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German Pages [365]
Forschungen zum Alten Testament Herausgegeben von Bernd Janowski und Hermann Spieckermann
31
Joachim Schaper
Priester und Leviten im achämenidischen Juda Studien zur Kult- und Sozialgeschichte Israels in persischer Zeit
Mohr Siebeck
JOACHIM SCHÄFER, geboren 1965; 1985-90 Studium der Evangelischen Theologie, der Altorientalistik und der Philosophie in Tübingen und Cambridge; 1990-93 Doktorand in Cambridge; 1993 Promotion; 1993-96 Research Fellow, Cläre College, University of Cambridge; 1997-99 Vikariat in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern; 1999 Habilitation; z. Zt. Privatdozent in Tübingen und Wiss. Angestellter am Institut für Alttestamentliche Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München.
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CIP-Einheitsaufnahme
Schaper, Joachim: Priester und Leviten im achämenidischen Juda : Studien zur Kult- und Sozialgeschichte Israels in persischer Zeit / Joachim Schaper. Tübingen : Mohr Siebeck, 2000 (Forschungen zum Alten Testament ; 31) ISBN 3-16-147409-0
© 2000 J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-4155
978-3-16-157819-9 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019
Für Isa und Friederike
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1999 von der Evangelischtheologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen als Habilitationsschrift angenommen. Für die Drucklegung sind die seit 1998 erschienene relevante Literatur eingearbeitet und u.a. zwei Exkurse hinzugefügt worden. Großen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Martin Hengel, der die Arbeit an diesem Thema ursprünglich anstieß und mit regem Interesse begleitete, sowie Herrn Professor Dr. Bernd Janowski, der die Betreuung der Habilitation übernahm und mir jederzeit mit Rat und Hilfe zur Seite stand. Ihm und Herrn Professor Dr. Hermann Spieckermann danke ich für die Aufnahme dieser Studie in die Forschungen zum Alten Testament. Mit großer Freude gedenke ich jener Institution, die mir durch die Wahl in eine Research Fellowship drei Jahre ungestörter Forschungsarbeit und anregender Gespräche mit Kollegen aus Theologie, Altphilologie und Alter und Neuerer Geschichte ermöglichte: dem Cläre College in Cambridge. Auch an den Austausch mit meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. William Horbury, und den anderen Freunden und Kollegen in Cambridge denke ich mit großer Dankbarkeit zurück. Herrn Dr. Leo Mildenberg bin ich herzlich dankbar für anregende Gespräche, in denen es nicht allein um Jehud-Münzen ging. Ebenfalls zu danken habe ich Herrn Professor Dr. Eckart Otto für manchen Rat und kontroverse Diskussionen sowie den Münchner Kollegen und Freunden Dr. Reinhard Achenbach, Dr. Martin Arneth und Dr. Thilo Rudnig, die nicht nur bereitwillig mit mir über Priester und Leviten diskutierten, sondern mir auch manche Tücken des Computersatzes zu überwinden halfen. Herrn Georg Siebeck und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, besonders Herrn Rudolf Pflug, bin ich für die freundliche Zusammenarbeit bei der Drucklegung ebenfalls sehr verpflichtet. Zu guter Letzt danke ich meinen Eltern herzlich für Zuspruch und Unterstützung. Mein besonderer Dank für moralische und logistische Unterstützung sowie unzählige klärende Diskussionen und konstruktive Kritik gilt meiner lieben Frau, Dr. Marie-Luise Ehrenschwendtner. Ihr und unserer Tochter Friederike sei diese Arbeit gewidmet. München, im September 2000
Joachim Schaper
Inhaltsverzeichnis Vorwort
VII
1.
Forschungsgeschichte und Methodik
1.1
Forschungsgeschichte
1.2
Methodik
2.
Literarische Quellen und archäologische Zeugnisse
2.1
Grundsätzliche
2.2
Schriftdokumente
22
2.21
Biblische Texte
22
2.211
Einige Schlüsseltexte zum Priester- und Levitentum und ihre Bedeutung
2.212
Die Frage nach PS und P s im Hinblick auf die Rekonstruktion der Geschichte
1 10
Erwägungen
im Horizont der Pentateuch- und Deuteronomiumsforschung der Priester und Leviten 2.22
1
18 18
26 42
Offizielle achämenidische Dokumente inner- und außerhalb des Alten Testaments
49
2.221
Achämenidische Dokumente in Esr 4,6-6,14(18) und die Frage nach
2.222
Das „Kyros-Dekret" Esr 1,2-4
67
2.223
Das Artaxerxes-Reskript Esr 7,12-26
75
dem ChrGW
49
2.224
Andere achämenidische Texte
75
2.23
Papyri
75
2.24
Josephus
76
2.25
Herodot
77
2.3
Archäologische Zeugnisse
77
2.31
Inschriften und Verwandtes
77
2.32
Zeugnisse der materiellen Kultur
78
3.
Zum Verhältnis zwischen Priestern und Leviten von der Zeit Josias bis zum Ende des Exils
79
3.1
Priester, Leviten und die Frage nach Traditionsgeschichte und Historie
79
3.2
Das dtn Priestergesetz und die Neuordnung des Priestertums
84
3.3
Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte der Entwicklung des Priester- und Levitentums
3.4
95
Die Stärkung des Jerusalemer Priestertums als ein Ergebnis der josianischen Reform und als Grundlage der weiteren Entwicklung
115
X
Inhaltsverzeichnis
3.5
Die Neuorientierung des Priestertums gemäß der Ezechiel-Schule
122
4.
Aspekte der Religions- und Wirtschaftspolitik des Achämenidenreiches
130
4.1
Zur Religionspolitik der Achämeniden
130
4.2
Zur achämenidischen Wirtschaftspolitik
137
4.21
Die rrro als staatliche Steuer, die Jerusalemer Tempelsteuern und die Frage nach dem Verhältnis zwischen staatlichen und religiösen Steuersystemen
141
4.22
Weitere staatliche Steuern im Verhältnis zu religiösen Steuern
149
4.3
Schlußfolgerungen
150
Exkurs: Das Münzwesen im Achämeniden-Reich und die Bedeutung der Jehud-Miinzen für die Erforschung der Geschichte des judäischen Priestertums
153
5.
Die Neuerrichtung der Tempelhierarchie
162
5.1
Der Kult im exilszeitlichen Juda und die Folgen
162
5.2
Die Errichtung des Hohenpriesteramtes und die Auseinandersetzungen um die Tempelhierarchie in spätexilischer und frühnachexilischer Zeit
174
5.3
Die politische Verfassung Judas nach dem Ende des Exils
194
5.4
Die Stabilisierung der neuen Tempelhierarchie (515-445 v.Chr.)
211
5.41
„Priester" und „Leviten" - Esr 6,15-18 und die Priesterschrift
212
5.42
Die priesterlichen und levitischen „Abteilungen" nach Esr 6,15-18
216
5.43
Zur Datierung von Esr 6,15-18 und verwandten Problemen
219
226
6.
Priester und Leviten unter Nehemia und Esra
6.1
Soziale Gruppen zur Zeit Nehemias
226
6.2
Priester und Leviten von 445 bis ca. 400 v.Chr
230
6.3
Priester und Leviten zur Zeit Esras
246
Exkurs: Nehemia 8 und die Frage nach einer Esra-Quelle
265
7.
Priester und Leviten in der spätachämenidischen Zeit
269
7.1
Die Priester
269
7.2
Die Leviten
279
7.21
Die Vorgeschichte der levitischen Reformen
280
7.22
Die levitischen Reformen der spätachämenidischen Zeit
290
8.
Zusammenfassung und Ausblick
303
Literaturverzeichnis Stellenregister Namen- und Sachregister
309 345 349
Kapitel 1
Forschungsgeschichte und Methodik 1.1 Forschungsgeschichte1 Anders als vergleichbare Untersuchungen ist die vorliegende Arbeit als ein Versuch konsequenter Geschichtsschreibung zu verstehen. Skizzieren wir also zunächst, worum es sich hier nicht handelt. Wir unternehmen es nicht, anhand eines einzelnen biblischen Buches oder einer Auswahl biblischer Quellen die Entwicklung z.B. des Bildes von Priestern und Leviten im nachexilischen Israel nachzuzeichnen. Ebenso vermeiden wir bewußt die Annäherung an die Form des biblischen Kommentares. Selbstverständlich wird die hier vorgetragene Argumentation auf einer sorgfaltigen Exegese der uns zur Verfügung stehenden Texte aufbauen, doch geht der Blickwinkel unserer Arbeit über den des philologisch-kritischen Kommentares hinaus. Worum geht es also? Die Antwort scheint nicht schwerzufallen: um eine historische Untersuchung des Verhältnisses zwischen Priestern und Leviten im Juda der Perserzeit. Oder, umfassender ausgedrückt: um die Geschichte der Restauration des Jerusalemer Tempels und der Entwicklung seiner Beamtenhierarchie unter persischer Herrschaft. 2 Eine solche Darstellung lag bisher nicht vor, doch hat es Versuche gegeben, die in eine ähnliche Richtung weisen. Den Durchbruch in der historischen Erforschung des Verhältnisses zwischen Priestern und Leviten leistete Wellhausen im Jahre 1878 in seiner Geschichte Israels.3 Doch widmete er der Neustrukturierung der Tempelhierar-
1 Der forschungsgeschichtliche Überblick stellt die Sekundärliteratur zum Priester- und Levitentum in der Reihenfolge des Erscheinens dar, nicht nach Forschungsansätzen oder wissenschaftlichen „Schulen" geordnet. Eine solche Systematik wäre der Entwicklung der Literatur nicht angemessen, die sich in einem beständigen Dialog zwischen Forschern verschiedener Spezialgebiete und Erkenntaisinteressen entwickelt hat. Völlig neue Fragen warf allein M a x Weber auf, der allerdings nicht schulbildend wirkte. 2 Wir befassen uns hier auch nicht mit theologiegeschichtlichen Fragen, wie dies beispielhaft von JANOWSKI (DERS., Sühne) durchgeführt worden ist; vgl. zu diesem Themenkreis auch JENSON, Holiness. 3 WELLHAUSEN, Geschichte I, 123-174 (ab der zweiten Auflage als: Prolegomena, 125-
174).
2
Forschungsgeschichte und Methodik
chie in der Perserzeit nicht sehr viel Raum.4 Nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Abneigung gegen die von ihm als priesterlich-hierokratisch verstandene Verfassung und die religiöse Entwicklung des Frühjudentums konzentrierte sich Wellhausen stark auf die vorexilische Geschichte Israels,5 so daß sein historiographisches Genie der Erforschung des perserzeitlichen Judentums weniger zugute gekommen ist, als man gewünscht hätte. So werden auch in der der nachexilischen Zeit gebührenden Raum gebenden Israelitischen und Jüdischen Geschichte 6 das Verhältnis zwischen Priestern und Leviten und die Entwicklung des Tempeldienstes kaum zur Sprache gebracht. Hier wurde, so muß man im Rückblick sagen, eine Chance verpaßt, mittels einer genauen institutionengeschichtlichen Analyse der Vorgänge am zweiten Tempel zu einem besseren Verständnis der frühnachexilischen Geschichte vorzustoßen. S. Maybaum veröffentlichte seine Studie „Die Entwickelung des altisraelitischen Priesterthums" im Jahre 1880. Mit ihrer Bestreitung der Existenz einer priesterlichen Grundschrift stieß sie auf scharfe Kritik und konnte kaum Wirkung entfalten. Im Jahr 1884 erschien H. Oorts Aufsatz, 7 in dem ein Vorschlag zur Klärung der Gründe für die Benennung der nachexilischen Priester als „Aaroniden" gemacht wird. Zwei Jahre später veröffentlichte E. Schürer im zweiten Teil seiner Geschichte einen wertvollen Abschnitt zu Priesterschaft und Tempelkult. 8 Eine Untersuchung zum Verhältnis zwischen Priestern und Leviten von der Zeit Ezechiels bis gegen Ende des zweiten Tempels gab es noch nicht. Sie wurde im Jahre 1889 von H. Vogelstein vorgelegt. Seine Untersuchung des Antagonismus zwischen Priestern und Leviten im nachexilischen Israel ist ein interessantes Beispiel für die Historiographie der Wissenschaft des Judentums. 9 Doch beschränkt sich Vogelstein auf eine kritische Nacherzählung des Quellenmaterials und stellt nicht die Frage nach den Tiefendimensionen der von ihm beschriebenen Auseinandersetzung. Den Ursachen für die permanente Rivalität zwischen den Priestern und ihren „geringeren Brüdern", den Leviten, wird nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet. Die Geschichte dieser Rivalität wird vielmehr erzählt als eine solche des Kampfes um scheinbare und tatsächliche amtliche Privilegien. Zwar bleiben ganz konkrete, handfeste Fakten wie der Streit um die Eintreibung des Zehnten und die damit verbundene Frage der materiellen Versorgung der Leviten d.h. das Problem ihres physischen Überlebens - keinesfalls unerwähnt, doch
4 Vgl. a.a.O., 140-142 und die im Kapitel über die Chronik verstreuten Bemerkungen über Priester und Leviten, a.a.O., 165-223. 5 Vgl. z.B. WELLHAUSEN, Prolegomena, passim. 6 WELLHAUSEN, Geschichte, 153-371. 7 OORT, Aäronieden. 8 SCHÜRER, Geschichte II, 175-248. 9 VOGELSTEIN, Kampf.
Forschungsgeschichte
3
werden sie nicht in ihrem unmittelbaren Kontext lokalisiert. Kurz, das von Vogelstein entworfene Geschichtsbild bleibt eigentümlich blaß. Allerdings ist dies durchaus verständlich, schrieb er doch zu einer Zeit, als die Serie der großen Durchbrüche in der alttestamentlichen Wissenschaft und der Geschichtswissenschaft im allgemeinen noch nicht abgeschlossen war und die literarkritische Analyse der Texte Vorrang vor anderen Forschungsansätzen hatte. Im selben Jahr wie Vogelsteins Spezialuntersuchung erschien W. W. Graf Baudissins Geschichte des Priestertums, die erste größere Untersuchung zur Gesamtgeschichte des israelitisch-jüdischen Priestertums in deutscher Sprache.10 Doch fällt Baudissin hinter die Erkenntnisse Wellhausens zurück, da er sich nicht auf eine nachexilische Datierung der Priesterschrift einlassen zu können glaubte, wohl aber P zum Ausgangspunkt seiner Studie machte. Baudissin nimmt die Aussagen der Priesterschrift über die „aaronidischen" Priester für bare Münze, und so ist sein Bild der Geschichte des Priestertums von vornherein verzerrt: Er hält z.B. auch die levitische Abstammung Zadoks für wahrscheinlich. Im Jahre 1890 veröffentlichte A. Kuenen seinen Aufsatz zur Geschichte der JHWH-Priester, in dem er u.a. einige Vorschläge Baudissins, Oorts und Vogelsteins kritisch diskutiert.11 Das Jahr 1899 sah dann gleich zwei wesentliche Beiträge zur Erforschung der Geschichte des alttestamentlichen Priestertums, die Studie A. van Hoonackers12 und J. Köberles Werk über die Tempelsänger. 13 Van Hoonacker legt allerdings keine eigentliche Geschichte vor, sondern analysiert priesterliche Kultvorschriften und versucht, daraus historische Schlußfolgerungen zu ziehen, vermag aber das Priestertum in seiner Entwicklung nicht zu greifen. So geht er z.B. davon aus, daß von Anfang an Kulteinheit in Israel bestanden habe und die Chronik vorexilische Zustände beschreibe. Köberles Buch beschränkt sich im wesentlichen auf die Sänger, behandelt aber auch Probleme wie das Verhältnis zwischen Leviten und Sängern und die Beziehungen zwischen Sängern und Torwächtern und ist in dieser Hinsicht bis heute nützlich. Im Jahre 1902 erschienen zwei Artikel in der Encyclopaedia Biblica, die ebenfalls bis heute brauchbar sind: W. Robertson Smiths Arbeit über die Leviten14 und Robertson Smiths und A. Bertholets in Kollaboration entstandene Studie über das Priestertum.15 Hier werden die Einsichten der damaligen hi10
BAUDISSIN, Geschichte. Baudissin legt eine umfassende Bibliographie vor (a.a.O., XIXV), die von de Wettes Beiträgen zur Einleitung in das Alte Testament (1806) bis zu Renans Histoire du peuple d'Israel (1888) reicht. 11 KUENEN, Geschiedenis, 1-42; DERS., Geschichte, 465-500. 12
V A N HOONACKER, S a c e r d o c e .
13
KÖBERLE, T e m p e l s ä n g e r .
14
SMITH, Levites.
15
SMITH u n d BERTHOLET, P r i e s t .
4
Forschungsgeschichte und Methodik
storisch-kritischen Wissenschaft klar und systematisch dargestellt. Allerdings finden sich auch, besonders bei der Einordnung des Konzepts der „levitischen" Abstammung der vorexilischen Priester, einige Entscheidungen, die von der heutigen Exegese nicht mitgetragen werden können. Ebenso bieten Smiths und Bertholets Artikel über die Priester keine Erklärung des Verhältnisses zwischen „Aaroniden" und „Zadokiden". R. H. Kennett setzt sich mit diesem Problem auseinander. 16 Er nimmt Oorts Argumentation auf und bezieht sie besonders auf Bethel, dessen Priesterschaft Kennett für aaronidisch hält. Er meint, diese Priester hätten wahrscheinlich während des Exils den Jerusalemer Kult aufrechterhalten. Auch G. Westphal untersucht die Identität der Aaroniden 17 und zeichnet die Veränderungen im Gebrauch des Begriffs „Levit" und des Aaron-Bildes in Israel nach. Das Jahr 1917 markierte insofern einen Einschnitt in der Geschichte der alttestamentlichen Wissenschaft, als Max Weber in seiner Studie über das Judentum zum ersten Mal in großem Stil soziologische Modelle zur Erklärung der Geschichte Israels und des Judentums einsetzte.18 Auch Priestern und Leviten widmete er dabei seine Aufmerksamkeit. An Webers historischsoziologischem, bzw. genauer: an seinem vom Konzept Historischer Kulturwissenschaft 19 geprägten Ansatz zeigt sich eine allgemeine Tendenz der modernen Geschichtsschreibung: der Drang zu einer immer umfassenderen, mehr und mehr Aspekte des Themas durchdringenden Darstellung. Insofern ist Webers Arbeit ein Beweis für P. Veynes These von der Erweiterung der historischen „Topiken" 20 - d.h. der Fragenkataloge, mit deren Hilfe die Analyse einer historischen Situation durchgeführt wird - als dem eigentlichen „Fortschritt" in der Geschichtswissenschaft. Die moderne Historiographie, wo sie von einem schlicht ereignisgeschichtlichen Ansatz (wie er zu unserem Thema z.B. von Vogelstein verfolgt wird) Abschied nimmt und ein möglichst umfassendes historisches Verstehen erreichen will, ist damit beschäftigt, solche Topiken zu erstellen - eine Aufgabe, die ein erhebliches Maß analytischen Scharfsinns und begrifflicher Klarheit erfordert. 21 Diese Aufgabe ist von Weber beispielhaft bewältigt worden, so daß sich alle Geschichtsschreibung - und damit natürlich auch die Erforschung der Geschichte Israels und des antiken Judentums - an seinem Beispiel orientieren kann. Chr. Meier hat zusammengefaßt, warum das so ist. Er erörtert die Vorzüge der historischen
16
KENNETT, O r i g i n .
17
WESTPHAL, A a r o n .
18
WEBER, J u d e n t u m .
19
Vgl. OEXLE, Science, 125-130.
20
V g l . VEYNE, L ' h i s t o i r e , 2 5 8 - 2 6 2 s o w i e OEXLE, S c i e n c e , 117f. z u WEBER, O b j e k t i v i t ä t ,
206. 21
Vgl. hierzu WEBER, Objektivität, passim.
Forschungsgeschichte
5
Arbeitsweise Webers im Vergleich zu der E. Meyers am Beispiel ihrer Behandlung der „Kulturbildung bei den Griechen"22 und der Entstehung der PoIis. Webers Methode faßt er mit den folgenden Worten zusammen: „Warum die Griechen und Römer aber einen so anderen Weg als die orientalischen Städte einschlagen, dafür werden die Geographie, der Handel, das Militärwesen, die politische Organisation und der besondere Zusammenhang, in dem sie sich historisch ausgewirkt haben, angeführt. Die Antwort beruht zum großen Teil auf Eduard Meyer, aber Weber vermag die wichtigsten Faktoren herauszuziehen, vorsichtig zu verallgemeinern und damit ein wirkliches Begreifen des Vorgangs zu ermöglichen." 23 Hier zeigt sich das historiographische Genie Webers: Er ermöglicht „wirkliches Begreifen", indem er neue Fragen stellt und die historische Wirklichkeit in möglichst vielen Facetten zu erfassen versucht.24 Bald nach Erscheinen der Weber'schen Studie veröffentlichte G. Hölscher seinen monumentalen Aufsatz zu Levi und Levitentum, 25 der auch der heutigen Forschung in mancherlei Hinsicht wertvolle Anregungen zu geben vermag. Auf der Höhe der Forschung seiner Zeit, ist der Artikel in seinem enzyklopädischen Ansatz und ausgewogenen Urteil mustergültig. Ebenfalls im Jahre 1925 wurde G. B. Grays Studie zum Opfer im Alten Testament herausgegeben, 26 die auch einige wertvolle Beobachtungen zum alttestamentlichen Priestertum enthält. Besonders interessant sind Grays Untersuchungen zu den historischen Wurzeln des Levitentums. Im Zentrum des Interesses stehen allerdings die israelitischen Opferpraktiken und ihre theoretische Grundlegung. Fünf Jahre später folgte G. von Rad mit seiner Studie zum Geschichtsbild im chronistischen Werk, 27 in der er auch der Darstellung der Priester und Leviten in Esr-Neh und Chr gebührenden Raum gibt. Es ist eines der Verdienste dieser Arbeit, das Problem der Relation zwischen Leviten, Sängern und Torhütern in den Blick genommen und Lösungsversuche angeboten zu haben. So trug von Rad dazu bei, die Entwicklung der nachexilischen Kultushierarchie in all ihrer Bewegtheit wahrzunehmen und historisch zu verstehen. Allerdings ist sein Verfahren stark traditionsgeschichtlich bestimmt und lenkt daher die Aufmerksamkeit von (sozial-)historischen Fragestellungen ab, deren Berücksichtigung sich als sehr fruchtbar erwiesen hätte.
22
MEIER, H e r a u s f o r d e r u n g e n , 3 8 9 .
23
MEIER, H e r a u s f o r d e r u n g e n , 3 9 1 .
24
Zur Entwicklung des Weber'schen Denkens, besonders hinsichtlich seiner religionshistorischen bzw. -soziologischen Arbeit, vgl. SCHLUCHTER, Religionssoziologie, passim sowie BENDIX, Weber, passim. 25
HÖLSCHER, L e v i .
26
GRAY, Sacrifice. VON RAD, Geschichtsbild.
27
6
Forschungsgeschichte
und Methodik
K. Möhlenbrink legte bald darauf eine überaus detaillierte und nützliche Studie über die levitischen Traditionen des Alten Testaments vor, 28 die in ihrer Selbstbeschränkung auf rein traditionsgeschichtliche Gesichtspunkte der Wissenschaft insofern einen großen Dienst leistet, als hier zum ersten Mal sämtliche relevanten Überlieferungen systematisch aus einem bestimmten Blickwinkel untersucht und präsentiert werden konnten, wobei es Möhlenbrink zusätzlich unternimmt, diese Traditionen nach formgeschichtlichen Maßstäben zu kategorisieren: Levitenlisten, -geschichten, -Satzungen und -lieder. Eine stärker historisch orientierte Untersuchung eines Teilaspekts der levitischen Geschichte legte R. Meyer im Jahre 1938 vor.29 Meyer nimmt die Darstellung der levitischen Position in der Chronik als Ausgangspunkt und verfolgt die Leviten und ihr Geschick in die sogenannte „zwischentestamentliche Zeit" hinein. Er sieht die Berufung auf den Stammvater Levi in der Hasmonäerzeit als anti-aaronidischen Kunstgriff, der die Stützung der Hasmonäerdynastie zum Ziele hatte. F. S. North steuerte 1954 eine radikale These zur Geschichte des Priestertums bei:30 Bethel war während des Exils das bedeutendste Heiligtum der im Lande Verbliebenen; dies steigerte das Ansehen der dort tätigen Aaroniden so enorm, daß den heimkehrenden Zadokiden nichts anderes übrig blieb, als sich selbst mit Hilfe eines genealogischen Konstrukts zu „Aaroniden" zu machen. Ebenfalls im Jahre 1954 veröffentlichte G. E. Wright seine Studie über die Leviten im Deuteronomium. 31 H. G. Judge trug zwei Jahre darauf die These vor,32 die Priester, die den exilszeitlichen Kult in Jerusalem durchführten, seien möglicherweise Abjathariden gewesen, mit denen die heimkehrenden Zadokiden sich arrangieren mußten. H. Strauß legte im Jahre 1960 mit seiner Bonner Dissertation „Untersuchungen zu den Überlieferungen der vorexilischen Leviten" eine überlieferungsgeschichtlich orientierte Arbeit vor, in der er die bleibende Aufgabe einer allgemeinhistorischen Aufarbeitung der Geschichte der Leviten ins Auge faßt, ihr jedoch insgesamt skeptisch gegenübersteht. J. Liver widmet sich in einer Abhandlung 33 einem wichtigen Teilproblem der levitischen Geschichte, nämlich der Analyse von Num 16. Er sieht einen Streit zwischen Priestern und Leviten als historischen Hintergrund einer der Überarbeitungen von Num 16, lokalisiert diesen Streit dann allerdings in der vorexilischen Geschichte Israels. 28 29 30 31 32 33
MÖHLENBRINK, Überlieferungen. MEYER, Emanzipationsbestrebungen. NORTH, Rise. WRIGHT, Levites. JUDGE, Aaron. LIVER, Korah.
Forschungsgeschichte
7
J. A. Emerton leistete im Jahre 196234 einen Beitrag zur Klärung der Priester* und Levitenterminologie des Buches Deuteronomium und der dort vertretenen Auffassungen des Stammes Levi und des Priestertums. Im Jahre 1965 erschien A. H. J. Gunnewegs wichtige Studie,35 die seitdem, zusammen mit Codys Werk,36 ständiger Bezugspunkt aller zeitgenössischen Arbeit am Problem des alttestamentlichen Priestertums ist. Während Gunnewegs Arbeit - entgegen ihrem Untertitel - nahezu ausschließlich von traditionsgeschichtlichen Fragestellungen geprägt ist und ihr Autor darüber oftmals die im eigentlichen Sinne historischen Probleme aus den Augen verliert, versucht Cody dieser Gefahr zu entgehen. Seine Studie ist seit Baudissins Arbeit die erste größere, wirklich historische Abhandlung zum israelitisch-jüdischen Priestertum. Codys Arbeit ist der Baudissins allerdings methodisch weit überlegen, was einerseits mit der Verfeinerung der exegetischen Arbeitsmethoden, andererseits mit der größeren systematischen Kraft Codys zusammenhängt. Es gelingt ihm, die traditionsgeschichtliche Methode sinnvoll einzusetzen, sie dann aber zu transzendieren und die Entwicklung des Priestertums historisch nachzuzeichnen. Eine kleinere Studie verdient hier ebenfalls Erwähnung. Aberbach und Smolar37 kommen auf das Problem der Aaroniden zu sprechen, weisen die gegenseitige Abhängigkeit von Ex 32 und 1 Kön 12 nach und sehen in Ex 32 eine von den Zadokiden zu anti-aaronidischen Zwecken benutzte Erzählung, der später, unter dem Eindruck der zadokidisch-„aaronidischen" Übereinkunft, die aaronfeindliche Spitze genommen wurde. M. D. Rehm geht in seiner Dissertation38 den Levi-Traditionen nach und bemüht sich, aus ihnen die Geschichte des vorexilischen Levitentums zu rekonstruieren. Seine Arbeit ist sehr stark von dem von seinem Lehrer F. M. Cross übernommenen Konzept der Entstehung der Priesterschrift 39 bestimmt. Dies relativiert natürlich in mancher Hinsicht die Zuverlässigkeit der von ihm vorgelegten historischen Rekonstruktion, tut aber der Bedeutung vieler Einzelbeobachtungen keinen Abbruch. In seiner Arbeit zum alttestamentlichen Priestertum skizziert M. W. T. Allan die Geschichte der Leviten und der Priester von der Landnahme bis zur exilisch-nachexilischen Zeit.40 Als Ausgangspunkt der Untersuchung dienen die frühesten Levi-Traditionen. Es ist ein Verdienst der Arbeit, den Zusammenhang zwischen den ursprünglichen Leviten der Frühzeit Israels und den 34
EMERTON, P r i e s t s .
35
GUNNEWEG, L e v i t e n .
36
CODY, H i s t o r y .
37
ABERBACH u n d SMOLAR, A a r o n .
38
REHM, Studies.
39
Vgl. z.B. CROSS, Myth, 293-325. Zur Auswirkung dieser Theorie auf die Rekonstruktion der Geschichte des Priestertums vgl. z.B. a.a.O., 195-215. 40
ALLAN, P r i e s t h o o d .
8
Forschungsgeschichte
und Methodik
„Leviten" (d.h. den Priestern „zweiter Klasse") der späteren Zeit klären zu wollen. Hinsichtlich der Historizität der Levi-Traditionen und in bezug auf die Zeit der „Landnahme" ist die Studie allerdings von einer gewissen Naivität gekennzeichnet. Die Geschichte des nachexilischen Priestertums kommt leider nur im Blick auf den Status Aarons in der Priesterschrift und in den von ihr beeinflußten Traditionen vor. Überhaupt ist die Arbeit eher überlieferungsgeschichtlich orientiert und versucht nicht, die konkrete Geschichte von Priestern und Leviten zu rekonstruieren. Aus dem Jahre 1973 stammt die Dissertation J. C. Kellys, die sich mit der Funktion des Priesters im Alten Testament beschäftigt. 41 Sie widmet Dtn 33,8-10, Ex 19,6 und Sir 45,15-17 besondere Aufmerksamkeit, vergleicht prophetische und priesterliche Traditionen und stellt Königtum und Priestertum einander gegenüber. Die Funktion des Priestertums wird in der „Erhaltung des Lebens Israels" 42 gesehen und auf die Funktion und Bedeutung des davidischen Königtums bezogen.43 Die Dissertation gibt für eine kritische Erforschung der Geschichte des alttestamentlichen Priestertums wenig her, zumal sie von einem fragwürdigen Konzept des Zusammenhangs von Königtum und Priestertum ausgeht. Eine vergleichende Studie zum Priestertum hat L. Sabourin vorgelegt. 44 Das alttestamentliche Priestertum wird von Sabourin ausfuhrlich gewürdigt, doch ist letztlich kein Raum für die Analyse von Detailproblemen. In den Jahren 1977 und 1978 veröffentlichte R. Abba seine Untersuchungen über Priester und Leviten im Deuteronomium 45 und im Ezechielbuch. 46 In seiner Dissertation über Kult und Priesterschaft im alten Israel47 widmet sich S. M. Olyan Am 8,14 und der Frage des Pilgertums bei Arnos und in anderen prophetischen Traditionen, der Bedeutung der Ascherah für den JHWH-Kult und in der kanaanäischen Religion im allgemeinen sowie der Rolle und Bedeutung des Priestertums im Sirachbuch. In diesen Fragen bietet die Studie wertvolle Anregungen. Allerdings relativieren fragwürdige historische Rekonstruktionen den Wert der Arbeit. 48 41
KELLY, F u n c t i o n .
42
Vgl. KELLY, Function, 95: „The function of priest according to the theology of the Old Testament can be summarized in saying that it is the preservation of the life of Israel." 43 Vgl. ebd.: „Even when the levitical kohen had become less .prophetic' and had taken on the functions of the primitive, natural, priesthood of man, with cultic sacrifice as is central act, he remained a vicar or substitute for the father-figure par excellence, the Davidic king." 44
SABOURIN, P r i e s t h o o d .
45
ABBA, D e u t e r o n o m y .
46
ABBA, E z e k i e l .
47
OLYAN, Problems. Vgl. OLYAN, Problems, 182: „Our investigation has led us to the conclusion that the priestly conflicts well known from the exilic and the restoration periods continued down to the end of the first millennium. Zadokites continued to push their case for exclusive 48
Forschungsgeschichte
9
Einem Detailproblem widmet sich die Arbeit zu Priestern und Leviten in Maleachi von J. M. O'Brien. 49 O'Brien legt eine formkritische Analyse des Buches Maleachi vor und zieht historische Schlußfolgerungen aus dem Gebrauch von Begriffen wie „Priester" oder „Levit". Gegen Hanson 50 kommt sie zu dem Ergebnis, daß Maleachi keine Rückschlüsse auf Gruppenkonflikte in der Kultushierarchie zuläßt. Vor kurzem hat U. Gleßmer eine Habilitationsschrift über die Priesterordnungen in der alttestamentlichen und frühjüdischen Literatur vorgelegt; von H. Henning-Hess stammt eine Dissertation über die Bedeutung des Kults in den Chronikbüchern. 51 Im Rahmen der vorliegenden Studie sind besonders Gleßmers Beobachtungen zu den Chronikbüchern von Interesse. Aus jüngster Zeit liegen die Arbeiten von U. Dahmen, 52 E. Otto, 53 R. Achenbach 54 und Th. A. Rudnig 55 vor, die auch in bezug auf die Frage nach der Bedeutung von Dtn 18 für die Geschichte des Leviten- und Priestertums von Bedeutung sind. Sie setzten durchaus verschiedene Akzente, haben aber in der These, daß Dtn 18,6-8 (spät-)dtr56 oder gar post-dtr 57 Herkunft sei, ihren gemeinsamen Nenner. Eine ganz dem Problem der Leviten als einer Priesterschaft „zweiter Klasse" gewidmete Arbeit stammt von R. Nurmela. 58 Soweit zur Sekundärliteratur zum alttestamentlichen Priestertum. Wie deutlich geworden sein dürfte, fehlt bisher eine Studie zum Priester- und Levitentum in der Perserzeit, die bei allem Respekt vor der Traditionsgeschichte auch religions-, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Probleme im Auge behält und tatsächlich die Geschichte des Priestertums zu schreiben versucht. Diesem Mangel möchte die vorliegende Arbeit abhelfen.
priesthood (addition to Sir 51:12 i; some Qumran materials), and Aaronids for pan-Aaronid control of the office (Ben Sira, some Qumran-material)." Olyan übersieht, daß der Kompromiß zwischen den verschiedenen priesterlichen Häusern, der sich ja gerade in der „aaronidischen" Priestergenealogie der Priesterschrift ausdrückt, längst geschlossen worden war, nämlich in der achämenidischen Zeit (vgl. Kap. 5-6 der vorliegenden Studie). Der Bezug auf „Aaron" und auf „Zadok" in der hellenistischen Zeit ist das Ergebnis verschiedener Akzentsetzungen der Autoren, nicht aber ein Hinweis auf grundsätzliche Parteistreitigkeiten. Anders neuerdings ACHENBACH, Priester, passim und RUDNIG, Heilig, 280-318. 49 O'BRIEN, Priest. 50 HANSON, Dawn. 51 GLESSMER, Kultordnung; HENNING-HESS, Kult. 52
DAHMEN, L e v i t e n , 2 6 3 - 3 2 0 , b e s . 3 1 6 - 3 2 0 .
