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German Pages [296] Year 2015
FORSCHUNGEN UND QUELLEN Z U R K I R C H E N - U N D K U LT U R G E S C H I C H T E OSTDEUTSCHLANDS IM AUFTRAGE DES INSTITUTES FÜR OSTDEUTSCHE KIRCHEN- UND KULTURGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON PAUL MAI Band 49
TRANSREGIONALITÄT IN KULT UND KULTUR Bayern, Böhmen und Schlesien zur Zeit der Gegenreformation
Herausgegeben von
Marco Bogade
2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Die kirchliche Druckerlaubnis wird für die Veröffentlichung erteilt. Köln, den 10. Februar 2016 Jr. Nr. 106 250 I 90 Dr. Dominik Meiering, Generalvikar
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: München, Marienplatz (Foto: Marco Bogade)
© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Peter Kniesche Mediendesign, Weeze Druck und Bindung: Strauss, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50132-7
INHALT Paul Mai Geleitwort............................................................................................................... 7 Marco Bogade Vorwort des Herausgebers...................................................................................... 9 Rainer Bendel Reform als kulturelle Brücke. Die Gegenreformation in Schlesien, Böhmen und Bayern ............................................................................................................. 15 HEILIGENKULTE IN DER BAROCKZEIT – TRADITION UND INNOVATION
Petr Kubín Der Kult des seligen Hroznata im Barock.............................................................. 35 Damien Tricoire „Sklave sein heißt herrschen“: Die Münchner und Prager Mariensäulen in ihrem religiösen und politischen Kontext............................................................... 59 Jan Kilián Von Luther zur Mutter Gottes. Religionswandel, Heiligenkulte und Wunder im Osterzgebirge im 17. Jahrhundert ..................................................................... 71 DIE ZEIT DER GEGENREFORMATION ALS HOCHPHASE DER PROFAN- UND SAKRALARCHITEKTUR
Madleine Skarda Phœnix Bohemiæ. Die memoriale Funktion der gottischen Architektur Jan Blažej Santini-Aichels in der Klosterkirche von Sedletz (Sedlec)................... 95 Daniela Štěrbová „Joch für Joch“. Der Weg zur „böhmischen Wandpfeilerhalle“............................. 113 Jan Wrabec Unbestimmtheit und Innovation der Kirche des hl. Kreuzes und der hl. Hedwig in Wahlstatt (Legnickie Pole).................................................................................. 124
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Inhalt
Aurelia Zduńczyk Schlesische Mariensäulen als Zeugnisse der transregionalen Verbreitung eines Typus sakraler Freilichtdenkmäler zur Zeit der Gegenreformation .............. 145 IKONOGRAFIE UND BILDENDE KUNST IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 17. UND ERSTEN HÄLFTE DES 18. JAHRHUNDERTS
Jan Royt Palladium und Lerche............................................................................................. 163 Małgorzata Wyrzykowska The Cult of Saints of the House of Habsburg in Silesian Baroque Art. Selected examples................................................................................................... 176 Julia Fischer Barocke Bildprogramme als Ausdruck des katholischen Selbstverständnisses am Beispiel der Fresken Cosmas Damian Asams .................................................. 193 Lenka Stolárová Exploiting hitherto unknown transfers of artistic notions to the lands of the Bohemian Crown as exemplified by Carlo Screta.................................................. 203 Dörte Wetzler „Zur Befürderung der Andacht“. Das Prager Loreto um 1700 als inszenierende Rahmung.......................................................................................... 230 FORSCHUNGSPROJEKTE
Mario Feuerbach Das Zisterzienserkloster Ossegg (Osek) und sein Wallfahrtsort Maria Ratschitz (Mariánské Radčice) in der Zeit der Gegenreformation. Eine römisch-katholische Antwort auf Luthers Lehren.................................................. 263 Matthias Donath Grenz- und Zufluchtskirchen Schlesiens................................................................ 273 Katharina Ute Mann Polonia. Eine Nationalallegorie als Erinnerungsort in der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts ............................................................................................... 285 Orts- und Personenregister...................................................................................... 291
GELEITWORT Es gehört zur jahrzehntelangen Tradition unseres Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte e.V., die Ergebnisse unserer Arbeitstagungen möglichst auch jeweils in einer unserer Institutsreihen oder in unserer Zeitschrift „Archiv für schlesische Kirchengeschichte“ zu publizieren. So freut es mich, hier die Vorträge der 50. Arbeitstagung zum Thema „Transregionalität der Kult(ur)regionen Bayern – Böhmen – Schlesien zur Zeit der Gegenreformation“ in Tepl/Teplá vom 5. bis 8. August 2013 als Band 49 der „Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands“ der Öffentlichkeit zu übergeben. Tagungen nämlich bleiben, trotz des begrüßenswerten Selbstwerts internationalen Austausches der Forschermeinungen und der damit verbundenen neuen Forschungsinitiativen gleichsam eine halbe Sache, wenn die Vorträge nicht schriftlich dokumentiert werden. Nachhaltigkeit der Forschung in der Genese nach rückwärts und auf Zukunft hin lässt sich meines Erachtens nur auf dem Wege der Schriftlichkeit garantieren. Thematisch knüpfte diese Tagung an die 43. Arbeitstagung des Instituts vom 1. bis 4. August 2005 in Schloß Groß Stein/Kamien Šląski zum Thema „Barock in Schlesien. Demonstratio et repraesentatio catholica“ an, die im „Archiv für schlesische Kirchengeschichte“ 64 (2006) ihren Niederschlag fand. Reformation und Gegenreformation waren fundamentale Geistesbewegungen in der Kirchengeschichte der Neuzeit, die alle ecclesialen Kräfte mobilisierten. Die Auswirkungen auf die Architektur- und Kunstgeschichte, auf Kult und Liturgie, auf das Wallfahrtswesen, auf die Kirchenmusik waren enorm, gleichsam kirchenidentifizierend. Die Auswirkungen in den Regionen Bayern, Böhmen, Schlesien in den Blick zu bekommen, regionale Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, den Prozess des Austausches über einzelne Künstlerpersönlichkeiten zu verfolgen, ist eine höchst interessante Sache, die in ihren Netzwerkbeziehungen gerade in den letzten Jahren immer deutlicher in den Fokus der Forschung geriet. Dass die Tagung 2013 von Dr. Marco Bogade (Oldenburg) und Prof. Dr. Jan Royt (Prag/Praha) moderiert wurde, unterstreicht den partnerschaftlichen Wissenschaftsaustausch zwischen den beiden Nachbarländern Deutschland und Tschechien, dem sich Forscher aus Polen als drittem Land anschlossen. Dr. Bogade hat dankenswerterweise die Redaktion dieses Bandes übernommen und die Manuskripte druckfertig gemacht. Den einzelnen Autoren ist für die konstruktive Mitarbeit und zügige Manuskriptablieferung zu danken. Dank abzustatten gilt es auch der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für die Ermöglichung der Tagung in Tepl. Danken darf ich auch dem BöhlauVerlag, Herrn Johannes van Ooyen, für die stets ersprießliche Zusammenarbeit. Msgr. Dr. Paul Mai 1. Vorsitzender
VORWORT DES HERAUSGEBERS
„Kultur ist immer Resultat von Kommunikations- und Transferprozessen, die an Ländergrenzen nicht haltmachen. Sie formt sich durch Austausch, durch Aneignung des Anderen, das dabei Umformung erfährt, so daß die Inspiration, aus der geschöpft wurde, kaum noch erkennbar ist“1, resümiert der Kunsthistoriker Bernd Roeck im Jahre 2010 in einer Vorlesung an der Universität Osnabrück. Und er fährt fort: „Migration zählte zu den wesentlichen Faktoren dessen, was man ‚die europäische Kultur‘ nennt.“2 Die Kult(ur)geschichte der bayerisch-böhmisch-schlesischen Transfer- und Kontaktregion ist im 17. und 18. Jahrhundert, nach den Prozessen der Konfessionalisierung, geprägt von einem in großem Maße konfessionell gelenkten (Herrscher- und Herrschafts-) Selbstverständnis und einer engen wechselseitigen Beziehung von Religion und Kunst. Mit der Reformation und der – begriffsgeschichtlich nicht unumstrittenen – (katholischen) Gegenreformation intensivierten sich die dynastischen und kulturellen Beziehungen zwischen Bayern, Böhmen und Schlesien nicht zuletzt auf der Grundlage der gemeinsamen konfessionellen Interessen der Habsburger und Wittelsbacher an der Wahrung und Wiederbelebung des katholischen Glaubens im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Diese Periode der katholischen Dominanz, respektive Dominierung, in Abgrenzung zum Protestantismus, schlägt sich in besonderer Weise in der Pflege und Etablierung von Heiligenkulten sowie in der spezifischen, Regionen übergreifenden Kunstproduktion nieder, die in der Schaffung von Kirchenbauten und deren Ausstattungen ihren produktivsten Niederschlag fand. Ihre Akteure bzw. „Migranten“3 gilt es zu untersuchen. In Bayern wurde der Katholizismus bzw. die Gegenreformation in besonderem Maße von den Herzögen Wilhelm V. (1548–1626) und dessen Sohn Maximilian I. (1573–1651) protegiert und von der Societas Jesu getragen. Nach dem Sieg über den sog. „Winterkönig“ Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632) kam im Jahre 1620 eine Grenzregion zu Böhmen unter den Einfluss der Wittelsbacher, die seit dem 16. Jahrhundert protestantisch geworden war und die es zu rekatholisieren galt: die Oberpfalz. In Böhmen unternahmen die Habsburger in Folge des „protestantischen“ Ständeaufstands von 1618 ab 1620 intensive Rekatholisierungsmaßnahmen, die auch Schlesien miteinbezogen, das damals zur Böhmischen Krone gehörte. Die Rekatholisierung erfolgte dort – im Unterschied zum „böhmischen Kernland“, wo der Konfessions-
1 Bernd ROECK: Migration und Kulturtransfer in der frühen Neuzeit, Osnabrück 2010 (Osnabrücker Universitätsreden), 5. 2 Ebd., 41. 3 ROECK (wie Anm. 1), 16.
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Marco Bogade
wechsel hin zum Katholizismus mit wenigen Ausnahmen bei allen protestantischen Konfessionen erwirkt wurde – allerdings nicht flächendeckend. Der transregionale Kult(ur)transfer am Beispiel des Prämonstratenserstifts Tepl/ Teplá, wo vom 5. bis 8. August 2013 die diesem Band zugrunde liegende internationale und interdisziplinäre Konferenz des Instituts für ostdeutsche Kirchen- und Kulturgeschichte (Regensburg) stattfand, liegt in der Mobilität seiner Akteure begründet. Das Tepler Stift4 erlangte unter Abt Andreas Ebersbach (1599–1629), nach der Schlacht am Weißen Berg 1620 und nachdem auf Veranlassung Kaiser Ferdinands Teile des klösterlichen Besitzes restituiert worden waren, eine Bedeutung für die Gegenreformation in der Region. Der Tepler Chorherr Basil Grassl formuliert dazu in seiner Chronik von 1910, natürlich mit einer gewissen Subjektivität eines „Insiders“: „Dieser [der Kaiser] ernannte den Abt zum Mitglied der Reformationskommission und beauftragte das Stift mit der Gegenreformation und nun ging aus dem Stifte eine sehr bedeutende Zahl von Seelsorgern und Missionären (sic!) hervor, die weit und breit in ganz Westböhmen die katholische Lehre mit Erfolg predigten und die bisher von den lutherischen Pastoren besetzten Pfarreien übernahmen.“5 Noch im frühem 20. Jahrhundert übernahm Tepl die Cura animarum, die Seelsorge, über mehr als 20 inkorporierte Pfarreien.6 Das Stift wurde der Legende nach im Jahre 1197 von dem aus dem böhmischen Adel stammenden, heute seligen Hroznata von Ovenec (um 1160–1217) gegründet (und vom Kloster Strahov bei Prag aus besiedelt) – gleichsam als Ersatz für eine Wallfahrt nach Jerusalem, respektive der Teilnahme am Kreuzzug im Jahre 1197. Sein Grab befindet sich seit 1653 in der Mitte des Chores der Stiftskirche. Als Filiation von Tepl gründete Hroznata zu Beginn des 13. Jahrhunderts das Kloster Chotieschau (Chotěšov) als Damenstift. Die Tepler Stiftskirche Kirche Mariä-Verkündigung, eine spätromanische, dreischiffige Hallenkirche aus dem späten 12. und frühen 13. Jahrhundert, wurde unter König Wenzel I. im Jahre 1232 vom Prager Bischof Johann von Draschitz/z Dražice geweiht. Die ursprüngliche Form der Halle mit Kirchenschiff, einem östlichen Querhaus mit drei Apsiden, von denen die mittlere im 14. Jahrhundert gotisiert wurde, ist auch nach der Barockisierung noch erkennbar. Die Kirche besitzt eine Westfassade in spätromanischen bzw. frühgotischen Formen mit einem im späten 19. Jahrhundert eingebauten Portal. Die Kirche wurde, ebenso wie das gesamte Stift, unter Abt Raimund II. Wilfert (1688–1724) Ende des 17. Jahrhunderts um- und ausgebaut. Nach Plänen des Bau4 Dazu auch Marco BOGADE: Tepl/Teplá. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der
Deutschen im östlichen Europa, 2014. URL: http://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/54430.html (Stand 11.03.2014). 5 Basil GRASSL: Geschichte und Beschreibung des Stiftes Tepl, Pilsen 1910, 15. 6 Ebd., 62.
Vorwort des Herausgebers
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meisters Christoph Dientzenhofer (1655–1722), der ja bekanntermaßen auch an der Prager St.-Nikolaus-Kirche auf der Kleinseite, am Loreto auf dem Hradschin oder auch im Stift Breunau (Břevnov) wirkte, erhielten die Türme der Klosterkirche ihren barocken Abschluss; auf ihn gehen auch das zweigeschossige Konventsgebäude und die mit seiner reich gestalteten Giebelseite aus der westlichen Gebäudeflucht hervortretende Prälatur auf der Südseite der Kirche zurück.7 In Hinblick auf das weit verzweigte künstlerische Netzwerk der Familie Dientzenhofer lassen sich Aspekte eines transregionalen Ideen- und Stiltransfers, die mit Georg, Johann, Christoph, Leonhard und Wolfgang Dientzenhofer gleichsam in erster Generation etwa die Orte Bamberg, Weißenstein, Banz, die Regionen Oberpfalz (v. a. Waldsassen) und Böhmen (v. a. Prag), mit Kilian Ignaz in zweiter Generation auch Schlesien (v. a. Kloster Wahlstatt/Legnickie Pole) verbanden,8 geradezu exemplarisch auch für Tepl exerzieren. Betrachtet man die unter Abt Hieronymus Ambros (1741– 1767) in Tepl tätigen Künstler Elias Dollhopf (1703–1773) oder Ignatz Franz Platzer (1717–1787), so wird die Notwendigkeit einer transregionalen und auch transnationalen Betrachtung evident – Überlegungen, die in der kunsthistorischen Forschung natürlich kein Novum darstellen, seit den späten 1990er Jahren mit den sozialwissenschaftlichen und kulturhistorischen Konzepten eines „Kulturtransfers“ von Michel Espagne und Michael Werner bzw. eines „kulturellen Austauschs“ von Étienne François, 9 einer „histoire croisée“ von Michael Werner und Bénédicte Zimmermann10 oder neuerdings einer „entangled history“ von Shalini Randeria und Sebastian Conrad11 eine neue Bedeutung erhalten.12
7 Zur Baugeschichte Joachim BAHLCKE/Winfried EBERHARD/Miloslav POLÍVKA (Hg.):
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Handbuch der historischen Stätten: Böhmen und Mähren, Stuttgart 1998, 603–604; Pavel VLČEK/Petr SOMMER/Duşan FOLTÝN: Encyklopedie českých klášterů [Enzyklopädie der böhmischen Klöster], Praha 1998, 665–670. Dazu Milada VILÍMKOVA/Johannes BRUCKER: Dientzenhofer. Eine bayerische Baumeisterfamilie in der Barockzeit, Rosenheim 1989, v. a. 258–262. Michel ESPAGNE/Michael WERNER (Hg.): Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIIIe et XIXe siècle), Paris 1988; darin vor allem die Beiträge von Michel ESPAGNE/Michael WERNER: Deutsch-französischer Kulturtransfer als Forschungsgegenstand. Eine Problemskizze, 11–34 sowie Étienne FRANÇOIS: Les échanges culturels entre la France el les pays germaniques au XVIIIe siècle, 35–47. Michael WERNER/Bénédicte ZIMMERMANN: De la comparisation à l’histoire croisée, Longjumeau 2004. Sebastian CONRAD/Shalini RANDERIA (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt 2002. Die Diskussion zusammenfassend mit Literaturhinweisen bei Hartmut KAELBLE: Die Debatte über Vergleich und Transfer und was jetzt?, in: H-Soz-u-Kult, 08.02.2005, http://hsozkult. geschichte.hu-berlin.de/forum/id=574&type=artikel (19.02.2014).
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Marco Bogade
Dollhopf führte umfangreiche Malerarbeiten in Tepl aus, darunter einen Zyklus mit Szenen aus dem Leben des seligen Hroznata im Querschiff der Stiftskirche.13 Bleibt die Tätigkeit Dollhopfs im Wesentlichen auf Westböhmen und das sog. Stiftland in der nördlichen Oberpfalz beschränkt, so ist der in Pilsen (Plzeň) geborene Bildhauer Ignatius Platzer14 nicht nur in Prag, sondern auch in Wien und Schönbrunn nachweisbar. In der Tepler Stiftskirche schuf er in den 1750er Jahren, zusammen mit dem Prager Hofsteinmetzen Josef Lautermann, den Hochaltar, des Weiteren den Kreuzaltar, den Altar der hll. Johannes und Paul und verschiedene Kleinplastiken auf den Seitenaltären.15 Ein weiter gefasstes „entanglement“, eine regionale Verstrickung oder Verschränkung, belegt auch der Freskenmaler Johann Peter Molitor (1702–1756)16, der in Berlin, Dresden und Bonn studierte und, nach seinem Eintritt in die Prager Malergilde im Jahre 1730, vor allem in Böhmen tätig war. In Tepl hat er am Hauptaltar eine Marienverkündigung hinterlassen. Die Relevanz einer transregionalen, vielleicht auch einer europäischen Perspektive, und – um die Gedanken des polnischen Kunsthistorikers und Denkmalpflegers Andrzej Tomaszewski aufzugreifen – die Vermittlung von mehrfachen Nationalitäten von Denkmälern im Sinne eines gemeinsamen kulturellen Erbes,17 wird besonders evident, wenn man die Geschichte des Tepler Stifts in den letzten beiden Jahrhunderten betrachtet. Wurde von Tepl ab 1921 der im Jahre 1803 säkularisierte Konvent Speinshart in der Oberpfalz wiederbesiedelt, so haben besonders die „säkularen Zeiten“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die Zeit der kommunistischen Regierung in der Tschechoslowakei das Bauensemble nicht sehr gut behandelt. Über Jahrzehnte wurde die Anlage als Kaserne genutzt; nach 1978 stand sie leer. Nach der „Samtenen Revolution“ von 1989 wurde das Stift wieder den Prämonstratensern übergeben; ab 1991 wurde es unter dem Abt Filip Zdenek Lobkowicz wiederbesiedelt und die Restaurierungsarbeiten der zum Teil immens in Mitleidenschaft gezogenen Gebäude begannen sukzessive. Seit dem Jahre 2008 ist das Stift Tepl ein Nationales Kulturdenkmal (Národní kulturní památka) der Tschechischen Republik; diese An13 Dazu GRASSL (wie Anm. 5); Heřman J. TYL: Klášter Teplá u Mariánských Lázní [Das Kloster
Tepl bei Marienbad], Plzeň 1947, 51–54 und auch der Beitrag von Petr Kubín in diesem Band.
14 Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von
Ulrich Thieme und Felix Becker, hg. v. Hans VOLLMER, Band 27, München 1992, 144f. 15 Ebd. und TYL (wie Anm. 13), 54f. 16 Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Begründet von
Ulrich Thieme und Felix Becker, hg. v. Hans VOLLMER, Band 25, München 1992, 38 und TYL (wie Anm. 13), 38. 17 Dazu die wichtigsten denkmaltheoretischen Texte von Andrzej Tomaszewski, zusammengestellt in: Marco BOGADE (Hg.): Stadtkultur des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit in Ostmitteleuropa und ihre Renaissance im 19. Jahrhundert/Kultura miast środkowo- i wschodnio-europejskich w późnym średniowieczu i renesansie oraz jej odrodzenie w XIX wieku. In Memoriam Andrzej Tomaszewski (1934–2010), Warszawa 2012 (Das Gemeinsame Kulturerbe – Wspólne Dziedzictwo 8), 33–77.
Vorwort des Herausgebers
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erkennung bereitete den Weg zur Akquise von EU-Mitteln, die auch die aktuellen Restaurierungsarbeiten mitfinanzieren. Der vorliegende Konferenzband verfolgte einen, bezogen auf die Regional-, Kirchen- und Kunstgeschichte, komparatistischen Ansatz, der die Bereiche der Kult(ur) vermittlung auf verschiedenen Ebenen sowie des Kunst- und Kulturtransfers berührt. Im Sinne der Netzwerkforschung sind die Motivationen und Motivatoren der Transfer- und Vermittlungsprozesse und ihre Impuls gebende Bedeutung für die Kunst- und Kulturgeschichte von Interesse. Die Gliederung des Buches spiegelt die inhaltlichen Schwerpunkte der Tagung wider. Ausgehend von innerkirchlichen Reformimpulsen im 16. Jahrhundert vor allem aus Spanien und Italien, aber auch ausgehend von den Orden, betont Rainer Bendel (Tübingen) in seinem Einführungsbeitrag die Notwendigkeit eines regionalgeschichtlichen Ansatzes bei der Untersuchung des Phänomens, das als Gegenreformation oder katholische Reform bezeichnet wird und dessen regionale Charakteristika er am Beispiel von Bayern, Böhmen und Schlesien herausstellt. Der erste Schwerpunkt des Bandes befasst sich mit Heiligenkulten in der Barockzeit im Spannungsfeld von Tradition und Innovation zur Zeit der Rekatholisierung. Die in ihrer Intensität oszillierende lokale Verehrung des seligen Hroznata (um 1160– 1217) in Tepl, dessen Kult 1887/98 bestätigt wurde, stellt Petr Kubín (Prag/Praha) in den Mittelpunkt seines Beitrags. Der seit dem späten Mittelalter tradierte Kult ist dabei unabhängig von den „nationalen Vorzeichen“ in der Region und findet auch nach dem Dreißigjährigen Krieg eine Fortsetzung. Damien Tricoire (Halle) untersucht am Beispiel der Mariensäulen in München und Prag den regionalspezifischen memorialen Gehalt bei gleichzeitigem Rückgriff auf den gleichen Denkmaltypus. Jan Kilián (Pilsen/Plzeň) geht auf die regionalen Spezifika bei der Rekatholisierung im Osterzgebirge ein, bei der das Kloster Ossegg (Osek) und die dazugehörige Wallfahrtskirche Maria Ratschitz (Mariánské Radčice) bzw. die Stadt Graupen (Krukpa) mit der Wallfahrtkirche Mariaschein als Orte der Marienverehrung eine zentrale Rolle spielten. Im Rahmen des zweiten Themenschwerpunkts „Architektur und Kirchengeschichte. Die Zeit der Gegenreformation als Hochphase der Profan- und Sakralarchitektur“ stellt Madleine Skarda (Zürich) die „Memoria“ als wesentliches Moment der Kontinuität des Klosters Sedletz (Sedlec) heraus, die wohl auch maßgeblich die Verwendung der Neogotik Johann Blasius Santini-Aichls im beginnenden 18. Jahrhundert beim Wiederaufbau der Klosterkirche Mariä Himmelfahrt erklärt. Am Beispiel der böhmischen Wandpfeilerhallen zeigt Daniela Štěrbová (Prag/Praha) zentrale Gestaltungsmotive, die Einfluss auf die Entwicklung dieses Gebäudetyps hatten, der auch nach Bayern „exportiert“ wurde. Jan Wrabec (Breslau/Wrocław) betont die sowohl für Schlesien, als auch für Böhmen und Bayern einmalige Architektur des Innenraums der Klosterkirche von Wahlstatt (Legnickie Pole), die Kilian Ignaz Dientzenhofer schuf. Aurelia Zduńczyk
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Marco Bogade
(Breslau/Wrocław) erläutert die differenzierte ikonografische Disposition von Mariensäulen in Schlesien, die als ein transregionales Medium der „katholischen Bewusstseinsbildung“ im habsburgischen Reich den öffentlichen Raum prägten. Der dritte Themenschwerpunkt fokussiert sich schließlich auf die Ikonografie und bildende Kunst in der zweiten Hälfte des 17. und ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Gleichsam ein Historismus ist die ikonografische „Apotheose“ Marias in den Himmel der böhmischen Landespatrone, wie Jan Royt (Prag/Praha) am Beispiel des sog. Altbunzlauer Palladiums zeigt. Małgorzata Wyrzykowska (Breslau/Wrocław) legt dar, dass von Leopold I., Joseph I. und Karl VI. die Kulte der heiligen Leopold, Joseph und Karl Borromäus mit Hinblick auf die Sakralisierung einer Staatsideologie gefördert bzw. etabliert wurden und diese Eingang in die habsburgische „Staatsikonografie“ fanden. Der Beitrag von Julia Fischer (Freiburg) befasst sich mit der Inszenierung der Ecclesia als bedeutendes ikonografisches Sujet in der Freskenmalerei von Cosmas Damian Asam (1686–1739) am Beispiel der Klöster in Weingarten, Weltenburg, Fürstenfeld und Wahlstatt. Lenka Stolárová (Prag/Praha) präsentiert auf der Grundlage eines umfassenden Forschungsprojekts der Nationalgalerie in Prag neue Ergebnisse zu den „Wanderjahren“ des in Prag geborenen Malers Carlo Screta/Karel Škréta 1627–1638. Dörte Wetzler (Berlin) schließlich vergleicht die öffentliche Präsentation barocker Gnadenbilder am Beispiel des Prager Loreto und der Wieskirche bei Steingaden. Aktuelle Forschungsprojekte stellen Mario Feuerbach (Eltville) mit einer bauhistorischen Untersuchung zum Kloster Ossegg (Osek) und der Wallfahrtskirche Maria Ratschitz (Mariánské Radčice), Matthias Donath (Dresden) zu den Grenz- und Zufluchtskirchen in Schlesien und Katharina Ute Mann (Köln) zur Personifikation der Polonia als Erinnerungsort in der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts vor. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Werner Chrobak (Regensburg) für die tatkräftige Unterstützung bei der Tagung in Tepl und bei der Umsetzung dieser Publikation. Marco Bogade
Rainer Bendel REFORM ALS KULTURELLE BRÜCKE Die Gegenreformation in Schlesien, Böhmen und Bayern Man hat diese scheinbare Reaktion auf die Forderung nach der Reform an Haupt und Gliedern in der katholischen Kirche lange Zeit als kämpferische Antwort, auch als militante Antwort auf die Vorgänge, Entwicklungen und Konsequenzen der Reformation betrachtet – so etwa bei Leopold von Ranke, der die Periode der europäischen Geschichte ab 1555 mit dem Terminus „Gegenreformation“ belegte, was sowohl das politische Vorgehen – und darauf wurde häufig das Hauptaugenmerk gerichtet – gegen den Protestantismus wie auch die katholische Erneuerung beinhaltete. Hubert Jedin, der Historiker des Trienter Konzils, hat 1946 dafür plädiert, diese beiden Schwerpunkte begrifflich deutlich voneinander zu unterscheiden.1 Man sprach seitdem also nicht länger von Reformation und Gegenreformation allein, sondern fügte den Terminus Katholische Reform hinzu. Bei dieser Unterscheidung geht es nicht um konfessionelle Rechthaberei, sondern um den Versuch, mit Hilfe einer möglichst adäquaten Terminologie die Komplexität der Sachverhalte, die unterschiedliche vielschichtige Motivlage in den Griff zu bekommen.2 Wir wissen inzwischen um die Reichweite der Thesen zu Konfessionsbildung und Entstehung der Konfessionen, die Ernst Walter Zeeden ab 1958 vorgetragen hat und die dann von Wolfgang Reinhard3 und Heinz Schilling4 aufgenommen und weiterverfolgt wurden. Parallelitäten und funktionale Äquivalenzen bei der Entstehung der großen Konfessionskirchen interessierten zunehmend. Man sprach seit dem Beginn der 1980er Jahre von der Konfessionalisierung und meinte damit auch die damit verbun-
1 Leopold von RANKE: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 5 Bände, Berlin 1839
bis 1847. 2 Hubert JEDIN: Katholische Reformation oder Gegenreformation? Ein Versuch zur Klärung
der Begriffe nebst einer Jubiläumsbetrachtung über das Trienter Konzil, Luzern 1946; Hubert JEDIN: Historische Begriffe [Katholische Reform und Gegenreformation], in: Handbuch der Kirchengeschichte. Bd. 4, Freiburg i. Br. 1967, 449–450. 3 Wolfgang REINHARD: Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte 68 (1977), 226–252. 4 Heinz SCHILLING: Das konfessionelle Europa. Die Konfessionalisierung der europäischen Länder seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen für Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur, in: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur, hg. von Joachim BAHLCKE und Arno STROHMEYER, Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 13–62, hier 41.
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Rainer Bendel
dene Sozialdisziplinierung.5 Die Obrigkeit wünschte sich eine Vereinheitlichung ihrer Untertanen nicht nur, aber eben auch in religiösen Fragen. Das religiöse öffentliche und private Leben sollten zunehmend diszipliniert werden. Dabei werden Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung als ein Prozess der Modernisierung gesehen und aus unserer Perspektive in der Regel auch positiv gedeutet.6 Solche politischen – Stichwort Gegenreformation – und sozialen oder soziologischen Theorien – Stichwort Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung – stehen häufig in der Gefahr, die Reichweite ihrer Interpretationskraft zu überschätzen.7 Wir bekommen eingängige Modelle für wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische, religiöse Entwicklungen, ohne dass wir die Grenzen, die Unschärfen dieser Begriffe wahrnehmen. So hat man völlig zu Recht den Begriff Gegenreformation in den letzten Jahrzehnten relativiert, weil man inzwischen die unterschiedlichen Stränge kirchlicher Reform gesehen hat, die keinesfalls nur eine politisch-herrschaftlich verordnete Reform der katholischen Kirche war, also nicht nur eine Reaktion auf die Reformation, sondern durchaus auch aus eigenem Antrieb erfolgt ist. Ein erster Fokus ist demzufolge den wichtigsten innerkirchlichen Reformquellen und -impulsen gewidmet, bevor wir im zweiten größeren Teil einige ausgewählte Aspekte mit regionaler Schwerpunktsetzung näher betrachten.
I. Innerkirchliche Reformquellen und -impulse Es ist in der Tat so, dass Reformforderungen und Reformvorgänge gerade im Bereich von Spanien oder Italien im weiteren Gefolge der Reformation festzustellen sind, die sich nicht allein aus antireformatorischer Absicht erklären lassen. Katholische Reform also meint alle jene Lebensäußerungen der alten Kirche, die zu einer auffallenden Erstarkung gegen Ende des 16. Jahrhunderts führten und ohne die auch der Erfolg politischer Maßnahmen, auch Zwangsmaßnahmen gegen die Reformation, nicht zu 5 Heinrich Richard SCHMIDT: Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus
in der Konfessionalisierungsforschung, in: Historische Zeitschrift 265 (1997), 639–682. 6 Die Kritik an diesen drei gängigen Parametern, die sich in den letzten zwei, drei Jahrzehnten in
der Wissenschaft durchgesetzt haben, fasst Luise Schorn-Schütte zusammen; sie nennt neben der Funktionalisierung die Erfolgsorientierung und den etatistischen Charakter der Konfessionalisierung. Luise SCHORN-SCHÜTTE: Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, in: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa (wie Anm. 4), 63–77. Dazu neuestens u. a. Thomas MERGEL: Geht es weiterhin voran? Die Modernisierungstheorie auf dem Weg zu einer Theorie der Moderne, in: Geschichte zwischen Kultur und Gesellschaft. Beiträge zur Theoriedebatte, hg. von Thomas MERGEL und Thomas WELSKOPP, München 1997, 203–229; Albrecht P. LUTTENBERGER: Katholische Reform und Konfessionalisierung, Darmstadt 2006. 7 Rainer BENDEL/Joachim KÖHLER: Optionen – Theorien – Methoden – Fragen zu tausend Jahren christlichen Lebens im schlesischen Raum, in: 1000 Jahre christliches Leben im schlesischen Raum, hg. von Joachim KÖHLER und Rainer BENDEL, Münster 2002, 27–77.
Die Gegenreformation in Schlesien, Böhmen und Bayern
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verstehen wäre. Man sprach in diesem Zusammenhang auch von Selbstreform der Kirche. In einem ersten Durchgang sind drei Impulsquellen für die innerkatholische Reform ins Auge zu fassen. Zum einen die romanischen Länder: Spanien und Italien und zum anderen die Orden mit ihren Reformimpulsen8 – und nicht zuletzt das Trienter Konzil.9
1. Spaniens Beitrag zur innerkatholischen Reform Als sich gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts empfindliche Ausfallerscheinungen im katholischen Leben des Sacrum Imperium zeigten, als etwa zum Unterschied von den Jahren vor 1517, auch zahlenmäßig ein deutlicher Priestermangel spürbar wurde, erinnerten sich Visitatoren, Nuntien, Fürsten und Bischöfe der ungebrochenen Kräfte katholischen Lebens und reformerischer Tatkraft, wie sie in Spanien und auch Italien seit über einem halben Jahrhundert mächtig am Werk war. Es war eine Anzahl von Faktoren, die nach menschlichem Ermessen das Phänomen der spanischen Reformkirche begründeten:10 Durch die Verbindung von staatlicher Gewalt, staatlichem Reformwillen, kultureller Aufgeschlossenheit, geistlicher Einstellung der Minister und deren kirchlichem Reformkonzept kam es schon vor 1500 zu einer wirksamen Erneuerung der spanischen Kirche. Die Beschlüsse von Provinzialkonzilien, etwa von 1473 und 1512, blieben nicht wie im deutschen Bereich, im „Mutterland der Reformation“, auf dem Papier stehen. Vor allem wurden Studium, Seelsorge und Orden wirksam reformiert. Diese Entwicklung zum neuzeitlichen Frühabsolutismus, wie wir sie in Spanien mit seinem kirchenreformerischen Elan konstatieren können, war nicht zu trennen von der Erfahrung der Reconquista, die den Volkscharakter seit dem 13. Jahrhundert zutiefst geprägt hat. Hier war der Kreuzzugsgeist des übrigen Europa, hochkultiviert im Sinne katholischer Reform, zunächst auch durchaus konstruktiv wirksam – zugleich aber mit jenen Schattenseiten behaftet, die mit Gewaltanwendung im Bereich der Religion von selbst gegeben sind. Vor diesem staatskirchlichen Hintergrund wurden vor allem durch den Franziskaner Ximenes umfassende kirchliche und kulturelle Reformen in Angriff genommen, die bei aller Kontinuität zum Mittelalter Spanien bruchlos in die Neuzeit hinüberführ8 Friedhelm JÜRGENSMEIER/Regina Elisabeth SCHWERDTFEGER (Hg.): Orden und klöster-
liche Gemeinschaften im Zeitalter der Reform und Konfessionalisierung, Bd. 1, Münster 2005. 9 Paolo PRODI (Hg.): Das Konzil von Trient und die Moderne, Berlin 2001 (Schriften des Italie-
nisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 16). 10 Klaus HERBERS: Geschichte Spaniens im Mittelalter. Vom Westgotenreich bis zum Ende des
15. Jahrhunderts, Stuttgart 2006; Walther L. BERNECKER/Horst PIETSCHMANN: Geschichte Spaniens. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Stuttgart 42005; Carl Josef HEFELE: Der Cardinal Ximenes und die kirchlichen Zustände Spaniens am Ende des 15. und Anfange des 16. Jahrhunderts, Tübingen u. a. 1844.
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ten. An erster Stelle ist die Reform des Seelsorgeklerus zu nennen – flankiert von der Bildungsreform wurde der tridentinische Seelsorgepriester vorgebildet.
2. Italiens Beitrag zur innerkatholischen Reform In Italien müsste zunächst der kulturelle und geistesgeschichtliche Umwandlungsprozess genannt werden, den man gewöhnlich mit Humanismus und Renaissance umschreibt. Kennzeichnend für die katholische Reform in Italien11 war gleichfalls eine Neubewertung der Seelsorge. Diese setzte nun auch in Italien schon ein, bevor die Reformatoren Priester und Prediger gleichsetzten. Diese Idee war – angeregt durch das Bischofsbild der christlichen Antike – im christlichen Humanismus heimisch geworden. Man sah zwar das Ideal des Priesters, vor allem des höher gestellten, nicht ausschließlich in der Betreuung einer Gemeinde durch Predigt und Sakrament; zu sehr faszinierte das Menschenbild der Renaissance vom Uomo Universale. So gestand man einem Prälaten durchaus auch eine Tätigkeit als Staatsmann, Diplomat und Gelehrter zu, aber man verteilte die Gewichte neu. Der seelsorgliche Dienst an den Menschen wurde als vornehmste geistliche Aufgabe angesehen, deren sich vor allem ein Gebildeter nicht zu schämen brauchte. Was diese Geistlichen vorlebten und wodurch sie auch Erfolg hatten war, ähnlich wie in der Jesuitenseelsorge, die ständige Präsenz des Seelsorgers, das persönliche Bemühen um jeden Einzelnen, wiederholte Visitation, regelmäßige Glaubensunterweisung, offensive katholische Alternative durch Pflege des Sakramentalen im weiteren Sinn, der Zeremonien eines geläuterten Heiligen- und Sakramentenkultes usw. Mit anderen Worten: der Geist der bloßen Verteidigung und bissiger Apologetik, die immer etwas nachhinkte, war einer selbstbewussten Glaubenszuversicht gewichen.
3. Von den Orden ausgehende Reformimpulse Innerkirchliche Reform ohne Erneuerung der religiösen Orden ist schwer vorstellbar. So spielten die Orden auch im 16. Jahrhundert eine führende Rolle beim Wiedererstarken der Kirche. Ein Beispiel: Das Vorbild des hl. Franziskus bewies in der Gründung des Kapuzinerordens seine Lebenskraft (1525–1528). Treibendes Motiv des neuen Ordens war erstens ein erneuerter Armutsenthusiasmus. Man wollte wieder einmal die Regel und das Testament des Stifters wörtlich befolgen, wollte der ärmlichste und geringste aller Orden sein. Zweitens gab es eine betont eremitische, laikale und kontemplative Tendenz – mystische Gotteserfahrung galt als Voraussetzung einer sinnvollen Verwirklichung dieser ärmlichen Lebensform. Das verlieh drittens der apostolischen Buß- und 11 August BUCK (Hg.): Renaissance – Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, Wiesba-
den 1984.
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Wanderpredigt eine charismatische Note. In den ersten Jahrzehnten gab es sogar die enthusiastische Laienpredigt bis im Lauf der späteren Entwicklung nur ein Bruchteil der Brüder, wohl ausgebildet und profiliert für das Predigeramt, in Aushilfsseelsorge, Volksmission und Missionspredigt abgeordnet wurde.12 Die Kapuzinerpredigt des 17. und 18. Jahrhunderts mit ihrer Bildhaftigkeit, Volkstümlichkeit, „barocken Plastizität“ und humorvollen Innigkeit, verbunden mit Volksandachten, Prozessionen, sinnenhafter Darstellung und gemüthafter Anleitung zum Gebet, wurde zum literarischen Gattungsbegriff. Kapuziner wirkten als Missionare vor allem auf dem flachen Land und fanden durch ihre schlichte Art den Zugang zu den Herzen der dörflichen Gesellschaft. Sie stellten auch in den Städten eine Ergänzung zur Arbeit der Jesuiten dar. Wegen ihres geistlichen und intellektuellen Formats und ihrer Herkunft fand man sie bald führend in Kirchenpolitik, Diplomatie, Kreuzzugspredigt und Volksbelehrung.
4. Das Konzil von Trient Der nachhaltigste, systematisch angelegte Impuls der katholischen Reform ging ohne Zweifel vom Konzil von Trient aus (1545–1563). Trient muss als Krönung aller eben beschriebenen Reformbestrebungen aufgefasst werden. Das Konzil, vielfach eingefordert von den Protestanten, von den Päpsten lange hinausgezögert, war zugleich Ausdruck des inneren Erstarkens der katholischen Kirche und ihres wieder gewonnenen Selbstvertrauens. Andererseits muss man natürlich das Konzil als Antwort auf die vielfache Herausforderung der Reformation verstehen. Es grenzte ab, schuf Klarheit, zementierte aber auch den konfessionellen Gegensatz, lieferte die Glaubensformeln für die Gegenreformation und begründete so in Lehre und Gesetzgebung eine neuzeitliche Form katholischen Selbstverständnisses, wie es vor 1517 nicht gegeben war. Die tridentinische Reform ist mit Sicherheit der stärkste Ausdruck einer Reformbewegung, die zeitlich ins späte Mittelalter zurückreicht, räumlich sich auf den romanischen Raum konzentriert und im Wesentlichen von einzelnen Personen oder Gemeinschaften getragen wurde. Ohne Frage hat die weltweite Wirkung, die vom Trienter Konzil ausging, sich in allen Bereichen des kirchlichen Lebens tief eingewurzelt, wenn auch die Rezeption, die Akzeptanz des Konzils zum Teil aus politischen, zum Teil aus mentalen Gründen, sehr lange gedauert hat.13 Die Reformdekrete des Konzils wollten mehr als den augenblicklichen Zerfall der kirchlichen Disziplin aufhalten. Bei ihrer Durchführung ging es nicht nur um die Be12 Niklaus KUSTER (Hg.): Von Wanderbrüdern, Einsiedlern und Volkspredigern. Leben und Wir-
ken der Kapuziner im Zeitalter der Reformation. Quellen zur Entstehung der franziskanischen Reform und zu ihrer frühen Entfaltung im deutschen Sprachraum, Kevelaer 2003; Hillard von THIESSEN: Die Kapuziner zwischen Konfessionalisierung und Alltagskultur. Vergleichende Fallstudie am Beispiel Freiburgs und Hildesheims, 1599–1750, Freiburg im Breisgau 2002. 13 Hubert JEDIN: Geschichte des Konzils von Trient. 4 Bände, Freiburg im Breisgau 1949–1975 (I: 1949, II: 1957, III: 1970, IV: 1975).
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seitigung mehr oder minder offenkundiger, moralischer und struktureller Missstände, sondern letzten Endes um die Anpassung der Seelsorge an die neuen Gegebenheiten in Gesellschaft, Wirtschaft und Bildung mit dem letzten Ziel einer religiösen Erneuerung der Kirche von innen auf der Ebene der Diözese, in den religiösen Orden, in der römischen Zentrale und nicht zuletzt auf der Ebene der Pfarrei. Ziel aller dieser Vorschriften war ohne Frage das Heil der Seele. Wenn es nun auch um das Heil der Seele, um die intensivierte Betreuung der Gläubigen in den Pfarreien ging, so war doch die Tendenz des Konzils, gerade bezüglich der Reformforderungen, auf das Amt, auf den Priester und die Hierarchie gerichtet. Das gläubige und betende Volk schien nur eine passive Rolle in einer Kirche zu spielen, die es nicht bildete und nicht zu bilden berufen war. So erschien denn das Volk nur in der Mahnung an den Bischof, dieses zum Anhören des Gotteswortes zu bewegen oder in den Strafbestimmungen gegenüber den Laien. Der Laie blieb das Objekt der Seelsorge, obwohl bereits die vortridentinische Theologie dem Glauben im Heilsgeschehen als eine Grundvoraussetzung für eine Aufwertung der Laien gesehen hatte. Wenn wir vor diesem Hintergrund nach „Gegenreformation“ fragen, suchen wir gerade nicht vorrangig eine religiöse oder politische oder politisch-religiöse Machtdemonstration mit dem Ziel möglichst geschlossener Formation, religiöser Vereinheitlichung und territorialer Intensivierung; wenn wir die Perspektive von Austausch, Transfer, Wechselwirkung anlegen, wollen wir auch das Partikuläre, Marginale, Diachrone der Reformforderungen im Blick behalten. Wir fragen nach der Art und Intensität der Rezeption der skizzierten Reformströmungen und -inhalte. Schließlich darf nicht übersehen werden, dass die Art und Weise, wie die Katholisierung oder Rekatholisierung durchgeführt wurde, regional, auch lokal, sehr unterschiedlich verlaufen ist. Wichtig ist in diesen Themenperspektiven also eine regionale, eine lokale Geschichte. Eine Alltagsgeschichte, die auch die Rezeption der verordneten Maßnahmen, deren Durchdringungskraft oder auch die Renitenz oder Resistenz der Untertanen mit in den Blick nimmt. Welche Medien, welche Mittel wurden eingesetzt in der Katholisierung oder Rekatholisierung einer Region? Was wurde verordnet? Wieviel Überzeugungsarbeit wurde dabei geleistet? Welche Rolle spielte der Aufbau von Illusionen? Wie wurde Begeisterung geweckt? Dabei spielten Architektur, also Raumgestaltung, Malerei, Theater, Predigt eine ebenso zentrale Rolle wie die wichtigen Medien – Instrumente, die das Trienter Konzil den Amtsträgern der Catholica mit auf den Weg gegeben hat und die wir heute unter dem Stichwort „Professionalisierung“ subsumieren würden: eine profunde, theologische Bildung des Klerus, eine Vorbereitung auf ihre Aufgaben, eine Ausbildung in gemeinsamen Seminaren, die Residenzpflicht der Bischöfe, die so dazu gezwungen werden sollten, die Aufgaben in ihrem Sprengel ernst zu nehmen. Dazu kommt das Instrument der Visitation, also die Kontrolle der Reformmaßnahmen und der Ernsthaftigkeit der Amtsführung in jeglichem Bereich – und eben auch die Kontrolle der Gläubigen, also die Frage, wie weit die Vorschriften übernommen und die Regeln
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akzeptiert wurden. Nicht zuletzt ist eine neue Intensivierung der synodalen Tätigkeit festzustellen.
II. Regionale Charakteristika und Spezifika 1. Schlesien Das Instrument der Diözesansynoden steht für die katholische Reform und die Antwort auf die Reformation an herausragender Stelle: Joachim Köhler hat in seiner Dissertation14 die Umsetzung dieser Vorschriften im Bistum Breslau untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass das Reformprogramm der Breslauer Kirche im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts den Anforderungen des Trienter Konzils gerecht geworden sei. Die Synoden, die im Bistum abgehalten wurden, seien Höhepunkte der reformerischen Tätigkeit der Bischöfe gewesen. Sie waren die Umschlagplätze für die Grundsätze der Reform von der gesamtkirchlichen auf die territoriale Ebene. Es gab eine rege Visitationstätigkeit, wobei freilich die Visitationsberichte nur spärlich erhalten sind, so dass wir die Frage nach der Akzeptanz und Rezeption der Maßnahmen nur bruchstückhaft beantworten können. Köhler konnte aufzeigen, dass das Bild des Pfarrers immer deutlicher Züge des Seelsorgers angenommen habe. Bei allen Schwierigkeiten, die Akzeptanz zu fassen, wurde in dieser Untersuchung aber deutlich, wie unterschiedlich die Reformen im genuin katholischen Bereich gegenüber den Gemeinden wirkten, die zwischenzeitlich protestantisch gewesen waren. Die Reform sei mit Ernst durchgeführt, dabei aber echte Spontaneität im Volk unterdrückt worden. „Im Zeitalter des Barock schuf sich diese Kraft im Volk neue Ausdrucksformen.“15 Der Barock ist also nicht nur als Machtdemonstration zu verstehen, sondern als Aufbrechen des Unterdrückten, zu kurz Gekommenen. Entscheidend erscheint mir der Hinweis Köhlers darauf, dass man bei der Frage nach der katholischen Reform die Orden nicht ausklammern dürfe. Sie waren gegenüber dem Bischof exempt, das heißt in den Dörfern, in denen die Orden die Seelsorger stellten, konnte eine vom Bischof angeordnete Reform und Intensivierung der Seelsorge durchaus torpediert werden. Es konnte aber auch der gegenteilige Fall eintreten, dass in einer Region, in der der Bischof nicht sehr aufgeschlossen für Reformen der Seelsorge, des kirchlichen Lebens, war, die Orden eine treibende Funktion übernahmen. Und es kommt bei diesem Hinweis auch bereits eine kirchenpolitische Note
14 Joachim KÖHLER: Das Ringen um die tridentinische Erneuerung im Bistum Breslau, Köln–
Wien 1973 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 12), 279. 15 KÖHLER (wie Anm. 14), 279.
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in die Betrachtung, nämlich das Ringen um Reform oder auch um eine bestimmte Gestalt von Reform. Die Reformimpulse konnten dort verbreitet und materiell in Bildern und Bauwerken visualisiert werden, wo die finanziellen Voraussetzungen dafür gegeben waren. „Von den Stiften, Klöstern und Ordensgemeinschaften konnte nur dann eine prägende Kraft und ein kulturschaffender Impuls ausgehen, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen dazu gegeben waren.“16 Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel der Zisterzienser in Schlesien.17 „In den wenigen Jahrzehnten von 1660–1740 erfuhren alle schlesischen Zisterzen in ihrer Bauanlage und der Ausstattung ihrer Kirchen Veränderungen wie sie früher in so kurzer Zeit niemals denkbar waren (…). Für die Planung und Ausführung der zahlreichen Projekte berief der Orden Bauleute, Architekten und Künstler aus Schlesien, Böhmen und Mähren, aus Oberbayern, Österreich und Westungarn.“18 Nicht nur eine barocke Landschaft mit Abteien, Kirchen, Bildstöcken, Wegkreuzen und Kapellen schuf die extensive Bautätigkeit der Zisterzienser, sie richteten auch zahlreiche Bruderschaften ein – so zählte die vom Grüssauer Abt 1669 gegründete St. Josefsbruderschaft in kurzer Zeit 30.000 Mitglieder,19 belebten Wallfahrten neu – wie etwa in Kooperation mit den Jesuiten die ins niederschlesische Wartha (Bardo Śląskie), das Pilger aus Schlesien wie aus Böhmen in Scharen besuchten. Die nachreformatorische Reform der Orden und Klöster ging in der Regel einher mit einer wirtschaftlichen Konsolidierung. Mönche konnten ihre Wertschätzung neu erringen und wurden in einer intensivierten Seelsorge in vielen Gemeinden eingesetzt. Es waren vielfältige Faktoren, die zusammen wirkten und zusammen wirken mussten. Daher darf der Hintergrund politischer Auseinandersetzungen nicht aus den Augen verloren werden. Das gab der nachreformatorischen Phase in Breslau (Wrocław) einen eigenen Akzent, war doch der Bischof als Fürst von Neisse Landesherr in Schle16 Joachim KÖHLER: Politische, wirtschaftliche und kirchliche Voraussetzungen barocker Kultur
und Frömmigkeit, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 44 (1986), 47–66, hier 52. 17 Heinrich GRÜGER: Die Zisterzienser in Schlesien und ihre Bedeutung für barocke Frömmig-
keit und Kultur, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 44 (1986), 67–80. 18 GRÜGER (wie Anm. 17), 74. 19 Die Josefsbruderschaften waren in Schlesien ein zentraler Träger der katholischen Erneuerung.
Auf die Rolle der Bruderschaften „bei der Wiederbelebung und Stärkung der katholischen Kräfte in nachtridentinischrer Zeit“ hat Jan Kopiec in einem Beitrag im Archiv der schlesischen Kirchengeschichte hingewiesen. Jan KOPIEC: Bruderschaften als Ausdruck barocker Frömmigkeit, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 44 (1986), 81–91, hier 81. Auch Kopiec betont, dass die neue Blüte der Bruderschaften im Barock nicht als reine Restauration interpretiert werden dürfe. „Einerseits ist diese Phase geprägt von einem tiefen geistlichen Erleben, von der Suche der unsichtbaren und übernatürlichen Welt, andererseits waren Prunk und Pracht notwendige Voraussetzungen, um die Sinne ansprechen zu können. Der Kern des barocken Denkens und Empfindens war die Suche nach der ‚richtigen‘ Einschätzung der tiefen Frömmigkeit und religiösen Inbrunst.“ Ebd., 84.
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sien und als Mitglied des geistlichen Standes abhängig von der Krone Böhmens in einem Konzert geistlicher und weltlicher Fürsten und Stände innerhalb Schlesiens einig in der Ablehnung zentralistischer Tendenzen der Krone. „Das Papsttum als Träger der Reform bediente sich politischer Mittel, um die Reform zum Durchbruch zu bringen. Die Zugeständnisse der Kurie an die kaiserliche Politik verdrängten nicht nur den restaurativen Impuls dieser Politik, sondern trugen auch dazu bei, daß die Opposition der einheimischen Fürsten und Stände gegen die Krone wuchs.“20 Interessensgegensätze auf den unterschiedlichen Ebenen komplizierten die Lage darüber hinaus. Ging es um wirtschaftliche Interessen, so kam es sehr oft zum Pakt zwischen Kaiser und weltlichen politischen Kräften gegen die geistlichen Stände. Wo es aber den Einfluss der Fürsten und Stände auf die Breslauer Bischofswahl ging, die der Kaiser zurückdrängen wollte, war das Einvernehmen nachhaltig gestört. Die schlesischen Fürsten und Stände verzichteten schließlich auf ein politisches Zusammenwirken mit dem Bischof. Der Bischof wurde von der Landeshauptmannschaft ausgeschlossen. Das schwächte seine restaurativen Möglichkeiten innerhalb des Bistums. „In dem Maße, da die politischen Kräfte innerhalb Schlesiens in den Jahren 1560 bis 1620 sich voneinander distanzierten, wurde den Bischöfen echtes Reformbemühen erschwert und unmöglich gemacht.“21 Wie schwierig es in Schlesien war, die Politik zum Mittel der Reform zu machen, zeigt nicht zuletzt – auch darauf hat Köhler hingewiesen – das Vorgehen der Nuntien. Wo bei ihnen das politische Interesse in den Vordergrund trat, wuchsen die Widerstände gegen das Reformwerk. Ganz in diesem Sinne und auch in Fortführung meiner eingangs gestellten Fragen, kam auch Jörg Deventer in seiner Untersuchung der Gegenreformation in Schlesien zu dem Ergebnis: „Europäische Mächtepolitik, der dreißigjährige Krieg, ständische Selbstbehauptung, die Wahrung zentraler städtischer Werte und politischer Prinzipien, glaubensfester Widerstand von Individuen und sozialen Gruppen gegen den obrigkeitlichen Bekenntniszwang – diese Faktoren, die nicht nur in Schlesien für das Scheitern der Durchsetzung des konfessionalisierten Modells des religiös homogenisierten, geschlossenen Territoriums verantwortlich waren, verweisen nicht nur auf die Grenzen der Konfessionalisierung, sondern auch auf die Grenzen der Konfessionalisierbarkeit.“22 Wie weit und wie lange dauerte die Dialog- und Kompromissbereitschaft? In Glogau (Głogów) etwa wurde es erst gewaltsam, nachdem der königliche Stadtherr den Protestanten jede öffentliche Religionsausübung untersagt und daraufhin die evangelische Stadtbevölkerung 1581 den katholischen Rat eigenmächtig abgesetzt 20 KÖHLER (wie Anm. 14), 280. 21 KÖHLER (wie Anm. 14), 280. 22 Jörg DEVENTER: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik
in Glogau und Schweidnitz 1526–1707, Köln–Weimar–Wien 2003, 320f.
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und sich gewaltsam in den Besitz der Pfarrkirche St. Nikolai gebracht hatte. Der königliche Stadtherr zog daraufhin eine scharfe gegenreformatorische Politik durch. Der Kaiser regierte nicht zuletzt auch, weil die finanzielle Lage der Stadt prekär war, massiv in die städtischen Angelegenheiten hinein und trieb auf politisch-institutioneller Ebene die katholische Restauration voran – allerdings lediglich mit teilweisem Erfolg, wie Deventer zu Recht unterstreicht.23 Die zum Teil handgreiflich ausgetragenen Spannungen zwischen den königlichen Stadtherren und den städtischen Protestanten in Glogau eskalierten durch zunehmende Differenzen innerhalb der Gruppe der Protestanten. Es kam zu Flügelkämpfen am Vorabend des böhmischen Ständeaufstandes. Die kalvinistische Partei, offene Sympathisantin des Winterkönigs, Friedrich V. von der Pfalz, übernahm 1619 nach dem Sturz des katholischen Ratsregimentes die politische Macht. Nach der Niederschlagung des Ständeaufstandes am Weißen Berg drohte auch den Glogauer Protestanten das königliche Strafgericht, das schließlich 1629 auch durchgeführt wurde. Einen konträren Verlauf der Auseinandersetzung konnte Deventer in Schweidnitz (Świdnica) rekonstruieren, wo sich Rat und Bürgerschaft auch während der Zuspitzung der Auseinandersetzung in Böhmen zu keiner radikalen Position hinreißen ließen, sondern Rat und Gemeinde immer wieder den Ausgleich suchten, so dass für den königlichen Stadtherrn kaum Eingriffsmöglichkeiten (für die Rekatholisierung) entstanden. Die Situation wurde eine andere nach der gewaltsamen Bekehrungsaktion der Liechtensteiner Dragoner 1628/29; administrativer Zwang zur Rückkehr zum katholischen Glauben und vielfältige Stärkung des katholischen Glaubensbewusstseins folgten. Deventer arbeitet klar heraus, dass die Jesuiten einerseits Zwang als Mittel der Bekehrung ablehnten, andererseits sich aber ohne Bedenken der Gewaltmittel des Staates bedienten – nicht zuletzt durch Denunzierung, wenn etwa Protestanten nicht am kirchlich-liturgischen Leben teilnahmen, die Fastengebote missachteten und den Sakramentenempfang in der Osterzeit nicht leisteten. Freilich war diese obrigkeitliche Rekatholisierung nicht sehr nachhaltig, so dass letztlich die Herstellung geschlossener Katholizität misslang, nicht zuletzt weil die städtischen Protestanten Widerstand leisteten. Es kam zu Protesthandlungen und -haltungen, zu privaten und öffentlichen Gehorsamsverweigerungen. Es konnte weiter ein ungebrochenes konfessionelles Selbstbewusstsein auch im Auftreten gegenüber den Behörden, auch den religiösen Behörden, etwa den Jesuiten, verfolgt werden. 23 „Diese Politik hatte nur partiell Erfolg, weil der Glogauer Kirchenstreit zu einem zentralen
Schauplatz des seit dem ausgehenden 16. Jahrhunderts in Schlesien ausgetragenen Kampfes zwischen katholischer Landesherrschaft und evangelischen Fürsten und Ständen wurde und kalkulierte und erzwungene Rücksichtmaßnahmen – namentlich die geopolitisch sensible Lage der Stadt als Grenzort zu Polen und die Bewilligung der Türkensteuer durch die Stände – ein hartes Durchgreifen nicht zuließen. Die in dieser Phase von Vertretern der katholischen Kirche aufgenommenen Initiativen zur kirchlichen Erneuerung sorgten allerdings dafür, dass sich in der Stadt das katholische Leben konsolidierte.“ DEVENTER (wie Anm. 22), 322 f.
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Manche Konversion erfolgte nur aus taktischen Gründen mit Blick auf soziale Aufstiegsmöglichkeiten und politische Karriere. Während in Glogau seit 1628 der Rat ausschließlich mit loyalen Katholiken besetzt war und damit die obrigkeitliche Rekatholisierung vorangetrieben wurde, war in Schweidnitz zwar eine konfessionelle Homogenität in den städtischen Führungsgremien 1637 hergestellt worden; trotzdem verfolgte die neukatholische Ratselite eine auf Ausgleich und Kompromiss ausgerichtete Religionspolitik.24 Als Fazit lässt sich mit Deventer formulieren: „Durch die architektonischen und bildlichen Manifestationen des Barockkatholizismus erhielten die Städte ein neues Gesicht. Der Aufschwung geistlicher Institutionen und die Etablierung neuer Frömmigkeitsformen wie Bruderschaften, Prozessionen und Wallfahrten wurden zu sichtbaren Zeichen für die Wiederbelebung des Katholizismus. Dass es in Glogau und Schweidnitz dennoch an Katholiken fehlte, um die zahlreichen in den Mauern der Städte gelegenen Kirchen zu füllen und die Altgläubigen im frühen 18. Jahrhundert nicht einmal die Hälfte der städtischen Einwohnerschaft stellten, ist im wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sich mit der Bewilligung der Friedenskirchen für den Protestantismus neue Perspektiven eröffneten.“25 Weil der Wiener Hof in den schlesischen Erbfürstentümern an der Linie einer systematischen Unterdrückung der evangelischen Konfession weiter festgehalten habe bis zum frühen 18. Jahrhundert, sich also die evangelische Stadtbevölkerung weiterhin einem Katholisierungsdruck ausgesetzt sah, haben sich die Friedenskirchen vor Glogau und Schweidnitz zu einem Kristallisationskern protestantischen Selbstbehauptungswillens entwickelt. Joachim Köhler hat zu Recht unterstrichen, dass in der habsburgischen Religionspolitik in Schlesien mancher Freiraum für Andersdenkende geblieben sei – als Beispiel führte er protestantische schlesische Dichter in kaiserlichen Diensten an.26 Man darf nicht übersehen, dass das 19. Jahrhundert Gegensätze in das 16. und 17. Jahrhundert hineinprojiziert und diese auch teils militarisiert hat, während der konfessionelle Alltag in Schlesien doch immer wieder von pragmatischer Politik bestimmt war. Man hat sich um Kompromisslösungen bemüht und diese auch, siehe das Beispiel Schweidnitz, doch relativ lange gefunden. Reformmaßnahmen waren, das haben wir an den Beispielen in Spanien und Italien sehen können und die gab es auch in Schlesien und anderswo, nicht nur aus einer Antimotivation zu erklären, sondern sie hatten die Erneuerung der eigenen Kirche zum Ziel, weil diese als notwendig erkannt worden war, nicht nur als Reaktion. Das heißt, Kirchenreform muss nicht nur eine offensive Bekämpfung der Reformation intendieren. In einem solchen Reformgeist waren wohl auch die Breslauer Diözesansynoden abgehalten worden. 24 DEVENTER (wie Anm. 22), 327. 25 DEVENTER (wie Anm. 22), 327 f. 26 KÖHLER (wie Anm. 15), 59.
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2. Böhmen In Böhmen und Mähren berief sich Ferdinand II. auf das Rechtsprinzip der „Verwirkung“: Die Stände haben nach dieser Interpretation 1618 einseitig den Vertrag gebrochen, der sie an die Krone band; damit hatte der Landesherr die Möglichkeit, alle früheren Privilegien außer Kraft zu setzen.27 Die „Verneuerte Landesordnung“ von 1627/28 erklärte den Katholizismus zur einzigen Religion im Staate und machte die Häresie zum Staatsverbrechen. Der geistliche Stand erhielt seinen ersten Rang im böhmischen Landtag zurück (1419 war er bekanntlich ausgeschlossen worden). Der Papst sandte einen neuen Nuntius mit dem eindeutigen Auftrag der Gegenreformation. Zusammen mit den Jesuiten und der 1622 eingerichteten Kongregation „Propaganda fide“ drängte er auf rasche und einschneidende Maßnahmen und setzte sich damit in Gegensatz zu einer Reihe von Fürsten (Liechtenstein, Eggenberg) und den Bischof von Olmütz (Dietrichstein) und den Erzbischof von Prag (Graf Harrach), die sich, ebenso wie auch der Kapuzinerprovinzial für Österreich und Böhmen, für Umsicht und Mäßigung einsetzten. Die Aufgabe war groß: etwa 90% der Bevölkerung Böhmens und etwa 60% der Mährer dürften nicht katholisch gewesen sein. Die nichtkatholischen Beamten, die der Adel im Amt ließ, sieht Josef Hrdlička als einen wichtigen Grund dafür an, dass sich der katholische Glaube in weiten Regionen in Böhmen nur langsam wieder durchsetzen konnte, trotz der Vielfalt der gegenreformatorischen Maßnahmen, die gefordert worden waren: Ende 1619 wurden Gottesdienste in der Landessprache untersagt (Ausnahme: die Karfreitagsliturgie), Anfang 1622 wurde die Kommunion sub utraque specie verboten, was verständlicherweise zu Tumulten in Prag führte; das Fronleichnamsfest und die Prozession wurde wieder eingeführt, die utraquistische Prager Karls-Universität wurde den Jesuiten unterstellt. Viele flohen. 1624 wurden die Akatholiken aus dem öffentlichen Leben der Städte ausgeschlossen; sie verloren ihre Bürgerrechte. 1627 wurde auch der nicht-katholische Adel zur Konversion gezwungen – oder er musste das Land verlassen. Eine zweite wichtige Ursache für die Verzögerung – noch 1650 war etwa ein Drittel der Bevölkerung häretisch – war der Mangel an Klerus. Wichtig war es, die Repräsentanten der Staatsgewalt vor Ort, also die obrigkeitlichen Beamten, für die Katholisierung zu gewinnen. Wenn und wo sie mit den katholischen Geistlichen kooperierten oder kooperieren konnten, spielten sie die wichtigste Rolle bei der Rückkehr der überwiegend nicht katholischen Bewohner Böhmens zum alten Glauben. Freilich war der Glaube der Beamten vor 1618 für die Domänenbesitzer nicht unbe27 Dazu jüngst Josef HRDLIČKA: Die Rekatholisierung lokaler Amtsträger in Böhmen in: Staats-
macht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie, hg. von Rudolf LEEB, Susanne Claudine PILS und Thomas WINKELBAUER, Wien 2007, 357–366, hier 365.
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dingt ein ausschlaggebendes Kriterium für die Beurteilung der Fähigkeiten und damit auch für die Einstellung. Mit der Veröffentlichung des kaiserlichen Patents vom April 1624, das keine andere Konfession als die katholische im Land erlaubte, begann die Tätigkeit der so genannten Reformationskommissionen. Damit wurde die Konfession des Verwaltungsapparates zum Staatsinteresse erhoben. Anfang Februar 1627 ernannte der Kaiser eine neue Kommission, die vor allen Dingen die Rechtgläubigkeit bzw. Konversion der Herrschaftsbesitzer und ihrer Beamten im Auge haben sollte. Diese Kommission wurde aus drei Adligen an der Spitze gebildet. Der Prager Erzbischof, Ernst Adalbert von Harrach, kam noch dazu. Für jeden Einzelnen der fünfzehn Kreise, aus denen Böhmen bestand, wurden Kommissare diesen vier Spitzenkommissaren untergeordnet. Die Aufgabe der Kommissionen bestand darin, in dem ihnen jeweils zugewiesenen Gebiet die nicht katholischen adligen Bürger und Untertanen zur Konversion, zum katholischen Glauben zu bewegen und gleichzeitig eine Pfarrvisitation durchzuführen. Die Tätigkeit der Reformationskommission führte zur Erhöhung des Drucks auf die nicht katholischen Adeligen sowie die nicht katholischen obrigkeitlichen Beamten. Auf der inhaltlichen Ebene hat Augustinus Kurt Huber auf die vielfältigen spanischen Einflüsse auf die böhmischen Länder hingewiesen.28 Der dynastische Konnex und vielfältige verwandtschaftliche Verbindungen schufen den strukturellen Unterbau dafür. Den italienischen Einfluss hat Huber mit der gleichen Sorgfalt untersucht29 und die Kultmittler und -träger, Kultstile und Kultinhalte gleichermaßen berücksichtigt. Ordensgemeinschaften, der Adel mit seinen Verwandtschaftsbeziehungen im romanischen Bereich, aber auch Klerus und Bürgertum wurden Vermittler italienischer Kultur in den böhmischen Raum, letztere etwa durch Studienaufenthalte in Italien und Rom oder durch längere Reisen. Huber spricht von einer Anreicherung der Kultinhalte in der böhmischen Religionspraxis, von einer Dynamisierung des religiösen Denkens und Fühlens. Jesuanische Lebensstationen sollten vor Ort erfahrbar und verehrbar werden, wie die Weihnachtskrippe, der Leidensweg, Kalvaria, das Heilige Grab. 13 Heilige Stiegen listete Huber für Böhmen und Mähren auf, die nach dem Vorbild der Scala Santa im Lateran geschaffen wurden.30 Selbstverständlich dominieren in der nachreformatorischen Frömmigkeit Marienmotive wie etwa die Casa Santa (Loreto), die in Böhmen und Mähren mehr als 30mal verortet wurde, u. a. in Manetin (Manětín). Maria Schnee als Anknüpfung an die Mutter aller Marienkirchen in Rom, an Santa Maria Maggiore, finden wir 18mal. 28 Augustinus Kurt HUBER: Iberische Kulteinflüsse im Barock der böhmischen Länder, in:
DERS.: Katholische Kirche und Kultur in Böhmen. Ausgewählte Abhandlungen, hg. von Joachim BAHLCKE und Rudolf GRULICH, Münster 2005, 387–414. 29 Augustinus Kurt HUBER: Italienische Kultmotive im Barock der böhmischen Länder, in: DERS.: Katholische Kirche und Kultur in Böhmen (wie Anm. 28), 415–452. 30 HUBER (wie Anm. 29), 426–428.
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Maria vom Guten Rat wurde v. a. von den Augustineremiten verbreitet; seit 1753 unterstützten Bruderschaften vom Guten Rat diese Verehrung und trugen sie in weite Bevölkerungskreise. Italienischer wie spanischer Herkunft ist das Immaculata-Motiv, das durch die Aufstellung der Mariensäulen auf öffentlichen Plätzen die barocke Landschaft prägte. Die Heiligenverehrung nahm in der Frömmigkeit einen zentralen Platz ein; neue Heilige, in erster Linie Ordensheilige aus den romanischen Ländern, wurden beliebte Gestalten der Verehrung. Die Verehrung des Antonius von Padua wurde von den Franziskanern ventiliert; die Jesuiten propagierten die Verehrung des Aloisius von Gonzaga, der an Jesuitenschulen auch zum Gegenstand geistlicher Dramen wurde. Italienische Schriften über die Schrecknisse des Fegefeuers, die ins Tschechische übersetzt wurden, Maiandacht oder das Vierzigstündige Gebet waren vielfältige Motive für die Schaffung oder entsprechende Ausgestaltung von Andachtsstätten: Orden, Kongregationen und Bruderschaften wurden deren Träger. Die Anregungen für diese Motive sind durchweg in Italien zu suchen. Die Jesuiten, die reformierten Karmeliten und die Barmherzigen Brüder haben die Spiritualität und Frömmigkeitsformen des spanischen Barock nach Böhmen und Mähren gebracht; sie haben jeweils ihre Heiligen (beispielsweise Ignatius, Franz Xaver oder der 1622 kanonisierte Isidor) zur Verehrung empfohlen. „Die ignatianische Spiritualität und der triumphale Gestus des neuen Katholizismus haben den einheimischen Barock stark geprägt. In ihren Schuldramen haben die Jesuiten den Zuschauern auch spanische Vorbilder heroischen christlichen Lebens vorgeführt.“31 Freilich gab es in den böhmischen Ländern auch die Angst vor der Überfremdung der eigenen Frömmigkeit durch derartig extensive Rezeptionsvorgänge. So mahnte der Abt von Tepl (Teplá), Mathias Göhl, 1589 den Propst von Chotieschau (Chotěšov), er solle die Jesuiten Jesuiten sein lassen und mit den wallischen Spaniern nicht so viel Gemeinschaft pflegen.32
3. Bayern In Bayern hatten Staat und katholische Kirche eine abgestimmte Kirchenpolitik in Gang gebracht, die Karl Hausberger und Benno Hubensteiner in beinahe poetischer Sprache wie folgt zum Ausdruck brachten: „Im Bereich der staatlichen Kirchenpolitik hielt man unter Ferdinand Maria an der Linie Maximilians im Wesentlichen fest. Auf die ausschließliche Katholizität des Landes wurde streng geachtet. Wie bisher überwachte der Staat auch die Religionsausübung der Untertanen und übte die kirchenpolizeiliche Kontrolle, wenn schon die hoheitsrechtliche Bevormundung der 31 HUBER (wie Anm. 28), 393. 32 Eduard WINTER: Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum. Das religiöse Ringen zweier
Völker, Salzburg–Leipzig 1938, 175.
Die Gegenreformation in Schlesien, Böhmen und Bayern
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Bischöfe nicht mehr so schroff gehandhabt wurde wie zu Maximilians Zeiten. Ein besonderes Verdienst Ferdinand Marias, von dem kräftige Impulse für den werdenden Barock ausgingen, ist die Wiederherstellung der 1556 säkularisierten, im 30-jährigen Krieg zurück gewonnenen, aber aus Finanzgründen zunächst nicht restituierten Oberpfalz-Klöster.“33 Sie wiesen hin auf die barocken Frömmigkeitsdemonstrationen und das Engagement der Orden in Schule und Seelsorge, auf das Bruderschaftswesen, die Prozessionen, die Wallfahrten, auf die glanzvoll gefeierte Liturgie in den alten Abteikirchen. „Manche Methoden der katholischen Reform, Glaubensunterweisung durch Predigt, Christenlehre und Volksmission beispielsweise erhielten jetzt erst ihre große Form. Gleichzeitig haben sich jene sinnenfälligen Äußerungen der Volksfrömmigkeit ausgebildet, die das Tridentinum angeregt hatte. An der Gelegenheit, Feste zu feiern, hat es keineswegs gefehlt. Nicht nur am Fürstenhof; auch das gemeine Volk hatte seine großen Wallfahrtsgottesdienste und prunkvoll gestalteten Primizfeiern, seine Bruderschafts- und Patroziniumsfeste, seine Prozessions- und Kirchweihtage. Vor allem aber war das bürgerliche und bäuerliche Leben bestimmt durch den Ablauf des reich gegliederten Kirchenjahres, von dem es den innern Rhythmus erhielt.“34 Das Ergebnis formulieren sie dann in dem Begriff vom geistlichen Bayern, das barocke Bayern, das zutiefst und zuinnerst katholisch christlich geprägt wurde. Gegenreformatorische Initiativen und Reformmaßnahmen in der katholischen Kirche liefen im Herzogtum Bayern parallel. In den geistlichen und weltlichen Territorien Altbayerns, Frankens und Schwabens bestand eine Vielzahl von Rechts- und Verwaltungsstrukturen; nach Vorgehen und Intensität unterschieden sich auch die gegenreformatorischen Maßnahmen. Der Eichstätter Bischof Martin von Schaumburg errichtete 1564 bereits ein Priesterseminar in seiner Diözese – das erste in Deutschland – und führte die Rekatholisierung ohne den Einsatz der weltlichen Macht durch. Die Würzburger Bischöfe dagegen gingen wesentlich härter vor. Am rigorosesten aber griff der Bamberger Bischof durch. Ein wichtiges Zentrum der Gegenreformation schuf Kardinal Otto Truchseß von Waldburg, der Augsburger Fürstbischof, als er 1563 die Universität Dillingen den Jesuiten übertragen hatte. Bereits 1556 hatten diese die Universität Ingolstadt übernommen, die sie in den folgenden Jahrzehnten zu einem Zentrum der katholischen Reform in Deutschland machten. Den Blick auf die Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem richtet Peter Wolf in seinem Beitrag über den Humanismus in der Gegenreformation. Er wählte dafür Beispiele aus Bayern und Böhmen aus.35 Ist Humanismus im Kontext der Gegenreforma33 Karl HAUSBERGER/Benno HUBENSTEINER: Bayerische Kirchengeschichte, München 1985,
229. 34 HAUSBERGER/HUBENSTEINER (wie Anm. 33), 243. 35 Peter WOLF: Humanismus im Dienst der Gegenreformation. Exempla aus Böhmen und Bayern,
in: Funktionen des Humanismus. Studien zur Funktion des Neuen in der humanistischen Kultur, hg. von Thomas MAISSEN und Gerrit WALTHER, Göttingen 2006, 262–302.
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tion lediglich eine Instrumentalisierung der eigentlichen, ursprünglichen Intentionen des Humanismus? Ein Beispiel wie humanistische Anliegen auch in gegenreformatorischer Strategie eingesetzt werden konnten und wie Kulturtransfer auf der personalen Ebene funktionieren konnte ist das Werk „Politicorum libri decem“ des Jesuiten Adam Contzen – in Mainz 1621 erschienen. Contzen36 hatte ohne Zweifel mit seiner religionspolitischen Theorie auf Kaiser Ferdinand II.37 und seine Konfessionalisierungsstrategie einen großen Einfluss; er war bekanntlich später Beichtvater von Maximilian von Bayern. Seine Devise war, dass der Fürst die Prediger und Lehrer aus dem Land schaffen, mit den anderen Protestanten aber langsam und sorgsam umgehen sollte. Contzen dachte an eine lange Dauer der Konversion, weil sich sonst ein Bürgerkrieg nicht vermeiden ließe – oder, weil bei einer Zwangskonversion die Untertanen eben heuchelten. So weit war der Jesuit katholischer Optimist, dass er davon überzeugt war, wenn jemand guten Willen hatte und ihm die katholische Wahrheit immer wieder vorgeführt würde, dann werde er sie auch langsam und sicher aufnehmen.
Fazit Der Beitrag der Gegenreformation zur Identität von Konfessionen und Regionen ist nicht unerheblich, darf aber insofern nicht überschätzt werden, als er nicht gesehen werden kann, ohne die vorausgehenden Reformen und Reaktionen. Das heißt, man kann die Jahre nach 1618 nicht ohne die fünfzig/sechzig Jahre davor sehen und verstehen. Reform und Gegenreformation, dieses Nacheinander und Ineinander kreiert die Frage nach den Konstruktionsbedingungen solcher Identitäten, wie Konfession, regionales Bewusstsein, etc. Die Frage ist also auch nach den Identitätsbildungs- und Abgrenzungsprozessen zu stellen, nach Kommunikationsmechanismen und -strategien – freilich auch darauf, dass die Stimulierung bestimmter Inhalte und Verehrungsformen der Volksfrömmigkeit dem Reformkontext entsprungen sein und gleichzeitig als Katalysator und Medium katholischer Intensivierung und auch Disziplinierung in Dienst genommen werden konnte. Volksfrömmigkeit wurde in ihren Inhalten deutlich gelenkt durch Orden und Bruderschaften, durch Volksmissionen und Liedgut – durch eine Geistlichkeit, die nicht zuletzt durch die Reformforderungen des Trienter Konzils zunehmend den Ansprüchen des „Seelsorgers“ gerecht zu werden suchte. Wichtig ist immer wieder, darauf hinzuweisen, dass Reformbewusstsein und Reformnotwendigkeit auch im Katholizismus gesehen wurde; dass also Gegenreformation nicht nur als Kampf gegen den Protestantismus und damit als Kampf für die Ver36 Hermann TÜCHLE: Contzen, Adam, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), 346. 37 Ernst-Albert SEILS: Die Staatslehre des Jesuiten Adam Contzen, Beichtvater Kurfürst Maximi-
lian I. von Bayern, Husum 1968.
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einheitlichung eines Herrschaftsgebietes, als Stärkung der Staatsgewalt, wobei man hier eher von Herrschaftsgewalt sprechen müsste, gesehen werden kann. Man muss immer auch die bereits davor vorhandene und parallel laufende katholische Reform mitdenken, die ihre Wurzeln im Humanismus, in spätmittelalterlichen Reformbestrebungen hat. Auf regionale und generationelle Differenzen muss ebenso geachtet werden.38 Die Netzwerke der Orden, gebildet durch die Ordensprovinzen wie durch gemeinsame zentrale Studienorte, dürfen als Übermittlungswege nicht unterschätzt werden; die Orden haben sich auch gegenseitig unterstützt, etwa die Jesuiten die Zisterzienser in Schlesien. Die Kirchenleitung strebte danach, die Formen der Liturgie zu reglementieren und streng zu überwachen – eine ideale Voraussetzung für die Entwicklung von Eigen- und Sonderformen in Nischen, also in der Volksfrömmigkeit und sie tragenden Gruppen. Insofern schufen die Bruderschaften einen wichtigen Ort für die Hinführung breiter Schichten zu einem geistlichen Leben und formten die „Volksfrömmigkeit“. Ein offenes Themenfeld ist die systematische Untersuchung, welche Impulse, welchen Beitrag Bruderschaften für Architektur, Kunst, Musik, Bildungsvermittlung jeweils geben konnten. Korrelierend die Frage, wie weit die Bruderschaften Vorstellungen kirchlicher Amtsträger weitergaben und durchsetzten und wie weit Eigeninitiativen, Vorstellungen, Formen und Praktiken der Gläubigen sich in der Gestaltung der Frömmigkeitspraxis der Bruderschaft niederschlagen konnten. Gibt es Fälle, wo es zu Konflikten kam? Zu untersuchen und zu dokumentieren bleiben – etwa anhand der Entwicklung von Wallfahrten oder von Bruderschaftsunterlagen – in paradigmatischen lokalen oder regionalen Schwerpunktsetzungen die Interferenzen zwischen der alltäglichen religiösen Praxis, deren Bedingtheit und Rezeption sowie der interregionale Transfer von Kultmotiven und deren Gestaltung bzw. Ausdrucksformen in der Kunst.39 Auch die konfessionalisierte religiöse Alltagspraxis kennt Unterschiede zwischen Schichten, zwischen Stadt und Land. Wenn die Langzeitperspektive wegen der Kontinuität der Reformforderungen und Reformmotive vom Spätmittelalter in die Zeit der Konfessionalisierung unterstrichen wurde, ist sie auch deswegen einzufordern, weil sich religiöse Vorstellungen nicht durchweg machtpolitisch konfessionalisieren ließen – Andreas Holzem spricht in diesem Kontext von einer zumindest zeitweisen Mischkonfessionalität.40 38 Als Anregung könnte dienen: Augustinus Kurt HUBER: Geistige Generationsprobleme in der
Kirche seit der Aufklärung, in: Frankfurter Theologische Studien 7 (1971), 305–313. 39 Dazu auch Wolfgang BRÜCKNER: Frömmigkeit und Konfession. Verstehensprobleme, Denk-
formen, Lebenspraxis, Würzburg 2000. 40 Andreas HOLZEM: „Volksfrömmigkeit“. Zur Verabschiedung eines Begriff, in: Theologische
Quartalsschrift 182 (2002), 258–270, hier 262.
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Dabei darf ggf. die Variationsbreite der alltäglichen religiösen Praxis auch in einer Region nicht aus den Augen verloren werden, ist sie doch sozial rückgebunden. Geschichte der religiösen Alltagspraxis lässt sich daher nicht ohne das methodische Instrumentarium gesellschaftsgeschichtlicher Ansätze erforschen.41
41 Holzems Fazit und Plädoyer für eine „Frömmigkeitsgeschichte der Vielen als differenzierte Ge-
sellschaftsgeschichte der Religion“ ist daher auch aus dem vorliegenden thematischen Kontext zu unterstreichen.
Petr Kubín DER KULT DES SELIGEN HROZNATA IM BAROCK*
Der selige Hroznata gehörte zu den bedeutendsten Adeligen in Böhmen seiner Zeit.1 Die Přemysliden beauftragten ihn mit der wichtigen Aufgabe, die Grenzgebiete Böhmens in der Nachbarschaft zur Oberpfalz und zum Egerland, das damals noch den Staufern gehörte, zu schützen und zu kolonisieren. Zusammen mit den böhmischen Herzögen verpflichtete er sich auch zweimal zur Teilnahme an einem Kreuzzug in das Heilige Land; aus politischen Gründen jedoch erfüllte er sein Versprechen kein einziges Mal. Als Ausgleich gründete er daher auf seiner Herrschaft zwei Prämonstratenserstifte, zunächst das Männerstift in Tepl (Teplá, etwa 1193) und dann die ihm unterstellte Frauenpropstei in Chotieschau (Chotěšov, etwa 1200). Vor dem Aufbruch zu seinem zweiten Kreuzzug im Frühling 1197 stellte er als erster böhmischer Edelmann überhaupt eine mit eigenem Siegel und eigenem Wappen versehene Urkunde2 aus, wodurch er seiner Zeit mindestens um einhundert Jahre voraus war. Durch persönliche Intervention bei Papst Coelestin III. erlangte er für Tepl unter anderem bedeutende Schutz- und Ablassprivilegien.3 Da ihm bereits vorher die Gattin und der einzige Sohn verstorben waren, beschloss er, Ordensbruder im Stift Tepl zu werden. Er wurde hier zum Stellvertreter des Abtes ernannt, tatsächlich allerdings leitete er – in seiner Gründerfunktion – das Stift und verfügte auch frei über dessen Vermögen. Aus diesem Grunde wurde er im Frühling 1217 zur Zielscheibe eines Angriffs nicht näher bekannter Feinde des Stifts. Er wurde gefangengenommen und im Egerland – laut der Überlieferung aus dem 16. Jahrhundert – auf Burg Altkinsberg eingesperrt. Noch bevor der Abt das verlangte Lösegeld bezahlen konnte, starb Hroznata am Freitag, dem 14. Juli 1217, im Gefängnis den Hungertod. Der Abt löste also wenigstens den toten Leib aus und ließ ihn im Presbyterium der Stiftskirche, an einem dem Gründer gebührenden Ehrenplatz, begraben. Etwa vierzig Jahre danach wurde in Tepl die erste Legende über Bruder Hroznata verfasst, die Vita fratris Hroznatae, die ihn als heiligen
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Diese Studie knüpft an meinen Artikel an: Der Kult des seligen Hroznata bis zum Jahre 1634, in: Die Heiligen und ihr Kult im Mittelalter, hg. v. Eva DOLEŽALOVÁ, Praha 2010 (Colloquia mediaevalia Pragensia 11), 55–87 an. Für die Übersetzung ins Deutsche danke ich Frau Marion Nejedlá. 1 Petr KUBÍN: Blahoslavený Hroznata. Kritický životopis [Der selige Hroznata. Ein kritischer Lebenslauf], Praha 2000. 2 Codex diplomaticus et epistolaris regni Bohemiae, hg. v. Gustav FRIEDRICH, Praha 1904– 1907, Nr. 357. 3 Codex diplomaticus I (wie Anm. 2), Nr. 360–362.
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Märtyrer präsentierte.4 Sie war zum Vorlesen in der Ordenskommunität bestimmt, besonders beim obligatorischen Lesen während des gemeinsamen Speisens. Spätestens seit dieser Zeit wurde Hroznata in seiner Abtei als Heiliger verehrt – genauso wie auch im Frauenstift Chotieschau, wo sein Feiertag am Ende des 14. Jahrhunderts im Messbuch des Propstes Sulko sogar als Triplex, also auf höchstmöglicher liturgischer Stufe, angeführt wurde.5 Dessen ungeachtet hat Hroznatas Kult im Mittelalter die Grenzen der Stiftsherrschaft von Tepl und Chotieschau nicht überschreiten können und sank auch hier manchmal auf das Niveau einer bloßen Erinnerung an den verstorbenen Gründer ab. Davon zeugt erneut das Chotieschauer Gebetsbuch (Responsoria) aus den Jahren 1565–1570, in dem die Texte des Anniversariums über den Gründer Hroznata angeführt sind.6 Die Region um Tepl wurde im 12. und 13. Jahrhundert kolonisiert, und zwar – wie die böhmischen Ortsnamen zeugen – zunächst durch tschechischsprachige Bevölkerung. Etwa seit dem 15. Jahrhundert wurde die Region allmählich germanisiert, und nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges handelte es sich bereits um ein ausschließlich deutschsprachiges Gebiet Böhmens.7 Auch das Stift selbst wurde zum Ende des Mittelalters „verdeutscht“, wenn sich auch unter den Brüdern im Konvent stets einige tschechischsprachige befanden. Angefangen mit Abt Sigismund Hausmann (1448–1506) waren allerdings alle Äbte Deutsche, und zwar bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.8 Auch die von Tepl aus ernannten Chotieschauer Pröpste waren seit Mitte des 15. Jahrhunderts deutsch, genauso wie auch der größte Teil des hiesigen Frauenkonvents, wenn auch das Gebiet um Chotieschau selbst erst nach dem Dreißigjährigen Krieg germanisiert wurde.9 Die Veränderung der „nationalen Zugehörigkeit“ 4 Vita fratris Hroznatae, Národní knihovna České republiky (Nationalbibliothek der Tschechis-
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chen Republik, im Folgenden NKČR), Teplá 425 (j). Siehe auch František HOFFMANN: Soupis rukopisů knihovny kláštera premonstrátů Teplá I [Verzeichnis der Handschriften der Bibliothek des Prämonstratenserstifts Tepl], Praha 1997, 327. Das Missale ist nach 1950 verloren gegangen. Kateřina KUBÍNOVÁ-ENGSTOVÁ: Misál Sulka z Chotěšova [Das Missale des Sulko von Chotieschau], in: Minulostí západočeského kraje 38 (2003), 105–112, 195–196. Responsoria in usum sororum sanctimonialium Chotieschoviensium, NKČR, Teplá 428, 39–41. HOFFMANN (wie Anm. 4), 333–334. Emil SKÁLA: Die Entwicklung der Sprachgrenze in Böhmen von 1300 bis etwa 1650, in: Acta Universitatis Carolinae – Philologica, Germanistica Pragensia 5 (1968), 7–15; Emil SKÁLA: Jazyková situace v Čechách v rozmezí let 993–1322 [Die Sprachsituation in Böhmen zwischen den Jahren 993–1322], in: Milénium břevnovského kláštera. Sborník statí o jeho významu a postavení v českých dějinách, hg. von Ivan HLAVÁČEK und Marie BLÁHOVÁ, Praha 1993, 163–171. Milan HLINOMAZ: Klášter premonstrátů Teplá [Das Prämonstratenserstift in Tepl], Karlovy Vary 2003. Hildegard BOKOVÁ/Václav BOK: Legenda o blahoslaveném Hroznatovi v německém překladu z roku 1642. Textologické a filologické poznámky k německému textu a jeho předlohám [Die Legende über den seligen Hroznata in einer deutschen Übersetzung aus dem Jahre 1642.
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hatte jedoch auf die Verehrung des seligen Hroznata keinerlei Einfluss. Auch die deutschen Prämonstratenser bekannten sich zu diesem tschechischen Edelmann als ihren heiligen Gründer. In den Tepler Annalen10 – die wichtigste Quelle zur Geschichte des Stifts in der frühen Neuzeit – gibt es eine ganze Reihe von Erwähnungen darüber. Beispielsweise führte der deutsche Abt Johann Kurz im Jahre 1550 die Verteilung von Almosen an die Armen regelmäßig an drei Feiertagen im Jahr ein, und zwar zur Tepler Wallfahrt (am 25. 3.) und zur Kirchweih (am dritten Ostersonntag), sowie auch am Hroznata-Tag, dem 14. Juli.11 Hier wird auch von der Einladung des – erneut deutschen – Abtes Andreas Ebersbach (Abb. 1) vom 11. Juli 1611 zur gemeinsamen Feier des Festtages des seligen Gründers Hroznata berichtet (commemoratio b. fundatoris Hroznatae), zu der von ihm alle befreundeten Ordensbrüder geladen wurden.12 Der wichtigste Ausdruck der Zuneigung der deutschen Bevölkerung zu Hroznata war jedoch die deutsche Übersetzung der Vita fratris Hroznatae, die der damalige Propst von Chotieschau Zacharias Bandhauer im Jahre 1642 anfertigte.13 Bandhauer, der aus der aus der Magdeburger Gegend stammte, war einer der bedeutendsten Pröpste von Chotieschau. Er schrieb unter anderem auch den ersten Band der Chotieschauer Annalen, die die Klostergeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart behandeln.14 Vor allem aber beschützte er die Prämonstratenserinnen im Dreißigjährigen Krieg,
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Textologische und philologische Bemerkungen zum deutschen Text und seinen Vorlagen], in: Minulostí západočeského kraje 38 (2003), 61–82, hier 61; Milan HLINOMAZ: Dějiny kláštera premonstrátek Chotěšov [Die Geschichte des Prämonstratenserinnenstifts Chotieschau], České Budějovice 2009, 163. NKČR, Teplá A 47/1–24. HOFFMANN (wie Anm. 4), 39–75. Dazu A. L. ZERLIK: Annales monasterii Teplensis. Tomus I–Tomus II, in: Analecta Praemonstratensia 37 (1961), 147–154; František HOFFMANN: Tepelské anály [Die Tepler Annalen], in: Studie o rukopisech 27 (1989–1990), 95–112. Vor allem jedoch Jana OPPELTOVÁ: Tempus scribendi. Narativní prameny vzniklé v prostředí premonstrátských kanonií v Čechách a na Moravě v 17. a 18. století [Im Milieu der Prämonstratenserkanonien in Böhmen und Mähren entstandene narrative Quellen], unveröffentlichte Dissertation am Institut für historische Hilfswissenschaften und Archivwesen der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität, Brno 2005, 237–662. NKČR, Teplá A 47/1 – Annales Teplenses. Tomus I, fol. 160v. Darauf wird unter anderem aufmerksam gemacht in der Schrift des Konfirmationsprozesses – Pragensis confirmationis cultus ab immemorabili tempore prasestiti servo dei Hroznatae, ordinis canonicaeroum regularium praemonstratensium beato et martyri nuncupato. Positio super casu excepto, Romae 1897, 60–61. NKČR, Teplá A 47/2 – Annales Teplenses. Tomus II, fol. 229r. BOKOVÁ/BOK, Legenda (wie Anm. 9); Václav BOK: Německé překlady Hroznatovy závěti a legendy o bl. Hroznatovy chotěšovského probošta Zachariáše Bandhauera z roku 1642. Kritická edice [Deutsche Übersetzungen des Testaments von Hroznata und der Legende über den sel. Hroznata vom Chotieschauer Probst Zacharias Bandhauer aus dem Jahre 1642. Eine kritische Edition], in: Sborník Muzea Karlovarského kraje 16 (2008), 317–339. Die Übersetzung von Bandhauer ist in der originalen Handschrift erhalten geblieben (NKČR, Teplá A 591). NKČR, XV. B. 4.
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Abb. 1 Georg Eberle: Der Tepler Abt Andreas Ebersbach (1599– 1629). Kunstsammlung des Stifts Tepl, nach 1670. (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
besonders um das Jahr 1630, als die schwedischen und kaiserlichen Truppen südlich von Pilsen (Plzeň) operierten.15 Schon sechzig Jahre vorher geriet Hroznata endlich auch in den Blickwinkel der humanistischen Literatur, die dann seinen Ruhm dank des Buchdrucks im ganzen böhmischen Königreich verbreitete.16 Alles begann im Januar 1581, als der damals einunddreißigjährige Sekretär des neuen Prager Erzbischofs Medek Georg Bartold Pontanus über Hroznata – den er heilig (sanctus) nannte – ein umfangreiches Lobgedicht verfasste. Bartold hatte eine enge Beziehung zu den Prämonstratensern, denn kurz vorher war er mehrere Jahre in deren Stift Klosterbruck (Louka) bei Znaim (Znojmo) als Lehrer der jungen Ordensmänner tätig. Nun wurde er in Zusammenhang mit 15 Anselm J. PITSCHMANN: Zacharias Bandhauer und seine Tätigkeit in Tepl, Magdeburg und
Chotieschau, in: Beiträge zur Geschichte des Stiftes Tepl 2, Marienbad 1925, 1–82; Milan HLINOMAZ: Chotěšovský probošt Zachariáš Mauricius Bandhauer [Der Chotieschauer Probst Zacharias Mauricius Bandhauer], in: Bibliotheca Strahoviensis 3 (1997), 252–254; HLINOMAZ, Dějiny kláštera (wie Anm. 9), 81–85. 16 Einen Überblick über die frühneuzeitliche Literatur zu Hroznata liefert Milan HLINOMAZ: Blahoslavený Hroznata Tepelský. Komentovaný chronologický přehled pramenů a literatury [Der selige Hroznata von Tepl. Ein kommentierter chronologischer Überblick von Quellen und Literatur], in: Minulostí západočeského kraje 33 (1998), 7–49, hier 14–19.
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seiner Ernennung zum Sekretär des Erzbischofs und durch die Annahme der Kanonikate auf Burg Wyschehrad (Vyšehrad) und auf der Prager Burg zum Diakon ernannt, wobei er die Weihe eben im Jahre 1582 in Tepl empfing. Seine Vita Hroznatae, fundatoris monasterii Toeplensis in Bohaemia erschien – auf Kosten des Tepler Abtes Matthias Gehl – zwar erst im Jahre 1586 im Druck (bei Georg Nigrin in Prag); dafür führte er sich definitiv als renommierter Dichter ein und erhielt von Kaiser Rudolf II. einen Lorbeerkranz. Die Vita Hroznatae stimmt inhaltlich mehr oder weniger mit der mittelalterlichen Legende überein, die Bartold in nahezu fünfzehnhundert Hexameter nachdichtete, in denen er oftmals antike Dichter, vor allem Vergil, zitierte.17 Bartold kehrte zu Hroznata noch zweimal in einer Zeit zurück, als er bereits ein berühmter Dichter und Propst des Metropolitankapitels in Prag war, und zwar in den Gedichtsammlungen Hymnorum sacrorum de beatissima Virgine Maria et sanctis patronis s. r. Boemiae aus dem Jahre 160218 und in Bohemia pia aus dem Jahre 1608.19 Zur gleichen Zeit begannen auch die ersten historischen Abhandlungen über die Geschichte des Prämonstratenserordens oder direkt über die Heiligen der Prämonstratenser zu entstehen, unter denen in der Regel auch Hroznata von Tepl nicht fehlte. Das Bewusstsein über ihn verbreitete sich somit schnell im gesamten Prämonstratenserorden. Dazu trugen vor allem die Bücher des Abtes von Klosterbrück Sigismund Kohel (1608),20 des Antwerpener Kanonikers Aubert Le Mire (1613),21 des Lothringer Abtes Servaz Layrentz (1614),22 des niederländischen Prämonstratensers Johannes van der
17 Georgius BARTOLDUS PONTANUS: Vita Hroznatae, fundatoris monasterii Toeplensis in Bo-
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haemia, hexametro carmine descripta. Impensis admodum reverendi in Christo patris et domini domini Mathiae Gehl, abbatis Toeplensis, in lucem edita, Pragae 1586. Zur Entstehung des Gedichtes siehe Antonín TRUHLÁŘ/Karel HRDINA/Josef HEJNIC/Jan MARTÍNEK (Hg.): Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě I [Kompendium des humanistischen Dichterums in Böhmen und Mähren], Praha 1966, 137–167, besonders 138 und 146. Siehe auch Petra TROJNOVÁ: Jiří Barthold z Breitenberga (Georg Barthold von Breitenberg), http://www. mesto-most.cz/vismo/dokumenty2.asp?id=3871 (22. 7. 2013). Georgius BARTOLDUS PONTANUS: Hymnorum sacrorum de beatissima Virgine Maria et sanctis patronis s. r. Boemiae, Pragae 1602, liber III., 197–202: Hymnus de sancto Hroznata, abbate Thoeplensi et Voizlava sorore priorissa Chotiessoviensi. Georgius BARTOLDUS PONTANUS: Bohemia pia, liber IV – De sanctis patronis, Francofurti 1608, 51. Sigismund KOHEL: Praemonstratensis ordinis nonnulorum Patrum vitae ex variis authoribus collectae, Typis Lucensibus 1608, o. S. Aubert MIRAEUS: Ordinis Praemonstratensis Chronicon, in quo coenobiorum istius instituti per orbem christianum origines, viri autem sanctitate scriptisque illustres fideliter recensentur, Coloniae Agrippinae 1613, 170–197. Servatius DE LAIRUELZ: Optica Regularium seu Commentarii in regulam sancti p. n. Augustini Hipponensis episcopi, Coloniae Agrippinae 1614, 758–759.
