Produkthaftung bei internationaler Unternehmenskooperation: Außen- und Innenhaftung nach deutschem, französischem und US-amerikanischem Recht sowie nach internationalem Privatrecht [1 ed.] 9783428470310, 9783428070312


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German Pages 268 Year 1991

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Produkthaftung bei internationaler Unternehmenskooperation: Außen- und Innenhaftung nach deutschem, französischem und US-amerikanischem Recht sowie nach internationalem Privatrecht [1 ed.]
 9783428470310, 9783428070312

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THOMAS WINKELMANN

Produkthaftung bei internationaler Unternehmenskooperation

Schriften zum Internationalen Recht Band 52

Produkthaftung bei internationaler Unternehmenskooperation Außen- und Innenhaftung nach deutschem, französischem und US-amerikanischem Recht sowie nach internationalem Privatrecht

Von Dr. Thomas Winkelmann

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Winkelmann, Thomas:

Produkthaftung bei internationaler Unternehmenskooperation: Außen- und Innenhaftung nach deutschem, französischem und US-amerikanischem Recht sowie nach internationalem Privatrecht I von Thomas Winkelmann. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Internationalen Recht; Bd. 52) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-07031-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-07031-3

Für meine Eltern und Martina

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im August 1989 abgeschlossen und lag im Sommersemester 1990 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation vor. Vor Drucklegung wurde das Manuskript nochmals überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Dabei waren gegenüber der ursprünglichen Fassung vor allem zwei wichtige Entwicklungen zu berücksichtigen, die zwischenzeitlich eingetreten sind: In der Bundesrepublik Deutschland ist das bereits seit langem angekündigte Produkthaftungsgesetz in Kraft getreten, während in Frankreich die aus Anlaß der EG-Richtlinie Produkthaftung geplante umfassende Gesetzesreform zur Änderung des Code Civil wohl endgültig gescheitert ist. Die Arbeit befindet sich damit auf dem Stand von August 1990. Kurz vor der endgültigen Fertigstellung des Buches erreichte den Verfasser die Nachricht, daß ihm für die vorliegende Arbeit der Baker & McKenzie-Preis des Jahres 1990 verliehen werden soll. Mit dem Baker & McKenzie-Preis werden alljährlich herausragende wirtschaftsrechtliche Dissertationen oder Habilitationen des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main ausgezeichnet. Der Verfasser der Arbeit betrachtet diese Auszeichnung als große Ehre und möchte deshalb dem Stifter des Preises, der Frankfurter Anwaltskanzlei Döser Amereller Noack, ein ganz besonders herzliches Wort des Dankes aussprechen. Im übrigen sei an dieser Stelle in erster Linie meiner lieben Frau Martina gedankt, namentlich für die unermüdliche Hilfe bei der technischen Erstellung des Manuskripts. Dank schulde ich auch meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Axel Flessner, für die zahlreichen wertvollen Anregungen, die er mir geben konnte. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei der Johann Wolfgang Goethe-Universität, daß sie mir durch Gewährung eines Postgraduiertenstipendiums ermöglicht hat, die vorliegende Arbeit anzufertigen. Rödermark, im Dezember 1990

Thomas Winkelmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

1. Teil

Grundlegung 1. Kapitel: DieSachprobleme und Grundfragen der Produkthaftung

19 19

I. Der rechtstatsächliche Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

II. Die Entwicklung des Produkthaftungsrechts und die bestehenden Sachfragen

22

111. Zur Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

2. Kapitel: Grundstrukturen der Unternehmenskooperation bei der Güterversorgung: Ordnungsmerkmale und Strukturmodelle überbetrieblicher Zusammenarbeit im Hinblick auf die Produkthaftungsproblematik . . . . . . .

26

I. Die Ordnungskriterien und Strukturierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

II. Die aufgabenorientierte Strukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Die Kooperation zwischen Hersteller und Händler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

2. Unternehmenskooperation im Produktionsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

III. Die absatzorientierte Strukturierung

31

IV. Die machtorientierte Strukturierung

32

V. Die Bedeutung der verschiedenen Strukturmodelle für die Bewältigung der Produkthaftungsproblematik bei Unternehmenskooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

2. Teil

Die materiellrechtlichen Produkthaftungsverhältnisse bei Unternehmenskooperation

36

3. Kapitel: Grundzüge und Eckpfeiler des bisherigen Produzentenhaftungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

I. Die Hühnerpest-Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

II. Die gesetzliche Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

10

Inhaltsverzeichnis

III. Die allgemeine Verkehrs(sicherungs)pflicht und ihre Bedeutung für das Produzentenhaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

1. Inhalt der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

2. Die allgemeine Produktsicherungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . ..

44

3. Die von der Rechtsprechung entwickelten Ausprägungen der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht im Hinblick auf die Produzentenhaftungsproblematik . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

a) Die Herstellerpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

b) Die Bedeutung des tatsächlichen Aufgaben- und Tätigkeitsbereichs für Inhalt, Umfang und Adressatenkreis der Verkehrspflichten . . . . . . . . . . .

49

c) Die Organisationspflicht des Warenherstellers . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . .. . 4. Die sachliche und persönliche Tragweite der Verkehrspflicht-Produzentenhaftung ........ .. ......... . . .. . .................. . . . . .. ............... . . ......

50

a) Der sachliche Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

b) Die Haftungsadressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . ..

56

IV. Das Verschulden . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .

57

55

V. Die Beweislastumkehr . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . .

59

VI. Resümee - Die charakteristischen Merkmale des bisherigen deutschen Produzentenhaftungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

4. Kapitel: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung: Die Behandlung der Kooperationsproblematik im bisherigen deutschen Recht (Verkehrspflichthaftung) und die Ansatzpunkte für eine sinnvolle dogmatische Weiterentwicklung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

65

I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung im konkreten Produktions- und Distributionsprozeß (nach der Verkehrspflicht-Produzentenhaftung) . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

1. Haftung im Verhältnis Hersteller I Händler .. . . . . .. . . .. . . . . . . . .. . .. .. .. .. ..

68

2. Haftung bei Arbeitsteilung im Produktionsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Haftungsverhältnisse bei vertikaler Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Haftungsverhältnisse bei horizontaler Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . .

69 69 72

3. Haftungslage bei unklarer Schadensursache - Die gesetzliche Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB und ihre Bedeutung für das Produzentenhaftungsrecht bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung . . . . . .

74

II. Die Grenzen des aufgabenbezogenen Haftungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftung im Verhältnis Lizenzgeber/Lizenznehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung im Verhältnis Franchisegeber/Franchisenehmer . . . . . . . . . . . . . . . . ..

79 80 83

3. Haftung im Verhältnis Quasi-Hersteller/Hersteller .. . . . . . .. . .. .. .. .. . .. .. .

84

4. Die Haftungslage bei sonstigen Kooperationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

Ill. Ansatzpunkte für eine Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung.. . ..................... . . .................... . .. . ... . .............. . . . . .. .

86

1. Die Lehren von der "ldentifikationshaftung" und der "Unterweisungshaftung" in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . ..

87

Inhaltsverzeichnis

11

2. Weiterentwicklung der Verkehrspflichthaftung: Die machtbezogene Haftung................... . ......................... . .. . ................... . ..

90

a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

c) Rechtsfolgen ............. ·. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

5. Kapitel: Die Rechtslage in Frankreich und USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 I. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

100

2. Unternehmenskooperation: Die Haftungslage bei überbetrieblicher Zusammenarbeit . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .

106

II. USA .. . . ............. ........ . .. . .. .. ........ ...... .. . .. . ........ .. .. . . .. . .. . .. . .

108

l. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

108

!-Jnte~;hmenskooperation: Die Haftungsadressaten der "strict liability mtort .... . . ............................ ......................................

115

3. Die Haftungslage im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

121

2.

6. Kapitel: Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland nach dem lokrafttreten des Produkthaftungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Das Verhältnis zwischen dem Produkthaftungsgesetz und dem allgemeindeliktsrechtlichen Produzentenhaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127

II. Der wesentliche Inhalt des Produkthaftungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

1. Die dogmatische Natur der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

2. Der sachliche Haftungsumfang: Unterschiede zu und Verschärfungen gegenüber der deliktischen Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

134

3. Grenzen und Einschränkungen der Haftung .. . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .

137

III. Der persönliche Haftungsumfang: Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation nach dem Produkthaftungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

1. Die Haftungsadressaten im Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

a) Die Haftung der an Herstellung und Vertrieb unmittelbar beteiligten Unternehmen (für einen Produktfehler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139

b) Die beweisrechtliche Besserstellung des Geschädigten durch den Wegfall des Fehler-Bereichsnachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

144

c) Haftung bei unklarer Schadensursache (mehrere Produktfehler) . . . . . .

145

d) Die Haftung der außerhalb des unmittelbaren Herstellungs- und Vertriebsprozesses stehenden Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146

2. Die Verantwortlichkeit im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

151

IV. Das Verhältnis zwischen den nach dem Produkthaftungsgesetz und den nach allgemeinem Deliktsrecht Haftpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

152

12

Inhaltsverzeichnis

3. Teil

Das internationale Privatrecht der Produktenhaftung bei internationaler Unternehmenskooperation

153

7. Kapitel: Das deutsche internationale Privatrecht der Produktenhaftung nach der bisherigen und nach der neuen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung zum IPR der Produzentenhaftung .

153

1. Die Apfelschorf II-Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155

2. Die sonstige Rechtsprechung zum Kollisionsrecht der Produzentenhaftung

156

3. Qualifikationsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

160

4. Die Tatortregel im IPR der Produzentenhaftung . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

169

5. Die Bedeutung einer bestehenden Vertragsverbindung für die Anknüpfung des deliktischen Produzentenhaftungsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

6. Die Inländerschutzklausel des Art. 38 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

7. Beachtlichkeit von Rück- oder Weiterverweisungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

183

8. Sonderank.nüpfung der maßgeblichen Sicherheitsbestimmungen? . . . . . . . .

184

II. Die Rechtslage bei internationaler Beteiligung mehrerer an dem schadstiftenden Produkt (Unternehmenskooperation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

1. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

2. Außenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187

3. hmenverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190

III. Die Produktgefährdungshaftung im Kollisionsrecht, insbesondere: Der Einfluß des Produkthaftungsgesetzes auf das bisherige IPR der Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

1. Die Bedeutung der EG-Richtlinie Produkthaftung vom 25. 7. 1985 für das Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193

2. Die allgemeinen Auswirkungen der Produktgefährdungshaftung und namentlich des Produkthaftungsgesetzes auf das Kollisionsrecht der Produktenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194

a) Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194

b) Anknüpfung . . . . .. . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195

3. Auswirkungen auf die Beteiligungsproblematik im besonderen . . . . . . . . . . 202 '

IV. Die Maßgeblichkeit der Iex fori .................. . .. . . .. ............... , . . . . . . . 203 V. Die Rechtslage nach dem Regierungsentwurf eines "Gesetzes zur Ergänzung des internationalen Privatrechts (außervertragliche Schuldverhältnisse und Sachen)" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

8. Kapitel: Das Kollisionsrecht der Produktenhaftung im internationalen Vergleich unter besonderer Berücksichtigung des Problems der Beteiligung mehrerer (Unternehmenskooperation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 I. Internationale und ausländische Regelungen und Regelungsentwürfe des Kollisionsrechts der Produktenhaftung (allgemein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

1. Das Haager Übereinkommen vom 2. Oktober 1973 über das auf die Produkthaftpflicht anwendbare Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Inhaltsverzeichnis

13

a) Die Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 b) Der Vorhersehbarkeitseinwand . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Die Reichweite des Wirkungsstatuts, insbesondere: Die relevanten Verhaltens- und Sicherheitsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Bewertung des Abkommens . . . . . .. . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . 215 2. Der Entwurf der Haager Sonderkommission "Produktenhaftpflicht" vom 6. April 1971 . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . ........ . . . . . . . ..

215

a) Die Regelungen . . . . . . . . . .. . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . .. .............. . .. .. . ...

215

b) Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3. Das !PR-Gesetz der Schweiz vom 18. Dezember 1987 .... ... ... . .. . .. . ..

217

a) Die Regelungen ........ . . . ................. . ... . .. ... . .. . ....... .... .....

217

b) Der Erwerbsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Die Rechtswahlbefugnis des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 d) Akzessorische Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 II. Die Regelung des Problems der Beteiligung mehrerer an dem Produktschaden (Untemehmenskooperation) . .. . . .. . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . 234 I. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

234

2. Anknüpfung des Außenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 3. Anknüpfung von Regreßansprüchen . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . .. . 238

9. Kapitel: Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 I. Die Regelung des Kollisionsrechts der Produktenhaftung im allgemeinen . . 240 I. Leitgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

240

2. Die maßgebenden Anknüpfungsgesichtspunkte im einzelnen . . . . . . . . . . . . . 241 3. Die Beschädigung gewerblich oder beruflich genutzter Sachen . . . . . . . . . . 247 II. Kollisionsrechtliche Bewältigung des Beteiligungsproblems . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 I. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

248

2. Außenverhältnis zwischen Geschädigtem und den mehreren Beteiligten . . . 249 3. Innenausgleich zwischen den mehreren Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 III. Das Verhältnis zwischen materieller Anknüpfungsregel und prozessualer Fakultativregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 IV. Folgerungen für das Recht der internationalen Gerichtszuständigkeit . . . . . . . 254 V. Der Regelungsvorschlag im Wortlaut... ... . . ... . .. . .. . ........ . . .. .......... . . 256

Literaturverzeichnis

258

Abkürzungsverzeichnis A. 2d A. A. AcP AG AG All E.R.Rep. A.L.R. AWD BAG BB BGB BGBI. BGH BGHZ Bull. civ. BV BVerwG Cal. Cal.L.Rev. Ca!. Rptr. Cass. ass. plen. Cass. civ. Cass. com.

cc

Cir. Conn. D. DR E.D. EKG EuGH EuGVÜ F. 2d

FAZ Fn.

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Abkürzungsverzeichnis F.R.D. FS F. Supp. Gaz. Pa!. GRUR HpflG Ill. Inf. rap. IPR IPRax IPRspr. JBl J.C.P. JR

JuS JW JZ Ky. Kz. La. LG LM LuftVG Md. MDR Mich. Minn. Mont. MünchKomm N.E. 2d Nebr. N.H. N.J. NJW NJW-RR N . W.2d N. Y. N. Y.

N. Y. S. 2d OGH ÖJZ OLG Oreg. P. 2d

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16 Pa. PHI ProdHaftG RabelsZ RdC Rev. trim. dr. civ. RGBI. RGZ

RIW

Schw. Jb. Int. R. SJZ StVG s. w. 2d Tex. Va. VDI VersR W.D. Wis. WM Yale L. J. ZtRV ZHR ZIP ZPO ZRP ZSR ZVglRWiss

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Einleitung Die Herstellung und der Vertrieb von Waren erfolgen unter den Bedingungen der modernen Industriegesellschaft im Wege der Arbeitsteilung 1• Neben die betriebsinterne Arbeitsteilung treten dabei mit zunehmender Komplexität des angestrebten Endprodukts zahlreiche Formen zwischenbetrieblicher Kooperation, die namentlich bei den immer komplizierter und ausgefeilter werdenden technischen Produkten und Systemen gegenwärtig kaum mehr hinwegzudenken ist. In diesem Bereich bedarf es zur Anfertigung des gewünschten Endprodukts regelmäßig einer Vielzahl oftmals hochspezialisierter Unternehmen, denen etwa Entwurf und Produktion der einzelnen Teile und Komponenten obliegt, aus denen sich das Endprodukt zusammensetzt. Aber auch andere Varianten überbetrieblicher Kooperation sind denkbar, bis hin zu rein faktischen Einflußnahmen auf die Gestaltung eines Produkts. Dieses vielfältige überbetriebliche Zusammenwirken mehrerer Unternehmen bleibt dabei im Zeichen der voranschreitenden internationalen Verflechtung der Wirtschaft nicht auf die Grenzen eines Staates beschränkt. Vielmehr ist es heute keine Seltenheit mehr, daß an Erzeugung und Absatz eines Produkts Unternehmen aus verschiedenen Staaten beteiligt sind - in welcher rechtlichen und tatsächlichen Position auch immer. Erleidet nun ein Dritter infolge der Fehlerhaftigkeit eines solchen in internationaler Zusammenarbeit hergestellten und vertriebenen Produkts einen Schaden, so ergeben sich zwei große Fragenkomplexe. Zum einen muß dann natürlich in materiellrechtlicher Hinsicht geklärt werden, ob und wie die Beteiligten für den eingetretenen Schaden haften. Dies setzt freilich voraus, daß das anwendbare Recht feststeht, nach dem sich die materiellrechtlichen Haftungsverhältnisse richten. Der zweite Fragenkomplex ist somit kollisionsrechtlicher Natur und zielt darauf, das maßgebende Recht festzustellen, welches in einem derartigen von internationaler Unternehmenskooperation geprägten Produktschadensfall über die Ansprüche des Geschädigten und den Innenausgleich unter den Beteiligten befinden soll. Mit diesen beiden Fragenkomplexen beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung. Dabei wird zunächst ihr Gegenstand näher abgegrenzt (Teill ). Klarstellungsbedürftig ist vor allem, was im Hinblick auf die Zwecke des Produkthaftungsrechts unter "Unternehmenskooperation" denn genau zu verstehen ist (2. Kapitel). Weil sich die konkrete Haftung der Beteiligten immer nur auf die Sachnormen einer t Zum Phänomen der Arbeitsteilung als einem Grundprinzip moderner Volkswirtschaft siehe etwa v. Amim, a.a.O., S. 53 ff.

2 Winkelmann

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Einleitung

bestimmten Rechtsordnung gründen kann, werden im Anschluß daran die materiellrechtlichen Haftungsverhältnisse bei Unternehmenskooperation nach bisherigem und neuem deutschen Recht (ProdHaftG) sowie nach französischem und US-amerikanischem Recht behandelt. Der dritte und letzte Teil der Darstellung widmet sich schließlich der kollisionsrechtlichen Frage nach dem in einem Produktschadensfall mit internationaler Beteiligung anwendbaren Recht. Besonderes Augenmerk wird dabei den Auswirkungen geschenkt, die das künftige Produkthaftungsgesetz auf das internationale Privatrecht der Produkthaftung hat. Einige Hinweise bleiben hier noch anzufügen. Wenn im folgenden von "Unternehmen" die Rede ist, sollen damit keinesfalls nur Hersteller- und Handelsbetriebe angesprochen sein 2 , sondern jeder Gewerbebetrieb unter Einschluß auch der landwirtschaftlichen Urproduzenten sowie der Freiberufler, soweit sich die letzteren in irgendeiner Weise berufsmäßig mit der Herstellung oder dem Vertrieb von Waren befassen. Unternehmen im so definierten Sinne sind die Hauptadressaten der Produkthaftpflicht Die Arbeit stellt deren Haftung deshalb schon vom Titel her in den Mittelpunkt der Erörterungen. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, daß auch Privatpersonen, insbesondere Angestellte der Unternehmen, zur Produkthaftung herangezogen werden können. Diesem Umstand trägt die Abhandlung Rechnung, indem sie auch die "Personen" (in dem genannten Sinne) in die Betrachtungen miteinbezieht Auf der anderen Seite beschränkt sie sich aber bewußt auf die in irgendeiner Form am kommerziellen Produktions- und Distributionsprozeß der Ware beteiligten Unternehmen. Solche Unternehmen, die erst nach Abschluß dieses Prozesses mit dem schadstiftenden Produkt in Berührung gekommen sind, wie beispielsweise Reparaturwerkstätten oder Gebrauchtwarenhändler, bleiben aus den Überlegungen also weitgehend ausgeklammert. Dabei darf allerdings nicht verkannt werden, daß auch diese Unternehmen Haftungsansprüchen ausgesetzt sein können, wenn ihr Verhalten zur Ursache eines durch das Produkt hervorgerufenen Schadens geworden istJ. Doch sind diese Haftungsansprüche nicht das, was gemeinhin unter Produkthaftung verstanden wird.

2 So aber beispielsweise das Österreichische Produkthaftungsgesetz vom 21. 1.1988, BGBI. 1988/99, in §§ I und 3. 3 Denkbar sind außerdem Haftungsansprüche gegenüber dem Benutzer des Produkts selbst, vgl. dazu ausführlich Schmidt-Salzer, Produkthaftung li, a. a. 0 ., Rd. 13 ff., S. 8 ff. und Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 476 ff.

1. Teil

Grundlegung 1. Kapitel

Die Sachprobleme und Grundfragen der Produkthaftung I. Der rechtstatsächliche Hintergrund Daß eine unmittelbare Haftung des Herstellers für schadbringende fehlerhafte Produkte in rechtspolitischer Hinsicht wünschenswert ist, wird heute nirgends mehr ernsthaft bestritten. Dennoch seien die tatsächlichen Hintergründe der damit zusammenhängenden Fragen hier kurz skizziert, um die bisherige Entwicklung und die Anliegen der gesetzlichen Reformmaßnahmen verständlich zu machen. Historisch gesehen ergibt sich der mit dem Stichwort "Produkthaftung" nur ungenau umschriebene Problemkreis aus dem grundlegenden gesellschaftlichen Strukturwandel, den der Übergang von der mehr agrarisch-handwerklich strukturierten Gesellschaft zur heutigen Industriegesellschaft im Hinblick auf die Güterversorgung der Bevölkerung mit sich gebracht hat 1• Dieser Strukturwandel ist durch die einsetzende Massenproduktion von Konsumgütern jeder Art und die damit verbundene Entfunktionalisierung des Handels gekennzeichnet. War es ehedem dem Händler vorbehalten, die potentielle Kundschaft mit dem Angebot des Marktes bekannt zu machen und auf diese Weise den Absatzweg zum Abnehmer zu eröffnen, so wird diese Aufgabe unter den heutigen Bedingungen der Massenproduktion weitgehend von den Herstellern der verschiedenen Waren in eigener Regie besorgt. Von der Existenz des Produkts und dessen wirklichen oder angeblichen Qualitäten erfahrt der angesprochene Konsument durch den Hersteller selbst, der mittels diverser Marketingmaßnahmen, unter denen die für das Produkt betriebene öffentliche Werbung eine herausragende Rolle spielt, in direkten sozialen Kontakt zu dem Konsumenten tritt mit dem Ziel, die Kaufentscheidung des Verbrauchers schon im Vorfeld des eigentlichen Kaufakts herbeizuführen 2 • Der Händler büßt dadurch seine eigenständige Funktion als Schaltstelle t Vgl. hierzu wie zum folgenden vor allem Simitis, a.a.O., S. 7 ff.; Lorenz, Beiheft zum VersR 1963,8 ff.; Weimar, a.a.O., S. 2 f. und S. 57 ff.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 13 ff.; Pfister, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1310, S. 2 ff.; Trutmann, a.a.O., S. 167 f.

2*

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l. Kap.: Die Sachprobleme und Grundfragen der Produkthaftung

und Mittler zwischen Produktion und Konsumtion ein und sinkt im Extremfall zu einem mehr oder weniger unselbständigen Glied in der Vertriebsorganisation des Herstellers herab 3• Unterstützt wird diese Entwicklung durch die große Zahl und die immer komplizierter werdende Zusammensetzung der vertriebenen Produkte. Beides überfordert den Händler und beraubt ihn in der Regel der Fähigkeit, das von ihm angebotene Produkt in allen Einzelheiten zu kennen sowie auf seine einwandfreie Funktionstauglichkeit und Ungefährlichkeil hin zu überprüfen. Andererseits bleibt normalerweise aber auch dem regelmäßig nicht fachkundigen Käufer eine eventuell gefahrdrohende Beschaffenheit der erworbenen Ware verborgen. Er erlebt das Versagen des von ihm angeschafften Geräts und alle damit verbundenen Konsequenzen deshalb als Schicksalsschlag, dem er hilflos ausgeliefert ist. Möglichkeiten, die dem Produkt anhaftenden Gefahren zu erkennen und sich dementsprechend zu verhalten, hat er zumeist nicht, zumindest solange er nicht auf derartige Gefahren und Unzuträglichkeilen ausreichend hingewiesen worden ist 4 • Unter diesen Umständen erscheint es sachgerecht, demjenigen die Verantwortung für die Beschaffenheit des Produkts aufzuerlegen, der am ehesten dazu in der Lage ist, die von dem Produkt ausgehenden Gefahren auszuschalten: Es ist dies der Hersteller, der den Produktionsvorgang beherrscht und in diesem Rahmen wohl am besten die spezifischen Produktgefahren einzuschätzen und zu steuern vermag. Der Verbraucher hat demgegenüber nur die Alternative, auf die Sicherheit des Produkts und seine Ungefährlichkeil zu vertrauen oder auf den Erwerb der Sache gänzlich zu verzichten, soweit dies überhaupt möglich ist. Gerade ein solcher Verzicht liegt aber nicht im (Absatz-)Interesse des Herstellers, der deshalb öffentlich um das Vertrauen des Konsumenten wirbt und über diese Werbung etwaige Sicherheitsbedenken zu zerstreuen sucht 5 •

2 Vgl. dazu die Verlagsbeilage zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Mai 1987 mit dem Titel: "Der Markenartikel''. Dort heißt es aufS. 1 unter der Überschrift "Der Markenartikel hat unersetzliche Funktionen" u. a.: "Die Marketingmaßnahmen der Markenartikler öffnen Märkte, ihre Werbung verkauft die Produkte vor und erleichtert und sic,hert damit den Absatz." (Hervorhebungen durch den Verf.). 3 Den Gipfel dieser Unselbständigkeit bilden die sog. Vertriebsbindungen (als Sonderform der sog. Ausschließlichkeitsbindungen), durch die den Händlern bestimmte Kunden oder Absatzgebiete (vgl. z. B. § 18 Abs. l Nr. 3 GWB), vor allem aber auch die (End-) Verkaufspreise vorgeschrieben werden (sollen). Die Grenzen derartiger Bindungen werden durch das Wettbewerbsrecht abgesteckt, vgl. für den besonders sensiblen Bereich der Preisbindung z. B. § 15 GWB und die dazu ergangene Grundsatzentscheidung BGH, NJW 1986, 2954 ff. mit krit. Anm. von Schwark. Allg. zu den Vertriebs-und Ausschließlichkeitsbindungen, die z. T. als ,,moderne Form der Sklaverei" bezeichnet werden, Emmerich, a.a.O., S. 129 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 4 Dazu ausführlich Diederichsen, a. a. 0., S. 299 ff.; siehe auch Esser I Weyers, a. a. 0., s. 483. s Vgl. zu diesem Aspekt der Vertrauenswerbung Canaris, JZ 1968, 494, 500; Lorenz, Beiheft zum VersR 1963, 8, 15 f.; Diederichsen, a.a.O., S. 298 ff.

I. Der rechtstatsächliche Hintergrund

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Der Gefahrbeherrschungsmöglichkeit aufseitendes Herstellers entspricht folglich das notgedrungen (fast) grenzenlose Vertrauen in die Sicherheit und Gefahrlosigkeit des Produkts aufseitendes Abnehmers, wobei dieses Vertrauen durch die besagten Werbemaßnahmen noch gezielt unterstützt wird. Als herausragendes Beispiel für eine derartige Qualitäts- und Vertrauenswerbung sei hier vor allem die Werbung mit und für sog. Markenartikel genannt, die sich tiefenpsychologischer Mittel bedient, um eine Bindungswirkung des Verbrauchers an das Produkt des Herstellers zu schaffen, eine Bindungswirkung, die sich nicht selten in einer Art Anhänglichkeit an die Marke niederschlägt und niederschlagen soll 6• Der Markenartikelwerbung kommt somit erhöhte Suggestivkraft im Hinblick auf die Verbrauchererwartungen zu, was auch der deutsche Gesetzgeber inzwischen anerkennt, indem er- allerdings in wettbewerbsrechtlichem Kontext - fordert, daß das für den Markenartikel reklamierte Vertrauen durch entsprechende Qualität gerechtfertigt wird (vgl. § 38 a Abs. 2 Satz 1 GWB)1. Als wichtigster Qualitätsmaßstab ist dabei sicherlich der erreichte bzw. der zu fordernde Sicherheitsstandard des Produkts anzusehen, so daß sich die erweckten Verbrauchererwartungen hier nicht nur auf die besondere Leistungsfähigkeit, sondern auch auf die einwandfreie Gefahrlosigkeit des Produkts erstrecken 8 • Insgesamt legen die tatsächlichen Verhältnisse deshalb nahe, den Hersteller, der vom entgegengebrachten Vertrauen des Konsumenten profitiert, für die durch Fehlfunktionen der Ware entstandenen Schäden haften zu lassen. Dafür spricht auch nicht zuletzt, daß es für den Hersteller problemlos möglich ist, dem Haftungsrisiko aus Produktschadensfällen durch den Abschluß entsprechender Versicherungen zu begegnen. Häufig wird sich ihm dabei sogar die Gelegenheit bieten, die anfallenden Prämien über den Kaufpreis an die Abnehmer weiterzugeben 9 • 6 Auch insoweit enthält die bereits zitierte (Fn. 2) Verlagsbeilage einige aufschlußreiche Aussagen. So heißt es auf Seite 1 unter der Überschrift "Sieben Punkte für den Markenartikel" u. a. etwa: "Der Markenartikel gibt dem Verwender Sicherheit beim Einkaufen; er ist nicht anonym .. .. Durch Leistung und kontinuierlichen Marktauftritt schafft er (d. i. der Markenartikel) Vertrauen bei den Verwendern . ... Der Markenartikel ... verschafft ... dem Käufer positive Erfahrungen und verdient sich dadurch Wertschätzung." (Hervorhebungen durch den Verf.). 7 Zum Zusammenhang von Markenwerbung und Produkthaftung vgl. noch Simitis, a.a.O., S. 14 f.; Lorenz, Beiheft zum VersR 1963,8 f.; Wilms, a.a.O., S. 2 f.; Diederichsen, a.a.O., S. 285 ff. ; Mes, GRUR 1982, 74 f.; vgl. auch BGHZ 48, 118, 122 ff."Trevira" -, wo die Markenwerbung eine besondere Rolle gespielt hat; rechtsvergleichend v. Hülsen I Hollmann, RIW 1984, 85 ff. s Ebenso Wilms, a.a.O., S. 145, der darauf hinweist, daß in der Qualitätssicherung zum Begriff "Qualität" auch die Sicherheit gerechnet wird, welche der Verbraucher zu erwarten berechtigt ist. 9 So ausdrücklich z. B. Diederichsen, a.a.O., S. 282; derselbe in NJW 1978, 1281; Zweigert I Kötz, a. a. 0., S. 425. M. E. kann aber nicht immer davon ausgegangen werden, daß der Hersteller die Versicherungsprämien über den Kaufpreis auf seine Abnehmer abwälzen kann. Dies dürfte vielmehr sehr davon abhängen, ob der Markt eine entsprechende Preiserhöhung hergibt; krit. zu diesem Argument auch Pfister, in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 1310, S. 7; ebenso v. Caemmerer, a.a.O., S. 81.

22

l. Kap.: Die Sachprobleme und Grundfragen der Produkthaftung

II. Die Entwicklung des Produkthaftungsrechts und die bestehenden Sachfragen Produkt- respektive produzentenhaftungsrechtlichen Sachverhalten und den damit verbundenen rechtlichen Fragestellungen sah sich zunächst die Rechtsprechung gegenübergestellt 10• Aus der Konfrontation dieser durch den technischen und ökonomischen Wandel hervorgerufenen Sachverhalte mit den tradierten Rechtsvorstellungen und Rechtsprinzipien ergaben sich zahlreiche Probleme. So erwies sich das herkömmliche vertragsrechtliche Instrumentarium als nicht geeignet, eine die Bedürfnisse des geschädigten Käufers ausreichend zufriedenstellende Lösung anzubieten, waren doch Schadensersatzansprüche des Käufers gegenüber dem Verkäufer in der Regel von einem Verschulden des Verkäufers abhängig, einem Verschulden, welches in der Person des Verkäufers in Anbetracht der oben (unter I) geschilderten tatsächlichen Verhältnisse regelmäßig nicht anzutreffen ist, und konnten obendrein die etwaigen Ansprüche des Käufers vertraglich abbedungen oder eingeschränkt werden 11 • Außerdem war über das Vertragsrecht von vomeherein nicht der Fall abzudecken, daß ein vollkommen Außenstehender (der sog. innocent bystander) durch das fehlerhafte Produkt in Mitleidenschaft gezogen worden war, wie etwa der zufällige Passant, der von einem defekten Kraftfahrzeug erfaßt und verletzt wird. Aber auch das Deliktsrecht war zumindest nach ursprünglichem Verständnis nicht dazu in der Lage, dem Geschädigten (ob Produktbenutzer oder "bystander") über einen deliktischen Schadensersatzanspruch den direkten Weg zum Hersteller zu eröffnen, solange sich noch nicht die Ansicht allgemein durchgesetzt hatte, daß Sorgfaltspflichten auch außerhalb einer vertraglichen Sonderverbindung bestehen können 12• Erst die Entdeckung und Entwicklung der deliktischen "duty of care" und vergleichbarer Rechtsinstitute wie zum Beispiel der deutschen Verkehrssicherungspflicht brachten hier eine Wende 13 , was die weiteren N achteile, die sich bei einer Verankerung der Produkthaftpflichtfälle im allgemeinen Deliktsrecht für den Geschädigten ergeben, freilich unberührt ließ. Diese Nachtei10 Vgl. nur die bahnbrechende Entscheidung MacPherson v. Buick Motor Corp., 111 N. E. 1050 (N. Y. 1916) und die etwa zeitgleiche Brunnensalz-Entscheidungdes Reichsgerichts, RGZ 87, 1. 11 Zu den Möglichkeiten des vertraglichen Haftungsausschlusses bzw. der vertraglichen Haftungsbeschränkung sowie zu den sog. Freizeichnungsklauseln und ihren Erscheinungsformen Schmidt-Salzer, Freizeichnungsklauseln, a. a. 0 ., Rd. 3.005 ff. (S. 3 ff.) und passim; für das englische und amerikanischeRecht vgl. Miller I Lovell, a. a. 0., S. 123 ff. 12 Die gegenteilige Ansicht wurde beispielsweise im anglo-amerikanischen Rechtskreis teilweise noch über die Jahrhundertwende hinaus vertreten, vgl. z. B. Tompkins v. Quakeroats Co., 131 N. E., 456 (Mass. 1921) und zum Ganzen Miller I Lovell, a.a.O., S. 7 f. mit weiteren Nachweisen zur damaligen Rechtsprechung. 13 Vgl. insoweit neben der bereits zitierten Entscheidung MacPherson v. Buick Comp. (Fn. 10) vor allem die berühmte Entscheidung des House of Lords in dem Fall Donoghue v. Stevenson AllE. R. Rep.(l932) I; zur Verkehrssicherungspflicht vgl. sogleich unten im 3. Kapitel.

Il. Entwicklung und Sachfragen des Produkthaftungsrechts

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le gründen in einer für den Geschädigten regelmäßig nahezu aussichtslosen Beweissituation sowie in teilweise bestehenden Entlastungsmöglichkeiten des Geschäftsherrn für seine Angestellten, die - wie im deutschen Recht - den Zugriff auf den (präsumtiv finanzkräftigen) Geschäftsherrn vereiteln können. Es zeigte sich demnach zwar, daß mit dem herkömmlichen rechtlichen Instrumentarium die durch das Auftreten der Produktschadensfalle aufgeworfene soziale Problematik nicht ohne weiteres befriedigend zu bewältigen war. Immerhin boten aber die vorhandenen rechtlichen Instrumente genügend Ansatzpunkte für eine gestaltende Weiterentwicklung des gegebenen Rechtszustands. In diesem Sinne haben die Gerichte in den verschiedenen Ländern und Rechtskreisen unterschiedliche juristisch-konstruktive Wege zur adäquaten Regelung des Produktschadenphänomens beschritten und dabei kontinuierlich eine Anpassung der Rechtslage an die gewandelten Verhältnisse und Bedürfnisse der sozialen Wirklichkeit vollzogen. Erst in jüngster Zeit haben sich auch die Gesetzgeber der Produkthaftungsproblematik angenommen 14• Im Mittelpunkt der judikatorischen wie auch der legislatorischen Bemühungen stand zunächst das Ziel, die rechtliche Position des Produktgeschädigten gegenüber dem Hersteller des Produkts zu verbessern. Unabhängig von der jeweiligen dogmatischen Einkleidung der einzelnen Sachfragen im Zusammenhang mit der Produkthaftung, ging die allgemeine Tendenz deshalb dahin, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Inanspruchnahme des Herstellers zugunsten des Geschädigten zu vermindern. Kristallisationspunkt dieser letztlich auf rechtspolitischen Überlegungen beruhenden Neigung war und ist dabei die Frage, ob eine irgendwie geartete "Fehlerhaftigkeit" des Produkts für eine unbegrenzte Haftung des Herstellers ausreichen soll. Diese in Deutschland vorwiegend unter dem Stichwort "Gefahrdungshaftung" diskutierte und in USA und Frankreich größtenteils bereits seit längerem verwirklichte objektive Fehlerhaftung galt lange Zeit als Vorbild einer interessengerechten Risikoverteilung zwischen Hersteller und Verbraucher 15 und liegt in abgeschwächter Form auch der EG-Richtlinie Produkthaftung zugrunde. Inzwischen macht sich indes eine Trendwende bemerkbar. Namentlich in den USA zielen maßgebliche Gesetzesvorstöße auf eine Wiedereinführung der Verschuldenshaftung 16, um dem Mißbrauch und den Ausuferungen der strik14 Wichtigste gesetzliche Initiative in Buropa dürfte die EG-Richtlinie Produkthaftung vom 25. 7. 1985 sein, die u. a. Grundlage des jüngst in Kraft getretenen deutschen Produkthaftungsgesetzes ist; siehe daneben etwa noch das deutsche ArzneimitteiG vom 24.8.1976 (neueste Fassung abgedr. z. B. in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 0180); das Österreichische Produkthaftungsgesetz vom 21.1.1988, BGBI. 1988/99; das (öffentlichrechtliche) Österreichische Produktsicherheitsgesetz vom 22.3.1983, BGBI. 1983/171 und das französische Verbraucherschutzgesetz vom 21.7.1983 (Gesetz-Nr. 83/660), abgedr. in D. 1983, legislation, S. 389 ff.; eine aktuelle Zusammenfassung sämtlicher in USA auf Bundes- wie auf Staatenebene geltenden Bestimmungen findet sich bei Travers, a.a.O., Primary Source Documents. 15 Vgl. insoweit nur Diederichsen, a.a.O., S. 345 ff.

24

I. Kap.: DieSachprobleme und Grundfragen der Produkthaftung

ten Produkthaftpflicht einen Riegel vorzuschieben. Begünstigt durch das gerichtsverfassungsrechtliche Jury-System, die Zulässigkeil und Üblichkeit anwaltlieber Quota-Litis-Honorierung, das Fehlen einer (abschreckend wirkenden) verfahrensrechtlichen Prozeßkostentragungspflicht der unterlegenen Partei, die Möglichkeit, immens hohe Schmerzensgeldbeträge zu erhalten (punitive damages), und schließlich nicht zuletzt das Fehlen eines den europäischen Ländern vergleichbaren Sozialversicherungssystems, hat die strikte Produkthaftung dort zu einer wahren Prozeßflut geführt, welche die Grenzen der Belastbarkeit der Gerichte 17 wie vor allem auch die Grenzen der Versicherbarkeit des Produktrisikos 18 zu sprengen droht 19• Andererseits treibt die amerikaDisehe Rechtsprechung die Entwicklung des Produkthaftungsrechts ständig voran und hat durch die Schaffung neuer Rechtsfiguren das Haftungsrisiko des Herstellers sogar noch vergrößert 20 • Abgesehen von der grundlegenden dogmatischen Weichenstellung zwischen objektiver Fehlerhaftung und subjektiver Verhaltenshaftung, muß das Produkthaftungsrecht zahlreiche Sachfragen beantworten, unter denen eine naturgemäß besonders herausragt: nämlich die, wann und unter welchen Umständen ein Produkt als "fehlerhaft" zu gelten hat. Daneben ist aber auch der Adressatenkreis der Herstellerhaftung festzulegen, die Beweislastverteilung im Prozeß sowie Art und Umfang des ersetzbaren Schadens. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll in erster Linie dem Adressatenkreis besonderes Augenmerk gewidmet werden, bestimmt sich doch danach, welches der an einem schadstiftenden Produkt in irgendeiner Form beteiligten Unternehmen als Haftungsschuldner in Betracht kommt.

16 Vgl. insbesondere den "Unifonn Product Liability Act" (UPLA) aus dem Jahre 1979, abgedr. z. B. bei Hoechst, a. a. 0 ., S. 163 ff., dessen Umsetzung in die einzelstaatliche Gesetzgebung allerdings nicht gelungen ist, vgl. dazu nur Dielmann, AG 1987, 108, 115. 17 So sollen lt. einer Nachricht in PHI 1987, 152 f. zurZeitmehr als 40.000 Produkthaftungsprozesse in Asbest-Fällen anhängig sein und monatlich ca. 2100 neue Klagen hinzukommen, weshalb über 30 Asbest-Produzenten mit sechzehn US-Haftpflichtversicherem sowie Lloyd's und Gesellschaften des Londoner Marktesam 19.6.1985 in New York durch ein Abkommen eine besondere Regulierungsstelle für Asbest-Schäden, die sog. Asbestos Claims Facility, geschaffen haben, die als Alternative zu den staatlichen Gerichten über Asbest-Fälle entscheiden soll, vgl. die Nachricht in PHI 1985, 102. 18 Es wird insoweit von einer "Krise" der amerikanischen Versicherungswirtschaft gesprochen, vgl. nur Dielmann, AG 1987, 108, 109 sowie 116 ff.; Magotsch, RIW 1986, 413 f . 19 Auch in der Bundesrepublik mehrten sich zuletzt die Stimmen, welche die strikte Produkthaftung ablehnen: so warnt z. B. Diederichsen in NJW 1978, 1281, 1291 im Gegensatz zu seiner früheren Auffassung (a.a.O., S. 353 ff.) vor einer Einführung der Produktgefahrdungshaftung. 2o Erinnert sei hier namentlich an die verschiedenen Haftungstheorien zur Bewältigung des Kausalitätsproblems im Zusammenhang mit dem Auftreten von Massenschäden: Ein guter Überblick über die neueste Rechtsprechung in dieser Richtung findet sich bei Travers, a.a.O., Band 1, § 9:1 ff., S. 6 ff.

lli. Zur Terminologie

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111. Zur Terminologie

In terminologischer Hinsicht haben sich die Begriffe "Produzentenhaftung" (früher auch "Warenherstellerhaftung") und "Produkt(e)haftung" eingebürgert, die meist synonym verwandt werden. Anband der unterschiedlichen Bezeichnungen läßt sich indes die grundlegende dogmatische Diskrepanz zwischen der subjektbezogenen Haftung für fehlerhaftes Verhalten und der objektbezogenen Haftung für fehlerhafte Ware auch sprachlich-begrifflich dingfest machen. Zwar wollen manche generell nur von ,,Produkthaftung" sprechen, weil auch im Rahmen der verhaltensbezogenen Haftung unter Umständen die Möglichkeit besteht, andere als nur ,,Produzenten", das heißt mit Herstellungsaufgaben befaßte Unternehmen, für einen Produktschaden in Anspruch zu nehmen 21 • Aufgrund des in dem Wortlaut der beiden Begriffe enthaltenen Hinweises auf das haftungsauslösende Element, empfiehlt es sich m. E. aber gleichwohl, für die subjektbezogene Haftung die Bezeichnung "Produzentenhaftung" zu verwenden, wobei "Produzent" untechnisch, das heißt nicht unbedingt als Produktionsbetrieb, verstanden werden sollte, für die objektbezogene Haftung dagegen die Bezeichnung "Produkthaftung" 22 • Dementsprechend soll im folgenden verfahren werden. Freilich darf die Bedeutung dieser terminologischen Frage nicht überschätzt werden 23 •

21 So z. B. Sclunidt-Salzer, Entscheidungssammlung Band I, a. a. 0., S. XIX und Band II, a.a.O., S. XXXVI f. 22 Ebenso Brüggemeier, a. a. 0 ., S. 338 und S. 340. 23 Vgl. zu dieser Auseinandersetzung über die korrekte Bezeichnung auch die Glosse von v. Westphalen, ZIP 1986, 139.

2. Kapitel

Grundstrukturen der Unternehmenskooperation bei der Güterversorgung: Ordnungsmerkmale und Strukturmodelle überbetrieblicher Zusammenarbeit im Hinblick auf die Produkthaftungsproblematik I. Die Ordnungskriterien und Strukturierungsmöglichkeiten Die Modalitäten unternehmerischer Kooperation sind im Zusammenhang mit der im 1. Kapitel geschilderten Produkthaftungsproblematik insoweit von Interesse, als alle mit der rechtlichen Bewältigung des Sozialproblems "Produkthaftung" verbundenen Überlegungen vom Grundanliegen her darauf zielen, eine möglichst gerechte Verteilung entstandener Schäden auf die dafür in Frage kommenden Rechtssubjekte herbeizuführen. Diesem rechtsphilosophisch in der sog. iustitia distributiva wurzelnden Grundanliegen 1 kann nur eine Vorgehensweise gerecht werden, die alle für eine sachgerechte Schadenszuweisung relevanten Gesichtspunkte angemessen würdigt und damit auch alle nach vernünftiger Anschauung ernsthaft als Ersatzpflichtige in Betracht kommenden Unternehmen in die haftungsrechtlichen Erwägungen ihrer Bedeutung entsprechend einbezieht. Dafür ist in einem ersten Schritt die Ermittlung sämtlicher Unternehmen erforderlich, die mit dem konkreten schadstiftenden Produkt in irgendeiner tatsächlichen Beziehung stehen. Mit dieser Formel lassen sich zwar alle Unternehmen erfassen, die an der Entstehung und dem Absatz des schadstiftenden Produkts in irgendeiner Form beteiligt waren, differenzierende Aussagen über die Haftungsverhältnisse jedoch nicht treffen. In einem zweiten Schritt bedarf es deshalb der Entwicklung allgemeiner Beurteilungskriterien, aufgrund deren die Bedeutung jedes der so ermittelten Unternehmen in sinnvoller Weise, d. h. dem haftungspolitischen Grundgedanken der iustitia distributiva angemessen, gewichtet werden kann, um die Unternehmensbeziehungen in einem dritten Schritt entsprechend diesen Kriterien zu ordnen. Eine Analyse der Haftungsverhältnisse im Zusammenhang mit den vielfältigen Möglichkeiten unternehmerischer Zusammenarbeit bei der Güterversorgung setzt demnach eine Strukturierung des tatsächlichen Beziehungsgeflechts unter normativen Gesichtspunkten voraus. Hierbei stellt sich zunächst das Problem, taugliche 1

Zur sog. iustitia distributiva allg. Coing, a. a. 0., S. 209 ff. und Esser, a. a. 0., S. 69 ff.

I. Die Ordnungskriterien und Strukturierungsmöglichkeiten

27

Einteilungskriterien zu finden, die zum Ansatzpunkt für eine unter spezifisch produkthaftungsrechtlichem Blickwinkel sinnvolle Ordnung der Beteiligungsverhältnisse gemacht werden können. Es geht insoweit darum, unter den vielfältigen tatsächlichen Gegebenheiten, die das Verhältnis zwischen den in irgendeiner Form an der (Produkt-)Schadensentstehung beteiligten Unternehmen kennzeichnen, die für die (produkt-)haftungsrechtliche Schadenszurechnung geeigneten zu bestimmen und damit gleichzeitig für eine produkthaftungsadäquate Konturierung der Unternehmensbeziehungen zu sorgen. Welche tatsächlichen Merkmale diesbezüglich als entscheidend angesehen und deshalb als Ordnungskriterien ausgewählt werden, ist dabei letztlich Bewertungsfrage oder anders ausgedrückt: eine Frage des haftungspolitischen Standpunkts 2 • Insofern lassen sich im wesentlichen drei Ordnungsmerkmale herausarbeiten, die den genannten Erfordernissen Rechnung tragen und eine an haftungssystematischen Aspekten ausgerichtete Strukturierung des Beziehungskonglomerats erlauben. Zwei davon haben sich im Rahmen der praktischen Rechtsanwendung weitgehend durchgesetzt. Danach kann zum einen auf die jeweils ausgeübte Funktion und den tatsächlich wahrgenommenen Aufgabenbereich der einzelnen am konkreten Produktionsund Distributionsprozeß beteiligten Unternehmen abgestellt werden; zum zweiten auf die Zugehörigkeit zur vertikalen Verteilerkette, die durch den Weg eines Produkts von seiner Rohform (z. B. Rohstoffe) über diverse Halbfabrikate bis hin zu seinem (Letzt-)Verkauf an den Endabnehmer definiert wird. Schließlich existiert noch ein drittes Kriterium, das sich für eine haftungspolitisch sinnvolle Strukturierung der Beteiligungsverhältnisse eignet, zumal es bestimmte Gegebenheiten in den Mittelpunkt rückt, die von den beiden anderen Kriterien nur unzureichend berücksichtigt werden (können). Es handelt sich dabei um die jeweilige Marktmacht der Beteiligten, die namentlich in den USA in manchen Fällen schon eine Rolle bei der Zurechnung von Produktschäden gespielt hat. Entsprechend den konträren tatsächlichen Ansatzpunkten der drei Kriterien führt die Ordnung der Beteiligungsverhältnisse unter den genannten Gesichtspunkten zu einer je unterschiedlichen Betonung und Gewichtung der zwischen den Unternehmen bestehenden Verbindungslinien und läßt im Hinblick darauf jeweils andere Konturen im Konglomerat der Beteiligten als wesentlich hervortreten. Die insoweit erzielbare Strukturierung des Beziehungsgeflechts stellt sich demnach in Abhängigkeit von dem bestimmenden Ordnungsmerkmal als aufgabenorientiert, absatzorientiert oder machtorientiert dar. Dabei muß in diesem Zusammenhang freilich erwähnt werden, daß die Wahl eines der aufgeführten Ordnungskriterien nicht beliebig erfolgen kann, sondern teilweise durch die juristisch-dogmatische Grundkonzeption des Haftungsrechts vorgegeben ist. So bedingt die subjektbezogene (verhaltensbezogene) Haftung unter anderem eine 2

Dazu im einzelnen unten unter V.

2. Kap.: Grundstrukturen der Unternehmenskooperation

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aufgaben- bzw. funktionsorientierte Aufgliederung der Beteiligungsverhältnisse, während die objektbezogene (produktbezogene) Haftung demgegenüber eine absatzorientierte Aufgliederung verlangt. Um diese juristisch-dogmatischen Prämissen geht es hier indes (noch) nicht. Vielmehr sollen in diesem Rahmen zunächst nur die gegebenen Gliederungsmöglichkeiten und die ihnen zugrunde liegenden Ordnungskriterien aufgezeigt werden. Jedes dieser Ordnungskriterien steht im Dienst einer der drei entscheidenden haftungspolitischen Grundanschauungen im Zusammenhang mit der Produkthaftungsproblematik. Indem sie insofern diese Grundanschauungen repräsentieren, enthalten die nachfolgend geschilderten Strukturierungsmöglichkeiten jedenfalls zusammengenommen alle wesentlichen Gesichtspunkte, die bei der haftungsrechtlichen Beurteilung der Beteiligungsverhältnisse Berücksichtigung finden können bzw. sinnvollerweise Berücksichtigung finden sollten.

II. Die aufgabenorientierte Strukturierung Die Ordnung des Beziehungsgeflechts unter dem Gesichtspunkt der Aufgabenerledigung führt zu einer vergleichsweise feingliedrigen Strukturierung der Beteiligungsverhältnisse. Die Unternehmensbeziehungen werden dabei analog den im Rahmen des Produktions- und Distributionsprozesses typischerweise anfallenden Aufgaben gegliedert, indem ein Bezug zwischen sämtlichen für die Erzeugung und den Absatz des konkreten (End-)Produkts notwendigen Verrichtungen und den damit jeweils befaßten Unternehmen hergestellt wird. Auf diese Weise lassen sich die innerhalb des Herstellungs-und Vertriebsprozesses anfallenden Aufgaben bestimmten Unternehmen zuordnen, wodurch sich gewisse Grundformen unternehmenscher Kooperation im Hinblick auf ehendiesen Prozeß ergeben. Die so gewonnenen Grundformen unternehmenscher Zusammenarbeit sind ein wesentlicher Ansatzpunkt für das verhaltensbezogene Produzentenhaftungsrecht, das entscheidend auf den individuellen Wirkungskreis des potentiell Haftpflichtigen abstellt und deshalb auch nach den im einzelnen jeweils übernommenen Aufgaben der Beteiligten fragt 3 • Dementsprechend findet sich eine Beschreibung dieser Kooperationsformen herkömmlicherweise im Kontext einer Erläuterung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung 4 • l. Die Kooperation zwischen Hersteller und Händler

Wirken mehrere Unternehmen an der Erzeugung und an dem Absatz einer Ware mit, so lassen sich nach der aufgabenorientierten Betrachtungsweise einige 3 4

Näheres dazu unten im 3. und 4. Kapitel. Vgl. dazu die nachfolgenden Nachweise.

II. Die aufgabenorientierte Strukturierung

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typische Unterscheidungsmerkmale zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung feststellen, die eine grundsätzliche Kategorisierung der einzelnen Beteiligungsformen ermöglichen. Wichtigster Anknüpfungspunkt für eine Strukturierung des Beziehungsgeflechts in dieser Richtung ist dabei der grundlegende Funktionsunterschied, der zwischen der Herstellung und dem Vertrieb einer Ware besteht. In der hochentwickelten Industriewirtschaft besorgt der Hersteller nur noch in ganz seltenen Ausnahmefällen den Vertrieb seiner Ware in eigener Regie. Regelmäßig bedient er sich hierfür einer ganzen Reihe von Händlern, welche die Ware- meist über die Einschaltung weiterer Zwischenhändler- an die Endabnehmer verteilen 5 • Unter Zugrundelegung dieser Differenzierung kann jedes der in den Warenherstellungs- und Vertriebsprozeß eingeschalteten Unternehmen einem der zwei Bereiche zugeschlagen werden. In den Händlerbereich fallen danach alle Großhändler, Zwischenhändler und Detaillisten, aber auch der Importeur 6 , die mit dem Hersteller personell und/ oder kapitalmäßig verflochtene Vertriebsgesellschaft 7 und auch der sog. Quasi-Hersteller, der ein von einem anderen hergestelltes Erzeugnis mit seiner eigenen Handelsmarke, seinem Warenzeichen, Firmenzeichen etc. versieht und alsdann vertreibt (z. B. ein Versandhaus). Die Zuordnung zu dem Händlerbereich ergibt sich in den zuletzt genannten Fällen aber nur durch ein einseitiges Abstellen auf die ausgeübte Funktion. Bereits an dieser Stelle zeigt sich also, daß die aufgabenorientierte Strukturierung wichtige Gesichtspunkte, die hier nur mit dem Stichwort Marktmacht umrissen werden sollen, vernachlässigt und zu einer teilweise sehr schematischen Klassifikation führt.

2. Unternehmenskooperation im Produktionsbereich

Innerhalb des Herstellungsbereichs, zu dem alle Unternehmen gerechnet werden müssen, die an der eigentlichen Herstellung des Endprodukts beteiligt sind, läßt sich nach der aufgabenorientierten Strukturierung eine weitere Unterteilung vornehmen, die an den Produktionsvorgang als solchen anknüpft. Dieser Produktionsvorgang kann in tatsächlicher Hinsicht nach zwei Richtungen hin aufgegliedert werden, nämlich zum einen in vertikaler und zum anderen in horizontaler Richtung 8 • Die vertikale Gliederung ergibt sich aus der Tatsache, daß ein Produkt s Vgl. zu diesem grundlegenden Strukturwandel der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem Sozialmodell, das z. B. den Vorstellungen des BGB zugrunde liegt, ausführlich Simitis, a.a.O., S. 7 ff. 6 Vgl. Brüggemeier, a.a.O., S. 372; derselbe in WM 1982, 1294, 1308; SchmidtSalzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Einl., Rd. 107; derselbe in Produkthaftung II, a.a.O., Rd. 12. 7 Vgl. dazu Brüggemeier, a.a.O., S. 371 ff.; derselbe in WM 1982, 1294, 1308; Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0 ., Einl., Rd. 106. s Vgl. zum folgenden vor allem Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, a. a. 0., Rd. 102 ff.

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2. Kap.: Grundstrukturen der Unternehmenskooperation

regelmäßig nicht "aus dem Boden gestampft" wird, sondern bis zur endgültigen Fertigstellung mehrere Bearbeitungsstufen durchläuft, auf denen die einzelnen Bestandteile hergestellt werden, aus denen sich das Endprodukt zusammensetzt. Die einzelnen Bearbeitungsstufen markieren dabei Abschnitte auf dem Weg zum angestrebten Endprodukt Die horizontale Gliederung erfolgt anband der einzelnen Aufgabenbereiche, die innerhalb jeder Bearbeitungsstufe bestehen, wie typischerweise zum Beispiel Konstruktion, Fabrikation und Kontrolle. Entsprechend dieser Gliederung des Produktionsvorgangs kann die Unternehmenskooperation im Herstellungsbereich in Fälle der vertikalen und der horizontalen Arbeitsteilung unterschieden werden 9 • Eine Arbeitsteilung im vertikalen Sinne liegt danach vor, wenn die beteiligten Unternehmen auf verschiedenen Stufen der Produktionsleiter stehen, besteht also im Verhältnis der einzelnen Glieder einer Herstellerkette, die vom Roh- bis zum Endprodukt führt. Für die ,,reine" Form der vertikalen Arbeitsteilung ist dabei charakteristisch, daß die auf den einzelnen Stufen tätig werdenden Unternehmen ihren Beitrag zum Gesamtprodukt jeweils eigenverantwortlich und selbständig ausführen, das heißt sowohl bezüglich der Konstruktion und Fabrikation des Zwischenprodukts als auch hinsichtlich der Art und Weise ihrer Tätigkeitsgestaltung von Anweisungen der vor- oder nachgeschalteten Unternehmen unabhängig sind 10• Ein Fall ausschließlich vertikaler Arbeitsteilung findet sich in dem Zusammenwirken des Endherstellers mit seinen Zulieferern: Der Endhersteller verwendet die fremdproduzierten Einzelteile zum Zusammenbau eines neuen Produkts bzw. zum Einbau in sein eigenes (End-)Produkt, wie z. B. ein Kraftfahrzeughersteller, der Reifen aus dem Serienprogramm eines Reifenherstellers bezieht 11 • Man sollte sich in diesem Zusammenhang aber vor der mißverständlichen Bezeichnung "assembler" für den Endhersteller bzw. jeden anderen Weiterverarbeiter hüten. Denn dieser angelsächsische Ausdruck wird offenkundig in verschiedenen Bedeutungen gebraucht und zur Benennung unterschiedlicher Phänomene herangezogen. So wird teilweise darunter allgemein jeder Weiterverarbeiter verstanden 12, teilweise aber auch nur der reine Montagebetrieb, der nach fremden Konstruktionsunterlagen die zugelieferten Teile lediglich zusammenfügt 13 • Im folgenden soll auf diesen Ausdruck deshalb verzichtet werden. Im Unterschied zur vertikalen Arbeitsteilung, bei der also die Beteiligten den Produktionsprozeß auf der jeweiligen Stufe zu einem vorläufigen Abschluß bringen, so daß der nachgeordnete Hersteller das an sich selbständige Vorprodukt für sein eigenes, relativ komplexeres Produkt verwerten kann, erfolgt die Arbeits9 Vgl. Feldmann, a. a. 0., S. 16; Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, a. a. 0 ., Rd. 102 ff.; Brüggemeier, a.a.O., S. 361; derselbe in WM 1982, 1294, 1305. 10 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, a.a.O., Rd. 105. II Beispiel nach Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, a.a.O., Rd. 102. 12 So z. B. von Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Ein!., Rd. 112. 13 So z. B. Brüggemeier, a.a.O., S. 363 und in WM 1982, 1294, 1306.

III. Die absatzorientierte Strukturierung

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teilung im Rahmen der sog. horizontalen Arbeitsteilung innerhalb der jeweiligen Produktionsstufe selbst 14• Hier werden die einzelnen Elemente des Produktionsvorgangs, wie Konstruktion, Fabrikation und Kontrolle zwischen mehreren Unternehmen aufgeteilt, so daß z. B. das erste Unternehmen die Konstruktionsunterlagen anfertigt, nach denen das zweite (sog. Auftragsunternehmen) die Fertigung ausführt, und schließlich nimmt eventuell noch ein drittes Unternehmen (Testinstitut) die erforderlichen Prüfungen vor 15 • Zwischen diesen beiden Grundformen der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung sind in der Praxis freilich sehr häufig Kombinationen anzutreffen, also die Übernahme einzelner Elemente der jeweiligen Produktionsstufe durch vor- oder nachgeschaltete Unternehmen. Bestimmte Kooperationsformen im Herstellungsbereich verschließen sich einer Eingruppierung in das obige Grundschema zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung. Hierzu zählt in erster Linie die Kooperation zwischen den Partnern eines Lizenzverhältnisses, das je nach der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall dem Lizenzgeber mehr oder weniger großen Einfluß auf die Produktion des Lizenznehmers einräumen und im Fall der Warenzeichenlizenz zu einer mit der oben angerissenen "Quasi-Hersteller"-Problematik vergleichbaren Situation führen kann. Aber auch andere Formen der Kooperation oder besser Koordination gehören dazu, wie z. B. die Initiierung, maßgebliche Beeinflussung oder gar Beherrschung der Produktherstellung und/oder Produktgestaltung. Diese subtileren Formen Unternehmerischen Zusammenspiels vermag die funktionsorientierte Beschreibung der Beteiligungsverhältnisse, weil auf die im konkreten Gang der Herstellung anfallenden Aufgaben fixiert, nicht hinlänglich zu erfassen. Durch die (strukturimmanente) Beschränkung auf den rein äußerlichen Produktionsablauf drohen dem auf die funktionsorientierte Unterteilung festgelegten Betrachter deshalb all die Beziehungsstränge aus dem Blickfeld zu geraten, die außerhalb dieses Ablaufs liegen. Um alle wesentlichen Gesichtspunkte überbetrieblicher Unternehmenskooperation im Zusammenhang mit der Entscheidung eines Produkthaftungsfalles abzudecken, bedarf die aufgabenorientierte Gliederung der Beteiligungsverhältnisse demzufolge der Ergänzung durch die machtorientierte. 111. Die absatzorientierte Strukturierung Die absatzorientierte Strukturierung sortiert die an Herstellung und Vertrieb der schadstiftenden Ware in irgendeiner Form beteiligten Unternehmen danach, ob sie der vertikalen Verteilerkette, die das Produkt durchlaufen hat, angehören oder nicht. Ordnungsmerkmal ist hier also die durch eine mehr oder weniger große Zahl von aneinandergereihten Kauf-, Werklieferungs- und ähnlichen Ver14

15

Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung li, a.a.O., Rd. 104. Vgl. nur Schmidt-Salzer, ebenda (Fn. 14).

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2. Kap.: Grundstrukturen der Unternehmenskooperation

trägen vermittelte Absatzkette, angefangen von den Ausgangsbestandteilen des Produkts über die verschiedenen Zwischenstufen bis zu seiner Endform und dem den kommerziellen Fort- und Entwicklungsgang abschließenden Verkauf an den Endabnehmer. Entscheidendes Gewicht kommt nach dieser Einteilung somit dem Verkauf oder umfassender ausgedrückt: der Ioverkehrgabe eines Produkts zu und damit zugleich auch der Person des Verkäufers bzw. Inverkehrgebers. Allein durch das äußere Merkmal der Inverkehrgabe, d. h. der Herausgabe des Produkts aus dem eigenen Einflußbereich, wird die Zugehörigkeit zur Absatzkette begründet, unabhängig davon, ob und in welcher Form andere Unternehmen den Veräußerer bei der Herstellung, dem Erwerb oder dem Verkauf der Ware unterstützt haben. Für die absatzorientierte Strukturierung der Unternehmensbeziehungen spielt deshalb weder die (aufgabenorientierte) Frage nach Art und Ausmaß der praktizierten überbetrieblichen Arbeitsteilung eine Rolle noch die (machtorientierte) Frage nach bestehenden Abhängigkeiten des Veräußerers. Die Mitglieder der Verteilerkette werden einzig aufgrundder Tatsache festgelegt, daß sie nach außen hin als Ioverkehrgeber des (schadstiftenden) Produkts aufgetreten sind. Die absatzorientierte Strukturierung unterscheidet demnach nur Mitglieder der Veräußerungskette von Nicht-Mitgliedern. Hinter dieser strukturellen Konzentration auf das Absatzmoment bzw. auf die Veräußererposition steckt der allgemeine Rechtsgedanke, daß der gewerbsmäßige Veräußerer eines Gegenstands für dessen Tauglichkeit uneingeschränkt einzustehen habe und deshalb auch für alle negativen Folgen aus dem mangelbehafteten Gegenstand verantwortlich sei. Diese Rechtsparömie liegt der objektbezogenen Produkthaftungsdogmatik zugrunde, welche demzufolge die absatzorientierte Strukturierung der Unternehmensbeziehungen voraussetzt und die Haftung an die Position des Ioverkehrgebers knüpft. IV. Die machtorientierte Strukturierung Im Gegensatz zur aufgabenorientierten Strukturierung und zur absatzorientierten Strukturierung hebt die machtorientierte Strukturierung des Beziehungsgeflechts auf die produkt- und produktionsbezogene Machtverteilung zwischen den Beteiligten ab. Hier wird nicht danach gefragt, wer welche Aufgaben im Produktions- und Distributionsprozeß übernommen hat, noch danach, wer zur vertikalen Verteilerkette gehört: Von Bedeutung ist allein der Umstand, wer den Anstoß zu Produktion und Vermarktung der (schadstiftenden) Ware in ihrer konkreten Ausgestaltung gegeben hat und wer den Herstellungs- und Vertriebsvorgang kraft seiner überlegenen wirtschaftlichen Macht, seines maßgeblichen gestalterischen Einflusses oder seiner Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse beherrscht hat. Die Beteiligungsverhältnisse werden insoweit also nach dem Grad des machtbegründeten Einflusses auf den Herstellungs- und Verteilungsvorgang als solchen wie auch auf die äußere und innere Gestalt des erzeugten (schadstiften-

V. Die Bedeutung der verschiedenen Strukturmodelle

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den) Produkts geordnet. Maßstab für die im einzelnen innegehaltene bzw. ausgeübte Macht ist demnach ausschließlich das Ausmaß der Produktbeherrschung, denn auch die machtorientierte Strukturierung erfolgt einzig unter dem Blickwinkel einer sachgerechten Aufbereitung der Beteiligungsverhältnisse im Hinblick auf die Besonderheiten der Produkthaftungsproblematik, bleibt daher einer produkt- und produktionsbezogenen Sichtweise unterworfen und an spezifisch produkthaftungsrelevanten Gegebenheiten ausgerichtet. Auf andere Gesichtspunkte als derartig produkt-und produktionsbezogene, namentlich auf die gesellschaftsrechtliche respektive konzernrechtliche Machtstruktur kommt es daher nicht an. Die produkthaftungsrelevante Macht manifestiert sich vielmehr ausnahmslos in Grad und Ausmaß der machtbegründeten Produktbeherrschung, die bei konzernrechtlichen Verbindungen häufiger vorkommen mag, aber auch dann keinesfalls zwingend ist.

