische und deutsche Widerstandskämpfer zu den kommunistischen Partisanen der „Nationalen Volksbefreiungsarmee“ (ELAS) über; ähnliches ereignete sich in Jugoslawien und an der Ostfront. Die wichtigste militärische Widerstandsgruppe in Österreich hatte sich im Wehrkreiskommando XVII in Wien um Hauptmann (später: Major) Carl Szokoll gebildet. Diese Gruppe war bereits am 20. Juli 19448 spektakulär in Aktion getreten, als im Zuge der von Oberst Graf v. Stauffenberg geleiteten „Operation Walküre“ führende Wiener NS-Funktionäre festgenommen wurden. Der unentdeckt gebliebene Major Szokoll konnte im April 1945 Kontakt mit der Roten Armee aufnehmen, doch der Aufstandsplan („Operation Radetzky“) und damit die kampflose Übergabe Wiens fielen einem Verrat zum Opfer. Während Szokoll untertauchen konnte, wurden Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke von einem SSStandgericht noch am 8. April 1945 gehenkt. Partisanen und überparteiliche Gruppen Die österreichischen Widerstandskämpfer und -kämpferinnen beschränkten sich in der Hauptsache auf traditionelle politische Tätigkeitsformen, wie die Bildung von Organisationen, Propaganda und dergleichen, die sich als verlustreich, aber wenig effizient erwiesen. Gewaltsame Aktionen, auch Sabotage, waren eher selten. Erst etwa ab 1942 bildeten sich, meist auf Initiative von Kommunisten, bewaffnete Widerstandsgruppen. Vor allem in Südkärnten9 formierten sich slowenische Partisanengruppen, die mit den TitoPartisanen eng kooperierten und als einzige Formation auf österreichischem Boden einen substantiellen militärischen Beitrag zur Befreiung leisteten. Im Unterschied zu den auf die Sympathie der slowenischen Bauern sich stützenden Kärntner Partisanen fiel es den von den Alliierten mit Fallschirmen abgesetzten Kampfgruppen wie beispielsweise den „Koralmpartisanen“10 sehr schwer, in der Bevölkerung Fuß zu fassen, da hier die NS-Propaganda mit ihren antibolschewistischen Feindbildern stark wirksam war. In diesem Zusammenhang sind auch jene Österreicher und Österreicherinnen anzuführen, die als Flüchtlinge in verschiedenen Ländern Europas beim Vordringen der Wehrmacht erneut unter deutsche Herrschaft fielen und sich Widerstands- und Partisanengruppen anschlossen. Dazu gehörten viele der nach der Niederlage der Spanischen Republik 1939 nach Frankreich geflüchteten Freiwilligen der Internationalen Brigaden. Schließlich müssen auch die Tausenden österreichischen Exilierten, die in den al8 9 10

Siehe hierzu generell Ludwig Jedlicka: Der 20. Juli 1944 in Österreich. Wien 1965. Hierzu Josef Rausch: Der Partisanenkampf in Kärnten im Zweiten Weltkrieg. Wien 1979. Siehe Christian Fleck: Koralmpartisanen. Über abweichende Karrieren politisch motivierter Widerstandskämpfer. Wien, Köln 1986.

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liierten Streitkräften für die Befreiung Europas kämpften, zum österreichischen Widerstand gezählt werden. Gegen Ende des Krieges formierten sich vielerorts überparteiliche Widerstandsgruppen, deren Aktivisten und Aktivistinnen aus verschiedenen politischen und sozialen Lagern stammten. Die größte und bekannteste war die Gruppe O5, die von bürgerlich-konservativen Kräften initiiert und getragen wurde, aber auch Kontakte zu Sozialdemokraten und Kommunisten knüpfte. Durch die Verbindung, die Fritz Molden mit den Westalliierten herstellen konnte, erlangte diese Gruppe einen hohen politischen Stellenwert. In einzelnen Orten und Gegenden konnten Widerstandskräfte Befreiungsaktionen durchführen, indem sie die Zusammenbruchs- und Rückzugsphase des NSRegimes ausnützten. So befreite die Tiroler Widerstandsbewegung unter der Leitung des späteren Landeshauptmanns Karl Gruber die Stadt Innsbruck am 3. Mai 1945 noch vor dem Eintreffen der ersten US-Truppen. Widerstand von Einzelnen und Resistenzverhalten Andere Formen von Widerstand und Opposition – nichtorganisierter Widerstand von Einzelnen, passive Resistenz, Nonkonformismus, soziales Protestverhalten und dergleichen – sind erst spät in das Blickfeld der Widerstandsforschung gekommen, obwohl sie genauso wie der organisierte Widerstand polizeilich und gerichtlich verfolgt wurden. So bezieht sich zum Beispiel ein großer Teil der rund 10.000 Verfahren vor dem Sondergericht Wien auf Delikte nach dem „Heimtückegesetz“; das waren defätistische Äußerungen, Verbreiten von Gerüchten, Witze über führende NS-Funktionäre, prokommunistische oder prokatholische Äußerungen, Singen verbotener Lieder, Verweigerung von Spenden oder des „Deutschen Grußes“ und vieles anderes. Aufgrund der Quantität und Qualität dieser Fälle wird dieser „individuelle Widerstand“ nicht zu Unrecht als „kollektive Systemopposition“ (Gerhard Botz) verstanden. Die Ablehnung der Normen und Ansprüche des NS-Systems durch bewusst anderes Verhalten – in Kleidung, Haarschnitt, Musik und anderem – spielte besonders im Milieu der Arbeiterjugend eine Rolle; der von der HJ ausgeübte Zwang stieß dort auf Widerstand und schlug sich auch in zahlreichen Überfällen auf HJ-Funktionäre nieder. Von diesen Formen des „kleinen Widerstandes“ und des abweichenden Verhaltens von NS-Normen hebt sich die Hilfe für rassistisch Verfolgte, insbesondere für Juden, qualitativ ab, weil sie von humanen Motiven getragen und eine bewusst regimeablehnende Handlung war. Unterkunftsgewährung für untergetauchte Juden oder Lebensmittelweitergabe wurden rigoros bestraft. Der aus Wien stammende Feldwebel Anton Schmid wurde 1942 hingerichtet, weil er in dem – vom Österreicher Franz Murer kommandierten – Getto Wilna vielen Juden zur Flucht verholfen hatte. Von den mehr als 21.000 nach dem Krieg als „Gerechte der Völker“ von Israel Ausgezeichneten stammen 85 aus Österreich (Stand von 2007); es waren allerdings – so der zutreffende Titel des Buches von Erika Weinzierl – „Zu wenig Gerechte“.11

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Erika Weinzierl: Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945. 4., erweiterte Aufl. Graz, Wien, Köln 1997.

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Ergebnisse und Bedeutung des Widerstands Der Widerstand, sein Ausmaß und seine Bedeutung, kann nur im Zusammenhang mit dem Gesamtverhalten der Österreicher und Österreicherinnen in der NS-Zeit, also unter Berücksichtigung des österreichischen Nationalsozialismus, der partiellen oder zeitweisen Zustimmung von Bevölkerungsgruppen zum NS-System sowie anderer Faktoren, bewertet werden.12 Eine solche Beurteilung kann freilich nicht in Form einer bloßen Gegenüberstellung von – größenordnungsmäßig geschätzten – 100.000 Widerstandskämpfer und -kämpferinnen mit 700.000 NSDAP-Mitgliedern erfolgen; denn die einen hatten ihre gesamte Existenz zu riskieren, die anderen genossen die Vorteile einer die alleinige Macht ausübenden Staatspartei. Gemessen an der großen Zahl der Opfer waren die praktischen Ergebnisse des Widerstandskampfes – etwa in Richtung einer Gefährdung des NS-Regimes, einer ernstlichen Schädigung der NS-Kriegsmaschinerie oder der Erringung der Hegemonie in der Bevölkerung – eher bescheiden. Die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft war nicht das Werk einer Revolution von unten oder eines nationalen Freiheitskampfes, sondern das ausschließliche Verdienst der alliierten Streitkräfte, von denen mehr als 30.000 Soldaten 1945 auf österreichischem Boden gefallen sind. Der Widerstand war im Hinblick auf den 1943 in der Moskauer Deklaration der Alliierten geforderten eigenen Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung von eminent politischem Wert, wie sich bei den Bemühungen um den Staatsvertrag herausstellte. Schließlich waren Männer und Frauen, die im Widerstand aktiv oder vom Regime verfolgt worden waren, maßgeblich an der Bildung der provisorischen Regierung und am Neuaufbau des politischen Systems und der Verwaltung 1945 beteiligt.

Zur Rezeptions- und Forschungsgeschichte Die Tatsache, dass das DÖW als zentrale Archivierungs- und Forschungseinrichtung13 erst 1963 – 18 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes – geschaffen wurde, zeigt deutlich, dass das innenpolitische Klima Österreichs in den vierziger und fünfziger Jahren nicht von den Widerstandskämpfer und -kämpferinnen, Verfolgten und Remigranten, sondern von den Weltkriegsteilnehmern und ehemaligen NS-Anhängern dominiert wurde. Diese zahlenmäßig starken, von den Regierungsparteien umworbenen Bevölkerungsgruppen standen dem Widerstand skeptisch bis feindselig gegenüber. Widerstandskämpfer wurden als „Eidbrecher“, „Feiglinge“, „Verräter“ und „Mörder“ angesehen; der österreichische Widerstand wurde angezweifelt oder geleugnet. Anerkennung fanden die Widerstandskämpfer und -kämpferinnen bestenfalls in Sonntagsreden von Politikern, oder sie dienten als Argument für außenpolitische Zwecke, etwa zum Beweis für Österreichs „eigenen Beitrag zur Befreiung“ vom Nationalsozialismus bei den

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Vgl. Gerhard Botz: Methoden- und Theorieprobleme der modernen Widerstandsforschung. In: Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewusstsein. Hrsg. v. Helmut Konrad/Wolfgang Neugebauer. Wien, München, Zürich 1983, S. 137–152. Siehe 40 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1963–2003. Hrsg. v. DÖW. Wien 2003.

Österreich

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Staatsvertragsverhandlungen mit den Alliierten.14 Dieser Intention entsprang das 1946 von der Bundesregierung herausgegebene „Rot-Weiß-Rot-Buch“, eine offizielle Dokumentensammlung – die erste und lange Zeit einzige Publikation zum Thema Widerstand. Der auch in Österreich sich auswirkende Kalte Krieg zwischen den ehemaligen Alliierten prägte die an sich verdienstvollen, weil faktenreichen Publikationen von Otto Molden, der den beträchtlichen kommunistischen Widerstand aus Gründen des Antikommunismus ausschloss,15 und von Hermann Mitteräcker16, der den kommunistischen Widerstand einseitig in den Vordergrund stellte. Als Pionierarbeiten einer wissenschaftlichen, auf Quellen basierenden Widerstandsforschung sind die Publikationen des späteren ersten Ordinarius für Zeitgeschichte an der Universität Linz, Karl R. Stadler, anzusehen.17 Erst nach der Gründung des DÖW in Wien und der Errichtung universitärer Zeitgeschichtsinstitute ab 1965 wurde die Widerstandsforschung in Österreich breiter und systematischer betrieben. In den 1970er Jahren war Widerstand ein „attraktives“ Thema. Es entstanden zahlreiche Diplomarbeiten, Dissertationen, Publikationen, und es wurden größere Forschungsvorhaben in Angriff genommen. Durch die pluralistische, staats- und parteiunabhängige Konstruktion des von NS-Verfolgten gegründeten DÖW sind von Anfang an politisch motivierte Einengungen der Widerstandsforschung unterblieben und das gesamte politische Spektrum des österreichischen Widerstandes, aber auch schon sehr früh die verschiedenen Formen nichtorganisierten Widerstandes und Oppositionsverhaltens archiviert und aufgearbeitet worden. Ihren wissenschaftlichen Niederschlag hat diese Forschungsarbeit vor allem in der bislang 13 Bände umfassenden Dokumentenedition „Widerstand und Verfolgung“ in österreichischen Bundesländern 1934–194518 gefunden, an denen zahlreiche Zeithistoriker und Zeithistorikerinnen österreichischer Universitäten sowie regionale Geschichtsforscher mitgearbeitet und wichtige Beiträge zur Widerstandsforschung geliefert haben. Nicht zuletzt die systematische Aufarbeitung der Quellen des Widerstandes, insbesondere der Gestapo- und Gerichtsakten, durch das DÖW ermöglichte dem in den USA wirkenden Historiker Radomir Luza, selbst ehemaliger Widerstandskämpfer in Tschechien, eine umfassende und übersichtliche Gesamtdarstellung des österreichischen Widerstandes, in der allerdings nichtorganisierter Widerstand und Oppositionsverhalten ausgenommen sind.19 14

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Vgl. hierzu generell Siegwald Ganglmair: Funktionalisierung, Bagatellisierung und Verdrängung. Der Umgang in Österreich mit dem österreichischen und deutschen Widerstand. In: Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Wahrnehmung und Wertung in Europa und in den USA. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2002, S. 238–251. Otto Molden: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938–1945. Wien, München 1958. Hermann Mitteräcker: Kampf und Opfer für Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Widerstandes 1938 bis 1945. Wien 1963. Maria Szecsi/Karl Stadler: Die NS-Justiz in Österreich und ihre Opfer. Wien, München 1962; Karl R. Stadler, Österreich 1938–1945 im Spiegel der NS-Akten. Wien 1966. Zu den Einzelbänden siehe die bibliographischen Angaben in den Literaturhinweisen dieses Beitrages. Radomir Luza: Der Widerstand in Österreich 1938–1945. Wien 1985, S. 25 f.

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Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

In den letzten Jahren ist durch den von der Waldheim-Kontroverse ausgelösten Paradigmenwechsel im politischen und zeitgeschichtlichen Diskurs, in dessen Verlauf eine Verlagerung des Forschungsinteresses hin zum Holocaust, zur KZ-Forschung, „Arisierung“, NS-Euthanasie und zu den NS-Tätern, beziehungsweise zu damit zusammenhängenden Nachkriegsproblemen erfolgte, eine gewisse Stagnation in der Widerstandsforschung eingetreten. Neuere Arbeiten, darunter viele biographische Studien, beziehen sich vor allem auf den Widerstand der Zeugen Jehovas und der katholischen Kirche, die sich nun im Zuge von Seligsprechungsverfahren (Schwester Restituta, Franz Jägerstätter und andere) ihrer Märtyrer in der NS-Zeit annimmt, sowie auf den kommunistischen Widerstand, den 20. Juli 1944 und den Gedenkstätten für NSOpfer. Die von der Universität Marburg und dem DÖW seit 1998 vorgenommene umfassende Aufarbeitung der politischen NS-Justiz in Österreich, die in einer Mikroficheedition und in mehreren Publikationen ihren Niederschlag fand, brachte neue Impulse und ermöglichte dem Autor 2008 eine erstmals auf vollständigen Gerichtsunterlagen basierende, alle Gruppierungen und Dimensionen berücksichtigende Gesamtdarstellung des österreichischen Widerstandes.20 In der politischen Sphäre erfuhren der Widerstand und die noch lebenden Widerstandskämpfer und -kämpferinnen eine starke Aufwertung, die durch die schwindende Bedeutung der Kriegsgeneration, den Niedergang des Deutschnationalismus und die Durchsetzung eines demokratischen Österreichbewusstseins unter den „Nachgeborenen“ ebenso bedingt war, wie durch das Bedürfnis des offiziellen Österreich, der immer wiederkehrenden Anprangerung Österreichs als Nazi- oder Täterland im Ausland entgegenzuwirken. Stieß die Benennung einer Kaserne nach dem hingerichteten Stauffenberg-Mitkämpfer Oberstleutnant Robert Bernardis im österreichischen Bundesheer noch auf hartnäckigen Widerstand, so wurde 2005 für ihn ein Denkmal errichtet und der Hof des Verteidigungsministeriums nach Major Szokoll, dem Haupt der 20. JuliVerschwörer in Wien, benannt. Höhepunkt dieser späten staatspolitischen Akzeptanz war ein im Juli 2005 beschlossenes „Bundesgesetz über die Anerkennung der Leistungen im österreichischen Widerstand sowie zur abschließenden Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsakte“, in dem nun auch die bisher diskriminierten Opfer der Wehrmachtsjustiz berücksichtigt wurden.

Quellen- und Literaturhinweise Ein großer Teil des einschlägigen Quellenmaterials ist im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) Wien überliefert und zugänglich. Informationen finden sich auf dessen Homepage www.doew.at. Vom DÖW wurden mehrere Quelleneditionen herausgegeben: Widerstand und Verfolgung in Wien 1934–1945. 3 Bde. 2. Auflage Wien 1984 Widerstand und Verfolgung im Burgenland 1934–1945. 2. Aufl., Wien 1983 Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1934–1945. 2 Bde. Wien/Linz 1982 20

Neugebauer, Der österreichische Widerstand; siehe dazu auch die von Form/Neugebauer/Schiller herausgegebenen, in den Literaturhinweisen dieses Beitrages angeführten Publikationen.

Österreich

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Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934–1945. 2 Bde. Wien/Salzburg 1991 Widerstand und Verfolgung in Tirol 1934–1945. 2 Bde. Wien 1984 Widerstand und Verfolgung in Niederösterreich 1934–1945. 3 Bde. Wien 1987 Erzählte Geschichte. Berichte von Widerstandskämpfern und Verfolgten. 4 Bde. Wien 1985–1990 ferner Widerstand und Verfolgung in Österreich 1938 bis 1945. Die Verfahren vor dem Volksgerichtshof und den Oberlandesgerichten Wien und Graz. Hrsg. v. Wolfgang Form/Wolfgang Neugebauer/Theo Schiller in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv. Mikrofiche-Edition. München 2004. Erschließungsband zur Mikrofiche-Edition. München 2005 Monografien und Aufsätze Botz, Gerhard: Methoden- und Theorieprobleme der modernen Widerstandsforschung. In: Arbeiterbewegung – Faschismus – Nationalbewusstsein. Hrsg. v. Helmut Konrad/Wolfgang Neugebauer. Wien/München/Zürich 1983, S. 137–152 Ders.: Künstlerische Widerständigkeit. „Resistenz“, partielle Kollaboration und organisierter Widerstand im Nationalsozialismus. In: Themen der Zeitgeschichte und der Gegenwart. Hrsg. v. DÖW. Wien 2004, S. 98–119 Fleck, Christian: Koralmpartisanen. Über abweichende Karrieren politisch motivierter Widerstandskämpfer. Wien/Köln 1986 Ganglmair, Siegwald: Funktionalisierung, Bagatellisierung und Verdrängung. Der Umgang in Österreich mit dem österreichischen und deutschen Widerstand. In: Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Wahrnehmung und Wertung in Europa und in den USA. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2002, S. 238–251 Hanisch, Ernst: Gibt es einen spezifisch österreichischen Widerstand? In: Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte. Hrsg. v. Peter Steinbach. Köln 1987, S. 163–176 Jedlicka, Ludwig: Der 20. Juli 1944 in Österreich. Wien 1965 Luza, Radomir: Der Widerstand in Österreich 1938–1945. Wien 1985 Mitteräcker, Hermann: Kampf und Opfer für Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte des österreichischen Widerstandes 1938 bis 1945. Wien 1963 Molden, Otto: Der Ruf des Gewissens. Der österreichische Freiheitskampf 1938– 1945. Wien, München 1958 Neugebauer, Wolfgang: Der Widerstand in Österreich. In: Europäischer Widerstand im Vergleich. Hrsg. v. Ger van Roon. Berlin 1985, S. 141–170 Ders.: Widerstand und Opposition. In: NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch. Hrsg. v. Emmerich Talos u.a. Wien 2000, S. 187–212 Ders.: Der österreichische Widerstand 1938–1945. Wien 2008

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Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

NS-Justiz und politische Verfolgung in Österreich 1938–1945. Analysen zu den Verfahren vor dem Volksgerichtshof und vor dem Oberlandesgericht Wien. Hrsg. v. Wolfgang Form/ Wolfgang Neugebauer/Theo Schiller. München 2006 Rausch, Josef: Der Partisanenkampf in Kärnten im Zweiten Weltkrieg. Wien 1979 Stadler, Karl R.: Österreich 1938–1945 im Spiegel der NS-Akten. Wien 1966 Ders. und Maria Szecsi: Die NS-Justiz in Österreich und ihre Opfer. Wien, München 1962 40 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes 1963–2003. Hrsg. v. DÖW. Wien 2003 Weinzierl, Erika: Zu wenig Gerechte. Österreicher und Judenverfolgung 1938–1945. 4. erweiterte Auflage Graz, Wien, Köln 1997 Zeugen Jehovas. Vergessene Opfer des Nationalsozialismus. Hrsg. v. DÖW. Wien 1998

Rumänien: Forschungsskizze zum Widerstand gegen den eigenen „Faschismus“ Hans-Christian Maner

Politische Koordinaten Rumäniens in der Zwischenkriegszeit und während des Krieges Rumänien ging aus den Wirren des Ersten Weltkrieges als Staat mit einer schwerwiegenden Hypothek hervor. Territorial saturiert – der Staat führte nach territorialer Vergrößerung den Namen „Großrumänien“ –, war die oberste politische Maxime der maßgeblichen politischen Kräfte der Erhalt des Status quo. Zudem harrten zahlreiche Probleme einer dringenden Lösung, die Gestaltung einer staatlichen Einheit vor dem Hintergrund der multiethnischen und multireligiösen Wirklichkeit sowie die Behebung gravierender sozialer und wirtschaftlicher Missstände.1 Eine Folge dessen war, dass sich in Rumänien bereits in den zwanziger Jahren rechtsradikale Gruppierungen bildeten, die auf Zustimmung in der Gesellschaft stießen. 1923 gründete der Universitätsprofessor Alexandru C. Cuza in der moldauischen Hauptstadt Iaşi die „Liga der nationalchristlichen Verteidigung“ (Liga apărării naţional-creştine [LANC]). An erster Stelle ist jedoch die 1927 durch Corneliu Zelea Codreanu gegründete Legion „Erzengel Michael“ zu nennen – ab 1930 bezeichnete sich deren politischer Arm als „Eiserne Garde“ und ab 1935 nach dem Verbot der Organisation 1933 als Partei „Alles für das Land“ –, die einem christlich-orthodoxen Nationalismus sowie einem extremen Antisemitismus huldigte und die sowohl die faschistische Gruppierung Italiens als auch die NSDAP als Vorbilder ansah.2 Die innenpolitische Krise des Landes, die sich bereits in den zwanziger Jahren bemerkbar machte, beeinflusste maßgeblich die Haltung von Persönlichkeiten der Politik sowie des öffentlichen Lebens gegenüber der politischen Entwicklung in Italien und gegenüber Benito Mussolini. Einflussreiche Politiker ließen ihre Sympathien für das faschistische Italien durch Besuche bei Mussolini bekunden, für den sie regelrecht 1

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Hans-Christian Maner: Voraussetzungen der autoritären Monarchie in Rumänien. In: Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919–1944. Hrsg. v. Erwin Oberländer. Paderborn u. a. 2001, S. 431–469; ders.: Parlamentarismus in Rumänien (1930–1940). Demokratie im autoritären Umfeld. München 1997. Die Legion wurde bislang in ihrer Bedeutung als faschistische Organisation vielfach unterschätzt. Siehe Armin Heinen: Die Legion „Erzengel Michael“ in Rumänien – soziale Bewegung und politische Organisation. Ein Beitrag zum Problem des internationalen Faschismus. München 1986, S. 356, 465, 487 und ders.: Faschismus als Reflex und Voraussetzung autoritärer Herrschaft in Rumänien. In: Geschichte und Gesellschaft 12 (1986), S. 139–162; Heinen hat dies betont und zudem festgestellt, dass sie in Europa sogar die zweitstärkste politische Kraft nach der NSDAP und noch vor den italienischen Faschisten war. Siehe ferner auch Francisco Veiga: Istoria Gărzii de Fier 1919–1941. Mistica ultranaţionalismului. Bukarest ²1995.

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Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

schwärmten.3 Mussolini genoss in der breiteren Öffentlichkeit große Sympathien. Er fand sogar in regimekritischen Kreisen Gehör. Das Verhältnis eines Teils der politischen Elite Rumäniens zu Deutschland und der Machtübernahme Hitlers kann am anschaulichsten aus den Aufzeichnungen von Mihail Manoilescu entnommen werden. Der rumänische Wirtschaftstheoretiker sah in Hitler zunächst eine Gefahr für die Nutznießer des Friedenvertrags von Versailles, und dazu zählte für ihn Rumänien an erster Stelle: „Keine Nation hat mehr zu verlieren durch den Sturz des ,Gleichgewichts’ von Versailles und keine hat eine unvorsichtigere, leichtsinnigere und provokativere Politik gegenüber den neuen revisionistischen Staaten gemacht.“4 Neben diesem staats- und machtpolitischen Aspekt stand für Manoilescu aber dennoch der ideologische Inhalt, den er als besonders positiv einschätzte: „Ganz gleich aus welchem Blickwinkel wir ihn betrachten, der Nationalsozialismus ist ein großartiges Phänomen.“5 König Carol II. hatte sich von der Machtübernahme Hitlers beeindruckt gezeigt, zumal er der Meinung war, dass nun Ordnung in Berlin herrsche.6 Er hat auch seine Sympathien für Mussolini und dessen System nicht verborgen.7 Dass das Jahr der „Machtergreifung“ Hitlers und damit die Machtübernahme des Nationalsozialismus im Deutschen Reich in Rumänien gezeichnet waren von Mord und Gewalt, erscheint symptomatisch für das Verhältnis des politischen Rumänien zum rechtsradikalen Totalitarismus. Nach der Regierungsübernahme Ende des Jahres 1933 durch die Nationalliberale Partei (Partidul Naţionalliberal [PNL]) hatte Ministerpräsident Ion G. Duca am 9. Dezember die Eiserne Garde verboten. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten, bereits am 29. Dezember wurde der Regierungschef von Mitgliedern der aufgelösten Organisation regelrecht hingerichtet. Der Mord kann als eine Folge der mit der Machtergreifung Hitlers allerorts verstärkt auftretenden rechtradikalen Bestrebungen gesehen werden. Doch damit war erst der Anfang einer blutigen Spur gelegt: Ende der dreißiger und zu Beginn der vierziger Jahre fielen noch weitere prominente, gegen die Eiserne Garde gerichtete Politiker dem rechtsradikalen Terror zum Opfer. Als Charakterzug des Widerstandes in Rumänien in diesen Jahren zeigte sich, dass es sich dabei um einen politischen Protest Einzelner gegen die rechte Gefahr handelte.

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Siehe Arhivele Statului Bucureşti, Fond Ion Mihalache, ds. 7, f. 74–78, 153 f.; Rede Mihalaches, 27. Juli 1934. In: Universul, 29. Juli 1934, 11; Gheorghe I. Brătianu: Problemele politicii noastre de stat. Bukarest 1935, S. 8; ders.: Problemele politicii noastre externe. Bukarest 1934, S. 42–44; Pamfil Şeicaru: Parlamentarismul îşi dă duhul. In: Cuvântul, 3. Juni 1926, S. 1; siehe hierzu auch die Artikel in: Calendarul, 20. Oktober 1932, Cuvântul, 24. Juni 1925, 6.-8. September 1927; Sfarmă Piatră, 5. März 1936, S. 3. Mihail Manoilescu: Memorii, Bd. 1–2. Bukarest 1993, hier Bd. 2, S. 347. Ebenda, S. 347. Document Diplomatique Français 1er, Bd. III (17.3.-15.7.1933). Paris 1967, Doc. Nr. 131, S. 231; hierzu auch Bela Vago: The Shadow of the Swastika. The Rise of Fascism and AntiSemitism in the Danube Basin, 1936–1939. Farnborough 1975, Nr. 9, S. 178. Hierzu das Tagebuch des Königs, vgl. Carol al II-lea: Între datorie şi pasiune. Însemnări zilnice, vol. 1–3. Bukarest 1995–1996.

Rumänien

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Ein zwiespältiges Bild bietet der Blick auf die Haltung der ethnischen Minderheiten. In Teilen der deutschen Bevölkerung, so in Kreisen der Siebenbürger Sachsen, war man viel mehr mit Fragen der Integration der nationalsozialistischen Ideologie in das eigene politische Konzept beschäftigt und begrüßte die Machtergreifung Hitlers. Von einem nennenswerten Widerstand konnte hier freilich keine Rede sein. Unter der deutschsprachigen jüdischen Bevölkerung überwog das Bestreben, abzuwarten, stellenweise reagierte man mit Unsicherheit. Die ungarische Öffentlichkeit Siebenbürgen unterschied sich jedoch von der sächsischen. Sowohl ungarische Juden als auch ungarische Christen betrachteten die Ereignisse in Deutschland sehr zurückhaltend.8 Unter den Juden in den restlichen Teilen Rumäniens äußerte sich die Reaktion gegenüber dem Nationalsozialismus zunächst in einer Art Hilflosigkeit und dem Bedürfnis nach politischem Rückzug. Wiederum eine andere Form der Reaktion bestand darin, das Land zu verlassen und sich ins Exil zu begeben.9 Eine andere Art, sich dem System zu widersetzen, drückte sich in verbalen Äußerungen aus. Eine Welle des verbalen Widerstandes setzte 1940 nach dem Erlass über die juristische Stellung der jüdischen Bewohner Rumäniens vom 8. August ein, in dessen Folge es zu Deportationen nach Transnistrien kam. Proteste des Bukarester Rechtsanwalts Wilhelm Filderman als Vorsitzender des Komitees der Juden in Rumänien führten zumindest zu einem kurzzeitigen Aussetzen der Maßnahme.10 8

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Hildrun Glass: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-jüdische Verhältnis in Rumänien (1918–1938). München 1996, S. 350 f., 403–406, 428 f.; Cornelius R. Zach: Die Siebenbürger Sachsen zwischen Tradition und neuen politischen Optionen 1930–1944. In: Minderheit und Nationalstaat. Siebenbürgen seit dem Ersten Weltkrieg. Hrsg. v. Harald Roth. Köln, Weimar, Wien 1995, S. 115–132; Miklós Lackó: Die Zeitschrift „Erdélyi Helikon“ und die ungarischsächsischen Beziehungen in Siebenbürgen zwischen den beiden Weltkriegen. In: Siebenbürgen zwischen den beiden Weltkriegen. Hrsg. v. Walter König. Köln, Weimar, Wien 1994, S. 219– 234, hier S. 229 f.; Cornelius R. Zach: Totalitäre Bewegungen in der Zwischenkriegszeit: Rumänen und Deutsche in Rumänien. In: Rumänien im Brennpunkt. Hrsg. v. C. R. Zach, S. 135– 151. Ebenda, S. 406 f. Simon Schaffermann: Dr. W. Filderman. 50 de ani din istoria iudaismului român. Tel Aviv 1986, S. 145–160; Documents concerning the fate of Romanian Jewry during the Holocaust, vol. 1– 12. Ed. by Jean Ancel. New York 1986; Jean Ancel: The Dr. W. Filderman Archives. Jerusalem 1974; Alexander Safran: Resisting the Storm. Romania, 1939–1947. Jerusalem 1987 (rum.: Un tăciune smuls flăcărilor: comunitatea evreiească din România, 1939–1947: memorii. Bukarest 1996); Jean Ance und Victor Eskenasy: Bibliography of the Jews in Romania. Tel Aviv 1991; Sabin Manuilă und Wilhelm Filderman: The Jewish population in Romania during World War II. Iaşi 1994; Jean Ancel: Contribuţii la istoria României. Problema evreiească, 1933–1944, vol. 1–2. Bukarest 2001–2003; Wilhelm Filderman: Memories and diaries, vol. 1. Ed. by Jean Ancel. Tel Aviv 2004. Zu grundlegenden Literaturhinweisen vgl. außerdem die Beiträge von Mariana Hausleitner: Juden und Antisemitismus in der Bukowina zwischen 1918 und 1944. In: Rumänien im Brennpunkt. Hrsg. v. C. R. Zach, S. 153–168; Arnim Heinen: Ethnische Säuberungen. Rumänien, der Holocaust und die Regierung Antonescu. In: Ebenda, S. 169–197, sowie Mariana Hausleitner: Deutsche und Juden in Bessarabien 1814–1941. Zur Minderheitenpolitik Russlands und Großrumäniens. München 2005 sowie Armin Heinen: Rumänien, der Holocaust und die Logik der Gewalt. München 2007; vgl. auch die Ausgaben der Zeitung der jüdischen Partei „Tribuna evreiească v. 2. Februar 1936; vgl. hierzu Mircea Muşat und Ion Ardeleanu: România după marea unire, vol. 2,2: noiembrie 1933-septembrie 1940. Bukarest 1988, S. 107, S. 387 ff.

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Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

Widerstand gegen die Rechtsradikalen im eigenen Land bestimmte auch das Verhalten der obersten Führung in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre. Das Vorgehen König Carol II. gegen die Eiserne Garde nach der Errichtung seines offenen autoritären Systems im Jahr 1938 war zunächst nicht durch die Opposition dieser Organisation gegen das königliche autoritäre Regime motiviert, sondern von der Überzeugung geprägt, die Garde sei eine „Agentur Deutschlands“ gewesen. Für diese Sichtweise spricht, dass die Regierung mit der massiven Verhaftung der Legionäre im März 1938 prompt kurze Zeit nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich begann. Außerdem ordnete Carol II. die Ermordung des „Căpitan“, Corneliu Zelea Codreanu, und weiterer dreizehn Mitglieder der Eisernen Garde im November des gleichen Jahres an, unmittelbar nach seinem Besuch in Deutschland, bei dem Hitler darauf gedrängt hatte, dass die Legionäre aus der Haft entlassen würden und eine neue Regierung unter der Führung des Anführers der Garde gebildet werden sollte.11 Nach dem Scheitern der monarchischen Diktatur folgte am 6. September 1940 die Militärdiktatur des Generals Ion Antonescu, die sich eindeutig an „Hitlerdeutschland“ orientierte. Durch das Zusammengehen mit den Legionären in einer ersten Phase bedeutete dies „den Sieg der faschistischen Kräfte über die pro-englischen-französischen Kreise.“12 Der Kriegseintritt Rumäniens an der Seite Deutschlands gegen die UdSSR am 22. Juni 1941, nachdem schon am 10. Oktober 1940 deutsche Wehrmachtseinheiten nach Rumänien gekommen waren und Antonescu am 23. November den Anschluss Rumäniens an die Achsenmächte unterzeichnet hatte, wurde von den wichtigsten politischen Kräften und Persönlichkeiten des Landes befürwortet.13 Die Fortführung des Krieges ab Ende 1941 jenseits des Dnjestrs, d. h. jenseits der in der Zwischenweltkriegszeit bestandenen Grenzen Rumäniens, traf jedoch, nicht mehr auf Zustimmung des Königs, des Generalstabes14, der wichtigsten Parteivorsitzenden sowie der Öffentlichkeit. Eine neue Qualität erhielt die Haltung verantwortlicher Kreise in Rumänien nach dem weiteren Kriegsgeschehen an der Ostfront ab 1942. So waren in militärischen 11

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Keith Hitchins: Desăvârşirea naţiunii române. In: Istoria României. Hrsg. v. Mihai Bărbulescu u. a. Bukarest 2002, S. 286–391, hier S. 351 f. In der Literatur, siehe Istoria României, S. 456 f., findet man die Bezeichnungen „legionäre Antonescu-Diktatur“ oder „faschistisch-militärische Diktatur“, aus den jüngsten Quellensammlungen vgl. Stenogramele şedinţelor Consiliului de miniştri. Guvernarea Ion Antonescu, Bd. 3– 8. Bukarest 1999–2004. Ohne nähere Angaben zu machen, schrieb Ilie Ceauşescu: Aspecte privind poziţia partidelor burgheze faţă de dictatura antonesciană şi războiul antisovietic (septembrie 1940 – iunie 1944). In: Insurecţia din august 1944 şi semnificaţia ei istorică. Bukarest 1974, S. 64–78, hier S. 73, dass einige wenige gegen den Kriegseintritt gewesen seien. Zum unmittelbaren Vorfeld und zum Krieg Rumäniens vgl. Romania and World War II. Ed. by Kurt W. Treptow. Iaşi 1996. Bereits im Januar 1942 soll General Iacobovici aus Unzufriedenheit über die Weiterführung des Krieges zurückgetreten und durch General Şteflea ersetzt worden sein. Siehe: 23 August 1944. Documente, Bd. 1–4. Hrsg. v. Ion Ardeleanu, Vasile Arimia und Mircea Muşat. Bukarest 1984 f., hier Bd. 1, Nr. 259; Ilie Ceauşescu: Atitudinea şi activitatea Marelui Stat Major în perioada septembrie 1940 – 23 August 1944. In: Actul de la 23 August 1944 în contextul internaţional. Hrsg. v. Gheorghe Buzatu. Bukarest 1984, S. 154–190, hier S. 167 ff.; Gheorghe Zaharia: Dezvoltarea României în anii 1919–1944. In: Anale de istorie 26 (1980), S. 36–74, hier S. 66–69.

Rumänien

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Kreisen verstärkt kritische Worte an die Adresse Hitlers insbesondere nach der Niederlage bei Stalingrad 1942/43 zu hören, bei der auch zahlreiche Truppen Rumäniens vernichtet und eingeschlossen wurden. General Constantin Sănătescu, Mitglied des Generalstabes der Armee, kritisierte am 3. Februar 1943 die Durchhalteparole Hitlers und in deren Folge die hohe Zahl an Gefallenen und Gefangenen.15 Der General bedauerte die Teilnahme Rumäniens am Krieg gegen die UdSSR. Im Kampf gegen den Krieg und die Diktatur unterbreitete die Sozialdemokratie gemeinsam mit den Kommunisten vorrangig Vorschläge gegen die „Hitlerisierung des Landes“ und den Kriegseintritt „an der Seite der Achsenmächte“.16 Auf der anderen Seite formulierten auch die großen Parteien wie PNL und PNŢ ihren schriftlichen Protest gegen den Krieg.17 Im April 1944 verfassten 66 Professoren und Lehrpersonal der Universitäten Bukarest und Klausenburg ein Memorandum an Marschall Antonescu, mit der Bitte, den Krieg für Rumänien sofort zu beenden. Der Wunsch nach Beendigung des Krieges führte die verschiedenen politischen Kräfte zudem in einem Nationaldemokratischen Block (Blocul Naţional Democratic [BND])18 zusammen; dazu gehörten die PNŢ, die PNL, die PSD und die Kommunisten. In einer Erklärung vom 20. Juni 1944 forderte der BND unter anderem den Abschluss eines Waffenstillstandes mit den Alliierten sowie den Austritt Rumäniens aus dem Achse-Bündnis, die Befreiung des Landes von der deutschen Besatzung und das Zusammengehen mit den Alliierten. Trotz innerer Widersprüche im BND, die ein gemeinsames Vorgehen verzögerten, entwickelte sich im Kreis der Offiziere, die den Austritt Rumäniens aus dem Krieg an der Seite der Achsenmächte forderten, und beim König der Plan zu einem Staatsstreich, der für den 26. August 1944 vorgesehen war. Informationen, dass Marschall Antonescu zu jenem Zeitpunkt aber an der Front sein würde, führten zur Vorverlegung des Termins. Antonescu wurde schließlich am 23. August 1944 durch einen Staatsstreich abgesetzt und verhaftet. Rumänien trat danach aus dem Krieg gegen die Sowjetunion aus und an der Seite der Alliierten in einen neuen Krieg gegen Deutschland ein.19 Auch die politischen Parteien, wie die PNL und PNŢ, hatten letztlich lange Zeit keinerlei Aktivität in Richtung offener Widerstand gezeigt. Erst als sich die Frontlinie und die Rote Armee Rumänien näherten, suchten sie ebenso wie der Generalstab der 15 16

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Constantin Sănătescu: Jurnal. Bukarest 1993, S. 115. Nicolae Jurca: Social-Democraţia în România (1918–1944). Sibiu 1993, S. 178 f.; Vasile Niculae: O istorie a social-democraţiei române. Vol. I. Bukarest 1993, S. 173 f.; übergreifend vgl. auch den Sammelband: România cu şi fără Antonescu. Hrsg. v. Gheorghe Buzatu. Iaşi 1991; Aurică Simion: Regimul politic din România în perioada septembrie 1940-ianuarie 1941. ClujNapoca 1976, S. 172–184. Simion, Regimul politic, S. 184–195, schrieb von „zaghaften Protesten“; Ioan Scurtu: Istoria Partidului Naţional Ţărănesc. Bukarest ²1994, S. 356–372; Iuliu Maniu – Ion Antonescu. Opinii şi confruntări politice 1940–1944. Cluj-Napoca 1994. Jurca, Social-Democraţia, S. 193; Niculae, O istorie a social-democraţiei, S. 181. Klaus Beer: Vorbereitung und Durchführung des Umsturzes vom 23. August 1944 in Rumänien. In: Südost-Forschungen 38 (1979), S. 88–138; Hans-Christian Maner: Der 23. August 1944. Ein Kapitel der jüngsten Geschichte Rumäniens. In: Siebenbürgische Semesterblätter 4/1–2 (1990), S. 73–94.

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Armee nach Lösungen, um sich vom deutschen Verbündeten abzuwenden und aus dem Krieg auszutreten.20 Insgesamt kann festgehalten werden, dass es sich in Rumänien um eine Widerstandshaltung gegenüber dem Rechtstotalitarismus handelte, welche die Machtpolitik betraf, keineswegs aber das staatliche System oder die herrschende Ideologie. Zunächst versuchte man, mit dem Deutschen Reich den territorialen Ist-Zustand zu erhalten. Spätestens mit dem sogenannten Zweiten Wiener Schiedsspruch entstand Skepsis gegenüber Hitler. Dennoch hoffte man, die im Osten und Nordosten an die Sowjetunion verlorenen Gebiete mit deutscher Hilfe zurückzuholen und erst als sich auch diese Hoffnungen zerschlugen und die Gefahr auftauchte, noch viel mehr zu verlieren, wandte man sich schließlich von Hitler ab.

Zur Historiographie über die rumänische Widerstandshaltung Die Beurteilung der Haltung Rumäniens gegenüber Faschismus und Nationalsozialismus war in der Geschichtsschreibung zumindest bis zum politischen Umbruch 1989 stark von den ideologischen Vorgaben der herrschenden kommunistischen Partei geprägt. Bis 1989 wurde die kommunistische Partei für die Zeit vor 1945 als einzige politische Kraft im Widerstand gegen den Faschismus dargestellt. Ab den siebziger Jahren wurden Aspekte der „nationalen Interessen“ stärker betont. Dazu zählten die Hervorhebung der „Opferrolle“ des Landes sowie die Isolierung, die keinerlei anderen Ausweg zuließ, als an der Seite Deutschlands in den Krieg zu treten, um den territorialen Status quo ante zu erlangen. Die Betonung lag dabei auf dem Vorgehen gegen den „eigenen“ Faschismus. Die nach dem politischen Umbruch erfolgte Öffnung der rumänischen Historiographie im Sinn einer „Nationalisierung“ trug wesentlich zu Akzentverschiebungen im Geschichtsbild bei. In den Darstellungen tauchte nun nicht mehr ausschließlich die kommunistische Partei als „demokratische und antifaschistische Kraft“ auf. Neuere Darstellungen beschrieben auch die Bemühungen der Sozialdemokraten, den „Kampf gegen den Faschismus“ eigenständig zu gestalten. Zugleich wurde unmissverständlich herausgestellt, dass die kleine Partei aufgrund ihres geringen Einflusses trotz ihrer großen Vorhaben und umfassenden theoretischen Fundierungen kaum etwas in der damaligen Gesellschaft bewirken konnte.21 Die Konzentration auf den „rechten Totalitarismus in Rumänien“ wurde in der Geschichtsschreibung auch nach 1989 beibehalten, was unter anderem mehrere Arbeiten des eingerichteten „nationalen Instituts für das Studium des Totalitarismus“ belegen.22 20

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So versuchten sie, General Sănătescu zu überreden, mit dem König über eine Lösung zu sprechen, siehe Sănătescu, Jurnal, S. 140. Zu den Bemühungen des Generalstabes sowie der politischen Parteien, mit den Westmächten Kontakte zu knüpfen, vgl. Andreas Hillgruber: Hitler, König Carol und Marschall Antonescu. Die deutsch-rumänischen Beziehungen 1938–1944. Wiesbaden ²1965. Jurca, Social-Democraţia, S. 127–157. Zwar konzentriert sich das Institut in seiner Arbeit vor allem auf die Untersuchung der kommunistischen Periode, d. h. des „linken Totalitarismus“, doch widmen sich Studien auch dem Rechtsradikalismus. Vgl. dazu Beiträge in der Zeitschrift Arhivele Totalitarismului 1–13 (1993–

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In einem weiteren Zugriff richtete die Forschung ihr Augenmerk auch auf die Rolle einzelner politisch wirkender Persönlichkeiten in den dreißiger Jahren so auch auf König Carol II., der von Beginn seiner Herrschaft die Errichtung der Diktatur angestrebt habe, so dass er keine Leitfigur für einen national orientierten Widerstand war. Deutung und Interpretation der Ereignisse des Staatsstreiches gegen die diktatorische Herrschaft von Marschall Antonescu am 23. August 1944 erfuhren auch ideleogiebedingt in der Historiographie bedeutende Wandlungen. Von der Bezeichnung Staatsstreich oder Umsturz ausgehend wurde der Akt während der kommunistischen Herrschaftszeit unterschiedlich benannt: Er galt als „Tag der Befreiung unseres Vaterlandes vom Joch der hitleristischen Unterdrücker durch die glorreiche sowjetische Armee“, als „bewaffneter Aufstand“ der „patriotischen Kräfte“ zum „Sturz der faschistischen Regierung“ und als „antifaschistische und antiimperialistische Revolution der sozialen und nationalen Befreiung“.23 Insgesamt lassen die Arbeiten zum Widerstand den Schluss zu, dass es bislang an fundierten Antworten auf die Fragen, ob es in Rumänien einen konkreten Widerstand gegen den rechtsradikalen Totalitarismus – in einzelnen sozialen Gruppen, verschiedenen Landesteilen, zu bestimmten Zeiten und in welcher Intensität auch immer – gegeben hat und welcher Art dieser gewesen war, noch fehlt.

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2005) sowie der Dokumentenband Totalitarismul de dreapta în România. Origini, manifestâri, evoluţie 1919–1927. Hg. V. Ioan Scurtu u. a. Bukarest 1996. Zu den einzelnen Phasen der Historiographie, der Nähe von Geschichtswissenschaft und Politik am Beispiel des 23. August 1944 vgl. Hans-Christian Maner: Zeitgeschichte Rumäniens als Politikum. Eine Studie über die rumänische Literatur zum 23. August 1944. In: Südosteuropa 41/6 (1992), S. 388–412.

Bulgarien: Die Widerstandsbewegung 1941–1944 Nikolaj Poppetrov Die Besonderheiten des einheimischen Widerstandskampfes im Zarenreich Bulgarien wurden durch zwei Faktoren bestimmt: Einerseits durch den politischen Charakter des Regimes und andererseits durch die besondere Form der Beteiligung des Landes am Zweiten Weltkrieg. Ab Mai 1934 wurde unter Oberst Kimon Georgiev nach einem Militärputsch ein parteiungebundenes autoritäres Regime konstituiert, anfangs ohne und ab 1938 mit einem Parlament aus parteilosen Abgeordneten. Das Regime hatte keinen faschistischen Charakter; es hielt sogar die in sich gespaltenen faschistischen Bewegungen von der Macht fern, fand allerdings keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Die seit 1934 aufgelösten Parteien blieben illegal im Untergrund vorhanden. Im politischen Raum formierten sich danach vier politische Strömungen: eine autoritäre (verbunden mit dem herrschenden Regime), eine bürgerlich-demokratische (verbunden mit den aufgelösten Parteien), eine rechtsorientierte profaschistische und eine linke (bestehend aus den Kommunisten und linken Kreisen des Bauernbundes). Einen wichtigen Platz im politischen Spektrum nahm die kommunistische Bewegung ein. Die 1919 gegründete Bulgarische Kommunistische Partei (BKP = Bulgarska Kommunističeska Partija) wurde 1924 nach einem gescheiterten Aufstand im Herbst 1923 aufgelöst. Die Kommunisten organisierten danach mehrere Anschläge, wie z. B. in der Sofioter Kathedrale (1925). Von 1927 bis 1934 wirkte die Arbeiterpartei als legale Vertreterin der Kommunisten. Führendes Zentrum der kommunistischen Bewegung nach 1930 war das Auslandsbüro (AB) in Moskau. Die BKP entwickelte prosowjetische und antikapitalistische Gesinnungen unter mehreren politischen Kreisen und Organisationen. Anfang 1941 umfassten die BKP, ihre Jugendorganisation und die mit ihr sympathisierenden Kreise cirka 30.000 Mitglieder und Sympathisanten. Sie verfügten über illegale Strukturen, konspirative Taktik und große Mobilität.1 Auf außenpolitischem Gebiet verfolgten die vom Zaren ab April 1935 eingesetzten autoritären Regierungen unter Andrej Tošev (1935) und Georgi Kjoseivanov (1935– 1940) einen Kurs des mäßigen Revisionismus, der die nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg auferlegten Bestimmungen des Vertrages von Neuilly vom 27. November 1919 korrigieren sollte. Die anlässlich des Kriegsbeginns im September 1939 proklamierte Neutralität (15. September 1939) wurde bis Ende 1940 eingehalten, als sich die Regierung unter Ministerpräsident Bogdan Filov (Februar 1940 bis September 1943) unter dem Druck des Deutschen Reiches und in Erwartung einer Neuregelung der Territorialansprüche des Landes zum Beitritt im Dreimächtepakt entschloss. Parallel dazu wurden Maßnahmen unternommen, die das Regime dem Nationalsozialismus und Fa1

Über die BKP siehe: John D. Bell: The Bulgarian Communist Party from Blagoev to Yivkov. Stanford, Ca. 1986.

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schismus nahe brachten. So wurde eine staatliche Jugendorganisation – vergleichbar der Hitlerjugend – gegründet und es wurde im Dezember 1940 ein antisemitisches Gesetz beschlossen. Zum größten Teil sympathisierte jedoch die öffentliche Meinung mit den westlichen Demokratien und zugunsten guter Beziehungen mit Moskau. Der Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes im August 1939 war deshalb mit Erleichterung und Zustimmung begrüßt worden.2 Auch nach dem Beitritt zum Dreimächtepakt am 1. März 1941 blieb Bulgarien ein „eigenwilliger“ Verbündeter (so H.-J. Hoppe) des Dritten Reiches. Die bulgarische Armee beteiligte sich während des von Hitler entfachten Balkankrieges nicht an Kampfhandlungen, übernahm allerdings Okkupationsaufgaben in vom Deutschen Reich in Jugoslawien und Griechenland eroberten Gebieten, zu denen das Land jahrelange Traditionsaspirationen pflegte (Morawien, Mazedonien, Südthrakien), und die nach dem Feldzug dem bulgarischen Verbündeten vom Reich überlassen worden waren, sowie ähnliche Funktion in einigen besetzten serbischen Gebieten. Die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR wurden nach dem deutschen Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 nicht abgebrochen. Weder die bulgarische Armee noch Freiwilligenverbände waren am Krieg gegen die Sowjetunion oder an der Westfront beteiligt. Allerdings wurde am 13. Dezember 1941 im Anschluss an die deutsche Kriegserklärung an die USA auch von Sofia Großbritannien und den Vereinigten Staaten der Krieg erklärt – allerdings ohne Folge direkter Kriegshandlungen; erst im Herbst 1943 kam es durch Luftangriffe zu anglo-amerikanischen Bombardierungen bulgarischen Territoriums. Oppositionelle Aktionen gegen das autoritäre Regime waren bis 1941 minimal. Zwei größere, auffallende Aktionen wurden „von außen” inspiriert. Die Erste war eine Kampagne, die von der BKP zur Unterstützung des sowjetischen Vorschlags eines Nichtangriffspaktes im November/Dezember 1940 unternommen wurde.3 Und Anfang 1941, als der Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt bereits entschieden war, entfachte der britische Aufklärungsdienst eine Verschwörung des linken Flügels des Bauernbundes gegen die herrschende Regierung, die Sabotagehandlungen und terroristische Aktionen sowie einen politischen Umsturz zum Ziel hatte. Die Verschwörung fand jedoch kaum Unterstützung und Ende Februar 1941 floh ihr Organisator, Dr. Georgi M. Dimitrov (Gemeto), nach Kairo.4 Der Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges änderte die politische Situation tiefgreifend. Die BKP reagierte ungewöhnlich schnell und legte schon am 22/24. Juni ihren neuen politischen Kurs fest. Es ging ihr in Übereinstimmung mit den Richtlinien des Auslandsbüros in Moskau und der Komintern-Zentrale darum, keine bulgarische Beteiligung am Krieg gegen die UdSSR zuzulassen und einen bewaffneten Kampf gegen die deutsch-freundliche Regierung zu beginnen. Der Widerstandskampf war folglich prosowjetisch, an Sabotagehandlungen gegen die Wehrmacht und an der generel2

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Zur politischen Entwicklung Bulgariens von 1941 bis 1944 siehe Hans-Joachim Hoppe: Bulgarien – Hitlers eigenwilliger Verbündeter. Stuttgart 1979. Vesela Cicovska: Sobolevata akcija [Die Sobolev Aktion]. Sofia 1972. Charles Moser: Dimitrov of Bulgaria. A Political Biography of Dr. G. M. Dimitrov. Ottawa, Ill. 1979.

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len Schwächung des deutschen Verbündeten sowie an der Nichtentsendung bulgarischer Streitkräfte an die Ostfront orientiert. Ergänzt wurde er durch Propaganda gegen das Regime im Lande, durch die Forderung eines Rückzugs der bulgarischen Truppen aus Mazedonien und einer Heranziehung von Slawophilen oder Sympathisanten der westlichen Demokratien als Verbündete. Er erfolgte vom Anfang bis zum Ende unter der Führung der BKP und drückte sich vor allem in zwei Formen aus: In Sabotageaktionen mit Anschlägen und in bewaffneter Partisanentätigkeit.5 Mit den Entscheidungen von Juni 1941 begann die erste Periode des Widerstandskampfes bis zum Frühling 1943 in Form von Sabotageaktionen durch illegale Kampfund Partisanengruppen. Am 25. Juli erfolgte die erste Sabotagehandlung gegen einen Eisenbahnzug. Ab August folgten Anschläge auf die landwirtschaftliche Produktion. Es bildeten sich die ersten Partisanengruppen, kleine Gruppen aus zwei bis drei und fünf bis sechs Mann in den Gebirgen Rila, Pirin, Rodopen und Sredna gora (Mittelgebirge).6 Seit Beginn stand der Widerstandskampf im Kontext des militärischen Verlaufs des deutsch-sowjetischen Krieges. Für die Organisation und Führung wurden von August bis Oktober 1941 durch die UdSSR mit Unterseebooten und Flugzeugen 56 Personen (Bulgaren und Russen) auf bulgarisches Territorium überführt, die einen entsprechenden Untergrundkampf führen sollten. Das Ergebnis war allerdings gering, da die Gruppen nach Anlandung bzw. Absprung größtenteils vernichtet wurden; nur sieben Mann gelang es, sich bestehenden Widerstandsgruppen anzuschließen. Zur gleichen Zeit starteten die Rundfunksender „Hristo Botev“ (ab 23. Juli) und „Naroden Glas“ („Volksstimme“, ab 7. Oktober) aus dem Gebiet der UdSSR unter Beteiligung bulgarischer Emigranten eine politische Propaganda gegen die Regierung in Sofia. Eine weitere Radiopropaganda zugunsten der Alliierten entfaltete Dr. Dimitrov durch das bulgarische Nationalkomitee „Freies und unabhängiges Bulgarien“ im Nahen Osten.7 Gegen diese Aktionen unternahm die bulgarische Regierung entsprechende Gegenmaßnahmen: Am 10. Juli wurden neun oppositionelle, mit der BKP sympathisierende Abgeordnete verhaftet, am 16. Juli und 6. September wurden neue repressive Klauseln in den Strafgesetzen eingebracht. In den schon im Frühling desselben Jahres errichteten Konzentrationslagern wurden über 2000 Menschen eingewiesen. Im nächsten Jahr 1942 wurden Konspirationen in der Armee aufgedeckt. Im Sommer 1942 fanden zwei große Gerichtsprozesse gegen Funktionäre der BKP statt. Danach ließen weitere Widerstandsaktionen generell nach. Nach wie vor erfolgten jedoch immer wieder einzelne Sabotagehandlungen, deren Zahl ab 1942 anstieg: Im Juli waren es elf, im August 13 und im September 19 Aktionen. Auch der Umfang der Partisanengruppen wuchs. Zum Beispiel bestand die Parti5

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Siehe Petur Georgiev und Basill Spiru: Bulgariens Volk im Widerstand 1941–1944. Eine Dokumentation über den bewaffneten Kampf gegen den Faschismus. Berlin-Ost 1962, S. 57–67, 72–77. Istorija na antifašistkata borba v Balgarija 1939–1944 [Geschichte des antifaschistischen Kampfes in Bulgarien 1939–1944]. Hrsg. v. Kiril Vasilev u. a. Sofia 1976, Bd. I, S. 194–218. Siehe dazu Filip Panajotov: Dvuboj v efira 1941–1944 [Zweikampf im Äther 1941–1944]. Sofia 1975.

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sanenabteilung „Hristo Botev“ im Mai 1942 noch aus 10 Mann und im Oktober 1942 umfasste sie schon 70 Mitglieder. Nach polizeilicher Feststellung bestanden im Jahr 1942 27 Partisanengruppen mit ungefähr 400 Partisanen.8 Als besondere Strategie gründete die BKP am 17. Juli 1942 die „Vaterländische Front“ (VF). Als programmatisches Ziel forderte sie den Rückzug der bulgarischen Streitkräfte auf die Grenzen von April 1941, eine Amnestie durch die Regierung; die Auflösung der faschistischen Formationen, die Ablehnung der rassistischen Gesetzgebung sowie die Beendigung des Bündnisses mit dem Deutschen Reich und die Anerkennung der Prinzipien der Atlantikcharta von 1941. Das vom Auslandsbüro der BKP ausgearbeitete Programm sollte antinationalsozialistische, prosowjetische und Antiregierungsaktionen legitimieren und sie in breiten Bevölkerungskreisen propagandistisch populär machen; dabei sollten Personen zur Mitarbeit gewonnen werden, die generell mit der Regierungspolitik nicht einverstanden waren. Es war ein Versuch, die BKP als Sprachrohr für nationale Ansichten und Vorstellungen zu präsentieren. Die Bilanz der Widerstandsaktionen im Jahr 1942 war jedoch nicht sonderlich beeindruckend. Obwohl die VF bis Ende des Jahres mehr als 100 örtliche und regionale Komitees gründen konnte, blieb sie bis 1943 wenig populär, als schließlich die innenpolitische und internationale Situation ein größeres Echo und umfangreichere Unterstützung der VF ermöglichten. Ein Wendepunkt des Widerstandskampfs in Bulgarien bildete die Vernichtung der 6. deutschen Armee in Stalingrad. Danach begann eine neue Etappe des Widerstandskampfes. Die Partisanenbewegung wurde von der BKP reorganisiert und es wurde im Februar/März 1943 eine „aufständische Volksbefreiungsarmee“ („NOVA“ – VBAA) gegründet. Das gesamte Staatsgebiet wurde dazu in 12 aufständische operative Zonen („VOZ“ – AOZ) eingeteilt. Zunehmend vergrößerten sich Umfang und Tätigkeit der Partisanenbewegung.9 Ab Februar bis Mai 1943 nahmen die Kampfgruppen einen vier Monate anhaltenden Kampf mit Anschlägen auf: Sie verübten mehrere Attentate gegen rechtsorientierte Politiker und Mitarbeiter der Polizei. Die Zahl der Anschläge stieg innerhalb der ersten neun Monate im Jahr 1942 von 104 auf 1052 für die entsprechende Zeit im Jahr 1943. Ebenso wuchs die Zahl der Partisanen von 745 auf 855 bis zum Herbst 1943.10 In zunehmendem Umfang waren die Partisanenaktionen auch auf ländliche Gebiete und Dörfer ausgerichtet, um die eigene Versorgung zu verbessern und in den Gemeindeämtern staatliche Steuer- und Requirierungsunterlagen zu vernichten sowie Staatsbedienstete und Polizisten zu töten. Die Intensivierung des Widerstandskampfes erfolgte in dieser Zeit parallel zu einigen Aktionen verschiedener gesellschaftlicher Kreise (wie z. B. Abgeordnete, Vertreter der Kirche), die von März bis Mai 1943 gegen

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Vgl. die Angaben bei Donco Daskalov: Političeski ubijstva v novata istorijana Bulgarija [Politische Morde in der neuen Geschichte Bulgariens] Sofia 1999, S. 196–201. Georgi Georgiev: NOVA. Bojnata dejnost na narodoosvoboditelnata vastaniceska armija 1943– 1944 [VBAA. Die Kampftätigkeit der aufständischen Volksbefreiungsarmee 1943–1944]. Sofia 1974. Nach allgemeinen Angaben waren es 1941 42 Partisanen, 1942 – 112 und 1943 – 975.

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geplante Deportationen bulgarischer Juden in den deutsch besetzten polnischen Territorien protestierten. Bis August 1943 wurde der aktive Widerstandskampf gegen die Regierung unter Zar Boris III. vor allem durch die BKP bestimmt. Die einzige oppositionelle nichtkommunistische Aktion unternahm der bürgerliche Diplomat und Wirtschaftsfunktionär Kosta Spisarevski, der vom September 1942 bis zum März 1943 ein „Informationsbulletin“ mit proalliierter Orientierung veröffentlichte.11 Erst im August 1943 hatten Bemühungen der BKP, ihren gesellschaftlichen Einfluss auszuweiten, Erfolg. Es wurde ein „Nationalkomitee der Vaterländischen Front“ gegründet, in dem auch Vertreter des Bauernbundes, des landwirtschaftlichen Verbands und des politischen Kreises „Zveno“ (Kette) sowie ab September auch der Sozialdemokraten eintraten. Die weitere Verstärkung des Widerstandskampfs erfolgte im Kontext mit der Niederlage der Wehrmacht bei Kursk sowie mit dem plötzlichen Tod von Zar Boris III. am 28. August 1943 und der anschließenden politischen Krise im Zusammenhang mit der Einsetzung und Auswahl von drei Regenten (Anfang September 1943) für den siebenjährigen Sohn und Nachfolger Zar Simeon II. Im September begann die BKP verstärkt Gleichgesinnte zu mobilisieren und vermehrt Überfälle in einzelnen Ortschaften durchzuführen; die Partisanen töteten dabei gezielt Politiker, Bürgermeister, Polizeichefs und in den Dörfern angesehene Männer, die mit dem Regime des Zaren sympathisierten oder verbunden waren. Vom September 1943 bis August 1944 fielen diesen Aktionen 650 Menschen zum Opfer. In Verbindung mit den anglo-amerikanischen Luftbombardements auf Bulgarien ab November 1943 unternahm das Regime den Versuch, die Partisanenbewegung auszuschalten. Dafür wurden im Januar 1944 spezielle Militär- und Polizeitruppenteile in Form einer staatlichen Gendarmerie auf dem Land aufgestellt. Obwohl einige bedeutende Partisaneneinheiten vernichtet werden konnten, konstatierte allerdings der Regent General Nikola Michov in seinem Tagebuch für März 1944, dass eine nicht zu besiegende innere Front gegen die Regierung bestand.12 Ab Mai 1944 konnten die Partisanen verstärkt größere Teile der Bevölkerung für ihren Widerstandskampf gewinnen. Dies zeigte sich auch im Anstieg der Zahl der Anschläge und Überfälle. Im Mai erfolgten 234 Aktionen, im Juni 350, im Juli 500 und im August 600 Anschläge. Permanente Überfälle auf Ortschaften wurden zum Alltag. Es wurden aber ebenso erbitterte Kämpfe mit Militär-, Gendarmerie- und Polizeitruppen geführt. Diese Erfolge der Partisanenbewegung verliefen parallel zu den militärischen Erfolgen und dem Vorrücken der Roten Armee im Südabschnitt an der Ostfront. Ab Anfang August 1944 beabsichtigte die BKP bzw. die VF direkte Aktionen zur Ergreifung der politischen Macht durchzuführen. Für diesen Zweck wurden auch Vertreter des Offizierskorps angeworben und herangezogen.13 11

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Kosta Spisarevski: Nelegalnijat Političeski bjuletin 1942–1943 [Das illegale politische Bulletin 1942–1943]. Sofia 1944. Nichov Dnevnik [Tagebuch]. Hrsg. v. Coco Biljarski. Sofia 2004, S. 42. Über die Situation in 1943–1944 siehe Georgi Georgiev: Poslednite 365 dni na bulgarskata burzoazija [Die letzten 365 Tage des bulgarischen Bürgertums]. Sofia 1989.

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Obwohl die bulgarische Partisanenbewegung vollständig auf die UdSSR orientiert war, nahm sie ab 1943 auch Kontakte mit britischen Regierungsvertretern und Geheimdienststellen auf und wurde von ihnen mit Waffen unterstützt. Auch wurden gemeinsame Aktionen mit Partisanengruppen in Jugoslawien und Griechenland auf Territorien durchgeführt, die sich unter bulgarischer Besatzungsherrschaft befanden. Mit dem Antritt eines neuen Kabinetts unter Konstantin Muraviev aus Vertretern der bislang aufgelösten Parteien am 2. September 1944 verstärkte sich der Widerstandskampf der BKP gegen die Regierungsmacht, zumal die VF nicht in die neue Regierung eintrat. Zwischen dem 2. und 9. September legten zahlreiche Partisanenaktionen, Streiks, Protestversammlungen und Überfälle auf Gefängnisse faktisch die Exekutive der Staatsmacht lahm. Ab dem 5. bzw. 8. September 1944 befand sich das Land im Kriegszustand sowohl mit der UdSSR als auch mit Deutschland. Am 8. September konnte die Rote Armee in bulgarisches Territorium eindringen, ohne auf nachhaltigen militärischen Widerstand zu stoßen. In der Nacht auf den 9. September stürzten Truppen der bulgarischen Armee mit Unterstützung von Partisanen die Regierung Muraviev unter dem bisherigen Regentschaftsrat und bildeten eine neue Regierung der Vaterländischen Front unter Kimon Georgiev; auf dem Weg zur totalen kommunistischen Herrschaft wurde schließlich auch der Regentschaftsrat sofort neu besetzt. Der bulgarische Widerstand war insgesamt ein prosowjetischer und antideutscher Kampf, der zugleich gegen die eigene Regierung gerichtet war. Er wurde vorrangig von der BKP geführt und entwickelte sich aus sozialer Unzufriedenheit und politischen Sentiments. Die kommunistische Führung nutzte den Widerstandskampf nicht nur zugunsten der kriegführenden UdSSR, sondern auch zur Destabilisierung der bulgarischen Regierungen unter Zar Boris III. Mehr als 70 Prozent der Partisanen waren Mitglieder der BKP oder ihrer Jugendformation. Die restlichen Partisanenmitglieder waren parteilose und etwa zwei Prozent Angehörige des landwirtschaftlichen Verbandes. Ungefähr 63 Prozent der Partisanen waren zwischen 17 und 25 Jahren alt. Etwa 75 Prozent waren von bäuerlicher Herkunft mit Landsitz und ungefähr 70 Prozent hatten keine höhere Schulausbildung. Anfang September 1944 waren die Partisanen in einer Partisanendivision sowie zehn selbständigen Brigaden und mehr als 40 einzelnen Abteilungen mit einer Gesamtanzahl von ca. 9000 Mann gegliedert; nach anderen Angaben waren es sogar (in Alt-Bulgarien und besetzte Gebiete) 18000 Partisanen.14 Strittig sind die Angaben über die Opfer: Nach offiziellen Informationen während der kommunistischen Herrschaft von 1945 bis 1989 wurden 9100 Partisanen getötet; nach späteren Angaben in den 90er Jahren waren es nur 2750 getötete Partisanen.

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Die letzte Zahl wurde nach dem Sturz des kommunistischen Regimes 1989 angezweifelt und man spricht danach von 3–4000 Partisanen. Nach anderen Berechnungen sollen es im September 1944 cirka 9500 Mann gewesen sein. Zu Berechnungen über die Plovdiver Region siehe die Angaben bei Donko Docev: Semenata na burjata. Socialno-klasova charakteristika na partizanskoto dvizenie vuv Vtora VOZ [Die Samen des Sturms. Sozial- und Klassencharakteristik der Partisanenbewegung in der zweiten aufständischen operativen Zone]. Plovdiv 1984.

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Zur Bewertung des Widerstandskampfes nach 1945 Die Rezeption des bulgarischen Widerstandskampfes in der Zeit vom Herbst 1944 bis zum Sturz des kommunistischen Regimes im November/Dezember 1989 folgte konsequent der kommunistischen Ideologie und Doktrin. Der Widerstand wurde durch die nach dem Umsturz vom 9. September 1944 an die Macht gekommene VF legitimiert. Noch Ende der 40er Jahre erschienen erste Veröffentlichungen, die die Grundparameter für die zukünftige Bewertung des Widerstandskampfes festlegten. Während der 45-jährigen kommunistischen Herrschaft diente die Berufung auf den Widerstandskampf von 1941–1944 als Nachweis für die enge Verbundenheit des kommunistischen Regimes mit dem internationalen Antifaschismus und der Rolle der BKP als legitime Vertreterin nationaler Interessen. Die Gefallenen des Widerstandes wurden als emotionales Argument für die führende Rolle der BKP in der Gesellschaft und ihrem Ziel der Errichtung eines prosperierenden, sozialistischen Bulgarien genutzt. Der Widerstandskampf wurde so zum zentralen Thema für die Erinnerungspolitik, die bildende Kunst, das Filmwesen und ebenso die schöngeistige Literatur. Erste Dokumentationen zum Thema erschienen in den 60er Jahren. In den folgenden zwei Jahrzehnten folgten zahlreiche Memoiren und Publikationen zu lokalen Erlebnissen sowie grundlegende Dokumentationen und Nachschlagswerke, wie z. B. zweibändige Werke und Dokumentationen über die NOVA, die ethnographische Zusammensetzung der Partisanenbewegung und zur Sozial- und Klassenanalyse der Partisanen in der Plowdiwer Region (Süd Bulgarien). Nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft 1989/1990 verschwanden die Partisanenbewegung und der Widerstandskampf von der Tagesordnung der historischen Wissenschaft. Erste negative Einschätzungen über den Widerstandskampf wurden danach im politischen Raum geäußert und es entstanden Zweifel an der bisherigen Historiographie. Solange aber keine neuen Untersuchungen durchgeführt werden, halten sich die Ausgaben der Nachschlagewerke und Enzyklopädien an die Zahlenangaben und Daten, die bereits in der kommunistischen Epoche angegeben wurden. Es fehlt bislang eine neuere konzeptionelle und systematische Darstellung des bulgarischen Widerstandskampfes.

Literaturhinweise Antifašistkata borba v Balgaria 1939–1944. Dokumenti i materiali. [Der antifaschistische Kampf in Bulgarien 1939–1944. Dokumente und Materialien]. 2 Bde. Sofia 1984 – enthält Dokumente, Flugblätter und Propagandamaterialien, die mit der Tätigkeit der BKP verbunden sind. Otečestven front. Dokumenti i materiali. [Vaterländische Front. Dokumente und Materialien] Bd. I, Teil I-II. Sofia 1987 – eine Dokumentensammlung über die Tätigkeit der Vaterländischen Front. Govori radiostancija „Christo Botev“ (23.07.1941–22.09.1944) [Hier spricht der Rundfunksender „Christo Botev“, 23.07.1941–22.09.1944]. 7 Bde. Sofia 1950– 1952 – enthalten Texte zu den Rundfunksendungen der Antiregierungspropaganda, die aus sowjetischem Territorium übertragen wurden.

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Widerstand in den Gebieten und Ländern der „Achsenmächte“

Vaoruzenata borba v Balgaria 1941–1944 [Der bewaffnete Kampf in Bulgarien 1941– 1944]. Sofia 1984 – die detaillierteste und fast die gesamte kommunistische Periode der Historiographie umfassende Bibliographie. Atlas na partisanskoto dvizenie 1941–1944 [Atlas der Partisanenbewegung 1941– 1944]. Sofia 1968 – Illustrationen zur Stationierung und zu den Aktionen der Partisaneneinheiten. Petur Georgiev und Basill Spiru: Bulgariens Volk im Widerstand 1941–1944. Eine Dokumentation über den bewaffneten Kampf gegen den Faschismus. Berlin-Ost 1962 – mit einseitiger Auswahl der Dokumente zugunsten der BKP. Istorija na antifaschistkata borba v Balgaria 1939–1944 [Geschichte des antifaschistischen Kampfes in Bulgarien 1939–1944]. 2 Bde. Sofia 1976 – mit großem Vorbehalt wegen der tendenziellen Darstellung. Donco Daskalov: Zan saobstava. Zadgraničnoto bjuro i antifasistkata borba v Balgaria 1941–1944 [Jean berichtet. Das Auslandsbüro und der antifaschistische Kampf in Bulgarien 1941–1944]. Sofia 1991 – schildert das Verhalten des Auslandsbüros gegenüber dem Widerstandskampf.

Ungarn: Zwischen Anpassung und Auflehnung Georg Kastner Wer das Haus des Terrors (Terror Háza Múzeum)1 in der Budapester Andrássy ut 60 betritt, begegnet in den ersten Ausstellungsräumen einem Stück verdrängter Geschichte: Dem ungarischen Holocaust. Lange Zeit wurde dieses tragische Kapitel der jüngeren ungarischen Vergangenheit wenig bis gar nicht zur Kenntnis genommen. Das Schweigen über die Shoa in Ungarn brachte auch ein Schweigen über den ungarischen Widerstand mit sich. Selbst von Historikern hört man mitunter auf die Frage nach einem ungarischen Widerstand als Antwort die sarkastische Gegenfrage: „Gab es so etwas überhaupt?“ Dabei ist gerade das ungarische Volk während seiner Geschichte immer wieder als besonders widerspenstig aufgefallen. Dies reicht von der Magnatenverschwörung im 17. Jahrhundert über Kossuths Unabhängigkeitsbestrebungen Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur ungarischen Revolution des Jahres 1956. Sollte also gerade der ungarische Staat dem von außen hereingetragenen Nationalsozialismus nichts entgegengesetzt haben? Oder war Ungarn so sehr in das nationalsozialistische Wahnsinnssystem involviert, dass nahezu die ganze Bevölkerung dem mehr oder minder mit stiller Zustimmung gegenüberstand? Beide Annahmen treffen die Wahrheit nicht annähernd, denn auch in Ungarn gab es Widerstand gegen Nationalsozialismus, Faschismus und Verfolgung im autoritären Regime. Allerdings war die Ausgangslage in Ungarn kompliziert. Man muss die Ereignisse der Zwischenkriegszeit berücksichtigen, um das Verhalten der Ungarn und die besondere Art des Widerstandes zu verstehen. Das Friedenssystem der Pariser Vorortverträge hatte die ungarische Nation in ihren Grundfesten erschüttert. Mit einem Schlag verlor Ungarn nicht nur 70 Prozent seines Staatsgebietes sondern auch 60 Prozent seiner Bevölkerung.2 Diese Verluste beeinflussten die ungarische Politik während der ganzen Zwischenkriegszeit. Ungarn sah sich als Opfer, und der Revisionismus wurde zu einer alle politischen Kräfte einigenden Klammer.3 1

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Vgl. dazu den gelungenen Internetauftritt, mittlerweile auch in englischer Sprache, des „Terror Háza Múzeum“ unter http://www.terrorhaza.hu. Die Zahlenangaben sind mitunter etwas verwirrend. Die Darstellung des ungarischen Staates ging dabei immer vom historischen Königreich Ungarn aus, in dem neben den Magyaren auch noch Slowaken, Rumänen, Deutsche, Juden, Kroaten, Serben, Polen und weitere Minderheiten lebten. Nimmt man die Zahl der Magyaren als Grundlage, so wohnten ab diesem Zeitpunkt nicht 60 Prozent sondern nur rund 30 Prozent außerhalb des neuen ungarischen Staatsgebietes. Heute leben laut Angaben der ungarischen Regierung noch rund 2,5 Millionen Magyaren außerhalb der Republik Ungarn, davon fast 1,5 Millionen in Rumänien; vgl. Ignác Romsics: Weltkrieg, Revolution, Trianon (1914–1920). In: Geschichte Ungarns. Hrsg. v. István György Tóth. Budapest 2005, S. 601–627, hier 625; ders.: Der Friedensvertrag von Trianon. Herne 2004; Magda Adám: The Versailles System and Central Europe. Aldershot 2004. Siehe auch Anikó Kovács-Bertrand. Der ungarische Revisionismus nach dem ersten Weltkrieg. Der publizistische Kampf gegen den Friedensvertrag von Trianon (1918–1931). München 1997.

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Die ungarische Regierung hatte kaum Berührungsängste mit Hitler und seinem Regime. Dies zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass es der ungarische Regierungschef Gyula Gömbös4 war, der Hitler im Juni 1933 den ersten offiziellen Staatsbesuch abstattete.5 Diese Anlehnung an das Deutsche Reich sollte dazu beitragen, die aus Sicht der Ungarn große Ungerechtigkeit des Vertrages von Trianon zu revidieren. Gleichzeitig hatte sich die ungarische Politik in den 30er Jahren nach rechts bewegt. Das Regime unter dem Reichsverweser Admiral Miklós Horthy von Nagybánya hatte zumindest faschistische Züge,6 obwohl verschiedene Parteien zugelassen waren.7 Lediglich die Kommunisten waren seit dem missglückten Experiment der Räterepublik unter Béla Kun verboten.8 Somit war ein ernstzunehmendes “Widerstandspotential” in Ungarn lange Zeit nicht vorhanden und auf Grund der teilweise demokratischen Strukturen auch nicht wirklich gefordert. Reichsverweser Horthy, anfänglich nur als provisorischer Staatschef gedacht, erreichte während seiner 25-jährigen Regierungszeit eine Verehrung, die der eines ungarischen Königs in vielen Belangen glich. Damit bleibt die Zeit des Widerstandes hauptsächlich auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges beschränkt. Wenngleich dieser Widerstand bis heute wissenschaftlich noch sehr spärlich aufgearbeitet ist, lassen sich im Wesentlichen vier Bereiche festmachen: 1. ein außenpolitisches Taktieren, mit dem sich die Regierung und das offizielle Ungarn gegen die Einflüsse und den Druck aus Berlin zur Wehr setzten; 2. der Widerstand im Inneren; 3. der von außen motivierte Widerstand und 4. der jüdische Widerstand.

Zur Politik des außenpolitischen Taktierens Auch wenn die Bewertung des Horthy-Regimes der Zwischenkriegszeit bis heute umstritten ist, ist dem ungarischen Reichsverweser und den von ihm eingesetzten Regierungen ein gewisses außenpolitisches Taktieren gegen Hitlers Deutsches Reich nicht abzusprechen. Schon in der ersten Hälfte der 30er Jahre ist jene Schaukelpolitik festzustellen, die für die Zeit des Zweiten Weltkrieges zum typischen Element der ungarischen Außenpolitik wurde. Nach dem oben erwähnten ersten Kontakten im Jahr 1933, erfolgte durch die Unterzeichnung der römischen Protokolle eine Annäherung zwischen Ungarn, Italien und Österreich, was damals durchaus als Entfernung von der deutschen Po4

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Ungarische Namen werden in der im Deutschen üblichen Form (Vorname Nachname) aber nicht übersetzt wiedergegeben. Vgl. Ignác Romsics: Hungary in the Twentieth Century. Budapest 1999, S. 196. Vgl. die Bewertung bei Ernst Nolte: Die faschistischen Bewegungen. Die Krise des liberalen Systems und die Entwicklung der Faschismen. München 1966, S. 204–212. Bereits vor der Wende 1989 wurden von ungarischen Historikern die diktatorischen Züge des Horthy Regimes in Frage gestellt, vgl. Aladár Kis und Gábor Erdödy: Der ungarische Faschismus. Auseinandersetzungen und Forschungen über den Charakter und die Natur des ungarischen Faschismus. In: Faschismus in Österreich und International. Redaktion: Bertrand Perz, Hans Safrian, Karl Stuhlpfarrer. Wien 1981, S. 139–149. Das Verbot der Kommunisten war durch den Gesetzesartikel Nr. III aus dem Jahr 1921 geregelt, vgl. dazu Ignác Romsics: Konsolidierung, Krise und Weltkrieg (1920–1944/45). In: Geschichte Ungarns (wie Anm. 2), S. 631–687. Kun und andere Parteiführer hatten sich via Wien ins kommunistische Mutterland Sowjetunion abgesetzt; vgl. Romiscs, Weltkrieg, S. 616.

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sition zu sehen ist. Im August 1938 bot Hitler der ungarischen Führung für eine militärische Intervention, die er als Vorwand für einen Einmarsch des Deutschen Reiches in die Tschechoslowakei nutzen wollte, bei der anschließenden Aufteilung das ehemalige Oberungarn an. Horthy und sein damaliger Regierungschef Béla Imrédy lehnten jedoch ab. In dem der Münchner Konferenz folgenden ersten Wiener Schiedsspruch erhielt Ungarn immerhin ein Gebiet von 11.927 km2, das über eine mehrheitlich ungarische Bevölkerung von mehr als einer Million Menschen verfügte, zurück.9 Die von Deutschland sanktionierte Besetzung der Karpato-Ukraine im März 1939 erfolgte erst nach einigen Zugeständnissen, die Ungarn der deutschen Politik machte. Dazu zählte neben den Absichtserklärungen zum Austritt aus dem Völkerbund und dem Beitritt zum Antikominternpakt auch ein verschärftes Gesetz über die Rechte der jüdischen Bevölkerung.10 Hitlers abermaligem Angebot, für die Nutzung der ungarischen Eisenbahn beim deutschen Angriff auf Polen wiederum mit der Slowakei belohnt zu werden, widerstand die neue Regierung unter Pál Teleki. Dennoch erreichte die Budapester Regierung beim zweiten Wiener Schiedsspruch, der jedoch im Gegensatz zum ersten nicht mehr von den Westmächten anerkannt wurde, die Rückgabe von Nordsiebenbürgen und des Szeklerlandes.11 Dem nächsten Versuch Hitlers, Ungarn auf seiner Seite in den Krieg zu ziehen, konnte sich Ungarn allerdings nicht mehr entziehen. Im März 1941 forderte Berlin Ungarn auf, sich am Krieg gegen Jugoslawien zu beteiligen. Als “Honorar” sollte es seine Revisionswünsche nahezu vollständig erfüllt bekommen, und nun auch die südungarischen Teile zurückerhalten.12 Teleki war dieser Handel ein Gräuel. Da er die Vorgänge nicht bremsen konnte, erschoss er sich in der Nacht zum 3. April 1941. Sein Freitod wurde später als ein Akt des Widerstandes und Opfer angesehen, um sich und sein Land von der Schuld des deutschen Angriffs auf Jugoslawien zu befreien.13 Ungarn war dann nicht nur am Krieg gegen Jugoslawien beteiligt, sondern trat auch im Juni 1941 an der Seite des Deutschen Reiches in den Krieg gegen die UdSSR ein. Für die kommenden zwei Jahre schien das Bündnis der Achsenmächte gefestigt. Obwohl es seit dem Eintritt der USA öfters Versuche gab, um mit den Alliierten in Kon-

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Ebenda, S. 674 ff.; zum 1. Wiener Schiedsspruch vgl. Gergely Szallai: Az első bécsi döntés. Budapest 2003. Zu den diplomatischen Beziehungen zum Deutschen Reich vgl. Friedrich Christof: Befriedung im Donauraum. Der zweite Wiener Schiedsspruch und die deutsch-ungarischen diplomatischen Beziehungen 1939 bis 1942. Frankfurt (Main) 1998. Zur Judenpolitik in Ungarn vgl. Margit Szöllösi-Janze: Die Judenpolitik in Ungarn in der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg. In: Faschismus und Faschismen im Vergleich. Wolfgang Schieder zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Christof Dipper, Rainer Hudemann und Jens Petersen. Köln 1998, S. 167 ff. Eine genaue Aufstellung über die einzelnen Gebiets- und Bevölkerungsgewinne Ungarns findet sich in Romsics, Twentieth Century, S. 204. Romsics, Konsolidierung, S. 678 f. Die Interpretation als „Opfer für sein Land“ findet sich bei Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg. 3. Bd.: Die Große Allianz. Bern 1950, S. 204 (im englischen Original zuletzt London 2000).

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takt zu kommen,14 versuchte die Regierung unter Ministerpräsident Miklós Kállay erst im Laufe des Jahres 1943 ernsthaft ein Ausstiegsszenario zu entwerfen und mit den Westmächten zu einem geheimen Waffenstillstand zu kommen. Die geheimen Kontakte blieben Berlin aber nicht verborgen. Hitler ließ Ungarn am 19. März 1944 besetzen.15 Der frühere Berliner Botschafter Döme Sztójay wurde von Admiral Horthy zum Ministerpräsidenten einer rechtsextremen, autoritären Regierung ernannt. Sogleich nach dem deutschen Einmarsch wurden auch die jüdischen Deportationen aufgenommen. Anlässlich des politischen Seitenwechsels Rumäniens nutzte Admiral Horthy die deutsche Verwirrung aus und ersetzte Sztójay als Ministerpräsidenten am 29. August 1944 durch Generaloberst Géza Lakatos, einen Mann seines Vertrauens. Der Wechsel stoppte kurzfristig auch die jüdischen Deportation. Ende September/Anfang Oktober handelte die neue Regierung in Moskau einen Waffenstillstand aus. Ungarn verlor darin alle seit dem 1. Januar 1937 erworbenen Gebiete. Doch der für 15. Oktober 1944 ausgehandelte Übertritt Ungarns auf die Seite der Alliierten kam nicht zustande, denn Reichsverweser Horthy wurde von Hitler, der Horthys Sohn quasi in Geiselhaft genommen hatte, zum Rücktritt gezwungen, nachdem er noch den Führer der ungarischen Pfeilkreuzler, Ferenc Szálasi, zum Ministerpräsidenten ernannte hatte, der dann direkt von den Deutschen als Besatzungsmacht abhängig war.16 Erst am 4. April 1945 wurde Ungarn schließlich durch die Rote Armee vom faschistischen Regime Szálasi befreit.17

Der Widerstand im Inneren Erste Bestrebungen, sich gegen die deutschlandfreundliche Politik der Regierungen unter Reichsverweser Horthy zu wehren, formierten sich bereits im Laufe der späten 30er Jahre, sieht man davon ab, dass die Kommunisten ihre ganze Tätigkeit seit dem Ende der Räterepublik als Widerstand sahen. Die Initiativen wurden meist von liberalen Intellektuellen getragen. So formierte sich Protest und Widerstand gegen die 1938 erlassenen Judengesetze. 61 Prominente darunter Persönlichkeiten wie Béla Bartók, Zoltán Kodály oder Zsigmond Móricz, artikulierten ihre Ablehnung zwar medienwirksam, aber ziemlich erfolglos.18

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Siehe u. a. die Gespräche mit dem als Vertrauensmann Roosevelts agierenden Erzherzog CarlLudwig von Habsburg-Lothringen, vgl. dazu Dieter A. Binder: Otto von Habsburg. Aspekte der Politik im Exil. In: Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933. Hrsg. v. John M. Spalek, Konrad Feilchenfeldt und Sandra H. Hawrylchak. Bd. 3 USA. Teil 5. Zürich, München 2005, S. 355– 375, hier S. 362. Vgl. György Ránki: Unternehmen Margarethe. Die deutsche Besetzung Ungarns. Budapest 1984. Siehe die noch immer informative Darstellung bei Carlile A. Macartney: October Fifteenth. A History of Modern Hungary 1929–1945. 2 parts. Edinburgh 1956 f. Die Truppen der Roten Armee drangen ab September 1944 in Ungarn ein. Die Belagerung von Budapest begann am 25. Dezember 1944. Am 13. Februar 1945 konnten die Sowjets die Stadt einnehmen. Schon zuvor hatte sich in Debrecn eine provisorische Gegenregierung gebildet. Zsuzsa L. Nagy: The Liberal Opposition in Hungary 1919–1945. Budapest 1983, S. 116.

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Als eine der ersten größeren Manifestationen des Widerstandes nach dem Eintritt Ungarns in den Krieg auf Seite der Achsenmächte gilt die Demonstration vom 6. Oktober 1941. Beim Batthyány-Denkmal gedachte man nicht nur der Märtyrer von Arad, man wollte auch ein bewusstes Zeichen für die ungarische Unabhängigkeit setzen. An der Demonstration nahmen zwischen 200 und 300 Personen teil. Sie gehörten einerseits zum kommunistischen Untergrund, kamen aber auch aus den Reihen der Partei der Kleinlandwirte oder der Sozialdemokraten.19 Eine ähnlich bunte Gesellschaft fand sich auch unter den Autoren der kritischen Weihnachtsausgabe der Zeitung Népszava im Dezember des gleichen Jahres.20 Der nächste Schritt dieses losen Zusammenschlusses aus verschiedenen politischen Kräften war die Bildung eines Historischen Gedenkkomitees (Történelmi Emlékbizottság). Als das Komitee am 15. März 1942 abermals eine Gedenkveranstaltung zu einer Demonstration umfunktionierte, diesmal beim Denkmal für den ungarischen Nationaldichter und Helden der 1849er Revolution, Sándor Petőfi, schritt die Polizei ein. 500 angebliche Kommunisten und der Leiter des Gedenkkomitees wurden verhaftet.21 Aber nicht nur auf der Straße begann sich vereinzelt Widerstand zu regen, sondern auch in den anerkannten Parteien fanden sich immer öfter Kritiker, die teilweise auch in die zuvor erwähnten Aktionen involviert waren. An vorderster Front immer wieder aktiv waren dabei beispielsweise Endre Bajcsy-Zsilinszky und Zoltán Tildy von der Partei der Kleinlandwirte. Gemeinsam mit den Sozialdemokraten Géza Malasits und Károly Peyer verließen sie im April 1942 die parlamentarische Kommission, um gegen den Regierungskurs zu demonstrieren.22 Ein Jahr später, im Juni 1943 forderten Bajcsy-Zsilinszky und Tildy von der Regierung eine Distanzierung von Deutschland und den Abschluss eines Separatfriedens mit den Alliierten. In jener Zeit kam es auch zu einer Verständigung zwischen der Kleinlandwirte Partei und den Sozialdemokraten. Ein Bündnis sollte die demokratische Zukunft nach dem Kriegsende sicherstellen. Gleichzeitig begannen auch die Kommunisten wieder mit der Organisation einer neuen Untergrundpartei, die den Namen “Friedenspartei” trug. Ihr erster Parteisekretär war János Csermanek, besser bekannt unter seinem Decknamen János Kádár.23 Der Einmarsch der Deutschen 1944 traf auch den Widerstand gegen das eigene Regime schwer. Die Gestapo ging nicht nur gegen die jüdische Bevölkerung mit äußerster Härte vor, sondern verhaftete sogleich zahlreiche politische Gegner. Ab Mai 1944 formierten sich die verbliebenen Widerstandsgruppen zur Ungarischen Front. Neben den bereits vorher gemeinsam agierenden Mitgliedern der Friedenspartei (Kommunisten), der Sozialdemokraten und der Partei der Kleinlandwirte schlossen sich auch katholische Jugendorganisationen und sogar die Legitimisten in dieser nationalen Wider19

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Vgl. Romsics, Konsolidierung, S. 682; István Pintér: Hungarian Anti-Fascism and Resistance 1941–1945. Budapest 1986, S. 24. Pintér, Hungarian Anti-Fascism, S. 29. Romsics, Konsolidierung, S. 682 f. Nagy, The Liberal Opposition, S. 127. Vgl. Romsics, Konsolidierung, S. 683. Zur Gründung der Békepárt [= Friedenspartei] vgl. Pintér, Hungarian Anti-Fascism, S. 92–102.

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standsplattform zusammen. Nennenswerte Erfolge im Kampf gegen die Besatzer gab es jedoch kaum. Die Tätigkeit der Ungarischen Front beschränkte sich vorerst auf das Verteilen von illegalen Flugblättern, die zum Widerstand aufriefen.24 Mit der Übernahme der Macht durch die Pfeilkreuzler am 15. Oktober 1944 wurde der Druck auf die inneren Gegner weiter erhöht. Die Verhaftungswellen machten auch vor dem früheren Premierminister Kállay nicht halt, obwohl dieser die deutschfreundliche Politik ab 1941 mit ermöglicht hatte. Ende Oktober/Anfang November kam es unter der Führung diverser Jugendverbände zu einer neuerlichen Verständigung zwischen den unterschiedlichen politischen Gruppen, deren Gemeinsamkeit die Gegnerschaft zu den Deutschen und ihren ungarischen Handlangern den Pfeilkreuzlern war. Das daraus hervorgehende Befreiungskomitee des Ungarischen Nationalen Aufstandes (Magyar Nemzeti Felkelés Felszabadító Bizottsága) hatte aber keinen guten Start. Die Gruppen verständigten sich auf Endre Bajcsy-Zsilinszky als Vorsitzenden und riefen vor allem die Jugend zum bewaffneten Aufstand gegen Pfeilkreuzler und deutsche Besatzungsmacht auf.25 Am 19. November wandte sich das Komitee zudem an die sowjetische Führung.26 Doch kurz nach dem Aufruf an die Bevölkerung wurden BajcsyZsilinszky und zehn weitere führende Mitglieder des Befreiungskomitees enttarnt und verhaftet. Anfang September wurde auch László Rajk verhaftet; János Kádár war bereits im April 1944 inhaftiert worden.27 Nach diesen Verhaftungen blieben auch die letzten Bemühungen zur Bildung eines möglichst schlagkräftigen Widerstandes im Inneren des Landes erfolglos.

Der von außen motivierte Widerstand Anders als in vielen anderen besetzten Ländern gab es im Falle Ungarns keine Exilregierung.28 Selbst das Befreiungskomitee des Ungarischen Nationalen Widerstandes anerkannte prinzipiell die Funktion Horthys als Reichsverweser.29 Dennoch gab es auswärtige Versuche, gegen den auch in Ungarn durchgeführten NS-Terror zu intervenieren oder ihm entgegenzuwirken. Am auffälligsten war dabei das Vorgehen der schwedischen Regierung in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Bankier Raoul Wallenberg, der seit einem Aufenthalt in Haifa ausgezeichnete Kontakte zum World Jewish Congress hatte. Er wurde im Juni 1944 nach Budapest geschickt und entwickelte, unterstützt von der schwedischen Regierung, das System der Schutzpässe für Juden mit familiären oder beruflichen Beziehungen nach Schweden, um damit gegen die antijüdischen Maßnahmen der deutschen Besatzungsmacht zu arbeiten. Neben der Einführung der zum 24 25 26 27 28

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Romsics, Konsolidierung, S. 685. Pintér, Hungarian Anti-Fascism, S. 202 ff. Ebenda, S. 208. Ebenda, S. 172, 211. Mihály Károlyi versuchte im Sommer 1944 als Präsident eines gegen Horthy agierenden Ungarischen Nationalrates in London in Kontakt mit den Kriegsgegnern seiner Heimat zu gelangen. Er erreichte jedoch nichts. Letztich blieb Kárloyis Bewegung bedeutungslos, vgl. Memoris of Michael Károlyi. Faith Without Illusion. Trans. from the Hungarian by Catherine Karolyi. With an Introduction by A. J. P. Taylor. London 1956, S.289–315. Romsics, Konsolidierung, S. 683.

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Teil gefälschten Schutzpässe initiierte er auch das so genannte internationale Ghetto, eine Reihe von Schutzhäusern, in denen er Juden unterbrachte und versorgte.30 Der schwedische Diplomat wurde zu einem Symbol für den Kampf gegen den Holocaust in Ungarn. Sein Ansehen ist vor allem in Schweden, Großbritannien und den USA bis heute sehr hoch – auch nach seinem mysteriösen Verschwinden in Moskau.31 Bislang wenig beachtet ist die ungarische antifaschistische Bewegung in der UdSSR während des Zweiten Weltkrieges. Die emigrierten KP-Führer hatten ab Mitte der 30er Jahre in der Sowjetunion kein leichtes Leben. Fast alle hatten unter den stalinistischen Säuberungen zu leiden, oder fielen ihr, wie der frühere Führer der Räterepublik Béla Kun, zum Opfer.32 Mit dem Eintreffen Mátyás Rákosis in Moskau im Herbst 1940 erfuhr die Situation allerdings eine Wendung. Stalins “ungarischer Musterschüler” versuchte mit Unterstützung zahlreicher anderer ungarischer Kommunisten im Exil eine neue Gruppe für eine zukünftige Machtübernahme nach dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn aufzubauen. Ungarische Kommunisten wurden fortan zur Aufstellung von Partisanengruppen in den Kriegsgebieten herangezogen und versuchten über einen Propagandafunk (Sender „Kossuth“), möglichst viele Landsleute vom Aufstand gegen die Regierung zu überzeugen.33 1942 kam es zu einem Aufruf von 38 ungarischen Kommunisten, der zum Widerstand gegen Horthy und Hitler aufforderte. Der Aufruf blieb jedoch erfolglos. Im selben Jahr wurde eine militärische Sondereinheit unter dem Schriftsteller Major Béla Illés für Propagandazwecke gebildet.34 Viele ungarische Soldaten fielen an der Ostfront in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Die ungarischen Exilkommunisten versuchten, sie auf die gemeinsame kommunistische Sache einzuschwören. Die Gefangenen ließen zwar am früheren Waffenbruder Deutschland kaum ein gutes Haar, stellten sich aber nicht gegen die eigene Regierung. Letztlich verkannten die Exilkommunisten die politischen Verhältnisse im eigenen Land.35 Um eine breite Unterstützung der Kriegsgefangenen für die angestrebte Aufstellung einer ungarischen Legion zu erhalten, hätte es der Mitarbeit der höheren Offiziere bedurft. Aus ihrem Kreis war aber kaum jemand bereit, die kommunistischen Forderungen zu unterstützen. Man war sich zwar einig, dass sich Ungarn gegen Hitler wenden sollte, eine Absetzung von Horthy und ein damit bedingter Systemwechsel 30

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Es ist bezeichnend für das ungarische Verständnis für diese Zeit, dass der Name Wallenberg weder bei Pintérs Studie noch in den Arbeiten von Romsics oder bei Zsuzsa Nagy’s Werk „The Liberal Opposition in Hungary“ erwähnt ist. Immerhin ist nach Wallenberg eine Straße im 12. Bezirk Budapests benannt. Weit besser sieht die Rezeption in der internationalen Wissenschaft aus, vgl. u. a. Christoph Gann: Raoul Wallenberg, soviel Menschen retten wie möglich. München 1999. Der Text der von Präsident Ronald Reagan gehaltenen Rede anlässlich der posthumen Verleihung der Ehrenbürgerschaft der USA an Raoul Wallenberg findet sich auf http://www.raoulwallenberg.de/Wallenberg/Wurdigung/wurdigung.html#Textmarke. Vgl. Barry McLaouglin: Stalins Terror. High Politics and Mass Repression in the Soviet Union. Basingstoke 2003; Robert W. Thurston: Life and Terror in Stalins Russia 1934 –1941. Yale 1996. Peter Gosztony: Die ungarische antifaschistische Bewegung in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1/1972, S. 85–107, hier S. 89. Ebenda, S. 93. Ebenda, S. 91, 97.

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kam allerdings für die in Gefangenschaft geratenen Offiziere nicht in Frage. Aber nicht nur die Weigerung von hohen ungarischen Offizieren wie Generalleutnant Marcel Stomm, sondern vor allem mangelndes Interessen der Sowjetführung an einer ungarischen Legion verhinderte schließlich den direkten militärischen Kampf der Exilungarn gegen Hitler und Horthy.36

Der jüdische Widerstand Obwohl die ungarische Regierung unter Ministerpräsident Miklós Kállay im Mai 1943 erklärte, sie werde nicht von der bisher gezeigten Menschlichkeit abweichen und wolle auch zwecks Auswanderung keinen Druck auf die Juden ausüben, solange es kein dezidiertes Zielgebiet gebe,37 so dass sie den Eindruck vermittelte, die Juden hätten in Ungarn keinen Terror zu befürchten,38 entwickelte sich schon früh ein jüdischer Widerstand in Ungarn. Bereits 1942 und 1943 begann sich eine Gruppe aus diversen Jugendorganisationen zu bilden, deren Ziel die Rettung jüdischer Flüchtlinge war.39 Juden aus der Slowakei, beziehungsweise aus Polen wurden ins Land geschmuggelt oder betreut und anschließend via Istanbul nach Palästina gebracht. Zu den jüdischen Jugendgruppen gehörten unter anderen Haschomer Hazair, Dror-Habonim und Hanoar Hazioni, sowie Bnai Akiva, Misrahi und Betar.40 Neben Otto Komoly gehörte Tusia Herzberg zu den wesentlichsten Vertreterinnen dieses Widerstandes. Sie versuchte zudem Kontakt zu jugoslawischen Partisanen herzustellen, was ihr Anfang 1944 auch gelang;41 eine Zusammenarbeit mit den Tito-Partisanen kam aber nicht zustande. Die Jugendgruppen entwickelten sich im Laufe der Verfolgung zu einer wichtigen Hilfsorganisation. Sie organisierten gefälschte Papiere und befreiten sogar Juden aus Gefängnissen.42 Andererseits arbeiteten ungarische Beamten mit den neuen Machthabern nach dem Einmarsch der Wehrmacht sogleich zusammen, so dass Adolf Eichmann als Vertreter der SS die von Berlin angeordneten Deportationen der jüdischen Bevölkerung zügig organisieren konnte.43 Es lässt sich nicht feststellen, wie viele Menschen tatsächlich durch die Mithilfe der Jugendorganisationen und der ungarischen Zionisten vor dem Tod gerettet werden 36 37

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Ebenda, S. 103 ff. Siehe Ministerpräsident Nikolaus Kállay über die Hauptfragen der ungarischen Politik. Rede gehalten in der Versammlung des Grossrates der Partei Ungarisches Leben. 29. Mai 1943. Hrsg. v. Béla Pogány. Budapest 1943. Von Flüchtlingen aus Polen und der Slowakei wurde immer wieder kritisiert, dass die ungarischen Juden den Berichten über die gezielte Vernichtung keinen Glauben schenkten und für sich in Ungarn keine Gefahr sahen, vgl. Asher Cohen: The Halutz Resistance in Hungary 1942– 1944. Boulder 1986. Cohen, The Halutz Resistance, S. 37. Ingrid Strobl: Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand in Europa 1939– 1945. Frankfurt/Main 1998, S. 210. Tusia Herzberg: Der lachende Sand. Junge jüdische Widerstandskämpferinnen im 2. Weltkrieg. Klagenfurt 1996, S. 42. Strobl, Die Angst, S. 221, 225. Zu den Deportationen vgl. László Varga: Ungarn. In: Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. München 1996, S. 331–351, hier S. 342 ff.

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konnten. Vom ungarischen Widerstand weiß man allerdings, dass über 100.000 Schutzpässe ausgestellt worden waren.44

Zur Rezeption des ungarischen Widerstandes Der ungarische Widerstand fand lange Zeit kaum Beachtung, ebenso wie der Holocaust. Auch heute noch ist der Kampf gegen Nationalsozialismus und Faschismus kein Gegenstand groß angelegter Studien. Erst mit den 70er Jahren setzte eine durchwegs positive Hinwendung zu diesem Thema ein. Zu erwähnen sind die Studien von Peter Gosztony, die allerdings außerhalb Ungarns erschienen. 1975 erschien mit István Pintérs „Magyar antifasizmus és ellenállás“ (englische Ausgabe 1986) eine beachtliche Studie, die allerdings die Rolle der Kommunisten über Gebühr in den Vordergrund stellte. In der von István G. Toth 2005 herausgegebenen Geschichte Ungarns, spielt der ungarische Widerstand erstmals eine, wenngleich noch untergeordnete Rolle. Zum jüdischen Widerstand ist Asher Cohens Werk „The Halutz Resistance in Hungary“ zweifellos das Standardwerk. Insgesamt gesehen ist der Widerstand in Ungarn ein Forschungsfeld, das in jedem Fall noch einer genaueren Aufarbeitung bedarf.

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Cohen, The Halutz Resistance, S. 246.

II. Widerstand im besetzten Nord- und Westeuropa

Dänemark: Widerstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit – der Mythos vom dänischen Volk im Freiheitskampf gegen die Deutschen Karl Christian Lammers

Dänemark zwischen staatlicher Kollaboration und Widerstand Abgesehen von den deutschen Minderheiten in den Nachbarstaaten wurden die deutschen Truppen in den vom Deutschen Reich angegriffenen und besetzten Staaten Europas nirgends freundlich empfangen und sie waren auch nicht als Besatzungsmacht beliebt. Fast überall mussten die besiegten Einheimischen sich mit dem siegreichen Reich arrangieren. Die Reaktionen auf die deutsche Okkupation und die Haltung zur Besatzungsmacht waren nach der Kapitulation national unterschiedlich; sie waren abhängig von der Art und Weise der deutschen Besatzungsherrschaft. Die beiden Begriffe Widerstand und Zusammenarbeit (oder Kollaboration) beschreiben die Verhaltensweisen der besetzten Bevölkerungen mit denen sie den unerwünschten fremden Okkupanten begegneten oder sich arrangierten.1 Dies zeigte sich auch in Dänemark nach dem deutschen Überfall am 9. April 1940. Militärischer Widerstand schien aussichtslos, und die dänische Regierung übergab sich der feindlichen Übermacht; sie beugte sich dem Ultimatum und arrangierte sich „unter Protest“: ... „sie [die Regierung – Verf.] hat unter Protest beschlossen, die Verhältnisse des Landes mit Rücksicht auf die stattgefundene Besetzung zu regeln, und folglich wird Folgendes bekannt gemacht: Die deutschen Truppen, die jetzt sich im Lande befinden, setzen sich in Verbindung mit der dänischen Wehrmacht, und es ist die Pflicht der Bevölkerung, sich von jeglichem Widerstand gegenüber diesen Truppen abzuhalten. Die dänische Regierung [...] fordert die Bevölkerung auf zu ruhiger und beherrschter Haltung den nun entstandenen Umständen gegenüber. Ruhe und Ordnung muss das Land prägen“.2 Dänische Soldaten leisteten vereinzelt militärischen Widerstand; dabei wurden 16 Soldaten getötet. Die deutsche Minderheit in Nordschleswig begrüßte ihrerseits die einmarschierenden Truppen als Befreier. Aus der kampflosen Übergabe erfolgte die besondere dänische Ordnung, die sogenannte „friedliche Besetzung“ Dänemarks, die die territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit sowie die Neutralität Dänemarks im Krieg aufrechtzuerhalten ver1

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Vgl. hierzu Aage Trommer: Kollaboration und Widerstand in Dänemark. In: Neutralität und totalitäre Aggression. Nordeuropa und die Großmächte im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Robert Bohn. Stuttgart 1991, S. 381–397; Hans Kirchhoff: Samarbejde og modstand under besættelsen. En politisk historie. Odense 2001, S. 9–29. Aus dem Aufruf des Königs an das dänische Volk vom 9. April 1940, abgedruckt in: Beretning til Folketinget afgivet af den af Folketinget under 8. januar 1945 nedsatte kommission (sog. Parlamentarische Untersuchungskommission), IV. Kopenhagen 1948, Aktstykker, S. 22.

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Widerstand im besetzten Nord- und Westeuropa

mochte. Unter dieser Ordnung blieben das demokratische System und seine Institutionen mit eigener Regierung, Parlament, Gesetzgebung, Rechtshoheit und Rechtsstaat bestehen. Die Beziehungen mit Berlin verliefen auf zwischenstaatlicher Ebene über den deutschen Gesandten Cecil von Renthe- Fink in Kopenhagen, der seit dem 9. April als Reichsbevollmächtigter fungierte. Eine deutsche Besatzungsverwaltung gab es formell nicht, später ist der Ausdruck „Aufsichtsverwaltung“ für die deutsche Herrschaft verwendet worden. Gleichwohl war die dänische Souveränität und Neutralität letztlich eine Fiktion, die nur so lange funktionierte, wie sie für die Deutschen vorteilhaft war. Immerhin befanden sich in Dänemark seit Besetzung etwa 20.000 deutsche Truppen, deren Zahl bis Ende der Okkupation auf 150.000 anstieg.3 Zunächst funktionierte diese Fiktion, zumal sie den Deutschen politisch und militärisch zweckmäßig und vor allem wirtschaftlich vorteilhaft war: Dänemark wurde ein Modellprotektorat.4 Die dänische Regierung versuchte, über die aufgezwungene sogenannte „Verhandlungspolitik“ – so die Bezeichnung durch ihre Fürsprecher wie den späteren Ministerpräsidenten Erik Scavenius – oder durch eine Politik der Anpassung und Zusammenarbeit mit den Deutschen so weit wie möglich das dänische politische und gesellschaftliche System intakt und frei von deutschen Eingriffen und deutscher Repression zu halten sowie die eigene Gesellschaft vor den Folgen des Krieges zu schützen. Ob mit dem eingedrungenen Feind zusammengearbeitet werden konnte, war umstritten: Die Gegner der Verhandlungspolitik sprachen kritisch von „Zusammenarbeitspolitik“.5 Diese Strategie war lange Zeit erfolgreich. Erst seit 1942 wurde sie infolge wachsender deutscher Forderungen zusehends schwieriger, vor allem als es dem Deutschen Reich im Kriegsverlauf militärisch schlechter ging und der dänische Widerstand gegen die Zusammenarbeit und die Okkupationsmacht anstieg. Die Verhandlungspolitik wurde später von Historikern als Kollaboration oder Staatskollaboration kritisiert.6 Die Verhandlungs- und Zusammenarbeitspolitik wurde seit dem 10. April 1940 von einer nationalen Sammlungsregierung, die sich aus den vier demokratischen Parteien, Sozialdemokraten, Linksliberalen, Liberalen und Konservativen bildete, getragen. Sie hatte die Unterstützung von dem im Land gebliebenen König Christian X. Ab Herbst 1942 meldeten sich an dieser Politik erste Zweifel, aber sie hielt sich bis die Regierung am 29. August 1943 zurücktrat und damit formell die Politik der Zusammenarbeit beendete. Inoffiziell wurde sie mit Zustimmung der Politiker wie der Widerstandsbewegung in anderer Form und auf niedriger Ebene weitergeführt. Obwohl die große Mehrheit der Dänen den deutschen Besatzern mit Verachtung und Feindlichkeit begegnete, kam es nicht im April 1940 zum offenen oder organisier3

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Die dänischen Streitkräfte hatten einen Umfang von etwa 8.000 Mann, vgl. Gads Leksikon om Dansk besættelsestid 1940–1945. Red. v. Hans Kirchhoff u.a. Kopenhagen 2002, S. 218 f. Vgl. hierzu Joachim Lund: Hitlers spisekammer. Danmark og den europæiske nyordning 1940– 1943. Kopenhagen 2005; englische Kurzfassung: Denmark and the „European New Order“, 1940–1942. In: Contemporary European History 13 (2004), S. 305–321. Vgl. das Stichwort „Forhandlings- og samarbejdspolitikken” (Hans Kirchhoff), in: Gads Leksikon 2002, S. 155–161, ferner Trommer, Kollaboration und Widerstand, S. 381- 397. Vgl. „Forhandlings- og samarbejdspolitikken“ in: Gads Leksikon 2002, S. 155 ff.

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ten Widerstand gegen sie. Es kam aber bereits 1940 zu nationalen Reaktionen, um den Bestand der Nation zu sichern. Die Mehrheit der Bevölkerung stand hinter dem nationalen Konsens und unterstützte die Verhandlungspolitik der Regierung. Das zeigte sich noch im März 1943 bei der für das deutsch besetzte Europa einmaligen Wahl zum Folketing, bei der fast 90 Prozent der Dänen abstimmten und eine überwältigende Mehrheit mit rund 95 Prozent die vier alten Parteien wählte sowie die Verhandlungspolitik offensichtlich unterstützte.7 Die Kommunisten und die illegale Zeitung „Frit Danmark“ hatten zur Stimmenthaltung aufgefordert, um die Zustimmungspolitik abzulehnen; aber nur etwa ein Prozent der Wähler folgte diesem Aufruf. Erst bei den Kommunalwahlen im Mai 1943 gab es Anzeichen eines Stimmungsumschwunges. Die Verfechter des Widerstandes waren lange Zeit isoliert. Allmählich erhob sich jedoch Protest und Widerstand gegen die Kollaboration und deren politischen und moralischen Folgen, zumal Dänemark bis 1943 de facto als Verbündeter Deutschlands erschien. Die Kriegswende, die sich 1943 anbahnte, ließ den Widerstand erstarken, und seine Aktionen vermehrten sich. Die besondere politische Situation in Dänemark bezüglich Kollaboration und Widerstand war nach Ansicht des dänischen Historikers Henning Poulsen sehr ambivalent: „Dänemark kollaborierte politisch mit der Besatzungsmacht und erhielt dafür Verhältnisse, die im Vergleich mit anderen besetzten Ländern gut und verhältnismäßig frei waren. Dänemark erhielt aber auch eine Widerstandsbewegung zum halben Preis, und zuletzt wurde das Land als alliierte Macht anerkannt, ohne in den Krieg einzutreten.“8 Damit sprach er das Paradox an, dass die Gegner der Politik der Zusammenarbeit durch diese Politik erst ihren Handlungsspielraum erhielten. Die Zusammenarbeitspolitik verhinderte, dass die dänische Widerstandsbewegung vor der Wahl gestellt wurde, ob ihr Widerstand einen hohen Preis Wert war.9 Proteste und Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht und die Zustimmungspolitik der dänischen Regierung wurden trotz allem geleistet;10 im Nachhinein wurde Widerstand aber auch als nationale Handlung, d. h. als Freiheitskampf, viel umfassender konstruiert und damit mythologisiert, da das für den nationalen Konsens des Landes und die nationale Identität nach Kriegsende und Okkupation von zentraler Bedeutung war.

Entstehung und Entwicklung des Widerstandes Die Ausgangslage für dänischen Widerstand war 1940 eher schlecht. Die Art, wie Dänemark am 9. April 1940 quasi „friedlich“ besetzt wurde, sollte eine entscheidende Rolle für die Entstehung, Entfaltung und Entwicklung des Widerstandes haben. Sowohl die dänische Souveränität als auch das parlamentarisch-demokratische System blieben er7

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Siehe Danmarks Historie. Bd. 7, 1914–1945. Hrsg. v. Niels Finn Christiansen, Karl Christian Lammers und Henrik S. Nissen. Kopenhagen 1988, S. 478. Henning Poulsen: Dansk modstand og tysk politik. In: Den jyske historiker 71 (1995), S. 71. So Claus Bundgård Christensen, Joachim Lund, Niels Wium Olesen und Jakob Sørensen: Danmark besat. Krig og hverdag 1940–45. Kopenhagen 2005, S. 373. Vgl. Aage Trommer: Modstandsarbejde i nærbillede. Det illegale arbejde i Syd- og Sønderjylland under den tyske besættelse 1940–45. Odense 1973.

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halten. Aktiver und gewaltsamer Widerstand gegen die fremde Besatzungsmacht war folglich auch politischer und gewaltsamer Kampf gegen das eigene politische System und die Regierung, die immerhin im April 1940 zur Ruhe und Besonnenheit aufgerufen hatte. Der deutsche Angriff wirkte wie ein Schock für die Dänen; die fast kampflose Kapitulation wurde als nationale Demütigung empfunden. Die deutsche Okkupation war unpopulär und ohne Rückhalt bei den Dänen. Die eher pro-englisch eingestellte Bevölkerung zeigte in der Folgezeit überwiegend den Besatzern die „kalte Schulter“, obwohl sie politisch die Zusammenarbeitspolitik der nationalen Sammlungsregierung unterstützte. In November 1941 kam es allerdings zu ersten Protesten gegen die Regierungspolitik, die im Zusammenhang mit dem Beitritt des Landes zum Antikominternpakt standen. Die deutsche Besatzungspolitik und die Kollaboration der Kopenhagener Regierung waren somit Ursache für den dänischen Widerstand, der sich sowohl gegen die landeseigene Zustimmungspolitik als auch gegen die fremde Besatzungsmacht richtete. Die zentrale Frage ist, wann und wie sich die deutschfeindliche Einstellung bei den Dänen zum aktiven, organisierten und illegalen Widerstand entwickelten. Der entscheidende Schritt von allgemeiner Abneigung gegenüber den Deutschen zum aktiven und bewaffneten Widerstand war für die loyalen und gesetzestreuen Dänen groß und grenzüberschreitend. Um dies zu erklären, ist es notwendig, den Begriff Widerstand exakter zu definieren, zumal er im dänischen Kontext gewöhnlich enger gefasst wird als im Deutschen. In den besetzten Gebieten wird unter Widerstand der aktive, d. h. bewaffnete und gewaltsame Kampf gegen eine von außen kommende fremde Besatzungsmacht verstanden, um ihr zu schaden, und er wird meistens in Verbindung mit einer organisierten Widerstandsbewegung gebracht.11 Bezogen auf dänische Verhältnisse scheint die Verwendung von Begriffen wie „passive Widerstand“, „Resistenz“ u. ä. problematisch zu sein; einige dänische Historiker sehen in der Abwehr des dänischen Nationalsozialismus und in der defensiven Hinwendung zu nationalen Symbolen und Werten – wie die dänische Volksregierung (folkestyre), das Königshaus, die dänische Kultur und Geschichte, der „Allgesang“ (alsang) – eine indirekte und somit passive sowie symbolische Abwendung von den deutschen Besatzern.12 Betrachtet man Widerstand als aktiven und bewaffneten Kampf gegen die fremde Besatzungsmacht kann erst von eigentlichem Widerstand ab 1942/43 gesprochen werden, als ein bewaffneter Kampf in Form von Sabotageaktivitäten und gewaltsamen Aktionen gegen die Deutschen durchgeführt wurde. In dieser Form erhob sich Widerstand zugleich gegen die dänische Kollaborationspolitik. Lange Zeit haben Widerständler und Politiker darum gekämpft, jeweils die angebliche Gemeinschaft der Dänen zu vertreten.13 Erst im Sommer 1943 hatte Widerstand als Handlungsmöglichkeit 11

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Vgl. meinen Aufsatz: Der deutsche Widerstand gegen Hitler im Urteil der dänischen Öffentlichkeit und Historiographie. In: Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Wahrnehmung und Wertung in Europa und den USA. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2002, S. 101–110. Hans Kirchhoff: The Danish Resistance. In: Europäischer Widerstand im Vergleich. Hrsg. v. Ger van Roon. Berlin 1985, S. 249–270, hier S. 254. So Henning Poulsen: Besættelsesårene 1940–1945. Aarhus 2002, S. 113.

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in den Augen der Mehrheit des Volkes gesiegt, indem man Sabotage als Waffe anerkannte. Der Widerstand war lange isoliert und umfasste in der ersten Phase nur einige hundert Personen. Er ging von Randgruppen des linken und rechten Spektrums aus, die vor 1940 Gegner des parlamentarischen Systems waren. Die ersten Ansätze richteten sich im Jahr 1941 gegen die Politik der Zusammenarbeit. In der dänischen Forschung geht man davon aus, dass die politischen Maßnahmen gegen die dänischen Kommunisten, die Verfolgung und Inhaftierung ihrer Parlamentarier und das Verbot der kommunistischen Partei (DKP) im Juni 1941 zum Anstoß und zu Organisation des illegalen kommunistischen Widerstandes führten. Es wurden geheime kommunistische Gruppen gebildet und im Oktober 1941 erschien die erste Nummer der illegalen kommunistischen Zeitung „Land og Folk“. Im April 1942 konnte die erste überparteiliche illegale Zeitung „Frit Danmark“ verbreitet werden. Die Kommunisten betrachteten sich seit Ende 1942 als Freiheitskämpfer. Dies taten allerdings auch bürgerlich eingestellte Dänen – unter Jungkonservativen in der Konservativen Ungdom KU und der nationalistisch-antiparlamentarischen Dansk Samling–, wo es etwas später ebenfalls zur Bildung von Widerstandsgruppen kam. In Dänemark ist es zu keinem illegalen Untergrunds- oder Partisanenkrieg gegen die Besatzungsmacht gekommen. Deshalb wurden die illegale Presse und vor allem die Sabotage zu den dominierenden Formen des aktiven Widerstandes. Bereits im Frühjahr 1942 wurden die ersten Sabotageaktionen von Kommunisten durchgeführt, um einen Keil in die dänisch-deutsche Zusammenarbeit zu treiben. Bis zum Sommer 1942 wurden insgesamt 300 Sabotageaktionen registriert; sie waren meistens ohne große militärische Bedeutung und wurden von Einzelpersonen in Form von Brandanschlägen ausgeführt. Sie setzten immerhin ein Zeichen für den aktiven Widerstandskampf, wie z. B. im Juni 1942, als zwei deutsche Schnellboote auf einer Werft in Kopenhagen in Brand gesetzt wurden und als es gelang, einen deutschen Sonderzug zum Entgleisen zu bringen. Die Sabotageaktionen nahmen im Sommer 1942 einen derartigen Umfang ein, dass sie von den Deutschen nicht länger ignoriert werden konnten. Sie drohten mit Kriegsgerichten und Todesstrafen für Saboteure. Weil die dänische Regierung dadurch ihre Handhabung von Gesetz und Ordnung und somit ihre Rechtshoheit bedroht fühlte, sah sie sich gezwungen, Stellung zu nehmen. Ministerpräsident Vilhelm Buhl nannte in seiner Antisabotagerede im dänischen Rundfunk am 2. September 1942 die Sabotage „eines der schwersten Verbrechen, die gegen ein kriegführendes Land verübt werden kann“, und er unterstrich, dass Saboteure „gegen die Interessen seines Vaterlandes handeln“ würden. Zudem forderte er dazu auf, sie zu denunzieren.14 Die Antwort kam aus London, wo der frühere Leiter der konservativen Partei John Christmas Møller eine Rede in der BBC hielt: Dänemark könne nicht länger neutral im Krieg sein, und er rief öffentlich zur Sabotage gegen das Transportwesen der Achsenmächte auf. Die Antwort von „Frit Danmark“ zuhause war: „Unser Volk ist bereit“.15 Danach stieg die 14 15

Zit. nach Christensen/Lund/Olesen/Sørensen, Danmark besat, S. 311 f. Ebenda, S. 313 f.

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Zahl der Sabotageaktionen kräftig an. Die eigentliche Kampfphase setzte im Herbst 1942 ein, als Anschläge von kommunistischen und anderen Widerständlern vorgenommen wurden, und sie waren im vollen Gange, als die Waffen- und Sprengstofflieferungen der britischen geheimen Sabotageorganisation Special Operations Executive (SOE) erfolgten. Erst im Frühsommer 1943 entstand die erste bürgerliche Sabotagegruppe mit Personen aus der Dansk Samling. Die SOE spielte nach ihrer Etablierung Anfang 1943 eine wichtige Rolle bei den Sabotageaktivitäten. Die Sabotageaktionen richteten sich auch gegen die Kollaborationspolitik der dänischen Regierung, die folglich ihrerseits Sabotagehandlungen scharf verurteilte. Die Anschläge richteten sich vor allem gegen Betriebe, Werften und Einrichtungen, die für das Deutsche Reich arbeiteten. Im Jahre 1943 wurden auch deutsche militärische Einrichtungen und Truppen Ziele für Anschläge und Sabotageaktionen. Nachdem die deutsche Besatzungsmacht im November 1942 mit der Forderung nach Übergabe und Verurteilung der Saboteure an deutsche Kriegsgerichte in die innerpolitischen Verhältnisse des Landes eingegriffen hatten und damit die dänische Rechtshoheit in Frage stellten, entwickelte sich ab 1943 eine zunehmende Opposition gegen die deutsche Besatzungspolitik. Zumal sich 1943 mit der deutschen Niederlage bei Stalingrad sowie der Landung der westalliierten Truppen auf Sizilien und dem Sturz Mussolinis eine Kriegswende zugunsten der Alliierten abzeichnete. Seit Anfang 1943 stieg die Zahl der Sabotageaktionen in Dänemark an: Bis Ende 1942 waren 80 Sabotagehandlungen pro Monat zu registrieren; im August 1943 waren es insgesamt 213 Aktionen. Vor allem Sabotageaktionen im Industriebereich nahmen einen größeren Umfang an. Bis Ende des Krieges wurden etwa 2.700 Aktionen unternommen, darunter viele Werftsabotage-Aktionen mit Zerstörung deutscher Marinefahrzeuge und des Rüstungsbetriebes Riffelsyndikatet. Ab 1943 erfolgten etwa 1.000 Sabotageanschläge gegen Eisenbahnanlagen und Truppentransporte. Beide Sabotageformen hatten insgesamt mehr politische und psychologische Bedeutung als militärische, denn sie bezeugten den dänischen Widerstandswillen öffentlich und spektakulär.16 Der 29. August 1943 lässt sich als entscheidender Wendepunkt in der Geschichte der Okkupationszeit und des Widerstandes festhalten. In vielen Betrieben herrschte im Jahr 1943 erhebliche Unruhe. Es wurde öfters gestreikt, und die Protestwelle kulminierte schließlich im sogenannten August-Aufruhr. Die Kommunisten spielten dabei eine führende Rolle. Der landesweite Aufstand mit Demonstrationen und Streiks ist als Manifestation der Bevölkerung zu sehen, sich offensiv gegen die Besatzungsmacht zu stellen. An vielen Orten erfolgte der Aufruhr als spontane Reaktionen auf Maßnahmen der deutschen Besatzungsmacht.17 Die Streiks begannen in Odense auf Fünen Mitte Juli. Anfang August fing der eigentliche Aufruhr in Esbjerg an der Westküste Jütlands an. Er richtete sich mit verschiedenen Streikmaßnahmen in 17 Städten westlich vom Großen Belt sowohl gegen die Politik der Regierung als auch gegen die deutsche Besatzungsmacht. Dabei kam es zu Gefechten mit deutschen Truppen. 16

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Zahlen aus den Stichwörtern „Industrisabotage“ (Esben Kjeldbæk) und „Jernbanesabotage“ (Aage Trommer) in: Gads Leksikon, S. 238 f. und 247 f. So Poulsen, Besættelsesårene, S. 116.

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Zur gleichen Zeit zeigte eine Meinungsumfrage, dass die Mehrzahl der Dänen Sabotage als Waffe akzeptierte. Das Ergebnis war als deutliche Absage an die Kollaboration der eigenen Regierung zu werten. Als die Deutschen die Verhängung des Ausnahmezustandes mit verschärften Maßnahmen gegen Sabotage und Saboteure forderten, verweigerte die Regierung ihre Zustimmung und trat zurück. Das Nein zum Ultimatum der Besatzungsmacht stellte aber keine Zustimmung zum Widerstand dar.18 Die Wehrmacht verfügte am 29. August 1943 den militärischen Ausnahmezustand über das Land, um Widerstand und Sabotage effektiver bekämpfen zu können. Sie übernahm die ausübende Macht und verhängte zahlreiche Todesstrafen für Sabotage. Zugleich wurden die dänischen Streitkräfte aufgelöst. Danach kamen deutsche Polizei, SS und Gestapo mit ihrem Terrorsystem nach Dänemark. Die Kollaborationspolitik wurde gleichwohl auf der Ebene der Verwaltung durch die Staatssekretäre (Departementschefstyret) praktisch fortgeführt. Nach knapp einem Monat übernahm an Stelle der Wehrmacht der Reichsbevollmächtigte Werner Best die Macht im Land. Noch im Jahr 1943 wurden die ersten Saboteure und Widerständler hingerichtet. Seit Anfang 1944 kann von einem regulären Terrorregime der Deutschen in Dänemark gesprochen werden, wobei schließlich die deutsche Polizei und SS die Durchsetzung von Gesetz und Ordnung übernahmen. Kurz nach dem Sommer 1943 vereinigten sich die verschiedenen dänischen Widerstandsgruppen. Am 16. September 1943 bildete sich mit Frihedsraadet, dem dänischen Freiheitsrat, eine Dachorganisation des Widerstandes. Ihm gehörten die DKP, Frit Danmark, Ringen und Dansk Samling an. Der Freiheitsrat fungierte faktisch seit dem Herbst 1943 und insbesondere seit 1944 als dänische Regierungsmacht. Mit Blick auf eine mögliche Invasion kam es nach Aufforderung durch die SOE zur Herausbildung eines Untergrundheeres unter der Koordination des Freiheitsrates, das den bewaffneten Kampf gegen die Deutschen aufnehmen sollte. Anfang Oktober 1943 erfolgte auch die wichtigste und auffallendste Widerstandsaktion. Sie galt der Rettung von ungefähr 7.000 dänischen Juden nach Schweden (etwa 95 Prozent der Juden); während die deutsche Polizei „nur“ 475 Juden festnehmen und in das KZ-Lager Theresienstadt in Böhmen deportieren konnte. 1944 wurden zahlreiche Widerstandsaktionen durchgeführt – vor allem in Form von Sabotage gegen deutsche Einrichtungen und dänische Betriebe, die für die Wehrmacht produzierten. Das hing sicherlich damit zusammen, dass es nach der westalliierten Invasion in der Normandie und den militärischen Rückschlägen der Wehrmacht an der Ostfront erkennbar war, dass das Deutsche Reich den Krieg verlieren würde. Seit Frühling 1944 flammte die Sabotage wieder verstärkt auf; zugleich verschärften die Deutschen ihre Bekämpfung. Die deutschen Maßnahmen führten zu Streiks und Demonstrationen, die im Volksstreik in Kopenhagen im Juni und Juli 1944 gipfelten, wogegen die Deutschen eine Ausgangssperre verhängten. Weitere Maßnahmen der Deutschen – wie Internierungen, Hinrichtungen und Morde – wurden mit lokalen zeitlich

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So Hans Kirchhoff: Den store myte om det danske folk i kamp. Om besættelsen i dansk kollektiverindring. In: Fra mellemkrigstid til efterkrigstid. Hrsg. v. Henrik Dethlefsen und Henrik Lundbak. Kopenhagen 1998, S. 397–423, hier S. 407; vgl. ders., The Danish Resistance, S. 260.

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begrenzten Streiks beantwortet. Es kam zu einer zunehmenden illegalen Haltung der dänischen Bevölkerung.19 Die Macht des Freiheitsrates zeigte sich, als im Herbst 1944 in vielen Provinzstädten Lokalkomitees gebildet wurden, die mit den örtlichen Behörden zusammenarbeiteten. Nach dem August-Aufruhr kam es zu Kontakten zwischen Freiheitsrat und alten Politikern, die allerdings ein „Doppelspiel“ spielten, um den Einfluss der Widerstandsbewegung zu begrenzen.20 Die Kontakte führten schließlich zur Bildung der nationalen Freiheitsregierung Anfang Mai 1945. Die Aktionen der dänischen Widerstandsbewegung vermittelten den Eindruck, dass Dänemark 1944 aktiv im Krieg mit dem Deutschen Reich stand und das Land wurde von den Westmächten als alliierte Macht anerkannt. Der nationale Konsens beeinflusste allerdings auch in anderer Hinsicht die erste Nachkriegszeit. Das galt vor allem in bezug auf die juristische und politische Aufarbeitung der Okkupationszeit. Er bestimmte die justizielle Verfolgung der aktiven Kollaborateure und sogenannten Landesverräter, wie z. B. von einheimischen Mitgliedern der deutschen Wachmannschaften, Freiwilligen bei der Waffen-SS, Denunzianten und Angehörigen der deutschen Minderheit, aber auch von sogenannten Kriegsgewinnlern (værnemagere).21 Er trug ferner dazu bei, dass die Frage der politischen Verantwortung für die Niederlage am 9. April 1940 einer parlamentarischen Untersuchungskommission übertragen wurde. Sie sprach schließlich 1954 die Politiker und die Politik der Zusammenarbeit von Schuld frei. Will man einschätzen, welche Bedeutung der dänische Widerstand während des Krieges hatte, so ist zu konstatieren, dass er in Form von Sabotageaktivitäten, illegaler Presse, Streiks und Protestdemonstrationen gegenüber der Besatzungsmacht in militärischer und wirtschaftlicher Hinsicht keine große Bedeutung hatte. Er hat den Krieg des Deutschen Reiches und die Besatzungsmaßnahmen nicht spürbar beeinträchtigt. Allerdings war seine politische und psychologische Bedeutung erheblich: Er hat zum Ende der Zusammenarbeitspolitik geführt und Einfluss auf die dänische Bevölkerung genommen, so dass sie auf einen alliierten Sieg hoffen konnte. Schließlich hat der Widerstand das Ansehen Dänemarks im alliierten Lager erheblich verbessert und bei den Alliierten zur Anerkennung des Landes als Alliierter geführt.

Der Widerstand als Freiheitskampf gegen die Deutschen in der kollektiven Erinnerung der Dänen und in der Geschichtsschreibung Nach Kriegsende wurde die Besatzungszeit zu einem Mythos vom zähen Widerstandskampf des dänischen Volkes gegen die deutsche Okkupationsmacht stilisiert. Dazu gehörte sogar der Mythos vom legalen Widerstand des Reichstages als Schild für den ille-

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Vgl. Aage Trommer: Sabotage und Streiks im besetzten Dänemark. Ihre wirtschaftliche, politische und soziale Bedeutung. In: Zweiter Weltkrieg und sozialer Wandel. Hrsg. v. Waclaw Dlugoborski. Göttingen 1981, S. 248–275. So Kichhoff, Den store myte, S. 416. Vgl. Ditlev Tamm: Retsopgøret efter besættelsen. Kopenhagen 1984.