53
OTTO, Levitisierung. ACHENBACH, Priester. 55 RUDNIG, Heilig. 56 So DAHMEN, Leviten, 319f. und ACHENBACH, Priester, 285. Vgl. unsere Diskussion dieser und verwandter Thesen in Kap. 2.211. 57 Vgl. OTTO, Levitisierung, 283f. 54
58
NURMELA, L e v i t e s .
10
Forschungsgeschichte und Methodik
1.2 Methodik Auf der Grundlage der bisher gemachten Beobachtungen schlagen wir daher folgende Vorgehensweise für unsere Untersuchung des Verhältnisses zwischen Priestern und Leviten zur Zeit des zweiten Tempels vor, eine Vorgehensweise, die entsprechend bei der historisch-soziologischen Untersuchung des nachexilischen Juda im allgemeinen anzuwenden wäre: 1) Die alttestamentliche Wissenschaft darf nicht unter den möglichen Forschungsansätzen einige auf Kosten anderer über Gebühr bevorzugen, wenn dadurch wesentliche Aspekte des Forschungsgegenstandes der wissenschaftlichen Analyse verschlossen bleiben. Dies wäre z. B. der Fall, wenn man bei der historischen Untersuchung der Entwicklung einer religiösen Gemeinschaft - und d.h. in der Regel: einer auf tradierten Texten beruhenden Untersuchung - von literarkritischen, formgeschichtlichen, überlieferungsgeschichtlichen, redaktionsgeschichtlichen und religionsvergleichenden Methoden Gebrauch machte, sozialgeschichtliche und verwandte Fragen aber vernachlässigte. 2) Der Verfasser strebt in der vorliegenden Untersuchung eine möglichst umfassende Integration aller notwendigen Forschungsansätze an. Deshalb müssen neben den oben erwähnten, „klassischen" Gesichtspunkten selbstverständlich auch, um nur zwei Beispiele zu nennen, archäologische und numismatische Forschungsergebnisse berücksichtigt werden. Diese Integration wird unter Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Fragestellungen durchgeführt. 3) Im Blick auf sozialgeschichtliche Fragestellungen tritt folgendes Problem auf: Zwar ist zwischen Geschichte und Soziologie streng zu differenzieren, doch müssen beide zueinander in Beziehung gesetzt werden. 59 Wie hat dies zu geschehen? Während die Geschichtsschreibung historische Ereignisse und Entwicklungen sowie die ihnen zugrunde liegenden Tiefenstrukturen in ihrer Vielfalt nachzuzeichnen versucht, arbeitet die Soziologie zwar durchaus auch mit historischem Material, strebt aber eine gewisse „Abstraktion" an: Sie ist auf der Suche nach charakteristischen Merkmalen gesellschaftlicher Organisation und Funktion sowie nach wiederkehrenden, „typischen" Verhaltensmustern von Gruppe und Individuum. N. K. Gottwald faßt das Problem im Blick auf die Geschichte Israels folgendermaßen zusammen: „Historical study of ancient Israel aims at grasping the sequential articulation of Israel's experience and the rich variety of its cultural products, outstandingly its literature and religion. Sociological study of ancient Israel aims at grasping the typical pattern of human relations in their structure and function, both at a 59
V g l . z . B . BRAUDEL, S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n , bes. 8 0 - 8 7 ; DERS., S o z i o l o g i e ; VEYNE, O r i -
ginalität, 37-39; DERS., Brot, 15f. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Konzept der longue dureé bieten VOVELLE, Geschichtswissenschaft und LUTZ, Braudels La Méditerranée. Vgl. auch KOSELLECK, Darstellung.
Methodik
11
given moment or stage (synchronics) and in their trajectories of change over specified time spans (diachronics). The hypothetically ,typical' in collective human behavior is sought by comparative study of societies and expressed theoretically in ,laws', .regularities', or .tendencies' that attempt to abstract translocal and transtemporal structural or processual realities within the great mass of spatiotemporal particularities".60 P. Veyne illustriert dieses Problem folgendermaßen: „Zum Beispiel sind die Punischen Kriege in den Augen eines Historikers ein Gegenstand, der der historischen Wissenschaft zufallt. Dagegen sind dieselben Kriege, in den Augen eines Soziologen, der sie auf genau die gleiche Art erklärt, nur noch ein Beispiel, sie dienen ihm zur Illustration für einen der Soziologie eigenen Gegenstand, nämlich die Theorie selbst."61 Nun könnte man der Meinung sein, daß ein unüberbrückbarer Graben zwischen der historischen und der soziologischen Methode liege. Dies ist aber nicht der Fall, denn bei näherer Betrachtung ergibt sich, „daß es keine spezifische Methode der Geschichtswissenschaft gibt. Eine historische Tatsache kann nur mit Hilfe der Soziologie, der politischen Theorie, der Anthropologie, der Ökonomie usw. erklärt (und folglich dargestellt) werden". 62 Geschichte und Soziologie unterscheiden sich also nicht hinsichtlich ihrer Methoden, sondern vielmehr hinsichtlich ihrer Erkenntnisinteressen. Dies heißt aber auch, daß Geschichtsschreibung ohne den Rückgriff auf soziologische, politologische, ökonomische und verwandte Erklärungsmodelle gar nicht möglich ist. Die Geschichtsschreibung empfängt wesentliche Anregungen aus eben diesen Nachbarwissenschaften, ganz besonders aus der Soziologie und der Ökonomie. In diesem Sinne will auch die vorliegende Arbeit bei der Erforschung der Geschichte des Priester- und Levitentums sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Fragestellungen zu ihrem Recht kommen lassen. 4) In dieser Hinsicht beispielhaft ist die Arbeit der von M. Bloch und L. Febvre geprägten und manchmal nach der von ihnen begründeten Zeitschrift 63 „École des Annales" oder auch einfach „Nouvelle Histoire" 64 genannten „Schule" - eigentlich eher eine lockere Gruppierung - französischer Historiker,65 die mittlerweile in der dritten Generation66 existiert. Nachdem 60
GOTTWALD, Method, 212. VEYNE, Originalität, 37. 62 VEYNE, Brot, 15. 63 Die erste Ausgabe der „Annales d'histoire économique et sociale" erschien am 15. Januar 1929. Zur Geschichte dieser Zeitschrift vgl. BURKE, Revolution, 21-25. Nach mehreren Änderungen des Untertitels, die die sich verschiebenden programmatischen Akzentsetzungen spiegeln, erscheint sie heute unter dem Titel „Annales. Histoire, Sciences Sociales". 64 Vgl. dazu u.a. BURKE, Revolution. 65 Zur Entstehung und Geschichte der École des Annales vgl. BURKE, Revolution, passim. Anthologien repräsentativer Texte aus den Kreisen der Nouvelle Histoire liegen vor in MIDDELL und SAMMLER (Hgg.), Geschichte; BLOCH u.a., Schrift sowie FEBVRE, Gewissen. 61
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Forschungsgeschichte
und
Methodik
die Rezeption des Gedankenguts der Nouvelle Histoire67 in Deutschland recht schleppend angelaufen war,68 erwachte in jüngerer Zeit ein verstärktes Interesse an den von der École des Annales gestellten Fragen. 69 Auch in der alttestamentlichen Wissenschaft beginnt eine Rezeption der Konzepte der Nouvelle Histoire. Zum Thema einer solchen Neuorientierung der zeitgenössischen Geschichtsforschung und der alttestamentlichen Wissenschaft hat M. Weippert in einem programmatischen Aufsatz einige Überlegungen angestellt. Wie er mit Recht feststellt, sind die gängigen Darstellungen der israelitisch-jüdischen Geschichte, „in der Terminologie der ,Nouvelle Histoire', als histoires d'événements [zu] bezeichnen". 70 Er mahnt, in Anspielung auf einen Aufsatz A. Alts:71 „Der ,Rhythmus der Geschichte Syriens und Palästinas' zeichnet sich im wesentlichen in den Langzeitprozessen, in der longue durée, ab, nicht in den Augenblicksereignissen. Eine künftige Geschichte des antiken Israel wird darauf in sehr viel größerem Maße als bisher einzugehen haben. Andernfalls steht zu befurchten, daß sie den Kontakt zu und die FähigZwei Sammlungen, in denen Texte von Historikern der Nouvelle Histoire denen anderer, ähnlich arbeitender Historiker gegenübergestellt werden, sind BRAUDEL u.a., Historiker und RAULFF (Hg.), Umschreiben. Zu M. Bloch vgl. FINK, Bloch, zu Blochs Geschichtsbegriff und Forschungspraxis vgl. FRIEDMAN, Bloch sowie grundlegend RAULFF, Bloch. 66 Herausragende Beispiele für die Umsetzung (und Modifizierung) der Konzepte der Nouvelle Histoire in der dritten Generation sind z.B. VERNANT, Mythe und VEYNE, Société. Zu den Forschern dieser dritten Generation, besonders G. Duby, J. Le Goff und E. Le Roy Ladurie, vgl. BURKE, Revolution, 65-93. Zu P. Veyne und J.-P. Vernant vgl. a.a.O., 98f. Zu Dubys Konzept von Geschichtsschreibung vgl. DERS. und LARDREAU, Geschichte. 67 Zur Vielzahl der in der Nouvelle Histoire vertretenen Forschungsansätze vgl. die charakteristische Bemerkung in BRAUDEL, Begriff, 181: „Kein seines Namens würdiger Historiker, der nicht eine Anzahl dieser Landschaften - die kulturelle und die soziale, die kulturelle und die politische, die soziale und die wirtschaftliche, die wirtschaftliche und die politische und so fort aneinanderzureihen verstünde. Die Geschichte aber vereint sie alle, sie schließt diese Nachbarschaften, diese Grenzgemeinschaften mit ihren Wechselwirkungen ohne Ende zum Ganzen zusammen . . . ". Tatsächlich ist die Nouvelle Histoire von einer enormen Bandbreite verschiedener Erkenntnisinteressen und Forschungsansätze gekennzeichnet, vgl. die Übersicht in BURKE, Revolution, passim. Die Historiker der École des Annales setzten ihre Akzente auf den verschiedensten Gebieten: Febvre und Bloch in der Mentalitätengeschichte (letzterer auch in der Sozialgeschichte und der historischen Geographie), Braudel in der historisch-geographischen Forschung, Labrousse als Wirtschaftshistoriker, Le Goff als Exponent einer kulturanthropologisch geprägten Geschichtsschreibung - um nur einige zu nennen. Dabei haben die Vertreter der Nouvelle Histoire niemals aus dem Auge verloren, daß alle Bereiche der Geschichtsschreibung in beständiger Beziehung zueinander bleiben müssen, ganz im Sinne des oben zitierten Braudel'schen Diktums. - Zur Mentalitätengeschichte vgl. DUBY, Histoire und ARIÈS, Mentalitäten. 68
Vgl. SCHÜTTLER, Annales-Rezeption. Vgl. die umfangreiche Auswahlbibliographie in MIDDELL und SAMMLER (Hgg.), Geschichte, 356-371. 70 WEIPPERT, Scheideweg, 74. 71 Vgl. ALT, Rhythmus, 1-19. 69
13
Methodik
keit zur Kommunikation mit der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft ganz verliert."72 Dies trifft, mutatis mutandis, auch für die Erforschung von Spezialthemen innerhalb der Geschichte Israels zu. Weippert schreibt im Blick auf die gegenwärtige Situation der alttestamentlichen Wissenschaft: „Das darf uns jedoch nicht von dem Versuch abhalten, den beträchtlichen methodischen Rückstand aufzuholen, der sich durch die Abkoppelung der .Geschichte Israels' von der allgemeinen Entwicklung der Geschichtswissenschaft (m. E. im Zusammenhang mit der Zurückdrängung der liberalen Theologie seit den dreißiger Jahren) herausgebildet hat. Die erwähnten methodischen Neuansätze - für deren Verankerung in der wissenschaftlichen Tradition man sich im übrigen auf Gustav Dalman, Albrecht Alt und Antonin Causse berufen kann - lassen erwarten, daß die Geschichte des alten Israel, mit strukturalistischen Methoden bearbeitet, an Klarheit und Verständlichkeit gewinnen kann. Daran wird auch die Erforschung der Geschichte des Alten Orients im allgemeinen und die atl. Wissenschaft in ihrer Gesamtheit nur profitieren." 73 Mit den „strukturalistischen Methoden" meint Weippert im wesentlichen die von Braudel und seinen Schülern vertretenen Neuansätze, die starke Berührungen mit den historischgeographischen Arbeitsmethoden besonders A. Alts aufweisen. 74 Die von Braudel und seinen Schülern propagierte Verflechtung von historischen und geographischen Arbeitsweisen 75 ist für die alttestamentliche Wissenschaft von großem Interesse, zumal sie die Basis für andere, aus ihr heraus zu entwickelnde Forschungsansätze bildet: Die historisch-geographische Methode ist grundlegend für die Erforschung sehr langer Zeiträume und der Tiefenstrukturen der Geschichte (z.B. die klimatischen und geographischen Gegebenheiten); sie dient der „Suche nach dem Unbewegten oder dem quasi Unbewegten". 76 In dieser „quasi unbewegten Geschichte", 77 in „dieser beständigen Dauer" 78 wurzeln die menschlichen Gesellschaften, läuft jene Geschichte ab, „die einem stärker individualisierten Rhythmus folgt: die Geschichte von Gruppen, kollektiven Schicksalen, Gesamtbewegungen. Eine Sozialgeschichte, in der alles vom Menschen, von den Menschen ausgeht, und nicht mehr ,von den Dingen', um mit Maurice Halbwachs zu sprechen; anders gesagt: von dem, was der Mensch aus den Dingen gemacht hat". 79 Für ein historisches Gesamtbild ist allerdings über die Rahmenbedingungen hinaus, die 72
WEIPPERT, S c h e i d e w e g , 7 7 .
73
WEIPPERT, S c h e i d e w e g , 7 4 .
74
Vgl. z.B. ALT, Gaue sowie DERS., Nachbarn und DERS., Grenze. Das wohl berühmteste Beispiel für eine Untersuchung, die geographischen Ansatz zum Ausgangspunkt hat, ist BRAUDEL, Mittelmeer. 75
76
BRAUDEL, M i t t e l m e e r II, 15.
77
BRAUDEL, M i t t e l m e e r I, 3 1 .
78
BRAUDEL, M i t t e l m e e r I I , 15.
79
Ebd.
den
historisch-
14
Forschungsgeschichte
und Methodik
sich in der Sozialgeschichte darstellen, noch etwas anderes nötig: „Diese dauerhaften Rahmenbedingungen - konservative Gesellschaften, Volkswirtschaften im Banne ihrer begrenzten Möglichkeiten, Kulturen auf dem Prüfstand der Jahrhunderte - , alle diese berechtigten Formen, die Tiefenschicht der Geschichte auszuloten, geben meiner Ansicht nach zwar das Wesentliche der Geschichte der Menschen wieder oder zumindest das, was wir heute, im 20. Jahrhundert, als wesentlich betrachten. Doch ergibt dieses Wesentliche noch kein Gesamtbild." 80 Zu diesem Gesamtbild gehört eben auch die „Ereignisgeschichte": „Ereignisse sind Staubkörnchen: sie blitzen kurz im Lichtstrahl der Geschichte auf und fallen alsbald dem Dunkel und häufig der Vergessenheit anheim. Jedes Ereignis aber, so kurzlebig es sein mag, erhellt ein Stückchen der Geschichtslandschaft und bisweilen auch ein großes Panorama. Nicht nur ein politisches Panorama, denn auf jedem Teilgebiet - Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, sogar Geographie - gibt es dieses Ereignisgeflimmer, diese aufblinkenden Stäubchen" 81 - und dies gilt natürlich für die Religion ebenso wie für die von Braudel hier erwähnten Bereiche. So gehört also auch die „Ereignisgeschichte" zum historischen Gesamtbild einer Epoche. Übrigens hatte vor Braudel bereits M. Weber ähnliche Überlegungen angestellt und sie in seinem Verständnis Historischer Kulturwissenschaft konzeptualisiert.82 5) Ein solches Gesamtbild für einen Zeitraum der israelitisch-jüdischen Geschichte zu erstellen, wie es Braudel für den Mittelmeerraum zur Zeit Philipps des Zweiten getan hat, wäre ein faszinierendes Projekt für Alttestamentler, Altorientalisten und Althistoriker, das nur in einer monumentalen gemeinsamen Anstrengung zu verwirklichen wäre. Doch auch für den einzelnen, an einem Spezialgebiet arbeitenden Alttestamentler ergeben sich aus Webers kulturwissenschaftlichem Ansatz und aus Braudels Modell einige Schlußfolgerungen: Seine Aufgabe ist es, sich die Vielfalt der seinem Forschungsgegenstand angemessenen Perspektiven und Methoden bewußt zu machen, um diesen Gegenstand möglichst umfassend erfassen und durchdringen zu können. Er muß die Bandbreite der sich ihm stellenden Fragen wahrnehmen und die wissenschaftsgeschichtliche Bedingtheit dieser Fragen erkennen, um seine eigenen Fragen präzisieren und seinen Fragenkatalog, seine Topik, 83 ausbauen zu können. Offenheit für neue Fragen und Methoden ist unabdingbar: „Der Historiker öffnet zunächst die ihm vertrauteste Tür zur 80
BRAUDEL, Mittelmeer III, 13. Ebd. Der Trias „quasi unbewegte Geschichte" - „Sozialgeschichte" - „Ereignisgeschichte" entsprechen die drei Teile des Braudel'schen Werkes über den Kulturraum des Mittelmeeres und seine Geschichte. 82 Vgl. WEBER, Objektivität und dazu OEXLE, Science, 113-120. 83 Vgl. oben, wo wir diesen Begriff im Hinblick auf M. Webers Arbeit erwähnten. Nicht umsonst widmet Veyne das Schlußkapitel seines Buches einer Würdigung der „historischen Arbeit Max Webers", vgl. DERS., L'histoire, 340-343: „L'oeuvre historique de Weber". 81
Methodik
15
Vergangenheit. Versucht er aber so weit wie möglich zu schauen, wird er zwangsläufig an die nächste, dann an die übernächste klopfen . . . Und jedesmal wird sich eine neue oder doch leicht veränderte Szenerie vor ihm auftun." 84 Für den Autor einer u.a. von sozialgeschichtlichen Interessen geleiteten alttestamentlich-historischen Arbeit stellt M. Webers Rekonstruktion der Religions-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des „antiken Judentums" in dieser Hinsicht einen Höhepunkt der bisherigen Forschung dar. Diese Studie ist umso beeindruckender, als ausgerechnet einem Außenseiter wie Weber damit eine große Synthese aller verstreuten Einzelbeobachtungen und eine fundamentale Integrationsleistung auf dem Forschungsgebiet der „Geschichte der israelitischen Religion" und darüber hinaus der allgemeinen Geschichte Israels und Judas von der „Landnahme" bis in die hellenistische Zeit gelang. Denn dies ist der Schlüssel zum Verständnis des Weber'schen Werkes im besonderen und der israelitischen (und jeder sonstigen) Religionsgeschichte im allgemeinen: Erst durch die sozialgeschichtliche Vertiefung der Fragestellungen wird man die Geschichte der Religion in ihrer Vielfalt besser zu verstehen lernen. Dies werden wir z.B. bei der Analyse des im dtn Reformgesetz enthaltenen „Priestergesetzes" (Dtn 18,1-8*) zu zeigen versuchen: 85 Seine Bestimmungen zum Priester- und Levitentum werden erst auf dem Hintergrund einer sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Auseinandersetzung mit der josianischen Zeit gänzlich verständlich, da die Umstrukturierung der priesterlichen Hierarchie und die Kultzentralisation nicht zuletzt aus den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen jener Zeit resultieren. Auch aus dieser Beobachtung ergibt sich also, wie unerläßlich die Ausdehnung der „Topik" der alttestamentlichen Forschung auf die Bereiche der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ist: „Jede Geschichtsschreibung hängt einerseits von der Problematik ab, die sie sich stellt, andererseits von den Dokumenten, über die sie verfugt. . . . Wenn die scheinbare Ausschöpfung der Dokumente zu einer Abänderung der Problematik zwingt, zeigt sich, daß neue Fragen ausbeutbar werden; es geschieht selbst, daß traditionelle Fragen, dank der neuen Technik, ihrer Lösung näher rücken." 86 Diese Einsichten bauen auf der Arbeit Max Webers auf.87 So ist auch darauf hinzuweisen, daß das Thema unserer Untersuchung nicht nur ganz offensichtliche sozialgeschichtliche Aspekte hat (Gruppenkonflikt zwischen Priestern und Leviten; Aufteilung des Grundbesitzes zwischen den Heimkehrern und den im Lande Verbliebenen; vermeintlicher Ausschluß der Leviten von der Grundeigentümerschaft), sondern auch in Fragen der Wirtschaftsgeschichte im strengeren Sinne ausgreift, da sie z.B. den 84 85 86 87
BRAUDEL, Begriff, 181. Vgl. unten, Kap. 2.211 und Kap. 3.2. VEYNE, Originalität, 11. Vgl. z.B. WEBER, Objektivität, 180-183.
16
Forschungsgeschichte
und Methodik
Tempel als bedeutenden Wirtschaftsfaktor im nachexilischen Juda nicht außer acht lassen kann: Es ist das Verdienst R. Albertz' 88 und anderer, hierauf hingewiesen zu haben. Albertz betont die Wichtigkeit der Forderung, die Sozialgeschichte Israels in einer „Geschichte der israelitischen Religion" endlich zu ihrem Recht kommen zu lassen und die Wechselwirkung von gesellschaftlicher Organisation und religiösen Überzeugungen ernstzunehmen, 89 was selbstverständlich entsprechend auch für unsere Spezialuntersuchung gilt. Völlig zu Recht mahnt also auch er eine Erweiterung der Topik an: In den Bezugsrahmen einer israelitischen Religionsgeschichte sind jene Elemente zu integrieren, die von früheren Forschern vernachlässigt worden sind. Es fragt sich allerdings, ob man nicht - gewissermaßen in Umkehrung des Albertz'schen Konzepts, aber letztlich unter Beibehaltung von dessen Zielsetzung - die Religionsgeschichte von vornherein als einen Teil der allgemeinen Geschichte Israels und damit unter ständiger Beachtung ihrer Wechselbeziehungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte behandeln müßte. 90 Ein traditionelles Element der Forschung aber, das unbedingt erhalten bleiben und weitergeführt werden muß, geht Hand in Hand mit der sozialgeschichtlichen Analyse: der Religionsvergleich.91 Wie schon von den Mitgliedern der „Religionsgeschichtlichen Schule" überzeugend demonstriert, ist der komparatistische Ansatz bei der Erforschung antiker Religionen unerläßlich, muß aber mit größerer Vorsicht verfolgt werden, als dies oftmals, im Überschwang der Entdeckungen der damaligen Zeit, geschah.92 Für die vorliegende Untersuchung bedeuten die vorangegangenen Überlegungen zum Beispiel, daß eine rein „ereignisgeschichtliche" Nacherzählung der Geschichte des Verhältnisses zwischen Priestern und Leviten der Aufgabenstellung nicht gerecht würde. Vielmehr sind auch die Tiefendimensionen des Problems zu erschließen, wie die sozialen „Konstanten" im Verhalten miteinander konkurrierender Gruppen kultischen Personals, die wirtschaftlichen Motive eines solchen Verhaltens, der Zusammenhang zwischen diesen Motiven und der wirtschaftlichen und politischen Situation der Betroffenen. 88
Vgl. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 492. Vgl. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 31 : „Sie [seil, die „Religionsgeschichte Israels"] muß . . . konsequent nach den menschlichen Trägern der verschiedenen religiösen Überlieferungen fragen, nach ihren wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen und nach ihrer gesellschaftlichen Stellung zueinander. . . . Sie wird nicht davon absehen können, daß sich die Bezugsgröße ,Israel' im Verlaufe ihrer Geschichte in ihrer sozialen Organisationsform stark gewandelt hat, woran .seine Religion' erheblichen Anteil hatte, und was umgekehrt die religiösen Aussagen und Entwürfe stark veränderte." 90 Vgl. die grundsätzlichen Erwägungen zum Zusammenspiel der verschiedenen Teilgebiete der Geschichtswissenschaft in VEYNE, L'histoire, 310-346. 91 Vgl. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 31 f. 92 Vgl. z.B. die übertriebene Betonung der Bedeutung der persischen Religion fur die Entwicklung des Frühjudentums in BOUSSET, Religion. 89
Methodik
17
In diesem Sinne wird die „histoire événementielle" (Auseinandersetzungen zwischen Priestern und Leviten, Interaktion zwischen jüdischem Kultpersonal und persischen Behörden) auf die „histoire lentement rythmée" 93 bzw. Sozialgeschichte („die Geschichte von Gruppen, kollektiven Schicksalen, Gesamtbewegungen" 94 ) und die „quasi unbewegte Geschichte" 95 (geostrategische Situation, [wirtschafts-]geographische Lage Palästinas) bezogen. So erst wird der Ereignisgeschichte ihre eigentliche Tiefe und Bedeutung zuteil. Es geht nicht darum, künstlich einen Gegensatz zwischen verschiedenen historischen Betrachtungsweisen aufzubauen. Im Gegenteil: Sie sind zueinander in Beziehung zu setzen. Auf diese Weise wird es der „Geschichte Israels" als alttestamentlicher Disziplin im Rahmen der Theologie gelingen, die vielfach unterbrochenen Kontakte mit den altorientalischen und althistorischen Disziplinen wiederherzustellen. Weippert hat diese Sachlage klar erkannt, knapp, aber eindringlich skizziert und, wie wir sahen, auch darauf hingewiesen, daß die Erneuerung der „Geschichte Israels" ihre Vorläufer in Gelehrten wie Dalman, Alt und Causse hat.96 Darüber hinaus wären die Namen einiger Wissenschaftler zu nennen - wie z.B. Weber, Bloch, Braudel und Veyne - , deren Ansätze sich im Rahmen einer Erneuerung des Forschungsgebiets „Geschichte Israels" als sehr fruchtbar erweisen könnten. Die vorliegende Studie stellt einen Versuch dar, diese methodischen Neuansätze auf ein vergleichsweise übersichtliches Teilgebiet der Geschichte Israels anzuwenden.
93 Zum Unterschied zwischen dem Konzept der „longue durée" und dem der „histoire lentement rythmée" vgl. BRAUDEL, Sozialwissenschaften, passim. 94 Vgl. oben, Anm. 76. 95 Vgl. oben, Anm. 74. 96
Vgl. WEIPPERT, Scheideweg, 103.
Kapitel 2
Literarische Quellen und archäologische Zeugnisse 2.1 Grundsätzliche Erwägungen An Übersichten über die Quellen, die zur Untersuchung der Geschichte des zur Achämenidenzeit in seinem Mutterland - also in der Provinz Jehud und anderen zu Palästina gehörigen Gebieten - ansässigen Judentums heranzuziehen sind, herrscht kein Mangel.1 Wir wollen uns deshalb hier auf einige grundsätzliche Bemerkungen beschränken. An manchen Stellen werden wir allerdings auch ins Detail gehen müssen, und zwar dort, wo es sich um den Wert einiger Bibeltexte als historische Quellen handelt. Wir trennen zwischen literarischen Quellen und archäologischen Zeugnissen. Papyri, nicht aber andere inschriftliche Funde, ordnen wir der ersten Gruppe zu und behandeln Architektur-, Gräber- und Kleinfunde (Keramik, außer Ostraka), Glyptik, Münzen und Inschriftenfunde als archäologische Zeugnisse im engeren Sinne, in der zweiten Gruppe. Im übrigen dient dieses Kapitel nur dazu, die Quellen kurz vorzustellen und ggf. vorhandene Probleme bei ihrer Auswertung anzusprechen. Detaillierte Diskussionen solcher Fragen werden im exegetisch-historischen Teil dieser Untersuchung aus gegebenem Anlaß durchgeführt werden. Vorab wollen wir uns allerdings noch dem Problem der Beziehung zwischen literarischen und archäologischen Quellen und dem der Hierarchisierung von Quellen widmen, Problemen also, die in jüngster Zeit in der alttestamentlichen Wissenschaft große Beachtung finden, wann immer grundsätzliche Anfragen an ihre traditionell vornehmlich textorientierte Arbeitsweise gestellt werden. 2 So hat sich z.B. Chr. Uehlinger mit der Frage der Hierarchisierung der Quellen auseinandergesetzt und kommt zu dem Ergebnis, man solle um der Klarheit der Definition willen „auf die inhaltliche Qualifikation von Primär- und Sekundärquellen verzichten und für die Definition von Primärquellen nur zwei formale Kriterien gelten lassen: 1 Vgl. besonders die Übersichten in CARTER, Emergence; STERN, Culture; DERS., Archaeology und WIDENGREN, Period. 2 Aus der Flut der neuesten Literatur seien hier nur genannt: AHLSTRÖM, History; COOTE und WHITELAM, Emergence; DAVIES, Society; DERS., Search; EDELMAN (Hg.), Fabric; KNAUF, History; NIEHR, Reform; THOMPSON, History; UEHLINGER, Kultreform; VAN SETERS, Search; WHITELAM, Invention.
Grundsätzliche
Erwägungen
19
Primärquellen sind Dokumente, die sich materialiter aufgrund archäologischer Kriterien (Fundkontext, typische Objektgattung, Stil, Paläographie o.ä.) relativ genau datieren lassen (Kriterium der Datierbarkeit). Primärquellen sind während oder nur kurz nach den berichteten Ereignissen entstanden (Kriterium der zeitlichen Nähe)."3 Uehlinger teilt die Meinung Knaufs und Niehrs, „das Alte Testament enthalte grundsätzlich nur Sekundär- (bzw. Tertiär-, Quartär-, etc.) Quellen". 4 Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärquellen und der ,,historische[n] Verläßlichkeit" der Quellen gesteht er durchaus zu, daß „mit dieser Distinktion noch kein prinzipielles Urteil gefallt [ist], da Verläßlichkeit nicht automatisch aus zeitlicher Nähe folgt, sondern sich nur unter kritischer Abwägung der gattungstheoretisch erhobenen Funktion einer Quelle (sei es eines Textes oder eines Bildes) beurteilen läßt. Primärquellen können tendenziöse Geschichtsklitterei bieten, während umgekehrt Tertiärquellen historisch verläßliche Informationen überliefern können." 5 Diese zutreffende Einschätzung relativiert Uehlinger allerdings sofort, indem er behauptet, wegen „zunehmendem zeitlichem Abstand von den Geschehnissen" hätten „Sekundär- und Tertiärquellen . . . deshalb gegenüber Primärquellen immer ein Erfahrungs- und Dokumentationsdefizit, das sie in der Regel durch nicht mehr kontrollierbare Fremdinformation und/oder den Rekurs auf eigene Erfahrung aufzufüllen versuchen, ohne es je wettmachen zu können. Zunehmende zeitliche Distanz von den Begebenheiten fuhrt unvermeidlich zu Anachronismen, wachsender kultureller Abstand zu analogen Verzerrungen." 6 Daraus folgert Uehlinger: „Eine historisch interessierte Geschichtsrekonstruktion muß ihren Ausgang deshalb grundsätzlich bei den /V/wärquellen nehmen." 7 Dieser Meinung können wir uns nicht anschließen. Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärquellen kann irreführend sein, da sie ein Werturteil und eine Hierarchisierung der Quellen voraussetzt, deren Stichhaltigkeit überhaupt erst noch zu beweisen wäre. So liegen im Alten Testament, das ja angeblich nur aus Sekundär-, Tertiärund Quartärquellen besteht,8 Texte vor, die zumindest einer der Uehlinger'sehen Definitionen einer „Primärquelle" entsprechen: Die in Esr 4-6 aufbewahrten offiziellen achämenidischen Dokumente z.B., deren Echtheit wir im folgenden zu demonstrieren versuchen werden, entstanden nämlich in der
3
UEHLINGER, K u l t r e f o r m , 5 9 f .
4
UEHLINGER, K u l t r e f o r m , 5 9 .
5
UEHLINGER, K u l t r e f o r m , 6 0 .
6
Ebd. Ebd. Vgl. Anm. 4.