V. Die Bedeutung der verschiedenen Strukturmodelle für die Bewältigung der Produkthaftungsproblematik bei Unternehmenskooperation Die Strukturierung der Unternehmensbeziehungen nach den oben aufgeführten Grundmodellen ist kein Selbstzweck. Wie bereits (unter I) dargelegt, verfolgen die Strukturmodelle vielmehr das Ziel, die komplexe Wirklichkeit unternehmenscher Zusammenarbeit im Produktions- und Vertriebssektor unter dem Aspekt einer möglichst sachgerechten und sinnvollen Zuweisung entstandener Produktschäden aufzuschlüsseln. Unternehmenskooperation ist für das Produkthaftungsrecht demnach nur insoweit von Bedeutung, als es um die Zuordnung eines Produktschadens auf die nach dem Grundprinzip der iustitia distributiva dafür am besten Geeigneten geht. Die Strukturierung der Unternehmensbeziehungen erfolgt also einzig und allein im Hinblick auf eine sachgerechte Auswahl der Haftungsadressaten unter der Masse derjenigen Unternehmen, die irgendwelche Berührungspunkte zu dem schadstiftenden Produkt aufweisen. Welche Ordnungskriterien dabei im einzelnen als sachgerecht angesehen werden, das heißt welche Strukturierung bevorzugt wird, hängt von dem jeweiligen haftungspolitischen Standpunkt ab, wie er teilweise und in mehr oder weniger modifizierter Form auch Eingang in die einzelnen Rechtsordnungen gefunden hat. Je nachdem, ob das Versagen im eigenen, freiwillig übernommenen Aufgabenbereich, die Tatsache des Verkaufs (bzw. der Inverkehrgabe) des ("fehlerhaften") Produkts oder das Ausmaß der machtbegründeten Produktbeherrschung als für die Haftung ausschlaggebend erachtet wird, findet danach die eine oder die andere Strukturierungsmethode Anwendung. Insoweit ist jede der drei Strukturierungsmethoden einer bestimmten haftungspolitischen Grundauffassung verpflichtet und dient für sich genommen der Ermittlung und Festlegung der nach dieser Auffassung potentiellen Haftungsadressaten. 3 Winkelmann

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2. Kap.: Grundstrukturen der Unternehmenskooperation

Wird der die Haftung legitimierende Grund somit in einem (Fehl-)Verhalten im Zusammenhang mit den innerhalb des konkreten Produktions- und Distributionsprozesses übernommenen Aufgaben erblickt, so kann und muß sich die Auswahl des konkreten Haftungsschuldners von vomeherein auf den Kreis derer beschränken, die im Rahmen des Herstellungs- und Verteilungsvorganges durch die Übernahme bestimmter Tätigkeiten mitgewirkt haben. Alle anderen U ntemehmen fallen a priori aus dem Kreis der potentiellen Haftungskandidaten heraus. Die verkaufsorientierte Haftpflichtphilosophie konzentriert die Auslese der tatsächlich Haftpflichtigen auf diejenigen, die das jeweilige (Teil-)Produkt in Verkehr gebracht haben, und damit auf die Mitglieder der Veräußerungskette. Hier scheiden alle Nicht-Veräußerer von vomeherein als mögliche Kandidaten aus. Die machtbezogene Auffassung berücksichtigt schließlich nur die marktmächtigen Unternehmen. Insofern werden alle (produktbezogen) Fremdbestimmte aus der Gruppe potentiell Haftpflichtiger ausgesondert. Jede der drei Grundanschauungen beantwortet die Frage nach dem Kreis der möglicherweise Haftpflichtigen somit unterschiedlich, weil jeweils andere tatsächliche Umstände als haftungswürdig zugrunde gelegt werden. Damit wirken alle drei Haftungsprinzipien und die ihnen korrespondierenden Strukturmodelle als Filter der notwendigerweise allumfassenden Beteiligungsformel, wonach (zunächst) jedes Unternehmen als an dem (Produkt-)Schadensereignis beteiligt anzusehen ist, das in irgendeiner (auch noch so entfernten) tatsächlichen Beziehung zu dem schadstiftenden Produkt steht. Diese weite Beteiligtendefinition ist zwar speziell auf die Produkthaftungsproblematik zugeschnitten, weil sie mit dem schadstiftenden Produkt den eigentlichen Kristallisationspunkt der gesamten Problematik zum Ansatz für die Beteiligtenbestimmung nimmt. Sie hat andererseits aber den Nachteil, daß sie wirklich jedes auch nur von weitem tangierte Rechtssubjekt (Unternehmen) einbezieht und damit auch solche Unternehmen für beteiligt hält, die nach vernünftiger Anschauung unter keinem Gesichtspunkt und damit auf gar keinen Fall als Ersatzpflichtige in Frage kommen. Diesem Manko begegnen die genannten Haftungsprinzipien und die aus ihnen resultierenden Strukturmodelle. Indem sie die Haftung auf bestimmte Gesichtspunkte zurückführen und die Unternehmensbeziehungen entsprechend gliedern, treffen sie automatisch eine Vorauswahl unter den (im weitesten Sinne) an dem (Produkt-)Schadensereignis Beteiligten, legen also in der jeweiligen Richtung fest, was als haftungsrelevante Beteiligung zu betrachten ist. Dies bedeutet freilich nicht, daß alle auf die jeweilige Methode herausgefilterten "Beteiligten" für den eingetretenen Produktschaden tatsächlich auch haften. Ob und inwieweit dies der Fall ist, hängt vielmehr allein von der konkreten gesetzlichen Regelung und den dogmatischen Voraussetzungen des jeweiligen Produkthaftungsrechts ab. Die drei Strukturmodelle untemehmerischer Kooperation im Produkthaftungsbereich leisten daher nicht mehr und nicht weniger, als je für sich zu bestimmen, wann eine haftungsrelevante Beteiligung an einem Produktschadensfall vorliegt und wann nicht. Zusammengenommen tragen sie so zu der Entwicklung eines

V. Die Bedeutung der verschiedenen Strukturmodelle

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spezifisch produkthaftungsrechlichen Beteiligtenbegriffes bei, welcher einerseits fernliegende Berührungspunkte ausgrenzt, andererseits alle nach dem Leitgedanken der iustitia distributiva relevanten Faktoren berücksichtigt. Dieser produkthaftungsrechtliche Beteiligungsbegriff unterscheidet sich deutlich von dem deliktsrechtlichen Beteiligungsverständnis, wie es beispielsweise in § 830 BGB Niederschlag gefunden hat. Denn es kommt weder darauf an, daß die Beteiligten bewußt und gewollt mit dem Ziel zusammengewirkt haben, den schädlichen Erfolg (also die eingetretene Rechtsgutsverletzung) herbeizuführen -wie es Voraussetzung des § 830 Abs. 1 Satz l und Abs. 2 BGB ist 16. Noch ist auch nur erforderlich, daß sie, wenn auch mehr oder weniger unabhängig voneinander 17 , je für sich rechtswidrig und schuldhaftgehandelt haben- wovon § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeht 18 • Das die produkthaftungsrechtliche Beteiligung begründende einigende Band zwischen den kooperierenden Unternehmen ist vielmehr das schadstiftende Produkt. Jedes Unternehmen, das sich in dieses Produkt in irgendeiner prinzipiell haftungsrelevanten Weise "eingebracht" hat, gehört zum Kreis der Beteiligten im produkthaftungsrechtlichen Sinne. Eines darüber hinausgehenden Zusammenhangs zwischen den solchermaßen beteiligten Unternehmen bedarf es dagegen nicht. Insbesondere ist nicht notwendig, daß die Beteiligten einander kennen oder voneinander gewußt haben. Es reicht insoweit vollkommen aus, daß der einzelne Beteiligte mit der Beteiligung anderer an dem Produkt rechnen konnte und mußte - also etwa der Händler damit, daß mehrere (Hersteller-)Unternehmen zur Erzeugung des Produkts in irgendeiner Form beigetragen haben, oder der Zulieferant (beispielsweise ein Schraubenhersteller) damit, daß seine Produkte integraler Bestandteil von komplexeren Produkten werden können. Ein derartiges Wissen ist aber stets vorhanden. "Unternehmenskooperation" bedeutet für das Produkthaftungsrecht danach die produkthaftungsrelevante Beteiligung mehrerer Unternehmen an dem (Produkt-) Schadensereignis. Produkthaftungsrelevant ist die Beteiligung dann, wenn das einzelne Unternehmen in irgendeiner tatsächlichen Beziehung zu dem schadstiftenden Produkt steht und entweder im konkreten Herstellungs- und Vertriebsprozeß durch die Übernahme bestimmter Aufgaben mitgewirkt hat oder das Produkt oder einen Bestandteil des Produkts in Verkehr gebracht hat oder die Produkterzeugung oder die Erzeugung eines Bestandteils des Produkts beherrscht hat. 16

Vgl. insofern nur Palandt-Thomas, a. a. 0 ., § 830, Anm. 2.

n Inwieweit auch bei der Beteiligung nach § 830 Abs. I Satz 2 BGB eine innere

oder äußere Beziehung zwischen den einzelnen "Beteiligten" bestehen muß, ist heftig umstritten, vgl. einerseits Deutsch, a. a. 0., S. 352, der ein "Voneinanderwissen" verlangt. Andererseits BGHZ 25, 271, 274; BGHZ 33,286,291 f.; BGHZ 55, 86, 93; BGHZ 72, 355, 359: Die mehreren selbständigen unerlaubten Handlungen müßten einen "tatsächlich einheitlichen, örtlich und zeitlich zusammenhängenden Vorgang" bilden. Gegen jegliche einschränkenden Voraussetzungen in dieser Richtung z. B. MünchKomm-Mertens, Band 3, a.a.O., § 830, Rd. 32. 1s Vgl. nur MünchKomm, ebenda (Fn. 17). 3•

2. Teil

Die materiellrechtlichen Produkthaftungsverhältnisse bei Unternehmenskooperation 3. Kapitel

Grundzüge und Eckpfeiler des bisherigen Produzentenhaftungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland I. Die Hühnerpest-Entscheidung des BGH Mit der berühmt gewordenen Hühnerpest-Entscheidung 1 hat der BGH alle vorangegangenen Versuche, die Produzentenhaftung aus der Vertragsbeziehung zwischen Hersteller und Erstkäufer (z. B. dem Großhändler) abzuleiten, ausdrücklieh verworfen 2 und darüber hinaus auch den zahlreichen in der Literatur vorgebrachten Vorschlägen eine Absage erteilt, nach denen die Haftung des Warenherstellers einer vertraglichen 3 oder vertragsähnlichen 4 Sonderverbindung zu dem geschädigten Konsumenten entspringen sollte, einer Sonderverbindung, herrührend aus zurechenbar erwecktem Warenvertrauen 5 • Hinter diesen Vorschlägen der Literatur hatte der vom Verbraucherschutzgedanken getragene Wunsch gestanden, dem Konsumenten einen direkten und möglichst verschuldeosunabhängigen Anspruch gegen den Hersteller einzuräumen, der obendrein auch die reinen Vermögensschäden umfassen sollte 6 • BGHZ 51, 91. Vgl. BGHZ 51, 91, 93 ff.; der BGH befindet sich interessanterweise damit im Gegensatz zu der Rechtsprechung des OGH in Österreich, der dem Vertrag zwischen Hersteller und Vertriebshändler Schutzwirkung zugunsten des Letztabnehmers beigelegt hat, vgl. OGH, JBl 1977, 146, 148; OGH, JBl 1979, 483, 484; OGH, JBl 1985, 673. 3 So z. B. Müller, AcP 1965, 285, 304 ff.: stillschweigend abgeschlossener Garantievertrag. 4 So z. B. Diederichsen, a. a. 0., S. 363: Garantiehaftung kraft Gesetzes, ähnlich der amerikanischen "strict liability in tort", vgl. dazu unten im 5. Kapitel unter II 1; Lorenz, Beiheft zum VersR 1963, 8, 15 f.: Vertrauenshaftung analog § 122 BGB; Rehbinder, ZHR 1967, 171, 176f. und Canaris, JZ 1968,494,501 ff.: Haftung entsprechend den Regeln für culpa in contrahendo. 5 Vgl. BGHZ 51, 91, 98 ff.; ausdrücklich in diesem Sinne BGH, NJW 1974, 1503, 1504. 6 Dazu ausführlich Diederichsen, a.a.O., S 345 ff. und auch BGHZ 51, 91, 97. I

2

I. Die Hühnerpest-Entscheidung des BGH

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Anstelle dessen hat der BGH eine bereits zuvor in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erkennbare Tendenz bestätigt, die Produzentenhaftung für den Fall, daß keine direkten vertraglichen Beziehungen zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller bestehen, ausschließlich auf der Grundlage des Deliktsrechts zu beurteilen 7• Die in soziologischer Hinsicht gewiß vorhandene Beziehung zwischen Hersteller und Endabnehmer rechtfertige noch nicht die Anerkennung einer quasi-vertraglichen Sonderbeziehung zwischen den Beteiligten, wodurch die im geltenden Haftungssystem bewußt gezogene Grenze zwischen vertraglichem und deliktischem Bereich, so der BGH, weitgehend aufgehoben würde, ohne daß sie durch einen rechtlich und wirtschaftlich praktikableren Maßstab ersetzt werden könnte 8 • Durch die einheitliche Unterstellung aller Produktschadensfälle unter das Haftungsregiment des Deliktsrechts erübrige sich auch die schwierige Frage, wie einem Produktgeschädigten ein solcher quasi-kontraktlieber Anspruch zugestanden werden solle, wenn er das Produkt nicht gekauft habe, sondern bei dessen Benutzung durch ihn selbst oder durch andere zu Schaden gekommen sei 9• Schließlich garantiere auch nur das Deliktsrecht, daß der Ersatzanspruch des Verbrauchers nicht ohne weiteres abbedungen werden könne 10• In der Tat macht gerade dieses Problem z. B. dem Österreichischen OGH, der sich für eine vertragsrechtliche Verankerung der Produzentenhaftung entschieden hat, erheblich zu schaffen 11 • Für die deliktsrechtliche Klassifizierung dürfte nicht zuletzt der Umstand ausschlaggebend gewesen sein, daß der BGH in diesem Rahmen auf die bereits zuvor entwickelte Rechtsfigur der sog. allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht zurückgreifen konnte 12• Diese Rechtsfigur hat die höchstrichterliche Judikatur bereits vor der Hühnerpest-Entscheidung zur Beurteilung produzentenhaftungsrechtlicher Sachverhalte herangezogen 13, ohne daß zum damaligen Zeitpunkt allerdings schon der Begriff "Produzentenhaftung" verwandt worden wäre. Es war deshalb naheliegend, insofern eine Kontinuität herzustellen 14, zumal sich 7 Vgl. hierzu die Rechtsprechung vor der "Hühnerpest"-Entscheidung, die allerdings den Begriff ,,Produzentenhaftung" noch nicht kannte, z. B. RGZ 87, 1 - ,,Brunnensalz" -; RGZ 163,21- "Bremsen I"-; RG, DR 1940, 1293- "Bremsen II" - ; BGH, VersR 1956,419,420- "Schwungscheibe" -; BGH, VersR 1956,410- "Fahrradgabel" - . s So ausdrücklich BGH, NJW 1974, 1503, 1504 in Ergänzung von BGHZ 51, 91, 99. 9 BGHZ 51, 91, 101. . w BGHZ 51, 91, 100 f. 11 Vgl. OGH, JB11979, 483, 485 und dazu krit. Koziol, a.a.O., S. 93 f. mit weiteren Nachweisen. 12 Erstmals begründet von RGZ 52, 373, 379 und RGZ 54, 53, 59 und seither ständig weiterentwickelt sowie auch auf andere Bereiche erstreckt, wie insbesondere gewerbliche Tätigkeit, vgl. z. B. RGZ 102, 372, 375. 13 Vgl. beispielhaft nur RGZ 163, 21, 26; RG, DR 1940, 1293, 1294 f.; BGH, VersR 1956, 419, 420. 14 Diese Kontinuität wird namentlich von Schrnidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band III, a. a. 0., S. 1 ff. und Band I, a. a. 0., S. 19 f., betont.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

die Rechtsfigur der allgemeinen Verkehrspflicht als äußerst flexibles Instrument erwiesen hatte 15, und sie gerade aus diesem Grunde als die geeignete Plattform erschien, um den besonderen sozialen Gegebenheiten des Verhältnisses zwischen Hersteller und Endabnehmer Rechnung zu tragen 16• Durch die Ansiedlung der Produzentenhaftungsproblematik im Deliktsrecht hat der BGH zugleich auch die wesentlichen Entscheidungen im Hinblick auf die oben (im 1. Kapitel unter II) angeschnittenen Sachfragen getroffen, soweit diese in den deliktsrechtlichen Vorschriften des BGB eindeutige Regelung erfahren haben. Dabei hat der BGH indes die für den Produktgeschädigten nachteiligsten Konsequenzen aus der Anwendung der deliktsrechtlichen Bestimmungen vermieden, indem er eine teilweise Beweislastumkehr hinsichtlich der Haftungsvoraussetzungen zu Lasten des industriellen Herstellers stipuliert hat 17 • Diese Beweislastumkehr ist die eigentliche Errungenschaft der Hühnerpest-Entscheidung. Neben den speziell auf die Produzentenhaftungsproblematik zugeschnittenen Verkehrspflichten 18 ist seither die Beweislastumkehr das zweite eigentümliche Element, wodurch die Produzentenhaftung im Kontext des allgemeinen Deliktsrechts ihre besondere rechtliche Prägung erfährt. II. Die gesetzliche Ausgangslage Wie sich zum Teil schon aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt, spielen vertragliche Ansprüche im deutschen Produzentenhaftungsrecht keine bedeutende Rolle. Namentlich der Käufer kann Schadensersatz von seinem Vertragspartnernämlich in erster Linie nur bei Arglist oder dem Fehlen zugesicherter Eigenschaften (§ 463 BGB) verlangen, wobei im Einzelfall noch nicht einmal sicher ist, ob er damit auch die Schäden liquidieren kann, die an seinen sonstigen Rechtsgütern durch die mangelhafte Kaufsache eingetreten sind 19• Die daneben noch denkbaren Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung scheitern zumeist daran, daß der Verkäufer grundsätzlich nicht dazu verpflichtet ist, die Sache vor dem Verkauf auf das Vorhandensein von Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehlern hin zu untersuchen, wenn er sie nicht selbst hergestellt hat 20 •

Vgl. dazu nur v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 43 f. In diesem Sinne ausdrücklich z. B. BGH, NJW 1974, 1503, 1504. 11 BGHZ 51, 91, 104 ff.; näher dazu unten unter V. 18 Näher dazu unten unter III. 19 Vgl. zu dem Streit, ob und inwieweit auch sog. Mangelfolgeschäden über § 463 BGB ersetzt verlangt werden können nur Palandt-Putzo, a.a.O., § 463 Anm. 4 a bb; Soergel-Huber, a.a. O., § 463 Rd. 60 ff.; Larenz II, 13.Aufl., a.a.O., S. 61 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen; aus der Rspr. z. B. BGHZ 50, 200, 204. 20 Vgl. nur BGH, NJW 1981, 1269, 1270 "Klebeband" - sowie Messer, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1426 S. 20f. und Kullmann, a.a.O., S. 2. 15

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II. Die gesetzliche Ausgangslage

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Hinzu kommt noch das Problem der kurzen Verjährungsfrist nach § 477 Abs. 1 Satz 1 BGB und die Möglichkeit der Haftungsfreizeichnung 21 • Anknüpfungspunkt für Ansprüche eines Produktgeschädigten gegenüber dem Hersteller des Produkts sind nach bisherigem deutschen Recht somit in der Regel - das heißt, wenn nicht ausnahmsweise doch (auch) vertragliche Ansprüche bestehen oder irgendwelche spezialgesetzlichen Regelungen einschlägig sind 22 -ausschließlich die deliktsrechtlichen Vorschriften des BGB, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei dem Geschädigten um den Abnehmer des Produkts, einen sonstigen Benutzer oder einen vollkommen unbeteiligten Dritten handelt. Als Anspruchsgrundlage kommt dabei in erster Linie die Vorschrift des§ 823 Abs. 1 BGB in Betracht 23 • Danach ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, welche die Basis für die meisten der bislang entschiedenen Produzentenhaftungsfalle bildete 24, lassen sich zwei definitive Festlegungen hinsichtlich der oben (im 1. Kapitel unter II) erörterten Sachtragen entnehmen: Der Hersteller haftet nur bei Verschulden ("vorsätzlich oder fahrlässig") und nur für solche Schäden, die aus der Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter resultieren. Eine Inanspruchnahme des Herstellers wegen reiner Vermögensschädenist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB somit ausgeschlossen 25 • Im übrigen setzt die Schadensersatzverpflichtung nach § 823 Abs. 1 BGB voraus, daß sich die eingetretene Rechtsgutsverletzung in adäquat-kausaler Weise auf ein Verhalten des Ersatzpflichtigen zurückführen läßt, ein Verhalten, das außerdem dem Verdikt der "Widerrechtlichkeit" oder "Rechtswidrigkeit" - beides ist gleichbedeutend - unterliegt. Um das Merkmal der "Widerrechtlichkeit" rankte sich lange Zeit ein heftiger Theorienstreit, der jedoch heute weitgehend an Bedeutung und Schärfe verloren hat. Er sei hier dennoch kurz referiert, weil er für das Verständnis der für das bisherige deutsche Produzentenhaftungsrecht so eminent wichtigen Verkehrspflichten grundlegend ist. 21 Der BGH hat sich deshalb durch spitzfindige Abgrenzungenteilweise in das Deliktsrecht "gerettet", vgl. nur BGHZ 67, 359, 364 ff.- "Schwimmschalter"- und BGHZ 86, 256, 258 ff. - "Gaszug" -; zu den Freizeichnungsklauseln vgl. das gleichnamige Buch von Schmidt-Salzer, a. a. 0 .. 22 Insoweit ist besonders auf § 84 ArzneimitteiG hinzuweisen. 23 Daneben spielt vor allem § 823 Abs. 2 BGB noch eine Rolle: Die wichtigsten der für die Produzentenhaftung in Frage kommenden Schutzgesetze sind etwa bei KuHmann I Pfister, a.a.O., Kz. 1601, S. 9 ff., aufgeführt.§ 831 BGB hat wegen der weitgehenden Exkulpationsmöglichkeit des Geschäftsherrn heute dagegen kaum noch Bedeutung (anders z. B. noch RGZ 87, 1, 2 ff.). 24 Vgl. Kullmann, a.a.O., S. 4. 25 In diesem Sinne ausdrücklich z. B. BGH, NJW 1974, 1503, 1505; krit. zu dieser Festlegung z. B. Brüggemeier, a.a.O., S. 338 f.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

Bei dem Streit ging es im wesentlichen darum, ob sich die "Widerrechtlichkeit" bei nicht vorsätzlichem Handeln auf das Verhalten des Schädigers 26 oder aber auf die beim Geschädigten entstandene Rechtsgutsverletzung bezieht 27 • Nach der traditionellen Auffassung ist die Rechtswidrigkeit bereits mit der adäquat-kausal herbeigeführten Verletzung der in § 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechtsgüter gegeben ("indiziert"), und zwar unabhängig davon, wie die Handlung des Schädigers, die zu der Beeinträchtigung der Rechtsgüter geführt hat, im einzelnen zu bewerten ist 28 • Das Gesetz- so die Protagonisten dieser Lehre - wolle den dort genannten Rechtsgütern unbedingten Schutz zukommen lassen, weshalb jeder Eingriff, gleichgültig wie er zustande gekommen sei, schon per se von der Rechtsordnung mißbilligt werde und daher rechtswidrig sei. Das Merkmal der "Widerrechtlichkeit" in § 823 Abs. 1 BGB soll danach lediglich die Bedeutung eines Hinweises darauf haben, daß die "indizierte" Rechtswidrigkeit der Erfolgsverursachung im Ausnahmefall durch das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen zugunsten des Verletzers (wie z. B. Notwehr) ausgeschlossen sein kann 29 • Demgegenüber bildet nach der neueren Auffassung nicht der durch das Verhalten herbeigeführte Erfolg, sondern das Verhalten des Schädigers selbst den Gegenstand des Rechtswidrigkeitsurteils. Dieses Verhalten soll in jedem Falle einer gesonderten Überprüfung daraufbin unterzogen werden, ob ein Verstoß gegen spezielle Verhaltensregeln oder gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot vorliegt, deren Beachtung Rechtsgutsverletzungen wie die geschehene gerade verhindem soll. Nur dann, wenn ein solcher Verstoß im Einzelfalle bejaht werden kann, soll sich die verursachte Rechtsgüterbeeinträchtigung auch als rechtswidrig iSv § 823 Abs. I BGB darstellen 30• Diese Lehre verlangt also neben der adäquatursächlichen Rechtsgutsverletzung zur Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des§ 823 Abs. 1 BGB zusätzlich noch einen Verstoß des Handelnden gegen bestimmte Verhaltenspflichten. Die Rechtswidrigkeit ist danach nicht bereits mit dem Eintritt des Verletzungserfolges indiziert, sondern bedarf in jedem Einzelfall gesonderter Feststellung. Hauptargument der Verfechter der traditionellen Lehre ist der systematische Zusammenhang zwischen der deliktsrechtlichen Generalklausel des § 823 Abs. 1 BGB und den Abwehr- und Verteidigungsrechten des BGB (z. B. Notwehr nach § 227 Abs. 2 BGB), denen offenkundig der erfolgsbezogene Rechtswidrigkeitsbegriff zugrunde liegt 31 • Außerdem, so die Vertreter der Lehre vom Erfolgsunrecht, 26 So die Vertreter der Lehre vom sog. Verhaltensunrecht, vgl. stellvertretend und mit weiteren Nachweisen Esser I Weyers, a.a.O., §55 II 3, S. 471 ff. 27 So die traditionelle Lehre vom sog. Erfolgsunrecht, vgl. nur Larenz II, 12.Aufl., a. a. 0., S. 607 ff. mit weiteren Nachweisen. 2s So die Lehre vom Erfolgsunrecht, vgl. im einzelnen nur Larenz II, 12. Aufl., S. 607. 29 Vgl. Larenz II, ebenda (Fn. 28). 30 So die Lehre vom Verhaltensunrecht, vgl. im einzelnen nur Esser IWeyers, a.a.O., §55 II 3 c, S. 472 und Esser I Schmidt, a.a.O., § 25 IV 1 c, S. 361 ff. 31 Näher dazu Larenz II, 12.Aufl., a.a.O., S. 609 f.

II. Die gesetzliche Ausgangslage

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verwische die Lehre vom Verhaltensunrecht die Grenze zwischen Rechtswidrigkeil und Fahrlässigkeit 32• Diese begriffsjuristische Argumentation, die im Grunde genommen nur die Augen davor verschließt, daß sich hinter ein und demselben Rechtsbegriff verschiedenartige Sachprobleme mit entsprechend verschiedenen Interessenlagen verbergen können 33 , hat indessen den nahezu vollständigen Abschied der Lehre vom Erfolgsunrecht aus dem praktischen Rechtsleben nicht verhindem können. Namentlich die Rechtsprechung des BGH folgt in wichtigen Teilbereichen des Deliktsrechts inzwischen teilweise ausdrücklich 34, teilweise zumindest im Ergebnis 35 der Lehre vom Verhaltensunrecht, weil diesen Sachverhaltsgestaltungen mit der Lehre vom Erfolgsunrecht einfach nicht sachgerecht beizukommen ist. Konsequent angewandt, würde die Lehre vom Erfolgsunrecht dort zu untragbaren Ergebnissen führen, was auch der BGH nicht verkennt 36. Daß er bislang zumindest verbal an der Lehre vom Erfolgsunrecht festgehalten hat 37, erscheint demgegenüber als reines Lippenbekenntnis, das sich regelmäßig nur noch in formelhaften Wendungen manifestiert 38 • Indem die Lehre vom Verhaltensunrecht sich somit wenigstens im Ergebnis fast lückenlos durchgesetzt hat, ist eine der praktisch schwierigsten und oftmals willkürlichen Unterscheidungen der traditionellen Lehre nahezu hinfällig geworden: die Abgrenzung zwischen Handlung und Unterlassung 39• Auch nach der traditionellen Lehre konnte eine Unterlassung nämlich nur dann als rechtswidrig angesehen werden, wenn den Unterlassenden eine Rechtspflicht zum Handeln gegenüber dem Verletzten traf40 • Im Rahmen der Unterlassungsdelikte war also auch bereits die traditionelle Lehre dazu gezwungen, die Rechtswidrigkeit des Unterlassens neben der adäquaten Kausalität gesondert festzustellen. Dies setzte einen Verstoß des Anspruchsgegners gegen eine objektiv bestehende Pflicht voraus, so wie ihn die Lehre vom Verhaltensunrecht heute unabhängig davon verlangt, ob das Verhalten als Handlung oder Unterlassung zu qualifizieren ist.

So Larenz II, ebenda (Fn. 31 ). Näher dazu Esser I Weyers, a. a. 0., § 55 II 3 c, S. 472. 34 So für Schädigungen im Straßen- oder Eisenbahnverkehr, vgl. BGHZ 24, 21,24 ff. sowie für den Bereich der sog. offenen Verletzungstatbestände wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Eingriffe in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, vgl. dazu nur Palandt-Thomas, a. a.O., § 823 Anm. 6 Ab. 35 So für den Bereich der Sportverletzungen, vgl. BGHZ 63, 140, 142 ff.; auch bei den Arzthaftungsfällen stellt sich das gleiche Problem, das die Rspr. aber über das Instrument der "Einwilligung" bewältigt, vgl. dazu nur Mertens, VersR 1980, 397, 400. 36 Vgl. z. B. BGHZ 24, 21, 26. 37 So grds. in BGHZ 24, 21, 24. 38 Vgl. z. B. BGHZ 57, 245, 253 und BGHZ 67, 48, 49. 39 Zu dieser teilweise schwierigen Abgrenzung im einzelnen Deutsch, a. a. 0 ., s. 131 ff. 40 Vgl. nurEsser/Weyers, a.a.O., §55 112, S. 470; Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1520, S. 14 e; BGHZ 57, 245, 253. 32 33

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

111. Die allgemeine Verkehrs(sicherungs)pflicht und ihre Bedeutung für das Produzentenhaftungsrecht 1. Inhalt der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

Ein weiterer Bereich, in welchem die oben geschilderte traditionelle Lehre vom Erfolgsunrecht vollständig versagt, sind die Fälle der Schadensverursachung durch Industrieprodukte. Dies wird anband des Beispiels der Herstellung von Kraftfahrzeugen oder Waffen deutlich 41 • Mit statistischer Gewißheit kommen durch diese Produkte Menschen zu Schaden, geschehen Unfälle und Verletzungen, und zwar auch und (bei den Waffen) gerade dann, wenn sie einwandfrei funktionieren und keinerlei technische oder sonstige Mängel aufweisen 42 • In diesen Fällen läßt sich aber weder die Adäquanz des Kausalverlaufs noch das Verschulden (Fahrlässigkeit) des Herstellers, das jedenfalls im Sinne einer generellen Vorhersehbarkeit solcher Verletzungen vorliegt, ohne Not leugnen 43 • Um die Haftung des Herstellers nicht uferlos werden zu lassen, ist deshalb ein weiteres Regulativ notwendig, von dem die Schadensersatzverpflichtung im Einzelfall abhängig gemacht werden kann. Die Lehre vom Verhaltensunrecht stellt ein solches Regulativ zur Verfügung, denn nach ihr wird ohnehin nur dann gehaftet, wenn auf seiten des Verletzers - hier also des Herstellers - eine Pflichtverletzung vorliegt. Aber auch die Anhänger der Lehre vom Erfolgsunrecht erklären füralldiejenigen Fälle, in denen ein Verhalten nur mittelbar eine Verletzung verursacht hat, die Lehre vom Verhaltensunrecht für (ausnahmsweise!) anwendbar 44• Dazu zählen indes gerade die durch die Herstellung von Sachen hervorgerufenen Schäden, denn regelmäßig liegt hier der Verletzungserfolg "nicht mehr im Rahmen des Handlungsablaufs", kann die eingetretene Verletzung "der Handlung selbst nicht mehr als zugehörig angesehen werden" 45 • Im Ergebnis ist man sich heute deshalb einig, daß die Haftung des Warenherstellers in objektiver Hinsicht neben der adäquaten Ursächlichkeil zwischen Produktion und eingetretener Rechtsgutsverletzung noch einer zusätzlichen Legitimation bedarf. Dieses zusätzliche Haftungskriterium findet seinen gesetzlichen Anknüpfungspunkt in der "Widerrechtlichkeit" des § 823 Abs. 1 BGB und besteht in dem Verstoß des Herstellers gegen eine ihm obliegende Pflicht. Bei dieser Vgl. dazu sowie zum folgenden v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 155. Bzgl. der Waffen sei in diesem Zusammenhang auf den spektakulären Fall Kelley v. R. G. Industries, Inc., 497 A. 2d 1143 (Md. 1985) in den USA hingewiesen, in welchem das Gericht gerade im Hinblick auf die "Fehlerhaftigkeit" des Produkts in arge Begründungsnot geriet, vgl. dazu insbesondere Lorenz, ZHR 1987, 1, 25 ff. und Magotsch, RIW 1986, 413, 415 ff. 43 Vgl. v. Bar, ebenda (Fn. 41). 44 So ausdrücklich Larenz II, 12.Aufl., a. a.O., S. 609 ff. und v. Bar, Verkehrspflichten, a. a. 0., S. 155 ff., beide mit ausführlicher Begründung. 45 Larenz li, 12.Aufl., a.a.O., S. 610 und v. Bar, a.a.O., S. 156. 41

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III. Die Bedeutung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

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Pflicht handelt es sich um nichts anderes, als die von der Rechtsprechung ursprünglich nur für die Unterlassungsdelikte entwickelte sog. allgemeine Verkehrs(sicherungs)pflicht46, die heute aber die jedermarm treffende Rechtspflicht zum Inhalt hat, sein Verhalten so einzurichten, daß dadurch die Rechtsgüter anderer nicht mehr, als im menschlichen Zusammenleben unvermeidbar, gefährdet werden47. Jeder, der eine Gefahrenquelle schafft, hat deshalb die Pflicht, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutze anderer Personen zu veranlassen 48 . Welche konkreten Verhaltensanforderungen aus dieser Generalklausel erwachsen, wird von Fall zu Fall anband der jeweiligen tatsächlichen Umstände ermittelt und bestimmt. Richtschnur ist dabei der objektive Sorgfaltsmaßstab, wie er im Gesetzeswortlaut des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB Ausdruck gefunden hat 49. Danach muß sich der Adressat der Verkehrssicherungspflicht so verhalten, wie es die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verlangt. Der Umfang und das Ausmaß der geschuldeten Sorgfalt hängt infolgedessen von der Größe der drohenden Gefahr ab 5°, andererseits können aber auch keine weitergehenden Sicherungsmaßnahmen verlangt werden, als die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich erachtet 51 oder als nach der konkreten Sachlage dem Betroffenen möglich 52 und zumutbar 53 ist. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe, die zur Umschreibung des Inhalts der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht verwandt werden, ermöglichen eine geschmeidige Berücksichtigung aller Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles, indem sie dem Rechtsanwender ein Abwägungsraster in die Hand geben, mit Hilfe dessen er die konkreten Verhaltensnormen im Einzelfall aus der Generalklausel ableiten und beschreiben karm 54. Neben die allgemein anerkannten Abwägungsprinzipien des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes treten dabei mit zunehmen46 Vgl. z. B. BGH, VersR 1959, 104, 105: "Denn es handelt sich im vorliegenden Falle nicht um die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, d. h. eine Unterlassung, sondern um positives Tun." 47 Vgl. Esser /Weyers, a.a.O., §55 li 3, S. 473 f.; Larenz li, 12.Aufl., a.a.O., S. 610; v. Bar, a.a.O., S. 157; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 24; vgl. auch BGH, VersR 1972, 559, 560: hier wird eindeutig von objektiver Sorgfaltspflicht gesprochen, deren Einhaltung die Rechtswidrigkeit ausschließe, vgl. insoweit auch BGHZ 80, 186, 193 - "Apfelschorf I" -. 48 BGH, NJW 1961, 455; BGH, NJW 1975, 108; BGHZ 65, 221, 224. 49 Vgl. Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz.1520, S.18. 50 BGH, NJW 1966,40, 41; BGH, VersR 1961,371, 372; BGH, VersR 1965,38,40. 51 BGH, VersR 1972, 559, 560; BGHZ 34, 206, 209. 52 BGH, VersR 1960, 856, 857; BGH, Der Betrieb 1966, 148; BGH, VersR 1969, 37; BGHZ 51, 91, 108. 53 BGH, NJW 1964, 814, 816; BGH, VersR 1969, 42, 43; BGH, VersR 1972, 693, 694; BGHZ 51, 91, 108. 54 Ausführlich zu diesem Abwägungsvorgang und seinen maßgeblichen Kriterien Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a. 0., S. 26 ff. und Mertens, VersR 1980, 397, 401 ff.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

dem Fallmaterial auch die falltypenbezogenen abstrakt-generellen Pflichtenpräzisierungen der Rechtsprechung 5S, die eine relative Konkretisierung der dem Betroffenen im speziellen Einzelfall auferlegten Verhaltensanforderungen erlauben und solchermaßen zumindest im Prinzip für eine gewisse Voraussehbarkeit der abverlangten Sicherungsmaßnahmen sorgen 56•

2. Die allgemeine Produktsicherungspflicht

Derartige Pflichtenpräzisierungen liegen namentlich für den Bereich der Produzentenhaftung inzwischen vor. Ausgehend von der Generalklausel hat hier in erster Linie der BGH die verschiedenen Phasen im Warenherstellungsprozeß zum Ansatzpunkt für eine typisierende Pflichten- und Verantwortungsbereichsbestimmung gemacht. Dabei handelt es sich aber nur um fallgruppenspezifische Ausgestaltungen der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht, die im Rahmen der Warenherstellung und Warenverteilung dahin geht, alle objektiv erforderlichen, möglichen und zurnutbaren Maßnahmen zu treffen, um die aus demjeweiligen Produkt drohenden Gefahren für die nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter anderer zu vermeiden und abzuwenden 57 • Im Hinblick auf die Gefahrenquelle konkretisiert sich die allgemeine Verkehrs(sicherungs)pflicht im Produkthaftungsbereich damit zur (allgemeinen) Produktsicherungspflicht. Weil diese Pflicht aber lediglich eine besondere Erscheinungsform der allgemeinen deliktischen Gefahrabwendungspflicht ist, unterscheidet sie sich hinsichtlich der Abwägungsgrundsätze, nach denen sich ihre inhaltliche Spezifizierung im Einzelfall richtet, von der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht ansonsten in keiner Weise. Den Maßstab für Art und Umfang der zu erwartenden Sicherungsmaßnahmen bildet demnach auch insoweit die herrschende Verkehrsauffassung, die hier weitgehend mit den berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Verbrauchers oder Benutzers identisch ist und im Einzelfall von verschiedenen Umständen, wie z. B. der Natur des Produkts, der Erkennbarkeil der Produktgefahrlichkeit, dem Preis der Ware, dem vorhersehbaren Gebrauch und der Persönlichkeit des Produktbenutzers abhängt 58 • Ebenso ist der Adressatenkreis der allge55 Auf die methodische Parallele zu der angelsächsischen Case-Law-Rechtsfindung mit dem "Reasoning from Case to Case" und der "Distinction" sei in diesem Zusammenhang nur hingewiesen, vgl. dazu z. B. Blumenwitz, a. a. 0., S. 37 ff. und Zweigert I Kötz, Band I, a. a. 0., S. 304 f. 56 Zu dem Problem der Vorhersehbarkeit vor allem Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a. 0., S. 26 f. und Esser I Weyers, a. a. 0., § 55 II 3 e, S. 474. 57 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 25; Kullmann, in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 1520, S. 22. 58 Dazu im einzelnen Kullmann, in KullmanniPfister, a.a.O., Kz.1520, S.22 ff.; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 317 ff.; aus der neueren Rspr z. B. BGH, NJW 1986, 1863, 1864- "Überrollbügel"~; BGH, NJW 1987, 372 f.- "Spraydose" - .

III. Die Bedeutung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

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meinen Produktsicherungspflicht wie derjenige der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht prinzipiell allumfassend: Mit Rücksicht auf die Gefahrenquelle bezieht sich die allgemeine Produktsicherungspflicht vom Ansatz her also auf jeden, der irgendwie mit dem konkreten Produkt zu tun hat(te) oder in irgendeiner Form mit dem Produkt in Berührung kommt (gekommen ist). Wer die Möglichkeit hat, Einfluß auf das Produkt und die aus ihm drohenden Gefahren zu nehmen, der ist gehalten, diesen Einfluß im Sinne einer Gefahrminimierung auszuüben. Art und Ausmaß dieser Einflußmöglichkeit kann nun freilich höchst unterschiedlich sein. W eieher konkrete Pflichtenkanon sich im Einzelfall aus der generellen Produktsicherungspflicht ableitet bzw. ableiten kann, hängt deshalb stets von der tatsächlichen Situation ab, aus der die Beziehung des potentiell Sicherungspflichtigen zu dem Produkt resultiert. Die konkreten Verhaltensnormen lassen sich demnach erst aufgrund dieser tatsächlichen Gegebenheiten von Fall zu Fall und in Abhängigkeit von Person, Stellung und Aufgabe des Sicherurigspflichtigen individuell entwickeln und festlegen. Dies ändert aber nichts daran, daß sich sämtliche konkreten Verhaltenspflichten auf die Generalklausel zurückführen lassen und sie im Grunde genommen deshalb nichts anderes sind, als situations- und personenbezogene Anwendungsfälle der Generalldausel59 • Vor diesem theoretischen Hintergrund wird auch deutlich, warum die oftmals zitierte Formel, die allgemeine Produktsicherungspflicht beinhalte die Verpflichtung, nur sichere Produkte in den Verkehr zu bringen 60, eigentlich nicht ganz zutreffend ist. Denn die produktbezo!!ene Gefahrabwendungspflicht beschränkt sich nicht auf den Zeitpunkt der lnverkehrgabe, wenngleich hier auch eine besonders wichtige Zäsur liegt, die den Verstoß gegen wesentliche Pflichtenbereiche aus den davor liegenden Stadien der Produktherstellung aktualisiert. Die unterlaufenen Fehler (im Sinne von Fehlverhalten) aus dem gesamten Konstruktionsund Fabrikationsbereich stellen nämlich in der Regel erst von diesem Zeitpunkt an eine konkrete Gefahr für die Rechtsgüter anderer dar, weil erst ab diesem Zeitpunkt die so gefährdeten Rechtsgüter dem "fehlerhaften" Produkt ausgesetzt werden (Übergang von der abstrakten zur konkreten Gefahr). Einige wichtige Bereiche der produktbezogenen Gefahrabwendungspflicht werden von der Ioverkehrgabe-Formel jedoch nicht erfaßt. Es handelt sich dabei in erster Linie um den gesamten Produktbeobachtungsbereich sowie um weitere Fallgruppen, in denen Gefahrabwendungspflichten aufgrundbesonderer Umstände erst nach der Ioverkehrgabe des Produkts entstehen 61• Die Beschränkung der Produktsicherungspflicht auf die Ioverkehrgabe des Produkts erweist sich hier also als zu eng. Außerdem hat die Formel auch den Nachteil, daß sie den Blick auf die Dazu ausführlich Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 132 ff. Vgl. z. B. BGH, VersR 1956,419, 420 undKullmann, in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 1520, S. 21 f. 61 Vgl. die- allerdings auch nur beispielhafte- Zusammenstellung bei SchmidtSalzer, Produkthaftung I, a. a. 0., S. 133. 59

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

Wurzel der Produktsicherungspflicht, nämlich die allgemeine Verkehrssicherungspflicht, verstellt, indem sie ein dieser fremdes Zeitmoment einführt. Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht beansprucht aber ebenso wie ihre besondere Spielart, die allgemeine Produktsicherungspflicht, sachlich und zeitlich unbeschränkte Geltung. Sie kann daher nur mittels einer Totalperspektive erlaßt werden, die alle auch nur irgendwie denkbaren und möglichen Fälle der Entstehung von Produktsicherungspflichten einbezieht 62 • Diesem Totalanspruch wird die Inverkehrgabe-Formel nicht gerecht und ist deshalb geeignet, hinsichtlich des Anwendungsbereichs der allgemeinen Produktsicherungspflicht Verwirrung zu stiften. Wie sich aus den vorstehenden Erörterungen ergibt, ist die Struktur der allgemeinen Produktsicherungspflicht so beschaffen, daß aus ihr nach Maßgabe der tatsächlichen Umstände konkrete Sorgfaltspflichten hervorgehen. Eine exakte Pflichtenbeschreibung ist deshalb eigentlich immer nur auf der Grundlage des jeweiligen besonderen Einzelfalles möglich 63 • Dies hindert indes nicht, die jew~­ ligen Sachverhalte unter dem Gesichtspunkt häufig wiederkehrender tatsächlicher Konstellationen zu ordnen und so allmählich zur Herausbildung typischer Sachverhaltsgruppen zu kommen, denen dann regelmäßig bestimmte typische Sorgfaltspflichten korrespondieren. Diesen Weg hat auch die deutsche Rechtsprechung beschritten. 3. Die von der Rechtsprechung entwickelten Ausprägungen der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht im Hinblick auf die Produzentenhaftungsproblematik

Die Rechtsprechung hat die allgemeine Verkehrs(sicherungs)pflicht im Hinblick auf die Produzentenhaftungsproblematik nach zwei Richtungen hin konkretisiert. Anknüpfend an die allgemeine Produktsicherungspflicht, hat sie zum einen den Weg, den ein Produkt von seiner Planung bis zu seinem Untergang nimmt, in verschiedene Stadien aufgegliedert und für die jeweiligen Stadien spezifische Herstellerpflichten formuliert. Dabei geht sie von der Erkenntnis aus, daß der Grund, warum ein Produkt als übermäßig gefährlich anzusehen ist, verschiedene Ursachen haben kann, die im Verlaufe des Herstellungsprozesses, aber auch noch danach gesetzt werden. Jedes Entwicklungsstadium, in dem sich das Produkt gerade befindet, bringt deshalb bestimmte Pflichten mit sich, die in ihrer allgemeinen Form dahin gehen, das speziell von diesem Stadium ausgehende Gefährdungspotential nach Möglichkeit zu bannen. Diese Gefahrabwendungspflichten weist die Judikatur dabei denjenigen Personen und Unternehmen zu, die in dem jeweiligen Stadium mit dem Produkt tatsächlich befaßt sind. Die Pflichten werden damit an den tatsächlich übernommenen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich im 62 63

Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 135 f. Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a.O., S. 137 f .

III. Die Bedeutung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

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Rahmen des Herstellungs- und Verteilungsprozesses geknüpft. Was die Verantwortlichkeit für Produktfehler betrifft, ergibt sich daraus im Ergebnis ein erheblicher Haftungsbegrenzungseffekt 64 • Zum anderen hat die Rechtsprechung die allgemeine Verkehrs(sicherungs)pflicht im Hinblick auf die (nicht nur in Produzentenhaftungsfällen auftauchende) innerbetriebliche Zurechnungsproblematik zu umfassenden sog. Organisationspflichten der Unternehmensleitung ausgebaut. Interessanterweise bedient sie sich hierbei gerade des Aufgabenbereichskriteriums, um die gewünschte Haftungsverlagerung hin zur Unternehmensspitze zu bewerkstelligen. Durch eine extensive Interpretation des Aufgabenbereichs vollzieht sie so den Schritt vom tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich zum rechtlich festgelegten Verantwortungsbereich als Haftungsmaßstab. Im folgenden werden deshalb die Herstellerpflichten (unter a) und die Organisationspflicht (unter c) als die beiden für die Produzentenhaftung wesentlichen Ausprägungen der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht erläutert. Das Bindeglied zwischen beiden stellt das Aufgabenbereichselement dar (unter b), dem einerseits haftungsbegrenzende Funktion zukommt, das andererseits aber auch als Basis für die dogmatische Herleitung der Organisationspflichten dient.

a) Die Herstellerpflichten Ansatzpunkt für die Herstellerpflichten ist - wie gesagt - der tatsächliche Entwicklungsgang eines Produkts. Dieser Entwicklungsgang wird im allgemeinen in vier typische Bereiche unterteilt, die nicht nur der Erleichterung des Verständnisses dienen 65 , sondern auch im Hinblick auf die Entstehung und Erfüllung einzelner Sorgfaltspflichten aus der Generalklausel relativ konkrete Beurteilungen erlauben. Im einzelnen handelt es sich dabei um den Konstruktionsbereich, der am Anfang der Produktherstellung steht und die gesamte Planung und generelle Prüfung des Produkts als Gattung umfaßt, den Fabrikationsbereich, der den gesamten Fertigungsprozeß als solchen betrifft, den Instruktionsbereich, worunter die notwendige Information über das Produkt sowie die erforderliche Anleitung zu dessen sachgerechtem Gebrauch fällt, und zuletzt den Produktbeobachtungsbereich, der die gesamte Zeit nach der Ioverkehrgabe des Produkts ausmacht. Teilweise wird den vier genannten Bereichen noch die Industrieabfallbeseitigung als eigenständiger Bereich zur Seite gestellt 66 • Auch könnte man daran denken, 64 Ausführlich dazu unten im 4. Kapitel unter I und li; im innerbetrieblichen Bereich stellt der BGH allerdings nur noch formal auf den tatsächlichen Wirkungskreis der einzelnen Mitarbeiter ab: In Wirklichkeit hat er längst den haftungsrechtlichen Verantwortungsbereich durch die Einführung eines weiteren Haftungskriteriums neu definiert, dazu sogleich unten unter c und ausführlich im 4. Kapitel unter III 2. 65 Vgl. Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1520, S. 25 und Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 137. 66 Vgl. namentlich Brüggemeier, a.a.O., S. 345 f.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

dem Bereich der Produktwerbung eigenständige Bedeutung beizumessen, zumal viele Produkte ohne einen gewissen Werbeaufwand gar nicht zu verkaufen sind, insoweit also die Werbemaßnahmen für den angestrebten Absatz des Produkts vielfach nicht oder kaum minder entscheidend sind als die Herstellungsmaßnahmen selbst, andererseits aber in der Werbung für ein Produkt eine mögliche Gefahrenquelle liegt, wenn durch unzutreffende öffentliche Anpreisungen Fehlvorstellungen des Benutzers z. B. über die Belastbarkeit des Produkts hervorgerufen werden 67 • In allen Bereichen treffen den Hersteller jeweils situationsbedingt eine Vielzahl von Pflichten, die aufgrunddes vorhandenen Tatsachenmaterials von der Rechtsprechung im einzelnen zum Teil sehr detailliert ausdifferenziert worden sind 68 • Zusammengefaßt werden sie in Übereinstimmung ·mit den einzelnen Bereichen als Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions-, Produktbeobachtungs- und Abfallbeseitigungspflichten bezeichnet 69 • M. E. sollten außerdem alle mit der Werbung für ein bestimmtes Produkt zusammenhängenden Pflichten als sog. Werbepflichten anerkannt werden. Da sie allesamt (nur) speziell auf den Produktionsbereich zugeschnittene Ausprägungen der allgemeinen Produktsicherungspflicht sind, richten sie sich entsprechend dem umfassenden Adressatenkreis der allgemeinen Produktsicherungspflicht an alle Personen, die mit den jeweiligen Aufgaben im Rahmen der Produktherstellung befaßt sind 70 • Die Verletzung dieser Pflichten führt zu entsprechenden Fehlern, also Konstruktionsfehlern, Fabrikationsfeh/ern usw., die dem Produkt anhaften. In diesem Zusammenhang muß aber nochmals betont werden, daß die Haftung ihre dogmatische Grundlage nicht in der "Fehlerhaftigkeit" des Produkts, sondern allein in einem Pflichtenverstoß, also einem Feh/verhalten des Herstellers hat 71 • Dies darf über der Betrachtung der verschiedenen "Fehler"arten und der sich an sie knüpfenden Haftung 72 nicht vergessen werden, wenngleich der Unterschied zwischen verhaltensbezogener Verkehrspflicht-Produzentenhaftung und objektbezogener Produkt(geflihrdungs)haftung, was das praktische Ergebnis im Einzelfall betrifft, weitgehend nur noch theoretischer Natur ist 73 • Wegen ihres unterschiedlichen 67 So auch schon BGH, VersR 1963, 860 f.- ,.Auftautransforrnator"-; siehe dazu auch v. Hülsen I Hollmann, RIW 1984, 85, 86 und Wilms, a. a. 0., S. 155 f., der insoweit auf Ergebnisse der Verhaltensforschung hinweist; in den USA wird für Werbefehler idR sogar strikt gehaftet, vgl. § 402 B Restaterneut of Torts 2d, a. a. 0., S. 358. 68 Insoweit sei hier auf die drei Standardwerke zum bisherigen deutschen Produzentenhaftungsrecht verwiesen, nämlich Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0 ., Kz. 1520, S. 25 ff.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a.O., S. 42 ff. und Foerste, in v. Westphalen, a. a. 0., S. 335 ff. 69 Vgl. z. B. Brüggemeier, a.a.O., S. 340 ff. 10 Zu dem Problem der innerbetrieblichen Arbeitsteilung und der Mitarbeiterhaftung sogleich unten unter c. 71 Vgl. Brüggemeier, a.a.O., S. 338 und S. 340; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 132 ff.; Kötz, a.a.O., Rd. 445. n Vgl. z. B. MünchKomm-Mertens, a.a.O., § 823 Rdnr. 293, 294, 297.

III. Die Bedeutung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

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dogmatischen Haftungsansatzes müssen beide zumindest gedanklich dennoch auseinandergehalten werden. Zwar läßt sich auch nach dem VerkehrspflichtProduzentenhaftungsrecht auf die Verwendung des (objektiven) Fehlerbegriffs nicht gänzlich verzichten 74, weil ihm aufgrund des Zusammenhangs von objektivem (Produkt-)Fehler und dem hinter diesem Fehler stehenden Fehlverhalten des Herstellers beweisrechtliche Bedeutung zukommt 75 • Haftungsbegründendes Tatbestandsmerkmal ist nach bisherigem deutschen Recht aber allein und ausschließlich das Fehlverhalten des Herstellers.

b) Die Bedeutung des tatsächlichen Aufgaben- und Tätigkeitsbereichs für Inhalt, Umfang und Adressatenkreis der Verkehrspflichten Von entscheidendem Gewicht für Inhalt und Umfang der dem einzelnen konkret auferlegten (Verkehrs-)Pflichten ist der von diesem tatsächlich wahrgenommene Aufgaben- und Tätigkeitsbereich. Nach bisherigem Verständnis markiert dieser tatsächliche Arbeits- und Wirkungskreis zugleich die rechtlichen Grenzen individueller Verantwortlichkeit 76 • Die den einzelnen treffenden Verkehrs(sicherungs)pflichten gehen also in der Regel nicht über dessen tatsächliches Tätigkeitsgebiet hinaus. Inhalt und Umfang der konkreten Verhaltenspflicht im einzelnen sind damit von der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit abhängig. Diese Beschränkung der Verkehrssicherungspflicht und damit zugleich auch der Verkehrspflichthaftung auf den eigenen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich wird teilweise auf das Verschuldensprinzip zurückgeführt 77 , ergibt sich aber eher aus einem einengend gegenständlichen Verständnis der Generalklausel, wonach der Sicherungspflichtige nur die objektiv erforderlichen, ihm möglichen und zurnutbaren Maßnahmen zur Gefahrenabwehr schuldet 78 • Versteht man diese Forderung so, daß der Sicherungspflichtige ohne weiteres in der Lage sein muß, die entsprechenden Sicherungsmaßnahmen eigenhändig auszuführen, besteht nur für das technisch direkt Machbare und damit nur für den unmittelbaren Herrschaftsbereich deliktische Verantwortung. Dieser unmittelbare Herrschaftsbe73 Allg. dazu v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 48 f., S. 112 ff. und passim; Will, a. a. 0., S. 58; siehe im übrigen auch unten unter c sowie im 4. Kapitel unter III 2 a. 74 A. A. offenbar Brüggemeier, a. a. 0 ., S. 338. 75 Vgl. dazu unten unter V. 76 Vgl. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Einl. Rd. 100 ff; ders. in BB 1986, 1103, 1106; Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1520, S. 24 und Kz. 3250, S. 3; dieses Prinzip wird freilich nicht lückenlos durchgehalten: namentlich bei den sog. Organisationspflichten findet sich eine interessante Ausnahme, dazu sogleich unten unter c). n So ausdrücklich von Schmidt-Salzei, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Einl. Rd. 95 ff.; ders. in BB 1986, 1103, 11 06; ders. in Produkthaftung I, a. a. 0., S. 104. 78 Meist wird hier an den Begriff des "Möglichen" angeknüpft, der als "tatsächliche Handlungsmöglichkeit" verstanden wird, so Feldmann, a. a. 0., S. 20 und Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Einl., Rd. 96 sowie in BB 1986, 1103, 1105; zum Inhalt der Generalklausel siehe oben unter 1.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

reich ist aber mit dem tatsächlichen Tätigkeitsfeld identisch. Deshalb kann dann auch nur für das Fehlverhalten im unmittelbaren tatsächlichen Tätigkeitsbereich gehaftet werden. Im Hinblick auf denAdressatenkreis der allgemeinen Produktsicherungspflicht ergibt sich daraus eine bedeutsame Konsequenz. Die allgemeine Produktsicherungspflicht, vor allem aber deren Ausprägungen wie Konstruktionspflichten, Fabrikationspflichten etc., trifft danach nämlich nur solche Personen und Unternehmen, welche im Bereich der einschlägigen Gefahrenquellen unmittelbar beschäftigt sind, alle anderen Personen und Unternehmen dagegen nicht. Aufgrund des Aufgabenbereichsgesichtspunkts beschränkt sich die Haftung aus der Produktsicherungspflicht deshalb auf diejenigen am konkreten Produktions- und Distributionsprozeß beteiligten Personen und Unternehmen, die im Rahmen des Entwicklungsgangs des Produkts durch die Übernahme bestimmter Aufgaben in dem entsprechenden gefahrträchtigen Bereich unmittelbar tätig waren 79 •

c) Die Organisationspflicht des Warenherstellers Die Rechtsprechung hat weiterhin für die interne Betriebsorganisation des Herstellerbetriebes bestimmte Maßregeln aufgestellt, die sich dogmatisch ebenfalls aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht herleiten. Tatsächlicher Hintergrund dieser Maßregeln ist die sog. innerbetriebliche Arbeitsteilung, also die Aufteilung der einzelnen Konstruktions-, Fabrikations- und Kontrollvorgänge zwischen einer je nach Größe des Betriebes unterschiedlichen Anzahl von Mitarbeitern. In rechtlicher Hinsicht stellt sich das Phänomen der innerbetrieblichen Arbeitsteilung als Problem dar, weil das deutsche Deliktsrecht eine haftungsrechtliche Verantwortung einer Person für das Verhalten eines anderen grundsätzlich nicht kennt 80• Auch die Norm des§ 831 Abs. 1 BGB bildet dabei keine Ausnahme, denn nach deren dogmatischer Struktur wird hier nur für die Verletzung eigener (Auswahl- und Überwachungs-)Pflichten gehaftet 81 • Jeder ist also im Bereich des Deliktsrechts (im engeren Sinne) nur für sein eigenes Verhalten verantwortlich, das zur Ursache für einen Schaden bei einem anderen geworden ist 82 • Das bedeutet nun aber, daß grundsätzlich nur derjenige Mitarbeiter für den Schaden aus einem "fehlerhaften" Produkt einstehen muß, der ihn durch sein verkehrspflichtwidriges Verhalten herbeigeführt hat. Denn die produktbezogenen Verkehrspflichten treffen, wie bereits oben (unter a) gezeigt, auch und gerade in ihren konkreten Ausprägungen wie Fabrikationspflichten etc., zunächst einmal Ausführlich dazu im 4. Kapitel. Vgl. Lukes, a.a.O., S. 41; Feldmann, a.a.O., S. 18; Kullmann,inKullmann I Pfister, a.a.O., Kz. 3210, S. 2; wichtigste Ausnahme ist der Bereich der Gefahrdungshaftung, vgl. z. B. § 7 Abs. I StVG. 81 Vgl. nur Larenz li, 12.Aufl., a.a.O., S. 648 ff. und Lukes, a.a.O., S. 41 f.; zu§ 831 BGB sogleich unten. 82 Vgl. nur Lukes, ebenda (Fn. 81). 79

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III. Die Bedeutung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

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nur den einzelnen Mitarbeiter, der die entsprechenden Tätigkeiten ausführt 83 • Diese primäre Verantwortlichkeit des einzelnen Mitarbeiters resultiert unmittelbar aus der ebenfalls oben (unter 1) geschilderten Struktur der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die jedermann die Verpflichtung aufbürdet, dafür zu sorgen, daß durch sein Verhalten nicht Ursachen für die Verletzung der Rechtsgüter anderer gesetzt werden. Deshalb muß, wer sich in seinem Arbeitsbereich nicht ausreichend sorgfältig verhält, für die daraus entstehenden Schäden aufkommen84. Die Kombination von reiner Verhaltenshaftung und allumfassender Geltung der verhaltensbezogenen Sorgfaltspflichten führt also zur prinzipiellen Eigenhaftung des einzelnen Mitarbeiters. Um dieses unbefriedigende Ergebnis zu vermeiden, hat die Rechtsprechung die sog. Organisationspflichten entwickelt und damit im Ergebnis die (gewünschte) Zurechnung des Fehlverhaltens von Angestellten auf die Unternehmensleitung erreicht. Dabei hat sie einen interessanten dogmatischen Weg eingeschlagen. Aufhänger für die bezweckte Haftungsverlagerung weg vom einzelnen Mitarbeiter und hin zur Betriebsspitze ist nämlich genau dasjenige Merkmal, welches ansonsten zur Haftungsbegrenzung dient: der tatsächliche Aufgaben- und Tätigkeitsbereich. Im Rahmen der innerbetrieblichen Arbeitsteilung und zur Bewältigung des dort besonders virulenten Zurechnungsproblems wird das Aufgabenbereichskriterium zum Ansatzpunkt für eine Haftungserweiterung gemacht. Dabei geht die Judikatur von der Überlegung aus, daß der Aufgabenbereich des einzelnen Mitarbeiters auch von seiner Stellung in der Betriebshierarchie bestimmt wird und mit steigender Position auch die rechtliche Verantwortung aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht steigen muß 85 • Der (rechtliche) Verantwortungsbereich eines leitenden Angestellten geht deshalb zum Beispiel weiter als der eines einfachen Arbeiters 86• In dieser Pflichtenkumulation analog der Betriebshierarchie liegt gleichzeitig der Anknüpfungspunkt für die gewünschte Haftungsverlagerung hin zur Unternehmensspitze. Den Einzelunternehmer, das Vorstandsmitglied, den Geschäftsführer usw. treffen zwar nicht die mit der unmittelbaren Ausführung der einzelnen Produktionsschritte verbundenen Sorgfaltspflichten, weil sie an diesen Schritten - im Gegensatz zum Beispiel zu einem Fließbandarbeiter, der im Rahmen des ihm zugewiesenen Arbeitsbereiches auf das in der Entstehung begriffene Produkt unmittelbar einwirkt - zumindest in der Regel nicht beteiligt sind. Die leitende Position im Betriebsgefüge schlägt sich dennoch auch in der deliktsrechtlichen Pflichtenstellung nieder, denn für Personen mit Leitfunktionen, namentlich also für die Untemehmensspitze, verdichtet sich die allgemeine VerkehrssicherungsVgl. Feldmann, a.a.O., S. 20; Lukes, ebenda (Fn. 81). Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 3210, S. 2. 85 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 159 f.; Feldmann, a.a.O., S. 20; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 325. 86 Vgl. dazu die Beispiele bei Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 159 f.; siehe auch BGH, NJW 1988, 48, 49. 83

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

pflichtzur sog. Organisationspflicht, die sowohl die Personal- als auch die Sachorganisation des Betriebes betrifft und ihrem Inhalt nach dahin geht, den Betrieb so zu organisieren, daß Fehlleistungen der Angestellten ausgeschlossen sind bzw. rechtzeitig- das heißt bevor die Ware das Werk verläßt- entdeckt werden 87 • Auf diese Weise ist der Verstoß eines Angestellten gegen eine bestimmte Produktsicherungspflicht regelmäßig gepaart mit dem Verstoß der Betriebsleitung gegen eine Organisationspflicht Der Pflichtverstoß der Betriebsleitung kann seinerseits aber gegebenenfalls über§ 31 BGB dem Unternehmen zugerechnet werden 88 • Der Sache nach geht es bei den Organisationspflichten in erster Linie darum, den Anwendungsbereich der rechtspolitisch problematischen Vorschrift des § 831 BGB zurückzudrängen 89• Nach dieser Bestimmung hat der Geschäftsinhaber zwar für die sorgfaltige Auswahl und Überwachung seiner Angestellten (Verrichtungsgehilfen) Sorge zu tragen und haftet bei einem Verstoß gegen diese Auswahl- und Überwachungspflichten für Schäden, welche die Verrichtungsgehilfen im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Geschäftsherrn Dritten widerrechtlich zugefügt haben (§ 831 Abs. 1 BGB). Diese Pflichten kann der Geschäftsherr aber nach § 831 Abs. 2 BGB und der aus dieser Vorschrift abgeleiteten Rechtsprechung vom sog. dezentralisierten Entlastungsbeweis nach unten hin delegieren und sich so von seiner Haftung befreien 90• Es reicht in diesem Falle aus, daß er sich für den ranghöchsten, ihm in der Betriebshierarchie unmittelbar nachfolgenden Angestellten entlasten kann, der dann seinerseits für die ordnungsgemäße Auswahl und Überwachung der untergeordneten Mitarbeiter einzustehen hat 91 • Die Möglichkeit des dezentralisierten Entlastungsbeweises führt also im Ergebnis zu einer (erneuten) Haftungsverlagerung weg von der Unternehmensspitze und läuft damit der gewünschten Richtung genau entgegen. Eine weitere mißliche Konsequenz, die sich aus der Anwendung von § 831 BGB ergibt, ist die Vorschrift des § 840 Abs. 2 BGB. Selbst wenn die Haftung des Geschäftsherrn nach § 831 BGB einmal mit Mühe und Not begründet werden konnte, macht § 840 Abs. 2 BGB dieses Ergebnis nämlich teilweise wieder 87 Vgl. dazu im einzelnen nur Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1520, S. 58 ff.; aus der Rspr. zu den Leitungs- und Organisationspflichten im Rahmen der Produzentenhaftung vgl. z. B. BGHZ 51, 91, 108- "Hühnerpest"-; BGH, NJW 1973, 1602, 1603- "Feuerwerkskörper"-; BGH, VersR 1972, 953, 954- "Propangasflaschen" - ; BGH, VersR 1971, 80, 81- "Bremsen"- BGH, VersR 1978, 722, 723 -"Kfz-Reparatur"-; BGH, NJW 1968, 247,248- "Schubstrebe" -;zu Organisationspflichten in anderen Bereichen vgl. z. B. BGH, VersR 1971, 251, 253 f. - "Privatklinik" - ; BGH, NJW 1971, 1313, 1314f. - "Tiefbauuntemehmer" - . 88 Dazu ausführlich Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 3210, S. 11 ff. 89 Vgl. Larenz li, 12.Aufl., a.a.O., S. 651. 90 Vgl. RGZ 78, 107, 108 f.; BGHZ 4, 1, 2; BGH, VersR 1959, 104, 105- ,,Seilschloß"-; BGH, VersR 1964, 297. 91 Vgl. Lukes, a.a.O., S. 42; Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 3210, S. 9 ff.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a. O., S. 144 ff. sowie die Nachweise in der vorangegangenen Fn. 90.

III. Die Bedeutung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

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zunichte, indem zumindest im Innenverhältnis allein der Mitarbeiter (Angestellter) den Schaden ersetzen muß. Diese vom Gesetz her an sich vorgegebene Rechtslage steht indes höchstwahrscheinlich nur auf dem Papier, denn im Zweifel dürfte dem Mitarbeiter regelmäßig durch das von der arbeitsgerichtliehen Rechtsprechung entwickelte Institut der sog. gefahrgeneigten Tätigkeit und dem damit verbundenen Freistellungsanspruch gegen den Geschäftsherrn geholfen werden 92 • Wenn für§ 840 Abs. 2 BGB im Zusammenhang mit§ 831 BGB danach auch kaum noch ein nennenswerter Anwendungsbereich verbleibt, so ist das automatische Ineinandergreifen von § 831 BGB und § 840 Abs. 2 BGB doch immerhin ausdrücklich im Gesetz angelegt und bedarf zur Außerkraftsetzung richterlicher Intervention. All diese rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Unzuträglichkeilen werden vermieden, wenn auf die Organisationspflichten der Betriebsführung rekurriert wird. Da diese Organisationspflichten nur Ausfluß der allgemeinen Verkehrsbzw. Produktsicherungspflicht des Unternehmers sind, alle erforderlichen organisatorischen Maßnahmen zu treffen, damit seine Produkte nicht für andere gefahrlieh werden bzw. etwa entstehende Gefahren abgewendet werden können 93 , obliegen sie dem Unternehmer persönlich. Eine Befreiung des Geschäftsherrn von den Organisationspflichten durch Übertragung auf andere scheidet deshalb aus 94 • Ein Verstoß gegen die Organisationspflicht führt vielmehr zur eigenen Haftung des Unternehmers aus§ 823 Abs. 1 BGB bzw. über§ 31 BGB zur Haftung der Gesellschaft, die das Unternehmen betreibt. Solchermaßen ist der haftungsrechtliche Zugriff auf die in der Regel ergiebigste Vermögensmasse gewährleistet. Nun wird dieser erstrebte Zurechnungseffekt umso eher erreicht, je höher die organisatorischen Anforderungen an die Unternehmensleitung geschraubt werden. Dem richterlichen Gutdünken sind dabei keine Grenzen gesetzt. Der Vorwurf mangelhafter Betriebsorganisation läßt sich praktisch nach Bedarf erteilen, sobald der Verbraucherschutz eine sonst nicht zu gewährende Haftung erwünscht sein läßt 95 • Das offenbart sich zum Teil gerade in den- sehr seltenen- Entscheidungen, in denen eine Verletzung der Organisationspflicht verneint wurde. Jüngstes Beispiel in dieser Richtung ist das Urteil des LG Dortmund vom 12.3.1987 96, wo der Geschädigte auf einen halben Schweinezahn gebissen hatte, der sich in der von ihm verzehrten Dosenwurst befunden hatte. Die Folge war gewesen, daß sein neu eingefaßter Zahnersatz splitterte, seine Kunststoffprothese im Unterkiefer brach und am Eckzahn die Keramik-Krone zum Teil absplitterte. 92 Zu den Grundsätzen der gefahrgeneigten Arbeit vgl. nur BAG, NJW 1983, 1693 ff. und Palandt-Putzo, a. a. 0., § 611, Anm. 14 b,jeweils mit umfangreichen Nachweisen. 93 Vgl. Fikentscher, a.a.O., § 103 IV 2 a, S. 743. 94 RGZ 87, 1, 4 - "Brunnensalz" -; RGZ 89, 136, 138; BGH, VersR 1964, 297; BGH, NJW 1968, 247, 248- "Schubstrebe" - ; BGH, VersR 1978,722,723- "KfzReparatur" -; krit. dazu Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 399 f. 95 Diederichsen,NJW 1978, 1281, 1287; abl. Foerste, in v. Westphalen, a. a.O., S. 395. 96 Abgedr. in NJW-RR 1987, 805.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland Zur Begründung seiner klageabweisenden Entscheidung schloß sich das Landgericht zunächst mit dürren Worten der Auffassung des Sachverständigen an, der dem beklagten Wursthersteller bescheinigt hatte, "daß die Betriebsstätte dem derzeitigen Stand der Technik entspricht und alle nach den Sicherheits- und Hygienevorschriften möglichen Vorkehrungen getroffen worden sind, um zu verhindern, daß Knochensplitter und ähnliche Fremdkörper in die Wurst gelangen". In den anschließenden Sätzen ließ das Landgericht jedoch die wahren Motive seiner Entscheidung erkennen, indem es ausführte, das dem Geschädigten geschehene "Mißgeschick"(!) müsse schon als denkbar unglücklich angesehen werden. Schließlich müsse man als (Wurst-) Konsument allgemein damit rechnen, daß Fremdkörper mit in das Endprodukt gelangen könnten, und im Regelfall sei dies für den Konsumenten auch nicht mit einer besonderen Gefahrverbunden, weil man die Fremdkörperrechtzeitig erkennen und schlimmstenfalls noch beim Kauen bemerken und ausspucken könne.

Die Entscheidung des LG Dortmund macht in besonders anschaulicher Weise deutlich, daß es eigentlich gar nicht um die zufriedenstellende oder nicht zufriedenstellende Organisation des Betriebes geht, sondern um die Schutzbedüiftigkeit des Geschädigten. Ist das Gericht von der Schutzbedürftigkeit des Geschädigten überzeugt, so wird es immer einen Schwachpunkt in der Betriebsorganisation des Herstellerbetriebes finden, der für den eingetretenen Schaden verantwortlich gemacht werden kann. Es zeigt sich hier die der Verkehrspflichthaftung allgemein innewohnende Tendenz zur Erfolgshaftung 97 , die letztlich daher rührt, daß der Richter (und selbstverständlich auch die anderen Verfahrensbeteiligten) einen Produktschadensfall immer nur ex post beurteilt und beurteilen kann. Hat die Organisationspflicht demnach offenkundig lediglich die Funktion eines dogmatischen Vehikels, um den gewünschten Zurechnungseffekt auf die Unternehmensspitze zu erzielen, so sollte ganz auf sie verzichtet und der offene Übergang zu einer unternehmensbezogenen Haftung nicht länger gescheut werden 98 • Will man die Haftung des Herstellers im Einzelfall wegen fehlender Schutzbedürftigkeit des Geschädigten ablehnen, so sollte dies klar bekannt und im korrekten dogmatischen Kontext- nämlich entweder im Rahmen der Prüfung der Fehlerhaftigkeit des Produkts oder im Rahmen der Prüfung eines Mitverschuldeos des Geschädigten nach § 254 Abs. 1 BGB- behandelt werden 99 • Damit würde man sich eines theoretischen Ballastes entledigen, der zur leeren Hülse geworden ist.

97 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 269, der sogar davon spricht, es sei die Funktion der Verkehrspflichten, das Gedankengut der Gefährdungshaftung in die Fahrlässigkeitshaftung zu transponieren. Siehe im übrigen auch MünchKomm-Mertens, Band 3, a.a.O., § 823, Rd. l80. 98 Ebenso bereits Brüggemeier, a.a.O., S. 102 ff. 99 So hätte die oben (bei Fn. 96) besprochene Entscheidung des LG Dortmund dogmatisch einwandfrei auf Mitverschulden des Geschädigten gestützt werden können. Die nach § 254 Abs. 1 BGB durchzuführende Abwägung des beiderseitigen Verschuldens kann nämlich auch zu einem gänzlichen Wegfall der Ersatzpflicht des Schädigers führen, vgl. insoweit nur Palandt-Heinrichs, a.a.O., § 254, Anm. 4 b.

III. Die Bedeutung der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht

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4. Die sachliche und persönliche Tragweite der Verkehrspßicht-Produzentenhaftung

Die Lösung der Produzentenhaftungsproblematik über die Rechtsfigur der Verkehrs(sicherungs)pflichten hat inhaltlich sowohl auf den sachlichen wie auch auf den persönlichen Haftungsumfang Auswirkungen.

a) Der sachliche Haftungsumfang Aus Inhalt und Struktur der allgemeinen Verkehrs(sicherungs)pflicht folgen einmal die sachlichen Grenzen der Haftung für "fehlerhafte" Produkte. Diese Grenzen werden im Bereich der Konstruktionspflichten durch die sog. Entwicklungsgefahren markiert. Unter Entwicklungsgefahren (oder auch Entwicklungsfehlern) werden dem Produkt anhaftende Gefahrenmomente verstanden, die nach dem Erkenntniss\and von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Herstellung noch nicht vorhersehbar waren 100• Weil die Ausschaltung dieser Gefahrenmomente dem Hersteller zum damaligen Zeitpunkt objektiv nicht möglich war, haftet er mangels Verkehrspflichtverletzung für Schäden aus derartigen Produktgefahren nicht. Diese Entlastungsmöglichkeit besteht aber nur, solange nicht neue Erkenntnisse über entsprechende Gefahren vorliegen. Im Ergebnis bedeutet dies, daß namentlich bei Serienprodukten eine Berufung auf bislang unbekannte Entwicklungsgefahren nur bei erstmaligem Auftreten eines Schadens in Betracht kommt. Sobald sich nämlich die bisher unentdeckte Entwicklungsgefahr in einer Rechtsverletzung realisiert, schafft sie einen neuen Erkenntnisstand und ist fortan nicht mehr ungeläufig 101 • Ferner bestehen die Produktbeobachtungspflicht und die daraus hervorgehenden Reaktionspflichten gerade auch im Hinblick auf die Entwicklungsgefahren 102. Im Bereich der Fabrikationspflichten kann zumindest theoretisch die Haftung ausnahmsweise im Zusammenhang mit der sog. Ausreißerproblematik ausgeschlossen sein. Dies soll der Fall sein 103, wenn der Hersteller alle erforderlichen, ihm möglichen und zurnutbaren Maßnahmen - insbesondere auch organisatorischer Art - zur Vermeidung von Fertigungsfehlern getroffen hat, ein einzelnes Produkt (der "Ausreißer") aber dennoch fehlerhaft ist und einen Schaden verursacht Hl4. Hier soll der Hersteller ebenfalls keine Verkehrspflicht verletzt haben, 100 Vgl. BGHZ 51, 91, 105 f . - "Hühnerpest"-; Kullmann, in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 1520, S. 26; Palandt-Thomas, a.a.O., § 823 Anm. 16 D c bb. 101 Vgl. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Einl., Rd. 121; Brüggemeier, a.a.O., S. 349. 102 Vgl. BGHZ 80, 199, 202 f.- ,,Apfelschorf II" - ; Brüggemeier, a.a.O., S. 349 f.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a. 0., S. 88; Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1520, S. 50. 103 Daß es in Wirklichkeit zumeist um eine andere Problematik geht, wurde bereits oben ausgeführt, vgl. den Text bei Fn. 96 ff.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

eine Haftung deshalb ausscheiden 105• Zu beachten bleibt in diesem Zusammenhang freilich die von der Rechtsprechung angenommene Beweislastverteilung, die vom Hersteller den Nachweis verlangt, daß der konkrete Schadensfall auf eintrotz optimaler Kontrollen nicht völlig auszuschließendes Produktionsrestrisiko zurückzuführen ist 106• Doch kommt es gleichwohl immer wieder vor, daß dem Hersteller dieser Nachweis gelingt 107•

b) Die Haftungsadressaten Außer den sachlichen ergeben sich aus den oben geschilderten Grundsätzen der Verkehrspflichthaftung auch die persönlichen Grenzen der Haftung für "fehlerhafte" Produkte. Diese Grenzen verlaufen entlang der Linie, die durch den persönlichen Aufgaben-und Tätigkeitsbereich jedes einzelnen abgesteckt ist, der mit dem fraglichen Produkt in irgendeiner Form zu tun hatte. Art und Umfang der Haftung richten sich also nach den jeweils übernommenen Aufgaben im Produktions- und Distributionsprozeß -eine Konsequenz aus dem bereits erörterten Gesichtspunkt, daß den Verkehrspflichten nach bisherigem Verständnis eine Beschränkung auf den eigenen tatsächlichen Tätigkeitsbereich immanent ist 108 • Das bedeutet aber, daß die speziell auf den Herstellungsbereich zugeschnittenen Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- und Produktbeobachtungspflichten ausnalunslos nur für die in diesem Bereich tätigen Personen und Unternehmen gelten. Namentlich der gesamte Vertriebsbereich bleibt als Adressat dieser Pflichten somit ausgeklammert 109, und zwar selbst in den Zweifelsfällen des sog. Quasi-Herstellers, des Importeurs und der kapitalmäßigen und/ oder personellen Verflechtung zwischen Hersteller und Händler: Die Rechtsprechung hat eine Übertragung der spezifischen Herstellerpflichten auf diese, funktionell dem Vertriebsbereich zuzurechnenden Personen und Unternehmen ausdrücklich abgelehnt 110• Danach ist in diesen Fällen allenfalls noch zu prüfen, ob dem Quasi104 Vgl. Brüggemeier, a. a. 0 ., S. 344 f.; Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Einl., Rd. 120. 105 Vgl. BGH, VersR 1956, 410, 411- "Fahrradgabe1" -; BGH, VersR 1960, 855 - "Kondensomat" -; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 354. 106 Vgl. Brüggemeier, ebenda (Fn. 104); zur Beweislastumkehr allgemein sogleich unten unter V. 101 Als Beispiel sei die bereits oben (bei Fn. 96) besprochene Wurst-Entscheidung des LG Dortmund genannt. Zur Bewertung dieser Entscheidung vgl. die dortigen Ausführungen. 108 Siehe dazu oben unter 3 b. 109 Vgl. Brüggemeier, a.a.O., S. 369; ders. in WM 1982, 1294, 1307. uo Vgl. hinsichtlich des sog. Quasi-Herstellers und des Importeurs BGH, BB 1977, 1117 - "Autokran" -; BGH, NJW 1980, 1219 f. - "Klappfahrrad II" -; OLG Zweibrücken, NJW 1987, 2684 f. - "Tretlager"- (Importeur); hinsichtlich der Verflechtung BGH, NJW 1981, 2250 f . - ,,Asbestzementplatten" -; konzernmäßige Verflechtung kann allerdings u. U. eine gesellschaftsrechtliche Haftung auslösen, vgl. dazu neuerdings BGH, NJW 1986, 188 ff.; a.A. im Hinblick auf den Quasi-Hersteller z. B. Schmidt-Sa1zer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 116 f.

IV. Das Verschulden

57

Hersteller, dem Importeur bzw. der verflochtenen Vertriebsgesellschaft neben den bereichsspezifischen allgemeinen Händler-Sorgfaltspflichten 111 aufgrund der besonderen Gegebenheiten nicht zusätzlich noch weitere Sorgfaltspflichten auferlegt sein können. Dabei kann es sich im Einzelfall um bestimmte Kontrollpflichten 112, um Pflichten im Produktbeobachtungsbereich 113 und im Instruktionsbereich 114 handeln 115 • Ganz ausnahmsweise soll sogar eine Überwälzung der spezifischen Herstellerpflichten auf den Quasi-Hersteller in Betracht kommen, wenn der Benutzer im Hinblick auf das dem Quasi-Hersteller entgegengebrachte Vertrauen Vorsichtsmaßregeln unterläßt, die er anderenfalls beachten würde 116, was z. B. aufgrund wiederholter und eindringlicher Qualitätsbekundungen in Katalogen geschehen könnte 117• Ansonsten obliegen aber nur den Personen und Unternehmen aus dem Produktionsbereich die Herstellerpflichten. Alle anderen, die mit dem Produkt in Berührung gekommen sind, trifft dagegen grundsätzlich keine haftungsrechtliche Verantwortung, wenn sich Produktgefahren verwirklichen, die aus dem Herstellungsbereich stammen. Hier bringt erst das Produkthaftungsgesetz im Rahmen seines Anwendungsbereichs künftig eine gewisse Erweiterung des persönlichen Haftungsumfangs 118 • IV. Das Verschulden Nach der bisherigen Rechtslage in Deutschland (Verkehrspflichthaftung) ist die Haftung für "fehlerhafte" Produkte verschuldensabhängig. Dies wird bereits aus dem Wortlaut der maßgeblichen Deliktsvorschriften ersichtlich (vgl. vor allem § 823 BGB ). Danach muß dem Hersteller zumindest ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Hinblick auf die von ihm verursachte Rechtsgutsverletzung gemacht werden können, was sich grundsätzlich nach dem objektiven Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. I Satz 2 BGB beurteilt. Wie bereits oben (unter III I) gezeigt, ist diese Vorschrift jedoch gleichzeitig gesetzliche Basis der objektiven Verkehrs(sicherungs )pflicht. Die objektiven Verhaltensregeln, die im Zusammenhang mit einer Verkehrssicherungslage entsteNäher dazu unten im 4. Kapitel unter I 1. VgL z. B. BGH, VersR 1960, 855, 856- "Kondenstopf' -; BGH, NJW 1981, 2250 f. - "Asbestzementplatten" -. 113 Vgl. z. B. BGH, NJW 1981, 2250, 2251- ,,Asbestzementplatten"- und BGH, NJW 1987, 1009, 1010- ,,Lenkerverkleidung" -. 114 Vgl. z. B. BGH, NJW 1987, 372, 373- ,,Zinkspray" und BGH, NJW 1987, 1009, 1010- "Lenkerverkleidung" -. 11s Zusammenfassend zu allen denkbaren und möglichen Pflichten der verflochtenen Vertriebsgesellschaft, des Quasi-Herstellers und des Importeurs, Kullmann, in KuHmann I Pfister, a.a.O., Kz. 1524, S. 6 ff. und Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 468 ff. 116 BGH, BB 1977, 1117 ,,Autokran" -. 117 Vgl. Kullmann, in Kullmann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1524, S. 10. 11s Siehe dazu unten im 6. Kapitel unter III 1. 111

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

hen, und der zivilrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff haben also denselben gesetzlichen Ursprung, stimmen, was Umfang und Ausmaß des gebotenen Verhaltens betrifft, zumindest im Prinzip überein. Nicht wenige Stimmen - zumal, wenn sie der Lehre vom Verhaltensunrecht anhängen 119 - bestreiten deshalb, daß dem Verschuldeoserfordernis im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte überhaupt noch eine eigenständige Bedeutung zukommt, und plädieren konsequenterweise dafür, die Normalhaftung des BGB nach §§ 276, 823 nicht mehr als Verschuldens-, sondern als Unrechtshaftung zu bezeichnen 120• Andere wollen der "Schuld" als dritter Stufe im traditionellen Deliktsaufbau auch bei den Verkehrspflichtdelikten einen gewissen Anwendungsbereich erhalten, indem sie zwischen der sog. äußeren Sorgfalt und der sog. inneren Sorgfalt als den beiden Elementen der Fahrlässigkeit differenzieren 121 • Die "äußere Sorgfalt", verstanden als das objektiv sachgemäße Verhalten 122, soll danach mit der jeweiligen Verkehrs(sicherungs)pflicht identisch sein, praktisch in ihr aufgehen und deshalb im Deliktsaufbau auch der Rechtswidrigkeit zugeschlagen werden 123. Daneben soll aber immer noch Raum für eine gesonderte Prüfung der "inneren Sorgfalt" auf der Schuldebene verbleiben, und zwar immer dann, wenn die Verletzung der "äußeren Sorgfalt" feststeht 124• Die "innere Sorgfalt" setzt sich dieser Auffassung zufolge aus den Komponenten der ,.Erkennbarkeit" und der "Vermeidbarkeit" der Rechtsgutsverletzung zusammen 125 • Freilich wird dabei unter dem Regime des objektivierten Fahrlässigkeitsmaßstabes nicht auf die individuellen Fähigkeiten und Anlagen des Betreffenden abgestellt, sondern auf den berühmten Durchschnittsmenschen, als welcher der einzelne fingiert wird, was aber immerhin noch die Berücksichtigung gewisser klassifizierender Merkmale, wie Berufs-oder Altersgruppe, erlaubt 126• Aus dem Unterschied, der im Einzelfall bestehen kann zwischen dem Höchstmaß an Sorgfalt, das die Verkehrssicherungspflicht verlangt, und dem durchschnittlichen Maß an Sorgfalt, das von dem Betreffenden in seiner Eigenschaft Siehe dazu oben unter II. Vgl. nur Esser/Schmidt, a.a.O., §25 V 1, S. 369; Wiethölter, a.a.O., S.47ff.; Brüggemeier, a.a.O., S. 95 f. 121 Vgl. insbesondere v. Bar, Verkehrspflichten, a. a. 0 ., S. 173 ff.; Deutsch, a. a. 0., S. 271 f.; Kullmann, in Kullmann/ I Pfister, a.a.O., Kz. 1525, S. 18 ff.; Larenz I, 13.Aufl., S. 267 f.- in der 14.Aufl., a.a.O., S. 289 ff. will Larenz nur die Begriffe "innere" und "äußere" Sorgfalt aufgegeben wissen, hält der Sache nach aber an der Unterscheidung fest. 122 Vgl. Deutsch, a.a.O., S. 276. 123 Siehe auch v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 174 f. 124 v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 175 f.; Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1525, S. 18. 125 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 175; Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1525, S. 18 f.; vgl. auch BGH, VersR 1976, 149, 151. 126 Vgl. insoweit nur Larenz I, 14.Aufl., a.a.O., S. 285 f. ; allgemein zur Abgrenzung zwischen "innerer" und "äußerer" Sorgfalt Deutsch, a. a. 0 ., S. 276 ff. 119

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V. Die Beweislastumkehr

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als Angehörigem einer bestimmten Berufs-, Alters- oder sonstigen Gruppe von Verkehrsteilnehmern erwartet werden muß, wird die Notwendigkeit und Berechtigung einer eigenständigen Schuldprüfung auch bei den Verkehrspflichtdelikten abgeleitet 127 • Der Anwendungsbereich des "Verschuldens" ist demnach auch nach dieser Auffassung auf den schmalen, oftmals wohl nur theoretischen Grad zwischen höchstem Sorgfaltsstandard und gruppenspezifischem Sorgfaltsstandard beschränkt. Selbst die Protagonisten der gesonderten Schuldfeststellung bestreiten daher nicht, daß dem Verschuldenserfordernis im Rahmen der Verkehrspflichtdelikte kaum praktische Bedeutung zukommt 128• Die Rechtsprechung hält allerdings gleichwohl an der Unterscheidung zwischen "äußerer Sorgfalt" und "innerer Sorgfalt" fest 129• Zumindest theoretisch bleibt deshalb denkbar, daß ein Hersteller trotz Verstoßes gegen eine der ungeschriebenen Verkehrssicherungspflichten nicht haftet, weil ihm dieser Verstoß in subjektiver Hinsicht nicht angelastet werden kann.