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galen Widerstand.22 Dieser Mythos bezog sich vor allem auf die letzten zwei Jahre der deutschen Okkupation ab August 1943: „Der Mythos verschmolz die organisierte Widerstandsbewegung mit dem Teil der Bevölkerung der nicht teilgenommen hatte, und mit dem offiziellen Dänemark das die längste Zeit dagegen gewesen war“.23 Die Vorstellung vom nationalen Kampf des Volkes gegen die Besatzer, die auf die nationale Erweckung und den nationalen Konsens von 1940 fußte, musste zwangsläufig die ersten drei Jahre der Okkupationszeit ausblenden und ebenso andere Situationen, bei denen Dänen gegen andere Dänen kämpften. Als Sternstunde des dänischen Widerstandes wertete man das aktive Verhalten vieler Dänen bei der Rettung fast aller dänischen Juden im Oktober 1943, wodurch verhindert werden konnte, dass der Holocaust auch in Dänemark geschah. Eine weitere Folge des Mythos war die Einschätzung des Volksstreiks im Sommer 1944, bei dem die Grenze zwischen aktivem und passivem Widerstand verwischt worden sei. Mit dieser Auffassung gelang es, die Bemühungen der politischen Parteien zur Erhaltung des demokratischen Systems im Land als „Mitkämpfertum“ einzustufen.24 Diese Auffassung oder die Darstellung von einer im Kampf gegen den Besatzer vereinten Nation spielte eine wichtige politische Rolle in der Nachkriegszeit, da sie den Brückenschlag zwischen der Widerstandsbewegung und den Politikern, die die Politik der Zusammenarbeit getragen hatten, ermöglichte.25 Mit der Besatzungsmacht hätten danach nur antidemokratische Außenseiter von rechts und links kollaboriert, während die Mehrheit des dänischen Volkes mit unterschiedlichen Mitteln gegen die Deutschen gekämpft hätte. Dieser nationale Konsens bestimmte lange Zeit Politik und Geschichtsschreibung in Dänemark.26 Er wurde Teil der nationalen Identität. Seit den 70er Jahren ist die dänische Geschichtsschreibung allerdings dabei, diesen nationalen Konsens aufzulösen und damit allein den aktiven Widerstand als Kampf gegen die Besatzungsmacht zu werten Die Geschichtsschreibung über den dänischen Widerstand27 wurde lange Zeit vom Mythos des nationalen und geschlossenen Abwehr- und Freiheitskampf gegen die deutsche Besatzungsmacht beeinflusst. Die Darstellung vom im Widerstand vereinten dänischen Volk verband das offizielle Dänemark mit der Erinnerung an die Widerstandsaktionen.28 In den ersten Darstellungen nach dem Ende der Okkupation wurden 22

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Vgl. Kirchhoff, Den store myte, S. 397–423, ferner Nils Arne Sørensen: Narrating the Second World War in Denmark since 1945. In: Contemporary European History 14 (2005), S. 295–315. So die Beurteilung von Kirchhoff, Den store myte, S. 412. Vgl. hierzu Christensen/Lund/Olesen/Sørensen, Danmark besat, S. 707 f. Vgl. auch Claus Bryld und Anette Warring: Besættelsestiden som kollektiv erindring. Historieog traditionsforvaltning af krig og besættelse 1945–1997. Roskilde 1998. So Kirchhoff, Den store myte, S. 415 f.; Bryld und Warring, Besættelsestiden, S. 12 f. Die umfangreiche Literatur zum Widerstand hat John T. Lauridsen in seiner großen Bibliographie: Samarbejde og modstand. Danmark under den tyske besættelse 1940–45. En bibliografi, Kopenhagen 2002, erfasst. Sie umfasst fast 1.000 Titel (Nr. 3431 ff.). Eine kurze historiographische Übersicht findet sich bei Kirchhoff, The Danish Resistance, S. 268 f. Vgl. hierzu Nils Arne Sørensen: Danmarkshistoriens vigtigste parantes. Besættelsestidens politiske virkningshistorie. In: Partier under pres – demokratiet under besættelsen. Hrsg. v. Joachim Lund. Kopenhagen 2003, S. 346–368; ders., Narrating, S. 298 f.

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der „legale und illegale Widerstand“ als sich ergänzende Formen geschildert.29 Diese Sichtweise wurde während des Kalten Krieges fortgeführt, als die Perspektive prowestlich war und folglich die Rolle der Kommunisten im Widerstand vernachlässigt wurde, wie es bei Jørgen Hæstrup der Fall war. In seinem Buch von 1954 über „Kontakt mit England“ konzentrierte er sich auf die SOE und grenzte die Kommunisten aus.30 Wissenschaftlich ist die Rolle der Kommunisten im Widerstand bis heute nicht gründlich untersucht worden; hauptsächlich ist sie von kommunistischen Widerständler geschildert worden.31 Das erste wissenschaftliche Werk über den Widerstand und insbesondere über die Organisation des Widerstandes wurde von Jørgen Hæstrup unter dem Titel „Hemmellig alliance“ (Geheime Allianz) 1959 publiziert. Er schuf damit die Basis für den großen Mythos vom Volk im Kampf. Hæstrup betonte die Geschlossenheit des dänischen Volkes – auch im Verhältnis zwischen Widerstandsbewegung und Politikern am Ende und nach der Okkupationszeit. Aus seiner Sicht hatten beide das Richtige getan und er huldigte dem Überlebenskampf des dänischen Volkes.32 Die Konsensauffassung lag auch dem großen Forschungsprojekt zur Untersuchung der gesamten Okkupationszeit zugrunde, das 1960 begonnen wurde und ganz ungewöhnlich für die damalige Zeit fast unbeschränkten Zugang zu den Akten aus der Besatzungszeit erhielt. Die Forschungsergebnisse erschienen in mehreren Einzelstudien zum „Udgiverselskabet for Danmarks Nyeste Historie“ (DNH).33 Seit den 70er Jahren wurde der Mythos vom vereinten Volk im Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht immer mehr in Frage gestellt.34 Schließlich zeigte der Kopenhagener Historiker Hans Kirchhoff in seiner Doktorarbeit von 1979 über den August-Aufstand 1943, dass sich der Aufstand vor allem gegen die Kollaborationspolitik der Regierung richtete, um diese gleichsam zu beenden. Er konnte nachweisen, dass die Kollaborationspolitik der Regierung 1943 durch die Streiks, Unruhen und Kämpfe mit den Deutschen ihre Basis im Volk verlor und dass die Politiker förmlich zum Bruch mit der Besatzungsmacht gezwungen wurden.35

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Hartvig Frisch: Danmark besat og befriet. Kopenhagen 1948, zit. nach Sørensen, Danmarkshistoriens, S. 355. Jørgen Hæstrup: Kontakt med England 1940–43. Odense 1954, vgl. auch Kirchhoff, Den store myte, S. 416. Vgl. Lauridsen, Samarbejde, S. 327 f. Jørgen Hæstrup: Hemmelig alliance. Hovedtræk af den danske modstandsorganisations udvikling 1943–1945. Odense 1959, S. 100. Vgl. die Untersuchung über den Widerstandskampf auf Amager von Jørgen H. Barfod: Folkets oprør. Kopenhagen 1991. Sigurd Jensen: Levevilkår under besættelsen. Kopenhagen 1973; Henrik S. Nissen: 1940. Studier i forhandlings-og samarbejdspolitikken. Kopenhagen 1973; Henning Poulsen: Besættelsesmagten og de danske nazister. Det politiske forhold mellem tyske myndigheder og nazistiske kredse i Danmark 1940–43. Kopenhagen 1970. So Christensen/Lund/Olesen/Sørensen, Danmark besat, S. 707 f. Hans Kirchhoff: Augustoprøret 1943. Samarbejdspolitikkens fald. Forudsætninger og forløb. En studie i kollaboration og modstand. Kopenhagen 1979, ferner ders.: Samarbejde og modstand. Odense 2001.

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Die frühere Auffassung blieb aber in Teilen der Geschichtsschreibung erhalten.36 Bereits früher wurden revisionistische Vorstellungen vertreten, als mehrere Historiker Teile des traditionellen Mythos in Frage stellten. Das führte zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen zwischen den betroffenen Zeitgenossen und Historikern. So hat Aage Trommer 1973 großes Aufsehen und Widerspruch erregt, als er die militärische Bedeutung der Eisenbahnsabotage gegen deutsche Truppentransporte bezweifelte und ihr nur geringe militärische, dafür aber politische und psychologische Bedeutung zumaß.37 Später hat Aage Trommer diese Deutung auch in einer lokalen Studie über den Widerstand in Südjütland untersucht.38 Palle Roslyng-Jensen wies in seiner Untersuchung über die politische Haltung des dänischen Militärs auf die Konflikte zwischen der Politik und den Positionen der Militärs hin; es bestand aber kein Zweifel an der Loyalität des Militärs zur Regierung und parlamentarischen Demokratie. Ditlev Tamm kritisierte die Art der von der Widerstandsbewegung gewünschten juristischen Bewältigung nach dem Ende der Okkupationszeit.39 Obwohl innerhalb der Widerstandsforschung, vor allem in örtlichen und regionalen Untersuchungen, immer noch Einschätzungen vom Kampf des gesamten Volkes gegen die Deutschen zu finden sind, hat sich die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der eben nicht geschlossenen Haltung des dänischen Volkes seit der Arbeit von Kirchhoff erhöht.40 Durch den Nachweis, dass die August-Unruhen sich auch gegen die Kollaborationspolitik der Regierung gerichtet war, wurde der nationale Mythos aufgelöst. Diese Bewertung wird in vielen Untersuchungen über Sabotage, Sabotagegruppen und Sabotagehandlungen bestätigt. Dabei kann hervorgehoben werden, dass die Sabotage der zentrale militärische Beitrag im Kampf gegen die Besatzungsmacht war.41 Eine große Rolle bei der Sabotage spielte seit 1943 zweifellos die britische geheime Organisation SOE.42 Durch die Erweiterung der Betrachtungsweise und die Abkehr vom nationalen Mythos traten auch andere Themen in das Bild von Widerstand und Anpassung. So wurden Teile des Widerstandskampfes wie die Liquidierungen von Spitzeln analysiert und kritisch bewertet.43 Der nationale Konsens wurde auch durch eine Untersuchung über 36

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Vgl. Knud V. Jespersen: Med hjælp fra England. Special Operations Executive og den danske modstandskamp 1940–45. Odense 1998–2000, auf Englisch: No Small Achievement. Special Operations Executive and the Danish Resistance 1940–45. Odense 2002. Aage Trommer: Jernbanesabotagen i Danmark under Anden Verdenskrig. En krigshistorisk undersøgelse. Odense 1971, vgl. ders.: Sabotage und Streiks, S. 248–275; ferner ders., Modstandsarbejde i nærbillede. Trommer, Modstandsarbejde i nærbillede. Palle Roslyng-Jensen: Værnenes politik – politikernes værn. Studier i dansk militærpolitik under besættelsen 1940–45. Kopenhagen 1978; Tamm, Retsopgøret. Vgl. hierzu Lauridsen, Samarbejde, S. 317 f. Jesper Vang- Hansen, Esben Kjeldbæk, Bjarne Maurer: Industrisabotagen under besættelsen i tal og kommentarer. Kopenhagen 1984; Esben Kjelbæk: Sabotageorganisationen BOPA 1942– 1945. Kopenhagen 1997; vgl. zu den Sabotagegruppen Lauridsen, Samarbejde, S. 332 f. Vgl. Jespersen, Med hjælp fra England. Vgl. Anette Warring: Tyskerpiger – under besættelse og retsopgør. Kopenhagen 1994; Stefan Emkjær: Stikkerdrab. Modstandsbevægelsens likvideringer af danske under besættelsen. Aarhus

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die etwa 7.000 Dänen, die sich seit 1941 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatten, um am Kampf gegen den Bolschewismus teilzunehmen, in Frage gestellt.44 Neuere Forschungsarbeiten jüngerer Historiker haben nachgewiesen, dass die Kollaboration, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet viel umfassender und weitgehender war als lange Zeit angenommen wurde. Dies betraf vor allem die Bereiche Landwirtschaft und Fischerei, aber auch Handels-, Handwerks- und Industriebetriebe, die mit Deutschland handelten oder für das Deutsche Reich und die Wehrmacht produzierten. Ihnen konnte schwerlich Teilnahme am nationalen Abwehrkampf gegen die Deutschen zuerkannt werden; für sie ging es im Krieg um „business as usual“.45 Das gleiche gilt für die etwa 100.000 Deutschlandarbeiter, die meistens freiwillig in Industrie- und Kriegswirtschaftsbetrieben des Dritten Reiches arbeiteten.46 Neuere Studien haben nachweisen können, wie klein die Gruppe der aktiven Widerstandskämpfer tatsächlich war. Wenn etwa 300.000 Dänen sich nach 1945 laut einer Meinungsumfrage zur Widerstandsbewegung rechneten47, war das eine Selbsttäuschung. Die wirkliche Zahl der aktiven Widerstandskämpfer war erheblich niedriger; sie lag bis Anfang 1945 bei etwa 3.000 Personen, und erst danach stieg sie stark an, so dass sie bei Kriegsende im Mai 1945 etwa 40.000 Personen umfasste, d. h. ein bis zwei Prozent der damaligen Bevölkerung.48 Insgesamt lässt sich konstatieren, dass der aktive und organisierte Widerstand inzwischen gut untersucht worden ist. Das gilt sowohl für seine nationale wie regionale und lokale Entfaltung als auch für seine Träger und Aktivisten. Einige Aspekte werden nach wie vor politisiert und ideologisiert dargestellt. Es fehlt aber an einer gründlichen Gesamtdarstellung des Widerstandes und Freiheitskampfes, die den aktuellen Stand der Forschung wiedergibt und die Grenzen und Möglichkeiten von Widerstand in einem lange Zeit mit der Besatzungsmacht zusammenarbeitenden Dänemark reflektiert. Die jüngere Forschung hat die nach 1945 vorherrschende politische und ideologisierte Konsensvorstellung überwunden. Sie hat nachweisen können, dass eine begrenzte Zahl von Dänen tapfer und heroisch seit 1942/43 die Besatzungsmacht bekämpft hat, und dass letztlich Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft ideologisch und moralisch gesiegt hat.49 Die inzwischen scharf kritisierte Politik der Zu-

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2000; Peter Øvig Knudsen: Efter drabet. Beretninger om modstandskampens likvideringer. Kopenhagen 2001. Claus Bundgård Christensen, Niels Bo Poulsen, Peter Scharff Smith: Under Hagekors og Dannebrog. Danskere i Waffen SS 1940–45. Kopenhagen 1998; englische Kurzfassung: The Danish Volunteers in the Waffen SS and German Warfare at the Eastern Front. In: Contemporary European History 8 (1999), S. 73–96. Vgl. Steen Andersen: Danmark i det tyske storrum. Dansk økonomisk tilpasning til Tysklands nyordning af Europa 1940–1941. Kopenhagen 2003; Lund, Hitlers spisekammer; Mogens R. Nissen: Til fælles bedste. Odense 2005. Vgl. Therkel Stræde: Deutschlandarbeiter. Dänen in der deutschen Kriegswirtschaft 1940–1945. In: Europa und der „Reichseinsatz“. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ- Häftlinge in Deutschland 1938–1945. Hrsg. v. Ulrich Herbert. Essen 1991, S. 140–171. Zit. nach Lauridsen, Samarbejde, S. 21. Vgl. Kirchhoff, Den store myte, S. 413. So auch Christensen/Lund/Olesen/Sørensen, Danmark besat, S. 705 f.

Dänemark

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sammenarbeit wird in manchen Teilen nicht immer im historischen und politischen Kontext gesehen.

Norwegen: Der Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht 1940–1945 Dirk Levsen

Der deutsche Überfall Am 9. April 1940 frühmorgens wurden die beiden skandinavischen Staaten Dänemark und Norwegen im Rahmen der Unternehmung „Weserübung“ von deutschen Truppen überfallen. Während die dänische Verteidigung schon nach wenigen Stunden erlosch, zogen sich die Kämpfe in Norwegen bis zur Kapitulation der restlichen, sich noch im Lande befindlichen norwegischen Einheiten am 10. Juni 1940 hin.1 Noch im Verlauf des 9. April rief sich der Führer der norwegischen nationalsozialistischen Partei NS (Nasjonal Samling, deutsch: Nationale Sammlung), Vidkun Quisling, über den Osloer Rundfunksender zum neuen Machthaber im Lande aus. Quisling hatte schon 1933 die Partei „Nasjonal Samling“ nach deutschem Muster gegründet. Wie Hitler lieβ sich Quisling auch als „fører“ (Führer) titulieren. Und wie in der NSDAP gab es auch in der „Nasjonal Samling“ ein breites Spektrum von linksorientierten nationalen Sozialisten bis hin zu extremen Nationalisten und Rassisten. Allerdings erlangte die „Nasjonal Samling“ vor dem deutschen Überfall keinerlei politische Bedeutung. Ihren höchsten Mitgliederstand erreichte die Partei im Jahre 1942, als sie ungefähr 40.000 eingetragene Mitglieder zählte. Quislings Coup vom 9. April 1940 kam sowohl für die Angreifer, den überwiegenden Teil der Bevölkerung als auch für die sich auf der Flucht nach Norden befindlichen norwegischen Verfassungsorgane – große Teile der sozialdemokratischen Regierung unter Staatsminster Johan Nygaarsdvold, viele Stortingsabgeordnete sowie König Haakon VII. – völlig überraschend. Einige Regierungsmitglieder, unter ihnen Außenminister Koht, zeigten nach dem Überfall durchaus Willen, mit den Angreifern zu verhandeln, um zu einer schnellen Beendigung der ungleichen Kämpfe im Lande beizutragen. In dieser Situation war es König Haakon, der sich einer Verhandlungslösung und einer möglichen Anerkennung des Putschisten Quisling als Staatsminister widersetzte und für den Fall einer Anerkennung Quislings mit seiner Abdankung drohte. Die Kämpfe in Süd- und Mittelnorwegen zogen sich bis Anfang Mai 1940 hin. Es kam vor, dass sich, wie zum Beispiel im fylke (Regierungsbezirk) Telemark, ganze Regimenter den Angreifern ergaben, ohne einen einzigen Schuss abgefeuert zu haben. 1

Zum deutschen Überfall siehe: Hans-Martin Ottmer: „Weserübung“. Der deutsche Angriff auf Dänemark und Norwegen im April 1940. München 1994; Dirk Levsen: Krieg im Norden. Die Kämpfe in Norwegen 1940. Hamburg 2000; Rolf Hobson, Tom Kristiansen: Norsk forsvarshistorie 1905–1940. Total krig, nøytralitet og politisk splittelse. Bergen 2001; Michael Tamelander und Niklas Zetterling: 9. april. Nazitysklands invasjon av Norge. Oslo 2001.

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Auf der anderen Seite gab es aber auch Offiziere, die mehr oder weniger auf eigene Faust die Initiative ergriffen, Freiwillige rekrutierten und, oft gegen den ausdrücklichen Befehl ihrer militärischen Vorgesetzten, den Kampf gegen die Invasoren aufnahmen bzw. fortsetzten. Als Beispiele sind Leutnant Thor Hannevig im Regierungsbezirk Telemark und Major Reidar Holtermann im Regierungsbezirk Sør-Trøndelag zu nennen.2 Als sich Leutnant Hannevig mit seinen Soldaten Anfang Mai 1940 der drückenden deutschen Übermacht ergeben mußte, ließ er einen Großteil der Waffen vergraben, die im weiteren Verlauf der Okkupation den Grundstock für die Bewaffnung der Widerstandskämpfer in Telemark bildeten.

Zum Widerstand im Land Nach der Kapitulation der letzten norwegischen Einheiten im Norden des Landes am 10. Juni 1945 dauerte es ein halbes Jahr, bis sich der Widerstand sowohl in ziviler als auch militärischer Art und Weise zu formieren begann. Der zivile Widerstand wiederum kam sowohl unorganisiert und individuell als auch organisiert und kollektiv zum Ausdruck, während der militärische Widerstand einerseits sozialdemokratisch-bürgerlich und auf der anderen Seite kommunistisch geprägt war. Am 25. September 1940 verkündete der von Hitler als Chef der Zivilverwaltung für Norwegen eingesetzte „Reichskommissar“ Joseph Terboven die „Neuordnung“ (norwegisch: nyordning) des besetzten Landes. Danach sollte in allen staatlichen und privaten Organisationen und Institutionen das „Führerprinzip“ durchgesetzt werden. Zudem wurde Quislings Nasjonal Samling zur einzig zugelassenen Partei im Lande erklärt. Diese Ereignisse führten dazu, dass sich sowohl der zivile als auch der militärische Widerstand verstärkten. Der zivile Widerstand wurde später unter der Bezeichnung „Haltungskampf“ (norwegisch: holdningskamp) bekannt. Als Zeichen einer abneigenden Haltung gegenüber Besatzern und norwegischen Nationalsozialisten galt zum Beispiel das sichtbare Tragen einer Büroklammer, einer norwegischen Erfindung, am Jackenrevers. Das öffentliche Feiern des Geburtstages des ins Exil entkommenen Königs jeweils 3. August war offiziell verboten, wurde aber jedes Jahr während der Besatzungszeit durch das Tragen einer Blume im Knopfloch von vielen Norwegern markiert. Am 3. August 1943 wurden allein in Oslo über 900 Menschen verhaftet, die sichtbar eine solche Blume getragen hatten. Die Bezeichnung „Hjemmefronten“ (Heimatfront) wurde generell als Sammelbezeichnung für jeglichen Widerstand gegen die Besatzer verwendet. Das Gegenteil von „Hjemmefronten“ war „Utefront“ (Außenfront), das heißt der norwegische Kampf gegen den Nationalsozialismus im Ausland und da besonders in Großbritannien, wo sich die norwegische Exilregierung unter König Hakoon konstituierte. Im Herbst 1940 begann sich der militärische Widerstand zu formieren. Ehemalige Kriegsteilnehmer gründeten die „Milorg”, eine Abkürzung für „militærorganisasjonen“ (Militärorganisation). Ziel dieser Organisation war es unter anderem, die Kampfkraft der Besatzungstruppen durch Sabotageaktionen zu schwächen. Das ganze Land 2

Levsen, Krieg im Norden, S. 103, 116 f.

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wurde dafür in 14 Milorg-Distrikte eingeteilt. Die gesamte militärische Widerstandsorganisation war streng konspirativ ausgerichtet. Von 1944 bis zur deutschen Kapitulation war der junge Anwalt Jens Christian Hauge (geb. 1915) Chef der „Milorg“.3 Doch gelang es der deutschen Besatzungsmacht immer wieder, ganze Distriktsorganisationen aufzurollen und deren Arbeit empfindlich zu stören oder sogar lahm zu legen. Im Herbst 1941 wurde „Milorg“ von der norwegischen Exilregierung in London als Teil der Streitkräfte anerkannt. Diese Anerkennung führte zu einer spürbaren Verbesserung der Kampfkraft der Widerstandsverbände in Norwegen. Zudem wurden Milorgkämpfer in Großbritannien militärisch ausgebildet und nach Norwegen zurückgeschleust. Die einzelnen Widerstandsgruppen wurden auch durch Versorgungscontainer per Fallschirmabwurf unter anderem mit Waffen, Munition und Funkgeräten versorgt. Nach anfänglichen Missverständnissen gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen der britischen Geheimdienstorganisation „Special Operations Executive“ (SOE) und der „Milorg“. Innerhalb der SOE gab es die norwegische „Kompanie Linge“, anfangs geführt von dem Schauspieler und Hauptmann Martin Linge (1894–1941). Er fiel im Dezember 1941 bei einem Kommandounternehmen gegen deutsche Einrichtungen an der westnorwegischen Küste. Die vielleicht bekannteste Sabotageaktion, die Angehörige der Linge-Kompanie durchführten, war der Angriff auf die Produktionsanlagen für Schweres Wasser bei Rjukan im Regierungsbezirk Telemark Ende Februar 1943. Durch diesen Angriff sollte die Produktion einer deutschen Atombombe be- und verhindert werden. Der kommunistische Widerstand in Norwegen war durch seine streng abgeschottete Organisation und Arbeitsweise weit weniger anfällig für Infiltration und Aufdeckung durch die Besatzungsmacht. Während der gesamten Besatzungszeit plädierten die Kommunisten, im Gegensatz zur anfänglich vorsichtigen Haltung der sozialdemokratisch-bürgerlich ausgerichteten „Hjemmefront“, für eine offensiv-militante Sabotagepolitik, ohne Rücksicht auf die zu erwartenden Repressalien seitens der Besatzer gegenüber der Zivilbevölkerung. Am 1. Februar 1942 bildete Quisling mit Zustimmung und unter Aufsicht der Besatzungsmacht seine „nationale Regierung“. Er selbst trug jetzt den Titel eines „Ministerpräsidenten“ (ministerpresident), der in der norwegischen politischen Geschichte bislang unbekannt war. Quisling und seine Regierung blieben auch weiterhin von der Besatzungsmacht abhängig. Schon fünf Tage nach ihrer Ernennung präsentierte die „nationale Regierung“ zwei Gesetze, die zu heftigen Protesten in der norwegischen Gesellschaft führen sollten. Es handelte sich um „das Gesetz über den nationalen Jugenddienst“ („Loven om nasjonal ungdomstjeneste“) und „das Gesetz über die norwegische Lehrervereinigung“ („Loven om Norges lærersamband“). Beide Gesetze waren 3

Jens Christian Hauge: Frigjøringen. Oslo 1995. Auf Grund seiner zentralen Stellung im norwegischen Widerstand hatte Hauge Kenntnis über viele Vorgänge innerhalb des Widerstandes sowie über die deutsch-norwegisch/alliierten Kontakte zur Abwicklung der deutschen Besatzungsherrschaft im April und Mai 1945. Seit Jahrzehnten verweigert er jedoch Historikern beharrlich Rede und Antwort. Nach dem Krieg war Hauge Verteidigungs- und Justizminister. Bis heute ist er einer der einflussreichsten Politiker in der norwegischen Sozialdemokratie. Zur Geschichte und Organisation der „Milorg“ siehe auch Norsk Krigsleksikon 1940–1945. Oslo 1995, S. 271 ff. Zur Biographie von Jens Christian Hauge siehe ebenda, S. 163 f.

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nach dem Muster für die „Hitlerjugend“ und den „Nationalsozialistischer Lehrerbund“ (NSLB) verfasst und sollten der Gleichschaltung sowohl der norwegischen Jugend als auch des gesamten Unterrichtspersonals dienen.4 Die Widerstandsbewegung sorgte umgehend dafür, dass Tausende von norwegischen Lehrern eine schriftliche Erklärung an das Erziehungsministerium sandten, in der sie auf das Schärfste gegen diese Maβnahmen protestierten. Auch sehr viele Eltern reagierten negativ auf die Gleichschaltungsversuche der Quislingregierung. Nach Aufforderung, u. a. durch die norwegischen Kirchenführer, gingen über 200.000 Protestbriefe im Ministerium ein. Darauf rief die Regierung die sogenannten „Brennstoffferien“ (brenselsferie) aus, offiziell, um Heizmaterial zu sparen, inoffiziell, um die starke Protestwelle in der Bevölkerung abzuschwächen. Zudem ließ die Besatzungsmacht über 1.100 Lehrer verhaften, die zur Zwangsarbeit nach Nordnorwegen verfrachtet wurden oder in Konzentrationslager eingewiesen wurden.

Blutiger Endkampf oder geordnete Kapitulation? Anfang Mai 1945 befanden sich noch elf deutsche Divisionen und 5 Brigaden im Lande, zusammen rund 350.000 Wehrmachtsoldaten und Angehörige der deutschen Besatzungsverwaltung. Allerdings variierte der Kampfwert beträchtlich. Das Gros der deutschen Truppen, rund 77.000 kampferprobte Soldaten der sich aus Nordfinnland auf dem Rückzug befindlichen Lappland-Armee, stand weiterhin in den nördlichen Landesteilen. Die Leitung der norwegischen Widerstandsbewegung diskutierte bereits im Herbst 1944 vier Alternativen für ein mögliches Kriegsende in Norwegen. Diese Alternativen lauteten: 1. Die deutschen Verbände in Norwegen kapitulieren in geordneter Form und es kommt zu keinerlei Kriegshandlungen. 2. Die Wehrmacht verliert die Kontrolle. Chaos entsteht im Lande. Fanatiker sowohl in der Wehrmacht als auch bei den deutschen Besatzungsbehörden und der Sicherheitspolizei sind zum Weiterkämpfen entschlossen. 3. Überall in Norwegen ziehen sich die deutschen Verbände auf einzelne Gebiete mit einer schlagkräftigen Verteidigungsstellung zurück. 4. Die Alliierten landen in Norwegen. Von diesen Alternativen favorisierte die Leitung der norwegischen Widerstandsbewegung die Erstgenannte.5 Die übrigen hätten zu großen Verlusten an Menschenleben und Sachwerten auf beiden Seiten geführt. Auch wenn bis zur deutschen Kapitulation am 8./9. Mai 19454 zunächst unklar blieb, welche Alternative zum Zuge kommen sollte, so gab es doch sowohl auf norwegischer als auch auf deutscher Seite Bestrebungen und Kontakte, die deutsche Besetzung Norwegens möglichst ohne weiteres Blutvergießen zu beenden. So informierte 4

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Dirk Levsen: Aspekter av det tyske oppdragelsessystemet fra 1933 til 1945 og det norske oppdragelsessystemet under okkupasjonstiden fra 1940 til 1945. Lillehammer 2005 (unveröffentlichte Masterarbeit im Fach Pädagogik), S. 85 ff. Das September-Direktiv ist teilweise abgedruckt bei Tore Pryser: Brennpunkt Lillehammer. Frigjøringsdagene 1945. Lillehammer 1995, S. 3; Norsk Krigsleksikon, S. 179.

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Oberstleutnant Theodor Steltzer, Chef der Transportabteilung im Armeeoberkommando (AOK) Norwegen und Gegner des Nationalsozialismus, schon seit dem Herbst 1940, als er durch Vermittlung des norwegischen Bischofs Berggrav den Soziologen und Widerstandskämpfer Arvid Brodersen kennen gelernt hatte, diesen über die deutsche Besatzungsplanung.6 Nachdem Steltzer wegen seiner Verbindungen zum Kreisauer Kreis im August 1944 verhaftet und zum Tode verurteilt worden war, übernahm Fritjof Hammersen, Major in der Abwehr, diese geheime Aufgabe.7 Im Dezember 1944 war das deutsche Hauptquartier von Oslo in die 190 km weiter nördlich gelegene Kleinstadt Lillehammer verlegt worden.8 Insgesamt kamen rund 150 höhere deutsche Offiziere in das neue Stabsquartier, darunter 22 Generale und 11 Admirale. Auf deutscher Seite war General der Gebirgstruppen Franz Friedrich Böhme (1894–1947) am 18. Januar 1945 als Nachfolger von Generaloberst Lothar Rendulic zum „Wehrmachtbefehlshaber Norwegen“ ernannt worden. General Böhme galt als schwache Persönlichkeit, die jeden Befehl seiner übergeordneten Dienststellen in Deutschland ausführen würde. Auf alliierter Seite war Norwegen als bevorzugtes Invasionsziel bereits im Frühjahr 1944 praktisch ausgeklammert worden, als der britische Generalleutnant Sir F. E. Morgan, einer der SHAEF zugeordneten Stabschefs, am 3. Mai 1944 in einer Denkschrift feststellte, dass nur strikt begrenzte Einheiten zur Befreiung Norwegens eingesetzt werden könnten. Das Hauptgewicht der alliierten Planungen richtete sich in erster Linie auf eine breit angelegte Landung auf dem Kontinent und nicht in Nordeuropa. Erst im April 1945 begannen im alliierten Hauptquartier SHAEF konkrete Planungen für eine Invasion Norwegens.9 Dieser Einfall sollte nach den alliierten Planungen über Dänemark und Schweden erfolgen. Daran sollten sich auch norwegische Exileinheiten beteiligen. In Schottland war gegen Kriegsende eine norwegische Heeresbrigade in einer Stärke von rund 4.000 Soldaten aufgestellt und stationiert worden.10 In Schweden waren rund 13.000 norwegische Soldaten stationiert, die unter der Bezeichnung Polizeitruppen (polititropper) firmierten.11 Ab 1943, nachdem Schweden seine deutschfreundliche Einstellung nach und nach zu revidieren begann, wurden die Angehörigen dieser Polizeitruppe aus jungen, norwegischen Wehrpflichtigen rekrutiert, die nach Schweden geflüchtet waren. Obwohl sie in Schweden mit Rücksicht auf Deutschland als Polizeitruppen bezeichnet wurden, hatten sie als Soldaten eine reguläre militärische Ausbildung in Schweden erhalten, auch wenn die Ausbildung anfangs von schwedischer Seite mit vielen Restriktionen belegt worden war. Erst nach der 6

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Norsk Krigsleksikon, S. 398. Theodor Steltzer überlebte den Krieg und wurde später Ministerpräsident in Schleswig-Holstein. Pryser, Brennpunkt Lillehammer, S. 4 f.; Major Hammersens Mutter war Norwegerin. Lillehammer liegt am nördlichen Ende vom Mjøsa, Norwegens größtem Binnensee. Heute hat die Stadt rund 23.000 Einwohner. Gegen Kriegsende waren es ca. 6.000 Bewohner. Das Gudbrandsdal erstreckt sich von Lillehammer rund 200 km weiter in nordwestlicher Richtung bis zum See Lesjaskosvatnet. Zum Gudbrandsdal werden auch die westlichen Seitentäler wie das Ottadal, das Heidal, das Sjodal, das Espedal sowie das Gausdal gerechnet. Pryser, Brennpunkt Lillehammer, S. 2. Norsk Krigsleksikon, S. 188. Ebenda, S. 327.

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deutschen Kapitulation in Norwegen am 9. Mai 1945 rückten diese Truppen von Schweden aus ins Land ein. Hier übernahmen sie dann tatsächlich in erster Linie Polizeiaufgaben sowie die Überwachung der Entwaffnung der früheren Okkupanten. Zweifellos hätten sie bei möglichen Kampfhandlungen in Norwegen eine starke Motivation zur Befreiung ihrer Heimat gezeigt. In der norwegischen Widerstandsbewegung wurden im Februar 1945 verschiedene Optionen durchgespielt, um das deutsche Hauptquartier in Lillehammer außer Gefecht zu setzen. Um die deutsche Kommandozentrale auszuspionieren, wurden auch norwegische Zivilisten eingesetzt, die dort arbeiteten. Die dabei erzielten Informationen gelangten via Schweden nach Großbritannien. Schließlich wurden drei verschiedene Pläne ausgearbeitet, um das Hauptquartier in Lillehammer lahm zu legen.12 Keine dieser drei Optionen ist allerdings in die Tat umgesetzt worden, da man brutale deutsche Repressalien gegen die norwegische Zivilbevölkerung befürchtete. Denn besonders Anfang 1945 reagierte die Besatzungsmacht mit drakonischen Maßnahmen bei Sabotage und Widerstand. Als zum Beispiel General Karl A. Marthinsen, Chef der norwegischen Staatspolizei, im Februar 1945 von norwegischen Widerstandskämpfern liquidiert wurde, weil er als Kollaborateur galt, ließ die Besatzungsmacht zur Vergeltung 34 Personen hinrichten.13

Der Widerstand und das Kriegsende in Norwegen Zusammen mit Reichskommissar Terboven nahm General Böhme am 3. und 4. Mai 1945 an einer Besprechung mit Hitlers Nachfolger, Großadmiral Karl Dönitz, in Flensburg teil.14 Hier machte der Admiral gegenüber Terboven deutlich, dass alle noch kämpfenden deutschen Streitkräfte in absehbarer Zeit kapitulieren würden, also auch die in Norwegen stehenden Verbände. Damit musste Terboven seinen Plan begraben, die Führungsspitze des Reiches nach Norwegen zu holen, um von dort aus weiterzukämpfen. Die Planungen von Dönitz liefen darauf hinaus, die Gesamtkapitulation so lange wie möglich hinauszuzögern, um noch vielen Soldaten und Zivilisten die Flucht nach Westen zu ermöglichen. Dass Terboven in dieser letzten Kriegswoche endgültig seinen Einfluss verloren hatte, verdeutlicht die Tatsache, dass er am 7. Mai 1945 von Dönitz seines Amtes als Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete enthoben wurde. General Böhme übernahm nach der Entlassung Terbovens den Oberbefehl über sämtliche deutsche Stellen und Einheiten in Norwegen, einschließlich der SS und der Sicherheitspolizei. Zurückgekehrt nach Norwegen verbrachte Terboven seine letzten Tage auf seinem Wohnsitz Skaugum, einige Kilometer westlich von Oslo.15 Hier nahm er sich

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Pryser, Brennpunkt Lillehammer, S. 8 f. Norsk Krigsleksikon, S. 264 f. Während des Krieges verloren rund 10.000 Norweger ihr Leben. Ausführlich wird diese Konferenz von Martin Moll: Kapitulation oder heroischer Endkampf, in der „Festung Norwegen“? Die Entscheidung für ein friedliches Ende der deutschen Okkupation Dänemarks und Norwegens im Frühjahr 1945. In: Kriegsende im Norden. Vom heißen zum kalten Krieg. Hrsg. von Robert Bohn und Jürgen Elvert. Stuttgart 1995, S. 72 ff., geschildert. Das Gut Skaugum war vor der deutschen Okkupation Wohnsitz des norwegischen Kronprinzen.

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zusammen mit dem Höheren SS-und Polizeiführer Norwegen, SS-Obergruppenführer Wilhelm Rediess, in der Nacht vom 8. Mai auf den 9. Mai 1945 das Leben.16 Am 5. Mai 1945 spitzte sich allerdings die Situation zu, als General Böhme nach Absprache mit Dönitz in einem geheimen Tagesbefehl allen deutschen Truppen befahl, gegen jeden Angriff von außen, aber auch gegen alle Angriffe der norwegischen Widerstandsbewegung mit Waffengewalt vorzugehen. In den Kapitulationsverhandlungen mit den Alliierten wollte man deutscherseits Norwegen als Faustpfand benutzen, um auf diese Weise günstige Kapitulationsbedingungen auszuhandeln. Am 6. Mai 1945 erhielt der Chef des Milorg-Distrikts 23 (Gudbrandsdalen und Lillehammer, Standort des deutschen Hauptquartiers), Wilhelm Molberg Nilssen, den Befehl, sich mit seinen rund 1.000 Widerstandskämpfern weiter versteckt zu halten, um die Besatzungsmacht nicht zu provozieren. Allerdings sollten alle verfügbaren Kräfte mobilisiert und in Bereitschaft gehalten werden. Schließlich erhielt General Böhme am 7. Mai 1945 um 21.10 Uhr von Großadmiral Dönitz die Mitteilung, dass die bevorstehende deutsche Gesamtkapitulation ebenso für alle in Norwegen stehenden deutschen Truppen gelten würde, so dass auch in Norwegen alle Kampfhandlungen spätestens am 9. Mai 1945 0.00 Uhr norwegischer Zeit eingestellt werden mussten.17 Am 8. Mai 1945 standen im ganzen Land rund 40.000 mobilisierte Widerstandskämpfer Gewehr bei Fuß. Sie erhielten den strikten Befehl, sich jeglicher Provokation und Konfrontation zu enthalten. Erst wenn Standorte und Stellungen von den deutschen Truppen geräumt worden waren, sollten Einheiten der Milorg nachrücken. In Lillehammer besetzten Milorg-Einheiten nach Absprache mit dem deutschen Ortskommandanten am 10. Mai 1945 strategisch wichtige Punkte in der Stadt. Ebenfalls am 10. Mai rückten die 13.000 in Schweden ausgebildeten norwegischen Polizeisoldaten nach Norwegen ein. Die deutsche Besatzungszeit in Norwegen konnte somit ohne größeres Blutvergießen beendet und abgewickelt werden. Es kam weder zu einer alliierten Invasion noch zu verzweifelten deutschen Widerstandsversuchen oder zu einer Nacht der langen Messer seitens der norwegischen Widerstandsbewegung. Durch den deutschen Major Fritjof Hammersen wurde die norwegische Widerstandsgruppe und damit die alliierte Seite in der Schlussphase des Krieges laufend über die deutschen Pläne informiert. Auf der anderen Seite wurden sowohl die Milorgsoldaten des Widerstandes als auch die Bevölkerung von der Führung der Heimatfront (Hjemmefront) zu Ruhe und Disziplin aufgefordert. In einem Flugblatt vom 7. Mai 1945 hieß es „Laßt uns, auch in der

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Berit Nøkleby: Josef Terboven. Hitlers mann i Norge. Oslo 1992, S. 302 ff. In einem letzten Tagesbefehl wandte sich General Böhme am 7.5.1945 um 22.00 Uhr über den Rundfunk an seine Truppen in Norwegen: „Unbesiegt, im Besitz unserer vollen Kraft, stehen wir in Norwegen. Kein Feind hat es gewagt, uns anzugreifen. [...] Von euch, meine Kameraden, erwarte ich eine absolut mustergültige Haltung, eine Haltung, die selbst dem schlimmsten Feind Respekt abfordert. Beißt die Zähne zusammen, haltet Disziplin und Ordnung“, zit. nach Pryser, Brennpunkt Lillehammer, Anhang 3.

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Freude, Ruhe, Würde und Disziplin bewahren. Tretet nicht herausfordernd gegenüber dem geschlagenen Feind auf, und nehmt das Recht nicht in die eigene Hand.“18

Das Ende der Kollaborateure Vidkun Quisling ergab sich nach der deutschen Kapitulation einer Milorgeinheit in Oslo. Im Sommer und im Herbst 1945 wurde er wegen Hochverrats vor Gericht gestellt; er wurde zum Tod verurteilt und am 24. Oktober 1945 in Oslo auf der Festung Akershus hingerichtet. Sein Name wurde danach in vielen Sprachen zum Synonym des Landesverräters schlechthin. Im Laufe des Krieges kämpften ferner fast 6.000 Norweger auf deutscher Seite innerhalb der Waffen-SS. Sie firmierten im Land unter der Bezeichnung „frontkjemper“ (Frontkämpfer). Nach dem Krieg wurden viele von ihnen wegen Landesverrats zu teilweise hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Bis heute wird ihr Einsatz vom überwiegenden Teil der Bevölkerung Norwegens als nationale Schande betrachtet. Gleichwohl bemühen sich die noch Lebenden vergeblich um Rehabilitierung. Insgesamt wurden nach dem Krieg 30 Todesurteile gegen Norweger verhängt, von denen 25 vollstreckt wurden. Zu den Hingerichteten gehörte auch der berüchtigte norwegische Gestapo-Agent Henry Rinnan, der während der Besatzungszeit durch seine Tätigkeit dafür gesorgt hatte, dass die Widerstandsbewegung in Mittelnorwegen teilweise lahmgelegt wurde. Er selbst hatte gefangene Widerstandskämpfer gefoltert und ermordet.

Zur Historiographie Es gibt wohl keine andere Epoche in der norwegischen Geschichte, die so gut erforscht ist wie die Jahre der deutschen Besatzungszeit von 1940 bis 1945. Bis in die jüngste Vergangenheit ist die Historiographie über den deutschen Überfall und die sich anschließende Besatzungszeit von Historikern, die aktive Widerstandskämpfer waren, und deren Schülern geprägt worden. Zu diesen Arbeiten gehören die Studien von Magne Skodvin (geb. 1915) zur norwegischen Kriegsgeschichte und von Sverre Kjeldstadli (1916–1961) zur Organisationsgeschichte des norwegischen Widerstandes.19 Nach wie vor wachsen auch die jüngeren und jüngsten norwegischen Generationen mit zum Teil sehr detaillierten Kenntnissen über die Besatzungszeit auf, die ihnen durch Elternhaus, Schule und Medien vermittelt werden. Nicht selten werden allerdings die besondere Konstellation in der norwegischen Historiographie kritisiert, wie z. B. von dem deutschen Historiker Arnim Lang: „Die Dominanz der Widerstandsgeneration, ihrer Themen und Thesen in der Historiographie über Norwegen während der Okkupationszeit reicht bis in die heutige Zeit hinein. Ak18

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Das Flugblatt liegt dem Verfasser im Original vor. Der norwegische Text lautet: „La oss midt i gleden bevare ro, verdighet og disiplin. Opptre ikke utfordrende overfor den slagne fienden, og ta ikke retten i egen hånd.“ Sverre Kjeldstadli: Hjemmestyrkene. Oslo 1959; z. B. Magne Skodvin: Krig og okkupasjon. Norsk historie 1939–1945. Oslo 1991. Magne Skodvin war bis zu seiner Emeretierung Professor für Neuere Geschichte an der Universität Oslo.

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zeptanzerwartung, Thementabuisierung und Konformitätsdruck der Elterngeneration waren mächtige sozialisationsbegleitende, mancherorts auch – bestimmende Momente, die die Entwicklung einer möglichst unvoreingenommenen eigenen Interpretation der nationalen Geschichte des Zweiten Weltkrieges behindern. Die Gefahren einer Personalunion von Akteur und Historiker sind offensichtlich.“20 Einer der ersten norwegischen Historiker, der schon Anfang der 1970-er Jahre weit verbreitete nationale Mythen über die Besatzungszeit thematisierte und problematisierte, war Hans Fredrik Dahl in seiner Studie „Seks myter om okkupasjonen“ (Sechs Mythen zur Okkupationsgeschichte).21 Während Dahls kritische Untersuchung fast keinerlei Echo in der norwegischen Öffentlichkeit erfuhr, finden sich seit Anfang der 1990er Jahre Ansätze einer kritischen, revisionistischen Geschichtsschreibung, die bislang sakrosankte Überlieferungen in Frage stellen. Als Beispiel ist der Historiker Tore Pryser zu nennen, der in seiner Untersuchung „Hitlers hemmelige agenter. Tysk etterretning i Norge 1939–1945“ („Hitlers geheime Agenten. Deutsche Geheimdienstarbeit in Norwegen 1939–1945“) nachweist, dass die Besatzungsmacht etliche Norweger als Geheimagenten rekrutieren konnte.22 Dies geschah in vielen Fällen durch Zwang und Erpressung. Aber nicht wenige Norweger stellten sich den Okkupanten auch freiwillig als Agenten zur Verfügung. Bis heute sind zum Teil umfangreiche Themenkomplexe der Besatzungszeit mit einem Tabu belegt. Zu diesen zählt z. B. eine eingehendere Erforschung der ökonomischen Kollaboration, bei der „Kriegsgewinnler“ zweifellos viel Geld verdienten. Aber auch auf Seiten der ehemaligen norwegischen Nationalsozialisten und der Frontkämpfer gab es seit Kriegsende Bemühungen, ihre Sicht der Ereignisse darzustellen. Dazu wurde das „Institutt for norsk okkupasjonshistorie“ (INO, Institut der norwegischen Okkupationsgeschichte) gegründet sowie die apologetische Gazette „Folk og Land“ (Volk und Land) herausgegeben. Nachdem mittlerweile nur noch wenige ehemalige NS-Mitglieder und Frontkämpfer am Leben sind, wurde das Institut geschlossen und die Archivalien dem norwegischen Reichsarchiv (riksarkivet) in Oslo übergeben. Dort liegen auch die meisten Archivalien zur Geschichte des norwegischen Widerstandes. Allerdings sind viele Bestände aufgrund der strengen Sperrfristen auch weiterhin der Forschung nicht zugänglich.

Literaturhinweise Aartun, Leiv und Aartun, Sigurd: Motstandskampen i skolene 1940–1942. Lærerstriden mot nazifiseringen. Oslo 2003

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Arnim Lang: Die Besetzung Norwegens in deutscher und norwegischer Sicht. Eine Typologie des Umgangs mit Invasion und Okkupation. In: Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz. Hrsg. v. Wolfgang Michalka. München 1989, S. 138–154, hier S. 146; vgl. ferner ders.: Strukturelemente der Besatzungsherrschaft in Norwegen 1940–1945. Potsdam 1996. Hans Fredrik Dahl: Seks myter om okkupasjonen. In: Krigen i Norge. Oslo 1969, S. 175–189; siehe auch Lang, Die Besetzung, S. 146. Tore Pryser: Hitlers hemmelige agenter. Tysk etterretning i Norge 1939–1945. Oslo 2001.

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Amblie, Svein: Østlandets XU, (ØXU). Norsk Militær Etterretning i Hedmark og Oppland under den Annen Verdenskrig. Lillehammer 1989 Bergfald, Odd: Gestapo i Norge. Oslo 1946 Bøker om Norges Frihetskrig 1940–45 (redigert av Hans Luihn). Otta 1995 Bohn, Robert: Reichskommissariat Norwegen. „Nationalsozialistische Neuordnung“ und Kriegswirtschaft. München 2000 Borgersrud, Lars: Wollweber-organisasjonen i Norge. Oslo 1994 Dahl, Hans Fredrik: Seks myter om okkupasjonen. Oslo 1974 Ders.: Vidkun Quisling. En fører for fall. Oslo 1992 Dyrhaug, Tore: Norge okkupert. Oslo 1985 Emberland, Terje: Religion og rase. Nyhedenskap og nazisme i Norge 1933–1945. Oslo 2003 Eriksen, Anne: Det var noe annet under krigen. 2. Verdenskrig i norsk kollektivtradisjon. Oslo 1995 Grimnes, Ole Kristian: Historieskrivingen om okkupasjonen. Det nasjonale konsenssyndromets gjennomslagskraft. In: Nytt Norsk Tidsskrift H. 2/1990, S. 108–121 Ders.: Hjemmefrontens ledelse. Oslo 1977 Grøneng, Klaus: Rinnanbanden. Otta 3. Aufl. 1996 Hartmann, Sverre: Kritiske faser i Norges historie under annen verdenskrig. Oslo 1965 Hauge, Jens Christian: Frigjøringen. Oslo 4. Ausg. 1995 Ders.: Rapport om mitt arbeid under okkupasjonen. Oslo 1995 Hobson, Rolf und Tom Kristiansen: Norsk forsvarshistorie 1905–1940. Total krig, nøytralitet og politisk splittelse. Bergen 2001 Kjeldstadli, Sverre: Hjemmestyrkene. Oslo 1959 Kraglund, Ivar und Arnfinn Moland: Hjemmefront. Norge i krig Bd. 6. Fremmedåk og frihetskamp 1940–1945 (Hovedredaktør: Magne Skodvin). Oslo 1984 Kong Haakon VII.: Taler. Oslo 1947 Lang, Arnim: Die Besetzung Norwegens in deutscher und norwegischer Sicht. Eine Typologie des Umgangs mit Invasion und Okkupation. In: Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz. Hrsg. v. Wolfgang Michalka. München 1989, S. 138–154 Ders.: Strukturelemente der Besatzungsherrschaft in Norwegen 1940–1945. Potsdam 1996 Larsen, Stein Ugelvik (Redakteur): I krigens kjølvann. Nye sider ved norsk krigshistorie og etterkrigstid. Oslo 1999 Levsen, Dirk: Aspekter av det tyske oppdragelsessystemet fra 1933 til 1945 og det norske oppdragelsessystemet under okkupasjonstiden fra 1940 til 1945. Lillehammer 2005 (unveröffentlichte Masterarbeit im Fach Pädagogik) Ders.: August Stuckmann – gestapisten og torturisten på Lillehammer. In: Gudbrandsdal krigsminnesamling, Årsskrift (Jahrbuch) 1998, S. 33–40 Ders.: Krieg im Norden. Die Kämpfe in Norwegen 1940. Hamburg 2000

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Frankreich: Résistance gegen Kollaboration und Besatzungsmacht 1940–1944 Steffen Prauser

Die Errichtung der Vichy-Regierung Durch ein Überraschungsmanöver ihrer Panzerverbände gelang es der deutschen Wehrmacht im Mai 1940, die Armeen der Westmächte entscheidend zu schlagen. Der „unbeschreiblichste Zusammenbruch“ (Marc Bloch) in der Geschichte des französischen Nationalstaates kostete nicht nur 90.000 französischen Soldaten das Leben, sondern verursachte auch die größte Flüchtlingswelle, die das Land je erlebt hatte. Aus Angst vor Bombenangriffen und deutschen Gräueltaten flüchteten mindestens acht Millionen Belgier und Franzosen im Juni 1940 Richtung Südwesten über die Loire. Die französische Armee konnte der Bevölkerung keine Sicherheit mehr bieten und Bürgermeister, Präfekte und Notabeln verschwanden allzu häufig noch vor den ihnen schutzbefohlenen Zivilisten.1 Rettung in dieser trostlosen Lage versprach der Held von Verdun, Marschall Philippe Pétain, der am 22. Juni 1940 mit der Annahme des Waffenstillstandes2 einen Krieg beendete, den die überwältigende Mehrheit der Franzosen als verloren ansah. Pétain nährte die Hoffnung, er werde seine Landsleute vor Übergriffen und übermäßigen Forderungen der neuen Besatzungsmacht bewahren. Zugleich sahen Pétain und seine überwiegend rechtskonservativen Anhänger die Gelegenheit gekommen, der ihnen verhassten 3. französischen Republik ein Ende zu bereiten und der Nation mittels eines autoritären Regimes zur Wiederauferstehung zu verhelfen. Diese Revolution von oben – allerdings nicht wie häufig angenommen von langer Hand geplant – lief in legalen Bahnen ab. Am 10. Juli trat die Nationalversammlung im Kurort Vichy zusammen, verlieh dem Marschall als Staatschef volle exekutive sowie legislative Macht, und beauftragte ihn, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Das Vichy-Regime verfolgte in den nächsten Jahren unter dem Schlagwort der „Nationalen Revolution“ eine konservativ-autoritäre Politik, die von Pressezensur, strenger hierarchischer Gliederung der Gesellschaft, massiver Unterdrückung der Opposition, einem ausgeprägten „Führerkult“ und extremer Xenophobie geprägt war. Neben Freimaurern und Kommunisten, waren es die Juden, die auch in VichyFrankreich ab Oktober 1940 zunehmend unter einer gesetzlich verankerten Ausgrenzung zu leiden hatten. Ohne jeglichen deutschen Druck erließ die französische Regierung zwei Statute, die den Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben vollzogen. Als die Besatzer dann im Sommer 1942 begannen, die in Frankreich ansässigen 1 2

Vgl. Jean-Pierre Azéma: 1940 l’année terrible. Paris 1990, S. 120 f., S. 126. Zum Vertrag siehe ADAP, Serie D, Band IX/2, Dokument Nr. 523, S. 554 ff.

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Juden zu deportieren, arbeitete die Vichy-Regierung mit ihrem Verwaltungs- und Polizeiapparat besonders bei der Deportation der nichtfranzösischen Juden dem Besatzer bereitwillig zu. Mehr als 70.000 Juden wurden so bis 1944 aus Frankreich in die Vernichtungslager deportiert – nur 2.560 kehrten zurück.3 Diese besonders schändliche Zusammenarbeit war allerdings nur ein Teil einer umfangreichen Kollaborationspolitik, die Vichy selbst angestoßen hatte und bis zuletzt verfolgte.4 Neben der Hilfe bei der Judenverfolgung war die Politik der Kollaboration für die Besatzungsmacht vor allem bei der Bekämpfung der Widerstandsbewegung und auf wirtschaftlichem Gebiet sowie bei der Gestellung von Arbeitskräften von großer Bedeutung.5 Sie stieß bei der Bevölkerung im Gegensatz zu den Reformen im Zuge der „Révolution nationale“ auf wenig Verständnis. An Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht geschweige denn gegen das Regime Pétains dachte im Sommer 1940 nur eine verschwindende Minderheit.6

Die Entstehung der Résistance im besiegten und teilbesetzten Frankreich Kaum hatte Pétain am 17. Juni 1940 dem französischen Volk die Gründe auseinandergesetzt, warum Frankreich gezwungen sei, um Waffenstillstand nachzusuchen, da meldete sich via BBC von London aus ein weitgehend unbekannter Brigadegeneral namens Charles de Gaulle zu Wort. Ganz im Sinne der britischen Regierung rief er in seinem später berühmt gewordenen „Appell des 18. Juni“ dazu auf, den Krieg gegen Deutschland weiterzuführen. Man habe zwar eine schwere Niederlage erlitten, aber Frankreich sei nicht besiegt. Er hielt es für „absurd“, wie er in einer weiteren Rundfunkansprache am 22. Juni bekräftigte, den Krieg verloren zu geben, denn die materielle Überlegenheit der „freien Welt“ werde letzten Endes siegen.7 Im Sommer 1940 ließen sich nur wenige Landsleute von den Worten des Generals überzeugen: Gerade einmal 7.000 Mann fanden sich im Juli 1940 bereit, dem von de Gaulle proklamierten „Freien Frankreich“ zu folgen.8 Immerhin konnte er den „Anschluss“ der Kolonien in Äquatorialafrika verbuchen, was ihm eine zwar militärisch

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Serge Klarsfeld: Vichy-Auschwitz. Le rôle de Vichy dans la solution finale de la question juive en France. 2 Bde. Paris 1983 ff., S. 332. (75.721 Opfer); Nach Juliane Wetzel: Frankreich und Belgien. In: Die Dimension des Völkermordes. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Hrsg. v. Wolfgang Benz. München 2. Aufl. 1996, S. 105–137, waren es 73.853 Opfer. Vgl. hierzu Eberhard Jaeckel: Frankreich in Hitlers Europa. Die deutsche Frankreich-Politik im Zweiten Weltkrieg. Stuttgart 1966 und Robert O. Paxton: Vichy France, Old Guard and new order, 1940–1944. London 1972. Siehe nun auch in deutscher Sprache Marc Olivier Baruch: Das Vichy-Regime. Frankreich 1940–1944. Stuttgart 1999. Zur nicht nur rational erklärbaren Geschlossenheit Frankreichs hinter Pétain siehe Pierre Laborie: L’opinion française sous Vichy. Les Français et la crise d’identité nationale 1936–1944. Paris 2. Aufl. 2001, S. 230 ff. Abgedruckt in: Philippe De Gaulle: De Gaulle mon père. Entretien avec Michel Tauriac. Paris 2003, S. 129; vgl. auch Éric Roussel: Charles de Gaulle. Paris 2002, S. 129, S. 142. Jean-Pierre Azéma: De Munich à la Libération. 1938–1944. Paris 2002, S. 139.

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und wirtschaftlich zweitrangige aber in ihrer politischen Bedeutung nicht zu unterschätzende territoriale Basis verschaffte. Anfang August 1940 erklärte sich die britische Regierung bereit, de Gaulle als offiziellen „Vertreter der französischen Interessen“ zu betrachten und die Truppen sowie den Nachrichtendienst des Freien Frankreichs, das Bureau central de renseignement et d’action militaire (BCRA), auszurüsten.9 Für den Widerstand im französischen Mutterland selbst spielte de Gaulle bis 1942 eine untergeordnete Rolle. Umgekehrt interessierte sich der General für die entstehenden Widerstandsgruppen zunächst kaum. Allein die ersten Spionagenetze, die das BCRA und dessen legendären Chef, André Dewavrin alias Oberst Passy, mit kostbaren Geheimdienstinformationen versorgten, fanden de Gaulles Aufmerksamkeit. So gingen die Anfänge der Résistance im französischen Mutterland im Jahr 1940 auf das individuelle Engagement einiger Weniger zurück, die sich nicht mit der Niederlage der Nation abfinden wollten. Diese Verweigerungshaltung, von dem Widerständler und Schriftsteller Jean Cassou als „refus absurde“10 bezeichnet, beschränkte sich vornehmlich auf die Verbreitung einiger Flugblätter und improvisierter Untergrundzeitungen, die ab Herbst 1940 in geringer Auflage in Paris erschienen. Ziel dieser Untergrundpresse war es, eine Art Gegenpropaganda zur deutschen bzw. Vichy Presse zu etablieren und die Bevölkerung zum passiven Widerstand aufzurufen. So schrieb die Zeitschrift der katholischen Widerstandsgruppe „Témoignage Chrétien“: „Frankreich pass auf! Verliere deine Seele nicht!“ (France, prends garde de perdre ton âme!). Konkrete Widerstandsaktionen wie der Aufbau von Fluchthelfer-Organisationen, die politisch Verfolgten oder abgeschossenen britischen Fliegern halfen, in die unbesetzte Südzone oder außer Landes zu flüchten, waren noch seltener. Erste Spionagenetzwerke wie die gaullistische „Confrérie Notre-Dame“ oder die für den britischen Geheimdienst tätige „Alliance“ hatten mit zahlreichen Problemen zu kämpfen. Funkgeräte, soweit vorhanden, waren in der Frühphase unhandlich und für die deutsche Funkabwehr leicht auszumachen. 75 Prozent der Funker wurden in den Jahren 1941/42 von der Besatzungsmacht enttarnt.11 Auch durch Denunziation und Verrat wurden zahlreiche Spionagenetze, Fluchthelferorganisationen und Widerstandsgruppen der ersten Stunde von der französischen Polizei oder den deutschen Sicherheitsdiensten aufgerieben. So endete die Mission des prominenten Agenten Honoré Estienne d’Orves,12 von seinem Funker an die Abwehr verraten, nach nur einem Monat mit der totalen Vernichtung seines Spionagenetzes „Nemrod“.13 9 10 11

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François Kersaudy: De Gaulle et Churchill. Paris 1981. Jean Cassou: La mémoire courte. Paris 1953. Olivier Wieviorka: France. In: Resistance in Western Europe. Ed. by Bob Moore. Oxford 2000, S.130. Zu d’Éstienne d’Orves, der in Vertretung von Colonel Passy den freifranzösischen Geheimdienst geleitet hatte, siehe Etienne Montety: Honoré d’Estienne d’Orves un héros français. Paris 2001. Zu den Spionagenetzen siehe Dominique Veillon: Les Réseaux de Résistance. In: La France des années noires. De l’occupation à la libération. Hrsg. v. Jean Pierre Azéma, François Béderida. Vol. 2. Paris 1993, S. 385–412.

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Massenwirksame Aktionen oder eine Vernetzung der kleinen Gruppen gab es in dieser Phase des „bricolage héroïque“14 (Daniel Cordier) nicht. Die einzelnen Widerständler wussten oft nichts von der Existenz anderer Gleichgesinnter. Demonstrationen wie die von etwas mehr als 3.000 Schülern und Studenten am 11. November 1940 in Paris zum Andenken an den Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs waren spontan in Eigeninitiative organisiert und blieben die Ausnahme.15 Es sollte bis 1942 dauern, bevor die Widerstandsgruppen eine bedeutendere Konsistenz aufwiesen und untereinander sowie mit de Gaulles „Freiem Frankreich“ in Kontakt traten. Auch die politischen Parteien blieben dem Widerstand zunächst fern. Die Spaltung des Landes durch die Besatzungsmacht in einen besetzten Norden und einen unbesetzten Süden stand zudem einer Koordinierung der Kräfte entgegen. So beschränkten die Widerstandsgruppen ihre Aktivitäten fast ausschließlich auf jeweils eine der beiden Zonen. Im Laufe der Zeit diversifizierten die Widerstandsgruppen ihre Aktivitäten zunehmend. Die Struktur der größten Gruppe, „Combat“, war hierbei beispielgebend. Sie beruhte auf drei Säulen: 1. Einem effektiven logistischen Apparat, in dessen Aufgabenbereich u. a. die Herstellung von falschen Papieren und die Unterstützung der Familien inhaftierter Widerständler fiel; 2. Einer paramilitärischen Sektion: Die sogenannten „groupes francs“, die vornehmlich Kollaborateuren nachstellten, und die sogenannte „Armée secrète“ (Untergrundarmee), die bei einer Landung der Alliierten hinter den deutschen Linien operieren sollte – bis 1942 aber eher auf dem Papier als in der Realität existierte; 3. Einer politischen Abteilung einerseits mit den „NAP“ (Noyautage des administrations publiques), die sehr erfolgreich die Unterwanderung der vichy-französischen Verwaltung organisierte, sowie andererseits mit der Untergrundzeitung „Combat“ als Flaggschiff der Widerstandsgruppe, die schon Ende 1942 eine Auflagenstärke von 80.000 Exemplaren aufweisen konnte.16 Ambivalent blieb die Haltung „Combats“ bis Sommer 1942 gegenüber der Vichy Regierung. Auch hier kann „Combat“ als eine Art Prototyp für einen Widerstand gelten, der viele politisch rechtsorientierte Gruppen einschloss. Dass 1940/41 die aus patriotischen Beweggründen heraus feindliche Haltung vieler Widerständler gegenüber Deutschland durchaus mit Wohlwollen gegenüber Vichy und vor allem gegenüber Pétain gepaart werden konnte, hat schon 1978 der britische Historiker Harry R. Kedward gezeigt.17 Jüngere Arbeiten unterstreichen diesen zum Nachkriegsmythos der ehemaligen Widerständler im Widerspruch stehenden Befund.18 Allerdings war dieses Wohlwollen nicht bedingungslos, gingen die Widerständler doch davon aus, dass der alte Marschall auf Zeit spiele, um Frankreich für eine Revanche in Form zu bringen. Mit jedem weiteren Schritt Vichys in Richtung Kollaboration nahm folgerichtig die Kritik am Regime auch bei den zunächst Pétain freundlich gesonnenen Untergrundzeitungen zu. Nach der Besetzung der Südzone durch die Wehrmacht im November 1942 bra14 15 16 17

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Wörtliche Übersetzungsmöglichkeiten: „heldenmütiges Basteln“ oder „heldenhafte Flickarbeit“. Vgl. Azéma, 1940 l’année terrible, S. 335–344. Robert Belot: Henri Frenay: De la Résistance à l’Europe. Paris 2003, S. 251. Vgl. Harry Roderick Kedward: Resistance in Vichy France. A study of ideas and motivation in the southern zone 1940–1942. Oxford 1978. So Belot, Henri Frenay, S. 182.

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chen auch die letzten Pétain-Anhänger unter den Widerständlern wie z. B. die größte studentische Widerstandsgruppe „Defense de la France“ endgültig mit dem Helden von Verdun.19 Politisch linksstehende Gruppen wie „Libération Sud“ hatten dagegen von Beginn an in Vichy ihren traditionellen Feind erkannt. Besonders ausgeprägt war diese Feindschaft bei der kommunistischen Partei Frankreichs (Parti Communiste Français, PCF). Ganz im Sinne des deutsch-sowjetischen Nicht-Angriffspaktes führte die PCF in den ersten Monaten der Besatzungszeit einen umgekehrten Kampf zu dem der anderen Widerstandsgruppen: Während Vichy der PCF als erklärter Gegner galt, biederte sich die Parteiführung bei den deutschen Besatzer geradezu an. In zweimonatigen Verhandlungen mit dem Vertreter des Auswärtigen Amtes im besetzten Frankreich, Otto Abetz, versuchte sie das legale Erscheinen der Parteizeitung „L’Humanité“ zu erreichen und rief im Juli 1940 sogar zur Verbrüderung mit den „proletarischen deutschen Soldaten“ auf.20 Nicht alle Genossen folgten allerdings dieser Linie und engagierten sich sofort auf lokaler Ebene im Widerstand.21 Die spektakulärste „individuelle“ Initiative war ein Bergarbeiterstreik Ende Mai 1941 im Département Nord, dem 100.000 Kumpel folgten.22 Spätestens nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion schlug die Politik und der öffentliche Diskurs der PCF um: Aus dem „interimperialistischen“ Krieg wurde nun ein antifaschistischer, und Briten wie Gaullisten, letztere gerade noch als „Agenten des englischen Imperialismus“ geschmäht, wurden nun zu engen Verbündeten.23 Ab Mitte August fielen erstmals deutsche Soldaten den gezielten Anschlägen der kommunistischen „Bataillons de la jeunesse“ zum Opfer.24 Die Besatzungsmacht antwortete mit Geiselerschießungen und Deportationen. Während zumindest die Massenerschießungen auf deutscher Seite heftige Diskussionen zwischen dem Militärbefehlshaber Frankreich, General Otto von Stülpnagel, und dem OKW auslösten,25 führten die Anschläge auf deutsche Soldaten auch inner19

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Olivier Wieviorka: Une certaine idée de la Résistance. Défense de la France 1940–1949. Paris 1995. Siehe dazu «L’Humanité» Nr. 59 vom 4.7.1940, S. 2 und Nr. 61 vom 13.7.1940, S. 2. Wie genau die Parteiführung den Vorgaben der Komintern folgte, zeigt Mikhail Narinski: Le Komintern et le parti communiste français 1939–1941. In: Communisme, Vol. 32–34 (1993), S. 11–40. Vgl. Etienne Dejonghe: Chronique de la grêve des mineurs du Nord/Pas-de Calais (27 mai6juin). In: Revue du Nord, vol. 64 (1987), Nr. 273, S. 323–346. Zitat nach Jean-Marc Berilière/Frank Liaigre: Le sang des communistes. Les Bataillons de la jeunesse dans la lutte armée. Automne 1941. Paris 2004, S. 13; siehe ferner Stephane Courtois: Le PCF dans la guerre. De Gaulle, la Résistance, Stalin. Paris 1980, S. 186 ff. Siehe Angaben bei Berilière/Liaigre, Le sang des communistes. Während die französische Historikerzunft und ältere Arbeiten deutscher Wissenschaftler (beispielsweise: Courtois, Le PCF dans la guerre, S. 221–224; Jäckel, Frankreich in Hitlers Europa, S. 185 ff.; Hans Umbreit: Der Militärbefehlshaber in Frankreich 1940–1944. Boppard 1968, S. 126 ff.) die bewusste Auslösung der Gewaltspirale durch die kommunistischen Widerständler betonen, verweist Ahlrich Meyer: Die deutsche Besatzung in Frankreich 1940–1944. Widerstandsbekämpfung und Judenverfolgung, Darmstadt 2000, auf den ideologischen Hintergrund der Maßnahmen und zweifelt an, ob wirklich von einer „wechselseitigen Eskalation von Atten-

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halb der Widerstandsbewegung zu scharfen Auseinandersetzungen. De Gaulle rief am 23. Oktober, einen Tag nachdem die Deutschen den Tod eines Feldkommandanten und eines Kriegsgerichtsrats mit der Erschießung von 98 Geiseln „gesühnt“ hatten, dazu auf, aus taktischen Gründen von Anschlägen abzusehen. Diese Aufforderung warf die Frage auf, ob die Widerstandskämpfer ihre Tätigkeit auf Spionage, Sabotage und Propaganda beschränken und ihre Kräfte schonen sollten, um diese am Tag einer alliierten „Invasion“ voll zu entfalten, oder ob sie die Besatzer mit ihren beschränkten Mitteln ohne Rücksicht auf Verluste täglich attackieren sollten. Von letztgenannter Taktik versprach sich die PCF, den Feind zu zermürben und die eigenen Kämpfer zu stählen,26 während der eher konservative und „gaullistische“ Teil der Résistance diese Taktik als unverantwortlich zurückwies. Die PCF stieß aber nicht nur aufgrund ihrer Taktik bei den anderen Widerstandsgruppen auf Zurückhaltung. Der abrupte Kurswechsel der Parteiführung vom Juni 1941 war für zahlreiche Widerständler wenig glaubhaft. Viele teilten auch die Sorge der Führung von „Combat“, die Bevölkerung könnte die Gleichsetzung Résistance = Kommunismus, die die deutsche Propaganda verbreitete, ernstnehmen und patriotische Kräfte vom Schritt in den Widerstand abhalten.27 Zudem ließ die offensive Rekrutierungspolitik des kommunistisch kontrollierten „Front National“ den Verdacht aufkommen, die PCF versuche die anderen Widerstandsgruppen zu unterwandern.

Organisation und Einigung des Widerstandes Im Herbst 1941, als die französischen Kommunisten mit spektakulären Aktionen auf die Bühne des Widerstandes drängten, traf ein junger von der Vichy-Regierung abberufener Präfekt, Jean Moulin, in London ein. Dort gab er sich als Bevollmächtigter der Widerstandsgruppen der Südzone aus.28 De Gaulle, dessen Kenntnisse von der innerfranzösischen Widerstandsbewegung bis dahin mehr als dürftig waren, zeigte sich beeindruckt und betraute Moulin für seine Rückkehr nach Frankreich mit einer doppelten Aufgabe: Er sollte die Grundstrukturen für eine Untergrundarmee (Armée secrète) legen und als sein persönlicher Delegierter die Widerstandsgruppen der Südzone vereinigen. Als Moulin in der Nacht vom ersten auf den zweiten Januar 1942 mit dem Fallschirm über Südfrankreich absprang, hatte er neben diesem Auftrag 1,5 Millionen Franc für die unter chronischen Finanzierungsschwierigkeiten leidenden „Mouvements“ in der Tasche – ein wichtiges Argument, um die Autorität des frischgebackenen Delegierten de Gaulles bei den Widerstandsgruppen durchzusetzen. So konnte sie Moulin dann auch zu einem Anschluss an das „Freie Frankreich“ unter seiner Führung überreden. Dabei kamen ihm die Querelen zwischen den beiden größten Widerstandsgruppen „Combat“ unter Henri Frenay und „Libération Sud“ un-

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taten und deutschen Gegenmaßnahmen in Frankreich“ die Rede sein kann. Vgl. auch Ulrich Herbert: Vergeltung, Zeitdruck, Sachzwang. Die deutsche Wehrmacht in Frankreich und in der Ukraine. In: Mittelweg 36, Nr. 6, Dezember 2002/Januar 2003, S. 25–42. Azéma, De Munich à la Libération, S. 237. Belot, Henri Frenay, S. 226. Allerdings hatte Moulin damals noch nicht einmal mit allen drei Gruppen wirklich in Kontakt gestanden, vgl. Daniel Cordier: Jean Moulin: La république des catacombes. Paris 1999, S. 128.

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ter Emmanuel d’Astiers de la Vigerie zugute, die es Moulin erlaubten, die Rolle eines Schiedsrichters einzunehmen.29 Libération-Sud, die finanziell am schwersten geprüfte Widerstandsgruppe mit einer dem „Freien Frankreich“ verhältnismäßig positiv gegenüberstehenden Basis, bekannte sich als erste30 offen zu de Gaulle, gefolgt von „FrancTireur“ unter Jean-Pierre Lévy und „Combat“. Alle drei Widerstandsgruppen betonten allerdings ihre politische Unabhängigkeit. Schließlich gelang es Moulin im November 1942, ein „Koordinations-Komitee“ zu bilden, in dem Frenay, D’Astier und Lévy unter dem Vorsitz Moulins ihre Aktivitäten aufeinander abstimmten und den Grundstein für eine vollkommene Vereinigung legten.31 Während im französischen Mutterland alles nach Plan lief, musste das „Freie Frankreich“ die schwerste (außen-)politische Krise seiner Geschichte bestehen.32 Mehrfach waren das „Freie Frankreich“ und die Vereinigten Staaten schon diplomatisch zusammengestoßen, wie zum Beispiel nach der Besetzung der vor der kanadischen Küste gelegenen aber zum französischen Kolonialreich gehörenden Inseln Saint-Pierre et Miquelon durch ein freifranzösisches Kommando – aus Sicht der USA eine grobe Eigenmächtigkeit. Auf der anderen Seite erregte das lange Festhalten der USA an Kontakten zu Vichy de Gaulles Unmut. Zu Verstimmungen auf diplomatischem Parkett und kontrastierenden strategischen Interessen kam eine persönliche Antipathie, die Roosevelt gegenüber de Gaulle hegte.33 So schlossen die Alliierten nach ihrer Landung in Nordafrika in der Nacht vom 7. zum 8. November 1942 einen Waffenstillstand mit dem zufällig in Algier weilenden ehemaligen Regierungschef Vichys, Admiral François Darlan. Dessen Entgegenkommen belohnte die US-Regierung trotz heftiger Proteste des „Freien Frankreichs“ mit der Ernennung zum „Hochkommissar“ Französisch-Nordafrikas. Aber auch als Darlan Ende Dezember ermordet wurde, war es nicht de Gaulle, sondern der Pétain nahestehende Fünf-Sterne-General Henri Giraud, der Darlan nachfolgte. Vichys Gesetze blieben in den befreiten Gebieten in Kraft und Giraud hielt weiter an den alten VichyFunktionären fest. Der ehemalige Innenminister Pétains, Marcel Peyrouton, wurde sogar zum Generalgouverneur von Algerien ernannt. In dieser Situation galt es für de Gaulle, alle Kräfte der Résistance unter Einschluss der politischen Parteien hinter sich zu einen, um in dem sich abzeichnenden Legitimationskampf mit Giraud bestehen zu können. In der Südzone wurde aus dem „Koordinations-Komitee“ im Januar 1943 ein echtes Bündnis, die „Mouvements unis de Résistance“ – kurz: die MUR, an dessen Spitze wieder Jean Moulin stand. Zur gleichen Zeit stellte sich überraschend die PCF hinter de Gaulle und sein freies bzw. „kämpfendes Frankreich“ (France combattante), wie es inzwischen hieß. Dieser Schritt ent29 30

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Jean-Pierre Azéma: Jean Moulin: le politique le rebel, le résistant. Paris 2003, S. 197 f. In der Nordzone nahm „Liberation Nord“, die Schwesterorganisation von „Liberation Sud“, schon im März 1942 Kontakt zu de Gaulle auf. Azéma, Jean Moulin, S. 208. Jean-Louis Crémieux-Brilhac: Jeux et enjeux d’Alger. In: La France des années noires. De l'occupation à la libération. Hrsg. v. Jean-Pierre Azéma und François Bedarida. Vol. 2. Paris 1993, S. 187. François Kersaudy: De Gaulle et Roosevelt. Le duel au sommet. Paris 2004.

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sprach ganz der seit Herbst 1942 von der PCF verfolgten und von Stalin geforderten Linie eines historischen Kompromisses mit den bürgerlich patriotischen Kräften. De Gaulle hatte seinerseits aus taktischen Gründen früh eine Annährung an Moskau gesucht, die im September 1942 in der Anerkennung des „Freien Frankreichs“ durch die Sowjetunion ihre Früchte trug. Als nun Mitte Januar 1943 Frankreichs kommunistische Partei an de Gaulles Tür klopfte, nahm er sie als wichtige Unterstützung im Machtkampf gegen Giraud ohne Zögern auf. Auch die Sozialistische Partei, die nach einer langen Phase der Lähmung auf die politische Bühne zurückdrängte, bekannte sich nun offen zum „Freien Frankreich“. Im Frühling 1943 gelang es de Gaulle zudem, die fünf größten Widerstandsgruppen der Nordzone (Organisation Civile et Militaire, Ceux de la Résistance, Ceux de la Libération, Front National, Libération Nord) zu einem Bündnis zu bewegen, das seine Führungsrolle anerkannte. Um seine Position gegenüber Giraud weiter zu stärken, beauftragte de Gaulle Moulin im Februar 1943 damit, einen „Conseil de la Résistance“ zu schaffen, in dem alle Kräfte des Widerstandes unter Einschluss der spät zur Résistance gestoßenen Parteien und Gewerkschaften vertreten sein sollten.34 Moulin stand allerdings im Frühjahr 1943 einer völlig veränderten Ausgangslage gegenüber als im Vorjahr. Am 16. Februar 1943 führte Ministerpräsident Pierre Laval auf deutschen Druck den Zwangsarbeitsdienst (Service du travail obligatoire, STO) ein. Diese Zwangsrekrutierung der Jahrgänge 1920 bis 1922 für den Arbeitseinsatz in Deutschland stieß auf eine allgemeine Verweigerungshaltung der Betroffenen und auf Empörung bei der Bevölkerung. Kaum eine Maßnahme diskreditierte das Vichy-Regime mehr als die Einführung des STO. Die Mehrheit der jungen Männer, die nach Deutschland geschickt werden sollten, entzogen sich der verhassten „Pflicht“ und schlossen sich dem sogenannten „Maquis“ an, jener Organisationsform des Widerstandes, die allgemein mit dem Begriff Partisanenkrieg verbunden wird: Bewaffnete Gruppen von Freiwilligen, die von schwer zugänglichen Regionen aus Sabotageaktionen und Hinterhalte organisierten. Zunächst waren diese Gruppen jedoch größtenteils unbewaffnet und im Gegensatz zu einer hartnäckigen Legende fand sich auch nur eine Minderheit der Arbeitdienstverweigerer bereit, den bewaffneten Kampf aufzunehmen – 6 Prozent im Département Aude, 19 Prozent im Département Tarn, 30 Prozent im Département l’Isère.35 Allerdings war ihre Gesamtzahl von etwa 25.000 immer noch ausreichend, um die Struktur des Widerstandes grundlegend zu verändern.36 Die von dem Ansturm überraschten Widerstandsorganisationen standen schnell vor finanziellen, logistischen und organisatorischen Schwierigkeiten. Die darausfolgende Forderung an London nach größerer materieller Unterstützung und der zunehmende Drang des innerfranzösischen Widerstandes zu spektakulären Aktionen, stieß auf die Ablehnung des „Freien Frankreichs“. Daneben kam es zu scharfen Auseinandersetzungen,

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Vgl. Azéma, Jean Moulin, S. 326 f. Siehe Harry Roderick Kedward: STO et Maquis. In: La France des années noires (wie Anm. 32), S. 281. Ebenda, S. 292.

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vor allem zwischen Moulin und Frenay um die Leitung der „Armée secrète“37 und um eine von London unabhängige Finanzierung des Widerstandes.38 Dennoch gelang es Moulin am 27. Mai 1943, die Führer der fünf größten Widerstandsgruppen der Nordzone und die der drei größten der Südzone mit sechs Parteienvertretern und zwei Gewerkschaftsführern unter seinem Vorsitz im Conseil National de la Résistance (CNR) zu einen.39 Wichtigstes Ergebnis der konstituierenden Sitzung war das offene Bekenntnis der Widerstandsbewegung zur zentralen Rolle De Gaulles. Moulin, nur wenige Wochen später ausgerechnet von einem Mitstreiter Frenays an die Gestapo verraten und von dieser zu Tode gefoltert, konnte seinen Plan, aus dem CNR mehr als ein Konsultativorgan zu machen, nicht mehr verwirklichen. So blieb die Kontrolle des CNR über die Résistance begrenzt. Sein symbolischer Wert vor allem in Hinblick auf de Gaulles spätestens Anfang Oktober 1943 gewonnen Machtkampf mit Giraud ist aber kaum zu unterschätzen. Giraud seinerseits war es nicht gelungen, das Gewicht der ihm nahestehenden Organisation de Résistance de l’Armée (ORA) in die Waagschale zu werfen. In ihr hatten sich im November 1942 von Pétains Passivität enttäuschte Militärs zusammengefunden, die aber den gaullistischen und kommunistischen Gruppen keine ernsthafte Konkurrenz machen konnten.40

Kämpfe der Maquisard gegen die deutsche Besatzung 1944 Die zunächst kaum an einer Auseinandersetzung mit Vichys Ordnungskräften und der deutschen Besatzungsmacht interessierten Maquisards gingen im Laufe der zweiten Jahreshälfte 1943 zunehmend dazu über, kleinere Militärkonvois und Polizeikasernen anzugreifen, um sich Nahrungsmittel, Kleidung und Baumaterial zu verschaffen. Zudem reagierten die Gruppen mit einer verstärkten Militarisierung auf die ersten Auskämmungsaktionen. So wurden „die Gejagten immer häufiger zu Jägern“ (Kedward), die vor allem das Zentralmassiv, Hochsavoyen, das Limousin und Teile der Bretagne unsicher machten.41 Trotz der zu diesem Zeitpunkt noch schlechten Bewaffnung des Maquis stellte die Résistance erstmals ein ernstzunehmendes militärisches Problem für die kollaborierenden Sicherheitsorgane und die Besatzungsmacht dar. Besonders im Limousin und im Zentralmassiv konnte die Wehrmacht wegen Kräftemangels bald nur noch die Städte und größeren Ortschaften kontrollieren. Zwar stand ihr auch die im Januar 1943 von der Vichy-Regierung gegründete Miliz zur Seite, doch war auf die lokalen Gendarmerieposten kaum Verlass, da diese ab Ende 1943 immer häufiger mit den örtlichen Maquisgruppen zusammenarbeiteten.42 Die deutschen Besatzer verlegten sich daraufhin auf Strafexpeditionen, bei denen es schon im 37

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Robert Belot: Jean Moulin et Henri Frenay. In: Jean Moulin face à l’histoire. Hrsg. v. Jean-Pierre Azéma. Paris 2000, S. 177 f.; Azéma, Jean Moulin, S. 356 ff. u. S. 375 ff. Cordier, Jean Moulin, S. 350; Belot, Jean Moulin et Henri Frenay, S. 182 f. Claire Andrieu: Le Programme commun de la Résistance. Paris 1984. Siehe François-Georges Dreyfus: Histoire de la Résistance. Paris 1996, S. 321. Vgl. Harry Roderick Kedward: In Search of the Maquis. Oxford 1993, S. 50 f. Vgl. Henri Cordesse: Histoire de la Résistance en Lozère 1940–1944. o.O. 1974, S. 84.

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Herbst 1943 und Frühling 1944 zu ersten Übergriffen auf die Zivilbevölkerung kam.43 Derartige „Befriedungsaktionen“ vermochten es allerdings nicht, eine weitere Konsolidierung des Maquis in der ersten Jahreshälfte 1944 zu verhindern.44 Es waren vielmehr Verrat und taktische Fehlentscheidungen, die zu schweren Verlusten auf Seiten der Partisanen führten. So ließen sie sich im März 1944 auf dem Plateau des Glière südlich des Genfer Sees zu einer offenen Feldschlacht mit Deutschen und Milizionären hinreißen, was 149 Partisanen und Zivilisten das Leben kostete.45 Der Mobilisierung von ca. 6.000 Mann am Mont Mouchet im Zentralmassiv kurz vor dem 6. Juni 1944 war genauso wenig Erfolg beschieden,46 wie auch der Gründung einer Partisanen-Republik mit 4.000 Maquisards im Vercors südwestlich von Grenoble Ende Juli.47 Der deutschen Artillerie und Luftwaffe waren sie nicht gewachsen. In der Gesamtschau war die Bilanz der ersten Jahreshälfte 1944 aber eher eine Erfolgsgeschichte. Sabotageakte häuften sich und gewannen an Intensität. Die Attentate auf deutsche Soldaten und Kollaborateure nahmen zu, wobei den kommunistischen MOI (Main d’Oeuvre Immigré) schon im September 1943 der größte Coup mit der Ermordung von Julius Ritter, dem Gesandten des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und NSDAP-Reichsleiters Fritz Sauckel, gelungen war. Anfang 1944 erreichten die Untergrundzeitungen Auflagen großer überregionaler Tageszeitungen, die französische Bevölkerung stand dem Widerstand zunehmend positiv gegenüber und insgesamt 150.000 Männer und Frauen sollen das „Freie Frankreich“ mit täglich 1000 Telegrammen über Truppenbewegungen der Wehrmacht und die Verteidigungsanlagen des Westwalls versorgt haben.48 Eine wichtige Rolle fiel der Résistance im Rahmen der alliierten Landung in der Normandie im Juni 1944 zu. Nach genau ausgearbeiteten Plänen störte sie den Zugund Schiffsverkehr der Deutschen sowie deren Nachrichtenverbindungen und attakkierte Nachschubkonvois. Dagegen blieb die Effektivität des Widerstandes im eigentlichen Landungsraum gering.49 In der Bretagne zwang der Widerstand die Besatzungsmacht, weite Teile des Landesinneren aufzugeben und in Südfrankreich besetzten die Maquisards ganze Dörfer und Städte. Während einige dieser „Selbstbefreiungen“ von Erfolg gekrönt waren, führten andere zu deutschen Kriegsverbrechen. In Tulle gelang es Einheiten der Waffen-SS Division „Das Reich“, die am 8. Juli befreite Stadt zurückzuerobern. Als „Sühne“ für die bei der Befreiung gefallenen deutschen Soldaten ließ die SS-Division 99 Männer öffentlich aufhängen. Völlig ohne ersichtlichen Grund ermordeten Einheiten derselben Division 642 Männer, Frauen und Kinder auf besonders 43

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Siehe Meyer, Deutsche Besatzung in Frankreich, S. 128–148. Siehe auch die unterschiedliche Interpretation bei Peter Lieb: Konventioneller Krieg oder Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44. München 2007. Kedward, In Search of the Maquis, S. 117, 125 f. Michel Germain: Glières, mars 1944 – „Vivre libre ou mourir!“ – L'épopée héroïque et sublime. Les Marches 1994, S. 342. Kedward, In Search of the Maquis, S. 166 ff. Vgl. Gilles Vergnon: Le Vercors. Histoire et mémoire d’un maquis. Paris 2002. So Veillon, Les resaux de résistance, S. 390 f. Jäckel, Frankreich in Hitlers Europa, S. 321.

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bestialische Weise am 10. Juni in Oradour-sur-Glane, so dass die Ortschaft noch heute Symbol für die Schrecken der Besatzungszeit ist.50 Nach der alliierten Landung in der Provence am 15. August 1944 befreite die Résistance mit großem Erfolg ganze Départments und verhinderte oft die von deutscher Hand vorbereiteten Zerstörungen der Infrastruktur wie z. B. die Sprengung des Hafens von Marseille. Die militärische Abschnürung von 20.000 Mann unter General Botho Henning Elster durch Partisaneneinheiten blieb aber eine Ausnahme; allerdings erfolgte dessen Kapitulation und Gefangennahme letztlich doch zur Enttäuschung der Partisanen gegenüber der 83. US-Division.51 Die Deutschen gaben das Landesinnere nun immer häufiger kampflos auf und beschränkten ihr Engagement auf die größeren Städte und Rückzugswege. Der Résistance gelang es immerhin, 34 der 226 französischen Bezirkshauptstädte selbständig zu befreien; jedoch allein in fünf Fällen beteiligte sich die Bevölkerung aktiv.52 Einer dieser Fälle war Paris. Aber auch hier ermöglichte erst das Eingreifen regulärer Verbände der 2. freifranzösischen Panzerdivision unter General Leclerc den erfolgreichen Ausgang des Pariser Volksaufstandes. In einigen der „selbstbefreiten“ Gebiete konnte die provisorische Regierung de Gaulles die kommunistisch dominierten „wilden“ Säuberungen nicht verhindern. Zu den ca. 10.000 Opfern zählten nicht nur Vichy-Beamte und Angehörige der Miliz, sondern auch Industrielle, Geistliche und selbst ehemalige sozialistische Parteifunktionäre.53

Zur Forschungsgeschichte nach 1945 Die deutschen Truppen standen noch auf französischem Boden, als die Regierung de Gaulle im Oktober 1944 die Vorläuferorganisation des „Comité d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale“ begründete. Dieses Komitee monopolisierte fortan die französische Zeitgeschichtsschreibung. Unter der Führung seines Generalsekretärs, Henri Michel, brachte es eine eigene Zeitschrift heraus (Revue d’histoire de la Deuxième Guerre mondiale) und baute ein eindrucksvolles Archiv auf. Auf über 150.000 Karteikarten hielten die Archivare des Komitees jede einzelne Widerstandshandlung fest. Das Komitee schuf in den frühen fünfziger Jahren auch den Rahmen für die ersten wissenschaftlichen Abhandlungen zum Thema Résistance.54

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Sarah Farmer: Matyred Village. Commemorating the 1944 Massacre at Oradour-sur-Glane. Berkeley 1999; Jean-Jacque Fouché: Oradour. Paris 2001; ders. Oradour: la politique et la justice. Saint-Paul 2004; deutsche Zusammenfassung bei Ahlrich Meyer: Oradour 1944. In: Orte des Grauens. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2003, S. 176–186. Vgl. Michel Jouanneau: La Fin des illusions. La capitulation de la colonne Elster. Herblay 1984; ferner Welf Botho Elster: Die Grenzen des Gehorsams. Das Leben des Generalmajors Botho Elster in Briefen und Zeitzeugnissen. Hildesheim, Zürich 2005. Philippe Buton: La France atomisée. In: La France des année noires (wie Anm. 32), S. 450. Siehe u. a. Une poignée de misérable: l’épuration dans la société française après la Seconde Guerre mondiale. Hrsg. v. Marc Olivier Baruch. Paris 2003. Henri Michel: Histoire de la Résistance en France. Paris 1951; Marie Granet / Henri Michel: Combat: Histoire d’un mouvement de Résistance de juillet 1940 à juillet 1943. Paris 1957; Marie Granet: Défense de la France. Paris 1960.

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Obwohl deutsche Quellen zur Verfügung standen, stützten sich diese Arbeiten allerdings primär auf Interviews mit ehemaligen Widerstandskämpfern. Die Autoren hatten meist selbst, wie auch Michel, eine bedeutende Rolle im Widerstand gespielt und standen in der Tradition der Memoirenliteratur der unmittelbaren Nachkriegszeit.55 Neben der gaullistischen Interpretation der Ereignisse konnte sich nur die kommunistische behaupten.56 Diese bestritt die herausragende Rolle de Gaulles und verbreitete eine Art Gegen-Mythos von der kommunistisch geführten Résistance. Beide Interpretationen waren sich allerdings darüber einig, dass der Widerstand die wahre Geschichte Frankreichs repräsentiere und dass das französische Volk geschlossen hinter den Männern der Résistance gestanden hatte. Anfang der siebziger Jahre durchbrach der Dokumentarfilm „Le chagrin et la pitié“ des Regisseurs Marcel Ophüls diesen Widerstandsmythos. Ophüls zeichnete das Bild eines mit Nazi-Deutschland kollaborierenden Frankreichs, in dem die Résistance nurmehr eine wenn auch tragende Nebenrolle spielte. Diesem Dokumentarfilm folgte die wissenschaftliche Arbeit des US-Historikers Robert Paxton. Er verfolgte den von Ophüls eingeschlagenen Weg weiter und veränderte nicht nur das Bild von Vichy nachhaltig, sondern bewirkte einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel in der französischen Zeitgeschichtsforschung. Während Vichy in das Zentrum der historischen Auseinandersetzung trat, ließ die „Révolution paxtonienne“ (Jean-Pierre Azéma)57 die Erforschung des Widerstandes etwas ins Abseits treten. In dieser Phase entstanden dennoch wichtige Arbeiten. Zunächst erschienen Mitte der siebziger Jahre die Memoiren Henri Frenays und die seines Mitstreiters bei „Combat“, Claude Bourdet, die weder dem gaullistischen noch dem kommunistischen Lager zugerechnet werden konnten.58 Während Frenay einen polemischen Generalangriff auf den unangefochtenen Helden der Résistance, Jean Moulin, einleitete,59 verfasste Bourdet nüchtern am Geschehen orientierte Memoiren. Von seiten der professionellen Geschichtsschreibung war es Roderick Kedwards „Resistance in Vichy France“60, Dominique Veillons Arbeit zur Widerstandsgruppe „Franc-Tireur“61, Renée Bédaridas zu der christdemokratischen Gruppe „Témoignage chrétien“62 und Stephane Courtois Analyse der Rolle der kommunistischen Partei,63 denen es gelang, aus dem Schatten 55

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U. a. Guillain de Bénouville: Le Sacrifice du matin. Paris 1946; Yves Farge: Rebelles, soldats et citoyens. Souvenirs d'un Commissaire de la République. Paris 1946. Fernand Grenier: C’était ainsi. Paris 1949; Charles Tillon: Les FTP. Paris 1967; Le Parti français communiste dans la Résistance. Hrsg. v. Institut Maurice Thorez. Paris 1967; Weder gaullistisch noch kommunistisch: Emanuel Astier de la Vigerie: Sept fois sept jours. Paris 1947. Laurent Douzou: La Résistance francaise: une histoire périlleuse. Essai d’historigraphie. Paris 2005, S. 196, 310 mit Anm. 159. Henri Frenay: La nuit finira. Paris 1973; Claude Bourdet: L’aventure incertaine: De la Résistance à la restauration. Paris 1975. Henri Frenay: L’Enigme Jean Moulin. Paris 1977. Kedward, Resistance in Vichy France. Dominique Veillon: Le Franc-Tireur: un journal clandestin, un mouvement de Résistance, 1940– 1944. Paris 1977. Renée Bédarida: Les Armes de l’Esprit, Témoignage chrétien 1941–1944. Paris 1977. Courtois, Le PCF dans la Guerre.

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der Ende der siebziger Jahre herrschenden „Vichy-Manie“ herauszutreten und neue Forschungsgegenstände zunehmend unvoreingenommen zu untersuchen. Courtois leitete eine kritische Auseinandersetzung mit der PCF ein,64 deren vorläufiger Schlusspunkt 1993 nach der Öffnung der Moskauer Archive in Beiträgen der Zeitschrift „Communisme“, u. a. von Mikhaïl Narinski, erreicht wurde.65 Besondere Erwähnung verdient auch der ehemalige Sekretär Jean Moulins, Daniel Cordier, der Anfang der neunziger Jahre seinem ehemaligen Vorgesetzten eine viertausendseitige Biographie widmete.66 Die Öffnung französischer Archive und das Nachrücken einer jungen Generation von Historikern, die sich nicht mehr dem Résistance-Mythos verpflichtet fühlt, machten den Schritt zu einer zunehmenden Historisierung des französischen Widerstandes möglich. Die Arbeiten dieser Generation brachten nicht nur große empirische Fortschritte bei der Untersuchung einzelner Widerstandsgruppen,67 sondern verdeutlichten auch den Facettenreichtum des Widerstandes. So wurde die wichtige Rolle der Emigranten in der Résistance hervorgehoben,68 das Verhältnis zwischen de Gaulle und dem Widerstand im Mutterland genauer bestimmt, die Geschichte des „Freien Frankreichs“ mit großer Sorgfalt aufgearbeitet,69 und die in der Anfangsphase oft zweideutige Haltung der Widerstandsgruppen zur Vichy-Regierung herausgearbeitet.70 Eine weitere Überprüfung vieler Forschungsergebnisse anhand deutscher Quellen steht allerdings noch ebenso aus, wie eine allgemein anerkannte Gesamtdarstellung der Geschichte der Résistance.71 Für diese Studien stehen im Nationalarchiv in Paris umfangreiche Quellen zur Geschichte der Résistance zur Verfügung. Hier sind die Bestände des BCRA besonders hervorzuheben. Auch der Service historique de la Défense im Schloß Vincennes (= Militärarchiv) und die verschiedenen, zum Teil gut ausgestatteten Archives Départementales sind hier zu nennen. Wichtig bleiben auch nach der Öffnung der französischen Archive, das Public Record Office in London mit seinen Beständen zum SOE und das National Archives bei Washington mit den OSS Akten. 64

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Siehe den weiteren Verlauf der Debatte in: Le Parti communiste français des années sombre 1938–1941. Hrsg. v. Jean-Pierre Azéma/Antoine Prost/Jean-Pierre Rioux. Paris 1986. Communisme. Vol. 32–34 /1993 (darin u. a. Mikhaïl Narinski: Le Komintern et le parti communiste français 1939–1941). Zusammengefasst in: Cordier, Jean Moulin. Siehe hierzu die quellengestützten Arbeiten von Wieviorka, Une certaine idée de la résistance; Laurent Douzou: La Désobéissance: Histoire d’un mouvement et d’un journal clandestin: Libération-Sud (1940–1944). Paris 1995; Alya Aglan: La Résistance sacrifiée: Le Mouvement Libération-Nord. Paris 1999. Stéphane Courtois/Denis Peschanski/Adam Rayski: Le sang de l’Étranger. Les immigrés de la MOI dans la Résistance. Paris 1989 (Deutsche Ausgabe: L’Affiche Rouge. Immigranten und Juden in der französischen Résistance. Berlin 1994). Jean-Louis Crémieux-Brilhac: La France libre: de l’appel du 18 juin à la Libération. Paris 1996. Belot, Henri Frenay; Wieviorka, Une certaine idée de la Résistance. Zu diesem Thema stehen mehrere Doktorarbeiten unter der Leitung von Jean-Pierre Azéma vor dem Abschluss. François-Georges Dreyfus: Histoire de la Résistance 1940–1945. Paris 1996, gelang es mit seiner Studie nicht, ein entsprechendes Echo oder Zustimmung zu finden. Der Autor des vorliegenden Aufsatzes arbeitet zur Zeit an einer Gesamtdarstellung der Résistance in deutscher Sprache, die 2011 beim Beck-Verlag, München, erscheinen soll.

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Neuerscheinungen werden regelmäßig auf der Webseite der Fondation de la Résistance besprochen.72

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http://www.fondationresistance.org/pages/accueil/

Niederlande: Anpassung – Opposition – Widerstand* Bob Moore Der deutsche Einmarsch in den Niederlanden fegte am 10. Mai 1940 schließlich auch die letzte Hoffnung hinweg, dass sich das Land auf die proklamierte Neutralität berufen könne, auf die es sich im Ersten Weltkrieg 1914–18 verlassen hatte. Sogar jene Teile der Bevölkerung, die nicht daran geglaubt hatten, dass die Niederlande von der NS-Expansionspolitik verschont blieben, waren von der unglaublichen Schnelligkeit, mit der die deutsche Invasion erfolgte, und dem anschließenden militärischen Zusammenbruch des Landes angesichts der feindlichen Überlegenheit betroffen.1 Die erste Zeit der deutschen Okkupation, in der die Militärverwaltung rasch durch eine Zivilverwaltung unter „Reichskommissar“ Arthur Seyss-Inquart ersetzt wurde, brachte allerdings nicht annähernd die ärgsten Befürchtungen, welche die Holländer gegenüber der NS-Besatzungsherrschaft hegten. Mit Ausnahme jener Bereiche, die direkt durch Militäraktionen getroffen worden waren, so besonders das bombardierte Stadtzentrum von Rotterdam, kehrte das tägliche Leben beinahe zur Normalität zurück. Es wurde angeordnet, dass die Staatsbeamten auf ihren Posten verblieben, während die Königin und die Regierung ins Exil nach London geflohen waren. Die Deutschen nahmen keinen umfassenden Austausch in den Verwaltungsstellen vor und beschäftigten weiterhin die holländischen Staatsangestellten. Auch die holländischen Soldaten wurden nach der Kapitulation nicht lange in Kriegsgefangenschaft gehalten, sondern kehrten alsbald nach rascher Demobilisierung in das zivile Leben zurück. Trotz der politischen Realität, dass das Königreich der Niederlande aufgrund der Monarchin im Exil und seiner kolonialen Besitzungen in Übersee fortbestand, waren die ersten Monate der Okkupation eine Zeit der Annäherung und Assimilation an die neue Realität. Die durch die schnelle Flucht der Regierung und der königlichen Familie entstandene negative Stimmung gegenüber dem Königshaus war nur von kurzer Dauer, da die Menschen schnell wieder begannen, die königlichen Farben oder Blumen als einendes nationales Symbol zu tragen. Solche Protestaktionen blieben in der Zeit „gegenseitiger Höflichkeit“ zwischen Besatzern und Besetzten größtenteils ungestraft, da sie keine Gefahr für die NS-Besatzungsherrschaft darstellten.2 Eine weitere Form der politischen Opposition entstand in der zweiten Hälfte des Jahres 1940 mit der Gründung von „Nederlandse Unie“. Diese Organisation sollte die mittlerweile verbotenen politischen Parteien ersetzen. Sie wurde von den Deutschen toleriert und sogar als mögliche Verbündete betrachtet, um das Land regieren zu kön* übersetzt von Petra Ueberschär-Bronner Hermann W. von der Dunk: The Shock of 1940. In: Journal of Contemporary History 2 (1967), S. 169–182; Johan C. H. Blom: Crisis, Bezetting en Herstel: Tien Studies over Nederland 1930– 1950. Rotterdam 1989, S. 61. 2 Dick van Galen Last: The Netherlands. In: Resistance in Western Europe, hrsg. v. Bob Moore. Oxford 2000, S. 193. 1

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nen. Innerhalb von sechs Monaten konnten 800 000 Mitglieder rekrutiert werden. Die führenden Köpfe der Organisation nahmen hinsichtlich der Besetzung eine pragmatische Haltung ein und waren bemüht, bestmögliche Regelungen für das Alltagsleben der Holländer unter deutscher Herrschaft zu erreichen. Im Laufe der Zeit wurde jedoch deutlich, dass die Mehrheit der Mitglieder ihre Beteiligung als einen patriotischen Akt des Protestes empfand. Dies führte dazu, dass die „Unie“ im Sommer 1941 verboten wurde. Die ersten Maßnahmen der Deutschen gegen die jüdische Bevölkerung in den Niederlanden Ende des Jahres 1940 riefen ebenfalls individuelle und kollektive Proteste hervor. Einige Mitglieder der Regierung weigerten sich, den sogenannten Arier-Nachweis zu bringen, und Studenten in Delft demonstrierten gegen die Entlassung jüdischer Akademiker. Die zunehmende Verfolgung der Juden führte zu weiteren ernst zunehmenden Protesten in der Bevölkerung wie an den sogenannten „Februaristaking“ am 25. und 26. Februar 1941, als eine große Anzahl von Arbeitern in Amsterdam und anderen großen Städten in Streik traten, um gegen deutsche Repressalien zu protestieren. Der Streik wurde von den Deutschen allerdings rasch niedergeschlagen; es zeigte den Holländern ein für alle mal, dass die Besatzer Proteste in diesem Maße nicht dulden würden. Die Aktion markierte letztlich das Ende der „gegenseitigen Höflichkeit“. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits erhebliche Belastungen im Alltag der Holländer durch die Deutschen. Der Historiker Louis de Jong schätzt, dass vor dem Sommer 1942 dennoch höchstens nur einige wenige hundert Menschen zum aktiven Widerstand zu zählen sind.3 Neben einzelnen Aktionen gab es Proteste spezieller Gruppen, die gegen besondere Maßnahmen der Deutschen gerichtet waren. Anhänger dieser Gruppen waren Künstler, Ärzte und Studenten, die gegen den Ausschluss nicht-arischer Fakultätsmitglieder und die Schließung ihrer Universitäten protestierten.4 Dies änderte sich allerdings, als die deutschen Belastungen für die holländische Gesellschaft anstiegen. Die wachsende Anzahl der Widerstandskämpfer stand in direktem Zusammenhang mit den ebenfalls steigenden ökonomischen und ideologischen Forderungen der Besatzer. Maßnahmen in 1942 betrafen die Konfiszierung von Radioanlagen und die Beschlagnahme von Fahrrädern für den Gebrauch der Wehrmacht. Beide Aktionen wurden von weiten Teilen der holländischen Bevölkerung als unzumutbar angesehen. Viele verweigerten daher die Ablieferung der Fahrräder und Radios. Oftmals wurden veraltete und abgenutzte Geräte abgegeben, während die funktionsfähigen versteckt oder vergraben wurden.5 Eine unmittelbare Bedrohung für die holländische Unabhängigkeit entstand mit den ersten Auflagen zur Einziehung von Holländern zur Zwangsarbeit in Deutschland. Schon seit den späten 30er Jahren hatte der holländische Arbeitsmarkt die deutsche Wirtschaft mit Arbeitern versorgt, denn Holland hat 3

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Louis de Jong: Het Koninkrijk der Nederlanden in de Tweede Wereldoorlog. 14 Bde. ´S-Gravenhage/Leiden 1969–1988, hier vol. VI, S. 213. Blom, Crisis, Bezetting en Herstel, S. 89; Onderdrukking en Verzet. 4 Bde. Hrsg. v. Johannes J. von Bolhuis et al. Arnheim 1947–55, hier Bd. I, S. 347–376, 409–464, 525–548; Van Galen Last, The Netherlands, S. 195. Bob Moore: The Netherlands. In: The Civilian in War. Ed. by Jeremy Noakes. Exeter 1992, S. 139.

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vor dem Krieg gerne die eigenen Arbeitslosen über die Grenze „exportiert“.6 Ein Pflicht-Arbeitsdienst wurde dann im Herbst 1942 eingeführt. Dies führte zur Bildung erster Organisationen, die denjenigen halfen, die sich in den Untergrund begaben, um nicht erfasst und nach Deutschland geschickt zu werden. Die sogenannte „Landelike Organisatie voor Hulp aan Onerduikers (LO)“ wurde von dem Calvinisten Frits Slomp und einem führenden Laienmitglied der Kirche, Henriette Kuipers-Rietberg, gegründet.7 Die Organisation stellte Essen, Unterschlupf und Papiere für die „Flüchtigen“ bereit. Obwohl die Gruppierung von aufrichtigen, gläubigen Christen gegründet worden war, stellten die Gründer bald fest, dass ihre Arbeit teilweise in den Bereich der Illegalität und sogar der Kriminalität führte. Die LO hatte enge Verbindung zu den „Landelijke Knokploegen (LKP)“, den aktiven Widerstandsgruppen, die Plünderungen organisierten, um an Lebensmittel und Identitätskarten zu erlangen. In einem Land mit relativ wenigen natürlichen Versteckmöglichkeiten waren das Ausmaß und die Anzahl der von der LO durchgeführten Aktionen sehr hoch einzustufen. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 350.000 Menschen zeitweise während der Dauer der Besatzung in den Untergrund gingen. Dies setzte ein sehr großes Netzwerk an Versteckmöglichkeiten und Mitarbeitern, die Papiere und Lebensmittel für die Untergetauchten besorgten, voraus. Die LO führte zu weiteren Gründungen von Organisationen, so zum Beispiel der „Persoonsbewijzen Centrale“, die sich darauf spezialisierte, gefälschte oder gestohlene Identifikationskennkarten zu beschaffen. Eine weitere wichtige Entwicklung stellte die Bildung von „National Steunfonds (NSF)“ dar, die den meisten großen Widerstandsgruppen im späten Stadium der Okkupation Hilfsfonds zur Verfügung stellte. Die Hilfsfonds wurden im holländischen Banksystem „versteckt“ und inländische Spenden wurden von der holländischen Exilregierung abgezeichnet und von der Nederlandse Bank bereitgestellt. Insgesamt verteilte die Organisation bis zur Befreiung des Landes im Mai 1945 mehr als 83 Millionen Gulden für verschiedene Verwendungszwecke.8 Deutsche Sicherheitsbefürchtungen und der Bedarf an Arbeitskräften führten zum Versuch, Mitglieder der holländischen Armee wieder zu internieren. Dies führte im April/Mai 1943 zu spontanen Streiks von insgesamt 500.000 Menschen, welche die Deutschen nur mit Mühe unter Kontrolle bringen konnten.9 Der holländische Protest konnte nicht lange aufrecht erhalten werden, und die meisten Streikenden kehrten nach ein paar Tagen an ihre Arbeitsplätze zurück. Auch im September 1944 streikten holländische Eisenbahnarbeiter und blieben ihren Arbeitsplätzen fern, um das Eisenbahnnetz lahm zu legen und die Deutschen daran zu hindern, Truppen gegen den alliierten Vormarsch zu den Rheinbrückenköpfen zu transportieren. Die Aktion misslang teil6

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Gerhard Hirschfeld: Der „freiwillige“ Arbeitseinsatz niederländischer Fremdarbeiter während des Zweiten Weltkriegs als Krisenstrategie einer nicht-nationalsozialistischen Verwaltung. In: Vom Elend der Handarbeit. Probleme historischer Unterschichtenforschung. Hrsg. v. Hans Mommsen und Winfried Schulze. Stuttgart 1981, S. 497 ff. Het Grode Gebod. Kampen 1951, S. 3–8. Werner Warmbrunn: The Dutch under German Occupation, 1940–1945. Stanford, USA 1963, S. 199 f. Warmbrunn, The Dutch under German Occupation, S. 117.

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weise, da die deutschen Besatzungsstellen mit Hilfe eigenen Bahnpersonals das militärische Eisenbahnnetz aufrecht hielten; der Streik beeinträchtigte andererseits die Lebensmittelversorgung im sogenannten ,hongerwinter’ 1944/45. Als Versäumnis während der Besatzungszeit wird heute der Umstand angesehen, dass die LO zu spät ins Leben gerufen wurde, um einen Großteil der jüdischen Bevölkerung vor der Deportation in die KZs im Osten zu bewahren. Schätzungen ergaben, dass circa 25.000 der 140.000 niederländischen Juden versuchten, sich zu verstecken, als die Deportationen im Juli 1942 begannen. Etwa 16.000 von ihnen überlebten, darunter über 4.000 Kinder. Die Zahl der Menschen, die in den Niederlanden bereit waren, der jüdischen Bevölkerung zu helfen, war relativ gering. Darüber hinaus stellte das Verstecken von Juden im Jahr 1942 eine zeitlich unübersehbare Aufgabe dar. Es galt als weitaus gefährlicher als andere Formen des Widerstandes, zumal die Okkupation für den größten Teil der Bevölkerung nach wie vor keine große Bedrohung darstellte. Die NS-Verfolgung der Juden rief nichtsdestoweniger jüdische Selbsthilfe und auch Aktivitäten durch nicht-jüdische Gruppen und Einzelpersonen hervor, deren Motive vielerlei Art waren; sie reichten von moralischen und religiösen Prinzipien, aufgrund persönlichen Kontakts mit den Opfern bis zu pragmatischem Hass gegen die Deutschen und Nationalsozialisten. Alle drei Hauptkirchen der Niederlande, die römisch-katholische, die holländischreformierte, und die calvinistisch-orthodoxe waren bei den Rettungsaktionen für die Juden beteiligt, auch wenn dies in erster Linie das Werk einzelner Pastoren, Priester oder führender Laienmitglieder in den lokalen Kongregationen war. Die Hilfe für die Juden variierte daher von Ort zu Ort. Einige Gruppierungen entstanden, um speziell jüdischen Kindern zu helfen, so zum Beispiel studentische Gruppen in Utrecht und Amsterdam sowie eine weitere Organisation, die sich im Umfeld der illegalen Zeitung „Trouw“ bildete.10 Alle diese Gruppen besaßen gegen Ende der NS-Okkupation Verbindungen zur LO, zumal man viele private „Gastgeber“ sowie Kuriere und Helfer benötigte, um die Flüchtlinge unterzubringen. Diese Form des „Rettungswiderstandes für Verfolgte“ umfasste im Laufe der Zeit eine viel größere Zahl von Menschen als verschiedene Formen des „aktiven“ Widerstandes gegen die NS-Bestatzungsherrschaft. Neben dieser Form der Unterstützung für Bedrohte und Verfolgte im Untergrund, die durch die Zwangslage der Holländer unter der deutschen Besatzung hervorgerufen wurde, entstanden noch zwei weitere wirksame Widerstandsaktivitäten gegen die NSHerrschaft. Zu Beginn der deutschen Okkupation und vor Gründung der LO wurde erkannt, dass ausgebildete Piloten von zentraler Wichtigkeit für den weiteren militärischen Kampf zur Befreiung durch die Alliierten waren. Deshalb wurde ein Versorgungs- und Hilfsnetz gebildet, um alliierten Piloten zu helfen, nach einem Abschuss oder Absturz über Westeuropa in die Sicherheit neutraler Staaten oder sogar zurück zum Heimatland zu gelangen.11 Ebenso wurden ähnliche Organisationen aufgebaut, um abgesprungene alliierte Fallschirmjäger unterzubringen und zu verstecken. Auch 10 11

Bert Jan Flim: Omdat hun hart sprak. Kampen 1996. De Jong, Het Koninkrijk, Bd. V, S. 755–758, Bd. VII, S. 910–924.

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auf diesem Weg war ein Großteil der Bevölkerung in Aktivitäten einbezogen, die im Falle eines Aufdeckens schwere Bestrafungen nach sich zogen. Möglichkeiten für einen bewaffneten Widerstand waren in den Niederlanden begrenzt, da es in dem Land nur wenig Spielraum für Partisanengruppen gab. Daher blieben derartige Operationen auf Einzelangriffe für spezielle Zwecke beschränkt. So wurden Versuche unternommen, gefangengenommene Widerstandskämpfer aus Gefängnissen und Polizeidienststellen zu befreien. Der erfolgreichste Versuch dieser Art war die Befreiung von 50 Insassen aus dem Gefängnis bei Arnheim im Juni 1944. Attentatsversuche gegen prominente holländische Nationalsozialisten begannen Anfang des Jahres 1943, als ein Attentat auf General Hendrik A. Seyffardt, den Führer der Niederländischen Freiwilligen Legion, gelang. Mitglieder der NSB oder der Polizei waren ebenfalls Ziel von Anschlägen; Schätzungen gehen davon aus, dass es allein im Jahr 1944 zu 300 politisch motivierten Attentaten kam.12 Innerhalb der Widerstandskreise gab es Diskussionen über den moralischen Wert dieser Aktionen, gleichwohl wurden Anschläge auf Polizeispitzel und Kollaborateure als legitim angesehen – besonders gegen Ende des Krieges. Direkte Anschläge auf Deutsche waren weniger häufig, nicht zuletzt wegen des zu erwartenden großen Umfanges der Vergeltungsmaßnahmen.13 Sabotageaktionen gegen militärische Ziele wurden sowohl von Einzelpersonen als auch von größeren organisierten Gruppen durchgeführt. Das Durchtrennen von Telefonleitungen und Unterbrechen der Eisenbahnlinien wurden bereits in den ersten Tagen der Okkupation vorgenommen. Um einen Angriff auf das Telefonnetz der Luftwaffe am 3. Juni 1941 zu vergelten, wurden 300 Juden verhaftet und nach Mauthausen deportiert.14 Diese Maßnahmen wurden bald noch ausgeweitet, und Geiseln aus der Zivilbevölkerung wurden als Rache für eine Sabotageaktion auf die Eisenbahngleise bei Rotterdam im August 1942 erschossen. Genau wie die Attentatsversuche konnten auch die Strafmaßnahmen durch die Deutschen den Prozess insgesamt nicht stoppen. Der niederländische Widerstand nahm unterschiedliche Formen und Gestalten an. Die fehlende einheimische Zentralgewalt des Landes nach der Besetzung führte zu einem örtlich beschränkten Aufbau von Widerstandsgruppen, die zum Teil zu überregionalen Bewegungen anwachsen konnten, sofern es gelang, Verbindungen untereinander aufzunehmen. Andere Oppositionsgruppen bildeten sich aus lokalen Freundeskreisen. Einige erfolgreiche Widerstandsbewegungen konnten überdauern, weil sie nicht den Fehler machten, sich zu schnell auszuweiten, so dass sich die Gefahr der Unterwanderung in Grenzen hielt. Mit der möglichen Ausnahme der kleinen holländischen Kommunistischen Partei hatten im Jahr 1940 nur wenige Niederländer eine Vorstellung, wie man eine geheime Widerstandsaktivität organisierte. Die ersten Formen eines direkten Widerstandes entstanden aus Teilen der demobilisierten holländischen Armee. Auch wenn diese Gruppe sehr klein war und nur Aktionen durchführen konnte, die

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Warmbrunn, The Dutch under German Occupation, S. 206 f. Cornelis M. Schulten: En verpletterd wordt het juk. Verzet in Nederland 1940–1945. S´-Gravenhage 1995, S. 233 ff; Warmbrunn, The Dutch under German Occupation, S. 32, 60. Bob Moore: Victims and Survivors. The Nazi Persecution of the Jews of the Netherlands, 1940– 1945. London 1997, S. 81 f.

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den Deutschen keinen großen Schaden zufügten, so bildeten ihre Organisation und Aktivitäten Grundelemente für spätere oppositionelle Strukturen.15 Die erste belegte zivile Widerstandsgruppe begann ihre Tätigkeit mit einem handgeschriebenen Pamphlet, das unter der Überschrift „Geuzenaktie“ am 15. Mai 1940 erschien. Der Name Geuzen spielte auf Seeräuber des gleichen Namens beim Aufstand der Niederlande im 16. Jahrhundert an. Der Autor und Anführer der Gruppe, Bernardus Ijzerdraad, rekrutierte viele Mitglieder aus dem eigenem Freundes- und Bekanntenkreis.16 Die „Geuzen-Gruppe“ in Vlaardingen begründete einen Trend, der während der Besatzungszeit zur Regel wurde: die Verknüpfung örtlicher Aktionen gegen die NS-Unterdrückung mit der Veröffentlichung und Verteilung von Untergrund-Zeitungen. Anfangs waren diese Zeitungen selten mehr als ein paar Handblätter und die Verbreitung war sehr begrenzt. Die größte, von holländischen Militärkreisen inspirierte Organisation war der paramilitärische „Ordedienst (OD)“. Von früheren und entlassenen Soldaten gegründet, war dessen hauptsächlicher Zweck, die Autoritätslücke zu schließen, die entstehen würde, wenn es zur Befreiung des Landes käme. Dies lag im Sommer 1941 noch in weiter Ferne und bis dahin übernahm es der OD, feindliche militärische Informationen zu sammeln, um sie an die Alliierten weiterzuleiten. Die überwiegende Zahl von Offizieren in der OD verliehen der Gruppe unweigerlich einen konservativen Anstrich und man versuchte, die Gruppe in eine nationale Vereinigung umzuwandeln und eine Verbindung zur holländischen Exilregierung herzustellen. Dies erfolgte durch den sogenannten ,Zweedse Weg‘, einem Netzwerk, das es ermöglichte Dokumente auf Mikrofilm über Schweden, und später durch Radiokontakt, weiterzugeben.17 Die Deutschen nahmen die Bedrohung durch die OD ernst und verhafteten 1942/43 viele hundert Mitglieder. Mehr als 300 davon starben in Konzentrationslagern oder durch Exekutionskommandos.18 Die Organisation wurde stark untergraben, als die Deutschen sich entschlossen, alle Berufsoffiziere der holländischen Armee wieder zu internieren.19 Mitglieder der politischen Linken in den Niederlanden hatten schon vor 1940 eine anti-nationalsozialistische Einstellung. Die Kommunisten begaben sich trotz des Hitler-Stalin-Pakts in den Untergrund und die Sozialdemokraten sowie Gewerkschaften wurden schnell verboten oder gleichgeschaltet. Widerstand von seiten der Linken begann mit dem Druck illegaler Publikationen, so zum Beispiel mit der sozialdemokratischen „Het Parool“, der kommunistischen „De Waarheid“ und anderen links gerichteten Veröffentlichungen wie „De Vonk“ und „Spartacus“. Da die Kommunisten sich nicht mit den Alliierten verbinden wollten, gab es keine direkte Verbindung der Linken mit dem übrigen Widerstand. Es entstanden besondere individuelle Organisationen wie die Gruppe „CS6“. Sie bestand hauptsächlich aus Studenten, von denen einige in

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Johannes W. M. Schulten: De geschiedenis van de Ordedienst. Den Haag 1998, S. 80–99. Van Galen Last, The Netherlands, S. 194 f; Harry Paape: De Geuzen. Het Begin van het Verzet. Amsterdam 1965, S. 18–24. Het Verzet. Hrsg. v. Richter Roegholt und Jacob Zwaan. Weesp 1985, S. 34 f. Roegholt/Zwaan, Het Verzet, S. 26 f. Ebenda, S. 31.

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Anti-NS-Aktivitäten wie das Verstecken von Juden und Kommunisten verwickelt waren. Die meisten Mitglieder der Gruppe wurden im Juli 1943 verhaftet.20 Nach den April/Mai-Streiks wurde eine weitere Organisation gegründet, die sich auf Sabotageaktionen spezialisierte. Die „Raad van Verzet (RVV)“ gab sich in ihren ersten Stellungnahmen sehr radikal und wurde als eine linksgerichtete Gruppe angesehen. Darunter war eine der bekanntesten holländischen Widerstandskämpferinnen, Hannie Schaft, „das Mädchen mit dem roten Haar“. Sie war eine von vier holländischen Frauen, die auch Attentate verübten, und sie war in deutschen Kreisen so bekannt, dass Hitler persönlich befahl, sie ausfindig zu machen.21 Im Zusammenhang mit der alliierten Invasion in der Normandie im Juni 1944 verstärkte die holländische Exilregierung den Druck zur Einigung zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen. Als Ergebnis schlossen sich die OD, RVV und die LKP zu einer neuen Organisation zusammen, die „Nederlandse Binnenlandse Strijdkrachten (NBS)“. Im Verlauf der weiteren deutschen Okkupation nahm der Umfang und der Einfluss illegaler Zeitungen immer mehr zu. Zeitungen wie „Vrij Nederland“, „Trouw“ und „Het Parool“ sind dafür gut bekannte Beispiele. Die erste Ausgabe der „Vrij Nederland“ im September 1940 umfasste 130 vervielfältigte Exemplare. Ab September 1944 erreichte die Zeitung 100.000 Druckexemplare.22 Diese Zeitungen, sowie andere Veröffentlichungen verwerteten und verbreiteten Nachrichten der Alliierten. Daneben versorgten sie die Bevölkerung mit inländischen Nachrichten, Warnungen und gegen Kollaborateure gerichteten Drohungen. Die drei genannten Beispiele dienten auch als Namensgeber für Widerstandsgruppen, die nicht nur die Herstellung und Verteilung der Zeitung organisierten, sondern sich auch in anderer Form an der illegalen Arbeit beteiligten.23 Der Umfang der illegalen Presse könnte als einfach durchführbare Form der Opposition gegen die Deutschen erscheinen, aber die Besatzungsstellen waren bestrebt, sowohl die Herausgeber der Zeitungen zu verhaften als auch deren heimlichen Druckstätten zu vernichten. So wurden Druckmaschinen beschlagnahmt und Redakteure, Drucker und Verteiler verhaftet. Ihnen drohten Inhaftierung, Folter oder gar der Tod. Neben diesen gut organisierten Formen des Aufbegehrens, gab es viele andere Aktionen zivilen Ungehorsams, durch die deutschen Besatzer verärgert oder behindert wurden. Vieles wurde durch Ablehnung der deutschen Verordnungen oder Bestimmungen, die scheinbar die traditionellen Sitten und Gepflogenheiten der Holländer unterminierten, verursacht. Im „hongerwinter“ bestand für viele Menschen in den Hauptstädten der nördlichen Provinzen die Besorgung von Lebensmitteln auf dem Schwarzmarkt als einzige Möglichkeit, um an Lebensmittel zu kommen. 20

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Ebenda, S. 98 f. Die Gruppe führte ihren Namen nach ihrem Hauptquartier im Haus Nr. 6 in der Corellistraat in Amsterdam. Ebenda, S. 98. Schaft wurde schließlich bei einem Kontrollpunkt Anfang 1945 verhaftet und kurz vor der Befreiung am 17. April 1945 erschossen. Ebenda, S. 83, 86. A. H. van Namen: De Illegale Pers in Bolhuis. In: Onderdrukking en Verzet (wie Anm. 4), Bd. III, S. 644–88.

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Zum Forschungsstand nach 1945 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Bild des Widerstandes in den Niederlanden dem einer Abwärtsspirale entspricht. Die Beziehung zwischen dem holländischen Volk und den deutschen Besatzern reichte von anfänglicher Anpassung und gegenseitiger Höflichkeit bis zu regelrechtem Hass und scharfer Unterdrückung gegen Ende des Krieges. Die wirtschaftlichen Forderungen an das Land verstärkten in Verbindung mit der Deportation der Juden Probleme, die bereits vorher bestanden. Zudem führten immer schwerere Bestrafungen gegen offenen Dissenz zu weiterer Entfremdung. Ablehnung und Opposition wurden auf vielerlei Art und Weise ausgedrückt. Militärische Auflehnung war unmöglich und bewaffneter Widerstand war auf wenige Gruppen beschränkt, nicht zuletzt wegen der schweren Bestrafungen gegen Unschuldige. Dies zeigte sich bei der Zerstörung des Dorfes Putten und der Deportation von 660 der männlichen Bewohner in ein Konzentrationslager.24 Neben diesen aktiven Formen des Widerstandes gab es verschiedene Abstufungen einer Oppositionshaltung, angeführt von Wut gegen deutsche Maßnahmen, die den Alltag betrafen, und zunehmender Bereitschaft an eine Zukunft ohne NS-Hegemonie zu glauben. Bei den Aktivitäten der LO und anderer Gruppen waren insgesamt hunderte, wenn nicht tausende Menschen beteiligt.25 An den Streikwellen des Jahres 1941, 1943 und 1944 waren weitere Zehntausende beteiligt. Die Holländer waren jedoch niemals eine Nation von Widerstandskämpfern, wie die Historiographie der Nachkriegszeit unterstellte. Trotzdem führt die Beschränkung des Begriffs „Widerstandskämpfer“ nur auf jene, die am bewaffneten Widerstand teilnahmen, dazu, dass die Beteiligung vieler Einzelpersonen, Familien und Organisationen, die gegen die Deutschen arbeiteten, indem sie Juden oder Abweichler versteckten oder andere Bereiche der NS-Politik unterminierten, ignoriert wird. Das Volk der Niederländer trat aus der Zeit der Besatzung mit einer Reihe von Erfahrungen hervor, die den Mythos entstehen ließen, dass die Mehrheit der Nation Widerstandskämpfer gegen die Deutschen und das NS-Regime war. Wie bei anderen westeuropäischen Staaten war dies eine angenehme und bequeme Vorstellung, die den Prozess des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus in der Zeit nach 1945 förderte. Die Prozesse nach Kriegsende gegen holländische Nationalsozialisten, Kollaborateure und eine kleine Zahl deutscher Funktionäre dienten auch nicht dazu, die Entstehung dieses Widerstandsmythos’ einzudämmen, sondern eher ihn zu verstärken. Da der „Reinigungsprozess“ der Gesellschaft (zuivering) offensichtlich nur wenige Menschen betraf, schien der Rest von jeglicher Schuld entbunden zu sein, zudem waren die ersten Nachkriegsjahre von den weitaus dringlicheren Problemen des Landes in der kolonialen Auseinandersetzung mit Indonesien überschattet. Für die Holländer überlagerte der katastrophale Verlust der Kolonien in Asien in Verbindung mit ei-

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Madelon de Keizer: Putten. De razzia en de herinnering. Amsterdam 1998, S. 20; vgl. dies.: Kriegsverbrechen in den besetzten Niederlanden. Der „Fall Putten”. In: Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär und Wolfram Wette. Darmstadt 2001, S. 259–73. Van Galen Last, Resistance, S. 214.

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nem Gefühl des Verrats seitens der britischen und US-amerikanischen Alliierten vorerst jede ausführliche Beschäftigung mit der Okkupationszeit. Damit verbunden war die Erwartung, dass es demnächst eine „offizielle“ und definitive Geschichtsschreibung dessen, was geschehen war, geben würde, denn schon 1944 hatte die holländische Exilregierung entschieden, eine Kommission zur Geschichte der Besatzungszeit einzusetzen und hierfür das „Rijksinstituut voor Oorlogsdocumentatie“ gegründet; sie benannte den Journalisten Louis de Jong als dessen ersten Direktor. Dieser von der Regierung finanzierte Versuch einer gleichsam amtlichen historischen Forschung hatte positive und negative Auswirkungen. Positiv war, dass es die Gründung des Rijksinstituuts mit einem fundierten Stab an Wissenschaftlern ermöglichte, die große Mengen an Archivmaterial und mündlichen Überlieferungen fast zeitgleich mit der Befreiung an einem zentralen Ort zu sammeln. Angesichts der Tatsache, dass es keine besondere Tradition akademischer Veröffentlichungen in den Niederlanden gab, war es begrüßenswert, dass nun eine offizielle Geschichtsschreibung jene Aufgabe übernahm, die kein einzelner holländischer Historiker oder Journalist allein leisten konnte. Negativ war, dass die Existenz des Instituts und dessen Auftrag dazu führte, dass alle Bewertungen dieser Epoche auf später, bis zum Erscheinen des grundlegenden Institutswerkes, verschoben wurden. Es dauerte aber 20 Jahre, bis die Arbeit begonnen, und mehr als 30 Jahre bis sie vollendet wurde. Es besteht kein Zweifel, dass die Publikation „Koninkrijk der Nederlanden in de Tweede Wereldoorlog“ ein monumentales Werk ist; aber es führte auch dazu, jede Diskussion des Themas zu erschweren, denn de Jongs Bewertungen wurden in der Regel als das letzte Wort zum Thema angesehen. Dies soll nicht bedeuten, dass kein anderer Historiker versucht habe, Aspekte des Widerstandes in den Niederlanden zu erforschen. So brachte die von 1949 bis 1955 herausgegebene vierbändige Reihe „Onderdrukking en Verzet“ eine ganze Reihe von Beiträgen hervor, die viele Aspekte des holländischen Widerstands sowie der illegalen Tätigkeit im Untergrund während der Okkupation vorurteilsfrei untersuchten.26 Nach dem Kriegsende wurden Fragen nach „Eigentum“ und Zuordnung einzelner Widerstandshandlungen zu bestimmten politischen Richtungen eine hoch politisierte Angelegenheit. Diese Forschungen markieren den Anfang eines Prozesses, bei dem verschiedene Typen und Arten des Widerstands definiert wurden. Man unterschied zwischen großangelegten Spionage- und Sabotageaktionen, dem Herstellen und Verteilen von illegalen Zeitungen und kleineren Protesten einzelner Personen. Dabei wurden zwischen der institutionellen Geschichte von Widerstandsgruppen und der Manifestation von Auflehnung und Widerstand seitens der zivilen Bevölkerung unterschieden.27 Die frühe Geschichtsschreibung des Widerstands versuchte noch eine weitere Unterscheidung herbeizuführen, nämlich zwischen Personen, die vor dem „Dolle Dinsdag“28 aktiv geworden waren, und denen, die danach zum Widerstand gestoßen waren.

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Onderdrukking en Verzet (wie Anm. 4), Bd. III, S. 492 f. Ebenda, S. 493 f. Als “verrückter Dienstag“ wurde der 5. September genannt, als man davon ausging, dass die Befreiung der Niederlande nördlich des Rheins statt finden würde.

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Auch in den Niederlanden waren sich die Historiker daher des Problems des „Widerstandskämpfers der 13. Stunde“ bewusst.29 De Jongs Bewertung, die von anderen Publikationen und einer Fernsehserie in den 60er Jahren unterstrichen wurde, folgte einer moralischen und verurteilenden Haltung. Die Handlungen waren entweder ,goed‘ (korrekt) oder ,fout‘ (unkorrekt) und diese strikte Unterscheidung bot wenig Spielraum für Ambivalenz oder komplizierte Sachverhalte. Seine mehr oder weniger chronologische Herangehensweise bedeutete, dass die Diskussion der Entwicklung und Handlungen der verschiedenen Gruppen in verschiedene Bände aufgeteilt wurde und es zwangsweise zu Wiederholungen kam.30 Schon vor dem Erscheinen des ersten Bandes 1969 gab es eine beträchtliche Geschichtsschreibung des Widerstands. Mitarbeiter des Instituts schrieben mehrere Widerstandsmonographien, von denen die Arbeit von Ben Sijes über die „Februaristaking“ den bekanntesten Beitrag über den Kampf gegen die deutschen Besatzer im Februar 1941 darstellt. Er sprach auch die Frage der Verantwortung für die Auslösung der Streikbewegungen an. Im Gegensatz zur kommunistischen Darstellungsweise können diese auch als viel allgemeinere und weniger politisch motivierte Aktionen betrachtet werden. Andere frühe Untersuchungen beschrieben die großen Streikwellen im April und Mai 1943 sowie die Geschichte der holländischen Eisenbahn und deren Rolle bei den Streiks von 1943 und 1944.31 Alle drei größeren Kirchen Hollands haben Veröffentlichungen über ihre Aktivitäten während des Krieges finanziell gefördert. Sie erschienen in den späten 40er Jahren und waren sehr darum bemüht, die Rolle jeder Konfession innerhalb der Widerstandsbewegungen zu betonen.32 Eine andere Form der Erinnerung wurde von einer der Widerstandsgruppen selbst initiiert. Die LO finanzierte eine zweibändige Geschichte ihrer Aktionen, „Het Grote Gebod“, die alle Bereiche der Organisation detailliert vorstellte sowie biographische Skizzen und Photos von Mitgliedern zeigte.33 Die erste verständliche, wenn auch sehr kurze Übersicht über alle verschiedene Arten des Widerstandes „Het Verzet 1940–1945“34 erschien erst 1985. Auch in dieser gründlichen Abhandlung des Themas ging es vorrangig um das Gedenken an die Widerständler. Dieser Trend verstärkte sich noch mehr in jüngeren wissenschaftlichen Studien. Beim Wechsel zu regionalen Untersuchungen lag der Schwerpunkt auf organisierten Gruppen, während Einzelpersonen oder weniger bekannte Randgruppen im Schatten standen. Manche Autoren bemühten sich um Vollständigkeit und hängten 29 30

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Onderdrukking en Verzet (wie Anm. 4), Bd. III, S. 497. De Jong, Het Koninkrijk, Bd. IV, S. 638–688; Bd. V, S. 755–898; Bd. VI, S. 87–215, S. 668– 764; Bd. VII, S. 665–1177. Adolf J. C. Rüter: Rijden en Staken. De Nederlandse Spoorwegen in Oorlogstijd. S´-Gravenhage 1960; Pieter J. Bouman: De April-Mei Stakingen van 1943. S´-Gravenhage 1950. Siehe auch Liesbeth van der Horst: April-Mei `43. De Stakingen als Keerpunt. Amsterdam 1998. Siegfried Stokman: Het Verzet van de Nederlandsche Bisschoppen tegen Nationaal-Socialisme en Duitsche Tyrannie. Utrecht 1945; Hendrik C. Touw: Het Verzet der Hervormde Kerk. S`Gravenhage 1946; siehe auch Johan M. Snoek: The Grey Book. Assen 1969. Für weitere Beispiele des Gedenkens siehe: Edouard de Nève: Glorieuzen. Enschede 1946. Hier wird die Behandlung Gefangener in holländischen Gefängnissen und deutschen KZs skizziert. Richter Roegholt und Jacob Zwaan: Het Verzet, 1940–1945. Weesp 1985.