7 8
20
Literarische Quellen und archäologische
Zeugnisse
Tat „während oder kurz nach den berichteten Ereignissen". 9 Dasselbe gilt z.B. auch für die Nehemia-Denkschrift und für die Listen in Esr 2//Neh 7. Manche der von Uehlinger pauschal als Sekundär- und Tertiärquellen klassifizierten Texte sind also durchaus nicht von „zunehmendem zeitlichem Abstand von den Geschehnissen" 10 geprägt. Somit haben sie auch nicht „gegenüber Primärquellen immer ein Erfahrungs- und Dokumentationsdefizit, das sie in der Regel durch nicht mehr kontrollierbare Fremdinformation und/oder den Rekurs auf eigene Erfahrung aufzufüllen versuchen, ohne es je wettmachen zu können". 11 Aber selbst solche Quellen, die nach Uehlingers Definition zweifelsfrei zu den Sekundär- und Tertiärquellen zählen, sind nicht immer von einem „Erfahrungs- und Dokumentationsdefizit" 12 geprägt. So ist z.B. angesichts der Chronikbücher anzumerken, daß sie zwar weder das „Kriterium der [archäologischen] Datierbarkeit" 13 noch das „Kriterium der zeitlichen Nähe" 14 erfüllen, hinsichtlich mancher der in ihnen aufbewahrten Überlieferungen aber keineswegs an einem „Dokumentationsdefizit" leiden: Die Vielfältigkeit und Detailliertheit der in den Chronikbüchern aufbewahrten Priester- und Levitenordnungen zeigt, wie sorgfältig diese aus verschiedenen Abschnitten der Achämenidenzeit stammenden Ordnungen dokumentiert waren und überliefert wurden. Daß es sich in der Tat um eine detaillierte, präzise Dokumentation und Überlieferung handelt, ist zwar nicht durch Korrelation mit archäologischen Quellen zu demonstrieren, wohl aber durch den Vergleich mit entsprechenden Listen aus Esr-Neh, einer weiteren „Sekundärquelle". Darf eine „historisch interessierte Geschichtsrekonstruktion" der Tempelhierarchien in der spätachämenidischen Zeit also nicht von solchen Quellen „ihren Ausgang . . . nehmen"? 15 Hier zeigt sich also bereits die Fragwürdigkeit einer Differenzierung zwischen Primär- und anderen Quellen. Davon abgesehen, daß sie nicht praktikabel ist, entstammt sie einem übertriebenen Vertrauen auf die Zuverlässigkeit „archäologischer Kriterien" 16 , die ja ihrerseits keineswegs absolute Orientierungspunkte bieten, sondern - ganz ebenso wie (literarische und sonstige) Texte - der Interpretation offenstehen. Archäologische Zeugnisse ohne Interpretation bleiben stumm, und die Interpretation, mit der man diese Zeugnisse zu erfassen versucht, ist fast immer schon von sogenannten Sekundärund Tertiärquellen geprägt. Uehlinger demonstriert seine Methode am Bei9
Vgl. Anra. 3. Vgl. Anm. 6. 11 Vgl. ebd. 12 Vgl. vorige Anmerkung. 13 Vgl. Anm. 3. 14 Vgl. ebd. 15 Vgl. Anm. 7. Zu den Listen aus Esr-Neh vgl. unten, Kap. 5 und 6. 16 Vgl. Anm. 3. 10
Grundsätzliche
Erwägungen
21
spiel der josianischen Kultzentralisation:17 Er geht von „Primärquellen" (Glyptik, epigraphische Zeugnisse) aus, zieht dann die biblischen, nach seiner Diktion als „Sekundär- und Tertiärquellen" zu klassifizierenden Texte in 2 Kön 22-23 heran und korreliert schließlich in einem dritten Schritt die „Primär- und Sekundärquellen". 18 Die grundsätzliche Frage aber, die seine ganze Untersuchung leitet: „Gab es eine joschijanische Kultreform?" - diese Frage hätte er niemals stellen können, wenn sie nicht von den biblischen „Sekundär- und Tertiärquellen" vorgegeben gewesen wäre. Anders gesagt: Uehlingers Untersuchung, die ja eine „historisch interessierte Geschichtsrekonstruktion" 19 ist, geht letztlich eben nicht von den Primär-, sondern von den Sekundärquellen aus, da sie sich ihre grundsätzliche Richtung und ihr Koordinatensystem von der biblischen Tradition vorgeben läßt. Allein aufgrund von Primärquellen aus der josianischen Zeit hätte Uehlinger niemals auch nur einen Eindruck davon gewinnen können, daß zu jener Zeit kultische Reformmaßnahmen durchgeführt wurden. Ohne die „Sekundärquellen" sind die „Primärquellen" nämlich nicht zu konzeptualisieren. Das zeigt Uehlingers Studie, und damit widerlegt er sich selbst. Wenn man schon zwischen verschiedenen Kategorien von Quellen prinzipiell unterscheiden möchte, dann vielleicht, mit G. Duby, zwischen „ergiebige[n] Quellen und solche[n], die es nicht sind" - denn „alle Quellen sind repräsentativ, und alle verschleiern die objektive Realität. Ich würde sagen, es gibt ergiebige Quellen und solche, die es nicht sind, es gibt, isoliert, Springquellen, die mit einem Schlag enorm viel hergeben, und im Gegenteil dazu dünne, winzige Rinnsale, ein paar Tropfen, die erst aufgefangen, dräniert, zusammengeführt, zusammen behandelt werden müssen". 20 Es gibt keine prinzipiellen Unterschiede in puncto „historische Verläßlichkeit" zwischen „Primär-" und „Sekundärquellen" oder zwischen Schriftquellen und archäologischen Quellen; die größere Nähe der Primärquelle zu dem in Frage stehenden Ereignis ist allerdings ein durchaus zu beachtendes Kriterium, so daß die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärquellen letztlich doch nicht völlig von der Hand zu weisen ist.21 In bezug auf die Unterscheidung zwischen literarischen und archäologischen Quellen gilt: Archäologische Zeugnisse sind zwar oftmals deswegen von besonderem Interesse, weil sie schriftlich überlieferte Traditionen in Frage stellen;22 die Ansicht aber - die von einigen zeitgenössischen Forschern geteilt wird und letztlich auch die Ausführungen Uehlingers zur josianischen Kultreform bestimmt sie seien
17
V g l . UEHLINGER, K u l t r e f o r m , 6 4 - 8 3 .
18
UEHLINGER, K u l t r e f o r m , 8 1 .
19
Vgl. Anm. 7.
20
D U B Y u n d LARDREAU, G e s c h i c h t e , 6 5 .
21
Zur „historischefn] Verläßlichkeit" vgl. UEHLINGER, Kultreform, 60.
22
V g l . h i e r z u z . B . D U B Y u n d LARDREAU, G e s c h i c h t e , 1 0 9 .
22
Literarische Quellen und archäologische
Zeugnisse
prinzipiell „verläßlicher" als Schriftquellen, diese Ansicht führt methodologisch in die Irre.23 Es kommt vielmehr darauf an, Schrift- und archäologische Quellen ohne vorausgehende Wertung und Hierarchisierung gleich ernst zu nehmen. Hier gilt für die alttestamentliche Wissenschaft analog die Feststellung, die Duby zum Verhältnis zwischen archäologischen Zeugnissen und „theoretischen Abhandlungen" (d.h. Schriftquellen) des Mittelalters getroffen hat: „ . . . wenn archäologische Zeugnisse in eine enge Beziehung zu dieser oder jener theoretischen Abhandlung gestellt werden können, dann haben Sie offensichtlich ein privilegiertes Objekt vor sich und verfügen damit auch über geeignete Beobachtungsfelder, die jedoch vom Zufall ihrer Konservierung abhängig sind".24 Dieser Zufall der Konservierung spielt natürlich auf dem Gebiet der archäologischen Zeugnisse eine weit größere Rolle als auf dem der Schriftquellen, deren Tradierung ja nicht in dem Maße dem Zufall überlassen war wie die Erhaltung von Gebäuden, Inschriften, Glyptik und anderen Zeugnissen der materiellen Kultur. Insofern ist dann auch bei der Auswertung archäologischer Quellen noch größere Vorsicht geboten als bei der Auswertung schriftlicher Zeugnisse. Wo es aber möglich ist, sollten archäologische und Schriftquellen dann auch korreliert werden, um zu historisch zuverlässigeren Ergebnissen zu kommen, als dies bei der ausschließlichen Konzentration auf Texte möglich wäre. Allerdings ist die Frage nach der Gewichtung von schriftlichen und archäologischen Quellen in jedem einzelnen Fall von neuem vorurteilsfrei zu entscheiden. Der Weg führt hindurch zwischen der Skylla der philologischen Voreingenommenheit und der Charybdis der Absolutsetzung der Archäologie.
2.2 Schriftdokumente 2.21 Biblische Texte Biblische Schlüsseltexte für die Erforschung des perserzeitlichen Israel sind die Bücher Trito-Jesaja, Haggai und (Proto-)Sacharja (Kap. 1-8), DeuteroSacharja (Kap. 9-14), Maleachi, Esther, Esra-Nehemia sowie 1 und 2 Chronik.25 Haggai und Sacharja geben über die Situation nach der Heimkehr und den Beginn des Wiederaufbaus des Tempels Aufschluß und sind im wesentli23
Vgl. das Mißtrauen gegenüber der historischen Zuverlässigkeit biblischer Texte, das in der gegenwärtigen Diskussion hier und da zum Ausdruck kommt, so z.B. in CARROLL, Strategies und DAVIES, Search. Vgl. auch die zutreffende Replik, die sich i.w. mit den Ansichten Carrolls auseinandersetzt, in JOBLING, Texts. 24 DUBY und LARDREAU, Geschichte, 109. 25 Auch die aramäischen Teile des Buches Daniel sind für das Verständnis der politischen Geschichte des achämenidischen Juda interessant (vgl. KRATZ, Translatio), helfen allerdings nicht bei der Untersuchung der Geschichte der Kultushierarchie.
Schriftdokumente
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chen präzise - nämlich auf das Jahr 520 - zu datieren. Beide Werke sind vom Plan des Tempelbaus und der Erwartung der Heilszeit geprägt, wie sich an manchen messianisch gefärbten Abschnitten (Hag 2,21-23; Sach 3,8-10; 4,714) deutlich zeigt. Demgegenüber gewährt Trito-Jesaja (Jes 56-66) Einblick in die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen jüdischen Gruppen der persischen Zeit. Wahrscheinlich geht diese Sammlung verschiedenster Prophetensprüche auf eine Gruppe von Schülern Deutero-Jesajas zurück. 26 Die Herkunftszeit der verschiedenen Sprüche und Psalmen variiert von der spätexilischen bis zur spätpersischen, vielleicht gar bis zur frühhellenistischen Epoche. Jes 56-66 ist für unser Thema von einigem Interesse, da manche der innerjudäischen Gruppenkonflikte der persischen Zeit sich in den in diesem Buch versammelten Texte spiegeln. Die Bedeutung Trito-Jesajas für einen sozialgeschichtlichen Forschungsansatz ist wohlbekannt. 27 Bisher hat man sich dabei auf die Deutung des nachexilischen Sektierertums beschränkt und versucht, Trito-Jesaja als Schlüssel zur Untersuchung des Verhältnisses der nichtpriesterlichen Frommen zum Jerusalemer Tempelpersonal nutzbar zu machen. Es fragt sich allerdings im Anschluß an die von Hanson in seiner Studie zur Apokalyptik vorgetragenen Lösungsversuche, ob Deutero-Sacharja und Trito-Jesaja tatsächlich derselben „visionären Tradition" entstammen 28 und, wichtiger noch, ob Deutero-Sacharja uns Aufschluß über Geschehnisse am perserzeitlichen Tempel geben kann 29 und der von Hanson eingeschlagene Weg gangbar ist. Während Haggai und Proto-Sacharja dem Beginn der Perserzeit entstammen und Trito-Jesaja sowie Deutero-Sacharja nicht vor der Mitte des fünften Jahrhunderts entstanden sind,30 gelangen wir mit Esra-Nehemiah und den 26
Vgl. HANSON, Dawn, 32-46. Zur Entstehungsgeschichte und zur Theologie von Jes 5666 vgl. u.a. KOENEN, Ethik; LAU, Prophetie; SMITH, Rhetoric; STECK, Anschlußprobleme; DERS., Tritojesaja; DERS., Untersuchungen. Zur Frage der Autorschaft von Jes 56-66 und neuen Lösungsvorschlägen vgl. bes. SMITH, Rhetoric, 173-186. 27
V g l . PLÖGER, T h e o k r a t i e u n d HANSON, D a w n .
28
V g l . HANSON, D a w n , 3 8 9 .
29
Dies ist eine Implikation der literarkritischen und formgeschichtlichen Untersuchungen Hansons (DERS., Dawn, 280-401). Vgl. auch a.a.O., 389: „The connection with Zechariah 14 also allows us to hypothesize that the oracles of Isaiah 56-66 were redacted within visionary circles in the mid-fifth century". Hanson faßt sein Ergebnis folgendermaßen zusammen (a.a.O., 400): „Since all of the features of Zechariah 14 can be seen as unbroken developments from the visionary writings of the period from 520 to 475, and since the innercommunity struggle between the visionaries and hierocrats which abetted the development of these features of apocalyptic eschatology seems to have abated toward the end of the fifth century (as indicated by the tolerant spirit of the Chronicler), we believe that a terminus ad quern of 425 recommends itself." 30 Vgl. die vorherige Anmerkung und HANSON, Dawn, 400: „All of the above typological considerations set a terminus a quo for Zechariah 14 of about 475 (the date suggested for Zechariah 12)."
24
Literarische Quellen und archäologische
Zeugnisse
Chronikbüchern ans Ende der persischen Epoche, vielleicht gar in die Anfangszeit des Hellenismus. Wie wir sehen werden, atmet die Chronik einen versöhnlicheren Geist als Esra-Nehemia, doch läßt sich ablesen, daß sie am Ende einer turbulenten Entwicklung steht, die zur endgültigen Grenzziehung zwischen „aaronidischen" Priestern und Leviten führte. Esra-Nehemia vermittelt uns Momentaufnahmen aus einer früheren Zeit, die in einen redaktionellen Rahmen eingebunden sind, der älter ist als die Chronikbücher.31 EsrNeh und Chr sind sehr aufschlußreiche Dokumente ihrer Zeit, gerade auch im Hinblick auf unser Thema. Wie sich erweisen wird, muß man sich allerdings den beiden Werken auf unterschiedliche Art nähern, um durch die Schichten der Redaktion hindurch zu den historisch zuverlässigen Informationen vordringen zu können. 32 Schließlich ist das Buch Maleachi als interessante, wenn auch nur schwer zu deutende Quelle für die israelitische Religionsgeschichte der Perserzeit anzuführen. Gewöhnlich wird diese anonyme Sammlung von prophetischen Orakeln in der Zeit zwischen der Wiederaufnahme des Tempelkultus (515) und der Unterdrückung der Mischehen durch Nehemia (445) verortet.33 Neuerdings ist ein Versuch unternommen worden, das Alter des Buches höher anzusetzen, der aber insgesamt nicht sehr überzeugend ist. 34
31
Dies fuhrt uns zu dem ungemein komplizierten Problem des Verhältnisses zwischen Esr-Neh und Chr. Während frühere Exegeten mit größter Selbstverständlichkeit von einer einheitlichen Redaktion durch den „Chronisten" oder gar dessen Autorschaft ausgingen, sind in jüngerer Vergangenheit Zweifel an dieser Theorie angemeldet worden; vgl. JAPHET, Authorship, passim und DIES., Chronicles, 23-28. Ohne hier ins Detail gehen zu können (vgl. jedoch unsere Behandlung des Themas unten, Kap. 2.221), sei auf die Bedeutung der Darstellung des Kultes in 1 und 2 Chr einerseits und Esr-Neh andererseits für die Datierung dieser Schriften hingewiesen. Da sie sehr verschiedene Entwicklungsstadien des nachexilischen Kultes widerspiegeln, ist mit ebenso verschiedenen Abfassungsdaten zu rechnen; vgl. Kap. 2.221. 32 3 Esr ist fur unsere Untersuchung bedeutungslos, da es, im Gegensatz zu der von Torrey vorgetragenen These, nicht als Schlüssel zu einem vermeintlichen Originaltext zu verste-
h e n ist; vgl. u n t e n , K a p . 2 . 2 2 1 . V g l . h i e r z u SCHÜRER, H i s t o r y , III/2, 7 0 8 - 7 1 8 . D i e in E s r - N e h
verarbeiteten persischen Dokumente behandeln wir in Kap. 2.22. - Anders BÖHLER, Stadt, doch vgl. unten, Exkurs zu Neh 8. 33
34
V g l . z . B . ELLIGER, P r o p h e t e n , 189.
Vgl. O'BRIEN, Priest. Auf formgeschichtlicher Basis und unter Verweis auf die Erwähnungen Edoms wird folgendermaßen argumentiert (a.a.O., 133): „If Edom was destroyed ca. 605-550, as argued above, then a reference to its destruction and hopes of rebuilding could reflect any time from 605 through the late sixth century."
Schriftdokumente
25
Der scharfen Kritik an der aktuellen Verfassung der Priesterschaft steht eine Verherrlichung des „levitischen" Priestertums als solchen gegenüber. Maleachi hält für eine Bestimmung des Verhältnisses zwischen Priestern und Leviten im fünften Jahrhundert kein verwertbares Material bereit. Unter den für unser Thema bedeutsamen alttestamentlichen Schriften ist schließlich noch das Buch Esther zu erwähnen. Mit Blick auf die oftmals geäußerten Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit dieses Werkes bleibt festzuhalten, daß es trotz seiner märchenhaften Züge und der anachronistischen Angaben zu Xerxes I., die deutlich machen, „daß es sich bei Esther nicht um einen Tatsachenbericht, sondern um einen historischen Roman handelt", 35 höchstwahrscheinlich der späten Perserzeit entstammt 36 und daher für unsere Untersuchung von einem gewissen Nutzen ist. Obwohl das Buch keinen Aufschluß über das Leben in Jerusalem oder gar am dortigen Tempel gibt, ist es doch insofern ein Kleinod, als es unserem Bild vom Verhältnis zwischen Judäern und persischer Obrigkeit etwas Kolorit verleiht. Nachdem wir nun die für unsere Studie relevanten biblischen Bücher kurz vorgestellt haben, müssen wir auf ein Dokument hinweisen, das in diesem Zusammenhang ungemein wichtig, aber nur mit Schwierigkeiten zu analysieren und zu interpretieren ist: die Priesterschrift (P). Wir gehen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung davon aus, daß es sich bei P um ein ursprünglich eigenständiges Schriftdokument 37 und nicht um eine priesterliche Redaktion des zu JE gehörigen Materials handelt;38 auch der Frage nach der Bedeutung der neueren Diskussionen in der Pentateuchforschung für die Rekonstruktion der Geschichte des Priestertums widmen wir uns im folgenden. 39 Für uns ist hierbei die Entstehungszeit der Priesterschrift und ihrer Überarbeitungen von besonderer Bedeutung. Zwar sind neuerdings wieder Zweifel an der Wellhausen'schen These aufgekommen, P sei jünger als das Programm der Kultzen-
35
KAISER, Einleitung, 205. Im Original teilweise kursiv. Vgl. z.B. KAISER, Einleitung, 207f. und GERLEMAN, Esther, 37f. 37 Vgl. unten, Kap. 2.211. 38 Vgl. ebd. 39 Vgl. ebd. - Zur Frage nach der Eigenständigkeit von P vgl. EMERTON, Writer, passim und die Zusammenfassung, a.a.O., 398. F. M. Cross vertritt die entgegengesetzte Meinung (vgl. CROSS, Myth, 325), die von Emerton erfolgreich zurückgewiesen wird; vgl. z.B. EMERTON, Writer, 392 in bezug auf Genesis: „P may not have been intended to be a narrative document in the same sense as JE. It is, however, arguable that it is intelligible when considered in its own right. If we take, for example, the P material as separated by Hermann Gunkel and read it as a consecutive document, it makes sense as a whole, even though the sense is not the same as that of JE. . . . Provided we do not begin with a preconceived idea of what to expect, the passages ascribed to P can be read as an intelligible, consecutive document, in which the author stressed what was important to him and said little about other matters." Vgl. hierzu die detaillierte Diskussion der Verbindung zwischen P-Abschnitten in Genesis, EMERTON, Writer, 386-391. Bezüglich des P-Bestandes in Exodus vgl. unten, Kap. 2.212. 36
26
Literarische
Quellen und archäologische
Zeugnisse
tralisation Josias,40 doch scheint es uns außer Zweifel zu stehen, daß Wellhausens Beweisführung im wesentlichen korrekt ist.41 Im Gegensatz zu Haran, der die Meinung vertritt, die „Priesterliche Schule" sei bereits zur Zeit des Ahas aktiv gewesen und unter Manasse an ihr Ende gelangt,42 scheint uns die Priesterschrift ein Dokument zu sein, dessen Grundschrift wahrscheinlich in der spätexilisch-frühnachexilischen Zeit entstand.43 Sowohl religionsgeschichtliche als auch literargeschichtliche Argumente sprechen für diese zeitliche Ansetzung.44 P als im wesentlichen perserzeitliches Dokument ist für unsere Untersuchung von höchster Bedeutung, zumal in der Priesterschrift ein vorläufiger Endpunkt in der Auseinanderentwicklung von Priestern und Leviten erreicht war, der, wie wir sehen werden, zum Ausgangspunkt des weiteren Verlaufs der gemeinsamen Geschichte beider Gruppen wurde. 2.211 Einige Schlüsseltexte zum Priester- undLevitentum und ihre Bedeutung im Horizont der Pentateuch- und Deuteronomiums-Forschung Im folgenden werden wir uns einigen „klassischen" Texten zum Priester- und Levitentum in der priester(schrift)lichen Literatur, in Ez, im Dtn und im DtrG widmen, uns dabei mit einigen aktuellen Beiträgen aus der Pentateuch-, der Deuteronomiums- und der Ezechielforschung kritisch auseinandersetzen und die relative Chronologie der „klassischen" Texte zum Priester- und Levitentum festzustellen versuchen. Die so gewonnenen Ergebnisse werden wir mit neuen Forschungen zum Pentateuch, insbesondere zum Umfang und Aufbau von P, korrelieren. Ziel dieses Untersuchungsganges ist die Relationierung der für unsere Rekonstruktion der Geschichte von Priestern und Leviten wichtigen Quellen, und dies unter besonderer Berücksichtigung der Frage nach der Zugehörigkeit der Levi-Aaron-Genealogien der Priesterschrift zu P 8
40
Vgl. hierzu z.B. HARAN, Temples. Als der führende jüngere Gelehrte dieser Richtung kann wohl I. Rnohl bezeichnet werden; vgl. DERS., Sanctuary, w o er seine bisherigen Ergebnisse zusammenfaßt. Zur „Kaufmann-Schule" vgl. jetzt KRAPF, Priesterschrift. 41 Vgl. z.B. ZENGER, Werk, 153 in seiner Kritik der These von der vorexilischen Entstehung der PS: „Angesichts der bereits von J. Wellhausen begründeten Erkenntnis, daß P später sein muß als das Programm der joschijanischen Kultzentralisation, und in Anbetracht des eindeutig monotheistischen Gottesbildes der PS kommt frühestens eine exilische Datierung in Frage. Die sprachliche N ä h e zur deuteronomistischen Theologie (Bundestheologie), zu Ezechiel (Konzept der .Herrlichkeit J H W H s ' in Verbindung mit dem Heiligtum) u n d zu Deutero-Jesaja (Verbindung von Schöpfungstheologie und Heilsgeschichte, Schöpfungsbegriff bärä' .schaffen') spricht freilich eher fur spätexilische/frühnachexilische Zeit." 42
Vgl. DERS., Temples, 147. Vgl. oben, A n m . 41. Zur priesterlichen Grundschicht bzw. Grundschrift vgl. z.B. POLA, Priesterschrift, passim und OTTO, Forschungen, bes. 20-27. 44 Vgl. ZENGER, Werk, 152-161. 43
Schriftdokumente
27
oder P s und der Relation der priester(schrift)lichen Priestertumskonzeption zu der der dtn-dtr Tradition. Es bietet sich an, mit dem zentralen deuteronomischen Text für die Entwicklung des Priester- und Levitentums zu beginnen, nämlich Dtn 18,1-8*. In jüngster Zeit ist von verschiedener Seite Kritik an der bisherigen Sicht des Levitenproblems in Dtn 18 und insbesondere an der herkömmlichen Verortung von Dtn 18,6-8 in der dtn Grundschicht und damit in vorexilischer Zeit vorgebracht worden. Hier sind besonders die Arbeiten von U. Dahmen, 45 E. Otto,46 R. Achenbach 47 und Th. A. Rudnig48 zu erwähnen, die recht verschiedene Akzente setzen, sich aber darin einig sind, daß Dtn 18,6-8 (spät-)dtr49 oder gar post-dtr 50 Herkunft sei. Dahmen schreibt zu Dtn 18,6-8: „Der Levit wird - wie sonst in der dtn Grundschicht - im Sing, und rückgebunden an den Sa 'ar, also als persona miserabilis eingeführt, aber dieser Levit ist gleichzeitig durch eine Verwandtschaft {'aehäjw, v. 7) mit den am Heiligtum - bereits institutionalisiert Kultdienst verrichtenden Leviten verbunden. Solche kultischen Leviten kennt das Dtn sonst überhaupt nicht, ebensowenig das DtrGW für die staatliche Zeit. Vielmehr muß es sich bei diesen um die Leviten handeln, die erst durch P s (und dann durch Chr) entsprechend institutionalisiert wurden." 51 Seine vorangegangene Argumentation zu den Leviten in Dtn 18,6-8 weiter ausführend, schreibt Dahmen dann: „Unterstützend kommt die Erkenntnis zum Tragen, daß die Apodosis des konditionalen Gefüges in v. 8 beginnt: das Gesetz regelt den Unterhalt eines von außen kommenden Leviten im Vergleich zu seinen in Jerusalem wirkenden Brüdern. Dabei muß die Aufgabenverteilung zwischen ,seinen levitischen Brüdern' (und den Priestern) am Heiligtum als bereits bekannt, also geregelt und vollzogen vorausgesetzt sein; eine solche Aufgabenverteilung wird aber frühestens in Num (Ps) - noch nicht unumstritten - und dann in Chr geboten!" 52 Laut Dahmen kennt die dtn Grundschicht „zunächst den Leviten (hallewi) als soziale Größe, und zwar sowohl als Mitglied der ,extended family' in der Kultteilnehmerliste als auch als Glied der personae-miserabiles-Reihe; er wird ausschließlich sing, erwähnt, womit eine Typenbezeichnung angedeutet 45
DAHMEN, Leviten, 263-320, bes. 316-320. 46 OTTO, Levitisierung, passim. 47 ACHENBACH, Priester, passim. 48 RUDNIG, Heilig, besonders 280-318. 49 So DAHMEN, Leviten, 319f. und ACHENBACH, Priester, 285. Letzterer diskutiert das Problem allerdings nicht, sondern setzt die Thesen Dahmens voraus, um darauf seinen Entwurf einer Geschichte der Priester und Leviten in exilischer und nachexilischer Zeit aufzubauen, vgl. aber ebd., Anm. 3. 50 Vgl. OTTO, Levitisierung, 283f. 51 52
DAHMEN, Leviten, 316. DAHMEN, Leviten, 317.
28
Literarische Quellen und archäologische Zeugnisse
ist (Appellativum), deren konkrete Funktion in Staat, Gesellschaft oder Religion des vorexilischen Juda nicht mehr im einzelnen zu erheben ist. . . . Der Levit als soziale Größe wird nur von der dtn Grundschicht und von DtrH . . . erwähnt, später nicht mehr." 53 Später sei dann das Konzept des priesterlichen Leviten in das im Entstehen begriffene Deuteronomium eingetragen worden: Dahmen differenziert zwischen einer spät-dtr (im wesentlichen Dtn 17,9aa.l0b.lla*b; 17,18f.; 18,1*; (20,2-4); 21,5.6a; 24,8f.; 26.3a.4; 27,9aa*; 31,9a*.12f.: „levitische Priester" bzw. „Priester der Söhne Levis") 54 und einer spätnachexilischen, pro-levitischen Redaktion des Deuteronomiums (Dtn 10,8f.; 18,l*.2.5.6-8; 27,14f.; 31,24-29; 33,9b.l0*). 55 „Die pro-levitische Redaktion im Dtn greift de facto alle Aspekte priesterlicher Existenz und Funktionen der früheren Schichten und Redaktionen auf und reklamiert sie - trotz teilweise differierender Wortwahl - für die Leviten resp. den ganzen (d.h. auch die Leviten als clerus minor umfassenden) Stamm Levi". 56 Trotz aller Kritik an verschiedenen Aspekten der Dahmen'sehen Studie akzeptiert Otto Dahmens „Nachweis, 57 daß in Dtn 18,6-8 keine Vorschrift vorliege, die sich mit den Folgen der Kultzentralisation (2 Kön 23) beschäftige, sondern, da die Apodosis mit V. 7 beginnt, mit dem Dienstrecht der Leviten als Priester, wobei der freie Zugang zum Zentralheiligtum als selbstverständlich vorausgesetzt sei".58 Daß dieser „Nachweis" nicht stichhaltig ist, werden wir zeigen.59 Und auch Otto meldet in bezug auf Dahmens Analyse von Dtn 18,6-8 Kritik an, allerdings in anderer Hinsicht: „Der Verf. verbindet diesen für die Levitenthematik im Dtn zentralen Text mit 10,8f., geht aber am Entscheidenden vorbei, wenn er ihn dennoch als spät-dtr deklariert: Nein, das zentrale Levitengesetz setzt Ps voraus und ist Teil der postdtr Redaktion im Deuteronomium." 60 Wie wir gerade sahen, meint übrigens auch Dahmen, daß Dtn 18,6-8 P s voraussetze61 - insofern ist nicht die Vorordnung von P s vor Dtn 18,6-8, sondern die Einordnung des Textes als post-dtr statt spät-dtr der eigentliche Punkt, in dem sich Ottos Analyse von der Dahmens unterscheidet. Otto zieht folgende Konsequenz aus seinem Untersuchungsergebnis: „Die Differenzierung zwischen der spät-dtr Levitisierung der Priesterschaft und der pro-levitischen Redaktion der Spätzeit ist unnötig. In beiden Fällen werden die priesterlichen Funktionen für die levitischen Priester reklamiert. Die Differenzierung in einen clerus major und minor geht aus keinem der 53
DAHMEN, L e v i t e n , 3 9 4 .
54
DAHMEN, L e v i t e n , 3 9 6 .
55
DAHMEN, L e v i t e n , 3 9 8 .
56
DAHMEN, L e v i t e n , 3 9 9 .
57
Vgl. DAHMEN, Leviten, 263-320.
58 OTTO, L e v i t i s i e r u n g , 2 8 3 . 59
Vgl. unten in diesem Teilkapitel.
60 OTTO, L e v i t i s i e r u n g , 2 8 4 . 61
Vgl. oben, Text.
Schriftdokumente
29
Texte hervor, sondern wird vom Verf. eingetragen."62 Es ist aber festzuhalten, daß Otto den Ergebnissen Dahmens bezüglich Dtn 18,6-8 ansonsten im wesentlichen zustimmt und es als „das große Verdienst dieser Monographie" betrachtet, „endgültig die Levitenthematik des Deuteronomiums von dem Reformbericht der Josia-Reform in 2 Kön 23 gelöst zu haben". 63 Achenbach schließt sich Dahmen an und meint, Dtn 18,6-8 sei „entgegen der traditionellen Ansetzung als dtn. mit Dahmen . . . vermutlich erst späterer Bearbeitung im Zuge der Neuregelung des Kultbetriebs nach dem Exil zuzurechnen." Er fährt fort: „Mit 2. Kön 23,8 ist der Text nicht in Verbindung zu bringen, die josianische Zeit wie das frühe dtr G (dtrH) rechnet nicht mit einer Beteiligung der Leviten am Opferkult des Zentralheiligtums, sondern eher mit einer Ansiedlung außerhalb Jerusalems (Ri. 17f.)."64 Dies wäre erst noch zu beweisen. Hinsichtlich der historischen Verortung von Dtn 18,6-8 geht Achenbach von einer „Bearbeitung" aus, die „das dtr.G in seinen Grundzügen" voraussetze und „zur Gewährleistung einer bruchlosen Traditionskette von Mose zu der im Zentralheiligtum deponierten (nachexilischen) Tora den Maßstab der levitischen Abstammung der Priester" eingeführt habe, 65 und fährt fort: „Zugleich stellt sich jedoch auch das Problem, in welcher Weise die nicht zum Priestertum erwählten Leviten an dem Geschehen am Zentralheiligtum partizipieren (V 6f.) und wie ihre Teilhabe in einem nun erforderlichen Leviten-Tarif zu regeln ist (V 8), wobei der Umstand, daß die Apodosis erst in V 8 einsetzt[,] erkennbar macht, wo das Hauptgewicht des Regelungsbedarfes lag: bei der Frage der Versorgung des sukzessive in den untergeordneten Dienst des Zentralheiligtums eindringenden Leviten. Die Genese dieser späten Gesetzesbearbeitung aus der Rechtskultur der nach-exilischen BürgerTempel-Gemeinde erklärt die ungewöhnliche Position des Leviten-Tarifs, nicht im Zusammenhang mit dem Kultrecht des alten Zentralisationsgesetzes, sondern im Kontext der nachexilischen Fortschreibung der vom Dtn. her entwickelten Ämterverfassung." 66 Wie wir noch sehen werden, gab es weder eine Bürger-Tempel-Gemeinde, 67 noch kann behauptet werden, in Dtn gehe es zentral um den „Leviten-Tarif. 68 Dtn 18,6-8 ist viel mehr als die Regelung eines „Leviten-Tarifs": Es ist das Dokument einer Gleichstellung zadokidischer und nicht-zadokidischer Priester,69 bei der es nur in zweiter Linie um das priesterliche (!) Einkommen {nicht um das der „Leviten" im Sinne zweitrangiger Kultfunktionäre) geht. So hat es dann auch seinen Grund, daß 62 63 64 65 66 67 68 69
OTTO, Levitisierung, 284. Ebd. ACHENBACH, Priester, 285, Anm. 3. ACHENBACH, Priester, 291. Ebd. Vgl. unten, Kap. 5.3. Vgl. unten in diesem Teilkapitel. Vgl. unten in diesem Teilkapitel.
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Literarische Quellen und archäologische Zeugnisse
Achenbach selbst sich über die „vage Regelung der Versorgung dieser Leviten am Tempel" 70 wundern muß. Auch Th. A. Rudnig stellt sich gegen die „klassische" Verknüpfung von Dtn 18,6-8 und 2 Kön 23,9 und wendet ein, „daß in Dtn 18,6-8 nur von Leviten, in II Reg 23,9 nur von Höhenpriestern die Rede ist, ohne daß irgendetwas auf die Identifikation beider hindeutet; die Textstellen lassen sich kaum miteinander in Verbindung bringen". 71 Daß sich die von de Wette und Wellhausen vertretene These von der Identifikation der Leviten in Dtn 18,6-8 mit den Höhenpriestern in 2 Kön 23 nicht so problemlos zurückweisen läßt, werden wir eingehend zeigen. 72 Doch sind sich alle genannten Exegeten darin einig, daß Dtn 18,6-8 unabhängig von 2 Kön 23,5.8f. zu analysieren sei und daß es sich bei Dtn 18,6-8 um einen (spät-)dtr oder post-dtr Abschnitt handele. Einigkeit herrscht zwischen den Autoren, soweit sie diese Frage diskutieren, (zumindest grundsätzlich) auch hinsichtlich ihrer Auffassung der Beziehung zwischen der „pro-levitischen" Redaktion von Dtn 18,1-8* - oder wie sie diese Bearbeitung auch immer nennen - einerseits und den ezechielischen und priester(schrift)lichen, das „levitische" bzw. „aaronidische" Priestertum betreffenden Traditionen andererseits. So schreibt Dahmen: „Das Anliegen dieser Redaktion [seil, der pro-levitischen] kommt nicht von ungefähr, sondern hat eine, allerdings außerhalb des Dtn liegende Vorgeschichte: Ez, P und R p ." 73 Genauer legt sich Dahmen allerdings vorsichtigerweise nicht fest. 74 Die von Gese rekonstruierte, von ihm allerdings - und hier könnte Dahmen wohl kaum zustimmen - in die spätexilische Zeit datierte Zadokidenschicht 75 läßt sich aber durchaus in Dahmens Rekonstruktion integrieren; 76 die von ihm postulierte „pro-levitische Bearbeitung" wäre demnach beeinflußt von der in der Zadokidenschicht vertretenen Zweiteilung zwischen den „levitischen Priestern, den Söhnen Zadoks" und den „Leviten". Th. A. Rudnig distanziert sich, aufbauend auf den Arbeiten K.-F. Pohlmanns, 77 von Geses Konzept einer Zadokidenschicht, 78 kommt aber letztlich zu ähnlichen Ergebnissen wie Gese hinsichtlich der Herausarbeitung eines „Zadokidenprogramms", seines Trägerkreises und der traditionsgeschichtlichen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den ezechielischen und den priesterschriftlichen Abschnitten.
70
ACHENBACH, P r i e s t e r , 2 9 1 f.
71
RUDNIG, H e i l i g , 2 9 1 .
72
Vgl. unten, Kap. 3.1, zu Dtn 18,1-8.
73
DAHMEN, L e v i t e n , 3 9 8 .
74
Vgl. ebd., Anm. 64. Vgl. auch unten, Kap. 3.5. Vgl. DAHMEN, Leviten, 398 zu Ez 44,10-14 und 48,11.