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Sterre (1625)23 und schließlich auch die monumentale Ordensgeschichte vom Prior des Prämonstatenserkollegs an der Pariser Sorbonne Jean Le Paige (1633) bei.24 Zu dieser Zeit gewann in Böhmen bereits die Gegenreformation an Einfluss. Gleich nach der Niederlage des Ständeaufstandes im November 1620 begann Kaiser Ferdinand II. mit der gewaltsamen Rekatholisierung. Innerhalb von zwei Jahren wurden die die Mehrheit bildenden Utraquisten, die etwa 80 % der Bevölkerung darstellten, „vernichtet“.25 Der lutherische Adel und der Adel der Böhmischen Brüder bekamen die Möglichkeit zu emigrieren; die übrigen mussten zum Herrscherglauben konvertieren. Zur Bekehrung der böhmischen Bevölkerung setzte der Kaiser sowohl die Armee als auch die Beamtenschaft ein. Den Rekatholisierungsbemühungen schlossen sich selbstverständlich auch die Kirchenorden an, einschließlich der Prämonstratenser. Der Abt von Strahov Kaspar von Questenberg errang im Jahre 1626 im lutherisch gewordenen Magdeburg die sterblichen Überreste des Gründers des Ordens des hl. Norbert und ließ sie nach Prag ins Strahov-Kloster überführen. Beim pompösen Umzug zur Reliquientranslation, die am 2. Mai des folgenden Jahres in Prag stattfand, trat ebenfalls die Figur des seligen Hroznata auf, und zwar als Bestandteil eines lebenden Bildes in der Kleinseitner Brückengasse (Mostecká). Hier wurde ein Triumphbogen errichtet, in dessen ersten Stock sechs Männer standen, die die heiligen Prämonstratenser aus dem Adelsstand darstellten, unter denen sich auch Hroznata befand. Über ihnen drehte sich eine Etage höher mechanisch die Statue des hl. Norbert, der die Stadt segnete. Bei der ersten Jubiläumsfeier dieser Reliquientranslation (am 21. Mai 1628) wurde, diesmal unter Anwesenheit von Kaiser Ferdinand II. selbst, vor dem Matthiastor der Prager Burg ebenfalls ein Theaterstück aufgeführt, in dem erneut der selige Hroznata auftrat. Die als heilige Prämonstratenser verkleideten Jünglinge führten hier direkt vor dem Kaiserhof ein fiktives Gespräch, in dem sie Ferdinand II. für die Wiederbelebung des katholischen Glaubens in Böhmen lobpriesen.26 Dessen ungeachtet trugen zur Verbreitung des Hroznata-Kultes am meisten die gelehrten Jesuiten bei, die bei der Rekatholisierung in Böhmen die Hauptrolle spielten. Sie waren bemüht, alle Kulte der alten einheimischen Heiligen aus der Zeit vor der Hussitenrevolution zu beleben, als das böhmische Königreich noch katholisch war. Und dazu gehörte selbstverständlich auch Hroznata. Der erste Jesuit, der Hroz23 Ioannes Chrysostomus VAN DER STERRE: Natales sanctorum candidissimi ordinis Praemon-
stratensis, Antverpiae 1625, 69–70. 24 Jean LE PAIGE: Bibliotheca Praemonstratensis Ordinis, omnibus religiosis, praesertim vero s.
Augustini regulam profitentibus, utilis maximeque necessaria, liber II., Parisiis 1633, 522–526.
25 Über Utraquisten zulezt Zdeněk V. DAVID: Finding the Middle Way. The Utraquists’ Liberal
Challenge to Rome and Luther, Washington 2003. 26 Cyril STRAKA: Přenesení ostatků sv. Norberta z Magdeburku na Strahov (1626–1628) [Die
Überführung der sterblichen Überreste des hl. Norbert aus Magdeburg nach Strahov (1626– 1628)], Praha 1927, 88 und 101. Die Feier des Jahres wird auch erwähnt bei: Pragensis confirmationis cultus (wie Anm. 11), 78–79.
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nata aufgriff, war Georg Plachý-Ferus (um 1586–1655), ein kämpferischer Klementinum-Prediger, der im Januar 1623 berühmt wurde, als er mit seinen Studenten die Symbole der Kalixtiner – den goldenen Kelch und die Statue des Hussitenkönigs Georg von Podiebrad – von der Fassade der utraquistischen Hauptkirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn abschlug. Ferus wird die Autorenschaft von etwa achtzig Büchern zugeschrieben (eine Reihe davon veröffentlichte er unter einem Pseudonym), die sich vor allem Heiligenleben widmeten. Den heiligen (sic!) Hroznata und seine Schwester Wojslawa behandelte er kurz im Buch Dvanáctero řádů rytířův božích obojího pohlaví v rozličných stavích, das er im Jahre 1630 unter dem Namen Hieronymus Sigismund Fiala-Budínský veröffentlichte.27 Ein weiterer der Jesuitenautoren, die u. a. über Hroznata schrieben, war Johannes Tanner (1623–1694), und zwar im Buch Vestigium Bohemiae Piae, das im Jahre 1659 aus dem Nachlass seines Mitbrüders Albert Chanovský († 1643) publiziert wurde.28 Tanner übersetzte nicht nur den tschechischen Text von Chanovský ins Latein, sondern ergänzte vor allem auch die Kapitel über die Heiligen, einschließlich der knappen Einfügung zu Hroznata.29 Ausführlicher als bei Chanovský wurden die böhmischen Heiligen von dem eine Generation jüngeren Jesuiten Georg Kruger/Crugerius (1608–1671) in seinem Lebenswerk Sacri pulveres, das er – entsprechend der Monate im Jahr – in einzelne Bände einteilte, behandelt. Der Juli-Band mit dem seligen Hroznata erschien nur ein Jahr vor Krugers Tod im Leitmeritzer Kolleg;30 weitere Bände wurden dann erst postum herausgegeben. Krugers Informationen über Hroznata stammten vom damaligen Tepler Annalisten Alois Hackenschmidt, mit dem er eine reiche Korrespondenz unterhielt.31 Am meisten machte sich jedoch Hackenschmidts Freund, der größte jesuitische Ge27 Hieronymus Sigismund FIALA-BUDÍNSKÝ: Dvanáctero řádu rytířův božích obojího pohlaví
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v rozličných stavích [Zwölf Orden der Ritter Gottes beiderlei Geschlechtes in unterschiedlichen Ständen], Praha 1630 (Bücherkunde Nr. 2 461), 131–133. Die Identifizierung liefert Jan LINKA: Jiří Plachý-Ferus, SJ a jeho okruh aneb Dílo nejzáhadnějšího českého autora 17. století [Johann Georg Plachý-Ferus, SJ und sein Umkreis oder Das Werk des geheimnisvollsten böhmischen Autors des 17. Jahrhunderts], in: Listy filologické 128 (2005), 145–180, hier 148– 149 (Nr. 11). Siehe auch Jan LINKA: Jiří Plachý-Ferus SJ, in: A2 2006, Nr. 49; http://www. advojka.cz/archiv/2006/49/jii-plachy-ferus-sj (8. 8. 2013). Albert CHANOVSKÝ: Vestigium Bohemiae Piae seu res quaedam memoratu dignae, quae in Boemia praesertim in districtu Prachensi et Pilsnensi, vel ab hominibus sunt pie erga Deum gestae, vel a Deo hominibus singulari favore, aut etiam in poenam acciderunt. Notis illustratae et auctae a P. Joanne Tanner, eiusdem Societatis sacerdote ss. theologiae doctore, Coloniae 1659, 63–65. Jiří MIKULEC: Vestigium Boemiae Piae Albrechta Chanovského – krajina zázraků z časů pobělohorské rekatolizace [Vestigium Bohemiae Piae von Albrecht Chanovský – eine Wunderlandschaft aus der Zeiten der Rekatholisation nach dem Weißen Berg], in: Husitství – reformace – renesance. Sborník k 60. narozeninám Františka Šmahela, hg. v. Jaroslav PÁNEK, Miloslav POLÍVKA und Noemi REJCHRTOVÁ, Praha 1994, 767–779. Georgius CRUGERIUS: Sacri pulveres mensis Iulii, Pragae 1670, 82–86. Zu dieser Korrespondenz siehe OPPELTOVÁ (wie Anm. 10), 322–324.
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lehrte des böhmischen Barock Bohuslav Balbín (1621–1688), um die Verbreitung von Hroznatas Ruhm verdient. Mit Tepl kam dieser im Jahre 1664 in Berührung, als er im Klattauer Kolleg auf Wunsch des Pilsner Hauptmanns Heinrich Graf von Gutstein ein Werk über die Herkunft des Herrengeschlechtes der Gutsteiner vorbereitete, das seine Abstammung vom seligen Hroznata ableiten sollte. Hackenschmidt half diesem Herrengeschlecht dabei nachhaltig durch eine umfangreiche Exzerption im Tepler Archiv.32 Ein Jahr später erschien dann Balbíns Buch in Prag unter dem Titel Syntagma historicum, quo illustrissimae et pervetustae stirpis comitum de Guttenstein origines et memoriae continetur una cum Vita b. Hroznatae ex eadem familia comitis. Hier behandelt er eingehend und mit Bemühen um kritisches Herantreten vor allem Hroznata selbst und druckte ebenfalls die mittelalterliche Legende mit ausführlichem Kommentar ab. Es handelt sich eigentlich um das erste historiographische Werk über Hroznata, wenngleich Balbín noch nicht mit mittelalterlichen Urkunden gearbeitet hatte. Außerdem gliederte er Hroznata auch in sein Buch Bohemia sancta (1682) ein, das die böhmischen Schutzpatrone behandelt.33 An Balbíns wissenschaftliche Bemühungen knüpften ein halbes Jahrhundert später die Bollandisten an, zu deren ausländischen Mitarbeitern im Übrigen Balbín selbst gehört hatte; sie beschrieben Hroznata eingehend im dritten Juli-Band ihrer monumentalen Reihe Acta sanctorum. Die entsprechende Publikation ist im Jahre 1723 in Antwerpen erschienen und außer der mittelalterlichen Legende wurden hier – im Unterschied zu Balbíns Werk – auch die ältesten Tepler Urkunden berücksichtigt.34 Im gleichen Jahr befasste sich auch der Prager Pfarrer der Kirche der Jungfrau Maria vor dem Teyn, Johann Florian Hammerschmied, kurz mit Hroznata in seinem Buch über die Geschichte Prags.35 Dies stellt im Grunde sämtliche bedeutende Literatur im Zeitalter von Humanismus und Barock dar, die sich mit Hroznata beschäftigte. Das Barock ist allerdings auch die Periode der ersten Bemühungen um Hroznatas offizielle Seligsprechung.36 Es ist nicht sehr bekannt, dass „Heiligenkult“ im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit faktisch auf zwei Ebenen existiert hat. Die erste war offiziell, die ordnungsgemäß kanonisierte Heilige mit einbezog; die zweite inoffiziell mit gewissermaßen nur tolerierten Heiligen. Während die Gruppe der kanonisierten Heiligen damals kaum mehrere Dutzend Personen beinhaltete, ging die Anzahl der „gemeinen“ Heiligen in die Hunderte. Dessen ungeachtet duldete die Römische Kurie diesen Stand mehr oder weniger ausnahmslos, so dass viele Länder, ja sogar einige Or32 Von der Freundschaft und Korrespondenz Balbíns und Hackenschmidts ausführlich OPPEL-
TOVÁ (wie Anm. 10), 304–322.
33 Bohuslav BALBÍN: Miscellanea historica regni Bohemiae IV – Bohemia sancta, Pragae 1682,
54–56, 58–59. 34 Acta Sanctorum mensis Iulii III, Antwerpen 1723, 793–810. 35 Johannes F. HAMMERSCHMIED: Prodromus gloriae Pragenae, Pragae 1723, 411. 36 Eine detaillierte Studie mit zahlreichen Quellenzitaten veröffentlichte der Tepler Prämonstraten-
ser Benedikt BRANDL: Geschichte der Seligsprechung des seligen Hroznata, Marienbad 1917.
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densgemeinschaften, überhaupt keine kanonisierten Heiligen hatten und trotzdem eine Reihe eigener Heiliger verehrten.37 Das ist der Fall im mittelalterlichen Böhmen wie auch beim Prämonstratenserorden. Die Prämonstratenser, im Unterschied zu den Zisterziensern oder Bettelorden, haben die Kanonisation ihrer eigenen Heiligen im Mittelalter nie angestrebt und gaben sich mit deren Verehrung nur innerhalb des eigenen Ordens zufrieden.38 Die Lage hat sich erst während des Pontifikates von Papst Urban VIII. (1623–1644) verändert, der die bisherige Praxis modifiziert und beschlossen hat, dass in Zukunft als Heilige nur jene verehrt werden können, deren Kult von Rom bestätigt worden ist. Er gestattete jedoch, dass in den Fällen, in denen nachgewiesen wurde, dass der Kult eines konkreten Heiligen, der wenigstens einhundert Jahre vor der Herausgabe des entsprechenden Breves Coelestis Hierusalem aus dem Jahre 1634 bestanden hatte, auch weiterhin fortgesetzt werden könne. Dies wurde „Bestätigung eines seit undenklichen Zeiten bestehenden Kultes“ (confirmatio cultus ab immemorabili tempore praestiti) genannt. Als Neuheit wurde damals auch die Seligsprechung als vorgeschriebene erste Stufe der Kanonisierung eingeführt, die allerdings nur zu einer vorläufigen und eingeschränkten Genehmigung eines konkreten Kultes durch den Papst führte. Diese Beatifikationsprozesse wurden jedoch nicht bei althergebrachten, sondern nur bei neuen Kulten eingeleitet. Unter Benedikt XIV. (1740–1758) ist dann festgelegt worden, dass die Bestätigung eines seit „undenklichen Zeiten bestehenden Kultes“ nur der Seligsprechung gleichkommt, nicht der Kanonisation, wie es bisher möglich gewesen ist.39 Bei Hroznata als Heiligen von der Wende des 12. zum 13. Jahrhunderts bestand selbstverständlich die Notwendigkeit, das Bestehen des Kultes vor dem Jahre 1534 nachzuweisen. Bohuslav Balbín erwähnte im Werk Bohemia sancta, dass in der Tepler Kirche bis zum Jahre 1642 das Bild des Hroznata mit der Aufschrift beatus martyr hing, das dann unter Berücksichtigung der Dekrete von Urban VIII. von einem gewissen – angeblich zu ängstlichen – Ordensbruder beseitigt wurde.40 Im dritten Band der Tepler Annalen, die zu Beginn des ersten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts vom hiesigen Prämonstratenser Michael Pohl geschrieben worden sind, wurden die ersten Versuche um die Anerkennung des Hroznata-Kultes im Rom festgehalten.41 37 Dazu z. B. Petr KUBÍN: Sedm přemyslovských kultů [Die sieben Přemyslidenkulte], Praha 2011
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(Opera Facultatis theologiae catholicae Universitatis Carolinae Pragensis. Historia et historia artium 12), 48–51 mit Verweisen auf weitere Literatur. Ingrid EHLERS-KISSELER: Heiligenverehrung bei den Prämonstratensern. Die Seligen und Heiligen des Prämonstratenserordens im deutschen Sprachraum, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 22 (2003), 65–94. Zu den Reformen des Kanonisationsrechts in der frühen Neuzeit siehe z. B. KUBÍN (wie Anm. 37), 66–76 mit Verweisen auf weitere Literatur. BALBÍN (wie Anm. 33), 56. Zum dritten Teil der Annalen und über ihren Autor siehe detailliert OPPELTOVÁ (wie Anm. 10), 500–510.
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Abb. 2 Georg Eberle: Der Tepler Abt Johann Pecher (1629–1647). Kunstsammlung des Stifts Tepl, nach 1670. (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
Dazu kam es im Frühling 1638 unter Abt Johann Pecher (Abb. 2), der sich an den ehemaligen Magdeburger Prämonstratenserpropst Johann Sylvius (zu jener Zeit in Köln am Rhein) mit der Bitte wandte, diesen Antrag der Römischen Kurie zu übermitteln. Sylvius schrieb dann im Juni und Juli dieses Jahres in dieser Angelegenheit tatsächlich zwei Schreiben an den apostolischen Legaten Kardinal Marzio de Ginetti, der zugleich Generalvikar der Stadt Rom gewesen war. Der Annalist Pohl zitierte die beiden Schreiben des Sylvius in den Annalen; es ist ihm allerdings nicht bekannt gewesen, ob vom Kardinal eine Antwort gekommen ist.42 Pohl zufolge handelte es sich um den Versuch einer Seligsprechung oder direkten Heiligsprechung (negotio beatificationis et canonizationis beati Hroznatae martyris), weil der Heilige Stuhl Hroznata damals direkt noch als heilig anerkennen konnte. In Tepl hielt man wohl schon in dieser Zeit Texte der Messgebete für den Hroznata-Tag bereit. Sie sind in handschriftlicher Gestalt als Note zum gedruckten Reise-Messbuch aus dem Jahre 1510 erhalten geblieben, das nach 1620 in den Besitz des Tepler Stifts gelangte. Hroznatas Proprium ist mit der humanistischen Halbkursivschrift des 17. Jahrhunderts geschrieben, wobei sich dessen Schreiber bemüht hat, den Eindruck zu erwecken, einen älteren Text ab42 NKČR, Teplá A 47/III – Annales Teplenses. Tomus III, Ff. 131v–132v. Dazu BRANDL (wie
Anm. 36), 78–79.
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Abb. 3 Georg Eberle: Der Tepler Abt Raimund I. Wilfert (1658–1670). Kunstsammlung des Stifts Tepl, nach 1670. (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
geschrieben zu haben. 43 Michael Pohl selbst verfasste später – im Jahre 1702 – auch das Offizium, also die Chorgebete zum Tag des seligen Hroznata.44 Ähnlich informieren die Tepler Annalen auch über einen weiteren Versuch der Kultanerkennung, diesmal unter Abt Raimund I. Wilfert (Abb. 3) im Winter 1659/1660. Hier ist nur von der Seligsprechung die Rede (de beatificationis b. martyris Hroznatae). Die Nachricht von dieser Aktion taucht im zweiten Teil der Annalen auf, der vom oben erwähnten Alois Hackenschmidt verfasst worden ist. Er widmete sich hier zwar hauptsächlich den Jahren 1599–1629, fügte allerdings auch zahlreiche Exkurse in spätere Jahre hinzu. Hackenschmidt verfasste die Annalen eben unter Abt Raimund I., konkret in den Jahren 1664–1667, so dass er hier als zeitgenössischer Zeuge 43 Es wird ein vermeintlich mittelalterliches Abkürzungssystem angewandt, dass allerdings keinen
Sinn ergibt. NKČR, Teplá, Paleotyp 702 (C 161) – Missale itinerantium, Fol. 26r. Dazu ausführlich KUBÍN (wie Anm. ∗), 72–76. 44 Sie sind in der Handschrift des Tepler Novizenmeister Lorenz Grindig aus den Jahren 1717–1719 erhalten geblieben, die für die Bedürfnisse der Novizen bestimmt waren. NKČR, Teplá 134n. HOFFMANN (wie Anm. 4), 134 und OPPELTOVÁ (wie Anm. 10), 508.
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auftritt.45 Er zitierte hier zwei, an Abt Raimund I. adressierte Schreiben des Rektors des Prager Erzbischofseminars Heinrich Meckenburger – vom 19. Dezember 1659 und vom 9. Januar 1660 –, in denen Informationen nachzulesen sind, die der Rektor hinsichtlich Hroznatas eventueller Seligsprechung errungen hat: und zwar, dass eine solche Sache offenbar finanziell ziemlich anspruchsvoll wäre und dass es wünschenswert wäre, an authentische Dokumente über Hroznatas Märtyrertod zu gelangen. Damit wäre es dann möglich gewesen, Hroznatas Heiligsprechung als Märtyrer nach dem Vorbild des hl. Thomas von Canterbury zu beantragen, der einst auch wegen der Verteidigung der kirchlichen Rechte umgekommen ist.46 Weiterhin erwähnt Hackenschmidt in den Annalen die Absicht von Abt Raimund I., die sterblichen Überreste des seligen Hroznata aus dem ursprünglichen Grab zu heben. Dies wurde ihm allerdings durch ein Schreiben des Erzbischofskonsistoriums vom 8. September 1663 mit der Erklärung untersagt, dass dies nur durch ausdrückliche Genehmigung des Bischofs und des Heiligen Stuhls geschehen könne.47 Aus den zitierten Texten ist ersichtlich, dass man in Tepl nicht genau wusste, wie die Dekrete von Urban VIII. zu verstehen sind.48 Man konnte einerseits die Anerkennung der Heiligkeit per viam cultus ab immemorabili tempore praestiti versuchen, was zwar einen Prozess bedeuten würde, jedoch mit Gültigkeit für die gesamte Kirche, oder – wie es später die Prämonstratenser als Ganzes taten – wenigstens die Genehmigung des Kultes innerhalb des Ordens beantragen. Wenn wir die sog. Heiligsprechung des hl. Norbert aus dem Jahre 1582 (tatsächlich nur Bestätigung des Kultes ohne Prozess)49 und die feierliche Seligsprechung der neunzehn Gorkumer Märtyrer vom 24. November 1675 (unter denen sich auch die beiden Prämonstratenser Adrian und Jakob befanden)50 nicht mitzählen, hatten die Prämonstratenser bis zum Beginn 45 Über den zweiten Teil der Annalen und ihren Autor ausführlich OPPELTOVÁ (wie Anm. 10),
288–443. 46 NKČR, Teplá A 47/II – Annales Teplenses. Tomus II, fol. 231rv. Dazu BRANDL (wie Anm.
36), 79–82. 47 NKČR, Teplá A 47/II – Annales Teplenses. Tomus II, fol. 231v–232r. BRANDL (wie Anm.
36), 82–83. 48 Darauf macht bereits BRANDL (wie Anm. 36), 83–84 aufmerksam. 49 Auch beim Gründer des Ordens, dem hl. Norbert, handelte es sich in Wirklichkeit um keine
Kanonisation, nur um die Bestätigung des Kultes. Am 28. Juli 1582 gab Papst Gregor XIII. ein Breve heraus, in dem er dem Antrag des Generals des Ordens Jean Despruets und des KardinalProtektors Boncompagni stattgab und gestattete, am 6. Juni den Tag des hl. Norberts als Duplex mit der Oktav zu zelebrieren. Dazu Emile VALVEKENS: La „Canonisation“ de Saint Norbert en 1582, in: Analecta Praemonstratensia 10 (1934), 10–47. 50 Diese gemischte Gruppe katholischer Priester und Ordensbrüder aus dem holländischen Gorinchem (= Gorkum) und Brielle wurde Opfer des Krieges der Niederlande um die Unabhängigkeit von Spanien. Die calvinistischen Soldaten nahmen mehrere katholische Priester und Ordensbrüder in Gorkum fest, weitere kamen in Brielle hinzu, wo sie dann alle – nachdem jene es ablehnten, dem katholischen Glauben zu entsagen – am 9. Juli 1572 erhängten. Die beiden Prämonstratenser
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des 18. Jahrhunderts keine von Rom gebilligten Heiligen.. Erst im Jahre 1728 genehmigte die Heilige Ritenkongregation auf Grund des Antrags des Generalprokurators des Prämonstratenserordens Norbert Mattens eine Stundenliturgie zu Ehren der Ordensheiligen und -seligen, derer Namen schon längst im Prämonstratenserbrevier auftauchten (a multo tempore in communi et antiquo dicti ordinis breviario … inserta reperiuntur). Konkret handelte es sich um den seligen Gottfried, Bekenner († 1127); den hl. Gilbert, Abt († 1152); den seligen Friedrich, Abt († 1238); den seligen Herman Josef, Bekenner († 1241); den hl. Gerlach, Eremit und Bekenner († 1272); die selige Gertrude, Jungfrau († 1297) und den hl. Siard, Bekenner († 1230). Die Kongregation erließ das entsprechende Dekret am 22. Januar 1728 und am 8. März des gleichen Jahres wurde es durch eine Sonderbulle von Papst Benedikt XIII. selbst bestätigt.51 Zwei Monate später – am 20. März 1728 – genehmigte die Ritenkongregation erneut auf Antrag des Prokurators Mattens für den gesamten Prämonstratenserorden das Offizium (pro extensione officiorum … ad universum suum ordinem) der drei Prämonstratenserbischöfe aus dem mecklenburgischen Ratzeburg – des hl. Evermods († 1174), Isfrieds († 1204) und Ludolfs, Märtyrer († 1250), was dann am 12. April erneut von Benedikt XIII. bestätigt wurde.52 Wie aus den Texten der päpstlichen Bullen ersichtlich, handelte es sich nicht um die Verbreitung des Kultes in der gesamten Kirche, sondern nur im gesamten Prämonstratenserorden. Aus diesem Grunde gelangten die besagten Heiligen nicht einmal ins Römische Brevier. In Tepl wurde man sich zu spät bewusst, dass man hier die Chance der einfachen Genehmigung des Hroznata-Kultes in Rom versäumt hatte. Dies ist aus der Korrespondenz ersichtlich, die erneut in der Abschrift in den Tepler Annalen erhalten blieb, diesmal im dreizehntem Band, der zu Beginn der fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts vom Tepler Prämonstratenser Adrian Fritsch verfasst worden war.53 Es handelt sich um den Schriftverkehr aus den Jahren 1745–1747 zwischen dem Tepler Abt Hieronymus Ambros(ius) (Abb. 4) und dem Entsandten des Kaisers bei der Römischen Kurie, Abt Josef Gentili, der sich auf Ambrosius’ Antrag in Rom um die Eröffnung des Hroznata-Prozesses bemühte.54 Gentili hat Ambrosius am 4. September 1745 aus-
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stammten aus der nahegelegenen Abtei in Middelburg. Später wurde die gesamte Gruppe durch Papst Pius IX. am 29. Juni 1867 auch kanonisiert. Congregatio de causis sanctorum: Index ac status causarum, Città del Vaticano 1999, 563 und 637 (Nicolaus Pieck et XVIII socii). Bullarium Romanum, Bulle Nr. 217, 643–644. Das Dekret der Ritenkongregation wird in der päpstlichen Bulle inseriert. Bullarium Romanum, Bulle Nr. 221, 648–649. Das Dekret der Zeremonienkongregation wird in der päpstlichen Bulle inseriert. Siehe auch Donatian DE CLERCK/Gabriel WOLF: Hagiologion. Lebensbilder der Heiligen, Seligen und großen Gestalten des Prämonstratenser-Ordens, Windberg 1999, XI und EHLERS-KISSELER (wie Anm. 38), 75. Darüber und über den entsprechenden Annalen-Band siehe OPPELTOVÁ (wie Anm. 10), 551– 553, 570–572. NKČR, Tepl A 47/13 – Annales Teplenses. Tomus XIII, S. 500–513. Dazu BRANDL (wie Anm. 36), 83–100.
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Abb. 4 Elias Dollhopf: Der Tepler Abt Hieronymus Ambros (1741–1767). Kunstsammlung des Stifts Tepl, 1767 (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
drücklich mitgeteilt, dass sich die päpstlichen Bestätigungen des Kultes der heiligen Prämonstratenser aus dem Jahre 1728 auf einer anderen Grundlage abgespielt haben, und dass es heute nicht mehr möglich sei, derart einfach vorzugehen55– wurde doch im Jahre 1740 Benedikt XIV., der das Kanonisationsrecht erheblich verschärfte und darüber hinaus zahlreiche neue Elemente darin einführte, Papst. Für Hroznatas Causa war die Festlegung der sog. äquipollenten Seligsprechung wichtig, was im Grunde genommen das gleiche war, wie Urbans Bestätigung des seit „undenklichen Zeiten bestehenden Kultes“, mit dem Unterschied, dass das Resultat nun nur noch der Titel beatus, und nicht – wie früher – sanctus war. Gentili war bemüht, Abt Ambrosius davon zu überzeugen, in Hroznatas Fall eine äquipollente Seligsprechung anzustreben, die zunächst in der zuständigen Diözese, also in Prag, zu eröffnen sei, und erst dann nach Rom übergeben werden könne. Dabei musste er Ambrosius wiederholt erklären, dass ohne einen solchen Prozess nicht einmal die liturgischen Texte zum seligen 55 „Sed casus noster est valde diversus nec sumus amplius in dicto pontificatu Benedicti XIII., sed
Benedicti XIV., qui de omnibus ex his materiis praecipue est instructissimus.“ NKČR, Teplá A 47/13 – Annales Teplenses. Tomus XIII, 510.
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Hroznata genehmigt werden können, um die es Ambrosius an erster Stelle ging. Im Fall der Genehmigung hätte man in Tepl den oben erwähnten Text der Brevierstunden von Pohl aus dem Jahre 1702 benutzt, den dessen Nachfolger, der Annalist Fritsch, im Jahre 1754 in die Tepler Annalen überschrieb.56 Abt Ambrosius zögerte anfangs, das Prager Erzbistum um die Eröffnung des Prozesses zu ersuchen – u. a. mit der Begründung, dass wegen des eben verlaufenden Österreichischen Erbfolgekriegs Prag vom preußischen König besetzt werden könnte, was das Verfahren unmöglich machen würde. So wenigstens schrieb er es Gentili am 6. August 1745.57 Als er sich endlich entschloss, tätig zu werden, bekam er – am Anfang des Jahres 1747 – vom Prager Generalvikar eine negative Antwort, beziehungsweise die Aufforderung, eine größere Menge an Beweismaterial zu sammeln. Hieronymus Ambrosius gab dann weitere Bemühungen um die Anerkennung des Hroznata-Kultes durch Rom auf, was für die Tepler sicher eine große Enttäuschung gewesen sein musste.58 Wenn auch die Bemühungen der Tepler Äbte um die Anerkennung des HroznataKultes durch Rom erfolglos waren, bedeutete das nicht dessen Ende. Folgen hatte dies eigentlich nur für die liturgische Verehrung, so dass weder eine Messe noch ein Offizium zu Ehren des seligen Hroznata gefeiert werden konnte. Die volkstümliche Frömmigkeit und die bildende Kunst waren dagegen in dieser Hinsicht in keinerlei Weise eingeschränkt. Im Jahre 1627 wurde das Stift in Tepl von zwei Antwerpener Prämonstratensern auf dem Wege nach Strahov besucht, um hier an Hroznatas Grab zu beten. Ihrer Zeugenschaft zufolge war das Grab mäßig über den Fußboden des Presbyteriums erhöht, von oben mit lila und von unten mit weißem Stoff bedeckt.59 Abt Gregor Neidhard (1682–1688) ließ dann ein vergoldetes Gitter anfertigen, das das Grab des Gründers von allen Seiten umfasste und sich darüber als eine Art Baldachin schloss. Darauf stand eine kleine versilberte Statue Hroznatas, die allerdings bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts für die Ausgaben im Spanischen Erbfolgekrieg konfisziert wurde. (Abb. 5) Das Gitter ließ Abt Hieronymus Ambros nach der Mitte
56 NKČR, Teplá A 47/15 – Annales Teplenses. Tomus XV, 503–510. Dazu HOFFMANN (wie
Anm. 4), 63. Den fünfzehnten Band schrieb Adrian Fritsch in den Jahren 1753–1756 über zeitgenössische Ereignisse. OPPELTOVÁ (wie Anm. 10), 620–621. 57 NKČR, Teplá A 47/13 – Annales Teplenses. Tomus XIII, 50–507. 58 Hieronymus Ambros schrieb an Gentili am 28. Februar 1747: „Spes mea in negotio b. fundatoris Hroznata iam pene collapsa.“ NKČR, Teplá A 47/13 – Annales Teplenses. Tomus XIII, 512. 59 Den Weg der Antwerpener Prämonstratenser beschreibt Johannes Chrysostomus VAN DER STERRE im Buch Echo sancti Norberti triumphantis, Antverpiae 1629, wobei er vom Grab des seligen Hroznatas schreibt (137–138): „...beati martyris ac principis Hroznatae tumbae coram adgeniculari, quam in aedis sacrae choro summo elevatam habet, stragulo subtus candido superius violaceo decenter coopertam.“
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Abb. 5 Hroznatas Grab um 1683. Lavierte Federzeichnung. Archiv des Stifts Tepl, Kt. 238. (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
des 18. Jahrhunderts, der besseren Aussicht auf den Hauptaltar wegen, beseitigen.60 Gleichzeitig (im Jahre 1761) wurde am Abschluss des nördlichen Seitenschiffes in der St.-Candidus-Kapelle ein Marmorkenotaph für Hroznata errichtet. Auf der Tumba auf hohem Sockel liegt hier der in Prämonstratenserhabit gekleidete tote Heilige. Zu seinen Füßen weint die Personifikation Böhmens, während das Kissen unter Hroznatas Haupt vom geflügelten Chronos mit der Rechten gehalten wird; in seiner Linken hält er die symbolische Sense. Über dem toten Heiligen ist eine Marmorstele angebracht, die von drei Engeln umflogen wird, die ihrerseits zur großen Aufschrift in ihrer Mitte weisen: B. Hroznata, fundator ecclesiae Teplensis et Chottieschoviensis. Das Kenotaph ist das Werk der Prager Bildhauer Josef Lauermann (Tumba) und Ignaz Platzer (Statuen), aus deren Werkstätten ein wesentlicher Teil der plastischen und figuralen Verzierung der Abteikirche in Tepl stammt.61 Im Zusammenhang mit dem Kenotaph stellte Platzer auch eine hölzerne Statue Hroznatas auf dem Katafalk her, die sich heute im Klosteroratorium befindet.62 60 Siehe Pragensis confirmationis cultus (wie Anm. 11), 124–126. 61 Anton GNIRS: Topographie der historischen und kunstgeschichtlichen Denkmale in den Be-
zirken Tepl und Marienbad, Augsburg 1932, 406. Heute ist das Denkmal an der Westwand des nördlichen Teils des Transepts platziert. Heřman J. TYL interpretierte das weinende Weib als die Personifikation von Böhmen (Čechie) – jedoch sind keine Attribute vorhanden. Heřman J. TYL: Klášter Teplá u Mariánských Lázní [Stift Tepl bei Marienbad], Plzeň 1947, 41 und 43. 62 Sláva barokní Čechie. Umění, kultura a společnost 17. a 18. století [Ruhm des barocken Böhmen. Kunst, Kultur und Gesellschaft im 17. und 18. Jahrhundert. Ausstellungskatalog], hg.
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Von der Verehrung des seligen Hroznata zeugt allerdings nicht nur die besondere Verzierung seines Grabes, sondern auch eine ganze Reihe von barocken Darstellungen, auf denen er deutlich die Attribute eines Heiligen trägt. Die ältesten Darstellungen – aus der Zeit um die Mitte des 17. Jahrhunderts – sind fast ausschließlich einfache Kupferstiche. Auf dem ersten davon – aus dem Jahre 1657 – wird Hroznata zusammen mit dem hl. Norbert als Schutzherr von Tepl und gleichzeitig als Verehrer der Jungfrau Maria und des Rosenkranzgebetes präsentiert.63 Ein weiterer Kupferstich (angefertigt nach dem Jahre 1665) stellt eine Szene vom Ende der mittelalterlichen Vita fratris Hroznatae dar, in der Hroznata gleich nach dem Tode vor seinen Gefährten im Gefängnis erscheint und sie ihrer Fesseln entledigt. Im unteren Teil dieses Kupferstiches ist das Tepler Stift in seiner frühbarocken Gestalt zu sehen. Die Darstellung wird von einem deutschsprachigen Gebet zum seligen Hroznata begleitet.64 Ein weiterer Kupferstich (um das Jahr 1680) stellt Hroznata als Märtyrer mit Fesseln in der linken und Märtyrerpalme in der rechten Hand dar. Hinter ihm sind die Klöster in Tepl und Chotieschau zu sehen.65 Etwa aus der Mitte des 17. Jahrhunderts blieb auch das erste Gemälde erhalten (Öl auf Leinwand), das Hroznata zeigt. Es stammt aus Chotieschau; Hroznata ist darauf zusammen mit seiner Schwester Wojslawa als Mitbegründer des hiesigen Stifts abgebildet. Die beiden Geschwister halten zusammen das Modell der Chotieschauer Kirche, über dem dessen Schutzherr, der hl. Wenzel, schwebt, in Händen. Die Kirche ist hier kurz vor dem barocken Umbau festgehalten, der unter Propst Michael Kastl in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre des 17. Jahrhunderts vorgenommen worden ist.66 Die meisten Werke, die den seligen Hroznata als Stifter darstellen, sind allerdings erst aus der Zeit der hochbarocken Umgestaltung von Tepl erhalten geblieben, beziehungsweise aus der nachfolgenden Zeit, denn in dieser Form ist das Stift im Grunde genommen bis heute erhalten geblieben (außer den späteren neobarocken Anbauten von Bibliothek und Museum). Mit der Verwirklichung dieses Umbaus, der auch das
v. Vít VLNAS, Praha 2001, 305, Gegenstand II/2.35. 63 Milan HLINOMAZ: Hroznatiana im Archiv und in der Bibliothek des Stifts Tepl, in: DOLEŽA-
LOVÁ (wie Anm. ∗), 37–48, hier 43 (Abb. 3). 64 Der Kupferstich befindet sich heute in einer Sammlung von Unterlagen aus dem Jahre 1881 (NKČR, Teplá 56), die zur Seligsprechung des seligen Hroznata vom damaligen Tepler Bibliothekar Filip Klimeš zusammengetragen worden ist. HLINOMAZ (wie Anm. 63), 46 (Abb. 5) und Zuzana KULOVÁ/Michaela BÄUMLOVÁ: Item plures et alios libros. Knihy kláštera Tepl ve fondech Národní knihovny České republiky [Bücher des Stifts Tepl in den Fonds der Nationalbibliothek der Tschechischen Republik], Praha 2009, 41 (Abb. II/4.2). 65 HLINOMAZ (wie Anm. 63), 44, Abb. 4. Ein Kupferstich befindet sich auch im Klimeš-Konvolut aus dem Jahre 1881 (NKČR, Teplá 56). 66 KULOVÁ/BÄUMLOVÁ (wie Anm. 64), 46 (Abb. II/9). Das Bild befindet sich in den Sammlungen des Stifts Tepl (TE 79). Zum barocken Umbau von Chotieschau siehe HLINOMAZ (wie Anm. 9), 141.
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Abb. 6 Tepl (Teplá), Statue Hroznatas von 1713 über dem Haupteingang in den Konvent. (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
erste Werk des berühmten bayerischen Architekten Christoph Dientzenhofer auf böhmischem Territorium darstellt, wurde im Jahre 1690 begonnen. Abgeschlossen wurde er um das Jahr 1725, also in einer Zeit, als Christoph Dientzenhofer bereits mehrere Jahre verstorben war und der Bau in Tepl schon seit langem von seinem ehemaligen Polier Wolfgang Braunbock (ursprüglich aus dem oberbayerischen Miesbach) geleitet wurde. Dientzenhofer selbst errichtete (teilweise auf der grünen Wiese) das neue Konventsgebäude südostlich der Kirche, während Braunbock danach die mächtige Prälatur an der Stelle des mittelalterlichen Stifts baute.67 Neben der westli67 Michal PANÁČEK/Radek ŠIROKÝ: Klášter Teplá, čp. 1. Konvent a prelatura. Standardní a
nedestruktivní stavebně historický průzkum, Čj. 69/10 (nepublikovaná zpráva Západočeského institutu pro ochranu a dokumentaci památek ZIP) [Stift Tepl, Konvent und Prälatur. Eine baugeschichtliche Untersuchung. Unpublizierte Nachricht des Westböhmischen Instituts für Denkmalpfege ZIP], Plzeň 2010, 44–59; Pavel ZAHRADNÍK: Stavební dějiny premonstrátského kláštera Teplá (I. část) [Baugeschichte des Prämonstratenserstifts Tepl. I. Teil], in: Sborník Mu-
Der Kult des seligen Hroznata im Barock
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chen Fassade der Abteikirche platzierte er über dem Haupteingang zum Konvent im Jahre 1713 eine figürliche Supraporte mit der Statue des seligen Hroznata, der, in das Gewand der Prämonstratenser gekleidet, in einer Hand das Modell der Tepler Kirche und in der anderen Hand die Märtyrerpalme hält. (Abb. 6) Zu beiden Seiten tragen zwei Engel die Attribute des Heiligen – den Herzogshut und die Gefangenenfesseln.68 Etwa einen halben Kilometer vor dem Haupttor ins Stift in westlicher Richtung steht an der Straße eine ähnliche Statue Hroznatas aus dem Jahre 1704. Der Heilige im Ordensgewand steht hier auf einem hohen Sockel; er hält in der Linken das Modell der Kirche und hat am Zingulum seine Fesseln hängen. Die Rechte, die ursprünglich die Märtyrerpalme hielt, ist leider heute abgeschlagen.69 Auf dem Hauptplatz im Städtchen Tepl befindet sich ebenfalls eine Hroznata-Statue, und zwar auf der gelungenen Dreifaltigkeitssäule eines unbekannten Künstlers aus dem Jahre 1721. (Abb. 7) Wie die lateinische Aufschrift am Sockel mitteilt, wurde der Bau der Säule von dem aus Tepl stammenden Zacharias Adalbert von Hittnern als Danksagung an Gott für das Doktorat beiderlei Rechte an der Wiener Universität und für die Anwaltstelle am kaiserlichen Hof bestellt. Darum erscheinen hier neben den Statuen der hl. Rosalia und des hl. Quodvultdeus, der böhmischen Schutzherren Wenzel, Adalbert und Johannes von Nepomuk (der gerade seliggesprochen worden war!) ebenfalls die Patrone Österreichs Leopold und Florian, und wegen des Tepler Stifts dann auch die Prämonstratenser Norbert und Hroznata. Alle Statuen sind mit Namen und der Abkürzung S. (= Sanctus) gekennzeichnet. Hroznata hat hier ein ungewöhnlich junges Antlitz. Ansonsten hält seine Statue die übliche Ikonographie ein – der Heilige im Ordensgewand hält in der Linken das Modell der Kirche, in der Rechten die Palme und hat am Zingulum die Fesseln hängen.70 Schließlich wären da noch die Bilder direkt in der Tepler Stiftskirche zu erwähnen. Aus dem Jahre 1713 stammt der Zyklus der fünf Olgemälde (auf Leinwand) mit Szenen aus dem Leben Hroznatas, die nun in den Gängen des Konvents angebracht sind. Sie wurden vom Prämonstratenser Lucas Wolff, einem Laienbruder in Tepl, gemalt, der ursprünglich aus dem oberfränkischen Greßthal stammte. Die Bilder stellen dar: 1. Hroznatas wundersame Geburt, 2. Wunder aus Hroznatas Kindheit, 3. Der Papst tauscht Hronatas Kreuzzugsgelübde gegen die Klosterstiftung, 4. Hroznata wird von Papst ins Prämonstratenserhabit eingekleidet, 5. Hroznata wird von Feinden des Kloster gefangen genommen. Das sechste und letzte Bild ist nur als Torso erhalten
zea Karlovarského kraje 19 (2011), 7–72, hier 33–56; Radek ŠIROKÝ/Karel NOVÁČEK: První etapa výzkumu v areálu premonstrátské kanonie v Teplé [Erste Etappe der Untersuchung im Areal des Prämonstratenserstifts Tepl], in: Památky západních Čech 1 (2011), 37–47. 68 GNIRS (wie Anm. 61), 425–426. 69 GNIRS (wie Anm. 61), 459–460. 70 GNIRS (wie Anm. 61), 498–501.
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Abb. 7 Dreifaltigkeitssäule in der Stadt Tepl (Teplá) von 1721. (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
ten geblieben, auf dem Hroznatas Grab in der Abteikirche zu sehen ist.71 Thematisch gleiche Szenen malte Elias Dollhopf, ein Maler aus dem unweit gelegenen Schlaggenwald (Horní Slavkov), in den Jahren 1754–1756 an die Wände des Querschiffes der Klosterkirche. (Abb. 8) Außerdem verzierte er auch Gewölbefelder in der Kirche mit marianischen Motiven. Ein Feld direkt über dem Kreuzaltar zeigt den seligen Hroznata wie er das Tepler Stift unter den Schutz der Jungfrau Maria stellt.72 Die 71 Jan ROYT: Bemerkungen zur Ikonographie und zum Kult der böhmischen Landespatrone im
17. und 18. Jahrhundert, in: DOLEŽALOVÁ (wie Anm. ∗), 243–274, hier 273; KULOVÁ/ BÄUMLOVÁ (wie Anm. 64), 26 (Abb. I/9) und 45 (Abb. II/8). Über Wolff siehe: Nový slovník československých výtvarných umělců [Neues Lexikon der tschechoslowakischen Bildenden Künstler] 2, hg. v. Prokop TOMAN, Praha 1950, 710 und Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart 36, hg. v. Hans VOLLMER, Leipzig 2010, 214. Wolffs Bilder dienten als Vorlagen für die Litographien im Buch des Tepler Prämonstratensers Hugo J. KARLIK: Gründung der Prämostratenser Abtei Tepl in Böhmen nach Urkunden, Legenden und Sagen, Leipzig–Meißen 1856. Hier ist auch das gesamte sechste Bild wiedergegeben. 72 GNIRS (wie Anm. 61), 407–412; Zbyněk ČERNÝ: Eliáš Dollhopf. Barokní malíř západních Čech [Elias Dollhopf. Ein Barockmaler aus Westböhmen], Sokolov 2013, 34–50. Nach den Motiven dieser Bilder von Dollhopf wurden auch graphische Blätter erstellt, von denen eines beispielsweise im oben erwähnten Klimeš-Konvolut aus dem Jahre 1881 erhalten geblieben ist. Ein
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Abb. 8 Tepl (Teplá), Stiftskirche. Wandgemälde von Elias Dollhopf mit Szenen aus dem Leben Hroznatas, 1754–1756. (Foto: Bibliothek des Stifts Tepl)
Hauptmotive aus Hroznatas Leben erscheinen auch auf dem Abtstab, den Abt Ambros im Jahre 1750 anfertigen ließ. (Abb. 9) Dieses sog. Hroznata-Pedum wurde nach einem Entwurf von Ignaz Platzer von dem ausgezeichneten Egerer Goldschmied Josef Aycher angefertigt. 73 Hroznatas Kult expandierte auch weit über die Grenzen des Tepler- und Chotieschauer Lands hinaus, und zwar mit Hilfe des mächtige Adelsgeschlechts der westböhmischen Hroznatiden, d. h. den Herrengeschlechtern von Wrtba, Krašov, Bělá, Gutštejn, Frumštejn, Pušperk und Hrádek, deren Wappen – in Gedenken an Hroznata – je drei Hirschgeweihe aufweisen. Zur Zeit des Barock waren die Grafen von Wrtba, die ihren originelles Blatt stellte im Jahre 1769 der Augsburger Kupferstecher Joseph Sebastian Klauber her. Die zentrale Szene ist hier die Geburt Hroznatas, im Hintergrund ist seine Gefangennahme in der Gegend von Eger (Cheb) eingefügt. Über all dem schwebt der selige Hroznata in Halbfigur in himmlischem Ruhm. Siehe KULOVÁ/BÄUMLOVÁ (wie Anm. 64), 42 (Abb. II/4.3). Genauer ROYT (wie Anm. 71), 272–274. 73 GNIRS (wie Anm. 61), 417–418; Sláva barokní Čechie (wie Anm. 62), 304, Gegenstand II/2.34; Dana STEHLÍKOVÁ: Encyklopedie českého zlatnictví, stříbrnictví a klenotnictví [Enzyklopädie der tschechischen Gold-, Silber- und Edelschmiedekunst], Praha 2003, 39.
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Abb. 9 Hroznata-Pedum von 1750. Kunstsammlung des Stifts Tepl. (Foto: Petr Kubín)
Palast mit wunderschönem Garten direkt unter der Prager Burg errichteten, bei weitem am bedeutendsten. In deren Umfeld tauchte auch die neue Sage von der Gründung Tepls bzw. von der Abstammung ihres Wappens auf. Der Hirsch soll demnach sein Geweih an dem Ort abgestoßen haben, an dem der selige Hroznata ein Stift gründen sollte. In bildnerischer Gestalt ist diese Sage auf einem Kupferstich erhalten geblieben, den Johann Joseph Graf von Wrtba (Jan Josef z Vrtby) († 1734), oberster Burggraf des böhmischen Königreiches, anfertigen ließ.74 Nach diesem Kupferstich wurde beispielsweise auch das Bild auf Leinwand für die Kirche des Franziskanerstifts in Wotitz (Votice) in Mittelböhmen aus dem Jahre 1778 gemalt.75 Dieses Stift wurde im Jahre 1627 von Sezima von Wrtba (Sezima z Vrtby) gegründet, der Wotitz und weitere Güter in der Umgebung von Beneschau (Benešov) errang sowie vom Kaiser den Grafentitel für seine Treue beim Ständeaufstand erhielt. Der oben erwähnte Johann Josef von Wrtba erweiterte das Familienvermögen im Jahre 1715 um die umfangreiche Herrschaft Konopischt (Konopiště). Konopischt selbst, das damals immer noch die Gestalt einer gotischen Burg aufwies, ließ er bald in ein bequemes Barockschloss umbauen. Sein Neffe Franz Wenzel von Wrtba (František Václav z Vrtby) ließ auch 74 Siehe Jiří JÁNSKÝ: Hroznatovci a páni z Gutštejna [Hroznatiden und die Herren von Gutstein],
Domažlice 2009, 12 und Abbildung auf Seite 129.
75 Lucie MÜLLEROVÁ: Blahoslavený Hroznata a klášter Tepl [Der selige Hroznata und das Stift
Tepl], unveröffentlichte Diplomarbeit an der Pädagogischen Fakultät der Jan-Evangelista-Purkyně-Universität, Ústí n/L 2006, 22 und Abb. 19.
Der Kult des seligen Hroznata im Barock
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Abb. 10 Statue Hroznatas aus dem Schloss Konopischt (Konopiště), um 1746. (Foto František Veselý)
die Schlosskapelle des hl. Ägidius anpassen, zu deren Verzierung er den ausgezeichneten Pilsner Holzbildhauer Lazar Widmann hinzuzog. Dieser schnitzte in den Jahren 1745–1747 einen barockgotischen Altar aus Lindenholz, auf dem die Statue des Hauptpatrons der Kapelle von den Statuen der böhmischen Landespatrone Wenzel, Ludmila, Ivan und vom Familienheiligen Hroznata begleitet wurde. Unser Heiliger ist hier in das Gewand der Prämonstratenser gekleidet, mit Birett auf dem Haupt. In der rechten Hand hält er eine aufgerollte Urkunde mit der Fassade des Stifts Tepl. (Abb. 10) Die linke Hand mit erhobenem Zeigefinger wies offenbar auf die zentrale Figur des hl. Ägidius.76 Lazar Widmann stellte wahrscheinlich auch eine sitzende Sta76 Die genaue Gestalt dieses Altars ist leider nicht bekannt. Er liegt heute zerlegt im Depositorium
des Schlosses, weil der spätere Besitzer von Konopischt, Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este, ihn am Ende des 19. Jahrhunderts durch den pseudogotischen St.-Hubertus-Altar ersetzen ließ. Die detaillierte Beschreibung eines Teils des Altars bei Jana SEDLÁČKOVÁ: Dějiny kaple sv. Huberta na zámku Konopiště [Die Geschichte der Kapelle des hl. Huberts auf
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tue des sel. Hroznata für die neue Kapelle im Schloss von Markt Janowitz/Vrchotovy Janovice (bei Wotitz) her, das den Grafen von Wrtba schon seit dem Jahre 1603 gehörte. Hroznata sitzt hier zusammen mit der hl. Ludmila an den Seiten des Hauptaltars.77
Zusammenfassung Diese Studie ist natürlich keine vollständige Aufzählung der Denkmäler, die den Kult Hroznatas belegen, sondern bietet nur eine repräsentative Auswahl. Es kann jedoch klar nachgewiesen werden, dass sich auch in der Barockzeit die Verehrung des Seligen auf die Orte konzentrierte, die mit seinem Leben in Verbindung standen, also Tepl und auch Chotieschau. Dank der Jesuiten, die nach der Schlacht am Weißen Berg im Rahmen der Rekatholisierung alle Heiligenkulte aus der Zeit vor der Hussitischen Revolution belebten, gelangte die Kenntnis über Hroznata nach ganz Böhmen. Das bedeutendste Werk dieser Zeit ist das Buch des Jesuiten Bohuslav Balbín aus dem Jahre 1665. Beinahe gleichzeitig – während des Pontifikats von Urban VIII. – kam es von Seiten der Römischen Kurie zu einer Verschärfung der Anforderungen an öffentliche Kulte, so dass die Tepler Abtei in den Jahren 1638, 1659–1663 und 1743–1752 wiederholt die Möglichkeit erörterte, für Hroznata wenigstens die Seligsprechung zu erringen. Leider verging die Möglichkeit der „einfachen“ Anerkennung von Hroznatas Heiligkeit, wie dies bei anderen Prämonstratenser-Heiligen im Jahre 1728 geschah. Nach den Reformen von Benedikt XIV. war es bereits erforderlich, sich einem komplizierten Beatifikationsprozess zu unterziehen. Zu dessen Eröffnung wurde das Einverständnis des Prager Erzbistums benötigt, das man in Tepl bisher noch nicht erhalten hatte. Dies hatte allerdings nur Folgen für die liturgische Verehrung, die nicht genehmigt war. Im Volk und vor allem in der bildenden Kunst wurde Hroznata weiterhin als Heiliger verehrt. Davon zeugt eine Reihe barocker Bilder und Statuen, die im Grunde genommen die ältesten künstlerischen Äußerungen des Hroznata-Kultes überhaupt darstellen.
Schloss Konopischt], unveröffentlichte Diplomarbeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag, Praha 2013, 29–31. Siehe auch Viktor KOVAŘÍK: Sochař Lazar Widemann (1697–1769) a jeho dílo v západních Čechách [Der Bildhauer Lazar Widemann (1697–1769) und sein Werk in Westböhmen], Plzeň 2006, 58–62. 77 Antonín PODLAHA/Eduard ŠITTLER: Soupis památek historických a uměleckých v Království českém. Politický okres sedlčanský [Verzeichnis der historischen Kunstdenkmäler im Königreich Böhmen. Politischer Bezirk Seltschan], Praha 1898, 38 (ohne den Bildhauer zu identifizieren).
Damien Tricoire „SKLAVE SEIN HEISST HERRSCHEN“ Die Münchner und Prager Mariensäulen in ihrem religiösen und politischen Kontext In Tschechien und Bayern könnten die Erinnerungen an die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs kaum unterschiedlicher sein. Die bayerisch-patriotische Erzählung führt einen glanzvollen Fürsten auf die Bühne, den Wittelsbacher Maximilian, der als erster Bayer die Kurwürde erlangte, sein Territorium erweiterte und somit einen entscheidenden Beitrag zum Aufstieg Bayerns leistete. Für die nationalistischen tschechischen Geschichtsschreiber der Neuzeit – allen voran František Palacký – brachte im Gegensatz dazu der Dreißigjährige Krieg das Ende der nationalen Selbstbestimmung. Nach der Schlacht am Weißen Berg sei Böhmen zu einer Provinz des Habsburger Reichs degradiert worden. Die Zwangsrekatholisierung habe dem fortschrittlichen Hussitismus den Garaus gemacht. Kurzum: Es brach die Zeit der „Finsternis“ an.1 So ist es erklärlich, dass am 3. November 1918 – wenige Tage nach der Ausrufung des tschechoslowakischen Staats – Prager Bürger unter der Führung des Anarchisten Franta Sauer ein Denkmal zerstörten, das für sie die jüngst glücklich überwundene „Zeit der Finsternis“ und der Fremdherrschaft symbolisierte: die Mariensäule auf dem Altstädter Ring, der gegenüber ein paar Jahre zuvor ein Hus-Denkmal errichtet worden war.2 Von Maria und Hus blieb nur letzterer stehen – und heutzutage feiern rund um diesen Nationalhelden die Eishockeyfans die Erfolge ihrer Mannschaft, nicht um die Figur der Gottesmutter. Ganz anders in München, wo der Hauptplatz der Stadt noch heute seinen Namen von der Heiligen Jungfrau ableitet und die Triumphe des FC Bayern vor der Säule dieser Engelkönigin zelebriert werden.
1 Jiři KOŘALKA: František Palacký. Der Historiker der Tschechen im österreichischen Vielvölkerstaat, Wien 2007; Winfried EBERHARD: Jan Hus und Martin Luther, in: Deutsche und Tschechen. Geschichte, Kultur, Politik, hg. v. Walter KOSCHMAL, Marek NEKULA u. a., München 2001, 50–56, hier 51. 2 Martin SCHULZE WESSEL: Die Konfessionalisierung der tschechischen Nation, in: Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Heinz-Gerhard HAUPT und Dieter LANGEWIESCHE, Frankfurt a. M.–New York 2004, 135– 150, hier 144; Jaroslav ŠEBEK: Die Traditionen von Jan Hus und des hl. Wenzel als Objekt politischer und nationaler Instrumentalisierungen in den böhmischen Ländern im 19. und 20. Jahrhundert, in: Konkurrierende Ordnungen. Verschränkungen von Religion, Staat und Nation in Ostmitteleuropa (16.–20. Jahrhundert), hg. v. Johannes GLEIXNER, Christian PREUSSE, Damien TRICOIRE, München 2015, 221–249.
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Doch inwiefern gehen diese divergierenden nationalen Erinnerungen in der Neuzeit auf unterschiedliche Intentionen der Fürsten zurück, die sie im 17. Jahrhundert errichten ließen? Inwieweit waren die Bedeutungen und Funktionen der Mariensäulen trotz der späteren unterschiedlichen Erinnerungen in Bayern und Böhmen ähnlich? Warum war dieses Denkmalmodell, das in Bayern aufkam, im Mitteleuropa des 17. Jahrhunderts so erfolgreich, dass es an zahlreichen Orten nachgeahmt wurde? Mit welchen Innovationen war es verbunden? Im Folgenden möchte ich versuchen, die Mariensäulen als Quellen der politischen und religiösen Geschichte der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zu „lesen“ und ihre verschiedenen Bedeutungsebenen herauszuarbeiten. Dabei soll betont werden, dass, obwohl die Prager Mariensäule eindeutig nach dem Vorbild der Münchner errichtet worden ist, ihre Aufstellung teilweise mit anderen politischen Botschaften einherging. Ich werde den Bau der beiden Mariensäulen und den damit verbundenen Kulturtransfer in fünf unterschiedliche Kontexte verorten, von denen die drei ersten Bayern und dem Habsburger Reich weitgehend gemeinsam sind, während die beiden letzten landeshistorische Eigenheiten in den Vordergrund rücken lassen. Erstens soll die Vorstellungswelt der Katholischen Reform und insbesondere des Marienpatronats skizziert werden, auf die diese Denkmäler rekurrieren. Zweitens werde ich darauf eingehen, dass die Mariensäulen das Verhältnis zwischen dem Fürsten und dem Himmel zur Schau stellten, das vom Ideal der Katholischen Reform beeinflusst war. Drittens soll gezeigt werden, wie die Säulen zur Schaffung einer neuen Untertanenöffentlichkeit beitragen sollten, die man als protostaatlich bezeichnen kann, weil sie eine Einheit zwischen Territorium, Bevölkerung und Herrschaft implizierte. Viertens werde ich darstellen, wie die Mariensäulen die Behauptung einer territorialen Eigenständigkeit nicht nur Bayerns, sondern auch Böhmens, unterstützten. Fünftens sollen schließlich kurz die in Bayern und Böhmen gegensätzlichen erinnerungsgeschichtlichen Funktionen der beiden Mariensäulen beleuchtet werden.
Die Mariensäulen als Denkmäler der Katholischen Reform Die Funktionen der Mariensäulen kann man nur verstehen, wenn man diese in den breiten religiösen Kontext der Katholischen Reform verortet. In einem ersten Schritt soll ein allgemeines Bild dieser religiösen Bewegung gegeben werden, das – zugegeben – auf Generalisierungen beruht und die Vielfalt der Reformansätze außer Acht lässt. Solche Generalisierungen scheinen mir günstig für ein besseres Verständnis der Ikonographie, auf die bei der Aufstellung der Mariensäulen rekurriert wurde, und der religiösen Vorstellungen, die mit ihr verbunden waren. Unter „Katholischer Reform“ verstehe ich hier die Bemühungen – vor allem von Reformorden wie den Jesuiten ausgehend – ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, neue Beziehungen zwischen Himmel und Erde zu propagieren. Luther und die Reformatoren hatten auf Probleme des spätmittelalterlichen Christentums geantwor-
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tet, die besonders intensive eschatologische Ängste verursacht hatten. Um 1500 war in weiten Teilen Europas die Welt in ausgesprochenem Maße als sündhaft empfunden worden. In den Jahrzehnten vor der Reformation hatten immer mehr Prediger und Autoren von gedruckten Texten im Heiligen Römischen Reich und in Frankreich die unmittelbar bevorstehende Rückkehr Christi angekündigt und zur kollektiven Läuterung aufgerufen.3 Luther war einer dieser zahlreichen Prediger. Er bot jedoch eine originelle Antwort auf das Problem der eschatologischen Ängste. Durch das, was Bernd Hamm eine „normative Zentrierung“ genannt hat, reduzierte der mitteldeutsche Augustiner die Prinzipien, die zum Heil verhelfen, auf wenige Lehrsätze: Der Glaube allein reiche aus; die göttliche Gnade werde frei gewährt; die wahre Religion sei einzig in der Bibel zu finden; lediglich Christus könne als Mittler zu Gott fungieren.4 Die katholischen Reformorden der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts antworteten auf ähnliche Fragen wie Luther. Die von ihnen verbreitete Spiritualität sollte die eschatologischen Ängste der Gläubigen lindern. Obwohl sie durchaus an ältere Vorstellungen und Praktiken anknüpften, distanzierten sie sich von den apokalyptischen Naherwartungen, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts dominiert hatten und die noch viele Konzilsväter in Trient teilten. Die Oratorianer, die Jesuiten oder auch die Sulpizianer – um nur einige wenige Reformorden zu nennen – entwickelten im Jahrhundert nach 1570 eine deutlich optimistischere Auffassung der Beziehungen zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer. Sie betonten die Möglichkeit des Heils für jeden Stand, was mit anderen Worten hieß, dass sie nicht mehr davon ausgingen, dass es notwendig sei, sich von der Welt zu verabschieden, um zu den Gerechten zu zählen.5 Man kann die Katholische Reform als eine Bemühung verstehen, eine Annäherung zwischen Himmel und Erde zu erreichen. Dieses Ziel fand im 17. Jahrhundert seinen Niederschlag in künstlerischen Innovationen. Ein Blick auf barocke Jesuitenkirchen mag diese Vorstellungswelt verdeutlichen. Diese Kulthäuser können idealtypisch als eine Inszenierung der universalen Hierarchie verstanden werden: Ihre Ikonographie betont die Verbindungen zwischen den Menschen und Gott und soll beim Gläubigen den Eindruck erwecken, er habe am Triumph Gottes teil. Die Grenze zwischen dem 3 Jean DELUMEAU: La Peur en occident (XIVe–XVIIIe siècles). Une cité assiégée, Paris 1978,
198 f., 218–223, 232–253; Alphonse DUPRONT: Vie et Création religieuses dans la France moderne, in: La France et les Français, hg. v. François MICHEL, Paris 1972, 491–577, hier 494; Eschatologie und Hussitismus, hg. v. Alexander PATSCHOVSKY und František ŠMAHEL, Praha 1996; Denis CROUZET: Les guerriers de Dieu. La violence au temps des troubles de religion, vers 1525–vers 1610, 2 Bände, Paris 1990, Bd. 1, 102–235; Bernd HAMM: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation: Der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland, in: Archiv für Reformationsgeschichte 84 (1993), 7–82. 4 HAMM (wie Anm. 3). 5 Damien TRICOIRE: Mit Gott rechnen. Katholische Reform und politisches Kalkül in Frankreich, Bayern und Polen-Litauen, Göttingen 2013, 49–101.
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oft auf dem Gewölbe dargestellten Himmel und dem Raum, in dem sich der Betrachter befindet, wird im Vergleich zur Renaissancearchitektur bewusst verschwommen. Es wimmelt von heiligen Gestalten, die Bindeglieder zwischen dem glorreichen Gott und dem einfachen Gläubigen darstellen. Inmitten der Engel soll der Gläubige die Nähe zum Himmel fühlen. Diese Kirchen appellieren an eine „transitive Erfassung“: Nicht in der stillen und unbeweglichen Meditation, sondern erst durch die Bewegung im Kirchenraum wird die religiöse Szenerie verständlich. Barocke Kunst kann – religionshistorisch gesehen – als eine Kunst zur Inszenierung eines allumfassenden Ganzen, einer Universalität, verstanden werden.6 In diesem Universum des Triumphs war die Heilige Gottesmutter eine Schlüsselfigur. In der Barockzeit wurde sie in besonderem Maße als Königin des Himmels und der Welt dargestellt. In der Frömmigkeitsliteratur der Barockzeit betonte man ihre allumfassende Macht, die sie zu einer beinahe gottgleichen Figur machte. In der religiösen Kunst spielten die Themen der Himmelfahrt, der Krönung und der Unbefleckten Empfängnis eine zentrale Rolle – drei Themen, die mit ihrer Universalherrschaft aufs engste verbunden waren. Für die Katholische Reform war Maria äußerst attraktiv, weil sie zugleich allmächtig und Mensch war. Durch sie sollte sich der einfache Katholik als Teil eines großen, hierarchisch geordneten Netzwerks fühlen, das die Erde mit dem Himmel verband. So förderten in München die Jesuiten das Marienpatronat derart tatkräftig, dass die große Mehrheit der Bürger Mitglieder von Sodalitäten wurden.7 Die mitteleuropäischen Mariensäulen waren ein Ausdruck dieser Vorstellungswelt. Bezeichnend ist, dass das Wiener und das Prager Denkmal der älteren Münchner Säule kompositorisch und ikonographisch beinahe identisch sind bzw. waren. Religionshistorisch gesehen sind die Mariensäulen Darstellungen des Triumphs der Himmelskönigin im eschatologischen Kampf, wie an drei Merkmalen zu sehen ist: Erstens sind sie an antike Kaisersäulen angelehnt; sie zitieren also Siegesmonumente. Vorbild der Münchner Mariensäule ist wohl die vor Santa Maria Maggiore (1613) in Rom gewesen. Hier wurde eine antike Säule wiederverwendet, um den Triumph der wahren Religion über das Heidentum darzustellen.8 Zweitens wird die Gottesmutter in allen drei Fällen als Immaculata abgebildet. Auf den Mariensäulen der habsburgischen Länder ersetzten zwar eine Zwölf-Sternen-Krone die schwere Goldkrone und 6 Ebd.; Jens BAUMGARTEN: Jesuitische Bildpolitik zwischen Überwältigung und Überprüfbar-
keit am Beispiel der Jesuitenkirchen in Breslau und Graz, in: Jesuitische Frömmigkeitskulturen. Konfessionelle Interaktion in Ostmitteleuropa 1570–1700, hg. v. Anna OHLIDAL und Stefan SAMERSKI, Stuttgart 2006, 63–92, hier 64; Władysław TOMKIEWICZ: Polska sztuka kontrreformacyjna [Polnische Kunst der Gegenreformation], in: Wiek XVII – Kontrreformacja – Barok. Prace z historii kultury [Das 17. Jahrhundert – Gegenreformation – Barock. Arbeit zur Kulturgeschichte], hg. v. Janusz PELC, Wrocław u. a. 1970, 70–94. 7 TRICOIRE (wie Anm. 5), 49–80; Louis CHÂTELLIER: L’Europe des dévots, Paris 1987. 8 Michael SCHATTENHOFER: Die Mariensäule in München, München 1970, 18.
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die Schlange bzw. der Drache den Mond der Münchner Maria. Dieser Typus ändert indes nichts an der grundsätzlichen Bedeutung des Bildes, der Idee eines eschatologischen Triumphs der heiligen Jungfrau durch ihre unbefleckte Reinheit.9 Drittens wurden auf den Sockeln von allen drei Säulen vier kämpfende Engeln platziert. Jeder dieser Heldenputti erschlägt ein Ungeheuer, was noch einmal den eschatologischen Sieg unterstreicht.
Die Kommunikation zwischen dem Fürsten und dem Himmel Alle drei Mariensäulen wurden unmittelbar von den Fürsten als persönliche Votivgabe in Auftrag gegeben. Deren Errichtung war Teil einer Inszenierung nicht nur der Heiligen, sondern auch des Stifters. Dies wird an den Inschriften deutlich, die den jeweiligen Fürsten in den Vordergrund stellen. Die Inschrift der Prager Säule lautete (ins Deutsche übersetzt): „Der Jungfrau und Gottesmutter, die ohne den Makel der Erbsünde empfangen wurde, hat der fromme und gerechte Kaiser dieses Standbild [zum Dank] für die Verteidigung und Befreiung der Stadt errichtet.“10 Die Auszeichnung des Kaisers als „pius“ und „justus“ wies auf das Herrschaftsmodell der Katholischen Reform hin, das damals unter anderem Jesuiten propagierten. Diesem Modell nach sollte der Fürst vor allem zwei Sachen tun, um die göttlichen Gnaden auf sein Land zu ziehen: Er sollte besonders fromm sein und eine strenge Gerechtigkeit walten lassen, die als eine – wenn notwendig – gewalttätige Durchsetzung der göttlichen Gesetze gedacht war.11 Durch die Mariensäule suggerierte Ferdinand III. also, er folge dem Modell dieses Idealherrschers nach und werde, dank göttlicher Favorisierung, seine Länder zu voller Blüte gelangen lassen. Die Inschrift der Münchner Säule bezeichnet Maximilian I. von Bayern nach Aufzählung aller seiner alten und neuen Titel (Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Oberund Niederbayern, Erztruchseß des Heiligen Römischen Reichs und Kurfürst) als den „letzten der Diener der Gottesmutter“.12 Diese paradoxe Selbsterniedrigungsgeste fungiert als Höhepunkt einer Aufzählung, die den Ruhm des neuen Kurfürsten zur 9 Entgegen der Behauptung von Susan Tipton handelt es sich in beiden Fällen sowohl um Jung-
frauen der Apokalypse als auch um Unbefleckte. Für beide galt nämlich derselbe ikonographische Typus. Susan TIPTON: „Super aspidem et basilicum ambulabis ...“ Zur Entstehung der Mariensäulen im 17. Jahrhundert, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, Teil 1, hg. v. Dieter BREUER, Wiesbaden 1995, 375–397, hier 385. 10 Walter F. KALINA: Die Mariensäulen in Wernstein am Inn (1645/47), Wien (1664/66), München (1637/38) und Prag (1650), in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 58 (2004), 43–61, hier 59. 11 TRICOIRE (wie Anm. 5), 103–132. 12 Winfried STROH: Die Münchner Mariensäule und ihr Dichter Balde, in: Balde und Horaz, hg. v. Eckhard LEVÈVRE, Tübingen 2002, 149–169, hier 152 f.
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Schau stellt. Sie findet sich in anderen Akten der symbolischen Kommunikation Maximilians. So verzichtete der Herzog von Bayern 1621 nach dem siegreichen Böhmenfeldzug auf Triumphfestlichkeiten und begab sich mit seinem Gefolge unmittelbar zur Frauenkirche, um Gott und der heiligen Maria für die Kriegserfolge zu danken.13 Eine solche demonstrative Demut war Teil einer Repräsentationsstrategie, die dem Himmel gefallen sollte und den Untertanen politische Erfolge versprach. In der Tat bedeutete die selbstgewählte Erniedrigung nach den Prinzipien der universalen Hierarchie eine persönliche Erhöhung. Der Platz eines jeden im Universum war durch die größere oder kleinere Liebe bestimmt, die der Allmächtige einem entgegenbrachte. Zu den Tugenden, die der Schöpfer am meisten schätzte, gehörte die Demut. Auf seinen eigenen Ruhm zu verzichten, war somit entscheidend, um Gottes Gnaden zu suchen oder die eigene Nähe zum Allmächtigen zu demonstrieren. So wie die Heilige Gottesmutter sich dem Willen Gottes unterworfen hatte und mit dem Universalkönigtum belohnt wurde, unterwarfen sich Anhänger des „marianischen Sklaventums“ der Liebesherrschaft der Gottesmutter ganz, um vom Himmel Gnaden zu erhalten14 wie der polnische Pauliner Jan Dionizy Łobżyński es im 17. Jahrhundert formulierte: „Sklave der Gottesmutter zu sein heißt herrschen“.15 Die „Blutweihe“ – die Unterzeichnung einer Urkunde zur Unterordnung unter die heilige Maria mit eigenem Blut – führte beispielsweise auch Maximilian I. von Bayern durch.16 Indem sich Maximilian als den niedrigsten ihrer Diener darstellen ließ, zeigte er seine Nähe zum Himmel.
Die Konstituierung einer religiös-politischen Öffentlichkeit Die Mariensäulen sollten nicht nur Zeichen der Frömmigkeit der Fürsten sein. Sie sollten auch ein neues kultisches Kollektiv um den Fürsten schaffen. Das besondere an diesen Votivdenkmälern war, dass sie nicht in der Kirche, sondern auf zentralen Marktplätzen der jeweiligen Städte errichtet wurden: dem Münchner Getreidemarkt (heute Marienplatz), dem Platz „Am Hof“ in Wien und dem Altstädter Ring in Prag.
13 TRICOIRE (wie Anm. 5), 221; Georg SCHWAIGER: München – eine geistliche Stadt, in:
Monachium Sacrum. Festschrift zur 500-Jahr-Feier der Metropolitankirche zu Unserer Lieben Frau in München, Bd. 1., hg. v. DEMS., München 1994, 110–126; Friedrich Wilhelm BRUCKBRÄU: Geschichte der Mariensäule in München. 1638–1855, München 1855, 25f. 14 Franciscus Stanislaus PHOENICIUS [Fenicki]: Mariae mancipium sive modus tradendi se in mancipium Deiparae Virgini, Lublin 1632. 15 Jan Dionizy ŁOBŻYŃSKI: Przenosiny triumfalne naycudownieyszego w krolestwie Polskim obrazu Bogarodzice Panny Maryey na Iasney Gorze Częstochowskiey abo Panegiryk koscielny [...] [Die triumphale Übertragung des im Königreich Polen wunderbarsten Bildes der Gottesmutter Liebfrau Maria, das sich auf dem Lichten Berg bei Tschenstochau befindet oder Kirchliches Panegyrikum], Kraków 1644, 89. 16 CHÂTELLIER (wie Anm. 7), 169.
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Die Akte zur Errichtung der Münchner Mariensäule im Bayerischen Staatsarchiv zeigt, dass dies ein wichtiger und innovativer Aspekt der Denkmalsidee war. Als Maximilian darüber nachdachte, wie man der heiligen Maria danken konnte, beauftrage er die Jesuiten Jakob Golla und Adam Contzen, mit ihren Ordensgenossen über ein gottseliges Werk nachzudenken, um dem Herrn zu danken.17 Die Jesuitenpater schlugen am 19. Juni 1635 verschiedene kultische Handlungen vor. Erstens solle man jährlich am 2. Juli einen feierlichen Gottesdienst in der Frauenkirche abhalten. Dieser Tag sei am besten geeignet, „dieweiln an solchem das Fesst Visitationis B. Mariae Virginis in den khürchen celebrirt, jedoch aber in foro nit gefeyrt wirdet“. Zweitens wäre es schicklich, am Abend eine Prozession von der Kirche der Franziskaner Reformaten bis zur Frauenkirche zu veranstalten, „iedoch ainig und allein von diß Jahr“, und zwar aus verschiedenen Gründen: weil „ordinarie in processionen ein schlechte andacht bey den weltlichen Personen“, die oft schwätzten, festzustellen sei, und weil die Prozessionen in München – und vor allem die des Heiligen Sakraments – „zu gemein“ seien und man befürchten müsse, dass die Andacht von Jahr zu Jahr abnehme. Es wäre schließlich angebracht, wenn es dem Fürsten beliebte, einen neuen Altar und eine tägliche Messe für die Kapelle der Heimsuchung Mariä in der Kirche Zu Unserer Lieben Frau zu stiften.18 Im Vorschlag der Jesuiten ist deutlich ein tiefes Misstrauen gegenüber der nichtkirchlichen Öffentlichkeit zu spüren. Der Marienkult hatte im geweihten Raum unter Kontrolle des Klerus zu bleiben. Dieser klerikale Kontrollanspruch dürfte dem Fürsten missfallen haben.19 Denn gerade für das Gegenteil entschied sich Maximilian im Geheimen Rat, der am 11. September 1635 beschloss, ein „monumentum publicum et in publico auffm platz“ errichten zu lassen – und nicht, wie ein neuer Gegenvorschlag lautete, auf dem Friedhof der Frauenkirche.20 Deutlich wird hier ein Wille, der Widerstände provozierte: Es sollte ein von der Kirche getrennter Raum geschaffen werden, in dem sich eine Untertanenöffentlichkeit um den Fürsten und die Gottesmutter versammeln könnte. Vorgesehen war eine monatliche oder gar wöchentliche Messe vor dem Denkmal.21 Maximilian begab sich regelmäßig feierlich zur Mariensäule, unter anderem jedes Mal, wenn er die Stadt verließ oder in seine Residenz zurückkehrte. Auch in Prag fanden wöchentlich Andachten vor der Mariensäule statt.22 Die Inanspruchnahme des profanen Raums für religiös-politische Zwecke sollte in München ein neues kultisches Kollektiv der Bayern etablieren, das nun mit seinem Fürsten für das Heil ihres Territoriums beten sollte. Denn die Mariensäule war nicht 17 18 19 20 21 22
Bayerisches Haupt-StA, GL 2708/568, „Mariensäule“, Blatt 37. Alle Zitate aus: Ebd. SCHATTENHOFER (wie Anm. 8), 8 f.; TIPTON (wie Anm. 9), 377. Bayerisches Haupt-StA, GL 2708/568, „Mariensäule“, Blatt 29. Ebd., Blatt 31. KALINA (wie Anm. 10), 59.
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schlicht der Gottesmutter geweiht, sondern der Schutzherrin Bayerns. Ab der Mitte der 1610er Jahre etablierte sich im Umfeld des Herzogs die Verehrung der heiligen Maria als Patronin des Bayernlandes. Gegen 1615 ließ Maximilian ein Bildnis der Patrona Bavariae in der Mitte der neuen Hauptfassade seiner Residenz anbringen. Daraufhin eroberte die Engelskönigin die bayerische Landessymbolik: „Sancta Maria“ wurde zum Schlachtruf; die Münzen wurden zu „Marientalern“. Maximilian ordnete bei Strafe allen seinen Untertanen eine marianische Frömmigkeit an. Durch das Marienpatronat sollte dieses Reichsterritorium einen festen, quasi institutionalisierten Platz in der Universalordnung einnehmen: Bayern sollte als Land direkt der Königin des Himmels und der Welt unterstehen. Diese Idee ging mit der Suche nach einer Einheit von Fürst, Bevölkerung und Bayernland einher: Alle Bayern sollten sich um ihren Fürsten versammeln und der Heiligen Jungfrau Untertan sein. Obwohl das Kurfürstentum kein Staat war, sondern nur ein Territorium des Heiligen Römischen Reichs, war die Vorstellungswelt des bayerischen Marienpatronats in doppelter Hinsicht eine staatliche: erstens, weil das bayerische Marienpatronat eine direkte Beziehung des Kurfürsten zum Himmel voraussetzte, die den Kaiser und das Reich weitgehend ignorierte; zweitens, weil es eine Einheit von Herrschaft, Herrschaftsgebiet und Bevölkerung realisieren sollte – was genau der gängigen Definition von „Staat“ entspricht.23
Zwischen Universalität und Landespartikularismus Die Innovation, die die Erfindung der Patrona Bavariae darstellte, ist umso bedeutender gewesen, dass sie eine regelrechte Welle des Marienpatronats in den katholischen Königreichen Europas auslöste. 1637 versuchte der polnische König Ladislaus IV. (Władysław IV Waza) durch die Stiftung eines Kavallerieordens ein polnisches Marienpatronat zu etablieren. Sein Bruder und Nachfolger Johann II. Kasimir (Jan II Kazimierz Waza) ernannte 1656 in einem feierlichen Gelübde die Himmelskönigin zur „Königin von Polen“. In Portugal wählten 1646 der neue König Johann IV. (Dom João IV) und die Cortes ebenfalls die Gottesmutter zur Patronin des Königreichs. In Frankreich sprach Ludwig XIII. 1638 ein vergleichbares Gelübde aus.24 Unmittelbar nach der Schlacht am Weißen Berg ernannte Kaiser Ferdinand II. die Himmelskönigin zu seiner Generalissima.25 Die Himmelskönigin zierte von nun an die österreichischen Fahnen und Münzen.26 Schließlich stellte Ferdinand III. im Jahre 1647 ganz Österreich feierlich unter die Obhut der Gottesgebärerin. In diesem Rahmen übernahm er 23 TRICOIRE (wie Anm. 5), 171–180. 24 Ebd., 180–193. 25 Klaus SCHREINER: Märtyrer, Schlachtenhelfer, Friedenstifter. Krieg und Frieden im Spiegel
mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Heiligenverehrung, Opladen 2000, 111–114. 26 Klaus SCHREINER: Maria Patrona. La Vierge comme figure symbolique des villes, territoires et
nations à la fin du Moyen âge au début des temps modernes, in: Identités régionales et conscience nationale en France et en Allemagne du Moyen âge à l’époque moderne, hg. v. Rainer BABEL
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von Maximilian von Bayern die Idee der Mariensäule. Dieses Modell wurde wiederum in zahlreichen Städten des Habsburger Reichs nachgeahmt. Für den Zeitraum zwischen 1650 und 1780 sind allein in Böhmen und Mähren nicht weniger als 162 Mariensäulen nachgewiesen worden.27 Die Heilige Jungfrau trat also im 17. Jahrhundert vielfach an die Stelle älterer Landespatrone. Dies ging mit einer impliziten Veränderung der Regeln einher, die man gewöhnlich bei der Wahl eines Patrons befolgte. Tatsächlich wählte man im Mittelalter meist heilige Patrone, die einen Bezug zur Geschichte des Ortes hatten oder dessen Gebeine man besaß. Auch war es wichtig, dass der eigene Patron nicht auch Schutzherr einer konkurrierenden Gemeinschaft war.28 Diese impliziten Regeln wurden in der Welle der Marienpatronate im 17. Jahrhunderts tendenziell außer Kraft gesetzt. Jedoch wäre es falsch, die Mariensäulen und die Marienpatronate nur im Hinblick auf den länderübergreifenden Aufbau einer universalistischen Religion zu betrachten, die Landespartikularismen verdrängte. Marie-Elizabeth Ducreux und Jiří Mikulec haben herausgearbeitet, dass unterschiedliche Entwürfe der Pietas Austriaca in den habsburgischen Ländern miteinander konkurrierten. Böhmische Akteure, die eine eigene Agenda verfolgten, knüpften durchaus an ältere Traditionen an, um einen Landespatriotismus zu schaffen. Auch die Habsburger trieben keineswegs eine Uniformisierung des Himmels in ihrem ganzen Reich voran. Im Gegenteil, sie stellten sich in Böhmen in die Tradition der Přemysliden. Sie führten das alte Krönungsritual fort, das sie zu Bewahrern der Krone des heiligen Wenzel machte. Böhmische Patrioten erfanden sogar eine genealogische Verbindung zwischen Wenzel und den Habsburgern.29 Nicht nur die Patrona Bavariae, sondern auch die Gottesmutter auf dem Prager Altstädter Ring konnte sehr wohl dazu dienen, den Landespatriotismus zu fördern. Weil die Mariensäule nach dem Dreißigjährigen Krieg ausdrücklich nach dem Wiener Vorbild errichtet wurde, wie das kaiserliche Dekret vom 22. April 1650 zum Aufbau der Säule es betonte, wurde sie – wie wir gesehen haben – in der nationalen Beund Jean-Marie MOEGLIN, Sigmaringen 1997, 133–154, hier 151–152; Anna CORETH: Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock, München 1982, 49. 27 Ebd. 50–57; Dieter ALBRECHT: Maximilian I. von Bayern 1573–1651, München 1998, 296; SCHREINER: Maria Patrona (wie Anm. 26), 151f.; TIPTON (wie Anm. 9), 376–381; KALINA (wie Anm. 10), 58. 28 Jürgen STROHMANN: Der Heilige als Haupt der Gesellschaft. Versuch der Stiftung kollektiver Identität in mittelalterlichen Gesellschaften, in: Fonctions sociales et politiques du culte des saints dans les sociétés de rite grec et latin au Moyen âge et à l’époque moderne, hg. v. Marek DERWICH und Michel DMITRIEV, Wrocław 1999, 21–42, hier 34–36. 29 Marie-Élisabeth DUCREUX: Emperors, Kingdoms, Territories: Multiple Versions of the Pietas Austriaca? In: The Catholic Historical Review 97/2 (2011), 247–265; Jiří MIKULEC: Der böhmische Himmel und die böhmische Staatlichkeit. Die katholische Dimension des Landespatriotismus im 17. Jahrhundert, in: Konkurrierende Ordnungen (wie Anm. 2), 197–220.
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wegung des 19. Jahrhunderts zu einem verhassten Symbol. Doch ein näherer Blick zeigt, dass das Denkmal durchaus eine landespatriotische Komponente hatte: In der Tat wurde am Sockel der Säule eine Kopie des sogenannten Altbunzlauer Palladiums angebracht. Dieses Marienbild, das Böhmen schützen sollte,30 galt als ehemaliges Eigentum des heiligen Wenzel. Somit wurde die barocke Marienfrömmigkeit aufs engste mit der Verehrung des mittelalterlichen Patrons verknüpft. Ferdinand II. und Ferdinand III. besuchten beide Altbunzlau regelmäßig. Sie brachten das Bild während des Krieges mehrmals nach Wien und veranstalteten große Feierlichkeiten bei seiner Rückkehr nach Böhmen 1638 und 1650. Dabei proklamierte Ferdinand III. die Engelkönigin nie zur Patronin Böhmens. Wie in Wien fanden auch in Prag samstägliche Prozessionen zur Mariensäule statt. Doch die Errichtung der Prager ging im Unterschied zur Aufstellung der Wiener Mariensäule mit keiner Weihe Böhmens an die Heilige Jungfrau einher. Ferdinand III. hielt sich mit Innovationen zurück und suchte die Kontinuität mit der böhmischen Tradition.31 Er begnügte sich mit einer Verbindung von Marienfrömmigkeit und dem alten Patronat des heiligen Wenzel. Auch Mitglieder der einheimischen katholischen Elite, wie der Jesuit Bohuslav Balbín, förderten einen patriotischen Marienkult, der an die vorhussitische Zeit anknüpfte. So illustrierte ein Kupferstich, der die Prager Mariensäule als geistiges Zentrum Europas zeigt, die 1661 erschienene Dissertation von Johann Friedrich von Waldstein, dem späteren Erzbischof von Prag.32
Zwischen bayerisch-habsburgischer Kampfgemeinschaft und divergierender Erinnerungspolitik Genauso wie die Mariensäulen auf den ersten Blick aufgrund ihrer weitgehend identischen Bildsprache keinen regionalen Partikularismus zuzulassen scheinen, könnte man meinen, dass diese Denkmäler an die gleichen, oder zumindest an ähnliche Ereignisse des Dreißigjährigen Kriegs erinnerten. Dafür würde sprechen, dass die Münchner, die Wiener und die Prager Mariensäulen zu sehr ähnlichen Anlässen errichtet wurden: dem Abzug der oder der Verteidigung vor den Schweden. 1632 hatten die Heere Gustav Adolfs die bayerische Residenzstadt besetzt. Eine Plünderung wurde nur durch Geiselstellung und die Entrichtung von 300.000 Reichstalern vermieden. Nach der schwedisch-sächsischen Niederlage bei Nördlingen am 6. September 1634 mussten die Schweden die Stadt verlassen. Wenige Jahre später ließ Maximilian I. die Mariensäule errichten, um der Gottesmutter dafür zu danken, dass weder München 30 Thomas WINKELBAUER: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hau-
ses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Wien 2003, 222. Zum Altbunzlauer Palladium siehe auch den Beitrag von Jan Royt in diesem Band. 31 KALINA (wie Anm. 10), 59. 32 Ebd.
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noch Landshut im Krieg zerstört worden war.33 1645 und 1648 wurden auch Wien bzw. die Prager Altstadt von den Schweden bedroht. Beide Städte konnten verteidigt werden, während die Kleinseite und die Prager Burg eingenommen wurden. Kurz nachdem die schwedischen Truppen das Wiener Umland verließen, beschloss Ferdinand III., zum Dank für die Verteidigung der Stadt, die Mariensäule zu errichten. Das gleiche tat er 1648 in Prag. In beiden Fällen folgte er also schlicht dem Münchner Vorbild nicht nur in der Ikonographie, sondern auch in Bezug auf den Anlass zur Aufstellung der Säulen. Die Errichtung der habsburgischen Mariensäulen war gewissermaßen die symbolische Krönung von beinahe dreißig Jahre militärischen Bündnisses zwischen Bayern und dem Kaiserhaus. Diese Partnerschaft hatte bekanntlich mit dem oberösterreichisch-böhmischen Feldzug angefangen und führte bereits 1620 zum Triumph am Weißen Berg. Im böhmischen Krieg war der Marienkult vor allem durch Maximilian I. und den spanischen Karmeliter Dominikus von Jesus Maria, den er zu sich kommen ließ, stark instrumentalisiert worden. Sowohl in Bayern als auch in den habsburgischen Ländern wurde an den Sieg bei Prag mit einer Wiederbelebung des Kultes der Maria de Victoria angedacht. Das von Ketzern geschändete Marienbild, das Dominikus von Jesus Maria in Böhmen angeblich auf wundersame Weise gefunden und in der Schlacht wohl um den Hals getragen hatte, wurde erst nach München und dann in die von Ferdinand II. 1623 gestiftete Karmeliterkirche in Wien gebracht, die der heiligen Maria geweiht war. In Ingolstadt erhielt die Bürgersodalität „Maria vom Sieg“ eine Kopie des Bildes. Ferdinand II. übertrug auch eine auf der Prager Kleinseite kurz vorher erbaute reformierte Kirche dem Orden der Karmeliter, die ihre neue Kirche in „Maria vom Sieg“ umbenannten.34 Dennoch gibt es gute Gründe zu denken, dass trotz dieser bayerisch-kaiserlichen Kampf- und Kultgemeinschaft, die in der Spätphase des Krieges errichtete Prager Säule eine geradezu konträre erinnerungspolitische Funktion erfüllen sollte als die bayerische. Dies hat Andreas Pečar herausgearbeitet. Die Münchner Säule war paradoxerweise ein Siegesdenkmal, das nach einer schweren Niederlage errichtet wurde. Die Mariensäule erfüllte die Funktion, die Schmach abzuwenden und die Geschichte des Kriegs als eine Erfolgsgeschichte zu schreiben: Daher wurde an der Münchner Säule jährlich durch große Dankesprozessionen und Paraden an die Schlacht am Weißen Berg erinnert. Die Prager Mariensäule wurde im Gegenteil dazu in einer Zeit errichtet, als Ferdinand III. eine Politik der Verdrängung der Erinnerung an den böhmischen Feldzug betrieb. Die Säule war das letzte von mehreren Geschenken des Kaisers an seine Stadt Prag für deren heldenhaften Widerstand gegen die Schweden. Sie feierte die bereits vollzogene Rückkehr der böhmischen Hauptstadt in den Schoß
33 BRUCKBRÄU (wie Anm. 13), 32–37; SCHATTENHOFER (wie Anm. 8 ), 6–18. 34 TRICOIRE (wie Anm. 5), 170–194.
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der Kirche und des Vaterlandes. Sie war kein Denkmal des Sieges über die Böhmen, sondern im Gegenteil der Verbundenheit zwischen ihnen und dem Kaiser.35 Dass die Prager Säule später zum Symbol der Fremdherrschaft wurde, mutet vor diesem Hintergrund wie eine Ironie der Geschichte an. Die Intention der Fürsten war es sowohl in Bayern, als auch in Böhmen, den Landespatriotismus zu fördern. Die Vorstellungswelten und die Funktionen der Mariensäulen waren sehr vergleichbar. Nicht nur sahen die drei Säulen in München, Wien und Prag zum Verwechseln ähnlich aus. Auch waren sie alle drei Denkmäler der Katholischen Reform, Monumente von Fürsten, die als gerecht und fromm wahrgenommen werden wollten, und Medien zur Schaffung einer Untertanenöffentlichkeit um den Fürsten. Und dennoch sollten wir uns davor hüten, die Wiener und Prager Säulen als bloße Kopien der Münchner zu sehen. Gerade weil die Säulen eine Verbundenheit der Untertanen zu ihrem Land und ihrem Fürsten fördern sollten, knüpften sie an regionalspezifische Frömmigkeitstraditionen an und erinnerten an unterschiedliche Kriegsereignisse.
35 Andreas PEČAR: Mariensäulen und ihre politischen Botschaften, in: Dekonstruieren und doch
erzählen. Polnische und andere Geschichten, hg. v. Jürgen HEYDE u. a., Göttingen 2015, 159– 167.
Jan Kilián VON LUTHER ZUR MUTTER GOTTES Religionswandel, Heiligenkulte und Wunder im Osterzgebirge im 17. Jahrhundert Die Länder der böhmischen Krone waren im 16. Jahrhundert in Europa in ihrer Art einmalig – auf relativ engem Territorium koexistierten unter der Regierung des Habsburger Monarchen gleich mehrere Konfessionen. Ein idyllisches Zusammenleben war das allerdings nicht.1 Seit den hussitischen Kriegen war die einst dominante katholische Partei eher in der Defensive. Obwohl sie zahlenmäßig eingebüßt hatte, war sie jedoch nicht bereit, ihre Machtposition zu räumen. Der bis zum Jahre 1609 herrschende Status war praktisch von den Baseler Kompaktaten geschaffen worden, die ein Versuch der böhmischen Hussiten waren, die Vier Prager Artikel (Freiheit der Predigt, Laikenkelch, Armut der Geistlichkeit, Bestrafung der Todsünden) gesetzlich zu verankern.2 Im Land zeigte sich ein empfindlicher Mangel an Ordensgeistlichkeit; die Pfarreien blieben an vielen Orten Böhmens unbesetzt. Der neue böhmische Verweser, und zuletzt König Georg von Podiebrad, bereiteten den Weg zur Machtübernahme zu Gunsten der Calixtiner. Die Frucht der Jahre seiner Regierung war auch eine neue, rein böhmische Kirche, die Unität der Böhmischen Brüder.3 Die wachsenden Animositäten zwischen Calixtinern und Katholiken während der nachfolgenden Regierung des ersten Jagiellonen Vladislavs II. mündeten in blutige Auseinandersetzungen in den Prager Städten und drohten, in einen Bürgerkrieg überzugehen. Beide Parteien fanden die Bereitschaft zu einem Kompromiss in Form des Kuttenberger Religionsfriedens (1485). Durch ihn wurde die Gleichberechtigung der katholischen und evangelischen Konfession verankert; die gegnerischen Parteien sollten sich in Zukunft Provokationen und Insultationen enthalten. Die Katholiken versprachen noch zu versuchen, beim päpstlichen Stuhl die Genehmigung der Baseler Kompaktaten 1 Zum Beispiel Alois MÍKA: Stoletý zápas o charakter českého státu 1526–1627 [Das hundert-
jährige Ringen um den Charakter des tschechischen Staates 1526–1627], Praha 1974 oder Josef VÁLKA: Tolerance či koexistence? K povaze soužití různých náboženských vyznání v českých zemích v 15. až 17. století [Toleranz oder Koexistenz? Zur Form des Zusammenlebens verschiedener Konfessionen in den böhmischen Ländern vom 15.–17. Jahrhundert], in: Studia Comeniana et Historica 18 (1988), Nr. 35, 63–75. 2 František ŠMAHEL: Basilejská kompaktáta. Příběh deseti listin [Die Baseler Kompaktaten. Eine Geschichte von zehn Urkunden], Praha 2012 und Alois KRCHŇÁK: Čechové na basilejském sněmu [Die Tschechen auf dem Baseler Landtag], Svitavy 1997 oder auch Jan BECHYNĚ: Kompaktáta [Die Kompaktaten], in: Historický obzor 7 (1996), Nr. 1/2, 37–40. 3 Dazu Rudolf ŘÍČAN: Dějiny Jednoty bratrské [Geschichte der Böhmischen Brüder], Praha 1957 oder Amedeo MOLNÁR: Boleslavští bratří [Die Bunzlauer Brüder], Praha 1952.
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auszuhandeln. Der Vertrag war zeitlich begrenzt, aber noch vor Ablauf der Frist wurde er für ewige Zeit als gültig erklärt.4 Zu Beginn des nachfolgenden Jahrhunderts erwuchs jedoch der bestehenden böhmischen Religionsgemeinschaft(en) jenseits der westlichen Grenze eine neue Konkurrenz – die Lehre des Augustinermönches Martin Luther, die ganz Sachsen und Meißen, bald auch weitere deutsche Fürstentümer ergriff. Die Forderung eines Lebens gemäß den Evangelien und der Protest gegen den Kirchenablass waren nur einige der Übereinstimmungen mit Jan Hus. Luther hatte nicht gezögert, sich zu seinem böhmischen Vorgänger zu bekennen und dessen Exekution zu verurteilen. Das konnte selbstverständlich in böhmischen Kreisen nicht verborgen bleiben und es begannen sich diejenigen der Utraquisten zu Luther zu bekennen, die mit dem Konservatismus ihrer Partei unzufrieden waren. Die Lutheraner lehnten es ab, die Jungfrau Maria und weitere Heilige zu verehren; sie missbilligten das Papsttum und auch das Mönchstum, die hierarchische Ordnung der Kirche und den Glauben an die Erlösung durch gute Taten. Fundament für sie waren die Bibel und Jesus Christus als Vermittler des Heils. Im Unterschied zu den Katholiken erkannten die Lutheraner die Unterordnung ihrer Kirche unter die weltliche Macht an und ihre Priester konnten die Ehe eingehen. Hier unterschieden sich die Alt-Ultraquisten von den Katholiken de facto nur in der Anerkennung des Laienkelches und dadurch, dass sie den Namenstag von Jan Hus und Hieronymus von Prag feierten. Die Heilige Messe aber zelebrierten sie in Latein, respektierten die Heiligen und die Jungfrau Maria, veranstalteten Prozessionen und führten die Beichte durch, so dass sie den Katholiken kein Dorn im Auge waren. In Böhmen formierte sich aber nun eine Fraktion von Neo-Utraquisten, die die lutherischen Gedanken propagierten und deutsche lutherische Prediger nach Böhmen einluden. Ihre Sympathie dazu verbargen auch nicht die Böhmischen Brüder.5 Die bedrohten Alt-Utraquisten entschieden sich zu einer Verbindung mit den Katholiken, unter der Bedingung, das Heilige Abendmahl in beiderlei Gestalt empfangen zu dürfen. Unter diesen Verhältnissen übernahm Ferdinand I. von Habsburg6 die Regierung in den böhmischen Ländern, der umgehend gegen die allzu mächtigen Beamten vorging und die Verhältnisse in Prag ausglich, wobei er paradoxerweise der Seite der Neo-Utraquisten den Vorzug vor der starken katholisch-altutraquistischen Seite geben musste. In Trient begann bald darauf ein Konzil, das als Reaktion auf die kirchlichen 4 Ausführlich František ŠMAHEL: Husitská revoluce 4 [Hussitische Revolution 4], Praha 1996. 5 Dazu František HRUBÝ: Luterství a novoutrakvismus v českých zemích v 16. a 17. století
[Luthertum und Neo-Utraquismus in den böhmischen Ländern im 16. und 17. Jahrhundert], in: Český časopis historický 45 (1939), 31–44. 6 Zu seiner Person Alfred KOHLER: Ferdinand I. 1503–1564. Fürst, König und Kaiser, München 2003 und Wilfried SEIPEL (Hg.): Kaiser Ferdinand I., 1503–1564. Das Werden der Habsburgermonarchie, Wien 2003.