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deshalb Listen aller Gruppen als Anhang an ihre Arbeiten.35 Diese Tendenz zeigt eine anhaltende Sympathie innerhalb jüngerer Autoren für das Forschungsgebiet „Widerstand“ und die Schuld der meisten Holländer gegenüber der Minderheit, die ihr Leben riskiert hatte, um anderen im Kampf gegen die Deutschen zu helfen. Obwohl de Jongs Einteilung des Verhaltens während der Okkupation in die Kategorien von „Gut“ oder „Böse“ schon länger zugunsten mehr abgestufter Beurteilungen erweitert wurde, scheint dies nur wenige Auswirkungen auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Widerstand in den Niederlanden gehabt zu haben.36 Die neuere Monographie „Verzet in Nederland“37 bietet einen nationalen Überblick über den organisierten Widerstand und behandelt die Beziehungen zwischen den verschiedenen Organisationen und jeweiligen Untergrundszeitungen. Es bezieht auch den historischen Hintergrund in die Darstellung ein. Gleichwohl beschränkt man sich in den Niederlanden auf die Beschreibung der verschiedenen Widerstandsgruppen,38 ohne sie in den sozialen und chronologischen Kontext einzuordnen. Es wurde auch kein ernsthafter Versuch unternommen, eine umfassende Sozialgeschichte des Landes während des Krieges zu schreiben. Dies erschwert jeden Versuch, den Widerstand, die deutsche Besatzung und den Nationalsozialismus direkt in einen Zusammenhang zu bringen. Als die deutschen Maßnahmen bürgerliche Freiheiten und den wirtschaftlichen Wohlstand einschränkten, spielten persönliche Umstände eine große Rolle bei der Bildung ziviler Opposition gegen die deutsche Herrschaft. Aber auch diese generellen Annahmen müssen regional und sozial differenziert betrachtet werden. Außerdem veränderten sich auch viele Einstellungen im Laufe des Krieges. Versuche, die psychologische Motivation der Widerstandskämpfer zu ermitteln, begannen schon kurz nach dem Kriegsende, wurden aber nur auf einige wenige Aktivisten bezogen.39 Nach wie vor ist es schwierig, einen Eindruck vom Bild der holländischen öffentlichen Meinung zu erhalten. Die deutschen „Stimmungsberichte“ sind dazu lediglich skizzenhaft und unvollständig. Aber es gibt noch einige wenige zeitgenössische Beobachtungen, wie sich die Holländer unter der Okkupation fühlten.40 In großem Maße hörte die Bevölkerung die Radiosendungen und verbreitet deren Inhalte. Die bloßen Zahlen41 und der Umfang der Auflagen illegaler Zeitungen deuten auf eine weite Verbreitung der Informationen und Nachrichten 35

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Coen Hilbrink: De Ondergrondse. Illegaliteit in Overijssel. ´S-Gravenhage 1998; ders.: De Illegalen. Illegaliteit in Twente en het aangrenzende Salland. ´S-Gravenhage 1989; Alfred P. M. Cammaert: Het verborgen front. Geschiedenis van de georganiseerde illegaliteit in de provincie Limburg tijdens de Tweede Wereldoorlog. Leeuwarden 1994. Blom, Crisis, Bezetting en Herstel, S. 102–121. ´In de ban van goed of fout? Wetenschappelijke geschiedschrijving over de bezettingstijd in Nederland.` Cornelis M. Schulten: „En verpletterd wordt het juk”. Verzet in Nederland 1940–1945. ´S-Gravenhage 1995. Die jüngste analytische Einschätzung des Widerstands kann gefunden werden bei Dick van Galen Last: The Netherlands. In: Resistance in Western Europe. Ed. by Bob Moore. Oxford 2000, S. 189–221. Arie de Froe: De psychologie van de verzetstrijder. In: Onderdrukking en Verzet (wie Anm. 4), Bd. III, S. 497–505. Jan M. Romein: The Spirit of the Dutch People During the Occupation. In: Annals of the American Academy of Political and Social Science 245 (May 1946), S. 169–180. Man geht von mehr als 1200 Ausgaben im letzten Kriegsjahr aus.

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hin. Neuerdings wurden Forschungen unternommen, um das Stimmungsbild der breiten Öffentlichkeit zu rekonstruieren, das abermals dem Schwarz-Weiß-Bild de Jongs widersprach.42 Neue Nachforschungen haben die alte Herangehensweise und Meinung geändert, dass der Widerstand ein integrativer Faktor für die Nachkriegsgesellschaft Hollands war, in dem er Menschen verschiedener politischer und konfessioneller Herkunft zusammenbrachte. Die Vereinigung der Widerstandsorganisationen in die NBS stützt zwar diese Annahme, regionale Untersuchungen haben aber ergeben, dass die örtliche Zusammenarbeit zu spät entstand und sehr begrenzt war.43 Die Gründung nationaler Widerstandsorganisationen war folglich die Ausnahme und breitete sich wenig aus. Meistens trugen die Erfahrungen der Widerstandsaktivität nicht dazu bei, den Charakter der holländischen Gesellschaft mit ihren vielfältigen sozialen Schichten und deren jeweiligen speziellen Überzeugungen, Strukturen und Haltungen zu ändern. Zum Kriegsende wurden einige der größeren Zeitungen zu ständigen Beweisen einer anhaltenden gespaltenen Loyalität und jede „zuil“ (Schicht) entwickelte für ihre eigenen Widerstandshelden besonderen Stolz. Umgekehrt hatten die Widerstandsorganisationen selbst keinen nachhaltigen Einfluss auf die holländische Nachkriegspolitik und -gesellschaft, da die Widerstandskämpfer beim Kriegsende an ihre alten Arbeitsplätze zurückkehrten und in ihren Gemeinschaften und „zuilen“ aufgingen. Eine Ausnahme dieser Regel stellten die Kommunisten dar, die in Folge des aufkommenden Kalten Krieges Ende der 40er Jahre von Widerstandskämpfern zu Staatsfeinden wurden.

Literaturhinweise Blom, Johannes C. H.: Die Niederlande im Zweiten Weltkrieg. In: Die Niederlande und Deutschland. Nachbarn in Europa. Hrsg. v. Joachim F. E. Bläsing u.a. Hannover 1992, S. 93–111 Ders.: Ausbeutung und Nazifizierung. Die NS-Besatzungspolitik in den Niederlanden und ihr historischer Stellenwert. In: Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzungszeit. Historische Erfahrung und Verarbeitung aus niederländischer und deutscher Sicht. Hrsg. v. Norbert Fasse, Johannes Houwink ten Cate, Horst Lademacher. Münster 2000, S. 149–162 Galen Last, Dick van: Die Niederlande und der Zweite Weltkrieg. In: Neue Forschungen zum Zweiten Weltkrieg. Literaturberichte und Bibliographien aus 67 Ländern. Hrsg. v. Jürgen Rohwer, Hildegard Müller. Koblenz 1990, S. 322–332 Graaff, Bob de: Widerstand und Kollaboration in den Niederlanden 1940–1945. In: Jahrbuch 2 (1991, erschienen 1992). Zentrum für Niederlande-Studien, Münster, S. 71–91 Hirschfeld, Gerhard: Fremdherrschaft und Kollaboration. Die Niederlande unter deutscher Besatzung 1940–1945. Stuttgart 1984 42

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Siehe z. B. Chris van der Heijden: Grijs Verleden. Nederland in de Tweede Wereldoorlog. Amsterdam 2001; Bart van der Boom: Den Haag in de Tweede Wereldoorlog. ´S-Gravenhage 1995. Coen Hilbrink: De Illegalen. Illegaliteit in Twente en het aangrenzende Salland, 1940–1945. ´SGravenhage 1989, S. 62; Van Galen Last, The Netherlands, S. 211 f.

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Meershoek, Guus: Der Widerstand in Amsterdam während der deutschen Besatzung. In: Repression und Kriegsverbrechen. Die Bekämpfung von Widerstands- und Partisanenbewegungen gegen die deutsche Besatzung in West- und Südeuropa. Beiträge zur Nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik 14 (1997), S. 13– 25 Nationalsozialistische Herrschaft und Besatzungszeit. Historische Erfahrung und Verarbeitung aus niederländischer und deutscher Sicht. Hrsg. v. Norbert Fasse, Johannes Houwink ten Cate, Horst Lademacher. Münster 2000 Romijn, Peter: Niederlande – „Synthese“, Säuberung und Integration. In: Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsordnung 1944–1948. Hrsg. v. Ulrich Herbert, Axel Schildt. Essen 1998, S. 207–224 Ders.: Kein Raum für Ambivalenzen: Der Chef der niederländischen inneren Verwaltung K. J. Frederiks. In: Karrieren im Nationalsozialismus. Funktionseliten zwischen Mitwirkung und Distanz. Hrsg. v. Gerhard Hirschfeld, Tobias Jersak. Frankfurt (Main) 2004, S. 147–171 Roon, Ger van: Widerstand in Westeuropa. In: Widerstand in Europa. Zeitgeschichtliche Erinnerungen und Studien. Hrsg. v. Michael Kißener, Harm-Hinrich Brandt, Wolfgang Altgang. Bühl/Baden 1995, S. 101–121 Salentiny, Fernand: Der Widerstand in den Niederlanden. In: Ders.: Die Geschichte des europäischen Widerstands gegen Hitler. Der Krieg im Schatten. Puchheim 1985, S. 214–222 Veld, Nanno in ’t: Die Wehrmacht und die Widerstandsbekämpfung in Westeuropa. In: Das organisierte Chaos. „Ämterdarwinismus“ und „Gesinnungsethik“: Determinanten nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft. Hrsg. v. Johannes Houwink ten Cate und Gerhard Otto. Berlin 1999, S. 279–302 Wever, Bruno de: Benelux-Staaten. Integration und Opposition. In: Anpassung, Kollaboration, Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation. Hrsg. v. Wolfgang Benz, Johannes Houwink ten Cate, Gerhard Otto. Berlin 1996, S. 69–117 Zee, Nanda van der: „Um schlimmeres zu verhindern...“ Die Ermordung der niederländischen Juden: Kollaboration und Widerstand. München 1999

Belgien: Der Widerstand gegen die NS-Okkupation 1940–19451 Benoît Majerus Als das neutrale Belgien im Mai 1940 von der deutschen Wehrmacht angegriffen wurde, wurde die anschließende Besatzungszeit durch die Brille der Erfahrungen des „Grande Guerre“ von 1914–1918 gesehen und verstanden. Während des Ersten Weltkrieges war der größte Teil Belgiens ebenfalls von deutschen Truppen besetzt worden und das Land hatte während vier Jahren unter einem teilweise sehr harten Besatzungsregime gelebt. Zwischen 1914 und 1918 hatten sich geheime Bewegungen gegründet, die einerseits das Monopol der zensierten Presse durchbrachen, indem sie Flugblätter, Zeitungen etc. verteilten, und andererseits aktiv Spionage betrieben sowie junge Belgier über die holländische Grenze schmuggelten, damit diese in die noch an der Yser weiterkämpfende belgische Armee eintreten konnten. Nach dem Versailler Friedensschluss wurde die während des Krieges entstandene Soziabilität in zahlreichen Verbänden und Gruppierungen fortgesetzt und am Leben gehalten. Insgesamt wurde der Erste Weltkrieg zu einem wichtigen Grundelement der belgischen „Meistererzählung“, in der der Widerstand gegen die deutsche Besatzung eine wichtige Rolle spielte. In zahlreichen Erinnerungszeremonien, Festschriften und zu anderen Anlässen hielt man die aus der Kriegserfahrung genährten Epen hoch. Ohne die oft beschworene Formel des Ersten Weltkrieges als Matrix für das 20. Jahrhundert überstrapazieren zu wollen, so ist doch diese erste Besatzungserfahrung für das Verständnis des belgischen Widerstandes 25 Jahre später von entscheidender Bedeutung. Allerdings gab es regionale Unterschiede in dem Wirken dieser Geschichtsschreibung. Während sie im französischsprachigen Raum kaum auf Widerspruch stieß, wurde sie in Flandern teilweise verworfen. Die angeblich übertriebene Härte gegen flämische Kollaborateure aus dem Ersten Weltkrieg, die so genannten Aktivisten, führte zu einer ambivalenteren Deutung der „Grande Guerre“ und zu einer weniger verbreiteten Deutschfeindlichkeit im niederländischsprachigen Raum Belgiens.

Belgien im Krieg Wie in den meisten europäischen Ländern war auch in Belgien der erste Besatzungssommer 1940 durch eine gewisse Apathie gekennzeichnet. Nachdem König Leopold III. als Oberbefehlshaber der belgischen Streitkräfte am 28. Mai 1940 kapituliert hatte, wurde das Land zusammen mit zwei Départements Nordfrankreichs bis Juli 1944 unter General Alexander Freiherr v. Falkenhausen unter deutsche Militärverwaltung gestellt; erst im Juli 1944 setzte Hitler Gauleiter Josef Grohé als Reichskommissar einer Zivilverwaltung für Belgien ein.2 1 2

Ich möchte mich bei Martin Uhrmacher für die Kommentare zu diesem Text bedanken. Vgl. Wilfried Wagner: Belgien in der deutschen Politik während des Zweiten Weltkrieges. Boppard 1974; Hans Umbreit: Auf dem Weg zur deutschen Kontinentalherrschaft. In: Das Deutsche

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Widerstand im besetzten Nord- und Westeuropa

Die ungeheure Schnelligkeit mit der die Wehrmacht sich in Westeuropa durchgesetzt hatte, trug zu einer gewissen Lähmung in Belgien bei. Durch den Hitler-StalinPakt vom August 1939 befanden sich die Kommunisten, die in der Zwischenkriegszeit den anti-faschistischen Kampf entscheidend mitgetragen hatten, in „Wartestellung“. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass anglophile und national-patriotisch, oft stark vom Ersten Weltkrieg geprägte, Gruppierungen zu ersten Widerstandshandlungen aufriefen. Dabei konnten sowohl alte Netzwerke neu belebt werden, wie auch auf alte Denkmuster und oppositionelle Praktiken zurückgegriffen werden. Zwei Beispiele können dies illustrieren: Sechs im Untergrund herausgegebene Blätter orientierten sich im Jahre 1940 mit ihrem Namen „La Libre Belgique“ an der berühmtesten Untergrundzeitung zur Zeit des „Grande Guerre“. Und die erste große Massenkundgebung gegen die deutsche Besatzung fand in Brüssel am 11. November statt, an dem seit 1922 alljährlich an den Waffenstillstand von 1918 gedacht wurde. An diesem Tag versammelten sich mehrere Tausend Brüsseler an Denkmäler, die dem Ersten Weltkrieg gewidmet waren, und demonstrierten ihren Unmut über die Besetzung. Die zu diesem Zeitpunkt entstehenden Widerstandsbewegungen nutzten ganz bewusst die Erinnerung an die vorherige Besatzungszeit, um die Bevölkerung zu mobilisieren. Die propagandistischen Anstrengungen um diesen 11. November 1940 trugen auch zu einer wichtigen Mobilisierung des sich langsam verbreiteten Unmutes in konkretere, nach außen hin wirkende und sichtbare Formen bei. Insgesamt spielten am Anfang symbolische, meistens nicht physisch gewalttätige Formen eine wichtige Rolle im Übergang vom passiven Dissens zur aktiven Opposition. Dem Druck illegaler Zeitungen kam dabei eine wichtige Funktion zu. Einerseits war es eine aufwertende Tätigkeit, da sie eine tägliche Infragestellung des totalen Herrschaftsanspruches der deutschen Besatzer war, die – negativ – über die Zensur und – positiv -durch die Propaganda eine einheitliche Informationspolitik und politische Bewertung durchzusetzen suchten. Andererseits erlaubte sie ein Engagement in Abstufungen des Gefährdungspotentials – vom Drucken der Zeitungen bis zum Verteilen einiger Exemplare im Bekanntenkreis. Diese Aktionen ermöglichten es auch, ideologische oder soziale Vorkriegsnetze zu mobilisieren oder einfach weiterzuführen: die meisten gesellschaftspolitischen Strömungen und sozialen Gruppen besaßen während der Besatzung ihr Organ. Besonders die „Front de l’Indépendance“ besaß ein sehr differenziertes und zielgerichtetes Angebot. Darum ist die hohe Zahl von Publikationen auch nicht weiter verwunderlich: Über 670 Zeitungen erschienen während des Krieges. Auch wenn diese Zahl aus verschiedenen Gründen (z. B. geringe Auflage, kurze Lebensdauer, unregelmäßiges Erscheinen, geringer Umfang) nicht überbewertet werden darf, so zeugt sie doch von einer erfolgreichen Durchsetzung eines zweiten, deutschfeindlichen Kommunikationsraumes. Das Herausgeben dieser Blätter gibt erste Hinweise auf die ZusammenReich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 5/1. Stuttgart 1988, S. 54 ff.; ders.: Die deutsche Herrschaft in den besetzten Gebieten 1942–1945: In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 5/ 2. Stuttgart 1999, S. 22 ff.; Albert de Jonghe: L’ètablissment d’une administration civile en Belgique et dans le Nord de la France. La discussion finale au quartier-general du Führer, le 12 juillet 1944. In: Cahiers d’histoire de la seconde guerre mondiale, 1970, S. 67–129.

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setzung des belgischen Widerstandes, auch wenn diese Tätigkeit natürlich spezifische Definitionsmerkmale besitzt. Erstens fällt auf, dass über 70 Prozent der Zeitungen in französischer Sprache erscheinen. Obschon die flämisch sprechende Bevölkerung Flanderns 1947 54,2 Prozent ausmacht, wurden nur 25,5 Prozent der geheimen Schriften in diesem Teil Belgiens herausgegeben. Zweitens wurden die erfolgreichsten Blätter vor allem durch Personen aus dem bürgerlich-patriotischen Milieu hergestellt. Drittens spielte der Erste Weltkrieg bei der Herstellung der Schriften eine große Rolle, da er sowohl Mythen als auch potentielle Interpretationsmuster vorgab. Ähnlich frühzeitig wie das illegale Zeitungswesen entwickelten sich auch die ersten Flucht- und Spionagenetze. Diese Verbindungen und Netzwerke zur Fluchthilfe entstanden relativ spontan, sei es durch erste politische Verfolgungen von Belgiern seitens der deutschen Polizei, sei es wegen abgeschossener englischer, später auch anderer alliierter Flugzeuge und deren überlebender Besatzungen. Die ersten Spionagenetze entstanden oft aus Gruppen, die bereits im Ersten Weltkrieg existiert hatten. Allerdings dauerte es mehrere Monate, bis die gesammelten Informationen auch nach London gelangten. Die Rivalitäten, die zwischen der belgischen Exilregierung und den britischen Verantwortlichen sowie innerhalb der britischen Behörden zwischen Secret Intelligence Service, Military Intelligence, Special Operations Executive und Political Warfare Executive herrschten, erschwerten eine einheitliche Arbeit und Professionalisierung dieser Netzwerke zusätzlich. Im Laufe des Krieges verfügte die belgische Regierung dann jedoch über ein ziemlich präzises Bild über die Situation im besetzten Belgien, die es ihr auch erlaubte, entsprechend auf Veränderungen über ihr Radioprogramm auf der BBC zu reagieren. Ähnlich wie die illegale Presse wurden auch Flucht- und Spionagenetze hauptsächlich vom französischsprachigen Bürgertum und Kleinbürgertum getragen. Bis Mitte 1941 blieben diese Gruppen jedoch meistens isoliert und auch in den Mitgliederzahlen begrenzt. Mit dem Eintritt der Sowjetunion in den Krieg gegen Deutschland änderte sich die Situation schlagartig. Nun gab es mit der kommunistischen Partei eine gesellschaftliche Gruppe mit einem institutionellen und an die teilweise Illegalität gewöhnten Apparat sowie einem ideologischen Grundkonzept, eine Partei, die unmissverständlich und mit allen ihren verfügbaren Ressourcen gegen die Besatzungsmacht auftrat. Um ihrem Wirkungskreis zu erweitern, stellte die Kommunistische Partei Belgiens (KPB) ihren Widerstand in einen breiteren nationalen Rahmen, und wandelte vom „rouge au tricolore“ (Gotovitch). Mit der im Herbst 1941 gegründeten „Front de l’Indépendance“ (FI) bemühte man sich, den Einfluss der Partei nach rechts zu erweitern, über die Sozialisten hinaus bis zu den Liberalen und den Christdemokraten. Diese Öffnung, die teilweise gelang, erwies sich nach 1942 als Handicap für die KPB, da sie nach mehreren Erfolgen der deutschen Polizei nicht mehr über genügend Kadermitglieder verfügte, um die Kontrolle über den FI zu sichern. Der Erfolg der FI lag sicherlich in seiner breiten Auffächerung, mit der sehr unterschiedliche Gruppen angesprochen werden konnten. Mit den „Partisans Armés“ verfügte sie auch über ein Sammelbecken von Personen, die für gewalttätigere Aktionen bereit waren (Sabotage, politische Anschläge und Morde). Die „Comités de Lutte Syndicale“ erlaubten es zudem der KPB, auch erfolgreich in den Industrieregionen zu agieren.

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Im zweiten Kriegsjahr entwickelte sich neben der FI eine zweite größere Widerstandsbewegung: die „Belgische Legion“. Ihre Wurzeln reichten in rechtskonservative Kreise der 30er Jahre hinein. Im Sommer 1940 sammelten sich diese Kräfte um König Leopold III. in der Hoffnung, dass es zu einer von Hitler geduldeten „belgischen Vichy-Regierung“ (Pieter Lagrou) kommen würde. Zu diesem Zeitpunkt war die Haltung gegenüber dem Besatzer noch nicht direkt feindlich. Mit dem Fortbestand von Großbritannien und einem langsam sich wandelnden allgemeinen Stimmungsbild gegenüber den deutschen Besatzern entwickelte die „Belgische Legion“ immer mehr eine oppositionelle Haltung, die schließlich auch mit einem Namenswechsel in „Geheime Armee“ einherging. Trotz dieser sich langsam anbahnenden Konzentrierung gab es 1942 noch ungefähr 100 Bewegungen, die vor allem in den Städten und den großen, im Süden des Landes gelegenen Industriezonen entstanden. Bis zum Ende des Krieges blieb der Widerstand ein sehr heterogenes Phänomen. Dies erklärte sich einerseits aus den praktischen Gegebenheiten der Besatzung, die größere öffentliche Zusammenschlüsse nicht ermöglichten, andererseits aber auch aus der sozio-politischen Zusammensetzung dieser Netzwerke, die das ganze politische Spektrum der Zwischenkriegsund Kriegszeit abdeckten. Mit den sich immer häufiger abzeichnenden Verlusten der deutschen Wehrmacht und mit der Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht in Belgien im Herbst 1942, beschleunigte sich der Prozess der Ausweitung von Opposition und Widerstand gegen die Besatzer; diese Dynamik hielt bis zum Ende des Krieges an. Die Streiks häuften sich immer mehr. Ganz praktische Gründe, wie die Unterbringung und Verpflegung der Arbeitsdienstverweigerer, erforderten den Aufbau einer sehr breiten im Untergrund funktionierenden Struktur. Bislang eher abseits stehende Milieus, vor allem von katholischer Seite, stellten nun ihre personellen und materiellen Kapazitäten dem Widerstand zur Verfügung. So gelang es zum Beispiel der „Aide aux Travailleurs réfractaires“ (Hilfe für Arbeitsverweigerer), ein weit verzweigtes und gut organisiertes Netz aufzubauen. Sicherlich spielten dabei auch moralische und soziale Kontrollmechanismen eine wichtige Rolle; sie wurden jedoch von einem patriotischen Mantel überlagert. In diesem Zusammenhang ist zu konstatieren, dass sich trotz dieser Ausweitung der oppositionellen Kräfte keine anderen politischen, sozialen oder religiösen Bewegungen – mit Ausnahme der KPB – konsequent und nahezu vollständig im Widerstand engagierten. Der Widerstand blieb in der Praxis beschränkt auf marginalisierte Gruppen (Trotzkisten, Juden) oder Einzelpersonen, die sich zusammenschlossen, zum Teil außerhalb der politischen Bewegungen in der Vorkriegszeit. Diese Beobachtung und Feststellung ist für die Nachkriegsbewertung des Widerstandes von erheblicher Bedeutung. Die vorher schon angedeuteten Differenzen bei der Beteiligung der französischund flämischsprachigen Bevölkerungsgruppen am Widerstand sind auch aus anderen Indizien herauszulesen. So sind die Flamen unter den von der deutschen Polizei verhafteten Widerstandskämpfern zahlenmäßig unterrepräsentiert. Ähnlich verhält es sich auch bei den Spionagenetzwerken, wie aus den Untersuchungen von Emmanuel Debruyne hervorgeht.3 Als Erklärungshypothesen werden sowohl die unterschiedliche 3

Emmanuel Debruyne: C’est Tégal. Brüssel 2004.

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Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg, die Stärke von faschistoiden flämischen Bewegungen und die Verbreitung des Antifaschismus im industriellen Süden in der Zwischenkriegszeit sowie die flamenfreundliche Politik der deutschen Besatzer hervorgehoben. Trotzdem bleibt diese Frage bis heute zwischen den Historikern der beiden Sprachgemeinschaften umstritten, da sie auch eng mit dem Selbstverständnis der beiden Gruppen verknüpft ist und politische Implikationen im heutigen Belgien hat.4 Wie in den meisten gesellschaftlich organisierten Bewegungen dominierten auch im belgischen Widerstand die Männer. Der Frauenanteil lag zwischen 10 und 20 Prozent. Die meisten von ihnen waren jung und noch nicht verheiratet. Sie waren vor allem in der Verpflegung der Untergetauchten und beim Kurierdienst tätig. Inwieweit diese Widerstandstätigkeiten zu einer breiteren Emanzipation beigetragen haben, bleibt umstritten. Auch wenn ihre Aufgaben geschlechtsspezifisch waren, kam es während des Krieges zu einer Aufweichung verschiedener Normen.5 Je näher das Kriegsende rückte, desto härter suchte die deutsche Besatzungsmacht, ihre Herrschaft über das Land mit drakonischen Maßnahmen und Geiselserschießungen aufrechtzuhalten. Auch die Auseinandersetzungen zwischen Besatzern, Widerstandsbewegungen und Kollaborateuren wurden gewalttätiger. Die letztgenannten waren durch die Sprachgrenze geteilt. Im frankophonen Teil Belgiens kam der rechtsextremen Vorkriegsbewegung „Rex“ unter Léon Degrelle die bedeutendste Rolle zu.6 Allerdings blieb die Zahl der Rexisten und ihr Einfluss relativ beschränkt. „Rex“ blieb gesellschaftlich unbedeutend. In Flandern gab es mehrere Kollaborationsbewegungen. Die größte unter ihnen, der Vlaamsch Nationaal Verbond (VNV) unter Staff de Clerq, Hendrik Elias und Gérard Romsée,7 gelang es teilweise, sich gegenüber der Bevölkerung als glaubhafte Alternative zu dem politischen belgischen Establishment der Zwischenkriegszeit darzustellen. In beiden Landesteilen konnten Kollaborateure jedoch nicht auf eine breite Zustimmung der Bevölkerung setzen und auch die deutschen Besatzer gab ihnen keinen unbeschränkten Zugang zu den Schalthebeln der politischen und wirtschaftlichen Macht in Belgien. Nachdem Ende 1941/Anfang 1942 mehrere Anschläge und Attentate – hauptsächlich durch Partisanen – auf deutsche Wehr4

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Siehe die Besprechung von Jan Laplasse und Karolien Steen in: Cahier d’Histoire du Temps Présent, S. 261–264, über den Artikel von Fabrice Maerten in: Les courants politiques et la Résistance: continuités ou ruptures? Luxemburg 2003. Nach Fabrice Maerten: La résistance, facteur d’émancipation des femmes? Le cas du Hainaut. In: Cahiers d’Histoire du Temps Présent 4 (1998), S. 173–206, ist die Nachkriegszeit größtenteils durch eine Rückkehr zu den Geschlechterrollen der Zwischenkriegszeit gekennzeichnet. Allerdings wurden bislang spezifische Elemente einer maskulinen Identität im belgischen Widerstand noch nicht näher thematisiert. So wurden zum Beispiel die in zahlreichen Organisationen existierenden Eintrittsriten nur in einem religiösen Rahmen analysiert. Inwieweit dabei Elemente einer maskulines „master narrative“ benutzt wurden, bleibt bislang in der belgischen Historiographie unbeachtet. Benannt nach dem Löwener Verlagshaus „Rex“, das für eine jungkatholische Erneuerungsbewegung warb. Zur Bewertung als faschistische Gruppe siehe Ernst Nolte: Die faschistischen Bewegungen. München 3. Aufl. 1971, S. 244 ff.; zu Degrelle siehe Martin Conway: Degrelle. Les années de collaboration, Ottignies 1994. Vgl. Bruno De Wever: Greep naar de macht. Vlaams-nationalisme en Nieuwe Orde. Het VNV 1933–1945.

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machtsangehörige in Lüttich und Brüssel, wobei sechs Soldaten getötet wurden, zu einer blutigen Repressionswelle deutscherseits auszuarten drohten, verlagerten die Widerstandsbewegungen ihre gewalttätigen Tätigkeiten gegen die Kollaborateure. Diese reagierten mit der Aufstellung eigener Milizen. In einer Spirale von Gewalt kam es in einigen Gegenden am Ende des Krieges zu einem sehr gewalttätigen Klima, das jedoch nur im Limburg in bürgerkriegsähnliche Zustände ausartete. In den letzten drei Monaten der Besatzung, Juni bis August 1944, wurden fast 40 Prozent aller während des Krieges verübten Anschläge ausgeführt. Die Gewalterfahrung des Widerstandes und der Kollaboration war jedoch regional unterschiedlich. Die Opferzahlen für Mord und Totschlag sind dafür sehr aussagekräftig: Am stärksten betroffen waren die industrialisierten Gegenden im Hainaut, wo es Traditionen von gewalttätigen Auseinandersetzung aus der Vorkriegszeit gab, und die ländlich geprägten Gebiete im Süden des Landes. Die Ardennen waren Zufluchtsorte für die zahlreich untergetauchten Männer, die der Zwangsarbeit in Deutschland entgehen wollten. Der Norden des Landes, besonders die beiden Provinzen Oostvlaanderen und Westvlaanderen, zeigte einen Anstieg der Opferzahlen, doch diese blieben insgesamt begrenzt. Auch wenn die deutschen Polizei- und Sicherheitsorgane (Sipo-SD, Feldgendarmerie und Geheime Feldpolizei) nur über eine begrenzte Anzahl von Mitarbeitern verfügten, gelang es ihnen doch sehr häufig, die Widerstandsgruppen aufzuspüren und zu zerschlagen. Die ständige Angsterfahrung der besetzten Bevölkerung vor der deutschen Gestapo gehört sicherlich zu einem bis heute zu wenig beleuchteten Thema der Widerstandshistoriographie. Fabrice Maerten zufolge kam jeder vierte Widerstandskämpfer in Berührung mit den deutschen Repressionsorganen und jeder zehnte bezahlte seinen Einsatz mit dem Leben.8 Über die Hälfte der Verhaftungen fanden im letzten Kriegsjahr statt – eine Zahl, die auf ein sich gegenseitig verstärkendes Phänomen hinweist: Einerseits kam es zu einem anwachsenden Widerstand und andererseits resultierte daraus ein immer härteres Durchgreifen der deutschen Polizei. Angehörige der Arbeiterschaft wurden, bedingt durch die Formen ihres Widerstandes, von den härtesten Maßnahmen der Besatzungsorgane getroffen. Im Gegensatz zu Frankreich konnten sich die deutschen Behörden in Belgien allerdings kaum auf die Mitarbeit der einheimischen staatlichen Repressionsapparate bei der Bekämpfung des Widerstandes stützen.

Die Nachkriegszeit Mit dem herannahenden Ende des Krieges stellte sich die Frage der gesellschaftspolitischen Stellung des Widerstandes im Nachkriegsbelgien. Die Vorstellungen der Exilregierung in London und der Widerstandskämpfer klafften sehr weit auseinander. Auf beiden Seiten herrschte Misstrauen. Der Widerstand hatte gehofft, eine wichtige politische Rolle bei der Befreiung des Landes zu spielen und so eine noch breitere Legitimation für sein Einbinden in das Nachkriegsleben zu schaffen. Das relativ rasche Vordringen 8

Vgl. Fabrice Maerten: Les courants idéologiques et la Résistance belge – Une adhésion limitée. In: Les courants politiques et la Résistance: Continuités ou ruptures? Luxemburg 2003, S. 302– 334.

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der alliierten Armeen – Ende August musste die deutsche Besatzungsverwaltung abziehen – enttäuschte diese Erwartung jedoch, denn der einheimische Widerstand hatte im Sommer 1944 nur einen geringen Anteil an der Befreiung des Landes. Die belgische Exilregierung, die ihrerseits mit einem Legitimationsproblem zu kämpfen hatte, begegnete dem bewaffneten Widerstand mit Misstrauen. Illustrierendes Beispiel war dabei der relativ rasch erfolgte Befehl im November 1944 zur totalen Entwaffnung der Widerstandsbewegungen. Auch wenn es nie zu dem von Churchill im November in einer Rede des House of Commons proklamierten coup d’état gekommen war, so zeigte doch diese Maßnahme die großen Differenzen zwischen Regierung und Widerstand und führte zu einer weiteren Polarisierung. Selbstverständlich schmückten sich nach 1945 die meisten Parteien mit Widerstandskämpfern und besonders die Kommunistische Partei konnte bei den ersten Wahlen von ihrer im Krieg gespielten Rolle profitieren. Der Versuch eine neue, aus dem Widerstand hervorgegangene Partei, die „Union Démocratique Belge“, aufzubauen, scheiterte jedoch kläglich9 und illustrierte den schnellen Untergang des Widerstandes als politische Kraft. Letztlich blieb die Widerstandsbewegung ein marginales Phänomen in der belgischen Gesellschaft. In einer Massendemokratie konnte sie sich nicht durchsetzen. Die question royale10 führte zu einer weiteren Spaltung, die durch den gewalttätigen Ton der Auseinandersetzung unüberbrückbare Gegensätze schuf. Während der Zeit des Kalten Krieges wurde schließlich die Kommunistische Partei, eine Hauptträgerin des Widerstandes, aus dem politischem Leben gedrängt. Anfang der 50er Jahre waren die Widerstandskämpfer als politische Bewegung nicht mehr relevant. Dies heißt jedoch nicht, dass sie jeden Einfluss verloren hatten und nicht weiter als abstrakte Metapher in unzählbaren Diskursen auftauchten. Mit ihren zahlreichen Vereinigungen stellten sie noch bis in die 70er Jahre einen wichtigen Machtfaktor innerhalb des Landes dar. Mit ihren vielen Zeitschriften, Gedenkfeiern u. a. bestimmten sie nicht selten Form und Inhalt der Kriegserinnerung. Und bis heute nehmen sie auch noch immer zu erinnerungspolitischen Themen Stellung, auch wenn ihr Gewicht dabei doch eher gering ist. Der Widerstand spielte sowohl innen- als auch außenpolitisch eine große Rolle in der Selbstdarstellung Belgiens. Dabei standen nicht so sehr konkrete Figuren oder Handlungen im Vordergrund, sondern vielmehr ein diffuses Bild von einem im Widerstand gegen den Nationalsozialismus vereinigten Belgien. Die Kontinuität zum Ersten Weltkrieg erlaubte die Konstruktion einer einheitlichen Darstellung Belgiens im Kampf gegen die Fremdherrschaft, ein Topos, der in der belgischen Historiographie auch sehr lange das Bild der Neuzeit charakterisiert. Wie Marnix Beyen überzeugend

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Die Partei erlangte bei den ersten freien Wahlen nur wenige Prozente Stimmenanteile und löste sich dann 1946 auf. Die Haltung König Leopolds III. während der Besatzungszeit polarisierte und spaltete die belgische Gesellschaft nach 1945. Auch wenn sich die Bevölkerung in einem Referendum 1950 mehrheitlich für die Rückkehr von Leopold auf den Thron aussprach, musste dieser nach heftigen Unruhen im Süden des Landes letztlich auf die Krone verzichten.

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argumentiert hat, war diese Erinnerung eher antifaschistisch als nationalistisch geprägt, selbst wenn dieses Bild nicht den Realitäten während des Krieges entsprach.11 Während sich im französischsprachigen Teil Belgiens ein verklärtes Bild des Widerstandes durchsetzte, das nicht den Kriegsrealitäten entsprach und das dann auch zu keiner konkreten Auseinandersetzung mit der Geschichte führte12, wurde eine derartige Darstellung von der flämischsprachigen Bevölkerung teilweise nicht geteilt. Dort kam es einerseits zu einer raschen Rehabilitierung gewisser Kollaborationseliten und andererseits setzte sich ein ambivalentes Bild des Widerstandes durch. Besonders im katholisch-konservativen Milieu wurde der Widerstand als flamenfeindlich angesehen. Immer wieder wurde er mit halbkriminellen Praktiken gleichgesetzt; er hätte durch die unzähligen Anschläge und die darauf folgenden Repressionsmaßnahmen unnötiges Blut vergossen, wie z. B. Karel Van Isacker in „Mijn Land in de Kering“ schreibt.13 In der unitaristischen belgischen Geschichtsschreibung bleiben der Zweite Weltkrieg und der damit verknüpfte Widerstand noch immer sehr bedeutsam. Dies war erneut bei den Gedenkfeiern und –veranstaltungen seit 1990 zu beobachten. Ähnlich wie in den Niederlanden oder Frankreich wurde auch in Belgien nach dem Krieg eine Kommission zur Geschichte des Widerstandes gegründet; allerdings entwickelte sich daraus kein funktionnierendes historisches Institut. An den belgischen Universitäten blieb die Zeitgeschichte lange Zeit unbeachtet. Die 1951 in Amerika verfasste Arbeit über den belgischen Widerstand von George K. Tanham erschien erst 1977 in einer französischer Übersetzung und wurde bis zu diesem Zeitpunkt kaum rezipiert.14 Erst im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den früheren SS-Mann Robert Verbeelen in Wien in den sechziger Jahren kam es 1967 zur Gründung des „Centre de Recherches et d’Etudes historiques de la Seconde Guerre mondiale“ als historisches Forschungsinstitut zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges.15 Obwohl das 1971 erschienene Buch „L’an 40“ von Jules Gérard-Libois und José Gotovitch16 nicht speziell dem Widerstand gewidmet war und nur das erste Kriegsjahr behandelte, stellte es doch eine Wende für eine stärker reflektierende Auseinandersetzung mit den Kriegsjahren dar. Besonders die Anfang der 80er Jahren von der flämischsprachigen öffentlichen Fernsehanstalt ausgestrahlte Dokumentation von Maurice De Wilde über den Krieg vermittelte danach die neuesten Forschungsresultate einem größerem Publikum. Nach dem Erfolg dieser Serie wurde auch im französischsprachigen Fernsehen (RTBF) mit den „Jours de guerre“ Anfang der neunziger Jahre ein ähnliches Programm ausgestrahlt. 11

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Marnix Beyen: Belgien – Der Kampf um das Leid. In: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Hrsg. v. Monika Flacke. Bd. 1, Mainz 2004, S. 67–94. Beispiele für eine solche verklärende Sichtweise im wallonischen Teil Belgiens finden sich in der Encyclopédie du Mouvement Wallon (Charleroi 2000), die das Thema der Kollaboration als, in einer a-historischen Betrachtungsweise, unvereinbar mit der wallonischen Bewegung ansieht, dem Widerstand jedoch einen breiten Raum einräumt. Karel Van Isacker: Mijn Land in de Kering. Antwerpen, 1978–1983. George K. Tanham: Contribution à l’histoire de la résistance belge, 1940–1944. Brüssel 1977. 1997 wurde der Forschungsbereich auf das kurze 20. Jahrhundert ausgeweitet. Seitdem trägt das Institut einen neuen Namen: Centre d’Etudes Guerres et Sociétés contemporaines. Jules Gérard-Libois und José Gotovitch: L’an 1940. La Belgique occupée. 5. Aufl. Brüssel 1971.

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Allerdings kam es erst in den neunziger Jahren zu einer breiteren Forschungsbasis. 1992 erschien die erste belgische Dissertation über den Widerstand – „Du rouge au tricolore“ von José Gotovitch17 – und sieben Jahre später folgte Fabrice Maerten mit einer sehr detaillierten Regionalstudie „Du murmure au grondement“.18 In einem größeren Projekt wird im Moment der Widerstand in Flandern näher untersucht. Vor kurzem hat Bruno de Wever die Entwicklung der Historiographie anhand der Anzahl der Magisterarbeiten, die an den belgischen Universitäten dem Widerstand gewidmet sind, illustriert19: Eine Magisterarbeit erschien in den 70er Jahren, acht in den 80er Jahren und 57 in den 90er Jahren. Davon waren 41 auf Französisch und 25 auf Niederländisch/Flämisch geschrieben. Dieses Anwachsen der wissenschaftlichen Literatur hat sicher zu einer Historisierung des belgischen Widerstands beigetragen, der in der belgischen Gesellschaft heute kaum noch durch Memoirenliteratur bestimmt wird. Sowohl in der Literatur als auch im Kino oder in der bande dessinée bleibt der Widerstand ein selten behandeltes Thema.

Literaturhinweise Bernard, Henri: La Résistance 1940–1945. Brüssel 1970 Marnix Beyen: Belgien – Der Kampf um das Leid. In: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Hrsg. v. Monika Flacke. Bd. 1, Mainz 2004, S. 67–94 Debruyne, Emmanuel: C’est Tégal. Brüssel 2004 De Schaepdrijver, Sophie: De Groote Oorlog. Het koninkrijk België tijdens de Eerste Wereldoorlog. Amsterdam 1997 de Wever, Bruno: Military collaboration in Belgium. In: Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Europa 1939–1945. Bd. 4. Hrsg. v. Wolfgang Benz u. a. Berlin 1998, S. 153–171 Ders.: Het Verzet in Publieke Herinnering in Vlaanderen. In: Tegendruk. Geheime Pers tijdens de Tweede Wereldoorlog. Antwerpen 2004, S. 17–32 Gotovitch, José: Du Rouge au Tricolore. Les communistes belges de 1939 à 1944. Un aspect de l’histoire de la Résistance en Belgique. Brüssel 1992 Ders.: Communistes et Résistants: les (en)jeux de dupes d’une libération. In: Jours de guerre – Jours de paix 22–24 (2001), S. 49–99 Ders. und Chantal Kesteloot: Collaboration, répression. Un passé qui résiste. Brüssel 2002 Laplasse, Jan und Karolien Steen: Het verzet gewogen. Een kwantitatieve analyse van politieke aanslagen en sabotage in België, 1940–1944. In : Cahiers d’Histoire du Temps Présent 15 (2005), S. 227–260 17

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19

José Gotovitch: Du Rouge au Tricolore. Les communistes belges de 1939 à 1944. Un aspect de l’histoire de la Résistance en Belgique. Brüssel 1992. Fabrice Maerten: Du murmure au grondement. La Résistance politique et idéologique dans la province de Hainaut pendant la Seconde guerre mondiale (mai 1940 – septembre 1944). Mons 1999. Bruno de Wever: Het Verzet in Publieke Herinnering in Vlaanderen. In: Tegendruk. Geheime Pers tijdens de Tweede Wereldoorlog. Antwerpen 2004, S. 17–32.

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La Résistance et les Européens du Nord. Actes du colloque tenu à Bruxelles du 23 à 25 novembre 1944. Brüssel 1995 Lagrou, Pieter: Mémoires patriotiques et occupation nazie. Brüssel 2003 Ders.: Belgium. In: Resistance in Western Europe. Ed. by Bob Moore. Oxford 2000, S. 27–63 Maerten, Fabrice: La résistance, facteur d’émancipation des femmes? Le cas du Hainaut.In: Cahiers d’Histoire du Temps Présent 4 (1998), S. 173–206 Ders.: Du murmure au grondement. La Résistance politique et idéologique dans la province de Hainaut pendant la Seconde guerre mondiale (mai 1940 – septembre 1944). Mons 1999 Ders.: Jeunesse et Résistance en Hainaut. Entre mythe et réalité. Le cas du Hainaut. In: Cahiers d’Histoire du Temps Présent 8 (2001), S. 257–305 Ders.: Les courants idéologiques et la Résistance belge – Une adhésion limitée.In: Les courants politiques et la Résistance: Continuités ou ruptures? Luxemburg 2003, S. 302–334 Meyers, Wim und Frans Selleslagh: De vijand te lijf. De Belgen in het verzet. Antwerpen 1984 Strubbe, Fernand: Geheime Oorlog 40/45. De inlichtings – en actiediensten in België. Tielt 1992 Tanham, George K.: Contribution à l’histoire de la résistance belge, 1940–1944. Brüssel 1977 Van Ypersele, Laurence und Emmanule Debruyne: De la guerre de l’ombre aux ombres de la guerre. Brüssel 2004 Van de Vijver, Herman und Rudi Van Doorslaer und Etienne Verhoeyen: Het Verzet. Kapellen 1988 Van den Wijngaert, Mark et al.: België tijdens de Tweede Wereldoorlog. Antwerpen 2004 Verhoeyen, Etienne: La Belgique occupée. De l’an 40 à la libération. Brüssel 1994 Ders. und Nico Wouters: Verzet. In: Nieuwe Encyclopedie van de Vlaamse Beweging. Tielt 1998, S. 3292–3297 Vrints, Antoon: Patronen van polarisatie. Homicide in België tijdens de Tweede Wereldoorlog. In: Cahiers d’Histoire du Temps Présent 15 (2005), S. 177–204 Willequet, Jacques: La Belgique sous la botte. Résistances et collaborations 1940– 1945. Paris 1986

Quellenhinweise Eine Analyse des belgischen Widerstandes stößt vor allem auf eine sehr stark aufgesplitterte Archivbewahrung. Seit seiner Gründung im Jahre 1967 ist der Widerstand eines der Forschungsthemen des „Centre d’Etudes et de Documentation Guerre et Sociétés Contemporaines“ (CEGES – www.cegesoma.be). Darüber hinaus besitzt das CEGES auch einige interessante Bestände. Das größte Konvolut davon sind die Akten Services de Renseignement et d’Action. Sie umfassen die Dossiers, die nach dem Krieg angefer-

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tigt wurden, um den Status eines „agent de renseignement“ zu erhalten. Ferner besitzt das CEGES auch sämtliche Berichte von einer der bedeutendsten Spionagegruppe, der Gruppe Luc-Marc. Viele Widerstandsvereinigungen haben dieser Institution in den letzten Jahren ihre Kriegs- und Nachkriegsarchive übergeben. In den zahlreichen deutschen Dokumenten (besonders der deutschen Besatzungsorgane), die das CEGES oft als Kopie besitzt, sind viele Informationen über den Widerstand zu finden. Schließlich ist der Bestand Lejeune zu nennen; er umfasst sowohl zahlreiche Dokumente über die Kriegszeit als auch über die Verarbeitung der Widerstandserfahrung in der Nachkriegszeit und eine große Anzahl „grauer“ Literatur und enthält außerdem die vollständige Sekundärliteratur zu diesem Thema sowie zahlreiche unveröffentlichte Doktor- und Magisterarbeiten, die in einem kleinen Land wie Belgien einen wichtigen Teil der Forschung ausmachen. Die zweite wichtige Anlaufstelle ist der „Service des Victimes“ in Brüssel. Es ist eine staatliche Verwaltung, die nach dem Krieg gegründet wurde, um die Anfragen von Kriegsopfern auf finanzielle Entschädigung zu bearbeiten. Dafür wurde eine umfangreiche Dokumentation über den deutschen Besatzungsapparat aufgebaut. Wichtigster Teilbestand sind umfagreiche Personendossiers. Zudem bewahrt der Services de Victimes auch die Anerkennungsdossiers für die illegale Presse und den zivilen Widerstand. Im „Musée de la Résistance“ in Brüssel befinden sich die Archive des „Front de l’Indépendance“ und den ihm nahe stehenden Organisationen („Partisans Armés“, „Milices Patriotiques“). Sie bieten einen detaillierten Einblick in das kommunistische Milieu. Im Archiv des „Ministère de la Défense“ in Evere sind die Anerkennungsdossiers der „Résistance armée“ aufbewahrt. Schließlich findet man in zahlreichen privaten Nachlässen des „Amsab-Instituut voor Sociale Geschiedenis“ (www.amsab.be) weitere Informationen über den politisch linksorientierten Widerstand. Auch die Bestände des Bundesarchiv-Militärarchivs in Freiburg enthalten viele Hinweise zum belgischen Widerstand unter deutscher Besatzung; über diese Quellen informiert das von Stefan Martens herausgegebene umfangreiche Findbuch.20

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Frankreich und Belgien unter deutscher Besatzung 1940–1944. Die Bestände des BundesarchivMilitärarchivs Freiburg. Hrsg. v. Stefan Martens, bearbeitet von Sebastian Remus. Stuttgart 2002.

Luxemburg: Widerstand während der deutschen Besatzungsherrschaft 1940–45 Paul Dostert In den frühen Morgenstunden des 10. Mai 1940 besetzten deutsche Truppen das neutrale und unbewaffnete Großherzogtum Luxemburg. Zum zweiten Mal innerhalb eines Vierteljahrhunderts wurde die auch von Deutschland garantierte Unabhängigkeit Luxemburgs verletzt. Aus den Erfahrungen, die die Luxemburger nach 1918 mit den westlichen Alliierten gemacht hatten,1 war die Regierung zum Schluss gelangt, sich anders als bei der Besetzung von 1914 zu verhalten. Regierung und Großherzogin Charlotte entwickelten konkrete Pläne für den Fall eines deutschen Überfalls auf Luxemburg. Es sollte vom ersten Augenblick an klar sein, auf welcher Seite das Land stand, trotz seiner Neutralität. Wie der belgische König Albert I. 1914 wollte man sich in den äußersten südwestlichen Zipfel des Landes zurückziehen, um später mit den Alliierten in ein wieder befreites Luxemburg zurückzukehren. Die schnell nach Westen vordringenden deutschen Truppen machten diese Planungen schon in den frühen Morgenstunden des 10. Mai zur Makulatur. Die Regierung ging nach Frankreich ins Exil, um in Paris die Befreiung des Landes abzuwarten. Als Frankreich kapitulierte, mussten diese Pläne erneut geändert werden.2 Der rapide Zusammenbruch des französischen Heeres bewirkte bei der in Luxemburg verbliebenen Bevölkerung eine herbe Enttäuschung. Diese Niedergeschlagenheit wurde noch vertieft durch das Gefühl, von den eigenen Politikern im Stich gelassen worden zu sein, da der Gang ins Exil als Flucht vor dem Krieg verstanden wurde. Mehr als 100.000 Einwohner aus dem Grenzgebiet im Vorfeld der Maginotlinie wurden zudem je etwa zur Hälfte nach Frankreich und in den Norden Luxemburgs evakuiert.3 Während die Bevölkerung, die in Luxemburg verblieben war, gegenüber der Besatzung im Allgemeinen „keine feindliche, aber eine reservierte Haltung“4 einnahm und 1

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Nachdem deutsche Truppen das neutrale Luxemburg 1914 besetzt hatten, hatte der deutsche Kaiser sich zum Tee bei Großherzogin Marie-Adelheid eingeladen, was die westlichen Alliierten 1918 als „deutschfreundliche“ Haltung der Großherzogin interpretierten und deshalb sogar die Unabhängigkeit Luxemburgs in Frage stellten. Vgl. dazu Auguste Collart: Sturm um Luxemburgs Thron 1907–1920. Luxemburg 1959; Gilbert Trausch: La stratégie du faible. Le Luxembourg pendant la première guerre mondiale (1914–1919). In: Le rôle et la place des petits pays en Europe au XXe siècle. Hrsg. v. Gilbert Trausch. Baden-Baden, Brüssel 2005, S. 45–176. Vgl. dazu Georges Heisbourg: Le gouvernement luxembourgeois en exil. 4 Bde. Luxemburg 1986–1991 hier bes. Bd. 1; Emile Haag, Emile Krier: La Grande-Duchesse et son gouvernement pendant la deuxième guerre mondiale. 1940, l’année du dilemme. Luxemburg 1987. Archives nationales Luxembourg (ANLux): Fonds STATEC: Divers 58: Recensement des évacués mai 1940. Ins Inland Evakuierte: 48.947; ins Ausland Evakuierte: 52.172. (Gesamtbevölkerung. 290.000). Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) Freiburg: RW 36/6: Abschlussbericht der Feldkommandantur 515 vom 31.7.1940.

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scheinbar die deutsche Autorität anerkannte, kam es dennoch vereinzelt zu kleineren Sabotageakten und handfesten Auseinandersetzungen mit Wehrmachtsoldaten. Im Laufe der Zeit wurden einige Luxemburger festgenommen und von Militärgerichten wegen Beschimpfung und „Beleidigung der deutschen Wehrmacht in Tateinheit mit einer persönlichen Beleidigung eines deutschen Offiziers“ verurteilt.5 So fragte sich der Feldkommandant in seinem Abschlussbericht vom 31. Juli 1940 nicht grundlos, „inwieweit unter der Oberfläche noch antideutsche Gefühle vorhanden“ seien.6 Während die von der Abgeordnetenkammer eingesetzte Verwaltungskommission7 aus Regierungsräten bemüht war, die täglichen Probleme in gutem Einvernehmen mit der deutschen Militärverwaltung8 zu lösen, blieb der Oppositionsgeist insbesondere in den Kreisen der Jugend, wie z. B. im Verband der katholischen Hochschulstudenten, lebendig.9 Manche Kreise, insbesondere um den Generalsekretär der Regierung, Albert Wehrer, und den Kammerpräsidenten, Emile Reuter, waren bemüht, den Wunsch der Bevölkerung, die Unabhängigkeit Luxemburgs zu erhalten, der Reichsregierung mitzuteilen.10 Auch mit der Einsetzung von NSDAP-Gauleiter Gustav Simon als „Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg“ (CdZ) Ende Juli 1940 änderte die Bevölkerung ihre Haltung nicht. Obschon Simon von sich behauptete, „mit den in Luxemburg bestehenden Problemen seit Jahren vertraut zu sein“11, nahm er die Existenz des Unabhängigkeitswillens der Luxemburger nicht zur Kenntnis. Für ihn war die Unabhängigkeit Luxemburgs nur ein „absurder Gedanke“; er wollte den Luxemburgern ihre Deutschstämmigkeit beweisen, so dann würde das „geschichtliche Zufallsprodukt“ Großherzogtum Luxemburg wie von selbst verschwinden. Nach Auftrag Hitlers sollte Luxemburg in „kürzester Zeit dem deutschen Volkstum wieder zurück gewonnen werden.“12 Für diese Aufgabe wurden dem CdZ zehn Jahre zugestanden; die völkerrechtliche Eingliederung ins Deutsche Reich sollte „aber erst an einem politisch günstigen Zeitpunkt erfolgen.“13 Die ersten Maßnahmen des Gauleiters liefen denn auch auf die Zerstörung der unabhängigen Existenz und die Einglie5 6 7

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Luxemburger Wort (LW), 3.6.1940. BA-MA Freiburg: RW 36/6: Abschlussbericht der Feldkommandantur 515 vom 31.7.1940. Paul Dostert: Luxemburg zwischen Selbstbehauptung und nationaler Selbstaufgabe. Diss. Freiburg/Br., Luxemburg 1985, S. 45 ff. Die Militärverwaltung kümmerte sich nur um wirtschaftliche und militärische Belange. Vgl. Georges Heisbourg: La dissolution de l'Association catholique des étudiants luxembourgeois (A.V.) par l'occupant en 1940. In: Hémecht 36 (1984), S. 11–49, hier: S. 21 f. Albert Wehrer: L’histoire du Luxembourg dans une Europe divisée, 963–1945. Notre politique étrangère d’une guerre mondiale à l’autre. In: Le Conseil d’Etat du Grand-Duché de Luxembourg. Luxemburg 1956, S. 195–239, hier S. 228. Text eines an Hitler adressierten Telegramms, das von allen namhaften Luxemburgern unterzeichnet werden sollte. Die Gestapo unterband schließlich die Sammlung der Unterschriften. ANLux: Fonds CdZ: RPA: Interview mit Gauleiter Simon [Oktober 1940]. Ebenda: Fonds CdZ: H. Org: Allgemeine Erlasse: Zweiter Erlass des Führers über die vorläufige Verwaltung in Luxemburg vom 18.10.1940. Ebenda: Fonds Crimes de guerre: Akte Siekmeier: Zeugenaussage von Dr. Hans Globke vom 20.12.1948.

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derung ins Deutsche Reich, sowie auf „Entwelschung“, Germanisierung und Nazifizierung aller Lebensbereiche hinaus. Erst als die Landesverwaltungskommission und die Gerichte, aber auch Beamte gegen Simons Sprachenverordnung,14 die das Deutsche als alleinige Amtssprache in Luxemburg einführte, protestierten, registrierte der Gauleiter, dass es erhebliche Hindernisse für eine schnelle Eingliederung ins Reich gab. Mitte August 1940 begannen Beamte, Studenten und Schüler am Rockaufschlag ihrer Jacken das Wappenabzeichen mit dem Roten Löwen, das schon 1939 zur Jahrhundertfeier der Unabhängigkeit Luxemburgs getragen worden war, demonstrativ wieder anzustecken. Dabei kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Mitgliedern der „Volksdeutschen Bewegung“ (VdB), die versuchten, die Abzeichen abzureißen. Die Gestapo griff ein und einige „Provokateure“15 wurden festgenommen, nach kurzer Haft aber wieder entlassen. Als Gauleiter Simon die Zerstörung aller Denkmäler befahl, die von der luxemburgischen Unabhängigkeit Zeugnis ablegten, kam es zur Kraftprobe zwischen protestierenden Luxemburgern und Schlägertrupps der VdB sowie der Gestapo. Dabei ging es um die „Gëlle Fra“, das Denkmal für die auf alliierter Seite gefallenen luxemburgischen Freiwilligen des Ersten Weltkrieges. Drei Tage dauerte der Protest, bis der Obelisk mit der goldenen Siegesgöttin am 23. Oktober 1940 stürzte. Obwohl die luxemburgischen Fahnen dem Hakenkreuz weichen mussten und an Stelle der Bilder der Großherzogin nun das Bild Hitlers prangte, blieben die Symbole der luxemburgischen Unabhängigkeit im privaten Bereich weiterhin hoch geachtet. Ab Herbst 1940 gab es kaum noch offenen Protest. Man hatte eingesehen, dass gegen das brutale Vorgehen der Gestapo kein freiheitlicher Protest etwas erreichen konnte. Als die politischen Parteien verboten, die Abgeordnetenkammer und der Staatsrat aufgelöst wurden16, ging niemand mehr auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Anfangs glaubte Simon noch, die Luxemburger durch einen massiven Eintritt in die VdB erfassen und zu einer plebiszitären Zustimmung zum “Heim ins Reich“ bringen zu können. Die Mitgliederzahlen schnellten aber erst in die Höhe, als durch eine perfid ausgeklügelte Formulierung die Beamten und Angestellten unter Druck gesetzt wurden, in die VdB einzutreten. Dazu konstatierte der deutsche Sicherheitsdienst kritisch: „90 Prozent aller eingeschriebenen Mitglieder gehören [der VdB] nur aus Gründen der Furcht oder des Nutznießertums an und können nicht als zuverlässig angesehen werden. [...] Man kann heute sagen, daß die Bewegung heute eine fast ebenso große Gefahr für eine normale Entwicklung in Luxemburg ist, als die deutschfeindlichen

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Verordnungsblatt für Luxemburg. Hrsg. v. Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg (VOBl.) 1940, S. 1: Verordnung über den Gebrauch der deutschen Sprache im Lande Luxemburg vom 6.8.1940. LW, 17./18.8.1940: Ruhe und Ordnung. VOBl. 1940, S. 3: Verordnung über die Auflösung der politischen Parteien in Luxemburg, S. 278: Verordnung über die Auflösung der Abgeordnetenkammer und des Staatsrates in Luxemburg.

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Kräfte.”17 Letztlich war auf diese Mitglieder kaum Verlass18 Deshalb ging Simon einen Schritt weiter und ließ ab Sommer 1941 Luxemburger in die NSDAP aufnehmen. Insgesamt kann man die Zahl derjenigen, die glaubten, in der Kollaboration den sozialen Aufstieg zu erreichen auf etwa 5000 schätzen. Die große Masse der Luxemburger stand aber abwartend abseits oder aktiv im Widerstand gegen die Besatzer und ihre Handlanger. Das geforderte massive “freiwillige Bekenntnis“ wurde nie abgelegt. Dies zeigte sich insbesondere immer dann, wenn Gauleiter Simon die Luxemburger zur “freiwilligen Meldung“ aufrief. So meldeten sich im Februar 1941 nur etwa 250 Freiwillige zum Reichsarbeitsdienst19 und schon im Mai des gleichen Jahres sah Simon sich genötigt, die Arbeitsdienstpflicht einzuführen.20 Danach begann die Flucht der betroffenen Jugendlichen ins Ausland. Wer das Land nicht verlassen wollte oder konnte, bemühte sich um eine Untauglichkeitsbescheinigung oder zumindest um eine zeitweilige Rückstellung. Zahlreiche junge Mädchen heirateten, um so dem Arbeitsdienst zu entgehen.21 Vielfach erwiesen sich die Luxemburger Beamten in den Verwaltungen, aber auch die Selbständigen (Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker) als richtungweisende Vertreter eines passiven Widerstandes. Da ihnen meist kein direkter Verstoß gegen eine deutsche Bestimmung nachgewiesen werden konnte, schuf Simon durch Verordnung die Möglichkeit, Beamte, Rechtsanwälte, Eisenbahner, Ärzte und Lehrer vom Dienst zu entheben, sie ins Reich zu verbringen und dort in untergeordneten Positionen zum Arbeitseinsatz zu zwingen, falls sie “nach dem von ihnen gezeigten Verhalten nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos in und außer dem Dienst die Pflichten, die durch die Errichtung einer deutschen Verwaltung und mit Rücksicht auf die deutschbewusste Haltung der Bevölkerung in Luxemburg begründet sind, vorbildlich erfüllen.”22 Eine recht geschlossene Front gegen die Besatzer bildete der luxemburgische Klerus. 58 Geistliche wurden verhaftet, 11 kamen in das KZ Hinzert, 16 in das KZ Dachau, zehn wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt und sieben zu Zuchthausstrafen. Wegen ihrer “frankophilen Einstellung“ wurden weitere 18 Geistliche 1941 ins unbesetzte Südfrankreich abtransportiert. Die Ausweisung des Bischofs von Luxemburg scheiterte allerdings am Einspruch von Botschafter Otto Abetz. Bei der Personenstandsaufnahme am 10. Oktober 1941 funktionierten die Luxemburger diese “Verwaltungsmaßnahme“ zum politischen Referendum um und beantworteten die drei Fragen nach der Muttersprache, der Staatsangehörigkeit und der Volks17 18 19

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ANLux: Fonds CdZ: SD/C16/Bl.30 f.: SD-Bericht vom 10.12.1940. Dostert, Selbstbehauptung, S. 235. Wer z.B. von der Schule verwiesen wurde oder sonst wie keinen Arbeitsplatz nachweisen konnte, wurde zur Freiwilligenmeldung gedrängt. VOBl. 1941, S. 232. Emile Krier: Die deutsche Volkstumspolitik in Luxemburg und ihre sozialen Folgen. In: Zweiter Weltkrieg und sozialer Wandel. Achsenmächte und besetzte Länder. Hrsg. v. Waclaw Dlugoborski. Göttingen 1981, S. 224–241. VOBl. 1941, S. 186: Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des Beamtenrechts. Bis 1944 wurden etwa 640 Luxemburger auf diese Weise entlassen und nach Deutschland zwangsverpflichtet.

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tumszugehörigkeit mit dreimal “lëtzeburgesch”.23 93–98 Prozent der Befragten nutzten die Gelegenheit, um ihren Willen zur Unabhängigkeit Luxemburgs zum Ausdruck zu bringen. Auch in den Flugblättern des Widerstandes wurde insbesondere Wert darauf gelegt, dass Luxemburgisch eine eigenständige Sprache und die Luxemburger ein eigenes Volk seien.24 Gleichwohl gab Gauleiter Simon seine Bemühungen nicht auf. Zugleich verschärfte er durch zahlreiche Verordnungen die Strafen gegen jeglichen Widerstand. Ab Anfang 1942 ließ Simon eine große Werbekampagne zum freiwilligen Eintritt in die Wehrmacht anlaufen. Obwohl sich hier ein scheinbarer zahlenmäßiger Erfolg abzuzeichnen schien (1500–2000 Meldungen)25, so reichten die freiwilligen Meldungen nicht aus. Schließlich musste Simon sich den Wünschen aus Berlin beugen und die allgemeine Wehrpflicht in Luxemburg einführen; die Zwangsrekrutierten erlangten die deutsche Staatsangehörigkeit beim Eintritt in die deutsche Wehrmacht.26 Diese von der Bevölkerung seit längerem befürchtete Maßnahme provozierte an den darauf folgenden Tagen eine Reihe von Streiks in zahlreichen Ortschaften.27 Geschäftsleute schlossen ihre Läden, Lehrer und Beamte weigerten sich, ihren Dienst anzutreten; in der Schwerindustrie verließen die Arbeiter ihren Arbeitsplatz, Bauern lieferten keine Milch ab. Die Aktionen zogen sich bis zum 2. August 1942 hin. Am 31. August schlug Gauleiter Simon auf Anweisung aus Berlin mit Terror zurück.28 Er ließ den Ausnahmezustand verhängen und setzte ein polizeiliches Standgericht ein. Dieses fällte in formlosem Verfahren 20 Todesurteile, die im Wald beim KZ Hinzert vollstreckt wurden. 125 Personen wurden der Gestapo überstellt und verschwanden in NSKonzentrationslagern im Reich.29

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Aloyse Raths: 3 X LETZEBURG. 30. anniversaire vum Referendum vum 10. Oktober 1941. In: Rappel, Revue de la L.P.P.D. [Ligue Luxembourgeoise des Prisonniers et Déportés politiques] 26 (1971), S. 297–352, Sonderheft. Gilbert Trausch: Le référendum du 10 octobre 1941 dans sa signification historique. In: LW, 10.10.1981. Für die Nationalsozialisten war Luxemburgisch nur ein deutscher Dialekt und die Luxemburger nur ein deutscher Stamm, der Teil des deutschen Volkes war. Mehrere Fälle deuten darauf hin, dass viele “Freiwilligen“ gar keine echten Freiwilligen waren. VOBl. 1942, S. 253 f.: Verordnung über die Wehrpflicht in Luxemburg vom 30.8.1942 und Anordnung über die Staatsangehörigkeit in Luxemburg vom 30.8.1942; Reichsgesetzblatt, 1942, Teil I, S. 533: Verordnung über die Staatsangehörigkeit im Elsaß, in Lothringen und in Luxemburg vom 23.8.1942. Die Verfügung zur Wehrpflicht war ein Bruch des Völkerrechts, das die zwangsweise Eingliederung in eine fremde Wehrmacht verbietet. Georges Gilbert Nonnenmacher: La grande honte de l’incorporation de force des Alsaciens-Lorrains, Eupenois-Malmédiens et Luxembourgeois dans l’armée allemande au cours de la deuxième guerre mondiale. Colmar 1966. Gilbert Trausch: La „grève générale“ du 31 août 1942 dans sa signification historique. In: LW, 28.8.1982. Paul Dostert: Der Generalstreik in Luxemburg aus der Sicht des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels. In: LW, 31.9.2002. André Hohengarten: Vom Halbmond zum Ziegenkopf. Die Geschichte der Luxemburger Häftlinge in Lublin, 1942–1945. Luxemburg 1991.

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Am 9. September 1942 verkündete Simon eine “Umsiedlungsaktion für Luxemburg“.30 Bis 1944 wurden daraufhin mindestens 1410 Familien mit ca. 4200 Personen nach dem Osten, dem Sudetengebiet und Oberschlesien, umgesiedelt. Eine Rückkehr war von vorneherein ausgeschlossen. Ab 1943 kamen zu den aus politischen Gründen umgesiedelten Familien nun in erster Linie die Familien, deren Söhne dem Gestellungsbefehl keine Folge leisteten oder die nicht mehr zu ihrem Truppenteil zurückgekehrt waren. Am 18. Oktober 1942 wurden die ersten 2200 jungen Luxemburger zur deutschen Wehrmacht zwangsrekrutiert. Als klar wurde, dass, von Ausnahmen abgesehen, die Luxemburger, wie übrigens auch die Elsässer und Lothringer, an der Ostfront zum Einsatz kommen würden, steigerte dies den Widerstandswillen zahlreicher Betroffener. Immer wieder fehlten Einberufene schon bei der Musterung oder bei der Abfahrt der Züge. Manche nutzten den Urlaub vor dem Fronteinsatz oder nach einem Aufenthalt im Lazarett um unterzutauchen. Anfangs fanden viele bei Bekannten und Verwandten Unterschlupf in Luxemburg selbst, doch schon bald erwies sich Luxemburg als zu klein, um die schließlich 3510 Deserteure sicher zu verstecken. Etwa 1000 junge Luxemburger konnten mit Hilfe der Widerstandsbewegungen in das besetzte Frankreich und Belgien gebracht werden und dort untertauchen. Viele traten in den französischen oder belgischen Maquis ein und kämpften dort gegen die Deutschen. Nachdem die Kripo kaum Erfolge bei der Bekämpfung dieser Desertionen31 aufweisen konnte, nahm die Gestapo die Angelegenheit in die Hand. Einem deutschen Sonderkommando gelang im März und Mai 1944, in der Auvergne etwa 60 untergetauchte junge Luxemburger festzunehmen. Gegen die Helfer der Verweigerer kam es zu einigen Gerichtsverfahren, die durchweg mit Todesurteilen endeten.32 Die festgenommenen Refraktäre und Deserteure wurden vor Kriegsgerichte gebracht und dort in aller Regel zum Tode verurteilt, dann aber oft begnadigt und in die Emslandlager verbracht. 91 von ihnen, die im November 1944 nach dem Zuchthaus Sonnenburg verlegt worden waren, wurden Ende Januar 1945 ermordet, als die Rote Armee sich der Oder näherte und das Zuchthaus geräumt werden musste. Nachweislich wurden 163 junge Luxemburger von Wehrmachtsgerichten verurteilt und erschossen. 584 kämpften in Frankreich, Belgien, Italien und der Sowjetunion im Untergrund als Maquisarden und Partisanen oder meldeten sich zu den alliierten Truppen in England33; 107 von ihnen sind im Kampf gefallen. Etwa ab Mitte August 1940 regte sich insbesondere unter Jugendlichen der Wunsch, den Widerstand im Land stärker zu organisieren. Erste Schritte erfolgten bei 30

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Der Begriff der “Umsiedlung“ wurde fälschlicherweise gebraucht. Dem NS-Jargon entsprechend handelte es sich um “Absiedlungen”. Die abgesiedelten Personen sollten im Reich zu guten Deutschen erzogen werden. Der Begriff der „Desertion“ wird hier beibehalten, obschon der völkerrechtswidrige Charakter der Wehrpflicht für die Luxemburger keine Verpflichtung Deutschland gegenüber schuf. Desertion und Wehrpflichtentzug stellen zwei Formen des Widerstandes gegen die deutsche Besatzungspolitik dar. Die deutschen Militärgerichte haben dies allerdings nicht so gesehen und luxemburgischen Deserteuren nur äußerst selten mildernde Umstände zugestanden. Dostert, Selbstbehauptung, S. 200. Jacques Dollar/Robert Kayser: Histoire de la „Luxembourg Battery“. Luxemburg 1982.

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den katholischen Pfadfindern34, die dabei auf alte Organisationsstrukturen zurückgreifen konnten. Im Herbst 1940 gründeten Studenten die „Lëtzeburger Patriote Liga“ (LPL)35 in Echternach und in Clerf sowie die „Lëtzeburger Légioun“ (LL).36 Ende Dezember 1940 entstand in der kleinen Industriestadt Rümelingen die „Lëtzeburger Freihets-Bewegong“ (LFB) als Zusammenschluss von Katholiken, Liberalen und Kommunisten. Bis zum Sommer 1941 entstanden noch weitere Widerstandsbewegungen: In Niederkerschen wurde die Bewegung „Lëtzeburger Ro’de Le’w“ (LRL) gegründet, in Differdingen, Tetingen und Kayl entstanden die „Lëtzeburger Freihéts-Kämpfer“ (LFK) und in Schifflingen im Juni 1941 die „Alweraje“.37 In Differdingen bildete sich ferner die „Patriotes Indépendants“ (Pi-Men); in Düdelingen, Bettemburg und Hüncheringen wurde der „Lëtzeburger Freihéts-Bond“ (LFB) gegründet.38 Im Zeitraum von etwa einem Jahr waren so mehrere Widerstandsgruppen entstanden. Aus Zusammenarbeit in der Praxis erwuchs bald der Wunsch und auch die Notwendigkeit zu Zusammenschlüssen. So gingen die TLS in der LL auf und im Juni 1941 entstand die „Lëtzeburger Volleks-Legioun“ (LVL) durch Eintritt der LS in die LL. Die Zusammenarbeit der fusionierten Gruppen verlief allerdings nicht immer problemlos und es kam zu Streitigkeiten um die Leitung und politische Ausrichtung.39 Im November 1941 kam es zu einer ersten Verhaftungswelle, bei der viele kleinere Gruppen so stark dezimiert wurden, dass schließlich nur noch LVL, LPL und LRL übrig blieben. Als einzige Vorkriegspartei war die Kommunistische Partei Luxemburgs (KPL) im Untergrund aktiv. Im August 1942 wurde sie durch eine Razzia stark dezimiert. Erst im Januar 1944 entstand unter der Bezeichnung „Aktiv Lëtzeburger Eenhétsfront ge’nt de Faschismus“ (ALEF; Aktive Luxemburger Einheitsfront gegen den Faschismus)40 eine neue kommunistische Widerstandsgruppe. Am 23. März 1944 schlossen sich LPL, LRL und LVL in der „Unio’n vun de Lëtzeburger Freihétsorganisatio’nen“ (Union der Luxemburger Freiheitsorganisationen.) zusammen. Die Bildung einer nationalen Einheitsfront aller Widerstandsorganisationen scheiterte aber an den Vorbehalten gegenüber dem kommunistischen Widerstand.

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Lëtzeburger Scouten an der Resistenz 1940–1945, o. O., o. J. [Esch/Alzette, 1990] Vgl. dazu Aimé Stoll: Une pensée pour Raymond Petit 1920–1942. In: Rappel, 47 (1992), S. 73–80; Erny Gillen: Esou wéi ech et erlieft hun. Luxemburg 2005, S. 57 ff.; Alphonse Rodesch: Quatre années de lutte. Histoire d’une résistance. Esch/Alzette 1947. Serge Hoffmann: Le mouvement de résistance LVL au Luxembourg. Luxemburg 2004. Marc Limpach/Marc Kayser: Wir glauben an die Demokratie. Albert Wingert Resistenzler. Luxemburg 2004, S.120 f.; Die Bezeichnung dieser Gruppe besteht aus den beiden ersten Buchstaben der Namen der Gründungsmitglieder (Albert Wingert, Wenzel Profant, Raymond Arensdorff, Jean Doffing). Jacques Dollar: Josy Goerres et les Pi-Men dans la Résistance. Luxemburg 1986. Die Bezeichnung „Pi-Men“ wurde erst ab 1942 geläufig; neben der LFB-Gruppe in Düdelingen gab es seit 12. März 1940 (sic) eine Widerstandsgruppe mit gleichem Namen in Luxemburg-Stadt. Serge Hoffmann, S. 39–44. Vgl. die nicht veröffentlichte Arbeit von Felix Faber: Le communisme dans la vie politique, sociale et quotidienne au Luxembourg dans l’immédiat après-guerre. Straßburg 2005, S. 19–41.

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Wenn auch Einigkeit über das Hauptziel, nämlich die Befreiung des Landes von den deutschen Besatzern und die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Luxemburgs, bestand, so gab es doch zahlreiche Unterschiede zwischen den Gruppen in Bezug auf Organisation, Arbeitsweise und Programm für die Nachkriegszeit.41 Im Allgemeinen war die Tätigkeit der Widerstandsgruppen anfangs darauf gerichtet, das Informationsmonopol der Deutschen mit einer gezielten Gegenpropaganda zu unterlaufen. Flüsterpropaganda, Handzettel und Flugblätter sowie später sogar ganze Zeitungen wurden heimlich hergestellt und verteilt. Mit Hilfe von Fluchthelfern wurden entflohene alliierte Kriegsgefangene und abgeschossene Piloten, aber auch gefährdete Luxemburger über die Grenze nach Frankreich und Belgien geschleust. Mit der Einführung der Arbeitsdienstpflicht und mehr noch der Wehrpflicht erweiterte sich der Aufgabenbereich des Widerstandes erheblich. Nun galt es, die Verweigerer zu verstekken und zu versorgen oder sie ins Ausland zu bringen. Entlassungen, Festnahmen und Umsiedlungen hatten zahlreiche Familien in materielle Not gestürzt. Durch Geldsammlungen und Beschaffung von Lebensmitteln suchte die Resistenz diese Not zu lindern. Schließlich wurde die Beschaffung von militärischen, politischen und wirtschaftlichen Informationen für die Alliierten zu einem immer wichtigeren Teil der Widerstandsaktivitäten.42 Hie und da kam es auch zu Sabotageakten43, doch galt dieser “aktivere“ Widerstand vielen Resistenzlern als zu riskant in einem kleinen Land wie Luxemburg, das keine unwegsamen Rückzugsgebiete besaß. Aus diesem Grunde gab es auch nur vereinzelten bewaffneten Widerstand. Alle Widerstandsbewegungen suchten und fanden Kontakt zur Exilregierung und zu den Alliierten. Intensive Kontakte gab es auch zum Widerstand in Belgien und Frankreich. Als US-Truppen Anfang September 1944 immer näher an Luxemburg heranrückten, stellte sich die Frage eines aktiven Eingreifens des Widerstandes. Doch führten das Fehlen von anerkannten Anführern und die Angst vor deutschen Repressalien dazu, dass man die Befreiung des Landes letztlich den Amerikanern überließ, die am 10. September die Hauptstadt befreiten. In ihren Reihen zogen Prinz Felix, der Gemahl der Großherzogin, sowie Erbgroßherzog Jean, britische Uniformen tragend, in die befreite Stadt ein und wurden von der Bevölkerung stürmisch begrüßt.44 Die Anführer der „Unio’n“ stellten sich den Offizieren der „Civil Affairs“ zur Verfügung und beanspruchten, als Vertreter des Luxemburger Volkes angesehen zu werden, solange die Regierung noch im Exil weilte. Am 23. September 1944 wurden die Mitglieder der Regierung von den Amerikanern nach Luxemburg zurückgebracht und nahmen die 41

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Paul Dostert: La Résistance luxembourgeoise pendant la seconde guerre mondiale et la reprise politique de 1944/45. In: Les Années Trente base de l’évolution économique, politique et sociale du Luxembourg d’après-guerre? Actes du Colloque de l’ALEH (27–28 octobre 1995) Beiheft zur Hémecht 1996. Luxemburg 1996, S. 25–50. Hier sei nur exemplarisch auf die nach England gelieferten Informationen über die Raketenanlagen in Peenemünde hingewiesen, die zu deren Bombardierung im August 1943 entscheidend beitrugen. Vgl. Reginald V. Jones: Most Secret War. London 1978, S.431; Josef Garlinsky: Hitler’s last Weapons: The Underground War against V1 and V2. London 1978. Vor 50 Jahren: Wanted: Eisenbahnsaboteure im Syrtal. In: LW, 26.6.1992. Die Großherzogin Charlotte konnte aus Sicherheitsgründen erst am 14. April 1945 nach Luxemburg zurückkehren.

Luxemburg

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Regierungsgeschäfte wieder auf. Monatelang versuchten die Widerstandskämpfer, Einfluss auf die Regierungsgeschäfte zu nehmen, was ihnen aber von den klassischen Parteien verweigert wurde. Erst die allgemeinen Wahlen zur Abgeordnetenkammer am 21. Oktober 1945, setzten diesem Gerangel um Macht und Einfluss ein Ende.

Zur Historiographie Eine umfassende Geschichte des Luxemburger Widerstandes während des Zweiten Weltkrieges, die wissenschaftlichen Kriterien gerecht wird, ist bislang ein Desiderat der Forschung. Zwar gibt es seit 1945 zahlreiche Publikationen zum Thema Zweiter Weltkrieg und Widerstand, doch reichen diese Schriften von persönlichen Erinnerungen bis zu subjektiven, zum Teil hagiographischen Darstellungen einiger Widerstandsgruppen.45 Lange Zeit galten deutsche Dokumente als zu einseitig, wenn es um den luxemburgischen Widerstand ging. Nur die Erinnerungen derjenigen, die dabei gewesen waren, wurden als dokumentarische Grundlage für eine geschichtliche Darstellung angenommen.46 Dabei wurde übersehen, dass der Widerstand als Reaktion auf die deutsche Besatzungspolitik implizit von dieser mitbestimmt wurde, so dass es unabdingbar ist, komparative Perspektiven zu entwickeln, wenn man den luxemburgischen Widerstand würdigen will, ihn gleichzeitig aber auch in einem größeren Zusammenhang analysieren möchte.47 Eine Reihe von Versuchen, das Thema wissenschaftlich anzugehen, gab es seit Mitte der achtziger Jahre,48 doch stieß die Forschung immer wieder auf Vorbehalte ehemaliger Widerstandskämpfer, denen die kritischen Fragen und Analysen nicht ins Weltbild passten.49 Im Dezember 2002 schuf die Luxemburger Regierung ein Dokumentations- und Forschungszentrum zum luxemburgischen Widerstand, dessen Aufgabe darin besteht, Dokumente zum Widerstand zu archivieren und die Forschung zu unterstützen. In den letzten Jahren hat sich eine Generation jüngerer Historiker des Themas erfolgreich angenommen:50 es ist zu hoffen, dass es dabei auch zu einer umfassenden Darstellung des luxemburgischen Widerstandes kommt. 45

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Jules Christophory: Radioscopie de la littérature luxembourgeoise sur la 2e guerre mondiale. Bibliographie annotée des publications autonomes des quarante dernières années. Luxemburg 1987; Gino Candidi: La résistance du peuple luxembourgeois. Luxemburg 1977. Marcel Engel, André Hohengarten: Hinzert. Das SS-Sonderlager im Hunsrück 1939–1945. Luxemburg 1983. Les courants politiques et la Résistance: Continuités ou ruptures? Actes du colloque international Esch-sur-Alzette, avril 2002. Hrsg. v. Archives nationales. Luxemburg 2003. Emile Krier: Widerstand in Luxemburg. In: Europäischer Widerstand im Vergleich. Hrsg. v. Ger van Roon. Berlin 1985, S. 232–48; Dostert, La Résistance luxembourgeoise. Lucien Blau: La Résistance au Grand-Duché de Luxembourg (1940–1945). Sociologie, idéologies et programmes. Mémoire de maîtrise. Université de Metz, 1984 (mschr.); ders.: Histoire de l’extrême droite au Grand-Duché de Luxembourg au XXe siècle. Esch/Alzette 1998; Serge Hoffmann: Le mouvement de résistance LVL au Luxembourg. Luxemburg 2004 (ursprünglich 1976 verfasst als Mémoire de stage, 2004 in überarbeiteter Fassung publiziert). Gerry Meyers: La Résistance luxembourgeoise et le renseignement de 1940 à 1944. Mémoire de maîtrise, Université de Paris IV. Paris 1999. (mschr.); Marc Limpach, Marc Kayser: Wir glauben an die Demokratie. Albert Wingert, Resistenzler. Luxemburg 2004; Daniel Bousser: La Résistance au Grand-Duché de Luxembourg pendant la seconde guerre mondiale: L’Union des mou-

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Literatur- und Quellenhinweise51 Les courants politiques et la Résistance: Continuités ou ruptures? Actes du colloque international d’Esch-sur-Alzette, avril 2002. Hrsg. v. Archives nationales. Luxemburg 2003 Lucien Blau: La Résistance au Grand-Duché de Luxembourg (1940–1945). Sociologie, idéologies et programmes. Mémoire de maîtrise. Université de Metz, 1984 (mschr.); ders.: Histoire de l’extrême droite au Grand-Duché de Luxembourg au XXe siècle. Esch/Alzette 1998 Daniel Bousser: La Résistance au Grand-Duché de Luxembourg pendant la seconde guerre mondiale: L’Union des mouvements de résistance luxembourgeois. Mémoire de Licence. Université libre de Bruxelles 2004 (mschr.) Gino Candidi: La résistance du peuple luxembourgeois. Luxemburg 1977 Jules Christophory: Radioscopie de la littérature luxembourgeoise sur la 2e guerre mondiale. Bibliographie annotée des publications autonomes des quarante dernières années. Luxemburg 1987 Jacques Dollar: Josy Goerres et les Pi-Men dans la Résistance. Luxemburg 1986 Paul Dostert: La Résistance luxembourgeoise pendant la seconde guerre mondiale et la reprise politique de 1944/45. In: Les Années Trente base de l’évolution économique, politique et sociale du Luxembourg d’après-guerre? Actes du Colloque de l’ALEH (27–28 octobre 1995) Beiheft zur Hémecht 1996, Luxembourg 1996, S. 25– 50; ders.: Luxemburg zwischen Selbstbehauptung und nationaler Selbstaufgabe. Die deutsche Besatzungspolitik und die Volksdeutsche Bewegung 1940–1945. Phil. Diss. Freiburg/Br. 1984, Luxemburg 1985 Georges Heisbourg: Le gouvernement luxembourgeois en exil. 4 Bde. Luxemburg 1986–1991 Serge Hoffmann: Le mouvement de résistance LVL au Luxembourg. Luxemburg 2004 Emile Krier: Widerstand in Luxemburg. In: Europäischer Widerstand im Vergleich. Hrsg. v. Ger van Roon. Berlin 1985, S. 232–248 Marc Limpach, Marc Kayser: Wir glauben an die Demokratie. Albert Wingert, Resistenzler. Luxemburg 2004 Gerry Meyers: La Résistance luxembourgeoise et le renseignement de 1940 à 1944. Mémoire de maîtrise, Université de Paris IV. Paris 1999 (mschr.) Luigi Peruzzi: Mes mémoires. Un antifasciste italien déporté au SS-Sonderlager Hinzert raconte. Hrsg. v. Denis Scuto. Esch/Alzette 2002 Henri Wehenkel: Der antifaschistische Widerstand in Luxemburg. Luxemburg 1985 RAPPEL, Revue de la L.P.P.D. [Ligue Luxembourgeoise des Prisonniers et Déportés politiques]. Luxemburg 1(1946)-61 (2006)

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vements de résistance luxembourgeois. Mémoire de Licence. Université libre de Bruxelles 2004 (mschr.). Die meisten dieser Publikationen sind vergriffen. Die maschinenschriftlichen Manuskripte sind entweder in der Luxemburger Nationalbibliothek oder im Nationalarchiv einzusehen.

Britische Kanalinseln: Der Widerstand gegen die deutsche Okkupation 1940–45 Olaf Schröter

Die Besetzung der Kanalinseln Nichts als „Schweiß, Blut und Tränen“ hatte Winston Churchill, englischer Premierminister seit 1940, seinen Landsleuten im Kampf gegen Hitler-Deutschland in Aussicht gestellt. Unter seiner Führung überstanden die Briten die Luftschlacht um England – die Invasion fand nicht statt, England blieb damit das Bollwerk der freien Welt in Europa. Kaum ist allerdings bekannt, dass dennoch Teile des britischen Herrschaftsgebietes, nämlich die Britischen Kanalinseln, von 1940 bis 1945 von der deutschen Wehrmacht besetzt waren. Die aus den Inseln Jersey, Guernsey, Alderney, Sark und Herm bestehende Inselgruppe liegt nur wenige Kilometer von der französischen Normandieküste entfernt in der Bucht von St. Malo und untersteht als Überrest der ehemaligen englischen Besitzungen in Frankreich dem britischen König (oder Königin) in seiner Eigenschaft als Herzog der Normandie. Jersey und Guernsey einschließlich der kleineren Inseln sind als „Bailiwicks“ genannte Amtsbezirke von London größtenteils unabhängig (Ausnahmen sind etwa Außen- und Verteidigungspolitik) und haben eigene Regierungen mit Parlamenten unter der Leitung von „Bailiffs“, die von der englischen Krone eingesetzt werden. Nachdem Hitler im Mai 1940 Frankreich überrannt hatte und die britische Armee bei Dünkirchen mit knapper Not den Großteil ihres Expeditionskorps und geringe Teile von belgischen und französischen Verbänden retten konnte, wurde schnell deutlich, dass die Kanalinseln nicht zu verteidigen waren. Die dort stationierten britischen Truppen wurden von den Inseln abgezogen. Bald darauf begann auch in großer Eile die Evakuierung der Zivilbevölkerung. Vor allem junge Männer im wehrfähigen Alter und Mütter mit Kindern verließen die Inseln (6.600 der 50.000 Einwohner Jerseys und 17.000 der 42.000 von Guernsey). Da die Regierung in London trotzdem zu lange zögerte, die Deutschen vom entmilitarisierten Status der Inseln in Kenntnis zu setzen, kam es am 28. Juni 1940 zu deutschen Bombenangriffen auf die Inselhauptstädte St. Helier und St. Peter Port. Zwei Tage später wurden die Inseln dann kampflos von deutschen Truppen besetzt. In der ersten Zeit betrachteten die Deutschen sie nur als Zwischenstopp auf dem Weg nach England und nutzten den doch eher bescheidenen militärischen Erfolg propagandistisch aus. Die Inselregierungen wurden im Amt belassen, und als Einzige im besetzten Europa blieben sie das auch bis zum Kriegsende. Nachdem sich die Hoffnungen auf eine schnelle Besetzung Großbritanniens zerschlagen hatten, begann man die Inseln auf Anordnung Hitlers als Teil des Atlantikwalls unter Einsatz von Tausenden Zwangsarbeitern zu stark befestigten Stützpunkten

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auszubauen.1 1942 wurden auf persönlichen Befehl Hitlers alle in Großbritannien geborenen Inselbewohner als Vergeltung für die Verhaftung deutscher Spione im Iran in ein Internierungslager in Deutschland deportiert, wo sie bis zum Kriegsende festgehalten wurden. Bei der alliierten Invasion in der Normandie erwiesen sich die inzwischen zu Festungen ausgebauten Inseln als strategisch völlig bedeutungslos. Nach der schnellen Besetzung Frankreichs waren Besatzer und Besetzte von jeglicher Versorgung abgeschnitten, und es begann eine Zeit des Hungerns, die erst mit der kampflosen Übergabe am 9. Mai 1945 endete.

Grenzen und Möglichkeiten des Widerstandes Nach dem Krieg lautete die offizielle Lesart der Besatzungszeit, dass es auf den Inseln keinen Widerstand gegeben hatte, weil er schlichtweg unmöglich gewesen sei. Noch in einer 1975 im Auftrag der Inselparlamente geschriebenen offiziellen Geschichte der Besetzung heißt es lapidar: „The Islanders cannot be criticized for not starting a resistance movement. They are rather to be congratulated on their good sense.“2 Der fehlende Widerstand war also nicht verwerflich, sondern vernünftig, was diejenigen entlastete, deren Verhältnis zu den Deutschen vielleicht mehr als nur ein „normales“ war. In der Tat waren die äußeren Umstände für Widerstand nirgendwo sonst in Europa so ungünstig wie hier. Zunächst einmal gab es dafür geographische Gründe. Die Inseln waren so klein (alle Inseln zusammen genommen sind etwa 200 km2 groß, das entspricht etwa der Fläche von Hannover) und so dicht besiedelt, dass sich keinerlei Rückzugsmöglichkeiten boten. Gleichzeitig war die Zahl der deutschen Truppen im Verhältnis zur Bevölkerung sehr groß: 70.000 Kanalinsulanern standen im Mai 1943 26.800 Besatzer gegenüber. Dazu kam die Tatsache, dass die meisten jungen Männer im wehrfähigen Alter, die in anderen besetzten Länder die treibende Kraft im Widerstand waren, vor der Besetzung zur britischen Armee gegangen waren. Auch von offizieller Seite war Widerstand unerwünscht. Die Regierungen der Kanalinseln, die aus Interesse an einem guten Verhältnis zu den Deutschen und berechtigter Angst vor Repressalien gegenüber der Zivilbevölkerung handelten, riefen dazu auf, keinen Widerstand zu leisten. In Guernsey hieß es etwa in einer offiziellen Verlautbarung der Regierung: „No resistance whatever is to be offered to those in military occupation of the Island. The public are asked to be calm and to obey the orders of the German commandant.“3 In London war man ähnlicher Ansicht. Einer Analyse des Geheimdienstes zufolge war ein bewaffneter Widerstand auf den Kanalinseln ohne Erfolgsaussicht und hätte unter Umständen zu hohen Opfern unter den Zivilisten führen können. So verzichtete man darauf, im Gegensatz zu allen anderen besetzten Ländern, Unterstützung, etwa 1

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Zum Ausbau der Verteidigungs- und Abwehranlagen, Arbeitseinsatz, Luftschutz sowie zum Einsatz der SS-Baubrigade in Alderney gibt es im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg mehrere Aktenbestände (u.a. RW 4, 5, 49, RH 2, 11, 32, 34, 56, RM 35); zu den Befestigungen siehe auch Norbert Fred Sauermilch: Kanalinseln. Hamburg 1998. Charles Cruikshank: The German Occupation of the Channel Islands. Channel Islands 1975, London 1990, 1993, S. 126. Zitiert nach ebenda, S. 129.

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durch Waffen und Agenten, zu leisten. Das führte zu der seltsamen Situation, dass die BBC keinerlei Rundfunkprogramme speziell für die Kanalinseln sendete und diese auch in allen anderen Programmen nie erwähnt wurden. Was bei den Inselbewohnern den Eindruck des Vergessenseins erweckte, war das Ergebnis eines Dilemmas: Man konnte aus den eben genannten Gründen nicht, wie in den Sendungen für die anderen europäischen Ländern, zum Widerstand gegen die Deutschen aufrufen, man konnte die Bevölkerung aber auch nicht quasi offiziell instruieren, nichts zu unternehmen. Denn dadurch wäre der Eindruck erweckt worden, dass man überall in den besetzten Länder Repressalien gegen die Zivilbevölkerung in Kauf genommen hätte, nur bei der eigenen nicht. Schließlich sei noch erwähnt, dass die Deutschen – zumindest zu Beginn – die Besetzung der Kanalinseln auch als Modellfall betrachteten und das Verhalten gegenüber den Besetzten, die man wie die Engländer allgemein eher als potenzielle Verbündete sah, ein ganz anderes war als etwa in Osteuropa oder auch in Frankreich. Aber trotz dieser ungünstigen Ausgangslage und dem Verhalten der Inselregierungen, die an einem guten Verhältnis zur Besatzungsmacht interessiert waren, gab es, wenn auch keinen bewaffneten, so doch Widerstand in den vielfältigsten Formen. Zunächst einmal leisteten die Inselbewohner symbolischen Widerstand, indem sie beispielsweise einen Union Jack hinter der Tapete versteckt an der Wohnzimmerwand aufhängten. Zu den skurrilsten Fällen gehört wohl eine Besatzungsbriefmarke für Jersey und Guernsey. Da die Deutschen nicht weiter den englischen König auf „ihren“ Marken haben wollten, ließen sie neue Marken entwerfen. Der Grafiker, ein ehemaliger Colonel (Oberst), fügte in die Ecken vier winzige „A“ ein, die für „Ad Avernum, Adolfe Atrox“ („Fahr zur Hölle, fürchterlicher Adolf“) stehen sollten, was einen heutzutage eher an Harry Potter als an eine effektive Form des Widerstands denken lässt. Da der Schöpfer sein Geheimnis erst nach dem Krieg lüftete, blieb er von den Deutschen unbehelligt. Mindestens ebenso fantasievoll und für die Urheber ungleich gefährlicher waren die Widerstandsaktionen der französischen Surrealistinnen Lucy Schwob (Künstlername „Claude Cahun“) und Suzanne Malherbe („Marcel Moore“), die seit 1937 auf Jersey lebten. Die beiden riefen unter dem Namen „Der Soldat ohne Namen“ mit auf Schreibmaschine getippten kleinen Papierzetteln, die sie an deutsche Autos hefteten, in Zeitschriften legten und Soldaten in die Taschen steckten, zum Desertieren auf. Im Juli 1944 wurden sie verhaftet und im November zum Tode verurteilt. Da die Inseln zu der Zeit aber schon vom inzwischen befreiten französischen Festland abgeschnitten worden waren, konnten sie nicht mehr auf den Kontinent gebracht werden. Im Februar 1945 wurden sie auf Drängen des Bailiffs von Jersey begnadigt und im Mai 1945 nach dem Ende der Besetzung aus dem Gefängnis befreit. Welche Wirkung ein direkter Aufruf zum Widerstand an die Bevölkerung durch die BBC gehabt hätte, zeigt die „V for Victory“-Kampagne des Londoner Senders im Sommer 1941, die zunächst nur für Belgien gedacht war, dann aber wegen des großen Erfolges auf ganz Europa ausgeweitet wurde. Auch auf den Kanalinseln sahen das die Menschen als eine machbare Art des Widerstands an, und überall auf den Inseln tauchte der Buchstabe auf Hauswänden und Straßenschildern auf. Die Deutschen rea-

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gierten ebenso gereizt wie rigoros, verhängten Gefängnisstrafen, konfiszierten Radios und verhörten selbst Schulkinder, die „V“s mit Kreide an Türen und Wände gemalt hatten. Schließlich setzte sogar Victor Carey, der Bailiff von Guernsey, eine Belohnung von 25 Pfund (damals mehr als drei Monatsgehälter) für Hinweise aus, die zur Ergreifung von „Tätern“ führten, was in der Diskussion um eine mögliche Kollaboration der Inselregierungen als Beweis für die ein wenig zu gute Zusammenarbeit mit den Deutschen gewertet wird. Diese Kampagne hatte den Deutschen gezeigt, welche Macht die BBC mit ihren Sendungen ausübte. Als sich im Sommer 1942 das Kriegsglück für die Wehrmacht langsam zu wenden begann und die Inselbewohner (und darüber auch die deutschen Soldaten) aus dem Rundfunk davon erfuhren, reagierte die Beatzungsmacht mit der Beschlagnahme aller Radiogeräte, was wie keine andere Maßnahme den Unmut der Bevölkerung auslöste. Auf den illegalen Besitz eines Rundfunkgerätes standen drei Monate Gefängnis. Trotzdem hatte fast jeder ein Radio versteckt oder baute sich einen Kristalldetektor, mit dem man mit Hilfe eines Kristalls und eines Telefonhörers Radiosignale empfangen konnte. Wie man das machte, erfuhr man von der BBC, und einige Spezialisten versorgten andere mit diesen einfachen Empfängern. Viele Insulaner, bei denen man bei Hausdurchsuchungen Radioempfänger fand, kamen ins Gefängnis auf dem Kontinent und von dort aus dann oft auch in deutsche Konzentrationslager. Bei Clarence und Peter Painter, Vater und Sohn, die wegen illegalem Radiohören angeklagt waren, fand man bei einer Haussuchung außerdem eine versteckte Pistole, ein Andenken aus dem Ersten Weltkrieg. Beide wurden zuerst in deutsche Gefängnisse und dann in ein Konzentrationslager gebracht. Clarence Painter starb 1944 in Sachsenhausen, sein Sohn 1945 in Dora-Mittelbau. Für diejenigen, die keinen Zugang mehr zu Radios hatten, fanden sich auf allen Inseln Einzelne, die Nachrichten mündlich weitergaben, oder auch Gruppen, die Zusammenfassungen von BBC-Nachrichten als Flugblätter verteilten. Die bekannteste war der „Guernsey Underground News Service“, kurz „G.U.N.S.“, der vom Mai 1942 bis Februar 1944 erschien. Unter der Leitung des Journalisten Frank Falla wurde mit Hilfe einiger anderer Männer täglich eine ausführliche Zusammenfassung der Nachrichten des Tages in einer Auflage von ungefähr 300 Stück gedruckt und verteilt. Die Blätter wanderten dann von Hand zu Hand und landeten oft auch bei deutschen Soldaten. Im Februar 1944 wurde die Gruppe verraten. Fünf Männer aus der Gruppe kamen nach Deutschland ins Gefängnis, wo einer von ihnen starb. Der Geistliche Clifford Cohu in Jersey teilte unter anderem Patienten im Krankenhaus die Nachrichten mit, oder verkündete sie auf dem Weg durch die Stadt vom Fahrrad aus. Auch er wurde im März 1943 verraten und zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Haftstrafe in Deutschland kam er in ein Arbeitslager, wo er von SS-Wachmannschaften am 20. September 1944 umgebracht wurde. Auf den Kanalinseln existierten zahlreiche Arbeitslager der „Organisation Todt“, in denen die Zwangsarbeiter inhaftiert waren, die die groß angelegten Festungsbauten auf den Inseln errichten mussten. Auf dem Höhepunkt der Bautätigkeit 1942 waren es insgesamt 15.000, die unter schrecklichen Bedingungen lebten. Viele von ihnen suchten ihr Heil in der Flucht. Da es für sie keine Möglichkeit gab die Inseln zu verlassen,

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waren sie auf die Hilfe der Bewohner angewiesen. Und diese wurde ihnen oft gegeben. Aus der Not heraus entstand ein lockeres Netzwerk von Menschen, die bereit waren Zwangsarbeiter zu verstecken. Auf Jersey war für viele das Haus von Stella Perkins, deren Mutter und Tante Russinnen waren, ein erster Anlaufpunkt. Meistens wurden sie alle zwei Monate an einen anderen Ort gebracht, um das Risiko einer Entdeckung zu verringern. Unter denen, die halfen, war auch Louisa Gould. Sie nahm Anfang 1943 den Russen Fedor Buriy bei sich auf – ihr eigener Sohn war 1941 gefallen. Im Mai 1944 wurde sie denunziert und verhaftet. Dem Russen gelang die Flucht, aber bei Louisa Gould fand man Spuren seines Aufenthaltes sowie ein verstecktes Radiogerät. Sie wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt und im Juli 1944, als die Alliierten schon in der Normandie gelandet waren, nach Deutschland gebracht. Im Februar 1945 wurde sie in Ravensbrück in der Gaskammer ermordet. Mehr Glück hatte dagegen Albert Bedane, der neben russischen Zwangsarbeitern auch einen französischen Kriegsgefangenen und eine untergetauchte Jüdin versteckte. Ihm gelang es durch seine Arbeit als Masseur, für die er sich mit Lebensmitteln bezahlen ließ, seine Schutzbefohlenen bis zum Kriegsende durchzubringen. Für seine Rettung der jüdischen Frau wurde er im Jahr 2000 posthum in Israel mit den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet. Für die medizinische Versorgung der geflohenen Zwangsarbeiter sorgte Dr. Robert McKinstry, der bei der Inselregierung arbeitete und so den Untergetauchten auch falsche Papiere besorgen konnte. 1942 verhinderte McKinstry mit Hilfe des Bailiffs außerdem Pläne der Deutschen 450 Geisteskranke von den Inseln zu „verlegen“ und rettete ihnen damit wahrscheinlich das Leben. Für ihre mutige Rettung der russischen Zwangsarbeiter zeichnete die sowjetische Regierung im März 1966 – also mitten im Kalten Krieg – stellvertretend 20 Bewohner von Jersey mit goldenen Uhren aus. Vor allem junge Leute waren frustriert, dass sie auf den Inseln festsaßen und dort nichts gegen die Deutschen ausrichten konnten, während ihre Altersgenossen in der britischen Armee gegen die Deutschen kämpften, und so versuchten viele mit Booten nach England und – nach der Invasion in der Normandie – nach Frankreich zu fliehen. Ihr Ziel war es, sich dort der Armee anzuschließen und Informationen über Truppen und Stellungen der Deutschen auf den Inseln herauszuschmuggeln. Es war in zweifacher Hinsicht riskant, denn erstens war die Überfahrt nicht ungefährlich – viele ertranken bei dem Versuch – und zweitens drohte die Gefahr, von den Deutschen erschossen oder doch zumindest verhaftet und ins Gefängnis geworfen zu werden. Vor allem nach der Invasion 1944, als die Inseln nicht wie erhofft befreit wurden, mehrere Jahrgänge von Jugendlichen zu jungen Männern herangewachsen waren und vor allem der viel kürzere Seeweg nach Frankreich offen stand, häuften sich die Fluchtversuche. Insgesamt flohen während der deutschen Besatzung 225 Menschen von den Kanalinseln. Die wahrscheinlich am besten organisierte Widerstandsgruppe auf den Kanalinseln entstand unter der Leitung von Les Huelin und Normal Le Brocq, der nach dem Krieg lange als einziger kommunistischer Abgeordneter im Parlament von Jersey saß. Zunächst traf sich die Gruppe zu regelmäßigen Diskussionen über Nachkriegsreformen des immer noch feudalen politischen Systems Jerseys. Dann begann sie mit der praktischen Arbeit, indem sie Flugblätter, Nahrung und Kleidung in die Zwangsarbeiterlager

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schmuggelte und dort Kontakt zu politisch Gleichgesinnten aufnahm. Ende 1944 wurde die Gruppe von einem deutschen Soldaten namens Paul Mühlbach angesprochen, dessen Vater 1934 als Gewerkschafter von den Nazis umgebracht worden waren. Er bat sie für ihn Flugblätter zu drucken, die er unter den Besatzern verteilen wollte. Sein Ziel war es, einen Aufstand und eine kampflose Übergabe der Inseln herbeizuführen. Zunächst aber desertierte er mit Hilfe von Huelin und Le Brocq. Der Aufstand war für den 1. Mai 1945 geplant, aber auf Betreiben von konservativeren deutschen Offizieren, die in den Plan eingeweiht waren und nicht am „Arbeiterkampftag“ losschlagen wollten, wurde er um 14 Tage verschoben. Hitlers Selbstmord am 30. April und die Kapitulation der Wehrmacht am 9. Mai machten den Aufstand überflüssig.

Zur Erforschung der Widerstandsaktionen Auf den Inseln und in Großbritannien tat man sich zunächst schwer mit der Aufarbeitung der Besetzung. Um nicht in gegenseitige Vorwürfe des Im-Stich-gelassen-Werdens, bzw. der vielleicht etwas zu guten Zusammenarbeit der Inselregierungen mit den Deutschen zu verfallen, betrachtete man die Besatzungszeit als einigermaßen glimpflich verlaufenen Schicksalsschlag. Nach vielen Erinnerungen Einzelner erschien 1975 mit George Cruikshanks „The German Occupation of the Channel Islands“ eine erste umfassende Darstellung der Besatzungszeit, die aber der bisherigen offiziellen Darstellung verbunden blieb. Erst nachdem die britische Regierung unter Premierminister John Major zu Anfang der 90er Jahre Akten zugänglich machte, die eigentlich bis 2045 verschlossen bleiben sollten, und die Inselregierungen mit der Öffnung ihrer Archive nachzogen, begann eine kritischere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Vor allem Madeleine Buntings Buch „The Model Occupation“4, das erstmals offen das Schicksal der Juden auf den Inseln, die Zustände in den Zwangsarbeiterlagern und das manchmal hart an der Grenze zur Kollaboration befindliche Verhalten der Inselregierungen ansprach, erregte viel Aufsehen und feindselige Reaktionen auf den Inseln. Gleichzeitig sorgte es aber auch für einen offeneren Umgang mit der eigenen Geschichte, so dass inzwischen etwa das dunkle Kapitel der Judenverfolgung aufgearbeitet wurde5 und ein Gedenkstein seit 1999 an drei deportierte und in Auschwitz ermordete Jüdinnen erinnert. 2005 erschien mit „The British Channel Islands under German Occupation 1940– 45“ von Paul Sanders6 eine Publikation, die den aktuellen Stand der Forschung wiedergibt und ohne die „Provokation“ Madeleine Buntings zehn Jahre zuvor wohl nicht möglich gewesen wäre. Zum Widerstand allein gibt es bisher keine spezielle Untersuchung. In Deutschland ist das Thema noch weitgehend unbekannt. Nachdem die Besetzung der Kanalinseln zuvor nur in einigen Erinnerungen von Soldaten und einzelnen Kapi4

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Madeleine Bunting: The Model Occupation. The Channel Islands under German Rule 1940– 1945. London 1995. Ebenfalls 1995 erschien, jedoch aus wissenschaftlicher Sicht eher unbefriedigend: Asa Briggs: The Channel Islands. Occupation and Liberation, 1940–1945. London 1995. Frederick Cohen: The Jews in the Channel Islands during the German Occupation 1940–1945. St. Helier 2002 (als PDF unter: http://www.jerseyheritagetrust.org/media/PDFs/cijews.pdf). Paul Sanders: The British Channel Islands under German Occupation 1940–45. St. Helier 2005 (als PDF: http://www.thisisjersey.co.uk/occupationhistory/pdfdownload.html).

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teln in Reiseführern erwähnt wurde, erschien 2003 mit „Britische Inseln unterm Hakenkreuz“7 von Roy McLoughlin zumindest ein aus dem Englischen übersetzter Überblick der Ereignisse. Eine intensive Beschäftigung mit den Akten und Quellen auf deutscher Seite steht dagegen noch aus. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das lange Jahre aufrecht erhaltene Bild, auf den Kanalinseln hätte es keinen Widerstand gegeben, nicht zutrifft. Dies belegen auch mehrere Zahlen für die Zeit der deutschen Okkupation: Während der Besatzungszeit wurden 4.000 Urteile wegen Verstößen gegen deutsche Gesetze verhängt. Mindestens 570 Personen wurden in Gefängnisse und Konzentrationslager auf dem Kontinent deportiert, von denen 22 Einwohner aus Jersey und neun aus Guernsey dort starben oder umgebracht wurden. Seit Mitte der 90er Jahre erinnern Mahnmale auf den Inseln an diese Menschen, und in vielen Büchern und auf Websites8 wird dieser Aspekt der Besatzungszeit eingehend gewürdigt. Dennoch unterscheidet sich der Widerstand auf den Inseln grundlegend von dem im restlichen Europa, weil er nie moralische oder materielle Unterstützung von außen erhielt. Er entstand, vielleicht mit Ausnahme der Gruppe um Norman Le Brocq, auch nicht aus politischen Gründen, sondern situationsbedingt. Wenn Paul Sanders über das Netzwerk der Helfer der geflohenen Zwangsarbeiter schreibt, es sei „organisch gewachsen“9, so kann man das wohl auf alle Widerstandsbestrebungen ausweiten. Diese relativ lockere Form der Organisation machte sie letztlich im Rahmen ihrer „unmöglichen“ Möglichkeiten so erfolgreich. Auch wenn dieser Widerstand die militärischen Anstrengungen der Deutschen nicht schwächte – das taten sie mit ihrer geradezu grotesken Konzentration von Menschen und Material auf den strategisch bedeutungslosen Inseln schon selbst – zeigen seine menschlichen und humanitären Aspekte, dass ein Wille zum Widerstand überall dort vorhanden ist, wo er gefordert wird, und er auch unter den ungünstigsten Bedingungen hervortritt. In Anbetracht seiner Leistungen braucht man auf den Kanalinseln den Widerstand keineswegs zu verstecken, so wie man es Jahrzehnte lang getan hat.

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Roy McLoughlin: Britische Inseln unterm Hakenkreuz. Die deutsche Besetzung der Channel Islands. Berlin 2003. U. a. http://www.thisisjersey.co.uk/hmd/. Sanders, British Channel Islands under German Occupation, S. 105 f.

III. Widerstand im besetzten Ostmittel- und Osteuropa

Protektorat Böhmen und Mähren: Widerstand im besetzten tschechischen Gebiet 1939–1945 Jaroslava Milotová Die böhmischen und mährischen Länder, die durch Adolf Hitlers Erlass vom 16. März 1939 zum „Protektorat Böhmen und Mähren“ erklärt wurden, stellten ein Gebiet der zerschlagenen Tschechoslowakei dar, das von NS-Deutschland auf „friedlichem Wege“ gewonnen wurde. Sie zählten auch in den folgenden Jahren nicht zu jenen Ländern und Gebieten, wo Militäroperationen vorbereitet oder durchgeführt wurden, die für den Zweiten Weltkrieg von entscheidender Bedeutung gewesen wären. Dies führte dazu, dass die Aufmerksamkeit, die dem Widerstand gegen die deutsche Okkupation im „Protektorat Böhmen und Mähren“ zuteil wird, sich vor allem auf zwei Ereignisse konzentriert. Das sind: Erstens die „Prager Ereignisse“ vom 17. November 1939. Damals wurden neun Hauptakteure tschechischer Hochschulorganisationen hingerichtet und 1200 Studenten inhaftiert. 1095 von ihnen wurden ins Konzentrationslager Sachsenhausen-Oranienburg eingeliefert. Zugleich wurden die tschechischen Hochschulen geschlossen. Diese „Sonderaktion 17. November“ war die Vergeltung für die antideutschen Demonstrationen und Streiks, die am 28. Oktober 1939 in Prag und in allen größeren Städten des Protektorats stattgefunden hatten.1 Zweitens das Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor und Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Dieses Attentat wurde am 27. Mai 1942 um 10.35 Uhr von zwei Angehörigen der tschechoslowakischen Militärorganisation in Großbritannien, Jan Kubiš und Jozef Gabčík, verübt. Das Attentat auf Heydrich, zuweilen als Triumph, aber zugleich eine Tragödie des tschechischen Widerstands bezeichnet, ist für tschechische und ausländische Historiker und Publizisten schon seit längerem ein ausgesprochen beliebter Untersuchungsgegenstand, dem bisher an die 300 Studien, Aufsätze und Veröffentlichungen gewidmet wurden.2 Die Verfasser dieser Werke mussten sich dabei auch mit der Entwicklung der politischen Lage im Protektorat und der Geschichte des tschechi-

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Zur detaillierten Rekonstruktion der Ereignisse vom 28.10. und 17.11.1939: Tomáš Pasák: 17. listopad 1939 a Univerzita Karlova. Prag 1997. – Angesichts des langen Fehlens von Übersetzungen der Veröffentlichungen tschechischer Historikern gibt es vor allem zwei Werke, die den ausländischen Forschern nötige Informationen bieten. Diese Arbeiten widmen ihre Aufmerksamkeit sowohl dem Aufbau der deutschen Okkupationspolitik im Protektorat als auch dem tschechischen Widerstand: Detlef Brandes: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. 2 Bde. München/Wien 1969, 1975; Vojtech Mastny: The Czechs under Nazi Rule. New York 1971. Beide Werke erschienen nach 1990 auch auf Tschechisch. Eine Übersicht der tschechischen und ausländischen Arbeiten, die bis 1989 zu diesem Thema verfasst wurden, und deren kritischen Analyse bietet: Jiří Šolc: Českoslovenští parašutisté ze západu v literatuře. In: Historie a vojenství 39, 1990, Nr. 5, S. 146–167. Vgl. auch: Jiří Šolc: Nikdo nás nezastaví. Prag 1992.

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schen Widerstands in der Zeit vor dem Attentat befassen.3 Deswegen wird dort auch den Entstehungsgründen der illegalen Widerstandsorganisationen in den böhmischen Ländern und ihrer konkreten Tätigkeit Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei wird insbesondere die Obrana národa (ON – Nationale Verteidigung) hervorgehoben, zu deren Mitgliedern hauptsächlich Offiziere und Soldaten der ehemaligen tschechoslowakischen Armee zählten.4 1940 wurden die ON und weitere Widerstandsorganisationen im Ústřední vedení odboje domácího (ÚVOD – Zentralausschuss des heimatlichen Widerstands) zusammengefasst.5 In der Literatur wird deren illegalen Nachrichtenbeschaffung besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Außerdem wird die Aufrechterhaltung der Kurier- und vor allem der Funkverbindung zwischen dem Protektorat und der Leitung des tschechoslowakischen Exils in London untersucht. Ebenso werden die Aktivitäten der Nachrichtendienst- und Diversionsgruppe, die von den legendär gewordenen Josef Balabán, Josef Mašín und Václav Morávek geführt wurde, beschrieben. Die Widerstandsorganisation Jindra, die den Fallschirmspringern aus Großbritannien im Protektorat viele Monate hindurch Unterstützung geleistet hat, wird ebenfalls erwähnt. Einen nicht unbeträchtlichen Anteil der Darstellungen umfassen auch Fragen, die sich mit der Tätigkeit des tschechoslowakischen Nachrichtendienstes im Exil, an dessen Spitze František Moravec stand, sowie der Organisation tschechoslowakischer Militäreinheiten im Ausland während des Zweiten Weltkriegs befassen.6 Seit Frühjahr 1941 stieg die Zahl tschechischer Widerstandsaktionen kontinuierlich an. Nach dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 vergrößerte sich nochmals die Zahl illegaler Widerstandshandlungen. Die nationalsozialistischen Besatzungsdienststellen reagierten auf die Zunahme des tschechischen Widerstandes mit der Ernennung Heydrichs zum stellvertretenden Reichsprotektor sowie mit der

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Vgl. exemplarisch die nichttschechischen Darstellungen zum Attentat: Callum MacDonald: The killing of SS Obergruppenführer Reinhard Heydrich, 27 May 1942. London 1989; Hellmut G. Haasis: Tod in Prag. Das Attentat auf Heydrich. Berlin 2002. Zu Angaben über die Offiziere und Soldaten, die sich am Widerstand beteiligten, siehe das biographische Wörterbuch Vojenské osobnosti československého odboje 1939–1945. Hrsg. v. Vojenský historický ústav. Prag 2005. Zur Entstehung der illegalen Widerstandsorganisationen im Protektorat, die zum volksdemokratischen Flügel der Widerstandbewegung gehörten, sowie zum Prozess ihrer Vereinigung siehe vor allem: Václav Kural: Vlastenci proti okupaci. Ústřední vedení odboje domácího 1940–1943. Prag 1997; Jan Kuklík: K problematice vzniku národní fronty v domácím odboji. Vývoj odbojové organizace PVVZ na území Čech 1939–1941. Prag 1976. Zum kommunistischen Widerstand: Alena Hájková: Praha v komunistickém odboji. Prag 1984; sowie die Sammelbände: Z počátků odboje 1938–1941. Hrsg. v. Oldřich Janáček, Prag 1969; Rok 1942 v českém odboji. Hrsg. v. Český svaz bojovníků za svobodu. Prag 1999; Češi v nacistických koncentračních táborech, káznicích a věznicích. Hrsg. v. Český svaz bojovníků za svobodu. Prag 1996. Vgl. Jiří Šolc: Ve službách prezidenta. Generál František Moravec ve světle archivních dokumentů. Prag 1994; ders.: Smrt přála statečným. Osudy doc. Vladimíra Krajiny a jeho spolupracovníků v českém domácím odboji za druhé světové války. Prag 1995; Jan Gebhart/Jaroslav Koutek/Jan Kuklík: Na frontách tajné války. Prag 1989; Zdeněk Jelínek: Operace Silver A. Prag 1992.

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Proklamierung des Standrechts und des zivilen Ausnahmezustands.7 Auf das Attentat gegen Heydrich folgte die Periode des zweiten Standrechts, die „Heydrichiade“, während der die bestehenden Widerstandsorganisationen entweder liquidiert oder doch schwer getroffen wurden, indem ihre Mitglieder in großer Zahl hingerichtet wurden. Diese Maßnahmen kulminierten in der Zerstörung der Dörfer Lidice und Ležáky sowie der Ermordung und Deportation ihrer Einwohner.8 Zwar trugen das Attentat und seine Folgen seitens der Alliierten wesentlich zur diplomatischen Überwindung des Münchner Abkommens und dessen Auswirkungen auf die internationale Stellung der Tschechoslowakei bei, jedoch war dadurch gleichzeitig Ende 1942 der Widerstand im Protektorat zerschlagen. Da die Darstellung der mit dem Attentat zusammenhängenden Ereignisse in der tschechischen Historiographie vor dem Jahr 1990 aus ideologischen Gründen häufig verzerrt worden ist, galt ihr in den Forschungen während der ersten Hälfte der 1990er Jahre besondere Aufmerksamkeit. Gegenwärtig ist die Forschung jedoch vor allem auf die Fragen nach objektiver Beurteilung von Möglichkeiten, die die Widerstandsbewegung im Protektorat hatte, gerichtet. Das betrifft in erster Linie die Frage, inwiefern die spezifische Form des in den böhmischen Ländern eingeführten NS-Okkupationsregimes die Möglichkeiten der Widerstandbewegung beeinflusste. Tschechische Historiker haben auf einige Faktoren, welche die Entwicklungsmöglichkeiten der Widerstandsbewegung im Protektorat auf bedeutende Weise beeinflussen konnten, bereits während des „politischen Tauwetters“ in der Tschechoslowakei der sechziger Jahre aufmerksam gemacht. Die Forschungen jener Zeit, die unter der Schirmherrschaft des „Tschechoslowakischen Komitees für die Geschichte des antifaschistischen Widerstands“ durchgeführt wurden, hatten sich die Zusammenstellung einer dreiteiligen Übersichtsarbeit zur „Geschichte des tschechoslowakischen nationalen Befreiungskampfs im Zweiten Weltkrieg“ zum Ziel gesetzt. Das „Protektorat Böhmen und Mähren“ wurde dabei als „im Bauch des Reichs“ 9 liegendes Gebiet bezeichnet. Die Isolation des Protektorats von der „restlichen Welt“ war nach dem 1. September 1939 gewissermaßen vollständig. Nach der militärischen Niederlage Polens bekam das Territorium des Protektorats den Charakter eines geschlossenen Kessels und war praktisch von allen Seiten vom Deutschen Reich umklammert. Für diejenigen, die sich im Kessel befanden, war es fast unmöglich, ihn zu verlassen. Wenn auch das Protektorat offiziell zu einem autonomen Gebiet proklamiert wurde, das seine Verwaltungsangelegenheiten „selbst regeln sollte“, wurde es doch als integraler Bestandteil des

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Jaroslava Milotová und Miroslav Kárný: Od Neuratha k Heydrichovi. Na rozhraní okupační politiky hitlerovského Německa v „Protektorátu Čechy a Morava“. Dokumenty. In: Sborník archivních prací XXXIX, 1989, Nr. 2, S. 281–394; Miroslav Kárný/Jaroslava Milotová/Margita Kárná: Deutsche Politik im „Protektorat Böhmen und Mähren“ unter Reinhard Heydrich 1941– 1942. Eine Dokumentation (= Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Europa 1939–1945, Bd. 2). Berlin 1997. Peter Steinkamp: Lidice 1942. In: Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2003, S. 126–135. Gustav Bareš/Karel Bartošek/Antonín Benčík u a.: Odboj a revoluce 1938–1945. Nástin dějin československého odboje. Prag 1965, S. 344.

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Reichs angesehen, der auch später „unter keinen Umständen an den Feind fallen sollte“.10 Entsprechend äußerte sich auch Heydrichs Nachfolger Karl Hermann Frank, der seit 1943 als deutscher „Staatsminister für Böhmen und Mähren“ fungierte und die Massaker von Lidice und Ležáky zu verantworten hatte, in einer Rede in Karlova Studánka (Karlsbrunn) im Sudetengau am 30. März 1944.11 Er rekapitulierte darin nicht nur seine fünfjährige Wirkungszeit in der Leitung des Okkupationsapparats, sondern erwähnte auch die Resultate, die er während dieser Zeit erreicht hatte. Er musste dabei jedoch eingestehen, dass auch er außerstande gewesen war, mit Hilfe von „Zuckerbrot und Peitsche“ das von Heydrich bei seinen Prager Auftritten aufgestellte Ziel zu erreichen. Die Tschechen hätten demnach „ganz entpolitisiert werden“ und durch Repressionen derartig in Schrecken versetzt werden sollen, dass sie auf jegliche Widerstandsäußerungen verzichten würden. Jedoch befand sich entgegen dieser Zielsetzung die NS-Okkupationspolitik unter Franks Leitung seit Anfang 1944 in einer zunehmenden Krisis. Im Vergleich mit der Krisensituation im Sommer 1941, als Heydrich in das Protektorat berufen worden war, bot sich in Anbetracht der Frontlage keine grundsätzliche Lösung mehr an.12 Frank befürchtete vielmehr, dass im Protektorat bald ein „Partisanenkrieg“ ausbrechen könne, der dann zum Ausbruch eines bewaffneten Aufstandes führen würde, was ihn zu weiteren Sicherheitsmaßnahmen außerordentlichen Umfangs veranlasste. Der Anfang einer tschechischen Partisanenbewegung im Protektorat hängt direkt mit der Einführung des zweiten Standrechtes zusammen. Es wuchs die Zahl der Personen, die in die vollkommene Illegalität übergehen und sich außerhalb der bewohnten Orte verstecken mussten. Im Jahr 1942 handelte es sich noch um kleinere Gruppen, die geringe Kampfaktivitäten ausübten. Formen von systematischen Partisanenkämpfen kamen im Protektorat erst seit dem Sommer 1943 zur Geltung, nachdem die ExilLeitung der KP in Moskau unter direkter Aufsicht der Exekutive der Kommunistischen Internationale (Komintern) eine neue politische Richtlinie für das weitere Vorgehen der Kommunisten im Befreiungskampf ausgearbeitet hatte. Danach erfolgte die Sendung organisierter kleiner Partisanengruppen in Form von Fallschirmspringern aus der UdSSR, die zum Ziel hatten, eine größere Partisanenbewegung nach sowjetischem Muster zu entfalten. Die Unterstützung bei der Organisation neuer Partisanengruppen wurde auch bald das Hauptziel bei Fallschirmspringern aus Großbritannien, deren Absetzung im Protektorat im Jahre 1944 erneut aufgenommen wurde. Im Protektorat gab es zwar keine objektiven Voraussetzungen zur massenhaften Entfaltung einer Partisanenbewegung, wie es beispielsweise in Jugoslawien der Fall gewesen war,13 jedoch 10

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Konrad Henlein an Martin Bormann, 15.9.1944. In: Národní archiv České republiky (NA) Prag, Bestand Deutsches Staatsministerium für Böhmen und Mähren (NSM), Sign. 110–12–145. Václav Král: Die Vergangenheit warnt. Prag 1960, S. 163 ff. Das Dokument wird von Král hier allerdings ungenau datiert. Zu Franks Okkupationspolitik und zu deren Krisenerscheinungen siehe Stanislav Kokoška: Krize nacistické okupační politiky v Protektorátu Čechy a Morava v roce 1944 a pokusy o její překonání. In: Soudobé dějiny 8, 2001, Nr. 4, S. 591–620. Wie meistens angeführt wird, zählten die Partisanengruppen im Protektorat (insgesamt 95) zusammen etwa 8 000 Personen, davon waren 20 Prozent fremde Staatsangehörige. Zur Ge-

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wurde die Partisanenaktivität dennoch zu einem Faktor, der seit den Herbstmonaten 1944 zur Destabilisierung des NS-Okkupationsregimes beigetragen hat. Die Partisanenbewegung hat auf deutscher Seite eine hohe Zahl von Angehörigen der Ordnungspolizei- und Militäreinheiten gebunden.14 Mit Erfolg haben die Partisanen das Verkehrssystem gestört. Im Mai 1945 entstanden neben den schon existierenden Partisanengruppen auch zahlreiche unautorisierte Milizen und sogenannten „Revolutionäre Garden“, die sich auch an der Vertreibung der deutschen Bevölkerung beteiligten. Die Lage des tschechischen Widerstands im Protektorat war im Sommer 1944 sehr schwierig. Die Gestapo hat fast das gesamte illegale Netz des vorbereitenden revolutionären Nationalausschusses (Přípravný revoluční národní výbor) liquidiert. Dieser Nationalausschuss war im Laufe des Jahres 1943 durch die vom zweiten Standrecht hart getroffenen Widerstandsgruppen mit viel Mühe aufgebaut worden und hatte sich auf die Zusammenarbeit mit Londoner Exilkreisen konzentriert. Gleichzeitig wurden auch die letzten Vertreter der III. illegalen Leitung des kommunistischen Widerstands verhaftet. Die Bedingungen, unter denen der Widerstand im Protektorat arbeiten musste, unterlagen gewissermaßen einem zyklischen Prozess. In den Frühjahrsmonaten 1940 hatte die Gestapo eine erste Welle zur Bekämpfung des Widerstands initiiert, was die Zerschlagung des Netzes der Widerstandsorganisation ON und gewaltsame Eingriffe in die Organisationsstrukturen des kommunistischen Widerstands nach sich gezogen hatte. Seither war es der Gestapo gelungen, alljährlich die Führungsebenen des Protektoratswiderstandes zu liquidieren, und zwar ohne Rücksicht auf die jeweilige politische Orientierung ihrer Mitglieder.15 Die Widerstandsorganisationen waren deshalb, sofern sie diese Schläge überhaupt überstanden, wiederholt gezwungen, nicht nur ihre Organisationsstrukturen umzubauen, sondern auch immer wieder nach neuen Mitarbeitern zu suchen. Sie befand sich während der gesamten Dauer der NS-Okkupation unter außerordentlichem Druck, der nicht nur von der Gestapo, sondern auch von anderen Dienststellen und Einrichtungen der deutschen Okkupationsverwaltung ausgeübt wurde. Neben einem seit Sommer 1939 durch Gestapo-Dienststellen systematisch auf- und ausgebautem Spitzel- und Zuträgernetz16 waren es zudem die Kollektivmaßnahmen nach

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schichte der Partisanenbewegung vgl. Jan Gebhart und Ján Šimovček: Partyzáni v Československu 1941–1945. Prag 1984. Zur Problematik der Einheiten, die auf den Kampf gegen die Partisanen und für Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung spezialisiert waren, siehe Oldřich Sládek: Ve znamení smrtihlava. Nacistický protipartyzánský aparát v letech 1944–1945. Prag 1991; Český odboj na sklonku války ve světle nacistických dokumentů [Versteckspiel mit dem Tode]. Hrsg. v. Václav Kural, Jan Novotný, Oldřich Sládek. 2 Bde. Prag 1970. Die Ursachen, warum die jeweilige „Lebensdauer“ der Führungsebene von Widerstandsgruppen im Protektorat bis auf Ausnahmen nur ein Jahr betrug hat, werden beschrieben bei: Václav Kural, Vlastenci proti okupaci; Alena Hájková, Praha v komunistickém odboji. Zur Problematik der Konfidenten, der Bildung von „Lockvogelnetzen“ und ihren konkreten Auswirkungen auf die Widerstandsorganisationen siehe vor allem: Oldřich Sládek: Zločinná role gestapa. Nacistická bezpečnostní policie v českých zemích 1938–1945. Prag 1986; Václav Kural: Vlastenci proti okupaci, S. 186 ff.; Alena Hájková: Praha v komunistickém odboji; Jiří Šolc: Ďáblova past. Prag 1993; Dušan Tomášek: Konfidenti. Prag 1991.

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Streiks und Sabotageaktionen, die den tschechischen Widerstand hemmten. Auf Grund der Angaben in den Unterlagen der Prager Staatspolizeileitstelle beispielsweise lässt sich belegen, dass während der sechsjährigen Tätigkeit dieser Leitstelle offiziell 35.721 Personen polizeilich untersucht wurden. Die letzten Verhaftungen wurden noch am 4. Mai 1945 vorgenommen. Die nur teilweise erhaltenen Unterlagen erlauben es zwar nicht, die Angaben über alle verhafteten Personen in vollem Umfang zu analysieren und die Gründe ihrer Verhaftung objektiv auszuwerten. Allerdings ermöglichen sie es, einen Aspekt verhältnismäßig detailliert zu verfolgen. Während der letzten 16 Kriegsmonate, von Januar 1944 bis zum 4. Mai 1945, wurden von der Prager Staatspolizeileitstelle insgesamt gegen 13.000 Personen ermittelt. Diese Zahl ist um 1000 Personen höher, als die Zahl der von 1939 bis Oktober 1942 Untersuchten. Zum Vergleich: Am 1. Dezember 1941, zur Zeit des ersten Standrechts, betrug die Zahl der erfassten Verhafteten 5000, am 21. Oktober 1942, zwei Tage vor der Massenhinrichtung der Personen, die sich an der Vorbereitung und Durchführung des Attentats auf Heydrich beteiligt hatten, waren es bereits 12.000 Personen gewesen.17 Als häufigste Gründe für Verhaftungen galten in den letzen 16 Okkupationsmonaten „Hochverrat“, „reichsfeindliche Tätigkeit“, „Verletzung der Arbeitsverträge“ (d. h. Verweigerung der Arbeitsleistung in der deutschen Rüstungsindustrie) und „Sabotage in der Kriegswirtschaft“. Dieselbe Entwicklung lässt sich auch bei einer Untersuchung der Inhaftiertenzahl im Polizeigefängnis der Prager Gestapo in der Kleinen Festung in Theresienstadt feststellen. Dort waren in den Jahren zwischen1940 und 1945 insgesamt 32.000 Personen inhaftiert. Die durchschnittliche Inhaftiertenzahl, die im Jahre 1940 bei 150 Personen lag, wuchs im Jahre 1942 auf 1200 und bewegte sich in den Jahren 1943 und 1944 um die 2000 Personen. In den letzten Monaten der deutschen Okkupation erreichte die Häftlingszahl sogar 5500. Fast die Hälfte der in der Kleinen Festung inhaftierten Personen, bei denen der Haftgrund bekannt ist, war wegen Teilnahme an der Widerstandsbewegung verhaftet worden.18 Nicht nur die Kleine Festung von Theresienstadt, sondern auch andere Gefängniseinrichtungen im Protektorat waren überfüllt mit Angehörigen der Widerstandsbewe17

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Am 24.10.1942 wurden in Mauthausen 252 Angehörige des tschechischen Widerstands hingerichtet. Unter ihnen befanden sich auch die Verwandten der Fallschirmspringer, die das Attentat verübt hatten. Die jüngste Hingerichtete war die vierzehnjährige Jindřiška Nováková, sie hatte das Fahrrad des Fallschirmspringers Jan Kubiš vom Ort des Attentats weggebracht. Eine weitere Massenhinrichtung von Widerstandskämpfern fand am 26.1.1943 in Mauthausen statt, siehe Jaroslav Čvančara: Někomu život, někomu smrt. Československý odboj a nacistická okupační moc 1939–1945. Bd. 2: 1941–1943. Prag 1997; NA Prag, Bestand Koncentrační tábory-okupační vězeňské spisy, die Evidenzbücher Staatspolizeileistelle Prag. Einen ähnlichen Trend kann man auch in der erhaltenen Dokumentation der Staatspolizeileitstelle Brünn verfolgen, deren „Wirkungsgebiet“ ganz Mähren war, oder auch im so genannten AD-Buch, in dem die in die Kleine Festung Theresienstadt oder in die KZs außerhalb der Protektoratsgrenze überstellten Personen erfasst wurden. Laut den teilweise erhalten gebliebenen Meldungen der GestapoDienststellen wurden von der Gestapo während der Okkupation schätzungsweise 105.000 bis 115.000 Personen verhaftet. Marek Poloncarz: Das Gestapo-Polizeigefängnis Kleine Festung Theresienstadt. In: Theresienstädter Studien und Dokumente 2000, S. 11–26.