75 76 77
V g l . POHLMANN, E z e c h i e l s t u d i e n u n d DERS., H e s e k i e l .
78
RUDNIG, Heilig, 204-215.280-304, zu Oeses Sadoqidenschicht bes. a.a.O., 290.
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Anders, aber vom Ansatz her nicht unähnlich verhält es sich mit E. Ottos Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen beiden Traditionslinien: P vertritt das Anliegen der Aaroniden, stammt von Aaroniden und hebt ihre Bedeutung hervor, wie sich schon daran zeigt, was Ende, Ziel- und Gipfelpunkt von P 8 ist: „PG endet mit der Anweisung zur Einsetzung der Aaroniden und hat ihren Zielpunkt in Ex 29,42b-46." 79 Die dtn-dtr Konzeption des Priestertums hingegen stammt aus zadokidischen Kreisen: Die beiden Traditionen stehen, laut Otto, in einem Konkurrenzverhältnis zueinander - dazu im folgenden mehr. Auch Rudnig postuliert einen Gegensatz zwischen „Aaroniden" und Zadokiden, verortet ihn aber eben nicht im - vermeintlichen - Gegeneinander von dtn-dtr und P-Tradition, sondern in dem - wie wir sehen werden, ebenso vermeintlichen - Gegensatz zwischen dem „Zadokidenprogramm" in Ez und der Priestertumskonzeption von P: „Ez 44,6ff* gibt sich vielmehr deutlich als Konkurrenzunternehmen zur Aaroniden-Theorie von P. Man beruft sich nicht nur auf Zadok, weil man nicht an die P-Konzeption gebunden ist, sondern die Trägerkreise des Zadokidenprogramms setzen sich von der P-Konzeption ab. Man will sogar jeglichen Bezug zur Aaroniden-Priesterschaft, ja überhaupt die Erwähnung Aarons oder eine Anspielung auf ihn vermeiden." 80 Achenbach schließt sich im wesentlichen Rudnig an und sieht das „Zadokidenprogramm" als zadokidischen Versuch der Selbstlegitimierung (im Kontext einer Auseinandersetzung zwischen Zadokiden und „Aaroniden") auf der Grundlage der „Levitisierung" des Priestertums, in deren Zusammenhang auch Dtn 18,6-8 gehört: „Das zadoqidische Priestertum konnte seine Legitimation historisch gesehen lediglich auf die Zeit Davids und Salomos zurückfuhren . . . , nicht aber auf die Mosezeit. Da sich die Konzeptionen von Ez 40-48 durchgängig, und die zadoqidischen Ansprüche gegenüber den ,aaronidischen' der Priesterschrift in einem deutlichen Konkurrenzverhältnis befunden haben, stellt die Anknüpfung an die nach-dtr. Konzeption der Levitizität allen Priestertums in Israel für die Zadoqiden die entscheidende Möglichkeit dar, ihre Interessen in Jerusalem zu legitimieren."81 Trotz der Distanzierung von der These, es habe eine historische aaronidische Priesterschaft im nachexilischen Juda gegeben, die in der Benutzung von Anfuhrungszeichen bei der Rede von „den ,aaronidischen' [Ansprüchen] der Priesterschrift" zu greifen ist, nimmt Achenbach dann schließlich doch an, es habe solche „aaronidischen" Priester gegeben, denn im Zuge seiner weiteren Argumentation spricht er von der „Wiederdurchsetzung zadoqidischer Ansprüche in Jerusalem gegen die Aaroniden". 82 Allerdings kann er sich letztlich offenbar doch nicht zu einer Entscheidung für die - vermeintliche - Historizität der „Aaro79 80
OTTO, Forschungen, 36. RUDNIG, Heilig, 301.
81
ACHENBACH, P r i e s t e r , 2 9 7 .
82
ACHENBACH, P r i e s t e r , 3 0 1 .
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niden" durchringen, denn bald ist wieder von den ,„Aaroniden' in Jerusalem"83 die Rede. Soweit zur Darstellung einiger Positionen in der neuesten Diskussion über Dtn 18,6-8 und dessen Einordnung in den Horizont der dtn-dtr, ezechielischen und priester(schrift)lichen Literatur. Nun zu ihrer Kritik. Uns geht es im folgenden weniger um die Frage nach der Identifikation der Leviten aus Dtn 18,6-8 und der Höhenpriester aus 2 Kön 23 - diese werden wir später ausfuhrlich diskutieren84 - als vielmehr allgemeiner um das Problem der Verortung von Dtn 18,6-8 in der dtn Grundschicht, um die Beziehungen zwischen Dtn 18,6-8 und den das („levitische" bzw. „aaronidische") Priestertum betreffenden Passagen in Ezechiel und der Priesterschrift sowie um die damit verbundene Frage nach den Trägergruppen der dtn-dtr Literatur, der Zadokidenschicht in Ez 40-48 und der priester(schrift)lichen Texte. Zuerst zu E. Ottos Einordnung von Dtn 18,6-8 als post-dtr. Sie ist in dem weiteren Kontext seiner Pentateuchtheorie zu verstehen, dergemäß die Unterschiede in den Konzeptionen des Priestertums in der dtn-dtr Literatur einerseits und der Priesterschrift andererseits auf reale Konflikte zwischen den Trägergruppen dieser verschiedenen Traditionen in der nachexilischen - besonders der mittel- und spätachämenidischen - Zeit zurückzuführen sind. Die Konzentration auf den von ihm postulierten Gegensatz zwischen „Aaroniden" und Zadokiden erklärt sich daraus, daß Otto den Pentateuch als die Zusammenarbeitung priesterschriftlicher und dtn-dtr Traditionen sieht, die ursprünglich miteinander in Konkurrenz gestanden und deren Konzepte von legitimem Priestertum mithin ebenfalls miteinander konkurriert hätten. Infolgedessen versteht Otto die Trägerkreise der Priestertumskonzeption der Priesterschrift und die Trägerkreise der dtn-dtr Priestertumskonzeption als miteinander rivalisierende priesterliche Gruppen. Weil, wie Otto annimmt, das Dtn priesterlichen - und damit zadokidischen! - Kreisen entstammt85 und weil in P die Priester als „Aaroniden" bezeichnet werden, versteht er nun die dtn-dtr Priestertumskonzeption als zadokidischen Entwurf, die Priesterschrift als „aaronidischen" - zwei Entwürfe, die einander, so Otto, exklusivistisch und antagonistisch gegenüberstehen, bis sie unter dem Dach des Pentateuch miteinander vereinigt und - so gut es geht - miteinander ausgeglichen werden.86 Die von ihm postulierte Konkurrenz zwischen den Zadokiden 87 und den „Aaroniden" ist das Axiom des von Otto vorgelegten Pentateuchmodells.88 Demgemäß wäre also mit einem theologischen Gegenentwurf der 83 84 85 86 87 88
ACHENBACH, Priester, 304. Vgl. unten, Kap. 3.1. OTTO, Rechtsbruch, 33-46. Vgl. OTTO, Pentateuchkomposition, 176. Vgl. oben, Anm. 85. Vgl. oben, Anm. 79. Vgl auch demnächst OTTO, Pentateuch.
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Priesterschaft der Exilszeit zum Priestertumskonzept der vorexilischen zadokidischen Priesterschaft zu rechnen. Dann stellt sich allerdings erneut in aller Schärfe die Frage nach der Existenz von historischen „Aaroniden" in der exilischen und nachexilischen Zeit. Ebenso wie E. Otto postulieren auch Th. A. Rudnig und R. Achenbach, wie oben gezeigt, eine Konkurrenz zwischen Zadokiden und Aaroniden, leiten sie allerdings, anders als Otto, aus der These vom „Zadokidenprogramm" als „Konkurrenzunternehmen zur Aaroniden-Theorie von P" 89 ab. Man sieht: Damit diese Art der Theoriebildung möglich wird, muß man eine historisch greifbare, sich als „aaronidisch" verstehende Priesterschaft postulieren. Und so kommentiert Rudnig dann auch die These Gunnewegs, die „Aaroniden" von P seien schlichtweg „die ideale Priesterschaft am idealen Heiligtum von Jerusalem",90 mit den Worten: „Zwar leuchtet ein, daß sich für P nur Aaron als Priester-Legitimationsfigur eignet, weil legitimer Kult am Sinai gestiftet sein muß, doch ein Rekurs auf eine solche Figur ist immer auch zugleich ein Programm, eine derartige Theorie ohne konkrete im Hintergrund stehende Priesterschaft schlichtweg nicht vorstellbar."91 Rudnig rechnet hier ganz offensichtlich, ebenso wie Otto und Achenbach, mit einer sich als aaronidisch verstehenden Priesterschaft.92 Konzentriert man sich ausschließlich auf die verschiedenen Bezeichnungen der Priesterschaft in den verschiedenen Traditionssträngen - „Aaroniden" in P und „(levitische) Priester" in der dtn-dtr Überlieferung bzw. „die levitischen Priester, die Söhne Zadoks" im „Zadokidenprogramm" von Ez 40-48 und die (vermeintlichen) Trägergruppen dieser Traditionen, so kann man natürlich - wie Otto, Achenbach und Rudnig - den Eindruck bekommen, es handele sich um antagonistische Konzepte, und einem aaronidischen stehe ein zadokidischer Entwurf entgegen, ob nun im Sinne einer Konkurrenz zwischen P und dtn-dtr Literatur (so Otto) oder zwischen P und dem ezechielischen „Zadokidenprogramm" (so Rudnig).93 Doch genau hier muß die Kritik ansetzen, denn das Priestertumskonzept von P ist weder exklusivistisch, noch steht es dem dtn-dtr Konzept (oder dem des „Zadokidenprogramms") antagonistisch gegenüber. Aber was kann sinnvollerweise in P mit dem Epitheton „aaronidisch" gemeint sein, nachdem wir doch bereits sahen, daß mit der Existenz einer sich als aaronidisch verstehen89
So RUDNIG, Heilig, 301. Ähnlich ACHENBACH, Priester, 297.
90
GUNNEWEG, L e v i t e n , 1 5 7 .
91
RUDNIG, H e i l i g , 3 0 1 .
92
Zwar spricht Rudnig nirgendwo von „Aaroniden" als der Trägergruppe von P, doch wird als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die fur P verantwortlichen Priester „Aaroniden" gewesen seien; vgl. DERS., Heilig, 301, Anm. 310: „Kaum nachzuvollziehen ist daher die Vermutung, daß nur bei den Aaron-Söhnen, nicht aber bei Aaron historische Priesterschaften des nachexilischen Jerusalemer Tempels hinter den Namen stünden." 93 Vgl. zu diesen Fragen auch GERTZ, Tradition, 321-327.
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den Gruppe von Priestern in der exilischen und nachexilischen Zeit nicht zu rechnen ist?94 Dementsprechend sind alle referierten Autoren sehr vorsichtig mit einer historischen Verortung der „Aaroniden". Es wäre ja auch mehr als erstaunlich, wenn ausgerechnet im babylonischen Exil - und dort hätte dies wohl geschehen müssen - eine Gruppe von Priestern sich von den Zadokiden abgespalten haben sollte, werden doch die ins Exil geführten Priester (mit hoher Wahrscheinlichkeit allesamt Zadokiden)95 Besseres zu tun gehabt haben, als ihre Kraft in Fraktionskämpfen zu vergeuden: Sie hatten sich auf die Zeit nach dem Exil vorzubereiten, darauf, nach ihrer Rückkehr gegen die Interessen der im Lande verbliebenen Bevölkerung und der nicht deportierten, nicht-zadokidischen Priester96 ihren eigenen Führungsanspruch wieder geltend zu machen. Für interne Machtkämpfe war die Zeit zu kostbar, und sie waren angesichts der bevorstehenden Konstellationen überflüssig. Wenn es aber eine historische aaronidische Priesterschaft in exilischer und nachexilischer Zeit nicht gab, wem hätte dann eine die Priesterschaft(en) Judas auf Aaron zurückfuhrende Genealogie nutzen können? Denn wie vielerorts im Alten Orient 97 geht es bei der Konstruktion von Genealogien u.a. um den Nutzen, den sie in der Auseinandersetzung um gesellschaftlichen Einfluß zu bringen vermögen. 98 Und Nutzen bringen konnte eine solche Genealogie nur einer solchen Gruppe oder solchen Gruppen, die in Aaron einen Bezugspunkt fand(en), der ihr bzw. ihnen im Rahmen ihrer Interessenlage als besonders geeignet erschien. Welcher Gruppe bzw. welchen Gruppen konnte Aaron in dieser Hinsicht als besonders geeignet erscheinen? Dies ist die zentrale Frage, der wir uns im folgenden widmen werden. Hinsichtlich der Levi-Aaron-Genealogie der Priesterschrift hat Rudnig recht mit seiner Behauptung, daß „eine derartige Theorie ohne konkrete im Hintergrund stehende Priesterschaft schlichtweg nicht vorstellbar" 99 sei. Das ist richtig - aber eine irgendwie „aaronidische" Priesterschaft, wie sie Rudnig und Otto postulieren, ist, wie wir sahen, lediglich ein Postulat. Und sie bleibt ein Postulat, auch wenn man auf die Betheler Priesterschaft zurückgreift, die sich wahrscheinlich als aaronidisch verstanden hat, exilisch und nachexilisch aber nicht greifbar ist und, wenn sie noch aktiv gewesen sein sollte, weder das geistliche Potential noch das gesellschaftliche Gewicht gehabt haben kann, ein System wie das der Priesterschrift zu entwerfen. 100 Und so beruft sich Rudnig denn auch gar nicht auf die Betheler Priesterschaft, sondern be-
94
Vgl. oben. Vgl. unten, Kap. 3.5. 96 Vgl. ebd. 97 Vgl. WILSON, Genealogy, 56-136. 98 Vgl. WILSON, Genealogy, passim und Lux, Genealogie. 99 Vgl. oben, Anm. 92. 100 Zu P vgl. unten, Kap. 2.212. 95
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läßt es bei seiner allgemeinen These. Auch Otto vermag die „Aaroniden" nicht konkret historisch zu verankern.101 Wenn nun aber die „Aaroniden" in der nachexilischen Zeit Schemen sind, welche Priesterschaft - denn eine Priesterschaft muß es gewesen sein zeichnet dann für P verantwortlich? Hierauf gibt es nur eine Antwort: die Zadokiden im Exil und später wieder am Jerusalemer Tempel. Wie wir unten näher ausfuhren werden, 102 kann zweifelsfrei erwiesen werden, daß während der gesamten nachexilischen Zeit die Zadokiden am Jerusalemer Tempel den Ton angaben: Sie waren es, die den jeweiligen Hohenpriester stellten.103 Rudnig hat völlig recht, wenn er zustimmend zitiert: ,„Befugnisse und Aufgaben eines Hohenpriesters beschreibt P in der Gestalt Aarons.'" 104 Doch werden diese Befugnisse und Aufgaben im Blick auf den jeweiligen Hohenpriester in Jerusalem beschrieben, der ebenso Zadokide ist, wie die Priesterschaft des vorexilischen Tempels zadokidisch war, mit dem einzigen Unterschied, daß die nachexilischen Hohenpriester als „aaronidische" Priester firmierten: Die Rückführung auf Aaron bot die Möglichkeit, sich auf jene Figur der Überlieferung zurückzufuhren, die mittlerweile als der Inbegriff des Priesters galt, und sie ermöglichte es, bei Bedarf auch andere Priesterschaften als die zadokidische zu integrieren.105 So bemerkt übrigens auch Rudnig selbst ganz zu Recht (woraus er dann allerdings die falschen Schlußfolgerungen zieht): „P vertritt die Auffassung, daß bereits aaronidische Abstammung zum Priesteramt befähige: wer sich von Aaron ableiten kann, ist vollwertiger Priester; v.a. über den Aaron-Sohn Itamar (vgl. Ex 6,23; 28,1; 38,21; Lev 10,6.12.16; Num 3,2.4 etc.) werden dabei auch [!] die nichtzadokidischen [!] Priester integriert". 106 Im Umkehrschluß würde das bedeuten, daß die aaronidische Genealogie in P auch zadokidische Priester integriert - und genau das ist ja der Punkt! Es ist anzumerken, daß Rudnigs Darstellung hier nicht ganz klar ist: Die Levi-Aaron-Genealogie von P kann natürlich nicht explizit Zadokiden integrieren; das ist innerhalb des Erzählrahmens von P ja gar nicht möglich. Es ist allerdings richtig, daß die Hauptlinie der Genealogie über Aaron und Eleasar historisch genau diesem Zweck diente: Die Abstammung der Zadokiden von Aaron zu „beweisen". Explizit unternimmt dies allerdings erst die Levi-Aaron-Genealogie der Chronik. Laut Rudnig favorisiert Ez die Zadokiden, während P dies nicht tue, da dessen Priestergenealogie ja auch NichtZadokiden integriere. Präziser muß man sagen: Die Levi-Aaron-Genealogie der Priesterschrift legte die Grundlagen dafür, daß auch Nicht-Zadokiden integriert werden konnten, denn explizit konnte das ja erst in einer Genealogie geschehen, die die Geschichte des Priestertums über den von P gesetzten Rahmen hinaus weitererzählen konnte. Das geschah dann in der auf der priesterschriftlichen Levi-Aaron-Genealogie beruhenden Einteilung der 24
101 Yg] 102 y g ]
unsere unten
Bemerkungen oben in diesem Teilkapitel. i n diesem Teilkapitel.
103 Ygl. CROSS, Reconstruction, 156 und unseren Exkurs zu den Jehud-Münzen. 104 Vgl. R U D N I G , Heilig, 3 0 1 ; es handelt sich um ein Zitat aus B E R G M A N u.a., Priester, 75.
105 Ygl. auch unten, Kap. 5. 106
RUDNIG, Heilig, 300.
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priesterlichen Abteilungen der Chronik; die Linien Eleasar - Zadok einerseits und Ithamar Abjathar - Ahimelech andererseits werden dort skizziert (vgl. 1 Chr 18,16 - dort Aiimelech - mit 1 Chr 24,3.6). Was Rudnig übersieht, ist die Tatsache, daß, wenn die Zadokiden in den auf der Levi-Aaron-Genealogie der Priesterschrift aufbauenden späteren Konstruktionen auch nicht exklusiv vertreten sind, sie diese doch gleichwohl dominieren; vgl. 1 Chr 24, wo die Zadokiden der Hauptlinie (Aaron - Eleasar) entstammen und sie in Relation zu den Abjathariden im Verhältnis 2:1 vertreten sind. 107
Die priester(schrift)liche Aaron-Genealogie und ihr weiterer Ausbau werden uns durch die vorliegende Studie begleiten.108 Halten wir hier nur so viel fest: Das Priestertumskonzept von P ist weder exklusivistisch, noch stehen dieses Konzept einerseits und die dtn-dtr Priester-Theorie - oder die der Zadokidenschicht bzw. des „Zadokidenprogramms"109 - andererseits sich antagonistisch gegenüber. Vielmehr ist die Auffassung des Priestertums, wie sie in P zum Ausdruck gebracht wird, von vornherein integrativ gedacht - und zwar insofern, als sie nicht eine einzige Linie aus dem Stamme Levi als priesterlich privilegiert. Aus den in Ex 6,14-25; Num 3,1-4.21-37; 26,57-62 vorliegenden Genealogien geht hervor, daß mit dem Konstrukt zweier priesterlicher Linien innerhalb des Stammes Levi gearbeitet wird: Eine fuhrt über Eleasar und Aaron zurück zu Levi, die andere über Ithamar und Aaron (vgl. z.B. Ex 6,23; 28,1; 38,21; Lev 10,6.12.16; Num 3,2.4; 7,8; 26,60). Allerdings wird nur eine dieser Linie im Rahmen der Priesterschrift weiter ausgezogen, und zwar die von Aaron über Eleasar zu Pinhas führende. Über die Nachkommen Ithamars hingegen erfahren wir nichts. Genau an dieser Stelle ist die Priestergenealogie der Priesterschrift offen für die Integration anderer Priesterschaften: Über Ithamar können sich dann solche Priesterschaften auf Aaron zurückführen, denen eine Anknüpfung an die Hauptlinie - die über Pinhas und Eleasar zu Aaron zurückführt - nicht möglich ist.110 Diese Hauptlinie aber stellt nichts anderes dar als die Favorisierung der Zadokiden im genealogischen Gesamtsystem: Andere Priesterschaften sind integrierbar, doch den Zadokiden gebührt der Ehrenplatz. Ähnlich zeigte dies bereits Gunneweg auf. 1 ' 1 Die polemische Spitze dieser Genealogien ist nicht „anti-zadokidisch" explizit könnte sie es sowieso nicht sein, aber auch implizit ist sie es nicht - , 107 vgl. dazu unten, Kap. 7.1. In offenem Widerspruch zu RUDNIG, Heilig, 300 (zur PGenealogie: „über den Aaron-Sohn Itamar . . . werden dabei auch die nichtzadokidischen Priester integriert") steht übrigens a.a.O., 302, Anm. 315, wo Rudnig offenbar die Meinung vertritt, die P-Genealogie sei nicht integrativ. - Vgl. auch SCHAPER, Aaron,passim. 108 Vgl. z.B. unten, Kap. 7.1. 109 Diesen Ausdruck wählt RUDNIG, Heilig, 301 u.ö., weil er meint, nicht mehr von einer Zadokidenschicht sprechen zu können. 110 So z.B. auch R U D N I G , Heilig, 300. 111 Vgl. GUNNEWEG, Leviten, 161ff. RUDNIG, Heilig, 303 kann sich dessen Argumenten nicht ganz entziehen.
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sondern gegen die (nicht-aaronidischen) Leviten gerichtet, die eben einerseits als aus demselben Stamm kommend wie die aaronidischen Priester beschrieben werden, denen aber andererseits am Heiligtum nur untergeordnete kultische Funktionen zugewiesen werden. Abgesichert wird dies durch das Konstrukt einer erblichen Weitergabe der eigentlich priesterlichen Würde exklusiv an die überlebenden Söhne Aarons, Eleasar und Ithamar, und an deren männliche Nachfahren (Lev 10). Die übrigen Mitglieder des Stammes Levi dürfen nur als die Assistenten der Aaroniden an der Ausführung kultischer Aufgaben teilnehmen. 112 In bezug auf die Zulassung der „Leviten" - „Leviten" hier als Appellativumn3 für die untergeordneten Kultbeamten verstanden - zum priesterlichen Amt ist die Aaron-Genealogie von P also exklusivistisch, während sie in bezug auf die Zulassung der priesterlichen „Leviten" - hier verstanden als Gentilicium - , und das schließt Zadokiden und Abjathariden 114 (und auch noch andere Priesterschaften) mit ein, integrativ ist. Daß es sich bei der Levi-Aaron-Genealogie der Priesterschrift um ein Instrument der Integration früherer Konzepte von Priesterschaft und der diese Konzepte einst propagierenden Gruppen handelt, das Zadokidenprogramm also der Levi-Aaron-Genealogie vor- und nicht als späterer Versuch zu ihrer Einschränkung nachgeordnet ist, ahnt auch Rudnig, doch er zieht nicht die Konsequenzen daraus, da sie seiner Rekonstruktion der Entstehung von Ez 40-48 und seiner damit verbundenen Rekonstruktion der Geschichte des nachexilischen Priestertums widersprechen: „Wenn die AaronidenKonzeption von P eine nachträgliche Ausweitung und Liberalisierung der Zadokiden-Engführung wäre mit dem Ziel, nichtzadokidische Priester zu reintegrieren, müßte bei der großen Bandbreite der P-Texte die Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der Zadokiden deutlicher spürbar sein." 115 Von einer Auseinandersetzung mit zadokidischen Ansprüchen aber kann natürlich keine Rede sein, weil ja Zadokiden selbst die Levi-Aaron-Genealogie von P 112 Num 8,5-26 bietet dafür ein gutes Beispiel. In Num 8,19 heißt es von JHWH: „Ich gebe die Leviten dem Aaron und seinen Söhnen; aus dem Kreis der Söhne Israels sind sie ihnen übergeben" (angelehnt an EÜ). So geschieht es, und die „Leviten" verrichten ihren Dienst am Heiligtum, wie JHWH es Mose geboten hat (Num 8,22). Die Leviten sind damit eindeutig als zweitrangige Kultbeamte definiert. „Aaron und seine Söhne", d.h. die Priester, haben Vorrang. Die Leviten dienen ihnen als Assistenten mit gewissen Eigenrechten bei der Durchführung des Kultes - vgl. Num 8,19: „und Sühne zu erwirken für die Söhne Israels" doch das Priestertum ist ausgezeichnet durch das Privileg, die Opfer zu vollziehen, vgl. Lev 10,12-15. Vgl. auch Num 3,32: Der Priester Eleasar, Sohn des Aaron, ist oberster Herr der Leviten. 113 Vgl. die sinnvolle Unterscheidung zwischen Appellativum und Gentilicium in bezug auf die Bezeichnung „Leviten" bei DAHMEN, Leviten, 10. 114 Vgl. unten, Kap. 5.1. 115
RUDNIG, Heilig, 302, Anm. 315.
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konzipierten, die in ihrer ganzen Anlage - vgl. die priesterliche Hauptlinie 116 - auf zadokidische Bedürfnisse zugeschnitten ist und dann in Chr problemlos weitergeführt werden konnte, so daß die Levi-Aaron-Genealogie der Chronik (vgl. 1 Chr 5,27-41) dann auch Zadok als zentrale Gestalt explizit zu integrieren und damit die von vornherein auch im Blick auf Zadok konzipierte LeviAaron-Genealogie der Priesterschrift zu vollenden vermochte. Daß - ganz im Sinne der „klassischen", Wellhausen'sehen Rekonstruktion - in der relativen Chronologie die Zadokidenschicht von Ez 40-48 vor der Levi-Aaron-Genealogie von P liegt, wird hiermit noch wahrscheinlicher. Dies wird weiterhin unterstützt durch die Tatsache, daß jene das Amt des Hohenpriesters nirgendwo erwähnt. In der „klassischen" Theoriebildung war das als sicheres Zeichen für die Entstehung der Zadokidenschicht - wie wir sie weiterhin nennen - in der Exilszeit genommen worden. 117 Das ist auch immer noch die wahrscheinlichste Annahme, denn es ist gänzlich undenkbar, daß ein „Zadokidenprogramm" der nachexilischen Zeit, wie es Rudnig und Achenbach verstehen, die Besetzung des hohepriesterlichen Amtes völlig außer acht gelassen haben sollte. Da hilft es auch nichts, wenn Rudnig - unter Berufung auf Bergman 118 und Gunneweg 119 - versichert, die Trägergruppe des „Zadokidenprogramms" habe das hohepriesterliche Amt unerwähnt lassen müssen, „denn ,Befugnisse und Aufgaben eines Hohenpriesters beschreibt P in der Gestalt Aarons.' Bei P ist ,er [seil. Aaron] . . . zum Priester schlechthin, zum Hohenpriester von Jerusalem' avanciert. Eine Aufnahme der Hohenpriesterthematik im Verfassungsentwurf hätte bedeutet, sich mit P's AaronAuffassung näher auseinandersetzen zu müssen. Da sich das Zadokidenprogramm aber nur in aller Kürze und ganz lapidar gegen die Aaroniden-Theorie von P wendet, ist das Verschweigen des Hohenpriesters einfach das adäquate Mittel der Distanzierung." 120 Ganz im Gegenteil! Abgesehen davon, daß es alles andere als klar ist, wo sich das „Zadokidenprogramm" gegen die „Aaroniden-Theorie von P" wenden soll, kann man nur feststellen: Wäre das „Zadokidenprogramm" tatsächlich gegen die Priestertumskonzeption von P gerichtet, dann müßte es deren Inbegriff, Aaron, und mit ihm den Gipfelpunkt der von ihr propagierten priesterlichen Hierarchie, das Hohepriesteramt, angreifen - zumal dann, wenn es doch, wie Rudnig behauptet, um die Durchsetzung ganz konkreter zadokidischer Interessen geht. Diese Kritik gilt ebenso in bezug auf Ottos und Achenbachs Rekonstruktionen. Wo nun allerdings tatsächlich eine implizite Auseinandersetzung eines Priestertumskonzepts mit einem anderen vorliegt, das ist in der Darstellung 116 117 118
Vgl. oben in diesem Teilkapitel. Vgl. z.B. GESE, Verfassungsentwurf. BERGMAN U.A., P r i e s t e r , 7 5 .
119
GUNNEWEG, L e v i t e n , 1 4 1 .
120
RUDNIG, Heilig, 30 lf.
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der „Leviten" in der Zadokidenschicht, die nicht zuletzt auch eine verdeckte Auseinandersetzung mit der Reform des Priestertums in der josianischen Zeit ist, deren Vokabular sie aufnimmt, aber eben gerade mit dem Ziel, die in Dtn 18,6-8 garantierte Gleichberechtigung zadokidischer und nichtzadokidischer Priester121 unter dem Oberbegriff der „Leviten" unter Beibehaltung, doch bei gleichzeitiger Umwertung dieses Begriffs subversiv zu rezipieren und damit zu unterlaufen.122 Für die Vorordnung der Zadokidenschicht vor die aaronidische Genealogie spricht auch folgende Überlegung. Es ist nicht recht verständlich, wie die die Zadokiden betreffenden Passagen in Ez 40-48 - ob sie nun eine eigene Schicht123 darstellen oder als ein Einzeltext mit Nachträgen zu verstehen sind124 - jünger sein sollten als die relevanten Passagen in P über den Dienst der Leviten, da diese doch bereits von einer definitiv vollzogenen, strengen Trennung zwischen Priestern und Leviten, also von zwei distinkten Klassen des Tempelpersonals ausgehen (vgl. z.B. Ex 6,16-25, Num 3,1-39 - besonders Vv. 6-9 und 10 - und Num 8,13f.), während sowohl in Ez 40,45-46a als auch später in Ez 44,6ff. (Teil der Zadokidenschicht) und verwandten Passagen diese strenge Differenzierung noch nicht konsequent durchgeführt ist: Es ist deutlich zu sehen, daß in den genannten ezechielischen Abschnitten die Propagandisten der Zadokiden noch gegen die Priester zweiter Klasse, die dann in der Zadokidenschicht mit dem Appellativum „Leviten" benannt werden, polemisieren müssen, um ihre Degradierung zu Priestern zweiter Klasse zu rechtfertigen, während in P bereits eine mit ebendiesem Appellativum bezeichnete Klasse zweitrangigen Kultpersonals als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt wird, diese Degradierung also bereits vollzogen ist. Daraus ergibt sich, daß die Priester- und Leviten-Genealogie von P auf der Zadokidenschicht aufbaut, und daraus wiederum, daß die Zadokidenschicht aus der exilischen oder frühnachexilischen Zeit stammen muß, da sie nur vor P und nach Dtn 18,6-8 entstanden sein kann, dessen Terminologie sie, wie gezeigt, subversiv rezipiert. Damit ist ein Anhaltspunkt für die relative Datierung der verschiedenen hier diskutierten Priestertums- und Levitenkonzeptio121
Vgl. unten, Kap. 3.1. Zum Begriff der „subversiven Rezeption" vgl. OTTO, Deuteronomium, 351 und SCHAPER, Schriftauslegung, 126; der Sache nach bereits bei LEVINSON, Deuteronomy, passim. Mit der Umwertung des Leviten-Begriffs liegt ein weiteres Beispiel für eine „innerbiblische" subversive Rezeption vor. 123 Laut GESE, Verfassungsentwurf, 67.111 bestehend aus Ez 44,6-16.(28-30a); 45,1315. 124 Vgl. RUDNIG, Heilig, 290: „Eine ,Sadoqidenschicht' im Sinne Geses gibt es also nicht. Das Programm Ez 44,(6-8*)9-16* ist eher ein erweiterter Einzeltext, von dem aus die drei Nachträge Ez 40,46b; 43,19a* und 48,11 (von gleicher oder späterer Hand?) vorgenommen wurden. Hier artikulieren sich Kreise, denen an der Beschränkung der Priesterschaft auf die Zadokiden gelegen ist, also die Zadokiden selbst." 122
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nen gefunden. Daß Otto, Achenbach und Rudnig dies nicht in Betracht ziehen, liegt daran, daß sie sich auf die Problematik des (Schein-)Gegensatzes zwischen „Aaroniden" und Zadokiden konzentrieren und die Leviten dabei weitgehend aus den Augen verlieren.125 Hinsichtlich der Levi-Aaron-Genealogie in P läßt sich also feststellen: Die zur Beschreibung der priesterlichen Hierarchie benutzten Begriffe unterscheiden sich von denen der dtn-dtr Literatur einerseits und des Ezechiel und seiner „Schule" andererseits.126 Aber sie greifen auch auf diese zurück. An der Struktur der priesterschriftlichen Genealogie des Stammes Levi - und hier besonders an der Verortung der zwei von Aaron ausgehenden priesterlichen Linien in der gesamtlevitischen Genealogie - sowie an der ihr entsprechenden Rollenzuweisung an die Aaroniden und die übrigen Leviten wird deutlich, daß weder die priesterschriftliche Levi-Aaron-Genealogie noch die von P propagierte kultische Rollenverteilung - mit ihrer Unterordnung der nichtaaronidischen Leviten unter die aaronidischen - ohne das Vorbild der in der dtn-dtr Literatur und in der ezechielischen Zadokidenschicht propagierten Konstrukte überhaupt möglich gewesen wäre, und zugleich wird klar, daß das „Zadokidenprogramm" schon im Exil oder kurz danach entstanden sein muß, denn in P - vielleicht bereits in deren frühestem Bestand 127 und damit in spätexilischer oder frühnachexilischer Zeit! - findet sich die charakteristische Levi-Aaron-Genealogie mit ihrer bereits fest etablierten Zweiteilung des Kultpersonals in („aaronidische") Priester und Leviten, die die im Zadokidenprogramm vertretene Zweiteilung, die dort noch polemisch gerechtfertigt werden mußte, als Selbstverständlichkeit aufweist. Die drei Entwürfe - dtn-dtr Priestertumskonzept, „Zadokidenprogramm", Levi-Aaron-Genealogie (vielleicht schon in P 8 , 128 auf jeden Fall aber in P s ' 29 ) - stehen also nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind Meilensteine in einer fortlaufenden Entwicklung des Konzepts legitimen Priestertums in exilischer und nachexilischer Zeit.130 Diese Schlußfolgerung paßt gut zu neueren Erkenntnissen über die religiösen und politischen Verhältnisse im Juda der Achämenidenzeit, die aus 125 Daß es sich um einen 5cAe/«gegensatz handelt, zeigt sich besonders an Rudnigs Version der These vom vermeintlichen „Aaroniden"-Zadokiden-Konflikt. Zusätzlich zu den eben entfalteten Argumenten gegen diese These ist nämlich noch anzuführen - und auch dies ist eine bemerkenswerte Tatsache daß, wie Rudnig selber feststellt, „es andererseits Konvergenzen von P mit dem Verfassungsentwurf gibt" (RUDNIG, Heilig, 300, Anm. 307). 126 Ygi zur priesterlichen Terminologie JENSON, Holiness. 127 Vgl. Num 3,17-39 und dazu Noth, Numeri, 31.34.37 zu Vv. 17-20.25.26*.31.36f. als Teil von P e . 128 Vgl. vorige Anmerkung. 129 Unter den neueren Arbeiten vgl. POLA, Priesterschrift, 103.105 zu Ex 6,10-30 sowie a.a.O., 103f., Anm. 245 zu Ex 6,14ff. in Relation zu Num 3,1-4*. 130 Vgl. unten, Kap. 3 und Kap. 5-7.