V. Die Beweislastumkehr Neben den situations-und personenbezogen ausdifferenzierten Hersteller-Verkehrspflichten sind die von der Rechtsprechung dem Geschädigten zugestandenen Beweiserleichterungen das zweite Charakteristikum des bisherigen deutschen Produzentenhaftungsrechts. Der bereits (oben unter I) erwähnten HühnerpestEntscheidung des BGH kommt insofern die Bedeutung eines Marksteins zu 130. In offener Rechtfortbildung hat der BGH hier dem typischerweise vorliegenden Beweisnotstand eines Produktgeschädigten durch eine partielle Beweislastumverteilung Rechnung getragen und so über eine Modifikation der Beweis(last)regeln faktisch eine Haftungsverschärfung zu Lasten des industriellen Herstellers erreicht. Die Tragweite dieser begrenzten Beweislasturnkehr, die der BGH in der Hühnerpest-Entscheidung erstmals formuliert 131 , in späteren Entscheidungen, namentlich in einer der beiden Apfelschorf-Entscheidungen, präzisiert 132 hat, wird erst vor dem Hintergrund der materiellen Haftungssituation und der generellen Prinzipien der Beweislastverteilung im Zivilprozeß verständlich. Nach der Grundregel 121

Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, a. a.O., S. 177 ff. und Larenz I, 13.Aufl., a.a.O.,

s. 267 f.

128 Siehe z.B. Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz.l525, S. 19; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 483; v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 177, der meint, das Verschuldens"prinzip" sei bei den Verkehrspflichten rechtstechnisch (Hervorhebung durch d. V.) gewahrt. 129 Vgl. namentlich BGHZ 80, 186, 196 ff.- "Apfelschorfl" , wo ausdrücklich von "äußerer" und "innerer" Sorgfalt gesprochen wird; vgl. ferner BGH, VersR 1967, 714, 716; BGH, VersR 1976, 149, 151; BGH, VersR 1978, 722, 723- ,,Kfz-Reparatur"-. 130 Der Ausdruck stammt von Kuchinke, a.a.O., S. 114. m Vgl. BGHZ 51, 91, 104 ff. 132 V gl. BGHZ 80, 186, 196 ff.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

der Beweislastverteilung obliegt dem Anspruchssteiler die Beweislast hinsichtlich sämtlicher anspruchsbegründenden Tatsachen 133 • Inhalt und Umfang der Beweisbelastung richten sich dabei grundsätzlich nach den Tatbestandsvoraussetzungen der materiellen Haftungsnorm, die Grundlage des begehrten Anspruchs ist. Im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch eines Produktgeschädigten gegen den Hersteller des Produkts bedeutet dies, daß er zu allen geschriebenen und ungeschriebenen Tatbestandsmerkmalen des § 823 Abs. 1 BGB die notwendigen Tatsachen vortragen und gegebenenfalls unter Beweis stellen muß, welche die Merkmale ausfüllen. Neben Rechtsgutsverletzung, Schaden und Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsgutsverletzung und Schaden (sog. haftungsausfüllende Kausalität) 134 sind dies vor allem der schuldhafte 135 Verstoß des Herstellers gegen eine Verkehrssicherungspflicht und der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtverstoß und Rechtsgutsverletzung (sog. haftungsbegründende Kausalität). Um die Schadensersatzpflicht des Herstellers auszulösen, ist es deshalb grundsätzlich notwendig, aber auch hinreichend, daß der Geschädigte alle diese Voraussetzungen in tatsächlicher Hinsicht ausreichend belegen kann. Den Nachweis, daß das schadstiftende Produkt mit einem ,,Fehler" behaftet war, muß der Geschädigte deshalb an sich nicht erbringen. Denn der Haftungsgrund liegt nach dem bisherigen deutschen Produzentenhaftungsrecht nicht in einer irgendwie gearteten "Fehlerhaftigkeit" des Produkts, sondern in einem (verkehrs-)pflichtwidrigen (und schuldhaften) Verhalten des Herstellers 136• Andererseits wird in Produzentenhaftungsfallen der bei dem Betroffenen eingetretene Schaden regelmäßig erst durch einen Produkt"fehler" vermittelt, in welchem sich das entsprechende Fehlverhalten manifestiert. Wenn es auch haftungsrechtlich allein auf das Fehlverhalten ankommt, so besteht demnach doch ein Zusammenhang zwischen dem nur mittelbar schadenskausalen "fehlerhaften" Verhalten und dem unmittelbar schadenskausalen "fehlerhaften" Produkt. Auch der BGH geht stillschweigend vön diesem Zusammenhang aus, indem er ihn zum Ansatzpunkt für eine feingliedrige Beweislastverteilung zwischen dem Produktgeschädigten und dem Hersteller des Produkts macht. Im Rahmen des Beweisrechts spielt also der nach der verhaltensbezogenen (Verkehrspflicht-)Haftung materiellrechtlich eigentlich irrelevante objektive Produktfehlerbegriff dennoch bereits eine wichtige Rolle 137• Obwohl in haftungsrechtlicher Hinsicht im Grunde genommen belanglos, ist er für die Beweisführung und die damit verbundenen Beweislastfragen doch unverzichtbar.

Vgl. nur Rosenberg/Schwab, a.a.O., § 118 II 2, S. 717. Die Beweisanforderungen hinsichtlich Schaden und haftungsausfüllender Kausalität sind bereits kraft Gesetzes gemildert, vgl. § 287 ZPO und dazu Kullrriann, in Kulimann/Pfister, a.a.O., Kz.1526, S. 4f. 135 Zu der Bedeutung des Schuldmerkmals vgl. oben unter IV. 136 Siehe dazu oben unter 111 3 a. 137 Siehe dazu oben unter 111 3 a. 133

134

V. Die Beweislastumkehr

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Die vom BGH entwickelte Beweislastverteilung im Produzentenhaftungsrecht läßt sich danach wie folgt umreißen: Der Geschädigte muß den Nachweis führen, daß "sein Schaden im Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers, und zwar durch einen objektiven Mangel oder Zustand der Verkehrswidrigkeit ausgelöst worden ist" 138 • Nach dieser, vom BGH auch in späteren Entscheidungen wiederholten Formel 139, hat der Geschädigte dreierlei zu beweisen: -

Zum einen, daß sich das Produkt in einem ,,Zustand der Verkehrswidrigkeit" befand, mithin "objektiv mangelhaft" (oder "fehlerhaft") war. An dieser Stelle wird also im Rahmen der Verkehrspflichthaftung die Feststellung der "objektiven" Fehlerhaftigkeit des Produkts bedeutsam. Eine solche objektive Fehlerhaftigkeit liegt dabei immer dann vor, wenn das Produkt von einer gefahrdrohenden Beschaffenheit war, die nach der insoweit maßgeblichen Verkehrsauffassung 140 nicht mehr hingenommen werden konnte 141 •

-

Zum zweiten muß der Geschädigte zumindest grundsätzlich 142 beweisen, daß der Produktfehler aus dem "Organisations- und Gefahrenbereich des Herstellers" stammt. Dieser Fehler-Bereichsnachweis verlangt von dem Geschädigten in erster Linie den Nachweis, daß der Produktfehler schon im Zeitpunkt der Ioverkehrgabe durch den Hersteller vorhanden war 143 • Der Geschädigte muß insoweit also die ernsthafte Möglichkeit ausschalten, daß der Fehler erst später, etwa anläßlich von Wartungs- oder Reparaturarbeiten oder infolge unsachgemäßer Produktbehandlung entstanden ist 144 • Darüber hinaus ist der Fehler-Bereichsnachweis aber auch im Rahmen der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung von Bedeutung 145.

-

Schließlich obliegt dem Geschädigten zum dritten auch stets der Nachweis dafür, daß die "Fehlerhaftigkeit" des Produkts für die eingetretene Rechtsgutsverletzung ursächlich war (sog. haftungsbegründende Kausalität) 146. Für Instruktionsfehler gilt dabei keine Ausnahme, weshalb der Geschädigte gegebenenfalls auch darzutun und zu beweisen hat, daß durch die gebotenen Hinweise, Warnungen, Anleitungen etc. der Schadensfall mit Sicherheit ver-

BGHZ 51, 91, 105- "Hühnerpest"-. Vgl. z. B. BGH, NJW 1973, 1602, 1603- ,,Feuerwerkskörper"-; BGH, NJW 1975, 1827, 1828- ,,Spannkupplungen" -. 140 Siehe dazu oben unter III 2. 141 Vgl. BGH, NJW 1973, 1602, 1603 "Feuerwerkskörper"-. 142 Eine Ausnahme stipuliert nunmehr die Limonadenflaschen-Entscheidung, BGH, NJW 1988, 2611 ff. und dazu Winkelmann, MDR 1989, 16 ff. 143 Vgl. BGH, NJW 1973, 1602, 1603; BGH, NJW 1975, 1827, 1828. 144 Vgl. nur Kullmann, in Kullmann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1526, S. 3. 145 Näher dazu unten im 4. Kapitel unter I 2 a. 146 Vgl. BGHZ 51, 91, 102; BGH, VersR 1972, 149 f . - "Förderanlage"-; BGH, VersR 1981, 1181, 1182- "Klimatisierungsgerät" - ; BGH, VersR 1983, 375 "Muscheln" -; die sog. haftungsausfüllende Kausalität macht idR kaum Probleme, vgl. Kullmann, in Kullmann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1526, S. 4 f. 138

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland mieden worden wäre 147• Dabei können dem Geschädigten allerdings eventuell Beweiserleichterungen nach den Regeln des sog. Anscheinsbeweises zugute kommen 148 •

Die spezifisch produzentenhaftungsrechtliche Beweislastumkehrung bezieht sich dagegen auf die nächste Stufe der Beweisführung. Diese Stufe betrifft das (verkehrs-)pflichtwidrige und schuldhafte Verhalten des Herstellers, was normalerweise eigentlich ebenfalls der Geschädigte nachzuweisen hätte. In diesem Rahmen müßte der Geschädigte das konkrete Fehlverhalten des Herstellers, das zu dem Produktfehler geführt hat, beschreiben und unter Beweis stellen, das heißt, er müßte die genaue Fehlerursache im Betrieb des Herstellers lokalisieren, insbesondere etwa den Mitarbeiter benennen, der den Fehler verursacht hat, sowie gegebenenfalls die mangelhafte Organisation des Herstellerbetriebes darlegen ein mit äußersten Schwierigkeiten verbundenes Unterfangen, denn der Geschädigte hat regelmäßig überhaupt keinen Einblick in die internen Betriebsabläufe, andererseits ist dem deutschen Recht ein der US-amerikartischen ,,Pre-TrialDiscovery" vergleichbares Institut fremd 149• Für den Geschädigten tut sich hier eine nahezu unüberwindliche Beweishürde auf, an der seine Klage häufig scheitern würde. Dies verkennt auch der BGH nicht. Er hilft dem Geschädigten deshalb, indem er ihn unter bestimmten Voraussetzungen insoweit von der Beweislast befreit und sie dem industriellen Hersteller aufbürdet. Letzterer sei "näher daran", den Sachverhalt in seinen Einzelheiten aufzuklären und die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen, da er im Gegensatz zu dem Geschädigten die Produktionssphäre überblicke und die Vorgänge kenne, die sich bei der Herstellung des Produkts abgespielt hätten 150• Es sei ihm daher zuzumuten, sich hinsichtlich aller denkbaren und möglichen Fehlerquellen in seinem Betrieb zu entlasten, vor allen Dingen auch zu beweisen, daß der organisierte Produktionsablauf keiner Störung durch individuelle Fehlleistungen von Bediensteten ausgesetzt war 151 • Wie der BGH in einer der beiden Apfelschorf-Entscheidungen klargestellt hat, umfaßt die Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten jedoch nur bei Konstruktions- und bei Fabrikationsfehlern die sog. äußere Sorgfalt 152, also den Verstoß des Herstellers gegen eine objektive Verkehrssicherungspflicht 153 • Nur 147 Vgl. BGH, NJW 1975, 1827, 1829 "Spannk:upplungen" - ; BGH, NJW 1987, 372,374- ,,Zinkspray" -; BGH, NJW 1987, 1009, 1012- ,,Lenkerverkleidung" - . 148 Zu den verschiedenen Möglichkeiten ausführlich Kullmann, in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 1526, S. 5 ff. 149 Vgl. zur ,,Pre-Trial-Discovery" z. B. Schlosser, a. a.O., S. 7 ff. mit eindrucksvollen Beispielen für deren enorme Reichweite in der US-amerikanischen Gerichtspraxis. 150 BGHZ 51, 91, 105- "Hühnerpest"-. 151 BGH, NJW 1973, 1602, 1603- ,,Feuerwerkskörper" - . 152 Zur Unterscheidung zwischen der sog. äußeren und der sog. inneren Sorgfalt vgl. oben unter IV.

VI. Resümee- Merkmale des bisherigen Produzentenhaftungsrechts

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in diesen Fällen hat der Geschädigte demnach seiner Beweisobliegenheit mit dem Nachweis eines schadensursächlichen Produktfehlers aus dem Verantwortungsbereich des Herstellers Genüge getan, und liegt es an dem Hersteller, sich hinsichtlich der weiteren Umstände zu entlasten. Im übrigen, also namentlich bei Instruktionsfehlern 154 und wohl auch bei Produktbeobachtungsfehlern 155 ist die Beweislastumkehr auf die- relativ bedeutungslose 156 - sog. innere Sorgfalt beschränkt. Allerdings befindet sich der Geschädigte bei Schäden durch Instruktions- und Produktbeobachtungsfehler regelmäßig nicht in einer ähnlichen Beweisnot wie bei Schäden durch Konstruktions- und Fabrikationsfehler 157 • Eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereichs der Beweislastumkehr ergibt sich daraus, daß sie - zumindest bislang - auf Ansprüche gegen den industriellen Hersteller des Produkts begrenzt wird 158 • Eine Ausdehnung der geschilderten Grundsätze auf Kleinbetriebe hat der BGH bislang offengelassen 159, in Bezug auf den Vertriebsbereich aber abgelehnt 160. Die einmal befürwortete Anwendung der Grundsätze auch zu Lasten eines Produktionsleiters 161 ist vereinzelt geblieben 162•

VI. Resümee - Die charakteristischen Merkmale des bisherigen deutschen Produzentenhaftungsrechts Zusammengefaßt zeichnet sich das bisherige deutsche Produzentenhaftungsrechi gegenüber den allgemeinen Deliktsregeln durch zwei Besonderheiten aus. Als von der Rechtsprechung ausdrücklich statuierte Eigentümlichkeit ist die partielle Beweislastumkehrung zu Lasten des industriellen Warenherstellers festzuhalten. Dennoch wäre es verkehrt, diese Beweislastumkehrung als das eigentliche und einzige Substrat der Produzentenhaftung zu bezeichnen. Mindestens ebenso wichtig sind nämlich die von der Rechtsprechung herausgearbeiteten speziellen Hersteller-Verkehrspflichten. Letztere lassen sich zwar ausnahmslos 153 Vgl. BGHZ 80, 186, 196 ff.; Brüggemeier, a.a.O., S. 355 möchte diesen auch noch die Abfallbeseitigungsfehler zuschlagen. 154 So ausdrücklich BGHZ 80, 186, 197 ff. "Apfelschorf I" -. 155 Vgl. Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1526, S. 17; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 513. 156 Siehe oben unter IV. 157 Worauf BGHZ 80, 186, 198,- "Apfelschorf I" ausdrücklich hinweist. 158 Vgl. den amtlichen Leitsatz in BGHZ 51, 91 "Hühnerpest"-. 159 Vgl. BGHZ 51, 91, 107 -"Hühnerpest" -. 160 Vgl. BGHZ 67, 359, 363- "Schwimmschalter" - . 16 1 Vgl. BGH, NJW 1975, 1827, 1828 f. "Spannkupplungen" - . 162 Die Entscheidung hat erhebliche Kritik im Schrifttum gefunden, vgl. stellvertretend nur Stoll, AcP 1976, 145, 170 und Lieb, JZ 1976, 526 ff.; Kullmann, seines Zeichens Mitglied im VI. Senat des BGH, möchte sie in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 1526, S. 20 auf "Repräsentanten" des Herstellers beschränkt wissen.

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3. Kap.: Das bisherige Produzentenhaftungsrecht in Deutschland

auf die allgemein gültige Rechtsfigur der Verkehrs(sicherungs)pflicht zurückführen. Der Vergegenwärtigung dieses Zusammenhangs zwischen allgemeiner Verkehrspflicht und speziellen Herstellerpflichten bedarf es im Grunde genommen aber nur für die Erkenntnis des theoretischen Fundaments, auf dem die bisherige deutsche Produzentenhaftungsrechtsprechung steht. In der Praxis haben sich die von der Rechtsprechung abstrakt formulierten typischen Herstellerpflichten längst zu eigenständigen Entscheidungsregeln verselbständigt, die als Iex specialis der Generalklausel vorgehen. Die Einzelflille werden nicht direkt unter die Generalklausel subsumiert, sondern an den typisierten Pflichtenanforderungen gemessen. Solchermaßen dient nicht die allgemeine Verkehrssicherungspflicht als (unmittelbarer) Entscheidungsmaßstab, sondern die daraus hergeleiteten konkretisierten und typisierten abstrakt-generellen Pflichtenbeschreibungen. Wenn vielleicht auch ursprünglich nur als Verständnishilfen gedacht 163, haben diese Pflichtenbeschreibungen (jedenfalls) inzwischen de facto Normcharakter erlangt, indem sie von der Rechtsprechung regelmäßig und gleichförmig zur Beurteilung produzentenhaftungsrechtlicher Sachverhalte herangezogen werden. Die faktische Narrneigenschaft der von der Rechtsprechung aufgestellten Herstellerpflichten zeigt sich besonders deutlich in den Überlegungen, die im Hinblick auf eine Anwendung auch gegenüber dem Vertriebsbereich angestellt werden 164• Hier geht es der Sache nach darum, ob die Hersteiler-Spezialnormen auch auf Importeure, QuasiHersteller usw. ausgedehnt werden sollen, oder ob es insoweit bei der Heranziehung der Generalklausel bleibt, auf die auch für den "normalen" Vertriebsbereich zurückgegriffen wird. Damit kristallisiert sich als zweites Charakteristikum des bisherigen deutschen Produzentenhaftungsrechts die spezifische Hersteller-Verkehrspflichtrechtsprechung heraus. Eine Verbreiterung des Adressatenkreises der speziellen Herstellerpflichten über den Produktionsbereich hinaus hat die Rechtsprechung grundsätzlich ebenso abgelehnt 165 wie eine Erstreckung der Beweislasturnkehrgrundsätze auf andere als industrielle Hersteller 166• Beide Charakteristika beziehen sich also im Regelfall allein auf den (industriellen) Güterproduzenten - ein weiterer legitimer Grund, die bisherige Rechtslage mit dem Begriff "Produzentenhaftung" zu kennzeichnen 167.

163 So noch heute ausdriicklich z. B. Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1520, S. 25; ebenso Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 137. 164 Siehe dazu oben unter III 4 b. 165 Siehe dazu oben unter III 4 b. 166 Siehe dazu oben unter V. 167 Siehe dazu oben im 1. Kapitel unter III.

4. Kapitel

Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung: Die Behandlung der Kooperationsproblematik im bisherigen deutschen Recht (Verkehrspflichthaftung) und die Ansatzpunkte für eine sinnvolle dogmatische Weiterentwicklung Bereits oben (im 2. Kapitel) wurde im einzelnen dargelegt, warum und inwieweit Art und Ausmaß unternehmefischen Zusammenwirkens für die sachgerechte Bewältigung eines Produktschadenfalls von grundsätzlichem Interesse ist. Bezeichnenderweise wird die damit angesprochene Kooperationsproblematik im Produkthaftungsbereich von der deutschen Literatur bislang unter dem Stichwort "zwischenbetriebliche Arbeitsteilung" abgehandelt 1• Es drückt sich darin eine Beschränkung der Perspektive auf die im konkreten Produktions- und Distributionsprozeß anfallenden Arbeiten bzw. Aufgaben aus, die andere (haftungsrelevante) Strukturmerkmale unternehmenscher Zusammenarbeit nicht wahrnimmt. Diese Verengung des Blickfeldes ist nur teilweise damit zu erklären, daß aufgrund der (im vorangegangenen Kapitel geschilderten) deliktsrechtlichen Einkleidung des bisherigen Produzentenhaftungsrechts der eigentliche Haftungsgrund in einem (Fehl-)Verhalten des Haftpflichtigen liegt. Durch diese juristisch-dogmatische Determinante werden zwar gewisse Vorentscheidungen getroffen, was die Auswahl des haftungspolitischen Grundkonzepts und damit auch der maßgebenden Strukturierungsmethode betrifft 2 • Keineswegs ist es aber so, daß sich die verhaltensbezogene Haftung etwa per se auf die Beteiligten des konkreten Herstellungs- und Vertriebsvorgangs beschränken und deshalb die ausschließlich aufgabenorientierte Gliederung der Beteiligungsverhältnisse erzwingen würde. Zwischen der (allgemein) verhaltensbezogenen Haftung und der eingangs (im 2. Kapitel unter V) geschilderten haftungspolitischen Grundauffassung, die den konkreten Produk~ions- und Distributionsprozeß in das Zentrum der tatsächlichen wie rechtlichen Analyse stellt, besteht lediglich insofern eine Affinität, als für beide der die Haftung auslösende Faktor ein Fehlverhalten des Haftpflichtigen ist. Dies ist der Grund, warum die allgemein verhaltensbezogene Haftung durchgehend mit der aufgabenbezogenen Haftung gleichgesetzt und die aufgabenorientierte I Vgl. nur Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0 ., Kz. 3250, S. 1 ff.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, a. a. 0 ., Rd. 102 ff.; ders. in Produkthaftung I, a. a. 0 ., S. 103 ff.; Lukes, a.a.O., S. 43 ff.; Feldmann, a.a.O., S. 17 ff.; Brüggemeier, a.a.O., S. 361 ff.; ders. in WM 1982, 1294, 1305 ff.; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 409 ff. 2 Siehe dazu oben im 2. Kapitel unter V.

5 Winkelmann

66

4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Strukturierung der Beteiligungsverhältnisse stillschweigend als die für die verhaltensbezogene Haftung einzig mögliche hingestellt wird. Im Unterschied zu der aufgabenbezogenen Haftung geht der allgemein verhaltensbezogenen Haftung aber eine derartige Beschränkung auf die im konkreten Herstellungs- und Verteilungsvorgang anfallenden Aufgaben ab. Sie ist vielmehr wesentlich umfassender zu begreifen und vermag von der Anlage her jedes Unternehmen zu erfassen, das in irgendeiner tatsächlichen Beziehung zu dem schadstiftenden Produkt steht. Indem sie es für eine Haftung ausreichend sein läßt, daß sich der Haftungsschuldner mißbilligenswert (und natürlich schadenskausal) verhalten hat, ist die allgemein verhaltensbezogene Haftung auch anderen normativen Haftungskriterien als dem Verstoß gegen die speziell mit der Erzeugung und Verteilung des Produkts zusammenhängenden (Konstruktions- etc.) Pflichten zugänglich. Damit beschränkt sich die Produzentenhaftung auch nicht notwendig auf diejenigen Unternehmen, welche die entsprechenden (Konstruktions- etc.)Aufgaben konkret übernommen haben. Wie sogleich noch zu zeigen sein wird (unter III), verträgt sich die verhaltensbezogene Haftung deswegen durchaus mit einer machtorientierten Betrachtungsweise, und ist auch eine Rechtsfigur wie die von der deutschen Rechtsprechung entwickelte "Verkehrs(sicherungs)pflicht" dazu imstande, einer entsprechenden Strukturierung der Beteiligungsverhältnisse haftungsrechtlich befriedigend Rechnung zu tragen. Gleichwohl hält die Rechtsprechung namentlich des BGH bislang offenkundig an der Aufgabenorientierung festJ. Aus diesem Grunde sollen im folgenden (unter I) zunächst die Haftungsverhältnisse zwischen den am konkreten Produktions- und Distributionsvorgang beteiligten Unternehmen dargestellt werden, auf welche die aufgabenorientierte Sichtweise festgelegt ist. Im Anschluß daran werden die Grenzen und Schwächen dieses Konzepts behandelt (unter II), um abschließend Ansatzpunkte für eine systemkonforme Erweiterung zu entwickeln (unter III).

I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung im konkreten Produktions- und Distributionsprozeß (nach der Verkehrspflicht-Produzentenhaftung) Sind an Herstellung und Vertrieb eines schadstiftenden Produkts mehrere Unternehmen unmittelbar beteiligt, so stellt sich regelmäßig die Frage, wer von den Beteiligten für den entstandenen Schaden aufzukommen hat. Angesprochen 3

Dies äußert sich namentlich in BGH, BB 1977, 1117 -

,,Autokran" -; BGH,

NJW 1980, 1219 - "Klapprad li" - ; BGH, NJW 1981, 2250 f . - ,,Asbestzementplatten" -; BGH, NJW-RR 1990, 406 f . - ,,Expander"-; OLG Köln, NJW-RR 1990, 414 f. - "Kohlep1atten" -.

I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung

67

ist damit das Problem der Haftungsverhältnisse bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung im konkreten Produktions- und Distributionsprozeß. Dieses Problem hat grundsätzlich zwei Seiten. Für den Geschädigten ist ausschließlich von Interesse, welche der beteiligten Unternehmen er wegen seines Schadens in Anspruch nehmen kann- insofern handelt es sich um die Frage nach den Haftungsgegebenheiten im Außenverhältnis. Daneben ist für die im Außenverhältnis Haftpflichtigen von Bedeutung, wer von ihnen den Schaden letztlich tragen muß - diese Fragestellung berührt allein das Innenverhältnis zwischen den beteiligten Unternehmen. Diese grundlegende Unterscheidung zwischen Haftung im Außen- und im Innenverhältnis ist allerdings nur insoweit von Belang, als die Haftungsverpflichtung im Außenverhältnis weitergeht als im Innenverhältnis. Stimmen Einstandspflicht im Außen- und im Innenverhältnis überein, so kann sich der Geschädigte ohnehin nur an den von der Rechtsordnung bestimmten (Letzt-)Verantwortlichen halten. Gegenüber den übrigen Beteiligten besteht bereits im Außenverhältnis kein Anspruch, so daß die Notwendigkeit einer Schadenszuweisung im Innenverhältnis entfällt. Durch eine solche weitgehende Deckungsgleichheit zwischen Verpflichtung im Außen- und im Innenverhältnis zeichnet sich nach bisherigem Verständnis das in der deliktischen Verkehrspflichthaftung wurzelnde Produzentenhaftungsrecht aus. Von den an Herstellung und Vertrieb des schadstiftenden Produkts unmittelbar mitwirkenden Unternehmen kann der Geschädigte im Grundsatz nur eines davon in Anspruch nehmen, nämlich dasjenige, welches den Aufgabenund Tätigkeitsbereich wahrgenommen hat, aus dem die Fehlerquelle stammt. Im Rahmen der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung erweist sich damit die haftungsbegrenzende Wirkung der Aufgabenbereichslehre 4 • Im Gegensatz zur innerbetrieblichen Arbeitsteilungs wird die rechtliche Verantwortlichkeit hier ganz auf das tatsächliche Tätigkeitsfeld beschränkt, reicht also nicht über das im Produktions- und Distributionsprozeß übernommene Aufgabengebiet hinaus. Dadurch wird die allgemeine Produktsicherungspflicht, die im Ergebnisall diejenigen Maßnahmen verlangt, die erforderlich sind, um die Sicherheit des Produkts zu gewährleisten, entsprechend der tatsächlichen Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Beteiligten aufgespaltet 6• Jeder haftet nur für den von ihm übernommenen Part. Bei einer Gliederung der Beteiligungsverhältnisse entsprechend den oben (im 2. Kapitel unter II) genannten Grundformen zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung ergibt sich danach im wesentlichen folgendes Bild von der Haftungssituation:

Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter III 3 b. s Ausführlich dazu im 3. Kapitel unter III 3 c. 6 Ausführlich dazu Feldmann, a. a. 0., S. 32 ff.

4

5*

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung 1. Haftung im Verhältnis Hersteller I Händler

Schon oben (im 3. Kapitel unter III 4 b) wurde dargestellt, daß dem Händler die spezifischen Herstellerpflichten in aller Regel nicht auferlegt sind, und zwar nach Ansicht des BGH auch dann nicht, wenn es sich um einen besonderen Händler handelt, der mit dem Produktionsunternehmen wirtschaftlich verflochten ist, der die von ihm vertriebenenWaren mit seinem eigenen Firmen- oder Markenzeichen versieht ("Quasi-Hersteller") oder der die Waren aus anderen Ländern importiert. Die Warenherstellung fällt nicht in den Aufgaben- und Tätigkeitsbereich des Händlers, weshalb ihm auch nicht die damit verbundenen Sorgfaltspflichten obliegen. Aber auch selbständige Untersuchungspflichten treffen den Händler nur in Ausnahmefallen. Die Untersuchung der Produkte auf ihre gefahrfreie Beschaffenheit ist vielmehr ebenfalls grundsätzlich ausschließlich Sache des Herstellers 7 • Der Händler ist im allgemeinen nicht dazu verpflichtet, die von ihm zum Verkauf angebotenen Produkte darauf zu überprüfen, ob von ihnen Gefahren ausgehen 8 • Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn aus besonderen Gründen Anlaß zu einer solchen Überprüfung besteht, etwa weil bereits Schadensfalle bei der Produktverwendung bekannt geworden sind, oder wenn die sonstigen Umstände des Falles eine Überprüfung nahelegen 9 • Im übrigen beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht des Händlers auf bloße Kontrollmaßnahmen im Rahmen des üblichen, das heißt, der Umfang der zu erwartenden Kontrollmaßnahmen richtet sich nach den Anforderungen, die an einen durchschnittlichen Händler dieser Größe und dieses Spezialisierungsgrades nach der Verkehrsauffassung gestellt werden können und müssen 10• In aller Regel ist danach nicht mehr als eine Sichtprüfung der Ware auf offensichtliche Fehler oder Mängel (z. B. Ablauf des Verfalldatums) erforderlich 11 • In bestimmten Branchen werden dem Händler aber auch weitergehende Kontrollen abverlangt, z. B. dem Kraftfahrzeughändler die sog. Ablieferungsinspektion, die aber nur die Entdeckung bestimmter erkennbarer Fabrikationsfehler gewährleisten kann und soll 12 • Daneben können dem Händler noch 7

Vgl. BGH, VersR 1960, 855, 856- "Kondenstopf' -.

s BGH, NJW 1981, 2250- ,,Asbestzementplatten" -; vgl. auch BGH, NJW 1981,

1269, 1270- .,Klebeband" -. 9 Vgl. BGH, VersR 1960, 855, 856- .,Kondenstopf' -; BGH, BB 1977, 1117, 1118- .,Autokran" -; BGH, NJW 1980, 1219- .,Klapprad"-; BGH, NJW 1981, 2250 - "Asbestzementplatten" -. 10 Vgl. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Eint., Rd. 106; ders. in Produkthaftung li, a.a.O., Rd. 148; Lukes, a.a.O., S. 46; Brüggemeier, a.a.O., s. 369 f. 11 Vgl. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Eint., Rd. 106; ders. in Produkthaftung I, a.a.O., S. 121; Kullmann, in Kul1mann1Pfister, a.a. O., Kz. 1524, S. 1; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 461 f. 12 Vgl. zu diesen weitergehenden Kontrollpflichten ausführlich Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0 ., Kz. 1524, S. 3; Foerste, in v. Westphalen, a. a. 0., S. 462 ff.; zur Ablieferungsinspektion vgl. auch BGH, NJW 1980, 1219- "Klapprad"-.

I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung

69

Beratungs-, Aufklärungs- und Kennzeichnungspflichten obliegen 13• Schließlich können ihn, soweit er die Werbung für das Produkt eigenständig übernommen hat, die entsprechenden Werbepflichten treffen 14• Verletzt der Händler diese allgemeinen oder besonderen Kontroll-, Beratungs-, Kennzeichnungs-, oder Werbepflichten, so haftet er für den deshalb eingetretenen Schaden, und zwar gegebenenfalls neben dem Hersteller. Der Verstoß gegen Händlerpflichten begründet also u. U. eine deliktsrechtliche Mitverantwortung des Händlers für "fehlerhafte" Produkte 15 • Ansonsten muß der Händler für Produktfehler, die aus dem Herstellungsbereich herrühren, aber nicht einstehen. Eine gegen Personen oder Unternehmen aus dem Händlerbereich gerichtete Produkthaftungsklage bleibt in der Regel somit erfolglos. 2. Haftung bei Arbeitsteilung im Produktionsbereich

a) Die Haftungsverhältnisse bei vertikaler Arbeitsteilung Das charakteristische Merkmal der vertikalen Arbeitsteilung ist das selbständige und eigenverantwortliche Tätigwerden der jeweils eingeschalteten Unternehmen auf den verschiedenen Bearbeitungsstufen, die das (End-)Produkt durchläuft 16• Jedes der beteiligten Unternehmen übernimmt eigenständig die Durchführung eines bestimmten Produktionsschritts im Rahmen der Gesamtherstellung, zum Beispiel die Erzeugung eines oder mehrerer Bestandteile, die für das Endprodukt benötigt werden. Da nach vorherrschender Auffassung bei der Verkehrspflichthaftung jeder nur für die von ihm tatsächlich übernommenen Aufgabenund Tätigkeitsfelder die deliktsrechtliche Verantwortung trägt 17, reproduziert sich die faktische Aufgabenverteilung zwischen den an der Gesamtherstellung beteiligten Unternehmen detailgetreu auf der haftungsrechtlichen Ebene. Jedes Unternehmen ist daher nur für seinen individuellen Beitrag zum Gesamtprodukt verantwortlich, wobei im Einzelfall natürlich genau geklärt werden muß, worin dieser Beitrag bestand, das heißt, welche konkreten Aufgaben übernommen worden sind. Daraus folgt im Grundsatz, daß jedes Unternehmen nur für solche Produktfehler einzustehen hat, die aus seinem eigenen Aufgabenbereich stammen was umgekehrt bedeutet, daß (auch) im Außenverhältnis für Produktfehler des Endprodukts nur dasjenige Unternehmen in Anspruch genommen werden kann, in dessen Aufgabenbereich die Fehlerursache fällt 18 • Vgl. dazu im einzelnen nur Plum, VersR 1979, 209, 211 f. Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter lli 3 a. 15 Vgl. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a.O., Einl., Rd. 106; Kossmann, NJW 1984, 1664, 1667. 16 Siehe dazu oben im 2. Kapitel unter II 2. 17 Siehe dazu ausführlich im 3. Kapitel unter lli 3 b. 18 Vgl. Kullmann, in Kulimann I Pfister, a.a. O., Kz. 3250, S. 3 f.; Link, BB 1985, 1424, 1425; Feldmann, a.a.O., S. 33; Foerste, in v. Westphalen, a. a.O., S. 410. 13

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70

4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Für den Geschädigten hat dies die Notwendigkeit zur Folge, hinsichtlich des schadstiftenden Produkts eine genaue Fehleranalyse durchzuführen und in diesem Zusammenhang auch Ermittlungen darüber anzustellen, welche Unternehmen und in welcher Form an der Gesamtherstellung des Endprodukts beteiligt waren, da er anderenfalls Gefahr läuft, gegen den "falschen" Beteiligten Ansprüche zu erheben 19• Insoweit zeigt sich also die Bedeutung des von dem Geschädigten zu erbringenden Fehler-Bereichsnachweises im Zusammenhang mit der Herstellung eines Produkts durch mehrere Unternehmen 20 • Der Fehler-Bereichsnachweis ist grundsätzlich nur dann erbracht, wenn es dem Geschädigten gelingt, die Ursache für die Fehlerhaftigkeit des Produkts zu identifizieren und diese Fehlerursache dem Aufgaben- und damit Verantwortungsbereich eines der an der Herstellung beteiligten Unternehmen zuzuordnen 21 • Anband der tatsächlich übernommenen und ausgeführten Aufgaben im Rahmen des gesamten Produktionsablaufes lassen sich die individuellen Verantwortungssphären zwischen den beteiligten Unternehmen voneinander abgrenzen. Aufgrund der Verschiedenartigkeit der im Produktionsprozeß anfallenden Aufgaben kommt es jedoch regelmäßig zu Überschneidungen der einzelnen Verantwortungssphären, so daß nicht selten zwei oder mehrere Unternehmen für ein und denselben Produktfehler nebeneinander haftungsrechtlich verantwortlich sind, wobei diese parallele Verantwortlichkeit zumeist allerdings aus unterschiedlichen, sich gegenseitig aber ergänzenden (Produktsicherungs-)Pflichten resultiert. Zu denken ist hier beispielsweise an ein Zulieferteil, hinsichtlich dessen einerseits das Zulieferunternehmen selbständige Konstruktions-, Fabrikations- usw. Pflichten hat, andererseits der Abnehmer des Teils im Einzelfall vielleicht (Eingangs-)Kontrollpflichten. Das Verhältnis der an einer vertikalen Herstellerkette beteiligten Unternehmen wird durch dieses Ineinandergreifen verschiedener Verantwortungssphären geprägt. Jeden Zulieferer, d.h. jeden Hersteller eines Teilprodukts, das von den nachgeschalteten Unternehmen weiterverwandt wird, treffen dabei grundsätzlich die oben (im 3. Kapitel unter III 3 a) geschilderten Herstellerpflichten hinsichtlich 19 Als Beispiele für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen den "falschen" Beteiligten seien hier nur aufgeführt BGH, NJW 1968, 247, 248- "Schubstrebe"(wie sich aus dem Tatbestand ergibt, wurde die zunächst gegen den Endhersteller erhobene Klage abgewiesen); BGH, VersR 1972, 559, 560- "Haspel-Vorgelegewelle" -; BGH, BB 1977, 1117, 1118- ,,Autokran" -; BGH, Beschluß v. 7. 3. 1978- VI ZR 143/77 - , abgedr. vor OLG Karlsruhe, VersR 1978, 550 - ,,Limonadenflasche" -; OLG Köln, NJW-RR 1990, 414, 415 - ,,Koh1ep1atten" - ; zu den Ermittlungsproblemen des Geschädigten auch Körner, NJW 1985, 3047, 3052 (bezogen auf die Beteiligten eines Lizenzverhältnisses). 20 Vgl. oben im 3. Kapitel unter V. 21 Vgl. Winkelmann, MDR 1989, 16, 17; zur (grundsätzlichen) Notwendigkeit der genauen Fehleridentifikation im Rahmen der (der Verkehrspflichthaftung dogmatisch vergleichbaren) ,,negligence"-Haftung in USA siehe etwa den illustrativen Fall Snider v. Bob Thibodeau Ford, Inc., 202 N. W. 2d 727 (Mich. App. 1972).

I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung

71

des von ihm produzierten Teilstücks 22 • Darüber hinaus obliegen dem Zulieferer aber je nach Lage des Einzelfalles mehr oder weniger weitgehende weitere Pflichten, die gerade im Hinblick darauf bestehen, daß das Teilstück bestimmungsgemäß weiterverwandt, also beispielsweise in eine größere und kompliziertere Einheit, die der Abnehmer des Zulieferers herstellt, eingebaut werden soll. Je nach Kenntnis des Zulieferers von dem konkreten Verwendungszweck seines Zulieferprodukts sowie den speziellen Parteiabreden kann es sich dabei um besondere Kontroll-, Überwachungs-, Informations- und sogar Interventionspflichten handeln 23 • Für das Produkt der ihm nachgeschalteten Hersteller, also namentlich für das Zwischen- oder Endprodukt, für welches das Zulieferteil benötigt wird, trägt der Zulieferer dagegen grundsätzlich keine Verantwortung 24• Diese trifft vielmehr in der Regel allein den Weiterverarbeiter bzw. den Endhersteller. Desgleichen treten auch für den Weiterverarbeiter I Endhersteller neben die "normalen", im Hinblick auf sein eigenes Produkt bestehenden Herstellerpflichten noch weitere Pflichten, die sich in erster Linie auf die zugelieferten Fremderzeugnisse und deren Hersteller beziehen. So muß der Weiterverarbeiter, jeweils abhängig von den Umständen des Einzelfalles, die benötigten Zulieferteile genau beschreiben und insbesondere die gestellten Anforderungen präzise darlegen, die bezogenen Teile mehr oder weniger intensiv prüfen, Anweisungen des Zulieferers bei der Weiterverarbeitung beachten und schließlich durch verschiedene geeignete Maßnahmen sicherstellen, daß der ausgewählte Lieferant ausreichend qualifiziert und zuverlässig ist 25 • Einer originären Herstellerhaftung unterliegt der Weiterverarbeiter hinsichtlich der fremdproduzierten Teile jedoch nicht, denn bezüglich dieser Teile treffen ihn grundsätzlich keine Konstruktions- und Fabrikationspflichten26. Eventuelle "Fehler" dieser Teile können dem Weiterverarbeiter 22 Vgl. Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 3250, S. 4 f.; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 419 f.; Link, BB 1985, 1424; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 104; aA offenbar Lemppenau, Der Betrieb 1980, 1679, 1680; aus der Rspr. vgl. BGH, VersR 1959, 104, 105- "Seilschloß". 23 Vgl. dazu im einzelnen Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 3250, S. 5 f.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 105 ff.; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., s. 421 ff. 24 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 104 und S. 108; ders. in EGRichtlinie Produkthaftung, Eint., Rd. 110; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 425. 25 Vgl. im einzelnen Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 3250, S. 6 ff.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 109 ff.; ders. in Produkthaftung II, a.a.O., Rd. 128 ff.; ders. in EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Eint., Rd. 114 ff.; Lukes, a.a.O., S. 44 f.; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 413 ff. 26 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 108 f. ; ders. in Produkthaftung II, a. a. 0., Rd. 133; ders. in EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Eint., Rd. 114; Lukes, a.a.O., S. 43; a. A. Brüggemeier, WM 1982, 1294, 1305 und Lemppenau, Der Betrieb 1980, 1679, 1680; aus der nicht immer einheitlichen Rspr. vgl. nur RG, DR 1940, 1293, 1294- "Bremsen"-; BGH, VersR 1972, 559, 560- "Haspel-Vorgelegewelle" -; BGH, BB 1977, 1117, 1118 - "Autokran" - .

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

deshalb regelmäßig nicht als solche zugerechnet werden 27 • Falls der Weiterverarbeiter gegen keine der speziell mit der Weiterverarbeitung verbundenen Pflichten verstoßen hat, bleibt es in diesen Fällen daher bei der ausschließlichen Haftung des fraglichen Zulieferers- der Weiterverarbeiter wird nicht so behandelt, als habe er das vom Zulieferer fehlerhaft hergestellte Teil selbst hergestellt 28 • Freilich läßt sich bei den unteren Gerichten eine Tendenz feststellen, die Kontrollpflichten des Weiterverarbeiters I Endherstellers je nach Bedarf so hoch anzusetzen, daß eine Haftung insbesondere des Endherstellers auf jeden Fall immer gewährleistet ist 29 • Im Ergebnis wird dadurch die eigentlich erst vom Produkthaftungsgesetz eingeführte objektive und absatzbezogene Fehlerhaftung vorweggenommen 30• Nicht vergessen werden darf schließlich, daß häufig Kombinationen von vertikaler und horizontaler Arbeitsteilung anzutreffen sind, indem beispielsweise der Endhersteller die Konstruktion der von dem Zulieferer gefertigten Komponenten übernimmt. In den zuletzt genannten Fällen ist der Endhersteller selbstverständlich uneingeschränkt für den von ihm ausgeführten Teilbereich auch haftungsrechtlich verantwortlich, so daß er in dem Beispielsfall für Konstruktionsfehler der Zulieferkomponenten einzustehen hat 31 • Ein umgekehrtes Beispiel derartiger Kombinationsformen findet sich in dem der Autokran-Entscheidung des BGH 32 zugrundeliegenden Sachverhalt. Hier war der Endhersteller ein reines Montageunternehmen, welches das Endprodukt aus den bezogenen Zulieferteilen nach den vom Zulieferunternehmen gleichfalls zur Verfügung gestellten Plänen lediglich zusammensetzte. Die Konstruktion des Endprodukts lag hier also in vollem Umfang in den Händen des Zulieferers, so daß eine Haftung des Endherstellers für den vorliegenden Konstruktionsfehler des Endproduktes nicht in Frage kam. Insoweit zeigt sich einmal mehr die nach der aufgabenbezogenen Verkehrspflichthaftung bestehende Notwendigkeit, die tatsächlichen Verhältnisse und Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen einer genauen Analyse zu unterziehen, um den korrekten Anspruchsgegner ausfindig zu machen. b) Die Haftungsverhältnisse bei horizontaler Arbeitsteilung Auch bei horizontaler Arbeitsteilung ist die faktische Aufgabenverteilung zwischen den am Produktionsprozeß beteiligten Unternehmen für die HaftungsverV gl. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Ein!., Rd. 112. Vgl. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Ein!., Rd. 112 ff.; Plum, VersR 1979, 209, 210. 29 Jüngstes Beispiel in dieser Richtung ist die Entscheidung des OLG Saarbrücken, NJW-RR 1988, 611; anders dagegen OLG Köln, NJW-RR 1990, 414, 415. 30 Auch darin zeigt sich die faktische Annäherung der Verkehrspflicht- an die Gefährdungshaftung, wie sie bereits oben, im 3. Kapitel unter III 3 a und c, konstatiert wurde; zum Produkthaftungsgesetz siehe unten im 6. Kapitel. 31 Vgl. Lukes, a. a.O., S. 44; siehe zum ganzen auch Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., s. 430 f. 32 BB 1977, 1117, 1118. 27

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I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung

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hältnisse ausschlaggebend. Denn auch insoweit gilt (nach der aufgabenbezogenen Haftung) der Grundsatz, daß jedes Unternehmen nur im Rahmen des von ihm konkret übernommenen Aufgabenbereichs haftungsrechtliche Verantwortung trägt. Der betroffene Geschädigte muß sich hier notgedrungen also ebenfalls zunächst genaue Klarheit über Ausmaß und tatsächliche Ausgestaltung der stattgefundenen Arbeitsteilung verschaffen, da er anderenfalls den notwendigen Fehler-Bereichsnachweis nicht führen kann. Horizontale Arbeitsteilung bedeutet, daß die innerhalb jeder Produktionsstufe typischerweise anfallenden Aufgabenbereiche zwischen zwei oder mehreren verschiedenen Unternehmen aufgeteilt werden 33 • Jedes Unternehmen muß deshalb für diejenigen Fehler des jeweiligen (Teil- oder Gesamt-)Produkts einstehen, die aus dem von ihm ausgeführten Produktionsteilbereich stammen, also z. B. der (selbständige) Konstrukteur für Konstruktionsfehler, der Auftragsfertiger für Fabrikationsfehler, und wenn - was allerdings sicher selten vorkommen wird ein bestimmtes Unternehmen selbständig die Beschreibung des Produkts und die Anleitung für dessen sachgerechte Handhabung übernommen hat, so haftet dieses für Instruktionsfehler 34• Selbstverständlich hat es auch hier damit nicht sein Bewenden, sondern finden die tatsächlichen Interdependenzen zwischen den einzelnen Beteiligten auch haftungsrechtlich in Form von Auswahl-, Kontroll-, Hinweis-, Warn-, Überwachungs- und weiteren Pflichten in Bezug auf den Aufgabenbereich des jeweils anderen Berücksichtigung 35 • Derartige (Kontroll- etc.)Pflichten bestehen in erster Linie für denjenigen, der nach außen hin als Hersteller des Produkts auftritt, denn er muß im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür sorgen, daß eine ordnungsgemäße und fehlerfreie Arbeit der von ihm zur Erledigung bestimmter Aufgaben eingeschalteten Unternehmen sichergestellt ist 36• Aber auch das Auftragsunternehmen hat umgekehrt die Pflicht, das "Hersteller"-Unternehmen auf erkannte und aufgrund seiner Fachkenntnisse erkennbare Fehler- und Gefahrenquellen hinzuweisen, die bei der Durchführung des geplanten (Gesamt-)Vorhabens auftreten können 37 • Gegebenenfalls hat das Auftragsunternehmen Alternativvorschläge zu unterbreiten. Die Einzelheiten sind hier ebenfalls von der konkreten Fallgestaltung abhängig. Festzuhalten bleibt jedoch, daß auch für die horizontal zusammenarbeitenden Unternehmen idR weitergehende Pflichten existieren, die gerade aus der Tatsache Siehe dazu oben im 2. Kapitel unter li 2. Vgl. nur Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, a. a.O., Rd. 134; ders. in EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Einl., Rd. 111; Lukes, a. a. 0 ., S. 44; instruktives Beispiel aus der Rspr. für die aufgabenbereichsbezogene Haftung im Falle horizontaler Arbeitsteilung: BGH, NJW-RR 1990, 406 f.- ,,Expander"-. 35 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a. 0 ., S. 113. 36 Vgl. nur Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 114. 37 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, Rd. 136 ff.; ausführlich zum ganzen Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 426 ff. 33

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

der Zusammenarbeit resultieren, was gewisse Abstimmungsmechanismen untereinander bedingt und die Notwendigkeit mit sich bringt, bei der eigenen Tätigkeit auch die Tätigkeit des jeweils anderen im Auge zu behalten und in dem jeweils erforderlichen Umfang in die eigene Tätigkeit miteinzubeziehen. Insoweit wird also die tatsächlich erfolgende Zusammenarbeit auf der haftungsrechtlichen Ebene durch entsprechende Pflichten reflektiert. Inhalt und Umfang dieser speziell aus der Zusammenarbeit folgenden Pflichten hängen demzufolge von Ausmaß und Ausgestaltung der Kooperation im Einzelfall ab. Eine Verletzung dieser Pflichten führt gegebenenfalls zu einer Mithaftung des betroffenen Unternehmens für einen Produktfehler aus dem Aufgabenbereich des Partnerunternehmens. Ansonsten bleibt es aber auch bei der horizontalen Arbeitsteilung dabei, daß jedes Unternehmen nur für den jeweils wahrgenommenen Aufgabenbereich verantwortlich ist. 3. Haftungslage bei unklarer Schadensursache Die gesetzliche Beweiserleichterung des§ 830 Abs.l Satz 2 BGB und ihre Bedeutung für das Produzentenhaftungsrecht bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung

Häufig wird sich der Produktgeschädigte vor das Problem gestellt sehen, daß er die genaue Ursache für den Schadenseintritt aus dem Produkt nicht (mehr) zu klären vermag, etwa weil das Produkt infolge eines Defekts vollständig zerstört worden ist. Diese Situation ist für den Geschädigten vor allem dann besonders mißlich, wenn das schadstiftende Produkt im Wege zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung hergestellt und vertrieben wurde. Wie bereits aus den beiden vorangegangenen Abschnitten (unter 1 und 2) ersichtlich, kann sich der Produktgeschädigte nach der aufgabenbezogenen Haftung in der Regel nämlich nur an denjenigen unter den an Herstellung und Vertrieb Beteiligten halten, in dessen Aufgabenbereich die Fehlerursache gesetzt worden ist bzw. zu dessen Aufgabenbereich die Vermeidung oder Verhinderung der konkreten Fehlerursache gehörte. Für den Geschädigten bedeutet dies, daß er nicht nur mit dem Nachweis der Fehlerhaftigkeit des Produkts sowie des Ursachenzusammenhangs zwischen Produktfehler und eingetretener Rechtsgutsverletzung belastet ist, sondern auch mit dem bereits oben erwähnten Fehler-Bereichsnachweis, der die genaue Identifikation der Fehlerquelle voraussetzt 38 • Eine gewisse, im Ergebnis allerdings sehr begrenzte Hilfe bei der Suche nach einem Haftpflichtigen wird dem Geschädigten in der Vorschrift des§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zuteil. Diese gesetzliche Beweiserleichterung für den Fall der Beteiligung mehrerer an einer unerlaubten Handlung tritt im Rahmen ihres Anwendungsbereichs neben die spezifisch produzentenhaftungsrechtlichen Beweiserleichterungen und wird gegebenenfalls durch diese ergänzt 39 • Sie kommt damit auch 38

Siehe dazu oben unter 2 a, den Text bei Fn. 21.

I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung

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einem Produktgeschädigten zugute, der sich mehreren potentiellen Schadensverursachern gegenübersieht, die in zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung das schadstiftende Produkt hergestellt und vertrieben haben. Freilich darf die Bedeutung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB für den Bereich der Produzentenhaftung nicht überschätzt werden. Nach allgemeiner Ansicht beschränkt sich die Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nämlich allein auf das Merkmal der haftungsbegründenden Kausalität, berührt alle übrigen Voraussetzungen des delik:tischen Schadensersatzanspruches gegen die einzelnen Beteiligten jedoch nicht 40 • Feststehen muß deshalb, daß alle Beteiligten eine rechtswidrige (und schuldhafte 41 ) unerlaubte Handlung gegenüber dem Geschädigten begangen haben 42 • Erst wenn dieser Umstand von dem Geschädigten nachgewiesen werden kann, findet § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zu seinen Gunsten Anwendung, um bestehende Zweifel zu überwinden, welche dieser feststehenden unerlaubten Handlungen die konkret eingetretene Rechtsgutsverletzung hervorgerufen hat (sog. Urheberzweifel oder alternative Kausalität) bzw. welchen Anteil die einzelnen unerlaubten Handlungen an dem eingetretenen Gesamtschaden hatten (sog. Anteilszweifel oder kumulative Kausalität)43. Gelingt dem Geschädigten der Nachweis rechtswidrigen (und schuldhaften) Verhaltens aller in Frage kommenden Schadensverursacher nicht, so geht er leer aus. Denn in diesem Falle kann nicht ausgeschlossen werden, daß der eigentliche Urheber des Schadens rechtmäßig (bzw. nicht fahrlässig) gehandelt hat, dem Geschädigten also überhaupt kein Schadensersatzanspruch zusteht. Auch der erwiesenermaßen rechtswidrig (und schuldhaft) Handelnde muß nämlich (zumindest nach hM) nicht für die möglicherweise rechtmäßige (oder schuldlose) Tat eines anderen einstehen 44 • Voraussetzung für die Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ist demnach, daß dem Verletzten zumindest einer der Beteiligten mit Sicherheit ersatzpflichtig ist 45 •

39 Vgl. Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band III, a.a.O., S. 114; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 581. 40 Vgl. BGHZ 89,383, 399; MünchKomm-Mertens, Band3, a.a.O., § 830, Rd. 23 ff.; Palandt-Thomas, a.a.O., § 830, Anm. 3. 41 Zur Problematik des Schulderfordernisses im zivilen Haftungsrecht ausführlich oben im 3. Kapitel unter IV. 42 Vgl. Buxbaum, a.a.O., S. 20 ff.; MünchKomm-Mertens, Band 3, a.a.O., § 830, Rd. 26; BGH, LM Nr. 2 zu § 830 BGB. 43 Vgl. nur Palandt-Thomas, a.a.O., § 830, Anm. 3 c. 44 Vgl. BGH, LM Nr. 2 zu§ 830 BGB, BGH, NJW 1972, 40, 41 und BGH, VersR 1979, 822 hinsichtlich der Rechtswidrigkeit; Buxbaum, a. a. 0., S. 124 f.; Larenz II, 12.Aufl., a.a.O., S. 668 und MünchKomm-Mertens, Band 3, a.a.O., § 830, Rd. 25 hinsichtlich der Schuld; aA Weckerle, a.a.O., S. 139 ff., der eine analoge Anwendung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB auf diese Fälle mit der Folge einer Haftung der rechtswidrig und schuldhart handelnden Beteiligten befürwortet. 4S Vgl. nur Larenz II, ebenda (Fn. 44); MünchKomm-Mertens, Band 3, a. a. 0., § 830, Rd. 23.

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Bezogen auf das Verhältnis zwischen Produktgeschädigtern und den an Herstellung und Vertrieb beteiligten Unternehmen folgt daraus, daß auch die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB den Geschädigten keineswegs der Notwendigkeit enthebt, die oben geschilderte Fehlerursachenforschung zu betreiben. Die Beweislast dafür, daß die an der Rechtsgutsverletzung Beteiligten rechtswidrig gehandelt haben, liegt nämlich auch im Rahmen des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB allein beim Geschädigten 46 • Zwar können dem Produktgeschiidigten insoweit die spezifisch produzentenhaftungsrechtlichen Beweiserleichterungen zustatten kommen, was bedeutet, daß er gegebenenfalls nicht das verkehrspflichtwidrige (und damit rechtswidrige) Verhalten jedes einzelnen Beteiligten unter Beweis stellen rnuß 47 • Auch die produzentenhaftungsrechtlichen Beweisregeln befreien den Geschädigten aber nicht völlig von der Last des Rechtswidrigkeitsnachweises. Soweit sie Anwendung finden, tragen sie vielmehr den evidenten Beweisschwierigkeiten des Geschädigten Rechnung, indem sie teilweise dem Geschädigten nicht den vollen Rechtswidrigkeilsbeweis abverlangen, sondern sich in bestimmten Fallkonstellationen mit dem Nachweis der objektiven Fehlerhaftigkeit des Produkts begnügen. Insoweit tritt lediglich an die Stelle des vollen Rechtswidrigkeitsbeweises, der das verkehrspflichtwidrige Verhalten des Herstellers zum Gegenstand hat, der (objektive) Fehlemachweis, der den im Wege einer Beweislastumkehr gezogenen Rückschluß auf das allein haftungsrelevante Fehlverhalten erlaubt. Im Grunde genommen handelt es sich bei dem Fehlemachweis deshalb um einen reduzierten Rechtswidrigkeitsbeweis, der folglich auch im Kontext des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB dem Geschädigten obliegt. Der Geschädigte muß daher in Abhängigkeit von Stellung und Funktion des jeweiligen Beteiligten (z. B. Produktionsunternehmen - Händler) sowie der Art des konkret vorliegenden Produktfehlers (z. B. Konstruktionsfehler- Instruktionsfehler) je nachdem den vollen oder aber den reduzierten Rechtswidrigkeitsbeweis erbringen, wenn er in den Genuß der Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB kommen will. Dabei beinhaltet der reduzierte Rechtswidrigkeitsbeweis auch den sog. Fehler-Bereichsnachweis, das heißt den Nachweis, daß der konkret vorliegende Fehler dem Aufgabenbereich des in Frage stehenden Unternehmens zugeordnet werden kann 48 • Verfehlt erscheint in diesem Zusammenhang freilich das Ansinnen, daß dem Geschädigten der volle bzw. reduzierte Rechtswidrigkeilsbeweis im Hinblick auf alle an Produktion und Vertrieb des schadstiftenden Produkts beteiligten Unternehmen gelingen müßte. Eine solche Forderung, wie sie die herrschende Auffassung für die "gewöhnlichen" Deliktsfälle aufstellt, ließe die Vorschrift des§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB im Bereich des Produzentenhaftungsrechts praktisch leerlau46

714. 47 48

Vgl. BGH, VersR 1961, 85, 86; BGH, MDR 1968, 399, 400; BGH, VersR 1975, Dazu ausführlich oben im 3. Kapitel unter V. Siehe dazu schon oben unter 2 a.

I. Die Haftungslage bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung

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fen und würde auch der besonderen Struktur der Verkehrspflichtdelikte nicht gerecht. Deren Charakteristikum besteht ja gerade darin, daß nicht die Handlung an sich, sondern erst der Verstoß gegen eine bestimmte (Verkehrssicherungs-) Pflicht den haftungsbegründenden Tatbestand ausmacht 49 • Insofern ist das Rechtswidrigkeits- (sprich: Verkehrspflichtwidrigkeits-)Erfordernis integraler Bestandteil der tatbestandsmäßigen unerlaubten Handlung, oder anders ausgedrückt: das fragliche Verhalten wird überhaupt erst aufgrunddes Pflichtverstoßes zu einem deliktisch relevanten. Im Gegensatz zu den unmittelbar verursachten Verletzungen, denen von vorneherein das Stigma des "unerlaubten" anhaftet, entziehen sich die mittelbaren Verletzungen ohne den zusätzlichen Pflichtenverstoß daher gänzlich dem Zugriff des Deliktsrechts. Wenn die Bestimmung des§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB demnach von "Handlung" spricht, so versteht sie darunter von vorneherein nur deliktisch relevante Handlungen, das heißt also solche, die entweder unmittelbar verletzend gewirkt haben (können), oder aber solche, die zwar nicht unmittelbar eine Rechtsgutsverletzung hervorgerufen haben (können), deren Unwert sich jedoch aus einem (Verkehrs-) Pflichtverstoß des Handelnden ergibt 50• Alle anderen "Handlungen" fallen aus dem Anwendungsbereich des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB heraus. "Beteiligte" iSd § 830 Abs. l Satz 2 BGB können deshalb nur solche Personen (bzw. Unternehmen) sein, die eine deliktisch relevante Handlung begangen haben 51 • Andere Personen oder Unternehmen, die ohne deliktische Relevanz im Verletzungsbereich in irgendeiner Form tätig geworden sind, werden in die Haftungsgemeinschaft des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB von Anfang an nicht einbezogen. Für die an Herstellung und Vertrieb eines schadstiftenden Produkts beteiligten Unternehmen bedeutet dies, daß zu dem Kreis der nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB Beteiligten nur diejenigen Unternehmen gehören, denen ein Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht zum Vorwurf gemacht werden kann. Denn unmittelbare Verletzungen kommen im Rahmen des Produzentenhaftungsrechts als einem Spezialfall des V erkehrspflichthaftungsrechts nicht in Betracht. Für die Anwendbarkeit des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB reicht es deshalb aus, daß der Geschädigte mindestens hinsichtlichzweierder an Produktion und Vertrieb beteiligten Unternehmen den vollen bzw. reduzierten Rechtswidrigkeilsbeweis zu erbringen vermag. Im Hinblick auf diese Unternehmen kann dann die Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB zugunsten des Geschädigten eingreifen 52.

49

50

Ausführlich dazu oben im 3. Kapitel unter III 1.

In diesem Zusammenhang zeigt sich die Bedeutung der oben im 3. Kapitel unter

III I beschriebenen Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Verletzungshandlungen. 51 Vgl. dazu auch BGHZ 89, 383, 399 f. 52 Im Ergebnis wohl ebenso Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band III, a.a.O., S. 114.

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Steht danach fest, bzw. kann nach den produzentenhaftungsrechtlichen Beweislastgrundsätzen unterstellt werden, daß einige oder alle der an Produktion und Vertrieb Beteiligten rechtswidrig (und schuldhaft) sich verhalten haben, so hilft § 830 Abs. I Satz 2 BGB dem Geschädigten über die zusätzliche Beweishürde hinweg, die sich auftut, wenn nicht geklärt werden kann, wessen rechtswidriges Verhalten für die eingetretene Rechtsgutsverletzung ursächlich geworden ist. Ein solcher Fall ist eigentlich nur dann denkbar, wenn das schadstiftende Produkt an unterschiedlichen Fehlern leidet, die jeder für sich geeignet waren, den eingetretenen Schaden hervorzurufen (Urheberzweifel), oder aber die zusammengenommen den Schaden verursacht haben und nur der jeweilige (Fehler-)Anteil an dem Gesamtschaden nicht aufgeklärt werden kann (Anteilszweifel). Sind in diesem Falle für die einzelnen Fehler des Produkts jeweils verschiedene Unternehmen verantwortlich, so haftet jedes davon nach § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB auf den Gesamtschaden. In dem sicherlich viel häufiger anzutreffenden Fall, daß die Beteiligten durch ihr Verhalten zu ein und demselben Produktfehler beigetragen haben, ist § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB dagegen nicht einschlägig. Von dem Beweis, daß überhaupt ein Fehler vorlag, und von dem sog. Fehler-Bereichsnachweis befreit§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB den Geschädigten - wie bereits oben gesehen - nämlich nicht. Er muß deshalb (grundsätzlich) auch unter der Geltung des § 830 Abs. I Satz 2 BGB (zumindest) einen der an Herstellung und Vertrieb Beteiligten namhaft machen, aus dessen Aufgabenbereich der Fehler mit Sicherheit stammt 53 • Sofern ihm dies nicht gelingt, hat er gegenüber keinem der Beteiligten den vollen bzw reduzierten Rechtswidrigkeilsbeweis erbracht und für die Anwendung des § 830 Abs. I Satz 2 BGB gibt es keinen Raum. Auch etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit des (einzigen) Fehlers für den Schadenseintritt kann § 830 Abs. I Satz 2 BGB nicht beheben, und zwar nach absolut herrschender Ansicht sogar dann nicht, wenn als alternative Schadensursache nur ein (Fehl-)Verhalten des Verletzten selbst in Betracht kommt 54 •

Kann der Geschädigte hingegen beweisen, daß der f eststehende Produktfehler in den Aufgabenbereich mehrerer Unternehmen fallt, daß also etwa die Fabrikation des Produkts Unternehmen A, die Kontrolle Unternehmen B übernommen hat, so bedarf er des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht, um die fraglichen Unternehmen haftbar machen zu können. Denn es geht dann nicht mehr um die Frage, wessen Verhalten zum Schaden geführt hat (Kausalität), sondern wessen Verhalten im Hinblick auf den Produktfehler als verkehrspflichtwidrig anzusehen ist (Rechtswidrigkeit). Die Beantwortung dieser Frage richtet sich aber nach den spezifisch produzentenhaftungsrechtlichen Regeln und hat mit § 830 Abs. I Satz 2 BGB nichts zu tun. 53 54

Siehe dazu bereits oben unter 2 a, den Text bei Fn. 21. Vgl. nur BGHZ 60, 177, 181 ff. ; BGH, NJW 1973, 1283; BGHZ 67, 14, 20.

II. Die Grenzen des aufgabenbezogenen Haftungssystems

79

Insgesamt erweist sich der Anwendungsbereich der Bestimmung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BOB damit als nur sehr begrenzt. Dem Produktgeschädigten kann diese Norm in praktisch nur sehr seltenen Fallkonstellationen zugute kommen.

II. Die Grenzen des aufgabenbezogenen Haftungssystems Wie sich aus den Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt (unter I) ergibt, erkennt das bisherige deutsche Produzentenhaftungsrecht die faktische Arbeits(auf)teilung im Produktions- und Distributionsprozeß auch haftungsrechtlich an. Die an Herstellung und Vertrieb des schadstiftenden Produkts unmittelbar mitwirkenden Unternehmen müssen danach nur für die von ihnen im Rahmen dieses Prozesses in concreto übernommenen Tätigkeiten einstehen, wobei sich überschneidende Aufgabenbereiche dazu führen können, daß zwei oder mehr Unternehmen für ein und denselben Produktfehler nebeneinander verantwortlich sind 55 • Nach § 840 Abs. 1 BOB haften die Unternehmen dem Geschädigten im Außenverhältnis dann gesamtschuldnerisch 56, während für den Innenausgleich nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BOB die Vorschrift des§ 254 Abs. 1 BOB analog herangezogen wird 57 • Die Schadenstragungspflicht im Innenverhältnis hängt deswegen davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen verursacht worden ist 58, was eine Abwägung nach der Schwere des (Verkehrs-) Pflichtverstoßes und dessen Bedeutung für die Verursachung des eingetretenen Schadenserfolges voraussetzt 59 . Im Ergebnis erweist sich die produzentenhaftungsrechtliche Verkehrspflichthaftung nach bisherigem Recht und bisherigem Verständnis als regelrechtes Haftungssystem, in welchem jedem am Herstellungs- und Verteilungsvorgang unmittelbar beteiligten Unternehmen funktionsspezifische Pflichten zugewiesen und die einzelnen Haftungssphären auf diese Weise voneinander abgegrenzt werden. Dabei haften für einen Produktschaden immer nur diejenigen Beteiligten, denen ein Verstoß gegen die ihnen zugeordneten (und von den übernommenen Aufgaben abhängigen) Pflichten zur Last gelegt werden kann. Die Schwäche dieses Systems liegt jedoch darin, daß es auf die im konkreten Produktions- und Distributionsprozeß anfallenden Aufgaben fixiert ist 60 • Dadurch bleiben nicht nuralldiejenigen Unternehmen haftungsrechtlich unberücksichtigt, die außerhalb dieses Prozesses stehen, sondern werden auch alle anderen (d.h. nicht-aufgabenZusammenfassend dazu Feldmann, a. a. 0., S. 34 f. Vgl. Palandt-Thomas, § 823, Anm. 15 d; zur Nebentäterschaft allg. Palandt-Thomas, a.a.O., § 830 Anm. I und 4 sowie Larenz II, 12.Aufl., a.a.O., S. 666. 57 Vgl. RGZ 75, 251, 256; BGHZ 17, 214, 222; BGHZ 43,227, 231; BGHZ 59, 97, 55

56

103. 58 s9

60

BGHZ 43, 227, 231. RGZ 75, 251, 256; im einzelnen dazu Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 587 f. Dies wird besonders deutlich bei Feldmann, a. a. 0., S. 34.

80

4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

bezogenen) Gesichtspunkte vernachlässigt, die im Verhältnis zwischen den arn Herstellungs- und Vertriebsvorgang Beteiligten von Bedeutung sein können. Dies soll anband der nun folgenden Beispiele näher erläutert werden. 1. Haftung im Verhältnis Lizenzgeber I Lizenznehmer

Wie bereits im 2. Kapitel (unter II 2) angedeutet, entzieht sich die Kooperation in Form bzw. im Rahmen eines Lizenzverhältnisses der reibungslosen Einordnung in die (aufgabenorientierten) Grundformen überbetrieblicher unternehmenscher Zusammenarbeit im Produktionsbereich. Im Gegensatz zur vertikalen und horizontalen Arbeitsteilung, wo eine Verteilung der im gesamten Herstellungsprozeß notwendigerweise anfallenden Aufgaben im Hinblick auf das angestrebte Endergebnis (das Endprodukt und dessen Absatz) stattfindet, geht es hier um die Überlassung bereits vorhandener, für Produktion und Absatz der Ware notwendiger oder zumindest nützlicher Kenntnisse, Herstellungs- oder Kennzeichnungsrechte. Nach dem Gegenstand der zugänglich gernachten Position lassen sich die Lizenzvereinbarungen dabei inhaltlich auf drei Grundformen reduzieren, die in der Praxis freilich regelmäßig in unterschiedlicher Weise kombiniert werden 61 . Danach können sog. Herstellungslizenzen, sog. Know-how-Lizenzen und sog. Warenzeichenlizenzen (oder Markenlizenzen) voneinander unterschieden werden 62. Der charakteristische Inhalt der Lizenz über Herstellungsrechte besteht darin, daß der Lizenzgeber dem Lizenznehmer die Benutzung der dem Lizenzgeber zustehenden gewerblichen Schutzrechte, wie z. B. Patente, Gebrauchsmuster oder Geschmacksmuster, gestattet. Weitergehende Pflichten treffen den Lizenzgeber dabei nicht, insbesondere muß er den Lizenznehmer nicht in irgendeiner Form unterweisen oder eine Produktionskontrolle durchführen. Die (reine) Herstellungslizenz beschränkt sich darauf, den Lizenznehmer von Ansprüchen des Lizenzgebers aus dessen Schutzrecht freizustellen (sog. Negativlizenz). Bei der Know-how-Lizenz verpflichtet sich der Lizenzgeber, dem Lizenznehmer bestimmte Kenntnisse über das Herstellungsverfahren eines Produkts oder die Produktgestaltung mitzuteilen. Hier geht es also nicht um die Freistellung von Schutzansprüchen, sondern um die Übermittlung besonderer, nicht notwendigerweise geheimer Kenntnisse 63 , die der Lizenzgeber im Hinblick auf die Produktion des in Frage 61 Pagenburg, a.a.O., bespricht z. B. allein 16 typische, in der Praxis häufig vorkommende Vertragsmuster; zu der (fast regelmäßigen) Verbindung von Herstellungs- und Know-how-Lizenzen Gaul/Bartenbach, a.a.O., Q, Rd 38ff.; zu der Verbindung von Warenzeichenlizenzen mit anderen Lizenzformen Wilms, a.a.O., S. 161. 62 Vgl. dazu wie zum folgenden Körner, NJW 1985, 3047, 3048. 63 HM, vgl. nur Gaul I Bartenbach, a. a. 0 ., Q, Rd. 1 ff. mit weiteren Nachweisen; a. A. offenbar Körner, NJW 1985, 3047, 3048.