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gung. Bis zum Ende der Okkupation blieb der NS-Apparat damit beschäftigt. Die letzte Massenhinrichtung von Widerstandskämpfern wurde noch am 2. Mai 1945 durchgeführt, als in der Kleinen Festung von Theresienstadt 51 Angehörige der Widerstandorganisation „Předvoj“ erschossen wurden.19 Die Ereignisse von 1942 bis 1945 zeigen, dass der Wille zum Widerstand trotz der NS-Terrormaßnahmen des zweiten Standrechts auch weiterhin bestanden hatte, auch wenn er nicht mehr zu solch besonderen Aktionen führte, wie dem Attentat auf Heydrich. Die Widerstandsorganisationen im Protektorat hatten ihre Anfänge noch vor Beginn des Zweiten Weltkriegs schon seit 1938. Die Mitglieder der Widerstandsgruppen waren genauso wie der Großteil der Bevölkerung im Protektorat der Ansicht, dass NSDeutschland den Krieg verlieren werde. Ebenso waren sie der Überzeugung, dass mit dem Ende des Krieges die Tschechoslowakische Republik erneuert werden würde. Im Gegensatz zum späteren Kriegsverlauf war man jedoch allgemein der Meinung, dass dieser Krieg von kurzer Dauer sein werde. Bei der Formulierung von Aufgaben, die der Widerstand im Protektorat erfüllen sollte, war die Idee ausschlaggebend, dass die Befreiung von außen geschehen würde. Der Widerstand im Innern sollte dabei größtmögliche Unterstützung leisten, wobei ein bewaffneter Aufstand die wichtigste Widerstandsaktion im Protektorat sein sollte. Die illegal organisierte Struktur der ON, deren Leitung diesen Gedanken favorisierte, wurde deshalb noch in der Vorkriegszeit auf dem Prinzip einer „Untergrundarmee“ aufgebaut. Wenn auch die von der Verhaftungswelle von 1939/1940 schwer getroffene Widerstandsbewegung durch die Entwicklungen nach dem 1. September 1939 und insbesondere durch die Niederlage Frankreichs gezwungen wurde, auf die nun eingetretene militärisch-politische Lage in Europa wesentlich realistischer zu reagieren, ließ man doch den anfänglichen Gedanken nicht fallen. Die Vorbereitungen für den Aufstand, dessen Zentrum Prag sein sollte, wurden bereits im Februar 1945 von illegalen Organisationen in Angriff genommen. Diese Organisationen stützten sich auf die Soldaten und Offiziere der tschechoslowakischen Armee, welche die bewaffneten Aktionen leiten sollten (Militärkommando Alex, Militärkommando Bartoš). An die Spitze des Aufstands sollte sich der Česká národní rada (ČNR-Tschechischer Nationalrat) stellen, der sich seit dem Sommer 1944 formiert hatte. ČNR wurde später zur leitenden politischen Organisation des Widerstands im Protektorat. Der Prager Aufstand, an dem über 30.000 Kämpfer teilnahmen und der nicht wie ursprünglich geplant, sowohl in Prag am 5. Mai 1945 als auch in anderen Orten des Protektorats einige Tage früher spontan ausbrach, wurde zur größten bewaffneten Auseinandersetzung von Widerstand und Okkupationsmacht im Protektorat. Während des Aufstandes fielen auf tschechischer Seite 3700 Personen oder wurden von SS-Einheiten brutal ermordet. Die Lage der Aufständischen hing in Prag ebenso wie in anderen okkupierten Großstädten Europas davon ab, ob der Aufstand bei den Alliierten Unterstützung finden würde. Dadurch war der Aufstand vom Interessenskonflikt der Groß19

Dazu siehe Alena Hájková und Dušan Tomášek: XYZ. Poslední poprava v Terezíně. Prag 1988.

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mächte abhängig. Nach schweren Kämpfen und einer Patt-Situation vereinbarten die Vertreter des ČNR und des deutschen Militärkommandos schließlich am 8. Mai 1945 um 16 Uhr eine Abmachung über die Art und Weise des Abzugs aller deutschen Wehrkräfte aus Prag. Die sowjetische Armee betrat Prag erst in dem Augenblick, als bereits ein Großteil der deutschen Truppen die Stadt verlassen hatte.20

Zur Bewertung nach 1945 Die politische Entwicklung in der Tschechoslowakei nach Ende des Zweiten Weltkrieges fand auch in den historischen Forschungen über die Geschichte des Widerstands und der Okkupation ihren Widerhall. Schon 1945/46 versuchte die Sowjetunion Druck auf Prag auszuüben, um alle Mitglieder des ČNR von ihren Funktionen zu entbinden. Nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948 wurde der Prozess der „Umwertung“ auf die politische Umsetzung von Werten des gesamten Widerstands, sowohl des inländischen als auch des ausländischen, erweitert. Bereits im Mai 1948 wurde auf gewaltsame Art und Weise die Vereinigung der Organisationen der Widerstandskämpfer durchgeführt. In der darauf folgenden Periode sind manche Widerstandskämpfer emigriert. Seit 1949 wurde eine ganze Reihe von Angehörigen der Widerstandorganisationen, der Partisanengruppen und der ausländischen Militäreinheiten im Rahmen rechtswidriger Prozesse zu hohen Strafen verurteilt, unter anderem zur Todesstrafe (M. Horáková, H. Píka, J. Nechanský u. a.). Der Großteil der zur Gefängnisstrafe Verurteilten wurde erst auf Grund der Amnestie im Jahr 1960 entlassen, und im Jahre 1968 oder erst nach dem Jahr 1989 rehabilitiert. Während in den frühesten Arbeiten über den Widerstand, die in den ersten Nachkriegsjahren entstanden, vor allem das Heldentum seiner Teilnehmer erwähnt wurde, ist für die historischen Werke aus der Zeit nach 1948 bezeichnend, dass der Widerstand bürgerlicher Kreise aus ideologischen Gründen verschwiegen wurde. Konkrete Personen wurden dabei durch den Mythos „des nationalen Befreiungskampfs des ganzen Volks unter der Leitung der kommunistischen Partei“ ersetzt. Erst Anfang der sechziger Jahre kam es in der Geschichtsforschung zur Widerstandsbewegung und Okkupation zu einer grundlegenden Wende. Im Jahre 1961 wurde das „Komitee für die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes“ gegründet. Zu jener Zeit wurde der Widerstand auch erstmals in seiner Vielfalt erforscht. Diese außerordentliche Arbeitsbreite wurde mitunter dadurch ermöglicht, dass an den Forschungsarbeiten gemeinsam mit Historikern und Archivforschern auch Zeitzeugen teilnahmen. Die Forschungsresultate wurden fortlaufend im Bulletin „Odboj a revoluce“ (Widerstand und Revolution) sowie auch in der Zeischrift „Historie a vojenství“ (Geschichte und Militärwesen) veröffentlicht. Die zu jener Zeit publizierten Werke können sowohl auf dem Gebiet der Geschichte des Widerstands als auch auf dem Gebiet der Okkupationsgeschichte als grundlegende Arbeiten bezeichnet werden. Die sowjetische Okkupation der Tschechoslowakei am 20

Die aktuellste Darstellung des Prager Aufstands bietet: Stanislav Kokoška: Prag im Mai 1945. Die Geschichte eines Aufstandes. Göttingen 2009 (zuerst unter dem Titel: Praha v květnu 1945. Historie jednoho povstani. Prag 2005).

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21. August 1968 hat diese Entwicklung auf dem Forschungsgebiet der Widerstandsund der Okkupationsgeschichte gestoppt. Schon 1969 wurden weitere Veröffentlichungen des Komitees und seiner Mitarbeiter unterbunden. Im folgenden Jahr wurde das Komitee aufgelöst, und eine ganze Reihe seiner Mitglieder durfte bis 1989 keine wissenschaftlichen Tätigkeiten mehr ausüben. Manche wurden zur Emigration gezwungen oder inhaftiert. Die Forschungsarbeiten, die in den Jahren bis 1989 durchgeführt wurden, wurden zwar noch von den in den sechziger Jahren erreichten Resultaten beeinflusst, aber ihr Erscheinen verlangsamte sich wesentlich. Neben rein politischen Aspekten wurde die Forschungsentwicklung auch durch den komplizierten Zugang zu den Archiven behindert. Die Zahl der Veröffentlichungen, Aufsätze und Studien, die sich mit dem Widerstand und mit der Okkupation befassen, hat erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wieder entscheidend zugenommen. Mit dieser Bürde starteten die tschechischen Historiker und die tschechische Historiographie in die Zeit nach dem November 1989.21 Es wurden zwar Leerstellen der Geschichtsschreibung durch das Verdienst jener Arbeiten gefüllt, die erst in den neunziger Jahren erscheinen konnten, obwohl sie lange Zeit vorher zum Druck fertig gewesen waren. Dennoch gibt es weiterhin eine ganze Reihe von Problemen. Ein großes Problem ist das Missverhältnis in der Untersuchung der zwei Perioden der Widerstands- und der Okkupationsgeschichte (dem Zeitabschnitt 1939–1942 und dem Zeitabschnitt 1943–1945). Den Tätigkeiten des Nachrichtendienstes der Widerstandsbewegung beispielsweise widmen die Historiker seit langem große Aufmerksamkeit, deshalb ist dieser Themenkreis bereits ausführlich bearbeitet. Im Gegensatz dazu gibt es jedoch beispielsweise keine analytisch-synthetische Arbeit, die sich speziell mit der Sabotagetätigkeit in den sechs Okkupationsjahren insgesamt beschäftigt. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich um ein anspruchsvolles Forschungsproblem handelt, liegt es auf der Hand, dass man sich dem Ziel, das sich das „Komitee für die Geschichte des antifaschistischen Widerstands“ in den sechziger Jahren gesetzt hatte, und das eine objektive Synthese der Geschichte des tschechischen Widerstands bedeutete, erst in Zukunft nähern kann. Die späte Erforschung der tschechischen Widerstandsgeschichte gegen die NSHerrschaft scheint im Vergleich mit Forschungsergebnissen anderer Staaten zwar problematisch zu sein, allerdings handelt es sich hierbei um kein unüberwindbares Hindernis. Ein schwerwiegendes Problem stellt jedoch die Tatsache dar, dass die langfristige Ideologisierung der Widerstandsgeschichte nach 1945 zur Herabsetzung seines Ansehens in der gesamten tschechischen Gesellschaft geführt hat. Die seit 1990 durchgeführte Geschichtsforschung hat daher auch eine weitere wichtige Aufgabe: Sie soll zur Rehabilitierung des Widerstands im Bewusstsein der tschechischen Gesellschaft beitragen.

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Nach 1990 hat es zwar etliche Bemühungen gegeben, ein neues „Komitee“ zu formieren, jedoch hatten diese Bemühungen in Anbetracht der auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Geschichtsforschung verlaufenden Änderungen keine Hoffnung auf Erfolg. Derzeit bilden das Prager Institut für Militärgeschichte und die Abteilung für Geschichte des Zweiten Weltkriegs am Institut für Zeitgenössische Geschichte die Hauptzentren dieser Forschungstätigkeit.

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Literaturhinweise Bareš, Gustav / Bartošek, Karel / Benčík, Antonín u a.: Odboj a revoluce 1938–1945. Nástin dějin československého odboje. Prag 1965 Brandes, Detlef: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. 2 Bde. München/Wien 1969, 1975 Čvančara, Jaroslav: Někomu život, někomu smrt. Československý odboj a nacistická okupační moc 1939–1945. 3 Bde. Prag 1997–2007 Gebhart, Jan / Koutek, Jaroslav / Kuklík, Jan: Na frontách tajné války. Prag 1989 Haasis, Hellmut G.: Tod in Prag. Das Attentat auf Heydrich. Berlin 2002 Hájková, Alena: Praha v komunistickém odboji. Prag 1984 Kárný, Miroslav / Milotová, Jaroslava / Kárná, Margita: Deutsche Politik im „Protektorat Böhmen und Mähren“ unter Reinhard Heydrich 1941–1942. Eine Dokumentation (= Nationalsozialistische Besatzungspolitik in Europa 1939–1945, Bd. 2). Berlin 1997 Kokoška, Stanislav: Prag im Mai 1945. Die Geschichte eines Aufstandes. Göttingen 2009 (zuerst unter dem Titel: Praha v květnu 1945. Historie jednoho povstáni. Prag 2005) Kuklík, Jan: K problematice vzniku národní fronty v domácím odboji. Vývoj odbojové organizace PVVZ na území Čech 1939–1941. Prag 1976 Kural, Václav: Vlastenci proti okupaci. Ústřední vedení odboje domácího 1940–1943. Prag 1997 MacDonald, Callum: The killing of SS Obergruppenführer Reinhard Heydrich, 27 May 1942. London 1989 Mastny, Vojtech: The Czechs under Nazi Rule. New York 1971 Pasák, Tomáš: 17. listopad 1939 a Univerzita Karlova. Prag 1997 Sládek, Oldřich: Zločinná role gestapa. Nacistická bezpečnostní policie v českých zemích 1938–1945. Prag 1986 Steinkamp, Peter: Lidice 1942. In: Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2003, S. 126–135 Tschechische und slowakische Juden im Widerstand 1938–1945. Hrsg. v. Jiři Kosta, Jaroslava Milotová und Zlatica Zudová-Lešková. Berlin 2008

Polen: Der nationale Widerstandskampf 1939–1945 Krzysztof Ruchniewicz Der Widerstand der Polen gegen die deutsche und sowjetische Besetzung ab September 1939 wies differenzierte, im europäischen Vergleich singuläre Organisationsstrukturen auf. Neben der großen Vielfalt des konspirativen Lebens unter der NS-Besatzungsherrschaft gab es zivile und militärische Untergrundaktivitäten sowie ein Zentrum, das ständig mit der polnischen Exilregierung in London in Kontakt stand. Diese Umstände rechtfertigen es, nicht nur von einer entwickelten Widerstandsbewegung, sondern von einem insgeheim agierenden Untergrundstaat zu sprechen.1

Die Errichtung von Untergrund-Strukturen Trotz des Schocks, den die militärische Niederlage und der Zusammenbruch des Staates auslösten, entstanden bereits in den ersten Wochen der Besatzung viele konspirative Organisationen.2 Am schwierigsten gestaltete sich der Aufbau konspirativer Strukturen in den ins Reich eingegliederten bzw. von der Sowjetunion besetzten Gebieten, da dort die Sicherheitsapparate der Besatzer besonders gut organisiert waren und zudem die feindliche Haltung eines Teils der nichtpolnischen Minderheiten gegenüber den Polen die illegalen Aktivitäten erschwerte. Bis Juni 1941 gelang es dem sowjetischen Geheimdienst NKWD weitgehend, den polnischen Untergrund zu zerschlagen oder zu infiltrieren.3 Im Wartheland, das dem Deutschen Reich als neuer Reichsgau angegliedert wurde, wurde die Konspiration nahezu vollständig von der Gestapo zerschlagen. Am lebhaftesten konnte sich der Untergrund vorübergehend im neu geschaffenen „Generalgouvernement“ sowie im Raum Łódź und in Oberschlesien entwickeln. Die ersten Mitglieder waren meist polnische Soldaten, die nicht in Gefangenschaft geraten waren. Die von ihnen gebildeten Partisaneneinheiten wurden indes rasch zerschlagen. Die wichtigste Rolle beim Aufbau des Untergrunds kam in den ersten Monaten der Besatzung dem „Dienst am Sieg Polens“ (Służba Zwycięstwu Polski, kurz: SZP) zu, der sich am 27. September 1939 in Warschau bildete und bis Ende desselben Jahres in allen größeren Städten des Generalgouvernements sowie in Łódź Abteilungen aufgebaut hatte. Nachdem die (bis Juni 1940 in Frankreich, danach in London ansässige) polnische Exilregierung den Oberbefehl über den SZP übernommen hatte, wurde er in den von General Stefan Rowecki (Pseudonym „Grot“) geführten Verband für den be1

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Stefan Korboński: The Polish Underground State: A Guide to the Underground, 1939–1945. Boulder 1979; Marek Ney-Krwawicz: The Polish Home Army, 1939–1945. London 2001. Über die Formierung des polnischen Untergrundstaates vgl. Wolfgang Jacobmeyer: Heimat und Exil. Die Anfänge der polnischen Untergrundbewegung im Zweiten Weltkrieg. Hamburg 1973. Vgl. Wanda Krystyna Roman: Die sowjetische Okkupation der polnischen Ostgebiete 1939 bis 1941. In: Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Bernhard Chiari unter Mitarbeit von Jerzy Kochanowski. München 2003, S. 86–109 (dort auch weiterführende Literatur).

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waffneten Kampf (Związek Walki Zbrojnej, kurz: ZWZ) umgewandelt. Der ZWZ wurde Bestandteil der polnischen Armee und war damit dem Premierminister und Oberbefehlshaber in London, General Władysław Sikorski, unterstellt, mit dem er über Kuriere und Funk in Kontakt stand. Der Verband für den bewaffneten Kampf hatte in erster Linie die Aufgabe, einen allgemeinen Aufstand vorzubereiten, der zum Zeitpunkt einer abzusehenden deutschen Niederlage entfacht werden sollte. Hierfür arbeitete er mit den alliierten Luftstreitkräften zusammen und sollte durch Landung von Einheiten der Polnischen Streitkräfte im Westen unterstützt werden. Obwohl es erst gegen Ende des Krieges zum polnischen Aufstand kommen sollte, war der ZWZ ständig aktiv, indem er Soldaten ausbildete, Waffen sammelte und lokale Posten ausbaute, die 1943 bereits im ganzen Land – das heißt auch in den im Sommer 1941 von den Deutschen besetzten Gebieten Ostpolens – existierten. Im Februar 1942 wurde der Verband in „Heimatarmee“ (Armia Krajowa, kurz: AK) umbenannt, die im Laufe der Zeit auch die Bauernbataillone (Bataliony Chłopskie) und einen Teil der nationaldemokratischen nationalen Militärorganisation aufnahm. Die Untergrundarmee zählte im Sommer 1944 ca. 380.000 Mann, von denen 100.000 bewaffnet waren. Außerhalb der mit der Londoner Exilregierung verbundenen Untergrundstrukturen verblieben ein Teil der im Untergrund aktiven Rechten („Nationale Streitkräfte“ = Narodowe Siły Zbrojne) und die Kommunisten, die ab 1942 schrittweise ihre konspirativen Aktivitäten in Zentralpolen ausbauten.

Konspirative militärische Tätigkeit Die gegen die Besatzungsmacht gerichteten Aktivitäten bestanden vor allem aus Sabotage- und Diversionsakten, die das militärische Potenzial des Dritten Reiches schwächen sollten. Hierzu zählten die Zerstörung von Eisenbahnanlagen, das Anzünden von Magazinen und die Beschädigung von Maschinen in Fabriken. Es wurden auch Verräter und Spitzel hingerichtet, die zuvor von Untergrundgerichten zum Tode verurteilt worden waren. Nach dem Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 wurden auch an der Ostfront subversive Aktionen durchgeführt. Im Jahr 1943 unternahm das Diversionskommando (Kierownictwo Dywersji = „Kedyw“) Sabotageakte und Störaktionen, befreite Gefangene und richtete Verräter sowie Mitarbeiter des deutschen Sicherheitsapparats hin. Bis Mitte 1944 hatten der Verband für den bewaffneten Kampf bzw. die Heimatarmee Tausende subversive und Sabotageakte begangen, in denen etliche Tausend Lokomotiven, Waggons und Autos zerstört oder beschädigt, fast 40 Brükken gesprengt und 100 Magazine niedergebrannt wurden. In Waffenfabriken wurden zahlreiche Maschinen zerstört und von polnischen Arbeitern absichtlich schadhafte Waffenteile produziert. Für die an der Ostfront kämpfende Wehrmacht brachten diese Aktionen spürbare Verluste. Ihre bedeutendsten Aktionen waren Gefangenenbefreiungen in Pińsk und vor dem Arsenal in Warschau 1943. Im Februar 1944 gelang ein Attentat auf Franz Kutschera, den SS- und Polizeiführer im Bezirk Warschau. Der Aufbau größerer Verbände, die dauerhaft gegen die Deutschen kämpfen sollten, war erst für die Zeit unmittelbar vor dem nationalen Aufstand vorgesehen. Dennoch entstanden solche Gruppierungen schon 1942/1943. Sie schützten die polnische Bevölkerung vor den deutschen Umsiedlungen (Region um Zamość) bzw. vor Bedrohun-

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gen, die in den polnischen Ostgebieten (sog. „Kresy“) durch nichtpolnische nationalistische Formationen und sowjetische Partisanen bestanden. Eine wesentliche Hilfe für die Alliierten waren auch die von der polnischen Untergrundbewegung abgehörten und mitgeteilten Geheimdienstinformationen. Eine weitere wichtige Aufgabe war die Hebung der Moral der polnischen Bevölkerung und die Bereitstellung von Nachrichten über die militärisch-politischen Ereignisse im In- und Ausland, mit der das „Büro für Information und Propaganda“ (Biuro Informacji i Propagandy/BiP) beauftragt war. Die Heimatarmee war die geheime Militärorganisation des Untergrunds. Sie genoss nicht zuletzt deshalb große Autorität in der Gesellschaft, weil diese in ihr ein sichtbares Zeichen des nationalen Widerstands im Land und der Existenz einer rechtmäßigen polnischen Regierung im Exil sah, denen die AK unterstand und deren Rückkehr sie am Ende des Krieges durch einen allgemeinen Aufstand vorzubereiten hatte.

Die Tätigkeit des zivilen Untergrunds Parallel zur militärischen entwickelte sich die zivile Konspiration. Die politischen Parteien, darunter die Sozialisten, Bauernparteien und die Nationaldemokraten, begannen sich bereits im Herbst 1939 im Untergrund neu zu formieren; die Partei der Arbeit folgte nur wenig später. Anfang 1940 riefen die Parteien das „Politische Verständigungskomitee“ ins Leben, mit dem sie großen Einfluss auf die Heimatarmee und die Politik der Regierung ausübten. Durch die Schaffung regionaler und lokaler Vertretungen wurde im Untergrund schrittweise eine zivile Verwaltung aufgebaut. Das für Polen zuständige Organ der Exilregierung war die sogenannte „Delegatur im Land“, an deren Spitze Cyryl Ratajski stand. Sie gliederte sich in zahlreiche Abteilungen, u. a. für innere Angelegenheiten (zuständig für Lageanalysen, Unterstützung für Deportierte und Gefangene, Spionage und Gegenspionage sowie Hilfe für Juden), Information und Presse (Analyse des gesellschaftlichen Lebens unter der Besatzung, Verlagsarbeit), Arbeit und Sozialhilfe (Hilfe für Inhaftierte und ihre Familien) sowie Bildung und Kultur (Koordinierung des geheimen Unterrichts, Dokumentation und Versicherung von Kunstraub, Unterhaltszahlungen für mittellose Schriftsteller und Wissenschaftler). Fortwährend wurden Informationen über die Politik der Besatzungsmacht gegenüber der polnischen Bevölkerung und der Wirtschaft gesammelt und Entwürfe für Gesetze und Dekrete vorbereitet, die nach der Befreiung für den Aufbau der Verwaltung und des Wirtschaftslebens notwendig sein würden. Man versuchte, die Moral der besetzten Gesellschaft zu stärken, indem unbotmäßiges Verhalten und Kollaboration gebrandmarkt und bestraft wurden. In der Regierungsdelegatur arbeitete seit Ende Dezember 1942 ein Rat der Hilfe für Juden („Żegota“), der von Vertretern politischer Parteien und der jüdischen Gemeinschaft geleitet wurde. Diese im besetzten Europa einzigartige Organisation – in Polen wurde seit Oktober 1941 jeder mit dem Tode bestraft, der Juden half oder sie versteckte – verfolgte mehrere Ziele. Zum einen leistete sie finanzielle Hilfe, wobei sie Mittel weiterleitete, die von der Regierung, jüdischen Organisationen in der freien Welt oder Spendern zur Verfügung gestellt wurden. Zum anderen ging es darum, Flüchtlinge auf der „arischen Seite“ durch Ausstellung gefälschter Dokumente zu legalisieren, sie zu verstecken und zu betreuen sowie darum, gegen die Erpressung von Juden und Denunziation bei den Besatzungsstellen vorzugehen. Am aktivsten war der

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Rat in Warschau, Krakau und Lemberg. Irena Sendlerowa, die für den Rat arbeitete, gelang es, über 2.000 jüdische Kinder aus dem Warschauer Getto zu retten und zu verstecken. Insgesamt erhielten mehrere Zehntausend Menschen Hilfe von Seiten des Rates. An seiner Arbeit beteiligten sich u. a. die katholische Geistlichkeit, verschiedene Untergrundorganisationen sowie zahlreiche Privatpersonen. Der polnische Untergrund sammelte auch Informationen über die Ermordung der Juden, die Funktionsweise der Vernichtungslager sowie über die Lebensbedingungen in den Gettos und übermittelte sie mit Hilfe von Kurieren oder per Funk an die Regierungen der Westmächte. Nach dem Ausbruch des Aufstands im Warschauer Getto im April 1943 gelang es der Heimatarmee in einigen wenigen Fällen, die Kämpfer mit Waffen auszustatten. Auch wurde der Versuch unternommen, die das Getto umgebende Mauer zu sprengen. Den wenigen Geretteten half die AK, sich zu verstecken. Nach und nach baute man die Zivilverwaltung aus. Eine Reihe von Abteilungen entstanden. Am aktivsten waren die Abteilung für Inneres (Situationsanalyse, Hilfe für Deportierte und Häftlinge, Aufklärung und Abwehr, Hilfe für Juden, Erarbeitung von Aktionsplänen für die Ordnungskräfte im befreiten Polen), die Abteilung für Information und Presse (Analyse verschiedener Probleme des gesellschaftlichen Lebens unter der Besatzung, Verlagstätigkeit, Sammeln der Untergrundpresse und Weiterleitung an die Regierung), die Abteilung Arbeit und Sozialfürsorge (Hilfe für Inhaftierte und deren Familien, Unterstützung des karitativen „Hauptfürsorgerats“ (Rada Główna Opiekuńcza/RGO), Vorbereitung von Entwürfen für eine Reform des Arbeitsrechts) und die Abteilung Bildung und Kultur (Koordination des geheimen Schulwesens, Dokumentation von Kunstraub, Sicherstellung geraubter Kunstwerke, Auszahlung von Beihilfen für mittellose Schriftsteller und Wissenschaftler). Großes Augenmerk richtete die Leitung des Untergrunds auf den moralischen Zustand und das Verhalten der Bevölkerung. Die Bedingungen unter der Besatzung förderten nämlich sowohl die Kollaboration mit dem Feind, aber auch die gewöhnliche Kriminalität und das Bandenwesen sowie negative soziale Erscheinungen wie Alkoholismus und den Verfall moralischer Normen. Bereits im Herbst 1940 wurde bei der AK die „Leitung für den Zivilen Kampf“ (Kierownictwo Walki Cywilnej) gegründet, die in Zusammenarbeit mit der Regierungsvertretung Grundsätze für das Verhalten der Polen gegenüber der Besatzungsmacht erarbeitete, dabei unwürdiges und schädliches Verhalten anprangerte. Ebenfalls 1940 wurden im Untergrund Gerichte für polnische Militärangehörige und Zivilisten geschaffen. Diese fällten in besonders gefährlichen Fällen von Verrat und Kollaboration Todesurteile; in anderen Fällen verhängten sie empfindliche Strafen in Form öffentlicher Zurschaustellung (beispielsweise durch Kahlrasieren) oder Prügel. Auch intime Kontakte von polnischen Frauen mit Deutschen wurden sanktioniert.

Das Bildungswesen im Untergrund und die konspirative Beteiligung von Jugendlichen Die drastische Beschneidung des polnischen Schulwesens durch die Besatzungsmacht rief bei Lehrern und Schülern spontane Reaktionen hervor. Sie begannen, illegale Lern-

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gruppen zu bilden, die sich in Privathäusern trafen oder geheim in den von den Deutschen kontrollierten Schulen arbeiteten. Das Untergrundschulwesen umfasste sämtliche Niveaus von der Grundschul- bis hin zur höheren Bildung. Bereits im Dezember 1939 wurden die ersten Untergrundgymnasien in Betrieb genommen; gleichzeitig setzte auch der universitäre Unterricht ein. In den zugelassenen Grund- und Berufsschulen wurden heimlich polnische Geografie, Literatur und Geschichte unterrichtet. Eine wesentliche Rolle spielte hierbei die von der Regierungsdelegatur im Lande unterstützte „Geheime Lehrerorganisation“ (Tajna Organizacja Nauczycielska). Am Grundschulunterricht nahmen 150.000 Kinder teil, an der mittleren Schulbildung über 70.000 Jugendliche. Den Unterricht erteilten mehr als 10.000 Lehrer. Untergrund-Hochschulen mit insgesamt ca. 12.000 Studierenden und mehreren Hundert Wissenschaftlern gab es in Warschau, Krakau, Kielce, Lemberg und Wilna. Die Jugendlichen engagierten sich in verschiedenen Untergrundorganisationen, von denen die größte die Pfadfinderschaft war. Bereits im Herbst 1939 nahm der Polnische Pfadfinderverband seine Tätigkeit wieder auf; wenig später benannte er sich in „Graue Reihen“ (Szare Szeregi) um. Die organisatorische Trennung nach Geschlechtern aus der Vorkriegszeit wurde beibehalten. Die Mädchen übernahmen die Pflege von Verwundeten sowie die Hilfe für Kriegsgefangene, Häftlinge und deren Familien. Die jüngeren Pfadfinder leisteten Hilfe für Opfer der Unterdrückung. Die über 18-Jahrigen gingen in Militäreinheiten, wo sie für Sabotage und den offenen Kampf eingesetzt wurden. Aus den Pfadfindern gingen die berühmten Warschauer AK-Bataillone mit den Kryptonymen „Zośka“, „Parasol“ und „Wigry“ hervor. Insgesamt waren in den Pfadfinderorganisationen mehrere Zehntausend Jugendliche aktiv.

Kulturelles Leben im Untergrund Die deutschen Besatzungsbehörden waren bemüht, unter den Polen jegliches weiterreichendes kulturelles Interesse zu unterbinden, das über die meist gehaltlosen Unterhaltungsangebote der von ihnen kontrollierten kleinen Theater und Verlage hinausging. Die Kulturarbeit im Untergrund stellte ein Gegenmittel gegen diese Bemühungen der Besatzungsmacht dar. Über 20 Theatergruppen und zahlreiche kleinere Ensembles waren aktiv tätig, in deren Repertoire Stücke mit nationaler, patriotischer Botschaft dominierten. Zentren dieser Arbeit waren vor allem Warschau und Krakau. Ein wichtiger Teil der konspirativen Tätigkeit war die Pressearbeit. 1944 erschienen fast 600 Titel verschiedenster Ausrichtungen. Darunter befanden sich Tages-, Wochenund Monatszeitungen. Die größte Auflage erreichten die Informationsschriften der AK und der Regierungsvertretung. Im Untergrund erschienen auch anspruchsvolle Zeitschriften über Kultur und Gesellschaft. Das Zentrum dieses Verlagswesens war Warschau, aber konspirative Zeitschriften erschienen auch in allen Woiwodschaftsstädten und den meisten Kreisstädten. Die Verbreitung dieser Presse war sehr gefährlich und konnte für jeden, der damit auffiel, eine tödliche Bedrohung bedeuten. Auch schöngeistige Literatur wurde im Untergrund verlegt. In heimlich gedruckten, bescheidenen Bändchen debütierten Dichter, die später als Stimme ihrer Generation galten: Krzysztof Kamil Baczyński, Wacław Bojarski und Tadeusz Gajcy.

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Der polnische Untergrundstaat konnte sich trotz der ungeheuren Repressionen, die ihren Anführern und auch den einfachen Aktivisten entgegenschlugen, immer mehr entwickeln. Durch die Hand der Deutschen starben 1944 der AK-Führer General Stefan Rowecki und der Vertreter der Exilregierung im Inland, Jan Piekałkiewicz. Dennoch gelang es der NS-Besatzungsmacht trotz Unterdrückung, Geheimdienstaktivitäten und der Unterstützung von Denunzianten nicht, die Strukturen des Untergrundstaates zu zerschlagen. Man geht davon aus, dass der militärische und zivile Widerstand in seinen verschiedenen Formen von fast einer Million Polen aus allen Teilen des Landes getragen wurde.

Der kommunistische Untergrund Die kommunistischen Kreise organisierten sich außerhalb des polnischen Untergrundstaates. 1939–41 verhielten sich die polnischen Kommunisten in den vom Dritten Reich besetzten Gebieten passiv; das deutsch-sowjetische Bündnis schloss jegliche Untergrundtätigkeit seitens der Kommunisten aus. Nach Hitlers Überfall auf die UdSSR erkannte die Sowjetführung den Nutzen von Untergrundorganisationen hinter der deutschen Front, die nicht nur subversiv und als Partisanen arbeiteten, sondern auch passende politische Ziele verfolgten. Diese Aufgabe wurden den polnischen Kommunisten auf dem Gebiet des Generalgouvernements zugewiesen. In der UdSSR wurde eine Initiativgruppe gegründet, die nach kurzer Ausbildung Ende 1941 von Flugzeugen bei Warschau abgesetzt wurde. Am 5. Januar 1942 gründeten Mitglieder dieser Gruppe die Polnische Arbeiterpartei (Polska Partia Robotnicza/PPR). Die PPR mied offen kommunistische Parolen, rief zum sofortigen Kampf gegen die Deutschen auf und verkündete die Notwendigkeit zur Demokratisierung Nachkriegspolens. Im Frühling 1942 gründete die PPR ihre eigene bewaffnete Formation, die Volksgarde (Gwardia Ludowa), die mehrere Anschläge gegen deutsche Einrichtungen durchführte. Die PPR versuchte, als zusätzliche politische Kraft Eingang in die Strukturen des Untergrundstaates zu finden. Die Vertretung der Exilregierung im Inland stellte jedoch die Bedingung, dass die PPR die Regierung in London und deren politisches Programm anerkennen und ihre Unabhängigkeit von Weisungen aus dem Ausland (nämlich der UdSSR-Regierung und der Komintern) erklären müsse. Diese Bedingungen waren für die PPR unannehmbar. Zu dieser Zeit brach Stalin bereits die diplomatischen Beziehungen zur Exilregierung ab. Aufgabe der PPR wurde es nun, alternative Untergrundstrukturen zu schaffen, die bei Erreichen polnischen Territoriums durch die Sowjettruppen von diesen genutzt werden könnte. Im November 1943 übernahm der „inländische“ Funktionär Władysław Gomułka die Führung der Partei, die er bis Kriegsende inne hatte. Gleichzeitig ging die PPR zu einer Propagandaoffensive über. Das Manifest „Worum kämpfen wir?“ enthielt ein aus Gemeinplätzen bestehendes Programm, war dadurch aber für viele Milieus der polnischen Gesellschaft von gewissem Reiz. Angekündigt wurde darin eine umfassende Agrarreform, die Verstaatlichung von Großunternehmen und Banken; gefordert wurden territoriale Gewinne für Polen auf Kosten des Deutschen Reichs im Westen und Norden. Gleichzeitig sprach man der Exilregierung das Recht ab, nach der Befreiung in Polen die Macht zu übernehmen. In der Silvesternacht 1943/44 gründeten die Kommunisten den von ihnen dominierten „Landesnationalrat“ (Krajowa Rada Narodowa/KRN). Die bewaffne-

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ten Einheiten der Partei nahmen daraufhin den Namen „Volksarmee“ (Armia Ludowa) an.

Politische und militärische Aktivitäten bei Kriegsende (Aktion „Gewitter“) Anfang 1944 näherte sich die Sowjetarmee den polnischen Vorkriegsgrenzen. Um diese Zeit veröffentliche der „Rat der Nationalen Einheit“ als politische Führung des Untergrundstaats das Manifest „Wofür das polnische Volk kämpft“. Das nach dem Krieg in den Grenzen von 1939 neu zu gründende Polen sollte demnach eine parlamentarische Republik sein, die den Minderheiten im Land Gleichberechtigung und Autonomie zusichere. Angekündigt wurden auch umfangreiche innere Reformen, die eine Vergesellschaftung der Industrie, eine Neuordnung der Landwirtschaft sowie die Einführung einer allgemeinen Sozialversicherung vorsahen. Ferner wurde eine Beteiligung Polens an der Kontrolle des besiegten Deutschen Reiches verlangt, ebenso die Angliederung deutscher Gebiete, darunter Ostpreußen, an den polnischen Staat.4 Im Mai 1944 änderte die Vertretung der Regierung im Inland ihren Namen in „Landesministerrat“ (Krajowa Rada Ministrów). Dessen Leitung übernahm Jan Stanisław Jankowski, der zugleich als Vizepremier der polnischen Exilregierung fungierte. Im Februar 1944 wies die Regierung in London die Mitglieder der Untergrundverwaltung und die lokalen AK-Führer an, sich gegenüber der einmarschierenden Sowjetarmee als Vertreter der legalen polnischen Regierung zu bezeichnen und anzubieten, bei militärischen Operationen und der Sicherung des Hinterlands zu kooperieren. AK-Einheiten sollten selbständig oder in Zusammenarbeit mit der Roten Armee die Gebiete befreien, in denen sie operierten. Dieser Plan wurde „Aktion Gewitter“ (Akcja Burza) benannt. In der befreiten Region Kowel und Włodzimierz Wołyński (Wolodymyr-Wolynskyj) wurde im Januar 1944 die 27. Wolhynische Infanteriedivision der AK wieder aufgestellt. Diese über 6.000 Soldaten starke Formation begann als erste mit der Aktion „Gewitter“ und trat in Kontakt mit der Roten Armee. Die Division lieferte sich schwere Kämpfe mit deutschen Einheiten und ukrainischen Nationalisten, wurde schließlich von deutschen Truppen eingekreist und konnte nur mit Mühe nach Westen durchbrechen, wo sie in die Einheiten der Lubliner AK aufgenommen wurden. Im Juni/Juli 1944 führte die AK einen gescheiterten Angriff auf Wilna durch. Die Stadt wurde danach von sowjetischen Truppen erobert, die jedoch auch Unterstützung von AK-Einheiten erhielten. Bei Bemühungen, mit der Roten Armee zu einer Zusammenarbeit zu kommen, wurden die AK-Einheiten und deren Kommandeure verhaftet und interniert. Bald wurden 5.000 AK-Angehörige in Lager im Inneren der UdSSR deportiert. Ähnliches ereignete sich in der Region Lemberg: Auch dort wurden AK-Soldaten, die sich an den Kämpfen um die Hauptstadt Ostgaliziens beteiligten, von sowjetischen Stellen verhaftet und interniert. Auch im Raum Lublin tolerierte die sowjetische Führung nur wenige Tage die dort aufgebaute lokale AK-Verwaltung. Dann wur-

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Vgl. Detlef Brandes: Der Weg zur Vertreibung 1938–1945. Pläne und Entscheidungen zum ,Transfer‘ der Deutschen aus der Tschechoslowakei und aus Polen. München 2001.

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den die militärischen AK-Befehlshaber und zivilen Verwalter verhaftet sowie die Soldaten interniert. Ähnlich sah es in den Bezirken Warschau und Radom aus. Die Entwaffnung und Verhaftung der AK hatte die Sowjetregierung bereits in der ersten Julihälfte 1944 angeordnet. Stalin hatte seit langem vor, das befreite Polen unter seine eigene Kontrolle zu bringen. Er zögerte die Offenlegung seiner Pläne jedoch solange hinaus, bis das Land westlich des Bugs, den er als Westgrenze der UdSSR betrachtete, eingenommen war. Am 22. Juli 1944 wurde die Einsetzung des von Kommunisten dominierten Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego/PKWN) bekannt gegeben.

Der Warschauer Aufstand 1944 Die polnischen Partisanen und Kämpfer der AK befanden sich im Zusammenhang mit der vorrückenden Sowjetarmee in einer schwierigen Situation, da der Kreml bereits seit dem Frühjahr 1943 keine diplomatischen Beziehungen mehr mit der polnischen Exilregierung unterhielt und auf der Beibehaltung der nach der polnischen Niederlage im September 1939 gezogenen Grenzlinie beharrte. Polnische Soldaten der AK und Verwaltungsleute wurden in diesen Gebieten entwaffnet und interniert. Zur selben Zeit bereitete Stalin in Warschau die Einsetzung einer prosowjetischen Regierung vor. Das Lubliner Komitee erklärte sich mit der Annexion der früheren östlichen Woiwodschaften der zweiten Republik einverstanden und erkannte in den befreiten Gebieten die sowjetische Militärherrschaft an. Gestützt auf das sowjetische Militär und den Sicherheitsapparat konnte das PKWN seine Strukturen in einem Teil des polnischen Staats stärken. In Anlehnung an den Sitz des Komitees wurde dieser Teil „Lubliner Polen“ genannt. Die sich dramatisch verschlechternde politische Lage veranlasste die polnische Führung dazu, Warschau in die Planungen für die Aktion „Gewitter“ einzubeziehen. Die Kontrolle über die Stadt sollte die Stärke des polnischen Untergrunds unter Beweis stellen und die Möglichkeit schaffen, die Exilregierung im Lande zu etablieren. Nach wie vor ist die Entscheidung über den Beginn des Aufstandes in der Landeshauptstadt ein Streitthema unter Historikern, denn schließlich stellt der Aufstand eines der tragischsten Ereignisse der jüngeren polnischen Geschichte dar. Bis heute wirft die vollständige Zerstörung Warschaus einen Schatten auf diese Überlegungen, auch wenn man beachten muss, dass das Kommando der Heimatarmee nicht über dieselben Informationen verfügte wie die heutigen Historiker.5 Es musste sich vielmehr der politischen Lage, den Ereignissen an der Front und der Stimmung in der Warschauer Bevölkerung anpassen. Aufgrund der Erfolge des sowjetischen Vormarsches an der deutschen Ostfront nahm die AK-Führung unter General Władysław Komorowski („Bór“) an, dass sich die Rote Armee sehr bald Warschau nähern wurde. Zudem nährten die deutschen Vorbereitungen zur Verteidigung Warschaus die Befürchtung, dass die deutsch-sowjeti5

Spór o Powstanie. Powstanie Warszawskie w powojennej publicystyce polskiej 1945–1981. Hrsg. v. Dariusz Gawin. Warschau 2004; Vgl. ferner: Wahrheit, Erinnerung, Verantwortung. Der Warschauer Aufstand im Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen. Hrsg. v. Magda Cieszkowska, Rafal Degiel, Nina Mueller u.a. Warszawa 2010.

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schen Kämpfe der Stadt und ihren Bewohnern schwere Schäden und Verluste zufügen würden. Letztlich hätte Stalin eine fortgesetzte Untätigkeit als Zusammenarbeit mit den Deutschen interpretieren können. Zudem wurde in der Gründung des PKWN die Bedrohung wahrgenommen, dass Polen seinem östlichen Nachbarn untergeordnet oder gar in eine weitere Sowjetrepublik umgewandelt wird. Auch rechnete man damit, dass die Westmächte die polnische Regierung und das kämpfende Warschau unterstützen würden. Das Kommando der AK zögerte den Befehl zum Angriff so lange hinaus, bis sie die Nachricht erhielt, dass die Rote Armee die Vorstadt Warschaus erreicht habe – schließlich war man sich dessen bewusst, dass die Untergrundkämpfer die Stadt nicht lange würden halten können, wenn das sowjetische Militär die Deutschen nicht angreift. Nachdem die ersten Panzer in dem am rechten Weichselufer gelegenen Stadtteil Praga gesichtet worden waren, fasste General Komorowski gemeinsam mit dem Inlandsvertreter der Exilregierung Jankowski den Entschluss, den Aufstand am 1. August 1944 um 17 Uhr zu beginnen.6 Die polnischen Streitkräfte zählten ca. 37.000 Soldaten. Die AK-Einheiten wurden von kleinen Einheiten aus der rechtsgerichteten NSZ und der kommunistischen Volksarmee (AL) unterstützt. Schwachstelle der Aufständischen war die unzureichende Ausrüstung mit Waffen. Man zählte jedoch darauf, dass die Kämpfe nur einige Tage dauern würden. Die sich in der Nähe der Hauptstadt konzentrierenden AK-Einheiten konnten sich, mit Ausnahme kleiner Gruppen, nicht durch die deutschen Linien hindurchkämpfen, um die Warschauer Formationen zu unterstützen. Als die Kämpfe begannen, besaßen die Deutschen in Warschau über rund 16.000 gut bewaffnete Soldaten. Nach einigen Tagen erhielten diese Unterstützung von über 25.000 Mann starken Wehrmachts- und Polizeieinheiten mit Panzern und Artillerie unter dem Befehl von SS-General Erich von dem Bach-Zelewski sowie durch die Luftwaffe. Die Aufständischen waren nur bis 5. August in der Offensive. In dieser ersten Phase gelang es ihnen, das Stadtzentrum (Śródmieście), die Altstadt (Stare Miasto), den Stadtteil Powiśle, einen Teil von Mokotów sowie Żoliborz und Wola einzunehmen. Indes wurde der sowjetische Vormarsch von den deutschen Einheiten zum Anhalten gezwungen. Stalin gab keinen Befehl, die Offensive wieder aufzunehmen. Dass die Deutschen ein so mächtiges Zentrum des Widerstands wie Warschau zerstörten oder zumindest schwächten, schien dem Sowjetführer günstig. Er hatte die politischen Ziele des Aufstands genau erkannt. Die Situation der Aufständischen verschlechterte sich ständig. Ziel der deutschen Gegenschlags war es, die Verkehrswege unter Kontrolle zu bringen, die durch die Stadt ins Hinterland der Front auf dem anderen Weichselufer verliefen. Das führte dazu, dass die Verbindung zwischen den von den Aufständischen beherrschten Stadtvierteln nach und nach abbrach. In dem zuerst von den Deutschen zurückeroberten Wola kam es zu bestialischen Morden an der Zivilbevölkerung. Man schätzt, dass 40.000 Warschauer in diesem Stadtbezirk ums Leben kamen. Ähnlich gingen die deutschen 6

Vgl. Hanns von Kranhals: Der Warschauer Aufstand 1944. Franfurt am Main 1962; Jan M. Ciechanowski: The Warsaw Rising of 1944. Cambridge 1974; Joan K. M. Hanson: The Civilian Population and the Warsaw Rising of 1944. Cambridge University Press 1982; Włodzimierz Borodziej: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt am Main 2001.

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Einheiten in dem als nächstes eroberten Stadtteil Ochota vor. Die schwersten Grausamkeiten begingen dabei Hilfseinheiten, die aus in der SS dienenden Russen bestanden und von General Bronisław Kamiński befehligt wurden. Nach der Einnahme von Wola und Ochota stießen die deutschen Truppen auf Mokotów, die nördliche Innenstadt und die Altstadt vor, wo sich die militärische Führung und die Zivilverwaltung der Hauptstadt aufhielten. Dieser älteste Teil Warschaus wurde von der Elite der Untergrundarmee verteidigt. Die verbissenen Kämpfe, in denen die Deutschen auch schwere Artillerie und Bomber einsetzten, dauerten hier bis Ende August. Die verbliebenen Einheiten der Aufständischen schlugen sich am 2. September durch die Kanalisation in die Innenstadt durch. In der Altstadt blieben die Zivilbevölkerung und die Verwundeten zurück, an denen die Deutschen nun Vergeltung übten. Die Innenstadt, das letzte große Widerstandszentrum des Aufstandes, konnte noch einen Monat lang verteidigt werden. Auch die eingekreisten polnischen Einheiten in Mokotów und Żoliborz kämpften weiter. Der Abwurf von Nachschub durch britische Flugzeuge wurde Mitte August wegen zu hoher Verluste eingestellt. Erst nach dem 10. September, als nur noch ein kleiner Teil Warschaus in den Händen der Aufständischen war, erlaubte Stalin die Nutzung der von der Roten Armee kontrollierten Landeplätze, die er bisher verweigert hatte. Einige Tage später nahmen sowjetische Truppen Praga ein. Die Hoffnungen auf eine sowjetische Offensive erwiesen sich jedoch als vergeblich; für die folgenden Monate blieb die Front hier starr. Der einzige Versuch aus dem Osten, dem kämpfenden Warschau zu helfen, waren gescheiterte Versuche, am Weichselufer in der Gegend von Żoliborz und Czerniaków Brückenköpfe zu erobern, die die 1. Armee der von der Sowjetunion kontrollierten Polnischen (Volks-)Armee ([Ludowe] Wojsko Polskie) vom 16. bis 23. September unternahm. Gegen Ende September fielen die Bastionen der Aufständischen in Żoliborz und Mokotów, die Deutschen griffen nun mit allen Kräften die Innenstadt an. Die Lage der Kämpfenden war hoffnungslos: Das Elend der unter Hunger, Durst und Luftangriffen leidenden Zivilbevölkerung, die bei Beginn des Aufstandes rund 900.000 Menschen umfasst hatte, vor Augen nahmen, sie Kapitulationsverhandlungen auf. Am 2. Oktober, nach 63 Tagen des Kampfes, wurde der Aufstand abgebrochen. Aufgrund einer Erklärung der Alliierten von Ende August 1944 mussten die Deutschen den militärischen Status der AK anerkennen. Nach ihrer Entwaffnung gingen die Soldaten in geordneten Kolonnen in die Gefangenschaft und wurden in Gefangenenlagern im Reichsgebiet untergebracht. Die Zivilbevölkerung wurde – ebenso wie in den zuvor eingenommenen Stadtteilen – aus den unzerstörten Häusern und Kellern vertrieben. Die Warschauer wurden über Durchgangslager zur Zwangsarbeit und in Konzentrationslager gebracht und schließlich auf verschiedene Ortschaften in den noch von Deutschen kontrollierten Teilen des Generalgouvernements verteilt. Die über 500.000 Vertriebenen konnten nur wenige gerettete Überbleibsel ihres Besitzes mit auf die Flucht nehmen. In den Ruinen der Hauptstadt blieben die Leichen von etwa 18.000 getöteten Aufständischen sowie der zwischen 150.000 und 180.000 zivilen Opfern zurück. Ganze Stadtviertel mit Baudenkmälern, Bibliotheken, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gebäuden lagen in Trümmern. Die Zerstörungen nahmen in den folgenden Monaten noch zu, da in der entvölkerten Stadt deutsche Spezialeinheiten aktiv

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waren, die Gebäude sprengten und in Brand setzten, da die Stadt vollständig vernichtet werden sollte. Die Niederlage des Aufstands hatte negative Auswirkungen auf die Situation des gesamten Untergrunds in den noch von Deutschen besetzten Gebieten Polens. Der Fall Warschaus symbolisierte das völlige Scheitern der politischen Linie, für die die Exilregierung gestanden hatte.

Zur Rezeption und Bewertung nach 1945 Der Warschauer Aufstand war die größte und blutigste Schlacht, die während des Zweiten Weltkriegs von polnischen Soldaten geschlagen wurde. In den Kämpfen starben viele bedeutende Persönlichkeiten, wodurch die polnische gesellschaftliche Elite erneut geschwächt wurde. Nach dem Krieg verurteilten die Kommunisten den Aufstand und warfen dies dem mit der Londoner Exilregierung verbundenen Untergrund vor. Viele, die als Soldaten der Heimatarmee am Aufstand teilgenommen hatten, wurden vom kommunistischen Sicherheitsapparat verfolgt. Über Jahrzehnte war es unmöglich, angemessen – in Form eines Denkmals in der Hauptstadt – an den Aufstand zu erinnern. Das monumentale Denkmal in Warschau wurde erst 1994 errichtet. Zehn Jahre später, im Jahr 2004, wurde aus Anlass des 60. Jahrestages das Museum des Warschauer Aufstandes eröffnet. In den westlichen Ländern hat der Aufstand keinen festen Platz in der Erinnerung eingenommen – schon als die Kämpfe noch andauerten, wurde dort nur wenig bzw. gar nicht darüber informiert. In der westlichen Wahrnehmung der Nachkriegszeit stand der Aufstand des Jahres 1944 im Schatten der Kämpfe, die ein Jahr zuvor im Warschauer Getto stattgefunden hatten.7 Die bitteren Erfahrungen der deutschen Besatzungsherrschaft spielten in den folgenden Jahrzehnten im Verhältnis der Polen zu den Deutschen die wichtigste Rolle. Die Erinnerung an den Untergrundkampf – genauer gesagt der Mythos der Konspiration, der sich am nachdrücklichsten in der Legende vom heroischen Warschauer Aufstand manifestiert – wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem festen Bestandteil des polnischen historischen Gedächtnisses. Zugleich war die Pflege dieser Erinnerung Ausdruck des Widerstands gegen die kommunistische Diktatur der Nachkriegszeit. Diese versuchte ihr eigenes Bild des Untergrunds zu forcieren, in dem sie die Rolle der kommunistischen PPR und ihrer Volksarmee (AL) herunterspielte und oftmals verfälschte. Die Anzahl und Qualität der wissenschaftlichen Literatur und der Quelleneditionen über den polnischen Untergrund wurde stark von den nach 1945 herrschenden politischen Verhältnissen beeinflusst.8 Eine entscheidende Zäsur in der Entwicklung der modernen polnischen Geschichtswissenschaft war das Jahr 1989, als mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems auch die Beschränkungen der Zensur verschwanden und bis dahin geheime Materialien – nicht nur polnische – zugänglich wurden. Für den Zeitraum seit Kriegsende lassen sich drei führende Forschergruppen un7 8

Norman Davies: Aufstand der Verlorenen. Der Kampf um Warschau 1944. München 2004. Vgl. Jacek Zygmunt Sawicki: Bitwa o prawdę. Historia zmagań o pamięć Powstania Warszawskiego 1944–1989. Warschau 2005.

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terscheiden. Erstens jene Historiker, die an Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen im Inland tätig waren. Zweitens die Forscher, die sich ab Ende der siebziger Jahre entschieden, „unzensierte“ Arbeiten in dem sich dynamisch entwikkelnden, illegalen Verlagsbetrieb des „Samisdat“ zu veröffentlichen. Selbstverständlich bestand diese Gruppe vor allem aus Wissenschaftlern, die ihre gesamte Tätigkeit bis dahin an Hochschulen und Forschungsinstituten geführt und jahrelang mit der Zensur und den Vorgesetzten gerungen hatten, während sie Untersuchungen durchführten, die das Regime ungern sah. Eine dritte Gruppe bildeten Historiker in der Emigration, vor allem in Großbritannien. Sie hatten Zugang zu den wertvollen Dokumenten der polnischen Exilregierung, litten jedoch nicht selten unter dem Fehlen einer kontinuierlichen Finanzierung ihrer Arbeiten. Zu erwähnen ist, dass bei allen drei Gruppen Forscher beteiligt waren, bei denen der Widerstand ein – nicht selten reichhaltiges – Kapitel der eigenen Biographie darstellte. Unvermeidlich beeinflusste dies auch ihre Arbeiten und Aktivitäten. Das Thema des Widerstands und des polnischen Untergrundstaates hatte eine gewaltige gesellschaftliche Tragweite. Bei allen politischen Einschränkungen der kommunistischen Zeit war es eines der wichtigsten Elemente für die Entstehung des Patriotismus der jüngeren Generationen. Die Zahl der populärwissenschaftlichen Arbeiten unterschiedlichster Art mit thematischem Bezug zum Untergrundkampf, zum Untergrundschulwesen oder dem Widerstand von Jugendlichen ist riesig. Ein Teil dieser Bücher hatte einen großen Einfluss auf ihre Leser; das beste Beispiel dafür sind Aleksander Kamińskis Bücher über die aus Pfadfindern bestehenden Warschauer AK-Einheiten. Bei den wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist auch erkennbar, welchen Einfluss die Sicht des kommunistischen Regimes auf die Kriegsjahre ausübte. Eine der Methoden, mit denen die neue Regierung sich zu legitimieren versuchte, bestand darin, sich als Freiheitskämpfer zu stilisieren. Die Heimatarmee (AK) indes hatte der polnischen Exilregierung in London unterstanden und wurde zusammen mit ihr nun zum politischen Hauptgegner erklärt. Nach 1944 gelangten Helden des Untergrunds vielfach als aktive oder potenzielle Gegner des neuen Regimes in die Gefängnisse. Selbstverständlich wurden daher auch historische Forschungen auf diesem Gebiet streng überwacht; nicht nur während der wenigen Jahre, in denen um die Macht im Nachkriegspolen gekämpft wurde, sondern während des gesamten Bestehens der kommunistischen Volksrepublik. Aufgrund der Präferenzen der Regierung waren die kommunistische Volksgarde bzw. Volksarmee sowie die zivilen Organe in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die Hauptforschungsgegenstände. In ähnlicher Weise bevorzugte die sich mit regulären Einheiten beschäftigende Militärhistoriographie die den Kommunisten unterstellte Armee und reduzierte die Verdienste der polnischen Streitkräfte im Westen auf ein Minimum. In Untersuchungen zum kommunistischen Untergrund wurden kontroverse Fragen ausgespart, etwa die Abhängigkeit von der UdSSR, das Verhältnis zum regierungstreuen Untergrund oder der Machtkampf innerhalb dieser Gruppierungen. Viel wurde auch über den Aufstand im Warschauer Ghetto geschrieben, da

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diese Strömung des Untergrunds zur „fortschrittlichen Tradition“ gezählt wurde.9 Die Geschichte des der Exilregierung gegenüber loyalen Untergrunds wurde viel selektiver behandelt, auch wenn man die unhaltbaren Behauptungen der stalinistischen Propaganda über die angebliche Kollaboration der AK mit den Deutschen und jeglichen Kräften der „Reaktion“ bald schon zurückwies oder abmilderte. Die unanfechtbare Leistung des Untergrunds, seine verdienstvolle Unterstützung der Alliierten durch Subversion und Aufklärung, ließen sich nicht totschweigen. Seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre begann man, Arbeiten über den bewaffneten Kampf von ZWZ/AK zu veröffentlichen, wobei man sich vor allem auf den Bezirk Warschau und die großen Partisanenzentren im Generalgouvernement konzentrierte. Das Thema des Warschauer Aufstands 1944 blieb jedoch hinsichtlich seiner politischen Ziele und dem Verhältnis zu den auf Seiten der UdSSR Kämpfenden kontrovers. Es erschienen auch wertvolle Publikationen über den zivilen Untergrund, die Entwicklung von Presse und Kultur. Auch die Beteiligung von Polen an anderen nationalen Widerstandsbewegungen wurde erörtert. Die Ereignisse in den Ostgebieten der Zwischenkriegsrepublik, wo der polnische Untergrund stark vertreten war, blieben jedoch bis fast zum Ende der achtziger Jahre tabu. Ausgeblendet wurden auch die Gruppierungen der Rechten, die nicht mit der AK in Beziehung gestanden hatten. Trotz durchaus beträchtlicher Bemühungen wurde der polnische Untergrund daher in seiner politischen Differenziertheit nur unvollständig erforscht und dargestellt. Allerdings unternahm man den Versuch einer ersten Gesamtdarstellung des Widerstands, die gegen Ende der Volksrepublik erschien, als die Zensur gelockert wurde. Das Thema des gegenüber der Londoner Exilregierung loyalen Untergrunds war selbstverständlich Gegenstand lebhaften Interesses unter emigrierten Historikern. Aus ihrer Tätigkeit gingen wertvolle Quelleneditionen von Regierungsdokumenten, Erinnerungsbände und Monographien hervor. Vieles davon gelangte auf verschiedenen Wegen nach Polen und wurde hier – nach dem Entstehen der Samisdat-Presse – erneut gedruckt. Ein unanfechtbares Verdienst der außerhalb der Zensur erschienen Publikationen zur Geschichte des Widerstands war es, an die Ereignisse in den Ostgebieten und an die dunklen Kapitel in der Geschichte der polnischen Kommunisten zu erinnern. Die Verbreitungsmöglichkeiten dieser Veröffentlichungen waren jedoch sehr klein im Vergleich zum offiziellen Publikationsbetrieb. Im freien Polen nach 1989 wurde der Untergrund intensiv erforscht, besonders hinsichtlich der Aspekte, die bisher ausgeblendet oder verzerrt dargestellt worden waren. In den ersten Jahren wurden die wichtigsten im Ausland erschienen Publikationen neu aufgelegt. In größeren Auflagen erschienen auch solche Arbeiten aus dem offiziellen Betrieb, die ihren Wert beibehalten hatten, manchmal in ergänzter Form. Außerdem wurde nun eine jüngere Historikergeneration in der Forschung aktiv. Negativ wirkte sich freilich die damals in der gesamten Wissenschaft herrschende deutliche Unterfinanzierung von Forschungsvorhaben aus. Sie erschwerte die langfristige Tätigkeit von Forschergruppen, so dass wissenschaftliche Arbeit meist in Form individueller Bemü9

Krzysztof Ruchniewicz: Polnische Erinnerung an den Warschauer Ghetto-Aufstand (1943). In: Die Ausstellung „Oneg Schabbat“. Das Untergrundarchiv des Warschauer Ghettos. Hrsg. von Arbeit und Leben DGB/VHS Nordrhein-Westfalen. Essen 2006, S. 67–75.

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hungen einzelner Wissenschaftler stattfand. Für die letzten Jahre lässt sich jedoch eine zunehmende Präsenz der Historiker aus dem Institut für Nationales Gedenken feststellen, das sich unter anderem mit der Geschichte des Zweiten Weltkriegs befasst. Es gibt in Polen jedoch keine spezielle Forschungseinrichtung, die sich ausschließlich mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt. Im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte wurde das Wissen über die politischen Gruppierungen im Untergrund, die Beziehungen zwischen der Leitung des Untergrunds im Inland und der Exilregierung zweifellos erweitert. Erheblich ausgebaut wurde das Wissen über die polnische konspirative Tätigkeit östlich des Bug und deren Unterdrückung durch die UdSSR, auch unter Nutzung von Materialien aus der ehemaligen Sowjetunion. Wesentlich mehr ist heute auch über den zivilen Widerstand bekannt, der bislang im Schatten des bewaffneten Kampfes gestanden hatte. Trotz dieser offenkundigen Leistungen, die in den Bänden der Bibliographie zur Polnischen Geschichte (Bibliografia Historii Polski) fortlaufend sorgfältig registriert werden, bleiben viele Forschungslücken und offene Fragen – sowohl in Bezug auf die Regionalgeschichte als auch auf Themen, denen sich Monographien und Querschnittsdarstellungen widmen müssten. Eine Herausforderung für die Forscher bleiben auch Gesamtdarstellungen, selbst bei einem so intensiv untersuchten Thema wie der Heimatarmee. Es besteht ebenfalls Bedarf an einer umfassenden Monographie über den Warschauer Aufstand 1944, die die Ergebnisse der zahlreichen separaten Einzelstudien zusammenträgt. Deutlich zu wenig weiß man auch über extreme politische Kreise, sowohl auf der Linken als auch auf der Rechten, obwohl sich für letztere besonders junge Historiker verstärkt interessieren. Allerdings taucht in Diskussionen von Wissenschaftlern zuweilen die Frage auf, ob sie nicht zumindest teilweise selbst schon dem bereits ausgeprägten Mythos der Heimatarmee erlegen seien.10

Literaturhinweise Armia Krajowa. Szkice z dziejów Sił Zbrojnych Polskiego Państwa Podziemnego. Hrsg. v. Krzysztof Komorowski. Warschau 1999 Armia Krajowa w dokumentach. T. 1–6, London 1970–1989 Bartoszewski, Władysław: Der polnische Untergrundstaat. In: Ders.: Aus der Geschichte lernen? München 1986, S. 69–170 Borodziej, Włodzimierz: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt (Main) 2001 Borodziej, Włodzimierz: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert. München 2010 Ders.: Terror und Politik. Die deutsche Polizei und die polnische Widerstandsbewegung im Generalgouvernement 1939–1944. Mainz 1999 Grabowski, Waldemar: Polska tajna administracja cywilna 1940–1945. Warschau 2003 Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Bernhard Chiari. München 2003 10

Einen guten Überblick über den heutigen Forschungsstand zum Thema polnischer Widerstand gibt: Die polnische Heimatarmee (hrsg. v. Bernhard Chiari).

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Jacobmeyer, Wolfgang: Heimat und Exil. Die Anfänge der polnischen Untergrundbewegung im Zweiten Weltkrieg. Hamburg 1973 Krannhals, Hanns von: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt (Main) 1962 Lewandowska, Stanisława: Polska prasa konspiracyjno-polityczna 1939–1945. Warschau 1982 Lewandowska, Stanisława /Martin, Bernd: Powstanie Warszawskie – Der Warschauer Aufstand. Warschau 1999 Matusak, Piotr: Stan badań nad polskim ruchem oporu okresu II wojny światowej. In: Henryk Stańczyk: Polska historiografia wojskowa. Stan badań i perspektywy rozwoju. Toruń 2002, S. 320–334 Ney-Krwawicz, Marek: Komenda Główna Armii Krajowej 1939–1945. Warschau 1990 Polski Ruch Oporu 1939–1945. Warschau 1988 Polskie Siły Zbrojne w drugiej wojnie światowej. T. 3: Armia Krajowa. London 1950 September 1939. Krieg. Besatzung, Widerstand in Polen. Hrsg. v. Christoph Kleßmann. Göttingen 1989 Strzembosz, Tomasz: Rzeczpospolita podziemna. Społeczeństwo polskie a państwo podziemne 1939–1945. Warschau 2000 Szarota, Tomasz: Resistenz und Selbstbehauptung der polnischen Nation. In: Deutschpolnische Beziehungen 1939 – 1945 – 1949. Eine Einführung. Hrsg. v. Włodzimierz Borodziej und Klaus Ziemer. Osnabrück 2000, S. 135–162 (S. 159–161: Literaturhinweise) Wiaderny, Bernard: Der polnische Untergrundstaat und der deutsche Widerstand. Berlin 2002

Besetzte Westgebiete der Sowjetunion (Russland, Ukraine, Weißrussland) Bernd Bonwetsch Während des Zweiten Krieges besetzten die Deutschen zeitweise 1,8 Millionen km² des sowjetischen Territoriums mit einer Bevölkerung von geschätzt 60 bis 70 Millionen Menschen sowie wichtigen Industrie- und Landwirtschaftsgebieten.1 Trotz dieser enormen Verluste blieb die Sowjetunion mit Ausnahme Großbritanniens, das von seiner Insellage profitierte, das einzige Land unter den europäischen Kriegsgegnern Deutschlands, das nicht völlig besetzt wurde oder, wie Frankreich und Dänemark, ein offizielles Arrangement mit den Deutschen traf. Das schuf für „Widerstand“ gegen die Besatzung besondere Bedingungen. Denn zum einen konnte er von jenseits der Front organisiert werden. Zum anderen wurde er auf diese Weise als Partisanenkampf fast automatisch zu einem Teil des fortdauernden militärischen Kampfes gegen den Feind. Vor allem dieser Partisanenwiderstand wird nachstehend im Hinblick auf Charakter, Umfang, Organisation, seinen Rückhalt in der Bevölkerung und Erfolg dargestellt. Der für die Städte durch die Kommunistische Partei organisierte „Untergrund“ (podpol’e) spielte eine eher weniger sichtbare Rolle in Form von Kommunikation, Nachrichtenbeschaffung, Sabotage und Propaganda.2 Er war auf vielfältige Weise mit den Partisanen verbunden. Die spektakulärste Aktion des Untergrunds war die Ermordung des Generalkommissars von Weißrussland, Wilhelm Kube, am 21. September 1943.3 Die beabsichtigte, wohl als noch wichtiger angesehene Tötung General Andrej A. Vlasovs, der sich in deutscher Kriegesgefangenschaft von Stalin und der UdSSR losgesagt hatte und auf deutsche Seite trat, gelang dagegen nicht.4 Der Untergrund, der nicht zuletzt ein Untergrund der Partei war, wird im Folgenden nicht selbständig behandelt. Schon bald nach Stalins Aufruf vom 3. Juli 1941 hatten es die Deutschen mit Widerstand im Rücken der eigenen Front zu tun. Zum größten Teil ging es dabei um Aktionen versprengter Truppenteile der Roten Armee oder entflohener Kriegsgefangener. Sie wollten sich zur sowjetischen Seite durchschlagen, schafften dies aber wegen des schnellen Vormarsches der Wehrmacht nicht. Eigentliche Partisanen gab es in der Anfangsphase des Krieges kaum. Alle Vorbereitungen zur Führung eines Partisanenkrie1

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Die Angaben zur Bevölkerung im besetzten Gebiet schwanken zwischen 60 und 70 Millionen. Georgij A. Kumanev: V ogne tjaželych ispytanij (ijun' 1941 – nojabr' 1942 g.). In: Istorija SSSR, 1991; Nr. 2, S. 16, nennt 70 Millionen; Zur Fläche: Partizanskoe dviženie v gody Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg. (= Russkij archiv. Velikaja Otečestvennaja. Bd. 20 [9]). Moskau 1999, S. 7. Partijnoe podpol’e. Dejatel’nost’ podpol’nych partijnych organov i organizacij na okkupirovannoj territorii v gody Velikoj Otečestvennoj vojny. Moskau 1983; Narodnaja vojna v tylu fašistskich okkupantov na Ukraine 1941–1944. Bor’ba v podpol’e. 2 Bde. Kiew 1985. Aleksej Ju. Popov: Likvidacija general’nogo kommissara i gauljajtera Belorussii Vil’gel’ma Kube. In: Voenno-istoričeskij archiv, 2001, Nr. 8, S. 100–114. Partizanskoe dviženie, S. 297–300.

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ges waren angesichts der Umstellung auf das strategische Konzept offensiver Verteidigung in den dreißiger Jahren eingestellt und dessen Protagonisten sogar verfolgt worden.5 Nun, im Juli 1941, wurden die versprengten Soldaten und Truppenteile der Roten Armee durch Flugblätter dazu aufgerufen, zu Methoden des Partisanenkampfes überzugehen.6 Deshalb konnte der Anteil der Rotarmisten in manchen Partisaneneinheiten noch im Frühjahr 1942 bis zu vier Fünftel betragen. Auch danach sank ihr Anteil im Durchschnitt nicht unter 11–12 Prozent.7 Daneben gab es Diversionsgruppen, die der NKVD in großer Zahl in den Rücken der Deutschen einschleuste – alleine 1941 78.000 Mann.8 Ferner wurden schnell gebildete „Vernichtungsbataillone“ (Istrebitel’nye batal’ony), die eigentlich dem Kampf gegen Diversanten im Rücken der eigenen Front dienen sollten, als Partisanen eingesetzt, falls sie von der Front überrollt und nicht in die Rote Armee eingegliedert werden konnten.9 Das gleiche gilt für Einheiten der „Volkswehr“ (narodnoe opolčenie), gebildet aus Freiwilligen, die zumeist aus Altersgründen nicht mehr zur Roten Armee eingezogen wurden.10 Sie alle waren für den Partisanenkampf kaum ausgebildet und teilweise auch wenig geeignet. Schließlich gab es auf weißrussischem Territorium auch noch Partisanen aus der örtlichen polnischen und jüdischen Bevölkerung.11 Die sowjetischen Partisanen des ersten Kriegsjahres waren so gesehen kaum Ausdruck eines spontanen Volkswiderstandes. Sie sind im Winter und Frühjahr 1941/42 entweder aufgrund ihrer hoffnungslosen Lage ausgeschaltet oder zur Untätigkeit verdammt worden, soweit sie nicht aufgrund der erfolgreichen Winteroffensive der Roten Armee vor Moskau wieder auf die sowjetische Seite der Front gerieten. Bis zum Frühjahr 1942 beunruhigte die Partisanentätigkeit die Deutschen deshalb nicht sonderlich. Danach änderte sich das allerdings – vor allem in Weißrussland und im besetzten Teil der RSFSR (Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik), wo Wälder und Sümpfe fast unzugängliche Rückzugsräume boten. 1943 nahm dann auch in der Ukraine die Partisanentätigkeit in anderer Form als in den waldreichen nördlicheren Gebieten größere Ausmaße an. Aufgrund dieser Entwicklung ist für die deutschen Sol-

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Aleksej Popov: NKVD i partizanskoe dviženie. Moskau 2003, S. 36 f.; Bernd Bonwetsch: Sowjetische Partisanen 1941–1944. Legende und Wirklichkeit des allgemeinen Volkskrieges. In: Partisanen und Volkskrieg. Zur Revolutionierung des Krieges im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Gerhard Schulz. Göttingen 1985, S. 92 f. Partizanskoe dviženie (Po opytu Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg.). Moskau 2001, S. 36. Vitalij A. Perežogin: Soldaty partizanskogo fronta. Moskau 2001, S. 4. Vjačeslav I. Bojarskij: Partizanstvo včera, segodnja, zavtra. Moskau 2003, S. 113. Semen V. Bilenko: Istrebitel’nye batal’ony v Velikoj Otečestvennoj vojne. Moskau 1996. Petr V. Dobrov u. a.: Narodnoe opolčenie zaščiščaet Rodinu. Moskau 1990. Witalij Wilenchik: Die Partisanenbewegung in Weißrussland 1941–1984. In: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 34 (1984), S. 128–297; Bogdan Musial: Sowjetische Partisanen 1941-1944. Mythos und Wirklichkeit. Paderborn 2009; Nehama Tec: Bewaffneter Widerstand. Jüdische Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Gerlingen 1996; Rich Cohen: The Avengers. New York 2000.

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daten wegen der ständigen Bedrohung der „Russlandfeldzug“ mit dem Partisanenkampf untrennbar verbunden geblieben.12 Neben dem Kriegsverlauf beeinflussten zwei Faktoren die Entwicklung der Partisanenbewegung: die Haltung der Bevölkerung und die der Sowjetführung. Dabei ist die Frage nach dem Rückhalt der Partisanen in der Bevölkerung gewissermaßen die Kehrseite der Frage nach der Bereitschaft zur Kollaboration. Beide Fragen sind umstritten und objektiv schwer zu beantworten. Der Begriff der „Freiwilligkeit“ ist im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem Feind ebenso wenig eindeutig zu definieren wie im Hinblick auf die Unterstützung der Partisanenbewegung. Die Grenzen zwischen dem bloßen „Leben mit dem Feind“ (Werner Rings) und der vorsätzlichen Kollaboration sind nicht weniger fließend als die zwischen dem Anschluss an die Partisanenbewegung aus Überzeugung, Zufall, Opportunismus oder Zwang. „Gut“ und „böse“ sind hier kaum eindeutig zuzuordnen. In der Gestalt der Überläufer aus den Reihen der unter Einheimischen rekrutierten Ordnungs- und Polizei-Dienste der Deutschen kommen diese Widersprüche schlaglichtartig zum Ausdruck. Um diese Überläufer wurde insbesondere seit 1943 intensiv geworben. Sie sollten einerseits durch den Kampf für die Befreiung der Heimat ihre Schuld sühnen und „volle Vergebung“ erhalten können, anderseits aber unter ständiger Kontrolle gehalten werden und durften keine Führungspositionen bekleiden. Letztlich wurden sie alle beim Übergang auf die sowjetische Seite der Front den „Organen“ der Staatssicherheit übergeben. Die Deutschen schätzten ihren Anteil an den Partisanen für 1944 mit 10–20 Prozent vermutlich zu hoch ein. Aber es waren auch nach sowjetischen Unterlagen beispielsweise in Weißrussland über 19.000 Personen.13 Dieser Hintergrund eines Teils der Partisanen kann zumindest teilweise das Misstrauen erklären, das den Partisanen von Partei- und Staatssicherheitsorganen entgegengebracht wurde. So wurden auf Drängen des Chefs des Zentralen Partisanenstabes Ponomarenko die am 18. Oktober 1942 wie in der Roten Armee abgeschafften politischen Kommissare am 5. Januar 1943 wieder eingeführt und die Gegenspionage- oder Sonderabteilungen (osobye otdely) des NKVD, anders als in der Armee im April 1943, gar nicht erst abgeschafft.14 Die Aufnahme in die Kommunistische Partei erfolgte ebenfalls nicht nach dem verkürzten Verfahren in der Armee, sondern zu den langwierigen Normalbedingungen, mit dem Unterschied, dass die Parteimitgliedschaft nur vorläufig gewährt und das Parteibuch erst nach dem Übertritt auf die sowjetische 12

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Vgl. allgemein: Soviet Partisans in World War II. Ed. by John A. Armstrong. Madison 1964; Partizanskoe dviženie (Po opytu); Bojarskij: Partizanstvo; Pantelejmon K. Ponomarenko: Vsenarodnaja bor’ba v tylu nemecko-fašistskich zachvatčikov 1941–1944. Moskau 1986; Zur Bekämpfung siehe Erich Hesse: Der sowjetrussische Partisanenkrieg 1941 bis 1944 im Spiegel der deutschen Kampfanweisungen und Befehle. Göttingen 1969; Matthew Cooper: The Phantom War. The German Struggle against Soviet Partisans 1941–1944. London 1979; Benjamin V. Shepherd: War in the Wild East. The German Army and Soviet Partisans. Cambridge 2004; Christian Hartmann: Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42. München 2009. Partizanskoe dviženie, S. 165 f., 300, 315 f.; Perežogin, Soldaty, S. 25–30; Aleksej M. Litvin: Mestnaja vspomogatel’naja policija na territorii Belarusi (ijul’ 1941-ijul’ 1944 gg.). In: Problemy rossijskoj istorii. Vyp. V. Magnitogorsk 2005, S. 63–89, hier 87. Musial, Partisanen, S. 238.

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Seite der Front nach eingehender Prüfung ausgehändigt wurde. Im krassen Gegensatz zur Roten Armee legte man keinen gesteigerten Wert auf die Aufnahme neuer Parteimitglieder aus den Reihen der Partisanen und des Untergrunds. Das galt keineswegs dem Schutz vor der besonders scharfen Verfolgung von Parteimitgliedern durch die Besatzungsmacht. Es war vielmehr Ausdruck des allgemeinen Misstrauens gegenüber allen Personen, die unter feindlicher Besatzung lebten oder gelebt hatten.15 Die sowjetische Behauptung, die Bevölkerung habe sich, von einigen Handlangern der Faschisten abgesehen, „wie ein Mann“ gegen den Feind erhoben, ist eine Fiktion. Es gab alle möglichen Motive und Formen des Verhaltens gegenüber der deutschen Besatzungsmacht ebenso wie gegenüber der Sowjetmacht in Gestalt der Partisanen. Die Partisanen stellten ein Massenphänomen dar, ebenso die Kollaborateure. Bis zu einer Million Sowjetbürger haben als „Hilfswillige“ in deutschen Verbänden und in eigens formierten „Osttruppen“ gedient. Hinzu kommen 300.000–400.000 Einheimische, die Polizeidienst ausübten.16 Deshalb war es eine der wesentlichen Funktionen der Partisanen und des Untergrunds, die Kollaborateure zu bekämpfen und die Bevölkerung insgesamt von der Kollaboration abzuhalten: Wenn das nicht aus Loyalität möglich sein sollte, dann wenigstens aus Furcht vor Strafe.17 Das Nebeneinander des aufopfernden Kampfes im Untergrund und in den Partisaneneinheiten gegen die Besatzungsmacht auf der einen und des Kampfes Einheimischer gegen die Partisanen in Wehrmachts- und Polizeieinheiten auf der anderen Seite zu erklären, stellt eine große Herausforderung dar. Mit Überzeugung oder Zwang als Erklärung allein kommt man dem Problem nicht bei. Opportunismus und Anpassung an die wechselnden Machtverhältnisse wird man als weitere Gründe sehr hoch ansetzen müssen. Hinsichtlich des Bevölkerungsrückhalts der Partisanen ist festzustellen, dass er dort am schwächsten war, wo die Kollaborationsbereitschaft stark war, das heißt, vor allem in den 1939/40 neuannektierten Westgebieten und den angrenzenden Regionen. Dort wurden die Deutschen zunächst als Befreier begrüßt. Ein latenter Antisemitismus trug vor allem im westlichen Weißrussland und in der Westukraine zu deren Akzeptanz bei. Dort waren antikommunistische und nationalistische Kräfte trotz aller Enttäuschungen bereit, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten. Sie bildeten auch eigene Selbstschutzeinheiten gegen sowjetische, aber auch polnische Partisanen und stellten das Personal für Ordnungs- und Polizeidienste, die nicht nur in ihren Herkunftsgebieten in starkem Maße zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wurden. Statt von „Widerstand“ könnte man für die Westgebiete eher von einem durch die deutsche „Intervention“ hervorge-

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Bonwetsch, Volkskrieg, S. 110 f. Es sei hier nur die neuere russische Literatur genannt: Boris V. Sokolov: Okkupacija. Pravda i vymysli. Moskau 2003; Boris N. Kovalev: Nacistskaja okkupacija i kollaboracionizm v Rossii 1941–1944. Moskau 2004; Sergej Čuev: Prokljatye soldaty. Moskau 2004; Sergej I. Drobjazko: Pod znamenem vraga. Antisovetskie formirovanija v sostave germanskich vooružennych sil 1941–1945. Moskau 2004; Michail I. Semirjaga: Kollaboracionizm. Priroda, tipologija i projavlenija v gody Vtoroj mirovoj vojny. Moskau 2000. Kovalev, Nacistskaja okkupacija, S. 85–138; Soviet Partisans, S. 227–297.

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rufenen, stark ethnisch geprägten Bürgerkrieg sprechen, in dem die sowjetischen Partisanen eine der Parteien waren.18 In den sowjetischen Kerngebieten war die Bevölkerung zurückhaltender gegenüber den Deutschen, aber diesen ebenfalls nicht feindlich gesonnen. Sie richtete sich zunächst mit der Besatzungsmacht als legitimer Macht ein. Anderenfalls hätte beispielsweise der militärisch hochsensible Eisenbahntransport nicht durch überwiegend einheimische Kräfte bewerkstelligt werden können. Diese stellten Anfang 1943 im besetzten Gebiet 510.000 von 615.000 Eisenbahnern.19 Ohne ein gewisses Maß an Loyalität gegenüber der Besatzungsmacht wäre das nicht möglich gewesen. Der Bevölkerung blieben schließlich nach dem Abzug der Sowjetmacht, deren Rückkehr zunächst zweifelhaft war, kaum Alternativen. War in den Städten die Herrschaft der Deutschen weitgehend unangefochten, so stand die bäuerliche Bevölkerung zwischen der rücksichtslosen Besatzungsmacht auf der einen und den ebenfalls kaum rücksichtsvolleren Partisanen auf der anderen Seite wie „zwischen zwei Feuern“.20 Die Partisanen holten sich, was sie brauchten, wenn nötig auch gegen den Willen der Bauern. Das galt nicht nur für Nahrungsmittel, sondern auch für personelle Verstärkung: Junge Leute wurden regelrecht einberufen.21 Ob die Partisanen dagegen absichtlich Vergeltungsmaßnahmen der Deutschen provozierten, um einen Keil zwischen diese und die Bevölkerung zu treiben, lässt sich nur spekulativ beantworten.22 Aber sie nahmen im Kampf gegen die Deutschen auch in Kenntnis der absehbaren Maßnahmen keine Rücksicht. Und die Vergeltung der Deutschen war zumindest bis zur Kriegswende auf Terror angelegt: Nach den Worten des berüchtigten „Reichenau-Befehls“ der 6. deutschen Armee vom 10. Oktober 1941 sollte deutsche Vergeltung mehr gefürchtet werden als Repressalien der Partisanen.23 In Verbindung mit der allgemeinen Härte der Besatzungspolitik, der Arbeitsdeportati-

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Bernhard Chiari: Alltag hinter der Front. Besatzung, Kollaboration und Widerstand in Weissrussland 1941–1944. Düsseldorf 1996; ders.: Grenzen deutscher Herrschaft. In: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Hrsg. v. Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Bd. 9/2. München 2005, S. 877–976; Vgl. auch Popov, NKVD, S. 216–237. Zum Eisenbahnwesen: Bojarskij, Partizanstvo, S. 165; Einen knappen, recht guten Überblick gibt Nikolaj M. Ramaničev: Voennoe sotrudničestvo s vragom. In: Velikaja Otečestvennaja vojna 1941–1945. Bd. 4. Moskau 1999, S. 153–163, hier S. 154, 157. Venjamin F. Zima: Mentalitet narodov Rossii v vojne 1941–1945 godov. Moskau 2000, S. 173. Für das Leningrader Gebiet anschaulich beschrieben von Alexander Hill: The Partisan War in North-West Russia, 1941–44. A Re-Examination. In: The Journal of Strategic Studies 25 (2002), H. 3, S. 37–55. Sowjetische Partisanen in Weissrussland. Innenansichten aus dem Gebiet Baranoviči 1941– 1944. Hrsg. v. Bogdan Musial. München 2004, S. 36, 42. Christian Hartmann/Jürgen Zarusky: Stalins „Fackelmänner-Befehl“ vom November 1941. Ein verfälschtes Dokument. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), S. 672; Bonwetsch, Volkskrieg, S. 110. Bernd Bonwetsch: Die Partisanenbekämpfung und ihre Opfer im Russlandfeldzug 1941–1944. In: Gegen das Vergessen. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941–1945. Hrsg. v. Klaus Meyer u. Wolfgang Wippermann. Frankfurt (Main) 1992, S. 108; zum Abdruck des Reichenau-Befehls siehe auch: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion. „Unternehmen Barbarossa“ 1941, Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär und Wolfram Wette. Frankfurt (Main) 1991, S. 285 f.

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on nach Deutschland und selbstverständlich auch mit dem sich ändernden Kriegsverlauf brachte das den Partisanen mit der Zeit zweifellos einen größeren Zulauf. Hinzu kommt als Grund für das Anwachsen der Partisanenbewegung aber auch ein Wechsel in der Einstellung der Moskauer Führung. Hier hat sich im Herbst 1942 offensichtlich eine Wende vollzogen. Bis dahin war – neben anderen Erwägungen wie der Erwartung einer nur kurzen Kriegsdauer – die Furcht vor der Unkontrollierbarkeit eines Volkswiderstandes im deutschen Hinterland ausschlaggebend gewesen. Das entsprach dem allgemeinen Misstrauen in die Zuverlässigkeit der Bevölkerung und ging offenbar vor allem auf Einwände von Lavrentij Berija zurück, der den Einsatz von NKVD-Agenten und Diversionsgruppen für zweckmäßiger hielt.24 Derartige Erwägungen haben vermutlich auch die Zusammenzufassung der Partisanen unter eine einheitliche Führung verzögert. Bis Ende Mai 1942 war die Partisanenfront eine „Front ohne Befehlshaber“.25 Alle möglichen Instanzen befassten sich mit der Formierung und Leitung von Partisanengruppen: Partei-, Sowjet- und Komsomolorgane, NKVD- beziehungsweise Staatssicherheitsorgane, Politverwaltungen und Kriegsräte der Roten Armee. Dem entsprach, dass seit den ersten Kriegswochen Pläne entwickelt wurden, die alternative Vorstellungen vom Charakter des Partisanenkampfes zu verwirklichen suchten. Sie liefen im Kern auf folgende Alternativen des Partisanenkampfes hinaus: 1. als von der Bevölkerung des besetzten Gebiets getragene Bewegung unter Führung der Partei, 2. als zweite militärische Front im Rücken des Feindes unter militärischer Führung und 3. als „tschekistisches“ Unternehmen, gestützt auf Agenten und Diversanten unter Führung des NKVD. Mehrfach schien sich das vom weißrussischen Parteichef Pantelejmon K. Ponomarenko propagierte Konzept des Partisanenkampfes als „Volkskrieg“ unter Führung der Partei durchzusetzen, aber erst am 30. Mai 1942 wurde seinem Vorschlag entsprochen und der Zentrale Partisanenstab (CŠPD) beim Hauptquartier des Kommandos des Obersten Befehlshabers (Stavka) mit Ponomarenko als Chef gebildet.26 Versuche Nikita Chruščevs und Lavrentij Berijas, den ukrainischen Volkskommissar für innere Angelegenheiten, Vasilij T. Sergienko, zum Chef des Stabes zu machen und die Partisanenbewegung stärker „tschekistisch“ auszurichten, scheiterten offensichtlich erst im letzten Moment. Für die ukrainische Partisanenbewegung spielte der NKVD dennoch weiterhin eine größere Rolle als anderswo. Sie stand seit April 1942 unter der Leitung der 4. Verwaltung des ukrainischen NKVD.27 24 25

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Partizanskoe dviženie (Po opytu), S, 42; Bonwetsch, Volkskrieg, S. 102. Il’ja G. Starinov: Front bez komandovanija. In: Novaja i novejšaja istorija (1990), Nr. 3, S. 110– 122. Zur Entwicklung des CŠPD siehe Ponomarenko, Bor’ba, S. 71–75; Georgij Kumanev: Rjadom so Stalinym: otkrovennye svidetel’stva. Moskau 1999, S. 127–132; Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 57 f; Musial, Partisanen, S. 147-175. Ukraïna partyzans’ka. Partyzans’ki formuvannja ta organy kerivnyctva nymy (1941–1945 gg.). Kiew 2001, S. 7.

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Die Auseinandersetzungen in der Partisanenfrage sind nur in Ansätzen, durch Andeutungen bekannt. Der Kriegsverlauf hat die Entscheidung für Ponomarenkos Konzept zweifellos ebenfalls beeinflusst. Angesichts der Erfolge des Winters 1941/42, die Stalin einen schnellen Sieg erwarten ließen, schien ein „Volkskrieg“ im besetzten Gebiet überflüssig zu sein. Seit Mai 1942, als die Deutschen in Richtung Volga und Kaukasus vorzustoßen begannen, wurde dieses Konzept durch die Umstände wiederum bestätigt. Aber auch nach der Bildung des CŠPD hörte das Hin und Her nicht auf. Nach zwei Treffen mit Partisanenführern erließ Stalin am 5. September 1942 den Befehl „Über die Aufgaben der Partisanenbewegung“, der eine Ausweitung des Partisanenkampfs im Sinne einer Volksbewegung und zugleich seine stärkere Koordinierung durch die Roten Armee vorsah. Diesem Zweck diente auch die Ernennung Marschall Kliment Vorošilovs am 6. September zum Oberbefehlshaber der Partisanenbewegung. Der CŠPD wurde ihm unterstellt.28 Auch für diese Entscheidung sind Hintergründe nicht bekannt. Die Erwartung, dass der Krieg sich länger als erwartet hinziehen würde, mag dabei eine Rolle gespielt haben, ebenso die Tatsache, dass Vorošilov das Konzept der „Militarisierung“ der Partisanenbewegung vertrat. „Zufällig“ war seine Ernennung jedenfalls kaum.29 Doch am 19. November 1942, dem Tag des Beginns der sowjetischen Offensive bei Stalingrad, wurde die Stellung des Oberkommandierenden der Partisanenbewegung angeblich zur Vermeidung „unnötiger Zentralisierung“ wieder abgeschafft.30 Der Zentrale Partisanenstab unter Ponomarenko leitete damit die Partisanenbewegung erneut. Doch anscheinend blieb diese Struktur weiter umstritten, denn am 7. März 1943 wurde auch der CŠPD aufgelöst, aber bereits am 17. April wieder errichtet – mit einer nicht unwesentlichen Veränderung: der ukrainische Partisanenstab unter dem stellvertretenden Volkskommissar für innere Angelegenheiten der Ukraine, Timofej A. Strokač, blieb selbstständig.31 Diese Veränderung dürfte mit den unterschiedlichen Aktionsbedingungen in der Ukraine zusammengehangen haben: anders als in der RSFSR und in Weißrussland gab es in der Steppen- und Waldsteppenlandschaft der Ukraine kaum natürliche Rückzugsbasen, so dass „Raids“ starker Verbände über große Entfernungen die Hauptform der dortigen Partisanenaktionen waren. Nichtsdestoweniger scheinen in dieser Trennung aber auch die alten Differenzen zwischen Ponomarenko und Chruščev beziehungsweise Berija wieder zum Ausdruck gekommen zu sein. Am 13. Januar 1944 wurde der CŠPD wegen des Vorrückens der Front dann schließlich endgültig aufgelöst.32 Selbst diese Entscheidung ist nicht ganz selbstverständlich, denn zu diesem Zeitpunkt waren weiterhin noch große Teile des Landes besetzt, noch nicht einmal die RSFSR war restlos befreit. Ohne dass die Ursachen wirklich bekannt sind, lässt sich feststellen, dass

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Vitalij Perežogin: Partizany na prieme u V. I. Stalina. In: Otečestvennaja istorija (1999), Nr. 3, S. 186–191; Partizanskoe dviženie, S. 132–135. So aber: Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 68. Partizanskoe dviženie, S. 168. Ebenda, S. 274, 277 f., 281 f.; vgl. Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 68 f. Partizanskoe dviženie, S. 433 f.

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die sowjetische Partisanenbewegung im Grunde während des gesamten Krieges keine einheitliche Führung hatte.33 Der zahlenmäßige Umfang der Partisanenbewegung ist insgesamt schwer festzustellen. Laut Unterlagen des Zentralen Stabes gab es Ende 1941 etwa 90.000, Anfang 1943 etwa 120.000 und Anfang 1944 etwa 250.000 Partisanen, im übrigen mit einem recht hohen, auf fast 10 Prozent bezifferten Frauenanteil. Während der vier Kriegsjahre sollen 1,1 Millionen oder mehr Partisanen in 6.200 Einheiten gekämpft haben. Hinzu kommen der Untergrund mit 220.000 oder 250.000 Menschen und eine „organisierte Partisanen-Reserve“ von 1,5 Millionen oder mehr.34 Die Zuverlässigkeit dieser Zahlen ist nicht nachzuprüfen. In die „Partisanen-Reserve“ lässt sich alles Mögliche hineinrechnen. Die Gesamtzahl und die Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiven Partisanen sind wegen großer Fluktuation und zeitbedingter Unzulänglichkeiten schwer zu bestimmen. Die Schätzungen der Deutschen zum Umfang der Partisanenbewegung lagen teils über, teils unter den sowjetischen Zahlen. Untergrund und Partisanen waren schwer voneinander abzugrenzen, weil der Untergrund in der ersten Kriegsphase aus Sicherheitsgründen in der Partisanenbewegung aufging und die Untergrund-Organe der Partei sich ohnehin in der Regel bei den Partisaneneinheiten aufhielten. Insofern konnte es leicht zu falschen Zurechnungen und – als „Erfolgs“-Beweis – zu eher überhöhten Angaben kommen. Stalin deutete nach dem Kriege an, dass er diese Zahlenangaben immer für übertrieben gehalten hat.35 Trotzdem gibt es keinen Zweifel daran, dass viele Hunderttausend Sowjetbürger als Partisanen gekämpft haben – aus politischer Überzeugung, wie auch anderen Gründen. Was den Beitrag der Partisanen zum Kampf gegen die Deutschen betrifft, so sind neben Aufklärungstätigkeit vor allem zwei Erfolge hervorzuheben: die Störung der deutschen rückwärtigen Verbindungen und die ständige Bedrohung der Besatzungsmacht und der einheimischen Kollaborateure. Von Anfang an überfielen die Partisanen deutsche Stützpunkte sowie Transporte und zerstörten Eisenbahngleise und Brücken. Die rückwärtigen Verbindungen wurden seit dem Vorabend der Schlacht am „Kursker Bogen“ 1943 in mehreren „Schienenkriegs“-Aktionen angegriffen. Diese haben den Deutschen zweifellos große Probleme bereitet. Angesichts des Großeinsatzes von Partisanen und Sprengmitteln war der Effekt jedoch geringer, als erhofft. Das Problem bestand darin, dass der Chef des Zentralen Partisanenstabes statt auf die Bekämpfung von Transporten auf die sehr viel leichtere Zerstörung von Schienen setzte. Damit schnellten die „Erfolgs“-Zahlen“ naturgemäß in die Höhe, und es gab anscheinend sogar „sozialistischen Wettbewerb“.36 Doch die Deutschen konnten die Verbindungen einigermaßen aufrechterhalten, weil die zerstörten Schienen vielfach leicht zu reparieren waren oder nur zu Nebenstrecken gehörten.37 Der ukrainische Partisanenstab entschied sich jedenfalls anders und setzte 33 34

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Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 69; Bojarskij, Partizanstvo, S. 169 f. Partizanskoe dviženie S. 7 f., 479 ff.; Ponomarenko, Bor’ba, S. 128. Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 373; vgl. Bonwetsch, Volkskrieg, S. 98–101. Vladimir Dedijer: Tito. Berlin 1953, S. 151. Sokolov, Okkupacija, S. 104 f.

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weiterhin auf die Bekämpfung von Transporten, eine Taktik, der sich 1944 auch der weißrussische Stab bedingt anschloss.38 Ein objektives Problem bei der Zerstörung von Schienen, Brücken und Straßen im Rücken der Deutschen war im übrigen die Tatsache, dass der sowjetische Vormarsch kaum weniger behindert wurde als der deutsche Rückzug. Es gibt entsprechende Klagen sowjetischer Militärs.39 Die Erfolge der Partisanen in Zahlen ausdrücken zu wollen, ist wohl vergeblich. Deutsche und sowjetische Angaben divergieren erheblich. Die Behauptung, Partisanen und Untergrund hätten neben Tausenden von Eisenbahntransporten, Panzern, Kraftfahrzeugen und Flugzeugen allein 1,6 Millionen Deutsche getötet oder ausgeschaltet, wirkt völlig unglaubwürdig und lässt die Leistungen der Roten Armee gering erscheinen.40 Bei diesen immer wieder angeführten Zahlen handelt es sich um die Addition unkontrollierter einzelner Erfolgsmeldungen. Die Versuchung der Partisanen, die eigenen Leistungen zu übertreiben, war groß.41 Eine gewisse Beliebigkeit wird daran erkennbar, dass in der Militärenzyklopädie die Zahl der durch Partisanen ausgeschalteten Gegner nur mit einer Million angegeben wird.42 Selbst diese Zahl ist vermutlich viel zu hoch. Deutsche Schätzungen gingen von 35.000–45.000 durch Partisanen getöteten Wehrmachtsangehörigen und Kollaborateuren aus.43 Auch diese Zahlen sind nicht zu überprüfen; sie sind möglicherweise zu niedrig. Allerdings hatte die Wehrmacht nicht den geringsten Grund, diese Verluste zu untertreiben – im Gegenteil: Übertreibung hätte die eigenen Rückschläge zusätzlich erklärt. Zum militärischen Beitrag der Partisanen gehörte unbestritten auch die Bindung deutscher Truppen und sonstiger Sicherungskräfte. Nach sowjetischen Angaben wurden seit 1942 etwa 10 Prozent der deutschen Truppen auf sowjetischem Boden, insgesamt rund 50 Divisionen, durch die Partisanen gebunden, davon etwa 10–15 Divisionen des Feldheeres.44 Nach den deutschen Unterlagen war der Effekt wesentlich geringer. Danach sind der Front nur anlässlich einzelner Partisanenaktionen Truppen entzogen worden. Für Sicherungsaufgaben wurden maximal 250.000 Wehrmachts- und SSAngehörige gleichzeitig eingesetzt. In der Regel waren – auf einer Fläche von bis zu 1,8 Millionen km² – lediglich 190.000 Mann im Einsatz, von denen nur ein geringer Teil – etwa 3 Divisionen – für den Frontdienst tauglich war. Zur Sicherung gegen Par37

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Partizanskoe dviženie, S. 308–311, 320, 458 ff.; Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 189–199, 267 f.; Kritisch zum „Schienenkrieg“ siehe Bojarskij, Partizanstvo, S. 188–191; vgl. auch Hermann Teske: Die silbernen Spiegel. Generalstabsdienst unter der Lupe. Heidelberg 1952. Starinov, Front, S. 111 f.; Partizanskoe dviženie, S. 560–562. Vgl. auch Bonwetsch, Volkskrieg, S. 112 f. Starinov, Front, S. 122; Iwan S. Konew: Aufzeichnungen eines Frontbefehlshabers. Berlin 1978, S. 182. Ponomarenko, Bor’ba, S. 371; Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 374. Anschauliches Beispiel: Bojarskij, Partizanstvo, S. 110 f. Voennaja ėnciklopedija. Bd. 6. Moskau 2002, S. 275. Der Autor spricht an anderer Stelle von „Hunderttausenden“, siehe Velikaja Otečestvennaja vojna, Bd. 4, S. 153. Soviet Partisans, S. 37 f..; Cooper, Phantom War, S. IX, 146; Hartmann, Ostkrieg, S. 762; Musial, Partisanen, S. 290-292. Partizanskoe dviženie (Po opytu), S. 374 f.; Ponomarenko, Bor’ba, S. 378; vgl. Bonwetsch, Volkskrieg, S. 112.

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tisanen wurden hauptsächlich einheimische Polizeikräfte eingesetzt, und bei gesonderten Aktionen zur aktiven Partisanenbekämpfung kamen auch nichtdeutsche Truppen und „Freiwilligenverbände“ zum Einsatz.45 Viel wichtiger als die Kenntnis der genauen Zahlen ist jedoch die Tatsache, dass der Besatzungsmacht ihre Schwäche ständig bewusst gemacht wurde. Normalerweise versuchten die Deutschen deshalb gar nicht erst, den Partisanen in den unzugänglichen Wald- und Sumpfgebieten Litauens und Weißrusslands ihre Stellung streitig zu machen. Sie mussten sich damit begnügen, die Hauptverbindungswege freizuhalten und die Transporte zu sichern. Somit gab es riesige, dünn besiedelte Gebiete hinter der Front, in denen Partisanen und Parteiorgane der KPdSU schon seit 1942 praktisch ungestört die Sowjetmacht etablierten. Allerdings boten derart unzugängliche Gebiete auch andern Widerstandsgruppen Zuflucht, nicht zuletzt der AK, der polnischen Heimatarmee, die in Frontstellung gegen alle anderen Kriegsparteien stand. Sie lieferte sich mit deutschen, ukrainischen und weißrussischen Kräften ebenso wie mit sowjetischen Partisanen in den 1939 abgetrennten polnischen Ostgebieten seit 1943 immer heftiger werdende Kämpfe.46 Ein zunehmender Teil der Aktivitäten der sowjetischen Partisanen richtete sich gegen diese „Banden“.47 Es waren Kräfte, die offen mit den Deutschen kollaboriert hatten, dann aber teils in den Untergrund gingen, wie Stepan Banderas Ukrainische Aufstandsarmee (UPA), um eigene Ziele auch im Kampf gegen die Deutschen zu verfolgen. Die Schwächung der deutschen Herrschaft seit Herbst 1943 machte die Situation immer verworrener: die Auseinandersetzungen in den ehemaligen polnischen Ostgebieten nahmen den Charakter eines mit nationalen Konflikten durchsetzten Bürgerkriegs an, in dem die deutsche Besatzungsmacht lavierte. So sehr die Heimatarmee auch den Deutschen zusetzte und die nationalistischen Kräfte sich untereinander bekämpften48, so sehr gab es dennoch immer mehr nur einen Hauptgegner: die sowjetischen Partisanen und schließlich auch die Rote Armee. Selbst die Heimatarmee sah deshalb 1944 die Deutschen nicht mehr als den eigentlichen Gegner an und ließ sich in zahlreichen Einzelfällen auf taktische Kooperation mit diesen ein.49 Die sowjetischen Partisanen hingegen wurden 1943/1944 mehr und mehr von einem Widerstandsfaktor gegen die Deutschen zu einer der Parteien im Bürgerkrieg in 45 46

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Cooper, Phantom War, S. 145 f.; Popov, NKVD, S. 228; Hartmann, Ostkrieg, S. 699-764. Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Bernhard Chiari. München 2003; Jaugen Sjamaška: Armija Kraeva na Belarusi. Minsk 1994; Chiari, Alltag, S. 280–287; Musial, Partisanen, S. 406-429. Volodymyr Serhiïčuk: Radjans’ki partyzany proty OUN-UPA. Kiew 2000; Sowjetische Partisanen in Weißrussland. Am heftigsten Polen und Ukrainer vgl. Grzegorz Motyka: Tak było w Bieszczadach. Walki polsko-ukraińskie w Polsce 1943–1948. Warschau 1999; Władysław u. Ewa Siemaszko: Ludobójstwo dokonane przez nacionalistów ukraińskich na ludności polskiej. Wolynia 1939–1945. 2 Bde. Warschau 2000; Ihor I. Il’jušyn, Protystojannja UPA i AK (Armiï Krajovoï) v roky druhoï svitovoï vijny na tli dijal’nosti pol’s’koho pidpillja v zachidniï Ukraïni. Kiew 2001; Valentin P. Mazurok: Ruch oporu na Volyni u 1941–1943 rr. In: Archivy okupaciï 1941–1944. Kiïv 2006, S. 804–811. Bernhard Chiari: Kriegslist oder Bündnis mit dem Feind? Deutsch-polnische Kontakte 1943/44. In: Heimatarmee, S. 497–527; Musial, Partisanen, S. 430-433.

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den Westgebieten. Dieser Bürgerkrieg wurde von allen Seiten brutal geführt und setzte sich auch nach dem Rückzug der Deutschen als Widerstand gegen die Wiedererrichtung der Sowjetmacht fort. Dabei haben sich dann auch die verfeindeten polnischen und ukrainischen Beteiligten, AK und UPA, hin und wieder gegen die zurückgekehrte sowjetische Staatsmacht miteinander verbündet.50

Literaturhinweise 1. Quellen Die wichtigste Quellenedition Partizanskoe dviženie v gody Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg. (= Russkij archiv. Velikaja Otečestvennaja, Bd. 20 [9]). Moskau 1999 Zur komplizierten Situation in Westweißrussland Sowjetische Partisanen in Weißrussland. Innenansichten aus dem Gebiet Baranoviči 1941–1944. Eine Dokumentation. Hrsg. v. Bogdan Musial. München 2004 Ältere, besonders materialreiche Editionen Vsenarodnoe partizanskoe dviženie v Belorussii v gody Velikoj Otečestvennoj vojny. Ijun’ 1941-ijul’ 1944. Dokumenty i materialy. 3 Bde. Minsk 1967–1983 Zum Kampf sowjetischer Partisanen gegen die UPA: Serhiïčuk, Volodymyr: Radjans’ki partyzany proty OUN-UPA. Kiew 2000 2. Gesamtdarstellungen Erste sowjetische Zusammenfassung Byčkov, Lev N.: Partizanskoe dviženie v gody Velikoj Otečestvennoj vojny 1941– 1945. Kratkij očerk. Moskau 1965 Informationsreiche entsprechende Kapitel befinden sich auch in: Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion. 6 Bde. Berlin 1962–1968 Stark zensierte Monographie des Chefs des Zentralen Partisanenstabes Ponomarenko, Pantelejmon K.: Vsenarodnaja bor’ba v tylu nemecko-fašistskich zachvatčikov 1941–1944. Moskau 1986 (vgl. Georgij A. Kumanev: O čem vspominal P. K. Ponomarenko. In: Otečestvennaja istorija 1998, Nr. 5, S. 133–139) dazu ergänzend von einem zeitgenössischen Kritiker Ponomarenkos Starinov, Il’ja G.: Front bez komandovanija. In: Novaja i novejšaja istorija 1990, Nr. 3, S. 110–122 ders.: Zapiski diversanta. Moskau 1997 ders.: Miny zamedlennogo dejstvija. Moskau 1999 50

Grzegorz Motyka/Rafał Wnuk: Pany i rezuny. Współpraca AK-WiN i UPA 1945–1947, Warschau 1997.

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Neuere Zusammenfassungen Partizanskoe dviženie (Po opytu Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg.). Žukovskij-Moskau 2001 Bojarskij, Vjačeslav I.: Partizanstvo včera, segodnja, zavtra. Moskau 2003 Musial, Bogdan: Sowjetische Partisanen 1941-1944. Mythos und Wirklichkeit. Paderborn 2009 (Schwerpunkt Weißrussland) Nur bedingt nützliche Übersetzung einer sowjetischen Studie von 1984 Grenkevich, Leonid: The Soviet Partisan Movement, 1941–1944. A Critical Historiographical Analysis. Ed. by David M. Glantz. London/Portland 1999 Immer noch unentbehrliche Kombination systematischer Analysen und Fallstudien, wenn auch nur auf deutschen und erbeuteten Dokumenten beruhend: Soviet Partisans in World War II. Ed. by John A. Armstrong. Madison 1964 3. Literatur zu Einzelaspekten Vornehmlich auf deutscher Quellenbasis, behandeln die Partisanenbewegung unter dem Blickwinkel ihrer Bekämpfung: Hesse, Erich: Der sowjetrussische Partisanenkrieg 1941 bis 1944 im Spiegel der deutschen Kampfanweisungen und Befehle. Göttingen 1969 Cooper, Matthew: The Phantom War. The German Struggle against Soviet Partisans 1941–1944. London 1979 Hartmann, Christian: Wehrmacht im Ostkrieg. Front und militärisches Hinterland 1941/42. München 2009 Beschränkt auf die 221. Sicherungsdivision 1941–1943 in Weißrussland Shepherd, Benjamin V.: War in the Wild East. The German Army and Soviet Partisans. Cambridge 2004 Zur Rolle der Rotarmisten, des NKVD und zu Problemen der Zusammenarbeit mit der Roten Armee Perežogin, Vitalij A.: Soldaty partizanskogo fronta. Moskau 2001 Solov’ev, Aleksej K.: Oni dejstvovali pod raznymi psevdonimami. Minsk 1994 Popov, Aleksej: NKVD i partizanskoe dviženie. Moskau 2003 Bojarskij, Vjačeslav I.: Partizany i armija. Istorija upuščennych vozmožnostej. Minsk 2001 Gut dokumentierte Fallstudie zum Leningrader Gebiet Hill, Alexander: The War Behind the Eastern Front. The Soviet Partisan Movement in North-West Russia, 1941–1944. London 2005 Zum jüdischen Widerstand Eckman, Lester und Chaim Lazar: The Jewish Resistance. The History of Jewish Partisans in Lithuania and White Russia during the Nazi Occupation, 1941–1945. New York 1977

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Tec, Nehama: Bewaffneter Widerstand. Jüdische Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Gerlingen 1996; Rich Cohen: The Avengers. New York 2000 Zu den bürgerkriegsartigen Kämpfen in den 1939 annektierten Westgebieten der Sowjetunion Chiari, Bernhard: Alltag hinter der Front. Besatzung, Kollaboration und Widerstand in Weißrussland 1941–1944. Düsseldorf 1996 Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Bernhard Chiari. München 2003 Sjamaška, Jaugen: Armija Kraeva na Belarusi. Minsk 1994 Rusnačenko, Anatolij: Narod zburenij. Nacional’no-vyzvol’nyj ruch v Ukraïni i nacional’ni ruchy oporu v Bilorusiï, Lytvi, Latviï, Estoniï u 1940–50-ch rokach. Kiew 2002 Motyka, Grzegorz: Tak było w Bieszczadach. Walki polsko-ukraińskie w Polsce 1943–1948. Warschau 1999 Il’jušyn, Ihor I.: Protystojannja UPA i AK (Armiï Krajovoï) v roky druhoï svitovoï vijny na tli dijal’nosti pol’s’kogo pidpillja v zachidniï Ukraïni. Kiew 2001 ders.: Volyns’ka tragedija 1943–1944 rr. Kiew 2003

Transnistrien: Legende und Wirklichkeit des Kampfes gegen die rumänisch-deutsche Besatzungsherrschaft Herwig Baum Widerstand gegen die Besatzungsherrschaft Das Besatzungsregime in Transnistrien Das Gebiet zwischen den Flüssen Bug und Dnjestr gehörte nach dem Ersten Weltkrieg staatsrechtlich teilweise zur Moldauer ASSR und zum Teil zur Ukrainischen SSR, war also ab 1922 Teil der UdSSR. Die große wehrwirtschaftliche und strategische Bedeutung Rumäniens für die deutsche Kriegführung im Zweiten Weltkrieg sowie verschiedene politische und militärische Erwägungen und schließlich das besondere Verhältnis der beiden Diktatoren zueinander hatte Hitler nach dem Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 dazu bewogen, dem von General (später: Marschall) Ion Antonescu autoritär regierten Königreich Rumänien ein eigenes Besatzungsgebiet in der neu eroberten Südwestukraine zu überlassen. Eine am 30. August 1941 abgeschlossene Vereinbarung1 wies der Regierung des Balkanstaates im Gebiet zwischen Dnjestr und südlichem Bug, wobei die Nordgrenze noch nachträglich festgelegt wurde, umfassende Besatzungskompetenzen zu. Hauptort des Territoriums war der bedeutende Schwarzmeerhafen Odessa, der allerdings erst am 16. Oktober 1941 von Antonescus Truppen erobert werden konnte.2 Von rumänischer Seite wurde in dem als „Provinz Transnistrien“ bezeichneten Landstrich eine Zivilverwaltung, deren Struktur weitgehend der Rumäniens entsprach, eingerichtet.3 Dabei wurden den rumänischen Dienststellen auch militärische Sicherungsaufgaben gegenüber der einheimischen Bevölkerung, die aus russischen, moldauischen, jüdischen und ukrainischen Anteilen bestand, überlassen. Der sowjetische Widerstand Auch im Gebiet zwischen Dnjestr und Bug fand Stalins Aufruf vom 3. Juli 1941 zum „Vaterländischen Verteidigungskrieg“ und zum Partisanenkampf gegen die deutschen und rumänischen Invasionstruppen ein entsprechendes Echo. Der sich danach dort entwickelnde sowjetische Widerstand wurde von mehreren Institutionen organisiert: Auf der Ebene der kommunistischen Partei des Gebietes Odessa agierte das „Untergrundkomitee der KP des Oblasts (Odessa)“ (POOBKOMPART). Es war damit beauftragt, eine 1

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Abdruck bei Ekkehard Völkl: Transnistrien und Odessa 1941–1944. Kallmünz 1996, S. 110– 113. Friedrich Forstmeier: Odessa 1941. Der Kampf um Stadt und Hafen. 15. August – 16. Oktober 1941. Freiburg 1967. Siehe Alexander Dallin: Odessa, 1941–1944: A Case Study of Soviet Territory under Foreign Rule. Santa Monica, Calif. 1957, Oxford 1998; Ekkehard Völkl: Odessa 1941–1943. In: Orte des Grauens. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2004, S. 168–175.

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flächendeckende Organisation in sämtlichen Verwaltungseinheiten seiner Zuständigkeit aufzubauen.4 Zusätzlich war in der Region die Abteilung für Sonderaufgaben des Geheimdienstes NKVD tätig.5 Mit Annäherung der militärischen Frontlinie ab Herbst 1943 organisierten einzelne sowjetische Heeresgroßverbände ebenfalls Partisaneneinheiten in Transnistrien. Nach sowjetischen Quellen waren im Oblast Nikolajev insgesamt vier, im Oblast Odessa zwanzig Partisanenabteilungen tätig; von letzteren wurden jeweils zwei von der 3. sowie der 4. Ukrainischen Front aufgebaut.6 Im Rahmen des Ukrainischen Stabes der Partisanenbewegung waren die Partisanen Transnistriens der Sektion II (Moldau) zugeordnet.7 Aufgaben der Partisanen waren die Störung der Nachrichtenverbindungen und die Behinderung des Nachschubs der Besatzungstruppen sowie Angriffe auf Versorgungslager; erst an dritter Stelle wurde der direkte Kampf mit den Besatzern festgelegt.8 Hinzu kamen mit unterschiedlicher Gewichtung nachrichtendienstliche Tätigkeit, Werbung von Partisanenmitgliedern und Beeinflussung der Zivilbevölkerung. Vorbereitet wurde der anfängliche Widerstand bereits während der Belagerung Odessas durch deutsche und rumänische Truppen. In der Stadt agierte ein Teil der Widerständler von den im Zusammenhang mit ihrer Erbauung entstandenen, unterirdischen Katakomben aus. Seinen Höhepunkt erreichte die Partisanentätigkeit bereits wenige Tage nach der Eroberung der Stadt durch rumänische Streitkräfte: Nachdem das ehemalige NKVD-Gebäude in der Engelsstraße von rumänischen und deutschen Pionieren untersucht worden war, ignorierten rumänische Kommandobehörden Warnungen vor einer Verminung und richteten dort das Oberkommando ihrer 10. Infanteriedivision und die Militärkommandantur der Stadt Odessa ein. Kurz darauf, am Nachmittag des 22. Oktober, wurde das Gebäude durch eine Explosion verwüstet, die vermutlich durch eine Fernzündung ausgelöst worden war. Prominentestes Opfer war der rumänische Militärkommandant der Stadt, General Ion Glogojeanu. Die Gesamtzahl der Opfer betrug 41 Tote, darunter fünf deutsche Offiziere, sowie 34 Verletzte;9 spätere Berichte gingen von bis zu 60 Toten aus.10 Ein in der Folge erlassener Repressionsbefehl Antonescus löste eines der blutigsten Massaker des Zweiten Weltkrieges aus: In

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USHMM Washington, RG-25.010M, Reel 26, Bl. 40: Legiunea Jandarmi Berezovca, Bir. Siguranţa şi Informaţii, Dare de Seamă asupra activităţii informative pe luna Martie 1943. Pawel A. u. Anatolij Sudoplatow: Der Handlanger der Macht. Enthüllungen eines KGB-Generals. Düsseldorf, Wien u. a. 1994, S. 165. Ukraina partyzans`ka 1941–1945. Partyzans`ki formuvannja ta orhany kerivnychtva nymy/Central'nyj Derzavnyj Archiv Hromads`kych O`jednan` Ukrainy. [Avtory-uporjadnyky: V. S. Lozyc`kyj (kerivnyk) ...]. Kiev 2001, S. 197 ff. USHMM Washington, RG-25.010M, Reel 6, Bl. 42: Organizarea Comand. Mişcării Teroriste Ucrainene (undatiert). Ebenda, RG-25.003M, Reel 19, Bl. 103–108: Comandamentul Armatei a 3-a, Stat Major, Secţia 2-a v. 26.8.1941. Ebenda, Bl. 580–583: Corpul 2 Armată, stat Major, Bir 3: Tabel nominal de morţii […]; Spitalul Moto 101: Tabel nominal de răniţi […] (undatiert). Dallin, Odessa 1941–1944, S. 220.

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den nächsten Tagen wurden zwischen 30.000–40.000 Zivilisten, nahezu ausschließlich Juden, erschossen, verbrannt oder erhängt.11 Die Rumänen versuchten, den Partisanen durch vereinzelte Vorstöße in die Katakomben, durch das Zumauern der Eingänge12 sowie durch das Ausräuchern gewisser Abschnitte mittels spezieller chemischer Substanzen13 beizukommen. Größere Erfolge erzielte die rumänische Gendarmerie auf Grund von Denunziationen aus der Bevölkerung sowie durch den Einsatz von V-Leuten. So gelangen zwischen Ende 1941 und Frühjahr 1942 schwere Schläge gegen die Odessaer Partisanengruppen, deren Einsätze sich daraufhin nahezu ausschließlich auf nachrichtendienstliche und propagandistische Tätigkeiten beschränkten. Bedeutsam war die Gefangennahme des geheimen NKVDResidenten der Stadt, Vladimir A. Molodzov (Deckname: Badaev) und eines Großteils seiner Leute im Februar 1942;14 sie wurden später hingerichtet. Auch interne Probleme erschwerten die subversive Arbeit des Widerstandes. Aufgrund des durch den sowjetischen Überläufer Mitrochin öffentlich gemachten Materials ist bekannt, dass bereits bei Beginn des Untergrundkampfes bestehende Spannungen zwischen einer aus Moskau eingeflogenen Gruppe um Molodzov und der ortsansässigen Einheit um V. A. Kusnetzov sogar blutig eskalierten: Nach der Verhaftung des NKVD-Residenten ließ Kusnetzov die Moskauer mit Ausnahme eines einzigen Mannes töten, der dann selbst im Oktober 1942 Kusnetzov erschoss.15 Bei einer etwas später verhafteten Gruppe war es aus Nahrungsmangel sogar zu Kannibalismus gekommen.16 Im März 1943 erfolgten weitere Verhaftungen durch die Besatzungsdienststellen. Ab diesem Zeitpunkt verfügte der rumänische militärische Geheimdienst über detaillierte Informationen hinsichtlich des inneren Aufbaus der Partisanenorganisation; es war sogar ein Fotoalbum mit zahlreichen Mitgliedern des Widerstands angelegt worden.17 Bemerkenswert erscheint die Tatsache, dass mehrere Professoren der Universität Odessa involviert waren und eine Gruppe von Medizinstudentinnen als Verbindungsagenten eingesetzt wurden. Mitte 1943 wurde die zahlenmäßige Stärke der unterirdisch tätigen Partisanen auf 80–100 Personen geschätzt,18 die ihren Widerstand gegen die feindlichen Besatzer überwiegend bis zur Befreiung der Stadt am 10. April 1944 fortsetzen konnten. 11

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Vgl. dazu z. B.: Radu Ioanid: The Holocaust in Romania. The Destruction of Jews and Gypsies under the Antonescu Regime, 1940–1944. Chicago 2000, S. 177–182. Man gab an, bis zu diesem Zeitpunkt 558 Eingänge zugemauert zu haben; BA-MA Freiburg, RH 31-I/108: Statul Major General al Armatei către Misiunea Militară Germană în România, Dl. Major Zöllner v. 30.12.1941. Vom Februar bis April 1942; vgl. USHMM Washington, RG-25.003M, Reel 20, Bl. 235–245 sowie 254–267. USHMM Washington, RG-25.010M, Reel 16, Bl. 787–790: Inspectoratul Jandarmi Transnistria, Buletin informativ de la 15 Martie la 15 Aprilie 1942. Christopher Andrew u. Wassili Mitrochin: Schwarzbuch des KGB. Moskaus Kampf gegen den Westen. München 2001, S. 146–148. USHMM Washington, RG-25.010M, Reel 16, Bl. 791 f.: Inspectoratul Jandarmi Transnistria, Buletin informativ de la 15 Martie la 15 Aprilie 1942. USHMM Washington, RG 25.010M, Reel 26, Bl. 539–567: Insp. Gen. al Jandermeriei, 03/ 1943, Albumul cu fotografiile individuale şi colective ale şefilor de raioane subversive… Dallin, Odessa 1941–1944, S. 228.

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Nahezu gegenläufig entwickelte sich der Widerstand in den ländlichen Gebieten Transnistriens. Dort begannen gegen die Besatzer gerichtete Aktionen äußerst zögerlich, was sich über einen Großteil des Zeitraums der Okkupation hinweg auch nicht änderte. Lageberichte der Gendarmerie führten unter der Rubrik „subversive Aktionen“ oder „Terrorismus“ oft keine Vorkommnisse auf. Kleinere Aktionen wie die Verbreitung von Flugblättern und Zeitungen, Sabotage an Maschinen, Anschläge auf Zugverbindungen, Viehdiebstähle, Angriffe auf Kollaborateure oder deren Bedrohung, etwas später auch Attacken auf abgelegene Gendarmerieposten mit geringen Opferzahlen wurden von den rumänischen Sicherheitskräften bereits als spektakulär empfunden. In diesem Zeitraum aktive Partisanengruppen waren in der Regel klein und wurden oft schnell zerschlagen. Mit der sich nähernden Front ab Herbst 1943 begann sich die Situation grundlegend zu ändern. Lageberichte sprachen nun von „flächendeckend ausgebauten Partisanenorganisationen“19, die zunehmenden Einfluss auf die Zivilbevölkerung erlangten. Stärkere Gruppierungen wurden u. a. im Raum Trihati, Tiraspol und Varvarovca entdeckt; sie gingen wesentlich offensiver und in größerem Maßstab vor und scheuten teilweise nicht einmal Angriffe auf Militäreinheiten. Im Winter 1943/44 steigerten sich die Aktionen nochmals. Es wurden nun auch Partisaneneinheiten von mehreren hundert Mann Stärke eingesetzt, die vereinzelt sogar über schwere Waffen sowie über einen militärischen Stab verfügten.20 Diese Gruppen drangen zumeist von östlich des Bug nach Transnistrien vor. Bei ihrer Abwehr wirkten rumänische und deutsche Einheiten zusammen; gelegentlich mussten sogar Verbände in Bataillonsstärke eingesetzt werden. Schussfolgernd lässt sich konstatieren, dass auf dem Territorium Transnistriens ein Partisanenkampf stattfand, der insbesondere in den frontnahen Gebieten in der letzten Phase der Besatzung eine gewisse Heftigkeit gewann. Von einem ähnlichen Umfang des sowjetisch geprägten Widerstandes, wie dies beispielsweise in den Partisanengebieten Weißrusslands, vor Leningrad oder Teilen der Nordukraine, der Fall war, konnte aber in Transnistrien nicht die Rede sein. Die Gründe hierfür sind in dem wegen des Fehlens großer Wälder schlecht geeigneten Terrain zu sehen, aber auch die Ablehnung der Sowjetmacht durch Teile der einheimischen Bevölkerung spielte eine Rolle. Letztendlich dürfte es auch von Bedeutung gewesen sein, dass die Verfolgung der Partisanen durch die rumänischen Besatzer, jedenfalls nach dem großen Massaker von Odessa, im allgemeinen nicht in ähnliche Blutorgien an Unbeteiligten ausartete, wie dies im deutschen Besatzungsgebiet der übrigen westlichen UdSSR oft der Fall war. Der nationalistische ukrainische Widerstand Eine ähnliche Zusammenarbeit ukrainischer Bevölkerungsgruppen, wie sie in der Anfangsphase des Ostkrieges für Teile der Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) 19

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USHMM Washington, RG. 25.010M, Reel 27, Bl. 255: Inspectoratul Jandarmi Transnistria din 23. Noiembrie 1943, Buletinul Informativ pe luna Noiembrie 1943. So drang am 16. Januar 1944 eine Partisanengruppe von etwa 500 Mann in Transnistrien ein; s. USHMM Washington, RG. 25.003M, Reel 20, Bl. 532: S. I., Detaşamentul Vulturul, 18. Januarie 1944.

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mit den Deutschen, auch bei den Massenverbrechen an den Juden, zutraf, fand mit den Rumänen nicht statt. Die rumänische Staatsführung betrachtete die ukrainischen Nationalisten von Beginn an als Gegner. Antonescu fürchtete eine unabhängige Ukraine als mächtigen Nachbarn, der eventuell mit territorialen Forderungen an den rumänischen Staat herantreten hätte können. Die rumänische Staatsführung erwog sogar kurzfristig, ähnlich wie es im Fall der Juden umgesetzt wurde, die Ukrainer aus den von der Sowjetunion zurückeroberten Gebieten Nordbukowina und Bessarabien zu deportieren.21 Nachdem es bereits in den ersten Wochen des Feldzuges zu Reibereien zwischen rumänischen Stellen und auf deutscher Seite kämpfenden ukrainischen Einheiten gekommen war, eskalierten die Konflikte jedoch nicht weiter. In der örtlichen Polizei, die nach der Einrichtung der Zivilverwaltung in Transnistrien flächendeckend begründet wurde, dienten zahlreiche ethnische Ukrainer22 ebenso wie auf den unteren Ebenen der lokalen Verwaltungen.23 Dennoch wurde der bestehende Zustand seitens der OUN als unhaltbar betrachtet; man versuchte Einfluss insbesondere auf die ländliche ukrainische Bevölkerung zu gewinnen. Seitens der rumänischen Sicherheitskräfte wiederum waren ukrainisch-nationalistische Bestrebungen Gegenstand ständiger Beobachtungen. Die nachrichtendienstlichen Monatsberichte der Gendarmerielegionen führten denn auch stets eine Rubrik mit der Überschrift „ukrainische Irredenta“. Tatsächlich kam es zu Infiltrationsversuchen der OUN. Ziel solcher Bestrebungen war insbesondere der Norden des rumänischen Besatzungsgebietes, das geographisch von den Zentren der Aktivität der Organisation aus am besten zu erreichen war und wo der Anteil der ukrainischen Bevölkerung relativ hoch war. So wurden wiederholt Aktionen von Emissären der OUN, insbesondere der Gruppe unter Stepan Bandera, für die Verwaltungsgebiete (judeţe) Tulcin und Moghilev im Zeitraum 1941/1942 gemeldet.24 Wenige diesbezügliche Nachrichten über Aufstandsaktivitäten gab es hingegen aus dem Süden Transnistriens.25 Die Tätigkeit der Aktivisten, die in seltenen Fällen bewaffnet waren, bestand im Versuch des Aufbaus von örtlichen Organisationen; außerdem wurde Propagandamaterial mit nationalistischem Inhalt verbreitet. Als Ziele der Bewegung wurden die Schaffung einer unabhängigen Großukraine, sowie die Verteilung des Bodens der Kolchosen an die Bauern angegeben.26 Die sympathisierende Bevölkerung demonstrierte 21

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Matatias Carp: Cartea Neagră. Suferinţele Evreilor din Romănia 1940–1944. Bd. 3: Transnistria. 2 Bukarest 1996, S. 96. DAMO Nikolajev, f. 2177, op. 1, del. 10, Bl. 5: Poliţia oraşului Golta către Primăria Golta v. 21.12.1942. Z. B. DAMO Nikolajev, f. 2177, op. 1, del. 44, Bl. 47: Primăria or. Golta către Prefectura jud. Golta v. 21.5.1942. USHMM Washington, RG-25.010M, Reel 6, Bl. 23: Legiunea Jand. Tulcin, Nota informativă Nr. 82 din 26. Decembrie 1941; DAMO Nikolajew, f. 1028, op. 1, del. 80, Bl. 18: Comandantul de Căpetenie al Armatei, Dep. Guv. Civil, Dir. Adminstrativă Domnului Prefect al Judeţului v. 6.6.1942. Z. B. USHMM Washington, RG-25.010M, Reel 16, Bl. 634: Leg. Jand. Berezovca către Inspectoratul Jand. Transnistriei, Bat. IV Jand. Studiu Sintetic Informativ pe Luna Februarie 1942, v. 28.2.1942. Ebenda, Reel 27, Bl. 188 f.: Insp. Jand. Odessa, Buletinul informativ pe luna Septembrie 1943.

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ihre Zustimmung durch das Tragen ukrainischer Nationalfarben, das Singen patriotischer Lieder u. ä. Auch das Vorzeigen von Bildern des Nationaldichters Taras Ševčenko wurde seitens der rumänischen Sicherheitskräfte als Bekundung der Zustimmung zur Tätigkeit der OUN gewertet.27 Mit Annäherung der militärischen Front an die Grenzen Transnistriens ab Herbst 1943 meldeten die rumänischen Quellen ein Zurückgehen der Agitation nationalistischer Ukrainer, da deren Ideen in der Bevölkerung angesichts der bevorstehenden Rückeroberung durch die Sowjetarmee immer weniger Anklang fanden.28 Abschließend lässt sich feststellen, dass Aktivitäten von ukrainisch-nationalistischer Seite in bedeutenden Teilen Transnistriens zwar vorhanden waren, dass es aber den Ukrainern nicht gelang, ein flächendeckend organisiertes Netzwerk aufzubauen. Von der Aufstellung bewaffneter Verbände und der Auslösung eines Partisanenkrieges, wie dies in Galizien oder Wolhynien durch die Ukrainische Aufständischenarmee UPA (Ukrains`ka povstans`ka armiia) der Fall war, die sich ab 1943 auch gegen die deutschen Besatzer wandte, konnte in Transnistrien keine Rede sein. Als Ursachen kommen hierfür neben einem aus historischen Gründen weniger ausgeprägten Nationalbewusstsein wiederum die bereits erwähnte, relative Zurückhaltung der Rumänen bei Kollektivbestrafungen, insbesondere, was die ukrainische Bevölkerung betraf, in Frage.

Historische Bewertung und Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg Bereits während des Krieges, verstärkt aber nach dessen Ende wurde von sowjetischer Seite insbesondere um die Partisanen der Stadt Odessa mit großem Aufwand Legendenbildung betrieben. Dies bot sich zum einen aufgrund der Tatsache an, dass der Widerstand zum Teil von den geheimnisumwitterten Katakomben aus betrieben worden war, andererseits wollte man gerade in der vom Partisanenkrieg vergleichsweise wenig betroffenen Südwestukraine ein Zentrum der Aufstandsbewegung kreieren. Zahlreiche Bücher mit dieser Tendenz erschienen in der Nachkriegszeit; das ohne Zweifel bekannteste stellte der Roman Valentin Kataevs29 dar. Das offiziöse sowjetische Monumentalwerk zum Zweiten Weltkrieg widmete den Odessaer Partisanen apologetische Darstellungen.30 Wissenschaftlich fundiertere Darstellungen des Widerstandes, sowohl des prosowjetischen als auch des ukrainisch-nationalistischen, für das Gebiet des ehemaligen Transnistrien wurden in neuester Zeit in den Nachfolgestaaten der UdSSR, vor allem in der Ukraine, publiziert.31 27

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Ebenda, Reel 26, Bl. 115 f.: Insp. Jand. Transnistriei, buletinul Informativ pentru Transnistria pe luna Martie 1943. Z. B. ebenda, Reel 27, Bl. 160: Insp. Jand. Odessa, Buletinul informativ pe luna Octombrie1943. Valentin P. Kataev: In den Katakomben von Odessa. Berlin 1986 (Titel der sowjet. Ausgabe v. 1984: Katakomby, der von 1955: Za vlast` sovetov). Diese sollen mittels Sabotage die Arbeit in den Betrieben der Stadt nahezu unmöglich gemacht und kurz vor der Befreiung der Stadt den offenen Kampf gegen die Besatzer eröffnet haben; siehe Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion. Hrsg. v. Hans Gossens u. a. Bd. 3, Berlin 1964, S. 575 sowie ebenda, Bd. 4, Berlin 1965, S. 101. E. H. Horburov: Rukh oporu na pivdni Ukrainy v rokhy Velikoi Vitchyznianoi viiny (1941– 1944). Kiev 2002; E. H. Horburov, M. M. Shitiuk: Suspil`no-politychna ta boiova diial`nist

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Im Westen fand die übertriebene Darstellung der Stärke der Odessaer Partisaneneinheiten ihren Weg in Kurt v. Tippelskirchs frühe Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkriegs.32 Das erste und bislang auch ausführlichste wissenschaftliche Werk eines westlichen Autors, das sich auch mit dem Widerstand in Transnistrien befasste, war Alexander Dallins Veröffentlichung zur Besatzungsgeschichte Odessas und Transnistriens im Zweiten Weltkrieg.33 In Rumänien war das Thema Transnistrien während der kommunistischen Herrschaft tabuisiert; eine Auseinandersetzung mit der Frage des Widerstandes und seiner Bekämpfung hat bisher noch nicht stattgefunden.

Quellenhinweise Aktenmaterial der rumänischen Besatzungsbehörden befindet sich in den staatlichen Gebietsarchiven (DAMO) von Odessa und Nikolajev sowie im US Holocaust Memorial Museum (USHMM) in Washington, D.C. In Bukarest können dazu Bestände des Nationalarchivs (zum Generalinspektorat der Gendarmerie) sowie des Verteidigungsministeriums eingesehen werden. Archivalien deutscher Behörden liegen im Bundesarchiv-Militärarchiv (BA-MA) in Freiburg i. Br. sowie im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte in München.

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natsionalistychnoho pidpillia pivnia Ukrainy v roky nimets`ko-rumuns`koi okupatsii. Kiev 2003. Er gab ihre Anzahl zum Zeitpunkt der Rückeroberung der Stadt mit 10.000 Kämpfern an, siehe Kurt v. Tippelskirch: Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Bonn 1951, S. 435. Siehe Dallin, Odessa 1941–1944.