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Quellen außerhalb des Pentateuchs und des Ezechielbuches gewonnen worden sind. Es ist ja ein Charakteristikum der oben referierten Rekonstruktionen, daß sie ihre Parameter fast ausschließlich aus Überlegungen zur Literaturgeschichte des Pentateuchs bzw. des Ezechielbuches ableiten, nichtpentateuchische bzw. nicht-ezechielische Quellen aber - seien es nun außerbiblische (u.a. numismatische - vgl. z.B. die Jehud-Münzen131 - und epigraphische - vgl. z.B. die Wadi-Daliyeh-Papyri) oder biblische (z.B. Esr 10,6; Neh 3,1.21; 12,10f.22-23; 13,4; 1 Chr 5,41) - weitgehend außer acht lassen. Wo sie sie doch berücksichtigen, wird ihnen gleichwohl keine Bedeutung für die tragenden Teile der Rekonstruktion beigemessen.132 Berücksichtigt man aber diese nicht-pentateuchischen und nichtezechielischen Quellen - und zwar sowohl die außerbiblischen als auch die biblischen so fällt auf, daß keinerlei Hinweis für einen Konflikt zwischen gegnerischen priesterlichen Gruppen im Juda der mittel- und spätachämenidischen Zeit vorliegt. Im Gegenteil: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit läßt sich feststellen, daß in der gesamten Achämenidenzeit in Jerusalem die Zadokiden den jeweiligen Hohenpriester stellten, wie auch durch neuere numismatische Funde noch deutlicher wurde: Man denke z.B. an die wahrscheinlich aus der Mitte des vierten Jh. v.Chr. stammende Silbermünze mit der Inschrift yhnn hkhn, die in der Amtszeit Johanans II. geprägt wurde133 und ein weiterer Beweis für die prinzipielle Richtigkeit der von Cross vorgelegten Liste von Hohenpriestern der achämenidischen und frühhellenistischen Zeit134 ist, die eine ununterbrochene Abfolge von zadokidischen Hohepriestern in der persischen und frühhellenistischen Zeit überzeugend rekonstruiert.135 Dafür sprechen auch 3 Esr 5,5f. (in der von Cross vorgeschlagenen, 131
Vgl. unten, Exkurs zu den Jehud-Münzen. Vgl. z.B. ACHENBACH, Priester, 305-309, wo zwar auch Texte aus Esr-Neh und Chr berücksichtigt werden, die ganze Rekonstruktion der Geschichte der Kulthierarchie aber an Achenbachs Pentateuch-Modell hängt, sowie RUDNIG, Heilig, 299f., wo Abschnitte aus EsrNeh zur Illustration des vermeintlich im „Zadokidenprogramm" sich spiegelnden Konfliktes zwischen „Aaroniden" und Zadokiden herangezogen, diese aber nicht als mögliches Korrektiv für die von Rudnig vorgelegten Überlegungen zur Geschichte des mittel- und spätperserzeitlichen JHWH-Kultes in Jehud in den Blick genommen werden: Diese sind nämlich zutiefst von Rudnigs Analyse des Wachstumsprozesses des Ezechielbuches bestimmt und lassen keine Anfragen aus allgemeingeschichtlicher Sicht zu. 132
133
Vgl. CROSS, Reconstruction, 153f. und dazu unten, Exkurs zu den Jehud-Münzen. Vgl. CROSS, Reconstruction, 156. 135 Zwar hat Cross eine andere Meinung zu der Verankerung der zadokidischen Familie in Israels Frühzeit als die hier vertretene, doch hat dies für unsere These keine Konsequenzen: Es kommt darauf an, daß die hohepriesterliche Linie der Achämenidenzeit in Kontinuität zur vorexilischen, zadokidischen steht. Ob man nun meint, die Zadokiden seien letztlich aaronidischer Herkunft gewesen (vgl. CROSS, Traditions, 59, wo Zadok als Aaronide aus dem angeblich in Hebron beheimateten Clan verstanden wird), oder nicht: Es steht fest, daß ein und dieselbe zadokidische Familie, aus der in vorexilischer Zeit das gesamte priesterliche 134
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Literarische Quellen und archäologische
Zeugnisse
leicht emendierten Form: „Jeschua der Sohn Jozadaks, des Sohnes Serajas, und Jojakim, sein Sohn, und Serubbabel").136 Deshalb ist es unverständlich, weshalb - folgt man Otto, Achenbach und Rudnig - ausgerechnet in der mittel- und spätachämenidischen Zeit die Zadokiden Bedarf gehabt haben sollten, ihre Ansprüche gegen irgendwelche anderen priesterlichen Gruppen - die mysteriösen „Aaroniden" oder wen auch immer - durchzusetzen. So dürfte z.B. auch nicht zu erklären sein, weshalb in einer Zeit, als die Levi-AaronGenealogie in P und besonders dann der weitere Ausbau dieser Genealogie in Chr (mit der zentralen Stellung des „Leviten"137 Zadok im Rahmen der LeviAaron-Genealogie und der Zuweisung des niederen Kultdienstes an die „Leviten"138) bereits existierten - und die Levi-Aaron-Genealogie unter Einschluß Zadoks und der Zweitrangigkeit der „Leviten" (vgl. 1 Chr 6,33) ist ja auch nicht erst bei Abfassung der Chronikbücher konstruiert worden, sondern hatte eine längere Vorgeschichte -, 1 3 9 weshalb also zu dieser Zeit die „levitischen Priester, die Söhne Zadoks" (vgl. Ez 44,15) es noch nötig gehabt haben sollten, die „Leviten" in Verruf (Ez 44,10) zu bringen, nachdem deren Unterordnung unter die Priester längst entschieden war. 2.212 Die Frage nach Pg und Ps im Hinblick auf die Rekonstruktion der Geschichte der Priester und Leviten Nach diesen Beobachtungen zur relativen Chronologie einiger zentraler Texte zum Priestertum aus dtn-dtr, ezechielischer und priester(schrift)licher Literatur und ihrer Korrelation mit historischen Daten stellt sich nun die Frage da-
Personal des Jerusalemer Tempels und damit auch der Hauptpriester stammte, auch sämtliche Hohenpriester der persischen und frühhellenistischen Zeit in Jerusalem stellte, obwohl nun auch mindestens eine nicht-zadokidische priesterliche Gruppe (die Abjathariden) in die Jerusalemer Priesterschaft integriert worden war. Vor dem Exil waren die Zadokiden die einzigen Priester am Jerusalemer Tempel, nach dem Exil waren sie immerhin die dominierende priesterliche Familie. - Vgl. unten, Kap. 5.2. 136
137
Vgl. CROSS, Reconstruction, 162, A n m . 42.
Hier natürlich als Gentilicium gebraucht. Hier als Appellativum benutzt. Vgl. 1 Chr 5,27-6,15(16-32.33-38). 139 Bereits in P findet sich die Grundstruktur der Levi-Aaron-Genealogie, die dann von 1 Chr 5,27-6,15(16-32.33-38) aufgegriffen und weiterentwickelt wurde; vgl. Gen 46,11 (laut POLA, Priesterschrift, 90, Anm. 168 - vgl. a.a.O., 168 - gehört Gen 46,8-27 zu P s ); Ex 6,1625 (Ps); Num 3,17-39 (laut NOTH, Numeri, 31.34.37 sind Vv. 17-20.25.26*.31.36f. Teil von P£); 26,57-62 (Ps) mit ihrer Dreigliederung des Stammes Levi in Gerschon, Kehath und Merari sowie die gleiche Untergliederung - mit den Aaroniden als Nachkommen Kehaths - in Jos 21 (ein durch priesterliche Terminologie geprägtes Kapitel, das möglicherweise einer „spätpriesterlichen Bearbeitung" entstammt, vgl. POLA, Priesterschrift, 108, oder zu einem deuteronomistisch überarbeiteten Ps-Fragment gehören mag; vgl. CORTESE, Josua, passim). Zu den von Noth, Elliger, Lohfink, Weimar und Holzinger vorgelegten Rekonstruktionen von Pg vgl. die Übersicht in JENSON, Holiness, 220-224. 138
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nach, wie diese Beobachtungen in den Horizont der Pentateuch- und der Deuteronomiums-Forschung einzuordnen sind. Bereits jetzt ist deutlich, daß die Ergebnisse unserer Analyse mit den grundlegenden Ergebnissen der Neueren Urkundenhypothese im Einklang zu stehen und die bereits von Wellhausen durchgeführte Rekonstruktion der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Priestern und Leviten 140 im wesentlichen zu bestätigen scheinen. Wir werden sehen, ob sich dieser Eindruck im weiteren Verlauf unserer Untersuchung bestätigen wird, was dies für unser Verständnis der Entstehung des Pentateuchs bedeuten könnte und welche Schlußfolgerungen wir daraus für die Benutzung priester(schrift)lichen Materials für unsere historische Rekonstruktion zu ziehen hätten. Dieses Problem hier anzusprechen, ist schon deshalb unerläßlich, weil unsere Untersuchung ganz wesentlich davon mitbestimmt sein wird, welche Texte wir der priester(schrift)lichen Tradition zuschreiben und wie wir die relative Chronologie der Texte innerhalb dieser Tradition veranschlagen. Zunächst zu einigen am Exodus-Buch orientierten, grundlegenden Überlegungen zu der Frage, ob es sich bei P um eine eigenständige Quelle, eine Redaktionsschicht oder keines von beidem handele.141 Den anregenden Beobachtungen und Analysen besonders R. Rendtorffs und E. Blums 142 zum Trotz haben L. Schmidt und J. C. Gertz erneut in Ex 114 P als durchlaufenden Erzählfaden nachweisen können, so daß weiterhin von einer eigenständigen Quelle P auszugehen ist. L. Schmidt143 macht in Ex
140
WELLHAUSEN, Prolegomena, 125-174.
141
Vgl. bereits oben, Kap. 2.21, Anm. 39, über die ursprüngliche Eigenständigkeit von P am Beispiel der Genesis. 142 vgl. die Bibliographie bei POLA, Priesterschrift, 29, Anm. 75 und besonders RENDTORFF, Problem, passim, DERS., L'histoire, 86f. sowie BLUM, Studien, passim sowie zur Frage nach P besonders BLUM, Studien, 229-285: „Die priesterliche Schicht: weder .Quelle' noch .Redaktion'". Damit revidiert Blum übrigens die in DERS., Vätergeschichte vertretene Ansicht, P sei eine Bearbeitungsschicht. - Besonders die von Blum entwickelte Methodologie verdient Beachtung. Auch weist Blum darauf hin, daß bei der erneuten Auseinandersetzung um den Pentateuch in den letzten Jahrzehnten „grundverschiedene Wahrnehmungen der Texte zur Debatte stehen, deren Voraussetzungen, Möglichkeiten, Grenzen und vor allem Korrelationen noch sorgfältig erörtert und abgeklärt werden müssen" (BLUM, Studien, 3). Zu Recht spricht er das Problem der Willkürlichkeit literarkritischer Entscheidungen an und damit auch die Problematik mancher der neueren, redaktionsgeschichtlich orientierten Hypothesen, die in ihrer je eigenen Weise doch letztlich das alte Quellenmodell zur Grundlage haben sowie von „einer literarkritischen Wahrnehmung der Texte" und von einem bemerkenswerten „Vertrauen auf die Möglichkeit einer minutiösen .textarchäologischen' Rekonstruktion auch subtilster überlieferungsgeschichtlicher Vorgänge" (BLUM, Studien, 2) geprägt sind. Demgegenüber geht Blum „von den umfassenden kompositionellen Zusammenhängen, mithin von den Kontexten und Gestaltungen, welche den komplexen Gesamttext formativ konstituieren" (DERS., Studien, 4), aus. 143
9-13.
Vgl. SCHMIDT, Studien, 2-6 und dazu die Rezension in OTTO, Forschungen, 9-20, bes.
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Literarische Quellen und archäologische Zeugnisse
6,2-12; 7,1.2.4-7 den ursprünglichen Bestand der priesterlichen Darstellung der Mose-Berufung aus, erkennt sie als Dublette zu Ex 3f., versteht Ex 6,2ff. als ursprünglich direkt an Ex 2,23a-25 anschließend und hebt im Anschluß an K. Koch 144 hervor, daß die erst hier stattfindende Bekanntgabe des JHWHNamens im Widerspruch zu Ex 3 steht und es „kaum vorstellbar" ist, „daß in einer Redaktionsschicht eine Auffassung von der Offenbarung des Gottesnamens vertreten wird, die den durch sie ergänzten Texten konträr ist, ohne daß sie wenigstens andeutungsweise mit ihnen ausgeglichen wird". Diese Beobachtungen sind der Ausgangspunkt für seine weitere Analyse, in deren Verlauf er einen durchlaufenden P g -Erzählfaden in Ex 1-14 zu rekonstruieren vermag, dessen Zusammenhang durch die Einfügung der vorpriesterlichen, vom Jehowisten stammenden Darstellung der Mose-Berufung in Ex 3,1-4,31 unterbrochen wurde. Eine nachpriesterschriftliche Redaktion verband mittels Ex 5 die vorpriesterliche und die priesterschriftliche Darstellung. Zur P g Darstellung der Berufung des Mose in Ex 1-14 gehören also Ex 2,23aß-25; 6,2-12; 7,1.2.4-7; außerdem gehören zur Pg in Ex 1-14 die Abschnitte 7,8-13; 7,19-22*; 8,1-3.11*.12-15*; 9,8-12; 11,9f., 12,1.3acx.b.4a.6b.7.8.1113.28.40f.; 14,1-29*. Ähnlich fällt die von Gertz vorgelegte Analyse aus. Als priesterschriftliche Exoduserzählung - er benutzt nicht die Sigla P g und P s , sondern spricht von der „priesterschriftliche(n) Exoduserzählung als Teil der ursprünglich selbständigen Priesterschrift (P)" und „Zusätze(n) zu P" 145 - in Ex 1-14 isoliert Gertz Ex 1,7.13-14; 2,23aß.b-25; 6,2-5.6*.7-12; 7,lf.4-7.8-10a.l 113.19.20act*.21b.22; 8,l-3[...].l layb.12.13.14a.15; 9,8-12; 11,10; 12,1.3aab.4.5.6b.7.8*.9-13.28.40f.; 14,1.2aba.3.4.8a.l0abß.l5.16*.17aba. 18a.21 aa* .2 lb.22.23aa.26.27aa*.28a.29. Nachdem wir uns der Frage nach P als eigenständiger Quelle und ansatzweise auch bereits der Differenzierung zwischen P s und P s gewidmet haben, müssen wir uns mit dem letztgenannten Problem noch näher auseinandersetzen, besonders im Hinblick auf das Ende von Pg, da davon unsere Bestimmung des Umfangs von Pg, die Zuweisung „überschüssiger" priesterlicher Texte an Ps und damit die chronologische Korrelation der für uns relevanten P-Texte mit nicht-priesterschriftlichen Texten abhängt. Seit Holzinger unterscheidet die Forschung explizit wischen P g und Ps,140 wobei seit den einschlägigen Arbeiten M. Noths 147 und K. Elligers 148 das 144
SCHMIDT, Studien, 6; vgl. KOCH, Redaktor, 466. GERTZ, Tradition, 394. 146 HOLZINGER, Einleitung, 334. Der Sache nach findet sich diese Unterscheidung schon bei WELLHAUSEN, Composition, 1.134f.207. Vgl. die Darstellung der Forschungsgeschichte von Nöldeke bis Noth und darüber hinaus bis zu Blenkinsopp, Lohfmk, Seebaß und Cortese in FREVEL, Blick, 9-42. 147 NOTH, Josua, 10f.; DERS., Studien, 180-211 sowie DERS., Überlieferungsgeschichte, 7-19.16.253. 145
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Ende von Pg mehrheitlich 149 in Dtn 34 angenommen wurde - ein Konsens, der allerdings von den Überlegungen L. Perlitts150 und der sich an seine Beobachtungen anschließenden Exegeten151 in Frage gestellt wird. Nun ist die herkömmliche Art der Unterscheidung zwischen Pg und P s schon im Rahmen der Neueren Urkundenhypothese nicht unproblematisch, denn ,,[i]n dieser . . . Tendenz der quantitativen Textreduktion auf innerpriesterschriftlicher literarkritischer Ebene ist die qualitative Annahme impliziert, P 8 könne nur historische Materialien enthalten, sei also ein reines Erzählungswerk". 152 Diese Vorstellung, die nicht zuletzt von theologischen Vorentscheidungen mitbestimmt ist, sollte hinterfragt werden. Nicht die Unterscheidung zwischen Pg und P s steht allerdings zur Debatte, sondern die Kriterien, die angelegt werden, wenn von einem Gegensatz zwischen Geschichte und Gesetz ausgegangen wird. Wenn z.B. K. Grünwaldt innerhalb von Gen 17,9-14.23-27 unter Voraussetzung des eben genannten Kriteriums die Vv. 9-14 als sekundär ausscheidet, dann dazu gezwungen ist, aufgrund des Mangels an einem Rückbezug für die Vv. 23-27 die Vv. 23.27 ebenfalls als sekundär zu qualifizieren und schließlich, da er nur noch die Vv. 24-26 P g zuschreiben kann, V. 26 vor Vv.24f. plazieren muß, 1 5 3 zeigt sich die Aporie, in die das theologische Vorurteil vom Gegensatz zwischen Geschichte und Gesetz in P führt. So besteht ja z.B. auch in Gen 9 kein Gegensatz (wie Grünwaldt meint) 1 5 4 zwischen der Verheißung in den Vv. 1-3 und den dann ergehenden Speisegeboten in den Vv. 4-6: „Diese Begrenzung schränkt die Güte des Gebenden nicht ein . . . ; sie dient vielmehr der Bewahrung des Freigegebenen. Ohne diese Begrenzung wäre das Freigegebene nicht mehr zum Segen." 1 5 5
So kann man tatsächlich nur feststellen, daß der von vielen Exegeten postulierte, sich angeblich in den Inhalten von Pg und P s manifestierende Widerspruch zwischen Narrativem und Legislativem, d.h. zwischen Geschichte und Gesetz, „PG so fremd [ist] wie die von gnädiger Verheißung Gottes und Gesetzeserfullung des Menschen, ist doch die Einsetzung der religiösen Institutionen durchgängig durch die Korrespondenz von göttlichem Befehl und Ausführung durch den Menschen gekennzeichnet, die in eine bleibende Ver-
148
ELLIGER, S i n n , 1 2 1 .
149
Vgl. die von POLA, Priesterschrift, 22, Anm. 31 genannte Literatur. 150 PERLITT, Priesterschrift, passim hinterfragt die communis opinio und meint, im Dtn keine P 6 -Bestandteile entdecken zu können. 151 Vgl. die Darstellung der Forschungsgeschichte seit Perlitts Studie über die Priesterschrift (1988) in FREVEL, Blick, 42-51. 152
POLA, P r i e s t e r s c h r i f t , 2 2 .
153
GRÜNWALDT, Exil, 38f. Vgl. die Kritik an Grünwaldts Analyse von Gen 17,9-14.23-
2 7 in OTTO, F o r s c h u n g e n , 37. 154 Grünwaldt folgt damit Smend, Holzinger u.a. OTTO, Forschungen, 37 weist in seiner Kritik Grünwaldts auf diesen Punkt hin. 155
WESTERMANN, G e n e s i s , 6 2 1 .
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Literarische Quellen und archäologische
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pflichtung mündet". 156 Das Postulat von einem vermeintlichen Widerspruch zwischen Geschichte und Gesetz darf also auf keinen Fall die Unterscheidung zwischen P g und P s leiten. Schon diese Einsicht sollte davor schützen, den Textbestand von P 8 zu sehr reduzieren zu wollen und gerade nicht als Grundlage einer immer radikaleren Reduktion des Umfanges der P 8 betrachtet werden.157 Einer solchen, allerdings im Trend der aktuellen Pentateuchforschung 158 liegenden Reduktion steht aber vor allem die fundamentale Beobachtung entgegen, daß Ex 6,6-8, das die Landverheißung an Abraham, Isaak und Jakob aus Gen 17,1-8 wieder aufnimmt, eindeutig zu P g zu rechnen ist, was ja auch von den Ergebnissen der von Schmidt und Gertz vorgelegten Studien von neuem untermauert wird. Tatsächlich gehört die Landverheißung konstitutiv zur priesterlichen Grundschrift. Diese Beobachtung ist die Grundlage für die jüngst von Chr. Frevel in Anlehnung an Theoriebildungen der älteren Forschungsgeschichte 159 aufgestellte These, Pg sei grundlegend von der Landverheißung geprägt und ende, wie schon Noth u.a. es postuliert hatten, in Dtn 34 - allerdings nicht mit Dtn 34,1*.7-9 (so Noth), 160 sondern mit Dtn 34,l*.5*.[6].7a.8*, wobei zuvor an Num 21,4*. 10f.; 22,1 eben nicht Num 27,12-14 anschließe - schon gar nicht in Verbindung mit Num 27,15-23 - , sondern, nach Dtn 1,3a, der Beginn der „Mosetoderzählung" in Dtn 32,4850.52, die dann mit Dtn 34,l*.5*.[6].7a.8* ihr Ende finde. 161 So ergibt sich nach Frevel für P s vom Sinai bis zum Tod des Mose folgender Umfang: 162 „Ex 19,1.2a*; 24,15b-16.(17).18aa; 25,1.2aa; 25,8f.; 26,1-19*; 26,30; 29,43.44a*.45f.; 35,1; 39,32.43; 40,17.33b.34f.; Num 10,11a. 12a*; 12,16; 13,1,2a.3aa. 17a.21.25.26a.32; 14,la.2.5-7.10.26-29aa.(31).35-38; 20,la.2.3b (ohne naN'i).4.6.7.8aa*ß*b.l0.1 lb.22b.23a (ohne prrK-l7iM.
135
EISSFELDT, Einschmelzstelle, 109.
136
Ebd.
Wirtschafts- und sozialgeschichtliche
Aspekte
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des Befehls: „Und der Schreiber Schafan kam zum König und machte dem König Mitteilung und sprach: Deine Knechte haben das Silber, das sich im Tempel fand, [umjgegossen ("CTin) und es in die Hand der Werkmeister gegeben, die das Haus JHWHs beaufsichtigen." Hierzu schreibt Eißfeldt, es heiße „denn auch, daß man das im Tempel gefundene Silber eingeschmolzen (hittikü, von nätak) und den am Tempel angestellten Werkführern übergeben habe, wobei nach Ausweis von Hesekiel 22,20 für hittik (von nätak) die Bedeutung einschmelzen', ,gießen' ganz gesichert ist."137 Eißfeldts Deutung von in 2 Kön 12,11 wird außerdem gestützt von der Benutzung des gleichen Verbs nx* in 1 Kön 7,15, wo es um das Gießen der metallenen Säulen geht (DHTOJjn •ournx na'j). 138 Zu Eißfeldts Interpretation von 2 Kön 22,4 ist hinzuzufügen, daß man wahrscheinlich mit (der lukianischen Rezension) der Septuaginta (xcoveuoate)139 und der Vulgata (confletur) sowie im Hinblick auf "D^nn in 2 Kön 22,9 in 2 Kön 22,4 o r n zu ^ r n zu emendieren hat. 140 Damit liegt ein weiteres Indiz für die Existenz einer Einschmelzstelle bereits am vorexilischen Jerusalemer Tempel vor. Daß eine solche Einschmelzstelle auch zur Zeit der Monarchie, als es noch kein Münzgeld gab, bereits notwendig war, implizieren Belege wie 2 Kön 12,5; 23,35, wobei es sich an der erstgenannten Stelle um Tempelsteuern handelt und an der zweiten um die Steuererhebung für eine Tributzahlung. Zu Recht können diese Verse als Belege für die Existenz eines staatlichen Steuersystems im vorexilischen Juda angeführt werden. 141 Sie geben allerdings noch weiteren Aufschluß über den Tempel als fiskal- und wirtschaftspolitisches Instrument: Wo Gold und besonders Silber als Steuern eingezogen werden, da muß dieses Silber auch in handliche Form gebracht und standardisiert werden, d. h. zu Hacksilber und Silberkuchen verarbeitet werden, um es als Tauschmittel benutzen zu können. Dazu ist eine Einschmelzstelle unabdingbar. Gegen die von Eißfeldt zur Begründung seiner These angeführten Belege 2 Kön 12,11-12 und 2 Kön 22,4 läßt sich übrigens nicht einwenden, sie seien dtr Einfügungen, da der Titel *7Han ]H3n in ihnen auftauche. Nur bei Sinan 137
Ebd. Auf die Bedeutung von 1 Kön 7,15 (und Jer 18,11) für das Verständnis von 2 Kön 12,11 weisen unter Bezug auf Eißfeldt und Torrey J. A. Montgomery und H. S. Gehman hin, vgl. DIES., Kings, 430. 139 Vgl. den Apparat der LXX-Edition von A. E. Brooke u.a., Vol. II, Part II, 375. 140 MONTGOMERY und GEHMAN, Kings, 527 weisen auf LXX und Vulgata hin und schließen, das Verb sei "^rn zu lesen, in Analogie zu V. 9; der Fehler sei durch „easy confusion of archaic D and a" entstanden. Demgemäß lautet die von ihnen vorgeschlagene Übersetzung (a.a.O., 524): „Go up to Hilkiah the high priest, and have him smelt. . . the silver brought into the house of YHWH." - Vgl. auch BRIEND, Trésor, 106 und dessen Bezug auf 138
SCHAPER, T e m p l e . 141
Ähnlich SNELL, Taxes, 338f.
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Priester und Leviten bis zum Ende des Exils
handelt es sich wahrscheinlich um eine exilische oder nachexilische Einfügung, wie J. Gray überzeugend herausgearbeitet hat: „In this rare occurence of the title hakkohen haggadol, which became current in post-exilic times, haggadol is suspect as an exilic gloss, the more so as at vv, (sie) 10, 12, 14 Hilkiah is termed simply ,the priest' . . . . But the title is supported by the title kohen haro's as distinet from kohen hammisne in 25.18." 142 Es ist somit davon auszugehen, daß es sich bei 2 Kön 12,11-12 und 2 Kön 22,4 um vorexilische Stücke handelt, die Eißfeldt also zu Recht zum Beweis seiner These von der Existenz einer Einschmelzstelle bereits am vorexilischen Jerusalemer Tempel heranzieht. Betrachten wir nun den weiteren Zusammenhang, in dem das Finanzwesen des spätvorexilischen Juda steht. Der Ausgangspunkt unserer Überlegungen war ja die Beobachtung, daß Sachleistungen durch Silber ersetzt werden konnten, wenn es um die Abgabe des Zehnten an den Jerusalemer Tempel ging. Um die Geldwirtschaft und das Steuerwesen im josianischen Juda umfassend verstehen zu können, müssen beide nämlich in ihrem Zusammenhang mit Josias Reformbestrebungen verstanden werden. In dieser Sache weist Claburn auf die z.B. in Dtn 1,16 und Dtn 12,3-6a geforderten Opfer- und Zehntleistungen hin und behandelt diese Frage nicht als isoliertes kultgeschichtliches Thema, sondern in ihrem weiteren Zusammenhang, d.h.: als eine fiskalpolitische Frage. Leider widmet er der literarkritischen Analyse und der historischen Verortung nur wenig Raum, doch wird deutlich, daß er die Erhebung des Zehnten im Zusammenhang mit dem politischen und militärischen Erstarken Judas zur Zeit des Niederganges des neuassyrischen Reiches sieht. Claburn nimmt an, daß der Zehnte (auch) zur Finanzierung der militärischen Anstrengungen Josias benutzt wurde. Ob nun der an den Tempel abzuführende Zehnte mit dem Königszehnten in 1 Sam 8,10-18 identisch ist oder nicht, ist laut Claburn weniger wichtig 143 als die Feststellung, in 1 Kön 15,18-20 und 2 Kön 16,7-9 lägen eindeutige Hinweise auf die Benutzung des Zehnten für kriegerische Zwecke vor. 144 Der Zugriff Asas auf Silber und Gold aus den „Schätzen des Hauses des Herrn" zeigt jedenfalls, daß der Monarch auf den Tempelschatz zurückgreifen konnte, wenn dies nötig wurde. Es handelt sich, wie M. Noth betont hat, in 1 Kön 15,17-22 um die „Mitteilung eines eingehenden Berichts über eine Grenzauseinandersetzung zwischen Asa und dem König Baesa von Israel, die gewiß über den 142
GRAY, Kings, 723, Anm. 6. Vgl. zu 2 Kön 12,11 HENTSCHEL, 2 Könige, 57, wo der MT übersetzt wird als: „Sie schmolzen das Silber ein und zählten es." Hentschel kommentiert (ebd.): „Das Silber wurde am Tempel eingeschmolzen und zu bestimmten Formen gegossen (vgl. Sach I I 1 3 ) , die sich zählen ließen. Geprägte Münzen gab es in Palästina allerdings erst in der Perserzeit. Wo die EÜ von ,Geld' spricht, bietet H nur .Silber'." 143 Vgl. CLABURN, Basis, 15, Anm. 6. EISSFELDT, Erstlinge, 154-155 ist der Meinung, es handle sich um zwei verschiedene Zehnten. 144 CLABURN, Basis, 15, Anm. 6.
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D ^ ü •'l?! IS? der judäischen Könige letztlich auf die amtlichen Armalen zurückgeht". 145 Aus 1 Kön 15,18a schließt Noth, Asa habe „seinem politischen Zweck zunächst ,alles' . . . , was im Tempelschatz an Silber und Geld noch ,übrig' war (vgl. 1426aa und andrerseits 1515), und außerdem noch die Schätze des Königspalastes (hier ist nicht speziell von Silber und Gold die Rede)" 146 geopfert. Demnach hätte der Monarch uneingeschränkten Zugriff auf die Schatzkammern der Heiligtums gehabt, und dies sogar, bevor seine eigenen Mittel (aus den Schatzkammern des rra) ausgeschöpft waren. Hierfür spricht auch der Befund in 2 Kön 16,8,147 wo ebenfalls vom ungehinderten Zugriff des Königs (hier Ahas) auf den Tempelschatz (er wird auch hier zuerst genannt) und den Königsschatz die Rede ist. Auch hier geht es, wie in 1 Kön 15,18-20, um die Ermöglichung militärischer Unternehmungen. Hieraus ergeben sich also in bezug auf Claburns These zwei wichtige Schlußfolgerungen: Es gab eine Trennung zwischen Tempel- und Palastschatz, was den König aber nicht daran hinderte, sich des Tempelschatzes zu bedienen, wenn staatliche Aufgaben dies erforderten. Bezüglich 1 Kön 15,18 gilt also die Schlußfolgerung Delcors: „le texte a son intérêt car il montre que pour faire face à des besoins pressants, le roi pourait puiser indistinctement dans le trésor du palais et dans celui du Temple". 148 Die Unterscheidung zwischen Palast- und Tempelschatz ist also allein schon aufgrund einer Analyse von 1 Kön 15,18-20 und 2 Kön 16,7-9 mit Delcor als „theoretisch" zu bezeichnen. 149 Vor diesem Hintergrund sind die josianischen Reformbestrebungen und die deuteronomischen Vorschriften zu steuerlichen Fragen zu verstehen. Die Möglichkeit, den Zehnten gegebenenfalls auch in Form von Silber leisten zu dürfen, erscheint auf diesem Hintergrund als eine Erleichterung nicht nur für alle Zehntpflichtigen, sondern auch für die Finanzverwaltung des Tempels: Die Einziehung der Steuern wird effizienter gestaltet. Eine mögliche Erklärung für diese Neuerung ist, daß die Verfügbarkeit von Edelmetall es dem König, der zu militärischen Zwecken standardisierte Zahlungsmittel gut gebrauchen konnte, leichter machte, seine Kriegsanstrengungen zügig und fle145
NOTH, Könige, 337f. NOTH, Könige, 338. Vgl. auch a.a.O., 339: „An den aramäischen König schickte Asa durch mit dieser Aufgabe betraute ein Geschenk, und zwar aus dem Bestand der Tempel- und Palastschätze." 147 Auch in 2 Kön 16,5-9* könnte es sich, ähnlich wie in 1 Kön 15,17-22, letztlich um 146
A r c h i v m a t e r i a l h a n d e l n ; v g l . COGAN u n d TADMOR, K i n g s , 1 8 4 - 1 9 4 . 148
DELCOR, Trésor, 360. DELCOR, Trésor, 367f.: „La distinction en Juda entre le trésor du Palais et le trésor du Temple qui apparaît dans plusieurs textes n'est au fond que théorique puisque le roi se servait indistinctement du trésor palatin et du trésor sacré. Si le roi israélite est le lieutenant de Yahweh ici-bas, il n'est que normal qu'il puisse disposer des biens du Temple comme il l'entend." 149
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xibel zu finanzieren. Nach Meinung Claburns ist die Kultzentralisation überhaupt aus fiskaltechnischen Überlegungen heraus durchgeführt worden, und zwar mit dem Ziel, Josia Zugriff auf alle Steuereinnahmen zu verschaffen. Die Kultzentralisation erklärt er aus der Notwendigkeit, die Steuern und Abgaben an einem Ort zentral zu sammeln, ihre Einziehung auf diese Weise landesweit wesentlich effizienter zu gestalten und so zugleich die bisher an andere Heiligtümer abgeführten und dezentral eingesetzten und verbrauchten Mittel für den Jerusalemer Tempel und damit - indirekt, aber wirkungsvoll für die militärischen Unternehmungen des Königs zu reklamieren. 150 Doch auch ein anderes Erklärungsmodell ist denkbar, und zwar das von Blenkinsopp vorgeschlagene. Blenkinsopp151 orientiert seine Interpretation an der Beobachtung, daß sich die dtn Gesetzgebung gegen Inhalte der althergebrachten Familienreligion und den offenbar im siebten Jahrhundert in Juda immer noch praktizierten Totenkult 152 wendet. Die Kultzentralisation wäre damit als eine Maßnahme im Rahmen einer Umformung des „Staatsgedankens" 153 zur Zeit Josias zu verstehen. Die dtn Reform interpretiert Blenkinsopp mit Hilfe des von Max Weber 154 zur Verfügung gestellten Instrumentariums: „As Max Weber noted long ago, the gradual consolidation of a civil and religious bureaucracy, accompanied by the concentration of power and wealth in cities and the growth of international trade, inevitably combine to diminish the social significance of a descent system and undermine its ethos. The state's need for land as a source of income and to reward or placate retainers will often be satisfied at the expense of patrimonial domain. Large estates can be exploited more easily than individual household plots on which the survival of the smallest kinship unit depended. Taxation places a severe burden on a subsistence agrarian economy, leading very easily to insolvency and the breakup of households. The creation of a centralized judiciary impinges on traditional patterns of social life and restricts the authority of the local pater150 CLABURN, Basis, 15, Anm. 6: „One might at least guess at connections among the unprecedented (at least since the days of David and Solomon) degrees of independence of most of rural Judah from Jerusalem control after the campaign of Sennacherib in 701; the subsequent weakening of Assyrian power in Josiah's time; the related growth of a powerful peasant movement of national liberation offering Josiah the available alternative source of power needed both to bring the local notables under control and to expel the Assyrians; the need for logistical support of the national militia and for pay and other support for the kind of mercenaries apparently referred to in the documents from Arad dated to this period by Yohanan Aharoni." Claburn verweist hier auf AHARONI, Sanctuary, 25-39, bes. 28. 151 BLENKINSOPP, Deuteronomy, passim. 152
V g l . h i e r z u HEIDER, M o l e k , 3 8 3 - 4 0 0 ; SPRONK, A f t e r l i n e ; LEWIS, C u l t s ; SCHMIDT,
Dead. 153 154
Vgl. oben, Anm. 84. Vgl. WEBER, Wirtschaft und DERS., Judentum.