II. Die Grenzen des aufgabenbezogenen Haftungssystems

81

stehenden Produkts besitzt. Da allein die Mitteilung der Kenntnisse häufig nicht ausreichend ist, um den Lizenznehmer mit den neuen Produktionsmethoden vertraut zu machen, ist mit der Know-how-Lizenz vielfach eine Unterweisung des Lizenznehmers durch den Lizenzgeber verbunden 64 • Die Warenzeichenlizenz (oder Markenlizenz) schließlich ist dadurch gekennzeichnet, daß der Lizenzgeber als Inhaber eines Warenzeichens dem Lizenznehmer die Verwendung dieses Warenzeichens für dessen eigene Produkte gestattet 65 . Der Lizenznehmer darf sich hier also des Warenzeichens des Lizenzgebers zur Kennzeichnung seiner Produkte bedienen und sich auf diese Weise die besonderen Herkunfts- und Qualitätsvorstellungen zunutze machen, welche dieses Warenzeichen beim (Käufer-)Publikum erweckt. Eine qualifizierte Form der Warenzeichenlizenz ist der Franchise-Vertrag 66 • Wie bei anderen Formen der Unternehmenskooperation auch, stellt sich für das Produzentenhaftungsrecht nur die Frage nach den haftungsrechtlichen Auswirkungen eines Lizenzverhältnisses, und zwar immer dann, wenn im Hinblick auf das fehlerhafte schadstiftende Produkt ein solches Lizenzverhältnis bestand. In jedem Einzelfall muß dabei geklärt werden, wem von den Partnern des Lizenzverhältnisses die Haftung für den Produktschaden aufgebürdet werden soll. Hierzu ist nicht nur eine eingehende Untersuchung der tatsächlichen Modalitäten des Lizenzverhältnisses erforderlich. Die Beantwortung dieser Frage hängt vielmehr auch und gerade davon ab, welchen tatsächlichen Merkmalen in den Beziehungen der Lizenzvertragspartner haftungsentscheidende Bedeutung zugemessen wird. Nicht umsonst haben deshalb die Anhänger des (herrschenden) aufgabenbezogenen Haftpflichtsystems mit der haftungsrechtlichen Bewältigung des Lizenzverhältnisses Schwierigkeiten, denn sie stellen aufMerkmale ab, die im Verhältnis zwischen den Lizenzparteien meist gar nicht existieren. Regelmäßig nimmt der Lizenzgeber im Rahmen des Herstellungs- und Vertriebsprozesses nicht irgendwelche Aufgaben wahr, sein Beitrag läßt sich also mit der aufgabenorientierten Sichtweise zumeist nicht erfassen. Weil die Vergabe einer Lizenz und die damit verbundenen Regelungen dem eigentlichen Herstellungsprozeß und den dort anfallenden Aufgaben vorgeschaltet ist, steht der Lizenzgeber außerhalb des aufgabenbezogenen Haftpflichtsystems. Dadurch besteht die Gefahr, daß er aus dem Wahrnehmungshorizont verschwindet und bei der Frage nach der sachgerechten Schadenszuweisung keine Rolle spielt67. 64 Zu dem möglichen Inhalt eines reinen Know-how-Vertrags ausführlich Gaul I Bartenbach, a.a.O., Q, Rd. 27 f. 65 Zur (wettbewerbsrechtlichen) Zulässigkeit von Warenzeichenlizenzen zusammenfassend Stumpf, a.a.O., Rd. 465 ff., S. 278 f. 66 Vgl. Wilms, a.a.O., S. 162; Körner, NJW 1985,3047, 3052; zum Franchise-Vertrag sogleich unten unter 2. 67 Bezeichnenderweise ist z. B. bei Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0 ., Kz. 1520, S. 62 f. nicht einmal die Möglichkeit einer Haftung des Lizenzgebers überhaupt auch nur erwähnt.

6 Winkelmann

4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

82

Die damit angesprochenen Schwierigkeiten der aufgabenorientierten Sichtweise schlagen sich in einer größtenteils nur sehr kursorischen Behandlung der Produzentenhaftungsproblematik im Zusammenhang mit einem Lizenzverhältnis nieder 68 • Es nimmt insoweit auch nicht Wunder, daß höchstrichterliche Stellungnahmen zu der Problematik bislang fehlen. Noch vergleichsweise unproblematisch ist für die aufgabenbezogene Haftungslehre der Lizenznehmer. Eingebunden in den Produktionsprozeß, kann er der herkömmlichen (aufgabenbezogenen) Methodik unterworfen werden. Dementsprechend findet sich insoweit das Bemerken, daß der Lizenznehmer grundsätzlich wie ein normaler Herstellerbetrieb hafte 69 , also im Rahmen der von ihm wahrgenommenen Aufgaben und dem dadurch definierten Verantwortungsbereich. Ansonsten wird lediglich noch der Fall diskutiert, daß die Konstruktion des Produkts mehr oder weniger vollständig in den Händen des Lizenzgebers liegt. Manche plädieren für diesen Fall dafür, den Lizenznehmer insoweit unter bestimmten weiteren Voraussetzungen von der Haftung für Konstruktionsfehler zu befreien 70 , und zwar nach einer Ansicht dann, wenn das Lizenzverhältnis offengelegt worden ist 71 , nach anderer Ansicht jedenfalls grundsätzlich dann, wenn die Konstruktion von einem anerkannten Fachunternehmen stammt 72 • Bei diesen Überlegungen bewegen sich die Anhänger der aufgabenbezogenen Haftung jedoch auf vertrautem Terrain 73 , denn es handelt sich hier um nichts anderes als einen Spezialfall der horizontalen Arbeitsteilung, in welchem dem Lizenzgeber die Konstruktionsaufgabe obliegt. Folglich kann hier auch das Instrumentarium der aufgabenbezogenen Haftung ohne weiteres Anwendung finden, und es bleibt nur noch zu klären, ob und inwieweit eine Kontrolle der Konstruktionsunterlagen zum Aufgabenbereich des Lizenznehmers gehört und deshalb von ihm verlangt werden kann. Läßt sich die Haftung des Lizenznehmers somit durchaus (noch) unter dem Gesichtspunkt der Aufgabenwahrnehmung beurteilen, so beginnen die Probleme bei der Behandlung des Lizenzgebers. Dieser verschließt sich einer Einordnung Vgl. die sogleich folgenden Literaturhinweise. Vgl. Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1520, S. 62; Brüggemeier, a. a. 0., S. 363; ders. in WM 1982, 1294, 1306; Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 432. 10 A. A. Brüggemeier, a. a. 0., S. 364 und in WM 1982, 1294, 1306: Der Lizenznehmer müsse unabhängig davon für alle Konstruktionsfehler des Lizenzgebers einstehen, weil vom Lizenznehmer eine eingehende Untersuchung auch auf versteckte Konstruktionsmängel erwartet werden könne; ebenso wohl Körner, NJW 1985, 3047, 3052. 11 So Anhalt, a. a. 0 ., S. 125. n So Kullmann, in KullmanniPfister, a.a.O., Kz. 1520, S. 62. 73 Dies wird besonders deutlich bei Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0 ., Kz. 1520, S. 63, der erklärt, es würden hier ähnliche Probleme auftreten wie auch in den anderen Fällen der zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung (Hervorhebung durch den Verf.), die im Grunde auch genauso gelöst werden müßten. Ob er damit meint, alle Fallkonstellationen des Lizenzverhältnisses mittels der aufgabenbezogenen Haftung befriedigend bewältigen zu können, bleibt freilich unklar. 68

69

II. Die Grenzen des aufgabenbezogenen Haftungssystems

83

in das aufgabenbezogene Haftpflichtsystem, soweit er nicht ausnahmsweise bestimmte Aufgaben, wie in dem oben erwähnten Sonderfall z. B. die Konstruktion, zur eigenständigen Erledigung übernommen hat. Abgesehen von diesen oder ähnlichen Ausnahmefällen, ist der Lizenzgeber aber weder an der Herstellung noch an dem Vertrieb des Produkts beteiligt und hat folglich auch keine der damit zusammenhängenden Pflichten zu erfüllen. Nach dem aufgabenbezogenen Haftungssystem kann er somit in der Regel für Produktfehler nicht verantwortlich gemacht werden 74 • Unabhängig von Art und Ausgestaltung des Lizenzverhältnisses, haftet der Lizenzgeber nach dem aufgabenbezogenen System deshalb für den Schaden, den ein fehlerhaftes Lizenzprodukt angerichtet hat, grundsätzlich nicht 75 • 2. Haftung im Verhältnis Franchisegeber I Franchisenehmer

Wie bereits oben (unter 1) angemerkt, handelt es sich bei einem Franchiseverhältnis um eine qualifizierte Form der Warenzeichenlizenz. Die Beziehung zwischen den Partnern eines Franchisevertrages erschöpft sich nicht in der Lizenzierung eines Warenzeichens, sondern ist durch eine Fülle zusätzlicher Regelungen wesentlich enger gestaltet. Als Charakteristikum dieser Regelungen kann dabei das dem Franchisegeber zustehende Recht gelten, im Hinblick auf die (gewerbliche) Tätigkeit des Franchisenehmers Richtlinien zu erlassen und mehr oder weniger weitgehende Anweisungen zu treffen 76 • Was die tatsächlichen Gestaltungsformen im einzelnen betrifft, so bestehen freilich erhebliche Unterschiede, weshalb auch keine einheitliche und allumfassende juristische Definition des Franchising existiert 77 • Immerhin lassen sich nach der Art der gewerblichen Tätigkeit, auf die sich das Franchising bezieht, drei wesentliche Grundtypen von Franchiseverträgen herausarbeiten, nämlich Verträge über Dienstleistungsfranchising, Verträge über Produktionsfranchising und Verträge über Vertriebsfranchising 78 • Für das Produzentenhaftungsrecht sind dabei zweifellos die Verträge über Produktionsfranchising von gesteigertem Interesse, bei denen der Franchisenehmer nach den Anweisungen des Franchisegebers selbst Waren herstellt und sie unter dessen Warenzeichen verkauft 79 • 74 Vgl. Stumpf, a.a.O., Rd. 258 ff., S. 150 ff.; Mes, GRUR 1982,74, 77, im Hinblick auf den Warenzeichenlizenzgeber. 75 In der Literatur werden aus diesem Grunde teilweise alternative Ansatzpunkte für eine Haftung des Lizenzgebers vorgeschlagen, siehe dazu unten unter m 1. 76 Vgl. EuGH, NJW 1986, 1415; Körner, NJW 1985, 3047, 3052. 77 Wilms, a. a.O., S. 161, Fn. 8; Joerges, ZHR 1987, 195, 197. 78 So EuGH, NJW 1986, 1415; krit. zu dieser Einteilung Joerges, ZHR 1987, 195, 197 f. 79 EuGH, NJW 1986, 1415; ein typischer Fall von Produktionsfranchising findet sich bei BGH, WM 1984, 1537.

6*

84

4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Wird ein solches Franchiseprodukt infolge Fehlerhaftigkeit zur Ursache für einen Schaden, so ergeben sich hinsichtlich der Haftung der Franchisepartner ähnliche Probleme wie beim Lizenzverhältnis. Zwar wird hier häufiger als beim reinen Lizenzvertrag der oben erörterte Fall gegeben sein, daß die Konstruktion des schadstiftenden Produkts allein vom Franchisegeber durchgeführt worden ist. Im übrigen stellt sich aber auch im Franchiseverhältnis die Haftungssituation so dar, daß der Franchisegeber in der Regel außerhalb des Herstellungs- und Vertriebsprozesses steht und deswegen zumindest nach herkömmlichem Verständnis als Haftungsschuldner ausscheidet. Diese Tatsache verträgt sich allerdings schwer mit der ökonomischen Kräfteverteilung, wie sie regelmäßig zwischen den Franchise-Partnern besteht und sich namentlich in der rechtlichen Organisation des Innenverhältnisses niederschlägt80. Durch die Aufgabenbezogenheit des Haftungsansatzes gerät das traditionelle Produzentenhaftungsrecht damit in Widerspruch zu der inneren Machtstruktur des Franchise-Systems 81 . Daß nur der Franchisenehmer für Produktfehler haften soll, erscheint unter diesem Gesichtspunkt als nicht gerade glücklich 82.

3. Haftung im Verhältnis Quasi-Hersteller I Hersteller

In diesem Zusammenhang sei auch nochmals auf die bereits mehrfach erwähnte Beziehung zwischen dem sog. Quasi-Hersteller und dem wirklichen Hersteller des Produkts zurückgekommen 83 . Der Quasi-Hersteller steht zwar innerhalb des Produktions- und Distributionsprozesses, wird an sich also vom aufgabenbezogenen Haftungssystem ergriffen. Funktionell handelt es sich bei ihm aber um einen Händler, dessen Aufgabengebiet die gefährdungsintensiven Bereiche wie Konstruktion und Fabrikation regelmäßig nicht tangiert. Für Herstellungsfehler haftet der Quasi-Hersteller demzufolge in der Regel nicht84 • Insoweit stellt sich allerdings die Frage, ob die aufgabenbezogene Haftung bestimmte Faktoren im Verhältnis zwischen Quasi-Hersteller und Hersteller nicht über Gebühr vernachlässigt und dadurch jedenfalls zum Teil zu unbefriedigenden Ergebnissen gelangt. Immerhin versieht der Quasi-Hersteller die von ihm vertriebene Ware ja mit seinem Waren- oder Firmenzeichen und bringt damit nach außen hin zum Ausdruck, daß er sich mit ihr identifiziert. Insbesondere bei nachfragemächtigen Versandhandelsgesellschaften wird es häufig auch so sein, daß der Quasi-Hersteller über die Modalitäten der Produktion faktisch die Ent80 Zur ökonomischen Analyse des Franchiseverhältnisses und den vertraglichen Asymmetrien ausführlich Joerges, ZHR 1987, 195, 202 ff. 81 Auf diesen Umstand weist auch Joerges, ZHR 1987, 195, 210 hin. 82 So ausdrücklich auch Joerges, ZHR 1987, 195, 223. 83 Vgl. oben im 2. Kapitel unter II 1, im 3. Kapitel unter III 4 b und im hiesigen Kapitel unter I I. 84 Vgl. oben im 3. Kapitel unter III 4 b.

II. Die Grenzen des aufgabenbezogenen Haftungssystems

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scheidungsmacht besitzt und dem mehr oder weniger wirtschaftlich abhängigen Herstellerbetrieb die wesentlichen Daten der Produktion wie z. B. Art, Aussehen und Ausgestaltung der Ware diktieren kann. All diese Umstände sind für die aufgabenbezogene Haftung ohne Belang und vermögen eine Haftung des Quasi-, Herstellers für Herstellungsfehler nicht zu begründen. 4. Die Haftungslage bei sonstigen Kooperationsformen

Anknüpfend an den zuletzt genannten Gesichtspunkt, sind schließlich noch all die Kooperationsformen anzuführen, die sich außerhalb eines speziellen vertraglichen Bandes (wie den oben unter 1 bis 3 erwähnten) vollziehen. Unter "sonstigen Kooperationsformen" werden hier also nicht irgendwelche Zusammenarbeitsverträge verstanden, die z. B. im Hinblick auf die Entwicklung eines neuen Produkts geschlossen werden und etwa ein gemeinsames Forschungsprogramm vereinbaren 85 • Derartige Zusammenarbeits-, Entwicklungs- oder Projektvereinbarungen lassen sich ohne weiteres mit der aufgabenbezogenen Haftung befriedigend und sachgerecht bewältigen, indem die Haftung der an einer solchen Vereinbarung Beteiligten von der vertraglich und tatsächlichjeweils übernommenen Aufgabe abhängig gemacht wird. Insoweit ergeben sich zu anderen Formen zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung in produzentenhaftungsrechtlicher Hinsicht keine Besonderheiten 86 • Die Rede ist demnach hier nur (noch) von all den Einfluß-, Abstimmungsund ähnlichen Maßnahmen, die zwischen zwei Unternehmen im Hinblick auf die Produktion einer bestimmten Ware stattfinden, ohne daß ein besonderes Vertragsverhältnis besteht. Angesprochen, weil für das Produzentenhaftungsrecht von herausragendem Interesse, sind damit in erster Linie solche Unternehmensbeziehungen, deren eigentliches Charakteristikum darin liegt, daß das eine (das mächtige) Unternehmen die maßgeblichen Entscheidungen über Art, Aufnahme und Ausführung der Produktion des anderen (des abhängigen) Unternehmens treffen kann und trifft 87 • Für eine derartige Machtbeziehung ist nicht zwingend der Rahmen eines Lizenz-, Franchise-, Quasi-Hersteller- oder ähnlichen Verhältnisses erforderlich. Es reicht vielmehr die faktische wirtschaftliche Abhängigkeit des produzierenden Unternehmens von dem mächtigen Unternehmen aus, wie sie z. B. häufig im Zusammenhang mit einer konzernrechtlichen Verbindung gegeben ist. ss Ein gutes Beispiel für einen solchen Zusammenarbeitsvertrag findet sich bei Pagenburg, a.a.O., S. 117ff. 86 Verabreden die Parteien- wie in dem Beispiel von Pagenburg, a.a. O., S. 117die gemeinsame Entwicklung eines neuen Produkts, so sind sie folglich nebeneinander für nach dem Stand von Wissenschaft und Technik vermeidbare Entwicklungsfehler vgl. dazu oben im 3. Kapitel unter III 4 a - verantwortlich. 87 Ausführlich zu diesen Machtbeziehungen sogleich unten unter III 2.

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Wird diese Abhängigkeit dadurch ausgenutzt, daß das mächtige Unternehmen die wesentlichen Bedingungen für die Produktion des abhängigen Unternehmens mehr oder weniger autonom setzt, so handelt es sich um eine Form der "Kooperation", bei welcher der Machtaspekt eindeutig im Vordergrund steht 88 • Dieses Ausnutzen der Abhängigkeit kann sich in einer Vielzahl von Anweisungen, Maßgaben, Richtlinien usw. niederschlagen, was Organisation der Produktion und Charakter des Produkts betrifft. Gleichwohl bleibt die Durchführung der Produktion auch dann noch in Händen des abhängigen Unternehmens. Dies hat zur Folge, daß es für die aufgabenbezogene Haftung hier ebenso an einem Anknüpfungspunkt für eine Haftung des mächtigen Unternehmens fehlt, wie in den zuvor (unter 1 bis 3) geschilderten Fällen. Das mächtige Unternehmen ist an der Produktion der Ware nicht unmittelbar beteiligt und muß nach der aufgabenbezogenen Produzentenhaftung für die Herstellungsfehler deshalb nicht einstehen.

111. Ansatzpunkte für eine Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung Unter Zugrundelegung des bisherigen (aufgabenorientierten) Verständnisses ist der Adressatenkreis der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung vergleichsweise begrenzt. Er beschränkt sich auf diejenigen Unternehmen, die eine bestimmte Aufgabe im Produktions- und Distributionsprozeß übernommen haben, wobei ernsthaft als Haftpflichtige für einen Produktfehler nur solche Unternehmen in Betracht kommen, deren Aufgabengebiet sich mit einem der gefahrsensiblen (Produktions-)Bereiche deckt oder sie wenigstens berührt. Diese Haftungssituation muß unter dem Gesichtspunkt der iustitia distributiva 89 als teilweise sehr unbefriedigend empfunden werden. Tatsächlich ist nicht recht einzusehen, warum ein Unternehmen, das nach der Lebensanschauung als der Hauptverantwortliche für die Existenz und die Beschaffenheit eines Produkts anzusehen ist, von der Haftung für Produktfehler befreit sein soll, wenn es einzelne oder alle Produktionsschritte nicht selbst ausgeführt, sondern auf ein anderes Unternehmen verlagert hat 90 • Andererseits kann es freilich auch nicht damit getan sein, einfach nur den nach der "Lebensanschauung" Verantwortlichen zur Haftung heranzuziehen. Vielmehr bedarf es der Entwicklung allgemeiner Kriterien, die eine differenzierte Beurteilung der Haftungslage ermöglichen und sich vor allem auch dogmatisch in das System der verhaltensbezogenen Haftung einfügen lassen. Den dahingehend von der Literatur vorgebrachten Ansatzpunkten (unter 1) wird im folgenden (unter 2) der eigene Lösungsvorschlag entgegengesetzt. Vgl. dazu den unten unter III 2 a besprochenen Fall OGH, JBl 1982, 257. Dazu oben im 2. Kapitel unter I. 90 Zu dem Aspekt der Verlagerung bestimmter Aufgaben auf andere Gesellschaften auch Lüderitz, a. a. 0 ., S. 554. 88

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III. Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung

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l. Die Lehren von der "Identifikationshaftung" und der "Unterweisungshaftung" in der Literatur

In der Literatur sind zwei unterschiedliche Ansatzpunkte für eine Ausweitung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung vorgeschlagen worden. Der erste Vorschlag läuft darauf hinaus, (auch) alle die Personen und Unternehmen der Produzentenhaftung zu unterwerfen, die nach außen hin als Hersteller des (schadstiftenden) Produkts in Erscheinung getreten sind 91 • Neben dem tatsächlichen Hersteller 92 sollen danach also auch diejenigen Unternehmen für Herstellungsfehler einstehen müssen, die lediglich ihre Handelsmarke, ihr Firmenzeichen oder ein ähnliches Erkennungssymbol auf dem Erzeugnis angebracht haben oder haben anbringen lassen. Durch dieses Anbringen des eigenen Erkennungsmerkmals identifiziere sich der Nicht-Hersteller mit dem Fremdprodukt und wolle, daß das so gekennzeichnete Produkt als seine eigene Leistung Verkehrsgeltung erlange. Es sei deshalb auch gerechtfertigt, diesem Scheinhersteller die für den Warenhersteller geltenden Gefahrabwendungspflichten aufzuerlegen und ihn bei deren Nichterfüllung haften zu lassen 93 • Betroffen von dieser Haftung wäre in erster Linie der Quasi-Hersteller94 und der Warenzeichenlizenzgeber 95, ferner aber auch der Lizenznehrner in dem Fall, daß die Konstruktion des Produkts vom Lizenzgeber stammt und dies nicht nach außen hin offenbart wurde 96 • Alle drei identifizieren sich nämlich in der Weise mit dem Produkt des tatsächlichen Herstellers (bzw. mit dessen wesentlicher Teilleistung), daß sie für einen "durchschnittlichen Benutzer" als der eigentliche Hersteller erscheinen 97 • Eine dogmatisch einleuchtende Begründung für diese "Identifikationshaftung" bleiben deren Protagonisten freilich schuldig. Insbesondere vermögen sie nicht zu erklären, wie diese Haftungkraft Identifikation mit dem System der Verkehrspflichthaftung in Einklang gebracht werden soll. Verkehrspflichten und die aus deren Verletzung abgeleitete Haftung treffen nämlich nur denjenigen, der eine Gefahrenquelle für die Rechtsgüter anderer schafft 98 • Voraussetzung für die Entstehung von Verkehrspflichten ist demnach ein gefahrschaffendes oder gefahrerhöhendes Verhalten, wobei Inhalt und Umfang der Verkehrspflichten vom Ausmaß des aus dem Verhalten resultierenden Gefährdungspotentials abhängen. 91 So in erster Linie Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 116 ff.; ders. in BB 1979, 1, 7; Anhalt, a.a.O., S. 123 f. 92 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 119. 93 Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 116 f. 94 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 116f.; Anhalt, a.a.O., S.123. 95 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S.ll7. 96 So Anhalt, a.a.O., S. 124 f.: in diesem Falle gebe sich der Lizenznehmer als "geistiger Urheber" der Konstruktion aus. 97 Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 118 f. 98 Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter III 1.

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Dieser Zusammenhang zwischen gefahrrelevantem Verhalten und Verkehrspflichten würde aufgehoben, wollte man die herstellergleiche Haftung einzig an die Kennzeichnung des Produkts knüpfen. Allein das Anbringen eines Erkennungssymbols erhöht die aus dem Produkt drohende Gefahr in der Regel nämlich nicht. Das von dem Produkt ausgehende Gefährdungspotential bleibt dadurch vielmehr unberührt. Eine Ausnahme von der Gefahrneutralität dieses Vorgangs besteht lediglich dann, wenn mit dem Marken- oder Firmenzeichen bestimmte Vertrauenserwartungen beim Publikum verbunden sind. Muß der Zeicheninhaber damit rechnen, daß der Benutzer im Hinblick auf das dem (Firmen-, Marken-, etc.)Namen entgegengebrachte Vertrauen Vorsichtsmaßregeln unterläßt, die er anderenfalls beachten würde 99, so ist die Anbringung des Firmenzeichens ausnahmsweise nicht gefahrneutral und der Zeicheninhaber zur Steuerung und Abwendung dieser speziell aus der Kennzeichnung fließenden Gefahr verpflichtet 100• Ansonsten geht mit der Markierung des Produkts aber keine Gefahrerhöhung einher. Der BGH hat die Lehre von der "ldentifLkationshaftung" deshalb zu Recht verworfen 101 • Für eine Rechtsscheinhaftung besteht auf der Basis der deliktischen Verkehrssicherungspflichten kein Raum 102 • Ein anderer Ansatzpunkt für eine Erweiterung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung ist in der Übermittlung von produktionserheblichen Kenntnissen erblickt worden 103• Derjenige, der einem anderen ein produktionsrelevantes Know-how vermittele, ihn in bestimmte Produktionstechniken einweise und dadurch eine gewisse Einflußmöglichkeit auf dessen Produktion gewinne, müsse für ein fehlerhaftes Produkt des anderen insoweit einstehen, als die schadenstiftende Fehlerhaftigkeit auf einem Fehler des übermittelten Know-how beruhe 104• Die Einbeziehung des Know-how-Lizenzgebers in die Produzentenhaftung für ein fehlerhaftes Produkt des Lizenznehmers rechtfertige sich dabei daraus, daß entweder das Herstellungsverfahren des Produkts im ganzen oder die Produktgestaltung im einzelnen von der Unterweisung des Lizenznehmers abhängig sei und damit der Einflußmöglichkeit des Lizenzgebers unterliege 105• BGH, BB 1977, 1117- ,,Autokran" - . Vollkommen richtig und nicht etwa sibyllinisch- wie Mes, GRUR 1982, 74, 77 und Stumpf, a.a.O., Rd. 260, S. 152, meinen- deshalb BGH, BB 1977, 1117"Autokran" - . 101 BGH, BB 1977, 1117- "Autokran" -;bestätigt in BGH, NJW 1980, 1219"Klapprad" - . 102 Anders das amerikanische Recht, das jedenfalls im Rahmen der ,,negligence"Produkthaftung die Identifikationshaftung kennt, vgl. § 400 Restatement of Torts 2d; siehe auch Lüderitz, a.a.O., S. 541. 103 So von Körner, NJW 1985, 3047, 3050 speziell im Hinblick auf den Know-howLizenzgeber; ihm folgend Foerste, in v. Westphalen, a. a.O., S. 434 f.; ähnlich auch Wilms, a.a.O., S. 98 f. 104 Körner, ebenda (Fn. 103). 105 Körner, ebenda (Fn. 103); ähnlich Wilms, a. a. 0., S. 98 f.; noch darüber hinausgehend Foerste, in v. Westphalen, a.a.O., S. 433 und S. 434: Der Lizenzgeber müsse haften, soweit sich der Lizenznehmerauf Richtigkeit und Vollständigkeit der Informatio99

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Ill. Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung

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Dieser Auffassung ist zwar zuzugestehen, daß sie sich weitaus besser mit der Systematik der Verkehrspflichthaftung verträgt als die Lehre von der Identiftkationshaftung. Denn immerhin läßt sich nicht abstreiten, daß in der Unterweisung eines anderen ein gewisses Geflihrdungspotential steckt, wenn diese Unterweisung im Hinblick auf eine (beabsichtigte) gefahrschaffende (Produktions-) Tätigkeit des anderen erfolgt. Andererseits erscheint es aber doch wenig sachgerecht, an die Übermittlung betrieblichen Erfahrungswissens auf technischem Bereich 106 und die Unterweisung in bestimmten produktionstechnischen Fertigkeiten eine Haftung für (spätere) Herstellungsfehler knüpfen zu wollen, die dem vom Knowhow-Empfanger produzierten Erzeugnis anhaften. Selbst wenn diese Herstellungsfehler auf Fehlanleitungen oder Fehlinformationen des Know-how-Lieferanten zurückzuführen sind, so wird m. E. der in der Kenntnisübermittlung und Unterweisung liegende Gefahrdungsbeitrag des Know-how-Lieferanten durch die spätere Produktionsaufnahme des Know-how-Empfangers so weit überlagert und - was die konkrete Gefährdung betrifft - praktisch zurückgedrängt, daß eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Know-how-Lieferanten für aus der Produktion des Know-how-Empfangers stammende (fehlerhafte) Produkte nicht mehr in Betracht kommt. In der eigentlichen Produktion liegt das Schwergewicht des produktspezifischen Gefährdungspotentials, dort wird die unmittelbare Anlage für die (spätere) gefahrdrohende Beschaffenheit des Produkts gelegt, nicht bei der Mitteilung der für die Produktion benötigten oder nützlichen Kenntnisse. Deshalb muß, wer sich dazu entschließt, die Produktion eines bestimmten Gutes aufzunehmen, die damit verbundene Verantwortung für die Rechtsgüter anderer selbständig übernehmen. Er muß folglich eigenhändig dafür Sorge tragen, daß alle möglichen Gefährdungen aus dem Produkt nach dem Stand von Wissenschaft und Technik 107 ausgeschaltet sind. Hierzu hat er selbst alle notwendigen Informationen einzuholen und darf sich nicht einfach auf andere verlassen ws. Dies bedeutet, daß er empfangene Informationen und erhaltenes Know-how kritisch auf ihr Gefahrdungspotential hin überprüfen muß, bevor er sie einsetzt oder anwendet 109 • Tut er dies nicht, so trägt er die (haftungsrechtliche) Verantwornen (S. 434) bzw. den Ruf des Lizenzgebers (S. 433) verlassen habe (Hervorhebung durch den Verf.). 106 So die herrschende Definition des Know-how, vgl. nur Gaul I Bartenbach, a. a. 0., Q, Rd. 2 (S. 583) mit weiteren Nachweisen. 101 Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter III 4 a. ws Zu Recht wird daher- wenn auch in etwas anderem Zusammenhang - gefordert, der Hersteller müsse selbst "sufficient technical knowledge" zur Herstellung eines sicheren Produkts besitzen, vgl. Restatement of Torts 2d, § 395, Comrnent g. 109 A. A. offenbar Wilms, a.a.O., S. 99, der meint, man müsse berücksichtigen, daß der Empfänger von Know-how vielfach nicht in der Lage sei, das zur Verfügung gestellte Know-how auf dessen Wert und Vollständigkeit zu prüfen. Aufgrund der von ihm betriebenen Produktion und der damit einhergehenden Gefahrdung hat er hierzu aber die (deliktsrechtliche) Pflicht, zumindest soweit es um die Beurteilung des mit der Anwendung des Know-how verbundenen Gefahrdungspotentials geht.

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

tung für daraus resultierende Schäden, nicht aber der Informationsgeber. Alles andere liefe darauf hinaus, den Lehrer für die Fehler seines Schülers haften zu lassen, die letzterer begeht, weil er sich auf die Unterweisungen seines Lehrers (blind) verlassen hat. Hinzu tritt noch ein gewichtiger praktischer Grund, die "Unterweisungshaftung" abzulehnen. Häufig wird sich nämlich nicht nachweisen lassen, ob der Herstellungsfehler auf einer Falschinformation des Know-how-Lieferanten oder aber darauf beruht, daß der Know-how-Ernpfänger die korrekte Information und Unterweisung nicht richtig verstanden und daher falsch angewandt hat. Bei Anerkennung einer Beweislastumkehr 110 zu Lasten des Know-how-Lieferanten würde dieser daher Gefahr laufen, für ausschließlich vorn Know-how-Ernpfänger herrührende Fehler in Anspruch genommen zu werden. Dies würde den volkswirtschaftlich erwünschten Technologietransfer zumindest erheblich behindern und wäre auch durch kein übergeordnetes haftungspolitisches Grundprinzip zu rechtfertigen 111 • Die Lehre von der "Unterweisungshaftung" ist deshalb ebenso abzulehnen wie die Lehre von der "Identifikationshaftung" 112• 2. Weiterentwicklung der Verkehrspflichthaftung: Die machtbezogene Haftung

a) Grundlagen Demgegenüber liegt m. E. der richtige Ansatzpunkt für eine Erweiterung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung in einer angemessenen haftungsrechtlichen Berücksichtigung des Machtelernents. Die Beachtung dieses Elements wird bereits durch das übergeordnete Gerechtigkeitspostulat der iustitia distributiva gefordert 113 • Das mächtige Unternehmen, das die Produktion einer bestimmten Ware initiiert, die maßgebenden Ausführungsbestimmungen trifft und in der Regel wohl auch den größten Vorteil aus der Produktion zieht, soll entsprechend für die nachteiligen Konsequenzen aus der Produktion einstehen. Zur Verdeutlichung des Problems bietet sich der Sachverhalt eines Falles an, über den der Österreichische OGH im Jahre 1981 zu entscheiden hatte 114•

Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter V. Zweifelnd insoweit auch Wilms, a. a. 0., S. 98, allerdings nur bezogen auf den ,,Erfinder''. 112 Demgegenüber ist nach amerikanischem Recht u. U. eine "Unterweisungshaftung" möglich, vgl. § 552 Restatement of Torts 2d. Danach kann auch ein Dritter einen Ersatzanspruch gegen den Informationsgeber haben, wenn die Fehlinformation des Vertragspartners vorsätzlich oder fahrlässig erfolgte und sich beim Dritten schädigend ausgewirkt hat, vgl. § 552 Restatement of Torts 2d, Comment h. 113 Dazu näher im 2. Kapitel unter I. 114 Abgedr. in JBI 1982, 257 f.; siehe dazu auch Lorenz, IPRax 1983, 85 f. 110 111

III. Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung

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Ein in Österreich zugelassener Omnibus hatte in Jugoslawien einen schweren Verkehrsunfall erlitten, weil sich am linken Vorderreifen während der Fahrt das Profil gelöst hatte. Der Omnibus geriet auf die linke Fahrbahnhälfte und stieß mit einem entgegenkommenden PKW zusammen, wodurch fünf Personen getötet wurden. Die Klägerin führte den Unfall auf verschiedene Konstruktionsfehler des Reifens zurück. Hersteller des Reifens war ein englisches Unternehmen, das in nahezu hundertprozentigem Besitz einer amerikanischen Muttergesellschaft stand. Die Klage gegen die englische Tochtergesellschaft wurde wegen mangelnder inländischer Gerichtsbarkeit abgewiesen 115 • Die Klägerin versuchte daraufhin, die amerikanische Muttergesellschaft im Wege des sog. Durchgriffs zu belangen, gestützt auf das Argument, der Alleinaktionär habe mißbräuchlich eine Konstruktion verwendet (gemeint ist eine juristische Konstruktion), damit er nicht selbst hafte. Der OGH prüfte deshalb die Frage eines konzem- bzw. gesellschaftsrechtlichen Haftungsdurchgriffs auf die Muttergesellschaft Weil ein solcher nach dem anwendbaren englischen Recht nicht gegeben war, wurde die Klage abgewiesen. Immerhin erwähnte der OGH in einem abschließenden Satz aber noch die Möglichkeit, daß auch "eine Verschuldeoshaftung der beklagten Partei" (also der Muttergesellschaft) in Betracht kommen könne, wenn sie "einen Aufsichtsrat oder Vorstand der Erzeugerfirma bestellt habe, der nicht in der Lage gewesen sei, die Produktion und den Verkauf nicht ordnungsgemäß durchkonstruierter Reifen zu verhindem" 116• Da es an einem entsprechenden Vortrag fehlte, wurde dieser Möglichkeit jedoch nicht weiter nachgegangen. Wenn hier die Muttergesellschaft- wie Lorenz 117 spekuliert- die Konstruktion des Reifens maßgeblich beeinflußt hätte, so erschiene es allerdings angemessen, die Muttergesellschaft mit der Haftung für den Produktschaden zu belegen. Dabei handelt es sich freilich zunächst nur um eine haftungspolitische Grundüberlegung. Ob und inwieweit sich diese Grundüberlegung in dogmatischer Hinsicht mit der Verkehrspflichthaftung vereinbaren läßt, bedarf einer genaueren Untersuchung. Der zutreffende Ansatzpunkt findet sich hier in dem abschließenden Satz der Entscheidung des OGH, wo nicht auf eine eventuelle konzernrechtliche Durchgriffshaftung der Muttergesellschaft abgestellt wird, sondern allein darauf, ob die Muttergesellschaft vielleicht eigene Pflichten verletzt hat. Dies ist in der Tat die korrekte Sichtweise. Das Institut der "Durchgriffshaftung" kann in vorliegendem Zusammenhang nur verwirren 118. Unterzieht man die Möglichkeit einer selbständigen Haftung des mächtigen Unternehmens einer genaueren Analyse in dieser Richtung, so ist vorderhand auf den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht zurückzukommen, wie er bereits oben (im 3. Kapitel unter III) ausführlich dargestellt wurde. In ihrer allgemeinen Form verlangt die Verkehrssicherungspflicht von jedermann, sein Verhalten so einzurichten, daß dadurch die Rechtsgüter anderer nicht mehr als nach dem 11s

116 111

118

OGH, ÖJZ 1979, 463 f. OGH, JBl 1982, 257, 258. IPRax 1983, 85. Ebenso Lorenz, IPRax 1983, 85 f.

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

menschlichen Zusammenleben unvermeidbar, gefährdet werden 119• In dieser Formel steckt zweierlei. Zum einen liegt darin ein abstraktes Verhaltensgebot, eine Zielvorgabe, die jedermann in seine Erwägungen einzubeziehen hat, wenn er sich zu einem bestimmten Verhalten entschließt. In diesem Stadium, also bevor ein Schaden eingetreten ist, beinhaltet die allgemeine Verkehrssicherungspflicht zunächst nur, ex ante alle Gefahren zu berücksichtigen, die aus dem geplanten Verhalten für die Rechtsgüter anderer entstehen, und Vorsorge zu treffen, daß diese Gefahren sich nicht realisieren können. Gleichzeitig wird damit zum zweiten aber auch ex post die rechtliche Verantwortlichkeit festgelegt, wenn sich die Gefahr, die mit dem Verhalten verbunden war, realisiert hat. In dieser zweiten Funktion, der Festlegung der rechtlichen Verantwortlichkeit für eine Rechtsgutsverletzung, liegt jedenfalls für den Richter die eigentliche Bedeutung des Verhaltenspostulats der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht Denn die Natur der Sache bringt es mit sich, daß der Richter immer nur ex post, das heißt nachdem sich eine bestimmte Gefahr bereits realisiert hat, über die Zuweisung des dadurch entstandenen Schadens entscheiden kann 120• Die rechtliche Verantwortlichkeit für einen eingetretenen Schaden ist damit das Korrelat des aus der Verkehrssicherungspflicht fließenden Gefahrsteuerungsgebots. Vom Inhalt her normiert die allgemeine Verkehrssicherungsformel kein konkretes Verhaltensgebot, sondern enthält nur den Maßstab für die Verhaltensanforderungen im einzelnen. Dieser Maßstab ist die Gefährdungsintensität des Verhaltens, welches der einzelne an den Tag legt. Je größer die mit dem Verhalten verbundenen Gefahren sind, umso umfassender ist deshalb der dem einzelnen obliegende Pflichtenkanon 121 • Aufgrund der vorerwähnten Korrelation zwischen Verhaltenspflicht ex ante und Verantwortlichkeit ex post bildet die Gefährdungsintensität aber nicht nur den Maßstab für den Pflichtenkanon, sondern gleichzeitig auch für die rechtliche Verantwortlichkeit bei Gefahrrealisierungen. Mit steigender Gefahr wächst somit auch die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit. Je höher das von einem Verhalten ausgehende Gefährdungspotential ist, desto weiter reicht demnach auch die rechtliche Verantwortlichkeit für eine Gefahrrealisierung, das heißt für den Eintritt eines Schadens. Dreh- und Angelpunkt der gesamten Verkehrspflichtdogmatik ist folglich die Gefährdungsintensität eines Verhaltens. Danach beurteilt sich nicht nur der PflichSiehe dazu oben im 3. Kapitel unter III 1. Siehe dazu bereits oben im 3. Kapitel unter III 3 c, den Text bei Fn. 97; vgl. auch Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., S. 26 f. 121 Besonders plastisch wird diese Abhängigkeit von dem Kommentar zu § 395 Restatement of Torts 2d unter e bezüglich der Hersteller(inspektions)pflichten ausgedrückt: .,A garment maker is not required to subject the finished garment to anything like so minute an inspection for the purpose of discovering whether a basting needle has not been left in a seam as is required of the maker of an automobile or of high speed machinery or of electrical devices, in which the slightest inaccuracy may involve danger of death." Vgl. auch v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 114 f. 119

120

III. Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung

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tenkanon ex ante, sondern auch die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit ex post. Jedes Verhalten muß also zuerst und vor allem auf seine Gefährdungsintensität hin untersucht werden. Dabei ergibt sich aber, daß die Gefährdungsintensität eines Verhaltens nicht nur davon abhängig ist, was jemand tut oder nicht tut, sondern auch davon, wer es tut bzw. nicht tut. Das Ausmaß der Gefahr aus einem bestimmten Verhalten variiert nicht nur je nach dem Gegenstand des Verhaltens. Vielmehr ist insoweit auch die soziale Stellung des Urhebers des Verhaltens von Bedeutung, denn die gesellschaftlichen Auswirkungen eines Verhaltens steigen mit der Position, die der einzelne in dieser Gesellschaft einnimmt. Bezogen auf die Güterproduktion, ist es beispielsweise ein Unterschied, ob sich ein HobbyHeimwerker zur Herstellung und Ioverkehrgabe eines bestimmten Produkts z. B. eines Fahrrads - entschließt oder der Leiter eines Großbetriebes. Das Gefährdungspotential, das aus der Umsetzung dieses Entschlusses resultiert, ist im zweiten Fall ungleich viel höher und weitgestreuter als im ersten. Folglich muß auch die rechtliche Verantwortlichkeit für Schäden entsprechend größer sein. Diesen Zusammenhang zwischen sozialer Machtstellung und Umfang der rechtlichen Verantwortlichkeit für (Produkt-)Schäden hat die Rechtsprechung und Literatur für den Bereich der innerbetrieblichen Arbeitsteilung bereits de facto akzeptiert 122• Nur scheinbar fügen sich nämlich die sog. Organisationspflichten in die aufgabenorientierte Haftpflichtdogmatik. Hinter dem (haftungsbegründenden) Aufgabenbereichskriterium, wie es die herrschende Doktrin im Rahmen der innerbetrieblichen Arbeitsteilung versteht, verbirgt sich in Wahrheit jedoch ein anderes haftungsbegründendes Element: die wirtschaftlich-soziale Position des einzelnen im Betriebsgefüge. Inhaltlich geht es bei den Organisationspflichten genau gesagt nicht mehr um den tatsächlichen Tätigkeitsbereich, für den der einzelne haftungsrechtlich einzustehen hat, sondern um den rechtlichen Verantwortungsbereich, der aufgrundder (Macht-)Position innerhalb der Betriebshierarchie weit über diesen tatsächlichen Tätigkeitsbereich hinausreicht 123 • Im Ergebnis wird hier also nicht (mehr) für das Fehlverhalten im eigenen Tätigkeitsfeld gehaftet, denn es handelt sich um Vorgänge, die außerhalb dieses tatsächlichen Tätigkeitsfeldes liegen und sich daher der unmittelbaren Einflußmöglichkeit jedenfalls in der Regel entziehen. Haftungsbegründendes Merkmal ist vielmehr nur noch die wirtschaftliche Machtposition, aufgrund deren dem Betreiber des Unternehmens die Verfehlungen seiner in einem (arbeitsrechtlichen) Abhängigkeitsverhältnis stehenden Mitarbeiter zugerechnet werden. Die sog. Organisationspflicht wurde deshalb bereits oben (im 3. Kapitel unter III 3 c) als ein rechtstechnisches Hilfsinstrument vorgestellt, um praktisch eine Erfolgseinstandspflicht des wirtschaftlich mächtigen Unternehmers für die Verwirklichung bestimmter Gefahren aus dem von ihm beherrschten Machtbereich herbeiSiehe oben im 3. Kapitel unter III 3 c. Besonders deutlich wird dies in BGH, NJW 1975, 1827, 1828 - "Spannkupplungen"-. 122 123

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

zuführen 124• Dabei dreht es sich um solche Gefahren, die zwar nicht aus dem tatsächlichen Tätigkeitsbereich des Unternehmers stammen, die er aber kraft seiner wirtschaftlichen Entscheidungsmacht veranlaßt hat und für die er daher auch die haftungsrechtliche Verantwortung tragen soll. Theoretisch mag man diese Verantwortung zwar immer noch in entsprechenden Gefahrabwendungspflichten verankert sehen. Diese geben aber kein bestimmtes Verhaltensprogramm (mehr) vor, sondern beinhalten nur noch die rein zielorientierte Pflicht, die Verwirklichung der geschaffenen Gefahr im Ergebnis zu verhindern, und zwar gleichgültig wie. Damit geht es bei der Organisationshaftung nur noch vordergründig um eine Haftung wegen Pflichtverletzung 125• Der Sache nach handelt es sich um eine Garantiehaftung 126 für die Fehlleistungen der wirtschaftlich Abhängigen. Hat man sich dies erst einmal vergegenwärtigt, so ist kein Grund ersichtlich, warum sich dieses Haftungsprinzip auf den innerbetrieblichen Bereich beschränken sollte 127 •

b) Voraussetzungen Für die Lösung der oben (unter II) geschilderten Zurechnungsprobleme ist damit die Richtung gewiesen. Überträgt man die tragenden Gesichtspunkte der innerbetrieblichen Zureclmung auf die überbetriebliche Sphäre, so lassen sich die Voraussetzungen der machtbezogenen Produzentenhaftung wie folgt präzisieren: Zunächst muß das Unternehmen, aus dem die (Produkt-)Fehlerquelle stammt, in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu dem mächtigen Unterneh124 Vgl. MünchKomm-Mertens, Band 3, a.a.O., § 823, Rd. 180; in der Literatur wird dieser Aspekt nur unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Delegierbarkeit von Verkehrspflichten auf Hilfspersonen behandelt, vgl. namentlich v. Bar, Verkehrspflichten, a. a. 0 ., S. 254 ff. und Brüggemeier, a.a.O., S. 98 ff. Bevor über die Delegierbarkeit von Verkehrssicherungspflichten geredet werden kann, muß jedoch zunächst festgestellt werden, wen sie überhaupt ursprünglich treffen. Insoweit bedient sich die herrschende Dogmatik jedenfalls für den Bereich der Produzentenpflichten des - wie oben gezeigt- ambivalenten Aufgabenbereichskriteriums (ansonsten, d. h. bei der Verkehrssicherungspflicht im allgemeinen, wird auf das- ähnliche- Kriterium der Verfügungsgewalt über die Gefahrenquelle bzw. auf deren tatsächliche und rechtliche (sie!) Beherrschbarkeil abgestellt, vgl. nur v. Bar, Verkehrspflichten, a.a.O., S. 122 mit weiteren Nachweisen). Nach der hier vertretenen Auffassung sollte das Aufgabensbereichskriterium durch die beiden in ihm enthaltenen Elemente ersetzt werden: tatsächliches unmittelbares Tätigkeitsfeld einerseits, wirtschaftliche Machtstellung andererseits. 12s Siehe dazu schon oben im 3. Kapitel unter lli 3 c den Text bei Fn. 95 ff. 126 Eine Erkenntnis, die sich im übrigen nicht auf die Organisationshaftung beschränkt. Allgemein ist der Unterschied zwischen Verkehrspflichthaftung und Garantie- bzw. Gefahrdungshaftung vielfach nur noch theoretischer Natur, vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, a. a. 0., S. 48 f., S. 112 ff. (S. 115) und passim; ebenso schon Esser, JZ 1953, 129, 130 f. ; siehe auch Will, a. a. 0., S. 58 (bzgl. der Produzentenhaftung). 127 In dieser Richtung wohl auch Brüggemeier, a. a. 0., S. 361 f., allerdings ohne dogmatische Begründung und ohne die Entwicklung entsprechender Haftungskriterien.

III. Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung

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men stehen. Die Ursache für die wirtschaftliche Abhängigkeit ist dabei zweitrangig. Häufig wird sie sich aus dem Inhalt eines zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses ergeben, ähnlich wie auf der innerbetrieblichen Ebene die wirtschaftliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis Ausdruck findet. Als schlagkräftiges Beispiel für ein solches Rechtsverhältnis im überbetrieblichen Bereich sei hier die konzernrechtliche Abhängigkeit in Form eines Beherrschungsvertrages genannt (vgl. §§ 291 Abs. 1 Satz 1, 308 Abs. 1 und Abs. 2 AktG). Zwingend ist die Existenz eines solchen Rechtsverhältnisses für das Vorhandensein wirtschaftlicher Abhängigkeit jedoch nicht. Die Abhängigkeit kann auch allein auf der gegebenen Marktsituation beruhen, etwa wenn das mächtige Unternehmen ein Nachfragemonopol innehat (vgl. dazu§ 22 GWB). Damit sind aber nur die beiden Extrembeispiele aufgeführt, bei denen wirtschaftliche Abhängigkeit schon von Gesetzes wegen feststeht. Für das Produzentenhaftungsrecht sind indes auch solche wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Interesse, die unterhalb dieser unter konzem- bzw. wettbewerbsrechtlichen Aspekten definierten Linie liegen. Denn hier geht es ja weder um den Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Gläubigem der abhängigen Gesellschaft 128 noch um den Schutz des freien (Leistungs-) Wettbewerbs 129, sondern lediglich darum, den wirtschaftlichen (Haupt-)Veranlasser für die Herstellung und den Vertrieb eines schadstiftenden Produkts ausfindig und haftbar zu machen. Dieser (Haupt-)Veranlasser muß nicht notwendig ein herrschendes Unternehmen im konzernrechtlichen oder ein Monopolist im wettbewerbsrechtlichen Sinne sein. Für das Produzentenhaftungsrecht kann es deshalb mit den konzem- und wettbewerbsrechtlichen Abhängigkeitskriterien nicht sein Bewenden haben. Weit eher bietet sich hier wiederum an, die Parallele zum innerbetrieblichen Bereich zu ziehen. Dort dokumentiert sich die Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber in der sog. Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers bzw. vice versa dem sog. Direktionsrecht des Arbeitgebers 130• Aufgrund seiner Weisungsgebundenheit muß der Arbeitnehmer den Entscheidungen des Arbeitgebers Folge leisten, ohne daß sich ihm eine rechtliche oder wirtschaftliche Handlungsalternative böte 131 • Namentlich kann sich der Arbeitnehmer nicht den grundlegenden geschäftspolitischen Beschlüssen des Arbeitgebers widersetzen, insbesondere was beispielsweise Art und Umfang der Produktion, Produktpalette, äußere Aufmachung der Produkte usw. betrifft 132• 128 Dies ist der (Haupt-)Schutzzweck des Konzernrechts, vgl. nur Emmerich I Sonnenschein, a.a.O., S. 17. 129 Dies ist der (Haupt-)Schutzzweck des Wettbewerbsrechts, vgl. Emmerich, a. a. 0., s. 5 ff. 130 Vgl. nur Schaub, a.a.O., S. 122 f. 131 Von arbeitsrechtswidrigen Weisungen soll hier einmal abgesehen werden. 132 Kollektivarbeitsrechtliche Mitbestimmungsrechte sollen hier ebenfalls einmal außer Betracht bleiben.

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

Die damit charakterisierte Abhängigkeit beschränkt sich jedoch nicht auf die innerbetriebliche Sphäre, wenn sie auch dort besonders deutlich zutage tritt. Fehlende Widersetzungsmöglichkeit im Hinblick auf die Entscheidungen eines anderen deutet vielmehr generell auf das Vorhandensein wirtschaftlicher Macht hin. Daher läßt sich dieses Kriterium ohne weiteres auch auf den überbetrieblichen Bereich übertragen und vermag auch dort eine brauchbare Richtschnur für die Bestimmung wirtschaftlicher Abhängigkeit abzugeben. Um das Vorliegen eines wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses festzustellen, ist deshalb in jedem Fall zu fragen, ob und inwieweit das (möglicherweise) abhängige Unternehmen sich den Entscheidungen des (möglicherweise) mächtigen Unternehmens widersetzen kann. Die Widersetzungsmöglichkeit bildet demnach den Maßstab für das Bestehen oder Nicht-Bestehen wirtschaftlicher Abhängigkeit. Nicht entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob das abhängige Unternehmen hinsichtlich der Entscheidungen des mächtigen Unternehmens eine (rechtliche) Widersetzungsbefugnis hat. Selbst wenn eine solche besteht, kann es nämlich doch an der tatsächlichen Widersetzungsmöglichkeit fehlen, wenn sich das abhängige Unternehmen aus wirtschaftlichen Gründen in die Entscheidungen des mächtigen fügen muß. Auch die (faktische) Widersetzungsmöglichkeit ist daher anband wirtschaftlicher Kriterien zu bestimmen. Dabei kommt es darauf an, welche ökonomischen Folgen das präsumtiv abhängige Unternehmen bei einer Verweigerung des gewünschten Verhaltens zu gewärtigen hat und ob unter diesem Gesichtspunkt eine Ablehnung nach vernünftiger Anschauung erwartet werden kann. Ist nach diesen Bestimmungsmerkmalen ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis anzunehmen, so kann das mächtige Unternehmen für einen Produktschaden gleichwohl erst dann in Anspruch genommen werden, wenn es Herstellung und Vertrieb des (schadstiftenden) Produkts veranlaßt oder maßgeblich beeinflußt hat 133 • Denn nur in diesem Fall kann dem mächtigen Unternehmen das Produktrisiko und damit zugleich die Realisierung des Produktrisikos zugerechnet werden. Hinter diesem Erfordernis der Veranlassung bzw. Beeinflussung von Produktion und Vertrieb verbergen sich zwei Komponenten, die kumulativ erfüllt sein müssen. Einmal muß sich die aus der Abhängigkeit resultierende Entscheidungsmacht des mächtigen Unternehmens auf die Produktion des abhängigen Unternehmens beziehen. Dies folgt wiederum aus der Schutzrichtung des Produzentenhaftungsrechts, das- im Gegensatz wiederum zum Konzernrecht und zum Wettbewerbsrecht - über die Reflexwirkung der Haftpflicht einzig und allein den Schutz des Publikums, namentlich der Konsumenten, vor gefährlichen Produkten bezweckt 134• Deshalb ist es vollkommen unerheblich, ob und inwieweit das mächtige 133 134

Insoweit ähnlich Lüderitz, a. a. 0., S. 553 f . Vgl. v. Hippel, a.a.O., S. 46 ff.

III. Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung

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Unternehmen seine Machtstellung zur Benachteiligung der Minderheitsgesellschafter des abhängigen Unternehmens, zur Verdrängung lästiger Mitbewerber oder zur Durchsetzung überhöhter Preise ausnutzen kann. Für das Produzentenhaftungsrecht kommt es ausschließlich darauf an, ob das mächtige Unternehmen die wesentlichen Entscheidungen hinsichtlich der Produktion des abhängigen Unternehmens treffen kann, namentlich, ob es kraft seiner wirtschaftlichen Machtposition die maßgebenden Produktionsdaten bezüglich Art und Gestalt der produzierten Ware bestimmen kann. Erforderlich ist demnach, daß die Entscheidungsmacht des mächtigen Unternehmens produktionsbezogen ist, oder anders ausgedrückt: das mächtige Unternehmen muß die Entscheidungsmacht über Ob und Wie der Produktion des abhängigen Unternehmens besitzen. Damit dem mächtigen Unternehmen der von dem abhängigen Unternehmen hervorgerufene Produktfehler zugerechnet werden kann, ist schließlich zum zweiten noch vonnöten, daß das mächtige Unternehmen seine produktionsbezogene Entscheidungsmacht auch ausgeübt hat. Die Entscheidungsmacht muß dabei gerade im Hinblick auf das schadstiftende Produkt ausgeübt worden sein, da es anderenfalls an .der notwendigen Kausalverknüpfung fehlen würde. Weiterer Voraussetzungen bedarf es für eine Inanspruchnahme des mächtigen Unternehmens nicht. Insbesondere ist es für die (machtbezogene) Haftung weder notwendig noch hinreichend, daß das mächtige Unternehmen Produktionskontrollen bei dem abhängigen Unternehmen durchführt bzw. durchgeführt hat oder aus irgendwelchen Gründen jedenfalls die Verpflichtung zu solchen Kontrollen besteht 135 • Die machtbezogene Haftung bleibt davon unberührt. Sie knüpft die Haftung nicht an den tatsächlichen Aufgabenbereich, sondern an die Machtstellung und tritt nachgerade auch ohne die Durchführung von Kontrollen bzw. der Verpflichtung zu solchen ein. Es genügt insoweit, daß das mächtige Unternehmen die Möglichkeit besitzt, die Produktion des abhängigen Unternehmens zu kontrollieren und organisieren 136 • Da diese (Kontroll-)Möglichkeit jedoch Ausfluß der 135 So wird beispielsweise aus wettbewerbsrechtlichen Gründen bei der Warenzeichenlizenz vom Lizenzgeber eine Qualitätskontrolle verlangt, vgl. BGHZ 44, 372, 377 und dazu Stumpf, a. a. 0., Rd. 468, S. 279 sowie aus speziell produzentenhaftungsrechtlichem Blickwinkel Körner, NJW 1985, 3047, 3051. Auf die machtbezogene Haftung ist dies ebenso ohne Einfluß, wie wenn sich die Kontrollverpflichtung aus spezifisch produzentenhaftungsrechtlichen Gründen nach der aufgabenorientierten Sichtweise-wie z. B. der Verpflichtung zur Durchführung von Eingangskontrollen- ergibt, vgl. dazu oben unter I. 136 Ähnlich Lüderitz, a.a.O., S. 553 f., der aber meint, eine Haftung käme de lege lata (nach § 823 BGB) dann nicht in Betracht, wenn es sich bei dem tatsächlichen Hersteller um ein im übrigen zuverlässiges Unternehmen handele. Damit führt Lüderitz den problematischen Regelungsgehalt des § 831 Abs. l BGB, dessen Beseitigung im innerbetrieblichen Bereich das Hauptanliegen der sog. Organisationshaftung war und ist - vgl. oben im 3. Kapitel unter 111 3 c -, in den überbetrieblichen Bereich ein. Dafür besteht in der überbetrieblichen Sphäre jedoch (erst recht) kein Anlaß. Wie oben gezeigt, enthält die Verkehrspflichthaftung das Element der rechtlichen Verantwortlichkeit, die mit der Machtstellung wächst und (auch) von der innegehaltenen Machtposition bestimmt wird. Die von Lüderitz gemachte Einschränkung ist daher m. E. gegenstandslos.

7 Winkelmann

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4. Kap.: Unternehmenskooperation und Produzentenhaftung

wirtschaftlichen Machtstellung ist und mit letzterer zwingend einhergeht, kann sie bei Vorliegen des oben definierten Machtverhältnisses unwiderleglich vermutet werden. Damit wird zuletzt auch noch die Brücke zur dogmatischen Einordnung der machtbezogenen Haftung geschlagen. Sie läßt sich - in Analogie zum innerbetrieblichen Bereich- als Haftung für die Verletzung von Kontroll-, Aufsichts-, Organisations- und ähnlichen Pflichten begreifen, die das mächtige Unternehmen aufgrund seiner produktionsbezogenen Machtstellung im Hinblick auf die Produktion des abhängigen Unternehmens treffen. Auf den zweifellos fiktiven Charakter dieser Konstruktion wurde freilich bereits mehrfach hingewiesen 137• Es handelt sich um ein dogmatisches Hilfsgerüst, welches dazu geeignet ist, die wahre Natur dieser Haftung, die von Struktur und Ergebnis her Erfolgshaftung ist, zu verschleiern. Wie im innerbetrieblichen, so sollte deshalb auch im überbetrieblichen Bereich auf dieses Hilfsgerüst verzichtet werden 138•

c) Rechtsfolgen Sind die oben (unter b.) entwickelten Voraussetzungen erfüllt, so muß das mächtige Unternehmen für den aus einem fehlerhaften Produkt entstandenen Verletzungsschaden einstehen. Damit stehen gleichzeitig die Grundsätze fest, nach denen sich die Lösung der oben (unter II) beschriebenen Problemfälle richtet. Unabhängig von den dort geschilderten Rechtsverhältnissen, kommt es allein darauf an, ob der aus einem bestimmten Unternehmen herrührende Fehler in haftungsrechtlicher Hinsicht einem anderen Unternehmen zugerechnet werden kann. Dies beurteilt sich ausschließlich nach der wirtschaftlichen und produktionsbezogenen Abhängigkeit des einen von dem anderen Unternehmen. Den Rechtsverhältnissen fällt allenfalls insofern Bedeutung zu, als sich aus ihnen das Bestehen wirtschaftlicher Abhängigkeit ergeben kann. So wird beispielsweise regelmäßig im Verhältnis zwischen Franchisegeber und Franchisenehmer wirtschaftliche und auch produktionsbezogene Abhängigkeit anzutreffen sein. Dies steht jedoch keineswegs von vornherein fest und bedarf im Einzelfall immer der Verifikation anband der oben (unter b.) entwickelten Kriterien. Die aufgabenbezogene Haftung wird durch die machtbezogene Haftung nicht verdrängt. Denn auch das Unternehmen, aus dessen tatsächlichem Aufgabenbereich die Fehlerquelle stammt, hat eine Verkehrspflichtverletzung begangen. Das mächtige Unternehmen und das abhängige Unternehmen, welch letzteres den Produktfehler unmittelbar verursacht hat, haften daher im Außenverhältnis nebeneinander und gesamtschuldnerisch (§§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1, 421 BGB). Im Innenverhältnis hat das mächtige Unternehmen als der wirtschaftliche Hauptverm Siehe zuletzt oben den Text nach Fn. 123 und ausführlich oben im 3. Kapitel unter III 3 c, den Text bei Fn. 95 ff. 138 Ausführlich dazu schon oben im 3. Kapitel unter III 3 c, den Text bei Fn. 95 ff.

III. Ausdehnung der verhaltensbezogenen Produzentenhaftung

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anlasser den Schaden alleine zu tragen (§§ 426 Abs. 1 Satz 1 BOB, 254 Abs. 1 BOB analog) 139• Insoweit könnte aber auch an einen Freistellungsanspruch in sinngemäßer Übertragung der Grundsätze von der gefahrgeneigten Arbeit auf den überbetrieblichen Bereich gedacht werden 140•

d) Zusammenfassung Danach können Voraussetzung und Folgen der machtbezogenen Haftung wie folgt zusammengefaßt werden: Für die von einem fehlerhaften Produkt hervorgerufene Rechtsgutsverletzung und den daraus entstandenen Schaden haftet (auch) das mächtige Unternehmen, wenn es Produktion und Vertrieb des schadstiftenden Produkts veranlaßt hat. Mächtig ist das Unternehmen dann, wenn das andere Unternehmen, aus dessen Bereich die Produktfehlerquelle stammt, in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihm steht. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, inwieweit das abhängige Unternehmen sich den Entscheidungen des mächtigen Unternehmens widersetzen kann. Veranlaßt hat das mächtige Unternehmen die Produktion, wenn es die Macht hat, die wesentlichen Entscheidungen im Hinblick auf die Produktion des abhängigen Unternehmens zu treffen, und diese Entscheidungsmacht hinsichtlich des konkreten schadstiftenden Produkts auch ausgeübt hat. Im Innenverhältnis haftet das mächtige Unternehmen alleine.

Vgl. RGZ 75, 251, 256. Zur sog. gefahrgeneigten Arbeit etwa BAG, NJW 1983, 1693 ff.; zum Freistellungsanspruch bei Schädigung eines betriebsfremden Dritten durch den Arbeitnehmer etwa Schaub, a. a. 0., S. 267 f. 139

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7*

5. Kapitel

Die Rechtslage in Frankreich und USA Bevor auf die Neuerungen eingegangen wird, die sich für das deutsche Recht aus dem Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes ergeben, soll noch ein kurzer Überblick über die bisherige Rechtslage in Frankreich 1 und die gegenwärtige in USA gegeben werden, den "sources d'inspiration" 2 für die EG-Richtlinie Produkthaftung vom 25.7. 1985, welche dem ProdHaftG zugrunde liegt.

I. Frankreich 1. Grundlagen

In Frankreich ist die rechtspolitisch erwünschte Haftungsverschärfung bei Produktschadensfallen in erster Linie durch einen Ausbau vertraglicher Ansprüche erreicht worden. Ansatzpunkt waren dabei zunächst die kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche der Art. 1641 ff. CC, die eine Haftung des Verkäufers für verborgene Mängel (vices caches) der Sache vorsehen. Nach Art. 1641 CC muß der Verkäufer für solche (versteckten) Mängel der Kaufsache einstehen, welche die Eignung der Sache zum vertragsgemäßen Gebrauch in der Weise beeinträchtigen, daß der Käufer sie bei Kenntnis des Mangels nicht oder doch nur zu einem geringeren Preis erworben hätte. Ähnlich wie im deutschen Recht (vgl. § 459 Abs. 1 Satz 1 BGB), kommt es also in erster Linie auf die fehlende bzw. eingeschränkte Gebrauchstauglichkeit der Sache an. Ob und wann eine solche Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des Kassationshofes Tatfrage, wird also von Fall zu Fall durch die Instanzgerichte anband der besonderen Gegebenheiten jeweils souverän festgestellt 3• Erforderlich ist aber, daß der Defekt unmittelbar dem Produkt selbst oder aber seiner Verpackung anhaftet. Die gewährleistungsrechtliche Produkthaftung beI In Frankreich bestand zeitweise der Plan, die Umsetzung der EG-Richtlinie Produkthaftung in nationales Recht zum Anlaß für eine völlige Neugestaltung des bisherigen Produkthaftungsrechts zu nehmen, siehe dazu die deutsche Übersetzung des Vorentwurfs zur Änderung des Code Civil in PHI 1988, 33 ff. und ferner Lorenz, FS Ferid li, a. a. 0., S. 289 ff. Dieser Plan ist mittlerweile fallengelassen worden, vgl. Schubert, RIW 1990, 272, 276. 2 Vgl. Lorenz, ZHR 1987, 1, 5. 3 Vgl. Cass. com. v. 4.5.1971 , Bull. civ. 1971, IV, Nr. 122, S. 118 und zusammenfassend Ferid/ Sonnenberger, a.a.O., Rd. 2 G 597 (S. 122 f.).

I. Frankreich

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schränkt sich daher von vomeherein auf Konstruktions- (oder Konzeptions-) und Fabrikationsfehler. Instruktionsfehler werden dadurch nicht erfaßt 4 • Voraussetzung für die Gewährleistungshaftung des Verkäufers ist weiterhin, daß es sich um einen "versteckten" Mangel handelt. Dieses Erfordernis wird durch Art. 1642 CC dahingehend präzisiert, daß der Verkäufer nicht für offensichtliche Fehler haftet und auch nicht für solche Fehler, die der Käufer hätte entdecken können. Im Gegensatz zum deutschen Recht 5 ist die Gewährleistungshaftung demnach (auch) dann ausgeschlossen, wenn der Käufer den Fehler bei gehöriger Untersuchung erkennen konnte. Den Maßstab bildet dabei grundsätzlich ein aufmerksamer Käufer von durchschnittlicher Sorgfalt 6 • Die Voraussetzungen der Gewährleistungshaftung sind damit vergleichsweise etwas strenger als nach deutschem Recht. Dies wird allerdings durch die wesentlich weitergehenden Rechtsfolgen mehr als ausgeglichen. Nach dem Gesetzeswortlaut bieten sich dem Käufer, dem im Hinblick auf seine Untersuchungsobliegenheit kein Vorwurf gemacht werden kann, zunächst zwei Möglichkeiten, wenn das von ihm erworbene Produkt mit einem Mangel behaftet ist. Gemäß Art. 1644 CC kann er wahlweise vom Vertrag zurücktreten oder Minderung verlangen. Außerdem hat der Verkäufer dem Käufer die durch den Kauf entstandenen Kosten zu ersetzen (Art. 1646 CC). Kannte der Verkäufer den Mangel, so ist er zum Ersatz des gesamten Schadens verpflichtet, der bei dem Käufer aufgrund des Mangels eingetreten ist (Art. 1645 CC)1. Hierunter fallen nicht nur alle Schäden, die im Zusammenhang mit der mangelhaften Kaufsache selbst erwachsen sind, wie z. B. Instandsetzungs- oder Neuanschaffungskosten, entgangene Verfügungsmöglichkeit 8, entgangener Gewinn usw., sondern auch sämtliche Schäden an sonstigen Rechtsgütern des Käufers .sowie Schäden, die der Käufer einem Dritten wegen der Mangelhaftigkeit der Sache ersetzen muß, wenn er beispielsweise die Sache weiterverkauft hat oder die Sache zur Ursache für die Verletzung eines Dritten geworden ist 9 • Die in der deutschen Dogmatik geläufige Differenzierung zwischen sog. Mangelschäden und sog. Mangelfolgeschäden ist dem französischen Gewährleistungsrecht somit fremd. Gleichwohl hätten sich die Gewährleistungsvorschriften des CC nicht zu der zentralen Anspruchsgrundlage für Produktschadensfälle entwickeln können, hätte 4 Vgl. Schweinberger, a. a. 0., S. 15; besonders deutlich wird dies bei Malinvaud, J. C. P. 1977, II, 18675, Nr. 13 ff., der ausdrücklich nur zwischen "1a garantiedes vices de conception" und "1a garantie des vices de fabrication" unterscheidet. s Vgl. § 460 BGB und dazu nur Pa1andt-Putzo, a.a.O., § 460, Anm. 2 a. 6 Ausführlich dazu Ghestin, a. a. 0., S. 21 ff.; vgl. auch Ferid I Sonnenberger, a. a. 0., Rd. 2 G 594 (S. 122). 7 Ähnlich, von den Voraussetzungen her jedoch wesentlich strenger: § 463 Satz 2 BGB. s Vgl. Cass. civ. v. 28.4.1971, J. C. P. 1972, II, 17280. 9 Vgl. Ghestin, a. a. 0., S. 46 ff.; Pfister, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 4700, S. 11; FeridiSonnenberger, a.a.O., Rd. 2 G 621 (S.129).

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

der Kassationshof nicht eine ausdehnende und im Ergebnis sehr weitgehende Auslegung des Art. 1645 CC vorgenommen. Danach werden gewerbliche Verkäufer den in Art. 1645 CC genannten bösgläubigen Verkäufern gleichgestellt, weil ihnen aufgrund ihres Gewerbes ein versteckter Fehler der Kaufsache gar nicht unbekannt bleiben könne bzw. sie wegen ihrer Profession verpflichtet seien, diesen Fehler zu kennen 10• Die derart aufgestellte Vermutung ist zumindest in der gerichtlichen Praxis unwiderleglich 11 , so daß den gewerblichen Verkäufer - wozu auch der Hersteller selbst zählt - de facto eine Garantiehaftung für die von ihm veräußerten Produkte trifft 12• Nach Art. 1645 CC muß er dabei für alle Schäden aufkommen, die auf die Mangelhaftigkeit der Kaufsache zurückzuführen sind, und kann nach Art. 1643 CC diese strenge Einstandspflicht auch nicht vertraglich abbedingen 13• Für den durch eine fehlerhafte Ware geschädigten Käufer bedeutet dies, daß er sich wegen seines Schadens direkt an seinen unmittelbaren Vertragspartner halten kann, selbst wenn es sich dabei (nur) um einen kleinen Einzelhändler handelt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Verkäufer den Fabrikations- oder Konstruktionsfehler kannte oder auch nur hätte erkennen können 14• Ebensowenig kommt es auf die Verletzung irgendeiner Untersuchungs- oder ähnlichen Pflicht an. Weil Haftungsgrund allein die gewährleistungsrechtliche Garantie der Fehlerlosigkeit des verkauften Produkts ist, tritt die (unbeschränkte) Schadensersatzpflicht vollkommen losgelöst von dem Bestehen vertraglicher oder deliktischer Gefahrabwendungspflichten ein. Sie ist, wie gesagt, eine Garantiehaftung 15 und unterscheidet sich insofern vom deutschen Recht, wo für die Schadensersatzhaftung wegen Mangelfolgeschäden erst vertragliche (pVV) oder deliktische (Verkehrssicherungspflicht) Pflichten konstruiert werden müssen. Wird der gewerbliche Verkäufer von seinem Abnehmer wegen eines Mangels der Sache in Anspruch genommen, so kann er seinerseits die ihm zustehenden Gewährleistungsansprüche gegenüber demjenigen geltend machen, von dem er selbst die Sache erworben hat - vorausgesetzt freilich, der Mangellag zu diesem Zeitpunkt bereits vor. Zu diesem Zweck kann der in Anspruch genommene 10 Erstmals im Urt. v. 24. 11.1954, J. C. P. 1955, li, 8565, und seither ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Cass. civ. v. 4.2. 1963, J. C. P. 1963, II, 13159; Cass. civ. v. 19.1.1965, D. 1965, Jurisprudence, 389, 390; Cass. civ. v. 17.2.1965, BuH. civ. 1965, III, Nr. 133, S. 112 f.; Cass. civ. v. 11. 3.1980, BuH. civ. 1980, I, Nr. 84, S. 69. 11 Vgl. Cass. com. v. 27.4. 1971 , J. C. P. 1972, II, 17280; Cass. com. v. 15.11.1971, D. 1972, Jurisprudence, 211; Cass. civ. v. 21.11.1972, BuH. civ. 1972, I, Nr.257, S. 224 f.; zum ganzen auch Bittner, a.a.O., S. 49 ff. 12 Vgl. Ghestin, a.a.O., Nr. 262, S. 258 ff. 13 Ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. nur Cass. com. v. 27.4. 1971 J. C. P. 1972, II, 17280; Cass. com. v. 17. 12. 1973, J. C. P. 1975, II, 17912. 14 Arglistiges Verschweigen wie nach§ 463 Abs. 2 BGB ist ohnehin schon nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich. 15 Vgl. Ghestin, a.a.O., Nr. 262, S. 258 ff.; a. A. offenbar Malinvaud, J. C. P. 1968, I, 2153, Nr. 27 ff.

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(Letzt-)Verkäufer gegebenenfalls seinen (Vor-)Verkäufer in den vom geschädigten Käufer angestrengten Prozeß mittels sog. appel en garantie hineinziehen. Über die jeweiligen Regreßansprüche läßt sich solchermaßen eine Kette hintereinandergeschalteter Kaufverträge bis zum eigentlichen Urheber des Fehlers, welcher den Schaden dann endgültig tragen muß, zurückverfolgen. Um diese relativ aufwendige Prozedur des "Aufrollens" der gesamten Vertragskette abzukürzen, hat der Kassationshof dem geschädigten (End-)Käufer aber auch die Möglichkeit eröffnet, im Wege der sog. action directe unmittelbar gegen einzelne oder sämtliche Vormänner seines Verkäufers vorzugehen, wenn und soweit der Fehler bereits vorhanden war, als diese die Sache (weiter-)veräußerten 16• Unabhängig von der dogmatischen Begründung der action directe 17, sind damit sämtliche Glieder einer Kaufvertragskette 18 bis zu dem eigentlichen Urheber des Fehlers dem Endabnehmer gesamtschuldnerisch zum Ersatz des aus dem fehlerhaften Produkt hervorgegangenen Schadens verpflichtet 19• Dem geschädigten Endkäufer steht es danach frei, beliebig viele Zwischenglieder einer Kaufvertragskette zu überspringen und seine Ansprüche gegen seine nur mittelbaren Vormänner geltend zu machen. Dasselbe gilt für die in Anspruch genommenen Zwischenglieder hinsichtlich ihres Regreßanspruchs 20 • Im Außenverhältnis zum geschädigten Endabnehmer trifft die gewährleistungsrechtliche Garantiehaftung somit alle Personen und Unternehmen, die das schadstiftende Produkt verkauft haben, als der schadensursächliche Fehler bereits vorhanden war. Auf diese Weise sind alle dem eigentlichen Urheber des Fehlers nachgeschalteten Verkäufer in die objektive Garantieschadenshaftung einbezogen. Lediglich im Innenverhältnis wird dem Urheber des Mangels die Schadenslast letztlich auferlegt. Die Einbindung der vertraglichen Produkthaftung in das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht führte bislang nun allerdings zu der für den geschädigten Abnehmer weniger vorteilhaften Konsequenz einer Anwendung von Art. 1648 CC. Danach müssen die Gewährleistungsansprüche innerhalb einer kurzen Frist erhoben werden, was auch im Rahmen einer auf Sachmängel gestützten action directe zu beachten ist 21 • Um dem Geschädigten diese Ausschlußfrist zu ersparen, ist der Kassationshof inzwischen deshalb mehr und mehr dazu übergegangen, 16 Vgl. Cass. civ. v. 5.1.1972, J. C. P. 1973, II, 17340; Cass. civ. v. 9.10.1979, Bull. civ. 1979, I, Nr. 241, S. 192, 193; Cass. com. v. 17.5.1982, Bull. civ. 1982, IV, Nr. 182, S. 162; Cass. com. v. 15.5.1972, Bull. civ. 1972, IV, Nr. 144, S. 143 f. 17 Diese ist umstritten, vgl. insoweit nur Ferid I Sonnenberger, a. a. 0., Rd. 2 G 655 (S. 135 f.) und Bittner, a.a.O., S. 90 ff., jeweils mit umfangreichen Nachweisen. 18 Dabei können auch Werkverträge zwischengeschaltet sein: Die ursprüngliche Streitfrage hat sich mit Cass. ass. plen. v. 7. 2.1986, D. 1986, Jurisprudence, S. 293, erledigt. 19 Vgl. Cass. com. v. 15. 5. 1972, Bull. civ. 1972, IV, Nr. 144, S. 143 f. 20 Vgl. Pfister, in Kullmann/Pfister, a.a. O., Kz. 4700, S. 13. 21 Vgl. Cass. civ. v. 9.10.1979, Bull. civ. 1979, I, Nr. 241, S. 192, 193; Durry, Rev. trim. dr. civ. 1980, 354 ff.