Litauen: Zwischen Scylla und Charybdis 1940–1945 Joachim Tauber

Der Kampf gegen die Okkupation im Zweiten Weltkrieg In Litauen kann von einem einheitlichen Widerstand gegen die fremde Besatzungsherrschaft keine Rede sein; vielmehr gab es verschiedene Gruppierungen, deren Feindbilder sich deutlich unterschieden und sich zudem mit der militärischen Lage wandelten. Die Ursachen dafür liegen in der besonderen Situation der Baltischen Staaten begründet: Im Gegensatz zu Westeuropa hatten es die Menschen im Baltikum und Ostpolen nicht nur mit einem Besatzer zu tun. Zwischen Herbst 1939 und Sommer 1940 hatte die Sowjetunion als Verbündete des nationalsozialistischen Deutschland diese Gebiete okkupiert und begonnen, dort gewaltsam die Sowjetordnung einzuführen, was im Zeichen des totalitären Stalinismus ein massives Vorgehen gegen vermeintliche „Klassenfeinde“ implizierte. Unmittelbar vor dem deutschen Überfall auf die UdSSR am 22. Juni 1941 begannen systematische, großangelegte Massenfestnahmen und Deportationen durch die Sowjetmacht, welche die litauische Bevölkerung in einen traumatischen Schockzustand versetzten, in dem der deutsche Angriff wie ein Fanal für eine Befreiungsaktion wirkte, was erklärt, weswegen die einmarschierenden deutschen Soldaten euphorisch als Befreier begrüßt wurden.1 Die Haltung gegenüber der Sowjetunion bildet damit auch das entscheidende Kriterium für eine Einordnung der verschiedenen Formen und Träger des Widerstandes gegen die deutschen Besatzer. Eine sowjetische Partisanentätigkeit kam in Litauen nur äußerst schleppend in Gang. Obwohl immer wieder Fallschirmagenten über dem Land absprangen, umfassten die meisten Gruppen nur zwischen 20 und 30 Mann.2 Versuche, zentrale Partisanenstützpunkte in Nord- und Südlitauen aufzubauen, führten 1942 zur Vernichtung der vorgesehenen Einheiten durch deutsche Sicherungskräfte. Als Erfolg galt unter diesen Voraussetzungen bereits, neun Gruppen mit zusammen 143 Mann aus Weißrussland nach Litauen zum Einsatz zu bringen.3 Wie schwierig die Situation in Litauen aus sowjetischer Sicht war, geht ungewollt aus einem Schreiben des Chefs der litauischen KP, Antanas Sniečkus, an Stalin vom 18. Oktober 1942 hervor, in dem Sniečkus zwar die Schaffung eines zentralen Einsatzstabes vor Ort vorschlug, als Standort aber nicht 1

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Vgl. Joachim Tauber: 14 Tage im Juni: Zur kollektiven Erinnerung von Litauern und Juden. In: Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration. Hrsg. v. Vincas Bartusevičius u.a. Köln u.a. 2003, S. 40–50. Vgl. Arūnas Bubnys: Vokiečių okupuota Lietuva (1941–1944) [Das von den Deutschen besetzte Litauen]. Vilnius 1998, S. 234. Vgl. Bronius Vaitkevičius: Antinacinis pasipriešinimo judėjimas Lietuvoje 1941–1944 metais [Die antinationalsozialistische Widerstandsbewegung in Litauen in den Jahren 1941–1944]. Vilnius 2001, S. 29–34.

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Litauen, sondern Weißrussland empfahl.4 Erst Mitte 1943 fanden die Partisanen mehr Rückhalt im Land, was einer ihrer Führer lakonisch kommentierte: „Die Stimmung hat sich stark gewandelt, alle sind gegen die Deutschen, keiner hofft mehr auf einen deutschen Sieg.“5 Bevorzugtes Ziel der sowjetischen Partisanen war die Infrastruktur; insbesondere waren Eisenbahnstrecken und Fernmeldeverbindungen betroffen. Hinzu kamen Erschießungen von Kollaborateuren, direkte bewaffnete Angriffe auf deutsche Soldaten waren dagegen selten.6 Die regionalen Schwerpunkte der Partisanentätigkeit lagen im Süden des Landes (Vilniusgebiet) und in den Grenzgebieten zu Weißrussland.7 Die deutschen Besatzungsstellen antworteten mit Repressionen. Im Herbst 1943 gab der deutsche Generalkommissar bekannt, dass jedes Dorf, das mit Partisanen in Verbindung stehe, verbrannt und die Bevölkerung nach Deutschland zur Zwangsarbeit oder in ein Konzentrationslager deportiert werde. Eines der größten Verbrechen geschah in den letzten Tagen der deutschen Besatzung, als Teile des 3. Bataillons des 16. SS-Polizeiregiments am 3. Juni 1944 das Dorf Pirčiupiai niederbrannten und 119 Einwohner ermordeten, weil Sowjetpartisanen in der Nähe mehrere deutsche Soldaten erschossen hatten.8 Nach sowjetlitauischen Angaben wurden in Litauen 21 Dörfer zerstört, die Verluste der Partisanen beliefen sich auf 1422 Personen.9 Trotzdem kann Litauen als eine der sichersten deutschen Etappen im Operationsgebiet „Barbarossa“ bezeichnet werden.10 Offensichtlich war das litauische Element in den Partisaneneinheiten unterrepräsentiert, viele Einheiten kamen aus Weißrussland auf litauisches Gebiet oder sprangen mit dem Fallschirm ab; die Reihen der Partisanen verstärkten auch geflohene Kriegsgefangene und Juden. Im Juni 1944 agierten auf litauischem Gebiet 56 Partisanengruppen, in ihnen kämpften 1386 Litauer, 1475 Russen, 676 Juden und 367 Personen verschiedener ethnischer Herkunft.11 Die geringe Resonanz lag vor allem daran, dass der kommunistische Widerstand mit der Wiederherstellung der Sowjetmacht eine Zielsetzung verfolgte, welche die breite Mehrheit der litauischen Bevölkerung nicht teilte. Die antisowjetische Gemeinsamkeit aller gesellschaftlichen und politischen Kräfte des litauischen Staates der Zwischenkriegszeit führte dazu, dass der deutsche Angriff auch als Chance für ein von Moskau losgelöstes Litauen begriffen wurde. 4 5

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Vgl. Vaitkevičius, Judėjimas, S. 36. Schreiben des Partisanenführers M. Šumauskas vom 26. August 1943; zit. nach Vaitkevičius, Judėjimas, S. 31 [Alle Übersetzungen aus dem Litauischen durch den Verfasser]. Beispiele bei Vaitkevičius, Judėjimas, S. 43–50. Vgl. Bubnys, Lietuva, S. 237. Vor allem im Vilniusgebiet waren sowohl sowjetische Partisanen als auch polnische Untergrundkämpfer tätig. Vgl. Bubnys, Lietuva, S. 236 f. Zum 16. SS-Polizeiregiment siehe Stefan Klemp: “Nicht ermittelt”. Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz. Ein Handbuch. Essen 2005, S. 312–323. Vgl. Bubnys, Lietuva, S. 237. In den „Meldungen aus den besetzten Ostgebieten“ wird sogar einmal berichtet, dass in Litauen „keine organisierten kommunistischen Gruppen festgestellt“ wurden, siehe Nr. 28, 6.11.1942. Vgl. Liudas Truska: Lietuva 1938–1953 metais [Litauen in den Jahren 1938–1953]. Kaunas 1995, S. 121.

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Ein deutsch-sowjetischer Konflikt bildete nämlich einen Kristallisationspunkt litauischer Hoffnungen und Aspirationen. Die in Berlin im Herbst 1940 gegründete Litauische Aktivistenfront (Lietuvos Aktivistų Frontas = LAF) scheute dabei auch vor einer ideologischen Nähe zum Nationalsozialismus nicht zurück.12 Der meist spontane Aufstand gegen die Sowjetmacht, der im Moment des deutschen Angriffs am 22. Juni 1941 ausbrach, und die Bildung einer provisorischen Regierung13 zielten dennoch nicht nur auf die Befreiung des Landes, sondern sollten auch die Deutschen vor vollendete Tatsachen stellen und eine möglichst weitgehende Eigenständigkeit Litauens sichern. In der Euphorie der ersten Tage und Wochen nach dem deutschen Einmarsch kam es daher zu einer Zusammenarbeit, als deren schrecklichste Komponente die Vernichtung des litauischen Judentums zu erwähnen ist.14 Bald zeichnete sich jedoch ab, dass die deutschen Planungen – das Land wurde als Generalbezirk Litauen Teil des Reichskommissariats Ostland – keinerlei Ansätze für eine irgendwie geartete litauische Eigenbestimmung boten.15 Die Wiederherstellung eines unabhängigen litauischen Staates war nur sowohl gegen die Sowjetunion als auch gegen das nationalsozialistische Deutschland möglich. Selbst einer der von der deutschen Besatzung geduldeten einheimischen „Berater“, der Generalrat für Finanzen Jonas Matulionis, schrieb im Herbst 1941 frustriert in sein Tagebuch: „Der eine Okkupant ist gegangen, der andere gekommen. Wir sind vor dem Wolf geflohen und auf den Bären getroffen. Der Unterschied liegt nur darin, dass während der ersten, der bolschewistischen Besatzung das Messer dem Litauer schon am Hals saß, während es jetzt während der deutschen Besatzung erst gewetzt wird.“16 Die doppelte Frontstellung prägte den nationallitauischen Widerstand in besonderer Weise: „Litauer sind weder für den Bolschewismus noch für den Nationalsozialismus, sondern für einen dritten Weg – den Weg Litauens; sie tun das, was Litauen nützt“, hieß es in der Untergrundzeitschrift ,Į laisvė‘ (Zur Freiheit).17 Entscheidende Bedeutung kommt einer weiteren Festlegung zu, die einer der Beteiligten in der Rückschau pointiert auf den Punkt brachte: „Das litauische Volk wählte die Methode des passiven Widerstands gegen seinen Feind Nr. 2 (die Deutschen), denn es meinte, es sei Selbstmord durch bewaffneten Widerstand im Rücken der deutschen Armee seinem Feind Nr. 1 (den Bolschewisten) die Rückkehr nach Litauen zu erleichtern [...] So blieb als 12

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Zur LAF, insbesondere zu deren antisemitischen Verlautbarungen vgl. u.a. Saulius Sužiedėlis: Foreign Saviors, Native Disciples: Perspectives on Collaboration in Lithuania, 1940–1945. In: Collaboration and Resistance during the Holocaust. Belarus, Estonia, Latvia, Lithuania. Hrsg. v. David Gaunt u.a. Bern u.a. 2004, S. 313–359. Grundlegend die Monographie von Valentinas Brandišauskas: Siekiai atkurti Lietuvos valstybingumą [Versuche, die litauische Staatlichkeit wiederherzustellen] (1940 06–1941 09). Vilnius 1996. Vgl. Judenmord in Litauen. Hrsg. v. Wolfgang Benz und Marion Neiss. Berlin 1999; Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941. Hrsg. v. Vincas Bartusevičius u.a. Köln u.a. 2003. Letztlich galt das Baltikum als deutsches Siedlungsgebiet; die einheimische Bevölkerung sollte entweder „germanisiert“ oder „nach Osten“ abgeschoben werden. Zit. nach Truska, S. 116. Zit. nach Arūnas Bubnys: Nazi Resistance Movement in Lithuania 1941–1944. Vilnius 2003, S. 21–22.

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einziger Ausweg aus diesem Dilemma nicht nur für Litauen, sondern auch für die beiden anderen baltischen Länder allein die Alternative eines passiven antinationalsozialistischen Widerstandes, um auf diese Weise möglichst viel Lebenskraft im Land zu erhalten und die durch einen bewaffneten Widerstand hervorgerufene deutsche Vergeltung und die Vernichtung unseres kleinen Volkes zu vermeiden.“18 Dieser passive Widerstand manifestierte sich vor allem in einer Vielzahl von Untergrundzeitungen und Flugblättern, die u. a. Verhaltensregeln für die Bevölkerung publizierten, Kollaborateure an den Pranger stellten oder die Rücksiedlung der Litauendeutschen als antilitauische Germanisierungsmaßnahme entlarvten.19 Zugleich warnte man vor bewaffnetem Widerstand, da die Deutschen äußerst brutal zurückschlagen würden: „Vor allem ist Terror nutzlos, weil nichts gewonnen werden kann, wenn man einzelne Besatzer angreift. Hunderte oder Tausende können getötet werden, aber dennoch ist es unmöglich, irgendeinen wirklichen Nutzen zu erzielen. Solange die Machtbalance in unserem Land so klar zu unseren Ungunsten ist, wäre ein solches Vorgehen wie Selbstmord von Litauern.“20 Der Einfluss der Untergrundpresse auf die litauische Bevölkerung sollte nicht unterschätzt werden, was sich am bekannten Beispiel der gescheiterten Aufstellung einer 1943 geplanten SS-Legion belegen lässt. Die Aufrufe zum Boykott der Musterungskommission waren erfolgreich: in Kaunas etwa meldeten sich nur 77 Litauer, von denen 68 untauglich waren; viele junge Männer verbargen sich in den Wäldern, um der Registrierung zu entgehen.21 Als nur ein Jahr später die Deutschen der Aufstellung von litauischen Sonderverbänden, die unter litauischem Kommando standen, zustimmten, meldeten sich dagegen Zehntausende Litauer freiwillig, was zeigt, wie einflussreich der nationale Untergrund war.22 Die Effizienz des Boykotts von 1943 hing auch damit zusammen, dass die Deutschen auf litauische Kooperation angewiesen waren: Die deutsche Zivilverwaltung, die am 25. Juli 1941 ihre Arbeit aufnahm, beschränkte sich auf Auftragsverwaltung; die eigentliche Administration lag in litauischen Händen (im damaligen Sprachgebrauch war von der 'landeseigenen Verwaltung' die Rede). Allein aus personellen Gründen war eine andere Verwaltungsaufteilung überhaupt nicht vorstellbar.23

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Zit. nach Bubnys, Resistance, S. 23. Zu diesem Thema Harry Stossun: Die Umsiedlung der Deutschen aus Litauen während des Zweiten Weltkrieges. Untersuchungen zum Schicksal einer deutschen Volksgruppe im Osten. Marburg/Lahn 1993, S. 155–226. Zit. nach Bubnys, Resistance, S. 24. Vgl. Bubnys, Resistance, S. 162–170. Inzwischen ist die Vietinė Rinktinė, wie die litauische Bezeichnung lautet, in konservativ-nationalen Publikationen mit einem fragwürdigen heroischen Mythos versehen worden. Am Ende der deutschen Herrschaft standen Anfang 1944 660 Deutsche rund 20.000 litauischen Verwaltungsangestellten gegenüber. Zahlen nach Christoph Dieckmann: Deutsche und litauische Interessen. Grundlinien der Besatzungspolitik in Litauen 1941 bis 1944. In: Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941. Hrsg. von Vincas Bartusevičius u.a. Köln u.a. 2003, S. 63–76, hier S. 69.

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Die deutsche Reaktion auf den Boykott war hart, aber doch begrenzt, was die besondere Situation einer eingeschränkten exekutiven Handlungsfähigkeit24 in Litauen nochmals charakterisiert: neben der Schließung der Universitäten in Kaunas und Vilnius wurden 62 Intellektuelle in das Konzentrationslager Stutthof verschleppt.25 Die deutschen Stellen begnügten sich schließlich mit der Aufstellung von Baubataillonen und einer geforderten hohen Anzahl von „Fremdarbeitern“ aus Litauen im Reich, die Ausführung der Aktionen wurde litauischen Stellen übertragen.26 Von den anvisierten 30.000 Arbeitern waren bis Ende Januar 1944 aber nur 8.200 Zwangsarbeiter nach Deutschland gekommen, was sicherlich nicht zuletzt auf die Obstruktion der litauischen Verwaltung zurückzuführen ist.27 Die verschiedenen Gruppierungen reflektierten zwar die politisch-sozialen Milieus der Vorkriegszeit (christdemokratisch, liberal, sozialdemokratisch, national-völkisch), stimmten aber im Ziel der Unabhängigkeit Litauens überein, so dass 1943 eine Dachorganisation, das Oberste Komitee zur Befreiung Litauens (Vyriausias Lietuvos Išlaivinimo Komitetas = VLIK) geschaffen werden konnte.28 Quasi als letzten ,Liebesdienst‘ für die Sowjetmacht hob die Gestapo im Mai 1944 die Führung des VLIK aus, das bereits die Planung für einen bewaffneten Widerstand gegen die Rote Armee aufgenommen hatte. Neben dem kommunistischen und nationallitauischen Untergrund darf der jüdische Widerstand nicht unerwähnt bleiben: die litauischen Juden fielen in der zweiten Jahreshälfte 1941 einem Massenmord zum Opfer, der an Brutalität seinesgleichen sucht. In den Ghettos von Kaunas und Vilnius entstanden jüdische Kampforganisationen; außerdem gelang Überlebenden der Mordwelle die Flucht zu sowjetischen Partisaneneinheiten.29 Das Gebiet um Vilnius, das 1920 von Polen besetzt worden war, spielte zudem eine besondere Rolle, da es zwischen Litauen und Polen während der ganzen Zwischenkriegszeit einen „Kalten Krieg“ um diese Region gegeben hatte. Die polnische Heimatarmee (Armia Krajowa) bildete im Vilniusgebiet deshalb einen weiteren wichtigen Machtfaktor im Widerstand gegen die deutsche Herrschaft. Nichts zeigt die nationale 24

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Zu den fehlenden deutschen „Zwangsmitteln“ vgl. Christoph Dieckmann: Die Zivilverwaltung in Litauen. In: Täter im Vernichtungskrieg. Hrsg. v. Wolf Kaiser. Berlin und München 2002, S. 104–106. Zum Schicksal der Festgenommenen, von denen einige den Tod fanden, vgl. Pragaro vartai – Štuthofas [Das Tor zur Hölle – Stutthof]. Hrsg. v. Alisa Rupšienė. Vilnius 1998. Vgl. Bubnys, Resistance, S. 170–184. Wobei zumindest in Vilnius vor allem nicht-ethnische Litauer bevorzugt zur Zwangsarbeit nach Deutschland verbracht wurden. Vgl. Mike MacQueen: Einheimische Gehilfin der Gestapo. Die litauische Sicherheitspolizei in Vilnius 1941–1944. In: Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941. Hrsg. von Vincas Bartusevičius u.a. Köln u.a. 2003, S. 103–116. So bereits Martin Broszat: Die nationale Widerstandsbewegung in Litauen im Zweiten Weltkrieg (1941–1944). In: Gutachten des Institutes für Zeitgeschichte, Bd. 2, München 1966, S. 311–328. Eine ausführliche Vorstellung der einzelnen Gruppierungen, die teilweise bereits während der ersten sowjetischen Okkupation 1940/41 gegründet wurden, bei Bubnys, Resistance, S. 41–87. Vgl. Yitzhak Arad: Ghetto in Flames. The Struggle and Destruction of the Jews in Vilna in the Holocaust. Jerusalem 1980; Dov Levin: Fighting Back: Lithuanian Jewry's Armed Resistance to the Nazis, 1941–1945. New York 1985.

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Aufladung so deutlich wie die litauisch-polnische Konfrontation im Vilniusgebiet: selbst die antikommunistische Gemeinsamkeit konnte nicht verhindern, dass sich litauische Polizeieinheiten bzw. Sonderverbände und AK-Gruppen blutige Gefechte lieferten. Die litauische Verwaltung in Vilnius versuchte während der deutschen Besatzung, das polnische Element im Sinne einer „Litauisierung“ zu schwächen.30

Zur Historiographie und Quellenlage nach 1945 Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, das zur Wiedereingliederung Litauens als sozialistische Sowjetrepublik in die UdSSR führte, prägte bis Ende der 80er Jahre das sowjetische Geschichtsbild die Darstellung des Widerstandes in Litauen. Der jüdische (Haupt-)Anteil an den Opfern wurde zu großen Teilen in der Chiffre „friedliebende Bürger der Sowjetunion“ verborgen,31 der jüdische Widerstand ignoriert und der kommunistische Widerstand glorifiziert. Im Selbstverständnis des „Großen Vaterländischen Krieges“ bedeutete das aber auch, dass alle Völker der Sowjetunion den Invasoren heldenhaften Widerstand geleistet hatten: „Auch das litauische Volk stand nicht abseits. Seine Söhne und Töchter kämpften an den Fronten des […] Krieges, in den Reihen der Sowjetpartisanen, sie führten Ablenkungsmanöver aus, verübten Sabotage, zerstörten Transportmittel der Besatzungsmacht. Dieser Kampf entwickelte sich zum massenhaften Widerstand des litauischen Volkes gegen die Hitler-Räuber.“32 Obwohl die sowjetische Geschichtsschreibung durchaus zu Differenzierungen fähig war,33 wurde der nationale Widerstand nicht nur verschwiegen, sondern den antisowjetischen Gruppierungen und Politikern im westlichen Exil auch unterstellt, Kollaborateure und Handlanger der Nationalsozialisten gewesen zu sein.34 Dagegen stand die exillitauische Literatur ganz im Zeichen der Auseinandersetzung mit der sowjetischen Besatzung und der Abwehr 30

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Dazu Armija Krajova Lietuvoje [Die Heimatarmee in Litauen]. Hrsg. v. Arūnas Bubnys u.a. Vilnius und Kaunas 1995; den nationalen Klischees verhaftet Pjotr Niwiński: Die nationale Frage im Wilnagebiet. In: Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Bernhard Chiari. München 2003, S. 617–634. Wichtig sind nun die Ergebnisse einer litauisch-polnischen Historikerkonferenz, vgl. Pilietinis pasipriešinimas Lietuvoje ir Lenkijoje: Sąsajos ir ypatumai 1939–1956. Hrsg. v. Arvydas Anušauskas. Vilnius 2004. Vgl. Michael Kohrs: Die offizielle Darstellung des Holocaust in der Sowjetzeit (1945–1990). In: Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmorde und Kollaboration im Jahre 1941. Hrsg. v. Vincas Bartusevičius u.a. Köln u.a. 2003, S. 247–261; Joachim Tauber: Litauen und der Umgang mit dem Holocaust nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Die Nachgeschichte des Holocaust in Ost- und Mitteleuropa. Hrsg. v. Karol Sauerland (im Druck). Tarybų Lietuva Didžiajame Tėvynės Kare [Sowjetlitauen im Großen Vaterländischen Krieg]. Hrsg. v. einem Redaktionskollegium unter Leitung von J. Dobrovolskas. Vilnius 1975, S. 4. Eine wichtige Quellenpublikation stellte das zweibändige Werk Masinės žudynės Lietuvoje 1941–1944. [Dokumentų Rinkinys. (Massenmorde in Litauen 1941–1944. Eine Dokumentenauswahl]. Hrsg. v. Boleslovas Baranauskas u.a. Bd. 1. Vilnius 1965; Bd. 2. Vilnius 1973, dar. In den publizierten Quellen finden sich u.a. auch Passagen zu den Judenmorden. Ein Überblick bei Sigitas Jegelevičius: SSRS-Vokietijos karas: Sovietinės istoriografijos klišės [Der sowjetisch-deutsche Krieg: Klischees der Sowjethistoriographie]. In: Lietuvos sovietinė istoriografija. Teoriniai ir ideologiniai kontekstai [Die Sowjethistoriographie Litauens. Theoretische und ideologische Zusammenhänge]. Hrsg. v. Alfredas Bumblauskas u.a. Vilnius 1999, S. 77–89.

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der Unterstellung einer Komplizenschaft, was den Widerstand gegen den Nationalsozialismus quasi voraussetzte. Im Zeichen des Kalten Krieges wurden die ideologischen Gegensätze der 30er und 40er Jahre bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion gepflegt. Der Vorwurf der Kollaboration war in der Tat nicht einfach vom Tisch zu wischen. Die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten im wieder unabhängigen Litauen entzündeten sich daher seit 1990 keineswegs zufällig vor allem an der litauischen Beteiligung am Judenmord. Diese schrecklichste Komponente der Kollaboration mit den deutschen Besatzern steht seit Jahren im Mittelpunkt vieler Publikationen und Stellungnahmen35 und führte schließlich auf politischer Ebene 1998 zur Gründung einer internationalen Kommission beim litauischen Präsidenten, welche die nationalsozialistischen und sowjetischen Verbrechen in Litauen untersucht.36 Die Grauzone zwischen Kollaboration und Widerstand, die sich entwickelte, benennt der amerikanisch-litauische Historiker Saulius Sužiedėlis in klaren Worten: „For the mainstream Lithuanian political leadership ,conditional cooperation‘ rather than ,collaboration‘ was the strategy; and then later, the tactic was modified: ‘conditional opposition’ rather than ‘all-out resistance’.“37 Die heutige Debatte dreht sich vor allem um die Bewertung der Taktik des jeweiligen Widerstands. Während Arūnas Bubnys die passive Variante verteidigt (“Lithuania averted the fate of Byelorussia during that period, which lost one of every four residents due to Nazi and Soviet terror.”)38, vertrat Bronius Vaitkevičius kürzlich eine neo-sowjetische Sicht, indem er zwar die Resistenz des 'völkischen Lagers', wie die enthüllende Terminologie lautet, darstellt, aber dennoch den Schwerpunkt auf den bewaffneten Kampf des „internationalen, von der kommunistischen Partei geführte[n] Lager[s]“ legt.39 Die Sympathien des Autors werden überdeutlich, wenn er den aktiven sowjetischen Widerstand mit der „Konzeption des Abwartens“ kontrastiert.40 Gegenüber diesem historiographischen Rückschritt, dem eine weitere Resonanz versagt blieb, beschäftigt sich die gegenwärtige litauische Forschung mit neuen Ansätzen, die nicht nur die beiden Okkupationen miteinander verbinden, sondern auch die Terminologie über den Begriff Widerstand hinaus erweitern. Ein Beispiel ist der 2004 von Arvydas Anušauskas unter dem Titel: „Ziviler Widerstand in Litauen und Polen: Gemeinsamkeiten und Besonderheiten 1939–1956“ herausgegebene Band.41 Auch die

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Vgl. den Überblick bei Joachim Tauber: „Juden, Eure Geschichte auf litauischem Boden ist zu Ende!“ Litauen und der Holocaust im Jahr 1941. In: Osteuropa 52, 2002, S. 1346–1360. Siehe dazu www.komisija.lt. Saulius Sužiedelis: Thoughts on Lithuania’s Shadows of the Past: A Historical Essay on the Legacy of the War Part I and II. In: Artium Unitio, 4, Sommer 1999, S. 128–146; S. 177– 208, hier S. 194. Bubnys, Resistance, S. 14. Vaitkevičius, Judėjimas, S. 28 f. Vaitkevičius, Judėjimas, S. 29. Auch der Gebrauch des Wortes ,Lager‘ ruft beim litauischen Leser natürlich Reminiszenzen an die Sowjetzeit hervor. Pilietinis pasipriešinimas Lietuvoje ir Lenkijoje: Sąsajos ir ypatumai (wie Anm. 30).

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anfängliche pauschale Verdammung der Sowjethistoriographie ist inzwischen einer differenziert-kritischen Wertung gewichen.42 Schwierig ist weiterhin die Gewichtung der Rolle der litauischen Verwaltung während der Besatzungszeit. Die Diskussionen entsprechen dabei den in Westeuropa geführten Erörterungen insofern, als viele Argumente dem dortigen Kollaborationsdiskurs ähneln. Sigitas Jegelevičius etwa verteidigt die litauische Administration, indem er eine Verweigerung gegen die deutschen Forderungen als „Pseudoheroismus“ bezeichnet, um dann ein geradezu klassisches Kollaborationsmotiv einzuführen: „Die litauische Verwaltung zeigte seit Beginn ihrer Tätigkeit offen keine Feindschaft oder zumindest Unzufriedenheit mit den Nazi-Besatzern, aber sie versuchte gemäß ihren Möglichkeiten auf jegliche Art und Weise ihre Leute vor möglichen Repressionen zu schützen und das Okkupationsregime abzumildern.“43 Indirekt ist in diesem Zitat bereits die entscheidende Interpretation enthalten: Unter „ihren Leuten“ verstand die einheimische Verwaltung vor allem ethnische Litauer, für die sie in der Tat zumindest teilweise eine gewisse Schutzfunktion erfüllen konnte – für Polen, Russen oder Juden stellte die einheimische Verwaltung dagegen einen verlängerten Arm der deutschen Okkupation dar. Innerhalb ihres Handlungsspielraumes verfolgte die Verwaltung zweifellos nationale litauische Ziele, was sich am deutlichsten im Vilniusgebiet zeigte.44 Zu den Forschungsschwerpunkten der litauischen Historiographie zählt der Widerstand gegen den Nationalsozialismus allerdings nicht; mittelfristig werden die drängenden Fragen nach der litauischen Kollaboration zwischen 1941 und 1944 sowie der bewaffnete und passive Widerstand gegen die Sowjetmacht ab 1944 weit mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In westlichen Sprachen sind abgesehen von einigen älteren, heute nicht mehr in allen Punkten zuverlässigen Arbeiten45 nur wenige neuere Darstellungen veröffentlicht worden. Neben der in einer aktualisierten englischsprachigen Ausgabe erschienenen

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Lietuvos sovietinė istoriografija. Teoriniai ir ideologiniai kontekstai [Die Sowjethistoriographie Litauens. Theoretische und ideologische Zusammenhänge]. Hrsg. v. Alfredas Bumblauskas u.a. Vilnius 1999. Sigitas Jegelevičius: Okupacija ir kolaboravimas Lietuvoje Antrojo pasaulinio karo metais [Besatzung und Kollaboration in Litauen während der Jahre des Zweiten Weltkrieges]. In: Pilietinis pasipriešinimas Lietuvoje ir Lenkijoje: Sąsajos ir ypatumai 1939–1956 [Ziviler Widerstand in Litauen und Polen: Gemeinsamkeiten und Besonderheiten 1939–1956]. Hrsg. v. Arvydas Anušauskas. Vilnius 2004, S. 46–64, hier S. 54 und 57. Vgl. dazu jetzt Christoph Dieckmann: Kollaboration? Litauische Nationsbildung und deutsche Besatzungsherrschaft im Zweiten Weltkrieg. In: Kollaboration in Nordosteuropa. Erscheinungsformen und Deutungen im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Joachim Tauber. Wiesbaden 2006, S. 128– 139. Broszat, Widerstandsbewegung; Zenonas Ivinskis: Lithuania during the War: Resistance against the Soviet and Nazi Occupation. In: Vardys. Lithuania under the Soviets: Portrait of a Nation 1940–1965. Hrsg. von Stanley V. Vardys. New York 1965, S. 61–84; Seppo Myllyniemi: Die Neuordnung der baltischen Länder 1941–1944. Zum nationalsozialistischen Inhalt der deutschen Besatzungspolitik. Helsinki 1973.

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Monographie von Arūnas Bubnys46 sind vor allem die Beiträge von Saulius Sužiedėlis hervorzuheben.47 Die Quellenlage ist als relativ gut zu bezeichnen. Einen Blick auf die Situation in Litauen bieten vor allem die Lageberichte der Sicherheitspolizei, aber auch die politischen Einschätzungen im Reichskommissariat Ostland, die im Bundesarchiv in Berlin vorhanden sind.48 Der Kern der Überlieferung lagert jedoch in den litauischen Archiven in Vilnius, darunter auch wichtige deutschsprachige Bestände.49 Die größte Sammlung zur Untergrundpresse befindet sich im Institut für die Geschichte Litauens in Vilnius.50

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Arūnas Bubnys: Lietuvių antinacinė rezistencija 1941–1944 m. [Die antinationalsozialistische Resistenz der Litauer 1941–1944]. Vilnius 1991. Bubnys, Resistance. Saulius Sužiedelis: The Military Mobilization Campaigns of 1943 and 1944 in German-occupied Lithuania: Contrasts in Resistance and Collaboration, in: Journal of Baltic Studies XXI, 1990, S. 33–52; ders.: Shadows of the Past; ders.: Foreign Saviors. Z. B. die Bestände R 6 (Reichskommissariat Ostland), R 58 (Reichssicherheitshauptamt). Z. B. Lietuvos centrinis valstybės archyvas [Litauisches Zentrales Staatsarchiv], Vilnius, R 615 (Der Generalkommissar in Kauen); R 613 (Gebietskommissar Wilna-Land); R 1399 Kommandant der Sicherheitspolizei und des SD Litauen. www.istorija.lt.

Lettland: Kommunistischer und „nationaler“ Widerstand 1940/41–1945 Kārlis Kangeris

Einleitung Als die Sowjetunion Lettland 1940/1941 zuerst okkupierte und dann annektierte und als 1941 das nationalsozialistische Deutschland das Land besetzte, fragte niemand die Einwohner Lettlands, in welchem politischen und gesellschaftlichen System sie leben wollten: Ob in einer sozialistischen Sowjetrepublik nach Stalins Muster, ob in Hitlers „Neuem Europa“ oder – wie in den letzten 20 Jahren bis zum Kriegsbeginn – in einem unabhängigen, selbständigen Lettland. So haben die politischen Ereignisse zwischen 1939 und 1941 die Handlungsweise der verschiedenen Akteure im Widerstand vorbestimmt und dadurch auch die weitere Entwicklung des Widerstandes während der deutschen Okkupationszeit beeinflusst. In Anbetracht der unsicheren politischen Lage wurden die Gesandten Lettlands in London und in Washington am 17. Mai 1940 mit außerordentlichen Vollmachten ausgestattet. Sowohl gegen die sowjetische 1940 als auch gegen die deutsche Okkupation 1941 haben die Gesandten dann protestiert. Dabei wurde von ihnen zugleich erklärt, dass die Einwohner Lettlands für die Selbständigkeit ihres Landes kämpfen würden; ebenso wurde die Bedeutung eines Sieges über Nazi-Deutschland für das Fortbestehen Lettlands betont sowie den USA jede mögliche Hilfe für einen Sieg über das Deutsche Reich angeboten.1 Diese Position der lettischen Diplomaten umschrieb eindeutig das Kriegsziel Lettlands zugunsten der Alliierten. Die Kriegsziele der UdSSR nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wurden am 16. Dezember 1941 festgelegt. Als Minimalforderung wurde die Wiederherstellung der Grenzen der Sowjetunion, die vor dem 22. Juni 1941 bestanden hatten, aufgestellt.2 Offiziell wurde dieses Kriegsziel nach der Unterzeichnung des sowjetisch-britischen Bündnisvertrages am 26. Mai 1942 in London vom Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, Vjačeslav Molotov bekannt gegeben. Damit war unmissverständlich verkündet worden, dass die Sowjetführung die Wiederherstellung der Sozialistischen Sowjetrepublik Lettland anstrebte. So entstanden nach der deutschen Besetzung zwei unterschiedliche Widerstandsbewegungen in Lettland: Der „kommunistische“ Widerstand, der zentral vom sowjetischen Territorium aus geleitet wurde, und der nichtkommunistische „nationale“ Widerstand, der sich mehr oder weniger aus Eigeninitiative in Lettland formierte. Der Feind 1

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Foreign Relations of the United States (FRUS), 1941 General: The Soviet Union, Bd. 1, Washington 1958, S. 625–627, 664. SSSR i germanskij vopros 1941–1949. Moskau 1996, Dok. Nr. 11, S. 124–135.

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war für beide Widerstandsbewegungen derselbe, nämlich die deutsche Okkupationsmacht, doch die Endziele beider Widerstandsbewegungen waren diametral entgegengesetzt: Die kommunistische Widerstandsbewegung kämpfte für eine Sozialistische Sowjetrepublik Lettland, doch die nationale Widerstandsbewegung wollte ein selbständiges Lettland wiedererrichten. Auch die Kampfmethoden unterschieden sich. Die kommunistische Bewegung führte in den Städten „bewaffnete“ Sabotageaktionen aus, mit Anschlägen gegen Bahnanlagen, Transportzüge, Produktionsstätten, Polizeireviere, Verwaltungseinrichtungen und gegen einzelne Beamte der Besatzungsverwaltung. Eine besondere Rolle in diesem Widerstandskampf wurde von der Kommunistischen Partei der Partisanenbewegung zugewiesen. Die nationale Widerstandsbewegung beschränkte sich weitgehend auf gewaltlose Widerstandsformen (wie z. B. Aufbau und Verteilung illegaler Pressematerialien und von Flugblattpropaganda), zu denen auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten gehörte. Von den in Lettland lebenden Minderheiten organisierten nur die Polen eine eigene Widerstandsbewegung.3 Die Angehörigen anderer Minderheitengruppen, wie Juden, Russen und Weißrussen, schlossen sich überwiegend dem kommunistischen Untergrund an.

Der kommunistische Widerstand Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion galt dem Kampf gegen Bolschewismus. Er sollte gegen diese „zersetzende Weltanschauung und ihre Träger“ geführt werden, gegen die rücksichtslos durchgegriffen werden sollte, damit jeder aktive und passive Widerstand beseitigt werden konnte.4 Auch wenn man Lettland zu den „neurussischen Gebieten“ zählte, die nur eine kurze Zeit ab 1940 unter der Sowjetherrschaft gestanden hatten und deren Bevölkerung nur kurz einer intensiven bolschewistischen Beeinflussung ausgesetzt war, so bedeutete dies in der Behandlung der Kommunisten und ihrer Sympathisanten keinen Milderungsgrund. Schon vom ersten Okkupationstag an begann die Einsatzgruppe A mit ihren einheimischen Helfern mit der Verhaftung von angeblichen Kommunisten und kommunistischen Sympathisanten. Auch die antibolschewistische Einstellung der lettischen Bevölkerung wurden für diese Ziele dienstbar gemacht. Der Sicherheitsdienst (SD) der SS bildete aus lettischen Kollaborateuren die „Sondergruppe R“ (bekannt auch als „lettische Kartothek“, die 60 Angestellte umfasste), die vor allem in der Bevölkerung pro-kommunistische Stimmungen aufspüren sollte, als auch die lettische politische Polizei mit 415 Angehörigen, die den Kampf gegen den kommunistischen Untergrund zu führen hatte. In den Gefängnissen Lettlands waren zum 15. Oktober 1941 insgesamt 7.307 Personen inhaftiert, davon 7.064 „politische Häftlinge“, darunter vor allem Kommunisten.5 3

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Ēriks Jēkabsons: Poļu nacionālā pretošanās kustība Latvijā vācu okupācijas laikā (1941–1945). In: Okupācijas režīmi Latvijā 1940.-1959. gadā. Rīga 2004 (= Latvijas Vēsturnieku komisijas raksti, Bd. 10) S. 240.-276. Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Bd. 4: Der Angriff auf die Sowjetunion. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Stuttgart 1983, S. 441. Zahlen- und Quellenangaben bei Hans-Heinrich Wilhelm: Die Einsatzgruppe A der Sicherheitspolizei und des SD 1941/42. Frankfurt (Main) 1996, S. 137–142.

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Wie aus den Ereignismeldungen des SD zu ersehen ist, sind Kommunisten kontinuierlich exekutiert worden, sowohl in Riga als auch an anderen Orten Lettlands. Bis zum 1. Februar 1942 belief sich die Gesamtbilanz von durch die Einsatzgruppe A getöteten Personen auf 2.914 exekutierte „Kommunisten“ und auf 367 exekutierte „Partisanen“.6 Durch eine große Verhaftungswelle in den ersten Monaten nach der Okkupation und aufgrund der folgenden Exekutionen war nach Meinung der Sicherheitspolizei und des SD sowie der Abwehrstelle Ostland das Kommunistenproblem beseitigt, wenn auch nicht in vollem Maße, so doch soweit, dass deren Arbeitsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt wurden. Nach dem deutschen Angriff und dem schnellen Vorrücken der Wehrmacht gelang es der sowjetlettischen Regierung und der Führung der Roten Armee, ca. 55.000 Menschen aus Lettland in das Innere der Sowjetunion zu evakuieren. Allerdings hatte man in der Eile keine kommunistischen Zellen für den Aufbau einer neuen Untergrundstätigkeit in Lettland zurückgelassen. Erst am 3. August 1941 wurde die KP Lettlands von dem staatlichen Verteidigungskomitee der UdSSR bevollmächtigt, eine lettische Schützendivision aufzustellen und Partisaneneinheiten für den Kampf in dem von deutschen Truppen besetzten Territorium zu bilden. Im August 1941 begann man auch in Moskau, Radiosendungen in lettischer Sprache auszustrahlen, und mit dem Druck und der Herausgabe der Zeitung „Par Padomju Latviju“, die dann bis November 1944 erschien und in Lettland von Flugzeugen abgeworfen wurde. Zunächst wurden Spähtrupps und Diversantengruppen über die Front nach Lettland eingeschleust. Nur vereinzelt kamen mit diesen Gruppen auch Parteiaktivisten nach Lettland, um die in den Städten verbliebenen Kommunisten für den weiteren Kampf im Untergrund zu organisieren.7 Doch diese organisatorische Arbeit erlitt in den nächsten Jahren immer wieder schwere Rückschläge. So wurde schon Ende Oktober 1941 in Riga eine kommunistische Geheimorganisation enttarnt. Im November und Dezember wurden mehr als 140 ihrer Mitglieder verhaftet.8 Im April 1942 konnten die Deutschen in Riga eine andere weitverzweigte kommunistische Widerstandsorganisation auflösen und 200 Personen verhaften.9 In der zweiten Hälfte des Jahres 1942 sind dann noch drei kleinere kommunistische Gruppen von der Sicherheitspolizei in Riga ausgehoben worden; dabei wurden 40 Personen verhaftet.10 Ungeachtet der Verfolgungen gelangen den kommunistischen Widerstandsgruppen einige spektakuläre Anschläge in Riga und Umgebung. So wurde im Februar 1942 das Vorratslager der Fabrik „Vairogs“ in Brand gesetzt. Und im Juli sprengte man das Mu6

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Ebenda, S. 138; ferner Helmut Krausnick und Hans-Heinrich Wilhelm: Die Truppe des Weltanschauungskrieges. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD 1938–1942. Stuttgart 1981, S. 493–498. Während des Krieges waren dies etwa 130 Personen. BA Berlin, R 58/220: Ereignismeldung UdSSR Nr. 155, 14.1.1942, und ebenda, R 90/119: Zwischenbericht über die illegale kommunistische Geheimorganisation, 13.01.1942. Ebenda, R 58/221: Ereignismeldung UdSSR Nr. 191, 10.4.1942; Nr. 193, 17.4.1942; Nr. 194, 21.4.1942. Jānis Dzintars: Neredzamā fronte. Rīga 1970 (2. Auflage), S. 70, 81, 86.

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nitionslager in Cekule bei Riga in die Luft. Im Oktober wurden das Lagerhaus der Organisation Todt am Bahnhof Čiekurkalns und ein Lager für Kriegsgerät bei Suži angezündet.11 Anfang 1943 wurde in Arbeiterkreisen die Widerstandsgruppe „Tautas atriebēji“ gebildet. Doch schon im Mai 1943 flog diese Gruppe auf und alle ihre Mitglieder (170 Personen) wurden verhaftet. Dagegen konnten andere Gruppen wie „Jaunie komunāri“ oder „Cīņa“ ihre Widerstandsaktionen von der Sicherheitspolizei fortsetzen. Im Juli 1943 wurde der Bevollmächtigte des Zentralkomitees der KP Lettlands, Imants Sudmalis, geheim nach Riga entsandt, um dort den Untergrundskampf zentral zu koordinieren. Am Ende des Jahres unterstanden ihm in Riga elf Gruppen Komsomolzen und zwei Untergrundorganisationen. Die Komsomolzen wurden vorwiegend bei der Verbreitung der Flugblattpropaganda eingesetzt, wogegen die anderen Gruppen auch Bombenanschläge und Sabotageakte vorbereiteten und durchführten. Als Sudmalis im Februar 1944 verhaftet wurde, folgte eine Verhaftungswelle in den kommunistischen Untergrundskreisen, der ca. 270 Personen zum Opfer fielen. Man hat kommunistischerseits versucht, in Riga ein starkes Widerstandszentrum aufzubauen, doch der deutsche Sicherheitsdienst und die militärische Abwehrstelle der Wehrmacht gelang es mit ihren lettischen Helfern, der Politischen Polizei, ziemlich schnell diese Gruppen mit V-Leuten zu infiltrieren und sie danach auszuschalten. In den lettischen Provinzstädten war die Entwicklung für den kommunistischen Widerstand günstiger. Die sich dort bildenden Widerstandsgruppen wurden von den wenigen deutschen Stellen nur vereinzelt entdeckt und ausgehoben. Diese Widerstandsgruppen entstanden zuerst in den Städten der östlichen Provinz Lettlands (Latgale), so z. B. in Daugavpils, Rēzekne, Ludza, Abrene., sowie ab 1943 auch in Livland, in Madona und Valka. Diese Gruppen standen im regen Kontakt mit Vertretern des Stabes der lettischen Partisanenbrigaden. Die Aktionen der Widerstandsgruppen waren größtenteils mit dem Partisanenstab abgestimmt oder von diesem sogar angeregt worden. Ab 1943 wurden auch von verschiedenen Widerstandsgruppen eigene Zeitungen herausgegeben, so z. B. in Kreis Madona „Cīņas Balss“, im Kreis Jēkabpils „Par Brīvu Daugavu“, in Valka „Mūsu Zeme“, in Daugavpils „Kommunar“. Ebenso wurden beim lettischen Partisanenstab in Weißrussland mehrere Zeitungen gedruckt, die dann nach Lettland eingeschmuggelt wurden („Par Dzimteni“, „Taisneiba“, „Jaunais Latvietis“). Die in der westlichen Provinz Lettlands (Kurzeme) bestehenden kommunistischen Widerstandsgruppen, vor allem in Liepāja, konnten von den deutschen Stellen schon 1941 zerschlagen werden. Die 1944 und 1945 in Liepāja und Ventspils entstandenen Widerstandsgruppen waren von in Kurland operierenden Partisanengruppen gegründet worden und wurden auch von diesen operativ geführt. Sie beteiligten sich insbesondere an Sabotagehandlungen gegen Waffenausrüstungsbetriebe.12

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Uldis Neiburgs und Dzintars Ērglis: Nacionālā un padomju pretošanās kustība: kopīgais un atšķirīgais. In: Totalitārie režīmi un to represijas Latvijā 1940.-1956. gadā. Rīga 2001, (= Latvijas Vēsturnieku komisijas raksti, Bd. 3), S. 291–292. Ebenda, S. 294.

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Die kommunistische Partisanenbewegung wurde außerhalb Lettlands aufgebaut.13 Erst im Frühjahr 1942 stellte man die ersten Partisaneneinheiten mit 330 Mann auf. Doch diesen Einheiten gelang es 1942 nicht, das angestrebte Ziel eines gemeinsamen Zentrums zur Führung des Partisanenkampfes in Lettland zu bilden.14 Bis zum Frühjahr 1943 war man gezwungen, weiterhin vom Territorium Weißrusslands aus zu operieren. Erst danach konnten feste Stützpunkte in Lettland gebildet werden. Anfang Dezember 1943 waren in der lettischen Partisanenbewegung 756 Kämpfer und 364 unbewaffnete „Reservisten“ zusammengefasst. Mit dem Heranrücken der Ostfront an die Grenzen Lettlands nahm auch die Stärke der Partisanenverbände zu. So gehörten Anfang Mai 1944 1.234 bewaffnete und 1.378 unbewaffnete Kämpfer der Partisanenbewegung an. Anfang September 1944 stiegen die Zahlen auf 2.698 bewaffnete und 3.229 unbewaffnete Kämpfer an. Zu den Partisanen zählte man auch noch 854 Agenten und 2.214 Informanten des Kundschafternetzes der Partisanen. Insgesamt haben zwischen 1941 und 1945 mehr als 12.000 Personen aktiv in der kommunistischen Partisanenbewegung mitgewirkt. Als Erfolgsbilanz gegen die deutsche Besatzungsmacht verzeichnete man später, dass 45.000 „Hitleristen“ unschädlich gemacht wurden und dass mehr als 300 Transportzüge mit Kriegsmaterial oder mit Soldaten sowie an die 100 Eisenbahn- und Straßenbrücken in die Luft gesprengt worden seien, dass man ferner Hunderte von Lastkraftwagen in die Luft gesprengt hätte und dass eine Reihe von Dienstgebäuden der Besatzungsverwaltung sowie der Polizei zerstört worden wären.15

Der „nationale“ Widerstand Nach Schätzungen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) der SS in Berlin lehnten Ende 1940 ca. 80 Prozent der lettischen Bevölkerung den Kommunismus ab. Auch die Sowjetisierung Lettlands mit zahlreichen Repressalien und Massendeportationen ab Sommer 1940 war keineswegs geeignet, das Vertrauen für den Kommunismus in der Bevölkerung zu wecken. Als dann die Wehrmacht im Juni/Juli 1941 Lettland besetzte, wurden die deutschen Soldaten als Befreier begrüßt. Doch die Erwartungen der Bevölkerung wurden nicht erfüllt, denn Lettland wurde nicht als unabhängiger Staat wiedererrichtet. Es zeigte sich vielmehr, dass nur eine neue Okkupationsmacht die vorherige ablöste. Auch die in der Bevölkerung, besonders in Intelligenzkreisen, bestehenden traditionellen anti-deutschen Stimmungen wurden durch die Maßnahmen der neuen Besatzungsverwaltung wieder erneuert. 13

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In der neuesten Geschichtsschreibung in Lettland wird die lettische kommunistische Partisanenbewegung nicht mehr zur Widerstandsbewegung gerechnet. Vielmehr ersetzt man die Bezeichnung „kommunistische/sowjetische Widerstandsbewegung“ durch „kommunistische und Diversantenbewegung“, siehe Inesis Feldmanis: „Vācu laiks“ Latvijā (1941–1945): aktuālās izpētes problēmas un risinājumi. In: Latvijas Vēsture 2003, Nr. 3(51), S. 98–106. Latviešu tautas cīņa Lielajā Tēvijas karā (1941.-1945.). Rīga 1966, S. 264–265. Ebenda, S. 626. Da die monatlichen Stimmungs- und Lageberichte des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD Lettland, in denen die Anschläge und Angriffe der Partisanen genau aufgelistet wurden, für die Zeit ab 1943 nur für wenige Monate überliefert sind, kann die Genauigkeit der Erfolgsmeldungen der Partisanen nicht überprüft werden.

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Ab November 1941 begann der Sicherheitsdienst der SS, „nationale“ Widerstandsäußerungen aller Art zu registrieren. Dies betraf vor allem die Verbreitung illegaler Flugblätter und die Herausgabe von Untergrundzeitungen. Für die deutsche Besatzungszeit sind 17 in Lettland gedruckte oder vervielfältigte Untergrundszeitungen des „nationalen“ Widerstandes nachgewiesen.16 Die meisten Zeitungen erschienen nur eine begrenzte Zeit, da die Herausgeber entdeckt und verhaftet wurden. Nur die Redaktion der „Latvija“ blieb während der gesamten Besatzungszeit unentdeckt. Der Umfang der Zeitungen lag zwischen vier und achtzehn Seiten. Die Druckauflagen schwankten von einigen Zehn Exemplaren bis hin zu 6.500 Exemplaren („Latvija“); in der Regel betrug die Auflage nicht mehr als 1000 Exemplare. Die illegalen Schriften sollten das Nationalbewusstsein in der Bevölkerung stärken und die Überzeugung bewahren, dass ein selbständiger Staat Lettland wieder entstehen werde. Zudem vermittelten die Zeitungen sowohl Informationen zur politischen Lage in der Welt als auch über die aktuelle innenpolitische Lage. Die Verwaltungsmaßnahmen und Ziele der Besatzungsmacht wurden kommentiert und kritisiert sowie die Letten aufgerufen, von einer Zusammenarbeit mit den Deutschen abzusehen. Während der deutschen Okkupationszeit gab es bis zu 20 nationale Widerstandsgruppen. Von diesen hatten nur wenige eine feste Organisationsform. Sie bestanden hauptsächlich in Städten, und ihre Mitglieder kamen aus den verschiedensten Gesellschaftskreisen. Einige wurden vom Sicherheitsdienst als ungefährlich beschrieben. Gegen die wichtigsten ging man mit aller Härte vor, so z. B. gegen die Organisationen „Latviešu nacionālistu savienība“ und „Jaunpulki“. Eine besondere Stellung unter allen diesen Widerstandsgruppen ist „Latvijas Centrālā Padome“ (LCP) zuzuschreiben. Diese Organisation wurde am 13. August 1943 von Vertretern der vier größten im lettischen Parlament bis 1934 vertretenen Parteien gegründet. Ihr Hauptziel war die Wiederherstellung einer unabhängigen und demokratischen Republik Lettland. Dabei wurden sowohl die sowjetische als auch die deutsche Okkupation Lettlands verurteilt. Ein Sieg der Prinzipien der westlichen Demokratien im Krieg war ein weiteres erwünschtes Ziel. Für Lettlands zukünftige politische Gestaltung sollten zudem die acht Punkte der Atlantik Charta vom 14. August 1941 volle Anwendung finden. „Latvijas Centrālā Padome“ arbeitete auch mit den nationalen Widerstandsbewegungen in Estland und Litauen zusammen und unterhielt enge Verbindungen zum ehemaligen lettischen Gesandten in Stockholm, Voldemārs Salnais. „Latvijas Centrālā Padome“ beteiligte sich seit Gründung an den aus Stockholm initiierten Spionageaktivitäten. Der schwedische militärische Geheimdienst, C-byrån, baute 1943 und 1944 vor allem in Kurland ein Informantennetz auf, um mit dessen Hilfe mögliche deutsche Angriffspläne gegen Schweden rechtzeitig aufdecken zu können. Auch der US-Geheimdienst, Office of Strategic Services, förderte von 1943 bis 16

Von zehn Zeitungen sind die Originale vollständig oder auch mit Lücken überliefert: „Latvija“, „Tautas Balss“, „Tālavas Taurētājs“, „Latviešu ceļš“, „Zobens“, „Vēstījums“, „Brīvā Latvija. Latvju Raksti“, „Jaunā Latvija“, „Lāčplēsis“, „Par Latviju“. Sieben weitere Zeitungen sind nach den Berichten des SD belegt: „Daugavas Vanagi“, „Tā Zeme ir Mūsu“, „Latvieši“, „Brīvais Vanags“, „Dzimtā Zeme“, „Melnā Čūska“, „Vērtētājs“. Eine Zeitung wurde in Schweden gedruckt; von ihr erschien aber in 1944 nur eine Nummer: „Neatkarīgā Latvija“.

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1945 aktiv die militärische Spionage in Lettland.17 „Latvijas Centrālā Padome“ hat dann auch die Möglichkeiten der von C-byrån und OSS mehr als 50 geförderten Bootsüberfahrten von Schweden nach Lettland genutzt, um gefährdete Personen von Lettland nach Schweden zu evakuieren. Mehr als 2.600 Personen gelangten auf diesem Wege nach Schweden.18 Obwohl lettische Kreise in Stockholm auch Kontakt mit dem britischen Geheimdienst hielten, deutet nichts darauf hin, dass die Briten Spionageaktionen in Lettland finanziell unterstützten.19 „Latvijas Centrālā Padome“ bildete für die Koordinierung und Planung der Arbeit sieben Kommissionen, darunter auch eine für militärische Fragen. Die Leitung dieser Kommission lag in den Händen von Kristaps Upelnieks, der im Verband „Kurelis“ in Kurland diente, der dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD unterstellt war. Als sich aber herausstellte, dass der Kurelis-Verband nicht nur für deutsche Interessen arbeitete, sondern auch militärische Spionage gegen das Deutsche Reich betrieb, wurde er durch eine Polizei- und Militäraktion aufgelöst. Dabei wurden 1.360 Mann verhaftet. Upelnieks und sieben weitere Offiziere wurden danach zum Tode verurteilt und erschossen. 500 Mann wies man ins Konzentrationslager Stutthof ein. Auch andere nationale Widerstandsgruppen legten Waffen- und Munitionsvorräte an, vor allem die Gruppe um Gustavs Celmiņš, um für die Stunde „X“ vorbereitet zu sein, wenn die internationale politische Lage eine günstige Gelegenheit für einen aktiven Kampf zur Erneuerung der Selbständigkeit Lettlands bieten würde.

Individueller Widerstand Der passive Widerstand gegen die deutsche Okkupationsmacht war nicht nur auf organisierte Gruppen im Untergrund beschränkt. Auch durch individuelles Verhalten zeigten sich verschiedene Formen des Widerstandes, wie z. B. das Abhören von ausländischen Radiosendungen, Hilfeleistungen für Juden und Kriegsgefangene, Nichterfüllung der Abgabenormen in der Landwirtschaft u. a. m. Doch besonders sichtbar war die Nichtbefolgung der Einberufungsbefehle für die Lettische Legion und die lettischen Divisionen der Waffen-SS. Vom Februar 1943 bis Mai 1944 folgten mehr als 10.000 Männer dem Einberufungsbefehl nicht, das entsprach immerhin ca. 1/6 aller Einberufenen.

Kollaboration und Widerstand Auch mit der Kollaboration verhielt es sich in Lettland nicht so einfach, wie es oft in der Fachliteratur dargestellt wird, insofern man Letten als „Reliable Local Residents“ an17

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War Report of the OSS (Office of Strategic Services). Bd. 2. New York 1976, S. 261: “Some of the best intelligence finds of the War were acquired through liaison with representatives of the Baltic countries in Stockholm”. Für die Menschenrettung konnten 1944 auch Mittel von dem 1944 gegründeten US War Refugee Board verwendet werden. Auch Finnland wurde von der nationalen lettischen Widerstandsbewegung mit Informationen über die Lage bei der Heeresgruppe-Nord versorgt. Die Kontakte zum finnischen Militärattaché in Riga wurden von der Widerstandsgruppe um Gustavs Celmiņš (am 14.03.1944 verhaftet) aufrechterhalten.

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führt.20 Da das Deutsche Reich durch den Krieg gegen die UdSSR die Sowjetmacht von den Grenzen Lettlands fernhielt, lag während der deutschen Besatzungszeit ein aktives Vorgehen gegen deutsche militärische Einrichtungen und Kommunikationslinien nicht im Interesse von national orientierten Letten. Eine Lösung der staatlichen Zukunft sollte erst später mit Hilfe der westlichen Alliierten erzielt werden. Selbst bei der von der Okkupationsmacht eingesetzten landeseigenen Verwaltung Lettlands lässt sich eine konstante anti-deutsche Haltung nachweisen. So vertrat sie immer den Standpunkt, dass Lettland als völkerrechtliches Subjekt auch unter deutscher Okkupation weiterbestehe. Dieser Rechtsstandpunkt wurde der deutschen Besatzungsmacht von der landeseigenen Verwaltung in mehreren Gutachten und Eingaben dargelegt, allerdings von deutscher Seite zurückgewiesen oder nicht entgegengenommen.21 Auch einzelne Generaldirektoren der landeseigenen Verwaltung arbeiteten aktiv mit Untergrundskreisen, besonders mit „Latvijas Centrālā Padome“, zusammen. Ein anderes interessantes Beispiel war die „Sondergruppe-R“ bzw. die „Lettische Kartei“, die direkt dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Dr. Rudolf Lange, unterstellt war. Letztlich erwies sie sich als ein Sammelbecken national orientierter Letten, die nicht nur kommunistischen Aktivitäten nachspürten, sondern die auch den deutschen Sicherheitsdienst von innen ausspionierten und darüber die Widerstandsgruppen informierten. Im März 1943 wurde dann auch die „Lettische Kartei“ aufgelöst und ihre Mitarbeiter verhaftet.22

Literaturhinweise Zum allgemeinen Widerstand Neiburgs, Uldis: National and Soviet Resistance Movement in Latvia during Nazi Occupation (1941–1945): Main Problems. In: Nacionalni ruhi oporu v shidnij i centralnij Evropi kincja 1930-h – ceredini 1950-h Rokiv: materiali Mižnarodnoi naukovo-teoretičnoi konferencii. Kiev 2005, S. 121–129 Neiburgs, Uldis und Dzintars Ērglis: Nacionālā un padomju pretošanās kustība: kopīgais un atšķirīgais (1941–1945). In: Totalitārie režīmi un to represijas Latvijā 1940.-1956. gadā. Rīga 2001, S. 267–329 Rolmane, Vineta: The Resistance in Latvia during the Nazi Occupation (July 1941 – May 1945). In: The Anti-Soviet Resistance in the Baltic States. Hrsg. von Arvydas Anušauskas. Vilnius 1999, S. 131- 148 20

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Robert G. Waite: „Reliable Local Residents“: Collaboration in Latvia (1941–1945). In: Latvija Otrajā pasaules karā. Rīga 2000, S. 115–144. Kārlis Kangeris: Izvēles iespējas: „Jaunā Eiropa“, padomju republika vai neatkarīga valsts. Valststiesiskie jautājumi un „lielā politika“ kara gados (1941–1945). In: Latvija Otrajā pasaules karā. Rīga 2000, S. 79–94. Björn M. Felder: „Die Spreu vom Weizen trennen …“. Die Lettische Kartei – Pērkonkrusts im SD Lettland 1941–1943. In: Latvijas Okupācijas muzeja Gadagrāmata 2003. Rīga 2004, S. 47– 68; siehe auch Katrin Reichelt: Between Collaboration and Resistance? The Role of the Organization Pērkonkrusts in the Holocaust in Latvia. In: Holokausta izpētes jautājumi Latvijā. Rīga 2003, S. 279–298.

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Stockholm Documents. The German Occupation of Latvia, 1941–1945. What Did America Know? Hrsg. v. Andrew Ezergailis. Rīga 2002 Swain, Geoffrey: Between Stalin and Hitler. Class war and race war on the Dvina, 1940–46. London und New York 2004 Zunda, Antonijs: Resistance against Nazi German Occupation in Latvia: Positions in Historical Literature. In: The Hidden and Forbidden History of Latvia under Soviet and Nazi Occupations 1940–1991, S. 148–158 Zum kommunistischen Widerstand Dzintars, Jānis: Neredzamā fronte. Rīga 1970 (2. Auflage) Ders.: Tajny rižskogo podlolja. Borba rabočih Rigi v gody gitlerovskoj okkupacii (1941–1944). Riga 1986 Ders.: War of Ideas in Latvia (1941–1944). Riga 1986 Ders.: Nepakļāvīgie. Liepājas un Lejaskurzemes darbaļaužu cīņa hitleriskās okupācijas gados. Rīga 1988 Latviešu tautas cīņa Lielajā Tēvijas karā (1941.-1945.). Rīga 1966 (Russischsprachige Ausgabe, Riga 1970.) Samsons, Vilis: Kurzemes meži šalc … Partizāņu un izlūku cīņa kara pedējā gadā Kurzemē 1944–1945. Rīga 1974 Zum nationalen Widerstand Biezais, Haralds: Kurelieši. Nacionālās pretestības liecinieki. Ithaka, USA 1991 Ērglis, Dzintars: Latvijas Centrālās Padomes vēstures nezināmās lappuses. Rīga 2003 Ericson, Lars: Exodus och undrrättelseinhämtning. Det svenska försvaret och Baltikum, hösten 1943 – våren 1945. In: Vårstormar. 1944 – Krigsslutet skönjes. Hrsg. v. Bo Huldt und Klaus-Richard Böhme. Stockholm 1995, S. 83–127 Latvijas Centrālā Padome — LCP. Latviešu nacionālā pretestības kustība 1943–1945. Hrsg. v. Edgars Andersons und Leonids Siliņš. Uppsala 1994 Neiburgs, Uldis: Latviešu nacionālās pretošanās kustības preses izdevumi Latvijā vācu okupācijas laikā (1941–1945). In: Latvijas Zinātņu Akadēmijas Vēstis, 2000, 54, Nr. 1/2, S. 43–58 Ders.: ASV izlūkdienests OSS un tā dokumenti par Latviju nacistu okupācijas laikā (1941–1945). In: Latvija nacistiskās Vācijas okupācijas varā 1941–1945. Rīga 2004 (= Latvijas Vēsturnieku komisijas raksti, Bd. 11), S. 48–56 Ders.: Latvijas Republikas diplomāti Rietumos un nacistu okupētā Latvija (1941– 1945): avoti un izpētes iespējas. In: Totalitārie režīmi Baltijā: Izpētes rezultāti un problēmas. Rīga 2005, S. 154–170 Siliņš, Leonīds: Nacistiskās Vācijas okupanti: Mūsu tautas lielās cerības un rūgtā vilšanās. Rīga 2001 Waite:, Robert G. Some Aspects of Anti-German Sentiment in Latvia (1941–1944). In: Latvija nacistiskās Vācijas okupācijas varā 1941–1945. Rīga 2004, S. 154–176

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Zu individuellen Widerstandsformen Biezais, Haralds: Latviešu leģions un dezertieri. In: Kara Invalīds, 1986, Nr. 31, S. 14–26 Vestermanis, Margers: Retter im Land der Handlanger. Zur Geschichte der Hilfe für Juden in Lettland während der „Endlösung“. In: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Hrsg. v. Wolfgang Benz und Juliane Wetzel. Bd. 2. Berlin 1996, S. 231–272

Estland: Zwischen zwei Besatzern: Dissens und nationale Opposition 1940–1945 Karsten Brüggemann

Estland 1941–1944 Als die deutsche Wehrmacht nach dem Überfall auf die UdSSR am 7./8. Juli 1941 erstmals estnischen Boden betrat, befand sich die lokale Gesellschaft im Stadium der Auflösung. Die seit Juni 1940 bestehende Sowjetherrschaft hatte sich auf allen Ebenen des Landes verheerend ausgewirkt. Die politische, unternehmerische und intellektuelle Elite der Republik war geflohen, erschossen oder in die UdSSR verschleppt worden. Neben der gewaltsam betriebenen Sowjetisierung des Landes war es vor allem die Massendeportation vom 14. Juni 1941, in deren Verlauf gut 10.000 estnische Bürger nach Osten verschleppt worden waren, die diesem Jahr ihren Stempel aufdrückte. Nach dem 21. Juni wurden zudem noch über 30.000 Esten in die Rote Armee zwangseingezogen. Der Einmarsch der Wehrmacht konnte daher von der Mehrheit der Bevölkerung nur als Befreiung von den sowjetischen Besatzern aufgefasst werden.1 Dabei war Estland bereits seit März 1934 keine funktionierende Demokratie mehr gewesen, als nach dem Staatsstreich von Konstantin Päts, dem Staatsgründer von 1918, das Parlament sowie die Parteientätigkeit ausgeschaltet worden waren. Päts errichtete ein autoritäres Regime, das 1938 eine neue Präsidialverfassung erhielt – die Zeit von 1934–1940 ging in das kollektive Gedächtnis der Esten als „die schweigende Zeit“ (vaikiv ajastu) ein.2 Die „stumme Unterwerfung“ (Magnus Ilmjärv) unter das Stationierungsabkommen mit Moskau im September 1939 sowie das Nachgeben der Regierung angesichts der sowjetischen militärischen Drohungen im Juni 1940 sind auch vor diesem Hintergrund zu sehen.3 Ob eine offenere Gesellschaft der Roten Armee nach finnischem Vorbild erfolgreich hätte Widerstand leisten können, bleibt angesichts der Überlegenheit der sowjetischen Streitkräfte zweifelhaft.4 1

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Zur sowjetischen Okkupation 1940/41 siehe Jüri Ant: Eesti 1939–1941 [Estland 1939–1941]. Tallinn 1999; Estonia 1940–1945. Reports of the Estonian International Commission for the Investigation of Crimes Against Humanity. Ed. by Toomas Hiio, Meelis Maripuu und Indrek Paavle. Tallinn 2006. Vgl. die entsprechenden Abschnitte bei Rein Taagepera: Estonia: Return to Independence. Boulder, Co. 1993; Toivo U. Raun: Estonia and the Estonians. Stanford, Ca. 22001; Michael Garleff: Die baltischen Länder. Estland, Lettland, Litauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Regensburg 2003; Kevin O’Connor: The History of the Baltic States. Westport, Cn. 2003. Sõja ja rahu vahel. Bd. 1, Eesti julgeolekupoliitika 1940. aastani [Estnische Sicherheitspolitik bis 1940]. Hrsg. v. Enn Tarvel. Tallinn 2004; Magnus Ilmjärv: Silent Submission: Formation of Foreign Policy of Estonia, Latvia and Lithuania. Stockholm 2004. Zuletzt bestätigt bei Elena Zubkova: Pribaltika i Kreml’ 1940–1953 [Das Baltikum und der Kreml 1940–1953]. Moskau 2008, S. 71.

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Als die deutschen Truppen schließlich am 28. August 1941 in die estnische Hauptstadt Tallinn (Reval) einmarschierten, hatte die einjährige Sowjetherrschaft die Parameter der gesellschaftlichen Orientierung verschoben. Der unabhängige Nationalstaat galt mehrheitlich fraglos als natürliche Ordnung der Dinge; gleichzeitig trat aber der seit 1918 zur politischen Basis Estlands gewordene historische Antagonismus gegenüber den Deutschen bzw. den Deutschbalten in den Hintergrund und machte Platz für das neue Feindbild des Russen. Dieses neue Feindbild zeigte sich im so genannten „Sommerkrieg“ 1941 gegen die Vernichtungsbataillone der Roten Armee, der in das estnische Geschichtsbild als heroisches Präludium des antisowjetischen Guerillakampfes der so genannten „Waldbrüder“ (metsavennad) nach 1944 einging. Tausende von Esten, die sich vor Deportation und Zwangsrekrutierung in die Wälder zurückgezogen hatten, setzten den Sowjets nach, organisierten eigene Lokaladministrationen und halfen dem deutschen Vormarsch.5 An eine Renaissance der estnischen Unabhängigkeit war unter deutscher Besatzung jedoch nicht zu denken. Denn den baltischen Staaten war in den deutschen Plänen auf lange Sicht das Schicksal beschieden, an das Reich angeschlossen zu werden. Von allen Völkern der Region galten die Esten zwar als die „rassisch besten Elemente“ (so Reinhard Heydrich) und zu über 50 Prozent als „eindeutschungsfähig“.6 Dies änderte nichts am grundsätzlichen Ziel der Ausbeutung der personellen und ökonomischen Ressourcen Estlands für die deutsche Kriegführung.7 Der Umgang der Besatzungsbehörden mit den Esten war aber im osteuropäischen Kontext vergleichsweise rücksichtsvoll. Generalkommissar Karl Litzmann galt als estenfreundlich und der Leiter des SD-Einsatzkommandos 1a und spätere SD-Chef, SS-Sturmbannführer Martin Sandberger, legte explizit Wert auf „ein enges, außerdienstliches, kameradschaftliches Verhältnis“ mit seinen estnischen Untergebenen.8 5

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Siehe Metsavennad Suvesõjas 1941 [Die Waldbrüder im Sommerkrieg 1941]. Hrsg. v. Tiit Noormets. Tallinn 2003. Zu den vom estnischen „Selbstschutz“ durchgeführten Vergeltungsaktionen gegen (angebliche) Kommunisten siehe Ruth B. Birn: Collaboration with Nazi Germany in Eastern Europe: The Case of the Estonian Security Police. In: Contemporary European History 10 (2001), S. 181–198, hier S. 191–197; Argo Kuusik: Die deutsche Vernichtungspolitik in Estland 1941–1944. In: Vom Hitler-Stalin-Pakt bis zu Stalins Tod. Hrsg. v. Olaf Mertelsmann. Hamburg 2005, S. 130–150, hier S. 136 f. Der Wunsch einer konservativ-rural geprägten Gesellschaft, sich der „Fremden“ (Russen, Zigeuner, asoziale Elemente etc.) zu entledigen, führte zu „ordnungspolitischen“ Differenzen zwischen Deutschen und Esten: Den einen reichte das rassische Argument für eine Exekution, den anderen galt in erster Linie das politische. Martin Seckendorf: Deutsche Baltikumkonzeptionen 1941–1944 im Spiegel von Dokumenten der zivilen Okkupationsverwaltung. In: 1999 Jg. 16 (2001), S. 140–172, Zit. Heydrich siehe S. 146. Insgesamt vgl. die Beiträge in Estonia 1940–1945, S. 521 ff. Vgl. Hans-Erich Volkmann: Ökonomie und Machtpolitik. Lettland und Estland im politischökonomischen Kalkül des Dritten Reiches (1933–1940). In: Geschichte und Gesellschaft 2 (1976), S. 471–500; Roswitha Czollek: Faschismus und Okkupation. Wirtschaftspolitische Zielsetzung und Praxis des faschistischen deutschen Besatzungsregimes in den baltischen Sowjetrepubliken während des zweiten Weltkrieges. Berlin 1974; Oskar Angelus: Tuhande valitseja maa. Mälestusi saksa okupatsiooni ajast 1941–1944 [Das Land der hundert Regenten. Erinnerungen aus der deutschen Besatzungszeit 1941–1944]. Tallinn 21995, S. 234–245. Eesti Julgeolekupolitsei aruanded 1941–1944 [Die Berichte der Estnischen Sicherheitspolizei 1941–1944] (zit. als: JOA). Hrsg. v. Tiit Noormets. Tallinn 2002, S. 87–90; Birn, Collaboration, S. 185–190.

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Noch unter der Militärverwaltung der jüngst eroberten Gebiete ernannte der Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets Nord, General Franz von Roques, am 15. September 1941 eine estnische Selbstverwaltung unter dem „Ersten Landesdirektor“ Hjalmar Mäe als „primus inter pares“ einer Reihe von deutschfreundlich gesinnten Esten. Ihre Befugnisse wurden jedoch auch nach der Einführung der Zivilverwaltung im Generalbezirk Estland Ende 1941 nicht erweitert. Rasch stellte sich zudem heraus, wie unpopulär vor allem die Person Mäes in der Bevölkerung war.9 Unter deutscher Besatzung sind nach neuesten Angaben ca. 7800 estnische Bürger umgekommen (ohne die auf deutscher Seite gefallenen Soldaten,10 inkl. der estnischen Juden), knapp 4700 von ihnen waren des Kommunismus bezichtigt worden. Verglichen mit dem sowjetischen Terror konnte sich der „normale“ Bürger dennoch in relativer Sicherheit wähnen. Dies galt freilich nicht für die im Lande verbliebenen Juden. Von den ca. 4500 Juden Estlands war die Mehrzahl entweder von den Sowjets evakuiert bzw. mobilisiert worden oder hatte auf andere Weise fliehen können. Die sowjetische Deportation vom 14. Juni 1941, von der mit gut 400 überproportional viele Juden betroffen waren, rettete ihnen meist das Leben – auch wenn sie heute als erster Akt des Holocaust an den estnischen Juden bezeichnet wird.11 Bis Ende 1941 wurden schließlich die knapp 1000 verbliebenen estnischen Juden umgebracht, so dass dem Land Anfang 1942 die zweifelhafte Ehre zuteil wurde, als erstes der besetzten Gebiete „judenfrei“ zu sein.12 Charakteristisch für die estnische Opposition gegenüber den Deutschen hingegen war eine weit verbreitete individuelle Verweigerungshaltung. Schon in den ersten Tagen der Besatzung wurde dies deutlich: Obwohl die Erleichterung dank der deutschen „Befreier“ allenthalben groß war und sich die Esten des „Selbstschutzes“ (Omakaitse) bereitwillig an der Ermordung von (auch estnischen) Kommunisten beteiligten, diese 9

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Meelis Maripuu, Indrek Paavle: Die deutsche Zivilverwaltung in Estland und die estnische Selbstverwaltung. In: Vom Hitler-Stalin-Pakt, S. 96–129, S. 98 f. zu Mäe; Seppo Myllyniemi: Die Neuordnung der baltischen Länder 1941–1944. Zum nationalsozialistischen Inhalt der deutschen Besatzungspolitik. Helsinki 1973; Alvin Isberg: Zu den Bedingungen des Befreiers. Kollaboration und Freiheitsstreben in dem von Deutschland besetzten Estland 1941–1944. Stockholm 1992. Zu Dr. Hjalmar Mäe (1901–1978) siehe Andres Kasekamp: The Radical Right in Interwar Estonia. Houndmills u.a. 2000, S. 134–139. Mäes frühere Gegnerschaft zu Päts machte ihn vielen Esten 1941 unsympathisch, man sah in ihm zudem einen Erfüllungsgehilfen der Deutschen. Vgl. seine posthum veröffentlichten Erinnerungen: Kuidas kõik teostus. Minu mälestusi [Wie sich alles zutrug. Meine Erinnerungen]. Stockholm 1993; dazu Vello Helk: Dr. Mäe meenutab [Dr. Mäe erinnert sich]. In: Akadeemia 6 (1994), S. 180–191. Toomas Hiio: Eesti üksused Kolmanda Reich’i relvajõududes [Estnische Einheiten in den Streitkräften des Dritten Reichs]. In: Vikerkaar, 2001, Nr. 8–9, S. 156–179; Eesti idapataljonid idarindel 1941–1944 [Die estnischen Ostbataillone an der Ostfront 1941–1944]. Hrsg. v. Andres Adamson, Tallinn 2004. Meelis Maripuu: Zur sowjetischen Wahrnehmung der Juden in Estland in den Jahren 1944– 1963. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 54 (2005), S. 86–97, hier S. 88. Eugenia Gurin-Loov: Eesti juutide katastroof 1941/Holocaust of Estonian Jews 1941. Tallinn 1994; Anton Weiss-Wendt: Murder Without Hatred. Estonians and the Holocuast. Syracuse, NY 2009; Ders.: Extermination of the Gypsies in Estonia during World War II: Popular Images and Official Policies. In: Holocaust and Genocide Studies 17 (2003), S. 31–61; Meelis Maripuu: Eesti juutide holokaust ja eestlased [Der Holocaust der estnischen Juden und die Esten]. In: Vikerkaar, 2001, Nr. 8–9, S. 135–146; Kuusik, Vernichtungspolitik.

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stellenweise gar initiierten, ist es den Deutschen im Gegensatz zu Litauen und Lettland nicht gelungen, „spontane“ estnische Pogrome an jüdischen Mitbürgern zu organisieren.13 Eine aktive Widerstandsbewegung, von der Gefahr für die deutsche Herrschaft ausgegangen wäre, gab es in Estland jedoch nicht. Im Sommer 1941 hofften die Esten, im Bündnis mit den Deutschen den eigenen Staat wiederherstellen zu können. Der einzige im Lande verbliebene Repräsentant des Regimes Päts, der letzte Ministerpräsident Jüri Uluots, richtete am 29. Juli 1941 ein Memorandum an den Oberbefehlshaber der 18. Armee, Generaloberst Georg von Küchler, das je nach Sichtweise als Ausdruck der Kollaborationsbereitschaft oder des Selbstbehauptungswillens gelesen werden kann. Hier findet sich die Forderung nach einer eigenständigen Regierung, die sowohl das Vertrauen Großdeutschlands als auch des estnischen Volkes besitzen müsse, nicht aber nach Unabhängigkeit.14 Außerdem sollte eine estnische Armee gemeinsam mit der Wehrmacht die „kommunistische Gefahr“ bekämpfen und die ins Innere der UdSSR deportierten Esten befreien. Uluots’ Eingabe wurde jedoch ostentativ ignoriert. Ungeachtet dessen waren gewaltsame Akte gegen die Deutschen seitens der Anhänger einer estnischen Republik ausgeschlossen, da nur die deutsche Besatzung Schutz vor der Rückkehr der Roten Armee bot. Insgesamt lassen sich drei Bereiche beobachten, in denen gegen den Rahmen der durch die Deutschen vertretenen Besatzungsordnung verstoßen wurde: . Dissens und Verweigerung Einzelner im Alltag, . bewaffneter kommunistischer Widerstand und . nationale Opposition. Grundsätzlich blieb die Mehrheit der Bevölkerung bis in das Jahr 1942 hinein zwar loyal, wenn auch der Widerwille wuchs.15 Diese Loyalität galt indes weniger der Besatzungsordnung als vielmehr dem antibolschewistischen Feldzug. Diese Interessenskongruenz hielt das Land zunächst in abwartender Ruhe. Hieraus Gewinn zu ziehen, gelang den Deutschen jedoch nicht; sie verloren spätestens Ende 1941 den Nimbus des Befreiers,16 zumal sie die Wiederherstellung der estnischen Selbständigkeit ablehnten. Das NS-Regime konnte in Estland ideologisch kaum Fuß fassen. Die lokalen Stimmungsberichte des SD erwähnen immer wieder anglophile Strömungen in der Bevölkerung, der bald ausländische, insbesondere finnische Radiosendungen zur wichtigsten Informationsquelle wurden.17 Die unter Päts propagierte Idee der estnischen 13

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Birn, Collaboration, S. 188–194; Eugenia Gurin-Loov: Verfolgung der Juden in Estland (1941– 1944). Rettungsversuche und Hilfe. In: Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Regionalstudien II. Hrsg. v. Wolfgang Benz, Juliane Wetzel, Berlin 1996, S. 295–307. Memorandum Eesti seisundi kohta [Memorandum zur Lage Estlands]. In: Jüri Uluots: Seaduse sünd. Eesti õiguse lugu [Die Geburt des Gesetzes. Die Geschichte des estnischen Rechts]. Tallinn 2004, S. 386–389. Vgl. Hain Rebas: Miks edu – miks luhtumine? Võrdlev essee Saksa mobilisatsioonidest Eestis ja Leedus 1943 [Warum Erfolg – warum Fehlschlag? Ein vergleichender Essay über die deutschen Mobilisationen in Estland und Litauen 1943]. In: Akadeemia 8 (1996), S. 692–727, hier S. 706–710. Argo Kuusik: Public Sentiments during the Period of German Occupation. In: Estonia 1940– 1945, S. 613–638. Isberg, Bedingungen, S. 58. JOA, S. 235, 245, 266.

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Volksgemeinschaft (rahvuslik tervik) stand zudem einer Germanisierung entgegen. Negativ wirkten sich auch Gerüchte über eine bevorstehende Rückkehr der 1939 „heim ins Reich“ umgesiedelten Deutschbalten aus. Zwar war im Gegensatz zum sowjetischen Experiment die kulturelle Nähe zu den Deutschen bei den Esten ungleich größer, doch blieb der historische Antagonismus zumindest unterschwellig eine mögliche Quelle für oppositionelle Stimmungen.18 Individuelle Einstellungen mögen bei der Verweigerungshaltung mancher Esten bedeutsam gewesen sein, doch geht man nicht fehl, die politischen und ethischen Grundsätze der Republik als allgemeinen Maßstab des Handelns anzuerkennen. Was bewog z. B. den Ethnologen Oskar Loorits, im Gegensatz etwa zu Uluots, im September 1941 Mäe nicht zu unterstützen,19 und warum sagte der Geograph Edgar Kant zu, das Rektorat der „Ostland“-Universität in Tartu (Dorpat) zu übernehmen? Hier den einen als Widerständler zu loben und den anderen als Kollaborateur zu verdammen, geht an der Realität vorbei, zumal Kant später dafür sorgte, dass das Inventar der Universität und die Schätze der Bibliothek entgegen den deutschen Befehlen nicht nach Königsberg evakuiert wurden.20 Der Schriftsteller Jaan Kross, der seit Herbst 1943 im Büro des Generalinspekteurs der estnischen SS-Einheiten Johannes Soodla als Dolmetscher tätig war, begründete seine Entscheidung, die Exilpolitiker insgeheim mit Informationen zu versorgen, mit dem seiner Ansicht nach selbstverständlichen Sachverhalt, dass der Kampf für die Wiederherstellung der Republik einfach habe geführt werden müssen.21 Diese unter Intellektuellen verbreitete Haltung dokumentierte auch der Streik der Studenten und Lehrkräfte der Universität Tartu am 24. Februar 1943, dem 25. Gründungstag der Republik, nachdem die Verkündung einer estnischen Autonomie erneut verweigert worden war.22 Die Deutschen behielten aber die Lage unter Kontrolle. Im Alltag machte sich die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes immer mehr bemerkbar. Deutlich wurde der Ärger der Esten darüber, dass ihre Ernährungsnormen unter denen der Deutschen lagen, weshalb sie sich als Bürger zweiter Klasse fühlten. Die Bauern beklagten die niedrigen Getreidepreise und zu hohen Abgabenormen, aber vor allem enttäuschte sie, dass mit der Aufhebung der sowjetischen Landreform keineswegs der besitzrechtliche Status quo ante wiederhergestellt wurde. Aus Protest lieferten manche von ihnen weniger Getreide ab als verlangt.23 18

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Siehe dazu Seckendorf, Baltikumkonzeptionen, Dok. 4, S. 162 ff.; JOA, S. 87–90; Birn, Collaboration, S. 185. Vgl. Wilhelm Lenz: Deutschbalten in den Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. In: Deutschbalten, Weimarer Republik und Drittes Reich, Bd. 2. Hrsg. v. Michael Garleff. Köln 2008, S. 285–328. Isberg, Bedingungen, S. 42. Tartu ülikooli ajalugu [Geschichte der Universität Tartu]. Bd. 3, 1918–1982. Hrsg. v. Karl Siilivask, Hillar Palamets. Tallinn 1982, S. 169–187. Jaan Kross: Kallid kaasteelised [Liebe Weggenossen]. Tallinn 2003, S. 98. Angelus, Tuhande valitseja maa, S. 256 f.; Edgar Kant: Tartu Ülikooli tegevusest ja võitlusest Eesti ülikooli pärast 1941–1944 [Über die Tätigkeit und den Kampf der Tartuer Universität für die estnische Universität 1941–1944]. In: Akadeemia 14 (2002), S. 253–273. Tiit Noormets: Eesti elu-olust Saksa okupatsiooni all Teise maailmasõja ajal [Vom estnischen Alltag unter der deutschen Okkupation im Zweiten Weltkrieg]. In: Tuna, 2002, Nr. 4, S. 59–66; Isberg, Bedingungen, S. 62, 71; Kuusik, Public Sentiments.

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Zu ersten massenhaften Erscheinungen von Verweigerung kam es erst, als die Lage an den Fronten kritisch wurde. Der soldatische Dissens machte sich in der Flucht zahlreicher junger Männer in die Wälder oder nach Finnland bemerkbar, wo ca. 3000 von ihnen in die finnische Armee eintraten (um in einer „ehrenvollen“ Uniform gegen die UdSSR zu kämpfen).24 Als im März 1943 die Jahrgänge 1919–1924 unter dem Deckmantel der Arbeitspflicht mobilisiert wurden, entgingen ca. 15 Prozent der Betroffenen der Musterung. Vor die Wahl gestellt, in der SS-Legion, der Kriegsindustrie im Ölschiefergebiet oder als Hilfswilliger in der Wehrmacht eingesetzt zu werden, gelangten aber immerhin 5300 Mann in die Legion und 6800 in die Wehrmacht.25 Bei einer weiteren Mobilisierung des Jahrgangs 1925 im Herbst 1943 erschienen 76 Prozent der für tauglich befundenen Männer (3375) bei ihren Einheiten; insgesamt traten 1943 8600 Esten der Waffen-SS bei.26 Einen Sonderfall stellt der aus der UdSSR organisierte bewaffnete Widerstand dar, der von der Sowjethistoriographie zum „wahren“ Kampf des estnischen Volkes gegen die „faschistische Okkupation“ stilisiert wurde.27 Die seit 1942 meist per Fallschirm in den Rücken der Front eingeschleusten Spione und Partisanen, die meist kein Estnisch sprachen, hatten nicht nur mit „Omakaitse“-Einheiten zu tun, sondern auch mit einer ihnen meist feindlich gesinnten Zivilbevölkerung. Es sind manche Fälle von sowjetischen Agenten bekannt, die sich rasch ergaben um die Seite zu wechseln. Nennenswertes Sabotagepotential haben diese Aktionen nicht entfalten können, zumal sie in der Mehrzahl rasch unterbunden wurden. Einige gesprengte Gleise und entgleiste Züge, erbeutete Waffen sowie mehrere getötete deutsche und estnische „Faschisten“ waren die geringe Bilanz dieser Partisanenaktivität. Erst 1944 häuften sich erfolgreiche Aktionen, doch handelte es sich hierbei zumeist schon um Aktivitäten im unmittelbaren Frontbereich.28 Angesichts der zunehmenden Gefahr der sowjetischen Rückeroberung Estlands trat die nationale Opposition in Aktion. Schon seit Beginn der Sowjetherrschaft hatten sich einige Gruppen mit dem Ziel der Wiederherstellung der Republik zusammengefunden.29 Während sich unter den Emigranten die politische Konkurrenz der Päts-Ära 24

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Evald Uustalu: For Freedom Only. The Story of the Estonian Volunteers in the Finnish Wars 1940–1944. Toronto 1977; Evald Uustalu, Rein Moora: Soomepoisid. [Die Finnlandjungs]. Tallinn 1993; Soomepoisid. [Die Finnlandjungs]. Hrsg. v. Mart Laar u. a. Tallinn 2010. Isberg, Bedingungen, S. 88–90; Myllyniemi, Neuordnung, S. 231 ff. Myllyniemi, Neuordnung, S. 253; Rebas, Miks edu, S. 693; Toomas Hiio, Peeter KaasikL: Estonian Units in the Waffen-SS. In: Estonia 1940–1945. S. 927–968. Eesti rahva põline võitlus saksa sissetungijate vastu [Der wahre Kampf des estnischen Volkes gegen die deutschen Eindringlinge]. Hrsg. v. Nikolai Karotamm. Moskau 1942. JOA, S. 75–78 (1942), 342–349 (1944); Peeter Kaasik: Partisaniliikumine Eestis 1941–1944 [Die Partisanenbewegung in Estland 1941–1944]. Unveröff. MS, Tallinn 2005; Evald Laasi: Kas aastail 1942–1944 oli Eestis partisaniliikumine [Gab es in Estland eine Partisanenbewegung]? In: Vikerkaar, 1990, Nr. 5, S. 62–64. Enn Sarv: Eesti Vabariigi kontinuiteet 1940–1945 [Die Kontinuität der Estnischen Republik 1940–1945]. In: Tõotan ustavaks jääda... Eesti Vabariigi valitsus 1940–1992 [Ich schwöre treu zu bleiben... Die Regierung der Republik Estland 1940–1992]. Hrsg. v. Mart Orav, Enn Nõu. Tartu 2004, S. 15–91; Ders.: Eesti Vabariigi Rahvuskomitee. Tegevuse lühiülevaade [Das Nationalkomitee der Estnischen Republik. Ein kurzer Tätigkeitsüberblick]. In: Akadeemia 10

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fortsetzte, bildeten sich in Estland unabhängig von einander oppositionelle Kreise heraus, so z. B. in der organisierten Tartuer Studentenschaft (Eesti Üliõpilaste Selts), der Redaktion der Zeitung „Postimees“ sowie der Verbrauchergenossenschaft. Bis Ende 1943 stellten diese Gruppen Untergrundzeitungen und Flugblätter her und übermittelten Informationen an die Exilpolitiker. Meist agitierten sie gegen jegliche Zusammenarbeit mit den Deutschen und bekämpften den Eintritt von Esten in deutsche Formationen. Von Enttarnung bedroht, flohen manche von ihnen nach Finnland und traten in die finnische Armee ein. Einige derjenigen Esten, die bereits 1940/41 nach Finnland geflohen waren und nun mit der deutschen Abwehr in Helsinki (Büro Cellarius) und dem finnischen Geheimdienst kooperierten, übten eine wichtige Mittlerfunktion aus. Im Vergleich zu diesen Gruppen zeigte sich der frühere Ministerpräsident Uluots, der schon im Herbst 1941 Mäes „Aufruf an das estnische Volk“ unterzeichnet hatte,30 kollaborationsbereiter und wurde 1943 zum begehrten Gesprächspartner der Deutschen. Der Versuch Litzmanns, ihn und Rektor Kant am 20. Oktober zur Gründung eines Nationalkomitees zu veranlassen, scheiterte jedoch an der Forderung nach Wiederherstellung der estnischen Unabhängigkeit.31 Gleichzeitig wies Uluots ein Angebot der Regierungsbildung ab, das ihm die mittlerweile vereinten Oppositionsgruppen machten, wohl um den Kontakt zu den Deutschen nicht zu gefährden. Offenbar aufgrund von Forderungen der Exilpolitiker kam es ohne die UluotsGruppe Ende Februar/Anfang März 1944 zur Gründung des „Nationalkomitees der Estnischen Republik“ (Eesti Vabariigi Rahvuskomitee, EVR) im Untergrund. Die Tätigkeit des EVR wurde jedoch im April erheblich beeinträchtigt durch eine Verhaftungswelle des SD, von der auch einige seiner führenden Mitglieder betroffen waren. Uluots, den inzwischen eine allgemeine Versammlung der Opposition mit den Aufgaben des Präsidenten betraut hatte, kam mit einem Verhör davon. Da jedoch Estland seit Ende Juli 1944 wieder zum Kriegsschauplatz wurde, spielte Uluots für die Deutschen bald keine Rolle mehr. Nun war er bereit, gemeinsam mit dem EVR eine Regierung einzuberufen, deren Manifest bereits Ende Juli in Schweden vor Journalisten verlesen wurde. Anfang August 1944 wurden vier von Uluots benannte Minister in das EVR kooptiert, das mit der Ausrufung einer Regierung unter seinem neuen Vorsitzenden Otto Tief am 18. September 1944 seine Tätigkeit einstellte. Der Abzug der Deutschen aus Estland stand unmittelbar bevor.32 Vier Tage später war Tallinn in der Hand der Roten Armee. Den meisten Mitgliedern dieser Regierung und des EVR gelang es im Gegensatz zum schwer kranken Uluots nicht mehr, das Land zu verlassen. Den sowjetischen Organen dienten zu ihrer Ergreifung nicht nur erbeutete deutsche Geheimdienstinformationen, sondern auch bri-

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(1998), S. 1612–1619; vgl. die Kommentare von Külli Niidassoo, ebenda 11 (1999), S. 405– 409, und Jaak Pihlau, ebenda, S. 1518–1528. Isberg, Bedingungen, S. 42 ff. Myllyniemi, Neuordnung, S. 260 f.; Johannes Klesment: Kolm aastat iseseisvuse võitlust võõra okupatsiooni all [Drei Jahre Unabhängigkeitskampf unter fremder Okkupation]. In: Eesti riik ja rahvas Teises maailmasõjas [Der estnische Staat und das estnische Volk im Zweiten Weltkrieg]. Hrsg. v. Richard Maasing. Bd. 8, Stockholm 1959, S. 7–50, hier S. 17–19, 37–45. Lauri Mälksoo: The Government of Otto Tief and the Attempt to Restore the Independence of Estonia in 1944: A Legal Appraisal. In: Estonia 1940–1945, S. 1095–1106.

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tische, da die Anti-Hitler-Koalition damals noch leidlich funktionierte. Damit war aber auch das Schicksal der estnischen Abwehr-Mitarbeiter besiegelt, die mittlerweile Kontakt zur britischen Botschaft in Stockholm aufgenommen hatten. Erst in sowjetischer Haft dürften sie begriffen haben, dass die Atlantik-Charta in Bezug auf das Baltikum keine Gültigkeit hatte.33

Zum Stand der Forschung Die Zeit der deutschen Okkupation bis 1944 steht bis heute für die Esten im Schatten der sowjetischen Besatzung, die letztlich bis zum Abzug der russischen Truppen im August 1994 währte.34 Bis 1991 war die „faschistische Okkupation“ ein stark ideologisiertes Thema der sowjetischen Historiographie,35 aber auch den Exilpublikationen haftet der Geist des Kalten Krieges an.36 Die Forschung muss sich für die größeren Zusammenhänge immer noch auf die älteren Werke von Seppo Myllyniemi und Alvin Isberg stützen.37 Sieht man einmal von einigen Arbeiten zum Holocaust und zur Kollaboration von Ruth B. Birn und Anton Weiss-Wendt ab, hat die internationale Forschung sich dieses Themas bislang kaum angenommen.38 Erst in letzter Zeit beschäftigen sich jüngere estnische Historiker mit der Aufarbeitung der deutschen Besatzungszeit, sodass einige Beiträge und Quellenpublikation zu Themen wie Holocaust, Alltag, aber auch zur nationalen Opposition erschienen sind. Als Zusammenfassung ist nun eine Reihe von Sammelbänden angekündigt, die auf Grundlage von Primärquellen39 einen umfassenden Überblick über die Jahre 1941– 1944 bieten wird, zunächst nur in estnischer Sprache.40 Ein bemerkenswertes Zeichen ist aber mit einer über 1300 Seiten starken englischsprachigen Publikation unter dem 33

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Vgl. die 8-teilige Dokumentation: Tõnis Ritson: Toomas Hellat ja KGB [Toomas Hellat und der KGB]. In: Tuna, 1998, Nr. 1 – 2000, Nr. 4; Jaak Pihlau: Lisandusi ja täpsustusi Tõnis Ritsoni artiklile „Toomas Hellat ja KGB“ [Ergänzungen und Präzisierungen zum Artikel von Tõnis Ritson „Toomas Hellat und der KGB“]. In: Tuna, 2001, Nr. 1, S. 136–142. Vgl. The White Book: Losses Inflicted on the Estonian Nation by Occupation Regimes 1940– 1991. Hrsg. v. Vello Salo. Tallinn 2005. Verwiesen sei nur auf die Quellenpublikationen Eesti rahvas Nõukogude Liidu Suures Isamaasõjas [Das estnische Volk im Großen Vaterländischen Krieg der UdSSR]. 2 Bde. Hrsg. v. Leonid Lentsman, Tallinn 1971–1977; Pruun katk: saksa fašistlik okupatsioon Eestis, 1941–1944. Dokumente ja materjale [Die braune Pest. Die deutsche faschistische Okkupation in Estland, 1941– 1944]. Tallinn. Hrsg. v. Anni Matsulevitš. Tallinn 1988. Die wichtigste Exilpublikation sind die zehn 1954–1962 in Stockholm erschienenen Bände der Serie „Eesti riik ja rahvas Teises maailmasõjas“ (siehe Anm. 31). Siehe Anm. 9; vgl. den Literaturbericht (2002) von Ruth Büttner: Impact of National Socialist Rule: the Case of Estonia. URL: http://www.esf.org/fileadmin/be_user/research_areas/HUM/ Documents/RNP/Estonia.pdf (letzter Zugriff: 28.3.2008). Ruth B. Birn: Die Sicherheitspolizei in Estland 1941–1944. Eine Studie zur Kollaboration im Osten. Paderborn 2006; Anton Weiss-Wendt: Murder Without Hatred. Siehe Anm. 5 und 12. Die wichtigsten Bestände in estnischen, deutschen und schwedischen Archiven nennt Isberg, Bedingungen, S. 172 f. Auf lettische Archive verweisen Maripuu/Paavle, Zivilverwaltung. Sõja ja rahu vahel [Zwischen Krieg und Frieden]. Bd. 2, Esimene nõukogude aasta [Das erste sowjetische Jahr]. Hrsg. v. Enn Tarvel. Tallinn 2010. Zu Bd. 1 vgl. Anm. 3. Angekündigt sind 10 Bde.

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Titel „Estonia 1940–1945“ gesetzt worden, die das erste, faktenreiche Ergebnis der 1999 vom damaligen Präsidenten Lennart Meri eingesetzten Internationalen Kommission für die Untersuchung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt.41 Der „Widerstand“ gegen die deutsche Besatzung ist in estnischer Perspektive in erster Linie Dienst an der Republik im Sinne der Kontinuitätsthese und kein antifaschistischer Kampf um jeden Preis – getreu der Regel, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist. Als „echter“ Widerstand gilt nach wie vor nur der Kampf gegen die Sowjets: In der Broschüre mit dem Titel „Estonia’s Occupations Revisited“ findet man unter der Überschrift „Resistance“ nur Texte zum Einsatz von Esten in deutscher bzw. finnischer Uniform; die deutsche Okkupation kommt trotz des Titels so gut wie nicht vor.42 Daher greift auch das Schlagwort der „Kollaboration“ zu kurz: Einhellig verurteilt wird nur die Zusammenarbeit mit Moskau, dem „Feind Nr. 1“. Eine deutschfreundliche Haltung im Dienst des eigenen Staates, wie sie etwa Uluots zeigte, kann heute durchaus zum heldenhaften Freiheitskampf stilisiert werden.43 Der gleichsam „ideale“ Weg im nationalen Sinne, aktiven Widerstand gegen beide Okkupanten zu leisten, hatte seinen Preis. Auch die Haft im KZ Stutthof bewahrte die Mitglieder des EVR nicht davor, von den Sowjets nach Sibirien verschleppt zu werden. Dies zeigt, dass es auch der UdSSR nicht um Antifaschismus ging. Zugleich erweist es sich wieder einmal, wie schlecht sich die gewohnten westeuropäischen Kategorien für manche osteuropäischen Geschichten eignen.

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Estonia 1940–1945 (Anm. 1); siehe die kritische Rezension von Olaf Mertelsmann, in: Forschungen zur baltischen Geschichte 2 (2007), S. 297–303. Der zweite Band erschien 2009 unter dem Titel „Estonia Since 1944“ Estonia’s Occupations Revisited. Accounts of an Era. Hrsg. v. Heiki Ahonen. Tallinn 2005. Mart Laar: Jüri Uluots ja õiguslik järjepidevus [Jüri Uluots und die juristische Kontinuität]. In: Eesti Ekspress. Areen v. 3.2.2005; vgl. aber die Replik von Rein Ruutsoo, in der Uluots zum Kollaborateur erklärt wird: Valikuliselt loetud Uluots [Der selektiv gelesene Uluots]. In: Eesti Ekspress. Areen v. 2.5.2005. Hier braucht nur an die geschichtspolitischen Auseinandersetzungen um Soldatendenkmäler erinnert zu werden, die 2004 und 2007 vor allem das russisch-estnische Verhältnis belastet haben. Vgl. Karsten Brüggemann, Andres Kasekamp: The Politics of History and the War of Memories in Estonia. In: Nationalities Papers 36 (2008), Nr. 3, S. 425– 448.

Besetzte Kaukasus-Gebiete Daniel Müller Die von deutschen und verbündeten Truppen im Krieg gegen die Sowjetunion 1942/43 eroberten Gebiete Kaukasiens waren Teil der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR); die drei südkaukasischen (transkaukasischen) Unionsrepubliken Georgien, Aserbaidschan und Armenien blieben unbesetzt.1 In den nordkaukasischen (ciskaukasischen) Gebieten dauerte die Besatzung nur kurz; mit Ausnahme kleiner Zonen, die früh besetzt (Taganrog im Gebiet Rostov im Oktober 1941) bzw. spät geräumt (Taman’-Halbinsel im „Kuban’-Brückenkopf“, Region Krasnodar, im Oktober 1943) wurden, bestand die deutsche Besatzungsherrschaft von Juli/Oktober 1942 bis Dezember 1942/Februar 1943, wobei als Faustregel die zuletzt (Oktober) besetzten Gebiete zuerst (Dezember) geräumt wurden. Die deutsche Herrschaft dauerte also nur eine kurze Zeitspanne von zwei bis fünf Monaten. Immerhin hatte Hitler mit Arno Schickedanz, dem NSDAP-Stabsleiter beim „Reichsminister für die besetzten Ostgebiete“ Alfred Rosenberg, schon einen „Reichskommissar“ für Kaukasien bestimmt; und für die ökonomische Ausbeutung waren mit großem Aufwand schon früh eine „Wirtschaftsinspektion Kaukasus“ sowie „Mineralölkommandos“ und eine „Technische Brigade Mineralöl“ aufgestellt worden.2 In Nordkaukasien geriet in bedeutendem Umfang „orientalische“ Zivilbevölkerung unter deutsche Herrschaft, nämlich traditionell sunnitisch-muslimische bzw. lamaistisch-buddhistische Völkerschaften. Die deutsche Seite war sehr bemüht, diese Gruppen zur Kollaboration zu veranlassen, und hatte damit auch vielfach Erfolg (wie auch bei den Muslimen auf der Krim und auf dem Balkan). Das deutsche Werben erfasste aber keineswegs nur die „Orientvölker“, sondern auch die weitgehend russische sowie russisch assimilierte ukrainischostslawische Bevölkerung Nordkaukasiens; auch unter den „Kosaken“ war die Kollaboration beachtlich – der Widerstand aber auch.3 Dieses Spannungsfeld zwischen Widerstand und Kollaboration kennzeichnete das Verhalten der multinationalen Bevölkerung in Nordkaukasien während des Krieges. Nach der Rückkehr der sowjetischen Behörden kam es 1943/44 zur strafweisen kollektiven Deportation von fünf nordkaukasischen Nationalitäten; eine Parallele findet sich nur auf der Krim. 1

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Mit Ausnahme der Ortschaft Ps’chu in Abchasien (Georgien), besetzt am 25. August 1942, und weiterer geringfügiger Überschreitungen der Hauptkette des Kaukasus. Alexander Dallin: German rule in Russia 1941–1945. A study of occupation policies. London/ New York 1957 (dt. 1958); Dietrich Eichholtz: Der Raubzug des faschistischen deutschen Imperialismus zu den Erdölquellen des Kaukasus 1941–1943. In: Jahrbuch für Geschichte 14 (1976), S. 445–502; Wolfgang Birkenfeld: Illusionen am Kaukasus 1942/43. In: Wissenschaft, Wirtschaft und Technik. Studien zur Geschichte. Hrsg. v. Karl-Heinz Manegold. München 1969, S. 85–91. Petr Krikunov: Kazaki: meždu Gitlerom i Stalinym. Krestovyj pochod protiv bol’ševizma. Moskau 2005.

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Widerstand im besetzten Ostmittel- und Osteuropa

Widerstand gegen die deutschen Besatzer Nordkaukasien umfasste 1942 von Nordwest nach Südost folgende Gebiete: (1) die Region Krasnodar mit dem Adygejischen Autonomen Gebiet; (2) die Region Ordžonikidze (heute Stavropol’) mit zwei Autonomen Gebieten, dem Karatschajischen und dem Tscherkessischen; (3) die Kabardino-Balkarische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR); (4) die Nordossetische ASSR; (5) die Tschetscheno-Inguschische ASSR; und (6) die Dagestanische ASSR. Während die Nordossetische und die Tschetscheno-Inguschische ASSR nur zum Teil besetzt wurden, standen die übrigen Gebiete für einige Monate weitgehend unter deutscher Herrschaft; Dagestan blieb unbesetzt. Neben diesen Gebieten werden außerdem nach der sowjetischen bzw. russischen historiographischen Tradition4 meist noch einbezogen: (7) das Gebiet Rostov; und (8) die Kalmykische ASSR. Gemäß der letzten sowjetischen Vorkriegszählung hatten diese Territorien insgesamt eine Bevölkerung von gut 9,6 Millionen, davon knapp 3,2 Millionen in Krasnodar, knapp 2,9 Millionen in Rostov, knapp 2,0 Millionen in Ordžonikidze (jeweils nur ein kleiner Teil in den Autonomen Gebieten) und gut 1,6 Millionen in den vier ASSR.5 Da diese Zahlen sich auf den Januar 1939 beziehen und nicht das gesamte Gebiet besetzt wurde, lässt sich die Zahl der zeitweilig unter deutsche Herrschaft geratenen Zivilpersonen nur schätzen; sie dürfte 8–9 Mio. betragen haben.6 Dabei bestand die große Mehrheit aus Ostslawen: Die ehemaligen Kosakengebiete Rostov (Don), Krasnodar (Kuban’) und Ordžonikidze (Terek) waren meist von Russen und Ukrainern besiedelt. An Minderheiten gab es neben Armeniern, Griechen, Deutschen, Juden, weiteren aus Europa zugewanderten Gruppen sowie kleineren turksprachigen Gruppen (Nogajer, Turkmenen, Kumyken) vor allem: .

Tschetschenen (in der UdSSR 1939: 407.968) und Inguschen (92.120), zwei sunnitische Völkerschaften mit eng verwandten ostkaukasischen Sprachen, die sich auch als Dialekte einer gemeinsamen Sprache auffassen lassen; Kabardiner (164.185) sowie Adygejer und Tscherkessen (zusammen erfasst, 88.115), sunnitische Völker (nebst unbedeutenden russisch-orthodoxen Minderheiten) mit eng verwandten westkaukasischen Sprachen; hinzu kommen die Abasiner (ca. 14.000)7,

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Siehe jetzt z. B. Aleksej Alekseevič Anikeev/Totraz Magometovič Balikoev/Sergej Vladimirovič Januš/Natal’ja Vladimirovna Seljunina: Problema bitvy za Kavkaz v istoričeskoj literatury. In: Naučnaja mysl’ Kavkaza 1/2003, S. 73–86. Vsesojuznaja perepis’ naselenija 1939 goda. Osnovnye itogi. Moskau 1992. Zu berücksichtigen ist, dass mehrere hunderttausend Menschen in das Gebiet evakuiert worden bzw. geflohen waren und ähnlich viele im Zuge der Besetzung aus ihm flohen. Die Zahl der Abasiner für 1939 ist unbrauchbar; 1937 wurden 13.802 gezählt. Vsesojuznaja perepis’ naselenija 1937 g. Kratkie itogi. Moskau 1991, S. 83.

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eine entfernter verwandte westkaukasische (abchasische) Gruppe, ebenfalls sunnitisch, in räumlicher Nähe zu den Tscherkessen; Karatschajer (75.763) und Balkaren (42.685), sunnitische Völker mit eng verwandten Turksprachen bzw. -dialekten; Osseten (in der RSFSR: 195.802)8, ein mehrheitlich russisch-orthodoxes Volk (mit sunnitischer Minderheit) iranischer Sprache; sowie Kalmyken (134.402), ein überwiegend lamaistisch-buddhistisches Volk mongolischer Sprache.

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Während fast alle Kabardiner, Adygejer, Tscherkessen, Abasiner, Karatschajer und Balkaren vorübergehend unter deutsche Herrschaft gerieten, gilt dies nur für einen Teil der Tschetschenen, Inguschen, Osseten und Kalmyken. Der Einmarsch der Deutschen 1942 hatte ein zeitliches Vorspiel: Bereits im Oktober 1941 war die Wehrmacht in das Rostover Gebiet eingedrungen und hatte im November auch die Stadt Rostov selbst besetzt. Nach wenigen Tagen wurden die Deutschen wieder vertrieben, hielten jedoch Taganrog, das wie Rostov (nach erneuter Besetzung im Juli 1942) in der Folge ein Zentrum des sowjetischen Widerstands im Untergrund wurde.9 Zwei Nationalitäten waren zu dieser Zeit bereits strafweise bzw. präventiv deportiert worden; zunächst die Deutschen wie von der Wolga etc. nun auch aus Cis- und Transkaukasien nach Zentralasien und Sibirien (1941); dann (im Frühsommer 1942) ein Großteil der Griechen vor allem aus Rostov und Krasnodar nach Zentralasien.10 Ansonsten waren wegen des von Stalin Anfang 1942 erwarteten schnellen Sieges, wohl auch in der Annahme, die deutschen Kräfte würden 1942 fast ausschließlich weiter nördlich angesetzt, praktisch keine Vorbereitungen zur Abwehr eines erneuten deutschen Vorstoßes nach Kaukasien getroffen worden. Die improvisierten Evakuierungsmaßnahmen erfassten vergleichsweise wenige Menschen, viele flohen auf eigene Faust. Ein Teil der Juden fiel den Deutschen in die Hände und wurde in der Folge ermordet.11 Auch zum Abtransport von Material und insbesondere Vieh reichte die Zeit kaum, Zerstörungen von Industrieanlagen (so der Ölanlagen von Majkop) gelangen nur teilweise. Mehrfach wurden beim Rückzug Massaker an Häftlingen und „antisowjetischen Elementen“ verübt.12

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Für die Osseten Angaben nur zur RSFSR wegen der großen Zahl der Osseten im (unbesetzten) Georgien. Sergej Ivanovič Linec: Severnyj Kavkaz nakanune i v period nemecko-fašistskoj okkupacii: sostojanie i osobennosti razvitija (ijul’ 1942–oktjabr’ 1943 gg.). Rostov 2003, S. 475–512; vgl. Ivan Semenovič Markusenko: Don v Velikoj Otečestvennoj vojne. Rostov 1977. Nikolaj Fedorovič Bugaj/Anatolij Nikolaevič Koconis: „Objazat’ NKVD SSSR… vyselit’ grekov“. (O deportacii grekov v 1930–1950 gody). Moskau 1999. Eine Ausnahme ist die in Nal’čik (Hauptstadt Kabardino-Balkariens) ansässige Kolonie von „Bergjuden“ [evrei gorskie], in der frühen Sowjetzeit als von den aschkenasischen Juden separate Völkerschaft mit eigener Sprache (Judeo-Tatisch, ein iranischer Dialekt) anerkannt. Unter Berufung auf iranische Herkunft gelang es offenbar, die „Bergjuden“ z. T. zu retten. Vgl. Rudolf Loewenthal: The Judeo-Tats in the Caucasus. In: Historia Judaica XIV (1952), S. 61–82, hier 79. Linec, Severnyj Kavkaz, S. 12–152 u. a. zur Evakuierung.

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Sowohl Untergrund-Aktivitäten als auch vor allem der Partisanenkampf waren kaum vorbereitet, was angesichts des blitzkriegartigen deutschen Vormarsches – mit Erreichen des Elbrus bereits am 21. August 194213 – auch nicht nachzuholen war. Erst am 3. August wurde der „Südliche Stab der Partisanenbewegung“ eingerichtet. Eine größere operative Effektivität konnte erst zum Jahreswechsel 1942/43 erreicht werden, als sich die Deutschen schon wieder eilig zurückzogen.14 Eine wichtige Rolle beim Scheitern des Partisanenkampfes in Nordkaukasien spielte das ungeeignete, weitgehend ebene und waldarme Gelände. In den vergleichsweise schmalen bewaldeten und gebirgigen Zonen, wo die Aussicht auf Erfolg schon wegen der Topographie besser und auch die Vorwarnzeit länger war, siedelten vorrangig die Minderheiten. Zu diesen Minderheiten fanden die Partisanen jedoch kaum Kontakt. Partisanenverbände größeren Umfangs wurden vor allem in Krasnodar und Ordžonikidze angesetzt, insbesondere in Frontnähe. In Krasnodar wurden Ende 1942 insgesamt 75 Gruppen mit 5.702 Personen geführt, in Ordžonikidze 40 mit 2.008, also weniger als 0,2 Prozent (Krasnodar) bzw. ca. 0,1 Prozent (Ordžonikidze) der Vorkriegsbevölkerung. Die überwältigende Mehrzahl bestand, noch weit über den Anteil an der Bevölkerung hinaus, aus Ostslawen: 97,4 Prozent bzw. 90,0 Prozent. Die islamischen Nationalitäten waren kaum vertreten: In Krasnodar wurden 3 Adygejer gezählt, in Ordžonikidze 75 Karatschajer und Tscherkessen (zusammen), 19 Abasiner und 18 Nogajer, dazu 10 Osseten. Noch im September 1942 scheiterten Versuche, vier mit Funkgeräten ausgestattete Gruppen nach Kabardino-Balkarien, Nordossetien, Tschetscheno-Inguschetien und Karatschajien einzuschleusen: Nicht eine erreichte ihr Ziel, die Partisanentätigkeit in diesen Gebieten blieb dann auch durchgehend schwach.15 Weit stärker als unter den Partisanen der Westgebiete war die Dominanz der Mitglieder und Kandidaten der Kommunistischen Partei (VKP/b). So waren von 5.742 Partisanen in Krasnodar (Oktober/Dezember) 53 Prozent Kommunisten, von 1.961 in Ordžonikidze (Dezember) 65 Prozent, von 791 in Tschetscheno-Inguschetien sogar 73 Prozent und in Kabardino-Balkarien von 596 81 Prozent (Vergleichswerte für die Westgebiete liegen meist bei ca. 10 Prozent).16 Wie überall waren für die Entscheidung zur Kollaboration oder zum Widerstand die Umstände entscheidend, also letztlich die Abwägung der Gefahren: Grundsätzlich dominierte das Bestreben, sich wenig zu exponieren, im Zweifelsfall aber zugunsten des 13

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Josef Martin Bauer: Kaukasisches Abenteuer. Die Besteigung des Elbrus 1942. Esslingen 1950; ders.: Unternehmen „Elbrus“. Das kaukasische Abenteuer. Frankfurt (Main) 1992; Roland Kaltenegger: Gebirgsjäger im Kaukasus. Die Operation „Edelweiß“ 1942/43. Graz 1997; weitere Literaturhinweise zu den Kämpfen im Kaukasus bei Rolf-Dieter Müller/Gerd R. Ueberschär: Hitlers Krieg im Osten 1941–1945. Ein Forschungsbericht. Darmstadt 2000, S. 110–111. Linec, Severnyj Kavkaz, zur Partisanenbewegung S. 412–512 (Gründung des Stabes 413); siehe auch Partizanskoe dviženie v gody Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg. Dokumenty i materialy. Moskau 1999, S. 130. Linec, Severnyj Kavkaz, S. 415, 439; siehe auch Gennadij Viktorovič Marčenko: Razgrom partizanskich otrjadov v Karačae i Čerkesii v 1942 godu: pravda i domysly. In: Naučnaja mysl’ Kavkaza 1/2003, S. 87–97. Linec, Severnyj Kavkaz, S. 435.

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vermuteten Siegers oder des momentan Stärkeren. Jedoch waren die Voraussetzungen für Widerstand in Kaukasien ungünstiger, die für Kollaboration günstiger als anderswo. Dies gilt schon für die Kosaken, die ihren unter den Zaren privilegierten Status, den viele noch im Bürgerkrieg auf „weißer“ Seite verteidigt hatten, im Sowjetstaat eingebüßt und in der Kollektivierung und folgenden Hungersnot 1933 große Opfer gebracht hatten. In den 1920er und 1930er Jahren waren zahlreiche Kosaken als „Kulaken“ deportiert worden, viele starben in Sibirien. Noch größere Ressentiments gegen die Sowjetmacht hatten jedoch die muslimischen „Bergler“ [gorcy], die sich der brutalen Kolonisierung und kosakischen Landnahme im 19. Jahrhundert erinnerten. Die sowjetische Politik hatte dann in den 1920er und 1930er Jahren rücksichtslos in die Lebensart dieser Völker eingegriffen, wobei wirtschaftliche Maßnahmen, wie die als Enteignung empfundene Kollektivierung, noch harmloser waren als Eingriffe in die religiöse und Familienstruktur. Noch Mitte der 1930er Jahre operierten im Gebirge Partisanen gegen die Sowjetherrschaft; bis 1941 gelang keine volle Befriedung. Nach dem deutschen Überfall entglitt den sowjetischen Behörden in einigen Gebirgsregionen Karatschajiens und Tschetscheniens erneut die Kontrolle.17 Bald nach Kriegsbeginn waren in Kaukasien von der Sowjetführung nationale Verbände aufgestellt worden. Diese wiesen jedoch z. T. eine hohe Desertionsrate auf und galten bald als nicht für den Fronteinsatz tauglich. Die Rekrutierung von „Berglern“ wurde mehrfach ganz untersagt, bereits Eingezogene entlassen oder in die Etappe zurückgezogen.18 Ein erheblicher Teil der „Bergler“ arbeitete dann mehr oder minder intensiv mit der deutschen Besatzungsmacht zusammen, denen vor allem die Anwerbung von Freiwilligen bzw. Rekrutierung von Überläufern und Gefangenen gelang.19 Parallel unterstützten die Deutschen „Nationalkomitees“, ohne sich allerdings auf politische Nachkriegsregelungen festzulegen. Insgesamt haben Partisanen und Untergrundgruppen in der „Schlacht um den Kaukasus“20 eine unbedeutende Rolle gespielt; sie zählten selbst auf dem Papier kaum je

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Eine Einführung in die sowjetische Nationalitätenpolitik bietet Terry Martin: The affirmative action empire: nations and nationalism in the Soviet Union, 1923–1939. Ithaca/London 2001. Linec, Severnyj Kavkaz, S. 328–353; Aleksej Jur’evič Bezugol’nyj: Narody Kavkaza v Vooružennych silach SSSR v gody Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg. Stuttgart 2005; ders.: Narody Kavkaza i Krasnaja armija. 1918–1945 gody. Moskau 2007. Die transkaukasischen nationalen Divisionen blieben z. T. zu Propagandazwecken formal bestehen, verloren aber durch ostslawischen Mannschaftsersatz weitgehend ihren nationalen Charakter. Linec, Severnyj Kavkaz, S. 153–411. Ferner Patrik von zur Mühlen: Zwischen Hakenkreuz und Sowjetstern. Der Nationalismus der sowjetischen Orientvölker im Zweiten Weltkrieg. Düsseldorf 1971; Joachim Hoffmann: Deutsche und Kalmyken 1942 bis 1945. Freiburg 1974; ders.: Die Ostlegionen 1941–1943. Turkotataren, Kaukasier und Wolgafinnen im deutschen Heer. Freiburg 1976; ders.: Kaukasien 1942/43. Das deutsche Heer und die Orientvölker der Sowjetunion. Freiburg 1991. Siehe u. a. Wilhelm Tieke: Der Kaukasus und das Öl. Der deutsch-sowjetische Krieg in Kaukasien1942/43. Osnabrück 1970; Andrej Antonovič Grečko: Bitva za Kavkaz. Moskau 1967 (zahlreiche Ausgaben, dt. u. a. Berlin [DDR] 1971).

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mehr als 10.000 Mitglieder, von denen viele niemals Feindberührung hatten.21 Dabei ist nicht zu verkennen, dass tausende Bewohner Nordkaukasiens sich im Partisanenkampf opferten, darunter auch Angehörige der später kollektiv bestraften Völker. Ebenso kämpften zehntausende Angehörige der nordkaukasischen Minderheiten ab 1941 an allen Fronten der Roten Armee, aber auch als Partisanen in vielen anderen Gegenden der UdSSR;22 selbst manche Überläufer aus Nord- wie Südkaukasien wechselten später erneut die Seiten, so mehrere hundert Georgier, die im April/Mai 1945 den Deutschen auf Texel in Holland eine der letzten Schlachten des Krieges lieferten.23

Zur Erforschung des Widerstands in den besetzten KaukasusGebieten Die neueste russische Historiographie unterscheidet mehrere Phasen der Befassung mit der „Schlacht um den Kaukasus“. Die Periodisierung ist dabei offenkundig an politische Verhältnisse angelehnt, als Wendepunkte gelten 1945, 1956 und 1985, mitunter auch 1964.24 Einen qualitativen Schnitt brachte aber erst die Wende von 1985, die sich erst ab ca. 1989 verstärkt auswirkte. Vorher war zwar die Quantität der Forschung enorm, die Qualität aber nur formal gewachsen. Die entscheidenden historiographischen Probleme konnten vor 1985 nicht eingeräumt und also auch nicht ausgeräumt werden: 1. Der Widerstand wurde als „Kampf des gesamten Volkes“ beschrieben; dabei wurde Kollaboration einzelner, dämonisierter Verräter nicht ausgeschlossen, wobei diese oft in Verbindung mit der vorsowjetischen Zeit oder dem Exil gebracht wurden. Diese Fehleinschätzung war untrennbar mit der Lebenslüge des Regimes verbunden und daher erst nach dessen Agonie zu überwinden. Tatsächlich war das Ausmaß der Kollaboration beachtlich, vor allem aber agierte die Mehrheit eher abwartend nach pragmatischen (Überlebens-)Gesichtspunkten. Wo idealistische Motive überwogen, richteten sich diese oft gegen das Sowjetsystem. 2. Als entscheidender Erfolgsfaktor wurde die Führung des Partisanenkampfes durch die Kommunistische Partei hingestellt. Tatsächlich war aber die hohe Quote abkommandierter Funktionärspartisanen wie in Nordkaukasien ein Zeichen des Misstrauens, der Schwäche und des Scheiterns lokaler Untergrundkämpfer und auch ein eklatanter Widerspruch zum Axiom vom „Kampf des ganzen Volkes“. 3. Der Erfolg des Kampfes wurde in den Publikationen maßlos übertrieben. Scheitern und Passivität vieler Einheiten – oft wegen mangelnder Unterstützung durch die

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Entsprechende Zahlen z. B. bei Marčenko, Razgrom partizanskich otrjadov; vgl. auch Petr Karpovič Ignatov: Zapiski partizana. Moskau 1973 (zahlreiche Ausgaben, zuerst 1944). Exemplarisch Evgenij Tikovič Chakuašev: Syny i dočeri Kabardino-Balkarii v bojach za Rodinu (1941–1945). Nal’čik 1991. Jacques August Christiaan Bartels: Muiterij aan het Marsdiep. De tragedie van de Georgiërs op Texel, april 1945. Amsterdam 1986. Anikeev et al., Problema bitvy za Kavkaz; vgl. auch besonders Evgenij Fedorovič Krinko: Severo-Zapadnyj Kavkaz v gody Velikoj Otečestvennoj vojny: problemy istoriografii i istočnikovedenija. Moskau 2004.

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Bevölkerung – passten nicht in das vorgegebene Schema gesetzmäßiger Sieghaftigkeit.25 4. Rote Armee und Partisanen verübten zahlreiche Verbrechen, darunter auch Morde und größere Massaker,26 wodurch weite Teile der Bevölkerung, vor allem der Minderheiten, der deutschen Besatzungsmacht in die Hände getrieben wurden. Solche Vorgänge waren für die Sowjethistoriographie tabu, die dem NS-Vernichtungskrieg27 die untadelige Kriegführung der sowjetischen Seite gegenüberzustellen hatte. Der einzige Bereich, in dem sich schon 1956 Veränderungen ergeben hatten, betrifft die Minderheiten. Noch während des Krieges wurden, wie erwähnt, fünf Nationalitäten (Tschetschenen, Inguschen, Karatschajer, Balkaren und Kalmyken) deportiert.28 Diese Völker waren zugleich die einzigen, die im Wesentlichen nicht nur de jure, sondern auch de facto durch weitgehende Rückkehrerlaubnis 1956/57 rehabilitiert wurden. Ab 1956 wurde ihnen offiziell eine Widerstandshaltung zugebilligt.29 Nach 1991 deutete sich hier allerdings, wohl als Folge des Tschetschenien-Konflikts, z. T. ein erneuter Paradigmenwechsel an. In jüngster Zeit gibt es verstärkt solide Arbeiten, die zum Fazit kommen, die Kollaboration sei zwar bedeutend gewesen, habe aber mitunter legitime oder doch nachvollziehbare Gründe gehabt und sei im Übrigen auch bei anderen Gruppen aufgetreten, namentlich bei den Russen selbst. Die Frage nach dem Widerstandsrecht gegen die Sowjets und/oder auch antikolonial gegen die Russen per se wird freilich nur angedeutet; gerade in Bezug auf Nordkaukasien ist sie heikel.30

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Ironisch wird heute auf Diskrepanzen hingewiesen und auch beschrieben, wie die Salden noch Jahrzehnte nach Kriegsende inflationär fortgeschrieben wurden; aber schon die Originalberichte dürften stark übertrieben gewesen sein. Vgl. etwa Partizanskoe dviženie, S. 357–360, mit dem Bericht für Krasnodar vom 8. April 1943. Siehe z. B. Linec, Severnyj Kavkaz, S. 312–313. Vgl. z. B. The trial in the case of the atrocities committed by the German fascist invaders and their accomplices in Krasnodar and Krasnodar territory: July 14–17, 1943. Moskau 1943 (ursprünglich in der Pravda, 15.-19. Juli 1943). Nikolaj Fedorovič Bugaj/Askarbi Muaedovič Gonov: Kavkaz: narody v ėšelonach (20–60-e gody). Moskau 1998; in geringem Umfang waren auch andere Gruppen, wie Osseten und Kabardiner, betroffen. Exemplarisch Magomet Abazatovič Abazatov: Čečeno-Ingušskaja ASSR v Velikoj Otečestvennoj vojne Sovetskogo Sojuza. Groznyj 1973. In dieser Hinsicht lohnt ein Vergleich der rundum überzeugenden Arbeit von Linec, Severnyj Kavkaz, S. 295–411 (zur Kollaboration), mit den widersprüchlichen und immer wieder in sowjetische Argumentations- und Sprachmuster zurückfallenden Arbeiten von Nikolaj Fedorovič Bugaj, etwa Repressirovannye narody Rossii: čečency i inguši. Dokumenty, fakty, kommentarii. Moskau 1994.

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Literatur und Quellenhinweise31 Partizanskoe dviženie v gody Velikoj Otečestvennoj vojny 1941–1945 gg. Dokumenty i materialy (= Russkij archiv/Velikaja Otečestvennaja 20/9). Moskau 1999 (z. B. Nummern 75, 137, 152, 159–161, 229 etc.) Es gibt außerdem eine große Fülle von Werken speziell zu Nordkaukasien. Praktisch die gesamte bedeutendere Literatur bis Anfang 2003 enthält: Aleksej Alekseevič Anikeev/Totraz Magometovič Balikoev/Sergej Vladimirovič Januš/Natal’ja Vladimirovna Seljunina: Problema bitvy za Kavkaz v istoričeskoj literatury. In: Naučnaja mysl’ Kavkaza, 1/2003, S. 73–86 Als später erschienene bedeutende Monographien sind anzuführen: Evgenij Fedorovič Krinko: Severo-Zapadnyj Kavkaz v gody Velikoj Otečestvennoj vojny: problemy istoriografii i istočnikovedenija. Moskau 2004. Sergej Ivanovič Linec: Severnyj Kavkaz nakanune i v period nemecko-fašistskoj okkupacii: sostojanie i osobennosti razvitija (ijul’ 1942–oktjabr’ 1943 gg.). Rostov 2003.

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Hier ist auch auf den Beitrag von Bernd Bonwetsch zu den besetzten Westgebieten der UdSSR in diesem Band, S. 183 ff., hinzuweisen: In den dort genannten Arbeiten und Quellensammlungen wird in der Regel auch Nordkaukasien berücksichtigt.

Slowakei: Widerstand gegen Tiso-Regime und nationalsozialistische Vorherrschaft Martin Zückert Neben dem Warschauer Aufstand war der Slowakische Nationalaufstand (Slovenské národné povstanie) im Jahr 1944 die größte Erhebung gegen das nationalsozialistische Herrschaftssystem und seine Verbündeten in Ostmitteleuropa. Er war Kulminationspunkt einer insgesamt heterogenen Widerstandbewegung, die sich nach 1939 in der Slowakei gebildet hatte. Um die Formen und Intentionen des Widerstands erfassen zu können, müssen der Entstehungskontext des slowakischen Staates, seine innere Ausrichtung sowie sein Verhältnis zum Deutschen Reich berücksichtigt werden.

Die Entstehung des slowakischen Staates Möglich wurde die slowakische Unabhängigkeit erst infolge der deutschen Aggression gegen die Tschechoslowakei (ČSR). Diese hatte durch das „Münchener Abkommen“ im Herbst 1938 nicht nur ihre westlichen Grenzregionen an Deutschland abtreten müssen, das bis dahin demokratisch geprägte Land wurde aufgrund der neuen politischen Bedingungen und dem zunehmenden deutschen Einfluss auch entscheidend destabilisiert.1 Rechtsgerichteten Kräften gelang es rasch, autoritäre Maßnahmen durchzusetzen.2 Für die östliche Landeshälfte wurde bereits am 6. Oktober 1938 in Žilina eine der Grundlagen der ČSR, die Idee einer einheitlichen tschechoslowakischen Nation, aufgehoben und die Autonomie für den slowakischen Landesteil ausgerufen. Unter der Führung des Priesters Jozef Tiso setzte die katholisch geprägte Slowakische Volkspartei (HSĽS)3 die Autonomieforderung gegenüber der Prager Regierung durch und etablierte sich als Machtträgerin. Unter politischem Druck stellten die bürgerlichen Parteien, die aufgrund ihrer Mitwirkung in der ČSR als kompromittiert galten, ihre Tätigkeit ein. Die 1

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Vgl. Hans Lemberg: „München 1938“ und die langfristigen Folgen für das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen. In: Das Scheitern der Verständigung: Tschechen, Deutsche und Slowaken in der Ersten Republik (1918–1938). Hrsg. v. Jörg K. Hoensch und Dušan Kováč. Essen 1994, S. 147–162. Jan Gebhart und Jan Kuklík: Druhá republika 1938–1939. Svár demokracie a totality v politickém, společenském a kulturním životě [Die Zweite Republik 1938–1939. Die Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Totalität im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben]. Prag 2004, S. 36–49, 92–122 und 73–91. Die Hlinkova Slovenská ľudová strana [Hlinkas slowakische Volkspartei] war nach dem langjährigen Parteiführer Andrej Hlinka benannt. Sie vertrat in der ČSR bis 1938 explizit autonomistische Interessen. Vgl. Alena Bartlová: Hlinková Slovenská ľudová strana [Hlinkas slowakische Volkspartei]. In: Přehled politického stranictví na území Českých zemí a Československa v letech 1861–1998 [Überblick zum politischen Parteiwesen auf dem Gebiet der böhmischen Länder und der Tschechoslowakei in den Jahren 1861–1998]. Hrsg. v. Pavel Marek und kol. Olomouc 2000, S. 215–227; Dokumente zur Autonomiepolitik der Slowakischen Volkspartei Hlinkas. Hrsg. v. Jörg K. Hoensch. München, Wien 1984.

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Kommunistische und die Sozialdemokratische Partei wurden aufgelöst, bestehen blieben lediglich die Parteien der deutschen und ungarischen Minderheit. Ein halbes Jahr später nutzte die deutsche Führung die „Slowakische Frage“, um die ČSR endgültig zu zerstören. Die slowakische Führung wurde Mitte März 1939 zur Proklamierung der Unabhängigkeit aufgefordert, die am 14. März 1939 in Bratislava/ Pressburg erfolgte. Zur gleichen Zeit rückten deutsche Truppen in die westliche Landeshälfte der ČSR ein, wo das „Protektorat Böhmen und Mähren“ errichtet wurde.4 In den meisten Darstellungen zum slowakischen Staat wird auf die starke Abhängigkeit vom Deutschen Reich verwiesen. Diese habe sich in einem Schutzvertrag, der die slowakische Außen- und Wirtschaftspolitik sowie den Militärsektor den deutschen Bedürfnissen unterordnete, und deutschen Beratern, die den nationalsozialistischen Einfluss ausweiten sollten, manifestiert. Zudem wird das „Diktat von Salzburg“ als Argument für diese Deutung herangezogen. Durch dieses wurde im Juli 1940 die slowakische Regierung zugunsten stärker deutschfreundlich orientierter Kräfte umgebildet. Folglich wird die Slowakei als Vasallen- oder Satellitenstaat des Deutschen Reiches bezeichnet.5 Dagegen wird in einer neuen Studie zur deutschen Beratertätigkeit deutlich, dass die slowakische Führung sehr wohl über ausreichenden Spielraum verfügte, um einen autoritären Nationalstaat aufzubauen.6 Bis zum Aufstand im Jahr 1944 befanden sich zudem lediglich in einer Militärzone in der Westslowakei deutsche Truppen im Land. Das slowakische Regime konnte sich rasch etablieren. Innerhalb der Volkspartei kam es zwar zu Richtungskämpfen zwischen dem konservativ-autoritären Flügel um Staatspräsident Tiso, der einen katholisch geprägten Ständestaat anstrebte, und dem radikal-faschistischen Flügel um Ministerpräsident Vojtech Tuka, der sich stark an Deutschland orientierte. Trotz dieser Auseinandersetzung, in der sich das Tiso-Lager spätestens bis 1942 durchsetzen konnte, überwogen letztendlich die Gemeinsamkeiten: Im Zentrum stand ein „autoritäres Staatsverständnis“ mit nationalistischer Ausrichtung.7 Die im Herbst 1938 begonnene Gleichschaltung der slowakischen Gesellschaft setzte sich durch Zensur und Verbote fort. Bis zum Sommer 1944 war der Widerstand in der Slowakei somit in erster Linie gegen das autoritäre Regime und erst darüber hinaus gegen die deutsche „Schutzmacht“ gerichtet. Er muss freilich in einem größeren Kontext betrachtet werden. Dies betrifft zum einen sein Verhältnis zur tschechoslowakischen Idee, also der Zielsetzung, die ČSR wieder zu errichten. Diese manifestierte sich insbesondere in der Auslandsaktion um den ehemaligen Präsidenten Edvard Beneš, der in London eine Exilregierung 4

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Gebhart u. Kuklík, Druhá republika, S. 224–250. Zum Protektorat vgl. Tomáš Pasák: Pod ochranou Říše [Unter dem Schutz des Reiches]. Prag 1998. Ľubomír Lipták: Slovakia in the 20th Century. In: A Concise History of Slovakia. Hrsg. v. Elena Mannová. Pressburg/Bratislava 2000, S. 241–305, hier S. 260. Eine kritische Einschätzung dieser Deutung bietet: Tatjana Tönsmeyer: Kollaboration als handlungsleitendes Motiv? Die slowakische Elite und das NS-Regime. In: Kooperation und Verbrechen. Formen der „Kollaboration“ im östlichen Europa 1939–1945. Göttingen 2003, S. 25–54, hier S. 27f. und 35. Dies.: Das Dritte Reich und die Slowakei 1939–1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn. Paderborn u. a. 2003, S. 320 und 334. Ebenda, S. 95.