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familias. To judge by protest directed against the state and its functionaries by the eighth-century prophets, this process was by then well underway in both kingdoms and affected the basic lineage structure as a whole. But for obvious reasons state representatives would take aim at the middle-range unit, i. e., the clan (mispahd), as the focus of collective lineage loyalty and potentially of opposition to state encroachment. Many of the stipulations in the D code read as a state document can be interpreted within this context." 155 Zur Untermauerung seiner These zieht Blenkinsopp u. a. Dtn 16,19-20; 17,8-13; 19,15-21; 21,1-9 und 25,1-3 heran,156 Texte, die entweder explizit von der vom Staat eingesetzten Gerichtsbarkeit handeln bzw. mehr oder weniger deutlich auf diese hinweisen.157 In der Tat werden die Verwandtschaftsbeziehungen von den Deuteronomikern neu gewichtet: Die Verpflichtungen gegenüber der Großgruppe werden zurückgedrängt zugunsten der Beziehungen zwischen Eheleuten, was wahrscheinlich die besonders strengen Strafen für Ehebruch und andere Sexualdelikte erklärt (Dtn 22,22-29). 158 Überhaupt fordert das Dtn, verwandtschaftliche Beziehungen zugunsten einer als höher angesehenen Verpflichtung gegenüber JHWH - und d. h. auch: gegenüber dem staatlich organisierten, zentralisierten Kult - zurückzustellen bzw. gar für nichts zu erachten, wie z.B. in Dtn 13,7-10.159 So werden verwandtschaftliche Beziehungen und die althergebrachte Clan-Solidarität untergraben zugunsten einer Orientierung an dem zentralisierten Kult, der zentralisierten Gerichtsbarkeit, der zentralisierten Staatsfuhrung. So wird Apostasie zum Staatsverbrechen, und umgekehrt bedeutet Teilnahme am zentralisierten Kult Distanzierung von der traditionellen Praxis des JHWH-Kultes und ihren familienreligiösen Aspekten. „Wie 155
BLENKINSOPP, Deuteronomy, 4. 156 Yg[ e bd. Außer Dtn 16,20 gehören alle diese Abschnitte zum vorexilischen dtn Reformgesetz, vgl. oben, Anm. 103. 157 Vgl. LEVINSON, Deuteronomy, 98-143. 158 Hierauf weist BLENKINSOPP, Deuteronomy, 5 hin. Unter Bezugnahme auf COHEN, Control, 658-687 schreibt BLENKINSOPP, Deuteronomy, 5: „It has also been observed that a state bureaucracy will attempt, especially in its inchoate stage of formation or when its existence is threatened, to strengthen the individual spousal bond while working to undermine the larger-scale configurations of the lineage system." 159 Dieser Abschnitt gehört zum vorexilischen Material des Dtn. In der Abgrenzung desselben schließen wir uns der Analyse E. Ottos an, vgl. oben, Anm. 103. Wie ALBERTZ, Religionsgeschichte, 329, Anm. 96 gegen ROSE, Ausschließlichkeitsanspruch, 45f. bezüglich der literarischen Einheitlichkeit von Dtn 13,7-12 betont, ist nicht deutlich, ,,[w]elchen Sinn es haben soll, bei einem so typisch dtn. Gesetz einen vordtn. Grundbestand herauszuarbeiten". Dtn 13,7-12 hat in der Tat Vorbilder, aber in neoassyrischen Vasallenverträgen und Treueiden, vgl. OTTO, Deuteronomy, 117; DERS., Deuteronomium, 57-88 sowie DION, Deuteronomy, 147-216 und LEVINSON, Evidence, passim. Diese assyrischen Modelle machten die Autoren des dtn Reformgesetzes sich zunutze, indem sie sie in ihrem Sinne uminterpretierten; vgl. OTTO, Treueid, passim.
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schwierig das Vorhaben gewesen sei muß, im Bereich der familiären Frömmigkeit eine hier bis dahin völlig unbekannte exklusive Jahweverehrung durchzusetzen, macht die rigide Bestimmung Dtn 13,7-12 deutlich." 160 Die Zentralisierung des Kultes sowie die damit verbundene Aushöhlung der Familienreligiosität durch die Unterdrückung des Ahnenkultes und die Unterordnung der Clan-Solidarität unter die Loyalität zum staatlich organisierten Kult sind Instrumente bei der Erneuerung und Modernisierung von Staat und Gesellschaft zur Zeit Josias. Das vorexilische dtn Reformgesetz diente diesen Modernisierungsbestrebungen als Orientierungsrahmen. Blenkinsopp formuliert, noch skizzenhaft, eine grundlegende Einsicht: „It seems to me that the drafters of the code and its homiletic framework used tradition for their own purpose, which was to establish an orthodoxy and orthopraxy controlled by a centralized civil and religious bureaucracy." 161 Diese Einsicht hat auch B. M. Levinson unabhängig von Blenkinsopp gewonnen und neuerdings im Detail ausgeführt und begründet. 162 Was bedeutet dies für unsere Einschätzung der dtn Reformbemühungen und ihrer Trägergruppe(n)? Um diese Frage zu beantworten zu können, muß man darauf achten, welche gesellschaftliche(n) Gruppe(n) durch die Promulgation des dtn Reformgesetzes einen besonderen Machtzuwachs zu verzeichnen haben. In dieser Hinsicht ist besonders auffällig, welcher Bedeutung sich die Jerusalemer Priesterschaft im vorexilischen dtn Reformgesetz erfreut. Ein Zentralgericht wird eingesetzt, an das solche Fälle verwiesen werden, die nicht durch Zeugen aufgeklärt werden können, und an diesem Zentralgericht sind Priester beteiligt (Dtn 17,9).163 Die legitime Zugehörigkeit zur Priesterschaft wird definiert - alle Priester gelten als „levitisch" - , und die Versorgung der ehemaligen Landpriester wird geregelt (Dtn 18,1-8*).164 Die Versorgung des zentralen Heiligtums und seiner Priester legt man auf der Grundlage des Zehnten fest und gewährleistet damit die Arbeitsfähigkeit des Tempelpersonals und die korrekte Ausübung des Kultes (Dtn 14,22-27*; 26,2-13*). 165 Zugleich wird für das Auskommen der Leviten vorgesorgt (Dtn 14,27.2829*).166 Das alte Reformgesetz wendet sich gegen die traditionelle, dezentrale Ausübung des israelitischen Kultes und stärkt mit seinem Zentralisierungsprogramm die Jerusalemer Priesterschaft. Überhaupt sind bedeutende Teile 160
ALBERTZ, Religionsgeschichte, 329.
161
BLENKINSOPP, D e u t e r o n o m y , 15.
162
Vgl. LEVINSON, Deuteronomy, passim und seine Schlußfolgerungen, a.a.O., 149: „the authors of Deuteronomy used the Covenant Code as a textual resource in order to pursue their own very different religious and legal agenda. The authors of Deuteronomy employed the garb of dependence to purchase profound hermeneutical independence." 163 Vgl. hierzu z.B. OTTO, Treueid, 18. 164 Yg[ u n s e r e Exegese von Dtn 18,1-8, oben, Kap. 3.2. 165 Vgl. unsere Darlegung oben in diesem Teilkapitel. 166 Ygi 0 b e n ¡ n (}j e s e m Teilkapitel.
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des vorexilischen Reformgesetzes kultischen Fragen gewidmet (Dtn 12,1319*.20-27*; 16,1-19*; 17,2-7). Besonders in einem dieser Abschnitte (Dtn 17,2-7) und verschiedenen anderen Passagen des dtn Reformgesetzes (Dtn 23,18, gegen die sakrale Prostitution; Dtn 13,2-7, gegen das Propagieren fremder Kulte) geht es um die Reinheit167 des offiziellen judäischen Kultes. Die notfalls gewalttätige Eindämmung des Einflusses der neuassyrischen Religion zugunsten des „offiziellen", staatlich getragenen und geforderten, zentralistischen Jahwismus hatte höchste Priorität, denn nur die Eindämmung der neuassyrischen Kultpraxis konnte eine dauerhafte Zentralisierung des judäischen Kultes ermöglichen. 168 Ein wesentlicher Teil dieser Auseinandersetzung mit der assyrischen Religion und Politik sind die exegetischen Umformungen neuassyrischer Vorgaben.169 Welche Aufschlüsse über die Trägergruppen der dtn Reform lassen die Ergebnisse unserer Untersuchung nun zu? Wir haben gesehen, daß das vorexilische dtn Reformgesetz stark von kultischen und solchen Themen geprägt ist, die entweder selbst unmittelbare Bedeutung für die Ausübung und Gestaltung des zentralistischen Kultes haben oder in anderer Weise das Kultpersonal des Jerusalemer Tempels betreffen. 170 In den Kreisen dieses Kultpersonals, d.h. unter den „levitischen Priestern" - d.h. in Wahrheit: unter den zadokidischen Priestern - im Jerusalem des 7. Jahrhunderts, sind daher mit hoher Wahrscheinlichkeit einige der wesentlichen Träger des dtn Reformgesetzes zu finden. Von diesen Kreisen und auch von den Schreibern am Hof und/oder am 167
NIELSEN, Deuteronomium, 11 sieht die „Reinheit des Kultes" als ein „Hauptanliegen . . . , das jeder Bestrebung, den Kult in Jerusalem zu zentralisieren, vorausging"; vgl. hierzu auch UEHLINGER, Kultreform, 71f. Nielsen hält 16,21-22 für bereits vor-dtn, vgl. DERS., Deuteronomium, 173.180. Nun zählen aber gerade die von ihm hauptsächlich angeführten Bestimmungen Dtn 16,21-22 wahrscheinlich nicht zum vorexilischen dtn Reformgesetz, sondern sind späteren Ursprungs; vgl. OTTO, Ethik, 178. Allerdings fragt SPIECKERMANN, Juda, 216: „Ob man in Dtn 16,21, der einzigen Stelle mit der Kombination von 1)03 mit m'i'K, einen Einfluß des akkad. Sprachgebrauchs auf das Hebräische im ass. Vasallenstaat Juda annehmen darf? Vielleicht ist auch die noch weiterfuhrende Vermutung nicht verfehlt, daß mit der Gottesbezeichnung Aschera in 16,21 und Mi 5,13 nicht primär der kanaanäische Horizont der Fruchtbarkeitsgöttin aktualisiert werden soll, sondern vielmehr der assyrische". 168 Ygi SPIECKERMANN, Juda, 216 zum Zusammenhang zwischen der „Präsenz der Götter Assurs" und der „politische[n] Hegemonie der mesopotamischen Großmacht". Aufgrund ihrer ikonographischen Studien folgern O. Keel und Chr. Uehlinger im Hinblick auf die „Jerusalemer Bullen der ausgehenden EZ HC" mit ihren kaum noch bildhaften Darstellungen: „Der Bruch mit der unmittelbar vorangehenden ,kanaanäischen' Renaissance in Juda ebenso wie mit der solaren Religiosität ägyptisch-phönizischer oder der astralen Religiosität assyrisch-aramäischer Inspiration könnte kaum deutlicher zum Ausdruck gebracht werden" (KEEL u n d UEHLINGER, G ö t t i n n e n , 4 1 4 ) . 169 Vgl. oben, Anm. 159. Vgl. z.B. DION, Deuteronomy, 199-203 und OTTO, Deuteronomium, passim. 170 ,,[P]riesterliche Perspektiven und Interessen" im vorexilischen Dtn sieht z.B. OTTO, Rechtsbruch, 34 im vorexilischen Dtn; vgl. a.a.O., 35-36.
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Tempel dürften die dtn Reform und das dtn Reformgesetz initiiert und formuliert worden sein. Auf eine Beteiligung von Schreibern weisen die exegetischen Bearbeitungen und Umformungen neuassyrischer Rechtstexte in dem vorexilischen dtn Reformgesetz hin.171 Zum ,,vorexilisch-deuteronomische[n] . . . Dtn in Dtn 12-26*" 172 ist festzustellen: „Der soziologische Ort dieses Reformentwurfs [nämlich des vorexilisch-deuteronomischen Dtn in Dtn 1226*] zeigt mit der Kenntnis keilschriftlich-assyrischer Überlieferungen, der Rechtssatzsammlungen und der Vertragstexte sowie der Verwendung weisheitlicher Sprache und Motive eine Nähe zur Schreiberausbildung und Schriftgelehrsamkeit."173 Im wesentlichen aus zwei Berufsständen rekrutierten sich die Betreiber der dtn Reform: aus den Schreibern am Jerusalemer Tempel und am Hof einerseits und den Jerusalemer Tempelpriestern andererseits. Zwischen ihnen müssen schon aufgrund der nur gemeinsam zu bewältigenden Arbeit an der Reform des kultischen Rechts engste Kontakte bestanden haben. 174 Doch das Gesamtbild ist viel komplexer. Daß nicht eine einzige gesellschaftliche Gruppe allein für das dtn Reformgesetz verantwortlich war, darauf deuten auch die Anfragen hin, die P. Dutcher-Walls an die Methodik der bisherigen Untersuchungen und ihre sozialgeschichtliche Einordnung der deuteronomischen Reformer und der dtr Schule stellt.175 Sie kommt - aufgrund einiger grund171 Zur Bedeutung der Schreiber bei der Erarbeitung des dtn Reformgesetzes vgl. z.B. WEINFELD, Deuteronomy, 158-178 („The Scribal Role in the Crystallization of Deuteronomy"). Weinfeld faßt seine Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „The authors of Deuteronomy and the Deuteronomic school must be sought for, then, among circles which held public office, among persons who had at their command a vast reservoir of literary material, who had developed and were capable of developing a literary technique of their own, those experienced in literary composition, and skilled with the pen and the book: these authors must consequently have been the soferim-hakamim" (a.a.O., 177f.). Wie wir sehen werden, trifft dies allerdings nur eine der beiden wahrscheinlichen Trägergruppen der dtn Reform und des Gesetzes, auf dem diese aufbaute. 172 OTTO, Rechtsbruch, 33. 173 OTTO, Rechtsbruch, 34. 174 Vgl. z.B. HARDMEIER, Prophetie, 419f. 175 DUTCHER-WALLS, Location, bes. 77-84. Vgl. die Kritik an den bisherigen Erklärungsmodellen, a.a.O., 90: „Rural Levites? Reforming priests? A prophetie circle? A scribal school? each of these proposals holds that the Deuteronomistic History was the product of a single professional interest group. And all of these make some sense, given the manifest interests of Deuteronomy and the History, but do they make sense sociologically? This review shows the distinct lack of agreement among scholars on the location of the Deuteronomists, and indicates the limitations of a methodology that examines biblical texts without a sociological understanding." Aus der von Dutcher-Walls hier benutzten Terminologie wird nicht ganz deutlich, ob die Autorin sich nur auf die Trägergruppe des DtrG („Deuteronomistic History"; s.o.) oder auf die Träger des Dtn bzw. der dtn Reform und des DtrG bezieht („Deuteronomy and the History"; s.o.). An anderer Stelle wird dem Leser allerdings klar, daß Dutcher-Walls Kontinuität zwischen der dtn Reformbewegung und den Trägergruppen des DtrG
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sätzlicher Überlegungen zur Funktionsweise antiker Staaten,176 die sie mit Beobachtungen zu 2 Kön 22-23 und Jer 26; 29; 36; 37; 38 korreliert - unabhängig von R. Albertz 177 zu dem Ergebnis, daß die Trägergruppe der dtn Reform und des DtrGW eine aus Priestern, Propheten, Schreibern, Hofbeamten und Landadel zusammengesetzte Gruppe178 gewesen sei. Auf der Basis einer wesentlich präziser an den relevanten Texten orientierten Analyse kommt R. Albertz zu einem sehr ähnlichen Ergebnis: „Die dtn. Reformbewegung . . . bestand aus einer großen Koalition zwischen Teilen der Jerusalemer Beamtenschaft, der Jerusalemer Priester, der judäischen Mittelschicht, einzelnen Propheten und dem davidischen Königshaus." 179 Dieses Fazit findet auch darin Unterstützung, daß im dtn Reformbericht 180 als Mitarbeiter des Königs bei der Reform der Hauptpriester181 Hilkia, die Priester „zweiter Ordnung", 182 der Schreiber Schafan, 183 „Schwellenhüter" 184 und die Prophetin Hulda 185 genannt werden. Damit sind, anhand einiger ihrer wichtigsten Repräsentanten, alle jene gesellschaftlichen Gruppen bezeichnet, die die dtn Reform mittra-
annimmt: „It is clear that the theology and world-view that has usually been associated with Deuteronomistic circles in the many critical studies of their work is, in the above analysis, aligned with, and carried by, one of the factions active in these years right before the exile. This Deuteronomistic faction has its roots in the time of Josiah, if not before. . . . The faction is associated with Josiah's enthronement and carries out his reform." 176 Vgl. DUTCHER-WALLS, Location, 80-84. Ihre Überlegungen sind orientiert an LENSKI, Power und CARNEY, Shape. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie den Spannungen zwischen Königtum und Führungseliten. 177 Vgl. ALBERTZ, Intentionen, passim sowie DERS., Religionsgeschichte, 313-318. „Die dtn. Reformbewegung konnte sich somit in der Zeit von ca. 630-609 auf eine breite Trägerschaft in der judäischen Gesellschaft stützen" (DERS., Religionsgeschichte, 317). 178 Vgl. DUTCHER-WALLS, Location, 91 u. ö. 179 ALBERTZ, Religionsgeschichte, 317. 180 2 Kön 22-23. Vgl. die Textrekonstruktionen in SPIECKERMANN, Juda, 423-429 sowie die grundlegenden Bemerkungen in UEHLINGER, Kultreform, bes. 70-81. Uehlinger zeigt auf, wie aufgrund der „external evidence" ikonographischer Quellen wichtige Teile des Reformberichts bestätigt werden. 181 Vgl. 2 Kön 22,8 und 23,4. Hier ist nicht von einem „Hohenpriester" die Rede, sondern von dem „Groß-" bzw. „Hauptpriester", dem primus inter pares der Jerusalemer Priesterschaft vor dem Exil. 182 Ygi 2 Kön 23,4: rutíran ,?niD. Hier handelt es sich offenbar um Priester „zweiter Ordnung", die dem Hauptpriester unterstellt waren. So besteht kein Grund, mit dem Targum den Singular zu lesen, wie BHS es vorschlägt. 183 2 Kön 22,3.8-10.12.14; Jer 36,10-12. Schafan war vermutlich der „Erzieher des jungen Josia", der „ihn im Sinne der Reformideen prägte"; vgl. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 314. 184 Vgl. 2 Kön 23,4: ^on In der vorexilischen Zeit war dies ein bedeutendes Amt in der Tempelhierarchie; vgl. DE VAUX, Institutions II, 242, sowie 2 Kön 12,10; 22,4; 25,18 u. ö. 185 Vgl. 2 Kön 22,14.
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gen.186 Die Bedeutung des Königs und seine Aufgaben blieben von diesen Entwicklungen unberührt. König Josia war die treibende Kraft hinter der Kultreform. Macht und Funktion des Königs wurden zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt; ohne den König wäre die Reform völlig undenkbar gewesen. Die Trägergruppen der Reform und der König arbeiteten bei ihrer Durchsetzung zusammen; 187 Dtn 17,14-20 ist nicht Teil des vorexilischen dtn Reformgesetzes.188 Überhaupt setzt sich das dtn Reformgesetz mit dem Königtum nicht auseinander; vielmehr reformiert es die dem König untergeordneten staatlichen und kultischen Institutionen. Im dtn Reformgesetz „werden . . . unter dem Gesichtspunkt der Kultzentralisation Fest-, Gerichts- und Rechtsordnung neu geordnet"; 189 das Königtum wird überhaupt nicht thematisiert. Selbst wenn die Trägerkreise der dtn Reform die Befugnisse des Königs hätten einschränken wollen, wären sie dabei auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen: Bei der Durchfuhrung der Reform waren beide Seiten — hier der König, dort die Führungseliten - aufeinander angewiesen. Eine fundamentale Einschränkung königlicher Machtbefugnisse und eine latent königskritische Sicht der Dinge wie die von dem dtr Abschnitt 17,14-20 propagierte waren in den Jahren der Reform und auch danach, bis zum Ende der Monarchie, undenkbar. Die Texte weisen keinerlei Anzeichen für etwaige Konflikte zwischen den Trägergruppen der dtn Reform und Josia auf. Hier bestätigen sich die von Dutcher-Walls herangezogenen Beobachtungen Lenskis 190 und Carneys.191 Dutcher-Walls faßt eine wichtige Feststellung des letzteren folgendermaßen zusammen: „ . . . Carney points out that the politics of an aristocratic state dictate that officials can get nowhere by themselves against the king. To accrue power, they cannot act alone in such a complex situation. Rather, two things are necessary - the formation of coalitions and the loyalty of subordinates . . . . Power blocks can develop within a bureau186 YGI hierzu DUTCHER-WALLS, Location, 85, wo die Mitarbeiter bei der Reform aufgezählt werden. 187
Vgl. 2 Kön 23,4 sowie 2 Kön 22,12-14. Auch die aus den ikonographischen Quellen erhebbare Stoßrichtung der Reform läßt darauf schließen, daß der König und die Trägerkreise der Reform dasselbe Ziel verfolgten. So läßt z.B. die Motivik der gut dreihundert heute bekannten Bullen aus dem Juda des siebten und sechsten Jahrhunderts den Schluß zu, daß ,,[i]n der literarisch dokumentierten joschijanischen Reform und der frühdeuteronomistischen Bewegung einerseits bzw. im Hervortreten der reinen Namenssiegel und der damit verbundenen Meidung der Darstellung von Gottheiten und Astralsymbolen auf Namenssiegeln der Jerusalemer Eliten bzw. den damit gestempelten Bullen anderseits . . . aber doch zweifellos ähnliche Wertvorstellungen zum Zuge [kommen]" (KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 412). 188 Vgl. die Rekonstruktion des vorexilischen dtn Reformgesetzes in OTTO, Ethik, 178 und DERS., Deuteronomium, 236-364 sowie oben, Kap. 3.2. 189 OTTO, Ethik, 179; vgl. a.a.O., 178. 190 Vgl. z.B. LENSKI, Macht. 191 Vgl. z.B. CARNEY, Bureaucracy; DERS., Economies und DERS., Shape.
Die Stärkung des Jerusalemer
Priestertums
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cratic department, and those that successiully wielded influence have a related clientele among the landed gentry and a coalition group in the inner court". 192 Diese an griechischen und römischen Beispielen gewonnene Einsicht läßt sich durchaus auf die Situation unter Josia und seinen Nachfolgern anwenden, allerdings, wie schon von Dutcher-Walls angemahnt,193 unter gebührender Berücksichtigung der Bedeutung von Priestertum und Tempel im allgemeinen und der Jerusalemer Priesterschaft und des Zentralheiligtums im besonderen sowie der geographisch-politischen Situation Judas, die - anders als in größeren Flächenstaaten - nicht zur Formierung einer extensiven Bürokratie führte. Vor diesem Hintergrund nun wird besonders deutlich, warum die Jerusalemer Priesterschaft unter den Trägern der dtn Reform besonderes Gewicht hatte. Die Priester hatten einerseits beste Kontakte zur „landed gentry", d.h. zur Schicht der (Groß-)Grundbesitzer, 194 und verfügten andererseits über eine „coalition group" bei Hofe, nämlich die Schreiber, mit denen sie schon aus professionellen Gründen eng zusammenarbeiten mußten. Die Ausgangsposition für die Jerusalemer Tempelpriesterschaft war also hervorragend, als sich unter Josia die Chance bot, weitgreifende Reformen anstoßen und durchführen zu können. Der Eindruck, den wir bereits aufgrund unserer Durchsicht des dtn Reformgesetzes gewannen, hat sich damit bestätigt: War dort schon auffällig, welchen Raum kultische Bestimmungen einnehmen, so weisen auch einige grundsätzliche Beobachtungen zur Soziologie der Macht in antiken Gesellschaften darauf hin, daß die Jerusalemer Priesterschaft die einflußreichste Gruppe im Kreis der Befürworter der josianischen Reform war. Wie sie ihren Einfluß umsetzte, werden wir in den folgenden Abschnitten nachzuzeichnen versuchen.
3.4 Die Stärkung des Jerusalemer Priestertums als ein Ergebnis der josianischen Reform und als Grundlage der weiteren Entwicklung Die Priesterschaft des Jerusalemer Tempels ging gestärkt aus der josianischen Reform und der ihr folgenden Neuordnung Judas und Jerusalems hervor. 195 Diese Neuordnung wurde gefordert und verbindlich vorgegeben durch das vorexilisch-dtn Reformgesetz, das die Ansätze der josianischen Reform wei192
D u t c h e r - W a l l s , Social Location, 84. Vgl. ebd. 194 Viele Priester waren selbst (Groß-)Grundbesitzer, vgl. unten, Kap. 6.2, und müssen schon deswegen beste Beziehungen zum jHKlTDB, der grundbesitzenden aristokratischen Führungsschicht im vorexilischen Juda, unterhalten haben; zum f l K r r o s ; vgl. z.B. N i e m a n n , Herrschaft, 53-56. 195 Ygi u n s e r e Fragestellung, oben, Kap. 3.3. 193
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Priester und Leviten bis zum Ende des Exils
terfuhrt und systematisiert,196 indem es das Bundesbuch und das Konzept der neuassyrischen Vasallenverträge aufnimmt und neu interpretiert.197 Das Reformgesetz entstand zwischen 622 v. Chr. und 587/6 v.Chr.198 Es wäre ohne die vorausgegangene josianische Kultreform nicht denkbar gewesen: „Der hermeneutische Schlüssel der Kultzentralisation in der Auslegung des Bundesbuches im deuteronomisch-vordeuteronomistischen Deuteronomium setzt die josianische Opferzentralisation voraus. Andererseits ist das deuteronomische Reformgesetz den deuteronomistischen Bearbeitungen, die das Reformgesetz zu einem Verfassungsentwurf für das Neue Israel nach dem Exil fortschreiben, vorgegeben." 199 Von dem in der josianischen Reform angegangenen und im dtn Reformgesetz geforderten und propagierten Umbau der Gesellschaft profitierten alle Trägergruppen der dtn Reform, 200 ganz besonders aber die Jerusalemer Tempelpriester. Die potentielle Konkurrenz durch die neuassyrisch geprägten Astralkulte war ausgeschaltet. 201 Die Priester der assyrischen Astralgottheiten, die D1"iD3, dürften den JHWH-Priestern in Juda und Jerusalem, besonders aber den auf Kultreinigung und -Zentralisierung bedachten und dem König nahestehenden Jerusalemer Priestern, schon seit längerem ein Dorn im Auge gewesen sein: Die Verquickung von Religion und Politik 202 bedeutete ja nicht
196 Ygj z u diesem Problem bes. OTTO, Treueid, 47-52. Der Grundtext der josianischen Kultreform war die Neuinterpretation des neuassyrischen Loyalitätseides, die uns heute in Dtn 13,2-10*; 28,15*.20-44* vorliegt; nur in dieser Hinsicht kann also von einem „Urdeuteronomium" die Rede sein, vgl. OTTO, Treueid, 47 sowie DERS., Deuteronomium, 75. Vgl. zu diesem auch LEVINSON, Deuteronomy, 144-157. 197 y g j b e s OTTO, Bundesbuch, passim. 198
Vgl. OTTO, Treueid, 51. Ebd. 200 Die Position der Jerusalemer Schreiber wurde gefestigt, weil ihr Einfluß durch die Zentralisation des Kultes und mancher Segmente der Gerichtsbarkeit wuchs; sie überblickten nun einen weitaus größeren Teil des Kult- und Justizapparates der judäischen Monarchie. Das Tempelpersonal, so z.B. die >]On 'HOT, gewann natürlich durch die Kultzentralisation ebenfalls an Bedeutung. Das gleiche gilt für Propheten, die dem Jerusalemer Heiligtum verbunden waren; vgl. das Beispiel Huldas. Die grundbesitzenden Schichten, also besonders der •pttiTDB, profitierten von der Stärkung der Zentralgewalt, die für sie größere Rechtssicherheit und besseren militärischen Schutz ihres Besitzes gegen potentielle Aggressoren boten. 201 Vgl. oben, Anm. 168. 202 Vgl. hierzu z.B. SPIECKERMANN, Juda, 267: „Die Reinheit der Jahweverehrung hatte unter den politischen und religiösen Bedingungen im 7. Jh. die nationale Unabhängigkeit zur notwendigen Voraussetzung. Nur dadurch war sowohl der erzwungene als auch tolerierte Einfluß fremder Religionen - allen voran der neuassyrischen - wirksam zu verhindern. Deshalb wird die josianische Reform auch den öffentlichen Bruch des Vasallitätsverhältnisses gegenüber Assur impliziert haben - um 621/20 ein angesichts des Zerfalls der neuassyrischen Weltmacht ohnehin unbedenklicher Schritt." 199
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zuletzt auch, daß die judäischen Anhänger 203 der assyrischen Kulte den assyrischen Herrschaftsanspruch zumindest passiv legitimierten und damit Juda, Jerusalem, die davidische Monarchie und den JHWH-Kult in Frage stellten. Diesen Tendenzen zu begegnen, war im Interesse der Jerusalemer Führungseliten, besonders aber des Königs und der Priester. Sowohl der Monarch als auch die Priester traten der Herausforderung entgegen, was durch den Niedergang der neuassyrischen Macht erleichtert, ja wahrscheinlich überhaupt erst ermöglicht wurde. Während manche Jerusalemer Bullen 204 und andere ikonographische Quellen205 auf eine „gewisse Faszination durch die assyrische Großmacht und wohl auch die Anpassung der judäischen Herrschafitsikonographie an deren Image" 206 hinweisen, ist es doch „besonders bemerkenswert, daß sich das judäische Königtum in solchen Selbstdarstellungen offenbar problemlos an der politisch-militärischen Symbolwelt der Assyrer orientieren konnte, ohne gleichzeitig auch die religiösen Symbole der Weltmacht rezipieren zu müssen". 207 Hier zeigt sich die Vorsicht gegenüber Fremdkulten, die die Jerusalemer Führungseliten der von Josia bis Zedekia reichenden Ära auszeichnete. 208 Es scheinen sich in der Tat die „Konturen einer neuen Orthodoxie" 209 abzuzeichnen, und zwar einer Orthodoxie, für deren Ausformung ganz wesentlich die Jerusalemer Priesterschaft verantwortlich gewesen sein dürfte. Dafür spricht nicht nur das offensichtliche Interesse der Jerusalemer Priester an einer innerhalb des judäischen Staates konkurrenzlosen Stellung, die nur durch die Abschaffung der Astralkulte und des AscheraKultes und schließlich durch die Zentralisation des JHWH-Kultes zu erreichen war. Die Priester des Jerusalemer Heiligtums erfreuten sich dabei einer 203 Die ikonographische Bezeugung von Astralsymbolen in Palästina während der EZ HC spricht für eine breite Rezeption astraler Vorstellungen in Juda; vgl. KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 361: „Die importierte aramäische und die lokal produzierte Glyptik belegen auf unterschiedliche Weise sehr deutlich, wie stark das religiöse Symbolsystem Palästinas in der EZ IIC astral geprägt war. Darin liegt zweifellos das herausragende Merkmal der Periode. Im Vergleich zur vorausgehenden Epoche ist aber nicht nur der Wechsel von der solaren zur astralen Symbolik hervorzuheben, sondern auch die Tatsache, daß die Astralisierungstendenzen im Nebeneinander von astraler, emblematischer und anthropomorpher Darstellung des Mondgottes als des ,Höchsten Gottes' j e verschiedenen Ausdruck finden konnten." 204 Vgl. KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 411, Abb. 346, eine von dreizehn Bullen, die „einigermaßen substantielle ikonographische Motive" (a.a.O., 409) aufweisen und zu den insgesamt 255 Bullen des „Burnt Archive" gehören. 205 YGI ¿¡G ¡ N KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 409 erwähnten, von assyrischem Einfluß geprägten reliefierten Kalksteinfragmente und Ritzzeichnungen und dazu MITTMANN, Inscription, 30f.35-38. 206
207
KEEL u n d UEHLINGER, G ö t t i n n e n , 4 0 9 .
KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 409f. 208 Vgl. KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 406-429. 209 KEEL u n d UEHLINGER, Göttinnen, 406, vgl. a.a.O., 406-429.465-467 sowie SMITH, Parties, 11-42.