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

die vertragliche Produkthaftung statt im Gewährleistungsrecht bei den allgemeinen Nichterfüllungsansprüchen der Art. 1147 ff. CC anzusiedeln 22 • Ein fehlerhaftes schadstiftendes Produkt wird solchermaßen als vertragswidrige Leistung angesehen, die tatsächlich gelieferte Sache stimme dann nämlich mit der geschuldeten nicht überein ("non-conformite"), weshalb dem Käufer Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach Art. 1147 CC zustehe 23 • Der Kassationshof schlägt hier ähnliche Bahnen ein, wie sie der BGH zur Umgehung der rigiden Fristvorschrift des § 477 BGB beschritten hat 24 : Die gewünschte Lösung (nämlich Ausschaltung der Fristvorschrift des Art. 1648 CC) wird erreicht, indem der Sachverhalt in einen anderen rechtlichen Gesamtzusammenhang gestellt wird. Die dogmatische Klassifikation der Haftung für Konstruktions- und Fabrikationsfehler nähert sich damit derjenigen für Instruktionsfehler an, die sich schon immer ausschließlich nach allgemeinem Vertragsrecht ("nonconformite") gerichtet hat 25 • Ähnlich wie im deutschen Recht, obliegen nämlich auch im französischen Recht dem Verkäufer bestimmte vertragliche Nebenpflichten, die ihre Wurzel im Grundsatz von Treu und Glauben ("bonne foi") haben und namentlich all diejenigen Pflichten umfassen, die in Deutschland zusammenfassend als Instruktionspflichten charakterisiert werden, also Auskunfts-, Warn-, Beratungs- und sonstige Informationspflichten 26 • Die Verletzung dieser Pflichten kann bislang noch 27 über das Instrument der "action directe" nicht nur dem unmittelbaren Vertragspartner, sondern auch den dem unmittelbaren Vertragspartner vorgeschalteten Gliedern der Kaufvertragskette entgegengehalten werden, insbesondere also dem Hersteller als dem Hauptadressaten speziell produkthaftungsrelevanter Aufklärungspflichten 28 • Da es im französischen Recht keine Anspruchskonkurrenz zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen gibt (Grundsatz des "non-cumul"), die gleichzeitige Geltendmachung von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen vielmehr Vgl. namentlich Cass. ass. plen. v. 7.2.1986, D. 1986, Jurisprudence, S. 293. Zu dem Begriff der Nichterfüllung im französischen Recht allgemein Ferid, I, a.a.O., Rd.2 C 4ff. (S.483f.); zu dem Umfang des nach Art.1150, 1151 CC zu ersetzenden Schadens ders., Rd. 2 B 95 f. (S. 456 f.) und Rd. 2 B 109 ff. (S. 461). 24 Vgl. namentlich BGHZ 67, 359, 361 ff.- "Schwimmschalter"- und BGHZ 86, 256, 257 ff. - "Gaszug" -. 25 Mazeaud I de Juglart, a. a. 0., Nr. 950, S. 194; N'Guyen Thanh-Bourgeais, J. C. P. 1975, I, 2679. 26 Ausführlich dazu Pfister, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 4700, S. 15 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 27 Das künftige Verhältnis zwischen allgemeinvertraglicher Haftung nach "droit commun" (Art. 1146-1155 CC) und spezialgesetzlicher Produkthaftung wird sich nach Implantation der EG-Richtlinie Produkthaftung in den Code Civil erst noch herausstellen müssen. 28 Vgl. Cour d'Appel Rouen v. 14.2. 1979, J. C. P. 1980, II, 19360; Cass. civ. v. 9. 3. 1983, Bull. civ. 1983, I, Nr. 92, S. 81, 82; Cass. ass. plen. v. 7. 2. 1986, D. 1986, Jurisprudence, 293. 22 23

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auch dann ausgeschlossen ist, wenn die vertraglichen Ansprüche im Wege der "action directe" erhoben werden 29 , spielt das Deliktsrecht im Rahmen der Produkthaftung in Frankreich bislang eine nur untergeordnete Rolle. Sein Anwendungsbereich beschränkt sich allein auf diejenigen Geschädigten, für die keine vertraglichen Ansprüche in Frage kommen, weil sie außerhalb der Käuferkette stehen. Dazu gehören neben den sog. innocent bystanders allerdings auch solche Personen, die nach deutschem Recht in die Schutzwirkung eines Vertrags einbezogen wären, wie namentlich Familienmitglieder und Gäste des Käufers. Dem französischen Recht ist ein Institut, das der deutschen "vertraglichen Schutzwirkung zugunsten Dritter" vergleichbar wäre, nämlich fremd 30• Dieser Umstand wirkt sich für die Betroffenen indes nicht nachteilig aus, denn die Rechtsprechung hat durch eine geschädigtenfreundliche Interpretation der einschlägigen deliktischen Vorschriften für eine faktische Gleichberechtigung der auf einen deliktischen Schadensersatzanspruch Angewiesenen gesorgt 31 • Als Anspruchsgrundlage zieht sie dabei von Fall zu Fall entweder die Generalklausel der Art. 1382, 1383 CC heran oder die Vorschrift des Art. 1384 Abs. 1 CC, aus der die sog. Sachhalterhaftung ("gardien") abgeleitet wird 32• Voraussetzung für eine Haftung nach der Generalklausel ist ein fehlerhaftes Verhalten ("faute") sowie die Kausalität zwischen Fehlverhalten und Schaden -die dogmatische Verwandtschaft zur Verkehrspflichthaftung nach deutschem Recht ist kaum zu übersehen. Allerdings begnügt sich der Kassationshof insoweit mit dem Nachweis eines Produktfehlers und läßt im Gegensatz zum BGH wohl nicht einmal mehr theoretisch den Gegenbeweis des Herstellers zu, daß in concreto keine "faute" vorlag 33 • Sobald feststeht, daß Ursache für den Schaden der besagte Produktfehler gewesen ist, wird eine "faute" des Herstellers praktisch unwiderleglich vermutet. Diese Vermutungswirkung trifft aber nur den Hersteller des Produkts in voller Schärfe. Der Zwischenhändler kann sich u. U. durch den Nachweis einer sorgfältigen Prüfung des Produkts entlasten 34• 29 Vgl. Cass. civ. v. 9.10.1979, Bull. civ. 1979, I, Nr. 241, S. 192, 193; Cass. com. v. 17.5.1982, Bull. civ. 1982, IV, Nr.182, S.162; Cass. com. v. 4.11.1982, J. C. P. 1983, IV, S. 28; Durry, Rev. trim. dr. civ. 1980, 354, 355 f.; Ghestin, a.a.O., Nr. 332, S. 346 f.; nach dem gescheiterten Vorentwurf (siehe Fn. 1) sollte der Grundsatz des "non-cumul" aufgegeben werden, vgl. dazu ausführlich Lorenz, FS Ferid II, a.a.O., s. 291. 30 Vgl. Malinvaud, Gaz. Pal. 1973, doctrine, S. 463, 467, Nr. 19; Bittner, a.a.O., s. 69 f. 31 Siehe Pfister, in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 4700, S. 4; Zweigertl Kötz, a.a.O., Band II, S. 430. 32 Zur Sachhalterhaftung und ihrer Entwicklung allgemein Zweigertl Kötz, a.a.O., S. 407 ff.; Ferid I Sonnenberger, a. a. 0., Rd. 2 0 309 ff. (S. 498 ff.). 33 Vgl. z. B. Cass. civ. v. 18. 7.1972, Bull. civ. 1972, I, Nr. 189, S. 164 f.; Cass. civ. v. 7.2.1979, Bull. civ. 1979, I, Nr. 50, S. 42 f.; Schweinberger, a.a.O., S. 25 ff. 34 Vgl. Cass. com. v. 26.4. 1983, Bull. civ. 1983, III, Nr. 90, S. 71 f.; Cass. com. v. 14.5. 1985, D. 1985, Inf. rap., S. 350.

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

Für den Geschädigten noch günstiger ist die "gardien"-Haftung des Art. 1384 Abs. 1 CC, für die es in Deutschland jedenfalls im BGB keine Parallele gibt 35 • Hier muß der Geschädigte nur beweisen, daß er durch die Einwirkung der schadstiftenden Sache verletzt wurde. Eines Verschuldeos bedarf es insoweit nicht: Der Inhaber ("gardien"), der die Obhut über die Sache ausübt, haftet vielmehr ohne weitere Voraussetzungen für den von der Sache angerichteten Schaden 36• Diese "gardien"-Haftung ist nun in bestimmten Fallkonstellationen zur Grundlage für einen unmittelbaren Anspruch des Geschädigten gegen den Hersteller des schadstiftenden Produkts erhoben worden, indem konstruktiv zwischen dem "gardien du comportement" als dem Verantwortlichen für das Verhalten mit der Sache und dem "gardien de Ia structure" als dem Verantwortlichen für die Funktionstüchtigkeit der Sache differenziert wurde 37 • Namentlich bei Sachen, denen sozusagen vonNaturaus eine gewisse Dynamik oder Gefährlichkeit anhaftet, wurde solchermaßen der Hersteller als "gardien de Ia structure" für den entstandenen Produktschaden unmittelbar haftbar gemacht 38 •

2. Unternehmenskooperation: Die Haftungslage bei überbetrieblicher Zusammenarbeit

Wie sich aus den obigen Darlegungen (unter 1) ergibt, hat Frankreich die objektive Produktgefährdungshaftung nicht nur in praktischer, sondern auch in dogmatischer Hinsicht bereits vor der Umsetzung der EG-Richtlinie Produkthaftung vom 25.7.1985 in nationales Recht weitgehend realisiert. Dies gilt namentlich für den Bereich der Konstruktions- und Fabrikationsfehler. Soweit das schadstiftende Produkt an einem Konstruktions- oder Fabrikationsfehler leidet, haften alle an Herstellung und Vertrieb beteiligten Unternehmen, die das Produkt in dem fehlerhaften Zustand verkauft haben, und zwar gleichgültig, ob sie Urheber der Fehlerhaftigkeit waren oder sonst zur Entstehung des Fehlers (mit) beigetragen haben. Es spielt auch keine Rolle, aus welchem Stadium der Produkterzeugung der Fehler herrührt. Sofern beispielsweise der schadenverursachende Fehler auf minderwertigem Rohmaterial beruht, aus dem das Produkt gefertigt worden ist, sind all die Verkäufer haftpflichtig, in deren verkauftes (Teil-)Produkt das Rohmaterial Eingang gefunden hat, bis zurück zu dem Rohstofflieferanten.

Ähnlich aber z. B. die spezialgesetzliche Kfz-Halterhaftung in § 7 StVG. Vgl. z. B. Cass. civ. v. 20. 7. 1981, Bull. civ. 1981, li, Nr. 170, S. 109 f.; zusammenfassend Pfister, in Kulimann I Pfister, a.a.O., Kz. 4700, S. 27. 37 Näheres zu dieser Unterscheidung bei Pfister, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 4700, S. 27 ff. und Feridl Sonnenberger, a.a.O., Rd. 2 0 329 f. (S. 503 f.) sowie Malinvaud, Gaz. Pa!. 1973, doctrine, S. 463, 467 f., Nr. 23. 38 Vgl. z. B. Cass. civ. v. 22.6.1971, J. C. P. 1971, li, 16881; Cass. civ. v. 3.12.1969, Bull. civ. 1969, li, Nr. 329, S. 244 f.; Cass. civ. v. 14.11.1979, J. C. P. 1980, IV, 38; Durry, Rev. trim. dr. civ. 1971, 151 ff. 35

36

I. Frankreich

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Diese objektive und absolute Verkäuferhaftung besteht uneingeschränkt, wenn es sich bei dem Geschädigten um den (End-)Abnehmer des Produkts handelt. Sämtliche Verkäufer müssen dann im Außenverhältnis zu dem Geschädigten solidarisch für den Schaden einstehen, während im Innenverhältnis derjenige Verkäufer den Schaden endgültig und alleine zu tragen hat, auf den die Fehlerhaftigkeit des (Gesamt-)Produkts zurückgeht. Der Grund für die Schadenstragungspflicht im Innenverhältnis liegt dabei allerdings nicht in irgendeiner Handlung des Letztverpflichteten, durch welche etwa die Fehlerhaftigkeit des Produkts herbeigeführt worden ist. Auf wessen Handlung die Fehlerhaftigkeit des Produkts beruht, spielt insoweit keinerlei Rolle. Ausschlaggebend ist vielmehr allein der Verkauf eines Produkts, das im Zeitpunkt des Verkaufs (erstmalig) mit einem Fehler behaftet war, einem Fehler, der sich im Verlauf der weiteren Verarbeitungs- und Absatzkette zwangsläufig fortsetzen mußte. Komplizierter gestalten sich die Haftungsverhältnisse dagegen, wenn sich der Geschädigte außerhalb der Absatzkette befindet. Aber auch hier müssen die beteiligten Verkäufer regelmäßig mit der vom Kassationshof entwickelten objektiven und umfassenden Gewährleistungshaftung rechnen. Häufig kann der Geschädigte in diesem Fall nämlich den tatsächlichen Inhaber der Sachherrschaft über das Produkt nach den Grundsätzen der "gardien"-Haftung (Art. 1384 Abs. 1 CC) in Anspruch nehmen, und für den Sachhalter ist- als Erwerber des Produkts - dann seinerseits der Rückgriff gegen die Verkäuferkette nach Gewährleistungsrecht eröffnet 39 • Hier kann im Grunde genommen also von einer dreidimensionalen Haftungslage gesprochen werden. Gegenüber dem ursprünglich Geschädigten (dem Verletzten) haftet nur der Sachhalter (erste Dimension), diesem wiederum ist in der zweiten Haftungsdimension (zweites Außenverhältnis) die gesamte Absatzkette bis zum Urheber des Fehlers verpflichtet, während letzterer in der dritten Haftungsdimension (lnnenverhältnis zwischen den an Herstellung und Vertrieb beteiligten Verkäufern, soweit sie dem Urheber des Fehlers nachgeschaltet sind) den Schaden alleine tragen muß 40 • Dogmatisch wird das französische Produkthaftungsrecht damit - ungeachtet der demnächst anstehenden Transformation der EG-Richtlinie Produkthaftung in nationales Recht - von dem Prinzip der absatzorientierten Haftung beherrscht41. Die Verkäufer des fehlerhaften Produkts bilden im Außenverhältnis zum geschädigten Endabnehmer eine Haftungsgemeinschaft. Sie müssen ohne Rücksicht auf eine etwaige Pflichtverletzung rein objektiv für jeden Schaden einstehen, der aus dem von ihnen verkauften fehlerhaften Produkt hervorgegangen ist. 39 Vgl. z. B. Cass. civ. v. 4.2.1963, J. C. P. 1963, II, 13159; Cass. civ. v. 20. 7. 1981, Bull. civ. 1981, II, Nr. 170, S. 109; anschaulich Malinvaud, Gaz. Pal. 1973, doctrine, S. 463, 467, Nr. 22. 40 Vgl. zu dem Problem der "gardien"-Haftung im Rahmen überbetrieblicher Arbeitsteilung auch Schmidt-Salzer, Produkthaftung II, a.a.O., Rd. 67 ff. 41 Siehe dazu oben im 2. Kapitel unter III.

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

Diese objektive Fehlerhaftung ist aber allein auf den Kreis der Verkäufer der Ware beschränkt. Alle übrigen Unternehmen, die im Hinblick auf das schadstiftende Produkt kooperiert haben, unterliegen dieser Produktgefährdungshaftung nicht. Darunter fallen namentlich diejenigen Unternehmen, die lediglich in Form der sog. horizontalen Arbeitsteilung an der Herstellung des Produkts beteiligt waren, wie selbständige Konstrukteure, Auftragsfertiger usw. 42, aber auch alle sonstigen Unternehmen außerhalb der Absatzkette. Da für die vertragsrechtliche Produktgefahrdungshaftung der Verkauf des Produkts konstitutives Element ist, besteht wohl auch kein Raum für eine Ausdehnung der Garantiepflicht auf die mächtigen Unternehmen i. S. d. oben (im 4. Kapitel unter III 2) entwickelten Haftungsgrundsätze. II. USA

l. Grundlagen

Es stellt gewiß keine Übertreibung dar, die Vereinigten Staaten als das "Mutterland" der Produkthaftung zu bezeichnen 43 , wurde das Problem doch dort zuerst entdeckt, und spielt das amerikanische Produkthaftungsrecht, was die Zahl der Entscheidungen und die Entwicklung innovativer Rechtskonstruktionen betrifft, im Konzert der westlichen Industrienationen noch heute die herausragende Rolle. Dies liegt sicherlich zum Großteil daran, daß in USA ein den europäischen Ländern vergleichbares Sozialversicherungssystem fehlt, und die Geschädigten deshalb häufig auf Schadensersatzansprüche zum Ausgleich ihrer Krankheitskosten, Verdienstausfall usw. in Fällen angewiesen sind, in denen z. B. in Deutschland die öffentlich-rechtliche Krankenkasse oder Berufsgenossenschaft einspringt44. Ein Überblick über das amerikanische Produkthaftungsrecht wird dadurch erschwert, daß die Produkthaftung im wesentlichen in die Zuständigkeit der Einzelstaaten fallt und insoweit im einzelnen zum Teil erhebliche Abweichungen bestehen 45 • Generelle Aussagen über "die" amerikanische Produkthaftung lassen sich daher nur unter Vorbehalt treffen und bedürfen in jedem Fall der Überprüfung anband der einzelstaatlichen Rechtslage. Dies vorausgeschickt, kann das amerikanische Produkthaftungsrecht zusammenfassend wie folgt beschrieben werden: 42 Vgl. dazu die interessante Entscheidung Cour d'Appel de Paris v. 18.2.1977, J. C. P. 1977, II, 18675. 43 So v. Marschall, AG 1987, 97, 105. 44 V gl. dazu sowie zu den sonstigen systembedingten Unterschieden zwischen USA und Europa v. Marschall, AG 1987, 97, 100 f. und 106 sowie oben im I. Kapitel unter

I I.

45 So ist beispielsweise die deliktische Produktgefährdungshaftung ("strict liability in tort doctrine") in den Staaten Massachusetts, North Carolina, Virginia und Wyoming (noch) nicht anerkannt, vgl. den Überblick bei Hoechst, a.a.O., S. 16.

II. USA

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Dem Geschädigten stehen in der Regel drei verschiedene Anspruchsgrundlagen zur Verlügung, auf die er seine Schadensersatzansprüche in Produktschadensfällen stützen kann und die aus prozessualen Gründen jeweils nebeneinander geltend gemacht werden 46 • Dies sind neben der nach heute herrschender Meinung vertraglich zu qualifizierenden 47 "breach of warranty" 48 die deliktischen Tatbestände der "negligence" und der "strict liability in tort". Bei der "breach ofwarranty"-Haftung handelt es sich um eine Art vertraglicher Garantiehaftung, deren Voraussetzungen sich inzwischen auch aus den Commercial Codes der Einzelstaaten ergeben, welche ihrerseits mit mehr oder weniger großen Modifikationen auf dem Uniform Commercial Code (UCC) beruhen. Danach haftet derjenige, der eine ausdrückliche ("express") oder implizite ("implied") "warranty" (am ehesten vergleichbar mit der deutschen ,,Zusicherung") abgegeben hat, für Schäden, die aus einem Bruch dieser "warranty" herrühren. Nach§ 2- 313 UCC ist eine "express warranty" nicht nur dann anzunehmen, wenn- ähnlich wie im deutschen Recht- der Verkäufer dem Käufer bestimmte Tatsachen im Hinblick auf das Produkt versprochen (Abs. 1 a) 49 oder der Verkäufer dem Käufer ein Muster übergeben hat (Abs. 1 c) 50, sondern auch dann, wenn eine Produktbeschreibung zur Grundlage des Kaufes gemacht wurde (Abs. 1 b) 51 • Im Gegensatz zur deutschen Rechtsprechung sind die amerikanischen Gerichte auch eher dazu geneigt, in den Werbeangaben des Herstellers ausdrückliche Garantiezusagen zu erblicken, die ein unmittelbares Vertragsverhältnis zwischen dem Hersteller und dem (End-)Verbraucher zur Entstehung bringen 52 • Die VerNäheres dazu bei Hoechst, a. a. 0., S. 3 f. und Fn. 8. So ausdrücklich z. B. Travers, a.a.O., Band 2, § 18:33, S. 38 f.; die Frage nach der ,,Natur" des Anspruchs spielt im amerikanischen Recht jedoch keine große Rolle. Z. T. wird deshalb bewußt offengelassen, ob es sich bei dem "breach of warranty"Anspruch um einen vertraglichen oder deliktischen handelt, vgl. Frumer I Friedman, a. a. 0., Band 2, § 3.01 (1)(a), S. 3-5. In manchen Jurisdiktionsbereichen hat der "breach of warranty"-Anspruch praktisch die Funktion der "strict tort liability" in Produkthaftungsfällen übernommen, was auf die historische Entwicklung des strikten Produkthaftungsrechts aus dem vertraglichen Garantierecht zurückzuführen ist, vgl. dazu ausführlich Prosser I Keeton, a. a. 0., S. 690 ff.: Leitentscheidung war und ist insoweit Henningsen v. Bloomfield Motors, lnc., 161 A 2d 69, SOff. (N. J. 1960). Die Terminologie in den Gerichtsentscheidungen ist dementsprechend uneinheitlich und verwirrend. Häufig wird nicht klar zwischen der "breach of warranty"- und der "strict liability in tort"-Haftung unterschieden: Frumer I Friedman, a. a.O., Band 2, § 3.01 (1)(b), S. 3- 17, konstatieren insoweit lakonisch: "In short, terminology is often confused and confusing." Zu den gleichwohl verbleibenden inhaltlichen Unterschieden zwischen der "breach of warranty" und der "strict liability in tort" ausführlich Travers, a.a.O., Band 2, § 18:34, S. 40 f. 48 Vgl. auch Restatement of Torts 2d, Band 2, a. a. 0., § 402 A, Comment m. 49 Vgl. § 459 Abs. 2 BGB und dazu nur Palandt-Putzo, § 459 Anm. 4 a. 5o Vgl. § 494 BGB. 51 Dies ist im deutschen Recht nicht eindeutig, vgl. dazu nur Palandt-Putzo, § 459, Anm. 4 a bb. 52 Vgl. z. B. Randy Knitwear, Inc. v. American Cyanamid Co., 181 N. E. 2d 399, 402 f. (N. Y. 1962); Sylvestri v. Wemer & Swasey Co., 398 F. 2d 598, 602 (2d Cir. 1968) und zusammenfassend v. HülseniHollmann, RIW 1984, 85, 87. 46 47

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

tragsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dem Händler, von dem der Verbraucher das Produkt erworben hat, bleibt von diesem Garantieverhältnis unberührt. Auf diese Weise dient das Institut der "express warranty" zur Begründung einer recht weitgehenden vertraglichen Haftung des Herstellers für seine Werbeangaben, wenn diese Angaben, die den Verbraucher in seinem Kaufentschluß motiviert oder bestärkt haben, sich als unzutreffend oder übertrieben herausstellen 53. Bei der "implied warranty" wird zwischen der "warranty of merchantibility" nach§ 2-314 UCC und der "warranty of fitness" nach§ 2-315 UCC unterschieden. Die "warranty ofmerchantibility" bezieht sich auf die allgemeine Gebrauchstauglichkeit des Produkts zu dem bestimmungsgemäßen Zweck und ist bei gewerbsmäßigen Verkäufern in jedem Kaufvertrag auch ohne dahingehende Erklärung, also praktisch von Gesetzes wegen, enthalten 54• Nach dieser Regel muß somit jeder Verkäufer seinem Abnehmer für die allgemeine Verwendungsfähigkeil des Produkts ohne Rücksicht auf Verschulden einstehen. Die "warranty of fitness" beinhaltet dagegen die Tauglichkeit des Produkts zu einer besonderen, vom Käufer beabsichtigten Verwendung und entsteht nur dann, wenn dem Verkäufer dieses Vorhaben des Käufers bekannt war oder hätte bekannt sein müssen ("has reason to know"). Ähnlich wie im deutschen Recht sind in die Schutzwirkung der vertraglichen "warranty" nach § 2 - 318 Alt. A UCC auch die Familienangehörigen, Mitbewohner und Gäste des Käufers einbezogen, darüber hinaus nach§ 2- 318 Alt. Bund C UCC aber auch alle sonstigen Personen, von denen vernünftigerweise erwartet werden konnte, daß sie das Produkt ge- oder verbrauchen oder sonst mit ihm in Berührung kommen würden. Mit diesen beiden später eingefügten Alternativen von § 2- 318 UCC ist der Kreis der Anspruchsberechtigten damit auf praktisch jeden durch das Produkt Verletzten ausgedehnt worden, umfaßt mittlerweile also unter Umständen auch den vollkommen außenstehenden "bystander" 55• Freilich bleibt zu beachten, daß bei weitem nicht alle Staaten diese späteren Ergänzungen in innerstaatliches Recht transformiert haben 56• Wird von dem Erfordernis der unmittelbaren Vertragsbeziehung ("privity") zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner erst einmal abgesehen, so ist kein Grund ersichtlich, nicht auch den Adressatenkreis der "warranty"-Haftung über den Letztverkäufer hinaus zu erweitern, zumal der offizielle Kommentar 53

s. 5.

Vgl. neben den Nachweisen in Fn. 52 auch die Nachweise bei Hoechst, a.a.O.,

54 Vgl. z. B. EI Fredo Pizza Inc. v. Roto Flex Oven Co., 261 N. W. 2d 358, 362 (Nebr. 1978); Anderson, a.a.O., § 2-314:58, S. 577. 55 Siehe z. B. die Nachweise bei Frumer I Friedman, a.a.O., Band 2, § 3.02 (7)(b)(iii), s. 3-243 ff. 56 Vgl. dazu den Überblick bei Frumer/Friedman, a.a.O., Band 2, § 3.02 (8)(b), S. 3-297 ff.

II. USA

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zu§ 2- 318 UCC dies ausdrücklich nahelegt 57 • Auf diese Art wurde die "warranty"-Haftung - dogmatisch zum Teil erklärt als "warranty, running with the goods sold" 58 - namentlich auf den Endhersteller 59, aber auch auf den Zulieferer60 erstreckt. Damit wird die Grenze zur (deliktischen) "strict-liability-in-tort"Doktrin allerdings endgültig verwischt 61 • Der aus einer "warranty" Verpflichtete hat nach§ 2- 715 (2) UCC alle Personen-, Sach- und Vermögensschäden zu ersetzen, die daraus herrühren, daß das Produkt den Anforderungen der "warranty" nicht gerecht geworden ist 62 • Der Ersatz von reinen Vermögensschäden ist allerdings auf die unmittelbaren Vertragspartner beschränkt. Gegenüber Vertragsfremden wird nach§ 2-318 Alt. B UCC nur für Personenschäden, nach Alt. C auch für sonstige Verletzungsschäden gehaftet. Die deliktische "negligence"-Haftung entspricht in dogmatischer Hinsicht weitgehend der deutschen Verkehrspflichthaftung. Auch hier wird die Haftung an die Verletzung einer Sorgfaltspflicht ("duty of care") geknüpft, die im Zusammenhang mit der Herstellung vonWaren dahin geht, angemessene Sorgfalt obwalten zu lassen ("to exercise reasonable care in the manufacture of a chattel"), damit ein unangemessenes Verletzungsrisiko sowohl für diejenigen vermieden wird, die das Produkt in zweckentsprechender Weise benutzen, als auch für alle sonstigen Personen, die durch die zweckentsprechende Benutzung vorhersehbar gefährdet werden (§ 395 Restatement of Torts 2d). Ähnlich wie im deutschen Recht wird dabei der Entwicklungsgang eines Produkts zum Ansatzpunkt für verschiedene Pflichtenkonkretisierungen gemacht 63 • Eine weitere Parallele besteht im Hinblick auf den Adressatenkreis der "negligence"-Produkthaftung. Dieser beschränkt sich ebenso wie in Deutschland in der Regel auf den Herstellerbereich, da die Händler grundsätzlich keine Untersuchungspflichten treffen 64• Zu ersetzen sind nach der "negligence"-Haftung alle Schäden aus der Verletzung von Personen und Sachen durch das defekte Produkt, auch der Schaden 57 Vgl. Anderson, a.a.O., § 2-318:1 (S. 725 f.), sub. 3: " ... , the section is neutral and is not intended to enlarge or restriet the developing case law on whether the seller's warranties, given to his buyer who resells, extend to other persons in the distributive chain." 58 § 402 ARestatement of Torts 2d, Band 2, a.a.O., Comment m. 59 Vgl. nur Frumer I Friedman, a.a.O., Band 2, § 3.02 (7)(b)(i), S. 3-218 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 60 Frumer I Friedman, a.a.O., Band 2, § 3.02 (7)(c), S. 3-284 ff., ebenfalls mit weiteren Nachweisen. 61 Worauf§ 402 ARestatement of Torts 2d, Band 2, a.a.O., Comment m zu Recht hinweist; krit. auch Prosser I Keeton, a.a.O., S. 693 f.; vgl. im übrigen auch oben Fn. 47; zu den verbleibenden Unterschieden Travers, a.a.O., Band 2, § 18:32 ff., S. 37 ff. und § 16:32, s. 45 f. 62 Vgl. den Überblick bei Hoechst, a.a.O., S. 7. 63 Vgl. § 395 Restatement of Torts 2d, Band 2, a.a.O., Comment f. 64 V gl. § 402 Restatement of Torts 2d.

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

aus der Beschädigung oder Zerstörung des defekten Produkts selbst 65. Reine Vermögensschäden fallen nach herrschender Meinung aber nicht darunter 66 • Die bei weitem bedeutendste Anspruchsgrundlage im amerikanischen Produkthaftungsrecht ist zweifellos die "strict liability in tort"-Doktrin, die erstmalig in dem berühmten Fall Greenman v. Yuba Power Products, Inc. 67 entwickelt wurde und bereits wenige Jahre später in die Grundsatzsammlung des Restatement of Torts 2d Eingang fand. Im dortigen § 402 A wird die "strict tort liability" wörtlich folgendermaßen definiert: "(1) One who sells any product in a defective condition unreasonably dangerous to the user or consumer or to his property is subject to Iiability for physical harrn thereby caused to the ultimate user or consumer, or to his property, if (a) the seller is engaged in the business of selling such a product, and (b) it is expected to and does reach the user or consumer without substantial change in the condition in which it is sold. (2) The rule stated in Subsection (1) applies although (a) the seller has exercised all possible care in the preparation and sale of his product, and (b) the user or consumer has not bought the product from or entered into any contractual relation with the seller." Inhaltlich wird hier also eine objektive Haftung des professionellen Verkäufers für Schäden aus erlittenen Körper- oder Eigentumsverletzungen des Benutzers oder Konsumenten durch fehlerhafte Produkte statuiert, soweit diese Produkte unangemessen gefährlich für die körperliche Unversehrtheit oder das Eigentum des Benutzers oder Konsumenten waren 68 . Über diese Voraussetzungen ist die Praxis inzwischen in mehrfacher Hinsicht noch hinausgegangen. So ist heute allgemein anerkannt, daß die "strict tort liability" auch zugunsten des NichtKäufers, insbesondere also des innocent bystanders Anwendung findet69 • Ebenso wurde die im Restatement enthaltene Voraussetzung vielfach fallengelassen, daß nur für Schäden aus Körper- und Eigentumsverletzungen gehaftet wird, und die strikte Deliktshaftung sowohl auf die durch den Defekt entstandene W ertminde-

65 Vgl. § 395 Restatement of Torts 2d, Band 2, a.a.O., Comment n. 66 Ausführlich dazu Travers, a. a. 0., Band 4, § 60:21 , S. 50 ff. und Kraut I J ayson, a. a. 0., Band 63 A, § 970, S. 117 ff. 67 377 P. 2d 897, 900 ff. (Ca!. 1962). 68 Im Verhältnis zwischen zwei großen kommerziellen Unternehmen findet die "strict liability in tort"-Doktrin daher keine Anwendung, vgl. Scandinavian Airlines System v. United Aircraft Corp., 601 F. 2d 425, 428 f. (9th Cir. 1979). 69 Vgl. Frumer I Friedman, a.a.O., Band 2, § 3.03 (4)(c), S. 3-477 ff.; Noel I Phillips, a.a.O., S. 63; ProsseriKeeton, a.a.O., S. 703f.; Travers, a.a.O., Band 2, § 16:62ff., S. 81 ff. ("Bystanders") und§ 16:57 ff., S. 75 ff. ("Non purchasing user or consumer"), alle mit umfangreichen Nachweisen; noch offengelassen in Restatement of Torts 2d, vgl. § 402 A, Band 2, a.a.O., Caveat (1).

li. USA

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rung des schadhaften Produkts selbst 70 als auch generell auf reine Vermögensschäden71 ausgedehnt. Die Frage des Ersatzes von reinen Vermögensschäden ist freilich bis zum heutigen Tage umstritten 72 • Im Bereich der Fehlerdefinition ist die Entwicklung ebenfalls nicht bei dem in § 402 A Restaterneut of Torts 2d fixierten Stand stehengeblieben. Die dort aufgestellte Voraussetzung, daß das Produkt unangemessen gefährlich ("unreasonably dangerous") sein muß, wurde ursprünglich so verstanden, daß es für die Beurteilung der Gefährlichkeit allein darauf ankomme, mit welchen Eigenschaften des Produkts der gewöhnliche Konsument mit dem gewöhnlichen Wissensstand der Allgemeinheit zu rechnen habe 73. Dabei wurde ausschließlich auf den normalen Gebrauch, zu dem das Produkt bestimmt war, abgestellt 74. Dieses einengende Verständnis von der Fehlerhaftigkeit eines Produkts schloß solche Personen von dem haftungsrechtlichen Schutz der "strict liability in tort" aus, die durch unorthodoxe Verfahrensweisen mit dem Produkt zu Schaden gekommen waren. Recht bald schon wurde deshalb ein Produkt in konstruktiver Hinsicht für unangemessen gefährlich gehalten, wenn es wohl für den normalen, nicht aber für den vorhersehbaren Gebrauch die notwendige Sicherheit aufwies 75 . Maßstab für die Fehlerhaftigkeit war nun, ob ein verantwortungsbewußter Hersteller den ungewöhnlichen Gebrauch des Produkts hätte voraussehen und die daraus resultierenden Verletzungsrisiken durch entsprechende technische Sicherungsmaßnahmen, zumindest aber ausdrückliche und ausführliche Warnhinweise hätte verhindern können 76. 10 Vgl. Kraut I Jayson, a. a. 0., Band 63, § 564, S. 804 f. mit umfangreichen Nachweisen. 7t Vgl. nur Prosser I Keeton, a. a. 0., S. 707 ff.; Travers, a. a. 0., Band 4, § 60:20, S.44ff.; Noel I Phillips, a. a. 0., S. 114 ff. n Die große Mehrheit der Gerichte lehnt den Ersatz von reinen Vermögensschäden nach der "strict liability in tort"-Doktrin ab, vgl. die umfangreichen Nachweise bei Travers, a.a.O., Band 4, § 60:20, S. 45 (Fn. 20) und Kraut/ Jayson, a.a.O., Band 63, § 565, s. 806 f. 73 Vgl. § 402 ARestatement of Torts 2d, Band 2, a.a.O., Comment i: "The article sold must be dangerous to an extent beyond that which would be contemplated by the ordinary consumer who purchases it, with the ordinary knowledge common to the community as to its characteristics." 74 Vgl. § 402 ARestatement of Torts 2d, Band 2, a.a.O., Comment h: "A product is not in a defective condition when it is save for normal handling and consumption. If the injury results from abnormal handling .. . the seller is not liable" (Hervorhebung durch den Verf.). 75 "Foreseeable use", vgl. Kay v. Cessna Aircraft Co., 548 F. 2d 1370, 1372 (9th Cir. 1977); Horn v. General Motors Corp., 551 P. 2d 398, 404 (Cal. 1976); Kerns v. Engelke, 390 N. E. 2d 859, 864 f. (Ill. 1979); siehe auch Travers, a.a.O., Band 2, § 28:46 ff., s. 61 ff. 76 Vgl. Dorsey v. Yoder Co., 331 F. Supp. 753, 761 ff. (E. D. Pa. 1971); Reid v. Spadone Machine Co., 404 A. 2d 1094, 1098 f. (N. H. 1979); zu den erforderlichen Warnhinweisen z. B. Boy! v. California Chemical Co., 221 F. Supp. 669, 673 ff. (D. Oreg. 1963); Moran v. Faberge, 332 A. 2d 11, 15 f. (Md. 1975); zusammenfassend Noel I Phillips, a. a. 0 ., S. 250 ff.

8 Winkelmann

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Damit fließen aber erneut subjektive Elemente in die Beurteilung der strikten Produkthaftung ein. Für einige "progressive" Jurisdiktionsgebiete ist dies der Grund gewesen, sich von dem Gefährlichkeitskriterium in § 402 A Restatement of Torts 2d endgültig loszusagen 77 • Es widerspreche dem Sinn der strikten Produkthaftung, daß der Verkäufer - ungeachtet der Erwartungen des verletzten Klägers - nicht der strikten Haftung unterliegen solle, wenn nur der "gewöhnliche Konsument" mit dem defekten Zustand des Produkts gerechnet haben würde. Auf diese Weise bestehe praktisch kein Unterschied mehr zwischen der strikten Produkt(gefährdungs)haftung und der "negligence"-Haftung, was aber den Bestrebungen auf diesem Gebiet zuwiderlaufe, die Verletzungsschäden aus fehlerhaften Produkten die Hersteller tragen zu lassen 78. Stattdessen sei die Fehlerhaftigkeit eines Produkts aufgrund einer Abwägung aller relevanten Faktoren zu bestimmen, und ein Konstruktionsfehler etwa bereits dann anzunehmen, wenn dem beklagten Verkäufer nicht der Nachweis gelinge, daß die Vorteile der schadensursächlichen Konstruktion ihre inhärenten Gefahren überwögen 79 . In dieser Risiko-Nutzen-Analyse soll ein Vergleich zwischen dem allgemeinen Nutzen des Produkts für die menschlichen Bedürfnisse und den eingetretenen schädlichen Folgen angestellt, die Möglichkeit von Alternativprodukten oder Alternativkonstruktionen mit größerer Sicherheit geprüft 80, aber auch die Wirtschaftlichkeit von Alternativprodukten und/oder Alternativkonstruktionen berücksichtigt werden81. Im übrigen werden auch im Rahmen der "strict liability in tort" die drei Fehlerkategorien Konstruktions-, Fabrikations- und Instruktionsfehler unterschieden82. Produktbeobachtungsfehler gelten als Sonderfall des Instruktionsfehlers 83 . Bereits oben (im 3. Kapitel unter III 3 a) wurde darauf hingewiesen, daß das amerikanische Recht außerdem eine strikte Deliktshaftung für "Werbefehler" kennt 84. Unabhängig von dieser speziellen Anspruchsgrundlage, spielen auch ansonsten die Werbeaussagen des Herstellers eine oft haftungsentscheidende 77 ,,Leading case" war Cronin v. J. B. E. Olson Corp., 501 P. 2d 1153, 1158 ff. (Cal. 1972); dem haben sich Alaska, Hawaii, New Jersey, Puerto Rico, Wisconsin und eingeschränkt (bzgl. Konstruktionsfehlern) Ohio angeschlossen, vgl. Travers, a. a. 0., Band 2, § 17:11 ff., s. 19 ff. 78 Cronin v. J. B. E. Olson Corp., 501 P. 2d 1153, 1162 (siehe Fn. 77). 79 Barker v. Lull Engineering Co., lnc., 573 P. 2d 443, 456 (Cal. 1978); vgl. auch Turner v. General Motors Corp., 584 S. W. 2d 844, 851 (Tex. 1979). 80 Prosser I Keeton, a.a.O., S. 699 f.; siehe auch den bei v. Hülsen, RIW 1981, 1, 3 f., besprochenen Fall Dawson v. Chrysler. 81 Vgl. dazu z. B. Dorsey v. Yoder Co., 331 F. Supp. 753, 760 (E. D. Pa. 1971); Kerns v. Engelke, 390 N. E. 2d 859, 864 (Ill. 1979); Sutkowski v. Universal Marion Corp., 281 N. E. 2d 749, 753 (Ill. App. 1972); ausführlich zum ganzen Borer, a.a.O., S. 169 ff. mit umfangreichen Nachweisen. 82 "Design defects, manufacturing defects, inadequacy or absence of wamings", vgl. nur Travers, a.a.O., Band 1, § 3:7, S. 18. 83 Hoechst, a.a.O., S. 59. 84 Vgl. § 402 B Restatement of Torts 2d: Strict liability for misrepresentation.

II.USA

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Rolle, indem sie zum Maßstab für den vom Hersteller ohne weiteres vorhersehbaren Gebrauch gemacht werden 85 •

2. Unternehmenskooperation: Die Haftungsadressaten der ,,strict liability in tort" Aufgrund der vergleichbaren dogmatischen Struktur unterscheidet sich die "negligence"-Haftung auch vom Adressatenkreis her nicht wesentlich von der deutschen Verkehrspflichthaftung, betrifft also potentiell jeden, der mit dem schadstiftenden Produkt in irgendeiner Form in Berührung gekommen ist und es in diesem Zusammenhang an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen 86• Im Hinblick auf die durch das Produkthaftungsgesetz in der Bundesrepublik Deutschland jüngst eingeführte Produktgefahrdungshaftung 87 interessiert hier freilich in erster Linie, welche Unternehmensgruppen von der "strict liability in tort"- Haftung angesprochen werden. Geht man insoweit von der Grundregel des § 402 ARestatement of Torts 2d aus, so haftet jeder gewerbsmäßige Verkäufer ("seller") des schadstiftenden Produkts. Demnach scheint in USA, ähnlich wie in Frankreich 88 , die streng absatzbezogene Haftung verwirklicht, die nur die Glieder der vertikalen Verteilerkette ("distribution chain") der strikten Produkthaftung unterwirft 89• Ohne weiteres müssen daher (End-)Hersteller, Verteiler, Groß- und Einzelhändler für Produktfehler nach strict-tort-liability-Grundsätzen einstehen, auch wenn sie keinerlei Einfluß auf die äußere und innere Gestalt des Produkts hatten 90• Dasselbe gilt aber ebenso für Zulieferanten, soweit das von ihnen zugelieferte Teil fehlerhaft war und ohne grundlegende Veränderung von dem Weiterverarbeiter verwandt (z. B. eingebaut) wurde 91 oder die von dem 85 Vgl. z. B. den aufsehenerregenden Fall Leichtamer v. American Motors Corp., 424 N. E. 2d 568 (Ohio 1981), wo ein Jeep auf steilem Gelände umgestürzt war und zwei der vier Insassen erschlagen hatte. Diese Benutzungsweise (Fahren auf steilem, unwegsamem Gelände) war den Verbrauchern durch entsprechende Werbespots der Herstellerfuma geradezu nahegelegt worden, weshalb von seiten des Herstellers mit einem solchen Gebrauch gerechnet werden mußte, vgl. 424 N. E. 2d 568, 578; weitere Fälle bei v. Hülsen I Hollmann, RIW 1984, 85, 89 ff.; eine ausführliche Zusammenfassung zu den möglichen Auswirkungen von Werbemaßnahmen auf die Produkthaftung fmdet sich bei Kraut/ Jayson, a.a.O., Band 63, §§ 638 ff., S. 900 ff. 86 Vgl. nur Travers, a.a.O., Band 1, § 5:4, S. 13, mit umfangreichen Nachweisen. 87 Dazu sogleich unten im 6. Kapitel. 88 Siehe oben unter I 2. 89 Zu dem Prinzip der absatzbezogenen Haftung allgemein oben im 2. Kapitel unter III und V. 90 Vgl. Restatement of Torts 2d, a. a. 0., § 402 A, Comment f; Travers, a. a. 0., Band 1, § 5:5 ff., S. 15 ff.; Kraut I Jayson, a.a.O., Band 63, § 570 ff., S. 813 ff.; die sog. sealedcontainer-theory wird heute wohl nicht mehr vertreten, vgl. dazu nur Kraut I Jayson, a.a.O., Band 63, § 571 f., S. 816 f. und v. Marschall, a.a.O., S. 37 f. 91 Vgl. Restatement of Torts 2d, Band 2, a.a.O., § 402 A, Comment q; Travers, a.a.O., Band 1, § 8:12, S. 19 f.; Kraut/Jayson, a.a.O., Band 63, § 570, S. 814 f.

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

Weiterverarbeiter vorgenommene Veränderung keine Auswirkung auf die bereits zum Lieferzeitpunkt vorliegende Fehlerhaftigkeit des Teils hatte 92• Jedes Unternehmen in der Absatzkette haftet damit auch für solche Produktfehler, die von einem der ihm vorgeschalteten Unternehmen stammen. Entscheidend ist insoweit nur, daß der Defekt im Zeitpunkt der Weiterveräußerung an den nächsten in der Kette oder an den Endabnehmer bereits existiert hat 93 • Dagegen sind diejenigen Unternehmen, die ausschließlich im Wege der horizontalen Arbeitsteilung an der Herstellung des Produkts beteiligt waren, jedenfalls grundsätzlich von der strikten Produkthaftung befreit, wie zum Beispiel ein Unternehmen, das lediglich einzelne Gegenstände für einen anderen konstruiert, sie aber nicht verkauft hat und deshalb auch nicht zur Absatzkette gehört 94 • Nicht so eindeutig ist letzteres allerdings im Falle der Auftragsfertigung nach Konstruktionsunterlagen des Bestellers. Hier hat die Rechtsprechung teilweise auch den Auftragsfertiger nach "strict liability" haften lassen, obgleich eigentlich kein "Verkauf' auf seiten des Auftragsfeetigers vorlag 95 • In der Michalko-Entscheidung 96 machte beispielsweise der Supreme Court of New Jersey den Auftragsfertiger für das Nichtanbringen einer Sicherheitsvorrichtung an der auftragsgemäß angefertigten Maschine verantwortlich, ungeachtet der Tatsache, daß das Anbringen einer solchen Vorrichtung vom Besteller, der sämtliche Konstruktionspläne erstellt hatte, gar nicht in Auftrag gegeben worden war und die Vorrichtung ohne weiteres vom Besteller selbst hätte angebracht werden können, zumal die Maschine ohnehin nicht betriebsbereit geliefert wurde, sondern vor Inbetriebnahme noch mit weiteren Installationen durch den Besteller ausgerüstet werden mußte. Infolge des FehJens der Sicherheitsvorrichtung wurde eine Angestellte des Bestellers verletzt. Für den Verletzungsschaden mußte der Auftragsfertiger nach den Grundsätzen der .,strict liability in tort" aufkommen, obwohl feststand, daß niemals ein .,Verkauf' der Maschine im juristisch-technischen Sinne zwischen den Parteien stattgefunden hatte, es sich bei dem Auftragsfertiger vielmehr um einen sog. independent contractor gehandelt hatte. Das zuletzt genannte Beispiel macht bereits deutlich, daß die nach § 402 A Restatement of Torts 2d haftungsentscheidende Frage, wer als "Verkäufer" des schadstiftenden Produkts zu gelten hat, teilweise sehr großzügig behandelt wird. 92 Vgl. Michalko v. Cooke Color & Chem. Corp., 451 A. 2d 179, 186 (N. J. 1982); Travers, a.a.O., Band 1, § 8:12, S. 20 f.; zu der Frage, ob und unter welchen Umständen der Zulieferer gegebenenfalls (auch) für Produktfehler des Endprodukts verantwortlich ist, obwohl das von ihm gelieferte Teil fehlerfrei war, Cobb, PHI 1984, 56, 59 ff. 93 Vgl. Suter v. Angelo Foundry & Mach. Co., 406 A. 2d 140, 150 (N. J. 1979); Michalko v. Cooke Color & Chem. Corp., 451 A. 2d 179, 184 (siehe Fn. 92). 94 Siehe z. B. Freitas v. Twin City Fisherman's Cooperative Asso., 452 S. W. 2d 931, 937 (Tex. App. 1970); Walla v. United States, 432 F. Supp. 618, 619 f. (E. D. Wis. 1977); Kraut/ Jayson, a.a.O., Band63, § 569, S. 813; weitereNachweise und Fallbesprechungen zur Haftung des selbständigen Konstrukteurs bei Hollmann, RIW 1980, 752, 753 f. 95 Siehe namentlich Michalko v. Cooke Color & Chem. Corp., 451 A. 2d 179, 186 f. (siehe Fn. 92). 96 Siehe die vorangegangene Fn. 95.

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Keineswegs ist es etwa so, daß nur derjenige der strikten Produkthaftung unterworfen wäre, der als Verkäufer im engeren Sinne aufgetreten ist, also einen entsprechenden Kaufvertrag abgeschlossen hat. Sehr bald schon wurde durch die Rechtsprechung klargestellt, daß es zur Auferlegung der strikten Haftung keiner kaufrechtlichen Transaktion bedürfe. Wenn § 402 A Restaterneut of Torts 2d von "Verkauf' spreche, so sei dies mehr als eine Beschreibung der am häufigsten auftretenden Situation zu verstehen und bedeute keine entschiedene Begrenzung der strikten Haftung auf die Fälle, in denen das Produkt im strengen Sinne verkauft worden sei. Eine absichtliche Ausklammerung all der Fälle, in denen der Hersteller den defekten Artikel auf andere Weise in Verkehr gegeben habe ("has placed a defective article in the stream of commerce"), sei § 402 A Restaterneut of Torts 2d keineswegs zu entnehmen 97 • Der Terminus "verkaufen" in § 402 A sei daher bloß beschreibender Natur, und es reiche aus, daß das (defekte) Produkt auf irgendeine Art in Verkehr gebracht worden sei 98 • Dementsprechend wird die "strict liability in tort"-Doktrin unter Umständen auch gegenüber solchen Personen angewandt, die nicht in die Verkäuferkategorie fallen, wie z. B. gegenüber Vermietern, sonstigen Lieferanten, Installateuren und eventuell sogar Maklern 99 • Anders als in Frankreich, wo für die (erweiterte) Gewährleistungshaftung das Vorliegen eines förmlichen Kauf- (mittlerweile u. U. auch eines Werk-) Vertrags zwingend erforderlich ist 100, kommt es in USA für die strikte Produkthaftung darauf nicht an. Es reicht vielmehr aus, daß der potentiell Haftpflichtige das defekte Produkt in Verkehr ("stream of commerce") gegeben hat. Ob und wann eine solche lnverkehrgabe anzunehmen ist, bleibt aber einer wertenden Betrachtung zugänglich. In der berühmten Entscheidung Kasel v. Remington Arms Company 101 wurde infolgedessen für ausreichend gehalten, daß das beklagte Unternehmen ein integraler Bestandteil des sich aus mehreren Gliedern zusammensetzenden kommerziellen Gesamtsystems war, welches das defekte Produkt (hier: Gewehrmunition) in Verkehr gab(" . . . Remington was an integral part of the composite business enterprise which placed the defective shell in the stream of commerce ... "). Remington hatte das schadstiftende Produkt weder produziert noch war dieses sonst durch seine Hände gelaufen. Zur Vertriebskette gehörte Remington also nicht, konnte der strikten (Produkt-)Haftung aber dennoch nicht entgehen, denn die "stream-of-commerce"-Regel, so das Gericht in der Kasel-Entscheidung 102 , fordere mitnichten eine präzise rechtliche Beziehung zu demjenigen Unternehmen Delany v. Towmotor Corp., 339 F. 2d 4, 6 (2d Cir. 1964). Todd Shipyards Corp. v. Turbine Service Inc., 467 F. Supp. 1257, 1294 f. (E. D. La. 1978). 99 Vgl. die Zusammenstellung bei Travers, a.a.O., Band 1, § 5:9, S. 22 f . 100 Siehe oben unter I. 101 101 Cal. Rptr. 314, 322 (Cal. App. 2d Dist. 1972). 102 101 Cal. Rptr. 314, 323 (siehe Fn. 101). 97

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

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(des Gesamtabsatzsystems), welches den Produktfehler verursacht habe, oder zu demjenigen Unternehmen, welches die engste Verbindung zu dem (End-)Abnehmer aufweise. Vielmehr sei die Auferlegung der strikten Produkthaftung allein aufgrund der Tatsache gerechtfertigt, daß das beklagte Unternehmen (hier also Remington) aus Gewinnstreben oder um anderer Vorteilewillen eine teilhaberische Verbindung ("participatory connection") mit dem schadstiftenden Produkt und mit dem Gesamtabsatzsystem, das beim Verbraucher Nachfrage nach und Vertrauen auf das Produkt erzeugt habe, eingegangen sei. Die (vertrags-)rechtlichen Beziehungen zu dem tatsächlichen Hersteller des Produkts oder zu den anderen am Produktions- und Vertriebsprozeß beteiligten Unternehmen seien demgegenüber unmaßgeblich 103. Die objektive Produkthaftung in USA knüpft demnach nicht wie die vertragsrechtliche in Frankreich an die Verkäuferposition an, sondern an das Moment der Inverkehrgabe. Dieses Moment wird rein normativ verstanden und erlaubt auf diese Weise eine geschmeidigere Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse als das dogmatisch fixe Verkäuferkriterium. Es nimmt daher nicht wunder, daß in USA verschiedentlich auch Machtgesichtspunkte im Rahmen der strikten Produkthaftung zum Tragen gekommen sind. Denn löst man sich erst einmal von der Vorstellung, der Adressat der objektiven Produkthaftung müsse quasi in Person das schadstiftende Produkt aus den Händen gegeben haben, so können alldie Umstände angemessene Beachtung finden, die nach dem Leitgedanken der iustitia distributiva 104 bei der Schadenszurechnung eine Rolle spielen sollten. Es kann dann (auch) derjenige als Ioverkehrgeber angesehen werden, bei dem die wirtschaftliche Entscheidungsmacht über Ob und Wie der Produktion lag, obgleich er nicht unmittelbar am Produktions- und Distributionsprozeß beteiligt war 105 • Der damit vorgezeichneten Linie sind einige Entscheidungen in der Tat gefolgt. In der bereits zitierten Kasel-Entscheidung 106 wurde der Kläger durch die Explosion seines Jagdgewehres verletzt, die darauf zurückzuführen war, daß die geladene Munition eine viel zu große Menge an Pulver enthielt, wodurch sich ein außerordentlieber Druck entwickelte. Die Munition für sein Remington-Gewehr hatte der Kläger anläßlich eines Jagdausflugs in Mexiko erworben. Dort war sie auch durch einen mexikanischen Hersteller (Cartuchos Deportivos De Mexico, S. A.) unter dem Namen ,,Remington Express" hergestellt und in den Handel gegeben worden. Immerhin gab es gewisse äußerliche Unterschiede zwischen der in USA durch Remington selbst und der in Mexiko hergestellten Munition dieses Namens. Remington hielt aber 40% der Geschäftsanteile an der mexikanischen Firma und stellte von den Ebenso z. B. Connelly v. Uniroyal, Inc., 389 N. E. 2d 155, 163 (Ill. 1979). Dazu oben im 1. Kapitel unter I. 105 Zur machtbezogenen Haftung im Rahmen der Verhaltenshaftung (Verkehrspflichthaftung) siehe oben im 4. Kapitel unter II 2. 106 Siehe Fn. 101; die Entscheidung wird auch besprochen von Lüderitz, a.a.O., S. 548 ff. und von Hollmann, RIW 1980, 752, 756. 103

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dortigen zehn Vorstandsmitgliedern deren vier. Auch auf den darunterliegenden Personalebenen war Remington vertreten. Zwischen Remington und der mexikanischen Firma bestanden außerdem eine Warenzeichenlizenz-Abmachung, eine Abmachung über den Verkauf technischer Informationen und ein Vertrag über technische Hilfeleistung. Danach verpflichtete sich Remington zur Bereitstellung technischer Informationen und zur Schulung und Abstellung von Personal. Im Gegenzug durfte die mexikanische Firma das Warenzeichen von Remington benutzen, wobei Remington sich das Recht vorbehielt, die ausgezeichnete Ware auf ihre Qualität hin zu inspizieren und kontrollieren sowie den Gebrauch des Warenzeichens und eventuelle Werbemaßnahmen im einzelnen zu genehmigen. Remington selbst hatte eine extensive Werbekampagne für die Munition unter dem Namen "Remington Express" veranstaltet. Die in diesen Umständen zum Ausdruck gekommene enge Verknüpfung zwischen Remington und dem mexikanischen Hersteller hielt das Gericht für ausreichend, Remington als den eigentlichen Hauptveranlasser für die Produktion des schadstiftenden Produkts anzusehen und deshalb mit der strikten Haftung für die Verletzungen des Klägers zu belegen. Ähnlich wurde in dem Fall Carter v. Joseph Bancroft & Sons Co.I07 argumentiert, wo die Klägerin wegen der leichten Entflarnmbarkeit des Stoffes, aus dem ihr Kleid gefertigt war, erhebliche Verbrennungen erlitt. Stoff und Kleid waren aber nicht von den beiden Beklagten, sondern von einem dritten Unternehmen hergestellt worden. Die Beklagten hatten lediglich dil.s Herstellungsverfahren hinsichtlich des Stoffes und ihr Warenzeichen lizenziert, waren jedoch in keiner Weise in die Absatzkette der Ware eingeschaltet. Das Gericht nahm dennoch eine strikte Haftung der beiden Beklagten in Übereinstimmung mit § 402 A Restatement of Torts 2d an und stützte sich dabei in erster Linie auf den Wortlaut eines Etiketts, das an dem fraglichen Kleid angebracht gewesen war. Dort hatte es u. a. geheißen: "BAN-LON is a trademark identifying garment, fabrics, and articles made according to specification and quality standards prescribed and controlled by Joseph Bancroft & Sons Co., a division of Indian Head, Inc. (d. i. die Zweitbekl., der Verf.)" 108• Allein aus diesem Etikett, so das Gericht in der Carter-Entscheidung 109, ergebe sich, daß die Beklagten ausreichend eng in den Produktionsprozeß einbezogen gewesen seien, um als "Verkäufer" iSv § 402 ARestaterneut ofTorts 2d betrachtet werden zu können. Denn darin komme zum Ausdruck, daß der Artikel entsprechend den Spezifikationen und Qualitätsvorgaben hergestellt worden sei, wie von ihnen, den Beklagten, vorgeschrieben und überwacht. Die Beklagten könnten sich deshalb nicht darauf berufen, nicht die Hersteller des Kleides im haftungsrechtlichen Sinne zu sein. Seither kann als ausgemacht gelten, daß jedenfalls in der Regel der Franchisegeber ebenso wie der Warenzeichenlizenzgeber der strikten Produkthaftung unter360 F. Supp. 1103 (E. D. Pa. 1973). ws 360 F. Supp. 1103, 1106 (siehe Fn. 107). 109 360 F. Supp. 1103, 1106 f. (siehe Fn. 107).

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

liegt, selbst wenn er nicht zur Verteilerkette gehört 110• In den meisten Fällen wurde dabei nicht in erster Linie die vertrags- bzw. gesellschaftsrechtliche Beziehung zu dem unmittelbaren Hersteller des Produkts, sondern vielmehr die (Macht-)Stellung des Franchisegebers (oder Warenzeichenlizenzgebers) im Hinblick auf Produktion und Absatz der Ware als letztlich ausschlaggebender Grund für die Auferlegung der strikten Haftung angesehen 111 • In Kosters v. Seven-Up Co. 11 2 nannte das Gericht vier Faktoren, die zusammengenommen für die Haftpflicht des Franchisegebers maßgeblich seien: Die Veranlassung eines Verletzungsrisikos durch die Genehmigung zum Vertrieb einer unsicheren Ware ( 1), die Fähigkeit und Möglichkeit des Franchisegebers, den unsicheren Charakter des Produkts zu eliminieren und den Schadenseintritt zu verhindem (2), die fehlende Kenntnis des Konsumenten von der Gefahr (3) und schließlich das Vertrauen des Konsumenten auf den Markennamen, welcher ihm den gewollten Eindruck vermittele, daß der Franchisegeber hinter dem Produkt stehe und die Verantwortung dafür trage (4). Die Haftung, so das Gericht weiter, basiere auf der Kontrolle des Franchisegebers und der durch sein Verhalten hervorgerufenen Annahme der Öffentlichkeit, daß er in der Tat das Produkt kontrolliere und sich dafür verbürge. In dieser Begründung klingen bereits deutlich reine Machtgesichtspunkte an. Einmal stellt das Gericht unter anderem auf die Veranlassung des Produktrisikos ab. Zum anderen begnügt es sich damit, daß der Franchisegeber die Möglichkeit zur Kontrolle und Ausschaltung der spezifischen Produktgefahren besaß, um ihm den entstandenen Produktschaden zuzurechnen. Gefordert wird also nicht, daß er die Kontrolle tatsächlich ausgeübt hat. Betrachtet man diese beiden Punkte - neben der generell zu unterstellenden Unkenntnis des Konsumenten von der gefahrdrohenden Beschaffenheit der Ware - als die zentralen und eigentlich allein maßgebenden Elemente der Haftung, so ist das Feld für eine rein machtbezogene Haftung 113 eröffnet. So in der Tat geschehen in Taylor v. General Motors, Inc. 114: 11o Dies wurde bereits in Kasel v. Remington Arms Company, 101 Cal. Rptr. 314, 323 (siehe Fn. 101), gefordert und dann auch mehrfach so entschieden, vgl. neben der oben (bei Fn. 107 ff.) besprochenen Entscheidung Carter v. Joseph Bancroft & Sons Co. vor allem City of Hartford v. Associated Const. Co., 384 A. 2d 390, 393 ff. (Conn. Super. 1978); Connelly v. Uniroyal lnc., 389 N. E. 2d 155, 161 ff. (lll. 1979); Kosters v. Seven-Up Co., 595 F. 2d 347, 351 ff. (6th Cir. 1979); Harris v. Aluminium Co. of America, 550 F. Supp. 1024, 1028 (ytl. D. Va. 1982). 111 Von den in Fn. 110 aufgeführten Entscheidungen namentlich Kosters v. SevenUp Co., 595 F. 2d 347, 352 f. und Harris v. Aluminium Co. of America, 550 F. Supp. 1024, 1028; auch in City of Hartford v. Associated Constr. Co., 384 A. 2d 390, 396, wurde entscheidend auf die Möglichkeit und Notwendigkeit zur Kontrolle des Lizenznehmers abgestellt. 112 595 F. 2d 347, 353 (siehe Fn. 110). 113 Im Sinne der oben im 4. Kapitel unter III 2 entwickelten Kriterien. 114 537 F. Supp. 949 (E. D. Ky. 1982); siehe auch Lüderitz, a.a.O., S. 550.

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Der Ehemann der klagenden Witwe war getötet worden, als er die Motorhaube seines Autos bei laufendem Motor geöffnet hatte. In diesem Moment löste sich ein Flügel des Ventilators und durchbohrte die Brust des Opfers. Hersteller des Ventilators war eine Firma ,,Hayes-Albion", die annähernd 99% ihrer Gesamtproduktion an "General Motors" lieferte. Der Rest ging an einen Hersteller von Taxiwagen. Es war nicht unwahrscheinlich, daß der Getötete sich den Ventilator von einem Schrottplatz besorgt und dort aus einem abgewrackten Taxi ausgebaut hatte. Trotz dieses Umstands bejahte das Gericht die strikte Haftung von General Motors und berief sich dabei ausdrücklich auf die ersten drei der oben zitierten vier tragenden Gründe der Kostcrs-Entscheidung 115• Die überragende Machtstellung von General Motors gegenüber Hayes-Albion, allein schon aufgrund der Tatsache gegeben, daß General Motors praktisch der Alleinabnehmer von HayesAlbion war, hatte sich in einer Vielzahl von Einflußnahmen auf die Produktion von Hayes-Albion niedergeschlagen. So schrieb General Motors Hayes-Albion durch die Aushändigung von Entwürfen und Zeichnungen genau vor, wie der Ventilator gebaut werden sollte; General Motors ließ angelegentlich Anordnungen zur Arbeitseinstellung an Hayes-Albion ergehen; General Motors konnte Hayes-Albion nicht nur auferlegen, die Produktion eines bestimmten Ventilatortyps einzustellen - so geschehen z. B. im Jahre 1973 - , sondern auch die noch vorhandenen restlichen Exemplare zu vernichten; General Motors mußte eine Ventilator-Konstruktion akzeptieren und genehmigen, bevor Hayes-Albion die Massenproduktion aufnehmen konnte; im Juni 1968 entschied General Motors, daß die Flügelkontur und die Spitzenkrümmung des Ventilators neu zu konstruieren sei; Hayes-Albion verkaufte seine Ventilatoren ausschließlich an General Motors und an den Taxihersteller: an den letzteren allerdings nur auf Vorschlag von General Motors hin 116; All diese Umstände sah das Gericht für ausreichend an, um in General Motors einen integralen Bestandteil des kommerziellen Gesamtsystems 117 zu erblicken, das für die Ioverkehrgabe des Ventilators verantwortlich war(" .. . G. M. was 'an integral part ofthe composite business enterprise' which was responsible for placing the fan 'in the stream of commerce' .") 118 •

3. Die Haftungslage im Innenverhältnis

Zu den schwierigsten und umstrittensten Problemen im amerikanischen Produkthaftungsrecht gehört seit langer Zeit die Frage des Innenausgleichs bei mehreren im Außenverhältnis haftenden Unternehmen. Parallel zur raschen Entwick115 537 F. Supp. 949, 953 f. (siehe Fn. 114); zur Kosters-Entscheidung siehe den Text bei Fn. 112. 116 537 F. Supp. 949, 950 f. (siehe Fn. 114). 117 So die ausdrücklich in Bezug genommene Formulierung in Kasel v. Remington Arms Company, siehe Fn. 101 und dazu den Text. 118 537 F. Supp. 949, 954 (siehe Fn. 114).

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

lung des strikten Produkthaftungsrechts im Außenverhältnis, hat auch dieses Rechtsgebiet seit den frühen sechziger Jahren gravierende Veränderungen erlebt, die im Ergebnis zu einer weitgehenden Verabschiedung der traditionellen Regeln des Common Law geführt haben 119• Danach kann heute zwar eine bestimmte grundsätzliche Lösung des Ausgleichsproblems als vorherrschend bezeichnet werden. Im einzelnen bestehen zwischen den verschiedenen Jurisdiktionsbereichenjedoch noch zahlreiche Divergenzen, was auch aufunterschiedliches Gesetzesrecht zurückzuführen ist 120• Außerdem befindet sich die Entwicklung nach wie vor ständig im Fluß, weshalb namhafte Autoren ausdrücklich zu vorsichtigem Umgang selbst mit vergleichsweise neuem Entscheidungsmaterial raten, weil es sich sehr schnell als überholt herausstellen könne 121 • Die Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit der gegenwärtigen Rechtslage auf dem Gebiet des Innenausgleichsrechts wird nur vor dem Hintergrund der traditionellen Ausgleichsregeln des Common Law verständlich. Abgesehen von eventuellen vertraglichen Vereinbarungen, wurde ursprünglich zwischen mehreren im Außenverhältnis für einen Schaden Verantwortlichen ein Ausgleich im Innenverhältnis von Rechts wegen nur dann durchgeführt, wenn sich der eine bei dem anderen Haftpflichtigen vollständig schadlos halten konnte ("indemnity"). Eine derartige Schadloshaltung im Innenverhältnis wurde dabei nur in zwei Fallkonstellationen gewährt, nämlich einmal dann, wenn die Haftpflicht (im Außenverhältnis) auf einer rechtlichen Einstandspflicht für das (deliktische) Verhalten eines anderen beruhte, wie vor allem die Einstandspflicht des Arbeitgebers für die von seinem Angestellten bei Dritten angerichteten Schäden (sog. vicarious Iiability) 122; zum anderen aber auch im Verhältnis zwischen dem aktiven Verursacher des Schadens und demjenigen, dem nur eine Unterlassung vorgeworfen werden konnte, wie z. B. im Verhältnis zwischen der zur Instandhaltung eines öffentlichen Weges verpflichteten Gemeinde und dem Anlieger, der durch seine aktive Handlung den Weg beschädigt hat 123• Im übrigen fand ein Innenausgleich zwischen mehreren im Außenverhältnis Haftpflichtigen nur im Falle ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung statt. Insbesondere konnte eine anteilsmäßige Aufteilung des Gesamtschadens auf die mehreren Deliktsschuldner ("contribution") nur bei Vorliegen und im Rahmen entsprechender Gesetze begehrt werden. Soweit solche Gesetze fehlten oder aber keine befriedigende Regelung enthielten 124, mußte derjenige unter den mehreren DeVgl. FrumeriFriedman, a. a.O., Band 3 A, § 15.01, S. 15-3. Dazu überblicksmäßig Frumer I Friedman, a. a. 0., Band 3 A, § 15.01, S. 15-3 f. 121 So FrumeriFriedman, a.a.O., Band 3 A, § 15.01, S. 15-4. 122 Siehe dazu ausführlich Prosser I Keeton, a. a. 0., S. 499 ff. 123 Vgl. nur Frumer I Friedman, a.a.O., Band 3 A, § 15.03 (1), S. 15- 16. 124 Vielfach wurde beispielsweise zur Voraussetzung des gesetzlichen Anspruchs auf "contribution" gemacht, daß der Geschädigte alle Haftpflichtigen gemeinsam vor Gericht verklagt hatte: Von der Partei, die nicht im ursprünglichen Haftungsprozeß mitverklagt 119

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liktstätern, der von dem Geschädigten mehr oder weniger zufällig als erstes ausgewählt worden war, den gesamten Schaden alleine tragen 125 • Unter diesen Umständen war es von entscheidender Bedeutung, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Rückgriffsanspruch aus "indemnity" eröffnet war. Für dep Produkthaftungsbereich lag es dabei nahe, die Analogie zu dem oben besprochenen Verhältnis zwischen Gemeinde und Anlieger bei dem Sturz eines Passanten auf schadhaftem öffentlichem Weg zu ziehen. Dementsprechend wurde in der Folgezeit die Unterscheidung zwischen aktivem ("active negligence") und passivem ("passive negligence") Fehlverhalten als Abgrenzungskriterium für den Anspruch auf "indemnity" herangezogen. Der nur passiv fahrlässige Deliktstäter konnte sich bei dem aktiv fahrlässigen Deliktstäter in vollem Umfang schadlos halten, denn - so das Gericht in der McFall-Entscheidung 126 - der aktiv fahrlässige Deliktstäter müsse als der erste und hauptsächliche SchadensverursacheT angesehen werden und sei für seine Tat deshalb nicht nur der direkt verletzten Person, sondern auch jeder anderen Person gegenüber verantwortlich, die durch die Tat einen indirekten Schaden erleide, indem sie aus Rechtsgründen ebenfalls der Haftung für die Tat unterworfen werde. In den Genuß der "indemnity" gelangte danach regelmäßig der Unterlassungstäter gegenüber dem Handlungstäter, bezogen auf den Produkthaftungsbereich also beispielsweise derjenige, der lediglich eine notwendige Inspektion unterlassen hatte, gegenüber demjenigen, der den Produktfehler durch seine pflichtwidrige Handlung herbeigeführt hatte 127 • Folglich konnte in aller Regel der Händler gegen den Hersteller 128 und der Endhersteller gegen den Zulieferer des defekten Teils 129 Rückgriff über das Institut der "indemnity" nehmen 130• Schwierigkeiten ergaben sich allerdings insoweit, als die Anwendung der "strict liability in tort"-Doktrin in Rede stand, die sich an und für sich mit der war, konnte keine "contribution" verlangt werden, so z. B. in New York vor der Leitentscheidung Dole v. Dow Chemical Co., 282 N. E. 2d 288 (N. Y. 1972), vgl. Frumer I Friedman, a.a.O., Band 3 A, § 15.03 (4), S. 15-55, die aus diesem Grunde zu Recht meinen, die Haftungsschuldner seien insoweit von der Gnade des Geschädigten abhängig gewesen. m So ausdrücklich z. B. McFall v. Compagnie Maritime Beige (Lloyd Royal) S. A., 107 N. E. 2d 463, 470 (N. Y. 1952). 126 107 N. E. 2d 463, 471 (siehe Fn. 125). 127 Vgl. z. B. Burhage v. Boiler Engineering and Supply Co., 249 A. 2d 563, 567 (Pa. 1969); Tromza v. Tecumseh Products Co., 378 F. 2d 601, 606 (3d Cir. 1967); Ruping v. Great Atlantic & Pacific Tea Co., 126 N. Y. S. 2d 687, 689 (App. Div. 1953); Amantia v. General Motors Corp., 155 N. Y. S. 2d 294, 295 (Sup. Ct. 1956); gegenteilig allerdings Workstel v. Stern Bros., 156 N. Y. S. 2d 335, 338 (Sup. Ct. 1956), wo der Händler (der die notwendige Inspektion versäumt hatte) im Unterschied zu den obigen Fällen den Defekt des Produkts aber kennen mußte. 12s Siehe nur die Ruping- und Amantia-Entscheidungen in Fn. 127. 129 Siehe z. B. die Burbage- und Tromza-Entscheidungen in Fn. 127. 130 Zu teilweise gegenteiligen Entscheidungen siehe die ausführlichen Nachweise bei Frumer/Friedman, a.a.O., Band 3 A, § 15.03 (3) (e), Fn. 65.

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

auf "negligence" zugeschnittenen Aktiv-Passiv-Regel nicht verträgt 131 • Andererseits wurde wohl in keinem Fall dem Händler der Anspruch auf "indemnity" gegen den Hersteller des Produkts nur deshalb versagt, weil die Außenhaftung auf "strict liability in tort" basierte 132• Die Pflicht des Herstellers - so wurde in dieser Hinsicht etwa argumentiert-, den Händler im Innenverhältnis freizustellen, sei die logische Folge der strikten Haftung gegenüber dem Konsumenten 133 • Sofernjedoch die Beteiligten aus unterschiedlichen Rechtsgründen hafteten, wurde ein Ausgleichsanspruch des aus "strict liability in tort" Verpflichteten gegen denjenigen, der aus "negligence" haftbar war, wegen der Verschiedenartigkeit der beiden Rechtsinstitute ausdrücklich abgelehnt 134• Diese unbefriedigende Rechtslage, die wegen der mangelhaften "contribution"Regelungen den im Außenverhältnis in Anspruch genommenen Haftungsschuldner im Hinblick auf einen etwaigen Regreßanspruch häufig vor eine ,,Alles-oderNichts"-Situation stellte, wurde erstmals durchbrochen durch die richtungweisende Entscheidung Dole v. Dow Chemical Co. 135 • Der "Aktiv-Passiv"-Test, so das Gericht in der Dole-Entscheidung 136 , habe sich in der Praxis als ungeeignet erwiesen, eine auch nur einigermaßen gerechte Entscheidung der Frage zu gewährleisten, wann einer fahrlässigen Partei die Schadloshaltung gegenüber einer anderen fahrlässigen Partei erlaubt werden solle. Wenn es dem vom Geschädigten ausgewählten Schadensverursacher nicht gelinge, jeden Rest an Verantwortlichkeit für den Schaden einem Dritten anzulasten, müsse er den gesamten Schaden ohne irgendeine Rückgriffsmöglichkeit auf sich nehmen, sei der letztlich ihn treffende Teil an Verantwortlichkeit auch noch so klein. Die gesetzliche "contribution"-Regelung mache die Regreßmöglichkeit des in Anspruch genommenen Haftpflichtigen von dem Willen und der Fähigkeit des Geschädigten abhängig, alle in Frage kommenden Verantwortlichen in dem ursprünglichen Haftungsprozeß gemeinsam vor Gericht zu versammeln. Andererseits erlaube die ungewisse Natur des "Aktiv-Passiv"-Maßstabs keine verläßliche Vorhersage, ob und wann der Anspruch auf "indemnity" gegeben sei 137• Damit widerspreche die Regreßsituation insgesamt den grundlegenden Anforderungen der Billigkeit. Letztere verlange, daß jede Partei nur für den Teil des Schadens aufkommen müsse, der ihrer effektiven Verantwortlichkeit an dem Gesamtschaden entspreche. Im Ergeb131 Vgl. Kossifos v. Louden Machinery Co., 317 N. E. 2d 749, 751 ff. (Ill. App. 1974); Kelly v. General Motors Corp., 487 F. Supp. 1041, 1043 ff. (D. Mont. 1980). 132 Vgl. nur die umfangreichen Nachweise bei Frumer I Friedman, a.a.O., Band 3 A, § 15.03 (3) (b), Fn. 47. 133 So Safeway Stores, lnc. v. L. D. Schreiber Cheese Co., 326 F. Supp. 504, 510 f., Fn. 18 (W. D. Mo. 1971). 134 Fenton v. McCrory Corp., 47 F. R. D. 260, 262 (W. D. Pa. 1969); Kossifos v. Louden Machinery Co., 317 N. E. 2d 749, 751 ff. (siehe Fn. 131); Kelly v. General Motors Corp., 487 F. Supp. 1041, 1043 ff. (siehe Fn. 131). 135 282 N. E. 2d 288 (N. Y. 1972). 136 282 N. E. 2d 288, 291 (siehe Fn. 135). 137 282 N. E. 2d 288, 292 (siehe Fn. 135).