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aufbaute.8 Zum anderen müssen die unterschiedlichen Formen des Widerstands sowie die Planungen zum Aufstand im Rahmen der militärischen und politischen Entwicklung während des Zweiten Weltkriegs gesehen werden. Die beiden wichtigsten Kreise des Widerstands waren die aus mehreren Gruppen bestehende bürgerlich-demokratische sowie die kommunistische Bewegung.9

Der bürgerliche und sozialdemokratische Widerstand Der bürgerliche und sozialdemokratische Widerstand stand mit der tschechoslowakischen Auslandsbewegung in Verbindung und baute Kontakte zum tschechischen Widerstand im Protektorat auf. 1941 entstand die Gruppe „Flora“, die über Kontaktleute in slowakischen Behörden, der Diplomatie und der Armee verfügte und bis 1944 als eine der stärksten Gruppen angesehen werden kann. Sie sah sich als Gegengewicht zum kommunistischen Widerstand. Ihre Hauptaktivitäten lagen in der Übermittlung von Informationen aus der Slowakei und dem angrenzenden Protektorat an die tschechoslowakische Exilregierung, in der Unterstützung von Flüchtlingen aus dem Protektorat und dem Kontakt zur dortigen Widerstandsbewegung. Der Versuch der „Flora“, ihren Einfluss auf die slowakische Gesellschaft durch die Verbindung zu anderen Widerstandskreisen zu erhöhen, scheiterte vor allem an ihrem politischen Standpunkt. In ihren Verlautbarungen trat sie offen für das Konzept einer einheitlichen tschechoslowakischen Nation ein. Sie unterschätzte dabei die Auswirkungen des Wandels, zu dem es in der slowakischen Gesellschaft spätestens seit 1938/39 gekommen war.10 Ähnlich erging es einer aus der Agrarpartei hervorgegangenen, ebenfalls tschechoslowakisch orientierten Gruppe um Vavro Šrobár, die im Ausland über gute Kontakte, im Land selbst jedoch nur über begrenzten Einfluss verfügte. Daneben existierten der sozialdemokratische Widerstand11 und mehrere kleinere Gruppierungen, wie die „Justícia“, die sich mehrheit-

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Zum tschechisch-slowakischen Verhältnis im Widerstand vgl. Jan Rychlík: Češi a Slováci ve 20. století. [Tschechen und Slowaken im 20. Jahrhundert]. Bd. 1: Česko-slovenské vztahy 1914– 1945 [Die tschechisch-slowakischen Beziehungen 1914–1945]. Pressburg/Bratislava 1997, S. 212–220. Ivan Kamenec: Koncepcie a ciele protifašistického odboja na Slovensku [Konzeptionen und Ziele des antifaschistischen Widerstands in der Slowakei]. In: SNP v pamäti národa. Materiály z vedeckej konferencie k 50. výročiu SNP [Der slowakische Nationalaufstand im Gedächtnis der Nation. Materialien von der wissenschaftlichen Konferenz zum 50. Jahrestag des slowakischen Nationalaufstands]. Pressburg/Bratislava 1994, S. 135–148, hier S. 136. Zlatica Zudová-Lešková: Československý demokratický odboj na Slovensku od leta 1941 do decembra 1943. Odbojové skupiny Flóra a Justícia [Der tschechoslowakische demokratische Widerstand in der Slowakei vom Sommer 1941 bis Dezember 1943. Die Widerstandsgruppen Flora und Justicia]. In: Historie a vojenství 44 (1995) Heft 4, S. 50–78, hier S. 51ff. und 57ff. Karol Fremal: Protifašistický odboj československej sociálnodemokratickej strany robotníckej na Slovensku v rokoch 1939–1944 [Der antifaschistische Widerstand der tschechoslowakischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Slowakei in den Jahren 1939–1944]. In: Historický časopis 40 (1992), S. 664–675. Der ebenfalls tschechoslowakisch ausgerichtete sozialdemokratische Widerstand publizierte illegale Schriften und bemühte sich um Auslandskontakte. Seit 1943 kam es zu einer engeren Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Widerstand, während des Aufstands zur Vereinigung beider Parteien.

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lich aus in der Slowakei lebenden Tschechen zusammensetzte und für politische Gleichberechtigung von Tschechen und Slowaken warb.12

Der kommunistische Widerstand Die Kommunisten hatten bis zum Frühjahr 1939 eine illegale Parteiorganisation aufgebaut. Sie unterschied sich nicht nur aufgrund ihrer in den ersten Jahren noch unklaren Ausrichtung auf Moskau von den anderen Widerstandsgruppen, sondern auch durch ihre zu Beginn der vierziger Jahre erhobene Forderung nach einer „sowjetischen Slowakei“.13 Tätig wurden die Kommunisten zunächst durch die Herausgabe illegaler Schriften sowie die Koordination von Streiks. Seit 1943 konnten sie ihre Organisation verbessern und die Aktivitäten von Partisanen, die sich zunächst auf Sabotageakte beschränkten, unterstützen.14 Vor 1943 kam es zu keiner planmäßigen Zusammenarbeit zwischen den Widerstandsgruppen. Dies lag an den unterschiedlichen Zielsetzungen, die von einem Wandel des politischen Systems über die Wiedererrichtung der ČSR bis zur engen Anbindung an die Sowjetunion reichten, aber auch an der Schwierigkeit, konspirative Tätigkeiten zu koordinieren. Zudem fehlte es in der ersten Kriegshälfte an Akzeptanz in der Bevölkerung, die dem autoritären Regime zunächst positiv oder zumindest nicht ablehnend gegenüberstand.15 Schließlich schränkten auch der Zentrale Staatsicherheitsdienst sowie die paramilitärische Organisation der Volkspartei, die Hlinka-Garde, regimefeindliches Handeln ein. Wegen staatsfeindlicher Aktivitäten kamen bis zum Jahr 1943 mehrere tausend Bürger in slowakische Gefängnisse und Arbeitslager.16 Aus kommunistischer Sicht zählten neben den erwähnten Aktivitäten auch andere Protestformen zum antifaschistischen Widerstand, wie z. B. Streiks, zu denen es vor allem im Jahr 1940 im mittelslowakischen Bergbaugebiet kam,17 und das Verhalten slowakischer Soldaten, die 1939 ihren Unwillen äußerten, am Krieg gegen Polen teilzunehmen, und die im Krieg gegen die Sowjetunion seit 1941 als unzuverlässig galten

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Zudová-Lešková, Československý demokratický odboj, S. 69 f. Anna Josko: Die Slowakische Widerstandsbewegung. In: Geschichte der Tschechoslowakei 1918–1948. Hrsg. v. Victor S. Mamatey und Radomír Luža. Wien, Köln u. a. 1980, S. 385– 408, hier S. 390; Dejiny Slovenska [Geschichte der Slowakei). Bd. V (1918–1945). Hrsg. v. Samuel Campel. Pressburg/Bratislava 1985, S. 392–395. Die vor allem 1940/41 erhobene Forderung nach einer „sowjetischen Slowakei“ wurde später fallengelassen. Dejiny Slovenska Bd. V, S. 394, 397 f. und 413. Seit 1943 nahm der sowjetische Einfluss auf den kommunistischen Widerstand zu, nachdem der relativ autark agierenden Führung um Gustáv Husák und Ladislav Novomeský mit Karol Šmidke und Karol Bacilek zwei slowakische Kommunisten aus Moskau zur Seite gestellt worden waren. Ľubomír Lipták: Das politische System der slowakischen Republik 1939–1945. In: Autoritäre Regime in Ostmittel- und Südosteuropa 1919–1944. Hrsg. v. Erwin Oberländer. Paderborn u. a. 2001, S. 299–333, hier S.325f. Lipták spricht in diesem Kontext - im Vergleich mit der Situation in den von Deutschland besetzten Gebieten – vom „kleineren Übel“. Ebenda, S. 324; Josko, Die slowakische Widerstandsbewegung, S. 387. Zu den Streiks in der Mittelslowakei vgl.: Dejiny Slovenska Bd. V, S. 397 f.; Lipták, Slovakia in the 20th Century, S. 266.

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oder im weiteren Kriegsverlauf sogar desertierten.18 An beiden Feldzügen beteiligte sich die Slowakei aufgrund des Bündnisses mit Deutschland mit eigenen Verbänden.19 Geht man von einem Widerstandsbegriff aus, der darin eine planmäßige, auf die Veränderung der bestehenden Verhältnisse gerichtete Handlung sieht, so sind die erwähnten Vorkommnisse eher als Ausdruck einer punktuell vorhandenen Resistenz anzusehen. Die Streiks ebbten ab, als sich die materiellen Bedingungen aufgrund der einsetzenden Kriegskonjunktur verbesserten. Das Verhalten der slowakischen Soldaten wiederum muss auch im Zusammenhang mit dem Kriegsverlauf gesehen werden. Gegen die von deutschen Stellen betriebene Deportation und Ermordung der slowakischen Juden kam es allerdings nur zu begrenzten Interventionen.20

Der Aufstand 1944 Aufgrund der Annäherung zwischen der tschechoslowakischen Exilregierung und der Sowjetführung sowie des Kriegsverlaufs, der den Einfluss der Sowjetunion in Ostmitteleuropa steigen ließ, setzte auch im slowakischen Widerstand ein Wandel ein. Im Dezember 1943 kam es zum „Weihnachtsabkommen“ zwischen den Kommunisten, den Sozialdemokraten und dem bürgerlichen Widerstand. Darin einigte man sich auf die Planung eines Aufstands und die Bildung eines „Slowakischen Nationalrats“ (Slovenská národná rada). Vereinbart wurde die Bekämpfung des Tiso-Regimes und der deutschen Vorherrschaft sowie die Wiedererrichtung der ČSR, in der jedoch im Unterschied zur Zeit bis 1938 Tschechen und Slowaken als gleichberechtigte Nationen gelten sollten. Zudem wurde die politische Annäherung an die Sowjetunion angestrebt.21 18

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Während der Mobilisierung für den Krieg gegen Polen kam es in vielen Städten zu Protesten. Im Jahr 1943 nahm die Desertionsrate bei slowakischen Einheiten drastisch zu, was zur Verlegung mehrerer Verbände führte, vgl.: Dejiny Slovenska Bd. V, S. 391 und 407 f.; ferner Wolfgang Venohr: Aufstand in der Tatra. Der Kampf um die Slowakei 1939–1944. Königstein/Ts. 1979, S. 39 und 46–50; Tönsmeyer verweist dagegen darauf, dass sich deutsche Berichterstatter lange Zeit positiv über die slowakischen Truppen äußerten. Zudem waren slowakische Einheiten zusammen mit deutschen Verbänden an Gewaltakten im Rahmen der so genannten Partisanenbekämpfung wie der Aktion „Bamberg“ beteiligt, siehe Tönsmeyer, Kollaboration als handlungsleitendes Motiv?, S. 48. Zum Verhalten der slowakischen Soldaten vgl. Martin Lacko: Dezercie a zajatia príslušnikov Zaisťovacej divízie v ZSSR v rokoch 1942/1943 [Desertion und Gefangennahme von Angehörigen der Sicherungsdivision in der UDSSR in den Jahren 1942/43]. Pressburg/Bratislava 2007. Rolf-Dieter Müller; An der Seite der Wehrmacht. Hitlers ausländische Helfer beim „Kreuzzug gegen den Bolschewismus 1941–1945. Berlin 2007, S. 100–105. Die Slowakei hatte bereits seit 1939 ausgrenzende Maßnahmen gegenüber der jüdischen Bevölkerung betrieben. Nach dem Stopp der Deportationen im Herbst 1942 sorgten kirchliche Proteste dafür, dass diese zunächst nicht wieder aufgenommen wurden. Nach dem Ende des Aufstands wurden sie von deutschen Einheiten jedoch im Herbst 1944 fortgesetzt. Tönsmeyer, Kollaboration als handlungsleitendes Motiv?, S. 49–52. Zur Verfolgung und Ermordung der Juden aus der Slowakei vgl. Ivan Kamenec: Po stopách tragedie [Auf den Spuren der Tragödie]. Pressburg/ Bratislava 1991. Zum Weihnachtsabkommen vgl. Jörg K. Hoensch: Grundzüge und Phasen der deutschen Slowakei-Politik im Zweiten Weltkrieg. In: Studia Slovaca. Studien zur Geschichte der Slowaken und der Slowakei. Hrsg. v. Hans Lemberg, Michaela Marek, Horst Förster, Franz Machilek und Ferdinand Seibt. München 2000, S. 249–280, hier S. 276 f.

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Zum Chef des Militärkommandos wurde Oberstleutnant Ján Golian ernannt, der die Aufstandsplanungen koordinieren sollte. Als Zentrum der Erhebung war die mittelslowakische Region im Dreieck zwischen Banská Bystrica, Zvolen und Brezno vorgesehen, in dem bis zum Spätsommer 1944 Truppen der slowakischen Armee konzentriert wurden. Als hilfreich erwiesen sich hierbei konspirative Verbindungen zur Armee.22 Der Aufstand sollte den sowjetischen Truppen nach der Überwindung der Karpatenpässe ein rasches Vordringen nach Westen ermöglichen. Seit 1943 hatte die allgemeine Ablehnung des Tiso-Regimes und der deutschen Schutzmacht zugenommen. Aktivitäten von Partisanen, die häufig von der Sowjetunion unterstützt wurden, und die immer mehr als unzuverlässig eingeschätzte slowakische Armee machten die Slowakei zu einem Unsicherheitsfaktor innerhalb des deutschen Hegemonialbereichs.23 Von den Initiatoren nicht vorgesehen, wurde ein Zwischenfall in Turčianský Svätý Martin zum auslösenden Moment der Erhebung. Auf dem Rückweg von Rumänien nach Deutschland wurde am 27. August 1944 eine deutsche Militärmission in der mittelslowakischen Stadt von meuternden Truppen verhaftet und am nächsten Tag erschossen.24 Die bereits in den Wochen zuvor erwogene Intervention deutscher Truppen in der Slowakei wurde nun in die Tat umgesetzt. Der deutsche Gesandte in Bratislava/Pressburg, Hans Elard Ludin, und die slowakische Regierung baten um Entsendung deutscher Truppen.25 Am 29. August rief Ján Golian in Banská Bystrica zum Kampf gegen die deutschen Verbände auf. Allerdings hatten sich die äußeren Bedingungen inzwischen geändert. Nach dem Bündniswechsel Rumäniens und Erfolgen der Roten Armee in Südosteuropa hatte eine Angriffsplanung über slowakisches Gebiet für die Sowjetunion an Priorität verloren.26 Während des Aufstands erwies sich die Koordination zwischen dem Slowakischen Nationalrat, den übergelaufenen Armeeverbänden, den Partisanen und der sowjetischen Armee als Problem. So gelang es der von Nordosten einrückenden Wehrmacht bereits in der Anfangsphase, zwei slowakische Divisionen in der Ostslowakei zu entwaffnen und den Kontakt der Aufständischen mit der Roten Armee zu verhindern.27 Der Erhebung in der Mittelslowakei, die anfangs über etwa 20.000 Mann der slowakischen Armee verfügte, schlossen sich Überläufer aus entwaffneten Truppenteilen, zahlreiche slowakische Freiwillige sowie Angehörige anderer Nationen an. Gemäß dem „Weihnachtsabkommen“ agierte der Nationalrat im Aufstandsgebiet als provisorische Regierung. Unter Ausnützung der mittelslowakischen Berglandschaft versuchten 22

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Zur Aufstandsplanung vgl. Václav Štefanský: Ozbrojené povstanie. Plány a realita [Der bewaffnete Aufstand. Pläne und Realität]. In: SNP v pamäti národa, S. 149–155. Klaus Schönherr: Die Niederschlagung des slowakischen Aufstandes im Kontext der deutschen militärischen Operationen, Herbst 1944. In: Bohemia 42 (2001), S. 39–61, hier S. 44 ff. Ebenda, S. 46; Ján Stanislav: Poznámky k represáliám na Slovensku koncom druhej svetovej vojny [Anmerkungen zu den Repressalien in der Slowakei am Ende des Zweiten Weltkriegs]. In: Slovensko na konci druhej svetovej vojny (stav, východiská a perspektivy) [Die Slowakei am Ende des Zweiten Weltkriegs (Stand, Ausgangspunkte und Perspektiven)]. Hrsg. v. Valerián Bystrický und Štefan Fano. Pressburg/Bratislava 1994, S. 207–220, hier S. 210 f. Schönherr, Die Niederschlagung des slowakischen Aufstandes, S. 46 f. Ebenda, S. 43 f. Lipták, Slovakia in the 20th Century, S. 269.

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die aufständischen Truppen, den Vormarsch der deutschen Einheiten aufzuhalten und sich womöglich nach einer Offensive der Roten Armee doch noch mit dieser vereinigen zu können. Den Wehrmachtstruppen gelang es jedoch, den Entfaltungsraum der Befreiungsbewegung entscheidend einzuengen. Die Einnahme des Aufstandszentrums in Banská Bystrica durch die deutsche Kampfgruppe Schill bedeutete am 27. Oktober 1944 nach zwei Monaten das Ende der Erhebung, die brutal niedergeschlagen wurde und der weitere Verfolgungswellen folgten.28 Nach Schätzungen sind dem Aufstand in der Slowakei 7.500 Soldaten, 2.500 Partisanen und knapp 4.000 Zivilisten zum Opfer gefallen.29 Spätestens mit dem Beginn des Aufstands hatte das Tiso-Regime den Rückhalt im eigenen Land endgültig verloren und war in völlige Abhängigkeit zum Deutschen Reich geraten. SS-Truppen gingen in der Folgezeit zusammen mit slowakischen Verbänden sowie dem aus der deutschen Bevölkerungsgruppe in der Slowakei rekrutierten „Heimatschutz“ brutal gegen Partisanen, aber auch gegen Zivilisten vor.30 Nach verlustreichen Kämpfen mit der Wehrmacht gelang es der Roten Armee im November 1944 den Dukla-Pass in den Karpaten zu überqueren und schrittweise die Ostslowakei zu befreien. An den Kämpfen beteiligt war auch das während des Krieges in der UdSSR aufgestellte „Erste Tschechoslowakische Armeekorps“, das im Mai 1945 schließlich über 97.000 Soldaten, darunter etwa 72.000 Slowaken verfügte. Bis zum April 1945 gelang schließlich die vollständige Befreiung der Slowakei.. Bereits am 4. April 1945 wurde im ostslowakischen Košice das Regierungsprogramm für die erneuerte ČSR verkündet.31 Verbindendes Element des ansonsten heterogenen Widerstands war der Kampf gegen das Tiso-Regime und die deutsche „Schutzmacht“. Große Bedeutung innerhalb der verschiedenen Gruppen hatte die Frage nach dem zukünftigen politischen Status der Slowakei,, deren Beantwortung seit 1943 auf die Wiedererrichtung der ČSR hinauslief. Ende 1943 gelang es, die verschiedenen Richtungen des Widerstands zu vereinen. Der im August 1944 ausgelöste Aufstand wurde zu einer „historisch(n) Massenerfahrung“ und sorgte dafür, dass das autoritäre Regime unter Tiso endgültig seinen Rückhalt in der Bevölkerung verlor.32 Unzureichend koordiniert und aufgrund des Zögerns der Sowjetunion konnte der Aufstand jedoch von deutschen Truppen niedergeschlagen werden. Insgesamt stärkte die Revolte aber den Stellenwert der Slowakei in28 29 30

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Schönherr, Die Niederschlagung des slowakischen Aufstandes, S. 47–54. Josko, Die slowakische Widerstandsbewegung, S. 408. Stanislav, Poznámky k represáliám, S. 220. Während des Aufstands war es in der Mittelslowakei auch zur Ermordung von Angehörigen deutscher Nationalität durch Partisanen gekommen, vgl. Michal Schvarc: Masová exekúcia v Sklenom 21. septembra 1944 v širšom dejinnom kontexte [Die Massenexekution in Glaserhau am 21. September 1944 im breiteren historischen Kontext]. In: Pamäť národa 3/3 (2007), S. 4–13.. Lipták, Slovakia in the 20th Century, S. 274. Ders.: Geopolitische Vorstellungen von der Slowakei während des Zweiten Weltkriegs und deren Einfluß auf das Regime und die Widerstandsbewegung. In: Geteilt, besetzt, beherrscht. Die Tschechoslowakei 1938–1945: Reichsgau Sudetenland, Protektorat Böhmen und Mähren, Slowakei. Hrsg. v. Monika Glettler, Ľubomír Lipták und Alena Míšková. Essen 2004, S. 289–310, hier S. 302 f.

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nerhalb der tschechoslowakischen Bewegung, obwohl die deutsche Herrschaft noch nicht beendet werden konnte.

Zur Bewertung und Erforschung nach 1945 Die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus und gegen das eigene autoritäre Herrschaftssystem während des Zweiten Weltkriegs hat in der Slowakei bis heute großen Stellenwert. Im Zentrum der Erinnerung steht dabei der Nationalaufstand 1944. Zahlreiche Städte haben eine Straße oder einen Platz nach ihm benannt.33 Zugleich wurde nach 1989, vor allem aber seit der slowakischen Unabhängigkeit im Jahr 1993 intensiv über den Stellenwert des slowakischen Regimes der Jahre 1939 bis 1945 diskutiert, was sich auch an der kontroversen Bewertung des Widerstands zeigt.34 Die Kommunisten hatten innerhalb des slowakischen Widerstands ein großes Gewicht, das jedoch in der kommunistischen Geschichtsschreibung bis 1989 überbewertet wurde. Der bürgerliche Widerstand, deren Vertreter nach 1948 von der kommunistischen Führung verfolgt wurden, erfuhr dagegen meist eine Vernachlässigung. Die Deutung war zudem einseitig auf den „antifaschistischen Befreiungskampf“ gerichtet, wodurch die politischen Bedingungen in der Slowakei kaum zur Kenntnis genommen wurden.35 Nach 1989 setzte ein Prozess der Neubewertung ein, wobei der Stellenwert des bürgerlich-demokratischen Widerstands neu bestimmt wurde. Zugleich gab es in den 90er Jahren Versuche, Deutungen zu etablieren, die den slowakischen Staat der Jahre 1939–1945 als Vorgänger und Bezugsgröße der heutigen Slowakei ansehen. Diese Ansichten, die den Widerstand als ,antinational‘ betrachten und den Tag des Aufstandsbeginns (der 29. August ist heute in der Slowakei Staatsfeiertag) als „dies ater“ bezeichnen, lösten heftige Kontroversen aus und wurden von einem Großteil der Historiker abgelehnt.36 In den letzten Jahren wurde verstärkt versucht, Widerstand und Aufstand in den Kontext der europäischen Geschichte einzuordnen.37 Für Kontroversen sorgten zuletzt Darstellungen zum Aufstand, die die Rolle der Partisanen und der

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Ders.: Pamätníky a pamäť povstania roku 1944 na Slovensku [Denkmäler und Gedenken an den Aufstand des Jahres 1944 in der Slowakei]. In: Historický Časopis 43 (1995), S. 363–369. Zur sich verändernden Deutung vgl. Elena Mannová : Piruety v inscenov áni minulosti. Slovenské národni povstánie v proměnách času [Piruetten in der inszenierten Vergangenheit. Der slowakische Nationalaufstand im Wandel der Zeit]. In: Dějiny a současnost. 30/8 (2008), S. 37– 40. Vgl. als Beispiel aus den 80er Jahren: Dejiny Slovenského národného povstania 1944 [Geschichte des slowakischen Nationalaufstands 1944]. 5 Bde. Pressburg/Bratislava 1984. Zur kommunistischen Deutung sowie dem Wandel nach 1989 vgl.: Jablonický, Jozef: Slovenské národné povstanie a tri etapy jeho hodnotenia [Der slowakische Nationalaufstand und die drei Etappen seiner Bewertung]. In: Historický Časopis 39 (1991), S. 449–456. Als Beispiel vgl.: Dies ater. Nesťastný deň 29. august 1944 [Dies ater. Der unglückliche Tag 29. August 1944]. Hrsg. v. Peter Bielik und Peter Mulík. Pressburg/Bratislava 1994. Zur Kritik an diesen Deutungen vgl. Jozef Jablonický: Glosy o historiografii SNP. Zneužívanie a falšovanie dejín SNP [Glossen über die Geschichte des SNP. Die missbrauchte und gefälschte Geschichte des SNP]. Pressburg/Bratislava 1994, S. 144–150. Lipták, Das politische System, S. 332f. SNP 1944 - vstup Slovenska do demokratickej Európy [SNP 1944 - Eintritt der Slowakei in das demokratische Europa]. Hrsg. v. Dezider Tóth u. a. Banská Bystrica 1999.

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Sowjetunion kritisch bewerteten.38 Eine weitere Erforschung des Verhältnisses des Widerstands zur slowakischen Gesellschaft könnte einen präziseren Blick auf seine Zielsetzungen und Möglichkeiten wie auch auf die Eigenschaften des damaligen Regimes ermöglichen.

Hinweise zu Quellen und Literatur Die Widerstandsforschung in der Slowakei konzentriert sich sehr stark auf den Nationalaufstand. Eine wichtige Institution ist dabei das „Museum des Slowakischen Nationalaufstands“ in Banská Bystrica. An Quellensammlungen sind zwei ältere von Vilém Prečan herausgegebene Bände zu nennen.39 Generell ist auch auf die Darstellungen von Ivan Kamenec und Jozef Jablonický zur politischen Entwicklung der Slowakei während des Zweiten Weltkrieges sowie auf zwei neuere Publikationen jüngerer Historiker zu verweisen.40

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Zuletzt Martin Lacko: Slovenské národné povstanie 1944 [Der slowakische Nationalaufstand 1944]. Pressburg/Bratislava 2008. Slovenské národné povstanie. Dokumenty [Der slowakische Nationalaufstand. Dokumente]. Hrsg. v. Vilém Prečan. Pressburg/Bratislava 1965; SNP. Nemci a Slovensko [Der SNP. Die Deutschen und die Slowakei]. Hrsg. v. Vilém Prečan. Pressburg/Bratislava 1971; Sicherheitsdienst a Slovensko v rokoch 1938–1944 (od autonomie po povstanie) [Der Sicherheitsdienst und die Slowakei in den Jahren 1938–1944 (von der Autonomie bis zum Aufstand)]. Hrsg. v. Michal Schwarc. Pressburg/Bratislava 2006. Ivan Kamenec: Slovenský stát [Der slowakische Staat]. Prag 1992; Jozef Jablonický: Z ilegality do povstania [Von der Illegalität zum Aufstand]. Pressburg/Bratislava 1969; Slovensko a druhá svetová vojna [Die Slowakei und der Zweite Weltkrieg]. Pressburg/Bratislava 2000. Einen kritischen Blick auf Teilaspekte des Aufstands bietet: Slovenská republika 1939–1945 očami mladých historikov III. Povstanie roku 1944 [Die Slowakische Republik 1939–1945 in den Augen junger Historiker III. Der Aufstand des Jahres 1944]. Hrsg. v. Martin Lacko. Trnava 2004. Zur neueren Geschichtsschreibung zum slowakischen Staat: Tatjana Tönsmeyer: Vom „Recht auf die eigene Geschichte“ – Der Slowakische Staat 1939 bis 1945 in der Historiographie. In: Bohemia 44 (2003), S. 356–369.

IV. Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa

Besetzte jugoslawische Gebiete Kroatien, Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina Holm Sundhaussen

Die Kriegsereignisse1 Hitlers Überfall auf Jugoslawien in den Morgenstunden des 6. April 1941 endete nach einem elftägigen „Blitzkrieg“ mit der „bedingungslosen Kapitulation“ des ersten jugoslawischen Staats. Da das „Dritte Reich“ den Besatzungsaufwand möglichst gering halten wollte, wurde das innerlich zerrüttete „Königreich Jugoslawien“ aufgelöst und zwischen Deutschland und seinen Verbündeten in ein buntes Mosaik annektierter, besetzter und scheinsouveräner Gebiete aufgeteilt. Das Deutsche Reich verleibte sich den nördlichen und östlichen Teil Sloweniens ein. Das südliche Slowenien sowie ein Teil Dalmatiens fielen an Italien. Kroatien und Bosnien-Herzegowina bildeten den „Unabhängigen Staat Kroatien“. Montenegro sollte als Staat unter italienischem Schutz wieder auferstehen, während Kosovo und ein Teil Westmakedoniens an das italienisch beherrschte „Großalbanien“ fielen. Der Hauptteil Makedoniens und ein Winkel Südostserbiens wurden von den Bulgaren annektiert. Restserbien – etwa in den Grenzen vor den Balkankriegen 1912/13 – unterstand ebenso wie die „Kornkammer“ Banat der Militärverwaltung des „Dritten Reiches“. Die Batschka und die Baranja sowie ein Zipfel im äußersten Nordwesten Jugoslawiens wurden an Ungarn zurückgegliedert, zu dem sie bis 1918 gehört hatten. Die „Neuordnung“ Jugoslawiens war das Ergebnis improvisierter Entscheidungen Hitlers seit dem Putsch serbischer Generäle gegen den Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt am 27. März 1941. Ein vorgefasster Plan existierte nicht. Neben dem Bestreben, den Großteil der deutschen Truppen so schnell wie möglich aus Jugoslawien wieder abzuziehen sowie die kriegswichtigen Rohstoffvorkommen und die strategisch bedeutsamen Nachschubwege zu sichern, ließ sich Hitler vor allem von seinen antiserbischen Affekten leiten, die aus dem Ersten Weltkrieg stammten und durch den Umsturz der serbischen Generäle wieder belebt worden waren. Das Verhalten der Bevölkerung nach Zerschlagung des jugoslawischen Vielvölkerstaats wurde im Wesentlichen durch drei Faktoren geprägt: 1. die Politik der jeweiligen Besatzungsmacht, 2. die nationale Frage und 3. die politisch-ideologischen Gegensätze. Hinzu kamen die individuellen Dispositionen der Menschen in einem breiten Spektrum, das von bedingungsloser Kollaboration über bedingte Kooperation, Abwarten und Verweigerung bis hin zum aktiven Widerstand reichte. Einer der wichtigsten Unterschiede in den Reaktionsweisen der Bevölkerung verlief entlang nationaler Abgrenzungen: Während die Kroaten und eine Reihe nationaler Minderheiten (Deutsche, 1

Zu den Grundzügen der Geschichte Jugoslawiens im Zweiten Weltkrieg vgl. Holm Sundhaussen: Experiment Jugoslawien. Von der Staatsgründung bis zum Staatszerfall. Mannheim u.a. 1993, S. 65–93.

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Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa

Ungarn, Albaner) den untergegangenen Staat – mehr oder minder stark – als „Vielvölkerkerker“ empfunden hatten und sich durch die Zerschlagung Jugoslawiens in ihren nationalen Ambitionen bestärkt sahen, empfanden sich Serben und Slowenen in ihrer nationalen Existenz bedroht. Erstere neigten folglich stärker zu Kollaboration oder Kooperation, während Letztere eine Disposition zu passivem oder aktiven Widerstand entwickelten. Angesichts der Tatsache, dass die Serben mit über sechs Millionen Menschen, das entsprach knapp 43 Prozent der Gesamtbevölkerung, die mit Abstand stärkste Gruppe im alten Jugoslawien dargestellt hatten, fiel ihrem Verhalten eine Schlüsselrolle zu. Im deutschen Besatzungsgebiet Serbien lebten 3,8 Millionen Menschen, die zu über 90 Prozent Serben waren. In dem von Hitler und Mussolini neu geschaffenen „Unabhängigen Staat Kroatien“ (USK) waren annähernd zwei Millionen Serben beheimatet. Der Rest der Serben verteilte sich auf die zwischen Ungarn und dem „Dritten Reich“ geteilte Wojwodina sowie auf die restlichen Teile Jugoslawiens. Schon unmittelbar nach Proklamierung des USK am 10. April 1941 begannen die neuen Machthaber, die kroatisch-faschistischen Ustasche unter Führung von Ante Pavelić, mit drakonischen Serbenverfolgungen. So wie Hitler ein „judenfreies“ Europa anstrebte, so kämpften Pavelić und seine Gesinnungsgenossen für ein „serbenfreies“ Großkroatien. Die ethnischen Säuberungen erreichten bereits nach wenigen Wochen völkermordartige Dimensionen. Der Chef des deutschen Verwaltungsstabes in Belgrad, SS-Gruppenführer Harald Turner, teilte in einem Bericht vom 3. September 1941 an den Wehrmachtbefehlshaber Südost mit, dass in den knapp vier Monaten seit Beginn der Ustascha-Herrschaft mehr als 100.000 Serben aus dem USK in das deutsche Besatzungsgebiet Serbien vertrieben worden seien: „Diese Menschen, die in ungezählten Fällen selbst Zeugen der bestialischen Hinmordung ihrer Angehörigen waren, hatten nichts mehr zu verlieren, konnten, da die Abschiebung auch ohne jede Anmeldung erfolgte, nicht aufgefangen und untergebracht werden und gesellten sich zu den Kommunisten in die Wälder und Gebirge. (...) Nach hier vorliegenden Meldungen sind allein in Kroatien rd. 200.000 Serben ermordet worden.“2 Die Einzelheiten des Vernichtungskrieges der Ustasche gegen die Serben können hier nicht behandelt werden. Mehr als 320.000 Serben in Kroatien und Bosnien-Herzegowina wurden zwischen 1941 und 1945 Opfer der von Hitler geduldeten, ja ermunterten Exzesse der Ustasche sowie des anschließenden Bürgerkriegs. Viele der Serben, die durch Flucht oder Vertreibung in das deutsche Verwaltungsgebiet den Massenmorden in Kroatien entkommen waren, schlossen sich einer Widerstandsbewegung an. Zur ersten Aktion gegen die Besatzungsmacht in Serbien war es schon am 21. April 1941 bei der Durchsuchung des Ortes Dobrić im Nordwesten gekommen, wobei ein deutscher Offizier getötet und zwei Soldaten verletzt worden waren. Die Truppe hatte daraufhin den Ort niedergebrannt. Am 28. April gab der Oberbefehlshaber der 2. Armee folgende Anweisung: „Tritt in einem Gebiet eine bewaffnete Bande auf, so sind auch die in der Nähe der Bande ergriffenen wehrfähigen Männer zu erschießen. [...] Sämtliche Erschossenen sind aufzuhängen, ihre Leichen sind hängen zu lassen. [...] In 2

Zit. nach Ladislaus Hory/Martin Broszat: Der kroatische Ustascha-Staat 1941–1945. Stuttgart 1964, S. 108.

Besetzte jugoslawische Gebiete Kroatien, Serbien etc.

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jeder von Truppen belegten Ortschaft des gefährdeten Gebiets sind sofort Geiseln (aus allen Bevölkerungsschichten) festzunehmen, die nach einem Überfall zu erschießen und aufzuhängen sind.“3 Zunächst war für die Vertreter der Besatzungsmacht nicht erkennbar, wer die Drahtzieher der Überfälle und Sabotageakte waren. Ab Anfang Juli 1941, nachdem Moskau zum Befreiungskampf gegen die Besatzungsmächte und zur Unterstützung „des gerechten Kampfes der sowjetischen Völker“ aufgerufen hatte, berichteten deutsche Dienststellen vermehrt über „bewaffnete Banden“ in Serbien, die von „Kommunisten“ organisiert worden seien. Die Zahl der registrierten Überfälle stieg von 97 im Juli 1941 auf 892 im September 1941. Zu diesem Zeitpunkt zählten die kommunistischen Partisanen in Serbien bereits 15.000 Mann. Die drei deutschen Besatzungsdivisionen besaßen keinerlei Kampferfahrung und verfügten nicht über die erforderliche Ausrüstung. Auch die serbische Gendarmerie, die nach Einsetzung einer provisorischen serbischen Regierung unter „Ministerpräsident“ Milan Nedić auf 5000 Mann verstärkt und von verschiedenen kollaborationsbereiten Gruppierungen unterstützt wurde, war schlecht ausgerüstet und wurde zum bevorzugten Angriffsziel der Partisanen. Im September 1941 gelang es Guerillakämpfern, die westserbische Stadt Užice mit einer intakten Waffenfabrik einzunehmen. Unmittelbar darauf verlegten der „Oberste Stab“ der Partisaneneinheiten und das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) mit Josip Broz Tito an der Spitze ihren Sitz in die Stadt. Die „Republik von Užice“ fungierte nun als Zentrum des kommunistisch gesteuerten Widerstands. Zum Monatswechsel September-Oktober 1941 befand sich bereits ganz Serbien westlich der Linie Belgrad-Kraljevo unter der Kontrolle der Aufständischen. Parallel zum kommunistischen formierte sich auch eine serbisch-nationalistische Widerstandsbewegung. Eine kleine Gruppe von Offizieren und Unteroffizieren der jugoslawischen Armee unter Führung von Dragoljub (Draža) Mihailović hatte sich anlässlich der Kapitulation geweigert, die Waffen zu strecken, und war in die zentralserbische Bergregion Ravna Gora zwischen Valjevo und Čačak ausgewichen. Hier bauten sie das Kommando der „Četnik-Verbände der Jugoslawischen Armee“ auf und schufen eine organisatorische Basis für den künftigen Widerstand. Das schwer zugängliche Waldgebirge wurde zum Hauptstützpunkt und war Ausgangspunkt für die Vorbereitung und Durchführung der von einer wachsenden Zahl lokaler Widerstandsnester ausgehenden bewaffneten Kommandounternehmen gegen Einrichtungen der Besatzungsmacht. Organisatorisch lehnte sich diese Widerstandsbewegung an die traditionellen serbischen Guerillaformationen seit Ende des 19. Jahrhunderts an. Die von Mihailović wiederbelebte Četnik-Bewegung hatte einen sicheren Rückhalt bei der konservativen, ländlichen Bevölkerung Serbiens. Mihailović rechnete fest mit der Eröffnung einer zweiten Front der Alliierten im Balkanraum. Bis dahin sollte sowohl eine schlagkräftige Organisation aufgebaut als auch die Position der Besatzungsmächte durch Sabotageakte geschwächt werden. Offenen, breit angelegten Widerstand lehnte Mihailović in der Vorbereitungsphase ab, da er die serbische Bevölkerung vor den dann zu erwartenden Repressalien bewahren wollte. 3

BA-MA Freiburg, RH 20–2/252 (AOK 2, E 252/2).

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Als Monarchisten und serbische Nationalisten strebten Mihailović und seine Gefolgsleute eine Restauration des früheren jugoslawischen Regimes, die Bildung eines vergrößerten Jugoslawien und darin eines „ethnisch reinen Großserbien“ an.4 Auch wenn die konkreten politischen Ziele, darunter die Umsiedlung und Vertreibung von „nationalen Minderheiten“ und „a-nationalen Elementen“ (insgesamt rund 2,7 Millionen Menschen) aus „Großserbien“ und Jugoslawien gegenüber der Öffentlichkeit kaschiert wurden, war die nationalserbische Stoßrichtung und das Verlangen nach Kollektivbestrafung der einheimischen „Aggressoren und Kollaborateure“ (dazu zählte man Kroaten, Albaner, bosnische Muslime und Jugoslawiendeutsche) offensichtlich. „Großserbien“, „serbische Hegemonie auf dem Balkan“, „serbische Wiedergeburt“ und „Rache an den Verrätern“ waren Schlüsselbegriffe im Selbstverständnis der Četniks. Die Folge war eine weitere Verschärfung der nationalen Gegensätze zwischen Serben auf der einen und Kroaten, bosnischen Muslimen und Albanern auf der anderen Seite. Mit seiner Taktik des „Attentismus“ geriet Mihailović bald in Konflikt zur kommunistischen Widerstandsbewegung. Die restaurative Zielsetzung und nationale Exklusivität der Četnik-Bewegung machte eine Verständigung mit dem kommunistisch und jugoslawisch orientierten Widerstandsflügel – trotz einer kurzen Phase der Zusammenarbeit im Herbst 1941 – aussichtslos. Zwischen der „Offensivtaktik“ der Kommunisten (Widerstand um jeden Preis) und der „Defensivtaktik“ Mihailovićs (Schutz der serbischen Nation vor Repressalien und Warten auf den alliierten Großangriff) gab es ebenso wenig einen Kompromiss wie zwischen Revolution und Restauration. Die abgrundtiefen Gegensätze zwischen den nationalen Konzepten und politischen Ideologien der beiden Widerstandsbewegungen rückten den Kampf gegen den gemeinsamen Feind – zumindest bei den Četniks – mehr und mehr in den Hintergrund. Da es keinen Grundkonsens über die Nachkriegsordnung gab, spielte der Kampf um die künftige Macht für beide Seiten eine zunehmend wichtigere Rolle. Die Frontbildung innerhalb des Widerstands wurde seit Ende 1941 unüberbrückbar. Im Unterschied zur Mihailović-Bewegung nahmen die Tito-Partisanen die Vergeltungsmaßnahmen der Besatzungsmacht nicht nur als unvermeidbares Übel hin, sondern erblickten darin sogar eine Möglichkeit zur Radikalisierung der Bevölkerung. Je unerträglicher die Lebensbedingungen und die Repressalien wurden, desto leichter fiel es den Funktionären der KPJ, die Empörung in der Bevölkerung zu schüren. Im September 1941 traf die kampferprobte 342. deutsche Infanteriedivision in Serbien ein. Sie hatte die Aufgabe, durch schwerpunktmäßiges Vorgehen gegen die Brennpunkte der Rebellion eine militärische Wende zu erzwingen. Mit der „FührerWeisung Nr. 31a“ vom 16. September 1941 erhielt der „Wehrmachtbefehlshaber Südost“, Feldmarschall Wilhelm List, den Befehl, die „Aufstandsbewegung im Südostraum“ niederzuschlagen und „mit den schärfsten Mitteln die Ordnung wiederherzustellen“.5 Am gleichen Tag erließ Generalfeldmarschall Keitel als Chef des OKW den 4

5

Instrukcija Draže Mihailovića, 20.12. 1941. In: Zbornik dokumenata i podataka o Narodnom oslobodilačkom ratu naroda Jugoslavije. Bd. XIV, 1, Belgrad 1949 ff., S. 93 ff.; Dokumenti o izdajstvu Draže Mihailovića. Beograd 1945, S. 12 f. Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939–1945. Dokumente des OKW. Hrsg. v. Walther Hubatsch. München 1965, S. 149 f.

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berüchtigten „Sühnebefehl“ Nr. 888, mit dem die Hinrichtung von 50 bis 100 Zivilpersonen für einen aus dem Hinterhalt getöteten deutschen Soldaten angeordnet wurde.6 In Ausführung dieses Befehls kam es im Oktober 1941 zu mehreren Massenhinrichtungen, deren Opfer vor allem Juden, Roma, „Kommunisten“ und national gesinnte Bürger wurden. Keiner der Hingerichteten stand zu den Vorfällen, die „gesühnt“ werden sollten, in irgendeiner Beziehung. Vielmehr wurden Partisanenbekämpfung und Vernichtung der Juden bewusst miteinander verknüpft. So wurden am 21. Oktober 1941 in der zentralserbischen Stadt Kragujevac rund 2.300 Zivilisten, darunter Schüler und Lehrer des örtlichen Gymnasiums sowie Juden, von Einheiten der deutschen Wehrmacht als „Vergeltung“ für einen in der Umgebung ausgeführten Partisanenüberfall erschossen. Die deutsche Kreiskommandantur wies in ihrem Tätigkeitsbericht darauf hin, dass es in Kragujevac keinen einzigen Anschlag auf Wehrmachtsangehörige oder „Volksdeutsche“ gegeben habe, die Bürgerschaft sich vielmehr stets loyal und zur Zusammenarbeit bereit gezeigt habe. „Eine Erschießung zum Teil völlig Unschuldiger aus hiesiger Stadt kann nach meinem Dafürhalten direkt verheerende Auswirkungen haben.“7 Dennoch wurden die Aktionen fortgesetzt. Am 29. November 1941 eroberten deutsche Truppen auch die Stadt Užice zurück. Tito und sein „Oberster Stab“ flohen Hals über Kopf nach Süden in den italienisch besetzten Sandžak. Dabei konnte Tito nur mit wenigen Minuten Vorsprung entkommen.8 In einer Gesamtmeldung des Kommandierenden Generals für die Zeit vom 1. September 1941 bis zum 12. Februar 1942 wurde die Zahl der Opfer von „Sühnemaßnahmen“ auf über 20.000 beziffert.9 Obwohl die Vergeltungsquote im Dezember 1941 um die Hälfte herabgesetzt wurde, nahm die Anzahl der Massenhinrichtungen und die Zwangseinweisungen in Konzentrationslager nur langsam ab. Die Härte der deutschen Vergeltungsmaßnahmen auf der einen und die mangelnde deutsche Unterstützung für die zur Kooperation mit NS-Deutschland bereiten Serben (in Gestalt der einheimischen Nedić-Administration, der Serbischen Staatswache, des Serbischen Freiwilligen-Korps oder der „legalen“ Četniks des Kosta Pećanac) auf der anderen Seite erschwerten die nachhaltige Befriedung Serbiens. Alle von örtlichen Vertretern der deutschen Besatzungsmacht vorgetragenen Vorschläge für eine tiefgreifende „politische Lösung“ (Stärkung der Nedić-Regierung, Zusammenarbeit mit den Četniks Mihailovićs und Beseitigung des Ustascha-Regimes im USK) scheiterten an der Serbophobie und Ignoranz Hitlers. Gleichwohl flauten die Kämpfe in Serbien nach Zerschlagung der „Republik von Užice“ ab. Bis weit in das Jahr 1944 hinein wurde „der Kampf um die Macht in Serbien hauptsächlich zwischen drei Parteien ausgetragen (...): dem nationalserbischen Widerstand, der deutschen Besatzungsmacht und der 6

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8

9

IMT, Bd. XXV, S. 530 ff.: Dok. PS-389; Zbornik dokumenata i podataka, Bd. I. 1, Dok. 159, S. 431 f. Zit. nach Karl-Heinz Schlarp: Wirtschaft und Besatzung in Serbien 1941–1944. Stuttgart 1986, S. 159 f. Klaus Schmider: Partisanenkrieg in Jugoslawien 1941–1944. Hamburg u. a. 2002, S. 80, betont, dass „bei einem Vorstoß der 342. I[nfanterie]D[ivision] in die italienische Besatzungszone mit hoher Wahrscheinlichkeit [Tito] getötet worden oder in Gefangenschaft geraten wäre“. BA Berlin, MS 201/2: Gutachten über jugoslawischen Staatsangehörigen während der Zeit der deutschen Besatzung entstandene Schäden (1958), S. 36.

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serbischen Regierung.“10 Während die Mihailović-Bewegung weiterhin auf starken Rückhalt in der Bevölkerung rechnen konnte, gelang es Titos „Volksbefreiungsbewegung“ vorerst nicht, in Serbien wieder Fuß zu fassen. Der in der ländlichen Bevölkerung Serbiens tief verankerte Antikommunismus und die Abneigung gegenüber dem von der KPJ propagierten „Jugoslawismus“ hielten die Bürger auf Distanz. Das Zentrum des kommunistischen Widerstands verlagerte sich seit der Jahreswende 1941/42 nach Bosnien-Herzegowina und Montenegro. Das gebirgige, unwegsame Gelände beider Regionen bot ideale Voraussetzung für einen Guerillakrieg. Die multiethnische und multireligiöse Zusammensetzung der Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina, die Ausrottungspolitik der Ustasche gegen die Serben, die Racheaktionen der Četniks an der kroatischen und muslimischen Bevölkerung und die Tatsache, dass nicht nur Montenegro, sondern auch die westliche Hälfte Bosnien-Herzegowinas zur italienischen Besatzungszone gehörten, schufen ganz andere Voraussetzungen für den Widerstand und den Machtkampf zwischen Mihailović und Tito als in Serbien. Die kommunistische „Volksbefreiungsbewegung“, die sich für die Anerkennung und Gleichberechtigung aller jugoslawischen Nationen, für „Brüderlichkeit und Einheit“, für einen künftigen föderativen Staat und für die Rechte der Armen einsetzte, vermochte sowohl Serben wie Kroaten und bosnische Muslime ansprechen, während die Četnik-Bewegung mit ihrem großserbischen Programm nur die Serben erreichte. Der Aktionismus der Tito-Partisanen und ihre effiziente Organisation übten darüber hinaus eine starke Anziehungskraft auf viele Teile der Bevölkerung aus. Hinzu kam, dass die KPJ-Führung bereits am 10. August 1941 die Aufnahme von Nicht-Kommunisten in ihre Partisanenabteilungen sanktioniert hatte,11 ihre kommunistischen Zielsetzungen weitgehend kaschierte und sich nach Kräften bemühte, Gruppen, die entweder noch führerlos waren oder einer Četnik-Organisation angehörten, durch Indoktrination oder Beseitigung der Anführer für die eigene Sache zu gewinnen. Entscheidend für den Anschluss an die jeweilige Widerstandsbewegung dürfte in vielen Fällen gewesen sein, welche Gruppe sich gerade in der Nähe befand und was sie dem neuen Mitglied zu bieten hatte. Ein Wechsel von einem Lager in das andere war – zumindest bei Serben, denen beide Optionen offen standen – keine Seltenheit. Auf der anderen Seite wurde die Position der Tito-Partisanen dadurch erschwert, dass die jugoslawische Exilregierung in London Mihailović am 11. Januar 1942 zum Kriegsminister und zum Kommandanten der „Jugoslawischen Armee in der Heimat“ ernannte und damit zum einzig rechtmäßigen Führer des Widerstands in Jugoslawien ausrief. Auch die Alliierten, einschließlich der UdSSR, erkannten Mihailović und seine Bewegung an, wenngleich die materielle Unterstützung für ihn bescheiden blieb. Weiterhin wirkte sich für Tito erschwerend aus, dass die 2. italienische Armee – sehr zum Unmut Hitlers – mehr oder minder offen mit den Četniks gegen das Ustascha-Regime (und gegen die Partisanen) zusammenarbeitete. Obwohl Pavelić nur dank der Fürsprache Mussolinis bei Hitler an die Macht gelangt war, blieb das italienisch-kroatische Verhältnis infolge der kroatischen Gebietsverluste an der Adria sehr gespannt. Die Zusammenarbeit der Četnik10 11

Schmider, Partisanenkrieg, S. 521. Ahmet Djonlagić, Žarko Atanacković und, Dušan Plenča: Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg. Beograd 1967, S. 52 f.

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Abteilungen mit der italienischen Besatzungsarmee sowie die Verbrechen der Četniks an der Zivilbevölkerung vertieften die nationalen Gräben noch. Bis in das Jahr 1943 hinein hielt Hitler Mihailović für potentiell ebenso gefährlich wie Tito oder sogar für noch gefährlicher. Nach Aufgabe der deutschen El-AlameinStellung in Ägypten und der bevorstehenden deutsch-italienischen Niederlage in Tunis rechnete Hitler mit einer alliierten Landung an der Adria, so dass der Nebenkriegsschauplatz Jugoslawien verstärkt ins Blickfeld der deutschen Führung rückte und die deutsche militärische Präsenz massiv verstärkt wurde. Mit der am 20. Januar 1943 angelaufenen „Operation Weiß“ beabsichtigte die deutsche Führung, in Verbindung mit italienischen und kroatischen Verbänden das Gros von Titos Befreiungsarmee in Südkroatien und Westbosnien zu vernichten sowie die Četniks zu entwaffnen. Drei Wochen benötigte Titos Hauptarmee, um sich durch die italienischen Stellungen über das zentralbosnische Hochland zum Neretva-Fluss durchzuschlagen, wo sie fast einen Monat lang in einen Existenzkampf mit den Četniks verwickelt wurde. Die MihailovićBewegung erlitt in der Schlacht an der Neretva eine schwere Niederlage, von der sie sich nie wieder gänzlich erholte. Der „Operation Weiß“ folgte Mitte Mai 1943 die deutsch-italienische „Operation Schwarz“ gegen die Tito-Verbände im montenegrinischen Raum. Wiederum gelang es der „Volksbefreiungsarmee“ unter schweren Verlusten, die feindliche Umklammerung in der Schlacht am Sutjeska-Fluss zu durchbrechen. Angesichts des massiven deutschen Drucks gaben die italienischen Truppen ihre Zusammenarbeit mit den Četniks auf. Mit den Schlachten an der Neretva und Sutjeska sowie mit Niederlage und Entwaffnung großer Četnik-Verbände waren die Würfel im jugoslawischen Bürgerkrieg endgültig zugunsten Titos gefallen. Zwei weitere Umstände kamen der „Volksbefreiungsbewegung“ zugute. Zum einen konnte sie anlässlich des italienischen Waffenstillstands mit den Alliierten am 3. September 1943 umfangreiche Waffenbestände in ihren Besitz bringen. Zum anderen gelang ihr auch der politische Durchbruch. Auf der zweiten Sitzung des „Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens“ (AVNOJ) vom 29.-30. November 1943 im bosnischen Jajce wurde neben dem künftigen Umbau Jugoslawiens in eine Föderation auch die Gründung einer provisorischen Regierung unter Tito beschlossen. Am 30. November, gerade als die Alliierten zur Konferenz von Teheran zusammentrafen, ließ Tito die getroffenen Beschlüsse an die sowjetische Führung übermitteln. Stalin war darüber wütend und bezeichnete die Bildung der provisorischen Regierung als „Dolchstoß in den Rücken der Sowjetunion“. Überraschenderweise reagierten die Briten sehr viel gelassener. Bereits seit Mitte Mai 1943 befand sich eine britische Militärmission in Titos Hauptquartier, wo sie Zeuge heftiger Kämpfe der Volksbefreiungsarmee gegen die Besatzungsmächte und Četniks geworden war. Ihre Berichte an Churchill verfehlten ihre Wirkung nicht. Auf der Konferenz der „Großen Drei“ in Teheran wurde deutlich, dass die westlichen Alliierten zur militärischen Anerkennung Titos und zur Aufgabe der Unterstützung Mihailovićs bereit waren. Hitler gab daraufhin seinen Widerstand gegen die Zusammenarbeit mit der ČetnikBewegung auf. Die noch verbleibende Zeit bis zum Kriegsende stand im Zeichen einer klaren Frontstellung: Auf der einen Seite standen die deutsche Besatzungsmacht und die Antikommunisten unterschiedlichster Couleur, auf der anderen Seite Titos „Volks-

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befreiungsbewegung“, die schließlich bei Kriegsende als Sieger aus dem Bürgerkrieg hervorging. Rund eine Million Menschen ließen auf diesem Kriegsschauplatz ihr Leben.12 Milan Nedić, der serbische „Ministerpräsident“, wurde Anfang Juni 1945 in Österreich verhaftet und ein halbes Jahr später an die jugoslawischen Behörden ausgeliefert, die ihn als Kollaborateur in Untersuchungshaft nahmen. Am 4. Februar 1946 soll er im Belgrader Gefängnis Selbstmord begangen haben. Mihailović wurde in der Nacht vom 12. zum 13. März 1946 in Ostbosnien gefangen genommen und nach Belgrad überführt, wo er am 15. Juli desselben Jahres als „Kollaborateur und Verräter“ zum Tode verurteilt und zwei Tage später hingerichtet wurde. Pavelić konnte sich durch seine Flucht der Verfolgung entziehen und starb 1956 im spanischen Exil. Tito schließlich agierte bis zu seinem Tod im Mai 1980 als Staatschef der „Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien“.

Historische Bewertung und Forschung in Jugoslawien nach 194513 Ausgangs- und Angelpunkt des zweiten Jugoslawien blieben die Jahre 1941–1945. Sie boten den Stoff für die Ausschmückung der kommunistischen Erfolgsgeschichte. Der zweite jugoslawische Staat verstand sich zwar als Rechtsnachfolger des Königreichs Jugoslawien, bedurfte aber einer völlig neuen Legitimation. Diese konnte nur aus dem jugoslawischen „Volksbefreiungskrieg“ hergeleitet werden. Im Unterschied zu anderen kommunistischen Parteien, die zwar den Wandel der Gesellschaftsordnung, jedoch nicht den von ihnen usurpierten Staat legitimieren mussten, war die KPJ auf das einigende Band des „Volksbefreiungskriegs“ beziehungsweise auf die magische Formel von „Brüderlichkeit und Einheit“ (bratstvo i jedinstvo) angewiesen. Sie brauchte nicht nur eine soziale, sondern auch eine jugoslawische Befreiungsideologie, um die Wiederherstellung Jugoslawiens als Einheit begründen zu können. Die Zustimmung der Bevölkerung wurde aus dem Erfolg der „Volksbefreiungsbewegung“ abgeleitet. Eine offene Auseinandersetzung mit den Kriegsereignissen war deshalb unerwünscht, da sie sowohl den Staat als auch die KPJ als dessen „Schöpfer“ hätte in Frage stellen können. Jugoslawien war das einzige Land unter den neuen „Volksdemokratien“ in Ostmittel- und Südosteuropa, das sich weitgehend aus eigener Kraft befreit und den Systemwechsel ohne Mitwirkung Moskaus bzw. Stalins sondern sogar gegen dessen Fahrplan durchgeführt hatte. Tito und die KPJ wurden damit zu Legenden, nicht nur in Jugoslawien, sondern auch bei anderen kommunistischen Parteien. Auch die stark übertriebene Zahl der Kriegsopfer (angeblich 1,7 Millionen Menschen) diente der Legitimierung des zweiten Jugoslawien, – nach dem Motto: je größer die Zahl der Opfer, desto unantastbarer das Ergebnis. Der „antifaschistische Volksbefreiungskrieg“ 1941–45, die „sozialistische Revolution“ sowie der Slogan „Brüderlichkeit und Einheit“ bildeten die mythopoetischen Ideologeme des Tito-Regimes und 12

13

Siehe Vladimir Žerjavić: Gubici stanovništva Jugoslavije u II svjetskom ratu. Zagreb 1989; Bogolub Kočović: Žrtve Drugog svjetskog rata u Jugoslaviji. Sarajevo 1990. Zum Folgenden vgl. u. a. Holm Sundhaussen: Jugoslawien und seine Nachfolgestaaten. Konstruktion, Dekonstruktion und Neukonstruktion von „Erinnerungen“ und Mythen. In: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen. Bd. 1. Hrsg. v. Monika Flacke. Berlin 2004, S. 373–426.

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die Legitimationsgrundlage des zweiten Jugoslawien. Noch vor Beginn der Friedenszeit setzte die Arbeit am Kriegsmythos ein, so dass der Krieg auch im Frieden immer gegenwärtig blieb. Die Partei bestimmte, was „erinnert“ und was vergessen werden sollte. Sie sorgte dafür, dass ihre Deutung des Zweiten Weltkriegs in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durchgesetzt und abweichende Erfahrungen oder Erinnerungen totgeschwiegen, verdrängt oder kriminalisiert wurden. Der Inszenierung des Kriegsmythos diente die einfache und klare Dichotomie von Gut und Böse, Freund und Feind, Widerstandskämpfern und Kollaborateuren. Die Ereignisse von 1941 bis 1945 wurden diesem „extrem polarisierten, dualistischen, ja fast manichäischen Deutungsmuster“ entsprechend kodiert.14 Auf der einen Seite standen die Aggressoren, die Besatzungsmächte und ihre Helfershelfer. Auf der anderen Seite stand das „Volk“, nicht im Sinne einer nationalen, sondern einer sozialen Kategorie, das heißt, die Arbeiter und Bauern, die sich unter Führung Titos und der Kommunistischen Partei zum bewaffneten Widerstand formiert hatten. Die Trennlinie zwischen Widerstand und Kollaboration verlief nach dem Postulat der Mythenbildner jenseits nationaler Trennlinien. Auf beiden Seiten der Front herrschte annähernd nationaler Proporz. Sowohl im Lager der Kollaboration wie im Lager des Widerstands waren vorgeblich Angehörige aller jugoslawischen Nationen und Nationalitäten entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten. Aufgrund dieser Gleichverteilung hatte es einen nationalen Bürgerkrieg angeblich nicht gegeben. Es hatte angeblich auch keine Verhaltensweisen gegeben, die außerhalb der starren Polarität von Kollaboration und Widerstand lagen. Ziel der kommunistischen Geschichts- und Erinnerungspolitik war es, das Andenken an die Heldentaten, die Brutalität der Gegner und die Opferzahlen des Zweiten Weltkrieges wach zu halten. Dies geschah bei öffentlichen Feiern, in Museen, in Filmen, auf Briefmarken, Geldscheinen, Gedenktafeln und durch die Errichtung von Denkmälern. Neben den Gedächtnisorten waren es vor allem Schulbücher und eine nahezu ausufernde verherrlichende Geschichtsschreibung, die das Bild des Krieges tradierten. Zwischen 1945 und 1965 erschienen in Jugoslawien über 30.000 Monographien, Sammelbände und Aufsätze über den „Volksbefreiungskampf und die sozialistische Revolution“.15 Bis Ende der 80er Jahre dürfte sich die Zahl noch verdreifacht haben. Kein Aspekt der Jahre 1941–1945 blieb unberücksichtigt, sofern er in das offizielle Geschichtsbild passte. Alles andere jedoch blieb tabu. In jeder der sechs Gliedrepubliken bemühten sich historische Institute um die ideologiegetreue „Aufarbeitung“ der Zeitgeschichte, wobei die gesamtjugoslawische Perspektive seit Anfang der 60er Jahre allerdings zunehmend durch die Perspektive der jeweilige Teilrepublik verdrängt wurde.

14

15

Wolfgang Höpken: Der Zweite Weltkrieg in den jugoslawischen und postjugoslawischen Schulbüchern. In: Öl ins Feuer? Schulbücher, ethnische Stereotypen und Gewalt in Südosteuropa. Hrsg. v. Wolfgang Höpken. Hannover 1996, S. 166. Selection from the Bibliography of the Liberation War and Revolution of Yugoslav Peoples. Hrsg. v. Dušan Živković und Vladimir Strugar. Beograd 1965; Fabijan Trgo: Izvori i literatura za historiju NOR-a. In: Vojnoistorijski glasnik 18 (1967), 2, S. 61 ff.; Bibliografija o ratu i revoluciji. Posebna izdanja 1945–1965. Hrsg. v. Borivoj Pajović/Milorad Radević. Beograd 1969.

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Mit der Erosion des „Titoismus“ setzte seit Mitte der 80er Jahre ein stürmischer und radikaler Prozess der Umkodierung der Vergangenheit ein. Die bisherige jugoslawische Metaphorik wurde durch die jeweilige nationale (serbische, kroatische u.s.w.) Sichtweise ersetzt. Eine Serie von Tabubrüchen (die Demaskierung des Partisanenkults, die Distanzierung vom Tito-Mythos, die Rehabilitierung von „Kriegsverbrechern“ usw.) stellte das bisherige Bild der Vergangenheit auf den Kopf. In der serbischen Gesellschaft schuf die Demontage der Tito-Denkmäler symbolisch Raum für die „Wiederauferstehung“ von Titos Todfeind, des „Kriegsverbrechers“ Mihailović, der nun ins Pantheon der serbischen Nationalhelden einziehen durfte. War die Geschichtsschreibung bis dahin auf dem linken Auge blind gewesen, so wurde sie nun auf dem rechten Auge blind. Die Verbrechen der Četniks an der kroatischen und muslimischen Bevölkerung fielen unter den Tisch. Aus „Kollaborateuren und Kriegsverbrechern“ wurden in der Folgezeit schrittweise „Märtyrer und Helden“, die von den einstigen Alliierten „verraten“ worden seien. Das ehemalige Hauptquartier Mihailovićs in der Ravna Gora wurde seit den ausgehenden 80er Jahren zu einem beliebten Pilgerort für Politiker. Auf der anderen Seite traten die Verbrechen der Tito-Bewegung, die bislang nur von Historikern im Exil angeprangert worden waren, ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Ganze Nationen wurden neu kodiert: Aus Kroaten wurden Ustasche, aus Serben Četniks. In Kroatien kehrten die Ustascha-Symbole in die Öffentlichkeit zurück, während in Serbien die Četnik-Symbole, die Četnik-Lieder und allen voran die ČetnikIdeologie, das heißt, der Kampf für ein ethnisch reines Großserbien, ein stürmisches „Revival“ feierten. Von großen Teilen der allseits aufgehetzten und verunsicherten Bevölkerung wurden die postjugoslawischen Kriege der 90er Jahre als Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs wahrgenommen, wobei der nationale Gegensatz den einstigen politisch-ideologischen Gegensatz völlig verdrängte.

Quellen, Literatur und Kontroversen Zur Geschichte der Trias Besatzung, Kollaboration und Widerstand existiert eine unüberschaubare Fülle von Primärquellen. An erster Stelle ist das Archiv des Militärhistorischen Instituts in Belgrad zu nennen, das in der Tito-Ära die zentrale Dokumentationsstelle für den Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien darstellte. Seit 1949 veröffentlichte das Militärhistorische Institut eine „Sammlung von Dokumenten und Angaben über den Volksbefreiungskrieg der Völker Jugoslawiens“ in mehreren Serien mit insgesamt über 130 Bänden. Die Sammlung enthält unter anderem Quellen der „Volksbefreiungsbewegung“, der Četnik-Bewegung sowie der deutschen und italienischen Besatzungsmacht (in serbokroatischer Übersetzung).16 Hinzu kommen die Bestände der Republiks- und anderer regionaler Archive im ehemaligen Jugoslawien. Auch in deutschen Archiven, vor allem im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg und im Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin, im italienischen Zentralarchiv (Archivo Ufficio Storico – Stato Maggiore dell’Esercito) Rom sowie im britischen Public Record Office/National Archives London sowie anderen ausländischen Archiven finden sich umfangreiche Unterlagen. Eine 16

Zbornik dokumenata i podataka.

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kleine Auswahl davon liegt in edierter Form vor.17 Hinzu kommen eine Vielzahl veröffentlichter Quellensammlungen zu einzelnen Themenfeldern (z. B. Besatzungspolitik oder Kriegsverbrechen) sowie zahlreiche Memoiren unterschiedlicher Akteure (z.B. ehemaliger Partisanen wie Rodoljub Čolaković, Milovan Djilas oder Vladimir Dedijer, deutscher Generäle wie Lothar Rendulic oder Edmund Glaise von Horstenau, britischer Verbindungsoffiziere in Jugoslawien wie Fitzroy MacLean, Frederick Deakin, Michael Lees oder Jasper Rootham).18 In Abwehr des titoistischen Schwarz-Weiß-Bildes waren politische Emigranten im Ausland bestrebt, das kommunistische Geschichtsbild zu konterkarieren. Besonders kontrovers verlief die westliche Debatte über Mihailović und die Četniks auf der einen sowie jene über die britische Politik gegenüber den beiden Widerstandsbewegungen auf der anderen Seite. Zu den Apologeten Mihailovićs und damit zu den Kritikern der britischen Kehrtwende von 1943 zählen unter anderen Konstantin Fotić, Albert Seitz, David Martin oder Michael Lees, während Fitzroy MacLean oder Marc Wheeler den kollaboratistischen Charakter der Četnik-Bewegung betonen und den britischen Frontwechsel verteidigen. Zwischen beiden Lagern stehen diejenigen Autoren, die wie Walter Roberts, Jozo Tomasevich, Lucien Karchmar oder Klaus Schmider die fließenden Übergänge zwischen Widerstand und Kollaboration und das Prozesshafte des Kriegsgeschehens in den Mittelpunkt ihrer Analysen rücken. Angesichts des derzeitigen Forschungsstands bleibt festzuhalten: Sowohl Titos Partisanen wie Mihailovićs Četniks waren Widerstandsbewegungen. Im Unterschied zur KPJ-geführten „Volksbefreiungsbewegung“ waren diejenigen Gruppierungen, die unter dem „Label“ der Četniks operierten, allerdings sehr viel heterogener. Man kann deshalb nicht von „der“ oder von „einer“ Četnik-Bewegung sprechen, sondern muss von einer Vielzahl von Četnik-Gruppierungen reden, die oft eigenständig operierten und unterschiedliche Ziele verfolgten. Unzweifelhaft ist, dass die Četniks eine nahezu ausschließlich serbische Erscheinung waren, während die „Volksbefreiungsbewegung“ den Angehörigen aller jugoslawischen Nationen und nationalen Minderheiten offen stand. Unzweifelhaft ist auch, dass eine zunehmende Zahl von Četnik-Gruppen mit den Besatzungsmächten zusammenarbeitete. In der Regel handelte es sich dabei nicht um eine „entente cordiale“, sondern um ein taktisch verstandenes Zweckbündnis, das die grundsätzliche und strategische Gegnerschaft zwischen Četniks und Besatzungsmächten nicht aufzuheben vermochte. Ebenso wie die „Volksbefreiungsbewegung“, die nicht nur eine Widerstandsbewegung war, sondern auch einen rücksichtslosen Kampf um die politische Macht führte, war auch die Četnik-Bewegung nicht nur einfach eine Widerstandsbewegung oder ein Haufen von Kollaborateuren, sondern darüber hinaus eine Nationalbewegung. Die einen kämpften für eine sozialistische Gesellschaftsordnung, die anderen für ein ethnisch reines Großserbien innerhalb Jugoslawiens. In beiden Fällen aber heiligte der Zweck die Mittel.

17

18

Beispielsweise in den Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik (ADAP, Serien D und E) oder den Documenti diplomatici italiani (DDI, Nona seria). Hierzu und zum Folgenden vgl. die Literaturhinweise am Ende des Beitrags.

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Besetztes jugoslawisches Gebiet Slowenien Sabine Rutar

Die Besetzung des slowenischen Gebietes in Jugoslawien1 Das jugoslawische Slowenien2 wurde im Zuge des Überfalls der Achsenmächte im April 1941 dreigeteilt: Deutschland besetzte Oberkrain (Gorenjska), das slowenische Kärnten (Koroška) und die Untersteiermark (Spodnja Štajerska) und gliederte diese Gebiete den Reichsgauen Kärnten und Steiermark an. Italien besetzte Ljubljana (Laibach) sowie die südlich davon gelegenen Landesteile (Dolenjska/Unterkrain, Notranjska/Innerkrain, Bela Krajina/Weißkrain) und installierte die Provinz Ljubljana (Provincia di Lubiana) unter dem Hohen Kommissar Emilio Grazioli, vormals Sekretär der Faschistischen Partei in Triest. Ungarn besetzte ein kleines Gebiet nordöstlich des Flusses Mur (Mura), das Übermurgebiet (Prekmurje), das bis 1918 ungarischer Jurisdiktion unterstanden hatte. Nach dem Ausscheiden Italiens aus dem Achsenbündnis im September 1943 übernahm das Deutsche Reich nicht nur die bisher italienisch besetzten Gebiete, sondern auch die seit 1918 zu Italien gehörende, mehrheitlich slowenisch und kroatisch besiedelte Julische Region und fügte beides zur „Operationszone Adriatisches Küstenland“ zusammen. Das zentrale Charakteristikum der deutschen Zivilverwaltung in der Untersteiermark und in Oberkrain bildete eine rigorose Germanisierungspolitik. Die dortige Bevölkerung wurde nach fünf politischen und vier rassischen Kategorien aufgeteilt, und diese Kategorisierung mündete in weitere vier Abstufungen für die jeweilige Eindeutschungsfähigkeit. Die erste Deportationswelle von für nicht eindeutschungsfähig befundenen Menschen zielte noch recht eindeutig auf die Intelligenz, Vertreter von katholischer Kirche, Parteien und national orientierten Organisationen sowie auf alle nach 1914 Zugewanderten, darunter eine Mehrzahl von Emigranten aus dem seit 1918 zu Italien gehörenden Küstenland. Die folgenden, rassistisch motivierten Deportationen konnten dann jeden und jede treffen. Zwischen März 1942 und Frühjahr 1944 schließlich ging man dazu über, Familienangehörige von Partisanen und erschossenen Geiseln zu deportieren. Ursprünglich war die Umsiedlung von 260.000 Slowenen geplant, tatsächlich vertrieben wurden etwa 80.300 Menschen – zehn Prozent der Gesamtbevölkerung der deutsch besetzten Gebiete – nach Kroatien, Serbien sowie ins so genannte Altreich.3 1

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Für wertvolle Anregungen und Korrekturen danke ich herzlich Horst Bussiek, Bojan Godeša, Silvija Kavčič, Boris Mlakar, Egon Pelikan, Helke Stadtland und Rolf Wörsdörfer. Gegenstand der folgenden Ausführungen ist das Gebiet der heutigen Republik Slowenien sowie das damals zu Italien gehörende Triester Hinterland. Auf die slowenischsprachige Bevölkerung in Südkärnten wird nicht eingegangen, ebensowenig auf jene im seit 1866 zu Italien gehörenden Natisone-Tal (Provinz Udine). Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941–1945. Hrsg. v. Tone Ferenc. Maribor 1980, Dok. 27, 113, 115, 126, 137, 204. Ferenc’ Detailstudie zu dem-

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Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa

Die italienische Besatzung der Provinz Ljubljana verlief in den ersten Monaten weniger rigoros als die deutsche. Kulturelle und wissenschaftliche Organisationen blieben bestehen, und man bemühte sich um die Etablierung eines vergleichsweise moderaten Modus Vivendi mit den slowenischen Klerikalen, Intellektuellen und städtischen Amtsträgern. Versuche, die Bevölkerung zu disziplinieren und zu kontrollieren, glichen jenen im Küstenland und in Istrien. Dort forcierte man seit zwei Jahrzehnten einen rigorosen Assimilierungsprozess, ausgehend von der Überlegenheit der „Italianità“ gegenüber dem Slowenen- und Kroatentum.4

Widerstand 1941–1943 Die im italienisch besetzten Teil des Landes verbliebenen Mitglieder der slowenischen Führungsschicht erkannten zwar die jugoslawische Exilregierung an; sie fügten sich aber großteils der Besatzungsverwaltung, da so die Bevölkerung am besten zu schützen sei. Mit ähnlicher Begründung verhielt sich auch die katholische Kirche unter dem Bischof von Ljubljana, Gregorij Rožman, kooperativ. Im Juni 1942 wurde der entschieden antikommunistische ehemalige General der jugoslawischen Armee Leon Rupnik als Bürgermeister von Ljubljana eingesetzt. Viele der in den deutsch besetzten Gebieten der Vertreibung ausgesetzten katholischen Geistlichen flohen in die italienische Provincia di Lubiana. Insgesamt suchten dort mehrere tausend Slowenen Zuflucht vor der brutalen Entnationalisierungspolitik der NS-Behörden.5 Durch das zunächst „weichere“ italienische Besatzungsregime konzentrierten sich in der Provincia di Lubiana und großteils in der Hauptstadt selbst die im Lande verbliebenen politischen Führungspersönlichkeiten und Intellektuellen. Am 26. April 1941, fünfzehn Tage nach der militärischen Besetzung Sloweniens, gründeten Vertreter der Kommunistischen Partei Sloweniens (KPS), einige linksorientierte Intellektuelle sowie führende Persönlichkeiten aus den Kreisen der Christlichen Sozialisten und des national orientierten Sportvereins Sokol die Protiimperialistična fronta (Antiimperialistische Front), die sich angesichts des bestehenden Hitler-Stalin-Paktes als gegen den westlichen Imperialismus gerichtet definierte, vordergründig aber gegen die Besetzung des Landes agieren sollte. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion zwei Monate später benannte sich die Bewegung in „Osvobodilna fronta slovenskega naroda“ (Befreiungsfront des slowenischen Volkes = OF) um. Der OF gehörten fünfzehn weitere Organisationen an, der Exekutivausschuss bestand indes nur aus Initiatoren der „Antiimperialistischen Front“. Durch ihre quantitative Mehrheit kontrollierte

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selben Thema liegt in slowenischer Sprache vor: Nacistična raznarodnovalna politika v Sloveniji v letih 1941–1945. Maribor 1968, besonders S. 210–225. Tone Ferenc: La provincia italiana di Lubiana: documenti 1941–42. Udine 1994, S. 19–34; Bojan Godeša: Kdor ni z nami, je proti nam. Slovenski izobraženci med okupatorji, Osvobodilno fronto in protirevolucionarnim taborom. Ljubljana 1995, S. 363, weist für das Küstenland auf einen bedeutsamen Unterschied zwischen faschistischem innerstaatlichem Regime und faschistischer Besatzungspolitik hin. Ferenc, La provincia, S. 48–56.

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die KPS die Bezirksausschüsse der OF, die um einzelne Vertreter der Katholiken oder des Sokol erweitert wurden.6 Der 4. Juli 1941 gilt als Tag des offiziellen KPJ-Beschlusses zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes gegen die Besatzungsmächte. In Slowenien organisierte die OF am darauf folgenden Tag, als der erste deutsche Eisenbahntransport mit nach Serbien zu deportierenden Slowenen aus Oberkrain in Ljubljana Station machte, eine antifaschistische Demonstration, welche die italienischen Autoritäten veranlasste, weitere Transporte durch Ljubljana nicht mehr zu erlauben. Als Datum des tatsächlichen Beginns des bewaffneten Kampfes in Slowenien wird der 22. Juli 1941 bezeichnet. Die erste bewaffnete Partisaneneinheit entstand im deutsch besetzten Oberkrain: Der deutsche Terror einerseits und der Einfluss der Kommunistischen Partei in den dortigen Industriegebieten andererseits schufen hierfür geeignete Bedingungen. Die slowenischen Partisaneneinheiten nahmen eine rasante Entwicklung: Von den bis Ende 1941 bestehenden 31 Abteilungen mit etwa 1500 Kämpfern war mehr als die Hälfte innerhalb weniger Wochen entstanden. Der erste Angriff auf einen Stützpunkt im deutsch besetzten Gebiet fand am 9. August im untersteirischen Kohlerevier Trbovlje statt, als die dortige Einheit (Revirska četa) ein Waffenlager und eine Bergwerkswache angriff.7 Der Beginn des bewaffneten Widerstands verlief im Hinterland der Provinz Ljubljana insgesamt langsamer als in der Hauptstadt und in den deutsch besetzten Gebieten.8 In Ljubljana wurde schon im August 1941 ein kommunistisch kontrollierter Sicherheits- und Nachrichtendienst (Varnostnoobveščevalna služba = VOS) gegründet, im September erklärte sich die OF zur einzigen legitimen Organisatorin des Widerstands gegen die Besatzer.9 Es zeigte sich, dass die Kommunisten durch die Erfahrung jahrelanger illegaler Arbeit den anderen politischen Akteuren überlegen waren. Aufgabe der VOS war die Liquidierung potenzieller Gegner der Befreiungsfront, auch unter der einheimischen Bevölkerung. Am 16. September bildete sich der Slovenski narodnoosvobodilni odbor (Slowenischer Volksbefreiungsausschuss = SNOO), dessen erste Beschlüsse der Eingliederung des slowenischen Widerstands in den gesamtjugoslawischen galten. Am 26. September verfügte Josip Broz Tito, der den jugoslawischen bewaffneten Widerstand leitete, dass die Befreiungskomitees mit Kompetenzen örtlicher Regierungsorgane auszustatten seien. Teil des Aufbaus parastaatlicher Strukturen in Slowenien war die Schaffung eines eigenen Polizeiorgans der OF im Oktober 1941, die Narodna zaščita (Volksverteidigung). Da hatten die slowenischen Delegierten bereits von der Schaffung „befreiter Gebiete“ in Serbien und Bosnien erfahren. Sie setzten ihre Arbeit nun mit demselben Ziel für Slowenien fort. Der Widerstand war zunächst gegen die Vertreibungspolitik der deutschen Besatzer gerichtet. Die deportierten Slowenen hatten großen Anteil an der anti-deutschen Agitation. Der jugoslawische bewaffnete Widerstand, vor allem in Serbien, machte die Ver6

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Kronologija naprednega delavskega gibanja na Slovenskem (1868–1980). Hrsg. v. Tone Ferenc u.a. Ljubljana 1981, S. 164 f. Ebenda, S. 170 ff. Die Auflistung der einzelnen Einheiten samt ihrer Gründungsdaten liefert Metod Mikuž: Pregled zgodovine NOB v Slovenije. Bd. 1. Ljubljana 1960, S. 171–233. Mikuž, Pregled, S. 187 f. 215 f. Kronologija, S. 176.

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wirklichung der Deportationspläne tatsächlich zunichte: Anstatt weiterhin Slowenen nach Kroatien – und im Gegenzug Serben von dort nach Serbien – zu deportieren, stellten die deutschen Besatzer im August 1941 die rassistisch motivierten Vertreibungen ein. Ausgenommen war davon zunächst noch die Grenzbevölkerung im südlichen Teil der Untersteiermark, die bis Juli 1942 ins so genannte Altreich deportiert wurde.10 Trotzdem verursachten die Massendeportationen, die Eindeutschungsmaßnahmen und seit März 1942 die Massenrekrutierung von Slowenen in die Wehrmacht massiven Terror und Angst, so dass die OF in den deutsch besetzten Gebieten mit größeren Schwierigkeiten kämpfte als in der italienischen Provinz Ljubljana.11 Die deutschen und italienischen Besatzungskräfte gingen gemeinsam gegen die OF vor. Bis zum Herbst 1941 zerschlugen sie 15 der 31 Partisanenformationen. Angesichts des strengen Winters 1941/42 kam der bewaffnete Widerstand zunächst nahezu zum Erliegen.12 In Ljubljana indes entwickelte sich die OF derart, dass sie die Stadt vom Untergrund aus zu kontrollieren vermochte. Nach Milovan Djilas erreichte „die Stadtguerilla von Ljubljana […] Ausmaße und Formen wie nirgendwo sonst in Jugoslawien – ja in ganz Europa“.13 In der Stadt gelangen der VOS spektakuläre Attentate, so im Mai 1942 auf den Theologieprofessor Lambert Ehrlich, Leiter einer katholischen Studentenorganisation, und im Oktober 1942 auf den ehemaligen Ban der Drau-Banschaft, Marko Natlačen.14 Beim Plan zur Schaffung „befreiter Gebiete“ kam man ebenso voran: In Zusammenarbeit mit kroatischen Partisanen wollte man in einer Frühjahrsoffensive 1942 in der Provincia di Lubiana den Raum zwischen dem kroatisch-slowenischen Grenzfluss Kolpa (kroatisch Kupa) und dem Gebiet von Gottschee (Kočevje) befreien,15 zumal die italienische Heeresleitung ihre Streitkräfte nur noch auf rund 20 Städte und 17 Eisenbahnstützpunkte konzentrierte. Im Juni 1942 kontrollierten die Partisanen etwa die Hälfte der Provincia di Lubiana mit Ausnahme der Städte und der streng bewachten Bahnlinien.16 In den deutsch besetzten Regionen 10 11

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Godeša, Kdor ni znami, S. 121–126; Ferenc, Quellen, Dok. 113, 115, 126, 204. Sabine Rutar: Zwischen Volkstumspolitik und Volksbefreiungskampf. Braunkohlenabbau im deutsch besetzten Slowenien. In: Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Klaus Tenfelde/Hans-Christoph Seidel. Essen 2005, S. 537–569, besonders S. 559 f. Zu den Schwierigkeiten der OF und der KPS in Oberkrain: Ivan Križnar: Okupacija in narodnoosvobodilni boj na zgornjem Gorenjskem. In: Prispevki za novejšo zgodovino 41/1 (2001), S. 71– 86. Ferenc, La provincia, S. 96 f. Milovan Djilas: Krieg der Partisanen. Memoiren 1941–1945. Wien u. a. 21977, S. 440 f. Godeša, Kdor ni znami, S. 177, nennt neben Ehrlich weitere sechzehn katholische Geistliche, die zwischen März und Dezember 1942 Opfer der VOS geworden seien. Rolf Wörsdörfer: Krisenherd Adria 1915–1955. Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum. Paderborn 2004, S. 348–358. Die Vertreter der italienischen Besatzungsmacht waren sich über die geeigneten Maßnahmen gegen die OF uneinig, vgl.: Ferenc, La provincia, S. 103–107; Sabine Rutar: Vloga železnice pri gospodarskem izkoriščevanju Slovenije med drugo svetovno vojno: prispevek k odprtim raziskovalnim vprašanjem. In: Zgodovina prometnih povezav: 150 let Južne Železnice / The History of Transport Connections: 150 Years of the Southern Railway. Hrsg. v. Borut Klabjan und Urška Železnik. Acta Histriae 16/3 (2008), S. 315–324.

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schufen die Partisanen zwar keine „befreiten Gebiete“, die Störung vor allem der wirtschaftlichen Ausbeutung der Ressourcen aber bewirkte erhebliche Probleme für die NS-Besatzung. Mitte 1942 war die Leistung der Industrie „weit unter das jugoslawische Niveau gesunken“.17 In der Folge spitzte sich die Lage sowohl in der Untersteiermark als auch in Oberkrain zu, und im Juni 1943 führten die kontinuierlichen Überfälle und Zerstörungen dazu, dass die slowenischen Gebiete auf Befehl des Reichsführers-SS Heinrich Himmler zum „Bandenkampfgebiet“ erklärt wurden.18 Die Erfolge des bewaffneten Widerstandes veränderten auch das Auftreten des italienischen Besatzungsregimes: Es stand an Brutalität den deutschen Besatzern nun nicht mehr oder kaum noch nach. Die mit großer Härte geführten militärischen Gegenoffensiven des italienischen Heeres, der Wehrmacht und der SS dauerten vom 17. Juli bis 4. November 1942 und schonten auch die Zivilbevölkerung nicht.19 Anfang Juli 1942 wurden in der Provincia di Lubiana bei systematischen Kontrollen innerhalb von acht Tagen über 20.000 Menschen erfasst, davon fast 3.000 verhaftet. Mehrere tausend Männer, Frauen und Kinder wurden in Lager verbracht, hauptsächlich auf die Adriainsel Rab (Arbe) und nach Gonars bei Udine. Um das von der OF weitgehend kontrollierte Ljubljana zogen die Besatzer schließlich einen Stacheldrahtzaun, um die Stadt vom befreiten Gebiet abzuschneiden, das im Süden bereits bis an die Außenbezirke heranreichte.20 Angesichts der Erfolge des Partisanenkrieges und der Liquidierungsaktionen der VOS in Ljubljana wurde den antikommunistischen Gruppen zunehmend deutlich, dass ein Sieg der OF die Errichtung eines kommunistischen Staates bedeuten würde. So ging man ebenfalls zum bewaffneten Kampf über. Im Juli 1942 bildeten sich vor allem in der Umgebung von Ljubljana die ersten Dorfwehren (Vaške straže).21 Die Partisanen bezeichneten diese nach russischem Vorbild als Bela garda (Weiße Garde) und gingen, wo sie ihrer habhaft werden konnten, mit äußerster Härte gegen diese vor. Die italienischen Besatzer indes bewaffneten die Dorfwehren und bezogen sie als Milizia volontaria anticomunista (Antikommunistische Freiwilligenmiliz, MVAC) in ihre militärischen Aktionen ein. Im Juli 1943 zählte die MVAC etwa 6.100 Mitglieder.22 Während eine Argumentationslinie den Selbstschutzcharakter der Dorfwehren betont (sie seien entstanden, um sich gegen die eskalierende Gewalt zu wehren und hätten keinen anderen Ausweg gesehen, als Waffen von italienischer Seite anzuneh-

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Ferenc, Quellen, Dok. 218. Rutar, Volkstumspolitik, S. 560–566. Die Zahl der im Verlauf dieser Aufspüraktionen getöteten slowenischen Zivilisten, darunter viele Frauen, Alte und Kinder, wird auf 2.500 geschätzt, die der gefangengenommenen und hingerichteten Partisanen auf 900 und die der getöteten Geiseln auf 1.000. Vgl.: Wörsdörfer, Krisenherd, S. 359 ff. Ferenc, La provincia, S. 119 ff., nennt die Zahl von 25.000 Slowenen und Sloweninnen, die seit Januar 1942 im Zuge kollektiver Razzien, zuerst in Ljubljana, dann auch im Hinterland, verhaftet worden seien. Wörsdörfer, Krisenherd, S. 347. Boris Mlakar: Slovensko Domobranstvo 1943–1945. Ustanovitev, organizacija, idejno ozadje. Ljubljana 2003, S. 24 ff. Ebenda, S. 30; Wörsdörfer, Krisenherd, S. 345.

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men)23, führt eine andere Bewertung deren Gründung auch auf die Polarisierung zwischen Katholiken, die der den Kommunismus verurteilenden Enzyklika „Divini Redemptoris“ (1937) von Papst Pius’ XI. verpflichtet waren, einerseits und Kommunisten andererseits zurück.24 Das brutale Vorgehen der Besatzer und die Entstehung der Dorfwehren radikalisierte die Positionen weiter: Die Partisanen reagierten mit einer Straffung ihrer militärischen Organisation. Durch die so genannte Dolomitenerklärung vom 1. März 1943 erkannten schließlich die nicht-kommunistischen Gruppen der OF, insbesondere die Christlich-Sozialen, den Führungsanspruch der Kommunisten auch formal an.25

Widerstand im italienischen Küstenland Schon vor dem deutschen Überfall auf Jugoslawien und der Aufnahme des Partisanenkrieges war die Situation im seit 1918 zu Italien gehörenden Küstenland (Primorska) von nationalen Differenzen gekennzeichnet.26 Während Widerstandsaktionen mancherorts durchaus pluriethnisch geprägt waren, sah das Statut der Kommunistischen Internationale vor, dass auf dem Territorium eines Staates immer nur eine Partei operieren sollte. Westlich der im Vertrag von Rapallo (November 1920) zwischen Italien und dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen festgelegten Grenze zwischen beiden Ländern (von Tarvisio über den Berg Snežnik [Monte Nevoso] zur Kvarnerbucht) war dies folglich die Kommunistische Partei Italiens (Partito comunista d’Italia, PCd’I). Nach der Zerschlagung Jugoslawiens beschlossen die jugoslawischen Kommunisten aber, und mit Billigung Moskaus, die Tätigkeit der slowenischen und kroatischen Parteisektionen auch auf das italienische Küstenland und auf Istrien auszuweiten. Die im Juni 1941 veröffentlichten ersten Leitsätze und die im Herbst erschienene eigentliche Programmatik der OF bestanden aus einer Mischung sozialer und nationaler Aspekte. Neben der Weigerung, die Teilung Jugoslawiens anzuerkennen, verwies man auf das Selbstbestimmungsrecht der slowenischen Nation, verpflichtete sich dem Kampf für die Befreiung Sloweniens und ein neues föderatives Jugoslawien sowie auch der Freundschaft mit der Sowjetunion. Dieses Programm erwies sich für das ethnisch gemischte Küstenland und Istrien als hochgradig explosiv. Der Konflikt mit dem italienischen Antifaschismus war geradezu vorprogrammiert.27 Die Frühjahrsoffensive 23

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Tamara Griesser-Pečar: Das zerrissene Volk. Slowenien 1941–46: Okkupation, Kollaboration, Bürgerkrieg, Revolution. Wien u.a. 2003, S. 257–268; Dieter Blumenwitz: Okkupation und Revolution in Slowenien (1941–1946). Eine völkerrechtliche Untersuchung. Wien u.a. 2005. Anka Vidovič-Miklavčič: Idejnopolitični značaj SLS od leta 1935 to začetka vojne leta 1941. In: Prispevki za novejšo zgodovino 41/2 (2001): Slovenci in leto 1941, S. 43–57; Mlakar, Domobranstvo, S. 22 ff. Detailliert zur Entstehungsgeschichte der Dolomitenerklärung: Bojan Godeša: Prispevek k poznavanju Dolomitske izjave. 3 Teile. In: Nova Revija, Jg. 10, 1991, Nr. 105/106, S. 266–273, Nr. 107, S. 455–460, Nr. 108, S. 592–608. Wörsdörfer, Krisenherd, S. 363. Jozo Tomasevich: War and Revolution in Yugoslavia 1941–45. Stanford 2001, S. 97, weist darauf hin, dass die nationalistischen Aspekte des Programms in Slowenien noch stärker als in den anderen Teilen Jugoslawiens wirkten, weil sowohl die faschistische als auch die nationalsozialistische Besatzungspolitik letztlich auf die Eliminierung der slowenischen Nation zielte.

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des Jahres 1942 wurde im Küstenland von mehreren, fast alle aus der Region stammenden Partisaneneinheiten mitgetragen, und die Reaktion der faschistischen Staatsgewalt war genauso brutal wie die der Besatzungsmächte in den jugoslawisch-slowenischen Regionen. Seit Anfang 1943 stärkte der zunehmende Rückzug der italienischen Armee die slowenischen Partisanen.28

Widerstand und kommunistische Staatsbildung: 1943–1945 Im Januar und Mai 1943 waren in der vierten und fünften (von sieben) deutsch-italienischen Offensive in Bosnien die Partisanen nicht bezwungen, die auf Seiten der Besatzer kämpfenden Tschetniks jedoch entscheidend geschwächt worden. Dies trug dazu bei, dass die Alliierten den bisherigen Repräsentanten der jugoslawischen Exilregierung und Tschetnik-Führer Draža Mihailović endgültig fallen ließen, um stattdessen die TitoPartisanen zu unterstützen. Am 8. September 1943 kapitulierte die italienische Armee. Bereits zwei Tage später wurden die „Operationszonen Alpenvorland“ und „Adriatisches Küstenland“ (OZAK) eingerichtet. Letztere wurde dem NSDAP-Gauleiter Kärntens, Friedrich Rainer, unterstellt. Er setzte in fünf der sechs neu formierten Provinzen (Friaul, Görz, Triest, Istrien, Kvarner) Italiener an die Spitze der Zivilverwaltung, nur nicht in der Provinz Ljubljana. Die tatsächliche Kontrolle hatten aber allerorts „deutsche Berater“ inne.29 Als sich die Invasion der Deutschen abzuzeichnen begann, eilten Hunderte italienischer Werftarbeiter aus Monfalcone in die Gegend von Görz, wo sie als Brigata proletaria gemeinsam mit den slowenischen Partisanen einen Versuch unternahmen, die Besatzer aufzuhalten. Andere Freiwillige stießen aus den Städten Triest, Ronchi, Gradisca und Muggia hinzu. Italiener und Slowenen gelang es, unter hohen eigenen Verlusten, den deutschen Vormarsch zu verlangsamen. Aus der Brigata proletaria entwikkelten sich die ersten italienisch organisierten Partisanenformationen des Küstenlandes.30 Durch die italienische Kapitulation konnten die jugoslawischen Partisanen einige Kernpunkte ihres Programms als vollzogen proklamieren. Am 13. September 1943 erklärten die Kroaten den Anschluss Istriens, am 16. September die Slowenen jenen des Küstenlandes. Die italienischen Kommunisten indes nahmen eine abwartende Haltung ein und drängten die jugoslawischen Genossen, die territoriale Frage erst nach Kriegsende definitiv zu regeln.31 In den befreiten Gebieten in der ehemaligen Provincia di Lubiana schritt die Staatsbildung indes voran. Bereits im September 1943 hielt man dort Wahlen ab, und einige Wochen später wählten 572 Delegierte in Kočevje (Gottschee) ein nationales Befreiungskomitee aus 120 Mitgliedern. Milovan Djilas, der an der Manifestation teilnahm, 28 29

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Wörsdörfer, Krisenherd, S. 361–365. Mlakar, Domobranstvo, S. 97 f. Zu den Operationszonen: Michael Wedekind: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen „Alpenvorland“ und „Adriatisches Küstenland“. München 2003. Wörsdörfer, Krisenherd, S. 383–386. Ebenda, S. 368–375.

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erinnert sich: „Die Slowenen und ihr Kampf gegen die Okkupanten waren eine Sache für sich. Es hätte diesen Kampf jedoch nicht gegeben, wären die slowenischen Führer nicht davon überzeugt gewesen, eine Umwälzung im Schicksal ihrer Nation in die Wege zu leiten, von der viele nationale Führer vor ihnen, auch die bedeutendsten, nur träumen konnten. In keinem der jugoslawischen Länder, bei keinem der jugoslawischen Völker, existierte ein derartiges Selbstbewusstsein, eine derartige Hochstimmung über die Schaffung eines eigenen Staates.“32 Die Deutschen versuchten nach der Einrichtung der OZAK die slowenischen antikommunistischen Kräfte an sich zu binden. Mehrere tausend ehemalige Mitglieder der MVAC folgten Ende September/Anfang Oktober 1943 dem Aufruf zur Gründung einer Heimwehr (Domobranci, im NS-Sprachgebrauch Landeswehr), während im südlichen Teil der Provinz Ljubljana etwa tausend MVAC-Mitglieder ihre Stellungen gehalten und sich den Deutschen angeschlossen hatten. Am 30. September wurde auf Befehl Himmlers ein Führungsstab für Bandenbekämpfung in Ljubljana eingerichtet. Bis September 1944 wuchs die Domobranci-Heimwehr auf etwa 13.000 Mitglieder an.33 Die Situation der „Domobranci“ wurde zunehmend verwickelter und aussichtsloser. Sie versuchten zwar, den Alliierten immer wieder zu signalisieren, dass sie nicht den Besatzern helfen, sondern lediglich den Kommunismus bekämpfen wollten. Das im Juni 1944 unterzeichnete Abkommen zwischen Tito und dem Kopf der jugoslawischen Exilregierung, Ivan Šubašić, sicherte einerseits die internationale Anerkennung der slowenischen und kroatischen Partisanenvertretungen; andererseits hatte es aber auch Folgen für die Position der „Domobranci“, die von den Briten aufgefordert wurden, sich mit den Partisanen zu verständigen. Da eine solche Einigung nicht zustande kam, weigerten sich die Briten nach Kriegsende, die „Domobranci“ vor den Partisanen zu schützen.34 Die italienische Resistenza in der OZAK war zweigeteilt. Einerseits existierten straff kommunistisch geführte Garibaldi-Einheiten, andererseits Osoppo-Formationen, die sich aus mehreren antifaschistischen, vor allem christdemokratischen und linksliberal orientierten Parteien zusammensetzten und die Mehrzahl der zum Widerstand gestoßenen ehemaligen Soldaten aufnahmen. Im Frühjahr 1944 zunächst gemeinsam aufgenommene Aktionen wurden auf zweierlei Art durch den jugoslawischen Widerstand gestört: Einerseits brachten die Slowenen die „Garibaldini“ und die Italienische Kommunistische Partei (im Mai 1943 hatte sich die Partito comunista d’Italia in Partito comunista italiano = PCI, umbenannt) dazu, den Anschluss des bisher italienischen Küstenlandes an Jugoslawien weitgehend zu akzeptieren, was nicht zuletzt dazu führte, dass der PCI mit den allerorts bestehenden antifaschistischen nationalen Befreiungsausschüssen (Comitato di Liberazione Nazionale = CLN) brach. Andererseits äußerte der italienische KP-Führer Palmiro Togliatti im Oktober 1944 im Zuge der Befreiung Belgrads durch die Tito-Partisanen mehrfach, es wäre für die Venezia Giulia von Vorteil, wenn sie von jugoslawischen Truppen besetzt würde, da dadurch die Okkupation des Grenzraumes durch die Briten und die Wiederherstellung einer reaktionären italie32 33 34

Djilas, Krieg der Partisanen, S. 442. Mlakar, Domobranstvo, S. 41–44, 90–148, 163–213. Ebenda, S. 427–454, 489–526.

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nischen Verwaltung verhindert würde. Ende Oktober 1944 brachen die Osoppo-Formationen jedes Gespräch mit den Slowenen ab und zeigten sich teilweise empfänglich für das Werben der Besatzer. Auch hier wog der Anti-Kommunismus stärker als alle anderen Interessen. Im Küstenland mischte er sich noch mit einem im rechten politischen Spektrum traditionellen Antislawismus. Schon vor der Befreiung Belgrads forderten die Slowenen die Garibaldi-Brigaden auf, sich der größten slowenischen Formation im Küstenland, dem IX. Korps, zu unterstellen.35 In Krain und der Untersteiermark war der Winter 1944/45 durch eine letzte deutsche Offensive gekennzeichnet, die den Partisanen noch einmal hohe Verluste zufügte. Ein Jahr später als in den befreiten Gebieten der ehemals italienisch besetzten Gebiete hatten die lokalen Ausschüsse der Volksbefreiungsbewegung hier seit Herbst 1944 begonnen, Regierungsfunktionen auszuüben. Forcieren konnten sie diese Aktivitäten erst nach dem Ende der Offensive im März 1945.36

Zur Forschungsdiskussion Die Diskussion in der aktuellen Forschung kreist um eine Neubewertung der Begriffe Widerstand und Kollaboration. Die ehemals polarisierte kategorische Definition ist neuen Fragestellungen gewichen, die eine begriffliche Verunsicherung ausgelöst hat. Im sozialistischen Jugoslawien stand die Forschung zur kommunistisch geführten Volksbefreiungs- und Partisanenbewegung im Mittelpunkt, bei weitgehender Tabuisierung der anderen am bewaffneten Widerstand beteiligten Gruppen sowie auch der kommunistischen Abrechnung mit den innerjugoslawischen Feinden nach Kriegsende.37 Die Bildung der unabhängigen Republik Slowenien 1991 bedeutete indes keinen radikalen historiographischen Bruch: Bereits seit den achtziger Jahren zeigte die slowenische Geschichtswissenschaft nicht nur eine Öffnung hin zu neuen Einflüssen, wie die französische Annales-Schule, die deutsche Sozialgeschichte sowie die Alltags- und Mentalitätsgeschichte, sondern auch erste Überwindungen jahrzehntelang beschwiegener Tabus. Die staatliche Unabhängigkeit bewirkte allerdings eine nationalisierende Einengung der Themen: Vormals existierende jugoslawische, balkanische oder auch habsburgische Aspekte wichen der Beschäftigung fast ausschließlich mit der engeren slowenischen Vergangenheit.38 Auch die Debatten um die Interpretation des Zweiten Weltkriegs finden in einem Spannungsfeld statt, das einerseits geprägt ist von einer eher unilateralen „Suche nach 35

36 37

38

Wörsdörfer, Krisenherd, S. 387–396. Zur Befreiung Triests durch die Tito-Partisanen und den Entwicklungen in der Grenzregion im ersten Nachkriegsjahrzehnt vgl. ebenda, S. 380–569, mit weiteren Literaturangaben. Rutar, Volkstumspolitik, S. 567. Im Todesjahr Titos 1980 waren von 125 in Jugoslawien veröffentlichten Büchern zum Zweiten Weltkrieg 46 regionale Kriegsgeschichten, 26 Rekonstruktionen lokaler Partisanenkämpfe und 13 lokale Heldengeschichten. Vgl. Predrag Marković u.a.: Developments in Serbian Historiography since 1989. In: (Re)Writing History – Historiography in Southeast Europe after Socialism. Hrsg. v. Ulf Brunnbauer. Münster 2004, S. 277–316, besonders S. 280 f. Peter Vodopivec: Slovensko zgodovinopisje med tradicijo in inovacijo. In: Prispevki za novejšo zgodovino 44/2 (2004): Zgodovinopisje v državah naslednicah SFRJ 1991–2003, S. 19–28, besonders S. 21, 25.

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einer authentischen slowenischen Vergangenheit, die sich als brauchbar für eine Definition nationaler Identität im 21. Jahrhundert erweist“39, andererseits vom Bemühen um mehr Differenzierung und um die Überwindung des gesamtnational ausgelegten Paradigmas gekennzeichnet ist.40 Noch unlängst ist die Frage der Neupositionierung von Widerstand und Kollaboration im Zweiten Weltkrieg als das wichtigste anzugehende Thema der slowenischen Geschichtsschreibung bezeichnet worden.41

Literaturhinweise Entrechtung, Vertreibung, Mord. NS-Unrecht in Slowenien und seine Spuren in Bayern 1941–1945. Hrsg. v. Gerhard Jochem und Georg Seiderer. Berlin 2005 Ferenc, Tone: Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941–1945. Maribor 1980 Godeša, Bojan: Kdor ni z nami, je proti nam. Slovenski izobraženci med okupatorji, Osvobodilno fronto in protirevolucionarnim taborom. Ljubljana 1995 Griesser-Pečar, Tamara: Das zerrissene Volk. Slowenien 1941–46: Okkupation, Kollaboration, Bürgerkrieg, Revolution. Wien u.a. 2003 Kavčič, Silvija: Überleben und erinnern. Slowenische Häftlinge im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Berlin 2007 Lešnik, Doroteja, Tomc, Gregor: Rdeče in črno. Slovensko partizanstvo in domobranstvo. Ljubljana 1995 Mlakar, Boris: Slovensko Domobranstvo 1943–1945. Ustanovitev, organizacija, idejno ozadje. Ljubljana 2003 Prispevki za novejšo zgodovino 41/2, 2001: Slovenci in leto 1941 Rutar, Sabine: Zwischen Volkstumspolitik und Volksbefreiungskampf. Braunkohlenabbau im deutsch besetzten Slowenien. In: Zwangsarbeit im Bergwerk. Der Arbeitseinsatz im Kohlenbergbau des Deutschen Reiches und der besetzten Gebiete im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Hrsg. v. Klaus Tenfelde und Hans-Christoph Seidel. Essen. 2005, S. 537–569 Rutar, Sabine: War, Memory, and Nation in the Northeastern Adriatic: A Contribution to Methodology. In: Vojna in mir na Primorksem 1943–1954. Hrsg. v. Borut Klabjan und Jože Pirjevec. Koper 2005, S. 241–254 Tomasevich, Jozo: War and Revolution in Yugoslavia, 1941–1945. Occupation and Collaboration. Stanford 2001 39

40

41

Oto Luthar: Between Reinterpretation and Revisionism. Rethinking Slovenian Historiography of the 1990s. In: (Re-)Writing History, S. 333–350, hier S. 346. Dieses beginnt mit der Feststellung, dass es keine gesamtslowenische Weltkriegserfahrung gab, da die Slowenen den Krieg in verschiedenen staatlichen und politischen Kontexten erlebten (Italien, Jugoslawien, Österreich, Deutschland, Ungarn), vgl. Nevenka Troha: Položaj Slovencev v zamejstvu ob začetku druge svetovne vojne v Jugoslaviji. In: Prispevki za novejšo zgodovino 41/2 (2001): Slovenci in leto 1941, S. 225–236. Luthar, Between Reinterpretation, S. 348. Der Handbuchbeitrag wurde im April 2007 fertiggestellt. Jüngere Forschungsliteratur konnte leider nicht mehr berücksichtigt werden.

Besetztes jugoslawisches Gebiet Slowenien

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Wedekind, Michael: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen „Alpenvorland“ und „Adriatisches Küstenland“. München 2003 Wörsdörfer, Rolf: Krisenherd Adria 1915–1955. Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum. Paderborn 2004

Besetztes jugoslawisches Gebiet Makedonien Heinz Willemsen

Besatzung und Widerstand Mit dem deutschen Überfall auf Jugoslawien am 6. April 1941 geriet auch das Territorium der heutigen Republik Makedonien unter die Herrschaft der Achsenmächte. Aufgrund der Einigung zwischen dem italienischen Außenminister Galeazzo Ciano Graf von Cortelazzo und seinem deutschen Kollegen Joachim von Ribbentrop am 21./22. April 1941 in Wien erhielt Bulgarien den Hauptteil Makedoniens als Besatzungsgebiet. Der Westen Makedoniens um die Städte Tetovo, Gostivar, Debar, Struga und Kičevo sowie die Region um den Prespasee wurde von Italien okkupiert. Am 17. Mai 1941 unter Kriegsrecht gestellt, wurden diese Gebiete im Juli 1941 mit dem seit 1939 von Italien besetzten „unabhängigen“ Albanien vereinigt. Nach der italienischen Kapitulation am 8. September 1943 wurde Westmakedonien wieder von deutschen Truppen besetzt, die nach der bulgarischen Kapitulation am 9. September 1944 auch in den bislang von Bulgarien besetzten Rest Makedoniens vorrückten. In der bulgarischen Besatzungszone waren die Bedingungen für einen aktiven Widerstand denkbar ungünstig. Die zumeist analphabetische Landbevölkerung, zu der über 70 Prozent der Bevölkerung zählte, lebte noch weitgehend in vormodernen Verhältnissen. Ihre Erfahrungswelt war schon seit Generationen durch machtpolitische Auseinandersetzungen der balkanischen Staatenwelt und von traditionellen Konflikten um Land und Eigentum bestimmt. Widerstand gegen die Vertreibung eines großen Teils der serbischen Bevölkerung auf das Gebiet der Nedić-Regierung in Serbien gab es aus diesen Kreisen nicht. Krieg und Besatzung wurden nicht als internationaler ideologischer Bürgerkrieg wahrgenommen, sondern als Fortsetzung traditioneller Konflikte. Zum Teil bis zum Ende der Besatzung war deshalb die vorherrschende Reaktion eine Mischung aus partieller Auflehnung gegen die Einmischung des Staates in lokale Angelegenheiten und einer weitgehenden Anpassung an die Macht des Faktischen.1 Dazu trug auch der Charakter der bulgarischen Herrschaft bei, die zwar von Repressionen gegen die ethnischen Minderheiten der Serben, Türken und Albaner, der Auslieferung der makedonischen Juden an das Deutsche Reich im März 1943 sowie Terror und Verfolgung von politisch Andersdenkenden gekennzeichnet war, aber keine Massenrepressionen an der Zivilbevölkerung kannte, wie in Serbien oder gar im kroatischen Ustaša-Staat.2 1

2

Vgl. Gligor Todorovski: Zapadna Makedonija za Vreme na Okupacijata (1941–1944). Skopje 1998, S. 101 f. Für den Herbst 1944: Nada Boškovska: Spaziergang durch Babino. Makedonische Dorfgeschichte(n). In: Zwischen Adria und Jenissei. Reisen in die Vergangenheit. Hrsg. v. Nada Boškovska, Carsten Goehrke, Caspar Heer, Anna Pia Maissen. Zürich 1995, S. 19–36, hier S. 20 f. Wenig überzeugend ist der Versuch der Gleichsetzung der bulgarischen Besatzung mit dem Ustaša-Regime oder der deutschen Besatzung in Polen ausgerechnet mit dem Verweis auf die

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Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa

Die schmale Schicht des städtischen Bürgertums stand dagegen noch weitgehend unter dem Einfluss der bulgarischen Nationalideologie, die Makedonien als „den romantischsten Teil der bulgarischen Geschichte“ ansah. Vielfach begrüßten diese deshalb den Einmarsch der bulgarischen Truppen als nationale Befreiung von serbischer Fremdherrschaft. Zwar hatte sich in den 1930er Jahren eine neue Opposition gebildet, die sich vom bulgarischen Nationalismus distanziert hatte und die Entwicklung eines makedonischen Regionalbewusstseins mit einem positiveren Verhältnis zum jugoslawischen Staat verbunden hatte. Aber auch dort waren Tendenzen zur Kollaboration erkennbar. Dafür steht etwa Kočo Vanov aus Veles , der bei den Parlamentswahlen 1938 auf den Listen der Vereinigten Opposition um den kroatischen Politiker Vladko Maček gegen die Regierung von Milan Stojadinović (1935–1939) kandidiert hatte.3 Bis zur Kapitulation Italiens leistete nur eine kleine Minorität jener Minderheit der Bevölkerung Widerstand, die überhaupt am politischen Leben Anteil nahm. Die Opposition gegen die bulgarische Besatzung speiste sich dabei weniger aus nationalen Motiven, der Ablehnung von Fremdherrschaft, als vielmehr aus der politischen Gegnerschaft zur nationalsozialistischen Ordnung.4 Getragen wurde dieser illegale aber nicht bewaffnete Widerstand überwiegend von jenem Teil der ehemaligen Vereinigten Opposition, die wie der türkische Leiter der islamischen Vakuf-Bibliothek in Skopje, Zufer Musić, Mitglied der serbischen Volksbauernpartei von Dragoljub Jovanović waren, oder ihr zumindest nahe standen, wie der Kaufmann aus Prilep Metodija Andonov-Čento. Dazu kam noch jene Gruppe der akademischen Mittelschichten, die während ihres Studiums im Belgrad der 1930er Jahre zu den Sympathisanten der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) gehörten, ohne selbst den Weg des Berufsrevolutionärs zu wählen, wie etwa der spätere erste Präsident der Republik Makedonien Kiro Gligorov. Sie beteiligten sich an der Verbreitung von Flugblättern, an Geldsammlungen für die Partisanen und versteckten bedrohte Mitglieder der jüdischen Gemeinde sowie verfolgte Kader der KPJ. An diesen Aktivitäten beteiligten sich auch zahlreiche Mitglieder der großen jüdischen Gemeinden in Skopje und Bitola. Dem Übergang von dieser illegalen Propagandatätigkeit zum bewaffneten Widerstand, wie ihn die KPJ forderte, stand dieser Kreis jedoch lange Zeit sehr reserviert gegenüber. Die deprimierende Demonstration einer gewaltigen Überlegenheit Deutschlands an Technik und Menschen beim Einmarsch der deutschen Truppen ließen sie zögern, ihr Leben ganz dem Widerstand zu widmen.5 Angesichts der militärischen Stärke des Dritten Reiches hielt Andonov-Čento die kommunistische Offensivstrategie für selbstmörderisch.6 Erst nach der Kapitulation Italiens schloss er sich im

3 4

5 6

Bildungs- und Kulturpolitik bei Björn Opfer: Im Schatten des Krieges. Besatzung oder Anschluss – Befreiung oder Unterdrückung? Eine komparative Untersuchung über die bulgarische Herrschaft in Vardar-Makedonien 1915–1918 und 1941–1944. Münster 2005, S. 339 f. Vgl. Strahil Gigov: Sekjavanja. Skopje 1975, S. 177. Vgl. Ilija Andonov-Čento: Mojot Tatko Metodija Andonov-Čento. Skopje 1999, S. 107. Für die ambivalente Haltung einer nationalistischen Gruppe zum Widerstand dagegen siehe Eftim Gašev: Našata Kausa. Skopje 1995. S. 39 f. Vgl. Gigov, Sekjavanja, S. 180 f. Andonov-Čento, Mojot Tatko Metodija Andonov-Čento, S 107.

Besetztes jugoslawisches Gebiet Makedonien

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Herbst 1943 den kommunistischen Partisanen an, während Zufer Musić diesen Schritt bereits einige Monate zuvor gemacht hatte. Die große Mehrheit dieser Gruppe, wie Kiro Gligorov, folgte ihnen aber erst im Frühjahr 1944.7 Auch der makedonische Ableger der KPJ stieß auf große Schwierigkeiten, einen bewaffneten Partisanenkampf zu initiieren. Seit der 1929 proklamierten Königsdiktatur in Jugoslawien unter König Aleksandar I. Karađođević war die 1921 verbotene Partei in Makedonien nahezu nicht mehr existent. Erst in den letzten zwei bis drei Jahren vor dem Krieg konnte wieder von einer organisierten Arbeit der KPJ in Makedonien die Rede sein. Im Zeichen der von der Komintern 1935 beschlossenen antifaschistischen Volksfrontpolitik hatte eine neue jüngere Generation, die zumeist aus der kommunistischen Studentenbewegung in Belgrad stammte, auch in Makedonien die Führung übernommen und die für ihre ständigen Fraktionskämpfe bekannte Partei in eine Kaderpartei leninistischen Typs verwandelt. Trotzdem hatte die Partei zum Zeitpunkt des deutschen Überfalls auf Jugoslawien im Frühjahr 1941 nur wenige hundert Mitglieder.8 Krieg und Besatzung hatten die Partei in einen Zustand der Konfusion versetzt. Die Verbindung zum Zentralkomitee der KPJ war abgerissen und der von der Komintern 1939 entsandte Parteisekretär der Provinz Metodija Šatorov-Šarlo hatte sich geweigert, an der Beratung der KPJ im Mai 1941 teilzunehmen, auf der das Vorgehen unter der Besatzung abgestimmt werden sollte. Stattdessen betrieb er den Anschluss der Regionalorganisation an die bulgarische KP. Šatorov-Šarlo war selbst Mitglied der bulgarischen Partei gewesen und hatte seit 1929 als Komintern-Funktionär in Moskau, Deutschland und Frankreich gewirkt. Anders als die jungen Kommunisten in Makedonien war er noch stark von der Art der Kominternpolitik geprägt, die bis Mitte der 1930er Jahre den jugoslawischen Staat als Teil des antisowjetischen „Cordon sanitaire“ abgelehnt hatte und die makedonischen Slawen als Bulgaren betrachtete. Angesichts des Hitler-Stalin-Paktes vom August 1939 war er deshalb zum illegalen Widerstand gegen die politische Ordnung bereit, nicht unbedingt aber gegen die Vereinigung Makedoniens mit Bulgarien. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde im August 1941 von Moskau entschieden, dass das Provinzkomitee im Rahmen der KPJ verbleiben sollte. Šatorov-Šarlo wurde seines Postens enthoben. Allerdings kann die Politik von Šatorov-Šarlo nicht als die wesentliche Ursache für den späten Beginn des Partisanenkampfes in Makedonien angesehen werden. Der größte Teil seiner Zeit als Parteisekretär fällt in die Periode vor dem 4. Juli 1941, also bevor das Zentralkomitee der KPJ zur Sabotage und Guerillatätigkeit aufgerufen hatte. Obwohl Šatorov-Šarlo auch nach dem Angriff auf die UdSSR passiv blieb, widersetzte er sich nicht den jungen Parteimitgliedern, die Vorbereitungen für einen Guerillakrieg trafen. So wurde bereits im August 1941 von Kommunisten in Skopje eine Partisanengruppe von etwa 40 Mitgliedern aufgebaut, die in die Berge nördlich von Skopje zog.9 7 8

9

Kiro Gligorov: Makedonija e sè što imame. Skopje 2000, S. 43. Vgl. Heinz Willemsen: The Labour Movement and the National Question: The Communist Party of Yugoslavia in Macedonia in the Inter-War Period. in: Mitteilungsblatt des Instituts für Soziale Bewegungen, (Bochum) Nr. 33/2005, S. 99–121. Vgl. Kemal Sejfula: Vo Skopskiot Odred. In: Skopje vo Osloboditelnata Vojna i Revolucija 1941–1945. Hrsg. v. Arhiv na Skopje. Skopje 1984, S. 220–225.

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Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa

Die eigentliche Phase des Defätismus in der Frage des Partisanenkrieges begann erst später, im Spätherbst 1941. Nachdem die Versuche am 11. Oktober 1941 in Prilep und Kumanovo, Anschläge auf Einrichtungen der Besatzungsmacht zu unternehmen, gescheitert waren und zur Verhaftung zahlreicher Funktionäre geführt hatten, setzte sich auch unter größeren Teilen der jungen Funktionärsschicht die Ansicht durch, dass die makedonischen Bedingungen noch nicht reif seien für einen bewaffneten Widerstand. Es erging deshalb die Anweisung des Provinzkomitees, die bewaffneten Gruppen aufzulösen, um die illegale Arbeit der Partei nicht zu gefährden. Charakteristisch ist, dass Widerspruch gegen diesen Beschluss vor allem von besonders jungen Funktionären kam, wie der 22-jährigen Vera Aceva, die selbst Mitglied des Provinzkomitees war. Erst nach heftigen parteiinternen Auseinandersetzungen konnte sich die Opposition im Juni 1942 durchsetzen. Die unmittelbare Aufnahme eines Partisanenwiderstandes wurde damit wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Bis im Frühjahr Jahr 1943 kann indes in Makedonien nicht von einem organisierten Partisanenkampf gegen die Besatzer die Rede sein, abgesehen von vereinzelten Anschlägen und Sabotageaktionen. Außer einigen wenigen Einzelpersonen, wie dem früheren Generalstabsmajor der jugoslawischen Armee Mihailo Apostolski, war die kleine Partisanenbewegung bis zur italienischen Kapitulation nahezu ausschließlich kommunistisch bestimmt. Nach eigenen Angaben waren im Herbst 1942 150–180 Partisanen in sechs Gruppen organisiert.10 Auch der größte Teil der Kommunisten betrieb zu diesem Zeitpunkt weiterhin illegale Propagandaarbeit. Unter einer Mehrheit der Bevölkerung in der bulgarischen Besatzungszone, aber auch unter dem illegalen Widerstand in Skopje, war die Furcht vor einer Rückkehr des alten Jugoslawien weit verbreitet. Außerdem fehlte hier jene gewaltsame Zuspitzung einer interethnischen Konfliktlage, wie sie der kroatische Ustaša-Staat betrieb und die den Motor für das schnelle Wachstum der Partisanen in Bosnien gebildet hatte. Zudem war den im städtischen Milieu beheimateten Kommunisten diese neue Form der Auseinandersetzung bisher völlig unbekannt. Sie begingen deshalb den für eine Guerillabewegung schwersten Fehler: Sie hatten ihre militärische Führung dort, wo die Besatzungsmacht ihr größtes Repressionspotential konzentriert hatte, in Skopje. Der Preis dafür war ein hoher Blutzoll an führenden Kadern der Partei. Erst die Ankunft des Montenegriners Svetozar Vukmanović-Tempo als Instrukteur des Zentralkomitees der KPJ im Februar 1943 führte zur entscheidenden Wende. In Übertragung der bosnischen Erfahrung verlegte er die militärische Führung in eine abgelegene ländliche Region um die Stadt Kičevo in der italienischen Zone.11 Westmakedonien war das Hauptsiedlungsgebiet der makedonischen Albaner. Die Zivilverwaltung hatten die Italiener hauptsächlich mit Albanern aus Albanien und Makedonien besetzt und auf dem Land zum Teil feudale Besitzverhältnisse aus osmanischer Zeit wieder eingeführt. Wenn auch nicht mit der Rigorosität und dem gleichen Ausmaß an Gewalttätigkeit wie im Ustaša-Staat, so übten doch auch hier die albanische Verwaltung und autonome albanische Gruppen einen starken Druck auf die slawische Bevölkerung 10

11

Izvori za Osloboditelnata Vojna i Revolucija vo Makedonija 1941–1945. Bd. I/1. Hrsg. v. Institut za Nacionalna Istorija. Skopje 1968, S. 305. Svetozar Vukmanović-Tempo: Revolucija koja teče. Memoari. Belgrad 1971, S. 326 f.

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aus. Die Folge war ein stetiger Flüchtlingsstrom von Makedoniern in die bulgarische Zone. In Westmakedonien gelang, was bis dato in der bulgarischen Zone nicht erreicht wurde, nämlich mit Hilfe eines projugoslawischen makedonischen Nationalismus eine auf Bauern gestützte Partisanenarmee aufzubauen. Binnen eines halben Jahres wuchs diese kleine Partisanengruppe zu einer Streitkraft von ca. 5000 Mitgliedern. Und mit der Kapitulation Italiens fielen den Partisanen auch Waffen in großem Umfang in die Hände. Zum ersten Mal gelang es, ein größeres befreites Territorium zu halten. Schließlich wurde am 11. November 1943 die 1. Makedonisch-Kosovarische Brigade gebildet. Bereits im Dezember mussten die Partisanen wieder vor dem zurückerobernden deutschen Heer an das Südufer des Prespasees im Norden Griechenlands flüchten. Aber politisch und militärisch gestärkt wandten sie sich im Februar 1944 wieder der strategisch wichtigeren bulgarischen Zone zu. Zwar gelang es den Partisanenverbänden auf ihrem langen Marsch nicht, größere befreite Gebiete zu kontrollieren, außer im Norden in der Region Kumanovo. Dort arbeitete die starke ethnische Mischung der Bevölkerung wie in der italienischen Zone zugunsten der Partisanen, nur dass die Minderheiten hier vor allem Albaner und Serben waren. Zudem kam ihnen die räumliche Nähe zu den serbischen Partisanen zu gute. Aber der Zulauf zu den Partisanen nahm vor allem im Sommer 1944 massenhafte Formen an, bis sie zum Schluss 50–60.000 Mitglieder zählten. So gestärkt konnten sie in ihre schwersten militärischen Auseinandersetzungen gehen, mit der aus Griechenland abziehenden deutschen Heeresgruppe E. Nach der Befreiung von Tetovo am 19. November 1944 hatten die letzten Besatzungstruppen Makedonien verlassen. Am Prespasee hatte das Zentralkomitee der von Vukmanović-Tempo im Frühjahr 1943 zur KP Makedoniens aufgewerteten Regionalorganisation der KPJ auch beschlossen, die gewonnene militärische Stärke in eine neue politische Offensive zu verwandeln. Mit Erfolg wurde seit dem Anfang 1944 um die illegale Opposition in Skopje geworben, wobei zugleich klar gemacht wurde, dass wer jetzt nicht zu den Partisanen überwechsele, bald unwiderruflich zum feindlichen Lager gerechnet würde.12 Die Bündnisbemühungen mündeten schließlich am 2. August 1944, dem Jahrestag eines antiosmanischen Aufstandes von 1903, in der „Antifaschistischen Versammlung der Volksbefreiung Makedoniens“ (ASNOM). Wie in den anderen Regionen Jugoslawiens, so war auch diese Versammlung nach dem Vorbild des AVNOJ (Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung Jugoslawiens) organisiert, in enger Absprache mit Tito und Kardelj und strikt nach deren Vorgaben.13 Die für die Gesellschaft ganz untypische, junge kommunistische Führungsmannschaft der Partisanen, zumeist Intellektuelle und einige Arbeiter, konnte nun auf eine Widerstandsbewegung verweisen, mit der sich politisch, sozial und von der Altersstruktur her breite Bevölkerungskreise identifizieren konnten. Das Machtmonopol der Kommunisten wurde durch dieses Bündnis allerdings nicht in Frage gestellt. Entsprechend der Besonderheit der jugoslawischen 12

13

Vgl. Zbornik na dokumenti od Antifašističkoto Sobranie na Narodnoto Osloboduvanje na Makedonija (ASNOM). Hrsg. v. Institut za Nacionalna Istorija. Skopje 1984, S. 107 ff. Vgl. Andonov-Čento, Mojot Tatko Metodija Andonov-Čento, S. 201 f.

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Volksfrontpolitik waren die makedonischen Kommunisten kein Bündnis mit politischen Strömungen eingegangen, sondern mit Einzelpersonen. Nach ihrem Übertritt zu den Partisanen wurden Personen wie Andonov-Čento, Zufer Musić und Kiro Gligorov deshalb zumeist in die KP kooptiert. Als Folge des Partisanenkampfes und des Selbstverständnisses der makedonischen Kommunisten als Teil eines gesamtjugoslawischen Widerstandes wurde Makedonien jetzt zum ersten Mal eine eigene Teilrepublik im neuen jugoslawischen Staat. Die rigide Durchsetzung des kommunistischen Machtmonopols bereits unmittelbar nach dem Krieg als Teil des jugoslawischen Sonderweges führte jedoch alsbald zur Entfremdung und Verfolgung vieler ehemaliger Bündnispartner der Kommunisten, die z. T. den mangelnden Einsatz für irredentistische Ziele im Norden Griechenlands beklagten, sich vor allem aber am neuen gesellschaftlichen System rieben.

Historische Bewertung und Forschung Die wissenschaftliche Diskussion in Jugoslawien konzentrierte sich nahezu ausschließlich auf nur eine Form des Widerstands, den bewaffneten Widerstand in Form der kommunistischen Partisanen. Anders als im Rest Jugoslawiens geht die makedonische Geschichtswissenschaft davon aus, dass einheimische Kollaboration in Makedonien ein extrem seltenes Phänomen einiger weniger Einzelpersonen war. Bei dem makedonischen Partisanenkampf handelte es sich demnach um eine nationale Volkserhebung gegen fremde Besatzer. Die für Jugoslawien typische Verbindung und Überlagerung des Kampfes gegen äußere Besatzer mit dem inneren Bürgerkrieg wird deshalb für den makedonischen Fall abgestritten. Ein großer Teil dessen, was in der makedonischen Sekundärliteratur aber unter dem Oberbegriff „Partisanen“ abgehandelt wird, wie das Betreiben illegaler Druckereien, die Unterwanderung der bulgarischen Schülerorganisation „Branik“ etc., gehört eigentlich zu anderen Formen des Widerstandes. Zudem wird der Partisanenkampf mittlerweile nur noch unter dem Aspekt der nationalen Abgrenzung der Makedonier von den Bulgaren betrachtet. Dabei tritt der allgemeine Kontext, der Zweite Weltkrieg und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Neuordnung Europas, völlig in den Hintergrund. Seit 1990 werden nun zum Teil auch offene Erscheinungen der Kollaboration zum Partisanenwiderstand gerechnet, sofern sie sich nur als Ausdruck makedonischen Nationalismus definieren lassen. Bei einigen Historikern, wie etwa Gjorgji Malkovski, ist eine deutliche Tendenz zur affirmativen Betrachtung der deutschen Besatzung erkennbar.14 Der von ihm gebrauchte Widerstandsbegriff verliert damit jeden Sinn. Eine Verwissenschaftlichung der Diskussion in Skopje ist derzeit jedoch nicht in Sicht. Auch die internationale Forschung hat sich mit Makedonien fast ausschließlich unter dem Aspekt der makedonischen Nationsbildung befasst und den Partisanenkampf nur in Bezug zu dieser Problematik behandelt. So sehr der von den Makedoniern gelieferte Begründungszusammenhang für die Nationsbildung kritisch bewertet wird, so 14

Gjorgji Malkovski: Politički Partii, Organizacii i Grupi vo Makedonija vo Vtorata Svetska Vojna 1941–1944 Godina. Skopje 2002, S. 79 f.

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wird doch in aller Regel der verkürzte und ausschließlich national definierte Widerstandsbegriff der makedonischen Wissenschaft übernommen und die fehlende Abgrenzung unterschiedlicher Widerstandsformen nicht thematisiert. In der internationalen Diskussion hat Stefan Troebst vor einigen Jahren die These aufgestellt, dass die KP 1943 in Westmakedonien die Unterstützung einer schnell wachsenden, nichtkommunistischen, makedonisch-nationalen Partisanenströmung bekommen habe.15 Abgesehen davon, dass der größte Teil der von ihm in diesem Zusammenhang genannten Personen sich erst im Frühjahr und Sommer 1944 den Partisanen angeschlossen hatte, wird die Bedeutung des interethnischen Bürgerkrieges für das Erstarken des Widerstand mit dieser These ignoriert. Es besteht die Gefahr, dass damit der Ersetzung des kommunistischen Partisanenmythos durch einen neuen nationalistischen Mythos Vorschub geleistet wird.

Literaturhinweise Die makedonische Wissenschaft hat eine Reihe von Quelleneditionen herausgegeben, die die von der KP und den Partisanen publizierten Zeitungen und Aufrufe und die Korrespondenz der Partei- und Partisanenführer beinhaltet.16 Seit den 1980er Jahren konzentrieren sich die Veröffentlichungen auf die ASNOM-Tagung.17 Für den unbewaffneten Widerstand liegen bisher nur die autobiografischen Aufzeichnungen von Metodija Andonov-Čento und Kiro Gligorov vor. Obwohl in Makedonien eine kaum noch zu überschauende Zahl an lokalen Studien und Sammelbänden publiziert wurde, fehlt bis jetzt eine Gesamtdarstellung des Partisanenwiderstandes. Einen brauchbaren Ersatz stellt die 2003 von Velimir Brezoski veröffentlichte Geschichte der KPM in den Kriegsjahren dar, die vergleichsweise zurückhaltend in der nationalen Interpretation der Geschichte ist.18

15

16

17 18

Stefan Troebst: Yugoslav Macedonia, 1944–1953: Building the Party, the State and the Nation. In: Berliner Jahrbuch für Osteuropäische Geschichte 1994, Bd. 2, S. 103–139, hier S. 105 f. Izvori. Bd. I/1–7. Skopje 1968; Istoriski Arhiv na Komunističkata Partija na Makedonija. Bd. 1– 2. Hrsg. v. Istorisko Oddelenie pri Centralniot Komitet na KPM. Skopje 1952–1958. ASNOM. Dokumenti. Bd. 1/1–5. Hrsg. v. Arhiv na Makedonija. Skopje 1984–1994. Velimir Brezoski: Kommunistička Partija na Makedonija 1941–1944. Skopje 2003.

Albanien: Widerstand gegen die italienische Besetzung und die deutsche Besatzung Peter Bartl Als der Zweite Weltkrieg begann, war Albanien bereits kein selbständiger Staat mehr. Am 7. April 1939 waren italienische Truppen gelandet und hatten das Land besetzt. Die von italienischen Offizieren ausgebildete und kontrollierte kleine albanische Armee leistete keinen Widerstand. In Durrës versuchte lediglich der Gendarmerieoffizier Abaz Kupi, mit einigen Gendarmen und Stadtbewohnern zwei italienische Divisionen aufzuhalten, was kurzfristig sogar gelang und dem seit 1928 herrschenden König Zogu die Flucht nach Griechenland ermöglichte.1 Am 16. April wurde Albanien in Personalunion mit dem Königreich Italien verbunden. Das Ausland nahm, mit Ausnahme der USA, die italienische Aggression ohne Protest hin. Ausschlaggebend für die weitere Haltung der Westmächte ab Herbst 1939 war, dass man das bisher noch neutrale Italien aus dem inzwischen begonnenen Krieg heraushalten wollte.2 Die Tatsache, dass mit Ausnahme von Kupi kein ernsthafter Widerstand geleistet wurde, bedeutete nicht, dass die Italiener in Albanien willkommen waren. Es kam zu Demonstrationen vor den ausländischen Gesandtschaften, bei denen gegen die italienische Invasion protestiert wurde.3 Bald folgten weitere Aktionen passiven Widerstandes: Schüler verweigerten den römischen Gruß, Bilder von Mussolini und vom italienischen König Viktor Emanuel III. wurden heruntergerissen.4 Am 28. November 1939, dem albanischen Nationalfeiertag, demonstrierten Schüler in Shkodra und Korça. In den Städten wurden antiitalienische Flugblätter verteilt.5 Vereinzelt erfolgten Überfälle auf italienische Soldaten und kleinere Sabotageaktionen. 1940 verstärkte sich der Widerstand vor allem im jugoslawisch-albanischen Grenzgebiet. Dort operierten Gruppen von Zogu-Anhängern wie Ibrahim Kupi (Bruder von Abaz Kupi), Cen Elezi und Murat Kaloshi. Zu ihnen gesellten sich einstige Gegner König Zogus, die nach Jugoslawien geflohen waren, wie Myslim Peza und Muharrem Bajraktari, und nun nach Albanien zurückkehrten. Gemeinsam war ihnen das Bestreben, Positionen und Besitz zurückzuerlangen, die sie durch Zogu bzw. die Italiener verloren hatten, und die als Besatzung empfundene italienische Herrschaft zu stürzen. Ihre Banden führten vor allem im Raum von Mati und Dibra einen Kleinkrieg gegen die Italiener.6 1

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3

4 5 6

Julian Amery: Sons of the Eagle. A Study in Guerilla War. London 1948, S. 34. König Zogu, geb. 1895, hatte zuvor von 1925 bis 1928 als Präsident regiert. Im Exil ging er nach Großbritannien und Ägypten. Er starb 1961 in Frankreich. Vgl. Elisabeth Barker: British Policy in South-East Europe in the Second World War. London 1976, S. 47. Bernhard Kühmel: Deutschland und Albanien 1943–1944. Die Auswirkungen der Besetzung auf die innenpolitische Entwicklung des Landes. Diss. Bochum 1981, S. 86. Bernd J. Fischer: Albania at War, 1939–1945. West Lafayette, Indiana 1999, S. 98–100. Vgl. Hubert Neuwirth: Widerstand und Kollaboration in Albanien (1939–1944). S. 53–55. Siehe ebenda, S. 58–60.