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Verhältnisse in Europa einberufen wurde.7 Der gleichzeitig stattfindende Schmalkaldener Krieg fand sein böhmisches Abbild in dem ersten antihabsburgischen Widerstand, für dessen Misserfolg vor allem die Städte zahlten, die v. a. wirtschaftlich stark geschwächt wurden.8 Die Unterzeichnung des Augsburger Friedens im Reich konnten die Habsburger jedoch nicht verhindern, sodass dieser für die böhmischen Protestanten eine große Herausforderung bedeutete. Ferdinand I. begann dabei die Rekatholisierung in Böhmen mit großem Einsatz, wozu er die Jesuiten zu Hilfe rief. Es gelang ihm ebenfalls, das Prager Erzbistum zu erneuern, das er mit den vorerzgebirgischen Klosterherrschaften Ossegg (Osek) und Schwaz (Světec) beschenkte. In dem Bewusstsein, dass in der Einheit die Kraft liegt, begannen die Neo-Utraquisten, sich noch mehr den Böhmischen Brüdern zu nähern. In den sechziger Jahren kam es auch zu einer realen Erwägung ihrer kirchlichen Verbindung. Als dann im Jahre 1575 Kaiser Maximilian II. zum Landtag nach Prag kam, baten ihn die Neo-Utraquisten um die Möglichkeit, ihre Konfession einzutragen, was ihnen der Herrscher gestattete. Die gemeinsame Kommission von Neo-Utraquisten und Böhmischen Brüdern erarbeiteten die ursprüngliche Böhmische Konfession als einen Kompromiss zwischen der augsburgischen, calixtinischen und brüderischen Religion.9 Zu den Artikeln der Konfession fügten die Unterzeichner noch die Kirchenordnung für die böhmische Kirche hinzu und forderten, dass dem utraquistischen Konsistorium die Rechtskraft der Vertreter der Ständegemeinde erteilt würde, von denen auch die Religionsverteidiger, die sog. Defensoren, gewählt würden. Der sichtlich überraschte Kaiser Maximilian versprach eine Antwort, die er mehrere Monate hinauszögerte. Schließlich versprach er im September 1575 vor den Ständevertretern mündlich, jedoch nicht schriftlich und damit unverbindlich, dass er die vorgelegte Konfession zu akzeptieren beabsichtige.10 Besonders das Luthertum hatte sich in Böhmen bereits stark verbreitet. In ganz Nordwestböhmen und im lausitzisch-schlesischen Grenzgebiet überwogen bald die Lutheraner, wobei nur kleine Inseln von Katholiken und Calixtinern zwischen ihnen existierten. Die Anhänger der Lehre Martin Luthers begannen auch ihren Angriff auf die Pfarreien, vor allem in der Art, dass sie beim Ableben oder Verlegen ihrer katholischen oder calixtinischen geistlichen Verwalter an deren Stelle Prediger ihrer eigenen Konfession beriefen. Wo das nicht möglich war, suchten sie die Pastoren in der näheren Umgebung auf, wie es u. a. auch im nordböhmischen Klostergrab (Hrob) 7 Hubert JEDIN: Geschichte des Konzils von Trient I–IV, Freiburg im Breisgau 1951–1975. 8 Siehe Petr VOREL (Red.): Stavovský odboj roku 1547. První krize habsburské monarchie [Der
ständische Widerstand im Jahre 1547. Die erste Krise der Habsburgermonarchie], Pardubice– Praha 1999. 9 Ferdinand HREJSA: Česká konfese, její vznik, podstata a dějiny [Die böhmische Konfession. Entstehung, Wesen und Geschichte], Praha 1912 und zuletzt Zdeněk V. DAVID: Utraquists, Lutherans, and the Bohemian Confession of 1575, in: Church History 68 (1999), 294–336. 10 Jaroslav PÁNEK: Zápas o Českou konfesi [Das Ringen um die Böhmische Konfession], Praha 1991.
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geschah. Die reformierten Adligen wollten in den Pfarreien ihrer Herrschaft auch die Anhänger der neuen Lehre einsetzen und in vielen Fällen gelang es ihnen auch. Dort, wo dies nicht funktionierte, vergällten sie wenigstens den Geistlichen das Leben. Das Gleiche galt auch für die Schulkantoren. In Brüx (Most) besorgten sich die Bürger lutherische Lehrer und behielten sie auch trotz des erzbischöflichen Befehls ihrer Entlassung.11 Kaiser Rudolf II.12 residierte in Prag nicht einmal ein ganzes Jahr, als ihm der apostolische Nuntius Bonhomini das Punkteprogramm der böhmischen Gegenreformation vorlegte. Das Hauptproblem aber bestand im Mangel an Pfarrern. So waren z. B. in der Brüxer Dechantei gleich fünf Pfarreien vakant. Ein prinzipieller Grund dafür war auch, dass die katholischen Geistlichen sicher kein großes Bedürfnis verspürten, zwischen einer überwiegend protestantischen Mehrheit tätig zu sein und deshalb lieber nach einem weniger gefährlichen Ort Ausschau hielten. Als schier unlösbares Problem erwiesen sich die Auseinandersetzungen um das Pfarramt mit den Grundherrschaften. Diese machten es dem Erzbischof an vielen Orten unmöglich, katholische Pfarrer einzusetzen und ebenso verhielten sich auch einige Städte, besonders wiederum jene in der Vorerzgebirgsregion, die vom Luthertum beherrscht waren. Weder Graupen (Krupka), Elbogen (Loket) noch Königsberg an der Eger (Kynšperk nad Ohří) waren eine Ausnahme darin, dass sie sich – ungeachtet des erzbischöflichen Kollaturrechts – eigenmächtig Geistliche ihrer Konfession besorgten. Einige evangelische Adlige unternahmen alles dafür, dass auf ihren Gütern den katholischen Geistlichen das Leben so schwer wie möglich gemacht wurde. Sie ermahnten ihre Untertanen, solchen Geistlichen keinen Zehnten zu zahlen, forderten sie zum Besuch und zur Nutzung der Dienste der Pastoren in der Umgebung auf, hinderten sie an der Nutzung der zur Pfarrei gehörenden Liegenschaften und Einnahmen. Die katholischen Pfarrer waren so vielerorts überhaupt nicht in der Lage, wirtschaftlich zu bestehen. Einen Strich durch die Rechnung der katholischen Bemühungen machte Rudolfs Majestätsbrief (1609), der absolut jedem Glaubensfreiheit ermöglichte, der sich zur Böhmischen Konfession bekannte, ergänzt durch den sog. Vergleich, der die gegen-
11 Dazu Jan HORSKÝ: Příspěvek k diskusi o luterství v Čechách v 16. a na počátku 17. století
[Beitrag zur Diskussion über das Luthertum in Böhmen im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts], in: Ústecký sborník historický 2000, 224–235; Ludomír KOCOUREK: Vrchnost, města a luterská reformace v severních Čechách [Obrigkeit, Städte und lutherische Reformation in Nordböhmen], in: Marie Macková (Hg.), Poddanská města v systému patrimoniální správy, Ústí nad Orlicí 1996, 63–69 und Rudolph WOLKAN: Studien zur Reformationsgeschichte Nordböhmens, Prag 1883. 12 Zu seiner Person besonders Josef JANÁČEK: Rudolf II. a jeho doba [Rudolf II. und seine Zeit], Praha–Litomyšl 1997; Karl VOCELKA: Rudolf II. und seine Zeit, Wien–Köln–Graz 1985 und Robert J. W. EVANS: Rudolf II and His World, Oxford 1973.
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seitigen Beziehungen von Katholiken und Protestanten festlegte.13 Darin war auch die Präambel verankert, dass sich die evangelischen Untertanen in den Königsstädten und Kammerherrschaften legal eigene Kirchen und Friedhöfe in ihren Gemeinden errichten konnten. Die Glaubensbewegung in Böhmen verstärkte sich daraufhin und man begann, tatsächlich neue Brüdergemeinschaften und lutherische Kirchen zu schaffen, im erwähnten Nordwestböhmen, im königlichen Brüx und auch in der Untertanenstadt Klostergrab. Dagegen wurde das Programm der katholischen Erneuerung, das deutliche Unterstützung nach dem Antritt von Johann Lohelius als Erzbischof bekam,14 in der zweiten Dekade des 17. Jahrhunderts von vielen Adligen der Römischen Konfession auf ihren Herrschaften durchgesetzt. Der neue böhmische König Matthias, ab 1612 auch Kaiser, hatte nicht vor, den habsburgischen Kurs zu ändern. Seine volle Unterstützung erhielten nur die Katholiken, besonders die Regierungskreise um den Oberstkanzler des Königreichs Böhmen Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz (Zdeněk Vojtěch Popel z Lobkovic). Die Rekatholisierung in Böhmen war ganz entschieden nicht nur eine Angelegenheit der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg. Damals erreichte sie nur Massencharakter und ging auch gegen die freien Stände vor.15 Die Untertanen wurden jedoch schon viel früher gezwungen, in den Schoß der römischen Kirche zurückzukehren. Die Rekatholisierung verlief meist in relativer Ruhe; selten rief sie eine solche Rebellion hervor wie in Komotau (Chomutov). Dank des Einflusses aus dem benachbarten Sachsen16 und der zahlreichen deutschen Bevölkerung hatten hier die Lutheraner die Oberhand gewonnen, unterstützt auch von der Obrigkeit, durch Bohuslav von Hassenstein (Bohuslav Hasištejnský z Lobkovic), der in Komotau einen evangelischen Prediger und in der Bürgerschule auch Lehrer einsetzte. In anderen Orten der Herrschaft unterdrückte der Hassensteiner die Katholiken direkt und nötigte 13 Zum rudolfinischen Majestätsbrief zuletzt Jiří JUST: 9. 7. 1609. Rudolfův Majestát. Světla a
stíny náboženské svobody [9. 7. 1609. Der rudolfinische Majestätsbrief. Licht und Schatten der Religionsfreiheit], Praha 2009. Vgl. auch Anton GINDELY: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätsbriefes von 1609, Prag 1858 sowie Julius GLÜCKLICH: Koncept Majestátu a vznik Porovnání [Das Konzept des Majestätsbriefes und die Entstehung des Vergleichs], in: Český časopis historický 23 (1917), 110–128 und Kamil KROFTA: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.], Praha 1909. 14 Zu seiner Person Johann Gottfried DLABACZ: Leben des frommen prager Erzbischofs Johann Lohelius, ehemaligen strahöwer Abtes, Prag, s. d. und Jaroslav KADLEC, Reformní působení strahovského opata Jana Lohelia v premonstrátských klášterech ve Slezsku a v Polsku [Die Reformtätigkeit des Abtes von Strahov Johann Lohelius in den Prämonstratenser-Klöstern in Schlesien und Polen], in: Bibliotheca Strahoviensis 4–5 (2001), 91–104. 15 Jaroslav PÁNEK: Nástup rekatolizace ve střední Evropě [Der Beginn der Rekatholisierung in Mitteleuropa], in: Rekatolizace v českých zemích. Sborník příspěvků z konference v Jičíně 1993, hg. v. Jindřich FRANCEK, Pardubice 1995, 3–16. 16 Siegfried SIEBER: Geistige Beziehungen zwischen Böhmen und Sachsen zur Zeit der Reformation, Teile 1–2, in: Bohemia 6 (1965), 146–172 und in: Bohemia 7 (1966), 128–198.
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ihnen einen protestantischen Pastor auf. Nicht lange danach wandelten sich aber die Verhältnisse völlig. Der neue Besitzer der Herrschaft, der böhmische Obersthofmeister Georg Popel von Lobkowitz (Jiří Popel z Lobkovic), ein überzeugter Katholik, berief im Jahre 1589 die Jesuiten nach Komotau, die hier mit seiner Unterstützung ein Kolleg errichteten. Die Konflikte ließen nicht lange auf sich warten: das Kolleg existierte nur kurze Zeit, als es von den Einheimischen überfallen und geplündert wurde. Die Niederschlagung des Aufstands war hart; zwei der Aufständischen ließ Lobkowitz bei dem nachfolgenden Prozess hinrichten.17 Die Zusammensetzung der Räte entsprach in vielen böhmischen Städten nicht der wirklichen Aufteilung der Kräfte und der Repräsentanz der Konfessionen. Die Brüxer Protestanten gaben an, dass die Katholiken in der Stadt die führende Position des kaiserlichen Richters, des Primas, innehatten und viele Stellen im Rat und unter den Gemeindeältesten, obwohl sie insgesamt in der Stadt und Vorstadt zusammen nicht einmal fünfzig waren, also kaum ein Achtel. Noch dazu waren nur zwei von ihnen Brüxer Bürger, die übrigen Fremde und meistens auch Jesuiten-Zöglinge. Gerade mit ihrer Hilfe sollten auch die Kapuzinermönche in die Stadt gelangt sein, die bei der Errichtung ihres Klosters den hier Ansässigen viel Ungemach bereiteten, u. a. die Nötigung zum Verkauf der benötigten Grundstücke. Die Brüxer Katholiken beschimpften die Nichtkatholiken und konnten sich das angeblich nur erlauben, „weil sie am Hofe einen besseren Wind hatten“. Die Protestanten ließen sich lange unterdrücken; und obwohl sie in der gemeinsamen Kirche an Begräbnissen und dem Glockenläuten gehindert wurden, wollten sie dem Gotteshaus nicht entsagen. Deshalb bauten sie sich lange Zeit keine neue Kirche, wurden aber dazu letztendlich durch die Umstände dazu gezwungen. Ihre Beschwerde trugen sie auch dem Vertreter der Brüxer Zünfte vor, u. a. die Nötigung, dem katholischen Pfarrer Gebühren zu zahlen und sich an den katholischen Prozessionen zu beteiligen. Es beschwerten sich auch die Gemeinden, die dieser nordböhmischen Königsstadt unterstanden, vor allem über den Pfarrer.18 17 Mark A. BRANDON: The Counter Reformation of Jiří Popel z Lobkovic in Chomutov (1591),
in: Porta Bohemica 3 (2005), 28–45 sowie František J. HOLEČEK: K pozadí chomutovského evangelického povstání z roku 1591 [Zum Hintergrund des Komotauer evangelischen Aufstands im Jahr 1591], in: Dialog Evropa XXI 7 (1996), Nr. 2, 8–14 und Petr RAK (Hg.): Comotovia 2011. Sborník příspěvků z konference věnované 420. výročí chomutovského povstání z 15. července 1591 (1591–2011) [Comotovia 2011. Sammlung von Beiträgen zur Konferenz, die dem 420. Jahrestag des Komotauer Aufstands vom 15. Juli 1591 (1591–2011) gewidmet ist], Chomutov 2012. 18 Vácslav ŠUBERT (Hg.): Apologie druhá stavův království Českého, tělo a krev Pána Ježíše Krista pod obojí spůsobou přijímajících, která, roku 1618 na ospravedlnění Čechův před Evropou od týchž pánův stavův v českém i německém jazyku tiskem vydaná, … [Zweite Apologie der Stände des Königreichs Böhmen, Leib und Blut Christi unter beiderlei Gestalt empfangend, die im Jahre 1618 zur Rechtfertigung der Tschechen vor Europa von diesen Herrn der Stände in tschechischer und deutscher Sprache gedruckt herausgegeben wurde, …], Praha 1862, 215–235.
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In Aussig (Ústí n. L.) legte der katholische Primas den hier Ansässigen gleich einige Hindernisse in den Weg, entzog ihnen auch ihre Rechte und drohte mit einer Einschränkung bei der Ausübung ihres Handwerks, falls sie keine Katholiken würden. Anderen Interessenten erlegte er übertriebene Finanzforderungen für die Erteilung des Stadtrechts auf; falls sie jedoch konvertieren würden, sollten sie nur einen unbedeutenden Bruchteil dessen zahlen. Wenn sie das ablehnten, stellte er ihnen das Gewerbe ein und verwies sie der Stadt. Auch andere Protestanten behinderte er in ihrem Gewerbe und legte ihnen auch Hindernisse bei ihren Hochzeitsplänen in den Weg. Dem Primas schloss sich ebenfalls der Dekan an, der sich weigerte, Einwohner zu trauen, falls sie nicht konvertierten. Der Dekan argumentierte damit – gleichsam weissagend – dass demnächst das ganze Königreich sowieso zum Katholizismus übertreten müsse. Einige Aussiger waren auch zutiefst unzufrieden mit seinen Beichtfragen, die angeblich ungehörig waren; er belästigte durch seinen Zwang die Bürger, vor allem die Frauen. Der Aussiger katholische Primas wurde möglicherweise gerade wegen seines unerbittlichen religiösen Verhaltens bald darauf von einem unbekannten Täter erschlagen.19 Der markanteste Fall von angeblicher Unterdrückung der Nichtkatholiken in Böhmen vor der Schlacht am Weißen Berg war der Abriss der Kirche im erzgebirgischen Klostergrab im Dezember 1617 durch das bewaffnete Gefolge des Prager Erzbischofs, dem damaligen Besitzer der Ossegger Herrschaft, wozu die betroffene Stadt gehörte. (Abb. 1) Es ist jedoch eine Tatsache, dass die Klostergraber, die noch kürzlich ihre alte katholische St.-Barbara-Kirche renoviert hatten, als Untertanen niemals zum Bau eines eigenen Gotteshauses berechtigt waren. Damit zweifelten sie schließlich sowohl das erzbischöfliche Recht, als auch ihren Untertanenstatus an.20 Gerade die Klostergraber (und ebenfalls die Braunauer)21 Ereignisse standen am Anfang des Widerstands der evangelischen böhmischen Stände gegen die Habsburger und ihren katholischen Stadthaltern.22 Nach anfänglichen Erfolgen und der Einführung neuer Verhältnisse im Lande, das die katholischen Exponenten und Vertreter der Kirchenräte mit den Jesuiten an der Spitze verlassen mussten, erschöpften sich die Stände
19 Ebd., 251–255. 20 Zum Thema Jan KILIÁN: 11. 12. 1617. Zboření kostela v Hrobu. Na cestě k defenestraci
[11.12.1617. Der Abriss der Kirche in Klostergrab. Auf dem Weg zum Fenstersturz], Praha 2007. 21 Ausführlich Laurentius WINTERA: Geschichte der protestantischen Bewegung in Braunau, Prag 1894. 22 Zum Böhmischen Ständeaufstand besonders Josef PETRÁŇ: Staroměstská exekuce [Altstädter Exekution], Praha 1996 sowie Anton GINDELY: Geschichte des Böhmischen Aufstandes von 1618, Bde. I–III, Prag 1869–1878 und Hans STURMBERGER: Aufstand in Böhmen. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, München–Wien 1959.
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Abb. 1 Fragmente der protestantischen Kirche in Klostergrab (Hrob). (Foto: Jan Kilián)
innerhalb von zwei Jahren; und nach der Schlacht am Weißen Berg mussten sie ihre Positionen völlig räumen. Es folgten harte Strafen, Hinrichtungen, Konfiszierungen, danach Ausweisung der nichtkatholischen Priester und schließlich der ganzen freien Bevölkerung, die sich weigerte, zu konvertieren.23 Dies alles galt auch für
23 Zur Rekatholisierung in Böhmen z. B. Tomáš V. BÍLEK: Reformace katolická aneb obnovení
náboženství katolického v království Českém po bitvě bělohorské [Katholische Reformation oder auch Erneuerung des katholischen Glaubens im Königreich Böhmen nach der Schlacht am Weißen Berg], Prag 1892; Jindřich FRANCEK (Hg.): Rekatolizace v českých zemích. Sborník příspěvků z konference v Jičíně 1993 [Rekatholisierung in den Böhmischen Ländern. Sammlung von Beiträgen der Konferenz in Jitschin 1993], Pardubice 1995; Anton GINDELY: Geschichte der Gegenreformation in Böhmen, Leipzig 1894 und Josef HANZAL: Rekatolizace v Čechách – její historický smysl a význam [Rekatholisierung in Böhmen – historischer Sinn und Bedeutung], in: Sborník historický 37 (1990), 37–91. Siehe auch Joachim BAHLCKE/ Arno STROHMEYER (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert, Leipzig 1996.
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das östliche Erzgebirge, wo es in vielerlei Hinsicht zu einer spezifischen Situation kam.24 Die größte der hiesigen Domänen, die Teplitzer Herrschaft, gehörte seit den hussitischen Kriegen denen von Wrzesowitz, eifrigen Ultraquisten. In der Stadt entfaltete sich die Literatenbruderschaft, die vor allem den Kirchengesang pflegte; eine ähnliche gab es übrigens auch in Dux (Duchcov) oder Bilin (Bílina). In dieser Zeit entstanden die berühmten Teplitzer Chorbücher mit reichen Ornamenten und Miniaturen, deren Hauptdonatoren die hiesigen Bürger waren, damals mehrheitlich Tschechen. Es fehlten darin auch nicht die feierlichen Hymnen auf Jan Hus und Hieronymus von Prag.25 Die Nähe der Grenze und die zahlreichen Kurgäste aus Sachsen erleichterten in der Region mit einer starken deutschen Ethnie nichtsdestoweniger die Verbreitung des Luthertums, und dies in einer Situation, als das Konsistorium jenen Mangel an Geistlichen spürte, von ihrer Qualität ganz zu schweigen: einige örtliche Pfarrer (Görkau/ Jirkov, Kulm/Chlumec u. a.) waren wegen eines zweifelhaften Lebensunterhalts in Haft genommen worden. Vor allem auch wegen der Kurgäste errichtete Wolf von Wrzesowitz in den 1560er Jahren am Teplitzer Schloss eine neue Kirche, wo deutsche protestantische Gottesdienste stattfanden, während in St. Johannes tschechische abgehalten wurden. An der Wende des 16. und 17. Jahrhunderts war Anton Hoffmann hier Pfarrer, ein gebildeter Mann mit Kontakten zu Prager Universitätskreisen, der sowohl tschechisch als auch deutsch predigte. Zu den Gelehrten gehörten auch weitere Pfarrer der Böhmischen Konfession aus der Umgebung, welche von den Kinskys sorgfältig für ihre Kollatur ausgewählt wurden.26 Teplitz (Teplice) nahm in Böhmen eine relativ ungewöhnliche Stellung dadurch ein, dass sich hier der Protestant Wilhelm Kinsky zu halten vermochte, der sich auf sein Geld und seine Verwandtschaft stützte.27 Dennoch konnte er die Rekatholisierung in der Stadt nicht abwenden. Als erstes mussten die Pastoren die Stadt verlassen, die meisten emigrierten nach Sachsen. Nach 1628 dann musste auch Kinsky ins Exil gehen. Gleich zu Beginn des genannten Jahres zeigte sich der Doxaner Probst Kryšpín Fuk mit seinen Helfern in der Stadt, und er erhielt von zahlreichen Bürgern das Versprechen zur Konversion. Kaum aber hatte er den Fuß aus der Stadt gesetzt, vergaßen viele wieder ihr Versprechen. Als provisorischer Pfarrer begann in Teplitz der Kapuzinermönch Bernhard zu wirken, der sich nicht besonderer Beliebtheit erfreute. Beidseitige Vorsätzlichkeiten zwischen ihm und den Pfarrmitgliedern waren an der 24 Eliška ČÁŇOVÁ: Rekatolizace severních Čech [Rekatholisierung Nordböhmens], in:
Sborník příspěvků k době poddanského povstání roku 1680 v severních Čechách, hg. v. Marie VOJTÍŠKOVÁ, Praha 1980, 9–42. 25 Hermann HALLWICH: Töplitz. Eine deutschböhmische Stadtgeschichte, Leipzig 1886 156–158. 26 Ebd., 165–166 und 299–300. 27 Aleš VALENTA: Dějiny rodu Kinských [Geschichte der Familie Kinsky], České Budějovice 2004, 47–52.
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Tagesordnung. Zu Bernhards Unterstützung begab sich 1629 eine Jesuitenmission aus Leitmeritz (Litoměřice) nach Teplitz, die angeblich einige Dutzend Seelen gewann. Händeschütteln, Beichte und Kommunion aber bedeuteten natürlich keine wirkliche Verinnerlichung des katholischen Glaubens. Ein noch größeres Problem gab es in den Dörfern, denn die ländlichen Pfarreien waren kaum zu besetzen, und die Rekatholisierung konnte erst nach dem Krieg beendet werden. Zu Beginn des Jahres 1650 wurde Pater Elias Ignaz Reichel Teplitzer Pfarrer. Dieser sah mehrmals im Jahr mit eigenen Augen, wie die Ansässigen aus der Stadt und der Umgebung sich angeblich zu Hunderten zum Prädikanten nach Fürstenau begaben. Aber auch in Böhmen sollte sich eine „ketzerische Spelunke“ befinden, und zwar in Kostenblatt (Kostomlaty pod Milešovkou), wo es neben dem evangelischen Prediger-Ketzer auch einen örtlichen Lehrer gab. Reichel forderte vom Kaiser ein hartes Einschreiten gegen die Kostenblatter, sonst könne angeblich die Reformierung im Leitmeritzer Bezirk nie völlig beendet werden. Ebenso hasste der Pfarrer auch die in Teplitz ansässigen zahlreichen Juden. Laut Visitation aus dem Bezirk war die Stadt jedoch schon vollends katholisch. Die Literatenbruderschaft verwandelte sich in eine katholische Glaubensbruderschaft; es verbreiteten sich kirchliche Prozessionen, die nicht nur in der Stadt stattfanden (besonders an Feiertagen, die mit Christus und der Jungfrau Maria verbunden waren), sondern auch in der Umgebung: nach Mariaschein (Bohosudov) zum Pfingstdienstag und zum Geburtstag der Jungfrau Maria, nach Weißkirchlitz (Novosedlice) zum Namenstag Maria Magdalenas. Im Jahre 1655 brannte Teplitz nieder und der Schuldige konnte lange nicht gefunden werden. Als sich dann aber die Teplitzer mit ihren Gebeten nach Mariaschein wandten, gelang es, den Brandstifter zu ergreifen, der anschließend auch seine weiteren Gesellen verriet.28 Die Brüxer Protestanten wurden von den Ereignissen des Ständeaufstands zu Schritten gegen den katholischen Magistrat angestachelt, beherrschten bald das Rathaus, strichen die kirchlichen Einnahmen für sich ein und schlossen die katholische Kirche. (Abb. 2) Bei dem nachfolgenden Verkauf der kirchlichen Güter schrieben sie sich die Gewinne auf Kosten der Ossegger Herrschaft, der Kreuzherren in der St.-Wenzelskirche und auch der Magdalenerinnen gut, die sogar ihr Klostergebäude verloren. Ein Brüxer Bürger entführte aus dem Kloster eine Nonne, seine Verwandte, und eignete sich auch die Immobilie an, die das Mädchen in den Konvent mitgebracht hatte. Nach der Schlacht am Weißen Berg verloren die Protestanten erneut an Einfluss; die Engagiertesten wurden wohl inhaftiert, einige flüchteten rechtzeitig über die Grenze. Die Macht übernahm nun die katholische Partei, neuer Dekan wurde Isaak Fabricius. Bevor er anreiste, führten die Kapuziner die Gottesdienste durch, die auch endlich den Bau ihres Klosters und der Kirche vollenden konnten, die Mariä Himmelfahrt, dem
28 HALLWICH (wie Anm. 25), 333–404.
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Abb. 2 Brüx (Most), Dekanatskirche Mariä Himmelfahrt. (Foto: Jan Kilián)
hl. Wilhelm und der hl. Agnes geweiht war.29 Andererseits wurde die lutherische Kirche geschlossen und ihr Besitz der Verwaltung des kaiserlichen Richters übergeben. Der Pastor musste die Stadt verlassen. Zur Missionstätigkeit des Dekans, der Minoriten und Kapuziner waren aber die Ortsansässigen nicht bereit, und so kamen die ersten strengen Dekrete. Als auch diese nichts halfen, folgten Dragonaden. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Fall des Brüxer Schreibers für die städtische Korrespondenz in tschechischer Sprache, der in der Zeit des Ständeaufstandes das Kruzifix am Hauptaltar geschmäht hatte und nach dem Wechsel der Verhältnisse für diese Tat inhaftiert wurde. Seine Stelle als Schreiber konnte er sich aber mit einer Verwarnung erhalten, da die Brüxer für ihn keinen Ersatz hatten. Später sollte der Fall des Schreibers erneut untersucht worden sein. Für seine Tat entschuldigte er sich damals und 29 Über das Kapuzinerkloster in Brüx Pavel VLČEK: Most (Most), Zaniklý kapucínský konvent
u zaniklého kostela Nanebevzetí P. Marie [Brüx. Der untergegangene Kapuzinerkonvent bei der untergegangenen Kirche Mariae Himmelfahrt], in: Encyklopedie českých klášterů, hg. v. Pavel VLČEK, Petr SOMMER und Dušan FOLTÝN, Praha 1998, 383–385.
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erklärte den Beamten, dass er selbst lange Jahre Kruzifixe und Heilige gemalt, geschnitzt und auch graviert hätte und sie deshalb natürlich in Ehren hielte. Er habe auch zwei Kruzifixe und Abbildungen der Jungfrau Maria und des hl. Apostels Johannes der lutherischen Kirche gewidmet, deren Gegenstände nun bei den Kapuzinern seien. Seine Stelle hat er sich damals auch erhalten – er wurde Katholik.30 Dekan Fabricius führte in Brüx mit den Ratsmitgliedern eine ermüdende Auseinandersetzung materiellen Charakters. Obwohl 1637 eine Kompromissvereinbarung geschlossen worden war, verringerten sich die Animositäten kaum. Nur zwei Jahre später wurde die Köchin des Dekans verhört, wer der Vater ihres gerade geborenen Kindes sei. Sie behauptete, dass sie auf dem Weg nach Teplitz ein Soldat vergewaltigt hätte. Der Dekan erkrankte bald darauf seelisch, wohl als Folge aller seiner Leiden und Kämpfe in dieser feindlich gesinnten Umgebung und versuchte wiederholt, Selbstmord zu begehen. Im Juli 1639 erhängte er sich schließlich. Die Brüxer ließen danach seinen Leichnam vom Henker abnehmen, wofür sie vom Prager Erzbischof Harrach sehr getadelt wurden. Die Ratsherren entschuldigten sich, dass sich der Dekan nach den kirchlichen Regeln durch sein Handeln selbst exkommuniziert habe und dass sie nicht in der Lage gewesen wären, außer dem Henker jemanden zu finden, der den Leib abnehmen und beerdigen würde. Ende der 1630er Jahre war Brüx jedoch fast vollständig katholisch, obwohl auf dem Lande noch genügend Lutheraner lebten, besonders dort, wo die Pfarreien unbesetzt geblieben waren (Hrobschitz/Hrobčice, Mireschowitz/Miřejovice u. a.) und wo die Ansässigen die sächsischen Prädikanten im Grenzgebiet besuchen konnten. 1644 wurden die Brüxer Ratsherren ausdrücklich von den Stadthaltern wegen ihres Katholizismus gelobt. Besondere Feiertage in der Stadt wurden vor allem Fronleichnam und das Maria-Schnee-Fest.31 Die Brüxer Glaubensbruderschaft „Leib des Herrn und Mariä Himmelfahrt“ gehörte übrigens zu den reichsten in Böhmen und konnte sich einer ungewöhnlichen Kontinuität schon seit Beginn des 15. Jahrhunderts rühmen.32 Nach Graupen,33 eine Stadt von deutschen, Zinn fördernden Bergleuten, begann das Luthertum dank der unmittelbaren Nähe Sachsens kurz nach seiner Entstehung vorzudringen. Im benachbarten Zinnwald konnte man schon um 1530 von Lutheranern mit „utraquistischer Maske“ sprechen; nach weiteren vier Jahrzehnten sollte bereits das ganze Grenzgebiet lutherisch sein.34 In Graupen zeigte sich früh der erste 30 Johann Nepomuk CORI: Geschichte der königl. Stadt Brüx, Brüx 1889, 227–233. 31 Ebd., 256–301. 32 Jiří MIKULEC: Barokní náboženská bratrstva v Čechách [Religionsbruderschaften in Böhmen
zur Zeit des Barock], Praha 2000, 115f. Auch unweit in Bilin gab es dank freigebiger Gönner einen sehr reichen Verein, die Rosenkranzbruderschaft. 33 Hermann HALLWICH: Geschichte der Bergstadt Graupen in Böhmen, Praha 1868. 34 Helmut PETZOLD: Der Protestantismus in Böhmisch-Zinnwald, sein Ende 1728 und die Wirksamkeit des Geisinger Pfarrers Immanuel Heinrich Kauderbach, Diss., Leipzig 1965, 39 und 52.
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Abb. 3 Die St.-Anna-Kirche in Graupen (Krupka). (Foto: Jan Kilián)
Pastor,35 weitere folgten nach. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts errichteten die Einwohner mit großem Kostenaufwand und Mühen die neue St.-Anna-Kirche, wobei das ursprüngliche Gotteshaus, die Mariä-Himmelfahrt-Kirche, eher vernachlässigt wurde. (Abb. 3) St. Anna entstand im Stile der sächsischen Renaissance; die Innenausstattung wurde auch aus Sachsen besorgt und am Bogen, der das Presbyterium vom Kirchenschiff trennte, ließen die Graupener Martin Luther malen.36 (Abb. 4) In der Zeit der Gegenreformation wurde das Gemälde nicht zerstört, nur weiß übermalt, so dass es heute wieder den Besuchern der Kirche als ein in Tschechien einmaliges Bild präsentiert werden kann. Die Gemeinde war wohl in ihrem Luthertum sehr orthodox, denn als sich hier der Pfarrer beim Gottesdienst einen Irrtum zuschulden kommen ließ, 35 Im Jahre 1576 wirkte als Pastor in Graupen Michael Winckler. Staatliches Bezirksarchiv Teplitz,
Archiv der Stadt Graupen, Inv. Nr. 56, Gedenkbuch 1426–1853 („Weiners Chronik“), Fol. 2. 36 Zu dieser Kirche Franz BROSCHE: Geschichte der St. Anna-Kirche der Bergstadt Graupen bei
Teplitz-Schönau, Graupen 1935 und Rudolph KNOTT: Die St. Anna Kirche in Graupen, in: Erzgebirgszeitung 28 (1907), 124–127.
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Abb. 4 Wandgemälde mit Martin Luther in der St.Anna-Kirche in Graupen (Krupka), Anfang 17. Jahrhundert. (Foto: Jan Kilián)
wurde er der Stadt verwiesen und ersetzt.37 Die Rekatholisierung nach der Schlacht am Weißen Berg hatte hier also eine schwere Aufgabe. Der erste Bürger sollte hier erst 1625 für den katholischen Glauben gewonnen worden sein.38 Das war nicht ganz ein Jahr nachdem sowohl der Graupener Pastor, als auch der aus Karbitz (Chabařovice) und auch Kulm ihre Pfarreien verlassen mussten. Die ihrer kirchlichen Führung entledigte Bevölkerung, dem Druck der katholischen Missionare und kaiserlichen Soldaten ausgesetzt, konvertierte bald darauf. Einige von ihnen, wie der Chronist und zukünftige Bergmeister Michel Stüeler, wurden sogar zur Beichte und zur Kommunion auf ihrem Wege nach Prag genötigt. Zum Fronleichnamsfest im Juni 1627 demonstrierte die katholische Kirche, repräsentiert durch den Leitmeritzer Mönch Liebhard, der die Aufgaben der Graupener Pfarrei vertrat, ihre Macht durch eine Prozession, bei der der genannte Mönch mit der Monstranz durch die Stadt ging und an drei Stationen Altartisch respektive Mensa aufstellen ließ. Er feierte einen großen Erfolg, denn die Kommunion sollten damals eine große Anzahl Ortsansässiger empfangen haben.39 Im nachfolgenden Jahr fanden dann ähnlich massenhaft die Konvertierung der in Obergraupen (Horní Krupka), Marschen (Maršov) und anderen nahen Orten Ansässigen statt. Es mehrten sich allerdings die Konflikte der Gemeinden mit Liebhard; und nachdem er sich erlaubt hatte, öffentlich einen der Bürger zu schlagen (übrigens einen der ersten Graupener Konvertiten), wurde Liebhard abberufen und ein Pfarrer aus Schwaz übernahm die Graupener Pfarrei.40 Weder er noch seine Nachfolger hatten es jedoch beim Zusammenleben mit den Einwohnern einfach. Das galt übrigens, wie wir sehen werden, wohl für die mei37 Staatliches Bezirksarchiv Teplitz, Archiv der Stadt Graupen, Inv. Nr. 56, Gedenkbuch 1426–
1853, Fol. 8. 38 Ebd., Fol. 29. 39 Ebd., Fol. 33. 40 Ebd., Fol. 36–38.
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sten Orte im böhmischen Nordwesten. Während des sächsischen Einfalls lehnten die Graupner ab, ihren von den Soldaten gefangen genommenen Pfarrer freizukaufen und ließen in der Stadt einen lutherischen Pastor wirken. Der sich in Obergraupen verbergende Karbitzer Pfarrer wurde von den Ansässigen sogar ermordet, auch wenn das Verbrechen ganz eindeutig einen räuberischen und keinen religiösen Hintergrund hatte.41 Die wechselhaften Beziehungen mit den Pfarrern dokumentiert sehr deutlich das Gedenkbuch von Michel Stüeler, ein Graupener Bürger, der regelmäßig in Konflikte mit einen von ihnen geriet und nicht mit scharfen Bemerkungen an ihre Adresse sparte. Der Duxer und der Karbitzer Pfarrer wurden von ihm direkt als Säufer und Hurenböcke bezeichnet. Über Priester und Mönche sprach Stüeler überhaupt sehr oft recht abwertend. Es lässt sich aber nicht abstreiten, dass es sich um einen gläubigen Menschen handelte, der bis zu seinem zweiundvierzigsten Lebensjahr Lutheraner und danach eher halbherzig Katholik war. Für seine damaligen Mitgläubigen engagierte er sich sehr und in dieser Schizophrenie hatte er sogar im Alter einen Traum: er träumte, dass er das Abendmahl in beiderlei Gestalt empfing und dem Pastor versprach, im Glauben auszuharren. Der katholische Pfarrer ermahnte ihn auch wiederholt wegen seiner Lektüre; einmal riss er ihm sogar aus einem Buch den „ungehörigen“ Teil heraus; nach einiger Zeit verbot er ihm, die Schule zu leiten, damit er den Kindern nicht vielleicht Irrtümer lehrte. Dabei besuchte Stüeler auch mit seiner Familie die Gottesdienste häufig, beteiligte sich an der Kommunion in einer Gestalt, ging zur Beichte, besuchte die Mariascheiner Wallfahrt, spielte in Hirtenspielen mit und sang im katholischen Chor, achtete die Wunder, die die Jungfrau Maria oder Gott bewirkten, denen er in seinen Aufzeichnungen für jedes Geschenk und jede Gnade dankte. Er vermerkte sich auch die in Graupen neu zu begehenden Feiertage, u. a. des hl. Joseph und hl. Veit oder auch den Tag der Unschuldigen Kinder. Die katholischen Heiligen sind ihm aber wahrscheinlich nicht besonders ans Herz gewachsen; sein ganzes Leben lang wandte er sich nur an Gott bzw. an die Heilige Dreifaltigkeit. Es missfielen ihm auch einige Eingriffe der kirchlichen Macht gegen die verbliebenen Lutheraner, seinen guten Bekannten, wie die Verbote von Beisetzungen auf dem Friedhof, des Gesangs, des Läutens und der Predigt am Leib des Verstorbenen. Strafe auf das Haupt des Pfarrers beschwor er auch wegen des Verbots, in Graupen die Heimsuchung Marias zu feiern, denn dieser Tag fiel auf den Jahrestag der Flucht Martin Luthers mit seiner Gemahlin aus dem Augustinerkloster. Für das Verbot, die Schule zu leiten, erleichterte er sich in seinen Erinnerungen dadurch, dass er den Pfarrer zum Teufel schickte. Schadenfroh vermerkte er auch, dass der junge Herr aus der Nachbarherrschaft den Priester
41 Jan KILIÁN: Vražda chabařovického faráře Schemelia [Die Ermordung des Karbitzer Pfarrers
Schemelius], in: Ústecký sborník historický 1–2 (2012), 7–21; siehe auch Rudolf KNOTT: Ein hochnothpeinliches Gerichtsverfahren in Graupen i. J. 1632, in: Erzgebirgszeitung 15 (1894), 243–246.
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aus dem Fenster seines Hauses werfen wollte wegen dessen Zurechtweisung für den Fleischverzehr während der Fastenzeit.42 Sowohl Stüeler als auch Katholiken und konvertierte Bewohner Nordwestböhmens besuchten in großer Zahl Mariaschein und auch weitere nähere und entferntere Wallfahrtsorte. Deren Dichte im vorerzgebirgischen Gebiet in der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg ist bemerkenswert, aber auch gut zu verstehen. Das enge Netz solcher Lokalitäten half auch bei der Bildung eines gewissen „Walls“ gegen das sächsische Luthertum. Und den vor Ort lebenden Ansässigen, frischen Konvertiten, erleichterte es die Identifizierung mit dem Katholizismus, einschließlich warnender Omen. Stüler vermerkte das Beispiel eines Bauern aus Janegg (Jeníkov), der in der Schänke die Jungfrau Maria verspottete und mit den Worten lästerte, dass ihn also die Mutter Gottes erschlagen möge. Als er jedoch am nächsten Tag zum Ossegger Kloster ging, spaltete sich neben ihm eine hohe Eiche mit dem Bild Jesu Christi am Stamm, und während den Begleitern des Bauern nichts geschah, wurde der Frevler bei dem Unglück tatsächlich erschlagen.43 In Mariaschein strafte die Jungfrau Maria einen Soldaten, der wahnsinnig wurde und erschossen werden musste, und auch einen anderen, den seine Gefährten erschlug. Der erste hatte einer Statue den Schleier vom Haupt gezogen, der andere eine Troddel vom Banner.44 Nicht alle Beispiele mussten aber ein solch fatales Ende haben; einige von denen, die verlacht und geschmäht hatten, kamen mit geringeren Strafen davon, z. B. in Form von Erblindung oder gebrochenen Gliedmaßen. Der Jungfrau Maria waren im 17. Jahrhundert in diesem Gebiet die meisten Wallfahrtsorte geweiht, ihr Kult kulminierte im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Zu Mariaschein kamen hinzu: Maria Radschitz (Mariánské Radčice), Obergeorgenthal (Horní Jiřetín), Brüx-Saras (Most-Zahražany), später noch Janegg, Türmitz (Trmice), Graupen mit seinen Heiligen Stiegen in der Mariä Himmelfahrt-Kirche und auch das einstige ketzerische „Loch“ Kostenblatt.45 Das Dorf Schein (auch Scheune) ist ab dem 14. Jahrhundert im Vorfeld der Bergstadt Graupen belegt. Während der hussitischen Kriege kam es 1426 zur Schlacht bei Aussig, wo die Kreuzritter geschlagen wurden. Ihren Rückzug deckten Lausitzer Truppen, von denen zahlreiche und auch führende Männer vor Graupen und Althof fielen. 42 Jan KILIÁN: Paměti krupského měšťana Michela Stüelera (1629–1649) [Gedenkbuch des
Graupener Bürgers Michel Stüelers (1629–1649)], Praha–Teplice 2013. 43 Ebd., 159. 44 Josef CHOBOT: Dějiny poutnického kláštera v Bohosudově, jeho vznik, rozvoj a zázračné
působení mariánského obrazu [Geschichte des Wallfahrtsklosters in Mariaschein. Entstehung, Entwicklung und wundersames Wirken des Marienbildes], Teplitz, unpubl. (Manuskript in der Bibliothek des Regionalmuseums in Teplitz), 17. 45 Michael L. BENEŠ: Die Gnadenstätte Maria Hilf am Brünnel in Kostenblatt bei Teplitz, Bilin 1900.
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An der Stelle dieser Katastrophe wurde später eine Kapelle errichtet und darin die Statue der Schmerzhaften Mutter Gottes aufbewahrt, die nach einer Legende eine Magd in einer hohlen Linde gefunden hatte, nach einer anderen von einer Nonne aus dem Schwazer Kloster gerettet worden war. Die erste Kirche am gleichen Platz wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts gebaut, als die hiesige Jungfrau Maria sich großer Verehrung erfreute. Später wurde das Gebiet zwar lutherisch, die Kirche aber erwarb Georg Popel von Lobkowitz und schenkte sie dem Komotauer Jesuitenkolleg. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts mehrten sich dann die Beispiele von Wundern. Mit einem dieser Wunder wurde auch der berühmte tschechische Adlige Jaroslav Borsita von Martinitz (Jaroslav Bořita z Martinic) beschenkt. Nach den Peripetien während der Ereignisse am Weißen Berg musste das Bild im Dreißigjährigen Krieg versteckt werden46 und nach Schein kehrte es erst einige Jahre nach dem Westfälischen Frieden zurück. Zu einem wirklichen Aufschwung kam es nach 1665 dank des Testaments von Frau Bleileben. Der Name des Orts änderte sich von Schein zu Mariaschein und aus der Jesuitenmission wurde eine Residenz.47 Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wuchs die Anzahl der Beichtenden stark an, nicht selten mussten auch Priester aus der Nachbarschaft angefordert werden. Die Jesuiten gewannen mit ihrem Auftreten die Bevölkerung aus der Umgebung, einschließlich der Grenzgemeinden, obwohl mit den „störrischen“ Protestanten in Zinnwald und ihrem Pastor erst die neue Herrschaft, die Clary-Aldringen, im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts fertig werden konnte.48 Das Mariascheiner Ambit entwickelte sich sehr langsam. Ursprünglich handelte es sich um eine Wallmauer, entstanden innerhalb der sieben Kapellen zur Verehrung der Jungfrau Maria. Diese wurden in der Barockzeit vergrößert, umgebaut und verschiedenen Heiligen geweiht. An die ursprünglich leeren Wänden kamen nach und nach Fresken mit den Abbildungen der Geschichte des Wallfahrtsortes hinzu, gefolgt von Fresken, die einige der wundersamen Erhörungen oder im Gegenteil auch Sanktionen für Verunglimpfungen heiliger katholischer Stätten zeigten.49 (Abb. 5) Zu zahlreichen Genesungen kam es am Marienbrunnen. Einem fünfjährigen Knaben aus Brüx, der an beiden Beinen gelähmt und daran tiefe Wunden trug, konnten die Ärzte nicht helfen, und so wandte er sich (der fünfjährige Knabe!) an die Jungfrau Maria, woraufhin er 46 Die Gnadenbilder wurden nämlich oft zur Zielscheibe räuberischer Gelüste feindlicher Heere,
die dann dafür hohe Lösegelder verlangten. Gut bekannt ist in diesem Kontext der Fall des Altbunzlauer Palladiums. 47 Hermann HALLWICH: Die Jesuitenresidenz Mariascheune („Mariaschein“) in Böhmen, s. d., s. l. 48 Dazu PETZOLD (wie Anm. 34). 49 Vgl. Wenzel SCHMIDT: Das Heiligtum der Schmerzhaften Mutter in Mariaschein, dem deutschböhmischen Lourdes des 17. und 18. Jahrhunderts, Eger 1933; Alois WAGNER: Wallfahrtsort Mariaschein. Führer durch den Kreuzgang mit Abbildungen der Freskogemälde, Mariaschein 1929 oder Alois KROESS: Mariaschein bei Teplitz in Böhmen, Warnsdorf 1893, besonders 60–87.
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Abb. 5 Ambit von Mariaschein (Bohosudov). (Foto: Jan Kilián)
gesund nach Hause zurückkehrte. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden zwei Frauen aus Tetschen (Děčín) geheilt, eine an Epilepsie, die andere an chronischen Schmerzen leidend; eine Nonne aus Doxan (Doksany) wurde von ihren Koliken befreit, anderen wiederum heilten Geschwüre, Pocken und andere Verletzungen. Auch der livländische Adlige Theodor von Rosen erfuhr Heilung einer sehr schmerzhaften Wunde. Obwohl er Protestant war, bat er um Fürsprache bei der Mariascheiner Jungfrau Maria und um Beisetzung an diesem Platz, was auch im Jahre 1701 geschah, obwohl er in Wittenberg verstorben war. Es gab auch zahlreiche Danksagungen von Menschen, die der türkischen Gefangenschaft entgangen waren, einschließlich eines Angehörigen der Teplitzer Clary-Aldringen, oder auch eines Protestanten, der im Falle seiner Rettung die Konvertierung zum Katholizismus versprach. Die Anzahl der Wunder erreichte in Mariaschein ihren Höhepunkt schon im 17. Jahrhundert,50 als es 50 Über den Skeptizismus gegenüber Wundern der Barockzeit und auch darüber, dass sich eine
Heilung der Genesung nicht gleicht siehe Karel ČERNÝ: Zázraky, historie a biomedicína [Wunder, Geschichte und Biomedizin], in: Folia Historica Bohemica 24/1 (2009), 7–19.
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Abb. 6 Ossegg (Osek), Zisterzienserkloster. (Foto: Jan Kilián)
angeblich mit Lourdes vergleichbar war; eine gewaltige Menge von Genesungen verzeichneten auch die Bücher im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts.51 Hierher kamen ebenfalls Sachsen, die katholisch waren oder eine Konvertierung erwogen. Die Anzahl der Besuche aus Sachsen wuchs besonders nach dem Jahre 1697 an, als der sächsische Kurfürst polnischer König wurde und auch der polnische Adel hierher reiste.52 Ein zweites Zentrum des religiösen Lebens Nordwestböhmens in der Zeit der Gegenreformation wurde das Zisterzienserkloster in Ossegg.53(Abb. 6) Dieses Kloster vege51 Iva POLÁČKOVÁ: Projevy barokní zbožnosti ve světle knih zázraků (na příkladu jezuitského
poutního místa Bohosudov u Teplic) [Ausdrücke der barocken Frömmigkeit im Lichte der Bücher der Wunder (am Beispiel des jesuitischen Wallfahrtsorts Mariaschein bei Teplitz)]. Bakkalaureatsarbeit der Philosophischen Fakultät UJEP, Ústí nad Labem 2007. 52 CHOBOT (wie Anm. 44), 24. 53 Dazu Josef MACHAČ: Klášter Osek [Kloster Ossegg]. Unpubliziertes Manuskript in der Bibliothek des Regionalmuseums in Teplitz, Volyně 1975 und 800 let kláštera v Oseku (1196– 1996). Katalog výstavy [800 Jahre Kloster Ossegg. Ausstellungskatalog], Osek 1996.
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tierte vor der Schlacht am Weißen Berg vor sich hin, wurde schließlich aufgelöst und seine Herrschaft dem erneuerten Prager Erzbistum übergeben.54 Erzbischof Johann Lohelius gab zwar schon vor 1618 eine Anregung zur Rückgabe von Ossegg an die Zisterzienser; sein Nachfolger Harrach jedoch wollte es behalten. Er musste sich aber dem Willen des Kaisers unterordnen, der von den Zisterziensern bedrängt wurde. Das Erzbistum erhielt andere Ländereien und noch einen Finanzausgleich, woraufhin das Kloster im Jahre 1626 dem Orden zurückgegeben wurde. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde es mehrfach geplündert. Erst 1650 kam für das Kloster eine erfreulichere Zeit mit der Wahl des neuen Abtes Laurentius Scipio (Lorenz Knittel), einem ökonomisch sehr tüchtigen Vorsteher, dem auch Geld zur Erneuerung der Kirche und der Klostergebäude, für den Kauf eines neuen Hauptaltars, einer Orgel, Glocken u. a. übrigblieb. 1691 folgte ihm Benedikt Littwerig nach, der neben Manufakturen in Ossegg auch einen großzügigen Ausbau des Klosters und die Errichtung des Wallfahrtsortes in Maria Radschitz begann. Schutzheilige der Zisterzienser waren traditionell besonders der hl. Bernhard, Benedikt von Nursia, der hl. Robert, der selige Alberich oder auch Stephan Harding, mit denen die nordböhmische Öffentlichkeit Ende des 17. Jahrhunderts dank der Gemälde im Klosterareal und auch dank der von den Zisterziensern herausgegebenen Drucke und Graphiken bekannt gemacht wurde.55 Besondere Verehrung erwiesen die Zisterzienserklöster der Jungfrau Maria und verfügten oft auch über ein Gnadenbild oder eine wunderbringende Figur. Ossegg jedoch nicht; die genannten Funktionen übernahm in diesem Falle Maria Radschitz. (Abb. 7) Die Anfänge jenes Wallfahrtsortes datieren in das ausgehende 13. Jahrhundert, als einer der Ossegger Äbte in der Radschitzer Kirche eine hölzerne Figur der Jungfrau Maria aufstellte. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde hier die Pfarrei von den Zisterziensern erneuert und der Marienkult belebt. Pater Mibes, seit 1677 Mitglied des Ossegger Konvents und später Radschitzer Pfarrer, gründete in Radschitz die „Bruderschaft der Schmerzhaften Mutter Gottes mit dem schwarzen Skapulier“, die bald darauf eine Reihe von Ablegern mit einer gewaltigen Anzahl von Mitgliedern hatte. Abt Littwerig ließ die Radschitzer Kirche umgestalten und ein Ambit anbauen. Zu seiner Zeit hatte der Ort schon eine Reihe von Wohltätern. Von den Pilgern erhielt die Skulptur Gewand und Ausschmückung; an den Wölbungen des Ambits waren – ähnlich wie in Mariaschein – Wunder gemalt, die der hiesigen Wundertäterin zugeschrieben wurden.56 54 Ausführlich Jan ZDICHYNEC: Klášter Osek v 16. století. Možnosti poznání cisterciáckého
kláštera v době reformací [Das Kloster Ossegg im 16. Jahrhundert. Erkenntnismöglichkeiten eines Zisterzienserklosters in der Zeit der Reformation], in: Ústecký sborník historický 2005, 77–120 und DERS.: „Cur Cistercio ademptum Ossecum?“ Předání oseckého kláštera pražskému arcibiskupství [Die Übergabe des Ossegger Klosters an das Prager Erzbistum], in: Folia Historica Bohemica 22 (2006), 29–65. 55 800 let kláštera v Oseku (wie Anm. 53), 75. 56 Vgl. Otakar VOTOČEK: Barokní Mariánské Radčice a jejich stavitelé [Das barocke Maria Radschitz und seine Erbauer], in: Umění 30 (1982), 52–71.
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Abb. 7 Maria Ratschitz (Mariánské Radčice). (Foto: Jan Kilián)
Die übrigen Kultzentren in Nordwestböhmen waren von geringerer Bedeutung und sind in der heutigen Zeit schon sozusagen vergessen. Unterhalb des majestätischen Schlosses Eisenberg (Jezeří) wurde in Obergeorgenthal die „Madonna vom Weißen Sand“ (Madona z Bílého písku) verehrt. Die Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt wurde hier an der Wende des 17. und 18. Jahrhunderts von Jean Baptist Mathey gebaut. In Brüx-Saras verehrten die Pilger die gotische Madonna genannt „Madonna Weißdorn“ (Bílý hloh)57 im Kloster der Magdalenerinnen, das Ende des 13. Jahrhunderts entstanden war. Während der hussitischen Kriege wurde es aber zerstört und anschließend in die Stadtbefestigungen übertragen, obwohl die ursprüngliche Bezeichnung Saras blieb. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam es zum Bau einer neuen Kirche, die den Sieben Freuden Mariens geweiht war. Ihre Blütezeit begann aber erst nach der Schlacht am Weißen Berg, als den Ordensschwestern das ursprüngliche Eigentum zurückgegeben wurde.58 In Janegg, im Blickfeld von Ossegg, wurde im Jahre der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges Laurentius Scipio, der zukünftige Abt von Ossegg Pfarrer. (Abb. 8) Die noch kurz vorher lutherische Gemeinde konnte nun bereits als vollkommen katholisch bezeichnet werden. Es fanden hier die Fronleichnamsfeiern statt, und aus der Stadt Klostergrab begannen an den Bitt-Tagen fromme Prozessionen bis nach Janegg zu ziehen. Der tatsächliche Beginn des neuen Wallfahrtsortes in der 57 Jan ROYT: Ve znamení krve a mléka. Poznámky k ikonografii uměleckých děl a ke kultům
v oseckém klášteře [Im Zeichen von Blut und Milch. Bemerkungen zur Ikonographie der künstlerischen Werke und zu den Kulten im Ossegger Kloster], in: 800 let kláštera v Oseku (1196– 1996). Katalog výstavy, Osek 1996, 67–73, 71. 58 Pavel VLČEK: Most (Most). Zaniklá kolej a gymnasium piaristů (dříve klášter magdalenitek) u zaniklého kostela Narození Páně (sv. Maří Magdalény, Sedmi radostí P. Marie) [Das untergegangene Kolleg und Gymnasium der Piaristen (früher Kloster der Magdalenerinnen) bei der untergegangenen Kirche der Geburt des Herrn (Hl. Maria Magdalena, Sieben Freuden Mariä)], in: Encyklopedie českých klášterů (wie Anm. 29), 382–383.
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Abb. 8 Die Pfarrkirche in Janegg (Jeníkov). (Foto: Jan Kilián)
Teplitzer Region datiert erst in die 1670er Jahre, als der Ossegger Bildhauer Wildt die Statue der Schmerzhaften Jungfrau Maria vollendete, die der Janegger Schuldiener Friedrich Franz Haar kaufte. Als er sie mitnehmen wollte, wurde er beinahe von einem Fahrzeug überfahren und nur ein angebliches Wunder, die Hilfe der Marienfigur, rettet ihn vor dem Unglück. Das von ihm gekaufte Werk schenkte er daraufhin der Kirche in Janegg. Anfänglich verehrte vor allem er die Statue; nicht lange danach begannen aber auch weitere Gläubige zu kommen und die Wunder mehrten sich. Seit 1701 wurde auch in Janegg regelmäßig ein Buch mit Einträgen über Erhörte und Geheilte geführt.59 Wenn wir das bisher Gesagte zusammenfassen, können wir feststellen, dass im 16. Jahrhundert das religiös sehr differenzierte Nordwestböhmen kurze Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg dank der Nähe Sachsens und der ausländischen Kontakte eine überwiegend lutherische Domäne wurde, anschließend nur sehr schwer rekatholisierbar war, mit Hilfe einer intensiven Missionstätigkeit und der Errichtung eines weitreichenden Netzes von Kultzentren. An erster Stelle standen Mariaschein und Maria Radschitz, daneben machten sich auch kleinere Wallfahrtsorte geltend, alle dem Kult der Jungfrau Maria verschrieben, an denen Gnadenwunder in Form von Heilung oder auch Rettung der Gläubigen oder umgekehrt auch Bestrafung von Frevlern und Lästerern stattfanden. Der katholische Glauben verwurzelte in der Region innerhalb weniger Generation so fest, dass er praktisch auch immun gegenüber den grundlegenden Veränderungen des 19. Jahrhunderts blieb. 59 Ausführlich Vít HONYS: Zázračná vyslyšení z Jeníkova a Kostomlat pod Milešovkou – dvou
barokních zapomenutých mariánských poutních míst severních Čech [Wundersame Erhörungen aus Janegg und Kostenblatt – zwei vergessenen barocken Mariawallfahrtsorten in Nordböhmen], in: Folia Historica Bohemica 24/1 (2009), 57–76.
Madleine Skarda PHŒNIX BOHEMIÆ. DIE MEMORIALE FUNKTION DER GOTTISCHEN ARCHITEKTUR JAN BLAŽEJ SANTINI-AICHELS IN DER KLOSTERKIRCHE VON SEDLETZ (SEDLEC) „Wenn diese Steine, aus welchen diese nicht weniger berühmte wie wunderschöne Kirche gemacht und gebaut ist, sprechen könnten, würden sie (...) erzählen, wie sich dieser Tempel Gottes, erst in unserer Zeit aus seinen Ruinen, wie aus irgendeinem Grab erhob, und zu dem Ruhm und Gestalt, in welcher wir ihn jetzt vor uns sehen, und erblicken, mit grösstem Aufwand und wesentlicher Hilfe Gottes herangeführt wurde, und daher mit der früheren Schönheit und Gestalt kaum verglichen werden kann. Er war damals bereits das Wunderwerk des ganzen Königreiches, zu dem die Menschen von Weit her kamen und sich an diesem berühmten und wunderschönen Gebäude nicht satt sehen konnten.“1 Die böhmische Architekturtradition ist von zwei zeitlich weit auseinander liegenden Strömungen geprägt – von derjenigen des 14./15. sowie der des 17./18. Jahrhunderts. Stilistisch werden diese beiden Epochen mit Gotik respektive Barock charakterisiert. Setzt man sich mit Jan Blažej Santini-Aichel (1677–1723) und seiner Architektur auseinander, wird man unmittelbar mit beiden Formensprachen konfrontiert. (Abb. 1) Seit Zdeněk Wirths Aufsatz von 1908 wird Santinis Architektur mit dem Begriff barokní gotika – wörtlich „barocke Gotik“ – bezeichnet.2 Weil solche Stilbegriffe nur in den seltensten Fällen in der jeweiligen Gegenwart, meist jedoch erst „postum“ aufgrund formaler Ähnlichkeiten geprägt wurden, stehe ich ihnen kritisch gegenüber. Das grundlegende Problem besteht darin, dass wir heute eine andere Vorstellung vom Mittelalter haben als vor hundert oder mehr Jahren. Bis ins 18. Jahrhundert, so geht aus zahlreichen schriftlichen Quellen hervor, wurde zwischen der frühmittelalterlichen Romanik und der hochmittelalterlichen Gotik kaum unterschieden. Ähnliches gilt für den Barockbegriff: Aus dem 17. Jahrhundert sind keine Quellen erhalten, in welchen eine
1 Jan SWOBODA: Chwalo-Slawa cžim starožitnégssý, tjm nowégssý, Weleslawného, a staro-
žitného Klásstera Sedleckého (...) [Lob-Ehre je altertümlicher, desto neuer des sehr ruhmreichen, und altertümlichen Klosters Sedlec], Praha 1743, in: Cistercium post bis tertium saeculum gloriosum, hg v. Guido BLEYWEYZ, Praha 1743, 27. Faszikel. Alle Übersetzungen aus dem Tschechischen stammen von der Verfasserin. 2 Zdeněk WIRTH: Barokní gotika v Čechách v XVIII. a I. polovici XIX. století [Barocke Gotik in Böhmen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts], in: Památky archeologické a místopisné 3/4 (1908), 121–156, 201–220, hier 121.
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Abb. 1 Jan Blažej Santini-Aichel: Klosterkirche Sedletz (Sedlec), Fassade, 1703–1708. (Foto: Madleine Skarda)
Abgrenzung zur Renaissance ersichtlich würde.3 Durch die Brille einer eng definierten Stilentwicklung, wie sie im 19. Jahrhundert formuliert wurde, neigt auch der Kunsthistoriker dazu, in Santinis Architektursprache nach Fehlern respektive Abweichungen von den gesetzten formalen Stilnormen zu suchen – und verurteilt die Bauten, indem er von einer „unterkühlten, irritierenden gotisierenden Erscheinung in barocker Verfremdung“4 spricht. Zugespitzt formuliert sind die einzigartigen Formen offensichtlich zu barock um gotisch genannt werden zu können und gleichzeitig wirken sie zu gotisch um unserer Vorstellung von renaissance-barocken Formen zu entsprechen. Durch eine reine Formanalyse auf der Basis von Analogie und Differenz zu den Normen lässt sich dieses Dilemma zwar beschreiben, jedoch nicht auflösen. Eine zusätzliche Schwierigkeit hinsichtlich der Stilanalysen hängt mit ästhetischen Wertvorstellungen zusammen: Die „spitzbogige“ mittelalterliche Architektur erfuhr insbesondere durch die italienischen Architekturtheoretiker der Renaissance 3 Hubertus GÜNTHER: Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der
Neuzeit, Darmstadt 2009; Heinrich WÖLFFLIN: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe. Das Problem der Stilentwicklung in der neueren Kunst, Basel 1984; Hanno W. KRUFT: Geschichte der Architekturtheorie: von der Antike bis zur Gegenwart, München 1986; Jan BIAŁOSTOCKI: Das Modusproblem in den bildenden Künsten. Zur Vorgeschichte und zum Nachleben des „Modusbriefes“ von Nicolas Poussin, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 24/2 (1961), 128–141. 4 Fritz BARTH: Santini, Osterfildern–Ruit 2004, 19.
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eine heftige Abfuhr – der nordalpine Stil wurde als barbarisch zurückgewiesen.5 Auch die üppigen Barockbauten standen nicht immer in der Gunst der Kritiker.6 Dies galt selbst für Böhmen.7 Die Hochachtung vor der mittelalterlichen Bauweise aber hielt im Königreich über die Zeiten hinweg ungebrochen an, wie aus Beschreibungen hervorgeht: „Es ist kein Land, in welchem so viel grosse und prächtige Kirchen gemeiniglich auf alt Gothische Art gebauet zu sehen seynd, als in Böhmen.“8 Diese Wertschätzung aus dem frühen 18. Jahrhundert entstand durch die enge Konnotation des Baustils mit der politischen und kulturellen Blütezeit Böhmens unter Kaiser Karl IV. sowie der Vorstellung einer intakten, geordneten Welt.9 Trotz der frühen Rezeption der italienischen Renaissance blieb im Königreich vor allem im sakralen Bereich das gotische Formengut bis ins erste Drittel des 17. Jahrhundert sichtbar präsent – der Stil wurde beinahe als Synonym des Sakralen aufgefasst, zumal im Profanbau kaum gotische Formen die Zeit überdauerten. Wie Hermann Hipp aufzeigen konnte, ist das Phänomen einer Kontinuität der gotischen Bautradition über das 14. und 15. Jahrhundert hinaus kein böhmisches Spezifikum und auch kein konfessionsgebundenes Merkmal, sondern überall nördlich der Alpen anzutreffen.10 Vor einer Auseinandersetzung mit Santinis gottischer Architektur sind solche formalen und ästhetischen Aspekte zu berücksichtigen, besonders deshalb, weil die gebauten Formen ganz offenkundig gewollt und bewusst gewählt wurden. Heute erscheinen uns seine Bauten äußerst ungewöhnlich und entziehen sich scheinbar einer stilistischen Zuschreibung. Ganz im Gegensatz zur damaligen Zeit: In einem Brief kommentierte der Sedletzer Abt Jindřich Snopek 1705 die fortschreitende Arbeit an 5 Dazu beispielsweise Antonio Averlino FILARETE: Tractat über die Baukunst nebst seinen Bü-
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chern von der Zeichenkunst und den Bauten der Medici, hg. v. Wolfgang VON OETTINGEN, Wien 1896, 50–52; Paul FRANKL: The Gothic. Literary Sources and Interpretations through Eight Centuries, Princeton 1960, 237–260. Benedetto CROCE: Der Begriff des Barock, Die Gegenreformation. Zwei Essays, übersetzt v. Berthold FENIGSTEIN, Zürich–Leipzig–Stuttgart 1925, 5–37; Hermann BAUER: Barock, Kunst einer Epoche, Berlin 1992, 9–25. In der tschechischsprachigen Historiographie wurde der Barockstil mit dem Verlust der Eigenstaatlichkeit nach der Schlacht am Weißen Berg und der forcierten Rekatholisierung gleichgesetzt und daher lange Zeit als fremd wahrgenommen. Dazu František KAVKA: Bíla hora a české dějiny [Der Weiße Berg und die tschechische Geschichtsschreibung], Praha 2003, 294–304. Mauritius VOGT: Das jetzt-lebende Königreich Böhmen in einer historisch- und geographischen Beschreibung vorgestellt wie solches sowohl an Städten, Clöstern, Schlössern, Herrschaften und heilsamen Gesund-Brunnen etc, Frankfurt–Leipzig 1712, 3. Stellvertretend verweise ich auf Bohuslav Balbíns Eloge auf den Veitsdom. Bohuslav BALBÍN: Miscellaneorum Historicorum regni Bohemiae, topographiscus et chorographicus, liber III., decadis I., Pragae 1681, 121–123. Hermann HIPP: Studien zur „Nachgotik“ des 16. und 17. Jahrhunderts in Deutschland, Böhmen, Österreich und der Schweiz, Tübingen 1979; dazu auch Ludger J. SUTTHOFF: Gotik im Barock. Zur Frage der Kontinuität des Stiles ausserhalb seiner Epoche, Münster 1990.
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seiner großen Klosterkirche und charakterisierte das neue Gewölbe als gottisch11; aufgrund der oben geschilderten Begriffs- und Wertungsproblematik habe ich Snopeks Schreibweise übernommen. Im Bau der Zisterzienserkirche in Sedletz konkretisieren sich zeitgenössisch böhmische Vorstellungen des mittelalterlich Gotischen. Der Bau bildet das paradigmatische Fallbeispiel für den Umgang mit historischem Formengut in Böhmen zu Beginn des 18. Jahrhunderts und steht am Anfang einer Rezeptionswelle, die bis etwa 1740 anhält. Das Ziel meines Dissertationsprojektes besteht darin, eine Begründung für die in Sedletz erstmals auftretende, eigentümliche Verschmelzung der beiden Formensprachen zu finden und aus der Analyse der neuen Form die symbolische Funktion des restaurierten Baus aufzuschlüsseln. Santini war hauptsächlich für Zisterzienser-, Benediktiner- und Prämonstratenserklöster tätig, welche in Böhmen zu den sogenannten Alten Orden zählten. Durch die Hussitenkriege haben sie im 15. Jahrhundert ihre Macht eingebüßt und oft ihre Klosteranlagen und Güter verloren. Die Rückgewinnung der alten Territorien und Abteien wurde im 17. Jahrhundert durch konkurrierende Neue Orden sowie durch ordensinterne Rivalitäten erschwert.12 Indem die Äbte der Alten Orden die Anknüpfung an die althergebrachte mittelalterliche Bautradition Karls IV. suchten, konnten sie einerseits ihre Position in Böhmen gegenüber den Neuen Orden legitimieren und andererseits sichtbare Zeichen setzen gegen die nachhallenden Vorwürfe wegen der ketzerischen Vergangenheit, welche an der Identität des Landes kratzte. Unter der Herrschaft von Kaiser Karl IV., der über seine Mutter mit der alten böhmischen Herrscherdynastie der Přemysliden verwandt ist, erlebte das Königreich ein „goldenes Zeitalter“. Karls Politik beruhte auf einer engen Durchmischung von Religion und Politik.13 Bereits für seine Söhne Wenzel IV. und Sigismund wuchs dieses staatsreligiöse Programm, das in Karls Persönlichkeit vereint funktioniert hatte, 11 Státní okresní archiv Třeboň (Staatsarchiv Wittingau, im folgenden SOAT), Velkostatek Sedlec
(Gut Sedletz), Buch 48, fol. 164v.: Auch der Abt des Klosters Kladrau (Kladruby), bezeichnet Santinis Formen als gotisch – bezeichnend ist in diesem Fall, dass der Abt die Kuppel, welche zum architektonischen Symbol der Renaissance aufsteigt, als more gothico nondum visa cupola beschreibt. Zitiert aus dem Brief von Abt Maurus Fintzguth an den Melker Abt Berthold Dietmayr, datiert 1720, Stiftsarchiv Melk, ediert bei Hans TIETZE: Wiener Gotik im XVII. Jahrhundert. In: Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentralkommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale 3 (1909), 162–186, hier 169. Dazu Thomas DA COSTA KAUFMANN: Gothico more nondum visa. The „modern Gothic“ Architecture of Jan Blažej Santini Aichl, in: Artes atque Humaniora, hg. v. Andrzej ROTTERMUND, Warszawa 1998, 317–331. 12 Ivana ČORNEJOVÁ/Jiří KAŠE/Jiří MIKULEC/Vít VLNAS: Velké dějiny zemí Koruny české [Große Geschichte der böhmischen Kronländer], Bd. 8, 1618–1683, Praha–Litomyšl 2008, 297– 301. 13 Marc C. SCHURR: Die Baukunst Peter Parlers. Der Prager Veitsdom, das Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd und die Bartholomäuskriche zu Kolin im Spannungsfeld von Kunst und Geschichte, Osterfildern 2003; Victor KOTRBA: Der Dom zu St. Veit in Prag, in: Bohemia
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zu einem realpolitischen Problem heran: Das hohe Ansehen des Landes ging schlagartig mit dem päpstlichen Ketzerbann (1420) verloren, bedingt durch den Aufruf zur Erneuerung der Kirche durch Jan Hus.14 Die nach der Verbrennung des Reformators (1415) ausbrechenden Hussitenkriege (1419–1434) hinterließen im ganzen Land nicht nur einen beträchtlichen Sachschaden, sondern schürten auch die Glut für einen potentiellen Nationalitätenkonflikt, der bis zum Dreißigjährigen Krieg weitgehend von den latenten konfessionellen Streitigkeiten überlagert wurde.15 Die Zerschlagung der Reformbewegung nach der Schlacht am Weißen Berg (1620), bei der die Katholiken die Oberhand in Böhmen (zurück-) gewannen, wurde als jäher (Unter-) Bruch der historischen Kontinuität empfunden: Mit der forcierten Rekatholisierung nach der (Re-) Etablierung der habsburgischen Herrscher, die sich als legitime Erben der böhmischen Krone betrachteten, wurden praktisch alle Sonderrechte aufgehoben, welche dem böhmischen Königreich seit Karl IV. zustanden.16 Diese Ereignisse spalteten die Historiographie, wobei anfangs nicht die nationale Gesinnung ausschlaggebend war, sondern die konfessionelle. Die Schlacht am Weißen Berg bedeutete für die einen Niederlage und Beginn einer Fremdherrschaft, auf welche Vertreibung, Enteignung und Verlust der alten Rechte folgten (Pavel Skála ze Zhoře); die anderen interSacra. Das Christentum in Böhmen 973–1973, hg v. Ferdinand SEIBT, Düsseldorf 1974, 511– 548. 14 „Nam sicut Hussitarum insania Bohemicum nomen labefactavit (…)“. Enea Silvio PICCOLOMINI: Historia Bohemica. Historisch-kritische Ausgabe, hg. v. Josepf HEJNIC und Hans ROTHE, Köln 2005, 12. Die Schrift des Papstes wurde insbesondere für die Historiographen des 16./17. Jahrhunderts zu einer oft zitierten Referenz. Dazu Josef HEJNIC: Aeneae Silvii Historia Bohemica v době barokní a její Pražské vydání z roku 1766, in: Baroko v Itálii – Baroko v Čechách. Setkávání osobností, idejí a uměleckých forem [Aeneas Silvio Piccolominis Historia Bohemica im Barock und ihre Prager Edition aus dem Jahre 1766, in: Barock in Italien – Barock in Böhmen. Begegnungen zwischen Persönlichkeiten, Ideen und künstlerischen Formen], hg. v. Herold VILÉM und Jaroslav PÁNEK, Praha 2003, 101–112. 15 In Böhmen lebte seit dem 13. Jahrhundert eine deutschsprachige Minderheit. Die konfessionelle Spaltung im 15. Jahrhundert verlief teilweise entlang der Sprachgrenzen. Die tschechischsprachigen Böhmen nahmen den neuen Glauben an, die deutschsprachigen blieben zunächst meist katholisch. Zur Wahrnehmung der „Fremden“ und dem beginnenden Nationalitätenkonflikt siehe František ŠMAHEL: Idea národa v husitských Čechách [Die Idee der Nation im hussitischen Böhmen], Praha 2000, 22–39. 16 Diese gegensätzliche Bewertung der doba pobělohorská [Zeit nach dem Weißen Berg] zieht sich bis heute durch die gesamte Landeshistoriographie hindurch. Dazu Pavel BĚLINA/Jiří KAŠE/Jan P. KUČERA: České země v evropských dějinách [Die böhmischen Länder in der europäischen Geschichte] Bd. II, 1492–1756, Praha 2006, 190–197; zur rechtlichen Stellung Böhmens innerhalb des Reiches siehe Alexander BEGERT: Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Studien zur Kurwürde und zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens, Husum 2003; Jaroslav PÁNEK: Der böhmische Staat und das Reich in der Frühen Neuzeit, in: Alternativen zur Reichsverfassung in der frühen Neuzeit?, hg. v. Volker PRESS, München 1995 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 23), 169–178.
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pretierten die Schlacht als Sieg und Wiederherstellung der alten Machtverhältnisse (Bohuslav Balbín).17 Durch den neu eingesetzten fremden Adel und Klerus wurde das Land – nunmehr „machtloses“ Kronland der habsburgischen Monarchie – wiederaufgebaut und konsolidiert. Nach der Abwendung der Türkenbedrohung (1683) begann sich an der Wende des 17. und 18. Jahrhunderts die wirtschaftliche Lage in Böhmen zu erholen.18 So war die breitere Bevölkerung nach wie vor durch die Suche nach Kontinuität und Erneuerung von sozialer und politischer Legitimation destabilisiert.19 Sämtliche Bemühungen der Rekatholisierung Böhmens vermochten jedoch das in über zwei Jahrhunderte geprägte hussitische Erbe nicht gänzlich auszulöschen. Zudem waren die Hussiten auch außerhalb des Kronlandes längst nicht vergessen: Zwischen 1733 und 1735 entstand in dem von hussitischen Truppen (1426/27) heimgesuchten schlesischen Kloster Grüssau (Krzeszów) ein Fresko, in dem die Hussiten durch die Kleidung zu grausamen Orientalen stilisiert wurden.20 Die propagandistische Gleichsetzung der böhmischen Hussiten mit den Türken als Verkörperung des Bösen kann hier nicht weiter verfolgt werden.21 Im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Aufbruchsstimmung und sozialer Notwendigkeit einer stabilisierenden, sichtbaren Kontinuitätsgenese standen jene Bauprojekte, welche bestrebt waren, den von den Kriegen und Verwüstungszügen ruinierten Anlagen ihren alten Glanz zurückzugeben. Was die vorhandene Bausubstanz betraf, so konnte der modernisierende Eingriff stärker oder sanfter ausfallen. Mit dem Ziel, die Baumasse der altertümlichen Kirche des Sedletzer Klosters zu erhalten, welches 1421 von hussitischen Truppen geplündert und gebrandschatzt wurde, heißt es im Baukontrakt vom 31. März 1700 explizit, dass „die alte, verödete und zerstörte
17 Pavel SKÁLA ZE ZHOŘE: Historie česká. Od defenestrace k Bilé Hoře [Böhmische Ge-
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schichte. Von der Defenestration zum Weißen Berg], Praha 1984; Bohuslav BALBÍN: Historia de ducibus, ac regibus Bohemiae, Pragae 1687. Bernd ROECK: Konjunktur und Ende des süddeutschen „Klosterbarock“. Umrisse eines wirtschafts- und geistesgeschichtlichen Forschungsproblems, in: Europa im Umbruch 1750– 1850, hg. v. Dieter ALBRECHT, Karl Otmar Freiherr VON ARETIN und Winfried SCHULZE, München 1995, 213–227; DERS.: Baukunst und Baukonjunktur als Thema historischer Forschung, in: Himmel auf Erden oder Teufelsbauwurm? Wirtschaftliche und soziale Bedingungen des süddeutschen Klosterbarock, hg. v. Bernd ROECK, Markwart Herzog und Rolf Kießling, Konstanz 2002 (Irseer Schriften, N.F. 1), 27–36. Zu den gesellschaftlichen Veränderungen siehe Ján MIŠOVIČ: Víra v dějinách zemí koruny české [Der Glaube in der Geschichte der Länder der böhmischen Krone], Praha 2001, 23–52. Dazu Henryk DZIURLI/Kazimier BOBOWSKIE (Hg.): Krzeszów uświęcony łaską [Grüssau, durch Gnade geheiligt], Wrocław 1997. Milena BARTLOVÁ/Michal ŠRONĚK: Public Communication in European Reformation. Artistic and other Media in Central Europe 1380–1620, Praha 2007; Kateřina HORNÍČKOVÁ (Hg.): Umění české reformace (1380–1620) [Die Kunst der Reformation (1380–1620)], Praha 2010.
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Klosterkirche langsam wieder aus ihren Ruinen zu erheben sei.“22 Abt Jindřich Snopek schloss den Vertrag zunächst mit Paul Ignáz Bayer, aedile murario aus Prag. Bayer wurde bereits am Ende der Bausaison 1702 durch Santini-Aichel ersetzt. Weshalb Abt Snopek einen erfahrenen Architekten durch einen kaum bekannten, unerfahrenen Neuling auswechselte, kann aufgrund des Mangels an Quellen nicht nachvollzogen werden. Mojmír Horyna geht davon aus, dass der Grund in unterschiedlichen, ästhetischen Vorstellungen zu suchen sei.23 Zwei Zeichnungen aus dem 17. Jahrhundert dokumentieren das ursprünglich mittelalterlich gotische Erscheinungsbild der splendissima basilica24: Die riesigen Überreste der dreischiffigen Anlage, welche zwischen 1280 und 1320 ausgebaut wurde, ragen ohne Dach und Gewölbe aus den Trümmern des alten Mönchskonvents. In Jan Willenbergs Vedute25 der Stadt Kuttenberg (Kutná Hora) ist die monumentale Ruine am Rande der Darstellung abgebildet. Im Sedletzer Graduale26 von 1690 erscheint die mittelalterliche Westfassade. Der wiederholte Vergleich des restaurierten Gebäudes mit diesen Zeichnungen zeigt deutlich, wie umsichtig mit der vorhandenen Baumasse umgegangen wurde.27 Das erhaltene, senkrechte Mauerwerk wurde komplett in die Neugestaltung integriert. Bis Ende 1702 waren die alten Mauern stabilisiert und der ehemals dreischiffige Raum durch die Verbindung der Kapellen an der Nordflanke und durch die Integration des nördlichen Kreuzgangs an der Südflanke zu einer fünfschiffigen Basilika erweitert worden. Dieser Eingriff wird in der Regel Bayer zugeschrieben; für die Wölbung und die dekorative Ausstattung ist unbestritten Santini verantwortlich.28 Santini ergänzte das Portal der alten Fassade mit einem neuen Vorbau, brach Fenster in die Seitenflanken und gestaltete einen neuen Giebel über dem Mittelschiff. Durch geschickte optische Retuschen wich die Asymmetrie der Fassade, welche durch die unterschiedlich breiten, äußeren Seitenschiffe entstanden 22 SOAT (wie Anm. 11) Fasc.1, fol. 5r; ediert bei Karel CHYTIL: Smlouva opata sedleckého
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se stavitelem Pavlem Ignácem Bayerem o znovuzbudování kostela sedleckého [Vertrag des Sedletzer Abtes mit dem Baumeister Pavel Ignaz Bayer über die Wiedererrichtung der Sedletzer Kirche], in: Památky archeologické a místopisné 23/3 (1908), 187–188. Mojmír HORYNA: Jan Blažej Santini-Aichel, Praha 1998, 214–221. BALBÍN (wie Anm. 9) 133. Zum mittelalterlichen Baukörper der Klosterkirche siehe Jiří KUTHAN: Katedrální chór v cisterciácké architektuře [Der Kathedralchor in der Zisterzienserarchitektur], in: Památky středních Čech. Zpravodaj Památkového ústavu středních Čech v Praze 7/2 (1993), 2–15; DERS.: Die Mittelalterliche Baukunst der Zisterzienser in Böhmen und Mähren, Berlin 1982. Siehe Abbildung in: Jiří KUTHAN: Gloria Sacri Ordinis Cisterciensis, Praha 2005, 487 (Abb. 161). Siehe in KUTHAN (wie Anm. 25), 165 (Abb. 165). Štěpán VÁCHA: Antiquitatis Illustre Monimentum. Klášterní kostel v Sedlci a jeho restaurace v letech 1700–1709 [Die Klosterkirche in Sedletz und ihre Restaurierung in den Jahren 1700– 1709], in: Umění N.F. LVI/5 (2008), 384–408. HORYNA (wie Anm. 23), 214.
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Abb. 2 Klosterkirche Sedletz (Sedlec), Fassade, Detail vom Giebel. (Foto: Madleine Skarda)
ist, einer scheinbaren Symmetrie: während das südliche Fenster etwas breiter als das nördliche ist, rückt die Fiale mit dem Strebebogen darüber gegen die Mitte ein, um optisch die Breite zu reduzieren. (Abb. 1) Der signalhafte Charakter der mittelalterlichen Ornamente fällt insbesondere im Giebel auf, der von weit sichtbar die Fassade abschließt: In der Mittelachse über dem großen Spitzbogenfenster erscheint ein blinder, in die Breite gezogener Vierpass, welcher von zweimal drei Fialen flankiert wird. (Abb. 2) Hinter dem Vierpass ragt ein Wimperg hervor, der ebenfalls von zwei dünnen Fialen eingerahmt ist. Statt einer Kreuzblume thront eine über drei Meter große Figur der Maria Himmelfahrt29 auf der Spitze, deren organische Gestaltung die steile Fassade abrundet. In der Forschung wird immer wieder betont, wie eklektisch diese Fassade zusammengesetzt sei und wie wenig die einzelnen Bauteile miteinander verbunden sind. Tatsächlich weist sie eine weit weniger harmonische Einheit auf als die spätere, ähnlich gestaltete Fassade in Kladrau (Kladruby). Santini griff bei seinem Erstlingswerk zu allen mittelalterlichen Elementen, die er als solche erkannte. Die Fialen und Strebebögen erfüllen hier ganz offenkundig keine statische Funktion, sondern signalisieren zusam-
29 Wie die meisten Zisterzienserkirchen ist auch die Kirche von Sedletz Maria Himmelfahrt gewid-
met. Als Zweitpatron tritt ihr in Sedletz Johannes der Täufer zur Seite.
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Abb. 3 Kloster Sedletz (Sedlec), Grundriss. (Foto: Madleine Skarda)
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Abb. 4 Klosterkirche Sedletz (Sedlec), Innenansicht. (Foto: Madleine Skarda)
men mit den Spitzbögen, dem Wimperg und den heute leeren Figurentabernakeln über dem Portal das Mittelalterliche des Gebäudes.30 Trotz des Ausbaus zur fünfschiffigen Basilika ist im Inneren die vorhandene, mittelalterliche Raumdisposition mit Kapellenkranz im Chor weitgehend unberührt geblieben. (Abb. 3, 4) Neben den maßwerklosen Fenstern fällt vor allem die neue Gewölbestruktur auf.31 In der Literatur erstrecken sich die Beschreibungen der Decke von ober30 Die Figuren (Johannes d. Täufer in der Mitte, flankiert vom hl. Benedikt links und vom hl. Bern-
hard rechts) sind im 20. Jahrhundert aus den Tabernakeln entfernt worden. 31 Zur Geschichte und Funktion des mittelalterlichen Maßwerks Lottlisa BEHLING: Gestalt und
Geschichte des Maßwerks, Wien 1978; Günther BINDING: Maßwerk, Darmstadt 1989; Leonhard HELTEN: Mittelalterliches Maßwerk. Entstehung – Syntax – Topologie, Berlin 2005. Eine Übersicht über die Gewölbestrukturen geben Norbert NUSSBAUM/Sabine LEPSKY: Das gotische Gewölbe. Eine Geschichte seiner Form und Konstruktion, Darmstadt 1999; Franz HART: Kunst und Technik der Wölbung, München 1965; James H. ACLAND: Medieval Structure: the Gothic Vault, Toronto–Buffalo 1972; Barbara BAUMÜLLER: Bogenrippen- und Schlingrippengewölbe der Spätgotik in Bayern und Österreich, München 1989.
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Abb. 5 Peter Parler: Gewölbe von St. Veit in Prag, 1385 vollendet. (Foto: Madleine Skarda)
flächlichen Zuordnungen wie „merkwürdig pulsierendes, geschlungenes Netzgewölbe“32 über die Betonung einer gesteigerten Bewegtheit und Tiefenzug hin zu genaueren Analysen des Rippenmusters.33 Horyna unterscheidet drei verschiedene Motive: Erstens, die Rippe an den Stichkappenkanten; zweitens, eine zwei Stichkappen umarmende Rippe und drittens, die Schlingrippen im Scheitel, welche ohne Zusammenhang mit den Dienstbündeln über die Decke verlaufen. Mittels dieser Schlingrippen entstehe, so Horyna weiter, ein alternierendes, linsen- und rhomboidförmiges Muster, mit welchem Santini den auffälligen Tiefenzug erzielt.34 Wird die Rippenstruktur auf einzelne „Bänder“ reduziert, so ergibt sich ein aus vier Teilen bestehendes Grundmuster, das über zwei Joch angelegt ist (das zusätzliche Band ist identisch mit dem zweiten aber um ein Joch versetzt). Das Muster wird entlang der West-Ostachse und der
32 Rostislav ŠVÁCHA: K vývoji díla Jana Santiniho [Zur Entwicklung des Werkes von JBSA], in:
Umění N.F. 27/5 (1979), 382–400, hier 383f.
33 Heinrich G. FRANZ: Gotik und Barock im Werk des Johann Santini Aichel. In: Wiener Jahr-
buch für Kunstgeschichte 14/23 (1950), 65–130, hier 69. 34 Mojmír HORYNA: Die Klosterkirche in Sedletz und der Architekt Johann Blasius Santini-
Aichel. In: Sedlec. Historie, Architektura a umělecká tvorba sedleckého kláštera – Sedletz. Geschichte, Architektur und Kunstschaffen im Sedletzer Kloster, hg. v. Radka LOMIČKOVÁ, Praha 2009, 465–480, hier 468–473.
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Abb. 6 Benedikt Ried: Gewölbe der Barbarakirche in Kuttenberg (Kutná Hora), 1540–1548. (Foto: Madleine Skarda)
Nord-Südachse gespiegelt und so über die ganze Decke wiederholt. Obwohl das vierte Band tatsächlich nicht mit dem Dienstbündel verbunden ist, wird es durch seine Parallelität zum zweiten Band in das System eingeflochten. Erst durch die farbliche Absetzung der Flächen zwischen den Bändern entsteht die immer wieder beschriebene Wirkung einer rhythmischen Vorwärtsbewegung.35 Vergleicht man Santinis Gewölbe mit Peter Parlers Lösung in der Kathedrale in Prag (Abb. 5) und Benedikt Rieds Gewölbe in der nahen Kuttenberger Barbarakirche (Abb. 6), zeigt sich, wie präzise der Architekt die mittelalterliche Baukunst aus ihrer systematischen Grundstruktur heraus zu beurteilen vermochte und wie er dieses System frei zu variieren verstand: Aufgrund des verwendeten Materials (vornehmlich Stuck) haben die Rippen in Sedletz erwiesenermaßen alle tektonische Funktion verloren; die rein ornamental verwendete Struktur ist Teil des übergeordneten, mittelalterlichen Dekorationsprogramms. (Abb. 7) Von Peter Parler, der das Fundament für die Loslösung der Rippe von ihrer tektonischen Notwendigkeit angelegt hat, greift Santini die lineare, nach vorn strebende Dynamik auf. In Benedikt Rieds Schlingrip-
35 Ein äußerst komplexes System entwirft Santini für das Gewölbe in Kladrau. Das Prinzip ist
dasselbe wie in Sedletz – das Grundmuster zieht sich über zwei Joch und wird über das ganze Gewölbe wiederholt.
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Abb. 7 Klosterkirche Sedletz (Sedlec), Gewölbe. (Foto: Madleine Skarda)
pen findet er die Inspiration für den geschwungenen Figurenwechsel.36 Die malerische Dynamik des Gewölbes gibt Santinis Rippen trotz ihrer gotischen Grundstruktur eine barocke Erscheinungsform. Dasselbe gilt für den Kirchenraum: der alte, steil proportionierte, gotische Raum wirkt durch die inszenierte Tiefenbewegung barock.37 Der von Zdeněk Wirth eingeführte Begriff der Barockgotik bildet einen Versuch, diese beiden ästhetischen Konzepte zu vereinen. Mittels formaler Ähnlichkeiten kann jedoch weder Santinis Gestaltung in Sedletz, noch die davon ausgehende Rezeption erklärt werden. Seit der Antike wird das Prinzip der conformità diskutiert, welches grundsätzlich auf der Wahrung und Weiterverwendung der alten Formen eines Baukörpers beruht. Dahinter steckt keine 36 Über die Beziehung der Zisterzienserkirchen zu nahegelegenen Kathedralen Alexandra GA-
JEWSKI: Sedletz und die französische Zisterzienserarchitektur des 12. und 13. Jahrhunderts: Hypothesen und Kontroversen. In: Sedlec (wie Anm. 34), 347–360; Ulrich FÜRST: Die lebendige und sichtbare Histori. Programmatische Themen in der Sakralarchitektur des Barock (Fischer von Erlach, Hildebrandt, Santini), Regensburg 2002, 214. 37 Leider ist das heutige Erscheinungsbild des Innenraumes durch die farbliche Neugestaltung des 19. Jahrhunderts verändert. Durch die jüngsten Sanierungsarbeiten ist das alte Farbkonzept (weiße Wände und grün abgesetzte Dienste/Rippen) bestätigt worden. Aufgrund der zeitgleichen neuen Möblierung und Bodengestaltung ist bei der Restaurierung das gelb-weiß beibehalten worden.
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Originalität, Invention oder Qualität. Vordergründig überwiegt der Wille, den Stil zu bewahren, welcher durch die bestehende Bausubstanz vorgegeben wird. Das zentrale, ästhetische Anliegen beruht auf der stilistischen Einheit des ganzen Baukörpers, auf Fragen der Symmetrie und dem harmonischen Zusammenspiel der Einzelelemente. Dabei handelt es sich um ein der Architektur immanentes Prinzip: Der Baustil bedarf keiner Begründung, da ihn das innere Wesen des bestehenden Baus vorbestimmt. Dies zeigt sich insbesondere bei Vollendungen, Erweiterungen, Rekonstruktionen oder bewusster, sichtbarer Anknüpfung an dominante architektonische Formen, welche auf eine lange Tradition verweisen.38 Meinrad von Engelberg ordnet Santinis Lösung in Sedletz in seiner Unterscheidung der verschiedenen Modi der Renovatio dem dritten, dem historischen Modus zu, weil das alte Baumaterial weitestgehend im neuen barocken Ausbau erhalten blieb und die neuen Formen sich bewusst an den vorhandenen alten orientierten. Für die Wahl eines bestimmten Modus konnten – laut von Engelberg – verschiedene Aspekte bestimmend sein wie Pietät, individuelle Vorliebe des Bauherren, künstlerische Fertigkeiten des herangezogenen Architekten, denkmalpflegerischer Wille, pragmatische und programmatische Ziele, Zustand der alten Baumasse, finanzielle Mittel, soziale Stellung oder Repräsentationsverpflichtung.39 Für Mojmír Horyna ist das Konservieren der bestehenden alten Baumasse in Sedletz kein Ausdruck eines Historismus, sondern ein Beleg für den anhaltend guten Zustand des mittelalterlichen Mauerwerks.40 Bei allen formalen Analysen bleibt eine entscheidende Frage unbeantwortet. Nämlich, warum nach beinahe 300 Jahren die Ruine plötzlich restauriert werden sollte, wenn die Mönche unmittelbar nebenan über eine funktionstüchtige Kirche verfügten. Nach dem Einfall der Hussiten hatte der ganze Konvent die Anlage für 33 Jahre verlassen und siedelte sich nach der Rückkehr (1454) um die ehemalige Konversenkirche an, die bis zur Wiederherstellung der großen Kirche als Klosterkirche genutzt wurde.41 Die Renovatio der Ruine in Sedletz muss auf mehr als kurzzeitige politische, kirchliche oder ökonomische Entscheide zurückgehen. Architektur besitzt neben der immanent raumbegrenzenden auch weitere, abstrakte Funktionen. Der gewählte Baustil und die eingebauten Ornamentierungen unterliegen nicht bloß ästhetischen Vorstellungen oder dekorativen Normen, sondern werden zu 38 Michael SCHMIDT: Reverentia und Magnificentia. Historizität in der Architektur Süddeutsch-
lands, Österreichs und Böhmens vom 14. bis 17. Jahrhundert, Regensburg 1998, 171. 39 Meinrad VON ENGELBERG: Renovatio Ecclesiae. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kir-
chen, Petersberg 2005, 27, 351–373. 40 HORYNA (wie Anm. 23) 220. 41 Jindřich SNOPEK: Compendium, seu Quaedam Brevis Notitia de Monasterio Beatae Mariae V.
Sedlecensi, sub Altissimo ac Amplissimo Domino Domino Henrico Abbate, in Seriem Sequentem deducta. 30. Januarii 1699, Státní oblastní archiv Litoměřice (Staatsarchiv Leitmeritz, im folgenden SAOL), Řád cisterciáků Osek (Orden der Zisterzienser Osek), kart. 139, sign. D I 78, 38.
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Trägern von bestimmten Ideen und Werten der jeweiligen Zeit und Gesellschaft. Im selben Zug beeinflussen die Bauten wiederum den Habitus des Kollektivs, welcher in und um die Gebäude interagiert.42 Ein Bauwerk entsteht nur in den seltensten Fällen aus einer Laune des Architekten oder Bauherrn, sondern aufgrund verschiedenster Bedingungen, die oft nur schwer voneinander trennbar sind. Dasselbe gilt vielleicht noch viel stärker für die Gestaltung und die Wahl der einzelnen Bauformen. Wenn ich nach der symbolischen Funktion der Architektur in Sedletz frage, ist eine Deutung der formalen Gestaltung einzig über den historischen, gesellschaftlichen, ideologischen sowie theologischen Kontext erschließbar. Abt Snopek war sehr darauf bedacht, die Bevölkerung von Anfang an in das Projekt zu involvieren, um einerseits das Bauvorhaben finanzieren zu können und andererseits um den Ruhm seiner Abtei in Erinnerung zu rufen: In den Bittbriefen, mit welchen der Abt die Bevölkerung um Unterstützung bat, wurde das Alter, die frühe Gründung des Klosters und die grausame hussitische Zerstörung der grossen Sedletzer Kirche akzentuiert.43 In Chroniken, Historiographien, Gedenkschriften und Visitationsberichten des 17. und 18. Jahrhunderts fällt im Zusammenhang mit dem Sedletzer Kloster mehrfach der Begriff der memoria, so dass sich die Frage aufdrängt, wie dieser Gedanke mit der Architektur zusammenhängt. Die Erinnerung ist im christlichen Kult fester Bestandteil der religiösen Handlung.44 Seit ihrer Gründung und besonders im Mittelalter sind Klöster jene Orte, welche das vorhandene Wissen nicht nur sammeln und aufbewahren, sondern auch erschaffen und weitergeben.45 In einem Compendium von 1651, in welchem der Zustand der böhmischen Zisterzen beschrieben wird, heißt es zu Sedletz: „(...) optimè meritu commemorant plurima manuscripta et monumenta
42 Günther BANDMANN: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Berlin 1951, 30–36;
Hannes STEKL (Hg.): Architektur und Gesellschaft von der Antike bis zur Gegenwart, Geschichte und Sozialkunde, Bd. 6, Salzburg 1980, 9–13; Adolf REINLE: Zeichensprache der Architektur. Symbol, Darstellung und Brauch in der Baukunst des Mittelalters und der Neuzeit, München–Zürich 1984; Heike DELITZ: Gebaute Gesellschaft. Architektur als Medium des Sozialen, Frankfurt am Main–New York 2010; DIES.: Architektursoziologie, Bielefeld 2009; Tristan WEDDIGEN: Zur Funktionsgeschichte, in: Functions and Decorations; Art and Ritual at the Vatican Palace in the Middle Ages and the Renaissance, hg. v. DERS:, Sible DE BAAUW und Bram KEMPERS, Città del Vaticano 2003, 9–25, hier 11. 43 Die Briefe sind in lateinisch, tschechisch und deutsch verfasst und verfolgen unterschiedliche Ziele (Beschaffung von Baumaterial, Handwerker oder Geldmittel). SOAT (wie Anm. 11), kn. 45; fasz. 4. 44 Beim letzten Abendmahl gibt Christus den Jüngern die Weisung „tut dies zu meinem Gedächtnis“ (Lukas 22, 19). 45 In den Skriptorien entstanden Chroniken und Urbare, in welchen die Geschichte des Hauses und der ganzen Region festgehalten und überliefert wurde. Dazu beispielsweise Zbraslavská kronika – Chronicon Aulae regiae [Die Königsaaler Chronik], hg. v. Zdeněk FIALA, Praha 1976.