II. USA

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nis müsse deshalb eine Aufteilung des Gesamtschadens unter den Parteien entsprechend ihrem Maß an Verantwortlichkeit für die eingetretene Verletzung (,.relative responsibility") vorgenommen werden, und zwar unabhängig davon, ob und inwieweit sie an dem ursprünglichen Haftungsprozeß beteiligt gewesen seien 138 • Zahlreiche Gerichte haben die Grundsätze der Dole-Entscheidung übernommen 139• Unterstützt wurde diese Entwicklung durch gesetzliche Initiativen, welche in die gleiche Richtung zielten 140• Auf diese Weise wurde und wird die "AktivPassiv"-Regel allmählich durch eine am Grad des Verschuldeos orientierte Abwägung der Verantwortlichkeit ersetzt (sog. comparative fault oder comparative culpability) 141 • Parallel dazu verschwinden alte "contribution"-Regelungen oder werden zurückgedrängt, wonach die Aufteilung des Schadens im Innenverhältnis nur nach gleichen Anteilen vorgenommen werden kann 142• Im Gefolge dieser Veränderungen hat der Supreme Court of California keine Schwierigkeit darin gesehen, die interne Schadensaufteilung auch dann auf der Basis relativen Verschuldens durchzuführen, wenn die Parteien aus unterschiedlichen Rechtsgründen, nämlich einerseits "strict liability in tort", andererseits ,,negligence", haften 143 • Schließlich hat der Supreme Court of Texas in einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 erkannt, daß es in einem Regreßfall, bei dem andere Haftungsgründe als ,.negligence" in Rede stünden, nicht auf einen Vergleich des Verschuldeosgrades der einzelnen Beteiligten ankommen könne 144• Vielmehr sei hier anstelle des Verschuldens (,.comparative fault") das Ausmaß des Verursachungsbeitrags jedes einzelnen zu vergleichen ("doctrine of comparative causation") 145• Insgesamt zeichnet sich damit in USA eine Entwicklung des Innenausgleichsrechts ab, die auf eine ähnliche Problemlösung wie in Deutschland hinausläuft, wo der Innenausgleich bereits seit langem auf der Grundlage einer Abwägung des Verschuldeos bzw. des Verursachungsbeitrags bewerkstelligt wird 146• Wegen 282 N. E. 2d 288, 292 ff. (siehe Fn. 135). Vgl. den Überblick bei FrumeriFriedman, a.a.O., Band 3 A, § 15.03 (4) (b), s. 15-60 ff. 140 Repräsentativ insoweit der Uniform Comparative Fault Act der National Conference of Commissioners on Uniform State Laws vom August 1979, insbes. dessen§§ 2, 4 und 5, abgedr. bei Frumer I Friedman, a. a. 0., Band 5, Appendix K, S. App-1443 ff. 141 Siehe z. B. Tolbert v. Gerber lndus., lnc., 255 N. W. 2d 362, 367 f. (Minn. 1977). 142 Lt. Frumer I Friedman, a.a.O., Band 3 A, § 15.03 (4) (b), S. 15-60 f., mit umfangreichen Nachweisen, favorisiert die Mehrzahl der Gerichte inzwischen die Aufteilung nach relativem Verschulden wegen der größeren Billigkeit dieser Lösung. 143 Safeway Stores v. Nest-Kart, 579 P. 2d 441, 443 ff. (Cal. 1978), insoweit im Gegensatz zu den in Fn. 134 zitierten Entscheidungen Fenton v. McCrory Corp., Kelly v. General Motors Corp. und Kossifos v. Louden Machinery Co. 144 Duncan v. Cessna Aircraft Co., 665 S. W. 2d 414, 424 ff. (Tex. 1984). 145 665 S. W. 2d 414, 427 f. (siehe Fn. 144). 146 Siehe insoweit nur die Leitentscheidung RGZ 75, 251, 256; für den Bereich des Produkthaftungsgesetzes ist dieser Grundsatz nunmehr auch gesetzlich verankert worden, vgl. § 5 Satz 2 ProdHaftG; zum Produkthaftungsgesetz sogleich unten im 6. Kapitel. 138

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5. Kap.: Die Rechtslage in Frankreich und USA

der Nebeneinandergeltung alter und neuer Ausgleichsregeln stellt sich die Rechtslage in USA freilich viel unübersichtlicher und komplizierter dar, und noch immer gilt insoweit die Randbemerkung aus Kosters v. Seven-Up Co. 147 , die ein bezeichnendes Schlaglicht auf alle mit dem Regreßkomplex zusammenhängenden Fragen wirft: "The District Judge was no doubt aware of the confusion that surrounds questions of indemnity and contribution in products liability cases and the difficulty of clarifying the factors that the jury would have to consider in deciding between indemnity and contribution."

t47

595 F. 2d 347, 356 (siehe Fn. 110).

6. Kapitel

Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland nach dem lnkraftreten des Produkthaftungsgesetzes I. Das Verhältnis zwischen dem Produkthaftungsgesetz und dem allgemeindeliktsrechtlichen Produzentenhaftungsrecht Mit dem Produkthaftungsgesetz, das die EG-Richtlinie Produkthaftung vom 25.7.1985 in nationales Recht transfonniert hat, ist in der Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1990 erstmalig eine allgemeine gesetzliche Regelung der Produkthaftung in Kraft getreten. Lediglich die bereits zuvor im Arzneimittelgesetz geregelte Arzneimittelhaftung wird aus dem Anwendungsbereich des Produkthaftungsgesetzes ausgeklammert (vgl. § 15 Abs. 1 ProdHaftG). Bei allen übrigen Produkthaftungsfallen ist das Produkthaftungsgesetz aber in Zukunft grundsätzlich anwendbar. Gleichwohl wird das bisherige, im allgemeinen Deliktsrecht wurzelnde Produzentenhaftungsrecht durch das Produkthaftungsgesetz nicht verdrängt. Nach§ 15 Abs. 2 ProdHaftG bleibt nämlich eine Haftung aufgrund anderer Vorschriften durch das Produkthaftungsgesetz unberührt. Dies bedeutet, daß neben den Ansprüchen aus dem Produkthaftungsgesetz ohne Einschränkung auch solche aus Vertrag oder Delikt geltend gemacht werden können 1• Die gesetzlichen Tatbestände des Produkthaftungsgesetzes schließen damit alle bereits existierenden und ansonsten denkbaren Anspruchsgrundlagen, aufgrund deren Produktschäden ersetzt verlangt werden können, nicht aus, sondern treten lediglich neben diese. Dadurch bleibt insbesondere die bisherige Verkehrspflichthaftung mit all ihren von der Rechtsprechung entwickelten Besonderheiten in Produktschadensfallen 2 in vollem Umfang erhalten 3•

• Siehe nur die amtl. Begründung zum Produkthaftungsgesetz, Bundestagsdrucksache 11/2447, s. 26. 2 Siehe dazu ausführlich oben im 3. Kapitel. 3 Taschner, a.a.O., Art. 13, Rd. 2; Pauli, PHI 1987, 138, 141; Sack, VersR 1988, 439, 442; Schmidt-Salzer, Der Betrieb 1987, 1285, 1286; Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 36; Brüggemeier /Reich, WM 1986, 149, 154 f.; Hübner, NJW 1988, 441 , 445 f.; Hollmann, Der Betrieb 1985,2439, 2441; Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1043; Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a.a.O., S. 14 ff.

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

Diese Weitergeltung des bisherigen Rechtszustandes hatangesichtsder zahlreichen Regelungs- und Haftungslücken im Produkthaftungsgesetz 4 nicht nur theoretische, sondern eminent praktische Bedeutung. Die in der gesetzlichen Regelung vorhandenen Lücken zwingen den Geschädigten nämlich dazu, in vielfacher Hinsicht auf das überkommene Produzentenhaftungsrecht zurückzugreifen 5 • Im Ergebnis führt das lokrafttreten des Produkthaftungsgesetzes somit zu einem zweigleisigen Produkthaftungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland 6, was die praktische Rechtsanwendung nicht eben erleichtert 7 • Die bisherige Verkehrspflichthaftung und das Produkthaftungsgesetz gelten nebeneinander, zwischen beiden besteht eine echte Anspruchskonkurrenz 8 •

II. Der wesentliche Inhalt des Produkthaftungsgesetzes 1. Die dogmatische Natur der Regelung In § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG findet sich nicht nur die zentrale Anspruchsgrundlage des Produkthaftungsgesetzes. Gleichzeitig kommt darin auch das übergeordnete Haftungsprinzip zum Ausdruck, dem das Produkthaftungsgesetz im Grundsatz verpflichtet ist. Aus diesem Grunde sei hier zunächst noch einmal der Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG mitgeteilt: "Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen." Nach dem Wortlaut der Vorschrift müssen für die Haftung des Herstellers somit drei Voraussetzungen erfüllt sein: Es muß ein Mensch getötet oder verletzt bzw. eine Sache beschädigt worden sein (1), dies muß "durch den Fehler eines Produkts" geschehen sein (2), und schließlich muß aus dieser Verletzung ein Schaden resultieren (sog. haftungsausfüllende Kausalität) (3). Weitere Voraussetzungen werden nicht aufgestellt. Insbesondere fehlt jeder Hinweis darauf, daß es zur Haftung etwa auf ein irgendwie geartetes (Fehl-) Dazu sogleich unten unter II 3. Schon die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 26, nennt allein vier Punkte, in denen ausschließlich das bisherige Recht einschlägig bleibt; siehe im übrigen die Nachweise in Fn. 3 und daneben Lorenz, ZHR 1987, 1, 36 f. 6 So auch Schmidt-Räntsch, ZRP 1987, 437, 440. 7 Krit. insoweit auch Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 36 f. und Schmidt-Räntsch, ZRP 1987, 437, 441. s Vgl. Pauli, PHI 1987, 138, 141 ; Sack, VersR 1988, 439, 442; Kullmann, in KuHmann I Pfister, a. a. 0., Kz. 3600, S. 18; Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a.a.O., S. 16 f.; Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1043, der im übrigen in Fn. 68 zu Recht den insoweit mißverständlichen Titel des Aufsatzes von Taschner, NJW 1986, 611, kritisiert. 4

5

II. Der wesentliche Inhalt des Produkthaftungsgesetzes

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Verhalten des Herstellers ankäme. Haftungskorrektiv 9 ist vielmehr, ähnlich wie in Frankreich und in USA 10, deren Rechtslagen erkennbar als Richtschnur für die dem Produkthaftungsgesetz zugrunde liegende EG-Richtlinie Produkthaftung gedient haben 11 , allein die (objektive) Fehlerhaftigkeit des schadstiftenden Produkts. Geht man vom Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG aus und zieht zusätzlich als Auslegungshilfe die Rechtssituation in Frankreich ("vices caches" als Haftungsauslöser des gewährleistungsrechtlichen Produkthaftungsrechts) und USA ("product in a defective condition" als Haftungsauslöser nach § 402 A (1) Restatement of Torts 2d) zu Rate, so scheint im Produkthaftungsgesetz das Prinzip der objektiven Produkt(gefahrdungs)haftung verwirklicht zu sein 12• Dies ist indes nicht unumstritten. Zum Teil wird nämlich die Auffassung vertreten 13, bei der von § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG angeordneten Haftung handele es sich ihrer Rechtsnatur nach nicht um eine modifizierte Form der Gefährdungshaftung 14, sondern - im Gegensatz zur Gefährdungshaftung - um einen Unrechtstatbestand, dessen Besonderheit gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht lediglich darin liege, daß er kein Verschulden verlange 15• Voraussetzung der Gefährdungshaftung sei, daß es sich um die Risikotragung für Folgen eines ordnungsgemäßen, also rechtmäßigen Verhaltens handele 16• Eine Gefährdungshaftung sei also gerade keine Unrechtshaftung 11 , welch letztere demgegenüber ein rechtswidriges Handeln erfordere 18 • Im Hinblick auf den produkthaftungsrechtlichen Fehlerbegriff, wie er dem Produkthaftungsgesetz zugrunde liege, folge daraus, daß eigentlich und genauer von einem fehlerhaften Verhalten gesprochen werden müsse, welches zum Ansatzpunkt für die Haftung gemacht werde, "also von einem Verhalten, das von einem vorgegebenen Pflichtenmaßstab Zur Notwendigkeit eines Haftungskorrektivs oben im 3. Kapitel unter III 1. Zur Rechtslage in Frankreich und USA oben im 5. Kapitel. 11 Siehe dazu Lorenz, ZHR 1987, 1, 5 ff. 12 So in der Tat die weit überwiegende Meinung, vgl. Taschner, a.a.O., Art. 1, Rd. 1; ders. in NJW 1986, 611, 612; Schmidt-Räntsch, ZRP 1987, 437, 438; Brüggemeier I Reich, WM 1986, 149, 154; Hollmann, Der Betrieb 1985, 2389; Schlechtriem, VersR 1986, 1033 und 1035; Hübner, NJW 1988, 441, 445; Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a.a.O., S. 13; Lorenz, ZHR 1987, 1, 3, 9 f. sowie passim; Rolland, a. a. 0., § 1, Rd. 7; auch die amtl. Begründung geht davon aus, vgl. Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 11. 13 So namentlich von Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a. O., Art. 1, Rd. 5 ff.; ders. in BB 1986, 1103, 1107 f.; ders. in Der Betrieb 1987, 1285, 1286; ebenso Deutsch, VersR 1988, 1197, 1200; offengelassen von Pauli, PHI 1987, 138, 145 f. 14 So aber die überwiegende Meinung, vgl. die Nachweise in Fn. 12. 15 So Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 1, Rd. 16 f. und in BB 1986, 1103, 1107 f.; ähnlich Deutsch, VersR 1988, 1197, 1200. 16 Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 1, Rd. 8; ders. in BB 1986, 1103, 1107 (Hervorhebungen im Original). 17 Schmidt-Salzer, ebenda (Hervorhebung im Original). 18 Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 1, Rd. 13; ders. in BB 1986, 1103, 1108. 9

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9 Winkelmann

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

abweicht" 19 • Daß dies so sei, werde im Text der EG-Richtlinie ersichtlich und zwar außer im Text des Art. I (dieser entspricht im wesentlichen§ 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG) vor allem in Art. 7 lit. f (der seine Entsprechung in § 1 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG findet) 20• Gerade aus letzterer Vorschrift werde besonders klar erkennbar, daß allererste Voraussetzung für eine Haftung nach der EG-Richtlinie (respektive dem Produkthaftungsgesetz) das Vorliegen eines auf das Produkt bezogenen fehlerhaften Verhaltens des Haftungsschuldners sei. Habe sich das in Anspruch genommene Unternehmen bei Abwägung aller, seine spezifische Rolle oder Aufgabe im Prozeß der Warenherstellung erfassenden Faktoren ordnungsgemäß verhalten, liege ein fehlerhaftes Verhalten nicht vor und entfalle damit eine Haftung 21 • Folgte man dieser Auffassung, so bestünde in dogmatischer Hinsicht praktisch kein Unterschied zwischen dem Produzentenhaftungsrecht bisheriger Prägung, also der deliktsrechtlichen Verkehrspflichthaftung, und der Haftungskonzeption im Produkthaftungsgesetz. Für beide gälte das Prinzip der verhaltensbezogenen Haftung, im Rahmen des Anwendungsbereichs des Produkthaftungsgesetzes würde lediglich das ohnehin nicht sehr bedeutsame Verschuldenserfordernis 22 entfallen 23 • Auch das Produkthaftungsgesetz würde demnach einen (Verkehrs-)Pflichtverstoß erfordern, der- nach der aufgabenbezogenen Auffassung- nur vorläge, wenn Pflichten im Zusammenhang mit den im eigenen Bereich wahrgenommenen Aufgaben verletzt würden 24 • Gerade der zuletzt genannte Aspekt einer Beschränkung der Haftung auf den eigenen Aufgaben- und Tätigkeitsbereich steht jedoch in eindeutigem Widerspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen des Produkthaftungsgesetzes (siehe namentlich § 4 iVm § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG) und läßt sich daher in dieser Form für das Produkthaftungsgesetz nicht vertreten. Dies wird auch von dem Hauptvertreter der zitierten Auffassung nicht verkannt, der deshalb aber dazu gezwungen ist, mit unterschiedlichen Fehlerbegriffen (gemeint ist wohl: Fehlverhaltensbegriffen) zu operieren, je nachdem, ob allgemeindeliktsrechtliche "Verschuldens"haftung oder aber "Unrechts"haftung nach dem Produkthaftungsgesetz in Rede steht 25 • Die wegen der bereits oben (unter I) erwähnten Zweigleisigkeit 19 Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. l, Rd. 14 und passim; ders. in BB 1986, 1103, 1108 (Hervorhebungen im Original). 20 Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 1, Rd. 19; ders. in BB

1986, 1103, 1108.

21 Schmidt-Salzer, ebenda, der als Beleg für seine Auffassung bezeichnenderweise eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1958 zur deliktsrechtlichen Verkehrspflichthaftung zitiert (Hervorhebungen im Original). 22 Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter IV. 23 So ausdrücklich aber Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0 ., Art. 1, Rd. 17 ff. und passim.; ähnlich Deutsch, VersR 1988, 1197, 1200. 24 So in der Tat Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0 ., Art. 1, Rd. 20; allgemein zur aufgabenbezogenen Haftung oben im 3. Kapitel unter lll 3. 2s Siehe Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 1, Rd. 31 f.

II. Der wesentliche Inhalt des Produkthaftungsgesetzes

131

des Produkthaftungsrechts ohnehin nicht ganz einfache Rechtslage wird dadurch noch zusätzlich verkompliziert, was allein schon Grund genug wäre, die "Lehre von der Unrechtshaftung" zu verwerfen 26. Nun könnte man diese unterschiedliche dogmatische Bewertung des Produkthaftungsgesetzes getrost auf sich beruhen lassen, wenn sie rein terminologischer Natur wäre 27 und keinerlei Auswirkungen auf die Ergebnisse der praktischen Rechtsanwendung hätte. Tatsächlich scheint "die Lehre von der Unrechtshaftung" aufgrund ihres doppelten Fehlverhaltensbegriffes für den Bereich der materiellrechtlichen Haftungssituation jedenfalls in der Regel zu keinen gravierenden Abweichungen gegenüber der Theorie von der Gefährdungshaftung zu führen, was das Ausmaß der tatsächlichen Haftung anbelangt. Immerhin gilt aber selbst dies nicht ohne Einschränkung, denn in Fällen der sog. horizontalen Arbeitsteilung soll auch im Rahmen der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz auf den herkömmlichen Fehlverhaltensbegriff (d.h. insbesondere auf das traditionelle Aufgabenbereichskriterium) abgestellt werden, was zur Folge haben soll, daß der nach außen auftretende Hersteller, der das Produkt in Verkehr gegeben hat, u. U. der Haftpflicht entgeht28 , während umgekehrt das nur horizontal beteiligte Unternehmen in eben diese Haftpflicht einbezogen wird 29 - eine Ansicht, die sich weder bei einer autochthonen Interpretation des Produkthaftungsgesetzes noch unter Berücksifhtigung des französischen und amerikanischen Vorbilds halten läßt3o. Abgesehen von dieser sachlichen Differenz im materiellrechtlichen Bereich, hat die Auseinandersetzung um die Rechtsnatur des Produkthaftungsgesetzes jedoch vor allem auch Bedeutung für das Kollisionsrecht, zumindest solange man die Anknüpfung entsprechend der herrschenden Auffassung vornehmen will. Danach erfährt in Fällen der Gefährdungshaftung die allgemeine Tatortregel des internationalen Deliktsrechts nämlich insofern eine inhaltliche Modifikation, als Handlungsort hier der Ort des schadstiftenden Ereignisses sein soll 31 . Letzterer unterscheidet sich vom "Handlungsort" der allgemeinen Deliktshaftung (Verschuldenshaftung) und stimmt zumeist mit dem Erfolgsort überein 32, so daß nach 26 Ob es dem Verständnis und vor allem der praktischen Rechtsanwendung förderlich ist, wenn Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0 ., Art. 1, Rd. 32, feststellt, "gegenüber dem Fehlerbegriff einer Produkt-Verschuldenshaftung" komme "es also für den Fehlerbegriff der verschuldensunabhängigen Haftung nur noch auf die kanalisierte

Betriebsbezogenheit auf der betreffenden Stufe des Warenherstellungs- und Warenverteilungsprozesses an (Hervorhebung im Original)", möchte ich doch sehr bezweifeln. 27 Wie z. B. Hübner, NJW 1988, 441, 445, Fn. 51, meint. 2s So Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 3, Rd. 51 ff. 29 So Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 3, Rd. 96 ff.

30 Dazu sogleich unten unter IIl I. 31 Siehe z. B. BGHZ 23, 65, 67; Ferid, IPR, a.a.O., Rd. 6-199 (S. 251); Stoll, FS Ferid I, a.a.O., S. 399; Mansel, VersR 1984, 97, 100 f.; Rabe!, a.a.O., S. 334; Kegel, a.a.O., § 18 IV 1 a, S. 455 f. und S. 459; offengelassen allerdings von BGH, IPRax 1982, 158. 9*

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

herrschender Lehre Gefährdungshaftung und allgemeine Deliktshaftung (Verschuldenshaftung) verschieden ("zweispurig") angeknüpft werden 33 . Aus diesem Grunde ist es also auch für die kollisionsrechtliche Anknüpfung von unter Umständen ausschlaggebendem Gewicht, ob man die im Produkthaftungsgesetz angeordnete Haftung als Gefährdungshaftung oder aber als bloße Umechtshaftung ansieht 34. Die Meinungsverschiedenheit über die dogmatische Natur der Haftungsregelung im Produkthaftungsgesetz ist daher nicht ohne Belang und bedarf der Entscheidung. Dabei ist zunächst von der amtlichen Begründung zum Produkthaftungsgesetz auszugehen, welche die dortige Haftung in eine Reihe mit den bereits existierenden Gefährdungshaftungstatbeständen in§ 833 Satz 1 BGB, im Haftpflichtgesetz, im Straßenverkehrsgesetz, im Luftverkehrsgesetz, im Wasserhaushaltsgesetz und im Arzneimittelgesetz stellt und ausdrücklich als "Gefährdungshaftung" bezeichnet35. Insoweit sind im Produkthaftungsgesetz auch die typischen gesetzlichen Begleitumstände einer Gefährdungshaftung verwirklicht, wie Ausklammerung eines Schmerzensgeldanspruchs 36, summenmäßige Begrenzung der Haftung (vgl. § 10 ProdHaftG) und schließlich auch die charakteristische, mit den Vorbildern aus§ 13 Abs. 1 Satz 1 HPflG, § 41 Abs. 1 Satz 1 LuftVG und§ 17 Abs. 1 Satz 1 StVG nahezu wörtlich übereinstimmende Regelung des Innenausgleichs in § 5 Satz 2 Halbsatz 1 ProdHaftG 37. Demgegenüber wird eingewandt 38 , Gefährdungshaftung sei wesensmäßig Haftung für rechtmäßiges Verhalten und genau dies in der EG-Richtlinie (und dem Produkthaftungsgesetz) nicht vorgesehen. Bereits diese Prämisse ist aber nicht zutreffend 39. Das charakteristische Moment der Gefährdungshaftung liegt nämlich in dem Aspekt der Risikoabnahme, nicht in dem Aspekt der Rechtmäßigkeit 40 • Ein bestimmtes Verhalten wird für generell so gefahrträchtig im Hinblick auf die Rechtsgüter anderer gehalten, daß derjenige, der sich dieses Verhaltens befleißigt, den anderen das Risiko der Gefahrrealisierung zumindest insoweit abnehmen soll, als er die aus dem Verhalten etwa entstehenden Schäden zu ersetzen hat 41 . 32 Siehe Mansel, VersR 1984, 97, 101. 33 Siehe vor allem Stoll, FS Ferid I, a.a.O., S. 399 f. 34 Näheres zu diesem Problem und zu den Auswirkungen des Produkthaftungsgesetzes auf das (deutsche) IPR der Produkthaftung unten im 7. Kapitel unterm. 35 Siehe Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 11, S. 12, S. 24 und S. 26. 36 Siehe amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 12. 37 Vgl. amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 21. 38 So namentlich von Schmidt-Salzer, in EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Art. 1, Rd. 8 und in BB 1986, 1103, 1107 f.; ähnlich offenbar Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a. a. 0., S. 11 f. 39 Ebenso aber Kegel, a.a.O., S. 456; dagegen zutr. Stoll, FS Ferid I, a.a.O., S. 406. 40 Siehe dazu ausführlich Esser, a.a.O., S. 94 ff. 41 Insoweit zutreffend Deutsch, VersR 1988, 1197, 1199.

II. Der wesentliche Inhalt des Produkthaftungsgesetzes

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Dahinter steckt der Gedanke der sozial gerechten Verteilung unvermeidbarer Wagnisse im modernen Leben (iustitia distributiva) 42 • Der Gefährdungshaftung ist es aus diesem Grunde aber prinzipiell gleichgültig, ob sich der Haftpflichtige rechtmäßig, also in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Vorschriften bzw. der abstrakt-generellen Verkehrssicherungspflicht, oder aber rechtswidrig, also unter Verletzung dieser geschriebenen oder ungeschriebenen Normen, verhalten hat. Konstitutives Merkmal der Haftung ist weder die Rechtswidrigkeit noch die Rechtmäßigkeit des Verhaltens, sondern allein das gefahrträchtige Verhalten an sich, wobei es Sache des gesetzlichen Tatbestandes ist, dieses gefahrträchtige Verhalten genauer zu umschreiben und auf diese Weise die Reichweite des Schutzes vor Schäden aus Gefahrrealisierungen bzw. vice versa das mit dem Verhalten verbundene Haftungsrisiko im einzelnen festzulegen. Deshalb kann die Haftung durch beliebig viele Tatbestandsmerkmale eingeschränkt oder modifiziert werden, etwa die Haftung für Schäden aus Kraftfahrzeugen auf die bei dem Betrieb eingetretenen beschränkt werden, wie es zum Beispiel in § 7 Abs. 1 StVG geschieht. Nicht haltbar ist daher der Schluß, den die besagte Ansicht 43 aus der Tatsache zieht, daß gemäß § I Abs. I Satz 1 ProdHaftG nur für fehlerhafte Produkte gehaftet wird. Weil sie von der- falschen- Voraussetzung ausgeht, Gefahrdungshaftung sei wesensmäßig Haftung für rechtmäßiges Verhalten 44 , glaubt sie aus diesem Merkmal ableiten zu können, daß es hier nicht um Haftung für rechtmäßiges, sondern für rechtswidriges Verhalten gehe, folglich keine Gefahrdungshaftung, sondern im Prinzip ganz normale Deliktshaftung vorliege. In Wahrheit handelt es sich bei dem Fehlerhaftigkeitskriterium in § I Abs. I Satz I ProdHaftG jedoch um nichts anderes, als ein die Gefährdungshaftung in sinnvoller Weise eingrenzendes Merkmal, ähnlich dem Merkmal "bei dem Betrieb" in § 7 Abs. 1 StVG. An der Grundtatsache, daß hier ein bestimmtes Risiko, nämlich das Unfallrisiko aus fehlerhaften Produkten 45 , geregelt worden ist, ändert sich dadurch nichts. Vom Charakter her beinhaltet die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz demnach eine besondere Art der Gefahrdungshaftung, eine Haftung, die an die objektive Fehlerhaftigkeit des schadstiftenden Produkts anknüpft. Dies wird durch einen rechtsvergleichenden Blick auf die maßgeblichen Vorbilder des Produkthaftungsgesetzes in Frankreich und in USA bestätigt, wo Aufhänger der Haftung ebenfalls nicht ein irgendwie geartetes (Fehl-)Verhalten des Haftpflichtigen ist, sondern die objektive Fehler- bzw. MangelhafJ:igkeit des verkauften bzw. in 42 Siehe Esser, a.a.O., S. 69 ff.; ders. in JZ 1953, 129; zur iustitia distributivaoben im 2. Kapitel unter I. 43 So vor allem Schmidt-Sa1zer, in EG-Richtlinie Produkthaftung, a.a.O., Art. 1, Rd. 14ff.; ähnlich aber auch Deutsch, VersR 1988, 1197, 1200. 44 Statt, wie es richtig ist, schlicht Haftung für riskantes Verhalten. 45 So auch ausdrücklich z. B. v. Caemmerer, a.a.O., S. 81; ebenso Rolland, a. a.O., § 1, Rd. 7f.; allg. Esser, a.a.O., S. 94 ff.

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

Verkehr gegebenen Produkts 46• Auf einem vollkommen anderen Blatt steht dabei, daß zur Bestimmung der objektiven Fehlerhaftigkeit teilweise auch auf subjektive Momente abgestellt wird und nach dem Wortlaut des Produkthaftungsgesetzes (siehe namentlich § 3 Abs. 1 lit. b ProdHaftG) auch abgestellt werden muß 47 • Insoweit dreht es sich nämlich lediglich um die Interpretation des Fehlerkriteriums. Die Maßgeblichkeit des Haftungsansatzes in dogmatischer Hinsicht wird dadurch nicht berührt.

2. Der sachliche Haftungsumfang: Unterschiede zu und Verschärfungen gegenüber der deliktischen Produzentenhaftung Wie bereits oben (unter 1.) gezeigt, liegt dem Produkthaftungsgesetz gegenüber der allgemeindeliktsrechtlichen Produzentenhaftung ein anderes dogmatisches Haftungskonzept zugrunde. Ob damit auch nennenswerte Unterschiede im sachlichen Haftungsvolumen verbunden sind, wird allerdings vielfach bezweifelt 48 • Tatsächlich hat der BGH, was die praktischen Konsequenzen anbelangt, die im Siehe dazu ausführlich oben im 5. Kapitel. Ausführlich dazu Lorenz, ZHR 1987, 1, 21 ff. unter eingehender Berücksichtigung der Rechtslage in USA. 48 Siehe z. B. Sack, VersR 1988,439, 447; Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a. a. 0 ., S. 18 f.; Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 37, meint deshalb, der Regelung hätte es wohl kaum bedurft; dürftig auch bezeichnenderweise die Argumente, welche die arntl. Begründung- neben der Notwendigkeit, die EG-Richtlinie in nationales Recht zu transformieren - für das Produkthaftungsgesetz anführt, siehe Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 8: 1. Die bisherige Regelung stelle sich als schwer überschaubare Einzelfallrechtsprechung dar. Daran wird sich aber mit Sicherheit auch unter der Geltung des Produkthaftungsgesetzes nichts ändern, das - gezwungenermaßen - ebenfalls mit Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen arbeitet. Im übrigen handelt es sich hier wohl um ein Argument aus der Mottenkiste des Gesetzespositivismus. 2. Das angestrebte Ergebnis einer möglichst an objektiven Kriterien orientierten Haftung lasse sich mit den Mitteln des Deliktsrechts nur durch außerordentlich hohe abstrakte Sorgfaltsanforderungen erreichen - ein rein dogmatisch-systematischer Einwand, ohne irgendwelche praktischen Auswirkungen. 3. Der Vorwurf, gegen solche Sorgfaltsanforderungen verstoßen zu haben, sei der Vorwurf des "Unrechts", was den Beziehungen zwischen Herstellern und Abnehmern unter Berücksichtigung der modernen Produktionsmethoden nicht gerecht werde eine gewiß maßlose Überschätzung der psychologischen Auswirkungen von rechtsdogmatischen Konstruktionen auf das rechtsuchende Publikum. 4. Die praktizierten Beweiserleichterungen in ihrer unterschiedlichen Art ließen im Einzelfall eine verläßliche Aussage über das Haftungsrisiko kaum zu - angesichts der klarstellenden Apfelschorf I-Entscheidung des BGH, vgl. BGHZ 80, 186, 196 ff., eine zumindest bislang nicht zutreffende Ansicht. Erst die Limonadenflaschen-Entscheidung, BGH, NJW 1988,2611 , 2613 f., hat mitder Erfindung einer "Befundsicherungspflicht" des Herstellers die amtl. Begründung sozusagen im nachhinein bestätigt, siehe dazu Winkelmann, MDR 1989, 16, 18 f. Absolut verläßliche Voraussagen über ein bestimmtes Haftungsrisiko lassen sich auf der anderen Seite wohl niemals auch nicht unter der Geltung des Produkthaftungsgesetzes - treffen. 46 47

II. Der wesentliche Inhalt des Produkthaftungsgesetzes

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Produkthaftungsgesetz verwirklichte Produktgefährdungshaftung weitgehend bereits zuvor über eine problemspezifische Weiterentwicklung des Verkehrspflichthaftungs- und des Beweisrechts auf konstruktivem Wege erreicht, indem er einerseits die Pflichtanforderungen im Organisationsbereich so hoch angesetzt hat, daß sie im Grunde genommen nur noch theoretisch einzuhalten und mehr als ein aus juristisch-dogmatischen Gründen für die Auferlegung der haftungsrechtlichen Verantwortung benötigtes Rudiment anzusehen sind 49 , andererseits die Beweislast hinsichtlich der (fehlenden) Pflichtverletzung jedenfalls für die beiden wichtigsten Fehlerkategorien dem industriellen Hersteller aufgebürdet hat 5°. Zumindest für den industriellen Hersteller besteht damit in der Praxis kaum noch eine Diskrepanz zur Gefährdungshaftung 5 1, denn der Entlastungsbeweis ist so gut wie nie zu führen 52. Dennoch hat das Produkthaftungsgesetz im Rahmen seines Anwendungsbereichs nicht unerhebliche Auswirkungen auf den Umfang der Haftung für fehlerhafte schadstiftende Produkte. Diese Auswirkungen betreffen allerdings nicht so sehr den sachlichen, als vielmehr den persönlichen Haftungsumfang 53 • In sachlicher Hinsicht beschränken sich die Haftungsverschärfungen gegenüber dem bisherigen Rechtszustand in der Tat auf wenige Marginalien 54• Weitaus bedeutsamer erscheinen insofern die zahlreichen teils ausdrücklichen, teils immanenten Haftungseinschränkungen der Kodifikation 55, die im Ergebnis den sachlichen Haftungsumfang für Produktschäden reduzieren würden, wenn nicht gemäß § 15 Abs. 2 ProdHaftG das herkömmliche Recht (insoweit ausschließlich) anwendbar bliebe. Entscheidende Voraussetzung für die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG die Fehlerhaftigkeit des schadstiftenden Produkts. Insoweit bringt die Fehlerdefinition in § 3 ProdHaftG keine wesentlichen Abweichungen zur bisherigen Judikatur. Hier wie dort wird auf die Sicherheit des Produkts abgestellt, wobei die objektive Verkehrserwartung (sprich: Verbrauchererwartung) den ausschlaggebenden Beurteilungsmaßstab bildet 56• Der Fehlerbegriff des Produkthaftungsgesetzes fügt sich demnach nahtlos in die bestehende Rechtsprechung ein und ist im Ergebnis weitgehend mit ihr idenAusführlich dazu oben im 3. Kapitel unter III 3 c, der Text bei Fn. 95 ff. Dazu oben im 3. Kapitel unter V. 51 Ebenso Will, a.a.O., S. 58. 52 Zweigert I Kötz, a. a. 0., S. 432, nennen den Entlastungsbeweis deshalb eine "probatio diabolica". 53 Dazu sogleich unten unter III l. 54 Dieser Umstand wird namentlich von der Industrie mit erkennbarer Erleichterung notiert, siehe z. B. VDI-Nachrichten vom 22.4.1988, Jahrgang 42/Nr. 16, S. 3 ff. und FAZ vom 13.3.1989, Nr. 61, S. 13: "Haftungsrisiken sollen kalkulierbar sein". 55 Dazu sogleich unten unter 3. 56 Siehe z. B. BGH, VersR 1972, 559, 560 "Haspel-Vorgelegewelle" -; BGH, NJW 1987, 372 f. - "Spraydose" - . 49

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

tisch 57, ungeachtet der Tatsache, daß es um die Konkretisierung dogmatisch verschiedener Haftungsansätze geht 58• Hervorgehoben wird durch den Wortlaut von § 3 Abs. 1 lit. a ProdHaftG allerdings die Bedeutung von Werbefehlem 59, die bislang im Bewußtsein der Rechtsanwendung eine nur sehr untergeordnete Rolle gespielt haben 60• Über eine bewußtseinsmäßige Veränderung könnte sich hier in Zukunft eine praktische Haftungsverschärfung ergeben 61 • Im Hinblick auf den sachlichen Haftungsumfang zieht das Produkthaftungsgesetz ansonsten nur in einigen Details effektive Haftungserweiterungen nach sich. In erster Linie ist hier der sog. Ausreißereinwand zu nennen 62, der unter dem Regime des Produkthaftungsgesetzes entfällt 63 • Dagegen bleibt nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG auch im Rahmen des Produkthaftungsgesetzes die Ersatzpflicht für Schäden aus sog. Entwicklungsfehlern ausgeschlossen 64• Eine tendenzielle Erweiterung des sachlichen Haftungsumfangs ergibt sich außerdem aus der Produktdefinition in § 2 Satz 1 ProdHaftG, denn danach umfaßt die Haftung auch solche Produkte, die nicht im Wege industrieller Fertigung erzeugt wurden 65 eine Einschränkung, von welcher der BGH in seiner Produzentenhaftungsrechtsprechung bislang noch nicht abgerückt ist 66 • Die in praktischer Hinsicht wichtigste Veränderung gegenüber dem Verkehrspflicht-Produzentenhaftungsrecht dürfte jedoch darin liegen, daß der Geschädigte nach dem Produkthaftungsgesetz künftig des Fehler-Bereichsnachweises enthoben ist 67 • Daß der Produktfehler schon im Zeitpunkt der Inverkehrgabe des Produkts durch den Hersteller vorhanden war, muß nach der Beweisregel des § 1 Abs. 2 Nr. 2 iVm Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG im Gegensatz zur grundsätzlichen 57 So auch die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 18; ebenso Schmidt-Salzer, BB 1988, 349, 350; Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 3600, S. 11; Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a. a.O., S. 20. 58 Vgl. Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1035. 59 Vgl. die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 1112447, S. 18. 60 Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter III 3 a. 61 Siehe indes bereits BGH, VersR 1963, 860 f.- ,,Auftautransformator" - . 62 Dazu oben im 3. Kapitel unter III 4 a. 63 Vgl. amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 1112447, S. 11; Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1035; Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103, 1105; Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a.a.O., S. 18 f. 64 Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter III 4 a. 65 Vgl. amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 1112447, S. 17; Brüggemeier I Reich, WM 1986, 149, 150; Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 35. 66 Siehe oben im 3. Kapitel unter V am Ende. 67 In der Limonadenflaschen-Entscheidung, BGH, NJW 1988, 2611, 2613 f., bewegt sich der BGH im deliktischen Produzentenhaftungsrecht neuerdings in gleicher Richtung, bezeichnet die dort aufgestellten Beweiserleichterungen jedoch explizit als Ausnahme. Ob der BGH diesen Ansatz weiterverfolgen und damit den hinsichtlich des FehlerBereichsnachweises im Moment noch bestehenden Unterschied zwischen allgemeindeliktsrechtlicher und spezialgesetzlicher Produkthaftung einebnen wird, kann erst die Zukunft zeigen.

II. Der wesentliche Inhalt des Produkthaftungsgesetzes

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Beweislastverteilung im bisherigen Produzentenhaftungsrecht 68 nicht der Geschädigte beweisen, sondern im Wege des Entlastungsbeweises der Hersteller widerlegen. Zwar ist dieser Entlastungsbeweis bereits dann geführt, wenn "nach den Umständen davon auszugehen ist", daß das Produkt den Fehler im Zeitpunkt der Ioverkehrgabe noch nicht aufwies. Die Beweissituation des Geschädigten wird dadurch aber dennoch zu Lasten des Herstellers entscheidend verbessert 69 , was sich nicht zuletzt im Zusammenhang mit in zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung hergestellten (fehlerhaften) Produkten offenbart 70. 3. Grenzen und Einschränkungen der Haftung

Im Gegensatz zu den nur geringfügigen sachlichen Haftungserweiterungen, fallen die diversen Haftungslücken und Haftungsbegrenzungen der Regelung umso deutlicher ins Auge. Ausdrücklich ausgenommen von der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz sind demnach Sachschäden im gewerblichen Bereich (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG)1 1, Schäden aus landwirtschaftlichen Naturprodukten (§ 2 Satz 2 ProdHaftG) und ferner Beschädigungen der fehlerhaften Sache selbst (§ 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG) - letzteres erkennbar als Ausschluß sog. Weiterfresserschäden gemeint 72 , wie sie der BGH in ständiger Rechtsprechung über das deliktische Produzentenhaftungsrecht zuerkennt13 • Allein vom Wortlaut des§ 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG her, ließe sich die "Weiterfresserrechtsprechung" des BGH indes durchaus auch im Rahmen des Produkthaftungsgesetzes vertreten74. Der gesamte Produktbeobachtungsbereich wird vom Produkthaftungsgesetz nicht erfaßt, weil sich die Fehlerdefinition in§ 3 Abs. 1 lit. c ProdHaftG ausdrücklich auf den Zeitpunkt der Ioverkehrgabe beschränkt 75. Gerade im Zusammenhang mit der Ausklammerung der Entwicklungsgefahren in§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG 68 69

Siehe oben im 3. Kapitel unter V. Ebenso Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 34; anders dagegen Schlechtriem, VersR

1986, 1033, 1038.

Dazu sogleich unten unter III I b. Nach einem Vortrag von Hans J. Kullmann, Mitglied im 6. Zivilsenat des BGH, machen diese Schäden etwa 90 % (!) der Praxis aus, vgl. den Vortragsbericht in PHI 10

71

1988, 90, 91. n Vgl. nur die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 1112447, S. 13. 73 Vgl. nur BGHZ 67, 359, 364 ff.- "Schwimmschalter" -; BGHZ 86, 256, 258 ff.

- "Gaszug" - . 74 Ebenso Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 36; skeptisch insoweit wohl auch der Rechtsausschuß des Bundestages, vgl. Bundestagsdrucksache 11 I 5520, S. 13. 75 Vgl. Lorenz, ZHR 1987, 1, 15, 24, 37; Taschner, a.a.O., Art. 1, Rd. 10; Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a.a.O., S. 22 f.; Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 35; Brüggemeier I Reich, WM 1986, 149, 155; Sack, VersR 1988, 439, 447; amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 1112447, S. 18; a.A. offenbar Schmidt-Salzer, BB 1988, 349, 355 und Schmidt-Räntsch, ZRP 1987, 437, 440.

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

bleiben hier also ausschließlich die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze maßgebend 76 • Schäden aus der Verletzung von Produktbeobachtungspflichten können folglich nach wie vor nur über das allgemeine Deliktsrecht ersetzt verlangt werden. Darüber hinaus sollen nach mancher Ansicht Instruktionsfehler zumindest in einigen Fällen nicht in den Anwendungsbereich des Produkthaftungsgesetzes fallen 77 • Dies würde allerdings eine zu enge Auslegung der Fehlerdefinition in § 3 Abs. 1 ProdHaftG bedeuten, die sich m. E. nicht halten läßt. Maßgebliche Bestimmungsgröße für die Fehlerhaftigkeit eines Produkts ist danach u. a. dessen "Darbietung". Natürlich hat dieser Ausdruck ,,nur die Bedeutung, den für das Produkt zu erwartenden Sicherheitsstandard zu konkretisieren" 78 • Dieser Sicherheitsstandard wird aber auch durch die vorhandenen bzw. nicht vorhandenen, ausreichenden bzw. nicht ausreichenden Warnhinweise, Betriebsanleitungen, Gebrauchsinformationen usw. bestimmt. Es geht deshalb nicht darum 79, ob aus§ 3 Abs. 1 ProdHaftG die Verpflichtung zu einer bestimmten Darbietung herausgelesen werden kann, sondern allein um die Beurteilung des Zustands eines Produkts als fehlerhaft oder nicht fehlerhaft, nachdem dieses Produkt einen Schaden verursacht hat. Neben verschiedenen anderen Umständen kommt es für diese nachträgliche Zustandsbeurteilung aber auch auf die dem Produkt beigegebenen "Instruktionen" an 80• Mehrere Bestimmungen schränken den Umfang der Haftung der Höhe nach ein. Als Deckungslücke stellt sich dabei der Selbstbehalt aus § 11 ProdHaftG dar, wonach im Falle der Sachbeschädigung der Geschädigte einen Schaden bis zu einer Höhe von 1125,- DM selbst zu tragen hat. Gemäߧ 10 ProdHaftG wird die Haftung auf einen Höchstbetrag von 160 Millionen DM begrenzt (Abs. 1), und zwar nach Abs. 2 auch im Falle von Massenschäden. Der Ersatz immaterieller Schäden, namentlich also Schmerzensgeld, kann nach dem Produkthaftungsgesetz ebenfalls nicht begehrt werden 81 • Nachteilig können sich für den Geschädigten schließlich auch die gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht unvorteilhafteren Verjährungsvorschriften auswirken. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem § 13 Abs. 1 Satz 1 Siehe zuletzt BGH, NJW 1987, 1009, 1010 ff.- ,,Lenkerverkleidung" -. So Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1036; zweifelnd auch Hübner, NJW 1988, 441, 445. 78 So Schlechtriem, ebenda (Fn. 77). 79 Wie Schlechtriem, ebenda (Fn. 77), meint. 80 Im Schrifttum wird dementsprechend größtenteils ohne weiteres davon ausgegangen, daß die "Instruktionsfehler" dem Produkthaftungsgesetz unterfallen, vgl. z. B. Diederichsen, in: Probleme der Produzentenhaftung, a.a.O., S. 21; Lorenz, ZHR 1987, 1, 21; Schmidt-Räntsch, ZRP 1987, 437, 439; Taschner, a.a.O., Art. 6, Rd. 10; ders. in NJW 1986,611, 616; Rolland, a.a.O., § 3, Rd. 11; Buchner, Der Betrieb 1988,32, 34; ebenso ausdrücklich die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 18. 81 Amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 23. 76

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III. Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation

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ProdHaftG, wonach der Haftungsanspruch aus dem Produkthaftungsgesetz zehn Jahre nach Ioverkehrgabe des schadstiftenden Produkts erlischt. Aber auch die Verjährungsregelung nach Schadenseintritt bedeutet für den Geschädigten eine Verschlechterung seiner Position gegenüber BGB-Deliktsrecht. Im Gegensatz zu § 852 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährung nach§ 12 Abs. 1 ProdHaftG nämlich bereits von dem Zeitpunkt an zu laufen, in welchem der Ersatzberechtigte die Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hätte erlangen müssen. Soweit die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz aus einem der genannten Gründe ausscheidet oder nur eingeschränkt besteht, ist der Geschädigte auf das bisherige Recht angewiesen, das gemäߧ 15 Abs. 2 ProdHaftG neben dem Produkthaftungsgesetz in vollem Umfang weiterhin gilt. 111. Der persönliche Haftungsumfang: Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation nach dem Produkthaftungsgesetz 1. Die Haftungsadressaten im Außenverhältnis

a) Die Haftung der an Herstellung und Vertrieb unmittelbar beteiligten Unternehmen (für einen Produktfehler) Von den spürbaren rechtlichen Auswirkungen her liegt die Hauptbedeutung des Produkthaftungsgesetzes zweifellos in der Erweiterung des persönlichen Haftungsumfanges der an Herstellung und Vertrieb des schadstiftenden Produkts unmittelbar beteiligten Unternehmen. Im Vergleich dazu sind die nur geringfügigen sachlichen Haftungsverschärfungen 82 zweitrangig. Im Rahmen seines Anwendungsbereichs 83 führt das Produkthaftungsgesetz das Prinzip der absatzbezogenen Haftung 84 in z. T. eingeschränkter bzw. modifizierter Form ein und vergrößert damit die Zahl der für einen Produktschaden potentiell Haftpflichtigen gegenüber dem bisherigen Verkehrspflicht-Produzentenhaftungsrecht. Daß das Produkthaftungsgesetz im Grundsatz dem Prinzip der absatzbezogenen Haftung folgt, wird aus dem Wortlaut der zentralen Anspruchsgrundlage in § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG allerdings nicht unmittelbar ersichtlich. Im Gegensatz zu Frankreich, wo sich der Gedanke der Absatzbezogenheit der (Produkt-)Haftung schon aus der Einkleidung in das vertragliche Kaufrecht ergibt, und USA, wo in der Leitlinienfunktion ausübenden Grundnorm von § 402 A Restatement of Torts 2d ausdrücklich von dem "seller" als dem maßgeblichen Adressaten der s2 Siehe dazu oben unter II 2.

Zu den Haftungsausschlüssen und Haftungseinschränkungen des Produkthaftungsgesetzes oben unter II 3. 84 Grundlegend dazu oben im 2. Kapitel unter III; siehe als Beispiele für die absatzbezogene Haftung auch die Rechtslagen in Frankreich und in USA, oben im 5. Kapitel unter I 2 und li 2. 83

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

strikten Produkthaftung die Rede ist, bürdet § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG nur dem "Hersteller" die Haftung für den Schaden aus einem fehlerhaften Produkt auf. Erst dann, wenn § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG im Zusammenhang mit § 1 Abs. 2 Nr. 1, § 1 Abs. 2 Nr. 2 und § 4 ProdHaftG gelesen wird, tritt das dem Produkthaftungsgesetz insoweit zugrunde liegende Haftungskonzept zutage. Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG definiert als Hersteller zunächst jeden, der das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt hergestellt hat. Aus dieser Aufzählung wird deutlich, daß nicht jeder, der in irgendeiner Weise im Herstellungsbereich tätig geworden ist, als Hersteller und damit Haftungsunterworfener angesehen wird, sondern nur derjenige, der als Hersteller des fraglichen End-, Grund- oder Teilprodukts nach außen hin in Erscheinung getreten ist, mit anderen Worten: nur derjenige haftet, der sich im übertragenen Sinne mit seinem Namen für das jeweilige Produkt verbürgt. Jede nur horizontale Beteiligung an der Produktherstellung 85 reicht demnach nicht aus, um der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz zu unterliegen. Von der Haftung ausgenommen sind aus diesem Grunde selbständige Konstrukteure, Auftragsfertiger und alle übrigen Unternehmen, die sich ausschließlich im Wege der horizontalen Arbeitsteilung an der Produktherstellung beteiligt haben 86• Deutlich wird dies auch aus§ 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG. Danach ist die Ersatzpflicht des Herstellers ausgeschlossen, wenn er das Produkt nicht in den Verkehr gebracht hat. Bei den nur horizontal beteiligten Unternehmen trifft dieser Haftungsausschluß aber regelmäßig zu, denn die Art ihrer Beteiligung am Herstellungsprozeß wird gerade dadurch charakterisiert, daß sie nicht als Veräußerer (im weitesten Sinne) und damit Ioverkehrgeber des fraglichen Produkts auftreten, sondern innerhalb der einzelnen Produktionsstufen dem jeweiligen (Haupt-)Hersteller lediglich zuarbeiten 87• Adressat der von dem Produkthaftungsgesetz angeordneten Produktgefährdungshaftung sind dagegen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 iVm § 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG eben jene (Haupt-)Hersteller, die das jeweilige Grund-, Teil- oder Endprodukt auf ihrer Produktionsstufe zu einem vorläufigen Abschluß gebracht und in Verkehr gegeben haben, indem sie es entweder als Rohmaterial oder Zulieferteil Zu diesem Begriff ausführlich oben im 2. Kapitel unter li 2. A. A. Schmidt-Salzer, EG-Richtlinie Produkthaftung, a. a. 0., Art. 3, Rd. 96 ff. (insbes. Rd. 104), unter Berufung auf Sinn und Zweck des dem§ 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG entsprechenden Art. 3 Abs. 1 der EG-Richtlinie; diese Ansicht Schmidt-Salzers ist aber in erster Linie auf seine - verfehlte - dogmatische Bewertung des Produkthaftungsgesetzes zurückzuführen, vgl. dazu oben unter II 1 (dort auch eingehende Auseinandersetzung mit der Ansicht Schmidt-Salzers), und mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu vereinbaren, wie Schmidt-Salzer, ebenda (Rd. 96) im Grunde selbst zugesteht; unhaltbar deshalb auch sein Versuch (ebenda, Rd. 105 ff.), die Haftung der nur horizontal beteiligten Unternehmen nach dem - im Rahmen des Produkthaftungsgesetzes abwegigen Aufgabenbereichskriterium zu beurteilen; wie hier auch Schlechtriem, VersR 1986, I 033, 1039 und Rolland, a.a.O., § 4, Rd. 19. 87 Siehe dazu auch oben im 4. Kapitel unter I 2 b. 85

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III. Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation

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an den Hersteller der nächsthöheren Produktionsstufe abgegeben haben (lnverkehrgabe eines Zulieferteils) oder aber als Endprodukt aus dem Herstellungsbereich heraus in den Handel (lnverkehrgabe eines Endprodukts). Die produkthaftungsrechtliche Verantwortung wird damit innerhalb der einzelnen Produktionsstufen auf jeweils einen Hauptverantwortlichen versammelt, nämlich denjenigen, der als Ioverkehrgeber des Produkts aufgetreten bzw. als solcher anzusehen ist. Dieser Hauptverantwortliche muß für die von ihm horizontal eingeschalteten Unternehmen und ihre Fehler unbedingt einstehen. Auf diese Weise bewirkt das Produkthaftungsgesetz eine Konzentration der Haftung auf je ein Unternehmen pro Produktionsstufe. Die Haftung erstreckt sich nicht auf alle am Herstellungsvorgang Beteiligten, sondern nur auf die im Wege vertikaler Arbeitsteilung kooperierenden Unternehmen 88. Wie aus § 1 Abs. 1 Satz 1 iVm Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG hervorgeht, ist das entscheidende Haftungskriterium dabei die Fehlerhaftigkeit des Produkts im Zeitpunkt der Inverkehrgabe. Jedesam Herstellungsprozeß vertikal beteiligte Unternehmen (also der Verantwortliche für die jeweilige Produktionsstufe) trägt demgemäß die haftungsrechtliche Verantwortung dafür, daß das Produkt in dem Zustand und zu dem Zeitpunkt, in dem es die eigene Produktionsstufe verläßt 89, nicht mit irgendeinem Fehler behaftet ist, und zwar gleichgültig, ob die Ursache für die Fehlerhaftigkeit aus der eigenen oder einer der vorgelagerten Produktionsstufen stammt. Auf die Frage, woran die Fehlerhaftigkeit des (Gesamt-) Produkts liegt bzw. wer die Fehlerhaftigkeit des (Gesamt-)Produkts verursacht hat, kommt es nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG nämlich nicht an, und gerade darin äußert sich ein charakteristisches Moment der Gefahrdungshaftung. Wenn nun aber ein Grund-, Teil- oder Zwischenprodukt fehlerhaft ist, so beschränkt sich diese Fehlerhaftigkeit regelmäßig nicht auf das jeweilige Grund-, Teil- oder Zwischenprodukt, sondern setzt sich in allen nachfolgenden Produkt-Zwischenstufen, in denen das fehlerhafte Teil enthalten ist, bis zum Endprodukt fort 90 • Als Folge daraus muß jedes Glied der vertikalen Herstellerkette auch für solche Produktfehler geradestehen, die von denjeweils vorgeschalteten Unternehmen herbeigeführt worden sind, für die Mangelhaftigkeit des Rohmaterials also beispielsweise neben dem Rohstofflieferanten alle Hauptverantwortlichen (lnverkehrgeber) der nachfolgenden Produktionsstufen, wie Zulieferunternehmen 1, Zulieferunternehmen 2, Zulieferunternehmen 3 usw. bis einschließlich dem Endhersteller. Für den Herstellungsbereich ist damit im Produkthaftungsgesetz das Prinzip der absatzorientierten Haftung nahezu lückenlos verwirklicht. Lediglich für einen 88 A. A. Schmidt-Salzer, siehe Fn. 86; zu dem Begriff der vertikalen Arbeitsteilung oben im 2. Kapitel unter II 2; Einzelheiten zu den Haftungsverhältnissen bei vertikaler Arbeitsteilung nach der Verkehrspflicht-Produzentenhaftung oben im 4. Kapitel unter I 2 a. 89 Sog. Werktorprinzip, siehe nur Hollmann, Der Betrieb 1985, 2389, 2396; amtl. Begr., Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 14. 90 Vgl. amtl. Begr., Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 16.

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

bestimmten Fall der Kombination von vertikaler mit horizontaler Arbeitsteilung 91 findet sich in§ 1 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. ProdHaftG 92 insoweit eine Einschränkung. Danach ist die Ersatzpflicht des Herstellers eines Teilprodukts ausgeschlossen, wenn der Fehler (des Teilprodukts) durch die Anleitungen des (in der Herstellungskette nachfolgenden) Herstellers des Produkts verursacht worden ist. Geregelt ist hier also der in der Praxis gar nicht so seltene Fall, daß der Zulieferer nach den Spezifikationen seines Abnehmers fertigt, die Konstruktion des Teilprodukts also mehr oder weniger vollständig von dem nachgeordneten Hersteller herrührt 93 • Auf diese besondere (nämlich mit vertikaler Arbeitsteilung kombinierte) Form von horizontaler Arbeitsteilung soll sich der Teileproduzent (Zulieferer) ausnahmsweise berufen können, wenn und soweit der vorhandene Konstruktionsfehler des Teilprodukts allein auf die konstruktiven oder sonstigen Vorgaben des nachgeschalteten Herstellers zurückzuführen ist 94 • Daran fehlt es aber bereits dann, wenn die Anweisungen für den Zulieferer erkennbar unrichtig waren, wofür die (dem Zulieferer bekannte) weitere Verwendung des Zulieferteils häufig einen Anhaltspunkt liefern wird 95 • Für § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. ProdHaftG bleibt unter diesen Bedingungen nur ein relativ schmaler Anwendungsbereich. Außerdem wird die praktische Bedeutung der in § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. ProdHaftG getroffenen Regelung noch zusätzlich durch die Beweislastvorschrift des § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG vermindert, wonach es Sache des Zulieferers ist, die Ursächlichkeit der Herstelleranleitungen für die Fehlerhaftigkeit der von ihm produzierten Ware zu beweisen. Im Fall der Kombination von vertikaler mit horizontaler Arbeitsteilung wird die horizontale gegenüber der vertikalen Arbeitsteilung demnach nicht für derart überwiegend gehalten, daß nun etwa das gesamte Haftungsrisiko (aus dem Produkthaftungsgesetz) bei dem Urheber der Anleitung, also dem nachgeschalteten Hersteller, konzentriert würde- so wie es sich bei den rein horizontal beteiligten Unternehmen im Hinblick auf den hauptverantwortlichen Ioverkehrgeber verhält. Das Produkthaftungsgesetz beschreitet insoweit vielmehr einen Mittelweg, ibdem Zu diesen Kombinationsformen siehe oben im 4. Kapitel unter I 2 a. Die l. Alt. von § 1 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG hat nur klarstellende Funktion, indem sie festlegt, daß den Teilelieferanten nur die Verantwortung für sein Produkt trifft, nicht aber für das Produkt, in welches das von ihm gelieferte Teil eingearbeitet wird, ebenso amtl. Begr., Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 16; vgl. auch Buchner, Der Betrieb 1988, 32, 35 und Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1040. 93 Als Beispiel sei hier nur das Verhältnis zwischen General Motors und HayesAlbion in dem oben, im 5. Kapitel unter II 2 (bei Fn. 114), berichteten Fall Taylor v. General Motors genannt. 94 Vgl. amtl. Begr., Bundestagsdrucksache 11 /2447, S. 16. 95 Dieser Gedanke liegt auch den Entscheidungen S. A. Empresa de Viacao Aerea Rio Grandense (Varig Airlines) v. Walter Kidde & Co., Inc., 690 F. 2d 1235, 1238 ff. (9th Cir. 1982) und Munger v. Heider Manufacturing Corp., 456 N. Y. S. 2d 271, 273 (App. Div. 1982), zugrunde. Die Bedenken von Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1040 f., erscheinen insoweit unbegründet. 91

92

III. Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation

143

es den Zulieferanten in besagter Fallkonstellation nur unter ganz bestimmten Umständen von der Haftung ausnimmt und ihm gleichzeitig die Beweislast für das Vorliegen dieser Umstände aufbürdet. Solange dem Zulieferer nicht der Nachweis gelingt, daß der Konstruktionsfehler tatsächlich allein auf den nachgeordneten Hersteller zurückgeht, ändert sich an seiner Haftung demzufolge nichts. Für den Vertriebsbereich wird im Produkthaftungsgesetz das Prinzip der absatzbezogenen Haftung größtenteils nur in stark abgewandelter Form aufrechterhalten. Lediglich der Quasi-Hersteller (nach § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG) und der Importeur von Waren aus nicht der EG angehörigen Ländern (nach§ 4 Abs. 2 ProdHaftG) unterfallen ohne Einschränkung der objektiven, an die Inverkehrgabe des fehlerhaften Produkts anknüpfenden Produktgefahrdungshaftung. Gesetzestechnisch geschieht dies durch eine Fiktion. Beide "gelten" nach den genannten Vorschriften als "Hersteller" und damit als potentielle Haftungsadressaten der Anspruchsgrundnorm des § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG. Dabei bleibt allerdings zu beachten, daß nur demjenigen die Eigenschaft als "Quasi-Hersteller" zukommt, der sich als Hersteller des Produkts "ausgibt" - ein etwas verwirrender Begriff, der jedoch mit Hilfe der Verkehrsauffassung zu konkretisieren ist und deshalb nicht bedeutet, daß der Kennzeichnungsträger unbedingt den Eindruck erwecken müßte, er habe das Produkt selbst hergestellt. Es genügt vielmehr vollkommen, daß er aufgrund seines Auftretens nach außen hin als der Hauptverantwortliche für die Existenz des Produkts erscheint. Ein an dem Produkt angebrachter gegenteiliger Hinweis, etwa auf das Herstellungsland ("made in Taiwan"), kann ihn dann keinesfalls entlasten 96 • Bei den sonstigen Inverkehrgebern aus dem Vertriebsbereich, namentlich also bei allen "gewöhnlichen" Händlern, wird die Haftung nach der eigentümlichen Vorschrift des§ 4 Abs. 3 ProdHaftG dagegen zusätzlich von der nicht rechtzeitigen Erfüllung einer Informationspflicht abhängig gemacht 97 • Der Händler, der das fehlerhafte Produkt in Verkehr gebracht hat, haftet nur dann, wenn er dem Geschädigten nicht innerhalb eines Monats nach dem Zugang einer entsprechenden Aufforderung den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat(§ 4 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG). Dasselbe gilt nach § 4 Abs. 3 Satz 2 ProdHaftG für den Händler einer Importware aus Staaten außerhalb der EG im Hinblick auf den Importeur dieser Ware, selbst wenn der Name des Herstellers bekannt ist. Von den am Herstellungs- und Vertriebsprozeß des schadstiftenden Produkts beteiligten Unternehmen müssen demnach im Rahmen des Produkthaftungsgesetzes all diejenigen im Außenverhältnis dem Geschädigten für seinen Schaden 96 Ebenso Taschner, a.a.O., Art. 3, Rd. 15 und Rolland, a.a.O., § 4, Rd. 25; a.A. allerdings Kullmann, in Kulimann I Pfister, a. a. 0 ., Kz. 3600, S. 13. 97 Zur dogmatischen Natur dieser Informationspflicht Schlechtriem, VersR 1986,

1033, 1040.

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

aufkommen, die das Produkt in fehlerhaftem Zustand in Verkehr gegeben haben, ausgenommenjedenfalls grundsätzlich alle "normalen" Händler. Der Kreis potentiell Produkthaftpflichtiger ist damit gegenüber dem Verkehrspflicht-Produzentenhaftungsrecht erweitert. Besonders einschneidend trifft die Ausdehnung des persönlichen Haftungsumfangs die Quasi-Hersteller und die Importeure von Waren außerhalb der EG, auf die nach der Rechtsprechung des BGH die spezifisch produzentenhaftungsrechtlichen Verkehrspflicht- und Beweislastregeln grundsätzlich keine Anwendung finden 98 • Für diese beiden Unternehmensgruppen bringt das Produkthaftungsgesetz eine deutliche Verschärfung der Einstandspflicht für Produktschäden.

b) Die beweisrechtliche Besserstellung des Geschädigten durch den Wegfall des Fehler-Bereichsnachweises In diesem Zusammenhang ist auch nochmals auf die Verbesserung der beweisrechtlichen Position des Geschädigten gegenüber dem bisherigen Verkehrspflicht-Produzentenhaftungsrecht durch den Fortfall des Fehler-Bereichsnachweises aufmerksam zu machen 99 • Während der Geschädigte bislang den vorhandenen Produktfehler dem Aufgaben- und damit Verantwortungsbereich eines der am Herstellungsprozeß beteiligten Unternehmen zuordnen mußte, reicht nunmehr der Nachweis aus, daß das Produkt, so wie es konkret beschaffen war, nicht die erforderliche Sicherheit bot(§ 3 Abs. 1 ProdHaftG). Welche Auswirkungen diese Erleichterung auf die Beweissituation des Geschädigten hat, läßt sich anband des (leicht abgewandelten) Falls Snider v. Bob Thibodeau Ford, lnc. 100 wie folgt verdeutlichen 101 : Der Erwerber eines Fahrzeugs war durch das Versagen von dessen Bremsen zu Schaden gekommen. Es gelang ihm aber nicht, die Ursache für den Ausfall des Bremssystems herauszufinden. Er konnte deshalb auch keinem der daflir möglicherweise Verantwortlichen (Brernsenhersteller oder Endhersteller 102) den Fehler als aus ihrem Aufgabenbereich herrührend zuordnen. Weil der Geschädigte den Fehler-Bereichsnachweis hier nicht erbringen konnte, hätte seine Klage nach Verkehrspflicht-Produzentenhaftungsrecht gegen beide Beteiligten abgewiesen werden müssen. Legt man in dem geschilderten Sachverhalt dagegen in Zukunft das Produkthaftungsgesetz zugrunde, so steht aufgrund der Umstände fest, daß jedenfalls das Endprodukt (Fahrzeug) nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG fehlerhaft war, denn funktionstüchtige Bremsen gehören zweifellos zum von § 3 Abs. 1 ProdHaftG geforderten Sicherheitsstandard eines KraftfahrSiehe dazu oben im 3. Kapitel unter m 4 b und unter V. Siehe dazu auch schon oben unter II 2 am Ende. 100 202 N. W. 2d 727 (Mich. App. 1972). 101 Siehe darüber hinaus auch Winkelmann, MDR 1989, 16, 17. 102 Im Originalfall ging es um die Verantwortlichkeit von Endhersteller oder ServiceUnternehmen. 98 99

III. Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation

145

zeugs. Auf wen die Fehlerhaftigkeit des Bremssystems letztlich zurückgeht, spielt keine Rolle. Entscheidend ist insoweit allein, daß das Kraftfahrzeug im Zeitpunkt der Ioverkehrgabe durch den Endhersteller den nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG zu erwartenden Sicherheitsanforderungen nicht entsprach 103 • Unabhängig davon, weshalb genau die Bremsen versagt haben und ob deshalb vielleicht auch die Haftung eines Zulieferunternehmens (wegen Lieferung eines fehlerhaften Bremssystems) gegeben sein könnte, muß deshalb auf jeden Fall der Kfz-Hersteller für den Produktschaden nach § l Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG einstehen.

c) Haftung bei unklarer Schadensursache (mehrere Produktfehler) Bislang wurde (unter a.) lediglich die Haftung der an Herstellung und Vertrieb des schadstiftenden Produkts unmittelbar beteiligten Unternehmen in dem Fall erörtert, daß das Produkt nur an einem Fehler leidet, der den Produktschaden nachweislich (vgl. § 1 Abs. 4 Satz 1 ProdHaftG) verursacht hat. Sofern das Produkt in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft ist, kann dem Geschädigten wegen § 15 Abs. 2 ProdHaftG aber auch im Rahmen des Produkthaftungsgesetzes gegebenenfalls die Vorschrift des§ 830 Abs. l Satz 2 BGB zugute kommen 104, wenn und soweit er nicht zu klären vermag, welcher der mehreren Fehler den Schaden letztlich herbeigeführt hat 105 • Ob es der Vorschrift des§ 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in einer solchen Situation überhaupt bedarf, hängt freilich stets von der Position des in Anspruch genommenen Unternehmens ab. Im einzelnen muß man sich hier folgendes vor Augen halten: Voraussetzung für die Haftung bei Vorhandensein mehrerer Produktfehler ist zunächst, daß die Produktfehler erwiesenermaßen(§ 1 Abs. 4 Satz 1 ProdHaftG) entweder je für sich in der Lage waren, den konkret eingetretenen Schaden hervorzurufen (Urheberzweifel), oder aber zusammengenommen den Schaden verursacht haben und sich nur der jeweilige (Fehler-)Anteil an dem Gesamtschaden nicht aufklären läßt (Anteilszweifel). In diesem Fall ist das Produkt insgesamt fehlerhaft iSd § 3 Abs. 1 ProdHaftG und auch die Ursächlichkeit zwischen Fehlerhaftigkeit und Schaden steht fest. Jeder Hersteller iSd § 4 ProdHaftG, der das Produkt in diesem (mehrfach) fehlerhaften Zustand in Verkehr gegeben hat(§ 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG), insbesondere also der Endhersteller, haftet dann schon nach§ 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG, ohne daß es irgendwie auf die Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ankäme. Von Bedeutung kann die Bestimmung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB jedoch für die Haftung von Zulieferunternehmen werden, wenn das Endprodukt aus 103 In Snider v. Bob Thibodeau Ford, Inc., 202 N. W. 2d 727, 731 ff. (siehe Fn. 100), wird ebenso argumentiert. 104 Ebenso Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1034. ws Ausführlich zu dem gesamten Problemkomplex des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB im Rahmen des Produzentenhaftungsrechts oben im 4. Kapitel unter I 3. ·

10 Winkelmann

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

mehreren Zulieferprodukten verschiedener Zulieferunternehmen zusammengesetzt ist, von denen zwei oder mehr fehlerhaft sind, und jedes dieser fehlerhaften Teile für sich oder zusammengenommen geeignet war, den eingetretenen Schaden in seiner konkreten Form herbeizuführen. Hier haften alle Unternehmen, welche die fehlerhaften Komponenten als verantwortliche Hersteller in Verkehr gebracht haben, nach§§ 1 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 Satz 1, 5 Satz 1 ProdHaftG iVm § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB analog auf den gesamten Produktschaden, falls sich nicht klären läßt, welche der fehlerhaften Komponenten letztlich zum Versagen des (End-)Produkts geführt hat. Diese gemeinschaftliche Haftung besteht neben der ohnehin gegebenen Haftung des Endherstellers.

d) Die Haftung der außerhalb des unmittelbaren Herstellungs- und Vertriebsprozesses stehenden Unternehmen Auch im Rahmen des Produkthaftungsgesetzes erhebt sich die Frage nach der Haftung der außerhalb des unmittelbaren Produktions- und Distributionsprozesses stehenden Unternehmen 106• In dieser Hinsicht wird teilweise die Auffassung vertreten, auch der Warenzeichenlizenzgeber unterliege der Gefährdungshaftung nach dem Produkthaftungsgesetz 107 • Gestützt wird das auf eine erweiternde Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG, wonach als Hersteller auch jeder gilt, der sich durch das Anbringen seines Namens, seines Warenzeichens oder eines anderen unterscheidungskräftigen Kennzeichens als Hersteller ausgibt. Der Lizenzgeber, so die amtliche Begründung 108, könne als Quasi-Hersteller haften, wenn der Lizenznehmer, der tatsächliche Hersteller, nach außen nicht erkennbar in Erscheinung trete und durch die Anbringung des Warenzeichens oder eines sonstigen Kennzeichens des Lizenzgebers, sei es durch den Lizenznehmer selbst, sei es durch den Lizenzgeber, der Eindruck erweckt werde, als würde der Lizenzgeber Hersteller sein. Tatsächlich kann nicht ausschlaggebend sein, ob nun der Lizenzgeber oder der Lizenznehmer das Erkennungsmerkmal an der Ware befestigt 109, wie es ja auch vollkommen unerheblich ist, ob erst der Quasi-Hersteller selbst die Kennzeichnung der von ihm bezogenen Ware vor deren Vertrieb vornimmt oder aber bereits das vom Quasi-Hersteller beauftragte tatsächliche Herstellerunternehmen 110. Beides kann und darf unter Berücksichtigung von Sinn 106 Zu der gleichen Fragestellung im Rahmen der Verkehrspflicht-Produzentenhaftung oben im 4. Kapitel unter II und III. 101 So z. B. die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 20; ebenso Rolland, a. a. 0., § 4, Rd. 34; Lüderitz, a. a. 0., S. 543; Kullmann, in KuHmann I Pfister, a.a.O., Kz. 3600, S. 13 f.; a.A. Körner, NJW 1985, 3047,3051 f.; Pfeifer, a.a.O., S. 244; Taschner, a. a. 0., Art. 3, Rd. 11; zur Warenzeichenlizenz und den anderen Lizenzformen ausführlich oben im 4. Kapitel unter li 1 und (zum Frachiseverhältnis) 2. 1os Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 20. 109 So aber in der Tat Körner, NJW 1985, 3047, 3051 f .; Taschner, a.a.O., Art. 3, Rd. 11; Pfeifer, a.a.O., S. 244. uo Vollkommen richtig insoweit deshalb die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 19; ebenso Kullmann, in Kullmann/Pfister, a.a.O., Kz. 3600, S. 13.

III. Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation

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und Zweck der Regelung keinen Unterschied ausmachen, denn die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG dient in erster Linie dazu, dem Geschädigten die Durchsetzung seiner Anspruche zu erleichtern, indem sie ihm die aufwendige Suche nach dem tatsächlichen Hersteller erspart. Der durch ein fehlerhaftes Produkt Verletzte soll sich darauf verlassen können, daß derjenige, der nach außen hin als Erzeuger des Produkts in Erscheinung getreten ist, auch tatsächlich als Verantwortlicher für den Schaden haftbar gemacht werden kann. Dafür ist es völlig unmaßgeblich, wer die Kennzeichnung des schadstiftenden Produkts durchgeführt hat, solange dies nur mit Wissen und Wollen des Kennzeichenträgers geschehen ist. Denn auch in diesem Fall gibt sich der Kennzeichenträger als Hersteller iSv § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG aus. Die Problematik im Hinblick auf die Haftung des Warenzeichenlizenzgebers liegt jedoch auf einer anderen Ebene. Auch der Warenzeichenlizenzgeber haftet nach§ 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG nämlich nur unter der weiteren Voraussetzung, daß er das schadstiftende Produkt in den Verkehr gebracht hat. Genau daran wird es bei ihm aber vielfach fehlen, denn normalerweise wird das Produkt wohl durch den Lizenznehmer und nicht durch den Lizenzgeber "in Verkehr gebracht", also (im weitesten Sinne) "veräußert". Der Lizenzgeber steht zumeist außerhalb der vertikalen Verteilerkette und scheidet demzufolge entsprechend dem Prinzip der absatzbezogenen Haftung grundsätzlich aus dem Kreis der potentiell Haftpflichtigen aus. Zwar bürdet § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG dem Warenzeichenlizenzgeber insoweit die Beweislast auf. Dieser Beweis, das Produkt nicht in Verkehr gebracht zu haben, dürfte für den Lizenzgeber aber in der Regel relativ einfach zu führen sein, indem er die tatsächlichen Produktionsverhältnisse und insbesondere das bestehende Lizenzverhältnis offenlegt Der offenkundige Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG wie auch die darin zum Ausdruck gekommene Absicht des Gesetzgebers 111 werden solchermaßen konterkariert. Nun erscheint der Inhalt des Inverkehrgabebegriffs aber keineswegs ausgemacht, zumal auf seine Analyse bislang noch nicht allzu große Mühe verwandt wurde. Als Beleg dafür mag hier nur die amtliche Begründung angeführt werden, welche die sowohl im Entwurf des Produkthaftungsgesetzes als auch in der zugrunde liegenden EG-Richtlinie Produkthaftung vom 25.7.1985 unterbliebene gesetzliche Definition des Inverkehrgabebegriffs damit rechtfertigt, daß sich sein Inhalt aus dem natürlichen Wortsinn ergebe 112• Immerhin versucht die amtliche Begründung in dem anschließenden Satz, den Begriff des Inverkehrbringens doch noch etwas näher zu bestimmen. Danach soll ein Produkt, gleich in welchem Verarbeitungszustand, "gewöhnlich" in Verkehr gebracht sein, "wenn es in die Verteilungskette gegeben wurde, also wenn der Hersteller es aufgrund seines Willensentschlusses einer anderen Person außerhalb seiner Herstellersphäre übergeben hat". In dem nachfolgenden Verweis wird ausdrucklieh Bezug genommen 111

112

10*

Vgl. amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 20. Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 14.