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Nach dem italienischen Kriegseintritt bemühte sich der britische Geheimdienst, in Albanien einen Aufstand auszulösen. Die „Section D“, später umbenannt in S.O.E. (Special Operations Executive), hatte bereits im Mai 1939 Interesse an Albanien gezeigt, das ihr als idealer Platz für eine Guerillakriegführung erschien.7 Mit der Vorbereitung des Aufstandes wurde Dayrell Oakley-Hill beauftragt, der einst Zogus Gendarmerie ausgebildet hatte. Er wurde 1940 in das Belgrader Büro der S.O.E. beordert und nahm Kontakte zu albanischen Freunden, besonders zu Gani und Said Bej Kryeziu auf. Abaz Kupi wurde von Istanbul nach Belgrad geholt und der als Kommunist geltende Mustafa Gjinishi ebenso in die Pläne eingeweiht.8 Am 7. April 1941 überschritten Oakley-Hill, die Gebrüder Kryeziu und Abaz Kupi mit 300 Mann die jugoslawische Grenze zu Albanien, um dort einen Aufstand zu entfachen. Das unzureichend vorbereitete Unternehmen schlug jedoch fehl, da die katholischen Bergstämme ihre Unterstützung verweigerten9 und da es zudem zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt – während des Balkanfeldzuges der Achsenmächte – erfolgte, der den Krieg endgültig nach Südosteuropa brachte. Vorangegangen war der italienische Angriff auf Griechenland, der am 28. Oktober 1940 von Albanien aus erfolgte und mit einem Desaster endete. Die Albaner waren am Griechenlandfeldzug mit 20.000 Mann regulärer Truppen und mit Freiwilligenverbänden beteiligt. Ihr Einsatz wird unterschiedlich bewertet: Nach einem deutschen Bericht vom 7. Dezember 194010 waren die albanischen Soldaten „in hellen Scharen zu den Griechen übergelaufen“. Auch albanische Autoren sprechen von Desertionen und sogar davon, dass sich albanische Deserteure der griechischen Armee anschlossen, um gegen die Italiener zu kämpfen.11 Im Gegensatz dazu spricht der Statthalter des Königs in Albanien, Francesco Jacomoni, von einer „Legende vom albanischen Verrat“: Es sei kein albanischer Soldat zum Feind übergelaufen.12 Die drohende militärische Niederlage veranlasste Mussolini, beim deutschen Verbündeten um Hilfe zu ersuchen. Am 6. April 1941 griffen die Truppen der Achsenmächte sowohl Griechenland als auch Jugoslawien an. Der Widerstand in beiden Ländern brach rasch zusammen: Am 17. April kapitulierte die jugoslawische, am 24. April die griechische Armee. Bei der darauf folgenden territorialen Neuordnung kamen vom albanischen Siedlungsgebiet in Jugoslawien der größte Teil von Kosovo, Westmakedonien und die ganz oder teilweise von Albanern bewohnten Gebiete Montenegros unter italienische Verwaltung. Als die Italiener am 12. August 1941 ihr neues Besatzungsgebiet mit Albanien vereinigten, entstand ein Großalbanien, von dem die albanischen Pa7 8 9

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Bickham Sweet-Escott: Baker Street Irregular. London 1965, S. 28. Amery, Sons of the Eagle, S. 35. Dayrell R. Oakley-Hill: An Englishman in Albania. Memoirs of a British Officer 1929–1955. London 2002, S. 112–147. Zitiert bei Kühmel, Deutschland und Albanien 1943–1944, S. 90. So Shyqyri Ballvora: Zhvillimet politike në periudhën e Luftës Antifashiste Nacionalçlirimtare. Vështrim historik (7 prill 1939 – 29 nëntor 1944 [Die politische Entwicklung zur Zeit des antifaschistischen Nationalen Befreiungskampfes. Historische Betrachtung (7. April 1939–29. November 1944)]. Tiranë 2004, S. 50 f. Francesco Jacomoni di San Savino: La politica dell’Italia in Albania nelle testimonianze del Luogotenente del Re. Bologna 1965, S. 269.

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trioten einst geträumt hatten. Albanien umfasste danach 42.469 qkm mit 1.756.000 Einwohnern (gegenüber 28.748 qkm mit 1.122.000 Einwohnern vorher). Dieses Großalbanien war allerdings Bestandteil des italienischen Imperiums mit nur eingeschränkter Eigenstaatlichkeit. Da der Griechenlandfeldzug die Schwäche der Italiener aufgezeigt hatte, begann sich der Widerstand in Albanien zu verstärken. Nach einem missglückten Attentat auf König Viktor Emanuel III. in Tirana wurden im Mai 1941 1130 Häuser durchsucht, 21131 Personen vernommen und 5279 in italienischen Lagern interniert.13 Im April 1942 wurden eine nächtliche Ausgangssperre und ein Versammlungsverbot verhängt. Bei Verstößen gegen die Sicherheit von Straßen und Telefonverbindungen wurde eine kollektive Bestrafung der Bevölkerung angeordnet.14 Dennoch verloren die Italiener allmählich, mit Ausnahme der größeren Städte und Hauptverbindungswege, die Kontrolle über das Land. Als erschwerend kam hinzu, dass mit den Kommunisten 1941 eine weitere Widerstandsgruppe entstand, die bald die Führungsrolle beanspruchte. Albanien war das einzige Balkanland, das keine Kommunistische Partei besaß. 1928 wurde in Moskau eine kleine Albanische Kommunistische Partei im Exil gegründet. Im gleichen Jahr sandte die Komintern einige Exilalbaner in ihre Heimat, um dort kommunistische Zellen aufzubauen.15 Diese Zellen waren untereinander über ideologische und organisatorische Fragen zerstritten. Erst nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und mit jugoslawischer Initiative einigten sich schließlich die albanischen Kommunisten. Am 4. November 1942 trafen sich in Tirana 20 Delegierte von drei kommunistischen Gruppen und gründeten am 8. November die Kommunistische Partei Albaniens. Umstritten ist die Rolle, die jugoslawische Kommunisten bei der Parteigründung spielten.16 Immerhin begann zwischen beiden Parteien eine enge Zusammenarbeit. Das äußerte sich nicht nur in der Übernahme des roten Sterns als Partisanenabzeichen und des jugoslawischen Partisanengrußes „Smrt fašizmu – Sloboda narodu“ (Tod dem Faschismus – Freiheit dem Volke, albanisch: Vdekje fashizmit – Liri popullit), sondern auch in der Volksfronttaktik, die die albanischen Kommunisten bald verfolgten. Hauptaufgabe der Partei war der Kampf „für die nationale Unabhängigkeit des albanischen Volkes und für eine demokratische Volksregierung in einem Albanien ohne Faschismus“.17 Dazu mussten sie aber erst einmal eigene bewaffnete Verbände aufstellen. Sie konzentrierten ihre Bemühungen zunächst auf Südalbanien, auf den Raum um Korça, wo sie von der städtischen Jugend und von landlosen Bauern Zulauf beka13 14 15 16

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Historia e Shqipërisë [Geschichte Albaniens]. 2. Tiranë 1965, S. 699. Neuwirth, Widerstand und Kollaboration in Albanien, S. 69. Vgl. Nicholas Pano: The People’s Republic of Albania. Baltimore 1968, S. 31 ff. Als erwiesen kann gelten, dass mit Miladin Popović und Dušan Mugoša zwei KPJ-Funktionäre bei der Gründung zugegen waren. In der albanischen Geschichtsschreibung wird das verschwiegen, während die jugoslawische betont, dass die beiden KPJ-Abgesandten die Parteigründung veranlasst hätten. Vgl. Pano, The People’s Republic of Albania, S. 42, Anm. 61, und Vladimir Dedijer: Jugoslovensko-albanski odnosi [Jugoslawisch-albanische Beziehungen]. Beograd 1949, S. 15 f.; Svetozar Vukmanović Tempo: Mein Weg mit Tito. Ein Revolutionär erinnert sich. München, Zürich 1972, S. 130. Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens. Tirana 1971, S. 104.

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men.18 Trotzdem ging es mit der Bildung kommunistischer Freischaren nur sehr langsam voran. Es fehlte an Waffen, Geld und Leuten mit militärischer Erfahrung.19 Vor allem war die kommunistische Partisanenbewegung bisher eine rein toskische Angelegenheit; es soll der Kommunist Mustafa Gjinishi gewesen sein, der die Verbindungen zum gegischen Norden herstellte.20 Er war es auch, der Myslim Peza, Haxhi Lleshi und den Bektaschi Baba Faja Martaneshi für die Zusammenarbeit mit den Kommunisten gewann.21 Im Sommer 1942 riefen die Kommunisten zu einer Konferenz auf, an der sich die Führer der Widerstandsgruppen und alle Gegner des italienischen Besatzungsregimes beteiligen sollten. Sie fand am 16. September in Peza (bei Tirana) statt. Auf der Konferenz wurde eine „Nationale Befreiungsbewegung“ (Lëvizja Nacionalçlirimtar = LNÇ, 1944 umbenannt in „Nationale Befreiungsfront“, Fronti Nacionalçlirimtar = FNÇ22) gegründet, die von einem achtköpfigen „Provisorischen Generalrat der Nationalen Befreiung“ geleitet wurde. Ferner wurde eine „Plattform des Nationalen Befreiungskampfes“ verabschiedet. Diese sah vor: Kampf für ein freies, unabhängiges und demokratisches Albanien, Mobilisierung aller patriotischen Kräfte „ohne Unterschied der Klasse, der politischen Überzeugung, Religion und Herkunft“, Einrichtung von „Nationalen Befreiungsräten“ als Organen der Volksmacht in den befreiten Gebieten, Vorbereitung eines allgemeinen Volksaufstandes als letzter Etappe des Partisanenkampfes und Entfesselung eines organisierten Kampfes gegen die italienischen Aktiengesellschaften und alle Ausbeuter, die mit Hilfe der Besatzungsmächte Gewinne auf Kosten des Volkes erzielten.23 Durch die Zusammenarbeit mit dem nichtkommunistischen Widerstand wurden die bisher völlig bedeutungslosen kommunistischen Partisanengruppen zweifellos aufgewertet. Die Kommunisten verstanden es auch, sich die Kontrolle innerhalb der LNÇ zu sichern.24 Lediglich Abaz Kupi widersetzte sich dieser Entwicklung und duldete in den von ihm kontrollierten Gebieten weder politische Kommissare noch Volksbefreiungsräte.25 Die Zahl der Widerstandskämpfer wuchs nach Peza stark an.26 Zur Konferenz von Peza waren nicht alle eingeladenen nichtkommunistischen Politiker gekommen. Nicht erschienen war Mithat Frashëri, der Sohn des berühmten Ligaführers Abdyl Frashëri.27 Er und sein Vetter Mehdi gelten als Initiatoren der nationalen Widerstandsbewegung „Balli Kombëtar“ (Nationale Front), deren Gründungsdatum 18 19 20

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Amery, Sons of the Eagle, S. 55. Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens, S. 112. Die albanische Bevölkerung teilt sich nach sprachlichen und mentalitätsmäßigen Kriterien in eine gegische Gruppe im Norden und eine toskische Gruppe im Süden. Die Sprachgrenze verläuft in etwa entlang des Flusses Shkumbi. Amery, Sons of the Eagle, S. 56. Reginald Hibbert: Albania’s National Liberation Struggle: The Bitter Victory. London, New York 1991, S. 147. Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens, S. 137. Vgl. Fischer, Albania at War, S. 131. Amery, Sons of the Eagle, S. 87. Hibbert, Albania’s National Liberation Struggle, S. 20. Mit der „Liga von Prizren“ (1878–1881) datiert der Beginn der albanischen Nationalbewegung.

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umstritten ist.28 Balli Kombëtar verstand sich wie die LNÇ als überparteilicher Zusammenschluss albanischer Patrioten. Sie war antifaschistisch und republikanisch und für ein freies Albanien in seinen ethnischen Grenzen. Nach dem „Dekalog“, dem Programm der Organisation, sollte kein Bauer ohne eigenen Boden, kein Arbeiter ohne gesicherten Lebensunterhalt sein. Für Verräter, Spekulanten und Feudalherren sollte kein Platz sein. Das Programm von Balli war national und sozial wesentlich radikaler als das der LNÇ.29 Ihr schlossen sich deshalb auch kleinere marxistische Gruppen wie „Zjarri“ (Das Feuer) und die Sozialdemokraten an.30 Organisatorisch war Balli ähnlich aufgebaut wie die LNÇ. Sie hatte ein Zentralkomitee mit Mithat Frashëri an der Spitze und verfügte über Regionalkomitees, eine Jugendorganisation und über zwei illegale Periodika. Auch bei Balli wurden Partisaneneinheiten aufgestellt, die gegen die italienischen Besatzungstruppen kämpften. Anfangs kam es zur Zusammenarbeit mit kommunistischen Partisanen, so Ende 1942/Anfang 1943 bei den Kämpfen um Tragjas (bei Vlora).31 Balli Kombëtar wurde zu einer ernsthaften Gefahr für die Kommunisten. Enver Hoxha, der auf der ersten Landeskonferenz der KPA (17.–22. März 1943 in Labinoti) zum Generalsekretär gewählt worden war, musste der neuen Situation Rechnung tragen. In einem Schreiben an das Bezirkskomitee von Korça konstatierte er, dass man sich mit den Ballisten verständigen müsse, zumal unter ihnen „viele gute und aufrechte Elemente“ seien, „die die Einheit und den Kampf wirklich wünschen.“32 In Mukja bei Kruja kam es zu Verhandlungen zwischen beiden Widerstandsgruppen (1.–3. August 1943), die mit einer Verständigung endeten. Es wurde beschlossen, ein „Komitee zur Rettung Albaniens“ zu bilden, das die Funktion einer Provisorischen Regierung ausüben sollte. Fremde Besatzungstruppen sollten bekämpft werden. Ziel sollte ein freies, unabhängiges und volksdemokratisches (demokratike popullore) Albanien in seinen ethnischen Grenzen sein. Über die Staatsform sollte eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene verfassungsgebende Nationalversammlung befinden.33 Bemerkenswert ist, dass die Kommunisten in der LNÇ-Delegation – darunter waren immerhin das Politbüromitglied Ymer Dishnica und Mustafa Gjinishi – das Abkommen mitunterzeichneten und damit auf die Führungsrolle ihrer Partei verzichteten. Ob sie dabei von sich aus über ihre Direktiven hinausgingen, wie später in der albanischen

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Nach kommunistischen albanischen Autoren wurde sie als Reaktion auf die Konferenz von Peza im November 1942 gegründet; eine „ballistische“ Zeitung nennt bereits den 31. August 1939 als Gründungsdatum, siehe Faik Lama: Demaskimi dhe shpartallimi i organizatave tradhtare gjatë Luftës Antifashiste Nacionalçlirimtare [Demaskierung und Zerschlagung der Verräterorganisationen während des Antifaschistischen Nationalen Befreiungskampfes]. Tirana 1985, S. 25. Im Schriftverkehr der italienischen Behörden taucht der Name in der ersten Jahreshälfte 1942 auf, siehe Neuwirth, Widerstand und Kollaboration in Albanien, S. 99. Muharrem Dezhgiu: Shqipëria në luftë (1939–1944). Studime dhe refleksione [Albanien im Kampf, 1939–1944. Studien und Betrachtungen]. Tirana 2001, S. 330 f. Lama, Demaskimi dhe shpartallimi i organizatave tradhtare, S. 34. Vgl. Neuwirth, Widerstand und Kollaboration in Albanien, S. 83 f. Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens, S. 147. Der Text des Abkommens steht bei Dezhgiu, Shqipëria në luftë, S. 331 f.

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Parteigeschichtsschreibung behauptet wurde34, oder ob sie im Einvernehmen mit Enver Hoxha handelten35, ist ungewiss. Sicher ist, dass die Beschlüsse von Mukja auf den Widerspruch der jugoslawischen KP stießen.36 Während die Ballisten unmittelbar nach Mukja ihren Kampf gegen die Italiener verstärkten37, verwarf das ZK der KPA am 8. August das Abkommen als vollständige Kapitulation vor den Ballisten. Die Partei sei nicht bereit, die Früchte des Befreiungskampfes mit Balli Kombëtar zu teilen und dem reaktionären Bürgertum den Weg an die Macht zu ebnen.38 Die LNÇ kündigte daraufhin auf ihrer zweiten Konferenz in Labinoti (4.-9. September 1943) das Abkommen auf. Als Reaktion darauf traten am 18. September die Zogisten unter Abaz Kupi aus der LNÇ aus und gründeten eine eigene „National-Zogistische Partei“, die am 21. November 1943 in „Partei der Legalität“ (Partia e Legalitetit) umbenannt wurde.39 Die Partei wurde in Mittel- und Nordalbanien zu einer Konkurrenz für die Kommunisten, zumal sie zeitweilig von den Briten unterstützt wurde. Die Briten hatten sich nach dem Fiasko der Aktion Oakley-Hill 1941 nicht weiter um Albanien gekümmert. Die Situation änderte sich, nachdem die Alliierten im Sommer 1943 auf Sizilien gelandet waren und ein Ausscheiden Italiens aus dem Krieg bevorzustehen schien. Die S.O.E. versuchte, Kontakte zum albanischen Widerstand aufzunehmen und diesen zu stimulieren. Ende April 1943 wurden die Offiziere Billy McLean, David Smiley und Garry Duffy nach Albanien eingeschleust.40 Nach einigen Schwierigkeiten kamen sie mit kommunistischen Partisanen in Südalbanien in Kontakt. Aus Misstrauen versuchte Enver Hoxha, die Briten von allen Informationen fernzuhalten.41 Dieses Misstrauen war u.a. dadurch bedingt, dass London Verbindungsoffiziere nicht nur zu den kommunistischen, sondern auch zu nichtkommunistischen Partisanen schickte: Im April 1944 waren elf Offiziere bei den Kommunisten im Süden und 16 bei den Nationalisten im Norden tätig.42 Zu den Führern der Widerstandsgruppen im Norden fanden die Briten leichter Kontakt als zu den Kommunisten. Trotz des Misstrauens, das die KPA-Führer gegenüber den Briten hegten, brauchten sie diese, denn mit den Militärmissionen waren auch materielle Hilfeleistungen verbunden. Allein in den Monaten Juni-August 1943 wurden 19,5 t Waffen, Munition und Ausrüstung über dem Partisanengebiet abgeworfen, die hauptsächlich zur Ausstattung der 1. Partisanenbrigade verwendet wurden, die von McLean und Smiley ausgebildet wur-

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Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens, S. 182 f. So Pano, The People’s Republic of Albania, S. 52. Vgl. Dedijer, Jugoslovensko-albanski odnosi, S. 89–92; Vukmanović Tempo, Mein Weg mit Tito, S. 131 f. Neuwirth, Widerstand und Kollaboration in Albanien, S. 114. Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens, S. 184 ff. Vgl. Dezhgiu, Shqipëria në luftë, S.244–250. S. David Smiley: Albanian Assignment. London 1984, S. 14 ff. Hibbert, Albania’s National Liberation Struggle, S. 54; sehr deutlich kommt dieses Misstrauen auch bei Enver Hoxha: Anglo-amerikanische Machenschaften in Albanien. Erinnerungen aus dem Nationalen Befreiungskampf. Tirana 1982, z. B. S. 31, zum Ausdruck. Hibbert, Albania’s National Liberation Struggle, S. 109 f.

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de.43 Diese Hilfeleistungen wurden dann nach der deutschen Winteroffensive gegen die Partisanen verstärkt, und zwar auf 27,5 t allein im April 1944.44 Inzwischen war der langerwartete militärische Zusammenbruch der Italiener erfolgt. Am 8. September 1943 kapitulierte Italien vor den Alliierten. Albanien wurde daraufhin von der deutschen Wehrmacht besetzt. Etwa 90.000 Italiener gerieten in deutsche Gefangenschaft, etwa 45.000 tauchten im Land unter. Britische Verbindungsoffiziere und Partisanenführer versuchten, die weisungslosen Italiener zu überreden, ihre Waffen den Partisanen zu übergeben. Sie hatten dabei nur bei der Division „Firenze“ Erfolg, von der sich einige (1.500–2.200 Mann) der LNÇ anschlossen und das Bataillon „Antonio Gramsci“ bildeten.45 Andere italienische Einheiten versuchten, die Küste zu erreichen, um von dort nach Italien zu gelangen.46 Einzelne italienische Truppenteile ergaben sich weder den Deutschen noch den Partisanen, sondern bildeten Widerstandszentren und kämpften gegen die Deutschen.47 Bei Kriegsende sollen immer noch 20.000 italienische Soldaten in Albanien gewesen sein.48 Die Wehrmacht hatte viel zu wenig Truppen zur Verfügung, um in Albanien eine starke militärische Präsenz zeigen zu können. Die deutsche Seite war deshalb bestrebt, in Albanien stabile politische Verhältnisse einzurichten. Noch im September 1943 wurde Hermann Neubacher, der „Sonderbevollmächtigte des Auswärtigen Amtes für den Südosten“, nach Albanien geschickt. Er sollte dafür sorgen, dass ein „aus eigener Initiative unabhängiges Albanien“ geschaffen wurde.49 Albanische Politiker sollten zur Bildung einer Regierung und zur Übernahme der Verwaltung bewegt werden. Die Regierung sollte deutschfreundlich und antikommunistisch sein. Die angesprochenen Politiker zeigten sich aber zurückhaltend. Man glaubte damals an eine baldige alliierte Landung auf dem Balkan und wollte sich nicht kompromittieren. Erfolgreicher waren die deutschen Bemühungen in den „neualbanischen“, d. h. den 1941 Albanien angeschlossenen Gebieten. Auf Initiative der Kosovaren Bedri Pejani und Xhafer Deva sowie des Elbasaners Ibrahim Biçaku wurde am 14. September 1943 ein Nationalkomitee gegründet, das eine Provisorische Regierung unter Biçaku einsetzte. Sie sollte eine Nationalversammlung vorbereiten, die über den künftigen Status Albaniens befinden sollte. Diese Nationalversammlung trat am 16. Oktober 1943 zusammen, setzte die Verfassung von 1928 wieder in Kraft, ernannte einen Regentschaftsrat und wählte eine Regierung, der der Kosovare Rexhep Mitrovica vorstand. Albanien wurde für unabhängig und neutral erklärt. Die albanische Unabhängigkeit wurde von Deutschland als

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Ebenda, S. 53; Smiley, Albanian Assignment, S. 65 ff. Hibbert, Albania’s National Liberation Struggle, S. 113. Fischer, Albania at War, S. 163. Vgl. Giovanni Bonomi: Albania 1943. La tragica marcia dei militari italiani da Tepeleni e Argirocastro a Santi Quaranta. Mailand 1972. Vgl. den Bericht von Major Hermann Frank: Partisanenkampf in Albanien. In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift 120 (1954) S. 362. Fischer, Albania at War, S. 163; über das Schicksal der in Albanien verbliebenen Italiener vgl. Franco Benanti: La guerra più lunga. Albania 1943–1948. Mailand 1966. Hermann Neubacher: Sonderauftrag Südost 1940–1943. Bericht eines fliegenden Diplomaten. Göttingen 1956, S. 14, 105.

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„relative Souveränität“50 betrachtet. Die Alliierten aber ließen sich von der albanischen Unabhängigkeits- und Neutralitätserklärung nicht beeindrucken und unterstützten weiterhin die innenpolitischen Gegner der Regierung, soweit diese gegen die Deutschen kämpften. Aus dem Kampf gegen die Besatzungstruppen wurde Ende 1943 ein albanischer Bürgerkrieg. Die zwischen zwei Fronten geratenen nichtkommunistischen Gruppen waren verstärkt bereit, sich mit den Deutschen zu arrangieren, teilweise sogar mit ihnen gegen die LNÇ zu kämpfen. Letzteres war vor allem bei Teilen der Balli Kombëtar der Fall, deren Liquidierung Hoxha Ende Oktober 1943 angekündigt hatte.51 Der LNÇ bot sich dadurch die Möglichkeit, als alleiniger Kämpfer gegen die Besatzungstruppen aufzutreten. Sie hatte damit auch Erfolg: In dem Maße, wie die alliierte Hilfe für die LNÇ zunahm, verringerte sie sich für die nationalen Verbände. Noch waren die Briten aber nicht bereit, den nichtkommunistischen Widerstand ganz aufzugeben. Sie versuchten, diesen zum Kampf gegen die Deutschen zu bewegen und die Kommunisten zu veranlassen, den Kampf gegen die Nationalisten aufzugeben. Dazu sollte auch die Mission von Brigadegeneral „Trotsky“ Davies dienen, der Mitte Oktober 1943 nach Albanien kam. Er drohte, bei Fortsetzung des Bürgerkrieges würde die alliierte Militärhilfe eingestellt werden. Hoxha verbat sich jedoch eine Einmischung in inneralbanische Angelegenheiten.52 Trotz aller Antipathien, die die britischen Offiziere gegenüber den Kommunisten zeigten, konnten sie nicht umhin festzustellen, dass die LNÇ die einzige Organisation war, die konsequent gegen die Deutschen kämpfte. Sie sollte deshalb größtmögliche Unterstützung erhalten.53 Im Laufe der deutschen „Winteroffensive“ (November 1943-Februar 1944) erlitten die Partisanen aber schwere Verluste. Die Freischar von Myslim Peza wurde zersprengt und im Süden wurden die Partisanen in die Defensive gedrängt und von der Versorgung abgeschnitten.54 Im März 1944 kontrollierte die Regierung wieder alle albanischen Präfekturen mit Ausnahme von Gjirokastra.55 Doch die LNÇ konnte sich wieder reorganisieren und ging im April bereits überall zur Offensive über. Im Mai 1944 schätzte die S.O.E. die Stärke der Partisanen, die sich seit Juli 1943 als „Nationale Befreiungsarmee“ bezeichneten, auf 20.000 Mann.56 Bis Oktober soll sich ihre Zahl nach albanischen Angaben auf 70.000 erhöht haben; davon waren 90 Prozent Bauern, 80 Prozent junge Leute und neun Prozent Frauen.57 Der Krieg sollte in Albanien zwar noch bis Ende November dauern, es war aber bereits im Sommer 1944 vorauszusehen, dass er mit einer kommunistischen Machter50 51 52

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Ebenda, S. 113. Fischer, Albania at War, S. 198. Brigadier,Trotsky‘ Davies: Illyrian Venture. The Story of the British Military Mission to Enemyoccupied Albania 1943–44. London 1952, S. 79–91. Hibbert, Albania’s National Liberation Struggle, S. 129–131: Bericht McLean v. November 1943. Kühmel, Deutschland und Albanien 1943–1944, S. 255–270. Fischer, Albania at War, S. 198. Ebenda, S. 205. Geschichte der Partei der Arbeit Albaniens, S. 240.

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greifung enden würde. Vom 24.–28. Mai hielt die LNÇ in Përmeti den „1.Antifaschistischen Kongress der Nationalen Befreiung“ ab. Auf ihm wurde ein aus 121 Mitgliedern bestehender „Antifaschistischer Rat der Nationalen Befreiung“ (Këshilli Antifashist Nacional-Çlirimtar = KANÇ) als provisorisches Parlament gewählt. Dieses ernannte ein 30köpfiges „Antifaschistisches Nationales Befreiungskomitee“ mit Enver Hoxha an der Spitze als vorläufige Regierung. König Zogu wurde die Rückkehr nach Albanien verboten. Auf dem 2. Kongress des KANÇ, der vom 20.–23. Oktober in Berat tagte, wurde das „Antifaschistische Nationale Befreiungskomitee“ in eine „Demokratische Regierung Albaniens“ umgewandelt, der Hoxha als Ministerpräsident vorstand. Zu dieser Zeit gelang den Partisanen auch der Durchbruch nach Nordalbanien. Nichtkommunistische Gruppen, die dort gegen die Deutschen kämpften (wie die Gebrüder Kryeziu und Muharrem Bajraktari) wurden vor die Wahl gestellt, sich entweder der LNÇ anzuschließen oder liquidiert zu werden.58 Am 2. Oktober 1944 erhielten die deutschen Truppen in Albanien den Befehl zum Rückzug. Die Partisanen konnten sich danach auch der größeren Städte bemächtigen. In Tirana dauerte der Kampf vom 29. Oktober bis 17. November. Es war die verlustreichste Auseinandersetzung zwischen Besatzungstruppen und Partisanen auf albanischem Boden: 2.000 deutsche Soldaten und 127 Partisanen fanden dabei den Tod.59 Als letzte albanische Stadt wurde am 29. November Shkodra von den deutschen Truppen geräumt. Der Krieg in Albanien war damit beendet, der Widerstand aber nicht. Nur richtete er sich nun nicht mehr gegen Besatzungstruppen, sondern gegen die neue kommunistische Führung, die Mühe hatte, sich im nordalbanischen Bergland durchzusetzen.

Zur Forschung und Historiographie Der albanische Widerstand gegen die Besatzungsmächte ist noch unzureichend erforscht, vor allem was die nichtkommunistischen Gruppen betrifft. In der albanischen Geschichtswissenschaft nimmt der „Antifaschistische Nationale Befreiungskampf“ zwar einen bedeutenden Platz ein, das Bild, das dort vermittelt wird, ist aber sehr einseitig und wurde vor allem vom Institut für marxistisch-leninistische Studien beim ZK der Partei der Arbeit Albaniens bestimmt.60 Danach gab es vor der Gründung der LNÇ und außerhalb derselben keinen organisierten Widerstand. Enver Hoxha war von Anfang an der unbestrittene Führer des Widerstandes. Es wurde bestritten, dass Balli Kombëtar und Abaz Kupi Widerstand geleistet hätten. Letztlich wurde ein Bild der Ereignisse konstruiert, das die politische Monopolstellung der KPA legalisieren sollte und mit der Wirklichkeit wenig übereinstimmte.

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Kühmel, Deutschland und Albanien 1943–1944, S. 426 f. Mehmet Shehu: La bataille pour la libération de Tirana. Tirana o. J., S. 95. Vgl. Historia e Luftës Antifashiste Nacionalçlirimtare të popullit shqiptar [Geschichte des Antifaschistischen Nationalen Befreiungskampfes des albanischen Volkes]. 1–4. Tirana 1984–1989.

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Daran beginnt sich erst allmählich etwas zu ändern. Zunehmend kritisch betrachtet wird vor allem die Rolle, die Enver Hoxha in den Kriegsjahren spielte.61 Josif Zegali62 und Muharrem Dezhgiu63 versuchen in ihren Darstellungen, dem nichtkommunistischen Widerstand gerecht zu werden; während Xhemil Frashëri64 und Beqir Minxhozi65 die alten Positionen vertreten und abstreiten, dass in Albanien ein Bürgerkrieg stattfand. Eine – weitgehend politisch motivierte – Diskussion hat in Albanien also begonnen. Außerhalb Albaniens haben sich vor allem englische und deutschsprachige Historiker mit dem albanischen Widerstand befasst. Bernd J. Fischers Darstellung über die Geschichte Albaniens während des Zweiten Weltkrieges66 ist zweifelsohne die beste Studie, die bisher zum Thema erschienen ist. Reginald Hibbert kann sich in seinem Bericht67 auf eigene Aufzeichnungen als britischer Verbindungsoffizier in Albanien stützen. Seine Schlussfolgerung, der Sieg der Partisanen sei vor allem den Säuberungsaktionen der Deutschen und Ballisten zuzuschreiben (S. 238), überzeugt allerdings nicht ganz. Das gilt auch von der Hypothese, von der Bernhard Kühmel in seiner sonst vorzüglichen Dissertation68 ausgeht, dass nämlich die kommunistische Machtergreifung eine Folge der deutschen Besatzungspolitik gewesen sei (S. 9). Eine notwendige Korrektur unserer Kenntnisse über den albanischen Widerstand bringt die Dissertation von Hubert Neuwirth69, der Zugang zu albanischen Archiven hatte. Nicht annähernd so gut erforscht wie die deutsche ist die italienische Besatzungspolitik, obwohl gerade unter italienischer Herrschaft der Widerstand in Albanien begann. Als weitere Quellen und als bibliographischer Bericht zu nennen sind ferner: La Lutte Antifasciste de Libération Nationale du peuple albanais. Documents principaux (1941–1944). Tirana 1975 und Antonia Young: Albania. Revised Edition. Oxford, Santa Barbara, Denver 1997 (= World Bibliographical Series 94, S. 54–62).

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Vgl. Ballvora, der sonst dem alten Muster folgt, und Xhelal Gjeçovi: Lufta Nacionalçlirimtare në Shqipëri [Nationaler Befreiungskampf in Albanien]. Tirana 1999. Lufta e dytë Botërore dhe e popullit shqiptar (Ngjarje dhe data kryesore historike). Kronikë [Der 2.Weltkrieg und das albanische Volk (Ereignisse und historische Hauptdaten). Chronik]. Tirana 1999. Dezhgiu, Shqipëria në luftë. LANÇ dhe legjenda e luftës civile (Studime historike me temë të Luftës Antifashiste Nacionalçlirimtare) [LANÇ und die Legende vom Bürgerkrieg (Historische Studien über das Thema des Antifaschistischen Nationalen Befreiungskampfes)]. Tirana 2003. Lufta Nacionalçlirimtare në Mat [Der Nationale Befreiungskampf in Mati]. Tirana 2000, S. 253 f. Fischer, Albania at War. Hibbert, Albania’s National Liberation Struggle. Kühmel, Deutschland und Albanien 1943–1944. Neuwirth, Widerstand und Kollaboration in Albanien.

Griechenland: Das Land der „Versklavten Sieger“ Hagen Fleischer Die Griechen datieren den Beginn ihres Widerstandes auf den 28. Oktober 1940 mit der Ablehnung1 von Mussolinis Ultimatums: Die daraufhin unter Verletzung der griechischen Neutralität eindringenden italienischen Truppen wurden binnen weniger Wochen weit auf albanisches Gebiet zurückgeworfen. Die griechischen Siege erschütterten den Nimbus von der Unbesiegbarkeit der faschistischen „Achse“ und im April 1941 musste die Wehrmacht dem gedemütigten Achsenpartner zu Hilfe eilen und die abgekämpften Griechen sowie das angelandete britische Expeditionskorps in einem weiteren Blitzfeldzug niederzwingen. Ende Mai eroberten deutsche Luftlandetruppen trotz schwerer Verluste den letzten freien Platz, Kreta. Widerstand leisteten dort auch große Teile der Zivilbevölkerung – getreu einer jahrhundertealten Tradition. Die verwirrten Angreifer reagierten hart. Ihre blutigen „Sühnemaßnahmen“ trieben viele Kreter „in die Berge“, in den bewaffneten Widerstand. Auch ohne operative Bedeutung (mit Ausnahme einer wenig wahrscheinlichen alliierten Invasion) erlangten diese „Andarten“ eine Signalwirkung für das Festland. Bereits zum Ende der Kämpfe auf Kreta, in der Nacht zum 31. Mai 1941, erkletterten zwei Studenten als Zeichen der Solidarität den Akropolis-Felsen und holten die Hakenkreuzfahne herunter. Nicht nur die BBC feierte die symbolträchtige Tat als Fanal. Ungeachtet der cholerischen Reaktion der Besatzer riefen illegale Flugzettel aller Schattierungen dazu auf, „dem kretischen Beispiel zu folgen“.2 Der spontane Widerstand begann sich zu organisieren. Im Sommer 1943 wurden bereits 140 Zusammenschlüsse unter oft phantasievollen Namen3 gezählt, davon beschränkten sich allerdings viele auf die Produktion von Untergrundzeitungen4 zur „Stärkung der patriotischen Moral“ (und eigener politischer Nachkriegschancen). Nur ein gutes Dutzend kleiner schlagkräftiger Organisationen, die mit britischer Anleitung Spionage, Sabotage und Fluchthilfe betrieben, verzichtete aus Sicherheitsgründen auf publizistische Selbstdarstellung. Den größten Einfluss auf die Besatzungsszene wie auch auf die innergriechische Entwicklung nahmen aber jene Organisationen, die in den gebirgigen Landesteilen „Andarten“-Formationen aufbauten. Bei der Entwicklung der bewaffneten Resistance zeigten sich regionale Unterschiede zwischen den Besatzungszonen, wobei der Effizienz der jeweiligen Okkupations1

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Der 28. Oktober ist als „Tag des Neins“ und Vorbedingung für das „Albanische Epos“ Nationalfeiertag – neben dem 25. März –, Beginn des Freiheitskrieges gegen die Türken 1821. Bis heute ist umstritten, wer um 3 Uhr morgens das „Heroische Nein“ aussprach: Der Diktator Ioannis Metaxas oder „das Volk“. Die meisten Zitate zur Besatzungszeit sind entnommen aus Hagen Fleischer: Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941–1944. Frankfurt (Main) u.a. 1986, hier S. 214 ff. Der Titel einer der frühesten Organisationen, „Heerschar der versklavten Sieger“ gab der weitverbreiteten Volksstimmung Ausdruck. Bis zum Besatzungsende erscheinen über 1000 verschiedene illegale Periodika.

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macht eine wesentliche Rolle zukam. Bei der Verteilung der Beute hatte Hitler nämlich nur wenige Gebiete von strategischer Bedeutung unter deutscher Kontrolle behalten; Ostmazedonien und Thrazien wurden von den Bulgaren besetzt und de facto annektiert. Der große Rest wurde den Italienern in formaler Anerkennung der von Mussolini geforderten „preponderanza“ überlassen, zumal Hitler voreilig jede weitere militärische Gefahr von griechischer Seite ausgeschlossen hatte. Wenige Monate später beunruhigten bereits „Überfälle auf Wehrmachtsangehörige, Sabotageakte, auch schwerer Art, Widersetzlichkeiten und Bandenbildungen“5 die deutsche Führung in Zentralmazedonien (um Saloniki). Angesichts der jugoslawischen Entwicklung wurden schärfste Vergeltungsmaßnahmen befohlen und befriedigt die Einschüchterung der Zivilbevölkerung registriert. Den gleichen Effekt zeitigte die noch brutalere Niederschlagung einer lokalen Revolte im bulgarischen Machtbereich; nur in der italienischen Zone konnte sich die Partisanenbewegung schon ab Herbst 1942 zu einem Faktor von Bedeutung entwickeln. So sahen sich die deutschen Stellen im „Bandenkampf“ als Opfer des wenig geschätzten Bundesgenossen: Durch die als Repressalien getarnten Willkürakte wurde die „Bevölkerung geradezu zur Bandentätigkeit gezwungen“, zumal „die Griechen aller Schichten es als unerträglich empf[a]nden, von einem Volke beherrscht zu werden, das sie selbst im Kampfe geschlagen ha[tt]en, und das sich nun in ihrem Land mit Hilfe des deutschen Sieges aufbläht[e]“.6 Die schlecht angelegten Säuberungsunternehmen der Italiener resultierten in „dauernden Rückschlägen und stärk[t]en noch das Bandenwesen“. Wichtigste Organisationen dieser Andarten waren die „Griechische Volksbefreiungsarmee“ ELAS, der bewaffnete Arm der von der Kommunistischen Partei (KKE) dominierten „Nationalen Befreiungsfront“ EAM, sowie die nationalistische EDES (Nationale Republikanische Griechische Liga). Bekannteste Aktion war die Sprengung des Gorgopotamos-Viadukts zur Unterbrechung der einzigen Nord-Süd-Bahnlinie, bei der ausnahmsweise die Rivalen ELAS und EDES sowie ein vom Alliierten Hauptquartier in Kairo entsandter Kommandotrupp kooperierten. Aus letzterem rekrutierte sich bald die britische (später: alliierte) Militärmission, die mit wechselndem Erfolg versuchte, die Entwicklung der Resistance im eigenen Sinne zu steuern. Im Juni/Juli 1943 gelang es der Mission, die größten Organisationen im Rahmen des „National Bands Agreement“ zu einer Koordination ihrer Aktivitäten zu veranlassen. Gleichzeitig kulminierte unter dem Kodenamen „Animals“ die Sabotagetätigkeit gegen Verkehrs- und Nachrichtenanlagen der Besatzungsmächte mit dem von Kairo vorgegebenen Ziel, letztere über das Ziel der bevorstehenden alliierten Invasion im Mittelmeerraum zu täuschen. Obwohl diese Intention nur in Ansätzen verwirklicht werden konnte, demonstrierte die Operation „Animals“ der Wehrmacht, dass die „Banden“ aus gegebenem Anlass zumindest zeitweise das Gros der Kommunikationslinien lahm legen konnten. Doch nach der italienischen Kapitulation (8. September 1943) brach im griechischen Untergrund der Bürgerkrieg aus, da EAM und EDES sich günstige Positionen für den Machtkampf nach dem erwarteten deutschen Abzug schaffen wollten. Nutzen 5

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Hagen Fleischer: Deutsche „Ordnung“ in Griechenland, 1941–1944. In: Von Lidice bis Kalavryta. Hrsg. v. Loukia Droulia/Hagen Fleischer. Berlin 1999, S. 151–223, hier: S.156. Ebenda, S. 163; auch zum Folgenden.

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aus dieser Entwicklung zog die Wehrmacht, zumal der schwächere Kontrahent (EDES-Chef Napoleon Zervas) ein „Gentlemen-agreement“ mit den Besatzern schloss, um sich gegen den innergriechischen Gegner den Rücken freizuhalten. Zugleich gelang es ihm, sich die Gunst der Briten zu bewahren, unter deren Vermittlung die viermonatige „Erste Runde“ des Bürgerkriegs ein Ende fand. Die Kluft wurde aber nur notdürftig überbrückt; die umworbenen bürgerlichen Gruppen fürchteten die Majorisierung durch die Kommunisten und entzogen sich trotz günstiger Bedingungen der Teilnahme am von der EAM im März 1944 gegründeten „Politischen Komitee der Nationalen Befreiung“ (PEEA). Im Mai 1944 trat in einem Flecken des Pindusmassivs die von der PEEA initiierte und von über einer Million Griechen „gewählte“ Nationalversammlung zusammen, die die kommunale Selbstverwaltung und eine neue linksbürgerliche – nur im Vergleich zum status quo ante revolutionäre – Gesetzgebung legitimierte. Erstmals seit Gründung des neugriechischen Staates war das politische Entscheidungszentrum von der hydrozephalen Hauptstadt Athen weg in die entlegenste Provinz verlagert, wo die EAM das „Freie Hellas“, einen Gegenstaat unter camouflierter Führung der Kommunisten, errichtete. Letztere, vor dem Kriege politisch und sozial ausgegrenzt und namentlich wegen „internationalistischer“ Positionen in der Mazedonienfrage aus dem nationalen Konsens ausgeschlossen, führten plötzlich unter dem Banner des patriotischen Kampfes die größte, dynamischste und in ihrer sozialen Diversifizierung singuläre Organisation in der griechischen Geschichte.7 So konkurrierten im Sommer 1944 de facto drei Regierungen: jene „der Berge“ war die einzige mit autonomer Machtbasis – im Gegensatz zum Exilkabinett, das von den Briten an kurzer Leine gehalten wurde, – sowie dem Athener Kollaborationsregime, dessen Administration außerhalb der Enklaven permanenter deutscher Präsenz entlang der Hauptverkehrsadern längst zerfasert war. In ihrem Machtbereich verbesserte die EAM die Infrastruktur in einem Ausmaß, das auch Gegnern Respekt abnötigte. Strassen und selbst ein „Bandenflugplatz“ wurden angelegt, neue Methoden in Landwirtschaft und Bewässerung erprobt, 80 Prozent der Bergdörfer erhielten Telefon, was primär den Nachrichtendienst der „Andarten“ erleichtern sollte. Aber die Bevölkerung wurde nicht nur als paramilitärische Hilfstruppe organisiert, der massenhafte Exodus der zumeist der EAM zuneigenden urbanen Intellektuellen und Künstler sowie enthusiastischer Jugendlicher bewirkte eine konstruktive „Kulturrevolution“ im einstigen Brachland. Gleiches galt für die medizinische Versorgung. Das Schulwesen erhielt neue Impulse unter Einbeziehung der Analphabeten und namentlich der Frauen. Die bedeutsamste Umwälzung betraf tatsächlich die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in einer Umwelt, in der die Frau oft nur den Status einer Leibeigenen besaß, der man(n) – buchstäblich – schwerere Lasten als einem Maulesel aufbürdete. Der Slogan von der „doppelten Befreiung“ (vom Okkupanten und dem Familientyrannen) wurde nicht nur unter der Minderheit der mit der Waf7

Hagen Fleischer: „The National Liberation Front (EAM), 1941–1947. A Reassessment”. In: Greece at the Crossroads. The Civil War and its Legacy. Ed. by John O. Iatrides/Linda Wrigley. Philadelphia, Pennsylvania 1995, S. 48–89. Ein Großteil der EAM- und KKE-Akten sind nun im ehemaligen Parteiarchiv ASKI, Athen, zugänglich.

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fe kämpfenden „Andartinnen“ laut. Hunderttausende junger Frauen waren in der Jugendorganisation EPON aktiviert, Hunderttausende in der wenige Wochen nach dem deutschen Einmarsch gegründeten „Nationalen Solidarität“, dem „Roten Kreuz“ der Resistance. Diese Erfolge hatten eine Kehrseite. Wenn es der EAM gelang, unter schwierigsten Bedingungen ein neues Gemeinschaftsgefühl zu wecken, so wurden die vorgegebenen Kriterien zur autoritären Norm. Die namentlich unter der Metaxas-Diktatur (1936–41) verfolgten KKE-Funktionäre drehten allzu oft den Spieß um: Aus politischen und anderen Gründen Unliebsame wurden drangsaliert, Tausende wurden in den besetzten wie auch den „freien“ Territorien als Verräter getötet, ohne dass dieser Vorwurf bewiesen wurde. Viele Individuen und Organisationen außerhalb der EAM wurden zum Anschluss genötigt –oder liquidiert; bei anderen wurde die latente Anti-EAM-Komponente beherrschend, zumal sich ein machtvoller Mentor anbot. Als die deutsche Führung Ende 1943 mit der Aufstellung von Kollaborationsverbänden begann, wollte sie „wertvollstes“ deutsches Blut sparen, schätzte aber den politischen Wert dieser „Sicherheitsbataillone“ höher ein als deren militärischen Nutzen: Oberbefehlshaber Alexander Löhr sah seine Initiative als „politische Maßnahme im Zuge der [...] Bekämpfung des Kommunismus, für die der antikommunistische Teil der griechischen Bevölkerung restlos eingespannt werden muß, damit er sich eindeutig festlegt und in offene Feindschaft zum kommunistischen Teil getrieben wird“.8 In der gleichen Richtung zielte Kollaborationspremier Ioannis Rallis, der sich die Aufstellung der Bataillone – zur Verhinderung einer kommunistischen Machtergreifung und so zum Schutz der griechischen Nation und Gesellschaftsordnung – als persönlichen Erfolg anrechnete.9 Der doppelten Sogwirkung von EAM und der nur in der Negation homogenen antikommunistischen Allianz hielt das in der Zwischenkriegszeit dominierende liberale Lager lediglich als historische Etikette stand; das in der Mitte entstehende Vakuum vertiefte die Spaltung zwischen EAM und „Anti-EAM“. Die resultierende, alliierten Beobachtern zufolge tendentiell „auf Rassenselbstmord hinauslaufende Orgie wechselseitigen Abschlachtens“10 bestärkte viele Wehrmachtsangehörige im Stereotyp von der geringeren Empfindsamkeit der „Balkan-Mentalität“. Die These, „hierzulande“ sei „ein Menschenleben nicht viel wert“,11 in Verbindung mit der grassierenden Bandenpsychose, drückte die Hemmschwelle bei der Truppe tief hinab. Bei den sogenannten Sühnemaßnahmen für Überfälle waren die Andarten im schwierigen Gelände kaum je zu stellen, und die Zivilbevölkerung musste den Preis für die deutschen Verluste zahlen. Das galt insbesondere für die Gebiete, in denen sich die Machtsphären überlappten. Doch auch das Kernland der EAM war dem deutschen Zugriff nicht entzogen. Die Wehrmacht war in der Lage, unter Konzentrierung der ei-

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Zitate in: Fleischer, Deutsche „Ordnung“, S. 172, 215. Hagen Fleischer: Kollaboration und deutsche Politik im besetzten Griechenland. In: Europa unterm Hakenkreuz. Okkupation und Kollaboration. Hrsg. v. Werner Röhr. Berlin/Heidelberg 1994, S. 377–396, hier: S. 396. Fleischer, Im Kreuzschatten, S. 485 ff. Fleischer, Deutsche „Ordnung“, S. 178.

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genen Kräfte, jedes Ziel – auch Karpenisi, die de-facto-Hauptstadt des „Freien Hellas“ – zu zerstören, nicht aber zu halten. Die britischen Bestrebungen, die widerspenstige EAM in eine Einheitsregierung einzubinden, führten zunächst zu einer scharfen Krise zwischen dem Exilkabinett unter Georgios Papandreou und der „Bergregierung“. Doch das vorrangige britische Interesse an Griechenland wurde auch von Stalin respektiert, wie dieser etwas vage den griechischen Genossen signalisierte. Diese sahen sich daher unter dem Druck ihrer bürgerlichen Juniorpartner in EAM und PEEA zum Einlenken gezwungen: So konstituierte sich im Sommer 1944 in Kairo eine Koalitionsregierung aus nahezu allen politischen Kräften – von den Kommunisten bis zu den gemäßigten Royalisten. Dieser gelang es, nach dem deutschen Abzug im Oktober 1944 die blutigen Konsequenzen des gefürchteten Machtvakuums auf lokale Vorkommnisse zu beschränken. So lag es eher am beiderseitigen Misstrauen und weniger an machiavellistischen Intentionen, wenn im Dezember 1944, noch vor Ende des Weltkriegs, in Athen für 33 Tage der Bürgerkrieg erneut aufflammte, wobei die bewaffnete britische Intervention den Ausschlag gegen die EAM gab. Nach einer Phase halbherziger Befriedung glitt die innergriechische Konfrontation in die heißeste, „Dritte Runde“, wobei unter den Vorzeichen des einsetzenden Kalten Krieges die Großmächte mit unterschiedlichem Engagement Partei ergriffen. So siegte 1949 dank massiver US-Hilfe die antikommunistische Koalition; das Ende der heißen Kämpfe brachte jedoch keinen Frieden, da sich im siegreichen Lager der extrem-royalistische Flügel behauptete, der einen engen Nationalismus (ethnikophrosyne) von steriler Aggressivität vertrat und zur allein gültigen „Ideologie“ erhob. Unter den Vorzeichen der „disziplinierten Demokratie“ und einem stets mit der Lösung eines Militärputsches liebäugelnden rechten „Parastaat“ war das Griechenland der Fünfzigerjahre ein (westliches) Paradebeispiel für das Monopol des Siegers auf die offizielle Sicht der Geschichte.12 Die verordnete Version verfemte die EAM/ELAS als Organ finsterer Mächte; in Umkehrung aller Werte galt jede frühere Widerstandstätigkeit außerhalb der oft anrüchigen „nationalen“ Gruppen a priori als suspekt. Zunehmend wurde die Kollaboration in den Nationalen Konsens integriert: Zwar hätte sie deutsche Waffen genommen, diese aber nur gegen weit schlimmere, da getarnte Feinde der Nation – die „graecophone“ EAM – gerichtet, ipso facto der beste Beweis für „nationale“ Gesinnung! In analogen Stereotypen, mit umgekehrten Vorzeichen, erschöpften sich die am Rand der Legalität oder im Ausland schreibenden Historiographen der EAM. Ihre epischen Schilderungen des „Volkskampfes“ dienten dessen Heroisierung beziehungsweise der nachfolgenden Leiden. Mit den eigenen „Helden und Märtyrern“ wurde ein mythologisierender Kult getrieben, im Feindbild verschmolzen Besatzer und „einheimische Reaktion“ – eine Etikette, unter der alle der EAM fernstehenden Griechen zusammengefasst wurden. Der Umstand, dass die innergriechischen Kämpfe bereits vor Ende der Okkupation ausbrachen, erschwerte die Trennung der Phasen. Beide Lager 12

Zum Folgenden vgl. Hagen Fleischer: Authoritarian Rule in Greece (1936–1974) and its Heritage. In: Totalitarian and Authoritarian Regimes in Europe. Lessons and Legacies from the Twentieth Century. Ed. by Jerzy W.Borejsza/Klaus Ziemer. New York/Oxford 2006, S. 237– 275.

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interpretierten Besatzungszeit und Widerstand unter dem teleologischen Aspekt des folgenden Bürgerkriegs, der jeweils dem im „ausländischen Sold“ stehenden Gegner aufs Schuldkonto geschrieben wurde. Eine Glaubensfrage ist daher für viele die Wertung der EAM, deren Aufstieg die Gegebenheiten der Vorkriegsgesellschaft radikal veränderte, deren Niederlage aber die Festschreibung dieses Umbruchs verhinderte. Erst 1964 unter der Zentrumsregierung von Georgios Papandreou kam es zu einer Liberalisierung in Politik, Kultur sowie im Umgang mit der jüngsten Geschichte. Zugleich mühte sich der Premier, den keimenden Argwohn der NATO-Partner und der innergriechischen Stützen der „Ethnikophrosyne“ (Königshaus, Armee, Para-Staat) wegen einer drohenden ideologischen Aufweichung zu entkräften: Unter Strafe gestellt wurde die „Verherrlichung“ der EAM – als Versuch, nach dem Widerstand auch dessen Geschichte zu monopolisieren. Zugleich erteilte der greise Premier „historische Lektionen“ zum „dualen Charakter“ der EAM: „national und kommunistisch, nationaler Widerstand und Verbrechen gegen die Nation“. Die zweite Komponente habe sich als stärker erwiesen. Dennoch wurde Papandreou im Juli 1965 durch eine Hofintrige gestürzt und durch eine Regierung williger „Apostaten“ abgelöst. Die folgende Periode der Polarisierung und Unstabilität kulminierte im April 1967 in einem Militärputsch. Die putschenden Obristen, Veteranen nationalistischer oder auch faschistoider Organisationen der Kriegs- und Nachkriegsjahre, sahen sich als Speerspitzen eines „christlichen“ Antikommunismus. Tausende von „Kommunisten“ wurden verhaftet, darunter viele eben erst amnestierte ehemalige Kämpfer der EAM/ELAS. Dafür wurden die Sicherheitsbataillone offiziell als pensionsberechtigter „Nationaler Widerstand“ (gegen „antinationale Banden“) anerkannt, ein Ex-Kollaborateur wurde mit der Niederschrift der Besatzungs- und Widerstandshistorie betraut. Von 93 Filmen, die in vier Jahrzehnten zur Besatzungszeit gedreht wurden, fielen 54 in die sieben Jahre der Militärdiktatur, hinzu kamen epische Fernsehserien. Das „Volk“ erschien jeweils patriotisch geeint – bis auf einzelne zumeist schon physiognomisch erkennbare Spitzel; den Funken zum Widerstand zündeten zumeist Saboteure und Kommandotrupps, die auf Initiative der exilgriechischen Behörden beziehungsweise des Alliierten Hauptquartiers aus dem Nahen Osten eingeschleust wurden. Die Partisanenbewegung wurde ausgeblendet, da sie im Volk weitgehend mit der ELAS gleichgesetzt wurde. Im Juni 1974, angesichts des innen- und außenpolitischen Bankrotts der Junta, übergab deren gemäßigte Fraktion dem einstigen starken Mann der Rechten Konstantin Karamanlis13 die Regierungsgeschäfte. Dem im französischen Exil „demokratisch geläuterten“ neuen Premier gelang nicht nur ein überwältigender Wahlsieg, sondern auch der Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Im Rahmen der verkündeten Liberalisierung legalisierte er sogar die seit 1947 verbotene KKE. Veteranen der EAM holten verstaubte Manuskripte aus Verstecken oder brachten eilends niedergeschriebene Erinnerungen auf die Agora. Fast alle beschränkten sich auf die Okkupation, in Betonung des individuell und kollektiv geleisteten „Nationalen Kampfes“ – des jahrzehntelang vom inneren Gegner in Abrede gestellten patriotischen 13

Karamanlis war Premierminister von 1955–63, 1974–80, sowie Präsident 1980–1985 und 1990–1995.

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Widerstandes gegen die Besatzer. Mit dem Ziel, dessen offizielle Anerkennung zu erringen, vermieden sie klassenkämpferische Aspekte; die innergriechische Konfrontation erschien als von der „Reaktion“ beziehungsweise dem dahinterstehenden „ausländischen Faktor“ (Deutsche, Briten oder andere) aufgezwungen; nur Häretiker der Linken erörterten, ob die EAM 1944 infolge von Fehlern oder gar wegen Verrats der eigenen Führung die Macht aus den Händen verlor, obwohl sie bereits vor dem deutschen Abzug drei Viertel des Landes kontrollierte. Zugleich erschienen die ersten wissenschaftlichen Arbeiten zu Aspekten der Vierzigerjahre, begonnen im Ausland (gestützt auf die dortigen Archive) und inspiriert von sinnfälligen Analogien zur Diktatur. Der gleiche Personenkreis – junge griechische und ausländische Historiker sowie historisch interessierte Veteranen – bestimmte das Bild der ersten Konferenzen über diese Periode, die 1978 aus naheliegenden Gründen im Ausland (London und Washington) organisiert wurden. Die meisten Vertreter dieser embryonalen revisionistischen Schule gehörten zum linken Spektrum, namentlich zum eurokommunistischen Flügel der 1968 gespaltenen KKE. Die Wahlen im Oktober 1981 und der Sieg der sozialistischen PASOK nach fast ununterbrochener achtundvierzigjähriger Herrschaft der Rechten wurden zum Referendum über den Regimewechsel. An der mit dem Stimmzettel erstrittenen „Revolution“ blieb vieles auf Vokabular und Habitus beschränkt, doch im Umgang mit der Vergangenheit war die Zäsur von 1981 tief. Da die PASOK das Vermächtnis der nicht-kommunistischen Mehrheit der EAM beanspruchte, erließ sie 1982 – gemeinsam mit der kommunistischen Opposition und trotz massiver Proteste von rechts – ein Gesetz zur Anerkennung der EAM/ELAS als Nationaler Widerstand. Unterdessen erreichte auf dem Buchmarkt der Ausstoß einschlägiger Editionen Rekordhöhen, es dominierte der Mischtyp der Erinnerungsliteratur mit (pseudo-) wissenschaftlichem Anspruch, der selbsterlebter Mikrohistorie durch (selektiven) Einbau angelesener Elemente überregionale Gültigkeit verleihen sollte. Zeitungen jeder Couleur offerierten historische Aufklärung in Fortsetzungen – ein Trend, der auf die gesamte Medienszene übergriff: Selbst der griechische Chemikerverband feierte 1984 den Widerstand mit einem Sonderheft seines Fachjournals. Die Tabu-Themen Zweiter Weltkrieg/Okkupation hielten schon vor dem „Wechsel“ ihren verspäteten Einzug in den Lehrplan griechischer Hochschulen; einer Kapriole der Geschichte zufolge geschah das ausgerechnet durch einen Deutschen, noch bevor dieser als Doppelstaatsbürger auch zum Neu-Griechen wurde. 1984 fand trotz mannigfaltiger Widerstände der erste wissenschaftliche Kongress auf griechischem Boden zu Metaxas-Diktatur und Okkupation statt.14 In Griechenland erschien die erste annotierte Bibliographie zur Besatzungszeit,15 Dokumentarfilme zum Widerstand wurden produ-

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I Ellada 1936–1944. Diktatoria – Katochi – Antistasi. Hrsg. v. Hagen Fleischer/Nikos Svoronos. Athen 1989. Hagen Fleischer: I Ellada ypo tin katochi ton dynameon tou Axona. Vivliografiki episkopisi. In: I Ellada sti dekaetia 1940–1950, II, Athen 1984, S. 13–181; ders.: Griechenland im Zweiten Weltkrieg. Ein Literaturbericht. In: Jahresbibliographie der Bibliothek für Zeitgeschichte 61 (1989/91), S. 383–391.

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ziert, deren Ausstrahlung infolge heftiger Proteste von interessierter Seite mehrmals ausgesetzt wurde. Unter solchen Vorzeichen blieb den Bemühungen der PASOK, einen Tag des Nationalen Widerstands zu schaffen, anhaltender Erfolg versagt. Zwar wählte man das geeignetste Datum: den Jahrestag der strategisch wichtigen Sprengung des Gorgopotamos-Viadukts (25. November 1942), der einzigen Gelegenheit, bei der EDES und ELAS zusammenwirkten. Doch der Streit um die Monopolisierung des Lorbeers dauerte an und war nicht auf „rechts“ und „links“ beschränkt, denn auch das Erbe der EAM/ELAS war umstritten. Zugleich wurden bei der PASOK mit fortschreitendem Abbau des sozialrevolutionären Pathos Intentionen deutlich, traditionelle Rechtswähler nicht als Individuen zu verprellen. So wurden die 1981 mit revolutionärem Elan begonnenen Straßenumbenennungen abgebremst, Ex-Kollaborateuren ihre Renten belassen, die Bilder des ELAS-Führers Aris Veluchiotis in den Parteibüros ausgedünnt. Das Denkmal, das 1991 für letzteren, Kultfigur der alten und neuen Linken, in seiner Geburtsstadt handstreichartig im Morgengrauen aufgestellt wurde, spaltete die lokale Gemeinschaft.16 Da die realen Protagonisten der Vierzigerjahre das Volk weiterhin aufwühlten, wurde nach anderen Identifizierungsmöglichkeiten gesucht. Symptomatisch war der historisch nicht nachzuweisende Wachsoldat Koukkidis, der sich beim deutschen Einmarsch in Athen in die griechische Fahne gehüllt vom Akropolis-Felsen gestürzt haben soll. Dem Schemen wurde beträchtliche mediale Aufmerksamkeit gewidmet. Manche Befürworter argumentierten, Koukkidis stehe für die „Idee“. Die Errichtung einer Statue oder die Benennung einer Straße seien unabhängig von der historischen Existenz des Namengebers. Dennoch ist mittlerweile der Konsens bei der Beurteilung des Widerstands breiter denn je; den revanchistischen Protuberanzen der ersten PASOK-Ära ist ein „integrierendes“ Deutungsschema gefolgt, mit dem Regierung(en) und „Mainstream“ den antagonistischen Modellen ein auf die gemeinsame Kriegserfahrung begründetes neues „Wir-Gefühl“ entgegensetzen. Dieses Bild, in dem sich das Gros der Bevölkerung, Nachgeborene eingeschlossen, wiederfinden kann, charakterisiert nun auch die Schulbücher. Dennoch werden weiterhin Zweifel laut, inwieweit die Geschichte des Widerstandes wirklich schon in den Schulen gelehrt werden könne; viele Lehrer versuchen, sich dornigen Fragestellungen zu entziehen. Das Bild unter den Studienanfängern ist entsprechend trübe. Bei der Aufarbeitung des gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Besatzungsterrors17 hatte die „Vergangenheitspolitik“ unter den Auspizien des Kalten Krieges jahrzehntelang auf Besatzungsgräuel der Bulgaren (und deren angeblicher kommunistischer Handlanger der EAM/ELAS) rekurriert und gegenüber den neuen Partnern „Lethe“ (Vergessen) walten lassen. Im Kontrast zu der aus anderen ehemals okkupierten Ländern bekannten Heroisierung der Opfer waren hier die Bewohner der von Deutschen und Italienern (oft unter Mitwirkung von Kollaborateuren!) zerstörten Dörfer a 16 17

Avgi, 9.12.2001. Von Lidice bis Kalavryta. Hrsg. v. Loukia Droulia/Hagen Fleischer, passim. Studien zur Repressalienpraxis liegen namentlich von Nichtgriechen vor (Mark Mazower, Hermann Frank Meyer u.a.).

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priori dem Argwohn der in Athen Regierenden ausgesetzt, sie hätten durch „kommunistische Aktivitäten“ ihr Unglück (mit-) verschuldet. Handelte es sich um überwiegend konservativ eingestellte Ortschaften, wurde die Hauptschuld den „Roten Banden“ zugeschrieben, die mit sinnlosen oder gezielten Provokationen der Besatzungsmacht die Liquidierung politisch unliebsamer Mitbürger (und die „Proletarisierung“ der Überlebenden) verschuldet hätten.18 Als „Beweis“ für die verderblichen Konsequenzen des linken Widerstands galt insbesondere die Exekution der männlichen Bevölkerung der peloponnesischen Kleinstadt Kalavryta (und Umgebung) – zur „Sühne“ für die Liquidierung von 75 gefangenen deutschen Soldaten durch die ELAS. Die EAM-Historiographie versuchte solche Vorwürfe als Vorwand der Okkupanten oder als „Mythos der Reaktion“ abzutun, im Falle Kalavryta unter anderem mit der unhaltbaren Behauptung, die Tötung der deutschen Gefangenen (7. Dezember 1943) sei erst nach der Zerstörung Kalavrytas durch die Wehrmacht (13. Dezember 1943) erfolgt. So habe „die Rechte die Märtyrerstadt von einem Symbol des antifaschistischen Kampfes in einen Ort zur Verleumdung des Epos des Nationalen Widerstand umfunktioniert“19 – wobei auch Deutschen und Briten ein Part in der Verschwörung zugeschrieben wurde. Die konspirative Sicht der Dinge ist bis heute verbreitet und keineswegs auf die Linke beschränkt. Während sogar der (2009 abgewählte) Premier Kostas Karamanlis, des konservativen „Ethnarchen“ gleichnamiger Neffe, von der „Vergangenheitspolitik“ seines Lagers abrückt, ist eine „metarevisionistische“ Schule junger Wissenschaftler um den Politologen Stathis Kalyvas mit dem Anspruch angetreten, die revisionistischen Ansätze der ersten Nach-Junta-Generation zu entideologisieren und verbliebene Tabus zu brechen – auch dort, wo gar keine (mehr) existieren. Als „frischer Blick“ auf die jüngste Geschichte wird etwa die seit dem Bürgerkrieg axiomatische (aber unter der PASOK anathemasierte) These aufgewärmt, derzufolge dem „Roten Terror“ fast ebenso viele oder sogar mehr Griechen zum Opfer gefallen wären als den Besatzern und ihren Kollaborateuren zusammengenommen.20 Diese „Neubewertung der deutschen Besatzungsherrschaft“ findet auch in Deutschland zunehmend Anhänger, sogar im Militärgeschichtlichen Forschungsamt.21 Trotz solcher partiellen Exkulpierung ist in Griechenland das Ansteigen der Germanophobie auffallend, seit die unverhoffte deutsche Einheit die auf das Londoner Schuldenabkommen (1953) gegründete Verteidigungsstrategie gegen Kriegsentschädigungen erschütterte.22 Kalavryta, Distomo und andere Opfer der „Bandenbekämpfung“ schlossen sich zum losen Netzwerk der „Märtyrerorte“ zusammen; von den Überle18 19 20

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Vgl. Fleischer, Deutsche „Ordnung“, S. 204 ff. Ta Nea v. 15.12.1981. Vgl. den „Dialog zur Geschichte“ in der größten Tageszeitung Ta Nea, 2004–2006, Samstagsausgaben, passim. Siehe Sven F. Kellerhoff: Die schlimmsten Verbrechen begingen Griechen an Griechen. In: Die Welt v. 7.5.2008. Hagen Fleischer/Despina Konstantinakou: Ad calendas graecas? Griechenland und die deutsche Entschädigung. In: Grenzen und Räume der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NSVerfolgte in West- und Osteuropa. Hrsg. v. Hans Günter Hockerts/Claudia Moisel/Tobias Winstel. Göttingen 2006, S. 325–407.

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Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa

benden wurden 70.000 Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Der Präsident des Hellenischen Entschädigungsrats und prominentester lebender Veteran des Widerstandes, der 60 Jahre zuvor die Hakenkreuzfahne vom Akropolis-Felsen heruntergeholt hatte, fand breiten Widerhall, als er die Mauertaktik der Bundesregierung(en) mit deutschen Intentionen erklärte, sich an den Griechen für ihren im Krieg geleisteten Widerstand rächen zu wollen.23

Literaturhinweise British Reports on Greece 1943/44. Ed. by Lars Baerentzen. Kopenhagen 1982 Fleischer, Hagen: Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941–1944. Frankfurt (Main) u.a. 1986. 2 Bde. – Stark erweiterte griechische Ausgabe: Athen 1988/1995 Gerolymatos, André: Guerrilla Warfare & Espionage in Greece 1940–1944. New York 1992 Greece in the 1940s. A Nation in Crisis. Ed. by John O. Iatrides. Hanover (N.H.)/London 1981 Hondros, John L.: Occupation and Resistance. The Greek Agony 1941–1944. New York 1983 Von Lidice bis Kalavryta. Widerstand und Besatzungsterror. Hrsg. v. Loukia Droulia/ Hagen Fleischer. Berlin 1999 Mazower, Mark: Inside Hitler's Greece. The Experience of Occupation, 1941–1944. New Haven/London 1993 Meyer, Hermann Frank: Von Wien nach Kalavryta. Die blutige Spur der 117. Jägerdivision durch Serbien und Griechenland. Möhnesee 2002 Meyer, Hermann Frank: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgs-Division im Zweiten Weltkrieg. Berlin 2008

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Manolis Glezos, zit. in Elevtherotypia, 11.6.2001, u.a.

V. Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil

Das deutsche Exil in der Sowjetunion 1933–1945 Gerhart Hass Die bis Dezember 1936 gültige Verfassung der Sowjetunion sicherte im Artikel 21 allen Ausländern, „die wegen politischer oder religiöser Vergehen verfolgt werden“, das Recht auf Asyl zu. Auch die Verfassung vom Dezember 1936 garantierte diesen Anspruch im Artikel 129 allen „Bürgern ausländischer Staaten, die wegen Verfechtung der Interessen der Werktätigen oder wegen wissenschaftlicher Betätigung oder wegen ihrer Teilnahme am nationalen Befreiungskampf verfolgt werden.“1 Dennoch wurde die Sowjetunion vorwiegend zum Exilland von Kommunisten und deren Sympathisanten. Für die Führung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, KPdSU(B), und die von ihr gestellte Regierung (Rat der Volkskommissare) bedeutete die Berufung des Kabinetts Hitler am 30. Januar 1933 das Ende der Kooperation mit der deutschen Republik. Diese basierte auf den Gemeinsamkeiten von Verlierern im Ersten Weltkrieg gegenüber den Siegerstaaten, die sogar eine zeitweilige geheime militärische Zusammenarbeit ermöglichten. Die Errichtung der Hitlerdiktatur zwang die Führung der UdSSR zur Neuorientierung.2 Für die Regierung in Moskau kam jedoch ein Bruch mit dem nunmehr als „faschistisch“ bezeichneten Deutschland nicht in Frage. Angesichts zahlreicher bestehender Handels- und Wirtschaftsverträge befürchtete man in Moskau negative Rückwirkungen für die Verwirklichung vieler Projekte zur schnellen Industrialisierung des Landes. Außerdem waren seit 1920 viele deutsche „Spezialisten“ dem Werben sowjetischer Betriebe zur Arbeit auf deren Großbaustellen gefolgt, auf die man nicht verzichten wollte.3 Gegen Ende der Weimarer Republik waren etwa 18.000 deutsche Spezialisten in der UdSSR tätig,4 von denen die meisten ihre deutsche Staatsangehörigkeit behielten. Neben den in der Industrie sowie Land- und Forstwirtschaft Tätigen waren avantgardistische Kulturschaffende, vor allem Architekten, Theaterleute und Filmemacher, aus Interessen an dem künstlerischen Neuerertum, das im ersten Jahrzehnt der Sowjetmacht aufblühte, dem Ruf sowjetischer Instanzen gefolgt. Keineswegs waren sie alle Kommunisten. So wirkten bekannte deutsche Architekten besonders seit der Weltwirtschaftskrise mit größeren Mitarbeiterstäben als „Brigaden“ bei wichtigen sowjetischen 1

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Die Verfassungsgesetzgebung des Sowjetstaates. Eine Sammlung von Dokumenten. Berlin (o. J.), S. 16, 77. Adolf Hitler: Mein Kampf. 64. Aufl. München 1933, S. 154, 742 f. Für die Mithilfe Deutscher bei Aufbauprojekten in Sowjetrussland gab es Vorbilder in Gestalt Tausender deutscher Kriegsgefangener, die 1919/20 freiwillig im Transportwesen, in Kohlenschächten und bei anderen Arbeiten sowie bei „Subbotniks“ das Sowjetregime unterstützten. Siehe Sonja Striegnitz: Deutsche Internationalisten in Sowjetrussland 1917–1918. Proletarische Solidarität im Kampf um die Sowjetmacht. Berlin 1979; Rudolf Dix: Deutsche Internationalisten in der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Berlin 1987, S. 138 ff. Werner Röder: Sonderfahndungsliste UdSSR. Erlangen 1977, S. 12.

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Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil

Projekten bis 1936/37 mit.5 Die in der Sowjetunion arbeitenden Deutschen waren neben den seit Generationen im Zarenreich und nun in der UdSSR lebenden 1,42 Millionen Sowjetbürgern deutscher Nationalität6 ein wichtiger Faktor bei der Erfüllung der hochgesteckten Ziele der staatlichen Fünfjahrpläne. Die Wirklichkeit des Arbeitens und Lebens in der UdSSR desillusionierte jedoch viele der oft hochqualifizierten deutschen Facharbeiter und ihre Familien, zumal nur der geringere Teil von ihnen der KPD angehörte oder sich zu den Kommunisten bekannte. Von den politischen Verfolgungen, die in der Mitte der 20er Jahre in der UdSSR begannen, waren bis zu den 30er Jahren „nur einzelne deutsche Emigranten“ betroffen7, wie beispielsweise Mitarbeiter des deutschen Konzerns AEG im Zusammenhang mit dem sogenannten Schachty-Prozess. Nach dem Verbot der KPD in Deutschland, den Haftbefehlen gegen deren Abgeordnete und Funktionäre, der Auflösung der anderen demokratischen Parteien, Gewerkschaften und Organisationen kamen ab Februar 1933 mehrere Tausend politisch und rassistisch Verfolgte aus Deutschland und nach den Februarkämpfen des Jahres 1934 „Schutzbundkämpfer“ und Kommunisten aus Österreich als „echte“ Exilanten in die UdSSR. Ab Herbst 1938 folgten ihnen Deutsche, einschließlich der KPD-Führung, die sich bis dahin in Prag befand, sowie Sudetendeutsche und Tschechen. Viele von ihnen fanden Arbeit in den Redaktionen der Presse und Verlage, die auf deutsch publizierten, in den deutschen Sektionen, die beim sowjetischen Schriftstellerund Theaterverband und in vielen anderen Organisationen Kultur- und Kunstschaffender seit Jahren bestanden. Gestützt auf eine derartige Ausgangsbasis setzten sie ihren Kampf gegen die Hitlerdiktatur in Deutschland und die drohende Gefahr eines neuen Weltkrieges fort. Als nahezu alle diese Massenmedien im Herbst 1939 als Folge der deutsch-sowjetischen Verträge vom August und September 1939 eingestellt wurden, traf diese Maßnahme auch viele Exilanten. Erst nach dem 22. Juni 1941 konnten sie wieder an deutschsprachigen Zeitungen, Radiosendungen, Flugblättern, auch für deutsche Kriegsgefangene mitarbeiten. Im Unterschied zu den politisch und rassistisch verfolgten Deutschen, die nach dem 30. Januar 1933 in der UdSSR zu Exilanten wurden, waren die meisten deutschen Spezialisten und Facharbeiter aus der Zeit vor 1933 deutsche Bürger geblieben, für die die deutsche Botschaft in Moskau und die Konsulate zuständig waren. Allerdings interessierte sich die deutsche Geheime Staatspolizei (Gestapo) für sie und erstellte eine zentrale Kartei der Emigranten, die Kommunisten und „Sowjetsympathisanten“ unter den Spezialisten besonders erfasste. Zugleich war Berlin bemüht, die deutschen Fachleute zur Rückkehr zu bewegen. Tatsächlich waren es bis 1939 etwa 12.000, die ihre Arbeit 5

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Siehe Christian Borngräber: Ausländische Architekten in der UdSSR. In: Exil in der UdSSR. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil (1933–1945). Hrsg. v. Klaus Jarmatz, Simone Barck, Peter Diezel u.a. Bd. 1. Leipzig 1979, 2. Aufl. Leipzig 1989, S. 326 ff.; Hans Schmidt: Beiträge zur Architektur 1924–1964. Berlin, Basel 1965. Bei der Volkszählung Januar 1939 gaben 1.423.534 Sowjetbürger deutscher Nationalität als Muttersprache deutsch an. Siehe The East European and Soviet Data Handbook. Ed. by Paul S. Shoup. New York 1981, S. 161 ff. Peter Erler: Terror gegen deutsche Polit- und Wirtschaftsemigranten. In: Hedeler, Stalinscher Terror, S. 240.

Das deutsche Exil in der Sowjetunion

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in der Sowjetunion aufgaben. Die Unterlagen der Gestapo weisen 4300 Berichte dieser „Rückkehrer“ aus, in denen Angaben über die Verhältnisse in der Sowjetunion gemacht wurden.8 Der nach Lenins Tod 1924 offen ausgebrochene Meinungsstreit über die Richtung der Partei- und Innenpolitik veränderte die politische Atmosphäre im Lande. Aus dem Mitte der 20er Jahre begonnenen Meinungsstreit wurde Anfang der 30er Jahre der Kampf Stalins und seiner Anhänger gegen Oppositionelle, tatsächliche und vermeintliche „Parteifeinde“, die „trotzkistisch-sinowjewsche Blöcke“. Während des innenpolitischen Kampfes Stalins um die Macht in den 30er Jahren veränderten Repressalien, Massenverhaftungen und Schauprozesse mit vielen, allen Rechtsnormen widersprechenden Urteilen, wie lebenslange Verbannung und Tod durch Erschießen das Land. Grausen vor der Allgegenwart des Geheimdienstes, Furcht vor „Spionen“ und Angst vor dem Umgang mit Ausländern, Fremdenhass, Argwohn, Misstrauen und Spitzelunwesen, Erscheinungsformen des Nationalismus und Antisemitismus kennzeichneten im Gegensatz zu den tagtäglich verkündeten Erfolgsmeldungen über Siege beim Aufbau des Sozialismus den Alltag der Sowjetbürger und der Emigranten. Dennoch war die Sowjetunion am Vorabend des Zweiten Weltkrieges durch die Industrialisierung und die Kollektivierung der Landwirtschaft, den Aufbau eines modernen, breite Volksschichten einbeziehenden Bildungswesens zu einem bedeutenden Machtfaktor in Europa geworden. Allerdings war die Rote Armee rüstungsmäßig nicht kriegsbereit. Als ab 1933/34 von den Nazis verfolgte Deutsche und Österreicher ins sowjetische Exil kamen, war der Prozess der Vollendung des Stalinismus im vollen Gange. Während rassistisch und politisch verfolgte Deutsche unterschiedlicher politischer Auffassungen in vielen europäischen und überseeischen Staaten Aufnahme fanden, erhielten in der UdSSR fast nur kommunistische und pro-kommunistische Deutsche und Österreicher Exil, darunter auch jüdische Kommunisten. Zur Aufnahme und Ansiedlung deutscher Exiljuden in die 1927 gebildeten jüdischen Rayons in der Ukraine und auf der Krim, in denen bis zu 84 Prozent der Bevölkerung Juden waren, oder in das ebenfalls 1927 gebildete, 1934 zum „Jüdischen Autonomen Gebiet“ erhobene Birobidshan kam es nie. Die Rückständigkeit in diesen Gebieten und die in den 30er Jahren im Zusammenhang mit den stalinschen Verfolgungen gegen jüdische Bürger und Mitglieder der KPdSU(B) führten zum Scheitern des Vorhabens, das Lion Feuchtwanger noch 1937 als Verwirklichung der Utopie eines jüdischen Staates begrüßte.9 An die Exilanten, unter denen sich neben den kommunistischen Funktionären auch viele bekannte Literaten und Kulturschaffende, aber auch einfache als Arbeiter tätige Mitglieder und untere Funktionäre der Kommunistischen Partei befanden, stellte der Alltag in der Sowjetunion außergewöhnlich harte Anforderungen. Für die in der Komintern und anderen internationalen Vereinigungen führend tätigen Funktionäre der KPD wie Hugo Eberlein, Wilhelm Florin, Fritz Heckert, Heinz Neumann, Wilhelm Pieck, Hermann Remmele, Walter Ulbricht, Clara Zetkin, die sich schon in den 20er Jahren für längere Zeit in Moskau aufgehalten hatten, bedurfte es dieser „Umgewöh8 9

Roeder, Sonderfahndungsliste, S. 12. Arno Lustiger: Rotbuch. Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees und der sowjetischen Juden. Berlin 2000, S. 77–93.

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Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil

nung“ nicht.10 Sie hatten in Hotels wie dem Moskauer „Lux“ und Wohnheimen der Komintern oder der KPdSU(B) kleine Wohnungen oder Zimmer und waren das insgesamt als spartanisch zu beschreibende Leben in Moskau gewöhnt. Nach bisherigen Erkenntnissen gab es im Oktober 1936 etwa 2500 Mitglieder der KPD unter den deutschen politischen und wirtschaftlichen Exilanten in der UdSSR, deren Gesamtzahl Anfang 1937 mit etwa 4000 beziffert wird.11 Viele deutsche Exilanten hatten Familienangehörige, darunter Kinder und Jugendliche mitgebracht, die zumeist – aufgrund beengter Wohnverhältnisse oder nach stalinschen Repressalien gegen ihre Eltern – in Kinderheimen lebten und oft besondere sowjetische Schulen und Hochschulen besuchten.12 Von den deutschen Exilanten fanden nur wenige Arbeit bei der Komintern, deren Exekutivkomitee (EKKI) und der Vertretung der KPD beim EKKI, bei der Roten Gewerkschaftsinternationale (RGI), wo Fritz Heckert von 1935 bis zu seinem Tode 1936 als Sekretär wirkte, bei der Internationalen Roten Hilfe (russisch: MOPR), wo von 1933 bis 1941 Bernard Koenen Organisationssekretär war. Einige Exilanten, wie Anna Bernfeld, Gabriele Bräuning (Stammberger), Walter Haenisch, Karl Schmückle, Kurt Nixdorf und Frida Rubiner, konnten im Marx-Engels-Lenin-Institut an der Herausgabe der Schriften von Marx und Engels und anderen Publikationen mitarbeiten.13 Edwin Hoernle, einst Mitglied des EKKI, wurde schon 1933 zum Leiter der Abteilung Mitteleuropa des Internationalen Agrarinstituts in Moskau berufen. Der österreichische Kommunist Arnold Reisberg war 1935/36 an der Internationalen Lenin-Schule in Moskau Dozent, ehe er zwanzig Jahre (1936–1956) in sowjetischen Straflagern verbringen musste. Gut erforscht und bekannt ist auch das Wirken deutscher Schriftsteller, Journalisten, Regisseure, Filmemacher, Schauspieler, Redakteure und Sprecher deutschsprachiger Rundfunksendungen im sowjetischen Exil. Deutsche Emigranten waren sowohl bei der „Deutschen Zentral – Zeitung“ als auch in den Zeitschriften „Das Wort“ und „Internationale Literatur / Deutsche Blätter“, wo Johannes R. Becher Chefredakteur war, als Redakteure und freie Mitarbeiter beschäftigt. Als Autoren wirkten Fritz Erpenbeck, Hans Günther, Hugo Huppert, Georg Lukács, Adam Scharrer und Heinz Willmann mit. Die Zeitschrift „Das Wort“, für die Bertolt Brecht, damals in dänischem Exil, Lion Feuchtwanger in Frankreich und Willi Bredel als Herausgeber zeichneten, erschien im sowjetischen „Jourgaz“- Zeitschriftenverlag, der auch das finanzielle Defizit trug.14 In der Zeitschrift veröffentlichten neben den in der UdSSR lebenden Schriftstellern wie Becher, Bredel, Erpenbeck, Kurella auch Brecht, Feuchtwanger, Heinrich und Thomas 10

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1924 waren in Moskau insgesamt 206 deutsche Emigranten und deutschen Mitarbeiter der Komintern registriert. Siehe Oleg Dehl: Verratene Ideale. Zur Geschichte deutscher Emigranten in der Sowjetunion in den 30er Jahren. Hrsg. v. Ulla Plener. Berlin 2000, S. 20; Erler, Terror gegen deutsche Polit- und Wirtschaftsemigranten, S. 240. Erler, Terror gegen deutsche Polit- und Wirtschaftsemigranten, S. 242, 248. Siehe die Erinnerungen von Helmut Damerius, Werner Eberlein, Stefan Doernberg, Wolfgang Leonhard, Wolfgang Ruge, Gabriele Stammberger. Schmückle wurde 1937 verhaftet und 1938 erschossen, seine Frau A. Bernfeld beging 1941 Selbstmord. Haenisch wurde 1938, Nixdorf 1937 erschossen. Jarmatz u.a.: Exil in der UdSSR, S. 202.

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Mann, Ludwig Marcuse und viele andere im Exil lebende Deutsche. Der in Moskau und Leningrad ansässigen „Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR“ (Vegaar), deren deutsche Sektion Erich Wendt leitete,15 und anderen sowjetischen Verlagen, wie der „Verlag für fremdsprachige Literatur“, wo Wilhelm Zaisser von 1939 bis 1943 als Chefredakteur der deutschen Sektion wirkte, war es zu verdanken, dass zwischen 1933 und 1945 in der Sowjetunion 281 Werke exilierter deutscher Schriftsteller in deutscher Sprache erschienen.16 Dazu gehörten bedeutende Werke von Willi Bredel, Adam Scharrer, Fritz Erpenbeck, Theodor Plivier, Erich Weinert, Friedrich Wolf und Hedda Zinner. Bis 1935/36 waren deutsche Emigranten in kulturellen Institutionen noch gern gesehene Mitarbeiter. Nachdem in Deutschland 1933 der „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ (BPRS) verboten wurde, vertrat eine von Hans Günther17 geleitete „Deutsche Länder-Kommission“ die Interessen der deutschen Literaten innerhalb der in Moskau residierenden „Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller“ (IVRS). Als sich der IVRS im Dezember 1935 auflöste, wirkten die deutschen Exilschriftsteller (mit Becher, Erpenbeck, Günther, Lukács und Weinert) als „Deutsche Sektion“ im sowjetischen Schriftstellerverband weiter. Auf vielfältige Beziehungen und das Interesse sowjetischer Instanzen an deutschsprachigen Theateraufführungen konnten sich Theaterleute und Filmemacher stützen.18 Ende 1933 kam es in Moskau zur Gründung des „Deutschen Theaters, Kolonne Links’“, dessen künstlerische Leitung der im August 1933 in die Sowjetunion emigrierte Gustav von Wangenheim übernahm und dessen Direktor Arthur Pieck war. Diese deutsche Theatertruppe, bestehend aus Russlanddeutschen und deutschen Exilanten,19 blieb jedoch ein „Wandertheater“, da alle Bemühungen scheiterten, ein festes Haus in Moskau einzurichten. Dieser Umstand und die beginnenden Repressalien in der UdSSR führten zum Zerfall des Ensembles. Einige Schauspieler, Bühnenbildner und Regisseure fanden in Theatern der Siedlungsgebiete von Sowjetbürgern deutscher Nationalität einen neuen Wirkungskreis, wie z. B. Ilse Berend-Groa, Albert Hetterle, 15

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Wendt wurde im September 1936 verhaftet, aus dem Gefängnis in Saratow entlassen, in die Wolgadeutsche Republik deportiert, bei deren Auflösung im Sommer 1941 nach Sibirien deportiert, später kehrte er als Mitarbeiter für die deutschsprachigen Sendungen des Rundfunks nach Moskau zurück. Bei der VEGAAR war auch Heinz Neumann, ehemaliger Chefredakteur der KPD-Zeitung „Die Rote Fahne“, Mitglied des Politbüros bis August 1932, von 1935 bis zu seiner Verhaftung im April 1937 als Übersetzer beschäftigt. Jarmatz u.a., Exil in der UdSSR, S. 232. Hans Günther (1899–1938), Verfasser des wissenschaftlichen Werks „Der Herren eigener Geist. Die Ideologie des Nationalsozialismus“. Moskau 1935 (Neuausgabe siehe: Werner Röhr, Berlin 1981) wurde im November 1936 verhaftet und verstarb im November 1938 in einem Gefangenenlager in Wladiwostok. Von den Mitgliedern der „Kolonne Links“ wurden 1938 die Schauspieler Kurt Ahrendt, Bruno Schmidtsdorf und Karl Oefelein verhaftet und erschossen. Dazu gehörten die Schauspieler Ingeborg Franke (Inge v. Wangenheim) – von 1941–1943 nach Taschkent evakuiert –, Erwin Geschonneck und der Komponist Hans Hauska – beide wurden 1938 aus der UdSSR ausgewiesen, in Deutschland verhaftet und eingekerkert, Lotte Loebinger, Carola Neher (im Juli 1936 verhaftet und im Juni 1942 im Straflager verstorben) und Kurt Trepte.

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Maxim Valentin, Heinrich Vogeler, Erwin Geschonneck, Gerhard Hinze und Leo Bieber.20 Arbeitsmöglichkeiten bot auch die sowjetische Filmindustrie. Erwin Piscators21 Film „Der Aufstand der Fischer“ nach der Novelle „Der Aufstand der Fischer von St. Barbara“ von Anna Seghers wurde 1934 ein berühmtes, aber umstrittenes Muster für die neue proletarisch-revolutionäre Kunst. 1936 hatte der Film „Kämpfer“ unter der Regie von Gustav von Wangenheim und der Musik von Hans Hauska Premiere, der den Leipziger Reichstagsbrandprozess und den Widerstand deutscher Arbeiter gegen das Naziregime behandelte. Einige Emigranten fanden im seit 1929 existierenden deutschsprachigen Dienst des weltweit zu empfangenden Moskauer Rundfunk eine Arbeit, so Sepp Schwab, Karl Maron, Hans Rodenberg, Georg Stibi, Erich Wendt, Heinz Willmann, Johannes R. Becher, Willi Bredel, Heinrich Greif, Lotte Loebinger, Maxim Valentin, Erich Weinert und Hedda Zinner. Der Rundfunk erhielt, nachdem er während des Hitler-Stalin-Pakts 1939–1941 eingeschränkt war, nach dem 22. Juni 1941 wieder größere Bedeutung.22 Während des stalinschen Terrors gerieten ab 1935/36 viele Exilanten aus dem Kreis der Kulturschaffenden entweder direkt in die Fänge des Volkskommissariats des Inneren (NKWD) oder verloren die Arbeitsmöglichkeiten auf ihrem Fachgebiet.23 Für die meisten deutschen Exilanten und die noch verbliebenen Facharbeiter und Spezialisten sowie ihre Familienangehörigen bedeuteten die Terrorwellen der 30er Jahre das Ende ihres relativ sicheren Asylantenstatus. Von den ersten Repressalien waren deutsche Facharbeiter und Spezialisten sowie Parteifunktionäre kaum betroffen. Herausragendes Beispiel für die Frühzeit des Vorgehens gegen Exilanten ist der Fall von Karl Albrecht: Von der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin 1924 als Spezialist für Wald- und Forstwirtschaft angeworben, gelangte der deutsche Kommunist Karl Albrecht24 im selben Jahr in die UdSSR, wo er rasch in leitende Funktionen der Versuchsanstalten für Forstwirtschaft und Holzindustrie aufstieg. Ende 1928 nach Moskau berufen, wurde er Verantwortlicher für die Waldwirtschaft in der gesamten UdSSR und Mitglied der von Sergej Ordshonikidse geleiten Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) der KPdSU(B). Mehrfach trug er 1930/31 dem Politbüro der KPdSU(B) in Stalins Anwesenheit Vorschläge für eine Neuorganisation der Waldarbeit vor. Dabei 20

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Siehe Ilse Fogarasi (d. i. Ilse Berend-Groa, verheiratete Fogarasi): Der neue Thespiskarren. Berlin 1955. Albert Hetterle, geb. 1918 in Peterstal bei Odessa, kam als Laie 1936 an das Odessaer Theater und wurde dort Meisterschüler von Berend-Groa. Seit 1954 am Maxim-GorkiTheater (Berlin), 1968 bis 1994 dessen Intendant. Maxim Valentin, geb.1904, war von 1952 bis 1968 Intendant des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin. Heinrich Vogeler, geb. 1872, seit 1931 in der UdSSR, verstarb als Evakuierter 1942 in Kasachstan. Bieber, Hinze und Geschonneck wurden 1938 aus der UdSSR ausgewiesen. Erwin Piscator (1893–1966), seit 1918 Mitglied der Spartakusgruppe und der KPD, lebte seit 1931 in der UdSSR, reiste 1935 in die USA und kehrte nicht mehr in die Sowjetunion zurück. Siehe die unveröffentlichte Dissertation von Wladimir Ostrogorski: Der deutschsprachige Dienst des Moskauer Rundfunks im Kampf gegen den Faschismus in Deutschland (1929–1945). Leipzig 1971. Die Anzahl der deutschen Emigranten, die vorwiegend im Kulturbereich tätig waren, wird auf 130 (ohne Angehörige) geschätzt, wovon 70 Prozent Opfer des stalinschen Terrors wurden, siehe Pike, Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil, S. 471. Eigentlich Karl Matthias Löw.

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übte er auch Kritik am Masseneinsatz ungelernter Häftlinge und Verbannter. Bald geriet er in die Fänge des NKWD und wurde bei einer Inspektionsreise in den Fernen Osten am 23. Juni 1932 verhaftet. Er wurde der deutschen Spionage beschuldigt und nach 18 Monaten Haft Anfang 1934 von einem Gericht zum Tode durch Erschießen verurteilt. Im März 1934 begnadigt, konnte er, immer noch im Besitz eines deutschen Passes, mit Hilfe der deutschen Botschaft nach Deutschland ausreisen. Nach kurzer Haft nahm er eine Arbeit in der Waldwirtschaft, zuerst in der Schweiz, später in der Türkei an und verfasste später seine Memoiren. Der „große Terror“ traf die zur Kominternspitze und KPD-Führung gehörenden deutschen Kommunisten nicht überraschend. Nicht wenige von ihnen hatten zu vielen bei Stalin mittlerweile in Ungnade gefallenen Führern der KPdSU(B) jahrelang engste Beziehungen gehabt. Anfänglich versuchte man über den neuen Kominternchef Georgi Dimitroff für Verhaftete einzutreten, aber bald registrierte man nur noch das Geschehen. Damit wurde 1936 der 1943 verstorbene Paul Jäkel, ehemaliger Reichstagsabgeordneter der KPD, betraut. Aus seinen Berichten geht hervor, dass von den 2500 im Mai 1936 im sowjetischen Exil lebenden Mitgliedern der KPD im Mai 1937 noch 1300 und im April 1938 nur noch 378 ihre Mitgliedsbeiträge entrichteten.25 Jäkel berichtete zusammenfassend der Parteiführung, dass 70 Prozent der KPD-Mitglieder verhaftet seien, und falls dies so weitergehe, „in drei Monaten kein einziges deutsches Parteimitglied mehr übrig bleibt.“26 Zu den dokumentierten Beispielen gehörte die Meldung, dass von den Anfang 1937 in Leningrad registrierten 103 KPD-Mitgliedern im Februar 1938 nur noch zwölf lebten.27 Eine genaue Angabe über die Anzahl der verhafteten, verurteilten, umgekommenen und überlebenden Mitglieder der KPD gibt es ebenso wenig wie über die Opfer unter denjenigen deutschen Kommunisten, die Mitglieder der KPdSU(B) waren, oder als parteilose deutsche Spezialisten, Facharbeiter, Kultur- und Kunstschaffende, Angehörige, Jugendliche, Kinder oder gar als sowjetischen Staatsbürger deutscher Nationalität in der UdSSR lebten. Während des „großen Terrors“ setzte die Führung der KPD um Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht bei der „Bolschewisierung“ und „Selbstreinigung“ der KPD widerstandslos die Linie Stalins durch. Tatsache ist allerdings, wie Carola Tischler schreibt, dass „die Einflussmöglichkeiten der KPD-Führung ziemlich gering waren“, dass beispielsweise Stalin die KPD-Führer in den Jahren ihres Exils in der UdSSR nicht ein einziges Mal empfangen hat.28 Außerordentlich schwer wog, dass in den Prozessen den Angeklagten häufig vorgeworfen wurde, Agenten auch des „deutschen Geheimdienstes“ zu sein, woraus eine mangelnde Wachsamkeit der Führung der KPD im Exil abgeleitet wurde. Nach bisherigen Erkenntnissen kamen durch die stalinschen „Säube-

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Die KPD-Führung ging im Mai 1936 von rund 4600 deutschen Emigranten aus, siehe Tischler, Flucht in die Verfolgung, S. 92 ff. Luitwin Bies: Deutsche Emigranten in der UdSSR. Zwei Dokumente. In: Marxistische Blätter, H. 5, Essen 1992, S. 53. Carola Tischler: Es ist notwendig, über die Zugehörigkeit zur Partei zu entscheiden. In: Moskau 1938. Hrsg. v. Kinner/Beitz, S. 101. Ebenda, S. 108.

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rungen“ 35 Mitglieder des Politbüros, des ZK und kommunistische Abgeordnete des Reichstags und der deutschen Landtage um. Parallel zu den Verfolgungen deutscher Politemigranten gehörte zum „großen Terror“ der Beschluss des Politbüros der KPdSU(B) vom 20. Juli 1937, alle in Rüstungsbetrieben, Chemie- und Elektrokraftwerken sowie auf Baustellen tätigen deutschen Facharbeiter und Spezialisten zu verhaften. Wer nicht angeklagt, in Straflager verbannt oder gar erschossen wurde, der wurde immer häufiger aus der UdSSR ausgewiesen und geriet nicht selten aus den Fängen des NKWD in die der deutschen Gestapo. Im Sommer 1938 ebbte die große Terrorwelle ab. Am 17. November 1938 fassten das ZK der KPdSU(B) und der Rat der Volkskommissare den Beschluss, der zwar die „Erfolge“ bei der Entlarvung von „Volksfeinden und eingeschleusten Agenten“ lobte, aber auch Verletzungen der Gesetzlichkeit einräumte. Wirkliche Korrekturen erfolgten nicht. Sowjetbürger und Exilanten blieben in den Lagern. Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 sowie der „Grenz- und Freundschaftsvertrag“ mit den geheimen Zusatzabkommen vom 28. September 1939 brachten den deutschen Exilanten neue Schwierigkeiten. Als überzeugte Gegner des Hitlerregimes waren sie gezwungen zu schweigen und stillzuhalten, als in den sowjetischen Massenmedien positive Berichte über Hitlerdeutschland erschienen. Die zwiespältige Situation der deutschen Exilanten endete, als die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion angriff. Söhne und Töchter deutscher Exilanten meldeten sich danach freiwillig zur Roten Armee und kämpften oft an vorderster Front. Allerdings waren das anfänglich Ausnahmen.29 Im Laufe des Krieges gelangten weitere junge deutsche Exilanten, wie Stefan Doernberg, Konrad Wolf und Fritz Straube als Kämpfer und Offiziere in die Sowjetarmee, von denen einige vor oder bei Kriegsbeginn sogar verbannt oder in die „Trudarmija“ (sogenannte „Arbeitsarmee“) zwangsverpflichtet waren. Für die Masse der deutschen Exilanten in der Sowjetunion endeten die in den 30er Jahren über sie hereingebrochenen Leiden mit dem Kriegsbeginn nicht. Die meisten bis dahin noch nicht Verhafteten wurden nicht etwa als Weggefährten im Kampf gegen Nazideutschland angesehen, sondern eher als mögliche Agenten und Kollaborateure des Aggressors. Angesichts der Niederlagen der Roten Armee in den ersten Kriegsmonaten und der Eroberung großer sowjetischer Gebiete vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer durch die Wehrmacht blieb die Entscheidung, was mit sowjetischen Bürgern deutscher Nationalität und den deutschen Exilanten geschehen sollte, zunächst den frontnahen Sowjets und den Kommandos der Roten Armee überlassen. Beispielsweise befahl der Kriegsrat der Leningrader Front am 26. August 1941 dem Exekutivkomitee des Leningrader Gebiets innerhalb von 24 Stunden die rund 90.000 Sowjetbürger finnischer und etwa 6700 deutscher Nationalität in das Gebiet Archangelsk (Komi ASSR) und den Raum Novosibirsk zwangsweise zu evakuieren. Die wenigen deutschen Exi-

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Der militärische Einsatz dieser deutschen Exilanten in der Roten Armee ist bisher nicht systematisch erforscht. Es gibt fast nur Zeitungs- und Zeitschriftenartikel über Helene Berner, Elvira Eisenschneider, Peter Florin, Max Hahn, Heinrich und Viktor Koenen, Bruno Kühn, Käthe und Mia Niederkirchner, Kurt Römling und weitere deutsche Kämpfer in der Roten Armee.

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lanten mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft gehörten zu dem von der Statistik angeführten „Spezialkontingent administrativ ausgewiesener Personen“.30 Als Anfang September 1941 der direkte Angriff der deutschen Heeresgruppe Mitte auf Moskau erwartet wurde, forcierte das NKWD die sofort nach Kriegsbeginn vorgesehene Internierung aller deutschen Staatsangehörigen. Ebenso erfolgte die Evakuierung der noch in der Stadt verbliebenen Deutschen: Politische Emigranten, seit Jahren im Lande lebende Kulturschaffende, Facharbeiter und Spezialisten, Angehörige, Jugendliche und Kinder, die bisher zumeist in Wohnheimen gelebt hatten und deren Eltern häufig bereits inhaftiert waren, sowie viele Sowjetbürger deutscher Nationalität. Ebenso wie ein Teil der sowjetischen Regierung wurden die leitenden KPD-Funktionäre nach Kuibyschew (Samara), die Führung der Komintern nach Ufa, einige Schriftsteller (Bredel, Kurella, Weinert) nach Kasan und andere (Becher, Leschnitzer, Lukács, Plivier, Scharrer, Wangenheim, Wolf) nach Alma Ata transportiert. Die meisten deutschen Exilanten wurden zur Miliz bestellt, wo man ihnen die Ausweisung oder Evakuierung verkündete, in ihre Aufenthaltserlaubnispapiere die Beschränkung auf ein begrenztes Gebiet in Sibirien, Kasachstan, Baschkirien, Ossetien usw. einstempelte und den Abreisetag verkündete. Die Prozedur kam einer Verbannung gleich. Viele erwartete in den entlegenen östlichen und mittelasiatischen Gebieten auch noch eine Verurteilung zum Dienst in der „Trudarmija“, zumeist verbunden mit der Einweisung in Lager, die der Hauptverwaltung Lager (GULAG) des Volkskommissariats des Innern unterstanden. Sehr viele von ihnen haben die harte, oft sinnlose Arbeit nicht ertragen, sind an Hunger, Hitze und Kälte, Quälereien, psychischen und anderen Krankheiten, aber auch infolge „neuer Prozesse“ und Strafen mit nicht wenigen Todesurteilen, aber auch an Heimweh und Entkräftung gestorben. Parallel zu den Repressalien gegen die deutschen Emigranten wurden die Sowjetbürger deutscher Nationalität aus ihren großen geschlossenen Siedlungsgebieten deportiert. Am 28. August 1941 beschloss das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR, die gesamte Wolgadeutsche Bevölkerung in die Gebiete Altai, Kasachstan, Novosibirsk und Omsk „umzusiedeln“. Am 7. Oktober 1941 wurde die Wolgarepublik aufgelöst. Mehr als 900 000 Menschen wurden aus ehemals deutsch besiedelten Räumen in „Sondersiedlungsgebiete“ verbracht, wobei viele Männer von ihren Familien getrennt zur Schwerstarbeit in die „Trudarmija“ eingezogen wurden. Etwa 300 000 fanden bei der Zwangsumsiedlung und infolge der menschenunwürdigen Existenzbedingungen in den Verbannungsgebieten, in der „Trudarmija“ und in Straflagern bis Kriegsende den Tod.31 Bevor die leitenden Funktionäre der KPD, die kommunistischen Schriftsteller und andere bekannte deutsche kommunistische Exilanten Moskau verlassen mussten, erarbeiteten sie ein Konzept, das nicht nur die uneingeschränkte Solidarität der KPD mit den Völkern der Sowjetunion bekräftigte, sondern auch die neuen Aufgaben für die 30

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Der Bericht der Leningrader staatlichen Evakuierungskommission für die Zeit vom 29. Juni 1941 bis 15. April 1942 beziffert die Anzahl dieser Personen mit 39.314. Siehe: Leningrad v osade. (Leningrad während der Belagerung). Dokumente. St. Petersburg 1995, Dok. 142. Siehe Hass, Die Deportation der deutschen Minderheit, S. 117 ff.; Pinkus/Fleischhauer, Die Deutschen in der Sowjetunion, S. 303 ff.

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Teilnahme deutscher Exilanten am Kampf gegen Hitlerdeutschland beinhaltete. In einem vom 24. Juni 1941 datierten Aufruf wurde der “gemeinsame Sieg“ propagiert“32. Als erste Schritte bemühten sich besonders Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht mit den sowjetischen Instanzen die Möglichkeiten für deutsche Exilanten, den Kampf der Sowjetarmee zu unterstützen, abzustecken. Das ZK der KPdSU(B) hatte am 24. Juni 1941 als zentrales Organ für den politischpropagandistischen Bereich eine Hauptverwaltung der Roten Arbeiter- und Bauernarmee eingerichtet33, zu der eine „7. Abteilung“, geleitet von Oberst Michail I. Burzew, und deren Unterabteilung für deutsche Fragen, geleitet von Oberst Prof. Dr. Jossif S. Braginski, gehörten. Zu ihren Aufgaben gehörte die Propaganda (durch Radio, Lautsprecher, Flugblätter, Zeitungen) über die Frontlinie hinweg unter den deutschen Truppen und auch unter den Kriegsgefangenen. Dieses sowjetische Führungsorgan wurde neben der aktivierten Komintern unter Dimitroffs Leitung zum wichtigsten Partner der deutschen Exilanten bei ihrem Bemühen, den Widerstandskampf illegaler Gruppen in Deutschland zu unterstützen, sich an der Propagandaarbeit von den vorderen Schützengräben aus und an der Aufklärungs- und Bildungsarbeit unter den deutschen Kriegsgefangenen zu beteiligen. Daran konnten Pieck, Ulbricht, Anton Ackermann und Edwin Hoernle mitwirken. Mit Hilfe der „7. Abteilung“ nahm neben dem Moskauer Rundfunk in deutscher Sprache am 10. September 1941, ebenfalls auf Deutsch, eine sich als „Deutscher Volkssender“ bezeichnende Rundfunkstation den Sendebetrieb auf.34 Ab Jahreswende 1941/42 wurden auch Schriftsteller, Zeitungs- und Radiojournalisten, darunter Becher, Bredel, Weinert und Wolf, nach Moskau zurückgeholt, um als Mitarbeiter der „7. Abteilung“ die sowjetische Propaganda mittels Zeitungen, Flugblätter, Rundfunk und Lautsprecherpropaganda besser und wirkungsvoller zu gestalten. Als die Anzahl deutscher Kriegsgefangener Millionen betrug, wurde die Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit in den Kriegsgefangenenlagern zum bedeutendsten Betätigungsfeld vieler deutscher Exilanten. Beginnend mit einer Beratung deutscher Kriegsgefangener mit KPD-Funktionären, darunter Ulbricht, im Kriegsgefangenenlager Nr. 58, deren Teilnehmer am 10. Oktober 1941 den „Appell der 158“ an das deutsche Volk verabschiedeten, sollte erreicht werden, möglichst viele Kriegsgefangene als neue Gegner des Hitlerregimes und Aktivisten für den Aufbau eines „antifaschistischdemokratischen“ Nachkriegsdeutschland zu gewinnen. Die Gründung des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ am 12./13. Juli 1943 und des Bundes Deutscher Offiziere am 11./12. September 194335 waren Ergebnisse, die deutsche Exilanten, sowjetische 32

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Der Aufruf erschien in der in Stockholm in deutscher Sprache publizierten Zeitung „Die Welt“ Nr. 28, S. 885 f.; siehe auch: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, Berlin 1966, S. 547, Dok. 75. Chef dieser Hauptverwaltung (GlavPurkka – glavnoje političeskoje upravlenije rabočej i krestjanskoj Krasnoj Armii) war Generaloberst Alexej S. Schtscherbakow. Siehe Luise Kraushaar: Der „Deutsche Volkssender“ (1941–1945). In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Berlin 1964, H. 1, S. 116 ff.; Richard Gyptner: Über die antifaschistischen Sender während des zweiten Weltkrieges. In: Ebenda, 1964, H. 5, S. 881 ff. Siehe Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der Bund Deutscher Offiziere. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Frankfurt (Main) 1995, 2. Aufl. 1996 (Russische Übersetzung: Nationalnij Komitet „Svobodnaja Germania“ i Sojus Nemezkich ofizerov. Krasnogorsk, Moskau 1996).

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Offiziere und hinzugekommenen Hitlergegnern aus den Reihen der Kriegsgefangenen gemeinsam errungen hatten. An dem seit dem 10. September 1941 ein Programm ausstrahlenden „Deutschen Volkssender“ und dem vom 20. Juli 1943 an ebenfalls in Deutschland zu empfangendem Sender des Nationalkomitees „Freies Deutschland“ waren Exilanten und Kriegsgefangene beteiligt. Als die Sowjetarmee Mitte 1944 die deutsche Reichsgrenze erreichte, begann für viele Exilanten, die in Freiheit am Kampf teilnehmen konnten, ein neuer Lebensabschnitt, der sie in verantwortliche Funktionen in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR stellte. Zurück blieben jedoch viele Verbannte und ungerechtfertigt Verurteilte in den Arbeits- und Straflagern in weit abgelegenen Gebieten der UdSSR. Nur in wenigen Fällen gelang es der SED-Führung, die Freilassung deutscher Exilanten zu erreichen. Die übrigen erhielten erst nach dem Tode, Stalins am 5. März 1953 durch Amnestien für sowjetische und ausländische Verbannte und Häftlinge unter dem neuen Ersten Sekretär Nikita S. Chruschtschow die Chance, rehabilitiert in ihre jeweilige Heimat, auch nach Deutschland, zurückzukehren. Eine Möglichkeit, die den zwangsverschickten Sowjetbürgern deutscher Nationalität allerdings verwehrt blieb.

Literaturhinweise Agde, Günter: Deutscher Exilfilm in Moskau. Vorausschatten des Großen Terrors. In: Wladislaw Hedeler: Stalinscher Terror 1934–41. Eine Forschungsbilanz. Berlin 2002, S. 279 ff. Albrecht, Karl I.: Der verratene Sozialismus. Zehn Jahre als hoher Staatsbeamter in der Sowjetunion. Berlin, Leipzig 1939 Ders.: „Sie aber werden die Welt zerstören...“. München 1954 Biographisches Handbuch der deutschen Emigration 1933–1945. Hrsg. v. Werner Röder, Herbert A. Straus. München/New York 1983 Buber-Neumann, Margarete: Als Gefangene bei Stalin und Hitler. München 1949, Frankfurt (Main), Berlin 1993 Courtois, Stéphane und Nicolas Werth u.a.: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. München 1998 Damerius, Helmut: Unter falscher Anschuldigung. 18 Jahre in Taiga und Steppe. Berlin 1990 Dehl, Oleg: Verratene Ideale. Zur Geschichte deutscher Emigranten in der Sowjetunion in den 30er Jahren. Hrsg. v. Ulla Plener. Berlin 2000 Deportation, Sondersiedlung, Arbeitsarmee. Deutsche in der Sowjetunion 1941 bis 1956. Hrsg. v. Alfred Eisfeld, Victor Herdt. Köln 1996 Diezel, Peter: Exiltheater in der Sowjetunion 1932–1937. Berlin 1978 Doernberg, Stefan: Erinnerungen eines Rotarmisten, Historikers und Botschafters. Berlin 2004 Eberlein, Werner: Geboren am 9. November. Erinnerungen. Berlin 2000 Erler, Peter: Zwischen stalinistischem Terror und Repression. Staatlicher Zwang und parteipolitische Strafmaßnahmen gegen deutsche Emigranten in der UdSSR nach

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dem 22. Juni 1941. In: Jahrbuch für historische Kommunismusforschung, H. 9/ 2000, S. 148 ff. Ders.: Terror gegen deutsche Polit- und Wirtschaftsemigranten. In: Wladislaw Hedeler: Stalinscher Terror 1934–41. Eine Forschungsbilanz. Berlin 2002, S. 239–258 Exil in der UdSSR. Kunst und Literatur im antifaschistischen Exil (1933–1945). Hrsg. v. Klaus Jarmatz, Simone Barck, Peter Diezel u.a. Bd. 1. Leipzig 1979, 2. Aufl. Leipzig 1989 In den Fängen des NKWD. Deutsche Opfer des stalinistischen Terrors in der UdSSR. Hrsg. v. Petra Becker, Peter Erler, Barbara van der Heyden u.a. Berlin 1991 Fischer, Ruth: Stalin und der deutsche Kommunismus. 2 Bde. Berlin 1991 Ginsburg, Jewgenia: Marschroute eines Lebens. München 1989 Handbuch der deutschsprachigen Emigration. Hrsg. v. Claus-Dieter Krohn, Patrik von zur Mühlen, Gerhard Paul, Lutz Winckler. Darmstadt 1998 Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933–1945. Hrsg. v. Fritjoff Trapp, Werner Mittenzwei, Henning Rischbieter, Hansjörg Schneider. 2 Bde. München 1999 Hass, Gerhart: Die Deportation der deutschen Minderheit in der UdSSR im Zweiten Weltkrieg. In: Gegen das Vergessen. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion 1941–1945. Hrsg. v. Klaus Meyer, Wolfgang Wippermann. Frankfurt am Main 1992, S. 117–133 Hedeler, Wladislaw: Stalinscher Terror 1934–41. Eine Forschungsbilanz. Berlin 2002 Huppert, Hugo: Wanduhr mit Vordergrund. Halle 1977 Jahrhundertschicksale. Frauen im sowjetischen Exil. Hrsg. v. Simone Barck, Anneke de Rudder, Beate Schmeichel-Falkenberg, Beate. Berlin 2002 Keßler, Mario: Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR. Köln, Weimar 2001 Ders.: Exil und Nach-Exil. Vertriebene Intellektuelle im 20. Jahrhundert. Hamburg 2002 Leonhard, Susanne: Gestohlenes Leben. Als Sozialistin in Stalins Gulag. Frankfurt (Main) 1988 Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entlässt ihre Kinder. Köln 1955, Leipzig 1990 McLoughlin, Barry/Schafranek, Hans/Szevera, Walter: Aufbruch, Hoffnung, Endstation. Österreicherinnen und Österreicher in der Sowjetunion 1925–1945. Wien 1997 Ders./Szevera, Walter: Posthum rehabilitiert. Daten zu 150 österreichischen Stalin-Opfern. Wien 1964 Mensing, Wilhelm/Erler, Peter: Von der Ruhr in den Gulag – Opfer des stalinschen Massenterrors aus dem Ruhrgebiet. Essen 2001 Müller, Reinhard: Die Akte Wehner. Moskau 1937–1941. Berlin 1993 Ders.: Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung. Hamburg 2001 Das Nationalkomitee „Freies Deutschland“ und der Bund Deutscher Offiziere. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Frankfurt (Main) 1995 (russ. Ausgabe Moskau 1996)

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Die deutschsprachige politische Emigration nach 1933 in Mittel-, West- und Nordeuropa sowie in Übersee Hartmut Mehringer

Emigration und Exil 1933–1939 Die deutschsprachige Emigration aus Mitteleuropa seit Anfang 1933 umfasst eine Gesamtzahl von rund einer halben Million Menschen. Die Mehrzahl davon verließ den Herrschaftsbereich des NS-Staats aufgrund dessen antijüdischer Politik, die im Krieg in der „Endlösung der Judenfrage“ kulminierte. Die Zahl derjenigen, deren Fluchtmotiv von 1933 bis 1939 wesentlich in ihrer aktiven Regimegegnerschaft begründet lag, wird auf rund 30.000 geschätzt, liegt also bei etwa sechs Prozent. Bereits wenige Wochen nach der NS-Machtübernahme im Januar 1933 sahen sich insbesondere die Parteien und Gruppen der Arbeiterbewegung gezwungen, angesichts der wachsenden Einengung ihrer politisch-publizistischen Arbeitsmöglichkeiten im Reich auf Stützpunkte in den Nachbarländern auszuweichen. Ab Sommer 1933 kam es zur Massenflucht von Mitgliedern und Funktionären, die sich schon vor 1933 als NS-Gegner exponiert und die Rache der Nationalsozialisten zu fürchten hatten. Die neuen Auslandsstützpunkte nahmen rasch den Charakter von Parteivorständen im Exil an. Diese „Parteiemigration“ erhielt in den folgenden Jahren stetigen Zuwachs durch geflüchtete Mitglieder der Widerstandsgruppen im Reich. Die Arbeiterbewegung stellte quantitativ den Löwenanteil der politischen Emigration. Zu ihr gehörten jedoch auch Liberale, Christlich-Soziale, Nationalkonservative, Monarchisten, außerdem zum Teil höchst prominente Vertreter des Weimarer politischen Establishments1 sowie Bündische, linke Nationalisten und Nationalrevolutionäre bis hin zu vormaligen NSDAPMitgliedern,2 ebenso eine Reihe von Würdenträgern der christlichen Kirchen und von theologischen Hochschullehrern, die im Falle ihrer Gefährdung von ihren Oberen gezielt ins Ausland versetzt oder vermittelt wurden.3 Fluchtländer für das politische Exil waren zunächst vor allem die unmittelbaren Anrainerstaaten des Deutschen Reichs.4

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Darunter so bekannte Namen wie die ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning und Joseph Wirth sowie die ehemaligen Reichsminister Gottfried Reinhold Treviranus und Erich Koch-Weser oder Hermann Rauschning, letzter Senatspräsident von Danzig. Darunter Otto Straßer, der Bruder Gregor Straßers, und der ehemalige Hitler-Vertraute Ernst („Putzi“) von Hanfstaengl. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars des Völkerbundes waren Ende 1935 neben 40–45.000 Flüchtlingen aus rassischen Gründen 6–8.000 Kommunisten, 5–6.000 Sozialdemokraten und etwa 5.000 Pazifisten, Katholiken und nach Partei oder Rasse nicht näher bestimmbare Personen emigriert. Vgl. die jeweiligen Artikel zu den einzelnen Asylländern in: Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Hrsg. v. Claus-Dieter Krohn. Darmstadt 1998. Dort auch weiterführende Literatur.

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Bis 1938 war in erster Linie die Tschechoslowakei das Zentrum der politischen Emigration: Dies ist sowohl geostrategischen als auch politischen und sprachlichen Gesichtspunkten zuzuschreiben. Dazu kam das günstige Umfeld des sudetendeutschen Sprachgebiets sowie die vorbehaltlose Unterstützung, die die sudetendeutsche Arbeiterbewegung, gleich welcher parteipolitischen Richtung, den reichsdeutschen Politemigranten der jeweils eigenen Couleur zu gewähren bereit war, verbunden mit einer toleranten Aufnahmepolitik durch die staatliche Seite: Man sah die Emigration der deutschen Arbeiterbewegung zumindest anfangs als möglichen Bündnispartner gegenüber einer befürchteten deutschen Aggression. Lediglich das Exil-ZK der KPD residierte bereits in diesen Jahren in Paris, doch hielt man auch in der Tschechoslowakei exilpolitische Schaltstellen aufrecht, nicht zuletzt wegen der unmittelbaren Grenze zur UdSSR. Bereits im Sommer 1933 hatte der Exilparteivorstand der SPD (Sopade) nach einem kurzen Zwischenaufenthalt im Saargebiet seinen Sitz nach Prag verlegt: Seine Aufgaben definierte er selbst als Aufklärung des Auslands über das NS-System, die Unterstützung illegaler Organisationen in Deutschland, die Verbreitung illegaler Zeitungen und Literatur sowie die Unterstützung der „Opfer des antifaschistischen Kampfes“. Zur organisatorischen Abwicklung dieser Arbeit richtete die Sopade rings um das Deutsche Reich „Grenzsekretariate“ ein; vier davon (Karlsbad, Trautenau, Bodenbach und Neuern) befanden sich auf tschechoslowakischem Boden. Nach dem Februar 1934 konstituierte sich das „Auslandsbüro der österreichischen Sozialdemokraten“ in Brünn. Im gleichen Jahr gründete der Führer der „Schwarzen Front“, Otto Strasser, in Prag die Zeitschrift „Die Deutsche Revolution“, die nach Deutschland geschmuggelt wurde, sowie in der Nähe von Prag den „Deutschen Freiheitssender“ (auch „Schwarzer Sender“), der jedoch bereits im Februar 1935 von SDAgenten überfallen und zerstört wurde. Auch weitere politische Gruppierungen und Organisationen, die im Reich 1933 verboten und aufgelöst worden waren oder sich im Exil neu konstituiert hatten, unterhielten Exilzentralen in der Tschechoslowakei: So die „Volkssozialistische Bewegung“, der „Ring bündischer Jugend“, der „Christliche Reichsbund für deutsche Freiheit“, der „Ring deutscher Jungkatholiken“ und die „Revolutionäre Landvolk-Bewegung“.5 Erst ab 1936/37 wurden Freizügigkeit und Spielräume der deutschen Politemigranten in der Tschechoslowakei aufgrund diplomatischen Drucks aus Berlin zunehmend eingeschränkt. Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 und der Annexion des Sudetengebiets durch das Reich im Gefolge des Münchner Abkommens im September 1938 übersiedelten nahezu alle Auslandsvertretungen der Parteien und Gruppen der Arbeiterbewegung übersiedelten nach Paris. Österreich bot aufgrund des ab März 1933 herrschenden autoritären ständestaatlichen Regimes der Vaterländischen Front unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, das innenpolitisch immer schärfer gegen die österreichische Arbeiterbewegung vorging, für die politische Emigration aus der deutschen Arbeiterbewegung kein geeignetes Rückzugsgebiet. Lediglich eine Reihe konservativer Emigranten wie Klaus Dohrn und 5

Hermann Wichers: Tschechoslowakei. In: Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Sp. 418.

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Dietrich von Hildebrand, der in Wien die Zeitung „Der Christliche Ständestaat“ herausbrachte, fanden in den Jahren bis 1938 längerfristig Aufenthalt und Betätigungsfeld in Österreich.6 Die Schweiz war für politische Emigranten vor allem als Transitland von Bedeutung. Dies lag an der rigiden Unterbindung jedweder politischen Betätigung von Emigranten durch die Behörden, so dass der Anteil des parteipolitischen Exils nur einige hundert Personen umfasste. Trotzdem konnte eine Reihe von prominenten politischen Emigranten die Jahre von NS-Herrschaft in Deutschland und Europa sowie des Zweiten Weltkriegs in der Schweiz überdauern.7 Auch Italien war angesichts der faschistischen Diktatur unter Mussolini für die politische Emigration vor allem ein Transitland, obgleich das Land in den ersten Jahren nach 1933 für die jüdische Emigration sowie für eine ganze Reihe von politisch nicht exponierten Künstlern und Schriftstellern zunächst günstige Voraussetzungen bot. Erst mit der allmählichen Annäherung des faschistischen Regimes an Hitlerdeutschland ab 1935 verschärften sich die Aufnahme- und Aufenthaltskriterien. Dänemark, obwohl unmittelbarer Anrainerstaat, blieb ebenfalls wegen seiner politischen Rücksichtnahmen gegenüber dem deutschen Nachbarn vorwiegend ein Transitland für politische Flüchtlinge. Norwegen spielte als Land an der europäischen Peripherie für die deutsche politische Emigration eine unbedeutende Rolle. Eine wesentliche Ausnahme war hier lediglich Willy Brandt, der 1933 als junger Emissär der SAP nach Norwegen gelangt war: Er fand rasch Zugang zu der norwegischen Arbeiterpartei (DNA). Dadurch wurde Oslo eine wichtige Basis für die Exil-SAP. Ab 1938 veränderte sich die Struktur des deutschen Exils in Norwegen insbesondere durch die Aufnahme österreichischer und sudetendeutscher Sozialdemokraten und Kommunisten. Dies führte alsbald zu einer von der DNA gezielt unterstützten Annäherung zwischen sozialdemokratischen und linkssozialistischen Exilgruppen in Norwegen. Nach dem deutschen Überfall auf Norwegen am 9. April 1940 floh die Mehrzahl der deutschen politischen Flüchtlinge in Norwegen nach Schweden, das in den Vorkriegsjahren für die politische Emigration zunächst uninteressant gewesen war. Die Niederlande waren 1933 ein gut zu erreichendes Zufluchtsland für politische Emigranten, vor allem aus dem Rhein-Ruhr-Gebiet. Aber auch die niederländische Regierung suchte den Flüchtlingsstrom einzudämmen und scheute in Einzelfällen nicht vor der Zusammenarbeit mit der Gestapo und der Auslieferung missliebiger Emigranten nach Deutschland zurück. Für die Geistesgeschichte des Exils ist es besonders bedeutsam, dass sich mit dem Querido-Verlag und dem Verlag Albert de Lange zwei Ver-

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Eine Ausnahme bildet Waldemar von Knoeringen, der bis zum Februar 1934 von Wörgl in Tirol und Wien aus versuchte, Widerstandsgruppen in seiner bayerischen Heimat zu koordinieren und mit illegaler Literatur zu beliefern; im Februar 1934 musste er nach Neuern in der Tschechoslowakei fliehen und führte von dort aus seine Unterstützungstätigkeit fort. Vgl. Hartmut Mehringer: Waldemar von Knoeringen. Eine politische Biographie. München u.a. 1989, Kap. II/2. So der ehemalige Reichskanzler Joseph Wirth, der preußische Ministerpräsident Otto Braun und der nachmalige bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner.

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lage in den Niederlanden etablierten, die sich auf die Editionen deutscher Exilschriftsteller und von in Deutschland verbotener Literatur spezialisierten.8 Belgien und Luxemburg erlebten von der NS-Machtübernahme bis zum Kriegsbeginn mehrere große Fluchtwellen aus deutschbesetzten Gebieten. Beide Länder waren jedoch vor allem Transitländer in Richtung Frankreich. Über einen längeren Zeitraum hinweg hielten sich in Luxemburg allerdings eine Reihe hochrangiger Politemigranten auf, so die Sozialdemokraten Wilhelm Sollmann und Georg Reinbold, die Kommunisten Hugo Eicker und Willy Gräfe, die Zentrumspolitiker Heinrich Imbusch und Johannes Hoffmann sowie Willy Eichler, der Leiter der Auslandsorganisation der linken Zwischengruppe „Internationaler Sozialistischer Kampfbund“ (ISK). Von Belgien aus arbeiteten bis Kriegsbeginn auch die Sopade-Grenzsekretäre Ernst Schumacher und Gustav Ferl sowie ein Kreis um Arkadij Gurland, Max Sievers und den späteren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Heinz Kühn. Auch der bekannte österreichische Sozialist Friedrich Adler, langjähriger Vorsitzender der „Sozialistischen ArbeiterInternationale“ (SAI), residierte bis 1939 in Brüssel. In den ersten beiden Jahren des NS-Regimes war auch das seit 1918 unter Verwaltung des Völkerbundes stehende und wirtschaftlich Frankreich angeschlossene Saargebiet eine Anlaufstelle für die politische Emigration aus dem Reich. Bei der Abstimmung über sein weiteres Schicksal am 13. Januar 1935 erwies sich das nationale Moment als bestimmend: Über 90 Prozent der saarländischen Wahlbevölkerung votierten für den Anschluss an das Reich. Dies führte zur Massenflucht von Kommunisten und Sozialdemokraten vor allem nach Frankreich. Dort trafen sie allerdings bei den Behörden und jeweiligen Bruderparteien auf wenig Gegenliebe und Unterstützung, so dass viele Flüchtlinge ungeachtet der Verfolgungsdrohung schon bald wieder zurückkehrten. Frankreich war neben der Tschechoslowakei bis 1939/40 das zentrale Zufluchtsland für die politische Emigration. Allerdings gibt es weder verlässliche Zahlen über den Gesamtumfang der politischen Emigration in Frankreich noch über die regionale Verteilung. Nach Schätzungen lag die Zahl der deutschen Sozialdemokraten in Frankreich in diesem Zeitraum bei etwa 2.000, die Zahl der deutschen Kommunisten bewegte sich zwischen 500 und 1.500. Die Zahl der Emigranten aus den linken Zwischengruppen, von Demokraten und Pazifisten sowie von Emigranten aus katholischen Oppositionskreisen wird bisher auf jeweils einige Hundert geschätzt.9 Ab 1933 war Paris Sitz des Exil-ZK der KPD, bevor dieses 1935 nach Moskau verlagert wurde. Die Pariser Auslandsleitung diente sowohl der Erfassung und Betreuung kommunistischer Flüchtlinge als auch ab 1936 ihrer Weiterschleusung zu den im Spanischen Bürgerkrieg kämpfenden Internationalen Brigaden. Ende Januar 1939 fand zudem in Draveil bei Paris die aus Tarnungsgründen so genannte „Berner Konferenz“ der KPD statt, die zweite der beiden wichtigsten Zentraltagungen der Exil-KPD vor Kriegsbeginn. Auch für die Exil-Sozialdemokratie war Paris neben Prag das wichtigste Zentrum, zumal ab Frühjahr 1938, als die Sopade ihren Sitz von Prag nach Paris ver8

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Beide Verlage brachten über 200 deutschsprachige Bücher heraus, darunter von Vicky Baum, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Klaus Mann und Arnold Zweig. Barbara Vormeier: Frankreich. In: Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Sp. 222 f.

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legte. Auch die Auslandsleitungen der meisten linken Gruppierungen übersiedelten in dieser Zeit nach Paris. Unter den Exilländern hatte das republikanische Spanien einen eigenen Charakter: Im Bürgerkrieg gegen General Franco engagierten sich ab 1936 mehrere tausend deutschsprachige Emigranten, überwiegend Kommunisten und Linkssozialisten, auf republikanischer Seite in den Internationalen Brigaden, von deren etwa 5.000 deutschen und österreichischen Angehörigen wohl an die 2.000 im Bürgerkrieg fielen. Dieser Einsatz entsprach den politischen Idealen der Arbeiterbewegung, welcher der Spanische Bürgerkrieg als Stellvertreterkrieg und erste Etappe in der weltumspannenden Auseinandersetzung zwischen Faschismus und Sozialismus galt, aber auch den materiellen und logistischen Bedürfnissen vor allem der kommunistischen Exilorganisationen, bot sich doch hier die Möglichkeit, eine große Zahl ihrer einfachen Mitglieder aus den auf die Dauer demoralisierenden Asylantenunterkünften und Emigranten-Kollektiven der Exilländer abzuziehen und militärisch wie propagandistisch nutzbringend einzusetzen. Insgesamt hatten bis kurz vor Kriegsbeginn rund 30.000 Personen Deutschland, Österreich und das Sudetengebiet aus politischen Gründen verlassen. Die politischen Emigranten lebten vor allem in der Vorkriegsphase ganz überwiegend „mit dem Gesicht nach Deutschland“10: Neben der Unterstützung der Illegalen im Reich sahen die Auslandsorganisationen der Arbeiterparteien sowie der übrigen linken Gruppen, ebenso emigrierte Persönlichkeiten aus anderen Bereichen des politischen Spektrums, ihre wichtigste Aufgabe in umfassender Information des Auslands über den wahren Charakter der Hitlerherrschaft; eine „Offensive der Wahrheit“, die den Interessen des NSRegimes weit mehr entgegenwirkte als die oft hilflosen Versuche zur Unterstützung des innerdeutschen Widerstands. Dies zeigen nicht zuletzt die intensiven Abwehrmaßnahmen, die das Dritte Reich gegen diese Form des publizistischen Kampfes ergriff. „Weit über 400 Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichtendienste, Rundbriefe und Bulletins konnten bisher allein für die reichsdeutsche Emigration namhaft gemacht werden. Die wichtigsten Periodika, oftmals Fortsetzungen der ehemaligen Parteiorgane oder angesehener politisch-kultureller Zeitschriften, erreichten neben einem deutschsprachigen Publikum in den Nachbarländern auch Politiker, Behörden und Redaktionen des Auslands.“11 In den Diskussionen des politischen Exils stand verständlicherweise die Frage nach den Ursachen der eigenen politischen Niederlage gegen den Nationalsozialismus im Vordergrund. In der kommunistischen Bewegung betrachtete man den Sieg Hitlers als letzten notwendigen Schritt zur finalen Krise des bürgerlich-kapitalistischen Systems mit zwangsläufig folgender proletarischer Revolution. Auf sozialdemokratisch-sozialistischer Seite kam es zu harscher Selbstkritik an den politischen Strategien seit 1914 und zu einer Radikalismus-Renaissance: Man wollte eine zukünftige Politik grundle10

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So der Titel, unter dem Friedrich Stampfers Erinnerungen postum veröffentlicht wurden: Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Hrsg. v. Erich Matthias, bearb. v. Werner Link. Düsseldorf 1968. Hartmut Mehringer/Werner Röder: Gegner, Widerstand, Emigration. In: Ploetz – Das Dritte Reich. Hrsg. v. Martin Broszat und Norbert Frei. Freiburg i. Br. 1983, S. 180 f.

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gend revolutionär verändern und war bestrebt, die allseits beklagte Spaltung der Arbeiterklasse, in der man den alleinigen Grund der Niederlage sah, zu überwinden. Die politische Emigration der Vorkriegszeit war also in eine Vielzahl von konkurrierenden und einander befehdenden Parteien, Richtungen und Gruppen zersplittert. In der prinzipiellen Gegnerschaft zum NS-Regime bestand allerdings für alle Politemigranten ein gemeinsamer Nenner in Form eines antifaschistischen Konsenses, in dem vor allem die Sowjetunion die Rolle eines Verbündeten im Kampf gegen Hitler übernehmen sollte. Trotz dieses Konsenses gelang jedoch nirgendwo eine übergreifende Zusammenfassung und Gesamtvertretung des Exils oder gar die Bildung einer deutschen Exilregierung. Zum wohl einzigen wirklich parteiübergreifenden Versuch in der Vorkriegszeit kam es ab 1936 in Paris, nachdem die Exil-KPD auf ihrer sogenannten „Brüsseler Konferenz“ (Oktober 1935 in der Nähe von Moskau) die kurz zuvor auf dem VII. Weltkongress der Komintern für verbindlich erklärte neue Taktik der „Volksfront gegen Hitler“ übernommen hatte.12 Ausgehend von einem parteiübergreifenden Protest gegen die Hinrichtung eines „Rote-Hilfe“-Funktionärs in Deutschland, den die Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid, Emil Kirschmann, Max Brauer und Max Braun sowie die Kommunisten Willi Münzenberg, Philipp Dengel, Wilhelm Koenen und Hans Beimler unter Nennung ihrer Parteizugehörigkeit gemeinsam unterschrieben hatten, kam es am 2. Februar 1936 im Pariser Hotel Lutétia zu einer parteiübergreifenden Tagung der „deutschen Opposition“, auf der ein Ausschuss zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront unter dem Vorsitz des parteilosen Schriftstellers Heinrich Mann gegründet wurde. Ihm gehörten prominente Vertreter der KPD (Willi Münzenberg, Franz Dahlem, Wilhelm Koenen, Herbert Wehner, Walter Ulbricht und Paul Merker), Vertreter der SAP (Walter Fabian, Paul Frölich und Jacob Walcher), kurzfristig der aus der Zentrumspartei kommende Carl Spiecker, die „bürgerlichen Demokraten“ Georg Bernhard, Leopold Schwarzschild (bis Ende 1936) und Emil Julis Gumbel sowie Sozialdemokraten (Max Braun, Georg Denicke, Victor Schiff und Rudolf Breitscheid) an. Letztere konnten jedoch nicht für ihre Partei insgesamt sprechen, da die Sopade (damals noch in Prag) jede Zusammenarbeit mir der KPD nach wie vor scharf ablehnte. Der Volksfront-Ausschuss scheiterte im Lauf des Jahres 1937 an unüberbrückbaren Differenzen, vor allem aber an der Intransigenz der kommunistischen Führung sowie am berechtigen Misstrauen der Vertreter der sozialdemokratischen Seite, die bereits damals erkannten, dass „Volksfront“ für die KPD-Führung niemals mehr bedeutete als ein taktisches Manöver zur Unterordnung der politischen Emigration unter den kommunistischen Führungsanspruch. Das Scheitern des Versuchs einer deutschen Volksfront im Exil führte zu einem grundsätzlichen Perspektivenwandel innerhalb der politischen Emigration: Ergebnis war die Bildung zweier politischer „Lager“, des sozialistisch-sozialdemokratischen auf

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Vgl. Ursula Langkau-Alex: Deutsche Volksfront 1932–1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Bd. 1: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Bd. 2: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Bd. 3: Dokumente, Chronik und Verzeichnisse. Berlin 2004 f.