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Monasterij Sedlecensis (...)“46. Die tradierte Erinnerung – geschrieben und gebaut – ist ein wesentlicher Bestandteil für eine sichtbare Kontinuität des Klosters. Die monumentale Klosterkirche datiert aus der Zeit des größten Reichtums, als immense Silbervorkommen auf dem Klostergrund entdeckt wurden und der Konvent deshalb zu den bedeutendsten politischen Institutionen des Landes aufgestiegen war. Soziologen sehen einen engen Zusammenhang zwischen einer Transformation der gesellschaftlichen Erinnerung und einem Verblassen von Gedächtnisorten: In dem Moment, in welchem das Bewusstsein eines Bruches mit der Vergangenheit mit dem Bedenken eines Abreißens des Gedächtnisses einhergeht, wird das Gefühl des Übergangs geweckt. Gleichzeitig werden durch den Kontinuitätsbruch so viele Erinnerungen wach, dass man nach dessen Verkörperung zu fragen beginnt.47 Wir könnten ohne Architektur leben und beten, stellt John Ruskin fest, ohne sie könnten wir uns aber nicht erinnern.48 Erst wenn eine Beziehung zwischen Wort und Bild hergestellt wird, kann eine Seherfahrung des Betrachters konstituiert werden.49 Diese Erfahrung ist in Böhmen im ausgehenden 17. Jahrhundert durch eine gewaltige Diskrepanz auseinandergerissen: Die weit gepriesene Qualität der Bauten in den Schriften steht in großem Kontrast zu der tristen Baufälligkeit im realen Erscheinungsbild. Beinahe alle großen Klosteranlagen gehen auf alte, das heißt mittelalterliche Gründungen zurück. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatten sich Bauherren und Architekten bei praktisch allen Projekten mit vorhandener Baumasse auseinanderzusetzen. Santinis Formensprache war bei den Renovationsprojekten des frühen 18. Jahrhunderts bei weitem nicht die einzige, auch in Böhmen nicht. Im Gegenteil, die Bauten, welche gottisch hergerichtet wurden, bildeten vielmehr eine Ausnahme. Nicht überall wurden die „alten Mauern“ so betont inszeniert wie in Sedletz. Abt Dietmayr von Melk beispielsweise interessiert sich für Santinis Bauweise, wie aus der Korrespondenz mit dem Kladrauer Abt Fintzguth hervorgeht.50 Der Neubau des im Mittelal46 In: Relatio de statu Monasteriorum Vicariatus Boëmia’ Moravia’ et Utriusq Lusatia’ Capitulo
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Generali Anno 1651 facta – darin enthalten ist die Schrift: Notitiae Compendiosae Abbatiae Sedlecensis in Regno Bohemiae. SOAL (wie Anm. 41) kart. 75, sign. 186 B III. 21. Maurice HALBWACHS: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Berlin–Neuwied 1966, 72, 163–177; Pierre NORA: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt am Main 1998, 11; Paul RICOEUR: Gedächtnis, Geschichte, Vergessen, München 2004, 617–677; Heidemarie UHL: Kultur, Politik, Palimpseset. Thesen zu Gedächtnis und Gesellschaft, in: Schauplatz Kultur – Zentraleuropa. Transdisziplinäre Annäherungen hg. v. DERS:, Johannes FEICHTINGER, Elisabeth GROSSEGGER, Gertraud MARINELLI-KÖNIG und Peter STACHEL, Innsbruck 2006, 25–35, hier 31; Johannes FRIED: Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004, 113, 169–172. John RUSKIN: The seven lamps of architecture, London 1848, 163. Sebastian SCHÜTZE: Zur Rekonstruktion historischer Wahrnehmung in den Kulturwissenschaften, in: Kunst und ihre Betrachter in der Frühen Neuzeit, hg. v. DERS.:, Berlin 2005, 7–14, hier 9. Brief an den Melker Abt Dietmayr (wie Anm. 11).
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ter gegründeten Klosters Melk begann beinahe zeitgleich mit Sedletz. Ein Blick in die Geschichten der beiden Häuser deckt einen wesentlichen Unterschied auf: Beide Klöster wurden von den Hussiten heimgesucht, jedoch nur in Sedletz wurde das monastische Leben komplett unterbrochen. Eine gefühlte Diskontinuität gab es in Melk nicht, auch wenn der hussitische Überfall erinnert wird.51 Die Vielschichtigkeit der Folgen, welche die Hussitenkriege in Böhmen hinterlassen haben, können für die Formwahl für Sedletz nicht genug betont werden. Hierin liegt denn auch ein richtunggebender Beweggrund für eine Präferenz à la Santini. Wiederum aus soziologischer Sicht gab es in Sedletz einen doppelten Kontinuitätsbruch: Den ersten 1421, mit dem Einfall der Hussiten, durch den die Bindung zur ruhmreichen Vergangenheit zerbrach. Der zweite Bruch erfolgte paradoxerweise mit dem Restaurierungsprojekt. Die Rückbesinnung auf die mittelalterliche Blütezeit stieg im realpolitischen Konkurrenzkampf um Bedeutung und Legitimität zum schlagkräftigsten Argument auf. Mit der Rückgewinnung der beinahe dreihundertjährigen Ruine für die liturgische Nutzung erhielten außerdem Alter, Geschichte, Tradition und besonders die Kontinuität des Konvents eine sichtbare Form. Durch die Sanierung der „alten Mauern“ wurde dem Leben in dessen Schatten jedoch ein Ende gesetzt. Damit das Gefühl eines erneuten Kontinuitätsbruchs nicht aufkam, musste die Klosterkirche von Sedletz zum Träger der eigenen Geschichte und zu einem Sinnbild für das Gedächtnis in einem werden. Durch eine Verschmelzung der alten und neuen Formen suchte der Abt deshalb, eine wahrnehmbare Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen. Diese Idee einer Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterstützen einige Schriften: Um 1700, im selben Jahr, in dem der Vertrag mit dem Baumeister Paul Ignáz Bayer geschlossen wurde, publizierte Augustin Sartorius, Ordensbruder aus Ossegg (Osek), die lateinische Edition der Geschichte der Zisterzienser in den habsburgischen Ländern. Das Kloster Sedletz, gegründet 1142/43, wurde darin nicht nur als die älteste Niederlassung des Ordens in Böhmen beschrieben, sondern der ganzen Monarchie. Bei der Aufzählung der Quellen, auf welche sich der Autor stützt, fällt die Bezeichnung Phœnix Bohemiæ.52 Obwohl Sartorius eigentlich den böhmischen Historiker Bohuslav Balbín und seine Geschichte Böhmens mit der Metapher beschrieben hatte, wurde er unmittelbar mit dem Bauvorhaben in Verbindung gebracht.53 Dies ist, neben der offensichtlichen Parallelität einer Erneuerung durch den Feuertod, möglicherweise auf eine ältere Schrift zurückzuführen, die unter
51 Burkhard ELLENGAST/Ernst BRUCKMÜLLER/Martin ROTHENEDER: Stift Melk, Melk
1998. 52 Augustinus SARTORIUS: Cistercium Bis-tercium seu historia elogialis (...), Pragae 1700, 976. 53 Beachtenswert ist, dass in der deutschen Version von 1708, dem Jahr in dem der Bau in Sedletz
vollendet ist, Balbín und der Phoenix nicht erwähnt werden. DERS.: Verteutschtes Cistercium Bis-Tertium oder Cistercienser Ordens-Historie, Prag 1708, 903–923.
Phœnix Bohemiæ
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dem Titel Phœnix incineratus 1647 erschienen ist.54 Der Phoenix wird darin mit dem Sedletzer Filiationskloster Königsaal (Zbraslav) gleichgesetzt. Mittels zahlreicher mittelalterlicher Quellen – wie beispielsweise der Königsaaler Chronik – wird der Kontrast zwischen Ruhm und Pracht der mittelalterlichen Anlage und dem desolaten Zustand zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufgezeigt.55 Ganz im Verständnis der damaligen Vorstellung, der Fluss der Zeit folge der christlichen Heilsgeschichte, musste auch bei einem Rückgriff auf eine historische Architektur die neue Formensprache verbessert werden.56 In Sedletz wurde eine kalkulierte Rekonstruktion einer Vergangenheit realisiert, die nicht mehr war, und gleichzeitig erhielt das mit der Gegenwart verbundene Gedächtnis eine neue alte Gestalt: „Obschon dieser Kirche das Dach, Fenster und Gewölb ruinieret worden, und fast 300 Jahr öd gestanden, so ist dannoch diese vor etlichen Jahren nicht allein im vorigen, sondern vielleicht gar in einem schöneren, und höheren Flor kommen.“57 Noch bevor 1743 der feierliche Oktav zum 600jährigen Jubiläum der Sedletzer Zisterze gefeiert wurde, griffen einige Geistliche in ihren Predigten während einer Messe in der Klosterkirche das Bild des Phoenix und den wiederhergestellten Kirchenbau als sichtbaren Nachweis für die Heilsgeschichte auf: Matěj Linka, Priester aus Prag, benutzte in seiner Predigt den Bau und die Metapher des Phoenix an Ostern 1734 und deutete das Erscheinungsbild der restaurierten Kirche als ein Zeichen für die Rückkehr zum wahren, katholischen Glauben.58 Ein Jahr später nutzte Eugen Radl, Profess des Klosters Königsaal, erneut diesen Gedanken und beschrieb die Kirche als ein Sinnbild für die glorreiche Auferstehung des gläubigen, böhmischen Landes.59 Vom großen Jubiläum sind vier Predigten erhalten geblieben, welche ebenfalls die Geschichte des Klosters bildhaft für die Heilsgeschichte interpretieren. Die Zeitgenossen haben die ursprüngliche Idee des Abtes und die Umsetzung seines Architekten verstanden und 54 Phænix incineratus sive Origo, Progressus, et Eversio Monasteriorum Ordinis Cisterciensis in
Regno Boemiae, Wien 1647. 55 Štěpán VÁCHA: Phoenix incineratus oder das Wiederbeleben des Cistercienserkloster Königs-
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aal (Zbraslav) in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Analecta Cisterciensia LIX (2009), 401–423, hier 408; Zur Verwendung des Phoenix im 17. und 18. Jahrhundert siehe Davide CONRIERI: Apparizioni della Fenice nell'età barocca, in: Phénix – mythe(s) et signe(s), hg. v. Silvia FABRIZIO-COSTA, Bern 2001, 367–388. Dieser Gedanke kommt aus der Renaissance. Das Übertreffen der Alten (d. h. der römischen Antike) durch Korrektur von Fehlern, zieht sich durch die Traktatliteratur. Dazu GÜNTHER (wie Anm. 3) 179–194. VOGT (wie Anm. 8) 133. Matěj LINKA: Sedlo tagné a práwě swaté spiciho Myroslawa (...) [Der geheime und mit Recht heilige Sattel des schlafenden Miroslav], Praha 1734, in: Cistercium (wie Anm. 1), 23. Faszikl. Ewgenyus RÁDL: Slawné Wskřjssenj z Prachu, a Popele, to gest Slawa Domu Páně, a Starožitného Klássstera Sedleckého (...) [Feierliche Auferstehung aus Staub und Asche, das ist die Ehre des Hauses des Herren und des altehrwürdigen Klosters Sedlec], Praha 1735, in: Cistercium (wie Anm. 1) 2. Faszikl.
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Madleine Skarda
zu schätzen gewusst, wie das einleitende Zitat aus einer der Predigten sowie die zahlreichen anderen Quellen und nachfolgenden, ähnlich realisierten Bauten in Kladrau, Seelau (Želiv) oder Saar (Žďár nad Sázavou) deutlich zu erkennen geben. Die neue alte monumentale Klosterkirche von Sedletz ist wahrhaftig ein der lokalen Tradition verbundener, wiederauferstandener Phœnix Bohemiae, ein breit akzeptierter lieu de mémoire im Sinne Pierre Noras geworden, auf den man – auch heute – unheimlich stolz ist.60
60 NORA (wie Anm. 47) 13; HALBWACHS (wie Anm. 47) 195–201; Astrid ERLL: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart–Weimar 2005, 1–10; Aleida ASSMANN: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 52010, 62–88.
Daniela Štěrbová „JOCH FÜR JOCH“ Der Weg zur „böhmischen Wandpfeilerhalle“ „So wurde Osterhofen keineswegs zu einem Ableger des radikalen böhmischen Barock, sondern blieb letztlich ein Stück bayerischer Baukunst.“1 Trotz der transnationalen Ansätze in der modernen kunsthistorischen Forschung bleiben aussagekräftige Bemerkungen zu regionalen und nationalen Kulturphänomenen gültig. Die Gruppe der „böhmischen Ableger auf bayerischem Boden“ ist mittlerweile um einige wichtige Bauten ergänzt worden und bildet einen festen Bestandteil in der Geschichte der mitteleuropäischen Barockarchitektur.2 Parallel dazu wurden Fragen über die Herkunft und eine angemessene Interpretation der spezifischen Leistungen dieser Barockarchitektur diskutiert.3 Hierzu stellt die Analyse der Raumgliederung einen zentralen Anhaltspunkt dar, der den Weg zu den Prinzipien der eigentlichen architektonischen Komposition „der böhmischen bzw. bayerischen Raumgestaltung“ öffnet. Da Mitteleuropa schon immer ein Schmelztiegel der Ideen und Inventionen war, ist eine solche Suche zwar oft spannend, führt aber nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen. Im Rahmen meiner Dissertation zum Thema des Dientzenhofer Skizzenbuches beschäftige ich mich unter anderem mit verschiedenen Bautypen in der Sakralarchitektur, die für die genannten Regionen typisch wurden. Im Folgenden versuche ich, am Beispiel der Wandpfeilerbauweise, auf einige wichtige Motive und Gestaltungsprinzipien hinzuweisen, die Einfluss auf die unterschiedliche Entwicklung dieses Bautypus gehabt haben konnten. Parallel dazu möchte ich auf die Sprachgrenzen der Begriffsund Beschreibungssystematik hinweisen, die, meines Erachtens, eine gewisse Rolle in der Interpretation, der Auffassung, ja sogar in der beabsichtigten Wirkung der Architektur spielen. Denn genau der Unterschied zwischen einer Raumgestalt im Sinne Erich Hubalas und einer Grundrissdisposition, die im Tschechischen, anlehnend an die Methodik von Heinrich Gerhard Franz, für die Architekturbeschreibung bestim-
1 Bernhard SCHÜTZ: Die kirchliche Architektur in Bayern und Oberschwaben, München 2000,
48. 2 Heinrich Gerhard FRANZ: Dientzenhofer und „Hausstätter“. Kirchenbaumeister in Bayern und
Böhmen, München 1985; Susanne DINKELACKER: Böhmische Barockarchitektur in Bayern. Berbling, Frauenzell u. d. Pläne für St. Elisabeth in München, München 1987. 3 Erich HUBALA: Rotunde und Baldachin: Die Raumgliederung der guarinesken Kirchen Böhmens, Göttingen 1989; Heinrich Gerhard FRANZ: Die „böhmische Wandpfeilerhalle“ im 18. Jahrhundert, Marburg 1962.
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mend ist, bildet die Voraussetzung für das Begreifen einer bestimmten Bauweise und somit einer bestimmten Bauidee.4 Damit wir aber nicht schon am Anfang in einer modernen Ausdrucksweise verharren, seien hier zunächst einmal historische Bezeichnungen für die architektonische Form der Wandpfeilerbauweise aufgeführt. Dies ist umso einfacher, als der Grundrisstypologie der barocken Sakralarchitektur nur drei eigenständige deutschsprachige Traktate aus dem 17. und 18. Jahrhundert gewidmet sind – Furttenbachs Kirchen Gebäw aus dem Jahr 1649 sowie zwei Traktate Leonhard Christoph Sturms aus den Jahren 1712 und 1718.5 Im Gegensatz zu den anderen widmet sich Sturm im ersten Teil der Vollständigen Anweisung neben den protestantischen Predigtkirchen vor allem den römisch-katholischen Kirchen.6 Die uns bekannte Wandpfeilerbauweise beschreibt Sturm unter den einfachen Formen der Kirchen als sog. „Viereckige Wand Kirche“: „Die Länge des Schiffs soll doppelt so viel halten als die Breite / und darüber Creuz-Gewölbe / aus der halben Breite des Schiffs hoch. Hernach soll man nach der Länge beyderseits Abseiten machen …Über den Bögen sollen Chöre seyn / oder eigentlich zu sagen Althane / welche gegen dem Schiffe ein Geländer haben“.7 Die Beschreibung eines Wandpfeilers kommt an anderer Stelle vor: „… und in den Ecken Wand-Pfeiler / welche an der hinter Seite mit dünnen Wänden an die Kirche angehefftet werden.“8 Wichtige Anhaltspunkte für die Struktur eines Wandpfeilerbaues finden wir zugleich bei den sog. zusammengesetzten Kirchenformen am Beispiel der „Kreuzkirche“: „Von einer Wand-Säule zu gegenüberstehender / sollte ein Bogen seyn / welcher so breit wäre / als der obere Halbmesser der Wand-Pfeiler / und zwischen den Bogen könten Creuz-Gewölbe seyn.“9 Hiermit wird das tektonische Aufbausystem beschrieben, das vom Anfang an eine Jochbildung durch regelmäßige 4 Die Unterschiede zeigen sich am Beispiel der Terminologie für die Wandpfeilerbauweise beson-
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ders deutlich. Während Heinrich Gerhard Franz und somit auch die gesamte böhmische Kunstgeschichte für den Wandpfeilerraum strikt den Fachausdruck „Wandpfeilerhalle“ benutzt, haben sich die deutschsprachigen Architekturforscher mit der Wandpfeilerbauweise weiter beschäftigt und die verschiedenen Varianten dieses Raumtypus auch terminologisch präziser differenziert. In der folgenden Studie versuche ich, anlehnend an die heutige deutschsprachige Terminologie, diese Problematik anzudeuten. Für seine geduldige Konsultation und wertvolle Anregungen zu dieser Thematik danke ich Prof. Bernhard Schütz. Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Tobias Büchi, Bibliothek Werner Oechslin. Ulrich SCHÜTTE: Architekt und Ingenieur. Baumeister in Krieg und Frieden, Wolfenbüttel 1984, 173–189. Leonhard Christoph STURM: Vollständige Anweisung alle Arten von Kirchen wohl anzugeben. Worinnen 1. Nic. Goldmanns Anweisung und drey Exempel angeführet / und mit Anmerkungen erläutert…, Augsburg 1718. Ebd., 6. Ebd., 4. Ebd., 8.
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Reihung einzelner Gewölbeeinheiten intendierte, die durch die Gurtbögen abgetrennt sind. Laut Sturm eignete sich dafür neben dem Kreuzgewölbe auch das gewöhnliche Tonnengewölbe mit Stichkappen: „Das Gewölbe muß beyderseits Ohren haben über den Fenstern / sechs auf einer / und sechs auf der andern Seiten / und unter jedes Ohr-Gewölblein kommt ein viereckiger Hochfenster.“10 Mit den „Ohren“ sind die Stichkappen gemeint, die über den Fenstern in das Tonnengewölbe einschneiden und die Einfügung der Fenster ermöglichen. Somit skizzierte Sturm allgemeine Regeln des für das 17. Jahrhundert typischen Wandpfeilerraumes. Der Grundtypus eines Wandpfeilerbaus ist damit angegeben; doch hat Sturms Definition insgesamt nur eine geringe Aussagekraft für die gesamte Gestaltungsweise. Das eigentliche architektonische Thema, das die Form und ganze Struktur bestimmt und welches auch Sturm ausdrücklich an einer Stelle anfordert, ist erst bei den einzelnen Werken zu entschlüsseln. Die Wahl eines bestimmten Gebäudetypus (Langbau oder Zentralraum) lag, wie es zahlreiche Beispiele zeigen, sicherlich beim Bauherrn und war durch verschiedene Anforderungen (liturgische, finanzielle usw.) bedingt.11 Ein Paradebeispiel hierfür stellt der Planungsprozess der neuen Benediktinerpropsteikirche St. Margareth in Prag-Breunau (Břevnov) dar. Paul Ignaz Bayer (* 1656; † 1733) entwarf drei verschiedene Bautypen: erstens einen Saalbau mit Abseitenkapellen und voll ausgebildeter, mit einer Kuppel versehenen Vierung; zweitens eine überkuppelte sowie drittens eine flachgedeckte Kreuzkirche.12 Abt Othmar Daniel Zinke hat sich bekanntlich für einen Wandpfeilerbau entschieden, was allerdings in diesem speziellen Fall nicht heißt, dass er dies der Grundrissform wegen getan hat. Nach der anfänglichen Suche nach einer geeigneten Raumform wurde dann nicht die Bautypologie sondern allein nur die architektonische Form entscheidend. Letztere orientierte sich, meines Erachtens, jedoch oft an ausgewählten Vorbildern, die durch ihre spezifischen Motive für ihre Umgebung inspirierend und prägend waren. Dies belegen etwa zahlreiche „Kopien“ der Ursulinenkirche in Prag, die Heinrich Gerhard Franz den Anlass dazu gegeben haben, ihre Raumgestalt als sog. „böhmische 10 Ebd., 5. 11 Bernhard SCHÜTZ: Die Bautypen in der Sakralarchitektur des bayerischen Barock, in: Bayern
und Slowenien im Zeitalter des Barock, hg. v. Janez HÖFLER und Frank BÜTTNER, Regensburg 2006. 12 Mojmír HORYNA: Stavebníci a stavitelé břevnovsko-broumovského kláštera v období baroka [Architekten und Baumeister des Breunauer-Braunauer Klosters in Zeitalter des Barock], in: Tisíc let benediktinského kláštera v Břevnově. Praha, Benediktinské opatství Sv. Markéty v Praze-Břevnově. Výstava k oslavám milénia založení kláštera, kterou ve dnech 17.4.–10.10.1993 pořádá Klášter Benediktinů u Sv. Markéty v Praze-Břevnově ve spolupráci s Uměleckoprůmyslovým Muzeem v Praze, s Národní Galerií a se Státnim Ústředním Archivem, hg. v. Dagmar HEJDOVÁ, Pavel PREISS und Libuše UREŠOVÁ, Praha 1993, 115–120.
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Daniela Štěrbová Abb. 1 Prag, St. UrsulaKirche (1699–1704) von Marco Antonio Canevalle (Foto: Martin Mádl, Ph.D., Institut für Kunstgeschichte, Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik).
Wandpfeilerhalle“ zu bezeichnen.13 (Abb. 1) Nur wenige archivalische Beispiele belegen, dass die Orientierung an Vorbildern von den Auftraggebern selbst ausgegangen ist. Der Aussiger Dominikanerprior Hyacinthus Missenius bekam zum Beispiel 1704 vom Magistrat die Bewilligung zum Bau einer Kirche „nach dem Prager Vorbild“.14 Wie der ausgeführte Raum zeigt (Abb. 2), handelte es sich um die Kirche St. Ursula in der Prager Neustadt, die kurz zuvor (1699–1704) von Marco Antonio Canevalle erbaut worden war. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Architekten solche Vorgaben öfters bekommen haben. Die Menge der Zitate dieser Raumform belegt 13 FRANZ (wie Anm. 3). 14 Petr MACEK: Architektura [Architektur], in: Oktavián Broggio (1670–1742). Katalog vystavy.
Litoměřice, Galerie Výtvarného Umění, hg. v. Mojmír HORYNA, Jaroslav MACEK, Petr MACEK und Pavel PREISS, Prag 1992, 124.
Der Weg zur „böhmischen Wandpfeilerhalle“
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Abb. 2 Aussig (Ustí nad Labem), ehem. Dominikanerklosterkirche St. Adalbert (1704–1734) von Octavio Broggio. (Foto: Daniela Štěrbová)
in der Tat mehr als nur die allgemeine Akzeptanz dieses bestimmten Vorbildes. Die Kirche wird zum Musterbau und somit als eigenständiger Bautypus etabliert, der bis ins 19. Jahrhundert eine eigene Entwicklungsgeschichte durchläuft. Die regionale Begrenzung dieses Phänomens verweist auf die besondere Stellung der Vorbilder, die viele Kunsthistoriker mit Recht beschäftigt. Sie stößt jedoch auf mehrere Probleme, die hier allerdings nicht erörtert werden können. Viel sinnvoller erscheint mir in diesem Zusammenhang, die allgemeine Raumgestaltungsidee näher zu betrachten, die eine Grundvoraussetzung für die typisch barocke Art des Inventierens – nämlich dem Entwerfen in Varianten – ist. Diese Gestaltungsart vermindert die schöpferische Kraft der Architekten nicht, ganz im Gegenteil. Die Variationsfähigkeit wurde hochgeschätzt und beansprucht, was die Oeuvres berühmter Architekten sowie erhaltene architektonische Skizzenbücher belegen. Während der in Bayern ansässige Johann Michael Fischer (* 1692; † 1766) eine ganze Reihe Achtarkadenräume entwickelte, baute Kilian Ignaz Dientzenhofer (* 1689; † 1751) in Böhmen mehrere Varianten der Kirche in Potschapl an der Elbe (Počaply),
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deren Muster in der Piaristenkirche von Johann Lukas von Hildebrandt oder seinem Entwurf für ein Lusthaus beim Gartenpalast Mansfeld-Fondi (heute Palais Schwarzenberg) in Wien15 gesucht wird. Das Entwerfen in Varianten war sozusagen ein Muss. Die allgemeinen Raumgestaltungsideen hingegen gingen – und das ist meine These – der eigentlichen Stilbildung, welche erst durch die Variierung ausgewählter Motive entwickelt wurde, voraus. Auf der Suche nach den „nationalcharakteristischen“ oder besser gesagt den „regionalcharakteristischen“ Stilelementen bilden diese Ideen eine Voraussetzung für die Etablierung und weitere Entwicklung eines bestimmten Musterbaus. Meines Erachtens sind sie sogar eine wichtige Tatsache dafür, dass sich in vielen Regionen ein Vorbild zur entsprechenden Übernahme nicht geeignet hat, das in anderen Regionen hingegen zu einem Musterbau geworden ist.
Das Dientzenhofer Skizzenbuch – fol. 390 Um nicht nur bei den bekanntesten Beispielen zu bleiben schauen wir uns den doppelten Grundriss einer Wandpfeilerkirche auf Folio 390 im sog. Dientzenhofer Skizzenbuch16 näher an. (Abb. 3) Es handelt sich um zwei Varianten eines bislang nicht näher identifizierten Plans für eine Kirche, die aus einem dreiteiligen Wandpfeilerlanghaus mit Abseiten, einer leicht angedeuteten Vierung und einem Presbyterium besteht, das aus einem Schlussjoch und einer Apsis bzw. zwei Chorjochen mit geradem Abschluss gebildet ist. Den Hauptunterschied der beiden Entwürfe stellt die Gestaltung der Westfassaden dar, die einmal als Zweiturmfassade, das andere Mal turmlos ist. Auch wenn die Unterschiede im Innenraum demgegenüber banal erscheinen mögen, stellen sie meines Erachtens dennoch ein viel eindeutigeres und präziseres Unterscheidungsmerkmal für die gesamte Raumgestaltung dar. In beiden Varianten wird nämlich die Gliederung des Raumes mit verschiedenen architektonischen Mitteln erreicht – und das nicht nur im Rahmen der einzelnen Joche, sondern, durch die Absonderung vom Langhaus und Vierung, auch bei der gesamten Raumordnung. Die linke Variante auf dem Blatt zeigt ein dreiteiliges Schiff, das sich von der Vierung deutlich absetzt, da diese etwas schmaler als das Langhaus selbst ist. Die drei Joche des Langhauses sind im Osten und Westen durch einen Gurtbogen eingefasst; es ist somit symmetrisch und bildet einen optisch geschlossenen Raum. Dies wird zusätzlich durch die Einwölbung mit einer Stichkappentonne unterstützt, die im Vergleich zu Kreuzgewölben am Gewölbescheitel eine durchlaufende Bahn ausbildet und eine – auf die Joche bezogen – zusammenfassende Wirkung hat. Die rechte Variante setzt auf einen entgegengesetzten Raumeindruck. Die einzelnen Joche sind mit selbstständigen Kreuzgewöl15 Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Bernhard Schütz. Hildebrandts Entwurf für das
Lusthaus siehe bei: Bruno GRIMMSCHITZ: Johann Lucas von Hildebrandt, Wien–München 1959, Abb. 9. 16 Bayerisches Nationalmuseum (im Folgenden BNM), Inv.-Nr. Bibl. 4584, fol. 390.
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Abb. 3 Sog. Dientzenhofer Skizzenbuch (BNM, Inv.-Nr. Bibl. 4584), fol. 390. (Foto: Bayerisches Nationalmuseum, München)
ben versehen; sie bilden in sich geschlossene Raumeinheiten – im wahren Sinne gewölbte Raumabschnitte.17 Die Vierung passt sich dem Langhaus an und stellt ein weiteres Joch dar, das nur durch seine Größe hervorgehoben wird. Während die linke Variante zu einer kräftigeren Ausbildung der Hauptglieder tendiert, werden in der rechten Variante die Einzelglieder betont. Auch wenn es sich hier mit größter Wahrscheinlichkeit um einen Idealplan handelt, halte ich diese Unterschiede bezüglich der Nachvollziehbarkeit der architektonischen Entwicklungsgeschichte des 17. Jahrhundert in Mitteleuropa für bezeichnend. Die Pläne der Sammlung entstanden nach Ludwig Bosch im Umkreis von Carlo Lurago im siebten und achten Jahrzehnt des 17. Jahrhun-
17 Die gleiche Darstellungsweise des Gewölbes über der Vierung lässt auch an eine Einwölbung
mit böhmischen Kappen denken.
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derts,18 also genau in der Zeit, in der sich auch die Vorarlberger Baumeister mit dem architektonischen Thema der Wandpfeilerhalle intensiv auseinandersetzten.19 Eine derart feine Differenzierungsfähigkeit anhand von geringen architektonischen Eingriffen, wie sie bei den beiden Varianten erscheinen, entspricht einem hochausgeprägten Sinn für Raumgliederung. Dies zeigt auch die Grenzen der Grundrissbeschreibung alleine; denn obwohl beide Varianten das gleiche Aufbauschema besitzen, nämlich einen Wandpfeilerbau mit Vierung, unterscheiden sie sich jedoch in der architektonischen Gestalt voneinander völlig.
Dientzenhofer Skizzenbuch – fol. 347 Dass die sorgfältige Raumgliederung ein echtes Leitmotiv der architektonischen Komposition dieser Zeit war, belegt ein weiterer Plan aus dem Dientzenhofer Skizzenbuch.20 Die rechte Grundrissvariante auf Folio 347 zeigt einen ähnlichen Raumtypus, nämlich einen Wandpfeilerbau mit Abseiten und einer fast quadratischen Vierung mit kurzen Querarmen. (Abb. 4) Ob es sich um eine bestehende Kirche handelt, bleibt auch in diesem Fall unklar. Sicher ist jedoch, dass hier zwei hochaktuelle Motive der damaligen Barockarchitektur aufgegriffen wurden – die Einfassung des Langhauses durch zwei Schmaltravéen und die Ausbildung der Vierung zu einer Kreuzform. Diese Motive wurden von zwei konkreten Musterbauten übernommen und zu einer Synthese geführt. Sie macht das eigentliche Thema dieses Entwurfes aus. Der Initialbau war die römische Mutterkirche der Jesuiten – Il Gesù – von Giacomo Barozzi da Vignola nach 1568 erbaut. Hier wurde die mit einer Tambourkuppel überhöhte Vierung an allen vier Seiten durch ein Schmaltravée erweitert und ist somit zu einem Kreuzbau geworden.21 Dieses Motiv wurde etwa 100 Jahre später von Agostino Barelli in München beim Bau der dortigen Theatinerkirche aufgegriffen.22 Er hat jedoch die römischen Schmaltravée, die sich bei Il Gesù nur zwischen dem Kuppelraum und den drei Langhaustravéen befindet, auch nach Westen an das Langhaus angefügt. Das ganze Baukonzept von Il Gesù wurde insofern verändert, dass in München das Langhaus statt der Vierung betont wird. Beide Motive greift auch der Autor des Entwurfs aus dem Dientzenhofer Skizzenbuch auf. Das Langhaus ist zwischen den beiden Schmaltravéen eingefasst; die Vierung als ein kreuzförmiger Zentralbau gestaltet. Die Idee ist insofern konsequent 18 Ludwig BOSCH: Eine Sammlung barocker Architekturzeichnungen im Bayerischen National-
museum, in: Münchener Jahrbuch der bildenden Kunst 5 (1954), 188–204. 19 Werner OECHSLIN (Hg.): Die Vorarlberger Barockbaumeister. Ausstellungskatalog, Einsie-
deln 1973. 20 BNM, Inv.-Nr. Bibl. 4584, fol. 347 21 Antje SCHERNER: Il Gesù, in: Architekturführer Rom, hg. v. Stefan GRUNDMANN, Stutt-
gart–London 1997, 172–174. 22 Bernhard SCHÜTZ: Die kirchliche Architektur in Bayern und Oberschwaben, München 2000,
67–68.
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Abb. 4 Sog. Dientzenhofer Skizzenbuch (BNM, Inv.-Nr. Bibl. 4584), fol. 347. (Foto: Bayerisches Nationalmuseum, München)
weitergeführt, als die beiden den Kuppelraum an der Längsachse begleitenden Travéen identisch und gleichzeitig deutlich schmäler sind als die des Langhauses. Die Vierung ist somit an beiden Achsen symmetrisch und zugleich kräftig rhythmisiert. Durch die deutliche Abstufung in der Tiefe von den Schmaltravéen zu den Langhaustravéen wird auch die Vierung klar herausgehoben. Im Unterschied zu München, wo das Langhaus in sich geschlossen und von der Vierung abgesetzt blieb (auch wegen der Tambourkuppel), wird in diesem Entwurf die Einheit der beiden Teile – des Langhauses und der Vierung – durch die Rhythmisierung beibehalten. Die Schmaltravée vor dem Kuppelraum gehört zum Langhaus genauso wie zur Vierung; es wird zu einem Verbindungsstück. Die einzelnen Raumglieder werden dadurch verkettet; die ganze Raumordnung gewinnt einen synthetisch zusammenhängenden und geordneten Gesamteindruck. Da es zu diesem Entwurf keinen Aufriss gibt, kann man über den Aufbau des Baus nichts Genaueres sagen. Der Vergleich mit der Theatinerkirche lässt vermuten, dass
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der Wandaufbau hier ähnlich wie in München strukturiert sein könnte: Arkadenwand mit vorgelegter Ordnung, also mit durchlaufendem Gebälk, und mit einem Obergaden darüber, was letztendlich den Gesú-Typus darstellt. Die vorgelegte architektonische Ordnung fasst die Abseitenkapellen ein, die untergeordnet bleiben.23 In der Theatinerkirche waren es die kannelierten Kolossalsäulen, die an den beiden mittleren Pfeilern verdoppelt sind. Das entspricht dem gezeigten Entwurf des Dientzenhofer Skizzenbuch nicht. Bei der Kirche St. Ignatius in Komotau (Chomutov) von Carlo Lurago (* 1615; † 1684) aus der Zeit von 1663–1671 hingegen sind die gleich angeordneten Kolossalsäulen zum prägenden Motiv geworden. (Abb. 5) Sie fallen jedoch aus dem damaligen böhmischen Kirchenbau heraus, genauso wie es bei der Münchener Theatinerkirche der Fall war – beide Kirchen blieben für ihr jeweiliges Umfeld sozusagen „Fremdkörper“. Die weitere Entwicklung der Wandpfeilerbauweise zeigt hingegen deutlich, dass man von den eigentlichen Gestaltungsprinzipien, die sich in den Entwürfen des Dientzenhofer Skizzenbuchs finden, weithin viel profitierte: Beim ersten vorgestellten Entwurf haben wir die Tendenz zu einer Raumordnung in und nach selbstständig gewölbten Raumabschnitten – Jochen – gesehen. Ein vergleichender Blick auf die frühbarocke Kirche Luragos in Komotau und die oben erwähnte Ursulinenkirche Canevalles zeigt die in die Zukunft weisende allgemeine Ausrichtung der Wandpfeilerbauweise. Die Verkettung und Einbettung einzelner Teilabschnitte im rhythmischen Wechsel zu einer reich gegliederten Gesamtstruktur, an die der Entwurf auf der zweiten Planzeichnung hinzielt, führt dann zu der Raumgliederung der sog. guarinesken Kirchen Böhmens ebenso zu den „böhmischen Ablegern auf bayerischem Boden“. Beide Entwürfe, auch wenn sie möglicherweise nicht ausgeführt oder von den Architekten überhaupt nicht beachtet worden sind,24 zeigen ein ausgeprägtes Interesse an den Fragen, die für die weitere Entwicklung der mitteleuropäischen kirchlichen Barockarchitektur des 18. Jahrhunderts von außerordentlicher Bedeutung geworden sind. Somit stimme ich mit Ludwig Bosch überein, der nach dem Exkurs zu dem römischen Vorbild der genannten Gruppe der Planzeichnungen – der von Carlo Milanesi zu Beginn des 17. Jahrhundert erbauten Kirche SS. Gesù e Maria – zum gleichen Schluss gekommen ist: Die böhmische Architektur des beginnenden 18. Jahrhunderts fußt fest auf der Architektur des 17. Jahrhunderts. Unser Exkurs zu den raumgestaltenden architektonischen Kompositionsweisen ermöglicht überdies auch noch die Erweiterung 23 Dieser Lösung widerspricht jedoch die geringe Tiefe der Abseiten, die eher eine Wandpfeiler-
halle andeutet. 24 Ludwig Bosch hat richtig dargelegt, dass die querrechteckige Vierung auf fol. 347v sowie fol.
390r, die vom Langhaus nicht abgesetzt ist und somit optisch zu ihm gehört, gewisse Ähnlichkeiten mit der Jesuitenkirche St. Martin in Bamberg (1686–1690 von Georg Dientzenhofer erbaut) beziehungsweise der Karmelitenkirche St. Theodor (ab 1692 von Leonhard Dientzenhofer errichtet) zeigt. BOSCH (wie Anm. 18), 194, Anm. 25.
Der Weg zur „böhmischen Wandpfeilerhalle“
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Abb. 5 Komotau (Chomutov), ehem. Jesuitenkirche St. Ignatius (1663–1671) von Carlo Lurago. (Foto: Daniela Štěrbová)
des Blickes über die böhmischen Grenzen hinaus. Die Rezeption der aktuellen Gliederungsmotive von der Theatinerkirche in München – einem Prestigebau der Wittelsbacher im Umkreis Luragos – zeigt deutlich, dass wir den Vergleich der architektonischen Bauweise beider Nachbarländer nicht unterschätzen dürfen. Den besten Beweis stellt letztendlich selbst das Dientzenhofer-Skizzenbuch dar, auf dessen Blatt (fol. 453) die beiden Kirchen – Jesuitenkirche in Komotau und Theatinerkirche in München – auf einem Doppelgrundriss gegenübergestellt sind.
Jan Wrabec UNBESTIMMTHEIT UND INNOVATION DER KIRCHE DES HL. KREUZES UND DER HL. HEDWIG IN WAHLSTATT (LEGNICKIE POLE) Bedeutung Es steht außer Zweifel, dass die ehemalige Benediktinerkirche in Wahlstatt in Schlesien mehr Interesse verdient als sie bisher hatte. Ihre Entstehung soll nämlich als eines der wichtigeren Ereignisse in der Entwicklung des europäischen architektonischen Gedankenguts gelten. Es hat sich jedoch ergeben, dass ihr – bis zum heutigen Tage – nur mehr oder weniger ausführliche Erwähnungen in allgemeinen Publikationen über die Dientzenhofer gewidmet wurden. Zwar wies bereits 1789 Friedrich Albert Zimmerman in seiner Beschreibung Schlesiens darauf hin, dass „das Kloster und die dazu gehörige Kirche (…) sehr geschmackvoll erbaut [sind], nicht mit Bildern überhäuft, wohl aber mit einigen trefflichen geziert“1. Er lobte auch die Fassadentürme, die er als hervorragend bezeichnete. Jedoch warf der erste lokale Inventarisator der Kunstdenkmäler, Hans Lutsch, hundert Jahre später (1891), als sich die Akzeptanz für den Barock zu verzeichnen begann, der Fassade Theatralik vor und dem Kircheninneren einen „Mangel an ruhigen Linien“2, wodurch es um einen monumentalen Effekt gebracht worden sei. Zuerst musste man also die Untersuchungen zum Lebenswerk ihres Schöpfers aufnehmen, damit die Kirche trotz der auf Missverständnisse beruhenden Meinung richtig eingeschätzt werden konnte. Es wurde möglich, weil die Forscher der europäischen Barockarchitektur, deren Bild sich dank der schon über hundert Jahre dauernden Untersuchungen langsam abzeichnete, die wichtige Rolle dieser innovativen, steife Schemen überwindenden Strömung in der Geschichte der Architektur immer häufiger zu schätzen wussten. Jene wurde von Borromini in Rom begründet, dann von Guarino Guarini und seinen Schülern im Piemont fortgeführt und endlich von der Familie Dientzenhofer in Böhmen und ihren Schülern und Zeitgenossen in Bayern und Franken ergänzt und vervollständigt. Als Erster schenkte diesen Hugo Schmerber3 im Jahre 1900 Beachtung, und nach dem Ersten Weltkrieg folgten ihm
1 Friedrich A. ZIMMERMANN: Beiträge zur Beschreibung von Schlesien, Bd. 8, Brieg 1789,
196. 2 Hans LUTSCH: Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Schlesien, Bd. 3, Breslau 1891,
282–284. 3 Hugo SCHMERBER: Beiträge zur Geschichte der Dientzenhofer, Prag 1900, 51.
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die tschechischen Wissenschaftler Karel B. Mádl (1921)4 und Oldřich Stefan (1927)5 nach. Hier darf auch die bahnbrechende Rolle von Hans Gerhard Franz nicht außer Acht gelassen werden, dessen Interessen sich jedoch anfangs (1942)6 auf das Schaffen des älteren Dientzenhofers, Christoph, konzentrierten und vor allem auf sechs originelle, in Böhmen gelegene Kirchen, die später als „die Gruppe des radikalen Barock“ bezeichnet wurden. Es geht um die Kirchen in Woborschischt (Obořište), in Eger (Cheb), in Smirschitz (Smiřice), in Neupaka (Nová Paka), die St.-Margareta‑Kirche in Prag-Breunau (Břevnov) und die St.-Nikolaus-Kirche auf der Prager Kleinseite. Diese außergewöhnlichen Bauten können als Inbegriff der nach dem Konzil von Trient auftretenden Bestrebungen vieler Architekten nach der Synthese des zentralen und des länglichen Innenraumes gelten, der alle Teilnehmer an der erneuerten Liturgie in dem die Symbolik des „Zentrums“ und des „Weges“ verbindenden Raum vereinigen kann. In den erwähnten böhmischen Kirchen wurde zu diesem Zweck die sich aus dem Mittelalter herleitende Baldachin-Konstruktion der Wandpfeilerhalle verwendet. Diese Lösung ist im Grunde genommen als Skelettsystem zu betrachten und ließ die Mauern frei gestalten, die dadurch eine bisher in der Architektur unbekannte Dynamik gewannen. Die ausgewogene Bewertung der wahren Verdienste von Dientzenhofer wurde durch den Nationalismus im 20. Jahrhundert lange erschwert, was u. a. in den langwierigen Streitigkeiten um die Urheberschaft der bahnbrechenden „radikalen Gruppe“ zum Ausdruck kam, die erst vor kurzem als Werk des älteren Dientzenhofers – Christoph – einstimmig anerkannt wurde. Auch im Fall der Werke seines Sohnes Kilian Ignaz, deren Urheberschaft keine Zweifel erregten, war es nicht leicht, ein objektives Urteil zu fällen. Man darf sich also nicht wundern, dass diese Bewertung erst von dem Italienisch schreibenden Norweger Christian Norberg-Schulz vollzogen wurde. Er ist der Verfasser der ersten und bisher einzigen Monographie, die ausschließlich diesem Architekten gewidmet ist und 1968 veröffentlicht wurde.7 Der hervorragende Forscher der als räumliche Struktur gefassten Architektur und Autor der Geschichte dieser Disziplin im Spätbarock8 wies zuerst auf die „bemerkenswerte Stellung“ in der Geschichte der europäischen Architektur hin, welche Böhmen dank der „radika4 Karel B. MÁDL: Dientzenhoferovský Motiv [Das Dientzenhofer-Motiv], in: Památky archeolo-
gické XXXII (1921), 201–213. 5 Oldřich STEFAN: O slohové podstatě centrálních staveb u Kiliána Ignáce Dientzenhofera [Über
den Stil der Zentralbauten von Kilian Ignatz Dientzenhofer], in: Památky archeologické XXXV (1927), 468–545. 6 Heinrich Gerhard FRANZ: Die Kirchenbauten des Christoph Dientzenhofer, Brünn–München– Wien 1942. 7 Christian NORBERG-SCHULZ: Kilian Ignaz Dientzenhofer e il barocco boemo, Roma 1968. 8 DERS.: Architettura tardobarocca, Storia universale dell’ architettura diretta da Pier Luigi Nervi, Venezia 1972.
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len Gruppe“ und der Tätigkeit der drei Architekten Giovanni Santini Aichel sowie Christoph und Kilian Ignaz Dientzenhofer einnehmen kann.9 Die letzte schöpferische Generation der Barockarchitekten, zu der er auch Balthasar Neumann, Dominikus Zimmermann und Johann Michael Fischer zählte, die in Bayern und Franken tätig waren, wurde lange nicht untersucht und blieb unterschätzt.10 Besonders unpopulär unter den Forschern war das Schaffen von Kilian Ignaz Dientzenhofer, obwohl er nach Schätzungen von Mojmír Horyna zwischen 170 und 200 Bauten in Böhmen und Schlesien hinterließ, 11 von denen Norberg-Schulz ganze vierzig als bedeutend bezeichnete.12 Man kann erwarten, dass sich diese Zahl mit der Fortsetzung der Untersuchungen noch erhöht. Der polnische Kunsthistoriker Tadeusz Dobrzeniecki schrieb 1976 über ihn: „Seine Kunst zeichnete sich sowohl durch die Empfindlichkeit für die inspirativen Einflüsse der norditalienischen und wienerischen Kunst aus als auch durch die unerschöpfliche Kreativität bei deren Verarbeitung in immer neue, originelle Formen.“13 In seinen so zahlreichen und äußerst vielfältigen Werken „gelang es ihm, die größten architektonischen Ideen der Epoche zu einer besonders ganzheitlichen Synthese zu verbinden.“14 Er beeinflusste nicht nur Johann Michael Fischer, der jünger als er war (geb. 1691), sondern auch den etwas älteren Balthasar Neumann. Horyna, der 30 Jahre nach Norberg-Schulz schrieb, zögerte nicht, ihn als „genial“15 zu bezeichnen und sein Lebenswerk als „eine der Spitzenleistungen des reifen Barocks im Allgemeinen“.16
Wie wurden die Kirche und das Kloster in Wahlstatt vor dem Hintergrund der Kunst von Kilian Ignaz Dientzenhofer bewertet? In den nach 1900 durchgeführten Untersuchungen zu Christoph und Kilian Ignaz Dientzenhofer wurden nur noch mehr oder weniger wichtige Erwähnungen über die Kirche und das Kloster in Wahlstatt publiziert, in der Regel nur im Rahmen der umfangreicheren Erwägungen über das Schaffen der beiden Architekten. Vor 1945 kam es zur Veröffentlichung von nur zwei Büchern in Form von Führern von über zehn
9 DERS. (wie Anm. 7), 12. 10 DERS. (wie Anm. 7), 15. 11 Mojmír HORYNA/Jaroslav KUČERA: Dientzenhoferové [Die Dientzenhofer], Praha 1998, 13,
111. 12 NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 163. 13 Tadeusz DOBRZENIECKI: Sztuka sakralna w Polsce na Ziemiach Zachodnich i Północnych
[Sakrale Kunst in Nord- und Westpolen], Warszawa 1976, 41. 14 NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 163. 15 HORYNA/KUČERA (wie Anm. 11), 7. 16 Ebd., 153.
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Seiten.17 Nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen nur ein wissenschaftlicher Artikel über sie und eine kleine populärwissenschaftliche Monographie.18 Ungeachtet der Tatsache, dass – gemäß der Bemerkung von Pavel Preiss im Jahre 1960 – „das Kloster in Wahlstatt zur schlesischen Insel der tschechischen Kunst wurde“19, schenkten ihm die tschechischen Wissenschaftler über lange Zeit kaum Beachtung und erwähnten es nur vorübergehend. Oldřich Stefan gestand offen, es nicht aus eigener Erfahrung zu kennen,20 und Pavel Korecký richtete in seiner Pionierstudie von 1952, die das Schaffen von Kilian Ignaz Dientzenhofer systematisch ordnete, seine Aufmerksamkeit lediglich auf die Fassade des Klosters.21 Zwar widmete Heinrich Gerhard Franz 1962 der Kirche des hl. Kreuzes und der hl. Hedwig ein separates Unterkapitel; er betrachtet es jedoch nur als ein Glied in einer langen Entwicklungskette von Werken ihres Schöpfers.22 1921 stellte Karel B. Mádl jedoch fest, dass das Konzept der Raumdurchdringung sich nirgendwo so „deutlich und reif“ wie in Wahlstatt gezeigt und nirgendwo anders solche „alleinige und allmächtige Kraft“ besessen habe.23 Er wies auch als Erster darauf hin, dass diese außergewöhnliche Kirche weder Vorgänger noch Nachfolger hatte, aber sehr wohl Resonanz fand. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahre 1964, hielt Erich Bachmann im synthetischen Werk „Barock in Böhmen“ die Tatsache, dass der jüngere Dientzenhofer „das selbstständig weiterentwickelte Baldachinsystem seines Vaters Christoph und seines Onkels Johann nun auf den Zentralbau mit Anräumen übertrug und schließlich das doppelschalige Wandsystem hinzufügte“24, für dessen wichtigsten Beitrag zur Barockarchitektur. Er fügte hinzu, dass „die wichtigsten Etappen in diesem Prozess“ die Kirche in Wahlstatt waren. Weiterhin hob er hervor, dass hier „das sondergotische Baldachinprinzip noch reiner und entschiedener verwirklicht ist“ als in den Werken seines Vaters. Im Resultat 17 Gotthard MÜNCH: Kloster und Kirche Wahlstatt. Eine Führung, Breslau 1936; Günther
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GRUNDMANN: Das ehemalige Benediktinerkloster Wahlstatt, Breslau 1944 (Führer zu grossen Baudenkmälern 28). Jan WRABEC: Kościół pobenedyktyński w Legnickim Polu. Uwagi o architekturze i programie ideowym [Das nachbenediktinische Kloster von Wahlstatt. Bemerkungen zu Architektur und zum geistigen Programm], in: Biuletyn Historii Sztuki 33 (1971), 345–368; DERS.: Legnickie Pole [Wahlstatt], Wrocław–Warszawa–Kraków–Gdańsk 1974 (Śląsk w zabytkach sztuki). Pavel PREISS: Oltářní obrazy V. V. Reinera [Die Altarbilder von Wenzel Lorenz/Václav Vavřinec Reiner], in: Uměni 8 (1960), 37–64, hier 48. STEFAN (wie Anm. 5), 532. Miroslav KORECKÝ: Tvorba Kiliána Ignáce Dientzenhofera (K dvoustěmu výroči jeho úmrtí) [Das Werk von Kilian Ignatz Dientzenhofer (Zum 200. Todesjahr)], in: Zprávy památkové peče 11–12 (1952), 45–108. Heinrich Gerhard FRANZ: Bauten und Baumeister der Barockzeit in Böhmen, Leipzig 1962, 147–148. Jeweils MÁDL (wie Anm. 4), 213. Erich BACHMANN: Die Architektur und Plastik, in: Barock in Böhmen, hg. Karl M. SWOBODA, München 1964, 9–61, 57.
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ist „die Klosterkirche in Wahlstatt gotischer im Wesen als alle barockgotischen Kirchen Santini-Aichels.“25 Der verdiente lokale Forscher und Konservator von Kunstdenkmälern Günther Grundmann betrachtete sie, dem Zeitgeist entsprechend, von der regionalen Warte aus als „eine der einheitlichsten Leistungen des schlesischen (!) Barocks“. Im entscheidenden Jahre 1944 sah er in ihm ein Symbol für „die christlich abendländische Missionsidee“26 und 1971 nur einfach „die Höchstleistung des Barock auf schlesischem Boden“.27 Erst Norberg-Schulz schrieb ihm eine universellere Bedeutung zu. Das Kloster in Wahlstatt bezeichnete er als einen „Bau von bemerkenswerter (notevole) Bedeutung“, der in der Jugend des Meisters entstand. Weiter schrieb er darüber wie folgt: „Wir finden hier die fundamentale Idee der Vereinigung des verlängerten Zentralgebäudes und des zentralisierten Längsgebäudes zur einzigartigen ‚synthetischen‘ Form.“ Er wies gleichzeitig auf die ungewöhnliche Verwendung des Sechseckes mit einer „geschlossenen“ Achse als Grundlage für den Plan des Hauptschiffs hin. Er sah darin zwar die Anknüpfung an ein Werk des Vaters – die Kirche in Smirschitz; trotzdem stellte er fest, dass wir es hier „in jeder Hinsicht mit dem Ergebnis einer unerwarteten Inspiration zu tun haben, die in verschiedener Hinsicht anregend zu sein schien, obwohl der Meister sie später nie verwenden würde.“ 28 Die hohe Bewertung durch Norberg-Schulz wurde nach beinahe 40 Jahren (2005) von Mojmír Horyna verstärkt, indem er schrieb: „Die Kirche des Hl. Kreuzes und der Hl. Hedwig ist ein außerordentlich bedeutendes Bauwerk des mitteleuropäischen Hochbarock und gehört zu den frühesten (…) und kühnsten radikal barocken Kompositionen von Kilian Ignaz Dientzenhofer“.29
Die räumliche Struktur Dank der langwierigen archivalischen Forschungen von Beda Menzel OSB30 und Milada Vilímková31 sind wir heute mit der Geschichte und den Umständen des Baus des Klosters in Wahlstatt gut vertraut. Man begann bekanntlich 1723 mit der Errichtung der Klostergebäude und 1727 mit der der Kirche. Sie war 1733 fertiggestellt. (Abb. 1) Wir wissen, dass der ehrgeizige und energische Abt Othmar Zinke als spiritus movens des Vorhabens wirkte, der die ehemalige Bedeutung der ihm unterstellten Klöster in Jeweils ebd., 58. Jeweils GRUNDMANN (wie Anm. 17), 2. DERS.: Barocke Kirchen und Klöster in Schlesien, München 1971, 25. Jeweils NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 183–184. Mojmír HORYNA/Vladimír UHER: Christoph Dientzenhofer (1655–1722). Zum 350. Geburtstag des genialen böhmischen Barockbaumeisters, Prag 2005, 75. 30 Beda Franz MENZEL OSB: Abt Othmar Daniel Zinke und Ikonographie seiner Kirchen in Břevnov – Braunau – Wahlstatt, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens 97 (1986), 135–224. 31 Milada VILĺMKOVÁ: Stavitelé paláců a chrámů [Baumeister von Palästen und Kirchen], Praha 1986. 25 26 27 28 29
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Abb. 1 Wahlstatt (Legnickie Pole), Klosterkirche. Gewölbe des Kirchenschiffes. (Foto: Stefan Arczyński)
Braunau (Broumov) und Breunau (Břevnov) und ihre Einflüsse im von Protestanten dominierten Schlesien wiederherstellen wollte. Die Person Johann Christoph Mayer ist weniger bekannt. Er war Kaplan der Benediktinerinnen in Liegnitz (Legnica), der aktiv vor Ort die Durchführung des Plans unterstützte, die böhmischen Ordensbrüder am gemäß der Tradition durch den Tod des schlesischen Herzogs im Kampf gegen die Tataren geheiligten Ort wieder anzusiedeln. Der Entwurf der Kirche hat sich leider nicht erhalten; erst nach dem letzten Weltkrieg sind die im Breslauer Archiv aufbewahrten und mit eigenhändiger Unterschrift von Kilian Ignaz Dientzenhofer versehenen Abrechnungen mit Auftragnehmern verloren gegangen. Die Namen der beim Bau beschäftigten Handwerker, die Kosten und Herkunft der Baumaterialien sind bekannt. Die Urheberschaft von einzelnen Elementen der Inneneinrichtung und der reichen Ausstattung unterliegt keinem Zweifel. Es ist auch bekannt, dass der Bildhauer Karl Joseph Hiernle und der Maler Wenzel Lorenz Reiner unter der Leitung des Abtes und des Architekten zusammenarbeiteten. Der Maler sollte auch, wie in anderen Werken von Dientzenhofer, ursprünglich die Fresken im Kirchengewölbe ausführen; jedoch wurde letztendlich Cosmas Damian Asam aus München damit beauftragt. Die Aufgabe Reiners bestand nur darin, Bilder auf den Seitenaltären zu malen. Allein das Gemälde im Hauptaltar stammt nicht aus dem Kreis der mit Dientzenhofer und Othmar Zinke zu-
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Abb. 2 Grundriss der Klosterkirche in Wahlstatt (Legnickie Pole). (nach Heinrich Gerhard FRANZ: Bauten und Baumeister der Barockzeit in Böhmen, Leipzig 1962)
sammenarbeitenden Künstler – es ist ein Geschenk des Breslauer Bischofs, von seinem Hofmaler Franz de Backer ausgeführt. Die Forscher betrachteten dagegen die räumliche Gestalt und die Struktur des Kircheninnenraumes nicht nur mit Bewunderung, sondern auch mit zahlreichen Zweifeln, weil es bis heute schwerfällt, sie eindeutig zu bestimmen. Das kann als seine besondere Eigenschaft gelten, die ihn mit den neuartigen Konzeptionen Borrominis wie bei den Kirchen Sant‘ Ivo alla Sapienza und San Carlo alle Quattro Fontane in Rom verbinden lässt. Sie sind genauso schwer mit Hilfe der Stereotypensprache zu bestimmen, die in der Architektur seit Jahrhunderten herrscht. Diese Werke lassen, ebenso wie im Fall von Wahlstatt, eine labile, subjektive und mehrdeutige Rezeption des Raumes zu – wie die der Farbe und des Lichtes auf dem Bild eines Impressionisten. Vielleicht sollte man hier auf einen der Grundbegriffe der Quantenphysik – „Unbestimmtheit“ – zurückgreifen. Die Unbestimmtheitsrelation besagt, dass „die Tatsache der Beobachtung selbst das Verhalten der beobachteten Quanten verändert.“32 32 Shelley EMLING: Maria Skłodowska-Curie i jej córki. Opowieść o najsłynniejszej w dziejach
rodzinie naukowców [Marie Skłodowska-Curie und ihre Töchter. Geschichte einer berühmten Wissenschaftlerfamilie], Warszawa 2013, 153.
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Als Ausdruck dieser wohl beabsichtigten Unbestimmtheit in der Rezeption und Interpretation gilt auch eine Sammlung der in verschiedenen Zeiten entstandenen und den Grundriss der Kirche in Wahlstatt darstellenden Zeichnungen, die beinahe so reich wie unterschiedlich ist. Große Unterschiede zwischen den von Paul Frankl und den von Antonín Balšánek reproduzierten Plänen wurden schon von Oldřich Stefan signalisiert.33 Die Entwürfe des Letzteren schienen ihm plausibler zu sein. Auf die Fehler in den veröffentlichten Grundrissen wies auch Norberg-Schultz hin.34 Diese Situation ist sicherlich nicht zufällig. Da der ursprüngliche Entwurf sich nicht erhalten hat, sind die von den Forschern untersuchten Pläne als Ergebnis der in verschiedenen Zeiten und mit verschiedenen Techniken durchgeführten Messungen zu betrachten. Aus diesem Grund trägt fast jeder einzelne von ihnen subjektive Merkmale – jeder ist ein wenig anders und das nicht nur, weil der Grundriss in einem gegebenen Fall nicht immer auf demselben Niveau ausgeführt wurde. Es scheint eher, dass aufeinander folgende Geometer und Planzeichner nach verschiedenen Formeln der geometrischen Rekonstruktion suchten, die beim Aufzeichnen der das Kirchenschiff markierenden Kurven helfen konnte. Im Allgemeinen können doch alle Pläne in drei Gruppen eingeteilt werden. Die Erste lässt sich wohl mit dem Prototyp verbinden, der 1927 von August Griesebach in „Kunst in Schlesien“35 veröffentlicht und 1944 von Günther Grundmann,36 1962 von Heinrich Gerhard Franz37 (Abb. 2) wie auch nach dem Krieg von anderen Autoren (Stanisław Kozak, Mirosław Przyłęcki, Jan Wrabec) wiederholt wurde. (Abb. 3) Diese Pläne sind fast identisch; nur Przyłęcki und Kozak machten die Kirchenmauern etwas dicker und trugen die Altäre in ihre Entwürfe ein.38 Hier wiederholt sich ein von Norberg-Schultz erwähnter Fehler,39 der darin besteht, dass die sphärischen Gurtbogen über den Seitennischen mit einer Wellenlinie markiert sind. Die Pläne aus dieser Gruppe sind auch – im Vergleich zu den anderen – durch die Verflachung des äußeren Umfangs der Wände des Kirchenschiffs gekennzeichnet, wozu die zu starke Betonung der südlich der Kirche gelegenen Umzäunungsmauer beigetragen hat. Die Verflachung hat gleichfalls den Eindruck der longitudinalen Kirchenform verstärkt, der auf dem aus zwei Teilen bestehenden Innenraum beruhte. Das Kirchenschiff hat nach den Plänen der zweiten Gruppe eine ovalere Form (in einem Fall sogar elliptisch); er ist also zentral und homogen, weil die Seitennischen, die in der ersten Gruppe die Joche andeuten, hier stärker mit dem Hauptschiffraum verbunden sind. Der 1968 in der Monographie von Norberg-Schultz publizierte Plan, STEFAN (wie Anm. 5), 532, Anm. 115. NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 77. August GRIESEBACH/Günther GRUNDMANN u. a.: Die Kunst in Schlesien, Berlin 1927. GRUNDMANN (wie Anm. 17). FRANZ (wie Anm. 22). Stanisław KOZAK/Mirosław PRZYŁĘCKI: Legnickie Pole. Rys historyczny [Wahlstatt. Ein historischer Abriss], Jelenia Góra 1969. 39 NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 77. 33 34 35 36 37 38
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Abb. 3 Geometrische Rekonstruktion des Planes der Klosterkirche in Wahlstatt nach Jan Wrabec. (Jan WRABEC: Kościół pobenedyktyński w Legnickim Polu. Uwagi o architekturze i programie ideowym, in: Biuletyn Historii Sztuki 33 (1971) 345–368, Ill. 2.)
auf dem die sphärischen Gurtbogen zum ersten Mal korrekt, d. h. mit einer bogenartig verlaufenden Kurve, gezeichnet wurden,40 ist hier von entscheidender Bedeutung. (Abb. 4) Wichtig ist auch die Messung, die 1977 von dem Team unter der Leitung von Ing. Ryszard Hlawski durchgeführt wurde. (Abb. 5) Die Zeichnungen in dieser Gruppe unterscheiden sich erheblich durch die Dicke der Mauern voneinander, was von ihrer Ungenauigkeit zeugen kann.41 Schließlich besteht die dritte Gruppe lediglich aus zwei Plänen, von denen der Erste als Illustration zum Artikel von Beda Menzel von 198642 veröffentlicht wurde (Abb. 6) und der Andere seine Kopie ist und in dem vom Verlag „Edytor“ herausgegebenen Führer „Legnickie Pole“ von Grażyna Humeńczuk und Anna Kurowska 40 Ebd., 75. 41 Ryszard HLAWSKI: Kościół poklasztorny Legnickie Pole. Inwentaryzacja konserwatorska,
Wrocław–Legnica 1976 (Archiwum Pracowni Projektowej PKZ Wroclaw 652/1).
42 MENZEL (wie Anm. 30), 220.
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Abb. 4 Geometrische Rekonstruktion des Plans der Klosterkirche in Wahlstatt (Legnickie Pole) nach Christian NorbergSchulz. (Christian NORBERG-SCHULZ: Kilian Ignaz Dientzenhofer e il barocco boemo, Roma 1968, Ill. 229)
erschien.43 Wie wir aus einer Notiz von Beda Menzel erfahren, ist er eine Skizze von Thomas Schillingo, einem Benediktiner aus Rohr.44 Im Vergleich zu den anderen Plänen sind dort sowohl die Gestalt als auch die Dicke der Umfangsmauern erheblich entstellt. Noch stärker wurde die Tatsache hervorgehoben, dass der Innenraum aus zwei Teilen besteht. Infolgedessen darf man die beiden letzten, sich voneinander nur in Einzelheiten unterscheidenden Pläne eher nicht als Information betrachten, wie der Innenraum der Kirche in Wahlstatt tatsächlich aussieht, sondern wie er rezipiert sein kann. Wie die Verfasser der Pläne, so sahen auch die weniger gründlichen Forscher, die über Wahlstatt schrieben, die Kirche als „ein regelmäßiges Sechseck“ (Hans Lutsch),45 „ein großes, mittleres Längsoval“, mit dem kleinere Ovale verschmelzen (wie Günther 43 Grażyna HUMEŃCZUK/Anna KUROWSKA: Legnickie Pole [Wahlstatt], Legnica, o. J. 44 MENZEL (wie Anm. 30), 223. 45 LUTSCH (wie Anm. 2), 282.
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Abb. 5 Grundriss der Klosterkirche in Wahlstatt (Legnickie Pole). (Aufmaß von Ryszard Hlawski von 1976)
Grundmann),46 oder ein gewöhnliches „elliptisches Schiff“ (Witold Dobrowolski).47 Sogar ein so profunder Kenner wie Heinrich Gerhard Franz ließ sich durch die Form des Gewölbes beeinflussen und bemerkte die Zusammenhänge mit den elliptischen Wiener Kirchen von Hildebrandt, und zwar die Peterskirche (1702) und die Salesianerinnenkirche (1717).48 Unter dieser Annahme würde das schlesische Werk Dientzenhofers nicht als etwas Besonderes gelten, weil Längsovale und Ellipsen in der Architektur in ganz Europa, von Italien und Spanien bis Ostkleinpolen, von der Zeit von Serlio bis zum 17. Jahrhundert ziemlich häufig zu finden waren. Kilian Ignaz selbst verwendete sie noch etwas früher in reiner Form in Deutsch Wernersdorf 46 GRUNDMANN (wie Anm. 27), 196. 47 Witold DOBROWOLSKI: Sztuka na Śląsku [Kunst in Schlesien], Katowice–Wrocław 1948,
255. 48 FRANZ (wie Anm. 22), 147.
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Abb. 6 Grundriss der Klosterkirche in Wahlstatt (Legnickie Pole). (nach Beda Franz MENZEL OSB: Abt Othmar Daniel Zinke und Ikonographie seiner Kirchen in Břevnov – Braunau – Wahlstatt, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktiner-Ordens 97 (1986), 135–224)
(Verneřovice) im nahe gelegenen Braunauer Bergland und später in Karlsbad (Karlovy Vary). Sie traten auch oft in Schlesien und in der Grafschaft Glatz auf, wie etwa in Seydorf (Sosnówka) und Schmiedeberg (Kowary) in der Nähe von Hirschberg (Jelenia Góra), in der Jesuitenmission in Harpersdorf (Twardocice) und vor allem in der großen Wallfahrtskirche in Albendorf (Wambierzyce). Paul Frankl bemerkte jedoch bereits 1914 in seinem exzellenten Werk über die Architektur der Neuzeit in Bezug auf Wahlstatt: „der Hauptraum wirkt elliptisch, es liegt aber nirgends die Ellipse zutage“.49 Der oben erwähnte Karel B. Mádl führte diesen Gedanken sieben Jahre später weiter, indem er schrieb, dass der Schöpfer zwar „seine Neigungen zur homogenen, geometrischen Form der Ellipse ausgelebt hat“, aber der Grundriss der Kirche ihr nur „ähnelt“. Sie sei nämlich nicht „durch den Mauerumfang exakt und geometrisch verzeichnet“, sondern nur angedeutet und erschließbar. Weiterhin sah er „in den Umrissen des Grundrisses (…) zwei parallele Ellipsen, die
49 Paul FRANKL: Die Entwicklungsphasen der Neueren Baukunst, Berlin 1914, 77.
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die räumliche Hauptform umfassen“.50 Diese geometrische Mehrdeutigkeit der architektonischen Struktur der Kirche in Wahlstatt erklärte Mádl mit „dem künstlerischen Instinkt des Barock“, der in der Unklarheit – in der ständigen Unruhe „von Auge und Gedanken“51 zum Ausdruck kam. Wohl unter dem Einfluss von Mádl stehend, stellte der polnische Forscher Jerzy Raczyński 1929 fest, dass das Kirchenschiff in Wahlstatt „auf dem Plan infolge der Durchdringung von zwei identischen Querellipsen entstand“; er sah darin ein „oft vom Vater und Onkel verwendetes“ Motiv.52 Ich habe daran in meinem Artikel von 1971 angeknüpft, indem ich feststellte, dass wir es in Wahlstatt mit zwei Querellipsen, die zu einer Ganzheit stärker als je zuvor vereinigt wurden, zu tun haben und stellte eine geometrische Rekonstruktion als Beweis dafür dar.53 Es scheint jedoch, dass sie einer anderen, von Norberg-Schultz in seiner Monographie durchgeführten Rekonstruktion54 an Kompetenz nicht gleichkam. Diese ließ vermuten, dass Kilian Ignaz Dientzenhofer sich der zwei sich durchdringenden Kreise bediente, um den Verlauf der Umfangsmauern der Kirche zu bestimmen. Die Grundlage für diese geometrische Konstruktion ist wahrscheinlich in einer Zeichnung im „Studio d’architettura civile publicata da Domenico Rossi“ von 1702 zu finden, die eine einfache und leicht anwendbare Methode darstellt, wie ein Oval durch die Durchdringung von zwei Kreisen gezeichnet werden kann. (Abb. 7) Sie muss ziemlich häufig im Bauwesen verwendet worden sein; es scheint jedoch, dass niemand außer Dientzenhofer es wagte, aus dieser Doppelzentrizität Konsequenzen in Form eines architektonischen Konzepts zu ziehen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass Francesco Borromini, der nach seinen eigenen Worten nicht nur Kopist sein wollte, noch früher seine originellen architektonischen Kompositionen als außergewöhnliche Kombinationen von Kreisen und Dreiecken mit Hilfe von Zirkel und Winkelmaß schuf. Die von Norberg-Schultz durchgeführte Rekonstruktion ließ die Kirche in Wahlstatt mit dem Kreis der doppelzentrischen Bauten noch stärker verbinden. Nach Mojmír Horyna erschienen diese bereits in den siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts in der böhmischen Architektur (St.-Vitus-Kirche in Tuchomĕřice, Giovanni Domenico Orsi 1667–1668; St. Ursula-Kirche in der Prager Neustadt, Marcantonio Canevalle 1699– 1704).55 Die wichtigste Rolle spielte jedoch die oben erwähnte „radikale Gruppe der 50 Jeweils MÁDL (wie Anm. 4), 211. 51 Ebd., 211–212. 52 Jerzy RACZYŃSKI: Centralne barokowe kościoły województwa lubelskiego. [Barocke Zentral-
baukirchen in der Woiwodschaft Lublin], Warszawa 1929 (Studia do dziejów sztuki w Polsce 1), 58. 53 WRABEC (wie Anm. 18), 346. 54 NORBERG-SCHULTZ (wie Anm. 7), Abb. 229. 55 Mojmír HORYNA: Architektura dientzenhoferowska jako indywidualny styl i ogólny fenomen stylistyczny [Die Architektur der Dientzenhofer als individueller Stil und als allgemeines Stilphänomen], in: Śląsk perła w koronie czeskiej. Historia – Sztuka – Kultura, hg. Mateusz KA-
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Abb. 7 Domenico de Rossi: Zeichnung, die die Methode darstellt, wie ein Oval mit Hilfe von zwei Kreisen gezeichnet werden kann. (nach Domenico DE ROSSI: Studio d‘architettura civile sopra gli ornamenti di porte e finestre tatti da alcune fabbriche insigni di Roma con le misure piante modini, e profili. Opera de piu celebri architetti de nostri tempi, Roma 1702, Tafel III, Fig. 2)
Durchdringung“. Heinrich Gerhard Franz wies bereits darauf hin, dass die Kirche in Wahlstatt Analogien zu dem aus den sich durchdringenden Querellipsen gestalteten Hauptschiff einer zu dieser Gruppe gehörenden Kirche – St.-Margareta‑Kirche in Prag-Breunau – aufweist.56 Diese Analogien sind deswegen so wesentlich, denn, wie wir aus den Quellenüberlieferungen wissen, ordnete der Abt Othmar Zinke, Stifter der beiden Kirchen, dem jüngeren Dientzenhofer an, sich bei der Errichtung des Presbyteriums in Wahlstatt das Prager Werk seines Vaters zum Vorbild zu nehmen. Diese Gruppe wird heute für gewöhnlich mit dem Prototyp in Verbindung gebracht, d. h. mit der Kirche der Unbefleckten Empfängnis Mariä von Guarino Guarini in Turin. Es ist auch bemerkenswert, dass gerade zu jener Zeit, als man mit dem Bau der Kirche in der Nähe von Liegnitz begann, in Schlesien die Kapelle der schmerzhaften Muttergottes (die sog. Hochbergsche Kapelle) in Breslau (Wrocław) (1723–1727) fertiggestellt wurde, die an diese Gruppe und ihren italienischen Prototyp sehr deutPUSTKA, Jan KLIPA, Andrzej KOZIEŁ, Piotr OSZCZANOWSKI, Vit VLNAS, Praha 2007, 255–287, hier 257. 56 FRANZ (wie Anm. 22), 147.
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lich anknüpft. Das ist zugleich der einzige Innenraum in Schlesien (neben dem in Liegnitz), in dem wir mit der Durchdringung der räumlichen Einheiten und mit dem Auftreten der verzerrten (sphärischen) Gurtbogen (außer der Jesuitenkirche in Liegnitz) zu tun haben. Der örtliche Baumeister Christoph (Krzysztof) Hackner, der für ihren Schöpfer gehalten wird,57 konnte in keinem Fall der Verfasser ihres Entwurfs sein – nur der Ausführende. Vor diesem Hintergrund gilt die schlesische Benediktinerkirche nach wie vor als ein außergewöhnliches Werk, weil es nirgends – weder vorher noch später – zu einer so starken Vereinigung von zwei Zentralformen kam, die einen Innenraum bilden, obwohl die doppelzentrischen Bauten noch einige Male im Schaffen des jüngeren Dientzenhofers erschienen. Am frühesten, in einer vereinfachten Form, finden wir sie in zwei nicht realisierten Projekten, nämlich dem der St.-Johann-Nepomuk-Kirche auf dem Hradschin (vor 1720) und dem der Friedhofkapelle in Prag-Koschir (Praha-Košíře) (1723), zudem in der Kirche zur Jungfrau Maria bei den Elisabethinerinnen Auf der Säule (Na Slupi) (1724–1725) und später, näher an Wahlstatt, in der parallel errichteten Dorfkirche in Schönau (Šonov) in der Nähe von Braunau (1727–1730). Nach dem Aufbau der Kirche in Wahlstatt griff Kilian Ignaz noch auf diese Lösung in der Wallfahrtskirche des hl. Franz Xaver in Woporschan (Opařany) (1732–1735), einer der Versionen des Entwurfes der Kirche am Ursulinenkloster in Kuttenberg (Kutná Hora) (1732–1735) und an seinem Lebensende in der Kirche in Rothkosteletz (Červený Kostelec) zurück. Er entschied sich jedoch nie mehr für die Durchdringung der Formen. Da die doppelzentrische Konzeption, die auf der gegenseitigen Durchdringung von zwei Kreisen beruht, in Wahlstatt angewendet wurde, tritt dort auch die „geschlossene“ Querachse auf, auf der sich nicht neutrale Wandabschnitte, wie in den Kirchen der „radikalen Gruppe“ und anderen ähnlichen Bauten, befinden, sondern massive Wandpfeiler, die die Teilung des Raumes in zwei Segmente unterstreichen. Es wurde darauf hingewiesen, dass eine solche Achse bereits in Wien in der Servitenkirche (1717–1730) von Donato Felice Allio auftritt,58 wie auch in Tschechien in der Karmelitenkirche von 1719 in Patzau (Pacov) und in der Piaristenkirche (1739– 1768) in Kremsier (Kroměříž) in Mähren. Beachtung verdient auch die ältere Kirche San Filippo (1697) von Giovanni Battista Contini in Macerata in Italien.59 Da diese Bauten jedoch konsequent oval sind, erfüllt dort diese Achse eine andere Rolle. In Wahlstatt konnte man infolge der Anwendung der geschlossenen Querachse nicht ein Achteck, sondern vielmehr ein Sechseck, auf dem sich das Segelgewölbe mit einer selten auftretenden Spanne stützt, in den Grundriss einzeichnen. Es ist das Hauptelement, das den Innenraum in Wahlstatt zusammenführt, und ein integraler Bestandteil 57 Hans JUNG: Christoph Hackner. Ein schlesischer Barockbaumeister, Breslau 1939, 53. 58 BACHMANN (wie Anm. 24), 57. 59 Anna Maria MATTEUCCI: L’architettura del Settecento, Torino 1992 (Storia dell’arte in Italia
12), 70.
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des Baldachin-Systems, ein formelles Anzeichen der hier angewendeten Skelettkonstruktion. Dieses System gilt als Ergebnis der Evolution der Struktur der Wandpfeilerhalle, die ein wichtiges und dauerhaftes Erbe der mitteleuropäischen Architektur mindestens seit der Spätgotik darstellt. Wie Mojmír Horyna erinnert, hat bereits Heinrich Gerhard Franz auf die „durchaus nicht Guarinischen Verbindungen zwischen den vertikalen Stützen und den horizontalen Gewölbekonstruktionen“ hingewiesen.60 Dieses System „kann als ein inneres Skelett mit einer Hülle zweitrangigen Charakters bezeichnet werden.“61 Mit der Baldachin-Konstruktion, in der die Dienstbündel das Gewölbe tragen, kann man sicherlich Bezug nehmen auf den Innenraum des Abendmahlsaales auf dem Berg Sion in Jerusalem, der Ende des 15. Jahrhunderts von den Kreuzrittern wiederhergestellt und später von den Arabern umgestaltet wurde. Die Anwendung dieses Systems, das auch zur „Neutralisierung“ der Umfangwände führte und zugleich ihre konstruktive Bedeutung reduzierte (was ebenso einen ökonomischen Aspekt hatte), entsprach einer allgemeinen Tendenz zur Vereinigung und Vereinheitlichung des Raumes, die in der spätgotischen Architektur in Mitteleuropa zum Ausdruck kam. Es ist bemerkenswert, dass diese Tendenzen auch zur Reduzierung der konstruktiven Gewölbegliederungen zugunsten der vereinigenden Netzstrukturen und Palmenstrukturen führten. Sie blieben weiterhin Bestandteil der Architektur von Christoph Dientzenhofer (Breunau; St.-Nikolaus-Kirche auf der Kleinseite in Prag) und seinem Bruder Johann (Klosterkirche Banz) wie auch in den anderen Werken der „radikalen Gruppe“ im Geist dieser mitteleuropäischen Tradition. Kilian Ignaz verzichtete definitiv auf diese Gliederungen gemäß der im 18. Jahrhundert sichtbaren Tendenz zur Betrachtung des Gewölbes als Hintergrund für illusionistische Panoramakompositionen, die auch in der St.-Nikolaus-Kirche auf der Kleinseite und in der Jesuitenkirche in Breslau erschienen. Wie Horyna zeigt,62 führte er dieses „monumentale Segelgewölbe“, das „das erste Beispiel der Realisierung einer riesigen, ungegliederten Fläche“ ist, zum ersten Mal 1727 in der St.-Johann-Nepomuk-Kirche am Ursulinenkloster auf dem Hradschin als Hintergrund für die Fresken Reiners aus. Gerade aus diesem Grunde dürfte er auf ein ursprünglich doppelzentrisches Projekt zugunsten eines strikt zentralen Entwurfs verzichtet haben. Obwohl wir dort ein traditionelles Viereck mit abgeschnittenen Ecken an der Basis des Gewölbes haben, gibt es in Wahlstatt ein originelles Gewölbe mit sechs Stützen, mit Lünetten und sphärischen Gurten, das von sechs Bündeln gestützt wird. Sie imitieren die Dienste auf den Sockeln, die an die Stelle von den Wandpfeilern gesetzt wurden, welche in den Baldachin-Konstruktionen von Christoph Dientzenhofer und anderen Schöpfern der Hallenlösungen im 17. und 18. Jahrhundert auftreten. 60 HORYNA (wie Anm. 53), 257. 61 NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 17. 62 HORYNA/KUČERA (wie Anm. 11), 122.
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Die Kirche in Wahlstatt ist auch als eines der letzten Beispiele für die Anwendung der sphärischen Gurtbogen – einer Form des Bogens, die nicht einfach in der Ausführung ist, weil er am Ausgangspunkt schräg eingesetzt und deswegen spezifisch verzerrt wird. Die Prototypen dieses Konstruktionselements finden wir in der mauretanischen Architektur Spaniens (Moschee in Córdoba). Im neuzeitlichen Europa wurden sie zum ersten Mal von Borromini im Collegio di Propaganda Fide in Rom und von Guarini in der Kirche San Lorenzo in Turin angewendet. Sie treten auch in Eger (Cheb), Banz und im Entwurf für die St.-Nikolaus-Kirche auf der Kleinseite aus dem Archiv in Kiedrich auf, wo sie die Grundlage der Gewölbekomposition bildeten. In der Nähe der schlesischen Grenze erscheinen sie in der Paulanerkirche Mariä Himmelfahrt in Neupaka (1709–1724). Wegen des Einbruchs der Gewölbe hat sich nur ein einzelnes Exemplar eines sphärischen Gurtbogens in Schlesien erhalten und zwar über der Orgelempore der St.-Johannes-Kirche (1714–1720) in Liegnitz. Er wird Christoph Dientzenhofer zugeschrieben. Sie sind auch in der Kapelle der schmerzhaften Muttergottes (die sog. Hochbergsche Kapelle) in Breslau zu finden. Kilian Ignaz verwendete sie später sporadisch in den Seitenteilen des Gewölbes. Die zentrale Variante der Wandpfeilerhalle erschien zum ersten Mal in der Spitalkapelle der hl. Dreifaltigkeit in der Stadt Tepl (Teplá) (seit 1692). Weniger bekannt ist Albendorf (1715–1720) in der Grafschaft Glatz. Mojmír Horyna erinnerte daran, dass schon Oldřich Stefan 1920 auf den Zusammenhang zwischen der Kirche in Wahlstatt und der zu der „radikalen Gruppe“ gezählten und der Familie Sternberg gehörenden Schlosskapelle der Offenbarung des Herrn in Smirschitz hingewiesen hat.63 Diese Zusammenhänge beschrieb später detailliert Norberg-Schultz und zeigte, dass die Kirche in Smirschitz neben der in Braunau auf die Konzeption der Kirche in Wahlstatt einen entscheidenden Einfluss gehabt haben müsse.64 Als wesentliches Element gilt hier eher nicht die zentral-longitudinale Form der beiden Innenräume mit zwei Querovalen auf der Hauptachse, sondern vor allem das Baldachin-System mit dem einheitlichen Segelgewölbe, das die Joche miteinander verbindet, in denen die Altäre auf ähnliche Weise aufgestellt wurden. In Smirschitz knüpft jedoch das Gewölbe mit dem symbolischen Stern der Sternberger deutlich an die spätgotischen Rippengewölbe an. (Abb. 8) Wie dem auch sei, die Konzeption der Kirche in Wahlstatt scheint ihre festen Wurzeln in zwei Werken des Vaters vom Autor des Entwurfs zu haben: Smirschitz und Braunau. Sie stellt zugleich ein Versuch dar, sie zu überwinden. Dies in Erwägung ziehend, kann die in der Nähe von Liegnitz gelegene Kirche des hl. Kreuzes und der hl. Hedwig als die späteste Anknüpfung an die „radikale Gruppe der Durchdringung“ klassifiziert werden. Man darf sagen, dass das schlesische Werk von Kilian Ignaz Dientzenhofer als eine einzigartige und kreative Reaktion des jungen Architekten auf das Erbe seines Vaters, gleich nach dessen Tode (1722), zu 63 HORYNA (wie Anm. 55), 256. 64 NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 77.
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Abb. 8 Smirschitz (Smiřice), Schlosskirche. Gewölbe. (Foto von Vladimír Uher in: Kilián Ignác Dientzenhofer a umělci jeho okruhu. Výstava je uspořádána u příležitosti 300. výroči narozeni Kiliána Ignáce Dientzenhofera. Praha, Valdštejnská Jízdárna, listopad 1989 - leden 1990. Praha 1989. Ill. 6 d)
betrachten ist, als Versuch, es zu ergänzen oder vielleicht auch zu übertreffen. „Längsraum und Zentralraum“, wie Münch schrieb, „werden durch das Ineinanderschwingen großer und kleiner Ovale zu einer lebendigen unlösbaren Einheit, die abgesonderte Räume nicht erträgt.“65 Das ist also „ein perfekt integrierter und zugleich differenzierter Organismus, der den Längsraum und den Zentralraum mit dem Baldachin-System auf eine bisher unbekannte Weise vereinigt.“66 Fügen wir hinzu, dass es ein offener (Achse, Fenster, Fresken) und zugleich geschlossener Raum ist. Daraus ergibt sich die Unbestimmtheit und Einzigartigkeit des Plans und des Innenraums der Kirche. Die Unbestimmtheit bezieht sich auch auf die Stilkategorien. Die unzertrennlich mit dem „radikalen“ böhmischen Barock verbundene Kirche, von Mádl geradezu als Inbegriff
65 MÜNCH (wie Anm. 17), 10. 66 NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 78.
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„des künstlerischen Instinkts des Barocks“ betrachtet,67 wurde gleichzeitig vom preußischen Beamten mit klassizistischem Geschmack akzeptiert und später von einem Wiener Forscher als auffallendes Werk der im 18. Jahrhundert beginnenden Neugotik eingeordnet. Sie wird am besten mit dem Wort „varietas“ – Einheit in Vielfalt – bezeichnet. Aus der Regel der Durchdringung der räumlichen Elemente zog Kilian Ignaz Dientzenhofer in Wahlstatt endgültige Konsequenzen. Obwohl er auch später doppelzentrische Strukturen verwendete, griff er nie wieder auf diese Konzeption zurück. In der Tat war die Fortführung dieser Idee ohne Wiederholung nicht möglich. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie ohne Resonanz blieb, von der sowohl Karel B. Mádl als auch Christian Norberg-Schultz schreiben. Ersterer findet den Widerhall der Architektur von Wahlstatt in der Kirche von Balthasar Neumann in Holzkirchen und in anderen Werken desselben Architekten: in der Kapelle der Bischofsresidenz in Würzburg und vor allem in Frauenzell (1736), wo die Kirche nach den Entwürfen von dem vorher in Wahlstatt eingestellten Cosmas Damian Asam entstanden sein soll.68 Der norwegischer Forscher schreibt dagegen über die Ähnlichkeiten zwischen dem schlesischen Werk von Dientzenhofer und den folgenden Kirchen: St. Anna am Lehel von Johann Michael Fischer in München (1727), die Kirche von Dominikus Zimmermann in Steinhausen (1727) und die ovale Kirche San Gaetano in Nizza (1748?).69 In der bisher vorliegenden Literatur fehlt es dagegen völlig an einer Reflexion über die Rezeption der neuen, originellen Kirche in Schlesien, als ob sie ohne Echo geblieben wäre. Es stimmt, dass „räumliche Experimente“ in dieser Region eher vermieden wurden und die Architektur den festgelegten Schemen folgte. Als Hauptzeichen der Einflüsse des „radikalen“ böhmischen Barock galt die überdurchschnittlich häufige Anknüpfung an das um seine Eigenschaften als Zentralraum gebrachte, longitudinale Vorbild der St.-Nikolaus-Kirche auf der Kleinseite in Prag, die auch im Gewölbeteil sehr vereinfacht wurde. Es entstand hier die Gruppe von insgesamt sieben Bauten, unter denen sich die in der Nähe von Wahlstatt gelegene Jesuitenkirche in Liegnitz (1714–1720) und die Benediktinerinnenkirche in Liebenthal (Lubomierz) (1727–1730) auszeichnen, die unmittelbar mit den Dientzenhofern verbunden sein dürften. In der Kategorie der zentral-longitudinalen Entwürfe kann man nur auf die oben erwähnte doppelzentrische Hochbergsche Kapelle (1723–1727) in Breslau und die St.-Martin-Kirche in Seitsch (Siciny) (1736–1740) hinweisen. Letztere weist sehr viele „Dientzenhofersche“ Eigenschaften auf, hat jedoch mit Wahlstatt wenig gemeinsam. Der Aufbau der Kirche in Wahlstatt muss aber für eine gewisse Unruhe gesorgt haben. Dies ist – trotz erheblicher Vereinfachung – an der Kirche der Schmerzhaften Mutter Gottes in Kaubitz (Kubice) (1730–1736) (Abb. 9) und an der Pfarrkirche in Steinsdorf (Ścinawa Nyska) (um 1730) gut sichtbar, wo zwei Querovale im Schiff 67 MÁDL (wie Anm. 4), 211. 68 Ebd., 213. 69 NORBERG-SCHULZ (wie Anm. 7), 197–198.
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Abb. 9 Kaubitz (Kubice), Grundriss der Kirche der Schmerzhaften Mutter Gottes. (nach Josef HETTWER: Die Kirche von Kaubitz. Eine Führung, Breslau 1937)
benachbart sind, sowie an der Norbertanerinnenkirche in Czarnowanz (Czarnowąsy) (um 1750), in der es zur besonderen Vereinigung des Zweipfeilerraumes mit dem ovalen Gewölbe kommt. Als die späteste, im Geiste des Klassizismus vereinfachte Frucht des in der Nähe von Liegnitz gelegenen Werkes von Kilian Ignaz kann der Entwurf der Erzengel-Michael-Kirche von E. G. Kalckbrenner in Strehlen (Strzelin) von 1752 anerkannt werden. Eine einzigartige Variante stellt das Mausoleum der Piasten (1728–1735) in Grüssau (Krzeszów) dar, das aus zwei zentralen Kuppelinnenräumen besteht und hinter dem Presbyterium der Kirche Mariä Himmelfahrt quer angelegt war. Es scheint jedoch, dass sie eine stärkere Verwandtschaft mit der zweigliedrigen Kirche in Jarmeritz (Jaroměřice) in Mähren aus den Jahren 1712–1714 als mit den Werken von Dientzenhofer zeigt. Die ehemalige Benediktinerkirche in Wahlstatt ist demnach ein ungewöhnliches Gebäude, obwohl sein Äußeres mit der zweitürmigen Fassade, das die Form des Ovals
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Abb. 10 Wahlstatt (Legnickie Pole), Klosterkirche. Innenraum. (Foto: Józef Milka)
nur andeutet, es nicht erwarten lässt. Einen starken Eindruck übt nur die strenge Symmetrie der weitläufigen Klosteranlage mit vierseitigen Flügeln des Konvents und der Prälatur wie auch dem dahinter gelegenen Garten aus. Man muss aber sagen, dass eine solche Konzeption des monastischen Komplexes, Residenzabteidisposition genannt, eine Seltenheit in Schlesien blieb, jedoch ziemlich häufig in anderen Ländern Mitteleuropas zu finden ist. Der Innenraum und der Plan der Kirche sind dagegen einzigartig und mit allen anderen Sakralbauten, weder in Schlesien, noch in Böhmen nicht vergleichbar. Im Inneren der in der Nähe von Liegnitz gelegenen Kirche haben wir es nicht nur mit einer besonderen Vereinigung der räumlichen Einheiten zu tun, sondern auch – nach der Regel der Komplementarität – mit der Vereinigung der Architektur mit Malerei, Skulptur und Ausstattung, die sie zu einem Gesamtkunstwerk im barocken Sinne des Wortes macht. (Abb. 10) Eine übergeordnete Rolle spielt dabei die starke Verbindung zwischen dem scheinbaren Raum der Fresken und dem realen, wenn auch schwer eindeutig definierbaren architektonischen Kircheninneren und den Elementen seiner künstlerischen Ausstattung. Diese außergewöhnliche formelle und ideelle Einheit der Kirche in Wahlstatt scheint ein Ausdruck der besonders nahen, gesellschaftlichen oder sogar freundschaftlichen Beziehungen zu sein, die dieses eingespielte Team von Investoren und Künstlern verbanden, an dessen Spitze der Abt Othmar Zinke und Kilian Ignaz Dientzenhofer standen.
Aurelia Zduńczyk SCHLESISCHE MARIENSÄULEN ALS ZEUGNISSE DER TRANSREGIONALEN VERBREITUNG EINES TYPUS SAKRALER FREILICHTDENKMÄLER ZUR ZEIT DER GEGENREFORMATION
Mariensäulen sind heute sowohl in der Wissenschaft, als auch im lokalen religiösen Leben ein eher wenig beachtetes Phänomen. Die Säulen wurden jedoch seit jeher mit positiven Inhalten belegt, indem man ihnen eine vielfältige symbolische Bedeutung beigemessen hat. Im öffentlichen Raum wurden sie zu Symbolen der Beständigkeit und der Vollkommenheit; die dort abgebildeten Personen wurden über die Menge der Sterblichen hinaus erhoben. (Abb. 1) Abb. 1 Mariensäule auf dem Marktplatz in Neustadt O. S. (Prudnik), 1694. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
Aufgrund von Quellenangaben kann angenommen werden, dass im 17. und 18. Jahrhundert in Schlesien sehr viele Mariensäulen aufgestellt waren. Sie waren jedoch kein lokales schlesisches Phänomen und auch keine besondere Erfindung der Neuzeit. Sie entstammen tief verankerten antiken, frühchristlichen und byzantinischen Traditionen, die in der Zeit der Gegenreformation schöpferisch verarbeitet wurden. Zur Entwicklung und Verbreitung derartiger Stiftungen trug weitgehend die Dynastie der Habsburger bei,
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die daraus ein wichtiges Medium bei der Rekatholisierung ihres österreichischen und böhmischen Erblandes machte. Die Aufstellung dieser außergewöhnlichen Denkmäler im Stadtzentrum ermöglichte es, den Ideengehalt des öffentlichen Raums auszugestalten. Dieser Monumententypus sollte jedoch nicht ausschließlich als eines der zahlreichen Werkzeuge der gegenreformatorischen Propaganda betrachtet werden. Man sollte ihn auch in der Rolle eines eigentümlichen Spiegels seiner Zeit sehen, der die damalige politische, konfessionelle und auch gesellschaftliche Situation reflektierte. Die Denkmäler, heutzutage an vielen Standorten verwahrlost und in Vergessenheit geraten (Abb. 2), sagen immer noch viel über die Menschen, die zu ihrer Errichtung beitrugen, wie auch über die dafür günstige Zeit aus – die Epoche, in der der eigenartige Mythos der Mariensäule als „Mittelpunkt der christlichen Welt“ entstanden ist. Der Höhepunkt der Praxis, Siegesstatuen antiker Herkunft in Form von Votivsäulen und Standbildern, die einen Heiligenkult propagierten, aufzustellen, fiel in die Barockzeit. Analogien zwischen den schlesischen Säulen und jenen, die auf dem Reichsgebiet entstanden sind, gibt es viele – angefangen von den Motiven der Stiftung und der Lokalisierung des Denkmals, über ihre Gestalt und ihr Bildprogramm bis hin zur Funktion in der Frömmigkeitspraxis. Den Beginn der langen Reihe der Denkmäler dieses für uns interessanten Typs markierte die 1614 vor der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom durch den Papst gestiftete Mariensäule. Die Aufstellung dieses Marienstandbildes auf einer Säule, die im Auftrag von Papst Paul V. als Spolie aus der Maxentiusbasilika entnommen worden war, symbolisierte den Triumph des Christentums über die Heiden.1 Die enge Beziehung, die Paul V. (Papst von 1605–1621) mit dem bayerischen Herzog Maximilian verband, sollte nach mancher Meinung zum Transfer dieses italienischen Phänomens in den Norden beigetragen haben.2 Die erste Mariensäule auf dem Reichsgebiet wurde 1638 in München errichtet. Die vom Dichter und Jesuitenpater Jakob Balde zum Anlass der Denkmalerrichtung verfasste Ode bezeichnete sie als „Obelisk (...) nicht kleiner als die in Latium [Rom]“; dies galt als Ausdruck der Beherrschung der italienischen Formensprache auf deutschsprachigem Gebiet.3 Damals begann man in großem Maße die uns interessierenden Denkmäler auf dem gesamten Gebiet des Heiligen Römischen Reichs zu errichten. Die Säulen in München,4 1 Die Säule entstammt wahrscheinlich dem Templum Pacis des Vespasian. Eine ähnliche symbolische Aussage hatte die Aufstellung der Heiligenfiguren Peters und Pauls auf den Säulen des Antonius Pius und des Trajan. Susan TIPTON: Super aspidem et basiliscum ambulabis… Zur Entstehung der Mariensäule im 17. Jahrhundert, in: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock, hg. v. Dieter BREUER u. a., Bd. 1, Wiesbaden 1995, 375−396, hier 389. 2 Lydia BARUCHSEN: Schlesische Mariensäule. Ursprung, Wesen und Beziehungen zu verwandten Denkmalgruppen, Breslau 1931, 51. 3 Ebd. 4 Als im Jahre 1632 der schwedische König Gustav Adolf Bayern besetzt hatte, wollte Kurfürst Maximilian zu Ehren Mariens „ein Gottseeliges Werkh anstellen und aufrichten“, wenn die
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Wien5 und Prag6 wurden im Zusammenhang mit den Ereignissen des DreißigjähriHauptstadt und das ganze Land vor der Gefahr verschont bliebe. Die Annahmen von Susan Tipton beruhen auf einem Schreiben des Hofkaplans Jakob Golla an Kurfürst Maximilian vom 15. Juni 1635 (München, Bayerisches Haupstaatsarchiv, GL 2708, Fasz. 568). Den Entwurf für das Werk sollte auf Geheiß des Kurfürsts der Kollegiatstiftsdekan Jakob Golla aus München ausarbeiten, nebst kurfürstlichem Beichtvater Adam Contzen und anderen Patres aus der Societas Jesu. Wegen fehlender Einigung zur Gestaltung eines „Gottseeliges Werkh[s]“ wurde das Problem im Geheimen Rat erörtert und dort zum ersten Mal das Postulat zur Errichtung eines Mariendenkmals vorgetragen. Die Stiftung sah eine „einjehrliche Prozession, Lobamt, tempore Allmosen und etwan wochentliche Messe“ in der Frauenkirche vor; desweiteren sollte auch ein öffentliches Denkmal auf dem Stadtplatz errichtet werden. (Sitzungsprotokoll des Geheimen Rates vom 11. Sept. 1635. München, Bayerisches Haupstaatsarchiv, GL 2708, Fasz. 568). TIPTON (wie Anm. 1), 376−377. Schon am Ende 17. Jahrhunderts wurde hervorgehoben, dass das Denkmal als Andenken an den Sieg am Weißen Berg gebaut worden war; seine Weihe wurde am Sonntag vor dem Jahrestag der Schlacht begangen. August ALCKENS: Die Denkmäler und Denkstein der Stadt München, München 1936, 136. Diese Hypothesen können jedoch aufgrund fehlender Quellenangaben nicht bestätigen werden. 5 Während seines Aufenthalts in München im Jahr 1641 besichtigte Kaiser Ferdinand III. die Mariensäule und machte sich mit dem Kult vertraut, welcher sie umgab. Als im Jahr 1646 die schwedischen Truppen in Wien einmarschierten, begingen der Herrscher, sein Hofstaat und die Stadtbewohner am 29. März eine Bittprozession mit dem berühmten Gnadenbild aus der Schottenkirche durch die Stadt. Bei dieser Gelegenheit gelobte der Kaiser, dass er die Maria Imma culata zur Patronin seiner Heimat Österreich bestimmen, und für Maria eine Säule auf einem öffentlichen Platz in Wien nach dem Vorbild der Münchener Säule errichten werde. Am Einweihungstag der Säule, dem 18. Mai 1647, wurde ein großes Fest gefeiert. An der Zeremonie haben alle Hofvertreter teilgenommen, ebenso Abgesandte aus anderen Ländern. Eine detaillierte Be schreibung dieses Ereignisses finden wir bei Johann Christian LÜNIGA: Theatrum Ceremoniale historico-politicum oder historisch- und politischer Schau-Platz aller Ceremonien. 2. Theatrum Ceremoniale historico-politicum oder historisch- und politischer Schau-Platz aller Ceremonien, welche so wohl an Europäischen Höfen, als auch sonsten bey vielen Illustren Fällen beobachtet worden ... Nebst ... Dem Europäischen Cantzley-Ceremoniel, Elenchis und Registern, Bd. II, Leipzig 1720, 311. TIPTON (wie Anm. 1), 379. Guglielmo Comes SLAVATA beschreibt in Maria Virgo Immaculatae Concepta Publico Voto Ferdinandi III. Rom. Imp. In Austriae Patronam Electa (Wien 1648) die Weihe des neuerrichteten Denkmals durch den Bischof und die zeremo nielle Übergabe des Landes in die Obhut Marias. TIPTON (wie Anm. 1), 375−380, Anm. 23. Der Kaiser habe kniend vor dem Altar der dortigen Kirche ein feierliches Gelübde abgelegt, mit dem er die Maria Immaculata zur Patronin und Beschützerin seiner selbst und seiner Nachfolger, sowie auch des ganzes Erzherzogtums wählte. Rupert FEUCHTMÜLLER: Kunst in Österreich, Bd. 2, Wien–München–Basel 1973, 8. Die steinerne Säule Ferdinands III. wurde auf Geheiß Leopolds I. und des Grafen Georg Ludwig von Sinzendorf bereits 1667 nach Wernstein am Inn transloziert und in Wien selbst durch die des Kaisers (in Bronze und Marmor) ersetzt. 6 Im Jahre 1648 versuchten die Schweden, das Schloss und die Kleinseite in Prag zu besetzen. Als sie bereits den Fluss überquert hatten, erhielten sie die Nachricht über das Ende des Kriegs und den geschlossenen Frieden von Münster. Am 22. April 1650 gab Ferdinand III. bekannt, dass die Säule zur Ehre der Immaculata, die Prag gegen die schwedischen Truppen verteidigt hat, errichtet werden soll. Das Denkmal, das am 13. Juli 1652 geweiht wurde, war nicht nur ein
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Abb. 2 Mariensäule in Heinrichau (Henryków), 1724. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
gen Krieges – also als Votum für die Rettung der drei genannten Hauptstädte vor der schwedischen Besatzung – gestiftet. Die Geschichte des Transfers der Wiener Säule nach Wernstein am Inn, veranlasst durch den kaiserlichen Schatzmeister Graf Georg Ludwig von Sinzendorf, zeigt den Prozess der Übernahme einer kaiserlicher Stiftung durch höfische Kreise.7 Die Rezeption dieser neuen Form der Förderung des katholischen Glaubens erfolgte relativ schnell. Der Bau der Mariensäulen bot einen Anlass, feierliche Gelübde an die Gottesmutter abzulegen, die eigene Frömmigkeit zu demonstrieren, half aber auch, das großangelegte Vorhaben einer Rekatholisierung der habsburgischen Lande voranzutreiben. Die sakralen Denkmäler unter freiem Himmel waren ein fester Ausdruck der „Pietas austriaca“ geworden und demonstrierten die Zugehörigkeit einer bestimmten Orts oder einer Stadt zur katholischen Monarchie. Die Stifter wollten „alle Städte und Vorstädte“ mit unzähligen Votivsäulen füllen, denn nur auf diese Art konnte das „Land Ausdruck der Dankbarkeit gegenüber Maria wegen ihres Engagements in „katholischer Sache“, sondern auch ein handfestes Zeichen der Rekatholisierung des Landes nach 1620. TIPTON (wie Anm. 1), 380–381, Anm. 30. 7 TIPTON (wie Anm. 1), 380, Anm. 26.