148

6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

auf Art. 2 lit. d des Europäischen Übereinkommens vom 27. 1. 1977 über die Produkthaftung bei Körperverletzung und Tötung 113 • Danach ist ein Produkt "in den Verkehr gebracht", wenn der Produzent es an eine andere Person weitergegeben hat ("a product has been ,put into circulation' when the producer has de1ivered it to another person"). Andere betonen, das Produkt müsse (bewußt und gewollt) das Herstellerwerk verlassen ll 4 • Das Österreichische Produkthaftungsgesetz vom 21. Januar 1988ll5 enthält in seinem § 6 eine Legaldefinition des Inverkehrbringens, wonach ein Produkt in den Verkehr gebracht ist, sobald es der Unternehmer, gleich aufgrund welchen Titels, einem anderen in dessen Verfügungsmacht oder zu dessen Gebrauch übergeben hat. Die Versendung an den Abnehmer soll genügen. Auch Frankreich hatte geplant, im Rahmen der Inkorporation der EG-Richtlinie Produkthaftung in den Code Civil die Ioverkehrgabe zu definieren ll 6 • Danach sollte ein Produkt als zu dem Zeitpunkt in Verkehr gebracht gelten, in dem der gewerblich Tätige willentlich die tatsächliche Gewalt darüber aufgegeben hat. In Deutschland wird das loverkehrbringen technischer Arbeitsmittel in § 2 Abs. 3 des Gerätesicherheitsgesetzes vom 24. Juni 1968 schließlich als "jedes Überlassen (dieser Arbeitsmittel) an andere" bezeichnet. All diese Erläuterungen und Definitionen treffen indes keinerlei Unterscheidung zwischen der Frage, wann eine Ioverkehrgabe vorliegt, und der damit nicht notwendigerweise identischen Frage nach der Person des lnverkehrgebers, also wer denn nun als Ioverkehrgeber anzusehen ist. Insofern wird vielmehr geradezu selbstverständlich davon ausgegangen, der (haftungsunterworfene) Hersteller (bzw. "Unternehmer" oder "gewerblich Tätige") selbst müsse das Produkt "übergeben", "aufgegeben", "weitergegeben", bewußt und gewollt aus seinem Werk "entlassen" und der weiteren Absatzkette überantwortet haben. Der Warenzeichenlizenzgeber scheidet bei einem solchen Verständnis der Ioverkehrgabe als Haftpflichtiger praktisch immer aus, denn "Übergabe" setzt logischerweise voraus, daß sich der übergebene Gegenstand zuvor in Besitz des Übergebenden, in seiner "Sphäre", wie die amtliche Begründung 117 es ausdrückt, befunden hat 118 • Genau dies ist bei dem Warenzeichenlizenzgeber aber in aller Regel nicht der Fall. Auf der anderen Seite verdient jedoch Beachtung, daß das Produkthaftungsgesetz im Hinblick auf den Inverkehrgabebegriffkeine Bezugnahme aufbesitzrechtliche Vorschriften (wie etwa § 854 BGB) enthält. Offenbar soll, und dies mit Recht, eine Einengung des Begriffs der Ioverkehrgabe auf die besitzrechtliche 113 Abgedr. z. B. bei KuHmann I Pfister, a. a. 0., Kz. 1100, mit einer nicht amtlichen Übersetzung des englischen Vertragstextes ins Deutsche. 114 So Hollmann, Der Betrieb 1985, 2389, 2396; ähnlich Rolland, a. a. 0., § I, Rd. 89 f. us BGBI. 1988/99. ll6 Vgl. Art. 1387-22 des Entwurfs, abgedr. in PHI 1988, 33, 35. m Bundestagsdrucksache 11/2447, S.l4. 11s So auch Taschner, a. a. O., Art. 7, Rd. 7, der meint, der Hersteller müsse "die tatsächliche Verfügung über das Produkt verloren" haben.

TII. Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation

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Übertragung vermieden werden, auch wenn in der amtlichen Begründung erläuternd von "Übergabe", "Weitergabe" usw. die Rede ist. Dem lnverkehrgabebegriff bleibt dadurch ein interpretatorischer Spielraum erhalten, der wertender Betrachtung anband der besonderen Umstände des Einzelfalles zugänglich ist. Daß die inhaltliche Ausfüllung des Tatbestandes der Ioverkehrgabe derart offen gehalten werden soll, ergibt sich nicht zuletzt aus der Vorschrift des § 4 Abs. 2 ProdHaftG im Zusammenhang mit der Frage, welcher Vorgang die Ioverkehrgabe ausmacht. Aus dieser Norm wird nämlich deutlich, daß die "lnverkehrgabe" nicht an eine bestimmte rechtstechnische Form, etwa nur ganz bestimmte Kausalgeschäfte (insbesondere Kaufvertrag), geknüpft ist. Der lnverkehrgabebegriff ist in dieser Hinsicht also bewußt weit gefaßt und offenbart solchermaßen seinen normativen Charakter. Insofern ist jedoch kein Grund dafür ersichtlich, warum bei der Bestimmung des "Inverkehrgebers" ein starres Festhalten an demjenigen erforderlich wäre, der die tatsächliche Sachherrschaft über das Produkt ausübt oder durch einen anderen ausüben läßt. Für das Produkthaftungsrecht sind die besitzrechtlichen Positionen an dem schadstiftenden Gegenstand ohne Aussagewert. Weitaus sachgerechter erscheint es demgegenüber, auch die Person des Ioverkehrgebers anband normativer Kriterien und damit losgelöst von besitzrechtlichen Tatbeständen zu bestimmen. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, Elemente in die Beurteilung einfließen zu lassen, die Sinn und Zweck des Produkthaftungsrechts und dem Gedanken der distributiven Gerechtigkeit besser gerecht werden als das schematische Abstellen auf eine Besitzübertragung. Insbesondere können in diesem Rahmen die Überlegungen und Ergebnisse der amerikanischen Judikatur, wer als "seller" iSd § 402 A Restaternent of Torts 2d zu gelten hat 119, für eine Auslegung des Inverkehrgabebegriffs fruchtbar gemacht werden. Der ausfüllungsbedürftige und ausfüllungsfähige Begriff des Inverkehrbringens erlaubt auf diese Art eine Übernahme der machtorientierten Betrachtungsweise 120 , wie sie in USA teilweise im Zusammenhang mit der "seller"-Definition angeklungen ist und wie sie oben schon für die Verkehrspflicht-Produzentenhaftung in etwas anderem dogmatischem Kontext vertreten wurde 121 • Ohne daß es der Konstruktion eines Besitzmittlungsverhältnisses oder einer Besitzdienerschaft bedürfte, kann folglich auch derjenige als "lnverkehrgeber" eines Produkts bezeichnet werden, der nach wirtschaftlichen Kriterien den eigentlieh Hauptverantwortlichen für Produktion und Vertrieb der Ware verkörpert, mit anderen Worten also derjenige, der zwar nicht selbst die erforderlichen Siehe dazu oben im 5. Kapitel unter II 2. Dies würde sich selbstredend verbieten, wenn das Produkthaftungsgesetz einen anderen, rechtstechnisch eindeutig besetzten Begriff, wie etwa "Verkauf', benutzen würde. Eine Vorgehensweise wie in USA wäre in diesem Fall mit der deutschen Rechtssystematik nicht zu vereinbaren. Die genannte inhaltliche Flexibilität ergibt sich demnach gerade und allein aus der Verwendung des Begriffs "lnverkehrgabe". 121 Siehe oben im 4. Kapitel unter III 2. 119

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

besitzrechtlichen Übertragungsakte vorgenommen hat, der aber aufgrund seiner wirtschaftlichen Machtposition die "Inverkehrgabe" des Produkts veranlaßt hat. Wann eine solche Machtposition anzunehmen ist, bestimmt sich nach den bereits oben (im 4. Kapitel unter III 2 b) entwickelten Maßstäben. Soweit der Warenzeichenlizenzgeber diese Voraussetzungen erfüllt, haftet er nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG für den Schaden aus dem mit seinem Warenzeichen oder sonstigen Erkennungsmerkmal versehenen fehlerhaften Produkt. Ansonsten steht ihm die Einwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 iVm § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG zu. Beweispflichtig für diefehlende Mächtigkeit ist demnach der Warenzeichenlizenzgeber. Damit wird zugleich die Frage nach den anderen außerhalb der Verteilerkette stehenden Unternehmen aufgeworfen, die nicht in der Form einer Warenzeichenlizenz an dem schadstiftenden Produkt beteiligt sind. Für diese Unternehmen, namentlich also für die mächtigen Unternehmen im Sinne der oben (im 4. Kapitel unter III 2 b) aufgestellten Kriterien, trifft die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG nicht zu. Daraus könnte man nun schlußfolgern, daß eine Haftung der "bloß" mächtigen Unternehmen nach dem Produkthaftungsgesetz nicht in Betracht kommt, solange sich diese Mächtigkeit nicht in einer entsprechenden Produktkennzeichnung niedergeschlagen hat bzw. damit verbunden ist. M. E. läßt sich aber auch die Haftung des "nur" mächtigen Unternehmens nach dem Produkthaftungsgesetz gut begründen, und zwar durch eine sinnentsprechend erweiternde Auslegung der Herstellerdefinition in § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG. Wie bereits oben (unter a.) gezeigt, bezweckt diese Definition die Konzentration der produkthaftungsrechtlichen Verantwortlichkeit auf ein Unternehmen je Produktionsstufe. Dieser Hauptverantwortliche ist aufgrund des gesetzestechnischen Zusammenhangs von § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG aber zugleich derjenige, der als "Inverkehrgeber" aufgetreten ist bzw.- so wäre hier im Anschluß an die vorangegangenen Ausführungen zu ergänzen - der als Inverkehrgeber anzusehen ist. Inverkehrgeber iSd § 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG und Hersteller iSd § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG können im Grunde genommen also nicht getrennt voneinander bestimmt werden, weil die Herstellereigenschaft iSd § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG auch und gerade von der lnverkehrgabe abhängig ist. Herstellereigenschaft und lnverkehrgebereigenschaft sind damit von Gesetzes wegen im Produktionsbereich untrennbar miteinander verknüpft. Die Bestimmung des Inverkehrgebers setzt gleichzeitig fest, wer als Hersteller iSd § 4 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG zu betrachten ist. Soweit einem Unternehmen die Inverkehrgabe aufgrund der machtorientierten Betrachtungsweise zugerechnet werden kann und muß, schlägt dies folglich unmittelbar auf die Bestimmung des haftungsunterworfenen Herstellers durch. Der mächtige lnverkehrgeber ist zugleich auch Hersteller iSv § 4 Abs. I Satz 1 ProdHaftG. Auf diese Weise gestattet auch das Produkthaftungsgesetz, die produkthaftungsrechtliche Verantwortung dem wirtschaftlichen Hauptveranlasser für Herstellung und Vertrieb des schadstiftenden Produkts zuzuweisen.

III. Die Haftungslage bei Unternehmenskooperation

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2. Die Verantwortlichkeit im Innenverhältnis

Die EIWeiterung des persönlichen Haftungsumfangs im Produkthaftungsgesetz wird dazu führen, daß häufiger als nach der Verkehrspflicht-Produzentenhaftung mehrere Unternehmen für ein und denselben Produktschaden im Außenverhältnis einstehen müssen. Soweit dies der Fall ist, ordnet § 5 Satz 1 ProdHaftG deren gesamtschuldnerische Haftung an. Für den Innenausgleich schreibt § 5 Satz 2 Halbsatz 1 ProdHaftG vor, daß im Verhältnis der Ersatzpflichtigen zueinander, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon abhängen soll, inwieweit der Schaden voiWiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Daraus ergibt sich zunächst, daß etwa bestehenden vertraglichen Regelungen zwischen den Haftpflichtigen Vorrang zukommt 122• Im übrigen muß eine Abwägung darüber entscheiden, wie der Schaden im Innenverhältnis verteilt werden soll. Als maßgebendes Abwägungskriterium wird dabei der Verursachungsbeitrag jedes einzelnen Beteiligten genannt 123, womit sich § 5 Satz 2 Halbsatz 1 ProdHaftG in nahezu wörtlichem Einklang mit den Ausgleichsregelungen anderer gesetzlicher Gefahrdungstatbestände befindet (vgl. namentlich § 13 Abs. 1 Satz 1 HPflG, § 41 Abs. 1 Satz 1 LuftVG, § 17 Abs. 1 Satz 1 StVG). Ähnlich wie in Frankreich 124, muß somit in der Regel derjenige den Schaden im Innenverhältnis alleine tragen, aus dessen Verantwortungsbereich die Ursache für die Fehlerhaftigkeit des (Gesamt-)Produkts stammt. Wegen der Konzentration der Haftung auf einen Hauptverantwortlichen in jeder Produktionsstufe ist das der jeweilige Inverkehrgeber, dem die Fehler der von ihm horizontal eingeschalteten Unternehmen als eigene zugerechnet werden. Der Inverkehrgeber als der Hauptverantwortliehe für die Produktionsstufe braucht die Ursache für die Fehlerhaftigkeit des Produkts somit nicht unmittelbar selbst gesetzt zu haben. Es reicht vielmehr aus, daß die Ursache für die Fehlerhaftigkeit aus der von ihm zu verantwortenden Produktionsstufe herrührt. Soweit im Sonderfall des § 1 Abs. 3 Satz 1 ProdHaftG wegen § 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG auch der Teileproduzent im Außenverhältnis haftet, ist entsprechend der in der Regelung zum Ausdruck gekommenen gesetzlichen Wertung dem nachgeschalteten Hersteller im Innenverhältnis der Schaden aufzuerlegen 125 • Da die Abwägung nach dem Gesetzeswortlaut auch "von den Umständen" abhängen soll, muß im Verhältnis zwischen mächtigem und abhängigem UnterSo auch amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 21. Zu neueren Tendenzen der amerikanischen Rechtsprechung in gleicher Richtung oben im 5. Kapitel unter II 3. 124 Siehe dazu oben im 5. Kapitel unter I 2. 125 Ebenso im Ergebnis Cour d'Appe1 de Paris vom 18. 12.1977, J. C. P. 1977, II, 18675 mit Anm. Malinvaud. 122 123

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6. Kap.: Rechtslage in Deutschland nach dem Produkthaftungsgesetz

nehmen das mächtige Unternehmen als der wirtschaftliche Hauptveranlasser für den gesamten Schaden alleine aufkommen.

IV. Das Verhältnis zwischen den nach dem Produkthaftungsgesetz und den nach allgemeinem Deliktsrecht Haftpflichtigen Aufgrund des sich weder vom sachlichen noch vom persönlichen Haftungsumfang her deckenden Regelungsbereichs von einerseits dem Produkthaftungsgesetz andererseits der Verkehrspflicht-Produzentenhaftung kann es vorkommen, daß die Haftung der an einem Produktschaden Beteiligten ganz oder teilweise auf unterschiedlicher gesetzlicher Grundlage beruht. Als Beispiel mag hier nur angeführt werden der vom Hersteller im Wege horizontaler Arbeitsteilung eingeschaltete Auftragsfertiger, der (unter Verstoß gegen eine entsprechende Verkehrssicherungspflicht) einen Fabrikationsfehler verursacht und deshalb neben dem in Verkehr gebenden Hersteller, der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG verantwortlich ist, ausschließlich nach § 823 Abs. 1 BGB haftet. Für diesen oder einen anderen Fall der Haftung mehrerer aus unterschiedlichem gesetzlichem Grund stellt § 6 Abs. 2 Satz 1 ProdHaftG zunächst klar, daß die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz nicht gemindert wird, wenn der Schaden durch einen Fehler des Produkts und zugleich durch die Handlung eines Dritten verursacht worden ist. "Handlung" ist dabei als übergreifende Bezeichnung für ein deliktisches Verhalten zu verstehen, ähnlich der Überschrift des 25. Titels im BGB, umfaßt daher nicht nur Handlungen im engeren Sinne, sondern auch (deliktisch relevante) Unterlassungen. Der nach Produkthaftungsgesetz und der nach allgemeinem Deliktsrecht Haftpflichtige müssen demnach im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch für den entstandenen Schaden einstehen 126• Im Innenverhältnis wird durch § 6 Abs. 2 Satz 2 ProdHaftG die Ausgleichsvorschrift des § 5 Satz 2 ProdHaftG für entsprechend anwendbar erklärt. Da insoweit auf den Verursachungsbeitrag jedes einzelnen Haftpflichtigen abgestellt wird, eröffnet die Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 2 ProdHaftG dem nach Produkthaftungsgesetz verpflichteten Ioverkehrgeber gegebenenfalls den Rückgriff gegen die von ihm im Wege horizontaler Arbeitsteilung eingeschalteten Unternehmen, welche (unter Verstoß gegen eine entsprechende Verkehrssicherungspflicht) die unmittelbare Ursache für die Fehlerhaftigkeit des Produkts gesetzt haben. Damit besteht für den nach dem Produkthaftungsgesetz Letztverantwortlichen unter Umständen doch noch eine Möglichkeit, sich bei dem unmittelbaren Verursacher des Fehlers schadlos zu halten.

126 A. A. Rolland, a. a. 0., § 6, Rd. 64 f., der dies offenbar nicht für zwingend hält; die amtl. Begründung, Bundestagsdrucksache 11/2447, S. 21, geht demgegenüber zumindest für das Innenverhältnis von Gesamtschuldnerschaft aus.

3. Teil

Das internationale Privatrecht der Produktenhaftung bei internationaler Unternehmenskooperation 7. Kapitel

Das deutsche internationale Privatrecht der Produktenhaftung nach der bisherigen und nach der neuen Rechtslage I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung zum IPR der Produzentenhaftung Wie bis vor kurzem auch das materielle Produkthaftungsrecht, ist das Kollisionsrecht der Produktenhaftung in der Bundesrepublik Deutschland bis heute ohne gesetzliche Regelung geblieben. Die Bundesrepublik hat zudem die Haager Konvention über das auf die Produktenhaftpflicht anwendbare Recht vom 21. Oktober 1972 1 nicht ratifiziert. Angesichts der überwiegend kritischen Stellungnahmen zu diesem Abkommen in der Literatur, ist damit wohl auch in Zukunft nicht zu rechnen 2 • Im internationalen Produzentenhaftungsrecht begegnet infolgedessen (noch) eine reine Domäne der Rechtsprechung. Im Vergleich zu der inzwischen doch stattlichen Anzahl gerichtlicher Entscheidungen zum materiellen Produkthaftungsrecht- zumal eingedenk der nahezu unübersehbaren Fülle instanzgerichtlicher Entscheidungen - , nimmt sich allerdings die einschlägige Judikatur zum Kollisionsrecht der Produktenhaftung, zumindest soweit sie zur Veröffentlichung gelangt ist, sehr bescheiden aus.

Über die Gründe ist viel spekuliert worden. Sicherlich liegt es nicht daran, daß im grenzüberschreitenden Handel etwa nur mangelfrei produzierte Waren geliefert würden 3 • In Anbetracht der zunehmenden Verflechtung des internationalen Handels müßte deshalb an und für sich in Korrelation dazu sowie in Korrelation zur immer noch wachsenden Bedeutung des materiellen Produkthaftungst 2

3

Abgedr. in Actes et Documents, a.a. O., S. 246 ff. und in RabelsZ 37 (1973), 594 ff. Zur Haager Konvention im einzelnen unten im 8. Kapitel unter I 1. So zu Recht Siehr, RIW (AWO) 1972, 373, 388.

154

7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

rechts die Zahl der internationalen Produkthaftungsfalle ständig ansteigen 4 • Daß dem -jedenfalls bislang - nicht so ist, hat zweifellos mehrere Ursachen. Eine wesentliche dürfte fehlende Rechts- und Anspruchskenntnis im Hinblick auf die Verfolgung von Ansprüchen gegen ausländische Hersteller sein 5 • Hinzu kommen prozeßrechtliche Unsicherheiten und Hindeqüsse 6 • Neben diese mehr aus der Schwierigkeit der Rechtsmaterie resultierenden Gründe treten solche tatsächlicher Natur. So kann insbesondere das immense wirtschaftliche Interesse der Hersteller namentlich (aber nicht nur) von Konsumartikeln an einer möglichst "geräuschlosen" Erledigung von Produkthaftungsansprüchen nicht hoch genug eingeschätzt werden. Welche erheblichen Konsequenzen das breitere Bekanntwerden wirklicher oder vermeintlicher technischer Sicherheitsmängel auf den Warenabsatz haben kann, mußte jüngst die VW-Tochter Audi in USA erfahren, wo die Zahl der Verkäufe von 60.000 Stück im Jahre 1986 auf 40.000 Stück im Jahre 1987 zurückging, nachdem mehrere Klagen von Unfallverletzten gegen Audi an die Öffentlichkeit gedrungen waren, wonach die mit Automatikgetriebe ausgerüsteten Fahrzeuge sich plötzlich und ungewollt beschleunigt haben sollten 7 • Es nimmt daher nicht wunder, daß einlaufende Beschwerden über Schädigungen durch Produkte bei den meisten Herstellern routinemäßig als Versicherungssache behandelt tind in der Regel auf dem Vergleichswegevor Einleitung eines Klageverfahrens beigelegt werden 8 • Ob diese Öffentlichkeitsscheu-wie z. T. vermutet wird- allerdings so weit geht, daß bei Durchführung eines Gerichtsverfahrens Einfluß auf die Veröffentlichung der Entscheidung genommen wird, ja, daß es den verurteilten Herstellern nicht selten gelingt, die Veröffentlichung der Entscheidung zu verhindern 9 , muß doch stark bezweifelt werden. Als letzter Grund für das nur sehr dürftige Rechtsprechungsmaterial soll schließlich die offenkundig weit verbreitete Scheu der Gerichte genannt werden, sich mit kollisionsrechtlichen Fragestellungen im Produkthaftungsrecht zu befassen. Diese Scheu dürfte die Ursache dafür sein, daß der internationale Bezug eines Sachverhalts und die damit verbundene internationalprivatrechtliche Proble4

503.

Vgl. Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 186; Eujen/ Müller-Freienfels, RIW (AWD) 1972,

5 Ein gutes Beispiel dafür ist der von Siehr, RIW (AWD) 1972, 373, 388, in Fn. 183 berichtete Sachverhalt. 6 Vgl. Siehr, RIW (AWD) 1972, 373, 388; Eujen/Müller-Freienfels, RIW (AWD) 1972, 503. 7 Siehe dazu FAZ v. 27. 7.1988, Nr. 172, S. 9, "Der Technik-Vorsprung schrumpft"; siehe auch FAZ v. 1.8.1988, Nr. 176, S. 13, "Audi will Marktanteile in Amerika zurückgewinnen", FAZ v. 4. 8.1988, Nr. 179, S. 9 f., "Das größte Mysterium seitdem BermudaDreieck" und FAZ v. 15. 8.1988, Nr. 188, S. 11, ,,Fallen des amerikanischen Haftungsrechts". s Vgl. Steinebach, a.a.O., S. 35; ebenso Zekoll, a.a.O., S. 39 und Duintjer Tebbens, a. a. 0., S. 362. 9 Dieser Ansicht ist allerdings Steinebach, a. a. 0., S. 36.

I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung

155

matik häufig einfach übergangen und stillschweigend das materielle Recht der Iex fori, also deutsches Recht, angewandt wird, und zwar vielfach selbst dann, wenn dieser internationale Bezug ganz offensichtlich ist 10• Ob das nunmehr in Kraft getretene Produkthaftungsgesetz an dem Mangel gerichtlich entschiedener internationalprivatrechtlicher Produkthaftungsfälle etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Immerhin dürfte dieses Gesetz die generelle Anspruchskenntnis steigern 11 und solchermaßen gegebenenfalls auch zu einer vermehrten Inanspruchnahme ausländischer Hersteller durch inländische Geschädigte führen 12. 1. Die Apfelschorf II - Entscheidung des BGH

Als Leitentscheidung zum bisherigen internationalen Privatrecht der Produzentenhaftung kann die sog. Apfelschorf li - Entscheidung (Benomyl) des BGH vom 17.3.1981 gelten13. Der Kläger, ein Obstbauer aus dem ,,Alten Land" an der Niederelbe, verlangte u. a. von einem US-amerikanischen Chemiekonzern (der Erstbeklagten) mit Sitz in Delaware Schadensersatz, weil sich das von dem Konzern hergestellte Spritzmittel "Benomyl", das der Kläger bei zwei verschiedenen Händlern erworben hatte, als unwirksam zur Bekämpfung des Apfelschorfs erwiesen hatte. Der Apfelschorf, eine Pilzkrankheit, hatte sich trotz der Behandlung mit "Benomyl" an den Apfelbäumen des Klägers ausgebreitet, wodurch ein erheblicher Ernteausfall entstanden war. Zur Begründung seiner Klage berief sich der Kläger auf die Verletzung eines zwischen ihm und der Erstbeklagten angeblich zustande gekommenen Garantievertrages sowie auf unerlaubte Handlung.

Im Hinblick auf die Frage, welches Recht den geltend gemachten Anspruch aus unerlaubter Handlung bestimmt, gelangte der BGH zur Anwendung der sog. Tatortreget Es entspreche dem im internationalen Privatrecht allgemein anerkannten Grundsatz, daß das Tatortrecht maßgebend sei, daß aber dann, wenn Handlungsort und Erfolgsort auseinanderfielen, der Verletzte seine Ansprüche sowohl aus dem Recht des Handlungsortes als auch aus dem des Erfolgsortes 10 Markantestes Beispiel ist insoweit die Entscheidung des LG Saarbrücken v. 2. 7.1974 (10 0 111!73), abgedr. bei Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band I, a. a. 0., S. 392 f. : Deutscher Geschädigter, französischer Hersteller, Erwerbsort Deutschland, Unfallort: Schweiz - das LG Saarbrücken wendet ohne weitere Erörterung deutsches Recht an; aber auch der BGH ist nicht immer davor gefeit, die kollisionsrechtliche Problematik eines Sachverhalts einfach zu ignorieren, jüngstes Beispiel insoweit BGH, NJW 1987, 1009 ff. - ,,Lenkerverkleidung" -: Deutscher Geschädigter (Kläger), japanischer Hersteller (Erstbekl.), Unfallort: Deutschland- der BGH erwähnt die damit aufgeworfenen internationalprivatrechtliehen Fragen mit keinem Wort. 11 So auch Pauli, PHI 1987, 138, 150 und Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103, 1111. 12 Fälle, wie der von Siehr, RIW (AWD) 1972,373, 388, Fn. 183, berichtete, dürften deshalb häufiger werden. 13 BGH, NJW 1981, 1606=1PRax 1982, 13 (in BGHZ 80, 199 insoweitnichtabgedr.).

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

herleiten könne. Die Anwendung des deutschen Rechts könne sich daher daraus ergeben, daß die der Erstbeklagten "angelastete Tat" mit dem Eintritt des Erfolges (der Schädigung der Obstbäume und ihrer Früchte) nach dem Vorbringen des Klägers auch an dessen Wohnsitz erfolgt sei. An sich sei allerdings durch den Richter grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob das in Betracht kommende ausländische Recht für den Kläger günstiger sei, hier also das Recht des Bundesstaates Delaware der USA, in welchem die Erstbeklagte ihren Sitz habe 14• Hierauf könne in concreto jedoch verzichtet werden. Denn die Frage, nach welchem Recht gegebenenfalls bereits entstandene Ansprüche aus einer unerlaubten Handlung beurteilt werden sollten, sei der Verfügung der Parteien, insbesondere einer vertraglichen Vereinbarung des Deliktsstatuts, zugänglich. Eine solche Vereinbarung könne sich - ebenso wie diejenige über die Anwendbarkeit des Rechts auf vertragliche Ansprüche - als stillschweigende aus dem Prozeßverhalten der Parteien ergeben. Dies sei hier aber der Fall, denn der Kläger habe sein Begehren ersichtlich auf das beschränkt, was sich aus einer Anwendung der deutschen Rechtsordnung ergebe, und die Erstbeklagte dem nicht widersprochen und auch in der Revision nichts dagegen erinnert. Folglich sei davon auszugehen, daß die Parteien nicht nur im Hinblick auf den erhobenen vertraglichen Garantieanspruch 15 , sondern auch bezüglich der geltend gemachten deliktischen Ansprüche einverständlich von der Anwendung deutschen Rechts ausgegangen seien und der Kläger sogar auf etwaige Ansprüche nach amerikanischem Recht verzichtet habe 16• Im Ergebnis hat sich der BGH damit zumindest vorläufig der deliktischen Tatortregel für internationale Produkthaftungssachverhalte verschrieben. Seine Ausführungen zum Inhalt der Tatortregel in Produkthaftungsfällen werfen allerdings mehr Fragen auf, als sie beantworten 17 • Als richtungweisend können freilich die Bemerkungen zur stillschweigenden vertraglichen Vereinbarung des Deliktsstatuts gelten 1s. 2. Die sonstige Rechtsprechung zum Kollisionsrecht der Produzentenhaftung

Bevor (unter 3. und 4.) auf die Probleme eingegangen wird, die sich aus einer Anwendung der Tatortregel auf internationale Produkthaftpflichtsachverhalte ergeben, soll noch kurz die bis heute veröffentlichte instanzgerichtliche Rechtsprechung referiert werden, die sich mit dem Thema befaßt hat. Hervorzuheben ist dabei in erster Linie die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 28.4.1978 (4 u 24tn7) 19• BGH, NJW 1981, 1606 f. Dazu BGH, NJW 1981, 1606 unter II 1. 16 BGH, NJW 1981, 1606, 1607. 17 Dazu sogleich unten unter 4. 1s Dazu ausführlich unten unter IV. 14 15

I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung

157

Der deutsche Kläger hatte einen schweren Unfall mit dem von ihm in Deutschland gekauften und in Frankreich durch die Erstbeklagte hergestellten Klappfahrrad erlitten. Infolge eines Konstruktionsfehlers brach der Gabelschaft des Rades, in dem der Lenker steckte, als der Kläger eine steile Straße, in den Pedalen stehend, hinauffuhr. Der Kläger stürzte und zog sich einen Trümmerkopfbruch des linken Kniegelenkes zu. Das OLG Düsseldorf billigte im Ergebnis die vom Landgericht angenommene Anwendung deutschen Rechts. Dies ergebe sich aus dem im internationalen Privatrecht allgemein anerkannten Grundsatz, daß das Tatortrecht "lex loci delicti commissi" maßgebend sei und der Verletzte die Wahl habe, ob er seine Ansprüche aus dem Recht des Handlungsortes oder demjenigen des Erfolgsortes herleiten wolle. Der Erfolgsort der behaupteten unerlaubten Handlung der Erstbeklagten sei in der Bundesrepublik belegen, hier habe die Rechtsgutsverletzung unstreitig stattgefunden. Im Gegensatz zur Apfelschorf I I - Entscheidung des BGH 20 sieht das OLG Düsseldorf also keine Notwendigkeit, das dem Verletzten günstigere Recht von Amts wegen zu ermitteln 21 • Vielmehr will es die Auswahl des anwendbaren Rechts in die Hände des Klägers legen. Über die Modalitäten einer solchen Rechtswahl durch den Kläger macht das OLG Düsseldorf aber bezeichnenderweise keine weiteren Ausführungen. Würde man das OLG Düsseldorf beim Wort nehmen, daß nämlich der Verletzte eine echte Wahl zwischen dem Recht des Handlungsortes und demjenigen des Erfolgsortes hat, so müßte angesichts der erheblichen Konsequenzen, welche die Wahl des anwendbaren Rechts im Hinblick auf die Ansprüche des Klägers haben kann, auf jeden Fall eine ausdrückliche Rechtswahlerklärung des Klägers gefordert werden, um eine der in Frage kommenden Rechtsordnungen zur Anwendung zu bringen. Auf die sachgerechte Abgabe dieser Rechtswahlerklärung hätte das Gericht nach § 139 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinzuwirken, was nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO in einem ersten Schritt die Aufklärung des Klägers durch das Gericht über die in Betracht kommenden Rechtsordnungen und die nach ihnen gegebenen Ansprüche und rechtlichen Möglichkeiten, und zwar zumindest in groben Zügen, voraussetzen würde. Daß es das OLG Düsseldorf indes so nicht meint, geht aus dem Gesamtzusammenhang der Entscheidung und dem "beredten Schweigen" in dieser Hinsicht hervor. Das OLG begnügt sich offenkundig mit einer "stillschweigenden" Rechtswahl durch den Kläger. Dabei erblickt das OLG die Ausübung der dem Kläger - zumindest theoretisch - eingeräumten Option ganz offenbar schon in der Abgedr. in NJW 1980, 533 f. mit Anm. Kropholler. Siehe oben unter 1. 21 Auch Kropholler, NJW 1980, 534, bemerkt zu Recht, die höchstrichterliche Rechtsprechung zum internationalen Deliktsrecht, auf welche sich das OLG Düsseldorf ausdrücklich beruft, beinhalte mehr als ein bloßes Wahlrecht des Klägers zwischen zwei Rechtsordnungen. 19

20

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

rechtlichen Klagebegrundung. Zieht der Kläger zur Begrundung seines klageweise geltend gemachten Anspruchs die Rechtsnormen einer bestimmten Rechtsordnung heran - wie hier die deutschen Deliktsvorschriften des BGB - , so wird die entsprechende Rechtswahl unterstellt. Damit ist das OLG Düsseldorf im Ergebnis gar nicht weit von der Konstruktion des BGH entfernt, der in der unwidersprochenen Berufung des Klägers auf Vorschriften oder Institute einer bestimmten Rechtsordnung den Abschluß einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den Prozeßparteien über das zur Anwendung kommende Recht sehen will 22 • Die Problematik einer solchen Vorgehensweise liegt allerdings nicht nur darin, daß damit ein regelmäßig gar nicht vorhandener Parteiwille fingiert wird 23 , sondern vor allem in der Bedeutung, die der rechtlichen Begrundung einer Klage beigemessen wird. Diese Problematik tritt in der Lösungsvariante des OLG Düsseldorf noch deutlicher zutage als in der Apfelschorf II - Entscheidung des BGH. Denn genaugenommen hängt die rechtliche Beurteilung einer Klage durch das Gericht danach von der Zufälligkeit ab, auf welche Rechtsnormen der Kläger seine Klage gestützt hat bzw. aus welcher nationalen Rechtsordnung diese Rechtsnormen stammen. Die Ansicht des OLG Düsseldorf- wie auch in abgemilderter Form die des BGH- steht damit in offensichtlichem Gegensatz zu dem zivilprozessualen Grundsatz des "da mihi factum, dabo tibi ius". Zu welchen praktischen Unzuträglichkeiten dies führen kann, zeigt sich namentlich dann, wenn sich der Kläger auf die dem Gericht fremde Rechtsordnung beruft 24 • Diese Ungereimtheiten lassen sich nur vermeiden, wenn die Rechtswahlfiktion, der ein richtiges Anliegen zugrundeliegt, zugunsten einer offenen prozeßrechtlichen Regelung aufgegeben wird 25. Zur Entscheidung des OLG Düsseldorf sei noch angemerkt, daß sie der gekünstelten Rechtswahlftktion nicht bedurft hätte, wenn sie - wie der BGH es vorschreibt - von einem Amtsermittlungsgrundsatz im Hinblick auf das dem Kläger günstigere Recht ausgegangen wäre. Denn diese Ermittlung muß nur dann angestellt werden, wenn nicht eine der in Frage kommenden Rechtsordnungen (zumeist, wie auch hier, die Iex fori) dem Kläger bereits alle begehrten Ansprüche gewährt 26 • Hier aber gelangte das OLG Düsseldorf zu dem Ergebnis, daß sämtliche vom Kläger erhobenen Ansprüche in vollem Umfang nach deutschem Recht begründet seien 27 • Damit erübrigte sich die Prüfung des Klageanspruchs unter Zugrundelegung französischen Rechts. Siehe oben unter 1. Ausführlich dazu unten unter IV. 24 Dazu sogleich unten unter 3. 25 Dazu ausführlich unten unter IV. 26 Siehe z. B. BGH, NJW 1964, 2012; Kropholler, NJW 1980, 534, weist auf diesen Gesichtspunkt deshalb zu Recht hin. 21 Die Entscheidung gegen die französische Herstellerfirma (Erstbeklagte) wurde rechtskräftig, im Hinblick auf die Zweitbeklagte (den deutschen Fahrradgroßhändler, bei dem der Kläger das Fahrrad erworben hatte) hob der BGH das Urteil in seiner 22

23

I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung

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Auch die übrigen veröffentlichten Gerichtsentscheidungen gelangen ausnahmslos zur Anwendung deutschen Rechts. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 26.5. 1977 (9 U 67n5)28 hatte die Klage der deutschen Tochter- und Vertriebsgesellschaft (Klägerin) eines schweizerischen Herstellers (Muttergesellschaft) gegen einen Zulieferer (Beklagte) des Herstellers zum Gegenstand. Das Zulieferprodukt wich in seiner Zusammensetzung nach Vortrag der Klägerin von den Prospektangaben der Beklagten ab, weshalb das vom schweizerischen Hersteller produzierte Erzeugnis gehäuft beanstandet wurde und der Hersteller infolge zahlreicher Schadensersatzforderungen der Abnehmer in Zahlungsschwierigkeiten geriet. Leider geht aus dem Urteil nicht zweifelsfrei hervor, wo der beklagte Zulieferer seinen Geschäftssitz hatte. Die Entscheidungsgründe lassen aber die Vermutung zu, daß es sich ebenfalls um ein schweizerisches Unternehmen handelte29. Das OLG Karlsruhe unterwarf die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus unerlaubter Handlung in internationalprivatrechtlicher Hinsicht der Tatortreget Tatort sei neben dem in der Schweiz gelegenen Handlungsort auch der Ort, an dem der Schaden eingetreten sei, hier Konstanz. Das dem Verletzten günstigere Recht - hier das deutsche Recht - entscheide. Das OLG Frankfurt berief sich in seiner Entscheidung vom 24.6.1975 (4 U 56/ 74) 30 - fälschlicherweise 31 - auf Art. 12 EGBGB a. F. (heute Art. 38 EGBGB), um die Anwendung deutschen Rechts in einem Fall zu legitimieren, in dem ein in der Schweiz ansässiges Unternehmen für Maschinenbau eine Anlage für die Fertigung von Wandelementen aus Beton nach Hanau geliefert hatte. Wegen fehlender Sicherheitsvorrichtungen stürzte ein Angestellter der Hanauer Abnehmerin von der auf der Anlage befindlichen Plattform ab und verletzte sich tödlich. Ohne die für den Fall des Auseinanderfallens von Handlungs- und Erfolgsort einschlägige Tatortregel auch nur zu erwähnen, kommt das OLG im Hinblick auf die Ansprüche der klagenden Berufsgenossenschaft "gemäß Art. 12 EGBGB" zur Anwendung deutschen Rechts, weil die unerlaubte Handlung, aus der die Klägerin Ansprüche ableite, sich im Bundesgebiet ereignet habe 32• Entscheidung vom 11.12.1979, NJW 1980, 1219-"Fahrradgabel"-auf, vgl. SchmidtSalzer, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 28. 4. 1978 (4 U 241 !77), in Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band III, a.a.O., S. 452; zur Fahrradgabel-Entscheidung auch oben im 3. Kapitel unter III 4 b und im 4. Kapitel unter I 1. 28 Abgedr. bei Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band II, a.a.O., S. 417f. 29 Demgegenüber meint Drobnig, a. a. 0., S. 304, Fn. 20, es handele sich wohl um einen deutschen Zulieferer. Wie er darauf kommt, bleibt angesichts der Entscheidungsgründe des Urteils ("Tatort ist neben dem in der Schweiz gelegenen Handlungsort auch der Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, hier Konstanz.") sein Geheimnis. 30 Abgedr. bei Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band III, a. a. 0., S. 423 ff. 31 Vgl. BGH, NJW 1981, 1606- "Apfelschorfll" - ; OLG Düsseldorf, NJW 1980, 533, 534 - "Klapprad II" - . 32 OLG Frankfurt v. 24.6.1975, a.a.O. (Fn. 30), S. 424 f.

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

Art. 12 EGBGB a. F. (heute Art. 38 EGBGB) zog auch das OLG Celle in seinen Entscheidungen vom 13.7.1978 (7 U 163n7)33 und vom 26.10.1978 (7 U 64n8)34, den Berufungsurteilen zu den beiden Apfelschorf-Entscheidungen des BGH, zur Begründung der Anwendung deutschen Rechts heran 35 • Wie auch die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 24.6.1975 36 enthalten die beiden Entscheidungen in ihren wortgleichen Ausführungen zur kollisionsrechtlichen Fragestellung keinen Hinweis auf die TatortregeP7 • Interessant ist insoweit aber die Bezugnahme auf den Wohnsitz des Klägers. Deutsches Recht, so das OLG Celle, sei "gemäß Art. 12 EGBGB" anzuwenden, weil die der (Erst-)Beklagten angelastete Tat mit dem Eintritt ihres Erfolges, der Schädigung der Obstbäume und ihrer Früchte, nach dem Vorbringen des Klägers auch an dessen Wohnsitz erfolgt sei. Diese Formulierung verdient vor allem auch deswegen besonders hervorgehoben zu werden, weil sie der BGH in seiner Revisionsentscheidung wörtlich übernommen hat 38• Offenbar will sich das OLG Celle- und der BGH(?) - zur Anknüpfung des Deliktsstatuts (in Produzentenhaftungsfällen?) nicht mit dem Erfolgsort allein begnügen, sondern verlangt als verstärkendes Moment, daß der Erfolgsort mit dem Wohnsitz des Geschädigten zusammentrifft. Hier zeigt sich vielleicht erstmals eine gewisse Tendenz zur ,,Auflockerung des Deliktsstatuts" in Produzentenhaftpflichtfällen. Freilich bleibt abzuwarten, welche Rolle dieser Gesichtspunkt in zukünftigen Entscheidungen spielen wird. Zuletzt soll in diesem Zusammenhang noch die Entscheidung des RG vom

21.2.1899 zu einem ·Fall des interlokalen Privatrechts der Produzentenhaftung

Erwähnung finden 39• Auch das RG stellt auf das am Tatort geltende Recht ab. Wegen der aufschlußreichen Argumentation zur Lokalisierung eben dieses Tatorts wird auf die Entscheidung weiter unten (unter 4) noch näher eingegangen. 3. Qualifikationsprobleme Wie der obige Rechtsprechungsüberblick (unter 1 und 2) erhellt, qualifizieren sowohl der BGH als auch die übrige Rechtsprechung die Produzentenhaftung ohne weiteres als Delikt. Dies entspricht der materiellrechtlichen Einordnung im

33 Abgedr. bei Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band II, a. a. 0., S. 445 ff. 34 Abgedr. bei Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band II, a. a. 0., S. 457 ff. 35 Zum Sachverhalt oben unter 1. 36 Siehe oben Fn. 30. 37 Siehe OLG Celle v. 13. 7.1978, a.a.O., (Fn. 33), S. 448 und OLG Celle v. 26. 10.1978, a.a.O., (Fn. 34), S. 462. 38 Vgl. BGH, NJW 1981, 1606- "Apfelschorf II" - . 39 Abgedr. in JW 1899, 222 f.; vgl. daneben noch die Entscheidung des AG Neustadt 1 Weinstr. vom 23.2. 1984, IPRspr. 1984, Nr. 133, S. 319, wo es allerdings nur um die internationale Zuständigkeit ging.

I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung

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deutschen Recht 40 • Die Beispiele Frankreichs 41 , Österreichs 42 und der Vereinigten Staaten von Amerika 43 zeigen allerdings, daß die mit dem Schlagwort "Produkthaftung" bezeichneten tatsächlichen Probleme und Sachverhalte vielfach auch mittels vertragsrechtlicher Konstruktionen bewältigt werden 44 • Wenn hierzulande demgegenüber die Produzentenhaftung in qualifikationsmäßiger Hinsicht als dem Deliktsrecht zugehörig behandelt wird, so stimmt dies zwar mit dem in der Praxis weitgehend befolgten Grundsatz überein, die kollisionsrechtliche Qualifikation einer Materie im Einklang mit dem materiellen Recht der Iex fori vorzunehmen 45 • Wegen der in zahlreichen Rechtsordnungen abweichenden rechtlichen Klassiftkation und den dabei verwandten unterschiedlichen juristischen Konstruktionen ist die rein deliktsrechtliche Qualiftkation der Produzentenhaftung jedoch nicht unproblematisch und kann in bestimmten Fällen zu Komplikationen führen. Dies wird besonders an einem Fall deutlich, der einem deutschen Universitätsinstitut zur Begutachtung vorgelegen hat und den die Gutachter dankenswerterweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben 46 • Ein in Deutschland ansässiger Müller hatte von einer deutschen Firma einen in Frankreich hergestellten und über eine französische Exportfirma vertriebenen Getreidesilo gekauft und bei sich aufstellen lassen. Wegen eines Konstruktionsfehlers brach der Silo zusammen, kurz nachdem er zum erstenmal gefüllt worden war. Neben der Zerstörung des Silos entstand dem Müller dadurch erheblicher weiterer Schaden in Form von verlorenem Getreide, Bergungskosten, zerstörtem Mühlgerät, Beschädigung der Mühle usw. Weil die unmittelbare Verkäuferin des Silos sich von der Haftung freigezeichnet hatte, wollte der Müller die französische Herstellerfirma wegen dieser Schäden in Anspruch nehmen. Die Gutachter prüfen zunächst 47 , ob und inwieweit dem Müller ein vertraglicher Anspruch gegen den französischen Hersteller zusteht. Wegen der in der Hühnerpest-Entscheidung getroffenen Festlegung des BGH auf das Deliktsrecht 48 scheidet ein derartiger Anspruch nach deutschem Recht aus, wie die Autoren zutreffend konstatieren 49 • Infolgedessen konzentrieren sie ihre Untersuchung insoweit auf die französische "action directe" 50• Nach diesem Institut hat der Müller Ausführlich dazu oben im 3. Kapitel. Siehe oben im 5. Kapitel unter I 1. 42 Siehe oben im 3. Kapitel unter I (Fn. 2). 43 Soweit die Produkthaftungsproblematik dort über das Institut der "warranty" gelöst wird, siehe dazu oben im 5. Kapitel unter II 1. 44 Über entsprechende Vorschläge in der deutschen Literatur oben im 3. Kapitel unter I. 45 So ganz offensichtlich die beiden Entscheidungen des OLG Celle, a.a.O. (Fn. 33 und Fn. 34). 46 Siehe Eujen/Müller-Freienfels, RIW (AWD) 1972, 503 ff. 47 AaO (Fn. 46), S. 503-505. 48 Siehe dazu oben im 3. Kapitel unter I. 49 AaO (Fn. 46), S. 504. so AaO (Fn. 46), S. 504 f. 40 41

I I Winkelmann

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

einea unmittelbaren vertraglichen Anspruch gegen die französische Herstellerfirma auf Ersatz aller mit der Lieferung des fehlerhaften Silos zusammenhängenden Mangel- und Mangelfolgeschäden 51 • Die Frage ist allerdings, ob dieser Rechtsbehelf auch dem deutschen Müller zugute kommt, ob mit anderen Worten zwischen dem Müller und der Herstellerfirma im Hinblick auf die "action directe" französisches Recht zur Anwendung gelangt. Die Gutachter bejahen diese Frage, indem sie die "action directe" in Übereinstimmung mit der französischen Auffassung als vertraglichen Anspruch qualifizieren und an das Vertragsstatut des ersten Kaufvertrags zwischen französischer Herstellerfirma und französischer Vertriebsfirma anknüpfen 52 • Soweit man den Verfassern des Gutachtens bis hierhin gefolgt ist, erscheint diese Anknüpfung durchaus berechtigt, denn die "action directe" läßt sich als stillschweigende Übertragung der Gewährleistungsrechte aus dem ersten Kaufvertrag an die nachfolgenden Käufer der Sache begreifen und wird von der französischen Doktrin in ihrer überwiegenden Mehrheit auchgenauso begründet 53 • Dieses dogmatische Konstrukt vorausgesetzt, haben die aus der "action directe" fließenden Gewährleistungsrechte ihren Ursprung im ersten Kaufvertrag über die Sache, unterstehen deshalb auch dem für diesen ersten Vertrag geltenden Statut 54• Im Gegensatz dazu kann es kaum einen Zweifel geben, daß eine rigide Qualifikation des vorliegenden Sachverhalts nach der lex fori (deutschem Recht) dem Müller keinen Anspruch aus "action directe" gegen den französischen Hersteller eröffnet hätte. Denn die vom Müller gegen den französischen Hersteller erhobenen Ansprüche sind nach deutscher Auffassung und nach deutschem Recht eben nur über Delikt zu bekommen. Folglich müßte die von den Gutachtern erörterte "action directe" eigentlich schon auf der Qualifikationsebene ausgeschaltet werden. Zu den von den Gutachtern diskutierten Anknüpfungsfragen würde es dann gar nicht erst kommen. Daß die Gutachter gleichwohl so falsch nicht liegen, zeigt eine nur geringfügige Abwandlung oder besser Ergänzung der geschilderten Sachgestaltung. Man braucht sich in vorliegendem Fall nämlich nur vorzustellen, daß sich der Müller zur Begründung seiner Klage (vor einem deutschen Gericht) auf die "action directe" berufen hätte. Legt man die oben (unter 2) beschriebene Auffassung des OLG Düsseldorf zugrunde, dann hätte der Müller damit zugleich sein ihm durch die deliktische Tatortregel eingeräumtes Wahlrecht zwischen dem Recht des Handlungs- und dem des Erfolgsortes zugunsten des am Handlungsort (= Herstellungsort?) geltenden französischen Rechts ausgeübt. Auf die Ansprüche des Müllers gegen die französische Herstellerfirma fände unter diesen Umständen Siehe oben im 5. Kapitel unter I 1. AaO (Fn. 46), S. 505. 53 V gl. nur den Überblick bei Ferid I Sonnenberger, a. a. 0., Rd. 2 G 655 (S. 135 f.) mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 54 AaO (Fn. 46), S. 505. s1

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also französisches Recht Anwendung, und dem Müller könnte die "action directe" mit ihrem unmittelbaren vertragsrechtliehen Zugriff auf entferntere Glieder der Verteilerkette zugute kommen. Zum seihen Ergebnis gelangte man, wenn man kosequent den vom BGH in der Apfelschorf II-Entscheidung beschrittenen Weg in dem unter Zugrundelegung der Sachverhaltsvariante sicherlich nicht unwahrscheinlichen Fall befolgte, daß die französische Herstellerfirma der Berufung des Müllers auf die "action directe" und damit auf französisches Recht nicht widersprochen hätte 55 • Denn hier müßte der BGH, machte er wirklich ernst mit seiner Ansicht, ebenso wie im Fall der unwidersprochenen Berufung des Klägers auf deutsches Recht von einer stillschweigenden Einigung der Prozeßparteien auf die Anwendbarkeit französischen Rechts ausgehen. Dem solchermaßen mehr unterstellten als wirklich kundgegebenen Willen der Parteien müßte er durch die Anwendung französischen Rechts auf die Ansprüche des Müllers Geltung verschaffen, ohne sich um die kollisionsrechtlichen Fragen weiter kümmern zu dürfen. Ob sich der BGH zu einer derartigen Enthaltsamkeit gegebenenfalls tatsächlich durchringen könnte, darf indes füglieh bezweifelt werden 56• Näher liegt die Vermutung, daß er unter den geschilderten Umständen zunächst die einschlägigen (deutschen) Kollisionsregeln heranziehen und im Ergebnis dann das von diesen berufene materielle Recht anwenden würde. Eine solche Vorgehensweise entspräche auch in aller Regel den Erwartungen der Parteien und ihren beiderseitigen, berücksichtigungswürdigen Interessen 57 • Würde sich der BGH nun also - wovon realistischerweise auszugehen ist in dem Fall, daß sich der deutsche Müller (unwidersprochen oder nicht) auf die französische "action directe" beruft, zuerst um die Ermittlung des für den behaupteten Anspruch maßgeblichen Rechts bemühen, so wäre er im Rahmen der kollisionsrechtlichen Aufgabenstellung dazu genötigt, die Frage nach der zutreffenden Qualifikation der "action directe" zu beantworten. Wie bei anderen, dem Inlandsrecht unbekannten Rechtsinstituten auch, gibt es für die Lösung dieses Qualiftkationsproblems kein Patentrezept 58• In Anbetracht dessen muß es jedoch als ein zumindest vertretbarer Standpunkt erscheinen, die "action directe" - wie von den Autoren des Gutachtens angenommen- dem internationalen Vertragsrecht zuzuschlagen 59• Nichts anderes gilt dann im Hinblick auf die Anknüpfung: Die solchermaßen als vertraglich qualifizierte Rechtsbeziehung der Parteien kann Siehe dazu oben unter 1. Näher zu diesem Problernkreis unten unter IV. 57 Dazu näher unten unter IV. 58 Allg. dazu z. B. Ferid, IPR, a.a.O., Rd. 4-25 ff. (S. 145 ff.); Kegel, a.a.O., S. 200 f.; aus der Rspr. z. B. RGZ 163, 367, 375 f.; BGHZ 29, 137, 139; BGHZ 47, 324, 332. 59 Dabei kann dahinstehen, ob diese Einordnung sich (noch) im Rahmen der von der Rechtsprechung (z. B. in RGZ 163, 367, 375 f., BGHZ 29, 137, 139 und BGHZ 47, 324, 332) vorgegebenen Formel hält oder ob es sich, wie Drobnig, a. a. 0 ., S. 320, meint, um eine Qualifikation nach der Iex causae handelt. 55

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II *

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und muß an das Statut des ersten Kaufvertrages gekoppelt werden. Denn aus diesem ersten Kaufvertrag leitet sich - wie erwähnt - der aus der "action directe" resultierende (vertragliche) Haftungsanspruch ab. Bedenkt man nun, daß der erste Kaufvertrag zwischen zwei französischen Firmen in Frankreich über eine ebenfalls dort befindliche Sache abgeschlossen wurde 60 , so kann kein Zweifel bestehen, daß auf diesen ersten Kaufvertrag nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 EGBGB französisches Recht Anwendung findet. Da die Übertragung eines Rechts dessen Statut unberührt läßt, würde der Müller unter diesen Umständen den Anspruch aus "action directe" gegen die französische Firma geltend machen können 61• Damit steht man vor einem nicht geringen Dilemma: Die Zuerkennung eines Anspruchs wäre davon abhängig, ob sich der Kläger auf ein bestimmtes Rechtsinstitut beruft oder nicht. Dies widerspricht dem auch für das Kollisionsrecht geltenden zivilprozessualen Grundsatz des "da mihi factum, dabo tibi ius" 62 • Ebenso wie die Feststellung der materiellen Rechtslage darf nach diesem Grundsatz auch die kollisionsrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts durch das Gericht nicht durch Rechtsausführungen des Klägers in einer bestimmten Richtung determiniert werden 63 • Genau das wäre aber der Fall, wenn die rechtliche Begründung der Klage mit der "action directe" einmal zur Anwendung des internationalen Vertragsrechts führen würde- und zwar neben dem ohnehin einschlägigen internationalen Deliktsrecht 64 -,während es andererseits ohne diese Begründung bei der Anwendung des internationalen Deliktsrechts verbliebe. Nun könnte man diesem Dilemma ohne weiteres dadurch begegnen, daß man die "action directe" und vergleichbare Rechtsinstitute, wie insbesondere die in einigen Staaten der USA die Funktion der "strict liability in tort" einnehmende "warranty" 6S, deliktisch qualifizierte 66• Nach der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung in verschiedenen Variationen gebrauchten Formel ist dies durchaus möglich. Eine fremde Rechtseinrichtung ist danach von ihrem Sinn und Zweck her zu erfassen, ihre Bedeutung zu würdigen und auf der so gewonnenen Grundlage den deutschen Kollisionsnormen zuzuweisen 67 • Für die Qualifikation kommt es demnach darauf an, wie das deutsche Kollisionsrecht das fremde Rechtsinstitut versteht und verstehen muß. Die Einordnung in das heimische Kollisionsrecht muß also anband der Funktion vorgenommen werden, die das AaO (Fn. 46), S. 505. AaO (Fn. 46), S. 505. 62 Siehe dazu auch schon oben unter 2. 63 Zu diesem Problemkreis ausführlich unten unter IV. 64 Vgl. Eujen I Müller-Freienfels, a. a. 0. (Fn. 46), die auf S. 505 ff. im Anschluß an die Untersuchung der "action directe" ganz selbstverständlich noch das internationale Deliktsrecht prüfen. 65 Siehe oben im 5. Kapitel unter II 1, Fn. 47. 66 Zu den Qualifikationsproblemen bei einer auf "warranty" gestützten Klage ausführlich Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 197 ff.; siehe auch Stoll, FS Kegel, a.a.O., S. 133 f. 67 BGHZ 47, 324, 332; siehe auch RGZ 163, 367, 375 f. und BGHZ 29, 137, 139. 60 61

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Rechtsinstitut in der fremden Rechtsordnung wahrnimmt, nicht anhand der dortigen dogmatisch-systematischen Einkleidung 68 • Die "action directe" (und vergleichbare Institute wie namentlich die "warranty") erfüllt in Fallkonstellationen wie der vorliegenden in Frankreich (bzw. in USA) aber genau die Funktion, die in Deutschland ausschließlich von der deliktischen Produzentenhaftung übernommen wird. Berücksichtigt man daher, daß Gegenstand der Qualifikation nicht primär eine Rechtsfrage, sondern ein tatsächlicher Sachverhalt ist 69, so müßte deshalb die "action directe" 70 hier als deliktsrechtlich qualifiziert werden. Damit sind indes die Qualifikationsprobleme, die Produzentenhaftungsfälle aufwerfen können, noch keineswegs erschöpft. Wie ein Fall dokumentiert, der erst jüngst den Österreichischen OGH beschäftigt hat, können derartige Probleme auch auf der Rechtsfolgenseite der kollisionsrechtlichen Verweisungsnorm 71 auftreten 72 • Der Kläger, ein österreichischer Fruchtsafthersteller, wurde geschädigt, weil der zur Pasteurisierung der Fruchtsäfte verwandte Freistrom-Plattenwärmeaustauscher nicht funktionierte. Nach Behauptung des Klägers war dies auf Konstruktions- und Produktionsmängel zurückzuführen. Den Plattenwärmeaustauscher hatte der Kläger über einen weiteren Zwischenlieferanten von der Österreichischen Generalvertretung des beklagten deutschen Herstellers erhalten. Der auf österreichisches Recht gestützten Klage trat der Hersteller u. a. mit folgender Einlassung entgegen 73 : Für die kollisionsrechtliche Zuordnung der Produkthaftung sei entsprechend dem Grundsatz der Qualifikation nach der Iex fori österreichisches Sachrecht heranzuziehen. Danach sei als Grundlage der Produkthaftung der (Erst-)Vertrag zwischen Produzent und Händler (in casu der Generalvertretung) anzusehen, der Schutzwirkung zugunsten des (Letzt-)Käufers (hier des geschädigten Fruchtsaftherstellers) entfalte 74 • Der Ersatzanspruch des Geschädigten resultiere demnach aus dem zwischen Hersteller und Generalvertretung bestehenden (Lieferungs-)Vertrag und müsse folglich auch diesem Vertragsstatut unterstellt werden. Nach der hierbei maßgeblichen Anknüpfung an die charakteristische Leistung sei dann im vorliegenden Fall deutsches Vertragsrecht anzuwenden. Da sich aber die Schutzwirkung des Vertrags zwischen Hersteller und Generalvertretung nach deutschem Vertragsrecht nicht auf den Letztkäufer (Fruchtsafthersteller) erstrecke 75 , könne dem Kläger kein Anspruch zustehen. Dieser Argumentation vermochte sich der OGH nur dadurch zu entziehen, daß er die Produkthaftung im Gegensatz zum internen Sachrecht als außervertragSo besonders deutlich v. Bar, IPR I, a.a.O., S. 506. Vgl. v. Bar, IPR I, a.a.O., S. 518 f. 10 Entgegen Eujen I Müller-Freienfels, a. a. 0 . (Fn. 46), S. 505. 11 Zum Unterschied der sowohl auf der Tatbestands- wie auch der Rechtsfolgenseite einer Kollisionsnorm angesiedelten Qualifikationsproblematik allg. v. Bar, IPR I, a. a. 0., Rd. 581 f., S. 499 f. 12 Vgl. OGH, IPRax 1988, 363. 73 Vgl. OGH, IPRax 1988, 363, 364. 74 Siehe oben im 3. Kapitel unter I, Fn. 2. 75 Siehe oben im 3. Kapitel unter I. 68 69

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liehe Haftung qualifizierte 76, um auf diese Weise auf den deliktischen "Verhaltensort" (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 öster. !PR-Gesetz) als Anknüpfungspunkt rekurrieren zu können. Damit nahm der OGH allerdings einen offenen Widerspruch zwischen kollisionsrechtlicher und sachnormenrechtlicher Einordnung der Produkthaftung in Kauf, einen Widerspruch, der umso auffälliger ist, als der OGH in derselben Entscheidung die materiellrechtlichen Ansprüche des Geschädigten weiterhin auf der Grundlage der vertraglichen Schutzpflicht zugunsten Dritter löst 77 • Durch seine etwas unorthodoxe Vorgehensweise hat der OGH in der vorgenannten Entscheidung jedoch den Blick auf das eigentliche Qualifikationsproblem, das hier auftaucht, verstellt. Es handelt sich dabei um die Frage, ob denn die Qualifikation eines Anspruchs als vertragsrechtlich auf der tatbestandliehen Seite einer Kollisionsnorm notwendig die entsprechende Qualifikation auf der Rechtsfolgenseite nach sich ziehen muß. Anders ausgedrückt: Selbst wenn wie der beklagte Hersteller in dem vorliegenden Fall vorgetragen hat - bei vertragsrechtlicher Qualifikation der Produkthaftungsansprüche des geschädigten Fruchtsaftherstellers deutsches Recht zur Anwendung kommen würde, hätte dies zur Folge, daß nur das deutsche Vertragsrecht Anwendung finden kann? Ähnlich ließe sich in dem obigen Getreidesilo-Fall 78 fragen, wenn man die Ansprüche des Müllers (entsprechend der Iex fori) deliktsrechtlich qualifizierte und dabei zur Berufung französischen Rechts gelangte. Betrachtet man die Verweisung rein systematisch nur auf das französische Deliktsrecht bezogen, so müßte der Müller ebenfalls leer ausgehen. Denn wegen des Grundsatzes des "non-cumul" 79 erkennt das französische Deliktsrecht in Sachverhaltsgestaltungen, in denen - wie hier - der Endkäufer geschädigt wird, nur vertragsrechtliche, nicht aber zusätzlich noch deliktische Ansprüche des Verletzten an 80 •

Vgl. OGH, IPRax 1988, 363, 364. Siehe OGH, IPRax 1988,363, 365; krit. dazu auch Lorenz, IPRax 1988,373,375. 78 Siehe den Text bei Fn. 46. 79 Vgl. nur Ferid/ Sonnenberger, a.a.O., Rd. 2 G 661 , S. 137 und oben im 5. Kapitel unter I l. 80 Die damit zusammenhängenden Fragen werden von Eujen I Müller-Freienfels, a. a. 0. (Fn. 46), nicht behandelt, obgleich dies auch und gerade unter Zugrundelegung ihrer Prämisse notwendig gewesen wäre. Nachdem sie nämlich zur Anwendung der "action directe" zwischen den Parteien gelangen, hätten sie anschließend untersuchen müssen, ob daneben überhaupt noch deliktische Ansprüche - nach welchem Recht auch immer - bestehen können. Eujen I Müller-Freienfels übergehen diese Frage aber ebenso wie die nach ihrem Lösungsansatz eigentlich naheliegende Möglichkeit einer akzessorischen Anknüpfung der deliktischen Ansprüche des Müllers (dazu sogleich unten unter 5). Statt dessen prüfen sie ohne weiteres (auf S. 505 ff.) auch deliktische Ansprüche, knüpfen diese gesondert an und kommen insoweit zur Anwendung deutschen Rechts. Zu den kollisionsrechtlichen Problemen im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Regelung· von Anspruchskonkurrenzen in Frankreich und dem deutschen Rechtskreis demgegenüber Lorenz, RabelsZ 37 (1973), 317, 334f. 76 77

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Derartige Beispiele ließen sich vermehren. Sie zeigen, welche Probleme und Zweifelsfragen mit der Qualifikation der Produzentenhaftung einhergehen können. Dies liegt zweifellos daran, daß es sich bei der Produzentenhaftung um ein bestimmtes rechtstatsächliches Phänomen dreht, das in materiellrechtlicher Hinsicht auf dem Schnittpunkt zwischen Vertrags- und Deliktsrecht anzusiedeln ist. Gerade im internationalen Vergleich wird deutlich, daß sich dieses Phänomen im Grunde genommen weder eindeutig dem Deliktsrecht noch dem Vertragsrecht zuordnen läßt, vielmehr Elemente aus beiden Rechtsgebieten enthält, und zwar unabhängig von der materiellrechtlichen Klassifikation innerhalb der einzelnen Rechtsordnung. So haben sich zwar z. B. die Bundesrepublik Deutschland 81 , die Schweiz 82 oder Großbritannien 83 für eine grundsätzliche Eingruppierung in das Deliktsrecht entschieden 84, während Frankreich 85, Österreich 86 und einzelne Staaten der USA 87 das Problem über vertragsrechtliche Instrumentarien bewältigen. Wie eine genaue Betrachtung der einzelnen Lösungsvarianten ergibt, läßt sich die jeweilige Einordnung in eines der beiden Gebiete jedoch offenkundig nur dadurch aufrechterhalten, daß über ausgefeilte juristisch-technische (Kunst-)Figuren bestimmte Elemente aus dem jeweils anderen Rechtsgebiet in das gewählte hineingetragen werden. Weil vertragliche Ansprüche eigentlich grundsätzlich das Bestehen eines vertraglichen Bandes zwischen den Parteien voraussetzen, muß etwa eine stillschweigende Übertragung der Gewährleistungsrechte die ganze Absatzkette hinab- wie in Frankreich- oder die Schutzwirkung eines Vertrags zugunsten eines völlig unbekannten Letztabnehmers - wie in Österreich konstruiert werden. Diese (Konstruktions-)Probleme hat die deliktsrechtliche Lösung zwar nicht. Dafür muß sie damit fertig werden, daß ein deliktsrechtlicher Anspruch nur bei einer (schuldhaften) Pflichtverletzung des Anspruchsgegners gegeben ist, einer Pflichtverletzung, die im Vertragsrecht zumeist entweder überhaupt nicht erforderlich ist - wie z. B. in aller Regel bei den in diesem Zusammenhang besonders interessierenden Gewährleistungsansprüchen (vgl. nur §§ 459, 460 BGB) - oder aber immerhin vermutet wird (vgl. z. B. § 282 BGB). Um dem schutzwürdigen Produktgeschädigten über diese Klippe zu helfen, hat der BGH hier deshalb sogar zum Mittel der offenen Rechtsfortbildung gegriffen und damit im Ergebnis die Vorschrift des§ 282 BGB in das Deliktsrecht transponiert. Siehe oben im 3. Kapitel. Dazu neuerdings Fellmann, ZSR 1988, 275 ff. 83 Siehe dazu zusammenfassend nur Pfister, in Kulimann I Pfister, a. a. 0., Kz. 4800, s. 16 ff. 84 Die EG-Richtlinie Produkthaftung und die in ihrem Gefolge verabschiedeten bzw. noch zu verabschiedenden nationalen Gesetze sollen hier einmal außer Betracht bleiben. 85 Siehe oben im 5. Kapitel unter I l. 86 Siehe oben im 3. Kapitel unter I; das kürzlich in Kraft getretene Produkthaftungsgesetz vom 21. l. 1988 soll hier ebenfalls einmal vernachlässigt werden. 87 Siehe oben im 5. Kapitel unter II l. 81 82

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Aus alledem folgt, daß der Versuch, die Produktenhaftung mit Gewalt in das Vertrag-Delikt-Schema pressen zu wollen, wenigstens auf der internationalprivatrechtlichen Ebene aufgegeben werden sollte 88 • Daß sich der Problemkreis "Produkthaftung" jedenfalls inzwischen zu einem eigenständigen Rechtsgebiet zwischen diesen beiden Bereichen verselbständigt hat, zeigen schon die jüngst in Kraft getretenen bzw. in der Entstehung begriffenen besonderen gesetzlichen Regelungen 89• Dieser Entwicklung zu einem eigenständigen Rechtsgebiet sollte das internationale Privatrecht durch eine autonome Qualifikation der Materie Rechnung tragen 90 • Nicht zuletzt die praktische Rechtsanwendung würde dadurch erheblich erleichtert. Denn damit würde die Notwendigkeit entfallen, in jedem einzelnen internationalen Produkthaftungsfall die - wie der obige Beispielsfall zeigt - teilweise komplizierte Frage lösen zu müssen, welchem der beiden Sachgebiete, Delikt oder Vertrag, der Fall zugeordnet werden soll. Der tatsächliche Lebenssachverhalt, den das materielle Produkthaftungsrecht rechtlich zu bewältigen sucht, ist jedenfalls inzwischen auch nicht mehr so amorph, daß eine autonome Qualifikation an der unklaren tatbestandliehen Umschreibung scheitern müßte 91• Vielmehr handelt es sich bei der Produkthaftung um ein- zumindest inzwischen - recht klar abgegrenztes Phänomen, bei dem der Anspruchsteller durch eine Sache, die nach seiner Behauptung aus irgendeinem Grunde bestimmten Sicherheitsanforderungen nicht genügt, geschädigt worden ist. Für die kollisionsrechtliche Qualifikation der Produkthaftung ist deshalb künftig nur zu prüfen, ob der vorgetragene Fall einen derartigen Sachverhalt beinhaltet 92 • Dies gilt selbstredend nicht nur insoweit, als es um die Qualifikation auf der Tatbestandseite geht, sondern auch für die Qualiftkation auf der Rechtsfolgenseite. Wie das ausländische Recht die Produzentenhaftung systematisch einordnet (Vertrag oder Delikt), ist vollkommen unerheblich. Verweist die (im folgenden zu erörternde) Kollisionsregel auf ausländisches Recht, kommt immer "das" ausländische Produkthaftungsrecht zur Anwendung: Entscheidend ist allein, in welcher Weise dort das Sachproblem gelöst wird, die dogmatische Einkleidung ist gleichgültig 93 .

ss In dieser Richtung schon Kühne, Cal. L. Rev. 1972, 1, 10 f.; Bröcker, a.a.O., S. 163; Saunders, Actes et Documents, a.a. O., S. 48 und dezidiert Duintjer Tebbens, a.a.O., S. 169 und S. 338 f. 89 Auf EG-Ebene vor allem die in Umsetzung der EG-Richtlinie Produkthaftung vom 25.7.1985 ergangenen bzw. noch zu erlassenden nationalen Bestimmungen; ferner das Österreichische Produkthaftungsgesetz vom 21. 1. 1988; einzelstaatliche Produkthaftungsgesetze in USA abgedr. bei Travers, a.a.O., Primary Source Documents. 90 Allg. zur Notwendigkeit einer autonomen Qualiftkation v. Bar, IPR I, a.a.O., s. 515 ff. 91 Diese Sorge äußert noch Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 187 f.; ders. in RabelsZ 37 (1973), 317, 323f. 92 Vgl. dazu auch die rechtsvergleichenden Erörterungen im nachfolgenden KapitelS. 93 Vgl. dazu allg. v. Bar, IPR I, a. a.O., Rd. 582 f., S. 500 ff.

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Damit ist freilich erst geklärt, wie die Produzentenhaftung in qualifikationsmäßiger Hinsicht behandelt werden sollte. Über die Frage, wie und nach welchen Gesichtspunkten ein internationaler Produzentenhaftungssachverhalt angeknüpft werden sollte, ist dagegen noch keine Aussage getroffen. Dieser Problematik, die sich im Ergebnis als nicht weniger schwierig darstellt, soll im folgenden nachgegangen werden. 4. Die Tatortregel im IPR der Produzentenhaftung

Wie sich aus der Apfelschorf II-Entscheidung 94 ergibt, will der BGH auf internationale Produzentenhaftungssachverhalte grundsätzlich die Tatortregel des internationalen Deliktsrechts angewandt wissen. Nach dieser Regel entscheidet das am Tatort geltende Recht über die deliktischen Ansprüche des Geschädigten (Iex loci delicti commissi). Als Tatort (Begehungsort der unerlaubten Handlung) kommt dabei jeder Ort in Betracht, an dem sich auch nur ein Teil des Deliktstatbestandes verwirklicht hat 95 • Dies ist vor allem für sog. Distanzdelikte von Bedeutung, in denen der Handlungsort, also der Ort, an dem die unerlaubte Handlung ganz oder teilweise ausgeführt wird, und der Erfolgsort, also der Ort, an dem das durch die Deliktsnorm geschützte Rechtsgut verletzt wird, auseinanderfallen. In diesen Fällen- sofern an Handlungs- und Erfolgsort verschiedene Rechtsordnungen gelten- ist nach dem von der Rechtsprechung entwickelten sog. Ubiquitätsprinzip das dem Verletzten günstigere Recht maßgebend 96 • Unter "günstigerem Recht" werden dabei nicht die dem Verletzten jeweils günstigsten Teile der in Frage kommenden Rechtsordnungen verstanden, sondern nur die insgesamt günstigste Rechtsordnung 97 • Welche der Rechtsordnungen für den Geschädigten die günstigste ist, muß das Gericht von Amts wegen ermitteln 98 • Diese in der Theorie recht einfach klingende Regel bereitet in der Praxis zum Teil beträchtliche Verlegenheit. Häuftg nämlich läßt sich weder Handlungs- noch Erfolgsort eindeutig und ohne weiteres nach den abstrakt-generellen Kriterien "Ausführungsort" und "Verletzungsort" bestimmen. Bei zahlreichen und gerade moderneren Erscheinungsformen deliktischer Sachverhalte bleiben danach vielmehr mehrere Möglichkeiten offen, die einschlägigen "Begehungsorte" zu lokalisieren. Um eine Auswahl unter den verschiedenen durch die Grundregel eröffneten Tatortmöglichkeiten treffen zu können, ist hier deshalb nicht ohne zusätzliche Anknüpfungsmerkmale auszukommen, die wiederum nur anband der tatsächliSiehe oben unter 1. Vgl. z. B. HansOLG Hamburg, MDR 1955, 615, 616. 96 Zur Entwicklung des sog. Ubiquitätsprinzips in der deutschen und schweizerischen Rechtsprechung ausführlich Hohloch, a.a.O., S. 104 f., mit umfangreichen Nachweisen. 97 Hohloch, a.a.O., S. 105, Fn. 275. 98 Vgl. BGH, NJW 1964, 2012; BGH, NJW 1974, 410; BGH, NJW 1981 , 1606 f. - ,,Apfelschorf II" -. 94

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eben Besonderheiten und speziellen Interessenlagen des jeweils in Frage stehenden Deliktstyps zu gewinnen sind. Unversehens gelangt man so zu einer deliktstypenspezifischen Anknüpfung, die sich mehr oder weniger von der Grundformel emanzipiert 99 - eine Tendenz, die besonders deutlich in der wechselvollen Rechtsprechung zu den Wettbewerbsdelikten zutage tritt 100• Zugleich gibt diese Rechtsprechung einen Eindruck von den Problemen, welche die Tatortregel im einzelnen aufwerfen kann 101. Solche Probleme scheinen auf den ersten Blick bei der Produzentenhaftung nicht zu existieren. Zwar fallen auch hier Handlungs- und Erfolgsort regelmäßig auseinander. Doch hat es den Anschein, als könnten beide Orte bequem und zweifelsfrei aufgrund der Kriterien "Ort der Ausführung des Delikts" und "Ort der eingetretenen Rechtsgutsverletzung" festgelegt werden. Bei näherem Hinsehen trifft dies jedoch nur für den Erfolgsort und auch dort nur mit Einschränkung zu. Mit der Ausrichtung des Erfolgsortes am Ort der Rechtsgutsverletzung ist zunächst jede Ansicht unvereinbar, die den Erfolgsort weiter vorverlagern möchte, namentlich den Erfolgsort bereits am Ort des Erwerbs des schadstiftenden Produkts ansiedeln will 102 • In aller Regelläßt sich nämlich der Ort, an dem der Geschädigte durch das Produkt eine Verletzung seiner Rechtsgüter erlitten hat, ohne weiteres anband der äußeren Umstände feststellen 103 • Dies verhält sich jedoch nicht durchwegs so. Zu erinnern ist namentlich an die Fälle schleichender oder zeitlich gestreckter Verletzungen, wie sie insbesondere bei Medikamentenschäden auftreten können. Als Beispiel mag insoweit der in der Literatur berichtete (hypothetische) Fall dienen, daß ein Ausländer ein in USA hergestelltes Medikament in Paris erwirbt, dort mit dessen Einnahme beginnt und nach fortgesetztem weiterem Gebrauch auf der Reise durch mehrere Länder schließlich in Tansania die 50. Pille schluckt, um danach daranfühlbar zu erkranken 104• Hier den Verletzungsort zu bestimmen, stößt auf nicht geringe Schwierigkeiten. Ein Ausweg könnte vielleicht darin bestehen, den Erfolgsort in derartigen Fällen aus der "Schreckenskammer" des IPR 105 ausnahmsweise doch an den Erwerbsort vorzuverlagern 106 • 99 V gl. dazu nur Hohloch, a. a. 0 ., S. l 09 ff., dessen geraffter Bericht über die Tatortbestimmung in der Rechtsprechung diese Entwicklung offenbart. 1oo Siehe dazu einerseits BGHZ 14, 286, 291, BGHZ 21 , 266, 270 f., BGHZ 22, I, 18; andererseits BGHZ 35, 329, 333 ff., BGHZ 40, 391, 393 ff. und dazu Beitzke, JuS 1966, 139, 143 ff.; siehe auch BGH, GRUR 1982, 495, 497 f. und OLG Hamm, NJWRR 1986, 1047 f. 101 Zusammenfassend dazu Kegel, a.a.O., S. 457 ff. 102 Dies wird im Hinblick auf die internationale und örtliche Zuständigkeit nach § 32 ZPO - diskutiert und verworfen von AG Neustadt I Weinstraße, lPRspr. 1984, Nr. 133, S. 319. 103 Ebenso Lorenz, Vorschläge und Gutachten, a.a.O., S. 104. 104 Vgl. Lorenz, RabelsZ 37 (1973), 317, 341; derselbe in Vorschläge und Gutachten, a.a.O., S 103 f.; siehe auch Cavers, a.a.O., S. 6. 105 So Lorenz, Vorschläge und Gutachten, a.a.O., S. 104.