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ihnen günstigen Gesamttendenz in der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Judas, 210 deren Begleiterscheinung eine zunehmende Bürokratisierung211 und Rationalisierung des Staatsapparates war, von der auch die Durchführung und Gestaltung des Kultes nicht unberührt bleiben konnten. Diese Entwicklungen begünstigten nun aber nicht das jahwistische Landpriestertum, die Land-„Leviten", sondern jene Priesterschaft, die als einzige in Juda hinsichtlich ihrer politisch-gesellschaftlichen Situation, ihrer religiösen Vorstellungen und ihrer Interessen unauflöslich mit dem Herrscher und den Führungseliten des Landes verbunden war: die Jerusalemer Zadokiden, die sich nun in Anlehnung an die Traditionen der Landpriester als „levitische" Priester bezeichneten und ihren Priesterkollegen aus anderen Heiligtümern auf diese Weise zumindest eine nominelle Gleichstellung und damit die Integration in das neue kultische und gesellschaftliche Gefüge zu ermöglichen versuchten. Zugleich wurden die Zadokiden nunmehr durch die genealogische Fiktion einer Zugehörigkeit zu den „Leviten" im Rahmen des althergebrachten israelitischen Priestertums legitimiert und erhielten das faktische Monopol auf priesterliche Tätigkeit in Juda und Jerusalem, das sie lediglich mit solchen ehemaligen Landpriestern zu teilen hatten, die tatsächlich am Jerusalemer Heiligtum Priesterdienste ausüben wollten (vgl. Dtn 18,1-8*). Für das kleine Zugeständnis an die ehemaligen Landpriester hatten sich die Zadokiden die Schlüsselstellung im kultischen Leben Judas erworben. 212 Doch dies war nicht das einzige Gebiet, auf dem die Jerusalemer Priester Fortschritte zu verzeichnen hatten. Auch im Rechtsleben bekleideten sie nun eine Schlüsselstellung, wie aus Dtn 16,8f.*, Dtn 17,2-7*.8-13* und Dtn 18,18* hervorgeht: Hier „wird die institutionelle Bindung des Rechts an die Priesterschaft des Zentralheiligtums deutlich". 213 Diese Bindung wurde aber so institutionalisiert, daß das Zentralgericht nicht überlastet wurde, da nur die problematischen Fälle von der Ortsgerichtbarkeit an das Jerusalemer Gericht überwiesen wurden. 214 So hatte die Priesterschaft des Zentralheiligtums sich neue Kompetenzen erworben, ohne sich damit hoffnungslos zu überlasten: Das Zentralgericht stand unter der Oberaufsicht der nunmehr „levitischen" Zadokiden. 215 210 211
Vgl. ALBERTZ, Religionsgeschichte, 304-373. Vgl. hierzu z.B. BLENKINSOPP, Deuteronomy, passim und WEBER, Wirtschaft, 551-
579. 212
Vgl. oben, Kap. 3.2. OTTO, Rechtsbruch, 39. 214 Vgl. oben, Anm. 163. 215 Vgl. Dtn 17,2-7* und dazu OTTO, Rechtsbruch, 39 sowie a.a.O., 43, zu Dtn 24,8f. im Zusammenhang von Dtn 24,6-25,4: „Dieser Einschub bindet die materiale Rechtsordnung zurück an die von DtrD aus der dtn Gerichtsordnung entwickelte Ämterverfassung. Die kultische Weisung der levitischen Priester wird in wörtlichem Anklang an Dtn 17,11 den strafrechtlichen Bestimmungen gleichgestellt. Mit dem Einschub des Kultbescheids in den Kon213
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Priestertums
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Eine weitere große Leistung - die dauerhafteste und von weltgeschichtlicher Bedeutung - des Jerusalemer Priestertums war die Formulierung eines neuen Konzepts von Heiligkeit, die Ausarbeitung einer „Heiligkeitstheologie", die ältere priesterliche Vorstellungen umformte und auf das Land Israel und sein Volk bezog. 216 Wir können hier auf diese Fragen nicht näher eingehen, da nicht die priesterliche Theologie unser Thema ist, sondern die Priesterschaft in ihrer institutions- und sozialgeschichtlichen Entwicklung. Es ist allerdings auch in dieser Hinsicht von eminenter Bedeutung, daß die Jerusalemer Priesterschaft der spätvorexilischen Zeit die Grundlagen legte für eine geistige und geistliche Erneuerung des judäischen Volkes und seiner Führungseliten. Die Grundlage dieser Erneuerung war die deuteronomische Zentralisationsformel, mittels derer „eine Vorstellung vom Wohnen Jahwes im Tempel weder ausgeschlossen noch bekämpft" wird; „mit ihrer Hilfe wird vielmehr der in seinem ,Namen' an der erwählten Stätte gegenwärtige Gott vollmächtig proklamiert". 217 Hierin war schon angelegt, was die deuteronomistische und spätdeuteronomistische Tempeltheologie dann entfalten sollte.218 Eine gegenüber der vorexilischen Zeit verwandelte und neu gefaßte Schekina-Theologie entstand, die die Katastrophe des Exils zu bewältigen half. 219 Damit wurde die geistliche und gesellschaftliche Kontinuität des judäischen Volkes durch das Exil hindurch gesichert, und zwar sowohl im Mutterland als auch in Babylonien. Indem die priesterlichen Kreise Jerusalems erst in Jerusalem, dann im Exil an der Um- und Ausgestaltung der Schekina-Theologie arbeiteten, ermöglichten sie die geistige und geistliche Bewältigung der nationalen Krise, die in den Ereignissen von 587 kulminierte und „vielleicht als die Herausforderung des Jahweglaubens bezeichnet werden" kann.220 Die Umformung der Schekina-Theologie ermöglichte Kontinuität im Wandel und damit die Wahrung der Identität des JHWH-Glaubens und des Volkes, das in ihm seine Mitte fand. Von zentraler Bedeutung für die Wahrung der Identität im Wandel der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse war die an den religiösen Überlieferungen orientierte juristische Hermeneutik 221 der Jerusalemer Priestertext des Strafrechts konnte die Parallelisierung von Kultbescheid und Strafrecht und damit die Kompetenz der Priester auch fur den Bereich des Strafrechts unterstrichen werden." 216 Vgl. OTTO, Rechtsbruch, 38. 217 JANOWSKI, Mitte, 175. 218 Vgl. JANOWSKI, Mitte, 173-180. 219 Vgl. JANOWSKI, Mitte, 189f. 220 Vgl. JANOWSKI, Mitte, 186. Vgl. hierzu die Ausfuhrungen Janowskis in DERS., Mitte, 165-167. 221 Vgl. LEVINSON, Deuteronomy, 144-157: „The Revisionary Hermeneutics of Deuteronomy", bes. 147: „Why, in other words, does Deuteronomy exist at all? The answer in large measure, of course, is that the transformation of Israelite law and religion called for by Deuteronomy was so profound that simply embedding new material in a preexisting text could
120
Priester und Leviten bis zum Ende des Exils
schaft, die in der Umformung der Inhalte des Bundesbuches in das Werk der dtn Reformgesetzgebung ihren ersten Höhepunkt erreichte. Hier liegen die Anfänge der Schriftauslegung, 222 und hier zeigen sich auch bereits die Bedeutung und das Ingenium der israelitisch-jüdischen Auseinandersetzung mit den schriftlichen Monumenten der eigenen Tradition. Aus diesem ständigen Umgang und der lebendigen Auseinandersetzung der Priester mit den rechtlichen Traditionen Israels und Judas erwächst nicht nur eine innige Kenntnis der Überlieferung, sondern auch die Kraft zur Weiterentwicklung und Umformung eben dieser Überlieferung. Zugleich fällt auf, daß diese Umformung faktisch die Aufhebung früherer Rechtssätze bedeuten kann, trotzdem oder gerade deshalb aber als exegetisch abgesicherte und legitime Fortfuhrung präsentiert wird. 223 Hier wird das intellektuelle Potential der Jerusalemer Priesterschaft deutlich, die es auf diese Weise vermochte, in einer Zeit der religiösen, politischen und gesellschaftlichen Krise den Wandel juristisch und theologisch zu bewältigen und die Institutionen den neuen Verhältnissen behutsam - und, wo nötig, auch weniger behutsam - anzugleichen und sogar bei radikalen Eingriffen so zu agieren und zu argumentieren, daß die Umwälzungen aus der Tradition heraus legitimiert wurden, um die konservativen
not accomplish the necessary changes. Something much more systematic was necessary, because the gap between old text and new need was too great to be spanned by mere ad hoc interpolations. The familiar social world had been irrevocably altered." 222 Yg[ z u diesem Thema z.B. HENGEL, Schriftauslegung, passim. Obwohl er sich auf die Zusammenhänge von Schriftauslegung und Schriftwerdung in der achämenidischen und hellenistischen Zeit konzentriert, spricht er doch die Tatsache an, daß die Anfänge der Schriftauslegung in der vorexilischen Zeit zu suchen sind und in der Achämenidenzeit und im Frühhellenismus zur Vollendung kam, was schon in der spätvorexilischen und exilischen Zeit angelegt war: „Entgegen der seit Wellhausen verbreiteten Anschauung, daß die nachexilische Zeit mehr und mehr zu einer Epoche der allmählichen gesetzlichen Erstarrung und des religiösen Niedergangs wurde, muß man betonen, daß die Mehrzahl der großen theologischen Entwürfe im alten Israel, die durch die assyrische und neubabylonische Bedrohung und dann wieder durch die schwere Krise des Exils angeregt worden waren, gerade in persischer und frühhellenistischer Zeit vollends ausreiften und ihre letztgültige, die Jahrtausende überdauernde schriftliche Fassung fanden" (HENGEL, Schriftauslegung, 16). Einer dieser großen theologischen Entwürfe, das Deuteronomistische Geschichtswerk, hat seinen Ursprung in der geistigen Auseinandersetzung des Jerusalemer Priestertums mit den Gesetzestraditionen Israels, die seit der Regierungszeit Josias stattfand und deren erste Frucht das dtn Reformgesetz war. Damit ist auch die berühmte These Wellhausens beträchtlich relativiert: Es wird immer deutlicher, daß die Beschäftigung mit „dem" Gesetz, d. h. mit rechtlichen Problemen und deren Lösung, für das religiöse und soziale Leben schon im vorexilischen Juda von eminenter Bedeutung war und Prophetie und Priestertum in der vorexilischen Zeit in einer lebendigen, schöpferischen Wechselbeziehung zueinander stehen konnt e n ; v g l . h i e r z u z . B . LEVINSON, D e u t e r o n o m y , 1 4 4 - 1 5 7 . 223 Dies hat Levinson deutlich herausgearbeitet; vgl. z.B. DERS., Deuteronomy, 46-48 zur exegetischen Technik der dtn Autoren.
Die Stärkung des Jerusalemer
Priestertums
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Schichten der Bevölkerung, z.B. den ]Hxn"Dl? der vorexilischen Zeit, in den Wandel zu integrieren und die Gesellschaft vor dem Zerbrechen zu bewahren. Dies bis zum Ende der judäischen Monarchie geschafft zu haben, ist zuallererst das Verdienst des Jerusalemer Priestertums. Es leistete einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Krise der spätvorexilischen Zeit. Doch auch das Scheitern Judas im Angesicht der neubabylonischen Bedrohung und das Ende der Staatlichkeit machten diesen Beitrag nicht obsolet. Vielmehr bildete er die Grundlage der geistigen und geistlichen Neuorientierung im Exil und des Aufbaus Judas nach dem Ende der neubabylonischen Herrschaft. Mit diesem Dienst, den es der gesamten judäischen Gesellschaft in der Zeit von Josia bis Zedekia tat, festigte das Jerusalemer Priestertum seine eigene Position. Die Jerusalemer Priester legten die Grundlagen für die beherrschende Stellung des Priestertums in der nachexilischen Zeit. Dabei kam ihnen in der Krisensituation des Exils zugute, daß sie als einzige der Führungseliten Judas die Substanz ihrer Macht nicht völlig verloren hatten: War ihnen auch die Verrichtung des Tempeldienstes unmöglich und das Einkommen entzogen, so konnten sie doch ihr Priesterwissen, ihre Schrifthermeneutik und ihre exegetischen Techniken ins Exil mitnehmen. Während dem fnKiTDB durch den Verlust seines Grundbesitzes die Existenzgrundlage und der Wirkungskreis genommen waren, konnten sich die Priester weiterhin mit den Traditionen Israels und Judas auseinandersetzen, sie kritisch und innovativ fortentwickeln und ihnen gleichsam ihr Siegel aufprägen, m.a.W.: die Überlieferungen Israels und Judas im priesterlichen Sinne um- und neugestalten. Schon vor dem Ende der Staatlichkeit Judas hatten der Jerusalemer Tempel und seine Priesterschaft offenbar eine religiöse und kulturelle Vorrangstellung inne, wie aus den ikonographischen Quellen jener Zeit zu schließen ist: Kultische, auf den Jerusalemer Tempel bezogene Motive spielen eine große Rolle bei der Herstellung von Stempelsiegeln in der Zeit nach Josia.224 Zu den Motiven, die auf den bedeutenden religiös-kulturellen Einfluß des Tempels (und damit der Priesterschaft) schließen lassen, gehören auch die „Darstellungen von stilisierten Pfeilern mit Kapitellen, wie sie überhaupt nur auf judäischen Bullen belegt sind".225 Auch diese Tatsache stützt die Schlußfolgerung Keels und Uehlingers: „Die Ornamentik der postjosianischen Siegelproduktion hat sich offenbar bevorzugt am Tempel orientiert." 226 Die ikonographischen Quellen bestätigen also den Eindruck, den wir 224
KEEL u n d UEHLINGER, G ö t t i n n e n , 4 1 3 , m i t V e r w e i s a u f L e v 2 3 , 4 0 u n d N e h
8,15.
Vgl. auch ARTZY, Scepters, 48-51 und SCHROER, Bilder, 55-57.60. Granatäpfel, Lotusknospen und -blüten sowie palmblattartige Verzierungen auf Bullen und Namenssiegeln spielen eine besondere Rolle, vgl. KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 413: „Die beschränkte Auswahl der Pflanzenornamente auf den judäischen Namenssiegeln und Bullen der ausgehenden EZ HC dürfte mindestens teilweise durch Tempel und Kult bedingt sein." 225
KEEL u n d UEHLINGER, G ö t t i n n e n , 4 1 3 .
226
Ebd.
122
Priester und Leviten bis zum Ende des Exils
aus der dtn-dtr Literatur gewinnen: In der josianischen Zeit begann eine Bewegung der judäischen Führungseliten, sich den Einflüssen der Fremdkulte zu entziehen, sich auf den - von Fremdkulten gereinigten 227 - Jerusalemer Tempel zu konzentrieren und eine offizielle, staatlich geförderte, „puristische" Form der JHWH-Religion zu pflegen. Die „Konturen einer neuen Orthodoxie" 228 zeichneten sich ab,229 und die Perser sollten ihre wichtigsten Förderer werden.
3.5 Die Neuorientierung des Priestertums gemäß der Ezechiel-Schule Im Ezechielbuch setzt sich die nicht eigentlich von den Deuteronomikern, sondern von der Handlungsweise der Zadokiden angestoßene Entwicklung fort; die „Leviten" - wie im Ezechielbuch alle nicht-zadokidischen ehemaligen JHWH-Priester heißen - werden endgültig zu Priestern zweiter Klasse, ja zu Dienern der Priester degradiert. Diese Herabsetzung der Leviten wird in Ez 44,10-14 durch die Behauptung begründet, sie hätten JHWH verlassen, „als Israel abirrte" (44,10). (Dies könnte auf kultische Tätigkeit mancher Leviten am zerstörten Jerusalemer Tempel während der Exilszeit hindeuten.) 230 Deshalb dürfen sie laut dieser Passage in Ezechiels „Verfassungsentwurf' überhaupt nur noch als Torwächter (rran "Hl?^"1?« rrnps nrrnttii?) und Tempeldiener (rparrnx D'rnuim) fungieren sowie die Opfertiere schlachten und dem „Volk" dienen. Die Degradierung der Leviten - denn das Torwächteramt hat bei Ezechiel nicht mehr den hohen Rang, den man noch zur Zeit Josias damit assoziierte231 - erscheint als eine gewissermaßen selbstverständliche Folge der Unterstützung, die die Leviten angeblich dem „Volk" (DU) bei seinen „Götzendiensten" (Dn,i7ii73) hatten zuteil werden lassen. Auch dies weist darauf hin, daß es sich bei Ezechiels Leviten um ehemalige jahwistische Höhenpriester handelt. Das Verbot, weiterhin als Priester im Vollsinn des Wor227
Vgl. 2 Kön 23,4.6f. und dazu KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 412. KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 406 sowie oben, Anm. 209. 229 VGL KEEL und UEHLINGER, Göttinnen, 414: „Wo die ammonitische oder moabitische Glyptik des 7./6. Jhs. nach wie vor bildhafte Darstellungen bietet, die in solaren oder lunaren Kategorien eine göttliche Größe evozieren, da finden sich auf den Jerusalemer Bullen der ausgehenden EZ HC nur noch unbelebtes Tempeldekor und mehr oder weniger formale Repräsentationen der Siegelbesitzer und -besitzerinnen. Der Bruch mit der unmittelbar vorangehenden ,kanaanäischen' Renaissance in Juda ebenso wie mit der solaren Religiosität ägyptisch-phönizischer oder der astralen Religiosität assyrisch-aramäischer Inspiration könnte kaum deutlicher zum Ausdruck gebracht werden." 228
230
Vgl. unten, Kap. 5. In Ez wird das Torwächteramt in einem Atemzug mit anderen untergeordneten Tätigkeiten genannt; vgl. Ez 44,11. 231
Die Neuorientierung des Priestertums
123
tes Dienst zu tun, wird als die direkte Folge der vermeintlichen Untaten der Leviten dargestellt (Ez 44,13): ••'tínpn 'tthj?"1?« 'líhj?-1«-1?» nráSi 'b in?1? •'SN n&r-x1?! wu i m oniainrn a n a b s ixiw] Nun verwundert es, daß mit den Leviten so harsch ins Gericht gegangen wird, da doch auch die Jerusalemer Priester sich nicht immer durch Treue zu JHWH ausgezeichnet haben. Hier zeigt sich, daß Ezechiels Verfassungsentwurf die Rivalität zwischen den „Leviten", d.h. den ehemaligen Landpriestern, und den „levitischen Priestern, den Söhnen Zadoks", d.h. den Jerusalemer Tempelpriestern, widerspiegelt. In den Texten der Zadokidenschicht in Ez 40-48 werden die „Leviten" als Repräsentanten des Höhenkultes gesehen, der als rnmn verstanden wird. Entweder waren die hinter diesen Aussagen stehenden Autoren - vermutlich exilierte Zadokiden - tatsächlich davon überzeugt, daß JHWH-Kult außerhalb Jerusalems eo ipso niemals reiner JHWH-Dienst sein konnte und darum zu verurteilen war, oder sie machten sich eine antilevitische Stimmung zunutze, um sich selbst, nämlich den zadokidischen Priestern (vgl. Ez 1,3), im neu zu errichtenden Tempel endgültig die Vorrangstellung zu sichern. Aber die in Ez 44,6-16 vollzogene endgültige Trennung zwischen (zadokidischen) „Priestern" und (nicht-zadokidischen) „Leviten" wird in anderen, früheren Teilen des Verfassungsentwurfes noch nicht mit derselben Schärfe propagiert. Die das Priestertum auf die Zadokiden beschränkenden Abschnitte sind mit H. Gese einer „Sadoqidenschicht" zuzuweisen, die erst relativ spät in Ez 40-48 eingearbeitet wurde und „sich verschiedenen anderen Stücken in Ez 40-48 gegenüber als sekundär erweist".232 Mittels einer Analyse der Zadokidenschicht (44,6-16 [28-30a] mit 44,17ff. und 45,13-15) 233 und anderer, ihr angeglichener Stellen aber lassen sich verschiedene Entwicklungsstufen des „ezechielischen" Priestertumsverständnisses aufweisen. 234 Ez 40,45-46a kennt zwar zwei Klassen priesterlichen Dienstes, die „Priester, die im Tempel dienen" (rran r n n r ó noáf D^rp) und die „Priester, die am Altar 232 GESE, Verfassungsentwurf, 67. Vgl. ebd.: „Die in 44, 6ff vorausgesetzte Scheidung von Leviten und Priestern wird in 40, 45-46a nicht erwähnt; vielleicht ist sie dort noch nicht vorauszusetzen. Diese Scheidung ist in dem Landverteilungsplan c 48 klar vollzogen, jedoch wird die Priesterschaft noch nicht auf die Sadoqiden beschränkt; es bleibt unbestimmt, wer Levit und wer Priester ist. Erst 44, 6ff fuhrt die Bestimmung ein, daß nur die Sadoqiden Priester sein dürfen. Diese Bestimmung wird in 48, 11 nachgetragen. Der sekundäre Landverteilungsplan 45, l - 8 a und das Stück 46, 19-24 setzen dagegen beide die Existenz von 44, 6ff voraus. 48, 11 entsprechende Glossen, die nachträglich die Priesterschaft auf die Sadoqiden beschränken, finden wir in 4 0 , 4 6 b und 43,19." 233 234
Vgl. GESE, Verfassungsentwurf, Vgl. Anm. 232.
67.111.
124
Priester und Leviten bis zum Ende des Exils
dienen" (narrpn rnntfn 1"ia«f rrnBOTin I, Jerusalem 1949, 275 und MAZAR, Tobiads, 143. Die Nehemia-Denkschrift versucht den Eindruck zu vermitteln, Tobia sei Ammoniter von Herkunft', das ^vaun in Neh 2,19 scheint die Abstammung und nicht den Wohnort
Priester und Leviten von 445 bis ca. 400 v.Chr.
239
Gründen bot es sich an, mit Tobia zu kooperieren, da er der persische Statthalter in Ammon war und auch seine wirtschaftlichen Interessen denen der judäischen Oberschicht glichen.39 All diese Beobachtungen unterstützen Mazars Theorie: „It is probable, therefore, that Tobiah was not only a ruler in his own country and a .great man' in Jerusalem but also the head of the party supporting the Zadokite high priest." 40 Er führte damit eine Tradition weiter, die auf jenen Tobia (Sach 6,9-15) zurückging, der wahrscheinlich der Großvater41 des zur Zeit Nehemias aktiven Tobia war und in den Tagen Darius' I. zu den wichtigsten Parteigängern des zadokidischen Hohenpriesters gehörte.42 Die Priester im Jerusalem Nehemias paktierten also mit Tobia, der zugleich Sanballat und Geschem in einer Allianz verbunden war (Neh 2,19; 6,14). In der Darstellung der Kontakte zwischen den judäischen Aristokraten und Tobia durch Nehemia treten Sanballat und Geschem hinter Tobia zurück, der die eigentliche Schlüsselfigur der Kooperation zwischen der Jerusalemer Oberschicht (Priester und • , "in) einerseits und der Allianz der nichtjudäischen Provinzstatthalter Tobia (Ammon), Sanballat (Samaria) 43 und Geschem bzw.
bezeichnen zu wollen; vgl. ESKENAZI, Tobiah, 584. Hier zeigt sich Nehemias polemische Tendenz; er versucht, sowohl Tobia als auch Sanballat als Nichtjuden und damit als vertrauensunwürdig darzustellen. Nun trägt aber Tobia („JHWH ist gut") ebenso wie sein Sohn Jehonan („JHWH ist gütig"; Neh 6,18) einen jüdischen Namen, und auch die verwandtschaftlichen Beziehungen zu Eljaschib unterstützen Klausners und Mazars These (vgl. ESKENAZI, Tobiah, 584). Ähnliches gilt für Sanballat; auch er war höchstwahrscheinlich jüdischen Glaubens, wie die jahwistischen Namen seiner Söhne Delaja und Scheiemaja (vgl. AP 30,29) zeigen. Auch Sanballat wird von Nehemia polemisch dargestellt. Die Bezeichnung „Horoniter" (Neh 2,19) dient dazu, Sanballat als Nichtjuden zu porträtieren und damit unglaubwürdig erscheinen zu lassen; Nehemia arbeitete hier mit derselben Technik wie im Falle Tobias. Der Begriff „Horoniter" spielt auf das moabitische Horonaim an (vgl. KELLERMANN, Nehemia, 167), zeichnet Sanballat damit als Moabiter und stellt ihn also ebenso wie den „Ammoniter" Tobia als Person dar, die laut Dtn 23,4 nicht zur miT bnp zuzulassen ist; vgl. hierzu WILLIAMSON, S a n b a l l a t , 9 7 3 . 39
Die Tobiaden waren Großgrundeigentümer, wie Mazar anhand der Lachisch-Briefe nachgewiesen hat; vgl. DERS., Tobiads, 233-235. Dies läßt darauf schließen, daß man die gleichen landwirtschaftlichen Interessen wie der judäische Adel hatte und an grenzüberschreitendem Handel interessiert war. Zu Tobia als dem „obersten persischen Beamten im Gebiet der Ammoniter" vgl. ALT, Nachbarn, 341. 40
MAZAR, T o b i a d s , 145.
41
V g l . MAZAR, T o b i a d s , 2 3 5 .
42
V g l . MAZAR, T o b i a d s , 2 2 9 .
43
Sanballat wird in den Elephantine-Papyri als '|,"U3ti nrtD bezeichnet (AP 30,29), und aus seiner Funktion im Erzählzusammenhang der Nehemia-Denkschrift wird deutlich, wie mächtig er ist; die Armee Samarias steht unter seinem Befehl (Neh 3,34). Daraus geht eindeutig hervor, daß er der Statthalter Samarias gewesen sein muß, auch wenn er in der Nehemia-Denkschrift niemals so genannt wird; wahrscheinlich handelt es sich dabei um ein weiteres Beispiel für die Strategie Nehemias.
240
Priester und Leviten unter Nehemia und Esra
Gaschmu 44 (Südpalästina) andererseits war.45 Das Ziel der Zusammenarbeit war die Aufrechterhaltung des status quo in der Provinz Jehud und damit die Sicherung der Stellung des Adels und der Priesterschaft im judäischen Machtgefuge selbst und in Beziehung zu den Statthaltern der benachbarten Provinzen. Eben jene Männer, die von Nehemia als Feinde Judas dargestellt werden, waren die vom persischen Großkönig selbst autorisierten Oberhäupter Samarias, Ammons und Südpalästinas. Mit der Ankunft Nehemias bekamen sie einen neuen Kollegen, doch nicht nur das: Der neue Statthalter war nicht zur herkömmlichen Kooperation bereit. Er hatte seine eigenen Vorstellungen von der Neuorganisation der Provinz Jehud, und er sah, daß diese Vorstellungen nicht mit Hilfe der Zadokiden und des Adels zu verwirklichen waren. Außerdem störte Nehemia das Gleichgewicht, das im Anschluß an den vergeblichen Versuch, die Jerusalemer Stadtmauer wiederzuerrichten, geschaffen worden war, als man den Statthalter Samarias als kommissarisches Oberhaupt Judas eingesetzt und dieser dem Tobia die damit verbundenen Verwaltungsaufgaben übertragen hatte.46 Die Jerusalemer Priester hatten sich mit Tobia in glänzendem Einvernehmen befunden. Mit der Einsetzung Nehemias als Statthalter in Jehud mußte sich Tobia gänzlich nach Ammon zurückziehen, und Sanballat verlor die ihm kommissarisch übertragene Oberhoheit über Jehud. Aus der Perspektive der Priester war Nehemia ein unerwünschter 44
Diese Form des Namens taucht in Neh 6,6 auf und dürfte die ursprüngliche sein; vgl. die Inschrift auf der Quaynu-Schale: zy qynw br gsm mlk qdr qrb Ihn 'It (DUMBRELL, Bowls, 36.42 [Anm. 36 und 37]). 45 Das gute Einvernehmen zwischen Persern und Qedariten ging auf die Zeit des Kambyses zurück (HERODOT, Historien, III 4). Ob man Gaschmu im strengen Sinne als n n s des südpalästinischen Bereichs bezeichnen kann, muß offen bleiben (vgl. WLNNETT, Study, 50f. sowie DUMBRELL, Bowls, 42 [Anm. 37] und 42f.). G. E. Wright meint, Gaschmu habe in Lachisch residiert; vgl. DERS., Lachish, 16. 46 Diese Theorie trägt WILLIAMSON, Sanballat, 974 vor (vgl. DERS., Governors, 59-82). Er bezeichnet sie als „attractive speculation" (ebd.), und tatsächlich läßt sich nur auf diese Weise erklären, daß einerseits die Provinz Jehud seit dem letzten Drittel des sechsten Jahrhunderts eine von Samaria unabhängige Provinz mit eigenem Statthalter war und andererseits Nehemia bei seiner Ankunft in Jerusalem keinen direkten Vorgänger im Amt antraf. Vgl. zu diesem Problem (und, damit verbunden, zur Frage der chronologischen Abfolge von Nehemia und Esra) H. H. Rowleys Lösung (DERS., Mission, 242): „Had there been an abortive attempt to rebuild the walls in the reign of Artaxerxes, only a very short time before Nehemiah's mission, the depression of Nehemiah on hearing of the condition of the city would be understood. But the probability that Ezra's work should be transferred to the reign of Artaxerxes II would be increased. Such an abortive attempt could scarcely be placed in the reign of Artaxerxes I prior to Ezra's mission, and if it had, and had yet been followed by the evidence of the king's favour in Ezra's mission, Nehemiah would not have felt so much apprehension in seeking the king's further favour. On the other hand, it is very difficult to suppose that this abortive attempt to rebuild the walls had taken place after Ezra's arrival in the city, save on the already mentioned theory that Ezra had made a complete mess of things." Zur Datierung Esras vgl. unten, Anm. 63.
Priester und Leviten von 445 bis ca. 400 v.Chr.
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Neuankömmling, der das politische und wirtschaftliche Gleichgewicht der Jahre 458 bis 445 zerstörte und etwas an seine Stelle setzte, mit dem Priester und Adel nicht einverstanden sein konnten: Mit der militärischen Absicherung Jerusalems nach außen - Teil der persischen Militärstrategie an der Westgrenze des Reiches und prinzipiell unproblematisch auch aus der Sicht der benachbarten Reichsprovinzen - ging nämlich eine erhebliche Aufwertung Jerusalems als städtischen Zentrums der Region einher, die Sanballat, Tobia und Geschem überaus ungelegen kam und deshalb auch von den mit ihnen verbündeten Priestern und Aristokraten Jerusalems abgelehnt wurde. Ebenso mußten die Priester und die Aristokratie die von Nehemia propagierten Heiratsgesetze ablehnen, da deren Befolgung sie von den Eliten der benachbarten Territorien abgesondert und sie damit um ihren Einfluß gebracht hätte. Diese ethnische Segmentierung entsprechend den Provinzen des Reiches war zwar im Interesse der achämenidischen Zentralgewalt 47 und ihres Repräsentanten Nehemia, nicht aber in dem der Priester Jerusalems und ihrer aristokratischen Verwandten und Verbündeten. Doch damit nicht genug: Die Priester wurden mit einer weiteren Maßnahme Nehemias konfrontiert, die ihren Interessen zuwiderlief. Der Schuldenerlaß (Neh 5), durchaus im Sinne der achämenidischen Zentralregierung, 48 traf nämlich nicht nur die O'Hn, sondern auch die Priester Jerusalems. Dies ist bisher völlig übersehen worden, da die Teilnahme der Priester an der Eideszeremonie (Neh 5) fälschlich als Zustimmung zu Nehemias Reform gedeutet worden ist. Nun waren (manche) Priester aber, ebenso wie die D,"in, Grundeigen47 HOGLUND, Administration, 236-240 erklärt das Verbot der Mischehen durch Nehemia als Ausdruck des Reichsinteresses, eine möglichst weitgehende Kontrolle über die eroberten Gebiete und die auf ihnen angesiedelten Völkerschaften auszuüben. Das den jeweiligen Ethnien zugesprochene Land sei als Reichsbesitz verstanden worden, auf dem sie von Gnaden des Herrschers leben durften (HOGLUND, Administration, 238). Auch Jehud habe diesen rechtlichen Status gehabt, und die Heimkehrer aus dem Exil hätten das Land zugewiesen bekommen: „Such systems of allocating territories to dependent populations will work as long as the imperial system is capable of maintaining some clarity as to who is allowed access to a particular region and who is not" (HOGLUND, Administration, 239). Darum habe man zum Kontrollmittel des Mischehenverbotes gegriffen. Dem Verfasser der vorliegenden Studie erscheint es allerdings wesentlich einleuchtender, das Mischehenverbot als Versuch der Eindämmung des Kontakts zwischen lokalen Eliten zu verstehen, d.h. als Ausdruck eines Konzeptes von divide et impera. 48 Zwar bedeutete der zeitweilige (!) Schuldenerlaß für die Zentralregierung den Verlust von Einnahmen aus der mß-Steuer, doch war der immaterielle Gewinn umso wichtiger: Die Vergünstigungen stabilisierten die Sozialstruktur Judas, indem sie das Überleben der von der Verschuldung betroffenen Familien ermöglichten und damit zum sozialen Frieden in der Provinz beitrugen. Außerdem gaben die Steuererleichterungen Nehemia die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit des Volkes auf den Mauerbau zu konzentrieren; vgl. dazu HOGLUND, Administration, 214. Auch diese Maßnahme Nehemias war somit ganz im Interesse der Zentralregierung (Sicherung der Westgrenze des Reiches!), stand aber völlig konträr zu den Plänen der lokalen Eliten.
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tümer. H. Kreißig hat im Hinblick auf die in Neh 11,12 erwähnten Priester ganz zu Recht folgendes festgestellt: „Sie, oder jeweils ein Teil von ihnen (der Bezug ist recht unklar), werden als Familienhäupter . . . und als gibbore hajil bezeichnet (Neh 11,12-14). Sie gehören zum Waffenaufgebot, sind also Grundeigentümer, zumindest Grundbesitzer, ebenso wie die Priester, die außerhalb Jerusalems auf ihrem Erbbesitz und auf ihren Höfen in den Bezirken lebten (Neh 11,20.25)."49 Neh 11,3b weist in dieselbe Richtung: tnö1?© H M -gz» OTrem ü'i'pn] cnnän bx'iw arrnsn inmxa erx intf; „Sie wohnten, jedermann auf seinem Erbbesitz, in ihren Städten: [die] Israelfiten], die Priester, die Leviten, die Tempeldiener und die Söhne der Sklaven Salomos."
Dieser Vers erweckt den Eindruck, die Forderung der Ezechielschule nach priesterlichem und levitischem Grundbesitz (Ez 45,4f.) sei eingelöst worden; hier wie dort wird auch der Begriff nrnK gebraucht. Nun stimmt es aber nachdenklich, daß die DTn: und die „Nachkommen der Knechte Salomos" auch ihre nmx bekommen haben sollen. Außerdem geht aus der Tatsache, daß die Sänger nicht separat aufgeführt werden, hervor, daß man sie zu den Leviten rechnet,50 was bedeutet, daß dieser Abschnitt jünger ist als die NehemiaDenkschrift 51 und ein Bild vom Grundbesitz von „Leviten" zeichnet, das nicht mit dem übereinstimmt, was Nehemia berichtet.52 Neh 11,3 zeichnet ein idealisiertes Bild der tatsächlichen Verhältnisse; daß Priester und Leviten Grundeigentümer waren, steht fest, doch ist es ganz unmöglich, daß das niedere Tempelpersonal diesen Vorzug genoß. 53 Auch wird uns nirgendwo sonst davon berichtet.
49
50
KREISSIG, S i t u a t i o n , 7 2 f .
Aus dieser Beobachtung haben z.B. RUDOLPH, Esra, 183f. und BLENKINSOPP, EzraNehemiah, 324 geschlossen, daß Neh 11 älter als 1 Chr 9 sei und letztere Liste auf Neh 11 aufbaue. Blenkinsopp übersieht dabei aber, daß Neh 11,3 auch die Torwächter zu den Leviten zu rechnen scheint. 51 In der gesamten Nehemia-Denkschrift wird konsequent zwischen Priestern, Leviten, Sängern, Torwächtern, Tempeldienern (OTnj) und „Nachkommen der Knechte Salomos" unterschieden; vgl. z.B. Neh 13,5 und unsere Bemerkungen in Kap. 5. 52 Für Nehemia sind Leviten, Sänger und Torwächter drei voneinander getrennte und hierarchisch abgestufte Klassen des Tempelpersonals. Wenn er also levitisches Grundeigentum (oder handelt es sich nur um Grundbesitz?) erwähnt, wie dies in Neh 13,10 geschieht, dann sind die Leviten in jenem engeren Sinne gemeint, nicht die „Leviten" im Sinne von Neh 11,3. 53 Neh 13,10 kann nicht als Gegenbeispiel herangezogen werden: Wie wir bereits in Anlehnung an RUDOLPH, Esra, 138 in anderem Zusammenhang (vgl. oben, Kap. 5) betont haben, handelt es sich bei roxSan ' t o D n Ä n n i um eine spätere Hinzufügung.