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der Ketzer“ in das „Heilige Land“ verwandelt werden.8 Die Aufstellung solcher Denkmäler in Schlesien galt als symbolische Besiegelung der habsburgischen Herrschaft einerseits und als Demonstration der Loyalität der Dynastie gegenüber andererseits. Das schlesische Adel – so Jerzy Gorzelik – musste recht häufig seine Loyalität gegenüber Rom beziehungsweise Wien durch Kunststiftungen beweisen.9 Die durch die herrschende Dynastie geförderte Form der Frömmigkeit wurde eifrig durch jene übernommen, die sich als kaiserliche Untertanen sehen wollten. Die „Pietas austriaca“ galt bei dieser Gruppe als „zum gemeinsamen Gut der katholischen Stände der Habsburger Erbländer“10 gehörend. Die Säulen wurden von Ordensgemeinschaften, Äbten und Priestern, aber auch von weltlichen Personen gestiftet. Ihren Bau finanzierten Mitglieder von Adelsfamilien, Beamte und Stadträte, aber auch Handwerker und Landwirte. Die Geschichte mancher Denkmäler begann eigentlich mit den Ereignissen am Weißen Berg, denn viele Stifter entstammten den „neuen Eliten“, die nach der Niederlage der böhmischen Rebellion die vom Kaiser von den Protestanten erbeuteten Güter erhalten hatten. Sie fühlten sich verpflichtet, ununterbrochen ihre Loyalität zu bestätigen. Der Herrscherfamilien, nicht weniger dankbar, waren jene Vertreter des Adels, die als Belohnung für ihre Treue zum Hause Habsburg in „schwierigen Zeiten“ die Freiherr- und Grafenwürde erhalten hatten. Eine „fromme“ Stiftung bot nicht selten auch die Möglichkeit, ihre durch die Teilnahme der Vorfahren an der böhmischen Rebellion bzw. ihre protestantische Zugehörigkeit „befleckte Ehre“ zu retten.11 Diese Funktion erfüllte eben die Stiftung Georg Stephans, Graf von Würben und Freudenthal († 1682), dessen Ahne ein halbes Jahrhundert zuvor Anhänger des „Winterkönigs“ war und aktiv an der böhmischen Rebellion teilgenommen hatte. Georg Stephan engagierte sich stark für die katholische Sache in Schlesien. Mit seinen Aktivitäten gewann er die Gunst des Kaisers und wurde 1648 zum Reichsgrafen erhoben. Er ließ Franziskaner-Observanten nach Oppau (Opawa) kommen und stiftete für sie die Klosteranlage. 1674 errichtete er in Oppau eine Mariensäule, die in formeller Hinsicht an die kaiserliche Stiftung in Wien anknüpfte und entsprechend platziert war.12 Die Adelsfamilie von Gaschin ließ sich in Oberschlesien erst zur Zeit der Habsburger nieder. Sie stand treu dem kaiserlichen Lager zur Seite, war auch stark bei der Förderung des nachtridentinischen Katholizismus engagiert. Ihre Mitglieder hinterließen 8 DIES., 376. 9 Jerzy GORZELIK: Zwischen demonstratio catholica und Selbstdarstellung. Künstlerische Stiftungen des katholischen Adels in Oberschlesien im Zeitalter der Konfessionalisierung, in: Adel in Schlesien, hg. v. Jan HARASIMOWICZ und Matthias WEBER, München 2010 (Schriften des Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 36), 101–114, hier 113. 10 GORZELIK (wie Anm. 9), 113. 11 GORZELIK (wie Anm. 9), 113‒114. 12 GORZELIK (wie Anm. 9), 102.
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für die Kirche zahlreiche Stiftungen, die eingehend vom bekannten Historiker Oberschlesiens, Pfarrer Augustin Weltzel, beschrieben wurden.13 Jerzy Adam Franciszek (* 1643) war Page am Kaiserhof und anschließend Berater von Kaiser Leopold. 1678 übernahm er den Posten des Höchsten Richters für die Wojewodschaften Oppeln und Ratibor, zeitgleich wurde er zum Kammermeister und kaiserlichen Geheimrat ernannt; und seit 1695 hatte er den Posten des Landesfeldherren inne.14 Die Mariensäule in Ratibor (Racibórz) wurde kraft Bestimmungen des letzten Willens seiner Ehefrau, Reichsgräfin Maria Elisabeth von Gaschin,15 Tochter des höchsten Kanzlers Böhmens Franz Wilhelm Popel von Lobkovitz, errichtet.16 Die Beziehungen der Familie zum Kaiserhof waren zweifellos für die Entstehung der Säule selbst, aber auch für ihr Aussehen von großer Bedeutung. Sie zitierte den Säulentypus auf dem Gebiet der Habsburger Monarchie, der sich durch die Aufstellung des Marienstandbildes auf einer Säule aus wirbelnden Wolken auszeichnete. Die Ratiborer Säule wiederholte damit das Schema der Gnadensäule zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit, die 1679 von Kaiser Leopold I. am Graben in Wien errichtet wurde.17 Im Prozess der Adaption der auf dem Reichsgebiet errichteten Monumente wurden formelle Schemata oftmals vereinfacht bzw. transformiert. Sogar dieselben ikonographischen Themen erreichten in Schlesien nie diese Dynamik und Ausdruckskraft, die mit der Prager Umsetzungen zu dieser Zeit zu vergleichen wären. Die Ideenprogramme schlesischer Säulen demonstrierten jedoch auch nicht so eindeutig den Kampf gegen die Ketzerei. An ihrer Wien-Prager Provenienz ist jedoch nicht zu zweifeln. Sie ergab sich auch aus den vielfachen Beziehungen schlesischer Bildhauer zu den Zentren Wien und Prag, die auch häufig das Ziel künstlerischer Reisen darstellten. 13 Augustin WELTZEL: Pomniki pobożności po ślachetnej rodzinie hrabiów z Gaszyna w Górnym
Szlasku (Frömmigkeitsdenkmäler der Grafen von Gaschin in Oberschlesien), Opole 2003. 14 DERS., 51‒53. 15 Die Stifterin hat ihrem Sohn Karl Ludwig von Gaschin das Haus in Ratibor vermacht und be-
stimmt, dass er dieses verkaufen oder auch behalten könne; in beiden Fällen solle er jedoch eine steinerne Statue zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis Marias auf dem entsprechend durch den Stadtrat zur Verfügung gestellten Teil des Marktplatzes errichten. Der Sohn unterstützte, Augustin Weltzel zufolge, die Stiftung mit einer Summe von 400 ZL. WELTZEL (wie Anm. 13), 59. Der Stadtrat, mit dem er bereits im Jahr 1725 in Verhandlungen getreten ist, verpflichtete sich zum Materialkauf, zur Baudurchführung und zur Bezahlung der Helfer, des Malers und des Goldschmiedes. Georg HYCKEL: Die Mariensäule in Ratibor, in: Der Oberschlesier 6 (1924), 331–332, hier 332f. Eine Kollekte unter den Bewohnern Ratibors erbrachte eine Summe von 500 Reichstalern. Augustin WELTZEL: Geschichte der Stadt Ratibor, Ratibor 1861, 651–652. Die Bürger gelobten im Jahre 1715 die Errichtung eines Denkmals zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis Marias aus Dank für den Schutz vor Seuchen. Polykarp NIESTROJ: Mariensäule in Kreis Ratibor, in: Oberschlesiche Heimat 8 (1912), 152–154, hier 152f. 16 WELTZEL: Geschichte der Stadt (wie Anm. 15), 650. 17 TIPTON (wie Anm. 1), 375.
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Der Liegnitzer Bildhauer Matthäus Knothe lernte in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts bei Hans Georg Bendel in Prag. Die Figur der Maria Immaculata von der Säule in Leubus (Lubiąż) gilt als Paradebeispiel für die stilistische Abhängigkeit seiner Werke von den Skulpturen des böhmischen Meisters. Hans Georg Bendel schuf in den Jahren 1655–1660 eine entsprechende Figur der Immaculata für die Salvatorkirche in Prag. Die um zehn Jahre jüngere Figur Knothes weist jedoch mehr Ähnlichkeit mit der auch zur damaligen Zeit entstandenen Skulptur Bendels von 1673, die die Mariensäule am Marktplatz von Laun (Louny) krönt, auf.18 Der Kopf der Marienstatue, die die 1724 in Heinrichau (Henryków) aufgestellte Säule krönt, weist eine ähnliche Art der Bearbeitung auf wie Figur der Immaculata, die die Fassade der Kirche der Kreuzritter mit dem Roten Stern in Prag schmückte. Den Stilcharakter der Skulpturen Georg Franz Pacáks, der unter dem stilistischen Einfluss von Matthias Bernhard Braun stand, spürt man – nach Adam Organisty – auch in den Figuren, die von Abt Dominikus Greyer bei dem sogenannten Figurenmeister aus Alt Reichenau (Stare Bogaczowice) als Ausstattung der Kirche St. Nikolai (ca. 1708–1730) bestellt worden waren. Jener Meister zeigte gern sinnliche Reize des menschlichen Körpers, indem er deutlich den Spuren Brauns folgte.19 Interessant ist der Vergleich der Putti von der ihm zugeschriebenen Skulptur des heiligen Nikolaus mit den Engelchen, die die 1743 errichtete Mariensäule vor dem Schloss in Deutsch Lissa (Leśnica) schmückten. Die Art der der Ausarbeitung nackter Körper zeigt in beiden Fällen zahlreiche Analogien; beide Denkmäler sind im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts entstanden. Die vollplastische Skulptur des heiligen Johannes Nepomuk in Deutsch Lissa erinnert auch an das von Pacák geschaffene Standbild des Heiligen, das 1729 in Dobřenice bei Königgrätz (Hradec Králové) aufgestellt wurde. Zweifellos übte damals die böhmische Bildhauerkunst großen Einfluss auf Schlesien aus. Vergleichsanalysen lassen die Feststellung zu, dass die Stilformel böhmischer Künstler in Schlesien gut bekannt war. Den hier genannten Beispielen könnten einige weitere hinzugefügt werden. Walter Nickel bemerkte zu Recht, dass italienische Vorbilder, die in der Mariensäule vor dem Dom in Breslau (Wrocław) (Abb. 3) noch präsent waren, mit der Zeit durch Vorbilder aus Böhmen ersetzt wurden. Der Schöpfer
18 Artur KOLBIARZ: Praskie inspiracje we wczesnym etapie działalności barokowego „warsztatu
lubiąskiego“ [Prager Inspirationen in der Frühzeit der Tätigkeit der barocken „Werkstatt aus Leubus“], in: Śląsk i Czechy. Wspólne drogi sztuki. Materiały konferencji naukowej dedykowane prof. Janowi Wrabecowi, red. v. Mateusz KAPUSTKA, Andrzej KOZIEŁ Piotr OSZCZANOWSKI, Wrocław 2007, 228–236, hier 234–235. 19 Adam ORGANISTY: Dwie grupy barokowych rzeźb śląskich z kręgu Georga Franza Pacáka i Ignaza Rohrbacha [Zwei Gruppen barocker schlesischer Skulpturen aus dem Umkreis von Georg Franz Pacák und Ignaz Rohrbach], in: Śląsk i Czechy (wie Anm. 18), 240–246, hier 240–243.
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Abb. 3 Mariensäule vor dem Dom in Breslau (Wrocław), 1694. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
der Marienstatue von der Säule vor der Kirche St. Vinzenz in Breslau (Abb. 4) knüpfte bereits deutlich an den böhmischen Barock an.20 Der Bildhauer hatte vermutlich eine Reise nach Prag oder die Mitarbeit in einer böhmischen Werkstatt hinter sich. Neben Prag war Wien das zweite Zentrum, das Einfluss auf Form und den Inhalt schlesischer Mariensäulen ausübte. Die Mariensäulen in Ottmachau (Otmuchów) und Leobschütz (Głubczyce), die mit Engelsfiguren geschmückt sind, die jeweils auf die Personifikationen der Sünde treten (Abb. 5), bestätigen das direkte Aufgreifen des österreichischen Bildprogramms, in dem die kämpfenden Engel eine zentrale Rolle spielten. Die Mariensäule in Neustadt (Prudnik) knüpft an das gleiche Schema an; die kämpfenden Putti wurden jedoch unter anderem durch die Erzengel Michael, Gabriel und Raffael ersetzt, wobei nur der Erstgenannte im Kampf gegen Satan dargestellt wurde. Solche Transformationen früherer Vorbilder traten in Schlesien relativ häufig auf. Gewisse Unterschiede in den angewandten Formeln schlesischer Künstler ergaben sich nicht nur aus den künstlerischen Fertigkeiten ihrer Schöpfer, sondern auch aus den finanziellen Möglichkeiten ihrer Stifter. Auch in der österreichischen Pro-
20 Walter NICKEL: Die öffentlichen Denkmäler und Brunnen Breslaus, Breslau 1938, 18–19.
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Abb. 4 Mariensäule vor der St. Vinzenzkirche in Breslau (Wrocław), 1699. Rekonstruktion aus dem Jahre 2011. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
vinz wurde das Wiener Schema gewissermaßen vereinfacht, selbst wenn es gleichzeitig durch Motive, die ihre Wurzeln noch im Mittelalter hatten, bereichert wurde (z. B. Schmuck des Sockels der Mariensäule in Neustadt (Abb. 6); Fegefeuerdarstellung am Sockel der Mariensäule in Frankenstein/Ząbkowice Śląskie). Dies begünstigte nicht gerade die theologische „Reinheit“ des Kunstwerks, bewirkte aber, dass es für die lokale Gemeinschaft leichter zu verstehen war und die Denkmäler rezipiert werden konnten, wodurch sie eine höhere „Wirksamkeit“ entfalteten.21 In ganz Mitteleuropa waren nicht nur die formellen Schemata der Denkmäler ähnlich, sondern auch ihr Charakter und ihre Funktionen. Sowohl die in München, Wien und Prag errichteten Säulen, als auch die schlesischen Denkmäler, hatten deutlichen Votivcharakter. Wie Franz Hartmann bemerkte, haben Münsterberger Stadtbürger die Mariensäule an der Pfarrkirche als Votum für die Rettung der Stadt vor Brand und Pest gestiftet.22 Ähnlich war es in Ratibor und Liebenthal (Lubomierz). 21 Konstanty KALINOWSKI: Rzeźba barokowa na Śląsku [Barocke Plastik in Schlesien],
Warszawa 1986, 275–276. 22 Franz HARTMANN/Marek CZAPLIŃSKI: Dzieje miasta Ziębice na Śląsku [Geschichte der
Stadt Münsterberg in Schlesien], Ziębice 1994, 98. Das Zitat folgt der zusammenfassenden,
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Aurelia Zduńczyk Abb. 5 Kämpfende Engel, Mariensäule in Leobschütz (Głubczyce), 1738. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
In den Bildprogrammen der schlesischen Säulen traten zahlreich auch Heilige auf, die mit der Familie der Habsburger verbundenen waren; so zum Beispiel Florian, der als Schutzheiliger Österreichs galt, oder auch Johann Nepomuk, Schutzheiliger von Prag und der Jesuiten, Karl Borromäus sowie Josef, der als Patron der gesamten Habsburger Monarchie galt. Nach Stefan Samerski begünstigte die Zeit der Gegenreformation die Entwicklung eines innovativen Kults des heiligen Josef,23 der dann in die übliche Form „elitärer“ Frömmigkeit übergegangen ist. Der Fürbitte an Josef schrieb freien Übersetzung des Texts von Franz HARTMANN: Geschichte der Stadt Münsterberg in Schlesien (1907) durch Marek CZAPLIŃSKI. 23 Vor der Schlacht am Weißen Berg schändeten Protestanten ein mittelalterliches Bild aus Strakonitz (Strakonice), welches die Geburt Jesu darstellte. Dieses Bild wurde später ein Symbol für den Sieg der Katholischen Liga. Die meisten Berichte überliefern, dass dem Marienbild die Augen entfernt wurden; Samerskis Meinung nach blieb nur das Abbild Jesu unangetastet, was eine Notiz in der Chronik des Münchener Karmeliterkloster Notiz bestätigt. Stefan SAMERSKI: … in allen Stücken als Nothelfer kennengelernt. Die Anfänge des globalen Josephskultus als Wechselwirkung zwischen karmelitischer Spiritualität und dynastischem Interesse der Habsburger, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 116 (2008), 345–361, hier 345–348).
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Abb. 6 Pietà. Sockel der Mariensäule in Neustadt O. S. (Prudnik), 1694. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
Kaiser Leopold I. den Sieg über die Osmanen bei Wien im Jahre 1683 zu; der Kaiser war auch der erste, dessen persönlicher, namentlicher Schutzheiliger eben Josef war.24 Der Ziehvater Jesu ist zum Patron, zum „Befürworter“ der Kaiserfamilie und Verteidiger des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation geworden. Für die Habsburger Dynastie war der Heiligenkult nicht nur eine Frage der Frömmigkeit, sondern auch eine politische Sache höchsten Ranges – sahen sich die Herrscher doch in der Tradition der Heiligen stehen, als Förderer und Beschützer des Glaubens und der heiligen katholischen Kirche, die von Gott auserwählt wurden, um das Reich und das gesamte Christentum anzuführen.25 Die Ausstattung der Denkmäler vor allem durch die Heiligen zu Füßen der durch die Säule erhabenen Maria Generalissima zeigt gewissermaßen eine Erweiterung dieses „Habsburger Himmels“ um Schlesien. (Abb. 7, 8) Die wichtigste Tugend der Habsburger Dynastie war damals eben die berühmte „Pietas austriaca“,26 die nicht nur den tiefen, unerschütterlichen Glauben, sondern auch die Ergebenheit der katholischen Sache gegenüber umfasste und durch den Einsatz für die katholische Kirche, durch fromme Stiftungen und die Förderung und Verbreitung der Marienfrömmigkeit unter den Untertanen sowie
24 Während seiner Taufe erhielt der Kaiser die Vornamen Leopold Ignaz Franciscus Baltasar Jo-
seph Felician. SAMERSKI (wie Anm. 23), 352. 25 Małgorzata WYRZYKOWSKA: Śląsk w orbicie Wiednia. Artystyczne związki Śląska z Arcyksięst-
wem Austriackim w latach 1648–1741 [Schlesien im Orbit Wiens. Künstlerische Beziehungen zwischen Schlesien und dem Herzogtum Österreich in der Zeit 1648–1741], Wrocław 2010, 65‒68. 26 Martin MUTSCHLECHNER: Habsburgs Himmel: Landespatrone und Hausheilige, http://www. habsburger.net/de/kapitel/habsburgs-himmel-landespatrone-und-hausheilige (11.12.2013).
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Abb. 7 Mariensäule in Leobschütz (Głubczyce), 1738. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
in der Verehrung von Heiligen und Reliquien ihren Ausdruck fand. Mariensäulen stellten sichtbare Zeichen der Auseinandersetzung mit dem Protestantismus dar, mit denen die Bestimmungen der nachtridentinischen Kirche bezogen auf Kult, Rolle und Bedeutung Muttergottes im Heilsgeschehen inszeniert werden konnten. (Abb. 9–11) Die Mariensäulen waren ein Medium des interkonfessionellen Streits, das besonders in den Zentren wichtig war, wo Religionsfreiheit herrschte. Sie manifestierten sozusagen grundlegende Dogmen des katholischen Glaubens sowie der Lehren des Trienter Konzils außerhalb der Kirchenmauern. Mariensäulen bildeten auch einen hervorragenden Hintergrund für religiöse Praktiken. Gebete an der Münchner Mariensäule begannen ein halbes Jahr nach deren Errichtung, in Antwort auf das Postulat des Bischofs von Freising. Die regelmäßigen Samstagsgebete vor dem Abbild „Unserer Lieben Frau“ sollten bis spät in die Nacht gedauert haben. Bald begann man auch in höfischen Kreisen Maria besondere Ehren zu erweisen; besonders eifrig war in diesem Zusammenhang die Tochter von Kaisers Ferdinand III., Herzogin Maria Anna.27
27 Bestätigt durch Jakob Baldes Ode sowie Bartholomäus Kilians Kupferstich, der die feierlichen
Gebete des Hofs auf dem Marienplatz darstellt. Darauf zu sehen ist ebenfalls die betende Kurfürstin. TIPTON (wie Anm. 1), 381–382.
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Abb. 8 Mariensäule in Leobschütz (Głubczyce), 1738. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
Auch in Wien war die Mariensäule das Ziel von Kulthandlungen: jeden Samstag und an allen Marienfesten wurden dort feierliche Gebete abgehalten. Ferdinand III. empfahl, auch in Prag regelmäßige Gebete und Samstagsprozessionen an der Mariensäule zu praktizieren. „Nirgendswo in Europa“ – schrieb der Jesuit Johannes Miller – „fanden derart anmutige Prozessionen statt“28. Einträge in Stadtchroniken bestätigen dieses Kultphänomen auch für Schlesien. Augustin Weltzel schrieb in der Neustädter Stadtgeschichte, dass am 2. Juli 1697 nach der Vesper eine Prozession von der Pfarrkirche zur Mariensäule organisiert worden sei, wo fromme Gesänge und Gebete vorgetragen wurden.29 Johannes Chrząszcz führt Wetzels Aussage fort indem er berichtete, dass der Sockel der Säule mit Lampen verziert wurde.30 Dies war eine deutliche Anknüp28 Maschinengeschriebener Text von Johannes Miller S. J. (1650–1723): Historia Provinciae
Bohemiae Soc. Jesu. Österreichische Nationalbibliothek Wien, Sygn. Mss. Vindobon. T. VII, 11999-12002. 29 Augustin WELTZEL: Geschichte der Stadt Neustadt im Oberschlesien, Neustadt 1870, 416. 30 Johannes CHRZĄSZCZ: Geschichte der Stadt Neustadt im Oberschlesien, Neustadt OS 1912, 220.
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Abb. 9 Maria Immaculata. Mariensäule in Liebenthal (Lubomierz), Anfang 18. Jh. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
fung an die Stiftung Herzog Maximilians von 1641, der um die Münchner Säule eine Balustrade errichten ließ, die mit Mariensymbolen aus der lauretanischen Litanei ausgestattet wurde und durch Laternen das ewige Licht versinnbildlichte.31 Eine ähnliche Balustrade mit Laternen zeigt auch die in Wohlau (Wołów) errichtete Mariensäule – eine Stiftung von Joseph Leopold Reinisch. Elisabeth von Gaschins Testament enthielt einen Eintrag, dem zufolge am Denkmal in Ratibor, das auf dem Markplatz erbaut werden sollte, sonntags und feiertags unter Anwesenheit des lokalen Pfarrers die Litanei zu Ehren der Muttergottes vorgetragen werden sollte.32 Auf Wunsch der Stifterin seien für die Teilnahme an dieser Andacht sowohl Musiker, als auch Geistliche mit Geld zu entlohnen gewesen.33 In den Mariensäulen fokussieren sich die zahlreichen Aspekte der politisch-konfessionellen und sozialen Situation der den Habsburgern unterstellten Länder. Der Kaiser Leopold I. gewidmete Stich von 1661 zeugt davon, dass die Mariensäule als „Mittelpunkt der christlichen Welt“ bezeichnet wurde und deutet auf die Entstehung dieses 31 TIPTON (wie Anm. 1), 382, Anm. 32. 32 WELTZEL: Geschichte der Stadt (wie Anm. 15), 650. 33 HYCKEL (wie Anm. 15), 332.
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Abb. 10 Maria als Gottesmutter und Königin des Himmels und der Welt. Mariensäule bei der Mauritiuskirche in Breslau (Wrocław), 1727. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
Abb. 11 Maria vom Siege. Mariensäule vor dem Schloss in BreslauDeutsch Lissa (WrocławLeśnica), 1743. (Foto: Aurelia Zduńczyk)
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eigenartigen Mythos jener Denkmäler hin. Die Prager Mariensäule bildete demnach das geografische und geistige Zentrum des Kontinents. Die Schar der Heiligen und Landespatrone wandte sich Maria zu, zu deren Füßen Kaiser Leopold I. mit seiner Familie kniete, umgeben von den sieben Kurfürsten und Vertretern verschiedener christlicher Nationen, die alle der Muttergottes huldigten. Das Phänomen der europäischen Mariensäulen in der Barockzeit ließe sich anhand zahlreicher schlesisch-österreichischer, schlesisch-böhmischer und schlesisch-mährischer Analogien unter dem Aspekt der Etablierung eines „katholischen Bewusstseins“ betrachten, das als gesellschaftspolitisches Fundament des „erzkatholischen“ Habsburgischen Reiches erachtet wurde. Die Zerstörung der Prager Mariensäule in einer spontanen Aktion nach der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918 zeugt davon, wie stark man diese Denkmäler offenbar mit der regierenden Dynastie verknüpfte, unter deren Herrschaft diese entstanden ist. Sie galt offensichtlich vor allem als Symbol der habsburgischen Herrschaft in Böhmen.
Jan Royt PALLADIUM UND LERCHE
Das Gnadenbild des Barock ist seiner Herkunft und oftmals auch seiner Form nach eng mit einer Legende verbunden.1 Im Böhmen des 17. und 18. Jahrhunderts können wir zwei parallele Richtungen von Legenden beobachten, die einander durchdringen. Die erste Richtung, die von den offiziellen Kirchenstrukturen ausging, versuchte durch eine Verknüpfung von Gnadenbildern mit der ältesten Geschichte des Königreichs den Nachweis zu erbringen, dass die Marienverehrung im Lande sehr hohen Alters sei und dass sie – den Katholiken zufolge – von den Hussitenkriegen unterbrochen worden war. Die andere Richtung, die zahlreichen Gnadenbildern in ganz Europa zugrunde liegt, war charakteristisch durch ihre legendären Topoi. Diese betrafen insbesondere die Stätte und die Art des Fundes (durch Verehrung der stabilitas loci, die sog. Rückkehrlegende) oder die wundersame Rettung (vor Heiden und Häretikern, der Pest usw.). In Böhmen gab es das offensichtliche Bestreben, Maria zur Königin des Königreiches Böhmen zu erheben und damit auch an die mittelalterliche Tradition der Ma-
1 Zdeněk KALISTA: Z legend českého baroka [Aus Legenden des böhmischen Barock], Olo-
mouc 1934; Josef VAŠICA: České literární baroko [Das literarische Barock Böhmens], Praha 1938, 61–76; Gustav GUGITZ: Das Türkenmotiv in den Gnadenstätten der Ostmark, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, Bd. XXVIII, Wien 1938, 363f.; Zdeněk KALISTA: Český barok [Das böhmische Barock], Praha 1941, 147–162; Hans AURENHAMMER: Die Mariengnadenbilder Wiens und Niederösterreichs in der Barockzeit, Wien 1956, 36–40; Karl KUNZE: Alemannische Legendare I., in: Alemannisches Jahrbuch 15 (1971/72); Hellmut ROSENFELD: Legende, Stuttgart 1982; Felix KARLINGER: Legendenforschung, Aufgaben und Ergebnisse, Darmstadt 1986; Johannes NEUHARDT: Die Wallfahrt im Leben der Christenheit, in: Salzburger Wallfahrten in Kult und Brauch. Katalog XI. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg, Salzburg 1986, 9; Legenda, její funkce a zobrazení. Příspěvky z mezioborových setkáni I.-VI. [Die Legende, ihre Funktion und Darstellung. Beiträge eines interdisziplinären Treffens], hg. von Martin SVATOŠ, Praha 1992; Manfred LEMMER/Wilhelm BREUER/Felix KARLINGER/Uda EBEL/Winfried KREUTZER: Legenden, in: Marienlexikon, Teil 4, St. Ottilien 1992, 59–72; Česká literatura doby baroka. Sborník příspěvků k české literatuře 17. a 18. století [Die böhmische Literatur in der Barockzeit. Sammelband von Beiträgen zur böhmischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts], hg. von Miloš SLÁDEK, Praha 1994 (Literární archiv 27); Malý svět jest člověk aneb výbor české barokní prózy [Eine Welt im Kleinen ist der Mensch oder eine Auswahl aus tschechischer Barockprosa], hg. von Miloš SLÁDEK, Praha 1995; Marie-Elisabeth DUCREUX: Symbolický rozměr poutě do Staré Boleslavi [Die symbolische Dimension der Wallfahrt nach Altbunzlau], in: Český časopis historický 95, 3–4 (1997), 585–620; Jan ROYT: Obraz a kult v Čechách 17. a 18. století [Bild und Kult in Böhmen im 17. und 18. Jahrhundert], Praha 2011, 89–111.
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Jan Royt
rienverehrung im Lande anzuknüpfen. Das gleiche gilt auch für Polen,2 Bayern (Patrona Bavariae)3 und Österreich4. Das Bewusstsein von der außerordentlichen Rolle Marias in Böhmen nach der Schlacht am Weißen Berg5 schlug sich beispielsweise in der künstlerischen Ausstattung der Universitätsthese des Johannes Friedrich von Waldstein6 nieder, die die Altstädter Mariensäule in Prag von Johann Georg Bendl als geistiges Zentrum Europas inszenierte. Da es in den böhmischen Ländern eine ununterbrochene Verehrung der böhmischen Landespatrone gab, und zwar auch unter den Protestanten Böhmens, wie wir aus der negativen Reaktion der böhmischen Ständegesellschaft auf den Bildersturm Scultetus’ wissen – Scultetus war 1618 Hofprediger des Winterkönigs Friedrichs von der Pfalz im Veitsdom7 –, bestand die Möglichkeit, an diese Tradition anzuknüpfen. Die bekanntesten Andachtsbilder in Böhmen (also das Altbunzlauer Palladium oder die Maria von Tuřany) verknüpften die Legenden mit der Zeit der slawischen Glaubensapostel Kyrill (Crha) und Method (Strachota),8 2 Alexandra WITKOWSKA: The Cult of the Virgin Mary in Polish Religiousses from the 15. to
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the 17. Century, in: The Common Christian Roots of the European Nations. An International Colloquium in the Vatican, vol. 2, Florence 1982, 467–480. Gerhard P. WOECKEL: Pietas Bavarica. Wallfahrt, Prozession und Ex Voto-Gabe im Hause Wittelsbach in Ettal, Wessobrunn, Altötting und der Landeshauptstadt München. Von der Gegenreformation bis zur Säkularisation und der „Renovatio Ecclesiae“, Weissenhorn 1992. Anna CORETH: Pietas Austriaca. Österreichische Frömmigkeit im Barock. Schriftenreihe des Instituts für Österreichkunde, Wien 1982. Dominik á Jesu Maria Carmel: Summarischer Bericht von dem wunderthätigen Bildnis Maria de Victoria, Prag 1671, lateinisch – Compendiosa relatio thaumaturgae imaginis B. V. Maria de Victoria, Pragae 1672; Peter J. MÜHLBACHER: Die Gnadenbilder des e. P. Dominicus á Jesu Maria, in: Festschrift zum 300jährigen Todestag des e. P. Dominicus á Jesu Maria, Wien 1930, 57f.; Cyrill KANĚRA: Bílá Hora [Der Weiße Berg], Praha 1884; Julius KOŠNAŘ: Poutnická místa a památně svatyně v Čechách [Wallfahrtsstätten und sakrale Denkmäler in Böhmen], Praha 1906, 135–142; Antonín PODLAHA: Posvátná místa království Českého [Heilige Stätten im Königreich Böhmen], vikariát libocký, Band 5, Praha 1911, 21–28; Josef PEKAŘ: Bílá Hora. Její příčiny a následky [Der Weiße Berg. Ursachen und Folgen], Praha 1921; Jiří BOHÁČ: Poutní místa v Čechách [Wallfahrtsorte in Böhmen], Praha 1995, 27–28; Jan ROYT: Poutní místo Panny Marie Vítězně na Bílé Hoře [Der Wallfahrtsort der Maria Victoria am Weißen Berg], Praha 1986; Štěpán VÁCHA: Pražské děkovné procesí na paměť bělohorského vítězství. K tématu státní pouti v raném novověku [Prager Dankesprozessionen zum Gedenken an den Sieg am Weißen Berg. Zum Thema der staatlichen Wallfahrt in der frühen Neuzeit], in: Kuděj. Časopis pro kulturní dějiny (2007), 16–31. Melchior Küssel hat nach der Vorlage von Carolus Screta im Jahre 1661 gestochen. Anna FECHTNEROVÁ: Katalog grafických listů univerzitních tezí uložených ve Státní knihovně ČSR [Katalog grafischer Blätter der in der Staatsbibliothek der ČSR deponierten Universitätsthesen], Teil III, Th 463, Praha 1984, 597–600. Jiří KUTHAN/Jan ROYT: Katedrála sv. Víta [Die St.-Veits-Kathedrale], Praha 2011, 462–463. Jan ROYT: Stopy svatých Cyrila a Metoděje v Čechách [Spuren der heiligen Kyrill und Method], in: Mezi východem a západem. Svatí Cyril a Metoděj v kultuře českých zemí, hg. von Sylva JEMELKOVÁ, Olomouc 2013, 73–75.
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mit den heiligen Wenzel, Ludmila, Nepomuk (Altbunzlauer Palladium) oder mit Ernst von Pardubitz (Statuen der Maria vom Heiligen Berg und von Glatz, Kruzifix auf dem Berg Tabor bei Lomnitz an der Popelka/Lomnice nad Popelkou, Madonna in Hrádek bei Vlašim/Hrádek u Vlašimi).9 Das wohl typischste Beispiel der barocken Verbindung von Bild (eventuell Relief) und Legende können wir an der Geschichte des Altbunzlauer Palladiums10 beobachten. (Abb. 1) Dieses kleine Metallrelief vom Ende des 14. Jahrhunderts wurde nach und nach legendär mit dem heiligen Wenzel und der heiligen Ludmila in Verbindung gebracht und in der Folge auch mit weiteren, älteren Landespatronen (wie Kyrill und Method, Adalbert und Prokop). Bezeugt wird dies 1679 von Johannes Tanner in seinem Buch Der heilige Weg von Prag nach Altbunzlau, wo es unter anderem heißt: „Věděti sluší, že po té svaté cestě sv. Vojtěch k hrobu S. milého Václava sám putoval, ano i duchovní Bratry své (z kterých potom pět mučednické koruny v Polště dosáhlo) tam na pouť odsýlával. Tak také S. Prokop i jiní v Čechách Svatí a nábožní císařové, králové, 9 Georgius AELURIUS: Glaciographia oder Glaetzische Chronica, Leipzig 1625; Jiří KON-
STANC: Succurre miseris. Svatohorská Panna Maria nejstarší rodička Boží v Čechách nad Příbrami [Sucurre miseris. Die Jungfrau Maria vom Hl. Berg, die älteste Muttergottes in Böhmen oberhalb Pribrams], Praha 1655, 16; Bohuslav BALBÍN: Vita venerabilis Arnesti, Pragae 1664; Bohuslav BALBÍN: Diva Montis Sancti…, Pragae 1665; Johannes MILLER: Historia Beatissimae Virginis Glacensis, Glatz 1690; Franz VOLKMER: Geschichtquellen der Grafschaft Glatz, Bde. 1–3, Habelschwerdt 1883–1884; Franz MONSE: Die Verehrung des seligen Arnestus in der Grafschaft Glatz, in: Glatzer Heimatblätter 16 (1926), 107–111; Peter ALBERT: Madonna mit dem Spatz, eine archivalische Studie zur Kunst- und Kirchengeschichte, Glatz 1930; František TICHÝ: Stezkami kladských dějin [Auf den Pfaden der Glatzer Geschichte], in: Kladský sborník, hg. Václav ČERNÝ, Praha 1946, 9–28; Jan Kapistrán VYSKOČIL: Arnošt z Pardubic a jeho doba [Ernst von Pardubitz und seine Zeit], Praha 1947; Vladimír HRUBÝ/Jan ROYT: Ikonografie arcibiskupa Arnošta z Pardubic [Die Ikonografie des Erzbischofs Ernst von Pardubitz], in: Lidová zbožnost ve východních Čechách a Kladsku, Státní galerie v Náchodě 1997; Zdenka HLEDÍKOVÁ/Jana ZACHOVÁ: Život Arnošta z Pardubic podle Valentina Krautwalda [Das Leben des Ernst von Pardubitz nach Valentin Krautwald], Pardubice 1997; Jan ROYT: Ikonografie Arnošta z Pardubic ve středověku a v baroku [Die Ikonografie des Ernst von Pardubitz im Mittelalter und im Barock], in: Arnošt z Pardubic (1297–1364). Osobnost – okruh – dědictví (Postać – środowisko – dziedzictwo), hg. von Lenka BOBKOVÁ, Ryszard GLADKIEWICZ und Petr VOREL, Wrocław–Praha–Pardubice 2005, 159–175; Mateusz KAPUSTKA/Andrzej KOZIEL: Mlodzieńcza wizja Arnošta z Pardubic i jej barokowa aranźacja w kościele pw. Wniebowziecia NMP w Klodzku [Die jugendliche Vision des Ernst von Pardubitz und ihre barocke Darstellung in der Kirche Mariä Himmelfahrt in Glatz], in: ebd., 229–242; Zdeňka HLEDÍKOVÁ: Arnošt z Pardubic. Arcibiskup, zakladatel, rádce [Ernst von Pardubitz. Erzbischof, Gründer, Ratgeber], Praha 2008. 10 Václav RYNEŠ: Paladium země České. Kapitoly z českých dějin náboženských [Das Palladium des böhmischen Landes. Kapitel aus der böhmischen Religionsgeschichte], Praha 1948, 1f.; Jan ROYT: Palladium země České [Das Palladium des böhmischen Landes], in: Svatý Václav ochránce České země, hg. v. Dana STEHLÍKOVÁ, Praha 2008, 104–105.
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Abb. 1 Palladium, Metallrelief, 1380–1400. Stará Boleslav, Chrámová pokladnice. (Foto: Cyril Royt)
knížata, biskupové a jiní vzácní lidé tuž cestu pobožným putováním posvětili.“ 11 (Es geziemt sich zu wissen, dass auf diesem heiligen Weg der heilige Adalbert alleine zum Grab des geliebten heiligen Wenzel ging, aber auch seine geistigen Brüder dorthin zur Wallfahrt schickte (von denen dann fünf die Märtyrerkrone in Polen erlangten). Und so haben auch der heilige Prokop und andere in Böhmen Heilige und fromme Kaiser, Könige, Fürsten, Bischöfe und andere ehrenwerte Leut denselben Weg durch frommes Wallfahren geweiht.) (Abb. 2) Nach den lateinischen legendären Viten des Johannes von Nepomuk aus der Feder Johannes Ignatius Dlauhoweskys12 aus dem Jahre 1668 und Bohuslav Balbíns13 war dieser am Vorabend seines Märtyrertodes nach Altbunzlau gepilgert.14 In bildlicher Gestalt ist der Verknüpfung des Palladiums mit den Böhmischen Landespatronen auf vielen Denkmälern Ausdruck verliehen worden, so auch bereits an der Fassade der Marienkirche in Altbunzlau (Stará Boleslav). Hier 11 Jan TANNER: Svatá cesta z Prahy do Staré Boleslavě [Der heilige Weg von Prag nach Altbun-
zlau], Praha 1679, 1f. 12 František STEJSKAL: Svatý Jan Nepomucký [Der heilige Johannes von Nepomuk], Praha
1922, 57. 13 Acta Sanctorum, Anhang des III. Bandes (Mai) mit kritischen Anmerkungen von P. Daniel Pa-
pebroch SJ, 1680, 668–677. 14 Johannes von Nepomuk 1593–1993, hg. von Reinhold BAUMSTARK, Johanna von HERZO-
GENBERG und Peter VOLK, Prag–München 1993, 191.
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Abb. 2 Jan TANNER: Svatá cesta z Prahy do Staré Boleslavě [Der heilige Weg von Prag nach Altbunzlau], Praha 1679. (Foto: Cyril Royt)
finden sich Plastiken der böhmischen Landespatrone in Nischen; außer ihren persönlichen Attributen tragen diese auch das Relief des Palladiums. Äußerst beliebt waren symbolische Darstellungen mit einem Baum als dominierendem Motiv, am häufigsten mit Oliven, was eine Anspielung auf die Kosmas-Chronik15 ist, in der gemäß Libussas Prophezeiung zwei Oliven die beiden Heiligen Wenzel und Adalbert symbolisierten. In der Krone des symbolischen Baumes befanden sich gewöhnlich Medaillons mit dem Palladium und den böhmischen Landespatronen. Ein solches Bild in rustikaleren Formen hängt in der Wenzelskirche in Altbunzlau.16 Es handelt sich dabei um ein Votivgeschenk des Prager Kleinseitner Gymnasiums aus dem Jahre 1652. Das Bild ist auch auf einem Stich abgebildet worden, und zwar in der Denkschrift Laurea gloriae, ex virtutibus Divorum Tutelarium Regni Bohemiae ... contexta ... 1652, die anlässlich der Schenkung des Werkes verfasst wurde. (Abb. 3) Das inmitten der böhmischen 15 Kosmova kronika česká [Die tschechische Kosmas-Chronik], hg. von Marie BLÁHOVÁ und
Zdeněk FIALA, Praha 1972, 24.
16 Jan ROYT: Votivní obraz rétorů pražské jezuitské akademie s vyobrazením staroboleslavského
palladia, českých zemských patronů, sv. Jana Křtitele, sv. Kateřiny a alegorie Čechie [Das Votivbild der Rhetoren der Prager Jesuitenakademie mit einer Darstellung des Altbunzlauer Palladiums, der böhmischen Landespatrone, des hl. Johannes des Täufers, der hl. Katharina und einer Allegorie Böhmens], in: Svatý Václav ochránce České země, hg. von Dana STEHLÍKOVÁ, Praha 2008, 98.
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Abb. 3 Laurea gloriae, ex virtutibus Divorum Tutelarium Regni Bohemiae ... contexta ... 1652. (Foto: Cyril Royt)
Landespatrone dargestellte Palladium ist ein Thema, das sehr häufig in devotionaler Kleingrafik vorkommt.17
17 Jan MLČOCH/Jan ROYT: České nebe. Topografie poutních míst barokních Čech [Der böhmis-
che Himmel. Topografie barocker Wallfahrtsstätten Böhmens], Praha 1993, 25.
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Abb. 4 Caspar ARSENIUS z Radbuzy: Pobožná kniha o blahoslavené Panně Marii, přečisté rodičce syna Božího a o divech, kteříž se dějí před jejím obrazem ve Staré Boleslavi [Frommes Büchlein von der seliggesprochenen Jungfrau Maria, der überaus reinen Mutter des Gottessohnes, und den Wundern, welche vor ihrem Bild in Altbunzlau geschehen], Praha 1613 (2. Aufl. 1629). (Foto: Cyril Royt)
Ein Beispiel dafür, welche Veränderungen die barocke Legende in relativ kurzer Zeit durchmachen konnte, sind zwei Ausgaben des Bruderschaftsbuches mit dem Titel Pobožná kniha o blahoslavené Panně Marii, přečisté rodičce syna Božího a o divech, kteříž se dějí před jejím obrazem ve Staré Boleslavi (Frommes Büchlein von der seliggesprochenen Jungfrau Maria, der überaus reinen Mutter des Gottessohnes, und den Wundern, welche vor ihrem Bild in Altbunzlau geschehen), verfasst von Caspar Arsenius von Radbuza (z Radbuzy),18 Dekan des Veitskapitels. (Abb. 4) In der ersten Ausgabe von 1613 schreibt der Verfasser, dass das Palladium im Jahre 1500 zur Zeit Władisław Jagiełłos beim Ackern von einem Bauern gefunden wurde. Der Ursprung des Palladiums ist für Arsenius jedoch schleierhaft, denn er wusste nicht zu sagen, von wem oder wann es hier vergraben worden war. In der zweiten Ausgabe des Frommen Büchlein von 1629 „ersetzte“ Caspar Arsenius von Radbuza den Jagiellonenherrscher durch König Vladislav II. aus dem Hause der Přemysliden und rückte somit das Funddatum des Palladiums zurück bis ins Jahr 1160. Dies veränderte das Fabulieren der Legende vom Altbunzlauer Palladium wesentlich. Dem ursprünglichen Text, der aus 18 Caspar ARSENIUS z Radbuzy: Pobožná kniha o blahoslavené Panně Marii, přečisté rodičce
syna Božího a o divech, kteříž se dějí před jejím obrazem ve Staré Boleslavi [Frommes Büchlein von der seliggesprochenen Jungfrau Maria, der überaus reinen Mutter des Gottessohnes, und den Wundern, welche vor ihrem Bild in Altbunzlau geschehen], Praha 1613 (2. Aufl. 1629).
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dem 11. Kapitel der ersten Ausgabe des Frommen Büchleins übernommen worden war, fügte Caspar Arsenius einen Nachtrag über den Ursprung des Reliefs in Zusammenhang mit dem hl. Wenzel hinzu. Auch äußerte er sich darüber, dass das Relief aus einem Metall, „dem Silber oder Messing ähnlich“, gefertigt sei (in der ersten Ausgabe war noch lediglich von Messing die Rede). Zu dieser Änderung schritt er offenbar deshalb, weil er durch ein weiteres Zeugnis die Herkunft des Palladiums von Wenzel bekräftigen wollte, denn die Kanoniker bewahrten im Kirchenschatz von Altbunzlau eine Metallschale auf, aus welcher, der Legende zufolge, der heilige Wenzel einen Trinkspruch auf den heiligen Michael ausgebracht haben sollte. Seitdem ist das Palladium eines der Wenzelsattribute, wovon beispielsweise die Universitätsthese des František Hana aus Pilsen (Plzeň) aus dem Jahre 1695 zeugt (gestochen von B. Kilian nach einer Zeichnung von Jan Georg/Jan Jiří Heintsch),19 die den heiligen Wenzel und das an seinem Hals hängende Relief zeigt. Ein anderes Beispiel ist die nach einer Vorlage von Carolus Screta im 7. Buch der Epitome historica rerum Bohemicarum Balbíns entstandene Illustration, auf der die siegreiche Rückkehr des Heeres Wenzels vom Kampf mit Radislav dargestellt ist, wobei an der Spitze der Streitkraft die Soldaten das Banner mit dem aufgemalten Palladium tragen. Im Atlas Marianus von 1657 sprach Wilhelm Gumppenberg20 die Vermutung aus, die heilige Ludmila habe das Palladium vom Götzenbild der Krosina abgießen lassen und es dann dem heiligen Wenzel umgehängt. Georg Crugerius wies diesen Gedanken in Sacri pulveres21 von sich, denn Krosina sei angeblich aus Gold gefertigt und das Palladium aus einem Metall, das in Böhmen nicht vorkomme. Er neigte ferner der Ansicht zu, dass das Relief von den heiligen Kyrill und Method nach Böhmen gebracht worden sei. Auch weitere Verfasser, wie beispielsweise Jan Tanner und Felix Kadlinský in ihrem Buch Trophaea S. Wenceslai22 aus dem Jahre 1661, waren der Meinung, das Palladium sei bereits von den beiden Glaubensaposteln mitgebracht worden. Bohuslav Balbín versuchte, die gegnerischen Parteien mit der Behauptung auszusöhnen, Bořivoj und Ludmila hätten auf Anraten von Kyrill und Method das Palladium anfertigen lassen, was angeblich auch durch das Bild in der Kosmas-und-Damian-Kirche in Altbunzlau bestätigt werde. In einer Szene ist dargestellt, wie die slawischen Glaubensapostel der heiligen Ludmila das Relief überreichen. Johannes Ignatius Dlauhowesky/Jan Hynek Dlouhoveský zufolge trug nach dem Tod des heiligen Wenzel der selige Podiven das Palladium bei sich und versteckte es kurz vor seiner Gefan19 FECHTNEROVÁ (wie Anm. 6), 247. 20 Wilhelm GUMPPENBERG: Atlas Marianus, Ingolstadii 1657, 156–157. 21 Georgius CRUGERIUS: Sacri pulveres. Sacerrimae Memoriae Inclyti Regni Bohemiae Coro-
nae, Et Nobilium eiusdem Pertinentiarum Moraviae et Silesiae, Tom. III., Pragae 1669, dies XVII, Martius. 22 Jan TANNER/Felix KADLINSKÝ: Trophaea sancti Wenceslai Bohemiae regis ac martyris...., Pragae 1661. Tschechisch: Jan TANNER/Felix KADLINSKÝ : Život a sláva sv. Václava [Leben und Ruhm des hl. Wenzel], Praha 1669, hg. von Zdeněk KALISTA, Praha 1941.
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gennahme in einem Busch.23 Dieses legendäre Motiv wurde in den Bildern Johann Wenzel Spitzers (1711–1773) in der Podiven-Kapelle in Altbunzlau24 aufgenommen; Auftraggeber der Bilder war die Familie Wunschwitz, die zu den bekannten Verehrern des heiligen Johannes von Nepomuk gehörten. Interessant sind folgende Bilder eher in ikonographischer als in künstlerischer Hinsicht: Der selige Podiven mit dem Palladium um den Hals schreitet in den Spuren des heiligen Wenzel (1742) und das Martyrium des seligen Podiven (1741). Das dritte Bild Podiven versteckt das Altbunzlauer Palladium unter die Wurzeln eines Baumes (1742) wurde in die Wenzelskirche gebracht. Die Podiven-Kapelle ist innen mit einem Fresko von Johann Wenzel Spitzer und Johann Peter Molitor (1702–1757) ausgestattet, dessen Thema die Legende des seligen Podiven ist. Die Plastik des mit dem Palladium behängten Podiven ist Teil der Ausstattung an der Fassade der Altbunzlauer Marienwallfahrtskirche. Zur „Familie“ des heiligen Wenzel gehörte auch das Herrscherhaus der Habsburger, wie sowohl aus den Abbildungen auf den 44 Stationen des Heiligen Weges als auch aus dem Text in Tanners Buch hervorgeht.25 Darin heißt es auch, dass Kaiser Leopold unter dem Altbunzlauer Palladium geboren wurde, als es in Wien versteckt wurde. Es entstand sogar eine legendäre Verknüpfung zwischen Altbunzlau und Mariazell,26 dem berühmtesten marianischen Wallfahrtsort in Österreich, und zwar mittels des heiligen Wenzel: Dieser erschien dem kranken Markgraf Heinrich im Traum und wies ihn an, nach Mariazell zu pilgern. Das gesamte Ereignis wurde auf 40 Stationen des Heiligen Weges abgebildet. Eine bis in alle Einzelheiten gehende Beschreibung findet sich auch in der tschechischsprachig verfassten Literatur, die dem Palladium Österreichs gewidmet ist, wie beispielsweise in dem Buch von Pater Gerard Petschacher Blahoslavená Panna Cellenská (Die selige Jungfrau von Mariazell).27 Welche Bedeutung die Habsburger der Wallfahrtsstätte in Mariazell in ihren ideologisch-politischen Plänen beimaßen,28 wird auch an dem Umstand deutlich, dass man die Rettung des Mariazeller Heiligtums vor den Tataren im Jahre 1344 durch die 23 Jan Hynek DLOUHOVESKÝ: Zdoroslavíček na poli požehnaném [Trutz-Nachtigall auf
24
25 26 27
28
gesegnetem Feld], Praha 1670, 1f. Dazu auch Jan Hynek DLOUHOVESKÝ: Hrdlička staroboleslavská boží matička [Die Altbunzlauer Ringeltaube der Muttergottes], Praha 1673, 1f. Jan ROYT: Svatý Václav v umění 17. a 18. století. Katalog výstavy v NG v Praze [Der hl. Wenzel in der Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog der Nationalgalerie Prag], Praha 1994, 12; Jan ROYT: Svatý Václav v úctě a v umění [Der hl. Wenzel in Kult und Kunst], in: Svatý Václav ochránce České země, hg. v. Dana STEHLÍKOVÁ, Praha 2008, 22–23, 103. TANNER (wie Anm. 11), 40. Antonín PODLAHA: Sv. Václav – spoluzakladatel Mariazell [Der hl. Wenzel – Mitbegründer von Mariazell], in: Časopis katolického duchovenstva (1928), 783. Gerard PETSCHACHER: Blahoslavená Panna Cellenská [Die seliggesprochene Maria Zell], Praha 1738, 6–12; Jan ROYT: Der Marienkult von Mariazell in den Böhmischen Ländern. In: Ungarn in Mariazell – Mariazell in Ungarn. Geschichte und Erinnerung. Ausstellung des Historischen Museums der Stadt Budapest im Museum Kiscelli 2004, 194–202. DUCREUX (wie Anm. 1), 585–620.
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Abb. 5 Illustration mit dem Altbunzlauer Palladium, Kupferstich, 1650–1700. (Foto: Cyril Royt)
Bemühungen des ungarischen Königs Ludwig mit Blick auf Ungarn außerordentlich betonte.29 Die Volksfrömmigkeit drückte der Altbunzlauer Legende noch weitere feine Nuancen auf, die durch die poetischen Metaphern des Johannes Ignatius Dlauhowesky und ein ikonographisch beachtenswertes grafisches Blatt30 zum Ausdruck gebracht 29 Pavel PREISS: Uherský Bellerofon jako osvoboditel Prahy roku 1742 [Der ungarische Bellerophon
als Befreier Prags des Jahres 1742], in: Pražský sborník historický XXIV (1991), 38–50; Marianne GERSTENBERGER: Die gotische Wallfahrtskirche von Mariazell, in: Schatz und Schicksal. Steierische Landesaustellung 1995, hg. v. Helmut EBERHART und Heidelinde FELL, Graz–Mariazell 1996; 30 Privatsammlung Prag (Jan Royt).
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wurden. Letzteres diente entweder als eine Art Andenken an die Wallfahrt nach Altbunzlau oder es war eine Illustration eines mir nicht bekannten Liedes oder Buches.31 (Abb. 5) Auf dem Stich ist links ein unter einem Laubbaum sitzender Mann dargestellt, der durch ein Fernglas den Himmel beobachtet. Aus seinem Mund geht ein Schriftband mit lateinischem Text hervor, der Beginn eines Verses des Hohenliedes (6, 10): Qua est ista quae progreditur (Wer ist, die da erscheint). In der Mitte der hinteren Bildebene ist das Auffinden des Palladiums durch einen Bauern dargestellt; über der beleuchteten Gemeinde hinter dem Bauern schwebt der Text Quasi aurora (Wie das Morgenrot), der eine Fortsetzung des zitierten Liedverses ist. Aus der Baumkrone fliegt ein Vogel mit marianischem Monogramm auf seiner Brust, und aus seinem Schnabel entrollt sich ein Schriftband mit einem Zitat aus dem Lukas-Evangelium (1, 27): Et nomen Virginis (Und der Name der Jungfrau). In der Himmelssphäre schwebt vor dem Hintergrund des Tierkreises und unter der Aufschrift Regina Saeculorum (Königin der Zeitalter) das Symbol der verstreichenden Zeit Chronos. Links folgt dann die Darstellung des Mondes mit einem Zitat aus dem Hohenlied (6, 10) Pulchra ut Luna (Wie der Mond so schön), rechts die Sonne mit der Fortsetzung dieses Zitats Electa ut sol (Strahlend rein wie die Sonne). Der Stich ist bekrönt von einem sechszackigen Marienstern mit der Darstellung des Palladiums und der Aufschrift Splendidior Stellis (Klarer als ein Stern). Unter dem ganzen Bild ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium (6, 21): Ubi enim est Thesaurus Tuus, ibi est et cor tuum (Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz). Der Stern, in dem das Palladium abgebildet ist, ist ein marianisches Symbol und zugleich Hinweis auf die Deutung des Namens Maria als Stella maris (Seestern). Eine weitgehende, mit Altbunzlau verbundene Symbolik liegt auch bei dem Vogel vor, der das Monogramm Mariens auf seinem Körper trägt. In der legendären Verknüpfung mit dem Altbunzlauer Palladium haben wir es in den Gedichten von Johannes Ignatius Dlauhowesky32 gleich mit mehreren Vögeln zu tun: mit einer Nachtigall, einer Ringeltaube und einer Lerche, die miteinander streiten, wer von ihnen die Jungfrau Maria am meisten verehre. In der Sammlung Zdoroslavíček na poli požehnaném…, die 1670 erschien, bearbeitete Dlauhowesky in Versen eine Sage, wonach eine Lerche zu Lichtmess über die Kirche von Altbunzlau fliegt, fröhlich zwitschert, Maria lobpreist und danach verschwindet, um erst wieder am 25. März zum Festtag der Verkündigung an Maria zu erscheinen, also an jenem Tag, an dem der Bauer das Relief des Altbunzlauer Palladiums beim Ackern finden sollte. Diese Sage hat ihre Wurzeln in einem alttschechischen Sprichwort: Bude chtít vrch svého štěbetání učiniti, právě jako skřivan na Hromnice, das frei übersetzt etwa lautet: „Der Höhepunkt seines Geschwätzes will sein wie die Lerche zu Lichtmess“. Dieses Sprichwort wird in Hádání pravdy a lži ... 31 ROYT (wie Anm. 1), 98–99. 32 DLOUHOVESKÝ (wie Anm. 23). Dazu auch Jan Hynek DLOUHOVESKÝ: Hrdlička starobo-
leslavská boží matička (Altbunzlauer Ringeltaube der Muttergottes), Praha 1673.
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(Der Streit zwischen Wahrheit und Lüge…) bereits von Ctibor Tovačovský von Cimburg33 im Jahr 1457 angeführt, einem bedeutenden Vertreter des Königs Georg von Podiebrad. Der Festtag, die Verkündigung, das Motiv der zu Maria aufsteigenden Lerche sowie das Motiv der hinter dem Ochsenpflug ackernden Bauern erscheinen in einem Gedicht aus der Sammlung Zdoroslavíček, das den Titel trägt Sedmero pozdvižení hlasu líbezného skřivánka, das man frei übersetzen könnte als „Siebenerlei erklingt die Stimme der lieblichen Lerche“: Vstávej, skřivánku, vstávej z roli ponížený po zimě dlouhé zavítej příval jest zrušený tvé milé křidýlka roztáhni zdaleka. Popatř, že již jde posel z nebe vinšovaný jde k Marii archanjel od Boha poslaný také ty nelenuj radostí poletuj. Dej pozor na písničku kterou on zpívati pozemský anjelíčku hleď následovati ty po něm MARII co může liběji. Zdrávas, zdrávas švitoří tento jarní ptáček k službě Královně stojí dříve než slavíček Marii v povětří hlásit pilně šetří. Když svou práci konají v poli robotníci pluhem voli vorají ti pilní dělnicí on je potěšuje slavnost ohlašuje.
(Steig auf, Lerche, steige auf aus dem ehrerbietigen Felde, nach langem Winter kehre ein; der Schnee ist vorüber, deine lieben Flügel breite weit aus. Siehe, schon kommt der Bote, vom Himmel herab ersehnt, zu Maria geht er, der von Gott gesandte Engel. Auch du zögre nicht und fliege auf vor Freude. Gib acht auf das Liedchen, das er zu singen pflegt. Du irdischer Engel, sieh zu und folge ihm zu Maria so sanft wie möglich. Ave, Ave zwitschert dieser Frühlingsvogel, der Königin zu Diensten steht er weit früher als die Nachtigall. Maria in den Winden – so tut er laut verkünden. Wenn ihre Arbeit verrichten die Bauern auf dem Felde, und mit dem Pflug die Ochsen ackern, diese fleißigen Arbeiter, dann erfreut er sie und verkündet das Fest.)
33 Hádání Pravdy a Lži o kněžské zboží a panování jich [Der Streit zwischen Wahrheit und Lüge
über priesterliches Gut und ihre Herrschaft], Praha 1539.
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Ein anderes Gedicht lässt Dlauhowesky dann mit einem wunderschönen Lobpreis des Gottesboten, der Lerche, enden, und in unserer unvollkommenen Nachdichtung hört sich dies so an: Zpívej skřivánku k Božímu Beránku zpívej Matičce, milé hrdličce zpívej písničku, Boží poslíčku staroboleslavskou pozdrav Matičku! (Sing, Lerche, dem Lamme Gottes, sing der Gottesmutter, unserer lieben Ringeltaube, sing ein Liedchen, o Gottesbote, und grüße die Altbunzlauer Gottesmutter!) Anhand von Gedichten aus der Feder von Johannes Ignatius Dlauhowesky und einer grafischen Devotionalie habe ich zu zeigen versucht, wie Text und Bild im 17. und 18. Jahrhundert miteinander verflochten sind, was freilich auch auf allgemeinerer Ebene gilt. Künstlerische Allegorien, Symbole, Embleme (zum Beispiel die Loreto-Litanei auf den Gewölben böhmischer Wallfahrtsstätten; auf Grafiken dann Motive von Vögeln mit Blumen, in die Gebetsreime eingeschrieben sind) – sie alle haben eine Parallele in poetischen Metaphern. Erinnert sei nur an die marianischen Lerchen, Nachtigallen, Turteltauben in den Gedichten von Johannes Ignatius Dlauhowesky, Friedrich Spee von Lagenfeld34, Felix Kadlinský35 oder an das Gebetsbüchlein des Jan František Beckovský, das 1728 unter dem Titel erschien Truchlivá hrdlička po ztraceným miláčkovi svým vrouceně toužící, was man auf Deutsch in etwa wiedergeben könnte als „Trauernde Turteltaube, nach ihrem verlorenen Liebling sich inbrünstig sehnend“. Deutsche Übersetzung: Wolf B. Oerter
34 Friedrich Spee von Lagenfeld: Trutz-Nachtigal, Köln 1649. 35 Felix Kadlinský: Zdoroslavíček v kratochvilném hájíčku postavený… [Trutz-Nachtigall im
kurzweiligen Hain …], Praha 1665.
Małgorzata Wyrzykowska THE CULT OF SAINTS OF THE HOUSE OF HABSBURG IN SILESIAN BAROQUE ART. SELECTED EXAMPLES
Franz Matsche in his well known book Die Kunst im Dienst der Staatsidee Kaiser Karls VI. paid attention on the veneration of patron saints of the Habsburg emperors: „Aus dem großen Gebiet der Heiligenverehrung der Habsburger werden hier vier Kulte behandelt, die bei Karl VI. eine Rolle spielen und sich auf seine Kunstunternehmungen auswirkten und bei denen die Bedeutung der religiösen Staatsidee der Habsburger in ihrer Intention und Programmatik auf diesem Bereich umfassend zum Ausdruck kommt: Die Verehrung der Hl. Leopold, Joseph, Hl. Johannes von Nepomuk und Karl Borromäus”1. The ruling monarch saw himself as the successor of the saints. The veneration of saints, especially canonized rulers, was an important issue for the Habsburgs. It was a visible manifestation of the so called alliance between the altar and the throne.2 Nevertheless, the cult of the saints was not only a question of piety, but also an intensely political matter. This paper discusses the cult of the saints in Silesia on the selected examples mentioned above. The reverence of each saint has a different character and extension.
The veneration of St Joseph St Joseph was one of the most popular saints of the House of Habsburg in Silesia especially during baroque period. His cult had many different aspects, as he was perceived as the foster father of Jesus (Nährvater IESV), the head of the Holy Family and the role model of Christian householder (Oberhaupt der hl. Familie und Vorbild des christlichen Hausvaters), the patron of the good death (Sterbepatron), and above all as the patron of the Imperial House in Silesia (Standespatron des Kaiserhauses).3 For 1 Franz MATSCHE: Die Kunst im Dienst der Staatsidee Kaiser Karls VI. Ikonographie, Ikonolo-
gie und Programmatik des „Kaiserstils“, Berlin–New York 1981 (Beiträge zur Kunstgeschichte 16), 182. In this paper only the reverence of three patron saints of Haus of Habsburgs will be discussed. The cult of St John Nepomuk (as „Landesheiliger“), was of special importance for the Habsburgs and had different character and function. Cf. MATSCHE (op. cit.), 205–211. 2 More about the phenomenon of the alliance between the altar and the throne: Robert J. W. EVANS: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen, Wien–Köln 1986 (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6). 3 Barbara MIKUDA-HÜTTEL: Vom Hausmann zum Hausheiligen des Wiener Hofes. Zur Ikonographie des hl. Joseph im 17. und 18. Jahrhundert, Marburg 1997 (Bau- und Kunstdenkmäler im östlichen Mitteleuropa 4). See also Barbara MIKUDA-HÜTTEL: „Pietas Austriaca“ – Zum Freskenzyklus Michael Willmanns und zur Josephsverehrung in Grüssau, in: Zeitschrift für Ostforschung 34 (1985), 48–66.
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the Habsburgs St Joseph became the symbol of their mission to protect the Catholic Church against the Turkish threat and Protestantism. Ferdinand III (1637–1657) already started the veneration of St Joseph proclaiming him the patron saint of the Kingdom of Bohemia in 1654. In 1655, seven years after the end of the Thirty Years’ War, St Joseph received also the title Conservator Pacis. In 1675 St Joseph became the patron of the Habsburg’s hereditary lands and in the following year the main patron of the entire Holy Roman Empire. It is acknowledged that the worship of St Joseph was stimulated by the Imperial House much stronger than by the Church itself. The Habsburgs probably prompted the founding of the brotherhood in Lilienfeld where Leopold I became member in 1659 and his first wife Margaret Theresa of Spain (1651–1673) became member in 1670, and Claudia Felicitas of Austria (1653–1676), Leopold’s second wife, became member in 1675.4 The fraternity of St Joseph in Lilienfeld, organized by abbot Matthäus Kolweiße (1620–1695) in 1653, became the model for the fraternity founded by abbot Bernhard Rosa in Grüssau (Krzeszów). The decoration of the church of St Joseph in the monastery of Grüssau, built in 1695, was already discussed in the literature on the subject by Tadeusz Fitych and Barbara Mikuda-Hüttel, as one of the first examples and the largest ideological program devoted to the saint.5 Mikuda-Hüttel has analyzed and published many articles devoted to the meaning of St Joseph in context of decorations of the church in Grüssau. The researcher has also compared them with the wall paintings in the Austrian monastery in Lilienfeld, which became patterns for the frescoes in Grüssau.6 All decorations in the church of St Joseph in Grüssau are divided into three parts: scenes from the life of St Joseph depicted in the main nave, the vaults with frescos showing the lineage of Jesus, underlining the role of St Joseph, and the wall painting depicting the Holy Family as Trinitas Creata in the presbytery. The efforts of Bernhard Rosa (1624–1696), abbot of Grüssau, to propagate the cult of St Joseph has also political connotation. The visible sign of it was the special gift given by abbot Bernhard Rosa to Leopold I for his birthday, when he was in Vienna in 1672: the picture Return of the Holy Family from Egypt 4 Barbara MIKUDA-HÜTTEL: Josephskult und Josephsikonographie im österreichisch-schlesi-
schen Gebiet, in: Zeitschrift für schlesische Kirchengeschichte 44 (1986), 93–106, here 105. 5 Tadeusz FITYCH: Cystersi w Krzeszowie jako propagatorzy kultu św. Józefa na Śląsku
[Cistercians in Grüssau as promoters of St Joseph’s cult in Silesia], in: Colloquium Salutis. Wrocławskie studia teologicznem 10 (1978), 121–146; Tadeusz FITYCH: Michael Willmann – współtwórca i uczestnik Krzeszowskiego kręgu religijno-kulturowej wymiany darów [Michael Willmann – co-founder and member of the circle of religious-cultural exchange of gifts in Grüssau], in: Perspectiva. Legnickie Studia Teologiczno-Historyczne V (2006), Nr 1, 62–85. See also Barbara MIKUDA-HÜTTEL: Vom „Hausmann“ zum Hausheiligen des Wiener Hofes: Zur Ikonographie des hl. Joseph im 17. und 18. Jahrhundert (Bau- und Kunstdenkmaler im östlichen Mitteleuropa), Marburg 1997. 6 Barbara MIKUDA-HÜTTEL: Michael Willmanns Freskenzyklus in Grüssau (Krzeszów), in: Krzeszów uświęcony Łaską, hg. v. Henryk DZIURLA and Kazimierz BOBOWSKI, Wrocław 1997, 193–215.
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by Michael Leopold Willmann.7 Fitych and Mikuda-Hüttel also pointed that the Cistercian monastery in Heinrichau (Henryków), as the centre of St Joseph’s cult, did not pay so much attention to the iconographical program of the decorations. The veneration of St Joseph in Heinrichau was spread by abbot Bernhard Rosa, whose friend was the abbot of the monastery in Heinrichau Heinrich Kahlert. Kahlert had undertaken the modernization of the cloister in baroque period in the years 1681–1702. During baroque modernization the eastern part of the former medieval church was rebuilt. The chapel of St Joseph was built in 1687 south of the presbytery.8 Apart from the St Joseph the following buildings were constructed: the north chapel of Holy Trinity in 1687 and St Madeleine chapel in 1760. Zuzanna Mikołajek argues that these chapels were erected to facilitate the access of the laics to the liturgy.9 The chapel of St Joseph in Heinrichau was built for the necessity of the numerous members of the fraternity of St Joseph in Grüssau who were living in the vicinity of Heinrichau. Zuzanna Mikołajek stresses the fact that St Joseph’s church was not even raised at that moment as it was laid out by Martin Urban, not before 1695. The decorations of St Joseph chapel were prepared in two phases: 1687–1702 and 1762–1764, some pieces even in 1790. The frescoes of the dome show the Glory of St Joseph in Heaven and are attributed to Karl Dankwart.10 The altar piece by Michael Leopold Willmann illustrates the Holy Family with a symbolically outlined globe in the background. Above the heads of St Joseph, Jesus and Mary rises the dove of the Holy Spirit, and in the heaven above shows a glance God. The significance of this painting is coming back to the Bernard Rosa’s idea of the Holy Family as the mirror of the Holy Trinity (Trinitas Creata).11 In that way St Joseph in the Created Trinity (Trinitas Creata) became the model to be 7 MIKUDA-HÜTTEL (as ann. 6), 214. Nicolaus LUTTEROTTI: Archivalische Belege für Arbei-
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ten M. Willmanns und seiner Werkstadt, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 64 (1930), 136. The text from Grüssauer Taufbuch was published by Tadeusz FITYCH (as ann. 5, 67, annotation 22). Bernhard STEPHAN: Kloster Heinrichau und seine Kunstschätze, Breslau 1935 (Schlesische Kunstführer 4), 52. In Heinrichau, the fraternity of Holy Trinity was erected in 1696, following the example and rules of the fraternity of St Joseph in Grüssau. However, St Joseph enjoyed also a special devotion in Heinrichau. Zuzanna MIKOŁAJEK: Kaplice wschodnie kościoła cystersów Henrykowie jako wyraz nowych zadań społecznych śląskich klasztorów mniszych w czasach baroku [Eastern chapels of the Cistercian church in Heinrichau as an expression of the new social role of the Silesian monasteries in the baroque period], in: Quart 4 (14) 2009, 26–48, here 29. See also STEPHAN (as in annotation 8), 52. Zygmunt HORNUNG: Ze studiów nad barokowym malarstwem freskowym na pograniczu śląsko-polskim. [From the study on baroque wall painting on the Silesian-Polish border], in: Sprawozdania Wrocławskiego Towarzystwa Naukowego 21 (1966), 100–101. See also MIKOŁAJEK (as in ann. 9), 46. Tadeusz FITYCH: Trójca Stworzona. Nauka o św. Józefie na Śląsku [Trinity Created. Science about St Joseph in Silesia], Lublin 1990. See also: Andrzej KOZIEŁ: Angelus Silesius, Bernhard Rosa i Michael Willmann, czyli sztuka i mistyka na Śląsku w czasach baroku [Angelus Sile-
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Ill. 1 „Closter Heinrichau und Revier“. Coloured drawing by Friedrich B. Werner from: Topographia oder Prodromus Delineati Principatus Lignicensis Bregensis, et Wolaviensis. Pars II [...]. The Collection of the University Library in Wrocław, the Manuscripts Division, 508–509, sign. Akc. 1948/1094, 68 (83).
followed. On frescoes in the porch of the chapel St Joseph is depicted as the father of the Holy Family and patron of a good death. Four paintings with the joys and sorrows of St Joseph (Marriage of Joseph and Mary, the Dream of Holy Joseph, Flight of the Holy Family to Egypt, Finding Jesus in the Temple)12 and a tabernacle in the form of the House of Loreto were created many years later. They completed the ideological program of the chapel. The statue of St Joseph is also included into the sculptural decoration of the church’s porch besides St Bernard and St Benedictine figures.13 In sius, Bernhard Rosa and Michael Willmann, Art and Mysticism in Silesia in baroque period], Wrocław 2006 (Acta Universitatis Wratislaviensis 2872, Historia Sztuki 23). 12 Theophil KONIETZNY: Kloster Heinrichau. Festschrift zur siebenhundertjährigen Wiederkehr des Stiftungstages, Breslau 1927, 13. 13 STEPHAN (as ann. 8), 56. See also Heinrich GRÜGER: Heinrichau. Geschichte eines schlesischen Zisterzienserklosters 1227–1977, Köln–Wien 1978 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 16).
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1696 abbot Kahlert also founded St Joseph’s fountain as it is shown in the drawing by Friedrich Bernhard Werner from the 18th century.14 (ill. 1) Abbot Bernhard Rosa devoted two other foundations to St Joseph.15 He was an initiator and founder of the church of St Joseph in Altreichenau (Stare Bogaczowice), which was built by Martin Urban in 1685–1689. The statue of St Joseph there is in the altar together with the Crucifix and the figure of Maria. Abbot Rosa also founded the church of St Joseph in Schömberg (Chełmsko) built in 1670–1680. The Cistercian donors not only funded many paintings devoted to St Joseph, that is visible in the oeuvre of Silesian painters such as Michael Leopold Willmann and his workshop,16 Felix Anton Scheffler17 and others. How popular the cult of St Joseph was can be illustrated by the very fact that the name of the saint was given to the newly built chapel in the castle of Protestant Princes from the Piast dynasty in Wohlau (Wołów). (ill. 2) Alois Heyne, based on the Wolaviographia by Johann C. Köllner, wrote: „Der Kaiser als nunmehriger Erbherr des Fürstenthums wünschte nun auch ein katholischen Gottsdienst auf dem Schlosse einzuführen, und eine Schlosskapelle mit einem einigen Geistlichen zu errichten, mit welchem Auftrage er am 23. und 24. März des gennanten Jahres des Oberamtsrath Johann Gottfried von Biedermann betraute. Dieser entledigte sich seiner hohen Commission am 16. und 17. September desselben Jahres, und wies im Namen des Kaisers zur Gründung der katholischen Schlosskirche den grossen und langen von Herzog Christian 1655 angelegten und bisher zu den Sitzungen des protestantischen consistoriums gebrauchten Saal an, worauf am 20. December die feierliche Einführung des ersten katholischen Pfarrers durch den Archidiakonus des Collegiatstiftes zu Liegnitz Johann Maximilian Strauss erfolgte“18. It was of special importance 14 Friedrich B. WERNER: Cloister Heinrichau und Revier, in: Topographia oder Prodromus Deli-
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neati Principatus Lignicensis Bregensis, et Wolaviensis. Pars II [...], the Collection of the University Library in Wrocław, the Manuscripts Division, sign. Akc. 1948/1094, 508–509. See also KONIETZNY (as in ann. 12), 24; MIKUDA-HÜTTEL (as in ann. 3), 127; MIKUDA-HÜTTEL (as in ann. 4), 100. MIKUDA-HÜTTEL (as in ann. 4), 100. Some paintings by Michael Leopold Willmann illustrating St Joseph: Holy Family from the main altar in the chapel of St Joseph around 1697 in the cloister church in Heinrichau (cf. Andrzej KOZIEŁ: Michael Leopold Willmann i jego malarska pracownia [Michael Leopold Willmann and his Workshop], Wrocław 2013, 214, Cat. Nr. A20 ); St Joseph with the Child from the cloister church in Leubus (Lubiąż), 1692–1696 (cf. KOZIEŁ (op. cit.), 392–394, Cat. Nr. A210); Holy Family from the parish church in Kamenz (Kamieniec Ząbkowiecki), 1706 (cf. KOZIEŁ (op. cit.), 542, Cat. Nr. B41); Night Rest of the Holy Family and Mary and St Joseph taking care of Jesus in Grüssau (cf. KOZIEŁ (op. cit.), 551, Cat. Nr. B50, B51); the painting St Joseph with the Child in the parish church in Schmiedeberg (Kowary) by Georg Wilhelm Neunhertz, before 1723 (cf. KOZIEŁ (op. cit.), 550–551, Cat. Nr. B48). For example the painting St Joseph with the Child from the side altar in the cloister church of Mary’s Grace in Grüssau, dating from 1752. Johann HEYNE: Urkundliche Geschichte der Stadt und des Fürstenthums Wohlau von ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart (Nach autentischen Geschichtsquellen, Original=Urkunden und
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Ill. 2 „Prospect des Schlosses in Wohlau“. Drawing by Friedrich B. Werner, c. 1750, from: Topographia oder Prodromus Delineati Principatus Lignicensis Bregensis, et Wolaviensis. Pars II [...]. The Collection of the University Library in Wrocław, the Manuscripts Division, 560, sign. Akc. 1948/1094, 68 (83).
and it was also stressed by Johann Heyne that the palatial chapel received the name of St Joseph.19 St Joseph will be recalled many times as Hausheiliger des Wiener Hofes in the programs of decorations described below.
The veneration of St Leopold Franz Matsche pointed out the very fact that the cult of St Leopold, Margrave of Austria from the Babenberg dynasty, was of special significance.20 Margrave Leopold (1073–1136) had proved his devoutness by founding several important Austrian Altenstücken). Ein Beitrag zur kirchlichen und bürgerlichen Verfassungsgeschichte niederschlesischer Städte, Wohlau 1867, 424. See also Johann Christian KÖLLNER: Wolaviographia oder: Accuarte Beschreibung der Stadt Wohlau i. Schl., Budssin 1726, Das Neue Königliche Wohlau, Sectio I. Cap. IV, 555–556. 19 HEYNE (as in ann. 18), 426. 20 MATSCHE (as in ann. 1), 184–187.
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Ill. 3 „PP. Societ: Jesu von Seite der Stadt“. Ideal view of the former Jesuit Academy in Breslau (Wrocław) from the city side. Drawing by Friedrich B. Werner from: Topographia Seu Compendium Silesiae. Pars II […]. The Collection of the University Library in Wrocław, the Manuscripts Division, sign. Akc. 1948/1094, 68 (83).
monasteries, including Klosterneuburg. As a Babenberg he was an ancestor of the Habsburgs in Austria. 21 He was canonized in 1485. During Counter-Reformation, Leopold’s cult was intensively propagated under emperor Leopold I. In 1663 the emperor made him the patron saint of all the Austrian lands instead of St Koloman (Schutzpatron Österreichs). A court pilgrimage to Klosterneuburg monastery, where he was buried, was held every year on St Leopold’s Day (November 15th). St Leopold became patron of the largest foundation and the most important foundation in the 18th Century in Silesia, the Jesuit Academy in Breslau (Wrocław) called Universitatis Leopoldinae Wratislaviensi. (ill. 3) Emperor Leopold I was the founder of the university, so not surprisingly the university was given the name of the founder Leopold. Not only did the emperor sign the Aurea Bulla Fundationis Universitatis Leopoldinae Wratislaviensis (Golden Foundation Bull of the St Leopold University of Wrocław) on October 21, 1702 in Vienna, but a few years earlier even gave the Jesuits 21 However, the Habsburg were not originally the descendants of the Babenberg dynasty in Austria.
See also: Robert EVANS: Making Habsburg Monarchy, 1500–1700: An Interpretation, New York 1979.
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Ill. 4 University of Wrocław, Aula Leopoldina. (Photo: Małgorzata Wyrzykowska)
his own residence in Breslau – the former castle – as seat for the new academy.22 At name-day of St Leopold, November 15th, 1702, the consecration and inauguration of the Universitas Leopoldina were celebrated. On this occasion Count Franz Schönfeldt delivered his elaborate oration De Sancto Leopoldo at university church.23 The image of the ancestor of Leopold I is depicted in the most significant place of Aula Leopoldina, the representative room located on the first floor of the university building. (ill. 4) Aula Leopoldina also can be called a kind of „Kaisersaal“.24 It was built 22 Aurea Bulla Fundationis Universitatis Leopoldinae Wratislaviensis, 1702, Wrocław University
Library, Akc. 1978/26. 23 Johann Christian KUNDMANN: Academie et scholae Germaniae praecipue Ducatus Silesiae
cum biblothecis, in nummis oder, Die Hohen und Nieder Schulen Teutschlandes, insonderheit des Herzogthums Schlesiens…, Breslau 1741, 145. Cf. Bernhard Friedrich WERNER: Topographia Silesiae oder Prodomus Delineati Silesiae Ducatus, Bd. 1, c. 1750, Wrocław University Library, Department of Manuscripts, sign. IV F 113 b v.2, 71–76. 24 In the „Kaisertrakte“ and „Kaisersäle“ the close ties of the monasteries to the Habsburg sovereigns were visible. They formed the imperial wings and halls in the monasteries and were intended to manifest the symbolic presence of the emperor. See also Małgorzata WYRZYKOWSKA: Śląsk w Orbicie Wiednia. Artystyczne związki Śląska z arcyksięstwem Austriackim w latach 1648–1741 [Silesia in Vienna’s sphere of influence. Artistic connections of Silesia and the Archduchy of Austria in the years 1648–1741], Wrocław 2010, 190–193.
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in 1728–1733 as a stately room of the then Jesuit College. In this room, covered with a false, flattened, basket vault, the dais was separated from the auditorium because of its function and a musical gallery was hung over the entrance.25 Zonal construction alludes to traditional solutions of church interiors and so to the division of space into the presbytery, the nave and the gallery. The dais was the „imperial area“. There were located three life-size sculptures of the heroic Habsburgs: Leopold I and his sons Joseph I and Charles VI. In the middle of the composition enthroned Leopold I is located under the canopy with a crown and a scepter on a cornice which is a kind of border line between the earthly and the celestial sphere. When Aula Leopoldina was built and decorated he was already dead, so his presence between the earthly and the celestial sphere is justified. On his both sides there were allegorical figures representing his virtues and his motto: Industria (Diligence) et Consilio (Council). At the bottom of the throne there are two falling down personifications of Invidia (Jealousy) and Discordia (Quarrel). In the decoration of the Aula Leopold I was above all commemorated as the founder of university. Like in the Plague Column (Pestsäule) in Vienna (Am Graben) erected in 1693, he became again the intermediary between the earthly and the celestial sphere. On his right there is a statue of Joseph I standing on panoplia as a visible sign of his military action. On his left there is a statue of Charles VI. A particular role in the interior of Aula Leopoldina was assigned to illusionistic painting. The author of the decorations of the Aula was the Moravian painter Johann Christoph Handke (1694–1774). The elaborate iconographic and ideological program of the painting was divided into three sections. The scene over the dais illustrates the entrusting of the university to the Immaculata and the saints’ protection. The House of Habsburg is represented by their ancestor Leopold III, Margrave of Austria, depicted with the Habsburg coat of arms with the monogram LI. (ill. 5) Margrave Leopold is shown with the model of Klosterneuburg, but behind him an angel is holding the model of the university, the scepter and the Habsburg coat of arms. Above him there is the Virgin (as Immaculata) with Jesus in the middle of the ceiling. It is a visualization of Pietas Mariana. The veneration of the Virgin as the Habsburgs state cult was widely known. It ought to be noted that Emperor Leopold I regarded himself to be the lowest and least worthy servant of the Blessed Virgin Mary. The Virgin is accompanied by saints, among St Joseph, newly acclaimed patron of Austria. 25 More about the interior decoration of Aula Leopoldina can be found in works by Richard Föster
and Henryk Dziurla. Cf. Richard FÖSTER: Der Bau der Universität Breslau und die Bilder der Aula Leopoldina, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Althertum Schlesiens 34 (1900), 137–180; Richard FÖSTER: Die Aula Leopoldina, in: Errinerungsblätter zum hundertjährigen Jubiläum der Universität Breslau, Breslau 1911, 28–42; Richard FÖSTER: Aula und Musiksaal der Universität Breslau, in: Zeitschrift für die Pflege heimatlicher Kultur 4 (1911), Heft. 19, 537–540; Richard FÖSTER: Die Aula Leopoldina der Breslauer Universität, in: Schlesiens Vorzeit im Bild und Schrift 6 (1912), Neue Folge, 150–164; Henryk DZIURLA: University of Wrocław, Wrocław–Warszawa–Kraków–Gdańsk 1976, here 70–75.
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Ill. 5 Christoph Handke: Frescoes with Leopold III, Margrave of Austria, 1738. University of Wrocław, Aula Leopoldina. (Photo: Małgorzata Wyrzykowska)
Coming back to the fresco in Aula Leopldina: above the dais, in the vicinity of Mary and Margrave Leopold, there are also depicted saints of regional character – like St Hedwig, patron of Silesia, whose husband Henry the Bearded was related to St Leopold. The saints connected with the order of Society of Jesus are also depicted: Ignatius of Loyola and Francis Xavier with the Jesuit motto Ad Maiorem Dei Gloriam. The representatives of the Habsburg dynasty are also included in the fresco decoration in the Jesuit church in Breslau called the Most Holy Name of Jesus. The church was built as the first part of the Jesuit academy already in 1698 and five years later it was decorated by the imperial painter Johann Michael Rottmayr von Rosenbrunn (1654–1730). Among the personifications of the four continents, there are depicted the Habsburg rulers as representatives of Europe among others, who are taking part in the „reconquest“ of the catholic world. They include emperor Leopold I, besides him archduke Joseph – as his successor with the imperial crown and with the Hungarian coat of arms as the king of Hungary – and finally Charles III as the king of Spain. There are some pictures regarding St Leopold’s patronage over the Jesuit academy. One example is the painting with the St Leopold entrusting the
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Universitatis Leopoldina to the protection to Mary by an anonymous painter, dating from 1732–1736.26 It is also important that the members of Piast dynasty in Silesia were related to St Leopold. St Leopold appeared once again in the company of St Hedwig in the tomb of St Hedwig in the monastery church in Trebnitz (Trzebnica). St Hedwig (1174– 1243) founded this monastery in Trebnitz already in 1209. During baroque period the complex was modernized together with the church. Abbess Krystyna Katarzyna Pawłowska, who regarded herself an heiress of St Hedwig, wanted to build the splendid tombstone, which would be appropriate for the saint. The tomb of St Hedwig was built in 1679–1680.27 (ill. 6) Along with nine other figures the one of St Leopold is located in the base of the tombstone in the niche of the long wall. Besides the figure of St Leopold there are statues of St John the Baptist, St Joseph, St Peter, St Paul, St Roch, St Stanislaus, St Vincent, St Andrew and St John the Evangelist. According to Romuald Kaczmarek and Jacek Witkowski, these statues are related to St Hedwig, who was Cistercian, member of Holy Roman Church and patron saint of Poland and Silesia.28 The presence of St Leopold (who was in literature on the subject also mistaken for Henry II the Pious (1169/1207–1241), son of St Hedwig)29 in this program was in the opinion of Kaczmarek and Witkowski a visible sign of abbess Pawłowska’s loyalty towards the ruling dynasty. It is worth noting that St Leopold Margrave was the ancestor of the Piast dynasty. His daughter, from his second marriage with Agnes of Germany, was Agnes of Babenberg (1154–1182). She married Władysław II the Exile (1105–1159), who was the progenitor of the Silesian Piasts. The husband of St Hedwig Henry I the Bearded (1165/1170–1238), Duke of Silesia, Duke of Cracow and thus the High Duke of all Poland, was in that complicated way related to St Leopold. Apart from St Leopold St Joseph is also present in the program of the tombstone, probably as patron saint of the Kingdom of Bohemia and Austria. The program, 26 The picture St Leopold entrusting the Universitatis Leopoldina to the protection to Mary be-
longs to the University church’s collection in Breslau and is just now exhibited at the Municipal Museum at Royal Palace in Breslau at the exhibition entitled „1000 years of Wroclaw“. According to Piotr Oszczanowski this picture maybe was designated to Aula Leopoldina at the Jesuit Academy in Breslau. Cf. 1000 lat Wrocławia. Przewodnik po wystawie [1000 years of Wroclaw. Guide to the Exhibition], ed. by Maciej ŁAGIEWSKI, Halina OKÓLSKA and Piotr OSZCZANOWSKI, Wrocław 2011, here 128. 27 The tombstone of St Hedwig showed in the 18th century the engraving Wahre Abbildung der Grabstatt der Hl. Landes Fürstin Hedwig, wie solche in dem fürstlichen Jungtl. Stift S.O.C. zu Trebnitz zu sehen by Philipp Anton Bartsch (1742–1788) and fecit/sculpsit J. Balzer. Cf. Bilder-Legende der Heiligen Hedwig Schutzpatronin Schlesien, Trebnitz 1775. Silesian Library in Katowice, sign. G 7312 I 28 Romuald KACZMAREK/Jacek WITKOWSKI: Nagrobek św. Jadwigi w Trzebnicy [The Tombstone of St Hedwig in Trebnitz], in: Prace Naukowe Instytutu Historii Architektury, Sztuki i Techniki Politechniki Wrocławskiej 19 (1988), 145–194, here 152, 167. 29 For example Tadeusz BRONIEWSKI: Trzebnica [Trebnitz], Wrocław 1973, 51–53.
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Ill. 6 Leopold III, Margrave of Austria from the tomb of St Hedwig, 1679–1680, workshop of Franz Joseph Zeller (?). Monastery church in Trebnitz (Trzebnica). (Photo: Romuald Kaczmarek)
showing the ancestors and saints propagated by the House of Habsburg, was also a kind of the visualization of the loyalty of the abbess to her superior, the abbot of the monastery in Leubus (Lubiąż) Johannes Reich (1672–1691). St Leopold Dux Austriae is depicted together with the other saints on the engraving by the Breslau etcher Bartłomiej Strachowski (1683–1759) showing St. Hedwig mit ihrer Heiligen Anwerwandschafft.30 How popular the cult of St Leopold was, and that the veneration of the saint was recognized as the loyalist attitude to the Habsburgs, testifies the very fact that the famous Silesian Appeles Willmann took after his conversion in May 1663 Leopold and Luca as new names. The name Leopold referred to the ruling emperor at that moment – Leopold I (1658–1705). The conversion was forced by the abbot of Cistercian
30 Bartłomiej STRACHOWSKI: St: Hedwig mit ihrer Heiligen Anwerwandschafft, in: Bilder-Le-
gende der Heiligen Hedwig Schutzpatronin Schlesien, Trebnitz 1775. Silesian Library in Katowice, sign. G 7312 I.
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monastery in Leubus Arnold Freiberger (1632–1672).31 In March 1664 the painter became even the member of the fraternity of St Joseph in Grüssau.
The veneration of St Charles Borromeo It is much more difficult to proof that the few visual manifestations of the cult of Charles Borromeo found in Silesia can be analyzed in the context of the saints of the House of Habsburgs. One of the examples is the church of Charles Borromeo in Wohlau. The church was founded already in 1676 by the well known Habsburg loyalist and devout catholic Johann Adam Freihher von Garnier (1613–1680). He managed to build the monastery for Carmelites in Glumbowitz (Głębowice) and left the financial means for the next three planned Carmelite monasteries (including the church in Wohlau) in his testament. The church in Wohlau was finally built in 1713. It was only two years after Charles VI became emperor, who also ruled over the Pincipality of Brieg-Wohlau-Liegnitz. In his description Alois Heyne mentioned that the foundation of the church was connected with these events: „Die wichtigste Angelegenheit in diesem Zeitraume ist die Stiftung des Karmelitenklosters zum heiligen Karl Borromäus. Durch ein Vermächtniss von 10,000 Gulden hatte der Oberst Johann Adam Freiherr von Garnier das Kloster zu Wohlau auf der Stelle gegründet, wo ehemals der Dom stand und damals 10 Bürgerhäuser sind bestanden, und mit Mönchen aus dem benachbarten Kloster Gross=Styrenz besetzt.“32 Johann Christian Köllner quoted the inscription of the foundation stone where also emperor Charles VI was mentioned.33 In the main altar, which was a foundation of the pastor and superintendent Johann Georg Breyther, there was probably a painting devoted to St Charles Borromeo, which was lost. 34 Later it was replaced by the painting depicting the Assumption of St Charles Borromeo and dates from c. 1760. (ill. 7) According to the latest research it was done by Bernard Krause (1743–1803), a painter from Frankenstein (Ząbkowice Śląskie).35 As a result, in the case of the Carmelitan Church in Wohlau, the invocation of St Charles Borromeo seems above all to be connected with the fact 31 FITYCH 2006 (as in ann. 8), 70. 32 HEYNE (as in ann. 18 ), 490. The village where the cloister was built was called Gross Strenz,
then Alteichenau and from 1937 on Glumbowitz. 33 KÖLLNER (as in ann. 18 ), 555–556. 34 HEYNE (as in ann. 18 ), 431. The author quoted the information about the painting and dated
it from 1721. See also: Wołów [Wohlau], ed. Elżbieta KOŚCIK, Wołów 2002, 187. Katalog zabytków w Polsce [Catalogue of Monuments in Poland]. Województwo Wrocławskie: Milicz, Żmigród Twardogóra i okolice, ed. Jan WRABEC, Warszawa 1997, 69–73, here 71. See also Schlesien. Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen, ed. Ernst BADSTÜBNER, Dietmar POPP, Andrzej TOMASZEWSKI and Dethard von WINTERFELD, München–Berlin 2005, 798. 35 I am very thankful to Prof. Andrzej Kozieł for this information, as well as for the photo of this painting. See also: Adam SZELĄG: Bernard Krause (1743–1803). Życie i twórczość [Life and
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Ill. 7 Bernhard Krause: Assumption of St Charles Borromeo, c. 1760. Carmelite Church of St Charles Borromeo in Wohlau (Wołów). (Photo: Andrzej Kozieł)
that the saint was patron of the Carmelite order. Another church of St Charles Borromeo in Radungen (Radziądz) was founded in 1727–1735 by countess Marianne von Hatzfeld und her brother Franz von Hatzfeld. It was built by the architect Christoph Hackner (1663–1741), working for this family. In the main altar there is a painting devoted to the St Charles Borromeo (St Charles Borromeo giving the Communion during the plague in Milan) dating from 1735.36 The activity of the Hatzfelds, who were devout catholics, was also political. It should be remembered that at the end of the Thirty Years’ War emperor Ferdinand III offered Żmigrodzkie as free state to Marshal Melchior von Hatzfeld as a reward for his loyal service and contribution in fight against the protestants. Many religious foundations undertaken by the members of the creation], master’s thesis written under supervision of Ph. D., Prof. of University of Wrocław Andrzej Kozieł, Wrocław 2013. 36 Katalog zabytków w Polsce [Catalogue of Monuments in Poland]. Województwo Wrocławskie: Milicz, Żmigród Twardogóra i okolice, ed. Jan WRABEC, Warszawa 1997, 69–73, here 71. See also Schlesien. Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen (as in ann. 34), 798.
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Małgorzata Wyrzykowska
Ill. 8 Johann Albrecht Siegwitz: Statue of St Charles Borromeo, c. 1725. Monastery Church of St Vincent in Breslau (Wrocław). (Photo: Małgorzata Wyrzykowska)
Hatzfeld family can be also considered to be a sign of loyalty to the ruling dynasty and the emperor Charles VI. Another example is the altar of Charles Borromeo which does not exist anymore in the former Franciscan church of St Vincent in Breslau. We only have written sources in form of the published sermons.37 Probably the founder of this altar was the Premostratensians’ abbot Ferdinand von Hochberg who has chosen the day of St Borromeo. He was the founder of his funeral chapel at the church of St Vincent in Breslau.
37 Arkadiusz WOJTYŁA: „O vulnerata Domina! Vulnera corda nostra“. Uwagi o treściach i funk-
cjach ideowych Kaplicy Siedmiu Boleści Marii przy kościele św. Wincentego we Wrocławiu [Remarks on the subject and the ideological function of Our Lady of Sorrows’ Chapel in St Vincent Church in Breslau], in: Roczniki Sztuki Śląskiej XIX (2010), 53–76, here 57.
The Cult of Saints in Silesian Baroque Art
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On the top of the chapel there are four statues – including that of St Charles Borromeo – sculptured by Johann Albrecht Siegwitz (died 1756) in 1725. 38 (ill. 8) It is a rather difficult or a too farfetched hypothesis that Hochberg chose St Charles as the saint from the Habsburg’s heaven. We know that the chapel was built in kind of the competition to the already existing funeral chapel of the Silesian bishop Franz Pfalz von Neuburg (1664–1732), brother-in-law of emperor Leopold I. The last chapel located at the cathedral in Breslau was built simultaneously (in the year 1716) with the Karlskiche in Vienna – and by the same imperial architect Johann Bernard Fischer von Erlach (1656–1732)39. The last analyzed example of veneration of saints connected with the House of Habsburgs in Silesia include three chapels – St Leopold, St Joseph and St Charles in the Jesuit church of the Elevation of the Cross in Brieg (Brzeg). The decoration of the church is devoted to the legend of the Holy Cross (Ligni Crucis) and it is dominated by the wall paintings. The Jesuit painter Johann Kuben, author of the wall paintings, among many scenes, depicted also St Leopold giving alms in the Chapel of St Leopold. In the neighboring chapel of St Charles Borromeo there is the scene the Procession of Charles Borromeo with the Cross during the Pest and in Chapel of St Joseph. Most surprising is the date of the execution of the frescoes, the year 1743. It was already emphasized in the literature that the frescoes depicting the theme of Ligni Crucis, which was so close to the Habsburgs, were the visible sign of loyalty towards the Habsburgs.40 Such an allusion to the „imperial mission of the Jesuits“ was a very brave demonstration, especially after the annexation of Silesia by Prussia.41 Some examples of direct glorifications of St Charles Borromeo as the patron saint of emperor Charles VI can be found in some old printings. For example in the printed 38 Konstanty KALINOWSKI: Rzeźba barokowa na Śląsku [Baroque Sculpture in Silesia], War-
szawa 1986, 133. 39 Ryszard HOŁOWNIA: Fischers Werke in Schlesien, in: Fischer von Erlach und die Wiener
Barocktradition, ed. Friedrich POLLEROSS, Weimer 1995, 177–201; Arkadiusz WOJTYŁA: Związki Johanna Bernharda Fischera von Erlach ze Śląskiem w świetle źródeł [The connections between Johann Fischer von Erlach and Silesia with regards to written sources], in: Biuletyn Historii Sztuki LXXI (2009), 57–75. 40 Małgorzata GNIAZDOWSKA: Baroque frescoes with the History of the True Cross in Silesia. Ideological content, in: Willmann & Others. Painting, Drawing and Graphic Art in Silesia and Neighbouring Countries in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, ed. Andrzej KOZIEŁ and Beata LEJMAN, Wrocław 2002, 239–244. 41 WYRZYKOWSKA (as in ann. 24), 200, 213. See also Arkadiusz WOJTYŁA: Triumphale Dominicae Crucis Signum. Uwagi o programie ideowym kościoła Jezuitów w Brzegu [Remarks on the Ideological Programm of the Jesuit Church in Brzeg], in: Silesia Jesuitica, Kultura i sztuka zakonu jezuitów na Śląsku i w hrabstwie kłodzkim 1580–1776. Materiały konferencji naukowej zorganizowanej przez Oddział Wrocławski Stowarzyszenia Historyków Sztuki (Wrocław, 6–8 X 2011) dedykowane pamięci Profesora Henryka Dziurli, ed. Dariusz GALEWSKI and Anna JEZIERSKA, Wrocław 2012, 249–259, 256.