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der einen und des kommunistischen auf der anderen Seite. Entscheidende Trennlinie war das jeweilige Verhältnis zur Sowjetunion und zum Stalinismus. Dennoch kam es auch nach dem Scheitern des Volksfront-Experiments zu neuerlichen Einigungsbestrebungen. Unter dem Stichwort „Konzentration“ wurde versucht, wenigstens alle sozialdemokratischen und linkssozialistischen Exilgruppen unter Einbindung der Sopade zusammenzuschließen. Neben der SAP, der Organisation „Neu Beginnen“ und weiteren Linksgruppen gehörten zu den Exponenten dieses erneuten Einigungsversuchs auch der österreichische Sozialist Otto Bauer und die Auslandsvertretung der „Revolutionären Sozialisten Österreichs“ aus der Zeit der ständestaatlichen Diktatur. Die Bemühungen und Verhandlungen um die „Konzentration“ scheiterten allerdings bereits im August 1938. Wenige Tage vor Kriegsbeginn trat ein Ereignis ein, das sämtliche strategischen Überlegungen der Linkssozialisten obsolet machte: Am 23. August 1939 wurde der Nichtangriffspakt zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion, der HitlerStalin-Pakt, unterzeichnet. Für die Linkssozialisten bedeutete dieser Schachzug der UdSSR mehr als nur die entscheidende Schwächung der erhofften Anti-Hitler-Koalition. Der Hitler-Stalin-Pakt bedeutete für sie den endgültigen Verrat am Sozialismus; die Sowjetunion galt von da an nicht mehr als sozialistischer Staat.13 Der Hitler-StalinPakt machte darüber hinaus den politischen Graben zwischen der kommunistischen und der sozialdemokratisch-sozialistischen Emigration praktisch unüberbrückbar. Die Ablehnung jedes Bündnisses mit einer unter sowjetischem Einfluss stehenden KPD wurde in der Folgezeit einigender Grundsatz des sozialdemokratischen und des linkssozialistischen Exils, auch als 1941, nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, die erhoffte große Anti-Hitler-Koalition doch noch zustande kam.14

Emigration und Exil 1939–1945 Nach Kriegsbeginn wurde der größte Teil der deutschsprachigen Emigranten in Frankreich in Lagern interniert, wo man teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen die Folgemonate überdauerte. Nach der militärischen Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 und der Aufteilung in die besetzte Zone (Nord- und Westfrankreich) und die unbesetzte Zone (Südfrankreich) sahen sich die Emigranten der doppelten Bedrohung, durch die Vichy-Behörden wie durch die deutsche Besatzungsmacht, ausgesetzt,15 zumal die Vichy-Regierung von deutscher Seite verpflichtet wurde, alle namhaft gemachten Emigranten nach Deutschland auszuliefern. Die nach der Niederlage Frankreichs einsetzende Fluchtwelle umfasste mehrere Zehntausend deutschsprachiger Emigranten, die größtenteils illegal über Spanien und

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Siehe Rainer Behring: Demokratische Außenpolitik für Deutschland. Die außenpolitischen Vorstellungen deutscher Sozialdemokraten im Exil 1933–1945. Düsseldorf 1999, S. 451 ff. Hartmut Mehringer: Der Pakt als grundlegende Weichenstellung für den deutschen Sozialismus. In: Der Hitler-Stalin-Pakt. Voraussetzungen, Hintergründe, Auswirkungen. Hrsg. v. Gerhard Bisovsky, Hans Schafranek, Robert Streibel. Wien 1990, S. 119–129. Vgl. Christian Eggers: Unerwünschte Ausländer. Juden aus Deutschland und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940–1942. Berlin 2002.

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Portugal nach Übersee zu gelangen suchten.16 Politische, jüdische, christliche und karitative Hilfsorganisationen, die vor allem in Marseille operierten, halfen bei der Betreuung dieser Flüchtlinge. Besonders hervorzuheben ist das vom US-„Emergency Rescue Committee“ 1940 in Marseille unter der Leitung von Varian Fry eingerichtete „Centre Américain de Secours“, das vielen die Flucht nach Übersee ermöglichte. Nicht alle konnten jedoch entkommen. Eine große, nicht genau bekannte Zahl wurde an die deutschen Behörden ausgeliefert. Mehrere politische Emigranten, vor allem Kommunisten und ehemalige Spanienkämpfer, konnten in Frankreich untertauchen; eine Reihe von ihnen schloss sich später der französischen Résistance an.17 Die Ereignisse der Jahre 1938–1940 und vor allem der Kriegsbeginn mit der Ausdehnung des deutschen Machtbereichs auf große Teile West- und Nordeuropas hatte die politische Emigration erneut durcheinandergewirbelt. Ein großer Teil entzog sich dem deutschen Zugriff durch Flucht nach Übersee. Vor allem in Mexiko18 entstanden wegen der großzügigen Aufnahmepraxis gerade für Vertreter der KPD politische Spielräume; aber auch Exkommunisten wie der Schriftsteller Gustav Regler, Anarchosyndikalisten wie Augustin Souchy und Linkssozialisten wie der SAP-Funktionär Max Diamant fanden in Mexiko Asyl, so dass das Land nach Kriegsbeginn zum Zufluchtsort linker politischer Emigranten aller Schattierungen wurde, denen angesichts der restriktiven US-Asylpraxis die Weiterreise in die Vereinigten Staaten versperrt blieb. Bereits 1938 hatte der emigrierte Berliner Journalist Heinrich Gutmann die „Liga pro cultura Alemana en Méxiko“ gegründet, die umfassende Unterstützung von Seiten der Behörden erhielt. Bis 1942 wurde Mexiko mit den Schriftstellern Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Ludwig Renn, Bodo Uhse sowie mit den Parteileuten Paul Merker, Alexander Abusch, Walter Janka, Otto Katz und weiteren wichtigen Parteifunktionären zum wohl wichtigsten Zentrum der KPD-Emigration in Übersee. Ab November 1941 erschien in Mexiko bis 1946 in einer Auflage von mehreren Tausend Exemplaren die zunächst von dem österreichischen Kommunisten Bruno Frei, später von Alexander Abusch redigierte Monatszeitschrift „Freies Deutschland“. Im gleichen Monat gründete sich unter dem Vorsitz von Anna Seghers der „Heinrich-Heine-Club“. Er wurde rasch zum kulturellen Zentrum einer kleinen Gemeinde von Emigranten und Exilierten mit hoher Ausstrahlungskraft, in dem auch Angehörige künstlerischer und akademischer Berufe ein reiches Betätigungsfeld finden konnten. Im Mai 1942 erfolgte die Gründung des ExilVerlags „El Libro Libre“, in dem rund zwei Dutzend deutschsprachiger Titel erschienen, darunter 1943 Anna Seghers’ „Das siebte Kreuz“. Anfang 1942 erfolgte auf kommunistische Initiative und unter eindeutig kommunistischer Führung die Gründung der „Bewegung ,Freies Deutschland‘ “, die in der Folgezeit auch in anderen lateinamerikanischen Ländern Fuß fassen konnte. Auch die 16

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Siehe Patrik von zur Mühlen: Fluchtweg Spanien-Portugal. Die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933–1945. Bonn 1992. Siehe Dieter Marc Schneider: Deutschsprachige Emigranten in der europäischen Résistance und an der Seite der Alliierten. In: Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Sp. 621 ff. Vgl. Fritz Pohle: Das mexikanische Exil. Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-kulturellen Emigration aus Deutschland (1937–1946). Stuttgart 1986.

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österreichische politische Emigration organisierte sich in der Ende 1941 unter kommunistischer Dominanz stehenden „Acción Republicana Austriaca de México“. Erst 1944 kam es mit der „Union Deutscher und Österreichischer Sozialisten“ zu einer Gegengründung von sozialistischer Seite. Argentinien nahm mit schätzungsweise 35.000 Einwanderern die wohl größte Zahl von Emigranten in Lateinamerika19 auf. Nur höchstens zehn Prozent davon allerdings lassen sich der politischen Emigration zurechnen. Die 1937 gegründete Hilfsorganisation „Das Andere Deutschland“ (DAD) entwickelte sich rasch zu einer politisch links stehenden überparteilichen Sammelbewegung mit Ausstrahlungskraft auf die Nachbarländer, die ab 1938 auch die gleichnamige Zeitung herausgab. Der Hitler-Stalin-Pakt 1939 führte zum Ausscheiden der kommunistischen Mitglieder, spätere erneute Vereinigungsversuche nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion mit der kommunistisch dominierten „Frei-Deutschland“-Bewegung blieben hier ohne dauerhaften Erfolg. Auch in Chile kam es 1938 zur Gründung des DAD mit ähnlichen Auseinandersetzungen wie in Argentinien, der 1941 in Anlehnung an Mexiko die Gründung einer „Frei-Deutschland“-Bewegung folgte. Außerdem erschien noch die überparteiliche, 1943–1946 von Udo Rukser und Albert Theile herausgegebene Zeitschrift „Deutsche Blätter“ mit dem Untertitel „Für ein europäisches Deutschland, gegen ein deutsches Europa“. Die Vereinigten Staaten von Amerika nahmen schon nach der NS-Machtübernahme in großer Zahl jüdische Emigranten und vor allem auch Künstler und Wissenschaftler auf. Vor allem letztere konnten zum Teil bedeutende akademische Karrieren machen, der US-Forschung wichtige Impulse geben und teilweise sogar ganz neue Forschungsparadigmen und -disziplinen einführen.20 Der eindeutig politisch sich deklarierenden Emigration gegenüber verhielten sich die US-Behörden jedoch außerordentlich restriktiv. Kommunisten wurden generell nicht akzeptiert, und nur wenigen, zumeist intellektuellen Anhängern der KPD gelang die Einreise unter Verschweigen ihrer politischen Vergangenheit. Auch die Zahl prominenter Sozialdemokraten und Sozialisten in den USA war vergleichsweise gering. Die sozialdemokratische Emigration konzentrierte sich um die 1939 gegründete „German Labor Delegation“ (GLD) um Friedrich Stampfer, Gerhart Seger, Rudolf Katz und Albert Grzesinski, Wilhelm Sollmann sowie den späteren Hamburger Bürgermeister Max Brauer. Die GLD versuchte in den Kriegsjahren, den Mandats- und Treuhand-Anspruch der Sopade in Prag gewissermaßen auf sich zu übertragen, was rasch zu Differenzen mit anderen früheren Parteimitglieder in den USA führte: Exponenten waren hier vor allem Paul Hagen (d. i. Karl Frank von „Neu Beginnen“) und das frühere Sopade-Mitglied Paul Hertz, der sich ebenfalls „Neu Beginnen“ angeschlossen hatte. Sie wurden von einer Gruppe prominenter US-amerikanischer Links19

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Siehe Patrik von zur Mühlen: Fluchtziel Lateinamerika. Die deutsche Emigration 1933–1945: Politische Aktivitäten und soziokulturelle Integration. Bonn 1988. Dies beleuchtet schlaglichtartig das zeitgenössische Bonmot eines Universitätspräsidenten: „Hitler is my best friend. He shakes the tree and I collect the apples.“ (zit. nach Claus-Dieter Krohn: Vereinigte Staaten von Amerika. In: Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Sp. 459).

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intellektueller und Demokraten aus dem Kreis der „American Friends of German Freedom“ gefördert. Mit der Gründung des „Council for a Democratic Germany“ (CDG) unter Vorsitz des prominenten, schon 1933 in die USA emigrierten protestantischen Theologen Paul Tillich kam es im März 1944 noch einmal zu einem Versuch der Überwindung der Differenzen innerhalb der deutschsprachigen Emigration in den USA und der Bildung einer Art Gesamtvertretung. Der CDG verstand sich als Ansatz zu einer deutschen Gesamtvertretung im Exil, an der gleichberechtigt Kommunisten, Linkssozialisten, Sozialdemokraten und Liberalen beteiligt waren.21 Der CDG entwarf Programme für ein demokratisches Nachkriegsdeutschland, wandte sich scharf gegen die politische und wirtschaftliche Zerstückelung Deutschlands und forderte eine Erziehung des deutschen Volkes zur Demokratie, allerdings durch „Deutsche selbst“. Mit der Verkündung des alliierten Kriegsziels der „bedingungslosen Kapitulation“ Deutschlands auf der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 war solchen Versuchen allerdings bereits jede Grundlage entzogen worden. Eine Sonderrolle spielte die Bedeutung von emigrierten Sozial- und Geisteswissenschaftlern für den Aufbau des US-Auslandsgeheimdienstes „Office of Strategic Services“ (OSS), auch was die aktive Arbeit gegen das NS-Regime betraf, sowie für die Nachkriegsplanungen für Deutschland kurz vor und während des US-Einmarschs.22 In Kanada konnte die politische Emigration aufgrund der dortigen rigiden Einreisepolitik nur eine unbedeutende Rolle spielen. Zu erwähnen sind lediglich die rechtslastige „Frei-Deutschland-Bewegung“ von Otto Strasser, dem früheren Führer der „Schwarzen Front“, der die Kriegsjahre in Kanada verbrachte (von 1943–1946 allerdings in Internierung) und seine Bewegung von Kanada aus auf Lateinamerika auszuweiten suchte, sowie die konservativ-legitimistische „Frei-Österreicher-Bewegung“ (später „Austrian National Committee“) in Toronto unter dem früheren SchuschniggMinister Hans Rott, die allerdings wenig Bedeutung erlangte. Großbritannien war nach 1939 wichtigstes Zentrum der politischen Emigration aus Deutschland.23 Die Exilvorstände der meisten sozialistischen Exilgruppen (Sopade, „Neu Beginnen“, SAP und ISK) konnten in den ersten beiden Kriegsjahren ihren Sitz nach London verlegen. Im Frühjahr 1940 kam es in Großbritannien zu einer umfassenden Welle von Internierungen von Emigranten. Neben den meisten Männern wurden auch mehrere Tausend Frauen sowie mehrere Hundert Kinder interniert und auf verschiedene Lager in England sowie auf der Isle of Man verteilt. Zahlreiche Internierte wurden nach Kanada und Australien transportiert. Aufgrund des verstärkten öffentlichen Drucks begannen die Entlassungen aus der Internierung jedoch bereits im Juli 1940, und ein Jahr später 21

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Zu den Unterzeichnern der Gründungserklärung gehörten Heinrich Mann, Georg Dietrich, Marie Juchacz, Karl Otto Paetel, Fritz Sternberg und Herbert Weichmann. Vgl. Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland. Analysen politischer Emigranten im amerikanischen Geheimdienst. Hrsg. v. Alfons Söllner. Frankfurt (Main) 1982. Genaue Zahlen über die Zahl der deutschsprachigen Emigranten in Großbritannien liegen nicht vor. Die offiziellen britischen Angaben für die Zeit unmittelbar nach Kriegsbeginn schwanken zwischen gut 50.000 und knapp 80.000 (inkl. jüdischen Flüchtlingen). Vgl. Waltraud Strickhausen: Großbritannien. In: Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Sp. 253 f.

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befand sich ein großer Teil der ursprünglich etwa 30 000 Internierten wieder auf freiem Fuß. Obwohl sich das Exil-ZK der KPD nach wie vor in Moskau befand, war die kommunistische Emigration in Großbritannien zahlenmäßig stärker als die sozialdemokratisch-sozialistische, und sie erfreute sich auch umfangreicher Unterstützung durch die britischen Behörden, zumal ab Juni 1941, als nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion die große Anti-Hitler-Koalition auf internationaler Ebene zustande kam. Den Sozialdemokraten und Sozialisten hingegen wurde sowohl von den britischen Behörden als auch teilweise von der Labour Party aufgrund ihres nach wie vor vertretenen „reichspatriotischen“ Anspruchs zunehmend mit Misstrauen begegnet. Im März 1941 bildete sich im britischen Exil, nicht zuletzt auf Druck der Labour Party und bedingt durch die Kriegslage, mit der „Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien“24 ein Kartell aus Sopade, den sozialistischen Linksgruppen (Neu Beginnen, ISK, SAD), wenig später auch der „Landesgruppe deutscher Gewerkschafter“, als Repräsentanz aller deutschen sozialistischen Emigranten in Großbritannien. Die Bedeutung dieser Kartellgründung dürfte damals kaum einem der Beteiligten wirklich bewusst gewesen sein: Mit Ausstrahlungskraft auf andere Exilländer, vor allem auf Schweden, stellte sie die historische Wiedervereinigung des 1917 gespaltenen deutschen Sozialismus dar, freilich unter Ausklammerung der Kommunisten. Zugleich hatte damit in Großbritannien der 1938/39 in Paris gescheiterte Versuch der „Konzentration“, der Vereinigung der sozialdemokratischen und sozialistischen Exilgruppen, gewissermaßen im zweiten Anlauf Erfolg. Allerdings sollte es bis Dezember 1945 dauern, bis aus der Londoner „Union“ mit der Auflösung der bisherigen Exilorganisationen und ihrem Aufgehen in der „Vereinigung deutscher Sozialdemokraten in Großbritannien“ tatsächlich eine einheitliche Organisation entstand. Das nichtkommunistische Exil sah in der zweiten Kriegshälfte seine Hauptaufgabe nach außen darin, unter der Losung „Für Deutschland, gegen Hitler“ die in den alliierten Asylländern aufkommende „vansittartistische“ Meinung von der grundlegend autoritären, militaristisch-imperialistischen und humanitätsfeindlichen Natur des deutschen Volkes25 zu widerlegen. Man warb um Vertrauen für die demokratischen Kräfte des „Anderen Deutschland“ nach einer militärischen Niederlage und trat im Sinne eines „demokratischen Patriotismus“ gegen Pläne zur Aufteilung des Reichs und zur Abtretung seiner Ostgebiete auf. Dies schloss gleichwohl unter der Perspektive eines „vereinten Europa“ das Konzept eines langfristigen Bündnisses mit den westlichen Demokratien ein. Auch in Schweden,26 zweiter Schwerpunkt in Kontinentaleuropa der politischen Emigration aus der Arbeiterbewegung während des Kriegs, kam es 1940 zu Internie24

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Vgl. Werner Röder: Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien 1940–1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Bonn, Bad Godesberg 1973. Robert Vansittart, maßgeblicher Repräsentant des britischen Foreign Office, vertrat diese Einschätzung ab 1940 in zahlreichen Rundfunkansprachen, vgl. Jörg Später: Vansittart: Britische Debatten über Deutsche und Nazis 1902–1945. Göttingen 2003. Siehe Helmut Müssener: Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933. München 1974.

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rungen politischer Flüchtlinge. Eine freizügigere Politik gegenüber den deutschen Politemigranten setzte sich erst nach der deutschen Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 durch. In den Jahren 1943–1946 entstand eine ziemlich umfangreiche Exilpresse. Der grundsätzliche Gegensatz zwischen Sozialisten und Sozialdemokraten sowie Kommunisten deutscher, österreichischer und sudetendeutscher Herkunft blieb auch in Schweden bestehen, und zu einer Einigung der deutschen sozialistischen Exilgruppen und den Vertretern der Sopade kam es erst gegen Kriegsende. In scharfem Kontrast zur Zerrissenheit im deutschen sozialdemokratischen Lager stand hingegen die breite Zusammenarbeit sozialistischer Flüchtlinge aus Deutschland, Österreich und den von Deutschland besetzten Gebieten, Vertretern alliierter Staaten und des neutralen Schweden in der „Internationalen Gruppe Demokratischer Sozialisten“, der „Kleinen Internationale“,27 in der Willy Brandt, Bruno Kreisky und Gunnar Myrdal wesentliche Rollen spielten. Schwerpunkte konservativer Emigration waren vor allem die USA, daneben Großbritannien, die Schweiz und die Türkei. Zu ihren Vertretern gehörten bekannte Namen aus Politik und Geistesleben der Weimarer Republik, wie die ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning und Joseph Wirth, die Zentrums-Abgeordneten Johannes Schauff und Friedrich Dessauer, die Professoren Arnold Bergstraesser, Hans Rothfels, Eric Voegelin, Goetz Briefs und Stefan Possony sowie die Publizisten und Politiker Gustav Stolper und Hubertus Prinz zu Löwenstein. Sie bildeten im Krieg keine übergreifende Organisation, konnten aber, vor allem in den USA, erheblichen Einfluss auf die alliierte Nachkriegsplanung hinsichtlich Westorientierung, Liberalisierung, Modernisierung und antisowjetischer Ausrichtung des von den Westalliierten besetzten Teils Deutschlands nehmen. Auch bei ihnen verlief der Lernprozess „vom Antimodernismus zum Antitotalitarismus“28 über die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und führte zu scharfer Frontstellung gegen den Sowjetkommunismus. Die sozialdemokratische Programmdiskussion hingegen wurde in der zweiten Kriegshälfte überwiegend in Großbritannien geführt. Die veränderten Voraussetzungen zwangen bald zur endgültigen Aufgabe der sozialrevolutionären Option für ein Deutschland nach Hitler sowie zur Verständigung auf einen demokratisch-pluralistischen Legitimationsrahmen und auf eine einheitliche „sozialdemokratische Volkspartei“, die insbesondere pluralistisch geprägt sein sollte. Die Grundlinien einer solchen sozialdemokratischen Einheits- und Volkspartei und die Koordinaten ihrer künftigen politischen Richtung wurden in einem mehrjährigen Diskussionsprozess in der zweiten Kriegshälfte erzielt.29 Von den rund 6000 nach 1933 emigrierten Sozialdemokraten kehrten nach Kriegsende knapp 3000 in die westlichen Besatzungszonen zurück.

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Vgl. Klaus Misgeld: Die „Internationale Gruppe Demokratischer Sozialisten“ in Stockholm 1942–1945. Uppsala, Bonn 1976. Jean Solchany: Vom Antimodernismus zum Antitotalitarismus. Konservative Interpretationen des Nationalsozialismus in Deutschland 1945–1949. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996), S. 373–394. Siehe dazu Ludwig Eiber: Die Sozialdemokratie in der Emigration. Die „Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien“ 1941–1946 und ihre Mitglieder. Protokolle, Erklärungen, Materialien. Bonn 1998.

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Schon die Statistik belegt ihren Einfluss: In den vierziger und fünfziger Jahren hatten sie stets mehr als die Hälfte der Sitze im Parteivorstand der West-SPD inne.

Entwicklungslinien und Wendepunkte der Forschungs- und Rezeptionsgeschichte des Exils Angesichts der materiellen Sachzwänge und des jeweils spezifischen geistig-politischen Klimas in den drei Nachfolgestaaten des Deutschen Reichs nimmt es nicht wunder, dass die frühen Initiativen zur Sicherung der Quellen und zur Erforschung der deutschsprachigen Emigration nach 193330 zum einen auf dem scheinbar unpolitischen Feld der Literaturforschung begannen, zum anderen nicht aus diesen drei Nachfolgestaaten selbst kamen, sondern dass Historiker und Publizisten aus ehemaligen Asylländern hierzu die ersten Anstöße gaben. Besonders hervorzuheben sind hier das „Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis“ in Amsterdam und der nach Schweden emigrierte Literaturwissenschaftler Walter A. Berendsohn, der mit einem vergleichsweise früh erschienenen Aufsatz31 eine erste Bresche schlagen konnte. Lediglich im Bereich Exilliteratur kam es mit der bis ins Jahr 1948 zurückreichenden Sammlungstätigkeit der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main, die inzwischen im „Deutschen Exilarchiv 1933– 1945“ bei der Deutschen Bibliothek zusammengeführt ist, bereits frühzeitig zu einer entsprechenden Initiative innerhalb Deutschlands. In diesem Umfeld entstand auch die erste umfassende Bio-Bibliographie zur deutschen Exilliteratur32 sowie der bahnbrechende Ausstellungskatalog der Deutschen Bibliothek Frankfurt.33 Aus der von Berendsohn 1967 im Deutschen Institut der Universität Stockholm eingerichteten Forschungs- und Sammelstelle für die deutschsprachige Exilliteratur entwickelte sich die von 1969 bis 1975 bestehende „Stockholmer Koordinationsstelle zur Erforschung der deutschsprachigen Exil-Literatur“, mit deren Hilfe drei große internationale Symposien (1969 in Stockholm, 1972 in Kopenhagen und mit Einschränkungen 1975 in Wien) organisiert werden konnten, die der Exilforschung in Europa und den USA wesentliche Impulse gaben und ein breites internationales Diskussionsfeld eröffneten. Damit rückte zum ersten Mal die politische Emigration ins zentrale Blickfeld der Forschung. Der Anstoß für die Bereitstellung von erheblichen Bundesmitteln durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) kam nicht zuletzt von dem ehemaligen Emigranten Willy Brandt (1966–1969 Bundesaußenminister, anschließend bis 1974 Bundeskanzler). Mit Hilfe der DFG konnte als Gemeinschaftsprojekt zahlreicher deutscher Archive und Bibliotheken der Zentralkatalog der deutschsprachigen Emigration im Institut für Zeitgeschichte in München erstellt werden. Auf dieser Grundlage ent30

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Einen Überblick zur Rezeptionsgeschichte bietet das Handbuch der deutschsprachigen Emigration. Walter A. Berendsohn: Probleme der Emigration aus dem Dritten Reich. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 1956/B XXXII und XXXIII, S. 497–526. Wilhelm Sternfeld, Eva Thiedemann: Deutsche Exilliteratur 1933 bis 1945. Heidelberg, Darmstadt 1962. Exil-Literatur 1933–1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek. Bearbeitet v. Werner Berthold. Frankfurt (Main) 1965.

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stand danach in einem großen transatlantischen Forschungsprojekt, getragen vom Institut für Zeitgeschichte und der Research Foundation for Jewish Immigration in New York, zum einen das Biographische Archiv der deutschsprachigen Emigration mit rund 25.000 biographischen Dossiers von deutschsprachigen Emigranten nach 1933 (immerhin rund fünf Prozent der geschätzten Gesamtzahl), zum anderen in einem zweiten Schritt das große dreibändige „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration“34 mit knapp 10.000 ausgewählten Gesamtbiographien, das sowohl Grundlage wie Anstoß für die weitere Exilforschung bot. Parallel dazu und im Anschluss entstanden im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts zahlreiche Spezialbibliographien und -inventare sowie eine kaum noch überschaubare Fülle von personen-, parteien-, länder- und berufsgruppenspezifischen Detailstudien und monographischen Untersuchungen. Die Exilforschung in der DDR setzte eigentlich erst Mitte der 70er Jahre ein, und zwar erkennbar als Reaktion auf die westdeutsche und internationale Exilforschung. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die Exil- und Widerstandstraditionen der kommunistischen Emigranten in West- und Nordeuropa sowie in Übersee, die nach 1945 in großer Zahl in die SBZ/DDR zurückkehrten, mit der machtpolitischen Durchsetzung der Moskauer Emigrationsgruppe in den 50er Jahren zunehmend verschüttet, zum Teil sogar gewaltsam eliminiert wurden. Trotz zahlreicher detaillierter Einzel- und Länderstudien stand die Exilforschung in der DDR jedoch immer unter dem Manko des von oben vorgegebenen Forschungsziels, die „führende Rolle der KPD“ herauszustellen. Die Geschichte der Exilforschung in der Bundesrepublik hingegen ist auch die Geschichte einer „großen Illusion“. Nachdem man entdeckt hatte, dass in den Jahren 1933–1945 ein wesentlicher Strang deutscher Geschichte im Exil verlaufen war, glaubten viele – gerade jüngere – Historiker im Exil und mit der Geschichte des „anderen Deutschland“ gewissermaßen den „Königsweg“, die „weiße Linie“ der deutschen Geschichte gegenüber dem „schwarzen Sonderweg“ des verbrecherischen NSRegimes finden zu können. Die Nahsicht bot nur bedingt eine Bestätigung. Ebenso wie der Widerstand war auch das Exil in eine Vielzahl einander heftig befehdender Richtungen, Organisationen und Gruppen zersplittert, und es ist kein Zufall, dass sich nirgends eine übergreifende Zusammenfassung oder Gesamtvertretung herausbilden konnte. Widerstand und Vorkriegs-Exil bilden unter dieser Perspektive für den Historiker vor allem das „Feld einer ergänzenden organisations- und ideengeschichtlichen Archäologie von spezifisch Weimarer Kulturformen, von vor-modernen Residuen der deutschen Gesellschaft, nachdem ihre Zerschlagung durch den Nationalsozialismus in Deutschland selbst schon vollzogen war“.35 34

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Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933/International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte München und der Research Foundation for Jewish Immigration New York unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss. Bd. I: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. Bd. II: The Arts, Sciences, and Literature. Bd. III: Gesamtregister, München u.a. 1980, 1983. Werner Röder: Exil- und Emigrationsforschung. Notizen aus deutschen Erfahrungen. In: Vertriebene Vernunft. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft. Hrsg. v. Friedrich Stadler. Wien, München 1988, S. 102–114, hier S. 105.

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Über die alten Weimarer Frontstellungen hinausweisende Lern- und Veränderungsprozesse, die nach 1945 fruchtbar werden konnten, fanden letztlich nur in der sozialdemokratisch-sozialistischen Emigration, vor allem in Großbritannien, statt. Wie alle konkreten Interaktionszusammenhänge war auch die Emigration ein komplexes Phänomen, das nur aus seiner Zeit heraus begriffen und anschaulich gemacht werden sowie als Angebot positiver Identifikation mit dem modernen demokratischen Rechtsstaat dienen kann.

Literaturhinweise Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland. Analysen politischer Emigranten im amerikanischen Geheimdienst. Hrsg. v. Alfons Söllner. Frankfurt (Main) 1982 Behring, Rainer: Demokratische Außenpolitik für Deutschland. Die außenpolitischen Vorstellungen deutscher Sozialdemokraten im Exil 1933–1945. Düsseldorf 1999 Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933/International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte München/Research Foundation for Jewish Immigration New York (unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss): Bd. I: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. Bd. II: The Arts, Sciences, and Literature. Bd. III: Gesamtregister, München u.a. 1980, 1983 Duhnke, Horst: Die KPD von 1933 bis 1945. Köln 1972 Eiber, Ludwig: Die Sozialdemokratie in der Emigration. Die „Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien“ 1941–1946 und ihre Mitglieder. Protokolle, Erklärungen, Materialien. Bonn 1998 Exil-Literatur 1933–1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek. Bearbeitet von Werner Berthold. Frankfurt (Main) 1965 Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933–1945. Hrsg. v. Claus-Dieter Krohn. Darmstadt 1998 Langkau-Alex, Ursula: Deutsche Volksfront 1932–1939. Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau. Bd. 1: Vorgeschichte und Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Bd. 2: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront. Bd. 3: Dokumente, Chronik und Verzeichnisse. Berlin 2004 f. Mehringer, Hartmut / Röder, Werner: Gegner, Widerstand, Emigration. In: Ploetz – Das Dritte Reich. Hrsg. v. Martin Broszat/Norbert Frei. Freiburg i.Br., Würzburg 1983, S. 173–184 Misgeld, Klaus: Die „Internationale Gruppe Demokratischer Sozialisten“ in Stockholm 1942–1945. Uppsala, Bonn 1976 Mühlen, Patrick von zur: Fluchtweg Spanien-Portugal. Die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933–1945. Bonn 1992 Müssener, Helmut: Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933. München 1974

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Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil

Pohle, Fritz: Das mexikanische Exil. Ein Beitrag zur Geschichte der politisch-kulturellen Emigration aus Deutschland (1937–1946). Stuttgart 1986 Röder, Werner: Die deutschen sozialistischen Exilgruppen in Großbritannien 1940– 1945. Ein Beitrag zur Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Bonn, Bad Godesberg 1973 Stampfer, Friedrich: Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Hrsg. v. Erich Matthias, bearb. v. Werner Link. Düsseldorf 1968 Sternfeld, Wilhelm/Thiedemann, Eva: Deutsche Exilliteratur 1933 bis 1945. Heidelberg, Darmstadt 1962

Widerstandsaktivitäten des italienischen Exils* Leonardo Rapone Im November 1926 verbot das faschistische Regime die politischen Oppositionsparteien. Auf die nun entstehende Einparteienherrschaft reagierte die antifaschistische Bewegung in zweifacher Weise: Während sie in Italien den Untergrundkampf aufnahm, verband sie sich im Ausland mit der politischen Emigration, deren Anfänge schon in die Zeit vor 1926 fallen. Bereits nach 1924 waren einige herausragende Persönlichkeiten des Antifaschismus ins Ausland gegangen, um sich den Gefahren zu entziehen, die ihnen in Italien drohten. Die antifaschistische Emigration war aber nicht nur ein Elitephänomen. Nachdem die faschistischen Squadren (= paramilitärische Sturmabteilungen) 1920–21 ihre militärische Offensive gegen Gewerkschaftsfunktionäre und sozialistische sowie katholische Parteimitglieder eingeleitet hatten, mischten sich Tausende von einfachen Arbeitern unter die traditionellen Migrationsflüsse, die Italien seit vierzig Jahren zu einem der wichtigsten Exportländer von Arbeitskraft in Europa gemacht hatten; sie gingen im Ausland auf Arbeitssuche, weil sie die Hoffnung aufgegeben hatten, in ihrer Heimat Arbeit und ein normales Leben führen zu können. Dank dieses besonderen Typus von Arbeitsemigranten, der die Merkmale einer wirtschaftlichen und politischen Emigration in sich vereinte, und der Existenz von politisierten Schichten innerhalb der älteren Emigrantenkreise (die italienischen Volksparteien hatten in verschiedenen Ländern bereits vor dem Ersten Weltkrieg eigene Sektionen gegründet) verfügten die politischen Führungskräfte des Antifaschismus im Exil für ihre Aktionen über eine recht breite Basis; innerhalb der italienischen Auslandsgemeinden bildeten sich rudimentäre Formen von „traditioneller“ politischer Aktivität (dialektische Auseinandersetzungen zwischen Führung und Basis, Propagandamaßnahmen, Verbreitung von Presseerzeugnissen, Kongresse usw.), die gleichzeitig von Initiativen kultureller Art sowie von Freizeit- und Vereinsangeboten begleitet wurden. Diese Besonderheit unterscheidet die italienische politische Emigration von den anderen antifaschistischen Exilgruppen; die Deutschen bzw. Österreicher im Exil zeichneten sich beispielsweise gegenüber den Italienern durch eine stärkere intellektuelle Komponente aus (die große Mehrzahl der italienischen Intellektuellen schloss sich dem Faschismus an oder ertrug ihn einfach), doch sie blieben ohne Kontakt zu größeren Bevölkerungsteilen, so dass die Exilanten sich als „Flüchtlinge“ fühlten, die fast völlig einer nationalen Basis entbehrten. Die Mehrheit der antifaschistischen Führungsschicht ging nach Frankreich, das nach dem Ersten Weltkrieg das Hauptziel der italienischen Emigration wurde und wo die größte italienische Auslandskolonie in Europa entstand (760.000 im Jahr 1926 nach französischen Statistiken, 962.000 im Jahr 1927 nach italienischen Angaben).1 Nur anfänglich zogen einige die Schweiz vor, wo die antifaschistischen Aktivitäten * übersetzt von Gerhard Kuck Vgl. Pierre Milza: Les italiens en France de 1914 à 1940. Rom 1986; ders.: Voyage en Ritalie. Paris 1993, S. 218 f.

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gleichwohl immer sehr rege blieben. Drittwichtigstes europäisches Exilland wurde schließlich Belgien. Weniger bedeutend und umfangreich war hingegen die Emigration nach Großbritannien, und noch seltener wählte man die deutschsprachigen Länder. Einen Sonderfall stellt die UdSSR dar, wo sich aufgrund der dort wirkenden Kominternorgane eine beträchtliche Zahl kommunistischer Exponenten aufhielt; außerdem rief der Mythos vom Aufbau des Kommunismus auch sehr viele einfache Arbeiter und kommunistische Parteimitglieder ins Land, von denen dann nicht wenige zusammen mit ihren sowjetischen Arbeitskollegen ins Räderwerk der stalinistischen Repressionsmaschinerie gerieten. In den außereuropäischen Ländern, wohin italienische Arbeiter vor dem Krieg in großer Zahl ausgewandert waren (USA, Argentinien, Brasilien, Uruguay, Australien), wurde die antifaschistische Aktion vor allem von den Emigrantenvereinigungen getragen, die sich dort bereits vorher konstituiert hatten. In Afrika erlangte in den 30er Jahren eine Exilantengruppe in Tunesien eine gewisse Bedeutung, während es im Zweiten Weltkrieg auch in Ägypten zu antifaschistischen Aktivitäten kam. Vereinzelt ließen sich auch Antifaschisten, die zionistische Zielsetzungen verfolgten, in Palästina nieder. Von den in Italien verbotenen Parteien konstituierten sich im Ausland neben der Republikanischen Partei auch die beiden sozialistischen Parteien – reformistisch die eine, radikal die andere –, nicht aber die katholische Volkspartei, die Partito popolare. In Frankreich wurde unter den emigrierten Arbeitern aus Italien auch die sozialistische Gewerkschaft, die Confederazione generale del lavoro, wieder ins Leben gerufen. Die kommunistische Partei verlegte ihre Leitungsorgane ebenfalls ins Ausland, unternahm im Gegensatz zu den anderen Organisationen aber alles, um in Italien eine konspirative Organisation aufrechtzuerhalten, die das Klassenbewusstsein unter den Massen wekken und elementare Formen des Widerstands nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen Großindustrielle und Grundbesitzer schüren sollte. Auch der traditionell unter den italienischen Arbeitern im Ausland verbreiteten anarchistischen Strömung flossen durch die Exilsuchenden aus Italien neue Kräfte zu. Von den bedeutendsten politischen Persönlichkeiten im Exil sind zu nennen: die Sozialisten Bruno Buozzi, Pietro Nenni (der sich in diesen Jahren und für lange Zeit als Führer des italienischen Sozialismus durchsetzte), Giuseppe Saragat, Claudio Treves, Filippo Turati; die Republikaner Eugenio Chiesa, Cipriano Facchinetti, Randolfo Pacciardi, Fernando Schiavetti; die Kommunisten Ruggero Grieco, Luigi Longo, Angelo Tasca (der 1929 nach einer Auseinandersetzung mit Stalin aus der Partei ausgeschlossen wurde), Palmiro Togliatti (der zu einem der wichtigsten Exponenten des Weltkommunismus werden sollte) und schließlich der Anarchist Camillo Berneri. Die antifaschistische Opposition im Ausland wirkte nicht nur durch Parteiaktionen, sondern auch durch einzelne, organisatorisch nicht gebundene Persönlichkeiten: Man denke hier nur an frühere liberale Minister wie Francesco Saverio Nitti und Carlo Sforza, an demokratische Intellektuelle wie Guglielmo Ferrero und Gaetano Salvemini (der einen Lehrstuhl in Harvard erhielt) oder an bedeutende Katholiken wie Francesco Luigi Ferrari und Luigi Sturzo. Mit ihrer umfangreichen Publikationstätigkeit und durch die Kontaktaufnahme zu wichtigen Vertretern aus Politik und Kultur in den Exilländern übten sie vor allem eine Vermittlerfunktion zwischen der antifaschistischen italienischen Emigration und der öffentli-

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chen Meinung in den Exilländern Europas und in den USA aus. Zu den ersten Gegnern des Faschismus, die ins Ausland flüchteten, gehörten auch die beiden Liberaldemokraten Giovanni Amendola und Piero Gobetti. Kurz vor ihrer Emigration von faschistischen Stoßtrupps schwer zusammengeschlagen, starben beide 1926 in Frankreich an den Folgen ihrer hierbei erlittenen Verletzungen. Die politischen Kräfte im Exil teilten sich anfänglich in zwei Blöcke, die sich, weit von jeglicher Kooperation entfernt, feindlich gegenüberstanden. Die beiden sozialistischen Parteien (die sich 1930 vereinigten, auch wenn ein radikaler Flügel weiterhin selbständig operierte) und die Republikaner gründeten 1927 in Frankreich die Concentrazione di azione antifascista; ihr schlossen sich auch die Confederazione del lavoro sowie die Lega italiana dei diritti dell’uomo an, die 1922 zur Unterstützung italienischer Flüchtlinge geschaffen worden war. Für die Concentrazione stellte das Demokratieideal die entscheidende Richtschnur dar, während der zweite, von den Kommunisten gebildete Block den Antifaschismus nur in dem Maße billigte, in dem er zugleich in den Antikapitalismus überging.2 Die 1929 in Paris von Emilio Lussu, Carlo Rosselli (die beide aus Italien geflüchtet waren) und Alberto Tarchiani gegründete Bewegung „Giustizia e libertà“ (GL) rüttelte die Emigrantenkreise auf, in denen sich im wesentlichen doch nur die Prozesse und politischen Lager wiederholten, wie sie sich in Italien vor dem November 1926 herausgebildet hatten. Die „Giustizia e libertà“ verstand sich nicht als eine neue Partei, sondern als ein provisorisches Sammelbecken für alle diejenigen, die energischer als die alten Parteien, und intellektuell unvoreingenommener als diese, für Freiheit, Demokratie und Republik kämpfen wollten, und die vor allem anstrebten, die Achse des antifaschistischen Widerstands wieder von Frankreich nach Italien zu verlagern. Nach und nach gewann die Bewegung ein selbständiges, klar konturiertes ideologisch-programmatisches Profil und setzte sich als selbständige politische Kraft durch, die sich an der von Rosselli entwickelten Idee des „liberalen Sozialismus“ orientierte.3 1931 trat die „Giustizia e libertà“ der antifaschistischen Concentrazione bei, doch ihre polemische Grundeinstellung gegenüber den „alten Parteien“ erschwerte die Zusammenarbeit erheblich. Die „Giustizia e libertà“ war die einzige Kraft innerhalb der Concentrazione, die Beziehungen zum Untergrund in Italien, insbesondere zu den in Mailand und Turin operierenden Gruppen unterhielt. Die umfassendsten Kontakte nach Italien hatten jedoch die Kommunisten, denen es gelang, ein recht verzweigtes konspiratives Netzwerk in Nord- und Mittelitalien aufzubauen;4 nach 1932 reduzierte die juristischpolizeiliche Repression die Untergrundaktivitäten allerdings erheblich, und auch die Beziehungen zwischen der Emigration und dem Mutterland wurden immer spärlicher, bis sie schließlich in der zweiten Hälfte der 30er Jahre fast ganz versiegten. Die Concentrazione löste sich 1934 auf; dazu trugen zum einen die Kontraste zwischen der „Giustizia e libertà“ und den anderen Gruppen bei, zum anderen die neue politische Lage, die sich aus Hitlers Machtergreifung ergeben und für die italienische 2 3 4

Santi Fedele: Storia della Concentrazione antifascista 1927–1934. Mailand 1976. Vgl. Salvo Mastellone: Carlo Rosselli e la rivoluzione liberale del socialismo. Florenz 1999. Pietro Secchia: L’azione svolta dal partito comunista in Italia durante il fascismo: 1926–1932. Ricordi, documenti inediti e testimonianze. Mailand 1969.

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antifaschistische Emigration den Bündnisrahmen geändert hatte. Solange der Faschismus sich im Wesentlichen auf Italien beschränkte, blieben die italienischen Exilanten innerhalb der internationalen politischen Strömungen weitestgehend isoliert. Als aber 1933 der Konflikt zwischen Faschismus und Antifaschismus eine europäische Dimension gewann, fand sich die italienische antifaschistische Emigration in einer internationalen Lage wieder, die ihren Aktivitäten einen umfassenderen Horizont gab und neue Aktionsfelder eröffnete. Von größter Bedeutung waren die Entwicklungen in Frankreich. Dieses Land bildete weiterhin das politische Zentrum der antifaschistischen Opposition, und die Aktivisten der italienischen antifaschistischen Parteien verfolgten die politische Leidenschaft und die Mobilisierung der französischen Linken aus nächster Nähe. Konkret blickten die italienischen Antifaschisten im Exil mit großem Interesse auf den Organisationsprozess und die Stimmungslagen, die zwischen 1934 und 1936 zur Entstehung des Front populaire führten. Bald nach der Verwirklichung der Aktionseinheit zwischen den französischen Sozialisten und Kommunisten kam es zu einem analogen Abkommen zwischen den entsprechenden italienischen Exilparteien; später schlossen sich auch die „Giustizia e libertà“ und die Republikaner auf unterschiedliche Weise und mit mehr oder weniger großem Engagement dem Versuch an, die Zusammenarbeit zwischen allen antifaschistischen Kräften herzustellen. Die Einheitsbestrebungen verstärkten sich vor allem nach Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges. Rosselli sah als erster, welche Möglichkeiten sich den italienischen Exilanten bei einer direkten Beteiligung an diesem Krieg boten, um die Vitalität des Antifaschismus unter Beweis zu stellen und die ideellen und materiellen Voraussetzungen für die entscheidende Schlacht gegen das faschistische Regime zu schaffen („Heute in Spanien, morgen in Italien“). Er und der Anarchist Berneri stellten in Spanien die erste Kampfeinheit aus italienischen antifaschistischen Aktivisten auf. Später bildeten Kommunisten, Sozialisten und Republikaner das Bataillon Garibaldi (unter dem Kommando des Republikaners Pacciardi), das den Internationalen Brigaden zugeordnet wurde und im März 1937 bei Guadalajara in einer Schlacht über die Truppen siegte, die Mussolini zur Unterstützung Francos nach Spanien entsandt hatte.5 Die politische und ideelle Solidarität zwischen den verschiedenen antifaschistischen Kräften erreichte damals ihren Höhepunkt. Drei Monate später aber erlitt der Antifaschismus einen schweren Rückschlag, als Rosselli auf Betreiben der Spitzen des faschistischen Regimes zusammen mit seinem Bruder von Cagoulards (französischen Rechtsextremisten) in Nord-Frankreich ermordet wurde.6 Mitte 1937 begann für die italienische antifaschistische Emigration eine neue Phase innerer Spannungen, die wieder die alten Zweifel aufkommen ließen, ob der Kommunismus und die anderen politischen Strömungen miteinander zu vereinbaren waren. Mehr noch als am „Großen Terror“ in der Sowjetunion entzündeten sich die politischen Auseinandersetzungen an den von Machtmissbrauch und brutaler Unterdrükkung des Dissens gekennzeichneten Methoden, welche die Kommunisten auch in Spanien anwandten (unter den bekanntesten italienischen Opfern ist Berneri zu nennen). 5 6

Giulia Canali: L’antifascismo italiano e la guerra civile spagnola. San Cesareo di Lecce 2004. Mimmo Franzinelli: Il delitto Rosselli: 9 giugno 1937, anatomia di un omicidio politico. Mailand 2007.

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Dennoch fiel man nicht in das Klima des absoluten Gegensatzes der ersten Exiljahre zurück; ja im Gegenteil wurden doch bis unmittelbar vor Ausbruch des Krieges wiederholt Versuche unternommen, eine Alleanza antifascista zwischen den wichtigsten Parteien zu gründen, denen allerdings kein Erfolg beschieden war. Gleichzeitig bemühten sich die Kommunisten auch um engere Beziehungen zwischen den antifaschistischen Exilanten und der Masse der in Frankreich lebenden Italiener. Zu diesem Zweck gründeten sie 1937 die Unione popolare italiana auf der Grundlage eines Programms, das allgemein antifaschistisch orientiert war und in dem sich ein starkes Gefühl der Solidarität mit Frankreich ausdrückte. Die Unione popolare wurde der Mitgliederzahl nach zur größten unter den antifaschistischen Organisationen im Ausland.7 Der Beginn des Zweiten Weltkrieges rief in den Emigrantenkreisen eine schwere Krise hervor. Im Anschluss an den deutsch-sowjetischen Pakt vom August 1939 zerbrachen die Beziehungen zwischen den Kommunisten und den anderen Gruppierungen. Dass Italien mit seiner Haltung der non belligeranza (Nicht-Kriegführung) zunächst nicht am Krieg teilnahm, trug ebenfalls zur Desorientierung bei, denn für einen gewissen Zeitraum schien es, als könne sich das faschistische Italien auf internationaler Ebene „rehabilitieren“, indem es sich von Hitlerdeutschland lossagte. Um Mussolini nicht zu irritieren, schränkte die französische Regierung zudem die Aktivitäten der Exilanten ein; insbesondere verhinderte sie die Bildung einer „Legion“ aus italienischen Arbeitsemigranten, die nach den Vorstellungen des Antifaschismus an der Seite der Demokratien im Krieg gegen Deutschland symbolhaft Italien repräsentieren sollte. Nach der französischen Niederlage im Juni 1940 wanderten viele Exilanten vor allem aus dem demokratisch-republikanischen Lager in die USA aus, wo bereits Ende 1939 die von Max Ascoli und Tarchiani geleitete „Mazzini Society“ mit dem Ziel entstanden war, die antifaschistischen Aktivitäten zu koordinieren. Zwischen 1941 und 1943 gab es zwei miteinander konkurrierende politische Zentren der antifaschistischen Emigration. Die Gruppe in den Vereinigten Staaten, in der Carlo Sforza (früherer italienischer Außenminister in den Jahren 1920–21) eine herausragende Rolle spielte, ging nicht mehr von ihrer antikommunistischen Grundeinstellung ab, suchte die offizielle Anerkennung der Alliierten und bot sich als Führungskraft für ein nachfaschistisches Italien an.8 Dieses Programm wurde auch von der 1940 in Argentinien entstandenen Bewegung „Italia Libre“ unterstützt und 1942 auf einem in Montevideo abgehaltenen Kongress mehrheitlich angenommen; Sforzas Ehrgeiz, als italienischer de Gaulle zu gelten, wurde jedoch von den Alliierten zunichte gemacht, denn diese wollten sich nicht die Hände binden, indem sie Verpflichtungen mit dem Antifaschismus eingingen. Das zweite antifaschistische Zentrum entstand in Vichy-Frankreich im Untergrund; die Kommunisten, von denen diese Initiative ausging, setzten sich nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 wieder für den Aufbau einer breiten antifaschistischen Front nach dem Beispiel des „großen Bündnisses“ zwischen den westlichen Demokratien und der UdSSR ein. 7

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Eric Vial: L’Union populaire italienne 1937–1940. Une organisation de masse du Parti communiste italien en exil. Rom 2007. Antonio Varsori: Gli Alleati e l’emigrazione democratica antifascista (1940–1943). Florenz 1982.

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So wurde Ende 1941 ein Comitato d’azione per l’unione del popolo italiano gegründet, dem auch einige Sozialisten und Exponenten von der „Giustizia e libertà“ beitraten. Die entscheidenden politischen Entwicklungen vollzogen sich jedoch nicht mehr im Ausland, sondern in Italien, wo die durch den Krieg verursachten Entbehrungen und zunehmende militärische Niederlagen die Massenbasis des faschistischen Regimes zu untergraben begannen. Im Verlauf des Jahres 1942 begann man in Italien mit dem illegalen Wiederaufbau der politischen Parteien. Die Reorganisation des Antifaschismus im italienischen Mutterland vollzog sich zumeist ohne direkten Einfluss seitens der Exilanten; allein den Kommunisten gelang es, vor dem Fall des faschistischen Regimes im Jahr 1943 Kontakte nach Italien wiederaufzunehmen. Es handelte sich dabei um einen langwierigen Prozess. Die Krise des Faschismus und das politische Manöver, durch das sich König Vittorio Emanuele III. Mussolinis entledigte, erlebte der Antifaschismus nur als passiver Zuschauer. Erst nach dem im September 1943 zwischen Italien und den Alliierten geschlossenen Waffenstillstand, und mit dem Beginn des bewaffneten Widerstands gegen die deutsche Militärbesatzung und die von Mussolini gegründete Republik von Salò wurde der Antifaschismus zur treibenden Kraft einer neuen Epoche der italienischen Geschichte. In der Nachkriegszeit spielten viele Exponenten aus der Emigration eine herausragende Rolle in der italienischen Politik. Die bis in die 60er Jahre hinein repräsentativsten Männer der beiden Parteien, in die sich der italienische Sozialismus wieder aufgespalten hatte – Nenni für die Sozialisten und Saragat für die Sozialdemokraten -, kamen aus dem Exil (Saragat war von 1964 bis 1971 auch Staatspräsident). An der Spitze der kommunistischen Partei standen bis 1972 mit Togliatti und Longo nacheinander zwei Sekretäre, die im Exil einen herausragenden Platz eingenommen hatten. Pacciardi lenkte die Republikanische Partei bis 1953. Verschiedene Politiker, die im Exil gewesen waren, übernahmen später Ministerämter. Neben diesen Einzelfällen stellte das Exil eine Schule der politischen Bildung dar, in der ein bedeutsamer Teil des neuen politischen Personals im demokratischen Italien einige wichtige Techniken des Parteilebens erlernte (die Vorbereitung und Durchführung von Kongressen zum Beispiel), und in der vor allem der Einblick in die Entwicklungen anderer Länder (hier besonders Frankreich) den ideellen und politischen Horizont lieferte, innerhalb dessen sich die Exponenten des Antifaschismus auch später bewegten. Dieser Zusammenhang hat selbst die Historiographie beeinflusst, die sich hinsichtlich des Antifaschismus in besonderer Weise auf die Geschichte der antifaschistischen Parteien konzentrierte,9 weil für verschiedene politische Parteien, die das republikanische Italien prägten, der antifaschistische Kampf mit ihrer langen Entstehungsphase zusammenfiel. Erst später verschob sich das Forschungsinteresse von der politischen Doktrin auf die politische Praxis innerhalb der italienischen Emigrationsgemeinden und auf die Beziehungen zwischen dem politischen Exil und dem sozioökonomischen 9

Paolo Spriano: Storia del Partito comunista italiano, B. II, III, IV. Turin 1969–1973; Giustizia e Libertà nella lotta antifascista e nella storia d'Italia. Florenz 1978; Santi Fedele: I repubblicani in esilio nella lotta contro il fascismo (1926–1940). Florenz 1989; Leonardo Rapone: Da Turati a Nenni. Il socialismo italiano negli anni del fascismo. Mailand 1992.

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Kontext der Emigration im Allgemeinen;10 zuletzt kam schließlich verstärkt die existentielle Dimension des antifaschistischen Exils in den Blick, dessen Protagonisten nun nicht mehr nur als politisch Handelnde und Ideenträger gesehen wurden, sondern auch als konkrete Menschen vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Lebenserfahrungen und ihrer oftmals dramatischen Lebenssituationen.11

Literaturhinweise Giustizia e Libertà nella lotta antifascista e nella storia d'Italia. Florenz 1978 Storia del movimento cattolico in Italia, B. IV: I cattolici dal fascismo alla Resistenza. Rom 1981 Bertonha, João F.: Sob a sombra de Mussolini: os italianos de São Paulo e a luta contro o fascismo 1919–1943. São Paulo 1999 Canali, Giulia: L’antifascismo italiano e la guerra civile spagnola. San Cesareo di Lecce 2004 Cerutti, Mauro: Le Tessin, la Suisse et l'Italie de Mussolini. Fascisme et antifascisme au Tessin 1921–1935. Lausanne 1988 Cresciani, Gianfranco: Fascismo, antifascismo e gli italiani in Australia, 1922–1945. Rom 1979 Di Lembo, Luigi: Guerra di classe e lotta umana. L’anarchismo in Italia dal Biennio rosso alla Guerra di Spagna (1919–1939). Pisa 2001 Dundovich, Elena: Tra esilio e castigo. Il Komintern, il Pci e la repressione degli antifascisti italiani in Urss. Rom 1998 Fedele, Santi: I repubblicani in esilio nella lotta contro il fascismo (1926–1940). Florenz 1989 Ders.: Storia della Concentrazione antifascista 1927–1934. Mailand 1976 Gabrielli, Paola: Col freddo nel cuore. Uomini e donne nell’emigrazione antifascista. Rom 2004 Garosci, Aldo: Vita di Carlo Rosselli. Florenz 1973 Ders.: Storia dei fuorusciti. Bari 1953 Maltone, Carmela: Exil et identité. Les antifascistes italiens dans le Sud-Ouest 1924– 1940. Pessac 2006 Milza, Pierre (dir.): Les Italiens en France de 1914 à 1940. Rom 1986 Morelli, Anne: Fascismo e antifascismo nell’emigrazione italiana in Belgio 1922– 1940. Rom 1987 10

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Was Argentinien, Brasilien und Frankreich betrifft, vgl. Pietro Rinaldo Fanesi: Verso l’altra Italia. Albano Corneli e l’esilio antifascista in Argentina. Mailand 1991; João Fábio Bertonha: Sob a sombra de Mussolini. Os italianos de São Paulo e a luta contra o fascismo, 1919–1945. São Paulo 1999; Laure Teulières: Immigrés d’Italie et paysans de France 1920–1940. Toulouse 2002. Paola Gabrielli: Col freddo nel cuore. Uomini e donne nell’emigrazione antifascista. Rom 2004; Sara Galli: Le tre sorelle Seidenfeld. Donne nell’emigrazione antifascista. Florenz 2005.

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Rapone, Leonardo: Da Turati a Nenni. Il socialismo italiano negli anni del fascismo. Mailand 1992 Signori, Elisa und Marina Tesoro: Il verde e il rosso. Fernando Schiavetti e l’antifascismo italiano in esilio. Florenz 1987 Spriano, Paolo: Storia del Partito comunista italiano, B. II, III, IV, Turin 1969–1973 Teulières, Laure: Immigrés d’Italie et paysans de France 1920–1940. Toulouse 2002 Tombaccini, Simonetta: Storia dei fuorusciti italiani in Francia. Mailand 1988 Varsori, Antonio: Gli Alleati e l’emigrazione democratica antifascista (1940–1943). Florenz 1982 Ders.(cur.): L’antifascismo italiano negli Stati Uniti durante la seconda guerra mondiale. Rom 1984 Vial, Eric: L’Union populaire italienne 1937–1940. Une organisation de masse du Parti communiste italien en exil. Rom 2007

Archivhinweise Das für die Erforschung des antifaschistischen Exils wichtigste Archiv ist dem italienischen Innenministerium zugeordnet. Dieses Archiv (beim Archivio Centrale dello Stato in Rom) ermöglicht den Zugang zu den Materialen, die von den Kontroll- und Repressionsinstanzen des Regimes zusammengetragen und erstellt worden sind. Über umfangreiche dokumentarische Materialsammlungen verfügen das Archiv der Italienischen Kommunistischen Partei (bei der Fondazione Istituto Gramsci in Rom) und die Archive von „Giustizia e Libertà“ (beim Istituto storico della Resistenza in Toscana in Florenz). Unter den Nachlässen ist vor allem auf den Nachlass von Pietro Nenni (beim Archivio Centrale dello Stato in Rom) und von Angelo Tasca (bei der Fondazione Giangiacomo Feltrinelli in Mailand) hinzuweisen.

Emigrierte und vertriebene Hitlergegner im militärischen Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus auf alliierter Seite Gerd R. Ueberschär

Internationale Brigaden gegen den Faschismus Ein frühes Zeugnis für den persönlichen bewaffneten Kampf von emigrierten und vertriebenen Deutschen und Österreichern gegen Faschismus und Nationalsozialismus liefert deren militärischer Einsatz in den Jahren 1936 bis 1939 während des Spanischen Bürgerkrieges. Der fast drei Jahre dauernde Kampf auf der Iberischen Halbinsel war in dieser Zeit einer der wenigen verbliebenen Möglichkeiten, um sich dem Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus im Rahmen eines bewaffneten Widerstandes aktiv entgegenzustellen. Die Freiwilligen kämpften in den Reihen der „Internationalen Brigaden“ zur Unterstützung der spanischen Republik gegen die faschistisch-falangistischen Truppen von General Francesco Franco, der allerdings seinerseits durch militärische Verbände Mussolinis und durch die „Legion Condor“ Hitlers unterstützt wurde. Ungefähr 2200 deutsche Freiwillige aus Europa und Übersee beteiligten sich als Soldaten in den „Internationalen Brigaden“ an diesem Krieg.1 Von etwa 1600 Österreicher und Österreicherinnen fanden dabei über 200 den Tod.2 Über 1000 deutsche und österreichische „Interbrigadisten“ gingen beim Sieg General Francos 1939 über die Grenze nach Frankreich, wo sie in Lager interniert wurden und von wo sich etwa 250 „Brigadisten“ nach der Niederlage Frankreichs im Sommer 1940 zum weiteren Kampf gegen den Nationalsozialismus der französischen Résistance anschlossen. Mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 und den anschließenden deutschen Erfolgen und Besetzungen verschiedener Länder in Ost-, Nord- und Westeuropa bot sich den emigrierten und vertriebenen NS-Gegnern die Möglichkeit, auf Seite der Feindmächte am militärischen Kampf gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich teilzunehmen. Ab 1939/40 schlossen sich dann auch meist jüngere Emigranten bei ihrem erstrebten Kampf gegen die NS-Herrschaft fremden Armeen in Großbritannien und den britischen Dominien sowie später in den USA und insbesondere den Resistance-Gruppen in Skandinavien, Frankreich und den BeneluxLändern an, um auf deren Seite weiterhin aktiv gegen Hitler und seine Herrschaft kämpfen zu können.3 Ein politischer Einfluss auf die jeweilige Gast- oder Exilregie1

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Wir hatten den Mut und die Gewehre. Deutsche an der Seite der Spanischen Republik 1936– 1939. Ein Handbuch. Berlin 2006. Für Spaniens Freiheit. Österreicher an der Seite der Spanischen Republik 1936–1939. Hrsg. v. Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Wien 1984, S. 369 f. Wie z. B. Willy Brandt in Norwegen; zu Belgien siehe auch Heinz Kühn: Widerstand und Emigration. Die Jahre 1928–1945. Hamburg 1980; ferner Pech, An der Seite der Résistance.

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rung war damit allerdings nicht verbunden. Für die Freiwilligen war das militärische Engagement bei den Résistancegruppen und in den alliierten Streitkräften der oft ersehnte Eintritt in den “Kampf der Gepeinigten gegen ihre Peiniger“.

Einsatz bei Résistancegruppen im Krieg Einige deutsche Kommunisten, die in den 30er Jahren nach Dänemark geflüchtet waren, traten nach dem April 1940, als das Königreich von der Wehrmacht erobert und besetzt wurde, in den Untergrund auf die Seite dänischer Widerstandsgruppen.4 Sie verteilten später vor allem Flugschriften mit anti-nationalsozialistischen Inhalten. In den beiden letzten Jahren waren sie auch an militärischen Aktionen beteiligt. Auch in Norwegen schlossen sich deutsche und österreichische Emigranten nach der deutschen Besetzung des Landes regionalen illegalen Widerstandseinheiten an. Nur einzelne, wie der Sozialdemokrat Willy Brandt, konnten die Uniform der norwegischen Armee anlegen. Brandt geriet dadurch in deutsche Kriegsgefangenschaft, konnte aber flüchten und ging danach noch über die Grenze in das neutrale Schweden in ein weiteres Exil.5 Etwa 1000 deutsche Emigranten, darunter auch untergetauchte Juden und ehemalige Spanienkämpfer leisteten in den Reihen der französischen Résistance einen wichtigen Beitrag beim Widerstandskampf in Frankreich gegen die nationalsozialistische Okkupationsmacht.6 Allerdings gehörte kein deutscher Emigrant als Freiwilliger zu den regulären französischen Streitkräften. In vielen Departments in Zentralfrankreich bestanden Partisanengruppen mit größerer Beteiligung deutscher Emigranten. Unter Führung des Kommunisten Otto Niebergall bildete sich ab Herbst 1943 in Frankreich das „Komitee bzw. die Bewegung ,Freies Deutschland’ für den Westen (BFDW)“, das auch in Belgien und Luxemburg auftrat. Niebergall stand Ende 1943 sogar in Kontakt mit Oberstleutnant Cäsar v. Hofacker, der als Verbindungsoffizier des in Paris eingerichteten Militärbefehlshabers in Frankreich zu seinem Vetter Oberst Claus Schenk Graf v. Stauffenberg tätig war, um dadurch engeren Kontakt zum deutschen militärischen Widerstand in Paris herstellen zu können.7 Von den bei der Résistance kämpfenden Deutschen legten sich viele einen neuen “Kriegsnamen“ zu, damit sie bei Gefangennahme durch deutsche Stellen nicht sofort als gebürtige Deutsche erkannt werden konnten. Nach der Befreiung großer Teile Frankreichs ab Herbst 1944 agierte die „Bewegung ,Freies Deutschland’ für den Westen“ als neues „Comité Allemagne Libre pour l’Ouest (CALPO)“; es beteiligte sich an der weiteren militärischen Zurückdrängung der deutschen Truppen bis zur Reichsgrenze. Durch Frontbeauftragte des CALPO wurde ferner versucht, die eingeschlossenen deutschen Verbände in einigen Atlan4 5

6

7

Im Bunde mit dem Feind, S. 38 ff. Vgl. Hitlerflüchtlinge im Norden. Asyl und politisches Exil 1933–1945. Hrsg. v. Hans-Uwe Petersen. Kiel 1991. Vgl. Pech, An der Seite der Résistance; Florimond Bonte: Les antifascistes allemands dans la Résistance française. Paris 1969; De l’Exil – la Résistance: Réfugiés et immigrés d’Europe Central en France, 1933–1945. Arcantére 1989; Gaston Laroche: On les nommait des Etrangers. Les immigrés dans la Résistance. Paris 1965; Tilly Spiegel: Österreicher in der belgischen und französischen Résistance. Wien 1969. Im Bunde mit dem Feind, S. 126 ff.

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tikhäfen, die von den alliierten Truppen noch nicht erobert worden waren, zur Aufgabe zu bewegen. Direkten Erfolg hatte man allerdings nicht. Etwa 50 deutsche Freiwillige erlangten bei den Résistanceverbänden sogar Offiziersdienstgrade und herausgehobene Funktionen beim Partisanenkampf.8 Dennoch war der Einsatz im Bereich der französischen Résistance nicht immer ohne Schwierigkeiten und nicht selten stieß er auf Skepsis und Sicherheitsbedenken oder allgemeine Zurückhaltung bei den Westalliierten. Wenig bekannt ist über die Beteiligung einiger deutscher Emigranten auf der Seite des belgischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Die meisten deutschen Emigranten –mehrheitlich waren es Kommunisten – wurden nach dem deutschen Einmarsch in Belgien im Mai 1940 interniert und später in Lager in die französischen Pyrenäen transportiert. Nur wenigen gelang dabei die Flucht und Rückkehr sowie die anschließende Kontaktaufnahme mit Partisanen in den Benelux-Ländern. Vom Mai 1940 bis zum September 1944, als Belgien durch die Westalliierten wieder befreit wurde, wurden fast 80 Prozent der in Belgien verbliebenen deutschen emigrierten Hitlergegner von der Gestapo enttarnt, verhaftet oder hingerichtet. Auch in den Niederlanden schlossen sich deutsche kommunistische Emigranten dortigen Widerstandsgruppen an. Ab Ende 1943 kam es mit Hilfe ehemaliger Emigranten zum Aufbau regionaler Gruppen des „Komitees ,Freies Deutschland’ für den Westen (CALPO)“ wie der „Hollandgruppe ,Freies Deutschland’“. Aus österreichischen Emigranten in der Sowjetunion wurde Anfang Dezember 1944 das “Erste österreichische Bataillon“ im Rahmen der jugoslawischen Befreiungsarmee unter Partisanengeneral Jozip Broz Tito aufgestellt. Am 3. April 1945 kam es noch zum Aufbau eines „Zweiten österreichischen Bataillons“ bei den jugoslawischen Partisanen im slowenischen Gebiet. Beide Verbände beteiligten sich an den Verfolgungskämpfen mit den sich nach Norden zurückziehenden deutschen Wehrmachtsund Waffen-SS-Einheiten.

Militärischer Dienst in den alliierten Streitkräften Deutsche und österreichische Emigranten, die sich nach Kriegsbeginn freiwillig zu den britischen Streitkräften meldeten, wurden aufgrund ihrer ausländischen Herkunft als „NB Servicemen“ bezeichnet (NB = non british). Im November 1940 bestätigte das britische Parlament, dass sich deutsche und österreichische „Feindausländer“, die innerhalb Großbritanniens lebten und schon zum Teil interniert worden waren, freiwillig zum „Auxiliary Military Pioneer Corps“ (AMPC, ab 1941 als Pioneer Corps = PC geführt, noch vor Kriegsende in Royal Pioneer Corps = RPC umbenannt) in der britischen Armee melden konnten.9 Das Pionier-Korps war ein militärisches Hilfskorps, dessen Angehörige nicht unmittelbar zum Kampfeinsatz mit der Waffe in der Hand an der Front vorgesehen waren. Versuche, im Januar 1941 die aus Österreich stammenden Angehörigen zweier Pioneer-Kompanien zu einer nationalen „Österreichischen Legion“ in der britischen Ar8 9

Im Bunde mit dem Feind, S. 108. Leighton-Langer, X steht für unbekannt, S. 26 ff., engl. Neuauflage: The King’s Own Loyal Enemy Aliens. London 2006; ferner Fry, The King’s Most Loyal Enemy Aliens. Sutton 2007.

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Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil

mee zusammenfassen, scheiterten und das Vorhaben, für das sich besonders der in Großbritannien lebende Erzherzog Robert v. Habsburg verwendete, wurde wieder fallengelassen.10 Erst 1943 wurden verschiedene Restriktionen, die für den Einsatz der ausländischen Freiwilligen bei den britischen Streitkräften galten, aufgehoben. So konnten die Angehörigen des Pioneer Corps ab März 1943 auch zu anderen, „normalen“ Regimentern wechseln, so dass ihnen dadurch alle dienstlichen Positionen in der Armee, Kriegsmarine und in den Luftstreitkräften – auch an der Front – offen standen. Ein geschlossener Übertritt als Verband erfolgte jedoch nicht. Jeder musste einzeln den Wechsel beantragen. Zusätzlich konnten sich die deutschen und österreichischen Soldaten ab Anfang April 1943 andere, zum Teil anglisierte Namen zulegen, um im Falle einer Gefangennahme nicht sogleich als ehemalige Deutsche identifiziert zu werden. Auch viele Frauen aus Emigrantenkreisen traten verstärkt ab 1943 als Freiwillige in den „Auxiliary Territorial Service (ATS)“ ein. Etwa 7000 deutsche Freiwillige – darunter auch ungefähr 1000 Frauen – und ca. 3000 Österreicher leisteten insgesamt freiwilligen militärischen Dienst bei den britischen Streitkräften. Weitere Tausende Emigranten traten in die Armeen der Dominien von Australien, Neuseeland und Kanada sowie in Kolonialverbände von Britisch-Indien ein.11 Auch in der US-Armee gab es von Ende 1942 bis zum Mai 1943 eine österreichische militärische Einheit, die aber nach Querelen im österreichischen Exillager wieder aufgelöst wurde. Einige deutsche Emigranten in den USA meldeten sich nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor und der deutschen Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten im Dezember 1941 in den folgenden Monaten zum Eintritt in die USStreitkräfte. Die Freiwilligen erhielten in der Regel alsbald nach ihrem Dienstantritt in die US-Armee oder Kriegsmarine die USA-Staatsbürgerschaft. Bekannt sind als USSoldaten deutscher Herkunft u. a. Stefan Heym, Alfred Katzenstein, Jürgen Kuczynski, Karl Kormes und Klaus Mann, die später auch als Angehörige der Siegermächte nach Überschreiten der Reichsgrenze wieder deutschen Boden betraten.12 Über 200 sudetendeutsche Emigranten, meist Anhänger der Kommunistischen Partei, traten ab 1940 in die Reihen der in Großbritannien aufgestellten tschechoslowakischen Brigade, um mit der Waffe in der Hand gegen das Deutsche Reich zu kämpfen. Die Vorstellung, auf diesem Wege etwas für das mögliche politische Ziel der Wiederherstellung eines vom Nationalsozialismus gesäuberten Sudetengebietes zu leisten, war im Rahmen eines Einsatzes bei der tschechoslowakischen Exil-Armee allerdings nicht realistisch. Viele Aktivitäten in Westeuropa mündeten 1944 in einer militärischen Mitarbeit bei den meist kommunistisch beeinflussten „Komitees ,Freies Deutschland‘ für Westeuropa“. Nur zögerlich nutzten die Alliierten die Mitglieder der Bewegungen „Freies

10 11

12

Wolfgang Muchitsch: Mit Spaten, Waffen und Worten. Wien 1992, S. 49 f. Zahlen nach Leighton-Langer; ältere noch unvollständige Angaben bei Bentwich, I unterstand the risks. Vgl. u. a. Stefan Heym: Nachruf. München 1988; Jürgen Kuczynski: Memoiren,. Berlin-Ost 1975.

Emigrierte und vertriebene Hitlergegner im militärischen Kampf

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Deutschland“ für ihre Kommandogruppen im unmittelbaren Kampf gegen das Dritte Reich, da sie eine Unterwanderung durch kommunistische Emigranten befürchteten.13 Für deutsche Kommunisten als Emigranten in der UdSSR änderte sich die seit Kriegsbeginn 1939 bestehende unsichere Situation während des Hitler-Stalin-Paktes, als die deutsche Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel und einen brutalen Vernichtungskrieg begann. Mehrere jugendliche Exilanten in der UdSSR meldeten sich danach freiwillig zum Einsatz in der Roten Armee. Der Eintritt erfolgte aufgrund einzelner persönlicher Entscheidung, ohne dass die KPD oder Sowjetführung dazu aufgefordert hatten; nicht selten war die Meldung bei der Roten Armee eine Selbstverständlichkeit, um die UdSSR als kommunistische Macht gerade im Kampf gegen den verhassten Nationalsozialismus zu unterstützen. Die meisten hofften in der ersten Zeit auf eine revolutionäre Erhebung im Deutschen Reich und auf eine Befreiung ihrer früheren Heimat von der NS-Herrschaft. Sie kämpften anfangs auch an der Front. Ab Herbst 1941 wurden die deutschen Hitlergegner in der Roten Armee aufgrund allgemeinen Misstrauens gegen die deutschen Freiwilligen nicht mehr an der Front eingesetzt. Erst 1942/43, als sich nochmals eine Reihe von freiwilligen deutschen Jugendlichen zum Einsatz bei der Roten Armee meldeten,14 wurde diese Einschränkung wieder aufgehoben, so das später deutsche Exilanten auch als Offiziere in der Roten Armee Dienst taten (bekannt sind von den etwa 50 Freiwilligen u. a. Viktor Bredel, Stefan Doernberg, Rolf Glückauf, Gregor Kurella, Moritz Mebel, Viktor Koenen, Renate Böttcher-Zaisser). Mit der Roten Armee gelangten die deutschen Freiwilligen 1945 als Sieger über den Nationalsozialismus nach Ostdeutschland und in die spätere Sowjetzone. Viele emigrierte Deutsche und Österreicher kamen bei Kriegsende als alliierte Soldaten wieder in ihre frühere Heimat. Dort konnten sie aufgrund ihrer guten deutschen Sprachkenntnisse in vielfältiger Weise Vermittlungs- und Übersetzungsfunktionen ausüben. In Österreich traten mehrere in den Dienst der „British-Austrian Legal Unit (Balu)“ ein, einer Stelle zur Wiederherstellung der Gesetze und des Rechtsstaates in Österreich. Besondere Aufgaben übernahmen frühere deutsche Juristen in der britischen und US-Armee, die auf alliierter Seite bei der Durchführung der Nürnberger Prozesse beteiligt waren.

Bewertung nach 1945 Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges publizierte der britische Jurist Norman Bentwich in Zusammenarbeit mit Veteranen eine erste Zusammenstellung über die damals noch unvollständig vorliegenden Ergebnisse zu Anlässen und Beweggründen von emigrierten Deutschen und Österreichern, die sich im direkten Kampf gegen den NS-Staat mit der Waffe in der Hand auf der Seite der Alliierten engagiert hatten.15 Dabei 13

14

15

Vgl. u. a. Nigel West: Secret War. The Story of SOE. Britain’s Wartime Sabotage Organisation. London 1992. Vgl. Stefan Doernberg: Erinnerungen eines Rotarmisten, Historikers und Botschafters. Berlin 2004. Bentwich, I unterstand the risks.

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Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil

sollte insbesondere für die britische Öffentlichkeit der jüdische Anteil am Kampf und Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich dokumentiert werden. In Deutschland stand die Geschichte der Teilnahme deutscher Freiwilligen am bewaffneten Kampf auf alliierter Seite als Thematik der deutschen Historiographie in den ersten Jahren nach 1945 nicht selten unter dem Vorwurf, es seien “Landesverräter“ gewesen, die sich dem Feind angedient hätten, um gegen das eigene Vaterland zu kämpfen. Erst im Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Erforschung und Aufdeckung der nationalsozialistischen Verbrechen an anderen Völkern und auch an der eigenen Bevölkerung sowie der allmählichen Erkenntnis des menschenverachtenden Charakters des NS-Systems wurde das aktive Handeln der deutschen Emigranten und Exilierten bei ihrem Kampfeinsatz gegen den Nationalsozialismus auf Seiten der Alliierten positiv dargestellt und gewürdigt. Allerdings kam es lange Zeit zu keiner umfassenden Behandlung des Themas, das auch im Schatten des Kalten Krieges stand und sowohl in der ehemaligen DDR als auch in der Bundesrepublik vor 1990 nur als Teilaspekt in der Historiographie über den Widerstand gegen Hitler und den Nationalsozialismus am Rande Erwähnung fand. Erst neuere Arbeiten in den Jahren nach 1990 von Wolfgang Muchitsch (1992), Stefan Doernberg (1995), Peter LeightonLanger (1999 und 2006) sowie Helen Fry (2007) haben sich mit dem Thema des bewaffneten Kampfes deutscher Emigranten und Exilierten auf der Seite der Alliierten ausführlich beschäftigt und dabei interessante Ergebnisse und Aspekte offen gelegt.16

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So Muchitsch, Mit Spaten, Waffen und Worten (1992); im Bunde mit dem Feind (1995); Peter Leighton-Langer, X steht für unbekannt (1999); ders.; The King’s Own Loyal Enemy Aliens (2006); Fry, The King’s Most Loyal Enemy Aliens (2007).

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VI. Anhang

Auswahlbibliographie zum Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus in Europa 1933/39–1945 Zusammengestellt von Gerd R. Ueberschär Im Folgenden sind überwiegend Überblicksdarstellungen erfasst und nur wenige Einzelstudien aufgenommen worden, die sich singulär auf den Widerstand eines einzelnen Landes beziehen. Weiterführende bibliographische Angaben zu den Publikationen für die einzelnen Staaten und Gebiete finden sich in den jeweiligen Literaturhinweisen am Schluss der Beiträge in diesem Band. Anpassung – Kollaboration – Widerstand. Kollektive Reaktionen auf die Okkupation. Hrsg. v. Wolfgang Benz, Johannes Houwink ten Cate und Gerhard Otto. Berlin 1996 Antifašistkata borba v Balgaria 1939–1944. Dokumenti i materiali [Der antifaschistische Kampf in Bulgarien 1939–1944. Dokumente und Materialien]. 2 Bde. Sofia 1984 Bernard, Henri: La Résistance 1940–1945. Brüssel 1970 Bibliographie „Widerstand“. Hrsg. v. d. Forschungsgemeinschaft 20. Juli e. V. Bearb. v. Ulrich Cartarius. München 1984 Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933/International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte München/Research Foundation for Jewish Immigration New York (unter der Gesamtleitung von Werner Röder und Herbert A. Strauss). Bd. I: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. Bd. II: The Arts, Sciences, and Literature. Bd. III: Gesamtregister. München u.a. 1980, 1983 Birn, Ruth B.: Die Sicherheitspolizei in Estland 1941–1944. Eine Studie zur Kollaboration im Osten. Paderborn 2006 Borodziej, Wlodzimierz: Der Warschauer Aufstand 1944. Frankfurt (Main) 2001 Brandes, Detlef: Die Tschechen unter deutschem Protektorat. 2 Bde. München, Wien 1969, 1975 Brezoski, Velimir: Kommunistička Partija na Makedonija 1941–1944. Skopje 2003 Buber-Neumann, Margarete: Als Gefangene bei Stalin und Hitler. München 1949, Frankfurt (Main), Berlin 1993. Bubnys, Arūnas: Nazi Resistance Movement in Lithuania 1941–1944. Vilnius 2003 Im Bunde mit dem Feind. Deutsche auf alliierter Seite. Hrsg. v. Stefan Doernberg. Berlin 1995 Bunting, Madeleine: The Model Occupation. The Channel Islands under German Rule 1940–1945. London 1995 Carsten, Francis L.: Widerstand gegen Hitler. Die deutsche Arbeiterbewegung und die Nazis. Frankfurt (Main) 1996

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364

Anhang

Pech, Karlheinz: An der Seite der Résistance. Zum Kampf der Bewegung „Freies Deutschland“ für den Westen in Frankreich (1943–1945). Berlin-Ost 1974, 1987 Peli, Santo: La Resistenza in Italia. Storia e critica. Turin 2004 Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg. Hrsg. von Bernhard Chiari unter Mitarbeit von Jerzy Kochanowski. München 2003 Ponomarenko, Pantelejmon K.: Vsenarodnaja bor’ba v tylu nemecko-fašistskich zachvatčikov 1941–1944 [Der Kampf des ganzen Volkes im Hinterland der faschistischen deutschen Eindringlinge 1941–1944]. Moskau 1986 Rapone, Leonardo: Da Turati a Nenni. Il socialismo italiano negli anni del fascismo. Mailand 1992 Resistance in Western Europe. Ed. by Bob Moore. Oxford 2000 Rings, Werner: Leben mit dem Feind. Anpassung und Widerstand in Hitlers Europa 1939–1945. München 1979 (Schweizer Ausgabe u. d. T.: Europa im Krieg 1939– 1945; holländische Ausgabe Amsterdam 1981; engl. Ausgabe u. d. T.: Life with the Enemy. Collaboration and Resistance in Hitler’s Europe 1939–1945. London, New York 1982) Riste, Olav und Berit Nøkleby: Norway 1940–45. The Resistance Movement. Oslo 6. Aufl. 2004 Rossiter, Margaret: Women in the Resistance. New York 1986 Rothfels, Hans: Die deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung. Frankfurt (Main) 1958, Neuausgabe 1986 Sanders, Paul: The British Channel Islands under German Occupation 1940–45. St. Helier 2005 Schafranek, Hans: Zwischen NKWD und Gestapo. Die Auslieferung deutscher und österreichischer Antifaschisten aus der Sowjetunion an Nazideutschland 1937– 1941. Frankfurt (Main) 1990 Schmider, Klaus: Partisanenkrieg in Jugoslawien 1941–1944. Hamburg, Berlin, Bonn 2002 Schulten, Cornelis M.: En verpletterd wordt het juk. Verzet in Nederland 1940–1945. S´-Gravenhage 1995 Semelin, Jacques: Unarmed against Hitler: Civilian Resistance in Europe, 1939–1943. Westport, Connecticut 1993 (2. Aufl. u. d. T.: Sans armes face à Hitler: La résistance civile en Europe, 1939–1945. Paris 1998) Skodvin, Magne: Krig og okkupasjon. Norsk historie 1939–1945. Oslo 1991 SNP v pamäti národa. Materiály z vedeckej konferencie k 50. výročiu SNP [Der Slowakische Nationalaufstand im Gedächtnis der Nation. Materialien von der wissenschaftlichen Konferenz zum 50. Jahrestag des Slowakischen Nationalaufstands]. Pressburg/Bratislava 1994 SNP 1944 – vstup Slovenska do demokratickej Európy [SNP 1944 – Eintritt der Slowakei in das demokratische Europa]. Hrsg. von Dezider Tóth u. a.. Banská Bystrica 1999

Auswahlbibliographie

365

Soviet Partisans in World War II. Ed. by John A. Armstrong. Madison 1964 Stafford, David: Britain and the European Resistance 1940–1945: A Survey of the Special Operations Executive, with Documents. 2nd ed. Toronto, London 1983 Steinbach, Peter: Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen. Paderborn 1994, 2001 Strobl, Ingrid: Die Angst kam erst danach. Jüdische Frauen im Widerstand in Europa 1939–1945. Frankfurt (Main) 1998 Sužiedelis, Saulius: Thoughts on Lithuania’s Shadows of the Past: A Historical Essay on the Legacy of the War. Part I and II. In: Artium Unitio, 4, Sommer 1999, S. 128–146; S. 177–208 Sweets, John H.: The Politics of Resistance in France (1940–1944). A History of the Mouvements Unis de la Résistance. De Kalb, Illinois 1976 Tischler, Carola: Flucht in die Verfolgung. Deutsche Emigranten im sowjetischen Exil 1933–1945. Münster 1996 Tönsmeyer, Tatjana: Das Dritte Reich und die Slowakei 1939–1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn. Paderborn 2003 Tomasevich, Jozo: War and Revolution in Yugoslavia, 1941–1945: Occupation and Collaboration. Stanford, California 2002 Totalitarismul de dreapta în România. Origini, manifestâri, evoluţie 1919–1927. Hrsg. v. Ioan Scurtu u. a. Bukarest 1996 Ueberschär, Gerd R.: Stauffenberg – Der 20. Juli 1944. Frankfurt (Main) 2004, Taschenbuchausgabe u.d.T.: Stauffenberg und das Attentat vom 20. Juli 1944. Frankfurt (Main) 2006, 2. Aufl. 2009 Ders.: Für ein anderes Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933–1945. Darmstadt 2005, Frankfurt (Main) 2006 Van den Wijngaert, Mark et al.: België tijdens de Tweede Wereldoorlog. Antwerpen 2004 Völkl, Ekkehard: Transnistrien und Odessa 1941–1944. Kallmünz 1996 Wedekind, Michael: Nationalsozialistische Besatzungs- und Annexionspolitik in Norditalien 1943 bis 1945. Die Operationszonen Alpenvorland und Adriatisches Küstenland. München 2003 Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Wahrnehmung und Wertung in Europa und den USA. Hrsg. v. Gerd R. Ueberschär. Darmstadt 2002 Widerstand in Europa. Zeitgeschichtliche Erinnerungen und Studien. Hrsg. v. Michael Kißener, Harm-Hinrich Brandt und Wolfgang Altgeld. Konstanz 1995 Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler. Hrsg. v. Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach. München 1985 Willequet, Jacques: La Belgique sous la botte. Résistances et collaborations 1940– 1945. Paris 1986 Wörsdorfer, Rolf: Krisenherd Adria 1915–1955. Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum. Paderborn 2004

366

Anhang

Zentner, Kurt: Illustrierte Geschichte des Widerstandes in Deutschland und Europa 1933–1945. München 2. Aufl. u. Sonderausgabe 1983 Der Zweite Weltkrieg in Europa. Erfahrung und Erinnerung. Hrsg. v. Jörg Echterkamp und Stefan Martens. Paderborn 2007

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Bartl, Peter, Dr. phil., geboren 1938, 1957–1965 Studium der Geschichte Osteuropas und Südosteuropas, der Slawistik und der Turkologie, 1980–2004 Professor für Geschichte Osteuropas und Südosteuropas an der Universität München; zahlreiche Veröffentlichungen zur südosteuropäischen Geschichte. Baum, Herwig, M.A., Dipl.-Verwaltungswirt (FH), geboren 1972, 1992–1995 Studium der Verwaltungswissenschaften, 1998–2004 Studium der Geschichte und Völkerkunde an der Universität München, zur Zeit Doktorand zur Thematik eines Vergleichs der deutschen und rumänischen Besatzungsverwaltung in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs. Bonwetsch, Bernd, Dr. phil., Dr. h. c. mult., geboren 1940, Studium der Geschichte, Slawistik und vergleichenden Erziehungswissenschaft, 1980–2003 Professor für Osteuropäische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum, 2003–2009 Gründungsdirektor des Deutschen Historischen Instituts Moskau; zahlreiche Veröffentlichungen zur russischen und sowjetischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Brüggemann, Karsten, Dr. phil., geboren 1965, 1986–1993 Studium der Geschichte und Slawistik, seit 2005 wissenschaftlicher Projektmitarbeiter (DFG) am Nordost-Institut Lüneburg, seit 2008 Professor für Geschichte an der Universität Tallinn (Estland); zahlreiche Veröffentlichungen zur baltischen Geschichte und zur sowjetischen Kulturgeschichte. Dostert, Paul, Dr. phil., geboren 1951, Studium der Geschichte und Anglistik, seit 2003 Direktor des Dokumentationszentrums zum Luxemburger Widerstand in Luxemburg; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte Luxemburgs im Zweiten Weltkrieg. Fleischer, Hagen, Dr. phil., geboren 1944, 1966–1970 Studium der Geschichte und Publizistik, seit 1992 Professor für Geschichte an der Universität Athen; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und seiner Aufarbeitung sowie zur Geschichte Griechenlands im 20. Jahrhundert. Hass, Gerhart, Dr. sc. phil., 1931–2008, 1950–1956 Studium der Geschichte, seit 1956 wissenschaftlicher Mitarbeiter (Forschungsgruppenleiter) und später Professor an der Akademie der Wissenschaften der DDR; mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs sowie zur Geschichte der UdSSR und Russlands. Kangeris, Kārlis, Dr. phil., geboren 1948, 1967–1982 Studium der Psychologie, der modernen und osteuropäischen Geschichte, 1983–2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für baltische Studien an der Universität Stockholm, seitdem am Institut für Lettlands Geschichte in Riga, Lettland; Veröffentlichungen zur Geschichte der internationalen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit im Ostseeraum, zum Zweiten Weltkrieg im Baltikum und zum sowjetischen Herrschaftssystem in Lettland.

368

Anhang

Kastner, Georg, Dr. phil., geboren 1969, 1987–1998 Studium der Geschichte in Wien, seit 2007 Dozent an der Andrássy-Universität, Budapest; mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte Ungarns und der Geschichte Mitteleuropas im 20. Jahrhundert. Lammers, Karl Christian, Ph.D., geboren 1943, 1962–1969 Studium der Geschichte und Germanistik in Kopenhagen und Tübingen, seit 1975 Professor für deutsche und europäische Zeitgeschichte am Saxo-Institut der Universität Kopenhagen; mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte des Nationalsozialismus und zur deutschen und westeuropäischen Zeitgeschichte nach 1945. Levsen, Dirk, Dr. phil., geboren 1959, Studium der mittleren, neueren und osteuropäischen Geschichte, Skandinavistik und Volkskunde in Kiel, seit 1994 im norwegischen Gudbrandsdal als Gymnasiallehrer, Journalist und freier Autor; mehrere Publikationen zur Kriegs- und Okkupationsgeschichte Norwegens (deutsch und norwegisch). Majerus, Benoît, Dr. phil., geboren 1975, 1995–1999 Studium der Geschichte an der Université libre de Bruxelles, seit 2006 chargé de recherche du Fonds National de la Recherche Scientifique; mehrere Veröffentlichungen zum Themenkomplex Besatzung (1914–1945). Maner, Hans-Christian, Dr. phil., geboren 1963, 1983–1991 Studium der Geschichte, evangelischen Theologie und Politikwissenschaft, 2004 Habilitation an der Universität Leipzig, Privatdozent, seit 2006 wiss. Mitarbeiter im Historischen Seminar der Universität Mainz; mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte der Habsburgermonarchie vom 18. bis 20. Jahrhundert und zur politischen Geschichte Rumäniens im 19. und 20. Jahrhundert. Mehringer, Hartmut, Dr. phil. habil., geboren 1944, 1965–1974 Studium der Geschichte und Politikwissenschaft, 1975–2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter und 2000–2009 Archivleiter am Institut für Zeitgeschichte, München-Berlin; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der NS-Herrschaft, insbesondere zum Widerstand und zur Emigration. Milotová, Jaroslava, Dr. phil., geboren 1952, 1972–1977 Studium der Geschichte und des Archivwesens an der Karls-Universität Prag, seit 1998 Direktorin des Instituts Theresienstädter Initiative Prag; mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte der NSOkkupationspolitik und zur „Endlösung der Judenfrage“ im Protektorat Böhmen und Mähren. Moore, Bob, Ph.D., geboren 1954, 1973–76 und 1978–82 Studium der Geschichte, seit 2007 Professor der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert an der Universität Sheffield; mehrere Veröffentlichungen zur niederländischen Geschichte im 20. Jahrhundert und zur Geschichte der Kriegsgefangenschaft und Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg. Müller, Daniel, Dr. phil., geboren 1969, 1989–99 Studium der Journalistik, Osteuropäischen Geschichte und Orientalistik, seit 2009 Leiter des gemeinsamen Graduierten-

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

369

programms der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten der TU Dortmund; mehrere Veröffentlichungen zur sowjetischen Nationalitätenpolitik im Kaukasus. Neugebauer, Wolfgang, Dr. phil., geboren 1944, 1963–1969 Studium der Geschichte und Geographie, 1983–2004 Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW) in Wien, seit 1995 Honorarprofessor für Zeitgeschichte an der Universität Wien; zahlreiche Veröffentlichungen zum Widerstand und zur NS-Verfolgung in Österreich 1934–1945 sowie zur NS-Justiz und zum Rechtsextremismus nach 1945. Poppetrov, Nikolaj P., geboren 1954, 1973–1977 Studium der Geschichte und Philosophie, seit 2006 Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften in Sofia; mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte Bulgariens 1900–1944. Prauser, Steffen, Dr. phil., geboren 1969, 1993–1998 Studium der Geschichte und Sportwissenschaft, seit 2006 Dozent für Neuere Geschichte und Direktor des Centre for Second World War Studies an der Universität Birmingham (Großbritannien); mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte Italiens und Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. Rapone, Leonardo, Dr. phil., geboren 1952, 1970–1977 Studium der Literatur, Geschichte und Philosophie, seit 1988 Professor für Zeitgeschichte an der Universität Tuscia (Viterbo, Italien); mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte des italienischen Antifaschismus und der europäischen Sozialdemokratie. Ruchniewicz, Krzysztof Dr. phil. habil., geboren 1967, 1986–1992 Studium der Geschichte und osteuropäischen Geschichte in Wrocław/Polen und Saarbrücken, seit 2002 Direktor des Willy Brandt Zentrums für Deutschland und Europastudien der Universität Wroclaw, Professor für Zeitgeschichte am dortigen Zentrum, wissenschaftlicher Koordinator des deutsch-polnischen Schulbuches; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im 20. Jahrhundert, der europäischen Integration und zur internationalen Schulbuchforschung. Rutar, Sabine, Dr., geboren 1967, 1987–1990 und 1992–1995 Studium der Neueren Geschichte, Anglistik und Italianistik, seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Südost-Instituts in Regensburg; Veröffentlichungen zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Kommunismus in Jugoslawien und Italien. Schröter, Olaf, Dr. phil., geboren 1961, 1981–1993 Studium der Germanistik und Nordamerikanistik, seit 1997 freier Autor und Übersetzer; Veröffentlichungen über die Technik im Werk Ernst Jüngers und zum deutschen Kolonialismus. Sundhaussen, Holm, Dr. phil., geboren 1942, Studium der Osteuropäischen Geschichte, Slavistik und Germanistik, 1988–2007 Professor für Südosteuropäische Geschichte am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, Ko-Direktor des „Berliner Kollegs für vergleichende Geschichte Europas“; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des Balkan-Raums im 19./20. Jahrhundert.

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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Tauber, Joachim, Dr. phil., geboren 1958, 1980–1986 Studium der Germanistik, Klassischen Philologie und Geschichte, seit 1990 wiss. Mitarbeiter, ab 2010 Direktor des Nordost-Instituts (Institut für Geschichte und Kultur der Deutschen in Nordosteuropa e.V.) an der Universität Hamburg; mehrere Veröffentlichungen zur Geschichte Litauens, der deutschen Außen- und Besatzungspolitik in Ostmitteleuropa im 20. Jahrhundert sowie zum Holocaust in Litauen. Ueberschär, Gerd R., Dr. phil., geboren 1943, 1967–1972 Studium der Geschichte, Osteuropäischen Geschichte, Politikwissenschaften und Geographie, zuletzt bis 2008 Historiker und Archivar am Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg, Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg; zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs sowie zum Widerstand gegen die NS-Herrschaft. Willemsen, Heinz, M.A., geboren 1958, 1989–1995 Studium der Geschichte und Pädagogik in Bielefeld, Doktorand; Veröffentlichungen zur Geschichte Makedoniens im 20. Jahrhundert und zum politischen System der Republik Makedonien. Zückert, Martin, Dr. phil., geboren 1973, 1993–1999 Studium der Geschichte, Soziologie und Volkskunde/Europäische Ethnologie, seit 2004 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Collegium Carolinum in München; Veröffentlichungen zur Geschichte der Tschechoslowakei und zur Religions- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder.

Orts- und Länderregister Abrene 218 Adria 260-261, 272, 279, 281 Ägypten 261, 289, 342 Afrika 342 Akershus 92 Albanien 281, 284, 289-298, 362 Alderney 147-148 Algerien 103 Alma Ata 319 Altai 319 Amsterdam 112, 114, 116-118, 120, 122-123, 133, 240, 337 Arad 63 Archangelsk 318 Ardennen 130 Argentinien 333, 342, 345, 347 Armenien 235 Arnheim 115 Aserbaidschan 235 Athen 301, 303, 306-307 Auschwitz 5, 35, 98, 152 Australien 334, 342, 352 Auvergne 142 Balkan 9, 22, 235, 258, 295, 302 Baltikum 205, 207, 223, 225, 232, 318 Banat 255 Banská Bystrica 248-249, 251 Baranja 255 Baschkirien 319 Batschka 255 Bayern 278 Belgien 10, 98, 125-135, 142, 144, 149, 328, 342, 349-351 Belgrad 256-257, 262, 264, 276-277, 282283, 290 Benelux-Staaten 5, 123, 349, 351 Berat 297 Berchtesgaden 13 Berlin 6, 10-13, 17, 44, 61, 66, 72, 123, 141, 207, 213, 219, 264, 312, 316, 323, 326, 330, 339 Bessarabien 45, 201 Bettemburg 143 Birobidshan 313 Bitola 282 Bodenbach 326 Bodensee 6 Böhmen und Mähren 157-166, 244-245 Bosnien 255-256, 260-261, 271, 275, 284 Bosnien-Herzegowina 255-256, 260

Brasilien 342 Bratislava/Pressburg 244, 248 Bretagne 105-106 Brezno 248 Brünn 162, 326 Brüssel 126, 130, 135, 328 Budapest 59, 62, 64 Bug 174, 180, 197, 200 Bukarest 47, 203 Bulgarien 51-58, 281, 283 Bundesrepublik 16, 152, 307, 321, 354 Burgenland 40 Čačak 257 Casablanca 13, 334 Cekule 218 Chile 333 Ciskaukasien 237 Clerf 143 ČSR 6, 39, 61, 157, 159, 164, 173, 243-244, 246-247, 249, 326-328 ČSSR siehe ČSR Czerniaków 176 Dachau 140 Dänemark 5, 71-83, 85, 89-90, 95, 183, 327, 350 Dalmatien 255 Daugavpils 218 DDR 15, 321-322, 338, 354 Debar 281 Delft 112 Département Aude 104 Département l’Isère 104 Département Nord 101 Département Tarn 104 Deutsches Reich 3-19, 21-23, 31-32, 44-48, 51-52, 54, 56, 61, 63, 65, 71-73, 78, 82, 89, 98, 100, 104, 108, 112-113, 122, 126-127, 130, 138, 140-142, 147-148, 150-151, 157, 159, 167-168, 172-173, 183, 188, 205-207, 209, 215-216, 221-222, 226, 243-244, 247249, 255-256, 259, 269, 278, 281-283, 289290, 295-298, 308, 311-312, 315-317, 320321, 325-332, 334-340, 345, 349, 352-354 Dibra 289 Differdingen 143 Distomo 307 Dnjestr 197 Dnjestrs 46 Dobrić 256 Dora-Mittelbau 150

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Anhang

Drittes Reich siehe Deutsches Reich Düdelingen 143 Dünkirchen 147 Durrës 289 Echternach 143 Elsass 141 Esbjerg 76 Estland 220, 225-233 Ferrara 27 Finnland 88, 221, 230-231 Flandern 125, 127, 129, 133 Florenz 26, 348 Frankfurt am Main 18, 337 Frankreich 5-6, 9-10, 23-24, 29, 33, 36, 97110, 130, 132, 135, 137, 140, 142, 144, 147149, 151, 163, 167, 183, 283, 289, 314, 328, 331-332, 341-347, 349-350, 355 Freiburg 264 Friaul 275 Genua 24 Georgien 235, 237 Gjirokastra 296 Görz 275 Gonars 273 Gostivar 281 Gottschee (Kočevje) 272 Gradisca 275 Graz 32, 41 Grenoble 106 Griechenland 9, 36, 52, 56, 285-286, 289290, 299-308 Großbritannien 52, 65, 86-87, 90, 128, 142, 147-153, 157-158, 160, 178, 183, 289, 334336, 339-340, 342, 349, 351-352 Guernsey 147-150, 153 Haifa 64 Hainaut 129-130, 133-134 Helsinki 212, 227, 231 Herm 147 Hinzert 140-141 Hochsavoyen 105 Hüncheringen 143 Iaşi 43 Indien 352 Innerkrain (Notranjska) 269 Innsbruck 37 Iran 148 Isle of Man 334 Israel 37, 151 Istanbul 66, 290 Istrien 270, 274-275 Italien 9, 21-30, 43, 60, 142, 255, 269, 274, 278-279, 281-282, 285, 289, 294-295, 327, 341-347

Jēkabpils 218 Jersey 147, 149-151, 153 Jugoslawien 9, 36, 52, 56, 61, 160, 255-256, 258-267, 269, 272, 274, 276-278, 281, 283286, 289-290 Kabardino-Balkarien 238 Kärnten 36, 42, 269 Kairo 52, 300, 303 Kalavryta 300, 306-308 Kanada 334, 352 Karatschajien 238-239 Karlsbad 326 Karlsbrunn 160 Karpaten 249 Karpenisi 303 Kasachstan 316, 319 Kasan 319 Kaukasien 235, 237, 239 Kaukasus 189, 235-241 Kaunas 208-209 Kayl 143 Kičevo 281, 284 Kielce 171 Klausenburg 47 Klein-Oels 6 Köln 11 Königsberg 229 Košice 249 Kolpa (Kupa) 272 Kopenhagen 72, 75, 77, 82, 337 Korça 289, 291, 293 Kosovo 255, 290 Kowel 173 Kragujevac 259 Krain 277 Krakau 170-171 Kraljevo 257 Krasnodar 235-238, 241 Kreisau 6 Kreta 299 Krim 235, 313 Kroatien 255-256, 261, 264, 269, 272 Kruja 293 Kuibyschew (Samara) 319 Kumanovo 284-285 Kurland 218, 220-221 Kursk 55 Labinoti 293-294 Lappland 88 Lemberg 170-171, 173 Leningrad 200, 315, 317, 319 Lettland 215-224, 225-226, 228 Ležáky 159-160

Orts- und Länderregister Lidice 159-160, 166, 300, 306, 308 Liepāja 218 Lillehammer 89-91, 94-95 Limburg 121, 130 Limousin 105 Linz 39 Litauen 192, 205-213, 220, 225, 228 Livland 218 Ljubljana (Laibach) 269-273, 275-276, 278 Łódź 167 Loire 97 London 64, 75, 87, 98, 102, 104-105, 109, 111, 127, 130, 147-148, 158, 167-168, 172173, 178, 215, 244, 260, 264, 294, 305, 334 Lothringen 141 Lublin 141, 173 Ludza 218 Luxemburg 129-130, 134, 137-146, 328, 350 Madona 218 Maginotlinie 137 Mailand 23-24, 26, 28, 343, 348 Majkop 237 Makedonien 255, 281-287, 290, 300 Marburg 32, 40 Marseille 107, 332 Marzabotto 27 Mati 289, 298 Mazedonien 52-53 Mexiko 332-333 Miquelon 103 Mokotów 175-176 Moldau 198 Monfalcone 275 Mont Mouchet 106 Montenegro 255, 260, 290 Morawien 52 Moskau 7, 51-52, 62, 65, 104, 160, 184, 199, 217, 225, 233, 246, 257, 283, 291, 311-316, 319-323, 328, 330, 335, 339 München 5, 7, 11, 123, 203, 337 Muggia 275 Mukja 293-294 Mur (Mura) 269 Neretva 261 Neuern 326-327 Neuilly 51 Neuseeland 352 New York 338 Niederkerschen 143 Niederlande 111-123, 132, 240, 327-328, 351 Niederösterreich 41 Nikolajev 198 Nordafrika 9, 12, 103

373

Nordbukowina 201 Nordkaukasien 235-236, 238, 240-242 Nordossetien 238 Normandie 12, 26, 77, 106, 117, 147-148, 151 Norwegen 5, 36, 85-95, 327, 349-350 Novosibirsk 318-319 Oberkrain 269, 271-273 Oberösterreich 40 Oberschlesien 142, 167 Odense 76 Odessa 197-203, 316 Österreich 9, 31-42, 46, 60, 262, 278, 312, 326-327, 329, 331, 336, 351, 353 Omsk 319 Oostvlaanderen 130 Oradour-sur-Glane 107 Ordžonikidze 236, 238 Oslo 86, 89-90, 92-94, 327 Ossetien 319 Palästina 66, 342 Paris 6, 14, 98-100, 107, 109, 137, 326, 328330, 335, 339, 343, 350 Pearl Harbor 352 Peza 292-293 Piemont 23 Piombino 22 Pirčiupiai 206 Pirin 53 Pisk 168 Plateau des Glière 106 Polen 5, 8, 61, 66, 159, 167-181, 205, 209, 211-212, 246, 281, 349 Pombino 22 Portugal 332, 339 Prag 14, 32, 157-160, 163-164, 166, 312, 326, 328, 330, 333, 339 Prespasee 281, 285 Prilep 284 Primorska 274 Protektorat Böhmen und Mähren siehe Böhmen und Mähren Provence 107 Putten 118 Rab (Arbe) 273 Radom 174 Rangsdorf 13 Rastenburg 13 Ravensbrück 151, 278 Ravna Gora 257, 264 Rēzekne 218 Rhein-Ruhr-Gebiet 327 Riga 217-218, 221

374

Anhang

Rila 53 Rjukan 87 Rodopen 53 Rom 8, 22, 25-26, 264, 348 Ronchi 275 Rostov 235-237 Rotterdam 111, 115 Rumänien 43-49, 59, 62, 197, 203, 248 Russland 183 Sachsen 45 Sachsenhausen 150, 157 Saint-Pierre 103 Salerno 22, 26 Saló 22, 24 Saloniki 300 Salzburg 32, 34, 41, 244 Sandžak 259 Sant’Anna di Stazzema 27 Sark 147 Schottland 89 Schweden 36, 64-65, 77, 89-91, 116, 220221, 231, 327, 335-337, 339, 350 Schweiz 6, 317, 327, 336, 341 Serbien 255-260, 264, 269, 271-272, 281, 308 Shkodra 289, 297 Sibirien 233, 237, 239, 315, 319 Siebenbürgen 45, 61 Sizilien 21, 76, 294 Skandinavien 349 Skaugum 90 Skopje 281-286 Slowakei 61, 66, 243-251 Slowenien 255, 269-279 Snežnik (Monte Nevoso) 274 Sofia 52-53 Sonnenburg 142 Sør-Trøndelag 86 Sowjetunion siehe UdSSR Spanien 329, 331-332, 339, 344, 349 Sredna gora 53 St. Helier 147 St. Malo 147 St. Peter Port 147 Stalingrad 6, 11, 47, 54, 76, 189, 336 Stockholm 220-221, 232, 320, 336-337, 339 Struga 281 Stutthof 209, 221 Sudetengebiet 142, 326, 329, 352 Südthrakien 52 Sutjeska 261 Suži 218 Szeklerland 61

Taganrog 235, 237 Tallinn 225-226, 231 Tartu 229 Tarvisio 274 Taschkent 315 Teheran 261 Telemark 85-87 Tetingen 143 Tetovo 281, 285 Texel 240 Theresienstadt 77, 162-163 Thrazien 300 Tirana 291-292, 297 Tiraspol 200 Tirol 32, 41, 327 Toronto 230, 334 Tragjas 293 Transkaukasien 237 Transnistrien 45, 197-203 Trautenau 326 Trbovlje 271 Triest 269, 275 Trihati 200 Tschechoslowakei siehe ČSR Tschetschenien 239, 241 Tschetscheno-Inguschetien 238 Türkei 33, 317, 336 Tulle 106 Tunesien 342 Tunis 11, 261 Turčianský Svätý Martin 248 Turin 24, 343 Udine 269-270, 273 UdSSR 10, 26, 46-48, 52-53, 56, 60-61, 65, 101, 104, 127, 142, 160, 164, 167, 172-174, 176, 178-180, 183, 187, 193, 195, 197, 200202, 205, 207, 210-211, 215-217, 222, 225, 228, 230, 232-233, 235-236, 239-240, 242, 246-249, 260-261, 270, 274, 283, 291, 311319, 321-323, 326, 330-331, 333, 335, 342, 344-345, 351, 353 Übermurgebiet (Prekmurje) 269 Ukraine 61, 102, 183-184, 186, 189, 200202, 313 Ungarn 59-67, 255-256, 269, 278 Unterkrain (Dolenjska) 269 Untersteiermark 269, 272-273, 277 Uruguay 342 USA 10, 18, 39, 41, 52, 61-62, 65, 74, 95, 103, 215, 289, 316, 333-334, 336-337, 342343, 345, 349, 352 Utrecht 114 Užice 257, 259 Valjevo 257

Orts- und Länderregister Valka 218 Varvarovca 200 Veles 282 Venetien 24 Ventspils 218 Vercors 106 Verdun 97, 101 Vichy 97-98, 108 Vilnius 209-210, 212-213 Vlora 293 Volga 189 Warschau 167-168, 170-172, 174-177, 179 Wartheland 167 Washington 109, 203, 215, 305 Weißkrain (Bela Krajina) 269 Weißrussland 183-186, 189, 192-195, 200, 205-206, 218-219

375

Westvlaanderen 130 Wien 6, 14, 32-34, 36-37, 39-42, 60, 132, 281, 308, 327, 337 Wilna 37, 171, 173 Wladiwostok 315 Włodzimierz Wołyński 173 Wörgl 327 Wojwodina 256 Yser 125 Yugoslavia 278 Zamosc 168 Zentralmassiv 105-106 Žilina 243 Żoliborz 175-176 Zvolen 248

Personenregister Abendroth, Wolfgang 9 Abetz, Otto 101, 140 Abusch, Alexander 332 Aceva, Vera 284 Ackermann, Anton 320 Adenauer, Konrad 15 Adler, Friedrich 328 Ahrendt, Kurt 315 Albert I., König von Belgien 137 Albrecht, Karl 316 Aleksandar I., König von Jugoslawien 283 Alexander, Sir Harold 27-28 Amendola, Giovanni 343 Andonov-Čento, Prilep Metodija 282, 285287 Antonescu, Ion 45-49, 197-199, 201 Anušauskas, Arvydas 211-212 Apostolski, Mihailo 284 Ascoli, Max 345 Azéma, Jean-Pierre 108 Baczyński, Krzysztof Kamil 171 Badoglio, Pietro 21-26 Bajcsy-Zsilinszky, Endre 63-64 Bajraktari, Muharrem 289, 297 Balabán, Josef 158 Bandera, Stepan 192, 201 Bartók, Béla 62 Battaglia, Roberto 25 Bauer, Otto 331 Baum, Herbert 11 Baum, Vicky 328 Becher, Johannes R. 314-316, 319-320 Beck, Ludwig 5-6, 13-14 Bedane, Albert 151 Bédaridas, Renée 108 Beimler, Hans 330 Beneš, Edvard 244 Bentwich, Norman 353 Berend-Groa, Ilse 315-316 Berendsohn, Walter A. 337 Berggrav, Eivind 89 Bergstraesser, Arnold 336 Berija, Lavrentij 188 Bernardis, Robert 40 Berner, Helene 318 Berneri, Camillo 342, 344 Bernfeld, Anna 314 Bernhard, Georg 330 Bertram, Adolf 7

Beyen, Marnix 131 Biçaku, Ibrahim 295 Bieber, Leo 316 Biedermann, Karl 36 Bloch, Marc 97 Bocca, Giorgio 23, 26 Bodelschwingh, Friedrich v. 9 Böhme, Franz Friedrich 89-91 Böttcher-Zaisser, Renate 353 Bojarski, Wacław 171 Bonhoeffer, Dietrich 6, 8 Bonomi, Ivanoe 23, 26 Boris III., Zar von Bulgarien 55-56 Botz, Gerhard 37 Bourdet, Claude 108 Bräuning, Gabriele 314 Braginski, Jossif S. 320 Brandt, Willy 15, 123, 327, 336-337, 349350 Brauer, Max 330, 333 Braun, Max 330 Braun, Otto 327 Braune, Paul 9 Brecht, Bertolt 314 Bredel, Willi 314-316, 319-320, 353 Breitscheid, Rudolf 330 Brezoski, Velimir 287 Briefs, Goetz 336 Brodersen, Arvid 89 Brüning, Heinrich 325, 336 Bubnys, Arūnas 211, 213 Buhl, Vilhelm 75 Bunting, Madeleine 152 Buozzi, Bruno 342 Buriy, Fedor 151 Burzew, Michail I. 320 Canaris, Wilhelm 11 Carey, Victor 150 Carol II., König von Rumänien 44, 46, 49 Cassou, Jean 99 Celmiņš, Gustavs 221 Chiesa, Eugenio 342 Christian X., König von Dänemark 72 Chruschtschow, Nikita S. 188-189, 321 Churchill, Sir Winston 61, 99, 131, 147, 261, 266 Codreanu, Corneliu Zelea 43, 46 Cohen, Asher 67 Cohu, Clifford 150

378

Anhang

Čolaković, Rodoljub 265 Cordier, Daniel 100, 102, 109 Cortelazzo, Galeazzo Ciano Graf v. 281 Courtois, Stephane 101, 108 Cruikshanks, George 152 Csermanek, János (János Kádár) 63-64 Cuza, Alexandru C. 43 Dahl, Hans Fredrik 93 Dallin, Alexander 203 Damerius, Helmut 314 Darlan, François 103 d’Astiers de la Vigerie, Emmanuel 103 de Clerq, Staff 129 de Felice, Renzo 26, 29 de Gaulle, Charles 9, 98-105, 107-109, 345 de Jong, Louis 112, 119-122 de Wever, Bruno 133 De Wilde, Maurice 132 Deakin, Frederick 265 Debruyne, Emmanuel 128 Dedijer, Vladimir 265 Degrelle, Leon 129 Delp, Alfred 6 Dengel, Philipp 330 Denicke, Georg 330 Dessauer, Friedrich 336 Deva, Xhafer 295 Dewavrin, André (Oberst Passy) 99 Dezhgiu, Muharrem 293, 298 Diamant, Max 332 Dietrich, Georg 334 Dimitroff, Georgi M. 52-52, 317, 320 Dimitrov, Georgi M. siehe Dimitroff, Georgi Dishnica, Ymer 293 Djilas, Milovan 265, 272, 275 Döblin, Alfred 328 Dönitz, Karl 90-91 Doernberg, Stefan 314, 318, 353 Dohrn, Klaus 326 Dollfuß, Engelbert 326 Duca, Ion G. 44 Duffy, Garry 294 Eberlein, Hugo 313 Eberlein, Werner 314 Ehrlich, Lambert 272 Eichholzer, Herbert 33 Eichler, Willy 328 Eichmann, Adolf 66 Eicker, Hugo 328 Eisenschneider, Elvira 318 Elezi, Cen 289 Elias, Hendrik 129 Elser, Johann Georg 5-6

Elster, Botho Henning 107 Engels, Friedrich 314 Erpenbeck, Fritz 314-315 Estienne d’Orves, Honoré 99 Fabian, Walter 330 Facchinetti, Cipriano 342 Falkenhausen, Alexander Freiherr v. 125 Faulhaber, Michael v. 7 Ferl, Gustav 328 Ferrari, Francesco Luigi 342 Ferrero, Guglielmo 342 Feuchtwanger, Lion 313-314, 328 Feuerstein, Heinrich 9 Filderman, Wilhelm 45 Filov, Bogdan 51 Finckh, Eberhard 14 Fischer, Bernd J. 298 Florin, Peter 318 Florin, Wilhelm 313 Fotić, Konstantin 265 Franco, Francesco 295, 329, 344, 349 Frank, Karl Hermann 101, 150, 160, 333 Franke, Ingeborg (Inge v. Wangenheim) 315 Frashëri, Abdyl 292 Frashëri, Mehdi 292 Frashëri, Mithat 292-293 Frashëri, Xhemil 298 Frei, Bruno 332 Frenay, Henri 100, 102-103, 105, 108-109 Frölich, Paul 330 Fromm, Friedrich 12-14 Fry, Varian 332 Gabčík, Jozef 157 Gajcy, Tadeusz 171 Galen, Clemens August Graf v. 7-8 Galimberti, Duccio 27 Gehm, Ludwig 9 Georgiev, Kimon 51, 53, 56 Gérard-Libois, Jules 132 Gerstenmaier, Eugen 6 Geschonneck, Erwin 315-316 Giraud, Henri 103-105 Gisevius, Hans Bernd 14 Gjinishi, Mustafa 290, 292-293 Gligorov, Kiro 282-283, 286-287 Glogojeanu, Ion 198 Glückauf, Rolf 353 Gobetti, Piero 343 Goebbels, Joseph 3, 8, 141 Gömbös, Gyula 60 Goerdeler, Carl Friedrich 5, 12, 18 Göring, Hermann 13 Golian, Ján 248

Personenregister Gomułka, Władysław 172 Gosztony, Peter 67 Gotovitch, José 133 Gottschee (Kočevje) 275 Gould, Louisa 151 Gräfe, Willy 328 Graf, Willi 11 Grazioli, Emilio 269 Greif, Heinrich 316 Grohé, Josef 125 Groß, Nikolaus 5 Gruber, Allrich 9 Gruber, Karl 37 Grzesinski, Albert 333 Günther, Hans 314-315, 323 Gumbel, Emil Julis 330 Gurland, Arkadij 328 Gutmann, Heinrich 332 Haakon VII., König von Norwegen 85-86, 94 Haas, Johann Otto 32 Haeften, Werner v. 13-14 Hälker, Kurt 9 Haenisch, Walter 314 Hæstrup, Jørgen 80 Hagen, Paul 333 Hahn, Max 318 Halder, Franz 6, 8 Hammersen, Fritjof 89, 91 Hampel, Stefan 9 Hanisch, Ernst 31 Hannevig, Thor 86 Harnack, Arvid 10-11 Harnack, Ernst v. 5 Harnack, Falk 9 Harnack-Fish, Mildred 10 Hassell, Ulrich v. 14 Haubach, Theodor 5 Hauge, Jens Christian 87, 94 Hauska, Hans 315-316 Heckert, Fritz 313-314 Heisel, Hans 9 Henk, Emil 5 Hertz, Paul 333 Herzberg, Tusia 66 Hetterle, Albert 315-316 Heuss, Theodor 15 Heydrich, Reinhard 157-160, 162-163, 166, 226 Heym, Stefan 352 Hibbert, Reginald 292, 298 Hildebrand, Dietrich v. 327 Himmler, Heinrich 13, 273 Hinze, Gerhard 316

379

Hitler, Adolf 3-18, 21, 34-35, 39, 41, 44-48, 52, 60-62, 65-66, 72, 74, 82, 85-86, 90-91, 93, 95, 98, 101, 106, 117, 123, 125, 128, 138139, 144, 147-148, 152, 157, 172, 197, 215, 223, 235, 238, 255-256, 258-261, 300, 308, 311, 321, 325, 329-330, 333, 335-336, 343, 349, 354 Hoegner, Wilhelm 327 Hoepner, Erich 6, 14 Hoernle, Edwin 314, 320 Hofacker, Cäsar v. 6, 14, 350 Hoffmann, Johannes 328 Holtermann. Reidar 86 Holzmeister, Clemens 33 Hoppe, H.-J. 52 Horáková, Milada 164 Horstenau, Edmund Glaise v. 265 Horthy von Nagybánya, Miklós 60-62, 64-66 Hoxha, Enver 293-294, 296-298 Huber, Kurt 11 Hudomalj, Karl 34 Hübener, Helmuth 11 Huelin, Les 151-152 Huppert, Hugo 314 Hurdes, Felix 35 Husen, Paulus v. 6 Huth, Alfred 36 Ijzerdraad, Bernardus 116 Illés, Béla 65 Ilmjärv, Magnus 225 Imbusch¸ Heinrich 328 Imrédy, Béla 61 Jablonický, Jozef 251 Jacob, Franz 7 Jacomoni, Francesco 290 Jägerstätter, Franz 9, 34, 40 Jäkel, Paul 317 Janka, Walter 332 Jankowski, Stanisław 173, 175 Jean I., Großherzog von Luxemburg 144 Jegelevičius, Sigitas 212 Juchacz, Marie 334 Kafka, Helene (Schwester Maria Restituta) 34, 40 Kaiser, Hermann 12 Kaiser, Jakob 5, 35 Kállay, Miklós 62, 64, 66 Kaloshi, Murat 289 Kaltenbrunner, Ernst 11 Kalyvas, Stathis 307 Kamenec, Ivan 251 Kant, Edgar 229, 231 Karamanlis, Kostas 304, 307

380

Anhang

Karchmar, Lucien 265 Kardelj, Edvard 285 Kastelic, Jakob 34 Kataev, Valentin 202 Katz, Otto 332 Katz, Rudolf 333 Katzenstein, Alfred 352 Kedward, Roderick 108 Keitel, Wilhelm 258 Kirchhoff, Hans 80-81 Kirschmann, Emil 330 Kisch, Egon Erwin 332 Kjeldstadli, Sverre 92 Kjoseivanov, Georgi 51 Knoeringen, Waldemar v. 327 Kodály, Zoltán 62 Koenen, Bernard 314 Koenen, Heinrich 318 Koenen, Viktor 318, 353 Koenen, Wilhelm 330 Königsegg, Anna Bertha v. 34 Komoly, Otto 66 Komorowski, Władysław 174-175 Kormes, Karl 352 Kossuth, Lajos 59 Koukkidis 306 Kross, Jaan 229 Kryeziu, Gani 290, 297 Kryeziu, Said Bej 290, 297 Kube, Wilhelm 183 Kubiš, Jan 157, 162 Kuckhoff, Adam 6, 10 Kuckhoff, Greta 10 Kuczynski, Jürgen 352 Küchler, Georg v. 228 Kühmel, Bernhard 289, 298 Kühn, Bruno 318 Kühn, Heinz 328, 349 Kuipers-Rietberg, Henriette 113 Kun, Béla 60, 65 Kupi, Abaz 289-290, 292, 294, 297 Kupi, Ibrahim 289 Kurella, Alfred 314, 319, 353 Kusnetzov, V.A. 199 Kutschera, Franz 168 Lakatos, Géza 62 Lang, Arnim 92 Langbein, Hermann 35 Lange, Hermann 9 Lange, Rudolf 222 Laval, Pierre 104 Le Brocq, Normal 151-153 Leber, Julius 5, 7

Leclerc, Philippe 107 Lederer, Karl 34 Lees, Michael 265 Leighton-Langer, Peter 354 Lenin, Wladimir Iljitsch Uljanow 313 Leonhard, Wolfgang 314 Leopold III., König von Belgien 125, 128, 131 Lerpscher, Michael 9 Letterhaus, Bernhard 5 Leuschner, Wilhelm 4-5 Lévy, Jean-Pierre 103 Lichtenberg, Bernhard 7 Linge, Martin 87 List, Wilhelm 258 Litzmann, Karl 226, 231 Lleshi, Haxhi 292 Loebinger, Lotte 315-316 Löhr, Alexander 302 Longo, Luigi 342, 346 Loorits, Oskar 229 Losch, Josef 9 Ludin, Hans Elard 248 Lukács, Georg 314-315, 319 Lussu, Emilio 343 Luza, Radomir 39 Maaß, Hermann 5 Maček, Vladko 282 MacLean, Fitzroy 265 Mäe, Hjalmar 227, 229, 231 Maerten, Fabrice 130, 133 Maier, Heinrich 34 Major, John 152 Malasits, Géza 63 Malherbe, Suzanne (Künstlername Marcel Moore) 149 Malkovski, Gjorgji 286 Mann, Heinrich 314, 330 Mann, Klaus 352 Mann, Thomas 23, 56, 72, 200, 315, 328, 334 Manoilescu, Mihail 44 Marcuse. Ludwig 315 Maron, Karl 316 Marthinsen, Karl A. 90 Martin, David 265 Marx, Karl 314 Mašín, Josef 158 Matulionis, Jonas 207 Maurus, Josef 9 Mayer, Rupert 8 Mayr-Nusser, Josef 9 McKinstry, Robert 151

Personenregister McLean, Billy 294, 296 McLoughlin, Roy 153 Mebel, Moritz 353 Merker, Paul 330, 332 Messner, Franz Josef 34 Metaxas, Ioannis 299, 302, 305 Metzger, Max Josef 9 Michel, Henri 107-108 Michov, Nikola 55 Mierendorff, Carlo 5 Migsch, Alfred 32 Mihailović, Dragoljub (Draža) 257-262, 264267, 275 Minxhozi, Beqir 298 Mitrochin, Wassili Nikititsch 199 Mitrovica, Rexhep 295 Mitteräcker, Hermann 39 Molberg Nilssen, Wilhelm 91 Molden, Fritz 37 Molden, Otto 39 Møller, John Christmas 75 Molodzov, Vladimir A. 199 Molotov, Vjačeslav 215 Moltke, Familie v. 6 Moltke, Helmuth James Graf v. 6 Mommsen, Hans 16 Moravec, František 158 Morgan, Sir F. E. 89 Morávek, Václav 158 Moulin, Jean 102-105, 108-109 Móricz, Zsigmond 62 Muchitsch, Wolfgang 352, 354 Mühlbach, Paul 152 Müller, Eduard 9 Münzenberg, Willi 330 Muraviev, Konstatin 56 Murer, Franz 37 Musić, Zufer 282-283, 286 Mussolini, Benito 21-22, 24, 26, 28, 30, 4344, 76, 256, 260, 289-290, 299-300, 327, 344-347, 349 Narinski, Mikhaïl 109 Natlačen, Marko 272 Nechanský, J. 164 Nedić, Milan 257, 262 Neher, Carola 315 Nenni, Pietro 342, 348 Neubacher, Hermann 295 Neumann, Heinz 313, 315 Neuwirth, Hubert 298 Niebergall, Otto 350 Niemöller, Martin 8 Nitti, Francesco Saverio 342

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Nixdorf, Kurt 314 Nygaarsdvold, Johan 85 Oakley-Hill, Dayrell 290, 294 Oefelein, Karl 315 Olbricht, Friedrich 6, 12-14 Ophüls, Marcel 108 Ordshonikidse, Sergej 316 Oster, Hans 5, 8, 11 Pacciardi, Randolfo 342, 346 Paetel, Karl Otto 334 Päts, Konstantin 225, 227-228, 230 Painter, Clarence 150 Painter, Peter 150 Papandreou, Georgios 303-304 Parri, Ferruccio 27 Pavelić, Ante 256, 260, 262 Pavone, Claudio 29 Paxton, Robert 108 Pećanac, Kosta 259 Pechel, Rudolf 14 Pejani, Bedri 295 Peli, Santo 26, 30 Perels, Friedrich 8 Pétain, Philippe 97-98, 100-101, 103, 105 Petőfi, Sándor 63 Peyer, Károly 63 Peyrouton, Marcel 103 Peza, Myslim 289, 292, 296 Pieck, Arthur 315 Pieck, Wilhelm 313, 317, 320 Piekałkiewicz, Jan 172 Píka, Heliodor 164 Pintér, István 65, 67 Piscator, Erwin 316 Pius XI., Papst 8, 274 Pius XII., Papst 8 Plivier, Theodor 315, 319 Poelchau, Harald 9 Ponomarenko, Panteleimon Kondratjewitsch 185, 188-191, 193 Possony, Stefan 336 Poulsen, Henning 73 Prassek, Johannes 9 Preysing, Konrad Graf v. 7-8 Prinz Felix von Bourbon-Parma 144 Prinz zu Löwenstein, Hubertus 336 Probst, Christoph 11 Pryser, Tore 88, 93 Quazza, Guido 29 Quirnheim, Albrecht Ritter Mertz v. 13-14 Quisling, Vidkun 85-88, 92, 94-95 Rainer, Friedrich 275 Rákosis, Mátyás 65

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Anhang

Rallis, Ioannis 302 Raschke, Rudolf 36 Ratajski, Cyryl 169 Rediess, Wilhelm 91 Regler, Gustav 332 Reichwein, Adolf 5, 7 Reimer, Karl-Heinrich 9 Reinbold, Georg 328 Reinisch, Franz 9 Reisberg, Arnold 314 Remmele, Hermann 313 Rendulic, Lothar 89, 265 Renn, Ludwig 332 Renner, Karl 31 Reuter, Emile 138 Ribbentrop, Joachim v. 281 Rings, Werner 185 Rinnan, Henry 92 Ritter, Julius 106 Roberts, Walter 265 Rodenberg, Hans 316 Römling, Kurt 318 Rösch, Augustinus 6 Romsée, Gérard 129 Rootham, Jasper 265 Roques, Franz v. 227 Rosenberg, Alfred 235 Roslyng-Jensen, Palle 81 Rosselli, Carlo 343-344, 347 Rothfels, Hans 14, 336 Rott, Hans 334 Rowecki, Stefan 167, 172 Rožman, Gregorij 270 Rubiner, Frida 314 Ruge, Wolfgang 314 Rukser, Udo 333 Rupnik, Leon 270 Saefkow, Anton 7 Salnais, Voldemārs 220 Salvemini, Gaetano 342 Sănătescu, Constantin 47 Sandberger, Martin 226 Sanders, Paul 152-153 Saragat, Giuseppe 342, 346 Šatorov-Šarlo, Metodija 283 Sauckel, Fritz 106 Scavenius, Erik 72 Schaft, Hannie 117 Scharrer, Adam 314-315, 319 Schauff, Johannes 336 Scheliha, Rudolf v. 10 Schiavetti, Fernando 342, 348 Schickedanz, Arno 235

Schiff, Victor 330 Schilling, Peter 9 Schlabrendorff, Fabian v. 14 Schlaich, Ludwig 9 Schmid, Anton 37 Schmider, Klaus 265 Schmidtsdorf, Bruno 315 Schmorell, Alexander 11 Schmückle, Karl 314 Schönfeld, Hans 8 Scholl, Hans 11 Scholl, Sophie 11 Scholz, Karl Roman 9, 34 Schulenburg, Fritz-Dietlof Graf v.d. 6 Schtscherbakow, A.S. 320 Schütte-Lihotzky, Margarethe 33 Schulze-Boysen, Harro 10-11 Schulze-Boysen, Libertas 10 Schumacher, Ernst 328 Schwab, Sepp 316 Schwarzschild, Leopold 330 Schwob, Lucy (Künstlername Claude Cahun) 149 Seger, Gerhart 333 Seghers, Anna 316, 332 Seitz, Albert 265 Sendlerowa, Irena 170 Ševčenko, Taras 202 Seyffardt, Hendrik Alexander 115 Seydlitz, Walther v. 10 Seyss-Inquart, Arthur 111 Sforza, Carlo 342, 345 Sievers, Max 328 Sikorski, Władysław 168 Simeon II., Zar von Bulgarien 55 Simon, Gustav 138-141 Skodvin, Magne 92, 94-95 Slavik, Felix 32 Slomp, Frits 113 Smiley, David 294 Sniečkus, Antanas 205 Sollmann, Wilhelm 328, 333 Soodla, Johannes 229 Souchy, Augustin 332 Speidel, Hans 14 Spisarevski, Kosta 55 Šrobár, Vavro 245 Stadler, Karl R. 39 Stalin, Josef 4, 26, 65, 101, 104, 172, 174176, 183, 187, 189-190, 197, 205, 215, 223, 226, 237, 261-262, 303, 313, 316-317, 321323, 342 Stammberger, Gabriele 314, 323

Personenregister Stampfer, Friedrich 329, 333 Staritz, Katharina 9 Stauffenberg, Claus Schenk Graf v. 6-8, 12-15, 17-19, 36, 40, 350 Stella Perkins 151 Steltzer, Theodor 89 Sternberg, Fritz 334 Stibi, Georg 316 Stieff, Hellmuth 6 Stöhr, Hermann 9 Stojadinović, Miladn 282 Stolper, Gustav 336 Stomm, Marcel 66 Straube, Fritz 318 Strasser, Otto 326, 334 Strokač, Timofej A. 189 Stülpnagel, Karl-Heinrich v. 14 Stülpnagel, Otto v. 101 Sturzo, Luigi 342 Šubašić, Ivan 276 Sudmalis, Imants 218 Sužiedėlis, Saulius 211, 213 Szálasi, Ferenc 62 Szokoll, Carl 36, 40 Sztójay, Döme 62 Tamm, Ditlev 81 Tanham, George K. 132 Tarchiani, Alberto 343 Tarchiani, Filippo 345 Tasca, Angelo 342, 348 Teleki, Pál 61 Terboven, Joseph 86, 90-91, 95 Theile, Albert 333 Tief, Otto 231 Tildy, Zoltán 63 Tillich, Paul 334 Tippelskirch, Kurt v. 203 Tischler, Carola 317 Tiso, Jozef 243-244, 247-249 Tito, Josip Broz 36, 66, 190, 257-267, 271, 276-277, 285, 291, 294, 351 Togliatti, Palmiro 25-26, 276, 342, 346 Tomasevich, Jozo 265 Tošev, Andrej 51 Toth, István G. 67 Trepte, Kurt 315 Tresckow, Henning v. 6, 12-13 Treves, Claudio 342 Troebst, Stefan 287 Trott zu Solz, Adam v. 6 Trotzki, Leo 34

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Tuka, Vojtech 244 Turati, Filippo 342 Turner, Harald 256 Uhse, Bodo 332 Ulbricht, Walter 313, 317, 320, 330 Uluots, Jüri 228-229, 231, 233 Umberto von Italien 26 Upelnieks, Kristaps 221 Vaitkevičius, Bronius 211 Valentin, Maxim 316 van Isacker, Karel 132 Vanov, Kočo 282 Veillon, Dominique 108 Veluchiotis, Aris 306 Verbeelen, Robert 132 Viktor Emanuel III., König von Italien 289, 291 Vilém Prečan 251 Vittorio Emanuele III 22, 346 Vlasovs, Andrej A. 183 Voegelin, Eric 336 Vogeler, Heinrich 316 von dem Bach-Zelewski, Erich 175 Vorošilov, Kliment 189 Vukmanović-Tempo, Svetozar 284-285 Wallenberg, Raoul 64-65 Wangenheim, Gustav v. 315-316, 319, 323 Wartenburg, Peter Graf Yorck v. 6 Wehner, Herbert 330 Wehrer, Albert 138 Weichmann, Herbert 334 Weinberger, Lois 35 Weinert, Erich 315-316, 319-320, 323 Weinzierl, Erika 37 Wendt, Erich 227, 232, 315-316 Wheeler, Marc 265 Willmann, Heinz 314, 316 Wilm, Ernst 9 Wimmer, Josef 5 Wirth, Joseph 325, 327, 336 Witzleben, Erwin v. 6, 13 Wolf, Friedrich 207, 209, 315, 318-320, 323 Wurm, Theophil 9 Zegali, Josif 298 Zervas, Napoleon 301 Zetkin, Clara 313 Zinner, Hedda 315-316 Zogu, König von Albanien 289, 297 Zweig, Arnold 328