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Wohl waren auch die Leviten Grundeigentümer oder zumindest -besitzer, 54 doch waren es nur Priester, die ein so bedeutendes Grundeigentum ihr eigen nennen konnten, daß sie zugleich als ^ n ' m a a im Heerbann auftauchten. Hier handelt es sich um eine herausgehobene Stellung, in der man sonst nur Aristokraten findet: Der Begriff bTHTna ist eine „Standesbezeichnung" und läßt sich geradezu mit „(Gross-)Grundbesitzer" 55 oder genauer „Großgrundeigentümer" 56 wiedergeben. Die ^ r r m a a waren zur Teilnahme am Heeresdienst verpflichtet und hatten eine gewisse Anzahl Männer aufzubieten, 57 die sie unter den von ihnen abhängigen Schuldknechten auswählten. Die waren eine unter mehreren Gruppen innerhalb der Priesterschaft: Eine Gruppe versah den Dienst am Tempel (vgl. Neh 11,10-12), eine weitere wird als max1? CPBK1 zusammengefaßt (Neh 11,13), während nur die Mitglieder der dritten Gruppe, unter dem T p s 5 8 Sabdiel, als ^ " ' i n i bezeichnet werden. Das läßt darauf schließen, daß die Mehrheit der Männer priesterlicher Herkunft den Kultdienst am Tempel versah, während eine bedeutende Minderheit Grundeigentümer und Offiziere stellte. Hieraus wird nochmals deutlich, daß die Priesterschaft Jehuds die Interessen der einheimischen Aristokratie teilte: Ein Teil der Priesterklasse tat nichts anderes als die Aristokratie, nämlich das eigene Grundeigentum verwalten und den Heerbann organisieren, während die Mehrheit den eigentlichen priesterlichen Aufgaben nachging. Doch beide Gruppen können nicht voneinander getrennt werden; sie entstammten derselben Gesellschaftsschicht. 59 Auch
54 Vgl. oben, Anm. 52 und 53; ob die Leviten Grundeigentümer oder nur Besitzer des Landes anderer Eigentümer (der Priester?) waren, läßt sich nicht feststellen. 55 HAL, 299. 56 Es ist wichtig, sich des Unterschiedes zwischen den Kategorien „Eigentümer" und „Besitzer" bewußt zu sein. Während man bei den Leviten nicht sicher sein kann, zu welcher der beiden sie gehörten, steht dies bei Aristokraten und Priestern außer Frage: Als b ' r n u j waren sie Eigentümer ihres Landes und hatten freie Verfügungsgewalt über dieses Land und über ihre Knechte. 57 Vgl. MEYER, Israeliten, 428f.500 und VAN DER PLOEG, Nobles, 58f. 58 Die Formulierung bs T p a betont den militärischen Charakter der Abteilung der 128 Priester. HAL, 904 ordnet T p a in Neh 11,14 falschlich in der Kategorie „Vorsteher (über Priester, Leviten, Sänger)" ein; hier wurde übersehen, daß der Begriff in einem militärischen Zusammenhang benutzt wird, worauf gerade die Formulierung ^SJ TpB unmißverständlich hinweist; vgl. 2 Kön 25,19 = Jer 52,25. Beide Stellen werden von HAL angeführt, ohne daß ihre Bedeutung für die korrekte Interpretation von Neh 11,14 wahrgenommen würde. 59 Deswegen greift Crüsemanns Theorie in diesem Punkt nicht. Zwar erkennt er an, daß manche Priester („Teile der höheren Priesterschaft", DERS., Israel, 213) nicht auf der Seite der Kleinbauern gestanden haben können, postuliert aber, „die Masse der kleinen, freien Bauern und die Priester" (ebd.) stünden auf derselben Seite. Crüsemann betont, daß man zur Aristokratie „nach anderen Texten des Nehemia-Berichtes Teile der höheren Priesterschaft rechnen muß" (ebd.) und führt Neh 13,28 als Beispiel an (DERS., Israel, 228, Anm. 64), übersieht aber die Bedeutung von Neh 11,10-14 und zieht deshalb nicht den Schluß, daß Teile der
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die Tempelpriester waren mit Sicherheit nicht auf Seiten der Kleinbauern, sondern wußten, auf welche Verbündeten sie zählen konnten: nicht auf die Bauern und auch nicht auf die Leviten, wohl aber auf jene priesterlichen Brüder, die als Grundherren und Offiziere Schlüsselstellungen im achämenidischen Juda innehatten. Dies erklärt auch, wie die Priester die Einziehung des Zehnten vernachlässigen und damit die Leviten zu einer Hungerflucht aufs Land zwingen konnten, ohne selbst in wirtschaftliche Bedrängnis zu geraten (Neh 13): Sie wurden höchstwahrscheinlich von ihren „Brüdern" unterstützt, hatten keine Widrigkeiten zu befurchten und konnten versuchen, ihre antilevitischen Pläne in die Tat umzusetzen. Damit kommen wir zu jenem Konflikt, dessen Details wir schon genauer ausführten, 60 dessen Bedeutung für die gemeinsame Geschichte der Priester und der Leviten aber noch näher zu analysieren ist, nämlich zur Vertreibung der Leviten aus Jerusalem in der Zeit zwischen dem ersten und dem zweiten Aufenthalt Nehemias in Jerusalem. Die Motive für diese vom Hohenpriester und seinen Priesterkollegen (mit)verschuldete Vertreibung dürften aus den vorgelegten Analysen klar geworden sein: Die Leviten in ihrer Funktion als Polizeikräfte und überhaupt als Stützen der nehemianischen Reform hatten sich damit, willentlich oder unwillentlich, neben Nehemia selbst zu den Hauptgegnern der Priester und der Aristokratie gemacht. Indem sie Nehemia unterstützten, unterstützten sie die Schuldenerlasse, die den Schuldknechten Freiheit schenkten und die Steuerlast reduzierten und damit zu erheblichen Mindereinnahmen bei den judäischen Grundherren - Aristokraten und Priestern - führten. Somit ist es nicht verwunderlich, daß die Priester nach der Rückkehr Nehemias an den persischen Hof die Gelegenheit wahrnahmen, ihren Schlag gegen die Leviten zu führen und sie von ihren Einnahmequellen abzuschneiden. Den Leviten blieb nichts anderes übrig, als sich auf ihren Landbesitz zurückzuziehen und von den dort produzierten Nahrungsmitteln zu leben, während die Priester in Jerusalem bleiben konnten, weil sie von den Grundeigentümern unter den Priestern mitversorgt wurden. Damit hatten die Priester ihre Rache. Sie wagten es nicht, mit noch härteren Mitteln gegen die Leviten vorzugehen, wahrscheinlich, weil man für einen solchen Fall mit ernsten Vergeltungsmaßnahmen der Zentralmacht zu rechnen gehabt hätte. Tatsächlich ließen Gegenmaßnahmen nicht lange auf sich warten. Bei seiner Rückkehr nach Jerusalem riß Nehemia das Steuer herum. Die Leviten kehrten nach Jerusalem zurück, wurden von Nehemia erneut „auf ihren Posten" gestellt (Neh 13,11) und vom Volk wieder mit dem ihnen zustehenden Zehnten versorgt (Neh 13,12). Das Mißtrauen Nehemias gegen die Priester und die gestärkte Rolle der Leviten drückten sich darin aus, daß die über die Priesterschaft einem durch und durch aristokratischen Lebensstil verpflichtet waren und die Priesterschaft insgesamt untrennbar mit der Aristokratie verflochten war. 60 Vgl. oben in diesem Teilkapitel.
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Vorrats- und Schatzkammern des Tempels gesetzte Kommission nun aus einem Priester, einem priesterlichen Schreiber und zwei Leviten, Pedaja und Hanan (Neh 13,13) bestand. Trotz dieser Maßnahmen versuchten Aristokraten und Priester weiterhin, ihre wirtschaftlichen und dynastischen Pläne so weit wie möglich in die Tat umzusetzen; dies ging von der Tolerierung von Arbeit und Handel am Sabbat (Neh 13,15-18) durch die o n n bis hin zu dynastischen Heiraten der Priester mit nichtjudäischen Frauen (Neh 13,28). Nehemia griff hart dagegen durch (Neh 13,19-21.25-27.28). Auch hierbei agierten die Leviten wieder als eine Art Polizeitruppe und übernahmen die Wache an den Stadttoren, um das Verbot, am Sabbat Handel zu treiben, durchzusetzen (Neh 13,22). Auch wenn dies nicht ausdrücklich berichtet wird, können wir doch davon ausgehen, daß die Leviten in ähnlicher Funktion auch die Segregationspolitik Nehemias unterstützten, die in seinen gegen die Mischehen gerichteten Aktionen (Neh 13,25.28) zum Ausdruck kam und gegen die grenzüberschreitende, an wirtschaftlichen und dynastischen Interessen orientierte Politik des Adels und des Priestertums gerichtet war. Damit kam der zweite Aufenthalt Nehemias in Jerusalem an sein Ende. Die Priester gingen aus der letzten Auseinandersetzung mit Nehemia geschwächt hervor; immerhin war die Macht des Statthalters so groß, daß er einen der Söhne des Hohenpriesters, der sich durch seine Heirat mit einer Tochter Sanballats kompromittiert hatte, des Landes verweisen konnte (Neh 13,28). Auch hatten die Grundeigentümer unter den Priestern erhebliche Einkommensverluste erlitten (Neh 5,6-13), von denen einige permanent gewesen sein dürften (vgl. Neh 5,12). Die Position der Leviten hingegen wurde durch Nehemia erheblich gestärkt. Manche hatten polizeiliche Aufgaben zugewiesen bekommen, während jene, die im Tempel ihren Kultdienst versahen, dank Nehemia nun materiell abgesichert waren und von den Priestern in dieser Hinsicht nichts mehr zu befurchten hatten (Neh 13,10-13). Auch war Nehemia klug genug gewesen, die von ihm durchgeführten Reformen in der Tempelorganisation über seine eigene Amtszeit hinaus institutionell abzusichern und auch eine Dienstorganisation (nnntün) einzuführen (Neh 13,30), die der Vorläufer der vierundzwanzig Dienstklassen (1 Chr 24,7-19) der späteren Zeit war.61 Nehemia hinterließ ein geordnetes Haus. Die Leviten konnten nun daran gehen, ihre Position auszubauen.
61
Vgl. oben, Kap. 5.42.
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6.3 Priester und Leviten zur Zeit Esras Mit der Entsendung Esras nach Jerusalem - möglicherweise eine Reaktion auf Umtriebe in der Priesterschaft einige Jahre zuvor62 - „im siebten Jahr des Königs Artaxerxes" (Esr 7,7), also im Jahre 398 v.Chr.,63 begann ein neues und überaus wichtiges Kapitel in der gemeinsamen Geschichte der Priester und der Leviten. Esra, selbst Priester (Esr 7,1-5.11.12) und „Sekretär des Gesetzes des Himmelsgottes"64 (Esr 7,12), wurde nach Jerusalem geschickt, „um auf der Grundlage des Gesetzes deines [seil. Esras] Gottes Erkundigungen über Juda und Jerusalem einzuholen" (Esr 7,14) und achämenidisches Gold und Silber zu überbringen, welches der König, seine Berater und andere Personen und Institutionen dem Jerusalemer Tempel zur Verfügung stellten (7,15f.), um Opfer aufzuführen und das Gotteshaus angemessen auszustatten (7,17-20). Außerdem garantierte Artaxerxes die Hilfe seiner Schatzmeister in der Satrapie Abar-Nahara bei dem Unternehmen (7,21-23) und befreite das gesamte Jerusalemer Tempelpersonal (Priester, Leviten, Sänger, Torwächter, Tempeldiener und XH^K rvz t 6 d ) 6 5 von den staatlichen Steuern, nämlich m a , 1*73 und 1 bn 66 (7,24f.). Schließlich wurde Esra auch aufgetragen, fBSB und zu ernennen, um die dem JHWH-Gesetz Unterworfenen zu richten und zu unterweisen; zu diesem Zweck stattete der Großkönig Esra mit weitreichenden Vollmachten aus (7,25f.).67 Hinsichtlich der Bedeutung von Priestern und Leviten für die Mission Esras fällt zunächst auf, daß im Gegensatz zu der summarischen Feststellung in Esr 7,7, Esra sei zunächst nur von Priestern und Laien begleitet worden (vgl. 62 Vgl. JOSEPHUS, Antiquitates, XI 297-301 zum Mord an Jeschua. Der genannte Abschnitt vermittelt einen lebendigen Eindruck von den internen Machtkämpfen, die die Priesterschaft erschütterten. Auf welche Personen sich die Passage bezieht, ist allerdings umstritten; vgl. oben, Exkurs zu den Jehud-Münzen, Anm. 165. 63 Vgl. oben, Anm. 46 und VAN HOONACKER, Néhémie, passim sowie ROWLEY, Mission
u n d EMERTON, E z r a . 64 Vgl. SCHAEDER, Esra. Schaeders These, bei ÍOOTÍN r 6 i m sm IDO handle es sich um einen offiziellen persischen Titel („Sekretär des Gesetzes des Himmelsgottes", a.a.O., 4855), ist kritisiert worden, da Schaeder eine Analogie aus der sassanidischen Zeit heranzieht (vgl. KOCH, Ezra, 183), doch unterstützen die von DE VAUX, Decrees, 90 und WLLLIAMSON, Ezra, 100 vorgetragenen Argumente Schaeders These. 65 Die Formulierung im Dekret des Artaxerxes bestätigt also unsere auch an anderen Stellen gemachte Beobachtung, daß zur Zeit Nehemias und Esra noch sorgfältig zwischen Leviten, Sängern und Torwächtern als drei voneinander unterschiedenen Klassen getrennt wurde; vgl. oben, Kap. 5. 66 Vgl. oben, Kap. 4. 67 Die Historizität des sogenannten „Edikts des Artaxerxes" (Esr 7,12-26) ist von verschiedenen Forschem hinterfragt worden. Doch spricht vieles für die Echtheit des Edikts (vgl. die Zusammenfassung der Argumente in WlLLIAMSON, Ezra, 98f.), das ohnehin völlig mit der allgemeinen achämenidischen Religionspolitik und den Interessen der Reichsverwaltung (vgl. oben, Kap. 4) übereinstimmt. Vgl. hierzu oben, Kap. 2.223.
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Esr 8,1-14), er selber größten Wert darauf legte, daß auch Leviten mit ihm nach Jerusalem ziehen sollten, und Boten aussandte, um kurz vor der Abreise doch noch einige zum Mitkommen zu bewegen (Esr 8,15-17), was ihm schließlich auch gelang: 38 Leviten und 220 D , rn: begleiten ihn (Esr 8,1820). Den Priestern und Leviten wird die verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die Edelmetalle und die liturgischen Geräte bis zur Übergabe an die fuhrenden Priester, die Leviten und die Häupter der „Vaterhäuser" in Jerusalem in ihre Obhut zu nehmen (Esr 8,24-30). Warum legte Esra solchen Wert auf die Teilnahme der Leviten? K. Koch hat auf einen sehr wichtigen Aspekt der Mission Esras hingewiesen, und zwar auf den starken Einfluß, den die priesterschriftliche Theologie auf Esra hatte. Wie Koch hervorhebt, waren jene 38 Leviten für den Jerusalemer Tempeldienst nicht unentbehrlich, da natürlich schon seit der Wiedereinweihung des Tempels Leviten ihren Teil zum Jerusalemer Kultus beigetragen hatten. Also mußte ein anderes Motiv vorliegen, das Koch in dem Vorbildcharakter der Darstellung in Num 10 sieht.68 Diese Orientierung an Darstellungen und Vorschriften der Priesterschrift wird uns im Zusammenhang mit Esra und der Jerusalemer Tempelhierarchie seiner Zeit noch häufiger begegnen. 69 Bei der Ankunft Esras und seiner Begleiter in Jerusalem wird wiederum deutlich, daß einzig die Priester und Leviten mit der Verwaltung des Edelmetallschatzes und der Tempelgeräte betraut werden und dieselben inventarisieren dürfen (Esr 8,33-34). Wichtig ist, daß die Kommission aus zwei Priestern und zwei Leviten besteht. Schon zur Zeit Nehemias war diese Kommission eingesetzt worden, ebenfalls aus zwei Priestern und zwei Leviten bestehend, um über die Vorrats- und Schatzkammern des Tempels zu wachen (Neh 13,13).70 Es ist gefragt worden, ob es sich hier tatsächlich um eine perma-
68 Vgl. unseren Exkurs über Neh 8 und KOCH, Ezra, 187: „The delay at the river near Ahawa, because no Levite had arrived, seems to me conceivable only against the background of the order of the march through the desert after the original exodus. In accordance with the P source (Num. x. 13ff.), there must be Levites with special tasks, as well as priests and laymen, with Ezra also. The refusal of the Levites to go with Ezra is a detail which could scarcely arise in the Chronicler's own mind, for he is a partisan of this group, as is well known. The guidance during the march is in the hands of a priest, while in earlier marches back the leader was a Davidic prince (Sheshbazzar, Zerubbabel). Does this not remind us of the role of Aaron and Eleazar and the anti-royalist attitude of P?" 69 Koch betont die Berührungen der Esra-Geschichte mit P bezüglich der Priester und Leviten (vgl. DERS., Ezra, 180) und der Bezeichnung der liturgischen Geräte und Geldspenden als n o n n (ebd.) und zieht Vergleiche zwischen gewissen Perikopen der Esra-Geschichte (z.B. Neh 8,13ff.) und dem Heiligkeitsgesetz (z.B. Lev 23,33-36) sowie zwischen der kultischen Trennung vom flKrrüSJ und der Terminologie von P und H (ebd.). Er schließt daraus: „the Priestly code and the Holiness code, both presumably in an earlier stage of the text tradition, were parts of Ezra's law" (a.a.O., 181). 70 Vgl. oben, Kap. 6.2 und SCHAPER, Committee, passim.
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nente Institution handele. 71 Williamson verneint dies, indem er behauptet, die Kommission bestehe laut Esr 8,33 aus zwei Priestern und zwei Leviten, nach Neh 13,13 aber aus Priester, Schreiber, einem Leviten und einem Laien. Außerdem seien die Funktionen der zwei Gruppen von ganz verschiedener Art (Aufsicht über die Tempelschätze einerseits und über Sammeln und Verteilen des Zehnten andererseits), und in Esr 8,33 handele es sich wahrscheinlich um eine ad hoc gebildete Gruppe. Schließlich sei auch nicht sicher, ob Nehemia tatsächlich als erster diese Kommission ins Leben gerufen habe oder ob damit nur eine ältere Institution wiederbelebt worden sei.72 Hierzu ist folgendes zu sagen: 1) Auch in Neh 13,13 besteht die Kommission aus zwei Priestern und zwei Leviten. 73 2) Zwar sind die in Esr 8 und Neh 13 beschriebenen Funktionen der jeweils dargestellten Kommissionen verschieden, doch heißt das nicht, daß es sich um zwei verschiedene Institutionen handelt. Vielmehr sprechen die Ergebnisse unserer Untersuchungen dafür, daß es sich um dieselbe Kommission handelt. 74 3) Damit entfällt auch Williamsons drittes Argument, denn es handelt sich in Esr 8,33 nicht um eine ad hoc gebildete Gruppe, sondern um dieselbe Kommission, von der auch Neh 13,13 spricht. 4) Williamsons viertes Argument ist in diesem Zusammenhang ohnehin irrelevant, da es nur dann zum Tragen kommt, wenn man postulieren will, daß es diese Kommission vor Nehemia nicht gab, um damit die chronologische Priorität Esras zu beweisen. Allerdings sprechen zahlreiche Gründe für die 71
Vgl. WILLIAMSON, Ezra, 121.388f. und INDER SMITTEN, Esra, 132. WILLIAMSON, Ezra, 388f. 73 Bei Hanan handelt es sich um einen Leviten (vgl. die genealogischen Angaben), wie RUDOLPH, Esra, 205 betont hat. Daß es sich bei dem „Schreiber" Zadok um einen Laien gehandelt haben sollte, ist überaus unwahrscheinlich (vgl. ebd.); allein schon der Name weist auf priesterliche Abstammung hin. Was Hanan anbelangt, so wird schon aus der Erklärung • ¡TrtN • pbnb DIT^m deutlich, daß Hanan einer dieser „Brüder" und deshalb (im Sinne des Aufbaus des vorangehenden Satzes) ein Levit sein muß; vgl. BRETTLER, Hanan, 44. 74 Die Vorratskammern des Tempels wurden für die Aufbewahrung der Einkünfte aus der n e n n und anderen für Priester und Leviten bestimmten Steuern benutzt, von denen ein Teil an die achämenidische Verwaltung abgeführt wurde; die Jerusalemer Priester fungierten also zugleich als Tempelpriester „in eigener Sache" und als Sachwalter persischer Interessen; vgl. oben, Kap. 4.21. Hiermit stimmt der aus Esr 8,33 und Neh 13,13 erhobene Befund völlig überein: Im erstgenannten Text werden die Mitglieder der Kommission in ihrer Funktion als Mitarbeiter der achämenidischen Staatsmacht dargestellt, im letztgenannten in Ausübung ihrer Pflichten als Jerusalemer Tempelpriester. In beiden Fällen aber haben wir es mit derselben Institution zu tun, einer Kommission zur Überwachung der Vorrats- und Schatzkammern am Jerusalemer Heiligtum. Daß zwischen Vorrats- und Schatzkammern nicht getrennt wurde, ergibt sich z.B. aus Neh 10,40: Vorräte und Tempelgeräte werden gemeinsam aufbewahrt. Vgl. SCHAPER, Committee, passim. 72
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Priorität Nehemias;75 unsere Exegese von Esr 8,3 und Neh 13,13 fugt sich dem nahtlos ein. Ob aber die genannte Institution schon vor der Zeit Nehemias existierte, kann aufgrund der Quellenlage nicht mehr festgestellt werden und interessiert in diesem Kontext auch nicht. Aus den vorangegangenen Überlegungen ergibt sich, daß die Leviten ihre durch Nehemia befestigte und gestärkte Position hatten halten können; sie waren weiterhin, wie seit der Zeit des zweiten Aufenthalts Nehemias in Jerusalem, in der über die Tempel-Kammern gesetzten Kommission paritätisch vertreten. Daraus kann geschlossen werden, daß auch das Eintreiben des Zehnten und die Weitergabe des davon an die Achämeniden abzuführenden Anteils geordnet vonstatten gingen. 76 Priester und Leviten waren als Tempelbeamte und als Sachwalter der achämenidischen Staatsmacht wohletabliert. Esra fand also bei seiner Ankunft in Jerusalem eine funktionierende institutionelle Basis für seine Arbeit vor. Priestern und Leviten und überhaupt dem gesamten Tempelpersonal wurden von der Zentralregierung gewichtige Konzessionen gemacht; offenbar schätzte man die Bedeutung einer wohlorganisierten Tempelbeamtenschaft hoch genug ein, um diese Beamten von allen staatlichen Steuern zu befreien. 77 In einer anderen Sache jedoch war ein Zusammenstoß der Priester und der Leviten mit Esra unvermeidlich, und zwar in der Angelegenheit der Mischehen. Nachdem schon Nehemia energisch (Neh 13,23-28), doch letztlich erfolglos gegen diese Praxis angekämpft hatte, ging Esra systematischer an die Arbeit. Nicht nur Priester, von denen manche aufgrund ihrer Verbindungen zum Adel und damit auch zur nichtjudäischen Aristokratie in der Region dazu neigten, Ehen mit nichtjüdischen Frauen einzugehen (vgl. Neh 13,28), sondern auch Leviten hatten sich mit ausländischen Frauen verbunden; ebenso auch eine Anzahl von Laien. Der Adel ging in dieser Hinsicht voran (Esr 9,2), was sich aus seinem besonderen Interesse an dynastischen Heiraten erklärt. Es ist bemerkenswert, wie zäh sich auch bei Priestern und Leviten der Wille 75
Vgl. oben, Anm. 63. Auch In der Smitten ist der Meinung, daß in Esr 8,33 und Neh 13,13 von ein und derselben Kommission die Rede sei, nur nimmt er an, Esra sei im Jahre 458 nach Jerusalem gegangen: „Offenbar ist damit zu rechnen, daß die Tempelkommission bereits vorher bestand. Neh 13,13 besetzt Nehemia die gleichen Ämter neu, die schon Esr 8,33 institutionalisiert sind" ( D E R S . , Esra, 1 3 2 ) . 77 Vgl. Esr 7,24. Es gab Parallelfalle für ein solches Verhalten; vgl. allgemein oben, Kap. 4 sowie DITTENBERGER, Sylloge, 2 0 - 2 1 , wo jener berühmte Brief wiedergegeben wird, in dem Darius I. dem Satrapen Gadatas befiehlt, die Gärtner (cjjuTOUpYÖL) am Apollo-Heiligtum zu Magnesia von ihren Steuer- und manchen ihrer Arbeitspflichten (xwpav [ a ] K a u a v e u € L P ßeßr|A.ov) zu befreien, weil das dortige Orakel einen persischen Sieg vorausgesagt habe. Solche Fälle von Steuerbefreiung waren relativ selten; umso bemerkenswerter ist es, daß der Erlaß des Artaxerxes eine derartige Begünstigung für das Jerusalemer Tempelpersonal anordnet. Dies zeigt, wie wichtig es ihm war, das Führungspersonal an der Westgrenze zufriedenzustellen. 76
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Priester und Leviten unter Nehemia und Esra
zum Eingehen v o n Mischehen g e g e n die Interventionen N e h e m i a s behauptet hatte. Der verständliche Wunsch, sich durch verwandtschaftliche Verbindungen mit nichtjudäischen Gruppen der syrisch-palästinischen R e g i o n materiell und politisch abzusichern, war stärker als der Eifer Nehemias, diese Verbindungen im Interesse der persischen Zentralmacht zu unterbrechen 7 8 - ein Eifer, der sich nicht nur aus seiner Loyalität zum achämenidischen Herrscherhaus, sondern ebensosehr aus seinem Gehorsam gegenüber den dtn Vorschriften gespeist hatte. 79 Ebendiesen Vorschriften standen vor allem die Priester äußerst distanziert gegenüber. Esra nun scheint sich bei der Durchführung seiner Maßnahmen g e g e n die Mischehen in auffalliger W e i s e der Leviten bedient zu haben. Sie spielen in der Esra-Geschichte eine hervorstechende Rolle, und zwar besonders in Esr 8-9. Esra, Instrument jener „politique perse . . . ä la fois interventioniste et respectueuse des traditions autochtones", 8 0 war nach Jerusalem gekommen, nicht u m - w i e N e h e m i a - ein altes Gesetz auszulegen und anzuwenden, son78 HOGLUND, Administration, 236-240 schlägt eine andere Erklärung vor. Er sieht das Verbot der Mischehen durch Nehemia und Esra als eine Reaktion auf die über der Gemeinschaft hängende Drohung der Zentralmacht, den in Juda angesiedelten „Söhnen der Gola" im Falle des Eingehens von Mischehen ihre Rechte zu entziehen (a.a.O., 238f.): „Returning to the biblical narratives, one may see in the penalties of Ezra 10:8 a possible reference to the concept of a land-tied dependent group. The form of communal domain over the property of members of the community expressed in the first penalty clause is suggestive of a structure wherein the community as a whole has rights and privileges that are held only as a group, not as individuals. A transgression against the better interests of the group, in this case a failure to respond to the assembly to put an end to the practice of intermarriage, could result in the deprivation of property that is, in effect, the group's. Similarly, banishment from the group as a penalty would deny the possibility of regaining access to the rights and privileges enjoyed by the group as a unit. . . . Assuming then that the community is dependent on the empire for its right of access to the land, then one can understand the serious threat to the community as a whole that intermarriage might represent. Particularly at a time of extreme sensitivity to the degree of control the empire had over the various populations, one could comprehend the sending of an imperial official to redefine, among other actions, exactly who belonged to the group and who did not." Abgesehen davon, daß Hoglund keine schlüssigen Beweise für seine These vom rechtlichen Status Jehuds als königlichem Domänenland vorlegen kann, fragt sich, warum - wenn seine Vermutung, daß Mischehen eine Bedrohung der Gemeinschaft darstellten, stimmt - diese Gefahr weder von Priestern noch von Leviten oder Laien wahrgenommen wurde. Wie konnten besonders die Priester dann überhaupt auf den Gedanken kommen, eheliche Verbindungen mit nichtjudäischen Aristokratinnen seien von Vorteil? Hoglunds Arbeit wirft in dieser Hinsicht mehr Fragen auf, als sie beantwortet. 79
Vgl. hierzu z.B. CAZELLES, Mission, 120-122 und seine treffende Zusammenfassung (a.a.O., 122): „Néhémie par conséquent n'apporte pas de loi nouvelle et ses réformes s'appuient uniquement sur le vieux Deutéronome, alors même que les circonstances nouvelles lui font donner à ses prescriptions une application que visiblement le législateur n'avait pas prévue." 80 Mit dieser Formulierung bringt CAZELLES, Mission, 123 das Wesen der persischen Religionspolitik auf den Begriff.
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dem um ein neues Gesetz zu verkünden. Und das tat er auf der Grundlage der Politik der achämenidischen Zentralmacht, die ein jüdisches Gesetzwerk zum achämenidischen Staatsgesetz in Juda erhob, indem „das von Juden verfasste Gesetzbuch Esras durch Reichsautorisation sanktioniert" 81 wurde. Dieses neue Gesetz bestand wahrscheinlich aus einer Kombination des Deuteronomiums mit der Priesterschrift. 82 Wie wir bereits im Anschluß an Koch betonten, finden sich in der Esra-Geschichte erstaunliche Anklänge an P. 83 Solche Anklänge fielen auch Cazelles auf, der in einigen nachträglich PS hinzugefugten Gesetzen (Lev 24,12f.; 24,16 [vgl. Ex 22,27]; Num 35,15 [vgl. Dtn 4,41 ff.; 19,1-13]; Ex 12,48f. [vgl. Ex 12,14]; Ex 12,19 [vgl. Ex 13,7]; Num 9,14; Lev 17,10-14 [vgl. Lev 17,15]; Num 15,16 [vgl. Num 15,13]; Num 15,29; Num 15,30; Lev 19,34 [vgl. Lev 19,18]; Lev 18,26f. [vgl. Esr 9,1!]), 84 die die Gleichbehandlung von "U und rniK fordern, die Grundlage für Esras Mission vermutet: „la mission d'Esdras apparaît ainsi comme destinée à unir sous une seule législation les rapatriés de Jérusalem, les gêrîm ou gârîm et les samaritains, ézrah sous l'égide du sacerdoce de Jérusalem". 85 Dabei hätten nicht die Priester, sondern Laien und Leviten gegen Esra opponiert, wie Cazelles unter Hinweis auf Esr 10,15 behauptet, um dann weiter auszufuhren, Nehemias Feinde, die höhere Priesterschaft und die Samarier, seien eben nicht die Feinde Esras gewesen: „Les ennemis de Néhémie disparaissent de l'horizon d'Esdras." 86 Trifft das den Kern, oder ist vielmehr Vogelstein recht zu geben, der behauptet, Esra habe „bei jeder wichtigen Staatsaktion . . . die Leviten heranzuziehen [gesucht], während er die Priester, wo er ihrer Hülfe entraten konnte, bei Seite liess oder wenigstens nicht in den Vordergrund 81
FREI, Zentralgewalt, 21. Mit Hilfe dieses Gesetzes versuchte die persische Zentralmacht, laut Cazelles, die zwei einander gegenüberstehenden Bevölkerungsgruppen in Jehud miteinander zu versöhnen und vereinen, um damit eine größere Stabilität in der Provinz herbeizuführen und so zugleich die Westgrenze gegen eventuelle militärische Übergriffe zu sichern (CAZELLES, Mission, 139): „En 398 la cour perse qui vient de perdre l'Egypte veut utiliser la communauté juive d'Eléphantine. Elle donne plein pouvoir à un prêtre, Esdras, qui est chargé d'unir les deux éléments de la population, l'ancienne couche de la population dirigée par Samarie et les rapatriés. Pour cela une loi commune sera promulguée, comprenant le Deutéronome, ancienne loi du pays, et le corpus sacerdotal auquel sont attachés les rapatriés qui suivent la tradition d'Ezéchiel. Des lois additionelles adaptent ces anciennes lois aux données nouvelles et assurent unité de liturgie et de législation." Vgl. auch unten, Exkurs zu Neh 8. 83 Vgl. oben, Kap. 5.41. 84 Vgl. CAZELLES, Mission, 126f. 85 CAZELLES, Mission, 131. 86 CAZELLES, Mission, 130. Diese These versucht CAZELLES, Mission, 133 auch mit Hilfe der späteren jüdischen Tradition zu beweisen: „Or le même Siracide qui se tait sur Esdras condamne sévèrement les Samaritains . . . ,1e peuple insensé qui habite Sichern'. Les deux livres [seil. Sir und 2 Makk] sont l'écho d'un milieu qui ne pardonnait pas à Esdras la tentative d'union avec les Samaritains et pour eux le grand homme restait Néhémie qui les avait combattus." 82
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Priester und Leviten unter Nehemia und Esra
stellte". 87 An diesen gegensätzlichen Exegesen der Esra-Geschichte zeigt sich wieder einmal, welche nahezu unüberwindlichen Probleme sie einer historischen Analyse stellt. Diese Probleme werden wir zu lösen versuchen müssen, um mehr über die Stellung der Priester und der Leviten im Kampf um das Esra-Gesetz herausfinden zu können. Zunächst einmal sprechen einige wichtige Beobachtungen am Text gegen Cazelles' Theorie. Die Leviten werden an allen wichtigen Stationen der Erzählung auffällig hervorgehoben: beim Aufbruch am Fluß (Esr 8,15-20), bei der Beaufsichtigung des Schatzes (Esr 8,24) und bei seiner Übergabe (Esr 8,33), beim Protest gegen den Vorschlag des Volkes zur Regelung der Ehescheidungsverfahren (Esr 10,15), bei der Verkündigung des Gesetzes (Neh 8,7.9.11.13) und dem Fasten (Neh 9,4f.) sowie bei der Unterzeichnung des Vertrages (Neh 10,10-14.38-40) - wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß Neh 9 und 10 nicht zur Esra-Quelle gehören. Es fällt auf, daß - mit der möglichen Ausnahme von Esr 10,15 - alle genannten Abschnitte die Leviten als verläßliche Parteigänger und Helfer Esras porträtieren. Cazelles widmet dieser Tatsache nicht die angemessene Aufmerksamkeit; er betont stattdessen über Gebühr die vermeintliche Bedeutung von Esr 10,15. Doch was hat es mit diesem Vers wirklich auf sich? Es folgt der Text von Esr 10,15: onri? ^ n ,na