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Małgorzata Wyrzykowska
funeral sermon on occasion of the death of the emperor Charles VI given in the Jesuit church in Breslau in the year 1740 there are some references to Charles Borromeo.42 Both of them are devoted to the piety of emperor Charles VI: „Allain swan ich schon davon nichts melde, Lapides clamabunt, so werden die Steine schreyen, und die Carolinische Gottseeligkeit aller Orthen aussschreyen. Und dieses werde fordrist thun die Steine der jenigen herrlichen Kirch, welche dieser Gottseelige Fuerst seinem Heiligen Nahmes Patron, dem CARLO Borromeo recht praechtig, und magnific ausgefuehret.“ and „(…) was bey dem Juedischen Koenig Salomon ein Wunsch gewesen, das ware bey dem Roemischen Kayser CARL die Sechs, der viel besser die herrlische Kirch des Heiligen CARLO Borromei, Prudentia & Fortitudine, durch seine Klugheit, und Staerke befestiget (…)“.43 Considering the religious situation of Silesia during Counter-Reformation the cult of saints of the House of Habsburgs can be understood to be a clear demonstration of loyalty towards the ruling dynasty. It was especially evident in the programs of decoration in Jesuit foundations which were strongly supported and richly donated in Silesia by the ruling dynasty. Conversely, the Jesuits’ programs contained elements of the Habsburgs glorification – mostly the saints of the namesakes of emperors. The monasteries of long lasting tradition in Silesia, such as Cistercians, also propagated the cult of the Habsburg saints. However, in the iconographical programs of decorations of their monasteries some different aspects of this veneration were stressed. They mostly propagated the cult of St Joseph as a member of Holy Trinity (Trinitas Creata). The new aristocracy – loyal to the Habsburgs, who were also ostentatious and zealous catholics, and some of them converts – spread also the cult of the saints connected with the House of Habsburgs in Silesia.
42 Sechste Roemischer Kayser/FORTITUDINE, & CONSTANTIA/Durch Staercke, und Stand-
hafftigkeit,/Ob beeden/Ein doppelt glorreicher Kayser,/bey gehaltenem Leich=Gespraeng/Fuer hoechstgemeldten Gottseeligen Monarch/In Academischer Kirch der Gesellscahft Jesu/zu Bresslau/In einer Trauer =Lob=Rede vorgestellt/Von P. Francisco Mersch, S. J. in gemeldtem GOTTes=Haus der Zeit Sonntags=Predigern, Bresslau 1740. Wrocław University Library, Collection of Old Printings, sign. 3b5455. 43 As in ann. 40.
Julia Fischer BAROCKE BILDPROGRAMME ALS AUSDRUCK DES KATHOLISCHEN SELBSTVERSTÄNDNISSES AM BEISPIEL DER FRESKEN COSMAS DAMIAN ASAMS
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich die komplexen Bildprogramme in den katholischen Gebieten Süddeutschlands, der Schweiz und den habsburgischen Erblanden zum zentralen Element der sakralen Raumausstattungen. Für die Auftraggeber wie auch die Künstler war die inhaltliche, strukturelle und technische Planung und Umsetzung dieser Programme gleichermaßen anspruchsvoll und aufwändig, für den Auftraggeber zudem auch sehr kostspielig. Die Frage, warum sich die umfangreiche bildliche Ausstattung der Sakralräume dennoch so großer Beliebtheit erfreute, geht Hand in Hand mit der Frage, welchen Nutzen die Auftraggeber in den Darstellungen sahen und welche Funktion diesen Bildprogrammen beigemessen wurde. Für die Beantwortung dieser Fragen ist es notwendig, zunächst einen Blick auf das organisatorische Zusammenspiel zwischen Auftraggeber und Künstler zu werfen.1 Bevor der Künstler mit seiner Arbeit beginnen konnte, wurde vom Auftraggeber ein inhaltliches Gesamtprogramm verfasst. Darin legte er die einzelnen Bildthemen sowie die darzustellenden Personen fest und teilte dem Künstler die beabsichtigte inhaltliche und theologische Aussagekraft der auszuführenden Fresken mit. Nur in seltenen Fällen entwickelte der Künstler selbst Vorschläge für ein Programm. Vorrangige Aufgabe des Künstlers war es, die programmatischen Vorgaben in eine angemessene und wirkungsvolle bildliche Darstellung zu verwandeln. Er fertigte hierfür Entwürfe an, die dem Auftraggeber einen ersten Eindruck der geplanten Arbeit vermittelten und die im Falle der Zustimmung durch den Auftraggeber auch Grundlage der vertraglichen Vereinbarung wurden. Aus dieser Arbeitsteilung wird deutlich, dass sich in der thematischen und inhaltlichen Festlegung der Bildprogramme maßgeblich die Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse des Auftraggebers widerspiegeln, während der Künstler sich vorwiegend für die stilistische, motivische und koloristische Umsetzung der Darstellungen verantwortlich zeigt. Doch so sehr die Auswahl der Themen auch von den individuellen Bedürfnissen des Auftraggebers geprägt ist, so lassen sich doch auch grundlegende gemeinsame Leitlinien feststellen, die auf einen umfassenderen Kontext schließen lassen. Dies führt zu der These, dass diese Bildprogramme nicht nur Träger der individuellen Vorstellungen des Auftraggebers, sondern vielmehr bildlicher Ausdruck des Selbstverständnisses und Selbstbildes der katholischen Kirche sind. 1 Hierzu vor allem: Bärbel HAMACHER: Entwurf und Ausführung in der süddeutschen Fresko-
malerei des 18. Jahrhunderts, München 1987.
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Die inhaltlichen Komponenten der sakralen Raumausstattungen des frühen 18. Jahrhunderts werden im Folgenden anhand ausgewählter Fresken des bayerischen Künstlers Cosmas Damian Asam beleuchtet. Asams Fresken sollen hierbei exemplarisch für die in dieser Zeit charakteristischen Elemente und Bildthemen stehen. Ähnliche Darstellungen finden sich selbstverständlich auch in den Werken anderer Künstler jener Zeit. Die Eingrenzung der Untersuchung auf Cosmas Damian Asam ist aufgrund seines weiten Tätigkeitsgebietes besonders geeignet. Nach Studienjahren in Rom kehrte Asam um 1713/1714 wieder nach Bayern zurück und wurde zu einem der gefragtesten Freskokünstler seiner Zeit.2 Bis zu seinem Tod 1739 übernahm er zahlreiche Großaufträge, die ihn nicht nur durch ganz Bayern führten, sondern auch in den südwestdeutschen Raum, nach Tirol, in die Schweiz, an den Rhein sowie nach Böhmen und Schlesien. Die vergleichende Betrachtungsweise der sakralen Werke Cosmas Damian Asams ermöglicht somit wichtige Einblicke in die überregionalen Gemeinsamkeiten, die regionalen Besonderheiten sowie die künstlerischen und kulturellen Wechselbeziehungen. Wie aus dem bereits skizzierten Entstehungskontext der sakralen Bildprogramme zu Beginn des 18. Jahrhunderts geschlossen werden kann, sind diese nicht nur Träger theologischer Aussagen, sondern sie enthalten auch Informationen über den herrschenden Zeitgeist und die Haltung des Auftraggebers. Im Hinblick auf eine von Katholischer Reform und Gegenreformation geprägten Zeit, führt dies zur Frage, ob und inwiefern das auf dem Konzil von Trient erarbeitete Dekret zum Umgang mit Bildern noch Auswirkungen auf die künstlerischen Entwicklungen und Bildthemen des 18. Jahrhunderts hatte. Hubert Jedin stellte im Hinblick auf dieses Dekret fest, dass „in der Folgezeit die kirchliche Kunst auf weite Strecken geradezu die Dienerin der Kontroverstheologie geworden ist, indem sie sich der vom Protestantismus bestrittenen Lehren bemächtigte, die Verehrung der Mutter Gottes und der Heiligen und ihrer Reliquien, die Sakramente, vor allem die Gegenwart Christi in der Eucharistie, das Messopfer, die guten Werke, das Papsttum und seine Geschichte unzählige Male darstellte, (…) so war dies alles eben eine tatsächliche, wenn auch nicht immer intendierte Ausführung des Konzilsdekretes“3. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass diese sakralen Bildwerke als Illustration der katholischen Glaubenslehre und der Predigten dienten, mit dem Ziel, die Gläubigen „im katholischen Glauben zu befestigen“4. Auf der Grundlage der These Hubert Jedins werden im Folgenden nun einige Fresken Cosmas Damian Asams in den Blick genommen und kursorisch die 2 Zum Leben Cosmas Damian Asams vgl. Cosmas Damian Asam (1686–1739). Leben und
Werk. Ausstellungskatalog zum 300. Geburtstag Cosmas Damian Asams in Kloster Aldersbach, Niederbayern, vom 15. August–19. Oktober 1986, hg. v. Bruno BUSHART und Bernhard RUPPRECHT, München 1986. 3 Hubert JEDIN: Entstehung und Tragweite des Trienter Dekrets über die Bilderverehrung, in: Theologische Quartalschrift 116 (1935), 404–429, hier 424–425. 4 Ebd., 425.
Barocke Bildprogramme am Beispiel der Fresken Cosmas Damian Asams
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Bildthemen und -formulierungen vorgestellt. Dieses Vorgehen soll den Blick für die Bandbreite der Themen öffnen, darüber hinaus aber auch exemplarisch für die Fülle an vergleichbaren barocken Bildprogrammen stehen.
Die Darstellung der Ecclesia An kaum einer anderen Figur lässt sich das Selbstbild der Kirche direkter verorten als an der Darstellung der Ecclesia, der Personifikation der Kirche. Über die Jahrhunderte findet sich die Verkörperung der Kirche als Frauengestalt mit charakteristischen Attributen und in unterschiedlichen Kontexten. Für die bildliche Darstellung der personifizierten Kirche lassen sich seit frühchristlicher Zeit zahlreiche Beispiele nennen. Zur gängigen Bildtradition wurde vor allem die Präsentation der Ecclesia als gekrönte weibliche Figur, häufig mit einem kostbaren Gewand und mit einem langen Mantel bekleidet sowie mit den Attributen Kelch, Kreuzstab und zuweilen auch Kreuzesfahne versehen. Die Figur der Ecclesia kommt in zahlreichen Kontexten und Bildthemen vor, sei es beispielsweise als Braut Christi, in Gleichsetzung mit Maria, als Mater Ecclesia, als präexistente Ecclesia an der Seite Gottes, als Siegerin über Häretiker oder, zusammen mit der Personifikation der Synagoge, den Neuen und den Alten Bund symbolisierend.5 Im Zuge der Katholischen Reform und Gegenreformation tritt neben die gängige Darstellungstradition eine neue Darstellungsmöglichkeit, die mit anderen Attributen und einer veränderten Einbindung in die Bildprogramme und den erzählerischen Kontext einhergeht. Im Werk Cosmas Damian Asams findet sich für die Personifikation der Kirche häufig derselbe Figurentypus, den er erstmals 1720 im Kuppelfresko der Benediktinerabteikirche Weingarten verwendete. Die vielfigurige Darstellung in der Vierungskuppel bildet den triumphalen Höhepunkt des gesamten Bildprogrammes und zeigt die Versammlung der Heiligen und Seligen vor der Dreifaltigkeit, wobei bei der Auswahl der darzustellenden Personen besonderer Wert auf die Beziehung zu Weingarten gelegt wurde.6 Entlang des unteren Kuppelrandes sind alle die Heiligen aufgeführt, die zum Kloster Weingarten in einer besonderen Beziehung stehen, so zum Beispiel die Kirchen-, Altar- und Bruderschaftspatrone sowie die Heiligen, die mit der Wallfahrt zum Heiligen Blut oder dem Benediktinerorden in Verbindung gebracht werden können. Diese Figuren sind durch Größe, Farbigkeit und Positionierung für den Betrachter besonders klar erkennbar, wodurch ihm ein schnelles Erfassen der für Weingarten wesentlichen Aspekte und Zusammenhänge ermöglicht und ihm die Bedeutung der 5 Wolfgang GREISENEGGER: Ecclesia, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1, 1968,
Sp. 562–578. 6 Zur Ikonographie der Kuppelausmalung Julia FISCHER: Cosmas Damian Asams Kuppelaus-
malung: Forschungsstand und Ikonographie, in: Die Kuppel der Basilika in Weingarten. Ein interdisziplinäres Projekt zu Konservierung und Restaurierung, hg. v. Regierungspräsidium Stuttgart – Landesamt für Denkmalpflege, Arbeitsheft 20, Stuttgart 2008, 243–252.
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Abtei Weingarten vor Augen geführt wird. Weitere Figuren sind dann in einer zweiten Reihe darüber angeordnet; auf der Nordseite die heiligen Geistlichen, auf der Südseite die heiligen Frauen. Der besondere Bezug der dargestellten Heiligen und Seligen zur Abtei Weingarten und dem Benediktinerorden entspricht einer thematischen Schwerpunktsetzung, die im 18. Jahrhundert verstärkt in den Bildprogrammen zu finden ist. In die Darstellungen dringt „ein neues Bedürfnis, das Dargestellte zu legitimieren als historisches Faktum, als Geschichte“7. Die im Fresko enthaltenen Verweise auf die Tradition der Abtei Weingarten, die Besonderheit des Ortes, die Bedeutung des Benediktinerordens sowie der Versuch, im Fresko die Authentizität der Heilig-Blut-Reliquie zu verdeutlichen, in all diesen Aspekten wird dieser Wunsch nach historischer Legitimation deutlich. Gottvater und Christus befinden sich auf der Ostseite der Kuppel, die Heilig-Geist-Taube in der Laterne im Kuppelscheitel. Ecclesia ist in dieser Darstellung am unteren östlichen Kuppelrand positioniert, was für die Erschließung des gesamten Kuppelfreskos von großer Bedeutung ist. Schreitet der Gläubige durch das Langhaus nach Osten auf den Hochaltar zu und blickt beim Betreten der Vierung nach oben in die Kuppel, so fällt sein Blick zunächst auf die Ecclesia am unteren Kuppelrand. Alle weiteren Figuren entschlüsseln sich erst durch das Herumgehen in der Vierung. Somit bildet Ecclesia für den Betrachter formal, aber auch inhaltlich den Zugang zum Fresko. Sie ist einerseits der optische Einstieg in das Kuppelfresko, aber auch Vermittler und Bindeglied zwischen der irdischen realen Welt des Betrachters und der dargestellten visionären himmlischen Gemeinschaft, in die der Gläubige aufgenommen zu werden hofft. Diese Vermittlerfunktion wird noch unterstrichen durch das Haltungsmotiv mit zur Seite ausgebreiteten Händen und ihr zu Gottvater erhobener Blick. Die beabsichtigte Aussage ist klar: Der Weg des Gläubigen zur himmlischen Gemeinschaft kann nur über die Kirche führen. Doch es ist nicht allein die Positionierung, die Asams Ecclesiafigur in Weingarten zu einem Paradebeispiel für die Untermauerung der eingangs aufgestellten These macht. Inwiefern das Selbstverständnis der katholischen Kirche in dieser Darstellung und Bildformulierung zum Ausdruck kommt, verdeutlicht die genauere Betrachtung der Ecclesia. Cosmas Damian Asam präsentiert uns Ecclesia als junge Frau, deren blonde Locken ihr in langen Strähnen über die Schultern fallen. (Abb. 1) In ein päpstliches Pontifikalgewand gekleidet, die Tiara auf dem Haupt und von päpstlichen Insignien umgeben, sitzt sie auf einem aufwändig verzierten Thron. Durch diese Darstellungsweise ist Ecclesia nicht mehr nur Personifikation der Kirche, sondern sie ist zugleich die Verkörperung des Papsttums. Die Papstinsignien der Ecclesia sind als Zeichen der Macht zu verstehen und allein schon ihre thronende Position drückt ihren Triumph aus. Gertrud Schiller bemerkte, dass das Bild der triumphierenden Kirche in der Gegenreformation vor allem das neue Selbstbewusstsein der durch das Tridentiner 7 Hermann BAUER: Zum ikonologischen Stil der süddeutschen Rokokokirche, in: Münchner
Jahrbuch der bildenden Kunst (1961), 218–240, hier 220.
Barocke Bildprogramme am Beispiel der Fresken Cosmas Damian Asams
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Abb. 1 Cosmas Damian Asam: Ecclesia. Detail aus dem Kuppelfresko, Benediktinerabteikirche Weingarten, 1720. (Foto: Julia Fischer)
Konzil (1545–1563) reformierten katholischen Kirche und den Repräsentationswillen des wieder erstarkten Papsttums präsentieren will.8 Zentrales Element ist der Gedanke des Triumphes, der bereits in der Bezeichnung des Bildthemas als „Coelum triumphans“9 im schriftlichen Konzept zur Ausmalung deutlich wird. Wenngleich die traditionelle Ecclesiadarstellung parallel weiterhin Bestand hatte, im Zuge der Katholischen Reform und Gegenreformation gewinnt die Darstellung der Ecclesia in Verbindung mit den päpstlichen Insignien zusehends an Bedeutung. So findet sich dieser Typus beispielsweise bereits im 1588 entstandenen Fresko „Das Konzil von Trient“, das Pasquale Cati für die Capella Altemps in Santa Maria in Trastevere in Rom ausführte. Und auch Georg Asam, der Vater Cosmas Damian Asams verwendete 1709 im Hauptfresko der Aula des bischöflichen Lyzeums in Altstadt eine Papstfigur 8 Gertrud SCHILLER: Ikonographie der christlichen Kunst. Bd. 4.1: Die Kirche, Gütersloh 1976,
107. 9 Hauptstaatsarchiv Stuttgart, B 522, Bü 67/4, Bl. 110.
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als Personifikation der Ecclesia.10 Im Gegensatz zu Cosmas Damian Asam, ist Georg Asam in der Darstellung der Weiblichkeit der Figur deutlich zurückhaltender. Kirche und Papsttum verschmelzen zu einer Figur, sie werden als untrennbare Einheit verstanden. Was hierin unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden soll: Die wahre Kirche ist die katholische Kirche mit dem Papst als Oberhaupt. Unmittelbar nachdem Cosmas Damian Asam das Kuppelfresko in Weingarten beendet hatte, arbeitete er 1721 im Auftrag der Benediktinerabtei Weltenburg an einer inhaltlich ganz ähnlichen Darstellung. Dem Weingarter Kuppelfresko vergleichbar, zeigt die längsovale Langhauskuppel der Weltenburger Abteikirche ebenfalls eine Versammlung von Heiligen vor der Dreifaltigkeit. Wie bereits in Weingarten, wurde auch hier die Auswahl der Heiligen dem Ort und der Abtei angepasst. Ebenso wurde die Personifikation der Ecclesia in Weltenburg in die Darstellung aufgenommen. Anders als in Weingarten erscheint Ecclesia hier zurückhaltender, unscheinbarer und traditioneller, und der starke triumphale Charakter sowie die zentrale Positionierung sind hier deutlich gedämpft: Sie sitzt in einem dunkelblauen Gewand und mit verhülltem Haar etwas seitlich aus der Achse gerückt im unteren östlichen Bildbereich. Fast nebensächlich scheinen die päpstlichen Insignien hier zugeordnet; den Kreuzstab hält sie nachlässig in der linken Hand, die Tiara steht halb verdeckt neben ihr. Allerdings sind Ecclesia hier noch weitere Attribute zugeordnet, die die Verbindung zwischen Kirche und Papsttum untermauern. Das neben ihr liegende Buch kann auf die wahre Glaubenslehre bezogen werden, der angedeutete Rundbau hinter ihr ist ein geläufiges Sinnbild für die Kirche nach der Textstelle im Matthäusevangelium „Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“11, wodurch der Anspruch des Papsttums legitimiert wird.12 Nicht explizit auf die Figur der Ecclesia sollte dagegen die Schriftrolle mit der Aufschrift „Ecclesia triumphans“ bezogen werden. Vielmehr bezieht sich dies auf die triumphierende Versammlung der Heiligen vor der Dreifaltigkeit und somit auf die Gesamtaussage des Freskos. Auch wenn die Figur der Ecclesia hier mit teilweise anderen Attributen versehen wurde, so ist dennoch die grundlegende Vorstellung der Einheit zwischen der Kirche und dem Papsttum verdeutlicht. Eine andere thematische Einbindung der Ecclesia ins Bildprogramm findet sich dagegen in der Zisterzienserabteikirche Mariä Himmelfahrt im bayerischen Fürstenfeld, wo Cosmas Damian Asam 1722–1723 an den Chorfresken arbeitete. Während die Langhausfresken sich vorwiegend mit dem Leben des Ordensvaters Bernhard von Clairvaux befassen, werden in den Chorfresken die besonderen historischen Um10 Hierzu vor allem: Cordula BÖHM: Altstadt, in: Corpus der barocken Deckenmalerei in Deutsch-
land, hg. v. Hermann BAUER, Frank BÜTTNER, Bernhard RUPPRECHT, Bd. 6: Freistaat Bayern, Regierungsbezirk Oberbayern, Stadt und Landkreis Freising, München 1998, 165–174. 11 Evangelium nach Matthäus 16, 18. 12 SCHILLER (wie Anm. 8), 107.
Barocke Bildprogramme am Beispiel der Fresken Cosmas Damian Asams
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stände der Klostergründung erläutert. Im mittleren Chorfresko ist Ecclesia dargestellt, wobei Asam hier nicht nur den für Weingarten entwickelten Figurentypus aufgreift, sondern die Ecclesiafigur als regelrechtes Bildzitat in das Fürstenfelder Fresko einfügt. Er präsentiert uns dieselbe junge thronende Frauenfigur mit langen blonden Locken, mit Tiara und Pontifikalgewand bekleidet, den Blick nach oben gewandt und die Hände zur Seite weisend. Anders als im Weingarter Fresko ist Ecclesia hier nun das eigentliche formale und inhaltliche Zentrum des Bildfeldes. Der Schlüssel zur Thematik des Freskos ist in der Personengruppe der linken Bildhälfte zu finden. Ein mit Rüstung und rotem Mantel bekleideter Mann kniet vor Ecclesia und bietet ihr den Grundriss der Fürstenfelder Abteikirche dar. Dass es sich hierbei um einen bayerischen Herzog handelt, verdeutlichen das Wappen im Hintergrund sowie der auf einem Kissen präsentierte Herzogshut. Unterstützt wird der Bayernherzog von der in grün gewandeten Spes, die Personifikation der Hoffnung. Ihr Attribut ist der Anker, der hier neben dem Herzog zu erkennen ist. Durch die Rüstung des Herzogs und das historisierende Gewand des Mannes aus seinem Gefolge soll darauf verwiesen werden, dass die Personen aus einer vergangenen Zeit stammen und somit ein historisches Geschehen dargestellt wird. Die Darbringung eines Grundrisses durch eine historische Persönlichkeit war für den zeitgenössischen Betrachter als Bildthema geläufig, denn sie ist die übliche Bildformulierung für die Darstellung der Gründungsgeschichte, wie sie in zahllosen Deckenbildern dieser Zeit zu sehen ist. Doch üblicherweise wird der Grundriss nicht Ecclesia dargebracht, sondern Maria, der Dreifaltigkeit oder dem Ordensvater. Der Gründungsakt der Abtei wird in den Deckenbildern als historische Tatsache vorgestellt, die durch die göttliche Gnade ermöglicht wurde und somit ein heilsgeschichtlich-historisches Ereignis darstellt.13 Doch warum wird der Grundriss hier nun Ecclesia dargebracht? Im Jahr 1256 stiftete der Bayernherzog Ludwig II. das Kloster Fürstenfeld, nachdem er aus unberechtigter Eifersucht seine Ehefrau, Maria von Brabant, zum Tode verurteilen und hinrichten ließ.14 Auf päpstliche Weisung sollte der reuige Herzog zur Sühne für das begangene Unrecht ein Kloster gründen.15 Die Darstellungsweise der Ecclesia in Personalunion mit der Personifikation des Papsttums ist in diesem Gründungsfresko somit mit mehreren Bedeutungsebenen belegt. Da es sich bei der Klostergründung um eine päpstliche Weisung gehandelt hatte, erscheint es schlüssig, dass hier der Personifikation des Papsttums der Grundriss dargebracht wird. Doch liegt die Einbindung dieser Form der Ecclesiadarstellung in das Bildthema der Klostergründung inhaltlich vielmehr in der Reue und der Bußetat des bayerischen Herzogs begründet. Am Beispiel des Herzogs wird dem Gläubigen der rechte Weg zur Vergebung seiner Schuld vor Augen geführt. Der göttliche Lichtstrahl, der auf Ecclesia herabkommt, symbolisiert die ihr von Gott übertragene Ermächti13 BAUER (wie Anm. 7), 235. 14 Ralph PASCHKE: Fürstenfeld, in: BUSHART/RUPPRECHT (wie Anm. 2), 226–230, hier 226. 15 Ebd.
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gung zur Vergebung der Schuld. Die Haltung und die Blickrichtung der Ecclesia machen deutlich, dass sie jedoch lediglich als Vermittlerin zwischen dem reuigen Herzog und der göttlichen Vergebung fungiert. Damit ist in diesem Fresko bei weitem nicht nur die Gründungsgeschichte der Abtei illustriert, sondern die Bildthematik verweist unmissverständlich auf die Rechtfertigungslehre und berührt damit eine der zentralen Streitfragen zwischen der katholischen und der protestantischen Glaubenslehre. Durch die hier gewählte Darstellungsweise wird betont, dass die Vergebung der Schuld nur durch Reue, Buße und gute Werke zu erlangen ist, und dass dieser Weg einzig über die katholische Kirche und ihre Glaubenslehre führen kann. Als ein weiteres Beispiel kann das vielfigurige Langhausfresko der schlesischen Benediktinerabteikirche St. Hedwig in Wahlstatt (Legnickie Pole) angesprochen werden, an dem Cosmas Damian Asam 1733 arbeitete. Es zeigt die Legende der Auffindung des Heiligen Kreuzes durch die Kaiserin Helena. Das in der Legenda aurea16 geschilderte Ereignis findet vor der bildbeherrschenden Architekturkulisse, die Jerusalem symbolisieren soll, und einer großen Volksmenge statt. Deutlich sind die drei aufgefundenen Kreuze zu erkennen; zwei Männer sind gerade dabei, das Kreuz Christi aufzurichten. Kaiserin Helena steht neben dem Kreuz, den Blick auf einen liegenden Mann und eine Frau am Fuße des Kreuzes gerichtet. Laut der legendarischen Überlieferung wurde der Jüngling vom Tode erweckt und die Frau durch die Berührung des Kreuzesstammes von schwerer Krankheit geheilt, was als Beweis für die Echtheit des Kreuzes angesehen wurde.17 Über der ganzen Szene schwebt, von Engeln umgeben, der auferstandene Christus, die Hand zum Segensgestus erhoben. Entlang des Freskorandes reihen sich weitere Figurengruppen und Nebenszenen, die vorwiegend den Kampf der Christen im Zeichen des Kreuzes verdeutlichen.18 In die Darstellung der zentralen Szene mit der Auffindung des Heiligen Kreuzes ist auch Ecclesia am linken Rand eingefügt. Sie ist hier nun stehend dargestellt, entspricht ansonsten aber dem charakteristischen Figurentypus aus anderen Fresken Asams: das lange gelockte blonde Haar, die päpstliche Gewandung, die Tiara auf dem Haupt, den Kreuzstab an ihrer Seite, die Arme ausgebreitet. Leicht erhöht steht sie isoliert auf einem Felsmassiv und vermittelt durch ihre Gestik zwischen dem sich vor ihr abspielenden historischen Ereignis und dem sich hinter ihr erstreckenden Zug an Personen und Personifikationen. Durch ihre wenig pointierte Einbindung ins Fresko und ihre stehende anstatt thronende Haltung, ist der triumphale Charakter der Darstellung nun gedämpft. Sie tritt auch hier als Vermittlerin auf, wird zugleich durch die fast historisch-sachliche Bildformulierung aber auch als historische Zeugin des heiligen 16 Zur legendarischen Überlieferung Jacobus de VORAGINE: Die Legenda aurea. Aus dem Lat.
übers. von Richard Benz, Heidelberg 41963, 377–387. 17 Ebd., 384. 18 Bärbel HAMACHER: Wahlstatt, in: BUSHART/RUPPRECHT (wie Anm. 2), 258–260, hier 259.
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Geschehens präsentiert.19 Abgesehen von ihren charakteristischen Attributen ist auch die Positionierung der Ecclesia auf dem mächtigen Felsen als deutliche Anspielung auf das Papsttum zu verstehen. Wie bereits im Zusammenhang mit der Weltenburger Ecclesiadarstellung zitiert, steht der Fels für Petrus, den ersten Stellvertreter Christi auf Erden, auf dem die Kirche Christi erbaut werden solle.20 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Zuge der Katholischen Reform und Gegenreformation die großen Bildprogramme der Sakralräume genutzt wurden, um wichtige Bereiche der katholischen Glaubenslehre zu verdeutlichen und zu verherrlichen. Gerade am Darstellungstypus der Ecclesia lässt sich deutlich ablesen, dass die traditionelle Darstellungsweise der Ecclesia mit Kelch, Kreuzstab oder Kreuzesfahne problematisch geworden war, da sie nicht zweifelsfrei erkennbar machen konnte, welche Kirche denn tatsächlich gemeint ist. Dieses neue Bedürfnis nach Spezifizierung schlägt sich in der Verschmelzung von Kirche und Papsttum nieder, wie die Beispiele aus dem Werk Cosmas Damian Asams eindrücklich vor Augen führen. Ob im thematischen Kontext der Heiligen- und Reliquienverehrung, der Marienverehrung, der Sakramente, der Geschichte des Ordens und der Abtei oder gar der Darstellung des eigenen Anteils an der Heilsgeschichte, die neue Figur der Ecclesia lässt sich flexibel eingliedern und kann der Gesamtaussage des Bildfeldes die entsprechende inhaltliche Ausrichtung verleihen. Die Beispiele haben gezeigt, dass die Einbindung der Personifikation der Papstkirche in die jeweilige Bildprogrammatik ganz unterschiedlich sein kann, stets dient sie aber der Untermauerung des Anspruchs der katholischen Kirche, die wahre Kirche Christi zu sein. Nicht eindeutig zu klären ist die Frage, welchen Part der Auftraggeber bei der Verwendung dieser charakteristischen Darstellungsweise einnahm. Wünschte er explizit die Einbindung dieser Form der Ecclesiadarstellung in das Bildprogramm oder ging der Vorschlag auf Cosmas Damian Asam zurück, der diesen Figurentypus favorisierte? Leider lassen sich hierzu keine definitiven Aussagen treffen, da die den Darstellungen zugrunde liegenden schriftlichen Programme nicht erhalten sind. Lediglich für die Abtei Weingarten ist, wie bereits erwähnt, der schriftliche Entwurf des Bildprogrammes mit Ausnahme der Kuppelausmalung erhalten. Berücksichtigt man die in anderen Fällen überlieferte Vorgehensweise bei der Entwicklung des Bildprogrammes und der Umsetzung durch den Künstler, so ist anzunehmen, dass die Bildfindung im gegenseitigen Austausch zwischen Auftraggeber und Künstler zustande kam. Wie Bärbel Hamacher im Zusammenhang mit Cosmas Damian Asams Fresken in der Schlosskapelle in Ettlingen und der Wallfahrtskirche Maria Hilf in Amberg festgestellt hatte, waren 19 In vergleichbarer Haltung fügte Asam die Figur der Ecclesia auch am linken Bildrand des
1732/33 entstandenen Chorfreskos der Benediktinerabteikirche St. Emmeram in Regensburg ein. 20 Evangelium nach Matthäus 18,16.
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hier „Inhalt und Personen (…) Asam vorgegeben, aber in allen kompositorischen Fragen hatte der Künstler freie Hand“.21 Auch zeigt der Vergleich zwischen dem überlieferten Programmentwurf und den ausgeführten Fresken der Benediktinerabteikirche Weingarten, dass dieser nicht als unumstößliche Arbeitsanweisung zu betrachten ist, sondern sich Bilddetails oder sogar ganze Bildthemen während des Entstehungsprozesses noch verändern konnten. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur der Freskant dem Auftraggeber immer wieder veränderte und verbesserte Vorschläge in Form von Skizzen vorlegte, sondern auch der Auftraggeber selbst sein ursprüngliches Konzept noch ergänzte und veränderte.22 Wie bereits dargelegt, verwendete Asam in seinen Fresken bevorzugt diesen ganz bestimmten Typus der Ecclesiafigur, der überregional in seinen Darstellungen zu finden ist und den er lediglich in Weltenburg variierte. Der Schluss liegt somit nahe, dass Asam den Auftraggebern diesen Figurentypus vorgeschlagen hat, wenn diese eine Personifikation der Ecclesia wünschten. Ob die Auftraggeber ausdrücklich nach einer Ecclesia mit päpstlichen Attributen verlangten, kann aufgrund des fehlenden Quellenmaterials nicht belegt werden.
21 HAMACHER (wie Anm. 1), 53. 22 Ebd., 64.
Lenka Stolárová EXPLOITING HITHERTO UNKNOWN TRANSFERS OF ARTISTIC NOTIONS TO THE LANDS OF THE BOHEMIAN CROWN AS EXEMPLIFIED BY CARLO SCRETA
Carlo Screta (also known as Karel Škréta, ca. 1610–1674) is regarded today as one of the key personalities of Baroque culture in Bohemia, even as a personality who has managed, by exertion of the force of his powerful synthesizing talents, to imprint certain characteristic features to the artwork of centuries beyond his own. The work of Carlo Screta has received abundant praise – but also, condemnation – as times went by, particularly during the 19th century when it became subject of both uncritical adoration and baseless reprobation. The assessment of Screta’s works was influenced not only by the style of the time but also by the nationality of the various evaluators.1 The 400th anniversary of Screta’s birth has turned once again the researchers’ focused attention on the life and work of this artist. An international scientific and research project of which the National Gallery in Prague became the chief executing agency, has brought an abundance of new information, and subsequently, a broadly conceived exhibition (2010/2011) presented Screta’s work in all its complexity.2 * The preparation of this text received support of a subsidy toward long-term conceptual development of the Prague National Gallery as a research organization of the Czech Republic Ministry of Culture. It expands and upgrades the conclusions arrived at by the science & development project Carlo Screta (1610–1674): His Work and his Era, CZ 0112, no. 02 06/07 0121 IP 112 MK-T, supported by a grant of Iceland, Liechtenstein and Norway under the EEA Financial Mechanism. ** All correspondence mentioned, as well as other unedited documents referred to, are part of the Author’s critical edition of sources (under preparation). 1 First and foremost, Gustav Edmund PAZAUREK: Carl Screta (1610–1674). Ein Beitrag zur
Kunstgeschichte des XVII. Jahrhunderts, Prag 1889, especially 60–64. Pazaurek took great pains indeed to portray Carlo Screta as an eclecticist without any inventiveness and artistic expression of his own. Jaromír NEUMANN: Karel Škréta (1610–1674), Praha 1974, 9–12. 2 The paintings, life, and work of Carlo Screta were the subject of research conducted within the framework of this international science & research project executed mainly by the Prague National Gallery sponsored by a grant extended by Iceland, Liechtenstein, and Norway via the EEA Financial Mechanism and the Norwegian Financial Mechanism; its focus was the key personality who has had the greatest influence on the development of Bohemian Baroque painting, as well as the Czech and – in the broader context – also the Middle European artistic production of the modern times. The mission of the project was to capture and register, document, explore in terms of technology, preserve, process by scientific methods, and present the works of the founder of Bohemian Baroque painting, Carlo Screta, and his circle to the public. The project has significantly contributed to summing up and revising the results of foregoing research, but mainly has provided room for assessing the new information obtained, the methodological shifts that occurred, and last but not least, the work of the new generation of researchers dealing with
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Moreover, new attributions of the artist’s works also appeared, while to the contrary, some paintings previously ascribed to Screta were disputed. Thanks to a generous financial support, an extensive restoration of the artist’s paintings could also be undertaken which has significantly widened out notions of Screta’s work. Today he is better understood and, in conjunction with the data acquired by recent research, we may deservedly regard Carlo Screta as the „founder of the modern-era Bohemian tradition in painting“3. Clearly, Screta in his work has succeeded in fully exploiting the knowledge, skills and experience acquired during the course of his peregrinations outside the Bohemian Kingdom (1627–1638).4 He acquainted himself with the emergent Baroque art of the Transalpine region but also of Italy where during his wanderings he was absorbing the best of the forefront art centers, learning as he was from the works of masters and in the workshops of leading artists. While the Bohemian part of Carlo Screta’s life story is rather well documented so that we may reconstruct it reliably enough, our knowledge of the painter’s travels abroad, which took approximately ten years, is sketchy and fragmentary. Precisely that period was determining for shaping Carlo Screta’s notions of the fine arts and for his artistic advancement. Even in monographs dedicated to Screta which in all other aspects are carefully compiled and backed by archival research, this period of the artist’s life has remained at the level of hypotheses.5 As we learn from the book by Gustav Edmund Pazaurek, „until the artist’s return from Italy his life is largely unknown and surrounded by dark-
the issues of 17th century art. It is a topic that, in addition to addressing the issues of technical and technological research and preservation of mobile art heritage, combines and interlinks several arts disciplines of science (art history, history, theology, history of literature, etc.). More than 200 works of art were subjected to research. For further information, see http://skreta.eu/. 3 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Karel Škréta – člověk a umělec v čase proměn [Karel Škréta – Man and Artist at a time of transformations], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo [Karel Škréta (1610–1674): His Era and his Work], eds. Lenka STOLÁROVÁ and Vít VLNAS, Praha 2010, 17–23 and also Jaromír NEUMANN: Škrétové. Karel Škréta a jeho syn [Screta’s family. Carlo Screta and his son], Praha 2000, 6. 4 Petr PŘIBYL/Lenka STOLÁROVÁ: „K stále rostoucí slávě našeho pilného umělce“. Karel Škréta mezi Švýcarskem, Říší a Itálií v zrcadle nově objevených pramenů [„On the ever increasing fame of our diligent artist“. Carlo Screta between Switzerland, the Empire and Italy in the mirror of recently discovered sources], in: Karel Škréta (1610–1674). Studie a dokumenty [Carlo Screta (1610–1674). Studies and Documents], eds. Lenka STOLÁROVÁ and Vít VLNAS, Praha 2011, 73–81, here 78. 5 Antonín Rybička SKUTEČSKÝ: Karel Škreta Šotnovský ze Závořic. Nástin rodo- a životopisný [Karel Škreta Šotnovský ze Závořic. A family-historical and biographic outline], in: Světozor III (1869), 42–43, 50–51, 55–56, 63; PAZAUREK: Carl Screta (as in ann. 1); Jaromír NEUMANN: Karel Škréta (as in ann. 1); Jaromír NEUMANN: Škrétové (as in ann. 3).
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ness.“6 Fragmentary reports of Screta’s juvenile works7 mostly missing today and the absence of archival sources continued casting a rather impenetrable, enigmatic veil over that period of the artist’s life. Within the aforementioned project, the authoress undertook a broadly based archival study in order to bring more transparency to our understanding of this phase of Screta’s life. Family correspondence scattered in German and Swiss archives has indeed cast new light on Screta’s activities abroad. A preliminary assessment of the source documents found has been published in part in various contributions that appeared in the catalogue and monographs relating to the project Carlo Screta (1610– 1674): His Era and His Works, but additional documents were discovered making it possible to describe the circumstances of Screta’s peregrinations in more detail; and it is quite possible that even more discoveries can be made in the future.8 One thing is that it has been possible to ascertain more precisely the places he was staying in Italy, the German Empire, and Switzerland,9 but another thing is that traces of Screta’s wanderings were also found in the Low Countries and in today’s Belgium.10 6 Gustav Edmund PAZAUREK: Carl Screta (as in ann. 1), 22–24, here 24. 7 On this topic, Jana ZAPLETALOVÁ: Škréta, Sandrart, Oretti: poznámka ke Škrétovu působení
v Itálii [Škréta, Sandrart, Oretti: A note on Screta’s activities in Italy], in: Umění LVII/4 (2009), 398–402 (bibliography), and EADEM: Škrétové z italských archivů [The Scretas as documented in Italian archives], in: Karel Škréta a malířství 17. století v Čechách a v Evropě. Sborník příspěvků z odborného kolokvia pořádaného Národní galerií v Praze v klášteře sv. Anežky České ve dnech 23.–24. března 2010 [Karel Škréta and 17th century painting in Bohemia and in Europe. Contributions of an experts’ colloquium held by the National Gallery in Prague at the Convent of Saint Agnes of Bohemia on 23–24 March 2010], ed. Lenka STOLÁROVÁ, Praha 2011, 13–20. 8 Most recently, Lenka STOLÁROVÁ: Škrétova léta vandrovní. Rodinné souvislosti zahraničního pobytu Karla Škréty (1627–1638) [Screta’s years of peregrinations. Family connotations of Carlo Screta’s sojourns abroad (1627–1638)], in: Karel Škréta (1610–1674). Doba a dílo. Studie, dokumenty, prameny, eds. Lenka STOLÁROVÁ and Kateřina HOLEČKOVÁ, Praha 2013, 21–30; Lenka STOLÁROVÁ: Karel Škréta a Záalpí [Carlo Screta and the Transalpine countries], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 64–65; Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS (as in ann. 3), 17–23; Petr PŘIBYL/Lenka STOLÁROVÁ (as in ann. 4), 73–78; Lenka STOLÁROVÁ/Radka TIBITANZLOVÁ/Vít VLNAS: Karel Škréta v Praze anebo Příběh dvojího počátku [Carlo Screta in Prague or The story of two beginnings], in: Karel Škréta (1610–1674). Studie a dokumenty (as in ann. 4), 53–71; Tomáš SEKYRKA/ Radka TIBITANZLOVÁ/Štěpán VÁCHA et al.: Archivní doklady k životu a dílu Karla Škréty [Archival documents on the life and work of Carlo Screta], in: ibidem, 265–373. 9 Petr PŘIBYL/Lenka STOLÁROVÁ (as in ann. 4), here 73. 10 Evidence is available that Carlo’s elder brother, Jindřich Škréta (Henry Screta) was staying in Leyden. It is more than improbable that the young novice of the art of painting would not have used the opportunity of visiting this country and, as a matter of fact, the neighbouring Belgium („Low Countries“). This is to say, the Promised Lands of the Arts. In assuming this, a role is also played by the fact that in his latter works we demonstrably find inspiration from the works of the masters of the period; let us name, in lieu of all others, e.g. Peter Paul Rubens or Rembrandt van Rijn. For more details see e.g. Štěpán VÁCHA: Ukřižování s Pannou Marií Bolestnou a dušemi
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The situation in Bohemia in the field of power politics by the end of the 1620s was favoring mainly the Catholics. Screta’s family who were patricians leaning toward the protestant Unitas fratrum (Unity of the Brethren) religious community,11 was condemned to an imposed exile combined with the loss of property. There is no doubt that Screta’s decision to leave Prague was contributed to by the intense recatholization pressures in combination with the political developments which were negative from the point of view of the non-Catholic populace of Post-White-Mountain Bohemia (The Battle of White Mountain, in 1620 on the outskirts of Prague, marked the doom of Protestantism in the country). This however appears to be only one of the reasons for taking this step. Thanks to the social situation of the family, all children of the deceased Kundrat (Konrad) Screta had received very good education.12 In the case of Carlo’s brothers this had culminated in so-called peregrinations (cavalier travels), completing the education not only of young noblemen but also of the sons of rich burghers. Apparently, Carlo left for abroad according to a plan he had conceived, since this is what he testified to himself on the occasion of lawsuits he engaged in to retrieve the lost family property and to sue for compensation of his pecuniary claims. Among other things he testified that he had left for foreign countries in order to acquire „a greater knowledge and experience of the arts“; this he did more or less immediately after having been awarded his apprenticeship leaving certificate from a painter yet to be identified, in July 1627.13 The artist by whom he was awarded his leaving certification from an apprenticeship period may have been Aegidius Sadeler14 whom the Screta family had known in Prague. This possibility, mentioned over and again many times, has recently gained additional support thanks to the finding that Carlo Screta during his Italian travels was maintaining contacts with Aegidius’ nephew residing in Venice. From Aegidius Sadeler precisely Carlo
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v očistci [Crucifixion with the Our Lady of Sorrows and with Souls in Purgatory], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 210–211, cat. no. V.2. As is documented by a recent finding in the Unity of the Brethrens’ bishop Matouš Konečný archive, it was precisely this denomination to which the family belonged in 1607 (Carlo Screta himself does not yet appear on the list then compiled), Museum of the Mladá Boleslav region (Muzeum Mladoboleslavska), Matouš Konečný Archive (Archiv Matouše Konečného), sign. A3254/Praha/O1607, F 2v, 3r. Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS (as in ann. 3), 17–23. Radka TIBITANZLOVÁ: Karel Škréta vypovídá o své osobě po návratu do Čech [Carlo Screta’s testimony about himself following his return to Bohemia], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 592, cat. no. XVI.13. Even though Aegidius Sadeler’s direct participation in Carlo Screta’s art education is not documented, it is very well possible that Screta’s relatives were personally acquainted with Sadeler from the Royal Court circles to which Carlo’s father, the Cameral Accountant Kundrat Škréta († 1613), belonged. Vít VLNAS: Testament Kundrata, otce Karla Škréty [The Testament of Kundrat, father of Carlo Screta], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 583, cat. no. XVI.3.
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Screta could have best obtained a recommendation as to whom he should contact during his intended travel to Venice.15 The barrier between the „old“ Catholics and the Protestants, or as the case may be, the Post-White-Mountain converts, was not impenetrable in Bohemian society. It is clear from the contacts maintained by Screta that he had been able very successfully to take advantage of the social capital accessible to him thanks to his family and its social network. Not even the fact can be ignored that lineage and professional solidarity oftentimes was more powerful than confession and politics. We may assume that Carlo’s preparations for his peregrination travels were being undertaken with all due thoroughness and that already out of Prague16 the young painter was making arrangements for reception not only by his blood relations but also by friends and acquaintances residing abroad. Precisely the social linkages which remained stable regardless of the country’s political situation or the confession of specific individuals became the determining factor not just for the routing of his travels but especially for establishing and nurturing the young painter’s further contacts which paid interest to, and enriched, the already existing social network of Screta’s family. A letter by Henry Screta (Jindřich Škréta), dispatched from Prague on 14.04.1627 to his brother Jan to Basle, also supports this assumption: „Our brother Carlo has greatly advanced and now (in spite of mother’s volition) is making ready for setting out to travel abroad. With travel money it is not easy at all but I hope that some help will come by.“17 Another one of the series of Henry’s letters allows for the assumption that Carlo Screta was aiming for Basle in Switzerland where he intended to visit his eldest brother Jan,18 who has been engaged here in his medical studies and having been
15 Marc (Marcus) Sadeler, the nephew of Aegidius, is mentioned by Carlo Screta himself, as an
addressee to whom correspondence is to be sent. See ann. 28. 16 Carlo’s travels had been contemplated even before the promulgation of the Renewed Country
Constitution (10.05.1627) and of Ferdinand’s II Patent expelling Bohemia’s non-Catholic nobility from the country (31.07.1627); thus it is probable that he had set out from Prague in 1627 truly according to plan, of his own free will, for travels aiming to acquire knowledge. 17 Stadtbibliothek Schaffhausen, Nachlass von Ludwig Lutz (1577–1642), sign. Msc Scaph 8, 6/4. 18 Quoting further from the same letter addressed to Ludovicus Lucius: „With us the position is such that having quashed many a calamity [we] now are barely allowed to breathe. On the top of it, hour by our we are threatened by exile connected with a loss of nearly all our assets. As regards money it is so bad that in our province the ailment called misery is spreading all around. And in such bad times one cannot sufficiently admire nor adequately praise the goodwill that you all keep displaying vis-à-vis our brothers. From this it can be inferred that thanks to the providence of God is so happened that my brothers were able to find their lost homeland with you, combined with your humane goodness predestined for disburdening those who have been afflicted due to this or that fateful decree.“ Stadtbibliothek Schaffhausen, Nachlass von Ludwig Lutz (1577–1642), sign. Msc Scaph 8, 6/4.
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awarded his M.D. degree19 had married the daughter20 of a theologian of eminence, professor at Basle University Ludwig Lutz (Lucius; 1577–1642).21 (ill. 1) After his marriage Jan was able not only to strengthen his position in society but also to guarantee an appropriate reception as well as a transitory asylum to his younger sibling. Interestingly, prior to the wedding he was obligated to present a copy of his nobilitation (ennoblement) charter in order to prove his membership in the privileged societal stratum. Henry wrote later on in April, 1627 from Prague: „From the divestment of certain vineyards I am transmitting to my brother Jan the sum of 500 Imperials, and to Carlo 60 Imperials. I implore you, as soon as you receive these monies from the merchant, be so good as to allot to each of them as much as you think proper.“22 Apparently, Jan’s father-in-law who had been a mainstay of support to the two brothers, had played a key role in Carlo’s sojourn in the Empire, in Switzerland and also in other countries. Thus, this humanist scholar of renown had been to him not only the warrantor of material security but also the provider of a societal background. For him he mediated further activities and kept watch over the share payments deriving from the family estates. Henry stayed with their mother in Prague where he was striving to retrieve the value of the family assets and to sell them at an advantage. Simultaneously, he was keeping in contact by correspondence with the two brothers, mainly through the good services of Jan’s father-in-law Ludovicus Lucius to
19 On 23 July 1622. Die Matrikel der Universität Basel, II, 1601/33–1600/01, ed. Hans Georg
WACKERNAGEL, Basel 1962, 225. 20 His career as well as personal advancement were also helped by his marriage with Rosa (Rozina;
christened on 29 August 1600). The wedding took place on 20 February 1624, at the time when Ludwig held the post of chancellor of the University of Basle. Although it certainly had also been a wedding out of necessity (the first offspring was born to the married couple as early as late in June 1624); it took place with all pomp in the Prytaneum, the University’s solemn celebration hall. Also, Jan had been able to loan the ceremonial University tableware. Die Matrikel der Universität Basel (as in ann. 19). A record of this loan is preserved at the Universitätsbibliothek Basel – Abteilung Handschriften und Alte Drucke, sign. Fr.– Gr./Ms. II./10, f. 45. As regards the Prytaneum, see Fritz BURCKHARDT: Das Prytaneum an der Universität Basel, in: Basler Jahrbuch 26 (1906), 23–48. 21 Die Matrikel der Universität Basel, II, 1532/33–1600/01, ed. Hans Georg WACKERNAGEL, Basel 1962, 383. 22 „Myself together with my most beloved mother am staying in the home country still, and am making efforts solely to gain as much money as possible out of the sales of the paternal assets. However, our situation being deplorable and there being not many buyers forthcoming, it is only allowed to gain very little out of what had been huge assets. From the sundry sales of certain vineyards I am sending to my brother Jan the sum of 500 Imperials, and to Carlo 60 Imperials. I implore you, as soon as you receive these monies from the merchant, be so good as to allot to each of them as much as you think proper.“ Stadtbibliothek Schaffhausen, Nachlass von Ludwig Lutz (1577–1642), Letter by Jindřich (Henry) Screta from Prague dated on 14 April 1627 (as in ann. 17).
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Ill. 1 Peter Aubry: Ludwig Lutz (Lucius), 1622–1642 (?). Copperplate engraving, graphic art print 10,1 x 7,5 cm, paper 14,2 x 9,7 cm. Text atop the portrait: M[arcus] Ludovicus Lucius, professor Basil(eensis). Epigram underneath the portrait: Corpus humi/ placide dormit, mens lucida caelo fulget et/ oeternum Lucia fama viget. Quid mors stulta/ virum talem sepelire tenebris ausa es tam vivax,/ crede, perire nequit AVI homoratissimi memoria/p. [osuit?/iae?] Fridericus Lucius Screta, philos./ [ophiae] & medic. [inae] doctor, reip. [ublicae]/ Scashus medicus.; B[ios] 1577; Th[anatos]/1642. P. Aubry. Universitätsbibliothek Basel. (Photo: Universitätsbibliothek Basel)
whom most of the letters are addressed. It was he who then used to pay out the shares of the sold assets to the brothers, in proportion to what Henry was sending to him. The radius of action shown by Carlo the youngest brother was considerable. For instance, as early as in the fall of 1628 he left for Stuttgart where his stay is documented thanks to a drawing preserved in the Album Amicorum of the German humanist Johann Jacob Sparn.23 The reason why Carlo Screta left his safe haven in Basle was probably a massive pestilence which befell the town during the 1628–1629 period.24 On leaving Basle Carlo’s claims on financial support grew higher, and this had been 23 Alena VOLRÁBOVÁ: A Youngster’s bust, in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in
ann. 3), 346, cat. no. VIII.1 (bibliography); Jaromír NEUMANN: Karel Škréta (as in ann. 1), 195–197; Jaromír NEUMANN: Škrétové (as in ann. 3), 18, fig. 9; Ingeborg KLEKLER: Die Handschriften der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart III. Stammbücher bis 1625, Wiesbaden 1999, 169–172. 24 For more details in this topic, see Petr PŘIBYL/Lenka STOLÁROVÁ (as in ann. 4).
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borne with particular discomfort by Henry Screta who kept trying not only to bring to completion the divestment of the family assets and the administration of those still remaining, but also was making efforts to keep up his supply of cash to the two brothers. Like a red thread, the incessant worry on how to satisfy the financial claims of the brothers and their mother keeps recurring in the correspondence. In some cases, Henry lost patience and became angry at the never-ending requests and requirements of the youngest of the brothers.25 Also remarkable was the mobility of Carlo Screta’s elder brothers (Map 1, 2), who had taken part to a decisive degree in the preparations of the painter’s travels not only by providing the funding but – as has been alluded to above – mainly thanks to their contacts and societal links.26 Until 2010 the degree of awareness and knowledge of Screta’s itinerary during the 1627–1638 period was less than modest, and all that had been known „for sure“ were his stays in Florence, Rome, Venice and Bologna. (Map 3) Except for those four art centers he was assumed to have stayed in Stuttgart, probably in 162827, and there were some indications of Screta’s sojourn in Saxony in 1635.28 This situation was provoked 25 „Our brother Karel (Carlo) has been overstating his needs. He is asking for one hundred ducats
from the legacy, failing to realize that this kind of grain was never plentiful in our fields, and definitely not during times such as this bad harvest. Unless however he stops being importunate, I will transfer one hundred Imperials to him which are due him from the Melnik vineyards and were safeguarded as a welcome reserve for cases of urgent need.“ Stadtbibliothek Schaffhausen, Nachlass von Ludwig Lutz (1577–1642), Letter by Jindřich (Henry) Screta from Leipzig dated on 18 October 1628, addressed to Jan Screta in Basle, sign. Msc Scaph 8, 6/4. In a letter addressed to Ludovicus Lucius, this time to Konstanz (Constance), see Stadtbibliothek Schaffhausen, Nachlass von Ludwig Lutz (1577–1642), Letter by Jindřich Škréta from Lissa (Leszno) dated on 5 October 1629, addressed to Ludovicus Lucius in Konstanz, sign. Msc Scaph 8: „My most illustrious Sir, may Your Reverence hand over to my brother the moneys that I have sent him. It is the sum of 425 florins which only recently I have been able to glean from what had been our property.“ 26 Lenka STOLÁROVÁ: Škrétova léta vandrovní (as in ann. 8), particularly 22–23. 27 For more recent details on this topic, see Petr PŘIBYL/Lenka STOLÁROVÁ (as in ann. 4); Alena VOLRÁBOVÁ: Poprsí mladíka [Bust of a Young Man], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 60 (here also, references pointing to an earlier bibliography). 28 It appears that this assumption is disproved by the letter kept with the Stadtbibliothek Schaffhausen, Nachlass von Ludwig Lutz (1577–1642), Letter by Carlo Screta from Pistoia dated on 8 June 1636, addressed to Jan Screta in Basle, sign. Msc Scaph 8, 3/9: „Edler Ehrenkoster Großgüstiger Herr Schwager deme seyen neben Winschung von Gott dem Allmächtigen meine willige dienste über Zeit bevor. Wie wohl ich auch zu forn dem herrn Schwager so auch meinem herren Bruder Doctori auß Rohm geschrieben gewaldig begirig von ihren Zustand zu wißen (die weil der Zeiten sich aldorsten gewaltig Verendert hat) darauf ich kein Antwort nie nicht gehabt. allein von einem mihr gesagt (der den Zeit beim herren Schwager in der Kost gewesen) Nemlich daß meiner herr Bruder Doctor sich in Krieg begeben, und von dem Feind gefangen worden, von ihm sich aber wie derumb loß gemacht hat, wie es aber weiters mit ihm forfahren kein Wort mehr hab ich Verstehen können und mihr von herzen lieb wers daß dem herren Schwager und meinem h. Bruder Doctori sampt seiner Frawen und Kindern wohl güngs und ich gegen
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by the fact that for most authors of monographs concerned with Screta, the principal source they were tapping for learning about this pivotal phase of the artist’s career was the test of the famous work Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste of Screta’s contemporary Joachim von Sandrart who, it is true, has also stressed Screta’s foreign schooling and talent which had manifested itself from his early boyhood,29 ihnen der Affection nach mich würklich erzeigen könte. Mit diesem aber thue ich dem Herren Schwager zu wißen, daß ich den ersten dieses Monats schreiben von meiner Frawen Mutter, und auch dem herren Bruder Henrichen gehabt, sich gewaltig uber dem Doctor lamentierende, daß er ihnen nicht Antwortet auf ihre filseltige gethame Briefe, darumb sie nicht wißsen ob er lebendig oder Todt ist, bittende daß ich müglichsten fleiß anwenden soll von seinem Zustand etwas zu erfahren. Als bitte ich dem herrn Schwager aufs höhste, wo er beim leben, oder irgents sich aufhaltet, ihm ermahnen umb nicht so nachläßich zu werden, Und die weil ich nach Polen verweißen will auf ihre begeren so sol mihr der h. Brud. Doctor befehlen, wie und mit unser Manier ich seine sachen aufrichten soll. Ius für main Person anderst nichts suche allein einmahl der sachen ledig und loß zuwerden, darvon sie mihr auch schreiben und der H. Bruder Henrich zu Gott hofft, daß wier mit ihm zu frieden worden, Gott gebe. Weiter berichten auch wie daß unsere Schwester Agnes Todts abgangen, und ohne Erben. Und ihr Wesonder Mann sich anerbieten thuet, ein Paß Zettel von Ihr. Key. May. zu erlangen, umb daß unser einen sich in Böhmen begeben kan, die hinderlaßene sachen und schulden, die dernach verbotten worden danen zu geben denenszugehören, sollicitieren zu haben. Und die weil ich ohne daß die Strafe thuen muß, so will ich sachen aufs müglüchste etwas nutzlichs außzurichten, dar zu der herr Bruder Doctor auch seinen Raht thuen soll. Anbelangt aber meines Zustandts Gott lobe ich befinde mich wohl und nach dem ich von Venetien Verreiß han ich zwey Jahr zu Rohm gewohnt. vn in der Zeit aich zu Neapoli geweßen. Und dan ersten dieses Jahrs mich von Rohm begeben und nach Florenz kommen von dannen ich necher Pistoia berufen und mich hierimes aufhalten der herr Schwager aber werdt unbeshwert nach Venetien schreiben und den brief dem S. Marco Sadeler a S. Giovanni Chrisostomo recomandieren der werdt mihr ihm zu shicken. Newes nichts alß daß die Statt Ravenna von große Ungestimmes des Meers mitt Sand bedeckt, Und Uberlofen und wie wohl es 40 Stund gewart doch bei 1200 Persohnen ertruncken und umbkommen. Mit diesem sich dem Herren Schwager sampt Seinem ganzen Hauße in Gottes Allmöchtige Hände befehlen thue. Datum in Pistoia 8. Junii Anno 1636d. h. Schwagers Willig allezeit Carl Screta MP.“ Tomáš SEKYRKA/Radka TIBITANZLOVÁ/Štěpán VÁCHA (as in ann. 8), regest and transcription no. 15 (ed. Lenka STOLÁROVÁ), 274. For more details see STOLÁROVÁ: Škrétova léta vandrovní (as in ann. 8); Lenka STOLÁROVÁ: Karel Škréta a Záalpí (as in ann. 8); Petr PŘIBYL/ Lenka STOLÁROVÁ (as in ann. 4). Regest Screta’s letter has cast serious doubts on the claim that he had visited Saxony (Dresden) at approximately the same time. In fact it almost disproves the hypothesis. On the top of it, the quality of the etchings depicting the Prince-Elector of Saxony and his sons is so inferior as to make it highly improbable that Carlo Screta could be their inventor. Most recently on this topic, see Petra ZELENKOVÁ: Carlo Screta, Samuel Weishun and the oldest theses of the Prague University, in: Ars Linearis IV, ed. Alena VOLRÁBOVÁ, Praha 2014, 60–69, here 60. 29 „Carolo Screta von Prag/wurde in seiner Kindheit bey Zeiten in einem zierlichen Sitten-und Tugend-Wandel angeführet/und daraufhin zu der edlen Mahler-Kunst gezogen/dern gründliche Regeln er/vermög einer ihme angebornen Arbeitsamkeit/wol ergriffen/und sich noch in früher Jugend ein schönes Lob darmit erworben: weil nun damals der Blut-begierige Mars aus seinem Vatterland die friedfartige Musen und Künste verjaget/auch er eine größere Wißenschaft zu er-
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but whose information on Screta’s travels are more than fragmentary if compared with newly documented as well as supposed destinations of the painter’s stays of which we are informed from Screta’s family correspondence. A reconstruction of Screta’s itinerary has already been given by myself elsewhere30 and thus it suffices to give a summary here, to the effect that between 1627–1636 he is presumed to have stayed in Basle, Stuttgart, Konstanz (Constance), and at least twice in Venice, Pistoia, Florence, Rome, and Naples. These circumstances represent a substantial enrichment of the biographic data presented by Joachim von Sandrart and other biographers. Here a pivotal role is played by Carlo Screta’s letter dated on 8 June 1636 in Pistoia31 where he expressly mentions some of these places and, simultaneously, refers to his second planned trip to Venice as well as to the places he was intending to stay.32 It is interesting to note that Sandrart does not mention Screlangen Komt nach Venedig/suchte/begab er sich in Italien/und hielte sich in Venedig etliche Jahre rühmlich und also auf/daß er alles denkwürdige sich bästmöglichst zu Nutzen machte/ und nicht allein einen schönen Kunst-Schatz samlete; sondern auch von diesem Reichtum den Kunstliebenden wieder allerhand schöne Bilder und beliebige Historien mittheilte/und dieselbe mit Ausbildung natürlicher Affecten/wolgezeichneten Inventionen/guter Manier/künstlichen Erhebungen und herlichem Colorit/zierte/dannenhero diese seine Stuck stark gesucht und reichlich bezahlet worden/zu immer mehr und mehr wachsendem Ruhm unsers arbeitsamen Künstlers (...)“ downloaded from the website: http://ta.sandrart.net/en/text/553#idx553.2 (2 October 2014). Lastly, according to Sandrart’s text he was to have left for Bologna, Florence and Rome. Joachim von SANDRART: Carolo Screta, in: Teutsche Academie der Bau-, Bild- und MahlereyKünste, Leben der berühmten Maler, Bildhauer und Baumeister, II. 3, Nürnberg 1675, 327. On Screta’s life story in Teutsche Academie see also Štěpán VÁCHA: Škréta, Sandrart a Merian. Několik úvah nad životopisem Karla Škréty v Teutsche Academie [Screta, Sandrart and Merian. Some musings over Carlo Screta’s curriculum vitae in Teutsche Academie], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo. Studie, dokumenty, prameny (2013) (as in ann. 8), 31–49; Lenka STOLÁROVÁ: Škrétova léta vandrovní (as in ann. 8); also, Štěpán VÁCHA: Tváří v tvář publiku: Škrétovy historiae sacrae pohledem soudobé umělecké teorie a malířské praxe. [Facing the public squarely. Screta’s historiae sacrae as regarded from the point of view of art theory and painting practice], in: Karel Škréta (1610–1674): Studie a dokumenty (as in ann. 4), 101–127. 30 See ann. 4 and 8. 31 See ann. 28. 32 Apparently, the person referred to in Marco Sadeler’s letter is the publisher and engraver (1600– 1644/60) for whose activities in Venice and, probably, also in Prague we have documentary proof. It is highly probable that he was a nephew of Aegidius II Sadeler who lived in Prague (he was the son of his elder brother Marc who died in 1593). It appears that we may count him among the Prague helpers of Aegidius, i.e. due to the fact that after his death he acquired most of the printing matrices which he later used with success in Venice where the prints of Aegidius were being re-issued. Aegidius II Sadeler (1568–1629) left for Italy in 1595 accompanied by his cousin Jan I (ca. 1550–1600). While Jan I settled in Venice where he operated a printing shop that after his death was continued by his son Justus (†1620), Aegidius II moved to Prague in 1597 on the invitation of Rudolf II. No doubt he maintained good contacts with his Venice relatives. For more details regarding the personality of Marc Sadeler, see Dorothy A. LIMOUZE:
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ta’s trip to Naples, even though Naples, similarly to Venice or Bologna, Florence, or Rome (which he does mention) are localities which the young artist could not have bypassed. Inasmuch as Screta himself wrote that in 1636 he left Rome for the first time to travel to the metropolis of Tuscany, it is highly probable that he had set out for Naples only after Sandrart had left Rome in 1635, therefore, no sooner than in spring of that year; this can be the reason why the profile of Screta in Sandrart’s Teutsche Academie fails to mention this trip.33 And yet, a certain awareness of Screta’s sojourn in Naples has persisted in the Italian environment. Marcello Oretti’s Italian translation of the Teutsche Academie based on the Latin edition also does report on Screta’s activity in Naples. The work has never advanced beyond the manuscript version Notizie de professori del disegno, cioè pittori, scultori,... Most probably, this interpretation of the text is due to an error contained precisely in the Latin version of Sandrart’s Academia nobilissimae artis pictoriae....34 (Map 4) These findings are of exceeding importance for an understanding of Screta’s work and its roots because they substantially alter our view of the work of this artist, whether their iconological and iconographic component or the painting techniques employed Aegidius Sadeler (c. 1570–1629). Drawings, Prints and Art Theory, Diss., Princeton 1990, 352; EADEM: The art of engraving at the Prague Imperial Court, in: Grapheion 2 (1997), 19–25, here 22; Isabelle de RAMAIX: Les Sadeler: De damasquineur à graveur et marchand d’estampes. Quelques documents inédits, in: Le livre et l’estampe XXXV (1989), no. 131, 7–46, here 25–26; EADEM: Aegidius II Sadeler, The Illustrated Bartsch, 72.1, ed. John T. SPIKE, New York 1997, VII–VIII. 33 It appears indeed that Carlo Screta visited Naples, as many other artists did, such as his friend Joachim von Sandrart. The latter arrived in Rome in the summer of 1629, but in the fall of 1631 he left for Naples, Messina, and Malta. He returned to Rome in 1632. In 1635 as it appears he left Italy; he is no longer listed in the status animae of the Sant’Eustachio parochial records. This it is more than probable that he was no longer present in the Eternal City at the time of Easter. Anthony COLATUONO: Guido Reni’s Abduction of Helen. The Politics and Rhetoric of painting in seventeenth-century Europe, Cambridge University Press 1997, 43; Sybille EBERTSCHIFFERER: Sandrart a Roma 1629–1635: un cosmospolita tedesco nel Paese delle Meraviglie, in: Roma 1630. Il trionfo del penello, ed. Michel HOCHMAN, Roma 1994, 97–114, here 97, 99, 101; Christian KLEMM: Sandrart, Joachim von, in: The Dictionary of Art, 1–34, ed. Jane TURNER, New York 1996, vol. 27, 724–726. No undisputable evidence has yet been found regarding Screta’s visit of Florence, but inasmuch as Sandrart specifically named Florence among the cities visited by Screta, we may well assume that in 1636 Screta visited for the second time the capital of Tuscany situated along the main artery connecting the north of Italy with Rome. This assumption is also supported by the text of the letter referred to in ann. 28. 34 Jana ZAPLETALOVÁ: Škréta, Sandrart, Oretti (as in ann. 7); EADEM: Škrétové (as in ann. 7); Marcello Oretti (1714–1787), Notizie de professori del disegno, cioè pittori, scultori,….Bologna, Pinacoteca comunale dell’Archiginnasio, rkp., sign. B 123–B 135/2. Oretti’s Italian translation leaned on the Latin edition of Sandrart’s Academia nobilissimae artis pictoriae published in 1683 in Nuremberg; it expressly says „in Neapoli“ instead of „in der Neustadt“ what would have come from the German edition. Quoted from Jana ZAPLETALOVÁ: Škréta, Sandrart, Oretti (as in ann. 7), here 399, 402, ann. 11.
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thereon.35 Other art centers and places of stay of which reflections can be found in the young artist’s work and which definitely have influenced Screta’s painting, as much as their connotations of time and political history, have so far eluded researchers’ attention. Many of them, such as Jaromír Neumann, have discerned the direct models serving for Screta’s works as well as the influences of the various artists. However, they regarded them as mediated models rather than as models which Screta may have learned to know directly himself. For instance, Neumann assumes that Carlo Screta „has apparently made indirect contact also with the Naples school of painting“36. Which by rights he regards as an important starting point of the painter’s style and one of the moments that determined his later works, permanently manifesting itself especially in the use of a rich, high-contrast and even dramatic tenebrism. It is mainly the artist’s late works that are saturated with tenebrism while at the same time, there is a tendency to a realistic and even naturalistic character of the figural component, as is evidenced for instance by The Passion Cycle (1670–1674) highly valued in superlatives to this day, painted for the Lesser Quarter Jesuit Professed House (Casa Professa) where reverberations of Rembrandt’s painting merge excellently with the traditions of Bologna painting and the naturalism style typical of artists working in Naples.37 The most important authors whose works have shaped the art style of Carlo Screta included above all the masters of Naples – Jusepe de Ribera, Giovanni Battista Caracciolo so-called Battistello, the Master of the Annunciation to the Shepherds, Mattia Preti, Artemisia Gentileschi and others. Neither the fact can be neglected that in the Eternal City he made acquaintance with the works of Rome’s Caravaggisti.38 It clearly showed after his return to Bohemia that during the course of the years spent outside the Bohemian Kingdom, his work has ripened to a remarkable personal style. There had not been almost anyone in Prague who could stand up to him, also perhaps because he managed to encompass the entire spectrum of styles, motifs, and genres. He would not be satisfied with merely imitating or mechanically accepting 35 For more details on this topic, see Petr PŘIBYL/Lenka STOLÁROVÁ (as in ann. 4). 36 Jaromír NEUMANN: Karel Škréta (as in ann. 1), 18. 37 For more details on the iconography and the art history connotations accompanying the pro-
duction of the cycle, see Sylva DOBALOVÁ: Pašijový cyklus [The Passion cycle], in: Karel Škréta (1610–1674). Doba a dílo (as in ann. 3), 312–339, cat. no. VII.1–VII.15 (where an older bibliography on this topic can also be found), and Tomáš SEKYRKA: Zpráva Jakuba Gratze Humprechtu Janu hraběti Černínovi z Chudenic o tom, že Karel Škréta dokončil obraz Bičování Krista, a následně byl obraz ozdoben rámem a baldachýnem. Gratz (Graf) prosí hraběte Černína o 81 zlatých na zaplacení obrazu. [Report of Jakob Gratz (Graf) to Humprecht Johann Count Czernin of Chudenitz, reporting that Karel Škréta has finished the picture of The Flagellation, and the picture has been decorated with a frame and canopy. Gratz (Graf) asks Count Czernin for 81 florins to pay for the picture], in: ibidem, 340, cat. no. VII.16. 38 Further on this topic, see Jaromír NEUMANN: Karel Škréta 1610–1674 (as in ann. 1), 18, 20, 21, 144; Jaromír NEUMANN: Škrétové (as in ann. 3), 34; most recently, Petr PŘIBYL/Lenka STOLÁROVÁ (as in ann. 4), 77, ann. 36.
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any artwork models; he was transforming them into an unrepeatable presentation and shaping of his own even though the influences of the various works are apparent in his paintings. He would not shy away from elegant, formally refined classicism, a sensitively outlined genre painting, or compositions built on compelling contrasts produced by the play of lights and shadows, oftentimes in combination with a naturalist conception of the figures as already stated above. The most demanding clients he has been able to address also by an in-depth psychological immersion, characteristic of portraits from which an entire gallery of representatives of the societal elites of the period are looking down upon us till this day. He was also a master of costumed, stylized portraits, as well as of mythological or allegoric compositions. An astonishing bravura is seen in the tale-telling mastery of his monumental altar paintings where he has had the full grasp of biblical narrations and religious themes. He was a genius of drawing and a sought-after inventor – proposer of graphic art prints which often transmitted a content of subtle and multidimensional ideas.39 One of the greatest intellectuals of the Baroque period, Bohuslav Balbín with whom Screta was also connected by personal friendship,40 placed Screta at a level superior to that of other artists.41 And precisely in this connection, i.e., in connection with the university theses42 (in the capacity of 39 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS (as in ann. 3), 17–23, primarily 22. 40 As attested to by Balbín himself in the third book of the Miscellanea dating from 1681, 134: „(...)
what I am saying about him not just for the sake of the friendship which while alive he continued to show amply toward me.“ Tomáš SEKYRKA/Radka TIBITANZLOVÁ/Štěpán VÁCHA (as in ann. 8). Bohuslav Balbín when listing the imposing church buildings in Prague mentioned with words of praise the paintings by Screta (Passion cycle), to be seen in the St. Nicolas Church in the Lesser Quarter (Malá Strana) of Prague, regest no. 139 (ed. Štěpán VÁCHA), in: Karel Škréta (1610–1674): Studie a dokumenty (as in ann. 4), 333. Lubomír KONEČNÝ: Bohuslav Balbín a emblematika [Bohuslav Balbín and the art of emblems], in: Lubomír KONEČNÝ: Mezi textem a obrazem. Miscellanea z historie emblematiky [In-between the painting and the image. Miscellanea from the history of the art of emblems.], Praha 2002, 44–66, here 53 (where a bibliography on this topic can be found); equally, Pavel PREISS: Patria mihi pro coelo est. Karel Maxmilián Lažanský, a pupil of Bohuslav Balbín. Some remarks concerning the cultural profile of a Baroque-era nobleman, in: Pavel PREISS: Kořeny a letorosty výtvarné kultury baroka v Čechách [The roots as well as the sprigs and offshoots of the Baroque culture in Bohemia], Praha 2008, 153–175. 41 Bohuslav Balbín’s utterance about Carlo Screta: „Pictor aetate nostra in Patria summus“. Obviously, this statement has to be taken with some reservation since it is a product of its time. Nonetheless, even then we may deduce from it how much Screta’s works were appreciated by his contemporaries. More on the aesthetics of the time and the grasp of artwork and their importance with particular attention to Carlo Screta, see Štěpán VÁCHA: Tváří (as in ann. 29), 101–127. 42 Here it says „emblemata“ based on the Latin original, although it may have been more appropriate to use the translation „emblematic prints“, as some authors did. Štěpán VÁCHA: Tváří (as in ann. 29), 104. As it has already been said, in this aspect Screta had been admired even by Joachim von SANDRART: Carolo Screta (as in ann. 29), 327 where he praises Screta’s „fürnehmste Conclusiones und Emblemata“. Further, Lubomír KONEČNÝ: Bohuslav Balbín (as in ann. 40), 53–54.
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an inventor of complex iconographic programs), he praises his art and sets him as an example to his readers in Verisimilia humaniorum disciplinarum: „There is – and I have repeated this often – a sort of praiseworthy curiousness, requiring to attentively regard the portraits and paintings by great artists, be it Raffaello da Urbino and the other Italians, or equally Rubens, Dürer, Sadeler, Gal, Moncornet, and in our country the emblemata by a Bohemian painter who certainly does not intend to stay lagging behind the old masters: Karel Škréta/Carlo Screta. They are indicative not only of the structure of the personalities involved but also significant and rare gestures demonstrating specific emotional situations and tempers.“43 One of Carlo Screta’s virtues was also that he had been able without any difficulty to adapt his art style and expression not only to the nature of the artwork orders but also to the clients’ notions; the influence of these latter kept growing higher and this has also been manifested in the resultant character of the paintings. His capacity to produce paintings, order by order, by means of different painting styles and expressions without ever losing anything of his distinctive and original artistic expression which he mastered in Italy and during his sojourns in the Transalpine countries, was highly valued and admired.44 It probably was mainly the high renown of Carlo Screta that 43 Bohuslav BALBÍN: Rukověť humanitárních disciplin – Verisimilia humaniorum disciplinarum
[Handbook of disciplines in the humanities], ed. Olga SPEVAK, Praha 2006, 472–475 (also containing the original Latin text). Further on this topic, Jiří KROPÁČEK: Výtvarné umění u Bohuslava Balbína [The fine arts as seen by Bohuslav Balbín], in: Bohuslav Balbín a kultura jeho doby v Čechách. Sborník z konference Památníku Národního Písemnictví [Bohuslav Balbín and the culture of his era in Bohemia. Contributions of the conference of the Memorial of National Literature], eds. Zuzana POKORNÁ and Martin SVATOŠ, Praha 1992, 111–121 and Jan P. KUČERA/Jiří RAK: Bohuslav Balbín a jeho místo v české kultuře [Bohuslav Balbín and his position in Czech culture], Praha 1983. 44 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS (as in ann. 3), 17–23; Johann Quirin JAHN: VIII. Nachrichten von einigen böhmischen alten Malern und Künstlern. Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Neunzehnten Bandes Zweytes Stück, Leipzig 1776, 322: „Zu verwundern ist es, daß er verschiedene Rollen spielen konnte; ich will sagen, daß er die Manier so vieler großen Maister vortrefflich nachahmte; denn er wußte sich nicht nur an die Stelle eines Michelangelo, Merigi, und Lanfranc zu versetzen, sondern auch in dem Geiste eines Raphael von Urbin, Dominichino, insonderheit aber Guido Reni, den er besonders als seinen Liebling ansah, auszudrücken. Auch macht er von demjenigen Gebrauch, was er aus der Venetianischen Schule, nach einem Titian und einem Paul Veronese gelernet hatte.“ Also, Jaromír NEUMANN: Karel Škréta 1610–1674 (as in ann. 1), 9–10, and Tomáš SEKYRKA/Radka TIBITANZLOVÁ/Štěpán VÁCHA (as in ann. 8); Johann Quirin JAHN: Aneckdoten zur Lebensgeschichte berühmter Mahler und Beurtheilung ihren Wercke (Screta’s life story), regest no. 149 (ed. Radka TIBITANZLOVÁ), in: Karel Škréta (1610–1674). Studie a dokumenty (as in ann. 4), 338–339, where Jahn writes: „Ja er nun (nach Zeigungs J. Scandrart [!], der ihm gekennet hat) die samment[lichen] italiänische Kunstschulen durchpassiret und mittelst seiner natür[lichen] scharfen Vernunft als eine fleißige Bühne von allen besten Blumen den Süssen fast der Kunst zusammen gesamlet hatte, (...)“.
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Saxony 1635
Stuttgart 1628
Venice Bologna Firenze
Rome
Map 1 Itinerary of Carlo Screta’s peregrinations (prior to the discovery of his family correspondence by the present authoress).
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Saxony 1635
Stuttgart 1628
Konstanz 1629? Basel 1627/1628 1630?
Weingartten? (1637?) Schaffhausen? (1637/1638)
Venice 1630/1631–1634 1636–1637? Bologna
Genova? 1630?
Pistoia 8.6.1636 Firenze 1636?
Rome 1634–1636 Napoli 1634/1636
Map 2 Locations of Carlo Screta’s sojourns (newly discovered data as well as data rendered more accurate in red; locations known prior to the discovery of the Screta family correspondence by the authoress in violet).
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Leiden 11.1.1629 Kassel 1622–1624 15.3.1624 Belgium 1628/1629
Leszno 5.10.1628
Leipzig 18.10.1628
Głogów 1.9.1628
Prague 14.4.1627 1628
France 1628/1629
Basel 1628
Map 3 Locations of Jindřich (Henry) Screta’s sojourns (newly discovered data as well as data rendered more accurate in red; locations known prior to the discovery of the Screta family correspondence by the authoress in violet).
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Leiden 1628 England and Belgium 1629 Köln 8.6.1629 Poland 1629 Amberg 1624 Basel od 1619 14.4.1627 11.1.1629
Nürnberg 28.5.1624
Prague 23.8.1624 1.2.1625
Schaffhausen since 1635 11.2.1636
Map 4 Locations of Jan Screta’s sojourns (newly discovered data as well as data rendered more accurate in red; locations known prior to the discovery of the Screta family correspondence by the authoress in violet).
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had led the Bishop of Leitmeritz (Litoměřice),45 Maxmilian Rudolf Lord of Schleinitz (Šlejnic) to award a highly prestigious order to Screta’s studio – a series of canvas paintings for the newly erected St. Stephen’s Cathedral.46 There is no doubt that the Bishop entrusted Screta with this challenging assignment of creating a monumental painting for the main altar (ill. 5) plus four canvas paintings for the side altar because he was satisfied with his earlier works and trusted the painter.47 At the same time, this was the most extensive collection to be installed outside Prague that was entrusted to Carlo Screta and his studio. Comparable series of canvas paintings were produced e.g. by Michael Leopold Willmann for the Leubus (Lubiąż) Monastery, or by Joachim von Sandrart for the Benedictine Monastery in Lambach.48 Screta’s paintings „zu Leiteritz [sic!] in der Bischofskirche“ were mentioned already by Sandrart.49 Screta with his studio delivered six canvases to Leitmeritz: The Stoning of St. Stephen for the main altar together with a Virgin Mary painting for its extension piece; further on, The Death of St. Wenceslas, Holy Archangel Raphael with Young Tobias, 45 Sometimes, particularly in older sources, the town Litoměřice is referred to by its German name,
Leitmeritz. 46 Vít VLNAS: Litoměřický biskup Maxmilián Rudolf svobodný pán ze Šlejnic [Bishop of Leit-
meritz, Maxmilian Rudolf Baron of Schleinitz], in: Karel Škréta (1610–1674). Doba a dílo (as in ann. 3), 604–605; further on the personality of Maxmilian Rudolf of Schleinitz, see Vít VLNAS: Maxmilián Rudolf ze Šlejnic jako mecenáš Karla Škréty. Ke vzájemnému vztahu barokní historiografie a výtvarného umění [Maxmilian Rudolf Schleinitz as Carlo Screta’s patron. On the interrelationship between Baroque historiography and the fine arts], in: Bohuslav Balbín a kultura (as in ann. 43), 136–145. 47 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Ukamenování sv. Štěpána [The Stoning of St. Stephen], (1668/69), cat. no. V.33 (modello) and Ukamenování sv. Štěpána [The Stoning of St. Stephen], (1669), cat. no. V. 34 (painting), in: Karel Škréta (1610–1674). Doba a dílo (as in ann. 3), VII.1–VII.15 (where an older bibliography on this topic can also be found), and further on, especially the information that in a letter to Tomáš Pešina of Čechorod (1629–1680) dated May 2, 1669, the Bishop of Leitmeritz writes that „Mr. Škréta is finishing the painting for the main altar“, which is an indication of the importance attached to this order by Bishop Schleinitz. Also, it cannot be disregarded that the second edition of Schleinitz’s collection of poems, entitled Memorabilium Romanorum (1672), includes Divus Stephanus Protomartyr, and the poem in which one may perceive the inspiration of Škréta’s painting; also see Tomáš SEKYRKA/Radka TIBITANZLOVÁ/Štěpán VÁCHA (as in ann. 8); Báseň (epigram) litoměřického biskupa Maxmiliána Rudolfa ze Šlejnic sepsaná podle Škrétova obrazu Ukamenování sv. Štěpána na hlavním oltáři v litoměřickém dómu [The poem (epigram) by Maxmilian Rudolf of Schleinitz the Bishop of Litoměřice composed on the pattern of the painting The Stoning of St. Stephen on the main altar of the Litomerice Dome], regest no. 128 (ed. Štěpán VÁCHA), in: Karel Škréta. Studie a dokumenty (as in ann. 4), 328 and also Lubor MACHYTKA: Svatý Václav v pozdním díle Karla Škréty [St. Wenceslas in the late works of Carlo Screta], in: Umění 38 (1990), 206–228, here 218. 48 Štěpán VÁCHA: Oltářní obrazy Karla Škréty [The altar paintings by Carlo Screta], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 206–207, here 207. 49 Joachim von SANDRART: Carolo Screta (as in ann. 29), 327.
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Ill. 2 Carlo Screta: The Stoning of St. Stephen, 1669. Leitmeritz (Litoměřice). (Photo: Petr Bareš, Jiří Brodský)
St. Peter and St. Paul; and St. Vojtěch Adalbertus, all these during the period of 1669– 1673.50 The importance of the order is documented by the fact that, probably even be50 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Svatý Petr a svatý Pavel [St. Peter and St. Paul], in: Karel
Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 266, cat. no. V.35; Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Smrt sv. Václava [The Death of St. Wenceslas], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 268, cat. no. V.36; The remaining altar paintings on canvas were adjusted at the latest prior to 3 August 1673. Hence, prior to the holy day of The Finding of the Body of St. Stephen when the first mass was held at the new cathedral. Johann Evangelist SCHLENZ: Geschichte des Bistums und der Diözese Leitmeritz, Teil II: Maximilian Rudolf Freiherr von Schleinitz und seine Zeit, Warnsdorf 1914, 566. However, the festive consecration of the church did not take place until 21 September 1681, at the time when a successor to Schleinitz, Jaroslav Ignatius of Sternberg (1643–1709) was bishop. Johann Evangelist SCHLENZ: Die bischöfliche Domkirche in Leitmeritz. Ein Beitrag zur Geschichte der ehemal. Propstei- und gegenwärtigen Domkirche, Leitmeritz 1912, 29–33.
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fore the contract was concluded, Screta submitted a modello of the main altar painting for the client’s approval.51 The date of creation of the modello is believed to be 1668 or early 1669, with reference to a testimony by Schleinitz himself.52 The concrete instant of time depicted here is where the heavens open to the martyr falling under the weight of the stones, to reveal the „Son of Man standing at the right hand of God“ (Acts 7:55–56). On the main vertical line of the depicted story there is a dominant figure of an angel underneath two divine persons, bringing a palm twig to Stephen, and a laurel wreath of everlasting glory. The figure is in direct „dialogue“ with the saint, as is also suggested by the illumination of the faces of these two central figures. In this case, the source of inspiration can be sought in the text „his face was like the face of an angel“ (Acts 6:15).53 Paintings depicting the martyrdom of the first Christian martyr Stephen (Stephanos) were appearing since as early as the Carolingian times. Anti-reformation propaganda added the angelic figural component to the scene where these messengers, mediators between heaven and earth, announce the Divine Mercy to Stephen, symbolized by the martyr’s palm and the laurel wreath. The Baroque period underlines the interpretation of Stephen’s vision of open heavens with the figures of God the Father and God the Son, in many a case also of the Holy Spirit in the genesis of this topic. Traditionally, the iconography of the martyrdom of the First Christian Martyr St. Stephen is referred to the works of Giorgio Vasari (1571, Pisa, S. Stefano dei Cavallieri) and especially of Lodovico Cigoli. Precisely the painting of The Stoning dating from 1597, for the SS. Annunziata Church in Florence,54 has come very rapidly to be imitated and even fully borrowed, even outside the circles of the Tuscan school. This is documented, in addition to the transversely oriented painting of the same theme by Annibale Carracci (1604, Musée du Louvre, Paris), for instance by several less known works of Genoese provenience from which mainly the Flemish painters are supposed
51 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Ukamenování sv. Štěpána (as in ann. 47), 264. The mo-
dello had been part of the pictorial collection of the Clam-Gallas Palace in Prague ever since the 19th century. In 1856 it suffered damage by cutting to two pieces and trimming without regard to the painting in its upper section. It has been included in the collections of the North-Bohemian Museum (Severočeské muzeum) in Reichenberg (Liberec) in 1962 (having been deposited at Friedland (Frýdlant) Castle after 1945 and later at Grafenstein (Grabštejn); in the same year the restorer Bohumil Knyttl has reconnected the two severed parts into one whole again. 52 Jaromír NEUMANN in 1974 indicated a date different from our date which is supported by documentary evidence. As in ann. 1. 53 Štěpán VÁCHA: Tváří (as in ann. 29), 118. Also in Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Ukamenování sv. Štěpána (as in ann. 47), 262–265. 54 Presently at the Galleria Palatina, the same reference; see Miles CHAPELL, in: Colorire naturale e vero 2008, 126–127, cat. no. 2.22.
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to have drawn inspiration.55 This concerns above all, the resonances of the works of Peter Paulus Rubens (The Stoning of St. Stephen, Musée des Beaux-Arts, Valenciennes) and Antonys van Dyck (1622–1624, The Stoning of St. Stephen, The Egerton Collection, Tatton Park), which had the most pronounced impact on the iconography of paintings devoted to these themes.56 The hypothesis that Carlo Screta when painting the Leitmeritz canvas may have been influenced by the famous Martyrdom of St. Thomas by Rubens, located since 1638 in the Augustinian monastic church of the same consecration in the Lesser Quarter (Malá Strana) in Prague, appears to be less evident today.57 To the contrary, the idea appears rather feasible that a connection can be found between the Leitmeritz canvas and the main altar painting at the Viennese St. Stephen’s Church (1640/47) by Tobias Pock. Also, this fact has not eluded Jaromír Neumann, even though his supposition that Screta prompted by Bishop Schleinitz has imitated Pock’s painting as a binding model in his Leitmeritz composition58 can only be taken with reservations. The two altar canvases show many parallels both in their figural component and in their compositional designs, and not even the mutual affinity of the color of the two paintings can be overlooked. Equally, the typification of the faces as well as the general conception of the two canvases lead us to the conclusion that Jaromír Neumann’s opinion was not far from the truth. Among other things, both of these paintings show a troop of soldiers. Screta’s painting presents them congregated around their standard on which there is a rose reminiscent of the blazon of the client who ordered the painting, and they do not take any direct part in the major activity depicted, which represents an interestingly relevant meaning: clearly, this is supposed to be a reminder of the necessity of constant fight against heretics and unbelievers. Pock, in an older canvas in Vienna, has analogously accentuated the same „anti-reformation“ motif by including even a Turkish encampment with cavalry on the second plane.59 Most probably however, the link that would bind these paintings together is not the relationship which appeared so clear-cut to Neumann. The analogies of the two altar paintings consist mainly in the affinity in style and in iconographic starting points, in spite of the fact that both Pock 55 Van Dyck. Grande pittura e collezionismo a Genova, eds. Susan J. BARNES, Piero BOC-
56
57 58 59
CARDO, Clario DI FABIO and Laura TAGLIAFERRO, Milano 1997, particularly 168–169, cat. no. 9; 352–355, cat. no. 80. More details regarding the topic: Van Dyck 1599–1641. Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerp, 15 May–15 August 1999; Royal Academy of Arts, London, 11 September–10 December 1999, eds. Christopher BROWN, Hans VLIEGHE et al., London et. al. 1999, particularly 166, cat. no. 32. For details, see Jaromír NEUMANN (as in ann. 1), 133–134. See also the triptych by Rubens with The Stoning of St. Stephen at the Musée des Beaux-Arts in Valenciennes. Jaromír NEUMANN: Škrétové (as in ann. 3), 104. Astrid SCHERP: Tobias Pock (1610–1683). Ein Wegbereiter der österreichischen Sakralmalerei im 17. Jahrhundert, Diss., Stuttgart 2004, 87–88.
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and Screta handled their models freely, adapting the resultant tenor of their paintings both to the needs of a dramatic expression and to the clients’ requirements.60 Both these artists61 were most probably influenced by The Stoning of St. Stephen by Giulio Benso destined for the church of the Benedictine abbey in Weingarten (in situ till this day), who had taken part in decorating the St. Martin Basilica there during the 1630s (see in particular, the executioner to the right of the martyr and also the figure of St. Stephen himself as well as the coloring of the painting). Benso’s painting issues from the ways this theme was being depicted according to the Genoese fine arts tradition. It ought to be said that so far, Genoa has not been put forward as a town that would be directly linked to Carlo Screta. Obviously, it cannot be excluded that the local paintings were mediated to him at a level such as if he had made the experience himself. It is more probable that Carlo Screta has had a personal acquaintance with Genoa. So far however this is no more than a hypothesis.62 In favor of Screta’s Genoese inspiration we have the evidence of the works of Giovanni Battista Paggi (specifically, The Martyrdom of St. Stephen at the Jesuit Church dei SS. Andrea e Ambrogio/Chiesa del Gesú). Reflections of the figural component of the works by this painter can also be traced to other works by Carlo Screta. Also, one cannot neglect the potential indirect influence of other Genoese paintings, be it Van Dyck’s portraits of the families of Genoa nobility (such as the portraits of the Brignole-Sale family members) which he painted during his Italian travels during the 1621–1627 period, and also the paintings on canvas adjusted at the Church dei SS. Andrea e Ambrogio, for instance the canvas by Rubens of The Miracle of St. Ignatius (1612/1618) or the work by Guido Reni, Assumption of the Virgin Mary (1616/1617). The connection between the works of Carlo Screta and Bernardo Strozzi, who worked mostly in Genoa, has already been mentioned by Neumann. Of course, the paintings of other local artists, such as Paggi and Benso, also assume a greater importance.63 Another possibility where Carlo Screta may have come into contact with Benso’s paintings is the Weingarten Abbey. Here again he may have put to use his benefactor’s societal connections as well as those of Jan’s father-in-law Ludwig Lutz who was 60 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Ukamenování sv. Štěpána (as in ann. 47), 264. 61 Regarding the relationship of the works of Tobias Pock, a native of Konstanz, with Carlo Scre-
ta’s work and that of Carlo Screta with the works of Tobias Pock, see e.g. Anja ŠEVČIK: Vlastní podobizna s rodinou (1669/1670) [Self-portrait with the family], Tobias Pock, in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo (as in ann. 3), 82, cat. no. II.10. 62 Should this hypothesis be confirmed it would allow for a retrogressive elucidation of many a moment of Screta’s life and for a re-appraisal of Carlo Screta’s work. This would be an analogy to how it had been with his stay in Naples. 63 Should this hypothesis be confirmed it would allow for a retrogressive elucidation of many a moment of Screta’s life and for a better understanding of Screta’s work and its starting platforms. This would be an analogy to how it had been with his stay in Naples. More on this topic, a study in preparation by Lenka Stolárová.
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active at the school there64 and certainly had not lost the connection with the local community. This issue remains open at this time. However it may have been, it is with near certainty that we may say today that the chief source of inspiration and the aforementioned starting points of the Leitmeritz canvas are situated in Genoa, or as the case may be, in Weingarten, confirming that Carlo Screta has been able to derive the maximum possible benefit from his peregrinations abroad as well as from the schooling he received. Thus he kept his own promise, namely, that he left his home country desiring to perfect his own talents.65 Therefore, the fate of the main altar painting of the Leitmeritz cathedral began unwinding much earlier than we initially might have expected. As centuries came and went the notions of the art quality and originality66 but also of the authorship of Carlo Screta as such as regards the Leitmeritz series were subject to transformations; an ever greater stress was laid on the work done by Screta’s studio, due i.a. to a not very successful restoration of the canvas paintings in question67 and, to quite an extent, also to the dismal condition of the various paintings.68 A full-fledged examination followed by a rehabilitation of the works from the Leitmeritz cathedral took place under the project Carlo Screta 1610–1674: His Era and His Work. The main altar painting brought the most fundamental findings and, at the same time, became 64 For more details, see the Profile of Ludwig Lutz, Paul Leonhard GANZ: Die Miniaturen der
Basler Universitätsmatrikel, Basel 1960. 65 Radka TIBITANZLOVÁ: Karel Škréta (as in ann. 13). 66 Although one of Screta’s earliest biographers, Joachim von Sandrart, speaks in superlatives
when mentioning altar canvas works by Screta’s hand (see ann. 29), and Pelzel’s Abbildungen mention these paintings poetically as of „a great treasure“ – in particular The Stoning of St. Stephen on the main altar of the cathedral. Abbildungen böhmischer und mährischer Gelehrten und Künstler, I–IV, ed. Franz Martin PELZEL, Prag 1773–1782, vol. I, 112–113; PELZEL II, 10. Further in particular, Johann Gottfried SOMMER: Das Königreich Böhmen statistisch-topographisch dargestellt. Erster Band, Leitmeritzer Kreis, Prag 1833, 3; Johann Evangelist SCHLENZ: Domkirche (as in ann. 50); Johann Evangelist SCHLENZ: Geschichte des Bistums und der Diözese Leitmeritz: größtenteils nach handschriftlichen Quellen, Teil I, Warnsdorf 1912, 25. 67 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS (as in ann. 3), 262. For instance, the Head of the Prague Academy Josef Bergler, Jr. (1753–1820) having visited the Leitmeritz Cathedral in 1811 with František Tkadlík, considered Screta’s altar paintings on canvas to be unique and was enchanted. He made an exception in the case of the composition of Holy Archangel Raphael with Young Tobias which is considered to be by Tobias Querfurt, Jr. (1700–1737). Otakar VOTOČE: Bergler’s expert opinion of the paintings in Litoměřice cathedral, in: Umění 8 (1960), 620–622). The Restoration in 1912–1918 is said to have removed some later repainting work and returned the paintings to their original condition, see the manuscript: Vinzenz LUKSCH: Topographie der Historischen und Kunst-Denkmale im politischen Bezirke Leitmeritz, Teil I. Die Stadt Leitmeritz, n. d. [around 1920], 18–19. The truth is however that the penetrative cleaning removed the original color layers and introduced insensitive repainting of the background connected with a linear tracing of the outlines of the figures thus further deforming the original character of the compositions. 68 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Ukamenování sv. Štěpána (as in ann. 47), 262.
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Ill. 3 Carlo Screta: The Stoning of St. Stephen, 1669. Leitmeritz (Litoměřice). Photograph of an angel in UV luminiscence, points of old retouching of the original appear as light-colored spots. (Photo: Petr Bareš, Jiří Brodský)
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Ill. 4 Carlo Screta: The Stoning of St. Stephen, 1669. Leitmeritz (Litoměřice). A photograph capturing the removal of non-original black and green repainting and probes. (Photo: Petr Bareš, Jiří Brodský)
one of the significant examples showing how a restorative intervention may benefit the painting or, where the original author’s intentions are not respected, may also bring or cause a substantial damage to the painting or another artefact. When examining and, subsequently, restoring the canvas paintings during the years 2009–2010, the presence of two layers of over-all repainting were ascertained which have grossly deformed the author’s original painting. In the older layers of repainting the dominant tones were dark brown, and yet as late as during the partial restoration that took place in 1957 the background of the upper half of the painting was covered in green, at odds with the Screta coloring. Repainting also affected the figures of which the modeling became considerably deformed, due especially to insensitive outlines.69 Today we may 69 Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Ukamenování sv. Štěpána (as in ann. 47), 264. This rather
unfortunate intervention was by Raimund Ondráček and Josef Král.