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Als weitaus problematischer stellt sich die Lokalisierung des Handlungsortes in Produkthaftpflichtfällen heraus. Nimmt man die Definition von der "Ausführung des Delikts" zur Grundlage, so scheint zunächst alles auf den Ort der Herstellung des Produkts hinzudeuten, denn an dieser Stelle werden die einzelnen Handlungen des Herstellers und seiner Angestellten "ausgeführt", Handlungen, die nicht nur das Produkt überhaupt erst entstehen lassen, sondern - sobald im Rahmen des Herstellungsprozesses irgendwelche Konstruktions- oder Fabrikationsfehler unterlaufen - das konkrete Produkt auch zu einem Sicherheitsrisiko für die Rechtsgüter anderer machen 107• Mit der Orientierung am Herstellungsort ist indes noch nicht viel gewonnen. Dies dokumentiert schon der gar nicht unwahrscheinliche Fall, daß die verschiedenen, zur Herstellung des Produkts notwendigen Handlungen, wie namentlich Konstruktion und Fabrikation, an unterschiedlichen Orten stattgefunden haben. Wo soll hier der "Herstellungsort" liegen 108? Schwerer noch wiegt der Einwand, daß die pauschale Bezugnahme auf den "Herstellungsort" der von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzung für die Lokalisierung des Handlungsortes widerspricht. Abzustellen ist danach wie gesagt - auf den Ort der "Ausführung des Delikts". Bevor dieser Ort festgestellt werden kann, muß zuallererst die Frage geklärt werden, was genau eigentlich die "Ausführung des Delikts" in Fällen der Produktenhaftpflicht ausmacht: Sämtliche Handlungen, die das Produkt zur Entstehung bringen, oder nur solche, die einen (Verkehrs-)Pflichtverstoß bedeuten, oder gar noch andere, wie z. B. die Ioverkehrgabe des fehlerhaften Produkts? Es handelt sich hier um eine Qualifikationsfrage, die nach der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Doktrin ausnahmsweise nicht durch die Iex fori, sondern durch die Iex causae beantwortet werden soll 109• Ob eine deliktische "Ausführungshandlung" vorliegt, richtet sich demzufolge also nach dem Recht desjenigen Ortes, an dem das fragliche Verhalten vorgenommen wird. Nun ist das schlichte Produzieren von Waren wohl an keinem Ort der Erde verboten. Damit es zur Haftung für den im Zusammenhang mit der Benutzung eines Produkts entstandenen Schaden kommen kann, müssen vielmehr weitere Voraussetzungen erfüllt sein, die als Regulativ einer reinen Kausalhaftung dienen 110• Dies wird meist- soweit in den betreffenden Staaten keine Gefährdungshaftung besteht 111 - ein bestimmtes (fehlerhaftes, sorgfaltswidriges etc.) Verhalten im

Siehe dazu AG Neustadt/Weinstraße, IPRspr. 1984, Nr. 133, S. 319. Vgl. Simitis, a.a.O., S. 89; Kühne, Cal. L. Rev. 1972, 1, 12. 108 Vgl. Cavers, a.a.O., S. 5 f. 109 Vgl. BGHZ 23, 65, 68; MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 44; Soergel-Lüderitz, Band 8, a.a.O., Art. 12, Rd. 2; Kegel, a.a.O., S. 457. 110 Siehe oben im 3. Kapitel unter III 1. 111 Zur Gefährdungshaftung sogleich unten unter III 2 b. 106

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Hinblick auf die Beschaffenheit des Produkts sein 112• Als exemplarisch kann insoweit die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland angesehen werden, wo erst der Verstoß gegen die bei der Herstellung zu beachtenden Sorgfaltsanforderungen (Verkehrspflichten) die konkrete Handlung (oder Unterlassung) zu einer deliktischen macht. Für die Lokalisierung des ,,Ausführungsortes" folgt daraus, daß die deliktische Handlung niemals schlicht am Ort der Konstruktion, am Ort der Fabrikation oder gar pauschal am Ort der "Herstellung" begangen sein kann, sondern immer nur am Ort der sorgfaltswidrigen Konstruktion usw. Sieht man einstweilen einmal von Gefahrdungshaftungstatbeständen ab 11 3, so steht damit auch gleichzeitig fest, daß zeitlich spätere Handlungen, wie z. B. die lnverkehrgabe, als Anknüpfungspunkte ausscheiden, weil darin nicht die deliktisch relevante, d. h. haftungsauslösende, Handlung liegt 114• Die Praktikabilität dieser Anknüpfungsmethode darf freilich angezweifelt werden. Genangenommen verlangt sie, bereits im Rahmen der kollisionsrechtlichen Anknüpfungsfrage zu entscheiden, an was für einem Fehler (Konstruktionsfehler, Fabrikationsfehler usw.) das schadstiftende Produkt gelitten hat, weil nur der Ort der (Verkehrs-)Pflichtverletzung, also der Ort, an dem der Konstruktionsfehler usw. herbeigeführt wurde, maßgeblich ist. Diese Vorgehensweise mag bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern noch angehen, da die Konstruktions- und 112 Vgl. nur Esser I Weyers, a. a.O., S. 474, die hervorheben, daß die Verkehrspflichten der Sache nach in allen Haftpflichtrechten der Welt entdeckt werden können, ohne Rücksicht auf deren systematischen Ansatz. 113 Dazu sogleich unten unter III 2 b. 114 Vgl. dagegen Simitis, a.a.O., S. 90, Eujenl Müller-Freienfels, RIW (AWD) 1972, 503, 507 und Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a. 0., Rd. 338 ff., S. 271 ff., die zumindest auch (Simitis und Schmidt-Salzer) bzw. sogar in erster Linie (Eujen I Müller-Freienfels) auf den Ort der Inverkehrsetzung des Produkts abstellen wollen. Über die genaue Lokalisierung dieses Vorgangs besteht aber schon wieder Uneinigkeit. Angeboten werden insoweit der Ort des lnverkehrbringens (im engeren Sinne), also der Ort, an dem der Hersteller das Produkt aus seinem Herrschaftsbereich entlassen hat (so Schmidt-Salzer, Rd. 338, S. 272 und Rd. 344, S. 278); dann der erste Vertriebsort, also der Ort, an den unmittelbar der Hersteller selbst das Produkt geliefert (exportiert) hat (so Schmidt-Salzer, Rd. 340 ff, S. 276 ff.); dann der Ort, an dem der Geschädigte das Produkt gekauft hat (so offenbar Simitis, ebenda); schließlich sogar der Ort, an dem das gekaufte Produkt abgeliefert wurde (so Eujen I Müller-Freienfels, ebenda, und offenbar auch Neubaus, a. a. 0., S. 243; vgl. dazu auch Cavers, a. a. 0., S. 6). Der Beliebigkeil der Anknüpfungspunkte sind auf diese Weise also nahezu keine Grenzen gesetzt. Dies macht deutlich, daß der ohnehin auch im materiellen Recht nicht ganz klare lnverkehrgabebegriff (siehe oben im 6. Kapitel unter ill 1 d) für die kollisionsrechtliche Anknüpfung nicht taugt. Das für seine Verwendung ins Feld geführte Argument, daß nämlich nicht die Herstellung, sondern nur das lnverkehrbringen schadstiftender Ware verboten sei (so Simitis und Eujen I Müller-Freienfels), ist obendrein so nicht richtig. Verboten ist allein die (vermeidbare) Gefährdung anderer. Für eine solche Gefährdung genügt bereits die Anfertigung eines fehlerhaften Produkts, da niemals ausgeschlossen werden kann, daß andere nicht doch irgendwie in Berührung mit ihm kommen. Pflichtwidrig und damit haftungsauslösend ist nicht die Inverkehrgabe, sondern die fehlerhafte Herstellung des Produkts. Erstere aktualisiert nur die zuvor begangenen Pflichtverstöße: Aus der abstrakten wird eine konkrete Gefahr (siehe dazu im einzelnen oben im 3. Kapitel unter ill 2).

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Fabrikationsorte zumeist noch relativ leicht ausfindig zu machen sein und häufig (keineswegs aber immer!) mit dem Herstellersitz zusammenfallen werden. Hält man sich dagegen die ganze Bandbreite möglicher Produktfehler vor Augen, so fragt sich bereits bei den Instruktionsfehlem, wo diese wohl "begangen" sein könnten, an dem Ort, wo das Rezept hätte (korrekt) ausgestellt werden müssen (Herstellersitz? Wohnsitz des mit der Beschreibung betrauten selbständigen Autors? Sitz des beauftragten Übersetzungsbüros?), oder an dem Ort, wo die Instruktion ihre Wirkung hätte tun sollen, also beim Konsumenten, der das erworbene Produkt zuhause ausgepackt und aufgrundder mangelhaften Beschreibung falsche bzw. gefährliche Verwendung davon gemacht hat? Vollends unsicher wird die Lokalisierung des Handlungsortes dann beim sog. Produktbeobachtungsfehler. Die Pflicht zur Produktbeobachtung verlangt vom Hersteller, die von ihm erzeugte Ware auch noch nach Ioverkehrgabe daraufhin zu beobachten, ob sich nachträglich, insbesondere beim Gebrauch der Ware durch den Konsumenten, bislang unentdeckte Gefahrpunkte und Sicherheitsmängel offenbaren 115 • Wo aber liegt der Begehungsort, wenn- um ein Beispiel aus der jüngsten Rechtsprechung des BGH zu nennen- ein japanischer Motorradhersteller, der seine Motorräder in die ganze Welt exportiert, die Produktbeobachtung insoweit versäumt, als die Motorräder, nachträglich mit einer handelsüblichen, wenn auch herstellerfremden Lenkerverkleidung ausgestattet, zu einem Sicherheitsrisiko für den Fahrer werden 116? Ist der Handlungsort dann an der Stelle zu fixieren, von wo aus hätte beobachtet oder besser: die weltweite Produktbeobachtung hätte organisiert werden müssen - in diesem Fall somit Japan? Oder kulminiert die Produktbeobachtungspflicht und damit der Begehungsort nicht doch auf den jeweiligen nationalen Märkten und demzufolge an dem Ort, an dem die Produktbeobachtung hätte vorgenommen werden müssen - im Beispielsfall also in der Bundesrepublik Deutschland? Die Lokalisierungsschwierigkeiten der beiden zuletzt genannten Fehlergruppen rühren vor allem daher, daß es sich sowohl bei den Instruktions- als auch bei den Produktbeobachtungspflichtverstößen typischerweise um Unterlassensdelikte handelt. Für Unterlassensdelikte gibt es zwar eine allgemeine, von der Rechtsprechung verwandte Lokalisierungsformel, wonach nämlich bei Unterlassensdelikten der Handlungsort derjenige Ort ist, wo eine Pflicht zum Handeln bestand 117 • Jedoch hilft diese Formel bei den besprochenen Produzentenhaftungsdelikten auch nicht recht weiter 118 • Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Instruktion undnoch deutlicher - zur Produktbeobachtung besteht nämlich sowohl (irgendwo) Siehe oben im 3. Kapitel unter III 3 a. Vgl. BGH, NJW 1987, 1009 ff. m Vgl. z. B. HansOLG Hamburg, MDR 1955, 615, 616; Hoh1och, a.a.O., S. llO; Kegel, a.a.O., S. 459. 118 Allg. krit. zur Lokalisierungsformel der hM bei Unterlassensdelikten Beitzke, JuS 1966, 139, 142. 115

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

im Herstellerbereich als auch an dem Ort, wo der Abnehmer die Ware in Benutzung nimmt bzw. tatsächlich benutzt 119• Im Herstellerbereich ist sie dabei mehr als eine Art Organisationspflicht zu begreifen, die darauf hinausläuft, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit die richtigen Instruktionen auch tatsächlich in gehöriger Form zu dem betroffenen Abnehmer gelangen bzw. damit die Durchführung der Produktbeobachtung vor Ort auch in der Tat gewährleistet ist, während sie sich am Gebrauchsort zur Gefahrabwendungspflicht im Hinblick auf den unmittelbar in seinen Rechtsgütern Bedrohten aktualisiert und konkretisiert. Man mag deswegen von Fall zu Fall den Schwerpunkt der Instruktions- bzw. Produktbeobachtungspflicht einmal mehr am Sitz des Herstellers, ein andermal mehr am Ge- bzw. Verbrauchsort setzen 120• Befriedigend ist diese Lösung jedoch nicht 121 • Dessen scheint sich auch der BGH mehr oder weniger deutlich bewußt zu sein. In der Apfelschorf II-Entscheidung lokalisiert er den Handlungsort nämlich ausdrücklich am "Sitz" des beklagten Herstellers 122 • Möglicherweise ist dies darauf zurückzuführen, daß der BGH stillschweigend von der Annahme ausgeht, der Ort der Herstellung des Produkts und der "Sitz" des Herstellers würden ohnehin zusammenfallen 123 • Daß dem indes durchaus nicht immer so ist, belegen die zahlreichen Beispiele von Produktionsverlagerungen ins Ausland. Soll es nach Meinung des BGH in einem solchen Fall dann auf den (Neben-)Sitz des konkreten Produktionsbetriebs, in dem das schadstiftende Produkt z. B. gefertigt wurde, oder aber auf den (Haupt-)Sitz des Unternehmens, das Träger des Produktionsbetriebs ist, ankommen? Immerhin enthält die Entscheidung des BGH mit der Bezugnahme auf den Geschäftssitz des Herstellers einen Ansatzpunkt, der fort von dem problematischen "Herstellungsort" oder den wie auch immer festzulegenden "Fehlerorten" weist. Sollte sich der BGH in Zukunft eindeutig zum Hauptgeschäftssitz des Unternehmens als maßgeblichem "Handlungsort" bekennen, so hätte er damit die Möglichkeit ausgeschaltet, daß die bereits angesprochene Produktionsverlagerung ins Ausland ausschlaggebend für das anwendbare Recht wird. Zwar ist wohl kaum anzunehmen, daß ein Unternehmen nur deshalb z. B. die gesamte Fertigung oder bestimmte Fertigungszweige ins Ausland verlegt, weil es dort niedrigere Produkthaftungsstandards antrifft bzw. anzutreffen hofft 124• Der Abzug von Fabrikations- oder gar ganzen Produktschienen wird jedoch vielfach aus anderen Gründen vorgenommen, namentlich wegen geringerer Kosten für die Siehe dazu auch Birk, a.a.O., S. 103, Fn. 398. Generell für eine von Fall zu Fall-Anknüpfung Simitis, a.a.O., S. 91 und wohl auch Eujen I Müller-Freienfels, RIW (AWD) 1972, 503, 507. 121 Gegen die Anknüpfung am "Herstellungsort" auch Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 203; Drobnig, a.a.O., S. 329 f.; Reese, Actes et Documents, a.a.O., S. ll3. 122 Vgl. BGH, NJW 1981, 1606. 123 So offensichtlich MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 203. 124 Dieser Meinung ist allerdings Bröcker, a. a. 0., S. 157 f. 119

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benötigten Arbeitskräfte, wie gerade jüngste Beispiele zeigen 125 • Sofern eine solche Verlagerung zugleich Einfluß auf das anwendbare Recht und damit u. U. auf das Ausmaß der drohenden Produkthaftpflicht hätte, würde dies sicherlich als ein willkommener Nebeneffekt begrüßt, wird man für gewöhnlich doch davon ausgehen können, daß in sog. Billiglohnländern ein gegenüber dem Land der Hauptniederlassung "milderes" Produzentenhaftungsrecht herrscht. Einer derartigen "Flucht" vor dem heimischen Produzentenhaftungsrecht begegnet die durchgängige und für alle Produktfehler einheitliche Anknüpfung an den Hauptgesc~äftssitz des jeweiligen Herstellerunternehmens 126• Gleichzeitig werden damit aber wieder neue und andere Fragen aufgeworfen. So ist zumindest denkbar, daß sich dann ein Unternehmen der strengen Haftung am Produktionsstandort durch eine Verlegung des Hauptsitzes in ein Land mit milderen Haftungsnormen zu entziehen sucht 127 • Die formaljuristische Verlegung des Hauptsitzes, während die eigentliche Produktion im Ursprungsland verbleibt, dürfte technisch und wirtschaftlich jedenfalls einfacher als eine Umsiedlung des tatsächlichen Produktionsbetriebs sein 128 • Ferner macht das Abheben auf den Hauptgeschäftssitz wohl keinen Sinn, wenn die Zweigniederlassung speziell und ausschließlich für den dortigen Markt, also den Markt des Landes, in dem die Zweigniederlassung sich befindet, produziert 129 • Hier müßte es wohl ausnahmsweise auf den Ort der Zweigniederlassung ankommen. Was aber soll gelten, wenn- wie es wohl häufig der Fall sein wirdder Produktionsausstoß der Zweigniederlassung zwar vornehmlich, aber nicht ausschließlich für den nationalen Markt der Zweigniederlassung bestimmt ist und der fragliche Produkttyp sowohl vom Land der Hauptniederlassung in das 12s So will z. B. der Bosch-Konzem seine gesamte Warrnwassergeräteproduktion aus der Bundesrepublik nach Portugal verlegen, weil, so die Bosch-Geschäftsleitung, deutschen Arbeitskosten von 32,67 DM je Stunde solche von nur 5,32 DM in Portugal gegenüberstünden, vgl. FAZ v. 19. 7. 1988, Nr. 165, S. 12: "Der 'soziale Raum' in der Gemeinschaft bisher ohne Konturen"; siehe auch FAZ v. 15.11.1988, Nr. 267, S. 18: ,,Neuorientierung im Stammwerk von Bosch". Weitere Beispiele: Die von AEG unter dieser Marke in der Bundesrepublik vertriebenen Mikrowellengeräte, die laut einer Umfrage 80% der befragten Verbraucher für die besten halten, werden ausnahmslos im Ausland, und zwar größtenteils in Korea, hergestellt, vgl. FAZ v. 24.11.1988, Nr. 274, S. 15: "Ohne Hausgeräte wäre die AEG nahezu markenlos". Teilweise werden Produktionsverlagerungen aber auch aus anderen Gründen durchgeführt, etwa weil im Ausland (angeblich) bessere politische und öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen für bestimmte Produktionsverfahren bestehen: So ist derzeit der von verschiedenen Firmen angekündigte bzw bereits vollzogene Abzug gentechnischer Produktion im Gespräch, vgl. FAZ v. 23. 11.1988, Nr. 273, S. 14: ,,Riesenhuber warnt vor Auszug der Gentechnik in das Ausland" und FAZ v. 28.11.1988, Nr. 277, S. 13: "Die umstrittene Gentechnik". 126 Für die Anknüpfung an den Herstellersitz namentlich Drobnig, a. a. 0., S. 330 f. und wohl auch Lorenz, FS Wahl, a. a. 0., S. 203 f. 121 Vgl. Siehr, RIW (AWD) 1972, 373, 387; krit. zu diesem Argument Drobnig, a. a. 0., S. 329 f. 128 Ebenso Siehr, RIW (AWD) 1972, 373, 387. 129 Vgl. auch Birk, a.a.O., S. 105, Fn. 403.

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Land der Zweigniederlassung als auch umgekehrt vom Land der Zweigniederlassung in das Land der Hauptniederlassung als auch schließlich von beiden Ländern in Drittländer exportiert wird? Hier auf das Herkunftsland des konkreten schadstiftenden Produkts abzustellen 130, hieße praktisch, die Anknüpfung an den Herstellersitz wieder durch die Anknüpfung an den Herstellungsort zu ersetzen mit all den damit verbundenen und bereits oben geschilderten Unwägbarkeiten. Außerdem wäre die ausschließliche Orientierung am Herkunftsland des konkreten schadstiftenden Produkts in diesen Fällen vielfach nicht dazu in der Lage, eine befriedigende und vor allem einleuchtende Abgrenzung zwischen dem in Rede stehenden Recht der Haupt- und dem der Zweigniederlassung herbeizuführen. Wenn etwa Munition der Marke "Remington Express" von Remington sowohl in der Zweigniederlassung in Mexiko als auch in der Hauptniederlassung in USA hergestellt wird 131 , so wäre es verfehlt, die Beantwortung der Frage nach dem anwendbaren Recht allein davon abhängig zu machen, woher die konkrete schadstiftende Patrone nun kam. Maßgeblich sind hier offensichtlich ganz andere Faktoren, wie zum Beispiel der Erwerbsort, der Verletzungsort, die soziale Umwelt des Geschädigten, die eine Präferenz des einen vor dem anderen Recht nahelegen. In dem Kasel-Fall sprach sich das Gericht denn auch für die Anwendung kaliforniseben Rechts aus 132, obgleich die defekte Munition höchstwahrscheinlich in Mexiko produziert worden war. Anders wäre die Entscheidung jedoch vermutlich ausgefallen, wenn ein mexikanischer Jäger bei der Jagd in Mexiko verletzt worden wäre, selbst wenn es sich bei der schadstiftenden Ladung zufällig um Importmunition aus USA gehandelt hätte. Ein weiterer Nachteil der Anknüpfung an den Herstellersitz sind die damit verbundenen Interpretationsprobleme. Wer hat als "Hersteller" in kollisionsrechtlicher Hinsicht zu gelten? Da es für die materiellrechtliche Haftung vielfach nicht auf die Herstellereigenschaft ankommt 133, können bei enger Auslegung Spannungen gegenüber der Iex causae auftreten. Dort wird die Haftung nämlich häufig an andere Umstände, wie zum Beispiel Verkauf, Verkehrspflichtverletzung no Zu den Lokalisierungsschwierigkeiten in diesem Fall Saunders, Actes et Documents, a. a. 0., S. 53. 131 Vgl. Kasel v. Remington Arms Company, 101 Cal. Rptr. 314 (Cal. App. 2d Dist. 1972): Im Originalfall war die mexikanische Herstellerflfffia keine Zweigniederlassung, sondern ,,nur" eine Art Tochtergesellschaft von Remington; siehe zu dem Fall nebst Sachverhalt im übrigen schon oben im 5. Kapitel unter II 2. 132 Hier war der gewöhnliche Aufenthalt des Klägers; Hauptgeschäftssitz von Remington war Connecticut, vgl. die ausführlichen kollisionsrechtlichen Erwägungen des Gerichts in 101 Cal. Rptr. 314, 325 ff. (siehe Fn. 131). 133 Weder das französische (dazu im 5. Kapitel unter I 1) noch das amerikanische (dazu im 5. Kapitel unter II 1) noch auch das herkömmliche deutsche Recht (dazu im 3. Kapitel) machen beispielsweise die Eigenschaft als Hersteller zur Voraussetzung der Produkthaftung. In Europa hat erst die EG-Richtlinie Produkthaftung den Begriff des ,,Herstellers" als Adressat der Produkthaftung eingeführt, vgl. insbes. Art. 1 und 3 der Richtlinie sowie die entsprechenden Bestimmungen in § 1 Abs. 1 Satz 1 und § 4 Prod-HaftG.

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usw., geknüpft. Um hier Wertungswiderspruche zu vermeiden, bleibt deshalb nichts anderes übrig, als praktisch jeden, der vom Geschädigten in Anspruch genommen wird, als "Hersteller" zu qualifizieren. In diesem Fall kann man dann aber auch gleich ganz auf das unklare Herstellerkriterium verzichten. Sowohl gegen den Herstellersitz als auch gegen den Herstellungsort als möglichen Anknüpfungspunkten wird schließlich vorgebracht, diese benachteiligten den ausländischen Unternehmer, der bestimmungsgemäß Waren ausschließlich für den Export in ein Land mit niedrigeren Haftungsstandards als am Herstellungsort bzw. Geschäftssitz produziere, gegenüber seinen inländischen Mitkonkurrenten. Der Ausländer werde dadurch nämlich mit einer Haftung bedroht, die den anderen erspart bleibe 134• Dieser Einwand läßt sich nur zum Teil in der Weise entkräften, daß die maßgeblichen technischen Sicherheitsregeln allein dem Recht des Marktortes entnommen werden 135 • Selbst wenn die Sicherheitsnormen gesondert an den Marktort angeknüpft werden, kann doch immer noch eine große Diskrepanz zwischen dem materiellen Haftungsrecht des Herstellersitzes (oder Herstellungsortes) und dem des Marktortes bestehen und damit ein Nachteil für den ausländischen Hersteller gegeben sein. Weder der Herstellungsort noch der Geschäftssitz des Herstellerunternehmens scheinen sich deshalb unbedingt für eine Anknüpfung des "Handlungsortes" zu eignen. Zurliekzukommen ist deswegen auf die bereits oben (unter 2) erwähnte Entscheidung des Reichsgerichts vom 21.2.1899, in welcher das RG einen ganz anderen Weg zur Lokalisierung des Handlungsortes in einem Fall der Produzentenhaftpflicht beschritten hat 136. Der Vater der Klägerin war in Kiel durch eine fehlerhaft konstruierte Maschine getötet worden. Die Maschine selbst als auch die erforderlichen Konstruktionspläne waren durch die Beklagte und deren Angestellte in Stettin hergestellt worden. In dem Rechtsstreit aus der Zeit vor lokrafttreten des BGB ging es unter anderem um die interlokalprivatrechtliche Frage, ob auf die Ansprüche der Klägerin preußisches A. L. R. oder gemeines Recht anzuwenden war. Da das RG insoweit allein auf den Begehungsort (Iex loci delicti commissi) der in Streit stehenden unerlaubten Handlung abstellte, hing dies davon ab, ob der Begehungsort in Stettin (Preußen) oder in Kiel anzusiedeln war. Ohne Umschweife entschied sich das RG für Kiel als den maßgebenden Handlungsort. Die in Stettin erfolgte fehlerhafte Anfertigung der Pläne und daraufhin der Maschine selbst sei rechtlich, soweit eine Deliktsobligation in Frage komme, ohne jede Bedeutung gewesen. Das darin liegende fahrlässige Handeln sei vielmehr erst in dem Zeitpunkt zu einem im Sinne des Zivilrechts 134 Vgl. Sack, Mitarbeiterfestschrift, a.a.O., S. 505; Saunders, Actes et Documents, a.a.O., S. 51 f.; teilweise wird darin sogar ein Verstoß gegen die Gatt-Regeln erblickt, vgl. Cavers, a.a.O., S. 11, Fn. 26. 135 Das meint aber offenbar Drobnig, a.a.O., S. 330. 136 Vgl. RG, JW 1899, 222 f.

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unerlaubten 137 geworden, als durch dasselbe der Schaden, hier der Tod des Vaters der Klägerin, eingetreten sei. Die in Frage stehende unerlaubte Handlung sei die fahrlässige Tötung, und diese sei in Kiel begangen 138• Im Ergebnis lokalisiert das RG den deliktischen "Handlungsort" demzufolge am Verletzungsort. Der fehlerhaften Herstellung der Maschine wird die Qualität einer "Handlung" im Sinne des Deliktsrechts abgesprochen 139• Damit verliert der Handlungsort seine selbständige Bedeutung und geht praktisch im Erfolgsort auf. Folgte man dem Reichsgericht, so käme es im internationalen Produzentenhaftungsrecht demnach allein und ausschließlich auf den Ort der Verletzung an. Das Ubiquitätsprinzip hätte keine Geltung, und die schwierige Lokalisierung des "Handlungsortes" würde sich erübrigen. Daß diese auf den ersten Blick bestechende Lösungjedoch ebenfalls in zahlreichen Fällen der inneren Stimmigkeit entbehrt, zeigt der Sachverhalt, der einer Entscheidung des LG Saarbrücken zugrunde lag 140• Der deutsche Kläger hatte in Berlin einen .französischen PkW gekauft und war damit in die Schweiz gefahren. Dort erlitt er wegen eines (behaupteten) Herstellungsfehlers einen schweren Verkehrsunfall.

Da der Verletzungsort in der Schweiz gelegen war, hätte nach der "Stettin"Entscheidung des RG hier nur schweizerisches Recht auf die Ansprüche des Klägers Anwendung finden können, und zwar gleichgültig, ob diese Ansprüche gegen den französischen Hersteller oder - wie im konkreten Fall geschehen gegen die deutsche Vertriebsgesellschaft gerichtet wurden. Schweizerisches Recht erscheint als Beurteilungsgrundlage des geschilderten Sachverhalts jedoch zweifellos am wenigsten überzeugend. Alle an der rechtlichen Auseinandersetzung tatsächlich oder möglicherweise Beteiligten (Hersteller, Vertriebsgesellschaft, Berliner Verkäufer und Geschädigter) haben keinerlei Verbindung zum schweizerischen Recht, rechnen vor allem auch nicht mit der Anwendung schweizerischen Rechts in ihrem Verhältnis zueinander, und der einzige Bezugspunkt, den der Fall überhaupt zum schweizerischen Recht aufweist, ist rein zufälliger Natur. Wäre der Geschädigte in seinem Auto nach Italien gefahren und (erst) dort verunglückt, so wäre italienisches Recht anwendbar, hätte er eine Tour durch die Sahara unternommen, so müßte das Recht des jeweiligen Sahara-Staates, wie etwa das Marokkos, Anwendung finden, usw. Es offenbart sich hier die Beliebigkeit, die dem Verletzungsort in Produzentenhaftpflichtfällen typischerweise anhaftet, wenn es sich bei dem Geschädigten um den Benutzer des Produkts handelt 141 • Denn im Unterschied zu einem vollkommen Hervorhebung im Original. RG, JW 1899, 222, 223. 139 Vgl. Hohloch, a.a.O., S. 106; Stoll, FS Ferid I, a.a.O., S. 408. 140 LG Saarbrücken v. 2. 7.1974 (10 0 111 /73), abgedr. bei Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung, Band I, a.a.O., S. 392 f. 137 138

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unbeteiligten Dritten (bystander) setzt der Benutzer seine Rechtsgüter dem fraglichen Produkt bewußt und willentlich aus, und an welcher Stelle er schließlich verletzt wird, hängt nicht selten von Zufällen ab, wie etwa dem, ob der Benutzer eine Reise unternimmt, wohin diese Reise geht und wo die latente Schadensanlage des Produkts dann letztlich zum Ausbruch kommt. Im Gegensatz zu anderen (internationalen) Deliktsfallen, z. B. Straßenverkehrsunfallen, bei denen das Geschehen grundsätzlich am Unfallort kulminiert, liegt der vom BGH in diesem Zusammenhang beschworene "Schwerpunkt" des Tathergangs in Fällen der Produzentenhaftung demnach nicht zwingend am Verletzungsort. Gegenüber den sonstigen Bezugspunkten des Sachverhalts weist er bei Sachverhaltsgestaltungen wie den geschilderten wenig "Sachnähe" zur "Interessenberührung der Beteiligten" auf 142, kann dann also nur geringe Autorität für sich beanspruchen. Dies gilt selbstredend nicht nur für die Anknüpfung des "Handlungsortes" (wie in der "Stettin"-Entscheidung des RG), sondern auch für die Anknüpfung des "Erfolgsortes" im Rahmen der TatortregeL Zu den oben 143 angeführten Komplikationen, die mitunter die Lokalisierung des Verletzungsortes begleiten können, treten somit noch generelle Bedenken gegen seine Tauglichkeit als Anknüpfungspunkt im internationalen Produzentenhaftungsrecht 144• Nur wenn ein vollkommen Außenstehender (der sog. bystander) geschädigt wird- etwa ein Verkehrsteilnehmer, der von einem Auto angefahren wird, weil dessen Lenkung versagt 145, oder ein Golfspieler, der von einem den Hügel hinabrollenden Auto, das sich wegen Versagens des Parkmechanismus selbständig gemacht hat, erlaßt und getötet wird 146 - , besitzt der Verletzungsort das die Anknüpfung rechtfertigende Gewicht 147 , denn in diesem Fall stellt erst der Unfall die Beziehung zwischen Geschädigtem und schadstiftendem Produkt her. Regelmäßig wird der Geschädigte hier auch erwarten (dürfen), daß die Rechtsordnung des Unfallortes für den Schutz seiner Rechtsgüter sorgt. 141 Weitere Beispiele finden sich namentlich in der amerikanischen Judikatur, siehe etwa Halstead v. United States, 535 F. Supp. 782, 787 (D. Conn. 1982): Drei Bürger aus Connecticut wurden als Insassen eines Privatflugzeugs bei dessen Absturz über West Virginia getötet. Der Absturz war unter anderem darauf zurückzuführen, daß die benutzte Navigationskarte fehlerhaft war. Hergestellt worden war die Karte in Colorado, wo der Produzent auch seinen Geschäftssitz hatte: Das Gericht lehnte die Anwendung des Rechts von West Virginia als ,,rein zufallig" ab. 142 Vgl. BGHZ 87, 95, 97. 143 Siehe den Text nach Fn. 103. 144 Gegen die Maßgeblichkeit des ,,Erfolgsortes" deshalb auch Stoll, FS Kegel, a. a. 0., S. 129; Birk, a.a.O., S. 107 f.; Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 203 f.; derselbe in Vorschläge und Gutachten, a. a. 0., S. 123; Sack, Mitarbeiterfestschrift, a. a. 0 ., S. 504; Bröcker, a.a.O., S. 160; Beitzke, RdC 1965-II, 63,90 (Nr. 30) und 118 (Nr. 67); Cavers, a.a.O., S. 17. 145 Vgl. Elmore v. American Motors Corp., 451 P. 2d 84 (Cal. 1969). 146 Mitchell v. Miller, 214 A. 2d 694 (Conn. Super. 1965). 147 Ebenso Sack, Mitarbeiterfestschrift, a. a. 0., S. 506 f.; Stoll, FS Kegel, a. a. 0 ., S. 129 f.; Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 203; derselbe in Vorschläge und Gutachten, a.a.O., S. 122 f.; Birk, a.a.O., S. 108 f.

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

Die gesamte Diskussion um die Lokalisierung des "Tatorts" im IPR der Produzentenhaftung verdeutlicht infolgedessen, daß internationalen Produzentenhaftungssachverhalten mit dem Tatortprinzip im Grunde genommen nicht zufriedenstellend beizukommen ist 148 • Die Ubiquitätsregel stellt zwar zwei mögliche Anknüpfungspunkte zur Verfügung. Gegen beide aber bestehen Einwände. So läßt sich der "Handlungsart" nicht eindeutig bestimmen. Geht man streng dogmatisch vor, so kommt eigentlich nur der Ort der Sorfaltspflichtverletzung in Betracht 149 • Letzterer wirft aber zahlreiche Probleme auf, er kann in vielen Fällen nicht hinreichend genau präzisiert werden, "belohnt" die Verlagerung der Produktion ins haftungsmildere Ausland und bereitet enorme Schwierigkeiten in der praktischen Handhabung durch das Erfordernis, die materiellrechtliche Hauptfrage schon im Rahmen des Kollisionsrechts zu untersuchen. Rückt man deshalb vom Ort der Verkehrspflichtverletzung zugunsten anderer Anknüpfungspunkte- wie z. B. dem Geschäftssitz des Herstellers, dem der BGH zuzuneigen scheint ab 150, so verliert die Tatortregel beinahe jegliche Kontur. Denn mit gleichem Recht wie den Herstellersitz könnte man dann auch den Ort der Inverkehrgabe, den ersten Vertriebsort, den letzten Vertriebsort oder den Ablieferungsort für maßgebend erklären 151 • Argumente lassen sich für jeden dieser Orte anführen 152• Im Prinzip könnte man sie deshalb alle oder zumindest einige von ihnen als "Handlungsorte" nebeneinander zur Auswahl stellen sowie zusätzlich noch den Verletzungsort als "Erfolgsort" berufen und unter den danach eröffneten Rechtsordnungen von Fall zu Fall die für den Geschädigten günstigste aussuchen 153 • Die Tatortregel würde damit jedoch inhaltlich ausgehöhlt und im Ergebnis vollkommen unscharf. Mit den grundlegenden Anforderungen an die Rechtssicherheit und die Klarheit einer Regelung ist dies nicht in Einklang zu bringen 154• Abgesehen davon, daß jeder einzelne der bezeichneten Anknüpfungspunkte auf Bedenken stößt 155, ist die Tatortregel- in welcher Gestalt auch immer- schon aus diesem Grunde für das internationale Produzentenhaftungsrecht zu verwerfen.

Ebenso Steinebach, a. a. 0 ., S. 40. Zur Gefährdungshaftung sogleich unten unter III 2 b. 150 Bereits darin müßte, nebenbei gesagt, eine "Auflockerung des Deliktsstatuts" für die Produzentenhaftung gesehen werden, so zutreffend Steinebach, a. a. 0 ., S. 40 f. 151 Siehe dazu schon oben Fn. 114. 152 Ebenso Schwander, a.a.O., S. 2ll f. 153 So in der Tat z. B. MiinchKomm-Kreuzer, Band 7, a. a. 0., Art. 12, Rd. 203; Similis, a. a. 0., S. 89 ff.; Kühne, Cal. L. Rev. 1972, 1, 32; Eujen I Mtiller-Freienfels, RIW (AWD) 1972, 503, 506 f.; siehe auch Vorschläge und Gutachten, a.a.O., S. 22 und Lorenz, IPRax 1988, 373, 374. 154 Ebenso Drobnig, a.a.O., S. 315. 155 Neben den bereits oben erörterten siehe noch unten im 8. Kapitel unter I. 148

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5. Die Bedeutung einer bestehenden Vertragsverbindung für die Anknüpfung des deliktischen Produzentenhaftungsstatuts

Ohne daß dies in den Entscheidungsgründen durch eine ausdrückliche Erörterung Niederschlag gefunden hätte, berührt die Apfelschorf II-Entscheidung des BGH auch eine Fragestellung, die gerade in Produzentenhaftungsfällen zuweilen auftreten kann. Es dreht sich dabei darum, ob eine zwischen den Parteien einer produzentenhaftungsrechtlichen Auseinandersetzung etwa bestehende vertragliche Sonderverbindung die Anknüpfung des Deliktsstatuts beeinflußt. In der Literatur ist insoweit die Forderung weit verbreitet, die deliktischen Ansprüche in diesem Fall nach dem für die Sonderverbindung maßgeblichen Recht zu beurteilen (sog. akzessorische Anknüpfung) 156• Dieser Auffassung hat sich jüngst auch der Österreichische OGH angeschlossen 157• Für die (vertrags-)akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts werden dabei vor allem die praktischen Anwendungsprobleme, die sich aus einer getrennten Anknüpfung von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen des Geschädigten ergeben können, ins Feld geführt, aber auch das kollisionsrechtliche Vertrauensprinzip 158• In der Apfelschorf II-Entscheidung erhob sich die Frage der akzessorischen Anknüpfung nun deshalb, weil der geschädigte Obstbauer das Zustandekommen eines Garantievertrages zwischen sich und dem beklagten Hersteller des Spritzmittels behauptet hatte 159• Damit hätte die Möglichkeit bestanden, die deliktischen Ansprüche des Obstbauern von vornherein im Wege akzessorischer Anknüpfung dem Statut dieses Garantievertrages zu unterstellen 160• Die Gelegenheit zu einer derartigen Vorgehensweise ergriff der BGHjedoch nicht. Ohne besondere Erwähnung ging er darüber hinweg und prüfte jeweils isoliert, welches Recht über den behaupteten Garantievertrag und welches über das behauptete Delikt befinden 156 Allgemein für die akzessorische Anknüpfung deliktischer Ansprüche etwa Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 625 ff. und zuletzt Gonzenbach, a.a.O., S. 192 ff. und passim sowie Mansel, ZVglRWiss 1987, I, 15 ff., beide mit umfangreichen weiteren Nachweisen; speziell für das Produzentenhaftungsrecht: Duintjer Tebbens, a.a.O., S. 168 f. und S. 339 f.; Kreuzer, IPRax 1982, I, 5; ders. in MünchKomm, Band 7, a. a. 0., Art. 12, Rd. 203 und Rd. 65 ff.; Drobnig, a.a.O., S. 322 f. und S. 337; Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 198 und S. 200; ders. in RabelsZ 37 (1973), 317, 330ff.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a. a. 0., Rd. 347, S. 283; Ferid, IPR, a. a. 0., Rd. 6-201, S. 252; Gonzenbach, a.a.O., S. 57; Kühne, Cal. L. Rev. 1972, 1, 26; Palandt-Heldrich, a.a.O., EG 38, Anm. 2 b cc; Beitzke, Schw. Jb. Iot. R. 1979, 93, 97; derselbe in RdC 1965-ll, 63, 90 (Nr. 30); Koch, ZHR 1988,537, 547; a.A. Steinebach, a.a. O., S. 45; einschränkend auf den Fall ausdrücklicher Rechtswahlvereinbarung im Vertrag: Trutmann, a. a. 0., S. 172 ff.; Prager, a. a. 0., S. 308 f.; schließlich wohl auch Soergel-Lüderitz, Band 8, a.a.O., Art. 12, Rd. 21. 157 Vgl. die bereits bei Fn. 72 wiedergegebene Entscheidung des OGH, IPRax 1988, 363, 364; zustimmend Lorenz, IPRax 1988, 373, 374 f. 158 Ausführlich dazu Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601,629 ff.; Mansel, ZVglRWiss 1987, 1, 9 f.; siehe auch unten im 8. Kapitel unter I 3 d. 159 Siehe oben unter l. 160 Vgl. Kreuzer, IPRax 1982, 1, 5.

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

sollte 161 • Zum damaligen Zeitpunkt hätte man die Zurückhaltung des BGH gegenüber einer akzessorischen Anknüpfung des deliktischen Produzentenhaftungsstatuts noch damit erklären können, daß in der Apfelschorf II-Entscheidung ein durchaus atypischer Fall des Zusammentreffens von vertraglichen und deliktischen Ansprüchen vorlag 162• Normalerweise wird die akzessorische Anknüpfung im Produzentenhaftungsrecht nämlich nur für den Fall diskutiert und befürwortet, daß der Geschädigte das Produkt direkt beim Anspruchsgegner (der nicht unbedingt der Hersteller sein muß) erworben hat, der Anspruchsteller also mit dem Deliktstäter durch einen Kauf-, Werklieferungs- oder ähnlichen Vertrag verbunden ist 163 • Daneben hätte man den Grund für die stillschweigende Ablehnung der akzessorischen Anknüpfung durch den BGH in concreto auch noch darin sehen können, daß ein Garantievertrag zwischen den Prozeßparteien nach Auffassung des BGH nicht zustande gekommen war 164• Die Vorstellung, der BGH würde sich unter anderen Umständen zu einer akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts entschließen, hat in der kürzlich ergangenen Entscheidung vom 24.9.1986 indes erneut keine Stütze gefunden 165 • Dort hatte der deutsche Geschädigte einen gültigen Liefervertrag mit dem italienischen Schädiger geschlossen und Schadensersatz sowohl auf vertraglicher als auch deliktischer Grundlage gefordert. Allerdings kam eine akzessorische Anknüpfung des Deliktsstatuts hier nicht in Frage, weil sich das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nach internationalem Einheitsrecht (EKG) richtete, das keine Regelungen zur deliktischen Haftung enthält 166• Immerhin hätte der Fall aber doch genügend Anlaß geboten, die Problematik (sprich: generelle Möglichkeit) der akzessorischen Anknüpfung wenigstens einmal anzusprechen. Daß dies unterblieben ist und der BGH in der Entscheidung die vertraglichen und deliktischen Ansprüche vollkommen losgelöst voneinander betrachtet, läßt wohl nur den Schluß zu, daß er jedenfalls für den Bereich der Produzentenhaftung bislang nicht geneigt ist, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzurücken, die der akzessorischen Anknüpfung des Deliktsstatuts grundsätzlich ablehnend gegenübersteht 167• Siehe BGH, NJW 1981, 1606 f. Vgl. Kreuzer, IPRax 1982, 1, 5. 163 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung I, a.a.O., Rd. 347, S. 283; Lorenz, FS Wahl, a.a.O., S. 198 und S. 200; ders. in RabelsZ 37 (1973), 317, 333 ff.; Trutmann, a.a.O., S. 172 ff.; Beitzke, RdC 1965-TI, 63,90 (Nr. 30) und 118 (Nr. 67); Kreuzer, IPRax 1982, 1, 5 - letzterer möchte allerdings auch im Hinblick auf den hier behaupteten (konkludenten) Garantievertrag akzessorisch anknüpfen, a.A. insoweit v. Hoffmann, JuS 1986,385, 387. 164 Vgl. BGH, NJW 1981, 1606, 1607; nach Kreuzer, IPRax 1982, 1, 5, stellt dies kein Hindernis dar; ausführlich zu der damit angesprochenen Problematik einer Unwirksamkeit des Vertrags Lorenz, RabelsZ 37 (1973), 317, 333 f. 165 BGHZ 98, 263 ff. 166 Vgl. zu diesem Problem Koch, ZHR 1988, 537,554 und Stoll, FS Ferid TI, a.a.O., s. 510 f . 161

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I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung

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6. Die Inländerschutzklausel des Art. 38 EGBGB Ein wichtiges Datum im bisherigen deutschen internationalen Produzentenhaftungsrecht ist die sog. Inländerschutzklausel des Art. 38 EGBGB (früher Art. 12 EGBGB). Deren problematische Auswirkung auf das IPR der Produzentenhaftung wurde von anderer Seite bereits eingehend durchleuchtet 168 und soll hier deshalb nur noch kurz gestreift werden. Nach herkömmlicher Interpretation hat sie zur Folge, daß die Haftung eines deutschen Herstellers - soweit er vor einem deutschen Gericht in Anspruch genommen wird - auf das begrenzt ist, was nach deutschem Recht verlangt werden kann 169 • Im Ergebnis haftet ein deutscher Hersteller vor einem deutschen Gericht damit schlimmstenfalls (wie) nach deutschem Recht, selbst wenn das als Deliktsstatut berufene ausländische Recht an und für sich weiter ginge. Daß der fast einhellig als rechtspolitisch verfehlt kritisierte Art. 38 EGBGB 170 für das internationale Produzentenhaftungsrecht überhaupt einschlägig ist, liegt ausschließlich daran, daß der BGH die Produzentenhaftung als Delikt qualifiziert. Akzeptierte man - wie oben (unter 3) vorgeschlagen - die Produkthaftung als eigenständiges Rechtsgebiet jenseits von Vertrag oder Delikt, könnte man sich des zu Recht als fossil empfundenen Art. 38 EGBGB auf elegante Weise entledigen.

7. Beachtlichkeit von Rück- oder Weiterverweisungen? Nicht zuletzt im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB überwiegt inzwischen wohl die Ansicht, daß ein Renvoi im deutschen internationalen Deliktsrecht zu beachten ist 111 • Gegenüber "einfachen" Delikten weisen internationale Produzentenhaftungsfälle jedoch regelmäßig die Merkmale eines sog. Distanzdelikts auf 172• Für diese Deliktsspezies, bei welcher das dem Geschädigten günstigere Recht zur Anwendung berufen wird, hat das OLG Saarbrücken eine Rückverwei-

167 Vgl. z. 8. BGH, VersR 1961 , 518; BGH, JR 1977, 19 ff.; ebenso KG, IPRspr. 1954/55, Nr. 28, S. 88; ein vorsichtiger Wandel scheint sich insoweit allerdings für den Bereich der internationalen Straßenverkehrsunfälle anzudeuten mit der Entscheidung BGHZ 90,294,299 ff. und dazu einerseits Weick, NJW 1984, 1993, 1996 f., andererseits Manse1, ZVglRWiss 1987, 1, 17 f. Man darf gespannt sein, ob dieser Ansatz weiterverfolgt und womöglich auf andere Deliktsbereiche erstreckt wird. 168 Vgl. Zekoll, a.a.O., S. 35 ff. 169 Vgl. nur Palandt-Heldrich, a.a.O., EG 38, Anm. 4; Zekoll, a.a.O., S. 22 f. 110 Vgl. stellvertretend für andere nur Kegel, a. a. 0., S. 469; Ferid, IPR, a. a. 0., Rd. 6182, S. 249; MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a. a. 0., Art. 12, Rd. 276; Lorenz, Vorschläge und Gutachten, a. a.O., S. 126 f. 171 Vgl. namentlich Palandt-Heldrich, a. a. 0., EG 38, Anm. 2 a aa, mit umfangreichen Nachweisen auch zur gegenteiligen Auffassung; der BGH hat die Frage bislang offengelassen, vgl. BGHZ 90, 294, 296 f. 172 Ausführlich dazu oben unter 4.

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

sung grundsätzlich ausgeschlossen 173 • Das Prinzip des günstigeren Rechts enthalte keine eigentliche Verweisung auf eine fremde Rechtsordnung, sondern besage lediglich, daß der aus der unerlaubten Handlung erwachsene Anspruch nach zwei verschiedenen (materiellen) Rechten beurteilt werden könne. In Betracht zu ziehen sei deshalb nur das ausländische Sachrecht, weil andernfalls im Falle einer Rückverweisung auf das deutsche Recht das von der deutschen Rechtsprechung entwickelte Günstigkeilsprinzip wieder aufgehoben würde 174• Diese Auffassung des OLG Saarbrücken hat in der Literatur allgemein Beifall gefunden 175 • In der Tat ist die Günstigkeitsregel allein an materiellen Gerechtigkeitserwägungen ausgerichtet. Sie bezweckt nämlich, dem Geschädigten den größtmöglichen Schutz zu verschaffen, aus ,,Sympathie mit dem Opfer" 176• Diese kollisionsrechtliche Sachentscheidung würde durch die Zulassung eines Renvoi wieder preisgegeben 177 • Soweit das Problem überhaupt erörtert wird, besteht daher Übereinstimmung, daß ein Renvoi im internationalen Produzentenhaftungsrecht nicht in Frage kommt 178.

8. Sonderanknüpfung der maßgeblichen Sicherheitsbestimmungen?

Die Ubiquitätsregel kann dazu führen, daß eine andere Rechtsordnung über die Ansprüche des Geschädigten befindet, als sie am Herstellungsort des schadstiftenden Produkts oder auch am Geschäftssitz des Herstellerunternehmens Gültigkeit hat. So etwa in dem Fall, daß das am Verletzungsort geltende Recht dem Geschädigten günstiger ist und infolgedessen als Haftungsstatut auserkoren wird. Beruft sich der Hersteller in diesem Falle darauf, das schadstiftende Produkt habe den einheimischen Sicherheitsvorschriften entsprochen, so taucht die Frage auf, ob diesem Einwand bereits auf der kollisionsrechtlichen Ebene, etwa durch eine Sonderanknüpfung der maßgeblichen technischen Sicherheitsnormen und sonstigen Verhaltensregeln an das Recht des Herstellungsortes oder des Herstellersitzes, Rechnung zu tragen ist. Eine derartige Sonderanknüpfung müßte man beispielsweise vornehmen, wollte man die Frage, ob ein bestimmtes (schädigendes) Verhalten dem Verdikt der Rechtswidrigkeit ausgesetzt ist, generell nur nach dem Recht des Handlungsortes 173 Vgl. OLG Saarbrücken, NJW 1958, 752, 753; ebenso OLG Saarbrücken, IPRspr. 1962/63, Nr. 38, S. 95, 97. 174 OLG Saarbrücken, IPRspr. 1962/63, Nr. 38, S. 95, 97. 11s Vgl. MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 26; Soerge1-Lüderitz, Band 8, a.a.O., Art. 12, Rd. 78. 176 Kegel, a.a.O., S. 456 f. 177 Vgl. Kropholler, RabelsZ 33 (1969), 601, 645 f. 178 Vgl. MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 203; v. Hoffmann, JuS 1986, 385, 388; Eujen I Müller-Freienfels, RIW (AWD) 1972, 503, 506; Steinebach, a.a.O., S. 41 f; Koch, ZHR 1988, 537, 545.

I. Die bisherige deutsche Rechtsprechung

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beurteilen 179• Im Gegensatz dazu hat das OLG Düsseldorf in der bereits oben (unter 2) besprochenen Entscheidung vom 28.4.1978 dem Vortrag des beklagten Fahrradherstellers, das Klapprad habe mit den französischen Sicherheitsvorschriften übereingestimmt, erst im Rahmen der Anwendung des als Haftungsstatut berufenen deutschen materiellen Deliktsrechts Beachtung geschenkt 180• Dabei gelangte es zu dem Ergebnis, diese Vorschriften- so sie tatsächlich existierten -könnten den Hersteller wohl kaum entlasten. Denn von einem Hersteller, der einen Großteil seiner Produktion in die Bundesrepublik exportiere, müsse verlangt werden, daß er sich an den Sicherheitsstandard im Exportland (gemeint ist hier Deutschland) halte. Nach diesem Urteil spielen gegenüber dem Recht des Erfolgsortes abweichende, insbesondere "schwächere" Sicherheitsbestimmungen am Herstellungs- oder Geschäftssitzort folglich allenfalls insofern eine Rolle, als der Hersteller nach den Sachnormen des Deliktsstatuts unter Umständen gerechtfertigt oder entschuldigt werden kann, weil er mit diesem Recht und den von ihm vorgeschriebenen Verhaltenspflichten nicht zu rechnen brauchte 181 • Das Problem wird so auf die materiellrechtliche Ebene verlagert 182. Damit ist aber noch keine Lösung für den umgekehrten Fall gefunden, daß nämlich die Ansprüche des Geschädigten, weil für ihn vorteilhafter, dem Regiment des Rechtsam Herstellungsort (oder Geschäftssitzort) unterworfen werden, und die am Verletzungsort geltenden Sicherheits- und Verhaltensregeln den gegenüber dem Deliktsstatut niedrigeren Stand aufweisen. Soll der Geschädigte hier in den Genuß der strengeren Maßregeln des Deliktsstatuts kommen und damit im Ergebnis besser gestellt werden, als wenn er durch ein einheimisches Produkt geschädigt worden wäre? Folgt man der Literatur, so muß man die Frage wohl verneinen, denn danach soll es im Hinblick auf die Sicherheitsvorschriften zumindest in erster Linie, wenn nicht gar ausschließlich auf den "Erfolgsort" 183, den "Marktort" 184, das "vom Hersteller bestimmte Vertriebsgebiet" 185, den "Ort, auf dem der Hersteller in Konkurrenz mit seinen Mitbewerbern getreten ist" 186, oder den "Ort, an welchem der jeweilige Verletzte das Produkt zum Gebrauch oder Verbrauch erwor179 Dies wird in der Literatur z. T. gefordert, vgl. z. B. Schwimann, JBl. 1960, 555, 556; ähnlich Koziol, FS Beitzke, a. a.O., S. 581, allerdings mit der Einschränkung, daß der Täter nicht "damit rechnen" mußte, "daß sein Verhalten im Ausland Schäden hervorrufen werde". 180 Vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1980, 533, 534. 181 In diesem Sinne nachdrücklich Stoll, Vorschläge und Gutachten, a.a.O., S. 163 f. und S. 173; derselbe in IPRax 1989, 89, 92. 182 Stoll, ebenda (Fn. 181); in diesem Sinne auch Saunders, Actes et Documents, a. a. 0., S. 55 und S. 60. 183 So Bröcker, a.a. O., S. 158. 184 So Siehr, RIW (AWD) 1972, 373, 385, und wohl auch Birk, a.a.O., S. 105. 185 So Drobnig, a. a. 0., S. 337 und wohl auch Lorenz, RabelsZ 37 (1973), 317, 349 f. 186 So Sack, Mitarbeiterfestschrift, a. a. 0 ., S. 500.

7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

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ben hat" 187, ankommen. Unabhängig davon, wo die genannten Orte im einzelnen wohl zu lokalisieren sind, bedeutet das im Endeffekt, daß unter den geschilderten Umständen die Sicherheitsbestimmungen dann doch gesondert angeknüpft werden, jedenfalls solange man im übrigen hinsichtlich des Deliktsstatuts an der Tatortregel festhält Eine solche Aufspaltung des anwendbaren Rechts bringt indes häufig schwierige Abstimmungsprobleme zwischen den beteiligten Rechtsordnungen mit sich 188 • Nach Möglichkeit sollte dies daher vermieden werden 189•

II. Die Rechtslage bei internationaler Beteiligung mehrerer an dem schadstiftenden Produkt (Unternehmenskooperation) Waren an Herstellung und Vertrieb des schadstiftenden Produkts mehrere Unternehmen aus verschiedenen Ländern beteiligt, etwa Zulieferer aus Argentioien und USA für das in Frankreich hergestellte und in Deutschland vertriebene Endprodukt, so muß das internationale Privatrecht die Frage beantworten, welches Recht gegenüber den einzelnen Beteiligten zur Anwendung gelangt. Zu der damit angesprochenen Problemstellung ist in der Rechtsprechung bislang noch keine und in der Literatur nur sehr peripher Stellung bezogen worden 190• Da die Rechtsprechung die Produzentenhaftung deliktisch qualifiziert, läßt sich ihr präsumtiver Standpunkt jedoch durch Extrapolation der allgemeineren Problematik ermitteln, wie die Beteiligung mehrerer an einem Delikt internationalprivatrechtlich zu behandeln ist. In diesem Zusammenhang müssen vor allem drei Fragen geklärt werden: nämlich erstens, wann eine Beteiligung mehrerer an einem Delikt im Sinne des IPR überhaupt vorliegt (im folgenden unter 1.); zweitens, wie ein solches Delikt im Außenverhältnis zum Geschädigten anzuknüpfen ist (unter 2.); schließlich drittens, nach welchem Recht sich eventuelle Regreßansprüche unter den Beteiligten richten (unter 3.). 1. Qualifikation

Nicht nur im Rahmen der haftungsrechtlichen Sachnormen taucht die Frage auf, welche Unternehmen (und sonstige Personen) nun eigentlich unter welchen Umständen als an einem Produktschadensfall auf Schädigerseite beteiligt anzusehen sind 191 • Auch für das Kollisionsrecht besteht ,die Aufgabe, die Fälle der Beteiligung mehrerer an einem Produktschaden von "einfachen" ProduktschaSo Stoll, FS Kegel, a. a. 0., S. 132. Dazu näher Stoll, Vorschläge und Gutachten, a. a. 0., S. 172 f. 189 Ebenso Stoll, ebenda (Fn. 188). 190 Soweit ersichtlich sind dies bisher nur die knappen Ausführungen von Prager, a. a. 0., S. 137 ff. und Steinebach, a. a. 0., S. 45 ff. 19 1 Siehe dazu allgemein im 2. Kapitel, im besonderen im 4. Kapitel, im 5. Kapitel unter I 2 und II 2 sowie im 6. Kapitel unter III. 187 188

li. Die Rechtslage bei internationaler Beteiligung mehrerer

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deosfallen abzugrenzen. Denn die spezifischen, aus der Beteiligung mehrerer resultierenden Anknüpfungsfragen (die sogleich unter 2. und 3. näher erörtert werden) können naturgemäß nur dann auftreten, wenn das internationale Privatrecht den Sachverhalt als einen Fall der Beteiligung mehrerer anerkennt. Die Rechtsprechung dürfte diese Qualifikationsfrage im Zweifel wiederum in Anlehnung an das materielle Deliktsrecht der Iex fori beantworten. Greift man deshalb insoweit auf die sachnormenrechtlichen Bestimmungen des BGB über die Beteiligung mehrerer an einem Delikt zurück, so fallt zunächst § 830 BGB ins Auge. Von dieser Vorschrift werden jedoch nicht alle Möglichkeiten der Beteiligung mehrerer erlaßt. Gerade die für Produzentenhaftungsdelikte charakteristische sog. Nebentäterschaft ist in der Regelung des § 830 BGB ausgespart 192. Zum Kreis der nebentäterschaftlieh Beteiligten zählen bekanntlich solche Personen (bzw. Unternehmen), die je für sich und unabhängig voneinander eine unerlaubte Handlung begangen und damit ein und denselben Schaden hervorgerufen haben 193 . Als Nebentäter an einem Delikt sind damit nur diejenigen beteiligt, für die eine unerlaubte Handlung gesondert festgestellt werden kann: Erst die selbständige unerlaubte Handlung vermittelt die Zugehörigkeit zur Gruppe der "Beteiligten". Nun soll sich- wie bereits oben (unter I 4) berichtet- die Bewertung eines bestimmten Verhaltens als "unerlaubt" oder auch nicht nach dem Recht des Ortes richten, an dem das fragliche Verhalten stattgefunden hat (Iex causae). Ganz gleich, wo die einzelnen "Beteiligten" ihre "Tatbeiträge" erbracht haben, ist der Rechtsanwender dadurch gezwungen, für die kollisionsrechtliche Beteiligtenbestimmung in die Untersuchung unter Umständen schwieriger materiellrechtlicher Vorfragen einzusteigen. Ähnlich wie die konsequente Anwendung der TatortregeP94, führt auf diese Weise auch die Klärung der Beteiligungsfrage praktisch zu einer Vorwegnahme der sachnormenrechtlichen Überlegungen im Rahmen des Kollisionsrechts. Das ist hier wie dort mißlich und unangemessen. Ziel einer kollisionsrechtlichen Regelung der Produkthaftung muß deshalb unter anderem auch die "autonome Qualifikation" der Beteiligungsproblematik sein 195. 2. Außenverhältnis Steht in internationalprivatrechtlicher Hinsicht fest, daß mehrere an dem Produktschaden auf Schädigerseite "beteiligt" sind, so muß als nächstes herausgefunden werden, nach welchem Recht sich das Verhältnis des Geschädigten zu den 192 Vgl. insoweit nur Palandt-Thomas, a.a.O., § 830, Anm. 1; zu den in§ 830 BGB geregelten Beteiligungsformen ders. in Anm. 2 und 3. 193 Vgl. nur Palandt-Thomas, ebenda (Fn. 192); Larenz li, 12.Aufl., a.a.O., S. 666. 194 Siehe dazu oben den Text hinter Fn. 114. 195 Dazu unten im 9. Kapitel unter li 1; zur sog. autonomen Qualifikation allg. v. Bar, IPR I, a.a.O., Rd. 600 ff., S. 515 ff.

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung

einzelnen Beteiligten bestimmt. Die Fragestellung lautet hier, ob das Außenverhältnis des Geschädigten zu den einzelnen Beteiligten einem einheitlichen Deliktsstatut zu unterstellen oder aber für jeden Beteiligten die Außenhaftung gesondert anzuknüpfen ist. Stellungnahmen zu diesem Problem finden sich nur spärlich. Der BGH hat in einem Fall, in dem es um die Anknüpfung eines Wettbewerbsdelikts ging, dafür plädiert, die Haftung von Anstiftern und Gehilfen grundsätzlich nach dem für den Täter maßgeblichen Haftungsrecht zu beurteilen 196• Diese Auffassung trifft sich mit diversen Stimmen in der Literatur 197 • Ebenso soll nach wohl überwiegender Ansicht die Haftung von Mittätern einheitlich, also nach ein und derselben Rechtsordnung judiziert werden 198• Wie man sich dazu nun auch stellen mag 199, für die Produzentenhaftungsdelikte ist dadurch noch nicht viel gewonnen. Die an einem Produktschadensfall beteiligten Unternehmen stehen nämlich regelmäßig weder in einem Mittäterschaftsnoch in einem Anstiftungs-oder Gehilfenverhältnis zueinander, sondern- was bereits oben (unter 1.) betont wurde- in einem Nebentäterschaftsverhältnis. In sachnormenrechtlicher Hinsicht werden die Fälle der Nebentäterschaft, was die Rechtsfolge betrifft, zwar grundsätzlich genauso behandelt wie die von § 830 BGB geregelten Beteiligungsformen, nämlich Haftung jedes einzelnen Nebentäters auf den ganzen entstandenen Schaden 200• Daraus kann aber nicht geschlußfolgert werden, daß dieser Gleichlauf sich auf der internationalprivatrechtliehen Ebene fortsetzen müßte, indem etwa für die Nebentäterschaft die gleichen Anknüpfungsregeln wie für die Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe gälten. Im Gegenteil, wohl wegen der fehlenden inneren Verbindung zwischen den einzelnen Nebentätern wird insoweit in der Literatur die getrennte Anknüpfung bevorzugt: Für jeden Nebentäter soll das zur Anwendung kommende Recht isoliert bestimmt werden 201 • Nicht zu überhören ist auf der anderen Seite aber auch die Forderung, im Interesse der einheitlichen Beurteilung eines einheitlichen Lebenssachverhalts nach Möglichkeit ein eindeutig feststellbares Haupttäterstatut über alle Deliktsbeziehungen entscheiden zu lassen, um die ansonsten auftretenden Widersprüche und Anpassungsschwierigkeiten zu vermeiden 202 •

Vgl. BGH, GRUR 1982, 495, 497. Vgl. Rabel, a.a.O., S. 313 f.; Wengler, Band 2, a.a.O., S. 922, Amn. 9; MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 97; Erman-Arndt, a.a.O., Art. 12 EGBGB, Rd. 2; Beitzke, Schw. Jb. Int. R. 1979, 93, 108; ders. in RdC 1965-11, 63, 87 (Nr. 27). 198 Vgl. MünchKomm-Kreuzer, ebenda (Fn. 197); Firsching, a.a. O., S. 188 f.; wohl auch Kegel, a.a.O., S. 471 und Trutmann, a.a.O., S. 106 (Nr. 143). 199 A. A. namentlich Stoll, FS Müller-Freienfels, a.a.O., S. 650 ff. und Soergel-Lüderitz, Band 8, a.a.O., Art. 12, Rd. 6. 200 Vgl. Palandt-Thomas, a.a.O., § 830, Anm. 4; Larenz II, 12.Aufl., a.a.O., S. 666. 2o1 Vgl. Soergel-Lüderitz, Band 8, a.a.O., Art. 12, Rd. 59, Fn. 6; MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd; 96; ohnehin generell für eine separate Anknüpfung ohne Rücksicht auf die Art der Beteiligung Stoll, FS Müller-Freienfels, a. a. 0., S. 653. 2o2 So MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 97. 196 197

II. Die Rechtslage bei internationaler Beteiligung mehrerer

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Im Hinblick auf die Beteiligung mehrerer Unternehmen an einem Produktschadensfall ergeben sich daraus folgende Schlüsse: Weil die Beteiligten unabhängig voneinander handeln (respektive unterlassen), und zwar unabhängig im Sinne verabredeten oder auch nur kollusiven Zusammenwirkens mit Schädigungsvorsatz 203 , muß für jeden einzelnen das Deliktsstatut gesondert bestimmt werden. Konkret bedeutet das, daß zunächst hinsichtlich jedes Beteiligten nach der Ubiquitätsregel ermittelt werden muß, welches Recht in seinem Verhältnis zum Geschädigten zur Anwendung gelangt. Theoretisch kann dies dazu führen, daß für jedes beteiligte Unternehmen eine andere Rechtsordnung einschlägig ist, nämlich beispielsweise dann, wenn die Unternehmen alle in unterschiedlichen Staaten angesiedelt sind, dort produziert, vertrieben usw haben und für alle (oder für alle bis auf eines) nach dem Günstigkeilsprinzip das jeweilige Recht des "Handlungsortes" berufen wird 204 • Andererseits ist nicht zu verkennen, daß es sich bei einem Produktschadensfall regelmäßig um "ein Lebensverhältnis" handelt 205 und die "Anwendung verschiedener Rechte" deshalb nicht gerade glücklich ist 206 • Im Gegensatz zu den ,,klassischen" Fällen der Nebentäterschaft operieren die an einem Produktschadensfall beteiligten Untemehmenja auch nicht völlig unabhängig voneinander, sondern legen im Hinblick auf das gemeinsame Ziel ein mehr oder weniger koordiniertes Verhalten an den Tag. Zwar besteht dieses Ziel nicht in der bewußten und gewollten Schädigung eines anderen, sondern "nur" in Erzeugung und Absatz eines bestimmten (End-)Produkts. Darin liegt aber doch immerhin mehr als ein nur zufalliges Zusammentreffen der beteiligten Unternehmen, nämlich eine zeitlich bereits vor dem Schadensfall aufgenommene direkte oder indirekte Verbindung untereinander, die es vielleicht rechtfertigen könnte, "ein eindeutig feststellbares Haupttäterstatut über alle Deliktsbeziehungen entscheiden" zu lassen 207 • Dabei könnte beispielsweise an das auf den Endhersteller anwendbare Recht als derartiges "Haupttäterstatut" gedacht werden. Einstweilen soll dieser Gedanke hier nicht weiter verfolgt werden 2os. Für die an dieser Stelle zu behandelnde gegenwärtig noch herrschende Rechtsauffassung ist wohl davon auszugehen, daß das anwendbare Recht gegenüber jedem an dem Produktschaden in irgendeiner Form beteiligten Unternehmen separat bestimmt wird 209 • 203 Allein ein derartiges Zusammenwirken könnte zur Annahme von Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe führen, vgl. nur Palandt-Thomas, a.a.O., § 830, Anm. 2. 204 Vgl. auch Beitzke, JuS 1966, 139, 141. 2os Prager, a. a. 0., S. 136 ff. spricht von "demselben Sachverhalt" bzw von "gleicher Sachverhalt", ohne daraus irgendwelche Konsequenzen für die Behandlung der Anknüpfungsfrage zu ziehen. 206 MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 97 (Hervorhebung im Original). 201 MünchKomm-Kreuzer, ebenda (Fn. 206). 208 Näher dazu unten im 8. und 9. Kapitel jeweils unter II 2. 209 So offenbar auch Koch, ZHR 1988,537, 555; für eine solch getrennte Anknüpfung ausdrücklich Prager, a.a.O., S. 137.

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7. Kap.: Das deutsche IPR der Produktenhaftung 3. Innenverhältnis

Findet auf die mehreren beteiligten Unternehmen im Außenverhältnis zum Geschädigten dasselbe Recht Anwendung, so reguliert dieses Recht auch die Verteilung des Schadens im Innenverhältnis 210. Probleme können insoweit höchstens dann auftauchen, wenn zwischen den Beteiligten, etwa Zulieferunternehmen und Endhersteller, vertragliche Beziehungen bestehen, für die eine andere Rechtsordnung maßgebend ist. Wegen der bereits geschilderten Abneigung des BGH gegen die akzessorische Anknüpfung 211 muß aber wohl vermutet werden, daß es auch in diesem Fall bei der Anwendung des Deliktsstatuts auf eventuelle Regreßansprüche aus dem Produktschadensereignis bleibt 212. Die getrennte Anknüpfung des Deliktsstatuts für jedes beteiligte Unternehmen 213 wird indes vielfach dazu führen, daß die Beteiligten dem Geschädigten im Außenverhältnis nach unterschiedlichen Rechtsordnungen haften. Die Frage lautet dann, welches Recht hier den Innenausgleich beherrscht. Obzwar nicht ausdrücklich geregelt, liefert für die Beantwortung dieser Frage neuerdings die Vorschrift des Art. 33 Abs. 3 Satz 2 iVm Satz 1 EGBGB einen wichtigen Anhaltspunkt. Danach bestimmt in dem Fall, daß mehrere Personen dieselbe Forderung zu erfüllen haben und der Gläubiger von einer dieser Personen befriedigt worden ist, das für die Verpflichtung des Leistenden maßgebende Recht, ob er die Forderung des Gläubigers gegen den oder die anderen (Mit-)Schuldner gemäß dem für deren Beziehungen maßgebenden Recht ganz oder zu einem Teil geltend zu machen berechtigt ist. Vom Wortlaut her behandelt Art. 33 Abs. 3 EGBGB demnach nicht den Regreß und seine Anknüpfung im allgemeinen, sondern nur eine bestimmte rechtstechnische Form des Regresses, nämlich die Legalzession214. Ob eine solche Legalzession stattfindet, also "die Forderung des Gläubigers" gegen die übrigen Verpflichteten auf den Leistenden übergeht, soll dabei aus dem sog. Kausalstatut (oder Zessionsgrundstatut)- das ist die Rechtsordnung, der die Verpflichtung des Rückgriffsgläubigers unterliegt- entnommen werden 215. 210 Vgl. vor allem StoB, FS Müller-Freienfels, a. a. 0., S. 640 ff. und daneben noch Kegel, a.a.O., S. 471; Firsching, a.a.O., S. 185; MünchKomm-Kreuzer, Band 7, a.a.O., Art. 12, Rd. 99 und Rd. 253; Soergei-Lüderitz, Band 8, a.a.O., Art. 12, Rd. 59; Reithmann I Martiny, a. a. 0., Rd. 227, S. 242. 211 Siehe oben unter I 5. 212 In der Literatur wird demgegenüber überwiegend eine akzessorische Anknüpfung der Ausgleichsansprüche befürwortet, vgl. Meyer, a. a. 0 ., S. 31 f.; Stoll, FS MüllerFreienfels, a.a.O., S. 643; Gonzenbach, a.a.O., S. 170 ff. ; Reithmann/ Martiny, a.a.O., Rd. 227, S. 242. 213 Siehe oben unter 2. 214 Keller, SJZ 1975, 305 ff. spricht genauer von (gesetzlicher) "Subrogation als Regreß" und stellt auf diese Weise auch terminologisch heraus, daß es sich hier im Unterschied zu anderen Fällen der Legalzession (vgl. z. B. § 401 Abs. 1 BGB) speziell um ein gesetzliches Regreßinstrument handelt. Obgleich diese Terminologie den Vorzug größerer Unterscheidungskraft besitzt, hat sie sich in Deutschland nicht durchsetzen können, vgl. auch Meyer, a.a.O., S. 5, Fn. 15.

II. Die Rechtslage bei internationaler Beteiligung mehrerer

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Nun ist es allerdings so, daß viele Rechtsordnungen die Legalzession als ein besonderes gesetzestechnisches Mittel zur Regelung der Rückgriffsproblematik gar nicht kennen 216 • Sofern eine solche Rechtsordnung das Verhältnis zwischen Gläubiger und Leistendem regiert, läuft Art. 33 Abs. 3 EGBGB ins Leere: Weil an keine Legalzession angeknüpft werden kann, gibt Art. 33 Abs. 3 EGBGB für die Anknüpfung der Regreßansprüche (zumindest unmittelbar) nichts mehr her. Auf der anderen Seite kann aber auch in diesen Fällen über die in Art. 33 Abs. 3 EGBGB zum Ausdruck gekommene gesetzliche Wertung nicht einfach hinweggegangen werden. Offenbar will der Gesetzgeber die Frage, ob und wenn ja welche Rückgriffsansprüche dem leistenden bzw. dem vom Gläubiger in Anspruch genommenen Schuldner gegen seine(n) Mitschuldner zustehen, nach dem Statut beurteilt wissen, dem er, der Leistende bzw. der in Anspruch Genommene selbst unterliegt, und zwar unabhängig davon, ob diesen Rückgriffsansprüchen durch eine Legalzession der Weg geebnet wird. Dies ergibt sich bereits aus der Tatsache, daß die Frage der Legalzession in zahlreichen Fällen schon von Gesetzes wegen so eng mit selbständigen gesetzlichen Ausgleichsregeln verzahnt ist, daß sie niemals losgelöst von diesen Ausgleichsregeln beantwortet werden kann, sondern im Gegenteil zunächst die Beachtung und Anwendung dieser Ausgleichsregeln voraussetzt. Derart "supplementären Charakter" hat die Legalzession namentlich in den hier besonders interessierenden Fallkonstellationen, in denen die konkurrierenden Verbindlichkeiten der verschiedenen Schuldner gleichen Rang haben 217 • Als Beispiel sei insoweit nur§ 426 Abs. 2 Satz 1 BGB genannt, der, nebenbei gesagt, gemäߧ 840 Abs. 1 BGB gerade auch in Produktschadensf