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Ill. 5 Carlo Screta: The Stoning of St. Stephen, 1669. Leitmeritz (Litoměřice). A photograph capturing the removal of non-original black and green repainting and probes. (Photo: Petr Bareš, Jiří Brodský)
confirm with certainty that Carlo Screta’s Sr. share of authorship was the decisive one, as has also been evidenced by numerous pentimenti.70 (ill. 7–9) This has also been the finding that marked the emergence of a new interpretation of the work and underlined relationships hitherto neglected. It seems that it must have been during the period of 1668–1674 when the aging painter reached the culmination point of his 70 Recently on the restoration of the altar painting on canvas of The Stoning of St. Stephen, Petr
BAREŠ/Jiří BRODSKÝ: Rehabilitace Škrétova rukopisu a restaurování obrazu Ukamenování sv. Štěpána [Rehabilitation of Screta’s style and restoration of the painting of The Stoning of St. Stephen], in: Karel Škréta (1610–1674): Doba a dílo. Studie, dokumenty, prameny (2013) (as in ann. 8), 475–482; Lenka STOLÁROVÁ/Vít VLNAS: Ukamenování sv. Štěpána (as in ann. 47), 262; Štěpán VÁCHA: Tváří (as in ann. 29), 118. More regarding Carlo Screta Sr.’s painting technique by Tomáš BERGER: Rentgenologický rukopis ve světle neviditelných paprsků [An X-ray analysis of Screta’s hand as illuminated by invisible rays], in: Karel Škréta (1610– 1674). Studie a dokumenty (as in ann. 4), 157–195. Most recently, Tomáš BERGER/Marcela VONDRÁČKOVÁ: Neviditelné ruce? Karel Škréta – originál, replika, kopie [The invisible hands? Carlo Screta – The original, the replica, the copy], in: Karel Škréta (1610–1674). Doba a dílo. Studie, dokumenty, prameny (as in ann. 8), 391–417; Radomil KLOUZA: Poznámky k malířské technice Karla Škréty a výsledky soudobého technologického průzkumu při restaurování obrazu Svatý Václav mezi dvěma anděly [Remarks on Carlo Screta’s painting technique and the results of contemporary technological research relative to the restoration of the painting St. Wenceslas Flanked by Two Angels], in: ibidem, 419–435.
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creative powers, at the time when in addition to the works done for the Leitmeritz Chapter he painted and delivered canvas paintings for the Archbishopric of Salzburg (specifically, the Crucifixion with the Virgin, 1668/1669, and Pentecost, 1668/1669), which brought him into symbolic contact with his contemporaries and oftentimes also with his companions and fellow-travellers of his young years.71 Those who worked for the Salzburg Cathedral, i.e., for Count Giudobald Thun, Prince Archbishop of Salzburg, included i.a., also Joachim von Sandrart or Johann Heinrich Schönfeld whose positions in shaping the genesis of the fine arts notions and of the art of painting in the German-speaking countries were of the same degree of importance as that of Karel Škréta – Carlo Screta in the lands of the Bohemian Crown.72
71 Lenka STOLÁROVÁ: Karel Škréta a Záalpí (as in ann. 8), 64–65 (where an older bibliography
on this topic can also be found); Johana BRONKOVÁ: Karel Škréta a Řím [Carlo Screta and Rome], in: Karel Škréta (1610–1674). Studie a dokumenty (as in ann. 4), 81–98; Petr PŘIBYL/ Lenka STOLÁROVÁ: K stále rostoucí slávě našeho pilného umělce (as in ann. 4), 73–78; Lenka STOLÁROVÁ: Škrétova léta vandrovní (as in ann. 8), 21–30, and Štěpán VÁCHA: Škréta, Sandrart a Merian (as in ann. 29). 72 Lenka STOLÁROVÁ: Karel Škréta a Záalpí (as in ann. 8), 65.
Dörte Wetzler „ZUR BEFÜRDERUNG DER ANDACHT“ Das Prager Loreto um 1700 als inszenierende Rahmung Als Katharina Benigna von Lobkowitz im Jahr 1626 die Wallfahrtsstätte des Prager Loreto gründete, waren seit der Schlacht am Weißen Berg noch keine zehn Jahre vergangen.1 (Abb. 1) Dennoch waren vor allem in Böhmen als ehemaligem Haupteinflussgebiet der Hussiten bereits tiefgreifende religionspolitische Maßnahmen realisiert worden, indem der protestantische Adel ab 1621/22 zum Verkauf seiner Güter genötigt und gemeinsam mit allen reformierten und lutherischen Geistlichen ausge-
Abb. 1 Prag, Loreto. Außenansicht. (Foto: Dörte Wetzler)
1 Zur Gründung und Baugeschichte des Prager Loreto Jana NIEDERMAIER: Ambitenanlagen in
Böhmen und Mähren, München 2008, v. a. 262–265; Markéta BAŠTOVÁ u. a.: Das Prager Loreto, Prag 2001; Pavel VLČEK (Hg.), Umělecké památky Prahy [Die Kunstdenkmäler Prags], Bd. 4, Pražsky Hrad a Hradčany [Prager Burg und Hradschin], Praha 2000; Jan DIVIŠ: Pražská Loreta, Praha 1972 sowie Max DVOŘÁK: Maria Loretto am Hradschin zu Prag, Prag 1883.
Das Prager Loreto um 1700
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wiesen worden war. Die Gründung der Prager Anlage fällt damit in die Anfangszeit des obrigkeitlich verordneten Rekatholisierungsprozesses, der 1627 auch gesetzlich verankert wurde, indem Ferdinand II. in der „Verneuerten Landesordnung“ die katholische Konfession als Voraussetzung zur Landeszugehörigkeit festschrieb.2 Mit dieser nachdrücklich betriebenen Religionspolitik war die Bauherrin als Gattin des habsburgischen Statthalters Wilhelm Popel von Lobkowitz aufs engste verbunden und trug nicht zuletzt mit dem Bau der Loreto-Anlage aktiv zu dieser bei. Ihre Initiative beruhte vermutlich auf einem Besuch in Nikolsburg (Mikulov), wo ab 1622 eine Lauretanische Kapelle entstanden und 1623 geweiht worden war. Zwar kein absolutes Novum in den böhmischen Kronländern, war sie dennoch die erste Kopie der Santa Casa, die nach der Schlacht am Weißen Berg in diesem Gebiet und bezeichnenderweise von einem der profiliertesten Vorkämpfer der Rekatholisierung errichtet wurde.3 So hatte ihr Bauherr, der in Rom erzogene Olmützer Fürstbischof Kardinal von Dietrichstein, zugleich das Amt des kaiserlichen Statthalters in Mähren inne und war darüber hinaus ein Hauptexponent der „Spanischen Partei“ in Böhmen.4 Sowohl die Nikolsburger als auch die Prager Anlage fügen sich somit in das umfassende habsburgische Konzept einer religionspolitisch motivierten Gründung lauretanischer Wallfahrtsorte ein, das mit dem Ziel einer Schärfung des eigenen konfessionellen Profils nach 1620 auch die Entstehung von Loretoheiligtümern in Wien und Brüssel nach 1620 bedingte.5 Dass diese „gegenreformatorische Architekturpolitik“6, wie Franz 2 Zu den religionspolitischen Maßnahmen Franz MACHLIEK: Böhmen, in: Die Territorien des
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Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500– 1650, hg. v. Anton SCHINDLING u. a., Bd.1, Der Südosten, Münster 1989, 134–152, hier 149f. sowie Franz MATSCHE: Gegenreformatorische Architekturpolitik. Casa-Santa-Kopien und Habsburger Loreto-Kult nach 1620, in: Jahrbuch für Volkskunde NF 1 (1978), 80–118, hier 83f. Zum Prozess der Rekatholisierung siehe zudem Howard LOUTHAN: Converting Bohemia, Cambridge 2009. So war das älteste Loreto in Böhmen bereits 1584 in Bischofteinitz (Horišovsky Týn) von Christoph d. J. von Lobkowitz gestiftet worden. Hierzu sowie zur Gründung der Lauretanischen Kapelle in Nikolsburg Kurt HUBER: Italienische Kultmotive im Barock der böhmischen Länder, in: DERS.: Katholische Kirche und Kultur in Böhmen. Ausgewählte Abhandlungen, hg. v. Joachim BAHLCKE und Rudolf GRULICH, Münster 2005, 415–452, hier 433f. Zudem NIEDERMAIER (wie Anm. 1), 52–66 und 340–347; DIES. [Jana OTMAROVÁ]: Barocke Ambitusanlagen in Böhmen und Mähren. Ihre typusbildende Bedeutung innerhalb der mitteleuropäischen Architekturgeschichte, in: Wallfahrten in der europäischen Kultur, hg. v. Daniel DOLEŽAL u. a., Frankfurt a. M. 2006, 595–614 sowie MATSCHE (wie Anm. 2), 84f. Zur Regierung und religionspolitischen Verortung des Kardinals von Dietrichstein siehe HUBER (wie Anm. 3), ebda; Tomáš VÁLKA: Moravská barokní šlechta [Der Adel in Mähren im Barock], in: Morava v době baroka, Brünn 2004, 47–56; Josef VÁLKA: Dějiny Moravy. Morava reformace renesance a baroka [Geschichte Mährens. Mähren, Reformation, Renaissance und Barock], Bd. 2, Brno 1995, 98ff. sowie MATSCHE (wie Anm. 2), 84f. MATSCHE (wie Anm. 2), 80–118. Ebd.
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Abb. 2 Prag, Loreto. Außenansicht der Santa Casa. (Foto: Dörte Wetzler)
Matsche es nennt, jedoch nicht allein als ein mit zahlreichen Konnotationen aufgeladenes Fanal katholischer Machtdemonstration fungieren sollte, wird im Folgenden anhand des Prager Loreto darzustellen sein. Den Kern der Wallfahrtsanlage, deren Betreuung die Mönche des benachbarten, im Jahr 1600 gegründeten Kapuzinerklosters übernahmen, bildet die Nachahmung des sogenannten Heiligen Hauses, dessen Bedeutung sich aus zahlreichen Legenden speist.7 (Abb. 2) Diesen zufolge stellt er den Geburtsort Mariens dar; auch soll es Schauplatz der Verkündigung und Wohnort der Heiligen Familie nach ihrer Rückkehr aus Ägypten gewesen sein. Laut der Überlieferung fertigte in ihm zudem der Evangelist Lukas eine Skulptur von Maria an, welche als Kultbild in der Santa Casa verehrt wird.8 Nach dem Verlust Jerusalems und des Heiligen Landes im Jahr 1291 7 Zur Betreuung des Prager Loreto durch die Kapuziner DVOŘÁK (wie Anm. 1), 11–14. 8 NIEDERMAIER (wie Anm. 1), 66 sowie Gottfried MELZER: Loreto, Lauerz 1998, 10. Zur
Legende des hl. Lukas als Maler – hier übertragen auf die Bildhauerei – Klaus SCHREINER: Maria. Jungfrau, Mutter, Herrscherin, Wien 1994, 257–259.
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infolge des Falls von Akkon als letztem christlichen Stützpunkt wurde das Haus nach Dalmatien übertragen, was der Legende nach durch Engel, vermutlich jedoch durch Wallfahrer geschah.9 Nach mehrmaligem Ortswechsel baute man es an der adriatischen Küste bei Ancona in einem Lorbeerhain wieder auf, der entweder selbst oder dessen Besitzerin Laura beziehungsweise Laureta der Anlage ihren Namen gegeben haben soll. Im Anschluss wechselte es noch zwei weitere Male seinen Standort, um schließlich seinen endgültigen Platz nahe der Stadt Recanati zu finden.10 Mit dem Ziel, eine möglichst exakte Kopie dieser Architekturreliquie zu schaffen, wurde das Heilige Haus des Prager Loreto im Jahr 1626 vom Architekten Giovanni Battista Orsi begonnen und 1631 geweiht. Die Außenseite erhielt zunächst eine aufgemalte Reliefierung, die von 1671 bis 1673 durch ein Gips-Imitat der marmornen Verkleidung des Vorbilds ersetzt wurde und ein Bildprogramm mit Szenen aus dem Marienleben sowie Sibyllen und alttestamentliche Propheten zeigt.11 Ab dem Jahr 1634 erfolgte die Errichtung des Kreuzgangs als Vollambitus mit 44 Jochen rings um das Heilige Haus.12 Dessen Eckkapellen wurden sukzessive bis zum Ende des 17. Jahrhunderts erweitert und anschließend diejenigen des Nord- und Südflügels in den Jahren 1710 bis 1712 beziehungsweise 1716 bis 1717 vergrößert. Ab 1717 erfolgte zudem in mehreren Phasen der Ausbau der im östlichen Flügel gelegenen Christi-Geburt-Kapelle zu einer Kirche, welcher 1737 abgeschlossen war. Weitere Baumaßnahmen bestanden in der Ausgestaltung der Fassade (1721–1724) und des Vorplatzes der Anlage (1725–1726) sowie in der Erhöhung des Arkadenganges um ein weiteres Stockwerk in den Jahren 1747 bis 1750, im Zuge dessen der Ambitus neu eingewölbt und anschließend 1750 bis 1751 von Felix Anton Scheffler, einem Schüler Cosmas Damian Asams, mit den Anrufungen der Lauretanischen Litanei ausgemalt wurde.13
9 Walter PÖTZL: Art. Loreto I. Frömmigkeitsgeschichte, in: Marienlexikon, hg. v. Remigius
BÄUMER u. a., Bd. 4, St. Ottilien 1991, 151–153, hier 152. 10 Zur Benennung nach dem Lorbeerhain NIEDERMAIER (wie Anm. 1), 66; zur Besitzerin
Laura oder Laureta als Namensgeberin MELZER (wie Anm. 9), 13 sowie auch die nachfolgend auszuwertenden Wallfahrtsanleitungen von P. Martin VON COCHEM OFMCap: Prager Laureten=Büchlein, Prag 1694 (Praha, Kapucínská provinční knihovna, Sign. 07 E 071), 5f. sowie P. Joseph BILINENSER OFMCap: Lauretanischer Blumen=Garten, Prag 1700 (Praha, Kapucínská provinční knihovna, Sign. 01 C 045), 3. Zur Lauretanischen Kapelle allgemein siehe Floriano GRIMALDI: La historia della chiesa di Santa Maria de Loreto, Loreto 1993. 11 Zur Ummantelung der Santa Casa in Loreto Eugen TRAPP: Loreto. I. Kunstgeschichtlich, in: Marienlexikon (wie Anm. 9), Bd. 4, 153f. 12 Vgl. NIEDERMAIER (wie Anm. 1), 262. 13 Vgl. NIEDERMAIER (wie Anm. 1), 262–265; BAŠTOVÁ u. a. (wie Anm. 1); VLČEK (wie Anm. 1); DIVIŠ (wie Anm. 1); DVOŘÁK (wie Anm. 1).
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Das Prager Loreto als Rahmung: Architektur und Wallfahrt um 1700 Aufgrund einer architektonischen Anlage mit einem einfriedenden Vollambitus eignet sich für eine Untersuchung des Prager Loreto in besonderem Maße diejenige Forschungsperspektive jüngerer Publikationen, welche Wallfahrtsarchitekturen als mediale Rahmung von Gnadenbildern thematisieren. Gemeinsam mit bildlichen Reproduktionen und Formen der sprachlichen Vermittlung wie aufgezeichneten Ursprungslegenden, Mirakelberichten und gesprochenen Predigten legen sich diese, so der Ansatz, in „aktivierender, kommentierender oder distanzierender Funktion“14 um das jeweilige Kultbild und definieren als Rahmen-Diskurse zugleich dessen Status. Sie greifen somit steuernd und modellierend in die Frömmigkeitspraxis und damit in die Beziehung zwischen Gnadenbild und Gläubigem ein; eine Funktion, der insbesondere in Zusammenhang mit den konfessionellen Aushandlungsprozessen um Bilderverehrung besondere Bedeutung zukam. Sie sind damit Teil der zweiten Stufe verehrungsinitiierender und -stabilisierender Rahmenelemente, während die primären in den auf das jeweilige Gnadenbild bezogenen, rituellen Handlungen bestehen.15 Die hier skizzierte Forschungsperspektive eignet sich somit für die Untersuchung von Vollambitenanlagen nicht allein aufgrund ihrer räumlich einhegenden Funktion. Vielmehr erweist sie sich auch deshalb als aufschlussreich, da hier aufgrund der Nutzung der Arkadengänge zur Andacht architektonische und frömmigkeitspraktische Rahmung auf eindrückliche Weise ineins fallen. Dennoch gilt es, für das vorliegende Beispiel zusätzlich zu berücksichtigen, dass dank der besonderen Rolle, welche der Lauretanischen Kapelle ihrerseits zukommt, zugleich ein Sonderfall vorliegt. Denn diese bildet zum einen den Ort für die unmittelbare Inszenierung der Kopie des Gnadenbildes, stellt jedoch als Nachahmung der Architekturreliquie zugleich selbst einen verehrungswürdigen Gegenstand dar. Die Tragweite dieser spezifischen „Doppelnatur“, sowohl Rahmenelement als auch Teil des vom Ambitus gerahmten Reliquienund Gnadenbildensembles zu sein, wird in den folgenden Ausführungen insbesondere zu berücksichtigen sein. Als weitere sekundär rahmende Medien werden im Folgenden zudem die beiden umfangreichsten der um 1700 von Angehörigen des betreuenden Kapuzinerkonvents herausgegebenen Wallfahrtsanleitungen ausgewertet werden. So verfasste zunächst Martin von Cochem das „Prager Laureten=Büchlein“, das im Jahr 1694 erschien und Ludmilla Eva Franziska von Kolowrat als Unterstützerin des Prager Loreto zugeeignet ist.16 Auf dieses folgte sechs Jahre später der „Lauretanische Blumen=Garten“ des 14 David GANZ/Georg HENKEL: „Einleitung“, in: Rahmen-Diskurse. Kultbilder im konfessio-
nellen Zeitalter, hg. v. DIES., Berlin 2004, 26. 15 Zur Forschungsperspektive des Rahmens in Bezug auf Gnadenbilder GANZ/HENKEL (wie
Anm. 14), 9–38, v. a. 26f. 16 VON COCHEM (wie Anm. 10). Martin von Cochem (1634–1712), seit 1653 Kapuziner, wirkte
vor allem als geistlicher Schriftsteller. Hauptsächlich in der rheinischen Provinz des Ordens le-
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Joseph von Bilin mit Widmung an Wenzel Adalbert von Sternberg und seine Gattin Clara Bernardina, in welchem zudem das Buch der 1694 gegründeten Bruderschaft Jesus Maria Joseph zur Erlösung der lieben Seelen aus dem Fegefeuer enthalten ist.17 Beide Wallfahrtsanleitungen verbinden eine gewissermaßen didaktische Heranführung an das Heilige Haus mit einer Anleitung zur Andacht. Auf diese Weise geben sie zum einen reichhaltig Auskunft über das Aussehen des Prager Loreto um 1700. Zum anderen überliefern sie darüber hinaus auch die intendierte frömmigkeitspraktische Nutzung gemeinsam mit der gewünschten zeitgenössischen Auffassung von Architekturreliquie und Gnadenbild sowie von deren Kopien, so dass die Allianz von Wallfahrtsanlage und begleitender Andachtsliteratur zugleich in ihrer Rolle als Rahmen-Diskurs nachgezeichnet werden kann. Dabei sollen vor allem diejenigen Informationen und Anweisungen im Mittelpunkt stehen, welche der Wallfahrer bei seinem ersten Besuch des Loreto-Heiligtums von beiden Autoren erhält. Mittels dieser Konzentration auf den erwünschten frömmigkeitspraktischen Gebrauch wird zudem über die Deutung der Anlage als vielschichtig aufgeladenes Monument habsburgischer Religionspolitik, wie sie Franz Matsche vorschlägt, hinausgegangen.18 Statt dessen soll exemplarisch nach den spezifischen Modi und Diskursen ihrer Aneignung unter dem Vorzeichen einer konfessionspolitischen Instrumentalisierung gefragt werden, womit sich zugleich eine veränderte Auffassung der Rolle von Loretoanlagen im Zuge der Rekatholisierung verbindet. Denn wie nachfolgend zu zeigen sein wird, war es offenbar nicht allein ihre Wahrnehmung als vielfältig verweisende „Marianische Siegesdenkmäler“19 aus der Distanz heraus, die als wichtigster Beitrag zur konfessionellen Formung der Bevölkerung betrachtet wurde. Mindestens ebenso wichtig scheint ihre konkrete Aneignung mittels einer gesteuerten, genuin katholischen Frömmigkeitspraxis gewesen zu sein, welche, wie Martin von Cochem ausdrücklich schreibt, auf die „Befürderung der Andacht“20 zielte. Für deren
17
18 19 20
bend, hielt er sich 1689–1696 infolge des Pfälzischen Erbfolgekriegs in weiteren Kapuzinerklöstern, u. a. in Prag, auf. Bonaventura VON MEHR: Martin von Cochem, in: Neue Deutsche Biographie, hg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 16, Berlin 1990, 278f. Zu Ludmilla Eva Franziska von Kolowrat und ihrer Stiftungstätigkeit für das Prager Loreto DVOŘÁK (wie Anm. 1), 224ff. BILINENSER (wie Anm. 10). Joseph von Bilin wirkte ab 1696 als Kustos und Sakristan der Prager Loretokapelle. Otto KAMSHOFF: Schriftsteller der böhmischen Kapuzinerprovinz, in: Mitteilungen des Vereins der Geschichte der Deutschen in Böhmen 1 (1912), 281–285. Die Aufarbeitung weiterer biographischer Daten fehlt bislang. Im Archiv des Prager Kapuzinerkonvents auf dem Hradschin hat sich darüber hinaus die verkürzte Version des nachfolgend zu behandelnden „Lauretanischen Blumen=Gartens“ desselben Autors erhalten: Joseph BILINENSER OFMCap: Sonderliche Verehrung und Andachten zu der seeligsten Lauretanischen Jungfrauen Mariae, Prag, 1703 (Praha, Kapucínská provinční knihovna, Sign. 05 F 082). MATSCHE (wie Anm. 2). Ebd., 90. VON COCHEM (wie Anm. 10), 115.
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Bedeutung in den Augen der Zeitgenossen spricht nicht zuletzt auch die obrigkeitliche Förderung der Wallfahrtsanleitungen, die anhand der jeweiligen Widmungen zum Ausdruck kommt. Das Verhältnis dieser beiden Funktionen von Loretoheiligtümern, ihrer repräsentativen und ihrer frömmigkeitspraktischen, wird daher abschließend noch einmal zu thematisieren und zu gewichten sein.
„Allerfürnemstes Stuck“ – Die Prager Santa Casa In ihrer Heranführung an das Prager Loreto konzentrieren sich beide Anleitungen zunächst auf das Heilige Haus als dem Zentrum und „allerfürnemsten Stuck“21 der Anlage. Wie die meisten Nachbildungen orientiert sich dieses am Zustand des Originals nach den Umgestaltungen der Jahre 1503 bis 1549.22 Betritt der Wallfahrer das Innere der nachgebildeten Santa Casa durch eine der beiden sich gegenüberliegenden, kleinen Türöffnungen, befindet er sich im Halbdunkel des kleinen Raumes mit Wänden aus Ziegelmauerwerk, die partielle Putz- und Fassungsreste aufweisen. (Abb. 3 u. 4) Diese werden oberhalb von einem geschienten Gesims abgeschlossen, auf welchem ein Tonnengewölbe aufsitzt. Nach Osten hin befindet sich eine hölzerne Trennwand, die den Raum hinter dem Altar mit der Nische des Gnadenbildes absondert und deren Fries mit der Inschrift EN. LOBKOVIZIANOS. TV. PIA. VIRGO. REGE. auf die Stifterfamilie hinweist. Zudem enthält sie zu beiden Seiten der Mensa je eine Tür und wird mittig von einer Öffnung durchbrochen, die durch eine silberne Vergitterung hindurch den Blick auf das Gnadenbild freigibt. Die Präsentation der Virgo Lauretana in einer Nische, deren Silberauskleidung mit getriebenen Engelsköpfen versehen ist, sowie der umgebende silberne Strahlenkranz, entsprechen der originalen, in den Wallfahrtsanleitungen beschriebenen Aufstellung.23 Zusätzlich werden in diesen zwei heute nicht mehr erhaltene Engel erwähnt, die zu Füßen des Gnadenbildes je einen Leuchter hielten, während anstelle der sieben, von den Autoren genannten Ampeln, welche mit Rekurs auf die Offenbarung Tag und Nacht vor dem Bild brannten, nur noch vier hinter der hölzernen Trennwand auszumachen sind.24 Die religiöse Bedeutung des Originals
Die religiöse Bedeutung dieses feierlichen und in seinen geringen Abmessungen zugleich intimen Raumes suchen beide Wallfahrtsanleitungen mittels ihrer Schilderung der Herkunft und des wundersamen Transfers seines Vorbilds nahezubringen. Zusätz21 Ebd., 22. 22 Zum Verhältnis des Heiligen Hauses in Prag zum italienischen Vorbild VLČEK (wie Anm. 1),
308f. 23 VON COCHEM (wie Anm. 10), 24; BILINENSER (wie Anm. 10), 10 24 VON COCHEM (wie Anm. 10), 24f.; BILINENSER (wie Anm. 10), ebd.
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Abb. 3 Prag, Loreto. Innenansicht der Santa Casa. (Foto: Dörte Wetzler)
Abb. 4 Prag, Loreto. Aufstellung des Gnadenbildes. (Foto: Dörte Wetzler)
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lich nennt das „Prager Laureten=Büchlein“ noch weitere wundersame Begebenheiten, wie etwa das selbstständige Abrücken einer rundum erbauten Stützmauer oder den Umstand, dass die Santa Casa trotz eines Risses in der Mauer und eines fehlenden Steines nicht einstürze.25 Auch in seiner ausführlichen Erläuterung des Inneren lässt Martin von Cochem keinen Zweifel daran, dass dem italienischen Original göttliche Kraft innewohne, wenn er anhand der Prager Kopie all diejenigen Details der Lauretanischen Kapelle schildert, mit welchen sich ein übernatürliches Geschehen verbinde. So sei der genaue Ort der Verkündigung während des Exorzismus einer besessenen Frau angezeigt und der Versuch, Steine aus den Mauern des Hauses zu entfernen mit Krankheit bestraft worden, während die Durchführung baulicher Veränderungen nur durch Priester, welche zuvor gefastet hätten, möglich gewesen sei.26 Ebenso wird das Trinken aus den irdenen Schüsseln, welche von der Heiligen Familie gebraucht und gemeinsam mit dem Haus transloziert worden seien, als probates Heilmittel vorgestellt und mit der ausführlich geschilderten Heilung eines Geistlichen, der nach vergeblichen ärztlichen Maßnahmen andächtig aus diesen trank, untermauert.27 Und bereits die Gewissheit, dass es sich bei diesem Haus in der Tat um das Wohnhaus Mariens handele, fuße auf mehrmaliger Offenbarung.28 Imitation des Originals als Partizipationsform
Zentrales Anliegen beider Autoren ist zudem die Darstellung der Prager Loreto-Kapelle als eine weitgehend exakte Kopie dieses mit besonderer Gnadenwirkung ausgezeichneten heilsgeschichtlichen Originalschauplatzes. So betont Martin von Cochem, dass die Form und Gestalt der Prager Kapelle dem italienischen Vorbild „so gar gleich und ähnlich seye, daß wer diese H. Capellen ansihet / sich warhafftiglich einbilden könne / alswan er das Hochwürdige Lauretanische Häußlein in Italien mit Augen anschauete“29 und schränkt dies nur insofern ein, als das Original in einer Kirche stehe, stärker ausgeziert sei und eine marmorne Relief-Verkleidung habe im Gegensatz zur Prager Kapelle, deren Ummantelung aus Gips bestehe30 – eine Darstellung, die Joseph von Bilin sechs Jahre später sinngemäß wiederholt.31 Diesen Aspekt unterstreichen beide Autoren zusätzlich im Zuge ihrer Beschreibungen des Gnadenbildes, wenn sie nicht nur von mehrmaligen Reisen nach Italien während der Bauzeit zwecks eines Abgleichs berichten, sondern auch die kaum zu überbietende Sorgfalt herausstellen, 25 26 27 28 29 30 31
VON COCHEM (wie Anm. 10), 7. Ebd., 7f. u. 12. Ebd., 15–18. Ebd., 3. Ebd., 2. Ebd., 3. BILINENSER (wie Anm. 10), 5f.
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dank derer selbst das Format der Ziegelsteine demjenigen des Originals entspreche.32 Zusätzlich wird die Bedeutung einer weitgehenden Ähnlichkeit gegen potentielle Kritik an der Schlichtheit von Aussehen und Anlage der Prager Santa Casa ins Feld geführt, die, so vermutet Martin von Cochem, angesichts der religiösen Bedeutung als unangemessen erscheinen mögen. Jedoch hätte man die unverputzten, ungeweißten und unbemalten Wände, die das Original auszeichneten, zugunsten einer maximalen Übereinstimmung übernehmen müssen.33 Gilt dasselbe Gebot möglichst exakter Nachahmung auch für das irdene Geschirr sowie für den „Chamelotten-Rock“ der Virgo Lauretana, ist es von besonderer Bedeutung in Bezug auf das Gnadenbild, das dementsprechend explizit als eine genaue Kopie des vom heiligen Lukas aus Zedernholz geschaffenen Originals vorgestellt wird. In diesem Zusammenhang gehen beide Anleitungen zudem ausführlich auf sein dunkles Inkarnat ein, das angesichts des Status eines getreuen Abbilds Mariens offenbar als problematisch empfunden wurde.34 So sei die Figur im Angesicht zwar „braunleht“, jedoch, wie beide Autoren versichern, habe es nicht der hl. Lukas dunkel angestrichen, sondern die vielen Kerzen und Ampeln in der Loreto-Kapelle hätten seine Nachdunklung bewirkt.35 Und so habe man auch die Kopie braun gefasst, was dessen Schönheit zudem keinen Abbruch tue, wie Martin von Cochem zusätzlich ausführt. Denn aus der Nähe betrachtet sehe die Figur „schön / holdseelig und anmüthig“36 aus, so dass sie dem Betrachter die Worte des Hohelieds zu sagen scheine: „Ich bin schwartz, danoch schön“ (Hoh 1, 5).37 Die zentrale Bedeutung dieses so explizit herausgestellten Status einer in allen Teilen weitestgehend exakten Kopie liegt für die Autoren in dessen Funktion begründet, eine Teilhabe der Nachahmung an der virtus des Originals zu bewirken. So argumentiert Martin von Cochem, dass die Heilige Muttergottes die Prager Loretokapelle deshalb mit vielen Gnaden und Wunderzeichen bedacht habe, da diese ihr wegen der Gleichförmigkeit „sonderlich lieb und angenehm seye“.38 Es ist also gewissermaßen sein Wiedererkennungswert, welcher die Kopie für Maria als Gnadenspenderin dem originalen Ort gleichwertig macht.39
32 VON COCHEM (wie Anm. 10), 25; BILINENSER (wie Anm. 10), 10f. 33 VON COCHEM (wie Anm. 10), 26f. 34 Zum Phänomen der „schwarzen Madonnen“ vor dem Hintergrund der Konnotationen dunkler 35 36 37 38 39
Hautfarbe siehe auch SCHREINER (wie Anm. 8), 230–248. VON COCHEM (wie Anm. 10), 23f.; BILINENSER (wie Anm. 10), 9f.; Zitat ebd. 9. VON COCHEM (wie Anm. 10), 24. VON COCHEM (wie Anm. 10), 24; Zitat ebd. VON COCHEM (wie Anm. 10), 25f.; Zitat 26. Zur Funktion des Kopierens von Gnadenbildern sowie des Heiligen Hauses allgemein siehe auch Nina GOCKERELL: ...Ist anberührt und hat die wahrhaffte läng und dick... Anmerkungen zu den Bemühungen um Authentizität von Gnadenbildkopien und Devotionalien, in: Maria al-
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Hinsichtlich der Madonnenfigur, die ausdrücklich als wundertätig eingeführt wird, sowie ihres überlieferten Kleides und des nachgeformten irdenen Geschirrs, ist für eine Teilhabe hingegen offenbar zusätzlich deren Kontakt mit der Substanz der jeweiligen Originale ausschlaggebend.40 So sei, wie beide Autoren berichten, das Gnadenbild seinem Vorbild anberührt und der Prager „Chamelotten-Rock“ diesem vor Ort eine Nacht lang angelegt worden, während man die Schüsseln ebensolange in die originalen Gefäße gestellt habe.41 Zusätzlich würden, so Martin von Cochem, die in Loreto angefertigten Kopien letzterer mit Wasser, das in den translozierten Schüsseln gestanden habe, hergestellt, um sie, so die ausdrückliche Formulierung, zu heiligen und mit übernatürlicher Kraft zu begaben.42 Damit scheinen die Methoden einer Teilhabe an dieser nach zeitgenössischer Auffassung letztlich unabhängig von kategorialen Unterschieden zu sein, da für die Kontaktreliquien der Schüsseln dasselbe gilt wie für die Gnadenfigur als bildliche Nachahmung Mariens, während hinsichtlich des Heiligen Hauses selbst, das seinerseits der ersten Gruppe zuzurechnen wäre, seine weitgehende Ähnlichkeit mit dem Original für eine Begabung mit dessen virtus offenbar ausreichend ist. Als Beweis einer tatsächlichen Gnadenwirkung und Wundertätigkeit des Prager Loreto führt Martin von Cochem abschließend eine Auswahl von Mirakeln an, die auf Anrufung des Marienbildes hin geschehen seien.43 Diese Heilungen beruhten auf dem Umstand, so der Autor einleitend, dass sich Maria in ihren Lauretanischen Kapellen immer dann gnadenreich zeige, wenn alle Opfer und Almosen nicht zum eigenen Nutzen der betreuenden Geistlichen, sondern ausschließlich zur „Befürderung der Ehr Gottes“ eingesetzt würden.44 Dieses in mehrfacher Hinsicht apologetische Argument ist insofern interessant, als es den Leser nicht nur von der Echtheit der Wunder und der Lauterkeit des verantwortlichen Klerus überzeugen soll, sondern auch eine „schlüssige“ Erklärung für das Vorkommen beziehungsweise gelegentliche Ausbleiben von Gnadenerweisen an manchen Wallfahrtsorten liefert. Ereigneten sich jedoch Wunder, sind sie, gemäß der Argumentation, eine Art Belohnung Mariens dafür, dass keinerlei Eigennutz die Verantwortlichen bestimme. Darüber hinaus zielt die Darstellung dieses Zusammenhangs nicht nur auf die Legitimierung des eigenen Wallfahrtsortes, sondern sucht unter Verweis auf die Auflistung weiterer Lauretanischer Kapellen im „Atlas Marianus“ Wilhelm Gumppenbergs auch die Rechtmäßigkeit der Verehrung
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lerorten. Die Muttergottes mit dem geneigten Haupt 1699–1999, hg. v. Franz NIEHOFF, Landshut 1999, 123–133. Zur expliziten Benennung des Bildes als wundertätig BILINENSER (wie Anm. 10), 22. VON COCHEM (wie Anm. 10), 23 [hier nur zum Rock]; BILINENSER (wie Anm. 10), 9f. VON COCHEM (wie Anm. 10), 16. VON COCHEM (wie Anm. 10), 32–47. VON COCHEM (wie Anm. 10), 32ff.; Zitat 33.
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derselben im allgemeinen zu untermauern.45 Dass die Veröffentlichung der aufgezählten Mirakel zudem in Einklang mit den offiziellen kirchlichen Weisungen stehe, stellt Martin von Cochem mit einem Hinweis auf das Dekret Urbans VIII. vom 18. März 1625 heraus, das verbiete, ohne kirchliche Erlaubnis Wunder zu publizieren.46 Insbesondere diese Passage zielt somit auf die Untermauerung der eigenen Glaubwürdigkeit und, damit verbunden, auf Vertrauensbildung. Heilsgeschichte hautnah: Die Prager Santa Casa als Stimulans religiöser Erfahrung
Indem es aufgrund seiner Ähnlichkeit und angenommenen Teilhabe an dessen übernatürlicher Kraft dem originalen Marienwallfahrtsort nahezu ebenbürtig zu sein scheint, bildet das Prager Loreto einen idealen Rahmen für Liturgie und Einkehr, den beide Anleitungen entsprechend weiter nahebringen. So reagieren auf dessen religiöse Bedeutung zum einen die zeitgenössischen institutionalisierten Gottesdienste und Andachtsübungen, welche die Autoren geradezu religionspädagogisch erläutern, gemeinsam mit der Bruderschaft Jesus Maria Joseph zur Erlösung der lieben Seelen aus dem Fegfeuer.47 Besondere Bedeutung kommt zudem der individuellen Andacht zu, der beide Wallfahrtsanleitungen breiten Raum widmen. Vor allem für diese greifen sie das eine Vergegenwärtigung überdurchschnittlich fördernde Potential des Heiligen Hauses bewusst auf. So wird die besondere imaginationsstimulierende Funktion der weitgehenden Ähnlichkeit mit dem heilsgeschichtlichen Originalschauplatz der Santa Casa nutzbar gemacht, indem das „Prager Laureten=Büchlein“ bereits während seiner ausführlichen Beschreibung des Heiligen Hauses an besonders herausgehobenen Orten auch zum Gebet auffordert. Dies geschieht beispielsweise gleich zu Beginn bezüglich des ehemaligen, sich hinter dem Altar befindenden Kamins, an welchem Maria für sich, den hl. Joseph und das Jesuskind gekocht habe.48 An diese plastische Schilderung schließt die typographisch durch größere Schrift hervorgehobene, ihrerseits die Vorstellungskraft stimulierende Anrufung Mariens an mit den Worten, dass sie ihrem 45 Zum Verweis auf Gumppenbergs „Atlas Marianus“ VON COCHEM (wie Anm. 10), 32. Der
„Atlas Marianus“ des Jesuiten Wilhelm Freiherr von Gumppenbergs zählt zu den meistverbreiteten Illustrationswerken des 17. Jahrhunderts. Er listet weltweit Mariengnadenbilder auf, deren Anzahl im Zuge der Neuauflagen, welche die in Ingolstadt erschienene lateinische Erstausgabe von 1657 erfuhr, stetig erweitert wurde. Monika HOTZ: Art. Atlas Marianus, in: Marienlexikon (wie Anm. 9), Bd. 1, 265 sowie Edgar KRAUSEN: Art. Gumppenberg, Wilhelm Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie (wie Anm. 16) Bd. 7, 311. 46 VON COCHEM, (wie Anm. 10), 33. 47 Zu den Gottesdiensten und Andachtsübungen siehe VON COCHEM (wie Anm. 10), 47–50 u. 87–114; BILINENSER (wie Anm. 10), 14–21. 48 VON COCHEM (wie Anm. 10), 9.
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„süßen Jesulein alhie sein Müßlein gekocht / seine Windlein getrocknet / und seine erkaltete Händ und Füßlein gewärmet“49. Auch angesichts des Ortes der Verkündigung wird eine genaue Beschreibung mit kurzer Andacht verbunden. Wie Maria, so solle auch der Wallfahrer niederknien und sich im Gebet von der Imagination des hier vollzogenen Verkündigungsgeschehens ergreifen lassen: „O mögte ich alhie empfinden / was du / O Maria / alhie empfunden hast.“50 Nicht die distanzierte Haltung eines besichtigenden Besuchers also, sondern geistliche Aneignung und affektive Bewegung soll der Wallfahrer angesichts des heilsgeschichtlichen Originalschauplatzes erfahren. Diese Zielsetzung kommt in beiden Anleitungen schließlich vollends in ihren weitgehend deckungsgleichen Abschnitten mit Gebeten zum Tragen. So stimmt bereits die „Kräfftige Meinung“51, welche zu Beginn der Wallfahrt zu sprechen ist, auf die religiöse Bedeutung der Santa Casa und ihrer Prager Kopie ein. Zusätzlich flechten die zahlreichen Gebete, die vor Ort zur Verehrung Mariens und des Jesuskindes, des Gnadenbildes sowie des Heiligen Hauses selbst gesprochen werden sollen, dessen heilsgeschichtliche Dimension immer wieder ein. Beispielsweise wird der Wallfahrer aufgefordert, gleich beim Betreten der Kapelle zu Maria zu beten mit den Worten, dass „gleich wie der H. Gabriel mit Ehrerbietung in dein heiliges Wohnhäußlein eingangen und dich mit tieffer Demuth gegrüsset hat: also gehe ich auch mit tiefer Demuth und Ehrerbietung in diß dein H. Häußlein“52. Und in der „Begrüßung der Lauretanischen Häußleins“ ist diesem Ehre zu erweisen, „dieweil die H. Mutter Gottes in dir gewohnt / gearbeitet / gekocht / gessen / getruncken / geschlaffen / und den Sohn Gottes empfangen hat“53. Überdies verbinden die Gebete, welche zu Maria „in einem Creutz“54 oder zur „Erlangung einer Gnad“55 gesprochen werden können, nunmehr auch die persönliche Disposition der Wallfahrer mit der Bedeutung des Ortes. Darüber hinaus ist eine Andacht speziell den „Freuden, so Maria in dem Lauretanischen Häußlein empfangen“56 gewidmet, für welche der „Lauretanische Blumen=Garten“ zudem eine Zeitspanne von neun Tagen vorschlägt.57 Als stärker prozessorientiert erweist sich die Anleitung des Joseph von Bilin auch insofern, als er den Abschnitt zur Andacht in der Santa Casa
49 50 51 52 53 54 55 56 57
Ebd., 10. VON COCHEM (wie Anm. 10), 20f.; Zitat ebd. 21. VON COCHEM (wie Anm. 10), 52; BILINENSER (wie Anm. 10), 26. VON COCHEM (wie Anm. 10), 57. Ebd., 59. VON COCHEM (wie Anm. 10), 70; BILINENSER (wie Anm. 10), 59. VON COCHEM (wie Anm. 10), 76; BILINENSER (wie Anm. 10), 57. VON COCHEM (wie Anm. 10), 64f.; BILINENSER (wie Anm. 10), 54f. BILINENSER (wie Anm. 10), 44.
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mit einem Gebet „im Hinwegscheiden auß der Lauretanischen Capellen“58 beendet, während ein solcher Abschluss bei Martin von Cochem nicht vorgesehen ist. Hingegen handelt es sich bei letzterem offenbar stärker um eine vorrangig didaktisch ausgerichtete Anleitung, wenn er auch die Partie der Gebetsanleitungen mit konkreten, typographisch abgesetzten Anweisungen versieht. Diese fordern den Wallfahrer abermals zu intensiver Imagination auf mit dem Ziel, eine „desto kräfftigere“59 Andacht zu erzielen: „(...) so bilde dir ein / als wan du warhafftiglich in dem Hochheiligen Häußlein von Nazareth / darin die Mutter Gottes empfangen / und von dem H. Gabriel gegrüst worden / gegenwärtig seyest.“60 Mit Blick auf die konfessionellen Auseinandersetzungen sucht er zudem, mögliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit, den „consecrirten Boden mit (...) Andacht und Demühtigkeit [sic] “61 anzurufen, auszuräumen mit der Versicherung, dass dies nicht „wider die Wahrheit“62 sei, sondern „uralte[m] Catholischen Gebrauch und Zulassung“63 entspreche. So dürften Nachbildungen ebenso verehrt werden wie ihre Vorbilder, was beispielsweise sowohl für die Bilder Christi und der Heiligen gelte als auch für originalgetreue Nachbildungen des Kalvarienberges, des Grabes Christi, oder – mit Verweis auf ihre besondere Rolle im Rahmen der Osterliturgie – für solche des Wahren Kreuzes. Entsprechend könne auch eine jede Kopie des Heiligen Hauses rechtmäßig die Verehrung der Gläubigen empfangen, so der Autor abschließend.64 Solchermaßen legitimiert mit Hilfe einer Argumentation, welche zugleich auch die konfessionell höchst umstrittene Verehrung von Bildern en passant rechtfertigt, soll der Wallfahrer darauf mit „hertzlicher Andacht“65 wallfahren, um Maria das Herz auszugießen, wie es an anderem Ort heißt.66 Zusätzlich vermittelt ihm Martin von Cochem die ideale geistliche Aneignung des Originalschauplatzes, indem er dazu auffordert, das Heilige Häuslein, in welchem die Mutter Gottes gegangen, gestanden, gesessen, gelegen und von dem Engel gegrüßt worden sei mit Augen anzusehen, mit Füßen zu betreten und mit dem Herzen zu verehren.67 Angeregt wird also zu einem visuellen, leiblichen und affektiven Kontakt mit der Kopie desjenigen Ortes, an welchem sich Maria einst selbst aufhielt.
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67
BILINENSER (wie Anm. 10), 72f.; Zitat ebd. 72. VON COCHEM (wie Anm. 10), 50. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 51. Ebd. Ebd., 57. Ebd., 58. BILINENSER (wie Anm. 10), 26.
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Ehrfurcht und Nähe: Das rechte Verhältnis zur Gottesmutter
Hinsichtlich der angestrebten persönlichen Beziehung des Gläubigen zur Gottesmutter verhandelt die mediale Rahmung des Gnadenbildes insbesondere das angemessene Verhältnis von Nähe und Distanz. Maria soll, so wollen es die Autoren, voller Ehrfucht anzurufende und zugleich mütterliche Ansprechpartnerin in allen Nöten und Anliegen sein, wenn sie sowohl zur Verehrung als auch zu einem Sich-Anvertrauen aufrufen. Zusätzlich zur Thematisierung in den Wallfahrtsanleitungen unterstützte auch die unmittelbare Inszenierung der Virgo Lauretana in der Santa Casa diese spezifische Beschaffenheit der (wieder) zu etablierenden Bindung. Dies beruhte zunächst auf deren Sonderrolle, das zu einer Kapelle geweihte Wohnhaus Mariens zu sein. Der zeitgenössische Besucher hielt sich somit einerseits gewissermaßen in ihrem Privatbereich und auf engstem Raum mit dem Gnadenbild als ihrem Repräsentanten auf, so dass er in eine Situation intimer Begegnung eintauchte. Andererseits jedoch wurde dank der Raumaufteilung in Presbyterium und Gemeinderaum – noch heute nachvollziehbar – eine klare, durch die hölzerne Trennwand geradezu überdeutlich markierte Grenze gezogen, zumal auch die silberne Vergitterung das Gnadenbild nicht nur physisch, sondern auch optisch ein Stück weit entzog. Auf diese Weise befand sich der Gläubige zwar in größtmöglicher Nähe zur Marienfigur, wurde aber zugleich unüberwindbar von diesem getrennt.68 Überdies schuf auch die silbern ausgekleidete Nische gemeinsam mit der feierlichen Illuminierung ehrfurchtsvolle Distanz, so dass die Virgo Lauretana dem Wallfahrer wertvoll gerahmt gegenübertrat in ihrer, wie beide Autoren es nennen, „grossen Majestät“69; eine Wirkung, welche die ursprüngliche, in den Anleitungen beschriebene permanente Ausleuchtung mit sieben Ampeln noch gesteigert haben muss. Dennoch sollte diese herrscherliche Präsentation keineswegs entfremdend wirken, wie beide Wallfahrtsanleitungen nahe legen. Im Gegenteil zielte sie vielmehr auf eine Haltung affektiv verankerter Verehrung, für welche die „majestätische“, dem Status des Gnadenbildes angemessene Präsentation in den Augen der Autoren erst die Voraussetzung schuf. So erzeuge sie laut Martin von Cochem in „den frommen Hertzen eine Lust und Begird“70 Maria anzurufen und zu verehren, ja reize, so Joseph von Bilin, alle ihre Liebhaber hierzu an.71 68 Dies dürfte nicht zuletzt auch auf die Regulierung eines potentiellen Überschwangs religiöser
Affekte gezielt haben, der zu einer möglichen Gefahrenquelle für religiöse Bildwerke und Reliquien werden konnte. Ein Beispiel für eine ins Gewaltsame gekippte Andacht findet sich bei Georg HENKEL: Rhetorik und Inszenierung des Heiligen. Eine Kulturgeschichtliche Untersuchung zu barocken Gnadenbildern in Predigt und Festkultur des 18. Jahrhunderts, Weimar 2004, 156f. 69 VON COCHEM (wie Anm. 10), 25; BILINENSER (wie Anm. 10), 10. 70 VON COCHEM (wie Anm. 10), 25. 71 BILINENSER (wie Anm. 10), 10.
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Unterstützt von den Wallfahrtsanleitungen, ermöglichte das Heilige Haus dem zeitgenössischen Gläubigen somit, Heilsgeschichte an einem nachgebildeten Originalschauplatz gewissermaßen „hautnah“ zu erleben. Hierzu regen ihn sowohl das „Laureten=Büchlein“ als auch der „Lauretanische Blumen=Garten“ an, indem sie dessen religiöse Bedeutung eingehend vermitteln und, auf der Basis einer grundsätzlichen Legitimierung seiner Verehrung, zum Ausgangspunkt marianischer Andacht machen. Um diese zu intensivieren, greifen sie insbesondere das memoriale Potential der als verehrungswürdig legitimierten Santa Casa imaginationsstimulierend auf. Ein wichtiges Anliegen beider Autoren bildet in diesem Zusammenhang die Modellierung der religiösen Affekte. So thematisieren sie immer wieder die rechte Haltung dem Ort selbst und der Gottesmutter gegenüber, beispielsweise mittels der Aufforderung zur affektiven Nachahmung des Engels Gabriel, der mit Demut und Ehrerbietung das Heilige Haus betreten habe. Zugleich leiten sie jedoch auch zu einer personalisierten Andacht an, indem Maria als mütterliche Adressatin der eigenen Anliegen und Nöte vermittelt wird, welcher der Gläubige das Herz ausgießen dürfe. Dieses offenbar als ideal erachtete und von den Autoren geforderte, spezifische Verhältnis von Ehrfurcht und Innigkeit fördert zudem die Inszenierung des Gnadenbildes im Heiligen Haus, die ihrerseits räumliche Nähe ermöglicht bei gleichzeitiger Vorgabe respektvoller Distanz. Der Gläubige, welcher die Lauretanische Kapelle betrat, tauchte so idealiter in eine Situation intensiver Vergegenwärtigung und ehrfürchtiger innerer Begegnung ein – vorausgesetzt, er liess die rechte, in den Anleitungen vermittelte Andacht walten. Dass diese zugleich im Bewusstsein stattfand, dass die Prager Kopie „nicht allein eine heilige Capell / sonder auch ein gnadenreiches und wunderthätiges Gottes Häußlein seye“72, gewährleistete überdies die ausführliche Darlegung ihrer Teilhabe an der übernatürlichen Wirkmacht des Originals. Diese angenommene Qualität verbinden die Wallfahrtsanleitungen mit den spezifischen memorialen Eigenschaften des Heiligen Hauses, um eine weitere Verdichtung religiöser Erfahrung zu evozieren. So soll die Lauretanische Kapelle für die Gläubigen als Ort einer rein imaginativen Vergegenwärtigung von Heilsgeschehen fungieren und zugleich als ein Gnadenort, das heißt als eine mit virtus erfüllte Kopie des Reliquien- und Gnadenbildensembles der Santa Casa wahrgenommen werden. Letztes Ziel der Andachtsübungen ist somit die Erfahrung der tatsächlichen Gegenwart Mariens und ihres aktualen Eingreifens in die eigenen Geschicke. Die Wallfahrtsanleitungen streben somit in erster Linie die Vermittlung einer individuellen und affektiv verankerten Präsenzerfahrung an, die eine nachhaltige innere Bindung der Gläubigen an die nunmehr konfessionell besetzte Marienverehrung bewirken soll.
72 VON COCHEM (wie Anm. 10), 33.
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Abb. 5 Prag, Loreto. Ansicht Hof/Ambitus. (Foto: Dörte Wetzler)
„Einen andächtigen Lust machen“ – Ambitus und Hof Bezüglich dieses intensiven, medial geformten Prozesses andächtiger Vergegenwärtigung setzt der Ambitus gemeinsam mit dem eingefriedeten Hof weitere, durchaus religionspolitisch mitbedingte Akzente, die insbesondere auf den spezifischen historischen Kontext der nachdrücklich betriebenen Rekatholisierung Böhmens reagieren.73 (Abb. 5) Ihre Funktion eines rahmenden Kommentars zur Kopie der Santa Casa verbindet sich so auf charakteristische Weise mit der Zweckbestimmung, der Fortsetzung sowohl der institutionalisierten als auch der individuellen Andacht Raum zu geben. Hierüber erhielt die angestrebte Begegnung des zeitgenössischen Gläubigen mit Maria eine zusätzliche, genuin katholische Modellierung.
73 LOUTHAN (wie Anm. 2).
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Der Ambitus als Ort katholischer Frömmigkeitspraxis
Was zunächst die Gestaltung des Ambitus betrifft, wird seine Freskierung, die offenbar schon im 17. Jahrhundert vor derjenigen Schefflers bestand,74 weder im „Laureten=Büchlein“ noch im „Lauretanischen Blumen=Garten“ erwähnt. Stattdessen beschreiben sie lediglich, dass an den 40 Säulen – offenbar wird dieser Ausdruck als ein Synonym für Stützen gebraucht – je ein „Mariä-Bild nach der Ordnung der Lauretanischen Litaney“75 angebracht sei und an den Ecksäulen je zwei, da die Litanei ja 44 Verse, der Ambitus jedoch nur 40 Stützen habe.76 Zudem erwähnen beide Wallfahrtsanleitungen die Kapellen des Ambitus, welche lediglich der „Lauretanische Blumen=Garten“ eingehender benennt und hinzufügt, dass sich in der Christi-Geburt-Kapelle der Hochaltar befinde.77 Dazwischen stünden 24 – Joseph von Bilin nennt nur 23 – kleine „Altärlein oder gemahlte Bilder der Heiligen“78 in vergoldeten Rahmen und hinter Glas, welche die zahlreichen Votivtafeln der Wallfahrer umgeben.79 Auch seien in den ebenfalls 40 Schwibbögen des Arkadengangs „miraculose Mariä Bilder“80 aufgemalt,81 deren Ursprung auf Latein angegeben werde. Der heutige Zustand der Lünettenbilder zeigt hingegen eine Benennung des Wallfahrtsortes in tschechischer und deutscher Sprache.82 (Abb. 6 u. 7) Zur Nutzung dieser spezifischen Raumsituation für die individuelle Andacht regen beide Wallfahrts-Anleitungen mit einer Reihe von Gebeten an, welche an den Altären der jeweiligen Heiligen beziehungsweise in oder vor den Kapellen gesprochen werden sollen. (Abb. 8) Zusätzlich versieht Martin von Cochem diese mit einer typographisch abermals abgesetzten Erläuterung zum jeweiligen Heiligen, um auch in diesem Zusammenhang in religionspädagogischer Absicht den Gläubigen nicht nur die erwünschte Form der Frömmigkeitspraxis als solche, sondern auch ein Verständnis dieser zu vermitteln. Im „Lauretanischen Blumen=Garten“ hingegen wird hierauf verzichtet und stattdessen eine Reihe von Kupferstichen beigefügt, welche die Heiligenbilder ausgewählter Stationen im Ambitus wiedergeben. Beide Anleitungen fordern den Gläubigen so zu einer intensiven bildgestützten Andacht auf, die entweder,
Als deren Autor wird Fabian Wenzel Harovnik angenommen. BAŠTOVÁ u. a. (wie Anm. 1), 13. VON COCHEM (wie Anm. 10), 30; BILINENSER (wie Anm. 10), 11. VON COCHEM (wie Anm. 10), ebd. sowie BILINENSER (wie Anm. 10), ebd. VON COCHEM (wie Anm. 10), 30; BILINENSER (wie Anm. 10), 11f. VON COCHEM (wie Anm. 10), ebd. VON COCHEM (wie Anm. 10), 30f.; BILINENSER (wie Anm. 10), 12. VON COCHEM (wie Anm. 10), 30; ebenfalls beschrieben bei BILINENSER (wie Anm. 10), 11. Dank weiterer Quellen können diese in die Jahre 1687 bis 1693 datiert werden. Siehe BAŠTOVÁ u. a. (wie Anm. 1), 14. 82 VON COCHEM (wie Anm. 10), 30. 74 75 76 77 78 79 80 81
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Abb. 6 Prag, Loreto. Beispiel für ein Lünettenbild. (Foto: Dörte Wetzler)
Abb. 7 Prag, Loreto. Beispiel für ein Lünettenbild. (Foto: Dörte Wetzler)
so schlägt es Martin von Cochem vor, punktuell oder im Ganzen als ein Prozess erfolgen könne und welche die institutionalisierten Angebote am Wallfahrtsort ergänzten.83 83 VON COCHEM (wie Anm. 10), 47ff. u. 115; BILINENSER (wie Anm. 10), 14ff.
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Abb. 8 Prag, Loreto. Blick in den Ambitus. (Foto: Dörte Wetzler)
Eines dieser stellte das Absingen der Lauretanischen Litanei während der Gottesdienste dar, und so drucken beide Autoren, dem Ort entsprechend, auch diese ab.84 Erstaunlicherweise kommt ihr darüber hinaus jedoch keine besondere Aufmerksamkeit zu in Form einer eigenen Erläuterung – Martin von Cochem erwähnt lediglich, dass sie täglich im italienischen Loreto gesungen werde85 – oder mittels einer eigenen Aufforderung zum Abbeten der marianischen Anrufungen vor den jeweils an den Stützen des Umgangs angebrachten bildlichen Darstellungen. Offenbar wurde speziell dies als eine beim Leser etablierte Praxis vorausgesetzt und bedurfte keiner eigenen Ausführung. Mit diesem reichhaltigen Angebot zu einer individuellen Andacht verbanden sich die Lünettenbilder als eine Art legitimierender „Marianischer Atlas“, welcher die Virgo Lauretana in ein topographisches Netz weiterer Gnadenbilder einbettet; eine Bildstrategie, die vorrangig als ein Spezifikum böhmischer Wallfahrtsorte angespro-
84 VON COCHEM (wie Anm. 10), 83–85; BILINENSER (wie Anm. 10), 417–418 [420, fehler-
hafte Paginierung]. 85 VON COCHEM (wie Anm. 10), 83.
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chen werden kann.86 Sie zeigen zum einen Gnadenbilder der näheren und weiteren Umgebung, sprich in Böhmen, Mähren sowie in Ober- und Niederbayern (Altötting und Passau), in der Obersteiermark (Mariazell) und Tschenstochau (Częstochowa) in Schlesien. Zum anderen werden jedoch auch weitere überregionale, besonders herausragende Beispiele wie diejenigen von Sichem, Genazzano, Bologna, Mestina und Montserrat dargestellt.87 Hierdurch eröffnen sie einen weiteren geographischen Raum marianischer Bilderverehrung, wie er insbesondere für entsprechende Bildprogramme in Prag selbst sowie in der unmittelbaren Umgebung typisch gewesen zu sein scheint.88 Auf diese Weise fassen sie die Virgo Lauretana buchstäblich in eine rahmende Bildargumentation ein, welche die Auffassung von Gnadenbildern als besonders ausgezeichnete, wundertätige Orte einer Manifestation des Überirdischen, wie sie auch die Wallfahrtsanleitungen vertreten, propagiert. Speziell dieser Aspekt ist in direktem Zusammenhang mit den Kontroversen um die Verehrung religiöser Bildwerke zu sehen. Denn aufgrund der reformatorischen Kritik und, bezogen auf Böhmen, infolge der hussitischen Ablehnung des Bilderkultes war ihr Status höchst prekär geworden, zumal es im Zuge der Glaubenskämpfe auch immer wieder zu massiven ikonoklastischen Übergriffen gekommen war.89 Dieser nicht selten gewaltsamen Infragestellung setzt nun der Ambitus die Bestätigung von Bilderverehrung durch das Tridentinische Konzil nachdrücklich entgegen, indem er mit dem Auftreten des Phänomens ihrer Wundertätigkeit an zahlreichen weiteren Orten argumentiert. Zusätzlich unterstützte diesen buchstäblichen Rahmen-Diskurs die Beigabe der in den Anleitungen erwähnten Votivtafeln, die als zusätzliche bildliche „Beweise“ der Wirksamkeit von Gnadenbildern fungierten. Hierdurch wird nicht zuletzt auch konfessionell von den jeweiligen Gebieten gewissermaßen Besitz ergriffen, indem sie so als „terra catholica“ präsentiert werden; ein Aspekt, der insbesondere mit Blick auf den hussitischen Einfluss in Böhmen von Bedeutung war
86 Zu gemalten „Marianischen Atlanten“ im Kontext von Wallfahrtsorten BAŠTOVÁ u. a. (wie
Anm. 1), 14 sowie Johanna HERZOGENBERG: Marianische Geographie an böhmischen Wallfahrtsorten. Der Weiße Berg – Rimau in Südböhmen – Der Heilige Berg, in: Alte und Moderne Kunst 16/114 (1971), 9–21. 87 Im südöstlichen Abschnitt des Ambitus befindet sich mit dem Lünettenbild zur Wallfahrt von Lourdes zudem eine spätere Aktualisierung. 88 Gezeigt werden Gnadenbilder in Italien und Belgien. Eine Aktualisierung des „Marianischen Atlasses“ stellt das Lünettenbild mit der Jungfrau Maria zu Lourdes dar, das sich im Ostflügel des Ambitus im von der Christi-Geburt-Kirche aus vierten Joch befindet. Zum weiter gefassten geographischen Rahmen Prager Beispiele, die solchen gegenüberstehen, die lediglich Orte in Böhmen, Mähren und Schlesien aufführen. HERZOGENBERG (wie Anm. 86), 9. 89 LOUTHAN (wie Anm. 2), 147–157 sowie František ŠMAHEL: Die Hussitische Revolution, Bd. 1–3, Hannover 2002.
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und bereits eine längere Tradition hatte.90 Zudem verbindet sich speziell dieser Gesichtspunkt verstärkend mit einer Bedeutungsfacette der Santa Casa, die Franz Matsche plausibel herausarbeitete. So evozierte diese als Palästina-Reliquie auch die Kreuzzüge als Verteidigung des Heiligen Landes gegen die Ungläubigen.91 Demgemäß deutet der wechselseitige Bezug zwischen der Prager Loreto-Kapelle und ihrer rahmenden Bildargumentation die Rekatholisierung Böhmens zusätzlich als legitime Rückeroberung des Landes für den christlichen Glauben, wodurch dieser zugleich mit dem Katholizismus ineins gesetzt und dessen protestantische Gegner als Widersacher des Christentums an sich diffamiert werden. Und nicht zuletzt kommt die Notwendigkeit, die Verehrungswürdigkeit von Gnadenbildern zu untermauern, auch insofern zum Ausdruck, als die Wallfahrtsanleitungen bezeichnenderweise nur in Bezug auf die Lünettenbilder deren anvisierte affektive Wirkung thematisieren. Diese sollen, so die Autoren, neben ihrer zierenden Funktion, den „Anschauern eine andächtige Lust machen“92. Eine persuasio mittels von Affektproduktion scheint also offenbar speziell in Bezug auf die konfessionell umstrittene Praxis der Bilderverehrung von größter Wichtigkeit gewesen zu sein. Darüber hinaus zeugt auch ein abschließender, gesonderter Teil im „Laureten=Büchlein“ zusätzlich davon, welche Bedeutung Bilderverehrung im nachtridentinischen Katholizismus zukam. Denn in diesem wird zusätzlich das ehemals in Rottenburg aufgestellte Marienbild beschrieben, welches nunmehr in der Kirche des benachbarten Kapuzinerklosters verehrt werde und sich mehrmals vor allem gegenüber Protestanten, welche dieses hätten zerstören wollen, als wundertätig erwiesen habe.93 Der Gläubige wurde so auf eine weitere benachbarte und speziell mit dem betreuenden Orden verbundene Möglichkeit zur Verehrung eines Mariengnadenbildes verwiesen. Betete nun der zeitgenössische Wallfahrer die Lauretanische Litanei im Ambitus, die ihn das Heilige Hauses sukzessive umschreiten ließ, wurde diese räumliche Bewegung dank der jochweise angebrachten Lünettenbilder simultan zu einer Art mentalen Pilgerfahrt, die ihn an weitere marianische Gnadenstätten führte. Diese „spirituelle und kumulative (...) Groß-Wallfahrt“94 bewirkte somit eine enge Allianz der andächtigen Vergegenwärtigung Mariens mit einer Topographie ihrer gesteigerten Präsenz. Diesbezüglich nimmt Johanna Herzogenberg sicher zu Recht an, dass nicht allein eine beeindruckende Addition angestrebt wurde, sondern vielmehr „die Gleichzeitigkeit,
90 Franz MATSCHE: Wallfahrtsarchitektur – die Ambitenanlagen böhmischer Wallfahrtsstätten
91 92 93 94
im Barock, in: Wallfahrt kennt keine Grenzen, hg. v. Lenz KRISS-RETTENBECK und Gerda MÖHLER, München 1984, 352–367, hier 355f. MATSCHE (wie Anm. 2), 109ff. sowie HERZOGENBERG (wie Anm. 86), 21. VON COCHEM (wie Anm. 10), 30; so auch bei BILINENSER (wie Anm. 10), 11. VON COCHEM (wie Anm. 10), 84ff. MATSCHE (wie Anm. 2), 113.
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Abb. 9 Prag, Loreto. Ambitus: Heiligen- und Lünettenbild. (Foto: Dörte Wetzler)
ja die Allgegenwart der wundervollen Hilfe“ vor Augen geführt werden sollte.95 Ob allerdings auch eine gleichwertige Anrufung der dargestellten Gnadenbilder erfolgen sollte, muss mit Blick auf die Wallfahrtsanleitungen zumindest für das Prager Loretoheiligtum als fraglich erscheinen, da diese hierzu an keiner Stelle auffordern. Im Mittelpunkt steht vielmehr die tatsächlich vorhandene, in der Kapelle aufgestellte Virgo Lauretana, während die im Ambitus angebrachte Reihung von Darstellungen weiterer figurae gratiae von den Autoren offenbar vorrangig als legitimierende, die „andächtige Lust“96 verstärkende Rahmung aufgefasst wurde. Das realiter vorhandene Gnadenbild sollte somit in der Andachtspraxis idealerweise deutlich übergeordnet bleiben. Noch enger verbanden sich für den zeitgenössischen Wallfahrer die Lünettenbilder mit den Altären und Heiligenbildern, oberhalb derer sie angebracht sind. Denn während der intensiven Zuwendung, zu welcher er angehalten wurde mit der Aufforderung, mindestens zwei bis drei Gebete vor den jeweiligen Stationen zu sprechen oder teils auch eine mehrtägige Andacht zu halten, fügten sich die Darstellungen „miracu95 HERZOGENBERG (wie Anm. 86), 17; Zitat ebd. 96 VON COCHEM (wie Anm. 10), 30.
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losischer Mariae Bilder“97 – mit Ausnahme der Kapellen – als überfangende Darstellungen jeweils automatisch in das Gesamtbild ein. (Abb. 9) Die Vergegenwärtigung weiterer marianischer Gnadenorte rückte so simultan in den Fokus der Aufmerksamkeit, so dass sich im Zuge des angestrebten geistlichen Prozesses die konfessionsspezifischen Formen der Marien- und Heiligenverehrung im Bewusstsein des Wallfahrers als integrale Bestandteile katholischer Frömmigkeitspraxis aufs engste verbanden. Ebenso verhielt es sich mit den Beichtstühlen im Ambitus, welche im nördlichen, südlichen und östlichen Flügel die Abfolge der Heiligenbilder unterbrechen. So ist auch die Individualbeichte bei einem Priester mit anschließender Absolution Bestandteil genuin katholischer Glaubenspraxis aufgrund der Aufwertung, welche sie seitens des Tridentinums im Zuge der Verteidigung des Bußsakraments erfuhr.98 Im Kreuzgang des Prager Loreto ging nun für den zeitgenössischen Gläubigen die confessio mit der oberhalb der Beichtstühle vermittelten marianischen Topographie eine Allianz ein, welche angesichts der zentralen Rolle, welcher der Beichte auch an diesem Wallfahrtsort zukam, zudem intensiv rezipiert worden sein muss. (Abb. 10) So weist Martin von Cochem mit Bezug auf die spezifische zweisprachige Situation vor Ort im „Prager Laureten=Büchlein“ darauf hin, dass „jeder zu allen Stunden einen Teutschen oder Böhmischen Beichtvatter haben“ kann.99 Überdies dürfte die Attraktivität der Beichte noch dadurch gesteigert worden sein, dass, so der Autor weiter, an den hohen Marienfesten alle diejenigen, „so beichten / communiciren / und in der Loreta für das gemeine Anligen etwas betten“, einen vollkommenen Ablass erlangen könnten.100 Insgesamt stellte der Ambitus somit für den zeitgenössischen Gläubigen seinerseits ein verdichtetes und prozessorientiertes Angebot zu einer genuin katholischen 97 BILINENSER (wie Anm. 10), 11; A COCHEM (wie Anm. 10), 30. 98 David MYERS: „Poor, Sinning Folk“. Confession and Conscience in Counter-Reformation
Germany, Ithaca 1996, 107–113 sowie Hans-Peter ARENDT: Bußsakrament und Einzelbeichte. Die tridentinischen Lehraussagen über das Sündenbekenntnis und ihre Verbindlichkeit für die Reform des Bußsakraments, Freibrug i. Br. 1980. Aus dieser gesteigerten Bedeutung resultierte in der Folge zudem die Notwendigkeit, einen eindeutig fixierten Ort für das bis dato in variabler Form abgenommene Sündenbekenntnis zu bestimmen, was die Entwicklung des Beichtstuhls sowie seine sukzessive, flächendeckende Einführung bedingte. Nicolaj VAN DER MEULEN: Der Beichtstuhl als Bekenntnisarchitektur, in: Frühneuzeitinfo 20/1 u. 2 (2009), 104–127, v. a. 109ff. Auch im Protestantismus bestand bis zum 18. Jahrhundert die Praxis der Prüfung durch den Pfarrer mit anschließender Lossprechung vor der Teilnahme am Abendmahl, jedoch wurde diese nicht länger als Sakrament, sondern als weiteres Mittel der Verkündigung verstanden. Michael ROOT: Art. Beichte III. Dogmatisch 3. Evangelisch, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. v. Hans Dieter BETZ u. a., Bd. 1, Tübingen 1988, Sp. 1223 f. Zu Formen protestantischer Beichtstühle liegen lediglich regionale Studien vor, so von Peter WASEM: Evangelische Beichte und Beichtstühle in pfälzischen Kirchen, in: Vestigia 2 (2013), 197–222; Alexander WIECKOWSKI, Evangelische Beichtstühle in Sachsen, Beucha 2005 und Hildegard HEIDELMANN u. a.: Evangelische Beichtstühle in Franken, Bad Windsheim 2001. 99 VON COCHEM (wie Anm. 10), 49, auch 47; BILINENSER (wie Anm. 10), 15. 100 VON COCHEM (wie Anm. 10), 49.
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Abb. 10 Prag, Loreto. Ambitus: Beichtstuhl und Lünettenbild. (Foto: Dörte Wetzler)
Andachtspraxis bereit, welches zugleich einige der zentralen konfessionsspezifischen Positionen – Marien-, Heiligen- sowie Bilderverehrung – nachdrücklich betonte. Besonderes Gewicht lag dabei auf der Legitimierung des Bilderkults, deren „Argumente“ in Form der Lünettenbilder sich an jedem Punkt des Kreuzgangs in die Andacht beziehungsweise in den Beichtvorgang integrierten. Die im Heiligen Haus begonnene, intensive Vergegenwärtigung Mariens als Weg zur Erfahrung ihrer angenommenen Gegenwart wurde so im Ambitus verstärkend fortgeführt mittels der Darstellung ihrer Omnipräsenz in Verbindung mit umfangreichen Möglichkeiten zur Heiligenverehrung sowie einer nachdrücklichen Rechtfertigung von Bilderverehrung. Multisensorische persuasio: Gestaltung und Nutzung des Hofes um 1700
Auf diesen Prozess wirkten weitere Aspekte der Inszenierung ein, welche unter Ansprache der Sinne ihrerseits auf eine Intensivierung der religiösen Erfahrung zielten und sich hierzu insbesondere einer teils symbolisch aufgeladenen Bepflanzung des Hofs bedienten. Dass diese speziell Joseph von Bilin ausführlich darstellt, ist insofern stimmig, als er sich bereits in der Wahl des Titels und im Vorwort seiner Anleitung
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religiöser Pflanzensymbolik verpflichtet zeigt.101 So erläutert der „Lauretanische Blumen=Garten“ im Gegensatz zum „Prager Laureten=Büchlein“, welches lediglich beiläufig den Baumbestand des Loreto erwähnt, dass der Hof zu beiden Seiten mit je 24 Lindenbäumen bepflanzt sei. Zudem werde im Sommer vor der Lauretanischen Kapelle, gleich „im Eingang“, ein kleiner Garten mit wohlriechenden Blumen eingerichtet und „umbsetzet mit schönen Lemonij- und Granad=Bäumern / welche mit einen Gatter umbgeben darauf man nach belieben knien und betten kan“102. Damit wurde während der Haupt-Wallfahrtszeit die Andachtspraxis mit einer angenehmen Ansprache des Seh- und Geruchssinns verbunden. Zudem stellten die Zitronen- und Granatapfelbäume als exotische Gewächse einen besonderen Bezug zur Santa Casa als Kopie des Originalschauplatzes im Heiligen Land her, der im Falle von letzteren überdies symbolisch aufgeladen war. So verweist der Granatapfel zugleich traditionell auf den Beitrag Mariens am Erlösungswerk sowie auf ihre Schönheit und die Vielzahl ihrer Tugenden.103 Dafür, dass überdies auch das Gehör buchstäblich auf die Besonderheit des Ortes eingestimmt wurde, sorgte – und sorgt – zudem das 1695 im Turm der Westfassade installierte, aufwendige Glockenspiel,104 das, so Joseph von Bilin, „alle Stunden nach beschaffenheit der Zeit ein geistliches Lied spielet / in grossen Fästägen aber werden von einem Organisten etliche schöne Lieder, gleich wie auff einem Instrument gespielet“105. Der zeitgenössische Wallfahrer, welcher das Prager Loreto im Sommer besuchte, betrat somit einen von der profanen Umgebung abgesonderten Raum, der sich ihm als ein wahrhafter hortus conclusus präsentierte im Sinne eines paradiesisch-angenehmen Ortes, welcher dazu angetan war, entsprechende Assoziationen hervorzurufen.106 Dies fördert zusätzlich das Vorwort des „Lauretanischen Blumen=Gartens“, indem es ausführlich auf die Deutung Mariens als verschlossenen Garten und Paradies eingeht.107 Auch fordert es die Gläubigen nachdrücklich zur Erfahrung ihrer Nähe bei 101 So erläutert er im Vorwort die Wahl des Titels mit Bezug auf biblische Pflanzen-Metaphorik.
102 103
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BILINENSER (wie Anm. 10), XX–XX2 r. [In der nicht paginierten Vorrede werden die Zitate anhand der Flattermarken nachgewiesen]. VON COCHEM (wie Anm. 10), 3; BILINENSER (wie Anm. 10), 12; Zitat ebd. Zum Granatapfel als marianisches Symbol Genoveva NITZ: Art. Granatapfel, in: Marienlexikon (wie Anm. 9), Bd. 2, 701. Zudem C. DUTILH: Art. Granatapfel, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, hg. v. Engelberg KIRSCHBAUM, Bd. 2 (1970), Sp. 198f. Das Glockenspiel wurde im Jahr 1695 infolge einer Stiftung installiert. BAŠTOVÁ u. a. (wie Anm. 1), 36 ff. sowie VLČEK (wie Anm. 1), 301f. BILINENSER (wie Anm. 10), 13f. Zum Mariensymbol des hortus conclusus und seiner Darstellung siehe NITZ: Art. Hortus conclusus“, in: Marienlexikon (wie Anm. 9), Bd. 3 (1991), 247–250. Dessen traditioneller Ausstattung mit ebenfalls marianischen Symbolen wie Lilien und Rosen entspricht die Bepflanzung des Prager Loreto jedoch hingegen offenbar nicht. Zudem NIEDERMAIER (wie Anm. 1), 127f. BILINENSER (wie Anm. 10), XX–XX2 r.
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gleichzeitigem metaphorischen Ortsbezug auf, wenn Joseph von Bilin Maria in Anlehnung an das Hohelied sagen läßt: „(...) mein Geliebster steige in seinen Garten / in dem Garten welchen ich mit meinen mütterlichen Schutzmantel bedecke“ (Hoh 4, 16).108 Darüber hinaus präzisiert diesen Übertrag von Heilsgeschichte zusätzlich die Ausführung, dass sich das biblische Wort „wie ein Wasserstrom bin ich außgeflossen auß dem Lustgarten / und ich hab gesagt ich will meinen Pflantzgarten wässern“109 (Sir 24, 41.42) sich in „unser Königl. Haupt=Stadt Prag“110 erfüllt habe, indem sich Christus hier „reichlich hat außgegossen / und annoch außgiesset“111. Heilsgeschehen wird so als aktuale, vom Wallfahrer konkret erlebbare Gegenwart gedeutet. Dieses Erleben förderte nicht zuletzt auch die Rahmung der Lauretanischen Kapelle mittels eines dezidierten Einbezugs der Sinne, so dass der symbolisch aufgeladene „Garten“ religiöse Inhalte zur konkreten leiblichen Erfahrung werden ließ. Dass eine entsprechende sinnliche Affizierung zudem auch im liturgischen Zusammenhang zu besonderen Anlässen bewusst gesucht wurde, wird zusätzlich anhand der zur Sommerzeit im Freien gefeierten Gottesdienste deutlich, welche Joseph von Bilin hinsichtlich ihrer Wirkung folgendermaßen schildert: „In Unseren Lieben Frauen hohen Festtägen wann es schön hell und still ist / so pflegt man zwischen diesen wohlriechenden Blumen und Bäumern zu größerer Bequämlichkeit der Marianischen Liebhaber auff den steineren Altar / welcher wird auf das herrlichste auffgebutzt / unter einen grossen Baldachin die heilige Meß zu lesen“112.
Zum Schluss: Welche „Architekturpolitik“? In seinem für die Zeit um 1700 überlieferten Zustand bildete der Wallfahrtsort des Prager Loreto also insgesamt ein auf verschiedenen Ebenen argumentierendes, die persuasio und nachhaltige konfessionelle Bindung der Gläubigen auf vielschichtige Weise anstrebendes Frömmigkeitsangebot. Dieses suchte, über die Verbindung von geistlicher Unterrichtung mit sinnlicher Affizierung, Imagination sowie der Produktion und Modellierung religiöser Affekte eine persönliche Präsenzerfahrung zu eröffnen, die ein dauerhaft verankertes Verhältnis inniger Verehrung zur Gottesmutter bewirkten sollte. Neben institutionalisierten Formen der Andacht kam diesbezüglich der individuellen und prozessorientierten Vergegenwärtigung Mariens zentrale Bedeutung zu. Deren Intensität stimulierte insbesondere sowohl das memoriale, heilsgeschichtlich bedeutsame Potential der Santa Casa als auch die angenommene virtus Ebd., XX v. Ebd. Ebd. Ebd., XX v. Diesbezüglich ist anzumerken, dass später in den Jahren 1738 bis 1740 noch zusätzlich Brunnen zu beiden Seiten der Santa Casa aufgestellt wurden. VLČEK (wie Anm. 1), 302f. 112 BILINENSER (wie Anm. 10), 13. 108 109 110 111
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des Reliquien- und Gnadenbildensembles, das sich für eine persönliche Erfahrung der Präsenz Marias in kaum zu überbietender Weise eignete. Zusätzlich verband sich im Ambitus marianische Andacht als eine nunmehr per se katholische Frömmigkeitspraxis aufs engste mit bildapologetischer visueller Argumentation sowie mit einer konfessionsspezifischen, topographische Bezüge eröffnenden Modellierung der Andacht. Alles dies förderte zusätzlich die sinnlich affizierende, symbolisch aufgeladene Gestaltung des Innenhofs. Zur Gestaltung von Marienverehrung als intensive religiöse Erfahrung also nachgerade prädestiniert, nimmt es nicht wunder, dass speziell Kopien des Loretoheiligtums bevorzugt im Rahmen der habsburgischen Religionspolitik einer umfassenden Rekatholisierung zum Einsatz kamen. Wie anhand des Prager Beispiels gezeigt werden konnte, beruhte ihre Eignung somit nicht allein auf ihrer Bedeutung als „religiöses Denkmal“ im Sinne eines vielschichtige Bezüge und Konnotationen aufrufenden marianischen Siegeszeichens.113 Zusätzlich zu ihrer Rolle einer identitätsproduzierenden Aneignung des bedeutendsten abendländischen Marienheiligtums114 waren es zugleich die hieraus resultierenden, besonderen Wirkungsqualitäten, welche für eine konfessionsspezifisch modellierte, die Überzeugung der Gläubigen anstrebende Andacht ein kaum zu überbietendes Potential bereitstellten. Dies kristallisiert sich insbesondere am Status der Kopie, bezüglich dessen zwischen dem Prager Loreto als Gesamtkomplex und der Lauretanischen Kapelle selbst zu differenzieren ist. Wirkungsvoll im Sinne eines Monuments war zunächst vorrangig die Außenwirkung der Anlage mit umgebendem Vollambitus, deren Vorbild und die damit verbundene Aussageintention jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden können. So vermutet Franz Matsche, dass sie möglicherweise den baulichen Zustand des Originals im 15. Jahrhundert nachahmt und schlägt angesichts des festungsartigen, einer Stadtanlage gleichenden Erscheinungsbildes die im engeren Sinne religionspolitisch bedeutsame Konnotationen der wehrhaften „ecclesia militans“ vor. Zusätzlich nimmt er einen Verweis auf das himmlische Jerusalem an sowie auf die Lauretanische Litanei aufgrund ihrer zweimaligen Turm-Metapher.115 Ob der Prager Vollambitus, den Matsche irrtümlicherweise für den Gründungsbau der Ambitenanlagen in Böhmen und Mähren hält, tatsächlich den historischen Zustand des Originals nachahmen 113 MATSCHE (wie Anm. 2). 114 So MATSCHE (wie Anm. 2), 90. 115 MATSCHE (wie Anm. 90), 356. In der Lauretanischen Litanei wird Maria unter anderem als
Turm Davids sowie als Elfenbeinerner Turm angerufen. Zur Lauretanischen Litanei Genoveva NITZ: Art. Lauretanische Litanei, in: Marienlexikon (wie Anm. 9), 33–44, v. a. 38. So eingängig eine Deutung von Vollambiten als wehrhafte Festung ist, bleibt diesbezüglich dennoch darauf hinzuweisen, dass, wie Matsche selbst erwähnt, ihre Benennung als „Gnaden-Burg“ nur einmal zeitgenössisch nachweisbar ist. Zu dieser Bezeichnung auch Josef MORPER: Zur Geschichte des osteuropäischen Wallfahrts-Kirchentypus. Heilige Berge und marianische Gnadenburgen in Böhmen und Mähren, in: Die christliche Kunst 22 (1925/26), 121–139, v. a. 136f.
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sollte oder ob man sich lediglich am Vorbild der nicht mehr erhaltenen Loretokopie mit umgebenden Kreuzgang in Nikolsburg orientierte, das seinerseits den Status quo um 1600 aufnimmt, sei dahingestellt.116 Doch auch wenn nicht eindeutig nachvollzogen werden kann, welche Referenzen das Äußere der Anlage im engeren Sinne aufrief, dürfte das Prager Loreto gemeinsam mit den übrigen festungsartigen wirkenden Vollambiten der böhmischen Kronländer grundsätzlich mit habsburgischer Religionspolitik in Zusammenhang gebracht worden sein. Eindeutig ist hingegen der Bezug der Santa Casa. Doch trotz dieses Umstands zielte sie dennoch nicht allein darauf, im Sinne einer „Zweckform“, wie es Franz Matsche nennt, einen Wiedererkennungswert für den zeitgenössischen Rezipienten zu schaffen, welcher lediglich „Symbolcharakter und Bedeutungsgehalt“ des Vorbilds aneignete und vermittelte.117 Zudem erscheint es als wenig überzeugend, dass speziell das äußere, dem Original nachgebildete Erscheinungsbild öffentlichen Demonstrationscharakter entfalten sollte.118 Denn diese Funktion kam vorrangig, wie oben dargelegt, der weiteren architektonischen Rahmung zu, während die eingefriedete Loretokapelle selbst keinerlei visuelle Fernwirkung entfaltete und somit nur bedingt zur Wirkung eines „religiösen Denkmals“ beitrug.119 Demgegenüber beruhte die Bedeutung der Lauretanischen Kapelle in den Augen der Zeitgenossen offenbar in der Tat auf ihrem Status einer Kopie der Architekturreliquie, jedoch nicht im Sinne eines symbolischen, rein visuell zu rezipierenden Bedeutungsgehalts. Zwar greifen die Wallfahrtsanleitungen das memoriale Potential des Baus bereitwillig als Stimulans der Andacht auf, vermitteln jedoch die Nachahmung des italienischen Vorbilds, auf deren Exaktheit größte Bedeutung gelegt wurde, vor allem als Aneignungsform von dessen virtus. Die Genauigkeit der Nachbildung wurde somit als wichtigste Voraussetzung angesehen dafür, dass die Wallfahrtsstätte auch zu einem Gnadenort werden konnte, an welchem das aktuale Eingreifen Mariens in die eigenen Geschicke erfahrbar wird als Grundlage für eine nachhaltig verankerte konfessionelle Bindung. Speziell der weitgehenden Ähnlichkeit der Kapelle mit dem Original kam somit vor allem eminente religiöse und frömmigkeitspraktische Bedeutung zu, da sie, gemeinsam mit der Anberührung von Gnadenbild und transloziertem Geschirr, die Möglichkeit einer Präsenzerfahrung eröffnete. Sie zielte somit nicht allein auf eine rein äußerliche, gewissermaßen kognitive Rezeption, sondern auch wesentlich auf ein affektiv aufgeladenes, religiöses Erleben. Anhand der Befunde zum Prager Loreto lässt sich somit abschließend die habsburgische „Architekturpolitik“ der Gründung Lauretanischer Anlagen zumindest für 116 117 118 119
NIEDERMAIER (wie Anm. 2), 57–66. MATSCHE (wie Anm. 2), v. a. 89ff.; Zitate 89 u. 90. MATSCHE (wie Anm. 2), ebd. Zur architektonischen Rahmung von Loretokapellen in Böhmen und Mähren auch NIEDERMAIER (wie Anm. 1), 76–83 sowie MATSCHE (wie Anm. 2), 114ff, Zitat 117.
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die böhmischen Kronländer als eine Strategie mit doppelter Stoßrichtung charakterisieren. So sind sie, wenn auch nicht in Engführung auf die Außenerscheinung der Santa Casa, so doch als Gesamtkomplexe zunächst sicher zu Recht als Monumente zu deuten, die unmissverständlich und facettenreich vom Sieg der katholischen Konfession künden sollten. Dank ihrer liturgischen und frömmigkeitspraktischen Nutzung stellten sie jedoch zugleich viel mehr als bloße Denkmäler habsburgischer Religionspolitik dar. So sucht das Prager Loreto – aufgrund seiner religiösen Bedeutung hierzu nachgerade prädestiniert – diese zugleich mittels eines reichhaltigen Angebots zu einer genuin katholischen Frömmigkeitspraxis konkret umzusetzen; eine Funktion, bezüglich derer nicht allein die Santa Casa selbst, sondern auch ihre weitere architektonische Rahmung akzentuierend eingesetzt wurde. Und wollte man gewichten, so erscheint speziell letztere Zweckbestimmung angesichts des Ziels einer nachhaltigen Verankerung des Katholizismus sogar die wesentlichere gewesen zu sein. Denn die erwünschte konfessionelle Formung realisierte sich letztlich vor allem über die Überzeugung und innere Bindung der Gläubigen.120 Zu einer solchen nachhaltigen persuasio waren jedoch vor allem der konkrete Vollzug der Andachtspraxis und die zugehörige Verinnerlichung angetan; eine lediglich betrachtende Wahrnehmung von Loretoanlagen und ihrer Referenzen im Sinne religiöser Denkmale hingegen dürfte hierzu kaum ausgereicht haben. Als Überzeugungsstrategie bedeutungslos war diese Signalfunktion jedoch auch im Rahmen von Wallfahrt und Andacht nicht, indem sie die Gläubigen dank ihrer zahlreichen Referenzen auf das eingefriedete Innere und die angestrebte Begegnung mit der Gottesmutter vorbereiten sollte. Dass die intendierte Wirkung von Loretoheiligtümern wie demjenigen Prags dennoch weit über diejenige eines äußeren religionspolitischen Fanals hinausging, ist wesentlich der Nutzbarmachung ihres überdurchschnittlichen Potentials zu eben dieser religiösen Erfahrung geschuldet.
120 LOUTHAN (wie Anm. 2).
Mario Feuerbach DAS ZISTERZIENSERKLOSTER OSSEGG (OSEK) UND SEIN WALLFAHRTSORT MARIA RATSCHITZ (MARIÁNSKÉ RADČICE) IN DER ZEIT DER GEGENREFORMATION Eine römisch-katholische Antwort auf Luthers Lehren Für die Integration aber auch für die Abgrenzung des nordböhmischen Grenzraumes zu seinen Nachbarregionen sind drei kirchenpolitische Brüche ausschlaggebend: erstens die hussitisch-böhmische Reformation ab etwa 1415, zweitens die lutherisch-deutsche Reformation ab etwa 1520 und drittens die Niederlage der böhmisch-protestantischen Stände am Weißen Berg im Jahr 1620. Die damit verbundenen Konfessionswechsel bedeuteten jedes Mal das Ende bzw. den Anfang eines Annäherungsprozesses, der aufgrund gleicher Sprache und ähnlicher Kultur zwischen den Regionen seit der Besiedlung Böhmens durch deutsche Siedler ab dem späten 12. Jahrhundert zu beobachten war. Im 17. Jahrhundert war der Grenzraum zwischen Böhmen und den Nachbarregionen eben nicht durch das Trennende der entstehenden staatlichen Grenze geprägt; eine Reihe von Faktoren verweist vielmehr auf eine Region, die in hohem Maße in sich vernetzt war.1 Die verschiedenen Tagungsbeiträge identifizieren und beschreiben diese kulturellen Interaktionen während eines Zeitraumes, in dem die katholische Kirche gemeinsam mit der katholischen Obrigkeit vor allem nach 1620 durch konzertierte, grenzübergreifende aber lokal unterschiedliche Aktionen versuchte, die Bevölkerung Böhmens für den katholischen Glauben zurückzugewinnen – je nach Standpunkt als Gegenreformation, katholische Reform oder katholische Erneuerung bezeichnet. Inmitten dieser „Transfer- und Kontaktregion“ liegen das nordböhmische Zisterzienserkloster Ossegg2 und der dazugehörige, nur acht Kilometer entfernte Wallfahrtsort Maria Ratschitz;3 diese beiden Orte spielten bei der Rekatholisierung der Region eine herausragende Rolle. 1 Wulf WÄNTIG: Alltag, Religion und Raumwahrnehmung – der böhmisch-sächsische Grenz-
raum in den Migrationen des 17. Jahrhunderts, in: Grenzraum und Transfer. Perspektiven der Geschichtswissenschaft in Sachsen und Tschechien, hg. von Miloš ŘEZNÍK, Berlin 2007, 80 und Petr HLAVÁČEK: Der böhmisch-sächsische Grenzraum im Spätmittelalter und in der Frühneuzeit zwischen Integration und Desintegration, in: ebd., 84–94. 2 Hierzu umfassend Mario FEUERBACH: Das Zisterzienserkloster Ossegg. Baugeschichte und Baugestalt von der Gründung 1196 bis in das Jahr 1691, Diss., Heimbach/Eifel 2009; 800 Jahre des Kloster in Osek (1196–1996). Ausstellungskatalog, hg. von der Zisterzienserabtei Ossegg, Ossegg 1996 und 800 Jahre Kloster Ossegg. Festschrift, hg. von der Zisterzienserabtei Ossegg, Ossegg 1996. 3 Hierzu Jana NIEDERMAIER: Barocke Ambitenanlagen in Böhmen und Mähren. Die Entstehung eines neuen Bautypus der Wallfahrtsanlagen nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) und ihre Bedeutung in der Zeit von Gegenreformation und Barock, Diss., München 2009, 238–
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Mario Feuerbach
Das Zisterzienserkloster Ossegg Das Kloster Ossegg wurde im Jahr 1196 am Fuße des Erzgebirges, nur wenige Kilometer von der sächsischen Grenze, von Mönchen aus dem oberpfälzischen Zisterzienserkloster Waldsassen gegründet. Die ersten böhmischen Zisterzen überhaupt wurden allesamt aus dem deutschsprachigen Raum besiedelt: Sedletz (Sedlec) 1142/43 von Waldsassen, Plaß (Plasy) 1144/45 von Langheim, Nepomuk 1144/45 von Ebrach und schließlich Ossegg 1196 ebenfalls von Waldsassen. Schon im Mittelalter kam also den Zisterziensern als Kulturvermittler zischen den Regionen eine besondere Rolle zu; sie waren nicht unter den allerersten Siedlern aus dem Westen, aber gewiss kamen die ersten Konvente noch vor der „großen Welle“ der historischen deutschen Ostsiedlung nach Böhmen. Ausgestattet mit einer großzügigen Stiftung des lokalen Adligen Slavko von Hrabischitz4 florierte die mittelalterliche Klostergründung in Ossegg5 auf Anhieb. Innerhalb eines Jahrhunderts wurde die mittelalterliche Klosteranlage vollendet. Beeindruckende Baudenkmäler dieser Zeit sind im Kern der Barockanlage bis heute erhalten: das Quadermauerwerk der barockisierten, romanischen Basilika mit einem imposanten Rundbogenportal (Abb. 1), der frühgotische Kapitelsaal mit dem einzigartigen Lesepult (Abb. 2) und der gotische Kreuzgang samt Brunnenhaus. Im 15. Jahrhundert wurde das Kloster durch die Hussiten geplündert und wohl auch teilweise zerstört. Zeitweilig floh der Konvent in das als sicher geglaubte Sachsen. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts scheint sich die Abtei bis zur nächsten Zäsur, der lutherischen Reformation, langsam aber stetig erholt zu haben. Bis um das Jahr 1600 war Nordböhmen weitgehend lutherisch geworden (etwa 90 %).6 Der Verlust der meisten Dörfer und Untertanen an die neue Konfession hatte das Kloster Ossegg in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in eine existenzielle Krise gestürzt,
241 sowie Mario FEUERBACH: Das Kloster Osek, der Wallfahrtsort Mariánské Radčice und die Zisterzienser. Klášter Osek, Poutní Místo Mariánské Radčice a Cisterciáci, Oberleutensdorf (Litvínov) 2012. 4 Der Stammbaum des alten slawischen Adelsgeschlechts der Hrabischitz (Hrabišice, seit dem 13. Jahrhundert von Riesenburg) lässt sich bis in das 11. Jahrhundert zurückverfolgen. Ihr Herrschaftsgebiet erstreckte sich um ihre Burg in Ossegg vom südlichen Erzgebirge bis nach Rechenberg und Sayda im heutigen Sachsen. 5 Der slawische Ort „Osek“ war damals schon längere Zeit das lokale Zentrum der Familie Hrabischitz gewesen. Die Mönche fanden daher eine gut entwickelte Infrastruktur vor. Es gab eine Burg, eine Kirche und eine dörfliche Siedlung – das alles an einer bedeutenden Handelsstraße zwischen Sachsen und Böhmen gelegen. 6 Zur politisch-konfessionellen Situation Böhmens in den ersten Jahren der Reformation: Winfried EBERHARD: Konfessionsbildung und Stände in Böhmen: 1478–1530, München–Wien 1981, 121–288.
Das Zisterzienserkloster Ossegg (Osek)
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Abb. 1 Ossegg (Osek), romanisches Portal in das südliche Querhaus der Klosterkirche, um 1210. (Foto: Mario Feuerbach)
Abb. 2 Ossegg (Osek), Kapitelsaal, um 1225. (Foto: Mario Feuerbach)
die in der Auflösung des Konvents im Jahr 1580 gipfelte. Die Klostergebäude wechselten samt Ländereien in den Besitz des Prager Erzbistums.7 Mit dem Sieg der katholischen Liga über die protestantischen Stände am Weißen Berg änderte sich die Situation jedoch grundlegend: Im Jahr 1624 wurde das Klos7 Jan ZDICHYNEC: „Cur cistercio ademptum Ossecum?“ Předání oseckého kláštera pražskému
Arcibiskupství [Die Übergabe des Osegger Klosters an das Erzbistum Prag], in: Folia Historica Bohemica 22 (2006), 29–65.
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ter an den Zisterzienserorden zurück gegeben. Während des Dreißigjährigen Krieges konnte es sich jedoch noch nicht konsolidieren. Im Gegenteil: Im Jahr 1646 kam es zu einem tragischen Kirchenbrand,8 sodass am Ende des Dreißigjährigen Krieges also auch Ossegg – wie so viele Klöster, Dörfer und Städte Mitteleuropas – in Trümmern lag. In dieser schweren Zeit war es ein besonderes Glück für die Abtei, dass die ersten beiden Äbte nach Vakanz und Krieg, Laurenz Scipio9 (* 1611 in Oberlangenau, † 1691 in Ossegg, Abt von 1650–1691) und Benedikt Litwerig10 (* 1655 in Wogau/ Vokov an der Eger, † 1726 in Ossegg, Abt von 1691–1726), Männer von großer Tatkraft waren und zugleich dem Kloster ungewöhnlich lange Zeit, nämlich insgesamt 76 Jahre, vorstanden. Am Ende ihres Schaffens, getragen von dem Rückenwind der Gegenreformation und ausgestattet mit dem Werkzeug des römischen Barock, stand das Kloster prächtiger da denn je. (Abb. 3). Der Wiederaufbau begann 1650 nach der Wahl des Ossegger Mönchs Laurenz Knittel, genannt Laurentius Scipio, zum Abt. Er richtete seine gesamte Energie zunächst auf den Aufbau einer funktionierenden Klostergemeinschaft und auf die behelfsmäßige Wiederherstellung der mittelalterlichen Gebäude.11 Sein Nachfolger Benedikt Litwerig begann unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Jahr 1691 mit der Umsetzung eines Planes zur Neugestaltung der Abtei. Während sich also sein Vorgänger mit der partiellen Wiederherstellung bzw. Instandhaltung der Gebäude begnügte und die wirtschaftliche Basis schuf, verfolgte Abt Litwerig ein umfassendes barockes Konzept, das er von den Architekten Baptiste Mathey (* um 1630, † 1695) und Oktavian Broggio (* 1670 in Welemin/Velemín bei Leitmeritz/Litoměřice, † 1742 ebenda) ausarbeiten und umsetzen ließ.12
8 „Im J. 1646 litt die Kirche ungemein durch einen Brand, der durch Unvorsichtigkeit des Gärt-
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nergesellen Hans Thym entstanden war. Derselbe hat aus einem Rohre auf den mit Schindeln gedeckten Thurm hinauf nach einem Vogel geschossen, und die Ladung sammt dem Leinwandspunde schlug auf einem morschen Balken, bald stand der Thurm in Flammen, ...“ Bernard SCHEINPFLUG: Studien zur Geschichte von Ossegg, in: Mitteilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen 19 (1881), 153. Dominik SCHIEL: Ein Zisterzienserabt als Sozialpolitiker, in: Mitteilungen des Vereines für Geschichte der Deutschen in Böhmen 58 (1920), 15–38. M. R. TREUHAN: Benedikt Simon Littwerig. Abt des Zisterzienserstiftes Ossegg von 1691– 1726, in: Erzgebirgs-Zeitung 59 (1938), 37–39. In seinem erhaltenen Tagebuch beschreibt der Abt sehr anschaulich seine schwierigen und langwierigen Aufbaubemühungen. Diese einzigartige Quelle wird im Staatlichen Bezirksarchiv Leitmeritz (Státní Oblastní Archiv v Litoměřicích) aufbewahrt. Hierzu Anett MATL: „Zum immerwährenden süssen Andencken des lieben Alterthums“. Die Barockisierung des böhmischen Klosters Ossegg am Beginn des 18. Jahrhunderts, in: Mitteleuropäische Klöster der Barockzeit. Vergegenwärtigung monastischer Vergangenheit in Wort und Bild, hg. von Markwart HERZOG und Huberta WEIGL, Konstanz 2011, 367–386 und Oldřich J. BLAŽÍČEK: L’art baroque en Bohême, Prague 1968.
Das Zisterzienserkloster Ossegg (Osek)
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Abb. 3 Kloster Ossegg (Osek), Olgemälde, um 1738. (Foto: Mario Feuerbach)
Bezeichnenderweise begann der „Ökonom“ und Zisterzienserabt zunächst mit dem Bau neuer Wirtschaftsgebäude und der Erschließung neuer Einnahmequellen durch gezielte Förderung des Handwerks (u. a. entstand damals in Ossegg ein sehr erfolgreiches Wollverarbeitungsgewerbe). Ab 1704 begann die Barockisierung der Klausur und der Neubau der Prälatur (vollendet 1722). Erst relativ spät wurde die Kirche ab 1711/12 barockisiert. Die Infirmerie mit Kapelle entstand ab 1720, kurz danach wurde das Sommerhaus errichtet. Die Abtsbibliothek in der Prälatur erhielt ihre heutige Gestalt um 1725. Die Anlage der Gärten erlebte Abt Litwerig nicht mehr. Sie sind unter Abt Hieronymus Besnecker (1726–1749) vollendet worden (Abtsgarten zwischen 1726 und 1728, Konvent- und Novizengarten zwischen 1728 und 1732). Große Künstler des Barock wirkten teilweise zeitgleich an den verschiedenen Gewerken mit: u. a. Michael Leopold Lukas Willmann (* 1630, † 1706), Johann Anton Stevens von Steinfels (* 1651, † 1730) Johann Christoph Lischka (* 1650, † 1712), Wenzel Lorenz Reiner (* 1689, † 1743), Anton Kern (* 1709, † 1747) und Giacomo
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Antonio Corbellini (* 1674, † 1742). In nicht einmal 100 Jahren war also durch die Tatkraft zweier ökonomisch denkender und vorausblickender Äbte die Abtei nicht nur aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt worden, sondern zum religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum der Region geworden.
Maria Ratschitz Untrennbar mit dem Ossegger Kloster ist die Geschichte des kleinen Wallfahrtsortes Maria Ratschitz verbunden. Die Wallfahrt geht auf eine wundersame Errettung zurück: Der Legende nach flohen im Jahr 1278 die Bewohner der umliegenden Dörfer vor marodierenden, kaiserlichen Soldaten in die Maria Ratschitzer Dorfkirche, wo sie, die Muttergottes anbetend und Dank himmlischen Beistands gerettet wurden. Aus großer Dankbarkeit soll der Ossegger Abt Theoderich II. im Jahr 1280 ein Gnadenbild der Schmerzhaften Muttergottes gestiftet haben, das fortan verehrt wurde und die Wallfahrtstradition begründete.13 Dieses erste Gnadenbild ging während der Hussitenkriege verloren. Um 1510 wurde dann die bis heute verehrte Statue der von einem Schwert durchdrungenen Gottesmutter geschaffen. Nach 1520 wechselten viele Bewohner der Gegend zum protestantischen Glauben. Nicht jedoch die Einwohner von Maria Ratschitz, Liquitz (Libkovice v Krušných Horách) und einigen Dörfern im Erzgebirge. Sie blieben bei ihrem alten katholischen Glauben und wurden fortan „Marienbauern“ genannt.14 Nachdem die Zisterzienser 1624 nach Ossegg zurückgekehrt waren, kümmerten sie sich schon allein aus ökonomischen Zwängen heraus alsbald auch wieder um die Wallfahrt nach Maria Ratschitz. Im 17. und 18. Jahrhundert erlebte diese dann eine große Blüte, während der auch die bis heute erhaltene Anlage entstanden ist (Abb. 4): „Jüngsthin ist von Ihro Hochwürden Herrn Benedicto, jetzt regirenden Abbten zu Ossegg, Visitatore und Vicario Generali daselbst eine ganz neue Kirche aufgeführet, ingleichen ein Ambitus oder Umgang, nebst verschiedenen Kapellen, in welchen das bittere Leiden Christi, und die Schmerzen seiner wehrtesten Mutter in Altären, und anderen Gemählden abgebildet seynd, darzu gebauet worden.“15 Im Jahr 1716 wurden beispielsweise 2156 heilige Messen gefeiert – also im Durchschnitt sechs Messen pro Tag. Im gleichen Jahr haben etwa 50.000 Gläubige das Sakrament der heiligen Kommunion empfangen. 13 NIEDERMAIER 2009 (wie Anm. 3), 238. 14 Um das Jahr 1700 schrieb dazu der Ossegger Mönch Augustin Sartorius: „S. Maria von Ra-
tschitz, nachher Kloster Ossegg im Königreich Böheimb [sic] gehörig, ist eine uralte recht anmüthige Statue der unter dem Kreutz stehenden Schmerzhafften Mutter Jesu ... Durch das von der meisnischen Seite her so nahe angränzende Lutherthum, und schädliche Kriegs-Läuffe ist solche Wahlfahrt zwar sehr unterbrochen, doch aber nicht völlig unterdrucket worden ...“ Augustin SARTORIUS: Verteutschtes Cistercium bis-tertium. Oder Cistercienser Ordens-Historie, Prag 1708, 450. 15 SARTORIUS 1708 (wie Anm. 14), 451.
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Abb. 4 Maria Ratschitz (Mariánské Radčice), Kupferstich (SARTORIUS 1708). (Foto: Mario Feuerbach)
Die barocke Anlage wurde zwischen 1692 und 1719 zeitgleich mit dem Kloster Ossegg, ebenfalls von den Architekten Mathey und Broggio entworfen.16 Im Zentrum steht die von einem reich freskierten Ambitus umgebene Wallfahrtskirche. (Abb. 5) Südöstlich davon befindet sich ein Gebäudekomplex, der ursprünglich als Propstei für die Zisterzienser aus Ossegg geplant wurde und heute als Pfarr- und Gästehaus dient. Nach der Schlacht am Weißen Berg setzte sich in den böhmischen Ländern ein besonderer und relativ einheitlicher Bautypus von Wallfahrtsanlagen durch. Es handelt sich hierbei um die sogenannte Ambitusanlage, d. h. eine Kirche oder Kapelle wird von einem überdachten Umgang (lat. ambitus) umgeben. Vorbild für diesen Bautypus ist das Loretoheiligtum mit der Casa Santa (italienisch: Heilige Haus) in Italien.17
16 Otakar VOTOČEK: Barokní Mariánská Radčice a jejich stavitelé [Das barocke Maria Ratschitz
und seine Baumeister], in: Umění 3 (1982), 152–171 und Petr MACEK: Mariánská Radčice [Maria Ratschitz], in: Oktavián Broggio, 1670–1742, Ausstellungskatalog (Galerie výtvarného umění v Litoměřicích), hg. v. Helena OSVALDOVÁ, Daniela VOKOLKOVÁ und Mojmír HORYNA, Praha 1992, 91f. 17 Jana Niedermaier hat 79 Wallfahrtsanlagen dieses Typs allein in Böhmen und Mähren identifiziert und beschrieben. Davon sind weit mehr als die Hälfte der Gottesmutter Maria geweiht; 48 der Wallfahrtsstätten wurden von geistlichen Orden betreut. Der erste Bau dieses Typs ent-
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Abb. 5 Maria Ratschitz (Mariánské Radčice), Wallfahrtskirche. (Foto: Mario Feuerbach)
Die Baumeister wählten für die Wallfahrtsanlage den am Ende des 17. Jahrhunderts bereits gut ausgereiften und in ganz Böhmen hochgeschätzten Bautypus des Vollambitus mit vier Eckkapellen und zwei weiteren Kapellen im Nord- und Südflügel des Umgangs. Neu war die Idee, den westlichen Ambitusflügel durch den Kirchenbau mit dem Turm zu durchbrechen. Der mächtige Turm verschafft der westlichen Front eine besondere Gewichtung gegenüber der Kuppel im Osten. Ganz offensichtlich hat sich der Architekt Oktaviano Broggio bei dem Bau der Maria Ratschitzer Kirche an der Klosterkirche in Ossegg orientiert, für die er etwa zeitgleich die Pläne entworfen hatte. Das Querhaus, die an Seitenschiffe erinnernden Anbauten und die angedeuteten Strebebögen über den Anbauten sind eindeutige Zitate der zisterziensischen Architektur in Ossegg. Das Innere der Maria Ratschitzer Wallfahrtsanlage wird von der marianischen Symbolik der Schmerzhaften Muttergottes bestimmt. Die sechs Kapellen des Ambitus stand wohl zwischen 1622/23 und 1625 in dem mährischen Ort Nikolsburg (Mikulov). NIEDERMAIER 2009 (wie Anm. 3).
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symbolisieren mit der Kirche im Zentrum die sieben Schmerzen Mariens. Auch nach Außen wird die marianische Symbolik aufgegriffen. Die wehrhafte und verschlossenen Gestalt der gesamten Anlage wirkt wie eine Stadt- oder Burgmauer. Dahinter verbirgt sich das in der bildenden Kunst weit verbreitete Thema des „verschlossenen Gartens“ (lat. hortus conclusus) und bezieht sich auf die Jungfräulichkeit der Gottesmutter.
Fazit Die Schlacht am Weißen Berg ist insofern für die weitere Geschichte Mitteleuropas bedeutsam, da sie in den österreichischen und böhmischen Ländern den Weg zur Rekatholisierung und zur Durchsetzung des habsburgischen Absolutismus freigab. Die entsprechenden Maßnahmen wurden sowohl von der katholischen Kirche als auch von den herrschenden Habsburgern mit aller Macht vorangetrieben. Dabei kam den geistlichen Orden, insbesondere den Zisterziensern, Jesuiten und Kapuzinern mit ihrer Missions- und Bautätigkeit eine gewichtige Rolle zu. Nach 1620 wurden außerdem unzählige oppositionelle Adelsfamilien enteignet und des Landes verwiesen. Tausende Anhänger des protestantischen Glaubens flohen aus Böhmen, von denen viele unter anderem in Sachsen Zuflucht fanden. Im Gegenzug zogen kaisertreue, katholische Familien aus den Nachbarregionen des Reichs und aus dem europäischen Ausland nach Böhmen. Sie brachten ihre eigene Kultur und auch Künstler und Handwerker mit. Viele der Neuankömmlinge kamen aus Italien, also dem Herzen des Katholizismus. Von dort brachten sie ihr Wissen über den Stil des römischen Barock in all seinen Ausprägungen mit. Zu einer dieser zugewanderten Familien gehörte der auch in Ossegg und Maria Ratschitz tätige Architekt Oktaviano Broggio, dessen Vater Giulio Broggio (* 1628, † 1718) einst aus Italien nach Böhmen zugewandert war. Da die Anhänger der lutherischen Reformation die Marienverehrung ablehnten, wurden Wallfahrten, insbesondere die zu Ehren Mariens, von der katholischen Obrigkeit als Demonstration des wahren Glaubens (demonstratio catholica) besonders gefördert. Dabei wurden gezielt „alte“ Traditionen aufgegriffen. Alt bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem vorhussitisch und damit „original“ katholisch. Genau so geschehen in Maria Ratschitz mit seiner bis in das 13. Jahrhundert zurückreichenden Marienverehrung. Die Ambitusanlage ist für den Massenbetrieb geschaffen. Davon zeugen die vielen Beichtstühle und Altäre. Dieser Bautypus hat sich durchgesetzt, weil er – wie ein Zeitgenosse im 17. Jahrhundert feststellte – eine „bequemere und vergnüglichere Durchführung der Andacht ermöglicht und gleichzeitig sehr viele Gläubige teilnehmen können.“18 Die Wallfahrt als Massenphänomen des Volkes war demnach das Werkzeug und zugleich das Resultat der Rekatholisierung Böhmens.
18 NIEDERMAIER 2009 (wie Anm. 3), 83.
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Auch in Ossegg wurde die alte Tradition während der Barockisierung ganz bewusst inszeniert. Die Architekten haben Teile der mittelalterlichen Bausubstanz sehr gezielt in das „neue“ Kloster integriert – als Zeichen der ungebrochenen Tradition und als Beweis für den vorreformatorischen, alten Glauben.19 Oder wie es der Ossegger Mönch und Zeitgenosse der Bauarbeiten Augustin Sartorius ausdrückte: „… zum immerwährenden süßen Andencken des lieben Alterthums.“20 Nachdem gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Rekatholisierung Böhmens weitgehend abgeschlossen war, entstand in Maria Ratschitz und Ossegg, sozusagen als triumphaler Abschluss des erfolgreichen Unternehmens, eine sehr katholische Infrastruktur, die sämtliche Bereiche der Religion bediente und sich deutlich von den protestantischen Lehren abgrenzte. Während die Wallfahrt das Volk zum aktiven Erleben der katholischen Religion auffordert, ist die monumentale Klosteranlage eine in Stein, Ziegel, Stuck und Holz errichtete Manifestation des römisch-katholischen Glaubens.21 Flankiert wird dieser architektonische Rahmen von einer multimedialen Aufführung aus Malerei, Predigt, Liturgie (Stichwort: „Heilige Theater“), (Orgel-)Musik, Wallfahrt und Massenfrömmigkeit. Maria Ratschitz und Ossegg liegen, wie der benachbarte Wallfahrtsort Mariaschein (Bohosudov), im Grenzgebiet zu Sachsen. Die drei Orte waren zunächst die Speerspitze der Rekatholisierung Nordböhmens und bildeten dann die religiös-politischen Bollwerke der katholischen Kirche und der Habsburger gegen das protestantische Sachsen auf der anderen Seite des Gebirges.
19 Die Erhaltung und Einbeziehung alter Bausubstanz gewann in der Barockzeit einen besonderen
Reiz. Meinrad von ENGELBERG: Renovatio Ecclesiae. Die „Barockisierung“ mittelalterlicher Kirchen, Petersberg 2005, 14f. 20 „Der ansehnliche hohe und breite Creutzgang stehet noch von der Fundation, desgleichen das Refectorium, und Capitul-Hauß, so auch in Veränderung anderer Gebäuder, zum immer währenden süßen Andencken des lieben Alterthums, und wehrtesten Stiffter unverruckt in ihrem alten Wesen sollen gelassen werden. Die Kirche ist von lauter Quaterstuck auffgeführet.“ SARTORIUS 1708 (wie Anm. 14), 856. 21 Die Westfassade der Klosterkirche ist für Anett Matl ein „römisch-katholischer Triumphbogen“. MATL 2011 (wie Anm. 12), 374.
Matthias Donath GRENZ- UND ZUFLUCHTSKIRCHEN SCHLESIENS Die Grenz- und Zufluchtskirchen waren evangelische Gotteshäuser in grenznahen Gebieten Schlesiens, in denen die evangelischen Christen des Landes nach der Rekatholisierung der schlesischen Erbfürstentümer an evangelischen Gottesdiensten teilnahmen.1 Den evangelischen Christen in den katholischen Gebieten Schlesiens war seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ihre freie Religionsausübung untersagt.2 Im Gegensatz zum Königreich Böhmen wurden die Lutheraner jedoch nicht zur Auswanderung gezwungen. Den nichtkatholischen Bewohnern blieb die Möglichkeit, lutherische Kirchen aufzusuchen, die sich in den benachbarten evangelischen Territorien befanden. Dies betraf die Ober- und die Niederlausitz, die seit 1635 zu Sachsen gehörten, das Kurfürstentum Brandenburg, die schlesischen Fürstentümer Liegnitz, Wohlau, Brieg und Oels sowie Gebiete im Königreich Polen, in denen die freie Religionsausübung zugelassen war. Schon bestehende Gotteshäuser in Grenznähe dienten als Zufluchtskirchen. Reichte der vorhandene Platz nicht aus oder gab es keine grenznahen Kirchen, wurden für die Glaubensflüchtlinge neue Gotteshäuser errichtet, die man im engeren Sinne als Grenzkirchen bezeichnet. Die evangelischen Christen nahmen oft lange Reisen auf sich, um in den Grenzkirchen an Taufen, Trauungen oder Abendmahlsfeiern teilzunehmen. Mit der Zulassung von evangelischen Gnadenkirchen innerhalb Schlesiens beschränkte sich das Einzugsgebiet der Grenzkirchen auf die grenznahen Gebiete. Ihre Bedeutung verloren sie nach der Mitte des 18. Jahrhundert. Infolge der Eingliederung Schlesiens in das Königreich Preußen wurde den evangelischen Schlesiern die freie Religionsausübung gewährt und der Neubau von Bethäusern und Kirchen erlaubt. Eine konfessionelle Migration war fortan nicht mehr erforderlich.
1 Literatur zu den Grenz- und Zufluchtskirchen: Eduard ANDERS: Die Zufluchts- und Grenzkir-
chen für evangelische Schlesier auf Oberlausitzer Gebiet, in: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 2 (1883), 41–60; Gerhard EBERLEIN: Die schlesischen Grenzkirchen im XVII. Jahrhundert. Halle 1901; Reiner SÖRRIES: Von Kaisers Gnaden. Protestantische Kirchenbauten im Habsburger Reich, Köln–Weimar–Wien 2008. 2 Zum kirchengeschichtlichen Hintergrund: Eduard ANDERS, Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens, Breslau 21886; Dorothee VON VELSEN: Die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz-Brieg-Wohlau. Ihre Vorgeschichte und ihre staatsrechtlichen Grundlagen, Leipzig 1931; Norbert CONRADS: Schlesiens frühe Neuzeit (1469–1740), in: Deutsche Geschichte im Osten Europas. Schlesien, hg. v. Norbert CONRADS, Berlin 1994, 177–344; Jörg DEVENTER: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526–1707, Köln–Weimar–Wien 2003.
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Als kirchliche Bauwerke mit außergewöhnlichem Schicksal dokumentieren die Grenz- und Zufluchtskirchen die Konfessionskonflikte Schlesiens im 17. und 18. Jahrhundert. Zusammen mit den Friedens- und Gnadenkirchen verweisen sie auf das evangelische Erbe Schlesiens – auch wenn sich infolge der Grenzverschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg heute nur eine kleine Minderheit der polnischen Bevölkerung Schlesiens zum evangelischen Glauben bekennt. 2011 bis 2013 führten der Schlesisch-Oberlausitzer Museumsverbund in Kooperation mit dem Bistum Breslau der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen ein Forschungsprojekt durch, das den Grenz- und Zufluchtskirche gewidmet war. Dabei wurden sämtliche Grenz- und Zufluchtskirchen, die aus Literatur und Quellen bekannt waren, vor Ort einer genaueren Untersuchung unterzogen. Diese betraf die bauliche Entwicklung, die Nutzung der Kirchen, ihre Ausstattung und ihre Besonderheiten sowie das Schicksal nach 1945. Aufgrund dieser Forschung kann erstmals ein vollständiger Katalog aller Grenz- und Zufluchtskirchen vorgelegt werden. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sind in einer zweisprachigen deutsch-polnischen Publikation dokumentiert, die mit Unterstützung der Kirchlichen Stiftung Evangelisches Schlesien und der Gemeinschaft evangelischer Schlesier veröffentlicht werden konnte.3 Die Inhalte sind zudem in einer zweisprachigen Ausstellung aufbereitet, die im April 2013 in Schloss Krobnitz bei Reichenbach/Oberlausitz eröffnet wurde und seitdem als Wanderausstellung verschiedene Stationen in Polen und Deutschland durchläuft. Mit Buch und Ausstellung soll eine breite Öffentlichkeit auf die Grenzund Zufluchtskirchen, auf den gegenwärtigen Zustand der Bauten und auf die Probleme ihrer Erhaltung aufmerksam gemacht werden. Das Projekt soll dazu beitragen, dass die Grenz- und Zufluchtskirchen von der Fachöffentlichkeit, von den Behörden, den Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche und auch von interessierten Bevölkerungskreisen in Polen und Deutschland wahrgenommen und als wertvolles Kulturerbe geschätzt werden. Den Grenz- und Zufluchtskirchen ist eine größere Aufmerksamkeit lange versagt geblieben. Die Kunstgeschichte hat sich erst spät den ländlichen Holz- und Fachwerkkirchen zugewandt. Ende des 19. Jahrhunderts, als Hans Lutsch (1854–1922) sein „Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Schlesien“ verfasste, galten solche Bauten noch nicht als „Kunst“, weshalb sie auch nicht in das Denkmalregister aufgenommen wurden. Es waren ausgerechnet die Architekten der beginnenden Moderne, die die Stimmungswerte der ländlichen Baukunst Schlesiens entdeckten. Hans Poelzig (1869–1936), Lehrer für Stilkunde an die Kunst- und Kunstgewerbeschule Breslau (Wrocław), beschäftigte sich intensiv mit dem Erbe des evangelischen Kir3 Lars-Arne DANNENBERG/Matthias DONATH/Eike THOMSEN/Wojciech WAGNER: Grenz-
und Zufluchtskirchen in Schlesien. Śląskie kościoły graniczne i ucieczkowe, Olbersdorf 2013 (Krobnitzer Hefte 4), dort auch Nachweis der Literatur zu sämtlichen hier genannten Grenz- und Zufluchtskirchen.
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chenbaus in Schlesien, nachdem er 1901 den Auftrag erhalten hatte, die baufällige Fachwerkkirche in Wültschkau (Wilczków) durch einen Neubau zu ersetzen. Inspiriert von den ländlichen Holzkirchen des 17. und 18. Jahrhundert, entwarf Poelzig ein malerisch gegliedertes Kirchlein mit Westturm und barock anmutender Haube.4 In Anlehnung an die frühere Fachwerkkonstruktion gliederten Rauhputzfelder die Fassade. Die Ausstattung der alten Kirche wurde übernommen, was damals keinesfalls selbstverständlich war. Poelzig verwendete sogar die bemalten Emporenbrüstungen, die er in die Orgelempore und in die Holzdecke des Neubaus integrierte. 1926 würdigte Alfred Wiesenhütter, Pfarrer in Rothsürben (Żórawina) bei Breslau, erstmals den evangelischen Kirchenbau in Schlesien und damit auch die Kulturleistungen, die die evangelischen Schlesier in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg erbrachten. Vor allem hob er die „anheimelnde Stimmung“ der hölzernen, bunt ausgemalten Kirchen hervor. Wiesenhütter fand es „ganz köstlich, wie hier alles darauf angelegt ist, dem Raum den Charakter des Wohnlichen, Traulichen zu geben.“5 Die Kriegsereignisse, die nachfolgende Vertreibung der deutschen Bevölkerung und die Umnutzung der evangelischen Kirchen für den römisch-katholischen Gottesdienst führten zu einem erheblichen Verlust an Bauten und Kirchenausstattungen. Vor allem Fachwerkkirchen sind in den Jahren nach dem Kriegsende in großer Zahl verloren gegangen. Ungeachtet dieser Zerstörungen veröffentlichte Günther Grundmann, der letzte deutsche Provinzialkonservator für Niederschlesien, 1970 eine Monographie über den evangelischen Kirchenbau in Schlesien, die bis heute unübertroffen ist und vielen vernichteten Gotteshäusern ein letztes Denkmal setzte.6 Auf polnischer Seite beschäftigten sich Paweł Banaś und Jan Harasimowicz mit dem künstlerischen Erbe der Reformation in Schlesien.7 Dagegen hat Konstanty Kalinowski in seinen Veröffentlichungen zur barocken Architektur und Bildhauerkunst in
4 Grzegorz GRAJEWSKI: Die Kontinuität der Tradition. Denkmalpflege und Heimatschutz im
Werk Hans Poelzigs, in: Hans Poelzig in Breslau. Architektur und Kunst 1900–1916, hg. v. Jerzy ILKOSZ und Beate STÖRTKUHL, Delmenhorst 2000, 190–220. 5 Alfred WIESENHÜTTER: Der evangelische Kirchenbau Schlesiens von der Reformation bis zur Gegenwart, Breslau 1926, 19. 6 Günther GRUNDMANN: Der evangelische Kirchenbau in Schlesien, Frankfurt am Main 1970, 7 Paweł BANAŚ: Kościoły poewangelickie w Rudnej i Pogorzeliskach. Próba interpretacji [Nachevangelische Kirchen in Raudten und in Kriegheide. Der Versuch einer Interpretation], in: Treści dzieła sztuki. Materiały sesji Stowarzyszenia Historyków Sztuki Gdansk, grudzień 1966, Warszawa 1969, 235–249; Paweł BANAŚ: Studia nąd śląską architekturą protestancką 2. połowy XVII wieku [Studien zur protestantischen Architektur in Schlesien in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts], in: Rocniki Sztuki Śląskiej 8 (1971), 35–89; Jan HARASIMOWICZ: Treści i funkcje ideowe sztuki śląskiej reformacji 1520–1650 [Inhalt und Funktion Kunst der Reformationszeit in Schlesien 1520–1650], Wrocław 1986 sowie Aufsätze, nachgewiesen in Jan HARASIMOWICZ: Schwärmergeist und Freiheitsdenken. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit, Köln–Weimar–Wien 2010.
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Schlesien fast ausschließlich nur die Kunst der Gegenreformation behandelt.8 Bis auf wenige Zeilen, die Kalinowski den Friedens- und Gnadenkirchen einräumte, sind die künstlerischen Leistungen der evangelischen Schlesier vergessen worden. Umso mehr ist zu begrüßen, dass mit den Forschungen von Jan Harasimowicz der protestantische Anteil an der schlesischen Kunst- und Kulturgeschichte wieder stärker wahrgenommen wird. Nach den „Kirchenreduktionen“ in den schlesischen Erbfürstentümern 1653/54 strömten große Menschenmengen zu den nächstgelegenen Grenzorten und Kirchen, um dort evangelische Gottesdienste zu feiern. Anfangs behalf man sich mit einfachen Mitteln, indem die Gottesdienste in Schuppen, Scheunen oder einfach im Freien stattfanden. Die Grenzkirche im Tschicherziger Oderwald (Cigacice), nahe der Grenzlinie, aber außerhalb bewohnter Ortschaften, war ein einfaches Gebilde aus Holz und Schilf. „Zwei große Eichbäume wölbten sich schützend über das Schilfdach dieser wahren Hütte Gottes, welches sich auf die Weise an einen jener Bäume anlehnte, daß sein starker, fester Stamm, theilweis in das Innere der Kirche mit aufgenommen, zugleich als Pfeiler diente, an welchem die Kanzel angebracht war. Der Altar, aus unbehobelten kiefernen Bretern verfertiget, war mit Erde ausgefüllt, und an demselben eine schwarze Tafel angebracht, auf welcher unter einem Kreuz die Worte standen: ‚Wir predigen Jesum den Gekreuzigten und befleißigen uns zu haben den Glauben und ein gutes Gewissen.‘ [...] Der Taufstein war aus einem starken eichenen Klotze gehauen.“9 Pfarrer Zacharias Textor, aus Groß Kauer (Kurów Wielki) bei Glogau (Głogów) vertrieben, bezeichnete diese Zuflucht im häufig überschwemmten Bruchwald der Oderniederung als „Hütte Gottes“ – ein sprachliches Bild mit biblischem Hintergrund, das in den Jahren der Glaubensverfolgung wiederholt verwendet wurde. Es bezieht sich auf die Beschreibung des „himmlischen Jerusalem“ in der Offenbarung des Johannes. Dort heißt es im 21. Kapitel: „Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, aus dem Himmel herniederkommen von Gott, bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut. Und ich hörte eine laute Stimme aus dem Himmel sagen: Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein.“ Die verfolgten evangelischen Christen fanden Trost und Zuversicht in der biblischen Verheißung, dass Gott am Ende aller Tage unter ihnen in einer einfachen Hütte wohnen wird und die irdischen Gotteshäuser demzufolge keine majestätische Größe und funkelnde Pracht nötig haben. Alfred Wiesenhütter betonte, dass die Kirchen der bedrängten und verfolgten evangelischen Christen in Schlesien als „Hütten Gottes“ bei den Menschen zu ver-
8 Konstanty KALINOWSKI: Rzeźba barokowa na Śląsku [Barockplastik in Schlesien], Wars-
zawa 1986; Konstanty KALINOWSKI: Barock in Schlesien. Geschichte, Eigenart und heutige Erscheinung, München 1990, 64–67. 9 Oswald FRÜHBUSS: Geschichte der Parochie Prittag, Grünberg 1841, 160.
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stehen seien. Die Transzendenz Gottes werde in ihnen aber nicht aufgehoben.10 Die Verschmelzung von baulicher Schlichtheit und ergreifender Innigkeit muss als herausragende Leistung des evangelischen Kirchenbaus in Schlesien gelten. Die meisten Grenzkirchen wurden aus Fachwerk erbaut. Die Fachwerkbauweise war in vielen Teilen Schlesien verbreitet. Sie ermöglichte es, sehr große, weitgespannte Kirchenräume zu errichten. Auch bei vielen Zufluchtskirchen, die aufgrund des Zustroms erweitert werden mussten, entschied man sich für Fachwerk. In der einfachsten Grundrissform schließt sich an das rechteckige Kirchenschiff ein polygonal oder gerade geschlossener Altarraum an. So handelt es sich bei den Grenzkirchen in Kriegheide (Pogorzeliska) und Hummel (Trzmielów) jeweils um Saalkirchen, die im Osten einen polygonalen Abschluss besitzen. Dieser setzt sich aus fünf Seiten eines Zehnecks zusammen. Die Kirchen in Karoschke (Kuraszków) und Rostersdorf (Trzęsów) hatten einen dreiseitigen Abschluss. In Altenlohm (Stary Łom) entstand ein sehr hohes Kirchenschiff aus Fachwerk mit abgeschrägten Ecken an der Ostseite – eine Lösung, die sehr gut zu dem zweiteiligen Mansarddach passte. Die Fachwerkkonstruktionen dieser Bauten waren grundsätzlich mit Holz und Lehm ausgefacht. Erst im 19. Jahrhundert begann man, die Lehmausfachungen durch Ziegel zu ersetzen. Da auch die Dächer mit Holzschindeln gedeckt sind, scheinen die Gotteshäuser vollständig aus Holz zu bestehen, doch handelt es sich eindeutig um Fachwerkkonstruktionen. Im Unterschied zu den Friedenskirchen, die keine Glockentürme haben durften, waren die Grenz- und Zufluchtskirchen stets mit Türmen und Glocken ausgestattet. Die an die Kirche angebauten, manchmal auch freistehenden Glockentürme wurden ebenfalls in Fachwerk errichtet. Sie können an der Westfront oder auch an der Längsseite des Kirchenschiffes stehen. Außen brachte man oft Verbretterungen an. So sind die Glockentürme in Kraschen (Krasowice) und Prietzen (Przeczów) aus Fachwerk in Ständerbauweise errichtet und außen mit Brettern verschalt. Oftmals sind die Außenwände der Kirchtürme schräg geböscht. In Hummel und Geischen (Giżyn) haben sich freistehende, von der Kirche abgerückte Glockentürme erhalten. In Schlichtingsheim (Szlichtyngowa) steht nahe der Kirche ein niedriges Glockenhaus. In Klastawe (Chlastawa) hängen die Glocken im Obergeschoss des Torhauses, das den Zugang zum Kirchhof ermöglicht. Eine Besonderheit stellen die Schrotholzkirchen dar.11 Diese sind vollständig aus Holz errichtet. Die Außenwände bestehen aus geschroteten, dass heißt mit Beil oder Säge geglätteten Holzstämmen (Blockbohlen). Die Wände wurden aus liegenden Bohlen aufgeschichtet und an den Ecken durch Verkämmungen miteinander verbunden. 10 Alfred WIESENHÜTTER: Protestantischer Kirchenbau des deutschen Ostens in Geschichte
und Gegenwart, Leipzig 1936, 39. 11 Zu den Schrotholzkirchen in Schlesien GRUNDMANN (wie Anm. 6), 19–20; Wolfgang HAL-
FAR: Die Oberschlesischen Schrotholzkirchen. Ein Beitrag zum Holzbau in Schlesien, München 21990.
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Schrotholzkirchen sind deutlich kleiner als Fachwerkkirchen. Man findet sie hauptsächlich in nördlichen und östlichen Randgebieten Schlesiens. Bis heute ist ungeklärt, wieso sich die Blockbauweise in einigen Landstrichen Schlesiens entfalten konnte. Meist wird auf den Waldreichtum Oberschlesiens hingewiesen. Es gibt jedoch auch in Niederschlesien viele waldreiche Gegenden, ohne dass dort Blockbauten üblich waren. Es fällt auf, dass die Schrotholzkirchen vielfach dort anzutreffen sind, wo es starke sorbische oder polnische Bevölkerungsanteile gab. In der polnischen Forschung wurde deshalb lange die Meinung vertreten, der Blockbau sei die Bauweise der „autochthonen“ slawischen Bewohner, während der Fachwerkbau von der eingewanderten Bevölkerung mitgebracht worden sei.12 Diese nationalistische Betrachtung, die sowohl das friedliche Miteinander slawischer und deutscher Bevölkerungsteile in Schlesien wie auch den frühen polnischen Steinkirchenbau negiert, ist abzulehnen. Wenn man die Möglichkeit hatte, in Stein zu bauen, tat man dies auch. Die Bauformen und Grundrisse der Stein- und Fachwerkbauten unterscheiden sich grundsätzlich nicht voneinander. Auch bei den steinernen Grenz- und Zufluchtskirchen überwiegen die längsgerichteten Säle mit geradem oder polygonalem Abschluss. Aufgrund der übereinanderliegenden Emporen sind die Kirchenschiffe oftmals sehr hoch. In Friedersdorf (Biedrzychowice) wurde 1722 eine steinerne Grenzkirche errichtet, die einen älteren Fachwerkbau ersetzte. An das geräumige Kirchenschiff gliedern sich ein seitlich stehender Turm sowie Patronatslogen und Gruftkapellen an. Auch in Nieder Wiesa (Wieża Dolna) entstand 1730 bis 1733 ein geräumiges steinernes Gotteshaus. Großen Einfluss auf den barocken Kirchenbau in Niederschlesien hatte der Baumeister Giulio Simonetti (1659–1729), ein Wanderkünstler italienischer Herkunft. 1659 in Graubünden geboren, hatte er sich 1689 in Bunzlau (Bolesławiec) niedergelassen. Dort erstellte er Entwürfe für mehrere Grenz- und Zufluchtskirchen. 1700 bis 1702 erweiterte er die Kirche in Probsthain (Proboszczów). Dem Kirchenschiff ist ein mächtiger Westturm mit einer dreifach gestuften barocken Haube angefügt, die stolz und selbstbewusst auf das evangelische Gotteshaus hinweist. Simonetti entwarf auch den Neubau der Grenzkirche in Halbau (Iłowa). Anstelle einer Fachwerkkirche wurde hier 1720 bis 1725 eine stattliche barocke Hallenkirche errichtet – mit einem weitgespannten Gewölbe und tiefen Emporen in den seitlichen Kompartimenten, die den Binnenraum erweitern. Noch größer und aufwendiger bauten die Lutheraner in Lissa (Leszno) im Königreich Polen.13 Nachdem die alte Fachwerkkirche 1707 abgebrannt war, begann 12 HALFAR (wie Anm. 11), 25–26. 13 Jan HARASIMOWICZ: Leszno – Poznań – Warszawa. Protestanckie budownictwo kościelne w
osiemnastowiecznej Polsce i jego europejskie parantele [Lissa – Posen – Warschau. Protestantische Kirchenbaukunst im 18. Jahrhundert in Polen im europäischen Vergleich], in: Polska i Europa w dobie nowożytnej. L`Europe moderne: nouveau monde, nouvelle civilsation? Modern Europe – New World, New Civilisation? Prace naukowe dedykowane Profesorowi Juliuszowi A. Chrościckiemu, hg. v. Tadeusz BERNATOWICZ, Warszawa 2009, 391–400.
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man, einen mächtigen Neubau zu errichten, der 1716 fertig war. Der namentlich nicht bekannte Baumeister entwarf eine große Hallenkirche mit ovalem Mittelraum und umlaufenden Emporen. Wie in Probsthain oder Lissa gehören zu vielen Kirchenneubauten aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stattliche Türme, die von den evangelischen Christen der katholischen Fürstentümer schon von weitem gesehen werden konnten. Die hoch aufragenden Türme und der Klang ihrer Glocken waren für die verfolgten Lutheraner von enormer Bedeutung. Sie machten Mut und stärkten das Bekenntnis zur eigenen Konfession. Auch wenn die Zufluchtskirche in Harpersdorf (Twardocice) heute eine Ruine ist, stellt ihr stehen gebliebener Turm noch immer ein eindrucksvolles Glaubenszeichen dar. Kirchenschiff und Turm wurden 1726 bis 1727 durch Baumeister Christian Hartmann wiederaufgebaut, nachdem das Gotteshaus zuvor abgebrannt war. Einige dieser barocken Neubauten haben eine enorme Größe. So konnten in Harpersdorf im Gestühl, in den drei Emporengeschossen und in den Logen 2400 Gottesdienstbesucher Platz nehmen. Das riesige steinerne Kirchenschiff der Zufluchtskirche in Hochkirch (Kościelec) bei Liegnitz (Legnica), 1675 errichtet, enthielt 3000 Sitzplätze. Ähnliche Menschenmengen konnten Probsthain aufgenommen werden. Damit erreichten diese Zufluchtskirchen fast das Platzangebot der Friedenskirchen. Nicht überall war ein solcher Aufwand erforderlich. Wenn es ging, nutzte man die vorhandenen Gotteshäuser, die mit zusätzlichen Emporen versehen und manchmal auch erweitert wurden. Um Sitzplätze zu gewinnen, fügte man an die oftmals noch aus dem Mittelalter stammenden Dorfkirchen kleinere oder größere Anbauten an. So erhielt das Langhaus der Kirche in Reichau (Zarzyca) 1705 eine rechteckige Erweiterung, in die man eine tiefe Empore setzte. In Klein Kniegnitz (Księginice Małe) wurde rechtwinklig an das Langhaus der alten Dorfkirche ein neues, doppelt so großes Kirchenschiff angebaut. Dadurch ergab sich ein ungewöhnlicher L-förmiger Grundriss. Einige größere Grenz- und Zufluchtskirchen besitzen einen kreuzförmigen Grundriss. Das Kreuz bildet sich aus dem längsgerichteten Kirchenschiff und seitlichen Anbauten, die wie Querhäuser wirken. Die Erweiterungen können entweder einen geraden oder einen dreiseitigen Abschluss haben. Die Baugestalt ergab sich aus der Anforderung, möglichst viele Sitzplätze im Kirchenraum in geringer Entfernung zu Altar und Kanzel zu schaffen. Die Anbauten nahmen daher Gestühl und Emporen auf. Fachwerkkirchen mit kreuzförmigem Grundriss standen in Schlichtingsheim, Christianstadt (Krzystkowice/Nowogród Bobrzański), Rostersdorf, Bojanowo und Wültschkau. In Kraschen (Krasowice) sind die seitlichen Erweiterungen fast genauso tief wie das eigentliche Kirchenschiff. Steinerne Kirchen auf kreuzförmigen Grundriss sind in Großburg (Borek Strzeliński), Kotzenau (Chocianów) und Jenkau (Jenków) zu finden. In Großburg, Koiskau (Kosika) und Wültschkau hat man die seitlichen Erweiterungen nachträglich an das ältere Langhaus angebaut. Eine andere Möglichkeit, den Kirchenraum zu erweitern, war die Errichtung eines zweiten Schiffes neben dem bestehenden Langhaus. So baute man an die Salvatorkir-
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che in Breslau 1723 ein zweites Langhaus in Fachwerkkonstruktion an. Beide Kirchenschiffe hatten eigene, parallel verlaufende Dächer. Die Stadtkirche in Marklissa (Leśna), ein steinernes Bauwerk, besitzt ebenfalls ein nachträglich angesetztes Seitenschiff. Einige Grenz- und Zufluchtskirchen zeichnen sich durch einen bewusst gestalteten geometrischen Grundriss aus. So errichtete man in Podrosche 1690 eine achteckige Kirche aus Fachwerk. Über dem oktogonalen Unterbau folgte ein geschweiftes Dach mit Laterne. Die Fachwerkkirche brannte 1907 ab und wurde danach steinern wiederaufgebaut, wobei man die Gestalt des zerstörten Bauwerks wiederholte. In Logau (Łagów) steht eine ähnlich gestaltete Kirche, die 1698/99 als steinernes Bauwerk errichtet wurde. Aus dem quadratischen Unterbau erhebt sich ein Achteck, das wiederum von einer geschweiften Haube bekrönt wird. Der Vorteil der achteckigen Zentralbauten war der geringe Abstand der umlaufenden Emporen zu Kanzel und Altar. Die Besucher konnten die Predigt gut hören und das Geschehen gut verfolgen. Wie schon Dagobert Frey bemerkte, sind die Zentralanlagen wohl auf sächsische Einflüsse zurückzuführen.14 Im „Mutterland der Reformation“ entstanden bereits in den 1680er Jahren die ersten Zentralbauten. So war die Trinitatiskirche in Carlsfeld, erbaut 1684 bis 1688 durch Wolf Caspar von Klengel (1630–1691) auf achteckigem Grundriss, Vorbild für viele nachfolgende evangelische Zentralbauten. Die Zentralbauidee wurde im 18. Jahrhundert bei zwei Kirchenneubauten erneut aufgegriffen. So hat die 1735 errichtete Zufluchtskirche in Palzig (Pałck) ebenfalls ein achteckiges Kirchenschiff. Indem der Westseite ein mächtiger Kirchturm vorgesetzt wurde, ergibt sich in der äußeren Ansicht jedoch das Bild einer traditionellen längsgerichteten Kirche. Dieser Eindruck wird auch durch das Dach unterstrichen, das nur im Osten zeltartig gestaltet ist, im Westen aber an den Turm anbindet. Eine ideale, regelmäßige Baugestalt zeichnet die 1736 bis 1742 erbaute Zufluchtskirche in Briese (Brzezinka) aus. Der Zentralbau ist auf einem Vierpass mit überlagertem Quadrat angelegt. Über dem Innenraum erhebt sich ein holzverkleideter Dachturm mit barocker Haube. Nachdem Friedrich II. von Preußen die freie Religionsausübung in Schlesien zugelassen hatte, wurden keine Grenz- und Zufluchtskirchen mehr benötigt. Die Bautraditionen, die sich in den Jahren der Glaubensverfolgung herausgebildet hatten, blieben jedoch noch einige Jahrzehnte lebendig. Viele der Bethäuser und Bethauskirchen, die mit Genehmigung der preußischen Regierung nach 1742 errichtet wurden, waren einfache Fachwerkbauten.15 In Konstruktion und Ausstattung ähnelten sie vielfach den älteren Grenz- und Zufluchtskirchen. Nach und nach wurden die Fachwerkbauten durch massive Gotteshäuser ersetzt, die sich in ihrer Gestaltung nicht mehr von 14 Dagobert FREY: Die Kunst, in: Geschichte Schlesiens. Die Habsburger Zeit 1526–1740, hg. v.
Ludwig PETRI und Josef Joachim MENZEL, Sigmaringen 21988, 189. 15 GRUNDMANN (wie Anm. 6), 37–82.
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Kirchenbauten anderer Landschaften unterschieden. Damit endete die eigenständige Entwicklung des evangelischen Kirchenbaus in Schlesien. Was die Grenz- und Zufluchtskirchen vor allem auszeichnete, war ihre lebendige, stimmungsvolle Ausstattung, die den ganzen Raum umfasste und prägte.16 Der evangelische Gottesdienst setzt die Beteiligung der Gemeinde voraus. Um die christliche Gemeinde im Gotteshaus zu versammeln, musste es genügend Sitzplätze geben. Zu den Grenz- und Zufluchtskirchen strömten teilweise sehr große Menschenmengen. Deshalb waren alle Kirchen mit Emporen ausgestattet. Die überwiegend hölzernen Emporeneinbauten prägten die Raumwirkung der Gotteshäuser ganz entscheidend. Über dem Gestühl unten im Kirchenschiff konnten sich die Emporen in bis zu drei Geschossen aufbauen. Auch der Altarraum war oftmals von Emporen umgeben. In die Emporenfronten waren aufwendiger gestaltete Patronatslogen eingegliedert. In diesen saßen die Besitzer der Rittergüter. Je nach örtlichem Brauch konnten die Emporen die Namen der Gastgemeinden tragen, die zugehörigen Plätze zum Gottesdienst aufsuchten. So gab es im Altarraum Kirche in Löwen (Lewin Brzeski) die Slawentzitzer Empore, die von den evangelischen Christen aus der Standesherrschaft Slawentzitz (Sławięcice) genutzt wurde. Die Emporen im Altarraum der Kirche in Gebhardsdorf waren den Bewohnern der Ortsteile Estherwalde und Augustthal vorbehalten, die durch Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen entstanden waren. Während es im Kirchenschiff meist fest eingebaute Bänke gab, war es vielerorts üblich, dass auf den Emporen mitgebrachte Stühle standen. Im Altarraum befanden sich meist besonders hervorgehobene Kirchenstühle, etwa für die Kirchväter oder die Mitglieder der Stadträte. Diese Stühle konnten mit hohen Rücklehnen, Baldachinen und geschnitzten Fronten ausgeziert sind. Die Emporenbrüstungen eigneten sich hervorragend zur Anbringung von narrativen biblischen Bildzyklen. In vielen Kirchen befanden sich die Emporenfronten in gleich große Bildfelder geteilt. In Probsthain trugen die Brüstungen aller drei Emporengeschosse aufwendige Bemalungen! Leider sind nach 1945 sehr viele Kirchen mit bemalten Emporen zerstört worden. Da entsprechende fotografische Dokumentationen fehlen, kann man bei zahlreichen Kirchen nicht sagen, wie die Bildprogramme angelegt waren. Der erhaltene Bestand legt nahe, dass die meisten Bildfolgen biblische Geschichten schilderten. In Logau, Kriegheide, Probsthain, Dirsdorf (Przerzeczyn-Zdrój) und Großburg sind Bildfolgen aus dem Alten und Neuen Testament zu sehen. Teilweise sind sie in typologischer Gegenüberstellung aufeinander bezogen. Die Emporenbilder in Wültschkau und Mondschütz (Mojęcice) zeigen Darstellungen aus dem Leben Jesu. In Logau reicht der Bildzyklus von der Erschaffung der Welt bis 16 Ausführlicher zur Ausstattung der Kirchen Matthias DONATH: Gebautes Gottvertrauen. Zur
kunstgeschichtlichen Bedeutung der Grenz- und Zufluchtskirchen. Zbudowana wiara. O artystycznym znaczeniu kościołow granicznych i ucieczkowych, in: Grenz- und Zufluchtskirchen in Schlesiens. Śląskie kościoły graniczne i ucieczkowe (wie Anm. 3), 73–111.
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zum Jüngsten Gericht. In Pilgramsdorf (Pielgrzymka) wechselten sich Szenen aus dem Neuen Testament mit Bibelsprüchen ab. Die Kirchenräume werden von flachen Bretterdecken oder Holztonnen abgeschlossen. So hat die Zufluchtskirche in Großburg eine flache Kassettendecke. Die gleich großen quadratischen Felder sind mit Ranken bemalt. Auch die Grenzkirche in Nieder Wiesa war mit einer Kassettendecke versehen. Holztonnen gab es beispielsweise in Gebhardsdorf, Probsthain und Altenlohm. Während in Friedersdorf die gewölbte Bretterdecke unbemalt blieb, befinden sich auf den meisten Holzdecken großflächige Bemalungen. Dabei sind wiederum sehr oft Ranken und vegetabile Flechtmuster anzutreffen. Die flache Holzdecke der Grenzkirche in Kriegheide ist als blauer Himmel mit goldenen Sternen und Wolken gestaltet. In der himmlischen Welt tummeln sich Engel. Ein helles Dreieck, umgeben von einer Gloriole, symbolisiert die Dreifaltigkeit. Eine Besonderheit der Kriegheider Kirche sind die Schalllöcher in der Decke. Weil der Zustrom zur Grenzkirche so groß war, mussten sich die Gottesdienstbesucher, die nicht mehr ins Kirchenschiff passten, auf den Dachboden setzen. Damit sie dem Geschehen folgen konnten, sind in die Decke drei Schalllöcher eingelassen. In der Mitte des Kirchenschiffs steht ein hölzerner Palmenbaum, dessen durchbrochene Blätterkrone die Öffnung in der Decke übergittert. Diese Palme ist zugleich als Sinnbild des siegreichen Überdauerns und damit der Zuversicht und Siegesgewissheit zu verstehen.17 Bezogen auf den gekreuzigten Christus, stellt er den Baum des Lebens dar, auf den sich Erlösungshoffnung gründet. Die beiden anderen Schalllöcher sind als Mond und Sonne gestaltet, womit sie sich sinnreich in den gemalten Himmel eingliedern. In einigen Zufluchtskirchen sind die Decken mit großformatigen Darstellungen biblischen Inhalts bemalt. So zeigen zwei aufeinander bezogene rechteckige Felder an der Holzdecke der Kirche in Nieder Ullersdorf (Mirostowice Dolne) die Stiftshütte der Israeliten mit der Bundeslade (2. Mose 25) und den thronenden Gottvater mit den 24 Ältesten im Himmlischen Jerusalem (Offenbarung 4). Auf der mit Ranken bemalten Decke in Nieder Wiesa war das von der heiligen Dreifaltigkeit beschirmte Gotteshaus selbst abgebildet, umgeben von kleineren Darstellungen der Heilsgeschichte. In Kreibau (Krzywa) entfaltet sich an der Decke ein theologisch weitgespanntes Bildprogramm. Wiederum ist in der Mitte die Dreifaltigkeit zu sehen, begleitet von den Wappen der Stifter. Die Darstellung von Moses auf dem Berg Sinai symbolisiert den alten Bund, während Taufe Christi und Letztes Abendmahl auf die Erlösung hinweisen, die 17 Daniel GIBSKI: IUSTUS UT PALMA FLOREBIT. Poewangelicki kościoł w Pogorzeliskach
jako przykład śląskiej świątyni diasporalnej z XVII wieku [Die evangelische Kirche in Kriegheide als Beispiel schlesischen Diaspora-Kichenbaus im 17. Jahrhundert], in: Sztuka i dialog wyznań w XVI i XVII wieku. Materiały Sesji Stowarzyszenia Historyków Sztuki. Wrocław, listopad 1999, Warszawa 2000, 307–323; Jan HARASIMOWICZ: Der evangelische Kirchenbau in Schlesien unter der habsburgischen Regierung, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 81 (2002), 79–88, hier 85.
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Gott mit dem neuen Bund anbietet. Das wohl aufwendigste Deckengemälde befand sich in der zerstörten Harpersdorfer Zufluchtskirche. Ein imposantes Rundgemälde zeigte in der Mitte die heilige Dreifaltigkeit, dargestellt als Dreieck mit eingeschriebenem hebräischen Gottesnamen und leuchtender Gloriole, umgeben von Einzelszenen, die die Heilsgeschichte wiedergaben. In acht verschieden breiten Kreisausschnitten hatte der unbekannte Künstler Schöpfung, Sündenfall, Verkündigung, Kreuzigung, Grablegung, Auferstehung, Himmelfahrt und Pfingstwunder gemalt. Vier weitere Deckengemälde stellten eine inhaltliche Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen Testament her. So entsprach die Darstellung des Letzten Abendmahls über dem Altarraum der Gesetzgebung am Berg Sinai, in der Nähe der Orgel abgebildet war. Im Kirchenschiff waren das alttestamentlich Brandopfer und die Taufe Christi im Jordan typologisch aufeinander bezogen. In das dekorative Rankenmuster, das alle Bildfelder umgab, waren zudem acht überlebensgroße allegorische Figuren eingebettet, die christliche Tugenden verkörperten. Dass sich die Botschaft der Bibel ganz konkret auf die Menschen bezog, die in den Grenz- und Zufluchtskirchen zum Gottesdienst zusammenkamen, beweist die bemalte Sakristeitür in Kriegheide.18 Wie die Beschriftung aussagt, ist „Jesus bey den Emaunsischen Jün-/gern“ dargestellt. Der auferstandene Jesus wird von zwei Jüngern begleitet, die sich auf dem Weg nach Emmaus befinden, ihren Heiland aber nicht sogleich erkennen (Lukas 24, 13–33). Allerdings wurde das biblische Geschehen in die Gegenwart verlagert: Alle drei Personen tragen die Kleidung des 17. Jahrhunderts. Es sind evangelische Christen, die sich auf dem Weg zu ihrer Grenzkirche befinden. Die Fachwerkkirche mit Glockenturm, rechts oben im Bild, ist die Kriegheider Kirche. Daneben steht die evangelische Schule. Das größtenteils verdeckte Gebäude links könnte die Friedenskirche in Jauer (Jawor) sein. Die bemalte Tür spricht den „Kirchenfahrern“, die weite Entfernungen zu den evangelischen Gotteshäusern zurückzulegen hatten, Glaubensgewissheit und Zuversicht zu: Auch unter ihnen befindet sich Christus, selbst wenn er nicht gleich zu erkennen ist. Der Bildentwurf der Sakristeitür geht auf Pfarrer Daniel Ebersbach zurück, der um 1680 auch das übrige Bildprogramm der Kriegheider Kirche entwarf. Das verbindende Element der vielgestaltigen Kirchenausstattungen ist die Verwendung von Holz. Gestühl, Emporen, Decken, Kanzeln und Altarretabel bestehen aus Holz, und dieses ist oftmals farbig bemalt. Die aufgemalte Dekoration machte das Material nicht unkenntlich. Bei den Emporen und Decken ist rasch zu erkennen, dass sie aus gehobelten Brettern und behauenen Balken bestehen. Über die Holzeinbauten legt sich eine Bilderwelt, die durch ornamentale Bemalungen zusammengehalten wird. Oft waren es Rankenmalereien, die die Einrichtungsbestandteile, die Brüstungsbilder und die großformatigen Deckengemälde zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfassten. Die Einbauten und die Bemalungen verraten, 18 SÖRRIES (wie Anm. 1), 31.
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dass hier erfahrene, bodenständige Handwerker tätig waren. Die Kirchen wirken wie große Bauernstuben, die die Bewohner über Generationen hinweg mit liebgewonnenen Gegenständen gefüllt haben. Dagobert Frey erkannte in den Friedenskirchen einen „aus tiefster Glaubensinbrunst“ entstandenen „volkstümlichen schöpferischen Gestaltungswillen“.19 Sein Urteil lässt sich auch auf die Grenz- und Zufluchtskirchen beziehen, die als bodenständige Schöpfungen eines Zeitalters angesprochen werden können, in dem christlicher Glaube und Lebensalltag untrennbar miteinander verbunden waren – und in dem sich die Kunst sich noch nicht von den alltäglichen Erfahrungen der Menschen entfremdet hatte. So wie die Dichtung in Schlesien in den Jahrzehnten der Glaubensverfolgung eine starke künstlerische Kraft erreichte, so entfaltete sich auch eine eigene, die Gefühle und Stimmungen ansprechende kirchliche Kunst. Wie schon Alfred Wiesenhütter bemerkte, sind die schlichten, einfachen Räume der Fachwerkkirchen nicht kahl und leer. Sie sind (oder sie waren) von der Gegenwart Gottes erfüllt, die die Menschen anrührte und bewegte. Die aus Holz gezimmerten, bunt bemalten und liebevoll dekorierten Kirchen wärmten Herz und Seele. Sie vermittelten ein tiefes Gottvertrauen, Heimat und Geborgenheit. Obwohl so viele Gotteshäuser zerstört oder innen stark verändert sind, kann man in den erhalten gebliebenen Bauten noch immer der emotionalen Tiefe nachspüren, die die Bauleute und Handwerker lutherischen Glaubens in ihre „Hütten Gottes“ hineingelegt haben.
19 FREY (wie Anm. 14), 188.
Katharina Ute Mann POLONIA Eine Nationalallegorie als Erinnerungsort in der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts Mein Dissertationsprojekt mit dem Titel „Polonia – Eine Nationalallegorie als Erinnerungsort in der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts“, das hier verkürzt widergegeben wird, analysiert patriotische Kunstwerke und ihre Schöpfer in Hinblick auf die selbstreflektierende Sicht auf einen unsouveränen Staat.1 Im Fokus der Untersuchung stehen historische und fiktive Personen, die von den polnischen Künstlern dazu verwendet wurden, Emotionen beim Betrachter zu erwirken. Diesbezüglich werden in dieser Studie Polonia-Darstellungen analysiert, die nach den Teilungen Polens neu konstruiert und ihrer veränderten Rolle angepasst werden mussten. Dabei wird auch auf die „spezifischen Aussagekräfte und Wirkdimensionen“2 dieser Allegorie eingegangen, die mit ihren zwei Sonderformen von der „Toten Polonia“ hin zur „Gekrönten Polonia“ ein weites Spektrum an Darstellungsformen bieten. Besonders werden hierbei die Polonia-Verbildlichungen während der Teilungen Polens mit ihrer publikumsorientierten Inszenierung analysiert, die nicht in erster Linie den Staat repräsentierten, sondern darauf abzielten, den Rezipienten emotional zu berühren und somit für die Lage Polens zu sensibilisieren. Auch in anderen europäischen Staaten lässt sich im 19. Jahrhundert ein Wandel bei der Darstellung der Staatspersonifikation erkennen, bei der „viel weniger auf die plastische Durchbildung der Figur und die Wahl der Attribute, als auf den Grundton der Empfindung Wert gelegt“3 wurde. Diese Inszenierungen wichen somit sehr stark von ursprünglichen Darstellungen einer politischen Repräsentationsfigur ab und zeigten sich in einer neuen „emotionalen Form“, so dass sie „Beispiele des Wandels zur neuen Ikonographie der Stimmung und des Ausdrucks“4 offenbarten. Diese neuen Formfindungen wurden vor allem von Künstlern für die polnische Nationalallegorie verwandt und gingen sogar in einigen Darstellungen so weit, dass Polonia in der Gestalt anderer Figuren gezeigt wurde. So wurden unter anderem Polonia-Darstellungen im Totenreich durch Eurydike und Tote-Polonia-Darstellungen durch Ellenai ersetzt. Besonders der Maler Jacek Malc1 Katharina Ute MANN: Eine Nationalallegorie als Erinnerungsort in der polnischen Malerei des 19. Jahrhunderts, Köln 2013, 99ff. 2 Angela STRECKEN: Enthüllung der Helvetia – Die Sprachen der Staatspersonifikation im
19. Jahrhundert, Berlin 1998, 42. 3 Selma KRASA-FLORIAN: Die Allegorie der Austria – Die Entstehung des Gesamtstaatsgedan-
kens in der österreich-ungarischen Monarchie und die bildende Kunst, Wien 2007, 15. 4 STRECKEN (wie Anm. 2), 45.
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zewski (* 1854; † 1929) verwendete solche Gleichnisse während des Ersten Weltkrieges, indem er die Polonia in mythologischer Gestalt zeigte und auf diese Weise die laufenden politischen Ereignisse kommentierte. Bedauernswerterweise sind diese und weitere seiner Polonia-Darstellungen zum größten Teil in Privatsammlungen verschwunden, so dass ein gänzlicher Überblick hierzu nicht möglich sein konnte. Im Rahmen dieses Dissertationsprojekts werden die wichtigsten Typen aufgezeigt und analysiert sowie weitere Polonia-Visualisierungen von Jan Matejko (* 1838; † 1893), Stanisław Wyspiański (* 1869; † 1907), Artur Grottger (* 1837; † 1867) und anderen polnischen Künstlern dargelegt. Auch wenn die Darstellung Polonias nur überblickartig erfolgen kann, wird dennoch deutlich, wie viele verschiedene Typen dieser Nationalallegorie existierten und welche sich besonders gut für die Entwicklung eines kollektiven Gedächtnisses eigneten. Künstler bedienten sich dabei bestimmter Darstellungsformen Polonias, die es dem zeitgenössischen Betrachter erleichterten, die Werke einem Hauptthema (Niederlage, Leid, Hoffnung auf Aufbruch) zuzuordnen. Jedoch muss darauf hingewiesen werden, dass einige Motive ambivalent verwendet wurden, so dass die Grenzen zwischen den verschiedenen Gewandungen und ihren Intensitätsgraden fließend sind. Besonders deutlich wird dieses Problem bei der Darstellung der „Polonia in Ketten“, die häufig dazu verwandt wurde, die Unfreiheit Polens zu verbildlichen. Auf der anderen Seite gebrauchten Künstler eben dieses Motiv, um den Kampfgeist der Polen zu demonstrieren, indem sie das wörtlich zu nehmende „erste Rütteln an den Ketten“ darstellten. Trotz einiger Übereinstimmungen mit Darstellungsarten anderer Nationalallegorien hat sich in Polen aufgrund der historischen Situation eine eigene Tradition entwickelt, insbesondere durch den großen Einfluss des polnischen Messianismus auf die Polonia-Darstellungen. Dies wird vor allem deutlich in der Sonderform der „Toten Polonia“, die hier in zwei Varianten, die für Kirchen konzipiert wurden, aufgezeigt werden soll. Dabei handelt es sich zum einen um den nicht realisierten Fensterbildentwurf Polonia von Stanisław Wyspiański (Abb. 1), sowie um die Darstellung von Włodzimierz Tetmajer für das Pantheon der Großen Polen (Abb. 2) in der Wawel-Kathedrale in Krakau. Die bekannteste Visualisierung einer Tote-Polonia-Darstellung, und gleichzeitig eine der untypischsten, ist der Fensterbildentwurf Polonia von Stanisław Wyspiański, den der Künstler in zwei Entwicklungsphasen von 1892 bis 1894 kreierte, somit fast hundert Jahre nach der endgültigen Teilung Polens. Es handelt sich um ein Kunstobjekt, das die eine Hälfte eines Fensterbild-Diptychons zum Gelübde von Johann Kasimir darstellt. Der Karton aus dem Jahre 1894 bildet hierbei die endgültige Version, da der Entwurf nie in Glas realisiert wurde. Polonia wurde in diesem letzten Entwurf von Wyspiański in ein mit Hermelinpelz verziertes Gewand sowie einen königlichen Mantel gekleidet, die ihren Status als repräsentative Nationalallegorie unterstreichen. Um ihre Hüften ist ein rotes Band
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Abb. 1 Stanisław Wyspiański: Polonia, 1894. Muzeum Narodowe w Krakowie. (Foto: Muzeum Narodowe w Krakowie)
gewickelt, das sich weiter um das Schwert „Szczerbiec“ schlängelt und sie somit verbindet. Um sie herum fügte Wyspiański weitere Figuren in das Bildgeschehen ein. Diese Komposition ist ein hervorragend durchdachter Fensterbildentwurf, der eine wörtliche Beschreibung von Alina Witkowskas Worten sein könnte, die sie 1979 formulierte: „(…) von Herz zu Herz, und von Herz zur Tat [sollte es gehen] (...).“5 5 „(…) z serca do serca, z serca do czynu (…)“. Obrazy śmierci w sztuce polskiej XIX i XX
wieku. Katalog wystawy w Muzeum Narodowym w Krakowie, wrzesień–listopad 2000 [Bilder
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Abb. 2 Włodzimierz Tetmajer: Panteon Wielkich Polaków – Martwa Polonia (Pantheon der Großen Polen – Tote Polonia), 1901–1902. Krakau (Kraków), Wawel-Kathedrale, Dreifaltigkeitskapelle. (Foto: Katharina Ute Mann)
Wie nachhaltig sich auch diese „Tote Polonia“ von Wyspiański im kollektiven Gedächtnis der Polen verankert hat, zum Beispiel durch die massenhafte Verbreitung in Form von Postkarten, bleibt sie innerhalb dieser Sonderform durch ihre große Popularität und ihre Gestaltung doch eine Ausnahmeerscheinung, vor allem da sie nicht dem „Archetypus“ dieser Polonia-Form folgt. Dieser zeigt gänzlich anders eine liegende Frauengestalt im Profil.6 Die „Tote Polonia“ verkörpert nicht nur die Zerstörung eines politischen Systems, sondern soll vielmehr die Visualisierung der messianistischen Apperzeptionen der Bevölkerung darstellen und somit zu einem Erinnerungsort des des Todes in der polnischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog des Nationalmuseums in Krakau von September bis November 2000], red. Ewa RYŻEWSKA, Kraków 2000, 255 (Übersetzung von der Verfasserin). 6 Allgemein hingegen kann festgehalten werden, dass Wyspiańskis gesamtes Oeuvre, sowohl sein künstlerisches wie literarisches, „die vergangenen, zeitgenössischen sowie zukünftigen Angelegenheiten Polens als die dominanten Themen [aufgreift]. (…) [Seine] Ambitionen, wie bereits
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eigenen Leids werden. Die abgemilderte Darstellung der „Toten Polonia“ von Wyspiański , die es dem Betrachter erlaubt, auch nur Kraftlosigkeit hinein zu interpretieren, ist ein gelenkter Effekt des Malers, der es dem Rezipienten erleichtert, sich mit seiner Polonia zu identifizieren. Die emotionsgeladene Verknüpfung zwischen dem polnischen Messianismus und der „Toten Polonia“ lässt sich gleichfalls bei Matejkos Schüler Włodzimierz Tetmajer (* 1861; † 1923) und seinem Wandgemälde mit der Aufbahrung Polonias vor der Muttergottes für die Wawel-Kathedrale erkennen, das um 1901 entstanden ist. Der Leichnam ist hier ebenfalls königlich gekleidet sowie mit der Grabkrone von Kasimir dem Großen und dem Reichsapfel attribuiert. Neben dem Haupt der „Toten Polonia“ steht mit gespreizten Flügeln der gekrönte weiße Reichsadler Polens. Diese sehr repräsentative Darstellung des Leichnams der polnischen Nationalallegorie vor der Muttergottes bildet dabei den Hauptpunkt eines ausführlichen Figurenprogramms im Pantheon der Großen Polen, das von Tetmajer in den Jahren 1901 bis 1902 für die Dreifaltigkeitskapelle entwickelt wurde. Der Künstler verewigte auf den Wänden und an der Decke dieser Kapelle wichtige polnische Persönlichkeiten, die vor allem nach dem Vorbild Matejkos gefertigt sind. Obwohl es sich hier um eine Aufbahrungsszene handelt, weist der weiße Schriftzug unter der Bahre den Rezipienten mit den Worten „non mortua sed dormit“ (nicht tot aber schlafend) darauf hin, dass Polen noch nicht vernichtet ist, ähnlich den Zeilen aus der ursprünglichen Version der polnischen Nationalhymne von 1797 „Noch ist Polen nicht gestorben, solange wir leben. Was uns fremde Macht wegnahm, werden wir mit dem Säbel zurückerobern.“7 Der silberfarbene Schriftzug hingegen „regina regni poloniae ora pro nobis“ (Königin der polnischen Krone, bete für uns) über der Muttergottes bezieht sich auf den erhofften himmlischen Beistand. Vor allem die erste Sentenz, die deutlich macht, dass zwar hier eine „Tote Polonia“ verwendet wurde, sie jedoch nicht endgültig tot ist, dient dem Künstler zur motivierenden Beeinflussung, da der Rezipient an eine Auferstehung der Figur glauben kann. Dies spiegelt sich ebenfalls in der Visualisierung des Leichnams Polonias wider, der – wie auch Wyspiański darum bemüht war, keinen verwesenden Leichnam darzustellen – die Möglichkeit offenließ, Polonia sei nicht gänzlich tot, sondern nur ruhend. die Ambitionen seiner romantischen Vorgänger, waren das Gewissen des polnischen Volkes zu sein und sein geistiger Führer.“ „(...) sprawa Polski, jej przeszłości, teraźniejszości i przeszłości stanowi istotnie dominujący w twórczości (...) temat. Ambicją (...), podobnie jak ambicją jego romantycznych poprzedników, było stać się sumieniem społeczeństwa polskiego i jego duchowym przywódcą.” Marian STĘPIEŃ (Red.): Historia literatury polskiej w zarysie, tom 2 [Geschichte der polnischen Literatur, Bd. 2], Warszawa 1983, 63 (Übersetzung von der Verfasserin). 7 „Jeszcze Polska nie umarła, kiedy my żyjemy. Co nam obca moc wydarła, szablą odbijemy.“ Amor Polonus or the love of the poles. Muzeum Pałac w Wilanowie. Wilanów Palace Museum, March–August 2010, Warsaw 2010, 14 (Übersetzung von der Verfasserin).
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Man könnte somit von einem „komatösen Zustand“ sprechen, in dem die Person zwar nicht tot, jedoch auch nicht aktiv lebendig ist, so dass immer die Hoffnung mitschwingen kann, Polonia könne jederzeit erwachen. Augenscheinlich wurde besonders darauf geachtet, ein sehr ästhetisches Antlitz der „Toten Polonia“ zu entwerfen, das den Rezipienten nicht mit negativen Emotionen, wie z. B. Ekel oder Furcht, belastet, damit gewährleistet ist, dass der Betrachter sich mit dem Dargestellten auseinandersetzen würde.8 Trotz der großen Popularität der Nationalallegorie Polonia muss jedoch betont werden, dass es sich hier um einen atypischen Erinnerungsort handelt, der sich nicht auf eine eigene Biografie stützt, wie z. B. Jeanne d’Arc, sondern durch Assoziationen kreiert wurde, sei es durch christliche Ikonographie oder die Biografie anderer Personen, um dem Betrachter die Idee eines nicht existenten Staates zu vermitteln. Dem Bedürfnis, eine vermeintlich veränderte Gestaltung der Vergangenheit und damit einen Bezug zur Gegenwart zu schaffen, fallen nicht nur die historischen Fakten zum Opfer, sondern auch die Erinnerungsorte selbst. Neben dem politischen Missbrauch von Erinnerungsorten, ist noch das Phänomen des Vergessens zu beobachten. Das beste Beispiel ist hierbei die Nationalallegorie Polonia, die nur in Zeiten der Krise Verwendung gefunden hat. Sie ist in der heutigen Zeit in Vergessenheit geraten, während andere Figuren, wie z. B. die Narrenfigur Stańczyk, immer noch rezipiert werden.
8 Diese Überlegungen lassen sich auch in der polnischen Literatur des 19. Jahrhunderts beobach-
ten. Unter anderem hatte Juliusz Słowacki ein ausgeprägt überhöhtes, ästhetisches Empfinden, das er – idealisiert – auf den Übermenschen übertrug, den er als Mensch-Christus bezeichnete und der für ihn einen edlen aristokratischen Hintergrund haben musste. Jan Gwalbert PAWLIKOWSKI: Mistyka Słowackiego [Słowackis Mystik], Kraków 2007, XV.
PERSONENREGISTER
A Abros(ius), Hieronymus 11, 47–49, 55 Adalbert, hl. 53, 117, 165–167, 222 Ägidius, hl. 57 Agnes von Österreich (Babenberg) 186 Agnes von Waiblingen 186 Agnes, hl. 81 Akkon 233 Albendorf 135, 140 Alberich, sel. 90 Allio, Donato Felice 138 Aloisius von Gonzaga, hl. 28 Altstadt 197 Alt Reichenau (Altreichenau) 151, 180 Altbunzlau 68, 166, 167, 169–173 Altenlohm 277, 282 Althof 86 Altkinsberg 35 Altötting 250 Ancona 233 Andreas, hl. 186 Antonius von Padua, hl. 28 Antwerpen 39, 42, 49 Asam, Cosmas Damian 6, 14, 129, 142, 193–202, 233 Asam, Georg 197 Augsburg 29, 55, 73, 274 Aussig 77, 86, 116, 117 Aycher, Josef 55 B Backer, Franz de 130 Balde, Jakob 146, 156 Balzer. J. 186 Bamberg 11, 29, 122 Bandhauer, Zacharias 37 Banz 11, 139, 140 Bardo Śląskie siehe Wartha
Barelli, Agostino 120 Barozzi da Vignola, Giacomo 120 Bartsch, Philipp Anton 186 Basel 71, 207–210, 212, 218–220 Bayer, Paul Ignaz 101, 110, 115 Beckovský, František 175 Bendel, Hans Georg 151 Benedikt von Nursia, hl. 90, 103 Benedikt XIV., Papst 43, 47, 48, 58 Benedikt XIII., Papst 47 Beneschau 56 Benešov siehe Beneschau Benso, Giulio 225 Bergler, Josef (Jr.) 226 Berlin 12 Bernhard, hl. 90, 103, 198 Besnecker, Hieronymus 267 Biedrzychowice siehe Friedersdorf Bilin 79, 82 Bílina siehe Bilin Bischofteinitz 231 Bohuslav Balbín 42, 43, 58, 68, 97, 100, 110, 166, 170, 215 Bolesławiec siehe Bunzlau Bologna 210, 212–214, 217, 218, 250 Bonn 12 Borek Strzeliński siehe Großburg Borromini, Francesco 124, 130, 136, 140 Borsita (Bořita ) von Martinitz, Jaroslav 87 Braunau 77, 129, 138, 140 Braunbock, Wolfgang 52 Breunau 11, 115, 125, 129, 137, 139 Břevnov siehe Breunau Breyther, Johann Georg 188 Brieg 188, 191, 273 Brielle 56 Briese 280 Broggio, Giulio 271
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Orts- und Personenregister
Broggio, Octavio 117, 266, 269–271 Broumov siehe Braunau Brüssel 231 Brüx 74–76, 80–82, 87 Brüx-Saras 86, 91 Brzeg siehe Brieg Brzezinka siehe Briese Bunzlau 278 C Canevalle, Marcantonio 116, 122, 136 Caracciolo, Giovanni Battista (Battistello) 214 Carlsfeld 280 Carracci, Annibale 223 Cati, Pasquale 197 Červený Kostelec siehe Rothkosteletz Chabařovice siehe Karbitz Chanovský, Albert 41 Cheb siehe Eger Chełmsko siehe Schömberg Chlastawa siehe Klastawe Chlumec siehe Kulm Chocianów siehe Kotzenau Chomutov siehe Komotau Chotěšov siehe Chotieschau Chotieschau 10, 28, 35–37, 51, 55, 38 Christianstadt 279 Cigacice siehe Tschicherzig Cigoli, Ludovico 223 Cimburg, Ctibor Tovačovský von 174 Claudia Felicitas von Österreich 177 Cochem, Martin von 234, 235, 238–241, 243, 244, 247–249, 253 Coelestin III., Papst 35 Contini, Giovanni Battista 138 Contzen, Adam 30, 65, 147 Corbellini, Giacomo Antonio 267, 268 Córdoba 140 Crugerius, Georg 41, 170 Czarnowanz 143
Czarnowąsy siehe Czarnowanz Częstochowa siehe Tschenstochau D Dankwart, Karl 178 Děčín siehe Tetschen Despruets, Jean 46 Deutsch Lissa 152, 159 Deutsch Wernersdorf 134 Dientzenhofer, Christoph 11, 52, 125, 139, 140 Dientzenhofer, Georg 11, 122 Dientzenhofer, Johann 11, 139 Dientzenhofer, Kilian Ignaz 11, 13, 117, 126, 127, 129, 134, 136–138, 140, 142–144 Dientzenhofer, Leonhard 11, 122 Dientzenhofer, Wolfgang 11 Dietmayr von Melk 98, 109 Dietrichstein, Franz Seraph von 26, 231 Dillingen 29 Dirsdorf 281 Dlauhowesky (Dlouhoveský), Johannes Ignatius (Jan Hynek) 166, 170, 172, 173, 175 Dobřenice 151 Doksany siehe Doxan Dollhopf, Elias 11, 12, 48, 54, 55 Dominikus von Jesus Maria 69 Doxan 79, 88 Draschitz (Dražice), Johann von (z) 10 Dresden 12, 211 Duchcov siehe Dux Dürer, Albrecht 216 Dux 79, 85 Dyck, Anthonis van 224, 225 E Eberle, Georg 38, 44, 45 Ebersbach, Andreas 10, 38 Ebersbach, Daniel 283 Ebrach 264 Eger 55, 125, 140 Eichstätt 29
Orts- und Personenregister
Eisenberg 91 Elbogen 74 Ellenai 285 Ernst von Pardubitz 165 Eurydike 285 Evermod von Ratzeburg, hl. 47 F Fabricius, Isaak 80, 82 Ferdinand I., Kaiser 72, 73 Ferdinand II., Kaiser 10, 26, 30, 40, 66, 68, 69, 207, 231 Ferdinand III., Kaiser 63,66, 68, 69, 147, 156, 157, 177, 189 Ferdinand Maria von Bayern 28, 29 Fiala-Budínský, Hieronymus Sigismund 41 Fintzguth von Kladrau 98, 109 Fischer von Erlach, Johann Bernard 191 Fischer, Johann Michael 117, 126, 142 Florenz 210, 212, 213, 223 Franciszek, Jerzy Adam 150 Frankenstein 153, 188 Franz Ferdinand von Österreich-Este 57 Franz Xaver (Francisco de Xavier), hl. 28, 138 Franziskus, hl. 18 Frauenzell 147 Freiberger, Arnold 188 Freising 156 Friedersdorf 278, 282 Friedland 223 Friedrich II. von Preußen 280 Friedrich V. von der Pfalz („Winterkönig“) 9, 24, 164 Friedrich, sel. 47 Fritsch, Adrian Frýdlant siehe Friedland Fuk, Kryšpín 79 Fürstenau 80 Fürstenfeld 14, 198, 199 Furttenbach, Joseph 114
G Gabriel (Erzengel) 152, 242, 243, 245 Garnier, Johann Adam Freihher von 188 Gaschin, Karl Ludwig von 150 Gaschin, Maria Elisabeth von 150, 158 Gehl, Matthias 39 Geischen 277 Genazzano 250 Gentileschi, Artemisia 214 Georg von Podiebard 41, 71, 174 Gerlach, hl. 47 Gertrude, sel. 47 Gilbert, hl. 47 Ginetti, Marzio de 44 Giżyn siehe Geischen Głębowice siehe Glumbowitz Glogau 23–25, 276 Głogów siehe Glogau Głubczyce siehe Leobschütz Glumbowitz 188 Göhl, Mathias 28 Golla, Jakob 65, 147 Gorinchem 46 Görkau 79 Gorkum siehe Gorinchem Gottfried, sel. 47 Grabštejn siehe Grafenstein Grafenstein 223 Graupen 13, 74, 82–86 Gregor XIII., Papst 46 Greßthal 53 Greyer, Dominikus 151 Grindig, Lorenz 45 Groß Kauer 276 Groß Stein 7 Gross Strenz 188 Großburg 279, 281, 282 Grottger, Artur 286 Grundmann, Günther 128, 131, 134, 275 Grüssau 22, 100, 143, 177, 178, 180, 188 Guarini, Guarino 124, 137, 140
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Orts- und Personenregister
Gumppenberg, Wilhelm 170, 240, 241 Gustav Adolf von Schweden 68, 146 Gutstein, Heinrich Graf von 42 H Haar, Friedrich Franz 92 Hackenschmidt, Alois 41, 42, 45, 46 Hackner, Christoph (Krzysztof) 138, 189 Halbau 278 Hammerschmied, Johann Florian 42 Hana, František 170 Handke, Johann Christoph 184, 185 Harding, Stephan 90 Harovnik, Fabian Wenzel 247 Harpersdorf 135, 279, 283 Harrach, Ernst Adalbert von 26, 27, 82, 90 Hartmann, Christian 279 Hassenstein, Bohuslav von 75 Hatzfeld, Franz von 189 Hatzfeld, Marianne von 189 Hatzfeld, Melchior von 189 Hausmann, Sigismund 36 Hedwig, hl. 185–187 Heinrich von Mähren (Markgraf) 171 Heinrich I. von Schlesien (der Bärtige) 185 Heinrich II. von Schlesien (der Fromme) 186 Heinrichau 148, 151, 178, 179 Heintsch, Jan Georg(Jiří) 170 Helena, hl. 200 Henryków siehe Heinrichau Herman Josef, sel. 47 Hiernle, Karl Joseph 129 Hildebrandt, Johann Lukas von 118, 134 Hirschberg 135 Hittnern, Zacharias Adalbert von Hochberg, Ferdinand von 53 Hochkirch 279 Hoffmann, Anton 79 Holzkirchen 142 Horišovsky Týn siehe Bischofteinitz
Horní Jiřetín siehe Obergeorgenthal Horní Krupka siehe Obergraupen Horní Slavkov siehe Schlaggenwald Hrabischitz, Slavko von 264 Hradec Králové siehe Königgrätz Hrádek 165 Hrob siehe Klostergrab Hrobčice siehe Hrobschitz Hrobschitz 82 Hroznata (von Ovenec), sel. 10, 12, 13, 35–58 Hummel 277 Hus, Jan 59, 72, 79, 99 I Ignatius von Loyola, hl. 28, 185, 225 Iłowa siehe Halbau Ingolstadt 29, 69, 241 Isfried von Ratzeburg, hl. 47 Isidor von Madrid, hl. 28 Ivan, hl. 57 J Janegg 86, 91, 92 Jarmeritz 143 Jaroměřice siehe Jarmeritz Jauer 283 Jawor siehe Jauer Jeanne d’Arc 290 Jelenia Góra siehe Hirschberg Jeníkov siehe Janegg Jenkau 279 Jenków siehe Jenkau Jerusalem 10, 139, 200, 232, 257, 276, 282 Jezeří siehe Eisenberg Jiménez de Cisneros, Gonzalo 17 Jindřich Škréta siehe Heinrich Screta Jiří z Poděbrad siehe Georg von Podiebard Jirkov siehe Görkau Johann II. Kasimir (Jan II Kazimierz Waza) von Polen 66 Johann IV. (Dom João IV) von Portugal 66
Orts- und Personenregister
Johann, Kuben 191 Johannes (Apostel), hl. 82 Johannes (Evangelist), hl. 276 Johannes (Täufer), hl. 102, 103 Johannes von Nepomuk, hl. 53, 151, 154, 166, 171, 176 Joseph I., Kaiser 14, 184 Joseph, hl. 14, 85, 154, 155, 176–181, 184, 186, 188, 191, 192, 235, 241 Joseph von Bilin 235, 238, 242, 244, 247, 254, 255, 256 K Kadlinský, Felix 170, 175 Kahlert, Heinrich 178, 180 Kalckbrenner, E. G. 143 Kamenz 180 Kamien Šląski siehe Groß Stein Kamieniec Ząbkowiecki siehe Kamenz Karbitz 84, 85 Karl Borromäus, hl. 14, 154, 176, 188–192 Karl IV., Kaiser 97–99 Karl VI., Kaiser 14, 176, 184, 188, 190–192 KarlovyVary siehe Karlsbad Karlsbad 135 Karoschke 277 Kastl, Michael 51 Kaubitz 142, 143 Kern, Anton 267 Kiedrich 140 Kilian, Bartholomäus 170 Kinsky, Wilhelm 79 Kladrau 98, 102, 105, 109, 112 Kladruby siehe Kladrau Klastawe 277 Klatovy siehe Klattau Klattau 42 Klauber, Joseph Sebastian 55 Klein Kniegnitz 279 Klengel, Wolf Caspar von 280 Klimeš, Filip 51, 54
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Klosterbruck 38, 39 Klostergrab 73, 75, 77, 78, 91 Klosterneuburg 182, 184 Knittel, Laurenz siehe Scipio, Laurentius Knothe, Matthäus 151 Kohel, Sigismund 39 Koiskau 279 Köllner, Johann Christian 180, 188 Koloman, hl. 182 Kolowrat, Ludmilla Eva Franziska von 234, 235 Kolweiße, Matthäus 177 Komotau 75, 76, 87, 122, 123 Konečný, Matouš 206 Königgrätz 151 Königsaal 111 Königsberg an der Eger 74 Konopischt 56, 57 Konopiště siehe Konopischt Konstanz 210, 212, 218, 225 Kościelec siehe Hochkirch Kosika siehe Koiskau Kostenblatt 80, 86 Kostomlaty pod Milešovkou siehe Kostenblatt Kotzenau 279 Kowary siehe Schmiedeberg Krakau 286, 288 Kraków siehe Krakau Kraschen 277, 279 Krasowice siehe Kraschen Krause, Bernard 188, 189 Kreibau 282 Kremsier 238 Kriegheide 275, 277, 281–283 Kroměříž siehe Kremsier Kruger, Georg siehe Crugerius, Georg Krukpa siehe Graupen Krzeszów siehe Grüssau Krzystkowice siehe Christianstadt Krzywa siehe Kreibau Księginice Małe siehe Klein Kniegnitz
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Orts- und Personenregister
Kulm 79, 84 Kuraszków siehe Karoschke Kurów Wielki siehe Groß Kauer Kurz, Johann 37 Kutná Hora siehe Kuttenberg Kuttenberg 71, 101, 105, 138 Kynšperk nad Ohří siehe Königsberg an der Eger Kyrill (Crha), hl. 164, 165, 170 L Ladislaus IV. (Władysław IV Waza) von Polen 66 Łagów siehe Logau Lambach 221 Landshut 69 Langheim 264 Lauermann, Josef 50 Laun 151 Le Mire, Aubert 39 Le Paige, Jean 40 Legnica siehe Liegnitz Legnickie Pole siehe Wahlstatt Leitmeritz 41, 80, 107, 221, 222, 224, 226, 227, 229, 266 Leobschütz 152,154, 156, 157 Leopold I., Kaiser 14, 147, 150, 155, 158, 160, 171, 177, 182–185, 187, 191 Leopold, hl. 14, 53, 176, 181–187, 191 Leśna siehe Marklissa Leśnica siehe Deutsch Lissa Leszno siehe Lissa Leubus 151, 180, 187, 188, 221 Lewin Brzeski siehe Löwen Leyden 205 Liberec siehe Reichenberg Libkovice v Krušných Horách siehe Liquitz Liebenthal 142, 153, 158 Liebhard von Leitmeritz 84 Liechtenstein 24 Liegnitz 129, 137, 138, 140, 142–144, 151, 180, 188, 273, 279
Lilienfeld 177 Linka, Matěj 111 Liquitz 268 Lischka, Johann Christoph 267 Lissa 210, 278, 279 Litoměřice siehe Leitmeritz Litwerig, Benedikt 266, 267 Lobkowitz, Filip Zdenek 12 Lobkowitz, Franz Wilhelm Popel von 150, 231 Lobkowitz, Georg Popel von 76, 87 Lobkowitz, Katharina Benigna von 230 Lobkowitz, Zdenko Adalbert Popel von 75 Logau 280, 281 Lohelius, Johann 75, 90 Loket siehe Elbogen Lomnice nad Popelkou siehe Lomnitz an der Popelka Lomnitz an der Popelka 165 Loreto 27 Louka siehe Klosterbruck Louny siehe Laun Lourdes 89, 250 Löwen 281 Lubiąż siehe Leubus Lubomierz siehe Liebenthal Lucius, Ludwig 207–210, 225, 226 Ludmila, hl. 57, 58, 165, 170 Ludolf I. von Ratzeburg, hl. 47 Ludwig II. von Bayern (der Strenge) 199 Ludwig XIII. von Frankreich 66 Lukas (Evangelist), hl. 108, 173, 232, 239, 283 Lurago, Carlo 119, 122, 123 Luther, Martin 60, 61, 71–73, 83–85, 263 Lutsch, Hans 124, 133, 274 Lutz, Ludwig siehe Lucius, Ludwig M Macerata 138 Magdeburg 37, 40, 44 Mailand 189
Orts- und Personenregister
Malta 213 Manetin 27 Manětín siehe Manetin Maria Anna von Österreich 156 Maria Magdalena, hl. 80 Maria Ratschitz 13, 14, 91, 263, 268–272 Mariánské Radčice siehe Maria Ratschitz Mariazell 171, 250 Markgraf Heinrich von Mähren 171 Marklissa 280 Markt Janowitz 58 Marschen 84 Maršov siehe Marschen Matejko, Jan 286, 289 Mathey, Jean Baptist 91, 266, 269 Mattens, Norbert 47 Matthias, Kaiser 75 Maximilian I. von Bayern 9, 28–30, 59, 63–69, 73, 146, 147, 158 Mayer, Johann Christoph 129 Meckenburger, Heinrich 46 Meißen 72 Melnik 210 Messina 213 Mestina 250 Method (Strachota), hl. 164, 165, 170 Mibes von Ossegg 90 Michael (Erzengel) 152 Middelburg 47 Miesbach 52 Mikulov siehe Nikolsburg Milanesi, Carlo 122 Miller, Johannes 157 Miřejovice siehe Mireschowitz Mireschowitz 82 Mirostowice Dolne siehe Nieder Ullersdorf Missenius, Hyacinthus 116 Mojęcice siehe Mondschütz Molitor, Johann Peter 12, 171 Moncornet, Balthasar 216 Mondschütz 281
297
Montserrat 250 Most siehe Brüx Most-Zahražany siehe Brüx-Saras München 4, 13, 59, 62, 65, 68–70, 119–123, 129, 142, 146, 147, 153, 154, 164 Münster 147 Münsterberg 153 N Neapel 212–214, 225 Neidhard, Gregor 49 Nepomuk 264 Neumann, Balthasar 126, 142 Neunhertz, Georg Wilhelm 180 Neupaka 125, 140 Neustadt 145, 152, 153, 155 Nieder Ullersdorf 282 Nieder Wiesa 278, 282 Nikolsburg 231, 258, 270 Nizza 142 Norbert, hl. 40, 46, 51, 53 Nördlingen 68 Nová Paka siehe Neupaka Nowogród Bobrzański siehe Christianstadt O Obergeorgenthal 86, 91 Obergraupen 84, 85 Oberlangenau 266 Obořište siehe Woborschischt Opařan siehe Woporschan Opawa siehe Oppau Oppau 149 Oretti, Marcello 213 Orsi, Giovanni Battista 233 Orsi, Giovanni Domenico 136 Osek siehe Ossegg Osnabrück 9 Ossegg 6, 13, 14, 73, 77, 80, 86, 89–92, 263, 272 Otmuchów siehe Ottmachau Ottmachau 152
298
Orts- und Personenregister
P Pacák, Georg Franz 151 Pacov siehe Patzau Paggi, Giovanni Battista 225 Pałck siehe Palzig Palzig 280 Paris 40, 223 Passau 250 Patzau 138 Paul V., Papst 146 Paulus, hl. 12, 146, 186, 222 Pawłowska, Krystyna Katarzyna 186 Pecher, Johann 44 Pešina von Čechorod, Tomáš 221 Petrus, hl. 186, 198, 201, 222 Petschacher, Gerard 171 Pfalz von Neuburg, Franz 191 Pielgrzymka siehe Pilgramsdorf Pilgramsdorf 282 Pilsen 12, 38, 170 Pistoia 210–212, 218 Pius IX., Papst 47 Plachý-Ferus, Georg (Jiří) 41 Plaß 264 Plasy siehe Plaß Platzer, Ignatz (Ignatius) Franz 11, 12, 50, 55 Plzeň siehe Pilsen Počaply siehe Potschapl an der Elbe Pock, Tobias 224, 225 Podiven, sel. 170, 171 Poelzig, Hans 274, 275 Pogorzeliska siehe Kriegheide Pohl, Michael 43–45, 49 Pontanus, Medek Georg Bartold 38 Potschapl an der Elbe 117 Prag 5, 6, 10–12, 14, 26, 27, 38–40, 42, 46, 48–50, 56, 58–65, 67, 69, 70–74, 77, 79, 82, 84, 90, 101, 104, 105, 111, 115, 116, 125, 136–139, 142, 147, 150–154, 157, 160, 164, 165, 167, 203, 206–208, 211,
212, 214, 215, 219–221, 223, 224, 226, 230–242, 245, 246, 248–259, 256 Praha siehe Prag Preti, Mattia 214 Prietzen 277 Proboszczów siehe Probsthain Probsthain 278, 279, 281, 282 Prokop, hl. 165, 166 Prudnik siehe Neustadt Przeczów siehe Prietzen Przerzeczyn-Zdrój siehe Dirsdorf Q Querfurt, Tobias (Jr.) 226 Questenberg, Kaspar von 40 Quodvultdeus, hl. 53 Racibórz siehe Ratibor Radbuza, Arsenius von 169 R Radislav 170 Radl, Eugen 111 Radungen 189 Radziądz siehe Radungen Raffael (Erzengel) 152 Raffaelo da Urbino 216 Ratibor 150, 153, 158 Ratzeburg 47 Recanati 233 Rechenberg 264 Regensburg 201 Reich, Johannes 187 Reichau 279 Reichel, Elias Ignaz 80 Reichenbach 274 Reichenberg 223 Reiner, Wenzel Lorenz 129, 139, 267 Reinisch, Joseph Leopold 158 Rembrandt Harmensz. van Rijn 204, 214 Renai, Guido 213, 216, 225 Ribera, Jusepe de 214
Orts- und Personenregister
Ried, Benedikt 105 Robert, hl. 90 Rochus, hl. 90 Rom 27, 43, 44, 47–49, 62, 124, 130, 137, 140, 146, 149, 194, 210, 212–214, 217, 218, 231 Rosa, Bernhard 177, 178, 180 Rosalia, hl. 53 Rosen, Theodor von 88 Rossi, Domenico de 136, 137 Rostersdorf 277, 279 Rothkosteletz 138 Rothsürben 275 Rottenburg 251 Rottmayr von Rosenbrunn, Johann Michael 185 Rubens, Peter Paul 205, 216, 224, 225 Rudolf II., Kaiser 39, 74, 212 S Saar 112 Sadeler, Aegidius 206, 213 Sadeler, Aegidius II. 212 Sadeler, Jan I. 212 Sadeler, Justus 212 Sadeler, Marc(us) 207, 211, 212 Sandrart, Joachim von 211–213, 215, 221, 226, 229 Santini-Aichel, Jan Blažej (Giovanni) 5, 95, 96, 101, 126, 128 Sartorius, Augustinus 110, 268, 269, 271 Sauer, Franta 59 Sayda 264 Schaumburg, Martin von 29 Scheffler, Felix Anton 180, 233, 247 Schein 86, 87 Schlaggenwald 54 Schleinitz (Šlejnic), Maxmilian Rudolf von 221, 223, 224 Schlichtingsheim 277, 279 Schmiedeberg 135, 180 Schömberg 180
299
Schönau 138 Schönfeld, Johann Heinrich 229 Schönfeldt, Franz 183 Schwaz 73, 84, 87 Schweidnitz 24, 25 Ścinawa Nyska siehe Steinsdorf Scipio, Laurentius 90, 91 Screta, Carlo 6, 14, 164, 170, 203 Screta, Heinrich 207, 208, 210–229 Screta, Jan 210 Screta, Kundrat (Konrad) 206 Scultetus, Abraham 164 Sedlec siehe Sedletz Sedletz 5, 13, 95–98, 100–103, 105–112, 264 Seelau 112 Seitsch 142 Serlio, Sebastiano 134 Seydorf 135 Siard, hl. 47 Sichem 250 Siciny siehe Seitsch Siegwitz, Johann Albrecht 190, 191 Sigismund, Kaiser 98 Simonetti, Giulio 278 Sinzendorf, Georg Ludwig von 147, 148 Skála ze Zhoře, Pavel 99 Škréta, Karel siehe Screta, Carlo Slawentzitz 281 Sławięcice siehe Slawentzitz Słowacki, Juliusz 290 Smiřice siehe Smirschitz Smirschitz 125, 128, 140, 141 Snopek, Jindřich 97, 98, 101, 108 Šonov siehe Schönau Sosnówka siehe Seydorf Sparn, Johann Jacob 209 Spee von Lagenfeld, Friedrich 175 Speinshart 12 Spitzer, Johann Wenzel 171 Stanislaus, hl. 186 Stará Boleslav siehe Altbunzlau
300
Orts- und Personenregister
Stare Bogaczowice siehe Alt Reichenau Stary Łom siehe Altenlohm Steingaden 14 Steinhausen 142 Steinsdorf 142 Stephan, hl. 221, 223 Sternberg, Jaroslav Ignatius von 222 Sternberg, Wenzel Adalbert von 235 Sterre, Johannes van der 39, 40 Stevens von Steinfels, Johann Anton 267 Strachowski, Bartłomiej 187 Strahov 10, 40, 49 Strakonice siehe Strakonitz Strakonitz 154 Strehlen 143 Strozzi, Bernardo 225 Strzelin siehe Strehlen Stüeler, Michel 84–86 Sturm, Leonhard Christoph 114, 115 Stuttgart 209, 210, 212, 217, 218 Sulko von Chotieschau 36 Světec siehe Schwaz Świdnica siehe Schweidnitz Sylvius, Johann 44 Szlichtyngowa siehe Schlichtingsheim T Tanner, Johannes 41, 165, 167, 170, 171 Tepl 7, 10–14, 28, 35–39, 41–58, 140 Teplá siehe Tepl Teplice siehe Teplitz Teplitz 79, 80, 82, 83, 88, 92 Tetmajer, Włodzimierz 286, 288, 289 Tetschen 88 Theoderich II. von Ossegg 268 Thomas von Canterbury, hl. 46 Thun, Guidobald 229 Tkadlík, František 226 Trebnitz 186, 187 Trient 15, 17, 19, 20, 21, 30, 61, 72, 125, 156, 194, 197
Trmice siehe Türmitz Trzebnica siehe Trebnitz Trzęsów siehe Rostersdorf Trzmielów siehe Hummel Tschenstochau 250 Tschicherzig 276 Tuchomĕřice 136 Tuřany 164 Turin 137, 140 Türmitz 86 Twardocice siehe Harpersdorf U Urban VIII., Papst 43, 46, 48, 58, 241 Urban, Martin 178, 180 Ústí n. L. siehe Aussig V Valenciennes 224 Vasari, Giorgio 223 Velemín siehe Welemin Venedig 206, 207, 210, 212, 213, 217, 218 Verneřovice siehe Deutsch Wernersdorf Vinzenz von Paul, hl. 152, 153, 186, 190 Vladislav II. von Böhmen 71, 169 Vlašim 165 Votice sieheWotiz Vrchotovy Janovice siehe Markt Janowitz Vrtby, František Václav z siehe Wrtba, Franz Wenzel von Vrtby, Sezima z siehe Wrtba, Sezima von Vrtby. Jan Josef z siehe Wrtba, Johann Joseph Graf von W Wahlstatt 5, 11, 13, 14, 124–140, 142–144, 200 Waldburg, Otto Truchseß von 29 Waldsassen 11, 264 Waldstein, Johann Friedrich von 68, 164 Wambierzyce siehe Albendorf Wartha 22
Orts- und Personenregister
Weingarten 14, 195–199, 201, 202, 225, 226 Weißenstein 11 Welemin 266 Weltenburg 14, 198, 201, 202 Wenzel (Wenzeslaus), hl. 51, 53, 57, 67, 68, 165–167, 170, 171, 221 Wenzel I. von Böhmen 10 Wenzel IV., König 98 Werner, Friedrich Bernhard 180 Wernstein am Inn 147, 148 Widmann, Lazar 57 Wien 12, 25, 53, 62–64, 67–70, 118, 134, 138, 142, 147–150, 152, 153, 155, 157, 171, 181, 231 Wiesenhütter, Alfred 275, 276, 284 Wieża Dolna siehe Nieder Wiesa Wilczków siehe Wültschkau Wilfert, Raimund I. 45 Wilfert, Raimund II. 10 Wilhelm V. von Bayern 9 Wilhelm, hl. 81 Willenberg, Jan 101 Willmann, Michael Leopold Lukas 178, 180, 187, 221, 267 Winckler, Michael 83 Wirth, Zdeněk 95, 106 Wittenberg 88 Władisław Jagiełło 169 Władysław II. von Polen (der Verbannte) 186 Woborschischt 125 Wohlau 158, 180, 181, 189, 273 Wojslawa 41, 51
301
Wolff, Lucas 53 Wolów siehe Wohlau Woporschan 138 Wotitz 56, 58 Wrtba, Franz Wenzel von 56 Wrtba, Johann Joseph von 56 Wrtba, Sezima von 56 Wültschkau 275, 279, 281 Würben und Freudenthal, Georg Stephan von 149 Wyspiański, Stanisław 286–289 X Ximenes de Cisneros, Gonzalo siehe Jiménez de Cisneros, Gonzalo Z Ząbkowice Śląskie siehe Frankenstein Zarzyca siehe Reichau Zbraslav siehe Königsaal Žďár nad Sázavou siehe Saar Želiv siehe Seelau Zeller, Franz Joseph 187 Ziębice siehe Münsterberg Zimmerman, Friedrich Albert 124 Zimmermann, Dominikus 126, 142 Zinke, Othmar Daniel 115, 128, 129, 137, 144 Zinnwald 82, 87 Znaim 38 Znojmo siehe Znaim Żórawina siehe Rothsürben
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